L. Ron Hubbard Rebell der Milchstraße
Vorwort Im Jahre 3922 wurde der Anarchie der Regierungen im Weltraum ein Ende be...
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L. Ron Hubbard Rebell der Milchstraße
Vorwort Im Jahre 3922 wurde der Anarchie der Regierungen im Weltraum ein Ende bereitet. Man einigte sich darauf, im galaktischen Schiedsrat eine ungeheure Machtfülle zusammenzufassen. An der Spitze dieses Rats stand der Schiedsrichter, der damit eine Stellung absoluter Autorität über den gesamten bekannten Raum innehatte. Der Schiedsrichter und seine Berater setzten den Kurs einer jeglichen Währung fest und hielten sie gesund. Er hatte die Ausgabe und den Gebrauch sämtlicher Waffen zu genehmigen. Seine Spione und Gesandten waren überall, und Präsidenten, Könige und Kaiser beugten den Nacken. Die Arbeit des Schiedsrats war in einen Mantel des Schweigens gehüllt. Kaum einer unter tausend Menschen hatte je vom Schiedsrichter gehört. Nur Regierungen und große Unternehmen wußten von ihm, da letzten Endes ihre Existenz von seiner Erlaubnis abhing. Doch der Mensch ist schwach, und das All ist weit. Im Jahre 3975 war das politische Gerüst des Weltraums windschief geworden, und man hörte flüstern …
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1. Kapitel Christopher Randolph Kellan wußte, daß er unter einem schlechten Stern geboren worden war. Nicht, daß es ihm so viel ausmachte oder daß es sein fröhliches Grinsen beeinträchtigte. Aber viele seiner Mitmenschen stießen sich daran. Er war ein Mann mit einem befristeten Studentenausweis. Darüber hinaus hatte er keinen Paß. Er wußte nichts von seiner Mutter oder seinem Vater, und so wäre es ihm wohl auch schwergefallen zu beweisen, daß er überhaupt geboren worden war, weil er nicht wußte wo. Und es passierten ihm immer Sachen, sonderbare Dinge, die er sich nur dadurch erklären konnte, daß er seinen schlechten Stern dafür verantwortlich machte. Heute war er hier im Büro des Dekans der naturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Terra, um wieder einmal von sich selbst Rechenschaft zu geben. Er war dickköpfig gewesen. Er hatte sich geweigert, zu glauben. Seine Professoren hatten nichts für ihn übrig, weil er zu viel – und zu scharf – dachte. Er trat an das Empfangstischchen, und das Mädchen dort lenkte seine Aufmerksamkeit plötzlich von seinem Kummer ab. Es war, wie wenn man durch eine Kaktuswüste irrt und auf einmal einen Brunnen findet, um den herum Blumen sprießen. Ihr Haar war schwarz wie glänzende Kohle, und ihre Bluse und ihre Lippen waren weinrot. Und also geschah der Untergang von Christopher Randolph Kellan. Sie schien im übrigen sehr von ihm angetan. Denn sein Haar war golden und seine Schultern waren breit. Und so standen sie da, dreißig Sekunden lang – eine sehr lange Zeit – und sahen sich an, und warmes Lächeln spielte zwischen ihnen hin und her. Und dann fragte sie nach seinem Namen. „Christopher Randolph Kellan“, antwortete er. Und ihre Augen blickten auf und senkten sich. Enttäuschung war in ihr. „Sie warten auf Sie“, sagte sie. 4
„Halt, einen Augenblick, Sie sind neu hier“, sagte Kit. „Ich war schon dreißigmal im Allerheiligsten und habe Sie nie zuvor gesehen. Wie heißen Sie?“ Sein Lächeln war verführerisch. Er sah nicht wie einer aus, der gehängt werden sollte. „Sie warten“, sagte sie kühl. Christopher Randolph Kellan trat ein und erstarrte. Er wußte, daß er ihnen auf die Nerven ging, aber er hatte nicht erwartet, daß sich der gesamte Lehrkörper versammeln würde, um ihm dies mitzuteilen. Und doch saßen in dieser muffigen Gruft von einem Amtszimmer fünf Fakultätsmitglieder trübselig auf einer Seite des langen Tisches, und sie sahen ihn noch trübseliger an. Dekan Lapham ahnte des jungen Mannes Bewegung auf einen Stuhl zu. „Bleiben Sie stehen, Kellan.“ Und Kit sah fünf Augenpaare hinter dicken Brillengläsern, die ihn anschauten, und nirgendwo ein Lächeln. Füßescharren hinter ihm ließ ihn auffahren. Der sechste Mann saß in einer Ecke. Er war gut gekleidet und gehörte demnach nicht zu den Universitätsbeamten. Seine Gesichtszüge sahen merkwürdig brutal aus, und mit leisem Schauern erkannte Kit in ihm den typischen SAU-Agenten. „Das der Kerl?“ sagte der Agent vom System-Amt für Untersuchungen. Dekan Lapham, kahlköpfig und grau um die Stoppeln, im grauen Rock und in Hausschuhen – Dekan Lapham also sah Kit bedächtig an, als ob er sich von der Tatsache überzeugen wolle. Höflich nickte er zu dem SAU-Mann hinüber. Ein kleiner, zwergenhafter Professor breitete einen hohen Stoß Papiere vor sich aus und durchblätterte sie bedeutungsvoll. Er räusperte sich laut, um seine mangelnde Körpergröße auszugleichen. „Christopher Randolph Kellan?“ verlangte er zu wissen. Seine Stimme überschlug sich vor Anstrengung, schneidend zu wirken. 5
Kit hielt gerade noch rechtzeitig ein Lächeln zurück und sah ernsthaft aus. „Ja, Sir.“ „Kellan“, sagte der Zwerg, „ich habe Ihre Prüfungsberichte und Kurszeugnisse vorliegen. Wenn Sie nicht für Ihr Verhalten und diese Zustände ausreichende Rechenschaft ablegen können, kann Ihnen Schreckliches bevorstehen.“ Der Delinquent war sich dessen wohl bewußt. Und er war sich ebenso wohl der Tatsache bewußt, daß keiner der Anwesenden wünschte, er könne für „diese Zustände“ Rechenschaft, ablegen. „Wie alt sind Sie?“ piepste der Zwerg. „Dreißig“, sagte Kit. Die fünf Köpfe neigten sich einander zu. „Jung“, stimmten sie zu. „Ziemlich jung, um seinen zweiten Doktor zu machen.“ „Wie lange waren Sie an der Universität Terra?“ sagte Dekan Lapham. „Ein Jahr“, sagte Kit. Ihm gefiel die Art nicht, in der der SAU-Mann jedesmal, wenn er sprach, mit den Füßen scharrte. Er kam sich ausgeliefert vor. Sie brummelten wieder unter sich. Es war eine Art Kriegsgericht, dachte Kit, außer daß er keinen Anwalt hatte. Er blickte nach hinten und sah, daß der SAU-Mann immer noch in seinem Stuhl saß. „An welcher Schule erhielten Sie Ihren Doktor in theoretischer Ingenieurphilosophie?“ sagte Lapham. „Kernphysikalisches Institut, Martianische Universität“, sagte Kit. „Hmm“, sagte Lapham, „sind Sie sicher?“ „Natürlich. Man hat mir meinen Brustbeutel gestohlen, aber Mars wird wohl in der Lage sein, Ihnen die Unterlagen zu übersenden.“ „Wir waren mit Mars in Verbindung“, sagte der Zwerg und holte einen leichten, dünnen Briefbogen hervor. „Man gibt dort 6
an, daß – wenn Sie auch dort studiert haben mögen – keinerlei Unterlagen vorhanden sind.“ Kit schickte sich an, hitzig zu widersprechen, riß sich dann aber zurück und beherrschte sich. Er hatte sich schon zu oft in Streitgespräche eingelassen – deshalb war er ja auch hier. „Sie haben hier bei uns in Washington die Oberschule fertig besucht“, sagte der Zwerg, „aber wir haben keine weiteren Aktenvermerke. 3960 hat man Ihnen an der Wald-Aufbauschule in dieser Stadt das Abitur abgenommen, und Sie haben – wie hier steht – mit Auszeichnung bestanden. Aber Sie haben diese Schule nicht besucht.“ „Ich … Meine Tante Isabel hatte mich bis dahin von Privatlehrern unterrichten lassen. Ich wohnte hier in der Stadt.“ „Wer ist diese Tarnte Isabel?“ sagte Lapham. „Sie ist meine Tante, meine einzige lebende Verwandte, Sir. Sie vertritt an mir Mutterstelle. Wenn ich auf der Erde bin, wohne ich bei ihr.“ „Ha!“ sagte der SAU. Das hatte ihn angesprochen, aber er beruhigte sich wieder, als die Fakultät mit neuen Fragen drängte. „Sie geben vor, Ihre ersten Kurse und Vorlesungen in der Stadt Clarkville hinter sich gebracht zu haben, auf Demara im Vegasystem“, sagte der Zwerg, „und Sie gaben an, Ihr Ingenieurvordiplom am Thorpe-Inistltut in der City of Ghent auf dem Planeten Bonner gemacht zu haben, im System Gamma Centauri.“ Und seine piepsige Stimme schwoll an und überschlug sich vor Strenge. „An jedem dieser Orte bestehen keinerlei Unterlagen über Ihre Anwesenheit und Studium, trotz der Angaben, die Sie uns gemacht haben.“ Nun war Kit ja ein netter junger Mann, aber er hatte rotes Haar, und rotes Haar kann nur so viel Unwahrscheinlichkeit vertragen, und nicht mehr. Wie konnten sie denn an jeder Schule seine Unterlagen verloren haben? Er ballte die Fäuste. „Irgend jemand“, sagte er, „erzählt nicht die Wahrheit.“ 7
„Tut, tut, Kellan“, meinte Lapham. „Aufbrausen nützt Ihnen hier nichts. Ihre Durchschläge sind offensichtlich falsch. Außerdem sind sie in der Eile so wenig exakt ausgefallen, daß sie eine leere Zeit von mehreren Jahren in Ihrem Leben lassen, zu deren Begründung nichts angeführt ist. Wo waren Sie zum Beispiel vor zwei Jahren?“ „Ich war Raummatrose.“ „Wie?“ schrie Lapham. „Ein Diplomingenieur ein gemeiner Matrose? Wie kommt das?“ „Es machte mir Spaß“, sagte Kit trotzig. „Nachdem ich zur Schule gegangen war, ließ mich meine Tante ziehen, wohin ich wollte. Ich bin ein Raumnavigator und habe meine Papiere vom Aldebaranischen Amt für Raumaufsicht und Navigation. Ich vermute, sie sind wohl ebenso falsch wie die andern. In Ihrem Amt für Raumhandel bin ich als Düsentechniker erster Klasse eingetragen. Ich sehe nicht, was das mit meiner akademischen Stellung zu tun hat! Entweder hat jemand meine Papiere von allen diesen Stellen gestohlen, oder jemand hier im Raum lügt.“ Lapham hätte ihn am liebsten am Boden zerstört, nahm aber davon Abstand. „Lesen Sie weiter“, sagte er zu dem Zwerg. „Er versagt“, fuhr der Zwerg fort, und hierbei wurden seine Augen ein wenig unruhig. „Bei den binomischen quadratischen Formen erhielt er nur die Bewertung E. In seinen vorgeschrittenen sphärischen Differentialübungen hat er gerade erst die Einführung hinter sich gebracht. Im Vierdimensionalen Kalkül hat er noch nicht einmal die Vorlesungen mitgehört. Bei einer Prüfung zeigte sich, daß er die zehnstellige Logarithmentafel auswendig konnte.“ „Das genügt“, sagte Lapham. „Kellan, stimmt es, daß Sie die üble Angewohnheit haben, Ihren Professoren zu widersprechen und sich zu weigern, alles zu glauben, was man Ihnen sagt?“ „Ich … so heißt es, Sir.“ 8
„Trifft es zu, daß Sie zwei neue Hypothesen auf dem Gebiet der Materieerzeugung aufstellten?“ sagte Lapham ernst. „Ich …“ „Keine Ausflüchte, Sir.“ „Ja, es stimmt“, sagte Kit unglücklich. „Haben Sie Herrn Professor Hortle hier zu meiner Linken gegenüber erklärt, Psychiatrie sei eine kindische Wissenschaft und der Beachtung eines Naturwissenschaftlers nicht würdig, weil wir von Experimenten mit Ratten ausgingen und Menschen keine Ratten wären, haben Sie das erklärt oder nicht?“ „Ich …, ja, das habe ich gesagt, Sir.“ „Sie versuchten sich“, sagte Lapham, „an einer abkürzenden Methode zur Spaltung leichter Kerne, und zwar in Ihrem Labor, oder?“ „Ich …, ja, Sir“, sagte Kit, dem die Unruhe des SAUMannes gegenwärtig wurde. „Sie haben Studenten mit freien Anschauungen infiziert“, sagte Lapham und blickte finster. „Oder leugnen Sie das?“ „Nein, ich … ich kann schließlich nur meine eigenen Gedanken vertreten, Sir.“ „Aha!“ sagte Lapham triumphierend. „Sie gestehen also ein, eigene und neue Gedanken gehabt zu haben!“ Kit wurde rot bis an die Wurzeln seines rotblonden Haars. „Sie wissen zweifelsohne“, sagte Lapham, „daß in einer amerikanischen Universität jeglicher originelle Gedanke verboten ist. Daß das größte Verbrechen, das man in dieser Einrichtung begehen kann, in der Weigerung besteht, zu glauben, zu tun und zu denken, was man Ihnen erzählt – und nichts anderes! Sie wußten das!“ Lapham wandte sich an die anderen. „Meine Herren, er richtet sich selbst. Wollen wir abstimmen?“ Sie stimmten ab, indem sie heftig mit dem Kopf nickten, und hefteten dann ihre Blicke an Kit. Dekan Lapham erhob sich. „Christopher Randolph Kellan“, sagte er, „Sie werden hier9
mit von der Universität Terra ausgeschlossen. Ich verlange Ihre Studienkarten.“ Kit wollte sie ihm übergeben, doch dann wurde er von Furcht erfaßt. Ohne Studienkarte konnte er nicht essen, er konnte nicht arbeiten. Sie würden ihm einen gelben Schein zurückgeben, der ihn jeder anständigen Organisation verdächtig machen würde. „Sie verurteilen mich zu Gott weiß was!“ sagte Kit. „Ihre Anschuldigungen sind falsch, sie müssen falsch sein. Und wenn ich meine eigenen Gedanken habe, wenn ich neue Theorien und Vorstellungen entwickle, so lassen Sie sich gesagt sein: Draußen im Raum, auf den Vorposten der Menschheit, sind Ihre Textbücher noch nicht mal als Heizmaterial zu gebrauchen. Ich kam her, um mehr über Naturwissenschaften zu lernen, und ich stelle fest, daß ihr noch nicht mal einem Lagerarbeiter beibringen könntet, wie er seinen Schubkarren zu fahren hat! Hier sind eure Karten, und ihr könnt sie euch an den Hut stecken!“ Er riß sie zweimal durch und warf sie auf den Boden. Eine starke Hand schloß sich um seinen Arm und wirbelte ihn herum. „Komm mit, Freundchen“, sagte der SAU, „wir haben einen Platz für dich.“ Kit riß sich los. „Hol mal deinen Paß raus, Freundchen. Ich will ihn mir mal ansehen.“ Widerstrebend gab ihm Kit seinen Ausweis. Der SAU nahm ihn und betrachtete ihn sich aus der Nähe. Dann zog er einen umfangreichen Bericht aus der Jacke, schaute hinein und verglich mit dem Paß. „Dein Vater und deine Mutter sind tot“, sagte SAU leichthin, „tot seit deinem ersten Lebensjahr. Wo sind sie gestorben?“ „Hier in Washington.“ Kit war wütend. „Aus den Unterlagen der Bevölkerungsstatistik geht hervor, daß niemand dieses Namens im Jahr 3946 starb – im ganzen Sonnensystem nicht. Und wie erklären wir uns das, Freundchen?“ 10
„Sie können nicht … das stimmt nicht … sie …“ Doch seine Gedanken wirbelten zurück in die Vergangenheit. Was wußte er denn auch von ihnen, außer ihrem Namen. Nichts. Sogar seine Tante Isabel hatte irgend etwas Geheimnisvolles an sich: Sie erschien und verschwand in größeren Zeitabständen, sie hatte keine Freunde, gab keine Parties … Manchmal pflegte sie dazusitzen und ohne Anlaß zu weinen, dann erzählte sie Kit, daß er ein armer Junge sei und es besser verdient hätte, und dann würde sie wieder weinen. Was wußte er schon von seinen Eltern oder auch nur von ihrer Staatsangehörigkeit und Herkunft? Er war sich da nie ganz klar gewesen. Diese ganzen Fragen waren im Laufe seines Lebens schon öfter aufgetaucht, jedoch nie so ernsthaft wie eben. Er war damals noch kein theoretischer Philosoph der Naturwissenschaften gewesen, sondern nur ein junger Student, der auf den Raumschiffen seinen Stiefel wegschaffte, weil es ihm Spaß machte. „Keine Antwort, wie?“ sagte der SAU-Agent. „Weißt du es nicht oder willst du es nicht sage»? Wie kommt es denn, daß ein Mann mit deiner Erziehung und Erfahrung in die Universität Terra geht, um seinen zweiten Doktortitel zu erwerben, und alle seine Studienunterlagen und sein Paß sind falsch? Warum würde er so etwas machen? Ich laß es dich mal vermuten, Freundchen, weil du es ohnehin schon weißt. Vielleicht bist du überhaupt nicht Kellan, sondern hast irgendeinen anderen Namen, irgendeine andere Nationalität.“ „Was haben Sie vor?“ fragte Kit. „Was soll ich vorhaben? Ich will einen erfahrenen Naturwissenschaftler, der mit seinem Wissen unser Sonnensystem in die Luft jagen könnte, natürlich daran hindern, das System in die Luft zu jagen. Das gehört alles zu den Aufgaben des Amts für Sicherheit im Sonnensystem, zu den Aufgaben des SAU, Freundchen, und das Plätzchen, das wir für dich reserviert haben, ist sehr sicher!“ 11
„Geben Sie mir meinen Paß!“ „Wieso, Freundchen? Du bist doch aus dem Verkehr gezogen. Auf, nun komm schon mit!“ 2. Kapitel Weinrot und Kohlschwarz sah nicht auf, als die beiden hinausgingen. Sie war furchtbar eifrig und mit ihren stenographischen Aufzeichnungen beschäftigt. Mit Bedauern sah Kit zu ihr zurück und der SAU-Mann gab ihm einen gesunden Schubs. Kit wurde auf den Kiesweg hinausgeschleudert, weshalb er über seine Bewegungen nicht die erforderliche Kontrolle hatte. Und so stieß er mit einem vornehmen, etwas mageren Herrn zusammen, der offensichtlich gerade das Gebäude betreten wollte. Der Herr taumelte. Kit suchte hastig sein Gleichgewicht zusammen und entschuldigte sich. Doch der vornehme Mann hatte für Kit kein Lächeln übrig. „Ah ja“, sagte er zu dem SAU, „wieder ein Student in den Maschen des Gesetzes. Freut mich, daß ihr auf der Hut seid, Kommissar. Möchte wissen, was aus dem System ohne euch werden würde.“ Der SAU-Mann sagte irgend etwas Idiotisches, daß er nur seine Pflicht tue und so, und fuhr dann Kit an: „Warum guckst du nicht, wohin du gehst? Komm jetzt mit!“ „Hören Sie mal“, sagte der vornehme Mann, „wenn Sie keinen Wagen da haben, laß ich euch gerne von meinem Chauffeur runterfahren. Eigentlich könnte ich sogar selbst mitkommen, um mir den Spaß anzusehen. Wäre eine unbezahlbare Geschichte, die ich Senator Macklin heute abend erzählen könnte. Neulich sagte er irgendwas Übles über euch Leute.“ „Wir würden Ihnen sicher Unbequemlichkeiten bereiten“, sagte der SAU. 12
„Nicht doch, keineswegs. Henry! Fahren Sie diesen Herrn, wohin er möchte.“ Der Wagen war schwer. Er war schwarz lackiert und hatte eine Bodenerlaubnis. Er schob sich heran und Henry, ein mächtiger Neger, ohne jeglichen Ausdruck im Gesicht, stieg aus, um die Tür zu öffnen. Der SAU sah die vornehme Innenausstattung, komplett mit Bett und Bar und war etwas eingeschüchtert. Doch dann schob er Kit hinein und wollte selbst einsteigen. Was dann passierte, war für Kit ein wenig verwirrend. Man hörte einen dumpfen Schlag, und der SAU-Mann fiel nach vorn in sich zusammen wie ein toter Mann. Der Vornehme war gar nicht in das Gebäude hineingegangen. Er war hinter dem SAU aufgekreuzt, eine kleine, aber wirkungsvolle Pistole in der Hand, und hatte den Agenten genau ins Rückgrat getroffen. Der große Neger änderte seinen Ausdruck kein bißchen. Er nahm die Füße des SAU-Mannes auf und schaffte sie nach innen, damit die Tür zuginge. Dann ging er um den Wagen, drehte das Nummernschild um, kam zurück und trat aufs Gaspedal. Der Wagen schoß in die Höhe wie ein WolkenkratzerExpreßfahrstuhl, durch acht Verkehrsebenen, dann ordnete er sich in die Arlington-Geschwindbahn ein und war für Washington völlig verloren. Der vornehme kleine Mann holte eine lange Zigarre aus seinem schwarzen Rock, schnitt das Ende mit einem silbernen Messer ab und zündete sich die Zigarre an einem diamantenbesetzten Feuerzeug an. Er paffte tief und lehnte sich mit allen Zeichen der Befriedigung zurück. Kit starrte hernieder auf den SAU-Mann, der so still am Boden lag. „Stört er dich?“ fragte der vornehme Mann. „Na, laß dich davon nicht umwerfen, mein Freund. Ich möchte behaupten, daß du dich daran gewöhnen wirst, ehe du alles hinter dir hast. Henry, der junge Mann hat einen Schluck nötig.“ 13
Henry überließ den Wagen der Automatik und schwang seinen Sitz herum, während die Erde dreitausend Meter unter ihnen mit einer Geschwindigkeit von neunhundertfünfzig Kilometern vorbeikroch. Die Gegenverkehrsebene, die nur wenig unter ihnen lag, faszinierte Kit Niemand war hier am Steuer, und die anderen Wagen zischten nur wenige Meter unter ihnen vorbei! Trotzdem nahm er den Drink, den ihm Henry gemixt hatte, und er war über das weite, gemütliche Grinsen recht erstaunt, das auf Henrys Gesicht lag. „Junger Mann“, sagte Henry, „wenn Ihnen das nicht schmeckt, sagen Sie es mir. Wenn Sie zwei oder drei mehr davon haben wollen, sagen Sie es mir. Und wenn Sie zu viel mehr haben wollen, sagen Sie es mir auch, und ich werde es schon in Ordnung bringen. Aber eins will ich Ihnen sagen, junger Mann. Sie waren ganz brav und kaltblütig, und so jemand zu finden freut einen immer.“ Er nickte zur Bestätigung und ging wieder ans Steuer. „Ist er tot?“ sagte Kit, der nicht trank. „Lieber Himmel, ich hoffe es!“ Und der feine Mann betrachtete sich die Leiche sorgfältig. „Hat mir eine Zeitlang Angst gemacht. Mußte ihn umbringen, wissen Sie. Schreckliche Sache, diese Verkleidungen. Hätte es tun müssen, wenn er am Leben geblieben wäre, mein Bild überall. Anstrengend. Wagenfarbe ändern, Nummernschild, Chauffeur … großes Durcheinander, wie? Viel einfacher so. Na, aber! Sie haben was dagegen?“ „Nun, ja“, sagte Kit, „ja wirklich, ich habe was dagegen. Vor ein paar Minuten war ich nur ein ausgestoßener Student, mein einziges Verbrechen war, zu viel zu wissen und vielleicht zu heftig darüber nachzudenken. Jetzt kann man mich wegen Beihilfe zum Mord anklagen. Außerdem vermute ich, daß Sie irgendein Revolutionär sind, der das Terra-System aus den Angeln heben will – nieder mit der Demokratie, nieder mit den vereinigten Planeten der Sonne … Na? Sind Sie es?“ 14
„Mein lieber Junge“, sagte der vornehme Mann und klopfte mit übertrieben vornehmer Geste die Asche von seiner Zigarre. „Sie haben mir da kein Kompliment gemacht. Nein, wirklich nicht.“ Kit fuhr sich durch das goldene Haar und sah auf den toten Mann. Kit hatte eine Stupsnase, und sie bekam Falten, wenn er sich Sorgen machte. „Ich habe Sie keinen Verräter genannt … Oh! Vielleicht gehören Sie zu einer Gruppe, die die sechs Nationen stürzen will, oder …“ „Ach, ja. Terra, Centauri, Vega, Sirius. Prokyon und Aldebaran. Henry! Donnerwetter, was sagst du dazu. Ich kann mich noch an jede einzelne der sechs Nationen erinnern. Junge, Junge“, er sank zurück und seine Lippen kräuselten sich belustigt, „habe nicht mehr daran gedacht, seit ich in der Volksschule war.“ Kit fühlte sich beleidigt. „Dann irre ich mich. Entschuldigen Sie meine unziemliche Neugier. Es ist nur, daß man gern weiß, für welche Sache man eintritt. Es hilft.“ Der Vornehme legte die Zigarre in den Aschenbecher. Er nahm eine Decke auf und warf sie über den Toten. Dann ordnete er seine Manschetten und seine Krawattennadel und versteifte sich zu einer würdevollen Haltung. „Ich habe Sie beleidigt“, entschuldigte er sich. „Lassen Sie mich Ihnen vorstellen. Ich bin Peter Vanpoll. Mein Verbündeter am Steuer ist Henry Mikmann. Sie sind nicht entführt worden, sondern nur befreit. Schließlich ist es nicht sehr schlau von einem Land, neue Ideen in die Verbannung zu schicken, ganz egal, ob Sicherheit dabei eine Rolle spielt oder nicht. Ich bin ein ebensolcher Freund von Terra und der Regierung von Terra wie Ihr Dekan Lapham oder dieser SAU-Mann, und wahrscheinlich ein besserer. Nun also.“ Und damit sank er in seinen Sitz zurück und widmete sich wieder der Zigarre. Kit wurde dadurch nur noch verwirrter. „Sir, ich weiß, ich bin jung. Ich weiß, ich bin mit meinem Studium noch nicht fer15
tig geworden. Immer und immer wieder hat man mir erzählt, ich sei sehr dumm. Aber das hier ist für mich ein Rätsel, das mich halb zu Tode plagt. Hier ist ein toter Agent der Erdregierung und trotzdem sind Sie ein Freund …“ „Ein Freund“, sagte Peter Vanpoll, „doch kein Mitglied. Mein junger Freund, haben Sie irgendeine Ahnung von der Lage überall in der Milchstraße?“ „Ich weiß nur, was ich in den Zeitungen lese“, sagte Kit. „Das heißt, Sie gestehen Ihre Unwissenheit ein, Mr. Kellan …“ Kit stellte überrascht fest, daß Vanpoll seinen Namen kannte. „Wie lange ist es her, daß die sechs Planeten sich untereinander bekriegten?“ „Ach, so an die fünfhundert Jahre.“ „Gut. Und wie lange ist es her, daß die beiden Kaiserreiche die Mutter Terra mit Krieg bedrohten?“ Kit kratzte sich an seinem goldenen Schopf. „Ungefähr zweihundertfünfzig, mehr oder weniger. Aber, das ist doch alles uralte Geschichte. Großer Gott, ich hatte einen Vorfahren, der in diesen Kriegen mitgekämpft hat, und ich weiß noch nicht mal, wievielmal ‚Ur-’ er mein Urgroßvater war. Zwölfmal mindestens. Was hat das denn hiermit zu …“ „Also, es gibt ungefähr sechstausend Planeten im Raum, die an die siebenundzwanzig Staatseinheiten bilden, zu denen sich die Planetensysteme verbündet haben“, sagte Peter Vanpoll. „Es gibt acht größere Kaiserreiche, die anderen neunzehn Bünde bestehen aus einer Reihe von Systemen, die einem besonders mächtigen unter ihnen Tribut zahlen, oder überhaupt nur aus einem losen Bündnissystem. Habe ich recht?“ „… Ich denke so“, sagte Kit zweifelnd. Er hatte in Geschichte nie aufgepaßt. „Nun also, so sieht das aus“, sagte Peter Vanpoll. „Acht größere Reiche. Terra, die die Sechs Nationen und die sogenannten Beiden Kaiserreiche beherrscht, ist die Mutter. Aber die acht 16
