Thomas Franke Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung
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Thomas Franke Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung
VS RESEARCH Quartiersforschung Herausgegeben von Dr. Olaf Schnur, Universität Potsdam Dr. Dirk Gebhardt, Eurocities, Brüssel Dr. Matthias Drilling, Hochschule für Soziale Arbeit, Basel
Das Wohn- oder Stadtquartier hat in unterschiedlichsten Bereichen der Stadtforschung einen wachsenden Stellenwert. Neue Schwerpunkte auf Quartiersebene sind sowohl in der Praxis, etwa in Stadtentwicklung und Immobilienwirtschaft, als auch in stärker theoretisch orientierten Bereichen zu finden. In der dazwischen liegenden Grauzone hat die wissenschaftliche Begleitforschung Konjunktur, die sich mit den immer vielfältigeren planungspolitischen Interventionen in Quartieren beschäftigt. Diese Reihe möchte sich den inzwischen existierenden pluralistischen, oft auch kritisch geführten Diskurslinien der Quartiersforschung mit ihren zahlreichen Überschneidungen und Widersprüchen widmen. Sie bietet Raum für Quartiersforschung im weitesten Sinn – von Arbeiten mit theoretisch-konzeptionellem Schwerpunkt über empirisch-methodisch orientierte Studien bis hin zu explizit praxisorientierten Arbeiten über Quartiers-Themen aus dem Blickwinkel verschiedener Paradigmen der Quartiersforschung. So soll ein Forum entstehen, in dem sich Interessierte aus allen Bereichen – vom Quartiersmanager bis zum Wissenschaftler – über das Themenfeld „Quartier“ auch über den eigenen Horizont hinaus informieren können. Quartiersforschung wird innerhalb dieser Reihe interdisziplinär und multidisziplinär verstanden, wobei geographische und sozialwissenschaftliche Ansätze einen Schwerpunkt darstellen.
Thomas Franke
Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung Doppelter Gebietsbezug zwischen „Behälterräumen“ und „Alltagsorten“
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2010
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18089-2
Danksagung
Die vorliegende Arbeit entstand als Dissertation zum größten Teil neben meiner beruflichen Tätigkeit beim Deutschen Institut für Urbanistik, das mich jedoch gerade in der Anfangszeit der Untersuchung stark unterstützte – dafür bedanke ich mich sehr. Großer Dank gebührt auch meinen Interviewpartner/innen in Kommunalverwaltungen und aus den Reihen lokaler Quartiermanagements, die mir viel Zeit, wertvolle Informationen und vor allem Vertrauen geschenkt haben. Einige von ihnen arbeiten mittlerweile in anderen Positionen, Programme sind teilweise ausgelaufen, und die Situation „vor Ort“ hat sich geändert. Dennoch haben die Kernaussagen dieser Gesprächspartner/innen auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren, denn eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von „Raum“ für integrierte Quartiersentwicklung gewinnt erst seit jüngerer Zeit an Fahrt. Mein Betreuer und „Doktorvater“ Professor Hans Dieter Laux hat mich bereits während meines Geographie-Studiums in Bonn mit seiner menschlichen und zugleich kritisch-hinterfragenden Art immer wieder zu einem voranschreitenden „nosing around“ ermuntert. Dies war während der Zeit, in der er meine Dissertation betreute, nicht anders. Ich konnte mich nicht nur stets auf seine konstruktive Kritik verlassen, sondern habe durch seine motivierenden Worte auch manche „Durststrecke“ überwunden. Dafür und für die Geduld und das Vertrauen über diesen langen Zeitraum danke ich ihm sehr herzlich! Unterstützung erhielt ich natürlich auch von meiner Familie, wenngleich meine Eltern den Abschluss dieser Arbeit leider nicht mehr mitverfolgen konnten. Meinen Freunden danke ich für vielfältige Aufmunterung und ihre ausdauernde Unterstützung, Dipl.-Ing. Wolf-Christian Strauss zudem für seine Hilfe bei der Erarbeitung von Übersichtskarten. Ganz besonders danke ich meinem langjährigen „Studiumsweggefährten“ und Freund Dr. habil. Olaf Schnur, mit dem ich grundlegende Fragen einer solchen Arbeit und vor allem die damit verbundenen „Irrungen und Wirrungen“ immer wieder besprechen konnte. Mehrere Jahre „nebenbei“ arbeiten hieß, ungezählte Abend- und Nachtstunden, Wochenenden und viele Urlaubstage zu investieren – oder anders: diese Zeit nicht mit meiner Lebenspartnerin Katja Bagge verbringen zu können. Sie hat dennoch mein Projekt mitgetragen, mir als Geographin viele wertvolle fachliche Hinweise gegeben und mich mit aller Kraft unterstützt. Ihr gebührt mein größter Dank – und mein größter Respekt!
Berlin, Dezember 2010
Thomas Franke
Inhaltsverzeichnis
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Abbildungs, Karten- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
1 Einführung: Warum gebietsbezogenes Verwaltungshandeln? . . . . . . . . .
13
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung: Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln als Forschungsgegenstand . . . . .
17
2.1 „Benachteiligte“ Stadtteile: Anlass für eine integrative „Raumorientierung“ von Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz: Was haben Ziele, Akteure und Strukturen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns mit „Raum“ zu tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Untersuchungsmethoden: Annäherung an gebietsbezogenes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Ausgangspunkt: Methodenentwicklung in der Organisationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Qualitative Dokumentenanalyse: Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Leitfadengestützte Experten-/Gruppeninterviews: Kern der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Was wurde erfragt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Wer ist Expert/in und wer wurde interviewt? . . . . . . . . . . 2.3.3.3 Leitfäden als Befragungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4 Zur Rolle des Interviewers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.5 Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Theoretische Einbettung der Untersuchung: Welche Raumkonzepte können gebietsbezogenem Verwaltungshandeln zu Grunde liegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Absoluter und relationaler Ansatz: Akteure und Raum . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte: Akteure produzieren Raum . . . 3.2.1 Ausgangsüberlegungen: Ressourcen und Regeln in der Strukturationstheorie von Anthony Giddens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Werlens Konzept der „Geographie alltäglicher Regionalisierungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Löws Konzept der „Raumsoziologie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
20 30 31 33 34 37 38 41 43 46
51 52 53 56 58 62
8
Inhaltsverzeichnis
4 Zwischen Theorie und Konzept: Überlegungen zu „Sozialraum“ und „Lebenswelten“ in der Jugendhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse: Programme und kommunale Konzepte der Stadtteilentwicklung als Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln: URBAN/URBAN II und die Soziale Stadt . . . . . . 5.1.1 Programmvorgaben und -informationen: Ziele . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Programmvorgaben und -informationen: Fördergebiete und ihre Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Programmvorgaben und -informationen: Gebietsmanagement . . . 5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in den vier Beispielkommunen Berlin, Dortmund, Essen und Leipzig . . 5.2.1 Vorüberlegungen in den Beispielkommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Konzeptvorgaben: Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Konzeptvorgaben: Abgrenzung von Programmgebieten . . . . . . . . 5.2.4 Konzeptvorgaben: Gebietsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 73 79 83 88 89 95 98 125
6 Interviewergebnisse: Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis . . . . . . . . . . 6.1.1 Zielerarbeitung: Verfahren und beteiligte Akteure . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Zielbenennung: Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Zielumsetzung: Arbeitserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Gebietsabgrenzung: Verfahren und beteiligte Akteure . . . . . . . . . 6.2.2 Gebietsabgrenzung: Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Umgang mit Programmgebieten und „Sozialräumen“: Arbeitserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Gebietsabgrenzungen: Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Interviewpartner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Gebietsmanagement der Verwaltung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Arbeitserfahrungen mit Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene: Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Interviewpartner/innen . . . . 6.4 Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis: generelle Einschätzungen der Interviewpartner/innen . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Vorteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns aus Sicht der Interviewpartner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 136 137 140 146 146 148 152 160 165 165 170 174 174
Inhaltsverzeichnis
9
6.4.2 Nachteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns aus Sicht der Interviewpartner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 6.4.3 Anregungen der Interviewpartner/innen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ . . . . . . . . 181 7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis gebietsbezogen Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung . . . . 7.2 Das Gegenüber von Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene: Modelle „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“ . . . . . . 7.2.1 Modell „Doppelter Gebietsbezug“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Modell „Quartiermanagement“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 200 200 202
8 Empfehlungen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Quellen/Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Anhang: Liste der (Gruppen-)Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Abbildungs-, Karten- und Tabellenverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13:
Ausgangsüberlegungen für die zentralen Untersuchungsfragen Betrachtungsebenen für die zentralen Untersuchungsfragen . . Untersuchungsansatz „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ Mögliche Rollenzuweisungen an den Interviewer . . . . . . . . . . Übersicht Aufbau/Funktionen von MAXqda2 . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus Berlin – Schöneberg-Nord . . . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus der Dortmunder Nordstadt . . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus Essen-Katernberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus Essen-Altendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus dem Leipziger Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impressionen aus dem Leipziger Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell „Doppelter Gebietsbezug“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell „Quartiermanagement“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Karte 1:
Lage des Programmgebiets „Bülowstraße/ Wohnen am Kleistpark“ in Berlin – Schöneberg-Nord . . . . . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Bülowstraße/ Wohnen am Kleistpark“ in Berlin – Schöneberg-Nord . . . . . . . Lage des Programmgebiets „Nordstadt“ in Dortmund . . . . . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Dortmunder Nordstadt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lage des Programmgebiets „Katernberg“ in Essen . . . . . . . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Essen-Katernberg“ . Lage des Programmgebiets „Altendorf“ in Essen . . . . . . . . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Essen-Altendorf“ . . Lage des Programmgebiets „Leipziger Osten“ in Leipzig . . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Leipziger Osten“ . . . Lage des Programmgebiets „Leipziger Westen“ in Leipzig . . . Detailabgrenzung des Programmgebiets „Leipziger Westen“ .
Karte 2: Karte 3: Karte 4: Karte 5: Karte 6: Karte 7: Karte 8: Karte 9: Karte 10: Karte 11: Karte 12:
Tabelle 1: Tabelle 2:
23 25 30 45 49 100 104 108 112 117 121 201 203
101 102 105 106 109 110 113 114 118 119 122 123
Unterschiede zwischen Experteninterviews und anderen Interviewansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Übersicht Expert/innenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1
Einführung: Warum gebietsbezogenes Verwaltungshandeln?
Seit Mitte der 1990er Jahre werden in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern integrative raumorientierte Verfahren für die Entwicklung von „benachteiligten“ städtischen Quartieren erprobt; daneben kommt es in vielen deutschen Kommunen zur „sozialräumlichen“ Reorganisation der Jugendhilfe. Bei diesen Ansätzen integrierter Quartiersentwicklung fällt auf, dass der als zentrales Element zu Grunde gelegte Raumbezug meist über eine statistisch basierte Abgrenzung von kommunalen räumlichen Zuständigkeitsbereichen („Programmgebiete“, „Sozialräume“) hinaus kaum hinterfragt bzw. qualifiziert wird. Offensichtlich gibt es also im Zusammenhang mit raumorientiertem Verwaltungshandeln zum Teil noch Defizite bei der Auseinandersetzung mit den Interdependenzen von „Raum“ und „Gesellschaft“1. So kann unter anderem die Frage gestellt werden, inwieweit sich die Ausrichtung gebietsorientierter Handlungskonzepte der Verwaltung durch eine stärkere Qualifizierung eben jenes Raumbezugs – beispielsweise durch eine intensivere Berücksichtigung subjektiver Raumwahrnehmungen bzw. -„produktionen“ durch „Betroffene vor Ort“ – verändern würde. Eine intensive Auseinandersetzung mit einem eher aus der individuellen Perspektive erwachsenden Raumverständnis findet in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre in verschiedenen (sozial-)wissenschaftlichen Bereichen statt, wenngleich hier oftmals Fragen nach dem Umgang mit Raum im Zusammenhang mit dem jeweils eigenen disziplinären Selbstverständnis im Vordergrund stehen (vgl. Krämer-Badoni/Kuhm 2003; Keim 2003). Insbesondere das von Werlen (1997) entwickelte Konzept einer „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen“ sowie Löws Ausarbeitung einer „Raumsoziologie“ (2001) gehen jedoch einen Schritt weiter. In diesen vergleichsweise breit angelegten handlungsorientierten und (potenziell) interdisziplinären Ansätzen wird aufzuzeigen versucht, wie subjektive Raumproduktionen entstehen und verstanden werden können. Beide Konzepte stimmen darin überein, Raum nicht als etwas der Gesellschaft und dem Individuum Externes oder gar als „an sich“ Existierendes anzunehmen („Behälterraum“), sondern als Ergebnis subjektiver Konstituierungsleistungen zu begreifen. Aus einer solchen Perspektive können beispielsweise Zielgruppen von 1
Auch Akteure aus angewandter Wissenschaft und Kommunalverwaltungen in NordrheinWestfalen, dem „Vorreiter“-Land der Sozialen Stadt, äußern sich auf der Basis ihrer Praxiserfahrungen in verschiedenen Papieren zwar zu Steuerungs- und Organisationsfragen einer „Raumorientierung“, messen einer direkten Auseinandersetzung mit „Raum“ jedoch eine nur untergeordnete Bedeutung bei (vgl. Städte-Netzwerk 2001; AGB 2002).
T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
14
1 Einführung
Programmen, Maßnahmen und Projekten der Quartiersentwicklung nicht länger als Träger von Merkmalen im Raum betrachtet werden, sondern müssen als raumproduzierende Individuen stärker ins Zentrum der Betrachtung rücken. Eine solche Perspektive steht administrativen „Behälter“-Raumkonzepten herkömmlicher Programmgebiets- und „Sozialraum“-Ausweisungen allerdings diametral gegenüber. Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit den Fragen nachgegangen werden, mit welchen Zielen der Ansatz eines integrierten gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verfolgt wird, welche Akteure nach welchen Kriterien „Raum“ im Sinne von „Programmgebieten“ oder „Sozialräumen“ konstruiert haben, welche Formen eines Gebietsmanagements eingerichtet wurden, welche Arbeitserfahrungen auf der Verwaltungs- und der „Vor-Ort“-Ebene mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln gemacht wurden, und welche Anregungen bzw. Handlungsempfehlungen sich daraus ableiten lassen. Unter anderem geht es um die Fragen, inwieweit lokale alltagsweltliche Belange überhaupt in die Formulierung von Zielen gebietsbezogenen Handelns sowie die Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ der Jugendhilfe Eingang finden (können), wie flexibel und durchlässig also die Schnittstellen zwischen Programmatik, kommunalen Handlungskonzepten und der Realität „vor Ort“ sind, und worin generell Möglichkeiten einer Weiterqualifizierung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ liegen. Seit der Durchführung der Empirie ist einige Zeit vergangen. Auch endete eines der Förderprogramme für gebietsbezogene integrierte Quartiersentwicklung, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wurden, bereits im Jahr 2006. Dies ist jedoch für die Aussagekraft der hier vorgestellten Untersuchung von geringerer Bedeutung, da sie weniger auf inhaltliche Aspekte der Gebietsentwicklung in ihren zeitlich-politischen Kontexten fokussiert, sondern vielmehr bei grundlegenden, von Tagesaktualität weitgehend unabhängigen Fragen ansetzt. Die Bedeutung von Raum für die Abgrenzung bzw. Ausweisung von Programmgebieten wurde und wird in den meisten Kommunen allenfalls zu Beginn der Maßnahmenumsetzung problematisiert und danach kaum wieder aufgegriffen. Auch das Konzept der integrierten Quartiersentwicklung insgesamt ist zumindest unter dem Aspekt „Raum“ während der letzten Jahre nicht wesentlich weiterentwickelt worden. Somit haben die hier vorgestellten empirischen Befunde nichts an ihrer Aktualität verloren. Der Untersuchungsbericht ist so aufgebaut, dass die zugrundeliegenden Fragestellungen in Kapitel 2 zunächst vertieft sowie die für ihre Bearbeitung herangezogenen Untersuchungsmethoden samt Auswertungsverfahren vorgestellt werden. In Kapitel 3 folgt eine Auseinandersetzung mit raumtheoretischen Überlegungen, die aus der wissenschaftlichen Perspektive eine konzeptionelle Grundlage von „Raum“ für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln bilden können. Auch die Auseinandersetzung mit den Begriffen „Sozialraum“ und „Lebenswelten“, wie sie im Kontext der kommunalen Jugendhilfe angewandt werden, ist in diesem Zusammenhang hilfreich; auf sie wird in Kapitel 4 eingegangen.
1 Einführung
15
Aus der in Kapitel 5 anschließenden Ergebnisdarstellung der Analyse von Programmen und kommunalen Konzepten für integrierte Quartiersentwicklung lässt sich das Spektrum der (politischen) Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln erkennen; die Ergebnisse werden auf der Grundlage der zuvor diskutierten raumtheoretischen Überlegungen bewertet. Wie mit diesen Rahmenbedingungen in der kommunalen Praxis sowohl auf der Verwaltungs- als auch auf der Umsetzungsebene „vor Ort“ umgegangen wird, zeigen die in Kapitel 6 zusammengefassten Ergebnisse von (Gruppen-)Interviews, die mit Expert/innen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in vier Beispielkommunen durchgeführt wurden. In Kapitel 7 werden die Interviewergebnisse mit den theoretischen Überlegungen zu „Raum“ und den Ergebnissen der Dokumentenanalyse rückgekoppelt bzw. vor deren Hintergrund bewertet; wesentliche Teilergebnisse wurden zur Verdeutlichung modellhaft zusammengefasst (Modelle „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“). Schließlich folgen in Kapitel 8 Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“, die sich aus den Untersuchungsergebnissen ableiten lassen. Die Beschäftigung mit „gebietsbezogenem Verwaltungshandeln“ bzw. mit der Produktion von „Raum“ erfordert es, sich einer Terminologie zu bedienen, in der viele Begriffe nur unzureichend definiert sind. Am stärksten trifft dies auf den Quartiersbegriff zu, der in der wissenschaftlichen Literatur weder eindeutig noch einheitlich gebraucht wird (vgl. unter anderem Schnur 2008: 20). Im Kontext dieser Arbeit wird er im Sinne eines (unspezifischen) Sammelbegriffs verwendet, der Raumkonstellationen meint, die unterhalb sowie quer zu administrativ abgegrenzten Räumen wie politischen Bezirken oder (formalen) Stadtteilen liegen. Danach sind Quartiere nicht „hoheitlich“ abgegrenzt, sondern werden von Akteuren bzw. Akteursgemeinschaften „vor Ort“ durch deren Handlungsradien und Bedeutungszumessungen konstruiert, sind also weder „starr“ noch von außen umfassend erkennbar (mehr zur individuellen Raumproduktion in Kapitel 3.2). Die Termini „vor Ort“ und „lokal“ beziehen sich in dieser Untersuchung ebenfalls auf das nicht spezifizierte Quartier. Gleiches gilt für die „Alltagswelt“ der Bevölkerung und anderer lokaler Akteure, denen die formale „Verwaltungswelt“ mit ihren Regularien gegenübersteht. Der „Gebiets“-Begriff wird äquivalent zu dem des „Programmgebiets“ eingesetzt und meint stets die programmatische bzw. konzeptionelle Perspektive der (kommunalen) Programmumsetzung – er steht damit dem hier verwendeten Quartiersbegriff (diametral) gegenüber. Ähnlich verhält es sich mit Raumbegriffen im Jugendhilfebereich: Hier bilden „Sozialräume“ und „Lebenswelten“ ein vergleichbares Gegensatzpaar. Erstere beziehen sich ausschließlich auf die formale Abgrenzung eines räumlichen Zuständigkeitsgebiets des Jugendamtsbereichs und weisen damit zumindest formal starke Parallelen zu „Programmgebieten“ auf. Ihnen stehen „Lebenswelten vor Ort“ insbesondere von Kindern und Jugendlichen gegenüber, die wie Quartiere „alltagsweltlich“ bzw. akteursabhängig konstituiert werden (vgl. dazu ausführlich Kapitel 4).
16
1 Einführung
Der Akteursbegriff wird vorrangig für alle Individuen und Gruppen verwendet, denen die Rolle einer erkennbar berufsbezogenen Produktion von Raum und lokaler Gemeinschaft zukommt: Unternehmer/innen, Mitarbeiter/innen in sozialen und Bildungseinrichtungen, Verwaltungsangestellte, Quartiermanager/innen etc. Zwar agiert/agieren auch die lokale Bevölkerung bzw. ihre Mitglieder, jedoch produzieren sie – so die These – „Raum“ aus ihrem je individuellen, zumindest aus der Draufsicht weniger eindeutig erkennbaren Kontext, weshalb in der vorliegenden Untersuchung meist mit den differenzierenden Begriffen „Bevölkerung und andere lokale Akteure“ gearbeitet wird. Dagegen bezieht der Sammelbegriff „Vor-Ort“-Akteure sowohl Quartiersbewohner/innen als auch professionelle Akteure gleichermaßen ein. Der Terminus „Benachteiligung“ wird in dieser Untersuchung ausschließlich aus der normativen Perspektive von Programmen und kommunalen Konzepten zur integrierten Quartiersentwicklung verwendet und umfasst keine eigenen Wertungen des Autors. Wenn nicht anders angegeben, bezieht sich der Begriff „Verwaltung“ stets auf die kommunale Ebene, umfasst also nicht die Verwaltungen von Bund und Ländern. Um sowohl die männliche als auch die weibliche Darstellungsform gleichermaßen zu berücksichtigen, hat sich der Autor in Fällen, in denen beide Geschlechter zugleich angesprochen werden, für die Verwendung eines „/“ in den betreffenden Begriffen wie beispielsweise bei „Bewohner/innen“ oder „Unternehmer/innen“ entschieden.
2
Ansatz und Aufbau der Untersuchung: Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln als Forschungsgegenstand
Wie kann man sich dem Untersuchungsgegenstand „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ samt den Fragen nähern, welche Raumkonzepte, Ziele und Akteurskonstellationen diesem Ansatz zugrunde liegen? Auf welcher Grundlage kann das neue integrierte Handlungsparadigma weiterqualifiziert werden? Dies wird im Folgenden dargestellt, wobei zunächst kurz die Entstehung „benachteiligter“ Stadtteile als eine zentrale Ausgangslage für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln beleuchtet werden soll.
2.1
„Benachteiligte“ Stadtteile: Anlass für eine integrative „Raumorientierung“ von Verwaltungshandeln
Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre haben sich in deutschen wie auch in (Groß-) Städten anderer europäischer Länder sowohl Umfang als auch Qualität sozialer Ungleichheit sowie deren räumliche Auswirkungen in Form zunehmender kleinräumiger Segregation gegenüber früheren Situationen verschärft. Seit Ende der 1990er Jahre ist die Rede von der „Krise der Städte“ (Heitmeyer u. a. 1998), die ihre Funktion als „Integrationsmaschine“ verloren haben; soziale Benachteiligung hat nicht nur zugenommen, sondern weist vielfach Züge sozialer Exklusion auf. Die Konzentration ausgeschlossener Bevölkerungsteile in bestimmten städtischen Teilräumen führt sogar dazu, dass hier von „exkludierten Stadtteilen“ gesprochen wird, die selbst „benachteiligend“ wirken (Häußermann 2000). Erklärungen für diese komplexen Entwicklungen können in den Reaktionen von Wirtschaft und Staat auf die Fordismus-Krise mit ihren sozialen und räumlichen Auswirkungen gesehen werden (vgl. unter anderem Hirsch 1996: 111ff.; Hitz/Schmid/ Wolf 1995: 138ff.; Lipietz 1195: 97ff.; Schmid 1996: 228ff.): Im wirtschaftlichen Bereich gehören zu den Folgen von Deindustrialisierung, Flexibilisierung der Betriebs- und Arbeitsorganisation sowie der Ausweitung des Dienstleistungsbereichs (steigende) Arbeitslosigkeit und die Anhebung von Qualifikationsanforderungen. Die Polarisierung zwischen (hoch-)qualifizierten und nicht ausreichend oder nur gering qualifizierten Arbeitnehmer/innen, (Dauer-)Arbeitslosen und Beschäftigten sowie zwischen Beschäftigten in vergleichsweise sicheren und solchen in relativ prekären Arbeitsverhältnissen führt zu Spaltungstendenzen der Gesellschaft in bezug auf Arbeitsmarktzugang und Beschäftigung, Einkommen, Konsummuster und Lebensstile. T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
18
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Auf staatlicher Seite resultiert der „Umbau“ des Wohlfahrtsstaates unter anderem im Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau – zwischen Anfang der 1980er Jahre und dem Jahr 2000 ist die Zahl der Belegungsbindungen bundesweit von 4 Mio. auf 1,9 Mio. zurückgegangen (Häußermann 2000: 16); die Wohnungsversorgung wird also sukzessive stärker über den Markt geregelt. Diese Veränderungen drücken sich räumlich in einer zunehmenden Fragmentierung der fordistischen Stadt aus: Kleinräumige Segregationsprozesse, die vor allem durch den „Konsum“ auf einem zunehmend deregulierten Wohnungsmarkt ausgelöst werden, führen zur Herausbildung von „benachteiligten Stadtteilen“ sowie zur Gentrification anderer städtischer Teilräume. Die Stadt spiegelt die zunehmend desintegrierte, polarisierte Gesellschaft auf der räumlichen Ebene wider. „Benachteiligte“ Quartiere sind unter anderem durch den Zuzug einkommensschwacher und/oder anderweitig „benachteiligter“ Bevölkerungsgruppen (beispielsweise mit Migrationshintergrund) bei gleichzeitigem Fortzug sozio-ökonomisch besser gestellter Haushalte – oftmals jüngere Familien mit schulpflichtigen Kindern – gekennzeichnet. Diese Tendenzen sozialer Entmischung mit der Folge der Konzentration „benachteiligter“ Bevölkerungsgruppen in einigen Quartieren betreffen überwiegend solche städtische Teilräume, die ohnehin durch ein im Vergleich zur Gesamtstadt erhöhtes Maß an komplexen, miteinander zusammenhängenden Probleme charakterisiert sind; dazu können gehören (vgl. Franke et al. 2000: 247f.): 䊏
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städtebauliche und Umweltprobleme: u. a. Modernisierungs- und Instandsetzungsstau, hohe Bebauungsdichte, Wohnumfeldmängel, Mangel an Grün- und Freiflächen; Probleme im Bereich der infrastrukturellen Ausstattung: u. a. unzureichende soziale und technische Infrastruktur, ungenügende Freizeitmöglichkeiten speziell für Kinder und Jugendliche; Probleme im Bereich der Lokalen Ökonomie: u. a. quantitative und qualitative Verschlechterung bei Einzelhandel und Dienstleistungen, unzureichendes Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebot vor Ort; sozio-ökonomische Probleme: u. a. (Langzeit-)Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, Armut; nachbarschaftliche Probleme: u. a. fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl, Spannungen im Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen, soziale Konflikte, geringe Eigeninitiative, Perspektivlosigkeit, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Vandalismus und Kriminalität; Imageprobleme/Negativimage.
Trotz vieler Potenziale, die in „benachteiligten Stadtteilen“ ebenfalls gesehen werden – konkret in günstigen Lageparametern wie „Innenstadtnähe“ oder Entwicklungsmöglichkeiten von Flächen und Gebäuden, eher abstrakt in den Entwicklungsmöglichkeiten der Gebietsbewohner/innen – beobachteten hier Programm- und kommunale Verantwortliche „Abwärtsspiralen“ sich selbst verstärkender physisch-
2.1 „Benachteiligte“ Stadtteile
19
materieller und gesellschaftlich-sozialer Problemlagen (vgl. Difu 2003: 12f.), die aus der Perspektive von Politik und Verwaltungen eine weitere Situationsverschlechterung erwarten ließen, begegnete man ihnen nicht mit geeigneten, der Komplexität „vor Ort“ gerecht werdenden Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund rückten in Deutschland und anderen europäischen Ländern Ansätze integrierter Quartiersentwicklung vor allem durch die 1994 gestartete EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN und deren Nachfolgerin URBAN II in den Blickpunkt (vgl. Kapitel 5.1). Dabei stehen Handlungsansätze insbesondere der Kommunalverwaltung im Mittelpunkt, die durch folgende Kriterien gekennzeichnet sind: Zusammenarbeit unterschiedlicher Ressorts, Verknüpfung verschiedener Finanzierungsmöglichkeiten, an der Realität „vor Ort“ orientiertes Zusammenspiel unterschiedlicher thematischer Handlungsfelder und entsprechender Projekte, intensive Beteiligung der Gebietsbevölkerung und anderer lokaler Akteure sowie Erprobung dafür notwendiger vernetzungsorientierter Managementstrukturen auf der Verwaltungs- und der Gebietsebene. Mit dem neuen programmatischen Ansatz sollte nicht nur auf die zunehmende Konzentration als „benachteiligt“ identifizierter Bevölkerungsgruppen in bestimmten Wohnquartieren reagiert werden, sondern auch auf die wachsende Finanznot der öffentlichen Hand, welche immer weniger in der Lage zu sein schien, sozioökonomische Benachteiligungen mit herkömmlichen wohlfahrtsstaatlichen Instrumenten abzufedern. Daher sollten durch einen gebündelten Einsatz der schrumpfenden öffentlichen Ressourcen und den Raumfokus „benachteiligte Stadtteile“ neue Wege aufgezeigt werden, wie das Ziel erreicht werden kann, dort selbst tragende Strukturen sowohl in quartiersstruktureller und sozioökonomischer Hinsicht als auch mit Blick auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ der „Benachteiligten“ aufzubauen. Mit sehr ähnlichen Begründungen und Zielsetzungen wurde in Deutschland im Jahr 1999 das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ gewissermaßen als „deutsche URBAN-Initiative“ gestartet (vgl. Kapitel 5.1). Hauptziel der „Sozialen Stadt“ ist es, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Erreicht werden soll dies durch die raumbezogene Bündelung der dafür als notwendig angesehenen materiellen und personellen Ressourcen auf der politisch-administrativen Ebene, die umfangreiche Beteiligung der lokalen Bevölkerung sowohl an der Planung als auch an der Durchführung von Projekten und Maßnahmen sowie durch innovatives Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene und in den betroffenen Quartieren (vgl. Kapitel 5.1). Auch innovative Ansätze einer „Sozialraumorientierung“ des kommunalen Jugendhilfebereichs fokussieren auf eine stärkere Berücksichtigung der Lebensrealität seiner „benachteiligten“ Zielgruppen „vor Ort“. Bei ihnen spielt die Abgrenzung von „Sozialräumen“ im Sinne territorialer Zuständigkeitsbereiche des Jugendamtes, innerhalb derer fachsektoral integriert gehandelt wird, eine zentrale Rolle. Allerdings folgt eine solche „Sozialraumorientierung“ keinen übergeordneten programmatischen Richtlinien, sondern ist eine individuelle Angelegenheit einzelner Kommunen.
20 2.2
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz: Was haben Ziele, Akteure und Strukturen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns mit „Raum“ zu tun?
Im Mittelpunkt all dieser Ansätze steht also eine Raumorientierung als Integrationsbasis für die Aktivitäten der involvierten politisch-administrativen Akteure sowie die Einbeziehung von Akteuren auch außerhalb von Politik und Verwaltung. Dennoch findet sich in den Programmrichtlinien und -informationen sowohl zu URBAN I und II als auch zum Programm „Soziale Stadt“ keine tiefergehende Auseinandersetzung mit Raumkonzepten und damit auch unterschiedlichen Möglichkeiten einer Raumorientierung, die über die Konstruktion eines mehr oder weniger stark auf der Basis statistischer Indikatoren abgegrenzten Territoriums hinausgehen (vgl. Kapitel 5.1.2). Im Falle der Sozialen Stadt werden zwar ausdrücklich Experimente für die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung der Programmumsetzung gefordert (Stichwort „lernendes Programm“), nicht jedoch für den Umgang mit dem so zentralen Raumbezug. Ähnliches kann in vielen Kommunen für die Auseinandersetzung mit „Sozialraum“ im Jugendhilfebereich festgestellt werden. Überspitzt formuliert erscheint „Raum“ im Programm- und auch im „Sozialraum“-Kontext als die einzige „gegebene“ und damit als verlässlich angenommene Variable, der man daher eine vermeintlich geringere Aufmerksamkeit schenken muss als der Frage nach den „richtigen“ thematischen Zielen und einer optimalen Organisation der Programm- bzw. Konzeptumsetzung. Hier schließt sich die These an, dass diese „Vernachlässigung“ nicht nur die unmittelbare Raumabgrenzung selbst betrifft, sondern auch die räumlichen Implikationen der Zielsetzungen von Projekten und Maßnahmen sowie von Gebietsmanagement auf der Steuerungsebene der Verwaltung und auf der Umsetzungsebene der Quartiere: Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns zwischen administrativen Sichtweisen und der Binnenperspektive lokaler Akteure Es kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere Verwaltungsakteure, die für die Umsetzung von Programmen zur integrierten Quartiersentwicklung oder die Ausweisung von „Sozialräumen“ im Jugendhilfebereich verantwortlich sind, dies im Rahmen mehr oder weniger „gesetzter“ Rahmenbedingungen durchführen: Programmvorgaben, Inhalte von kommunalen integrierten Entwicklungskonzepten zur Programmumsetzung (vgl. Kapitel 5), Zielzahlen (normative bzw. politische Ziele). Damit sind in jedem Falle räumliche Implikationen verbunden, denn es geht um „Standorte“ von Projekten, „Einzugsbereiche“ von infrastrukturellen Einrichtungen, „Wohnadressen“ von „benachteiligten“ Bevölkerungsgruppen, „Lagen“ städtebaulich „problematischer“ Situationen etc., an denen die inhaltlichen Ziele ansetzen. Die Bewertung potenzieller räumlicher Zielgebiete geschieht also – so die Annahme – in erheblichem Maße aus der Verwaltungsperspektive einer „Draufsicht“.
2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz
21
Von Seiten der betroffenen Bevölkerung sowie anderer lokaler Akteure wie zum Beispiel Gewerbetreibenden (also den Zielgruppen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns) wird erwartet, dass sie im Rahmen von Aktivierung und Beteiligung als Bestandteilen der Programm- bzw. Konzeptumsetzung ebenfalls Ziele für ihr Quartier formulieren (können). Diese werden jedoch zu großen Teilen aus einer „Binnensicht“ formuliert und sind in starkem Maße an den eigenen Bedarfen orientiert: Beseitigung von „Störquellen“ am Platz X, Verschönerung der Situation in Straße Y, Verbesserung des Angebotes in Einrichtung Z. Daneben dürften „alltagsweltliche“ Akteure vielfältige individuelle Ziele verfolgen, die ebenfalls räumliche Implikationen enthalten, sich jedoch einem programmatischen „Zugriff“ entziehen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob beide „Seiten“ von ähnlichen Zielsetzungen ausgehen (Wahrnehmung, Bewertung von Sachverhalten, Prioritätensetzungen) bzw. ob – und wenn ja: in welcher Intensität – sie ihre „raumrelevanten Zielsysteme“ miteinander abgleichen. Konstruktion von „Programmgebieten“ und „Sozialräumen“: administrative „Behälterräume“ versus „Alltagsräume vor Ort“ Die Abgrenzung von Programmgebieten (URBAN I und II, Soziale Stadt) und von „Sozialräumen“ der Jugendhilfe muss letztlich durch die Kommunalverwaltung vorgenommen und kann vom Stadtrat beschlossen werden (vgl. Kapitel 4 und 5). Hier stellt sich die Frage, welche Verwaltungs- und anderen professionellen Akteure (Leiter/innen von Kindertagesstätten, Mitarbeiter/innen des Allgemeinen Sozialen Dienstes, Streetworker/innen etc.) räumliche Grenzen definieren, und welche Kriterien sie dabei zu Grunde legen, wobei eine enge Bezugnahme auf die normativen bzw. politischen Zielsetzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns angenommen werden kann. Ebenso ist davon auszugehen, dass die Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure in ihren „alltäglichen“ räumlichen Zusammenhängen leben und arbeiten, sie also je individuell „produzieren“. Diese Räume bleiben jedoch so lange quasi „unsichtbar“ (vgl. u. a. Reutlinger 2003), bis sie im Rahmen gebietsbezogener Programmatiken „offiziell angezeigt“ und „demarkiert“ werden (können). Hier stellt sich unter anderem die Frage, inwiefern die verschiedenen anzunehmenden Räume samt ihrer Wahrnehmungen, Bedeutungszumessungen, „Funktionen“ deckungsgleich sind bzw. ob sie überhaupt zur Deckung gebracht werden sollen/ können. Dies wiederum wäre wichtig, wenn „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ tatsächlich zum Ziel hat, Lebensbedingungen von Quartiersbevölkerungen und anderen lokalen Akteuren „vor Ort“ nicht nur generell zu verbessern, sondern dies vor allem aus der Sicht eben jener Zielgruppen realisieren zu wollen. Management gebietsbezogenen Verwaltungshandelns zwischen Amt und Vor-Ort-Büro Die Schnittstellen zwischen normativen bzw. politischen Verwaltungszielen und individuellen Bedarfen und Zielen der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler
22
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Akteure sowie den entsprechenden Raumproduktionen bildet das Management gebietsbezogenen Verwaltungshandelns. Es wird im Rahmen von Programmen zur integrierten Quartiersentwicklung und der „Sozialraumorientierung“ des Jugendhilfebereichs in der Regel steuernd auf der Verwaltungsebene (ressort- bzw. bereichsübergreifende Gremien) und – üblicherweise im Zuge der Quartiersentwicklung, unregelmäßiger im Jugendhilfebereich – auch koordinierend auf der Umsetzungsebene eingerichtet. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass auf der Verwaltungsebene eher programm- und konzeptbezogene Aspekte sowie verwaltungstechnische „Machbarkeiten“ im Vordergrund stehen, aber auch verschiedene Verwaltungsbereiche zwecks besserer Unterstützung der lokalen Ebene integriert werden. Lokalen Gebietsmanagements2 geht es dagegen vor allem darum, die Interessen der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler Akteure zu identifizieren und zu organisieren bzw. generell einen intensiveren Kontakt zu ihnen herzustellen. Hier stellt sich unter anderem die Frage, wie beide Managementbereiche zusammenkommen und kooperieren (können). Vor dem Hintergrund des „Dreiklangs“ aus Zielformulierung, Raumproduktion und Gebietsmanagement (vgl. Abbildung 1) soll in der vorliegenden Untersuchung den übergeordneten Fragen nachgegangen werden, 䊏
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mit welchen Zielen der Ansatz eines integrierten gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verfolgt wird („Draufsicht“ versus „Binnensicht“), und welche Akteure an der Zielformulierung beteiligt waren (Verwaltungs-/professionelle Akteure, Gebietsbevölkerung und andere lokale Akteure), welche Akteure (Verwaltungs-/professionelle Akteure, Gebietsbevölkerung und andere lokale Akteure) nach welchen Kriterien „Raum“ im Sinne von „Programmgebieten“ oder „Sozialräumen“ konstruiert und abgegrenzt haben bzw. daran beteiligt waren, welche Arbeitserfahrungen sowohl auf der Verwaltungs- als auch auf der Ebene der lokalen Gebietsmanagements mit den jeweiligen Zielen und Gebietsabgrenzungen gemacht wurden (unter anderem im Hinblick auf das Zusammenspiel verwaltungsinduzierter und „binnengenerierter“ Ziele und Raumproduktionen), welche Arbeitserfahrungen mit dem Management gebietsbezogenen Handelns auf der prozesssteuernden Verwaltungsebene gemacht wurden (vor allem im Hinblick auf das Zusammenspiel von Verwaltungsebene und Ebene der lokalen Gebietsmanagements), und welche Verbesserungsbedarfe bzw. Handlungsempfehlungen sich aus diesen Arbeitserfahrungen ableiten lassen.
Gemeint sind lokale Quartiermanagements im Rahmen der Programme Soziale Stadt und URBAN II sowie „Sozialraumteams“ im Zusammenhang mit der „Sozialraumorientierung“ des Jugendhilfebereichs.
2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz
23
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns Verwaltungs-/ professionelle Akteure
Gebietsbewohner/innen lokale Akteure
normative/politische Ziele aus der „Draufsicht“
individuelle Bedarfe/Ziele aus der „Binnensicht“
Konstruktion von „Programmgebieten“ und „Sozialräumen“ Verwaltungs-/ professionelle Akteure
Gebietsbewohner/innen lokale Akteure
(individuelle) Raumproduktionen aus der „Draufsicht“
individuelle „alltägliche“ Raumproduktionen aus der „Binnensicht“
Management gebietsbezogenen Verwaltungshandelns Steuerung auf Verwaltungsebene
Lokale Gebietsmanagements
Integration von Verwaltungsinteressen und -strukturen
Kontakt zu/Organisation von Interessen der Bewohner/innen bzw. lokalen Akteure
Abbildung 1: Ausgangsüberlegungen für die zentralen Untersuchungsfragen Quelle: eigene Darstellung
Für die Bearbeitung dieser Fragestellungen bietet sich die Betrachtung von vier Ebenen an, auf denen Raum konstruiert und raumbezogene Handlungsziele definiert werden, und auf denen Gebietsmanagement zumindest teilweise eine Rolle spielt (vgl. Abbildung 2). Bevor jedoch auf diese Ebenen näher eingegangen wird,
24
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
sind zunächst einige Relativierungen zum Grad der Berücksichtigung der programmatischen Ansätze Soziale Stadt und URBAN I/II auf der einen sowie der „Sozialraumorientierung“ der Jugendhilfe auf der anderen Seite notwendig. Sie verfolgen zwar allesamt innovative Ansätze eines gebietsbezogenen integrierten (Verwaltungs-)Handelns. Allerdings unterscheidet sich die Herangehensweise im Jugendhilfebereich teilweise erheblich von den beiden Quartiersentwicklungsprogrammen. So hat die „Sozialraumorientierung“ der Jugendhilfe keinen der Sozialen Stadt oder URBAN II vergleichbaren programmatischen und damit normativem „Überbau“, sondern ist eine je individuelle kommunale Angelegenheit, wenngleich sich in der Fachliteratur einige grundsätzliche Überlegungen zu diesem Ansatz finden lassen (siehe Kapitel 4). Die Zielgruppen der „Sozialraumorientierung“ – Kinder, Jugendliche und ihre Familien „vor Ort“ – werden zwar in der Regel intensiv einbezogen, dieser vergleichsweise „enge“ Zielgruppenbezug allerdings kaum mehr verlassen. Damit verfolgt die „Sozialraumorientierung“ der Jugendhilfe im Gegensatz zu den Programmen Soziale Stadt und URBAN einen inhaltlich nur eingeschränkten Gebietsbezug. Auch bleiben fachbereichsübergreifende Managementformen auf die eigene Ressortverwaltung des Jugendbereichs beschränkt – die Vernetzung mit anderen Verwaltungsbereichen steht zumindest nicht im Mittelpunkt dieses Ansatzes. Dennoch ist es wichtig, die „Sozialraumorientierung“ zumindest im Zusammenhang mit der Frage nach den Abgrenzungskriterien von Handlungs- und Ziel-„Räumen“ der Verwaltung – also von „Sozialräumen“ – allein schon aus Gründen der Vollständigkeit und Vergleichbarkeit ebenso zu berücksichtigen wie die Abgrenzung von Programmgebieten im Rahmen der Sozialen Stadt und von URBAN. Aus den genannten Gründen der Limitierung des „Sozialraumansatzes“ auf einen vergleichsweise engen Aufgaben- und Zielhorizont bleibt seine Berücksichtigung in der vorliegenden Untersuchung allerdings auf eben jene Frage der „Raumkonstruktion“ auf der Verwaltungsebene beschränkt. Insgesamt setzt die Arbeit bei der Betrachtung von vier Untersuchungsebenen an (vgl. Abbildung 2): 䊏
Programmebene (EU, Bund, Länder): Theoretisch-programmatische übergeordnete politische Zielsetzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns („Philosophie“)
䊏
In Programmrichtlinien und -informationen zu gebietsbezogenen Stadt(teil)entwicklungsansätzen wie URBAN I und URBAN II (EU-Ebene) sowie „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ (Bundes- und Länderebenen; vgl. Kapitel 5.1) finden sich Vorstellungen der Ziele gebietsbezogenen Handelns, Angaben dazu, welche Charakteristika die für eine Programmteilnahme in Frage kommenden Gebiete aufweisen sollen – also zu Abgrenzungskriterien von Programmgebieten –, sowie Hinweise auf die Einrichtung eines Gebietsmanagements. Auch Informationen über zentrale bzw. einzubeziehende Akteure sind in den Dokumenten enthalten.
2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz
25
Programmebene (EU, Bund, Länder) theoretisch-programmatische Zielsetzungen - Vorgaben zu/Hinweise auf Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns - Vorgaben zur/Hinweise auf die Abgrenzung von Programmgebieten - Hinweise auf involvierte/zu beteiligende Akteure - Hinweise zur Einrichtung eines Gebietsmanagements
Konzeptebene (Kommune) Operationalisierung der programmatischen Vorgaben - Benennung konkreter Ziele - Ausweisung von „Programmgebieten“ - Einbeziehung von Akteuren - Steuerung Gebietsmanagement
Umsetzungsebene (lokale Quartiermanagements) Vermittlung zwischen Zielen der Verwaltungs- und „lokalen Alltagswelt“ Vermittlung zwischen „Programmgebieten“ und „lokalen Alltagsräumen“ - Vernetzung von/Vermittlung zwischen raumproduzierenden Akteuren - Umsetzung Gebietsmanagement
Ebene der „lokalen Alltagswelt“ / der „lokalen Alltagsräume“ - individuelle Bedarf e und Ziele - individuelle Raumproduktionen
Abbildung 2: Betrachtungsebenen für die zentralen Untersuchungsfragen Quelle: eigene Darstellung
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Konzept-/Steuerungsebene (Kommunalverwaltung): Konzeptionelle Überlegungen zur Umsetzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns
䊏
Die programmatischen Vorgaben werden auf der Steuerungsebene der Kommunalverwaltungen interpretiert, gewichtet und operationalisiert. Ergebnisse sind unter anderem Integrierte Handlungskonzepte („Soziale Stadt“) und Operationelle Programme (URBAN), die meist im Stadtrat beschlossen und dadurch zur bindenden Grundlage für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln werden (vgl. Kapitel 5.2). Darin enthalten sind unter anderem (konkrete) Angaben zur Programmgebietsabgrenzung und zu Zielsetzungen gebietsbezogenen kommunalen Verwaltungshandelns sowie zu zentralen bzw. einzubeziehenden Akteuren. Auf der kommunalen Verwaltungsebene ist Gebietsmanagement im Sinne einer Steuerung des Gesamtprozesses gebietsbezogenen Verwaltungshandelns vorgesehen.
26
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
䊏
Umsetzungsebene (Verwaltung, professionelle Akteure vor Ort: lokale Quartiermanagements3): Umsetzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns
䊏
Auf der Programmgebietsebene machen professionelle Akteure, die für die Umsetzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verantwortlich sind (lokale Quartiermanagements), Arbeitserfahrungen mit Gebietsgrenzen und Zielsetzungen unter anderem im Spannungsfeld zwischen programmatischen Vorgaben und Umsetzungsmöglichkeiten in den Kommunen sowie zwischen kommunalen Handlungskonzepten samt Gebietsausweisung und der alltagsweltlichen Situation „vor Ort“. Gebietsmanagement hat hier eine Schnittstellenfunktion zwischen „Verwaltungs“- und „Alltagswelt“.
䊏
Ebene der lokalen Alltagswelten (alltagsweltliche Interaktionen) 䊏 Die räumlichen und inhaltlichen Aspekte der lokalen Alltagswelt werden vom alltäglichen Handeln lokaler und lokal wirksamer Akteure bestimmt (vgl. Kapitel 3.2). Auf diese individuellen Binnenperspektiven stoßen im Rahmen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns die Raum- und inhaltlichen Projektionen externer Akteure wie Vertreter/innen von Politik und Verwaltung, lokale Quartiermanager/innen oder auch Wissenschaftler/innen, was zur Frage führt, worin die Unterschiede beider „Raumwelten“ liegen bzw. ob – und wenn ja: wie? – sie stärker zur Deckung gebracht werden können. Eine Operationalisierung der zentralen Fragestellungen ist vergleichsweise problemlos für die „Programmebene“, die „Konzept-/Steuerungsebene“ sowie die „Umsetzungsebene“ möglich. So lassen sich für die Programmebene von EU, Bund und Ländern folgende Untersuchungsfragen zur Klärung des Rahmens für kommunales gebietsbezogenes Handeln formulieren: 䊏
Welche Ziele gebietsbezogenen kommunalen Verwaltungshandelns werden in den Programmvorgaben festgelegt? 䊏 Welche Hinweise finden sich darin, nach welchen Kriterien Programmgebiete abgegrenzt werden sollen? 䊏 Welche Akteure sollen Ziele definieren und Gebietsabgrenzungen vornehmen? 䊏 Welche Hinweise finden sich auf die (Notwendigkeit der) Einrichtung eines „Gebietsmanagements?
3
Da in dieser Untersuchung auf der Umsetzungsebene „vor Ort“ nur Gebietsmanagements im Rahmen der Programme Soziale Stadt und URBAN II, jedoch keine dezentralen Managementeinheiten der Jugendhilfe berücksichtigt worden sind, wird im Folgenden nicht mehr verallgemeinernd von „lokalen Gebietsmanagements“ gesprochen, sondern ausschließlich der Terminus „lokale Quartiermanagements“ benutzt, wie er in den beiden Programmen vorgesehen ist.
2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz
27
Auf der Konzept-/Steuerungsebene der Kommunalverwaltung kann mittels geeigneter Untersuchungsfragen geklärt werden, wie die programmatischen Anforderungen für die individuelle Situation der jeweiligen Stadt in kommunale Handlungskonzepte übersetzt wurden, und welche Arbeitserfahrungen damit verbunden sind; auch interessieren auf der Steuerungsebene Anforderungen an eine „Sozialraum“-Konzeption“ der Jugendhilfe: 䊏
Welches sind die konkreten Ziele gebietsbezogenen kommunalen Verwaltungshandelns? 䊏 Nach welchen Kriterien werden Programmgebiete bzw. „Sozialräume“ der Jugendhilfe abgegrenzt? 䊏 Welche Akteure waren an der Zieldefinition und der Abgrenzung von Programmgebieten bzw. „Sozialräumen“ der Jugendhilfe beteiligt? 䊏 Welche Arbeitserfahrungen werden auf der Verwaltungsebene mit der Zielformulierung und Gebietsabgrenzung gemacht (Gebietsmanagement)? Auf der Umsetzungsebene „vor Ort“ stehen Arbeitserfahrungen mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln an der Schnittstelle zwischen Konzeptanforderungen und Umsetzungsrealität im Vordergrund. Hier stellt sich unter anderem die Frage, wie „passgenau“ die formalen Ziele und Gebietsgrenzen mit den Anforderungen der „lokalen Alltagswelt“ bzw. „lokalen Alltagsräumen“ übereinstimmen: 䊏
Welche Arbeitserfahrungen werden mit der Erreichbarkeit der für das Programmgebiet formulierten Zielsetzungen gemacht?
䊏
– Welche Ziele können erreicht werden, welche (aus welchen Gründen) eher nicht? 䊏 – Ergeben sich aus dem Kontext der „lokalen Alltagswelt“ neue bzw. andere Ziele als die zuvor festgelegten? 䊏 – Wenn ja: In welchem Verhältnis stehen diese „außen-“ und „innenformulierten“ Ziele zueinander und wie wird mit diesem Verhältnis umgegangen? 䊏
Welche Arbeitserfahrungen werden mit der formalen Abgrenzung von Programmgebieten gemacht?
䊏
– In welchem Verhältnis stehen Programmgebietsgrenzen und alltagsweltliche lokale Raumbezüge? 䊏 – Ergeben sich aus dem Kontext der lokalen Alltagswelt neue bzw. andere Raumbezüge als die zuvor festgelegten? 䊏 – Wenn ja: In welchem Verhältnis stehen diese unterschiedlichen Raumbezüge zueinander und wie wird damit umgegangen? Eine direkte Einbeziehung der Ebene der „lokalen Alltagswelt“/der „lokalen Alltagsräume“ wäre für die zu bearbeitenden Fragestellungen wünschenswert. Auch im Rahmen des hier vorgestellten Untersuchungsaufbaus würde dies für eine Kontras-
28
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
tierung von „Philosophie“, Konzepten und der Umsetzungspraxis gebietsbezogenen Verwaltungshandelns mit der Realität „vor Ort“ sicherlich den „Königsweg“ darstellen. Allerdings müsste für eine entsprechende Untersuchung eine zumindest stichprobenartige Befragung von Quartiersbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren durchgeführt werden, um ihre individuellen Zielvorstellungen (im Rahmen der Quartiersentwicklung) sowie ihre je individuellen Raumproduktionen erfassen, auswerten und darstellen zu können. Dies jedoch würde die Dimension eines eigenständigen Forschungsprojektes annehmen und wäre im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht mehr zu leisten gewesen, weshalb auf die unmittelbare Berücksichtigung der „Vor-Ort“-Ebene zugunsten einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld „Verwaltung“ – „lokale Quartiermanagements“ verzichtet wurde. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass eine Folgeuntersuchung, die sich stärker auf den Bereich lokaler „Alltagswelten“ konzentriert, eine fruchtbare künftige Forschungsoption ist. Es kann jedoch auch im hier gewählten Untersuchungsrahmen davon ausgegangen werden, dass die „lokalen Alltagswelten“ immer dort sichtbar werden, wo sie mit kommunalen Konzepten gebietsbezogenen Verwaltungshandelns (Gebietsgrenzen, Zielsetzungen) in der Umsetzungsrealität entweder übereinstimmen oder aber auf Inkompatibilitäten stoßen, was sich in den Arbeitserfahrungen von Verwaltung und lokalen Quartiermanagements äußern dürfte. Außerdem werden die Belange von Quartiersbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren zu einem guten Teil von den lokalen Quartiermanagements vertreten, die damit in der vorliegenden Untersuchung als Stellvertretungen oder „Anwälte“ für die Gebietsbewohnerschaft bzw. lokale Akteure betrachtet werden können. Da es bei vorliegender Untersuchung vor allem darum geht, eben jene Arbeitserfahrungen mit gebietsbezogenem (Verwaltungs-)Handeln vor dem Hintergrund seiner programmatischen und konzeptionellen Rahmenbedingungen zu identifizieren, wurde für die Bearbeitung der zentralen Fragestellungen ein qualitativer Untersuchungsansatz gewählt, dem eine theoretische Auseinandersetzung mit „Raum“ als „Hintergrundfolie“ zugrunde liegt; er besteht aus folgenden Elementen und Schritten (vgl. Abbildung 3): 䊏
Diskussion handlungstheoretischer Raumkonzepte: Produktion von Raum, Akteure der Raumproduktion, Differenzierung des „Sozialraum“- und des „Lebenswelt“-Ansatzes im Bereich der Jugendhilfe.
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Qualitative Dokumentenanalyse: Analyse von Programmrichtlinien bzw. -vorgaben auf den Ebenen von EU, Bund und Ländern sowie von kommunalen Konzepten zur Programmumsetzung nach den Kriterien Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, Abgrenzung von „Programmgebieten“, an der Zielfindung und der Gebietsabgrenzung zu beteiligende Akteure sowie Gebietsmanagement.
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2.2 Zentrale Fragestellungen und Untersuchungsansatz
29
䊏
Leitfadengestützte Experteninterviews und leitfadengestützte Gruppeninterviews auf den Ebenen von Kommunalverwaltungen und lokalen Quartiermanagements: 䊏 Erfragung von Betriebswissen zu bzw. Arbeitserfahrungen mit 䊏
Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns sowie am Zielfindungsprozess beteiligten Akteuren, 䊏 Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“/„Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs sowie am Abgrenzungsprozess beteiligten Akteuren, 䊏 Gebietsmanagement. 䊏
Erfragung von generellen Einschätzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, 䊏 Verbesserungsbedarfen sowie 䊏 Handlungsempfehlungen. 䊏
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Auswertung der Interview-/Gesprächsergebnisse nach den Kriterien Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, am Zielfindungsprozess beteiligte Akteure, Arbeitserfahrungen mit den gewählten Zielen/der Zielerreichung, Verbesserungsbedarfe, Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs, am Abgrenzungsprozess beteiligte Akteure, Arbeitserfahrungen mit den Gebietsabgrenzungen, Verbesserungsbedarfe, Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene, Verbesserungsbedarfe, generelle Einschätzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns (Vor- und Nachteile) sowie Handlungsempfehlungen.
䊏
Theoretische Generalisierung: Kontrastierung der empirischen Befunde (Dokumentenanalyse, Experteninterviews) mit Kernaussagen aus der theoretischen Raumdiskussion.
䊏
Entwicklung eines Modells „Doppelter Gebietsbezug“ zur Einordnung des Gegenübers von raumproduzierenden Verwaltungs- und „Alltagsakteuren, verwaltungsinduzierten „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ und „alltagsweltlichen“ Raumproduktionen sowie programmatischen bzw. konzeptionellen und „alltagsweltlichen“ Zielen der Quartiersentwicklung.
䊏
Modell „Quartiermanagement“ für die Steuerung und Umsetzung gebietsbezogenen Handelns auf der Verwaltungs- und der Umsetzungsebene sowie im Vernetzungsbereich zwischen diesen beiden Ebenen.
䊏
Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ mit Blick auf die Ebenen „Programmgeber“ (EU, Bund, Länder) und Kommunen.
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Insgesamt stellt sich der Untersuchungsaufbau wie folgt dar: Theoretische Einbettung der Untersuchung
handlungstheoretische Raumkonzepte von Löw und Werlen
Dokumentenanalyse
Programme Konzepte
Æ Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns Æ Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“ Æ jeweils zu beteiligende Akteure Æ Gebietsmanagement
Leitfadengestützte Experteninterviews Dif f erenzierung „Sozialraum“ und „Lebenswelten“ im Jugendhilf ebereich
Verwaltungsebene Ebene lokaler Quartiermanagements Æ Betriebswissen, Arbeitserfahrungen, Einschätzungen
Transkription, Paraphrasierung, Strukturierung, thematischer Vergleich (Codierung) Konzeptualisierung, Generalisierung Æ Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns Æ Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“ und „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs Æ jeweils beteiligte Akteure Æ Gebietsmanagement Æ generelle Einschätzungen Æ Verbesserungsbedarfe / Handlungsempfehlungen
Theoretische Generalisierung Kontrastierung Empirie - Theorie Æ Aussagen zum „Stand“ gebietsbezogenen Verwaltungshandelns
Handlungsempfehlungen f ür „Programmgeber“ und Kommunen
Modell „Doppelter Gebietsbezug“
Modell „Quartiermanagement“ (Franke/Grimm 2006)
Æ Verbesserungsmöglichkeiten für den Ansatz „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“
Abbildung 3: Untersuchungsansatz „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ Quelle: eigene Darstellung
2.3
Untersuchungsmethoden: Annäherung an gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Im Folgenden werden die im Rahmen der vorliegenden Arbeit angewandten Untersuchungsmethoden näher vorgestellt. Dabei zeigen insbesondere die Überlegungen zu leitfadengestützten Experten-/Gruppeninterviews eine große Nähe zu Ansätzen, wie sie im Kontext der Organisationsforschung angestellt werden – zumal das
2.3 Untersuchungsmethoden
31
Thema „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ in starkem Maße ein organisationsbezogenes ist. Allerdings wird hier auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Organisationstheorien verzichtet, weil der Fokus dieser Untersuchung vor allem auf den Raumbezügen bzw. -implikationen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns liegt und ihre theoretische Einbettung dementsprechend auf Fragen des Raumes fokussiert4. Dennoch soll wenigstens auf den Zusammenhang von Organisationsforschung und die Entwicklung qualitativer Untersuchungsmethoden eingegangen werden, wie sie im Rahmen dieser Arbeit verstanden und auch eingesetzt wurden. 2.3.1
Ausgangspunkt: Methodenentwicklung in der Organisationsforschung
Organisationsforschung war in Deutschland ursprünglich stark quantitativ ausgerichtet: Insbesondere während der 1960er und 1970er Jahre standen die Zwecke von Organisationen5 und – damit verbunden – Fragen nach deren Effektivität und Effizienz im Mittelpunkt entsprechender Untersuchungen, deren Ergebnisse unter anderem zur Optimierung von Prozessabläufen dienen sollten. Standardisierte Befragungen und statistische Auswertungsverfahren bildeten das vorrangige Methodenrepertoire, das von Strodtholz/Kühl (2002: 13ff.) als „sozialtechnologischer Planungsoptimismus“ oder „zweckrationales Organisationsverständnis“ bezeichnet wird. Ende der 1970er Jahre wurde der Blick auf Hierarchien und Regeln der Zusammenarbeit ausgeweitet, und seit den 1980er Jahren rückten zunehmend auch Fragen der Organisationskultur in den Blickpunkt: „Organisationen wurden schließlich als ein Zusammentreffen von Akteuren mit eigener Handlungsrationalität beschrieben“, die übergeordnete Zielsetzungen in ihre individuellen Gestaltungsmöglichkeiten integrieren (Strodtholz/Kühl 2002: 15). Das Bild der Organisation als einheitlicher Zweckverband wurde damit aufgegeben, individuelle Akteure als Mitglieder von Organisationen rückten in den Vordergrund. Mit dieser Veränderung des Gegenstands von Organisationsforschung ging eine Ablösung der Dominanz quantitativer Methoden zu Gunsten qualitativer Ansätze 4
Gleichwohl wird in dieser Untersuchung auch auf Quartiermanagement eingegangen – allerdings eher aus der pragmatischen Fragestellung, wie darin die Produktion von „Raum“ sowie „raumrelevanten“ Handlungsziele verschiedener Akteure berücksichtigt werden kann. Es wäre daher eher Gegenstand weiterer Forschungen, inwieweit sich die hier vorgestellten raumtheoretischen Überlegungen (vgl. Kapitel 3.2) und ihr Bezug zur kommunalen Praxis mit Organisationstheorien zwischen „klassischen“ soziologischen Ansätzen und betriebswirtschaftlicher Organisationslehre verbinden lassen. 5 Unter „Organisationen“ werden gesellschaftliche Gruppierungen verstanden, die sich durch einen bestimmten Zweck, spezifische Formen der Mitgliedschaft und vor allem eine hierarchische Strukturierung von anderen gesellschaftlichen Einheiten unterscheiden (vgl. Strodtholz/Kühl 2002: 11f.). Diese Charakteristika treffen beispielsweise auf Kommunalverwaltungen und – in eingeschränktem Maße – auch auf lokale Quartiermanagements zu.
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
einher (Strodtholz/Kühl 2002: 16), mittels derer individuelle Handlungsweisen innerhalb von Organisationen besser bzw. überhaupt erst untersucht werden konnten. Ziel heutiger Organisationsforschung ist es unter anderem, „das organisationale Geschehen aus der Sicht der handelnden Subjekte zu rekonstruieren“ (ebd.), also durchaus auch Kritik an bzw. Hinterfragungen von organisationalem Handeln nicht nur zuzulassen, sondern sogar zum Forschungsgegenstand zu machen. Im Zentrum so verstandener Organisationsforschung stehen die Annahmen, Wirklichkeitserkenntnis hänge von Kommunikation ab, und (gesellschaftliche) Wirklichkeit müsse als soziale Konstruktion verstanden werden (Froschauer/Lueger 2002: 223f.). Dieser Ansatz wird in vorliegender Untersuchung mit der Frage nach der „sozialen Konstruktion“ von „Raum“ und raumbezogenen Zielen als Gegenstand gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verfolgt. Das Methodenspektrum heutiger Organisationsforschung umfasst vor allem qualitative Ansätze, zu denen Gruppeninterviews und Gruppendiskussionen, freie oder themenzentrierte Reflexion, Dokumenten- oder Aktenanalyse, narrative Interviews und teilnehmende Beobachtung sowie ethnographische Methoden gehören (Strodtholz/Kühl 2002: 19ff.). Im Gegensatz zu quantitativen Methoden wie schriftlichen Befragungen samt statistisch basierten Auswertungen beruht qualitative Forschung auf einer möglichst geringen Standardisierung der Erhebungssituation, ist also ein wesentlich offenerer Ansatz. Auch geht es ihr nicht um möglichst große Messgenauigkeit, sondern um die größtmögliche inhaltliche Annäherung an den Untersuchungsgegenstand. In diesem Sinne „entzieht sich die qualitative Forschung einer Beurteilung nach den klassischen Kriterien der quantitativ-hypothesentestenden Wissenschaft“, weil auf eine genaue „Überprüfung von Validität, Repräsentativität und Reliabilität“ (Strodtholz/ Kühl 2002: 18) verzichtet werden muss. Die Ergebnisse qualitativer Forschungen können eher als inhaltliche „Verdichtung“ verstanden werden, deren Charakter stark explorativ ist. Es geht also weniger um die Überprüfung, sondern die Generierung von Hypothesen. In diesem Sinne repräsentieren die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung eine grundlegende, anwendungsbezogene Annäherung an den Gegenstand „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ unter den zuvor ausgeführten spezifischen Fragestellungen, welche (Verwaltungs-) Akteure nach welchen Kriterien welche Ziele und „Räume“ definieren bzw. wie sie den Gegenstand ihres Handelns (hier: den „,Raum‘ ‚benachteiligter‘ Stadtteile“) „sozial konstruieren“ und managen. Die Ergebnisse sollen zur Debatte um den vermeintlich „gegebenen“ Raum im Rahmen der Umsetzung von Programmen zur integrierten Entwicklung benachteiligter Wohnquartiere (URBAN, Soziale Stadt) und des „Sozialraumansatzes“ der Jugendhilfe beitragen und können als Grundlage für weitere Fragestellungen bzw. darauf aufbauende wissenschaftliche Untersuchungen dienen. Wie bereits kurz ausgeführt, stehen qualitative Dokumentenanalysen und leitfadengestützte Interviews bzw. Gruppeninterviews im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung.
2.3 Untersuchungsmethoden
2.3.2
33
Qualitative Dokumentenanalyse: Grundlagen
Die Analyse von übergeordneten Programmen bzw. Programmrichtlinien sowie von entsprechenden integrierten kommunalen Handlungs- bzw. Entwicklungskonzepten als wesentlichen Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln diente dazu, grundlegende Hinweise auf die prinzipiellen Möglichkeiten bis hin zu Vorgaben für die Formulierung gebietsorientierter Ziele, die Konstruktion von „Räumen“ sowie das Management gebietsbezogenen Handelns zu identifizieren. Damit handelt es sich bei dem hier gewählten Ansatz um eine qualitative Dokumentenanalyse, bei der es im Gegensatz zu einem quantitativen Ansatz nicht um Form und Struktur des Dokuments selbst geht. Die hier zugrunde gelegten Analysekriterien leiten sich aus den übergeordneten Fragestellungen der Untersuchung ab: 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“, 䊏 Akteure, die an der Zielfindung und der Gebietsabgrenzung zu beteiligen sind, sowie 䊏 Kriterien zur Ausgestaltung eines Gebietsmanagements. 䊏
Bei den für die Analyse herangezogenen Dokumenten handelt es sich um Programmrichtlinien, kommunale Handlungskonzepte und ergänzende Grundsatzpapiere, sofern sie als Teil der Ausgangslagen für „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ betrachtet werden können. Zwischenberichte, Projektsachstände, Evaluationen etc. wurden dagegen nicht berücksichtigt. Die analysierten Richtlinien, Konzepte und Grundlagenpapiere können im Sinne der Organisationsforschung als von EU-Behörden, Bundesministerien und Kommunalverwaltungen produzierte – wenngleich standardisierte – „Artefakte“ betrachtet werden, in denen eine bestimmte Wirklichkeitserkenntnis als Ergebnis kommunikativer Prozesse6 dokumentiert wird (vgl. Froschauer 2002: 362ff.). Es handelt sich also um Texte, die zwecks „Rekonstruktion von Bedeutungen und Sinngenerierungsprozessen“ (ebd.: 366) analysiert und interpretiert werden, wobei neben inhaltlichen Fragestellungen auch ihre Verwendung – in diesem Falle als „Vorgaben“ oder „Leitlinien“ eine Rolle spielen („Sender“-„Empfänger“-Prinzip: vgl. Atteslander 1992: 223). Dabei geht es in vorliegender Untersuchung vor allem darum, wie Organisationsangehörige die Situation von „benachteiligten“ Quartieren – also die soziale Wirklichkeit außerhalb ihres Organisationskontextes – betrachten bzw. konstruieren, 6
Dem liegt die Annahme zugrunde, „dass Organisationen aus kommunizierten Entscheidungen bestehen“ (Froschauer 2002: 363). Dies bedeutet, dass „ein vorliegender Text die geronnene Information eines vorausgegangenen Kommunikationsprozesses darstellt, der von einem Bearbeiter nach wissenschaftlichen Regeln analysiert wird und so Schlußfolgerungen auf die soziale Wirklichkeit außerhalb des Textes erlaubt“ (Atteslander 1992: 221), also auch auf normative Ex-ante-Positionen von Organisations-Mitarbeiter/innen.
34
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
was wiederum qua Machtstellung der Organisationen (vor allem vermittelt durch ihre Dokumente) Auswirkungen auf die soziale Konstruktion von Wirklichkeit hat (zum Beispiel in den abzugrenzenden „Programmgebieten“). Bei den kommunalen Konzepten ist darüber hinaus ihr Vergleich untereinander von Interesse, aus dem sich die unterschiedlichen Interpretationen der Programmvorgaben ablesen lassen: Prioritätensetzung bei inhaltlichen Handlungsfeldern, „Rigidität“ von Gebietsabgrenzungen, Bedeutung von Beteiligungsprozessen etc. 2.3.3
Leitfadengestützte Experten-/Gruppeninterviews: Kern der Untersuchung
Im Zentrum des Untersuchungsansatzes stehen jedoch leitfadengestützte Expertenbzw. Gruppeninterviews auf den Ebenen von Verwaltung und lokalen Quartiermanagements in vier Beispielkommunen (zur Auswahl der Kommunen und der Interviewpartner/innen siehe Kapitel 2.3.3.2). Ziel war es, auf beiden Ebenen Betriebswissen bzw. Arbeitserfahrungen zu identifizieren, wobei wiederum die in Kapitel 2.2 erläuterten Prüffragen im Vordergrund standen: 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs, 䊏 Akteure, die an der Zielfindung und der Gebietsabgrenzung zu beteiligen sind, 䊏 Kriterien für bzw. Organisation und Durchführung von Gebietsmanagement. 䊏
Darüber hinaus wurden generelle Einschätzungen der Gesprächspartner/innen zu gebietsbezogenem Verwaltungshandeln sowie Verbesserungsbedarfe und Handlungsempfehlungen aus ihrer Perspektive erfragt. Damit sind die zentralen Funktionen angesprochen, die leitfadengestützte Experteninterviews nicht nur im Bereich der Organisationsforschung heute haben: Sie dienen vor allem der „Generierung [fach-]bereichsspezifischer (…) Aussagen“ (Meuser/Nagel 2002, S. 91), und ihr Gegenstand ist „praktisches Handlungswissen“ (Froschauer/Lueger, 2002: 232). Die Abgrenzung von (leitfadengestützten) Experteninterviews zu anderen Interviewansätzen besteht vor allem darin, dass – wie im vorliegenden Fall – „nicht die Gesamtperson den Gegenstand der Analyse“ bildet, „d. h. die Person mit ihren Orientierungen und Einstellungen im Kontext des individuellen oder kollektiven Lebenszusammenhangs“, sondern es um organisatorische oder institutionelle Zusammenhänge geht, die mit eben jenen Lebenszusammenhängen nicht identisch sind, und in denen die betreffenden Personen „nur einen ‚Faktor‘ darstellen“ (Meuser/Nagel 2002: 72f.; Hervorhebung im Original). In Organisationen und Institutionen interessieren Experten also „lediglich“ als Funktionsträger, und Interviewfragen beziehen sich auf ihre Zuständigkeiten, Aufgaben und Tätigkeiten sowie ihre im Zusammenhang mit diesen Funktionen gewonnenen „exklusiven Erfahrungen und Wissensbestände“ (Meuser/Nagel 2002, S. 74; siehe Tabelle 1).
