Die Wächter von Caalis von HORST HOFFMANN Die Hauptpersonen des Romans: Christine, Skip, Harry Vanderbuilt und Christop...
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Die Wächter von Caalis von HORST HOFFMANN Die Hauptpersonen des Romans: Christine, Skip, Harry Vanderbuilt und Christopher Reed — Die Terraner verbreiten Angst und Schrecken. Cera — Das geheimnisvolle Kind macht eine Metamorphose durch. Der „Alte“ — Letzter Oberlebender der alten Loorden. Gust — Ein Androide mit Minderwertigkeitskomplexen. Xolcaht — Ein fremder Raumfahrer schwört Rache.
Vorspiel Irgendwo im Sternengewimmel einer unvorstellbar weit von der Erde entfernten Galaxis stand eine gelbe Sonne einsam im All. Noch vor kurzem hatte sie einen Begleiter gehabt. Der Planet war unter unbegreiflichen Umständen verschwunden. An seiner Stelle trieb ein Raumschiff lautlos im ewigen Schwarz des Weltraums. Das Schiff hatte die Form eines flachen Diskus. Nichts deutete darauf hin, daß in seinem Innern irgend etwas lebte. Dann und wann gingen geisterhafte Veränderungen mit ihm vor. Die Hülle wurde transparent und drohte sich aufzulösen. Schließlich stabilisierte die Erscheinung sich jedoch wieder. Langsam trieb das Schiff auf die Sonne zu. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es in den Glutball stürzen würde. Tage, Wochen und Monate vergingen, ohne daß sich bei dem Diskus etwas regte. Dann brach der Weltraum wenige Kilometer entfernt auf und spie ein zweites Schiff aus. Es war eine große Kugel mit netzartiger Hülle, aus der unzählige antennenartige Instrumente ragten. Der Raumer nahm die wahnsinnige Geschwindigkeit zurück, mit der er aus dem Hyperraum gekommen war, und näherte sich dem Diskus. Nach mehreren Stunden öffnete sich eine große Schleuse, und ein ovales Beiboot schob sich aus dem Leib des Mutterschiffs. Langsam schwebte es auf den Diskus zu. Große Gestalten in Raumanzügen stiegen aus und machten sich an der Hülle des treibenden Schiffes zu schaffen. Bereits nach kurzer Zeit hatten sie einen Einstieg gefunden und verschwanden in der Schleuse. Im Kontrollraum der großen Kugel standen Dutzende der fremden Raumfahrer vor den Beobachtungsschirmen. Sie waren etwa zwei Meter groß und glichen entfernt einem Menschen, was ihre Gestalten anging. Die Raumfahrer waren Echsen. Es war der erste Sternenflug ihrer Rasse. Ein Zwischenziel ihrer Expedition sollte diese gelbe Sonne sein. Der Planet, der sie umlief, tauchte immer wieder in den uralten Mythen der Echsen auf. Aber der Planet war verschwunden. Nur das fremde Schiff trieb im Raum. Die Echsen waren nicht auf eine so rasche Begegnung mit anderen Intelligenzen vorbereitet gewesen. Nach langem Zögern hatten sie sich entschlossen, eine Gruppe hinüberzuschicken, nachdem alle Kontaktversuche erfolglos geblieben waren. Über Funk wurden die Echsen in der großen Kugel von ihren Gefährten auf dem laufenden gehalten. Schon bald breitete sich Besorgnis auf den Mienen der Wesen aus, als sie die Berichte hörten. Ihre Vermutung, auf ein Totenschiff gestoßen zu sein, schien sich zu bewahrheiten. Und doch hatten die Frauen und Männer des Enterkommandos Angst. Gerade als der Koordinator den Rückzug befehlen wollte, brach die Verbindung ab. Als schlüge der Hauch des Unheimlichen herüber ins Mutterschiff, brach eine Panik aus. Dort
drüben beim Diskus geschah etwas Grauenhaftes, das spürten die Echsen instinktiv. Entgegen ihrer Mentalität gerieten sie völlig außer Rand und Band. Sie fingen an, unsinnige Dinge zu tun und in die Gänge der Kugel hinauszulaufen. Der Koordinator versuchte vergeblich, die Ordnung an Bord wiederherzustellen. Eine Angst, die bis zu den Wurzeln der Existenz ging, hatte sich in die Gehirne der Echsen geschlichen. Irgend etwas schien von dort drüben in ihre Kugel einzudringen und sie alle in den Wahnsinn zu treiben. Was lebte in diesem Diskus? Plötzlich erschienen die Mitglieder des Enterkommandos in der Öffnung des Fremdschiffs und stürzten sich Hals über Kopf in das Beiboot. Wilde Hoffnung keimte in dem Koordinator und den wenigen Raumfahrern auf, die an seiner Seite geblieben waren. Dann geschah das Unfaßbare. Das Boot beschleunigte mit Höchstwerten und raste direkt auf die Sonne zu. Auf einmal stand der Kontakt wieder. Auf den Schirmen waren die vor Grauen verzerrten Gesichter der Echsen im Beiboot zu sehen. Die Lautsprecher im Kontrollraum des großen Schiffes produzierten unverständliche Sätze. Immer wieder tauchten die gleichen Begriffe auf: Schatten, die das fremde Schiff beherrschten, teuflische Schemen, geisterhaftes Leben... Plötzlich fuhr eine Stichflamme aus dem Boot. Sekundenbruchteile später verging es in einer grellen Explosion. Das war das Signal. Die Raumfahrer überall an Bord der großen Expeditionskugel liefen Amok. Strahlschüsse zischten in den Gängen. Der Koordinator sah hilflos zu, wie sie sich umbrachten. Ohne sich darüber bewußt zu sein, zog er seine Waffe aus dem Gürtel und richtete sie gegen seine Brust. Das alles ist nicht real, durchfuhr es ihn noch einmal. Dann drückte er ab. Der erste Sternenflug der Echsen hatte sein Ende gefunden, ehe er überhaupt richtig begonnen hatte.
1. Mit gemischten Gefühlen sah der alte Mann im Pilotensitz der Zentrale dem Ende des Überlichtflugs entgegen. El war nicht nur die Angst vor dem, das sie finden würden. Die Unsicherheit saß tiefer, und sie hatte einen Namen: Cera! Der Alte, letzter Überlebender der alten Loorden, versuchte, sich die Zelt mit allen möglichen Berechnungen zu vertreiben. Auf Loord hatte er sich in den noch erhaltenen Anlagen und einigen Walzenschiffen neue Unterlagen über den Kurs der Saatflotte zusammengesucht, aus denen er nun die Erfolgswahrscheinlichkeit der Mission ermitteln wollte. Die Erde konnte kein Zufall sein. Überall im All mußten sich inzwischen ähnliche Rassen entwickelt haben. Wenn es Cera und ihm gelang, auch ihre letzte Aufgabe zu lösen, dann würde er nach jenen neuen Kulturen suchen müssen. Er hatte eine Ewigkeit dazu Zeit. Augenblicklich jedoch bewegten ihn andere Sorgen. Er drehte sich mit dem Schwenksessel um und rief nach einem der drei Androiden, die außer ihm in der Zentrale waren. Ein dürrer Mann in der gelben Uniform der Loyalen steckte seinen Kopf hinter einem Pult hervor und sah seinen Meister fragend an. Der Alte stöhnte. „Komm her, Gust!“ Der Androide schob seinen dünnen Körper ganz hinter dem Pult hervor und kam in lässigem Gang näher. „Gust“, begann der Loorde. „Bevor Ich zur Toilette ging, lagen auf diesem Tisch“, er zeigte auf sein von kleinen Monitoren und Eingabeeinheiten gespicktes Arbeitspult, „zwei Mappen
mit Folien. Jetzt sind sie weg. Kannst du mir das erklären?“ Der mit „Gust“ angeredete Androide zuckte die Schultern. „Ich habe sie nicht genommen, Herr.“ Der Alte schloß die Augen und stöhnte erneut. Während seines Aufenthalts auf Loord hatte er kaum mit den Androiden zu tun gehabt. Paac hatte alles für ihn erledigt. Nach der Entdeckung der Station der Caaliter und Ceras Rückkehr war alles sehr schnell gegangen. Während das Kind dafür gesorgt hatte, daß die Rebellen sie in Ruhe ließen, hatte der Alte in aller Eile ein Schiff ausgerüstet und eine Besatzung aus den loyalen Androiden zusammengestellt, die den Raumhafenkomplex bevölkerten. Er hatte sich die Leute nicht aussuchen können. Und so war er erst hier an Bord dahintergekommen, daß die Kunstgeschöpfe, die sich für die wahren Loorden hielten, mittlerweile gewisse Eigenarten entwickelt hatten. „Gust“, sagte der Alte geduldig, „ich fragte dich nicht danach, ob du sie genommen hast, ich fragte, ob du mir das Verschwinden erklären kannst!“ „Ich verstehe nicht, Herr...“ Ruhig bleiben, ermahnte sich der Loorde. „Ich muß also deutlicher werden: War deine Frau während meiner Abwesenheit in der Zentrale?“ Gust schluckte sichtbar. Seine Selbstsicherheit schien plötzlich ins Schwanken zu geraten. „Meine... meine Frau?“ Der Alte hielt es nicht mehr aus. „Ja!“ brüllte er Gust an. „Ich will wissen, ob dieses staubwischende, ordnungsbesessene Ungeheuer in der Zentrale war, speziell ah meinem Arbeitspult!“ Gust schluckte erneut. Der Alte fragte sich, womit er diese Besatzung verdient hatte. Monatelang hatte er unter ihnen gelebt, aber erst an Bord dieses Schiffes war es ihm klargeworden, daß die loyal gebliebenen Androiden fast ohne Ausnahme einen Knacks hatten. Er wußte, daß Paac, der bei den Kämpfen mit den Rebellen umgekommen war, in ihnen die Nachfolger der alten Loorden gesehen hatte. Paac mußte gewußt haben, was für Originale seine Brüder und Schwestern waren. Wenn er ihnen trotzdem vertraut hatte... „Schon gut“, sagte der Alte deshalb zu Gust. „Ich werde sie selbst fragen.“ Gust war sichtlich froh, sich zurückziehen zu können. Erst, als er den Rücken des Alten sah, nahm er wieder seine lässige Haltung an und grinste seine beiden Kollegen an. Der Loorde tippte eine Taste. Sofort leuchtete ein Monitor auf und zeigte ein Symbol. Dann erschien das Bild einer molligen Frau mit einem überdimensionalen Staubsauger auf dem Schoß, den sie anscheinend gerade reparierte. „Margarethe“, begann der Alte geduldig. „Ich vermisse zwei Mappen auf meinem Pult. Kannst du mir sagen, wo sie...“ „Die Mappen sind da, wo sie hingehören“, erklärte die Androidin ungerührt. „Im Schrank 7c, zweites Regal. Ich habe mir erlaubt, Ihre Abwesenheit zu nutzen, um etwas Ordnung in die Zentrale zu bringen, Herr.“ Der Alte stand kurz vor einem Wutausbruch. Nur die treuen Augen Margarethes, wie er den weiblichen Androiden getauft hatte, hielten ihn davon ab. Im Grunde meinte sie es ja gut. „7c, zweites Regal“, wiederholte er. „Was hat er?“ „Wer?“ „Der Staubsauger.“ „Ich bitte Sie, Herr“, sagte Margarethe vorwurfsvoll. Fast schwang so etwas wie Mitleid in ihrer Stimme mit. „Dieser Reinigungsautomat der 5. Generation ist ein vollautomatischer Staubdetektor mit Konzentrationsdichtespürer, automatischer Stufenregelung...“ „Schon gut“, beeilte sich der Loorde zu versichern. „Du wirst ihn schon wieder in Ordnung bringen.“ Er unterbrach schnell den Kontakt, als Margarethe zu einer Analyse des Defekts ansetzen wollte.
Eigentlich war es eine Laune von ihm gewesen, die Androiden mit Namen von Menschen zu versehen, die er während seiner Odyssee auf der Erde kennengelernt hatte. Margarethe zum Beispiel erinnerte ihn an eine Frau, bei der er einige Jahre Unterschlupf gefunden hatte. Der Gedanke an die Erde brachte ihn wieder in die Realität zurück. Wenn Ceras Andeutungen zu glauben war, warteten irgendwo dort vor ihnen Skip und seine Gefährten auf sie. Vielmehr das, was von ihnen geblieben war, als sie in die Vergangenheit gestürzt waren. Cera hatte versucht, es ihm zu erklären: Kein Körper konnte ohne weiteres seine Zeitlinie verlassen. Und wenn es doch geschah, blieb ein energetisches Pendant von ihm zurück. Der Alte hatte oft versucht, sich etwas darunter vorzustellen. Festzustehen schien nur, daß seine Freunde in irgendeiner Form noch in dieser Zeit existieren mußten. Ein Bildschirm flammte auf. Ceras Gesicht erschien auf ihm. „Ich kann sie spüren“, sagte das Kind. „Wir sind gleich da.“ „Die Austrittskoordinaten stimmen noch?“ erkundigte sich der Alte. „Die Abweichungen sind minimal. Ich komme in die Zentrale.“ Der Schirm erlosch. Ein kalter Schauer lief dem Loorden den Rücken hinunter, wie immer, wenn Cera sich in seiner Nähe befand. Die Zeiten, als sie nichts weiter war als das verspielte Kind, waren endgültig vorbei. Seit ihrer Rückkehr aus der Vergangenheit war sie erwachsen. Dabei war sie kaum anderthalb Jahre alt! Äußerlich wirkte Cera wie eine Sechsjährige, und geistig hatte sie eine Reife erlangt, die der Alte nicht einmal ahnen konnte. Immer wieder fragte er sich, wo Cera aufhörte und wo das begann, das sich hinter der kindlichen Fassade verbarg. Cera kam in die Zentrale. Sie wirkte jetzt wieder ausgelassen. Mit einem Sprung landete sie im Pilotensessel und starrte auf das Muster, das während des Fluges im Hyperraum auf die Schirme projiziert wurde. Der Alte ließ sich von dem naiven Getue Ceras nicht täuschen. Er ahnte, daß sie ihn nur beruhigen wollte. „Du kannst sie... spüren!“ fragte er. Sie nickte. „Was ist mit ihnen los? Haben wir eine Chance?“ „Ich weiß nicht“, sagte das Mädchen. „Sie sind in ihrem Schiff, genau an der Stelle, wo die Zeitlinien auseinanderfließen. Aber sie sind... anders. Sie verändern sich...“ Ein Signal kündigte das Ende des Überlichtflugs an. Fast deprimierend wurde dem Alten bewußt, welche Macht hinter Cera stecken mußte, wenn sie die Terraner aus dem Überraum heraus wahrnehmen konnte - auf Dutzende von Lichtjahren Entfernung! Die Spannung in dem Loorden stieg. Was erwartete sie, wenn sie in den Normalraum zurückfielen, dort, wo Caalis im All gestanden hatte? Er spürte, daß eine Entwicklung zu Ende gegangen war. Ein Kreis hatte sich geschlossen. Von nun an waren sie nicht mehr die Marionetten einer fast perfekten Vorsehung, sondern auf sich selbst gestellt. Sie suchten den letzten Stein des gewaltigen Mosaiks, in das es sie hereingerissen hatte. Irgendwo vor ihnen befand sich das, was von seinen Gefährten geblieben war. Es mußte alles versucht werden, sie zu retten. Denn daß sie sich in großer Gefahr befanden, daran zweifelte der Alte nach Ceras Andeutungen nicht mehr. Mehr beschäftigte ihn die Frage, ob sie überhaupt noch die waren, die er gekannt hatte... Sie hatten zusammen eine ganze Vergangenheit bewältigt und das Grauen von den Welten des Universums abgewendet. Nun ging es um die Zukunft. Die Menschen waren der Schlüssel dazu. Nur über sie führte der Weg zu Cera. Ein weiteres Signal, dann erschien übergangslos das Bild des Weltraums auf den Schirmen. Der Alte erkannte die Konstellationen auf Anhieb. Sie waren am Ziel. Cera erschien plötzlich erregt. Und dann sah der Loorde den Reflex. Sofort korrigierte er sich.
Es waren zwei. Zwei Schiffe... * Das fremde Schiff war kugelförmig. Netzartige Auswüchse bedeckten die Außenhülle und verliehen ihm ein skurriles Aussehen. Cera saß neben dem Alten vor der Hauptkontrollbank und wirkte abwesend. Sie lauschte in sich hinein. Der Anblick des Raumers weckte Unbehagen in dem Loorden. Sie waren auf einen halben Kilometer heran und konnten jede Einzelheit der Hülle ausmachen. Der Diskus trieb nur wenige Kilometer entfernt vor der Kulisse der Sterne. Der Alte rührte sich nicht, um Cera nicht zu stören. Sein Blick hing an der Kugel. Bisher hatten sie kein Lebenszeichen aus dem Schiff empfangen. Ein Kontaktversuch war gescheitert. Eine grauenhafte Vision stand plötzlich wieder vor den Augen des Alten: Hunderte von Walzen, die leblos ihre Bahn durch den Weltraum zogen. Der Zug der Totenschiffe von Loord. Irgend etwas sagte ihm, daß sie auch dort drüben, an Bord der Kugel, kein Leben finden würden. Cera fuhr plötzlich zusammen. Der Alte erschrak, als er den entschlossenen Blick des Kindes sah. Ceras kleine Hand hieb auf ein paar Tasten. Ein mattblauer Schirm baute sich um das Schiff auf. „Hast du etwas gefunden?“ Cera nickte. „Dort drüben lebt noch jemand. Aber er ist nicht mehr bei Verstand. Wir müssen in das Schiff. Kannst du springen?“ Der Loorde stieß einen Pfiff aus. „Aber was ist mit unseren... mit deinen Eltern, mit Harry und Christopher? Wir sind hier, um sie zu retten.“ Cera winkte ab. „Dazu ist Zeit genug. Wir müssen in die Kugel. Wir springen, ich helfe dir.“ Der Alte stand vor seinem Pult und starrte Cera aus weitaufgerissenen Augen an. Natürlich konnte er mit ihr hinüberteleportieren, aber das kostete Kraft. Wenn plötzlich eine schnelle Reaktion erforderlich war... Cera nahm die Hand des Loorden. „Es wird in den nächsten Stunden und Tagen viel geschehen, das du nicht verstehst, alter Freund. Aber, am Ende steht die Antwort. Du mußt Vertrauen haben. Versuchen wir’s?“ Jetzt wußte der Alte, daß das andere in Cera die Regie übernommen hatte. Von nun an war er nur noch Statist. Er nickte widerwillig. Cera lächelte, ergriff seine Hand fester und nickte ihm auffordernd zu. „Er bringt sich um!“ rief sie dann plötzlich. Der Alte fragte nicht weiter, sondern sprang. * Das erste, was sie sahen, waren tote Echsen. Überall lagen sie herum: auf den in finsteres Dämmerlicht getauchten Korridoren, in den offenen Einstiegen, in Aufenthaltsräumen, auf Instrumentenbänken. Seltsamerweise spürte der Alte nichts von der Erschöpfung, die ihn normalerweise nach einem Sprung befiel. „Lebt er noch?“ Cera nickte. Sie wirkte wieder konzentriert. Wahrscheinlich esperte sie.
Der Alte kam auf einen Gedanken, während sie den Gang, in dem sie gelandet waren, entlanggingen. Wenn ihm ein entsprechender Pol zur Verfügung stand, konnte auch er Gedankenbilder lesen. Cera war ein solcher Pol. Er konzentrierte sich und versuchte, in ihr PSI-Feld einzudringen. Sofort zuckte er zusammen. Bitte nicht! Wie in großen Leuchtlettern standen die Worte in seinem Bewußtsein. Dann spürte er den Block um Ceras Gedanken. Sie ließ sich nichts anmerken. An einer Gabelung blieb sie kurz stehen. „Hier entlang!“ Sie bog nach links ein und stieg eine Art Wendeltreppe hinauf, die auf ein höheres Deck führte. Sie begann zu laufen. Vor ihnen tauchte ein großes Schott auf. Es war offen. Unbekannte Instrumente leuchteten ihnen entgegen. Dann waren sie in der Zentrale der Kugel. Überall lagen tote Echsen im Raum. Es war ein grauenvoller Anblick. Die meisten hielten noch ihre Waffen umklammert, mit denen sie sich selbst umgebracht hatten. Was mochte hier geschehen sein, das diese Wesen in den Tod getrieben hatte? Der Alte spürte, wie eine eisige Kälte sich auf seine Glieder legte. Warum mußte er ausgerechnet jetzt an den drüben im All treibenden Diskus seiner Freunde denken? „Hier ist er“, sagte Cera und beugte sich über eine Echse, die reglos in einem seltsam geformten Sessel hing. Sie lauschte wieder. Fast andächtig beobachtete der Loorde die Prozedur. „Die Echse stirbt vor Angst“, erklärte sie. „Wir müssen sie mitnehmen und beruhigen. Dann erholt sie sich.“ „In unser Schiff?“ „Warum nicht? Wenn wir Glück haben, spricht sie auf ein Beruhigungsmittel an. Wir springen zurück!“ Der Alte fragte nicht weiter. Er hatte noch nie einen Sprung mit zwei Begleitern gemacht. Aber Cera würde es nicht verlangen, wenn er es nicht schaffen konnte. Sie verwirrte ihn immer mehr. Einerseits stand ihr eine ungeahnte Machtfülle zur Verfügung. Dann aber schienen ihr wieder Grenzen gesetzt. Wie jetzt. Sie brauchte seine Hilfe. Warum? Er nahm Ceras Hand und packte den kalten Arm der Echse, die keinerlei Lebenszeichen von sich gab. Dann sprang er. Sie materialisierten genau in der Zentrale ihres Diskusschiffs. Der Loorde wischte sich den Schweiß von der Stirn und stieß die Luft aus. Er spürte einen leichten Schwindel, aber keine Erschöpfung. Cera bemerkte es und lächelte ihm geheimnisvoll zu. „Gust! Mahad!“ rief der Alte. Sofort war Mahad, ein ziemlich korpulenter Androide, zur Stelle. Gust erkundigte sich von seinem Platz aus, was vorläge, dann kam auch er langsam heran. Der Loorde nahm sich vor, bei Gelegenheit ein paar Worte mit Gust zu reden. „Tragt die Echse in die Medostation, und gebt ihr eine Injektion zur Beruhigung.“ „Ich komme mit“, fügte Cera hinzu. Die beiden Androiden packten den schweren Körper, der in eine in allen Farben schillernde Uniform gekleidet war, und machten sich auf den Weg. Irgendein seltsames Summen drang aus einer Ecke der Zentrale. Der Alte achtete nicht darauf und trat vor seine Schirme. Die Kugel der Echsen stand groß und imposant auf ihnen. Der Alte schätzte den Durchmesser des Schiffes auf 150 Meter. Eine stumme Anklage schien von dem Totenschiff auszugehen. Unwillkürlich wanderte der Blick des Loorden hinüber zu dem kleinen Punkt, der den Diskus markierte. Er ahnte, daß ein Zusammenhang bestand. Aber welcher? Wenn die Echse sich erholte, würden sie sich über die Übersetzer verständigen können.
