Nr. 2533
Wim Vandemaan
Reise in die Niemandswelt Er ist ein Totengast – und er hat einen mächtigen Feind im Reich der Phantome Auf der Erde und den zahlreichen Planeten in der Milchstraße, auf denen Menschen leben, schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrech nung – das entspricht dem Jahr 5050 christ licher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht in der Galaxis weitestgehend Frieden: Die Sternenreiche arbeiten daran, eine ge meinsame Zukunft zu schaffen. Die Konflikte der Vergangenheit scheinen verschwunden zu sein. Vor allem die Liga Freier Terraner (LFT), in der Perry Rhodan das Amt des Terranischen Resi denten trägt, hat sich auf Forschung und Wissen schaft konzentriert. Sogenannte Polyport-Höfe stellen eine neue, geheimnisvolle Transport-
Technologie zur Verfügung. Gerade als man die se zu entschlüsseln beginnt, greift die FrequenzMonarchie über die Polyport-Höfe nach der Milchstraße. Zum Glück kann der Angriff aufge halten werden. Perry Rhodan folgt einem Hilferuf der Terraner in das in unbekannter Ferne liegende StardustSystem. Dort erhält er eine Botschaft der Superintelligenz ES, deren Existenz von den gegen wärtigen Ereignissen akut bedroht scheint. Über das Polyport-Netz begibt sich der Unsterbliche sodann ebenfalls nach Andromeda und gerät dort prompt in einen mörderischen Kampf zwi schen Maahks. Für Perry Rhodan wird es eine REISE IN DIE NIEMANDSWELT ...
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einer zitternden Hand ordnen sah. Sah, wie der Siganese sich auf das zierliche Möbel legte. Einen Augenblick später »Sie waren lange fort«, sagte der Por war der Portier anscheinend eingeschla tier. fen. Perry Rhodan nickte. »Gut, wieder Selbstverständlich hatte er, während daheim zu sein.« er sich seinem Haus durch den großen Er betrachtete den kleinwüchsigen Garten genähert hatte, etliche mehr oder Portier, der in einer Flasche neben der weniger diskrete Identifikationen und Pforte hing. Die Flasche war aus blass Musterungen über sich ergehen lassen. grünem Glas. Sie hing an einem silb Sichtungen durch unsichtbare, niemals rigen Plexostahlfaden und pendelte schlafende Maschinen. Kontrollen durch leicht. Er konnte einige Einrichtungsge schweigsame Tiere, genetisch optimierte genstände erkennen, den winzigen Di und ausgeklügelte Fledermäuse. wan, den Ohrensessel vor der leise flim Er warf einen kurzen Blick zurück mernden Mediasäule, den schwebenden in den Garten. Er Bilderwürfel mit den sah die Stelle, an der vier Gemälden, jedes sich träge hellgrüne, von ihnen nicht grö Die Hauptpersonen des Romans: beinahe leuchtende ßer als sein FingernaSchwaden drehten. gel. Perry Rhodan – Der Resident trifft auf einen unge Chlorgas. Hatte er Siganesische Ge heuren Gegner. nicht auch diese Stel mälde für den siganele schadlos passiert? sischen Portier. Mondra Diamond – Rhodans Lebensgefährtin weigert sich, an dessen Tod zu glauben. Ja, er hatte etliche Der Portier war Prüfungen überstan sichtbar alt gewor Lloyd/Tschubai – Das Konzept durchforscht den Poly den. Der Portier war den; er stand nah am port-Hof DARASTO. nur die letzte Ins Glas, der Rücken so Grek 124 – Ein Mediziner möchte lieber selbst die Ver tanz. krumm, fast berührte antwortung tragen.
Die vorletzte, kor der Kopf den Boden, rigierte er sich lä die nackten Arme
chelnd, als die Haus hingen wie dürre
tür aufglitt. Zweige.
»Good evening, Sir«, wünschte der Er wusste, dass der Portier ihn mit Butler in seinem etwas angerauten, seinen alterstrüben Augen nicht sehen schleppenden Englisch und trat einen konnte. Das war auch nicht notwendig. Schritt zur Seite. »Letztendlich sind Sie Der Portier hatte ihn psionisch abgetas angekommen. Sie haben wahrscheinlich tet. eine lange Reise hinter sich. Es ist in Als Mentalstabilisierter waren seine höchstem Maße betrüblich für mich, Gedanken natürlich keinem Telepathen nicht von Ihnen über den Zeitpunkt Ih zugänglich. Aber die Aufgabe des Porti rer Rückkunft orientiert worden zu sein, ers war es auch nicht, seine Gedanken zu sodass ich Ihnen leider kein akzeptables lesen. Die Mentalstabilisierung verhüllte Mahl anzubieten vermag. – Aber wo alles Gedachte; der Portier suchte die möglich kann ich Ihnen mit einigen pan Struktur der Verhüllung ab, die, wie die cakes mit Maple Syrup dienlich sein?« Forscher der Para-Akademie Port Teil Täuschte er sich, oder war in die Au hard auf der Venus vor vielen Jahrhun gen des Butlers ein feiner Schimmer der derten herausgefunden hatten, genauso Verwunderung getreten? Wieso? War er einzigartig und unverfälschbar war wie seinem Butler gegenüber neuerdings ein Fingerabdruck oder die genetische meldepflichtig? Hatte er ihm sein Kom Signatur. men und Gehen anzuzeigen? Mein greiser Flaschengeist, dachte er, Pfannkuchen mit Ahornsirup – ei als er den Portier zurück auf seinen Di gentlich eines seiner Lieblingsgerichte. wan schlurfen und sich die wenigen Er winkte ab. Er hatte keinen Appetit. grauen, spinnwebichten Strähnen mit Daheim
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Er fühlte eine abgrundtiefe Erschöp fung. Ihm war plötzlich, als würde sich in seinem Innersten die Erde auftun und seine Seele in einen bodenlosen Abgrund blicken lassen. Einen Abgrund, der ei nerseits leblos kalt war, andererseits warm und bergend wie eine araische Thermopelerine in einer arktischen Nacht. Er meinte, einen Sog zu spüren, näher an diese Abbruchkante seines Selbst heranzutreten, sich hineinfallen zu las sen. Er widerstand dem Impuls und legte die Jacke ab, was ihn einiges an Kraft kostete. Es war, als hielte das Futter der Jacke sich mit jeder Faser an seiner Haut fest, wie mit einer Myriade Nesseln. Endlich gelang es ihm, den Stoff von sich zu lösen. Er überreichte die Jacke dem Butler. Was bin ich doch für ein Modegeck, dachte er, als er das Kleidungsstück in der Hand des Butlers sah. Ein hochge schlossenes Stück mit einer Art Steh kragen; schlauchartige Ärmel, die weit über das Handgelenk hinausreichten und das Handgelenk, ja fast noch die Hand ummantelten; insgesamt taillen lang, hinten jedoch mit beinahe knietie fen Schößen. Gefertigt aus einer Art verhärtetem, splitterndem Licht. Kristallisierten Flammen. Was ist das für ein Stoff? Der Butler hängte die Jacke auf einen Bügel und wischte mit der Hand darü ber. Das brennende Licht erlosch; die Jacke hing bleich und weiß da – wie ein schlichtes Totenhemd, dachte er. Der Butler verstaute die Jacke in der Garderobe. Er ging ins Wohnzimmer. Er fand alles so vor, wie er es verlassen hatte. An der linken Wand die Gemälde: ein James Rizzi – Galakto City Love Affair –, ein Croton Manor, ein Bilvylis Bhandur. Er nickte den Bildern zu, ging weiter bis vor das Panoramafenster, das die ge samte vierte Wandfläche des Wohnzim mers einnahm. Dort blieb er stehen, ver schränkte die Hände auf dem Rücken und schaute. Es war später Abend, und der Goshun-See leuchtete in einem nie gesehenen milchig grünen Licht.
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Einzigartig glatt lag der See – war er vereist? Glitten in der Ferne nicht Schlit ten dahin, Kufenfahrzeuge? Rhodan überlegte. Hatte man in der Zwischenzeit ir gendeine Fotoanlage in den See gesenkt, die das Wasser von unten beleuchtete? Hatte sich möglicherweise eine biolumi niszente Algenart im See ausgebreitet, ein Neophyt von den Sternen, das wis sentlich und willentlich nach Terra im portiert worden war? Ein botanischer Unfall vielleicht? Gut möglich. Aber wozu den See ver eisen? »Kann ich noch etwas für Sie tun, Sir?«, unterbrach der Butler seine Ge dankengänge. Etwas für ihn tun? Sollte er Nein sa gen? Sollte er Ja sagen? Er dachte nach. Ihn fröstelte. »Ich weiß es nicht«, gestand er. Der Butler zögerte. »Ist Ihnen nicht gut?« Wieder dachte er nach. Wieder sagte er: »Ich weiß es nicht.« Für einen Moment erwartete er, sein Butler würde nun lachen, ein ratloses Lachen. Dann fiel ihm ein, dass er seinen Butler noch niemals hatte lachen hö ren. »Ich glaube, ich brauche einfach et was Ruhe«, sagte er endlich. »Eine Stadtbesichtigung erfrischt den Geist«, murmelte der Butler. Er wollte den Kopf schütteln, erwi dern, dass er dergleichen Impertinenz nicht schätzte. Der Wille eines Dieners hatte sich von dem seines Herrn nicht zu unterscheiden. Mit einem Mal verließ ihn jede Kraft zum Widerspruch. Er fühlte sich matt und abgeschlagen. Wäre es nicht wun derbar, sich im Willen eines anderen da hintreiben zu lassen wie in einem breiten Fluss, Arme und Beine von sich ge streckt, den Kopf im Nacken – wie hieß diese Schwimmfigur gleich? Dieses re gungslose Schwimmen eingedenk der Tatsache, dass Wasser trug? Will ich denn schwimmen?, dachte er. Oder will ich untergehen? Er wusste es nicht. Er sammelte alle
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Kräfte und sagte: »Ich glaube nicht, dass ich heute noch ausgehen möchte.« Vielleicht, dachte er amüsiert, möchte ich ja wie ein paar hundert Millionen andere Terraner auch einfach vor dem Trivid stranden. Holoserials sehen. Schaumbilder voller Helden und Komö dianten. »Manchmal ist es besser zu gehen als zu bleiben«, sagte der Butler. Er dachte darüber nach wie über eine tiefe Weisheit, die man ergründen muss te. War es eine Weisheit? Nein. Er wandte sich vom Panoramafenster ab und ging auf die Wand mit den drei Gemälden zu. Der Croton Manor war ein für den Künstler durchaus untypisches Motiv. Es zeigte den Großen Roten Sturm Jupiters, aber aus der Sicht der Plane tenoberfläche, wahrscheinlich von ei ner Terrasse der Irene-Lieplich-Station aus. Er wusste, dass das Bild auf alle, die nicht mentalstabilisiert waren, einen nahezu suggestiven Einfluss ausübte. Manor war ein Mutant gewesen, der sei ne Farben mit dem eigenen, para-aktiv psychotropen Blut vermischt hatte. Wer vor einem seiner Originale stand, erlebte ein einzigartiges Hochgefühl, eine nie gekannte Euphorie. Wie es wohl wäre, euphorisch zu sein? Er war gegen die Suggestionen des Bildes taub. Betäubt worden. Für einen Moment überlegte er, ob das Bild seinen Butler glücklich machen würde. Sollte er ihn fragen? Nein. Er wünschte keine Vertraulich keit mit seinem Domestiken. Was wünschte er denn? Er lauschte in sich hinein. Nichts. Er ging einen Schritt weiter und stand vor dem Gemälde von Bilvylis Bhandur. Es zeigte seinen Freund Reginald Bull in einer schwarzen Paradeuniform, ein de zenter Kranz aus Howalgoniumkristal len saß ihm knapp über den Augenbrau en auf der Stirn. In der Hand hielt er ein zugleich kostbar wie gediegen wirkendes Zepter, den Stab des Flottenober
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kommandierenden. Die Augen des Por träts fixierten den Betrachter, es war, als wollten sie ihn ausforschen. Schließlich das uralte Bild Rizzis. Das war eine kunterbunte Collage, die ersten Wohntürme von Galakto City traten plastisch hervor, Pappkameraden wie von Kinderhand, der Raumhafen, von dem einige Kugelraumer starteten, be malt mit glutroten Herzen und gelben Sternen mit Menschengesichtern. Die tischtennisballgroßen Schiffchen – die tatsächlich aus bemalten Tischtennis bällen bestanden – steckten in durch sichtigen Röhren. Ein leise summendes Gebläse hielt sie in der Luft, ließ sie mal eine Spanne steigen, dann wieder sin ken. »Das ist lange her«, sagte sein Butler, der unbemerkt neben ihn getreten war. »Ja«, sagte er. »Terrania ist groß geworden. Wie ein Kind ist es erwachsen geworden. Eines Tages, man hat es nicht bemerkt. Man muss loslassen.« Er spürte, wie sich ihm die Nacken haare aufstellten. Für einen Moment dachte er, das sei Zorn, Zorn auf diese erneute plumpe Vertraulichkeit. Aber er war nicht zornig, und das richtige Wort für sein Gefühl fehlte ihm. »Niemals«, sagte er. »Irgendwann muss man loslassen«, beharrte der Butler. »Oder halten Sie sich für unsterblich?« Ich bin unsterblich!, wollte er einwen den. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Er tastete nach der Stelle in seiner linken Schulter, wo der flache ZellaktivatorChip implantiert war. Er brauchte einen Moment, dann spürte er das Gerät. Es fühlte sich ein wenig kalt an, sehr kalt sogar, als trüge er einen kleinen Eissplitter in der Schul ter. Im nächsten Moment strahlte der Chip eine Hitzewelle aus, als wollte er seinen Träger versengen. Dann wurde es wieder kalt. Hitze, Kälte, immergleicher Wechsel. Das war ärgerlich. Wie sollte er schla fen mit diesem irritierenden Gefühl? Er wollte sich auf etwas anderes konzent rieren, es gelang ihm nicht. Er seufzte. Vielleicht wäre es tatsäch
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lich besser, noch ein wenig spazieren zu gehen. Der Butler hatte recht. Die Abendluft würde ihm guttun. Und die Stadt würde ihm guttun. Sie hatte ihm immer gutgetan. »In Ordnung«, entschied er. »Gehen wir noch ein wenig aus.« »Sehr wohl«, sagte der Butler. »Ich werfe mir rasch einen Mantel über.« Wofür braucht er einen Mantel?, fragte er sich. Die Nacht ist lau. Es ist März, nicht wahr? Er sah, wie der Butler sich den Mantel überwarf, einen Sensorknopf am Man telkragen berührte und sich die Kapuze, die sich aus dem Kragen entfaltete, über den Schädel zog. Er hörte ein leises Zi schen. Die Kapuze blähte sich mit einem Knistern auf. Er selbst verzichtete darauf, sich noch etwas überzuziehen. Gemeinsam traten sie aus dem Haus. * Sie verließen den Bungalow und in formierten den siganesischen Portier. Der Butler rief einen Gleiter aus dem Fuhrpark des Bungalows und setzte sich ans Steuer. Er selbst nahm im Fond Platz. »Wohin?«, fragte der Butler. Er machte eine unbestimmte Geste. »Flieg los.« Sie flogen zunächst am Ufer des Go shun-Sees entlang Richtung Happytown. Er hatte die Sichtkuppel des Gleiters auf akustische Durchlässigkeit gestellt. Er hatte das Geräusch der Stadt, ihren mil lionenfältigen Atem immer gemocht. An diesem Abend aber lag etwas wie ein Misston in der Luft. Die Stadt war auf eigentümliche Weise gleichzeitig zu laut und zu leise, ein Dröhnen und Po chen lastete wie eine schwere Haube über den Wohnebenen, die von einer fast verwunschenen Stille waren. »Zur Solaren Residenz«, entschied er, als hätte er nach langem Überlegen end lich ein Ziel gefunden. Sein Butler wendete den Gleiter und lenkte ihn auf den City-Ring westwärts, auf Antares City zu. Er sah die Solare Residenz eintausend Meter hoch über
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dem Residenzsee schweben. Über der Residenz, der Stahlorchidee, hing eine mächtige schwarze Wolke, die nur ihres geisterhaft leuchtenden Randes wegen vor dem Nachthimmel sichtbar war. Aus der Mitte dieser Wolke fiel ein Licht strahl. Das Licht war kalt und weiß und streute kaum. Umso stärker trat der dunkle Mantel der Stahlorchidee hervor, auf den der Strahl gerichtet war, ein marmornes Schwarz. Hoch oben, wo sich die fünf blattför migen Anbauten aus dem Stamm des Gebäudes schälten, quoll etwas hervor, rot und zähflüssig, und floss in mal dün nen Rinnsalen, mal breiteren Strömen die Wand der Residenz herab, bis es vom verjüngten Ende des Bauwerks in schweren Tropfen sich löste und in den See klatschte. Blut, dachte er. Er spürte, wie seine Augen sich weite ten. Jetzt erst sah er die mächtige Kugel auf der Spitze der Residenz balancieren, eine Art schwarzen Globus, über des sen Oberfläche unentwegt blaue Blitze huschten und die Sphäre aufleuchten ließen zu einer eigenartig undurchschau baren Transparenz. »Was ist das?«, fragte er den Butler. Der Butler antwortete nicht sofort. Sie passierten das Bauwerk in einigen Kilometern Entfernung. Wozu sollte der Butler auch antworten. Schließlich war es ihm vom ersten Au genblick an klar gewesen, was dort auf der Stahlorchidee thronte. »Das ist immer noch ES«, sagte sein Butler endlich. »Seit er Position bezogen hat über Terra, hat er sich nicht von der Residenz entfernt. Das werden Sie nicht vergessen haben, Großadministrator.« Nein, wollte er sagen. Aber das wäre eine Lüge gewesen, und alles, was ihm über die Lippen kam, war ein kleines, nie gehörtes Krächzen. Etwas in ihm zerbrach. Erinnerungen taumelten durch seinen Geist, strauchel ten, überlappten sich. Der Polyport-Hof DARASTO. MIKRU-JON auf dem Trans ferdeck des Hofes. Meine Zusage an den Schattenmaahk Grek 363, Grek 259 bei zustehen. Das Konzept Lloyd/Tschubai, das mich ins Zentrum des Geschehens
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teleportiert hat. Dann – ja, was war dann geschehen? Mit der Hand beschrieb er einen Kreis. Sein Butler verstand. Er lenkte den Gleiter auf eine Bahn, die ihn in einem großen Bogen um die Residenz führte. Er dachte: Was immer dort geschehen ist, welche Waffe man auf dem PolyportHof auch gezündet haben mag – sie hat mich aus meinem Universum gerissen und in ein anderes versetzt. Aber in wel ches? In welches nur? Dann entdeckte er das Figurenfeld. Es waren monumentale Statuen, auf deren wuchtigen Sockeln ihre Namen und ihre Verdienste in grün flirrenden Lettern verzeichnet standen. Augenblicklich war ihm klar, aus welchem Material die Buchstaben beschaffen waren: Howal gonium. Vater Eric Manoli, las er auf einem. Vater Reginald Bull auf einem anderen. Vater Atlan da Gonozal, Vater Roi Dan ton. Und schließlich, alle anderen weit überragend, Vater der Väter Perry Rho dan. »Haben Sie genug gesehen, Sir?«, fragte der Butler. »Ja«, sagte er müde. »Fahr mich heim.« Es hätte des Blicks in das stählerne Gesicht des Kolosses nicht bedurft, der dort vor der Residenz in den nächtlichen Himmel starrte, in dieses Gesicht, das seinem glich und doch völlig anders war: härter, unnachgiebiger, erbar mungslos. Die Frage, in welches Universum es mich geschleudert hat, dürfte beantwor tet sein: Es ist ein Anti-Universum. Eine Welt, in der ich – in der mein hiesiges Ich ein Tyrann ist. Plötzlich riss die Nacht über Terrania City auf. Laserbahnen irrten für einen winzigen, effekthaschenden Moment in alle mögliche Richtungen, dann verein ten sie sich auf der Hülle eines Raum schiffs, das majestätisch langsam nie dersank, wie um die Stadt in Besitz zu nehmen. »Was ist das?«, fragte er leise. »Es ist die SOL II«, sagte sein Butler. »Jedenfalls, wenn ich den amtlichen Meldungen glauben darf, die im Augen
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blick über alle Trivid-Frequenzen aus gestrahlt werden. Das mächtigste Schat tenschiff des Reiches. Wie ich höre, aktiviert sich soeben das Konglomerat der Mastibekk-Pyramiden im Albino ring von Terrania Space Port, um die Polungsblöcke der Schattenzellen des Schiffes wieder aufzuladen. Das ganze Volk ist, wie man hört, von unbändigem Jubel erfasst. Auch der Großadministra tor hat, wie man hört, seiner Freude Ausdruck gegeben, nach so langer Zeit wieder heimzukehren. Was, Sir, wenn Sie gestatten, die Frage aufwirft: Wenn dort mit seiner SOL II der Großadminis trator heimkehrt – wer sind dann Sie?« Rhodans berühmte Unfähigkeit »Ausschnittvergrößerung. Das Ge sicht von Grek 1«, bat Mondra Dia mond. Mirku, der weiblich gestaltete Avatar des Schiffes, erschien ihren Passagieren als zierlich gebaute Frau mit blondem Bubikopf. Sie kam Diamonds Wunsch unverzüglich nach. Diamond studierte das Hologramm des maahkschen Kopfes mit einer Ruhe, die ihr selbst nicht geheuer war. Gab es Zeichen, eine Mimik, die sie hätte deu ten können? Es gab keine. Dennoch gewann sie fast unmittelbar den Eindruck, dass Grek 1 zutiefst er schüttert war. Erschüttert worüber – über den Tod Rhodans? Sie schloss die Augen. Er ist nicht tot, dachte sie. Er ist ja unsterblich. Im sel ben Moment kam ihr diese Beweisfüh rung lächerlich vor, also lachte sie. Lloyd/Tschubai sah sie, wie ihr schien, betreten an. »Er ist nicht tot«, erklärte sie ihm. »Natürlich nicht«, sagte Tschubai. »Rhodans berühmte Unfähigkeit zu sterben.« Sie konnte an Tonfall und Betonungen erahnen, wer jeweils sprach, aber das Konzept »Konzept« ließ sie immer wie der schaudern. Dieser Seelenbausatz von ES. ES, der Menschen baut nach sei