Reiche haben die Pietät vergessen. Mit dem Geschwätz über intergalaktische Raumfahrt, von einem Milchstraßensystem zum andern – weiß der Himmel, wo diese armen Irren solch verrückte Ideen herhaben …“ „Interstellaren Raumflug hielt man vor fünfzehnhundert oder zweitausend Jahren für unmöglich, man konnte sich nicht vorstellen, daß wir heute von einem Stern zum andern fliegen“, wandte Kit ein. „Tatsächlich? Nun geht, es scheint ja, als wüßten Sie besser in der Geschichte Bescheid als ich. Jedenfalls, mit dem bevorstehenden intergalaktischen Raumflug und dem ganzen dranhängenden Affenzirkus wird es offenbar, daß acht Kaiserreiche und ihre Satelliten schon zu viel sind. Der Marco-Trigon-Krieg letztes Jahr war nicht der letzte. Es wird noch einen Krieg geben, und noch einen, und noch einen. Blödsinnig, nicht? Aber so wird es kommen. Unsere Milchstraße ist zu übervölkert. Die Leute verhungern überall in den Sonnensystemen. Und die Leute haben Angst …“ „Ich verstehe nicht, was das mit einem toten SAU-Mann zu tun hat“, sagte Kit. „Na, laß es mal bleiben. Es gibt einen Mann und eine Institution, die diese Unruhe fördern, die aus der unsicheren politischen Zukunft der Galaxis, unserer Milchstraße, ihren Nutzen ziehen. Ein Mann und seine Ratgeber verleihen das Geld, nehmen die Gewinne ein, wählen die Herrschenden aus, fangen die Kriege an …“ Er sagte das so beiläufig, wie etwa „Liebes Kätzchen, hübsches Kätzchen“, und sein Zuhörer verstand den Sinn seiner Worte zunächst nicht. Plötzlich sah Kit ihn mit aufgerissenen Augen an, als wäre Peter Vanpoll übergeschnappt. „Der Schiedsrichter“, sagte Kit. Und schnell nahm er einen Schluck. „Ha!“ frohlockte Peter Vanpoll. „Wir sind also doch nicht so 17
beschränkt oder schlecht belesen, wie wir vorgeben. Man hält es für Meuterei, so etwas zu sagen. Und trotzdem bewaffnet sich die Erde bis an die Zähne für den Fall, daß das Gleichgewicht gestört wird; und während sie sich bewaffnet und die Verfassung der Vereinigten Planeten abändert und die Gelder für öffentliche Arbeiten zum Bau neuer Schlachtschiffe benutzt, gerät sie beim Schiedsrichter immer mehr in Schulden.“ „Der Galaktische Schiedsrat“, sagte Kit und nahm einen weiteren schnellen Schluck. „Genau das. Nun, da haben Sie es, mein Junge. Der Schiedsrichter und seine Jungens halten jeden zu Ausgaben für Kriegszwecke an, nebenbei säckeln sie den Gewinn ein und lassen hin und wieder einen Krieg von Stapel, und so ist das nun. Ah ja, so ist das nun.“ Er schien vergessen zu haben, daß das Thema noch lange nicht erschöpft war, denn er zog lange an seiner Zigarre und wies auf die Schönheit des Sonnenuntergangs hin. „Schauen Sie her“, sagte Kit, „wir befinden uns auf gefährlichem Boden. Man sagt, daß der Schiedsrichter seine bezahlten Spione überall hat, sogar in den Regierungen. Man erzählt, daß alle Sicherheitseinrichtungen nur ein Vorwand sind, um den Schiedsrichter auf dem laufenden zu halten. Wenn das hier eine Falle ist, um mir gefährliche Erklärungen zu entlocken … Wer sind Sie eigentlich?“ Peter Vanpoll lächelte ein gemütvolles Lächeln und zündete sich die Zigarre wieder an. „Ich?“ sagte er. „Wieso, nichts ist einfacher als das. Ich bin ein Agent für diesen galaktischen Sektor von der Volksrevolutionsvereinigung. Und ich habe gerade eben einen sympathischen jungen Mann befreit, der mehr Verstand hat, als ihm guttut und ich nehme ihn mit zum TerraHauptquartier, wo ich hoffe, ihn überreden zu können, daß er uns beitritt.“ „Wem beitreten? Mit welchen Verpflichtungen?“ 18
„Wem beitreten? Der VRV, natürlich.“ „Na gut. Aber was hätte ich zu tun?“ „Mr. Kellan, Sie haben einen scharfen Verstand. Ihre Sünden sind Originalität und Beweglichkeit. Ihr Gedächtnis ist nicht besonders, und Gedächtnis ist der Erziehungsmaßstab in Ihrem Land hier. Aber Sie haben eine Art positiver Neugier und Sie haben einen Sinn für neue Konstruktionen. Ich stehe hinter Ihnen.“ „Was soll ich machen?“ Kit ließ sich nicht abschütteln. „Sie sehen, wie die Nationen in Kriege verwickelt sind. Sie sehen, wie die Menschen verhungern, wie die Staatshaushalte verschuldet sind, die Steuern so hoch, daß sie keiner mehr zusammenrechnen kann. Sie sehen den Ruin an jeder Stelle. Wollen Sie nicht mitarbeiten, Ihr Volk und die Bevölkerung des Weltraums zu befreien? Natürlich wollen Sie es. Jeder junge Mann mit Verstand und nur einem Gramm Vaterlandsliebe wollte das. – Also – treten Sie bei uns ein.“ Kit war geduldig. „Was hätte ich zu tun, Mr. Vanpoll?“ „Wieso, ganz einfach – um es Ihnen gleich zu sagen: Wir sind eine Gruppe auserlesener Leute, die nur für einen Zweck gedrillt werden und nur diesem Zweck dienen: der Ermordung des Schiedsrichters.“ „Der Ermor… Hören Sie mal. Warten Sie! Niemand weiß überhaupt, wer er ist oder wo …“ „Na ja, das ist unsere kommende Arbeit. Ich möchte Sie nun nicht gegen Ihren Willen überreden. Sie können Ihr Land retten, Sie können den Raum und die Galaxis retten, oder aber …“ „Oder was?“ „Wieso, dann müssen Henry und ich eben zurück und Sie in Washington in einem Stadtpark abladen, zusammen mit dieser Leiche und der Pistole, und Sie Ihrem freundlichen Schicksal überlassen.“ 19
„Nein!“ „Ah! Na dann“, sagte Peter Vanpoll, „wie ich sehe, haben Sie sich dafür entschieden, uns beizutreten. Henry, ist das nicht Kuba da drüben? Ich glaube, wir sind gleich zu Hause.“ 3. Kapitel Er vermutete, daß man ihm in den Drink ein Mittel gegeben hatte, denn als er aufwachte, hatte er keine zusammenhängende Erinnerung mehr daran, wie er das Haus betreten hatte oder ins Bett und schlafen gegangen war. Als letztes erinnerte er sich daran, eine in den Korallenfelsen gehauene Anfahrt, die in Spiralen unter Bananenpflanzen und Palmen verlief, hinabgefahren zu sein. Und jetzt erwachte er in einem weichen Bett und eine schmeichelnde karibische Brise spielte sanft mit den großen Holzläden vor seinem Fenster. Auf dem Flur lagen Grasmatten und ein paar faule Eidechsen, vielleicht fünf Zentimeter lang, waren an den geweißten Wänden, doch das Mobiliar war sehr alt, sehr massiv und sehr schön. Eine Bananenstaude lehnte sich träumerisch gegen den Fensterflügel und draußen flüsterten die Wellen ganz in der Nähe. Christopher Randolph Kellan setzte sich auf. Kein Kopfweh. Er sah auf seinen Schlafanzug und merkte, daß er aus Seide war. Und dann ertönte ein silbriges Klingen von Geschirr und jemand stand dicht neben ihm. Er fuhr zusammen. Ein freundlich strahlender Chinese rückte das Tablett zurecht, aber er war kein Dienstbote. Er trug eine lose Jacke und eine kleine Handfeuerwaffe zeichnete sich deutlich unter seiner Achsel ab. „Kommen Sie jetzt und essen Sie wie ein braver Junge“, sagte der Chinese. „Sie werden sich dann besser fühlen. Henry tut immer zu viel in diese Drinks. Er ist ein großer Mann und die Aufnahmefähigkeit seines eigenen Gewebes vermittelt ihm zu 20
radikale Anschauungen darüber, was ein durchschnittlicher Mensch aushalten kann. Ich nehme immer ungefähr die Hälfte seiner Dosis. Andererseits sind Sie selbst ein ganz hübscher Brocken, und vielleicht wußte er, was er tat. Los, essen Sie das Zeug jetzt auf, der Sekretär kommt in ein paar Minuten und dann haben Sie keine Gelegenheit mehr.“ Ohne auf irgendeine Gegenbemerkung zu warten, zog sich der gesprächige Orientale zurück und ließ sich in einem Stuhl vor der Tür nieder. Den Stuhl kippte er gegen die Wand und zog dann ein „British Sporting Journal“ hervor, mit dem er sich hinfort angeregt beschäftigte. Kit war an solche Bedienung nicht gewöhnt. Eine Studentenmensa pflegte kein Silber aufzuweisen. Sein Frühstück war glänzend und er versuchte es, fand es gut und war gerade dabei, es im Ernst anzugehen – da kam ein kleiner Mann herein, der eine mächtige Aktentasche und einen Armvoll Papiere trug, die ständig auf den Boden glitten. Aus seiner Tasche zog er einen Federhalter und ein altertümliches Tintenfaß hervor, dann sah er sich verblüfft um und setzte das Tintenfaß schließlich mitten zwischen das Frühstück. Dieser Sieg erfreute ihn, und er nickte Kit glücklich zu. Papiere strömten wie ein Wasserfall über das Bett, sprangen aus der Aktenmappe und den Taschen des kleinen Männchens und vermischten sich mit dem Rest. Mit gezückter Feder und einem Formular auf dem Knie setzte sich der kleine Mann bequem in den Stuhl am Bett und sagte rasch hintereinander: „Name, Alter, Adresse (das ist also hier), nächste Verwandten (falls ein Begräbnis erforderlich wird, wissen Sie), Name des Vaters, Name der Mutter, Beruf des Vaters (aber das können wir auch weglassen), Steckenpferde …“ Kit erstickte an einem Bissen Toast. „Warten Sie einen Augenblick!“ heulte er. „Ich kann noch nicht mal anfangen, die Hälfte davon zu beantworten.“ 21
Der kleine Mann sah gepeinigt aus. „Die Formulare, wissen Sie. Ich muß die Formulare ausfüllen. Was würde passieren, wenn wir die sterblichen Überreste zu verfrachten hätten und wüßten nicht wohin? Was dann? Hm, ich denke, Sie können diese Gründe nicht umwerfen, also, nun?“ „Ich heiße Christopher Randolph Kellan. Ich bin von Geburt an Vollwaise. Ich habe keine Ahnung, was mein Vater gemacht hat. Ich habe eine Tante, Isabel Crane, die mir in meiner Kindheit ein Heim bereitete. Ich wurde in einer Privatschule erzogen, dann ging ich in die Volksschule, dann Oberschule …“ „Ha! Dann wird niemand sich sehr über die sterblichen Überreste aufregen, Fein, fein. Keine anderen Verwandten?“ „Nein. Meine Tante ist auch nicht in Wirklichkeit meine Tante. Sie war die beste Freundin meiner Mutter. Ich weiß nichts über meine Familie. So, jetzt können Sie das Ding ausfüllen, wie es Ihnen Spaß macht, und wenn Sie nichts dagegen haben, bin ich jetzt hungrig.“ „Oh, ich denke nicht daran, Sie bei Ihrem Frühstück zu stören. Essen Sie ruhig weiter und stören Sie sich nicht an mir. Nun, warum genau“, sagte er, kritzelte mit der harten Feder und bekam auf irgendeine unerklärliche Weise Tinte an die Nase, „warum entschieden Sie sich, mit Herz und Hand für die Ermordung des Schiedsrichters einzutreten?“ Kit sah den gefühllosen Kerl an und seufzte, als er trauernd die Platte mit den Rühreiern ansah. „Ich habe gar nichts entschieden. Ich bin entführt worden, und Sie wissen das.“ „Ha! Sie denken also, der Schiedsrichter ist ein netter Mann?“ „Nein. Ich weiß, daß jemand an den Drähten zieht und daß Reiche fallen oder aufsteigen, Kriege geführt werden, Seuchen sich ausbreiten … Peter Vanpoll sagt, es sei der Schiedsrichter. Okay, was liegt mir dran. Ich bin ja nur ein kleiner Junge von der Erde …“ 22
Die Feder des kleinen Mannes flog über das Papier, dann sah er auf und nagelte Kit mit einem verschlagenen Blick an. „Sie sind in der Schule nie den Vorschriften gefolgt. Sie haben alles gelesen, was Sie finden konnten, und Ihre Privaterzieher ließen das zu, entgegen dem Gesetz. Na, stimmt das nicht?“ „Ja“, sagte Kit, mit dem Mund voller Ei. „Sie sagen’s alle!“ krähte der kleine Mann. „Sie lesen verbotene Bücher und stellen verbotene Experimente an und dann kommen sie schließlich hierher. Jedesmal. Immer geben sie dieselbe Antwort. He, die besten Geister im Geschäft. Sie forschen … Was haben Sie für Vorstellungen von der Liebe?“ Nun, hätte nicht gerade in diesem Augenblick etwas anderes sich ereignet, so hätte Kit wahrheitsgemäß gesagt, das Mädchen halt nur Mädchen seien. Aber Weinrot und Kohlschwarz, nichts anderes, kam in diesem Augenblick herein mit einem großen Blumenstrauß, nickte ihm mit einem Lächeln zu und stellte die duftenden Blumen auf die Kommode am Fenster. Sie setzte sich aufs Fensterbrett und sah hinaus auf den fröhlichen jungen Tag. Das Sonnenlicht war in ihr und die Kurven unter der weißen Seidenbluse waren so bemerkenswert, daß Kit seinen Mund mehrmals öffnete und schloß, in dem sanften Wahn, daß er spreche. Man hörte jedoch nichts. „Was“, drängte ihn der kleine Mann erneut, „was für Gedanken haben Sie über die Liebe? Ich muß Sie warnen, daß Frauen für eine Aufgabe, wie Sie sich einer unterziehen, wollen, sehr gefährlich sein können. Der Schiedsrichter kontrolliert alles, er hat seine Spione überall und viele dieser Spione sind Frauen. Frauen sind sehr erfolgreich, wenn es sich darum handelt, Informationen zu gewinnen. Nun also, was für Vorstellungen haben Sie von der Liebe?“ „Wundervoll“, flüsterte Kit schließlich. „Was?!“ schrie der kleine Mann. „Wundervoll“, seufzte Kit. 23
„Er meint mich, Professor“, sagte Kohlschwarz und Weinrot. Der kleine Mann wirbelte herum und wollte sie eigentlich zurechtweisen. Aber ihre strahlende Jugend nahm ihm den Wind aus den Segeln. Er lächelte sie geschlagen an. „Meine Fragen sind ganz allgemein gehalten, meine Liebe.“ „Behalt deine Augen auf der Zimmerseite meiner Bluse“, sagte Weinrot und Kohlschwarz. Der kleine Mann errötete. „Ich bitte um Verzeihung, meine Liebe. Sobald ich mit diesem Jungen hier fertig bin …“ „Das ist kein Junge“, sagte Schwarz und Weinrot und ging zu dem verzauberten Kit hinüber. „Er ist ein sehr netter junger Mann und ich denke, er hat ein sehr interessantes Gesicht. Oder, Christopher Randolph Kellan?“ „Mein liebes Kind“, sagte der kleine Mann, „mein Verhör …“ „Bah“, sagte Kohlschwarz und Weinrot. „Ich hab dir alles aus den Universitätsunterlagen übermittelt. Jetzt flieg weg wie ein guter kleiner Mann und komm nicht wieder her.“ Der Schreiber stand auf, wobei Papiere und der Federhalter ein beachtliches Problem darstellten, als er darum kämpfte, sie wegzustecken. „Du hast kein Recht hier, weißt du. Wenn Peter kommt und herausfindet, daß du mit unserem Gefa… mit dem Gast gesprochen hast, wird er sich nicht freuen.“ „Der Geier hole Peter. Er ist so ein eifersüchtiger netter Kerl. Jetzt gehe weg.“ Trotzig versuchte der kleine Mann, seine Stellung zu behaupten, aber er wurde von der Schönheit besiegt und schlurfte zur Tür. „Du hättest ihr nicht erlauben sollen, hereinzukommen“, beklagte er sich bei dem chinesischen Wachposten. „Du solltest ihr nicht erlauben, dich hinauszuschmeißen“, sagte der Posten grinsend und machte sich umgehend wieder daran, die Geschwindigkeit verschiedener Rennpferde im letzten Derby auszurechnen. Der kleine Mann zog sich immer noch zurück, doch er gab 24
noch einen letzten Schuß ab. „Sie verlassen uns heute nachmittag, Kellan, mit Ihrem ersten Auftrag. Also sehen Sie darauf, daß Sie fertig sind.“ Das schüttelte Kit aus seinem hingerissenen Starren. „Wart mal! He, Sie. Warten Sie mal einen Augenblick! Welche erste Aufgabe? Ich …“ Die Tür knallte, und der Rückzug des kleinen Mannes war ausgeführt. Kit sah Kohlschwarz und Weinrot an. „Ich bin Carla“, sagte sie und setzte sich auf das Bett und bediente sich mit seinem Toast und Kaffee. „Sie reden hier alle, als gehörte ich ihnen, aber ich habe keinen Freund hier. Noch nicht. Ich suche und wähle mir aus, wie es mir gerade gefällt, und es hat mir bis jetzt nun mal noch nicht gefallen. Ich bin sechsundzwanzig, kann meisterhaft Sabotage treiben, bin Mitglied bei der VRV, habe da einen guten Ruf und verdiene mir meinen Lohn. Meine Verwandten sind tot, ich habe neunzehntausend Dollars gespart, ich bin keusch und rein, ich kann kochen und nähen und einen Wagen fliegen, und seit gestern nachmittag bin ich dein Mädchen. Und jetzt erzähl mir von dir.“ „Och, da gibt es nicht viel … Was haben Sie gesagt?“ „Ich sagte, ich bin dein Mädchen seit gestern nachmittag. Du bist hübsch, wie es in den Liebesromanen heißt. Was für eine Farbe nimmst du für dein Haar? Ochsblut-Schuhcreme?“ Kit goß sich eine Tasse Kaffee ein. Er hatte seine Fassung. noch nicht wiedergewonnen. Dann gelang ihm das. Er setzte die Tasse wieder hin, ohne getrunken zu haben, nahm ihre rechte Hand, zog sie zu sich heran, und dann küßte er sie. Es durchzuckte beide, als ob sie mit ihren Lippen Hochspannung berührt hätten, obwohl sie ihn eigentlich nur zum besten gehalten hatte, und obwohl sein Kuß eigentlich eine Strafe dafür hätte sein sollen. Sie lösten sich und saßen da und sahen einander an. „Es … es ist Kit, nicht wahr?“ sagte sie. 25
„Carla.“ Sie stand auf und versuchte einen Tanzschritt, dann setzte sie sich wieder. Sie sah ihn sich näher an und wollte sich gerade zu ihm hinlehnen, als Sie plötzlich ihre Meinung änderte. Sie stand auf. „Nun gut“, sagte sie, „ich wette, du wunderst dich, wie ich ins Amtszimmer des Dekans gekommen bin. Darauf war ich sehr stolz. Sein Schreibmädchen wurde krank und ihre Zimmergenossin hätte sich eigentlich zur Arbeit melden sollen, aber dann hatte sie einen Unfall und verlor ihre ganzen Ausweise dabei, die Ärmste. Und ich vermute, du überlegst dir, warum du nun gerade so plötzlich und ohne Warnung ausgestoßen worden bist. Ich hörte es direkt vom Dekan. Du hast ein Gesetz verletzt.“ Sie versuchte, sich daran zu erinnern und hob dann den Kopf. „Das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Hast du irgendwelche Energie verschwendet, Kit?“ Er bemerkte, daß ihre Stimme ein bißchen zitterte. Aber er war vom Sturm zu sehr mitgenommen, um nicht für die Atempause dankbar zu sein. „Das ist kein wirkliches Gesetz, Dummchen. Es ist ein Gesetz der klassischen Physik, und jeder kann es brechen. Man wendet einfach die Duraksche Formel so an, daß das Verhältnis von Ausgang zu Eingang größer als eins ist …“ „Ha! Mein Herr hoher Ingenieur, ich habe nichts in meinem Kopf außer Sägemehl, lächelte sie niedlich“, sagte Carla. „Auf meine eigene kleine unnachahmliche Art bin ich, was man allgemein einen Knüller nennt, aber Physik – nee. Na ja, aber da bist du es dann eben. Du bist Theoretischer Ingenieurphilosoph, heißt es in deinen Zeugnissen, und guck, was es dir eingebracht hat.“ „Ja“, sagte Kit, der nüchtern wurde und sich umsah. Dann fiel ihm etwas ein. „Man hat mir gesagt, ich sollte einen Auftrag übernehmen. Heißt das, daß ich einfach so abreise und einen abknalle, oder was?“ 26
„Ach nein, Lieber. So einfach ist das nicht …“ Und dann wandte sie ihre Augen ab und wurde wieder kühl. „Ist die Brise nicht nett? Es war so heiß in der letzten Zeit.“ Kit betrachtete sie eine Weile und trank seinen Kaffee. „Vor zwei- oder dreitausend Jahren hatten sie Piraten hier in der Gegend“, sagte sie. „Die ließen dich über die Klinge springen und nahmen deine Dublonen, egal, was das nun ist. Klingt unanständig, nicht wahr?“ Kit sah sie über den Rand seiner Tasse an. „Und hier sitzen wir nun“, sagte sie, „zweitausend Jahre später und eine Bande von Halsabschneidern so gut wie eh und je, die den Jolly Roger hißten. Das ist der Name für die Piratenflagge“, erklärte sie. Kit sah geradeaus. Sie stand auf. „Nein, ich erzähle es dir nicht. Es gibt Dinge, die du selbst herausfinden mußt.“ „Wieviel sind hier in diesem Attentäterkommando?“ „Als ob ich es wüßte!“ Nun war aber ein hervorstechender Zug, an Kit die Tatsache, daß er sich nicht zum Narren halten ließ. Ungestüm, manchmal unbesonnen, immer zu ehrlich, auch auf geistigem Gebiet, so hatte er doch noch einiges andere außer einem guten Lächeln und der Gabe sympathischer Unterhaltung. Er merkte, wenn die Leute traurig oder glücklich waren, gesund oder krank, mit einer Art achtem Sinn. Ebenso merkte er es, wenn sie logen. „Tausend?“ sagte er. „Guter Himmel, nein!“ „Nur ein paar Dutzend?“ „Kit, sei jetzt ruhig. Du versuchst mich dazu zu bringen, meine heilig beschworene Sache zu verraten. Meine Ideale. Meine Seele krümmt sich im Innersten …“ „Wo finde ich den Schiedsrichter und was ist er?“ „Was das anlangt: Wer weiß da was? Und zu dem, was er ist: 27
Er ist die Macht hinter dem Thron, die Faust in jeder Bank, der Gesetzgeber.“ „Und wie kam das?“ „Na, vor langer Zeit hatte jemand den Einfall, daß es wunderbar wäre, zumal die Kriege so gefährlich sind, einen Rat aufzustellen, der alle Streitigkeiten zwischen den Regierungen schlichten sollte. Und also richteten sie eine große Machtzentrale ein. Und dann sagte jemand, es sei das Geld, und nicht Soldaten, das nach Herrschaft strebte, und daher gaben sie dem Schiedsrat eine Bank, zu der jede Regierung soundso viel beitrug. Und die Dinge entwickelten sich dann so weiter, bis zum heutigen Tag.“ „Was ist passiert?“ „Was weiß ich? Alles, was ich dir sagen kann, ist, daß es gut werden wird, wenn der Schiedsrichter getötet ist.“ Warum genau konnte Kit nicht sagen, er fühlte aber, daß sie log. Vielleicht war ihr Wissen beschränkt. „Ach, warum sich über das alles Gedanken machen“, sagte Carla, „Kit, ich mache mir Sorgen. Hier habe ich mich gerade in dich verliebt, und schon gehst du weg. Vielleicht bringen sie dich um. Vielleicht überreden sie dich, irgendeine verfluchte Waffe zu konstruieren, mit denen sie die Leute des Schiedsrichters umbringen wollen, und du jagst dich damit in die Luft. Vielleicht …“ Sie hatte mit genug Schwung angefangen, so hatte sie gedacht, um sie durch ihre Rede zu bringen. Aber Kit sah, daß die Tränen, die auf ihren Augenlidern zitterten, ganz ehrlich waren. „Komm her!“ sagte er. Sie trat näher. Er ergriff sie und wollte gerade anfangen, sie zu küssen. „Nein, aber wirklich“, sagte Vanpoll in der Tür. „Ich meine ja, das ist ein bißchen dick, wie?“ Er trug eine Reisetasche in einer Hand und einen Umschlag in der anderen; Tasche, Vanpoll und Umschlag schienen alle drei geknickt. 28
Carla richtete sich verwirrt auf und stürzte zur Tür. Als sie an Vanpoll vorbei war, faßte sie sich wieder und winkte zurück. „Auf Wiedersehen, Kit. Auf Wiedersehen und denk an mich!“ Vanpoll schloß die Tür, und Kit, der auf diese Welt zurückkehrte, sah ihn neugierig an. Denn Peter Vanpoll zitterte und seine Wangen waren bleich, und als er die Reisetasche niedersetzte, tat er das mit übertriebener Bedächtigkeit. „Hier sind Ihre Befehle“, sagte Vanpoll kühl. „Und hier ist ein Behälter, den Sie brauchen werden.“ Er blickte zur Tür, bezwang sich und öffnete die Tasche. Kit wollte sagen, daß es ihm leid täte, aber es tat ihm nicht leid. „Es war ganz in Ordnung“, stammelte er, „Sie hatte …“ „Mein lieber Freund. Sie haben noch eine Menge zu lernen. Vermutlich Ihre erste Lektion hier sollte sein, daß Ihre Aufgabe viel zu gefährlich ist –“ und Kit kam es vor, als ließe der Mann das Wort rachevoll auf der Zunge vergehen – „viel zu gefährlich, um es zu gestatten, mit Frauen herumzuspielen.“ „Mein Herr!“ fing Kit hitzig an. „Nein, ne’ Entschuldigung. Carla ist kein gewöhnliches Mädchen. Und sie ist weder mein Mädchen noch das von sonst jemand. Heute morgen, als sie ankam, schien mir, als sei sie gedankenverloren, und als ich sie deswegen neckte, wurde sie ungewöhnlich wütend. Ich hätte es wissen sollen. Aber schließlich sind wir alle nicht so glücklich, rote Haare zu haben, wie, oder? Aber jetzt zum Geschäft. Hier ist Ihre Ausrüstung.“ Eine sonderbare Uniform kam zum Vorschein. Es war ein leuchtendes Scharlachrot, und der Stoff war mit Gold eingefaßt und verziert. Von der einen Schulter hing ein Halbcape und eine glitzernde Achselschnur mit einem Diamantknopf von der anderen. Die Uniform war steif vor lauter Lametta und hochmütig vor Dienstrang. Schenkelhohe Raumstiefel, schwarzglänzend gewichst paßten zu einem breiten Gürtel mit goldenem Schloß, an dem eine imitierte Raummannskiste hing, die für 29