Vielleicht erfuhren sie dann einen Teil des Dramas, das sich dort draußen abgespielt hatte. Er ahnte den Grund, aber er weigerte sich, das, was sein Verstand ihm eingab, zu akzeptieren. Das Summen! Jetzt war es stärker geworden. Der Alte ließ seinen Blick aufmerksam durch die Zentrale wandern. Dabei entdeckte er, daß einige Folienstapel und Geräte seltsam geordnet beieinander lagen. Er hatte seine Hilfsmittel, Schreibgeräte und Tabellen, immer so sortiert, daß er schnell zur Hand hatte, was er brauchte. Jetzt würde er wahrscheinlich eine Ewigkeit brauchen, um dies oder jenes wiederzufinden. Ein Verdacht beschlich den Mann. Das Summen kam aus einer Ecke, die von Konsolentischen und kleinen Pulten ausgefüllt war. Ein paar Erfrischungsautomaten verdeckten die Sicht. Der Alte ging vorsichtig darauf zu, um nach dem Rechten zu sehen. Als er noch etwa zwei Meter vor den Automaten stand, schoß ein blinkendes Etwas aus dem Labyrinth aus kleinen Tischen und Pulten hervor und raste auf ihn zu. Noch bevor er zur Seite springen konnte, wurden ihm die Beine weggeschlagen, und der Alte landete unsanft auf dem Rücken. Entsetzt sah er, daß das Ding kehrt machte und wieder auf ihn zukam. Und jetzt erkannte er das Gerät auch wieder. Mit einem Fluch wich er aus und versetzte dem Automaten einen heftigen Tritt, der ihn erst einmal aus dem Gleichgewicht brachte. Aber irgendein Mechanismus sorgte dafür, daß er erneut aufgerichtet wurde. Unbeirrt näherte das Ding sich wieder. Der Alte sprang auf und rannte auf sein Pult zu. Dann kletterte er auf seinen Pilotensessel. Mit der freien Hand drückte er eine Taste. Ein Schirm flackerte auf. Wenig später zeigte sich ein bekanntes Gesicht. „Margarethe!“ fuhr der Alte die Frau an. „Komm her und stell dein verdammtes Teufelsding ab, oder...“ Er sah sich um und griff nach einer herumliegenden Strahlwaffe, „... oder ich schmelze es vor deinen Augen zusammen!“ „Das dürfen Sie nicht, Herr! Der Automat ist unersetzlich.“ Margarethe starrte entgeistert auf die Szene, die sich ihr auf ihrem Kabinenmonitor zeigte. „Ich zähle bis drei!“ Der Alte bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, daß der Automat versuchte, sich an der Verankerung des Sessels aufzurichten, und zielte auf das Gerät. „Eins!“ „Nicht, Herr! Sie zerstören einen unersetzlichen Reinigungsautomaten der fünften Generation! Den ersten mit Variosensorsystem. Ich muß darauf hinweisen, daß...“ „Zwei!“ Eine Hand wurde sichtbar und fuhr auf den Schirm zu. „Ich bin sofort da, Herr!“ Der Schirm wurde dunkel. Keine zehn Sekunden später erschien Margarethes fülliger Körper in der Zentrale. Mit einem Knopfdruck schaltete sie den Automaten ab. Der Alte wartete einen Moment, dann stieg er von dem Sessel herunter. „Was hat dieses Ding in der Zentrale zu suchen, Margarethe?“ Die Frau zuckte zusammen. Das schlechte Gewissen stand deutlich sichtbar auf ihrem Gesicht. „Ich rechnete mit einer längeren Abwesenheit und wollte die Zeit nützen, um...“ „Ein für allemal: Wenn ich dich in der nächsten Woche auch nur ein einziges Mal in der Zentrale erwische, sperre ich dich ein! Verstanden? Das gilt auch für deine Blechungeheuer. Wenn ich eines sehe, schmelze ich’s zusammen, ohne Zögern. Klar?“ Margarethe senkte den Kopf. „Verstanden, Herr“, sagte sie leise und machte Anstalten, zu gehen. „Noch etwas!“ „Ja, Herr?“
„Schicke mir Gust her, wenn du ihn siehst. Ich habe mit ihm zu reden.“ Sie nickte und wollte endgültig gehen. Kurz vor dem Ausgang blieb sie stehen und sah den Loorden vorwurfsvoll an. „Sie haben ihn kaputtgemacht!“ Der Alte stöhnte. „Was habe ich?“ Margarethe zeigte eine Karte vor, die der Staubentfernungsautomat ausgespien hatte. „Ein schwerer Erschütterungsdefekt an der dritten Saugstufe. Ich werde Stunden brauchen, um ihn wieder...“ „Raus!“ brüllte der Alte. Margarethe verschwand fluchtartig. * Die Echse hatte die Augen geöffnet und starrte Cera und den Alten schweigend an. Neben der Liege stand ein kleines Pult mit einem Übersetzer. Sobald er die Grundelemente der Echsensprache gespeichert und analysiert hatte, ermöglichte er eine Verständigung zwischen den so verschiedenen We-Cera schlug die Augen auf und informierte den Loorden. „Sie kommt langsam zu sich. Ich spüre keine feindlichen Schwingungen. Noch sitzt der Schock zu tief. Es hat mit unseren Freunden im Diskus zu tun.“ Der Alte nickte grimmig. Seine Befürchtungen hatten sich bestätigt. Wieder schlich sich das Grauen in sein Gehirn. Was, um alles in der Welt, ging dort drüben vor? Was war aus Skip und den anderen geworden? Wieder die bange Frage: Was erwartete sie in dem Diskus? Der Alte merkte, daß sich alles in ihm dagegen sträubte, in wenigen Stunden mit Cera an Bord des Geisterschiffs zu gehen. Aber nie würde er seine Freunde im Stich lassen. Was immer mit ihnen geschehen war, sie brauchten ihre Hilfe. Erste krächzende Laute kamen aus dem Mund der Echse. Der Übersetzer sprach an und speicherte die Sprachfetzen. Cera bedeutete dem Alten, zu schweigen. Die Echse bewegte den Kopf hin und her und stieß weitere zischende Laute aus. Offensichtlich redete sie in einem Fiebertraum. Nach fünf Minuten leuchtete ein gelbes Signal am Übersetzer auf. Von nun an übertrug das Gerät die Worte des fremden Raumfahrers in die Sprache der Loorden und zeichnete sie auf. Die Echse geriet in immer stärkere Erregung. Sie zerrte an den starken Riemen, die sie an die Liege fesselten. Dann ließ sie sich erschöpft zurücksinken. Der Loorde hatte Mitleid mit dem gepeinigten Wesen. „Sie schläft wieder“, erklärte Cera und ließ anschließend die Bandaufzeichnung abfahren. Es waren immer wieder die gleichen Worte, die die Echse im Wahn ausgestoßen hatte. Sie redete von geisterhaften Erscheinungen, dunklen Schatten und dämonischen Wesen an Bord des treibenden Diskusschiffs, die seine Artgenossen in den Wahnsinn und schließlich in den Tod getrieben hatten. Ein kalter Schauer nach dem anderen überlief den Loorden, während er dem Bericht lauschte. „Wir müssen hinüber“, sagte Cera sanft und ergriff des Alten Hand. „Sie brauchen uns.“
2. Nur von außen wirkte der Diskus leblos. In seinem Innern herrschte ein geisterhaftes Leben, hart an der Schwelle zum Jenseits. Sie hatten Christine, Skip, Harry und Christopher geheißen, bevor ihr Schiff in die
Vergangenheit geschleudert worden war.. Kein Körper konnte der Zeitlinie, die ihn trug, entfliehen und ein Vakuum hinterlassen, als hätte es ihn nie gegeben. Der Platz, den er eingenommen hatte, wurde durch ein halbenergetisches Pendant ausgefüllt, das sich nach dem Muster des verschwundenen Körpers bildete. Einfach ausgedrückt, hatten sich die Menschen verdoppelt, als sie ihre Zeitlinie verließen. Die Kräfte des Universums schufen ein Gegengewicht zu ihnen und dem Schiff, als sie verschwanden. Aber die Duplizierung war nur unvollständig. Die Wesen, die aus ihr entstanden waren, hatten keinen Willen. Irgendwo schlummerte in jedem von ihnen das Bewußtsein des Originalkörpers, der in der Vergangenheit verschollen war. Aber es war zu schwach, um durchbrechen zu können. Nur in der Stabilphase erkannten die Halbwesen sich selbst und die ganze Tragweite ihres Treibens. Sie waren halbenergetische, labile Schemen, deren Intensität sich ständig veränderte. Das Spektrum reichte von fast vollkommener Auflösung bis hin zur kurzen Phase der Stabilität. Das waren jene quälenden Sekunden, in denen das Bewußtsein nach oben gespült wurde, jedoch gleich darauf wieder in den Fluten des Wahnsinns versank. Haupttriebfeder ihres Handelns war der grenzenlose Haß auf alles, was wirklich lebte. Vielleicht gab es eine vage Chance, sie wieder zu dem zu machen, was sie einmal waren. Aber sie ließen niemanden an sich heran. Der Haß hatte sie in den Wahnsinn getrieben. Sie lagen auf der Lauer. Die Echsen waren erst ein Anfang gewesen. Bald würden andere folgen. Sie hatten Zeit. Davon, daß ihr Schiff langsam aber sicher in die Sonne trieb, ahnten sie nichts. Sie hatten jeden Bezug zur Realität verloren.
3. Der Alte stand neben Cera. Der Diskus stand still und drohend auf den Schirmen. Der Flug der Raumschiffe war jetzt synchron. Während Cera auf einen Raumanzug verzichtete, hatte der Loorde eine leichte Kombination übergestreift, deren Ausrüstung ihm weitestgehenden Schutz gewähren sollte. Der Alte ahnte nichts Gutes. Während seiner Abwesenheit würden sich die Androiden um das Schiff kümmern müssen. „Los!“ sagte Cera nur. Der Alte nahm ihre kleine Hand und sprang. Sie landeten in einem Rundkorridor, der nur spärlich beleuchtet war. Sie würden sich schnell orientieren können, denn in diesem Schiff waren sie bereits geflogen. Als erstes fiel die unheimliche Stille auf. Irgendwelche Aggregate arbeiteten immer an Bord eines Schiffes. Auch hier wurde Energie produziert, wie die schwache Gangbeleuchtung bewies. Langsam setzte Cera sich in Bewegung. Der Loorde folgte ihr nur zögernd und blickte sich um. Plötzliche Angst lahmte seine Bewegungen. Überall schienen unsichtbare Augen zu stecken und sie mit ihren Blicken zu durchbohren. Grinsende Fratzen in den Wänden und höhnisches Lachen überall! Auch Cera wirkte unsicher. Der Alte spürte ihre Ausstrahlungen. Cera ging langsam weiter. Der Loorde hielt sich dicht hinter dem Mädchen. Schließlich hatten sie den Zentrallift erreicht. Wie erwartet war er außer Betrieb. Der Alte schaltete seinen Antigravprojektor ein und nahm Cera in den Arm. Er stieß sich leicht ab und regulierte die Antischwerkraftwirkung so, daß sie sanft nach oben glitten, bis sie auf dem Zentraldeck angekommen waren. Sie traten auf den Korridor, der direkt zur Zentrale führte. Cera esperte. Sie schien
Schwierigkeiten zu haben. „Noch können wir zurück“, sagte der Alte leise, als ob überall unsichtbare Ohren versteckt wären und ihn hören konnten. Cera schüttelte energisch den Kopf. „Wenn wir ins Schiff zurückkehren und den ganzen Diskus mit Paralysatoren bestreichen...“ Er merkte, wie lächerlich er sich benahm. Cera setzte sich wieder in Bewegung. Er folgte ihr. Plötzlich war ein Geräusch hinter ihnen. Der Alte fuhr herum und sah entsetzt, daß ein Zwischenschott wenige Meter hinter ihnen zugefahren war. Der Weg zurück war abgeschnitten. Ruhig bleiben! sagte es in ihm. Wir können immer noch teleportieren! Sie erreichten die Zentrale. Vorsichtig traten sie ein. Der Alte stieß einen heiseren Schrei aus, als einer der Pilotensessel vor dem Panoramaschirm herumgefahren wurde. „Harry!“ brachte er hervor. Er machte ein paar schnelle Schritte auf die Erscheinung zu, bis er seinen Irrtum erkannte. Der Loorde drehte sich schnell um. Und da packte ihn das Grauen. Cera war verschwunden. Und von allen Seiten kamen sie auf ihn zu. * Gust war auf der Flucht. Als Margarethe mit dem defekten Reinigungsautomaten in ihre gemeinsame Wohnkabine gekommen war, hatte er bereits geahnt, was ihn erwartete. Wenn seine „Frau“ Ärger mit dem Chef hatte, war er derjenige, an dem sie ihn ausließ. Als Margarethe den Staubsauger absetzte und in einer ihrer Werkzeugkisten kramte, schlich Gust sich vorsichtig hinter ihrem Rücken zur Kabinentür. Dabei war er so konzentriert darauf, kein Geräusch zu machen, daß er ein herumliegendes Kabel übersah. Zwei Meter vor der rettenden Tür stolperte er darüber und riß den dazugehörenden Polierautomaten von Margarethes Tisch. Gust prallte mit der Stirn gegen die Wand, während der Automat auf den harten Boden polterte. Margarethe stieß einen schrillen Schrei aus und fuhr herum. Sie sah Gust am Boden liegen, aber ihre erste Sorge galt nicht ihrem Mann, sondern dem Polierer. „Kaputt!“ rief sie schrill. „Bist du noch zu retten, du Nichtsnutz? Ich werde dir helfen, warte!“ Sie sah sich um und fand einen abgebrochenen Besenstiel. Als sie sich auf Gust stürzen wollte, hatte dieser sich aufgerichtet und stürmte in den Korridor. Margarethe war sofort hinter ihm. „Bleib stehen, ich bekomme dich doch!“ schrie sie und versuchte, ihn mit dem Besenstiel zu erwischen. „Laß doch mit dir reden“, rief Gust im Laufen. „Ich mache dir einen neuen Automaten, einen viel schöneren!“ „Hah!“ kam es nur zurück. Gust übersprang ein Hindernis. Wenn er geradeaus weiterrannte, kam er in die Zentrale, aber er hatte wenig Lust, sich auslachen zu lassen. In die Unterdecks, zu den Booten! dachte er. Dort war Platz genug für ein Versteck. Er bog ab und rannte auf den Lift zu. Margarethe hatte ihn fast erreicht, als er sich hineinfallen ließ. Zu seiner Enttäuschung merkte Gust, daß er den falschen Schacht erwischt hatte. Dieser hier war aufwärts gepolt. Also verließ er ihn auf dem nächsten Deck und rannte weiter. Er hörte, wie hinter ihm der Besenstiel durch die Luft zischte. Hilflos sah er sich um und erkannte den Gang! Erst vor kurzem hatte er mit Mahad die Echse hier abgeliefert. „Halt endlich an, oder...“
Gust hörte nicht mehr, was passieren würde, wenn er weiterlief. Dafür spürte er plötzlich etwas Hartes zwischen den Füßen und schlug der Länge nach auf den harten Korridorboden. Der Besenstiel! Sein wildgewordenes Weib hatte ihm das Ding zwischen die Beine geworfen. Er drehte sich auf den Rücken und sah Margarethes triumphierendes Gesicht über sich. Und etwas anderes. „Paß auf!“ schrie er sie an. „Hinter dir!“ „Pah!“ machte der weibliche Androide. „Die Tricks helfen dir nicht mehr.“ Gust stotterte und zeigte mit weit aufgerissenen Augen auf die Gestalt, die sich hinter Margarethe aus der geöffneten Tür schob. „Die Echse!“ brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Margarethe wurde unsicher, aber es war bereits zu spät. Eine schuppige Faust sauste auf ihren Kopf herab und ließ sie zusammenbrechen. Gust starrte entsetzt auf die fast zwei Meter hohe Echse, von deren Armen noch die Riemen herabhingen, die sie an der Liege gehalten hatten. Er hatte sich oft gewünscht, daß einmal jemand kommen und Margarethe eine Tracht Prügel verabreichen würde, aber so hatte er es sich nun doch nicht vorgestellt. Die Echse trat auf ihn zu, während er vor Schreck kein Glied rühren konnte, und beugte sich über ihn. Gust wurde ohnmächtig. * Xolcaht wußte nicht mehr, was er tat. Die Angst hatte ihn wahnsinnig gemacht. Er hatte nur ein Ziel vor Augen: Das Geisterschiff, das seine Brüder und Schwestern in den Tod getrieben hatte, mußte vernichtet werden. Erst dann würde Xolcaht ihnen folgen können. Als er in der neuen Umgebung aufgewacht war, hatte eines dieser hellhäutigen Wesen versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Xolcaht war zu schwach gewesen, aber er hatte Bilder wahrgenommen. Er befand sich an Bord eines Raumschiffs, ganz in der Nähe des Geisterschiffs und seiner eigenen Raumkugel. Er wußte nicht, was die Wesen, die ihn aus seiner Kugel geholt hatten, mit dem Diskus zu tun hatten. Aber sein Verstand sagte ihm, daß es eine Möglichkeit geben mußte, das Schiff von hier aus zu vernichten. Xolcaht wollte nichts von diesen Hellhäutigen. Sie sollten ihm nur helfen, das Geisterschiff zu zerstören. Es stellte eine furchtbare Gefahr für alle raumfahrenden Völker dar. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Xolcaht nicht anders handeln können. Er fühlte Dankbarkeit den Fremden gegenüber. Er wollte keinen von ihnen verletzen. Aber er war nicht mehr frei in seinen Entscheidungen. Xolcaht war der letzte der Expeditionsgruppe. Mit dem Tod seiner Gefährten war die Verantwortung auf ihn übergeflossen. Zusammen mit dem Schock des Erlebten trieb sie ihn immer weiter in den Wahn, die Seinen rächen zu müssen, bevor er ihnen folgte. Als Xolcaht sich kräftig genug fühlte, um aufzustehen, zerriß er ohne viel Mühe die Riemen, mit denen man ihn festgebunden hatte. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Korridor. Als er die beiden Fremden sah, schlug er eines der beiden Wesen nieder und versuchte, das andere dazu zu bringen, ihn zur Zentrale dieses Schiffes zu führen. Aber der Fremde war zu schwach. Er erlitt bei Xolcahts Anblick einen Schwächeanfall. Xolcaht zischte ärgerlich und sah sich um. Er mußte den Weg selbst finden. Die Konstruktion dieses Raumschiffs glich im Grundprinzip dem der eigenen Kugel. Xolcaht fand einen Lift, der anstelle von Treppen die Decks miteinander verband. Nach fünf Fehlversuchen kam er auf dem Zentraldeck heraus. Mittlerweile war es ihm
gelungen, ein System in die überall angebrachten Farbmarkierungen zu bringen. Er fand ohne Schwierigkeiten die Zentrale. Zwei der glatthäutigen Fremden fuhren herum, als sie seine schweren Schritte hörten. Xolcaht hatte auf einem höher liegenden Schiffsdeck ein paar Kabinen durchgestöbert und dabei eine Strahlwaffe gefunden, die auch seine Rasse benutzte. Die Echse richtete den Strahler auf die Fremden und gab ihnen damit einen Wink. Sie traten neben den großen Bildschirm und verhielten sich still. Xplcahts Blick glitt über den Schirm, bis er den Diskus sah. Er trat an die Kontrollen. Die Farbmarkierungen ließen ihn schnell finden, wonach er suchte. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Auf einen Impuls hin verkleinerte sich der Aufnahmewinkel der Optik. Der Diskus wurde auf dem Schirm größer. Ein weiterer Tastendruck projizierte ein Fadenkreuz auf den Schirm. Xolcaht überzeugte sich davon, daß die beiden Fremden sich weiterhin ruhig verhielten und justierte die Zieloptik. Der Diskus wanderte in die Mitte des Fadenkreuzes. Ein rotes Rasterfeld auf dem Pult leuchtete auf. In seiner Mitte befand sich ein Knopf. Langsam fuhr Xolcahts Schuppenhand auf den Knopf zu... * Der Alte taumelte. Nur mit Mühe brachte er es fertig, sich auf den Beinen zu halten. Immer wieder fuhr er herum, wenn er ihre Stimmen hörte. Komm her! lockte es von allen Seiten. Hier sind wir! Panik erfaßte ihn. „Cera!“ rief er laut. „Komm zurück!“ Er verfluchte das Kind. Ohne Cera konnte er nicht springen. Er konnte sie nicht einfach zurücklassen. Ein Schott fuhr mit leisem Zischen auf. Die ganze Zeit über hatte er den Strahler in der Hand gehalten, aber er schoß nicht. Seine Hand zitterte heftig, als er die Waffe auf die Gestalt richtete, die jetzt langsam in die Zentrale kam. „Mach keine Dummheiten!“ sagte die Frau. Der Alte stutzte. War das nun eine Illusion oder nicht? „Christine...“ „Ja, alter Freund. Wir sind alle hier.“ Der Loorde wurde noch unsicherer. Die junge Frau mit den langen,. silbern schimmernden Haaren, die locker auf ihre Schultern fielen, kam weiter auf ihn zu. Sie lächelte ihn an wie in alten Zeiten. So perfekt konnte keine Illusion sein. Alles stimmte an der Gestalt, die Figur, die Art, wie sie sich bewegte, die Stimme... „Wo steckt ihr? Was passiert hier? Ich verstehe nicht...“ „Wir verstehen dich gut“, sagte die Frau. „Komm mit, sie warten auf uns.“ Der Alte erinnerte sich beim Klang der Stimme unwillkürlich an eine Sage, die er während seiner Zeit auf der Erde oft gehört hatte. Sie handelte von teuflischen Sirenen, die mit ihrem süßen Gesang unzählige Seefahrer der frühen irdischen Kultur ins Verderben gelockt hatten. Christines Stimme hatte jetzt etwas an sich, das ihn daran denken ließ. „Wo ist Cera?“ fragte er unsicher. Irgend etwas hatte sich auf sein Bewußtsein gelegt und verhinderte ein klares Denken. „Sie wartet mit den anderen bei uns. Ihr seid zu Hause.“ Christine drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten. Zögernd folgte der Loorde. Als sie auf dem Gang zum Lift waren, hatte er wieder das Gefühl, von unsichtbaren Augenpaaren verfolgt zu werden.
Es war mehr als ein Gefühl! Die Augen bohrten sich in seinen Rücken, in seine Brust, sie saßen in ihm! Christine bemerkte sein Zurückbleiben. Sie drehte sich um. Hinter sich hörte der Alte das Schott zur Zentrale zufahren. „Wenn du echt bist“, stieß er heiser hervor und hob wieder den Strahler, „wenn ihr alle wirklich echt seid, was soll dann dieser Spuk? Überall steckt er! Was spielt ihr, Chris?“ Und wieder sah er ihr entwaffnendes Lächeln, den spöttischen Ausdruck um die Mundwinkel. Wenn Christine eine Illusion war, dann hatte es nie eine perfektere gegeben. „Du mußt Vertrauen haben“, sagte sie nur und drehte ihm wieder den Rücken zu. Und jetzt sah er, daß ihre Füße einige Zentimeter über dem Boden schwebten! Der Loorde hielt den Laser mit beiden Händen. Trotzdem zitterte er, als er auf den Auslöser drückte. Der blaue Strahl fuhr mitten durch Christines Gestalt und zerschmolz die gegenüberliegende Wand. Die Erscheinung drehte sich um. Der Alte schrie in heller Panik auf und schoß weiter. Aus Christines Gesicht war eine Fratze geworden, die ihn diabolisch angrinste. Dann verschwammen ihre Konturen. Die Gestalt verschwand. Sie löste sich auf. Der Alte kam nicht zur Ruhe. Weitere Schotte fuhren geräuschvoll zu und isolierten ihn. Er war viel zu erregt, um sich auf eine Teleportation zu konzentrieren. Sie trieben ihr teuflisches Spiel mit ihm. Was hatten sie vor? Der Loorde fand einen Korridor, der nach außen abzweigte. Kaum hatte er den Gang betreten, da fuhr auch schon ein neues Schott hinter ihm zu und schnitt ihn weiter ab. Täuschte er sich, oder drang aus den Wänden ein feines Kichern? Plötzlich wußte er, worauf sie aus waren. Er kannte sich an Bord gut genug aus, um zu wissen, daß das Ende dieses Korridors durch eine Ausstiegsluke gebildet wurde. Es gab keine weiteren Abzweigungen, in die er sich flüchten könnte. Der Alte unterdrückte den aufkeimenden Wunsch, sich in sein Schicksal zu fügen und den schnellen Tod zu wählen. Er stülpte die Atemhaube über und schloß den Raumanzug. Überall stecken sie! durchfuhr es ihn. Überall! Sie amüsieren sich über meine Hilflosigkeit! Maßlose Wut stieg in dem Loorden auf. Sie allein trieb ihn vorwärts. Er fluchte. Hinter ihm fuhren Schotte zu, vor ihm taten sich neue auf. Dann hörte er das Ächzen von Metall. Im nächsten Moment wurde er von einer unsichtbaren Faust gepackt und nach vorne gerissen. Den Krach der Explosion nahm er nur unterbewußt wahr. Bunte Schemen tanzten vor seinen Augen, als er an den Trümmern der zerfetzten Luke vorbei ins freie All geschleudert wurde. Als der Alte wieder einigermaßen zur Besinnung kam, war der Diskus nur noch ein winziger Punkt im Licht der Sonne. Der Körper des Loorden wurde herumgewirbelt. Wenn es ihm nicht schnell gelänge, den Sturz aufzufangen, hatte er keine Chance mehr zur Rückkehr. Durch vorsichtige Gegenschübe aus den Steuerdüsen der Kombination versuchte er, seine Bewegung zu stabilisieren. Er vollführte wilde Sprünge, ehe er Erfolg hatte. Bevor ein weiterer Impuls ihn zurück zu den Schiffen bringen sollte, setzte das Aggregat aus. Der Alte schwebte hilflos im Raum. Über, unter und neben ihm nichts als die Schwärze des leeren Alls. Nur in der Ferne standen die drei Lichtpunkte der Schiffe. Und jetzt fuhr eine grelle Lichtbahn aus einem der Punkte, der sein eigenes Schiff sein mußte, und ver- ‘ fehlte nur knapp den Diskus der Terraner! Verzweifelt versuchte er, Funkkontakt zu seinem Schiff zu bekommen, ohne Erfolg! Hilflos mußte der Loorde mit ansehen, wie weitere Strahlbahnen auf das Terranerschiff zurasten. Was, zum Teufel, ging dort vor? Ohne Einflußmöglichkeit auf seinen Fall trieb der Alte im Raum. Sein Luftvorrat reichte für knapp zwei Stunden. Fast flehend rief er nach Cera. Aber es kam keine Antwort.