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nem Gutdünken. Der sie in die Welt pro jizieren und später in seine überirdische Geisteslandschaft zurückbeordern kann ganz nach Belieben. Sind wir dafür ge macht? Werden wir eines Tages alle so enden: Spukgestalten in dem unbe schränkten mentalen Spielfeld, das ES ist? »Nein«, sagte sie laut. Lloyd/Tschubai hob die Brauen, fragte aber nicht nach. Diamond fragte: »Keine Spur von ihm?« Das Konzept schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht espern. Keinen Wink. Keine Gegenwart seiner Gedan ken irgendwo. Nichts.« Sie musste die Worte nicht verstehen, um zu erkennen, dass nun der Telepath Fellmer Lloyd ge sprochen hatte, aber ihr Inhalt war der letzte Beweis. Der Qualm der Explosion war längst verweht, alle Schwaden aufgelöst und fort. Aber fort waren auch Perry Rhodan und die Leiche des Schattenmaahks. »Zoom«, bat Diamond den Avatar. »Auf die Stelle bitte, wo Rhodan gestan den hat.« Grek 1 kippte nach oben weg, der Bo den rückte ihnen näher. Nichts. Kein Stofffitzelchen. Kein Trümmerteilchen. Weder Blut noch Haut, noch Haar. Rest loses Verschwinden. »Es müsste etwas da sein, auch nach einer derartigen Detonation«, sagte Tschubai. »Irgendetwas.« Kurze Pause. »Demnach«, seine Stimme hatte sich um einen Hauch verschoben: Lloyd sprach, »war es keine normale Detonation.« Diamond warf dem Schattenmaahk Grek 363 und Perbo Lamonca, dem Acroni, einen Blick zu. Die beiden wirkten erstarrt, neutralisiert. »Ich will es selbst sehen«, sagte Dia mond. »Mit eigenen Augen. Vor Ort.« Sie streckte ihren Arm aus. Tschubai nahm ihre Hand. Mit einem gewissen Zögern. Sie glaubte, seine Gedanken zu durch schauen: Ist das nicht das übliche Ver halten von Angehörigen? Den Ort aufzu suchen, an dem ihre Geliebten gestorben sind? »Los«, sagte sie. Sie materialisierten auf dem Transfer
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deck, noch innerhalb des von MIKRU JON errichteten Schutzschirms. Grek 1 wirkte nicht besonders über rascht über ihr plötzliches Erscheinen. »Wir haben eine gute Neuigkeit für alle Beteiligten«, sagte der Maahk. Diamond starrte ihn an, ohne zu ant worten. Absurd. Wie kann er jetzt und hier von guten Neuigkeiten reden? Sie spürte, wie Tschubai ihre Hand leicht drückte. Sie hatte vergessen los zulassen. Sie ließ auch in diesem Moment noch nicht los, sondern erwiderte nur den Druck. »Welche Neuigkeiten?« »Eine Botschaft der Dezentralen Überwachungsinstanz legt uns nahe, die Zusammenarbeit mit der Flotte der Milchstraßen-Galaktiker zu suchen. Wozu auch du und deine Begleiter zäh len.« Hat er Perry schon vergessen? Logi ker, der er ist? »Ja«, sagte sie mit trocke nem Mund. »Eine gute Nachricht. Sehr gut sogar.« Sie blickte kurz in Tschubais Gesicht und deutete sein Mienenspiel: Grek 1 geht mit keinem Wort auf Perrys Flucht ein. Warum nicht? »Rhodan«, sagte Diamond. Der Maahk zögerte einen Moment. »Wir bieten euch an, gemeinsam nach Relikten von Rhodan zu suchen. Mögli cherweise haben die Angreifer seine Entrückung bewirkt.« »Die Schattenmaahks?«, versicherte sich Diamond. »Ja.« »Wie das?« »Euch ist bekannt, dass die Schatten maahks fähig sind, ihre Leiber zu ent stofflichen und andernorts wieder zu materialisieren. Ihre Fähigkeiten ähneln mithin denen eines Teleporters.« Diamond spürte, dass der Maahk seine Augen auf Lloyd/Tschubai richte te. Das also ist ihm soweit klar. Endlich ließ sie die Hand des Konzepts los. »Nehmen wir also Kontakt zu den Schattenmaahks auf«, schlug sie vor. »Die Suche wird nicht ganz ungefähr lich sein«, überging Grek 1 ihre Forde rung. »Noch konnten wir den Polyport
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Hof DARASTO nicht vollständig gegen die Schattenmaahks sichern.« »Schließt eine Zusammenarbeit zwi schen euch und uns eine gemeinsame Eroberung von DARASTO ein?«, fragte Lloyd aus Tschubais Körper. »Nein. DARASTO hat für uns keinen nennenswerten strategischen Eigenwert. Wir werden den Polyport-Hof nur so lange besetzen, bis wir sämtlicher Schat tenmaahks habhaft geworden sind und sichergestellt haben, dass die Schatten den Hof nicht mehr als Stützpunkt ver wenden können.« »Seid ihr dazu militärtechnisch in der Lage?«, hörte Diamond Lloyd fragen. »Wir verfügen über geeignete Mittel, Schattenmaahks aufzuspüren.« »Selbst wenn es euch gelingt, die Schattenmaahks von DARASTO gefan gen zu setzen – wie wollt ihr verhindern, dass sie sich den Hof nach eurem Abzug wieder aneignen?« Wieder ein Zögern. Dann fragte der Maahk: »Nehmt ihr unser Angebot an?« Diamond und Tschubai sahen einan der an. »Ja«, sagte sie schließlich. »Wenn wir mit euch zusammenarbeiten sollen und ihr von unserer Mitarbeit profitieren wollt, brauchen wir allerdings unsere Ausrüstung vollständig zurück, die ihr beschlagnahmt habt.« Kurz nach ihrer Ankunft auf dem Po lyport-Hof hatten die Maahks ihnen die SERUNS abverlangt – und sich in der Zwischenzeit zweifellos einen gewissen Einblick in diese Funktionsweise dieses Stückes terranischer Hightech ver schafft. Sie blickte dem Maahk herausfor dernd in eines seiner vier grün schil lernden Augen, die auf seinem Kopfgrat saßen, fast einen halben Meter über Mondras Stirn. Von gleicher Augenhöhe kann keine Rede sein, dachte sie beiläu fig. »Die SERUNS. Wir brauchen unsere SERUNS zurück«, präzisierte sie. »Das ist kein Problem«, sagte der Maahk. * Kurze Zeit später waren Diamond und Tschubai wieder im Besitz ihrer
SERUNS. Sie teleportierten vor den Au gen von Grek 1 an Bord von MIKRU JON zurück. Wozu Geheimnisse bewah ren, die keine mehr sind. Diamond erinnerte sich daran, dass ihr Schiff mit der Explosion der Bombe eine beachtliche Strahlungsemission im hyperenergetischen Bereich angemessen hatte. »Sag mir etwas zu den Emissionen, die du wahrgenommen hast«, bat sie Mi kru. »Das Strahlungsereignis weist Wir kungsvektoren in einem Bereich auf, der mir nicht zugänglich ist«, sagte das Schiff. »Welche Bereiche wären dir nicht zu gänglich?«, fragte Mondra. »Ich bin nicht allwissend.« Mikru lä chelte mädchenhaft. »Ich habe klare Einsicht bis ins fünfdimensionale Spek trum. Darüber hinausgehende oder darunter eingesunkene Dimensionen entziehen sich meiner Kenntnis weitge hend.« Diamond schluckte. Konnte es sein, dass die Bombe keine Bombe, sondern ein unvorstellbares Transportmedium war, die Explosion nur das unbedeu tende Begleitphänomen ihrer Ingangset zung? Dass die Bombe Rhodan in eine ande re Dimension gerissen hatte? In eine Sphäre, die alle Sinne des Schiffes und alle Sinne des Telepathen und Orters Fellmer Lloyd überstieg? Oder unter lief? In ein anderes Universum? »Woran denkst du?«, fragte Tschubai. »An nichts«, sagte sie wütend. Gejagt Wer bin dann ich? Er schwieg. Sein Butler steuerte den Gleiter Richtung Goshun-See. Er war tete auf eine Antwort. Was tun? Ihm blieben nur zwei Optionen: die Initiative ergreifen oder die Flucht. Sollte er versuchen, in die Solare Re sidenz zu gelangen und von dort seine Möglichkeiten sortieren, wie er zurück
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gelangen könnte in sein eigenes Univer sum? Weit entfernt kann es nicht sein, dach te er. Sonst hätte ich sofort einen Strangeness-Schock verspürt. Es gab keine Desorientierung. Keine Bewusst losigkeit. Oder ...? Rhodan kam ins Zweifeln. Woher kam seine eigenartige Lethargie, diese Über müdung über den Rand des Erträglichen hinaus? Was, wenn sich der StrangenessSchock in diesem Befinden äußerte? Was sollte ihm ein Aufenthalt in der Residenz bringen? An wen sollte er sich wenden, was sollte er fragen: »Ent schuldigung, ich bin ein wenig durch einander. Wo befindet sich gleich die nächste Transfermaschine, die mich in ein anderes Universum versetzen kann? Wir verfügen doch über solche Geräte, oder?« Unmöglich. Sollte er untertauchen? Aber wo? In einem Terrania, das ihm fremd war? Selbst das Terrania seines eigenen Uni versums war ihm in vielen Bereichen unvertraut geworden. Natürlich gab es Orte in der Stadt, an denen er sich immer noch zu Hause fühl te: seinen Bungalow. Die Häuser von Gu cky, von Bully. Der Crest Memorial Park mit der Statue seines alten Mentors. Manchmal, wenn auch in den letzten Jahrhunderten immer seltener, hatte er sich unter eine der drei Eichen gesetzt, der steinernen Gestalt ins Gesicht ge schaut und überlegt: Was würdest du tun? Wozu würdest du mir raten? Daneben aber gab es Regionen der Megastadt, die auf ihn wirkten wie Fragmente von fremdartigen außerir dischen Zivilisationen, die auf Terra nie dergestürzt waren, geisterhafte Terrains, in denen sich, ihm unbegreiflich, Terra ner heimisch fühlten. Er dachte an die Pataphysischen Landschaften von Se berey Suma, an die ambulanten Nekro polen Golemstadt und Neo-Sais, an das »Museum zukünftiger Maschinen und abwesender Vergangenheiten«, an die Morpheutischen Bars, in denen man sei ne Träume von Trauminduktoren insze nieren und steuern lassen oder an den
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Träumen und Albträumen anderer teil nehmen konnte. Er hatte sich einmal eines oder zwei dieser Etablissements angesehen. Sie la gen tief unter Terrania, tief sogar noch unter den letzten subterranen Versor gungs- und Bunkeranlagen der Stadt: labyrinthische Kavernen; die Schläfer in Betten aus Horn oder aus Elfenbein; das dunkle Summen der Traumgeneratoren; die Oneiroi, die sanft und lautlos mit ih ren schwarzen Flügeln schlugen. Mit wem war er damals unterwegs ge wesen? Richtig, mit Caadil Kulée, der Tamrätin der Transgenetischen Allianz, seiner ehemaligen Reisebegleiterin nach Zomoot. Deren Besuche Mondra nicht beson ders schätzte. Er hingegen schon; in gewisser Wei se. »Sir?«, fragte sein Butler. »Weiter geradeaus«, sagte er matt. »Heim.« Also weder die Initiative ergrei fen noch untertauchen, stellte er mit leichter Verwunderung über sich selbst fest. Der Sofortumschalter lässt sich Zeit. Er legte seinen Kopf in den Nacken. Die Lider fielen ihm zu. Bilder. Er sah sich neben dem toten Schattenmaahk knien. Sah und hörte, leicht gedämpft durch seinen Individualschirm, die Schlacht zwischen Maahks und Acronis sowie weiteren Flüchtlingen aus Dikty on. Blickte auf zu der hünenhaften Ge stalt von Tschubai. Tschubai, der seinen Arm ausgestreckt hatte und ihm die Hand hinhielt. Und dann ... »Ich darf vermuten, dass wir den Hin tereingang benutzen?«, fragte der But ler. Rhodan brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. »Ja«, sagte er dann. Warum? Hatte er nicht das Recht, auf recht und für alle sichtbar in seinen Bungalow zu gehen? Aber es war ja nicht sein Bungalow, es war das Zuhause eines anderen Rhodan. Merkwürdig genug, dass sich das Terra nia jenes Rhodan anscheinend so sehr von seinem eigenen unterschied, wäh rend der Bungalow dem eigenen Punkt für Punkt glich.
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Sein Butler landete den Gleiter. Sie stiegen aus. Die Rasenfläche stieg in einem sanften Winkel an. Ein paar faust große Leuchtmedusen trieben dahin, das Gas in ihren diffus-durchsichtigen Leibern entflammt. Einige sanken zum Gras und ästen, andere trieben in Kopf höhe vorüber, satt und träge. Wirklich Punkt für Punkt? Rhodan hielt an. Er bückte sich und pflückte eine ockerfarbene Glockenblu me. Ihr leiser, klagender Ton erschreckte ihn. Er streckte den Arm aus und bot die Glockenblume den Medusen an. Eine von ihnen glitt schwankend heran, wie im Zweifel, ob sie sich ihm denn nähern sollte oder nicht. Dann war sie bei ihm und saugte die Glockenblume in ihren Schlund. »Sir?«, drängte sein Butler. »Vielleicht wäre es besser, wir gingen hinein.« Das Licht der Meduse schimmerte warm und liebenswürdig. Gleichzeitig fröstelte ihn. Ich tue das zum ersten Mal, erkannte er. Es fühlt sich an wie eine al te Gewohnheit, aber ich bin mir sicher: Ich tue das zum ersten Mal. »Ja«, gab er dem Butler recht. »Lass uns hineinge hen. Sie hielten auf den Bungalow zu, von dem er bis eben gedacht hatte, es wäre der seine, Punkt für Punkt. Es war ohne jeden Zweifel das Gebäu de, das er vor nicht einmal zwei Stunden verlassen hatte. Aber es war ihm nicht mehr geheuer. * Ich muss alles lernen. Alles ist neu, mahnte er sich. Auch der siganesische Portier in der Flasche war kein alter Ver trauter. Er sah ihn erst zum zweiten Mal. Also Vorsicht! Ein winziges Licht flackerte auf. Rho dan neigte seinen Kopf nah an die Fla sche. Der Pförtner kam, einen Kerzen halter mit brennender Kerze in der Hand, an die Glaswand geschlurft. Er trug eine Schlafmütze auf dem Kopf. »Diesmal sind Sie rascher zurück, Großadministrator«, sagte der Sigane se. Es klang schlaftrunken, aber die
Schlaftrunkenheit klang gemacht. Rho dan wurde hellhörig und spürte, wie sich alles in ihm anspannte. »So?«, fragt er. »Verzeihen Sie meine Keckheit«, bat der Siganese und gähnte verhalten. »Ich hatte einen merkwürdigen Traum. Wol len Sie ihn hören?« »Sollte ich das wollen?« »Mir träumte, im Trivid hätte man so eben von Ihrer Landung mit der wun derbaren SOL II berichtet. Oh, ich liebe die Schattenschiffe, und von allen Schat tenschiffen liebe ich die SOL II am meis ten.« Er machte eine Pause, um erneut zu gähnen. »Wie schön«, sagte Rhodan. Er meinte zu spüren, wie der Siganese ihn mit sei nen Parakräften sondierte, wie er ver suchte, tiefer in die Struktur seiner Mentalstabilisierung einzudringen. »Dann wieder«, fuhr der Siganese fort, »ist mir, als wären Sie bereits vor Ihrer Landung hier gewesen.« »So?« »Ja. So. Ein wunderlicher Traum. Und das Wunderlichste ist: Nach den Auf zeichnungen meines positronischen Pro tokolls sind Sie tatsächlich bereits vor etwa zwei Stunden hier gewesen. Da fragt man sich: Hatte die Positronik denselben Traum wie ich?« »Und was antwortet man sich?«, fragte Rhodan und lächelte. Der greise Siganese hob den Kerzen halter mit der brennenden Kerze eine Winzigkeit an, als wollte er Rhodans Ge sicht ausleuchten. Dann drehte er sich müde um, schlurf te davon und pustete die Flamme aus. Die Tür öffnete sich. Der Butler machte mit seinem über langen Arm eine einladende Geste. Perry Rhodan trat ein. * Er saß in einem bescheidenen Esszim mer, einem Durchgangsraum ohne eige ne Fenster; die eine Tür führte in die Küche, die Tür in der gegenüberlie genden Wand in den großen Wohn raum.
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Ein Roboter schwebte herbei und ser vierte ihm einen Teller mit Pfannkuchen, die Kuchen mit süßem Ahornsirup über gossen. Der Espresso war, wie er ihn mochte, ohne Zucker gekommen, schwarz. Dazu ein Glas klares, kühles Wasser. Er aß und trank. Erst nach einer Weile bemerkte er den Butler, der sich im Wohnraum aufgebaut hatte und regungslos wartete. Rhodan lächelte ihm zu und sagte: »Geh schlafen.« »Wozu?«, fragte der Butler. »Ich bin nicht müde.« Der Alarm erklang, wenige Augen blicke, nachdem er gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte den Tel ler von sich geschoben, war aufge standen und angespannt stehen geblie ben. »Im Umfeld des Hauses werden Waf fen aktiviert«, meldete die Hauspositro nik. »Waffen welcher Art?« Rhodan leckte sich einen Rest Sirup aus dem Mund winkel. »Narkosestrahler. Desintegrator und Impulsgeschütze. Handfeuerwaffen und schweres Gerät.« »Liegen wir unter Feuer?« »Die Narkosestrahler sind tätig. Aber sie belasten meinen Individualschirm nicht nennenswert. Die übrigen Geräte sind feuerbereit.« »Warum bin ich nicht früher gewarnt worden?« »Weil der Waffentransport in die Alar mierungszone legitimiert ist«, antwor tete die Hauspositronik. »Wer außer mir wäre legitimiert, Waf fen auf mein Haus zu richten?« »Niemand«, sagte die Hauspositronik. »Es ist ein echtes Dilemma für mich: Sie befinden sich sowohl innerhalb als auch außerhalb Ihres Hauses, Großadminis trator.« »Ein unhaltbarer Zustand«, sagte Rhodan. Er wandte sich an den Butler. »Wozu würdest du raten?« Merkwürdigerweise zweifelte er nicht an der Loyalität seines Butlers. Obwohl er doch dem hiesigen Rhodan dienen müsste, nicht mir.
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»Wir sollten fortgehen«, sagte der Butler. »Fortgehen. Ja. Aber wohin? Unsere Freunde draußen werden mich jagen. Ich kenne mich aus in Terrania, aber ich ...« »Könnte es sein, dass sich Ihre Freunde hier nicht weniger gut auskennen? Eher besser?« Rhodan legte den Kopf in den Nacken und schaute dem Butler forschend in die Augen. »Das könnte sein«, gab er zu. Der Butler schwieg. »Wir brauchten einen Ort, an dem sich unsere Freunde weniger gut ausken nen.« »Den werden wir auf der Erde nicht finden.« Rhodan musste lächeln. »Wo finden wir ihn dann?« Sein Butler machte eine vage Geste in Richtung eines der Akustikfelder, über die die Hauspositronik mit ihm sprach. »Ich verstehe«, sagte er. Die Positro nik sollte nicht informiert werden. »Aber wie kommen wir aus dem Haus?« »Folgen Sie mir«, sagte der Butler, drehte sich um und ging voran. Und er war erstaunlich schnell auf seinen kurzen, stämmigen Beinen. * Zwischen den Gemälden von James Rizzi und Croton Manor öffnete sich eine schmale, niedrige Tür, von deren Exis tenz Rhodan bislang nichts geahnt hat te. Er musste sich bücken und seitwärts durch den Rahmen zwängen. Steinerne Stufen führten steil nach unten. Der Butler folgte ihm. Rhodan wun derte sich. Wie war der durch diese Tür gekommen mit seinem wuchtigen, breit schultrigen Körperbau? Die Tür oben schloss sich anschei nend, denn es wurde für einen Moment dunkel. Dann flammte der Lichtstrahl einer Taschenlampe auf. Es roch nach nassen Steinen, aber die Luft war frisch. Nach vielleicht zwei oder drei Minu ten Abstieg erreichten sie einen kleinen
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Raum, fast zu eng, um nebeneinander zustehen. Der Butler musste eine un sichtbare Sensortaste an der Wand ge funden haben, denn eine Tür glitt auf. Rhodan blickte in eine Fahrstuhlkabine. Sie stiegen ein. Die Fahrt ging nach unten, und es ging rasch. Rhodan grinste. »Es scheint, mein Haus hat einen tiefen Keller. Gehe ich recht in der Annahme, dass es nicht ein fach der Weinkeller ist, in den wir fah ren?« »Richtig«, sagte der Butler. Sie stiegen aus und befanden sich in einem schwach erleuchteten Hangar. Vor ihnen stand eine altertümlich wirkende Space-Jet. Während sie auf das kleine Raumschiff zuhielten, aktivierten sich an Bord einige Maschinen. In der Pan zertroplon-Kuppel flackerte Licht auf. Rhodan las den aufgepinselten Namen: GOOD HOPE OMEGA. Das Schott öff nete sich. »Wissen unsere Freunde nichts von dieser Jet?«, fragte Rhodan. »Ich hoffe nicht«, sagte der Butler. »Aber sie werden uns auf die Spur kommen?« »Unvermeidlich.« Sie betraten die Jet. Kurz darauf saß Rhodan im Pilotensessel, sein Butler ne ben ihm. Der für menschliche Körper maße ausgelegte Pneumosessel konnte seinen Leib nur mühsam fassen. Rhodan aktivierte den Antrieb der GOOD HOPE OMEGA. Schräg über ih nen flammten Lichter auf. Rhodan blick te durch die Kanzel in einen nach oben führenden Tunnel von ovalem Grundriss – wie gemacht, um die Space-Jet aufzu nehmen. »Angenommen, wir schaffen es, Terra zu verlassen – wo fliegen wir hin?«, fragte er. »Auf eine Welt, auf der wenigstens ich mich auskenne«, sagte der Butler. »Je denfalls gewissermaßen.« »Weit von hier?«, fragte Rhodan nach. »Wir fliegen zum Jupiter«, sagte sein Butler. »Warum auch nicht«, sagte Rhodan. Er lachte, überwältigt von einer völlig grundlosen Fröhlichkeit.