nichts zu gebrauchen war außer etwa für Tabak. Die ganze Uniform war verfeinert von hoher Nützlichkeit zu glänzender Repräsentation, und sie konnte leicht genug einen Mann blenden – oder eher noch eine Frau. Der Helm selbst war lauteres Gold über einem feinen, unnachgiebigen Rahmen, und er war ganz nützlich, da er eine Luftmaske mit Patronen hatte, ein kleines Radio und einen Scheinwerfer, welcher in die verzierenden Widderhörner auf jeder Seite eingearbeitet war. Kit rasierte sich und badete, wahrend Vanpoll redete. „Sie haben eine neue Schwingungsquelle auf Sonne 12, Planet Ringo, im Kaiserreich Marcon. Es sind siebenundneunzig Lichtjahre von hier“, sagte Vanpoll. Und dann fing er an, Straßennamen und die Namen von Leuten vorzusagen, und er drohte mit gewaltsamem Tod, falls Kit sie vergessen würde. Während Kit sich anzog, beschloß Vanpoll seine Instruktionen. „Das ist die erste Stufe von sieben, die zum Schiedsrichter führen. Fragen Sie nicht, was als nächstes kommt, oder warum. Sichern Sie sich die Schwingungsquelle von dem Kommandeur der Techniker im Laboratorium Zeta. Alle Ihre Beglaubigungsschreiben sind in Ordnung. Henry wird Sie zum Mars mit unserem eigenen Schiff bringen, damit Ihr Abflug hier auf der Erde nicht bemerkt wird.“ Kit sah sein glitzerndes Selbst und wunderte sich, daß er hineingekommen war, die Uniform saß wie festgewachsen. „Sie sind ein Spezialist, ein Techniker von den Großen Triaden im Rang eines Generalmajors. Das Reglement und Besonderheiten dieser Streitkräfte werden Sie in Ihrem Gepäck vorfinden, das unten wartet. Sehen Sie es sich genau an. Denken Sie daran, nur reines Esperanto und keinen Ihrer Dialekte zu sprechen. Denken Sie an das, was Sie als ausgebildeter Ingenieur wissen, und wahrscheinlich kommen Sie dann durch.“ „Warum wollen Sie die Schwingungsquelle haben?“ „Auf Wiedersehen“, sagte Vanpoll kalt. 30
4. Kapitel Ihn hatten sie, dachte Kit schwermütig. Er starrte auf einen Kometen, den sie auf seinem eigenen Kurs passierten, und ihn erfaßte Heimweh. Als Junge hatte er davon geträumt, in der Welt der Naturwissenschaftler wie ein Komet aufzutauchen. Komplett mit feurigem Schweif. Und was war passiert? Er hatte zu viel nachgedacht. Er hatte hart studiert und aus eigenen Mitteln. Und dann hatte er jene Reise zum Vega-System gemacht, auf dem Rinderfrachtschiff, und er hatte herausgefunden, was es hieß, zäh zu sein und ein hartes Leben zu führen. Diese Jahre hatten ihn zum Studenten verdorben. Er hatte bei Dinkys sich am Roulettisch behauptet und jeden unter den Tisch gesoffen und die halbe königliche Marine mit bloßen Fäusten verprügelt. Er wurde ein schwerer Junge genannt, sogar von dem Piratenkapitän, der ihm einen Posten als Maat angeboten hatte. Er war in Magapur desertiert und hatte zwei Monate lang für die Farmer dort Tiger geschossen, für fünfzig Cents pro Tiger. In Toelin war er Rausschmeißer gewesen, im wildesten Flaschenzirkus am Barcaryhafen. Er hatte sich nach Südgilliponals als stellvertretender Düsenmann eingeschifft und war auf diesem vom Eis gewürgten Land als erster Maat gelandet, nur durch die Kraft seiner Fäuste. Das machte keinen guten Studenten aus ihm, als ihm die Möglichkeit geboten wurde. Für die Erfahrung auf den Raumschiffahrtsstraßen hatte er teuer bezahlt. Mit seiner Karriere. Der Komet verschwand rasch nach achtern, und der unterwürfige Steward für die erste Klasse machte ihn auf sein Tablett mit Kakao und Gebäck aufmerksam. Kit kehrte zu seinem Universum zurück. Er lächelte den Steward an und der Mann verbeugte sich glücklich. Aber Kit lächelte deshalb, weil der Mann nicht wußte, daß das hohe Tier, dem er diese Verbeugung wid31
mete, vor genau einem Jahr viel weniger gewesen war als ein Steward auf einer Raumbüchse, geschweige denn auf einem feudalen Linienschiff. „Wunderschöne Aussicht“, sagte der Steward. „Wir kommen bald an einem dunklen Nebel vorbei, an dem Sie sich – wie ich sicher annehme – erfreuen werden, Sir.“ Und er zog sich unter Verbeugungen von dem Deckstuhl zurück. Bloß ein Tourist, ermahnte sich Kit. Und dann kehrte die Schwermut wieder. Der schwarze Nebel war jetzt für ihn ein Symbol. Bei der Sache würde er sicherlich erschossen werden. Aber sie hatten ihn, und sie hatten ihn sicher. Er hatte keinen eigenen Paß, keine Karten, um irgendwo im Raum zu essen oder zu arbeiten, und das ließ ihm als einzigen anderen Weg die Piraten offen – und wer wollte schon jenen schnellen Tod durch die lautlosen Geschütze eines Kreuzers sterben? Oder in einer Koje mit dem Messer des Maats im Rückgrat? Piraterie war nicht moralisch falsch, es war bloß schmutziges, rauhes Handwerk, wo die Düsen zum Teufel gingen und man sich nicht traute, irgendwo zu landen, und dann kreiste man für immer um irgendeinen dunklen Stern herum, hundert Mann in einem rostigen Kessel. Jetzt hatte er wenigstens noch seinen Paß. Ja, seufzte er und lehnte sich zurück und streckte seine Beine aus, und da war Carla. Und daran konnte er stundenlang denken. Stunden und Stunden und Raumeinheitstage. Es gab dabei Probleme wie: Waren das echte Tränen gewesen? Oder: Sie konnte doch nicht gemeint haben, daß sie aus freien Stücken wirklich sein Mädchen geworden war? „Furchtbar langweilig, nicht wahr?“ sagte ein Mann in einer abstoßenden Tweedmütze. Kit fuhr heftig zusammen und hielt seine Hand noch rechtzeitig auf halbem Wege zu seiner Brusttasche an, in der die flache Pistole lag. Dann: „Wie bitte?“ 32
„Ich meine, es muß schrecklich stumpfsinnig für euch Militärs sein, durch diese ganze Leere zu brummen. War vorne, um die Meteore zu zählen, die wir am Bug aufgelesen halben. Furchtbar langweilig. Fahren Sie zur Sonne zwölf?“ „Wahrscheinlich habe ich dort Aufenthalt“, sicherte sich Kit. Unverdächtige Antwort. Der „Präsidentenkurier“ hielt auf dieser Route sonst nirgendwo. „Furchtbarer Platz. Provinziell, das ganze System. Ziegen halten es zusammen. Blinzeln Sie nicht. Die reine Wahrheit. Ziegen, Ziegen, Ziegen, bääh, bääh. Furchtbarer Ort. Bleiben Sie dort länger?“ „Kann es nicht sagen. Termine. Befehle.“ „Natürlich. Schreckliche Sache, Terminpläne. Man braucht zwei Tage, um von einem System zum anderen zu kommen, und dann fünf Tage, um ein Nahverkehrsschiff von einem verrotteten Planeten zum andern zu erwischen. Altmodische Ausrüstung und alles das. Unfälle. Einmal hat mich allerdings eine Meuterei aufgehalten.“ „Ja, ja“, sagte Kit, der an zwei Meutereien teilgenommen hatte und bei einer dritten der Anführer war, damals, als der Kapitän alles Wasser zurückgehalten hatte, außer für die Fracht, die aus Ferkeln bestanden hatte. „Ach ja. Aber sie wurde niedergeschlagen. Zwei Kerle aufgehängt und die Meuterei niedergeschlagen. Sie wollten alle Passagiere an die Arak-Sklavenhändler verkaufen, jedenfalls sagte uns das der Maat beim Abendessen damals.“ Kit, der Maate kannte, lächelte. „Na ja, es wäre ein ganz nettes Abenteuer gewesen. Was ich sagen wollte – erlauben Sie, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Morgan Carlyle von Dombey und Dombey.“ Kit erwartete, daß er jetzt erzählen würde, er verkaufe Damenunterwäsche, und war deshalb völlig verblüfft, als der Mann zufügte: 33
„Wir stellen elektrische Ausrüstungen in Versuchslabors auf. Sie haben da irgendwas schrecklich Neues droben in Ringo – der Hauptstadt des Kaiserreiches von Marcon.“ Kit fiel seinem Mitreisenden fast um den Hals. War er schon auf der richtigen Spur? Vielleicht waren es bloß noch ein paar Wochen, bis er Carla wiedersah! „Neue Wellenangelegenheit?“ sagte Kit. „Ja, ich glaube, ich erinnere mich an so was. Furchtbar langweilig, entsetzliche Gleichungen. Es kann verschiedene Gesteinssorten unterscheiden, und nach Belieben die eine oder mehrere atomisieren. Revolutioniert Bergbau und Architektur oder irgendwo etwas. Aber ihr vom Militär …“ „Welch ein Zufall“, strahlte Kit in seiner gewinnendsten Art. „Wirklich, ein Zufall. Ich bin Tourney, Spezialtechniker von den Großen Triaden, dem Dreibund, und ich bin im Augenblick auf dem Weg, diese Ausrüstung für militärische Zwecke zu inspizieren. Mr. Carlyle, ich freue mich wirklich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“ „Na, stellen Sie sich das vor“, sagte Carlyle, der aufzuleben schien. „Wirklich ein Zufall. Trotzdem, alter Freund, ganz im Vertrauen: Ich kannte Ihre Abzeichen und vermutete, wohin Sie gingen, sonst hätte ich nicht so offen gesprochen. Sicherheit und das alles. Ich soll das Zeug für den Schiedsrichter ankaufen, das haben Sie wahrscheinlich schon erraten. Aber Sie sind sicher einer seiner Leute. Oberkommando im Dreibund, eh?“ Und er stieß Kit vertraulich mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Ha, ha!“ sagte Kit und brachte ein gelungenes Augenzwinkern zuwege. „Ha, ha!“ sagte Carlyle. „Aber in Wirklichkeit ist es natürlich kein Zufall. Ich wollte Sie bloß aushorchen, sah Ihren Namen auf der Passagierliste heute morgen. Der Agent des Schiedsrichters sagte, daß ein Mann von den Großen Triaden zur Stelle sein würde, um nachzuprüfen, daß wir auch alle ein34
schlägigen Informationen bekommen und uns nichts verheimlicht wird. So stehen wir also da, Partner im Verbrechen, was?“ Kit versuchte, nicht plötzlich bleich auszusehen. „In der Tat. Ha, ha! Partner beim Verbrechen.“ Aber er wußte, daß er für den Rest der Reise sich äußerst nervös fühlen würde. Der Mann von den Großen Triaden dort … Ihr Götter! Hatten die auf Ringo eigentlich Exekutivkommandos, die auch richtig trafen, wenn einer an die Wand gestellt wurde? 5. Kapitel Christopher Randolph Kellan, zur Zeit Generalmajor Tourney von des Triadenkaisers eigenen Technikern, war gleichzeitig glücklich und unglücklich, nach Ringo zu kommen, dem Heimatplaneten der Marconier. Einmal war ihm in der letzten Woche die Langeweile Morgan Carlyles „ganz furchtbar langweilig“ geworden. Kit hatte sich geweigert zu trinken, um seine Zunge im Zaum halten zu können, nicht weil er – wie er vorgeschützt hatte – einen schwachen Magen hatte. Er hatte jedoch täglich einige Stunden mit Schach verbracht, das beide beherrschten. Sie standen auf dem Landungsturm und überblickten die Stadt, wobei sie den weniger bedeutenden Passagieren den Abstieg versperrten, dann gingen auch sie hinunter. „Furchtbar langweiliger Ort, wie?“ sagte Carlyle. Kit war nicht dieser Ansicht. Ringo war ein Kohlenplanet von dreiviertel Erdschwere auf der Oberfläche, er hatte acht Klimazonen, sechs Meere und ein paar Berge von dreißigtausend Meter Höhe, die schneebedeckt und würdevoll über die liebliche grüne Ebene aufragten, an die sich Gloriana geschmiegt hatte, die Hauptstadt des ganzen Kaiserreiches. Ein lebhafter, glitzernder Fluß, die Berge und die polierten roten 35
Dächer der Alabasterstadt, sie ließen das Ganze wie schön gefaßte grüne, weiße und rote Edelsteine erscheinen – ein Schmuckstück unter den Raumhäfen, die oft einen rohen und spartanischen Eindruck machten. Wie immer, stellte man sich ein Planetensystem wie kleine Bälle vor, die um die Sonne kreisten. Jedenfalls so lange, bis man landete. Während der Landung kam es Kit noch so vor, als könnte er dein ganzen Planeten mit einem Blick umfassen. Aber schließlich, als er auf dem Boden stand, waren die Gebäude mit einem Mal größer als er selbst, genau wie die Bäume, und der Horizont war weit weg und man fühlte sich sehr eindrucksvoll nicht auf, sondern „in“ einer Gegend. Aus einem Flecken im Universum wurde für den gelandeten Passagier ein einziges Haus zu einem ihn übereinschließenden Universum. Die beiden Männer verließen den Landungsturm und schritten durch das Tor zu der Reihe der Taxis. Eine kleine Flotte blauweißer Wagen hielt dort und ein Schwarm menschlicher Wesen stürzte darauf zu, helle Anzüge und geschwungenes Gepäck vermischten sich in einem Wirbel farbiger und geräuschvoller Bewegung. Hin und her gestoßen, blökte Carlyle: „Gehe zu den hier vorhandenen Schlafgelegenheiten und versuche, die örtlichen Wanzen zu bekämpfen. Kommen Sie mit?“ Kit hatte nichts dergleichen vor, aber er zögerte, während er nach einer passenden Entschuldigung suchte. Der Augenblick, den er da stand, brachte ihm eine neue Gefahr. Ein Quartiermeister eines vor Anker liegenden Trampschiffes, mit wirren Haaren, Ölverschmiert und in Arbeitskleidung, blieb plötzlich stehen, riß den Mund auf und war so erstaunt, daß ihm alle Haare vor Verwunderung zu Berge standen. Dann ging er direkt auf Kit zu und blinzelte ungläubig. „Das ist doch nicht … mein Gott, das kann doch nicht sein … Kit!“ 36
Schwarzes Halstuch, zerfetzte Raumjacke, Rumfahne und alles, das konnte nur Spica Mike McBain sein, weit, weit ab von seiner Route in den Sechs Nationen. Nach dem alten Spruch, daß man erst wirklich in der Fremde ist, wenn man einem Raumfreund aus der Heimatstadt begegnet, machte Spica Mike dies hier zu einem sehr fernen Hafen. Vor Schreck erstarrt, gab Kit ungewollt ein hervorragendes Bild eines wütenden Offiziers ab. Armer Spica Mike, wie mußte er ihn zur Minna machen. „Lieber Mann“, sagte Kit, „ich bin sicher, daß ich noch nie das Vergnügen hatte.“ Der Quartiermeister stand offenen Mundes da. Sonst schnell bei der Hand, war er doch im Begreifen ein bißchen langsam. Er starrte immer noch, bis Kits rechtes Auge vom vielen Blinzeln auswechslungsbedürftig war. Carlyle konnte diese Seite nicht sehen. „Kit, ich …“ Wink, wink, wink, wink, wink. „Wirklich, wie können Sie sich unterfangen, anzunehmen, ich kennte Sie!“ Wink, wink, wink, wink, wink. Würde er denn nie kapieren? Carlyle sah sehr sonderbar aus. „Wenn du nicht Kit Kellan bist …“ fing Spica Mike an. Und dann drang das Blinzeln endlich durch. Er stotterte und wurde verwirrt. „Heiliger Bimbam, es... es tut mir furchtbar leid, Sir. Ich kenne einen Kumpel, der Ihnen so ähnlich ist wie ein Zwilling. Bitte um Verzeihung, Sir. Bitte, lassen Sie die Polente heraus. Ich bin nur ein armer Raumquartiermeister und ich sehe nicht mehr gut aus den Lichtern von wegen dem Rum und daß ich so alt bin.“ Und Spica Mike fügte in der Gebärdensprache, mit der man sich im den Zellen von Cerebos unterhält, noch hinzu: „Kommt mir der Kerl doch auf die hochgestochene Tour, was. Triff mich in Raumfahrers Rast um neun, du feiner Pinkel.“ Und laut: „Bitte, lassen Sie mich nicht festnehmen. Ich habe 37
Frauen und Kinder.“ Und er zog sich zurück, der schielende alte Pirat, der vielleicht zwanzig Frauen und ein halbes Hundert Kinder auf ebensoviel Planeten hatte. Kit bestieg eine Taxe, immer noch etwas schwach. „Geheimdienstarbeit. Bringt einen wirklich mit der Hefe zusammen.“ Carlyle hatte enge Augen, hielt aber Frieden. „Das Kaiserhotel, Fahrer. Wenn Sie nicht an etwas anderes gedacht haben, General.“ „Wollen Sie den kaiserlichen Palast sehen?“ sagte der Chauffeur. „Sie haben ihn gerade blau angemalt, und Mann, das muß man gesehen haben. Die Prinzessin war heute aus, ist mit ihren Jagdhunden ausgeritten, heute morgen, aber ich glaube, es ist jetzt zu spät, um sie zurückkommen zu sehen. Aber ich versichere Ihnen, meine Herren, es ist eine Augenweide.“ „Blau, mein Gott“, stöhnte Carlyle, „Das Gebäude ist aus gediegenem Kupfer und sie haben es blau anstreichen lassen! Diese deutschen Prinzen! Keinen Geschmack. Furchtbare Leute.“ Das brachte seine gute Laune wieder, und offenbar hatte er den Zwischenfall bei den Taxis vergessen. „Wir wollen mal vorbeifahren“, sagte Kit kühn, „ich will meine Beglaubigungsschreiben vorlegen und heute nachmittag mal die kaiserlichen Werkstätten und Labors ansehen.“ „Ah ja. Aber sicher. Der Palast, Fahrer.“ Zwei Stunden später kamen Kit und Carlyle aus dem Palast. Ihre Hacken taten weh vom vielen Stehen, ihr Rücken war halb verrenkt vom Verbeugen, und ihre Knie staubig von den Kniefällen. Sie sanken an einem Tisch eines Straßencafés zusammen und Carlyle bestellte kalten Wein. „Man muß mit den Wölfen heulen, aber was kann man schon in der Provinz anderes erwarten“, sagte Carlyle und seufzte niedergeschlagen. „Welch furchtbarer Geschmack. Der Mantel orange. Die Krone blau. Entsetzlich. Jetzt sagen Sie mir mal ehrlich, General, haben Sie jemals schon mal so was gesehen wie 38
diese schwerblütigen deutschen Herrscher hier? Ich schwöre, als er den Namen des Schiedsrichters hörte, hatten wir noch Glück, daß er uns nicht sein Zepter verkaufen wollte. Obwohl – wahrscheinlich waren falsche Rubinen drin.“ Kit war still, während er trank. Das gab ihm Gelegenheit einzusehen, daß seine eigenen gefälschten Papiere den Kaiser kein bißchen beeindruckt hatten, Große Triaden oder nicht. Aber die Erwähnung des Schiedsrichters und eine kleine Karte, die Carlyle schüchtern vorgezeigt hatte und den größten Eindruck machte – es hätte nicht viel gefehlt und sie hätten das ganze Kaiserreich erhalten. Und wie der untersetzte kleine Herrscher wegen der Preise für den Apparat gefeilscht und gestöhnt hatte, den seine Techniker da erfunden hatten, und wie gelangweilt Carlyle dabei gewesen war. Es schien, als pflegte der Schiedsrichter zu seinen eigenen Preisen einzukaufen. Aber eine Erleichterung hatte Kit verspürt. Der echte Mann vom Großen Dreibund hatte seine Einführungsschreiben noch nicht präsentiert. „Wir wollen mal zu den Labors gehen“, sagte Kit mit plötzlicher Energie. „Outer Gott, welcher Eifer. Wir können Tage damit hinbringen, und das nächste Schiff geht nicht vor einer Woche.“ „Na gut, dann gehe ich allein“, sagte Kit. „Dann muß ich wohl“, sagte Carlyle, der plötzlich wachsam geworden war. Sie winkten ein Taxi herbei und nach kurzer Zeit versperrte ihnen ein mächtiges Tor den Weg, durch das der Wagen nicht fahren durfte. Und sie hatten viel zu tun mit den Wachhabenden und den Geheimpolizisten des Kaiserreichs. Doch wurde ihnen bald gestattet, ihren Weg durch das Zentrallaboratorium fortzusetzen, wo zwischen rotierenden Dynamos und großen Stapeln Iridiumdrahts ihr Mann saß. Er war ein junger Mann und sagte, er heiße Joyce. Er war 39
sehr bescheiden, machte den Eindruck, als sei er bleich und habe einen krummen Rücken, was eigentlich gar nicht zutraf. „Es ist eigentlich nichts Besonderes“, sagte er, „aber es scheint, als kann ich niemand hier dazu bewegen, es zu verstehen. Sie bauen, was ich ihnen vorschreibe, und alle Pläne müssen hier in meinem Tresor bleiben. Seit drei Monaten haben Sie mir verboten, das Gelände zu verlassen.“ Er machte einen kläglichen, fast niedergeschmetterten Eindruck. Nichts Besonderes. Aber wenn es sich um technisches Wissen handelte, dann war der Mann eine einzige Eingebung. „Ich mußte es so machen, sehen Sie, um durch die Berge zu kommen. Luftfrachten sind ganz gut und schön, aber haben Sie jemals versucht, eine Kuh im Flugzeug auf den Markt zu bringen?“ Kit hatte es gemacht, aber er schwieg. „Und daher“, sagte der bleiche junge Mann unter tausend Drahtspulen, „mußten wir eine Möglichkeit haben, billig durch die Berge zu kommen. Und ich machte also einen Sortentrenner, der jede gewünschte Gesteinssorte atomisiert Wenn man den zum Beispiel auf eine Quarzader richtet und ihn auf Quarz abstimmt, dann vernichtet er jeden Quarz ober- und unterhalb eines Bandes von dreizehn Metern Länge – eine Sache, die ich einstellen kann. Wenn man also durch einen Berg kommen will, so braucht man bloß Schiefer zu finden oder eine Quarzader und den Apparat anstellen. Er arbeitet mit Frequenzübertragung. Ein Gestein verhält sich verschieden, je nach … aber schließlich, Sie sehen den Trenner lieber bei der Arbeit, vermute ich. Hier ist das Modell. Der Kaiser hat euch schon angekündigt.“ Er hatte einen Ausschnitt aus Gebirgsgestein von etwa vierzig Metern Durchmesser da liegen, der von einer geraden Quarzader in etwa drei Meter Breite durchschnitten wurde. Er nahm eine Elektrode und trieb sie oben in den Quarz, und 40
er hielt ein Quarzstück gegen die Maschine, um seine Wellencharakteristik zu erhalten – danach mußte er die Maschine einstellen. Dann erdete er das andere Ende seiner Leitungen und stellte zwei Ventilatoren so auf, daß sie von ihnen wegbliesen. „Staub, verstehen Sie“, erklärte er, „ich möchte nicht, daß Sie staubig werden.“ Die scharlachrote Uniform beeindruckte ihn gewaltig. Mit „Meiner Treu, ich hoffe, es klappt“, warf er einen Hebel um und die Umgebung war Höllenkrach und Sturm. Die Quarzader verschwand, und es blieb ein polierter Weg auf dem Felsboden, und ein scharfer, drei Meter hoher Durchgang durch den Modellberg. Er schaltete die Maschine ab. „Es hat geklappt“, sagte er traurig, „aber es ist weiß Gott schwer, die Dinger herzustellen. Niemand versteht diese Wellenart, außer mir, wie es scheint, und ich kann nicht genügend Mathematik, um es Ihnen klarzulegen. Niemand hier hat jemals vierdimensionalen Kalkül studiert.“ „Ich denke, damit hat er uns im Sack, eh?“ sagte Carlyle. Aber Kit war nicht mit drin im Sack. Er hatte unverzüglich damit begonnen, die Schaltung zu verfolgen und seinen hellen Schopf zustimmend zu schütteln. Er nahm einen Schreiber aus seiner Brusttasche und fing an, auf eine Drahtverpackung geheimnisvolle Formeln zu schreiben. „Sie haben einen Widerstand zu viel. Es wird schneller arbeiten, wenn Sie die achtzehnte Stufe umkehren und die Amplitude am Ausgang erhöhen. Außerdem, nach der Zerfallsgeschwindigkeit, wenn Sie das Ding auf einen Rammbock setzen, so –“ und er zeichnete rasch auf einem Stück Wellpappe „– dann könnte man es auf etwa fünfzig Kilometer in der Stunde bringen. Welche Geschwindigkeit haben Sie ausgerechnet?“ „Unter Berücksichtigung des Abfalls“, sagte der junge Mann mit blitzenden Augen, „bin ich auf fünfunddreißig gekommen, 41
Ah, ja, das stimmt!“ Und er schaute Kit zu, der mit leichtem Lächeln Gleichungen nach dem vierdimensionalen Kalkül niederschrieb. „Das stimmt! Ja! Man läßt auch den Abfall, der nicht aus Quarz besteht und daher vom ersten Sortentrenner nicht zum Zerfall gebracht wurde, mit einem kleineren Apparat an jedem Ventilator atomisieren und alles als Luft entweichen! Fünfzig Kilometer die Stunde! Wir könnten sogar mit achtzig uns durch die Berge bohren! Wir könnten eine ganze Gegend mit Straßen und Untergrundbahnen ausstatten …“ „Oder vorne auf einen Panzer montieren und durch bisher unpassierbare Geländehindernisse hindurch angreifen“, sagte Carlyle, der allmählich dahinterkam. Das dämpfte sie ein bißchen. Doch im Augenblick war Kit noch voll reiner Schöpferfreude. Sein dahinfliegender Stift und rasch herausgehobene Schwächen und ausgebaute Vorteile waren für den jungen Mann Anlaß zu ergebener Hingerissenheit. Carlyle, der den Vorgängen nur kümmerlich folgen konnte, war gelangweilt. „Kommen Sie mit rauf zum Hotel und spielen Sie ein bißchen Schach“, sagte er zu Kit. „Und damit hat man die Möglichkeit, das Innere der Planeten zum ersten Mal direkt zu erforschen“, sagte Kit zu dem bleichen jungen Mann. „Was wir jetzt brauchen, ist …“ Carlyle sah zu. Sie schleppten allen möglichen Kram herbei und bastelten aus einem alten Geschützturm und ein paar Lastwagenrädern ein Ding zusammen, das nicht nach etwas aussah, was Carlyle sich je wünschen würde. Kits Uniform wurde fleckig und verkrumpelt und der bleiche junge Mann war vor Aufregung ganz rot im Gesicht. Gegen sechs Uhr hatte sich Kit bis zur Hüfte entkleidet, sein mächtiger Rumpf glänzte vor Schweiß, sein goldenes Haar brannte wie eine Fackel, und durch eine Maske von Schmieröl glänzten seine Augen hell mit immer neuen Einfällen. Der blei42