* Irgendwo zwischen den drei Schiffen trieb ein kleiner Körper im Weltraum. Der Körper war ohne Leben. Die Transformation war auch für Cera selbst überraschend gekommen. Zwar wußte sie, daß der Zeitpunkt der Loslösung von ihrer bisherigen Hülle nahe war, aber sie hatte nicht so schnell damit gerechnet. Während des Aufenthalts in der Vergangenheit hatte Cera ihre wahre Natur erkannt und nach der Rückkehr in der Caaliter-Station auf Loord die Vereinigung vollzogen. Sie war eins mit dem, das bisher aus dem Hintergrund ihre Aktionen gesteuert hatte. Cera wußte, daß mit der Zeitkorrektur durch die Terraner die gestellte Aufgabe noch nicht erfüllt war. Zwar hatten sie die Zeitlinie und damit ihre Gegenwart stabilisiert, aber jetzt ging es um die Zukunft. Cera dachte an den RING DER UNIVERSEN. Es würde lange dauern, bis wieder eine Verbindung zu den Paralleluniversen errichtet werden konnte. Ebenso wichtig war es, das Leben im eigenen Kosmos zu einer neuen Blüte zu führen. Dabei sollte den Terranern eine wichtige Rolle zufallen. Doch nicht nur diese Überlegungen trieben Cera dazu, sie aus ihrem Schattendasein zu befreien. Im Laufe der Monate war eine innige Bindung zwischen ihr und den Menschen entstanden, und das nicht nur, weil sie ihr die Hülle gaben... Cera hatte an Bord ihres Diskus schnell erkannt, daß sie dort handlungsunfähig war. Die Freunde steckten in einem halbstabilen Feld, das einen Eingriff unmöglich machte. Aber auch außerhalb dieses Feldes waren Cera Grenzen gesetzt. In der Vergangenheit hatte ihre kindliche Spontaneität oft eine Katastrophe heraufbeschworen. Auch das mußte korrigiert werden. Cera konnte nur bis zu einer gewissen Schwelle in die Entwicklung des Universums eingreifen. Um die Menschen zu retten, war noch einmal ein Eingriff nötig, aber der sollte so minimal wie möglich bleiben. Deshalb beschloß Cera, andere für sich handeln zu lassen. Sie steuerte nur deren Aktionen. Trotzdem konnte sie ihnen nicht helfen, wenn sie an Bord des Schattenschiffs in Gefahr gerieten. Cera suchte sich eine geeignete Person... * Gust kam langsam zu sich. Er schüttelte die Benommenheit ab und sah Margarethe neben sich liegen. Sofort war die Erinnerung da. Gust fühlte sich gar nicht wohl. Er ahnte, daß irgend etwas nicht stimmte. Außerdem konnte jeden Augenblick die Echse wieder auftauchen, oder, was ebenso schlimm war, Margarethe zu sich kommen. Gust war ein mutiger Mann, aber nur mit dem Mund. Deshalb suchte er nach einer Möglichkeit, irgendwo in aller Ruhe abzuwarten, bis sich die Dinge wieder eingerenkt hatten. In den unteren Decks, überlegte er. Dort war kaum damit zu rechnen, daß er der Echse über den Weg lief. Er konnte bequem über Monitor verfolgen, was passierte. Irgendwann würde sich die Situation ja wieder beruhigen. Wenn erst der Chef wieder an Bord war... Gusts legere Einstellung dem Chef gegenüber täuschte nicht darüber hinweg, daß er in Wirklichkeit einen beachtlichen Respekt vor dem Unsterblichen hatte. Wie alle loyalen Androiden, so hielt sich auch Gust für einen echten Loorden. Die Unsterblichen wären für die Loyalen Götter. Leise stieg Gust über Margarethe hinweg und machte sich auf den Weg zum nächsten nach unten führenden Schacht. Plötzlich war ihm, als höre er eine feine Stimme.
Wohin willst du, Gust? Gust drehte sich um, aber der Gang war leer. Gust. Der Androide zuckte zusammen. Jetzt wurde es ihm unheimlich. „Wer ist das?“ fragte er zaghaft. „Wo steckst du?“ Du siehst mich nicht, Gust. Wohin? Es war verrückt. Gust versuchte, sich vor seinem unsichtbaren Begleiter zu rechtfertigen. „Ich... ich muß runter in die Maschinendecks, Auftrag vom Chef...“ Gust! Ein milder Vorwurf lag in der Stimme. „Äh... nun...“ Gust suchte nach Worten. Er merkte, daß er seinem seltsamen Gegenüber nichts vormachen konnte. „Wer bist du?“ Dein Gewissen, Gust! Der Androide schluckte. Sein Gewissen? Gust fielen plötzlich alle seine Sünden ein. Hatte er es zu weit getrieben? Das kann man wohl sagen, Gust. Du bist ein Versager. „Daran ist nur dieses Weib schuld!“ brüllte Gust voller Verzweiflung. Erschrocken fuhr er zusammen und drehte sich um. Mit einem Aufatmen registrierte er, daß Margarethe noch bewußtlos war. Sie hatte ihn nicht gehört. Du hast recht! hörte er zu seiner Überraschung. Alle lachen über dich. Das ist nicht richtig! Gust schluckte erneut. Hatte er recht gehört? Sein Gewissen begann, ihm sympathisch zu werden. In Wirklichkeit bist du ein Held, Gust. Sein Gewissen war nicht nur sympathisch, sondern eine phantastische Sache. Plötzlich war Gust von einem nie gekannten Selbstvertrauen erfüllt. „Das weißt du, und das weiß ich“, sagte er trotzig. „Aber die anderen denken, ich liefe vor meiner Frau davon!“ Du mußt es ihnen zeigen, Gust! „Ha! Aber wie?“ Er hörte, wie sein Weib sich zu rühren begann. Ich werde dir helfen, Gust. Wir machen eine Probe: Deine Frau kommt zu sich. „Ich höre es“, stöhnte Gust. Wieso war er noch nicht im Lift nach unten? Sie wird dir eine Tracht Prügel verabreichen wollen. „Das fürchte ich auch...“ Aber sie täuscht sich! Du wirst jetzt zu ihr hingehen und ihr zeigen, wer Herr im Haus ist! „Bist du verrückt?“ entfuhr es dem Androiden. Ich helfe dir! Sie wird dir nichts tun, Gust! „Bestimmt nicht?“ Bestimmt nicht! Nur zu, sage ihr die Meinung! Eigentlich hat das Gewissen recht, sagte Gust sich. Er drehte sich um und ging auf Margarethe zu, die jetzt auf den Beinen war. Ihre Augen funkelten wild. Sie hatte wieder den Besenstiel in der Hand. „So, du Nichtsnutz, jetzt werden wir...“ Los, Gust, jetzt! Gust wurde von der- eigenen Courage überrascht. Ehe er wußte, was er eigentlich tat, lag Margarethe über seinem Knie. Er entwand ihr den Knüppel und gab ihr ein Dutzend kräftiger Hiebe auf das Hinterteil. Als er fertig war, starrte sie ihn ungläubig an. Sie konnte nicht fassen, was geschehen war. Gust spürte, wie er von einer Welle von Selbstvertrauen erfaßt wurde. Margarethe stand immer noch da und sah ihn an. Noch nie hatte er erlebt, daß sie keine Worte fand. „Das wird dir eine Lehre sein“, sprudelte es aus ihm heraus. „In Zukunft wird sich einiges ändern. Marsch, in die Kabine! Wir reden nachher weiter.“ Der Übermut hatte ihn endgültig gepackt. „Ich habe noch einiges zu erledigen!“ „Ja, Gust...“, stammelte Margarethe, „wie du meinst, Gust.“ Sie drehte sich um und war kurz darauf im Lift verschwunden.
Siehst du, Gust, meldete sich sein Gewissen. Sie hat begriffen! Jetzt mußt du den anderen in der Zentrale beweisen, was in dir steckt! „Sie werden sich wundern!“ kündigte der Androide an. Er konnte es immer noch nicht fassen: Sein Weib hatte klein beigegeben! „Aber wie fange ich es an?“ Ganz einfach, Gust. In der Zentrale ist die Echse. Du mußt sie daran hindern, den Diskus zu zerstören... Gust schnappte nach Luft. Erst nach weiterem guten Zureden seines „Gewissens“ nahm er den Besenstiel fester in die Hand und ging entschlossen auf den Lift zu... * Das kindliche Element in Cera war für kurze Zeit erneut durchgebrochen. Aber sie kombinierte es mit den Erfordernissen der Situation. Voller Belustigung verfolgte sie, wie Gust sich zum Helden mauserte. Sie durfte nicht mehr so willkürlich in die Geschicke des Kosmos eingreifen wie früher. Sie durfte allenfalls lenken und die Figuren so lange nach ihrem Willen handeln lassen, wie es erforderlich war. Cera wußte aber, daß sie noch einmal ihre Kräfte, die die Kräfte des Universums selbst waren, spielen lassen mußte, um die Terraner zu retten. Auch der verschwundene Planet mußte wieder zurückgeführt werden. Danach würde sie die Fragen der Menschen beantworten und sich endgültig in die Unendlichkeit zurückziehen. Sie würde dieses Universum für lange Zeit verlassen müssen. Die Menschen dort im Diskus würden an ihrer Stelle über die Geschicke ihrer Rassen wachen müssen. Allein das machte den letzten Eingriff notwendig. Vorerst aber ließ Cera andere handeln.
4. Xolcaht zischte ärgerlich, als die ersten Salven ihr Ziel knapp verfehlten. Die Handhabung der Zielerfassung war nicht ganz so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Xolcaht war auf manuelle Steuerung angewiesen. Das System der Zielautomatik war zu kompliziert für ihn. Vielleicht gelang es ihm, sich mit den Fremden zu verständigen. Er würde sie zwingen, für ihn zu arbeiten. Gerade als Xolcaht sich zu ihnen umdrehen wollte, entstand eine hellblau schimmernde Blase um den Diskus. Xolcaht drückte trotzig auf den Feuerknopf und mußte zusehen, wie der Strahl wirkungslos um die Blase herumgelenkt wurde. Das Geisterschiff war unangreifbar geworden. Xolcaht hörte ein Geräusch. Die beiden Glatthäutigen standen immer noch an ihrem Platz und rührten sich nicht. Sie hatten Angst vor Xolcaht. Einer von ihnen hatte jetzt etwas gesehen und riß die Augen auf. Etwas, das sich hinter Xolcaht befinden mußte. Die Echse fuhr herum und sah genau in den schwach flimmernden Paralysestrahl. Sie merkte, wie die Lähmung sich ausbreitete und kippte steif seitwärts auf den Boden der Zentrale. „Gust!“ rief Mahad. Er schien nicht begreifen zu können, was er sah. Gust der Versager, der größte Feigling an Bord, hatte die Echse mit einem einzigen Schuß niedergestreckt. Gust lächelte kühl und trat näher. Er beugte sich über den am Boden liegenden Körper und nickte zufrieden. „Steht nicht herum“, forderte er die beiden anderen auf. „Mahad, du besorgst einen Übersetzer. Und du, Belly, versuchst, Kontakt mit dem Chef aufzunehmen, aber ein bißchen
plötzlich!“ „Gust...“, stotterte Mahad, „bist du sicher, daß du dich wohl fühlst? Ich meine, bist du...“ „Ich fühle mich verdammt wohl!“ brüllte Gust und war mit ein paar Schritten bei Mahad. „Von jetzt an werde ich mich nur noch wohl fühlen! Es wird Zeit, daß sich hier einiges ändert. Ich werde...“ Ein Bildschirm leuchtete auf. Margarethes Bild erschien. „Liebling“, flüsterte sie, „ist es dir recht, wenn ich heute abend ein paar Freunde und Freundinnen einlade, um...“ „Bist du verrückt geworden?“ herrschte Gust sein Weib an. „Wir befinden uns im Alarmzustand, und du willst Freunde einladen!“ Margarethe wurde bleich. „Ich meinte ja nur...“ „Hier meint nur einer, und das bin ich!“ herrschte Gust sie an. „Und nun störe nicht weiter. Wir haben zu tun!“ Margarethe murmelte noch ein paar Entschuldigungen, dann schaltete sie ab. Mahad und Belly standen mit offenen Mündern da und starrten Gust mit einer Mischung aus Unglauben und Respekt an. „Ab jetzt werde ich die Aktionen an Bord koordinieren“, kündigte Gust an. „Solange der Chef nicht zurück ist, bin ich der Kommandant, ist das klar?“ Mahad nickte nur. Belly stöhnte leise. „Dann los!“ Mahad verschwand aus der Zentrale. Belly setzte sich an die Funkanlage. Kurz darauf war Mahad mit einem kleinen Übersetzer zurück. „Schon programmiert?“ erkundigte sich der neue Kommandant. „Selbstverständlich“, versicherte Mahad. „Ich habe die gespeicherten Sprachelemente aus der Medo-Station überspielt.“ Gust nahm das Gerät und stellte es vor der Echse auf den Boden. An einem Kabel war eine Art Kopfhörer befestigt. Vergeblich suchte Gust nach einem Ohr am Kopf der Echse. Schließlich steckte er den Stöpsel in eine Öffnung, von der er annahm, daß sie zum Hören diente. Belly stieß einen Ruf aus. „Ich habe den...äh, den Chef dran!“ „Ich komme.“ „Der Kommandant kommt“, sagte Belly ins Mikrophon. Er zuckte heftig zusammen, und bis in jeden Winkel der Zentrale war das „Wer kommt?“ aus dem Lautsprecher zu hören. Gust nahm das Mikrophon aus Bellys Hand entgegen. * Der Alte war bereits nahe daran gewesen, alle Hoffnung aufzugeben, als der Anruf aus dem Schiff kam. Immer wieder hatte er versucht, von sich aus den Kontakt herzustellen, ohne Erfolg. Er nahm sich vor, seine famose Mannschaft zur Rechenschaft zu ziehen. In wenigen Minuten würde Gust mit einem Boot hier sein und ihn auffischen. Was war das gewesen? War Gust übergeschnappt? Der Alte sah, wie sich ein heller Punkt von seinem Schiff löste. Auf einmal hatte er es gar nicht mehr eilig, zurück an Bord zu gelangen. Jetzt, wo er so gut wie sicher war, wurde er von einer Art Rausch erfaßt. Er drehte sich um die eigene Achse, und überall um ihn herum war das endlose Nichts. Er war ein winziges Sandkorn in der Unendlichkeit des Universums. Dem Alten wurde klar, wie unbedeutend sie wirklich waren. In den letzten Monaten hatten sie geglaubt, an der Achse des Universums zu stehen und daran zu drehen, sie hatten geglaubt, in die Geschicke des unendlichen Kosmos einzugreifen. Was hatte sie zu dieser grenzenlosen
Selbstüberschätzung veranlaßt? Sie hatten ein anderes Universum betreten und die Geheimnisse der Vergangenheit enträtselt. Skip und seine Gefährten, deren Rassegenossen gerade die ersten Versuche machten, die Sterne zu erobern, hatten in dieser Vergangenheit den Grundstein für ihre eigene Zukunft gelegt. Aber was war das im Verhältnis zur ewigen Schöpfung des Universums? Die Urschöpfung des Lebens, der Urkampf - wie oft schon hatten sich derartige Prozesse wiederholt? Wie oft waren neue Universen geboren worden? Hier, wo Caalis seine Sonne umkreist hatte, war einst der Weg zu den unzähligen parallelen Universen offen gewesen, bevor der Urkampf ihn zerstörte. Alles, was sie bisher erlebt hatten, hatte sich hier abgespielt. Über Caalis und über Loord, in dieser Galaxis. Welche Vermessenheit gehörte dazu, anzunehmen, sie hätten von hier aus das Schicksal des ganzen Universums, dessen Grenzen noch niemand erkannt hatte, steuern können. Der helle Punkt wurde größer. Er störte den Loorden. Die Urschöpfung - hatte sie wirklich das ganze Universum erfüllt, oder war das, was sie wahrnehmen konnten, lediglich ein regional begrenztes Phänomen? War der Urkampf nichts weiter gewesen als eine gigantische Auseinandersetzung zwischen zwei Geisteswesen von unvorstellbarer Macht, die aber nur zwei unter vielen darstellten? Gab es etwa noch andere Tore zu Parallelwelten, weit draußen in der Unendlichkeit, die kein Auge mehr erfassen konnte? Wie weit reichte eigentlich das Fassungsvermögen eines menschlichen Gehirns? War es überhaupt möglich, irgendwo eine Begrenzung vorzunehmen? Die Zweifel übermannten den Alten. War Caalis wirklich der Mittelpunkt des Universums gewesen? Konnte Cera die Antwort geben? Das Raumboot war heran. Eine Luke öffnete sich. Nach einigen vergeblichen Versuchen erreichte der Loorde die Schleuse. Die Luke fuhr zu, und Sauerstoff strömte in die kleine Kammer, die nur einem Mann Platz bot. Kurz darauf saß der Alte im Sitz des Kopiloten neben Gust. Gust grinste den Alten nur kurz an. Das Boot war schon wieder auf halbem Weg zum Mutterschiff, das bereits vor Minuten zu feuern aufgehört hatte. Gust erklärte dem Alten, was sich an Bord zugetragen hatte. Er vergaß dabei auch nicht, seine eigene Rolle ins rechte Licht zu rücken. Als er sein plötzlich aufgetauchtes Gewissen erwähnte, wurde der Loorde hellhörig. Die Art und Weise, wie dieses „Gewissen“ sich bemerkbar gemacht hatte, erinnerte ihn an vergangene Abenteuer. Ein paar Augenblicke lang dachte er an Christopher Reed, aber er verwarf den Gedanken. Christopher steckte mit den anderen Ungeheuern an Bord des Diskus, der jetzt in ein blaues Feld gehüllt war. Es war nicht anzunehmen, daß ausgerechnet er plötzlich normal geworden war. Es blieb nur Cera. Der blaue Schirm um den Diskus ließ sich unschwer als das Werk dieses rätselhaften Wesens erkennen. Ceras plötzliches Verschwinden hatte einen Grund. Der Loorde ahnte, daß Cera dabei war, den letzten Schritt zu vollziehen. Die Hülle, die er kannte, hatte ihre Schuldigkeit getan und war überflüssig geworden, vielleicht sogar schon störend. Das blaue Feld um den Diskus der Terraner bewies, daß Cera noch immer bei ihnen war, und der Alte glaubte auch zu wissen, wo. Wenn sie Gust zu ihrem Werkzeug gemacht hatte, hatte das seinen Grund. Von nun an würde sie durch ihn sprechen und handeln. Es half nichts - er mußte mitspielen. „Es ist mir sehr recht“, sagte er deshalb, „daß mir ein so tüchtiger Mann zur Seite steht.
Ehrlich gesagt, Gust, Ich habe dich bisher unterschätzt.“ „Das haben viele“, erklärte Gust ernst. Der Loorde nickte. Er versuchte, die Sache mit Humor zu nehmen. Er würde noch früh genug Gelegenheit haben, dem übergeschnappten Androiden den Kopf zu waschen. * Cera registrierte die Entwicklung mit Befriedigung. Die Ausgangsbasis war geschaffen. Nun kam es darauf an, die Menschen ihren Originalen anzugleichen. Dazu mußten sie aus ihrem Schiff. Wenn es gelang, sie in Tiefschlaf zu versetzen, bestand die Möglichkeit, ihre verwirrten Gehirne zu heilen. Die Stabilisierung des Körpers wäre die Folge. Sie würden nie genau wie die Originale sein, aber das mußte sich nicht unbedingt negativ für sie auswirken...
5. Sie waren wieder da, wo sie angefangen hatten. Nur wußten sie jetzt, wie es in dem Diskus der Terraner aussah. Außerdem schien Cera eine Metamorphose durchzumachen. Der Alte betrachtete die blaue Blase auf dem Panoramaschirm. Er war ratlos. Es erschien ihm unmöglich, das Problem zu lösen. Aber er wußte, daß er nicht aufgeben würde. Es war nicht nur die Bindung zu den ehemaligen Freunden. Der Loorde ahnte, daß sich das Rätsel um Cera erst klären würde, wenn diese letzte Aufgabe erledigt war. Rechts neben dem Loorden stand Gust. Seine Frau hatte ihm inzwischen ein phantasievolles Emblem nach seinen Angaben auf die Uniform sticken müssen, das ihn als Kommandanten der Androiden auswies. Cera wird sich über Gust melden, dachte der Unsterbliche. Er kam sich überflüssig vor. Die Passivität machte ihn nervös. Sie waren im Moment nichts anderes als Marionetten, die auf ihren Einsatz warteten. Nur über Cera war ein Erfolg möglich. Nur sie konnte aus den wahnsinnigen Wesen wieder Menschen machen. Daß sie es nicht bereits getan hatte, zeigte, daß auch sie nicht handeln konnte, wie sie wollte. „Wenn du zu entscheiden hättest, Gust“, wagte der Alte einen Vorstoß, „was würdest du an meiner Stelle tun?“ Selbstverständlich war die Frage nicht an den Androiden gerichtet, sondern an Cera. Gust ahnte davon nichts. Er räusperte sich würdevoll und genoß die Blicke der anderen in der Zentrale anwesenden Androiden. „Ich würde...“ Plötzlich sah es so aus, als lauschte Gust in sich hinein. Er nickte ein paarmal und lächelte. Der Alte ahnte, was vorging. „Ich würde versuchen, die Burschen zu fangen und sie in unser Schiff bringen. Dann fällt uns schon etwas ein. Zuerst einmal müssen sie aus dem Bannfeld des Schiffes heraus.“ „Bist du übergeschnappt?“ fragte der Alte spontan, obwohl auch er diese Möglichkeit bereits mehrmals ins Auge gefaßt hatte. Aber die Vorstellung, noch einmal an Bord des Geisterschiffs zu gehen und die Wahnsinnigen gar an Bord seines Raumers zu holen, versetzte ihm einen Schock. Der Schrecken der Erlebnisse steckte ihm noch in den Knochen. Aber insgeheim gestand er sich ein, daß Gust recht hatte. Einmal mußten sie noch hinüber. Es war ein großes Opfer, das er für seine Freunde bringen mußte. Er hatte schon einmal sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt, aber das hier war anders. Unterbewußt zweifelte er immer noch daran, daß sich diese Schatten einmal wieder in Menschen aus Fleisch und Blut verwandeln könnten.