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Wer ist das Krokodil? Mondra Diamond zwang sich, in Ruhe nachzudenken. Sie musste die Unruhe niederkämpfen, die sie drängte, MI KRU-JON zu verlassen, um sich auf die Suche nach Perry Rhodan zu machen. Wo sollte sie ihn suchen? Wie hatte Mikru gesagt? Ich habe klare Einsicht bis ins fünfdimensionale Spektrum. Dar über hinausgehende oder darunter ein gesunkene Dimensionen entziehen sich meiner Kenntnis. Wollte sie sich denn zu Fuß aufmachen in diese eingesunkenen Dimensionen? Lloyd/Tschubai schien ihre Gedanken zu erraten: »Uns fehlt jeder Anhalts punkt. Wir verstehen nicht, was tatsäch lich geschehen ist.« »Was hat zum Sinneswandel der Maahks geführt?«, fragte Diamond sich und ihn. »Wirklich nur ein Befehl ihrer ominösen Dezentralen Überwachungs instanz?« »Was sonst?« »Das ist die Frage: Was sonst? Wir sollten Grek 1 nicht unterschätzen. Vielleicht dient der Hinweis auf diese Überwachungsinstanz nur dazu, ihn in unseren Augen als Befehlsempfänger er scheinen zu lassen, als unbedeutende Figur, die wir außer Acht lassen können. Wir schauen uns nach Hintermännern um und übersehen den Mann im Vorder grund.« »Damit er, aus unserer Acht gelassen, was tun kann?«, führte Tschubai ihren Gedanken fort. »Ist das so unwahrscheinlich?«, fragte Diamond. »Was, wenn Grek 1 und seine Leute Perry entführt haben?« »Wozu sollte er das mit einem solchen Gauklertrick tun? Und wie hätte Grek ihm eine Falle stellen sollen? Er konnte nicht wissen, dass wir versuchen wür den, den Schattenmaahk zu befreien.« »Konnte er nicht?« Tschubai überlegte. »Ich weiß es nicht. Jal mem rehkar magar se bair karna thik nahin.« »Aha«, sagte Diamond. »Heißt was?« »Altes indisches Sprichwort. Ich habe in Indien studiert. Im alten Indien. Als Indien noch indisch war.«
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»Studiert? Was? Sprichwortkunde?« Tschubai lachte, tief und beinahe an steckend. »Es heißt übersetzt: Wenn man im Wasser lebt, ist es nicht gut, mit dem Krokodil in Feindschaft zu le ben.« »DARASTO ist das Wasser und Grek 1 das Krokodil?« Tschubai kratzte sich nachdenklich den Kopf und nickte. »Möglich. Ich weiß nicht. Ich habe diese Redensart nie ganz verstanden.« * Das Warten lastete auf ihnen wie eine Eisenplatte auf der Brust. Sie entschlossen sich, Grek 363 und Perbo Lamonca zu befragen. Diamond bat die beiden Gäste in die Zentrale des Schiffes. Lamonca erschien als Erster. Der Acroni wirkte auf den ersten Blick ungeschlacht, vermochte sich gegebenenfalls aber mit großer Ge schmeidigkeit und Eleganz zu bewe gen. Sein perlgraues Fell war an den unbe deckten Stellen – im Gesicht und auf den Handrücken – mit ornamentalen Ra suren versehen, die, wie sie wusste, über seine Familienzugehörigkeit Auskunft gaben. »Nur über die Familienzugehörig keit?«, hatte Diamond ihn bei Gelegen heit gefragt. »Es gibt da noch – jedenfalls bei man chen von uns – jene Rasuren, die ...«, Per bo Lamoncas Grummeln wurde immer leiser und schließlich unverständlich. Diamond meinte, noch Worte wie beklei dete Stellen und fortpflanzungstech nischer Art zu hören und zog es vor, nicht nachzufragen. Lamonca schaute sich in der Zentrale um und verdrehte dazu den Kopf – und zwar erstaunlich weit nach hinten für einen Schädel, der unmittelbar auf den Schultern zu sitzen schien. Mehr als 180 Grad. Sie warteten einige Minuten, dann be trat auch Grek 363 die Zentrale. Diamond stellte ihre Fragen. Tschubai hörte zu. Und Diamond hatte keinen Zweifel, dass der Lloyd-Anteil am Be
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wusstsein des Konzeptes noch genauer lauschte. Soweit Grek 363 und Perbo Lamonca informiert waren, stellte sich die Lage so dar: In Diktyon hatte die FrequenzMonarchie trotz der Controller, die Per ry Rhodan dem Schattenmaahk Grek 1 überlassen hatte, die Polyport-Höfe OROLOGION, OROJAMAR und ZIKYE TA überrannt. Als einziger vom Distribut-Depot ab gekoppelter Polyport-Hof war zuletzt ARTHANOK frei gewesen. Aber das war einige Wochen her – viel konnte zwischenzeitlich geschehen sein. Diamond und Tschubai blickten ein ander an und verständigten sich stumm. Sie mussten wohl davon ausgehen, dass inzwischen auch ARTHANOK gefallen war. Wie Grek 363 berichtete, war die Lage in Diktyon schließlich untragbar gewor den. Die Schattenmaahks hatten ihre letzten Helfer und zahlreiche Flücht linge in die Sicherheit des einzigen Po lyport-Hofs geführt, der für sie in der Galaxis Hathorjan zugänglich war – des Hofes, der nach ihren Worten als »beson ders gesichert und geschützt« galt. DARASTO. Eine trügerische Sicherheit, wie sich mittlerweile herausgestellt hatte. »Besonders gesichert und geschützt«, wiederholte Diamond spöttisch, als sie wieder mit Tschubai allein war. »Sicher heit und Schutz sind nicht viel wert in diesen Tagen.« Tschubai sah sie an und lächelte. Sie verzog die Lippen. »Sag schon, was du sagen willst. Dass es früher auch nicht besser war? Dass sowohl die Meister der Insel als auch die Uleb und die Laren nur auf ein Schwätzchen vor beigeschaut haben und auf ein Tässchen Tee, um über Gott und die Welt zu plau dern, sondern dass auch ihr es schon er fahren habt: Sicherheit und Schutz sind nie viel wert in diesen Tagen?« Tschubais Lächeln verstärkte sich. »Das Universum ist eben ein unsicheres Gelände. Wer hier lebt, lebt gefähr lich.« »Immerhin sind wir hier, in diesem Universum«, sagte sie.
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Tschubai nickte. Sie musste nicht mehr sagen. Jupiter Der Start der GOOD HOPE OMEGA verlief völlig problemlos. Der Tunnel nahm sie auf, packte die Jet in ein Ma gnetfeld und beschleunigte sie über etli che Kilometer immer stärker. Als das kleine Raumschiff endlich an die Ober fläche katapultiert wurde, befand es sich weit nördlich von Terrania, die Stadt war nur als ferner Glanz am Horizont erahnbar. Die Space-Jet erreichte den Orbit un behelligt, beschleunigte und ging hinter der Mondbahn in eine kurze Linearetap pe. War sie in der Flut der Ortungsechos untergegangen? Oder hatte die Jet ir gendein untergründiges Legitimations signal ausgestrahlt, das alle empfangen den Stationen anwies, sie ohne weitere Nachfrage passieren zu lassen, vielleicht sogar ihren Flug den menschlichen Be satzungsmitgliedern der Flotte zu ver schweigen? War es nicht Kennzeichen eines dik tatorischen Systems, den Spitzen der Hierarchien Privilegien einzuräumen? Verschwiegene Befugnisse, versteckte Refugien? Profitierte er mithin von diesem Hang zur Geheimniskrämerei? Warum nicht. Schließlich war er Perry Rhodan! Sie tauchten hinter dem Asteroiden gürtel zurück in den Einsteinraum. Ju piter hing im Raum, eine pastellblaue Blase, über die sich Wolkenstreifen in zartem Ocker zogen, an den Enden zu Schnörkeln eingerollt. Es sah aus, als hätte jemand den Planeten hier und da vergoldet. Ihr Anflug stieß auf niemandes Inter esse. Wäre ihr Ziel einer der großen Ga lileischen Monde gewesen, hätten die im Orbit des Gasriesen stationierten Ein heiten und Wachplattformen der Flotte ihnen vermutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Kallisto lag von ihnen aus gesehen
hinter dem Planeten. Rhodan sah Euro pa aufgehen, dann Ganymed, den ge waltigsten Mond im Solsystem, größer als Merkur. Der Kryovulkanismus Ganymeds war seit ewigen Zeiten erloschen. Die Was servulkane standen still. Der Mond war seit Jahrtausenden teilterrafiziert. Die Lichter von Galileo City leuchteten in einem warmen Licht. Außerhalb der eng begrenzten Zonen, in denen Gravitationsgeneratoren für eine künstliche Schwerkraft sorgten, die sich an den Maßen der Erde orientierte, war der Mond urtümlich belassen. Auf der Oberfläche lastete eine 800 Kilometer dicke Schicht aus weichem Wassereis, abgeschlossen von einer dia mantenen Eiskruste. Minus 160 Grad – eine unwirtliche Himmelsgegend. In diesem Augenblick kam Io in Sicht, die Schwefelwelt. Eruptionen schleu derten Staub und Gas bis in 300 Kilome ter Höhe. Teile der Kruste von Io waren aufge brochen und umgestürzt, sodass sich Gebirge bis zu 10.000 Meter Höhe bil deten. Schwefelreif und Schwefeldio xidfrost bedeckten weite Gebiete seiner Oberfläche. Rhodan hielt Ausschau nach der Caldera Gish Bar. Der Kraterkessel barg einen See aus flüssigem Schwefel, mehr als 300 Grad Celsius heiß. Inmitten der infernalischen Fläche schwammen mit Schwefel überzogene Brocken wie Toteninseln. »Ein eigenartiger Himmelskörper«, bemerkte der Butler. »Ja«, sagte Rhodan. Wie ein Fremdling unter den anderen Monden. Fremd im Himmel. Die Space-Jet ließ Io hinter sich. Dann war da nur noch Jupiter und füllte ihren Himmel aus. * Wäre Jupiter ein Gefäß, so hätte er mehr als 1300 Erden Platz geboten. Rho dan lächelte über diese Vorstellung. Sie verlieh dem Gasriesen einen Anflug von wohlwollender Leutseligkeit. Bergend und schützend wie ein Vater. Der joviale Planet, so hatten die Römer ihn ja auch
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vor Jahrtausenden benannt: Jupiter war Iove Pater – Vater Iove. Natürlich hatte diese Vorstellung nichts mit der astrophysikalischen Rea lität des Planeten zu tun, der zweiein halbmal so viel Masse besaß wie die an deren verbliebenen sieben Planeten des Solsystems zusammen. Er betrachtete den Gasriesen. Die At mosphäre erschien in Bänder zerschnit ten, in Schlieren, die aneinanderrieben und dadurch riesige turbulente Zonen erzeugten, in denen sich marmorähn liche Strukturen bildeten, Girlanden, Wirbel und Mahlströme. »Du hast gesagt, du kennst dich dort aus«, sagte Rhodan und wandte sich an seinen Butler. »Wir landen?« »Wir landen.« »Wo?« »Gibt es da nicht einen Ort, den Sie seit Langem aufsuchen wollten?«, fragte der Butler. Rhodan dachte nach. Diesen Ort gab es tatsächlich. Die alte Irene-LieplichSiedlung nämlich. »Ja«, sagte er. Er aktivierte den Hyperkom und rief die Station an. Eine mürrische Stimme meldete sich, eine Bildverbindung wur de nicht hergestellt. »Was gibt’s?« »Mein Name ist Perry Rhodan. Ich ...« Wie würde der Perry Rhodan dieses Uni versums reden? Würde er um Lande erlaubnis bitten? Würde er eine Anord nung erteilen? »Warten Sie«, sagte die Stimme, im mer noch mürrisch, aber ein wenig dienstbarer. Wie versprochen ließ man ihn war ten. Dann, immer noch ohne Bildverbin dung, erklang eine weibliche Stimme, weich und ein wenig belustigt. »Na, das ist ja mal eine Überraschung. Wurde aber auch Zeit. Ich schicke dir einen Leitstrahl. Bis gleich.« * Als die Jet sich der äußersten At mosphärenzone des Gasriesen näherte, spürte Rhodan es. Er fuhr zusammen, als hätte ihn ein Stück Eis am Herzen be rührt.
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»Sir?«, fragte der Butler. »Wir werden verfolgt«, sagte er. »Das sollte uns nicht wundern«, sagte der Butler. »Einheiten der Flotte?« Der Butler beugte sich nach vorn und ver senkte sich in das Ortungshologramm. »Ich kann keine auffälligen Schiffsbe wegungen entdecken.« Rhodan schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Sie kommen nicht mit Raumschif fen. Jedenfalls noch nicht.« Es wunderte nicht, dass seine Verfol ger nicht von den Ortungseinrichtungen der GOOD HOPE OMEGA erfasst wur den. Was immer ihnen – oder ihm – nach setzte, war weit subtiler. Möglich, dass seine Jäger sich technischen Sinnen ent zogen. Aber er, Rhodan, spürte sie – eine Mischung aus pochendem Kopfschmerz, vagen Klopfzeichen, dem Geräusch von Schritten, die sich unaufhaltsam näher ten. »Sind Sie sicher, Sir?« »Ja«, sagte er, ohne zu zögern. Der Butler streckte seinen Arm und berührte in rascher Folge einige Sensor tasten in der Steuerkonsole. Das leise Summen des Antriebs erstarb. Rhodan begriff sofort, was er da tat. Die Space-Jet war längst tief ins gra vitationelle Einzugsgebiet des Riesen planeten eingedrungen. Sie stand an nähernd lotrecht über der IreneLieplich-Siedlung. Sie brauchte keinen Antrieb mehr, sie konnte sich schlicht fallen lassen. Rhodan las die Werte ab. Die SpaceJet trieb – die durchsichtige Panzertrop lonkuppel voran – mit etwas über 100.000 Kilometer pro Stunde auf die Atmosphäre zu. Für einen Augenblick zündeten die Triebwerke noch einmal und bremsten die Jet. Die Schiffspositronik projizierte einen energetischen Hitzeschild in Fall richtung. Rhodan sah, wie sie in weiße Dunstschleier aus gefrorenen Ammoni akkristallen vorstießen. Der Außendruck wurde bereits hier mit einem Bar ange geben und entsprach damit dem Druck auf der Erde in Meereshöhe. Sie tauchten in eine rotbraune Wol kendecke aus Ammoniumhydrogensul fid ein. Die Außentemperatur stieg auf
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minus 80 Grad. Wenige Atemzüge, und ein Mensch würde die Orientierung ver lieren, Blut husten, ersticken, sein Herz würde versagen. 18.000 Meter dick war diese Schicht. Danach sanken sie fast 40 Kilometer durch freien Raum. Als sie in die dritte Wolkenschicht eintauchten, eine Hülle aus Wasserdampf, maßen die Instru mente eine Außentemperatur von 40 Grad Celsius. Immer wieder, manchmal im Takt von Sekundenbruchteilen, wur de der Nebel schlagartig erhellt – Zehn tausende von Blitzen, allesamt tausend Mal stärker als bei irdischen Gewit tern. Ein heftiger Sturm rüttelte an der GOOD HOPE OMEGA. Über 700 Kilo meter pro Stunde jagten die Böen. Mit jedem Meter stiegen nun Temperatur und Außendruck. Rhodan wusste, dass die ungeheuren Stürme von Jupiter selbst entfacht wur den. Der Planet lieferte die dafür not wendige Hitze, indem er sich unter der eigenen Schwerkraft immer weiter zu sammenzog und dabei Energie frei setzte. Die heiße Luft stieg in der Äquatori alzone auf, strömte zu den Polarregi onen, kühlte und sank dort ab und zir kulierte in größerer Tiefe zurück zum Äquator, wobei die Rotation die Strö mung von den Polen in Ost-West-Rich tung ablenkte. Jupiter rotierte rasend schnell. Er brauchte trotz seines Umfangs von fast 143.000 Kilometer keine zehn Stunden, um sich einmal um die eigene Achse zu drehen. An den Rändern der Strömungszonen wurden Wirbelwinde geboren – wie der spektakuläre Rote Fleck, ein Sturm, der seit Jahrhunderten tobte. 800 Grad Celsius. 900. 1000 ... In 7000 Kilometer Tiefe sank die Jet in flüssigen Wasserstoff ein. Und hatte längst keinen festen Boden erreicht. Hier, in dieser infernalischen Unter welt der Atmosphäre, hatten sie wäh rend der Schwarmkrise große Teile der Solaren Flotte vor den Kundschaftern des Schwarms verborgen. Seitdem war
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der Planet – anders als seine Monde – von Menschen weitgehend verlassen. Zwei oder drei hyperreiche Eremiten sollen noch in kleinen Kapselstädten im Wasserstoffozean leben; eine fromme, endzeitliche Sekte sollte dort in einem Gehäuse aus Ynkonit das Kommen ihres Erlösers und Seelenhirten erwarten. An sonsten existierten nur die wenigen For schungsstationen auf dem Grund des Wasserstoffozeans. Rhodan versuchte sich vorzustellen, was für Menschen es waren, die sich in diese flüssige Schattenwelt zurückgezo gen hatten. Erst 60.000 Kilometer unterhalb der Pseudo-Oberfläche des Gasriesen er reichten sie den soliden Planetenkern aus Felsen und Metall. In der Finsternis über – oder besser: unter – ihnen er schien ein diffuser, schmaler Spalt Licht, der sich rasch verbreiterte. Rhodan meinte zu spüren, wie sich die Space-Jet einmal um ihre Achse drehte. Langsamer sank. Und aufsetzte. Sie hatten die Irene-Lieplich-Sied lung erreicht. Irrgarten der Fragen Mondra Diamond fühlte sich wie in einem Irrgarten aus Fragen gefangen. Eine Frage führte zur nächsten Frage, keine zu einer Antwort. Sie erinnerte sich an die Begegnung mit dem Schattenmaahk Grek 1 in Dik tyon. Er hatte Rhodan gebeten, die Exis tenz der Schattenmaahks nicht zu ver raten. Wie waren die Schattenmaahks in den Besitz des Polyport-Hofes DARASTO gekommen? Wieso konnten ausgerech net sie einen der besonders gesicherten und geschützten Polyport-Höfe betre ten? Die einzige plausible Antwort er schien Diamond, dass die Schatten Kon takt zu den Halbspur-Changeuren er halten haben mussten und damit Zugang zur Halbspur-Domäne des PolyportNetzes. Auf diese Weise waren sie nach DA
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RASTO vorgedrungen, hielten sich an sonsten aber verborgen. Diamond bat zunächst Grek 363, an schließend Perbo Lamonca zu einem neuen Gespräch und trug ihnen diese Theorie vor. Beide konnten auf ihre Fra gen nicht antworten. Oder wollten es nicht. Nach einer kurzen Beratung mit dem Konzept setzte sie sich mit beiden Gäs ten zusammen. Sie fragte: »Wo halten sich die Schattenmaahks auf DARASTO versteckt?« Beide bedauerten, darüber keine In formation zu haben. Grek 363 sagte: »Der Angriff der Fun damentalisten ist völlig überraschend gekommen. Natürlich ...« Er verstumm te. »Natürlich was?« Diamond verlor all mählich den Rest ihrer Geduld. Warum sollte sie dem Schattenmaahk jetzt auch noch soufflieren? Er sollte sagen, was er zu sagen hatte. »Natürlich habe ich gewisse Vermu tung, wo sich unsere Gruppe auf dem Polyport-Hof aufhalten könnte.« Sie nickte. Immerhin. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie schaute Grek 363 an und bat ihn: »War te noch. Ich möchte etwas klären. – Mi kru?« »Ja?« »Bitte führe eine gründliche Selbst kontrolle durch. Wir müssen wissen, ob unsere maahkschen Freunde dich oder deine Hülle mit Richtmikrofonen, Sen dern oder etwas in der Art verziert ha ben.« »Das hätte ich bemerkt.« »Bitte«, sagte Diamond. »Wenn es dich beruhigt. Ich werde meine Routinen um einige eher unge bräuchliche Verfahren ergänzen. Es wird allerdings einige Minuten dauern.« »Das halte ich aus.« Diamond seufz te. Schließlich hatte sie mehr ausgehal ten als eine Wartezeit von wenigen Mi nuten. Sie hatte es ausgehalten, dass die Schwangerschaft mit ihrem Sohn beun ruhigend verlängert worden war, und das wahrscheinlich, weil ES ihr ungebo renes Kind mit einem Psi-Imprint verse
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hen hatte; sie hatte es ausgehalten, dass ihr Sohn von ES adoptiert und ihr damit entzogen worden war; sie hatte die monströsen Erinnerungen des ster benden Torr Samaho und des Gewährs mannes der Chaotarchen Kintradim Crux in sich aufgenommen und ertra gen. Vielleicht, dachte Diamond, haben frühere Generationen es wirklich als Auszeichnung empfunden, in den Dienst einer Superintelligenz genommen zu werden. Aber frühere Generationen ha ben auch ihrem Vieh eine Auszeichnung verschafft, indem sie es brandmarkten. Sicher hatten die damaligen Viehba rone gute Gründe, so zu tun. Sicher hat auch ES gute Gründe, so mit uns – mit mir – zu verfahren. Aber es sind die Gründe einer Super intelligenz, und damit uns Menschen nicht unbedingt als Gründe einsichtig. Sicher, ES hat einsichtige Beweggrün de, warum er Perry und mich ins System der Polyport-Höfe eingeschleust hat. Zumindest hat er sie so formuliert, dass sie Perry und mir einsichtig scheinen. Was, wenn er sich in Anbetracht un serer nur menschlichen Einsicht ein we nig umformuliert hat? Abweichend von dem, was ES wirklich meint? Wie auch immer: Ich habe es so satt. Ich will nicht mehr verschickt werden wie eine menschliche Sonde, wie ein Bote, dem Sinn und Wort lauf der Botschaft vorenthalten wer den. »Du bist in Gedanken?«, klang die Stimme des Schiffes in ihr Bewusst sein. »In keinen Gedanken, aus denen ich nicht gerne gerissen werde«, antwortete Mondra Diamond. * Keine Lauschanlagen, keine Peilsen der, nichts. Die Suche von MIKRU-JON war ergebnislos verlaufen. Diamond nickte dem Konzept Lloyd/ Tschubai zu. »Gut.« »Du hast einen Plan?«, fragte das Konzept mit der Lloyd-Schattierung in der Stimme.