che junge Mann war angesteckt, zerzaust und müde trat er schließlich zurück, um ihre sonderbare Maschine zu bewundern. „Es sieht einem Panzer sehr ähnlich, wie ich ihn in den alten Geschichtsbüchern fand“, sagte der bleiche junge Mann. „Und es fehlt nur ein gutes, wirkungsvolles Mißgeschick, und das ganze Ding frißt sich durch bis zu den tiefsten Eingeweiden von Ringo. General, ich verehre Sie. Meine Erfahrungen mit den hohen Tieren hatte mich bis jetzt gelehrt, daß sie da oben nicht schwitzen oder nach Achsschmierfett stinken können. Denken Sie, daß es tut?“ „Mein lieber Freund“, sagte Carlyle, „da ich von euren Schweißbrennern geblendet und von euren Hammerschlägen und eurer Unterhaltung dabei betäubt bin, kann ich Ihnen keinerlei Urteil abgeben. Aber wenn Primitivität und Mangel an Schliff und Politur überhaupt irgend etwas bedeuten, dann wird der erste Mann, der dieses Ding hier ausprobiert, sich gewiß mit Erfolg ein tiefes und angemessenes Grab graben. Wie langweilig. Kommen Sie, Tourney, alter Knabe. Ein Bad wird viel dazu beitragen, um die Feuer Ihrer Einfälle abzukühlen und Ihren Geruch gesellschaftsfähiger zu machen. Es ist ganz gut, daß Sie nicht so gut Schach spielen, wie Sie sich für Maschinen begeistern – sonst wäre ich jetzt um ein paar Tausend Dollar ärmer. Kommen Sie, ehe ich noch vor Hunger und Schwäche verkomme.“ „Laß es grad so liegen“, sagte Kit, „und laß es auf die Arbeit warten, während du eine Ader schönes Gestein als Fressen für das Ding da aussuchst. Vielleicht können wir es heute nacht noch ausprobieren.“ „Die Wissenschaft hat für mich eine verdammte Ähnlichkeit mit einem Gefängnis“, sagte der bleiche junge Mann, der zum ersten Mal sich darüber ärgerte, als er daran dachte. „Man wird mich noch nicht mal raus in unser Laborgelände lassen. Ich 43
werde verkauft wie eine Anleitung zur Aufzucht von Fledermäusen oder ein Satz Schraubenschlüssel, und deswegen behalten sie mich in der Nähe. Man sagt mir, ich sei mindestens vier Millionen für die Krone wert und soll die Hochzeit von des Kaisers Schwester bezahlen. Wenn man daran denkt, daß meine Genialität das Ehebett für zwei deutsche Clowns liefert, die noch nicht einmal eine verbogene Haarnadel in Ordnung bringen könnten! Sagen Sie mal, werde ich dann noch so gefangengehalten, nachdem ich für das Ding da in meinem Kopf gekauft worden bin?“ „Das will ich meinen“, sagte Carlyle und gähnte. „Es kann vielleicht einen Ausweg geben“, sagte Kit und blinzelte damn, ohne daß es Carlyle sah, dem jungen Mann sehr vertraulich zu. „Aber jetzt suchen Sie mal nach dem Felsenstück, das wir brauchen.“ „Aber die Wachen und Geheimpolizisten! Hier drin eingeschlossen bin ich vier Millionen wert – das vergessen die nicht.“ „Wir werden um eine Sondererlaubnis bitten und man wird Sie ins Gelände draußen lassen. Denken Sie daran, vielleicht besuche ich Sie heute nacht um neun oder zehn oder elf, wenn mir irgendeine Verbesserung eingefallen ist. Sie können draußen versuchen, mit der Maschine ein bißchen zu graben, und wenn sie funktioniert, dann können wir davon aus weitergehen.“ „Oh, aber sicher, ich will“, sagte der junge und gar nicht mehr bleiche Mann, der Kit zum zweiten Mal blinzeln sah. In seiner Stimme war etwas, das Kit davon überzeugte, daß er einen getreuen und opferbereiten Jünger in Gestalt eines Ingenieurs gewonnen hatte. „Also, bis später“, sagte Kit. Am Tor – während er immer noch darum kämpfte, in seinen hautengen Uniformrock zu kommen und den Gürtel umzubekommen – am Tor teilte Kit den Leuten vom Geheimdienst mit, daß ein wichtiger Versuch durchgeführt werde; und sie sahen 44
seine Schulterstücke und Medaillen an und übersahen sein verschmiertes Gesicht und verbeugten sich ergeben, und sie versprachen getreulich, den jungen Mann aus seinem Gefängnis herauszulassen und beim Transport der Maschine ins Freigelände behilflich zu sein. Im Hotel sah Carlyle zu, wie sich Kit wusch, während das Abendessen zu ihrer eleganten Zimmerflucht unterwegs war. „Sie haben einen Geschmack an der Arbeit, alter Junge, der in Ihrem Dienstrang komisch aussieht. Der Schiedsrichter wollte nur den Mann und die Formeln, und Sie haben eine völlig neue Maschine zusammengebastelt. Sehr ermüdend, wenn ich mal so sagen darf. Kolben und Zahnräder waren schon immer für mich eine furchtbar langweilige Sache. Na ja, hier ist das Abendessen.“ Der nun wieder angezogene Kit ließ sich an der mit Kristall und Gold besetzten Tafel nieder, nach außen hin gelangweilt, doch mit einem Auge fest auf der Uhr. Wenn ihm die Götter gnädig waren, wäre er hier draußen, noch ehe der echte General zum Vorschein kam. Neun Uhr, in „Raumfahrers Rast“. 6. Kapitel Kit ließ das Spiel dahinschleichen, bis es halb neun war. Gegen Carlyle hatte er sich nie voll eingesetzt, schließlich ist es sehr diplomatisch, einen Mann, den man brauchen kann, wenigstens die halbe Zeit gewinnen zu lassen. Und so kam es, daß Carlyle seine Springer und Läufer lange Ausflüge machen ließ, Fallen ungeschoren wieder verließ, die sich nicht geschlossen hatten, so kam es, daß er sechsmal nicht einsah, warum er beim Schachsagen seinen Gegner fast matt gesetzt hätte und doch so weit davon entfernt war, woraufhin er wieder lange zu grübeln begann. Um halb neun zog Kit plötzlich seine Dame vor und nahm 45
dabei einen Turm. Damit stand Carlyles König ungedeckt im Schach. Carlyle schob seine Dame dazwischen. Kit deckte seine Dame mit einem Läufer. In plötzlicher Panik versuchte Carlyle, einen Springer ins Spiel zu bringen, und dann passierte es. Kit nahm Carlyles Dame und sagte unerbittlich: „Schach.“ Carlyle nahm die angreifende Dame mit seinem eifrigen König. Kit bewegte in seiner hintersten Linie einen Turm nur drei Felder weiter. Es war ein Angriff aus der Ferne, und Carlyle hatte ihn nie kommen sehen. „Schachmatt“, sagte Kit. „Wie bitte?“ schluckte Carlyle. Es war drei Viertel neun. Kit stand auf. „Matt, mein Freund. Der König ist tot.“ „Soll das heißen, er ist schachmatt?“ sagte Carlyle, der nach der Art von Verlieren in wilder Hast versuchte, seinen König irgendwohin zu schieben, egal wohin. Und überall, wo sein armer König hinwollte, bot ihm eine weit entfernte, ganz unverdächtig und mit sich selbst beschäftigt aussehende Figur Kits Schach. „Sie schulden mir hundert“, sagte Kit. Carlyle seufzte und fischte nach seiner Brieftasche. Als er zahlte, sagte er: „Was ist das auch für ein blödes Wort, schachmatt.“ „Es kommt aus dem Persischen, einer sehr alten Sprache. Ursprünglich hieß es Shah matte, wobei Shah heißt: der König, während matte tot bedeutet. Shah matte – der König ist tot. Fand das mal in einem sehr alten Buch über das Spiel. Ganz interessant.“ „Hm, nun – ziemlich tot ist er ja, das stimmt“, sagte Carlyle reuevoll. „Aber ich werde die hundert auf die Spesenrechnung für den Schiedsrichter setzen. Das ärgert mich noch nicht mal so sehr. Das Blöde am Schach ist, daß das Spiel so unverhüllt den Geist der Mitspieler widerspiegelt. Da ist nichts Zufall, und 46
wenn einer verliert, dann ist das eine direkte Beleidigung für seine Intelligenz. Zum Kuckuck, Tourney, bei Ihnen komme ich mir wie einer von diesen Bauern vor. Sie hatten das alles schon seit zwanzig Zügen vorbereitet und nur nicht ausgenutzt, und wie ein Baby laß ich mich zum besten haben und sitze Ihnen gegenüber und schmiede großangelegte Schlachtpläne. Zum Kuckuck, ich werde mich jetzt hier hinsetzen und mich vollaufen lassen und es auf Ihre Rechnung setzen lassen.“ Kit richtete sich in seiner strahlenden Uniform auf und setzte den Helm zurecht. „Trinken Sie die Stadt nicht leer. Ich bin vielleicht rechtzeitig zurück, um Sie noch unter den Tisch zu prosten.“ „Cheerio“, sagte Carlyle und griff nach dem Telefon. Er hörte, wie sich hinter Kit die Tür schloß und wie dann ein Fahrstuhl stöhnte. „Wein!“ sagte er ins Telefon zum Kellner. „Champagner, beim Himmel. Drei Große und hier spricht Tourney.“ Er hing auf und das Telefon läutete. „Sir“, sagte der Mann unten an der Empfangsecke. „Oberst Mollyhay von des Kaisers der Großen Triaden eigenen Technikern, bittet um eine Unterredung.“ Carlyle runzelte die Stirn, dann sah er argwöhnisch nach der Tür, durch die Kit gerade gegangen war und sagte: „Schicken Sie den Herrn herauf. Auf jeden Fall. Schicken Sie ihn hoch.“ Er hing auf und griff in seine Reisetasche, aus der er eine flache Pistole nahm, die Schulterriemen hingen vom Halfter herab. „Hmm. Er kannte also den Herumstreicher nicht, wie? Kommen Sie rein, herein.“ Kit bemerkte nichts Besonderes in der Empfangshalle, nahm sich aber auch nicht die Zeit, um nachzusehen. Er steckte seinen goldenen Helm in ein Taxi und sagte: „Raumfahrers Rast, und wenn’s geht, schnell.“ Er lehnte sich zurück und beobachtete die Lichter der Stadt, die rasch vorüberglitten. Irgend etwas wie eine Alarmglocke 47
erklang drohend in seinem Schädel, und er stellte fest, daß seine Hände vor Nervosität feucht waren. Ein mächtiger Verkehrspolizist sperrte ihre Fahrtrichtung für einen Augenblick, und Kit duckte sich instinktiv. „Jetzt hör mal“, redete er sich zu, „jetzt halt dich mal ran und fang nicht an zu zittern. Du warst schon in ganz anderen Klemmen und bist noch immer mit heilem Hals rausgekrochen. Kalt, mein Junge, ganz kalt!“ Es war nicht sehr kalt in des „Raumfahrers Rast“. Die Schenke lag verborgen in Schichten blauen Rauchs und er verspürte Unheil aus den Ozongasen einer vor kurzem abgefeuerten Pistole. Der arme Verlierer wurde auf einer Krankenbahre hinausgetragen, als Kit den Raum betrat. Die Gruppen in den Nischen fingen gerade an, nach dem Kampf wieder ihre gute Laune zu gewinnen. Frauen, die sich langsam und mit schweren Lidern bewegten, strichen durch die Menge und forderten die Leute auf, etwas zu trinken, oder erwischten einen Kunden und zogen mit ihm ab. Es herrschte ein großes Durcheinander von Raumfahrern, Gestrandeten und Halbweltpersönlichkeiten, und alle rochen nach „dak“ und „Altem Raumritter“. In einer Luft, die niemand atmen konnte, voll von Gesöffen, die kein Mensch vertragen konnte, und in angeregter Unterhaltung über Dinge, von denen kein Sterblicher gehört haben sollte – hier hatten die Raumfahrer ihre Art von einer wirklich netten Unterhaltung. Ein schläfriges Orchester, das sich ausschließlich aus fremdartigen Fischschuppenmenschen zusammensetzte, sägte tolle Noten durch das Geschwätz und den Radau. Die Uniform rief keine Beachtung hervor. Jeder oder jedes Ding konnte hier herkommen, und Kit suchte unbelästigt. Er hörte ein zorniges Streitgespräch und fand seinen Mann. Spica Mike und sein Kapitän, ein Bärtiger namens Malloy, unterhielten sich mit dem Rausschmeißer. „Trau dich nur, mich anzufassen!“ grollte Mike und der Kapitän fummelte unter sei48
nem Hemd. Der Rausschmeißer zögerte, seine Drohungen wahr zu machen, er war ein mächtiger Tsarianer, aber Spicas rote Äuglein … der Rausschmeißer war froh, daß Kits Ankunft eine Ablenkung brachte. Er ging weg. Spica Mike sagte: „Wenn das nicht Kit ist! Käptn Malloy, das da hier ist Kit, der beste rothaarige Schläger auf der Seite des Höllenschlunds. Stell dich auf seine Seite bei einem Kampf. Jedesmal. Immer auf seiner Seite, und denk nicht etwa …“ „Du bist betrunken“, grinste Kit, „und ich hatte gerade Arbeit für nüchterne Männer.“ „Betrunken!“ sagte Spica Mike und torkelte hoch. „Betrunken? Wer sagt, wir sind betrunken! Bin ich betrunken, Kapitän?“ „Du bist besoffen“, sagte Käptn Malloy und grinste in seinen Schnurrbart, „setz dich, Kit, und tue desgleichen.“ „Ich sagte: Arbeit für nüchterne Männer“, sagte Kit. „Nun ja, zum Teufel, setz dich doch erst mal her. Du kannst nicht mit einer trockenen Kehle reden“, sagte Malloy. „Kit“, sagte Spica Mike, „wir wollen alle besoffen werden.“ „Trunkenheit“, sagte Kit, „ist ein psychologischer Zustand. Schnaps ist ein Feind unseres Körpers. Alkohol drückt nieder, statt aufzuheitern. Ich nehme ‚dak’.“ „Siehst du“, sagte Spica Mike zu seinem Kapitän. „Ich hab dir gesagt, der kennt sich aus. Hab ihn mal sechs Tsarianer in einer Nacht zusammenschlagen sehen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Ich hatte gar keine Gelegenheit, auch mal einen Hieb anzubringen, Gott helf mir. Schnell wie …“ „Du hast was von Geschäft gesagt“, sagte Malloy. „Mord, Entführung oder Brandstiftung? Wir sind ein Schiff mit billiger Ladung, lungern hier schon eine Weile nach Besserem herum und dürfen alle Häfen anlaufen.“ „Mein Glück hat mich also nicht im Stich gelassen“, sagte Kit. „Ich hab gerade zehntausend Dollar da, und die erzählen mir, daß wir um Mitternacht mit meiner Ladung abfahren.“ 49
„Für zehntausend Dollar würde ich vor vier Stunden abhauen, und vorgestern dazu“, sagte Malloy. „Spica Mike kann Gedanken lesen. Wir sollten eigentlich um sechs schon unterwegs sein, aber er kam zurück und erzählte mir von dir und einer Uniform, die dir nicht gehört und ich witterte etwas. Da haben wir es also. Geht in Ordnung.“ „Dann halten Sie sich bereit und lassen Sie schon die Düsen warmlaufen“, sagte Kit. „Verladeluke offen. Hier sind tausend a conto, dann viertausend, wenn ich an Bord gehe und fünf, wenn ich lande, und dann noch zwei dazu von meinem Boß für gutes Benehmen, wenn wir bis nach Hause kommen.“ „Man wird uns nicht hängen, oder?“ „Wenn du hängst, erhöhe ich auf glatte fünfzehntausend“, sagte Kit und grinste. Er kippte seinen „dak“, schüttelte sich und erhob sich. „Auf, meine Herren!“ Er zahlte ihre Rechnung und ließ sie am Raumhafen aussteigen, während er zurück in die Labors ging. Und dort fand er ein Empfangskomitee vor. „Das ist er!“ sagte Oberst Mollyhay. „In Ordnung, General“, sagte ein Mann vom Geheimdienst. „Kommen Sie mit.“ Kit sah Carlyle an, der dort im Schatten stand. Er sah den jungen Mollyhay an, der wütend war wie eine Hornisse und so rot wie seine Uniform. Kit blickte Mollyhay zornig an. „Grüßen Sie, Sie Frechling!“ „Keinen Unsinn“, sagte der Geheimpolizist und winkte zu den Wärtern. „Grüßen!“ brüllte Kit. Mollyhays Gesicht verlor merklich an Farbe. „Aha“, sagte Kit, „er gibt sich für einen unserer Obersten aus, kennt aber noch nicht mal den richtigen Gruß.“ „Natürlich kenn ich ihn!“ schrie der bedrängte Mollyhay und grüßte. 50
„Hmmm, viel zu steif und einstudiert“, sagte Kit. „Wo sind Ihre Beglaubigungen?“ Mollyhay kochte, aber der Manu vom Geheimdienst starrte ihn an und wütend wies er die Schreiben vor. „Eine verfluchte Komödie.“ Kit sah sich die Papiere an, „Aha! Unterzeichnet von Adjutant Major Deuchard! Datum von diesem Jahr. Meine Herren, ich freue mich, daß Sie diesen Kerl erwischt haben. Deuchard war allerdings ein Adjutant, aber meines Wissens ist er bereits seit vier Jahren tot, und wir haben in den Reihen von des Kaisers eigenen Technikern keine Gespenster. Zumindest keine, die die Arbeit von Adjutanten verrichten. War dieser Mann drinnen und hat die Maschine gesehen?“ „Hm, wieso, ja“, sagte der Geheimpolizist etwas nervös geworden. „Dann kommen Sie mit“, sagte Kit, „und lassen Sie ihn nicht entkommen. Wir werden sehen, ob er einen Sabotageversuch unternommen hat. Komm mit, mein guter Junge, und wenn Sie das nächste Mal versuchen, jemand aus unserem Korps schlechtzumachen, dann lernen Sie noch mal die Dienstvorschriften durch, vor allem das Grüßen. Es könnte Ihr Leben retten.“ Mollyhay barst fast vor Wut, aber es sah wie Unsicherheit aus. Kit schritt schon mit langen Beinen voran in den Hof und zum Allerheiligsten hin. Unsicher kam der Mann vom Geheimdienst mit. „General“, sagte er, „es tut mir leid, aber ich muß darauf bestehen, daß wir die Großen Triaden über den Ionenstrahl um Auskunft über Ihre Identifikation und die dieses Offiziers hier bitten. Ich bitte vielmals um Verzeihung, wenn etwa ., .“ „Aber sicher, bitte“, sagte Kit, „schicken Sie einen Ihrer Boten mit dem entsprechenden Auftrag. Meine Beglaubigungen liegen im Palast bei den Akten. Aber in der Zwischenzeit, mein 51
lieber Mann, wenn dieser falsche Oberst an der Maschine war, kann sie jeden Augenblick hochgehen, und euer Techniker dazu.“ Das machte ihnen Beine. Sogar Carlyle. Denn Carlyle war wieder unsicher geworden. Schließlich fand man kein wissenschaftliches Genie unter den Spionen aus der Gosse der Raumstädte. Der bleiche junge Mann hatte von allem erfahren und sah sehr bedrückt aus. Der Gedanke, an einen anderen Gefängniswärter als seinen eigenen Kaiser verkauft zu werden, gefiel ihm gar nicht, und Kit hatte ihm einige Hoffnung. gegeben. Ach, mal wieder ein hübsches Mädchen sehen! Aber nicht unter dem Arbiter, da kam das nicht in Frage. Die Maschine stand im hellen Mondlicht, das von Ringos beiden Monden ausging, die wie die Gewichte einer Hantel am Himmel standen. Der bleiche junge Mann hatte mit Detektoren herumgeschnüffelt, bis er eine schöne, geeignete Ader gefunden hatte. „War der Kerl hier in der Maschine?“ sagte Kit, wink, wink. „Wieso, er hat es nicht …“ wink, wink, gut angekommen, „er hat es nicht versäumt, General.“ Und plötzlich zitterte der bleiche junge Mann wegen seiner eignen Kühnheit. Er hatte eigentlich nicht im Ernst angenommen, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, doch diese Blinzelei … Warum ließ er sich da mit einem ein, der vielleicht ein Spion war? „Machen Sie, daß Sie reinkommen und nachsehen!“ schrie Kit mit aller verfügbaren Ängstlichkeit. Und er stürzte hinter dem jungen Mann drein. Carlyle hatte es als einziger geahnt. Und er handelte zu spät. Es erhob sich ein Brausen, es blitzte, und die Maschine zitterte. Der Geheimpolizist schrie und die Wache zog eine Pistole. Doch wo die Maschine gestanden hatte, befand sich nur noch ein Loch. 52
Der Mann vom Geheimdienst lehnte sich über den Rand; der Wind, der von unten blies, schlug ihm ins Gesicht. „Kommt da heraus!“ brüllte er idiotisch. „Sofort kommt ihr zurück!“ Carlyle zwang sich ein Lächeln ab. Hätte es ja wissen sollen, überlegte er sich, kein hohes Tier in irgendeiner Armee wäre klug genug gewesen, um mich im Schach zu schlagen. „Ihm nach!“ schrien Geheimdienst und Mollyhay zusammen. „Machen Sie sich keine Mühe“, sagte Carlyle mit niederträchtigem Lächeln. „Ich habe dafür gesorgt, daß alle äußeren Merkmale bis zu den Fingerabdrucken bekannt sind. Noch ehe es dämmert, werden die Daten unterwegs zum Arbiter sein, und jedes System in der Milchstraße wird mit seinem Steckbrief bepflastert sein. Rotes Haar, wissen Sie.“ „Was hat rotes Haar damit zu tun?“ heulte der Geheimdienst. „Verdächtig. Schlimmer Fehler, einen Mann mit einem geheimen Auftrag wegzuschicken, der rote Haare hat. Es war da ein kleiner Zwischenfall am Raumhafen, als wir ankamen. Danach fertigte ich eine genaue Personenbeschreibung an. Beruhigen Sie sich, meine Herren.“ Das Geräusch eines Raumschiffs, das brüllend den Hafen verließ, machte die anderen halb verrückt. „Beruhigen Sie sich“, sagte Carlyle mit boshaftem Gähnen, „niemand kann dem Schiedsrichter entkommen. Niemand. Ich werde persönlich veranlassen, daß ihr beide von der Hinrichtung des jungen Mannes benachrichtigt werdet. Bestimmt. Bewahren Sie Ruhe.“ Er sah zu den hellen Sternen auf, wo die Flammenstrahlen des Schiffs kaum noch sichtbar waren. „Dein Vorname ist Kit“, sagte Carlyle. „Der Schiedsrichter weiß, wie er die Universitäten durchzukämmen hat. Ja, keine Sorge, mein Freund. Wir sehen uns wieder, und dann …“
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7. Kapitel Als Christopher Randolph Kellan mit seinem mündlichen Bericht an Peter Vanpoll fertig war, nickte der Ehrenwerte zweimal von oben herab, sah leicht gequält aus und ging ans Turmfenster, von dem aus er eine bemerkenswerte Aussicht auf den Golf von Batabano und die bemerkenswerten entfernten Berge Kubas hatte. „Carlyle, wie?“ sagte Vanpoll schließlich. „Kellan, weiß Gott, Sie haben dem Schiedsrichter direkt auf die Hand gespuckt. Wenn die Arbeit am schmutzigsten ist, wenn die. ganze Angelegenheit nach Bestechung und Korruption stinkt, wenn schwankende Regierungen in ihren Grundfesten zittern und auf ihr Volk zusammenfallen – dann wird man Carlyle finden. Er ist stellvertretendes Ratsmitglied. Dieses Projekt war also doch etwas bedeutender, als ich mir vorgestellt hatte. Nun gut, an die Arbeit jetzt. Sie werden so was wie ein Laboratorium da unten finden. Diese alte spanische Festung war früher mit Unterschlupflöchern durchsetzt, die sich unter der Wasserlinie hinzogen. Sie werden feststellen, daß sie jetzt alle zu Labors geworden sind. Ich habe einen Plan für Sie …“ „He!“ sagte Kit und gab dem goldenen Helm mit der Faust einen Stoß. „Ich war unterwegs, auf einer ziemlich ermüdenden Reise. Mein überschüssiges Fett ist aus mir herausgebraten worden, zwischen Angst und Erschöpfung. Ich habe auf der ganzen Reise hierher als erster Düsenmann gearbeitet, so wenig Leute hatten wir im Schiff. Und wenn Sie jemals versucht hätten, in einer solchen Konservenbüchse zu leben, wie wir sie eben weggeschickt haben, dann würden Sie verstehen …“ „Ich verstehe nur, daß wir wenig Zeit haben“, sagte Vanpoll kalt. „Wir brauchen eine bestimmte Waffe …“ „Waffe?“ Und Kit sank zurück, sein Hemdkragen flatterte lose. „Mein lieber Mr. Vanpoll, das ist eine Sache, die Sie von mir 54
nicht bekommen werden. Zweifellos haben Sie sehr kluge Ingenieure, viel klüger als ich. Aber was Waffen anbelangt – nein!“ „Warum nicht?“ „Ich bin ein halbflüggener Ingenieur, wenn ich auch viel gelesen habe, aber trotz des ersten und wegen des zweiten Punktes: Ich bin mit ganzem Herzen ein Ingenieur, und meine Aufgabe als Wissenschaftler ist, der Menschheit zu dienen. Ich kann keinen Dienst darin erblicken, daß man irgendeine hochexplosible Sache zusammenbraut, die meine Mitmenschen töten und verkrüppeln kann. Nein, nein, mein lieber Mr. Vanpoll. Keine Waffen.“ Vanpoll sah ihn scharf an, und es schien, als sei die Luft mit Feindseligkeit geladen. „Mr. Kellan, als ein Agent der VRV werden Sie Ihre Befehle ausführen.“ „Mr. Vanpoll, als einer der Führer der VRV sollten Sie es besser wissen, als einen Ingenieur um eine Waffe bitten. Ich führe die Aufgaben durch, die Sie für mich auswählen, und ich stehle den Schiedsrichter blind oder gehe ihn sogar persönlich an – aber ich mache keine Waffe, die ich nicht selbst benutzen kann.“ Vanpoll schnaufte. „Mein lieber Mann“, sagte er auf eine Art, die klar erkennen ließ, daß Kit alles andere war als sein lieber Mann, „die Waffe, an der Sie arbeiten sollen, hängt eng mit Ihrer nächsten Aufgabe zusammen. Der Schiedsrichter läßt da etwas verfrachten, das wir haben müssen …“ . „Müssen wir eigentlich schon von meiner nächsten Aufgabe reden?“ Die Kühle um Vanpoll verdickte sich zu Eis. Er sagte: „Wir müssen. Sie können sich nämlich ein für allemal hinter die Ohren schreiben, Kellan, daß ich nicht zugeben werde, daß Sie sich hier im Müßiggang erschöpfen. Wir haben wenig genug Zeit. Sie ha55