Cera mußte wissen, was sie tat. Das gab den Ausschlag. „Bist du sicher, daß es hilft?“ fragte er Gust. „Nehmen wir an, wir bekommen sie hier herüber... Bist du sicher, daß man sie heilen kann?“ Gust nickte ernsthaft. „Also schön, was schlägst du vor?“ Gust schien wieder zu lauschen. Für kurze Zeit wirkte er unsicher. „Wir müssen sie paralysieren. Aber es ist nicht so einfach. Wir müssen sie erwischen, wenn sie eine gewisse Stabilität erreicht haben. Sie verändern sich ständig.“ Mahad und seine Kollegen rissen die Augen auf. Gust schien ihnen langsam unheimlich zu werden. Der Alte wußte es besser, aber er hatte keine Ahnung, was er mit den Worten des Androiden anfangen sollte. An Gusts etwas unglücklichem Gesicht sah er deutlich, daß auch dieser selbst nicht recht wußte, was er von den Eingebungen seines „Gewissens“ zu halten hatte. Der Alte stöhnte kaum merklich. Er mußte mitspielen. Gust brauchte dringend eine seelische Aufmunterung. „Großartig, Gust“, sagte er deshalb. „Sie verändern sich... regelmäßig?“ Gust schüttelte den Kopf. Plötzlich sprudelte es aus ihm heraus: „Es ist ganz unterschiedlich. Sie sind in eine Art Feld eingehüllt, das von Energieströmen verschiedener Stärke gehalten wird. Das ist einer der Gründe, warum sie aus dem Diskus müssen. Ihr Bewußtsein ist wie bei den Originalen, aber es wird durch den Wahnsinn überlagert. Von Zeit zu Zeit klärt sich ihr Verstand, und sie erreichen eine gewisse Stabilität, mehr kann ich nicht sagen. In dieser Phase müssen wir sie erwischen, jeden einzeln...“ Der Alte hatte das Gefühl, in einen schlechten Traum geraten zu sein. Er stellte sich vor, wie sie durch die Gänge des Schattenschiffs schlichen, von allen Seiten beobachtet, und darauf warteten, einen der Terraner überrumpeln zu können. „Wo ist die Echse?“ fragte er. Er wollte versuchen, sich mit dem Raumfahrer zu verständigen. „Wir haben sie wieder ins Medo-Zentrum geschafft“, erklärte Mahad. Kurz darauf saß der Loorde dem fremdartigen Wesen gegenüber. Zur Sicherheit war jetzt ein Androide mit einem Paralysator als Wache bei der Echse und ließ sie nicht aus den Augen. „Ich weiß, daß du mich verstehst“, begann der Alte. Dann richtete er Fragen an Xolcaht. Aber die Echse schwieg. Sie wirkte verschlossen und verstört. Nach einer Weile gab der Loorde auf. Er ermahnte den Androiden, höchste Wachsamkeit zu bewahren und verließ die MedoStation. In seiner Kabine bereitete er sich auf den Einsatz vor. Er wußte, daß sich in diesen Augenblicken der Vorhang zum letzten Akt des kosmischen Schauspiels hob. Er stellte seine Ausrüstung zusammen und legte die Raumkombination an. Gust muß mit, dachte er. Nur durch ihn habe ich Kontakt mit Cera. Ob Gusts Mut reichte, um ihn zu begleiten? Zwingen konnte er ihn nicht. Der Loorde beschloß, sich die Eitelkeit des Androiden zunutze zu machen. * Der Alte ließ Gust keine Chance. Als er die Zentrale betrat, war der selbsternannte Androidenkommandant gerade dabei, einem halben Dutzend seiner Kollegen ihre künftigen Pflichten zu erklären. Als er den Alten sah, zischte er ihnen etwas zu. Sie nahmen Haltung an. Der Loorde blieb stehen und stöhnte laut. Er mußte die Augen schließen. Was war das nun wieder? Er erinnerte sich an die Erde. Auch dort hatte er ähnliche Schwachsinnsbekundungen gegeben. „Gust“, begann er übergangslos. „Ich brauche einen verläßlichen Mann, der mich begleitet. Eigentlich hatte ich an dich gedacht, aber...“
Gust war heftig zusammengezuckt. Jetzt leuchteten seine Augen hoffnungsvoll auf. „Aber... ?“ „Ich glaube kaum, daß deine Frau erlauben wird, daß du...“ Mahad stieß ein lautes Lachen aus, ein anderer Androide aus Gusts Paradetruppe gab einen treffenden Kommentar. Gust schluckte. Er fühlte sich in die Enge gedrängt. Laß dir das nicht gefallen, Gust! sagte es in ihm. Zeige ihnen jetzt, daß du keine Angst hast! „Du hast gut reden“, murmelte der Androide halblaut. „Wie bitte?“ fragte der Alte. „Äh... nichts. Ich meine...“ Aus den Augenwinkeln sah er die auf sich gerichteten Blicke. Er konnte nicht anders, jetzt mußte er in den sauren Apfel beißen. „Meine Frau hat sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Selbstverständlich gehe ich mit. Aber...“ „Was, aber?“ „Ich frage mich, ob ich das Schiff einfach im Stich lassen kann“, versuchte er, sich aus der Affäre zu ziehen. „Mahad übernimmt das Kommando“, beruhigte ihn der Alte. Dann packte er ihn und verschwand in einem Flimmern. * Sie materialisierten genau in der Zentrale des Terranerschiffs. Sie war leer. Jedenfalls gab es keinen optischen Hinweis auf die Anwesenheit der Menschen. „Vor allem müssen wir die Ruhe bewahren“, sagte der Loorde zu Gust und bemühte sich, die eigene Unsicherheit zu verbergen. „Sie werden versuchen, uns verrückt zu machen. Egal, was du in den nächsten Minuten sehen oder hören wirst - du mußt dir klarmachen, daß es nur Erscheinungen sind. Sie können uns nichts tun, wenn wir die Nerven behalten.“ Gust gab keine Antwort und sah sich unsicher um. „Die Gefahr kann nur von uns selbst kommen. Sie werden versuchen, uns in den Tod zu treiben, ebenso wie die Echsen.“ Der Loorde fühlte sich trotz der Teleportation frisch. Er ging langsam auf einen der zahlreichen Ausgänge zu. Eigentlich war es egal, wohin sie sich wandten. Die Terraner konnten überall stecken. „Was sagt dein Gewissen?“ fragte der Alte. Gust hatte zu zittern begonnen. „Es ist... es ist weg... Ich höre nichts mehr...“ Der Alte stieß einen Fluch aus. Gusts Anblick machte ihm klar, daß sie hier auf sich allein gestellt waren. Wie beim ersten Mal, war Cera verschwunden. Egal, was die nächsten Minuten brachten, sie konnten nicht mehr auf ihre Hilfe rechnen. Sie mußten es allein durchstehen. Er spürte, wie die Angst sich in ihm ausbreitete. Alles, was er sich in Gedanken zurechtgelegt hatte, war vergessen. Mit angeschlagenem Paralysator standen sie in der Zentrale zwischen schweigenden Geräten und warteten auf irgend etwas, das die Stille unterbrach. Aber nichts rührte sich. Und doch steckten sie überall. Der Alte konnte die Blicke spüren. Jetzt begann auch er zu zittern. Die Stille war schlimmer als alles andere. Der Loorde hatte erwartet, von dem gleichen Spuk empfangen zu werden wie beim ersten Betreten des Schiffes. „Skip, Chris!“ schrie er in einem plötzlichen Anfall. „Kommt raus, wir wollen euch helfen!“ Seine Stimme wurde von den Wänden der Zentrale zurückgeworfen. Dann war wieder alles still. Ihre Augen! schlich es sich in sein Denken. Ihre Augen machen mich wahnsinnig! Ruhig bleiben! sagte eine andere Stimme. Es ist ihr Spiel. Wenn du dich gehenläßt, bist du
verloren! „Wir suchen sie, Gust“, sagte der Alte. Als er keine Antwort bekam, drehte er sich um. Gust lag besinnungslos am Boden. Über ihm kniete Harry Vanderbuilt. Der Alte riß den Paralysator hoch und wollte schießen. Aber da fiel ihm auf, was ihn bereits bei der ersten Begegnung irritiert hatte. Jetzt erst wurde ihm klar, was er sah. Harry hatte wieder seinen alten Körper. Vanderbuilt war wieder ein Mann. Der Loorde nahm alle Kraft zusammen und drückte mit zitternden Händen ab. Er erwartete, daß der Strahl ebenso wirkungslos durch Vanderbuilt hindurchgehen würde wie vorher durch Christine. Aber Harry fuhr auf und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Einen kurzen Augenblick lang sah es so aus, als würde sich sein Körper einfach in Luft auflösen, dann kehrten die Konturen jedoch zurück, und Vanderbuilt kippte seitwärts zu Boden. Der Loorde wollte nicht glauben, was er sah. Vorsichtig ging er auf Harry zu und beugte sich über ihn. Unendlich langsam näherte sich seine Hand dem schlaffen Körper, bis sie ihn berührte. Der Körper war fest! Triumph stieg in dem Alten auf und drohte ihn zu übermannen. Er hatte einen von ihnen erwischt! Wenn es gelang, Harry an Bord seines Schiffes zu bringen... Ihm blieb keine Zeit für weitere Spekulationen, denn in diesem Augenblick griffen sie an. * Xolcaht hatte sich überrumpeln lassen. Die Echse lag wieder auf einer Liege und sammelte neue Kraft. In einem Sessel saß in sicherer Entfernung einer dieser Glatthäutigen und ließ Xolcaht nicht aus den Augen. Xolcaht hatte erkannt, daß diese Wesen nicht seine Feinde waren. Sie hätten ihn töten können. Statt dessen hatten sie ihn gelähmt und mehrere Kontaktversuche unternommen. Xolcaht war noch jung. Mit großen Erwartungen hatte er die Sternenkugel betreten. Wie bei seinen Kameraden, hatte in ihm die Hoffnung gebrannt, irgendwo in der unendlichen Weite des Weltraums auf andere Wesen zu stoßen, Brüder im All. Xolcaht betrachtete den Glatthäutigen. Er hatte sich zwingen müssen, auf die Fragen, die man ihm gestellt hatte, keine Antwort zu geben. Die Wesen an Bord dieses Raumschiffs kämpften ebenfalls gegen die Schatten im anderen Schiff. Aber irgend etwas verband sie mit ihnen. Xolcaht begriff die Zusammenhänge nicht. Er wußte aus den Worten des Sprechers der Raumfahrer, daß sie versuchen wollten, die Schatten an Bord zu bringen, um etwas mit ihnen anzustellen. Soweit Xoleaht verstanden hatte, wollten sie versuchen, sie zu normalen Wesen aus Fleisch und Blut zu machen. Xolcaht wünschte, er könnte mit den Glatthäutigen reden und mit ihnen Freundschaft schließen. Vielleicht wäre die Expedition seiner Rasse dann nicht ganz ohne Erfolg und ohne Sinn gewesen. Aber das, was mit seinen Kameraden geschehen war, verpflichtete ihn. Es lag in der Mentalität seiner Rasse. Er war der einzige Überlebende und mußte die Mörder bestrafen. In Gedanken legte er sich einen Plan zurecht. Er mußte warten, bis sie an Bord dieses Schiffes waren. Dann würde er versuchen, sie zu töten. Es war nicht schwierig, seinen Bewacher zu überrumpeln. Wenn er, Xolcaht, seine Aufgabe erfüllt hatte, war immer noch Zeit für eine Verständigung mit den Glatthäutigen. Er sehnte sich danach, von seiner Verpflichtung frei zu sein. Von wo mochten diese Fremden kommen? Xolcaht hatte während des Fluges in der Sternenkugel einen Eindruck von der unvorstellbaren Weite des Weltraums erhalten. Wie viele raumfahrenden Rassen mochte es in dieser Milchstraße geben? Die Echse mußte sich zur Sachlichkeit zwingen. Sie hatte sich genau überlegt, wie sie vorzugehen hatte, wenn die Glatthäutigen zurück waren. Noch einmal würde sie sich nicht
überraschen lassen. Aber je mehr Xolcaht nachdachte, desto mehr zweifelte er daran, daß sie zurückkehren würden. Die Bilder fielen ihm wieder ein. Dutzende von Brüdern und Schwestern, die sich in den Tod stürzten. Die irren Gesichter der Kameraden in den Booten, die in die Sonne gesteuert wurden. Xolcaht bewunderte den Mut der Fremden. Es mußte ihnen viel an den Gespenstern aus dem Diskus liegen. Er hatte Mitleid mit ihnen. Nein, sie hatten keine Chance. Nur ein Wunder konnte sie zurückkehren lassen. Und dann mußte er seine Verpflichtung den Toten gegenüber erfüllen... * Sie werden versuchen, dich zum Wahnsinn zu treiben. Sie werden versuchen, dich vergessen zu lassen, wer du bist! Sie werden versuchen, dich wünschen zu lassen, du hättest nie gelebt! „Warum?“ schrie der Loorde und drehte sich ein paarmal um die eigene Achse. Er sah sie nicht, aber er wußte, daß sie da waren. Von überallher kamen das feine Wispern, die verlockenden Rufe und das dunkle, beschwörende Murmeln. „Warum?“ schrie er wieder. „Was für einen Sinn hat das? Skip, ich bin hier, um euch zu holen. Ihr werdet gesund, ihr...“ Er erkannte, daß seine Worte sinnlos waren. Er redete nicht zu seinen alten Freunden, sondern zu Schemen, unvollkommenen Duplikaten. Mittlerweile glaubte er zu wissen, was Gusts Worte zu bedeuten hatten. Die Freunde befanden sich in ständiger Veränderung. Zu gewissen Zeiten machten sie eine Phase der Stabilität durch, die sie ihrem Normalzustand anglich. Dann waren sie verwundbar, so wie Harry. Er mußte sich in dieser Phase befunden haben. Harry hatte einen fast normalen Eindruck gemacht. War es möglich, daß sie in ihrer Stabilitätsphase einen Teil des Wahnsinns abstreiften und halbwegs klar denken konnten? Er hatte noch Skip und Christine gegen sich. Was war mit Reed? Steckte er noch in Harry, oder hatte er sich lösen können? Zwei Probleme türmten sich vor ihm auf. Er mußte durchhalten, bis die Schattenduplikate verwundbar waren, um sie zu betäuben. Das andere war die Frage, wie lange sie in paralysiertem Zustand überleben konnten. Die Paralyse hielt sie anscheinend in dem Zustand fest, in dem sie sich zum Zeitpunkt der Lähmung befunden hatten. Die Stimmen wurden lauter. Hysterisches Gelächter mischte sich in das Murmeln. Eine Gestalt schob sich in die Zentrale. Sie kam geradewegs durch die Wand! Die Konturen waren nicht klar. „Christine!“ entfuhr es dem Loorden. Er fröstelte. Mit zitternder Hand richtete er die Lähmwaffe auf die Frau, aber er drückte nicht ab. Die Stimmen drangen in sein Bewußtsein und trieben die Panik in sein Denken. Christine kam langsam auf ihn zu. Wieder sah er, daß sie schwebte. „Chris, komm zu dir. Versteht ihr nicht, daß ich euch helfen will?“ schrie er erneut. Das Gesicht der Frau verzog sich zu einem teuflischen Grinsen. Der Alte wich zurück, als sie bis auf einen Meter heran war. Er merkte nicht, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Irgendwo im Raum war Skip, spürte er plötzlich. Aber er konnte ihn nicht sehen. Er wollte wegrennen, aber sie waren überall! Sie ist nur ein Schemen, sagte ihm sein letzter Rest von Logik. Sie kann dir nichts tun! Aber die Angst war stärker. Neben ihm flimmerte die Luft. Skips Gestalt schälte sich heraus. Aber das war nicht der Skip, den er kannte. Die Angst ist ihre Waffe, hämmerte es in ihm, aber er hörte nicht darauf. Er hörte überhaupt nichts mehr. Ein Stummfilm lief vor seinen Augen ab. Wie im Zeitraffer umkreisten ihn die Gestalten. Er fühlte sich wie jemand, der mitten im Ozean stand und langsam versank, während um ihn herum die Haie kreisten. Aber es waren Haie mit bekannten, liebgewonnenen
Gesichtern, die zu Fratzen des Wahnsinns geworden Waren. Irgend etwas explodierte in dem Kopf des alten Loorden. Seine Bewegungen erfolgten automatisch, nur gelenkt von der blanken Panik. Er mußte weg! Christine wich bereitwillig zur Seite und gab den Weg frei. Der Alte zuckte zusammen, als er dennoch glaubte, sie mit seiner Schulter zu streifen. Er fuhr einfach hindurch. Der Korridor, überall offene Schotte. Hinter ihm Flüstern und Gelächter, das zehnfach von den Wänden des Ganges zurückgeworfen wurde. Ich muß raus, raus aus diesem Schiff! Irgend etwas hatte er vorgehabt, als er herkam. Irgendwo schlummerte die Erinnerung, begraben unter Bergen von Angst, die an die Wurzeln allen Seins ging. Er stand den Schatten wehrlos gegenüber, weil sein Verstand ausgeschaltet war. Er stürmte weiter auf die Schleuse zu, hinter der der Alptraum zu Ende war. Noch wenige Meter, und er hatte die Kammer erreicht. Ein paar Handgriffe... Er dachte nicht daran, sich die Atemhaube überzustreifen. Er wollte nicht mehr denken müssen, einfach hinaus, wo die Erlösung wartete. Keine Verantwortung mehr, einfach Schluß! Eine Gestalt kam aus einem Seitengang. „Weg da!“ brüllte der Loorde und rannte auf Skips Ebenbild zu. Er wollte einfach hindurch. Die letzten Meter bis zur Freiheit. Mit voller Wucht prallte er gegen den Mann. Erst nach langen Sekunden verstand er. Skip war fest. Und sein Gesicht... „Es geht wieder vorbei“, flüsterte Skip. „Ich werde schwächer, schieß doch endlich!“ Er sah den Loorden flehend an. In den Augen standen Tränen. Der Alte kam halbwegs zu sich. Schnell! Er wird instabil! Skip hat begriffen! Schieß! Zitternd richtete der Alte den Paralysator auf Skip und drückte ab. Er sah nicht hin. Seine Augen waren glasig. Das war alles nicht wahr! Er hörte den Aufprall. Skip lag am Boden. Selbst jetzt sah er den Loorden noch mit flehenden Augen an. In diesem Augenblick begriff der Alte ein wenig die furchtbare Qual dieser Kreaturen. Er hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, in ihnen zu stecken und die Einsamkeit zu spüren, die sie alles hassen ließ, was wirklich lebte. Dieser Augenblick gab ihm Kraft. Er sah sie plötzlich mit neuen Augen. Er verstand nicht, wie dies alles zusammenhing, aber ein Gefühl ließ ihn den verlorenen Mut wiederfinden. Er hatte sich eine Aufgabe gestellt, ohne wirklich daran zu glauben. Jetzt hatte er sein Ziel vor Augen. Harry und Skip waren paralysiert. Jetzt blieb noch Christine. Was war mit Reed? Skip hatte ihn gesucht, als er fühlte, daß er stabil wurde. Das bestätigte die Vermutung des Alten. In der Stabilphase kamen sie zu sich und wurden für kurze Zeit vernünftig. Aber wie lange konnte es bei Christine dauern? Bei Harry und Skip hatte er Glück gehabt. Er legte sich Skip über die Schulter und ging zurück in die Zentrale. Er erreichte den Kontrollraum und legte Skip zu Harry. Christine war verschwunden. Und Gust mit ihr... * Das Grundmotiv war Haß auf alles, was wirklich lebte. Er beherrschte das Bewußtsein und überlagerte den Verstand. Nur in den plötzlich auftretenden stabilen Phasen kehrte die Vernunft zurück. Dann glichen sie ihren Originalen und dachten weitgehend wie sie. Für die Halbstofflichen war dies die Hölle. Ein paar schreckliche Minuten, die man überstehen mußte. Die wirklichen Bewußtseine der Schattenwesen hatten während ihrer
kurzen Wachperiode keine Gelegenheit, sich entscheidend bemerkbar zu machen. Die Stabilperioden waren furchtbar. Jedesmal kam den gepeinigten Wesen die ganze Grausamkeit dessen, was sie trieben, zu Bewußtsein. Aber dann war alles vorbei. Haß und die Lust am tödlichen Spiel mit den Lebenden, die sich an Bord verirrten. Christine hatte ihr Opfer. Der alte Mann war in den Gängen verschwunden, er würde seinen Amoklauf nicht überleben. Das amüsierte Christine um so mehr, als sie den Mann irgendwie zu kennen glaubte. Sie war ihm schon einmal begegnet, irgendwo... Es war egal. Nur hatte sie ein wenig Angst vor der Stabilphase, die sie irgendwann überraschen würde. Diese Phasen kamen immer unerwartet. Christine hatte das Gefühl, dann noch größere Qualen ausstehen zu müssen als sonst. Es hing mit dem Mann zusammen. Harry lag gelähmt in der Zentrale. Das zeigte, wie gefährlich es geworden war. Christine ahnte noch nichts von Skip. Sie betrachtete den Mann, der sich vor ihr auf dem Boden wand und wie ein Kind heulte. Sofort spürte sie wieder die Genugtuung. Sie haßte dieses Leben, das ihnen genommen worden war. Die anderen vor sich kriechen und um Gnade flehen zu sehen, gab ihr das Gefühl der Überlegenheit. Wie armselig doch dieses Leben war. Irgendwo tief in ihrem Innern spürte sie die grenzenlose Trauer. Wieder hörte sie die Stimmen der Qual. Sie mußten schweigen! Christine mußte sie zur Ruhe bringen. Sie beugte sich über den Mann und lächelte ihn verführerisch an. Er hatte die Augen weit aufgerissen und redete sinnloses Zeug vor sich hin. Wie lange wird er das noch aushalten, fragte sich Christine? Er stirbt vor Angst, er soll sterben! Wie schwach sind sie doch alle! Sie merkte, daß sie sich besser zu fühlen begann. Weiter! Christine lächelte immer noch und strich mit ihren Händen knapp am Gesicht des Mannes vorbei. Er atmete schwer und nahm den Blick nicht von ihrem Gesicht. Jeden Augenblick mußte die Belastung zuviel für ihn werden. Christine fuhr mit einer Hand durch seinen Kopf. Der Mann sprang im Liegen zurück und wälzte sich unter Krämpfen und wilden, unartikulierten Schreien am Boden. Er schlug mit den Beinen wild um sich und würgte. Dann wieder die Schreie. Weiter! Christine redete sanft auf den Mann ein. Ihre Stimme glich jetzt der eines Engels. Langsam beruhigte sich der Mann und drehte sich auf die Knie. Auf Knie und Hände gestützt, hockte er etwa drei Meter vor ihr und starrte sie an. Sein Gesicht war von Tränen und Schweiß verschmiert, die Haare hingen strähnig in die Stirn. „Komm“, lockte Christine. „Komm zu mir...“ Er starrte sie immer noch aus irren Augen an. Plötzlich begann er zu lachen. Es war das Lachen eines Verrückten. Es dauerte nicht mehr lange, erkannte Christine zufrieden. Ihr Triumph! Weiter! Christine kannte kein Mitleid mit der Kreatur am Boden. In diesen Augenblicken war es nicht einmal mehr der Haß, der sie trieb. Es war die teuflische Freude am Spiel. Der Mann war einem Herzanfall nahe, erkannte sie. Noch ein paar Minuten. Sie dachte sich eine besonders aufregende Art und Weise aus, ihm den Todesstoß zu versetzen. „Komm“, lockte sie immer wieder. Der Mann kroch auf sie zu. Als er heran war, wich sie langsam zurück. Er folgte ihr. Immer wieder streckte er verlangend eine Hand nach ihr aus, aber er erreichte sie nie. Christine lockte ihn auf einen Gang. Der Schacht! dachte sie. Sie bog ab und ging langsam den Korridor zum Antigravschacht entlang, immer mit dem Gesicht zu dem Mann, der ihr auf Knien und mit wirren Worten folgte.
Der Schacht war außer Betrieb, wie alles an Bord. Wenn er hineinsprang... Plötzlich blieb sie stehen. Christine erschrak. Sie kannte diese Gefühle, die jetzt in ihr hochstiegen. Die Phase! Sie wurde stabil! Christine begann zu zittern. Nur das nicht! Nicht jetzt! Sie durfte nicht... Sie lauschte. Plötzlich lachte sie grell auf. Sie hatte sich umsonst aufgeregt. Nicht sie machte die Stabilphase durch, sondern Christopher. Wenn Reed seine Phase hatte, bekamen sie alle ein bißchen davon mit. Aber wirklich schlimm war es nie. Reed war ein rätselhaftes Wesen. Er hatte keinen Körper und war doch bei ihnen. Christine lachte, dann sah sie wieder den Mann vor sich. Er war herangekommen und hatte sich bis auf einen halben Meter genähert. Sie konnte gerade noch seiner tastenden Hand ausweichen. „Komm“, sagte sie, „weiter.“ Sie ging rückwärts auf den Schacht zu. Gust folgte ihr, mitunter ein irres Lachen ausstoßend. * Der Alte machte sich jetzt schwere Vorwürfe. Er hätte Gust nicht mitnehmen dürfen. Ihm wurde klar, daß er hätte wissen müssen, daß Cera nicht mitkommen konnte. Er trug die Verantwortung für Gust. Androiden, vor allem aber die Androiden der Loorden, waren nicht einfach Roboter. Sie lebten ebenso wie Menschen. Auf einmal empfand er so etwas wie Sympathie für Gust und sah nun die Androiden in einem neuen Licht. Er hatte die Verantwortung für sie, und er hatte Gust mit einem simplen Trick gezwungen, ihn zu begleiten. Wo steckte er jetzt? Der Loorde hatte das sichere Gefühl, daß sein Begleiter sich in größter Gefahr befand. Bei Gusts Naivität und Schreckhaftigkeit war ein Herzversagen nicht ausgeschlossen. Seinen ersten Nervenzusammenbruch würde er bestimmt schon hinter sich haben. Gusts plötzlicher Mut war allein auf die Einwirkung seines „Gewissens“ zurückzuführen, das Cera hieß. Cera war nicht mehr hier. Gust befand sich in akuter Lebensgefahr. Ein Problem mehr, stöhnte der Alte innerlich. Ich muß Christine zu fassen bekommen, die Paralysierten rechtzeitig hinüber zum Schiff transportieren und Gust finden, ehe es zu spät ist. Christopher Reed hatte er völlig vergessen... * Wenige Schritte trennten Gust noch vom Schacht Christine stand vor dem Androiden und lächelte immer noch. Ihre Stimme verzauberte ihn, soweit er überhaupt noch klare Gedanken fassen konnte. Weiter! schien sie ihm zuzuflüstern, noch ein Stückchen! Christine war dichter geworden, allerdings hatte sie davon keine Notiz genommen. Sie war ganz in ihr Spiel mit dem Mann vertieft. „Steh auf“, raunte sie ihm nun zu. Er sah sie an und gehorchte. Langsam richtete er sich auf und streckte beide Hände nach ihr aus. „Komm jetzt...“ Sie kicherte leise. Er würde sie in seine Arme schließen wollen und durch sie hindurchgehen. Christine stand unmittelbar am Rande des Schachtes. Plötzlich fuhr sie zusammen. Irgendwoher kamen Schritte. Schwere Schritte wie von metallbesetzten Stiefeln. Der alte Mann! Aber wieso lebte er noch? Was war mit Skip? Der Mann hielt vor ihr an. Er starrte verständnislos in Christines aufgerissene Augen. Der Bann war durchbrochen. Und noch etwas anderes mußte Christine erkennen: Sie wurde fest!