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Sie grinste. »Manchmal meine ich, du könntest Gedanken lesen.« Dann erklärte sie den beiden Mutan ten-Bewusstseinen, was sie vorhatte. In der Irene-Lieplich-Siedlung Die Irene-Lieplich-Siedlung befand sich in Äquatornähe, wo die natürliche Schwerkraft des Planeten – der dort herrschenden enormen Fliehkraft wegen – am geringsten war. Selbstverständlich herrschte in der Station eine künstliche Gravitation von einem Gravo. Sie stiegen aus. Der Hangar war er staunlich groß, stand aber – von der GOOD HOPE OMEGA abgesehen – leer. Kein Empfangskomitee erwartete sie. Der Hangar hatte nur einen Personen ausgang. Rhodan nickte seinem Butler zu. Sie gingen los. Über dem Schott war eine Bronzetafel mit einer Inschrift an gebracht. Rhodan las: »Lasciate ogni speranza, voi ch’ entrate.« Er musste grinsen. Wunderlich, dass gerade dieses Zitat aus Dantes Komödie die Jahrtau sende überdauert hatte. Na ja! Der Humor der Jupiteraner war im ganzen Solsystem berüchtigt. »Sie verstehen den Text?«, fragte der Butler. Rhodan nickte und übersetzte: »Wer hier einritt, lass alle Hoffnung fahren.« »Wie anspornend«, sagte sein Butler. Das Schott öffnete sich. Sie betraten eine enge Schleuse. Rhodan vermutete, dass sie auf gefährliche Mitbringsel durchleuchtet wurden, Krankheitserre ger, Techno-Viren, Waffen. Dann glühte eine altertümliche Lam pe grün auf, und die zweite Tür schob sich mit einem Ächzen zur Seite, als wä re sie lange nicht mehr in Betrieb gewe sen. Es verschlug Rhodan den Atem. Sie lachte. Sie war älter geworden, das sah er so fort, aber das Alter war freundlich mit ihr umgegangen, hatte ihre Schönheit
eher vertieft als verwaschen. Die Hüften ein wenig breiter, einige Lachfältchen um die Augen. Sie trug das krause schwarze Haar sehr kurz; an den Ohren hing Schmuck aus buntem Blech, offen bar selbst geschnitten und zurechtgebo gen. Ihre Haut war dunkel, ihr leicht indischer Einschlag. »Hallo, Per«, sagte sie. Sie hatte ihn immer Per genannt. Sie als Einzige. »Hallo, Maroana.« Er trat einen Schritt auf sie zu, überlegte kurz, dann küsste er sie auf den Mund, bog seinen Kopf leicht zurück, leckte sich die Lip pen und lächelte. »Du schmeckst noch immer nach Meerwasser und Zimt.« Sie sahen einander an. Wie lange war es her, dass sie sich nicht gesehen hat ten? Damals, auf der Fidschi-Insel Mana. Ihr Segelboot. Ihre Fahrten zum Atoll. Kurz nach dem Ausbruch der PADSeuche, den er und die anderen Besat zungsmitglieder der MARCO POLO aus dem negativen Parallel-Universum ein geschleppt hatten. Er dachte kurz darüber nach, ob das Universum, in dem er sich nun aufhielt, leicht in die Vergangenheit versetzt war. War die Zeit, in der er in das Anti-Uni versum verschlagen worden war, diese Epoche kurz vor der Machtübernahme durch das Hetos der Sieben, vielleicht besonders anfällig für transuniverselle Passagen? Aber die Gegenwart Maroanas wie die Szenerie, die ihm vor Augen lag, ließ sol che Gedanken verblassen. Maroana trat einen Schritt zur Seite, hielt seine Hand. Das war gut, denn ein wenig schwindelte ihn. Das Innere der Irene-Lieplich-Station hatte auf den ersten Blick nichts Technisches an sich. Er sah keine Maschinen, keine Labore oder Fertigungsanlagen, sondern eine grüne Landschaft, Felder, Bäume, sanft terrassiert. Die Wiesen von roten Rosen gesprenkelt. Es roch nach Frühling. Er sah etliche Menschen, Terraner mögli cherweise. Sie spazierten, saßen auf Picknickdecken, aßen und tranken, wür felten und lachten; einige ritten auf Pferden. Von fern tönte eine Gitarre oder Laute.
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Er überschlug die Anzahl der Land schaftsstufen. Es waren neun. Tief un ten lag ein ovaler Weiher, das Ufer von blühenden Büschen gesäumt. Er hörte Tierstimmen. Bunte Vögel flogen über das Land. Unter der kristallinen Kup pel, die sich über dem gewaltigen In nenraum der Station wölbte, kreiste ein Segelflugzeug. Es schien zum Greifen nah. »Wie schön«, entfuhr es ihm. »Wie schön du es hier hast. Man könnte mei nen, du hast die Elysischen Gefilde ent deckt.« Sie lachte, widersprach aber nicht. Sie ließ seine Hand los, nahm ihn statt dessen beim Ellenbogen. »Komm.« »Wohin?« »Ist das nicht egal?« Sie klang ver wundert. »Vielleicht nicht.« Er löste seine Hand behutsam aus ihrer. »Ich werde ver folgt.« »Die üblichen Paparazzi?« Sie machte einen Kussmund. »Es ist kein Spaß«, sagte er. Und das war es wirklich nicht. Er schloss für ei nen Moment die Augen, hörte das Klop fen in seinem Kopf, die näher stamp fenden schweren Schritte. »Leider.« Sie seufzte. »Wer ist dein Begleiter?« »Mein Butler.« »Hätte Mylady und hätten Sie, Sir, et was dagegen, wenn ich mir etwas außer halb der Station die Beine vertrete, oder ist meine Anwesenheit für Sie im Au genblick unverzichtbar?« Rhodan schüttelte den Kopf. »Ich denke, ich komme eine Weile ohne dich aus, danke.« * Eine Seilbahn trug sie die Terrassen hinab bis an die Ufer des Weihers, der kein Weiher war, sondern ein richtiger See. Rhodan hatte sich verschätzt. Ma roana hatte ihn wieder bei der Hand ge nommen und ihn ans Ufer geführt. Sie setzten sich. Das Gras war warm. Sie saßen im Schatten eines Baumes mit silbrigen Blättern, der nach Weihrauch duftete. Maroana streifte ihre Schuhe ab und
planschte mit den nackten Füßen im Wasser. »Wollen wir schwimmen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch, ich bin auf der Flucht.« »Vor wem denn nun? Vor dir selbst?« Er lachte. »Unsinn. Maroana ...« »Ja?« Er blickte auf den See. Spiegelglatt. Keine Welle. Eine Oberfläche wie polier tes Metall. War es poliertes Metall? Er schaute auf ihre Füße, die langsam und leise durch das Wasser fuhren. Aber keine Wellen warfen. Sie fragte: »Dieser Butler – wo hast du ihn her?« »Wie meinst du das? Er ist immer schon mein Butler gewesen«, behauptete er. Stimmte das? »Ist es ihm nicht manchmal lästig?«, fragte sie. »Was? Mich zu bedienen? Glaubst du, ich bin so unerträglich? So unaussteh lich? Hast du mich so in Erinnerung?« »Erinnerungen.« Sie lachte und schüt telte den Kopf. »Nein, ich meine: Ist es ihm nicht lästig, für einen Menschen ... einen Terraner zu arbeiten?« »Weswegen?« »Weswegen?« Sie sah ihn an und küss te ihn auf die Wange. »Na, zum Beispiel wegen des Anzugs, den er tragen muss.« »Alle Butler tragen einen Anzug.« »Aber keinen Raumanzug«, sagte sie mit mildem Spott. »Und den muss er ja wohl tragen.« »Warum?« Sie schüttelte tadelnd den Kopf. »Na, zum Beispiel, weil er keinen Sauerstoff atmen kann.« »Kann er nicht?« Sie sah ihn nachdenklich an. »Per, das kann er natürlich nicht. Kein Wasser stoffatmer verträgt Sauerstoff.« Natürlich. Sie hatte ja recht. »Ja«, gab er zu. »Er atmet Wasserstoff. Denn ...« Er schluckte. »Denn er ist ein Maahk«, sagte sie. »Ein Maahk, Per.« * Im ersten Augenblick hatte Rhodan Schwierigkeiten, den Ursprung der Un
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ruhe zu erfassen. Ein leises Rumoren von irgendwo; Befehle, die er nicht verstand; hallende Schritte. Er dachte immer noch über die Kon sequenz von Maroanas Beobachtung nach: ein Maahk also. War das eine blo ße Exzentrizität? Ein Spleen des hie sigen Universums? Aber warum fühlte er sich dann mit seinem Butler so verbunden? Er versuchte, die Dissonanzen zu ignorieren. Vielleicht würden sie auf diese Weise verschwinden, einem Alb traum ähnlich, aus dem man sich in ei nen Halbschlaf hinausschält, um dann von bösen Bildern unbelästigt weiterzu schlafen. »Die Irene-Lieplich-Siedlung ist eine Forschungsstation, nicht wahr?« Sie lachte. »Ertappt«, sagte sie. »Du meinst, es sieht hier eher aus wie in einem Urlaubsparadies, ja?« »Ich weiß nicht. Ja. Aber was mich viel eher interessiert: Woran forscht ihr hier eigentlich? Eure Arbeit hat doch nichts mit dem Jupiter zu tun, oder? Du bist keine Astrophysikerin?« »Du bist nicht hierhergekommen, um unser Budget zu kappen?«, fragte sie. Sie lächelte. Er verstand, dass ihr Vorwurf nichts als ein Scherz war. Plötzlich aber war ihm nicht mehr zum Scherzen zumute. »Woran forscht ihr?«, fragte er nach. Ferne, aufgeregte Stimmen. Ein- oder zweimal der trockene Korkenknall, mit dem sich eine Narkosewaffe entlud. Die Schritte kamen näher. Maroana wandte ihren Blick ab und schaute in eine unbestimmte Ferne wie in ein nur ihr sichtbares Land. »Es ist ein wenig kompliziert«, sagte sie. »Laien haft ausgedrückt: Wir betreiben Jen seitsforschung.« Rhodan lachte. »Du willst sagen, ihr seid eine religiöse Institution?« »Ganz und gar nicht.« Sie war voll kommen ernst. »Wenn du so willst, su chen wir nach den physikalischen – nach den hyper- oder subphysikalischen – Strukturen des Jenseits.« Was für ein Unsinn, wollte er sagen. Aber hatte er nicht selbst Zivilisati onen kennengelernt, die derartige For
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schungen ernst nahmen? Was war mit dem Deltaraum der Baolin-Nda, die sem psi-aktiven Refugium? Warum also nicht. Aber warum hatte er nichts von die sen Forschungen gewusst, die so nah bei Terra stattfanden? Er wollte intensiver darüber nach denken, aber die zunehmende Unruhe störte ihn. Immerhin fiel ihm noch ein, dass dies ja nicht sein Universum war und damit keinesfalls sicher, dass ähn liche Projekte auch auf seinem Jupiter betrieben wurden, etwa im Auftrag der Liga Freier Terraner. Das Poltern und Rumoren nahm zu, das Knallen der Narkosegewehre. »Was geschieht dort?«, fragte Maroana. »Ich dachte, du wüsstest es?« Er war ehrlich verwundert, bis ihm einfiel: Wo her sollte sie es wissen? Ich bin es, der verfolgt wird. Tatsächlich hörte er das Pochen, die Schritte in seinem Schädel, näher als je zuvor. Und durch das Geschehen in der Station hatten sie zusätzlich an Wirk lichkeit gewonnen. Es ist eine Invasion, dachte er. Sie su chen mich. Sie kommen mich holen. Diejenigen, die ihn holen kamen, wa ren keine Eingreiftruppen der LFT, son dern Männer des hiesigen Reiches, aus gerüstet mit völlig anderem Gerät, als er es von der Liga, dem Ligadienst oder der Flotte kannte. Weder traten sie ganz sichtbar in Erscheinung, noch waren sie in Deflektorschilde gehüllt, sondern in ein merkwürdiges Zwischending. Rho dan sah herbeihuschende Schatten, nebelverhangene Phänomene, die die Terrassen entlangglitten, vielmehr -strömten, eine diffuse Flut, die mal be dächtig und tastend, dann wieder sprunghaft näher kam. Und zwar von allen Seiten. »Sie kreisen uns ein«, sagte er und schaute sich um. Alle Fluchtwege abge schnitten. Warum hatte er nicht früher reagiert? Der Sofortumschalter schaltet nicht mehr, dachte er voller Hohn über sich selbst. In die Mitte des Sees, an dem er mit Maroana saß, kam Bewegung. Ein Wir bel entstand, das Wasser drehte sich, als
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ob es dort abflösse. Der Strudel kreiste schneller, sein Zentrum war bereits von Wasser leer. Aus dem Zentrum schob sich eine Gestalt. Rhodan staunte, als er sie erkannte: Es war niemand anderes als sein Butler, der Maahk. Er trug einen knochenfarbenen Schutzanzug; den Helm hatte er ge schlossen. Er kann ja keinen Sauerstoff atmen, erinnerte Rhodan sich. Der Maahk ragte jetzt bis zur Hüfte aus dem See, stützte seinen beiden lan gen Arme auf das umgebende Wasser und stemmte sich weiter hoch. »Sir!«, rief er. »Sir, Sie müssen sich beeilen!« Beeilen? Wozu sollte er sich beeilen? »Sir«, rief sein Butler. »Vertrauen Sie mir. Ich bin Ihre einzige Rettung!« Rhodan sah Maroana ratlos an. »Geh nur«, sagte sie. »Geh zu ihm.« Sie erhob sich und hielt ihm die Hand hin. Er griff zu, sie zog ihn hoch. »Ich kann doch nicht über Wasser lau fen«, protestierte er. »Es ist Zeit«, sagte sie. »Du musst ge hen.« Er wollte sie küssen, aber sie wandte ihr Gesicht ab und ließ seine Hand los. Zögernd trat er auf das Wasser zu. Die vernebelten Gestalten waren bereits nah, aber sie kamen offenbar nur müh sam voran, hatten die letzte Terrasse, die Ebene beim See, noch nicht erreicht. Misstrauisch setzte er erst den einen, dann den anderen Fuß auf den Wasser spiegel. Das Wasser trug ihn erstaunlich gut. Ein wenig ging er wie über Eis. Er sah hinab. Das Wasser war dunkel, sehr dunkel sogar. Nur aus einer schier un glaublichen Ferne schimmerten unend lich schwache Lichter. Er ging weiter. Sein Butler winkte ihm, sich zu beeilen. Er tat es, musste sich aber konzentrieren, um nicht aus zugleiten. Hinter sich hörte er Schreie voller Zorn und unbändiger Wut. »Nicht umsehen!«, rief der Maahk. Dann hatte Rhodan den Mittelpunkt des Sees erreicht. Sein Butler umfasste ihn und zog ihn an sich. Rhodan spürte, dass kein Boden da war. Schon begannen sie zu stürzen. *
Sie stürzten. Sonderbarerweise emp fand Rhodan keine Furcht. Er legte den Kopf für einen Augenblick in den Na cken. Die Öffnung in der Oberfläche des Sees hatte sich längst geschlossen. Nur ein fahler, bleicher Schatten, der sich rasch verdunkelte und bald von der üb rigen Dunkelheit nicht mehr zu unter scheiden war. Er starrte hinab. Leere. Was hatten die Wissenschaftler der Irene-LieplichStation an diesem Ort gebaut? Hatten sie Jupiters Kern ausgehöhlt? Wozu? Er wollte sich an seinen Butler wen den; er erschrak. Er war allein. Der Maahk hatte ihn freigegeben. Freigegeben? Fallen gelassen? Was hatte das zu bedeuten? Nun war also keinerlei Halt mehr, nicht einmal aneinander. Ihm kamen Zweifel, ob er sich tat sächlich noch auf – oder im Planeten befand. Der Sturz und viel mehr noch das Gefühl, das dieses endlose Fallen in ihm auslöste, erinnerte ihn an etwas. Etwas weit Entferntes, verloren Ge glaubtes. Er überprüfte sein Gefühl. Wann hat te er zuletzt diese besondere Empfin dung gehabt, diese Ahnung von Abgrund und Gehaltensein zugleich, von Gren zenlosigkeit und doch Geleitetsein? Allmählich schälten sich matte Lich ter aus der Dunkelheit. Strahlten auf. Entfalteten sich. Er glaubte, seine Au gen gingen über. Als wäre ein innerer Vorhang zerrissen, enthüllte sich ein ganzes Universum. Er sah Sternenstaub, der sich zu Protogalaxien verdichtete, sah Staub und Gas sich zu Protosternen ballen, sich entzünden. Er sah Sterne, ganze Sterneninseln, die sich spiralig drehten, tief und tiefer in den Kosmos sanken und doch, wie ihm schien, zum Greifen nah blieben. Supernovae glänz ten auf, verschwendeten sich. Und er sah dies alles nicht zum ersten Mal – und nicht zum ersten Mal auf diese Weise. Es war wie eine Erleuchtung: die Brücke in die Unendlichkeit. So habe ich sie erlebt. Ebenso wie ... Allerdings war von Brücke keine Spur. Kein Bohlensteg trug ihn. Nichts war wie damals, auf diesem sentimental
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übermütigen Bauwerk und Transport medium der Algorrian, das sich zwi schen den Pilzdomen spannte. Und selbst wenn es eine Brücke gewesen wä re, eine Zweigstelle der uralten Kons truktion: Welches Passantum hätte er besessen, das ihm den Zugang gewähr te? Völlig abwegig also. Unterlag er einer optischen Täu schung? War dies alles nicht Realität, sondern ein phantastisches Modell, von den Wissenschaftlern der Irene-Liep lich-Station errichtet in einer Kaverne des Jupiters? Konnten Menschen das? War es denk bar, dass Terraner – wenigstens die Ter raner dieses Universums – technisch zum Bau eines solchen kosmischen Mo dells fähig waren? Dann griff er den nicht zuende ge dachten Gedanken wieder auf. Hatte er nicht auch als Benutzer eines Transfer kamins während der Passage von Poly port-Hof zu Polyport-Hof eine solche Vision des Universums erlebt? Wenn die Tunnelwände transparent wurden und den Blick freigaben? Wie hatte er das vergessen können? Das ließ die Ereignisse in einem ganz neuen Licht erscheinen: War er von DARASTO aus mittels Polyport-Tech nologie in dieses Universum verschlagen worden? Hatte er – wenn auch unfreiwil lig – eine andere Dimension der Trans porthöfe entdeckt? Einen transuniver sellen Vektor des Polyport-Netzes? Aber hätte er dann nicht auf dem Hof GALILEO landen müssen – im SaturnOrbit – und nicht auf Terra? Vielleicht war er auf GALILEO – dem hiesigen GALILEO – herausgekommen und hatte es irgendwie geschafft, sich von dort aus nach Terra durchzuschla gen. Was hatte er zwischen den Vorfällen auf DARASTO und seiner fremdartigen Heimkehr in den Bungalow erlebt? Er zermarterte sich das Hirn – ohne Ergebnis. Da musste etwas wie eine Lücke in seinem Gedächtnis sein. Warum? Woher? Vielleicht doch ein StrangenessSchock? Rhodan schüttelte die Gedanken ab.