ben gewisse Aufträge zu erledigen, und dann werden Sie auf den Schiedsrichter selbst angesetzt. Auf diese Weise …“ „Aha“, sagte Kit, „Carla.“ „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht.“ „Ich fürchte, ich glaube Ihnen nicht“, sagte Kit. „Hören Sie, mein rothaariger Freund, persönliche Dinge …“ „… wirken sich so aus, daß Sie nicht vorhaben, mich mit Carla poussieren zu lassen. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, Mr. Vanpoll, und mir sind ein paar bemerkenswerte Dinge eingefallen. Als ich zuerst zu Ihnen stieß, war ich ziemlich aus dem Gleichgewicht. Dann Ihre Drohungen, mich mit einem ermordeten SAU-Mann wieder abzusetzen. Sie können mich meinetwegen als Ziel des Tages für die Leute des Schiedsrichters aufstellen. Aber Sie können mir nicht verbieten, Carla zu sehen.“ „Es wäre nicht recht“, sagte Vanpoll. „Sehen Sie her, mein Freund, Sie sind nichts als Strahlerfutter. Sie sind jung und sehen gut aus. Carla ist ein braves Mädchen. Wollen Sie ihr Herz an sich fesseln, sie dazu veranlassen, ihr ganzes Leben nach Ihnen auszurichten – und dann kommen Sie um? Sie wollen doch das nicht einer Frau antun.“ „Quatsch. Ich habe nicht die Absicht, umzukommen. Und was den Rest anlangt, so halte ich das für einen wundervollen Gedanken. Wo ist sie?“ „Ich befehle Ihnen, in die Labors zu gehen und diesen neuen Techniker anzuweisen, daß er eine Waffe zu bauen hat.“ „Befehlen Sie ruhig weiter. Ich sage erst mal guten Tag zu Carla und klettere aus dieser Affenuniform, ehe ich auch nur einen einzigen Gedanken an Sie und Ihr Labor hänge. Lieber Gott, Mann. Ich war grad im Raum, bin durch hundertneunzig Lichtjahre getobt, bin Patrouillenkreuzern und Geheimdienstleuten ausgewichen und habe beim Schlafen kein Auge zugetan, und Sie verweigern mir sogar noch die Zeit, um mich zu 56
baden. Kommen Sie, die Revolution kann warten, solange Kellan seinen Bauch wäscht. Und ich werde keine Waffe herstellen.“ „Auch nicht für Ihren eigenen Gebrauch?“ „Das kommt darauf an, wie sehr ich sie nötig habe.“ „Na gut“, Vanpoll zuckte mit den Schultern, „offenbar ist meine Kontrolle über Sie begrenzt.“ „Ich bin ein sehr eigensinniger junger Mann. Vom Raumkapitän bis zum Professor haben mir das alle bestätigt.“ „Ich wasche meine Hände in Unschuld!“ schrie der bedrängte Vanpoll. „Sie brauchen mich“, sagte Kit, „und Sie werden tun, was ich will.“ „Dann gehen Sie, los, und finden Sie Carla. Aber bei Gott, Kellan, wenn Sie bis Mittag nicht in Ihrem Labor sind, wird es Ihnen leid tun!“ „Und er verlor dramatisch“, sagte Kit und erhob sich, um zu gehen. „Der Teufel soll Sie holen“, sagte Vanpoll. „Wenn Sie von Ihrem nächsten Auftrag hören und feststellen, daß Sie nur bis morgen Zeit haben, um alle Vorbereitungen für die Abreise zu treffen, dann werden Sie wohl wünschen, Sie hätten sich mir nicht widersetzt. Gehen Sie.“ Kit ging. 8. Kapitel Nicht er fand Carla, sondern sie ihn. Er zog gerade den Knoten seines Binders fest, als er irgend etwas spürte und sich umwandte. Sein Herz setzte für einen Schlag aus. Sie trug ihre weinrote Bluse, und ihr Haar war zart wie eine Sommernacht. Die Art, wie sie ihren Kopf trug, die anmutige Handbewegung, ihr Gang …, die Dinge, an die ein Mann dachte, wenn er sie sah … 57
„Kit! Du bist durchgekommen!“ Er verstand die Worte gar nicht. Trotzdem – die Stimme war wie Balsam für ihn. Während er nach mehr lauschte, fühlte er, wie ihre Hände seine Arme berührten und er hörte auf zu lauschen. Sie sah ihn an, trank ihn in sich hinein. „War es schlimm?“ fragte sie. Es war lange Zeit still, und dann sagte er: „Verzeihung, wie bitte?“ „Du Schaf! Sag mir es, oder ich schüttle dich!“ „Das ist ein guter Gedanke“, sagte Kit, dessen geistige Beweglichkeit die letzten Worte in „oder ich küsse dich“ verwandelt hatte. Und er handelte danach. Und dann befanden sie sich wie in einem goldenen, duftigen Nebel, der sie einschloß und umhüllte, und so lange dauerte dies, daß Henry fünfmal husten mußte und zweimal die Tür zuzuschlagen hatte, um den Traum zu durchbrechen. „Mister Kellan, ich bitte wirklich um Verzeihung, und unter gewöhnlichen Umständen würde ich Sie auch nicht stören, aber Mr. Vanpoll hat gerade dieses Stockwerk erreicht, und ich persönlich würde bei Mr. Vanpolls …“ Seine Stimme verlor sich, in seinem weit geöffneten Mund blitzten die weißen Zähne. Und dann schloß er sanft die Tür. Er sagte zu Vanpoll: „Er scheint einfach gar nicht da zu sein, Sir.“ Vanpoll sah verblüfft aus, aber Henry war sehr groß und blockierte die Tür. „Sieh mal, Henry, ich habe ja gar nichts dagegen. Aber jemand anders wird sich nicht besonders freuen …“ „Die Liebe“, sagte Henry, „fragt nicht nach der Erlaubnis von anderen.“ „Aber guter Gott, Henry, du weißt doch, daß der junge Mann hier …“ „Ich weiß, daß ein junger Mann vorerst mal ein junger Mann ist“, sagte Henry, „wir wollen mal nach ihnen im Laboratorium 58
suchen.“ Und er setzte sich mit seinen Körpermaßen so erbarmungslos in Bewegung, daß Vanpoll vor ihm die Treppe hinunterstolperte, wobei er schlechte Worte wie Meuterei, Aufspaltung und Undankbarkeit vor sich hin murmelte. Als sie den korallenüberwölbten Durchgang erreichten, stellten sie fest, daß ihr neuer Zuwachs bereits an der Arbeit war. Mit viel Liebe und Sorgfalt baute der bleiche junge Mann die Schöpfung seines Geistes auf, dann betrachtete er eine Granitschicht, die sich an der Wand des alten Schlupfloches hinzog, das nun das Labor beherbergte. „Wie heißen Sie?“ fragte Vanpoll mißgelaunt. Der bleiche junge Mann war erstaunt. „Young, Sir. Techniker Young, früher Ingenieur des Kaisers von Ringo.“ „Und was machen Sie da?“ „Wieso, Sir, das ist die Maschine, die der General und ich gebaut und gestohlen haben. Ich denke, es war Diebstahl.“ „Der General ist kein General“, sagte Vanpoll. „Er ist einer unserer Agenten. Sind Sie bereit, der Volksrevolutionsvereinigung beizutreten und uns beim Sturz eines Despoten zu helfen?“ „Ich verstehe nicht, Sir. Tut mir leid.“ „Der Schiedsrichter mit seiner intergalaktischen Bank und seinem Schiedsrat …“ „Nein, nein“, sagte der junge Mann. „Ich verstehe nichts vom Beitritt zu irgendwas und irgendwem. Ich will noch nicht mal eingezogen werden. Ich habe es satt, gesagt zu bekommen: ‚Tu dies’, oder ‚Tu das’, um dann eingekerkert zu werden, weil ich’s getan habe und man mir nicht trauen kann.“ „Young“, sagte Vanpoll, „wir können sehr unangenehm werden. Ich muß darauf bestehen, daß Sie uns beitreten.“ „Sir“, sagte der junge Mann dickköpfig. „Ich kann nicht, weil ich mich bereits verpflichtet habe.“ „Was ist das?!“ schrie Peter Vanpoll. 59
„Ich arbeite für den General.“ „Er ist kein General!“ Young lächelte. „Das stört mich gar nicht. Was mich betrifft, so ist er ein General, und wenn er zufällig für Sie arbeitet, dann ist das seine Angelegenheit. Aber ich arbeite nun mal für ihn. Nein, er hat mich nicht darum gebeten, und wir haben noch nicht mal das Gehalt festgelegt. Aber, Mister, ich arbeite für den General, und wenn er mir gar nichts zahlt.“ Und mit einer Entschiedenheit, die gar nicht zu ihm paßte, wandte er Peter Vanpoll den Rücken zu und ging wieder daran, an seiner Maschine herumzubasteln. Henry grinste, als Vanpoll sich an die Treppenstufen zurückzog und sich niederließ. „Was zum Teufel hast du wieder zu grinsen?“ schrie Vanpoll. „Nun ja, Sir, mir scheint, daß Mister Kit …“ „Halte den Mund!“ Der große Neger hielt den Mund. Aber keine Macht der Erde oder des Raums konnte ihn davon abhalten, zu grinsen. * Nach langer Zeit kam Christopher Randolph Kellan mit federndem Schritt – denn er lief auf Altokumulus, den kleinen Wölkchen – hinab ins Labor, Arm in Arm mit Carla. „Zu Befehl, Sir“, sagte Kit und grüßte, „hier bin ich, Punkt zwölf.“ „Es ist halb zwei“, sagte Vanpoll. „Das hat er ja gesagt“, warf Carla ein, „Punkt halb zwei.“ „Auch du“, sagte Vanpoll und schaute zum Himmel um Vergebung für die Sünden der Anwesenden. Doch dann bekam er sich wieder in die Gewalt, ordnete seine Manschetten, richtete seine Perle an der Krawattennadel, strich sich übers Haar und 60
brachte Ordnung in die Vorgänge. „Mr. Kellan, Sie haben sehr wenig Zeit, und die Arbeit ist gefährlich. Sie sollen eine Ladung an sich bringen, die der Schiedsrichter nach Kile im Marfaksystem schicken will. Es muß kurz und schmerzlos vor sich gehen …“ Kit hörte zu, nüchtern geworden. Dann sagte er: „Was ist denn auf dem Schiff so Bedeutendes, Mr. Vanpoll?“ „Neutroneum-Katalysator. Ungefähr für fünfundsiebzig Millionen Dollar. Es soll Marfaks Lage als Pufferstaat stärken, weil es so in die Pläne des Schiedsrichters paßt, und außerdem werden damit der ohnehin schon verarmten Bevölkerung noch die fünfundsiebzig Millionen entzogen. Wie Sie vielleicht wissen, ist der Katalysator zur Munitionsherstellung notwendig. Wir brauchen es, und zwar weniger, um es dem Marfaksystesm zu entziehen, als es vielmehr unseren Reserven zuzufügen. Um deutlich zu werden: Wir brauchen Kapital, um arbeiten zu können. Der Katalysator läßt sich bekanntlich überall verkaufen, ob in kleineren oder größeren Mengen. Ihre Aufgabe ist es, eine Vorrichtung zu entwickeln, um ein Raumschiff mitten im Flug anzuhalten, ohne daß die Ladung Schaden leidet.“ „Sie wollen den Katalysator also unzerstört?“ sagte Kit. „Sind Sie ebenso daran interessiert, daß sie Marfak nicht erreicht?“ „Das ist belanglos. Wenn Sie daran denken, Schiff und Ladung zu zerstören, so vergessen Sie es.“ „Ah“, sagte Kit. „Nun, Leute, meine lange Ruhepause ist vorüber.“ Und damit griff er nach einer Bleischürze als Strahlenschutz und lächelte Young an. Die anderen zogen sich zurück, aber Carla kam bald zurück, da sie den Chinesen bestochen hatte, so daß er ihr erlaubte, den Nachmittagsimbiß hinabzutragen. Sie fand eine geheimnisvolle Beratung in vollem Gang, während von ihr keine Notiz genommen wurde. Kit und Young murmelten Formeln wie zwei He61
xenmeister, mit Elektroden statt Schenkelknochen in den Händen. Sie fühlte sich vernachlässigt und ging wieder, nur um gegen sechs mit dem Essen zurückzukommen, das zu ihrem Erstaunen sehr begrüßt wurde, da die vorige Mahlzeit von den beiden nicht gesehen noch verzehrt worden war. Aber gerade, als Kit anfing, sie anzulächeln, hatte er einen anderen Gedanken, ließ seinen Teller stehen und setzte sich zu einer erneuten Beratung mit Young zusammen. Voll Widerwillen zog sie sich zurück. Bis ein Uhr nachts wartete sie oben an der Treppe. Sie spielte Fantan mit dem chinesischen Wächter und verlor – sehr zu seinem Vergnügen. Als sich dann immer noch nichts von Kit zeigte, gab sie es auf und ging zu Bett. Um sechs am nächsten Morgen hörte ihr darauf eingestelltes Ohr die Labortüren sich öffnen. Sie warf einen Morgenrock um sich und eilte zur Treppe. Sie ging nicht hinunter, denn Vanpoll war dort in einem Bademantel, und ein mit Staub und Dreck verschmierter Kit in seiner Schürze, und wie es schien, dachte er an sie ganz zuletzt. „Nun, Mr. Vanpoll, wir haben es.“ „Fein, fein. Welche Art werden Sie benutzen? Zugstrahlen …?“ „Nein, nein, nein“, sagte Kit, „wir haben es!“ Young und der eilig herbeigerufene Henry torkelten die Stufen unter schweren Lasten empor. Sie setzten Säcke aufeinander und gingen wieder hinab, um mehr zu holen. „Was ist das?“ schrie Vanpoll. „Wieso, das ist für fünfundsiebzig Millionen Dollar Neutroneum-Katalysator.“ „Aber .,. wie?“ „Ach, ganz einfach, wir nahmen den Bleischutz vom Vibratron und benutzten das Blei, um …“ „Nein! nein! Ich meine jetzt …“ 62
„Jetzt“, sagte Kit triumphierend, „kann ich in der Nähe bleiben und mich ausruhen. Ich rechnete mir aus, daß es ein recht langer Weg zu Marfak gewesen wäre, und wenn Sie nichts anderes wollten als den Katalysator, nun ja, da arbeiteten Young und ich eben das grundlegende Modell …“ „Nein! Sie bleiben nicht!“ schrie Vanpoll und sah gerade hinauf zu Carla, die sich oben über das Treppengeländer lehnte und anfing, strahlend zu lächelnd. „Nein, Sie bleiben nicht, mein Herr! Gerade vor einer Stunde habe ich … äh … die Nachricht erhalten, daß einer unserer … Agenten getötet worden ist, und daß die Revolte der Bevölkerung auf Darengo die Einwohner dezimiert. Sie gehen unverzüglich dorthin und beenden den Krieg.“ „Beenden …?“ „Ja. Fliegen Sie nach Darengo und beenden Sie den Krieg. Sie verlassen uns in …, es ist gerade sechs Uhr zehn, Sie fliegen um acht. Sie können schlafen, während Henry steuert. Er geht diesmal ganz mit hin.“ 9. Kapitel Um acht glitt das kleine, gefährlich aussehende Schnellraumboot, Modell 89, aus der Korallenhöhle durch mächtige, wasserdichte Verschlüsse und in das bleiche, smaragdgrüne Licht der Unterwasserwelt. Nur von den Landungsaggregaten angetrieben, tauchte das Schiff bis auf dreißig Faden auf und fuhr mit hundertsiebzig Kilometern in der Stunde dahin. Kurs: Die Misteriosa-Bank in der westlichen karibischen See, von wo aus das Boot sicher und ungesehen sich in die Geschwindigkeiten des Alls erheben konnte. Kit sah die Wassergärten vorbeifliehen, und obwohl das langsam vorüberziehende Durcheinander von Pflanzen und Fischen manch fesselnden Anblick bot, hatte Kit schlechte Laune. 63
„Es ist schon gut, Mister Kit“, sagte Henry, der sich in seinem Pilotensitz zurücklehnte, nachdem er auf Kurs gegangen war. „Sie wird warten. Sie wird warten.“ „Aber werde ich’s überdauern?“ murmelte Kit. „Die Wege scheinen endlos zu sein, auf denen es Vanpoll erreicht, mich dort rauszuschaffen – und früher oder später pflegt sich unsere Art von Unternehmungen als gefährlich zu erweisen.“ „Machten Sie sich keine Gedanken, Mister Kit. Glück muß der Mensch haben, und je mehr Sorgen Sie sich machen, um so schlechter werden Ihre Aussichten. Chino und ich sind mit Ihnen auf dieser Fahrt, und wir werden schon gut auf Sie aufpassen.“ Er sah auf seinen Kompaß, der sehr ungünstig lag, weil er auf einem Raumschiff kaum gebraucht wurde, dann entschied er sich, Kit eine Arbeit zu geben. „Wissen Sie, Mister Kit, ich hatte nie Schwierigkeiten, irgend etwas zu fahren oder zu fliegen, was ihr Techniker zusammengebastelt habt. Aber bei dreidimensionaler Navigation werde ich schon ein bißchen schwach. Wenn Sie uns einen Gefallen tun wollen und sicherzugehen wünschen, daß wir auch am Darengosystem oder wo wir sonst hinwollen, ankommen, so würde ich mich sehr über einen berechneten Abflugskurs freuen, wenn wir die See verlassen haben.“ Kit erhob sich und ging in den kleinen Kartenraum, wo das tropische Sonnenlicht – gefiltert von fünfzig Metern kristallenen Seewassers – den Navigationsturm in der Decke grün färbte und den Raumkarten ein fremdartiges Aussehen verlieh. Kit kam es unwirklich vor, die Navigationsarbeit unter dem Meer zu machen anstatt wie normal im sternenbesetzten tintenschwarzen Raum. Der Sternenführer des Raumgraphischen Amtes der vereinigten Planeten, Buchstaben C bis E, enthielt einen zusammengefaßten Artikel über das Darengosystem. Da auf einem Schnellboot, Modell 89, Raum und Gewicht sehr beschränkt waren, 64
war keine andere Auskunft zu gewinnen. Aber Kit entnahm den Daten, daß das Planetensystem ziemlich abseits lag und von seiner früheren Bedeutung ziemlich herabgesunken war. Lagerhäuser und Verlademöglichkeiten für unbegrenzte Mengen waren aufgeführt, und dann war im Jahr 3974 eine Änderungsnotiz aufgenommen worden, daß diese Anlagen „reparaturbedürftig in unbekanntem Ausmaß“ seien, „die größeren Verladeeinrichtungen außer Betrieb“. Eigentlich war praktisch alles über dieses aus neuen Planeten bestehende System später zum Schlechten hin abgeändert worden. Kit breitete seine Befehle in dem fahlgrünen, flackernden Licht aus und las die hastigen Federkritzeleien, mit denen ihn Vanpoll entlassen hatte. „Saint Martin ist zu erreichen, die Hauptstadt des Planeten Saint Martin im System der Sonne Darengo. Dort soll als Gesandter des Königreichs von Kauburn gegen die Zerstörung des Eigentums von Kauburner Bürgern protestiert werden. Während diese Tarnung aufrechterhalten werden kann, ist eine Einstellung der Feindseligkeiten zu erreichen sowie die Wiedererrichtung der Republik unter einem gewissen Montpelier, dem rechtmäßig gewählten, aber mit Gewalt abgesetzten Präsidenten. Schiedsrichter wünscht eine Militärherrschaft unter einem General Francisco Gomez y Caveda de Batille. Ermordung besagten Franciscos usw. nicht erwünscht. Verbindung mit Loring aufnehmen, von der Standard Uran Co. von Terra, wegen Gelder und anderer Hilfsmittel. Rückkehr und persönlicher Bericht so bald wie möglich. P. V.“ Pflichteifrig sah Kit bei Saint Martin nach und fand: „Kohlenstoffplanet, Atmosphäre vier Fünftel Sauerstoff; fast Erdschwere; gemäßigte Zonen an den Polen; Umdrehung 26,9 Std. 31 Min. 2 Sek.; Jahr 961 Tage 23 Std.; Achsenneigung 1 Grad 5 Sek. gegen Achse der Bahn; Kreisumfang der Bahn 561000000 km und ähnliches Material, wovon er sich eine hin65
reichende Vorstellung über das Klima und die Lebensbedingungen machen konnte, ohne daß weitere Beschreibung nötig war – Raum ist kostbar in einem Sternenführer. Saint Mart, Hauptstadt, genau am positiven Pol gelegen, größere Schiffsreparaturen, verschiedene Treibstoffe, Eis und frisches Wasser, Druckluft vorhanden, begrenzte Lagerhallen, Marinehospital, Marinestützpunkt des Darengosystems. Unterhält Werkstätten zur Reparatur von Kriegsschiffen (verbessert: jetzt in verfallendem Zustand). Zu den Merkmalen der Stadt gehören viele antike Gebäude in strahlenförmiger Anordnung, sie liegt zwischen zwei Meeren, der Peters-See und der Außensee. Landungsrichtstrahlen nach Alpha-Anordnung (jetzt nicht im Gebrauch). Zoll und Einwanderungsbehörden sehr exakt (jetzt unbesetzt). Bei Annäherung sind die Nationallichter des Darengosystems mit den eigenen Zeichen zu setzen (wird nicht mehr verlangt). Warnung: St. M. s Äquatorialgürtel ist Sumpfgebiet zwischen 50 Grad nördl. und 50 Grad südl. Breite, bewohnt von unbekannten, doch wilden und gefährlichen Tierarten, Hitze unerträglich, keine Rettungsstationen. Zu vermeiden.“ „Netter Ort“, sagte Kit trübe. Er schlug nach, um etwas über die Sonne des Systems, Darengo, zu erfahren. Er las: Dreifache Sonnenmasse, orangefarben, 0,4573 Oberflächen-Temperatureinheiten, Lage im 23-Grad-Sektor der Milchstraßenspirale, Zone 297. „Bewegt sich mit 12,5 m/sec. in Richtung des 24-GradSektors, zur Zone 297,6312, Oktant 3972. Achtung vor 326 Kometen und dichten Meteorschwärmen im Darengogebiet.“ Kit rechnete mit der Raumhalbkugel, sah in seinen Tabellen nach, berechnete die momentane Lage der Erde beim Start die Stellung der Sonne, und fand dann in den sphärischen Tabellen den Kurs zur Nabe der Milchstraße, dem idealen Zentrum dieser flachen Spirale. Dann berechnete er die gegenwärtige Lage von Darengo, berichtigte daraufhin das Ergebnis unter Berücksichtigung der Fluglänge und Darengos Kurs und Entfernung 66
von der Nabe. Die Tafeln zweiter Ordnung gaben ihm dann die Werte für den Flug von Punkt A, der Erde, zum Punkt B, Darengo, ohne daß dabei Punkt C, nämlich die galaktische Nabe, in die Ergebnisse einging. Schließlich verbesserte er die Werte nochmals unter Berücksichtigung der Eigenzeit beim Durchfahren der 933 Lichtjahre und erhielt die endgültige Antwort: „Kurswerte Nabe 93 Grad, Neigung 71 Grad 17 Min. 14,4445 Sekunden.“ „Wir werden in 8.091 Tagen dort sein“, sagte Kit dann zu Henry, „das heißt in acht Tagen, zwei Stunden und elf Minuten. Ich habe in der Rechenmaschine die Daten für die Rückfahrt für jeden Tag in den nächsten fünf Monaten gelassen, so daß Sie Ihren Kontrollstreifen für die Steuerung haben, wenn mir irgend etwas zustoßen sollte.“ Henry nickte dankbar, gerade so, als hätte er nicht in der Raumgraphischen Schule in Lawrence, Kansas, sein Diplom gemacht – damals, als er in den Streitkräften der vereinigten Planeten als Geschützoffizier gedient hatte. „Was gibt’s dort?“ sagte Henry. „Oh, frisches Wasser, Eis, Treibstoffe …“ „Nein, nein, Mister Kit. Ich will nicht auf einen völlig trockenen, gefühllosen Landurlaub dort gehen, ich meine …“ „Na ja“, sagte Kit, „von Wein, Weib und Gesang stand nichts drin. Und so weit ich dahinterkomme, fällt die ganze Bude den Leuten dort überm Kopf zusammen.“ „Hmm“, meinte Henry, „Krieg. Das ist es, Krieg. Niemals hat je ein Krieg gewonnen, Mister Kit. Man sollte denken, daß die Menschen das mal lernen.“ „Tut mir leid, daß Sie dort so eine langweilige Zeit vor sich haben“, sagte Kit beinahe sarkastisch. „O nein, Mister Kit. Der Krieg ist eine Art Katalysator, ein Schmiermittel. Er ruft in den Frauen das Tier wach. – Halten Sie sich fest, Sir. Ab geht es.“ 67
Die Startglocken hallten durch das Boot. Seine Schwerkraftplatten kämpften mit der Erdanziehung und der Beschleunigung, die an der Mannschaft zerrten. Dann schoß es aus dem Meer, über den Bug sprühte silberner Schaum, und die brüllenden Antriebsaggregate warfen große Säulen von Wasserdampf und Gischt in den blauen Himmel über der karibischen See. Mit einer Beschleunigung von sieben g ließ das Raumboot die Erde und ihre Lufthülle hinter sich, und die Bullaugen wurden schwarz, als die Sterne hervorkamen. Mit wilder Beschleunigung schwang sich das Schiff in seinen Kurs, es zitterte in allen Teilen wie ein edles Pferd unter dem Sporn, und schließlich hatte es das Sonnensystem hinter sich gelassen. Nachdem Henry auf Reisebeschleunigung umgeschaltet hatte und die Schwerkraftkompensatoren wieder normale irdische Verhältnisse schaffen konnten, ging Kit nach hinten. Die Blicke der fünfköpfigen Mannschaft folgten ihm, dann organisierten die Männer, die aus ihren Startstationen herauskamen, die Ablösungen für die langen Stunden der Wache. Der Chinese, er wurde Matrose Ah Wing genannt, hatte in der Messe Kaffee und Zigaretten vorbereitet. Kit setzte sich an dem grün bespannten Tisch nieder; in den Leitungen über ihm zischten die zu den Düsen führenden Treibstoffmengen, und das altgewohnte Flüstern der Lufterneuerer drang monoton an seine Ohren. „Lassen Sie den Kopf nicht hängen, Mr. Kellan“, sagte der Chinese und stellte Käse und Gebäck vor Kit hin, „wir sind immer auf einer langen Reise, die kein Ende findet.“ „Ich stecke bis an den Hals zwischen Philosophen“, sagte Kit brummig. „Wenn Vanpoll damit fortfährt, mich zwischen den Sternen herumreiten zu lassen, werde ich schließlich noch im Vakuum atmen können und auf Kometenschweifen herumspazieren.“ 68
„Wir werden das rasch hinter uns bringen“, sagte Matrose Ah Wing. „Zeigen Sie mir nur den, dessen Begräbnis betrauert werden soll.“ Er klopfte an sein Schulterhalfter und grinste mit geschlitzten Augen fröhlich den hervorschauenden Pistolengriff an. „Die Revolution macht einen hart“, sagte, Kit, „aber was wir, eigentlich in Wirklichkeit machen und warum, das wundert mich immer mehr. Was will denn nun der Schiedsrichter, Matrose?“ Der Chinese wandte seine Augen ab und sein Grinsen wurde unecht. „Das sind Probleme für größere Geister, Mr. Kellan. Ich schieße bloß.“ Er machte eine Handbewegung zu seiner Pistole hin und krümmte seinen Finger zweimal. „Bing, Bing! Und Sie trinken jetzt Ihren Kaffee.“ Kit dachte noch eine Weile nach. Er wußte nicht, warum er das tat, was er tat. Wenn diese Leute ihn nicht so in der Hand hätten … Und dann gab er es auf und sah den Sternen zu, die langsam vorbeikrochen. Es war so viel einfacher, an Carla zu denken. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Von draußen kamen Tink-tink-Geräusche, wo jemand in einem Raumanzug an der Bootshülle die Schiffsmarkierung änderte: zu Kauburns fünf roten und acht blauen Lichtern in zwei konzentrischen Kreisen. Young sah herein und sah noch bleicher aus als sonst, er war furchtbar raumkrank. Young sah den Käse und verschwand hastig. Kit brütete. Weiß Gott, sie hatten ihn fest in der Hand. Er sah auf den Stoß von Pässen, Papieren und Regierungsschreiben, die aus ihm einen Gesandten von Kauburn machen würden. Mit plötzlicher Energie nahm er die Papiere auf und studierte sie. Je eher er fertig war, um so eher würde er Carla wiedersehen können.