Die stabile Phase hatte begonnen! Christine spürte Panik aufsteigen. Sie hatte plötzlich alles Interesse an dem Mann verloren. Sie mußte weg, ehe es zu spät war. Eine Stabilphase war in ihrer Situation, solange die Fremden an Bord waren, ein unabwägbares Risiko. Christine wollte sich durch eine Wand schieben, aber es hatte keinen Sinn mehr. Sie war bereits zu dicht geworden. Plötzlich fühlte sie das beginnende Durcheinander in ihrem Kopf. Sie sah den Mann vor sich, der sie anstarrte wie ein Wunder. Dann erschien ein zweiter. Der Alte! Sie erkannte ihn sofort wieder, für einen unabsehbar kurzen Augenblick kehrte der Verstand zurück an die Oberfläche ihres Bewußtseins. Erinnerungen standen in bewegten Bilderfolgen vor ihrem geistigen Auge. Sie rannte auf den Loorden zu. Sie mußte zu ihm. Irgend etwas Wichtiges geschah in diesem Augenblick. Unbewußt wurden ihr Zusammenhänge klar. Harry am Boden der Zentrale. Eine kleine Chance... Sie konnte nicht weiterdenken, denn der Strahl des Paralysators erfaßte sie und lahmte sie mitten in der Bewegung. Unsanft landete sie auf dem Korridorboden, als ihr die Beine den Dienst versagten. Eine Flut von Gedanken war in ihrem Kopf, als sie den Alten auf sich zukommen sah. Sie konnte klar denken! Sie blieb stabil! Der Loorde beugte sich zu ihr herab. Sie konnte sich nicht rühren, ihm kein Zeichen geben. Aber sie verstand alles, was er sagte, und sah seine Bewegungen. Das Lächeln auf dem verschwitzten Gesicht. Er öffnete den Mund. „Jetzt wird alles gut“, flüsterte er. Sie war verzweifelt. Immer noch hielt die Stabilität an. Wilde Hoffnung loderte in ihrem wiedererwachten Bewußtsein auf. Er hatte Harry betäubt und wahrscheinlich auch Skip. Sie wußte nicht, was er vorhatte, aber es gab etwas, das er unbedingt wissen mußte. Und sie fand keinen Weg, es ihm zu sagen. Irgendwo hier im Schiff schwebte Christopher Reed herum. Und er war nicht sichtbar wie sie. Ihn hatte es noch viel schlimmer erwischt. Wahrscheinlich glaubte der Alte, daß er noch in Harry steckte! Er muß es wissen! Die Gedanken brannten in ihr wie glühende Nadeln. * Jetzt, wo er es geschafft hatte, konnte der Alte selbst nicht an den schnellen Erfolg glauben. Irgend etwas wartete noch auf ihn, er spürte es. Es war nur ein Gefühl, aber der Loorde hatte gelernt, auf Intuitionen zu hören. Jedenfalls konnte er nicht glauben, daß er schon alles hinter sich hatte. Es war zu schnell gegangen. Er hatte das Gefühl gehabt, daß Christine ihm etwas mitteilen wollte. Jetzt war auch der letzte Zweifel beseitigt. Christine war in ihrem augenblicklichen Zustand wieder fast die Frau, die er kannte. Sie war mehr als ein Duplikat. Die Originalkörper hatten sich teilen müssen, um die Zeitlinie zu verlassen und in die Vergangenheit vorzudringen. Das energetische Pendant, das sie zurückließen, mußte den Originalen vollkommen gleichen. Die Halbstofflichen waren Teile des Originals, obwohl die dominierenden Teile in der Vergangenheit gelandet und dort im Urkampf gestorben waren. Du hast keine Zeit dafür, sie müssen an Bord! „Gust!“ Der Alte winkte den Androiden zu sich heran. Gust kam nur zögernd. Er zitterte am ganzen Körper. Sein Gesicht war bleich und trug die Spuren der überstandenen Qualen. „Es ist vorbei“, erklärte der Loorde. „Wir bringen sie hinüber, du mußt mir helfen!“ Gust blieb zwei Meter vor Christine stehen. „Was ist?“ fragte der Alte ärgerlich. Die Zeit drängte. „Wo ist dein Mut? Soll ich den anderen erzählen, daß ihr Kommandant ein Feigling ist?“
„Diese... diese Frau...“, klagte Gust und starrte Christine ängstlich an. „Sie ist bewußtlos, fast bewußtlos. Nur gelähmt, aber sie tut dir nichts.“ Er sah ein, daß seine Worte sinnlos waren. „Also gut. Geh voraus, ich trage sie. Los, zur Zentrale.“ Gust wartete, bis der Loorde sich den Körper aufgeladen hatte, dann drückte er sich an ihm vorbei und ging mit schnellen Schritten voraus. Er zitterte immer noch. Sie kamen in die Zentrale und legten Christine zu den beiden anderen. „Gust“, sagte der Alte und legte die Hand auf die Schulter des Androiden. Dann blickte er ihn ernst und bedeutungsvoll an. „Du wirst jetzt hinüberfliegen zu unserem Schiff und dir ein paar Leute aussuchen. Dann schleust ihr gemeinsam einen Gleiter aus und steuert ihn zu mir her. Ich werde mit den Gelähmten an der Schleuse auf euch warten.“ Als Gust hörte, daß er das Schiff verlassen durfte, atmete er sichtbar auf. Aber der Auftrag, mit einem Gleiter in dieses Geisterschiff zurückzukehren, ließ ihn erneut zittern. Der Alte stöhnte. „Noch besser wäre es, wenn Mahad den Gleiter fliegen würde. Du hast dir etwas Ruhe verdient. Einverstanden?“ Gust nickte heftig. „Also gut.“ Der Loorde führte Gust zur Schleusenkammer und sorgte dafür, daß er sicher in den freien Raum gelangte. Gust stieß sich hastig ab, und wenig später flammten seine Steuerdüsen auf, die ihn nach mehreren überhasteten Korrekturen auf den schwachen Lichtpunkt des Schiffes zutrieben. Der Loorde wartete ab, bis sich drüben eine Schleuse öffnete, dann kehrte er in die Zentrale zurück. Die Schleusenkammer schloß sich automatisch hinter ihm, als er eine Lichtsperre durchschritt. Innerhalb weniger Minuten hatte er alle drei Paralysierten in die Kammer geschafft, und jetzt wartete er auf den Gleiter. Eigentlich war er nicht sehr sicher, daß überhaupt einer der Androiden dazu zu bringen war, das Gespensterschiff anzufliegen. Obwohl er wußte, daß es zwecklos war, versuchte er, zu teleportieren, ohne Erfolg. Was Cera behinderte, nahm auch ihm seine Fähigkeit. Irgend etwas stimmte noch nicht. Wieder hatte er das Gefühl, nur unvollkommene Arbeit geleistet zu haben. Reed? War Reed noch irgendwo im Schiff? Er hätte ihn sehen müssen, sagte sich der Alte. Seit seinem Unfall auf Caalis steckte der Terraner in Vanderbuilts Bewußtsein. Er würde auch jetzt dort sein. Ein Lichtpunkt löste sich vom Schiff gegenüber und wurde schnell größer. Wenig später legte der Gleiter bei der Schleuse an. Der Loorde traute seinen Augen nicht, als die transparente Kuppel der Kanzel in den Rumpf fuhr. „Gust!“ entfuhr es ihm, als er das Gesicht hinter der Atemmaske erkannte. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit! Der Androide grinste, dann verschwand er für kurze Zeit aus der Pilotenkanzel und öffnete von innen den kleinen Ballastraum des Gleiters. „Dann wollen wir mal“, sagte er und streckte beide Hände aus. Noch wortlos vor Verblüffung schob der Alte ihm Harrys steifen Körper als ersten hinüber. Gust verlud ihn. „Ich nehme an“, meinte der Loorde, „dein... Gewissen ist zurückgekehrt.“ „So ist es“, bestätigte Gust.
6. Der Alte stand mit Gust vor einer Wand, in der einige transparente Felder den Blick in die Medo-Station freigaben. Die Echse befand sich inzwischen in einem anderen Teil des Schiffes. Dafür lagen drei menschliche Körper auf den Liegen. Sonst war niemand in der Station.
Der kleine Raum, in dem sich der Loorde und Gust befanden, diente in besonderen Situationen den Ärzten zur Patientenbeobachtung, etwa bei ansteckenden Krankheiten, die eine Isolation notwendig machten. Der Alte wurde unruhig, als nichts geschah. Er wartete darauf, daß sich irgend etwas tat. „Du bist sicher, daß du an meiner Stelle so handeln würdest?“ fragte er den Androiden. Gust, der glauben mußte, der Chef wollte tatsächlich seine Meinung hören, nickte fast würdevoll. „Vollkommen sicher!“ Der Alte war nervös. Irgend etwas mußte passieren. Seine Freunde (er sah tatsächlich wieder seine alten Gefährten in den Paralysierten) lagen hilflos auf den Liegen und schienen ihn lautlos um Hilfe anzuflehen. Seit fast einer Stunde mußte er tatenlos zusehen. Was war, wenn Gust gar keine Impulse erhielt? Wenn er sich nur wichtig machen wollte? „Du kannst es also vor deinem Gewissen verantworten, was wir getan haben?“ fragte er vorsichtig, um Gust die Illusion zu lassen, daß er sich an ihn als Vertrauensperson wandte. „Mein Gewissen...“, murmelte Gust. Etwas in der Stimme des Androiden ließ den Loorden aufhorchen. Gust wirkte nicht mehr ganz so selbstsicher. „Was ist mit deinem Gewissen?“ fragte er schnell. Auf Gusts Anraten hatten sie die drei in den Medo-Raum gebracht und auf die Liegen geschnallt. Der Alte hatte dabei vollkommen darauf vertraut, daß Cera aus Gust sprach und die Anweisungen gab. .“Es ist... es ist schwächer geworden.“ Gusts Stimme verriet aufkommende Angst. Ohne Cera war er hilflos. „Es verläßt mich wieder!“ Der Loorde hatte einen Fluch auf der Zunge, aber dann sah er, wie sich das Licht in der Medo-Station veränderte. Zuerst war es ein eigenartiges Zwielicht, dann wurde es schnell heller in dem mittelgroßen Raum, bis es die beiden ungleichen Beobachter blendete. Filter schoben sich vor die Sichtflächen. Trotzdem war die Helligkeit unerträglich. Sie breitete sich immer noch aus. Der Loorde drehte sich um. Selbst der Beobachtungsraum war in unwirkliches Licht getaucht, als ob ein paar UV-Lampen angeschaltet worden wären. „Komm mit nach draußen“, sagte der Alte zu Gust. Er packte ihn väterlich am Arm und zog ihn auf den Gang. Dann schloß er die Tür. Gust sah ihn fragend an. Der Schreck stand ihm im Gesicht geschrieben. „Geh und ruh dich aus“, sagte der Alte. „Wir können hier nichts tun, nur warten.“ „Ich warte auch“, sagte Gust. Der Alte sah, daß er mit sich kämpfte. Hatte er sich wirklich geändert? In diesen Augenblicken entschied sich, was aus den Terranern werden würde. Ob sie normal werden oder als Halbstoffliche sterben würden. Das, sagte sich der Unsterbliche, als er an das Licht im Medo-Raum dachte, das ist Cera... Mehr als jemals zuvor sehnte er sich danach, die letzten Antworten auf all die noch offenen Fragen zu erhalten, die sich im Laufe ihrer Odyssee aufgetürmt hatten. * Während das, was in der Hülle des Kindes Cera herangewachsen und nun die Transformation vollzogen hatte, sich über die leblos scheinenden Körper der drei Menschen senkte, begann drüben im Terranerschiff der Todeskampf für ein anderes Wesen, das auch einmal wie sie gewesen war. Christopher Reed war auf die Partnerschaft mit anderen angewiesen, die im Gegensatz zu ihm noch über Körper verfügten. Nur so konnte er am Leben bleiben. Lange Zeit über hatte er in Harry Vanderbuilts Bewußtsein gelebt. Reed war ebenso vom Wahnsinn gepackt wie seine drei Gefährten. Jetzt, wo sie nicht mehr bei ihm waren, begann sein Lebensfunke zu erlöschen. Gleichzeitig kehrte ein Teil der Erinnerung zurück und damit das klare Denken.
Gerade das machte alles noch schlimmer, denn jetzt begriff Reed in vollem Umfang, was mit ihm vorging. Er kämpfte gegen das Schicksal an. Unbewußt wartete er darauf, daß noch einmal ein kleines Wunder geschah. Aber er war ehrlich genug, um einzusehen, daß es bereits zu viele solcher Wunder gegeben hatte.
7. Nicht nur der Alte wartete ungeduldig auf das Resultat des Prozesses, der jetzt in der MedoStation ablief. In einem Kommunikationsraum des weiter oben gelegenen Mannschaftsdecks konzentrierte sich Xolcaht auf den Augenblick, wo er zu handeln hatte. Jetzt waren es drei der Glatthäutigen, die ihn bewachten. Sie saßen an einem Tisch und vertrieben sich die Zeit mit für Xolcaht unverständlichen Tätigkeiten. Einer von ihnen ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen, während die beiden anderen ein Spiel zu machen schienen. Sie wechselten sich in regelmäßigen Abständen ab. Es würde keine Schwierigkeit darstellen, die drei zu überrumpeln, obwohl Xolcaht es nicht gern tat. Aber es mußte sein. Er konnte nicht erwarten, daß, diese Wesen ihn verstehen würden. Was ihm wirkliche Sorgen bereitete, war, daß es immer öfter Augenblicke gab, in denen er sich selbst nicht mehr verstand. Etwas in ihm sträubte sich dagegen, zu töten. Aber er konnte sich der Verantwortung, die ihm seine toten Kameraden mitgegeben hatten, nicht entziehen. Ob er wollte oder nicht, stand nicht zur Debatte. Xolcaht wußte, daß die Teufel aus dem Diskus an Bord dieses Schiffes waren. Sie versuchten etwas mit ihnen. Auch das Ergebnis würde Xolcaht früh genug erfahren. Dann war seine Stunde da. * Nach einer halben Stunde hielt der Alte es nicht mehr aus. „Warte hier“, sagte er zu Gust, der sehr gefaßt und nachdenklich wirkte. Dann öffnete er die Tür zum Beobachtungsraum einen Spaltbreit. Er hatte das Gefühl, in ein Heiligtum einzudringen, aber die Sorge und der Gedanke, daß die da drinnen vielleicht Hilfe brauchten, ließen ihm keine Ruhe. Das Licht war immer noch so stark, daß es ihn sofort blendete. Er schloß die Tür schnell wieder. Es dauert lange, dachte er. Zu lange. „Hörst du etwas von deinem Gewissen?“ fragte er Gust, obwohl er wußte, daß es eine reine Verlegenheitsfrage war. Solange Cera im Medo-Raum war, konnte Gust keine Impulse empfangen. Sie braucht ihre ganze Kraft, überlegte er und gewann noch mehr Respekt vor dem, was, nur durch ein paar stabile Wände von ihm getrennt, vorging. Gust schüttelte den Kopf. Er schien auf einmal ganz anders zu sein als früher. Die übertriebene Lässigkeit war verschwunden. Er mußte spüren, daß das, was er in perfektem Selbstbetrug als sein „Gewissen“ akzeptierte, ihn bald verlassen würde. Dann würde er wieder dastehen wie früher. Der Alte zweifelte daran. Hatte Ceras merkwürdige Präsenz etwas Entscheidendes in dem
Androiden bewirken können? Etwas, das auch anhielt, wenn sie nicht mehr da sein würde? „Wenn es zurückkommt, mußt du mir das sagen“, sagte der Loorde eindringlich. „Sofort, verstehst du, Gust?“ „Ich verstehe.“ Der Alte betrachtete Gust von der Seite her. Irgend etwas in der Stimme des Androiden ließ ihn glauben, daß Gust wirklich verstand. Vielleicht hatte er sich in ihm getäuscht. Vielleicht brauchten diese Kunstgeschöpfe, die sich für die Nachkommen der Loorden hielten, wirklich erst eine Aufgabe, um zu sich zu finden. Der Alte dachte wieder einmal an Paac, ohne den er nie die Angriffe der Rebellen überstanden hätte, als sie auf Loord die Caaliter-Station suchten und fanden. Nach weiteren zwanzig Minuten wurde Gust unruhig. „Es kommt wieder“, sagte er langsam, als müsse er jedes Wort überlegen. „Es ist schwach, aber es kommt zurück...“ Der Loorde wartete nicht länger. Er fuhr auf dem Absatz herum und riß die Tür der Beobachtungskammer auf. Das Licht war verschwunden, wie er vermutet hatte. Die Filter befanden sich noch vor den Sichtflächen in der Wand zum Medo-Raum. Der Alte spürte seinen Herzschlag. Das Blut hämmerte wild in seinen Schläfen. Nur langsam ging er auf die Wand zu und streckte eine Hand nach dem Knopf aus, der die Filter zurückfahren ließ. Er hatte Angst vor dem, was jetzt kam. Angst davor, die größte Enttäuschung seines Lebens zu erfahren. Was war, wenn Cera keinen Erfolg gehabt hatte? In einem plötzlichen Impuls ließ er die Filter zurückfahren. * Irgend etwas ist anders. So ein neues Gefühl, und trotzdem... trotzdem irgendwie bekannt... Seltsame Bilder, ein karger Raum, ganz in Weiß, steril... Wo bin ich hier? Was, zum Teufel, soll das Ganze? Ich will wissen, was hier gespielt wird! Eine harte Liege, vier Wände, die Decke, an der seltsame Geräte hängen. Die Hand, die prüfend den Körper entlangfährt, als ob sie feststellen wollte... Das ist es! Verdammt, das ist es! Körper! Ich bin wieder ein Körper, ich... Warum kann ich den Kopf nicht bewegen, es tut weh... Da war irgend etwas, der Körper, er fühlt sich anders an, ganz anders als... Ich bin wieder ein Mann! Die plötzliche Erkenntnis brach den Bann. Die wuchtige Gestalt schüttelte die Benommenheit und die Lähmung ab und sprang mit einem Satz von der Liege. Sie kümmerte sich nicht um die beiden anderen, die neben ihm gelegen hatten und sich noch nicht rührten, sondern sah nur immer wieder an sich herab. „Einen Spiegel!“ rief der Patient. Er fand einen. Mit Unglauben in den Augen starrte der Kleiderschrank auf sein Ebenbild, als sähe er es zum ersten Mal. Als auch wirklich jeder Zweifel beseitigt war, daß der Mann ein Mann war, begann die Gestalt einen wilden Tanz zu vollführen und rüttelte an den Armen der beiden anderen Patienten. Patienten? Der Kleiderschrank erinnerte sich dunkel daran, daß irgend etwas mit ihnen passiert war. Sie waren krank gewesen, irgendeine schlimme Sache. „Pah!“ rief die Gestalt aus. „Hauptsache, ich bin endlich diesen Weiberkörper los!“ Eine ganz neue Welt ging für den Mann auf! Er erblickte eine Tür und riß sie auf. Dann stand er auf einem Gang und sah sich einer ziemlich erbärmlichen Figur gegenüber, die ihn anstarrte wie einen Geist. „He, du!“ rief der Klotz und kümmerte sich nicht darum, daß der andere bei dem Klang seiner Stimme heftig zusammenfuhr. „Ich bin ein Mann!“
Der andere starrte ihn immer noch an und begann zu zittern. Verstand der eigentlich, was das hieß, endlich wieder ein Mann zu sein? „Ein Mann, hast du verstanden, endlich kein Weibsbild mehr!“ Der Gelbuniformierte riß den Mund auf, als wollte er etwas sagen, dann rannte er den Gang hinunter, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Erst als er eine Abzweigung gefunden hatte, fing er an zu schreien. „Komischer Kauz“, murmelte die hünenhafte Gestalt. „Harry Vanderbuilt“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. „Der alte Harry!“ Der Mann fuhr herum. Dann erkannte er den anderen. Und dann lagen sie sich in den Armen und freuten sich wie die Kinder. In diesem Augenblick löste sich bei beiden die ganze Anspannung der letzten Tage und Stunden. Sie konnten ja nicht wissen, was ihnen noch bevorstand. Ebensowenig ahnte Vanderbuilt, daß sich ein paar Decks höher ein Androide bei seiner Frau ausheulte und von dem furchtbaren Kerl erzählte, der im Schiff aufgetaucht war. Und es gab Tage, an denen Margarethe keinen Spaß vertrug. * Ein paar Stunden später saßen sie zusammen in der Zentrale. Die Stimmung hatte sich nach der herzlichen Begrüßung schnell abgekühlt, nachdem die drei Menschen Stück für Stück die Erinnerung wiedergefunden hatten. In der Mitte des großen Bildschirms stand wieder das Kugelschiff der Echsen. Die Kälte des Todes schien in die Zentrale zu strömen. Fassungslos und schockiert sahen sich die drei zu neuem Leben erwachten Menschen dem Verbrechen gegenüber, das von ihnen ausgegangen war. Sie saßen um einen großen Rundtisch herum und starrten entweder auf den Schirm, oder, wenn ihnen der Anblick unerträglich wurde, auf ihre Fingernägel. „Es ist nicht eure Schuld“, versuchte der Loorde seine Freunde zu trösten. „Was dann?“ fragte Christine heftig. „Was steckt dann dahinter?“ Ihre Stimme bebte und verriet die unerträgliche Nervenbelastung, der sie ausgesetzt war. „Wann werden wir endlich zur Ruhe kommen? Wann ist dieses verdammte Spiel endlich zu Ende?“ Der Alte hatte eine Antwort auf der Zunge, aber er schwieg. Sie alle spürten, daß noch etwas geschehen mußte, bis sie die Ruhe, nach der sie sich sehnten, haben würden. Etwas Entscheidendes stand unmittelbar bevor. Der Loorde hatte den Terranern berichtet, was in der Vergangenheit geschehen war, daß ihre Originale (oder besser gesagt: jene Teile ihrer Substanz, die aus dem Zeitstrom gerissen worden waren) bei der Auseinandersetzung zwischen den Urmächten den Tod gefunden hatten, und was aus Cera geworden war. Der Kreis war geschlossen. Sie waren aus ihrem halbstofflichen Zustand befreit und auf unverständliche Weise zu normalen Menschen gemacht worden. Mehr noch, sie waren ihren Originalen angeglichen worden, die vor dem ersten Betreten des Parallelkosmos die Erde verlassen hatten, um den Alten zu suchen. Die Antwort auf alle Fragen lag greifbar nahe. Jeder kannte ihren Namen: Cera. Christine hatte den Schock, den der Bericht des Unsterblichen bei ihr ausgelöst hatte, leichter überstanden als das, was draußen im All trieb. Sie hatten schon seit langem geahnt, daß Cera kein normales Kind war. Eigentlich hatten sie darauf gewartet, daß sie ihre Hülle ablegte. Die Menschen hatten ihre Aufgabe erfüllt, sie waren ihrem Schattendasein entrissen - was mußte jetzt noch geschehen? Warum zeigte Cera sich nicht? Warum durften sie nicht nach Hause? Sie wußten nicht einmal mehr, wo ihr Zuhause überhaupt war. Sie gehörten nicht mehr zu den Menschen auf der Erde. Die Ereignisse hatten sie geprägt. Auch wenn sie sich jetzt nach Ruhe
sehnten, brannte das Feuer in ihren Herzen weiter. Sie waren Kinder des Universums geworden, und irgendwo dort draußen, in der Grenzenlosigkeit des Alls, im ewigen Entstehen und Vergehen, lag ihre Bestimmung. Die Unsicherheit quälte sie. Sie brauchten Zeit, um das, was hinter ihnen lag, zu verarbeiten. „Warum sagt uns keiner, was man von uns will?“ fuhr Vanderbuilt auf. Er verließ seinen Sitz und wanderte unruhig vor den Instrumentenbänken auf und ab. Es war die Angst, wieder in neue Dinge hereingerissen zu werden, die sie alle beherrschte. Es gab so vieles, was sie nicht verstanden. Warum ließ man sie im unklaren? „Ich glaube, es ist Christopher“, sagte Skip plötzlich. „Er steckt noch drüben, und wer weiß, wie lange er es ohne uns aushält. Er ist ganz anders als wir. Bei der Trennung der Zeitlinien muß es ihn aus Harrys Geist herausgeschleudert haben.“ „Es gibt nur einen, der uns weiterhelfen kann, aber der ist außer Gefecht. Es sei denn...“ Der Alte ging an seinen Platz vor den Kontrollen und tippte auf eine Taste. Ein Monitor leuchtete auf. „Margarethe“, sagte der Loorde so sanft wie möglich, als das Gesicht des weiblichen Androiden auf dem Schirm erschien. „Was macht Gust. Ist er in der Lage... ?“ „Ist er das?“ fuhr Margarethe dazwischen und zeigte auf Vanderbuilt, der neben dem Loorden stand. Harry zuckte heftig zusammen. „Wer?“ „Ist das der Kerl, der Gust so zugerichtet hat?“ „Margarethe, laß dir erklären...“ Aber Gusts Weib wollte sich nichts sagen lassen. „Sie da!“ schrie sie Vanderbuilt an. „Sie werden Ihr blaues Wunder erleben; wenn ich Sie irgendwo im Schiff treffe. Verlassen Sie sich darauf, ungestraft tut keiner meinem Gust das an, was Sie...“ „Aber was habe ich denn getan?“ brüllte Vanderbuilt in echter Verzweiflung. „Was Sie getan haben? Gust zittert vor Angst! Und wenn mein Mann vor Angst zittert, muß man ihm schon ganz gemein mitgespielt haben. Vielleicht wissen Sie’s nicht, aber mein Gust ist ein Held!“ „Was Sie nicht sagen“, entfuhr es Harry. „Margarethe!“ rief der Alte. „Wo ist Gust? Hol ihn an die Linse!“ „Das ist nicht möglich“, gab Margarethe jetzt kleinlaut zu. Sie merkte, daß der Chef nicht scherzte. „Wieso geht das nicht? Wo ist er?“ „Also, zuerst hat er wieder dieses komische Draufgängergesicht aufgesetzt, das er immer bekommt, wenn sein Gewissen zu ihm redet, und dann...“ „Dann? Was ist dann passiert?“ „Dann ist er gegangen, um zu verhindern, daß die Echse...“ Der Alte schaltete den Schirm ab und drückte eine neue Taste. Ein anderer Monitor leuchtete auf, aber er zeigte nur ein Symbol. „Kein Kontakt!“ rief der Loorde. „Schnell, irgend etwas ist dort oben passiert. Und wenn es das ist, was ich mir denke, dann gnade euch Gott!“ „Es geht also los“, sagte Skip fast teilnahmslos. „Ja as geht los.“ Sie nahmen ihre Waffen und eilten auf den Ausgang zu, der zum Lift führte. Nur Vanderbuilt stand noch mit offenem Mund vor den Bildschirmen und starrte auf den Monitor, über den Margarethe gesprochen hatte. „Was ist?“ fragte der Loorde ärgerlich. „Das... das sind wirklich... nur Androiden?“ „Androiden!“ stöhnte der Alte. „Nur Androiden. Und du hast das Kunststück fertiggebracht, einen von ihnen, der gerade auf dem Weg war, normal zu werden, wieder zu einem Trottel zu machen.“