35
2.3 Untersuchungsmethoden
Tabelle 1: Unterschiede zwischen Experteninterviews und anderen Interviewansätzen Experteninterview
andere Interviewansätze
Gegenstand der Analyse
Funktion der Person
Gesamtperson
Kontext
Organisatorischer oder institutioneller Kontext
Individueller oder kollektiver Lebenszusammenhang
Forschungsinteresse
Erfahrungen und Wissen
Orientierungen und Einstellungen
Quelle: eigene Darstellung (Grundlage: Meuser/Nagel 2002: 72f.)
Im vorliegenden Fall dienten die durchgeführten Experteninterviews vor allem explorativen und „theoriegenerierenden“ Zwecken (vgl. Bogner/Menz 2002b)7. Explorativen Charakter hatten sie immer dann, wenn es um die „Schärfung des Problembewusstseins des Forschers“ ging (ebd.: 37), also Detailbereiche des Untersuchungsgegenstandes angesprochen wurden, die einem differenzierten Verständnis gebietsbezogenen Verwaltungshandelns dienten bzw. bisherige Annahmen ergänzten. Dies bezog sich vor allem auf Fragen, die thematische (Fein-)Sondierungen bzw. Ergänzungen von Sachinformationen zum Ziel hatten wie zum Beispiel Details zu kommunalen Entwicklungskonzepten, straßenscharfe Erläuterungen von Programmgebietsgrenzen oder Zusammensetzungen von Arbeitsgremien. Einen „theoriegenerierenden“ Charakter wiesen die Experteninterviews auf, wenn nicht mehr nur die reine Information im Vordergrund stand, sondern auch „subjektive Handlungsorientierungen und implizite Entscheidungsmaximen der Experten aus einem bestimmten fachlichen Funktionsbereich“ eine Rolle spielten (Bogner/Menz 2002b: 38). Dies war beispielsweise der Fall, wenn es darum ging, wie sich die Expert/innen innerhalb bestimmter Entscheidungskorridore bewegten – zum Beispiel Beteiligung oder Nicht-Einbeziehung der Quartiersbevölkerung in bestimmte Entscheidungen – oder welchen Informationen sie welche Bedeutung zumaßen – beispielsweise physischen Barrieren die Bedeutung „räumliche Grenze“. Bei der Auswertung der „theoriegenerierenden“ Interviewergebnisse war es das Ziel, „eine theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbeständen, Weltbildern und Routinen (…), welche die Experten in ihrer Tätigkeit entwickeln“ durch „interpretative Generalisierung“ der Interviewaussagen zu erarbeiten (Bogner/Menz 2002b: 38; vgl. Kapitel 2.3.3.5). Eine Vergleichbarkeit von Aussagen unterschiedlicher Befragter wird dabei sowohl durch den Leitfaden (Struktur; siehe die Ausführungen zum Leitfaden weiter unten) als auch durch eine 7
Bogner/Menz (2002b: 37) weisen mit der Systematisierung von Daten auf eine dritte mögliche Zielsetzung von Experteninterviews hin, die jedoch in der vorliegenden Untersuchung kaum eine Rolle spielte, da es hier nicht um „systematische und lückenlose Informationsgewinnung“ zum Zwecke der Datenvergleichbarkeit ging (ebd.).
36
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
„gemeinsame organisatorisch-institutionelle Anbindung der Experten“, also einen gemeinsamen Kontext, gesichert (ebd.). Technisch zeichnen sich leitfadengestützte Experteninterviews – wie im vorliegenden Fall – durch die Balance von Strukturiertheit und Offenheit der Gespräche aus. Erstere wird durch die Fokussierung auf das Erkenntnisinteresse des bzw. der Forscher/in gewährleistet, letztere dadurch, dass für individuelle Sichtweisen der Interviewpartner/innen genügend „Raum“ gelassen und eine möglichst angenehme Gesprächsatmosphäre hergestellt wird. Gruppeninterviews Gruppeninterviews wurden immer dann durchgeführt, wenn angefragte Interviewpartner/innen nicht zu Einzelgesprächen bereit waren. Dies war insbesondere bei einigen lokalen Quartiermanagements der Fall, die den Sinn von Einzelinterviews aus ihrem Teamverständnis heraus in Frage stellten und vor allem angesichts ihrer ohnehin knappen Ressourcen den Zeitaufwand für die Durchführung der Gespräche optimieren wollten. Insgesamt wurden sieben Gruppeninterviews durchgeführt, an denen zusammen 17 Expert/innen beteiligt waren (ein Gespräch mit vier Teilnehmer/innen, ein Gespräch mit drei Teilnehmer/innen, fünf Gespräche mit je zwei Teilnehmer/innen). Im Gegensatz zur Methode der Gruppendiskussion, bei der es darum geht, dass sich die Gruppenmitglieder zu „politisch sensiblen oder emotional besetzten Themen“ mit großen „Interaktionsdynamiken“ bis zur „Freisetzung spontaner Reaktionen und freier Assoziationen“ (Bogner/Leuthold 2002: 155) äußern, weisen Gruppeninterviews eher starke Parallelen zu Einzelinterviews auf, was im vorliegenden Fall besonders augenscheinlich war, da 䊏
der Gesprächsverlauf durch die gleichen Leitfäden mehr oder weniger fokussiert wurde, 䊏 in den einzelnen Gruppen lediglich Teilnehmer/innen im gleichen Tätigkeitsfeld bzw. der gleichen Organisation oder Institution zusammengefasst wurden („Teams“), 䊏 die Gesprächspartner/innen sich auf die (ausschließliche) Vermittlung ihres Betriebswissens bzw. ihrer Arbeitserfahrungen erkennbar einließen, 䊏 und – anders als bei Gruppendiskussionen – soziale Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern bzw. „die Rekonstruktion von Einstellungen und Meinungen“ (Bogner/Leuthold 2002: 156) oder die Offenlegung in der Gruppe existierender „Widerprüche und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Experten“ (ebd.) nicht im Vordergrund des Forschungsinteresses standen. Daher wurden die in Gruppeninterviews gewonnenen Informationen bei der Auswertung genauso behandelt wie die Ergebnisse der Einzelinterviews (vgl. Kapitel 2.3.3.5). Auch Bogner und Leuthold (2002: 161) weisen darauf hin, dass bei der reinen Generierung von Expertenwissen Gruppeninterviews und Einzelinterviews auf
2.3 Untersuchungsmethoden
37
einer Stufe stehen. Patton (1990: 335; zitiert in: Flick 2002: 170) stellt fest: „Das fokussierte Gruppeninterview ist tatsächlich ein Interview. Es ist keine Diskussion“ (Hervorhebung im Original). Einschränkend kann jedoch angemerkt werden, dass der Interviewer in Gruppeninterviews stärker moderierend eingreifen muss, um beispielsweise sicherzustellen, dass alle Beteiligten gleichermaßen zu Wort kommen (vgl. Flick 2002: 169). Auch ist hier zumindest potenziell eine stärkere (soziale) Kontrolle darüber gegeben, welches Wissen und welche Einschätzungen die jeweiligen Expert/innen in Gegenwart anderer äußern, was sich unter Umständen auf Inhalt und Detaillierung der Aussagen auswirken kann. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass solche „Scheren im Kopf“ – zumindest im vorliegenden Fall – auch in den Einzelinterviews eine Rolle gespielt haben, denn die Befragten agierten nicht im „luftleeren“ Raum, sondern vertraten als Expert/innen „ihre“ Institution oder Organisation mit ihren je eigenen (politischen) Zielsetzungen, so dass auch hier zumindest „virtuell“ von einer (sozialen) Kontrolle der Aussagen ausgegangen werden musste. Zum Problem mangelnder Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehalts der Interviewaussagen vertreten Meuser/Nagel (2002, S. 91) die Auffassung, die Tatsache, dass auch andere Kolleginnen und Kollegen interviewt werden, übe einen gewissen „Druck“ auf die Wahrheitsäußerung aus: „Darin sehen wir einen immanenten Zwang zur Wahrheit und dazu, z. B. eher zu schweigen als zu lügen“ (ebd.). Außerdem sei die plausible Darstellung von Unwahrheiten über eine Interviewdauer von – wie es bei dieser Untersuchung die Regel war – zwei oder mehr Stunden kaum aufrechtzuerhalten. Nachfolgend wird detaillierter auf die Fragen eingegangen, welche Art von Wissen mit den Interviews generiert werden sollte, welche Personen in welcher Funktion als Expert/innen befragt wurden, auf welcher Basis die Interviews bzw. Gruppeninterviews durchgeführt wurden, und welche Rolle der Autor als Interviewer spielte. 2.3.3.1 Was wurde erfragt? In der vorliegenden Untersuchung dienen die Interviewergebnisse unmittelbar der Annäherung an den Forschungsgegenstand „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“, und die Expert/innen sind die „Zielgruppe der Untersuchung“ – sie geben „Auskunft über ihr eigenes Handlungsfeld“ (Meuser/Nagel 2002, S. 75f.) und damit ihr Betriebswissen8 weiter, das den Kern der Untersuchungsergebnisse bildet. 8
Im Gegensatz dazu kontrastiert Kontextwissen die Ergebnisse anderer empirischer Methoden im Rahmen von Studien, bei denen Experteninterviews lediglich eine Datenquelle neben anderen darstellen (vgl. Meuser/Nagel 2002, S. 75f.). Die durch Interviews gewonnenen Informationen dienen dann der Detaillierung oder Verdeutlichung von anderweitig gewonnenen Forschungsergebnissen, sind also sinnvolle Ergänzungen. In der vorliegenden Untersuchung spielen zwar auch die Ergebnisse der qualitativen Dokumentenanalyse eine Rolle, allerdings steht das Betriebswissen der Experte/innen „an sich“ viel stärker im Vordergrund.
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Betriebswissen umfasst sowohl „technisches“ als auch „Prozess- und Deutungswissen“ (Bogner/Menz 2002b: 43ff.). Ersteres umfasst „Regelabläufe, fachspezifische Anwendungsroutinen, bürokratische Kompetenzen“ (ebd.: 43) – also Spezifika der Arbeitsplätze in der Verwaltung und den lokalen Gebietsmanagements – und hat damit den Charakter eines reinen Sonderwissens. Prozesswissen bezieht sich darüber hinausgehend auf die „Einsichtnahme und Informationen über Handlungsabläufe, Interaktionsroutinen, organisationale Konstellationen sowie vergangene oder aktuelle Ereignisse“, die der Expertin oder dem Experten bekannt sind. Es handelt sich also weniger um reines Fachwissen, als vielmehr um „praktisches Erfahrungswissen aus dem eigenen Handlungskontext“ (ebd.), wie es beispielsweise bei der Frage nach Arbeitserfahrungen mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln relevant ist. „Deutungswissen“ – gemeint sind subjektive „Relevanzen, (…) Sichtweisen und Interpretationen“, also subjektive Sinnkonstruktionen (ebd.: 43f.) – kommt vor allem im Zusammenhang mit Fragen nach persönlichen Einschätzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns und nach Verbesserungsmöglichkeiten aus der Sicht der Befragten ins Spiel. Problematisch ist dabei, dass sich aus der jeweiligen Interviewäußerung selbst kaum ablesen lässt, ob es sich bei ihr eher um „technisches“ oder bereits um „Deutungswissen“ handelt. Hier kommen Hintergrundwissen und Interpretation des Interviewers samt aller damit verbundenen Unschärfen in Spiel (vgl. Kapitel 2.3.3.4). 2.3.3.2 Wer ist Expert/in und wer wurde interviewt? Grundsätzlich zeichnen sich Expert/innen im wesentlichen durch drei Charakteristika aus: 䊏
Sie verfügen über exklusive Wissensbestände: Als Expert/innen werden allgemein „Sachverständige, Kenner oder Fachleute bezeichnet, also Personen, die über besondere Wissensbestände verfügen“ und somit einem „exponierten Personenkreis“ angehören (Liebig/Trinczek 2002: 35). Voraussetzung für diesen Status ist die allgemeine Anerkennung des Unterschiedes zwischen „Experte“ und „Laie“ (ebd.: 36). 䊏 Sie sind für Entscheidungsprozesse und Problemlösungen verantwortlich: Expert/innen haben eine „verantwortliche Zuständigkeit für die Bereitstellung, Anwendung und/oder Absicherung von Problemlösungen“ (Pfadenhauer (2002: 116) sowie einen „privilegierten Zugang zu Informationen über (…) Entscheidungsprozesse“ (Meuser/Nagel 2002: 73). 䊏 Sie sind auf der Arbeitsebene von Organisationen verankert: Expert/innen sind nicht unbedingt auf oberen Hierachieebenen, sondern vor allem auf der Arbeitsebene von Organisationen und Institutionen zu finden, wo „in der Regel Entscheidungen vorbereitet und durchgesetzt werden und (…) das meiste und detaillierteste Wissen über interne Strukturen und Ereignisse vorhanden ist“ (Meuser/ Nagel 2002: 74; vgl. auch Kassner/Wassermann 2002:105).
2.3 Untersuchungsmethoden
39
Die Zuschreibung der Expertenrolle erfolgt durch den Forscher, der am Fachwissen des oder der „Expert/in“, nicht aber an dessen/deren persönlichen Eigenschaften oder Fähigkeiten interessiert ist. Gleichzeitig ist „Experte, wer gesellschaftlich zum Experten gemacht wird, d. h., in der sozialen Realität als Experte angesehen wird“ (Bogner/Menz 2002b: 41), was die „freie“ Wahl des Forschers beeinflusst.9 In jedem Fall bleibt der Terminus Experte „ein relationaler Begriff, als die Auswahl der zu Befragenden in Abhängigkeit von der Fragestellung und dem interessierenden Untersuchungsfeld geschieht“ (ebd.: 45; vgl. auch Meuser/Nagel 2002: 73). Für die vorliegende Untersuchung wurden „Expert/innen“ angesprochen, die innerhalb von Verwaltungen oder lokalen Quartiermanagements für kommunales gebietsbezogenes Verwaltungshandeln verantwortlich sind und dazu sowohl über technisches als auch Prozess- und Deutungswissen verfügen. Durch die Gleichsetzung von „Experte“ mit einer bestimmten beruflichen Stellung war die Entscheidung, wer als Expert/in in Frage kam, relativ einfach: Im Wesentlichen waren dies 䊏
Leiter/innen von Ämtern, die mit der Federführung gebietsbezogener Ansätze betraut sind (Bereiche Stadtentwicklung und Stadterneuerung sowie Jugend/Soziales), sich allerdings aktiv am operativen Geschäft auf der Arbeitsebene beteiligen, 䊏 Verantwortliche für die Umsetzung entsprechender Programme und Ansätze auf der Arbeitsebene von Verwaltungen sowie 䊏 lokale Quartiermanager/innen. Alle Adressaten können durch die eingangs genannten Kriterien „Verfügung über exklusive Wissensbestände“, „Verantwortung für Entscheidungsprozesse und Problemlösungen“ sowie – im weiteren Sinne – „Verankerung auf der Arbeitsebene von Organisationen“ charakterisiert werden. Da es in den meisten Städten nur einen eingeschränkten Personenkreis gibt, der diese Funktionen ausfüllt, und trotzdem eine ausreichende Anzahl von Interviewpartner/innen als Grundgesamtheit für die qualitative Analyse gewonnen werden musste, wurde die für Interviews in Frage kommende „Verwaltungskulisse“ auf vier Großstädte ausgedehnt. Dabei musste auf die Vergleichbarkeit der räumlichen und sozialen Entwicklungen ihrer Programmgebiete Soziale Stadt bzw. URBAN II geachtet werden, um Interviewaussagen auch über die kommunalen Grenzen hinweg 9
Bogner/Menz (2002b: 41) weisen darauf hin, dass beide Ansätze nicht „sauber“ voneinander getrennt betrachtet werden können, da selbst der ausschließlich methodisch-rational vorgehende Forscher „in der Regel auf jene Leute zurück[greift], die sich zum einschlägigen Thema in der Fachliteratur einen Namen gemacht haben (…) [oder] in entsprechenden Verbänden und Organisationen arbeiten (…), weil damit eine gewisse Gewähr verbunden ist, dass es diese Experten sind, die ‚wirklich‘ einen forschungsrelevanten Wissensbestand aufweisen. (…) Wer (der gesuchte) Experte ist, definiert sich in der Forschungspraxis immer über das spezifische Forschungsinteresse und die soziale Repräsentativität des Experten zugleich“.
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
zusammenfassen zu können10. Als Auswahlkriterien kamen vergleichbare Programmgebietsgrößen, ähnliche städtebauliche Charakteristika – hier: überwiegend gründerzeitlicher Altbaubestand, wenn möglich „klassische“ Arbeiterstadtteile – und vergleichbare Gebietsentwicklungen in Frage (Arbeitslosigkeit, umfangreiche Zuwanderung von Nichtdeutschen, starke Integrationsfunktion der Programmgebiete für die Gesamtstadt; siehe „Gebietssteckbriefe“ in Kapitel 5.2.3). Dabei sollte zumindest annäherungsweise eine ausgewogene Ost-West-Verteilung der Beispielkommunen gewährleistet sein. Weitere Kriterien waren relevante Besonderheiten der auszuwählenden Kommunen in der „Programmlandschaft“ wie umfangreiche Erfahrungen mit integrierten Stadtteilentwicklungsansätzen oder die Erprobung innovativer Managementformen. Nach diesen Kriterien wurden die vier Großstädte Berlin (Programmgebiet Schöneberg-Nord), Dortmund (Programmgebiet Nordstadt), Essen (Programmgebiete Katernberg und Altendorf) sowie Leipzig (Programmgebiete Leipziger Osten und Leipziger Westen) als „Interviewkulisse“ ausgewählt. Neben den bereits genannten Gründen spielten zum Zeitpunkt der Untersuchung noch weitere Aspekte eine Rolle für ihre Wahl (vgl. Kapitel 5.2): 䊏
In dem Berliner Gebiet wird die Rolle der Umsetzungsebene im Rahmen der Sozialen Stadt als zentral hervorgehoben. 䊏 Die Dortmunder Nordstadt gehört zu den bundesweit größten Soziale Stadt- und URBAN II-Programmgebieten. Außerdem kann hier auf eine lange „Tradition“ integrierter Stadtteilentwicklungsprogramme zurückgeblickt werden, die zeitlich wie „Zwiebelschalen“ übereinanderliegen. Ebenfalls „Tradition“ hat das Engagement von Maßnahmenträgern (im sozialen Bereich) sowie anderer lokaler Akteure „vor Ort“, was sich unter anderem in einer Vielfalt lokaler Gremien spiegelt. Auf der anderen Seite steht eine vergleichsweise starke Steuerungsfunktion der Verwaltungsebene („Regelbetrieb“ plus ressortübergreifende Steuerung im Bereich URBAN II); im Zuge der Umsetzung von URBAN II wurde ein ausgeprägtes lokales Quartiermanagement eingesetzt (drei Teams und Büros). 䊏 Die Stadt Essen ist – zumindest programmatisch – eine bedeutende Vorreiterin des „raumorientierten Verwaltungshandelns“ in Deutschland. Hier finden sich Expert/innen mit starker „Motorenfunktion“ bzw. einer „Vorreiterrolle“ für gebietsbezogenes Handeln in der Verwaltung; lokale Quartiermanagements sind in zwei Programmgebieten der Sozialen Stadt eingerichtet worden. 䊏 Die Stadt Leipzig gehört zu den wenigen ostdeutschen Kommunen mit einem Umsetzungsschwerpunkt der Programme Soziale Stadt und URBAN II in gründerzeitlichen Altbauquartieren. Die Verwaltung nimmt eine starke Rolle bei der 10
Es liegt dennoch auf der Hand, dass sich die jeweiligen politischen und organisationalen Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln (Verwaltungsstrukturen, inhaltliche Schwerpunktsetzungen etc.) zumindest im Detail von Kommune zu Kommune unterscheiden, was in Kapitel 5.2 auch bestätigt wird.
41
2.3 Untersuchungsmethoden
Umsetzung beider Programme ein; lokale Quartiermanagements (mit Projektcharakter) wurden in den Programmgebieten eingerichtet. Auf dieser Basis wurden im Zeitraum von Juni 2003 bis September 2004 insgesamt 36 Expert/innen im Rahmen von 19 Einzel- und sieben Gruppeninterviews befragt (vgl. Anhang). Tabelle 2: Übersicht Expert/innenauswahl Kommune
Verwaltungsebene Soziale Stadt und/ oder URBAN II
Berlin
Quartiermanagement Soziale Stadt und/ oder URBAN II
Verwaltungsebene Sozialraumorientierung Jugendhilfe
4 Personen
3 Personen
Dortmund
3 Personen
7 Personen
1 Person
Essen
2 Personen
6 Personen
2 Personen
Leipzig
4 Personen
3 Personen
1 Person
Um die Möglichkeit zu erschweren, Rückschlüsse von Interviewaussagen auf einzelne Gesprächspartner/innen zu ziehen, wurden die Aussagen anonymisiert: „IV“ + Nummerierung steht für Interviewaussagen auf der Verwaltungsebene, „IQ“ + Nummerierung für solche auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements. Ebenfalls aus Gründen der Anonymisierung wurde bei der Darstellung der Interviewergebnisse auf eine Differenzierung nach männlichem und weiblichem Geschlecht verzichtet und durchgehend nur die männliche Form verwendet. Die Differenzierung nach den vier Beispielkommunen wurde aufrechterhalten, allerdings ebenfalls anonymisiert (Kommunen „A“, „B“, „C“ und „D“). 2.3.3.3 Leitfäden als Befragungsgrundlage Grundlage für die Durchführung der Experteninterviews war der Einsatz jeweils eines Leitfadens für die Verwaltungsebene und für die Ebene der lokalen Quartiermanagements, die in erster Linie der inhaltlichen Strukturierung des vergleichsweise komplexen Untersuchungsgegenstands dienten und dadurch eine Fokussierung der Gesprächsführung auf die Fragestellungen ermöglichten. „Der Leitfaden schneidet die interessierenden Themen aus dem Horizont möglicher Gesprächsthemen der ExpertInnen heraus und dient dazu, das Interview auf diese Themen zu fokussieren“ (Meuser/Nagel 2002: 81f.). Der Einsatz (nuanciert) unterschiedlicher Leitfäden für die Ebenen der Verwaltung und der lokalen Quartiermanagements erschien sinnvoll, da auf beiden Ebenen unterschiedliches Betriebswissen zu erwarten war: auf der Steuerungsebene Verwaltung eher in Richtung formalisierter Programm- und Konzeptumsetzung inklusive
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
der Definition von Zielen und „Programmgebieten“ als Bestandteile von Förderanträgen und Beschlussvorlagen für den Stadtrat, auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements eher aus der Perspektive des Vermittelns zwischen „von oben“ gesetzten Parametern und sich „unten“ ergebenden Sachzwängen bzw. Bedarfen und Ideen „vor Ort“. Entsprechend lag ein Schwerpunkt des Leitfadens für Interviews mit Mitarbeiter/innen der Verwaltungen auf den formalen Kriterien des Zielfindungs- und Gebietsabgrenzungsprozesses, während der Leitfaden für Gespräche mit lokalen Quartiermanager/innen vergleichsweise stärker auf Arbeitserfahrungen „vor Ort“ abzielte: Zentrale Inhalte des Leitfadens für die Verwaltungsebene: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
eingesetzte Programme zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile, Kriterien der Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“, Gebietsabgrenzungsprozess (inklusive daran beteiligte Akteure), Arbeitserfahrungen mit der Gebietsabgrenzung, Ziele und Zielfindungsprozess für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln (inklusive daran beteiligte Akteure), Arbeitserfahrungen mit Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, Verhältnis gebietsbezogene Ansätze zu gesamtstädtischen Strategien, Einschätzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns: Vor- und Nachteile, Verbesserungsbedarfe.
Zentrale Inhalte des Leitfaden für die Ebene der lokalen Quartiermanagements: 䊏
Arbeitserfahrungen mit der Gebietsabgrenzung, Ziele und Zielfindungsprozess für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln (inklusive daran beteiligte Akteure), 䊏 Arbeitserfahrungen mit Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, 䊏 Verhältnis gebietsbezogene Ansätze zu gesamtstädtischen Strategien (unter Managementaspekten), 䊏 Einschätzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns: Vor- und Nachteile, Verbesserungsbedarfe. 䊏
Die Leitfäden waren zwar stets eine wichtige Orientierungshilfe, standen jedoch niemals dominant im Vordergrund der Gesprächsführung, die sich eher durch ein Austarieren zwischen unmittelbarer Fragestellung und dem Mitteilungsbedürfnis der Interviewpartner/innen auszeichnete. Daher waren exkursorische Schilderungen von Sachverhalten möglich, die den Befragten auch außerhalb des Fragenkanons als wichtig erschienen. Die Mischung aus vergleichsweise standardisiertem und offe-
2.3 Untersuchungsmethoden
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nem Vorgehen11 ließ persönliche Stellungnahmen zu einzelnen Frageinhalten nicht nur zu, sondern forderte dazu sogar auf (Erhebung von Deutungswissen). Im Ergebnis wurden nicht alle Fragen in gleicher Tiefe beantwortet. Auf der anderen Seite waren bei der Interviewauswertung zusätzliche Informationen zu berücksichtigen, die ursprünglich gar nicht abgefragt worden sind. Daher musste das Auswertungsverfahren so konzipiert sein, dass die ständige Aufnahme neuer Informationskategorien möglich war (siehe Kapitel 2.3.3.5). 2.3.3.4 Zur Rolle des Interviewers In der Fachliteratur herrscht weitgehend Einigkeit über die Ansicht, die inhaltliche Kompetenz des Interviewers sei eine Grundvoraussetzung für das Gelingen eines Interviews. Im Idealfall sind Expert/innen und Interviewer statusgleich, so dass sich die/der Forscher/in „mittels eines argumentativ-diskursiven Interviewstils auf den alltäglichen Kommunikationsstil der Befragten einlassen“ kann (Kassner/Wassermann 2002: 107). Im vorliegenden Fall war dies aufgrund des beruflichen Kontextes des Autors weitgehend gegeben. Gleichwohl bedarf diese Expertenrolle einer differenzierten Betrachtung, die im Folgenden anhand von Typen potenzieller Wahrnehmungen des Interviewers durch Experten in Anlehnung an Bogner/Menz (2002b: 50ff.) vorgenommen wird (vgl. Abbildung 4): Sofern es in den Interviews um Fragen zu Programmhintergründen – insbesondere der Sozialen Stadt – oder zur Organisation von Quartiermanagement ging, konnte dem Autor aufgrund seiner mehrjährigen wissenschaftlichen und beratenden Begleitung der Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ die Rolle eines Interviewers als Co-Experte12 (für theoretisch-inhaltliche Aspekte) zugewiesen worden sein, der als „gleichberechtigter Partner und Kollege angesehen [wird], mit dem der Ex11
Liebig und Trinczek (2002: 39) weisen explizit darauf hin, nur ein „offen und unbürokratisch zu handhabender Leitfaden, (…) der hinreichend Raum für freie Erzählpassagen mit eigenen Relevanzsetzungen lässt“, gewährleiste in der Interviewsituation sowohl eine „inhaltliche Fokussierung als auch eine selbstläufige Schilderung“. Da es sich also immer um eine Gesprächssituation handelt, die nicht allein vom Interviewer bestimmt werden kann, muss diese soziale Dimension stets mit berücksichtigt werden. Bogner/Menz (2002b: 47) sprechen sich deswegen dafür aus, Abstand vom Ideal der Erfragbarkeit eines kontextunabhängigen, „abgrenzbaren, stabilen und homogenen Wissenskörpers“ zu nehmen, der vielfach noch immer als „bester Weg“ der Interviewführung gilt. 12 Voraussetzung dafür ist ein umfangreicher Kenntnisstand des Experten zum Gesprächsthema, der aber nicht Wissenskongruenz bedeuten muss. Darüber hinaus sind es die fachlichen Qualifikationen, der professionelle Hintergrund und/oder die institutionelle Zugehörigkeit des Interviewers, von denen der Experte Kenntnis hat, und die den Interviewer in seinen Augen zum Co-Experten werden lässt (Bogner/Menz 2002b: 51). „Dieser zugeschriebene Wissensbestand umfasst dabei nicht allein technisches oder Prozesswissen, sondern weitgehend auch (…) Deutungswissen. Der Experte unterstellt, dass der Interviewer die praktischen Handlungsbedingungen des Befragten kennt und ihre normativen Implikationen teilt“ (Bogner/Menz 2002b: 50; vgl. auch Pfadenhauer 2002: 118).
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2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
perte Wissen und Informationen über das betreffende Fachgebiet austauscht“ (Bogner/Menz 2002b: 50). Entsprechende Gesprächssituationen zeichneten sich denn auch weniger durch das Gegenüber von Interviewer und Befragtem, sondern eher durch eine horizontal ausgerichtete Kommunikationsstruktur in der „kommunalen Community“ aus (vgl. Bogner/Menz 2002b: 50). Zwar birgt eine rein fachliche Gesprächskonstellation die Gefahr, dass „das Interview nur all zu leicht ausschließlich im professionellen Relevanzrahmen des Befragten“ bleibt (ebd.: 51), zu den Vorteilen dieses Status gehört jedoch eindeutig, als Quasi-Experte ohne Umsetzungsverantwortung und damit außerhalb etwaiger Konkurrenzen in großer Offenheit Betriebswissen vermittelt zu bekommen, „das bei anderen Rolleneinschätzungen und Kompetenzzuschreibungen kaum zugänglich würde“ (ebd.; vgl. auch Pfadenhauer 2002: 120 und Trinczek 2002: 216ff.). Außerdem kann der Forscher – wie im vorliegenden Fall öfter geschehen – in einer stärker diskussionsgeprägten Gesprächssituation seine bereits erzielten Forschungsergebnisse einbringen und entsprechende feedbacks in die Auswertung integrieren (vgl. Kapitel 2.3.3.5). Immer dann, wenn es in den Gesprächssituationen um Details ging, die der Interviewer nicht kennen konnte – dies galt vor allem für das operative Alltagsgeschäft in Kommunalverwaltungen und lokalen Quartiermanagements – kam ihm die Rolle eines Experten in einer anderen Wissenskultur zu. Den Befragten war der in diesem Falle eher fachfremde Hintergrund des Interviewers bekannt, weshalb die Frage, ob Fachtermini auf beiden Seiten gleich verwendet werden bzw. inwieweit ein gemeinsamer „Sinnhorizont“ vorausgesetzt werden konnte (vgl. Bogner/Menz 2002b: 52f.), manchmal erst geklärt werden musste. War dies nicht der Fall, kamen fachliche Begründungen und persönliche Orientierungen der Expert/innen stärker zur Sprache als in Interviewsituation, in denen der Autor eher als Co-Experte wahrgenommen wurde (vgl. Bogner/Menz 2002b: 54). Auf dieser Ebene zeichneten sich die Gesprächsverläufe in den meisten Fällen durch einen intensiven, sehr fokussierten Wissens- und Informationsaustausch aus. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass der Interviewer aufgrund seiner Tätigkeiten in der Programmbegleitung Soziale Stadt vereinzelt auch als Autorität im Sinne eines Evaluierenden wahrgenommen wurde (vgl. Bogner/Menz, 2002b: 57). Inwieweit sich vor dem Hintergrund solcher Annahmen einzelne Befragte in Rechtfertigungszwang gesetzt fühlten bzw. die Interviewsituation sogar „durch Misstrauen gegenüber der vertraulichen Verwendung der preisgegebenen Informationen“ oder „übertrieben positiv erscheinende Selbstdarstellungen“ (ebd.) gekennzeichnet war, ist nur schwer zu beurteilen13. Im Zweifelsfall bewegten sich die Antworten der Interviewten sehr nah am Inhalt offizieller Dokumente (z. B. Integrierten Entwicklungskonzepten), auf die sie sich berufen konnten. 13
Diese Situation kann insbesondere dann entstehen, wenn die Experten „einem starken politischen Legitimationsdruck ausgesetzt sind“, wie er bei der Umsetzung von Förderprogrammen durchaus entstehen kann (Bogner/ Menz 2002b: 57).
45
2.3 Untersuchungsmethoden
Im umgekehrten Falle kann auch die Einschätzung der Person des Autors als „Komplize“ (vgl. Bogner/Menz 2002b: 59) in manchen Interviewsituationen nicht ausgeschlossen werden. Eine solche Annahme basiert auf einer vom Experten unterstellten Übereinkunft in den normativen Einstellungen beider Gesprächspartner. In diesem Fall wäre der Interviewer „als Mitstreiter in einem vermachteten Handlungsfeld“ (ebd.) gesehen worden, was im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Rahmen der Umsetzung des Programms Soziale Stadt zumindest nicht auszuschließen ist. Der Interviewer als „Komplize“ kann „in besonderer Weise zur Vertrauensperson“ werden, „der Geheimnisse anvertraut, verdeckte Strategien erläutert und vertrauliche Informationen mitgeteilt werden“ (ebd.). Solche Situationen waren spätestens dann augenscheinlich, wenn dem Autor als Interviewer Informationen „außerhalb des Protokolls“ anvertraut wurden, was bei der Auswertung entsprechend berücksichtigt werden musste. Der Experte verlässt sich in solchen Situationen auf Ehrlichkeit und Diskretion des Interviewers, wofür – wie hier in einigen Fällen gegeben – eine persönliche Bekanntschaft im Vorfeld des Gesprächs eine Voraussetzung ist. Die Wahrnehmung des Interviewers in mehreren Rollen wird von Bogner und Menz (2002b: 60f.) als zum Interviewprozess dazugehörend beschrieben. Im Gegensatz beispielsweise zu Pfadenhauer (2002: 121), der die „nachgerade inflationäre Etikettierung aller möglichen Arten von Gesprächen als ‚Experteninterviews‘“ ablehnt und deswegen dafür plädiert, „nur jene Gesprächsform als ‚Experteninter-
„Co-Experte“
„Experte in einer anderen Wissenskultur“
Interviewer
„Autorität“
Abbildung 4: Mögliche Rollenzuweisungen an den Interviewer Quelle: eigene Darstellung (nach Bogner/Menz (2002b: 50ff.)
„Komplize“
46
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
view‘ zu bezeichnen, die sich auf die Kurzformel ‚auf gleicher Augenhöhe reden‘ bringen lässt“, weisen sie darauf hin, dass in der Praxis keiner der beschriebenen Typen in Reinform anzutreffen sei. Vielmehr komme es im Verlauf des Interviews in der Regel zu Vermischungen oder Veränderungen (vgl. auch Trinczek 2002: 214f.), da Interviews nicht am „Reißbrett“ planbar seien. Der berufliche Kontext des Interviewers und das Ziel der vorliegenden Untersuchung wurden in den Gesprächen stets offengelegt, denn – so argumentieren Bogner/Menz (2002b: 64) –, das „sowohl in Experteninterviews im Besonderen als auch bei qualitativen Interviews im Allgemeinen vertretene Ideal des neutralen bis emphatischen Interviewers“ steht in Frage. „Neutralität bleibt im Interview letztlich unglaubwürdig. Gerade in Experteninterviews ist den Befragten bewusst, dass ihr Gegenüber sich mit dem Thema der Untersuchung bereits intensiv auseinandergesetzt und sich eine eigene Meinung gebildet hat“ (ebd.; vgl. auch Trinczek 2002: 218f.)14.
2.3.3.5 Auswertungsverfahren Um die jeweils in Textform festgehaltenen Interviewaussagen miteinander zu vergleichen und „das Repräsentative im ExpertInnenwissen zu entdecken“ (Meuser/ Nagel 2002: 80), bedarf es eines geeigneten Auswertungsverfahrens. Ziel ist es, „im Vergleich mit den anderen ExpertInnentexten das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über (…) gemeinsam geteilte Wissensbestände, (…) Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen“, wobei sowohl übereinstimmende als auch gegensätzliche Auffassungen interessieren (ebd.). Im Gegensatz zur Interpretation von Einzelfallinterviews, bei denen die „Sequenzialität von Äußerungen je Interview“ im Vordergrund steht, geht es bei der Auswertung von Experten(gruppen)interviews um die Analyse des mitgeteilten Be14
Bogner/Menz (2002b: 48) plädieren vielmehr dafür, dem „archäologischen Modell“ der „Vorstellung, der Interviewer könne gewissermaßen ‚unsichtbar‘ bleiben und durch NichtBeeinflussung die Äußerung möglichst ‚reiner‘, kontext- und situationsabhängiger Handlungsorientierungen, Einstellungen usw. provozieren“ ein „Interaktionsmodell des Interviews“ gegenüberzustellen, in dem auch die Erwartungshaltungen des Interviewten an den Interviewer eine Rolle spielen: „Dabei gehen wir davon aus, dass die Äußerungen des Befragten sich wesentlich an seinen Vorstellungen und Mutmaßungen bezüglich Kompetenz, fachlicher Herkunft, normativen Orientierungen und Einstellungen sowie der untersuchungsfeldrelevanten Einflusspotentiale des Interviewers orientieren“ (ebd.: 49). „Interaktionseffekte“ wären demnach keine „Störfaktoren“, sondern maßgebliche Bestandteile der Kommunikationsstruktur des Interviews, weshalb es auch kein Ideal der „richtigen“ Interviewführung geben könne (ebd.). Generell gilt es – auch bei Einsatz eines Leitfadens –, eine quasi-normale Gesprächssituation zu erreichen, was allerdings einen bestimmten Status auch des Interviewers voraussetzt (vgl. Pfadenhauer 2002: 118ff.) – eben möglichst jenen des „Co-Experten“.
2.3 Untersuchungsmethoden
47
triebswissens, also von „thematischen Einheiten, (…) inhaltlich zusammengehörigen, über die Texte verstreuten Passagen“ (Meuser/Nagel 2002: 81)15. Dies setzt beim Forscher „theoretisch-analytische Kategorien“ voraus – also theoretische Grundannahmen im Sinne zentraler Fragestellungen (vgl. Kapitel 2.2), die im Rahmen dieser Untersuchung auch Basis für die Gestaltung der Interviewleitfäden waren. „Die thematischen Schwerpunkte des Leitfadens stellen Vorformulierungen der theorierelevanten Kategorien dar, die in der Auswertung aufgenommen werden“ (ebd.: 82), wobei sich nicht alle ursprünglich angedachten Kategorien als gleichermaßen tragfähig erweisen müssen bzw. die meisten „mehr oder weniger umfangreiche Modifikationen“ erfahren (ebd.). Damit geht während des Auswertungsprozesses ein permanenter Abgleich zwischen theoretischen Grundannahmen und Textinterpretation im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an belastbare Erkenntniszusammenhänge einher. Im vorliegenden Fall orientierte sich die Auswertung der (Gruppen-)Interviews in Anlehnung an Meuser und Nagel (2002: 83ff.) entlang von sechs Verfahrensschritten: Transkription, Paraphrasierung der Interviewabschriften, Strukturierung der Interviewtexte, thematischer Vergleich zwischen verschiedenen Interviewtexten, Konzeptualisierung sowie theoretische Generalisierung. Transkription Im ersten Auswertungsschritt wurden sämtliche Interviews und Gruppeninterviews, die alle auf MiniDisc aufgezeichnet waren, transkribiert. Da es sich inhaltlich um Betriebswissen handelte, von dem zum Zeitpunkt der Transkription stellenweise noch nicht klar war, ob bzw. – wenn ja – in welchem Umfang es bei der Auswertung berücksichtigt würde, die Interviewsituationen meist sehr konzentriert waren und es daher kaum „Füllpassagen“ gab, erfolgte die Transkription weitgehend wortgetreu und vollständig. Paraphrasierung der Interviewabschriften Der zweite Auswertungsschritt bestand aus der Paraphrasierung der Interviewabschriften, also dem ersten Schritt der Textverdichtung, wobei jedoch einige Interviewteile als Zitate belassen wurden. Die Paraphrasierung orientierte sich sehr eng sowohl an der Chronologie des Interviewverlaufs als auch an den jeweiligen inhaltlichen Aussagen, um Unterschlagungen, Verzerrungen und Hinzufügungen von Inhalten möglichst zu vermeiden (vgl. Meuser/Nagel 2002: 84). Dabei musste öfter „ein Schritt zurück“ gegangen werden, um die ursprünglich angedachte Paraphrasierung bestimmter Passagen nochmals zu überprüfen. 15
Wichtig ist vor allem der Funktionskontext der Expert/innen, also ihre institutionelle bzw. organisatorische Einbindung, die – neben dem Leitfaden als strukturierendes Element – die Vergleichbarkeit sichert (Meuser/Nagel 2002: 81).
48
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Strukturierung der Interviewtexte Bei diesem Schritt der Materialverdichtung wurde die Sequenzialität des Textes erstmals aufgebrochen16, wobei jedoch allenfalls redundante Interviewpassagen einander zugeordnet worden sind. Thematischer Vergleich zwischen verschiedenen Interviewtexten (Codierung) In diesem Schritt erfolgte eine detailliertere Strukturierung, bei der zwecks thematischen Vergleichs zwischen verschiedenen Interviews die Ebene des Einzelinterviews verlassen wurde: „Passagen aus verschiedenen Interviews, in denen gleiche oder ähnliche Themen behandelt werden, werden zusammengestellt“ (Meuser/Nagel 2002: 86) und erhalten gemeinsame neue Überschriften (Codes). Dies erfolgte mit Hilfe der Software MAXqda2 zur qualitativen Datenanalyse: Dazu wurden zunächst die im rtf-Format abgespeicherten Interviewtexte in MAXqda2 eingelesen und den beiden für die Auswertung gebildeten Textgruppen „Steuerung Verwaltung“ oder „Steuerung Quartier“ zugeordnet (vgl. Abbildung 5: Fenster 1). Einzeltexte lassen sich in einem Ausgabefenster öffnen (Fenster 2) und eingeschränkt bearbeiten. Vor allem können hier jedoch einzelne Wörter bis hin zu ganzen Absätzen oder Passagen per „drag and drop“ (verschiedenen) Codes zugeordnet werden. Diese „Liste der Codes“ (Fenster 3) entspricht den gemeinsamen neuen Überschriften; sie wird im Laufe des Prozesses induktiv aus dem Interviewmaterial herausgearbeitet. In einem vierten Schritt lassen sich die codierten Textpassagen je nach Verschneidung von zuvor aktivierten Textgruppe(n)/Einzeltext(en) mit Codegruppen/Einzelcode(s) anzeigen (Fenster 4: „Liste der Codings“). Diese „Listen der Codings“ können nach MS WORD exportiert und hier weiter bearbeitet werden. Konzeptualisierung Mit dem Schritt der Konzeptualisierung beginnt die Loslösung von den Originaltexten der Interviews sowohl in struktureller als auch in terminologischer Hinsicht: „Das Gemeinsame im Verschiedenen wird (…) begrifflich gestaltet“ und zu Kategorien zusammengefasst (Meuser/Nagel 2002: 88). Im konkreten Fall wurden die „Listen der Codings“ als jeweils erste Annäherung an eine Kategorienbildung in MS WORD weiterbearbeitet. Beispielsweise konnte aus der Verschneidung der Text16
Dieses für viele andere Interviewformen unzulässige Verfahren ist hier möglich, „weil nicht die Logik des Einzelfalls Gegenstand der Auswertung ist“ und weil Experteninterviews Grundlage einer „Analyse eines bestimmten Teils des Wissens des Experten, nicht aber des Lebenszusammenhangs der Person“ sind (Meuser/Nagel 2002, S. 85). Ein Experte „bildet lediglich das Medium, durch das wir Zugang zu dem Bereich, der uns interessiert, erlangen. Wir trennen die Person von ihrem Text ab und betrachten den Text nicht als Dokument einer sozialen Struktur“ (ebd.).
49
2.3 Untersuchungsmethoden
Fenster 1: Hochgeladene Texte im rtfFormat, Textgruppen
Fenster 3: Liste der Codes
Fenster 2: Feld für geöffnete Einzeltexte: Bearbeitung, Codierung
Fenster 4: Ausgabefeld für Auswertungsergebnisse (Liste der Codings)
Abbildung 5: Übersicht Aufbau/Funktionen von MAXqda2 Quelle: eigene Darstellung (Basis: Screenshot MAXqda)
gruppe „Steuerung Verwaltung“ mit dem Code „Gebietsabgrenzungen“ eine erste Annäherung an die Kategorie „Akteure und Kriterien der Gebietsabgrenzung“ erzeugt werden. Auf dieser Basis wurden generalisierende Zwischenüberschriften wie „Abgrenzungskriterium physische Barrieren“ gebildet und entsprechende (Um-) Gruppierungen inhaltlich passender codierter Interviewaussagen vorgenommen. Anschließend wurden im Rahmen von Textarbeit inhaltliche Gruppierungen stärker zusammengefasst und sprachlich modifiziert. Meuser und Nagel (2002: 89) sprechen an dieser Stelle von „empirischer Generalisierung“. Diese Darstellungen finden sich in Kapitel 6 (Interviewergebnisse).
50
2 Ansatz und Aufbau der Untersuchung
Theoretische Generalisierung Im letzten Auswertungsschritt wurden die „empirischen Generalisierungen“ mit den Ergebnissen sowohl der Auseinandersetzung mit handlungstheoretischen Raumkonzepten (vgl. Kapitel 3.2) als auch der Analyse von Programmen und kommunalen Konzepten (vgl. Kapitel 5) kontrastiert, um aus wissenschaftlicher Perspektive zu Aussagen zum „Stand“ gebietsbezogenen Verwaltungshandelns unter den in Kapitel 2.2 dargelegten Fragestellungen zu kommen17. Die theoretische Generalisierung der Interviewergebnisse findet sich in Kapitel 7.1. Bevor jedoch die Ergebnisse sowohl der qualitativen Dokumentenanalyse als auch der Experten- bzw. Gruppeninterviews ausführlich dargestellt werden, folgt zunächst eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Raumkonzepten, die geeignet sind, die in Kapitel 2.2 erarbeiteten zentralen Fragestellungen theoretisch zu unterfüttern bzw. einen Beitrag zur bisher eher unzureichenden Auseinandersetzung mit „Raum“ im Zusammenhang mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln zu leisten. Es geht darum, eine theoretische „Folie“ zu entwerfen, auf der die Gegensätze 䊏
Formulierung raumrelevanter Ziele der Quartiersentwicklung aus der „Draufsicht“ von Verwaltungsakteuren versus Zielformulierung aus der „Binnensicht“ der „Vor-Ort“-Bevölkerung und anderer lokaler Akteure, 䊏 Raumabgrenzungen von Verwaltungsakteuren versus „alltägliche“ Raumproduktionen von Quartiersbevölkerung und anderen lokalen Akteuren sowie 䊏 Prozesssteuerung auf der Verwaltungsebene versus Umsetzungskoordinierung auf der Gebietsebene im Rahmen eines Gebietsmanagements deutlicher herausgearbeitet werden. Zentral bei dieser theoretischen Auseinandersetzung mit den Interdependenzen von „Raum“ und „Gesellschaft“ ist unter anderem die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, das Konzept gebietsorientierten Handelns der Verwaltung durch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem ihm zugrunde liegenden Raumbezug weiter zu qualifizieren – beispielsweise durch eine stärkere Berücksichtigung subjektiver Raumwahrnehmungen bzw. der „Raumproduktionen“ von „Vor-Ort“-Akteuren.
17
Meuser und Nagel (2002: 90) machen jedoch darauf aufmerksam, dass diese „saubere“ Trennung zwischen „reiner“ Empirie und „reiner“ Auseinandersetzung mit theoretischen Folgerungen in der Realität in dieser Form keinen Bestand hat: „Es bedeutete eine Idealisierung des tatsächlichen Auswertungsprozesses, wollte man behaupten, (…) Kategorien kämen erst am Ende der Interpretation ins Spiel. (…) Denn wir bewegen uns immer schon auf beackertem Boden, wir orientieren uns an heuristischen Annahmen (…), an einem Vorstellungsrahmen, der zuallererst die Formulierung der Forschungsfrage ausgelöst und zur begründeten Auswahl dieser und nicht jener ExpertInnen geführt hat“.
3
Theoretische Einbettung der Untersuchung: Welche Raumkonzepte können gebietsbezogenem Verwaltungshandeln zu Grunde liegen?
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Raum findet sich ein breites Spektrum an Betrachtungsperspektiven aus den Bereichen Soziologie, Geographie, Ökonomie, Philosophie, Sozialarbeit und dem Planungsbereich, die viele Überschneidungen aufweisen, sich aber auch – je nach spezifischem Erkenntnisinteresse und disziplinärem Selbstverständnis – voneinander unterscheiden können (vgl. beispielsweise Kessl u. a. 2005). Dabei wird (auch) in deutschsprachigen Veröffentlichungen zunehmend über das Verhältnis von Raum und Gesellschaft diskutiert, wenngleich bei Fragen nach dem jeweiligen Umgang mit Raum oftmals das je eigene disziplinäre Selbstverständnis im Vordergrund steht (vgl. unter anderem KrämerBadoni/Kuhm 2003; Keim 2003). Ein Grund für die Annäherung von eher „raum-“ und eher „gesellschaftsorientierten“ theoretischen Diskursen dürfte in einer Verunsicherung darüber zu sehen sein, inwieweit „traditionelle“ Raumvorstellungen und -konzepte bzw. disziplinäre Ausrichtungen unter generellem Verzicht auf den Faktor „Raum“ geeignet sind, ökonomischen, politischen und sozialen Entwicklungen begegnen zu können, die mit den Begriffen Globalisierung und Strukturwandel, Deregulierung und Neuordnung staatlicher Wohlfahrtssysteme, soziale Ausdifferenzierung und räumliche Fragmentierungen umrissen werden (vgl. Kapitel 2.1). Eine Realität, die als zunehmend komplexer wahrgenommen wird, erfordert komplexere theoretische Erklärungsansätze – auch zum Thema Raum. So geht es beispielsweise für Werlen/Reutlinger (2005: 50) darum, „die historisch seit Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Lücke zwischen der deterministischen ‚Raumversessenheit‘ der allgemeinen Geographie einerseits und der idealistischen ‚Raumvergessenheit‘ der Soziologie andererseits“ zu schließen, um sich eben jenen neuen Realitätswahrnehmungen annähern zu können. Dies gilt vor allem für Auseinandersetzungen mit der Ebene mikroräumlicher Alltagswelten (vgl. Keim 2003: 11) und damit auch dem Kerngegenstand gebietsbezogenen Verwaltungshandelns. Dabei erscheint die Überwindung eines „traditionellen“ Umgangs mit „Raum“ als besonders sinnvoll und notwendig, will man das programmatische Ziel einer „Verbesserung der Lebensbedingungen“ nicht nur in „Programmgebieten“, sondern vor allem für die hier lebenden Menschen („Zielgruppen“) mit ihren eigenen Vorstellungen tatsächlich erreichen. Im Folgenden wird daher zunächst kurz auf „traditionelle“ Raumvorstellungen eingegangen, um anschließend im Kontrast dazu Aspekte der raumtheoretischen AnT. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
52
3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
sätze von Benno Werlen und Martina Löw aufzugreifen, die einen erweiterten Blick auf „Raum“ im Zusammenhang mit Möglichkeiten gebietsbezogenen Verwaltungshandelns bzw. der Betrachtung von „Alltagswelten“ in „Programmgebieten“ und „Sozialräumen“ der Jugendhilfe ermöglichen. Dem wird ein Exkurs zu Giddens’ Strukturationstheorie vorangestellt, auf die sich Löw und vor allem Werlen in ihren Ausführungen immer wieder beziehen.
3.1
Absoluter und relationaler Ansatz: Akteure und Raum
Nach der Logik, Programmgebiete erstens durch strikte Grenzziehungen eindeutig ausweisen und gegenüber anderen räumlichen Einheiten klar abgrenzen zu müssen, sowie zweitens davon auszugehen, dass bei allen an diesem Prozess Beteiligten Konsens über (Problem-) Charakter, Entwicklungspotenziale und Ausdehnung der Programmgebiete herrscht, haben wir es mit Vorstellungen eines absoluten Raums zu tun. Ihnen liegt die Annahme eines Gegenübers von Raum und Objekt- bzw. menschlicher Handlungswelt zu Grunde („Wirtschaft im Raum“; „Raum und Gesellschaft“; vgl. Blotevogel 1995: 734), so dass Raum auch „an sich“ – also leer – existieren kann (Löw 2001: 17f., 25; Werlen 1995: 153). Vorstellbar wird er zunächst als unendlich großer Behälter, dessen Begrenzungen nur noch theoretisch angenommen werden. Diese von Einstein auch als „Container“ bezeichnete Vorstellung geht auf die Raumkonzeption Newtons zurück: „Der absolute Raum, der aufgrund seiner Natur ohne Beziehung zu irgendetwas außer ihm existiert, bleibt sich immer gleich und unbeweglich“ (Newton 1988 [orig.: 1687]: 44; zitiert in: Löw 2001: 25). Allerdings ist er „an sich“ nicht wahrnehmbar, sondern kann erst mittels eingezogener Maßsysteme (z. B. Koordinaten) und damit dem Konzept eines relationalen Raumes (siehe nachfolgender Punkt) innerhalb des absoluten Raums in Teilen sichtbar gemacht werden (vgl. Werlen 1995: 170)18. Der absolute Raum stellt eine für alle Akteure „gleichermaßen existente (deshalb homogene) Grundlage des Handelns“ dar (Löw 2001: 18), entzieht sich also subjektiven Interpretationen. In weitergehenden Überlegungen wird Raum sogar eine eigenständige Wirkkraft („Raumwirksamkeit“19; vgl. Werlen 1995: 152f.) oder die Bedeutung einer Variablen im Sinne einer „Abhängigkeit vom Raum“ zugemessen (Blotevogel 1995: 734). 18
Relative Räume im absoluten Raum existierten zwar auch bereits für Newton als Teilräume, die durch „Beziehungen zwischen Körpern in diesem Behälter“ entstehen (Löw 2001: 27). Dieser zweite Aspekt der Newtonschen Theorie ist in unserer Denktradition jedoch zunächst nicht weiter entwickelt worden, wie Löw (2001: 27) bemerkt. 19 Eine spezifische Wirkkraft des Raums wird beispielsweise in der Annahme postuliert, benachteiligte Stadtteile hätten als Sammelbegriff für physisch-materielle Attribute und soziale Situationen eine benachteiligende Wirkung auf die hier lebenden Menschen (vgl. Häußermann 2000: 14).
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
53
Bezieht man diese Vorstellungen auf „Programmgebiete“ der Sozialen Stadt bzw. von URBAN/URBAN II und „Sozialräume“ der Jugendhilfe, kann man sie als durch Grenzziehungen sichtbar gemachte „modifizierte Behälterräume“ bezeichnen. Deren Grenzen besitzen zwar eine relative Komponente, indem sie bestimmte Bereiche des nicht-modifizierten absoluten Raums ein-, andere dagegen ausschließen. Sie bleiben jedoch im Verlauf der Programm- bzw. Konzeptumsetzung starr. Bezogen auf die spezifischen „Entwicklungsbedarfe“ von Programmgebieten werden nicht einzelne Objekte, Akteure oder Vorkommnisse assoziiert, sondern das Programmgebiet bzw. der „Sozialraum“ als „Behälter“, der für alle Akteure eine „gleichermaßen existente (…) Grundlage des Handelns“ (Löw 2001: 18) darstellen soll. Kommen Überlegungen zu Erreichbarkeiten, Koordinaten von Infrastruktur oder Veränderungen von Objekten im Zeitverlauf (z. B. baulicher Verfall oder auch Aufwertungseffekte) hinzu, spielt aus raumtheoretischer Sicht das Konzept des relationalen Raums eine Rolle. Danach wird Raum erst durch die Lageverhältnisse von Objekten bzw. der Körperwelt konstituiert, wobei sich diese Lageverhältnisse durch die Zeit hindurch in ständiger Bewegung befinden, so dass nun von einem vierdimensionalen „Raum-Zeit-Kontinuum“ oder „Raum-Zeit-Materie-Konzept“ gesprochen werden kann (vgl. Blotevogel 1995: 734; Löw 2001: 33). Raum ist damit nicht mehr losgelöst von der Anordnung der Dinge und ihrer Ausdehnung in der Zeit zu denken, wobei Raum und Zeit – dies auch im deutlichen Unterschied zum Konzept des absoluten Raumes – „ ,relativ‘ zum Bezugssystem der [je individuellen] Beobachterinnen“ stehen (Löw 2001: 33). 3.2
Handlungstheoretische Raumkonzepte: Akteure produzieren Raum
Nimmt man die oberste Zielsetzung von Programmen wie der Sozialen Stadt ernst – die „Verbesserung der Lebensbedingungen“ in „benachteiligten Gebieten“ –, wird schnell klar, dass aus Sicht unterschiedlicher Akteure (beispielsweise eines Verwaltungsmitarbeiters im Fachbereich Stadterneuerung oder einer langzeitarbeitslosen Programmgebietsbewohnerin) unterschiedliche Blickwinkel auf alle „Raumelemente“ vorherrschen (müssen), die sich eher gut oder vielleicht auch weniger gut eignen, dieses Ziel tatsächlich – aus wessen Sicht? – zu erreichen. Damit ist ein Teil handlungsbezogener Kriterien der Raumwahrnehmung angesprochen, der sich mit den Vorstellungen des absoluten Raums nicht mehr darstellen lässt. An dieser Stelle ist es hilfreich, gesellschaftswissenschaftliche Theorieansätze hinzuzuziehen, darunter insbesondere handlungstheoretische Betrachtungen, die im deutschsprachigen „Raum“ vor allem von Werlen (1995, 1997) aus Sicht der Sozialgeographie und Löw (2001) aus der Perspektive der Soziologie entwickelt worden sind. Beide unternehmen mit ihren handlungsorientierten Raumkonzepten den Versuch, sich von der Vorstellung zu lösen, Raum existiere „an sich“ und bilde die Kulisse oder gar eine Determinante für die Handlungen von Akteuren. Werlen be-
54
3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
zweifelt insbesondere, angesichts der Globalisierung das lokal Vorfindbare, Sichtbare, Beobachtbare tatsächlich als Ausdruck ausschließlich lokaler Gegebenheiten interpretieren zu können. Vielmehr würden sich darin in großem Maße auch globale Zusammenhänge spiegeln – beispielsweise unterschiedliche Migrantenkulturen oder Informationen, die aus elektronischen Medien wie Internet und Satellitenfernsehen gewonnen werden –, so dass „klassische“ analytische Herangehensweisen zur Erfassung von „Raum“ wie gebietsbezogene Strukturanalysen diese Zusammenhänge heute nicht mehr (ausreichend) fassen könnten (vgl. Werlen 1997: 39). Vor diesem Hintergrund strebt Werlen an, absolute Raumvorstellungen zu überwinden und eine handlungszentrierte „Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen“20 (vgl. Kapitel 3.2.2) zu entwickeln, bei der „traditionelle“, der strukturalistischen Auffassung folgende raumzentrierte Betrachtungsweisen dem Verständnis alltäglicher Raumproduktionen weichen (vgl. Werlen 1997: 17). Nicht Raum „an sich“ ist für Werlen von Interesse, sondern das Bewusstsein von Raum bzw. davon, wofür man den Begriff verwendet, und welche – auch politischen – Implikationen damit verbunden sind (ebd.: 11). Konkreter geht es Werlen darum, den Blick nicht auf (absolute) Räume und ihre Eigenschaften, sondern vielmehr auf die Bedeutung von Raum für die soziale Praxis der Akteure mit ihren spezifischen Lebensformen und -stilen zu richten (ebd.: 15). Ein weiteres Anliegen Werlens ist es, die Beziehung zwischen wissenschaftlicher Betrachtung und der „Alltäglichkeit“ der Konstituierung von Raum auf eine realitätsnähere Grundlage zu stellen. Es sei nämlich davon auszugehen – hier folgt Werlen Giddens’ Ausführungen zur „doppelten Hermeneutik“21 –, dass nicht nur die Aufbereitung und Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse den Alltag der Menschen beeinflussen, sondern – umgekehrt – diese wissenschaftlichen Ergebnisse nur dann einen Wahrheitsgehalt beanspruchen dürfen, wenn sie das „alltägliche“ Handeln der Akteure „ontologie- und sinnadäquat“ wiedergeben (Werlen 1997: 2). 20
Sowohl Werlen als auch Löw ordnen ihre Raumkonzepte als Versuche ein, neue Denkansätze in ihren jeweiligen Fachdisziplinen – Geographie und Soziologie – zu etablieren. Die Nähe beider Ansätze weist auf die große Schnittmenge beider Disziplinen hin. 21 Giddens macht darauf aufmerksam, die Forschungsfelder von Sozialwissenschaftler/innen seien bereits „sinnhaft konstituiert“, weshalb es „Bedingung für den ‚Eintritt‘ in dieses Forschungsgebiet“ sei, „sich das anzueignen, was Akteure schon wissen und wissen müssen, um sich in den täglichen Aktivitäten des gesellschaftlichen Lebens ‚zurechtfinden‘ zu können“ (Giddens 1984: 338). Anders ausgedrückt geht es, so Löw (2001: 220), um die Berücksichtigung der eigenen Perspektive, die erstens immer begrenzt ist und zweitens – hier bezogen auf das Thema „Raum“ – selbst eine Konstitutionsleistung von Raum darstellt (vgl. Löw 2001: 220). „Wissenschaft bildet nicht die Wirklichkeit des Raums ab, sondern trägt dazu bei, Raum zu konstruieren, wobei dieser Konstruktionsprozeß selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht werden kann“ (ebd.). Gleiches kann auch für raumkonstituierende Verwaltungsakteure mit ihren (quasi-)wissenschaftlichen Raumbetrachtungen und -vorstellungen gelten.
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
55
Auch Löw konstatiert eine sich allmählich verändernde Selbstverständlichkeit der Raumwahrnehmung bis hin zu einer Krise der „Sicherheit über den Raum“ (2001: 10). Ebenso wie bei Werlen basiert ihre Hinterfragung „traditioneller“ Raumverständnisse unter anderem auf der Beobachtung zunehmend „raum“unabhängig scheinender Kommunikationsmöglichkeiten wie dem Internet. Vor diesem Hintergrund problematisiert sie ebenfalls Ansätze, die auf dem Konzept des absoluten Raums basieren – unter anderem operationalisiert als Territorium oder geographischer Ort –, weil durch die Betrachtung dieser bereits festgelegten Einheiten keine Konzentration mehr auf raumkonstituierende Prozesse (Produktion, Reproduktion, Veränderung von Raum) erfolgen könne – es werde lediglich das Ergebnis dieser Prozesse betrachtet, die zudem auch für die Zukunft als bereits abgeschlossen gälten (2001: 13). Löw wendet sich daher eindeutig gegen die Vorstellung absoluter, „an sich“ existierender Räume, die sozial gegliedert oder „angeeignet“ werden, und akzeptiert damit auch nicht die Annahme, „bewegte“ Handlungen würden in einem „unbewegten Raum“ stattfinden (2001: 18). Damit steht für sie die „Alltagsvorstellung (…), daß Menschen ‚im Raum‘ leben“, zur Disposition (ebd.: 19). Löw (2001: 13, 18) schließt sich vielmehr Ansätzen eines Raumverständnisses an, denen zu Folge Raum stets durch Prozesse der Anordnung von Menschen und sozialen Gütern konstituiert wird. Allerdings versucht sie, dieses relationale Raumverständnis weiterzuentwickeln (vgl. Kapitel 3.2.3), indem sie Raum in das menschliche Handeln integriert, um die Trennung von Raum und Menschen/materiellen Gegebenheiten bzw. „sozialem“ und „materiellem“ Raum zu überwinden, „welche unterstellt, es könne ein Raum jenseits der materiellen Welt entstehen (sozialer Raum), oder aber es könne ein Raum von Menschen betrachtet werden, ohne daß diese Betrachtung gesellschaftlich vorstrukturiert wäre (materieller Raum)“ (ebd.: 15). Dabei ist es nicht Löws Ziel, neue Raumkategorien zu entwerfen, sondern einen prozessualen – und damit dynamischen – Raumbegriff zu entwickeln, mit dem unterschiedliche Weisen des Konstituierens von Raum durch Handeln(de) nachvollzogen werden können, differenziert beispielsweise nach Klasse, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Alter, sexueller Identität, ohne dass es zu einer Vereinheitlichung kommen muss (ebd.). Für eine theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Rolle „Raum“ im Zusammenhang mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln spielen kann bzw. wie er von welchen Akteuren nach welchen Kriterien konstituiert wird, ist die Betrachtung beider Ansätze sinnvoll. Bei Werlens Konzept ist vor allem seine Typenbildung der Raumproduktion nach unterschiedlichen handlungstheoretischen Annahmen je nach Akteursgruppe und ihrer Zielsetzungen von besonderem Interesse (Verwaltungs- versus „Vor-Ort“-Akteure samt ihrer Handlungslogiken und -ziele; siehe Kapitel 3.2.2). Löws noch stärkere Betonung individueller, subjektiver Raumproduktionen ist ebenfalls von zentraler Bedeutung. Überträgt man ihr Konzept auf den Ansatz gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, muss davon ausgegangen werden, dass selbst Akteure, die der gleichen Gruppe angehören – zum Beispiel Verwal-
56
3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
tungsmitarbeiter/innen – nicht von einem gemeinsamen Raumverständnis ausgehen können, was erst recht gilt, wenn sie sich mit der Raumproduktion verwaltungsferner Akteure auseinandersetzen (vgl. Kapitel 3.2.3). Sowohl Werlen als auch Löw beziehen sich bei der Entwicklung ihrer handlungsorientierten Raumkonzeptionen in starkem Maße auf Giddens’ Überlegungen zum Zusammenhang von Handeln und Struktur im Rahmen seiner „Theorie der Strukturation“. Wesentliche Elemente dieser Theorie werden daher im Folgenden kurz erläutert. 3.2.1
Ausgangsüberlegungen: Ressourcen und Regeln in der Strukturationstheorie von Anthony Giddens
Giddens versteht unter Struktur eine „virtuelle Ordnung“ veränderlicher und sich verändernder, also transformatorischer Beziehungen zwischen Objekten, zwischen Menschen untereinander oder zwischen Menschen und Objekten („Relationen“), die durch Interaktion oder auch Erinnerungen konkret wird und das Verhalten von Individuen beeinflusst (Giddens 1984: 69). Werlen (1997: 184) vergleicht diese Ordnung mit dem Wesen der Sprache, die „an sich“ auch nur virtuell existiert, bis sie durch das Sprechen „real“ wird. So verstandene Strukturen sind weder „fest“ noch „fixiert“. Mit seinem Definitionsansatz wendet sich Giddens (1984: 67f.) gegen die funktionalistische Auffassung des Strukturbegriffs, die durch das Gegenüber von außerhalb des Handelns liegender Struktur und davon abhängigem Handeln(den) geprägt ist. Giddens’ Anliegen ist es, diesen „Dualismus von Objektivismus und Subjektivismus“ (1984: 41) zu überwinden, indem er weder die Determinierung von außen noch eine Fokussierung auf das rein subjektive Handeln „an sich“ zulässt. Vielmehr entwirft er eine Theorie des „Dazwischen“, in der Menschen zwar als bewusst handelnde Individuen anerkannt werden, gleichzeitig aber ihre gemeinsamen Interaktionen reflexiv steuern (1984: 83). Giddens betrachtet Handeln also nicht als abhängige Variable, sondern weist ihm konstitutive Bedeutung für die soziale Welt zu, wobei sich die sozial Handelnden wiederum auf Struktur(en) beziehen (vgl. Werlen 1997: 181). Konkreter besteht Struktur nach Giddens aus Regeln und Ressourcen. Ressourcen Giddens’ Ressourcenbegriff bezieht sich weder direkt noch ausschließlich auf Materielles. Vielmehr sind damit im weitesten Sinne Zugriffsmöglichkeiten von Akteuren auf materielle Dinge, aber auch auf Personen gemeint. Man kann sie zusammenfassend als Kompetenz‚ Fähigkeit oder Verfügungsmöglichkeit, „als transformative Kapazität menschlichen Handelns“ bezeichnen, die im weitesten Sinne mit „Macht“ einhergeht (Werlen 1997: 265f.). Bei allokativen Ressourcen handelt es sich um Möglichkeiten, über materielle Dinge und somit über die Macht zu verfügen, auf dieser Basis verändernd handeln zu können (Giddens 1984: 86). Konkreter ist der Zugang beispielsweise zu Rohstof-
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
57
fen bzw. materiellen Umweltbestandteilen wie Land, aber auch zu materiellen Produktionsmitteln bzw. Technologie oder produzierten Gütern gemeint (vgl. Giddens 1984: 316; Werlen 1997: 189). Autoritative Ressourcen entstammen dagegen der „Koordination des Handelns von Menschen“ (Giddens 1984: 45). Konkret sind darunter „Zugriffsmöglichkeiten“ auf Personen und die Reproduktion dieser Zugriffsmöglichkeiten zu verstehen. Durch die Verfügung über autoritative Ressourcen werden Menschen in Gemeinschaft organisiert und in Beziehung zueinander gesetzt sowie Lebenschancen Einzelner organisiert (vgl. auch Werlen 1997: 189f.). Beispiele finden sich unter anderem im Verhältnis Staat-Bürger oder im Arbeitsleben. Allokative und autoritative Ressourcen werden von Giddens (1984: 316) als gleichermaßen bedeutsam erachtet. Die landläufige Vorstellung, insbesondere die Veränderung materieller Gegebenheiten sei der „Motor“ für Veränderungen, ist aus Giddens’ Perspektive nicht haltbar (ebd.). Zwar habe die Vermehrung materieller Ressourcen noch immer große Bedeutung für die Ausweitung von Macht, doch könnten materielle Ressourcen nicht ohne den Einsatz autoritativer Ressourcen weiterentwickelt werden, weshalb letzteren als „ ,Hebel‘ des sozialen Wandels“ zumindest genauso viel Bedeutung zukomme wie allokativen Ressourcen (ebd.: 317). Regeln Regeln definiert Giddens (1984: 73) als „Techniken oder verallgemeinerbare Verfahren“, die Handelnde in sozialen Praktiken anwenden. Dabei handelt es sich nicht um formalisierte „Spielregeln“ oder Vorschriften, sondern um eher ungeschriebene Selbstverständlichkeiten. In Interaktions-Situationen werden sie von den beteiligten Akteuren permanent ad hoc realisiert, denn sie hängen unmittelbar mit sozialen Praktiken in den jeweiligen Begegnungskontexten zusammen (ebd.: 70). Diese ad-hocRealisierung wird vor allem möglich, weil die Kenntnis der Regeln im praktischen Bewusstein22 handelnder Akteure verankert sind und diese Techniken daher nicht in jeder Situation neu reflektiert oder ausgehandelt werden müssen. Wird eine Regel dagegen diskursiv ausformuliert – beispielsweise im Falle von Gesetzen oder bürokratischen Regeln –, handelt es sich bereits um spezifische Einzelregeln (ebd.: 73). Die Konstitution von Sinn basiert auf semantischen Regeln, die es einem Akteur ermöglichen, die Bestandteile oder „Zeichen“ seiner Umgebung so zu „lesen“, dass sie als „Bezeichnetes“ Sinn bzw. eine Bedeutung erlangen können. Parallelen zur Sprache drängen sich auf, weil die Bezeichnung (Signifikat), also Sinn- bzw. Bedeutungszumessung (Signifikation) von etwas Vorgefundenem (Signifikant), überwiegend über sprachliche Zuordnungen verläuft. Im Rahmen seiner Theorie der Strukturation betont Giddens (1984: 82), dass diese Prozesse nicht nur in Raum und Zeit geschehen, sondern – wie bei anderen Handlungskontexten auch – selbst „räumliche und zeitliche Eigenschaften von Begegnungen“ enthalten. 22
Gemeint sind unterbewusste Routinen des alltäglichen Handelns, die im Gegensatz zum diskursiven Bewusstsein stehen (vgl. Giddens 1984: 144).