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10. Kapitel Was Kit auch erwartet haben mochte – er war enttäuscht. Sie hatten ihre Geduld lange genug strapaziert, denn nach einem ganzen Tag des Wartens kam immer noch kein Schlepper, um sie zu dem briefmarkengroßen Raumhafen zu bringen, den sie durch die niedrighängenden Wolken auf ihrem Bildschirm sehen konnten. Schließlich entschieden sie, daß dies ein Planet war, den es nicht kümmerte, wie viele Tonnen von einem auf kurze Entfernungen schlecht zu navigierenden Schiff auf die Hauptstadt herunterschossen, Sicherheitsbestimmungen oder nicht. Sie fuhren auf den Feuerstrahlen aus ihren Düsen hernieder und setzten auf, wobei furchterregende Mengen ohnehin schon feuergeschwärzter Erde aufgewirbelt wurden. Sie befanden sich in einer angenehm warmen Luft und hatten einen sehr kühlen Empfang. Die Licht- und Wärmequelle von Saint Martin, die Sonne Darengo, stand etwa zwanzig Grad über dem Horizont, da es etwa Mittag war und sie sich in der Polarregion des Planeten befanden. Darengo senkte sich in der Nacht auf achtzehn Grad und erhob sich tagsüber bis zu zweiundzwanzig Grad, sank während eines halben Planetenjahres jedoch nie unter den Horizont. Die Schatten waren lang in Saint Martin, sie waren immer lang, und sie wanderten während eines Tages um 360 Grad um einen herum, ohne je zu verschwinden. Ungefähr drei Grad über dem Horizont krochen drei Monde, die oft bis zu dreißig Grad aufstiegen und ebensooft bleich aus der Sicht verschwanden. Es war eine verrückte Welt mit geduckten Bäumen und aufstrebenden Gebäuden, die alle vom Raumhafen aus in strahlenförmiger militärischer Verteilung sich fortsetzten. Einst war die Hauptstadt wohl mächtig und glänzend gewesen, aber nun saß der Verfall überall wie ein Geier auf seiner Beute. Das Marinedock war nur noch eine leere Hülle, unter der sich Abfall 70
ansammelte. Das Zollgebäude war heute nur noch eine Baracke, die auf den Ruinen des alten Hafenaufsichtsgebäudes stand. Eine Wache saß da und beobachtete müßig zwei Fliegen von je einem Pfund, die das Papier von seinem verzehrten Frühstück zerrissen. Kit kletterte die Leiter hinab und stolperte gelegentlich über den Saum seines Gesandtentalars. In der einen Hand trug er die Dokumentenmappe und in der anderen einen grauen Kauburner Hut. „Hallo“, sagt er zu der Wache. Der Mann sah auf, zog seine Augenbrauen etwas hoch und schien sprechen zu wollen. Doch dann änderte er seine Absicht und widmete sich wieder der Beobachtung der Fliegen. „Wo ist hier denn jemand?“ fragte Kit. „Ich fürchte, Sie werden kein Glück haben, Fremder, wenn Sie ein Empfangskomitee erwarten. Wir sind zu beschäftigt.“ Und er wandte sich wieder den Fliegen zu. „Wo ist der Präsident?“ „Wenn Sie General Batille meinen, nun, der wird im Regierungsgebäude sein, denke ich. Oder vielleicht auch nicht. Die Truppen sind weg, wissen Sie.“ „Aha. Und?“ „Sie sind unten und jagen die Aufrührer um die Sümpfe.“ „Und wo ist die Bevölkerung?“ Der Wächter sah Kit mitleidig an. „Die Bevölkerung? Mann, bei allen Wanzen meines Lebens, Fremder, das sind doch die Aufrührer.“ „Laß ich meine Landung hier registrieren?“ „Nein. Zum Teufel, wir haben den Unsinn schon vor langem aufgegeben. Alles, was von mir verlangt wird, ist aufzupassen, daß niemand etwas vom Flugfeld klaut. Und versuchen Sie es ja nicht“, fügte er mit plötzlichem Nachdruck hinzu. Aber diese Laune verschwand wieder und sein Interesse wandte sich wie71
der den Fliegen zu, und keine weiteren Fragen entlockten ihm eine Antwort. Kit ging zu Fuß auf ein hohes Gebäude zu, vielleicht einen halben Kilometer vom Raumhafen entfernt. Aus der Entfernung schien es aus gediegenem Silber zu sein, aber wenn man näher kam, war es offensichtlich, daß der Überzug unzusammenhängend war und abblätterte, und es war schließlich schon mehr abgegangen als noch dranhing. Ein Soldat mit einem roten Taschentuch um den Arm als einziges Abzeichen, spielte mit einem kleinen Hund vor den Toren. „Wo kann ich General Batille finden?“ sagte Kit. Der Soldat wies mit einem Daumen auf die Türen und fuhr fort, mit dem Hund zu spielen. Der Fahrstuhl war nicht in Ordnung, und Kit keuchte schwer, als er den sechzehnten Stock erreicht hatte. Seine Schritte hallten durch das Gebäude und niemand war zu sehen, der ihm Auskunft hätte geben können. Und so erreichte Kit völlig unbeabsichtigt den General Batille, ohne angemeldet zu sein, als er durch die staubigen Büroräume stöberte. Der General war ein kleiner Mann, schwer mit Medaillen und Abzeichen beladen, und er hatte einen Busch schwarzen Haars. Er stand recht steif am Fenster und sah durch ein Feldglas auf einen sehr entfernten Gegenstand, als er aus den Augenwinkeln heraus Kit in der Tür bemerkte. Er verlor fast die Sinne. Kit sah auf den dicken Teppich, den schweren Schreibtisch und den aufrecht stehenden, schlitzäugigen General. „Entschuldigen Sie, ich suche General Batille.“ An dem Mann war irgend etwas Gejagtes. Er schlich auf Zehenspitzen zur Tür und schloß sie. „Wer sind Sie?“ fragte er. Kit wollte gerade sagen, er sei ein Gesandter, als ein sechster Sinn ihn davon abhielt. „Wie sind Sie durch die Absperrung gekommen?“ forschte Batille. 72
„Ich merkte nichts von einer Absperrung“, sagte Kit. „Als das Schiff landete, war …“ „Ah! Das Schiff! Sie haben also das Geld gebracht.“ „Nun …“, begann Kit. „Ich bin soweit. Ich habe meinen Teil des Vertrages erfüllt. Die Gegend ist eine einzige Ruine und der Rest der Bevölkerung ist so tief im Sumpf, daß sie nie wieder freikommen. Ich habe meinen Teil erledigt. Wo ist nun also das Geld?“ „Ich muß Beweise haben“, sagte Kit. „Natürlich, natürlich. Aber Sie kamen vom Hafen und Sie haben die Stadt ja gesehen. Kein menschliches Wesen ist mehr hier, außer meinen Soldaten. Noch nicht mal eine Katze. Ich habe die Stadt gewissenhaft gesäubert. Drunten in der südlichen Halbkugel ist überhaupt keine Hütte mehr bewohnt. Hier ist niemand mehr am Lehen auf dieser Seite der großen Sümpfe. Wieviel haben Sie also mitgebracht?“ „Völlig genug“, sagte Kit, dessen Gehirn schnell schaltete. „Aber mich wundert, warum der Raumhafen nicht bewacht ist. Es könnten andere Leute landen.“ „Nicht aus diesem System. Wir haben das Gerücht von einer Epidemie verbreitet, und niemand hätte den Kraftschirm durchdringen können, den ich erst heute morgen für Sie abgeschaltet habe. Sowie Sie nach einem Schlepper riefen, wußte ich, wer Sie waren und stellte den Schirm ab. Aber bitte, machen Sie eine Inspektion meiner Karten und Meldungen. Die Gegend ist nicht mehr bewohnt. Die Minen sind völlig frei. Ich habe die Ingenieure hinrichten lassen und halte Loring von der Standard Uran als Geisel fest. Es hat mich drei lange Jahre gekostet, um Saint Martin zu zerstören. Jetzt will ich meinem Lohn.“ „Sie werden alles erhalten, was Sie verdienen“, sagte Kit, „glauben Sie mir, General Batille, Sie werden es bekommen.“ Von den Fenstern konnte er hinab in den Hof sehen, und dort 73
war eine zerfetzte Mauer mit dunklen Flecken vor ihr auf dem Boden. „Aber kann man sich auf ihre Offiziere verlassen?“ „Die Hefe des Weltalls. Piraten, Trunkenbolde, alles Leute mit einer gelben Karte. In der ganzen Armee ist kein anständiges menschliches Wesen. Ich muß es wissen, ich habe sie selbst aufgestellt. Und jetzt, wenn wir rasch mein Ergebnis überprüfen wollen, so … na gut, ich möchte gern gehen.“ „Ich vertraue Ihrem Wort“, sagte Kit, „Sie würden in einer solchen Angelegenheit nicht lügen. Kommen Sie hinaus zu meinem Schiff und wir werden Ihnen alles übergeben, was Sie zu beanspruchen haben.“ Batille setzte einen kleinen Helm auf, der sein störrisches Haar niederdrückte. Er zeigte sein Pferdegebiß in einem erwartungsvollen Grinsen und dienerte Kit aus seinem Zimmer. Arm in Arm gingen sie die weitschwingenden silbernen Treppen hinab, an zerbrochenen Vasen in Vitrinen und rissigen Gemälden an den Wänden vorbei. Der Soldat am Eingang erhob sich und sah verängstigt aus, und der Hund verzog sich in geduckter Haltung. „Gar keine so üble Stadt“, meinte Kit. „Sie können sie gerne haben“, sagte Batille. „Haben Sie irgendeine Ahnung, was es heißt, unter der Anspannung zu leben, wie ich sie mitgemacht habe? Verrat, schmutziger Verrat an jeder Ecke. Bis ich die Kraftschirmabsperrung erfunden hatte, konnte ich nachts kaum schlafen. Aber hier drin sind wir jetzt sicher. Noch nicht mal eine Ratte könnte in die Stadt kommen. Aber wir wollen schneller sehen, mein Freund. Es wird mir nicht weh tun, meine Bezahlung zu erhalten.“ Sie kamen an den Hafen, wo das Schnellboot stand, und Batille grinste bewundernd. „Flagge von Kauburn. Das ist schlau, sehr schlau. Ich selbst hätte es nicht verdächtigt. Ha, ha!“ Und behende rannte er die Leiter zu dem offenen Einstieg hinauf. „Ah, ich kann jetzt schon die guten Weine schmecken. Ich kann 74
die Hände schöner Frauen fast fühlen. Ein paar Monate von solchem schnellen Leben – und ich werde wieder für Sie bereit sein.“ Er blinzelte, um seine Augen an die Dämmerung des Schiffsinnern zu gewöhnen, da er beim Einsteigen gerade in Darengo hineingesehen hatte. Die Pistole stieß plötzlich in seine Rippen. Sein Mund bekam Kits starke Linke zu spüren, während sein Gürtelradio abgerissen und zerschlagen wurde. Kit warf den Mann von sich weg in die Arme des erstaunten Matrosen Ah Wing. „Was ist das?“ schrie Batille in Furcht. „Das ist General Batille, Matrose. Schließ ihn in Eisen. Dreifach. Ich will herausbekommen, welcher verdammte Hund ihn angeheuert hat, einem Planeten in Fetzen zu reißen, und noch im Rahmen der Revolution. Sei nicht zu zart!“ Matrose Ah Wing war es nicht. Er schmiß Batille in einen freien Lagerraum und fing an, ihn sehr fest zu binden, wobei seine Knoten sehr fremdartig waren. „Was geht hier vor?“ heulte Batille. „Oh, du Straßenräuber!“ Und: „Gebt mir mein Radio wieder und ihr werdet ein anderes Liedchen singen. Ich werde binnen einer Stunde zehntausend Männer auf eurem Hals haben! Sie wissen, daß ich gegangen bin, und sie wissen auch wohin, da ich den Apparat angestellt hatte, als ich sagte, wohin. Sie werden kommen, ich warne euch!“ „Wer hat Sie beauftragt?“ sagte Kit. „Ich will eure Köpfe rollen lassen. Ich werde sie …“ „Matrose Ah Wing, gibt es keine Methode, mit der man ihn dazu bringen kann, vernünftig zu werden?“ Es gab eine, dachte Matrose Ah Wing, und Kit ging in die Messe, um sich einen Schluck Wasser zu holen. Henry war im Korridor und machte große Augen. „Wen haben Sie?“ „Batille.“ „Batille, den Oberboß hier? Oh, du mein Herr!“ Seine Augen 75
wurden noch größer, als sie Kit ansahen. „Mister Kit, Sie sind der schnellste Arbeiter, von dem ich je gehört habe. Meine Güte!“ Und er ging, um die Mannschaft zu finden und ihnen zu sagen, daß sie alle waffenähnlichen Einrichtungen besetzen sollten, deren sich das Schnellboot rühmte. Kit kehrte zurück und Batille war wieder bei Bewußtsein und ganz erstaunlich bereitwillig, alles zu erzählen. Und man konnte an ihm noch nicht mal was entdecken, noch keinen blauen Flecken. „Wer hat Sie angestellt?“ sagte Kit. „Halten Sie mir den gelben Teufel da vom Leibe!“ „Selbst gelber Satan“, sagte der Matrose und machte etwas mit seiner Hand. Batille kam bald wieder zu sich. „Natürlich Universal Uran GmbH!“ „Haben Sie je vom Schiedsrichter gehört?“ „Der … der Schiedsrichter?“ „Ja. Reden Sie jetzt. Mach weiter, Matrose.“ „Nein, nein! Ich kenne den Schiedsrichter, das heißt, ich habe von ihm gehört. Ich wußte nicht, daß er hinter Universal Uran steckt. Woher sollte ich auch?“ Und dann kam ihm ein neuer Gedanke. „Ich bin fertig! Wenn ich eine Sache für den Schiedsrichter vermasselt habe … Aber ich wußte nicht, daß ich für ihn gearbeitet habe. Sagen Sie mir, daß es nicht stimmt, Bitte, sagen Sie es. Wenn es der Schiedsrichter war, wird er den ganzen Raum nach mir aussuchen. Niemand kann dem Schiedsrat entgehen. Niemand hat das je gekonnt. Sagen sie mir, daß es nicht der Schiedsrichter war!“ Und er fuhr fort, zu schluchzen und sich zu schütteln, viel tiefer getroffen, als es dem Matrosen Ah Wing möglich gewesen war. „Schließt ihn ein“, sagte Kit, der seinen schwarzen Talar abriß und seine Pistole an der Hüfte zurechtrückte. Er nahm sich einen Helm und ergriff eine Werkzeugtasche. „Young! Henry, 76
holen Sie mir schnell Young her. Der Mann hier war kein Narr.. Seine Offiziere sind vielleicht in der Stadt und wissen …“ „Wo wollen Sie hin?“ schrie Henry. „Zurück zum Palast, wo wir die Sache klarkriegen können. Kommen Sie, Young.“ „Nein, nein! Kit!“ schrie Henry. „Gewalt gehört nicht in Ihr Fach. Wagen Sie es nicht, hineinzugehen und …“ „Sie bleiben hier“, sagte Kit knapp. „Wenn ich euch brauche, wird Youngs Radio genug sein, aber dann kommt mit entsicherten Schießeisen! Bis dahin jedoch ist es mein Spiel.“ „Oh! Wehe! Halt ihn, Matrose. Er weiß nicht …“ Kit war bereits auf dem Boden und Young keuchte, um mit ihm Schritt zu halten. „Tausende zu ermorden … sie in die Sümpfe zu jagen … Niederlassungen zu verbrennen …“ murmelte Kit. „Was für eine verrottete, faule Sache! Na warte nur, bis ich meine Finger diesem Schiedsrichter um den Hals lege! Warte nur. Komm her, Young. Großer Gott, kannst du nicht schneller gehen als so?“ 11. Kapitel Als Kit und Young in den Palast stürmten, fehlte die Wache am Eingang. Atemlos keuchte Young das breite, silberne Treppenhaus nach oben, an den zerbrochenen Vasen und verbrannten Wandgemälden vorbei, und kaum konnte er die fliegenden Absätze seines „Generals“ im Auge behauen. Als er das sechzehnte Stockwerk erreicht hatte, rang Young mit dem Atem und war am Ende seiner Kräfte. Kit trat plötzlich einen Schritt zurück, und das bedeutete, daß das Büro jetzt wieder besetzt war. Ein großer Offizier mit einem Körperbau wie ein Bierfaß, dessen Erscheinung in einmaliger Weise vor Schmutz starrte, wartete dort auf seinen Vorgesetzten und stöberte unterdessen in den Papieren herum. 77
Kit bedeutete Young, sich zurückzuhalten, dann durchschritt er mit gezogener Pistole die Tür. Der Offizier fuhr überrascht zusammen, seine Hand fuhr nach der Waffe. Man sah eine Flamme blitzen, und Young sah besorgt herein. Der Offizier fiel auf seine Knie, stützte sich mit den Händen, und auf seinem Gesicht verbreitete sich Verständnislosigkeit. Unvermittelt brach er völlig zusammen und bewegte sich nicht mehr. „Überprüf diese Nachrichtengeber“, sagte Kit, „ich will wissen, wo sie hinführen … He! Was ist das?“ Und er starrte auf die oberste Meldung auf der Ablagenadel. Es war eine gewöhnliche interplanetarische Meldung von der Hauptsendestation des Darengosystems. Sie war dechiffriert worden und eine leserliche Kopie war darangeheftet Von: Universal Uran GmbH. Über: Faubourg/Darengo Relaisstation Unser Vertreter kommt zu Ihrer Ablösung. Gute Arbeit. Kit steckte die Meldung ein und fing an, weiter zu suchen. Das erklärte vieles – der unbewachte Hintereingang in die Stadt über den Raumhafen, der Eifer Batilles, mit ihm über Geld zu reden – „Ich denke, ich habe es“, sagte Young, „was wollen Sie haben?“ „Die Kraftschirm-Absperrung. Nimm diese Schleife und orte die Richtung, aus der die Antwort kommt.“ Er zog eine Spule Talindraht aus seiner Werkzeugtasche und gab sie Young, dann wählte er die Absperrung. Young las auf seinem am Gürtel befestigten Impulsmesser die Signalstärke ab und drehte dabei die Drahtschleife in der Hand. Es war eine primitive Methode, aber nach einem Augenblick konnte er sagen: „Es scheint genau in Richtung dieser Straße hier zu sein, vielleicht zwei Kilometer weg.“ 78
„Auf, wir wollen gehn“, sagte Kit, schritt über den toten Offizier hinweg und untersuchte dessen Pistolenladung nach Munition, die auch in seine Waffe passen würde. „Wird nicht jemand …“, sagte Young und zeigte auf den Toten. Kit ergriff einen Stiefel und verstaute den Mann in einem Kleiderschrank. Dann donnerten sie wieder die Treppen hinab, wobei Kit erbarmungslos mit einem halben Stockwerk Vorsprung das Tempo angab. Die Stadt war gespenstisch in ihrer Stille und Verlassenheit. Wo Handel und Wandel pulsiert und Lichter Reklame gemacht hatten, waren nur Einsamkeit, zerstörte Gebäude, zerschossene Warenhäuser und hier und dort ein ausgebreiteter toter Mann, den selbst die übersättigten Fliegen in Ruhe ließen. Häuserwände lehnten sich gefährlich über die Straße, die Bomben hatten die Fundamente verschoben. Möbelstücke hingen verloren aus den Wohnhäusern, deren fehlender Teil abrasiert und in Trümmern auf dem Boden lag. Batille hatte die Wahrheit gesagt. Noch nicht mal eine Katze bewegte sich in Saint Martin. Ein Wächter schlief außerhalb der Kraftschirmzentrale. Das Gebäude war ursprünglich eine Kraftübertragungsstation gewesen, die zu dem neuen Zweck umgebaut worden war. Kit nahm seine Pistole am Lauf, hob den Helm des Wächters am Rand etwas hoch und vertiefte seinen Schlaf um ein beträchtliches. Innen saßen unter einem Gewirr von Behelfsleitungen, Übertragern und Verstärkern zwei Mechaniker; die Szene wurde von den träge sich aufbauenden Lichtbogen der gerichteten Dynatroden erhellt. Die Mechaniker waren offensichtlich ehemalige Piraten, von „dak“ aufgeschwemmt und verwahrlost. Aber als sie Kit sahen, zeigte sich, daß ihre Reflexe in Ordnung waren. „Was zum Teufel willst du?“ sagte der eine und wollte sich erheben. 79
Kit traf ihn ziemlich genau, und mit derselben abrollenden Bewegung trieb er seine Linke in den Magen des anderen. Seine Pistole bewegte sich viermal auf und nieder, und die Wächter waren nicht mehr daran interessiert, was er wollte. „Herrje“, sagte Young. „Sie haben mir einen schönen Schrecken eingejagt. Ich habe nie gesehen …“ „Ich bin wütend“, sagte Kit, „ich bin durch und durch wütend. Du hast diese Stadt gesehen, hast gesehen, was passiert ist. Und alles für ein paar schmutzige Dollars. Oh, ich sage dir, ‚er’ hat das letzte Wort darüber noch nicht gehört.“ Es war das erste Mal, daß Young feststellte, daß der Rotschopf Kit auch rot sehen konnte. „Auf, hier, an die Arbeit“, sagte Kit. „Welche Wellenlänge? Eine übliche magnetische Verstärkung auf ungefähr das Sechsmillionenfache, scheint mir, wenn man diese Spulen betrachtet.“ Young maß nach und antwortete. „Geht also nicht“, sagte Kit, „die anderen Stationen im Umkreis der Stadt werden nicht reagieren. Können wir eine Viertelzentimeter-Welle richten?“ Young verstand ihn jetzt und zusammen arbeiteten sie angestrengt und ohne Zeitverschwendung. Als sie fertig waren, lagen die Einzelteile der ursprünglichen Einrichtung ausgeschlachtet um sie herum. Kit sah nach den Dynatroden. Eine Viertelzentimeter-Radarwelle krachte nun durch sie hernieder, gerichtet wie zuvor, aber oh, wie tödlich jetzt. Für diese Art Installation war es eine übliche Untersetzung, aber diesmal sollte es nicht den Funkverkehr mit Kraft versorgen, sondern Impulse von dreiundneunzig Millionen Kilovolt aussenden. Der Raum roch schon nach Ozon, als die reine Luft der Energie nachgab. „Wir wollen raus“, sagte Young mitgenommen. Kit erwischte eine Karte der militärischen Verteidigungslinien der Stadt, die auf einem Tisch festgeheftet war und benutzt 80
worden sein mußte, als das Gebäude noch eine Befehlsstation gewesen war. Er prägte sich die Einzelheiten ein und machte sich dann auf den Weg, rasch. Am ersten Munitionslager machten sie einen „Sonnenzünder“, der in dem Moment explodieren sollte, in dem Darengo drei Grad weitergewandert war, dann rannten sie fort zum nächsten Lager innerhalb der Absperrung. Sie waren gerade dabei, den Zünder einzustellen, als der erste hochging. Eine mächtige feurige Wolke von Explosivstoffen donnerte zum Himmel und verdunkelte Darengos Licht. Gebälk fiel für kurze Zeit in der Gegend herum. Dann ging das zweite Munitionslager in die Luft, dann ein drittes, viertes und fünftes kurz nacheinander. Das sechste Lager bestand aus Minen, die für Flächenbrände eingesetzt wurden, und die aufgestapelten Scheiben, von denen jede hundert Quadratmeter Erde in Flammen setzen und tagelang brennend erhalten konnte, waren für Kit ein gefundenes Fressen. Sie verwendeten diesmal einen Fünf-Grad-Zünder und rasten dann der Stadtmitte zu. Hinter ihnen fiel der ganze Himmel ein. Das Lagerhaus selbst brannte schon gar nicht mehr, sondern zerfiel in seine Moleküle und sandte jedes gepeinigte Atom seiner Struktur in einer senkrechten Säule noch oben, die stieg und stieg bis an die zweihundert Kilometer, eine pechschwarze Säule, die beim Steigen sich wand und von innen heraus blitzte, als enthielte sie zehntausend Gewitterstürme. Young versuchte, auf dem schwankenden und schütternden Grund im Gleichgewicht zu bleiben, und er sah, daß es Kit nicht daran hinderte, weiterzulaufen. Young folgte, das Laufen verzehrte seine Kräfte, doch er blieb treu bis zum letzten Atemzug. Der kam jedoch vorerst noch nicht. Zurück im Palast, aus dem mehrere Fenster herausgeflogen waren, suchte Kit unter den Scherben nach allem, das irgendwie 81
nach Beweismitteln aussah. Er schob alles Young zu und legte obendrauf noch das „Universale Codebuch für Kaufleute“. „Ein Schiff landet draußen!“ sagte Young aufgeregt. Kit starrte auf das große Raumschiff, dessen Düsen arbeiteten, bis es sich noch einmal erhob, um dann wieder herabzusinken und im Hafen zu landen. „Das Schiff ist vom Feind. Sag unsern Leuten das über unser Radio.“ Unterdessen sauste Kit wieder die Stufen hinab, blieb jedoch nicht in Straßenhöhe. Er hatte von außen Gitter vor den Kellerfenstern gesehen und hoffte, daß er das Gesuchte dort finden würde. Die Wache unten sprang aus ihrem Stuhl, lehnte sich dann an die Wand und glitt nach unten. Kit steckte seine Pistole ein, ergriff die Schlüssel, die von der Energieladung noch heiß waren und schloß die Zellen auf. Der hagere Herr mittleren Alters in der zweiten Zelle war Loring von der Standard Uran, wie er sagte. „Wer ich bin, tut nichts zur Sache, außer daß ich von der VRV bin“, sagte Kit. Und obwohl Loring die Stirn runzelte und versuchte, ihn zu unterbrechen, warf ihm Kit eine Kette von Informationen ins Gesicht, drückte ihm die Waffe des toten Wächters in die Hand, sagte ihm auf Wiedersehen und verschwand. Aus der Hafenrichtung kamen Schüsse, und Kit fand Young entsetzt auf der Straße, von wo aus er die Schlacht zwischen den Schiffen durch Häuserzwischenräume beobachtete. „Irgendwas ist falsch. Sie greifen uns an!“ schrie Young. „Lauf“, sagte Kit. Und er ging mit gutem Beispiel voran und stob die Straße hinunter und auf den Hafen zu. Ein Raumschiff am Boden, das dem konzentrierten Feuer eines anderen Raumschiffes auf kurze Entfernung ausgesetzt wird, pflegt darunter zu leiden. Das Schnellboot, Modell 89, litt schwer. Rauch drang aus den Luken und seine Geschütze feuer82
ten nicht mehr. Von der dem anderen Raumschiff abgewandten Seite kamen drei Männer und überließen das Schnellboot seinem Schicksal. Der eine schien ernstlich verwundet zu sein und wurde von einem anderen getragen. Leichte Waffen des größeren Schiffes sandten ihnen Feuerstöße nach. Sie hätten die Deckung des zerfallenen Marinedepots nicht erreicht, wenn Kit dem Feind keine Ablenkung geboten hätte. Er rannte hinter der Ecke der Verwaltungsbaracke hervor in volle Sicht, sah die Wache dort tot von der ersten größeren Explosion und griff nach seiner langläufigen Büchse. Während er sich selbst als Ziel darbot, gab Kit gezielte Schüsse auf die Geschütztürme des großen Raumschiffs ab, die sich schnell von dem wehrlosen Wild abwandten, um auf diesen verrückten Neuankömmling ihr Feuer zu konzentrieren. Zwei Stationen wurden von Kits Geschossen getroffen; seine Büchse spie Ketten von tomatenroten explodierenden Kugeln aus. Und dann war Kit nicht mehr da und die Baracke brannte und fiel zusammen. Hinter einer zerstörten Mauer spähte Kit vorsichtig hervor, nachdem er sich den Staub aus den Augen gewischt hatte, der bei seinem ahnungsvollen Sprung dahin gekommen war. Die drei Überlebenden des Schnellboots waren nicht in Sicht. Staub und Rauch von den explodierenden Granaten des großen Schiffes verbargen das zerschossene Boot für die nächsten Minuten völlig. Kit zog die Karte der Stadt hervor und studierte sie mit von dem beißenden Rauch tränenden Augen, und dabei fand ihn Young. „Ich brauche Ammoniak“, sagte Kit. „Diese neuen Treibsätze …“, sagte Young. „Gut“, sagte Kit und holte aus der Werkzeugtasche, was sie brauchten. Sie arbeiteten in Eile und nicht, wie man fürchten muß, sehr sorgfältig. Sie konnten nämlich die Türen und Luken des 83
Raumschiffes sich öffnen hören, und das Gemurmel von Stimmen drang durch die jetzt unnatürlich stille Luft. Sie erleichterten die Donnerbüchse um einige Ladungen; aus Lehm, den sie mit ihren Helmen ausgruben, bauten sie einen kleinen Schmelzofen. In weniger als zehn Minuten – obwohl es ihnen viel länger vorkam – hatte Kit, was er wollte: eine Spritzkanone ausreichender Kraft, die bis zum Rand mit einem Pulver geladen war, das sich in Ammoniak verwandeln würde, sowie es in der Luft verteilt war. Immer noch hing der Rauch schwer auf dem Flugfeld, der Wind trieb die Schwaden von dem Schnellboot auf den Angreifer zu. Man konnte unmöglich sagen, was dieser unerwartete Feind vorhatte, doch ein gelegentliches metallisches Geräusch besagte, daß seine Türen auf waren. In einem sehr hohen Bogen, mit dem Kolben auf der Erde, fing die umgebaute Donnerbüchse an zu feuern. Ihre Ladung verursachte keine Explosion. Die Büchse zischte nicht lauter als ein Patronengürtel, der etwa in der brennenden Baracke von den Flammen erfaßt worden war. Doch der Gasstrom zischte hoch über den Rauch und senkte sich dann hernieder in die Brise, die den Rauch des brennenden Raumboots vor sich hertrieb. Kit ließ es sprühen, bis er etwa noch den viertel Lauf übrig hatte. Dann stellte er es ab. „Gib mir Feuerschutz“, sagte er zu Young und übergab ihm die Werkzeugtasche. Er rannte vorwärts, geduckt, und befestigte im Laufen eine Luftmaske vor seinem Gesicht. Nach kurzem kam er in rauchfreien Raum und sah das angreifende Schiff vor sich emporragen. Er hatte halb einen Schuß erwartet, aber es kam nichts. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Vier Leute der Mannschaft waren außerhalb des Schiffes, sie wälzten sich schmerzvoll auf dem Grund und krallten sich in Gesicht und Brust, bis das Blut floß. 84
Sie sahen Kit noch nicht einmal. Er erstieg die Leiter zur offenen Luke und hielt die Büchse hinein. Er ließ die Hälfte der verbliebenen Ladung frei und folgte dann selbst nach. Schiffsoffiziere, Navigationsleute, Düsenmechaniker, all die Leute in den hellen, unzerstörten Räumen des Schiffes, waren von der furchtbaren Wirkung der dahintreibenden Ammoniakdämpfe geblendet. Die neue Ladung, die Kit von der Luke her abgefeuert hatte, ließ einen Kanonier in größter Pein aufschreien, dann fiel er bewußtlos zu Kits Füßen zusammen. Kit steckte seine Maske in jedes Abteil des Schiffes, ehe er diesem ganz traute, dann fing er an, entwaffnete Männer draußen aufzuhäufen, indem er sie durch Luken und Geschütztürme hinauswarf.