Harry verstand nicht, was der Alte meinte. Aber das war jetzt auch gleichgültig. Irgendwo im Schiff lief die Echse Amok und wartete darauf, sich an jedem einzelnen von ihnen zu rächen. „Wartet!“ rief Harry und eilte ihnen nach. * Die Energiesphäre Cera war, im Gegensatz zu früheren Tagen, nicht zur Heiterkeit aufgelegt, wenn sie Vanderbuilts Kapriolen verfolgte. Die Zeit, als Cera unbeschwert über „Tante Harry“ gelacht hatte, war vorbei. Cera hatte bei dem Eingriff mehr Kraft lassen müssen, als sie vorher angenommen hatte. Nur durch die Verschmelzung eines Teiles ihrer eigenen Lebensenergie war es gelungen, die Menschen zu stabilisieren. Es würde einige Zeit dauern, bis die verlorene Energie neu aufgebaut war. Aber so lange konnte sie nicht warten. Sie mußte sich teilen, um die Entwicklung in ihrem Sinn zu Ende zu führen. Das war ein weiterer neuer Schritt für sie. Cera wußte, daß drüben im halbstabilen Diskus Christopher Reed herumgeisterte und im Sterben lag. Andererseits mußte sie dafür sorgen, daß die ahnungslosen Gefährten kein Opfer der Echse wurden. Nur Cera kannte die Gedanken des bedauernswerten Wesens. Aber sie durfte jetzt nicht mehr selbst eingreifen. Sie konnte nur steuern. Durch den Gewaltakt der Rettung der Terraner war sie endgültig an die Grenze des Vertretbaren gerückt. Sie spürte bereits eine Instabilität der energetischen Ströme der Raum-Zeit-Linien. Sie würde noch einmal eingreifen, bevor sie sich für immer zurückzog. Aber das würde kein Eingriff im Sinne einer Veränderung sein, sondern eine Restabilisierung. Danach war der Weg frei in die anderen Universen, deren Stimme Cera schon seit langem empfing. Noch einmal konzentrierte sie sich auf das Geschehen in der unmittelbaren Umgebung. Sie würde beide Probleme mit der gleichen Figur zu lösen haben. Bedächtig kehrte sie in das Bewußtsein des Androiden zurück... * „Verdammt!“ Der Fluch kam nicht etwa von Vanderbuilt, sondern von dem einmal so beherrschten Loorden. Er hatte es erwartet. Der Mannschaftsraum, in dem drei Androiden die Echse bewachen sollten, bot ein Bild der Verwüstung. Offenbar hatte ein Kampf zwischen den Männern und der Echse stattgefunden. Die Androiden waren nur bewußtlos. Einer von ihnen erwachte. „Es kam zu plötzlich“, erklärte er, während er eine rote Schramme an der Stirn betastete. „Auf einmal war das Biest zwischen uns und ließ uns keine Chance. Es hätte uns ohne weiteres töten können.“ Der Alte nickte. Christine, Skip und Harry machten lange Gesichter. Ihnen war nicht wohl in ihrer Haut. „Hat die Echse eine Waffe?“ fragte Christine. „Ich bin sicher“, antwortete der Androide und sah die Frau mit einer gewissen Scheu an. Die Androiden schienen ihre eigenen Vorstellungen von den plötzlich aufgetauchten Fremden zu haben. „Wir müssen sie finden, bevor sie Schaden anrichten kann“, sagte der Alte. „Die Echse und Gust. Wo Gust ist, ist Cera.“
Daß er keine Antwort bekam, verriet die Beklommenheit, die alle erfaßt hatte. Sie spürten, daß sie kurz vor einem wichtigen Einschnitt in ihrer aller Entwicklung standen. Irgendwann in allernächster Zeit würde der Knoten platzen. „Ihr bleibt zusammen. Geht zurück in die Zentrale“, ordnete der Loorde an. „Ich werde sie suchen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er sich auf den Weg. * Irgendwie hatte Gust das Gefühl, daß er sich blamiert hatte, als er Hals über Kopf vor dem Fremden davongelaufen war. Hoffentlich hatte noch keiner der anderen davon Wind bekommen. Gust glaubte, daß sie nur darauf warteten, daß er sich eine Blöße gab. Immerhin hatte die Sache ein Gutes gehabt: Gust hatte jetzt den Beweis dafür, daß Margarethe ihn als Herrn im Haus anerkannte. Sie hatte seine Verfassung nicht ausgenutzt, um den Spieß wieder umzudrehen. Gust verscheuchte alle Gedanken ganz schnell, die ihm einreden wollten, daß es doch vielleicht eher daran gelegen hatte, daß er eine etwas eigenwillige Darstellung der Ereignisse gegeben hatte... Gust! kam der drängende Impuls seines Gewissens. „Jaja, ich beeile mich ja schon“, murmelte der Androide, der nun wieder das alte Selbstvertrauen an den Tag legte. Er war zu spät t gekommen. Die Echse war bereits ausgebrochen. Gust erreichte eine Gabelung, an der zwei Gänge schräg zur Seite abbogen. Wohin jetzt? Rechts! Sie erwartet sie auf dem Weg zur Zentrale. „Woher weiß sie... ?“ Es war vorauszusehen, daß sie nach der Entdeckung ihrer Flucht nach oben stürmen würden, um nachzusehen. Ebenso ist zu erwarten, daß sie sich dort verschanzen werden, wo sie am sichersten sind: in der Zentrale mit all ihren Überwachungsmöglichkeiten. „Sie wartet am Schacht auf sie, um sie dann. Genau das wird sie, wenn du dich nicht mehr beeilst, es geht um Sekunden! Gust befand sich auf dem Zentraldeck. Jetzt lief er schneller. Gleich mußte der Schacht in Sicht kommen. Vorsichtig! Sie darf dich nicht zu früh hören! Der Androide verlangsamte seine Schritte und nahm den Paralysestrahler fester in die Hand. Plötzlich blieb er stehen und machte sich an den Stiefeln zu schaffen. Was ist jetzt los? „Damit sie mich nicht kommen hört“, flüsterte Gust. Konnte ein Gewissen stöhnen? Gust zog die Stiefel aus und schlich auf Socken weiter. Wo steckten eigentlich Mahad und seine Leute? Die Gänge wirkten wie ausgestorben. Gust schob sich an einer Wand entlang auf den Schacht zu, der von einem kleinen Rundkorridor umgeben war. Am Ende des Ganges steckte er vorsichtig den Kopf um die Ecke. Das war leichtsinnig! schalt sein Gewissen. Gust nickte. Er hatte wirklich Glück gehabt. Wenn die Echse nicht mit dem Rücken zu ihm gestanden hätte... Sie hatte sich hinter einem in den Rundkorridor hervorstehenden Schaltelement versteckt und wartete mit angeschlagener Waffe auf die Fremden, die jeden Augenblick aus dem Lift treten konnten, um zur Zentrale zu gehen. Worauf wartest du? Paralysiere sie, Gust! Der Androide sah mit Unbehagen die Waffe der Echse. Das war kein Paralysator. Mit dieser Waffe würden die Fremden kaltblütig erschossen werden. Gust erschrak.
Schieß, Gust, oder... Oder was, dachte Gust. Mahad würde sicher gerne... Gust zielte kurz und drückte ab. Die Echse wurde voll getroffen und sank zusammen. Noch während sie fiel, drehte sie sich um und starrte den unverhofft aufgetauchten Gegner aus ihren starren Augen an, die nicht verrieten, was in ihr vorging. Trotzdem hatte Gust plötzlich Mitleid mit der Echse. Sehr gut, Gust. Um das andere werden sich die Terraner kümmern. Jetzt schnell in die Zentrale! Der Impuls kam so dringend, daß Gust gar nicht erst fragte, was er jetzt schon wieder tun sollte. Es war seltsam, aber manchmal hatte er das eigenartige Gefühl, daß nicht er, sondern sein Gewissen ihn lenkte. Absurd, Gust! Du wirst mich bald verlassen, dachte der Androide. Ich spüre es. Das ist richtig, Gust. Gust hatte den Eindruck, als ob sich seine innere Stimme zu den Antworten zwingen müßte. Irgend etwas ließ ihr keine Zeit mehr. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte. Er registrierte einen dankbaren Impuls. Sie kamen in die Zentrale. Sie war immer noch leer. Die Impulse seines Gewissens verschmolzen plötzlich mit Gusts eigenem Willen. Zielstrebig eilte er auf das Bedienungspult der Waffensysteme zu. Als hätte er die Handgriffe tausendmal geübt, aktivierte er einen Bildschirm und regulierte die Zielerfassung über den Schirm so lange, bis der Diskus dieser Terraner mitten im Bild war. Dann legte er ein Fadenkreuz darüber. Ebenso wie vorher die Echse, richtete er die Bordgeschütze auf sein Ziel ein und drückte den Feuerknopf im roten Rasterfeld. Und ebenso wie die Echse hatte er keinen Erfolg. Die Strahlbahnen trafen zwar den Diskus, der immer noch gut sichtbar wenige Kilometer entfernt im Raum trieb, aber sie richteten keinen Schaden an. Die Raumtorpedos! durchfuhr es Gust, der nicht mehr wußte, was seine und was die Gedanken seines Gewissens waren. Er wußte nur, daß es schnell gehen mußte. Die Energiegeschütze blieben wirkungslos, was mit der besonderen energetischen Struktur des Terranerschiffs zu tun haben mußte. Also die Torpedos mit ihren Nuklearsprengköpfen! Gust richtete das Ziel neu ein, nachdem er auf das andere Waffensystem umgeschaltet hatte. Er fragte sich nicht, wieso er plötzlich Tätigkeiten verrichten konnte, die ihm bisher absolut fremd gewesen waren. Er dachte an die Gerüchte, die er gehört hatte. Danach sollte sich immer noch einer dieser Fremden dort an Bord befinden. Der Name fiel ihm ein, als er den Feuerknopf drückte. Reed hieß er. Christopher Reed. * Sie hatten ohne Zwischenfall den Schacht erreicht und ließen sich auf die Ebene des Zentraldecks hinabtragen. Skip schwang sich als erster hinaus und entdeckte die gelähmte Echse. „Der Androide“, vermutete Christine. „Das muß dieser Gust gewesen sein.“ Skip kniete neben dem starren Körper der Echse nieder und drehte sie so, daß er sie sehen konnte. Sie war nur bewegungsunfähig, aber ihre Sinne arbeiteten. Sie konnte die Fremden sehen und hören. Skip suchte nach Worten, die er diesem Geschöpf sagen konnte, um seine Erschütterung zum Ausdruck zu bringen. Er wünschte, „r könnte seine Gedanken, die ganze Verzweiflung über
das, was sie in ihrem vorherigen Zustand angerichtet hatten, hinüberschicken in das Gehirn dieser gepeinigten Kreatur. Skip verstand die Gefühle dieses Wesens und konnte ihm nicht übelnehmen, daß es seine Rassegenossen retten wollte. „Pack an, Harry, wir nehmen sie mit in die Zentrale.“ „Ist das dein Ernst?“ erkundigte sich Vanderbuilt. „Frage nicht so dumm. Ich will mit ihr reden, wenn die Lähmung abklingt.“ Vanderbuilt packte die Echse an den Füßen, während Skip unter die Schultern griff. So transportierten sie das Wesen vorsichtig den Gang entlang. Als sie in die Zentrale traten, sahen sie gerade noch, wie auf dem großen Bildschirm, der immer noch auf Außenübertragung geschaltet war, ihr Schiff zu einem Glutball wurde.
8. Gust bot ein Bild der Verzweiflung. Vollkommen zerknirscht saß der Androide in einem Sessel. „Ich weiß nichts mehr“, stammelte er immer wieder von neuem. „Ich weiß nicht, was passiert ist, nachdem ich die Echse gelähmt habe.“ Mittlerweile saßen sie wieder alle in der Zentrale um den großen Tisch herum. Der Alte hatte angeordnet, daß sie nicht gestört werden sollten. Nur Skip und seine Gefährten, Gust und er waren anwesend. Auf den Schirmen hatte sich die Gaswolke der Explosion schon fast verflüchtigt. „Ich glaube dir ja“, platzte der Loorde heraus. Immer noch ging die Initiative von ihm aus. Die Menschen standen noch unter dem schweren Schock, den sie erlitten hatten. „Wann hat dieses verfluchte Spiel endlich ein Ende? Wann wissen wir endlich, was das alles soll? Sind wir denn immer noch nicht am Ziel?“ Christine sah auf. „Ziel?“ wiederholte sie, an den Alten gewandt. Sie alle fragten sich nicht erst seit den letzten Ereignissen, was am Ende stehen würde. Da war so vieles, das sie nicht verstanden. Und doch steckte ein Sinn dahinter. Aber welchen Sinn hatte die Zerstörung des Schiffes? Was Gust getan hatte, war glatter Mord an einem von ihnen. Und Gust war nicht dafür verantwortlich zu machen, sondern das, was die ganze Zeit über seine Schritte gelenkt hatte. Cera! Sie hatte begonnen, den Menschen und dem Loorden unheimlich zu werden. Nicht nur unbegreiflich, sondern sie machte ihnen Angst. Niemand wußte, abgesehen von Spekulationen, was genau hinter ihr steckte. Was war nun, wenn sie bisher völlig falsche Vorstellungen von Ceras wirklichen Zielen gehabt hatten? Cera war aus ihnen geboren worden, deshalb hatten sie ihr grenzenlos vertraut. Jetzt, wo das andere die Gewalt über Cera übernommen hatte - was war sie jetzt? All diese Fragen quälten die Menschen. Sie saßen schweigend beieinander und grübelten. Es gab keine Initiative mehr. Sie trieben neben einer Gaswolke und einem Totenschiff im Weltraum und warteten darauf, daß etwas geschah. Irgendwann mußte die Antwort kommen. Oder war alles „sinnlos gewesen? Waren sie Marionetten einer Macht gewesen, die sie lediglich für ihre Zwecke benutzt hatte, um sie nun fallenzulassen? Wieso meldete Cera sich nicht? „Es ist zum...“ „Harry!“ tadelte Christine, als Vanderbuilt aus seinem Sitz auffuhr. Er mußte sich Luft verschaffen. Harry Vanderbuilt war nicht dazu gemacht, Ärger und Sorgen in sich
hineinzufressen. Er hatte sich nicht im geringsten verändert. „Ist doch wahr!“ regte er sich auf. „Es wäre besser gewesen, dem Gör den Hintern zu versohlen, als noch Gelegenheit dazu war. Ich gehe jetzt und haue mich in die Koje. Wenn sie sich bemerkbar macht, dann ruft mich!“ Harry stampfte auf den nächsten Ausgang zu und kam an Gust vorbei. Der Androide schien noch immer eine gewisse Scheu vor Harry zu empfinden. „Gewissensbisse?“ fragte Vanderbuilt und dachte dabei gar nicht an Cera, sondern an die Märchen, die Gust seinem Weib erzählt haben mußte. „Ich habe kein Gewissen mehr“, antwortete der Androide traurig. „Es ist für immer weg.“ „Für immer?“ mischte sich der Alte ein. „Zu mir kommt es nicht mehr, aber es ist noch da. Irgendwo dort draußen im Weltraum.“ Vanderbuilt murmelte einen Fluch und verschwand aus der Zentrale. Langsam wurde ihm die Heimlichtuerei wirklich zu bunt. * Harry ahnte nicht, daß ihm kaum viel Zeit zur Ruhe bleiben würde. Auch er, der alles tat, um den anderen zu beweisen, daß er als einziger noch seinen „gesunden Menschenverstand“ bewahrt hatte, beschäftigte sich mehr mit ihren Erlebnissen, die scheinbar keinen Sinn ergaben (wenn man von der Zeitkorrektur absah, die aber immer noch nicht der Abschluß ihrer Odyssee gewesen war), als er sich selbst gegenüber zugeben wollte. Er würde keine wirkliche Ruhe finden, ehe er nicht die Antwort erhalten hatte. „Verdammtes Gör!“ murmelte er vor sich hin, als er den Schacht auf dem Deck verließ, wo er sich eine Kabine eingerichtet hatte, und dachte dabei an Cera. Er war immer der Lieblingsspielgefährte der Kleinen gewesen. Weil er damals noch in einem Frauenkörper herumlief, hatte Cera ihn „Tante Harry“ getauft. Und auch er hatte Cera sehr gern gehabt. Gerade deshalb war er enttäuscht darüber, daß sie sang- und klanglos verschwand und sie im Ungewissen ließ. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch marschierte Vanderbuilt den Korridor entlang, von dem der Gang abzweigte, der zu seiner Kabine führte. Der Mann war viel zu sehr mit seinen düsteren Gedanken beschäftigt, als daß er das Hindernis hätte rechtzeitig erkennen können, das sich ihm hinter der Abzweigung in Form eines arg gerundeten weiblichen Hinterteils in den Weg stellte. Harry stieß einen heiseren Schrei aus und stolperte über die Frau, die am Boden kniete und gerade dabei war, die Bodenplatten des Korridors zu säubern. Da das Spezialmittel. das sie dazu verwendete, ziemlich seifig war, verlor Harry den Halt und schlug direkt vor der Frau auf den nassen Boden. Diese rutschte ihrerseits aus, und so fanden sich schließlich beide Angesicht zu Angesicht am Boden liegend wieder. Harry erkannte das Gesicht sofort, und die Frau erkannte Harry. Wie von der Tarantel gestochen, war Harry auf den Beinen. „Hiergeblieben!“ schrie die Frau mit schriller Stimme. Sie packte mit beiden Händen zu und riß Vanderbuilt zu sich heran. „Die Verrückte!“ entfuhr es dem Mann, als er wieder neben ihr saß. Ausgerechnet jetzt mußte er dieser Furie über den Weg laufen. „Das könnte dir so passen“, brüllte die Frau, die Harry sofort als die berüchtigte Margarethe wiedererkannt hatte. „Zuerst mir meinen Gust irre machen und dann verduften.“ Vanderbuilt schluckte schwer. Wie konnte er dieser wildgewordenen Schreckschraube entkommen? Was wollte sie überhaupt? Er stieß sie zur Seite und kam wieder auf die Füße. Dann rannte er los. Margarethe folgte ihm. Harry erreichte im letzten Augenblick seine Kabine und riß die Tür auf. Vor dem
anstürmenden Weib schlug er sie zu und verriegelte von innen. Zur zusätzlichen Absicherung stemmte er sich mit dem Rücken dagegen. Harry schwitzte. Androiden! Roboter! „Ein Whisky, ein Königreich für einen Whisky!“ Aber es blieb bei dem Wunsch. Der Alte hatte keinen Tropfen Alkohol an Bord. Während Harry Vanderbuilt versuchte, sich auf einer Liege zu entspannen, fand irgendwo draußen, jenseits der schützenden Schiffswände, eine Entwicklung ihr Ende, die Jahrmilliarden gedauert hatte. Noch warteten die Menschen und der Loorde auf das, von dem sie nur wußten, daß es kommen würde. Aber dort, wo sich der lokale Bezugspunkt der Sphäre Cera im vierdimensionalen Universum befand, hatte bereits das zweite kosmische Zeitalter begonnen... * ############CERA Sie war älter als alle Völker, die jemals dieses Universum betreten hatten. Vereinfacht gesagt, war die SPHÄRE CERA nichts anderes als der positive Teil der vor Milliarden von Jahren gespaltenen Urmacht. Die Urmacht war entstanden, als sich die Wirbel der kosmischen Urmaterie zusammenzuballen begannen. Mit der Konzentration kam die Fähigkeit, sich zu begreifen. Immer neue Ballungen entstanden, und während die geistlose Materie als zweiter Pol die festen Körper des Universums — Sonnen, Planeten, Gaswolken und ganze Galaxien - bildete, entstand aus der zusammengezogenen Schöpfungsenergie die Lebensenergie. Sie entwickelte ein Bewußtsein und erfüllte den Raum zwischen den jungen Sternen mit unsichtbarem Leben. Erst innerhalb weiterer Jahrmilliarden bildeten sich weitere, konkretere Ballungen. Das Zentrum all dieser Lebensenergien lag dort, wo ein riesiger Trichter das Gefüge dieses Universums aufriß und in andere Universen führte. Unzählige Paralleluniversen waren durch diese Nabelschnur miteinander verbunden. Dann kam es zur ersten Verschmelzung der beiden Pole: Die Lebensenergie legte sich überall im Kosmos auf die tote Materie und schuf das Leben. Erste Formen entstanden, dann kam die Intelligenz. Zahlreiche Rassen entwickelten sich so weit, daß sie sich daran wagten, ihre Welten zu verlassen. Mittelpunkt des Universums war zu dieser Zeit der RING DER UNIVERSEN, wie die Völker dieser Zeit den Trichter nannten. Völker aus anderen Universen kamen durch ihn, um zu forschen und die Wesen dieses Kosmos kennenzulernen, die ihrerseits durch den RING gingen, um die phantastischen Welten jenseits des Trichters zu sehen. Eine gegenseitige Befruchtung trieb die Schöpfung voran und das Leben zu einer ersten Blüte. Dann spaltete sich ein Teil der Urschöpfung, wie man die vereinigten Pole jetzt nannte, ab und entwickelte eine negative Lebensenergie. Es begann, wie ein Krebsgeschwür, das Leben überall dort zu zerstören, wo es seinen Einfluß ausbreiten konnte. Es kam zum URKAMPF. Die Lichter des Kosmos verdunkelten sich. Es herrschte Krieg zwischen den Sternen. Die ferneren Galaxien waren davon nicht sonderlich betroffen, das Geschehen konzentrierte sich auf den RING DER UNIVERSEN. Der Verkehr zwischen den Universen stagnierte, die Besucher aus anderen Welträumen zogen sich ängstlich zurück aus Furcht vor einer Kettenreaktion, die auf ihre Welten übergreifen könnte. Das Leben kam ins Stocken. Die beiden konträren Pole, auf der einen Seite das Leben, auf der anderen die Zerstörung, das Dunkel, peitschten ihre Völker gegeneinander auf. Die Entscheidung fiel zugunsten der dunklen Macht. Der RING DER UNIVERSEN erlosch, und dunkle Schleier legten sich über die Welten, auf denen das Leben geblüht hatte. Nur an einigen Stellen war es möglich, im Widerstand weiterzuleben und zu arbeiten. Es gab gewisse Sektoren im Universum, Wohin der Zugriff der Macht, die jetzt die Geschicke des Kosmos
lenkte, nicht reichte. Die Lebensmacht war besiegt worden, aber nicht tot. Sie zog sich zurück und verhielt sich still. Im Laufe von weiteren Jahrmilliarden baute sie neue Kraft auf und machte sich bereit für den Tag, an dem sie wieder in den Ablauf des Kosmos eingreifen würde. In der Entwicklungslinie, die durch den Sieg der Negativmacht entstanden war, wuchsen nicht viele Rassen heran, die geeignet waren, als Instrument zu dienen. In dieser Zeitlinie hatte es niemals Loorden gegeben. Endlich zeigte sich ein potentieller Berührungspunkt. Die wiedererstarkte Lebensballung manipulierte mit aller Vorsicht ein junges Volk, das in einer der immunen Zonen herangewachsen war, bis es so weit entwickelt war, daß es ihren Auftrag ausführen konnte. Die Ballung legte sich über eine kleine Gruppe der Wesen und verließ mit ihnen die Zeitlinie. Sie landeten in der Vergangenheit und korrigierten sie. Der entscheidende Sieg der Negativmacht wurde verhindert, und die Zeitlinien schlugen um. Ohne Übergang war ein neues Universum entstanden, das aus dem nachträglich herbeigeführten Sieg der Lebensballung resultierte. Es war das Universum der Loorden und der Menschen. Aber noch war die neu herbeigeführte Zeitlinie nicht stabil. Es bedurfte der nachträglichen Wiederholung des Eingriffs durch die gleichen Personen. Wieder zog sich die Urmacht zurück und wartete erneut, bis jene Rasse am kosmischen Berührungspunkt herangewachsen war. Als es soweit war, griff die Urmacht ein und lenkte die Geschicke der Gruppe. Sie tat dies zunächst im Unsichtbaren, bis sie erkannte, daß ein stärkerer Eingriff notwendig war. Sie inkarnierte unter den Menschen. Das war Cera gewesen, das Kind, von dem niemand wußte, wo es überhaupt hergekommen war. Nach vielen Risiken gelang die zweite Zeitkorrektur. Das Universum war stabilisiert. Es hatte sich selbst geschaffen. Nach diesem Eingriff erkannte das Kind Cera seine wahre Natur und vereinigte sich mit der SPHÄRE. Aber noch bedurfte es einiger Eingriffe, um die in der Gegenwart zurückgebliebenen Muster der Verschollenen zu stabilisieren. Außerdem mußten die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Vor dem letzten Eingriff kam die Metamorphose. Cera verließ die schützende Hülle und wurde zur SPHÄRE CERA. Als die Gefährten aus ihrem Schattendasein befreit waren, hatte CERA ihre Aufgabe erfüllt. Ein neues Zeitalter begann für das Universum. CERA spürte bereits seit einiger Zeit den Ruf der anderen Räume. Sie würde ihm folgen und dort die Voraussetzungen dafür schaffen, daß eines Tages wieder der RING DER UNIVERSEN über Caalis stand. Die Rückkehr des verschwundenen Planeten würde CERAs letzter Akt vor ihrem endgültigen Abschied sein. Die konzentrierte Lebensballung würde erst wieder in dem Universum, das sie hervorgebracht hatte, erscheinen, wenn sich der RING wieder geöffnet hatte. In der Zwischenzeit mußte ein anderer für die Geschicke des Universums sorgen. Das war ein Zentralpunkt in CERAs Planungen gewesen. Sie würden die Wächter ihrer Welten sein WÄCHTER VON CAALIS...