58
3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
Zusammenfassend kann man mit Werlen sagen, dass Regeln „als generalisierte Leitfäden des Handelns zu begreifen [sind], die es den Handelnden ermöglichen, ihre Tätigkeiten routinemäßig zu reproduzieren, mit denen anderer zu koordinieren, aber auch Situationen zu verändern“ (1997: 187). Sie gestalten das Handeln mit, bringen es aber entgegen strukturalistischer Auffassungen nicht originär hervor. Regeln können nicht ohne Bezug zu Ressourcen existieren, da letztere die „Medien der Transformation“ (ebd.: 192) sind, auf die Regeln Bezug nehmen müssen, um Veränderungen herbeiführen zu können (vgl. Werlen 1997: 188). In Werlens und Löws Raumkonzepten werden diese Überlegungen (explizit oder implizit) aufgenommen. 3.2.2
Werlens Konzept der „Geographie alltäglicher Regionalisierungen“
Werlens zentrales Anliegen ist es, zu einem „körperzentrierten Verständnis“23 von Raum zu kommen, d. h. zu einem Aufbau eines ausschließlich sozial konstituierten Raumverständnisses. Damit liegt das Zentrum seines Interesses nicht in der Bedeutung sozialer Alltagspraxis „im Raum“, sondern – umgekehrt – in der Identifizierung der „Bedeutung räumlicher Aspekte in der Verwirklichung der sozialen Alltagspraxis“ (Werlen 1997: 208). Ein solcher sozial konstituierter Raum weist keine absoluten Eigenschaften mehr auf, sondern definiert sich „als von den Subjekten sinnhaft konstituierte soziale Wirklichkeiten“ (ebd.). Im Zentrum von Werlens Raumkonzept steht der Begriff der „Regionalisierung“, unter dem in einer ersten Annäherung eine „Spezifizierung der sozialen Definition von (…) Schauplätzen in bezug auf bestimmte Handlungsweisen“ verstanden werden kann (Werlen 1997: 169). Mit „Schauplatz“ übersetzt Werlen den von Giddens geprägten Terminus „locale“. Darunter sind Bezugsrahmen für Interaktionen zu verstehen, wobei allerdings ein noch immer als externer Faktor angenommener Raum existiert, der sowohl im Sinne von ausschnitthaft „besetzt“ verfügbar gemacht als auch gleichzeitig kontextualisiert wird. Konkreter hängt diese Konstitutionsleistung von der Körperlichkeit der Akteure (physische Präsenz) und ihren Bewegungs- und Kommunikationsmöglichkeiten „im Verhältnis zu den physischen Eigenschaften der umgebenden Welt“ – also zu einem nicht näher definierten „Raum“ – ab (Giddens 1984: 170). Da aber „locale“ für Giddens nicht (nur) mit den ausschließlich physischen Eigenschaften eines geographischen Platzes assoziiert werden, sondern eben auch den Kontext des Handelns mit einschließen, kritisiert Werlen (1997: 168) die bisherige Übersetzung dieses Terminus’ mit „Ort“ ins Deutsche und schlägt alternativ den Begriff „Schauplatz“ vor, der den von Giddens ebenfalls assoziierten
23
Danach bildet die Physis des Körpers des Menschen aus seiner eigenen Perspektive die erste denkbare Raumkonstitution. Dabei geht es nicht im Sinne des absoluten Raums um die „Einnahme“ eines „Platzes“ in einem „an sich“ existierenden Raum, sondern um einen ersten Schritt der subjektiven Raumkonstitutierung durch körperliche Präsenz.
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
59
Charakter des „Ereignisses“ am besten integriere. Mit „Schauplatz“ lasse sich der intendierte „tätigkeitsspezifische Raumausschnitt“ (eigene Hervorhebung) als Handlungskontext am besten bezeichnen, der allerdings stets schon Anordnungen von materiellen Dingen sowie interagierenden Akteuren und damit eine bestimmte soziale Bedeutung enthält, was Giddens auch als „setting“ bezeichnet (ebd.). Zusammenfassend meint Werlen (1997: 16) mit „Regionalisierung“ die alltägliche Raumproduktion durch das Handeln von Menschen. Demnach handelt es sich bei einer Region um einen sozialen Handlungskontext innerhalb eines „Schauplatzes“, der sich durchaus an räumlichen physisch-materiellen Gegebenheiten wie Häuser(wände)n oder topographischen Einheiten – auch im Sinne von gebauten oder natürlichen Barrieren – orientiert, wobei diese allerdings stets nur als symbolische Markierungen und Begrenzungen verstanden werden, die durch Akteure konstituiert werden. Keinesfalls sind also vergegenständlichte (reifizierte) „räumliche“ Grenzen gemeint, die sich per se ergeben würden. Daraus folgt, dass auch die Grenzen von Regionen je nach Handlungskontext entstehen und wie dieser selbst wandelbar sind (vgl. Werlen 1997: 168ff.). Um zu konkreten „alltäglichen Regionalisierungen“ zu kommen, verknüpft Werlen die Kernelemente von Giddens’ Strukturbegriff unter Integration des Aspekts „Raum“ mit unterschiedlichen Handlungstypen, die sich aus verschiedenen handlungstheoretischen Ansätzen ableiten lassen24 (1997: 255). So entwickelt er 䊏
aus der Verbindung allokative Ressourcen – Raum – zweckrational-wirtschaftlicher Handlungstyp das Konzept „produktiv-konsumtive Regionalisierungen“, 䊏 aus der Verbindung autoritative Ressourcen – Raum – normativ-präskriptiver Handlungstyp das Konzept „normativ-politische Regionalisierungen“ sowie 䊏 aus der Verbindung Regeln – Raum – informativ-signifikativer Handlungstyp das Konzept „informativ-signifikative Regionalisierungen“ (Werlen 1997: 265). Produktiv-konsumtiven Regionalisierungen liegt eine „kartographische Raumkonzeption“ zugrunde, bei der Standortentscheidungen zweckrational-wirtschaftlich handelnder Akteure im Vordergrund stehen (Werlen 1997: 259f.). Als ein anschauliches Beispiel nennt Werlen die Konsumtion von Wohnungen bzw. damit zusammenhängende Standortentscheidungen. Der Wohnung als Konsumgut komme im Zusammenhang mit alltäglichen Regionalisierungen insofern eine besondere Rolle zu, als dass Akteure ihre „unmittelbar körpervermittelten Tätigkeiten täglich von ihrem Standort – als Fix- und Ausgangspunkt zugleich – aus organisieren“, weshalb man Wohnungen auch als „alltagsweltliche ‚Operationsbasis‘“ bezeichnen könne (ebd.: 321). Die Antwort auf die Frage, welche Wohnung sich als Konsumgegenstand für 24
Handlungstheorien basieren auf spezifischen Modellen des handelnden Subjekts (z. B. homo oeconomicus) und berücksichtigen Werte und Normen bei der Zielorientierung des Handelnden bzw. das Wissen darüber (wissenschaftlich objektiv oder subjektiv) sowie die Rahmenbedingungen des Handelns (vgl. Werlen 1997: 256ff.).
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3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
einen Akteur eignet, hängt von der Marktsituation und den individuell verfügbaren Ressourcen ab. Hier wiederum spielen nicht nur wirtschaftliche Möglichkeiten eine Rolle, sondern auch die Frage des jeweiligen Lebensstils, womit insbesondere der Habitus25 Handelnder ins Zentrum der Betrachtung rückt (ebd.: 320). Vor diesem Hintergrund kann Wohnsegregation nach sozio-ökonomischen Kriterien als „räumliche Ordnung der Wohnstandorte der Subjekte nach Einkommensund Sozialstatus“, also als sozial-ökonomische Wertung von Wohnpositionen interpretiert werden (Werlen 1997: 321). Vor dem Hintergrund seines Konzeptes „alltäglicher Regionalisierungen“ geht Werlen davon aus, dass die Lokalisierung von Akteuren an Wohnstandorten eine große Bedeutung für ihre sozialen Interaktionsformen besitzt (ebd.) – angefangen von konkreten Anordnungen der materiellen Umgebung bis hin zur symbolischen Bedeutung der Wohnadresse für Handlungsweisen. Daher interessiere die Konsumtion von Wohnungen bzw. die Wohnstandortwahl weniger unter den Aspekten der räumlichen Verteilung oder der physischmateriellen Gegebenheiten der Wohnung, sondern es gehe vielmehr um deren „sozial konstituierten symbolischen Wert“ (ebd.: 322). Raum wird somit als sozialer Lebensstilraum und als Repräsentation sozialer Ausdifferenzierung verstanden (ebd.). Damit wendet sich Werlen dezidiert gegen eine Fokussierung auf „Raummuster“ beispielsweise der Wohnstandorte von Personen „mit bestimmten (…) für relevant gehaltenen Merkmalen“ und dadurch konstruierte räumliche Ordnungen. Im Vordergrund stehe nicht der „Raum“, sondern das „Subjekt“ (ebd.: 307). 25
Im Zentrum der Habitustheorie Bourdieus steht die Frage, „wie Akteure die gesellschaftliche Praxis, in die sie involviert sind, wahrnehmen, erkennen, erfahren“ (Schwingel 1995: 58). Ausgangspunkt ist die Annahme, Menschen seien in ihren Wahrnehmungen, ihrem Denken und Handeln nicht frei, sondern unterlägen spezifischen Dispositionen oder Anlagen, die „gesellschaftlich prädeterminiert“ (ebd.: 59), also nicht angeboren sind. Determinanten sind vielmehr die jeweilige Position von Akteuren bzw. Akteursgruppen innerhalb der Sozialstruktur sowie ihre soziale Laufbahn, womit Bourdieu die Abhängigkeit der Herausbildung unterschiedlichen Habitusformen von den jeweiligen Klassenverhältnissen und den darin zu machenden Erfahrungen betont. „Von der frühesten Kindheit an, vermittelt über die sozialisatorische Praxis, bestimmen die objektiv vorgegebenen materiellen und kulturellen Existenzbedingungen eines Akteurs, mithin die Lebensbedingungen seiner Familie und sozialen Klasse, die Grenzen seines Denkens, Wahrnehmens und Handelns“ (ebd.: 64). Die klassenspezifisch geprägten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata dienen damit der Orientierung von Individuen in der sozialen Welt; sie sind jedoch je nach Verfügbarkeit ökonomischer, sozialer und kultureller Kapitalressourcen wandelbar (ebd.: 61ff.). Nach Löw (2001: 189) kann das Habituskonzept über seine bisherige Beschränkung auf Klassenverhältnisse hinaus auch auf Einflüsse von Geschlecht bzw. geschlechtlicher Identifikation, Alter, Lebensform, physischen und geistigen Möglichkeiten sowie die Zugehörigkeit zu ethnischen oder religiösen Gruppen ausgeweitet werden. Werlen definiert „Habitus“ unter Bezugnahme auf Bourdieu als „Ausdruck gemeinsam geteilter symbolischer Codes und des Geschmacks“ (Werlen 1997: 316), der allerdings – im Gegensatz zu Bourdieu – ebenfalls nicht „strikt herkunfts-, klassen- oder schichtspezifisch“ zu verstehen, also weniger strukturalistisch ausgeprägt sei.
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
61
Aus dieser Perspektive lässt sich die „Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ an einem Wohnstandort nicht mehr als Phänomen „im“ Raum verstehen, sondern als Ergebnis von Handlungen unterschiedlicher Akteure wie Wohnungssuchende, Vermieter/innen bzw. Mitarbeiter/innen von (kommunalen) Wohnungsunternehmen, soziale ethnische Netzwerke, Mitarbeiter/innen des Sozialamtes. Im Vordergrund dieser Betrachtung stehen also nicht soziale Auffälligkeiten mit ihren Lageparametern, sondern soziale Prozesse mit ihren räumlichen Implikationen. Im Mittelpunkt der Betrachtung normativ-politischer Regionalisierungen steht die Raumkonzeption von Territorialisierung(en). Raumkonstituierendes Handeln bezieht sich dabei auf autoritative Ressourcen, durch die politische Kontrolle unter anderem im Sinne von „Raumbeherrschung“ erlangt werden kann. Das Handlungsspektrum von Akteuren hängt vor diesem Hintergrund in starkem Maße von der Durchsetzungsfähigkeit ihrer alltäglichen Regionalisierungen ab. Konkret nennt Werlen unter anderem geschlechtsspezifische, ethnische, status- und rollenspezifische Regionalisierungen als Beispiele für normative Regionalisierungen26 sowie administrative Regionalisierungen als Beispiel für politische „Raumbeherrschung“ (Werlen 1997: 261ff.). Letztere konkretisieren sich vor allem in Form von Verwaltungsregionen auf vier Ebenen (ebd.: 352f.): 䊏
Erstens wird die territoriale Form der verwaltungsspezifischen Region durch politisch-administrative Praktiken (in diesem Falle Grenzziehungen) gebildet, die – bezogen auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit – Ein- und Ausgrenzungen von Machtspielräumen (in diesem Falle für den Einsatz von Sonderfördermitteln bzw. die Programmumsetzung) definieren. 䊏 Zweitens umfasst ein derart konstruiertes administratives Territorium immer auch Bestandteile von Tradition und Geschichte, weshalb die Symbolik des räumlichen Ausschnitts mit dem Territorium als Ganzheit assoziiert wird. 䊏 Drittens entstehen im Territorium Institutionen und ein Verwaltungsapparat. 䊏 Viertens wird das Territorium als räumliche Einheit im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert, so dass eine dem Prinzip des „Behälterraums“ entsprechende „Quasi-Einheit von räumlicher Ausdehnung und sozialer Wirklichkeit“ entsteht (Werlen 1997: 353). Der administrative Stadtbezirk oder Stadtteil ist – im Gegensatz zu Nachbarschaft, „Viertel“, Quartier, „Kiez“ – ein Beispiel dafür.
26
Beispielsweise können ethnische Regionalisierungen zugleich als Ausdruck traditioneller Lebensformen (starke Übereinkunft von Lokalität und „Weltbindung“) und einer bewussten Gruppenzugehörigkeit gesehen werden. Statusspezifische Regionalisierungen werden unter anderem in einkommensabhängigen Segregationsmustern deutlich. Rollenspezifische Regionalisierungen spielen auf die gleichzeitige Zugehörigkeit von Akteuren zu unterschiedlichen sozialen Gruppen mit ihren spezifischen Regionalisierungen an (Werlen 1997: 347ff.).
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3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
Programmgebiete mit ihren Grenzen sind aus dieser Perspektive keinesfalls objektivierte Sachverhalte, sondern Ergebnisse des Handelns sozialer Akteure: Territorialisierung der Gebiete, aber auch administrativer Stadtbezirke oder Stadtteile, Aufbau von Institutionen im Territorium (z. B. Einrichtung eines Vor-Ort-Managements) sowie die Darstellung des Territoriums als sozial-räumliche Einheit, beispielsweise als „Sozialraum“, Programmgebiet bzw. als „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf“. Informativ-signifikativen Regionalisierungen schließlich liegt ein Handlungstyp zugrunde, der auf die „Konstitution von Sinn/Bedeutung“ Bezug nimmt. Damit rücken insbesondere die Kriterien Wissensaneignung und Wissensvorrat ins Zentrum der Betrachtung: „Was uns Dinge bedeuten, hängt vom Wissen ab, über das wir verfügen, dem verfügbaren Wissensvorrat“ (Werlen 1997: 379). Unter dieser Prämisse basieren informativ-signifikative Regionalisierungen unter anderem auf der symbolischen Bedeutungszumessung an räumliche Handlungskontexte27 aus der Perspektive einzelner Akteure – beispielsweise subjektive „emotionale Bezüge zu bestimmten Orten und Gegenden“ (ebd.: 264). Im Zentrum des Interesses steht also die Frage, welche „symbolische, emotionale und subjektive Bedeutung (…) bestimmte erdräumliche Ausschnitte“ – also zunächst nicht weiter definierte „Räume“ – aus der Perspektive Handelnder erlangen, wenn sie als „konkrete Räume“ konstituiert werden (vgl. Werlen 1997: 276). Damit wird „Raum“ zum „symbolisch-signifikanten“ Konzept, vor dessen Hintergrund – umgekehrt – Verräumlichungen sozialer Gegebenheiten als „verdinglichende, reifizierende Diskursform“28 betrachtet werden müssen, „bei der die soziale Komplexität auf räumliche Kategorien reduziert wird“ (ebd.: 414). Ein Beispiel dafür ist die Zuweisung des „Bedeutungsgehaltes ‚Drogenproblem‘ an die Aufenthaltsorte der Drogenszene“ (Werlen 1997: 413): Hier geht es – im Kontext Soziale Stadt betrachtet – nicht mehr um (individuelle) Suchtproblematik mit ihren sozialen und gesellschaftlichen Implikationen, sondern um die Zuweisung des Problems Drogensucht an bestimmte Raumzusammenhänge. Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, welche Akteure (Verwaltungsmitarbeiter/innen? Drogenkonsument/innen? Anwohner/innen?) auf welcher Wissensbasis Räume identifizieren und abgrenzen. 3.2.3
Löws Konzept der „Raumsoziologie“
Die Soziologin Löw konzentriert sich noch stärker als Werlen auf Prozesse der Raumproduktion. Sie geht von der Annahme aus, dass Raum eine relationale (An-) 27
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass einzelne Objekte und deren Anordnungen stets nur Bedeutungsträger sein können, nicht aber Bedeutungen selbst, die eben erst von Akteuren konstituiert werden müssen. Objekte und Anordnungen sind somit „Mittel der Symbolisierung“ (Werlen 1997: 264). 28 „Reifikationen beruhen allgemein auf einer Gleichsetzung von ‚Bedeutung‘ und ‚Vehikel‘ der Symbolisierung. Man hält dann das Vehikel der Bedeutungsrepräsentation für die Bedeutung selbst“ (Werlen 1997: 414).
3.2 Handlungstheoretische Raumkonzepte
63
Ordnung29 von sozialen Gütern30 und Menschen ist, die „ständig in Bewegung sind [physisch und durch die Zeit], wodurch sich die (An)Ordnung selbst ständig verändert“ (2001: 153). Löws These, dass sich auch Menschen in (An)Ordnungen (zueinander) befinden und damit Raum konstituieren, steht vielen (sozial)wissenschaftlichen Ansätzen gegenüber, in denen zwar davon ausgegangen wird, dass „Dinge“ Raum konfigurieren können, Menschen jedoch lediglich auf die Rolle der diese Dinge Wahrnehmenden oder Platzierenden verwiesen werden (Löw 2001: 154). Im Zusammenhang mit der (An)Ordnung sozialer Güter betont sie, dass lediglich deren materielle Eigenschaften angeordnet werden können – also Signifikanten –, die Kenntnis ihrer symbolischen Gehalte (Signifikation) jedoch Voraussetzung für das Verständnis dieser Anordnungen ist (Löw 2001: 153)31. Damit ist das „Lesen“ dieser (An)Ordnungen vom jeweiligen Subjekt – im Kontext dieser Arbeit zum Beispiel Verwaltungsmitarbeiterinnen, Quartiermanager vor Ort, Programmgebietsbewohner etc. – abhängig und unterscheidet sich von Fall zu Fall. Die alltägliche Raumproduktion geht also mit Wahrnehmungen einher, die allerdings je individuell vom „Habitus als einem ‚Wahrnehmungsschema‘“ geprägt sind, das je nach Sozialisation eines Individuums, seinem kulturellen bzw. religiösen Umfeld, seiner Bildung unterschiedliche Wahrnehmungsschwerpunkte ausbildet (siehe Fußnote 25; Löw 2001: 195ff.; vgl. auch Blotevogel 1995: 733). In den Bereich der Wahrnehmungen fällt auch diejenige der Atmosphäre eines Raumes32 inklusive seiner Grenzen. Nach Löws Konzept geht es dabei nicht um die singuläre Außenwirkung eines einzelnen Objektes oder Menschen, sondern um das Zusammenspiel dieser Wirkungen in ihrer räumlichen (An)Ordnung als Arrangement, die es unter anderem ermögliche, das „Ende von Räumen“ und den „Beginn neuer Räume“ durch die aktive Wahrnehmung der Atmosphäre eines Raums zu spüren (2001: 204ff.). Zwar würden Räume habitusabhängig über den jeweiligen Zugang zu (materiellen, Wissens-, Macht-) Ressourcen konstituiert, subjektive Präferenzen jedoch erst auf der Basis der Atmosphäre von Räumen getroffen, durch die sich Gefühle wie Zugehörigkeit oder Fremdheit, Wohlbefinden oder Unbehagen, Sicherheit oder Angst herausbilden (vgl. Löw 2001: 216). Zwar sieht Löws Konzept auch das konkrete Errichten beispielsweise von Grenzen, das Bauen (zum Beispiel von Häusern) und das Positionieren (von Menschen) in Relation zu bereits existierenden Platzierungen und Positionierungen vor, was sie als Spacing bezeichnet (2001: 158ff.). Voraussetzung dafür sei jedoch die unmittel29
Löws Begriff der (An)Ordnung weist sowohl die Handlungskomponente des Anordnens als auch die strukturierende Komponente der durch Räume geschaffenen Ordnung auf. 30 Als „soziale Güter“ bezeichnet Löw (2001: 153) „Produkte gegenwärtigen und vor allem vergangenen materiellen und symbolischen Handelns“. 31 Die (An)Ordnung von Menschen erlangt vor allem im „Raum“ zwischen ihnen Bedeutung – beispielsweise dürfte der räumliche Abstand zwischen Fremden größer sein als zwischen Bekannten. 32 Unter Atmosphären versteht Löw (2001: 205) „die in der Wahrnehmung realisierte Außenwirkung sozialer Güter und Menschen in ihrer räumlichen (An)Ordnung“.
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3 Theoretische Einbettung der Untersuchung
bar mit Spacing zusammenhängende Syntheseleistung des Verknüpfens bereits platzierter Güter und Menschen zu Raum wiederum „über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse“ (ebd.: 159). Im Ergebnis entstünden „Orte“ mit ihren materiellen und symbolischen (Aus)wirkungen als Konkretisierungen von Raum, wobei das Arrangement platzierter sozialer Güter und Menschen samt deren Außenwirkung mit dem Ort33 der Platzierung untrennbar verschmolzen wird: „Die Straße, in der man wohnt, die Geschäfte nördlich des eigenen Hauses, in denen man einkauft, und das Flußufer, an dem man sich zwar selten aufhält, das aber dem Erleben nach zum eigenen Raum dazugehört“ (ebd.: 199)34. Damit käme Orten eine zentrale Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit Raum zu, wobei nicht nur der Habitus der Synthetisierenden, sondern auch deren räumliche Positionierung ausschlaggebend sei: „Nicht alle Menschen synthetisieren vom selben Ort aus in gleicher Weise“, allerdings wiesen „Synthesen unterschiedlicher Personengruppen vom selben Ort aus mehr Gemeinsamkeiten auf (…) als von unterschiedlichen Orten“ (Löw 2001: 202). Damit erweitert sich – um die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit aufzugreifen – die potenzielle „Wahrnehmungs“-Kluft zwischen Verwaltungs- und alltagsweltlichen Akteuren um die Raumkategorie selbst („Schreibtisch“ versus „Straße“). Vor dem Hintergrund dieser Argumentationen wird sehr deutlich, wie stark Prozesse der Raumproduktion – und damit nicht nur der Ausweisung und Abgrenzung von Programmgebieten oder „Sozialräumen“, sondern auch der Konstituierung von Mikroräumen innerhalb dieser „Behälter“ – von der je subjektiven Bewertung des „vor Ort“ Vorzufindenden abhängig ist. Ebenfalls zeigt sich, wie groß die Unterschiede von Raumbewertungen sein können – aus Sicht unterschiedlicher Verwaltungsmitarbeiter/innen, unterschiedlicher Vor-Ort-Akteure bzw. aus den (allein schon aufgrund der unterschiedlichen Lokalisierungen der Synthetisierenden) potenziell wenig deckungsgleichen Betrachtungsperspektiven Verwaltungs- oder Alltagswelt. Diese Fragen stehen auch im Zentrum der Auseinandersetzungen mit „Raum“ im Zusammenhang mit der „Sozialraumorientierung“ in der kommunalen Jugendhilfe, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird. Dieser Diskurs liegt auf der Schnittstelle zwischen theoretischer Reflexion und Aufbereitung praktischer Umsetzungserfahrungen und bildet damit einen Übergang von der rein theoretischen Einbettung der Raumdiskussion hin zu umsetzungsorientierten programmatischen und konzeptionellen Überlegungen als Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln. 33
„Fragt man beispielsweise Untersuchungspersonen danach, wie sich der Raum ihres Stadtteils zusammensetzt, so wird man mit der Konstruktion des Raums gleichzeitig eine Reihe von Orten ausfindig machen“ (Löw 2001: 201). 34 Dies führt unter anderem dazu, dass Orte aufgrund ihrer auch symbolischen Bedeutung zumindest für eine gewisse Zeit weiter bestehen können, wenn Platziertes längst wieder entfernt wurde. Ein solcher Ort bleibt also, steht aber für neue spacing-Prozesse zur Verfügung (Löw 2001: 200).
4
Zwischen Theorie und Konzept: Überlegungen zu „Sozialraum“ und „Lebenswelten“ in der Jugendhilfe
Innerhalb der kommunalen Jugendhilfe ist ein zunehmender Trend von der fachsektoralen Ausrichtung35 hin zu einer integrativen „sozialräumlichen“ Orientierung zu beobachten. Dabei bezieht sich der Begriff des „Sozialraums“ zunächst auf ein durch „strukturelle oder soziale Merkmale“ abgrenzbares Territorium (Deinet 2002b: 31), also einen in der Regel vom kommunalen Jugendamt definierten Planungsraum – in der Terminologie Werlens handelt es sich um „administrative Regionalisierungen“ (vgl. Kapitel 3.2.2). Innerhalb dieser räumlichen Zuständigkeitsgrenzen bezieht sich „Sozialraumorientierung“ in erster Linie auf die Ausstattung mit Einrichtungen der Jugendhilfe bzw. auf die Frage, ob sie (noch) den aktuellen Bedarfen „vor Ort“ genügen. Deinet (2002b: 32) problematisiert die Territorialität eines so verstandenen „Sozialraums“ in mehrfacher Hinsicht. Erstens würden die Lebenszusammenhänge verschiedener sozialer Gruppen häufig viel kleinräumiger beschaffen sein, und zweitens entsprächen die Territorialgrenzen nicht den Grenzen der Handlungsradien von – in diesem Falle – Kindern und Jugendlichen als primärer Zielgruppe der Jugendhilfe36 (ebd.). Außerdem sei die Betrachtung der infrastrukturellen Ausstattung 35
Im Wesentlichen muss hierbei zwischen Kinder- und Jugendarbeit sowie den Hilfen zur Erziehung unterschieden werden. Ziel ersterer ist es, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen außerhalb des Elternhauses zu unterstützen und entsprechende Angebote vorzuhalten. Kinder- und Jugendarbeit ist dann fallunspezifisch; zu ihren „klassischen“ Angeboten gehören Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen (z. B. Jugendzentren) oder Spiel-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Beratungs- und Unterstützungsleistungen sowie mobile Angebote wie Streetwork. Die Verantwortung für Kinder- und Jugendarbeit liegt bei den öffentlichen Trägern (Jugendämtern), die jedoch private Träger einzubeziehen und zu unterstützen haben. Die fallspezifischen Hilfen zur Erziehung sind dagegen Leistungen der Jugendhilfe, auf die Sorgeberechtigte dann einen Rechtsanspruch haben, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (§ 27 Abs. 1 KJHG/SGB VIII). Zu solchen Leistungen gehören Erziehungsberatung, Gruppenarbeit, Erziehungsbetreuung und Familienhilfe bis hin zur Heimerziehung. 36 Im weiteren Sinne gehören auch die (familiären) Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen zur Zielgruppe der Jugendhilfe. Sie werden als „Ressourcen“ für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen betrachtet. T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Zwischen Theorie und Konzept
eines Planungsraums nicht am Individuum als Nutzer und Nachfrager orientiert, sondern folge lediglich räumlichen Verteilungsmustern (vgl. Deinet 2002c: 180). Damit thematisiert Deinet das in den vorherigen Kapiteln diskutierte Gegenüber von absolutem „Behälterraum“ und individuell konstituierten „Orten“ auf Basis von Erfahrungen aus dem Jugendhilfebereich Das Institut für soziale Arbeit (ISA) vertritt ähnliche Auffassungen wie Deinet und stellt fest, dass „die politisch-administrative Definition von Gebietseinheiten (…) keine Gewähr für eine auch im sozialwissenschaftlichen Sinne sinnvolle Definition und Abgrenzung“ ist (ISA 2001: 19). Bei pragmatisch abgegrenzten Gebieten, d. h. einer weitgehenden Angleichung von „Sozial“- an „Datenräume“ bzw. der Orientierung an politisch-administrativen Raumeinheiten wie Bezirken oder Stadtteilen bestehe unter anderem die Gefahr, dass diese Räume viel größer sind als die alltagsweltlichen Bezüge ihrer Bewohnerschaft. Deinet (2002c: 182f.) problematisiert darüber hinaus die meist nur geringe territoriale Deckungsgleichheit von „Sozialräumen“, politischen Verwaltungsbezirken und räumlichen Zuständigkeitsbereichen von Kirchen oder anderen freien Trägern der Jugendarbeit. Dazu konstatiert das ISA zusammenfassend, es müsse „gegenwärtig (…) davon ausgegangen werden, dass es keine entwickelten (und verbindlichen) Standards für die Größenbestimmung und Verfahren zur Festlegung regionaler Einheiten [„Sozialräume“37] gibt“ (ISA 2001: 20). Aufgrund der geschilderten Probleme plädiert Deinet (2002a: 14) für ein innovativeres Verständnis von „Sozialraum“ bzw. „Sozialraumorientierung“, das wesentlich auf der Abkehr vom alten Paradigma der Bindung von Kinder- und Jugendarbeit an die Einrichtungen der Jugendhilfe basiert. Im Vordergrund müsse vielmehr die Frage stehen, wie Kinder und Jugendliche ihren Stadtteil erleben. Damit spricht er das Konzept der „Lebenswelt“ an, das vom Individuum mit seinen sozialen und räumlichen Bezügen ausgeht. Problemwahrnehmung, Aufgabendefinition und räumlicher „Zuständigkeitsradius“ professioneller Akteure der Jugendhilfe definieren sich dabei aus der Perspektive ihrer Zielgruppen (vgl. Deinet 2002b: 32). Allerdings müssten nicht nur Wahrnehmungsunterschiede zwischen Verwaltungsakteuren und ihren Zielgruppen, sondern auch unterschiedliche Wahrnehmungen innerhalb der Bewohnerschaft eines „Sozialraums“ berücksichtigt werden, wie das ISA (2001: 16) ausführt. Es dürfe nämlich keinesfalls davon ausgegangen werden, dass ein „Sozialraum“ von Gebietsbewohner/innen als homogen rezipiert wird: „Der gleiche ‚Sozialraum‘ wird von unterschiedlichen (…) [Bevölkerungs- und/oder Altersgruppen] in unterschiedlicher Weise als ‚Lebenswelt‘ empfunden und definiert. (…) ‚Sozialraum‘ ist also nicht nur bebauter, bewohnter und administrativ strukturierter Raum, sondern immer auch wahrgenommener und erlebter Raum“. Betrachtet man diese Überlegungen wiederum vor dem Hintergrund der handlungs37
Der Begriff der „Regionalisierung“ bezieht sich im Kontext der Jugendhilfe auf „Sozialräume“ oder „Lebenswelten“.
4 „Sozialraum“ und „Lebenswelten“ in der Jugendhilfe
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theoretischen Raumkonzepte von Werlen und Löw, geht es bei „Lebenswelten“ um die je individuellen habitusabhängigen Wahrnehmungsmuster von Kindern, Jugendlichen und deren Familien in „Sozialräumen“ bzw. ihre „informativ-signifikativen Regionalisierungen“, die zur Herausbildung unterschiedlicher „Orte“ führen. Indem Scherr (2002: 65) darauf hinweist, die „Lebenspraxis“ von Kindern und Jugendlichen sei immer weniger an einen „geographisch eingrenzbaren Raum gebunden“, spricht er ein weiteres Dilemma des Gegenübers von „Sozialraum“ und „Lebenswelt“ an: Das Handeln „vor Ort“ lasse sich nicht mehr auf klar abgegrenzte „Räume“ beschränken. Insbesondere Schulen, Ausbildungs- und Arbeitsstätten oder Jugendeinrichtungen befänden sich oftmals außerhalb des territorialen „Sozialraums“, seien jedoch integrale Bestandteile der „Lebenswelten“ von Kindern und Jugendlichen. Auch hebt er – wie Werlen und Löw – die zunehmende Bedeutung des Internets und die damit entstehenden virtuellen „Netzräume“ hervor, die außerhalb physischer Raumkonfigurationen existieren (vgl. Scherr 2002: 65f.). Mit Blick auf eine Annäherung an „Raum“ im Zusammenhang mit einer „Sozialraumorientierung“ der Jugendhilfe schlägt das ISA vor, „Sozialräume“ zunächst pragmatisch im Sinne von Territorien auszuweisen, allerdings im laufenden Arbeitsprozess großes Augenmerk auf „lebensweltliche“ Belange zu legen. Es gehe darum, sich von der „Grobstruktur eines Sozialraums“ mit seiner – oftmals auf Basis quantitativer Daten erfolgten – administrativen Abgrenzung über seine „soziale Feinstruktur“, die vor allem durch Praxiserfahrungen der vor Ort tätigen professionellen Akteure zu erfahren sei, zur „Lebenswelt“ der im „Sozialraum“ wohnenden bzw. agierenden Zielgruppen zu bewegen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass die sozialen und räumlichen Bezüge der Zielgruppen nur zum Teil innerhalb des „Sozialraums“ verortet sind (ISA 2001: 17). Aus den in Kapitel 3 aufgezeigten raumtheoretischen Perspektiven bedeutet dies, zunächst die „administrativen Regionalisierungen“ von Verwaltungsakteuren zuzulassen, sie jedoch durch sukzessives Einbeziehen „informativ-signifikativer Regionalisierungen“ der Quartiersbevölkerung – also ihrer „Orte“ im Sinne Löws – immer stärker zu modifizieren. Vor diesem Hintergrund betont das ISA (2001: 17), wie wichtig es sei, sich der Unterschiede zwischen „Sozialraum“ und „Lebenswelt“ bewusst zu werden: „Eine Vernachlässigung der mit dem Begriff ‚Lebensweltorientierung’ einhergehenden Anforderungen [an eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Zielgruppen des ‚Sozialraumansatzes’] durch die unausgesprochene Annahme, dass der Lebensweltbegriff vermeintlich im Begriff der Sozialraumorientierung aufgehoben sei“, führe „zu beschränkten Sichtweisen“ der professionellen Akteure. Diese müssten sich vielmehr zwischen beiden „Welten“ bewegen: „Zu fragen ist gleichermaßen nach Lebenswelt wie nach Sozialraum sowie nach dem einzuschätzenden Grad der Überschneidung beider“ (ebd.). Damit gewinnen die Kommunikation und Kooperation verschiedener raumproduzierender Akteure mit ihren unterschiedlichen Wahrnehmungsmustern und Handlungszielen zentrale Bedeutung. Aus der Diskussion der Raumkonzepte „Sozialraum“ und „Lebenswelt“ sowie den zuvor dargestellten raumtheoretischen Überlegungen insbesondere Werlens und
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4 Zwischen Theorie und Konzept
Löws lassen sich zusammenfassend einige Prüffragen ableiten, die sich für eine Kontrastierung mit den Ergebnissen sowohl der Experten-/Gruppeninterviews (vgl. Kapitel 6) als auch der qualitativen Dokumentenanalysen (siehe nachfolgendes Kapitel) eignen: Hinweise auf „traditionelle“ Raumkonzepte 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏 䊏
䊏
䊏
Inwieweit steht bei der Betrachtung bzw. Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ die Vorstellung von „Raum an sich“ im Vordergrund? Inwieweit werden Objekte, Menschen und Prozesse als im Programmgebiet oder „Sozialraum“ „verortet“ betrachtet? Inwieweit wird das Programmgebiet oder der „Sozialraum“ mit diesen Objekten, Menschen und Prozessen gleichgesetzt? Wird Programmgebieten oder „Sozialräumen“ eine eigenständige „Raumwirksamkeit“ zugesprochen? Inwieweit wird davon ausgegangen, Akteure würden in „Abhängigkeit vom Raum“ (Programmgebiet bzw. „Sozialraum“) handeln? Inwieweit herrscht bei den Akteuren, die Programmgebiete oder „Sozialräume“ abgrenzen, Konsens über (Problem-)Beschaffenheit, Entwicklungspotenziale, Ausdehnung dieser „Räume“? Inwieweit werden Programmgebiete oder „Sozialräume“ (damit) als Ergebnisse bereits abgeschlossener Prozesse betrachtet? Inwieweit spielen bei der Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ Parameter wie Erreichbarkeit, Lage von Infrastrukturen, Veränderungen durch die Zeit eine zentrale Rolle? Inwieweit werden für die Abgrenzung bzw. Betrachtung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ „traditionelle“ Analyseinstrumente wie Strukturanalysen (Eigenschaften des Raums) genutzt? Werden Programmgebiete und „Sozialräume“ strikt abgegrenzt bzw. inwieweit bleiben die Grenzen flexibel/flexibilisierbar?
Hinweise auf Raumkonzepte auf der Basis des Handelns von Akteuren 䊏
Welche Akteure bzw. Akteursgruppen messen welchen Objekten und (An)Ordnungen (von Objekten und Menschen) im Rahmen ihrer Raumproduktionen habitusbedingt welche Bedeutungen zu? 䊏 Welche Akteure synthetisieren welche Räume aus welchen räumlichen Positionen heraus? 䊏 Wessen Sinn-/Bedeutungszuweisungen bzw. Raumsynthetisierungen werden bei der Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ berücksichtigt? Werden Perspektiven unterschiedlicher Akteure bzw. Akteursgruppen berück-
4 „Sozialraum“ und „Lebenswelten“ in der Jugendhilfe
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sichtigt? Inwieweit findet eine Reflexion über unterschiedliche Codes bzw. unterschiedliche Präferenzen verschiedener Akteursgruppen statt? 䊏 Inwieweit werden Raumgrenzen bzw. Räume als Produkte (eigener) individueller Handlungen verstanden und aufgefasst? Inwieweit sind sich die jeweiligen Akteure der Konstruktion von „Raum“ (lediglich) aus ihrer eigenen Perspektive bewusst? Reflektieren diese Akteure alternative Perspektiven anderer Akteure? 䊏 Inwieweit steht bei der Abgrenzung von Programmgebieten oder „Sozialräumen“ die Eingrenzung von Machtspielräumen von Politik und Verwaltung im Vordergrund? 䊏 Welche Rolle spielt (aus welchen Gründen) das Wohnortprinzip bei der Betrachtung bzw. Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“? Die hier angestellten Überlegungen zu unterschiedlichen Raumkonzepten bilden eine „Hintergrundfolie“ für das Verständnis und die Bewertung der in Kapitel 6 vorgestellten Ergebnisse der Experten- bzw. Gruppeninterviews (vgl. Kapitel 7.1 zur theoretischen Generalisierung der Interviewergebnisse). Auch dienen sie als Grundlage für die Bewertung der im folgenden Kapitel zusammengefassten Ergebnisse der qualitativen Analyse sowohl von übergeordneten Programmdokumenten im Rahmen der Sozialen Stadt sowie von URBAN II als auch der darauf basierenden kommunalen Umsetzungskonzepte – Integrierte Entwicklungskonzepte, Operationelle Programme – und damit den zentralen Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln.
5
Ergebnisse der Dokumentenanalyse: Programme und kommunale Konzepte der Stadtteilentwicklung als Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Mit Programmen zur integrierten Stadtteil- oder Quartiersentwicklung wird im politischen „Raum“ das übergeordnete Ziel verfolgt, einzelsektorale Versuche singulärer Problemlösungen hinter sich zu lassen und stattdessen ressortübergreifende, gebietsbezogene Ansätze der „ganzheitlichen“ Entwicklung „benachteiligter“ Stadtteile zu erproben. Eine Vorreiterrolle nahmen hier die beiden EU-Gemeinschaftsinitiativen URBAN (1994–1999) und URBAN II (2000–2006) ein, die erheblichen Einfluss nicht nur auf die Ausgestaltung des im Jahr 1999 gestarteten deutschen Programms Soziale Stadt, sondern auch auf vergleichbare Ansätze in anderen (west-) europäischen Ländern hatten (vgl. Franke/Strauss 2007). Die Programme gelten als „Motor“ für den gebietsbezogenen integrierten Handlungsansatz in Deutschland bzw. zählen zu dessen wichtigsten Rahmenbedingungen. Die Umsetzung von URBAN/URBAN II und der Sozialen Stadt basierte bzw. basiert auf Programmrichtlinien oder -informationen, die in kommunalen Konzepten operationalisiert wurden bzw. werden. Während auf der kommunalen Ebene die Integrierten Entwicklungskonzepte der Sozialen Stadt und die Operationellen Programme URBAN II sowohl von ihrer inhaltlichen Bandbreite als auch in ihrer Funktion als umfassende integrierte Stadtteilentwicklungskonzepte weitgehend vergleichbar waren oder sind, müssen die übergeordneten Programmdokumente differenzierter betrachtet werden. Im Falle von URBAN II wurden alle Vorgaben unter anderem zu Zielen, inhaltlichen Handlungsfeldern, Kriterien der Programmgebietsauswahl und Gebietsmanagement relativ detailliert in einer verbindlichen Leitlinie der Europäischen Kommission festgehalten (vgl. EuKom 2000). Bei der Sozialen Stadt muss dagegen die „Architektur“ der Bund-Länder-Programme berücksichtigt werden: Der Bund gibt den Programmrahmen vor, während die Bundesländer mit je eigenen Richtlinien die Bewilligungsinstanz sind, und die Kommunen als Programmnehmer entsprechende Anträge bei „ihrem“ Land stellen. Der Bund stellt ein Drittel der gesamten Fördersumme zur Verfügung; die weiteren Drittel müssen komplementär von den Ländern und Kommunen aufgebracht werden (vgl. Bauministerkonferenz 2000: 17). Die Finanzhilfen des Bundes, die auf einer jährlich zwischen Bund und Ländern abzuschließenden Verwaltungsvereinbarung (VV) basieren, können „auf der Grundlage von Art. 104a Abs. 4 GG für InvestitioT. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
nen städtebaulicher Maßnahmen zur innovativen, nachhaltigen Stadtentwicklung eingesetzt“ werden (ebd.: 16) 38. Für einen Vergleich der Leitlinie URBAN II mit den entsprechenden Richtlinien des Programms Soziale Stadt müssten eben jene Verwaltungsvereinbarung sowie die Programmrichtlinien der Bundesländer, in denen die im Rahmen dieser Untersuchung betrachteten Beispielkommunen liegen (vgl. Kapitel 5.2), herangezogenen werden – in diesem Falle also die Richtlinien Berlins, Nordrhein-Westfalens und Sachsens. Mit Ausnahme der Vorgaben des Landes Berlin, die aufgrund der Sondersituation des Stadtstaates eher den Charakter eines umfangreichen kommunalen Konzeptes haben und entsprechend in Kapitel 5.2 analysiert werden, enthalten diese Dokumente jedoch eher Durchführungsvorschriften und nur vergleichsweise wenige inhaltliche Aspekte der Programmumsetzung. Diese finden sich dagegen im „Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative ‚Soziale Stadt‘“, der als gemeinsamer Orientierungsrahmen über Inhalte und zur Konkretisierung des Programms auf Länderebene von der Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bauund Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der 16 Bundesländer39 (ARGEBAU) erarbeitet und herausgegeben wurde (vgl. Bauministerkonferenz, erste Fassung 1998, zweite Fassung 2000; Überarbeitung 2005). Er kann im Sinne einer „Selbstverpflichtung“ der am Programm teilnehmenden Bundesländer verstanden werden, auf den sie sich auch berufen. Da es in der vorliegenden Untersuchung vor allem um die inhaltlichen Rahmenbedingungen gebietsbezogenen Verwaltungshandeln geht, wurde für die Analyse übergeordneter Programmrichtlinien und -informationen neben den Leitlinien URBAN II also eben jener ARGEBAU-Leitfaden zur Sozialen Stadt in den Mittelpunkt der qualitativen Dokumentenanalyse gestellt. Deren Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt. Zu Grunde lagen dabei die in Kapitel 2.2 eingeführten Prüfkriterien 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, 䊏 Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“, 䊏 Akteure, die an der Zielfindung und der Gebietsabgrenzung zu beteiligen sind, sowie 䊏 Kriterien zur Ausgestaltung eines Gebietsmanagements. 38
In der Verwaltungsvereinbarung wird unter anderem hervorgehoben, das Städtebauförderungsprogramm Soziale Stadt sei „als eigenständiges Investitions- und Leitprogramm für Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ zu verstehen (Bauministerkonferenz 2000: 16). „Diese Investitionen übernehmen dabei eine Leitfunktion für die städtebauliche Gesamtmaßnahme. Dabei ist der Einsatz der Mittel der Städtebauförderung mit anderen Mitteln stadtentwicklungspolitisch relevanter Politikfelder zu einem integrativen Ansatz zu verknüpfen“ (ebd.). Auch die Bündelung des Ansatzes Soziale Stadt mit EU-Mitteln ist explizit vorgesehen (vgl. Bauministerkonferenz 2000: 18). 39 Der Bundesbauminister nimmt als Gast teil.
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
73
Jeweils am Ende eines (Unter-)Kapitels werden die Analyseergebnisse vor dem Hintergrund der zuvor diskutierten theoretischen Überlegungen zu einem handlungsorientierten Raumverständnis bewertet.
5.1
Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln: URBAN/URBAN II und die Soziale Stadt
Die am 15. Juni 1994 von der Europäischen Kommission beschlossene Gemeinschaftsinitiative40 URBAN (Laufzeit 1994 bis 1999) kann als Startpunkt für gebietsbezogene integrierte Ansätze der Stadtteilentwicklung in der Europäischen Union betrachtet werden. Anlass für die Initiative war die Beobachtung vieler der in Kapitel 2.1 geschilderten Entwicklungen in städtischen Teilgebieten, die von politischer Seite auf der EU-Ebene als problematisch bewertet wurden: Dies betrifft vor allem die Konzentration einiger „der gravierendsten Probleme (…) im Zusammenhang mit mangelnden wirtschaftlichen Perspektiven, niedrigen Einkommen und einer allgemein schlechten Lebensqualität“ auf bestimmte „städtische Gebiete“ (EuKom 1994a: 6) mit der Folge „sozialer Ausgrenzung in immer mehr Innenstädten und Stadtrandzonen“. Lokalökonomische und sozioökonomische Probleme bildeten neben einem „heruntergekommenen städtischen Gefüge, schlechten Wohnverhältnissen und einem Mangel an sozialen Einrichtungen“ (EuKom 1994a: 7) in den betreffenden Teilgebieten die Kernelemente des Begründungszusammenhangs. Auch das im Jahr 1999 aufgelegte deutsche Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ geht von ähnlichen Problemstellungen aus: Konzentration von „Benachteiligungen“ bzw. sich selbst verstärkende komplexe Problemlagen in bestimmten Wohnquartieren (vgl. Kapitel 2.1). 5.1.1
Programmvorgaben und -informationen: Ziele
Ziele von URBAN und URBAN II URBAN verfolgte übergeordnete und konkrete Ziele: Auf übergeordneter Ebene sollten in den beteiligten Kommunen innerhalb der Programmlaufzeit von vier Jahren modellhaft Strategien für den Umgang mit benachteiligten Stadtteilen erarbeitet 40
Gemeinschaftsinitiativen sind Strukturfonds-Programme, die auch außerhalb der Strukturfonds-Zielgebiete eingesetzt werden können, wenn dies von besonderem Interesse für die Europäische Union ist. Zu den Strukturfonds selbst gehören der Europäische Ausrichtungsund Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), das Finanzierungsinstrument zur Ausrichtung der Fischerei (FIAF), der im Zusammenhang mit URBAN wichtige Europäische Sozialfonds (ESF) sowie der ebenfalls URBAN-relevante größte Strukturfonds, der Kohäsionsfonds und Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
74
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
werden, die im Sinne von übertragbarer „good practice“ sowohl in die Gestaltung nationaler Politiken bzw. Förderprogramme als auch in kommunale Vorgehensweisen in solchen Städten einfließen sollten, die bisher nicht an der Gemeinschaftsinitiative teilgenommen hatten (vgl. EuKom 1994a: 7). Zwar wurde seitens der Europäischen Kommission von vornherein betont, dass „durch URBAN allein (…) nicht alle Probleme (…) gelöst werden“ können (EuKom 2002: 3), doch ging man davon aus, mit der Initiative dennoch wesentliche Elemente einer zukünftigen (europäischen) Stadt(teil)entwicklungspolitik erproben zu können, die folgende Elemente umfassen sollte (ebd.: 5): 䊏
integrierter Ansatz als „ganzheitliche Antwort auf die vielschichtigen Probleme des Gebiets“, 䊏 Fokussierung auf relativ kleine Gebiete („value for money“; siehe weiter unten), 䊏 Verwaltungsvereinfachung durch Bereitstellung eines Monofonds41, 䊏 Kooperation von Verwaltungs- mit lokalen Akteuren; Beteiligung von Akteuren außerhalb von Politik und Verwaltung an der Stadt(teil)entwicklung. Die konkreten Ziele von URBAN sollten sich an den komplexen Problemlagen in „städtischen Problemgebieten“ orientieren und zur Verbesserung der „Lebensqualität der Bewohner der betreffenden Gebiete“ beitragen bzw. sich an „dem menschlichen Potential und den Möglichkeiten für die Initiierung einer positiven Dynamik in den ausgewählten Wohngebieten“ orientieren. Zu den Detailzielen gehörten: 䊏
Förderung von Unternehmensgründungen, Verbesserung von (sozialen) Infrastrukturen mit Ausnahme des Bereichs Wohnen, 䊏 Verbesserung des Angebots an Fortbildungsmöglichkeiten und sozialen Einrichtungen, 䊏 Verbesserung der baulich-physischen Umgebung. 䊏
41
Die Forderung nach intensiver Kooperation bezog sich auch auf die Finanzierung von Maßnahmen und Projekten: Hierfür wurden sowohl der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) als auch der Europäische Sozialfonds (ESF) eingesetzt, so dass im Sinne eines Globalzuschusses gleichzeitig investive und nicht-investive Mittel bereitgestellt wurden, „die jedoch durch weitere Quellen ergänzt werden müssen“ (EuKom 1994a: 6). Dieser Globalzuschuss wurde im jeweiligen Mitgliedstaat von einer vermittelnden Stelle verwaltet, die für die gesamte Programmdurchführung verantwortlich war (EuKom 1994b: 4f.). Die URBAN-finanzierten Maßnahmen und Projekte sind im Sinne von „Schlüsselmaßnahmen“ lediglich als „Katalysatoren innerhalb eines breit angelegten Konzeptes“ zu verstehen, durch das weitere öffentliche und private Mittel zu mobilisieren waren („Multiplikatoreffekt“; EuKom 1994a: 7).
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
75
Quer dazu hatten Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit von Frauen, zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit sowie zur Verbesserung der Umweltsituation Priorität (vgl. EuKom 1996: 4)42. Der übergeordnete Förderschwerpunkt lag auf der „Schaffung von Arbeitsplätzen auf lokaler Ebene“ (EuKom 1994a: 7) – Kommunalverwaltungen sollten dabei unterstützt werden, „durch die Bereitstellung der erforderlichen Einrichtungen wirtschaftliche Tätigkeiten anzuziehen, in der lokalen Bevölkerung ein Klima der Zuversicht zu schaffen und sie in ein normales wirtschaftliches und soziales Leben einzugliedern“ (ebd.: 6). Diese Ziele wurden jedoch in den Programmunterlagen nicht weiter konkretisiert; vielmehr spricht aus ihnen erstens die Vorstellung, in „benachteiligten“ Quartieren tatsächlich einen Wandel in Richtung gesamtstädtischer Durchschnittswerte erreichen zu können, und zweitens, dies vor allem „top down“ regulieren zu müssen. Als direktes Nachfolgeprogramm wurde im Frühjahr 2000 URBAN II „zur wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung von städtischen Gebieten“ mit einer Laufzeit von 2001 bis 2006 aufgelegt (EuKom 2000: 2). In den Leitlinien zur Programmumsetzung wurde deutlich Bezug auf das Vorgängerprogramm genommen43. Nach wie vor ging es um die „Bewältigung der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Probleme“ in benachteiligten Großstadtgebieten (ebd.). Die übergeordnete Zielsetzung von URBAN II lag in der Fortführung integrierter Konzepte, die „aus einem Bündel von Maßnahmen zur Sanierung von veralteter Infrastruktur sowie wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Maßnahmen“ bestehen sollten, ergänzt „durch Maßnahmen zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und zur Verbesserung der Umweltqualität“ (ebd.: 2). Im Einzelnen waren Maßnahmen unter anderem in folgenden Handlungsfeldern förderfähig (ebd.: 3ff.): 42
Die Liste förderfähiger Maßnahmen umfasste unter anderem die Einleitung neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten (unter anderem durch die Unterstützung bzw. Beratung lokaler Gewerbetreibender und Existenzgründer/innen oder die Initiierung von public private partnerships), die Sicherung der Beschäftigung auf lokaler Ebene (unter anderem durch Fortbildung und Sprachförderung der lokalen Bevölkerung, beschäftigungsbezogene Beratung, lokale Beschäftigungsprojekte), die Verbesserung von Einrichtungen in den Bereichen Sozialwesen (unter anderem Kindergärten und Kindertagesstätten), Gesundheit und Sicherheit, die Verbesserung der Infrastrukturen und der Umwelt in Kopplung mit den anderen genannten Handlungsfeldern (unter anderem Gebäudesanierung oder -modernisierung zwecks Nutzung für wirtschaftliche oder soziale Zwecke, Sanierung von Brach- und Grünflächen, Verbesserung des Angebots an Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen) (vgl. EuKom 1994a: 8). 43 URBAN und URBAN II ähnelten sich inhaltlich sehr stark. Neuerungen waren allerdings auf der Verfahrensebene hinzugekommen. So konnten nun auch kleinere und mittlere Städte in das Programm aufgenommen werden, die Programmverwaltung wurde auf die jeweilige kommunale Ebene dezentralisiert, die Finanzierung in EFRE zusammengezogen, aus dem nun auch förderfähige ESF-Maßnahmen finanziert werden konnten, und für den Erfahrungsaustausch ist das Netzwerkprogramm URBACT aufgelegt worden (vgl. EuKom 2002: 10f.).
76
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
䊏
Gemischte Nutzung von städtischen Gebieten und umweltfreundliche Neuerschließung von Industriebrachen: unter anderem Sanierung bzw. Modernisierung von Gebäuden; Grün-, Brachflächen- und Altlastensanierung; 䊏 Unternehmertum und Beschäftigungsbündnisse: unter anderem Unterstützung bzw. Beratung von Unternehmer/innen, Unterstützung beschäftigungswirksamer Projekte vor Ort, Bereitstellung von Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen, „sofern sie zur Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze bzw. zum sozialen Zusammenhalt beitragen“ (EuKom 2000: 13), Einrichtung von Kindergärten und Kindertagesstätten sowie von Betreuungsmöglichkeiten und Dienstleistungen für ältere Menschen; 䊏 Integration von ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen und erschwinglicher Zugang zu Basisdienstleistungen: unter anderem Beratung, Fortbildung, Sprachförderung, lokale Wiedereingliederungsprojekte für (Langzeit-)Arbeitslose, Aus- und Weiterbildungsangebote insbesondere für die (Wieder-)Eingliederung von benachteiligten und ausgegrenzten Personen, Investition in Bildungsund Gesundheitseinrichtungen, Gewährleistung öffentlicher Verkehrsverbindungen; 䊏 Entwicklung des Potenzials der Technologien der Informationsgesellschaft: unter anderem Einrichtung von Informationssystemen – möglichst mit Beschäftigungseffekten – oder die Unterstützung des Gebrauchs von Informations- und Kommunikationstechnologien. Ziele des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ Als übergeordnetes Ziel der Sozialen Stadt wird im ARGEBAU-Leitfaden genannt, „eine nachhaltige Entwicklung in Stadt- und Ortsteilen mit besonderen sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Problemen“ im Sinne eines Rahmens für eine zwischen Bund und Ländern abzustimmende „Strategie gegen die soziale Polarisierung in den Städten“ zu initiieren (Bauministerkonferenz 2000: 2). Die Soziale Stadt erhebt den Anspruch, Prozesse zu initiieren, durch die sich „soziale (…) Problemgebiete zu selbständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunftsperspektive“ entwickeln können (ebd.: 4). Der Leitfaden enthält einen Katalog von Handlungsfeldern inklusive Zielen und Maßnahmen, in denen sich die Eckpunkte des neuen Programmansatzes wiederfinden. Genannt werden unter anderem: 䊏
Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung: Stärkung der lokalen Wirtschaft, Förderung von Existenzgründungen, Entwicklung und Sicherung lokaler Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten, Qualifizierung, Beratung und Vermittlung von Arbeitsuchenden, Förderung nicht-monetärer Möglichkeiten der lokalen Wertschöpfung wie Stadtteilwerkstätten, Quartiersbetriebe, Tauschringe (vgl. Bauministerkonferenz 2000: 5f.).
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
77
䊏
Soziale, kulturelle, bildungs- und freizeitbezogene Infrastruktur: „Verbesserung des Infrastrukturangebotes im Interesse des sozialen Ausgleichs“44 (Bauministerkonferenz 2000: 7) unter anderem durch die Einrichtung von Treffpunkten, Freizeit-, Sport- und Fortbildungseinrichtungen (Bauministerkonferenz 2000: 7f.). 䊏 Wohnen: Modernisierung bzw. Verbesserung und damit Steigerung der Attraktivität der Wohnsituation, Sicherung preiswerten Wohnraums und von Belegungsrechten, Verhinderung von Verdrängungsprozessen, Wiederherstellung und Erhalt gemischter Bewohnerstrukturen, Stärkung der Identifikation mit Wohnung und Wohnumfeld durch bauliche Maßnahmen wie Wohnungsinstandsetzung und -modernisierung sowie wohnungswirtschaftliche Maßnahmen wie Mietkostenbegrenzung oder eine auf Durchmischung zielende Belegungspolitik, Mieteraktivierung unter anderem durch die Einrichtung von Mietergärten, Unterstützung nachbarschaftlicher Netzwerke beispielsweise durch die Bereitstellung von Räumen (Bauministerkonferenz 2000: 8f.). 䊏 Wohnumfeld und Ökologie: Verbesserung und damit Steigerung der Attraktivität des Wohnumfeldes, Verbesserung von Sicherheit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, Verbesserung des Angebots und der Nutzungsmöglichkeiten von Freiflächen unter anderem durch die Gestaltung von Straßen, Plätzen, Grünund Freiräumen, die Einrichtung von Spiel- und Sportplätzen, die Gestaltung von Schul- und Innenhöfen, die Einrichtung von Mietergärten sowie die Verbesserung des Wegenetzes (Bauministerkonferenz 2000: 9f.). Insgesamt fällt auf, dass die Zielsetzungen beider Programmansätze zunächst Bestandteile wenig konkretisierter Globalansprüche sind bzw. waren: Im Falle von URBAN sollte es generell darum gehen, „die Lebensqualität der Bewohner der betreffenden Gebiete zu verbessern“ und sich „speziell dem menschlichen Potential und den Möglichkeiten für die Initiierung einer positiven Dynamik in den ausgewählten Wohngebieten“ zu widmen (EuKom 1994b: 4). In den entsprechenden Richtlinien wurde allerdings weder näher definiert, was unter „Lebensqualität“ und „menschlichem Potential“ aus wessen Sicht zu verstehen ist, noch wie sich eine „positive Dynamik“ darstellen soll und wer darüber befindet, wann sie erreicht ist. Ähnlich verhält es sich mit den übergeordneten Zielen des Programms Soziale Stadt, wonach es darum geht, mittels Verbesserung der Lebensbedingungen und individuellen Lebenschancen in den Quartieren „soziale (…) Problemgebiete zu selbständig in die Stadt integrierten Stadtteilen mit positiver Zukunftsperspektive“ zu entwickeln (Bauministerkonferenz 2005: 4). Auch hier bleibt unklar, unter welchen 44
„Der Bedarf an Gemeinschaftseinrichtungen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ist (…) [in benachteiligten Stadtteilen] besonders hoch, weil die Bewohnerinnen und Bewohner der Quartiere in Bezug auf Ausbildung, soziale Vernetzung, Arbeitsplätze, mit Beschäftigung ausgefüllte Zeit, Gesundheitsvorsorge, Kaufkraft und Mobilität gegenüber anderen im Nachteil sind“ (Bauministerkonferenz 2000: 7).
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Bedingungen eine solche Integration erreicht ist, und wer auf welcher Grundlage „positive Perspektiven“ bescheinigen kann oder soll. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3.2 angestellten raumbezogenen handlungstheoretischen Überlegungen bleibt damit zunächst völlig unklar, wer – jenseits einer rein technischen Abwicklung – die zentralen Akteure einer Programmumsetzung sein sollen. Geht es tatsächlich um die zu verbessernden „Lebensbedingungen vor Ort“, müssten die Quartiersbewohner/innen als die wahren „Expert/innen“ für eben jene Fragen ebenso involviert werden wie Verwaltungs- und andere professionelle Akteure, die zumindest potenziell über die für eine solche Verbesserung notwendigen Ressourcen verfügen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche (ergebnis-) offene Einbeziehung eines breiten Akteursspektrums in die Quartiersentwicklung angesichts der vergleichsweise umfassenden Zielvorstellungen, die aus der Wahrnehmung der „programmgebenden“ (professionellen) Akteure aus Wissenschaft, Politik und Verwaltungen bereits vorformuliert wurden, tatsächlich realisiert werden kann, obwohl die Bedeutung von Aktivierung und Beteiligung der Gebietsbevölkerungen und anderer lokaler Akteure im Rahmen der Zielentwicklung immer wieder betont wird (siehe Kapitel 5.2). In den Programmrichtlinien bzw. -informationen wird zwischen „harten“ Zielen vor allem aus dem baulich-städtebaulichen Bereich sowie eher „weichen“, überwiegend soziale Belange betreffenden Zielen differenziert. Daraus ergeben sich mindestens zwei Implikationen, die (ebenfalls) den Konkretisierungsgrad sowie die Adressaten bzw. Gegenstände der Zielsetzungen betreffen. Zur Zielkonkretisierung kann festgestellt werden, dass sich diese aus der Perspektive der „Programmgeber“ zumindest im sozio-ökonomischen und wirtschaftlichen Bereich – bei aller Problematik im Detail – wenigstens teilweise an statistisch messbaren Größen für bestimmte „Raumeinheiten“ orientieren kann: Zahl von Arbeitslosen, Empfänger/innen staatlicher Transferleistungen, Insolvenzen, Existenzgründungen etc. Im Zusammenhang mit baulich-städtebaulichen Fragestellungen können aus Expertensicht der zuständigen kommunalen Verwaltungsressorts oder Wohnungsunternehmen ebenfalls konkrete Zielvorgaben für bestimmte „räumliche Gegebenheiten“ formuliert werden – zum Beispiel der Grad von Sanierung und Modernisierung sowie der Zustand technischer Infrastrukturen in bestimmten Gebieten oder die Erreichbarkeit der betreffenden Quartiere. Bei den sozialen Belangen wird die Zielkonkretisierung aus der „Draufsicht“ jedoch schwierig, da sich Fragen intakter oder nicht (mehr) intakter sozialer Netzwerke und ihrer „Verräumlichungen“, individueller Betroffenheit von psycho-sozialen Problemen, der Identifikation von Gebietsbewohner/innen mit dem eigenen Wohngebiet oder der gefühlten (Un-) Sicherheit vor der eigenen Haustür – alles Aspekte individueller Raumsynthetisierungen „vor Ort“ – weder (ausreichend) statistisch messen noch aus der Verwaltungsperspektive (erschöpfend) einschätzen lassen. Spätestens an dieser Stelle muss abermals die Frage nach den zieldefinierenden Ak-
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
79
teuren bzw. dem Grad der Einbeziehung insbesondere von Quartiersbewohner/innen gestellt werden. Aus der Perspektive der „Programmgeber“ wird in den Dokumenten generell zwischen objektbezogenen Zielen und ihren „Verräumlichungen“ – Sanierung von Wohngebäuden, Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, Begrünung des öffentlichen Raums – und subjektbezogenen Zielen unterschieden. Letztere weisen allesamt die Gemeinsamkeit auf, an Akteure gerichtet zu sein, denen seitens der „programmgebenden“ Akteure das Attribut „benachteiligt“ zugeschrieben wird, und die sich aus dieser Perspektive im Territorium Programmgebiet befinden. Diese „Adressaten“ jedoch synthetisieren ebenfalls „Raum“ – und entsprechende Grenzen – aus ihren eigenen Wahrnehmungen heraus bzw. handeln „alltäglich“ raumrelevant aus der „Vor-Ort“-Perspektive (siehe Werlen und Löw in Kapitel 3.2). Damit stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Programmgebiete abgegrenzt werden sollen, die sowohl im Falle von URBAN/URBAN II als auch der Sozialen Stadt eine wesentliche Voraussetzung für eine Programmteilnahme waren bzw. sind. 5.1.2
Programmvorgaben und -informationen: Fördergebiete und ihre Abgrenzungen
Der Gebietsbezug bildet die Grundlage für die Identifizierung von Problemen und Potenzialen der Programmgebiete und damit auch für Kommunikation und Kooperation zwischen allen beteiligten bzw. zu beteiligenden professionellen und nichtprofessionellen Akteuren. So wird er zum Fokus bzw. zur gemeinsamen Ausgangsbasis für integrierte Ansätze der Entwicklung „benachteiligter“ Stadtteile. Abgrenzung bzw. Ausweisung von Programmgebieten im Rahmen von URBAN/ URBAN II Die Europäische Kommission ging im Zusammenhang mit URBAN und URBAN II davon aus, dass sich großstädtische „Problemviertel“ anhand von Indikatoren wie Arbeitslosenrate, Anteil der Empfänger/innen staatlicher Transferleistungen, soziale und ethnische Bevölkerungszusammensetzung, Bildungsniveau der lokalen Bevölkerung, Kriminalitätsrate, Wohn- und Wohnumfeldsituation, räumliche Erreichbarkeit oder Ausstattung mit lokaler Infrastruktur klar abgrenzen lassen. Als Basis für einen solchen Datenraum wurden „vorhandene Verwaltungseinheiten wie ein Stadtbezirk, eine Gemeinde oder auch kleinere Einheiten in einer dicht bevölkerten Zone“ angenommen (EuKom 1994a: 7). Potenzielle Fördergebiete konnten, mussten jedoch nicht innerhalb von Ziel-1- oder Ziel-2-Gebieten liegen, sollten aber zumindest drei der folgenden Kriterien erfüllen, die möglichst zu quantifizieren45 waren (EuKom 2000: 5 und o. D.: 5): 45
Dezidiert wurden quantitative Angaben unter anderem zur Einkommens- und Beschäftigungssituation eingefordert (EuKom o. D.: 11).
80 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
unzureichende lokale Wirtschaftssituation, überdurchschnittlicher Anteil von Langzeitarbeitslosen, niedriges Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau der lokalen Bevölkerung, hohe Schulabbrecherquote, überdurchschnittliche Armut, überdurchschnittlicher Migrantenanteil, überdurchschnittliche Kriminalitätsrate, vergleichsweise starke Umweltschäden.
Fördergebiete sollten außerdem „einheitliche Probleme und räumliche Merkmale aufweisen“ (EuKom 2000: 5 und 7), an denen erkennbar wurde, dass in den betreffenden Gebieten eine „wirtschaftliche und soziale Wiederbelebung erforderlich ist oder daß eine Krisensituation vorliegt“ (ebd.: 5) – alle Kriterien bzw. Charakteristika waren ebenfalls auf Basis statistischer Indikatoren nachzuweisen. Zu den Kriterien gehörten auch eine „problematische Bevölkerungsentwicklung“, ein „erhöhtes Maß an Ausgrenzungen“ sowie ein „besonderer Umstellungsbedarf aufgrund lokaler wirtschaftlicher und sozialer Schwierigkeiten“ (ebd.), für die jedoch nicht weiter spezifiziert wurde, was darunter zu verstehen ist. Eine besondere Rolle für die Fördergebietsabgrenzung spielte das Verhältnis von eingesetzten Finanzmitteln zur Größe der Gebietsbevölkerung unter dem Effizienzkriterium „value for money“, das sich beispielsweise in der Sichtbarkeit von Ergebnissen zeigen sollte (vgl. vor allem EuKom 2002: 5): URBAN II-Gebiete mussten so zugeschnitten sein, dass pro Einwohner/in mindestens 500 Euro der zur Verfügung stehenden Mittel über die gesamte Laufzeit zugewiesen werden konnten (EuKom 2000: 11). Weitere Auswahlkriterien unter Effizienzgesichtspunkten waren eine bereits ex-ante erkennbar hohe Wahrscheinlichkeit, die aus Sicht von Kommunalverwaltungen im Gebiet vorhandenen Potenziale tatsächlich entwickeln zu können, sowie die Eignung der vorgeschlagenen Maßnahmen als „Flaggschiffprojekte auf nationaler und europäischer Ebene“ (EuKom 2000: 7). Außerdem sollten URBAN IIGebiete eine Mindestbevölkerungszahl von in der Regel 20.000 Einwohner/innen aufweisen46, um zwangsläufig auch einen „Flächeneffekt“ zu erzielen (EuKom 2002: 11). Insgesamt legte die EU-Kommission mit ihren Kriterien also die für eine Programmteilnahme erforderliche Gebietsgröße fest, ohne nennenswerte Spielräume für flexiblere Lösungen vorzusehen. Damit geriet das Vorhaben URBAN II von vornherein unter Leistungs- bzw. Erfolgsdruckdruck, und es stellt sich die Frage, ob unter anderen inhaltlichen Gesichtspunkten nicht auch andere Programmgebiete 46
Ein Programmgebiet mit rund 20.000 Einwohner/innen gilt aus der EU-Perspektive unter Effizienzgesichtspunkten als „klein“ („value for money“) (EuKom 2002: 3): „Die relativ kleinen Gebiete und die geringe Bevölkerungszahl, die durch URBAN II abgedeckt wird, ermöglichen eine hohe Intensität der Unterstützung. (…) Obwohl der Beitrag der Gemeinschaft pro Einwohner alleine genommen das praktischste Mittel ist, um die Intensität der Unterstützung zu messen, hat ein hohes Niveau der Unterstützung pro km2 wichtige Folgen für die lokale Planung und die Erneuerung städtischer Flächen“ (EuKom 2002: 11).
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
81
hätten ausgewählt werden können. Anders gefragt: Wären unter anderen Abgrenzungskriterien „bedürftigere“ Quartiere anstelle von Gebieten ausgewiesen worden, in denen eher Entwicklungserfolge absehbar waren?47 Abgrenzung bzw. Ausweisung von Programmgebieten im Rahmen der Sozialen Stadt Auch beim deutschen Programm Soziale Stadt steht der Raumbezug im Sinne einer Ausweisung bzw. Abgrenzung von Fördergebieten im Mittelpunkt der Programmumsetzung, was sich allein schon aus der Tatsache begründet, dass es unter dem Dach der Städtebauförderung durchgeführt wird: „Die soziale Stadterneuerung ist als städtebauliche Maßnahme gebietsbezogen (insbesondere §§ 104 bis 142 BauGB)“ (Bauministerkonferenz 2000: 14). Im Vergleich zu den URBAN-Ansätzen werden jedoch deutlich weniger Angaben zu gewünschter Beschaffenheit oder Charakter der Programmgebiete gemacht. Im ARGEBAU-Leitfaden heißt es zunächst vergleichsweise pauschal, die Situation der „Benachteiligung“ betreffe vor allem „innerstädtische oder innenstadtnahe (oft gründerzeitliche) Quartiere“ und „große Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit“ sowohl in West- als auch in Ostdeutschland sowie „Wohnsiedlungen der abgezogenen Streitkräfte“ (ebd.: 2f.). Konkreter sollen „hochverdichtete, einwohnerstarke Stadtteile“ adressiert werden, die im Hinblick auf ihre Sozialstruktur und das Ausbildungsniveau ihrer Bevölkerungen, die Verfügbarkeit lokaler Arbeitsplätze, das Angebot sozialer und kultureller Infrastruktur, ihren baulichen Bestand, die Wohnungs- und Wohnumfeldqualität sowie Umweltbeschaffenheit „erhebliche Defizite aufweisen“ (Bauministerkonferenz 2000: 2). Vor diesem Hintergrund spielen bei der Gebietsabgrenzung sicherlich auch statistische Indikatoren eine wichtige Rolle, doch wird erstens darauf verzichtet, Kategorien oder Richtgrößen vorzuschlagen, und zweitens sollen auch qualitative Angaben zu gesamtstädtischen Entwicklungszielen als Rahmen für eine Programmteilnahme berücksichtigt werden: „Die Städte und Gemeinden haben die Gebietsauswahl vorzunehmen. Als Voraussetzung dafür ist eine übergreifende schriftliche Darstellung der beabsichtigten Entwicklung im gesamten Gemeindegebiet (…) erforderlich (…). Diese Darstellung muss auf alle wesentlichen Lebensbereiche eingehen. Für die Fördergebiete ist nachzuweisen, dass sie hinsichtlich ihrer komplexen Defizite deutlich von den Durchschnittswerten abweichen“ (Bauministerkonferenz 2005: 13)48.