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Fruchtlose Überlegungen. Du willst dich nur beruhigen. Es ist anders als auf der Brücke. Es ist anders als im PolyportTransfer. Du stürzt. Haltlos. Wohin? Täuschte er sich, oder hielt er bei sei nem unaufhörlichen Sturz auf eine ganz bestimmte Galaxis zu? Ein Spiralnebel von Typ Sb. Er kannte sie. Das war nicht die Milchstraße, son dern ein deutlich größeres Gebilde. Es war Andromeda. Oder Hathorjan, wie die Einheimischen ihre Sterneninsel nannten. Ja, es war zweifellos die Galaxis An dromeda, auf die er zustürzte. Allerdings hatte sie sich auf eigentümliche Weise verändert. Oder hatte er sich verändert und sah sie mit anderen Augen? Ihm war, als hät te man der Sterneninsel die Haut abge zogen und ihm ihr Innerstes entblößt, und er schaute tief in ihr Nervensystem, in die Zirkel ihres Blutkreislaufes. Ein unvertrautes Gewebe durchdrang sie, ein Netzwerk. Ein paar Punkte leuchteten aus der Dunkelheit hervor, auch wenn ihr Leuchten von ganz ande rer Natur war als Sternenlicht. Das Netz zog ihn an, ihm war, als ob sich alles in ihm nach diesem Gewebe sehnte, und das, obwohl es ihm nicht ei gentlich guttat. Es glühte, es strahlte eine Hitze aus, die ihn niederzubrennen drohte wie Feuer eine Stadt im Krieg. Doch er konnte nicht von diesem Netzwerk las sen, glitt bereits die Fäden des Netzes entlang, drang in immer tiefere Schich ten des sphärischen Gebildes vor, das in den bodenlosen Abgründen der Raum zeit verborgen lag, eine geheime Gliede rung der Wirklichkeit, jenseits der Ober fläche der Raumzeit. Die Glut, die er wahrnahm, hatte ei nen Ursprung. Er ging ihrem Fluss nach, fand ihre Quelle: Es waren die hellen Punkte, die das Netz mit ihrer Hitze flu teten. Dann spürte er, dass er nicht allein war. Man war unterwegs, viele von ihnen. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wer sie waren, aber er verstand ihre
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Richtung, ihr Ziel. Sie kamen voran, die körperlosen Bewusstseine, die da durchs glühende Netz schweiften, das Andro meda eingeprägt war wie ein geheimes Wasserzeichen. Rhodan sah ihre Ziele, auch wenn er nicht bestimmen konnte, worin sie be standen. Er hätte sich gerne dem einen oder anderen auf die Spur gesetzt, hätte sich ihm angeschlossen. Aber die Hitze blen dete ihn, verbrannte ihn, fraß sich in sein Selbst vor. Er hätte vor Schmerzen schreien mögen. Die Eindrücke und Bilder wurden schwächer, verblassten zu einem fahlen Konstrukt. Rhodan war sich mit einem Mal sicher, dass er nicht die Lage der Dinge und die Dinge selbst sah, sondern eine Symbolwelt, eine Zeichenwelt, de ren Gehalt er nicht entschlüsseln konn te. Was bedeutet das alles?, dachte er. Oder bedeutete das alles gar nichts? Hoffte er nur auf Bedeutung, weil ihm das einen Rest Hoffnung ließ, nicht jetzt, aber später doch etwas zu verstehen, zu begreifen, wo er war, was mit ihm ge schah? Wie sehr wir uns gegen den Verlust von Sinn und Verstand wehren. Im Sinn losen gehen wir uns ganz verloren. Ein neues Bild stieg auf, wurde über mächtig. Rhodan sah etwas wirbeln, ei ne sich wälzende, rollende Sternen schwärze. Was war das? Eine Dunkelwolke? Ein stellarer Strudel? Schneller und schneller rotierte es da, entwickelte einen Sog, der immer stär ker wurde, der, wie Rhodan fassungslos merkte, auch ihn ergriff. Der Strudel saugte offenbar die ver irrten Seelen ein. Ausgesäte Seelen und ihre lichtlose Erntemaschine. Rhodans Sturzflug beschleunigte sich. Seine fremdartige Umwelt verwischte immer mehr. Plötzlich aber erweckte etwas seine Aufmerksamkeit, ein nie gesehenes kos misches Phänomen, das ihn für einen Moment sogar die Schmerzen vergessen ließ, die ihn bis an den Rand der Be wusstlosigkeit peinigten.
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Die glühenden Fäden des Netzwerkes entlang glitt eine Art ausgebrannter Stern. Eine Sternenmumie auf ihrer Rei se, wohin? Er spürte – besaß er neue Sinne? – heftige Hyperaktivitäten, vieldi mensionalen Flitter, das das Gebilde wie eine Aura umgab. Schon eine Weile lang hatte sich ein Gedanke in ihm gebildet, er hatte ver sucht, ihn zu unterdrücken und kleinzu halten. Aber jetzt ging der Gedanke auf wie eine schwarze Blüte. Er verankerte sich in seinen Schmer zen, fand Halt und riss sich vom Anblick der Sternenmumie los. Endlich hatte er erkannte, worauf er da zustürzte, was in der Dunkelwolke auf ihn wartete, wenn es ihm nicht doch noch gelingen sollte, sich aus dem Netz zu befreien: Das ist mein Tod. Ein son derbarer Platz für meinen Tod: tief in den energetischen Gewölben von Andro meda. Die Arbeit des Telepathen Ras Tschubai sah durchaus die Ge fahr, dass Mondra Diamonds Plan den Maahks in die Hände spielte. Sie hatte ihm zugestimmt. Aber sie sahen keine Alternative. Sie mussten Perry suchen. MIKRU-JONS Individualtaster und auch die ihres SERUNS, den sie zurück erhalten und in Betrieb genommen hat te, halfen nicht weiter. Etwas schien de ren Ortungsfunktionen völlig lahmge legt zu haben. Möglich, dass die besondere Umge bung des gesicherten Polyport-Hofes Geräte des Schiffes und des Anzugs be hinderten. Da spielte es keine Rolle, ob die Störung ein Sinn und Zweck dieser Sicherung war oder ein schierer Neben effekt. In jedem Fall blieb nur eine Möglich keit: »Wir machen uns also auf die Su che«, hatte er ihren Plan resümiert. Das Schiff stellte einfache Schutzan züge für Grek 363 und Perbo Lamonca zur Verfügung. Auch Ramoz, der luchs artige Begleiter von Diamond, wurde eingekleidet. MIKRU-JON hatte ihm ei
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ne Folie geschneidert, die einen elemen taren Sauerstoffvorrat für den Notfall bereithielt, dass sie in einen maahkschen Sektor gerieten, der mit einer Wasser stoffatmosphäre geflutet war. Die Schlussvorrichtung der Folien und ihr Beatmungsaggregat ließen sich mit einer Fernsteuerung bedienen, die in den Multifunktionsgürtel von Diamond SERUN integriert wurde. Ras grinste, als er sah, wie Ramoz sein Foliengewand mit einiger Eitelkeit zur Schau trug. Wie ein gestiefelter Kater, dachte er. Dann wandte er seine Auf merksamkeit Lloyd zu. Bevor er mit Fellmer Lloyd zu einem Konzept geworden war, hatte sich Ras Tschubai nicht vorstellen können, wie ein Telepath arbeitete. Ihrer beider Geist bewohnte densel ben Körper. Trotzdem hatten sie sich eine mentale Intimität bewahrt. Einer akzeptierte vom anderen, wenn er sich abwandte und in sich ging. Sie spürten voneinander dann nur eine abwesende Anwesenheit. Tschubai spürte, wie Lloyd sich ihm öffnete und zuwandte. Unterstütz mich bitte, dachte Lloyd. Tschubai signalisierte Bereitschaft und näherte sich dem Geist Lloyds an. Es kam zu keiner psychischen Legie rung. Ihr Zusammengehen im paranor malen Bereich ähnelte eher einem ge meinsamen Singen, jede Stimme blieb für sich und verband sich doch mit der anderen in der Gleichheit der Melodie. Es war wie ein Psi-Schub, eine durch Gemeinsamkeit bewirkte Erleichterung. Wie wenn ein Stein, den man hebt, leich ter zu werden scheint unter der Mithilfe eines anderen Menschen, obwohl er ja sein Gewicht nicht ändert. Teilhabe der einen an der anderen Kraft. Tschubai erlebte – nicht zum ersten Mal – Telepathie von innen: Früher hatte Tschubai gedacht, Ge dankenlesen sei eine Art von Hören, der Telepath lausche einem Gespräch, einem unaufhörlichen inneren Monolog. Eine naheliegende Idee, schließlich waren Gedanken meist sprachlich formuliert. Aber natürlich war das Unsinn. Wäre
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dem so, hätte kein Telepath die Gedan ken eines Gegenübers lesen können, der nicht in der Sprache des Gedankenlesers dachte. Seit er mit Lloyd telepathisch unter wegs war, wusste Tschubai, dass es völ lig anders war. Man konnte Gedanken so wenig hören, wie man Bilder riechen, Süße und Bitternis tasten, Ferne und Nähe schmecken konnte. Gedanken waren wie Quellen, aber ihr Wasser tastete und spürte die Dinge, über die es floss, ahmte ihre Kontur nach, füllte und flutete ihre Höhlungen, trug ihre Reflexe mit sich, veränderte sie, schloss sie ein ins Eis ihrer Begriffe. Der Telepath tauchte hinab in dieses gedankenflüssige System, schwamm mit seiner Strömung, tröpfelte und verrann und sammelte sich wieder, bedachte die Welt mit den Gedanken des anderen. Gedanken überzogen alles und jeden, den Kosmos und seine Geschichte, mit dem dünnsten und durchsichtigsten al ler Filme, einem Hauch, in dem das Ich gelöst war und in der Lösung allem an haftete, was war, und vielem, was nicht war: den Träumen und Fantasien, den Ängsten und den Wahngebilden. Denn alles, was dachte, lebte zum ei nen in der Welt aller anderen, zum ande ren aber in einer bloß eigenen Welt, die nur ihm selbst verständlich war und manchmal nicht einmal ihm selbst. Die Gedankenwelt war zugleich all umfassend und unvorstellbar klein, eine Miniatur des Universums, ganz bei sich und ganz in sich gekehrt. Sie stand allem offen und war gegen alles verschlossen, eine gläserne Rüstung, von der der Ge rüstete dachte, dass sie ihn undurch schaubar hielt und dem Einblick aller verborgen. Wer so dachte, wusste eben nichts von den Telepathen. Von den Psi-Begabten, die lautlos und immateriell vorbeischau ten und Einblick nahmen. Die mühsam und schlagartig verstan den, alles und nichts begriffen, mitfühl ten ohne Mitgefühl, da waren ohne Da sein. Ras spürte, wie das Lloyd-Bewusst sein sich ausrichtete. Es dauerte nur ei nen Sekundenbruchteil, bis er auf die
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Gedankenwelt von Grek 363 und Perbo Lamonca orientiert war. »Denkt an die Orte, von denen ihr vermutet, dass sich dort die Schatten maahks aufhalten«, mahnte Diamond mit einer Stimme, die tiefer klang als sonst, beinahe suggestiv. Als könnte sie die beiden hypnotisie ren. Oder ihre Konzentration beschwö ren, dachte Ras. Ras spürte, wie sich die Gedanken welten von Grek 363 und Perbo Lamon ca verschoben, die Gedankenwelten, zwischen denen das Lloyd-Bewusstsein rasend schnell pendelte, oszillierte. Wie sie sich den Polyport-Hof vorstellten, seine Ebenen, Gänge und Regionen. Alles sehr vage, bunt schillernde Schatten, unstete Modelle. Hier und da divergierten die Bilder, hier und da schienen sie deckungsgleich. Solche Momente ließen Lloyd hellhörig – oder hellsichtig – werden, er vertiefte sich, sank ein, erforschte. »Jetzt«, hörte Ras Fellmer Lloyd mit seinem eigenen Mund sagen. Ras reichte Diamond und Lamonca die Hand. Diamond ging in die Hocke und fasste Ramoz in den Nacken. Lamonca berührte den Schatten maahk an der Hüfte. Ras Tschubai übernahm Lloyds Ziel vorstellung und teleportierte. Luna-Park Rhodans Sturz näherte sich seinem Ende. Das Grab aus dunklen Turbu lenzen war empfangsbereit. Sollte er sich aufgeben? Warum nicht. Am Ende wird man sich zur Last, und die Entlastung wird Erlösung. Denn wo von werden wir erlöst, wenn nicht von uns selbst und unserem Willen, der sich an alles haftet, sich an alles krallt, an nichts aber stärker als an uns selbst? Danach wäre alles leicht, so leicht ... wozu stürzt man sonst, wenn nicht um dieser Entlastung willen? Er warf einen letzten Blick auf das Netzwerk. Auf die unzähligen Bewusst seine, die auf Wanderschaft waren durch
diese weltabgewandten Areale der Ster neninsel. Bewegte sich da nicht ein Lichtpunkt im Netz genau auf ihn zu? Wie ein Trop fen Tau in einem Spinnennetz und zu gleich ganz anders: glitt über die Fäden, wechselte, wo sich Fäden kreuzten, sei nen Leitfaden, näherte sich Rhodan schneller, als er seiner Gruft zufiel. Das Etwas eilte sehr. Aber würde es ihn erreichen, bevor er seinen Tod fand? Wohl kaum. Dabei hätte Rhodan gerne gewusst, was es mit dem lichten Tropfen auf sich hatte. Neugier. Eine der Lieblingsmas ken unseres Willens, der sich an allem haftet, sich an alles krallt, dachte er mit leichtem Spott. Er wollte langsamer stürzen – und sie he da, es gelang. Wenn er es auch nicht vermochte, seinen Sturz endgültig zu unterbrechen, so war es ihm doch gelun gen, seinen Fall zu verzögern. Rief ihn da nicht etwas? Er lauschte. Ein ferner Klang, eine Stimme aus wei ter Ferne sagte: »Trust me. I am your only salvation. – Vertrau mir. Ich bin dei ne einzige Rettung.« Man sprach also Englisch in der Un terwelt Andromedas. Wer hätte das ge dacht? Allerdings: Warum auch nicht? Schließlich gehörte Englisch – mit nicht mehr als vielleicht noch fünf oder zehn muttersprachlichen Sprechern im Uni versum – längst zu den toten Sprachen. Tote Sprache im Totenreich. * Rhodan wusste intuitiv, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er richtete all seine Sinne auf die Stimme, sah ihr flim merndes Echo, schmeckte ihre ver lockende Bitternis, tastete ihre Oberflä che ab, doch die war glatt und fugenlos. Er glitt ab, versuchte es erneut. Begann, sie zu wollen – krallte sich fest, biss zu und haftete mit seiner von aller Realität entblößten Haut an ihr. Er vernahm mit jeder Faser seiner selbst die Wohlgesinntheit der Stimme. Schöpfte seine Kraft daraus. Ging eine Symbiose mit ihr ein.
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Sein Wille saugte sich an der Stimme fest, fand Halt. Tatsächlich. Sein Sturz verlangsamte sich deutlich. Trust me. – Vertrau mir. Er stimmte der Stimme zu. Ja. Er würde sich ihr ganz und gar anvertrau en. Er würde ihr antworten, würde ganz und gar Antwort werden und damit un angreifbar für den Wirbel. Er begann sich zu öffnen. Plötzlich hörte er wieder das Pochen, die Schritte in seinem Schädel, ver mischt mit einem ungläubigen Staunen, bissig und boshaft: »Hast du wirklich geglaubt, du kommst davon?«, fragte eine andere Stimme. »Du könntest dich entziehen? Einfach so? Schau dich um. Es ist alles anders, als du denkst.« Er schaute sich um und fand, dass die Stimme recht hatte. * Keine Rede mehr davon, dass er als körperloser Geist irgendwie metaphy sische Gefilde in der Unergründlichkeit Andromedas durchstreifte. Was für ein blühender Unsinn aber auch. Stehe ich unter Drogen? Er ver suchte, die Erinnerung an diese ima ginäre Reise abzuschütteln, aber sie war zäh wie Teer, ein nachwirkender Alb traum. Es kostete ihn einige Zeit, sich zu ori entieren. Wo war er? Es war Nacht. Wenn er nach oben schaute, war ein fremdartig vertrautes Firmament zu sehen. Zwei Monde am Himmel. Der ei ne von beiden schwefelgelb, mit orange farbenen Flecken, blassvioletten Flä chen: Io. Der andere von parallelen Streifen gezeichnet, das erfrorene Land von Ganymed. Am Horizont des Mondes, halb Jupiter, halb Sol zugewandt, leuch tete Galileo City. Vermutlich war er wieder zurück auf der Irene-Lieplich-Station und schaute durch ihre Panzertroplonkuppel in die Nacht. Wirklich wieder zurück? Vieles sprach dafür, dass er die Station eigentlich nie verlassen hatte.
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Er lachte. Er hatte sich hereinlegen lassen. Womit experimentierten die Wis senschaftler der Irene-Lieplich-Station wirklich? Mit psychotropen Drogen? Mit Halluzinationsmaschinen? Und in welchem Abschnitt ihrer Sta tion befand er sich? Von den Terrassen sah er jedenfalls keine Spur. Er befand sich auf einer wei ten Ebene. Das künstliche Licht war für die Nacht gelöscht worden; nur die bei den Monde leuchteten. Er sah einige Bauwerke, verrenkte, irgendwie gekippte, schräge Konstruk tionen, deren Sinn und Zweck sich ihm nicht enträtselten. Es war still. In der Ferne glaubte er, einen Fluss plätschern zu hören. Und die Stimme, die ihn auf Englisch angerufen hatte? Verstummt. Natürlich. Sie war wahrscheinlich nichts als ein Teil der pharmazeutisch bewirkten Fata Morgana gewesen. Jedenfalls tat es gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Über haupt: wieder Füße zu haben. Du solltest dich erst einmal waschen, dachte er zusammenhanglos. Warum eigentlich nicht? Er würde zum Fluss gehen und sich waschen. Bei dieser Gelegenheit vielleicht auch trin ken. Er lauschte und orientierte sich. Dann machte er sich auf den Weg, hielt auf das Plätschern und Glucksen zu. Im Licht von Io und Ganymed kam er einigen der Konstruktionen näher. Das eine war eine hoch hinaufragende Wel lenrutsche. Dann ein Haus, das wort wörtlich auf dem Kopf stand; sein Ka min schwebte keine Armlänge hoch über dem Boden, sein Keller zum Himmel ge wendet. Ein anderes Gebäude – anscheinend eine Art Hotel – war bizarrerweise in der Form eines irdischen Elefanten gehal ten. Vor dem Hotel drehte sich ein matt erleuchteter Globus, in dem Holografien von Frauen flackerten, alle mehr ent- als bekleidet. Er grinste. Diese Jupiteraner. Offenbar hatten sie einen Luna-Park ge baut. Ein Nickel-Imperium, ein Reich, in dem alle Lustbarkeiten nicht mehr als
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eine Fünf-Cent-Münze kosteten, einen Nickel eben. Aber offenbar war keine Saison, oder der Betrieb hatte Ferien. Außer ihm kein Mensch im Park. Die Vorbilder für die holografischen Damen, die man sich für ein paar Galax stundenweise verpflich ten konnte, genossen ihren Urlaub wahr scheinlich irgendwo auf Ganymed, auf der Venus oder dem Mars. Oder auf Ter ra. Das Plätschern kam näher. Aus dem Geräusch hätte er auf ein kleines Ge wässer geschlossen, einen Bach oder ein Rinnsal, das über Steine hüpfte. Der Fluss, an dessen Ufer er nun aber stand, war gewaltig wie der Mississippi. Das jenseitige Ufer entzog sich seinen Blicken. Das Wasser floss dahin, schwer wie schwarzes Blei. Io und Ganymed spiegelten sich fast unverzerrt in den trägen Fluten. Oder stand der Fluss etwa still? Rhodan ging in die Hocke und streck te den Arm aus. Seine Finger berührten die Wasseroberfläche, tauchten ein. Das Wasser war eigenartig warm, warm wie seine eigene Haut. Er schöpfte ein wenig mit der hohlen Hand und führte sie zum Mund. Dann waren mit einem Mal die Schritte, die bisher in seinem Kopf gepocht hatten, so nah wie nie, und wirklich. Rhodan wollte sich zur Seite rollen, etwas zu spät. Ein Schlag oder Tritt traf ihn gegen die Schulter, er drohte, ins Wasser zu stürzen. Eine Hand packte ihn, riss ihn vom Fluss fort, schleuderte ihn über den Boden. Rhodan krallte sich im Gras fest, trat aus, traf den anderen an den Beinen, brachte ihn zu Fall. Eine Mischung aus überraschtem Fauchen, Zorn und La chen. Rhodan war bereits wieder auf den Beinen, hatte festen Stand gefunden, ging in Abwehrhaltung. Die Schläge trafen ihn unvermittelt und hart – er schützte Kehle und Kopf – gegen die Brust, in die Seite, konnte sie aber nicht erwidern. Wohin sollte er schlagen? Sein Gegner war wie ein Schatten. Er spürte, wie sich die Arme des Angreifers um ihn schlossen, ihm die Luft abdrückten.