9. Christine und Skip lagen zusammen auf einer Liege. Auch sie hatten sich in eine Kabine zurückgezogen. Genau wie Harry hatten sie die Spannung in der Zentrale nicht mehr länger ausgehalten. Sie hatten noch einmal versucht, mit der Echse Kontakt aufzunehmen, nachdem der Alte ihnen einen programmierten Übersetzer bereitgestellt hatte. Aber wieder hatte das Wesen nicht reagiert und sie nur aus den kalten Augen angestarrt.
„Es muß etwas geschehen“, murmelte Skip. „Es kann nicht alles damit zu Ende sein, daß wir... daß unsere Ebenbilder die Zeitkorrektur vornahmen.“ „Es wird etwas geschehen“, sagte Christine. „Sonst hätte sie sich nicht die Mühe gemacht, uns zu retten.“ Der wunde Punkt war angeschnitten. Bisher hatten die Geretteten wenig über das gesprochen, was hinter ihnen lag. An vieles konnten sie sich nicht erinnern, aber was in ihrem Gedächtnis hängengeblieben war, reichte vollauf. „Wie kann sich ein Charakter spontan so verändern?“ fragte Christine. „Wir waren doch die gleichen Menschen wie jetzt...“ „Nichts waren wir“, verbesserte Skip. „Monstren!“ Er drehte sich zu ihr um und legte den Arm um sie. Die Kabine war in beruhigendes Halbdunkel getaucht. Nur die leise arbeitenden Aggregate überall im Schiff waren zu hören. „Es ist vorbei, Chris“, sagte Skip leise. „Egal, was jetzt noch kommt. Der Kreis ist geschlossen. Wir werden in kein Paralleluniversum mehr verschlagen werden und nicht mehr als Geister in einem Schiff herumirren. Es ist ein Gefühl, das...“ „Mach mir nichts vor, Skip. Was ist denn mit Christopher? Er ist tot.“ „Weißt du das?“ „Was sonst? Du hast gesehen, was mit dem Schiff passierte!“ Skip sagte nichts. Er strich Christine über das Haar. Eine seltsame Ruhe hatte sich in ihm ausgebreitet. „Was für ein Gefühl hast du?“ „Wenn du’s genau wissen willst: Im Moment fühle ich mich...“ „Das meine ich nicht“, sagte sie etwas zu schroff. „Das Gefühl, von dem du sprachst.“ „Ich fühle es einfach. Es kommt mir vor, als ob wir uns auf einmal keine Sorgen um die Zeit zu machen brauchen. Ich fühle mich frischer, irgendwie anders. Und auch...“ Er richtete sich halb auf und beugte Sich über sie, so daß er ihr in die Augen sah. „Ich nehme an, du weißt, was mich bisher an dir gestört hat.“ „Was?“ „Deine verdammte Unsterblichkeit! Ich sah mich schon genau wie Christopher langsam älter werden, während du dich nicht verändertest. Als wir uns zum ersten Mal sahen, warst du über 20, ich war noch keine 17. Jetzt bin ich bald 40, und du hast dich nicht verändert.“ „Soso, und du hast Angst, daß irgendwann einmal ein neuer, jüngerer Skip auftaucht und du den Hut nehmen kannst?“ Skip konnte nicht erkennen, ob Christine lachte. „Hatte/ Die hatte ich! Auf einmal habe ich das Gefühl nicht mehr. Überhaupt: was heißt, den Hut nehmen?“ „Oha!“ machte Christine. Jetzt kicherte sie wirklich. „Du bist eifersüchtig!“ „Mach dich nicht lächerlich“, sagte Skip. „Eifersüchtig warst du, als ich mit Harry für...“ „Was hast du?“ Christine fuhr auf, und Skip sah ihre Augen im Halbdunkel funkeln. „Geflirtet? Mit Harry?“ „Unsinn!“ Skip lachte laut auf. Dann kam er weiteren Fragen zuvor. Christine ließ sich überzeugen. Normalerweise waren sie es gewohnt, daß jetzt jemand über den Korridor polterte und sie störte. Aber Harry hatte wohl andere Sorgen. Sie lagen lange beieinander, und Christine dachte viel über Skips Worte nach. Er fühlte sich frischer? Hatte keine Angst mehr vor dem Alter? Ein phantastischer Gedanke fuhr ihr durch den Sinn. War das ein Teil ihrer Ungewissen Zukunft? Was hatte Cera mit ihnen vor? „Jetzt kommt er“, sagte Skip, als nach zwei Stunden Schritte auf dem Gang zu hören waren. „Hat lange gedauert für Harry.“ Die Tür schwang auf. Aber es war nicht Harry Vanderbuilt, der sich im Lichtschein des Korridors in die Kabine schob.
* Für Xolcaht waren die Stunden, die er hilflos im Kontrollraum des fremden Schiffes zubrachte, die qualvollsten seines Lebens. Er sah und hörte die fleischgewordenen Geister, die sich mit dem alten Mann unterhielten. Nach einer Weile hatte er geglaubt, aus den Mienen ihrer Gesichter lesen zu können. Immer, wenn sie ihn ansahen, standen Schmerz und Schuld in ihnen. Diese Wesen waren nicht schlecht. Xolcaht bezweifelte immer mehr, daß man sie für den Tod der Schwestern und Brüder verantwortlich machen konnte. Aber er konnte nicht zurück. Er mußte den Auftrag der Toten erfüllen. Er mußte die Fremden töten. Dann kam der Augenblick, als sich zwei von ihnen zu ihm setzten und über den Xolcaht bereits bekannten Apparat zu ihm redeten. Xolcaht hatte keine Möglichkeit, eine Reaktion zu zeigen. Aber er erfuhr, daß auch sie gelitten hatten und immer noch unter dem litten, was sie in einem Zustand angerichtet hatten, für den sie nicht verantwortlich waren. Konnten diese Wesen Xolcahts Feinde sein? Zweifel kamen in der Echse auf, immer wieder Zweifel. Xolcaht gehörte der jungen Generation seines Volkes an, die die veralteten Weltanschauungen der Führer gesprengt und den Schritt in den Weltraum getan hatte. Konnten sie denn sicher sein, daß ihre „neuen“ Ansichten endgültig waren? Vielleicht galten im Kontakt mit anderen Intelligenzen vollkommen andere Gesetze? Vielleicht war eines der wichtigsten davon, aus Mißverständnissen geborene Fehlreaktionen zu tolerieren und seinerseits solche Reaktionen zu vermeiden? Xolcaht war der einzige, der die erste Sternenexpedition seiner Rasse überlebt hatte. Was niemand erwartet hatte: Sie hatten andere getroffen, die die Raumfahrt betrieben. Und prompt war es zur Katastrophe gekommen. Alles, was Xolcaht sah und hörte, deutete darauf hin, daß auch die Fremden große Schwierigkeiten hatten. Xolcahts Schiff mußte in eine Ausnahmesituation geraten sein. Immer wieder drängte sich die Frage in das Denken der Echse: Was weißt du von ihnen? Gilt noch das Gesetz der Kollektivrache? Vielleicht waren seine Kameraden einfach zu unvorsichtig gewesen. Gab es ein Recht des ersten Eindrucks? Die Verzweiflung bohrte in Xolcaht. Wieder wurde das Drängen der toten Stimmen seiner Brüder und Schwestern übermächtig, die ihn zur Erfüllung der Rachepflicht zwangen. Xolcaht konnte sich trotz aller Einsicht nicht davon lösen. Der jungen Echse fehlte ganz einfach die Kraft, gegen die tiefsitzenden Regeln seines Volkes zu rebellieren. Aber der Sternenflug, das war auch Rebellion gewesen! Sofort meldete sich eine andere Stimme. Vielleicht war die Katastrophe die Quittung dafür, daß sie nicht auf die alten Führer gehört hatten? Xolcaht grübelte weiter, aber immer war es der gleiche Kreis, in dem sich seine Gedanken drehten. Nadi endlos scheinenden Stunden spürte Xolcaht, wie wieder Gefühl in seine Glieder kam. Xolcaht wartete. Er ließ sich nichts anmerken. Die Fremden aus dem Geisterschiff waren inzwischen aus dem Kontrollraum verschwunden. Nur der alte Mann stand vor den Kontrollbänken und ging rastlos auf und ab, als wartete er auf etwas. Xolcaht bewegte vorsichtig seine Finger, dann die Zehen, bis er sicher war, daß sein Körper wieder voll funktionsfähig war. Die Echse blickte zur nächsten Tür. Als der Glatthäutige ihm wieder den Rücken zuwandte und neue Informationen abrief, schob Xolcaht sich vorsichtig aus dem Sessel und schlich zum Ausgang. Unbemerkt gelangte er auf den Korridor. Nach einigen Metern bewegte er sich schneller. Der alte Mann hatte seine Flucht noch nicht
bemerkt. Nach oben! dachte Xolcaht. Er erreichte den Lift und ließ sich aufwärts tragen. Ein paar Decks höher schwang er sich aus dem Schacht. Er wußte, daß die Quartiere der Fremden in diesen Decks lagen, aber auf welchem genau, entzog sich seiner Kenntnis. Xolcaht handelte auf gut Glück. Jeden Augenblick mußte der Glatthäutige im Kontrollraum seine Flucht bemerken und Alarm schlagen. Xolcaht trieb sich zur Eile an. Als er systematisch die Gänge und Räume dieses Decks ohne Erfolg durchsucht hatte, ging er zum Schacht zurück, um sich ms nächsthöhere Deck tragen zu lassen. Xolcaht bemerkte ein Schattenspiel im Schacht und trat schnell zur Seite. Er preßte sich mit dem Rücken an die Wand neben dem Schachtaustritt und wartete. Ein Mann verließ den Lift. Er gehörte nicht zu den Fremden, die Xolcaht suchte. Offensichtlich hatte er ein Besatzungsmitglied vor sich. Als Xolcaht die Energiewaffe im Gürtel des Glatthäutigen sah, sprang er vor und betäubte den Mann mit einem Schlag ins Genick. Er nahm den Strahler an sich und sprang in den Schacht. Im nächsten Deck hatte er Glück. Xolcaht spürte, wie seine Schuppen sich aufrichteten und die Hände zu zittern begannen. Für ihn war jetzt der langersehnte Augenblick gekommen. Aber es war zugleich jener Moment, den er gefürchtet hatte. Die Gedanken überschlugen sich. Xolcaht spürte die ganze Verantwortung, die auf seinen Schultern lag. Er repräsentierte sein Volk, und das gab ihm eine Verpflichtung. Ein Teil von ihm drängte zur Rache, während ein anderer Teil ihm sagte, daß es ein höheres Ziel für ihn geben konnte. Eine Chance, die sich seiner Rasse so schnell nicht wieder bieten würde. Wortlos und fast hilflos stand Xolcaht im Eingang zur Kabine der Fremden. Zwei von ihnen lagen nebeneinander auf einer Liege im Halbdunkel des Raumes. Sein Finger saß am Auslöser der tödlichen Waffe, die auf die beiden Fremden gerichtet war, die starr vor Schreck zu ihm aufsahen. In Xolcaht kämpften die Gedanken. Sein Pflichtbewußtsein sagte ihm, daß er endlich abdrücken sollte, während die Zweifel ihm wie glühende Nadeln ins Bewußtsein stachen. Xolcaht zitterte vor Anspannung. Noch war er unschlüssig, aber schon die kleinste Bewegung der Fremden konnte den Anstoß geben. * In der Zentrale hatte der Alte immer noch nichts von der Flucht der Echse bemerkt. Der Loorde hing gebannt über einem Monitor und verfolgte atemlos den Datenfluß. Was er sah, ließ ihn alles andere vergessen. Immer wieder hatte er in den letzten Stunden und Minuten die diversen Ortungsinstrumente abgefragt. Er hatte sämtliche einfallenden Informationen an einen Computer weitergeschaltet und bekam laufend neue Analysen. Meistens ergaben sie keinen Sinn und waren wertlos für ihn. Der Alte war sicher, daß, während sie hier in Unklarheit verharren mußten, draußen im freien Raum etwas vorging. Irgend etwas, das Cera daran hinderte, zu ihnen zu kommen. Sie mußte einfach zurückkommen, sonst ergäbe alles, was hinter ihnen lag, keinen Sinn. Nach vielen Enttäuschungen bahnte sich aus dem System von zusammenlaufenden Daten eine Entwicklung an, die für den Loorden einen Sinn ergab. Noch wollte er nicht wahrhaben, was als Verdacht in ihm aufgestiegen war. Es war zu phantastisch. Ein vages Gefühl erfaßte den Alten. Er begann, einen Zusammenhang zwischen den Geschehnissen draußen und dem zu sehen, was ihre Zukunft sein sollte. Fast vergessene Sehnsüchte wurden wach, als er seine Gedanken weiterspann.
Nach weiteren fünf Minuten war jeder Zweifel ausgeschlossen. Er mußte Skip und die anderen verständigen. Fast hätte er die Echse vollkommen vergessen. Der Loorde drehte sich um, um routinemäßig nach dem Wesen zu sehen. Er schrak zusammen. Die Echse war verschwunden! Die Lähmung hatte früher als erwartet nachgelassen. Aber dann befanden sich seine Freunde in allerhöchster Gefahr! Ohne Zögern stellte er eine Verbindung zu Skips und Christines Kabine her. * Die Situation hatte etwas Unwirkliches. Draußen im Weltraum ging etwas vor, das ihre Zukunft prägen würde und Skip und Christine unaufhörlich beschäftigte. Sie hatten die Echse vergessen. Jetzt stand sie vor ihnen und bedrohte sie mit der Waffe. Das war die Realität. Die Echse zögerte. Sie war gekommen, um die Ihren zu rächen. Warum schoß sie nicht? Skip legte seine Hand fester auf Christines Arm und gab ihr dadurch zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten sollte. Irgend etwas sagte ihm, daß es in diesem Moment um mehr ging als nur ums Überleben. Skip ertappte sich sogar bei dem Gedanken, daß der Tod sie endgültig von der ewigen Unsicherheit befreien würde, die bis zu den Wurzeln ihrer Existenz reichte. Sofort schalt er sich dafür einen Narren. Sie sahen sich in die Augen: die Echse, die als Rächer gekommen war, und die Menschen, die für das büßen sollten, was sie als willenlose Halbwesen den Wesen angetan hatten, die ihr Schiff betreten hatten. Skip konnte es der Echse nicht übelnehmen, wenn sie jetzt einfach ihre Widersacher tötete. Aber das Wesen zögerte noch immer. Skip hatte den brennenden Wunsch, Kontakt mit ihm aufzunehmen, aber eine innere Stimme warnte ihn. Plötzlich kam Bewegung in Christine. Skip wollte sie zurückhalten, aber sie streifte seine Hand ab. Langsam, wie im Zeitrafferfilm, richtete sie sich auf, erhob sich von der Liege und stand dann der Echse gegenüber. Skip sah deutlich, wie die Hand mit dem Strahler ihren Bewegungen folgte. Sie zitterte! Die ganze Echse schien von wilden Schauern geschüttelt zu werden. Skip unterdrückte den Impuls, die offensichtliche Schwäche auszunutzen und einen Überrumplungsversuch zu wagen. Gewalt brachte keine Lösung. Einmal mußte Schluß damit sein. Christine und die Echse standen sich gegenüber und schwiegen. Jeder musterte das Gesicht des anderen. In diesen Sekunden schien eine lautlose Verständigung zwischen beiden vorzugehen. Wieder zitterte das große Wesen heftig. Christine trat noch näher. Jetzt trennten sie nur noch zwei Meter von der Echse, deren Hand nach oben zuckte. Skip sah bereits den todbringenden Strahl durch die Brust seiner Gefährtin fahren. Plötzlich wurde er von einer eigenartigen Stimmung beschlichen. Es war etwas Feierliches, das von den beiden ausging. Christine hob langsam die rechte Hand und streckte sie vorsichtig der Echse entgegen. Skip fühlte; wie sein Herz schneller schlug. Nach fast einer Minute ließ der fremde Raumfahrer die Waffe zu Boden gleiten und ergriff die dargebotene Hand. Skip fühlte einen Kloß im Hals sitzen, und plötzlich spürte er Tränen in den Augen. Es war nicht die Erleichterung, noch am Leben zu sein. Wenn es irgendwann einmal wieder jemanden geben würde, der einen neuen Kalender anzulegen hatte, so würde seine Zeitrechnung jetzt beginnen.
Skip erhielt die Bestätigung für seine sentimentalen Gedankengänge, als er ebenfalls aufstehen und zu den beiden gehen wollte. Der Monitor der Kabine flammte auf und zeigte das Gesicht des Alten. Da der Loorde auch sie sehen konnte, erschrak er heftig, als er die Echse bei ihnen entdeckte. Dann erkannte er die Situation. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Dann fiel ihm wieder ein, weshalb er die Freunde angerufen hatte. „Ihr müßt sofort in die Zentrale kommen“, sagte er hastig. „Es passiert etwas!“ „Cera?“ fragte Skip schnell. Der Alte wirkte unsicher. „Ich weiß nicht... Aber wenige Lichtminuten von unserem Standort entfernt taucht Caalis wieder auf...“ * Als sie vor den Schirmen der Zentrale standen, schälten sich bereits die Umrisse des verschwundenen Planeten aus der Schwärze des Alls heraus. Wie damals, als sie aus dem Parallelkosmos zurückgekehrt waren, wechselte die Intensität, aber jedesmal wurde sie ein wenig stärker. Caalis schien mehrere Anläufe zu brauchen, um seinen alten Platz wieder einzunehmen. „Die Sonne?“ fragte Skip. Der Alte stand über seine Kontrollen gebeugt und schüttelte den Kopf. „Keine spürbare Reaktion. Sie scheint gar nicht betroffen zu sein.“ „Vielleicht war Caalis niemals wirklich weg“, meinte Christine. Sie kam damit der Wahrheit ziemlich nahe. War das Erscheinen des Planeten der Schlüssel zu ihrer Zukunft? Warum mußte Christine ausgerechnet jetzt an einen Ausspruch denken, den sie vor einiger Zeit, als sie noch keine Ahnung von dem hatten, was auf sie zukommen würde, getan hatte? Damals hatte sie von den Wächtern von Caalis geredet. Sicher, das war im Überschwang der phantastischen Ereignisse im Parallelkosmos und angesichts der dort gehörten Legenden geschehen, aber war es nicht vielleicht bereits eine Vorahnung gewesen? Jeder im Raum spürte, daß das, worauf sie gewartet hatten, unmittelbar bevorstand. „Wo ist Harry?“ fragte Skip. Der Alte blickte von seinen Instrumenten auf und stellte eine Verbindung zu der Kabine her, in die Vanderbuilt sich zurückgezogen hatte. Harrys Gesicht erschien. „Du mußt in die Zentrale kommen, Harry. Es geht los.“ Vanderbuilt verdrehte die Augen und schüttelte heftig den Kopf. . Kann mir einer verraten, wie ich das bewerkstelligen soll? Ich bin kein Teleporter!“ „Was soll das, Harry?“ fragte Christine. „Vor meiner Kabine wartet ein streitsüchtiges Weib darauf, daß ich herauskomme, damit sie mich verprügeln kann.“ Der Alte stöhnte. „Warte ab, Harry. Ich schicke Hilfe.“ Vanderbuilt wollte protestieren. Er schien nicht begeistert davon zu sein, daß es so aussah, als hätte er Angst vor einer Frau. Aber der Loorde brach die Verbindung ab. „Sollen wir... ?“ fragte Christine. Der Alte winkte ab. „Ich schicke Gust, schließlich ist er für Margarethe zuständig. Ihr müßt hier sein, wenn es losgeht. Außerdem ist meine Geduld zu Ende.“ * Als er die Standpauke vom Chef vernommen hatte, wußte Gust, daß für ihn die Stunde der Wahrheit gekommen war.