Wie dies genau geschehen soll, wird allerdings nicht weiter ausgeführt. 47
Die endgültige Festlegung der Programmgebiete erfolgte formal durch die Mitgliedstaaten, konkret im Falle Deutschlands durch die jeweiligen Bundesländer und betroffenen Kommunen. 48 Weitere Angaben zur Fördergebietsauswahl beschränken sich auf Fragen des technischen Verfahrens. So sei eben jenes auf kommunaler Ebene transparent zu regeln (Bauministerkonferenz 2000: 11). Ferner wird festgehalten, dass „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ sowohl als Sanierungsgebiete förmlich festgelegt werden können als auch außerhalb (Fortsetzung auf S. 82)
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Damit bleiben die Überlegungen zur Abgrenzung von Programmgebieten zumindest der Sozialen Stadt vergleichsweise unkonkret, lassen dadurch jedoch wesentlich mehr Spielräume zu als es bei URBAN und URBAN II der Fall war. Dies wird auch in § 171e BauGB deutlich, in dem es heißt: „Die Gemeinde legt das Gebiet, in dem die Maßnahmen durchgeführt werden sollen, durch Beschluss fest. Es ist in seinem räumlichen Umfang so festzulegen, dass sich die Maßnahmen zweckmäßig durchführen lassen“ (eigene Hervorhebung).49 Die Programmvorgaben und -informationen im Rahmen von URBAN II und der Sozialen Stadt lassen sich vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 ausgeführten raumtheoretischen Überlegungen wie folgt zusammenfassen: Der Umsetzung beider Programme lag bzw. liegt die Ausweisung strikt abgegrenzter Programmgebiete und damit das Konzept eines „Behälterraums“ zu Grunde. Im Falle von URBAN II handelte es sich dabei überwiegend um bereits existierende Verwaltungseinheiten wie administrative Bezirke oder Stadtteile, also Territorien im Sinne Werlens, die von Akteuren auf der Ebene von Kommunalverwaltungen und -politik bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausgewiesen worden sind („administrative Regionalisierungen“). Die Qualifizierung solcher Territorien für eine Programmteilnahme erfolgte anhand bestimmter statistischer Indikatoren, die von der EU-Kommission ebenso vorgegeben wurden wie die Mindesteinwohnerzahl der Fördergebiete. Damit waren es nicht nur kommunale Akteure, die im Zusammenhang mit der Umsetzung von URBAN II „Raum“ produzierten, sondern mittelbar auch diejenigen, die auf der Ebene des „Programmgebers“ die zu erfüllenden Auswahlparameter festgeschrieben haben. Dies bedeutet also, dass die Verantwortlichen in den betreffenden Kommunen die erforderlichen „administrativen Regionalisierungen“ keinesfalls autark vornehmen konnten. Anders verhält es sich bei der Gebietsausweisung im Zusammenhang mit der Sozialen Stadt. Zwar entsprechen die Programmgebiete auch hier „administrativen Regionalisierungen“ kommunaler Akteure. Allerdings steht es den betreffenden Ver48
(Fortsetzung von S. 81) von Sanierungsgebieten förderfähig sind; eine entsprechende Entscheidung sei Ländersache (ebd.: 13). Schließlich wird ein Beschluss der Gemeindevertretung über die Gebietsabgrenzung eingefordert, „um die Koordination in der Gemeindeverwaltung kommunalpolitisch sicherzustellen“ (ebd.: 14). 49 Seit seiner Novelle von 2004 heißt es weiter: „Grundlage für den Beschluss (…) ist ein von der Gemeinde unter Beteiligung der Betroffenen (§ 137) und der öffentlichen Aufgabenträger (§ 139) aufzustellendes Entwicklungskonzept, in dem die Ziele und Maßnahmen schriftlich darzustellen sind“ (§ 171e, Abs. 4 BauGB), und bei der „Erstellung des Entwicklungskonzeptes und bei seiner Umsetzung sollen die Beteiligten in geeigneter Form einbezogen und zur Mitwirkung angeregt werden“ (§ 171e, Abs. 5 BauGB). Insgesamt wird betont, Maßnahmen der Sozialen Stadt dienten der „Stabilisierung und Aufwertung von durch soziale Missstände benachteiligten Ortsteilen oder anderen Teilen des Gemeindegebiets, in denen ein besonderer Entwicklungsbedarf besteht. Soziale Missstände liegen insbesondere vor, wenn ein Gebiet auf Grund der Zusammensetzung und wirtschaftlichen Situation der darin lebenden und arbeitenden Menschen erheblich benachteiligt ist“ (§ 171e, Abs. 2 BauGB). Damit wurden wesentliche Aspekte der Sozialen Stadt rechtlich verankert.
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
83
waltungsmitarbeiterInnen und Kommunalpolitiker/innen vergleichsweise frei, ihre „Raum“-Wahrnehmungen unter dem Aspekt „Benachteiligung“ eigenständig zu gewichten. Es wäre sogar denkbar, auch Akteure außerhalb von Politik und Verwaltung – zum Beispiel Bewohner/innen potenzieller Programmgebiete – und somit ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Raumsynthetisierungen in die Gebietsabgrenzung einzubeziehen, wenngleich sich darauf kein expliziter Hinweis im ARGEBAU-Leitfaden findet. Damit sind Fragen eines Gebietsmanagements angesprochen, in dessen Rahmen unterschiedliche Akteure in die Zielentwicklung und – zumindest potenziell – auch die Festlegung von Programmgebieten einbezogen werden (können). 5.1.3
Programmvorgaben und -informationen: Gebietsmanagement
Gebietsmanagement im Rahmen von URBAN/URBAN II Im Zentrum URBAN-geförderter integrativer Ansätze stand die Kooperation sowohl zwischen verschiedenen Verwaltungsbereichen als auch mit lokalen Akteuren außerhalb von Politik und Verwaltung, was von der EU als „lokale Partnerschaften“ bezeichnet wird (vgl. EuKom 1994a: 7). Die Forderung des Aufbaus solcher „starken“ oder „echten“ Partnerschaften zwischen Verwaltung, Wirtschafts- und Sozialpartnern, NGOs sowie Einwohnerorganisationen in allen Stadien der Programmdurchführung unterschied URBAN wesentlich von allen anderen EU-Programmen (EuKom 2002: 4ff.). Deutlicher noch als beim Vorgängerprogramm wurde in den Richtlinien zu URBAN II die Bedeutung des gebietsbezogenen integrierten Ansatzes für Verwaltungsmodernisierung betont. Auch hier stand die Bildung „echter“ Partnerschaften im Vordergrund (EuKom 2002: 4ff.). Explizit sollten alle Strategien auf (verwaltungs-) organisatorischen Wandel zielen und Beteiligung stärker in den Vordergrund stellen (EuKom 2000: 6). So enthielt die Liste der förderfähigen Handlungsfelder den Punkt Verbesserung des Stadtmanagements, unter den beispielsweise die Förderung „neuer und moderner Stadtmanagementstrukturen“ oder die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in den Entscheidungsprozess subsummiert waren. Die Erarbeitung und Umsetzung eines integrierten Konzeptes sowie die Integration des Gebietsentwicklungsansatzes in gesamtstädtische Strategien gehörten ebenfalls zu den stark managementbezogenen Voraussetzungen für eine Programmteilnahme (vgl. EuKom 2000: 4f.). Gebietsmanagement im Rahmen der Sozialen Stadt Auch beim Bund-Länder-Programm Soziale Stadt stehen neue Managementstrukturen der Kommunalverwaltungen im Zentrum, wobei der Schlüsselbegriff hier nicht „lokale Partnerschaften“, sondern „Ressourcenbündelung“ lautet. Ähnlich wie bei URBAN/URBAN II geht es darum, im Rahmen eines integrierten Ansatzes investi-
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
ve und nicht-investive, sozial-integrative Fördermöglichkeiten bzw. Ressortmittel zusammenzuführen: „Der neue Ansatz stellt die Bündelung der für die Stadtteilentwicklung relevanten Finanzen und Maßnahmen (Städtebau- und Wohnungsbauförderung, Wohnungswesen, Verkehr, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Sicherheit, Frauen, Familien- und Jugendhilfe, Wirtschaft, Umwelt, Stadtteilkultur, Freizeit) als vordringliche Aufgabe auf der Ebene des Landes und der Gemeinde deutlich heraus“ (Bauministerkonferenz 2000: 16).
Eine solche Mittelbündelung erfordere jedoch die raumbezogene Kooperation aller involvierten Verwaltungsressorts sowohl auf Seiten des „Programmgebers“ (Bund und Länder) als auch auf der Ebene der Programmdurchführung (Kommune). Als weitere zentrale Voraussetzung für die Umsetzung des Programms Soziale Stadt werden – auch hier finden sich starke Parallelen zu URBAN – die bereits vielfach angesprochene Aktivierung und Beteiligung außerhalb der Verwaltung stehender Akteure, insbesondere der „betroffenen“ Bevölkerungen „benachteiligter“ Stadtteile, genannt. Dazu wird im ARGEBAU-Leitfaden festgehalten, dass Partizipation zwar stets Bestandteil von Stadterneuerung gewesen ist, es im Rahmen des Programms Soziale Stadt allerdings um eine weit umfassendere Beteiligung gehen soll: „In diesen Quartieren ist die Mitwirkung der Bürger am politischen Leben oft völlig zum Erliegen gekommen. Die Bürger identifizieren sich nicht mehr mit ihrem Stadtteil, sie engagieren sich nicht mehr für die Gemeinschaft. Nachbarschaftsbezogene Netze sind zerrissen“ (Bauministerkonferenz 2000: 4).
An anderer Stelle heißt es: „Die Aktivierung der Bürger gemäß § 137 BauGB und die Beteiligung und Mitwirkung der öffentlichen Aufgabenträger gemäß § 139 BauGB ist zielführender Bestandteil der städtebaulichen Erneuerung. Dies gilt in verstärktem Maße für die soziale Stadterneuerung“ (ebd.: 14).
Im Einzelnen gehe es um Aktivierung, „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Empowerment), den Aufbau von Bewohnerorganisationen und sozialen Netzwerken sowie die Stärkung der Identifikation mit dem Programmgebiet (ebd.: 5). Als Basis für den neuen Ansatz wird die Erprobung neuer Management- und Organisationsstrukturen herausgestellt, mit denen Ressortintegration und Partizipation realisiert werden können (Bauministerkonferenz 2000: 4). Dazu gehöre unter anderem die Einrichtung eines Stadtteilmanagements, „das mit Priorität den Aufbau selbsttragender Bürgerorganisationen einleiten soll“ (ebd.: 5). Auch die Bildung von Stadtteilbeiräten, die mit Verfügungsfonds50 ausgestattet werden sollen, gehören zu den im Leitfaden vorgestellten Optionen (ebd.: 4f.). Insgesamt können sowohl URBAN/URBAN II als auch die Soziale Stadt unter dem Blickwinkel einer neuen Regulationsweise betrachtet werden, bei der die Aktivierung und Beteiligung nicht-staatlicher Akteure im Rahmen neuer Governance50
Verfügungsfonds sind Budgets, über deren Verwendung Gremien auf Programmgebietsebene eigenständig entscheiden dürfen; meist umfassen sie eine Größenordnung zwischen jährlich 15.000 und 25.000 Euro pro Gebiet.
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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Modelle (Deutschland: „Aktivierender Staat“51) bzw. integrierter Verfahren im Vordergrund stehen. Zusammengefasst gehören dazu folgende Kernelemente, die sich aus den Grundsätzen der Sozialen Stadt ableiten (vgl. BMVBS/BBR/Difu 2007: 17ff.): Ressourcenbündelung: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
51
fachübergreifende Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik und Verwaltung auf den beteiligten Steuerungsebenen Bund, Länder und Kommunen, Harmonisierung von Förderprogrammen, Integration von EU-Programmen in die Förderkulisse, Verschneidung investiver und nicht-investiver, sozial-integrativer Mittel „aus einer Hand“, Bündelung kommunaler Ressortmittel und Abstimmung mit Förderprogrammen, verbesserte inhaltliche Kooperation verschiedener Behörden oder Verwaltungsbereiche (Know-how); Das Konzept des „Aktivierenden Staates“ ist Bestandteil des Leitbildes „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 (vgl. Bundesregierung 1999) und bildete den politischen Rahmen für das Programm Soziale Stadt. Ziel dieses Ansatzes ist es, das bis dato verfolgte Konzept der Binnenmodernisierung des Staates unter rein ökonomischen Gesichtspunkten („Schlanker Staat“) in Richtung eines neuen Aufgabenverständnisses nicht nur innerhalb der Verwaltungen auf allen drei föderalen Ebenen, sondern auch zwischen Verwaltung und verwaltungsfernen Akteuren – allen voran Bürgerinnen und Bürgern – zu reformieren. So soll im Rahmen einer „neuen Verantwortungsteilung“ die „Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung dort (…) [gefördert werden], wo dies möglich ist“, was sowohl die Verlagerung ehemals vom Staat erbrachter Aufgaben auf nichtstaatliche Träger als auch die stärkere Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure bedeuten kann (Bundesregierung 1999: 2). Es gehe darum, eine „neue Balance zwischen staatlichen Pflichten und zu aktivierender Eigeninitiative und gesellschaftlichem Engagement“ herzustellen, wobei sich der (lokale) Staat nicht mehr als „Entscheider“, sondern vielmehr als „Moderator und Aktivator der gesellschaftlichen Entwicklungen“ verstehen solle (ebd.). „ ,Aktivierender Staat‘ bedeutet, die Selbstregulierungspotentiale der Gesellschaft zu fördern“ (ebd.). Unter dem Schlagwort „Mehr Bürgerorientierung“ sollen Bürger/innen die Position „gleichberechtigte[r] Partner bei der Wahrnehmung von Aufgaben für das Gemeinwohl“ erlangen, wofür ihnen entsprechende Informationen und das notwendige Wissen zu vermitteln seien (ebd.: 2f.). Ebenfalls stärker kooperieren sollen auch die staatlichen Ebenen untereinander, was zu einer neuen bzw. nunmehr anerkannten Qualität der „staatlichen Vielfalt“ führe (ebd.: 3). Schließlich wird mit dem „Aktivierenden Staat“ eine effizientere Verwaltung intendiert, wobei es nicht nur darum gehe, die „begrenzten finanziellen Mittel besser [zu] nutzen“, sondern über „Wettbewerb und Leistungsvergleiche“ sowie eine „Orientierung an ‚besten Lösungen‘“ auch zu einer qualitätvolleren Arbeit zu kommen (ebd.: 4; vgl. auch SPD/DIE GRÜNEN 1998 sowie das Online-Verwaltungslexikon olev zum Thema „Aktivierender Staat“).
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Aktivierung, Beteiligung, „Empowerment“: 䊏
Einbeziehung verwaltungsexterner Akteure und Akteursgruppen in den Quartiersentwicklungsprozess: Bewohner/innen, Unternehmer/innen (auch im Bereich Wohnungswirtschaft), freie Träger der Wohlfahrtspflege, lokale Vereine und Initiativen, 䊏 Entwicklung und Durchführung dafür geeigneter partizipativer und aktivierender Verfahren, 䊏 gesetzliche Verankerung in § 171e Baugesetzbuch (BauGB), wo vermerkt ist, dass bei „(…) der Erstellung des Entwicklungskonzeptes und bei seiner Umsetzung (…) die Beteiligten in geeigneter Form einbezogen und zur Mitwirkung angeregt werden“ sollen. Vernetzungsorientierte(s) Management und Organisation – Quartiermanagement (vgl. Franke/Grimm 2006 und „Modell Quartiermanagement“ in Kapitel 7.2.2): 䊏
integrierte Steuerung auf der Verwaltungsebene unter anderem zur Koordinierung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit; 䊏 lokales Management im Programmgebiet, d. h. Einrichtung von Vor-Ort-Büros unter anderem zur Organisation von Kommunikation mit und innerhalb der Quartiersbevölkerung sowie mit anderen lokalen Akteuren; 䊏 institutionalisierte Kommunikation zwischen Verwaltung und Quartier zwecks Vernetzung beider Ebenen; dadurch unter anderem organisatorische Integration „benachteiligter“ Stadtteile in gesamtstädtische Strategien sowie Einbeziehung verwaltungsexterner Akteure (z. B. aus Bildungseinrichtungen oder der Industrieund Handels- sowie der Handwerkskammern) in die Planung und Umsetzung von Projekten und Maßnahmen. Aus der Perspektive der in Kapitel 3.2 dargestellten handlungstheoretischen Überlegungen zu „Raum“ können die programmatischen Vorgaben und Informationen zur Einrichtung eines solchen Gebietsmanagements als Aufforderung interpretiert werden, die bisherige Deutungshoheit von Politik und Verwaltung zu Fragen der Quartiersentwicklung aufzubrechen. „Administrative Regionalisierungen“ mit dem Ergebnis der Territorien von Programmgebieten werden dadurch zwar nicht in Frage gestellt, allerdings impliziert die geforderte Einbeziehung eines breiten Akteurskreises sowohl innerhalb als auch außerhalb von Politik und Verwaltung zwangsläufig die Berücksichtigung derer ebenso unterschiedlichen Raumsynthetisierungen bzw. die damit zusammenhängenden raumrelevanten Handlungsziele. Man könnte sogar sagen, die hier geforderten Gebietsmanagements sind regelrecht dazu angelegt, eben jene unterschiedlichen Wahrnehmungen „aufzuspüren“ und möglichst konsensual in einen gemeinsamen Prozess der Gebietsentwicklung zu integrieren. Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass „Programmgebiete“ hochkomplexe „Raum“-Konstrukte sind:
5.1 Programmatische Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
87
䊏
Mit ihnen werden Sachverhalte verbunden, die sich aus der Perspektive professioneller Akteure insbesondere aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft als „problematisch“ darstellen, wobei angenommen wird, diese Bewertung spiegele einen breiten Wahrnehmungskonsens. 䊏 Dabei handelt es sich um ein breites Spektrum miteinander zusammenhängender städtebaulicher, wirtschaftlicher, sozialer, individueller, sozialpsychologischer, kultureller und ökologischer „Problemlagen“, die sich räumlich in Stadtteilen, Bezirken, Wohnquartieren, Nachbarschaften konzentrierten („administrative Regionalisierungen“). 䊏 Der Bezug der festgestellten Probleme zum „Raum“ wird von professionellen Akteuren durch ihre raumsynthetisierende Problematisierung physisch-materieller Aspekte und/oder ihre Feststellung einer räumlichen Konzentration von Individuen, die sie als „Problemträger/innen“ identifizieren, hergestellt. Diese Feststellungen bilden die Grundlage für die Ausweisung von Programmgebieten („administrative Regionalisierungen“, Territorien). 䊏 Bei der Betrachtung der im Zusammenhang mit „Benachteiligung“ verwendeten Raumbegriffe kann festgestellt werden, dass alle Termini außer dem des „Stadtteils“ als politisch-administrativem Raum zunächst definiert werden müssen, um als Ausgangsbasis für die Kommunikation über raumbezogene Handlungsansätze dienen zu können52. Programme zur integrierten Entwicklung der als „benachteiligt“ eingestuften „Räume“ setzen von ihrer Grundphilosophie her bei folgenden Punkten an: 䊏
Bei ihnen geht es vor allem um die umfassende Verbesserung der „Lebensbedingungen ‚vor Ort‘“ sowohl im physisch-(städte-)baulichen Sinne als auch mit Blick auf die (individuellen) Entwicklungsmöglichkeiten der als „benachteiligt“ eingestuften Quartiersbevölkerungen sowie sonstiger lokaler Akteure. Dabei bleibt allerdings unklar, welche Akteure auf Basis welcher Kriterien die Qualität dieser „Lebensbedingungen“ bewerten sollen und können. 䊏 Im Zentrum steht die umfangreiche Mitwirkung von Quartiersbewohner/innen sowie sonstiger lokaler Akteure an der Programmumsetzung. In diesem Sinne wird die Berücksichtigung der „vor Ort“ identifizierbaren Bedarfe und „Entwicklungspotenziale“ – mittelbar also die „Orte“ und „alltagsweltlichen“ raumrelevanten Handlungsziele von „Vor-Ort“-Akteuren – besonders betont. 52
Dazu bemerkt auch die Arbeitsgruppe Bestandsverbesserung: „Gerade im Hinblick auf gebietsbezogene Arbeitsweisen erweist es sich (…) als problematisch, dass es keine fachübergreifend anerkannten ‚Raum‘-Kategorien gibt. In der Praxis wird stattdessen eine Vielzahl von Begriffen benutzt (z. B. Lebenswelt, Sozialraum, Nachbarschaft, Gemeinwesen, Milieu, Quartier, Stadtteil, statistischer Bezirk etc.), die nicht oder nur eingeschränkt kompatibel sind“ (AGB 2002: 7).
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
䊏
Als Voraussetzung dafür wird ein Gebietsmanagement gesehen, das die horizontale Integration verschiedener Politikfelder auf der Verwaltungsebene, die horizontale Vernetzung von „Vor-Ort“-Akteuren sowie die vertikale Integration von Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene umfasst. 䊏 Unklar bleibt dabei allerdings, inwiefern „top down“ formulierte Entwicklungsziele und die „administrativen Regionalisierungen politischer Territorien“ (Programmgebiete) im Zuge dieser Beteiligungen modifiziert werden können oder sollen. Im Detail unterscheiden sich die Programme URBAN II und Soziale Stadt in der „Durchgriffstiefe“ ihrer Vorgaben: Nicht nur aufgrund des eher rahmensetzenden Charakters des ARGEBAU-Leitfadens, sondern auch inhaltlich intendiert sind die darin enthaltenen Zielüberlegungen zur Sozialen Stadt eher als Vorschlag zu verstehen, während Zielangaben in den Programmrichtlinien URBAN II durchaus den Charakter einer Vorgabe hatten. Auch in Bezug auf die Abgrenzung von Programmgebieten sind ähnliche Unterschiede erkennbar: Die Programmrichtlinien von URBAN II waren dazu sehr detailliert und restriktiv formuliert, während dies im Kontext Soziale Stadt offensichtlich eher „weich“ gehandhabt werden soll. Insgesamt wird trotz aller in den Programmdokumenten enthaltenen „raumrelevanten“ Vorgaben und Informationen deutlich, dass die Betrachtung von „Programmgebieten“ letztendlich von der Frage abhängt, welche Akteure „Raum“ aufgrund welcher Kriterien in welcher Form produzieren – sowohl als territorial abgegrenzte Zuständigkeitsbereiche der Verwaltungen als auch im alltäglichen Sinne der Realität „vor Ort“ (vgl. Kapitel 3.2). Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage, wie diese beiden Perspektiven so zusammengebracht werden können, dass sowohl die betreffenden Programme technisch umgesetzt als auch inhaltlich – gemäß ihrer Zielsetzungen – an den tatsächlichen Lebensbedingungen „vor Ort“ ansetzen können. Wie mit diesem „Spagat“ zwischen Verwaltungs- und „Alltagswelt“ in der kommunalen Handlungsrealität von vier Beispielkommunen umgegangen werden soll, zeigen die entsprechenden Integrierten Entwicklungskonzepte der Sozialen Stadt und die Operationellen Programme URBAN II. Die Ergebnisse der Analyse dieser Dokumente wird im Folgenden dargestellt.
5.2
Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in den vier Beispielkommunen Berlin, Dortmund, Essen und Leipzig
Kommunale Konzepte zur Programmumsetzung stellen bzw. stellten sowohl im Falle der Sozialen Stadt als auch bei URBAN II die Operationalisierung der übergeordneten programmatischen Vorgaben dar. Wie dies für die Beispielkommunen/ -quartiere Berlin – Schöneberg-Nord, Dortmunder Nordstadt, Essen-Katernberg und -Altendorf sowie Leipziger Westen und Osten mit welchen Schwerpunkten umgesetzt wurde, zeigen die Ergebnisse der Analyse Integrierter Entwicklungskonzepte
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
89
der Sozialen Stadt, Operationeller Programme URBAN II sowie damit in unmittelbarem Bezug stehender Grundlagendokumente. Der Dokumentenanalyse lagen – wie schon bei der Analyse der übergeordneten Programmdokumente – die Prüfkriterien 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, Kriterien zur Abgrenzung von „Programmgebieten“, 䊏 Akteure, die an der Zielfindung und der Gebietsabgrenzung zu beteiligen sind, sowie 䊏 Kriterien zur Ausgestaltung eines Gebietsmanagements. 䊏
zugrunde. Der Ergebnisdarstellung vorangestellt wird ein zusammenfassender Überblick über die Konzeptgenese in den betrachteten Kommunen. 5.2.1
Vorüberlegungen in den Beispielkommunen
Nicht nur die Vorgaben der Programme Soziale Stadt und URBAN II, sondern auch eigene Vorüberlegungen in den einzelnen Kommunen prägten die Ausgestaltung der Integrierten Entwicklungskonzepte bzw. Operationellen Programme. In allen vier Beispielkommunen konnte auf bereits bestehende gesamtstädtische (informelle) Planwerke oder Grundsatzdokumente bzw. auf Vorläuferprogramme der Stadt(teil)entwicklung zurückgegriffen werden. Damit bewegen sich die Konzepte für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in einem Spannungsfeld zwischen übergeordneten programmatischen Anforderungen und interner „Pfadabhängigkeit“. Berlin In Berlin bildete die Ende 1998 vom Berliner Senat beschlossene Gesamtstädtische Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte besonders belasteter Stadtquartiere, Aktionsprogramm ‚Urbane Integration‘, 1. Stufe, die grundlegende politische und konzeptionelle Basis für integriertes gebietsbezogenes (Verwaltungs-)Handeln (AghB 1999: 4). Ausgangspunkt war unter anderem die Einsicht, „die Fehler einer Gießkannenpolitik der Vergangenheit (…) durch quartiersorientierte Problemlösungen“ (SenStadt 1998: 6f.) vermeiden und bei der Betrachtung einzelner Quartiere „die lokalen wirtschaftlichen, städtebaulichen, infrastrukturellen, ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Probleme“ integriert – also unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen – betrachten zu müssen (ebd.: 7). Standen bis Mitte der 1990er Jahre baulichstädtebauliche Schwerpunkte der Stadterneuerung nach dem Fall der Berliner Mauer im Vordergrund der Stadtentwicklungspolitik, wurden nun also Handlungsfelder auch im sozialen und ökonomischen Bereich stärker betont (ebd.: 8). Entsprechend wird die „Beteiligung der betroffenen Bewohner und Akteure vor Ort“ besonders hervorgehoben, die zentral sei für „eine längerfristig wirkende Strategie zur Entschärfung sozialer Konflikte“. Betont wird, „die Selbsthilfepotentiale der Anwohner, der Initiativen und Akteure vor Ort zu stärken“ (AghB 1999: 4f.). De-
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
zidiert heißt es dazu: „Es ist Aufgabe staatlicher Stellen, (…) Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, d. h. Bedingungen zu schaffen, die es den Bewohnern ermöglichen, ihre Interessen und Bedürfnisse eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen“ (ebd.: 5). Unter anderem müsse es darum gehen, gemeinsam mit der Gebietsbevölkerung und anderen lokalen Akteuren ein Leitbild für das jeweilige Quartier zu entwickeln, Beteiligungsangebote stärker an den Interessenlagen und sprachlichen bzw. kulturellen Besonderheiten der einzelnen Bevölkerungsgruppen auszurichten sowie insgesamt stärker aktivierend vorzugehen (ebd.: 6ff.). Die inhaltliche Grundlage für gebietsorientiertes Verwaltungshandeln in Berlin bildet das ebenfalls im Jahr 1998 veröffentlichte, von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie in Auftrag gegebene Gutachten „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ (SenStadt 1998; Bearbeiter: IfS Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH sowie S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung). Darin wurden unter anderem Tendenzen des sozialen und räumlichen Wandels in der Gesamtstadt dargestellt – Wanderungen, Entwicklung des Wohnungsangebots, Entwicklung des Ausländeranteils und der Sozialhilfedichte, Entwicklung der Erwerbstätigenquote –, einzelne Quartiere „mit problematischer Entwicklung“ identifiziert sowie Handlungsempfehlungen für die Quartiersentwicklung ausgesprochen53. Dabei wurde für Politikansätze plädiert, die an den Problemlagen ansetzen, allerdings mit dem einschränkenden Hinweis, zentrale Ursachen von Benachteiligung wie „Arbeitslosigkeit, verfehlte Einwanderungspolitik und Verteuerung des Wohnens“ hätten ihre Ursachen nicht in den betroffenen Quartieren bzw. lägen generell „außerhalb der Eingriffsmöglichkeiten der Stadtpolitik“ (SenStadt 1998: 16). Die Ergebnisse des Gutachtens flossen in den „Bericht über die Einrichtung integrierter Stadtteilverfahren – Quartiersmanagement – in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“ ein, der dem Abgeordnetenhaus von Berlin im August 1999 als „Teil B“ der genannten Vorlage zur Kenntnis gegeben wurde und die weitere Basis für die Umsetzung des Programms Soziale Stadt in Berlin bildet. Hierauf bauen die Integrierten Handlungskonzepte für die einzelnen Programmgebiete der Sozialen Stadt auf, in denen es um die konkrete Entwicklung „vor Ort“ geht (SenStadt 2004: 11ff.). Auch in diesem Papier wird die Beteiligung von (lokalen) Akteuren außerhalb von Politik und Verwaltung als zentral hervorgehoben: „Vorhandene Einrichtungen, Initiativen, Vereine, bestehende Stadtteilgremien und Bewohnervertretungen, aber 53
Das Gutachten basierte auf quantitativen Datenanalysen sowie Interviews, die „in allen Bezirken mit den Bezirksstadträten bzw. Amtsleitern der Ressorts Bauen/Wohnen, Soziales sowie Jugend“ geführt wurden; ergänzende Gespräche fanden unter anderem mit Vertreter/ innen von Wohnungsbaugesellschaften statt (SenStadt 1998: 8). Grundlage der Datenanalyse (Beobachtungszeitraum 1994 bis 1996) waren die 195 Statistischen Gebiete des Landes Berlin, wobei unterhalb der Ebene der damaligen 23 Bezirke nur wenige Daten generiert und ausgewertet werden konnten.
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
91
auch Einzelpersonen sind in den Prozess der integrierten Quartiersentwicklung einzubeziehen“ (AghB 1999: 31) bzw. „Handlungsmöglichkeiten und -kompetenzen der Bewohner durch die Stärkung von Selbsthilfepotentialen, des Selbstwertgefühls sowie des Aufbrechens von Resignation und Perspektivlosigkeit“ zu erweitern (ebd.: 32). Essen In Essen basieren die Integrierten Entwicklungskonzepte der Sozialen Stadt ebenfalls auf einem übergeordneten gesamtstädtischen Orientierungsrahmen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln, der sich in starkem Maße auf verwaltungsorganisatorische und auf partizipatorische Fragen konzentriert: In der 1997 von der Stadt herausgegebenen Broschüre Ansätze Integrierter Kommunalpolitik (Stadt Essen 1997a) finden sich unter anderem „Grundlagen und Arbeitsprinzipien einer integrierten Kommunalpolitik“ sowie Hinweise auf eine entsprechende „Organisation und Führung“. Im Vorwort der Veröffentlichung bilanziert der damalige Oberstadtdirektor Essens als Ausgangslage für alle nachfolgenden Überlegungen zur Entwicklung „benachteiligter“ Stadtteile, es sei beklagenswert, „daß die Probleme, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, sich verschärft haben. Die gesellschaftliche Spaltung vertieft sich. Ihre räumliche Dimension, nämlich die kleinräumige Konzentration von sozialen Problemlagen, droht das Gefüge unserer Städte zu sprengen. ‚Amerikanische Verhältnisse‘ scheinen nicht mehr so weit weg zu sein, wie wir noch glaubten, als wir die ‚Neuen Ansätze‘ entwickelten“ (ebd.: 1).
Die anschließende Problemanalyse weist starke Parallelen nicht nur zu den in Kapitel 2.1 dargestellten Tendenzen gesellschaftlicher Polarisierung und der Herausbildung benachteiligter Stadtteile auf (vgl. Stadt Essen 1997a: 5ff.), sondern in der Tendenz auch zu den Ergebnissen des Gutachtens für die Situation Berlins. Vor diesem Hintergrund werden die Arbeitsprinzipien integrierter Kommunalpolitik in Essen wie folgt dargestellt, wobei der Schwerpunkt – wie auch schon im Falle Berlins – auf Aktivierung und Beteiligung der lokalen Bevölkerung liegt54 (vgl. Stadt Essen 1997a: 25f.):
54
„Legitimation wird (…) durch die Aktivierung und Beteiligung der Wohnbevölkerung bzw. von Gruppen in diesen Stadtteilen erreicht. Diese sind wichtige Ergänzungen zu den formalisierten Verfahren der politischen Willensbildung und Entscheidung. (…) Der Appell an die Selbsthilfekräfte und Selbstverantwortung der Bevölkerung muß eine Entsprechung finden in dem Angebot an Partizipationschancen, d. h. Einflußchancen auf politische Entscheidungen, die die Bevölkerung in ihrer Lebensgestaltung berühren“ (Stadt Essen 1997a: 26). Dazu gehöre unter anderem die Ausrichtung von Aktivierungsstrategien und Beteiligungsangeboten an den tatsächlichen Möglichkeiten der zu adressierenden Bürgerinnen und Bürgern (ebd.). „Die Beteiligung der Bevölkerung stellt die Innovationsquelle kommunaler wie staatlicher Politik dar“ (ebd.: 27; Hervorhebung im Original).
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䊏
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Konzentration auf bestimmte Problemgruppen vermeiden, möglichst die gesamte Quartiersbevölkerung einbeziehen; Projekte und Maßnahmen vorrangig auf die soziale Integration der Bevölkerung ausrichten; Projekte und Maßnahmen auf den „vor Ort“ bereits vorhandenen personellen, finanziellen und materiellen Ressourcen aufbauen, „die vorhandenen Fähigkeiten der Stadtteilbevölkerung nutzen“ (ebd.: 25) und an den vor Ort identifizierbaren Problemen anknüpfen; Projekte und Maßnahmen auf der Grundlage „sorgfältiger“ Problem- und Potenzialanalysen unter Einbeziehung der Bevölkerung entwickeln; Stadtteilaktivitäten und formelle Planungsprozesse integrieren; „lokale Partnerschaften zwischen Teilen der Verwaltung, den Bewohnerinnen und Bewohnern, Gewerbetreibenden, Vertretern von Organisationen“ aufbauen (ebd.: 26); Verwaltungsstrukturen entsprechend anpassen und durch intermediäre Organisationen unterstützten.
Leipzig In Leipzig sind Konzepte integrierter Quartiersentwicklung ebenfalls in einen übergeordneten kommunalen Rahmen eingebettet – allerdings handelt es sich dabei weniger um „Grundsatz“-Papiere oder -beschlüsse, sondern vielmehr um den detaillierten, das gesamte Stadtgebiet umfassenden und einzelne Teilgebiete unterscheidenden Stadtentwicklungsplan Wohnungsbau und Stadterneuerung – STEP W+S, der im Jahr 2000 vom Leipziger Stadtrat beschlossen wurde. Auf dieser Grundlage, die zugleich Konzept und Strategie ist – Rahmenkonzept für Gebietsbezüge, Masterplan für gebietsbezogenes Handeln, räumliche Entwicklungsstrategie und Steuerungsinstrument für öffentliche Investitionen –, wurden einzelne Förderprogramme wie die Soziale Stadt oder URBAN II auf bestimmte städtische Teilräume „gezogen“, in denen die jeweiligen Förderbedingungen bereits in einem hohen Maße erfüllt waren (bestimmte Problemlagen, erkennbare Entwicklungen etc.), für deren Entwicklung bisher jedoch nicht die notwendigen (kommunalen) Mittel zur Verfügung gestanden hatten. Oberstes Ziel des STEP W+S ist die Bekämpfung von Leerstand sowie von städtebaulichem, aber auch sozialem und ökonomischem Niedergang ganzer Wohnquartiere. Dazu wird in dem Plan – wie bereits im Falle Berlins und Essens – auf potenzielle Negativentwicklungen hingewiesen: „Auch in Leipzig kann es zu flächigem Stadtverfall kommen, wie wir ihn in Marktwirtschaften bisher nur aus nordenglischen oder amerikanischen Städten kennen“ (Stadt Leipzig 2000a: 7), was vor allem als eine Gefahr für das Image Leipzigs als Wirtschaftsstandort gesehen wird (Stadt Leipzig 2000a: 16). „Wir können dem Verfall vieler Altbauten und der Auflösung ganzer Quartiersstrukturen nicht tatenlos zusehen“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
93
hat sich die Stadt als Priorität gesetzt, „die Entwicklung eines nachfragegerechten und differenzierten Wohnungsangebotes zu ermöglichen, das nahezu allen Nachfragegruppen die Gelegenheit gibt, innerhalb der Stadtgrenzen die gewünschte Wohnform zu realisieren“ (ebd.: 16f.) und dadurch das für die Stadt aufgrund massiver Bevölkerungsabwanderung zu groß gewordene „Kleid der Bausubstanz“ (ebd.: 6) an die realen Bedarfe anzupassen, um Leerstand und Verfall entgegenzuwirken. Im Einzelnen sollen 䊏
beim Einsatz städtischer Ressourcen räumliche Prioritäten bei „Standorte[n] mit guten Entwicklungsvoraussetzungen“ gesetzt werden (Stadt Leipzig 2000a: 17), 䊏 der Wohnraumverbrauch gesteigert, eine undifferenzierte Ausweitung des Wohnungsangebotes verhindert sowie an einigen Standorten Stilllegung und Rückbau betrieben werden, 䊏 innerstädtisches Wohnen gegenüber Wohnen in Stadtrandlagen gestärkt sowie 䊏 durch Rückbau gewonnene Spielräume für Wohnumfeldverbesserung und neue Bebauungsformen genutzt werden (vgl. Stadt Leipzig 2000a: 17). Dortmund In Dortmund repräsentieren das Integrierte Entwicklungskonzept der Sozialen Stadt und vor allem das darauf basierende Operationelle Programm URBAN II den (vorläufigen) Schlusspunkt einer Vielzahl aufeinander aufbauender Erfahrungen mit integrierter Stadt(teil)entwicklung wie Flächensanierung und Sozialwohnungsneubau in den 1960er Jahren sowie behutsame Stadterneuerung in den 1980er Jahren. Grundlage war ein städtebaulicher Rahmenplan, auf dem in den Jahren 1986 bis 1995 das Nordstadt-Programm aufbaute (vgl. Stadt Dortmund 2001a: 36), ein ebenfalls städtebaulicher Ansatz, der jedoch bereits integrative und partizipative Elemente umfasste (ebd.: 1; Stadt Dortmund 1997: 43ff.). Allerdings bilanzierte die Stadt Dortmund nach zehnjähriger Laufzeit: „Bedauerlicherweise hat sich mit den objektiven Qualitäten des Wohnstandortes Nordstadt die subjektive Lebenssituation der Bewohner nicht im gleichen Maße positiv entwickelt. Der Anteil der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und insgesamt betreuungs- und beratungsbedürftigen Personen ist anhaltend hoch“ (Stadt Dortmund 1996a. 10). Eine Erweiterung des städtebaulichen Fokus in Richtung eines stärker integrierten, gebietsbezogenen Ansatzes erfolgte im Jahr 1996 mit der Aufnahme der Dortmunder Nordstadt in das nordrhein-westfälische Landesprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“55 (Stadt Dortmund 2001a: 81): „Die klassischen Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung und Verkehrsberuhigung werden (…) zugunsten einer ganzheitlichen Stadterneuerung mit integrierten bewohnerorien55
Dieses Programm wird in Nordrhein-Westfalen seit 1993 durchgeführt. Es war ein wichtiger Vorreiter des 1999 gestarteten Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“.
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
tierten Projektansätzen aufgegeben. Schwerpunkte zukünftiger Projektarbeit werden Beiträge zur Stabilisierung und Verbesserung des Arbeitsmarktes und der sozialen Situation im Stadtteil sein“ (Stadt Dortmund 1996: 5).
Zu Beginn der Umsetzung von URBAN II, dem jüngsten integrierten Stadteilentwicklungsprogramm in der Kulisse der Dortmunder Nordstadt, wurde seitens der Stadt jedoch abermals konstatiert, die bisherigen Ansätze der Stadterneuerung hätten zwar „zur Verbesserung der stadträumlichen Qualitäten beigetragen (…), sich jedoch ausschließlich auf Bestandsverbesserungen innerhalb der Wohnquartiere konzentriert“ und „zu wenig im kausalen Zusammenhang zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation“ in der Nordstadt gestanden (Stadt Dortmund 2001a: 53). Unter anderem deswegen wurde „mit Hilfe von URBAN II (…) beabsichtigt, den qualitativ anspruchsvollen Schritt von der reagierenden Reparaturstrategie zu einer aktiven Partizipation am Strukturwandel (…) zu vollziehen und so mit einem eigenen Programm der wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung der Nordstadt den entscheidenden Impuls zu geben“ (ebd.: 43).
Stark zusammenfassend und generalisierend zeigt sich also in allen vier Beispielkommunen eine individuelle Prädisposition der Herangehensweise an die konkrete Ausgestaltung von Konzepten für integrierte Quartiersentwicklung, wobei in jedem Fall auf drohende Negativszenarios und damit (zumindest implizit) auf die Notwendigkeit veränderten Verwaltungshandelns hingewiesen wird: 䊏
Betonung von Aktivierung und Beteiligung der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler Akteure in Berlin, 䊏 ebenfalls Hervorhebung von Partizipation, aber auch der Notwendigkeit, die Verwaltungsorganisation ändern zu müssen, in Essen, 䊏 Orientierung an einem gesamtstädtischen Rahmenplan mit einem deutlichen Schwerpunkt im Bereich der Wohnungsmarktentwicklung in Leipzig sowie 䊏 Lernen aus der Erfahrung, mit faktisch städtebaulich ausgerichteten Ansätzen nur in geringem Maße soziale Ziele erreichen zu können, in Dortmund. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 angestellten raumtheoretischen Betrachtungen lassen sich diese „Prädispositionen“ gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in den vier Beispielkommunen wie folgt interpretieren: Die Feststellung und Bewertung spezifischer „Probleme“ in bestimmten „Räumen“ durch professionelle Akteure aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft findet sich in allen zitierten Dokumenten. Darin wird die räumliche Konzentration bestimmter sozialer Ausprägungen als bedrohlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bzw. das Image der Gesamtstadt dargestellt. Es geht also um „Verortungen“ bestimmter Menschen als „Problemträger“ sowie um „problematische“ Prozesse „im Raum“, wobei die darin enthaltenen Wertungen aus der Perspektive einer externen „professionellen Draufsicht“ als Konsens vorausgesetzt werden. Diese Betrachtungen entsprechen in starkem Maße einem eher „traditionellen“ Verständnis absoluter „Behälterräume“ mit ihnen zuschreibbaren Charakteristika.
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
95
Zugleich enthalten die Dokumente jedoch auch vielfältige Hinweise auf Aspekte eines handlungsorientierten Raumverständnisses. Dies gilt insbesondere für den Anspruch einer mehr oder weniger umfassenden Mitwirkung der Quartiersbevölkerungen und anderer lokaler Akteure bei der Gebietsentwicklung – das Spektrum reicht von „bloßer“ Beteiligung über die Einbeziehung in Partnerschaften bis hin zur Stärkung autonomer Handlungskompetenzen. Vor allem die Grundlagendokumente Berlins und Essens betonen dies in besonders starkem Maße. Man kann die entsprechenden Passagen durchaus so verstehen, dass zwar ein erster Handlungs- und auch räumlicher Rahmen für Gebietsentwicklungsprozesse seitens der Verwaltung vorgegeben wird, die inhaltlichen Feinjustierungen für den weiteren Arbeitsprozess allerdings nicht ohne die Einbeziehung der „Vor-Ort“-Akteure erfolgen sollen. Nach dieser Lesart ginge es darum, deren habitusbedingte Bedeutungszumessungen von Objekten und Menschen im Rahmen der Raumproduktionen jener „Vor-Ort“-Akteure – also ihre „Problem“-Wahrnehmungen und -bewertungen – nicht nur kennenlernen, sondern sie mit den Raumproduktionen der (kommunalen) professionellen Akteure (ständig) in Einklang zu bringen. Die Betonung von Partizipation kann als Aufforderung zur Berücksichtigung eines sehr breiten Spektrums raumsynthetisierender Akteure und ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster, Codes, Präferenzen, raumrelevanten Handlungsziele etc. verstanden werden. Offen bleibt allerdings, inwieweit kommunale Akteure bereit sind, ihr als Konsens angenommenes „Raumbild“ tatsächlich zu modifizieren bzw. bis zu welchem Maße sie („Raum“-)Deutungsmacht dezentralisieren und sich daraus ergebende Implikationen für eine Quartiersentwicklung – beispielsweise die Infragestellung ihrer eigenen (raumrelevanten) Problemwahrnehmungen oder auch Gebietsabgrenzenzungen – mittragen. Vor dem Hintergrund der kommunalen Verfasstheit muss die Kommune zwar die Rolle eines „primus inter pares“ einnehmen bzw. behalten, kann jedoch darüber hinausgehende Gestaltungsspielräume im Rahmen von Partnerschaften mit anderen Akteuren eher „offen“ oder eher „eng“ fassen. 5.2.2
Konzeptvorgaben: Ziele
Die Analyse der auf den Grundsätzen, Grundlagenpapieren oder Rahmenplänen aufsetzenden Integrierten Entwicklungskonzepte (Soziale Stadt) und Operationellen Programme (URBAN II) zeigt mit Blick auf die darin enthaltenen Zielsetzungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln ebenfalls sowohl eine Reihe von Gemeinsamkeiten als auch tendenzielle Unterschiede zwischen den verschiedenen Beispielkommunen und Programmgebieten. Betrachtet man die einzelnen Zielkataloge, findet sich zunächst eine Vielzahl von Handlungsfeldern, die für nahezu alle Gebiete eine – je nach Situation mehr oder weniger große – Rolle spielen bzw. spielten. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. ILS 2000: 9; SenStadt 2004: 11ff.; Stadt Dortmund 2001a: 42ff.; Stadt Essen 1995: 10ff.; Stadt Essen 1998: 18ff.; Stadt Leipzig 2000: 17ff.; Stadt Leipzig 2001a: 42ff.; Stadt Leipzig 2002: 49ff.):
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
䊏
Handlungsfeld Wohnen und Wohnumfeld: Differenzierung des Wohnungsangebotes (auch Eigentumsbildung), Verbesserung von Wohnstandards (unter anderem Sanierung, Modernisierung);
䊏
Handlungsfeld Öffentlicher Raum: Wohnumfeldverbesserung, Entwicklung von Grün- und Frei- bzw. Aufenthaltsflächen, Verbesserung der Umweltsituation (unter anderem Einrichtung von Mietergärten, Hinterhof- und Straßenbegrünungen, Grünzugvernetzung, Flächenrenaturierung);
䊏
Handlungsfeld Qualifizierung und Beschäftigung: Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen, Vernetzung arbeitsmarktrelevanter Institutionen (Arbeitsverwaltung, IHK, Maßnahmenträger etc.), Beschäftigungsförderung (unter anderem Vermittlung zwischen lokalen Unternehmen und Arbeitsuchenden), Bildungsförderung, Qualifizierung insbesondere von (Langzeit-)Arbeitslosen und/oder Migrant/innen (z. B. Einrichtung von Stadtteilwerkstätten), Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, Förderung nicht-monetärer Wertschöpfung vor Ort (z. B. Möbel- oder Kleiderbörsen);
䊏
Handlungsfeld Lokale Ökonomie: unter anderem Gewerbeflächen- und Zentrenentwicklung, Förderung von Existenzgründungen, Unternehmensansiedlung, Standort-/Geschäftsstraßenmarketing, Förderung des lokalen Einzelhandels und von Dienstleistungen, Förderung ethnischer Ökonomie, Entwicklung von Unternehmensnetzwerken, wirtschaftsbezogene Beratungsangebote;
䊏
Handlungsfeld Partizipation: Aktivierung und Beteiligung lokaler Akteure – insbesondere von Quartiersbevölkerung und Gewerbetreibenden –, Akteursvernetzung, Aufbau bewohnergetragener (selbsttragender) Einrichtungen und Strukturen (z. B. Eltern- und/oder Frauencafés, Schülerclubs, Mieterinitiativen, Schulung von Einwohner/innen zu Konfliktberater/innen), Förderung von Eigeninitiative und Selbsthilfe;
䊏
Handlungsfeld Nachbarschaftliches/interkulturelles Zusammenleben: Sicherung des sozialen Friedens, Kriminalitätsprävention, Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls (unter anderem Einsatz von Streetworker/innen);
䊏
Handlungsfeld Soziale Infrastruktur: Verbesserung des Freizeitangebotes für Kinder und Jugendliche (z. B. Einrichtung von Jugendzentren, Erweiterung des Spielflächenangebotes, Kreativprojekte für Kinder, Sportangebote wie „Basketball um Mitternacht“), Anpassung sozialer Infrastrukturen an die tatsächlichen Bedarfe „vor Ort“;
䊏
Handlungsfeld Öffentlichkeitsarbeit: Verbesserung der Identifikation mit dem Gebiet, Imageverbesserung.
Diese Gemeinsamkeiten sind – abgesehen davon, dass sich die entsprechenden Zielsetzungen aus den in Kapitel 2.1 geschilderten Problemlagen in „benachteiligten“ Stadtteilen ableiten lassen – sicherlich der Tatsache geschuldet, Programmvorgaben
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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nicht nur in formaler Hinsicht, sondern auch inhaltlich „bedienen“ zu müssen, um Fördermittel erhalten zu können. Entsprechend werden die in den Programmrichtlinien vorgeschlagenen Handlungsfelder zum Großteil auch in den kommunalen Konzepten aufgegriffen. Besonders augenfällig ist dies im Zusammenhang mit der Umsetzung von URBAN II: Die Operationellen Programme für die Dortmunder Nordstadt und den Leipziger Westen orientieren sich in starkem Maße an den vorgegebenen Themenschwerpunkten Verbesserung der Lebensbedingungen durch städtebauliche Maßnahmen, lokale Beschäftigung und Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen (vgl. Regionalpolitik inforegio sowie Stadt Dortmund 2001a: 35; Stadt Leipzig 2001a: 92ff.). Darüber hinaus können aber auch individuelle Besonderheiten festgestellt werden, die eher auf die geschilderten „Pfadabhängigkeiten“ im Zusammenhang mit übergeordneten kommunalen Grundsätzen bzw. Rahmenplanungen zurückgehen. Dies gilt in besonderem Maße für die Ansätze in Essen und Leipzig. So werden laut Integriertem Entwicklungskonzept für Essen-Katernberg – analog zum bereits zitierten Grundsatzpapier – Ziele weniger „top down“ von der Verwaltung vorgegeben, sondern vielmehr im Zuge der „Kooperation verschiedenster Akteure“ sowie mittels „Partizipation der Bevölkerung“ in Verbindung mit einer entsprechenden Anpassung des Verwaltungshandelns als zentrale Eckpfeiler des integrierten Ansatzes ermittelt (Stadt Essen 1995: 8): „Die Bevölkerung sagt, wo’s längs geht“, was ein entsprechendes Informationsangebot, „berechenbare Gestaltungsspielräume“ sowie „angemessene Beteiligungsformen“ als Strategieelemente voraussetze (ebd.). Es gehe darum, alle Interessierten frühzeitig einzubinden und „der Kreativität freien Lauf [zu] lassen; keine Idee ist zu verrückt, kein Hindernis zu groß, als daß Gedanken nicht weiter verfolgt werden sollten“ (ebd.: 9). Kooperationsprozesse müssten als „offene, dynamische und sich selbst steuernde, nicht hierarchisch organisierte Prozesse“ verstanden werden, die davon lebten, dass „die Akteure jeweils auch eigene Ziele realisieren können“ (ebd.: 10; eigene Hervorhebung). Insgesamt wurde in dem Integrierten Entwicklungskonzept die Devise „Keine Kuh ist heilig; überkommene Strukturen, Planungsprozesse etc. müssen in Frage gestellt werden können“ betont (ebd.). „Über Maßnahmen muß vor Ort entschieden werden – im Einvernehmen mit der Bevölkerung und den unterschiedlichsten Handlungsträgern. Die geltenden Entscheidungsregeln bleiben davon [allerdings] unberührt“ (ebd.: 11; eigene Hervorhebung). In Essen-Altendorf wird das Programm Soziale Stadt mit den gleichen Prinzipien wie in Katernberg umgesetzt; die Zusammenarbeit mit Akteuren außerhalb von Politik und Verwaltung – vor allem der Quartiersbevölkerung – steht hier ebenfalls im Mittelpunkt der Zielfindung (vgl. Stadt Essen 1998: 28ff.). In Leipzig ist insbesondere im Integrierten Entwicklungskonzept Soziale Stadt für das Programmgebiet Leipziger Osten die „Handschrift“ des bereits angesprochenen gesamtstädtischen „Stadtentwicklungsplans Wohnungsbau und Stadterneue-
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
rung“ (STEP W+S) zu erkennen. Durch seine Vorgaben erhielten hier alle Ansätze die übergeordneten Zielsetzungen Leerstandsbekämpfung, Wohnungsmarktkonsolidierung und Standortsicherung. Im Einzelnen findet sich das gesamte Spektrum der eingangs aufgezeigten Handlungsfelder – der Aspekt Wohnen dominiert jedoch neben dem damit zusammenhängenden Ziel Stabilisierung der Sozialstruktur. Zwar heißt es im Konzept: „Die Entwicklungsziele für den ‚Leipziger Osten‘ sollen in Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort entwickelt werden“ (Stadt Leipzig 2000: 17), allerdings sollen sie sich faktisch am STEP W+S und den damit verbundenen Vorüberlegungen der Verwaltung orientieren (vgl. Stadt Leipzig 2000: 17). Dazu gehören auch Projektansätze, „die aus ihrer Sicht nach derzeitigem Stand (…) Kernprojekte darstellen, weil sie auf wesentliche Defizite des Stadtteils reagieren, relativ kurzfristig umsetzbar erscheinen und sich offensichtlich sinnvoll ergänzen und gegenseitig stärken“ (ebd.: 18): Zentrenentwicklung, lokale Beschäftigungsentwicklung, gemeinwesenorientierte Projekte, etc. (ebd.: 19). Aus der raumtheoretischen Perspektive bewegen sich die hier dargestellten konzeptionellen Überlegungen zur Identifizierung raumrelevanter Ziele der Quartiersentwicklung in Analogie zu den übergeordneten „Pfadabhängigkeiten“ in einem Spannungsfeld zwischen „Setzungen“ von Politik und Verwaltung im Zuge ihrer Raumproduktionen (Programmgebiete und ihre Eigenschaften aus der Wahrnehmung professioneller Akteure) und dem Wunsch nach Berücksichtigung der raumrelevanten Ziele von Akteuren auf der „Vor-Ort“-Ebene. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die jeweilige Kommune eher „offen“ oder eher „eng“ mit Modifikationsanforderungen an die Zielkataloge umgeht, die sich aus der Einbeziehung von Raumsynthetisierungen eines breiten Akteursspektrums ergeben. Nach der Dokumentenlage tendieren der Berliner und der Essener Ansatz bei der Zielfindung eher zu einem vergleichsweise ergebnisoffenen „bottom up“-Ansatz, die Herangehensweisen in Leipzig und Dortmund eher zu einer stärkeren „top-down“-Ausrichtung. Insgesamt muss allerdings davon ausgegangen werden, dass auch die „unsichtbaren Programmgeber“ eine entscheidende Rolle spielen, da sie – insbesondere im Falle von URBAN II – mit ihren Vorgaben erheblichen Einfluss auf die Raumproduktionen kommunaler Akteure nahmen und nehmen. 5.2.3
Konzeptvorgaben: Abgrenzung von Programmgebieten
Enthalten die Integrierten Entwicklungskonzepte der Sozialen Stadt bzw. Operationellen URBAN II-Programme noch relativ dezidierte Angaben zu Zielen und Gebietsmanagement (siehe weiter unten), finden sich in ihnen dagegen zumeist nur vergleichsweise „dünne“ Aussagen zur Abgrenzung von Programmgebieten als Bezugsgrößen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln. Die Darstellung entsprechender Überlegungen wird im Folgenden durch kurze „Gebietssteckbriefe“ ergänzt, die Daten zu den aus der jeweiligen Verwaltungsperspektive wichtigsten
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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Problemen und Potenzialen der einzelnen Programmgebiete enthalten56. Karten zur Abgrenzung von Programmgebieten und ihrer Lage in der Gesamtstadt sowie einige fotographische Impressionen aus den einzelnen Gebieten ergänzen das Bild. Gebietsabgrenzung Berlin – Schöneberg-Nord In Berlin wurden in dem bereits vorgestellten Gutachten „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ vier Gebietstypen „mit problematischen Entwicklungstendenzen“ auf Basis der Kriterien 䊏
soziale Entmischung aufgrund selektiver Wanderungen bei insgesamt zunehmenden innerstädtischen Wanderungstendenzen, 䊏 Konzentration von Transfermittelbezieher/innen insbesondere in Beständen des sozialen Wohnungsbaus sowie 䊏 „problematische Sozialprofile“ (vor allem in den westlichen Bezirken) identifiziert: innerstädtische Altbauquartiere im Westteil Berlins, innerstädtische Altbauquartiere in Ostberlin, Wohnkomplexe des sozialen Wohnungsbaus im Westteil Berlins sowie Großsiedlungen am Stadtrand im Osten der Stadt (Plattenbausiedlungen; vgl. SenStadt 1998: 14f.). Subjektive Einschätzungen von Vertreter/innen der Kommunalpolitik und -verwaltung führten zu einer weiteren Differenzierung der Frage, welche Stadtteile bzw. Quartiere als „besonders problematisch“ zu bezeichnen seien (ebd.: 15); im Ergebnis waren dies: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
56
Beusselkiez (damaliger Bezirk Tiergarten, heute57 zu Mitte gehörig), Soldiner Straße (damaliger Bezirk Wedding, heute zu Mitte gehörig), Sparrplatz (damaliger Bezirk Wedding, heute zu Mitte gehörig), Kreuzberg SO 36 (damaliger Bezirk Kreuzberg, heute zu Friedrichshain-Kreuzberg gehörig), Neukölln Nord (damals wie heute Bezirk Neukölln) sowie das im Rahmen der vorliegenden Untersuchung näher betrachtete Gebiet Schöneberg Nord58 (damaliger Bezirk Schöneberg, heute zu Tempelhof-Schöneberg gehörig).
Die „Steckbriefe“ sollen aus kommunaler Perspektive einen Eindruck der betreffenden Gebiete zum Zeitpunkt der Konzepterstellung vermitteln. Neuere Fortschreibungen, Evaluationsberichte etc. wurden daher nicht berücksichtigt. Die „Steckbriefe“ sind vergleichbar, enthalten jedoch zum Teil unterschiedliche Informationskategorien, was der Prioritätensetzung in der jeweiligen Kommune geschuldet ist. 57 Seit der Berliner Bezirksreform im Jahr 2001. 58 Schöneberg-Nord gehört zum Gebietstyp „innerstädtische Altbauquartiere im Westteil Berlins“, allerdings findet sich hier auch ein „Wohnkomplex des sozialen Wohnungsbaus“.
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Alle Gebiete zeichnen sich aus durch große Anteile von Arbeitslosen, Transfermittelempfänger/innen und Ausländer/innen (vor allem in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen), den Wegzug von Familien mit Kindern sowie von Erwerbstätigen bei gleichzeitigem Zuzug von ausländischen Zuwanderern, also eine insgesamt hohe Bevölkerungsfluktuation. Dazu kommen zunehmend „gewaltförmige Auseinandersetzungen – insbesondere zwischen Jugendgruppen –, Drogenkriminalität, Alkoholismus [sowie eine] wachsende Verbreitung von Gefühlen der Unsicherheit und Bedrohung“ (SenStadt 1998: 15). Auf Basis dieser sechs „besonders problematischen Gebiete“ sowie weiterer vier „Verdachtsgebiete“ im Ostteil der Stadt59 wurden insgesamt 15 „Gebiete mit besonderem Erneuerungsbedarf – Quartiersmanagementgebiete“ ausgewiesen. Da innerhalb großräumiger, als „problematisch“ bezeichneter städtischer Teilräume in einigen Fällen mehrere Programmgebiete der Sozialen Stadt eingerichtet wurden, kommt deren Gesamtzahl 15 zustande60.
Abbildung 6: Impressionen aus Berlin – Schöneberg-Nord Fotos: Katja Bagge (oben rechts), Thomas Franke 59
Oranienburger Vorstadt (Mitte), Falkplatz (Prenzlauer Berg), Helmholtzplatz (Prenzlauer Berg), Boxhagener Platz (Friedrichshain) 60 Heute sind bereits 34 Gebiete in den Berliner Ansatz gebietsbezogenen Verwaltungshandelns im Rahmen der Sozialen Stadt einbezogen, wobei allerdings unterschiedliche Interventionstiefen unterschieden werden – für das im Rahmen dieser Untersuchung betrachtete Gebiet gilt beispielsweise inzwischen nur noch eine „mittlere“ Dringlichkeit (vgl. www.quartiersmanagement-berlin.de/; Stand 12/2010).
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Im Teilraum Schöneberger Norden wurde der Bereich „Bülowstraße, Wohnen am Kleistpark“ als Programmgebiet der Sozialen Stadt ausgewiesen (AghB 1999: 31), um hier ein „integriertes Stadtteilverfahren – Quartiersmanagement“ einzuführen, das sich an den „vorhandenen Gebietsstrukturen mit seinen spezifischen Defiziten und Potenzialen zu orientieren“ hat (ebd.; eigene Hervorhebung). Detaillierte Angaben zu diesen Gebietsstrukturen wurden jedoch nicht gemacht.
Karte 1: Lage des Programmgebiets „Bülowstraße/Wohnen am Kleistpark“ in Berlin – Schöneberg-Nord Quelle: eigene Darstellung
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Karte 2: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Bülowstraße/Wohnen am Kleistpark“ in Berlin – Schöneberg-Nord Quelle: http://www.quartiersmanagement-berin.de/fileadmin/contentmedia/Dokumentation/Gebietskarten/Buelowstr.jpg
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Gebietssteckbrief Berlin – Schöneberg-Nord: „Bülowstraße, Wohnen am Kleistpark“ (Soziale Stadt) zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. SenStadt 2004; Stand des Datenmaterials: 1999) 䊏 Gebietsgröße: 67,5 ha 䊏 Bevölkerungszahl: rund 17.000 Einwohner/innen 䊏 nutzungsgemischtes Innenstadtgebiet mit gründerzeitlicher Altbausubstanz und
(Groß-)Wohneinheiten der 1970er Jahre 䊏 Problemlagen: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏
hohe Bebauungsdichte architektonische Mängel (eingestreuter Großkomplex des sozialen Wohnungsbaus) hohes Mietenniveau in Beständen des sozialen Wohnungsbaus punktuell hoher Wohnungsleerstand stellenweise hohe Verkehrsbelastung bauliche Mängel Mangel an öffentlichen Grün- und Freiflächen Fehlen eines Zentrums im Sinne eines Kristallisationspunktes für das öffentliche Leben Einzelhandelsangebot überwiegend in „Billigsegmenten“, hohe Ladenfluktuation unzureichendes Angebot an Kinderspielplätzen unzureichendes Sportflächenangebot für Jugendliche fehlende Treffpunkte teilweise Verwahrlosungstendenzen und Vandalismus im (halb-) öffentlichen Raum hohe Arbeitslosigkeit hoher Anteil an Sozialhilfeempfänger/innen hoher Anteil nichtdeutscher Bevölkerung (43%) Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, Vorurteile und Rassismus Sprachbarrieren bei Migrant/innen Negativimage der lokalen Schulen geringer (Aus-)Bildungsgrad der (jugendlichen) Bevölkerung gering ausgeprägte nachbarschaftliche Netzwerke, geringer Grad der Selbstorganisation der Bevölkerung Existenz einer Drogenszene Existenz eines Straßenstrichs (Drogenprostitution, Prostitution Minderjähriger) verbreitete Gewaltbereitschaft männlicher Jugendlicher gefühlte subjektive Unsicherheit verbreitete Resignation, Lethargie, Perspektivlosigkeit (von Jugendlichen) schwierige Erreichbarkeit eines größeren Teils der Gebietsbevölkerung durch aktivierende Maßnahmen und Beteiligungsangebote Negativimage
䊏 Potenziale: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
gutes Wohnraumangebot, qualitativ hochwertiger Wohnraum gute Verkehrsanbindung Teilbereiche sind touristisch/stadtweit interessant (Markt, Spezialgeschäfte, Cafés etc.) große Zahl freier Träger der Wohlfahrtspflege im Gebiet Initiative(n) von Bürger/innen (mit Migrationshintergrund) vitale ethnische Ökonomie kulturelle Vielfalt
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Gebietsabgrenzung Dortmunder Nordstadt Die Gebietskulisse „Dortmunder Nordstadt“ war für die Durchführung des bereits angesprochenen „Nordstadtprogramms“, des nordrhein-westfälischen Landesprogramms „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf “ sowie der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN II im Kern stets die gleiche. Danach umfasste es laut Konzeptgrundlage für die Durchführung des Landesprogramms „die Wohn- und Naherholungsgebiete der Nordstadt, d. h. die Räume der Sanierungsgebiete ‚Nordstadt-Programm‘, ‚Nord-II‘, ,Nord-III-Ost‘ und ‚Nord-III-West‘, sowie den Fredenbaumpark, den Hoeschpark und die Kleingartenanlagen (…)“ (Stadt Dortmund 1996: 10). Im Operationellen Programm URBAN II heißt es zur Gebietsabgrenzung, die Dortmunder Nordstadt bestehe aus den drei statistischen Bezirken Hafen, Nordmarkt und Borsigplatz (Stadt Dortmund 2001a: 40), die zwar „relativ eigenständige (…) Teilräume“ darstellten und „für die auch eigenständige Ziele formuliert sind, die in ihrer Summe [jedoch] die Entwicklungsperspektiven für den gesamten Stadtbezirk bilden“ (Stadt Dortmund 2001b: 8). Damit lagen der Gebiets-
Abbildung 7: Impressionen aus der Dortmunder Nordstadt Fotos: Thomas Franke
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abgrenzung aus Verwaltungssicht bereits „gegebene“ Raumeinheiten zu Grunde, die sich weitgehend an siedlungsstrukturellen Zusammenhängen und politischen Grenzen orientieren.
Karte 3: Lage des Programmgebiets „Nordstadt“ in Dortmund Quelle: eigene Darstellung
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Karte 4: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Dortmunder Nordstadt“ Quelle: Stadt Dortmund sowie eigene Darstellung
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Gebietssteckbrief Dortmunder Nordstadt (URBAN II) zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. Stadt Dortmund 2001a: 5ff.; 30ff.) 䊏 Gebietsgröße: 752 ha 䊏 Bevölkerungszahl: rund 55.000 Einwohner/innen 䊏 gründerzeitliches Stadterweiterungsgebiet, „klassischer“ Arbeiterstadtteil 䊏 Problemlagen: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏 䊏 䊏
䊏 䊏 䊏
䊏
hoher Anteil an Sozialhilfeempfänger/innen hoher Anteil an Ausländer/innen hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere unter Migrant/innen Armut hohe Anteile an Drogenabhängigen und Obdachlosen niedriges Bildungsniveau der Gebietsbevölkerung (unter anderem Sprachdefizite bei Migrant/ -innen), hoher Ausländeranteil in den Schulen, hohe Schulabbrecherquote innerfamiliäre Konflikte geringe Mobilität unzureichender Branchenmix der lokalen Wirtschaft (v.a. ethnische Ökonomie: Beschränkung auf Einzelhandel und Gastronomie), produktives Gewerbe (Handwerk) unterrepräsentiert, kaum Angebote für gehobenen Bedarf mangelnde Grünflächen, in Teilbereichen fehlende Spiel- und Aufenthaltsflächen Negativimage Fortzug einkommensstärkerer, Zuzug einkommensschwächerer Haushalte, große Fluktuation (Nordstadt als „Migrations- und Integrationsstandort für ganz Dortmund“, Stadt Dortmund 2001a: 23) Gefahr einer zunehmenden Aus-/Abgrenzung von der Gesamtstadt
䊏 Potenziale: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
Nähe zum Stadtzentrum, gute Erreichbarkeit Möglichkeiten der Flächenentwicklung auf Industriebrachen weit verbreitete Bereitschaft (von Migrant/innen) zur Existenzgründung gute Ausstattung mit kultureller, freizeitbezogener und sozialer Infrastruktur gute (Aus-, Weiter-)Bildungsinfrastruktur starke Identifikation der Gebietsbewohnerschaft mit ihrem Stadtteil/Quartier große Anzahl an (lokalen) Vereinen und Initiativen
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Gebietsabgrenzungen Essen-Katernberg und -Altendorf Ein weniger stark auf rigide Grenzziehungen basierender Ansatz wird in der Stadt Essen verfolgt: Aus Sicht der Essener Stadtverwaltung lässt sich das Programmgebiet Katernberg zwar in den (auch international bedeutsamen) Bereich Zeche Zollverein sowie angrenzende „soziale Brennpunkte“ unterteilen. „Wenn wir vom ‚Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf‘, von Katernberg, reden, ist [allerdings] nicht der Stadtteil in seinen statistischen Grenzen gemeint, sondern ein nicht ganz präzise abzugrenzender ‚Raum‘ Katernberg. Probleme und Potenziale (…) halten sich nicht an Verwaltungsgrenzen. Wenn es um finanzielle Förderung geht, wird mit dem Zuschußgeber [daher] zu verhandeln sein, ob der Ort des Projekts, der Maßnahme, noch dem Förderungsgebiet zuzuordnen ist“ (Stadt Essen 1995: 5).
Somit werden – anders als beispielsweise in Dortmund – die räumlichen Fördergebietsgrenzen zumindest auf konzeptioneller Ebene nur annäherungsweise definiert; man setzt hier also eher auf eine flexible Handhabung im Prozessverlauf, denn „bei den ‚Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf‘ handelt es sich in der Realität [lediglich] um Teile von Stadtteilen“ (ebd.: 4). Im Gegensatz zum Programmgebiet Katernberg finden sich allerdings für EssenAltendorf im entsprechenden Integrierten Handlungskonzept „engere“ Angaben zur
Abbildung 8: Impressionen aus Essen-Katernberg Fotos: Thomas Franke
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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Gebietsabgrenzung: Altendorf werde durch Gewerbegebiete im Osten und Süden, Industriebrache im Osten, Eisenbahntrassen im Süden und Südwesten, den (abwasserführender) Borbecker Mühlenbach im Nordwesten sowie Grünflächengürtel im Westen – also weitgehend durch physische Barrieren – begrenzt (Stadt Essen 1998: 6, 27).
Karte 5: Lage des Programmgebiets „Katernberg“ in Essen Quelle: eigene Darstellung
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Karte 6: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Essen-Katernberg“ Quelle: Stadt Essen. Amt für Stadterneuerung, Liegenschafts- und Wohnungswesen. Amt für Entwicklungsplanung, Statistik, Stadtforschung und Wahlen. 19. 10. 1955.