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Young kämpfte sich heran, zog sich zurück und setzte seine Maske auf und kam dann herauf, um zu helfen. In kürzester Zeit hatten sie die draußen um das Schiff herumliegenden Leute zu einem sauberen Stapel zusammengesetzt, den ein Mann mit einer Pistole in Schach halten konnte. Einige waren tot, andere waren bis auf ihre vorübergehende Blindheit kaum in Mitleidenschaft gezogen. Kit ließ den letzten Düsenmann die Treppe hinunterpurzeln, folgte nach und kickte ihn zu dem Haufen, dann fing er an, unter den Armen, Beinen und Rümpfen herumzufischen. Er zog ein Bein in Tuchhosen heraus und breitete den Mann vor sich aus. Die Papiere in seiner Tasche besagten, daß es sich um „Jacklin Arl, Universal Uran“ handelte. Mehr wollte Kit nicht wissen. Henry kam herbei, hustend und außerhalb des Wirkungsbereichs der Ammoniakdämpfe mußte er anhalten. Auch wußte er nicht, ob er richtig gehört hatte, war das wirklich Kit gewesen? „Wer ist das? Wer ruft da?“ „Ich bin’s: Kit! Wer lebt von euch noch?“ „Larsen und ich haben den Matrosen rausbekommen. Er ist verwundet. Alle andern sind tot … Bist du es wirklich, Kit?“ Er würgte in dem Rauch und zog sich etwas zurück. Kit erschien vor ihm wie ein Teufelchen aus einem Hexenkessel und Henry machte die Augen auf und zu. „Tatsächlich, du bist es. Dann hast du das Schiff erobert …“ In Henrys Stimme war ehrfürchtige Scheu. Er wandte sich um und sprintete zurück; um dem Matrosen zu berichten und ihm zu helfen. 12. Kapitel Zwanzig Minuten später hatte Kit das Schiff auspusten lassen, drei Freiwillige aus den Reihen der Überlebenden zu ewiger Treue eingeschworen und sie einigermaßen von der Wirkung 86
der Dämpfe kuriert – zumindest so weit, daß sie ihre Stationen besetzen kannten – und war startbereit. Henry und Larsen brachten den verwundeten Matrosen Ah Wing in eine Koje, wo ihn Henry medizinisch versorgte. „Was ist geschehen?“ bat Matrose Ah Wing schwach. „Dieser Kit“, sagte Henry. „Wau! Was ist das für ein Junge! Mit dem darf man sich nicht einlassen, denn der ist ein Hurrikan in voller Fahrt, jawoll! Jetzt schluck mal hiervon. Deine Verbrennungen werden bald geheilt sein.“ „Wo ist der General so und so?“ sagte Matrose Ah Wing. „Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er eine zusammengeschrumpelte Mützenverzierung“, sagte Henry. „Dort steht das Telefon zur Brücke. Ich muß gehen.“ „Gehen? Gehen wir irgendwohin?“ „Weiß der Teufel! Aber das ist ein ‚Achtung, ‚Startklar’Gong, den du da dröhnen hörst, und dieser Kit ein verrückter Rotkopf. Wenn er sagt, ‚geh’, dann müssen wir eben gehen.“ „Aber Vanpoll … Befehle?“ „Matrose, es scheint, als lassen wir uns die Befehle jetzt von diesem Kit geben, und ich für mein Teil habe gar nichts dagegen, gar nichts.“ Henry erreichte die Brücke des großen Kreuzers und blinzelte erst einmal, als er die vielen Kontrollen, Hebel, Schreiber und Sehschirme sah. Er ließ sich in Halterungen des Pilotensitzes fallen und legte seine große Hand vorsichtig auf die Tastatur des Steuerungssystems. Nun jedenfalls, es hatte die genormte Anordnung. Hier, hoch oben im Bug des Schiffes, konnte er hinaus über die Stadt blicken, wo das rote Licht Darengos unwirklich auf den quirlenden Rauchwolken spielte. Der Ort sah aus wie die letzten Stationen des Weltuntergangs und Henry schüttelte es. „Junge, Junge, dieser Kit!“ sagte er. Dieser Kit zwängte sich aus dem zerfallenden Überrest des 87
Schnellboots, das er vergeblich nach einem Überlebenden durchsucht hatte. Er stand einen Augenblick lang da, sah auf die Stadt und dann zum Himmel. Dann wandte er sich ab und lief auf den großen Kreuzer zu. Irgendwo unten im Schiff hörte Henry eine Tür ins Schloß fallen und die Verriegelung einschnappen. Treibstoffpumpen begannen leise zu heulen und sich warmzulaufen. Man hörte Metallstiefel auf Leitersprossen klappern, und aus dem Lautsprecher kam ein Strom von „Fertig“-Meldungen. Kits Hand ruhte fest auf Henrys Schulter. „Alle Düsen brennen?“ „Alle, Sir.“ „Hülle dicht?“ „Hülle dicht, Sir.“ „Kompensiere die Schwerkraft, steig auf zwölfhundert Meter und warte auf weitere Befehle. Schalte alle Sichtvorrichtungen ein. Young, beobachten Sie die Bildschirme hier!“ Young sank in den mit rotem marokkanischem Leder bezogenen Sessel des wachhabenden Offiziers und wischte sich das Gesicht mit einem roten Halstuch. „Oh, Herrgott. Ich bin eine Ruine. Wo gibt es hier Wasser? Ich werde das Ammoniak wohl nie wieder los.“ „Du beobachtest besser diese Bildschirme“, sagte Henry, „wenn es Kit so will.“ Young nickte und kam wieder zum Leben. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß aus dem Kartenraum gerade hinter ihnen wütende Stimmen klangen. Dort versuchte Jacklin Arl, dessen Stolz ebenso wie sein Körper von Ammoniak verletzt worden war, Kit das Leben schwer zu machen. „Sie werden nichts aus mir herauskriegen“, knurrte er. „Ihre Anklage ist unerhört. Wir hatten keinerlei Interesse an Saint Martin. Wir …“ 88
Kit schlug ihm ins Gesicht und das Hohnlächeln verschwand. Arl erhob sich unsicher. Die Wut in diesem innerlich glühenden Mann beeindruckte ihn. „Einen Planeten zerstören, wie? Ihn mit dem Bodensatz des Weltalls angreifen, he? Morden und rauben und brennen, was?“ Der Knall eines zweiten Schlags war laut und Arl setzte sich wieder. „Ich kann doch nichts dafür, es ist die Gesellschaft. Ich sage Ihnen, ich weiß von nichts.“ Kit sah das scharfgeschnittene dunkle Gesicht voll Abscheu an. Die boshaften, rastlosen Augen konnten seinen Blick nicht aushalten und senkten sich. Kit riß ihn auf die Füße und schlug ihn wieder, worauf er wieder in den Sitz fiel. „Sag mir, wo der Schiedsrichter zu finden ist. Sag mir es jetzt und sag mir es schnell!“ „Ich habe nichts mit ihm zu tun!“ heulte Arl. „Wir haben mit ihm nichts zu tun. Um Gottes willen, schlagen Sie mich nicht wieder.“ „Ich würde dich am liebsten zu Marmelade schlagen“, sagte Kit, „und ich denke, ich werde es auch! Mörder! Schmutziger Lump! Einen Planeten verwüsten, was …“ Klatsch! „Wenn … wenn ich Ihnen sage, wo man den Schiedsrichter findet, werden Sie dann aufhören?“ Kit trat zurück und atmete schwer, nicht weil er erschöpft war, sondern vor Wut. „Rede.“ „Terra. Er ist auf der Erde. Wir wissen, wo er ist. Zone von Hawaii, Terra. Die ganzen Verteidigungseinrichtungen auf Terra sind für den Schiedsrat. Der Schiedsrichter … um Gottes willen! Sie wollen doch nicht hingehen? Sie wollen ihn doch nicht angreifen? Nicht den Schiedsrichter! Mit mir an Bord … Nicht den Schiedsrichter und seine Energieschirme gegen Raumschiffe. Sie werden es nicht überleben. Nie.“ „Es wäre gut für Sie, wenn Sie die Wahrheit gesagt haben“, sagte Kit. Und er stand da und sah auf den Mann, der um seine 89
Raumstiefel kroch und er glaubte ihm. „Start!“ schrie er zu Henry. Der große Kreuzer schoß hoch auf zwölfhundert Meter und verhielt dort; die Aufnahmekameras arbeiteten und auf den Bildschirmen zeigte sich das Antlitz des verwüsteten Planeten. „Was ist das?“ sagte Henry und starrte auf den Bildschirm, der die Szene direkt unter ihnen wiedergab. Young sah nach. Das Bild, das sich mit der Bewegung des Schiffes veränderte, zeigte eine Stadt, die auf der einen Seite von einem Meer und auf der anderen von einer ruhigen, erstarrten Linie toter Männer begrenzt wurde. Sie lagen kreisförmig um einen Mittelpunkt, der in der Stadt liegen mußte, und es waren wohl an die achttausend Mann. Der äußere Rand war etwas locker, wo einige versucht hatten wegzukriechen, ehe sie starben. Und über der ganzen grausigen Szene trieben Rauchwölkchen, die von Darengo rot beschienen wurden. Young erbleichte, doch seine Stimme war fest. „Batilles Truppen. Sie kamen eiligst heran, aus allen Gegenden, landeten ihre Transporter vor der Stadt und schwärmten hinein, um die Explosionen und den Rauch zu untersuchen. Sie fanden die Kraftschirm-Absperrung verschwunden, weil wir sie zerstört hatten. Und sie marschierten durch den unsichtbaren Viertelzentimeter-Radarwall und wurden Mann für Mann gebraten, noch ehe sie es merkten.“ Seine Stimme war klanglos geworden, als er das Ergebnis ihrer ersten Operation in der Stadt sah. „Kit hat das gemacht? Mann! Das ist eine tote Armee.“ „Kroppzeug des Weltalls“, sagte Kit. „Die Zivilisten können das Heft jetzt in die Hand nehmen und die verbleibenden Einheiten zusammenfegen. Hier, Young. Dort, die Kraftstation. Das ist das Zentrum, in dem wir waren. Laß eine Rakete darauf los, die auf die Dynatroden zusteuert.“ Young erhob sich eilig und ging nach hinten. Kit starrte in den Bildschirm. 90
„Es ist nicht die schönste Ansicht, Henry. Aber manche Dinge müssen halt getan werden. Wie ein Hausputz. Ich glaub nicht, daß jemand die Kerle da unten vermissen wird. Kein anständiger Mensch wäre je in diese Armee eingetreten.“ Man sah ein Aufblitzen im Schirm, und die Kraftstation löste sich auf. Bruchstücke der Radarausrüstung und Gebäudeteile schwebten sanft zur Erde zurück – so sah es jedenfalls aus der Höhe aus – und der Rauch vermischte sich mit dem der übrigen Stadt. „Das ist das Ende der Todesmauer“, sagte Kit. „Jetzt können sich die andern da unten von selbst helfen. Wir fahren heim, woher wir gestern gekommen sind.“ Er griff nach dem Bordmikrophon. „Achtung vorn und hinten. Sieben g’s Beschleunigung während acht Tagen. Antwort wenn fertig.“ „Fertig“, sagten die Steuerborddüsen. „Fertig“, sagte der Mann an Backbord. „Fertig“, kam es von den Steuerdüsen. „Fertig“, das war die Treibstoffkammer. Henry nickte und ließ seine Hand über der Steuertastatur hängen, mit der anderen Hand richtete er den Kreuzer auf Kurs ein. „Kreuzer! Start!“ Flammen und zuckender Donner, Feuerwolken im blauen Himmel. Der Kreuzer raste auf Terra zu, Ziel: Zone von Hawaii. 13. Kapitel Während sich der Kreuzer durch den tintenschwarzen Raum bohrte, an Kometen und Sternen vorbei, widmete sich Christopher Randolph Kellan seinen Plänen. Der Zorn, der in ihm brannte, war wie das Feuer der Esse, die den Stahl macht: Verunreinigungen wurden aus ihm herausgebrannt in diesem vor91
wärtsstürmenden Kreuzzug, in dem er, wie er Henry sagte, das Universum „von einem fauligen Krebsgeschwür befreien wollte, das sich durch die in Millionen Jahren aufgestapelten Schätze menschlicher Kultur fressen würde und den Menschen nackt und bloß seinem Schicksal überlassen würde – und nur, um die Habgier eines einzigen Mannes zu befriedigen.“ Hätte er sich nicht so eifrig mit seinen Studien und Plänen befaßt, so hätte er sich vielleicht daran erinnert, daß jeder Saboteur sich zunächst einmal gegen Verrat aus den eigenen Reihen zu sichern hat. Was wußte er denn letzten Endes von einigen der Männer, denen er vertraute? Er hätte sich daran erinnern können, wie das Nachrichtennetz des Raums aufgebaut war. Jedes Sonnensystem unterhielt auf seinem äußersten Planeten – wegen dessen geringerer Umlaufgeschwindigkeit – eine mit zentral gelegenen Systemen verbundene „Leitung“. Diese zentralen Systeme ihrerseits konnten jede Art von Nachricht überallhin weitergeben. Die „Leitung“ bestand aus einem Strahl ionisierter Materie und wurde ständig gespeist. Das Nachrichtenproblem im Weltall, das zum ersten Mal bei Raumschiffen auftauchte, die mit fünf- oder sechshundertfacher Lichtgeschwindigkeit reisten, war seit etwa zweihundert Jahren gelöst. Es war so eingerichtet worden, daß die Impulse die Schiffe fast im selben Augenblick erreichten, in dem sie gesendet wurden, und dasselbe traf nun auch für die Verbindungen zwischen den Systemen zu (alles, was sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, brauchte ebenso wie das Sternenlicht unter gewöhnlichen Umständen zehn, Hunderte oder Tausende von Jahren). Der Kreuzer mußte auf seiner Reise ganz unvermeidlich viele dieser Leitungen schneiden oder in ihre Nähe kommen. Wenn Kit nicht auch während der fünfzehnten Wache der Reise so mit seinen Plänen beschäftigt gewesen wäre, so hätte er vielleicht die schwachen Klickgeräusche eines Raumnach92
richteninstruments gehört, das in dem Funkraum gerade hinter ihm Worte, von denen er nichts wußte, in Zeichen übersetzte und hinaussandte. Vielleicht hätte er das verstohlene Knarren einer Tür gehört, die geöffnet und wieder geschlossen wurde, oder das schwache Klick eines einschnappenden Türriegels; oder auch das heimliche Tapsen nackter Füße auf dem Verbindungsdeck, das ihm erzählt hätte, daß ehrliche Männer Raumstiefel tragen gegen den kalten Metallboden. Er war tief in seinen Karten vergraben, und natürlich – das war doch wohl das Wichtigste. Zwischen Schlucken heißen Kaffees, der den Schlaf vertreiben sollte, lernte er, daß er sich auf eine gefährliche Unternehmung eingelassen hatten. Der Kartenraum des Kreuzers war ungewöhnlich gut eingerichtet und mit allen erforderlichen Karten und Führern versehen. Sie waren auf kleinen Diapositiven mit vernachlässigbarem Gewicht festgehalten, und Millionen von ihnen wogen nicht mehr als ein Kilo. Sie wurden von hinten auf einen mattierten Schirm projiziert, auf dem man mit Bleistift schreiben und es nachher wieder auswischen konnte; sowohl bei ihrer Herstellung als auch bei der Projektion wurde eine solche Präzision eingehalten, daß keine Korrekturen mehr erforderlich waren. Die Sternen- und Planetenführer waren auf Drahtspulen konserviert – eine Seite auf einem zehntel Millimeter – und wurden neben den Karten auf ähnliche Schirme projiziert. Er fand es erstaunlich, wie wenig er wirklich über Terra wußte, als er alles erfahren hatte. Er konnte zwar ganze Kapitel der Sternenführer aufsagen, aber schon bloß die Namen von Bergen und Flüssen und Meeren in den Führern des Hydrographischen und Terragraphischen Amts der Erde waren ihm völlig neu, obwohl er alle diese Gesichtszüge und Falten Terras gesehen hatte – während der einen oder anderen kurzen Landung. 93
Er fand die Zone Hawaii. Er fand viel Wissenswertes über Echolotungen im „Pazifik“ um Hawaii herum, und über Meeresströmungen und Stürme und die allgemeinen atmosphärischen Verhältnisse. Aber jedesmal, wenn er nach einer Angabe suchte, die ihm nützen konnte, war nur zu lesen: „zensiert“. Da war also wirklich etwas komisch mit der Zone von Hawaii. Von dort aus ging ein kegelförmiger Bereich bis am die Grenzen der Atmosphäre, der von keinem Raumschiff beflogen werden durfte. Dort stand eine Nachrichtenstation, mit der man nicht reden konnte. Es war ein „Verteidigungsbezirk“. Und nach allem, was er gelesen hatte, mußte das Gebiet von großen roten Schildern übersät sein, auf denen die Leute gewarnt wurden, wegzubleiben oder ihre reizenden Köpfchen würden ihnen abgeschossen. Er gab es schließlich auf, es mit Geschicklichkeit zu versuchen; danach gab er es auf, den Kopf durch die Wand rennen zu wollen. Letzten Endes erinnerte er sich, daß jedes Raumschiff fast gar nichts gegen Wasser hat und dachte an den Start des Schnellboots, Modell 89. Und so kam es, daß an einem hellen, sonnenbeschienenen Nachmittag ein gewisser Kreuzer von den irdischen Radargeräten aufgefangen wurde, der mit gefährlicher Geschwindigkeit durch die Inspektionshöhen raste und von dem man schließlich hörte, daß er im Pazifik in der Gegend von Canton Island abgestürzt sei. Aus denselben Gründen geschah es, daß das Rettungsschiff, das unverzüglich dorthin aufbrach, keine Spur des Wracks oder der Überlebenden fand. Die Männer waren auf ihren Stationen, der Gefangene fest eingeschlossen, die Düsen abgeschaltet und die Landungsaggregate summten – so pflügte das große Schiff in neunzig Meter Tiefe durch den Stillen Ozean mit einer Geschwindigkeit von hundertsechzig Kilometern pro Stunde. Henry und der Chinese standen zu beiden Seiten der Kon94
trolltastatur und hatten sich sehr wenig zu sagen. Das Wasser schien grün durch das „Aquariumfenster“. „Vanpoll wird das nicht gern sehen“, ließ sich der Matrose Ah Wing schließlich vernehmen. Henry antwortete nicht. „Das ist ziemlich gefährlich, was er da vorhat“, sagte Matrose. Die Hand auf den Tasten rührte sich nicht. „Wir landen lieber mit ihm“, sagte Matrose. Henry nickte kurz mit dem Kopf. Die Sonne ging unter und der Kreuzer fuhr die ganze Nacht hindurch weiter. Um vier, zwei Stunden vor Tagesanbruch, lag er auf der leichten Dünung, und kühle, feuchte Luft blies in die so lange verschlossen gewesenen Innenräume. Young und Henry arbeiteten an einem Raumrettungsboot, das in den Auswerfern festgeklemmt war. Nur das Licht der Sterne leuchtete ihnen dabei. Kit wollte die Verwendung irgendwelcher Hitzequellen dabei nicht erlauben – sie konnten zu leicht von Infrarotkameras entdeckt werden. Von Zeit zu Zeit schlug sich Young die Knöchel oder sein Schienbein irgendwo an und fluchte anschließend. Kit richtete ein Nachtglas auf die kühnen Umrisse des „Diamantenhügels“ und versuchte irgend etwas zu entdecken, das auf Gebäude hinwies. Er hatte gerade weitab zur Linken einen Lichtschein über dem Meereshorizont entdeckt, den eine Lichterkette verursachte, und verglich rasch seinen Kurs in dieser Richtung. Das Raumrettungsboot kam unter Knirschen frei, und Henry sprang hinein und hielt es mit dem Pistolengriff von der Hülle des Kreuzers ab. Kit kletterte in das Boot hinunter, das sich längsseits hob und senkte, und war überrascht, den Matrosen Ah Wing an seinen Fersen zu finden. „Geh zurück, Young und ich …“ „Wir gehen mit dir“, sagte Henry, „laß Young nach dem Schiff sehen.“ 95
Kit gefiel das zwar nicht, aber Ah Wing und Henry schienen sehr entschlossen. Schließlich wandte sich Kit zurück zum Deck: „Young, nimm den Kreuzer wieder runter und bleib unter der Oberfläche bis zur Dunkelheit heute nacht, dann komm hier an diesem Punkt wieder hoch. Fahr jetzt ein bißchen weiter weg.“ Luken schlossen sich, man hörte Summen, und das große Schiff fuhr sanft und leise außer Sicht. Kit zog die Kuppel des Rettungsbootes herab und wollte seinen Platz an der Steuerung einnehmen. Ah Wings Stimme war sehr kalt. „Laß die Finger vom Schießeisen, Kellan. Das heißt, nimm sie hoch.“ Er wollte Kits Waffe wegnehmen und Kit wirbelte wild herum, um loszuschlagen. Ein Schlag, der seinen Helm einbeulte, erwischte ihn mit voller Gewalt. Er fiel in die Knie. Das Boot schwankte. Er versuchte mit aller Kraft aufzustehen, doch seine Handgelenke waren Pudding geworden und er konnte sich nicht abstoßen. Das Schwanken des Bootes wurde zu einer gleichmäßigen, dunklen Drehung um einen roten Punkt, und dann wußte er nichts mehr. 14. Kapitel Wächter hielten ihn an beiden Armen, und es überraschte ihn, daß die Morgensonne so hoch stand. Er faßte festen Fuß und versuchte, sich frei zu machen, doch die Wächter und ihr fester Griff ließen sich nicht verleugnen. Die Sonne glitzerte auf ihren goldenen Brustpanzern, in die die Waage der Gerechtigkeit eingraviert war. „Gleichheit für alle. Galaktischer Schiedsrat.“ Kit fühlte sich übel und das Sonnenlicht tat seinen Augen weh. Der Brunnen, zu dem sie ihn geschleppt hatten, zeigte sich in boshafter Deutlichkeit und machte sich mit seiner Kühle über ihn lustig. „Ihr könnt mich wenigstens mal trinken lassen“, bat er. Einer der Wächter, groß und blond, stieß ihn an den Brun96
nenrand. Aus der Sicherheit, die er zeigte, ließ sich alles ablesen. Draußen hinter den Toren waren unsichtbare Sperren und Fallen, durch die kein Mensch hindurchgelangen konnte, wenn er nicht die verwickelte Anordnung im Kopf hatte. Über ihm erstreckte sich der kegelförmige Wirkungsbereich der Zerfallsfelder, die kein Flugzeug, Raumschiff oder Bombe unbeschädigt durchdringen konnte. In Wachtürmen auf den Mauern des Hofes waren Wachen hinter langrohrigen Waffen. Und das Pflaster bestand zu allem Überfluß noch aus Kupfer und konnte bei einem Knopfdruck eine tödliche elektrische Ladung tragen. Die Palmen wiegten sich leise an der Seite der Gebäudemauer. Eine weite Veranda, die mit bequemen Korbstühlen besetzt war, bot Schatten. Man zerrte Kit durch eine innere Tür in eine mächtige Halle. Ein Springbrunnen spielte dort, und vier goldene Nymphen bewachten ihn, die für immer ihr Spiegelbild in den Wellen betrachteten und lächelten. Der Wind bewegte Wandteppiche und ließ die Goldfäden daran und den mit kostbaren Steinen besetzten Saum aufleuchten. Wo war Henry? Was hatte Ah Wing … Und nun erst erinnerte er sich. Henry mußte tot sein und Ah Wing hatte sich dem Feind verkauft. Die Wächter stießen ihn in einen Stuhl und der Große, Blonde verschwand in einem großen Zimmer. Lange hörte man von dort Stimmen, die die Tür dämpfte, dann rückten Stühle und zwei alte Männer mit Servietten noch in den Händen kamen heraus, um kurz und etwas belustigt Kit anzusehen und dann weiterzugehen. Der Große, Blonde kam zurück und winkte. Kit wurde auf die Füße gestellt und in das Zimmer gestoßen. Ein sehr alter Mann mit einer weißen Haube saß am Kopf eines Eßtisches, der eine Fläche von etwa einem viertel Hektar einnahm. Sechs Gedecke waren außer dem seinen aufgelegt, doch er war allein. Die Stühle waren sehr massiv und hatten 97