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»Gib auf!«, flüsterte ihm sein Gegner ins Ohr. »Ergib dich mir. Das ist besser für dich. Besser für uns beide.« Irgendwie gelang es Rhodan, sich aus der Umklammerung zu befreien. Er stolperte, fiel, hetzte einen oder zwei Meter auf allen vieren davon, sprang auf und rannte. Das Nächste, was er bewusst wahr nahm, war, dass er sich in einer Art Spie gelkabinett befand. Er keuchte, kam nur allmählich wieder zu Atem. Er atmete mit weit offenem Mund, das Spiegelglas beschlug. Wer hatte ihn hineingezogen? Er sah sich um. Auf dem Boden ver streut standen einige Kerzen. Die Wän de, sogar die Decke waren aus Spiegel glas. Er rief sich in Erinnerung, was er über derartige Labyrinthe wusste. Aus manns hohen Spiegeln gebaut, gaukelten sie ih ren Gästen endlose Korridore, ausufernde Säle vor, abgründige Raumtiefen. Zugleich stellten sich die Spiegel den Wandernden in den Weg. Rhodan richtete sich auf. »Geht’s wieder?«, fragte eine Stimme. Sie sprach Interkosmo mit einem etwas schleierhaften, alteuropäischen Akzent. Rhodan drehte sich um. Da hockte ein Mann im Schneidersitz, vor sich einen Haufen Marionetten. »Danke!«, sagte Rhodan. »Es geht wieder.« Dann stellte er sich vor. »Angenehm«, sagte der Mann. »Ich heiße Alfredo. Der Puppenspieler.« Rhodan nickte. »Sicher ein span nender Beruf«, sagte er. »Man kommt viel rum«, sagte Alfredo. »Ich war in Russland und in Finnland, ich habe in Alexandria und in Kairo gas tiert, und ich habe vor den Soldaten an der Front gespielt. Nach dem Großen Krieg dann vor Kindern mit Greisenge sichtern. Sie hatten Feuer und Tod gese hen, aber noch nie das Kasperle.« Er lachte. »Kannst du dir das vorstellen? Feuer und Tod.« Rhodan schüttelte unwillig den Kopf. Er wollte nicht von Feuer und Tod re den. Was gingen ihn Feuer und Tod an? »Was tust du hier?«, fragte er den Pup penspieler.
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Der Mann legte den Finger verschwö rerisch über die Lippen und sagte: »Ich verstecke mich.« Rhodan lachte. »Da mach ich mit.« Er setzte sich zu Alfredo und streckte die Hand nach den Marionetten aus. »Darf ich?« Der Puppenspieler lächelte. »Ihre Fä den haben sich etwas verwirrt. Schwer, das wieder hinzubekommen.« Er griff selbst in den Haufen, suchte und hob ei ner der Puppen den Kopf. Es war ein hölzerner Türkenkopf mit einem kost bar erscheinenden, wunderbar bestick ten und mit falschen Perlen und gläser nen Juwelen besetzten Turban. Mit veränderter Stimme deklamierte der Puppenspieler: »Das Leben nennt der Derwisch eine Reise, und eine kurze. Freilich! Von zwei Spannen diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter. Zwar, eine Sonne, sagt man, scheint auch dort, und über bunt’re Felder noch als hier: Ich glaub’s; nur schade, dass das Auge modert, das diese Herrlichkeit erblicken soll.« Der Puppenspieler ließ die Puppe sich verneigen; Rhodan applaudierte leise. »Du hast gesagt, du versteckst dich hier. Vor wem?« »Vor den Schergen«, sagte der Pup penspieler. »Wessen Schergen?« Alfredo lächelte. »Vor niemands Schergen. Leider.« »Niemands Schergen?« »Wären es irgendjemandes Schergen, bestünde Hoffnung. Hoffnung, dass der Herr der Schergen endlich stürbe und sein Tod die Jagd beendete. Nie mands Schergen aber werden nie zu rückgerufen, ihr Auftrag niemals an nulliert.« Es überraschte Rhodan nicht, in die sem Augenblick die Schritte wieder zu hören. »Ich muss gehen«, teilte er dem Pup penspieler mit. »Warum?« Rhodan lachte bitter. »Weil er mich finden wird.« »Wer?« »Mein Verfolger. Derjenige, vor dem ich mich verberge.«
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»Stell dich ihm«, riet der Puppenspie ler. Bevor Rhodan antworten konnte, brach etwas durch die Spiegel. Natür lich. Hatte er ernsthaft damit gerechnet, sein Gegenspieler würde brav seinen Weg durch das Labyrinth suchen? Rho dan sah den Schatten und stürzte sich, ohne zu zögern, auf ihn. Die verschatte te Gestalt wich überrascht zurück, schien in einen der Spiegel einzutau chen. Rhodan schlug mit dem Ellenbo gen gegen das Glas, das wie dünnes Eis zersplitterte. Etwas packte ihn und schleuderte ihn in einen anderen Spiegel. Wieder Split ter. Splitter, die in andere Spiegel ein schlugen wie Meteoriten und sie zer bersten ließen, Splitter, die ihm in die Brust fuhren, sogar in die Nasenwurzel zwischen den Augen. Er sah sich von allen Seiten, vertausendfacht, sah sich in endlose Spiegelschluchten stür zen. »Trust me«, sagte der Puppenspieler mit verstellter Stimme. Er hatte aus sei nem Haufen Marionetten eine befreit und in die Hand genommen. Die Puppe stellte einen Maahk dar, der seinen über langen Arm ausstreckte. Der Arm mit der trichterförmigen Hand schwang langsam unter dem Spielkreuz hin und her. Es war, als blickten die vier Augen, die unter der Schutzhaube der Mario nette glühten, ihn an. »I am your only salvation.« Was für eine lächerlich kleine Hand, dachte Rhodan. Er griff zu. * Die Spiegelsplitter waren fort. Rho dan glitt dahin, fort von dem schwarzen Wirbel. Rhodan fühlte sich dem Sog der Turbulenz nicht mehr ausgesetzt. Es war ihm eine Freude, durch das Netzwerk zu gleiten, die Fäden entlang. Netzreiter. Er fühlte sich frei wie selten zuvor in seinem Leben. Der Ritt auf dem Netz erinnerte ihn vage an seine Zeit als Netz gänger.
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Einen Begriff für Zeit hatte er nicht mehr. Immer noch hielt jemandes Hand sei ne Hand, zog ihn sanft, aber unwider stehlich. Führte ihn. Das Hochgefühl, das Rhodan bis eben gespürt hatte, schwand nach und nach. Seine Füße berührten einen Boden. In seiner Kindheit hatte er manchmal auf den Bildschirm eines Fernsehgerätes geschaut, nachdem sein Vater oder seine Mutter es ausgeschaltet hatten. Er hatte zugeschaut, wie das Bild sich schlagar tig zusammenzog, wie nichts mehr blieb als ein leerer weißer Punkt, wie dann alles erlosch. Er hatte sich vorgestellt, wie die gan ze Welt, die er gerade noch betrachtet hatte, sich in diesem Punkt zusammen raffte und dann erlosch. Genau so verschwand nun das Bild Andromedas und ihres Netzgespinsts. Rhodan stand still. Hatte er sich also doch alles nur einge bildet? Er machte einen Schritt. Sein Leib schmerzte, wund und weh – wovon? Von einem bloßen Traum? Er sah sich um. Ein leerer Saal. Über den Boden verstreute Scherben. Die Ruine des Spiegellabyrinths. Das ferne Licht zweier Monde: Io und Ganymed. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das Halbdunkel. Vor ihm stand ein Maahk, reglos und still. Rho dan betrachtete ihn. Es fiel ihm wie im mer schwer, individuelle Züge an der Kopf- und Augenpartie eines dieser Wasserstoffatmer zu entdecken. Schließlich erkannte Rhodan ihn. Es war Grek 1. Sein Butler. Nicht der Grek 1 aus DARASTO, son dern der Maahk aus dem Polyport-Hof OROLOGION. Jener Grek 1, der sich ihm als Schattenmaahk offenbart hat te. »Da bist du endlich«, sagte der Maahk. »Es war eine lange Reise.« In den Untiefen von DARASTO Ein Teil von Mondra Diamonds Plan hatte vorgesehen, Ramoz nach Perry
Rhodan suchen zu lassen. So, wie das luchsähnliche Wesen im Polyport-Hof PERISTERA Diamond aufgespürt hatte, hofften sie nun darauf, dass es Perry finden könnte. Eine vage Hoffnung, die sich schnell zerschlagen hatte. Denn einerseits hatte Ramoz keine Gelegenheit gehabt, Rhodans Spur aufzunehmen. Anderer seits bestand zwischen Ramoz und Rho dan offensichtlich keine so innige Ver bindung wie zwischen dem Luchsartigen und Mondra Diamond. Die ersten zwei Sprünge waren voll ständige Nieten gewesen. Diamond hatte Grek 363 und Perbo Lamonca gebeten, sich noch einmal zu besinnen. Nach dem dritten Sprung materiali sierten sie in einem Meer dichter, feuch ter Schwaden. Für einen kurzen Moment fürchtete Diamond, sie hätten sich in einer Abtei lung wiederverstofflicht, deren Umwelt bedingungen den Bedürfnissen der Maahks angepasst war – der Wasser stoffatmer. Ramoz nieste, schien aber ansonsten nicht beeinträchtigt. Diamond atmete probehalber flach durch die Nase ein. Sauerstoff. Alles in Ordnung. Sie spürte die übermäßige Wärme im Raum. »Wahrscheinlich eine Sauna«, sagte Tschubai und lachte humorlos. Eine wuchtige Gestalt tauchte aus dem Nebel, deutlich über zwei Meter groß, die Arme länger als die Beine, ein nur in wenige metallische Schnüre ge kleideter Acroni. Er rempelte Tschubai an und ließ den nicht eben klein gera tenen Terraner taumeln. »Pardon dafür, euer Erhabenheit«, sagte der Acroni und schritt ansonsten ungerührt weiter. Er hatte ein etwas sonderbar akzentuiertes Kraahmak ge sprochen. »Warte bitte!«, rief Diamond ihm nach. »Ich schließe mich dieser Bitte an«, sagte Perbo Lamonca. Der Acroni blieb stehen und drehte seinen Kopf um 180 Grad. Er wartete.
Clubnachrichten
Vor wor t Seid gegrüßt! In der Kürze liegt die Würze: Ich hoffe, dass der Früh ling bald einkehrt, das Fandom aus dem Winterschlaf erwacht und die PERRY RHODAN-Redaktion den Nobelpreis für Literatur bekommt; ich bin aber mit zwei von drei Erfolgen zufrieden. Per aspera ad astra! Euer Hermann Ritter
Nachrichten Empfehlung des Monats Paradise 78 beginnt mit einem Vorwort, das unter anderem mit einem Bild der TCE-Clubtorte ge schmückt ist. Der Artikel über »Die Herkunft des Starchild« hat mich sogar dazu bewogen, im Internet einige Artikel zu diesem Thema zu lesen. Das geht mir selten so ... Außerdem finden sich wieder die üblichen, gut zu lesenden Artikel. So erfahren wir Neuigkeiten über »Stargate«, es gibt einen Artikel von Thomas Harbach über die »Commander Perkins«-Romane, ein wenig über »Maddrax« und Wissenswertes über »Dr. Who«. Dazu gibt es auf den über 100 Seiten Kurzgeschichten, Conberichte und Neuigkeiten aus dem Terranischen Club Eden, dem Herausgeber des Fanzines. Ein Heft kostet 4,50 Euro zuzüglich 1,20 Euro Versand. Kontakt über Volker Wille, Hacheneyer Straße 24, 44265 Dortmund (E-Mail kontakt@terranischer club-eden.com). Ebenso erhalten habe ich aus demselben Hause Ge schichten der Nacht 63 mit der Novelle »Private Eye Yuka Tan« (Teil 1) von Antje Ippensen. Dieses Heft kos tet 3,50 Euro zuzüglich 1,20 Euro Versand.
Vierwöchentliche Beilage zur PERRY RHODAN-Serie. Ausgabe 441.
Clubnachrichten
Online: Fantasy Das aktuelle Fantasia 257e ist wieder voll mit Rezen sionen. Einige sind mir zu kurz; doch das ist eine Krankheit, die das Fantasia schon länger hat – das wird sich nicht in einem Heft beheben lassen. Eine halbe Seite ist mir einfach zu wenig, um etwas über ein Buch zu erfahren, das ich mir vielleicht kaufen will. Dafür gehören hier (fast) alle Bücher in das Genre der Phan tastik; immerhin ist das ein Fortschritt. Mit der Nummer Fantasia 258e wird der gute Name des Magazins ein wenig überstrapaziert. Denn enthal ten ist auf 214 Seiten nur eine Verkaufsliste von Franz Rottensteiner. Hey, das Fantasia war mal das beste deutsche Fantasy-Magazin ... Bei der Nummer Fantasia 259e bis Fantasia 261e han delt es sich um die ersten drei von sechs Teilen des »Filmjahrbuchs 2008« von Peter M. Gaschler. Obwohl ich einführende Artikel wie »Indiana Jones gegen die Spiderwicks: Die Filmszene 2008« interessant finde, schreckt es mich ab, dass hier nur die Buchstaben A bis C beziehungsweise D bis F und G bis L behandelt werden. Vier weitere Nummern ... uff. Das Magazin geht an die Mitglieder des EDFC. Anfra gen beantwortet der EDFC e.V., Postfach 1371, 94033 Passau (im Internet unter www.edfc.de). Für ein Jahr kostet der Bezug 7,50 Euro. Aus FOLLOW stammt das Sumpfgeblubber 68. Es bie tet nette Berichte aus früheren Jahren über die Ge schichte dieses Fantasy-Clans, Leserbriefe, eine Kurz geschichte und unterhaltsame persönliche Plaude reien. Herausgeber ist Peter Emmerich, Wittmoosstr. 8, 78465 Konstanz (im Internet unter http://substanz. markt-kn.de).
von 178 Seiten immer einen Blick wert. Viele Informa tionen zu PERRY RHODAN samt einigen hervorra genden Illustrationen finden sich hier (so Raimund Peter mit »Haluter«), aber ebenso Neues aus Wissen schaft und Technik sowie einige Kurzgeschichten. Beeindruckt hat mich der Artikel »Atlantropa und an dere Utopien« von Marcus Haas; vielleicht deswegen, weil ich vor Kurzem ein Buch über das Thema gelesen habe. Wow! Herausgeber Lothar Bauer ist per E-Mail unter terra
[email protected] zu erreichen. Herunterladen kann man das Heft unter www.terracom-online.de. Abenteuer und Phantastik Der neue Sherlock Holmes-Film ist in aller Munde, so natürlich auf dem Cover von Abenteuer & Phantastik 70. Der Film selbst ist ein Hauptthema, aber man findet weiterhin Infos zum »Mythos Holmes« und Sir Arthur Conan Doyle, etwas zur Story-Sammlung »Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes« von Christian Endres sowie ein Artikel über die Umsetzung im Spiel (faszinierend, was es alles gibt). Netterweise gibt es noch andere Berichte, so über »Das Kabinett des Doktor Parnassus« und über Dacre Stoker, der eine »Dracula«-Fortsetzung zum Werk sei nes Ahnen Bram Stoker geschrieben hat. Dazu Film rezensionen, Buch-Infos und alles Mögliche andere aus der Szene. Unterhaltsam. Das Heft kostet 4,50 Euro. Herausgeber ist der Aben teuer Medien Verlag, Jaffestraße 6, 21109 Ham burg (im Internet unter www.abenteuermedien. de). Basis
Online: Science Fiction Mit dem SF-Klassiker »Welt ohne Frauen« beschäftigt sich Capricornus 83 von Michael Fritzsche. Außerdem erfährt man etwas über H. G. Wells Film »Things to come«, den man im Internet herunterladen kann (wie der etwas gelernt). Die Homepage des Herausgebers ist http://sfbooks. here.de; erreichbar ist er per E-Mail unter Micha
[email protected]. Terracom 124 ist – wie alle anderen Ausgaben dieses Heftes – nicht nur wegen des gigantischen Umfangs
Aus Frankreich erreichte mich Basis 40. Ein farbiges Titelbild, auf dem man das Foto des verstorbenen Ro bert Feldhoff erst nach dem dritten Hinsehen erkennen kann. Ein gut gemachtes Cover, das mit einem Hinweis auf den GarchingCon wirbt. Der entsprechende Con bericht ist mit Fotos illustriert und enthält sogar einen französisch beschilderten Raumplan. Dazu kommen Rezensionen und so weiter, die ich alle nicht lesen kann, weil ich kein Französisch kann ... Die Herausgeber findet man im Internet unter www. stellarque.com; per E-Mail erreicht man diese unter
Clubnachrichten
[email protected]. Ein Preis ist nicht auffindbar (zumindest nicht für mich). Comics, Comics, Comics Es ist schon erstaunlich, dass ein großer Teil des Marktes für Magazine und Fanzines inzwischen von Heften bestritten wird, die in Läden kostenlos ausge legt werden. Ein Beispiel für den Comic-Markt ist Comics & mehr 62, das über Neuheiten informiert und auch Hintergrundinformationen liefert. Obwohl hier ein Verlag dahintersteht, werden – zum Teil durch Anzei gen – viele, viele Neuerscheinungen dargestellt. Das Heft liegt in Comic-Läden aus. Herausgeber ist der BSE Verlag, Sauterstraße 36, 67433 Neustadt/Weinstraße (im Internet unter www.comicsundmehr.de). Mit einem Sonderheft zur großartigen Science-Ficti on- oder eher Technik & Phantastik-Serie »Blake und Mortimer« präsentiert sich Reddition 51. Neben vielen Informationen zur Serie selbst finden sich Artikel zu allen beteiligten Künstlern und (wow!) am Ende eine Liste aller erschienenen Alben. Endlich ist mir klar, welche Bände ich hier verpasst habe. Das Ganze ist natürlich mit vielen Bildern und Comicseiten illustriert, dazu kommen üppig reproduzierte Fotos und die wirk lich lesbaren Artikel. Ein schönes Heft, für Comic-Freunde nur zu empfeh len. Den Preis von acht Euro ist das Heft auf jeden Fall wert. Herausgeber ist der Verlag Volker Hamann, Edition Alfons, Heederbrook 4 e, 25355 Barmstedt (im Internet unter www.reddition.de). FOLLOW: Literarisch Aktuell erschienen ist das FOLLOW 404. Durch die neue Möglichkeit von farbigen Illustrationen im Innen teil sieht das Heft noch besser aus. FOLLOW ist – ver treten durch den FantasyClub e.V. – der Trägerverein der Fantasy-Welt Magira, die seit 1966 eine phantas tische Welt mit unterschiedlichsten Kulturen simuliert. Das FOLLOW enthält Conberichte, Publikationen der einzelnen Simulationsgruppen und Kurzgeschichten. Einen Blick wert, ehrlich. Wer sich für FOLLOW allgemein (nicht nur das Maga zin, sondern die Organisation) interessiert, der kann sich eines der Gruppen-Fanzines bestellen, die von
vielen der Simulationsgruppen herausgegeben wer den. Empfehlen kann ich natürlich unser eigenes Fan zine, von dem aktuell die Hornsignale 279 erschienen sind. Auch hier: Conberichte, Kurzgeschichten, Neu igkeiten aus der Welt Magira. Anfragen richte man an Hermann Ritter, Soderstra ße 67, 64287 Darmstadt (E-Mail hermann.ritter@ homomagi.de). FOLLOW: Akustisch Der Drachenorden von Ranabar, eine der Kulturen der Fantasy-Welt Magira, hat sich die Arbeit gemacht, mit Märchen, Mythen und Geschichten eine CD mit Ge schichten zu erstellen. Das Beiheft der CD erklärt ei niges über die Kultur dieses von einem mythischen Indien inspirierten Landes. Bezugsanfragen richtet man an den FantasyClub e.V. (via Hermann Ritter, siehe oben) oder wirft einen Blick auf die Internetseite www.ranabar.de. Dort können die Märchen kostenlos heruntergeladen werden. Inklings Das inklings-Jahrbuch für Literatur und Ästhetik 26 stammt aus dem Jahr 2008, ist aber erst 2009 er schienen. Grundlage ist eine Tagung zum Thema »(Bio)ethische Fragen in phantastischer Literatur« aus dem Jahr 2008, die Vorträge und Beiträge sind hier versammelt. Es liest sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – wie eine langweilige Vorlesungsreihe an einer belie bigen deutschen Universität; Genre-übergreifende Ansätze – wie bei dem Beitrag über den »Sandman« Autor Gaiman oder über »Frankenstein« – werden verspielt, was vielleicht dem (meiner Meinung nach) langweiligen Thema geschuldet ist. Das Buch erscheint im Claren Verlag; Herausgeber ist die Inklings Gesellschaft für Literatur und Ästhetik e.V., c/o Irene Oberdörfer, Ringofenweg 6, 47877 Willich (im Internet unter www.inklings-gesell schaft.de). Für Mitglieder ist das Jahrbuch kosten los. Mephisto Zu Weihnachten liefert uns Mephisto 47 als Beilage ein kostenloses »Das schwarze Auge«-Abenteuer. Dazu
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kommen zum 15-jährigen Jubiläum wieder Artikel über die Entwicklung der Rollenspiel-Szene, Hinter grundartikel und Szenarien zu Spielen wie »Shadow run« und »Degenesis«, aber weiterhin so lustige Dinge wie weitere Charaktere für das Brettspiel »Talis man«. Ich mag dieses Magazin. Ehrlich. Das Heft kostet 5,95 Euro. Herausgeber ist Martin Ellermeier, An der Lehmkaute 30, 64625 Bens heim (per E-Mail unter
[email protected] zu erreichen). SF Personality Der ausgesprochen rührige Hardy Kettlitz hat mit SF Personality 19 einen Band über Isaac Asimov veröf fentlicht, den »Schöpfer der Foundation« (so der Un tertitel). Über 380 Seiten hat dieser Band, üppig illus triert mit vielen Cover-Reproduktionen von Asimovs Werken. Dieses Buch ist – besonders dank der Bibli ographie von Hans-Peter Neumann – eine Fundgrube für den Science-Fiction-Fan (wie es eigentlich alle Bände dieser Reihe sind). Wahnsinn! Herausgeber ist der Shayol-Verlag, Bergmannstra ße 25, 10961 Berlin (im Internet unter www.shayol verlag.de zu finden). Der Preis beträgt 22,90 Euro. Sherlock Holmes Das aktuelle Sherlock Holmes Magazin 2 erschien mir so dick – bis ich herausbekam, dass es am beilie genden Lebkuchen in der Form von Holmes’ Kopf lag. Das nenne ich eine gelungene Überraschung! Inhaltlich wirft der neue Film über Sherlock Holmes seine Schatten, dazu kommen ein längerer Artikel über die Serie »Baker Street Boys« und ein sehr inter essanter Vergleich »Poe vs. Doyle«.