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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Gebietssteckbrief Essen-Katernberg „Soziale Stadt“ zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. Stadt Essen 1995: 18ff.; 1997b: 11; 1999: 11ff.) 䊏 Gebietsgröße: 477 ha; Bezirk VI: 1.300 ha 䊏 Einwohnerzahl: rund 52.000 (gesamter Stadtbezirk VI, Stand 31. 12. 1996) 䊏 „klassischer“, vom wirtschaftlichen Strukturwandel stark betroffener Arbeiterstadtteil, stellenweise
mit Industriebrachen (Zechenschließungen) 䊏 Zentrale Problemlagen: 䊏 䊏 䊏 䊏
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Zuzug einkommensschwächerer Haushalte überdurchschnittliche Anteile von Aussiedler/innen und Ausländer/innen überdurchschnittlicher Anteil alleinerziehender Zuwander/innen belastete Schulsituation durch überdurchschnittliche Anteile von Zuwandererkindern in den Klassen niedriges (Aus-)Bildungsniveau der Quartiersbevölkerung überdurchschnittlicher Anteil an (Langzeit-)Arbeitslosen niedrige Haushaltseinkommen, Einkommensarmut überdurchschnittlicher Anteil von Bezieher/innen staatlicher Transferleistungen geringe Leistungsfähigkeit familiärer Strukturen infolge schwieriger individueller Lebenssituationen und damit verbundener Alltagsbelastungen unzureichendes Vorsorgeverhalten der Gebietsbevölkerung im Gesundheitsbereich unzureichende soziale Infrastruktur (Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder offene Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Spielplätze) unzureichende berufliche Perspektiven für Jugendliche verbreitete Verunsicherungen in materieller und persönlicher Hinsicht Gleichgültigkeit und Vandalismus Suchtproblematiken, Beschaffungskriminalität mangelndes Zusammengehörigkeitsgefühl Nachbarschaftskonflikte, Konflikte zwischen Deutschen und ausländischen Bevölkerungsgruppen teilweise Modernisierungsbedarfe im Wohngebäudebestand bei gleichzeitig hohen Mieten Konkurrenz um günstigen attraktiven Wohnraum mangelnde Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums physische Barrieren im Quartier unzureichende Grünflächen stellenweise Altlastenproblematik hohe Fluktuation, geringe Bindung an den Stadtteil geringe Wahlbeteiligung
䊏 Entwicklungspotenziale: 䊏 Innenstadtnähe 䊏 gute Erreichbarkeit, gute ÖPNV-Erschließung 䊏 Umnutzungspotenziale der Standorte Zeche Zollverein für Nutzungen in den Bereichen
Gewerbe/Design/Werbung etc. mit erhofften Ausstrahlungseffekten in das Programmgebiet
112
Abbildung 9: Impressionen aus Essen-Altendorf Fotos: Thomas Franke
5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Karte 7: Lage des Programmgebiets „Altendorf“ in Essen Quelle: eigene Darstellung
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Karte 8: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Essen-Altendorf“ Quelle: Stadt Essen, Amt für Entwicklungsplanung, Statistik, Stadtforschung und Wahlen 1997
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
115
Gebietssteckbrief Essen-Altendorf (Soziale Stadt) zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. Stadt Essen 1998: 6ff.) 䊏 Einwohnerzahl: 22.684 (Stand: 30. 06. 1996) 䊏 Gebietsgröße: 256 ha 䊏 „klassischer“ Arbeiterstadtteil, stellenweise mit Industriebrachen 䊏 Zentrale Problemlagen: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
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Zuzug einkommensschwächerer Haushalte hoher Ausländeranteil Konflikte zwischen deutschen und nicht-deutschen Bevölkerungsgruppen hoher Anteil von Sozialhilfeempfänger/innen hoher Anteil von Alleinerziehenden Einkommensarmut unzureichendes Vorsorgeverhalten der Gebietsbevölkerung im Gesundheitsbereich innerfamiliäre Konflikte Drogenmissbrauch, Vandalismus unzureichende soziale Infrastruktur (z. B. Mangel an Kitas, fehlende Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche) unterdurchschnittliche Schulversorgung (z. B. Fehlen eines Gymnasiums) punktuelle Unterversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, unzureichender Branchenmix im Einzelhandel, starke Unternehmensfluktuation, geringe Akzeptanz ethnischer Ökonomie bei deutscher Bevölkerung, fehlende betriebswirtschaftliche Kenntnisse bei ethnischen Unternehmer/-innen fehlende Expansionsmöglichkeiten für Handwerks- bzw. Gewerbebetriebe Wohnumfeldmängel/Defizite bei Gestaltung und Durchgrünung des öffentlichen Raums, Unterversorgung mit Frei- und Spielflächen hohe Bebauungsdichte, hoher Versiegelungsgrad Mängel in der Bausubstanz (schlichte Gestaltung, kleine Wohnungszuschnitte, geringe Energieeffizienz, Sanierungs- und Modernisierungsbedarfe) Industriebrachen bzw. brachliegende Industrieflächen (u. a. im Zusammenhang mit stillgelegten Zechenanlagen) Negativimage
䊏 Potenziale: 䊏 䊏 䊏 䊏
Innenstadtnähe gute Erreichbarkeit, gute ÖPNV-Erschließung verbreitete Gründungsaktivitäten nichtdeutscher Unternehmer/innen Entwicklungsmöglichkeiten brachliegender (Industrie-)Flächen
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Gebietsabgrenzungen Leipziger Osten und Westen Die Abgrenzung des Programmgebiets „Leipziger Osten“ ergibt sich – wie auch schon die wesentlichen Zielsetzungen der Quartiersentwicklung – aus dem Stadtentwicklungsplan Wohnungsbau und Stadterneuerung (STEP W+S)61, wobei jedoch auf „umfangreiche Analysen“ hingewiesen wird, aus denen auf „sogenannte Identifikationsbereiche“ rückgeschlossen werden könne. Damit sind aber offensichtlich keine Raumkonstruktionen gemeint, wie sie in Kapitel 3.2 vorgestellt wurden, denn weiter heißt es: „Ein ‚Identifikationsbereich‘ umfasst (…) den Raum, von dem angenommen wird, daß er von der Mehrzahl der dort lebenden Menschen als ‚mein Stadtteil‘ bezeichnet wird“ (Stadt Leipzig 2000: 12; eigene Hervorhebung). Es gehe allerdings – vergleichbar mit der Situation in Essen-Katernberg – weniger um eine exakte Gebietsabgrenzung: „Diese Herangehensweise erscheint für die Bestimmung von [räumlichen] Bereichen, in denen integrierte und aktivierende Handlungsansätze greifen sollen, besser geeignet, als zwar begründete, aber häufig nur schwer nachvollziehbare starre Grenzziehungen, wie sie z. B. bei der Abgrenzung von (…) Sanierungsgebieten erfolgen“ (ebd.). Innerhalb des Programmgebiets Leipziger Osten, das mehrere Stadtteile umfasst, werden Projekte und Maßnahmen zunächst auf eine als besonders „problematisch“ beschriebene „Kernzone“ im Bereich einer 61
Im STEP W+S wurden auf Basis von teilräumlichen Gebietstypisierungen die „mit Priorität zu entwickelnden Standorte“ festlegt und „die erhaltungs- bzw. umbauorientierten Ansätze der Bestandsentwicklung“ räumlich verortet (Stadt Leipzig 2000a: 17). Grundlegend dafür waren neben städtebaulichen und wohnungsmarktbezogenen Strukturdaten auch Statistiken beispielsweise zu Wanderungsbewegungen oder zur Bevölkerungszusammensetzung einzelner Wohnquartiere. Der STEP W+S enthält mehrere Teilpläne, von denen sich der „Teilplan Stadterneuerung“ auf die Gründerzeitquartiere konzentriert, ihre Probleme sowie Potenziale aufzeigt und eine Darstellung des aus Sicht der Kommune notwendigen Interventionsbedarfs enthält (ebd.: 18). Insgesamt werden darin vier Gebietstypen ausgewiesen, verbunden mit unterschiedlichen Entwicklungsstrategien (vgl. Stadt Leipzig 2000a: 10f.): 䊏 Konsolidierte Bereiche mit selbst tragender Entwicklung (rund 50% des innerstädtischen Bestands); 䊏 Erhaltungsgebiete, in denen „die Blockstrukturen aktiv gestützt und die Blockinnenbereiche weitgehend begrünt werden“ (ebd.: 10); 䊏 einzelne Gebäudezeilen mit Erhaltungspriorität; 䊏 Umstrukturierungsgebiete, „die in ihrer gegenwärtigen Struktur nicht ‚zukunftsfähig‘ sind“ (ebd.: 11), weshalb hier Abriss- und Umnutzungsmaßnahmen konzentriert werden sollen. Der Einsatz öffentlicher Mittel wird auf „Gebäudezeilen mit Erhaltungspriorität“, „Erhaltungsgebiete“ sowie auf „Umstrukturierungsgebiete mit Priorität“ konzentriert (ebd.: 14). Darüber hinaus waren für „Stadtteile mit sehr starker Problemintensität“ – dies sind quer zu den genannten Kategorien liegende Sonderbereiche – integrierte Stadtteilentwicklungskonzepte als Voraussetzung für eine effiziente Mittelbündelung zu erarbeiten (ebd.). Bei diesen als besonders „benachteiligt“ identifizierten Gebieten handelt es sich um weite Teile des Leipziger Ostens und des Leipziger Westens, in denen unter anderem die Förderprogramme Soziale Stadt und URBAN II umgesetzt werden bzw. wurden (vgl. Stadt Leipzig 2000a: 11).
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
117
zentralen Hauptverkehrs- und Versorgungsstraße konzentriert, während den anderen Gebietsteilen der Charakter eines „Untersuchungsgebietes“ zugesprochen wird (ebd.), in dem eher punktuell zu agieren ist. Auch die Abgrenzung des ehemaligen Programmgebiets URBAN II im Leipziger Westen, das ebenfalls aus mehreren Stadtteilen bestand, basierte inhaltlich wesentlich auf dem STEP W+S, allerdings wurde die Gebietsfestlegung hier wesentlich strikter gehandhabt als im Leipziger Osten. Grund dafür war, dass eine ursprünglich geplante, weniger exakte und nicht parzellenscharfe Abgrenzung „Interpretationsspielräume zuließ, die vom Programmplaner [EU-Kommission] nicht erwünscht“ waren (Stadt Leipzig 2002: 7). Hauptgrund für dieses Vorgehen war die Einhaltung der „value for money“-Vorgabe der EU (vgl. Kapitel 5.1.2), was auch die Interviewergebnisse verdeutlichen (vgl. Kapitel 6).
Abbildung 10: Impressionen aus dem Leipziger Osten Fotos: Thomas Franke (oben und unten rechts), Wolf-Christian Strauss (oben und unten links)
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Karte 9: Lage des Programmgebiets „Leipziger Osten“ in Leipzig Quelle: eigene Darstellung
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Karte 10: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Leipziger Osten“ Quelle: Stadt Leipzig 1999
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Gebietssteckbrief „Leipziger Osten“ (Soziale Stadt) zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. Stadt Leipzig 2000: 16; Büro für urbane Projekte 2002: 5ff., Franke/Böhme 2002: 8) 䊏 Gebietsgröße: rund 340 Hektar 䊏 Bevölkerungszahl: rund 27.000 Einwohner/innen 䊏 gründerzeitliche Stadterweiterungen, „klassische“ Arbeiterquartiere, stellenweise (brachliegende)
Industriebauten/-flächen 䊏 zentrale Problemlagen: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
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hoher Anteil an Flächen- und Gebäudebrachen großer Sanierungs- und Modernisierungsbedarf Wohnungs- und Gewerbeleerstände hohe Bebauungsdichte unzureichende Kultur- bzw. Freizeitangebote teilweise Verwahrlosung des öffentlichen Raums fehlende Arbeitsplätze vor Ort defizitäre Angebotsstrukturen im Einzelhandel Abwanderung von Familien mit Kindern bei gleichzeitigem Zuzug einkommensschwächerer Haushalte überdurchschnittliche Anteile von Arbeitslosen und Empfänger/innen staatlicher Transferleistungen hoher Anteil von Alleinerziehenden sinkende Kaufkraft überdurchschnittliche (Jugend-/Drogenbeschaffungs-)Kriminalität
䊏 Potenziale: 䊏 䊏 䊏 䊏
soziales Engagement von lokalen Institutionen und Organisationen Flächenpotenziale Innenstadtnähe gute Erreichbarkeit
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Abbildung 11: Impressionen aus dem Leipziger Westen Fotos: Thomas Franke
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Karte 11: Lage des Programmgebiets „Leipziger Westen“ in Leipzig Quelle: eigene Darstellung
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
Karte 12: Detailabgrenzung des Programmgebiets „Leipziger Westen“ Quelle: www.urban-leipzig.de/Bilder/Grafiken/Programmgebiet URBAN II Leipziger Westen.jpg
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Gebietssteckbrief „Leipziger Westen“ (URBAN II) zum Zeitpunkt der Gebietsabgrenzung (vgl. Stadt Leipzig 2001a: 2ff.; 24ff.) 䊏 Gebietsgröße: rund 800 ha 䊏 Bevölkerungszahl: rund 31.000 Einwohner/innen (Stand 1999) 䊏 überwiegend Gründerzeitbebauung mit hohem Anteil an (brachliegenden) Industriebauten/-flächen 䊏 zentrale Problemlagen: 䊏 massive Deindustrialisierung in den Bereichen Maschinenbau, Metallverarbeitung, Chemie 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
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und Textil Verlust von rund 30.000 Arbeitsplätzen, unzureichendes Arbeitsplatzangebot hohe Arbeitslosigkeit (23%; Teilbereich Lindenau: 27%; Gesamtstadt: 19,2%) überdurchschnittlicher Anteil an Sozialhilfeempfänger/innen (10%; Gesamtstadt: 4,3%) geringes Qualifizierungsniveau ehemaliger Industriebeschäftigter geringes Bildungsniveau bei Jugendlichen Bevölkerungsrückgang zwischen 1992 und 1998 um 16,9%, punktuell um mehr als 20% (Suburbanisierung, arbeitsplatzbedingte Abwanderung in die alten Bundesländer) Zuzug ausländischer Bevölkerungsgruppen, geringe Integration Konflikte zwischen deutschen und ausländischen Gebietsbewohner/innen, Fremdenfeindlichkeit hohe Kriminalität unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung Industrie-/Gewerbeflächenbrachen in der Größenordnung von 40 ha, Altlastenproblematiken schwache lokale Ökonomie, Versorgungslücken im Bereich mittel- bis langfristiger Bedarfe, geringe Wirtschaftskraft der ansässigen Unternehmen, Kaufkraftverluste der Bevölkerung Mangel an öffentlichen Spielplätzen sowie Freizeit- und Aufenthaltsräumen für Jugendliche Mangel an Kultur- und Gesundheitseinrichtungen problematische Eigentümerstrukturen (große Vielfalt, Kapitalschwäche, mangelnde Investitionsbereitschaft) Verfallserscheinungen in Wohnquartieren, hoher Leerstand Vandalismus überdurchschnittliche Bebauungsdichte stellenweise starke Verkehrsbelastungen defizitäres Grün- und Freiflächenangebot unzureichendes Fuß- und Radwegenetz Negativimage
䊏 Entwicklungspotenziale: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
zentrale innenstadtnahe Lage großes Frei- und Gewerbeflächenangebot Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen niedrige Wohn- und Gewerbemieten starke Identifikation der lokalen Bevölkerung mit ihrem Quartier/Stadtteil
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
125
Insgesamt zeigen die Dokumente also, dass bei der Abgrenzung der Programmgebiete eine Mischung unterschiedlicher Kriterien eine Rolle gespielt hat: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
statistische (Sozial-)Daten (Berlin, Dortmund, Leipzig), subjektive Einschätzungen von Verwaltungsmitarbeiter/innen (Berlin, Leipzig), Lokalisierung von „Identifikationsräumen“ der Gebietsbevölkerung durch die Verwaltung (Essen, Leipzig), aus der Verwaltungsperspektive identifizierbare physische Barrieren bzw. siedlungsstrukturelle Zusammenhänge (Dortmund, Essen), administrative (Bezirks-)Grenzen (Berlin, Dortmund), bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausgewiesene Programmgebiete (Dortmund), übergeordnete Programmvorgaben (Dortmund, Leipzig).
Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 aufgezeigten raumtheoretischen Perspektiven bestätigt sich damit immer mehr der Eindruck, dass „Raum“ als Gegenstand gebietsbezogenen Verwaltungshandelns von den kommunalen Akteuren, die für eine Programmumsetzung verantwortlich sind, überwiegend im Sinne eines „Behälters“ verstanden wird. Anders als im Zusammenhang mit Fragen der Zielentwicklung finden sich in den Integrierten Entwicklungskonzepten und Operationellen Programmen keine Hinweise auf die Notwendigkeit, auch bei der Gebietsabgrenzung Raumsynthetisierungen der (potenziellen) Gebietsbevölkerungen und anderer lokaler Akteure berücksichtigen zu müssen. Es handelt sich bei den Programmgebieten somit um rein „admininstrative Regionalisierungen“ bzw. „politische Territorien“. Eine Ausnahme stellt der Ansatz für Essen-Katernberg dar: Die Aussage im Integrierten Entwicklungskonzept, Gebietsgrenzen nur annäherungsweise festzulegen und das Programm Soziale Stadt je nach Bedarfen „vor Ort“ gegebenfalls auch außerhalb dieser provisorischen Grenzen umsetzen zu wollen, kann hier als Bereitschaft interpretiert werden, die Raumproduktionen professioneller Akteure aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft auf der Basis von Raumsynthetisierungen der Quartiersbewohnerschaft und anderer lokaler Akteure zu modifizieren. 5.2.4
Konzeptvorgaben: Gebietsmanagement
Grundsätzlich wurden für die Umsetzung des gebietsbezogenen Ansatzes in allen vier Beispielkommunen ressortübergreifende Arbeitsgruppen auf der Verwaltungsebene (horizontale Vernetzung), lokale Quartiermanagements auf der Umsetzungsebene der Gebiete (horizontale Vernetzung) sowie Strukturen zur vertikalen Vernetzung von Verwaltungs- und Quartiersebene eingerichtet. Dazu kommen verschiedene Beteiligungsgremien sowohl innerhalb als auch außerhalb von Politik und Verwaltung. Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene Die auf der Verwaltungsebene der Beispielkommunen eingerichteten ressortübergreifenden Gremien für gebietsbezogenes integriertes Handeln unterscheiden sich
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
generell nur wenig bei Zielsetzungen bzw. Aufgabenstellungen; dazu gehören (AghB 1999; Stadt Essen 1997a: 40ff.; Stadt Essen 1998: 12; Stadt Leipzig 2000: 23): 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
gebietsbezogene Ressourcenbündelung, Akteursvernetzung/-koordinierung, Festlegung von inhaltlichen Handlungsschwerpunkten der Verwaltung, Projektinitiierung, Steuerung/Controlling der Umsetzung von Projekten und Maßnahmen, Berichterstattung.
Im Detail finden sich teilweise jedoch auch Unterschiede zwischen den Beispielkommunen. In Berlin legte das Abgeordnetenhaus zu Beginn der Umsetzung des Programms Soziale Stadt fest, auf der Senatsebene sei eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe der (damaligen) Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie sowie für Bauen, Wohnen und Verkehr einzurichten, die im Bedarfsfall durch weitere Senatsverwaltungen zu ergänzen sei. Die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Gremiums werden vor allem in den Bereichen Monitoring und Evaluation des gebietsbezogenen Handlungsansatzes gesehen. Für die Ebene der Bezirke wird gefordert, „dass die Bezirksämter durch Bezirksamtsbeschluss die vorgesehenen Gebiete (…) zum Schwerpunktgebiet der bezirklichen Entwicklung erklären und die Bereitschaft zum konzentrierten Einsatz der bezirklichen Mittel und Ressourcen für diese Quartiere bekunden“ (AghB 1999). Dazu werden die Nominierung eines „bezirklichen Quartierskoordinators (Leitstelle Quartiersmanagement)“ und ebenfalls die Bildung einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe gefordert (AghB 1999). Auch für die übergeordnete Steuerung der Umsetzung des Programms URBAN II in der Dortmunder Nordstadt war auf der Verwaltungsebene ein ressortübergreifender Lenkungskreis als Koordinationsgremium ins Leben gerufen worden, an dem Vertreter/innen des Rechts-, des Sozial- und des Planungsdezernats, des Büros für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund teilnahmen (Stadt Dortmund 2001a: 98)62. Ein darüber hinaus gehendes ämterübergreifendes Gremium existierte allerdings nicht; außerhalb von
62
Ein Interviewpartner in der Dortmunder Verwaltung wies darauf hin, aufgrund der Komplexität von URBAN II bzw. der komplizierten Handhabung der umzusetzenden Fördergelder und den dafür erforderlichen Personalressourcen habe es „im administrativen Bereich erhebliche Schwierigkeiten“ gegeben“ (IQ14). Daher sei im Jahr 2004 eine neue dezernats- und ämterübergreifende URBAN II-Projektgruppe ins Leben gerufen worden, die unter anderem aus Vertreter/innen der Bereiche Kämmerei, Umwelt, Planung, Schule, Jugend, aber auch der (Fortsetzung auf S. 127)
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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URBAN II erfolgte ressortübergreifende Zusammenarbeit ausschließlich im Zusammenhang individueller Einzelprojekte. In Essen zielt der Ansatz gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in stärkerem Maße als in Berlin und Dortmund auf Veränderungen der Verwaltungsebene selbst. Hier wird betont, es gehe darum, die bisherigen sektoralen Routinen auf der Verwaltungsebene zu Gunsten einer ressortübergreifenden und für die Belange der Quartiersebene offenen Arbeitsweise umzustrukturieren: „Verwaltung und Politik führen – wie andere Institutionen auch – ein Eigenleben bezogen auf ihre Ziele, die Organisationsformen, Arbeitsstrukturen, Personalprofile, Fachlichkeit, Rationalität usw. Dies ist ein Tatbestand von allgemeiner Geltung und kann Verwaltung und Politik nicht vorgeworfen werden. Werden jedoch Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit angestrebt, sind Antworten auf folgende Fragen zu suchen: Wie können Verwaltung und Politik die Interessen der Bevölkerung aufnehmen und in praktische Politik umsetzen? Wie lassen sich die Lebensentwürfe und Lebenswelten der Bewohnerinnen und Bewohner mit der kommunalen Politik verknüpfen? Und wie kann ein Interessenausgleich zwischen Institutionen, Verbänden und den Lebenswelten der Stadtbewohnerinnen und -bewohner in den Stadtteilen herbeigeführt werden?“ (Stadt Essen 1997a: 30).
So wurden für die Umsetzung des Programms Soziale Stadt in Essen-Katernberg innerhalb der Verwaltung per Ratsbeschluss das Arbeitsprinzip der Ressourcenvernetzung (Fachwissen, Personal, Finanzen, Sachmittel) eingeführt und – wie in Berlin – eine zentrale Ansprechperson für den gebietsbezogenen Ansatz nominiert (vgl. Stadt Essen 1997a: 40f.). Aufgabe der hier ebenfalls eingerichteten ressortübergreifenden „Projektgruppe“ ist es, „Partner zusammenzubringen: Ideenträger, Financiers, Verantwortliche, Betroffene“ (Stadt Essen 1995: 53). Auch ist es ihre Aufgabe, „Akteure und Entscheidungsträger wichtiger gesellschaftlicher Organisationen auf kommunaler sowie auf ministerieller Ebene mit einzubeziehen“ (ebd.). Diese „Projektgruppe“ unter Federführung des Amtsbereichs Stadtentwicklung agiert unabhängig von der „traditionellen“ Linienorganisation der Verwaltung und „tritt in regelmäßigen Abständen bzw. bei Bedarf zusammen“ (ebd.: 55). Ähnliche Verwaltungsstrukturen wurden für den gebietsbezogenen Handlungsansatz in Essen-Altendorf eingerichtet: In der ressortübergreifenden „Lenkungsgruppe Altendorf“ kommen – ebenfalls unter Federführung des Bereichs Stadtentwicklung – alle Dezernate der Stadtverwaltung sowie Fraktionsmitglieder der Bezirksvertretung, das lokale Quartiermanagement und die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft zusammen (Stadt Essen 1998: 11).
62
(Fortsetzung von S. 126) Immobilienwirtschaft (insgesamt 15 Personen) bestand. Fragen aus der Projektgruppe sollten nun direkt an die jeweils zuständigen Ämter „auf kurzem Wege“ weitergeleitet werden. „Diese Änderung musste vorgenommen werden, damit URBAN II überhaupt zum Ziel kommen konnte. Mit der wenigen Manpower, die man vorher hatte, war das nicht zu leisten, das ging gar nicht“ (IQ14). Die Projektgruppe URBAN II sei zwar aus der „Linie“ herausgelöst, jedoch dem Planungsdezernenten direkt zugeordnet (gewesen).
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Das Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene der Stadt Leipzig unterscheidet sich für den Leipziger Osten – zumindest auf dem Papier – nicht von den Strukturen, die für die anderen Beispielkommunen vorgestellt wurden: Für dieses Gebiet ist ebenfalls eine ressortübergreifende „Ämterrunde“ zuständig, in der die „Aktivitäten der unterschiedlichen Ämter“ im Rahmen der Programmumsetzung Soziale Stadt abgestimmt werden (Stadt Leipzig 2000: 23). Im Rahmen der Umsetzung von URBAN II im Leipziger Westen wurden dagegen – insbesondere auch im Vergleich mit der Situation in Dortmund – aufwendigere Strukturen aufgebaut. Hier erfolgte die ressortübergreifende Abstimmung zunächst in einer „städtischen Arbeitsgruppe URBAN“, die „bei entsprechendem Bedarf projektbezogene Arbeitskreise veranstaltet“ (Stadt Leipzig 2001a: 119). Die Repräsentant/innen dieses Gremiums sowie des Forums Leipziger Westen (siehe weiter unten) bildeten den Kern des „Lenkungsausschusses URBAN“, der „in Abstimmung mit den betreffenden Ämtern die einzelnen Maßnahmen [bestimmt], bevor diese an die Koordinierungsgruppe zur Bewilligung weitergeleitet“ wurden (ebd.: 136). Darüber hinaus wurde für die Laufzeit von URBAN II ein Beirat für integrierte Stadtteilentwicklung eingerichtet, zu dessen Zielen es gehörte, die in Leipzig mit integrierter Stadtteilentwicklung befassten Akteure zusammenzubringen, einen organisatorischen Rahmen „für eine neue Abstimmungs- und Diskussionskultur“ mit Rückendeckung des Stadtrats bereitzustellen, Arbeitsprozesse (der Verwaltung) mit enger Kopplung an die Stadtteilebene zu beschleunigen und kommunale Ressourcenentscheidungen zu beeinflussen sowie gebietsbezogenem Verwaltungshandeln stärkeres politisches Gewicht zu verleihen (vgl. Stadt Leipzig o. D.: 7)63. Das Gremium „berät den Oberbürgermeister und den Stadtrat bei Richtungsentscheidungen mit Bezug zur Entwicklung von problematischen Stadtteilen, bevor in den zuständigen Gremien (Dienstberatung des Oberbürgermeisters, Stadtrat) Beschlüsse gefasst werden“ (ebd.: 9). Gebietsmanagement auf der Quartiersebene Gebietsmanagement auf der Umsetzungsebene der Programmgebiete besteht in allen Beispielkommunen aus lokalen „Quartiermanagements“, d. h. Büros „vor Ort“, in denen bzw. von wo aus Fachkräfte mit der Quartiersbevölkerung und anderen lo63
Der Beirat bereitete Entscheidungen vor, erörterte Vorschläge für Maßnahmen und Projekte, erarbeitete Umsetzungsempfehlungen, diente generell der Meinungsbildung, verfügte allerdings über keine eigenen Entscheidungsbefugnisse. Beteiligt waren unter anderem Vertreter/innen der fünf Stadtratsfraktionen, der betroffenen Stadtbezirksbeiräte, von Industrieund Handelskammer, Handwerkskammer, Arbeitsamt, Wohnungswirtschaft, Trägern der Jugend- und Sozialarbeit, Wissenschaft, der Foren Leipziger Westen und Leipziger Osten (siehe weiter unten), des Regierungspräsidiums (Fördermittelgeber), der kommunalen Programmverantwortlichen für die Soziale Stadt und URBAN II bzw. verschiedener Verwaltungsbereiche (Stadterneuerung, Jugend, Soziales, Gesundheit; vgl. Stadt Leipzig o. D.: 11).
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
129
kalen Akteuren zusammenarbeiten. Zu ihren Aufgaben, die in den einzelnen Kommunen bzw. Gebieten einen unterschiedlich hohen Stellenwert haben können, gehören (vgl. AghB 1999: 32; Stadt Dortmund 2001b: 3; Stadt Essen 1998: 11f.; Stadt Leipzig 2001a: 108): 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
Koordination lokaler Akteure: Akteursvernetzung, Unterstützung der Kooperation von Institutionen, Initiativen, Unternehmen und anderen (lokalen) Akteuren, Entwicklung eines gemeinsam getragenen Quartierskonzeptes bzw. Leitbildes, Bewohneraktivierung, Unterstützung der Aktivitäten von Bewohner/innen und anderen Akteuren im Programmgebiet, Empowerment, Organisation von Beteiligungsgremien, Projektinitiierung: Bündelung vor Ort geäußerter Projektideen, Projektentwicklung, Beratung bei der Projektdurchführung, Mitwirkung an der Erfolgskontrolle, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit.
Unterschiede zwischen den Beispielkommunen sind bei der generellen Bedeutung dieser dezentralen Managementeinheiten für den Gesamtprozess und bei den Schwerpunkten ihrer Arbeit zu erkennen. So stehen lokale Quartiermanagements in Berlin im Zentrum des gesamten Ansatzes gebietsbezogenen Verwaltungshandelns und übernehmen einen Großteil der Verantwortung für die Umsetzung des Programms Soziale Stadt. Sie initiieren Entwicklungsprozesse „vor Ort“ und sind für die Umsetzung der Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verantwortlich; auch sind sie für die Erarbeitung fortschreibungsfähiger Handlungskonzepte und Mittelakquise zuständig (AghB 1999: 32) – beides Aufgaben, die beispielsweise in Leipzig eher auf der Verwaltungsebene angesiedelt sind. In der Dortmunder Nordstadt wurden für die drei statistischen Bezirke Hafen, Nordmarkt und Borsigplatz im Rahmen von URBAN II erstmals in der längeren Stadtteilentwicklungsgeschichte lokale Quartiermanagements eingerichtet, insbesondere um das partizipative Element der Programmumsetzung zu stärken: „Mit Hilfe von URBAN II ist beabsichtigt, den qualitativ anspruchsvollen Schritt von der reagierenden Reparaturstrategie zu einer aktiven Partizipation“ zu gehen (Stadt Dortmund 2001a: 43). Dies wird auch im Anforderungsprofil an die lokalen Quartiermanagements deutlich, in dem es unter anderem heißt, sie sollten stets eine Anlaufstelle vor Ort bilden: „Die Beteiligung der Bewohner (…) ist ein wesentliches Element der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN II. Als Basis müssen Orte geschaffen werden, an denen Bewohner schnell und ohne großen (…) Aufwand Informationen einholen und Ansprechpartner für Probleme oder Vorschläge finden“ (Stadt Dortmund 2001b: 4).
Die Bedeutung der „Vor-Ort“-Arbeit wird in Essen noch stärker betont – allein schon dadurch, dass speziell hierfür ein Kooperationsvertrag zwischen der Stadt,
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
dem Institut für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität/Gesamthochschule Essen und dem Diakoniewerk Essen abgeschlossen wurde, um Gemeinwesenarbeit in den Soziale Stadt-Gebieten Katernberg und Altendorf durchführen zu können: aktivierende Befragungen, Beteiligung, Mediation in Konfliktfällen, Initiierung und Durchführung von Projekten (vgl. Stadt Essen 1997a: 38 und Stadt Essen 1998: 11f.). Dagegen genießt das lokale Quartiermanagement mit „Stadtteilladen“ im Leipziger Osten lediglich den Status eines „Kernprojektes“ (Stadt Leipzig 2000: 19f.), ist also kein gleichberechtigter Bestandteil eines komplexen Managementprozesses, sondern befindet sich zumindest formal „auf gleicher Augenhöhe“ wie Projekte beispielsweise im städtebaulichen Bereich; sein Tätigkeitsspektrum entspricht den eingangs gelisteten Aufgaben. Im Leipziger Westen wurden dagegen gleich zwei lokale Quartiermanagements eingerichtet, wobei eines – vergleichbar mit der Situation im Leipziger Osten – auf den Bereich eines besonders benachteiligten Teilraumes beschränkt blieb und hier auch für Gemeinwesenarbeit im weitesten Sinne zuständig war, während es sich bei dem anderen um das „offizielle“ lokale Management im Rahmen der Umsetzung des Programms URBAN II handelte. Es war für einen vergleichsweise großen Einzugsbereich verantwortlich, jedoch nur mit lediglich einer Person besetzt („Stadtteilmoderation“), an welche die „Interessenslagen, Probleme und mögliche Lösungsvorschläge von den Bewohnern des Quartiers herangetragen werden sollen“ (Stadt Leipzig 2001a: 109), um sie an die Verwaltung weitervermitteln zu können. Außerdem ging es darum, Informations- und Beratungsleistungen für Bürger/innen rund um URBAN II anzubieten und Räumlichkeiten für Diskussionsrunden, Ausstellungen etc. zur Verfügung zu stellen (Stadt Leipzig 2002: 29). Damit zeichnete sich dieser Ansatz – anders, als im Leipziger Osten oder auch beispielsweise in Essen – eher durch „Kommstrukturen“ und Informationsarbeit aus, während Aktivierung eine vergleichsweise untergeordnete Rolle zu spielen schien. Neben den lokalen Quartiermanagements existieren in allen Gebieten der Beispielkommunen weitere lokale (Beteiligungs-)Gremien bzw. wurden sie im Zuge der Programmumsetzung Soziale Stadt und URBAN II eingerichtet. Dabei zeichnet sich die Dortmunder Nordstadt durch die besondere Situation aus, dass es hier aufgrund der geschilderten Programmgenese zu Beginn der Umsetzung von URBAN II bereits zahlreiche Beteiligungsgremien „vor Ort“ gab, die im Zuge älterer Stadtteilentwicklungsansätze entstanden waren und auch in dieser jüngsten Runde integrierter Quartiersentwicklung nach wie vor eine Rolle spielten (Stadt Dortmund 2001b: 5): Das Stadtteilmanagement Nordstadt ist unter anderem für die Identifizierung von Problemen im Programmgebiet sowie die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen verantwortlich (Stadt Dortmund 2001a: 98f.), das Nordstadtforum bildet die Schnittstelle zwischen „staatlicher kommunaler Verwaltung als Träger des Stadtteilmanagements und nichtstaatlichen Trägerkooperationen als Trägern von Quartiersmanagement“ (ebd.: 93), die Projektkonferenz Nordstadt ist ein Kooperations- und Koordinierungsgremium für die „zentralen Akteure, Entscheider und Verantwort-
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln
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lichen“ (Stadt Dortmund 1997: 71) mit dem Ziel, Projekte zu entwickeln und „den politischen Gremien zur Beschlußfassung vorzulegen“ (Stadt Dortmund 2001a: 99) sowie eine „angemessene Beteiligung der Bevölkerung des Programmgebiets“ sicherzustellen (ebd.), die Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe Nord ist ein Zusammenschluss der Jugendhilfeträger nach § 78 KJHG (vgl. auch Fußnote 58), und die Nachbarschaftsforen sind die zentralen Beteiligungsgremien für die Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure. In den anderen Beispielkommunen ist die Anzahl solcher Gremien deutlich geringer bzw. sind weniger Beteiligungsangebote vorgesehen. So haben die lokalen Quartiermanagements in Berlin explizit die Aufgabe, ein „festes Forum zur Mitarbeit und Interessenartikulation“ für alle lokalen Akteure einzurichten („Quartiersforum“; AghB 1999: 33). In Essen-Katernberg wird die von lokalen Wirtschaftsakteuren organisierte und im Halbjahresrhythmus tagende „Katernberg-Konferenz“ als „öffentliches Diskussionsforum über die Zukunft des Essener Stadtbezirks VI“ durchgeführt (Stadt Essen 2004: 23). Sie bietet „einer interessierten Öffentlichkeit sowie örtlichen Initiativen und Organisationen die Möglichkeit (…), mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen“ (Stadt Essen 1995: 51). Das Spektrum der hier diskutierten Themen reicht von städtebaulichen Belangen über kulturelle und Bildungsfragen „bis hin zur Lebenslagen- und Drogenproblematik“ (ebd.: 52). In Essen-Altendorf sind die „Stadtteilkonferenz Altendorf“ (Amtsbereiche Jugend und Soziales, Schulen, Kindergärten und Kindertagestätten, Stadtteilprojekt Altendorf), die „Kulturkonferenz“ (Akteure und Institutionen aus den Bereichen Jugend, Bildung und Kultur; Bezirksvertreter/innen) sowie die „Bezirksjugendkonferenz“ (Jugendamt, Einrichtungen der Jugendarbeit) für Beteiligung und Informationsaustausch verantwortlich (Stadt Essen 1998: 12ff.). Ähnlich sehen die Beteiligungsstrukturen im Leipziger Osten aus, wo das „Forum Leipziger Osten“ die „Diskussion von Entwicklungszielen, der Erarbeitung von Empfehlungen an Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit sowie zur Herstellung einer intensiven Kommunikation zwischen (…) lokalen Akteuren“ über Projektstände und neue Projektideen ermöglicht (Stadt Leipzig 2000: 22). Es übernimmt die „Funktion eines Stadtteilparlaments“ – allerdings ohne Entscheidungskompetenzen (ebd.). Auch im Leipziger Westen wurde ein solches Forum als „Schnittstelle“ zwischen Bevölkerung, Verwaltung und sonstigen (professionellen) Akteuren eingerichtet („Forum Leipziger Westen“; Stadt Leipzig 2001a: 135ff.). Vertikale Vernetzung Verwaltung-Quartier Die genannten Beteiligungsforen übernehmen – dies gilt vor allem für Dortmund und Leipzig – in starkem Maße die Vermittlung zwischen Verwaltungs- und Quartiersebene sowie sonstigen zu beteiligenden Institutionen und Einzelakteuren. In Berlin ist das jeweilige lokale Quartiermanagement für die vertikale Vernetzung der
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
Senats-, Bezirks- und Quartiersebenen verantwortlich, indem es eine Koordinierungsrunde ins Leben ruft, an der Vertreter/innen aller drei Ebenen regelmäßig teilnehmen (AghB 1999: 33). In Essen dagegen bildet die Vermittlung zwischen bzw. Vernetzung von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, „Drittem Sektor“64 und „Zivilgesellschaft“ den Schwerpunkt des Gebietsmanagements. Hier werden Stadtteilmoderator/innen mit genauen Kenntnissen der Programmgebietsstrukturen eingesetzt, um öffentliche Aushandlungsprozesse mit Politik und Verwaltung zu begleiten (Stadt Essen 1997a: 30ff.), also „zwischen den Interessen der Bevölkerung, (…) und Verwaltung und Politik“ zu vermitteln (ebd.: 31). Im Vordergrund stehen dabei „dialogische Prozesse“ (Stadt Essen 1995: 17), denn – dies entspricht der bereits geschilderten Grundidee des gebietsbezogenen Ansatzes in Essen – „weder die Wege der Problemlösung noch die Ergebnisse sind im voraus zu definieren, beide werden ausgehandelt und werden dann gemeinsam vertreten“ (ebd.). Stadtteilmoderator/innen genießen „weitgehende Freiheiten“, um „möglichst viele der beteiligten Akteure auf einen gemeinsamen Nenner zu verpflichten“ (Stadt Essen 1997a: 38; vgl. auch Stadt Essen 1998: 11f.). Auch diese Aufgaben werden im Rahmen des bereits angesprochenen Kooperationsvertrages zwischen der Stadt und dem Institut für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität/Gesamthochschule Essen übernommen (vgl. Stadt Essen 1995: 25). Der Essener Ansatz bildet mit seinen drei Managementebenen die Grundlage für das in Kapitel 7.2.2 vorgestellte Modell „Quartiermanagement“. Zusammenfassend und stark generalisierend zeichnen die Integrierten Entwicklungskonzepte und Operationellen Programme in Bezug auf Gebietsmanagement folgende Bild: 䊏
Berlin: Betonung der „Vor-Ort“-Ebene lokaler Quartiermanagements, die alle zentralen Aufgaben der Programmumsetzung übernehmen – von der Aktivierung und Beteiligung der Gebietsbewohnerschaft über die Initiierung von Projekten bis hin zur Organisation der vertikalen Vernetzung von Senats-, Bezirks- und Gebietsebene. Nicht ohne Grund wird in Berlin zusammenfassend von „Quartiersmanagementverfahren“ gesprochen. 䊏 Dortmund: Verantwortung für den Gesamtprozess der Programmumsetzung liegt ebenfalls in starkem Maße auf der Ebene „vor Ort“ bei lokalen Quartiermanagements. 䊏 Essen: vergleichsweise ausgeglichene Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und lokalem Gebietsmanagement; zusätzlich moderierte Schnittstelle zwischen beiden Ebenen.
64
Der „Dritte Sektor“ umfasst alle Wertschöpfungsbereiche, die weder staatlich noch privatwirtschaftlich organisiert sind und keine Gewinnabsichten verfolgen. Dazu gehören vor allem freie Träger der Wohlfahrtspflege bzw. gemeinnützige Organisationen und Unternehmen.
5.2 Konzeptionelle Grundlagen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln 䊏
133
Leipzig: grundsätzliche Arbeitsteilung zwischen Verwaltungs- und „Vor-Ort“Ebene, allerdings mit stärkerer Dominanz der Verwaltung als in den anderen Beispielkommunen.
Betrachtet man auch diese Ergebnisse aus der Perspektive der in Kapitel 3 angestellten raumtheoretischen Überlegungen, kann festgestellt werden, dass in allen untersuchten kommunalen Konzepten prinzipiell ein Gebietsmanagement vorgesehen ist, mit dem es potenziell möglich ist, die Raumproduktionen und raumrelevanten Handlungsziele unterschiedlicher Akteure zu identifizieren und miteinander abzustimmen. Dies gilt für die Verwaltungsebene, auf der im Rahmen ressortübergreifender Kooperationsgremien unterschiedliche Raumwahrnehmungen bzw. -synthetisierungen aus verschiedenen Fachbereichen zusammengebracht werden können, um „administrative Regionalisierungen“ aus einer vergleichsweise großen Wahrnehmungsvielfalt heraus vorzunehmen. Auf der „Vor-Ort“-Ebene der Quartiere sind lokale Quartiermanagements zumindest theoretisch in der Lage, „alltägliche Orte“ und damit zusammenhängende raumrelevante Handlungsziele der Quartiersbewohner/innen und anderer lokaler Akteure mittels Aktivierung und Beteiligung zu identifizieren. Schließlich sind in allen Beispielkommunen Strukturen für den Austausch von Verwaltungs- und Quartiersebene und somit auch für den Abgleich von Territorien als Ergebnissen von „administrativen Regionalisierungen“ inklusive „top down“ formulierter (Rahmen-)Zielsetzungen sowie eben jenen „alltäglichen Orten“ und Zielen vorgesehen. Die Analyse der kommunalen Konzepte zur Umsetzung der Programme Soziale Stadt und URBAN II bestätigt also bei allen Detailunterschieden zwischen den Beispielkommunen, dass sich gebietsbezogenes Verwaltungshandeln im wesentlichen in einem Spannungsdreieck zwischen professionellen Akteuren auf der Ebene der „Programmgeber“, solchen auf der jeweiligen kommunalen Ebene sowie Quartiersbevölkerungen und anderen Akteuren „vor Ort“ abspielt. Damit geht es – stark zusammengefasst – um Raumproduktionen und Vorstellungen raumrelevanter Ziele eben jener drei Akteursgruppen. Ausgangspunkt waren die Raumproduktionen professioneller Akteure, die aus ihrer Wahrnehmung heraus „räumliche Konzentrationen“ einer Vielzahl von „Benachteiligungen“ in (Groß-)Städten identifizierten. Entsprechend wurden programmatische Vorgaben formuliert, die sich aus ihrer Sicht zur Überwindung dieser „Benachteiligungen“ eignen, und die auf der kommunalen Ebene – eingebettet in jeweils eigene Handlungsgrundsätze – aufgegriffen und weiterentwickelt worden sind. Dies betrifft vor allem die (Vor-)Formulierung von Zielen der Quartiersentwicklung, die Abgrenzung von Programmgebieten sowie Managementkonzepte für die Einbeziehung insbesondere der Quartiersbevölkerungen als „Träger“ und „Betroffene“ von „Benachteiligungen“. Die angedachten Managementsysteme sind allesamt zumindest potenziell dazu geeignet, die Raumproduktionen und raumrelevanten Handlungsziele dieses breiten Akteursspektrums zu identifizieren und in eine gemeinsame Arbeit partnerschaft-
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5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse
lich zu integrieren. Dies ist für die Entwicklung von Zielen der Quartiersentwicklung trotz bereits erfolgter „top down“-Vorgaben auch explizit so vorgesehen. Die Frage entsprechender Abgrenzungen von Programmgebieten als Handlungskulissen wird dagegen jedoch eher „stiefmütterlich“ behandelt. Hier bleibt es bei „administrativen Regionalisierungen“ professioneller Akteure mit dem Ergebnis absoluter „Behälterräume“, ohne dass in den Dokumenten – bis auf eine Ausnahme – auch in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Einbeziehung von „Vor-Ort“-Akteuren und ihren Raumsynthetisierungen erwähnt wird. Interessant ist also unter anderem, inwieweit eine intensive Einbeziehung der Quartiersbevölkerungen und anderer lokaler Akteure – und damit ihrer „Orte“ und Handlungen – mit der Ausweisung „starrer“ Programmgebietsgrenzen in der Umsetzungspraxis vereinbar ist. Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse der Experten-/ Gruppeninterviews gehen nicht nur auf diese Frage ein, sondern auch darauf, wie sich Programmvorgaben auf die Umsetzungsrealität auswirken, inwiefern tatsächlich ein integrierter Zielekanon der Quartiersentwicklung unter breiter Akteursbeteiligung entwickelt wurde, und wie Gebietsmanagement mit einer Betonung auf ressortübergreifenden Verwaltungsstrukturen sowie Aktivierung und Beteiligung der Quartiersbewohner/innen umgesetzt wird.
6
Interviewergebnisse: Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis
Die Darstellung der Ergebnisse der Interviews und Gruppeninterviews, die in den vier Beispielkommunen mit Expertinnen und Experten auf den Ebenen von Verwaltung und lokalen Quartiermanagements durchgeführt wurden, bildet als „Konzeptualisierung“ oder „empirische Generalisierung“ den vorletzten Schritt der Auswertungsphase (vgl. Kapitel 2.3.3.5). Sie orientiert sich an den in Kapitel 2.2 eingeführten Kriterien 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns und an der Zielerarbeitung beteiligte Akteure, 䊏 (Kriterien zur) Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs und an der Gebietsabgrenzung beteiligte Akteure, 䊏 Organisation und Durchführung von Gebietsmanagement. Dazu kommen – analog zu den Interviewleitfäden – die Auswertungskategorien 䊏
Arbeitserfahrungen mit Zielen, Gebietsabgrenzungen und Gebietsmanagement, generelle Einschätzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns durch die Befragten sowie 䊏 von den Interviewpartner/innen geäußerte Verbesserungsbedarfe. 䊏
Den ausführlichen Darstellungen der Interviewergebnisse sind jeweils kurze Zusammenfassungen vorangestellt. Wie bereits in Kapitel 2.3.3.2 ausgeführt, werden nicht nur die Interviewaussagen, sondern auch ihre Zuordnung zu den jeweiligen Beispielkommunen anonymisiert wiedergegeben.
6.1
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
Sowohl Mitarbeiter/innen auf der Verwaltungsebene als auch in den Reihen der lokalen Quartiermanagements wurden Fragen nach den Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns gestellt, wobei die Ziele selbst, die Informationsgrundlagen für die Zielentwicklung, die am Zielfindungsprozess beteiligten Akteure sowie Einschätzungen der „Passgenauigkeit“ der entwickelten Ziele zum tatsächlichem Quartiersentwicklungsprozess bzw. mögliche Verbesserungsbedarfe in Bezug auf Inhalte und Prozesse im Vordergrund standen. T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
136 6.1.1
6 Interviewergebnisse
Zielerarbeitung: Verfahren und beteiligte Akteure
Die Interviewergebnisse zeigen, dass bei der Formulierung der Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns nicht nur die Verwaltung selbst, sondern offenbar auch Akteure außerhalb von Politik und Verwaltung eine zentrale Rolle spielen. Bei dieser Tendenz von „Government“- zu „Governance“-Ansätzen kommt der Verwaltung immer mehr die Rolle einer „Moderatorin“ zu. So wurde denn auch in mehreren Interviews auf der Verwaltungsebene betont, nicht im Alleingang, sondern in Kooperation mit Trägern, lokalem Quartiermanagement, sonstigen professionellen VorOrt-Akteuren oder auch den Quartiersbewohner/innen selbst Ziele definiert zu haben. Auf der Ebene lokaler Quartiermanagements wurde eine enge Kooperation mit der Quartiersbevölkerung bei der Zielentwicklung hervorgehoben. Interviewergebnisse Verwaltungsebene Auf der Verwaltungsebene steht vor allem Kommune C für eine starke Einbeziehung der lokalen Bevölkerung und anderer quartiersrelevanter Akteure in den Zielfindungsprozess, wie die Interviewergebnisse zeigen. Hier wurde hervorgehoben, angesichts der komplexen Probleme in den Quartieren gehe es nicht darum, als Verwaltung den „richtigen Weg“ der Definition von Zielen zu kennen, sondern ihn mit den Menschen vor Ort zu entwickeln, „damit er ‚ihr Ding‘ ist”, selbst wenn er auf Verwaltungsseite bereits verhältnismäßig klar gewesen sei, wie ebenfalls betont wurde. „Der Weg muss mit den Leuten gemeinsam gefunden werden, der Prozess ist wichtig, nicht das Ergebnis“ (IV13). Die Ziele der Verwaltung müsse man daher eher als „Leitprogrammatik“ der Aktivierung von Entwicklungspotenzialen verstehen. Was im Stadtteil dann konkret passieren solle, sei „eine Verabredung mit den Leuten“ (IV15). Daher habe man die Ziele gebietsbezogener Ansätze im Rahmen mehrerer Workshops entwickelt, an denen neben Vertreter/innen der Verwaltung und Bewohner/innen auch soziale Organisationen, die Ortspolitik sowie Repräsentanten der lokalen Wirtschaft (Werbegemeinschaften) beteiligt gewesen seien. Insbesondere der „intensive Dialog“ zwischen Verwaltung und Quartiersbewohner/innen wurde als wichtiges Verfahren hervorgehoben (IV13). In Kommune A habe man ebenfalls großen Wert auf die Einbeziehung lokaler Akteure in den Zielfindungsprozess gelegt, allerdings waren hier eher „bewährte“ Träger bzw. (vor Ort tätige) Organisationen als Auftragnehmer für Maßnahmen und Projekte sowie das lokale Quartiermanagement und quartiersbezogene Gremien gemeint (IV9, IV10), während man sich an die Quartiersbevölkerung eher seltener gewandt habe (IV10). Interviewergebnisse Ebene lokale Quartiermanagements Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements zählten Interviewpartner in Kommune B Bürger/innen, lokale Vereine, Jugendclubs, Kindergärten, Interessengemeinschaften von Gewerbetreibenden sowie in eingeschränktem Maße auch Schulen
6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
137
und Kirchen zu den Akteuren des Zielfindungsprozesses „vor Ort“ (IQ5). Neben der systematischen Einbeziehung von Schlüsselpersonen im Soziale Stadt-Gebiet seien Bürger/innen vor allem im Rahmen von Straßenbefragungen beteiligt worden: „Das Methodenspektrum wird hier einmal durchdekliniert“ (IQ6). Im Programmgebiet URBAN II habe man ebenfalls mit Quartiersbewohner/innen erörtert, welche thematischen Schwerpunkte neben den programmatisch vorgegebenen Bereichen (Wirtschaft, Beschäftigung, Soziales, Kultur, Umwelt) erkennbar bzw. wo räumliche Schwerpunktsetzungen erforderlich seien. Die abschließende Festlegung von Schwerpunkten der Gebietsentwicklung sei dann wiederum Sache des lokalen Quartiermanagements und der Verwaltung gewesen (IQ7). Auch in Kommune A wurde die Bedeutung des Austausches zwischen lokalem Quartiermanagement und Quartiersbewohner/innen im Rahmen der Zielformulierung betont. Es gehe darum, die durch Fachlichkeit bestimmten Sichtweisen und Ideen der lokalen Quartiermanager/innen mit den Ideen der Bewohner/innen zusammenzubringen (IQ8). „Die gesamte Arbeit des (…) [lokalen Quartiermanagements] beruht darauf, dass wir sagen ‚Wir fragen die Leute selbst‘“ (IQ8). Ein anderer Interviewpartner bestätigte die zentrale Rolle lokaler Gremien und vor allem der Quartiermanagements bei der Identifizierung von Zielen „vor Ort“ (IQ14). In die gleiche Richtung tendieren Interviewaussagen in Kommune D: Informationen über Bedarfe im Quartier sowie daraus abzuleitende Maßnahmen und Projekte seien vor allem das Resultat von „Gesprächen mit Akteuren vor Ort, mit der Kita-Leitung und anderen Betreuerinnen, mit Eltern. Eigene Beobachtungen spielen auch eine Rolle, aber in der Regel sind wir auf die Kommunikation mit diesen Akteuren angewiesen“ (IQ1). Es seien solche Gespräche, „die uns dazu veranlassen, entsprechende Projekte zu entwickeln“ (IQ1). 6.1.2
Zielbenennung: Handlungsfelder
In den Interviewergebnissen wird deutlich, dass sich die konkreten Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns größtenteils mit den programmatischen Zielsetzungen der Programme Soziale Stadt und URBAN II decken bzw. deckten (vgl. Kapitel 5.1.1): Ressourcenoptimierung (Finanzmittel und Know How), soziale Stabilisierung der benachteiligten Quartiere unter anderem durch Aktivierung, Beteiligung, „Hilfe zur Selbsthilfe“ bzw. generell Gemeinwesenentwicklung sowie Verbesserung der Attraktivität der betroffenen Quartiere. Wichtig sei auch, die soziale und räumliche Isolation der Programmgebiete innerhalb der Gesamtstadt zu überwinden. Im Bereich der Jugendhilfe wurde die Umsetzung von § 79 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)65 als Ziel genannt. Vielleicht lag es an diesem relativ „klaren Rahmen“, dass 65
Paragraph 79 KJHG bezieht sich auf die Pflicht von Jugendämtern als örtlichen Trägern der Jugendhilfe, vor Ort als erforderlich angesehene und geeignete Einrichtungen und Dienstleistungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen/anzubieten. Dabei müssen unter anderem das Subsidiaritätsprinzip sowie geschlechtsspezifische und kulturelle Besonderheiten berücksichtigt werden (vgl. http://www.familienbildung.info/grundlagen_gesetze_ 16kjhg.htm).
138
6 Interviewergebnisse
auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements die Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns „an sich“ kaum kommentiert wurden. Die folgenden Interviewergebnisse beziehen sich daher ausschließlich auf die Verwaltungsebene. Generell kann – dies wurde von mehreren Interviewpartnern der Verwaltungsebene betont – gebietsbezogenes Verwaltungshandeln im Sinne eines „Sozialraumbezugs“ der Jugendhilfe als Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben nach § 79 KJHG betrachtet werden. Insbesondere stünden dabei Bewertungen im Vordergrund, inwieweit Maßnahmen der Jugendhilfe in einen „Sozialraum“66 hineinwirken bzw. warum dies nicht (mehr) der Fall ist. Bei einem Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit würden von der lokalen Ebene entsprechende Bedarfe angemeldet: „Wir wollen unter rein fachlichen Gesichtspunkten der Jugendhilfe versuchen, die Infrastruktur vor Ort zu erfassen und auch zu verbessern“, fasste ein Interviewpartner in Kommune A zusammen (IV12). In Kommune D wurde betont, erst durch den Gebietsbezug könnten die Ziele des KJHG tatsächlich umgesetzt werden: Adressatenorientierung bei gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer „Lebenswelt“ (IV3). Es gehe also weniger um herkömmliche Arbeit in und mit Familien, sondern um deren Unterstützung in ihrem Lebensumfeld. „Und das ist oft etwas anderes, als das, was [viele] Sozialarbeiter (…) denken“ (IV3). Dazu gehört aus Sicht eines Gesprächspartners in Kommune A die verbesserte Nutzung immaterieller Ressourcen vor Ort beispielsweise durch Kooperation mit bürgerschaftlichen Gruppen, Vereinen, Schulen oder sonstigen Institutionen (IV12). Die Optimierung des materiellen und immateriellen Ressourceneinsatzes wurde von Verwaltungsseite auch außerhalb des Jugendhilfekontextes als wesentliches Ziel gebietsorientierten Handelns genannt: „Im Vordergrund steht die Frage, wie man Ressourcen gebietsbezogen steuern kann, sie also anders einsetzt als heute“ (IV15), lautete beispielsweise ein Kommentar in Kommune C. Dies beziehe sich nicht nur auf Finanzmittel, sondern auch hier auf die fokussierte Zusammenarbeit mit potenziellen Kooperationspartnern „vor Ort“ (IV14), was im (überschaubaren) Gebietskontext besser gelänge als auf gesamtstädtischer Ebene. Jenseits von stärker auf die Binnenperspektive eines veränderten Verwaltungshandelns orientierter Ressourcenoptimierung und „Sozialraumorientierung“ wurde als zentrales Ziel die soziale Stabilisierung benachteiligter Stadtteile genannt. Konkreter zählten dazu die Zusammenarbeit mit der Gebietsbevölkerung bei der Quartiersentwicklung, die Identifizierung und Berücksichtigung ihrer Wünsche und Bedarfe, die Förderung individueller Entwicklungsmöglichleiten unter anderem im kulturellen Bereich, die Unterstützung von Engagement sowie die Organisation von Selbsthilfe, wie in den Verwaltungen von Kommunen B und C betont wurde (IV4, IV14). Ziel sei zusammenfassend die qualitative Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort, so dass man dort gerne wohne (IV4, IV13, IV15). 66
Gemeint ist hier ein klar abgegrenzter räumlicher Zuständigkeitsbereich der Jugendhilfe (vgl. Kapitel 4).
6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
139
Das Ziel, mit dem Gebietsbezug zwar auf das Programmgebiet zu fokussieren, gleichzeitig aber dessen Isolation in der Gesamtstadt aufzubrechen und damit sein Außenimage bzw. seine Attraktivität zu verbessern, wurde in Kommune A besonders betont: „Wir legen bei Projekten, die wir für [!] die (…) Gebietsbevölkerung durchführen, ganz bewusst auch Augenmerk auf Zielgruppen außerhalb“ des Programmgebiets, betonte ein Interviewpartner auf der Verwaltungsebene und nannte das Beispiel Kunst im öffentlichen Raum. Indem sich Menschen aus anderen Stadtteilen für das Gebiet interessierten, würden „unsichtbare Mauern“ aufgebrochen (IV9). Umgekehrt sei auch die Förderung von Mobilität und „Grenzüberschreitungen“ der Bewohnerschaft des Programmgebiets sehr wichtig: „Das Problem mit der Mobilität beschäftigt uns sehr, weil vor allem unsere Jugendlichen eher dazu neigen, die Gebiete nicht zu verlassen“ (IV9). Dies stelle insbesondere im Zusammenhang mit der Suche nach Ausbildungsplätzen, von denen es in den benachteiligten Gebieten nur eine sehr begrenzte Anzahl gebe, ein Problem dar. „Also muss ich die Jugendlichen dazu motivieren, ihren Stadtteil zu verlassen. Ich muss Partner [d. h. Organisationen und Institutionen] außerhalb [des Programmgebiets] suchen, die bereit sind, sich auf unsere Jugendlichen einzulassen. (…) Wenn ich denen nicht beibringe, dass eine gewisse Mobilität Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung und Berufskarriere ist, habe ich von vornherein verloren“ (IV9). Auch ältere Menschen müssten erst dazu motiviert werden, ihren Stadtteil ab und an zu verlassen. „Das geht am besten, wenn die Leute im Gebiet spüren, dass es auch für Leute von außerhalb – das sind die potenziellen ‚Feinde‘ – etwas gibt, wofür die in das Gebiet kommen. Dann kann man ‚im Gegenzug‘ auch mal in ein anderes Gebiet gehen“ (IV9). Generell wurde in den Verwaltungen von Kommunen B und C die Bedeutung von Gemeinwesenentwicklung – also der Organisation des Zusammenlebens „vor Ort“ – hervorgehoben: Entwicklung von Kitas und Schulen zu Stadtteilzentren, Entwicklung sozialer Netzwerke, Beteiligung der lokalen Bevölkerung an Projekten, Unterstützung von Quartiersbewohner/innen bei eigenen Problemlösungen, Wiederbelebung und Stärkung der Stadtteilidentität durch die Einbindung der lokalen Bevölkerung, lauteten entsprechende Ziele (IV8, IV15). Alle genannten Ziele werden nur wenig konkret bzw. scheinen ohne dezidierte (messbare) Zielgrößen auszukommen. Dazu bemerkte ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune C, man verzichte bewusst auf die Festlegung konkreterer Maßstäbe, unter anderem weil man nicht wisse, woran man ein Gebiet „mit besonderem Erneuerungsbedarf“ messen kann: Es stelle sich die Frage, ob ein (gesamtstädtischer) statistischer Durchschnittswert als Maßstab herangezogen werden könne bzw. welche andere Referenz in Frage komme. So habe man sich lediglich „auf eine Hilfsgröße verständigt, die besagt: Wenn es uns gelingt, ‚heiße‘ manifeste soziale Konflikte zu vermeiden, sind wir mit unseren Projekten erfolgreich“ (IV13).
140
6 Interviewergebnisse
Insgesamt könne es kein realistisches Ziel sein, problematischere Quartiere an das Niveau gut situierter Stadtteile angleichen zu wollen. Vielmehr behielten sie ihre „Besonderheiten“ und würden nie „bessere“ Stadtteile werden, lauteten Interviewaussagen in den Verwaltungen von Kommunen B67 und C (IV4, IV14). Es sei Konsens, dass Maßnahmen zur Stabilisierung der Stadtteile nicht zu Verdrängung führen dürfen; daher gehe es nicht um Aufwertung durch den Zuzug anderer Bevölkerungsgruppen, was die Probleme im Stadtteil nicht löse. „Wir gehen davon aus, dass wir die Leute, die da sind, in ihren persönlichen Lebensumständen stabilisieren wollen“, hieß es in der Verwaltung von Kommune C (IV14). Angestrebt werde, engagiertere, mobilere Haushalte im Quartier zu halten und so die soziale Durchmischung der Wohnbevölkerung zu stabilisieren, bemerkte ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune B (IV8). 6.1.3
Zielumsetzung: Arbeitserfahrungen
Im Mittelpunkt der Erfragung von Betriebswissen im Umgang mit Zielsetzungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln standen (kritische) Arbeitserfahrungen sowohl auf der Verwaltungsebene als auch in den Reihen der lokalen Quartiermanagements auf der Umsetzungsebene. Danach wurden von den befragten Verwaltungsmitarbeiter/innen die Erfahrungen gemacht, 䊏
䊏 䊏
䊏 䊏 䊏 67
Ziele im Sinne von Problemlösungen seien nur zu erreichen, wenn die dafür notwendigen Rahmenbedingungen im Programmgebiet selbst oder zumindest in der Kommune gestaltet werden können, „benachteiligte“ Gebiete ließen sich kaum in Richtung „durchschnittlicher“ Stadtteile entwickeln („interne“ Rahmenbedingungen), begrenzte Programmlaufzeiten und teilweise „enge“ Fördervorgaben konterkarierten im Sinne einer Überregulierung die Grundphilosophie der relativ offenen Herangehensweise integrierter gebietsbezogener Quartiersentwicklungsansätze („externe“ Rahmenbedingungen), dass teilweise unklar bleibe, von welchen Projekten und Maßnahmen benachteiligte Bevölkerungsgruppen tatsächlich profitieren, im Vorfeld der Zielformulierung nicht auf eine Gebiets- bzw. Bedarfsanalyse verzichten zu können sowie Grundlageninformationen für die Zielfindung nicht systematisch zu nutzen. Ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune C plakatierte diese Auffassung folgendermaßen: „Es ist eine Illusion zu glauben, wir lassen das ‚Kind‘ mal wachsen, und dann ist es selbstständig! Nein, die wachsen nicht, die ‚Kinder‘. Können sie gar nicht! Partiell ja, aber wer von uns behauptet denn noch ernsthaft, wir können die auf den Status von (…) [sozio-ökonomisch stabilen Quartieren] bringen? Wie denn? (…) Wenn man die Erfahrungen aus der Entwicklungshilfe überträgt auf unsere Situation, ist es genau das: angepasste Technik, bestehende Ressourcen stärken“ (IV13).
6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
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Arbeitserfahrungen auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements waren in allen vier Kommunen vor allem vom Gegensatz Verwaltung – Quartier geprägt: 䊏 䊏 䊏
䊏 䊏 䊏 䊏
Ziele von Verwaltungsseite seien im Vorfeld top down ohne vorherige Konsultation der Vor-Ort-Ebene definiert worden, vorab definierte Ziele konterkarierten den Beteiligungsansatz, Zielfindungen mit der Quartiersbevölkerung und anderen lokalen Akteuren benötigten einen direkten Aushandlungsprozess mit möglichst kurzfristigem Zeithorizont, integrierte Quartiersentwicklungskonzepte sollten für „alltagsweltliche“ Themen offen gehalten werden, top down-formulierte Ziele seien oftmals wenig präzise bzw. kaum auf die spezifische Quartierssituation zugeschnitten und für diese nur wenig relevant, Beteiligungsgremien würden von professionellen Akteuren dominiert, bestimmte Ziele müssten auf den übergeordneten Ebenen von Kommune, Land oder Bund bearbeitet werden, da sie im Quartier kaum zu erreichen seien.
Arbeitserfahrungen auf der Verwaltungsebene Ein Großteil der auf der Verwaltungsebene geschilderten Arbeitserfahrungen mit den Zielsetzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns – insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung der Programme Soziale Stadt und URBAN II – drehte sich um die Frage, welche Zielerreichung angesichts übergeordneter und vor Ort anzutreffender Rahmenbedingungen realistisch sind. So wurde in den Kommunen B und C konstatiert, Ziele im Sinne von Problemlösungen seien nur erreichbar, wenn die Problemursachen tatsächlich im Quartier liegen. Ist dies nicht der Fall – genannt wurden die Beispiele Arbeitslosigkeit und Bildungsdefizite benachteiligter Bevölkerungsgruppen –, könnten vor Ort lediglich punktuell Lösungen erreicht werden, wie ein Interviewpartner in Kommune C bemerkte (IV13). Ähnliches wurde in Kommune B festgestellt: Die Frage nach den „richtigen“ und „wichtigen“ Zielen beziehe sich selten auf die grundlegenden Probleme „benachteiligter“ Stadtteile – was an sich ein Problem sei. „Natürlich kommt man an ökonomische und soziale (…) [Problemursachen] nicht heran. Man hat kaum eine Möglichkeit, auf die Ursachen von Arbeitslosigkeit einzuwirken. An dieser Stelle sind alle Aktionen Flickschusterei“ (IV6). Aus dieser Perspektive sei die Soziale Stadt ein „Reparaturprogramm, das von außen kommt, das sehr gerne genutzt wird, um bestimmte Problemlagen zu lindern, mit dem sich allerdings bestimmte Konflikte nicht grundsätzlich lösen lassen. Es muss also entschieden werden: ‚Was ist lösbar, was ist nicht lösbar, und worauf konzentriert man sich am besten?‘“ (IV6). Ein anderer Gesprächspartner konstatierte: „Wir sind die Idealisten, die denken, wir können hier mit ein paar Arbeitsgruppen und mit viel Geld Änderungen erreichen. Ich denke, wir können die [Benachteiligten] nur dann erreichen, (…), wenn (…) diese Perspektivlosigkeit nicht mehr da wäre“ (IV8).
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6 Interviewergebnisse
Dass ein realistischer Blick auf die spezifische Situation in benachteiligten Quartieren Erwartungshaltungen relativiert, wurde auch in Kommune C konstatiert: Das Ziel, benachteiligte Quartiere in Richtung des gesamtstädtischen Durchschnitts („Normalität“) zu entwickeln, sei unrealistisch, da es vor Ort Strukturen gebe, die eine solche Entwicklung nicht zuließen (unzureichende Qualität der Bausubstanz, niedriges Ausstattungsniveau von Wohnungen etc.). „Selbst wenn wir das zehnmal renovieren, werden wir weiterhin überdurchschnittlich viele kleine Wohnungen haben. Dementsprechend haben wir eine bestimmte Gruppe von Menschen, die dort wohnt. Da darf man sich nichts vormachen“ (IV14). Eine weitere Einschränkung etwaiger Zielerwartungen wurde auch in den Programmspezifika insbesondere von URBAN II gesehen. So problematisierte ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune A, angesichts der begrenzten Programmlaufzeit und der teilweise engen Fördervorgaben von URBAN II sei es nicht möglich gewesen, ursprünglich formulierte Ziele an veränderte Bedarfe vor Ort anzupassen; man habe „kaum Möglichkeiten, Erkenntnisse, die wir bei der Projektdurchführung gewinnen, unmittelbar umzusetzen“ (IV11). Außerdem würden viele Ziele in den Programmrichtlinien bereits vorgegeben, so dass den Verwaltungen nur noch bliebe, eigene Ziele an die Fördervoraussetzungen anzupassen, wie in Kommune B problematisiert wurde. „Häufig ist das, was dann in den Zielkatalogen steht, (…) so ‚zurechtgeschustert‘, dass es zu den Fördervoraussetzungen passt (…). Das Idealbild für mich wäre, dass man (…) sich den Raum anguckt und überlegt: ‚Was sind da die Probleme, was brauchen wir da konkret?’ So funktioniert es in der Praxis allerdings nicht, sondern es gibt bestimmte Überregulierungen“ (IV5).
Im Ergebnis seien die auf diese Weise aufgestellten Zielkataloge nur wenig verbindlich für das tägliche Handeln: „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Akteure (…), die die Programmumsetzung betreiben, immer den Zielkatalog vor Augen haben und darauf wirklich hinarbeiten“; man könne kaum „von gemeinsamen Zielen sprechen“ (IV5). Inwieweit die selbst gesetzten Ziele zumindest im sozialen Bereich realistischer sind, wurde allerdings – ebenfalls in Kommune B – genauso hinterfragt: „Die Frage ist, was ich mit denen mache, die ich von vornherein wahrscheinlich nicht erreichen werde? Das sind (…)[Bewohner/innen], die andere Probleme haben, als sich an einer neuen Wiese, an einem neuen Kommunikationsraum oder an einer neuen Fassade zu erfreuen, weil sie davon nichts haben. Oder an einem Café, das sie von außen sehen“ (IV8).