Gust hatte sich in seine und Margarethes gemeinsame Kabine zurückgezogen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wußte, daß sein Gewissen ihn endgültig verlassen hatte. Würde jetzt alles wieder so werden wie zuvor? Würde mit dem Gewissen, das ihm so hilfreich zur Seite gestanden hatte, auch seine Autorität schwinden? Irgendwie hatte Gust sich verändert. Er fühlte eine neue Kraft, die ihn durchströmte. Er hatte ein gewisses Selbstvertrauen bekommen, Die Frage war, ob es reichte, um Margarethe und den anderen auch weiterhin imponieren zu können. Es half nichts, er mußte es versuchen. Im Gegensatz zu früher verkroch Gust sich nicht. Im Gegenteil, er spürte, wie eine gehörige Portion Wut in ihm aufstieg. Er fühlte sich von seinem Gewissen schändlich verlassen, gerade jetzt, wo die Schwierigkeiten begannen. Und gerade das machte ihn trotzig. Er würde ihnen allen (und seinem Gewissen, das sich noch irgendwo in der Nähe herumtrieb) zeigen, daß er auch so eine Respektsperson darstellte. Die Begegnung mit Mahad kam Gust gerade recht. Der Androide trat aus einer Kommunikationskabine und war offensichtlich überrascht, seinem neuen „Kommandanten“ gegenüberzustehen. Das ist die Gelegenheit! dachte Gust und stauchte Mahad zusammen. Dann trat er in die Kabine und überraschte drei weitere Androiden bei einem Zerstreuungsspiel. „Hier steckt ihr also!“ brüllte er sie an. „Draußen ist der Teufel los, und ihr versteckt euch hinter euren Kristallen! Raus, in die Zentrale, der Chef wird euch schon sagen, wie ihr euch nützlich machen könnt! Ich habe leider wichtigere Dinge zu tun!“ Gust beobachtete mit einer grenzenlosen Genugtuung, wie die drei Haltung annahmen und sich in Bewegung setzten. Sie respektieren mich! durchfuhr es den Androiden. Ich habe sie überzeugt, auch ohne Gewissen! Sichtlich gestärkt setzte Gust seinen Weg fort, bis er das Deck erreicht hatte, auf dem die Fremden sich eingerichtet hatten. Gust dachte nicht nur an Margarethe, vielmehr würde er in wenigen Minuten auch wieder diesem seltsamen Menschen gegenüberstehen, für den es so wichtig zu sein schien, daß er ein Mann war. Gust sah Margarethe schon von weitem. Sie stand, an eine Wand gelehnt, vor einer Kabinentür und wartete. In der Hand hielt sie einen abgebrochenen Besenstiel. Gust holte tief Luft. „Frau!“ rief Gust, als er bis auf wenige Meter heran war. Sie war so in ihre Gedanken versunken, daß sie ihn gar nicht bemerkt hatte. Jetzt zuckte sie zusammen. „Gust!“ entfuhr es ihr. „Ich dachte, du seiest...“ Aha, dachte der Androide, sie hat ein schlechtes Gewissen. Das ist ein gutes Zeichen. Gust hatte nicht die Absicht, sich auf ein langes Geplänkel einzulassen. Er trat an seine Frau heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Margarethes Körper wurde steif. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Mann an. „Ist das wahr?“ Gust nickte ernsthaft. „Aber sicher! Geh hin und überzeuge dich selbst!“ „Das wird er bereuen!“ fauchte sie und stampfte davon. Noch als sie bereits im Schacht verschwunden war und nach unten schwebte, hörte Gust sie schimpfen. Der Androide kicherte und verharrte kurz in stiller Selbstbewunderung. Er war nicht nur mutig geworden, sondern auch schlau! Sein Auftrag fiel ihm ein. Noch einmal atmete er durch. „He, Sie da drinnen!“ rief er dann und klopfte an die Kabinentür. „Sie können rauskommen, sie ist weg!“ Eine Weile blieb es still, dann kam die dunkle Stimme aus der Kabine: „Ist das auch kein
Trick?“ „Kein Trick, ich habe sie überlistet.“ Gust hörte, wie etwas Schweres in der Kabine bewegt wurde, dann löste sich ein Schloß. Die Tür schwang auf, und Harry Vanderbuilt trat auf den Gang hinaus. „Tatsächlich!“ murmelte er beruhigt. Erst jetzt erkannte er seinen Befreier. „Sie sind das?“ Harrys Miene verfinsterte sich ein wenig. „Sie haben mir das Ganze eingebrockt! Was haben sie der Furie eigentlich erzählt?“ „Ich muß Sie bitten, nicht in diesem Ton von meiner Frau zu sprechen!“ entrüstete sich Gust. Gleich darauf erschrak er vor sich selbst. „Ihre... Ihre Frau?“ kreischte Harry. „Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie beide... verheiratet sind?“ „Wie Sie das nennen, soll mir egal sein“, entgegnete Gust trotzig (woher kommt bloß der plötzliche Mut? fragte er sich). „Auf jeden Fall sind wir Mann und Frau.“ Verheiratete Androiden! Harry stöhnte. In welches Tollhaus war er geraten? „Kommen Sie jetzt“, sagte Gust. „Wir müssen in die Zentrale. Irgendein Planet soll angeblich wieder auftauchen.“ Harry wurde hellhörig. Automatisch beschleunigte er seine Schritte. Caolis? Es schien also loszugehen. „Eine Frage noch: Wie haben Sie diese... Ihre Frau dazu gebracht, zu verschwinden?“ „Ich habe ihr erzählt, daß einer aus der Besatzung einen Tobsuchtsanfall bekommen und seine Kabine total verwüstet habe, nun auf dem Weg zum Reinigungsmitteldepot sei und...“ „Schon gut“, sagte Vanderbuilt. Er begriff gar nichts mehr. Eine Minute später waren sie in der Zentrale. 10. ######CERA Die Arbeit war beendet. Und damit der letzte Eingriff in die Evolutionslinie des Universums. Der Planet, von dem aus einmal die Geschicke eines Großteils des Universums gelenkt werden sollten, stand wieder als helle Kugel im All. Es wurde Zeit für die SPHÄRE CERA, nun Abschied von den Menschen zu nehmen, die sie lange Zeit auf ihrem Weg zu sich selbst begleitet hatten und ohne die die Stabilisierung der Zeitlinien niemals möglich gewesen wäre. Allein durch den selbstlosen Einsatz eines Christopher Reed in der Vergangenheit war die schon fast sichere Katastrophe verhindert worden, die eine Folge von Ceras Spontaneität gewesen war. Immer lauter waren die Stimmen der anderen Räume zu hören. Sie lockten und trieben die Sehnsucht in CERA immer höher. CERA war nicht mehr allein. Ein zweites Bewußtsein hatte sich mit ihr vereinigt und würde sie auf ihrem langen Weg begleiten. Aber bevor sie für lange, lange Zeit verschwand, hatte sie noch eine Pflicht zu erfüllen. Die Menschen mußten die Zusammenhänge erfahren, um ihre künftige Aufgabe erfüllen zu können. Noch einmal kristallisierte sich die SPHÄRE CERA über dem Schiff der Gefährten und nahm zum letzten Mal Kontakt auf. * Als Harry vor Gust die Zentrale betrat, stand Caalis auf allen Außenübertragungsschirmen. Der Planet war stabil geworden. Er bot das vor seinem mysteriösen Verschwinden gewohnte Bild. Unwillkürlich verkrampfte sich Harry, denn der Anblick von Caalis ließ einige unangenehme Erinnerungen in ihm aufsteigen. Skip, Christine und der Alte saßen schweigend in ihren Sesseln und nahmen kaum Notiz von Harry. Er setzte sich zu ihnen, während Gust sich im Hintergrund hielt. Es war klar, daß sie auf etwas warteten. Als ob Harrys Erscheinen ein Signal gewesen wäre, erloschen plötzlich schlagartig alle
Lichter in der Zentrale. Irgend jemand stieß einen überraschten Schrei aus. Es war vollkommen dunkel. Dann war das Licht überall. Niemand hätte die Farbe genau beschreiben können. Einmal schien es violett zu leuchten, dann wieder wurden sämtliche Gegenstände der Zentrale in waberndes Purpur getaucht. Als das Licht zur Ruhe kam, wußten die Menschen und der Loorde, daß Cera unter ihnen war. Und dann entstanden die Bilder in ihren Gehirnen... * Am Anfang war die SPHÄRE. Die SPHÄRE stellte die Lebensenergie dar, die aus der ehemaligen positiven Urmacht hervorgegangen war. Mit der Zeitkorrektur und der daraus resultierenden positiven Zeitlinie war das Evolutionsprogramm der Caaliter angelaufen, das auf eine neue Evolution des Lebens zielte, unter den Bedingungen der Isolation des Universums. Die alten Völker mußten zwangsläufig degenerieren, nachdem der RING DER UNIVERSEN sich für immer geschlossen hatte. Die belebenden Impulse, unter denen das erste Leben entstanden war, blieben aus, und mit ihnen die Triebkraß des Lebens, die die alten Völker benötigten. Diese Völker starben aus.’ Ihre Spuren wurden verwischt, bis auf die wenigen Relikte, die sie hinterlassen hatten. Eines davon war die Station der nach LOORD versprengten Caaliter. Im Bewußtsein des nahenden Todes hatten sie in Form der Loord-Kristalle auf der damals jungfräulichen Urwelt ein Programm zurückgelassen, daß dann aktiviert werden würde, wenn der Planet nach Milliarden von Jahren geeignetes Leben hervorbrächte. Fünfundsiebzig Millionen Jahre vor der Entstehung der Menschheit entwickelte sich eine humanoide Rasse auf LOORD. Die genetische Manipulation in Form der Kristallstrahlung wurde wirksam. Die Loorden entwickelten sich nach dem Vorbild der Caaliter. Sie erreichten den Zenit ihrer technologischen Entwicklung. Die führenden Köpfe auf LOORD begriffen, daß mit der Raumfahrt und der technischen Perfektion nur die Voraussetzungen für den wahren Sinn ihres Lebens geschaffen worden waren. Unter dem (ihnen unbewußten) Einfluß der alles steuernden Kristalle bauten sie ihre gigantische Saatflotte, die die Galaxien durchziehen und das junge Leben überall nach ihrem Vorbild formen sollte. Planeten, die noch kein Leben trugen, wurden mit Lebenskeimen infiziert. Auf den anderen Welten sollten genetische Eingriffe zum Erfolg führen. Unmittelbar vor dem Start der vielen tausend Walzenschiffe brach auf LOORD die rätselhafte Seuche aus, die, mit Ausnahme weniger Immuner, die gesamte Bevölkerung hinwegfegte. Die Schiffe starteten, aber auch sie waren von dem tückischen Virus bereits befallen. Die Besatzungen starben qualvoll. Die Schiffe aber folgten ihrem automatischen Programm und durchstreiften das Universum. Überall, wo sie auf geeignete Welten stießen, brachten sie das Leben. Dann zogen sie weiter. Über dieses Geschehen wachte die SPHÄRE. Trotz ihrer unbegrenzten Machtfülle war es ihr unmöglich, das Verderben von den Loorden abzuwenden. Das Volk starb aus. Nur ein gutes Dutzend Immuner überlebte. Durch das Virus wurden sie unsterblich. Sie entwickelten perfekte Androiden, die die Aufgabe hatten, die Rückkehr der Saatflotte abzuwarten. Die Unsterblichen zogen sich in Überlebenskammern zurück, um die Jahrmillionen zu überbrücken, denn obwohl sie physisch unsterblich waren, konnte die lange Zeit nicht ohne Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit bleiben. Nach der Rückkehr der Schiffe wollten sie eine Welt aufsuchen, die die Loorden erst vor kurzem entdeckt hatten. Man hatte hyperphysikalische Strömungen festgestellt, die es ermöglichen sollten, die Fesseln der Körperlichkeit zu sprengen. Auch das war vorprogrammiert. Die Position des Planeten
CAALIS war im Unterbewußtsein der Loorden gespeichert gewesen. CAALIS selbst spielte eine wichtige Rolle in der loordischen Mythologie. Nur die wirkliche Bedeutung der Welt war den Loorden nicht zugänglich. Später sollte sich das fast fatal auswirken. Nur ein Loorde an Bord der Saatschiffe war immun gegen die Seuche. Er verließ sein Schiff, als es eine junge Welt erreicht hatte und ihre genetischen Eingriffe vornahm. Jahrmillionen erlebte er als Unsterblicher die Entwicklung dieses Planeten mit, den seine Bewohner später ERDE nannten, bis die Eingeborenen die Technik entwickelten und sich bereits anschickten, nach den Sternen zu greifen. Bevor es dazu kam, streifte die Saatflotte auf ihrem Weg zurück nach LOORD zum zweiten Mal die Erde. Wie auf jeder Welt, nahm sie auch hier Proben auf. Vier Menschen wurden entführt, mit ihnen gelangte der Loorde zurück an Bord. Hier griff zum ersten Mal die SPHÄRE in die Entwicklung ein. Sie sorgte dafür, daß der Loorde „entführt“ wurde. Die SPHÄRE hatte Jahrmilliarden warten müssen, bis sich die beiden alternativen Zeitlinien (die, welche aus dem Sieg der Negativmacht hervorgegangen wäre, und die, welche nach der Zeitkorrektur existent geworden war) berührten. Unter den endlos vielen möglichen Kombinationen in beiden Linien entstanden vier identische Wesen in beiden Zeitlinien zur gleichen Zeit. Auch diese Überschneidung dauerte nur einen winzigen Sekundenbruchteil, aber er genügte der SPHÄRE. Die Menschen und der Loorde, der im Laufe der Verbannung auf der Erde das Gedächtnis verloren hatte und zu einem alten Trottel geworden war, erreichten LOORD und fanden die zerstörten Überlebenskapseln. Sie erfuhren von der Rebellion der Androiden und der Flucht der Unsterblichen. Sie folgten ihrer Spur und erreichten CAALIS. Jetzt begann die Mission der fünf. Nach der Wiederkehr der Menschen von der Erde fanden sie den Weg in jenes parallele Universum, das am Ende des Tunnels stand, den die Loorden errichtet hatten, um in die angestrebte höhere Entwicklungsstufe zu gelangen. Im Laufe der Abenteuer im Parallelkosmos schaltete sich die SPHÄRE direkt in die Entwicklung ein. Sie wuchs in Christine in einer körperlichen Hülle heran. Nach ihrer „Geburt“ nannten die Menschen sie CERA. Ein weiterer Sprung in den Parallelkosmos, jenes Universum, in das die geballte Negativmacht bei der Vernichtung des RINGs DER UNIVERSEN geschleudert worden war, bereitete die Menschen auf ihre Mission in der Vergangenheit vor. Als der Zeitpunkt gekommen war, schickte die SPHÄRE sie in diese Vergangenheit, um den Schritt nachzuvollziehen, den ihre Doppelgänger aus der anderen Zeitlinie getan hatten. Erst dann war die Zeitlinie stabil und damit das Universum. All das konnte die SPHÄRE nur unter sehr großen Schwierigkeiten steuern, weil die kindliche Komponente in CERA oft die Überhand gewann und die SPHÄRE in den Hintergrund drängte. Oft genug beschwor das ahnungslose Kind mit den in ihm schlummernden Kräften der SPHÄRE unabsehbares Unheil herauf. Erst nach der Rückkehr aus der Vergangenheit erkannte CERA ihre wahre Natur. CERA und die SPHÄRE vereinigten sich. Der Kreis war geschlossen... * Ganz langsam verblaßten die Bilder. Es war für die Menschen und den Loorden wie das Erwachen aus einem plastischrealen Traum. Vieles hatten sie gewußt oder geahnt, aber jetzt fügte sich ein Stein zum anderen. Das bizarre Bild begann sich abzurunden. Das Licht in der Zentrale schien um eine Nuance matter zu werden. Anscheinend sollten sie das eben Erfahrene erst einmal verarbeiten, bevor der letzte Stein des Mosaiks eingefügt wurde. Jener Stein, der Zukunft hieß. „Mir brummt der Schädel“, sagte Vanderbuilt. „Schau sich einer dieses raffinierte kleine Biest
an!“ „Harry!“ fuhr Christine auf. Auch Skip schüttelte den Kopf. „Ist doch wahr!“ verteidigte sich der Kleiderschrank. „Sie schickte uns in die Vergangenheit, obwohl sie wußte, daß wir dabei draufgehen würden!“ „Du lebst noch“, erinnerte Skip. „Eben!“ zischte Christine. „Außerdem ist unser Leben unwichtig im Vergleich zu dem, was auf dem Spiel stand.“ „Wenn der ursprüngliche Plan geklappt hätte“, ergänzte der Alte, „hätte keiner von euren... Ebenbildern zu sterben brauchen.“ „Und wie sah der aus?“ „Nach der Materialisation über Caalis sollte Cera als ,Geheimwaffe’ gegen das Monstrum aktiv werden und dem Spuk ein schnelles Ende bereiten. Ihr Pech war, daß das Kind Cera überschnappte, als es die Ausstrahlung des RINGs wahrnahm und sich Hals über Kopf in die Kette der Paralleluniversen stürzte.“ „Aber was ist mit Christopher?“ fragte Vanderbuilt störrisch. „Und was wird nun weiter?“ Wieder schien er ein Stichwort gegeben zu haben. Das Licht wurde erneut intensiver. Die Bilder kamen... * Nach der Stabilisierung von Skip, Christine und Vanderbuilt blieben CERA noch zwei Aufgaben zu erfüllen: CAALIS mußte zurückgeholt werden, und Reed mußte aus seinem körperlosen Schattendasein befreit werden. Die erste Aufgabe war relativ leicht zu bewerkstelligen. CAALIS war nie wirklich aus dem Normaluniversum verschwunden. Durch die Spielerei des Kindes CERA war der Planet lediglich in eine untergeordnete Stabilitätsstufe versetzt worden. Es war leicht, dieses rückgängig zu machen. Das zweite war schwieriger. CERA mußte jemanden dazu bringen, das Diskusschiff zu zerstören, weil sie aufgrund der halbstabilen Beschaffenheit in dem Raumer nicht operieren konnte. Gust erledigte unter ihrer Anleitung diese Aufgabe. Dadurch wurde Reeds Bewußtsein frei und konnte von der SPHÄRE CERA übernommen werden. Reed war nun ein integrierter Teil der SPHÄRE. * „Du wirst uns verlassen, nicht wahr?“ fragte Christine, als die Bilder erneut verblaßt waren. Diesmal kam ein klarer Impuls. Die unhörbare Stimme verbreitete eine fast bedrückende Zärtlichkeit. Liebe und Trauer sprachen gleichzeitig aus ihr. Ja, ich verlasse euch. Ich habe eine Aufgabe. Mein Weg ist vorgezeichnet, ebenso wie auch euer Weg vorgezeichnet ist. Und dann kamen zum letzten Mal die Bilder und erfüllten die Köpfe der Menschen.
11. Diesmal wußten sie, wohin sie flogen. Vielleicht war es eine sentimentale Anwandlung, daß Skip das Schiff im Leerraum, einige tausend Lichtjahre jenseits der Galaxis, in der Loord und Caalis sich um ihre Sonnen drehten, aus dem Überlichtflug nahm. Lange hingen die Blicke der drei Menschen an dem Spiralrad aus Millionen glitzernder
Punkte, jeder davon ein Stern mit Planeten, auf denen sich vielleicht längst schon die Spuren der loordischen Saatflotte zeigten. Lange Zeit war die Position dieses Sternsystems das Geheimnis der Positroniken gewesen. Jetzt wußten die Menschen, daß es mehr als 20 Millionen Lichtjahre von der Heimatgalaxis entfernt war. Skip aktivierte wieder den Überlichtantrieb, der sie mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit ihrem Ziel entgegentrug. Sie flogen nach Hause. Skip überzeugte sich von dem einwandfreien Funktionieren der Systeme und verließ die Zentrale. Alles Weitere war jetzt Aufgabe der Computer, die das Schiff reibungslos zur Erde steuern würden. Skip fand Christine im Kommunikationsraum. Sie versuchte, sich durch einige Videospiele abzulenken. Er küßte sie und ließ sich wortlos in einen Sessel fallen. Das gewählte Programm bestätigte Skips Vermutung. Sanfte, vornehmlich grüne und mattblaue Farbtöne flössen über die Rundumvideowand, vereinigten sich zu weichen Formen und gaben der Phantasie des Betrachters freien Raum. Nach einer Weile fuhr Christines Hand an der Lehne ihres Liegesessels herab und schaltete die Wand aus. „Lache mich bitte nicht aus“, sagte sie plötzlich, „aber was mich im Moment am meisten beschäftigt ist, wo sie jetzt wohl sein mag.“ „Auf ihre Art ist sie zu Hause“, sagte Skip. „Wir werden sie wiedersehen, eines Tages kehrt sie zurück.“ Christine lächelte still vor sich hin. „Werden wir damit fertig werden, Skip?“ fragte sie. Skip wußte, was seine Gefährtin meinte. Einerseits mußte sie ungeheuer erleichtert sein, nicht mehr einsam zu sein, andererseits aber hatte sie Angst vor der Verantwortung, die ihnen übertragen worden war. „Wir müssen es erst einmal verarbeiten, Liebes. Wir haben viel Zeit. Sehr viel Zeit.“ Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran. „Erst einmal“, kündigte er an, „werden wir uns ein paar Monate auf einer Insel irgendwo in der Südsee auf die faule Haut legen und an gar nichts denken, nur an uns. Wir müssen sowieso untertauchen und uns eine neue Identität aufbauen. Die Leute auf der guten Erde dürfen gar nicht erst merken, daß wir wieder unter ihnen sind.“ „Wächter!“ stieß Christine fast spöttisch hervor. „Wächter von Caalis!“ „Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Wir sollen über das sich entwickelnde Leben überall im Universum wachen, der Caalis- Wächter sitzt in seiner Station und kann sich mit seinen Androiden befassen.“. Skip lachte in sich hinein. Die Schadenfreude war ihm deutlich anzusehen. „Du solltest dich schämen“, sagte Christine halbernst. „Wir verdanken ihm viel.“ „Und er uns“, meinte Skip. „Aber du hast recht. Allerdings dürfte ihm die Zeit kaum lang werden, unserem guten Alten. Er hat sich wie ein Besessener auf die Anlagen und die gespeicherten Informationen gestürzt. Er will endlich wissen, was es mit seinem Volk nun auf sich hat.“ „Die Loorden“, sinnierte Christine. „Ohne sie gäbe es uns Menschen nicht.“ , „Und umgekehrt. Denke an die Zeitlinien.“ Christine schüttelte in gespielter Benommenheit den Kopf. „Hör auf, mir reicht’s vorläufig. Dieser Gust... er war mir fast sympathisch.“ „Inzwischen hat er wohl auch seinen Vanderbuilt-Komplex abgelegt.“ „Übrigens Harry... wo steckt er?“ Skip zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Wie ist es, gehen wir in unsere Kabine?“ Christine lachte. Wenig später lagen sie nebeneinander zwischen weichen, bestickten Decken und pompösen
Kissen. Sie dachten darüber nach, was sie erwartete. Cera hatte ihr Universum verlassen. Während der Loorde auf Caalis über die Geschicke dieses kosmischen Kreuzpunkts wachte, würden sie die Geschicke des aus der Saatflotte entstandenen Lebens überall im übersehbaren Kosmos lenken. Unter ihren helfenden Händen sollte eine zweite kosmische Generation heranwachsen. Eine Generation, die nicht den Atem der Parallelräume brauchte, wie es etwa bei den Caalitern der Fall gewesen war. Die Gedanken der beiden Menschen bewegten sich in den gleichen Bahnen. Sie dachten an die Rassen im Parallelkosmos I, die nach Ceras Versicherung das Monstrum besiegt hatten und dabei waren, aus den Trümmern von Jahrmilliarden neu aufzubauen. Vielleicht gab es auch hier eines Tages ein Wiedersehen. Vorerst sah ihre Aufgabe konkreter aus. Sie würden unbemerkt auf der Erde landen und unter neuem Namen dafür sorgen, daß die kosmische Expansion der Menschheit zügig und ohne Fehlschläge voranschritt. Sie würden in allen möglichen Masken auftauchen und dort zur Stelle sein, wo es Schwierigkeiten zu bewältigen gab. Im Laufe der Zeit würden sie neue Fähigkeiten entwickeln, Telepathie, Teleportation und weitere PSI-Kräfte. Die Zeit war ihr Verbündeter. Sie brauchten nur aus den Kräften des Universums zu schöpfen. Bereits als sie zum erstenmal auf Caalis standen, hatten sie gewußt, daß sie nie mehr so sein konnten wie andere Menschen. Der Hauch des Universums hatte sie berührt. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie glaubten, die Entwicklung wüchse ihnen über den Kopf. Sie hatten versucht, sich zurückzuziehen, aber das, was sie trieb, war stärker. Das Mosaik war komplett. In einer knappen Woche würden sie die Milchstraße erreicht haben. „Ich hätte eine Idee, wie wir uns ablenken können“, sagte Skip. Christine sah ihn fragend an. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Noch während sie sich auszog, ging Skip in die Nebenkabine und rief über Interkom nach Harry. Ein Schirm flammte auf. Vanderbuilt schien über die Störung nicht sehr erbaut zu sein. „Was ist los?’ „Es ist nur... Christine und ich, wir brauchen Ruhe, Harry. Wir legen uns ein paar Stunden aufs Ohr. Und ich wäre dir dankbar, wenn du uns diesmal nicht stören würdest, du verstehst...“ „Nichts verstehe ich von deiner Orakelei. Außerdem habe ich überhaupt keine Zeit, um euch einen Besuch abzustatten. Ich bin beschäftigt!“ „Du bist... beschäftigt?“ brachte Skip verdutzt hervor. „Wenn du’s genau wissen willst, ich schreibe meine Memoiren!“ Skip sah, daß Harry ein durchaus ernstes Gesicht machte. Er tut’s tatsächlich! durchfuhr es ihn. Skip verabschiedete sich von Harry und ging zu Christine zurück. „Wo warst du so lange?“ fragte sie, als sie sich an ihn kuschelte. „Ich habe Harry gebeten, uns in Ruhe zu lassen.“ „Und?“ Als Skip ihr von Harrys Vorhaben erzählte, lachte sie wie noch nie in ihrem Leben. Sie waren unsterblich geworden. Sie hatten den Atem des Universums gespürt. Sie hatten Räume durchstreift, die keiner Phantasie zugänglich waren. Sie hatten eine Aufgabe zu erfüllen, deren Ausmaß sie nicht zu begreifen fähig waren. Aber sie waren Menschen geblieben. Während sie dem Planeten entgegenrasten, der nun wieder, wenn auch unter einem anderen Licht gesehen, ihre Heimat war, entschloß sich ein Wesen, das scheinbar wenig mit den Menschen und den Loorden gemeinsam hatte, dem Alten nach Caalis zu folgen. Xolcaht hatte eine schwere Entscheidung zu treffen gehabt, die von ihm verlangte, mit allen
Traditionen seines Volkes zu brechen. Er bereute sie nicht. Er würde dem alten Mann bei seiner Arbeit helfen und lernen. Eines Tages würde er zu den Seinen zurückkehren, so wie es jetzt die Terraner taten. Xolcaht wußte jetzt, daß er zu ihnen gehörte. Denn auch sein Volk kannte die Mythen von Caalis. Auch er war aus der Aussaat der Loorden hervorgegangen...
ENDE