Sehr lesbar und sogar mit Leckereien versehen. Das Heft kostet 3,90 Euro. Die Herausgeber haben im Impressum wenig clever keine Adresse genannt, aber es gibt eine E-Mail-Adresse: S.H.Magazin@web. de. Skeptiker Die Gesellschaft für die wissenschaftliche Unter suchung von Parawissenschaft e.V. (kurz GWUP) gibt den skeptiker 4/2009 heraus. Wie der Titel des Magazins und der Name der Gesellschaft vermuten lassen, geht es um Parawissenschaften und deren kritische Betrachtung. So liest man etwas über »As trologie und Statistik«, ein informatives Interview über Satanismus und diverse andere Hintergrundberichte und Rezensionen. Gewöhnungsbedürftig ist die das Jahr durchziehende Seitennummerierung, sodass die erste Seite die Seite 174 ist. Ich mag es. Das Heft kostet 5,50 Euro. Herausgeber ist die GWUP, Arheilger Weg 11, 64380 Roßdorf (im Internet unter www.gwup.org). Vice Für umsonst erhält man Vice Volume 5 Number 12 in einigen Läden. Ein Literaturmagazin, zum Teil in Eng lisch, zum Teil in Deutsch. Dazu Comics, nette Artikel und so. Dieses Mal gibt es sowohl ein Interview mit Science-Fiction-Autor Iain Banks als auch ein Inter view mit Comic- und Film-Legende Alan Moore (»Watchmen«). Und das alles mit tollen Fotos ... Herausgeber ist Benjamin Ruth (benjamin@vice land.de); der Verlag ist zu erreichen unter Vice Ger many, Brunnenstraße 196, 10119 Berlin.
Impressum Die PERRY RHODAN-Clubnachrichten erscheinen alle vier Wochen als Beilage zur PERRY RHODAN-Serie in der 1. Auflage. Anschrift der Redaktion: PERRY RHODAN-Clubnachrichten, Pabel-Moewig Verlag GmbH, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Bei allen Beiträgen und Leserzu schriften behält sich die Redaktion das Recht auf Bearbeitung und gegebenenfalls auch Kürzung vor; es besteht kein Anspruch auf Veröffent lichung. Für unverlangte Einsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Reise in die Niemandswelt
»Wir brauchen Hilfe«, sagte Diamond. »Wir suchen ...« Sie überlegte. Das Wort »Terraner« würde dem Acroni kaum et was sagen. »Das ist gut«, sagte der Acroni. »Wer sucht, hat ein Ziel. Ziele geben dem an sonsten ungestalteten Dasein eine Schraffur. Wenn ich euch raten darf, Er habenheiten?« »Ja?«, fragte Tschubai. »Sucht, und ihr werdet euch finden.« Damit drehte er den Kopf zurück, schau te nach vorn und setzte seinen massigen Leib in Gang. »Danke!«, sagte Diamond. »Allerdings sind wir nicht nur auf der Suche nach uns selbst.« Der Acroni war bereits fast wieder in den Nebeldämpfen verschwunden. »Wir suchen einen Terraner«, rief Perbo Lamonca seinem Artgenossen nach. Der andere Acroni hielt wieder inne, drehte den Kopf zurück. »Was, beim Großen Götterfundus, ist ein Terra ner?« »Einer wie diese«, sagte Lamonca und wies mit seinem überlangen Arm auf Mondra Diamond und Ras Tschu bai. »Wozu?«, fragte der Acroni. »Da hast du doch schon zwei. Gier ist so geistlos wie Geiz.« Diamond biss sich auf die Unterlippe und überlegte: Kann man eine Superin telligenz foltern? Oder wenigstens be strafen? Züchtigen? Kann man ES so züchtigen, dass er uns nie, nie wieder in solche Situationen bringt? Ramoz ließ ein leises Fauchen hören, Diamond glaubte ihn zu verstehen. Sie spürte, wie Tschubai ihr die Hand auf die Schulter legte. »Andhon ke bich mem kana raja.« »Altes indisches Sprichwort«, riet sie. »Und du hast keine Ahnung, was es zu bedeuten hat.« »Es bedeutet: Unter lauter Blinden ist der Einäugige König. Will sagen: Lass unseren Acroni die Verhandlung füh ren.« Perbo Lamonca schaute Diamond und Tschubai fragend an. »Sie hat dich eben zu unserem Raja
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erhoben«, erklärte Tschubai dem Acroni. »Zu unserem Verhandlungsführer.« * Sie ließen Perbo Lamonca gewähren. Das Gespräch mit dem anderen Acroni ergab, dass sie sich in einem Wohlfühl verkaufs-Wirtshaus aufhielten, worun ter man am besten eine Mischung aus Sauna, Markthalle und Restaurant zu verstehen hatte. Es war nicht ganz nachzuvollziehen, welche Gattung sich in der überhitzt feuchten Atmosphäre ursprünglich so wohlfühlen sollte, dass die Geschäfte blühten. Von Terranern keine Spur. Perbo Lamonca bat um Hinweise auf verborgene oder unbekannte Areale des Polyport-Hofes, die als Versteck dienen könnten. »Wem unbekannt? Mir?«, fragte ihr Informant zurück. »Oder seht ihr mich für einen Geheimnisträger an, Erhaben heiten?« Der Tonfall machte Diamond klar, dass der Acroni ihren Suchtrupp für komplett meschugge hielt. Immerhin wusste er von gewissen ver botenen Kavernen. »Was weißt du über diese Kavernen?«, fragte Diamond nach. »Da der Aufenthalt in verbotenen Ka vernen naturgemäß verboten ist und ich von keiner Behörde weiß, die mir dem zum Trotz ein Visum hätte ausstellen können, das ich im Übrigen nicht bean tragt hätte, weil ich amtliche Untersa gungen und Verfügungen respektiere, weil ich nämlich ein gesetzestreuer Bür ger bin: nichts«, klärte er sie auf. Wenn die acronische Mimik der menschlichen auch nur annähernd ähn lich war, bedeutete der Blick, den der Acroni ihrem Begleiter Perbo Lamonca zuwarf, dass er sich um den Geisteszu stand der Fragestellerin nunmehr ernst hafte Sorgen machte. »Natürlich nicht«, sagte sie resi gniert. »Außerdem heißt es, dass es für Sau erstoffatmer dort nicht sehr kommod ist«, fügte der Acroni hinzu. Diamond und Tschubai wechselten
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einen kurzen Blick. Kein Sauerstoff – al so möglicherweise Wasserstoff – ein Le bensraum für Maahks – für Schatten maahks? Diamond war sich sicher, dass Tschubai und Lloyd ähnliche Schlüsse zogen. Immerhin konnte ihr Informant die Lage der verbotenen Kavernen hinrei chend genau denken, um dem Konzept eine Orientierung zu ermöglichen. Sie schlossen die Helme ihrer Schutz anzüge. Diamond sorgte dafür, dass die Folienhülle Ramoz sicherte. Dann stell ten sie den Körperkontakt zueinander her und teleportierten. * Schwache hellgrüne Schwaden stan den im Saal. Auch ohne einen Blick auf die Anzeigen ihres SERUNS konnte Diamond sich denken, welche Art At mosphäre sie umgab. Chlor, dachte sie. Das Habitat eines Chlorgasatmers. Ungeschützt hätten weder sie noch ihre Begleiter einen Aufenthalt in dieser Sektion überstanden. Nicht einmal Grek 363. Der Boden der Halle bildete eine sanft anfallende Mulde. Im selben flachen Winkel wölbte sich die Decke, vielleicht zehn oder zwölf Meter über ihrem Kopf. Das Licht im Raum war warm und diffus. Auf hüfthohen Haltern brannten Hunderte von Kerzen. Die Flammen türkis. Wenn die akustische Darstellung des SERUNS nicht täuschte, erzeugten die se Kerzen einen hohen, singenden Ton. In unregelmäßigen Abständen stan den Objekte im Raum. Gegenstände, von denen Diamond nicht zu sagen gewusst hätte, ob es Maschinen, künstlerische Monumente oder Behausungen waren, drei bis sechs Meter hohe Gehäuse. Ihr Grundriss war fassförmig, bau chig, aber hier und da waren eckige Aus wüchse zu sehen, Ein- und Ausbuch tungen, kreuz und quer verlaufende Dellen mit gezackten Kanten. Die Ge genstände waren mit nichts vergleich bar, was Diamond jemals gesehen hatte.
Stoff gewordene Andersartigkeit. Den Anzeigen ihres Multifunktionsarmbandes zufolge bestanden die Objekte aus purem Gold. Sie fühlte sich merkwürdig leicht, fast beschwingt. Ein Blick auf das Armband bestätigte ihren Eindruck: null Komma drei Gravo – nicht einmal ein Drittel der irdischen Schwerkraft. »Hier werden wir ihn nicht finden«, sagte Diamond. »Hier ist nichts. Machen wir, dass wir weiterkommen.« Aus dem Hintergrund der Halle kam ihnen eine Kreatur entgegen. Sie flog. Ihre Flügel schlugen langsam wie in Zeitlupe. Sie waren transparent, von fei nen Äderchen durchzogen. Der stabför mige Leib blau, mit einigen metallischen Bandagen gegürtet. Der Kopf faustgroß, mit drei fein facettierten Augen verse hen, zwei dort, wo sie auch beim Men schen zu finden waren, das dritte darun ter, wie anstelle eines Mundes. Das Wesen wirkte zugleich unsäglich zerbrechlich und unantastbar elegant. Tschubai/Lloyd zögerte. Hatte die Kreatur einen telepathischen Kontakt zu dem Konzept hergestellt? »Bei den Berach Puofanii«, sagte das Geschöpf mit einer glockenartig feinen Stimme, »haben wir euresgleichen lan ge nicht gesehen.« Aus der Leibesmitte löste sich ein dünnes, schlankes Ärm chen und wies auf Mondra Diamond und das Konzept. »Eure mentale Strö mung trägt das Fragment einer Tiefen signatur der Sphero und chronogene tische Spuren der Anakonen. Und das in dieser Galaxis. Tefroder, darf ich ver muten?« »Wir sind keine Tefroder«, sagte Dia mond. »Aber die Tefroder und wir haben gemeinsame Vorfahren.« Das geflügelte Wesen schaute Dia mond eine Weile mit allen drei Augen an. Wie immer fühlte sich Diamond von Fa cettenaugen irritiert – sie konnte sie nicht fixieren. »Die Krypta der Berach Puofanii wur de gegen das kommunale Lebensland von DARASTO versiegelt«, sagte das Geschöpf. »Eure Anwesenheit über rascht uns. Sollten wir weichen?« »Nein«, sagte Diamond rasch. »Keine
Reise in die Niemandswelt
Sorge. Wir wollen niemanden vertrei ben.« »Die Berach Puofanii sorgen nichts«, sang das Geschöpf. »Aller Raum umgibt uns. Wir falten unsere Krypta ein in je des Sternenhaus.« »Natürlich«, sagte Diamond, um Zeit zu gewinnen und ohne auch nur ansatz weise zu verstehen, wovon das Geschöpf sprach. »Selbstverständlich sind die Berach Puofanii den Sphero dankbar.« Das Ge schöpf gab ein glockenartiges Geräusch von sich. »Die Berach Puofanii vermu ten, dass auch die Sphero ihnen dankbar sind.« »Dafür haben sie zweifellos allen Grund«, sagte Diamond. »Nicht nur, weil die Berach Puofanii einen ihrer Inselstaaten bargen aus den Verwertungsfabriken der Dandschy. Denn Hilfe ist das Siegel der Vergäng lichkeit, ihr Brückenpfeiler ins Unver fertigte.« Diamond lachte auf, verzweifelter, als sie selbst erwartet hatte. »Oh ja«, sagte sie bitter. »Für ein bisschen Hilfe wären wir dankbar.« Verirrt in den Untiefen von DARAS TO. Warum überrascht es mich, wie fremd mir diese Technowelt ist? Sie ist nicht menschlich. Sie hat nichts Mensch liches. »Die Berach Puofanii begehren zu wissen, wobei.« »Wobei was?«, fragte Diamond. »Wobei die Berach Puofanii euch bei stehen könnten. Denn Beiwerk alles Ver gänglichen zu sein streben die Berach Puofanii an, entsagen aber allem Gegen werk.« »Ich suche meinen Mann«, sagte Dia mond leise. »Oder wenigstens seine Lei che.« »Lass ihn mich sehen«, bat das Wesen ebenso leise »Tu, was du willst.« Das Wesen war mit zwei, drei stärke ren Flügelschlägen ganz nah bei ihrem Gesicht. Es legte ihr die Flügel um den Helm des SERUNS. »Abwehrmaßnahmen?«, fragte der Anzug. »Nein«, entschied sie.
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Die grünen Chlorschwaden blieben durch die Flügelhäute sichtbar. Mondra Diamond roch etwas wie einen Hauch von Honig und Eisen. Etwas berührte ihr Denken. Es war kein telepathischer Zugriff. Dagegen hätte sie sich instink tiv gesperrt. Es war etwas wie ein leiser Ruf, dem man nicht anders als antwor ten konnte. Sie fühlte, wie ihr Geist ge sprächig wurde. Tschubai blickte sie fragend an. Sie hob abwehrend die Hand. Lass ihn. Es ist alles in Ordnung. Die Flügel lösten sich wieder. Das Ge schöpf brachte einige Armlänge Abstand zwischen sich und Diamond. »Die Berach Puofanii bitten euch um eine kurze Atemfolge Geduld.« Das Ge schöpf flog zu einem der Gebilde, legte seinen Kopf an die goldene Wand, flog zum nächsten, zum übernächsten. »Hoffentlich vergeuden wir keine Zeit«, sagte Tschubai. Er wandte sich an Grek 363 und Perbo Lamonca. »Wer sind diese Berach Puofanii?« Der Maahk hatte nie von ihnen ge hört. »Sie sind nur eine Legende«, sagte Grek 363. »Soweit wir wissen, gibt es sie gar nicht.« Diamond lachte und wollte sagen: Und was ist das hier dann? Aber tat sächlich, fiel ihr ein, hatte das Geschöpf mit keinem Wort behauptet, selbst ein Berach Puofanii zu sein. Kurze Zeit später kam das Geschöpf zurück. »Den Berach Puofanii scheint, als hätte der von dir Gesuchte die Kryp ta nicht passiert«, sagte er. Diamond seufzte. Es wäre ja auch zu schön gewesen. Vergeudete Zeit. »Aber es hat eine leichte, metareale Touchierung gegeben«, sagte das Ge schöpf. »Eine was?«, fragte Diamond. »Eine Spur.« »Könntest du – könnten die Berach Puofanii uns sagen, wohin diese Spur führt? Und ob mein Mann noch lebt?« »Die Berach Puofanii bedauern«, sagte das Geschöpf mit einer jetzt fast unerträglich schönen, melodischen Stimme, »aber die Frage nach Leben oder Tod ist aus der Spur nicht zu beant
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worten. Was war, leuchtet über die Gren zen beider Definitionen hinaus.« Diamond schüttelte langsam den Kopf. Alle Spuren verlaufen ins Nichts. »Und wohin diese Spur führt, wüssten die Berach Puofanii auch nicht zu sa gen?« »Doch«, sagte das Geschöpf. »Wünscht ihr eine Projektion der Spur?« »Wenn du sie mir vermitteln könn test«, sagte Tschubai, »wären wir dir sehr dankbar.« »Gerne«, sagte das Geschöpf. »Denn Hilfe ist das Siegel der Vergänglich keit.«
wollte sie kein Risiko eingehen, wollte weder das Konzept überfordern noch jemanden zurücklassen müssen. »Kannst du 363 und Perbo und«, sie warf einen Blick auf den in die Schutz folie eingehüllten Luchsartigen, »und Ramoz vorher zurückbringen zu MI KRU-JON?« Tschubai zögerte einen Augenblick. »Sicher.« »Tu es«, sagte sie. Sie würde hier war ten. Von hier aus hatte das Geschöpf Tschubai instruiert. Von hier aus sollte er springen. »Komm schnell zurück.«
*
Die metarealen Zonen
Der Facettenäugige flatterte auf Tschubai zu und umfing dessen Helm sektion mit seinen transparenten Schwingen. Nur für einen Moment. Dann löste er sich und flog ohne Gruß in die Tiefen der Halle davon. »Was war?«, fragte Diamond. Tschubai räusperte sich. »Das war ziemlich merkwürdig. Es war – wie auch immer: Ja, es war gut.« »Du hast Perry gefunden?«, fragte Diamond. »Nein. Aber diese Kreatur hat mir et was anderes gezeigt. Eine größere Menge fühlender Maahks. Schattenmaahks.« »Und du weißt, wo sie sich aufhal ten?« »Aber sicher.« Tschubai streckte seine Hände aus. »Warte!«, bat Diamond. Sie überlegte. In früheren Zeiten hatte es als Faustre gel gegolten, dass Teleporter zwei Be gleitpersonen mitnehmen konnten auf einen Sprung. Da viele von ihnen jedoch in der Lage waren, sogar einen Haluter wie Icho Tolot zu transportieren, der mehrere Menschen aufwog, hatte sie keine Bedenken gehabt, Tschubai sich selbst, Ramoz und ihre beiden Begleiter zuzumuten. Wenn Tschubai aber mit all diesen Passagieren in der Nähe Rhodans auf tauchen und wenn sich die Notwendig keit ergeben sollte, Rhodan rasch zu bergen, rasch ins Schiff zu teleportieren,
Grek 1 also. Der Schattenmaahk aus dem Polyport-Hof OROLOGION. Rho dan begriff unmittelbar die Konse quenzen. »Wir sind hier nicht im Inneren Jupiters, nicht wahr?«, fragte er den Wasserstoffatmer, der natürlich alles an dere war als sein Butler. »Nein.« »Sind wir es je gewesen?« Wieder verneinte der Maahk. »Dann hätte ich gerne gewusst, wo wir sind. Und warum wir hier sind.« Grek 1 zögerte einen Moment. »Mein Name ist Pral«, sagte er schließlich. Rhodan überlegte. Sein Name? Seit wann tragen sie solche Namen? Er war es gewohnt, dass Maahks sich mit rela tiven Bezeichnungen vorstellten, mit Zahlen, die ihren Rang in einer meist nicht näher gekennzeichneten Hierar chie angaben. Der Befehlshaber eines Schiffes war sein Grek 1; trat das Schiff einem Verband bei, mochte der Kom mandant hinsichtlich seiner Befehlsge walt Grek 1 bleiben, firmierte hin sichtlich des Verbandes aber als Grek 5, Grek 10, Grek irgendetwas. Aber invariante Eigennamen – wozu? Vielleicht, weil er zu mir ein Vertrau ensverhältnis aufbauen will? Oder weil hier, wo wir jetzt sind, keine Hierar chien und Bezugssysteme mehr existie ren? »Du bist bei der Explosion auf dem Transferdeck schwer verletzt worden«, sagte Pral.