Offen bleibe also, von welchen Projekten und Maßnahmen der Sozialen Stadt benachteiligte Bevölkerungsgruppen tatsächlich profitieren können. „Ich denke, da macht man sich zu wenige Gedanken“ (IV8). Auch in Kommune C wurden die Zielfindungsprozesse hinterfragt: Hier habe man zwar mehrere Zielfindungsworkshops durchgeführt, in denen stets eine Reihe von Projektideen und Themenfeldern vorgeschlagen worden seien, allerdings fehlten am Ende klare Zielformulierungen. „Wir haben es nicht vermocht und auch nicht gewollt oder haben uns gedrückt – wie auch
6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
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immer –, daraus richtige Zielbäume zu formulieren“ (IV14). Die Ziele seien nicht richtig formuliert, „weil sie nicht richtig formuliert worden sind“ (IV14). In Kommune B wurde bemerkt, verschiedene Informationsgrundlagen für die Erarbeitung von Zielen wie Erkenntnisse des Jugendamtes, Bürgerumfragen anderer Verwaltungsbereiche, Informationen des lokalen Quartiermanagements seien nicht systematisch zusammengeführt bzw. abgeglichen worden, um „vielleicht andere Ziele als die bisher (…) erarbeiteten zu finden“ (IV8). Eine weitere Arbeitserfahrung, die auf der Verwaltungsebene mit dem Prozess der Zielformulierung gemacht wurde, bezieht sich auf die Rolle bereits existierender (gesamtstädtischer) Konzepte. So wurde – ebenfalls in Kommune B – bemerkt, die Zielsetzung des gesamtstädtischen Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes, das hier als Basis für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln dient, fokussiere allein auf Wohnungsbau und Stadterneuerung, was für einen integrierten Ansatz nicht reiche (IV5) – es fehlten vor allem ökonomische und soziale Aspekte. Eine entsprechende Konzepterweiterung sei jedoch „schwierig, weil das Feld Arbeit und Beschäftigung für uns [federführender Verwaltungsbereich Stadterneuerung] Neuland ist. Gerade dieses Amt hat sich am Anfang nur mit baulichen Dingen beschäftigt, und diese thematische Ausweitung passiert jetzt so langsam. Wir bräuchten genauere Informationen auch über kleinräumige wirtschaftliche Stabilität usw., wobei ich Ihnen gar nicht genau sagen kann, (…) welche Daten, Zahlen man dafür bräuchte. Da hat die Auseinandersetzung gerade erst begonnen“ (IV5). In eine vergleichbare Richtung zielt eine Anmerkung auf Verwaltungsebene in Kommune A, im Vorfeld des Zielfindungsprozesses wäre eine Gebiets- bzw. Bedarfsanalyse sinnvoll gewesen, um eigene Anschauungen von der Situation vor Ort zu gewinnen (IV10). Arbeitserfahrungen auf der Ebene lokaler Quartiermanagements Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagments – vor allem in den Kommunen A und C – wurde unter anderem die Erfahrung gemacht, Zielsetzungen der Verwaltungen stünden teilweise im Widerspruch zu den Handlungsnotwendigkeiten im Quartier. So bemerkte ein Gesprächspartner in Kommune A, die Verwaltung habe Ziele für die Umsetzung vor Ort formuliert, ohne lokale Akteure vorher einbezogen oder sich an den Bedarfen im Quartier orientiert zu haben. Vielmehr seien den lokalen Quartiermanagements die Vorstellungen der Verwaltung lediglich mitgeteilt worden: „Das war sozusagen eine ‚warme Übergabe‘ “ (IQ9). Bei diesen Zielen habe es sich um deutlich andere gehandelt, als diejenigen, die vor Ort notwendig gewesen wären. Die Planungen der Projekte, die am „Grünen Tisch“ der Verwaltung ohne Rückkopplung mit dem Quartier entstanden seien, wären bereits so weit fortgeschritten gewesen, dass von Verwaltungsseite „keine Flexibilität mehr“ aufgebracht werden konnte (IQ9). Ein anderer Gesprächspartner in Kommune A bemerkte, viele Ziele würden in der Verwaltung lediglich formuliert, um Fördermittel zu erhalten; dafür müsse
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6 Interviewergebnisse
man „eine Situation manchmal relativ drastisch schildern. Dies ist meines Erachtens häufig sehr kontraproduktiv zu dem, was man später an Arbeit hat – nämlich diese drastische Schilderung wieder wegzubekommen“ (IQ13). Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements in Kommune C wurde ebenfalls angemerkt, viele Projekte seien als klassische Top down-Strategie entwickelt worden, die einem Quartiersbewohner „nicht eingefallen“ wären (IQ16). Grundsätzlich sei es zwar wichtig, in einigen Handlungsfeldern mit geeigneten Projekten Akzente („Pflöcke“) zu setzen, es müsse jedoch immer auch die Möglichkeit geben, „auf aktuelle Problemsituationen einzugehen“ (IQ15). Es stelle eine große Chance für den Quartiersentwicklungsprozess dar, wenn man nicht an vorab definierte Ziele gebunden ist, sondern an situativ entstandenen Themen arbeiten kann. Langfristig festgelegte Zieldefinitionen könnten dagegen den Blick auch für andere Themen einengen (IQ17). Daher widerspräche es auch der inneren Logik des Programms Soziale Stadt, zu Beginn der Arbeit ein Integriertes Entwicklungskonzept samt Zielsetzungen vorlegen zu müssen: „Wenn es ein Prozess sein soll, in dem die lokalen Akteure die gebietsbezogene Problematik erst miteinander entwickeln, kann man nicht a priori definieren, was denn die Probleme und die Schritte [zur Problemlösung] sind, bevor man anfängt zu arbeiten“ (IQ16)68.
Vorab definierte Ziele konterkarierten also den Beteiligungsansatz. Berücksichtige man diesen ausgeprägten Beteiligungsaspekt nicht, bleibe man „in dem alten Paradigma stecken, die Menschen an den Maßnahmen zu beteiligen, von denen die Verwaltung (…) glaubt, dass sie sinnvoll sind für die Entwicklung des Stadtteils“ (IQ15). Die zu Beteiligenden könnten außerdem langfristige, umfassende Planungen weniger gut nachvollziehen: „Es ist schwierig, weil die Menschen kleinräumig und zeitnah denken“ (IQ20). Gemeinsame Zielfindungen seien in einem direkten Aushandlungsprozess mit möglichst kurzfristigem Zeithorizont leichter möglich, weil man dann „den Weg“ sehen könne und auf Ergebnisse nicht lange warten müsse (IQ20). Daher erfordere die Abstimmung von Zielen mit der Quartiersbevölkerung „eine gewisse Flexibilität“ der Verwaltung, auf Änderungswünsche zu reagieren, was jedoch „häufig mit (…) den sehr langwierigen Verwaltungsprozessen (…) nicht unbedingt machbar“ sei (IQ19). Grundlage der Arbeit vor Ort müsse es daher sein, Konzepte „offen zu halten für lebensweltliche Themen“, auch wenn sie konfliktträchtig sind (IQ16). Es gehe darum, beispielsweise im Rahmen von Befragungen herauszufinden, welche Entwicklungsmöglichkeiten vor Ort gesehen werden und wofür Bewohner/innen sich zu engagieren bereit sind: „Was finden die [Quartiersbewohner/innen] an ihrem Stadtteil lebenswert, was finden sie problematisch, welche Ideen haben sie für Veränderun68
Diese Auffassung wurde nicht von allen Gesprächspartnern auf der Quartiersebene in Kommune C vertreten. Ein Interviewpartner äußerte seine Auffassung, eine Abstimmung der Ziele mit der Quartiersbevölkerung im Vorfeld der Maßnahmenumsetzung sei nicht zwingend notwendig (IQ19).
6.1 Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns in der Praxis
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gen?“ (IQ15). Auch in Kommune A wurde bestätigt, Bewohner/innen formulierten ihre Ziele nicht abstrakt auf einer Metaebene – also auf dem Niveau von Integrierten Entwicklungskonzepten –, sondern sehr konkret, an ihren Belangen orientiert (IQ10). In Kommune B wurde dagegen die Erfahrung gemacht, problematisch bei der Zielfindung seien weniger Konflikte zwischen Verwaltung und Quartier, sondern vielmehr mangelnde Berührungspunkte beider Ebenen: Für die praktische Arbeit vor Ort hätten Konzepte und top down formulierte Ziele nur wenig Relevanz; viele Ziele ergäben sich eher aus alltäglichen Zusammenhängen, aus dem praktischen Anlass: „Man redet im Alltag nicht über solche Ziele. Konkrete, praktische Ziele hat man im Kopf, und da gibt es einigermaßen Konsens unter den Beteiligten (…). Ob das dann identisch ist mit den aufgeschriebenen Zielen, das ist etwas anderes. In die aufgeschriebenen Ziele guckt – glaube ich – im Alltag niemand hinein“ (IQ6).
Übergeordnete Ziele (der Verwaltung) wie Förderung der lokalen Ökonomie oder Verbesserung der stadträumlichen Qualitäten würden vielmehr im „konzeptionellen Hintergrund“ mitlaufen und Impulse für die Quartiersebene setzen. Das formale Konzept lasse genügend Raum für die „anarchische“ Arbeit in der Lebenswelt; es stelle eher eine Diskussionsgrundlage dar und eigne sich gut für eine Außendarstellung. Einschränkend für die Umsetzungsebene sei jedoch die von Programm und Konzept vorgegebene Förderfähigkeit bestimmter Maßnahmen und Projekte, die wie eine „Schere im Kopf“ wirke: „Wir wissen ja, was möglich ist, und fragen uns: (…) ‚Wie beraten wir Leute, die mit irgendwelchen Ideen zu uns kommen?‘ Wenn wir Projektvorschläge weiterreichen (…), ist eine Vorprüfung durch uns bereits gelaufen“ (IQ6). Potenziell konflikthaft beim Zusammenspiel von Zielsetzungen und Zielrealisierung sind augenscheinlich nicht nur das Gegenüber von Verwaltung und lokalen Quartiermanagements, sondern auch Interessengegensätze unterschiedlicher Akteursgruppen in den Quartieren selbst. Ein Gesprächspartner in Kommune B thematisierte beispielsweise die Dominanz professioneller Akteure in Beteiligungsforen für Quartiersbewohner/innen: „Es sind, böse gesagt, die ‚Akquisegesichter‘ (…) [wie] Architekten, freie Planer, die ihre Ideen im Schubkasten haben“ (IQ7). Die Moderator/innen von Beteiligungsgremien hätten die schwierige Aufgabe, die „zarten Keime der drei, vier Bewohner“, die zu Beteiligungsveranstaltungen kämen, gegen die Interessen der „Berufsbürger“ zu verteidigen (IQ7). Schließlich wurde auf der Umsetzungsebene in den Kommunen A und D die bereits von Verwaltungsmitarbeiter/innen geschilderte Erfahrung bestätigt, dass Ziele, die auf übergeordneter Ebene formuliert und angegangen werden müssten, auf der Quartiersebene kaum oder gar nicht erreicht werden können. „Das Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen, ist mit dem Gebietsbezug überhaupt nicht zu leisten“ (IQ1); es sei unrealistisch, davon auszugehen, durch den gebietsbezogenen Ansatz könne die Arbeitslosenquote vor Ort gesenkt werden. „Das ist (…) kein Thema, was man auf der Stadtteilebene schaffen kann – wenn, dann auf gesamtstädtischer Ebene“ (IQ13). Zuspitzend bemerkte ein Gesprächspartner in Kommune D: „Vieles ist Kosmetik. Was die Leute wirklich brauchen, ist Arbeit“ (IQ2).
146 6.2
6 Interviewergebnisse
Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
Die für diese Untersuchung zentrale Frage nach den Kriterien der Abgrenzung von „Programmgebieten“ der Sozialen Stadt und für die Umsetzung der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN II sowie von „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs wurde explizit auf der Verwaltungsebene gestellt, weil die Gebietsausweisung formal ein reiner Verwaltungsakt ist. Implizit waren Abgrenzungskriterien (im Zusammenhang mit der Handhabbarkeit unterschiedlicher Gebietsgrößen) aber auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements Gesprächsgegenstand. Direkte Fragen nach Informationsgrundlagen für die Gebietsabgrenzung, am Abgrenzungsprozess beteiligten Akteuren sowie entsprechenden Beteiligungsverfahren wurden auf der Verwaltungsebene gestellt. Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements – also auf der Umsetzungsebene gebietsbezogenen Verwaltungshandelns – standen dagegen vor allem Fragen nach den Arbeitserfahrungen mit den Gebietszuschnitten bzw. -grenzen angesichts der Realität „vor Ort“ im Vordergrund. 6.2.1
Gebietsabgrenzung: Verfahren und beteiligte Akteure
Im Zusammenhang mit der Frage, welche Akteure an der Abgrenzung von „Programmgebieten“ sowie „Sozialräumen“ der Jugendhilfe beteiligt waren, wurde sowohl auf der Verwaltungsebene als auch in den Reihen der lokalen Quartiermanagements einhellig auf eine starke, mancherorts eher ausschließliche Dominanz von Verwaltungsakteuren hingewiesen: Interviewergebnisse Verwaltungsebene Antworten auf die Frage nach den Akteuren, die für die Abgrenzung von „Programmgebieten“ verantwortlich bzw. am Abgrenzungsprozess beteiligt waren, bezogen sich in Kommune A mehrheitlich auf die Abgrenzung des Programmgebiets URBAN II, das in starkem Maße deckungsgleich mit den „älteren“ Gebieten der Sozialen Stadt und der Stadterneuerung war. Bei der Gebietsausweisung spielten Kommunalpolitik und Verwaltung (Bereiche Stadtplanung sowie Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung) eine dominante Rolle, während lokale Akteure nicht einbezogen wurden (IV9), so die Aussage eines Verwaltungsmitarbeiters69. In Kommune B wurde ebenfalls auf eine dominante Rolle der Kommunalverwaltung hingewiesen: Hier seien für die Ausweisung des Programmgebiets der Sozialen 69
Dafür wurden im Wesentlichen zwei Gründe genannt: Aufgrund des großen Zeit- und Erfolgsdrucks, unter dem die Umsetzung von URBAN II gestanden habe, sei bei der Ausweisung des Programmgebiets keine weitere Beteiligung möglich gewesen. Außerdem habe man von vornherein auf eine annähernde Deckungsgleichheit mit dem politischen Bezirk geachtet: „Wie hätten unsere Politiker begründen sollen, dass sie sich um bestimmte Bereiche (…) kümmern und um andere nicht?“, fragte ein Verwaltungsmitarbeiter (IV9).
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
147
Stadt vor allem die Amtsbereiche Wohnen, Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung unter Federführung des Stadtplanungsamtes beteiligt gewesen. Eine Rolle habe auch der Bereich Soziales mit den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD)70 gespielt (IV6). Über die Grenzziehung und anderen Fragen habe man sich zudem in einer amtsinternen, ressortübergreifenden Arbeitsgruppe verständigt (IV4), die sich von professionellen Vor-Ort-Akteuren – also Einzelpersonen mit ihrer je spezifischen Problemsicht – habe beraten lassen (IV5). Das Stadtplanungsamt habe „ein Gebiet markier[t]. (…) Anschließend wurden alle [anderen] Beteiligten (…) geladen, und wir haben noch mal über die Grenzen gesprochen“ (IV8). Gegen die Vorschläge der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe habe niemand etwas einzuwenden gehabt (IV4); sie „wurden immer einstimmig von den politischen Gremien formal beschlossen“ (IV5). Alle Vorschläge seien also aus dem federführenden Amt gekommen, um dann „in unterschiedlichen Runden“ weiter diskutiert zu werden (IV5). Die Bevölkerung habe man dagegen nicht beteiligt (IV4). „Die Gebietsabgrenzung ist irgendwann gesetzt worden; großartige Beteiligungsprozesse gab es in diesem Zusammenhang nicht“ (IV6). Die Grenzen des URBAN II-Gebiets habe man ebenfalls durch die Fachämter „festgezurrt“, allerdings seien hier wichtige (lokale) Institutionen und Bürgervertreter/innen stärker beteiligt worden, beispielsweise im Rahmen mehrerer Workshops. „Es wurde niemand ausgeschlossen. Es gab immer die Möglichkeit der Teilnahme; es war jederzeit ein offenes Verfahren“ (IV7). Die Festlegung der „Sozialräume“ der Jugendhilfe („Ortsteile“) sei dagegen wieder reine Verwaltungsangelegenheit gewesen: „An der Ausweisung der Ortsteile war niemand beteiligt – das ist gegeben“ (IV8). Auch in Kommune C wurde auf die zentrale Rolle der Verwaltung bei der Abgrenzung der Soziale Stadt-Gebiete hingewiesen (Bereich Statistik unter Beteiligung der Bereiche Stadtentwicklungsplanung und Jugend). Zudem habe hier der Kooperationspartner Universität mitgewirkt, ebenso wie das Land mit seinem Interesse, ein bestimmtes Großprojekt mit überregionaler Bedeutung dezidiert zu fördern („Setzung“ von Lageparametern und damit von Teilgrenzen; IV13). Ergänzend wurde darauf hingewiesen, auch (professionelle) Akteure bzw. Multiplikator/innen vor Ort seien in Fragen der Gebietsabgrenzung einbezogen worden (IV14, IV15). 70
Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) ist „der umfassendste soziale Dienst der Landkreise und kreisfreien Städte“. Er ist beim Sozial- oder Jugendamt angesiedelt bzw. wird in einigen Kommunen auch als eigenständiger Dienst angeboten. Zu seinen Aufgaben gehören „persönliche Hilfe, Schwangeren-, Erziehungs-, Partner-, Scheidungs- und Schuldnerberatung, Krisenintervention, Hilfe zur Erziehung, Gesundheits- und Krankenhilfe, Altenhilfe, materielle Leistungen sowie Integrationshilfen für besondere Gruppen (z. B. Behinderte, Ausländer/innen, Randgruppen)“. Außerdem vermitteln die ASD weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote anderer Institutionen. Die ASD sind „dezentral organisiert, d. h., jeder Sozialarbeiter ist für einen bestimmten überschaubaren Bezirk im Landkreis oder in der kreisfreien Stadt allein zuständig. Er kennt somit die Lebensverhältnisse, Bedürfnisse und vorherrschenden Problemlagen der Bürger/innen vor Ort und kann sinnvoll auf sie reagieren“. Aufsuchende Arbeit steht im Mittelpunkt des Ansatzes (Textor/Winterhalter-Salvatore 2006).
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6 Interviewergebnisse
In Kommune D äußerten Verwaltungsmitarbeiter/innen, hier habe die Abgrenzung von „Sozialräumen“ der Jugendhilfe ausschließlich in Händen der Verwaltung gelegen (IV2, IV3). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurden die Aussagen der Interviewpartner/innen in den Verwaltungen weitgehend bestätigt (IQ6, IQ12, IQ15) bzw. in Kommune D um die Information ergänzt, auch die Ausweisung des Programmgebiets zur Umsetzung der Sozialen Stadt habe hier ausschließlich in Händen der Verwaltung gelegen (IQ1). 6.2.2
Gebietsabgrenzung: Kriterien
Entsprechend der starken Dominanz von Verwaltungsakteuren bei der Abgrenzung von Programmgebieten waren es auch sie, die in den Interviews den Großteil der Informationen über die zu Grunde gelegten Abgrenzungskriterien beisteuerten, während die Gesprächspartner auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements eher kommentierend ergänzten. Zu den Kriterien der Gebietsabgrenzung zählen: 䊏
Orientierung an bereits festgelegten (politisch-administrativen) Grenzen, Orientierung an physischen Barrieren bzw. siedlungsstrukturellen Zusammenhängen, 䊏 Orientierung an statistischen Daten (in Kombination mit Einschätzungen professioneller Vor-Ort-Akteure), 䊏 Orientierung an Fördervorgaben/-richtlinien bzw. Vorgaben politischer Entscheidungsträger, 䊏 Pragmatismus bzw. Intuition. 䊏
Interviewergebnisse Verwaltungsebene Das Kriterium Orientierung an bereits festgelegten (politisch-administrativen) Grenzen spielte zumindest für die Festlegung von Programmgebieten der Sozialen Stadt sowie für die Umsetzung von URBAN II eine zentrale Rolle. So wurde in Kommune C darauf hingewiesen, hier hätten politische (Wahl-)Bezirke als „gewachsene Strukturen“ den Zuschnitt der heutigen Programmgebiete in starkem Maße beeinflusst (IV13; IV15). In einigen Fällen zeichne man die Bezirke jedoch nicht exakt nach; man wähle eher kleinere Gebietseinheiten, gehe „allerdings nicht über die Bezirksgrenze hinaus“ (IV14). In Kommune A wurde angegeben, die Gebietskulisse zur Umsetzung des Programms URBAN II habe sich an „ältere“ Fördergebiete angelehnt: Es habe in starkem Maße auf dem Soziale Stadt-Gebiet aufgebaut, und dieses wiederum auf bereits früher ausgewiesenen Stadterneuerungsgebieten (IV9).
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
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In Kommune B wurde bei der Programmgebietsausweisung für die Soziale Stadt bzw. URBAN II zwar weniger stark von politischen/administrativen Grenzen oder bereits existierenden Fördergebieten ausgegangen, eine „Prädisposition“ lag aber dennoch in Form eines gesamtstädtisch ausgerichteten Stadtentwicklungsplans mit teilräumlichen Komponenten vor. Auf dieser Grundlage habe man räumlich zusammenhängende Teile der Stadt mit baulich-städtebaulichen sowie auch sozialen Problemlagen identifiziert und sie als räumliche Förderkulissen für die Umsetzung der Programme Soziale Stadt und URBAN II ausgewiesen (IV4, IV5). Die anderen Kriterien für die Abgrenzung von Programmgebieten erscheinen demgegenüber eher nachgeordnet im Sinne von Bestätigungen bzw. einer „Feinjustierung“ der bereits mehr oder weniger „gesetzten“ Grenzen. Dies gilt insbesondere für physische Barrieren und siedlungsstrukturelle Zusammenhänge. So wurde in Kommune A das Programmgebiet Soziale Stadt/URBAN II aufgrund der es umgebenden Eisenbahnanlagen, Gewerbegebiete, Freiräume sowie eines Kanals aus Verwaltungssicht als ein bereits „definierter“ Raum betrachtet. „Für uns ist (…) [es] ein Siedlungsraum, der von allen möglichen anderen Nutzungen umgeben, also eingegrenzt ist. Dies sind natürliche Barrieren für die Lebenszusammenhänge der Menschen“ (IV9). Mit physischen Barrieren als Abgrenzungskriterium wird auch in Kommune B argumentiert: „Wir haben [im Programmgebiet der Sozialen Stadt] als Südgrenze den (…) Bahnhof; da ist nichts dran zu rütteln. Oder die (…) Gleisschneise – der Identitätsbereich (…) geht für die Leute einfach nicht über die Bahnlinie; das ist einfach so“, wurde auf Verwaltungsebene konstatiert (IV6). Auch das ehemalige URBAN II-Programmgebiet in Kommune B sei von physischen Barrieren umgeben: Im Westen werde es durch eine Bahnlinie begrenzt, im Norden und Osten durch den Übergang von Wohnbebauung in Kleingartenareale, im Süden durch die Bebauungsgrenze und einen Wasserlauf (IV7). Ebenfalls weitgehender Konsens herrschte über die Eignung statistischer Daten zur Abgrenzung von Programmgebieten bzw. „Sozialräumen“ der Jugendhilfe, insbesondere wenn sie mit Situationseinschätzungen bzw. individuellen Problemwahrnehmungen und Arbeitserfahrungen von (Vor-Ort-)Expert/innen abgeglichen würden. In Kommune C wurde dazu angemerkt: „Die Abgrenzung folgte schlicht den statistischen Notwendigkeiten. (…) Die Auswahl haben wir [Verwaltung] vorgeschlagen und mit Hilfe der statistischen Daten begründet“ (IV13), wobei der Indikator Sozialhilfebezug besonders hervorgehoben wurde (IV14). Grundlage sei das Sozialraummonitoring der Stadt gewesen; daneben habe man Einschätzungen von Expert/innen der Vor-Ort-Ebene eingeholt und „Gespräche mit der Ortspolitik (…), mit Multiplikatoren und Akteuren vor Ort [gesucht]: ‚Wie schätzen Sie die Dinge ein? Wo sehen Sie die Problemlagen?‘“ (IV15). Es gehe also um ein Wechselspiel von statistischen Abgrenzungskriterien und ihrer Überprüfung auf qualitativer Basis (IV14). Bei der Abgrenzung von „Sozialräumen“ der Jugendhilfe in den Kommunen A und B wurde ebenfalls auf statistische Daten zurückgegriffen. In Kommune B habe man auf dieser Basis zunächst zehn Stadtbezirke ausgewiesen und diese zwecks besserer Handhabbarkeit – ebenfalls auf Grundlage statistischer Daten zur Sozialstruk-
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6 Interviewergebnisse
tur – nochmals in 63 „Ortsteile“ untergliedert; die Ergebnisse seien auch hier mit Einschätzungen zur räumlichen Verbreitung von Problemlagen (in diesem Fall durch Verwaltungsmitarbeiter/innen) abgeglichen worden (IV8). Ähnlich, wenn auch offensichtlich unter Verzicht auf eine qualitative Komponente, wurde in Kommune A vorgegangen: „Die Sozialräume haben wir (…) auf der Basis der statistischen Unterbezirke und statistischen Bezirke zusammengestellt. Das war einfach die Grundlage, die Voraussetzung, um überhaupt einen Planungsprozess gestalten zu können“ (IV12). Innerhalb jedes der 12 Stadtbezirke seien mindestens zwei, maximal vier Sozialräume gebildet worden, „die ganz pragmatisch ungefähr die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen kennzeichnen. Das haben wir vorgeschlagen anhand von statistischen Unterbezirken“ (IV12). Als weitere zentrale Abgrenzungskriterien wurden Sachzwänge durch Förderrichtlinien von EU, Bund und Ländern bzw. Vorgaben landes- und kommunalpolitischer Entscheidungsträger genannt. Nach Angaben von Verwaltungsmitarbeiter/innen wirkten sich Vorgaben der EU in Kommune B erheblich auf die Abgrenzung des URBAN II-Gebiets aus: Ausgehend von einem „Kernbereich“, den die Stadt für eine Förderung identifiziert hatte, habe man noch andere Teilbereiche im Süden und Norden hinzunehmen müssen, um die Mindestanforderung des Programmgebers erfüllen zu können, wonach im Programmgebiet mindestens 30.000 Einwohner/innen leben müssen71 (IV7). Auch in Kommune A sind vor allem im Zusammenhang mit der Umsetzung von URBAN II Gebietsabgrenzungen offensichtlich unter starker Maßgabe der Fördervoraussetzungen erfolgt: Da es sich um ein Förderprogramm mit einem „spezifischen Interventionsbereich“ gehandelt habe, sei „es Unfug zu schauen, welche räumlichen Bezüge [sonst] noch (…) eine Rolle spielen könnten. (…) Die Interventionsbereiche von URBAN sind begrenzt auf das, was URBAN auch leisten kann. Das muss man berücksichtigen, wenn man eine Gebietskulisse ‚strickt‘. (…) Die Abgrenzung des URBAN-Gebiets (…) definiert den Interventionsbereich für URBAN und nichts anderes“, konstatierte ein Interviewpartner (IV9)72.
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Dies entspricht der Verteilung der Fördersumme in einem Verhältnis von 500 Euro pro Einwohner/in während der gesamten Förderlaufzeit (vgl. Kapitel 5.1.2). 72 Im Gegensatz zur Ausgangssituation in Kommune B wirkte sich hier die Programmvorgabe, pro Gebietsbewohner/in und Jahr 500 Euro Programmmittel verausgaben zu müssen, eher im Sinne einer Gebietsbeschneidung aus, da die Einwohnerzahl des potenziellen Programmgebiets von rund 50.000 diesen Ansatz weit überschritten hätte, so dass der Mittelansatz insgesamt habe angehoben werden müssen: „Es gab nur die Alternativen, das Gebiet zu reduzieren oder das Programmvolumen auszuweiten. Wir haben lange (…) diskutiert, ob man überhaupt belastbare Indikatoren finden kann, mit denen man eine Ausgrenzung bestimmter Bereiche (…) hätte begründen können. Wir haben solche Indikatoren nicht gefunden. Also mussten wir, um die ‚500-Euro-Klausel‘ erfüllen zu können, einen anderen Weg finden, das Programmvolumen aufzustocken. Dies hätten wir als Stadt nicht leisten können und haben daher mit dem Land nachverhandelt, so dass wir mehr Mittel bewilligt bekommen haben“ (IV9).
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
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Jenseits aller inhaltlichen Kriterien zeigen die Interviewergebnisse, dass die Abgrenzung von Förder- bzw. Programmgebieten auch in starkem Maße aus pragmatischen Erwägungen erfolgt sind. So lautete ein Kommentar in Kommune C, im Verwaltungsalltag stoße die Diskussion über die „richtigen“ Gebietsgrenzen auf nur geringes Interesse – es lasse sich kaum vermitteln, warum man diese Frage mit großem Aufwand bearbeiten solle. Als pragmatisches Vorgehen sei daher vorgeschlagen worden, „irgendwo eine Linie zu ziehen und dann mit der Arbeit zu beginnen“ (IV14). Außerdem habe die Frage eine Rolle gespielt, ob es vor Ort bereits Organisationen und Institutionen wie beispielsweise Kitas, Senioren- und Jugendeinrichtungen oder Kirchengemeinden gebe, mit denen kooperiert werden könne. Zudem habe man bei der Gebietsauswahl auch auf bereits erkennbare Entwicklungspotenziale geachtet (IV15). Ähnlich äußerten sich zwei Gesprächspartner in Kommune A: Die Frage nach Kriterien der Gebietsauswahl sei „ein bisschen zu wissenschaftlich; wir machen das eher pragmatisch: Es gibt bestimmte Notwendigkeiten. Wir kommen ja nicht neu in diese Gebiete hinein, sondern bestimmte Dinge (…) weiß man einfach“. Dies würde bei der Gebietsabgrenzung berücksichtigt, „ohne den theoretischen Schritt zurück zu machen und den entsprechenden Indikator dafür zu bestimmen oder zu suchen“ (IV9). Auch die Unterteilung des URBAN II-Gebiets in drei weitere Quartiermanagement-Gebiete sei unter pragmatischen Gesichtspunkten erfolgt (IV9, IV10). Gleiches gelte für die Abgrenzung der „Sozialräume“ des Jugendamtes in Kommune D; hier sei vor allem das Kriterium Gebietsgröße (gemessen in Einwohner/innen) und damit Handhabbarkeit für die Verwaltung herangezogen worden. „Diese Grenzziehung ist konstruiert worden (…). Bei der Abgrenzung (…) handelt sich um rein arbeitspragmatische Zuschnitte“ (IV3). In einigen Äußerungen ist bereits angeklungen, dass bei den Gebietsabgrenzungen in den meisten Fällen neben „harten Fakten“ auch die Intuition der verantwortlichen Akteure eine Rolle gespielt hat. Beispielsweise wurde auf der Verwaltungsebene in Kommune C angemerkt, neben der reinen Faktenlage sei auch wichtig gewesen, „was man so wusste“. Die herangezogenen statistischen Daten seien niemals so eindeutig gewesen, dass sich aus ihnen eine Gebietsausweisung oder -priorisierung „automatisch“ ergeben hätte (IV14). „Die Datenbasis war die Grundlage; andere Kriterien muss man nicht beforschen – die kennt man, da guckt man einfach mal hin: besondere Verkehrsbelastungen, schlechte Ausstattung mit Grünflächen etc. Die Inaugenscheinnahme spielt eine große Rolle“ (IV13). Ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune D bemerkte, manches wisse man auch „einfach so vom Gefühl her, obwohl wir keine Daten dafür haben“. Die Grenzen zwischen unterschiedlichen Quartieren könne man vor Ort spüren (IV3). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Wie bereits bei der Frage nach den Akteuren, die an der Abgrenzung von „Programmgebieten“ und „Sozialräumen“ beteiligt waren, bestätigten die lokalen Quar-
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6 Interviewergebnisse
tiermanager/innen auch im Zusammenhang mit den Abgrenzungskriterien größtenteils die Eindrücke, die aus den Gesprächen auf der Verwaltungsebene entstanden sind. So wurde die Bedeutung von Wahlbezirken für die Gebietsabgrenzung in Kommune A auch auf der Umsetzungsebene bestätigt: Hier wies ein Interviewpartner darauf hin, die Unterteilung des vergleichsweise großen Programmgebiets Soziale Stadt bzw. URBAN II in einzelne Quartiermanagementgebiete orientiere sich fast ausschließlich entlang dieser Grenzen (IQ11). In Kommune D betonten lokale Quartiermanager/innen, bei dem Soziale StadtGebiet handele es sich größtenteils um ein ehemaliges Sanierungsgebiet, das für die Abgrenzung des Programmgebiets allerdings um einige Infrastrukturstandorte erweitert worden sei (Sozialwohnungskomplex, Schule, Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, Parkanlage) (IQ2). Die Bedeutung von politischen Bezirksgrenzen für die Gebietsabgrenzung wurde hier ebenfalls erwähnt (IQ4); Gleiches gelte in Kommune A (IQ13). Außerdem wurden die Kriterien für die Ausweisung des Programmgebiets Soziale Stadt in Kommune D auf der Grundlage eines Gutachtens festgelegt, das maßgeblich auf statistischen Daten (vor allem zu Ausländeranteilen, Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquote in verschiedenen Stadtteilen) basierte, wie ein Gesprächspartner ausführte. Zusätzlich sei das Erfahrungswissen professioneller Akteure als qualitative Komponente berücksichtigt worden (IQ1). Die Bedeutung physischer Barrieren als Gebietsgrenzen, die von Verwaltungsseite vor allem für die Abgrenzung von „Programmgebieten“ in den Kommunen A und B hervorgehoben wurde, bestätigten Interviewpartner in den Reihen der lokalen Quartiermanagements beider Kommunen (IQ5, IQ7,IQ8, IQ9, IQ13). 6.2.3
Umgang mit Programmgebieten und „Sozialräumen“: Arbeitserfahrungen
Zum zentralen Thema Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ wurden sowohl Mitarbeiter/innen auf der Verwaltungsebene als auch lokale Quartiermanager/innen nach ihren Erfahrungen – bezogen auf ihren jeweiligen Arbeitskontext – gefragt. Von Verwaltungsseite wurde (kritisch) angemerkt: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
Grenzen sind (notwendige) Konstruktionen von Verwaltungsakteuren; der Gebietsbezug ist nicht immer der ideale Ansatz für notwendige Projekte und Maßnahmen; Förderrichtlinien greifen zu stark in die Gebietsabgrenzung ein; Gebietsgrenzen zerschneiden Siedlungsbereiche bzw. Identifikationsräume und erschweren die Projektförderung in zusammenhängenden Orten; Grenzen schließen benachbarte Gebiete aus; teilweise kommt es zu „Neiddiskussionen“; Gebietsgrenzen müssen durchlässig bzw. veränderbar sein, flexible Förderungen ermöglicht werden; eine Flexibilisierung von Gebietsgrenzen ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen schwierig.
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
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Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurde betont: 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏 䊏 䊏
eine starre Gebietsabgrenzung ist unzureichend, weil sie quartiersübergreifende Aktivitäten sowie alltagsweltliche Raumzusammenhänge zu wenig berücksichtigt; unterschiedliche Ziele und Zielgruppen haben unterschiedliche (spezifische) Raumbezüge; die alttagweltlichen Raumbezüge der Quartiersbewohner/innen sind kleiner als die abgegrenzten Programmgebiete; innerhalb des Programmgebiets gibt es viele unterschiedlicher Orte, die nach Funktion bzw. Bedeutung für Quartiersbewohner/innen differenziert werden müssen; große Programmgebiete ermöglichen nur punktuell ein kleinräumiges Arbeiten; gleichzeitig verleiht erst eine gewisse Größe den Programmgebieten ausreichendes (politisches) Gewicht; Grenzziehungen können von der Quartiersbevölkerung teilweise nicht nachvollzogen werden und erschweren so die Identifikation mit dem Wohnquartier.
Interviewergebnisse Verwaltungsebene Viele der befragten Verwaltungsakteure waren sich darüber einig, die Grenzen von Programmgebieten seien lediglich (notwendige) Konstruktionen der Verwaltung. Dazu bemerkte ein Interviewpartner in Kommune C, es könne keine „ideale“ Grenze für Fördergebiete geben, da aus Verwaltungssicht jenseits der Abgrenzung weitere zu bearbeitende Probleme lägen oder auch Lösungsansätze zu finden seien. „Richtige“ Grenzen wären eher im Zusammenhang mit einzelnen thematischen Handlungsfeldern vorstellbar, nicht aber für „Gebiete“ und ihre Bewohner/innen. Legte man die unterschiedlichen Aktivitäten „im Raum“ übereinander, „wird man einen Raum dichtester Aktivitäten feststellen, und das könnte ‚der‘ Raum sein. Einen Rest müssen wir ‚vergewaltigen‘, indem wir Grenzen ziehen, weil wir Fördermittel und Daten und so weiter auf definierte Räume beziehen müssen“ (IV13). Der Konstruktcharakter von Grenzen wurde auch in Kommune A thematisiert: „Sie werden nie eine Gebietsabgrenzung am Anfang einer Erneuerungsstrategie finden, die tatsächlich alles umfasst, was im Laufe des Prozesses an Befunden und an Möglichkeiten identifiziert wird“ (IV9). Vielmehr sei „Raum“ im Sinne eines „Containers“ ein Orientierungsrahmen, „eine Projektion, ein Entwurf, eine virtuelle Abgrenzung und ein Stück weit auch ‚Schutzraum‘“73 – in diesem Falle für die Sonderförderungen Soziale Stadt/URBAN II (IV9). 73
Hier ist der „Schutz“ gemeint, der im Ratsbeschluss über eine Sonderförderung für Programmgebiete liegt: Er bedeutet eine Prioritätensetzung gegenüber anderen Gebieten, die nicht in den Genuss einer solchen Förderung kommen. So gebe es beispielsweise in Kommune C mittlerweile mehrere Stadtteile, die ebenfalls in den Genuss von (gebietsbezogenen) Sonderförderungen kommen wollen (IV13, IV14, IV15). Das Klischee, ein benachteiligter Stadtteil mit Quartiermanagement sei stigmatisiert, lasse sich vor diesem Hintergrund nicht halten (IV15).
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6 Interviewergebnisse
Auch die „Sozialräume“ der Jugendhilfe werden auf Verwaltungsseite als Konstrukte erfahren: Sie seien ein Kompromiss aus der Berücksichtigung verschiedener räumlicher Handlungsradien von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersstufen sowie der Notwendigkeit, ein abgegrenztes Gebiet festlegen zu müssen (IV12), wie in Kommune A bemerkt wurde, um räumliche Zuständigkeitsbereiche in der Verwaltung definieren zu können. In Kommune C wurde dies ähnlich gesehen: Die Abgrenzung eines „Sozialraums“ sei notwendig, um darin „mit für traditionelle Verwaltungsgegebenheiten innovativen Konzepten wie ‚lebensweltliche Orientierung‘“ zu agieren (IV16). Gleichzeitig ließe sich jedoch „nur ein Teil von jugendlichen Lebenswelten sozialräumlich territorial beschreiben. (…) Je mobiler und je höher gebildet die Kids sind, desto stärker wird der Raum flexibel gehandhabt“ (IV16). Auch in Kommune D wurde auf den Konstruktcharakter von „Sozialräumen“ hingewiesen (IV2). Ein anderer Kritikpunkt betrifft weniger die „richtige“ Gebietsabgrenzung, als vielmehr die Frage, inwieweit der Ansatz gebietsorientierten Verwaltungshandelns tatsächlich für alle Projekte und Maßnahmen geeignet ist. In Kommune B wurde die Erfahrung problematisiert, zumindest für Einzelaspekte des Verwaltungshandelns eigne sich ein strikter Gebietsbezug weniger gut: „Gerade in einer Stadt (…), die flächendeckend strukturelle Probleme hat, finde ich es problematisch, mehr oder weniger eng umgrenzte Fördergebiete (…) auszuweisen“ (IV5) und damit Fördermittel nicht auch außerhalb dafür festgelegter Gebiete einsetzen zu können. Verbunden wurde dies mit der Kritik zu starker Vorgaben der EU für die Abgrenzung von URBAN II-Programmgebieten (IV5) (vgl. Kapitel 5.1.2)74. In einigen Fällen habe man die Förderung eines Projektes ablehnen müssen, weil es nicht innerhalb des Programmgebiets, „sondern einen Block weiter“ angesiedelt sei (IV7). Auch in Kommune A stellt sich offensichtlich das Problem der Beschneidung von Projekten und Maßnahmen durch den Verlauf der Programmgebietsgrenzen. Ein Interviewpartner bemerkte, in einem zum Programmgebiet URBAN II benachbarten Hafenareal würden Projekte entwickelt und durchgeführt, die in den URBANKontext gepasst hätten. Allerdings sei eine Erweiterung der Programmkulisse mit der bereits „festgezurrten“ Grenzziehung nicht mehr in Einklang zu bringen gewesen (IV10). In Kommune C wurde auf das Problem hingewiesen, die Grenzziehung erschwere eine Zusammenarbeit mit kooperationsbereiten Akteuren außerhalb des Programmgebiets (IV14). 74
So sei im Norden des Programmgebiets nur ein „problematischer“, zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen gelegener und damit lediglich die Breite eines Baublocks umfassender Bereich in die Förderkulisse hineingenommen worden. „Dies ist allerdings – im Nachgang betrachtet – nicht die glücklichste Lösung; das hätte man etwas breiter fassen können, weil der Identifikationsraum der Bevölkerung an dieser Stelle durchschnitten worden ist“. Der nicht berücksichtigte Bereich sei allerdings „kein Thema für URBAN“ gewesen. „Das kann man erläutern; man hat zum Teil damit aber auch ein Vermittlungsproblem“ in die Quartiersbevölkerung (IV7). Diese Einschätzung wurde auf der Umsetzungsebene bestätigt: Im Norden des Programmgebiets sei es „sehr schwierig, den Leuten klar zu machen, dass man nur für so einen kleinen Bereich zuständig ist“ (IQ5).
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
155
Die aus diesen Erfahrungen abzuleitende Notwendigkeit, Gebietsgrenzen flexibilisieren zu können, war Konsens bei der Mehrheit der Befragten. Es sei zwar unabdingbar, zunächst ein Programmgebiet im Sinne eines „Projektionsraumes“ für die eigene Arbeit abzugrenzen, dieses müsse allerdings im Laufe des Prozesses flexibilisiert werden können, lautete ein Kommentar in Kommune A. Teilweise würde man erst im Laufe der Arbeit Probleme und Potenziale „vor Ort“ erkennen, „die Sie anfangs nicht gesehen haben oder die zu Beginn auch nicht [noch] existiert haben“, auf die jedoch reagiert werden müsse. „Dies geht nicht, wenn ich an den einmal starr gefassten Gebietsgrenzen festhalte“ (IV9). Gebietsgrenzen müssten außerdem an die „Aktionsräume“ der Quartiersbewohner/innen angepasst werden können: „Die Menschen überschreiten diese Grenzen pausenlos, zwar teilweise nicht sehr weit (…), aber in irgendeiner Weise überschreitet sie jeder“ aus Arbeits-, Ausbildungs-, privaten bzw. Freizeitgründen. „Und ein Stück weit wollen wir ja die Lebensqualität der Menschen in diesen Quartieren verbessern, das heißt, ich muss mich auch unabhängig von auf dem Papier festgelegten Grenzen mit den Menschen zusammen bewegen – und das heißt zwangsläufig ‚Grenzüberschreitung‘“ (IV9).
Als weiterer Grund für die Notwendigkeit, Programmgebietsgrenzen flexibilisieren zu müssen, wurde – ebenfalls in Kommune A – genannt, die Randbereiche zwischen „benachteiligten“ und angrenzenden Quartieren würden sich ebenfalls weiterentwickeln; um sie gegebenenfalls in die Vor-Ort-Entwicklung integrieren zu können, müsse man Programmgebiete entsprechend ausweiten können (IV10). Auch die Einbeziehung von Kooperationspartnern wie Schulen und Krankenhäuser, die außerhalb des Programmgebiets angesiedelt seien, für die Entwicklung vor Ort jedoch große Bedeutung hätten, könnten nur durch eine Flexibilisierung der Gebietsgrenzen in die Förderkulisse einbezogen werden (IV9). Eine Ausweitung von Programmgebietsgrenzen bedeute allerdings, (zusätzliche) Fördergelder bereitstellen zu müssen, um auch in den „neuen“ Gebietsteilen handeln zu können, bemerkte ein Interviewpartner in Kommune A (IV10). Die Notwendigkeit, dafür Eigenmittel der Stadt aufbringen zu müssen, stellt aus Sicht eines Gesprächspartners in Kommune B allerdings ein wesentliches Hemmnis dar. „Wir sehen nicht, dass wir die Ressourcen einbringen können, erstens wegen der Extra-Mittel, die wir nicht werden akquirieren können, und zweitens aus arbeitspragmatischen Gründen“ (unzureichende Personalressourcen) (IV14). Außerdem – dies wurde in Kommune B unter Hinweis auf den Zeitaspekt einschränkend bemerkt – müssten die Notwendigkeit der Veränderung von Gebietsgrenzen erst anhand geeigneter Indikatoren begründet75 sowie dem Stadtrat ein entsprechender Antrag zur Beschlussänderung vorgelegt werden (IV4). 75
Im Falle von URBAN II müsse dafür das Operationelle Programm geändert werden. Grundlage dafür sei eine stichhaltige Begründung, aus der hervorgehe, dass eine Veränderung der Grenzziehung erforderlich ist, weil sonst bestimmte Programmziele nicht erreicht werden könnten. In der Praxis sei ein solches Vorgehen sehr kompliziert (IV7).
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6 Interviewergebnisse
Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements In vielen Punkten bestätigten Interviewpartner aus den Reihen der lokalen Quartiermanagements insbesondere in Kommune A Arbeitserfahrungen bzw. Auffassungen, die auch auf Verwaltungsebene dargestellt worden sind. Dies gilt zum Beispiel für die Ansicht, Grenzen von Programmgebieten seien (notwendige) Konstruktionen (von Verwaltungsakteuren) und damit lediglich „Hilfsgrößen“ (IQ8, IQ9, IQ12): Der Raum sei lediglich Anlass, Kommunikation zu betreiben, fasste dies ein Interviewpartner in Kommune A zusammen (IQ12). Auch die bereits von Verwaltungsmitarbeiter/innen beschriebene Notwendigkeit der Flexibilisierung von Gebietsgrenzen wurde in den Reihen der lokalen Quartiermanagements – vor allem in den Kommunen A und B (IQ8, IQ12, IQ6, IQ7) – hervorgehoben, hier jedoch stärker aus der Arbeitsperspektive: „Bereits festgelegte (…) [administrative Grenzen] haben ja oft überhaupt nichts mit Lebensraum zu tun“, bemerkte beispielsweise ein Interviewpartner in Kommune B (IQ7)76, und wenn man strikt mit der Haltung „Das liegt nicht im Gebiet!“ heranginge, sei eine Kooperation mit wichtigen, jedoch außerhalb des Fördergebiets ansässigen Organisationen und Institutionen sehr schwierig, wurde in Kommune A festgestellt (IQ8). „Wenn (…) man in unterschiedlichen Projekten zusammenarbeitet, ohne diese ‚Grenzgedanken‘ zu bekommen, haben wir viel erreicht“ (IQ12), konstatierte ein anderer Interviewpartner. Darüber hinaus wurden Arbeitserfahrungen und daraus abgeleitete Kritikpunkte genannt, die (offensichtlich) nur auf der Ebene der lokalen Quartiersmanagements gesammelt werden konnten. So wurde in den Kommunen B und D angemerkt, unterschiedliche Ziele und Zielgruppen hätten je eigene räumliche Kontexte, die mitunter quer zu festgelegten Fördergebietsgrenzen liefen. Auf ein Problem, das aus einem solchen „Grenzkonflikt“ resultieren kann, wiesen Interviewpartner in Kommune D 76
Ähnliche Erfahrungen schilderte ein Interviewpartner in Kommune A: „Als die Quartiere ausgeschrieben wurden, haben wir [Träger der lokalen Quartiermanagements] schnell gesehen, dass von der Verwaltung einfach die statistischen Bezirke zu Grunde gelegt worden waren. Wir haben in unserer Bewerbung argumentiert, warum wir andere Grenzen ziehen würden und wie man die handhaben sollte im weiteren Verfahren – dass man sehr stark quartiersübergreifende Aktivitäten vorantreiben sollte“ (IQ8). Bei der Unterteilung des vergleichsweise großen Programmgebiets in mehrere Quartiermanagement-Gebiete hätte man angesichts alltagsweltlicher Raumzusammenhänge anstelle von drei eher fünf Untereinheiten bilden sollen (IQ8) bzw. die Aufteilung nicht starr vornehmen sollen. „Es geht darum – und das ist das Entscheidende –, dass wir im Quartiersmanagement einen Lernprozess in Gang setzen, bei dem Viele lernen zusammenzuarbeiten, bei dem man seine kleinen vier Wände verlässt (…)“ (IQ8). Ein anderer lokaler Quartiermanager in Kommune A bemerkte, die westliche Programmgebietsgrenze entspreche der Grenze eines statistischen Unterbezirks, zerschneide jedoch siedlungsstrukturelle und lebensweltliche Zusammenhänge: So lägen beispielsweise einige wichtige Infrastruktureinrichtungen wie Schulen „gerade im Grenzbereich zwischen den Quartieren“, seien jedoch für beide gleichermaßen bedeutsam. Daran merke man, „dass diese westliche Grenze ein bisschen streitbar ist“ (IQ14).
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
157
hin. Für das gesetzte Ziel „Förderung der lokalen Wirtschaft“ habe man es vor Ort mit „einer völlig falschen Grenzziehung“ (IQ2) zu tun, da sie wirtschaftsräumliche Zusammenhänge zerteile77. Wolle man „etwas gemeinsam mit den Gewerbetreibenden unternehmen, um ihre Straße zu entwickeln, macht es keinen Sinn, die Straße plötzlich durch Gebietsgrenzen abzuschneiden. Es kommt also immer auf den Blickpunkt unterschiedlicher Zielgruppen an. Meine Zielgruppe sind die Gewerbetreibenden, und da macht es keinen Sinn, das Gebiet zu zerschneiden“ (IQ3). Die Arbeit mit anderen Zielgruppen wie beispielsweise Kindern lokalisiere sich in wiederum anderen, oftmals kleinteiligeren räumlichen Zusammenhängen (IQ1). „Das Programm [hier: Soziale Stadt] ist [inhaltlich] sehr breit gefächert, und man müsste die Frage eigentlich für jedes Ziel einzeln beantworten“ (IQ1), lautet die Quintessenz solcher Arbeitserfahrungen nicht nur in Kommune D, sondern auch in Kommune B: Jeder thematische Zusammenhang, jedes Ziel habe seinen eigenen „Raum“ (IQ7). Diese Erkenntnis bezieht sich offensichtlich nicht nur auf die Kompatibilität von Fördergebiets- mit „alltäglichen“ Grenzen, sondern auch auf alltagsweltliche Binnendifferenzierungen der Programmgebiete als Basis der Arbeit von lokalen Quartiermanagements. „Ich glaube, dass die räumlichen Bezüge der Menschen eigentlich noch viel kleiner sind“ als das Programmgebiet, meinte ein Interviewpartner in Kommune D (IQ2), wo diese Bezüge von den lokalen Quartiermanager/innen als „Nester“ bezeichnet wurden. Die Arbeitserfahrungen zeigten, „dass sich die Menschen (…) rund 300 m im Radius um ihren Wohnort bewegen. (…) Das ist natürlich bei Schulkindern und bei Arbeitnehmern noch einmal anders, gilt aber für Bezüge in die Nachbarschaft“ (IQ1). Beteiligung sei daher insbesondere in solchen kleinräumigen Kontexten erfolgreich (IQ2). „Dies läuft immer unterhalb der Gebietsebene (…). Unsere Beteiligungsräume sind zum Teil noch kleiner als die ‚Nester‘. Gerade in Bezug auf Aktivierung und die Motivierung zur Beteiligung gehen wir auf kleinere Teilräume“ (IQ2). Nicht nur unterschiedlich große (bzw. kleine) Raumeinheiten müssten bei der Arbeit lokaler Quartiermanager/innen berücksichtigt werden, sondern auch Orte,
77
Im hier betrachteten Programmgebiet von Kommune D wurde eine Hauptverkehrs- und Einkaufsstraße durch eine senkrecht zu ihr verlaufende Bezirksgrenze geteilt. Auf beiden Seiten befinden sich zwar Programmgebiete der Sozialen Stadt, allerdings mit je unterschiedlichen politischen bzw. Verwaltungszuständigkeiten, lokalen Quartiermanagementteams und damit auch Zielausrichtungen. Das Thema Gewerbeentwicklung besitze in den beiden Gebieten einen unterschiedlicher Stellenwert, so dass die Entwicklung der gemeinsamen Hauptverkehrsachse im Sinne einer durchgängigen „Einzelhandelsmagistrale” lange Zeit nur von einem der beiden lokalen Quartiermanagements aktiv vorangetrieben worden sei: „Es war sehr mühsam, zwischen den beiden [lokalen] Quartiermanagements eine entsprechende Arbeitsform zu finden; dieser Prozess hat zwei Jahre gedauert. (…) Das war ein Prozess, sich nicht als Konkurrenten, sondern als ergänzende Einrichtungen zu verstehen und gemeinsam etwas zu planen” (IQ3).
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6 Interviewergebnisse
die sich in Lage, Funktion und Bedeutung aus der Sicht der Gebietsbevölkerung unterscheiden: Wohnorte, Treffpunkte, Arbeitsorte gehörten dazu, wie ein Gesprächspartner in Kommune B erläuterte (IQ7). In Kommune A wurde bestätigt: „Es spielt eine sehr große Rolle, welche (…) Grenzen (…) von den Menschen, die im Gebiet leben und sich darin bewegen, wahrgenommen werden (…) – und was sie selber als ihren ‚Ort‘ oder ‚Raum‘ begreifen und empfinden“ (IQ8). Eine solche Betrachtungsweise wirft jedoch offensichtlich das Problem auf, mit den verfügbaren Personalressourcen der lokalen Quartiermanagements nur noch selektiv kleinräumlich arbeiten zu können und stärker auf die Kooperation mit Multiplikator/innen angewiesen zu sein. „Ich habe es immer so empfunden, dass wir für ein solches Gebiet zu wenige Leute sind, um alles adäquat bearbeiten zu können“ (IQ1), wurde in Kommune D geäußert. Eine intensive Vor-Ort-Arbeit sei „in einem Gebiet, in dem 17.000 Einwohner leben, mit unseren personellen Kapazitäten quasi nicht möglich (IQ2). Ressourcenengpässe im Personalbereich würden daher im Laufe der Vor-Ort-Präsenz des lokalen Quartiermanagements durch häufige Verlagerungen von Arbeitsschwerpunkten in jeweils andere „Nester“ zu kompensieren versucht (IQ1). „Das kann man nicht für die große Masse der Bewohnerschaft leisten, das geht einfach nicht“ (IQ2). Auch auf der Umsetzungsebene in Kommune B wird dies so gesehen: „Grundsätzlich ist das Gebiet ziemlich groß. (…) Vor allem wenn es (…) um Beteiligungsaktionen geht, um Aktivierung vor Ort, geht es wirklich nur noch punktuell“ (IQ7). Ein lokaler Quartiermanager in Kommune C, der die Programmgebiete ebenfalls als zu groß für „lebensweltlich“ orientierte Arbeitsansätze einschätzte, nannte als – wenn auch kritisch betrachteten – Lösungsansatz eine stärkere Kooperation mit Multiplikator/innen im Quartier: „Da muss man einfach darauf vertrauen, dass man so etwas wie eine Kommunikationsinfrastruktur, ein ‚seismographisches‘ Netz über ‚Drehpunktpersonen‘, über Institutionen, über Vereinsvorsitzende, den Werbering, Bezirksvertreter hat, in dem brisante Entwicklungen rückgemeldet werden. Aber das ist nicht mehr etwas, was sich grundsätzlich aus dem unmittelbaren operativen Kontakt mit Lebenswelten entwickelt, sondern man reagiert auf irgendwelche ‚Beben‘, von denen man über andere Quellen erfährt“ (IQ16). Damit ist unter anderem die Frage nach Programmgebietsgrößen angesprochen, die für die Arbeit lokaler Quartiermanager/innen (noch) handhabbar sind. Die Interviewergebnisse zu diesem Themenkomplex zeigen ein vergleichsweise großes Spektrum: Ein Interviewpartner in Kommune B bezeichnete eine Gebietsgröße von 6.000 Einwohner/innen als „lebensweltliche Bezug“ (IQ17). Ein anderer Erfahrungswert, der im Zusammenhang mit bestandsverbessernden Maßnahmen genannt wurde, beläuft sich auf eine Größenordnung von 120 Wohnungen, mit der man als lokaler Quartiermanager noch intensiv arbeiten könne: Man habe gewusst, „wer hinter welchem Balkon wohnt“ (IQ16). Zu ähnlichen Erfahrungen kamen Interviewpartner in Kommune A: Eine lebensweltliche und damit handhabbare Gebietsgröße umfasse rund 5.000 Einwohner/innen im Falle von heterogen strukturierten (Altbau-)Quar-
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
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tieren, während homogene Neubausiedlungen „auf der Grünen Wiese“ auch größer sein könnten (IQ13). Ein Gebiet mit rund 20.000 Einwohner/innen – dies entspreche ihrem räumlichen Zuständigkeitsbereich – sei dagegen „fast schon zu groß“, nicht nur wegen „der Zahl an Menschen, die im Quartier leben“, sondern auch wegen der „Zahl der Institutionen, mit denen wir’s zu tun haben“ (IQ14). Arbeite man in einem Programmgebiet mit 24.000 Einwohner/innen, könne man zwar mehr Entwicklungspotenziale bzw. Ressourcen nutzen, allerdings wachse dadurch auch der Erwartungsdruck an die lokalen Quartiermanager/innen, wurde in Kommune C konstatiert: „Es ist (…) schon sehr schwierig, den Ansprüchen eines so großen Gebietes immer wieder gerecht zu werden“ (IQ15, IQ17). Auch sei es problematischer, in einem vergleichsweise großen Gebiet direkten Kontakt zu wichtigen Multiplikator/innen aufzunehmen. Zu tendenziell anderen Einschätzungen kam ein Gesprächspartner in Kommune B: Während er ein Programmgebiet mit rund 20.000 Einwohner/innen (Soziale Stadt) als noch handhabbar für das lokale Quartiermanagement bezeichnete, befand er eine Gebietsgröße von ca. 28.000 Einwohner/innen (Programmgebiet URBAN II) als zu problematisch für eine direkte Ansprache der Quartiersbevölkerung (IQ6). Dies wiederum sei jedoch in dem kleinräumigen Ausschnitt eines gesondert im URBAN II-Gebiet liegenden Quartiermanagementgebiets mit seinen rund 8.000 Einwohner/innen möglich gewesen (IQ7), wie ein anderer Interviewpartner betonte. In Kommune A wurden durch die Unterteilung des vergleichsweise großen Programmgebiets Soziale Stadt/URBAN II (54.000 Einwohner/innen) in drei Quartiermanagementgebiete (eines davon mit zwei Vor-Ort-Büros) Gebietseinheiten geschaffen, die aus Sicht eines lokalen Quartiermanagers ein kleinräumiges Arbeiten (wieder) ermöglichen (IQ10). Unabhängig von seiner Größe (gemessen an der Einwohnerzahl) sei die Handhabbarkeit eines Gebiets vor allem vom Ausprägungsgrad der bürgerschaftlichen Strukturen vor Ort abhängig: „Wenn ich sehr viele Vereine habe, sehr viel bürgerschaftliches Engagement, und es eher darum geht, diese Prozesse zu moderieren und zu begleiten (…), kann das Gebiet durchaus größer sein. Ich denke, das hat viel damit zu tun (…), was für Akteure da sind, wie stark sie sind und wie weit man mit ihnen zusammenarbeiten kann“, lautete die Einschätzung eines Interviewpartners in Kommune B (IQ7). Einen weiteren Aspekt der Frage nach der „idealen“ Gebietsgröße brachte ein anderer Interviewpartner ebenfalls aus Kommune B ein: Einerseits sollte das Gebiet noch handhabbar sein, andererseits verleihe ihm erst eine gewisse Größenordnung das nötige Gewicht in der öffentlichen und vor allem politischen Wahrnehmung. „Je größer das Gebiet, desto größer ist natürlich der Stellenwert des Themas [integrierte gebietsbezogene Quartiersentwicklung] in der Gesamtstadt“ (IQ6). Schließlich wurden noch Arbeitserfahrungen mit der Wahrnehmung „gesetzter“ Grenzen durch die Quartierbevölkerung thematisiert: Das Übereinanderliegen von URBAN II-, Quartiermanagement- und Sanierungsgebiet, Ortsteil und Gemarkung mit im Detail jeweils anderen Abgrenzungen habe in einem der Programmgebiete
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6 Interviewergebnisse
von Kommune B zu Unsicherheiten geführt, mit welchem „Gebiet“ sich die Bewohner/innen identifizieren sollen. „In der täglichen Arbeit bekomme ich mit, dass von Anwohnern und anderen Akteuren gefragt wird: ‚Warum sind denn die Grenzen so?‘ (…) Bestimmte Bauwerke oder Einrichtungen, die für die Leute hier vor Ort sehr wichtig sind, befinden sich nicht mehr im (…) Fördergebiet“ (IQ7).
Ähnliche Erfahrungen wurden in Kommune A gemacht; aus Sicht der Bewohner/innen gebe es „kaum eine Identifikation“ mit dem abgegrenzten QuartiermanagementGebiet: „Das wirkt immer künstlich, wenn wir vom Quartier (…) sprechen. Da taucht auch nach zweieinhalb Jahren die Frage auf, was das denn eigentlich soll“ (IQ14). In Kommune D wurde berichtet, Programmgebietsgrenzen (hier deckungsgleich mit Bezirksgrenzen) würden sogar alltagsweltliche Zusammenhänge zerschneiden und könnten daher von den lokalen Akteuren (ebenfalls) nicht nachvollzogen werden. „Die meisten (…) wissen nicht, in welchem Bezirk sie sitzen; das interessiert sie auch nicht. So ist bei vielen Projekten überhaupt nicht einzusehen, warum man an einer Verwaltungsgrenze plötzlich [mit der Förderung] aufhören soll“ (IQ3). Gleichwohl bestätigten mehrere lokale Quartiermanager/innen die bereits auf der Verwaltungsebene geschilderte Beobachtung, von anderen Akteuren um das Fördergebiet „beneidet“ zu werden (IQ7, IQ11, IQ16), wie beispielsweise ein Gesprächspartner in Kommune A verdeutlichte: „Das Verwaltungshandeln hat (…) [das Programmgebiet] in den Blick genommen und betont auch die Leistungen für die Gesamtstadt. Nichtsdestotrotz ist es so, dass es durchaus in den anderen Stadtbezirken einen großen Neid gibt, dass (…) [das Programmgebiet] Quartiermanager hat und (…) [andere Gebiete] nicht“ (IQ13).
6.2.4
Gebietsabgrenzungen:Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Interviewpartner/innen
Schließlich wurden sowohl auf der Verwaltungs- als auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements zahlreiche Anmerkungen dazu gemacht, wie sich die Abgrenzung von Programmgebieten sowie „Sozialräumen“ der Jugendhilfe aus Sicht der Befragten verbessern ließe78. Die Interviewpartner/innen in den Verwaltungen regten an, 䊏
Programmgebiete eher großzügig abzugrenzen, um innerhalb der Grenzen möglichst viele Handlungsspielräume zu eröffnen, 䊏 zur Flexibilisierung von Gebietsgrenzen „Pufferzonen“ zwischen unmittelbarem Programmgebiet und benachbarten Quartieren/städtischen Teilräumen einzurichten, 78
Entsprechende Fragen wurden an Verwaltungsakteure explizit, auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements implizit gestellt.
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
161
䊏
im Vorfeld der Gebietsabgrenzung eine Vor-Ort-Analyse vorzunehmen. insbesondere die Quartiersbevölkerung, aber auch unterschiedliche Verwaltungsressorts stärker in die Gebietsabgrenzung einzubeziehen sowie 䊏 statistische Datenräume und Programmgebiete/„Sozialräume“ stärker in Deckung zu bringen. 䊏
Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurden folgende Verbesserungsvorschläge gemacht, die in einigen Details deckungsgleich mit den auf der Verwaltungsebene angestellten Überlegungen sind: 䊏 䊏 䊏 䊏
䊏
䊏
䊏
䊏
Identifizierung alltagsweltlicher Orte im Vorfeld der Gebietsabgrenzung, Einsatz ausreichender Ressourcen (unter anderem Zeit) für die Identifizierung von Programmgebieten/Quartieren, Beteiligung von Quartiersbevölkerung/lokalen Akteuren an der Gebietsabgrenzung, Berücksichtigung unterschiedlicher Entwicklungsvorstellungen und -ziele sowohl von Verwaltungs- als auch von Vor-Ort-Akteuren (Gebietsabgrenzung als Kompromiss), Ermöglichung der Flexibilisierung von Gebietsgrenzen auf der Basis komplexitätsreduzierter Regularien, Abbau von Verwaltungsbürokratie im Zusammenhang mit der Flexibilisierung von Grenzen, Eröffnung von Möglichkeiten der Projektförderung auch außerhalb von Programmgebieten bzw. der Einbeziehung außerhalb des Gebiets liegender räumlicher/institutioneller „Enklaven“ (Beitrag zur Flexibilisierung der Grenzen), Definition von „Übergangsbereichen“ zwischen unmittelbarem Programmgebiet und benachbarten Quartieren/städtischen Teilräumen anstelle „scharfer“ Gebietsgrenzen (Beitrag zur Flexibilisierung der Grenzen) sowie Einführung eines mehrstufigen Phasenmodells zur Gebietsabgrenzung.
Interviewergebnisse Verwaltungsebene Eine erste Gruppe von Vorschlägen der Interviewpartner auf der Verwaltungsebene umfasst Anregungen, die Grenzen von Programmgebieten weiter zu fassen, als unmittelbar notwendig erscheint, um damit größere Handlungsspielräume im Sinne einer Flexibilisierung zu erreichen. So wurde in Kommune A der Vorschlag geäußert, jenseits der eigentlichen Programmgebietsgrenzen eine zusätzliche „Pufferzone“ einzurichten, in der bei Bedarf ebenfalls Projekte durchgeführt werden können (IV10, IV11). In eine ähnliche Richtung zielt ein Vorschlag aus Kommune C: Es sei sinnvoll, „eine innere und eine äußere Grenze zu definieren, also einen Übergangsbereich“ zwischen unmittelbarem Programmgebiet und angrenzenden Quartieren/städtischen Teilräumen einzurichten (IV14), der die gleiche Funktion wie die eben genannte „Pufferzone“ hat. Eine optimale Abgrenzung von Programmgebieten
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6 Interviewergebnisse
sei dann gegeben, wenn die Grenzen „nicht mit letzter Präzision“ gehandhabt werden müssten, fasste ein anderer Gesprächspartner in Kommune C zusammen. Allerdings – dies wurde einschränkend bemerkt – berge ein solcher „Diffusionsraum“ das Problem, ebenfalls wieder abgegrenzt werden zu müssen, „so dass wir jenseits der Grenzen ein neues ‚Grenzproblem‘ hätten“ (IV13). Aus Kommune B kam der Vorschlag, Programmgebiete (lediglich) großzügig, also über einen für die Förderung unmittelbar in Betracht kommenden Bereich hinaus auszuweisen, um in dem dadurch vergleichsweise räumlich stark ausgedehnten Gesamtgebiet flexibler handeln zu können; außerdem wären auf diese Weise die Randbereiche der „Kernzone“ bereits einbezogen, so dass auch deren Entwicklungen besser berücksichtigt bzw. genutzt werden könnten (IV4). Nicht nur Überlegungen zur „Grenzoptimierung“ waren Gegenstand von Verbesserungsvorschlägen. Auch die Fragen, welche Akteure bzw. Akteursgruppen am Prozess der Gebietsabgrenzung beteiligt sein sollten, und wie sich Vor-Ort-Belange generell stärker berücksichtigen lassen, wurden (kritisch) diskutiert. Ein Interviewpartner resümierte vor dem Hintergrund des bisherigen Vorgehens in Kommune B, bei dem „letztendlich weder Bürgervereine noch ‚normale‘ Bürger beteiligt“ gewesen seien, man hätte sie „zumindest fragen sollen. Man hätte sich bei ihnen bereits im Vorfeld nach Vorstellungen (…) erkundigen können“ (IV4). Nicht nur die Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure, sondern auch unterschiedliche Ressorts wie die Bereiche Sozial- und Jugendhilfeplanung sollten frühzeitiger und verantwortlicher in die Gebietsabgrenzung einbezogen werden, ergänzte ein anderer Verwaltungsmitarbeiter (IV6). Der Prozess müsse im Idealfall basisdemokratischer verlaufen, fasste ein dritter Gesprächspartner zusammen (IV7). Auch in Kommune A wurde bemerkt, die Einbeziehung lokaler Akteure hätte „durchaus sinnvoll“ sein können, was aber allein schon aus Zeitmangel nicht geschehen sei (IV9). Neben der Einbeziehung eines erweiterten Akteurskreises wurde auch die intensivere Beschäftigung der Verwaltungen mit den Realitäten „vor Ort“ angeregt. So wurde es in Kommune B als notwendig hervorgehoben, im Vorfeld der Gebietsabgrenzung die Situation „vor Ort“ in Augenschein zu nehmen, mit Leuten im Quartier zu sprechen sowie bauliche, soziale und wirtschaftliche Probleme aus eigener Anschauung wahrzunehmen. Diese Analysen müssten weit über die im Rahmen der herkömmlichen Stadt(teil)erneuerung üblichen Vorbereitende Untersuchungen hinausgehen, die häufig zu stark auf rein statistischen Daten basierten. Vielmehr müsse im Rahmen eines „ganzheitlichen“ Ansatzes „überprüft werden, ob das erhobene statistische Datenmaterial tatsächlich den Zustand vor Ort widerspiegelt. (…) Man muss hingehen und fragen!“, lautete eine zentrale Erkenntnis (IV4). Beispielswise würden „Sanierungsgebiete (…) oft entlassen, wenn ein großer Anteil der Gebäude saniert worden ist. Aber dass sich dahinter die sozialen Probleme potenziert haben, sieht man anhand der ersten Statistiken nicht“ (IV4). Dennoch lasse sich eine „optimale“ Gebietsabgrenzung auch statistisch belegen, wie ein anderer Vertreter der Ver-
6.2 Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ in der Praxis
163
waltung von Kommune B betonte (IV6). Erforderlich seien allerdings Kontinuität bei der Datenpflege sowie Vollständigkeit der Datenlage in Richtung eines Monitoringsystems (IV7). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurde für eine intensivere Analyse der Situation potenzieller Programmgebiete sowie für die Einbeziehung von Quartiersbevölkerung und anderen lokalen Akteuren im Vorfeld der Festlegung von Grenzen plädiert. Es könne nicht die Aufgabe des lokalen Quartiermanagements sein, in einem bereits festgelegten Gebiet nachträglich „Identifikationsorte“ der Quartiersbevölkerung zu suchen (IQ7), konstatierte ein Interviewpartner in Kommune B. Dies müsse bereits im Vorfeld der Gebietsabgrenzung geschehen. Um herauszufinden, welche Gebiete sich für die Umsetzung von Konzepten zur Quartiersentwicklung eignen, benötige man allerdings „die Einsicht ‚von oben‘, dass es wichtig ist, sich Zeit zu nehmen (…) für diese Art der Analyse“ (IQ7). Alltagsweltliche „Orte“ könne man nur identifizieren, „indem man ‚vor Ort‘ geht“ (IQ7). Für eine damit verbundene stärkere Beteiligung der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler Akteure an der Gebietsabgrenzung wurde auch in Kommune A plädiert: „Wenn eine Gebietsgrenze gezogen wird, (…) bedarf es der Leute, die sich (…) [‚vor Ort‘] auskennen, um wirklich Quartiere zu identifizieren. (…) Das ist eigentlich eine Binsenweisheit“ (IQ9; auch IQ13). Insgesamt sollte die Gebietsabgrenzung einen Kompromiss der unterschiedlichen Entwicklungsvorstellungen und -ziele sowohl von Verwaltungs- als auch von „Vor-Ort“-Akteuren spiegeln, forderte ein Interviewpartner in Kommune B. Dazu müssten sowohl die unterschiedlichen Planungsansätze verschiedener Verwaltungsbereiche als auch die Vorstellungen von „Vor-Ort“-Akteuren zusammengebracht werden. „Ich würde – was sehr wichtig wäre – Vereine und Initiativen mit einbeziehen“ (IQ7). Es gehe darum, im Vorfeld der Gebietsabgrenzung „ein großes Sammelsurium [an Vorstellungen und Ideen] zu schaffen und gemeinsam mit den unterschiedlichsten Beteiligten zu diskutieren. (…) Dafür würde ich mir Zeit lassen“ (IQ7). Werde ein Konzept dagegen lediglich von Politik und Verwaltung getragen und umgesetzt, müsse es „vor Ort“ erst kommuniziert werden, was Zeit und Geld koste sowie zu Konflikten führen könne. Ähnliche Vorstellungen wurden in Kommune D geäußert: „Man könnte lokale Akteure und Leute, die in den Gebieten zu tun haben, befragen, welche Grenzen sie für das Gebiet sehen, und dann schauen, dass man daraus eine Schnittmenge bildet“ (IQ2). Man könne „Schulen, Freizeiteinrichtungen etc. mit einbeziehen und schauen, wo [Schüler/innen, Jugendliche, Kunden] herkommen, was die für Bewegungsradien haben“ (IQ2). Viele der Vorschläge, die auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements geäußert wurden, beziehen sich – ähnlich wie auf der Verwaltungsebene – auf Möglichkeiten einer als notwendig betrachteten Flexibilisierung von Gebietsgrenzen. So
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6 Interviewergebnisse
äußerte ein lokaler Quartiermanager in Kommune A den Vorschlag, anstelle einer parzellen- oder straßenseitenscharfen Gebietsabgrenzung „einen größeren Verdachts- oder Graubereich [zu] definieren, (…) um einen Übergang“ vom eigentlichen Fördergebiet in benachbarte Quartiere zu ermöglichen (IQ8). Dies wurde von einem Gesprächspartner in Kommune B ähnlich gesehen, wo man bereits innerhalb eines großen Fördergebiets agiere und somit über einen „Übergangsbereich“ oder eine „Pufferzone“ verfüge: „Wenn wir unsere Grenzen [des unmittelbaren Quartiermanagement-Gebiets] überschreiten, sind wir noch immer in der Sozialen Stadt“ (IQ6). Als Möglichkeit, die Arbeit „vor Ort“ ohne aufwendige Grenzveränderungen zu flexibilisieren, wurde in Kommune D vorgeschlagen, auch außerhalb von Programmgebieten liegende (soziale) Infrastrukturen wie Kitas, Schulen oder Freizeiteinrichtungen im Sinne von „Enklaven“ einzubeziehen (IQ4): „Wenn man bestimmte Einrichtungen nicht im Gebiet hat, sucht man [sie] sich (…) in der Umgebung und definiert sie als dazugehörig“ (IQ4); in Kommune B wurde ein ähnlicher Vorschlag gemacht79. Eine andere Alternative besteht aus Sicht eines Interviewpartners in Kommune A darin, zusätzlich zur Programmumsetzung Aufträge an Institutionen oder Organisationen zu vergeben, die eine bestimmte thematisch-inhaltliche bzw. zielgruppenorientierte Ausrichtung haben, in ihrem Aufgabenradius allerdings nicht an das Programmgebiet gebunden sind (IQ9). In jedem Fall sollten für alle (potenziellen) Flexibilisierungsoptionen Regeln geschaffen werden, die zwar verbindlich, allerdings weit weniger komplex als die zum Zeitpunkt der Interviewdurchführung bestehenden sind, wurde in Kommune B gefordert. Die Modifikation von Gebietsgrenzen dürfe allerdings nicht zu einfach erfolgen können, um langfristige Planungen auch weiterhin zu ermöglichen, jedoch sollte sie mit einem geringeren Verwaltungsaufwand als heute verbunden sein, um innerhalb des jeweiligen Förderzeitraums überhaupt handlungsfähiger zu werden (IQ7). Ein Gesprächspartner in Kommune A bemerkte, es wäre hilfreich, wenn man nachträglich außerhalb der Programmkulisse liegende Gebietsteile integrieren könnte, ohne jedes Mal eine Ausnahmegenehmigung beantragen zu müssen, was die Projektumsetzung in der Größenordnung von mindestens einem halben Jahr verzögere (IQ8). Alternativ zu Überlegungen, nachträglich Gebietsgrenzen zu verändern oder „außerhalb“ ansässige Akteure in die Förderkulisse zu integrieren, wurde in Kommune D der Vorschlag geäußert, die Abgrenzung von Programmgebieten von vornherein in einem zeitlich gestaffelten, mehrstufigen und damit besser an die Realität anzupassenden Verfahren vorzunehmen: „Man hat (…) mit 30 operationellen Zielen 79
Hier wurde dafür plädiert, einen außerhalb des Programmgebiets liegenden Jugendclub und andere Kultureinrichtungen in die Vor-Ort-Arbeit einbeziehen zu können: „Die sitzen da zwar außerhalb des Gebietes, aber die Jugendlichen, die dort (…) [hingehen], kommen aus dem [Programm-]Gebiet“ (IQ5).