hohe, steife Rücken. An jeder Seite der großen Fenster raschelte Brokat im Wind. Sonnenlicht lag auf dem sehr alten Mann. „Das ist er“, sagte der große, blonde Wächter. Der Alte nickte. „Setzen Sie sich, bitte. Ich wünsche mich mit Ihnen zu unterhalten.“ Er war recht höflich. „Haben Sie gefrühstückt?“ „Kaum möglich“, sagte Kit, „aber ich bin nicht hungrig.“ Er setzte sich nieder und ein Serviermädchen mit leisen Schritten legte eine Orange auf einen Teller vor ihn. Der große blonde Wächter räumte bedeutungsvoll alle Schneidwerkzeuge aus Kits Griffbereich. „Sie scheinen sehr beschäftigt gewesen zu sein in der letzten Zeit“, sagte der alte Mann und blickte auf ein Papierbündel, das zwischen den silbernen und kristallenen Überbleibseln seines Frühstücks lag. „Wenn Sie glauben, daß ich rede, so fürchte ich …“ „Dazu ist nicht viel Gelegenheit“, sagte der alte Mann, „ich habe alles hier. Hmmm. Trotzdem sagt es nicht, was Sie nun genau auf Saint Martin gemacht haben. Es scheint die Angelegenheit geklärt zu haben. Wissen Sie, das ist alles ein bißchen früh.“ „Ich habe meine eigene Ansicht über die Zerstörung von Planeten“, sagte Kit fest, und sein Zorn fing an, in ihm hochzusteigen. „Aber aber“, sagte der alte Mann, „ruhig, ruhig, bitte. Vielleicht sagen Sie mir mal genau, was Sie dort gemacht haben. Ihr Herr Youog war da sehr zurückhaltend.“ „Young?“ schluckte Kit. „Natürlich. Wir nahmen den Kreuzer ein, kurz nachdem Sie ihn verlassen hatten, und alle Leute sind wohlauf. Dieser Jacklin Arl …“ Er unterbrach sich und sah auf eine Tür weit am anderen Ende des Zimmers. „Bringen Sie Mr. Carlyle herein.“ 98
Kit verlor etwas an Haltung. Jetzt würde er völlig identifiziert werden. Carlyle kam, sehr ergeben. Er nickte zu dem alten Mann hinüber und sah dann Kit aus der Nähe an. Carlyle nickte wieder mit Bestimmtheit und zog sich zurück. „Bringen Sie Jacklin Arl“, sagte der alte Mann. Sie brachten ihn, wütend und aufgebracht. Er sah den alten Mann und Kit böse an. „Ja“, tobte er, „das ist der Kerl von Saint Martin. Und er hat uns da ganz schön fertiggemacht.“ Sie nahmen Arl wieder hinaus. „Wir waren nicht ganz sicher. Ja, ich muß sogar darum bitten …“ Er machte eine Handbewegung, und der große, blonde Wächter nahm Kits Helm ab. Dann holte er ein Stück in Papier eingewickeltes Glas hervor, verteilte etwas Druckerschwärze darauf und nahm schnell Kits Fingerabdrücke ab. Er ging hinaus und kam nach einem Augenblick wieder. „Das ist unzweifelhaft derselbe junge Mann, Sir.“ Diese Genauigkeit ging Kit allmählich auf die Nerven. „Sie wollen uns also nicht die Namen Ihrer Spießgesellen nennen?“ „Nein“, sagte Kit, „ich will nicht. Sie werden aus mir nichts herausbekommen, ganz egal, welche Mittel Sie anwenden.“ Die Brauen des alten Mannes zogen sich hoch. „Halten Sie ihn draußen bereit und rufen Sie den Rat zusammen“, sagte er. Kit wartete vor der Tür und war bekümmert. Er konnte die summenden Stimmen hören, einige erhoben sich in lauter Debatte, andere schrien sie alle zusammen nieder. Es war wie ein großes Meer, mit Ebbe und Flut, und Kit hatte schreckliches Kopfweh, Er überlegte, auf welche Art sie ihre Hinrichtungen durchführten. Wahrscheinlich stritten sie sich, ob man ihn in Öl kochen sollte oder ob es reichte, wenn er von vier wilden Pferden auseinandergerissen wurde. Und immer noch dauerte die Beratung an. 99
Ein Diener brachte Kit ein Glas mit irgendwas drin und Kit hatte zuerst Angst, es anzurühren, bis er ein bißchen davon genippt hatte. Dann trank er es hinunter und seine Kopfschmerzen verschwanden. Das etwas bittere Getränk ließ Kraft in ihn zurückfließen. Die Türen sprangen auf und eine Menge kam heraus. Sie setzte sich aus Leuten aller Größen zusammen, und jede Moderichtung schien vertreten zu sein, und sie stritten sich immer noch untereinander. Ein oder zwei der Männer sahen Kit neugierig an. Er konnte sich auf ihre Unterhaltung keinen Vers machen, denn viele hatten keine Zähne mehr und alle waren alt. Sie strömten in einen größeren Raum auf der anderen Seite der Halle, in der Kit wartete, und dann schlossen sich die Türen. Kit wartete. Nach einiger Zeit kam ein Bote heraus und die Wächter rissen Kit auf die Füße. Sie stießen ihn unter einem dunklen, großen Bogen hindurch und in eine Halle mit Marmorboden, die groß genug für einen Ball gewesen wäre. An einem Ende stand ein Tisch aus gediegenem Gold, etwas höher als die anderen, dahinter war ein Wandgemälde, in dem die Milchstraße durch Bilder menschlicher Errungenschaften idealisiert wurde. Hier saß der alte Mann, mit dem er gesprochen hatte. Die im Halbrund gruppierten anderen Sitze waren tief und weich, und das Auditorium war fast nicht zu sehen, so tief waren die Teilnehmer in ihre Sessel gesunken. Kit wurde vor die Versammlung geschoben und nahm seinen Stand ein. „Ihr Name?“ sagte der alte Mann. „Christopher Randoph Kellan.“ „Alter?“ „Dreißig.“ „Mr. Kellan, berichtigen Sie mich, wenn ich irre.“ Und dann las der alte Mann, in der hohen Stimme eines alten Mannes, eine genaue Aufstellung über jedes bedeutende Ereignis in Kits Leben vor. Er kam zu den Landstreicherjahren im All zwischen 100
den Studienjahren und dabei waren Dinge aufgezählt, von denen Kit nicht gedacht hatte, daß sie irgend jemand im ganzen Universum herausfinden würde. Er kam zu der stürmischen Universitätskarriere, und dabei wurden sogar Kits angezweifelte Prüfungen erwähnt. Er kam zu den Dingen und Ereignissen in der VRV, und schließlich las er – ausführlicher als den Rest – von Kits Zorn auf jeden, der einen Planeten zerstören wollte. Nachdem er damit endlich fertig war, legte der alte Mann das Papier hin. Er setzte sich eine andere Brille auf und sah die Versammlung an. „Wenn irgend jemand dagegen stimmen will, so möge er sich melden.“ Schweigen. „Wenn irgend jemand einer Einzelheit ganz oder teilweise nicht zustimmt, so möge er sprechen.“ Es erhob sich keine Stimme und Kits Herz sank. Niemand, der ihn verteidigte. Nicht einer! Der alte Mann erhob sich nun und nahm die weiche weiße Haube mit den in Gold eingestickten Waagschalen der Gerechtigkeit ab. Er legte den weißen Talar ab und die sechs Siegelringe. „Er will es selbst machen“, schüttelte sich Kit. Aber wenn der alte Mann eine Gewalttat vorhatte, so zeigte sich dies nicht in seinen Gesichtszügen. „Treten Sie hier herauf.“ Kit ging benommen die Stufen hinauf. Der alte Mann legte seine Hände auf Kits Schultern. „Dein Haar ist sehr rot, genau wie meines früher. Aber sonst schlägst du deiner Mutter nach.“ Kit konnte das nicht ganz aufnehmen. „Du bist groß und stark. Ich war das einmal“, sagte der alte Mann mit einem stillen Lächeln. „Und in dir bin ich weiter. Meine Herren des Rates, Minister und Gesandte der Galaxis, ich stelle Ihnen meinen Sohn vor! Christopher Randolph Kellan Marshal!“ 101
Ratsmitglieder, Gesandte, Minister, Botschafter und Kuriere und sogar die Wächter an der Tür ließen ein Jubelgeschrei erschallen, daß die Dachbalken zitterten, sie standen auf und strömten nach vorn. „Bitte, meine Herren“, sagte der Schiedsrichter, „Sie werden einzeln nacheinander vorgestellt werden. Aber ich bitte um einen Augenblick Ruhe, währenddem ich meinen verwirrten Sohn mit einigen Tatsachen bekannt mache, die ihm bis jetzt vorenthalten wurden.“ Der Schiedsrichter wandte sich an Kit. „Du bist mein Sohn. Später werde ich dir viele Dinge erzählen und dich um Verzeihung bitten, daß dies alles jetzt so plötzlich auf dich einstürmt. Doch ehe du mich hart beurteilst, weil ich dir vor so langer Zeit dein bisheriges Schicksal zugedacht habe, höre bitte zuvor meine Rechtfertigung an. Als du geboren wurdest, sagten die Ärzte, du würdest stark und strahlend werden, und noch ehe du dazu wurdest, hatten sie dich durch ihre Tests als ein Genie erkannt. Mir trat nun ein zukünftiges Problem entgegen. Ich hatte das Amt des Schiedsrichters durch Macht und Stärke errungen, weil der Mensch Furcht hatte. Aber als die Zeit fortschritt, wurde es mir offenbar, daß mir keine Möglichkeit verbliebe, einen Sohn zu erziehen, wie er erzogen werden sollte. Denn diese und jene würden dir schmeicheln und dich mit Liebedienereien umgarnen. Die Welt wäre für dich eine unwirkliche Ansammlung großer Namen und Nationen geworden, und das hätte deinen Gedanken – wie ich fürchtete – eine unziemliche Richtung gegeben. Dies hier war kein Ort, um einen Sohn aufzuziehen. In jenen Tagen waren wir noch nicht so sicher wie heute, und so, wie du für tödliche Schmeichelei ein Ziel abgegeben hättest, wärest du auch ein Gegenstand von Entführung und Mord gewesen. Ich überlegte mir, daß du erzogen werden mußt und daß du 102
die kleinen Leute auf den Welten unter den Sternen kennenlernen mußt. Du solltest stark und selbständig werden. Und falls ich gestorben wäre, sollte man dich aufklären und dir die Wahl lassen, welche Laufbahn du einschlagen würdest. Deine ‚Tante Isabel’ ist deine Mutter, eine unglückliche Frau, deren Gegenwart mir zum größten Teil durch diese Staatsgeschäfte verweigert wurde. Sie wußte, wie nahe du als Marshal dem Tode wärest und es war teilweise ihr Wille, daß du als Kellan, dem Namen meiner Mutter, aufgezogen wurdest. Du wurdest dann erzogen, wie dich keine Schule in alle den auf Sicherheit bedachten Systemen hätte erziehen können. Einige der Männer, die du ‚Professor Jones’ oder ‚Studienrat Schmidt’ nanntest, waren die größten Wissenschaftler auf ihrem Gebiet in der ganzen Milchstraße. Und ich ließ von deiner Mutter das Einerlei des Studiums unterbrechen, indem sie dich in ferne Gegenden schickte, wo du unter den unbedeutenden Leuten des Alls leben solltest, auf daß du sie kennen und verstehen würdest und wüßtest, warum die Menschheit fortschreitet – denn der Mensch schreitet nur voran als Einzelwesen, und all diese großen Regierungen und Konzerne im Universum wären nichts ohne dieses einzelne Wesen, den gewöhnlichen Menschen. Und wenn er glücklich und frei ist, so gedeihen auch sie, und nicht anders. Aber das weißt du.“ Der Schiedsrichter sah auf das Meer weißer Gesichter im Raum. „Als deine Lehrzeit verstrichen war und du die Welten des Alls kanntest, ihre Maschinen, ihre Philosophien und ihre Schwächen, solltest du hier an meine Stelle treten. Doch es gab unter diesen Männern hier solche, die Einwände hatten. Sie sagten, daß du vielleicht keine Liebe zu den Menschen hättest oder daß du leichtfertig und ungeeignet seist.“ Laute Rufe: „Nein, nein!“ kamen überall aus dem Raum. „Sie sagten, dir mangele die Erfahrung“, fuhr der Schieds103
richter fort. „Sie sagten, wir wären alt geworden und unser Weltall befinde sich in einem traurigen Zustand, und daß an dieser Stelle eine sichere und rächende Hand vonnöten sei. Aber daß du nicht geeignet sein könntest, diese Hand zu sein. Und daher richteten wir es so ein, daß du eine Prüfung abzulegen hättest. Oh, die Konferenzen, die in dieser Halle hier tagten, die Beratungen, in deren Mittelpunkt ein rothaariger Junge stand, der in den Straßen des Weltalls umherwanderte und sich seines Schicksals nicht bewußt war! Und ich fand eine Möglichkeit, um dich ihnen gegenüber – nicht vor mir – zu rechtfertigen, denn sie zweifelten und waren in Furcht.“ „Nein! Nein!“ wallte es wieder auf, doch der alte Mann beachtete es nicht. „Wir benutzten Vanpoll hier …“, und Kit starrte auf Peter Vanpoll, der ihn aus noch nicht anderthalb Meter Entfernung anlächelte, „… und eine unserer Hilfsorganisationen, die Volksrevolutionsvereinigung, um alle Unterlagen über deine Schulungsstätten zu entfernen, und so machten wir deine Universität argwöhnisch. Dann wurde Sikes hier …“, und Kit riß wieder die Augen auf, denn da stand der SAU-Mann, der eigentlich mausetot sein sollte, „… getötet, auf daß du keinen anderen Ausweg mehr sehen solltest, als einer ihrer Attentäter zu werden – leider muß ich sagen, daß Meuchelmord immer noch eine politische Waffe ist.“ „Du hörtest, wie der Name des Schiedsrichters in den Schmutz gezogen wurde, denn wir versagten bei unserer Aufgabe, und Kriege und Revolten aus wirtschaftlichen Gründen wurden zu alltäglichen Dingen – fast außerhalb unserer Kontrolle, die wir vom Alter gelähmt waren. Und so hofften wir, daß mit der Sicherheit, die mein Butler (den man den Matrosen Ah Wing nennt) und mein Chauffeur Henry gewährleisten würden – so hofften wir, daß du nicht getötet werden würdest, wenn wir dich hinaussandten. Aber Vanpoll pfuschte, und du 104
gingst allein und trafst auf Carlyle, der von dir nichts wußte. Ich glaube, du hast Ihn verärgert, weil du ihn beim Schach schlugst oder so etwas …“ Carlyle rutschte gegenüber unbehaglich hin und her. „Carlyle“, fuhr der Schiedsrichter fort, „einer unserer unteren Agenten, wollte dich unbedingt ergreifen und schickte deine Beschreibung durch den Raum. Was für Schwierigkeiten hatten wir, das niederzuschlagen! Aber du stahlst jedenfalls jene Kriegsmaschine, die wir jetzt zusammen mit deinem Mann Young besitzen, und löstest somit deine erste Aufgabe. Alles zusammen sollten es sieben Aufträge sein, die du erledigen solltest, ehe du hergesandt worden wärest. Aber wie es scheint, hat das Schicksal etwas für rotes Haar übrig. Du löstest ein Rätsel auf Saint Martin, das uns für achtzehn Monate unergründlich blieb. Wir wußten nicht, daß Universal Uran, der wir fest vertraut hatten, hinter dieser Angelegenheit steckte. Und wir waren alt und benutzten Diplomatie statt der Kraft, die den Frieden der Galaxis deine Jugend hindurch errungen hat. Ich zittere, wenn ich an die Gefahren denke, denen du dich ausgesetzt hast. Denn du entzogst dich nun völlig unserer Kontrolle und kamst zu Schlußfolgerungen, die dir keinen Ausweg mehr ließen. Du hattest die Angelegenheit dort sauber und wirkungsvoll geregelt, und als diese Herren hier hörten, was du vollbracht hattest und auf welche Weise, brachten sie dir widerhallenden Beifall dar. Und als unser Henry uns wissen ließ, daß du sogar uns angreifen wolltest und warum du diesem Irrtum verfallen bist, konnten sie es nicht erwarten, dich zu begrüßen, wenn du kommen solltest; denn sie wissen, daß wir unsere Aufgabe nicht mehr erfüllen und sie wissen, daß wir neue Kraft benötigen. Jetzt haben sie mich gezwungen, die Karten auf den Tisch zu legen. Eigentlich hättest du für sechs Monate bleiben sollen, Um uns zu studieren und das Netz unserer Organisationen, mit 105
denen wir einzugreifen versuchen, um Krieg und wirtschaftliche Rückschläge zu verhindern – die, wie du jetzt wissen wirst, von den Menschen selbst verursacht werden und nicht von uns. Aber ich sage, sie zwangen mich zur Offenheit. Sie lasen alle diese langen Berichte über dein ganzes Leben und hörten von deinen Taten mit offenem Mund, und dann verlangten sie, daß ich tue, was ich jetzt vorhabe – und glaube mir, mein Sohn, ich kann es mit Stolz tun. Christopher Randolph Kellan Marshal, willst du das Amt übernehmen, Gleichheit und Gerechtigkeit überall im Raum zu gewährleisten und die Ziele und Organisationen des galaktischen Schiedsrates zu fördern?“ Kit starrte ihn an; „Was … annehmen?“ „Ich bin alt, Christopher. Ich habe dein ganzes Leben lang darauf gewartet. Nimmst du an?“ Kit fand sich im Talar vor, fand die Siegel an seinen Fingern und die Haube auf seinem Kopf, und er stand wie erschlagen von dem Jubel der Menge und sah verwirrt an sich hinab. Es bildeten sich Reihen von Männern, die ihn grüßen wollten und ihm die Hand zu drücken hofften, und sein Vater, sein wahrhaftiger Vater, den er sich so lange gewünscht hatte, stand da und half ihm. Irgendwo hinten im Zimmer grinste Ah Wing und Henry sagte wieder und wieder: „Grad wie sein Papa aussah, als er das Amt übernahm. Grad wie er. Ich sehe es vor mir. Grad wie sein Papa!“ Und er schwoll vor Stolz an, bis seine Chauffeursknöpfe abzuspringen drohten. Young ruhte sich weit hinten im Sessel eines Gesandten aus. Er zitterte noch, solche Angst hatte er um seinen „General“ gehabt. Aber bald würde Kit kommen und ihm sagen, was er tun sollte, und es würden Tage kommen voll fieberhafter Arbeit, voller Aufbau und Pläne in einem wunderbar gottverlassenen Grenzposten des Alls, und Regierungen würden sich ändern 106
und fallen und neue würden sich erheben. Er beruhigte seine nervösen Hände und zwang sich, zu warten. Nur Peter Vanpoll hatte Sorgen. Er schob sich vor, um mit dem alten Mann zu reden. Carlyle reichte Kit gerade durch die drängende Menge die Hand. „Ich weiß, Sie werden es furchtbar langweilig finden, alter Junge. Aber Shah matte, eh? Schachmatt!“ Vanpoll flüsterte mit dem alten Mr. Marshal und Sorge war in seinen Worten. „Es ist ihnen ganz besonders aufgetragen worden …“, fing der alte Mann an. Doch er war mit zu viel Freude erfüllt, um sehr böse zu sein. „Wer ist sie denn?“ Vanpoll flüsterte: „Hübsch und sauber. Ich schwöre, sie wußte nicht, wer er war. Gewiß wollte sie sich nicht das ergattern.“ „Dann laß sie hereinkommen“, sagte der alte Mann, „laß sie herein.“ Und Carla kam durch die großen schwarzen Türen, sie fürchtete sich vor der Menge und war benommen darüber, ihren Mann da oben zu sehen – doch sie war hübsch in ihrer Ängstlichkeit und jeder sagte es. Kit hielt mitten in einem Gruß inne und starrte. „Carla!“ schrie er und sprang vor und an ihre Seite. Und nun war für ihn alles Wirklichkeit und alles war wahr. Er zeigte ihr den Talar und das Zepter und die kleinen goldenen Waagschalen seines Amtes und die strahlenden Siegel auf seinen Ringen. Und sie berührte sie und lächelte ihn an und Kit stellte sie noch völlig durcheinander seinem Vater vor. „Das ist Kohlschwarz und Wein- … ich meine, das ist Carla, Vater.“ Der alte Mann strahlte sie an. Sein Sohn hatte genau denselben guten Geschmack bei Frauen wie er selbst. Und Carla, die kühne Carla, verbeugte sich scheu vor ihm und ergriff dann schnell Kits Arm. 107
„Meine zukünftige Schwiegertochter, meine Herren“, sagte der alte Mann zu den Gesandten und Ministern, zu den Botschaftern und Kurieren. Sie jubelten ihr zu. Sie jubelten Kit zu. Sie jubelten dem Rat zu und dem alten Mann. Sie jubelten der Milchstraße zu und dann jubelten sie Carla und Kit van neuem zu. Und unten im Gefängnis unter der großen Halle schüttelte sich Jacklin Arl, er zitterte, wie jede Tyrannei und jede Habgier unter der Herrschaft des neuen Schiedsrichters zittern würden, der in seinen jungen und zuverlässigen Händen die Zukunft und das Schicksal aller Regierungen im Raum hielt, von einem Ende der Milchstraße zum andern. Eine sanfte Brise vom Stillen Ozean kam durch das Fenster, behutsam spielte sie mit den symbolischen Waagschalen auf Kits Platz, von denen die eine nach unten hing. Langsam, ruhig, wurde die obere Schale nach unten gedrückt und die untere Schale kam herauf, bis sie sich die Waage hielten, fest und bedeutungsvoll. – Ende –
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint 14täglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. (Mitglied des Remagener Kreises e. v.). Einzelpreis 50 Pf. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 5. Gesamtherstellung und Auslieferung; Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 07/2011
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