6.3 Gebietsmanagement der Verwaltung in der Praxis
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begonnen und stellt nach einer gewissen Zeit fest: ‚Uns interessieren eigentlich nur sieben wirklich, weil sich da Probleme fokussieren oder man mit Leuten zu tun hat, die etwas wollen, etwas brauchen, wo sich etwas bewegen muss‘“ (IQ4). Dies wisse man allerdings weder zum Zeitpunkt der Gebietsfestlegung noch zu Beginn der Arbeit, sondern erst nach einer gewissen Zeit. Vorgeschlagen wurde daher, die Gebietsauswahl nach einem Zwei-Phasen-Modell vorzunehmen: Danach würden in einer Analyse-, einer Untersuchungs- und einer Bewertungsphase Probleme und mögliche Arbeitskontexte identifiziert und erst in einer zweiten Phase das Programmgebiet endgültig festgelegt (IQ4). In die gleiche Richtung zielen Überlegungen in Kommune A: „Hilfreich wäre sicher, dass man die Gebietsgrenzen [anfangs] noch nicht so harsch zieht“ – analog der Voruntersuchungen für die Ausweisung von Sanierungsgebieten –, dass man „also erst ein ‚Verdachtsgebiet‘ und dann das eigentliche Gebiet ausweist“ (IQ9).
6.3
Gebietsmanagement der Verwaltung in der Praxis
Insgesamt zeigt sich also ein vergleichsweise deutliches Gegenüber von Verwaltungswelt bzw. verwaltungsinduzierten Programmgebieten und „Sozialräumen“ auf der einen sowie „alltagsweltlichen“ Zusammenhängen mit ihren räumlichen Implikationen auf der anderen Seite. Damit kommt dem Management gebietsbezogenen Verwaltungshandelns eine besondere Schnittstellenfunktion zu: Auf der Verwaltungsebene geht es unter anderem darum, mittels einer ressortübergreifenden, gebietsorientierten Arbeitsorganisation Ressourcen für den unkomplizierten Einsatz „vor Ort“ zu bündeln und für die Belange der Programmgebiete ansprechbar zu sein. Zu den Aufgaben der lokalen Quartiermanagements gehört es, die Interessen der Gebietsbevölkerung bzw. anderer lokaler Akteure zu organisieren; schließlich muss zwischen beiden „Welten“ kommuniziert bzw. moderiert werden. 6.3.1
Arbeitserfahrungen mit Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene
In den Interviewsituationen zeigte sich, dass sowohl von Verwaltungsmitarbeiter/innen als auch lokalen Quartiermanager/innen auf Basis ihrer jeweiligen Arbeitserfahrungen vor allem Kritik an den Managementstrukturen der Verwaltungen geübt wurde. Beklagt wurde von den befragten Verwaltungsakteuren unter anderem, 䊏
die Ämterzusammenarbeit beschränke sich lediglich auf einzelne Maßnahmen und Projekte, die Motivation zur Kooperation schwinde mit geringer werdenden Fördermitteln, Ressortegoismen seien noch nicht überwunden; 䊏 fehlende organisatorische Voraussetzungen inklusive einer klaren Federführung verhinderten fachübergreifende Kooperationen;
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䊏
der Informationsfluss zwischen unterschiedlichen Kooperationsgremien sei unzureichend bzw. intransparent; 䊏 der integrierte Ansatz werde von nur wenigen Akteuren getragen; 䊏 Unsicherheiten bei Mitarbeiter/innen verhinderten eine stärkere Identifikation mit dem ressortübergreifenden gebietsbezogenen Ansatz. Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurden unter anderem folgende Kritikpunkte angesprochen, die Auswirkungen auf die Arbeit „vor Ort“ hätten: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
fehlende Koordination/Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene; Überforderung der lokalen Quartiermanagements aufgrund von Ressortegoismen bzw. mangelnder horizontaler Kooperation in der Verwaltung; Abhängigkeit der Kommunikation zwischen Verwaltung und lokalen Quartiermanagements von Einzelpersonen in der Verwaltung; faktische Übernahme der Verwaltungskoordinierung durch lokales Quartiermanagement; Behinderung spontaner Projektentwicklungen auf Quartiersebene durch Verwaltungsbürokratie; mangelnde Beschlussfähigkeit von Gremien aufgrund fehlender Entscheidungsbefugnisse ihrer Teilnehmer/innen.
Interviewergebnisse Verwaltungsebene In Kommune B wurde unter anderem problematisiert, die Verwaltung messe der Ämterzusammenarbeit generell eine zu geringe Bedeutung bei. Zum Zeitpunkt des Interviews habe man bereits nicht mehr umfassend, sondern nur noch einzelprojektbezogen kooperiert, was einen „Schritt zurück“ gegenüber der Situation zu Beginn der Umsetzung des Programms Soziale Stadt bedeute. Ein Grund wurde darin gesehen, dass die Verteilung von Programmmitteln bereits abgeschlossen war, die gemeinsame Entscheidung über die Verwendung von Ressourcen allerdings eine wesentliche Motivation für die Zusammenarbeit (gewesen) sei (IV6). In Kommune A wurde die Abgrenzung der einzelnen Fachressorts gegeneinander angesprochen: „Wir sind – auch wenn das in allen Papieren anders steht – immer noch wie ‚Burgen‘ organisiert. Das Verlassen der eigenen ‚Burg‘ und die Kontaktaufnahme zur benachbarten ‚Burg‘ sind nie ganz störungsfrei hinzubekommen“ (IV9). Diese Abgrenzungen könnten lediglich über den Faktor Zeit („Langfristigkeit“) überwunden werden. Längere interne Prozesse würden jedoch von außen kritisch wahrgenommen: „ ,Die Verwaltung ist zu langsam; das dauert alles viel zu lange; die Prozesse sind schwerfällig‘ – in diesem Konflikt stehen wir ständig“ (IV9). Auch in Kommune D wurde das Problem einer offenbar unzureichenden ressortübergreifenden Zusammenarbeit angesprochen: Hier gebe es zwar Kooperationen zwischen einzelnen Abteilungen innerhalb eines Amtes, allerdings
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sei der Gedanke, aus verschiedenen Perspektiven in Kooperation etwas für die Belange der Bürger/innen erreichen zu wollen, in der Verwaltung noch nicht verbreitet (IV3). Ähnliches berichtete ein Interviewpartner in Kommune C: Neid und Konkurrenz zwischen einzelnen Ämtern gehörten zum Alltag, beispielsweise wenn es um die „Vermarktung“ von Erfolgen bzw. die Frage gehe, wie Misserfolge verbucht oder „sozialisiert“ werden. Man sei von Ämterkonkurrenz umgeben (IV14). Neben dem generellen Problem der Abgrenzung bzw. Kooperation zwischen einzelnen Verwaltungsbereichen wurden von einigen Interviewpartnern die Strukturen zur Steuerung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns als verbesserungswürdig angesprochen. Ohne geeignete Management- und Organisationsstrukturen inklusive einer klaren Federführung kann ressortübergreifende Zusammenarbeit nicht funktionieren, lässt sich ein Kommentar aus Kommune B zusammenfassen: „Ich glaube, die entscheidende Frage ist, wo das ganze Thema organisationsstrukturell aufgehängt ist. Im Moment haben wir das Problem, dass der Anspruch ein ganzheitlicher, fachübergreifender ist, die Steuerung aber in [lediglich] einem Ressort angesiedelt ist. Und das ist ein Widerspruch, der dazu führt, dass viele Dinge nicht funktionieren. (…) Wir haben die absurde Situation, dass alle von ‚Ganzheitlichkeit‘ und ‚fachübergreifend‘ reden, (…) [allerdings] jeder Fachbereich anfängt, seine [eigenen] fachübergreifenden Strukturen aufzubauen, so dass wir eine Zeitlang im Sozialdezernat einen Beirat für soziale Stadtentwicklung hatten; [im Bereich Stadterneuerung] integrierte Programme betrieben haben, im Umweltdezernat aus der AGENDA-Schiene ganzheitliche Ansätze hatten; und das alles nebeneinander, wobei alle das Ziel hatten, zusammenzuführen – aber jeder mit dem Anspruch, die Führung zu übernehmen“ (IV5).
Ein anderes Problem wurde darin gesehen, dass man in Kommune B zwar ein differenziertes Kooperationssystem zwischen verschiedenen Ressorts eingerichtet habe, es angesichts der Vielzahl damit zusammenhängender Arbeitsgruppen und Gremien allerdings notwendig sei, auch für einen ausreichenden Informationsfluss und Transparenz zu sorgen. Dies werde oftmals nur gewährleistet, indem Einzelpersonen mehreren Gremien gleichzeitig angehörten („Personalunion“) (IV8). Das Fehlen tragfähiger Strukturen und einer klaren Federführung wurde auch in Kommune C problematisiert. Hier werde die Idee ressortübergreifenden gebietsbezogenen Handelns lediglich von einigen wenigen Akteuren protegiert. „Im Amt (…) ist es [eine] (…) Person (…) mit ein paar Leuten drum herum. Aber die Handlungslogik innerhalb der Verwaltung (…) ist meiner Ansicht nach überhaupt keine Raumorientierung“ (IV16). Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln stelle in der klassischen Fachbereichsstruktur (Linienorganisation) vielmehr einen Konflikt dar. Raumbezogenes Handeln finde daher eher informell statt (IV16). Als ein starkes Motiv für die Ablehnung des integrierten gebietsbezogenen Ansatzes auf der Arbeitsebene der Verwaltung wurde in Kommune D die generelle Angst vor Veränderung genannt. So sei die Umorientierung des Jugendamtes in
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Richtung „Sozialraumorientierung“ von vielen Mitarbeiter/innen als Grundsatzkritik an der bisherigen Arbeitsweise aufgenommen worden („Habe ich denn immer falsch gearbeitet? War denn alles nicht richtig, was ich gemacht habe?“) (IV3). Es sei schwierig, von der eigenen Arbeitssituation auf zu verändernde Rahmenbedingungen zu abstrahieren; damit hänge Angst vor Überforderung und gleichzeitig vor dem Verlust des persönlichen Spezialwissens zusammen (IV3). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurde ebenfalls die bereits von Verwaltungsakteuren angesprochene vielfach fehlende Koordination bzw. mangelnde Zusammenarbeit auf der Verwaltungsebene kritisiert. So beklagte ein Interviewpartner in Kommune B die unzureichende Kooperation vor allem zwischen Stadterneuerungs- und Jugendbereich (IQ7)80; in Kommune C wurden Schwierigkeiten beim Zusammenspiel der Verwaltungsbereiche für städtebauliche sowie für soziale Fragen beobachtet: „Es gibt die städtebauliche Erneuerung mit einer hohen investiven Förderung, und dann gibt es eher getrennt davon die soziale Erneuerung mit weniger Mitteln. Ich empfinde die Bereiche als sehr getrennt – auch von den Personen her, wer sich in welchen Bereichen bewegt und sich wofür zuständig sieht“ (IQ17)81. Eine Äußerung in Kommune A lautete, gebietsbezogenes Verwaltungshandeln dürfe nicht die Verwaltung in herkömmlicher Form widerspiegeln – genau dies erlebe man allerdings in der täglichen Praxis (IQ10). 80
Dies verdeutliche das Beispiel eines Jugendclubs, der Anfang der 1990er Jahre aufgrund finanzieller Engpässe beim Jugendamt habe schließen müssen. Er sei daraufhin in einen URBAN-geförderten Stadtteil umgezogen, dort saniert worden, und werde jetzt erneut von Mittelkürzungen im Bereich der Jugendhilfe bedroht: „Da fragt man sich einfach (…): ‚Wofür werden die Fördermittel ausgegeben? (…) Ich denke, da müssen sich die Stadt und die Verwaltung verpflichten, dass die einzelnen Planungsabteilungen zusammenkommen und dass Konzepte vorliegen, die auch mal ein bisschen visionär gedacht sind, sich nicht nur von einem Jahr zum anderen hangeln. Ansonsten bin ich [lokales Quartiermanagement] da und mache Schadensbegrenzung, und das soll es ja eigentlich nicht sein“ (IQ7). 81 Unzureichende Strukturen zeigen sich teilweise auch dort, wo ressortübergreifende Gremien eingerichtet worden sind. So stelle sich in Kommune C das Problem, dass die ämterübergreifenden Gremien nicht mit den Amtsleitungen besetzt sind, sondern mit „Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Hierarchieebenen mit unterschiedlichen Kompetenzen, Handlungsspielräumen und Wissensbereichen (…), was zur Folge hat, dass vieles nicht in die einzelnen Dezernate kommuniziert wird, was [in den Gremien] beschlossen worden ist“ und dass „dieser Kreis im Grunde nicht beschlussfähig ist“ (IQ15). Viele Themen würden lediglich aus dem federführenden Bereich Stadtentwicklung eingebracht, „weniger von den Akteuren aus den anderen Ressorts. (…) Das hat auch etwas damit zu tun, dass da nicht die Personen mit dem Überblick über die Themenschwerpunkte der einzelnen Dezernate an einem Tisch sitzen“, sondern nur vereinzelte Handlungsschwerpunkte kompetent besprochen werden könnten (IQ15).
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Generell sei der Ansatz der gebietsorientierten integrierten Verwaltungsarbeit in starkem Maße von Einzelakteuren in verschiedenen Ämtern, ihrem Problemverständnis und ihrem persönlichen Engagement abhängig. Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements in Kommune A wurde beispielsweise festgestellt, einige Verwaltungsmitarbeiter/innen wollten mit Kooperation „so wenig wie möglich zu tun haben. (…) Und dann ist es eine Qual, dass man über dasselbe Thema monatelang diskutiert und keinen Schritt vorankommt (IQ8).“ Schwächen bei der ressortübergreifenden Zusammenarbeit auf der Verwaltungsebene wurden auf der Umsetzungsebene vor allem deswegen problematisiert, weil sie zur Überforderung des lokalen Quartiermanagements führen können, wie in Kommune C betont wurde. Für die Realisierung vieler Maßnahmen und Projekte seien nämlich „ungeheure kommunikative Anstrengungen“ der „Vor-Ort“-Akteure nötig, um verschiedene materielle und/oder personelle Ressourcen der Verwaltung zu bündeln, wenn diese Arbeit dort nicht eigenständig erbracht wird. „Vieles an Überforderung und Reibungsverlusten auf (…) [der Quartiersebene] kommt zustande, wenn Verwaltungsressorts nicht gebündelt werden (…) und du für viele Projekte ungeheure kommunikative Anstrengungen erbringen musst, um verschiedene Finanzstränge oder auch personelle Ressourcen zu bündeln. Es ist nicht so, dass jeder, der an diesem Prozess beteiligt ist, (…) sich auch als Anwalt eines solchen Ansatzes versteht. Es gibt nach wie vor Fachbereichsegoismen, und darin sehe ich eine Schwierigkeit, die zur Überforderung führt“ (IQ15).
Es gehe oftmals von der lokalen Quartiermanagement-Ebene aus, die verschiedenen Fachämter „an einen Tisch“ zu bekommen (IQ20). Da die Verwaltung in Kommune A aus Sicht der Umsetzungsebene ebenfalls keine moderierende Funktion zwischen den einzelnen Ressorts bzw. Ämtern übernehme (IQ9), müsse dies auch hier in Teilen durch die Vermittlungsarbeit des lokalen Quartiermanagements kompensiert werden: „Wir haben uns irgendwann in der Rolle gefunden – als Träger –, dass wir (…) [die verschiedenen Ämter] zusammenbringen. (…) Eigentlich können wir hier nur erfolgreich arbeiten, wenn sich die Verwaltung auch intern vernetzt“ (IQ9). Dazu komme es jedoch nicht, da es mehrere „Programmleiter“ gebe, die nicht miteinander kommunizierten (IQ8, IQ9). „Ich glaube, dass eine stärkere Raumorientierung der Verwaltung, die auch getragen ist durch eine bestimmte konzeptionelle Grundlage (…), vieles an Reibungsverlusten verhindern könnte und die Arbeit von bestimmten Überforderungstendenzen zumindest ein wenig befreien könnte“,
konstatierte ein lokaler Quartiermanager in Kommune C (IQ15). Ein letzter Kritikpunkt zum Gebietsmanagement auf Verwaltungsebene bezieht sich auf den Umgang mit Projektideen, die von Bewohner/innen vor Ort formuliert wurden: Einerseits sollten sie aktiviert werden und sich ihres Quartiers annehmen, auf der anderen Seite würden jedoch viele Ideen durch sehr bürokratische Verfahren auf Verwaltungsseite verzögert, wurde in Kommune A bemerkt (IQ10). Beispielsweise zöge sich aufgrund des Zwangs, für Fremdleistungen mehrere Angebote
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einholen oder sie gar ausschreiben zu müssen, ein „Verfahrensablauf wahnsinnig in die Länge“, was bei den Quartiersbewohner/innen auf Unverständnis stoße (IQ11). 6.3.2
Gebietsmanagement auf der Verwaltungsebene: Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Interviewpartner/innen
Entsprechend der Arbeitserfahrungen mit dem Management gebietsbezogenen Verwaltungshandeln, das sich vor allem in Kritik an den Verwaltungsstrukturen äußerte, wurden von den Interviewpartner/innen beider Ebenen Verbesserungsvorschläge für bzw. Anforderungen an ein optimiertes Gebietsmanagement genannt. Von Verwaltungsseite gehörten dazu: 䊏
Ansiedlung der Federführung für ressortübergreifende Zusammenarbeit an zentraler Stelle innerhalb der Verwaltung, 䊏 Aufbau eines gemeinsamen Bewusstseins für integriertes gebietsbezogenes Handeln auf der Verwaltungsebene, 䊏 Personalentwicklung mit Blick auf integriertes gebietsbezogenes Handeln, 䊏 Gewährung ausreichender Zeiträume für den Aufbau nachhaltiger ressortübergreifender Kooperationsstrukturen. Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurden folgende Vorschläge gemacht: 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
Einrichtung einer zentralen Steuerungsstelle für integriertes gebietsbezogenes Handeln in der Verwaltung, zugleich Delegation von Verantwortlichkeiten auf die Umsetzungsebene, Verbesserung des Informationsflusses zwischen Verwaltung und lokalen Quartiermanagements sowie zwischen einzelnen Gremien, Entwicklung neuer Ausbildungsinhalte für Verwaltungsmitarbeiter/innen, zielgerichtete Personalentwicklung, Überwindung der Fördermittelabhängigkeit gebietsorientierten integrierten Managements (Nachhaltigkeit).
Interviewergebnisse Verwaltung Insbesondere in Kommune B wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Federführung für ressortübergreifende Zusammenarbeit an einer zentralen Verwaltungsstelle zu verankern: „Ich denke, dass es wichtig wäre, eine solche Steuerung entweder im Bereich des Oberbürgermeisters anzusiedeln, weil dies wirklich ressortübergreifend wäre, oder ein Dezernat zu entwickeln, dessen Aufgabe es explizit ist, zu bündeln und fachübergreifend zusammenzuführen. (…) Ein Amt reicht dafür nicht“ (IV5).
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Eine solche „Stabsstelle Gebietsbezug“ sei notwendig, weil sich „die Arbeitsebene oft durch die Mühlen der Hierarchie kämpfen muss“ (IV4). Die meisten Amtsleiter seien kaum bereit, gemeinsam Projekte abzustimmen; gäbe es eine entsprechende Stabsstelle, würden solche Abstimmungsprozesse ein anderes Gewicht erhalten, und die Programmziele erführen eine höhere Wertschätzung. „Und nicht, dass man im Zuge der Haushaltskonsolidierung versucht, durch die Fördermittel seine Regelaufgaben zu finanzieren“ (IV4). In einer solchen Stabsstelle müssten „pfiffige, innovative Personen sitzen, die keine ‚Fachidioten‘ sind, sondern Allroundwissen haben, Verständnis für Problemlagen, Stadtteile, Menschen aufbringen können. (…) Es müsste ein Praktiker sein, der aber auch analytisch denken kann. Es müsste diese Mischung aus Theorie und Praxis sein“ (IV4). Voraussetzung für die Einrichtung einer solchen Stelle sei allerdings ein entsprechender Wille der „obersten Hierarchieebene“ (IV4). Nicht nur die Forderung nach mehr Koordination „von oben“, auch die generelle Notwendigkeit, bei allen involvierten Akteuren ein gemeinsames Bewusstsein für integriertes gebietsbezogenes Handeln aufzubauen, wurde in den Interviews thematisiert. „Die Kollegen, die Fachleute vor Ort, auch die Praktiker müssen lernen, über den Tellerrand hinwegzugucken“; sie müssten sich stärker untereinander austauschen“, lautete ein Kommentar in Kommune A (IV10). „Wenn Sie dieses Ressortprinzip überbrücken wollen – aufweichen können Sie es nicht –, geht dies nur über das gemeinsame Verständnis eines Problems“, äußerte sich ein anderer Gesprächspartner“ (IV9). Die Haltung „Wenn ich jetzt etwas abgebe [gemeint sind Ressourcen des eigenen Fachressorts], bekomme ich es nie wieder“ müsse in Frage gestellt werden. Es sei erforderlich, offener für neue Prozesse zu sein, stärker über Probleme nachzudenken, selbstkritischer zu sein. Dafür sei vor allem durch Einzelpersonen, die von ressortübergreifenden gebietsbezogenen Ansätzen überzeugt sind, mehr Vermittlungsarbeit in eher herkömmlich agierenden Amtsbereichen nötig, konstatierten Interviewpartner in Kommune C (IV15, IV16). Auch in Kommune D wurde die Auffassung vertreten, man könne das Thema Gebietsbezug nur mit Überzeugungsarbeit angehen, was allerdings – so auch hier die Einschätzung – in starkem Maße personenabhängig sei (IV3). Neben den Forderungen nach Führung und stärkerer Überzeugungsarbeit wurde in Kommune C angeregt, die Einführung ressortübergreifenden gebietsbezogenen Handelns solle mit einer entsprechenden Personalentwicklung einhergehen. Die beteiligten Akteure müssten „in ganz anderer Weise kommunizieren lernen, sie müssen Verhandlungstechniken lernen, sie müssen Mediationstechniken lernen, interkulturelle Kompetenz (…). Mobilisieren müssen sie lernen. Das Fachliche ist nicht das Problem“ (IV13). In der Ausbildung sei es zwar auch wichtig, die Grundlagen kommunaler Planung (Gesetze, Regelungen etc.) kennen zu lernen, viel mehr jedoch die notwendigen kommunikativen Prozesse. „Die Leute [‚vor Ort‘] haben viele Ideen. Ich glaube, das ist das Entscheidende, was (…) [professionelle Akteure], die in dem Bereich arbeiten, lernen müssen (…). Sie müssen
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Interesse an den Leuten haben. Wenn sie kein Interesse an den Leuten haben, können Sie das alles vergessen. (…) Da können Sie noch so viel steuern“ (IV15).
Es gehe darum, Positionen zu beziehen, sie aufrecht zu erhalten und gleichzeitig verhandlungsfähig zu sein. „Mit einem Regelbuch in der Hand bewegt man da gar nichts“ (IV13). Schließlich wurde in Kommune A auf die Notwendigkeit hingewiesen, für den Aufbau einer nachhaltigen ressortübergreifenden Zusammenarbeit ausreichende Zeiträume zu gewähren. Ressortübergreifende Zusammenarbeit sei „ein Lernprozess“, ein „langwieriger und langfristiger Annäherungsprozess“, dem man entsprechende Zeit zugestehen müsse, um ressortübergreifende Strukturen auch außerhalb von Förderkulissen aufzubauen und im Sinne von Nachhaltigkeit aufrechtzuerhalten (IV9). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Die bereits auf Verwaltungsebene geäußerte Forderung nach der Einrichtung einer Stabsstelle für integriertes gebietsbezogenes Verwaltungshandeln wurde zumindest in Kommune A auch auf der Ebene des lokalen Quartiermanagements erhoben. Es müsse einen federführenden Dezernenten geben, der in der Lage ist, seine Kolleg/ innen „mit an den Tisch zu holen“ (IQ9). Gleichzeitig wurde in Kommune C dafür plädiert, Verwaltungshierarchien abzubauen und Entscheidungskompetenzen innerhalb der Verwaltung stärker zu dezentralisieren, um den Weg zwischen lokalen Quartiermanagements und entscheidungsverantwortlichen Verwaltungsmitarbeiter/innen zu verkürzen. Zudem könnten engagierte Mitarbeiter/innen durch die Möglichkeit, mehr Verantwortung zu übernehmen, zusätzlich motiviert werden (IQ19). Weniger auf die Ausgestaltung von Strukturen, sondern vielmehr in Richtung Verbesserung von Arbeitsabläufen zielt eine Forderung, den Informationsfluss zwischen Verwaltung und Quartier sowie zwischen einzelnen Gremien zu verbessern. Dazu müssten ein Kommunikations- und Informationssystem aufgebaut82 sowie Mitarbeiter/innen für die Weitergabe von Informationen sensibilisiert werden, wurde in Kommune B ausgeführt. „Es muss nicht sein, dass man ständig zusammenhockt und von einem Arbeitskreis zum nächsten ‚tingelt‘“ (IQ7). Vielmehr müsse ein Wissensmanagement aufgebaut werden, um transparent zu machen, wie an In-
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Ein Gesprächspartner in Kommune B mahnte an, solche Kommunikationsstrukturen bereits weit im Vorfeld des Startpunkts für gebietsbezogenes Handeln einzurichten, weil sonst durch Reibungsverluste sehr viel Zeit zu Beginn der Umsetzung von Projekten und Maßnahmen verstreiche: „Bis innerhalb der Verwaltung oder auch innerhalb der eigenen Abteilung die Kompetenzen und die Aufgaben klar geregelt sind, verstreicht (…) Zeit“ und man „schwimme“ ein halbes oder dreiviertel Jahr (IQ7).
6.3 Gebietsmanagement der Verwaltung in der Praxis
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formationen heranzukommen ist. Es gehe allerdings nicht nur darum, Informationen zu nutzen, sondern auch weiterzugeben, allerdings lasse sich die Bereitschaft dazu ebenso wenig wie die Motivation, bürgernah und kooperativ zu arbeiten, „von oben“ per Dienstanweisung erzwingen. Vielmehr seien hierfür die „richtige“ innere Einstellung zur Arbeit, die Unterstützung durch Vorgesetzte83 sowie insgesamt veränderte Ausbildungsinhalte für Verwaltungsmitarbeiter/innen zentral (IQ7). Die auch schon auf der Verwaltungsebene angesprochene Notwendigkeit von Motivationsarbeit und Personalentwicklung wurde in den Kommunen B und C betont: Es gehe darum, „sich aus seinem fachlichen Bereich zu lösen, ohne seine eigenen Kompetenzen dadurch zu vernachlässigen, und bereit zu sein, mit anderen [Kolleg/innen] neue Ideen zu entwickeln und das [eigene Handlungs-]Spektrum zu erweitern” (IQ15). Dafür müsse viel Überzeugungsarbeit investiert werden, was „nicht einfach nur mit einem Auftrag zu leisten ist“ (IQ18). Es gehe nicht nur um neue Arbeitsstrukturen, sondern darum, dass sie von den Verwaltungsmitarbeiter/ innen getragen werden (IQ18). Dies habe weniger etwas mit Lebensalter zu tun, sondern es komme auf die „innere Einstellung“ an (IQ7). Allerdings seien auch Aufstiegschancen als Motivationsanreize im Zusammenhang mit integriertem gebietsbezogenem Handeln wichtig (IQ15). Gleichzeitig benötige man Nischen für Mitarbeiter/innen, die für diese Veränderung nicht (mehr) bereit seien (IQ18) Ein letzter Aspekt, der von Interviewpartner/innen auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements kritisch bemerkt wurde, betrifft die Frage, inwieweit integrierte gebietsbezogene Ansätze ausschließlich im Rahmen von Sonderförderungen durchgeführt werden (können). In Kommune B wurde beispielsweise dafür plädiert, integrierte Managementstrukturen in der Verwaltung auch ohne den Anreiz von Förderprogrammen aufzubauen und nachhaltig zu stabilisieren. Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln funktioniere dauerhaft nicht, wenn es stets nur ein Sonderfall bleibe, sich jedoch an den eigentlichen Verwaltungsstrukturen nichts ändere (IQ6). Zur Zeit würde es jedoch eher als Zusatzbelastung verstanden, die nur in Kauf genommen werde, weil Fördergelder im Spiel seien. „Und wenn es diese Gelder nicht mehr gibt, wird die Struktur wieder entfernt“ (IQ6). Ein nachhaltiges gebietsorientiertes Handeln erfordere jedoch, dass die Verwaltungen „ihre eigenen Ressourcen umstrukturieren“ und integriertes Management in ihre Regelstrukturen aufnehmen. „Es kann ja nicht sein, dass man immer nur zusätzliche Ressourcen in Anspruch nimmt“, zumal man sich „die sektorale Arbeit auf Dauer gar nicht mehr leisten“ könne (IQ6). Der gebietsbezogene Ansatz „funktioniert natürlich dann nicht, wenn solche Instrumente immer nur zusätzlich ‚aufgepappt‘ werden“, sich jedoch an der eigentlichen Verwaltungsstruktur nichts ändere. Es gelte, angesichts verbreiteter Einsparungszwänge trotzdem „die Qualität ‚vor Ort‘“ zu erhalten. Das dafür not-
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Beispielsweise wurde angesprochen, es sei wichtig, dass Vorgesetzte ihren Mitarbeiter/innen ein flexibles Arbeitszeitmanagement ermöglichen, damit sie unter anderem (Beteiligungs-) Veranstaltungen vor Ort besuchen können (IQ7).
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wendige generelle Umdenken auch ohne Förderhintergrund scheitere derzeit allerdings noch an dem „ganz großen Beharrungsvermögen der existierenden [politischen und Verwaltungs-]Strukturen“ (IQ6).
6.4
Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis: generelle Einschätzungen der Interviewpartner/innen
Jenseits der drei inhaltlichen Blöcke Ziele, Gebietsabgrenzung sowie Gebietsmanagement wurden die Interviewpartner/innen sowohl auf der Verwaltungsebene als auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements nach generellen Vor- und Nachteilen gebietsbezogenen Verwaltungshandeln gefragt. 6.4.1
Vorteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns aus Sicht der Interviewpartner/innen
Als generelle Vorteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns wurde von den Befragten auf der Verwaltungsebene neben vielen Einzelnennungen vor allem angegeben: 䊏
Möglichkeit der Überwindung sektoraler Perspektiven zugunsten „ganzheitlicher“ Sichtweisen bzw. der Überwindung der „Versäulung“ in der Verwaltung, 䊏 größere Nähe zu den Problemlagen „vor Ort“, 䊏 Tatsache, mit dem „Gebiet“ über eine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteure innerhalb und außerhalb von Politik und Verwaltung zu verfügen, 䊏 Möglichkeit eines effektiveren Ressourceneinsatzes. Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurden – ebenfalls neben zahlreichen weiteren Nennungen – insbesondere folgende Vorteile gebietsbezogenen Handelns aufgeführt: 䊏
Möglichkeit, mit gebietsbezogenem Handeln angesichts rückgehender Ressourcen dennoch qualitative Entwicklungsarbeit in (benachteiligten) Quartieren leisten bzw. die verbleibenden Ressourcen dort effektiver einsetzen zu können, 䊏 Möglichkeit, (Problem-)Zusammenhänge „vor Ort“ besser erkennen zu können, 䊏 Möglichkeit, Ressourcen „vor Ort“ besser nutzen und lokale Akteure stärker beteiligen zu können. Interviewergebnisse Verwaltung Die Überwindung der „Versäulung“ in der Verwaltung bzw. die Überwindung sektoraler Perspektiven zugunsten ganzheitlicher Sichtweisen wurden vor allem im Jugendhilfebereich als Vorteil gebietsbezogenen Handelns thematisiert. Beispiels-
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weise lautete in Kommune D ein Kritikpunkt, die Bereiche der Jugendhilfe hätten bisher „nebeneinander her“ gearbeitet, wodurch „viele Fachegoismen und Streit um Mittelverfügbarkeit“ entstanden seien. Im Rahmen der Einführung des „Sozialraumkonzeptes“ gebe es nun eine Umorientierung von der strikten Fachbereichszuordnung in Richtung integrierte Gebietsverantwortung (IV3). Nicht nur amtsintern, sondern auch mit Blick auf andere Verwaltungsbereiche werden Vorteile gesehen: „Ich kann aktiv mitgestalten, das könnte ich sonst nicht. Wenn ich die Jugendhilfe betrachte, habe ich nur meinen Sektor. Gemeinsam mit Stadtplanung kann ich [allerdings] Voraussetzungen schaffen, die den Grundprinzipien von Kinder- und Jugendhilfe entsprechen: Familienfreundlichkeit [in der Stadtentwicklung], Umfeldgestaltung, Verkehrsplanung (…). Wenn man Stadtentwicklung mitgestalten kann, kann man auch Jugendhilfe mitgestalten“,
fasste ein Interviewpartner in Kommune B zusammen (IV8). Durch den Gebietsbezug könnten die unterschiedlichsten Entwicklungsansätze aus dem sozialen, städtebaulichen und wirtschaftlichen Bereich konzentriert genutzt werden, wurde in Kommune A bemerkt (IV11). Durch gebietsbezogenes Verwaltungshandeln entstehe ein „Panoramablick“ – es gebe Verwaltungsmitarbeiter/innen, die seit zwanzig Jahren sektoral in einem bestimmten räumlichen Zuständigkeitsbereich gearbeitet und dennoch viele Aspekte „vor Ort“ nicht gekannt hätten, bemerkte nicht nur ein Interviewpartner in Kommune D (IV1). Auch in Kommune A wurden offenbar ähnliche Erfahrungen gemacht: „Da wusste eine Sozialarbeiterin, die qualitativ [hochwertige] Arbeit in der Familienberatung leistet, nicht, was es an sonstigen Angeboten, auf die man möglicherweise zurückgreifen kann, (…) im Stadtbezirk gibt und was die leisten“, weil sie nur „ihren“ Straßenzug kenne und ausschließlich mit der Maßnahmenplanung für die hier lebenden Familien konfrontiert gewesen sei (IV12). Der wesentliche Vorteil der Gebietsorientierung sei dagegen, „nicht in Zuständigkeiten denken zu müssen, sondern den Raum insgesamt betrachten zu können“ (IV5) bzw. „Lebenswelten“ nicht mehr fachsektoral segmentiert wahrnehmen zu müssen (IV16), wurde in Kommunen B und C ausgeführt. Damit zeigen sich Programmgebiete und „Sozialräume“ der Jugendhilfe als Basis für Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure innerhalb und außerhalb von Politik und Verwaltung. Das gemeinsame Ziel „Gebiet“ erleichtere die Arbeit, fasste ein Verwaltungsmitarbeiter in Kommune B zusammen (IV4). Durch den gemeinsamen Fokus „habe ich bessere Chancen, zu Kooperationen, Partnerschaften zu kommen“, ergänzte ein anderer Gesprächspartner (IV6). In Kommune D wurde beispielsweise auf potenzielle Kooperationsmöglichkeiten von lokalem Quartiermanagement und Jugendamt hingewiesen: „Im Prinzip gibt es viele Anlässe und Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen und Probleme nachbarschaftlich zu lösen“ (IV1). Nicht nur eine engere Zusammenarbeit mit bisher weniger nahe liegenden Kooperationspartnern, sondern auch die Möglichkeit, durch gebietsbezogenes Verwal-
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tungshandeln eine größere Nähe zu Problemlagen „vor Ort“ herstellen zu können, wurde mehrfach als Vorteil des neuen Handlungsansatzes hervorgehoben: „Man kommt näher an die Problemlagen heran und hat [dadurch] einen größeren Handlungsspielraum auf der lokalen Ebene. Grundsätzlich ist es der richtige Weg!“, wurde in Kommune B konstatiert (IV6). „Man ist näher bei den Menschen“, hieß es auch in Kommune D (IV3). Durch die Kenntnis der Situation „vor Ort“ könne man schneller Ideen für Veränderungen entwickeln als durch eine distanzierte theoretische Betrachtung, denn die Verwaltungsarbeit habe „mit dem wirklichen Leben oft wenig zu tun“ (IV3). „Man ist sehr schnell in der Situation ‚vor Ort‘. (…) Das ist ein Vorteil, weil Sie dadurch die Verbindung zum ‚richtigen Leben‘ nicht mehr verlieren, was sonst in der Verwaltung ziemlich schnell gegeben ist“, wurde auch in Kommune A bestätigt (IV9). „Der integrierte Ansatz ist (…) der einzige Ansatz, der sich (…) an der Lebenswirklichkeit von Menschen (…) orientiert, und er ist allemal – mit allen damit verbundenen Problemen – den sektoralen Ansätzen vorzuziehen. (…) Man kann die Welt nicht in verschiedene Sektoren aufteilen (…). Also muss man sich (…) mit der Realität von Lebensentwürfen und gelebtem Leben auseinandersetzen, sonst haben Sie verloren!“ (IV9).
Dies wurde im Jugendbereich von Kommune A ebenso gesehen: „Die Vorteile dieses Ansatzes (…) liegen einfach darin, dass man sich ganz konkret mit der Lebenswelt und Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen muss – und das im Kontext aller Beteiligten, die ‚vor Ort‘ in solch einen Prozess eingebunden sind“ (IV12).
Die Möglichkeit eines effektiveren Ressourceneinsatzes wurde als weiterer Vorteil gebietsbezogenen Verwaltungshandelns genannt. In Kommune B wiesen Gesprächspartner vor allem auf die Möglichkeit hin, im Zuge des neuen Handlungsansatzes Finanzmittel auf die lokale Ebene verlagern und damit passgenauer auf die Problemsituation „vor Ort“ reagieren zu können. Auch die intensivere Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern ermögliche einen effizienteren kommunalen Mitteleinsatz, lautete eine weitere Erfahrung (IV6). Ein Gesprächspartner in Kommune C fasste zusammen, eine finanziell günstige Vorgehensweise entstehe erst durch ressortübergreifende und raumorientierte Arbeit. Auch inhaltlich seien bessere Ergebnisse zu erwarten. Die bloße Addition von sektoralen Einzellogiken und ihren Finanzierungen führten in der Summe dagegen zu eher schlechten Ergebnissen (IV13). Die Überwindung des „Gießkannenprinzips“ der 1980er Jahre wurde auch in der Verwaltung von Kommune D positiv hervorgehoben (IV2). Der mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln verbundene Bürokratieabbau wurde vor allem in Kommune B als Vorteil thematisiert (IV4). In Kommune C machte ein Interviewpartner darauf aufmerksam, gebietsbezogenes Verwaltungshandelns sei eine gute Grundlage für Qualifizierung bzw. persönliche Weiterentwicklung. Ressortübergreifende Teamarbeit sei bereichernder als „immer im eigenen Saft zu schmoren. Man merkt das auch: Menschen, die da irgendwann drin sind, kriegen
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plötzlich wieder neue Ideen, verändern sich in ihren Sichtweisen“ (IV15). Außerdem sei für die einzelnen Mitarbeiter/innen der Erfolg der eigenen Arbeit durch die Gebietsorientierung schneller sichtbar, was Arbeitsmotivation und eigene Zufriedenheit steigere. Es gehe nicht nur um Verdienstmöglichkeiten – „Dafür muss man ja in der Verwaltung bloß älter werden“, bemerkte ein Gesprächspartner in Kommune B (IV4). Im Zusammenhang mit der Frage nach den Vorteilen des neuen Handlungsansatzes bezog lediglich ein Interviewpartner in Kommune C auch die Bewohner/innen von Programmgebieten bzw. „Sozialräumen“ der Jugendhilfe mit ein: Zu den wichtigsten Vorteilen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns zählten die dadurch entstehende größere Transparenz von Verwaltungshandeln sowie die generelle Möglichkeit einer stärkeren Partizipation an Gebietsentwicklungsprozessen (IV15). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Die Erfahrung, dass gebietsbezogenes Handeln einen effektiveren Ressourceneinsatz ermöglicht, wurde auch in den Reihen der lokalen Quartiermanagements häufig als Vorteil dieser neuen Strategie genannt. „Ich glaube, dass Ressourcen effektiver gebündelt und für zentrale Themenstellungen in einzelnen Gebieten verwandt werden können. (…). Speziell in Zeiten finanzieller Knappheit der öffentlichen Hand glaube ich, dass es sinnvoll ist, nicht nach dem ‚Gießkannenprinzip‘ wie noch in den 1980er Jahre Mittel zu verausgaben, sondern sie tatsächlich zu konzentrieren“,
wurde in Kommune C bemerkt (IQ15); ähnlich äußerten sich Gesprächspartner in Kommunen B (IQ6) und D (IQ1). Dabei wird Ressourcenbündelung nicht nur mit Blick auf Finanzierungsmöglichkeiten, sondern auch thematisch-inhaltlich gedacht: „Durch die Vor-Ort-Arbeit bzw. das Zusammenarbeiten beispielsweise der Jugendeinrichtungen vor Ort wird alles effektiver (Synergieeffekte)“ (IQ2) und: „Die Erfahrungen zeigen, dass der Raumbezug neue inhaltliche Kooperationen ermöglichen. Die Kreativität, die entsteht, bringt alle weiter“ (IQ1), äußerten zwei lokale Quartiermanager in Kommune D. Materielle und immaterielle Ressourcenbündelung wurde auch in Kommune A als Vorteil gebietsbezogenen Verwaltungshandelns genannt (IQ13, IQ14). Als weitere – zu erwartende – Vorteile gebietsbezogenen Handelns wurde unter anderem in Kommune B (IQ5, IQ7) die Möglichkeit erwähnt, dadurch (Problem-) Zusammenhänge „vor Ort“ besser erkennen zu können. Integriertes gebietsbezogenes Handeln sei „ein permanentes Bildungserlebnis (…). Es ist eine unmittelbare Konfrontation mit der Problemlage ‚vor Ort‘“, wurde in Kommune C angemerkt (IQ16). „Wenn man die Ursache von Problemen nicht entdeckt, entwickelt man auf jeden Fall die falschen Lösungsansätze“ (IQ17). Dies geht mit der Feststellung einher, durch den neuen Handlungsansatz Ressourcen „vor Ort“ stärker nutzen und auch die Gebietsbevölkerung intensiver beteiligen zu können; entsprechende Äußerungen kamen unter anderem von Interview-
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partnern in Kommune C (IQ15, IQ19). „Wenn man vom Partizipationsbegriff ausgeht, heißt das ja letztlich ‚wahre‘ Beteiligung – also nicht nur zu sagen: ‚Du darfst jetzt mal mitreden‘“ (IQ18). Durch den Gebietsbezug sei es möglich, „Potenziale und Ressourcen der lokalen Akteure ‚vor Ort‘ und der Bewohner und Bewohnerinnen ganz anders einzubinden als bei herkömmlichen, sektoral ausgerichteten Strategien“ (IQ15). Wie bereits von mehreren Verwaltungsmitarbeiter/innen angemerkt, wurde auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements hervorgehoben, der Gebietsbezug als gemeinsame Basis erleichtere generell die Kommunikation und Organisation zwischen Akteuren bzw. mit der Gebietsbevölkerung: „Gemeinsames Handeln braucht eine gemeinsame Basis, einen gemeinsamen Nenner. Und da ist der Gebietsbezug ein einfacher, der leicht herzustellen ist. Diskussionen über gemeinsame Ziele sind ansonsten sehr schwierig (…). Es ist zum Beispiel viel einfacher, sich unter dem Arbeitsmotto ‚Wir arbeiten daran, dass es in der Straße (…) besser wird‘ zu verständigen und konkrete Maßnahmen zu entwickeln, weil man sie lokalisieren kann. (…) Auf eine allgemeine Diskussion über Ziele nach dem Motto ‚Was wollen wir?‘ lassen sich die Leute nicht ein. (…) Der Gebietsbezug ist eine gute Hilfskonstruktion“,
lauten Erfahrungen in Kommune D (IQ3). Es ließe sich immer wieder feststellen, dass „Menschen etwas machen, wenn es einen relativ definierten, kleinen Raum (…) gibt, in dem sie ihr Zuhause haben und wo sie ein Interesse haben, dass sich dort etwas verbessert“ (IQ1). Ohne eine räumliche Basis als Grundlage sei es schwierig, Akteure für ein gemeinsames Ziel zu motivieren, wurde auch in Kommune B bestätigt: „Das Gebiet ist für viele Fragen zunächst einmal eine wichtige Basis“ (IQ6). Die Kommunikationsbasis „Gebiet“ sei auch vorteilhaft für die Beziehungen zwischen Verwaltungsebene und lokalem Quartiermanagement, denn der Gebietsbezug gehe – zumindest im Falle der Erfahrungen zweier Interviewpartner/innen – mit klaren Zuständigkeiten auf der Verwaltungsebene einher, auf der es nun konkrete, alle inhaltlichen Belange betreffende Ansprechpartner/innen gebe (IQ5, IQ7). Auch schaffe der Gebietsbezug größere Nähe zwischen professionellen Akteuren und Quartiersbevölkerung: Das „vor Ort“ präsente lokale Quartiermanagement würde als Nachbar akzeptiert und gewinne Vertrauen, bemerkten Interviewpartner in Kommune A (IQ11, IQ12). Dies wiederum sei die Voraussetzung, um als Mittler innerhalb des Quartiers sowie zwischen Quartiers- und Verwaltungsebene arbeiten zu können. Letztlich würde Verwaltungshandeln durch den gebietsbezogenen Handlungsansatz für die Bürger/innen transparenter, bemerkte ein Gesprächspartner in Kommune C (IQ17). Außerdem mache es Spaß und lasse Arbeitserfolge sichtbarer werden (IQ17). 6.4.2
Nachteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns aus Sicht der Interviewpartner/innen
Im Vergleich zur Anzahl der genannten Vorteile gebietsbezogenen Verwaltungshandeln wurden von den Interviewpartner/innen sowohl auf der Verwaltungsebene als
6.4 Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis
179
auch aus den Reihen der lokalen Quartiermanagements nur wenige Nachteile angegeben. Besonders hervorzuheben ist, dass von beiden Seiten befürchtet wurde, der Gebietsbezug könne (gesamtstädtische) Perspektiven verengen und sich als räumliche „Handlungsfalle“ erweisen bzw. Handlungsspielräume durch die räumliche Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen einschränken. Interviewergebnisse Verwaltung Die Möglichkeit, gebietsbezogenes Verwaltungshandeln könne auf eine Verengung der Perspektive hinauslaufen, wurde unter anderem in Kommune C als (potenzieller) Nachteil hervorgehoben. Es bestehe die Gefahr der „Verdörflichung“ und dass der gesamtstädtische Überblick verloren geht, wenn man sich nur noch auf „seinen“ Stadtteil konzentriert (IV14). Auch sei zu überlegen, ob nicht die Förderung der Mobilität von Gebietsbewohner/innen sinnvoller sei als eine Fokussierung auf einen abgegrenzten Raum. „Ich bin da kritischer, was den Raumbezug angeht. (…) Wegen der ‚Lebenswelten‘, die sich möglicherweise nicht nur über begrenzte ‚Sozialräume‘ beschreiben lassen“, lautete eine Bemerkung aus dem Bereich der Jugendhilfe (IV16). In Kommune B wurde außerdem darauf hingewiesen, eine starke Gebietsorientierung lasse nur wenig Spielraum für gesamtstädtisches Arbeiten (IV5). Mit Blick „nach unten“ wurde als weiterer Nachteil angemerkt, mit dem Gebietsbezug der Verwaltung könnten sich Bewohner/innen vor Ort kaum identifizieren: „Das sind alles nur technische Systeme, die nicht an die Herzen der Menschen gehen (…): Steuerungssysteme, neue Managementsysteme, die technisch bedient werden, Qualitätsmanagement, worüber Schlüsselprozesse definiert werden“, stellte ein Gesprächspartner aus dem Bereich der Jugendhilfe nicht nur in Kommune C fest (IV16); auch in Kommune B gab es ähnliche Einschätzungen: „Es gab noch nie so viel Vernetzung, Ansprache, Informationstransfer usw. – das geht an den Leuten vorbei, die interessiert das nicht“ (IV8). Insbesondere in Kommune B wurde auf den größeren Arbeitsaufwand und eine größere Anzahl von verwaltungsinternen Konflikten als Nachteile hingewiesen, die in Verbindung mit gebietsbezogenem Verwaltungshandeln im Vergleich zu einem eher „traditionellen“ sektoralen Vorgehen entstünden (IV4). Der Arbeitsaufwand sei vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Gebietsorientierung „quer zur Linie“ bewege und mehr Informationsbedarf als herkömmliche Routinen erzeuge (IV6). Ebenfalls in Kommune B problematisierte ein Interviewpartner die fehlende Deckungsgleichheit von Programmgebieten mit statistischen Datenräumen: „Das ist der Nachteil von Gebietszuschnitten, die gegen oder quer zu den administrativen Grenzen laufen. Das ist nachteilig, aber die Vorteile überwiegen an anderer Stelle“ (IV6). Auf die mangelnde Flexibilität von gebietsorientierten integrierten Förderprogrammen der EU (URBAN II) wurde insbesondere in Kommune A hingewiesen: Es sei nicht möglich, inhaltliche Schwerpunkte zu verändern bzw. anfangs beantrag-
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6 Interviewergebnisse
te Finanzierungsschwerpunkte umzudefinieren, wenn sich im Verlauf der Programmumsetzung vor Ort Bedarfe änderten (IV10, IV11). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Die bereits von Verwaltungsmitarbeiter/innen angesprochene Gefahr, durch den gebietsbezogenen Ansatz könne es zu einer räumlichen und/oder zuständigkeitsbezogenen „Verinselung“ des Handelns kommen bzw. Handlungsspielräume könnten eingeschränkt werden, wurde auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements in den Kommunen A und B als (potenzielle) Nachteile der neuen Herangehensweise gesehen (IQ5I, Q12, IQ13, IQ14). Es bestehe die Gefahr, nicht mehr über den räumlichen „Tellerrand“ hinaus zu schauen und für außerhalb der Grenzen liegende Gebiete nicht mehr zuständig zu sein bzw. die dort etablierten Zuständigkeiten nicht mehr zu kennen, wurde in Kommune B zu Bedenken gegeben (IQ7). Daher sei es notwendig, auch gebietsübergreifende Konzepte zu entwickeln, um das Wechselspiel zwischen „innen“ und „außen“ nicht aus den Augen zu verlieren. Fördergebiete dürften nicht als „Inseln“ dargestellt werden (IQ7). In Kommune C wurde darauf hingewiesen, im Extremfall würde der Blick auf die Gesamtstadt vernachlässigt; raumbezogenes Verwaltungshandeln müsse daher stets in eine gesamtstädtische Strategie eingebunden sein. Der Haushaltsetat unterstreiche dies, da der größte Teil der kommunalen Mittel für rechtlich verbriefte Leistungen reserviert ist, die nur zentral gesteuert werden können (IQ15). Bestimmte Ressourcen – beispielweise im Bereich der Grünflächenpflege – ließen sich gesamtstädtisch besser planen und einsetzen als mit einem Gebietsfokus (IQ19). Ebenfalls bereits auf der Verwaltungsebene thematisiert und hier vor allem von lokalen Quartiermanager/innen in Kommune C aufgegriffen, ist die als nachteilig bewertete Erfahrung, durch den gebietsbezogenen Ansatz vergrößere sich der Koordinationsbedarf/-aufwand der damit betrauten Akteure (IQ19). Außerdem konterkariere das Neue Steuerungsmodell 84 gebietsbezogene Ansätze, wie in Kommune D bemerkt wurde (IQ2). In Kommune B wies ein Interviewpartner auf den großen Nachteil hin, lokale Quartiermanagements würden vielerorts nur aus „Zwang“ eingerichtet: „Mit den Förderprogrammen ist Quartiermanagement ja mehr oder weniger vorgeschrieben. Das hat nichts mehr damit zu tun, dass die Kommune sich aus eigenem Willen dazu entschließt“ (IQ7). 84
Ein wesentliches Element des von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) entwickelten und von den Kommunen eingeführten Neuen Steuerungsmodells ist die auf einzelne Fachressorts übergegangene Budgetverantwortung: „Da geht es soweit, dass einzelne Leistungsbestandteile errechnet werden müssen (Budgetierung; Übernahme bzw. ‚Zuschieben’ von Finanzierungsverantwortung). Alle schauen jetzt nur noch, welches ihre Produkte sind, und wie sie ihre Stellen am wenigsten belasten bzw. wie sie am effektivsten arbeiten, damit sie hinterher die meisten Stellen behalten können“ (IQ2).
6.4 Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis
6.4.3
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Anregungen der Interviewpartner/innen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“
Abschließend wurden die Interviewpartner/innen auf beiden Ebenen nach Vorschlägen gefragt, wie der Ansatz gebietsorientierten Verwaltungshandelns aus ihrer Sicht insgesamt gestärkt werden könnte. Dazu äußerten Verwaltungsmitarbeiter/innen unter anderem die Vorschläge, 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
gebietsbezogenes Verwaltungshandeln nicht als fördermittelinduzierte temporäre Sonderlösung, sondern als kommunale Daueraufgabe zu betrachten, ressortübergreifende Kooperationsgremien auch jenseits von Möglichkeiten einer Sonderförderung zu verstetigen, den gebietsbezogenen Ansatz auf die Gesamtstadt zu übertragen und dafür ein gesamtstädtisches Management einzurichten, Verwaltungsmitarbeiter/innen stärker für integrierte gebietsbezogene Aufgaben zu qualifizieren, ganzheitliche Gebietsanalysen im Vorfeld von Gebietsabgrenzungen durchzuführen, für integrierte Ansätze zur Gebietsentwicklung ausreichend Zeit zu gewähren.
Lokale Quartiermanager/innen forderten unter anderem, 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏 䊏
die Einrichtung tatsächlich ressortübergreifender, gebietsorientierter Arbeitsgremien auf der Verwaltungsebene, die Ausrichtung aller Verwaltungsbereiche in Richtung Gebietsorientierung auch ohne eine Finanzierung durch externe Fördermittel, die Gleichzeitigkeit von Gebiets- und gesamtstädtischer Orientierung, eine Flexibilisierung des kommunalen Ressourceneinsatzes in Richtung Gebietsoder Sozialraumbudgets, „Rückendeckung“ von Politik und Verwaltung, das Bekenntnis von Politik und Verwaltung zu den spezifischen Funktionen benachteiligter Stadtteile im gesamtstädtischen Kontext.
Interviewergebnisse Verwaltung Insbesondere in Kommune C wurde dafür plädiert, gebietsbezogenes Verwaltungshandeln nicht als fördermittelinduzierte temporäre Sonderlösung, sondern als kommunale Daueraufgabe zu betrachten. Es sei ungünstig, lediglich mit Förderprogrammen von EU, Bund oder Land zu rechnen: „Letztlich verlassen kann man sich [nur] auf seine eigenen Potenziale und Ressourcen. Wenn es dann noch etwas zusätzlich gibt, haschen wir danach und schauen, dass wir es bekommen. Aber planen sollten wir mit den eigenen Kräften, weil es sonst sicher ist, dass, wenn das Förderprogramm ausgelaufen ist, der Stadtteil in den alten Zustand zurücksinkt“ (IV13).
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6 Interviewergebnisse
Weiter bemerkte der Interviewpartner in Kommune C: „Man kann Modernisierung nicht importieren, sondern man muss die eigenen Strukturen modernisieren bzw. modernisierungsfähig machen“ (IV13). Auch in Kommune B wurde die Verstetigung von Kooperationsgremien im Rahmen gebietsbezogenen Handelns jenseits von Möglichkeiten der Sonderförderung angemahnt (IV5, IV6). Eine Empfehlung bzw. Forderung, die ebenfalls in Richtung Verstetigung der im Rahmen von Sonderförderungen eingerichteten Strukturen vor allem auf Verwaltungsebene zielt, wurde in Kommune B geäußert: Übertragung des gebietsbezogenen Ansatzes auf die Gesamtstadt. „Ich denke, dass es sehr viele Themen gibt, bei denen es wichtig ist, etwas Stadtteilspezifisches zu machen, aber es gibt auch Themen, die gesamtstädtisch oder für weite Teile der Stadt wichtig sind. Und dann wäre es auch gut, man würde die mit den gleichen Methoden und der gleichen Außendarstellung betreiben“ (IV5).
Der Interviewpartner führte weiter aus, früher habe es für integrierte gebietsbezogene Ansätze in Kommune B ein „zentrales Büro“ gegeben, das „Ansätze stadtweit ausprobieren konnte. Und das fehlt uns jetzt aus meiner Sicht“ (IV5). Er plädierte daher für die Einrichtung eines gesamtstädtischen Managements für integrierte gebietsbezogene Ansätze (IV6), ein anderer Interviewpartner für eine zentrale Steuerung unterschiedlicher gebietsbezogener Ansätze in verschiedenen Gebieten (IV5). Für eine generelle gebietsbezogene Ausrichtung aller Verwaltungsbereiche sprachen sich Interviewpartner in Kommunen C und D aus, was allerdings ein schwieriges Unterfangen sei, wenn dies nicht von politischer Seite ausdrücklich gewollt wird (IV3; ähnlich IV2). Ein Vorschlag lautete, in verschiedenen Amtsbereichen „Projektgruppen“, „Stadtteilgruppen“ oder „-teams“ zu bilden und Verantwortliche für die einzelnen Stadtteile zu benennen (IV14). Vor dem Hintergrund eines damit verbundenen erheblichen Personalbedarfs relativierte ein Gesprächspartner in Kommune A die Möglichkeit der Ausdehnung des integrierten gebietsbezogenen Ansatzes auf die Gesamtstadt: „Man darf nicht unterschätzen, was diese Gebiete an personellem Einsatz benötigen, der weit über das hinausgeht, was normalerweise an Personalbesatz für Stadtteile gleicher Größenordnung vorgesehen ist. Ich weiß nicht, ob man sich das in Zukunft auf gesamtstädtischer Ebene leisten können wird“ (IV9).
Er plädierte daher für eine Differenzierung von Gebietstypen nach Interventionsbedarf : „benachteiligte Gebiete“, Gebiete mit „Präventionsbedarf, die man rechtzeitig davor bewahren muss, ‚Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf‘ zu werden“ und ‚sich selbst tragende Gebiete‘, in denen ein geringerer Handlungsbedarf seitens der Verwaltung bestehe (IV9). Vor allem in den Kommunen C und D wurde eine intensivere Ausbildung/Qualifizierung/Personalentwicklung mit Ausrichtung auf integriertes gebietsbezogenes Handeln angeregt. Veränderungsbedarfe wurden insbesondere bei den Ausbildungsgängen bzw. Berufs-/Qualifikationsanforderungen im sozialen Bereich gesehen, in denen nur selten „über den Tellerrand“ hinausgesehen werde (IV3). „Zur Fachlich-
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183
keit gehört – im Falle der Sozialarbeiter – (…) auch eine wirtschaftliche Fachlichkeit (…). Das muss gelernt werden“ (IV1). Generell müsse in der Ausbildung von Verwaltungsmitarbeiter/innen in stärkerem Maße die Bedeutung von Beteiligung und vor allem „Ownership“, also die Möglichkeit der Identifikation von Zielgruppen mit Entwicklungsprozessen, vermittelt werden (IV13). Weitere Handlungsempfehlungen bezogen sich unter anderem auf Methoden und Instrumente, die aus Sicht einiger Befragter im Rahmen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns (stringenter) zum Einsatz kommen sollten. So wurde in Kommune B auf die Notwendigkeit ganzheitlicher Gebietsanalysen hingewiesen, die „gestrafft“ durchgeführt werden müssten, „weil oftmals die Probleme schon ganz andere oder woanders sind, wenn die Untersuchung beendet ist“. Universitäten hätten oftmals einen zu wissenschaftlichen Ansatz, könnten solche Untersuchungen allerdings unterstützen (IV4). Ebenfalls in Kommune B, aber auch in Kommune C plädierten Interviewpartner für die Einführung eines sowohl auf quantitativen als auch qualitativen wissenschaftlichen Methoden beruhenden Monitorings (IV7, IV14) bzw. generell für den Aufbau einer belastbaren Datenlage (IV6). Weniger mit Blick auf Programmgebiete oder „Sozialräume“ wurde außerdem gefordert, für den verwaltungsinternen Aufbau von gebietsbezogenen Arbeits- und Entscheidungsstrukturen Handreichungen bzw. Arbeitshilfen zur Verfügung zu stellen. „Es muss etwas passieren, das ist überhaupt keine Frage – nur weiß niemand, wie und was.“ Eine Systematisierung des Ansatzes gebietsbezogenen Verwaltungshandelns bzw. eine „theoretische Untermauerung dessen, was die Praktiker fühlen“ (IV4), sei hilfreich. Für einen stärkeren Einsatz von Methoden der Gemeinwesenarbeit (in besonders benachteiligten Gebieten) sprach sich vor allem ein Interviewpartner in Kommune C aus (IV15). Mit Blick auf die finanzielle Umsetzung von Förderprogrammen plädierte ein Interviewpartner in Kommune B für die Möglichkeit eines gestaffelten Einsatzes der Finanzmittel: Im ersten Jahr sollte lediglich eine vergleichsweise geringe Summe verausgabt werden müssen, mit der konzeptionell gearbeitet und kleinere Projekte durchgeführt werden können. Im zweiten Programmjahr müsste das Ausgabenvolumen gesteigert werden, um größere Projekte vorbereiten zu können, und erst ab dem dritten Programmjahr sollte das volle Mittelvolumen anzusetzen sein, um die bisher geplanten Projekte zu realisieren (IV4). Einige generelle Forderungen, die in Kommune B geäußert wurden, zielen darauf ab, geeignete Rahmenbedingungen für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln zu schaffen bzw. zu verbessern. So mahnte ein Interviewpartner an, insgesamt müssten soziale Probleme stärker berücksichtigt werden, um tatsächlich zu einem ganzheitlichen Ansatz zu kommen (IV4). Auch sollten Bekenntnisse zu gebietsbezogenem Handeln verbindlich sein und daher ihre Entsprechung in der Umsetzung finden: „Man muss auch tun, was man sagt“ (IV4). Der neue Ansatz benötige Konsens über stadtentwicklungspolitische Zusammenhänge (IV6): „Wenn auf der Arbeitsebene kein Konsens, keine echte Handlungsbereitschaft vorhanden ist (…), passiert gar nichts“ (IV6). Der Ansatz lebe davon, dass die Arbeitsebene motiviert
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6 Interviewergebnisse
und handlungsbereit ist (IV6). Schließlich wurde angemahnt, für integrierte Ansätze zur Gebietsentwicklung ausreichend Zeit zu gewähren: „Die richtige Zeitachse sind acht bis zehn Jahre für solche komplexen Prozesse“ (IV4). Gesprächspartner in Kommune C empfahlen persönliche und personelle Kontinuität, um mit gebietsbezogenem Handeln erfolgreich zu sein (IV13, IV14). Schließlich wurde in beiden Kommunen auf die Notwendigkeit eines intensiven bzw. intensiveren Engagements der Ortspolitik hingewiesen. „Wenn viele Politiker Ortskenntnis hätten, würde es manchmal einfacher sein. (…) Ich ärgere mich zum Beispiel, wenn die Probleme ‚vor Ort‘ nicht gesehen werden. Wenn Menschen, die entscheiden, manchmal gar nicht mehr wissen, was ‚draußen‘ tatsächlich los ist“ (IV4).
Ein Gesprächspartner in Kommune C bemerkte, das Problem unzureichenden politischen Engagements stelle sich weniger zwischen Verwaltung und Politik als zwischen örtlicher Politik und Rat, denn selbst die eigenen Fraktionen betrieben Politik gegeneinander. Würde es eine größere Übereinkunft zwischen dem, was ‚vor Ort‘ gewollt wird, und Gesamtfraktionen geben, hätte dies eine größere Verbindlichkeit (IV14). Interviewergebnisse lokale Quartiermanagements Auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements fällt auf, dass sich viele Forderungen bzw. Handlungsempfehlungen an die Verwaltungen richteten, hier die für gebietsbezogenes Handeln notwendigen Strukturen einzurichten und „mit Leben“ zu füllen. In allen vier Kommunen plädierten Gesprächspartner/innen dafür, tatsächlich ressortübergreifende Arbeitsgremien auf Verwaltungsebene einzurichten, die „ein gemeinsames Selbstverständnis“ haben und auch vertreten (IQ9), in Zusammenhängen analog der Umsetzungsebene denken (IQ1) bzw. Meinungen und Entscheidungen der Verwaltung aus einer Hand kommunizieren (IQ1, IQ20, IQ5). „Es gibt eigentlich eher eine abgrenzende Kultur als eine kooperierende (…). Es gibt keine Verfahren. Das ist etwas, was genau wie ein Raumbezug – dafür gibt es auch kaum Verfahren innerhalb der Verwaltung –, erprobt werden müsste“, fasste ein Interviewpartner in Kommune C zusammen (IQ15). Wenn sich eine Kommune für gebietsbezogenes Handeln entscheide, müsse ihr bewusst sein, dass dies mit einem neuen Koordinationsbedarf einhergeht (IQ15). In Kommune B wurde sogar dafür plädiert, dass im Rahmen der Umsetzung entsprechender Programme die Einrichtung integrierter Managementstrukturen auf der Verwaltungsebene durch den Fördermittelgeber in stärkerem Maße erzwungen wird: „Der Fördermittelgeber [müsste] stärker darauf dringen, dass (…) tatsächlich Managementstrukturen entwickelt werden“ (IQ6). Für eine Ausrichtung aller Verwaltungsbereiche in Richtung Gebietsorientierung wurde auf Ebene der lokalen Quartiermanagements in den Kommunen A und C plädiert. „Es kann nicht sein, dass ein solches Vorhaben in den verschiedenen involvier-
6.4 Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis
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ten Ämtern unterschiedliche Prioritäten hat“ (IQ6) Sinnvoll sei die Unterteilung der gesamten Stadt in Gebietsbezüge, wobei insgesamt unterschiedliche Prioritäten gesetzt und beispielsweise zwischen „Präventivgebieten“, bereits benachteiligten Quartieren und anderen unterschieden werden müsse (IQ9): „Jedes Gebiet hätte dann sein Gebietsteam [der Verwaltung]. (…) Vielleicht sind die Gebietsteams in dem einen Quartier ein bisschen besser ausgestattet, weil es vielleicht komplexer ist. (…) Oder man hat eine andere Unterfütterung, nämlich [lokales] Quartiermanagement“ (IQ9). Gleichzeitig dürfe es nicht darum gehen, „dass die Zentralverwaltung aufgelöst“ wird (IQ16); vielmehr wurde die Gleichzeitigkeit von Gebietsbezug und gesamtstädtischer Verantwortlichkeit gefordert, beispielsweise in Form einer Parallelstruktur von linienbezogener Fachlichkeit und Gebietszuständigkeit bzw. einer Matrixstruktur 85, wie vor allem in Kommune B angeregt wurde (IQ5). „Ich denke, es gibt bestimmte Dinge, die müssen einfach zentral gesteuert werden, weil sie über die Grenzen [einzelner Gebiete] hinweg wirken“, äußerte ein Gesprächspartner in Kommune C (IQ18). Nicht alle thematischen Handlungsfelder müssten „unbedingt gebietsbezogen betrachtet werden“, wurde in Kommune B ähnlich argumentiert (IQ7). Die flächendeckende Einführung von Gebietsorientierung in der Verwaltung „wäre eine künstliche Trennung“, hieß es auf der Umsetzungsebene in Kommune C (IQ18). Vielmehr sollten „zentrale Ressorts sensibilisiert werden, durchlässiger gemacht werden, transparenter gemacht werden für Raumprobleme“ (IQ16), wobei das „Fachwissen der einzelnen Ressorts (…) nach wie vor wichtig“ sei und nicht verloren gehen dürfe, ergänzten andere Interviewpartner ebenfalls in Kommune C (IQ15). Beide Ansätze dürften nicht als Gegensatzpaar, sondern müssten als Ergänzungen gesehen werden: „Das eine als ‚flexiblen Teppich‘, und das andere als ‚gebundene kompakte Vorgehensweise‘“, mahnte ein Gesprächspartner in Kommune B an (IQ6). Er plädierte dafür, (kommunale) Aufgaben auf jeweils der räumlichen Ebene anzusiedeln, die dafür am besten geeignet erscheint. Einige Themen seien am besten gesamtstädtisch zu bearbeiten, andere zugleich auf gesamtstädtischer und örtlicher Ebene bedeutsam; in diesem Falle sollte eine Prioritätensetzung aus dem Gebiet heraus kommen. Schließlich gebe es Themen, die überwiegend auf der kleinräumlichen Ebene wichtig sind (IQ6). Beispielsweise könne über die Sanierung einer Nebenstraße direkt ‚vor Ort‘ diskutiert werden; für viele andere Handlungsfelder stelle sich der Bezug allerdings nicht so einfach dar: „Wo beispielsweise fängt der Stadtteilbezug einer Stadtteilbibliothek an?“ (IQ6). Generell müsse überprüft werden, für welche Themen ein Gebietsbezug klar definierbar ist. Eine auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements vor allem in Kommune B vorgebrachte Anregung betrifft die Flexibilisierung des Ressourceneinsatzes der Kommune in Richtung von Gebiets- oder Sozialraumbudgets. Die ressortgebun85
Gemeint ist hier eine Verwaltungsstruktur, die gleichzeitig die klassische, nach Sektoren unterteilte „Linienstruktur“ und eine querschnittsorientierte „Projektstruktur“ zulässt.
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6 Interviewergebnisse
denen Budgetierungen (vgl. Fußnote 84 zum Neuen Steuerungsmodell) sollten in einen integrierten Finanzierungs-„Topf“ umgewidmet werden: „Die Budgetierung, bei der jeder seinen eigenen Topf hat, ist katastrophal“, lautete ein Statement (IQ5). Die Verwaltungsmittel, die fachsektoral zur Verfügung stehen, müssten zum Großteil auf Stadtteilbudgets verteilt werden, forderte ein anderer Interviewpartner (IQ6). Anschließend könne man entscheiden, in welches Gebiet je nach sektoraler Notwendigkeit welche Gelder fließen. Diese Prioritätensetzungen müssten allerdings auf Stadtteilebene nach der Devise „Geben wir das Geld für Infrastruktur, Jugendhilfe oder andere Dinge aus?“ erfolgen können, zumindest sollte es dort Mitbestimmungsstrukturen geben, denn einige Maßnahmen seien kleinräumig wichtig und müssten direkt „vor Ort“ entschieden, verfügt und umgesetzt werden können. „Davon sind wir [allerdings] noch meilenweit entfernt. Aber solche umfassenden Fonds wären eine Konsequenz aus gebietsbezogener Umstrukturierung“ (IQ6). Der Einsatz gebietsbezogener Budgets müsse mit einem Interessenausgleich innerhalb der Verwaltung sowie einer Prioritätensetzung zwischen Gebieten einhergehen (IQ6). Auch von einem Interviewpartner in Kommune C wurde der Wunsch nach Stadtteilbudgets geäußert, „in denen die sonst in den einzelnen Fachämtern versteckten Haushalte für ein Gebiet quasi zusammengefasst werden (…). [Dies] wäre eine Möglichkeit, Handlungsfähigkeit auf Stadtteilebene zu schaffen“ (IQ19). Der Gedanke, die unterschiedlichen Ressorts im Zuge gebietsbezogenen Verwaltungshandelns stärker miteinander zu vernetzen, wurde von einem Gesprächspartner in Kommune C auch auf die Ebenen von Bund und Ländern ausgeweitet: Er plädierte für Fördermöglichkeiten auf Basis sozialräumlich orientierter Konzepte und Indikatoren, die sich nicht nur aus dem Bereich Städtebauförderung speisen, „sondern aus allen anderen Ressorts auch“ kommen (IQ17); dies könne ein starker Anreiz für gebietsbezogenes ressortübergreifendes kommunales Handeln sein. Auf der Ebene von Städten und Gemeinden selbst wurde in den Kommunen B und C auf die Bedeutung der „Rückendeckung“ von Politik und Verwaltungsspitze als Voraussetzung für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln hingewiesen. Notwendig sei beispielsweise „die Einsicht ‚von oben‘, dass es wichtig ist, sich dafür Zeit zu nehmen“ (IQ7), was auch für die notwendigen Analysen im Vorfeld gelte. Der Wille zu gebietsbezogenem Handeln müsse sich in der Politik entwickeln und hier auch vertreten werden: „Die müssen das entscheiden, sie müssen sagen ‚Wir wollen das!‘“ (IQ16). Auch der Oberbürgermeister „müsste diese ‚Verwaltungsreform‘ einfordern“ (IQ17). In direktem Zusammenhang mit der generellen „Rückendeckung“ steht das als notwendig erachtete Bekenntnis von Politik und Verwaltung zu den spezifischen Funktionen benachteiligter Stadtteile im gesamtstädtischen Kontext. In Kommune A wiesen Interviewpartner darauf hin, das Programmgebiet sei „das Einfallstor für Zuwanderung und das bleibt (…) [es] auch – jedenfalls in absehbarer Zeit. Und insofern wird (…) [es] immer eine bestimmte Fluktuation haben. (…) [Es ist] so etwas wie ein ‚Teilchenbeschleuniger‘ für bestimmte soziale Gruppen, die einen sozialen
6.4 Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln in der Praxis
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Aufstieg schaffen und (…) in das Umland oder andere Stadtteile (…) ziehen“ (IQ9). Von Verwaltungsseite müsse diese Funktion akzeptiert und auch gefördert werden (IQ9; IQ11; IQ13). Der Aufbau selbst tragender Strukturen sei ein von außen gesetztes Ziel, „und mit dem Hintergrund geht das dann natürlich nicht mehr. Da wird man eine gewisse Dauerstruktur installieren müssen. Vielleicht auf einem reduzierten Niveau“ (IQ9). Benachteiligte Quartiere dürften nicht als „Problemgebiete oder die pathologische Seite einer Stadt“ gesehen werden, sondern als eine „Wirklichkeit, die es zu gestalten gilt und die auch gestaltbar ist“, wurde in Kommune C angemahnt (IQ15). Damit verbunden ist die ebenfalls in Kommune C erhobene Forderung, gebietsbezogenen Entwicklungsansätzen genügend große Zeiträume zuzugestehen. Die zeitliche Befristung von Förderprogrammen und die eingeforderten „Exit-Strategien“ seien eher kontraproduktiv, denn über drei bis fünf Jahre würden Menschen zur Beteiligung mobilisiert, und es werde ein Prozess angestoßen, der erst nach fünf Jahren so weit tragfähig sei, dass er eine Grundlage für die weitere Arbeit in den Quartieren bilden könne. Förderprogramme müssten daher eher genutzt werden, „um solche Prozesse zu verstetigen, und nicht, um sie in diesem begrenzten Zeitraum lediglich umzusetzen“ (IQ15). Insgesamt weisen die Interviewergebnisse zwar viele Übereinstimmungen bei den Äußerungen und Einschätzungen von Verwaltungsakteuren und lokalen Quartiermanager/innen auf. Es überwiegen jedoch Gegensätze, die zum einen nicht nur aus unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Aufgaben auf beiden Ebenen, sondern auch aus unterschiedlichen Wahrnehmungen resultieren, zum anderen auf Defizite beim Ansatz „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ zurückzuführen sind. Wie die Interviewergebnisse vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 dargestellten raumtheoretischen Überlegungen eingeordnet bzw. bewertet werden können, wird im Folgenden gezeigt.
7
Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis gebietsbezogen Verwaltungshandelns
In Kapitel 5 wurden die Ergebnisse der qualitativen Dokumentenanalyse zu übergeordneten Programmen und kommunalen Konzepten für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln bereits vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 diskutierten raumtheoretischen Überlegungen betrachtet. Nun geht es darum, auch die wichtigsten Interviewergebnisse im Spiegel der aufgezeigten handlungstheoretischen Raumkonzepte zu bewerten und sie mit den Ergebnissen der Dokumentenanalyse zu verknüpfen (siehe nachfolgendes Kapitel 7.1). Diese theoretische Generalisierung ist der letzte Schritt der in Kapitel 2.3.3.5 aufgezeigten Verfahren für die Auswertung der Interviews bzw. Gruppeninterviews. Anschließend werden in Kapitel 7.2 einige zentrale Aussagen zur Produktion von „Raum“ und zum Gebietsmanagement auf den Ebenen von Verwaltung und „Alltagswelt“ bzw. im Bereich zwischen diesen beiden Ebenen in zwei Modellen zusammenfassend dargestellt. Auf dieser Basis sowie auf der Grundlage weiterer Aspekte der theoretischen Generalisierung (Kapitel 7.1) und auch der Einschätzungen von Interviewpartner/innen (vgl. Kapitel 6.4) werden schließlich Empfehlungen zur Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“ in der kommunalen Praxis und auf den Ebenen von EU, Bund und Ländern als „Programmgebern“ abgeleitet (Kapitel 8).
7.1
Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
Die theoretische Generalisierung als letzter Auswertungsschritt der Experten- bzw. Gruppeninterviews erfolgt entlang des bisher zugrunde gelegten Prüfrasters (vgl. Kapitel 2.2): 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns und an der Zielerarbeitung beteiligte Akteure, 䊏 (Kriterien zur) Abgrenzung von „Programmgebieten“ bzw. „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs, an der Gebietsabgrenzung beteiligte Akteure, 䊏 Organisation und Durchführung von Gebietsmanagement. Darüber hinaus werden auch hier weitere Aspekte für die abschließende Betrachtung herangezogen: T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
䊏
Arbeitserfahrungen mit Zielen, Gebietsabgrenzungen und Gebietsmanagement, generelle Einschätzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns durch die Befragten, 䊏 von den Interviewpartner/innen geäußerte Verbesserungsbedarfe. 䊏
Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns sowie an der Zielerarbeitung beteiligte Akteure Mit Blick auf die Akteure, die für die Formulierung von Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verantwortlich oder zumindest daran beteiligt waren, zeigen die Interviewergebnisse die Tendenz eines zweigeteilten Bildes: Auf der einen Seite stehen Verwaltungsmitarbeiter/innen, die ihren Machtspielraum, mit dem sie Ziele festlegen können, nicht alleine nutzen, sondern auch andere professionelle Akteure wie Vertreter/innen lokaler Organisationen und Initiativen, von Trägern der freien Wohlfahrtspflege, der lokalen Wirtschaft, der Ortspolitik sowie die lokalen Quartiermanagements in den Zielfindungsprozess einbeziehen. Die Beteiligung von Quartiersbewohner/innen an der Erarbeitung bzw. Konkretisierung von Zielen der Verwaltungsebene scheint dagegen eher die Ausnahme zu sein. Lediglich in einer Kommune wurde ausgeführt, dies im Rahmen von Zielworkshops zugelassen zu haben. Auf der anderen Seite stehen die lokalen Quartiermanagements, die intensive Zieldialoge mit Gebietsbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren wie Vertreter/innen von Vereinen und Initiativen, Jugendclubs, Kindergärten, Schulen, Kirchen etc. führen. Hier geht es also um die Identifizierung „alltagsweltlicher“ Ziele durch Multiplikator/innen. In der Tendenz suchen lokale Quartiermanager/innen „vor Ort“ Gespräche mit professionellen Akteuren und setzen zwecks Kontaktaufnahme zur Quartiersbevölkerung Methoden der Aktivierung wie beispielsweise Straßenbefragungen ein. Aus der Perspektive der raumtheoretischen Überlegungen Werlens und Löws scheinen sich Verwaltungs-/professionelle Akteure auf der einen sowie lokale Quartiermanger/innen als „Anwälte“ von Gebietsbewohner/innen auf der anderen Seite mit ihren jeweiligen habitus- und standortabhängigen Raumproduktionen bei der Entwicklung raumrelevanter Ziele eher gegenüberzustehen als dass sie sich intensiv austauschen („administrative“ versus „informativ-signifikative Regionalisierungen“). Diese Dualität von „top down“ und „bottom up“ erarbeiteten Zielen ist in den programmatischen und konzeptionellen Grundlagen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns zwar im Grundsatz intendiert (vgl. Kapitel 5). Dass jedoch „Verwaltungs“und „Vor-Ort“-Ziele in der Realität zumindest teilweise sehr weit auseinanderliegen, ist in den Grundlagendokumenten mit ihrer Betonung von integrierender Aktivierung, Beteiligung und „Empowerment“ der lokalen Bevölkerung erkennbar nicht vorgesehen. Es sind allerdings die gleichen Programmvorgaben als „externe“ Rahmenbedingungen für die Formulierung von Zielen, die sich aus Sicht vieler Interviewpartner/
7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
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innen insbesondere auf der Verwaltungsebene durch teilweise „enge“ inhaltliche Vorgaben auszeichnen, die innerhalb begrenzter Zeiträume zu erfüllen sind. Damit konterkarieren sie im Sinne einer Überregulierung zum Teil die Grundphilosophie der relativ offenen Herangehensweise, die eigentlich für integrierte gebietsbezogene Quartiersentwicklungsansätze vorausgesetzt wird. Viele Ziele gebietsbezogenen Verwaltungshandelns, die in den kommunalen Handlungskonzepten aufgeführt sind (vgl. Kapitel 5.2.2), orientieren bzw. orientierten sich daher offensichtlich „katalogartig“ an den übergeordneten programmatischen Setzungen der Sozialen Stadt und von URBAN II, um die formalen Bedingungen zu erfüllen, in den Genuss von Fördermitteln zu gelangen (vgl. Kapitel 5.1): Ressourcenoptimierung, Gemeinwesenentwicklung, Aktivierung, Beteiligung und „Empowerment“, Integration „benachteiligter“ Bevölkerungsgruppen in den Arbeitsmarkt, Integration der „benachteiligten“ Gebiete in die Gesamtstadt. In der Folge sind viele „top down“ formulierten Ziele auf der Umsetzungsebene kaum nachvollziehbar und zu wenig an den „benachteiligten“ Zielgruppen bzw. den tatsächlichen Handlungserfordernissen „vor Ort“ ausgerichtet. Ihre zumindest in Teilen nur geringe Relevanz für das tägliche Handeln lokaler Quartiermanager/ innen und anderer professioneller Akteure „vor Ort“ wurde sowohl auf der Verwaltungsebene als auch in den Reihen der lokalen Quartiermanagements mehrfach festgestellt. Daraus entsteht die Schwierigkeit, in den Quartieren entwickelte Ziele erst mit den „top down“-Setzungen der Verwaltung in Einklang bringen zu müssen, um auf der Quartiersebene handlungsfähig zu werden. Dafür ist man hier allerdings auf eine – offenbar nicht immer gegebene – Flexibilität der Verwaltungen sowie ihre Offenheit für Belange der „Vor-Ort“-Ebene angewiesen. In diesem Sinne kristallisiert sich aus den Interviewergebnissen als Anregungen für eine Optimierung des Zielfindungsprozesses unter anderem heraus, dass es sinnvoll sein kann oder gar notwendig ist, 䊏
im Vorfeld der Zielformulierung eine Gebiets- bzw. Bedarfsanalyse durchzuführen, 䊏 die Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure intensiv am Zielfindungsprozess zu beteiligen, sowie 䊏 als Verwaltung darauf zu verzichten, bereits mehr oder weniger „fertige“ Zielvorstellungen vorzuformulieren, sondern vielmehr die notwendige Offenheit für „vor Ort“ formulierte Ziele bzw. die für Zielmodifikationen notwendige Flexibilität aufzubringen. Aus der Perspektive der raumtheoretischen Überlegungen Werlens und Löws ginge es also darum, unterschiedliche Raumproduktionen „vor Ort“ („informativ-signifikative Regionalisierungen“) mit ihren Auswirkungen auf Zielformulierungen zu identifizieren, sie in die Diskussion über Ziele zu integrieren und damit den Zielfindungsprozess im Rahmen „administrativer Regionalisierungen“ insgesamt stärker zu flexibilisieren.
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7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
Kriterien der Abgrenzung von Programmgebieten und „Sozialräumen“ sowie am Abgrenzungsprozess beteiligte Akteure Viel mehr noch als bei den Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns ist die Abgrenzung und Ausweisung von Programmgebieten sowie von „Sozialräumen“ des Jugendhilfebereichs in starkem Maße eine Verwaltungsangelegenheit, wie die Interviewergebnisse zeigen. Dies korrespondiert im Falle der Sozialen Stadt und von URBAN II weitgehend mit den Programmvorgaben zur Gebietsabgrenzung, für die eine Beteiligung von Akteuren außerhalb von Politik und Verwaltung zumindest nicht explizit vorgesehen ist. Insgesamt wird das Thema Gebietsabgrenzungen in den Grundlagendokumenten entweder nur beiläufig behandelt, oder aber es werden sehr dezidierte Umsetzungsvorgaben gemacht, die von den Kommunalverwaltungen im Rahmen der Antragstellung auf Fördermittel zu erfüllen sind (vgl. Kapitel 5.1). Aus der Perspektive der in Kapitel 3.2 vorgestellten raumtheoretischen Betrachtungen läuft dies mehr oder weniger zwangsläufig auf die Produktion von Raum (allein) durch Verwaltungsakteure bzw. auf rein „administrative Regionalisierungen“ hinaus. Betrachtet man die einzelnen Kriterien, die in den kommunalen Konzepten für Gebietsabgrenzungen zugrunde gelegt wurden, zeigt sich bei der Ausweisung der Programmgebiete Soziale Stadt und URBAN II ein vergleichsweise breites Spektrum, wobei zwischen „externen“ Vorgaben und Kriterien im eigenen Gestaltungsermessen von Verwaltungsakteuren unterschieden werden muss. Zu ersteren gehören vor allem die angesprochenen Vorgaben in Förderrichtlinien, deren zwingende Einhaltung Gebietszuschnitte wie im Falle von URBAN II erheblich beeinflussen können (siehe Kapitel 5.1.2 und 6.2.3). Ebenfalls – zumindest aus der Verwaltungsperspektive – „von außen“ vorgegeben ist eine offenbar kaum in Frage zu stellende Berücksichtigung politischer Bezirksgrenzen als bereits „gesetzte“ (Teil-)Räume. Zu den Abgrenzungskriterien, die von den Verwaltungen selbst gewählt und gestaltet werden können, gehört die Orientierung an „älteren“ Fördergebieten bzw. an Teilräumen, die bereits in gesamtstädtischen Planwerken ausgewiesen sind. Auch die Argumentation, baulich-physische Barrieren und siedlungsstrukturelle Zusammenhänge stellten bereits „gegebene“ Grenzen dar, spielt offenbar eine wichtige Rolle. Ein zweiter großer Kriterienblock umfasst die Kombination aus statistischen Daten (Monitoring) und qualitativen Einschätzungen der „Vor-Ort“-Situation durch professionelle Akteure außerhalb der Verwaltung. Jenseits aller „Fakten“ werden Gebiete – darauf weisen die Interviewergebnisse hin – von Verwaltungsmitarbeiter/ innen vielfach auch „intuitiv“ auf Basis subjektiver Eindrücke der „Vor-Ort“-Situation abgegrenzt. Im Falle der „Sozialräume“ der Jugendhilfe wird offenbar besonders pragmatisch vorgegangen: Statistische Daten bzw. eine für das Verwaltungshandeln im Sinne räumlicher Zuständigkeitsbereiche „handhabbare“ Einwohnerzahl innerhalb der jeweiligen politisch-administrativen Bezirke waren hier das Hauptkriterium für die Gebietsabgrenzungen. Für die „Sozialräume“ der Jugendhilfe wurde klar betont, sie seien Kompromisse zwischen unterschiedlichen „Lebenswelten“ von Kindern und
7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
193
Jugendlichen verschiedener Altersgruppen sowie räumlichen Zuständigkeitsbereichen der Verwaltung. Damit sind bzw. waren Programmgebiete der Sozialen Stadt und von URBAN II sowie „Sozialräume“ des Jugendhilfebereichs – stark generalisiert – Ergebnisse eines technisch-pragmatischen Verwaltungsvorgehens unter Berücksichtigung externer Rahmenbedingungen wie Fördervoraussetzungen und kommunalpolitischen Zusammenhängen. Aus der in Kapitel 3.2 aufgezeigten raumtheoretischen Perspektive stellen sie „administrative Regionalisierungen“ im Sinne einer räumlichen Demarkation von Machtspielräumen von Politik und Verwaltung dar. Sie zeigen sich überwiegend als klar abgegrenzte „Behälterräume“ bzw. „politische Territorien“, in deren Zusammenhang – so kann verallgemeinert werden – Objekte, Menschen und Prozesse als „im Raum verortet“ betrachtet werden bzw. das jeweilige Gebiet mit diesen Objekten, Menschen und Prozessen gleichgesetzt wird („Raummuster“; vgl. Kapitel 3.2.2). Bei den gebietskonstituierenden (Verwaltungs-) Akteuren kann dabei von einem mehr oder weniger starken Konsens über die durch sie zugeschriebenen Probleme und Entwicklungspotenziale dieser „Räume“ ausgegangen werden. Sowohl von Verwaltungsseite als auch von lokalen Quartiermanagements wurde in vielen Interviews die Überzeugung geäußert, solche stringenten räumlichen Grenzziehungen seien für gebietsbezogenes (Verwaltungs-)Handeln eine notwendige Voraussetzung – schon alleine um den Sonderförderungsstatus eines Programmgebietes abzusichern und räumliche Zuständigkeiten der Verwaltung zu definieren. Allerdings dürften sie stets nur als Konstruktionen der Verwaltung, also „administrative Regionalisierungen“ aus der raumtheoretischen Perspektive, betrachtet werden, die lediglich die Funktion von „Hilfsgrößen“ bzw. eines Orientierungsrahmens für das Handeln aller beteiligten Akteure hätten. Besonders wichtig wird dies vor dem Hintergrund der Erfahrungen der lokalen Quartiermanagements in allen vier Beispielkommunen, dass „alltagsweltliche Räume“ in der Regel nicht mit den von der Verwaltung ausgewiesenen Programmgebieten und „Sozialräumen“ übereinstimmen. Vielmehr wurde festgestellt, alle thematischen Handlungsfelder und Zielsetzungen auf der „Vor-Ort“-Ebene würden je eigene räumliche Ausprägungen aufweisen. Dies gilt umso mehr für die veränderlichen räumlichen Aktionsradien der jeweiligen Quartiersbevölkerung und anderen „Vor-Ort“-Akteuren als Zielgruppen integrierter Quartiersentwicklung. Diese messen – vor dem Hintergrund der theoretischen Perspektiven von Werlen und Löw betrachtet (vgl. Kapitel 3.2) – aus ihrer je individuellen habitus- und standortabhängigen Perspektive Objekten und (An)Ordnungen von Objekten und Menschen Bedeutungen zu bzw. synthetisieren Raum. Die so entstehenden „alltagsweltlichen Orte“ können sich kleinräumig innerhalb von Programmgebieten/„Sozialräumen“ befinden, aber auch grenzüberschreitend „quer“ zu oder sogar gänzlich außerhalb von ihnen liegen. In jedem Fall stehen sie dem „Formalismus“ strikter Abgrenzungen diametral gegenüber. Vor diesem Hintergrund wurde nicht nur von den lokalen Quartiermanagements, sondern auch auf der Verwaltungsebene betont, dass einmal fixierte Gebietsgrenzen nicht den dynamischen (Weiter-)Entwicklungen „alltagsweltlicher“ Zusammenhän-
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7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
ge gerecht werden können – die „Räume“ von Bewohner/innen veränderten sich. Außerdem müsse die Option offen gehalten werden, auch Organisationen, Institutionen und Infrastrukturen in die Arbeit einbeziehen zu können, die außerhalb der abgegrenzten Programmgebiete/„Sozialräume“ lokalisiert sind. Daher wurde von beiden Seiten gefordert, die Gebietsgrenzen im Laufe der Quartiersentwicklungsprozesse modifizieren zu können, um so ein der sich verändernden „Vor-Ort“-Situation angepassteres Arbeiten insbesondere der lokalen Quartiermanager/innen zu ermöglichen. Sie sind es, die als „Anwälte“ der Gebietsebene und gleichzeitig als „verlängerter Arm“ der Verwaltung beide „Raumebenen“ in Einklang bringen (müssen). Aus der Perspektive der handlungstheoretischen Raumkonzepte von Löw und Werlen (vgl. Kapitel 3.2) lässt sich dieser Wunsch nach Möglichkeiten einer Flexibilisierung der „Behälterraum“-Grenzen als Einsicht vor allem der Verwaltungsakteure in die Notwendigkeit interpretieren, 䊏
die „informativ-signifikativen Regionalisierungen“ raumproduzierender „VorOrt“-Akteure bei der Programmumsetzung stärker zu berücksichtigen und die dadurch sichtbar werdende „Raumvielfalt“ zu akzeptieren, 䊏 bisherige Grenzziehungen (lediglich) als Produkte eigener individueller Handlungen bzw. der Handlungen derjenigen (professionellen) Akteure zu verstehen, die in Fragen der Gebietsausweisung ebenfalls involviert waren, und daher 䊏 bisherige „Raummuster“ zu hinterfragen, nach denen beispielsweise Personen lediglich als – auch im statistischen Sinne – Träger/innen von Kriterien einer „Benachteiligung“ an bestimmten Wohnstandorten zusammengefasst wurden. Von den Interviewpartner/innen auf der Verwaltungsebene, vor allem aber auch aus den Reihen der lokalen Quartiermanager/innen mit ihren alltäglichen Arbeitserfahrungen „vor Ort“ wurden verschiedene Flexibilisierungsmöglichkeiten genannt, die sich sowohl auf eine Modifikation der Gebietsgrenzen als auch auf veränderte Abgrenzungsverfahren beziehen: 䊏
veränderte Methoden zur Identifizierung von Gebietsgrenzen: – Durchführung qualitativer Vor-Ort-Analysen im Vorfeld von Gebietsabgrenzungen; 䊏 – stärkere Einbeziehung der Quartiersbevölkerung, anderer wichtiger lokaler Akteure (z. B. Gewerbetreibende), lokaler Organisationen und Institutionen; 䊏
䊏
veränderter Umgang mit der „Territorialität“ von Programmgebieten und „Sozialräumen“: 䊏 – Ausweisung möglichst großer Programmgebiete und „Sozialräume“, innerhalb derer lokale Quartiermanagements wesentlich flexibler als in eher kleinen, „enger“ geschnittenen Gebieten handeln können; 䊏 – Einrichtung einer „Pufferzone“, einer „Grauzone“, eines „Übergangsbereichs“ zwischen eigentlichem Programmgebiet bzw. „Sozialraum“ und angrenzenden
7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
195
Teilräumen bzw. Quartieren im Sinne eines vergleichsweise weitläufigen Grenzbereichs, der ebenfalls ein flexibleres Arbeiten als in eng abgesteckten Gebieten zulässt; 䊏 – Möglichkeit, auch außerhalb des Programmgebiets bzw. „Sozialraums“ ansässige Organisationen, Institutionen oder Infrastrukturen im Sinne von „Enklaven“ in die Gebietskulisse integrieren zu können; 䊏
veränderte Abgrenzungsverfahren: – Vereinfachung des von Fördermittelgebern und Kommunalverwaltungen vorgesehenen Verfahrens im Falle einer nachträglichen Veränderung von Gebietsgrenzen; Einführung einfach zu handhabender Regularien für eine Veränderung von Gebietsgrenzen; 䊏 – Abgrenzung von Gebieten in einem mehrstufigen Verfahren, in dem zunächst provisorische Grenzen definiert werden, die erst nach einer Phase der Überprüfung im Rahmen der täglichen Arbeit lokaler Quartiermanager/innen gegebenenfalls angepasst und dann endgültig fixiert werden. 䊏
Bewertet man diese Vorschläge wiederum vor dem Hintergrund der raumtheoretischen Konzepte Löws und Werlens, können die Vorstellungen einer großzügigen Grenzziehung als Versuch interpretiert werden, starre „Behälterräume“ als Ergebnisse „administrativer Regionalisierungen“ im Sinne „politischer Territorien“ zwar zuzulassen, gleichzeitig aber auch auf individuelle Raumproduktionen von „VorOrt“-Akteuren zu reagieren, indem beispielsweise – bei aller damit verbundenen Selektivität – die Schwerpunkte der Arbeit lokaler Quartiermanager/innen flexibel in die jeweiligen „Orte“ bestimmter Zielgruppen verlagert werden, ohne dadurch Gefahr zu laufen, den Rahmen des „Territoriums“ zu verlassen. Die Anregungen zur Modifikation der Gebietsabgrenzungsverfahren zielen letztlich darauf, unkompliziert Korrekturen am „Territorium“ selbst vornehmen zu können, sollte sich dies angesichts individueller Raumproduktionen „vor Ort“, die erst im Laufe des Umsetzungsprozesses in der Interaktion zwischen lokalen Quartiermanager/innen, Gebietsbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren „entdeckt“ werden, als notwendig erweisen. Der Hinweis auf die Bedeutung einer vor allem qualitativ ausgerichteten „VorOrt“-Analyse im Vorfeld der Gebietsabgrenzung sowie einer intensiveren Beteiligung von Quartiersbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren zielt letztlich darauf, deren Raumproduktionen bzw. -„synthetisierungen“ und Zielvorstellungen im Zusammenhang mit etwaigen Projekten und Maßnahmen kennenzulernen, bevor Details einer Programmumsetzung geplant werden. Gebietsmanagement Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln müsse also – so lässt sich vor dem Hintergrund der in Kapitel 3.2 diskutierten handlungstheoretischen Raumkonzepte weiter
196
7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
interpretieren – strukturell so angelegt werden, dass möglichst viele individuelle Raumproduktionen durch den Kontakt zu Quartiersbewohner/innen und anderen lokalen Akteuren als „Orte“ „sichtbar“ werden – allerdings nicht im Sinne einer Instrumentalisierung für „top down“-Belange, sondern als gleichberechtigter partizipativer Beitrag zur Gestaltung von Gebietsabgrenzungen und zur Entwicklung raumrelevanter Ziele. Hier zeigt sich allerdings der vielleicht größte Widerspruch zwischen programmatischem bzw. konzeptionellem Anspruch (vgl. Kapitel 5) und der Umsetzung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns: In den Grundlagendokumenten wird eben jene intensive Einbeziehung der Gebietsbevölkerung und anderer lokaler Akteure zwar explizit gefordert, gleichzeitig werden jedoch die lokalen Quartiermanagementteams – dies zeigen die Interviewergebnisse – nicht immer mit ausreichenden (Personal-) Ressourcen ausgestattet, um dieser Forderung auch nachkommen zu können. Damit ist in der Praxis der Zugang zu vielen „Orten“ unzureichend, weil lokale Quartiermanager/innen nicht in den dafür notwendigen intensiven Kommunikationsprozess mit „Alltags“-Akteuren hineingehen können, wie einige Interviewpartner/innen auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements betonten. Die daraus resultierende Forderung von lokalen Quartiermanager/innen, für Aktivierung und Beteiligung „vor Ort“ mehr Ressourcen bereitzustellen, wurde von den Interviewpartner/innen der Umsetzungsebene zwar nicht direkt thematisiert, lässt sich jedoch aus ihren Anmerkungen zum Verhältnis von Gebietsgröße und Handlungsradius lokaler Quartiermanagements ableiten. Die Interviewergebnisse, die sich auf solche „handhabbaren“ Gebietsgrößen beziehen, zeigen nämlich, dass Aktivierung und Beteiligung sehr kleinräumig angelegt werden müssen und nur bis zu einer Einwohnerzahl von 6.000 bis 8.000 noch problemlos praktikabel sind. In größeren Gebieten kann dagegen mit den bislang gegebenen Personalressourcen offenbar nur noch räumlich selektiv gearbeitet werden. Je nach Größe des Gesamtgebiets ist also ein zusätzlicher Ressourceneinsatz (Finanzmittel, Personal, Zeit) notwendig. Dies gälte umso mehr, sollten die Grenzen von „Territorien“ der Verwaltung tatsächlich flexibilisiert werden, was zu Gebietserweiterungen und Kooperationen mit einem größeren Spektrum (professioneller) Akteure führen kann. Limitationen im Bereich des Gebietsmanagements sind auch auf der Verwaltungsebene festzustellen. So wurde in allen vier Beispielkommunen darauf hingewiesen, die notwendige ressortübergreifende Zusammenarbeit lasse sich nur schwierig gestalten: Das Fehlen einer klaren Federführung, Ressortegoismen, Neid, Konkurrenz bzw. gegenseitige Abgrenzung der verschiedenen Verwaltungsbereiche, Verkürzung des Kooperationsinteresses auf Fragen der Verteilung von Fördergeldern sowie Skepsis gegenüber dem integrierten Ansatz wurden als Gründe genannt – unter anderem mit Verweis auf die „klassische“ Linienorganisation der Verwaltung, also der Segmentierung in Fachbereiche, die in Konflikt mit gebietsbezogenem ressortübergreifendem Handeln stehe. Insgesamt zeigt sich also ein Widerspruch
7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
197
zwischen der Umsetzungspraxis und der „Philosophie“ der Programme URBAN/ URBAN II und Soziale Stadt, bei der eben jene ressortübergreifende Zusammenarbeit in den Kommunalverwaltungen als „Herzstück“ des integrierten Ansatzes unter dem Aspekt der Verwaltungsmodernisierung gesehen wurde und wird (vgl. Kapitel 5.1). Es kann also die Frage gestellt werden, warum die Eigenmotivation der Verwaltungen, ihr Handeln integriert und gebietsbezogen auszugestalten, augenscheinlich geringer ausgeprägt ist, als dies von den „Programmgebern“ erwartet wird und in kommunalen Konzepten angelegt ist. Eine Antwort hierauf findet sich in vielen Interviews, in denen betont wurde, die Akzeptanz des neuen Handlungsansatzes sei hauptsächlich auf die finanziellen Anreize entsprechender Förderprogramme, nicht aber auf die damit verbundenen organisationalen und inhaltlichen Neuerungen zurückzuführen. Dies bedeutet jedoch, dass Verwaltungen dauerhaft nur mit ihren „klassischen“ Routinen und Instrumenten auf dynamische, teilweise krisenhafte Veränderungen in der „Alltagswelt“ – zum Beispiel in „benachteiligten“ Stadtteilen – reagieren können. Gegen Flexibilisierungen und Veränderungen scheinen sie hingegen weitgehend „resistent“ zu sein. Bliebe dies so, käme lokalen Quartiermanagements in ihrer Funktion als Schnittstelle zwischen Verwaltungs- und „Alltagswelt“ eine noch stärkere Bedeutung zu, als bisher vorgesehen. Bei ihnen liegt bereits jetzt die „Hauptlast“ des integrierten gebietsbezogenen Handelns, da sie aufgrund der geschilderten Defizite auf der Verwaltungsebene über ihre eigenen originären Aufgaben hinaus vielfach auch noch die Akteursvernetzung und Ressourcenbündelung innerhalb der Verwaltung übernehmen müssen. Aus der theoretischen Perspektive betrachtet, haben „alltagsweltliche“ Raumproduktionen („informativ-signifikative Regionalisierungen“) nur dann eine Chance, im Zuge „administrativer Regionalisierungen“ bzw. bei der „formalen“ Programmdurchführung – und damit beim Einsatz von Fördermöglichkeiten – berücksichtigt zu werden, wenn sie von lokalen Quartiermanager/innen „entdeckt“, auf die Entscheidungsebene der Verwaltung befördert und dort womöglich gegen „top down“gesetzte Ziele und bereits fixierte „Behälterraum“-Grenzen „verteidigt“ werden können. Vorteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns Trotz vieler Unklarheiten und Schwierigkeiten, die mit dem Gegenüber von „Verwaltungs“- und „Alltagswelt“ verbunden sind, sahen alle Befragten im Ansatz gebietsbezogenen integrierten (Verwaltungs-)Handelns deutlich mehr Vor- als Nachteile. Zu den generellen Vorzügen, die von den Verwaltungsmitarbeiter/innen genannt wurden, gehörte vor allem die – zumindest potenzielle – Möglichkeit, durch ressortübergreifende Kooperation die jeweils eigenen sektoralen Sichtweisen aufweiten und sogar „fachfremde“ Planungen mitgestalten zu können, also eine stärkere horizontale Integration von Verwaltungsstrukturen zu erreichen. Auch die Möglich-
198
7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
keit einer stärkeren vertikalen Vernetzung von Verwaltungs- und Umsetzungsebene wurde als Vorteil betont: Die gebietsbezogene Ausrichtung ermögliche eine größere Nähe zu den „Lebenswelten“ bzw. den „Alltagsräumen vor Ort“, was ebenfalls die eigene Wahrnehmungsperspektive erweitere. Auch auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements wurde hervorgehoben, die gemeinsame Verständigungsbasis „Raum“ erleichtere die Kommunikation zwischen verschiedenen (professionellen und „zivilgesellschaftlichen“) Akteuren. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit, (Problem-) Zusammenhänge „vor Ort“ besser erkennen und die lokale Bevölkerung im Sinn einer „echteren“ Beteiligung intensiver einbeziehen zu können, als Vorteil beschrieben. Damit erhält „Raum“ die Funktion eines Katalysators für Kommunikation und Kooperation innerhalb der Verwaltung, zwischen lokalen Quartiermanager/innen, Gebietsbevölkerung und anderen „Vor-Ort“-Akteuren sowie zwischen Verwaltungsund „Alltagswelt“; er wird zum gemeinsamen Ausgangspunkt der Zusammenarbeit. Allerdings bleibt das Dilemma, aus der programmatischen und konzeptionellen Perspektive von einem weitgehend „traditionellen“ Raumkonzept auszugehen bzw. ausgehen zu müssen („Behälterraum“ im Sinne „politischer Territorien“ als Ergebnis „administrativer Regionalisierungen“), ohne die „Orte“ der „alltagsweltlichen“ Akteure als Ergebnisse ihrer „informativ-signifikativen Regionalisierungen“ zu kennen. Letztlich geht es also nicht um „Raum“ bzw. um Objektivierungen vermeintlicher Tatsachen darin („Benachteiligungen“), sondern um Macht und Ressourcen: Wer definiert auf welcher Grundlage welche „Räume“ und damit verbundene Ziele einer Programm- bzw. Konzeptumsetzung? Nachteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns In den Interviews wurden von Verwaltungsseite nur vergleichsweise wenige, allerdings gewichtige Nachteile gebietsbezogenen Verwaltungshandelns genannt. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Feststellung, eben jene Kluft zwischen Verwaltung und „Alltagswelt“ mit dem neuen Ansatz noch nicht wesentlich verkleinert zu haben – dies wäre jedoch eine wesentliche Voraussetzung für eine verbesserte Programmund Konzeptumsetzung. Zudem verursache der neue Ansatz einen größeren Arbeitsaufwand und mehr verwaltungsinterne Konflikte beispielsweise aufgrund nach wie vor bestehender „Ressortegoismen“. Außerdem wurde auf den (potenziellen) Verlust einer gesamtstädtischen Perspektive hingewiesen, ein Aspekt, der auch von lokalen Quartiermanager/innen als einer der wenigen Nachteile einer (zu starken) Gebietsorientierung aufgeführt wurde: Die deutliche Fokussierung auf einzelne Programmgebiete berge die Gefahr der „Verdörflichung“ bzw. nicht mehr „über den Tellerrand“ hinauszuschauen, also Verbindungen in die Gesamtstadt oder sogar Region nicht mehr ausreichend wahrzunehmen. Aus der in Kapitel 3.2 aufgezeigten raumtheoretischen Perspektive und vor dem Hintergrund von Giddens’ Ressourcenbegriff (siehe Kapitel 3.2.1) bedeutet dies unter anderem die Feststellung, dass „Orte“, Programmgebiete und „Sozialräume“,
7.1 Bewertung der Interviewergebnisse – theoretische Generalisierung
199
Gesamtstadt oder Region als Ergebnisse unterschiedlicher Raumproduktionen in unterschiedlicher Weise mit allokativen Ressourcen (z. B. Fördergeldern) und – im weitesten Sinne – autoritativen Ressourcen, also mit direkten Zugangsmöglichkeiten zur Entscheidungsmacht von Politik und Verwaltung, ausgestattet sind. Darüber hinaus schränkt eine zu starke Fokussierung auf bestimmte Programmgebiete oder „Sozialräume“ offensichtlich die Möglichkeiten ein, auch „Nachbarräume“ mit ihren Institutionen, Arbeitsplätzen, Versorgungsmöglichkeiten etc. als Ressource für das „eigene“ Gebiet zu nutzen. Verbesserungsbedarfe aus Sicht der Befragten Auf der Verwaltungsebene wurde von einigen der befragten Verwaltungsmitarbeiter/ innen – stark generalisiert – empfohlen, gebietsbezogenes Verwaltungshandeln auch unabhängig von Sonderförderprogrammen in den Kommunalverwaltungen zu verankern, sich also gebietsbezogenes Verwaltungshandeln als innovative Herangehensweise an Stadt(teil)ent-wicklung unabhängig von übergeordneten Rahmenbedingungen zu eigen zu machen. Damit ging auch die Forderung einher, die oben angesprochene Fokussierung auf die „räumliche“ Kulisse singulärer Programmgebiete zu verlassen und den neuen Handlungsansatz auf die gesamte Stadt mit ihren verschiedenen Teilräumen zu übertragen. Die Anregungen vieler Interviewpartner/innen auf der Ebene der lokalen Quartiermanagements hatten in Teilen ebenfalls eine Veränderung übergeordneter Rahmenbedingungen zum Gegenstand – in diesem Falle waren jedoch Kommunalverwaltungen und -politik selbst gemeint, von denen ein stärkeres Bekenntnis zu integriertem gebietsbezogenem Verwaltungshandeln (jenseits von Sonderförderungen) und die Einrichtung tatsächlich funktionierender ressortübergreifender Arbeitsgremien erwartet wird. Eher beiläufig erwähnt, allerdings von großer potenzieller Reichweite ist die Aufforderung, „benachteiligte“ Stadtteile aufgrund der „in“ ihnen identifizierten „Probleme“ nicht als „Störfaktor“ im städtischen Gefüge zu betrachten, sondern ihre Funktionen für die Gesamtstadt zu erkennen und in ihrer Differenziertheit anzuerkennen – beispielsweise als „Räume“ für Integration. Schließlich lautete ein Vorschlag von lokalen Quartiermanager/innen, die „VorOrt“-Ebene mit eigenen Ressourcen in Form von „Gebietsbudgets“ auszustatten, also eine teilweise Dezentralisierung kommunaler Ressourcenverantwortung vorzunehmen. Aus der raumtheoretischen Perspektive Werlens und Löws lassen sich diese Vorschläge dahingehend interpretieren, erstens die Bedeutung der Produktion von „Raum“ durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure für den Umgang mit „Realität“ grundlegend anzuerkennen, zweitens Handlungsstrukturen aufzubauen, die für die Kommunikation zwischen bzw. die Kooperation von diesen raumproduzierenden Akteuren (tatsächlich) geeignet sind, sowie – drittens – Ungleichgewichte bei der Ressourcenverteilung zwischen den raumproduzierenden Verwaltungs- und „VorOrt“-Akteuren abzubauen.
200 7.2
7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
Das Gegenüber von Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene: Modelle „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“
Zentrale Bestandteile der theoretischen Generalisierung lassen sich modellhaft darstellen. Für das Gegenüber von raumproduzierenden Verwaltungs- und „Alltags“-Akteuren, der von ihnen konstituierten Programmgebiete/„Sozialräume“ und „alltäglichen Orte“ sowie für den Gegensatz von top down und bottom up bzw. „alltäglich“ formulierten raumrelevanten Zielen gebietsbezogenen Handelns wird das Modell des „Doppelten Gebietsbezugs“ vorgeschlagen. Außerdem lässt sich das Management gebietsbezogenen Verwaltungshandelns mit seinen verschiedenen Aufgaben und Funktionen auf der Verwaltungs- und der „Vor-Ort“-Ebene sowie im „intermediären Bereich“ zwischen beiden Ebenen in einem Modell „Quartiermanagement“ darstellen. 7.2.1
Modell „Doppelter Gebietsbezug“
Mit dem Modell des „Doppelten Gebietsbezugs“ (siehe Abbildung 12) soll verdeutlicht werden, dass bei Programmgebieten und „Sozialräumen“ der Jugendhilfe stets zwei Ebenen der Raumproduktion und der Formulierung raumrelevanter Handlungsziele gleichzeitig mitschwingen: diejenige der „Verwaltungswelt“ ebenso wie die der „Alltagswelt“. In dem Modell werden von der Gesamtheit raumkonstituierender Akteure stark generalisierend nur die beiden Gruppen raumproduzierende Verwaltungs- und raumproduzierende „Vor-Ort“-Akteure berücksichtigt. Wie bereits im Rahmen der theoretischen Generalisierungen ausgeführt, wird auf Basis der in Kapitel 3.2 dargestellten theoretischen Überlegungen von Werlen und Löw davon ausgegangen, dass sich – ebenfalls stark generalisierend – die Mitglieder beider Gruppen durch ihren Habitus unterscheiden, also ihre Position innerhalb der Sozialstruktur und ihre soziale Laufbahn (z. B. „materiell abgesicherte Verwaltungsangestellte“ versus „Benachteiligte in prekären Lebensverhältnissen“). Beide Gruppen verfügen – damit zusammenhängend – über unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitalressourcen, um ihre Situation ändern zu können. Die Habitusunterschiede äußern sich auch in verschiedenen Wahrnehmungsmustern von „Raum“ (z. B. „Raum“ als „verwahrlostes Sanierungsgebiet mit problematischer Bevölkerung“ oder als „Wohnort mit gerade noch fußläufig zu erreichendem Supermarkt“). Auch liegt dem Modell die Annahme zu Grunde, dass Mitglieder beider Gruppen ihre raumkonstituierenden Syntheseleistungen von unterschiedlichen räumlichen Positionen (Lokalisierungen) aus leisten („Amtsstube“ versus „,Vor Ort‘-Situation“; „Draufsicht“ versus „Binnensicht“). Schließlich unterscheiden sich beide Gruppen im Hinblick auf den Anlass für ihre Raumproduktionen: Auf der Verwaltungsseite ist es die Notwendigkeit, „administrative Regionalisierungen“ vornehmen zu müssen, in der „Alltagswelt“ geht es um „informativ-signifikative
201
7.2 Modelle „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“
Regionalisierungen“, also alltägliche raumrelevante Bedeutungszumessungen der (An-)Ordnung von Gütern und Menschen. Die habitus- und lokalisierungsbezogenen Unterschiede beider Gruppen raumkonstituierender Akteure führen im Ergebnis der raumproduzierenden Syntheseleitungen ihrer Mitglieder zu unterschiedlichen „Räumen“. Im Modell des „Doppelten Gebietsbezug“ stehen sie sich – ebenfalls entsprechend der zuvor angestellten theoretischen Generalisierungen – als klar abgegrenzte Programmgebiete im Sinne absoluter „Behälterräume“ bzw. „politischer Territorien“ und alltagweltliche „Orte“ gegenüber, die innerhalb von, quer zu sowie außerhalb von Programmgebieten liegen können. Programmgebiete entsprechen „administrativen Regionalisierungen“ von Verwaltungsakteuren, während alltagsweltliche „Orte“ (potenziell) veränderliche Ergebnisse der Raumproduktionen unterschiedlicher „Vor-Ort“-Akteure darstellen („informativ-signifikative Regionalisierungen“). Der dritte Aspekt des Gegensätzlichen, der im Modell des „Doppelten Gebietsbezugs“ berücksichtigt wird, betrifft die Handlungsziele, die von beiden Akteurs-
raumkonstituierende Verwaltungsakteure Ö Habitus, individuelle Wahrnehmungsmuster,
• •
Lokalisierung für raumkonstituierende Syntheseleistung „administrative Regionalisierungen“ programmatische und konzeptionelle Ziele
„Verwaltungswelt“
klar abgegrenzter „Behälterraum“ („Programmgebiete“, „Sozialräume“)
„Orte“ innerhalb und jenseits des „Behälters“
raumkonstituierende „Vor-Ort-Akteure“ Ö Habitus, individuelle Wahrnehmungsmuster,
• •
Lokalisierung für raumkonstituierende Syntheseleistung „informativ-signifikative Regionalisierungen“ „alltägliche“ bis projektbezogene Ziele
Abbildung 12: Modell „Doppelter Gebietsbezug“ Quelle: eigene Darstellung (Grundlagen: Werlen 1997, Löw 2001)
„Alltagswelt“
202
7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
gruppen und auf beiden „Raum“-Ebenen verfolgt werden. Hier wird vom Gegenüber vorgegebener Programm- bzw. seitens Kommunalverwaltungen „top down“ gesetzter Ziele auf der einen und „vor Ort“ generierter „alltagsweltlicher“ Ziele auf der anderen Seite mit ihren jeweiligen räumlichen Implikationen ausgegangen. Das Modell zeigt, dass mit dem „Doppelten Gebietsbezug“ aus Verwaltungssicht zwangsläufig eine „Sollbruchstelle Irrtum“ einhergeht, denn es ist zwar möglich, Programmgebiete und „Sozialräume“ im Sinne von Territorien als „Behälter“ klar abzugrenzen. Allerdings kann niemals Sicherheit darüber bestehen, damit die tatsächlichen, sich ständig ändernden „Orte“ als räumliche Komponente des alltagsweltlichen Handelns der Zielgruppen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns – Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure – berücksichtigt zu haben. Damit umfasst der „Doppelte Gebietsbezug“ die Notwendigkeit, eben jene „Orte“ zu identifizieren sowie Möglichkeiten zu schaffen, „Behälterraum“-Grenzen im Abgleich von Programmgebieten/„Sozialräumen“ und „Orten“, die innerhalb und/oder außerhalb davon liegen, zu flexibilisieren. Für die Zielsetzungen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns ergibt sich aus dem „Doppelten Gebietsbezug“ das auch in der theoretischen Generalisierung herausgearbeitete Erfordernis „echter“ Beteiligung der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler Akteure sowie – damit verbunden – einer offenen Fortschreibung von Zielen. 7.2.2
Modell „Quartiermanagement“
Auch das im Rahmen der theoretischen Generalisierung deutlich gewordene Gegenüber von Verwaltungsorganisation und lokalen Quartiermanagements sowie von sektoraler und ressortübergreifender Organisation innerhalb von (Kommunal-)Verwaltungen im Rahmen des Managements gebietsbezogenen Verwaltungshandelns kann modellhaft dargestellt werden. Dabei wird auf ein Quartiermanagement-Konzept zurückgegriffen, das bereits im Jahr 2002 vom Institut für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) und dem Autor dieser Arbeit entwickelt worden ist (vgl. Franke/Grimm 2002). In dem Modell „Quartiermanagement“ (vgl. Abbildung 13) werden die unterschiedlichen Handlungslogiken auf der Verwaltungs- und der „Vor-Ort“-Ebene berücksichtigt sowie die im Rahmen eines Gebietsmanagements anfallenden Aufgaben auf der dafür jeweils geeigneten Ebene verankert. Im Kern wird „Quartiermanagement“ nicht auf Organisationseinheiten „vor Ort“ verkürzt, sondern umfasst gleichermaßen die Verwaltung und den „intermediären Bereich“ zwischen Politik, Verwaltung, Markt, „Drittem Sektor“, Bewohner/innen und sonstigen lokalen Akteuren. Das Aufgabenspektrum eines solchen umfassenden Quartiermanagements reicht von der Aktivierung und Beteiligung von „Vor-Ort-Akteuren“ über die Initiierung von Projekten und die Koordination zwischen Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene bis zu Finanzierungsfragen und der Gesamtsteuerung gebietsbezogenen Verwaltungshandelns.
203
7.2 Modelle „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“
ressortübergreifendes Arbeitsgremium Gebietsbeauftragte/r •
• • •
ressortübergreifende Vernetzung innerhalb der Verwaltung (horizontale Vernetzung) Steuerung des kommunalen Ressourceneinsatzes Mittelakquisition Projektsteuerung „gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“
Verwaltungsebene
Gebietsmoderation •
•
• •
Kommunikation/Vermittlung zwischen beiden Ebenen (vertikale Vernetzung) Einbeziehung/Vernetzung von Akteuren außerhalb der beiden Ebenen Organisation von Beteiligung Projektentwicklung
„intermediärer“ Bereich
„Vor-Ort“-Büro Fachkräfte vor Ort • • • • •
Aktivierung der Gebietsbevölkerung Identifizierung von Interessen „vor Ort“ Vermittlung individueller Problemlösungskompetenzen Akteursvernetzung „vor Ort“ (horizontale Vernetzung) Sichtbarmachung von „Orten“
„Vor-Ort“Ebene
Abbildung 13: Modell „Quartiermanagement“ Quelle: eigene Darstellung (Grundlage: Franke/Grimm 2002: 9)
Das Modell umfasst zwei gleichberechtigte Organisationseinheiten auf der Verwaltungsebene und „vor Ort“ sowie eine institutionalisierte Schnittstelle zwischen diesen beiden Ebenen: Auf der Verwaltungsebene steht die ressortübergreifende Zusammenarbeit von Fachressorts im Vordergrund, die in gebietsbezogenes Verwaltungshandeln involviert sind – dazu gehören unter anderem die Bereiche Stadtentwicklung, Wirtschaft, Jugend, Soziales. Dies geschieht im Rahmen eines ressortübergreifenden Arbeitsgremiums (z. B. „Ämterrunde“, „Lenkungskreis“, „Steuerungsrunde“), das von einer eigens hierfür eingesetzten zentralen Ansprechperson koordiniert wird. Zu den (weiteren) Aufgaben dieser oder dieses „Gebietsbeauftragten“ zählen die gebietsbezogene Steuerung des kommunalen Ressourceneinsatzes (Finanzen und Know How), Mittelakquisition sowie die verwaltungsseitige Projektsteuerung „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“.
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7 Zum Verhältnis von handlungstheoretischen Raumkonzepten und der Praxis
Auf der „Vor-Ort“-Ebene steht die Einbeziehung der Gebietsbevölkerung und anderer lokaler Akteure im Vordergrund (horizontale Vernetzung). Zentral sind „Vor-Ort“-Büros als Treffpunkte bzw. als Kommunikations- und Dienstleistungsorte mit ausreichender und qualifizierter personeller Besetzung (z. B. „Tandem“ aus den Bereichen Planung und Sozialarbeit). Zu den Aufgaben der lokalen Quartiermanager/innen zählen die Identifizierung von Interessen „vor Ort“, die Vermittlung von (individuellen) Problemlösungskompetenzen (Empowerment) sowie die Vernetzung von bzw. Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft, ortsansässigen Institutionen wie Schulen, Kindertageseinrichtungen, Beratungsstellen, Kirchen und Polizei bzw. mit lokalen Vereinen, Initiativen und Verbänden. Hier werden auch „alltagsweltliche Orte“ identifiziert. Im „intermediären“ Bereich zwischen Politik, Verwaltung, Markt, „Drittem Sektor“, Bewohner/innen und sonstigen lokalen Akteuren ist es Aufgabe einer Gebietsmoderation, die Kommunikation zwischen Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene herzustellen und zu pflegen (Moderation) bzw. zwischen beiden Ebenen zu vermitteln (Mediation; vertikale Vernetzung von Verwaltungs- und „Vor-Ort“-Ebene). Außerdem organisiert die Gebietsmoderation Beteiligungsmöglichkeiten im und für das jeweilige Quartier, wobei auch Akteure einbezogen werden, die weder der Verwaltung angehören noch auf der Gebietsebene unmittelbar „verortet“ sind – beispielsweise Vertreter/innen der Industrie- und Handelskammer. Schließlich ist es die Gebietsmoderation, die im Spannungsfeld zwischen Verwaltungs- und „Vor-Ort“Interessen Projekte initiiert. Insgesamt kommt ihr also die zentrale Schnittstellenfunktion zwischen allen involvierten Akteuren und Organisationsebenen zu. Das Modell „Quartiermanagement“ kann an die politischen und Organisationsspezifika der jeweiligen Kommune angepasst werden. Es basiert allerdings auf den Prämissen der gleichmäßigen Berücksichtigung sowohl der Verwaltungs- als auch der Gebiets-/Quartiersebene mit den vorgeschlagenen Aufgabenverteilungen sowie einer institutionalisierte Vernetzung beider Ebenen durch eine Gebietsmoderation (vgl. Franke/Grimm 2002: 7f.).
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Empfehlungen für eine Verbesserung des Ansatzes „Gebietsbezogenes Verwaltungshandeln“
Aus den Modellen „Doppelter Gebietsbezug“ und „Quartiermanagement“ lassen sich Handlungsempfehlungen sowohl für Kommunen als auch für „Programmgeber“ ableiten, mit denen die bisherige Praxis gebietsbezogenen Verwaltungshandelns verbessert werden kann. Beim ersten Modell leiten sich diese Empfehlungen aus den Implikationen ab, die der „Doppelte Gebietsbezug“ für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln hat. Mit Blick auf das zweite Modell geht es darum, „Quartiermanagement“ an die jeweilige kommunale Situation angepasst umzusetzen, wofür sich ebenfalls Handlungsempfehlungen ableiten lassen. Ergänzt werden die Empfehlungen durch Vorschläge der Interviewpartner/innen zur Verbesserung des gebietsbezogenen Handlungsansatzes (vgl. Kapitel 6.4.3) sowie die Ergebnisse der theoretischen Generalisierung, sofern sie bisher keinen Eingang in die beiden Modelle gefunden haben. Handlungsempfehlungen für die kommunale Verwaltungsebene 1. Die zentrale Handlungsempfehlung für die kommunale Praxis lautet, das strukturelle Dilemma des Gegenübers von fixierten Programmgebieten/„Sozialräumen“ und veränderlichen „alltagsweltlichen Orten“ grundlegend anzuerkennen. Dies wiederum setzt die Akzeptanz voraus, „Raum“ nicht als etwas „Gegebenes“ oder „an sich“ Existierendes, sondern stets nur als Ergebnis der Handlungen von Akteuren auffassen zu können und damit vor einer großen „Raumvielfalt“ zu stehen. Damit einher geht die Empfehlung, „Raum“ in erster Linie als zwangsläufig uneinheitliche Kommunikationsbasis für unterschiedliche Akteure innerhalb und außerhalb der Verwaltung zu verstehen. 2. Daraus folgt die Aufforderung, anzuerkennen, dass Verwaltungsmitarbeiter/ innen lediglich eine Akteursgruppe unter vielen bilden, die notwendigerweise ihre räumlichen Zuständigkeitsbereiche abgrenzen und auch die Ziele ihrer Arbeit definieren muss, was jedoch aus einer (berufs-)spezifischen Perspektive heraus geschieht. Auf der „anderen“ Seite stehen die Quartiersbevölkerung und andere lokale Akteure mit ihren alltäglichen Raumproduktionen und raumrelevanten Handlungszielen. 3. Sollen diese Zielgruppen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns tatsächlich – wie in den Programmen Soziale Stadt und URBAN II explizit vorgesehen (war) – in den jeweiligen Gebietsentwicklungsprozess einbezogen werden bzw. im Zentrum der „Sozialraumorientierung“ des Jugendhilfebereichs stehen, lautet T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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eine Handlungsempfehlung, den Einsatz von Aktivierungsinstrumenten zu intensivieren und Beteiligungsmöglichkeiten auszuweiten. Nur durch engen Kontakt zur Quartiersbevölkerung und zu anderen lokalen Akteuren können deren „alltagsweltliche Orte“ und raumrelevante Handlungsziele für die Verwaltungsebene sichtbar und in den „formalen“ Gebietsentwicklungsprozess integriert werden. 4. Damit geht die Empfehlung einher, Programmgebiets- oder „Sozialraum“Grenzen als zwar notwendige, jedoch stets nur temporäre „Provisorien“ aufzufassen. Dies korrespondiert mit der Aufforderung, in den Kommunalverwaltungen unbürokratische Verfahren zur flexiblen Anpassung der Programm-/ „Sozialraum“-Grenzen im laufenden Quartiersentwicklungsprozess einzuführen, weil nur dadurch sukzessive sichtbar werdende „alltagsweltliche Orte“ in die „Raum“-Kulisse gebietsbezogenen Verwaltungshandeln – und die damit verbundenen Fördermöglichkeiten – einbezogen werden können. 5. Um von vornherein vergleichsweise flexibel innerhalb der gesetzten Programmgebiets- bzw. „Sozialraum“-Grenzen arbeiten zu können, empfiehlt es sich, diese möglichst großzügig abzustecken bzw. zwischen potenziellen „Kernräumen“ für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln und den tatsächlichen Programmgebiets- oder „Sozialraumgrenzen“ Pufferzonen einzurichten. Auch empfiehlt es sich, für die Gebietsentwicklung wichtige, allerdings räumlich entlegener lokalisierte Institutionen wie beispielsweise Schulen als räumliche „Enklaven“ in die Gebietsausweisung einzubeziehen, sollten sie nicht durch eine entsprechende Grenzziehung integriert werden können. 6. Das Thema Flexibilisierung bezieht sich auch auf die Erarbeitung von Zielen gebietsbezogenen Verwaltungshandelns mit ihren räumlichen Implikationen. Soll hier nicht das gleiche Problem wie beim Gegenüber verwaltungsinduzierter „Behälter“- und alltäglicher „Räume“ der „Vor-Ort“-Akteure entstehen, wird empfohlen, auf „top down“ formulierte Ziele im Vorfeld oder zu Beginn des Gebietsentwicklungsprozesses weitgehend zu verzichten. Vielmehr erscheint es notwendig, diese Ziele gemeinsam mit den Akteuren auf der „Vor-Ort“-Ebene zu entwickeln, was jedoch auf Verwaltungsseite nicht nur die bereits angesprochene Intensivierung von Aktivierung und Beteiligung erfordert. Auch sollten Projekt-, Zeit- und Output-Vorstellungen von Verwaltungsakteuren an die „Geschwindigkeiten“ und Bedürfnisse der „Alltagswelt“ angepasst werden. 7. Darüber hinaus müsste die „Vor-Ort“-Ebene mit Ressourcen ausgestattet werden, die es der Quartiersbevölkerung und anderen lokalen Akteuren erlauben, tatsächlich eigenständige Beiträge zur Gebietsentwicklung zu leisten, wie dies die Programme Soziale Stadt und URBAN II fordern bzw. forderten. Empfohlen wird daher, Entscheidungskompetenzen auf die „Vor-Ort“-Ebene zu verlagern und dort auch flexibel einsetzbare materielle Ressourcen wie beispielsweise eigenständig zu verwaltende Gebietsbudgets zur Verfügung zu stellen.
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8. Um gebietsbezogenes Verwaltungshandeln im Spannungsfeld zwischen Verwaltungs- und Alltagswelt, den damit zusammenhängenden Akteuren sowie zwischen Programmgebieten/„Sozialräumen“ und „alltagsweltlichen Orten“ als Ergebnissen unterschiedlicher Raumproduktionen organisieren zu können, wird die Einführung eines komplexen Quartiermanagements empfohlen. Es sollte die Verwaltungs- und die „Vor-Ort“-Ebene sowie den „intermediären Bereich“ zwischen Politik, Verwaltung, Markt, „Drittem Sektor“, Bewohner/innen und sonstigen lokalen Akteuren gleichermaßen berücksichtigen und eine ausgewogene Aufgabenverteilung umfassen, um Überforderungen einzelner Ebenen bzw. Managementakteure zu vermeiden. 9. Dabei sollte insbesondere darauf geachtet werden, die lokalen Quartiermanagements als „Anwälte“ der Gebietsbevölkerung und anderer lokaler Akteure bzw. als Schnittstellen zwischen Verwaltungs- und „Alltagswelt“ mit ausreichenden (Personal-)Ressourcen und Entscheidungskompetenzen auszustatten und sie als gleichberechtigte Partner der Verwaltung anzuerkennen. 10. Für die Verwaltungen selbst empfiehlt sich eine Anpassung ihrer Arbeitsorganisation an die Herausforderungen gebietsbezogenen Handelns. Dazu gehört es, neben der „traditionellen“ Linienorganisation querschnittorientierte Organisationsstrukturen aufzubauen und das Prinzip der Teamarbeit zu stärken sowie die Handlungs- und Entscheidungsspielräume auf der Arbeitsebene zu erweitern, um „unbürokratische“ Vorgehensweisen zu ermöglichen. Dies sollte mit Maßnahmen der Personalentwicklung einhergehen, zu denen die Qualifizierung der beteiligten Mitarbeiter/innen in den Bereichen Kommunikation, Moderation und Mediation gehört. 11. Für das Zusammenspiel von „Sozialraumorientierung“ in der Jugendhilfe und dem Ansatz der Sozialen Stadt wird empfohlen, diese beiden gebietsbezogenen Strategien stärker miteinander zu vernetzen, um zu vermeiden, dass unterschiedliche Zuständigkeits-„Räume“ der Verwaltung übereinanderliegen und im gleichen „Gebiet“ unterschiedliche lokale Managements mit verschiedenen Zielsetzungen agieren. 12. Insgesamt sollte der Ansatz gebietsbezogenen Verwaltungshandelns „Rückendeckung“ sowohl von der Kommunalpolitik als auch durch die Verwaltungsspitze erhalten. Grundlage dafür kann ein Ratsbeschluss sein, der als gemeinsame Handlungsmaxime für Politik und Verwaltung gilt. Ebenso empfiehlt sich die Ansiedlung der Federführung für gebietsbezogenes Verwaltungshandeln an höchster Stelle innerhalb der Verwaltung, beispielsweise in einer dafür vorgesehenen Stabsstelle. 13. Generell kann empfohlen werden, gebietsbezogenes Verwaltungshandeln weder auf „benachteiligte“ Stadtteile zu beschränken noch die räumlichen Ebenen Gesamtstadt und Region außer Acht zu lassen. Damit werden insuläre Sonder-
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lösungen oder gar die Beschränkung von Entwicklungsoptionen auf die räumliche Kulisse von Programmgebieten bzw. „Sozialräumen“ vermieden und können die Erfahrungen, die im Zuge der integrierten Entwicklung „benachteiligter“ Quartiere gesammelt wurden, auch anderen städtischen Teilräumen zu Gute kommen. 14. Schließlich lautet eine weitere Empfehlung, die Funktion „benachteiligter“ Stadtteile für die Gesamtstadt oder gar Region anzuerkennen und diese entsprechend (dauerhaft) zu unterstützen, was wiederum alle bereits angesprochenen Aspekte der „Raum“-Wahrnehmung, Zielentwicklung sowie der Kommunikation und Kooperation unterschiedlicher Akteure umfasst. Handlungsempfehlungen für die Ebene der „Programmgeber“ EU, Bund und Länder 1. Insbesondere im Zusammenhang mit der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN II ist deutlich geworden, dass Programmvorgaben nicht nur notwendige Mindestanforderungen enthalten oder Hinweise zur Programmdurchführung geben, sondern sich im Einzelfall auch kontraproduktiv auswirken können. Wie die Untersuchung zeigt, war dies zumindest bei der Vorgabe zur Abgrenzung von Programmgebieten unter dem Gesichtspunkt „value for money“ (vgl. Kapitel 5.1.2) der Fall, die zu teilweise ungünstigen Gebietszuschnitten führte. Um solche Situationen zukünftig zu vermeiden, wird vorgeschlagen, auf Programmvorgaben zu verzichten, die auf der kommunalen Ebene Entscheidungen erfordern, die nicht mehr der jeweiligen individuellen Situation entsprechen (können). Auch sollte überlegt werden, Programmvorgaben, die sich auf Ziele der Gebietsentwicklung beziehen, nicht zu detailliert bzw. zu bindend zu gestalten, damit kommunale Konzepte zur Programmumsetzung mehr sein können als umfangreiche Auflistungen von Voraussetzungen für eine Bewilligung von Fördergeldern. 2. Wie schon für die kommunale Verwaltungsebene empfohlen, sollten auch auf „Programmgeber“-Seite unbürokratische Verfahren zur flexiblen Anpassung von Programmgebietsgrenzen im laufenden Arbeitsprozess ermöglicht werden. 3. Damit geht die Empfehlung einher, für Programme zur integrierten Gebietsentwicklung ein mehrstufiges Umsetzungsverfahren einzuführen, um der intendierten Zusammenarbeit von Verwaltungs- und Alltagsebene den notwendigen „Raum“ zu verschaffen. Denkbar ist die Unterteilung eines Programmzeitraums in drei Phasen: 䊏
Untersuchungsphase: quantitative und vor allem qualitative Untersuchungen potenzieller Programmgebiete/„Sozialräume“; erste Überlegungen zu Entwicklungszielen; 䊏 Probephase: „Vor-Ort“-Arbeit mit provisorischen Gebietsgrenzen und modifizierbaren Entwicklungszielen; intensive Einbeziehung von Quartiers-
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bevölkerung und anderen lokalen Akteuren, um im Vorfeld der eigentlichen Programmdurchführung möglichst viele „alltagsweltliche Orte“ sowie raumrelevante „Vor-Ort“-Ziele kennenlernen zu können; 䊏 Durchführungsphase: auf der Basis guter „Vor-Ort“-Kenntnisse Festlegung von Programmgebietsgrenzen und Entwicklungszielen, die allerdings im laufenden Prozess modifiziert werden können. 4. Ebenfalls empfiehlt sich die Verankerung einer Verstetigungsphase im Programmverlauf, in der die aufgebauten („Raum“-) Organisationsstrukturen, eingeleiteten Kooperationsprozesse, eingerichteten Akteursnetzwerke und durchgeführten bzw. begonnenen Projekte in Richtung Selbstständigkeit von Sonderförderungen stabilisiert bzw. weiterentwickelt werden. Über diese Empfehlungen an die gebietsbezogen handelnden Akteure im Rahmen entsprechender Förderprogramme und kommunaler Ansätze hinaus muss es insgesamt auch darum gehen, den Gegensatz eines vergleichsweise theorielosen Pragmatismus bei der Abgrenzung von kommunalen Zuständigkeits-„Räumen“ und eher umsetzungsfernen theoretischen Diskursen über die Produktion von Raum gewinnbringend für beide „Seiten“ zu überwinden. Eine stärkere Betrachtung der Schnittstellen zwischen (akademischer) Theorie und (kommunaler) Praxis kann dazu führen, zukünftig weniger in Gegensätzen eines „entweder – oder“ als vielmehr im Sinne eines „sowohl als auch“ zu denken. Mit der vorliegenden Untersuchung wurde versucht, dazu einen Beitrag zu leisten.
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Anhang: Liste der (Gruppen-)Interviews Stadt
Ebene (Verwaltung, lokales Quartiermanagement)
Funktionsbereich zur Zeit der Interviewdurchführung
Interviewdatum
Berlin
lokales Quartiermanagement
QM Schöneberg-Nord (4 Personen)
09.09.2003
Berlin
Verwaltung
Jugendamt Berlin-TempelhofSchöneberg (2 Personen)
24.06.2003 23.07.2003
Berlin
(Verwaltung): Ortsteilmanagement
Jugendamt Berlin-TempelhofSchöneberg (1 Person)
23.07.2003
Leipzig
Verwaltung
Amt für Stadterneuerung und Wohnungswesen (3 Personen)
12.06.2003 16.07.2003 17.07.2003
Leipzig
Verwaltung
Stadtteilmanagement Leipziger Osten (1 Person)
12.06.2003
Leipzig
Verwaltung
Jugendamt (1 Person)
12.02.2004
Leipzig
lokales Quartiermanagement
QM Leipziger Westen (2 Personen)
17.12.2003
Leipzig
lokales Quartiermanagement
QM Leipziger Osten (1 Person)
18.06.2003
Dortmund
Verwaltung
Stadtplanungsamt (3 Personen)
11.11.2003 10.09.2004
Dortmund
Verwaltung
Jugendamt (1 Person)
09.09.2004
Dortmund
lokales Quartiermanagement
Trägerverein für lokale Quartiermanagements („Planerladen e.V.“; 2 Personen)
11.11.2003
Dortmund
lokales Quartiermanagement
QM Hafen (2 Personen)
08.09.2004
Dortmund
lokales Quartiermanagement
QM Borsigplatz (1 Person)
10.09.2004
Dortmund
lokales Quartiermanagement
QM Nordmarkt (2 Personen)
09.09.2004
Essen
Verwaltung
Büro Stadtentwicklung (2 Personen)
16.09.2003
Essen
Verwaltung
Geschäftsbereich Jugend und Soziales (1 Person)
26.01.2004
Essen
Verwaltung
Jugendamt (1 Person)
28.01.2004
Essen
lokales Quartiermanagement
ehemaliges QM Katernberg und Altendorf
26.01.2004
Essen
lokales Quartiermanagement
QM Katernberg (2 Personen)
25.03.2004
Essen
lokales Quartiermanagement
QM Altendorf (3 Personen)
25.03.2004
T. Franke, Raumorientiertes Verwaltungshandelnund integrierte Quartiersentwicklung, DOI 10.1007/978-3-531-92856-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011