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Rhodan betrachtete seine Hände. Kei ne Spur einer Verbrennung oder einer anderen Verletzung. Keine Wunde. Kei ne Narbe. Er würde eine solche Verletzung wohl kaum abgelegt haben wie einen Man tel. Er stutzte. Oder doch? Die Jacke aus dem merkwürdigen Stoff kam ihm in den Sinn, die er Pral bei ihrer ersten Begegnung übergeben hatte. Der Stoff aus kristallisierten Flammen. Aus Feuer und Splittern. »Wie schwer verletzt?«, fragte er, obwohl er die Antwort zu wissen glaubte. »Sehr schwer«, antwortete Pral und verstummte wieder. Er will, dass ich es selbst erkenne, dachte Rhodan. Er schloss die Augen. »Ich sollte mich fragen, wie ich diese Explosion habe überleben können«, sagte er. »Eine hilfreiche Frage«, sagte Pral. Rhodan wartete. Der Maahk reagierte nicht. »Ich könnte mich vielleicht auch fra gen, ob ich sie tatsächlich überlebt ha be«, sagte Rhodan. »Ja«, bestätigte Pral. »Frage dich das.« Rhodan sagte: »Ich habe sie also nicht überlebt.« Der Maahk schwieg. »Ich bin tot.« »Ja«, sagte der Maahk. * Pral hatte ihm erklärt, dass die Verlet zungen, die ihm die Explosion beige bracht hatte, so schwerwiegend gewesen waren, dass keine Aussicht auf Rettung bestanden hätte. Jedenfalls nicht auf Rettung mit me dizinisch-chirurgischen Mitteln. Doch es war seinesgleichen, also den Schattenmaahks, gelungen, ihn – sein Selbst, sein Ich, seine mentale Substanz – aus dem sterbenden Körper zu bergen und sämtliche Vorbereitungen für den paramechanischen Übergang zu treffen. »Ich habe versucht, dir den Übergang zu erleichtern. Für die meisten Lebewesen ist nämlich – soweit ich es verstehe – der
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Tod ein fundamentaler Einschnitt. Viele fürchten ihn.« Wie wahr, dachte Rhodan. »Deswegen haben wir dich in reflek torische Felder gehüllt, dir aber die Ge staltung der Bilder überlassen. Diese Felder und ihre Bildwelt sollten dein mögliches Erschrecken abfedern.« Rhodan versuchte, Prals Andeutungen zu verstehen. »Reflektorische Felder – Felder, in denen ich mich reflektieren kann, sozusagen spiegeln?« »Natürlich«, sagte Pral. »Was sonst? So konnte ich verhindern, dass dein Be wusstsein sich deformiert und jede De finition verliert. Du konntest du selbst bleiben – gefasst und gerahmt von den Schablonen, die du dir vorgestellt hast.« Das teils vertraute, teils aberwitzige Terrania – eine Stadt, zusammengestü ckelt aus seinen Erinnerungsfragmenten. Sein Butler – Pral, der ihm in der Gestalt eines Butlers hatte verstehen geben wol len, dass er ihm zu Diensten sein würde. Die reflektorischen Felder, die sich ihm als Spiegelsaal gezeigt hatten. Die Space-Jet mit Namen Hoffnung – Hoff nung Omega – denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Universum aus Bildern und Symbolen. Alles, um mir den Übergang zu erleichtern. »Den Übergang wohin?«, fragte Rho dan. »In die Niemandswelt«, sagte Pral. »Ins Imperium der Toten.« »Und mein Körper?«, fragte Rhodan und schaute auf seine Hände. Sie schie nen ihm so gegenwärtig, so handfest. Und waren nichts als Einbildungen, Schablonen, dachte er. Ich bin ein Phan tom inmitten von Phantomen. »Mein wirklicher Körper?« »Du bist im Augenblick paramecha nisch konserviert«, sagte Pral. Rhodan verstand nicht, ob das eine Antwort war oder die Verweigerung ei ner Antwort. Was war konserviert? Sein Körper? Sein Ich? »Dein Tod muss nicht das unumkehr bare Schweigen und die letztgültige Nichtigkeit sein, als die du ihn dir vor stellst«, sagte Pral. »Ich kann dich anlei ten, mit den anderen Toten zu sprechen.
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Schließlich«, eine Art Belustigung schien in seiner Stimme aufzuleuchten, »bin ich selbst in gewisser Weise tot. Ich kann dich begleiten, wenn du die Zonen der Niemandswelt erkunden willst. Für eine solche Reise sind die Bedingungen gera de im metarealen Kontext der Galaxis Hathorjan ideal.« »Was heißt das?«, wollte Rhodan wis sen. »Hathorjan ist unser metareales Stammland. Das mentale Transterrito rium der Schatten. Seit einiger Zeit aber wandern wir nicht mehr allein durch die metarealen Zonen. Die Vatrox sind hier. Ihre Frequenzfolger. Sie sammeln sich, kehren um zur Wiedergeburt. Etliche von uns hatten bereits Kontakt mit ih nen.« Rhodan hatte das Gefühl, allmählich zu verstehen. »Dieses Netz, das ich gese hen habe ...« Er unterbrach sich. Sehr leise, wie aus einer unsäglichen Ferne, klangen wieder die Schritte, pochte es wieder in ihm. Das, was ihn seit seiner Ankunft in dieser Niemandswelt ver folgt hatte, meldete sich erneut, war nicht abzuschütteln. Er lauschte. Sollte er Pral nach die sem Phänomen fragen? »Dieses Netz«, sagte Pral, »ist kein na türliches Gebilde. Die Frequenz-Monar chie hat es angelegt. Es nutzt dazu sol che Areale und Sektoren des gegebenen Psionischen Netzes, die unter normalen Bedingungen verschlossen sind. Das Netz der Frequenz-Monarchie ist ein Verkehrssystem für das Vamu der Vatrox.« »Eine Art Tunnelsystem für Seelen«, übersetzte Rhodan und hob die Brau en. Es fiel ihm schwer, diesen Aussagen zu trauen. Die Vatrox sollten in der Lage sein, das Psionische Netz zu ihren Guns ten zu manipulieren? Sollten über eine Technologie verfügen, die sie zu Jen seitsbaumeistern machte? Das alles schien ihm zu fantastisch. Gab es nicht näherliegende Erklä rungen? War es Pral und seinen Schat tenmaahks vielleicht gelungen, ihn un ter Drogen zu setzen, deren Wirkung weder vom Zellaktivator annulliert noch
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von seiner Mentalstabilisierung in die Schranken gewiesen werden konnten? Stand er unter dem Einfluss solcher bewusstseinsverändernder Mittel; ver suchte man, ihn mit solchen Mittel aus zuhorchen? War eine psychotrope Hochleistungs pharmakologie nicht wahrscheinlicher als die Eroberung metaphysischer – oder, wie nannte der Maahk sie: metarealer – Regionen durch die Frequenz-Monar chie? Wo war er wirklich? Er sah sich um. Der schwarze Saal schien grenzenlos. Oder konnte er die Wände nur nicht sehen, weil sie dunkel ins Dunkle ragten? Er bückte sich und hob eine der Scherben auf. Sie war leicht und kalt wie Eis. Die eine Seite schwarz. Die andere zeigte einen Ausschnitt sei nes Gesichtes. Er erkannte sein Auge, die Narbe auf dem Nasenflügel, den Mundwinkel – präzise, aber seitenver kehrt wie ein Spiegelbild, unbeweglich eingefroren. »Dieser Spiegelsaal – das ist das re flektorische Feld?« »Wenn es dir als Spiegelsaal erscheint – ja. Ich sehe es anders, aber du hast dich naturgemäß mit Bausteinen deiner Erin nerung umgeben.« Natürlich, dachte Rhodan. Ich sehe ja nicht wirklich, ich habe hier ja keine Au gen, ich stelle mir mein Gesicht nur vor. Nichts als Bilder. »Wie erscheint dir dieser Ort?«, fragte er Pral. »Zunächst einmal: nicht als Ort. Ich würde ihn die Linse nennen. Den Spä her. Oder die Lupe.« »Was heißt das?« »Komm mit«, sagte Pral. Er ging vor an, Rhodan folgte. Nach wenigen Schrit ten verdichtete sich die Dunkelheit zu einer Wand. Pral streckte seinen Arm aus und berührte etwas in der Wand. Ei ne Tür glitt auf. Er trat zur Seite. Rhodan blickte in den Raum nebenan, der unerklärlicherweise tief unter ihnen zu liegen schien, am Grunde eines Schachtes, sodass er von weit oben auf die Szene hinabschaute. Was er aber sah, war scharf gezeich net und von einer fast übernatürlichen
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Klarheit. Wie durch ein Teleskop be trachtet. Er sah seinen Leib auf einer Pritsche oder einer Bahre liegen, umgeben von Schattenmaahks. Über seiner Bahre spannte sich ein Tuch, gewebt aus Licht und Energie. Der Raum glich einer La gerhalle. Haufen von aufgestapeltem, unwirklich anmutendem technischen Gerät überall. Auch die Pritsche – und damit sein Körper – war von den irreal wirkenden Maschinen umgeben. Er hörte, wie einer der Maahks zum anderen sagte: »Der Leib ist bereits we senlos und lauter. Aber es ist ein Etwas in ihm, ein Relikt, das sich weigert zu sterben.« Die Schattenmaahks verschoben die Geräte, schafften das eine fort, ersetzten es durch ein anderes und aktivierten es. Sie wollen dem auf den Grund gehen, erkannte er. Sie wollen wissen, was sich in mir zu sterben weigert. Sollte er es ihnen sagen? Da hörte er wieder das Pochen, über fallartig und dröhnend, wie eine im Laufschritt herbeimarschierende Ko lonne. Und diesmal konnte er die Rich tung wahrnehmen. »Schließ die Tür!«, schrie er Pral zu. Der Maahk reagierte blitzartig. Er schlug die Tür zu und die Fugen lösten sich auf in der Wand. Rhodan bemerkte, dass seine Hände vor Anspannung zitterten. »Hast du es auch gehört?« »Hier«, sagte Pral und machte eine weit ausholende Bewegung, »gehen die Laute nicht von Gegenständen aus. Wir hören, was wir verstehen, und sehen, was wir verstehen. Also ist allem, was wir hören, sehen, wahrnehmen, ein Teil von unserem Selbst beigemischt. Wir tö nen es und färben es, wir konturieren es. Ich kann deswegen auf deine Frage nicht so antworten, wie ich möchte. Denn mir bist du nicht beigemischt.« Rhodan lachte. »Kannst du mir auf andere Fragen antworten? Die Schatten maahks – wie seid ihr entstanden?« Dass die Evolution der Schatten maahks längst begonnen hatte, wussten die Terraner seit dem Jahr 426 NGZ – seit mehr als einem Jahrtausend also.
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Damals war, wenn Rhodan sich recht erinnerte, ein gewisser Luger Serkrantz Zeuge eines Auftritts von Schatten maahks auf Lookout-Station gewor den. Über das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Maahks und Schattenmaahks lagen der Liga keine Informationen vor. Wann und warum es zum Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen ge kommen und weshalb der Konflikt eska liert war, wusste Rhodan ebenso wenig. »Und wieso verfolgen euch eure ur sprünglichen Artgenossen so unerbitt lich?« »Dazu kann ich nichts sagen.« Rhodan nickte. In gewisser Weise konnte er diese Haltung verstehen – nicht nur, weil ES ihm erst vor Kurzem eine einschlägige Lektion erteilt hatte: Was man nicht weiß, kann man nicht verraten. Ahnungslosigkeit – die höchste Stufe der Geheimhaltung. »Kannst du mir wenigstens etwas über die Struktur des Vatrox-Netzes sa gen? Was bedeuten beispielsweise die hellen Punkte darin?«, fragte er. Diesmal antwortete der Maahk. »Ich denke, ich weiß, was du meinst. Das sind die sechs Hibernationswelten der Fre quenz-Monarchie in Hathorjan, auf de nen die Vatrox wiedergeboren werden.« Rhodan nickte. Immerhin. »Ich habe Objekte gesehen, die ausgebrannten Sonnen ähneln«, sagte er und beschrieb sie ausführlich. »Das sind die Handelssterne. Sie ha ben einst zum Teil aus Psi-Materie be standen. Jetzt sind sie ausgeglüht und verzehrt.« Ausglühen mochten sie, weil Zeit verging. Aber verzehren wäre eine Tä tigkeit. »Verzehrt von wem?« »Ich weiß es nicht genau. Ich vermute, von VATROX-VAMU.« Rhodan überlegte. Hatte ES nicht da von gesprochen, dass die FrequenzMonarchie einen mächtigen Feind habe, mächtig genug, ihr das PARALOX ARSENAL zu entwenden? Mächtig genug auch, die Handelsster ne zu sabotieren? »Und dieser schwarze, stellare Wirbel, in den es mich beinahe gerissen hätte?
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Eine Dunkelwolke – oder ihr Schatten in den Zonen?« »Ein dunkler Wirbel sicher, aber kein natürliches stellares Gebilde.« Täuschte er sich, oder sprach Pral emotionaler über dieses Phänomen, dis tanzloser? Ging ihn dieser Wirbel näher als die Hibernationswelten und die Han delssterne? »Du fürchtest diese Gebilde?«, riet er. Pral schaute ihn einige Sekunden lang wortlos an. Dann sagte er: »Ver glichen mit der reichen Anwesenheit von körperverhafteten Alt-Maahks gibt es sehr wenige von uns. Wir wären nichts als ein Spurenelement der Zukunft im Gesamtvolk. Aber die Majorität will un sere Evolution unterbinden. Sie haben eine Waffe geschaffen, die verhindert, dass sich unser Geist vom Körper löst.« »Die schwarzen Wirbel.« »Sie nennen es Krathvira«, sagte Pral. Das Wort war offenbar eine Bezeich nung in Kraahmak. Rhodan beherrschte die Sprache der Maahks leidlich. Ihre Grammatik war für Außenstehende ein Mysterium mit ihrem verwinkelten Satzbau und dem Übermaß fein abge stufter Kausalitätssignaturen. Aber hier ging es um schlichte Vokabeln. Er brauchte nicht lang, um sich die Bedeu tung zu erschließen: Offenbar war das Wort eine Zusam mensetzung aus Zerkrath und Gercks vira. Zerkrath ließ sich mit die sanfte Stim me der Toten übersetzen, Gercksvira war die tiefste aller Niederungen. »Krathvira – das heißt so viel wie sanfte Todesniederung, nicht wahr?« Er dachte: Was für ein poetischer Na me für eine Waffe. Dann versuchte Pral, ihm die Funkti onsweise des Zerkraths zu erläutern. Soviel Rhodan verstand, war die sanfte Todesniederung eine Art ÜBSEF-Samm ler – eine Seelenfalle, dachte Rho dan. Die Wissenschaftler des Schatten maahks hatten herausgefunden, dass die Waffe auf sechsdimensionaler Basis ar beitete. Sie bezeichneten das Zerkrath als Paraabstrakt-Transponsor.
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Pral schilderte den Einsatz des Zer kraths so: »Wenn die Fundamentalisten unter den Maahks einen von uns Schat ten in die Enge getrieben haben, unter nehmen sie alles, um ihre Beute in schiere ausweglose Existenzangst zu versetzen. Als letzte Fluchtmöglichkeit bleibt nur, das Bewusstsein vom Körper zu tren nen. Wenn das geschieht, nimmt das Zer krath den abgelösten Geist gefangen. Unwiderruflich. Das ist das Todesurteil für den Schattenkörper: Der entgeistig te Leib stirbt ab, da er ohne Bewusstsein nicht weiterleben kann. In einen abgestorbenen Organismus aber vermag kein Geist zurückzukehren. Das Bewusstsein eines solchen bleibt im Zerkrath gefangen.« Rhodan glaubte zu verstehen. »Auf diese Weise haben die Fundamentalisten Grek 259 getötet?« »Ja«, sagte Pral. Was für eine unwirkliche Jagd, dachte Rhodan. Die von ihren Seelen ausgewei deten Leichen. Die Trophäen in einem Jenseits-Kerker gefangen. Er dachte an seinen Leib, wie er ihn am Grund des Schachtes hatte liegen sehen. Lag sein Körper schon zu lange von seinem Geist entseelt? Und was, wenn die Grenze überschritten war, das Gewebe unwiderruflich tot, von den Vorboten der Verwesung ergriffen? Wäre ihm dann die Rückkehr in die reale, materielle Welt so verstellt wie den Schattenmaahks im ParaabstraktTransponsor der Fundamentalisten? Oder, schlimmer noch: Würde er eines Tages, morgen oder in tausend Jahren, einem solchen Zerkrath in die Falle ge hen? Eines Tages, wenn die Fundamen talisten in ihrem Widerstand, ihrem Krieg gegen die Evolution ihrer Art mehr und mehr Territorien in den me tarealen Zonen unter ihre Kontrolle ge bracht hätten? Der Gedanke entsetzte ihn so, dass er spürte, wie sich die Sache der Schatten maahks in seine Sache verwandelte. Ich werde das nicht zulassen, dachte er. »Ich werde euch unterstützen«, sagte er. »Aber das kann ich nicht von hier
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aus. Diese Zone – das ist nicht meine Le benswelt.« »Natürlich nicht«, sagte Pral amü siert. »Du bist schließlich tot.« Gegen seinen Willen musste Rhodan lachen. »Mag sein«, sagte er. »Ich will nicht um Begriffe streiten. Hier bin ich Gast. Alles ist mir fremd. Du führst mich, ich bin dir dankbar dafür. Aber ich bin weder dir von Nutzen noch dei nen Artgenossen. Ich bin nichts als Bal last.« Pral schwieg dazu. Rhodan sagte: »Warum habt ihr mich gerettet? Als Souvenir aus DARASTO? Ihr versprecht euch etwas von mir. Ich werde gerne versuchen, es zu halten. Aber das kann ich nicht von hier aus. Verstehst du das?« Pral schwieg. Rhodan sagte: »Ich möchte in meinen Körper zurückgeführt werden. Von dort aus werde ich sehen, was ich für euch tun kann.« Pral schwieg immer noch. Rhodan dachte nach. »Das Krathvira – der Paraabstrakt-Transponsor –, wird dieses Waffensystem aus den metarealen Zonen gesteuert oder aus dem Normal raum?« »Ich weiß es nicht mit letzter Sicher heit«, gestand Pral. »Da das Krathvira von Körperlichen konstruiert und ge schaffen worden ist, vermute ich, dass es auch von dort gesteuert wird. Nicht von den metarealen Zonen aus.« »Also«, schloss Rhodan, »braucht ihr einen Verbündeten im Normalraum. Lass mich gehen.« Am Fundort Die Schattenmaahks, die sich um Per ry Rhodans Körper versammelt hatten, fuhren zusammen, als Mondra Diamond und Ras Tschubai neben ihnen materia lisierten. Für einen kurzen Moment schien die Szenerie so erstarrt, dass Diamond den Eindruck hatte, ein bloßes Hologramm zu sehen, eine dreidimensionale Auf zeichnung, die auf Pause gestellt worden war.
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Sie hatte Zeit, ihre Blicke über die Maahks wandern zu lassen. Keiner von ihnen trug eine Waffe in der Hand. Langsam zog sie selbst die Hand vom Holster. Einen der anwesenden Maahks glaubte sie wiederzuerkennen: Das musste der Grek 1 aus dem Polyport-Hof OROLOGION sein. Er lag regungslos auf einer Pneumoliege neben Rhodan. »Alles klar« flüsterte Tschubai ihr mit dem Lloyd-Akzent zu. Kein Angriff. Keine Gefahr. Erst jetzt gestattete Diamond sich ei nen längeren Blick auf Rhodan. Er lag nackt, den Leib von schweren und schwersten Verbrennungen gezeich net, auf einer Medoliege, über die sich ein völlig durchsichtiger Plastikiglu stülpte. Innerhalb des runden Zeltes herrschte wohl eine Sauerstoffat mosphäre. Rhodans Beine lagen leicht gespreizt, die Arme weit ausgebreitet. Seine Augen geschlossen. Die Brust unbewegt. Diamond schluckte, als sie die vielen schwarz verkohlten Regionen seines Körpers sah. Innerhalb der Zeltwand standen et liche Gerätschaften mit anscheinend medizinischer Funktion: Überwachungs anlagen, verschlungen anmutende infu sionstherapeutische Aufbauten, Roboter mit tentakelförmigen Auswüchsen, an deren Spitzen chirurgisches Besteck saß. Alles wirkte beunruhigend untätig. »Wie geht es ihm?«, fragte sie. Endlich erwachten die Maahks aus ihrer Erstarrung. Sie hatten ihre Schlüs se gezogen und wirkten nun gefasst und aufmerksam. »Wie es ihm geht?«, fragte einer der Maahks. »Ich darf die Situation viel leicht kurz erklären.« * »Mein Name ist Grek 124.« Niedriger Rang, dachte Diamond er schrocken. Keine leitende Position. »Wir haben bei diesem Terraner«, er wies überflüssigerweise auf Rhodan, »ei
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ne tief gehende, multiple Hitzeverlet zung festgestellt. Die Behandlung dieses komplexen Traumas ist – komplex.« »Er hätte bessere Überlebenschancen, wenn er auf seinem Schiff behandelt würde«, sagte Diamond. »Du bist Medotechnikerin?«, erkun digte sich Grek 124. »Nein.« »Dein Begleiter?« »Nein«, sagte Tschubai. »Interessante Diagnose«, murmelte der Maahk. »Was tut ihr mit ihm?«, wollte Mondra wissen. »Alles, was wir können«, sagte Grek 124. »Die Verbrennung reicht sehr tief. Es sind sämtliche Regionen seiner Haut betroffen. Auch tiefer liegendes Gewebe ist irreparabel beschädigt. Der Körper zeigte eine entzündliche Allgemeinreak tion auf die freigesetzten Toxine. Seine Nieren versagten. Multiples Organver sagen.« »Wie viel Prozent seiner Hautoberflä che sind betroffen?«, unterbrach Tschubai den Vortrag. »37 Prozent«, sagte Grek 124. Tschubai stöhnte auf. »Wie viel wäre tödlich?«, fragte Dia mond. »Ohne Behandlung: zehn Prozent«, sagte Tschubai leise. »Selbstverständlich haben wir eine hinreichende Nierendurchblutung durch angemessene Volumensubstitution ge währleistet. Wir haben einen stabilen Kreislauf zu sichern versucht und ihm Dobutamin und synthetisches Noradre nalin verabreicht, wie sie unsere Instan tane Pharmakogeneratoren in aller Eile bereitstellen konnten. Wir haben ebenso selbstverständlich eine Wundtoilette vorgenommen. Das nekrotische Gewebe der hitzezertrüm merten Regionen wurde schonend des integriert und die Wunde mit einer iso tonischen Kochsalzlösung ausgespült – wie sie für Metabolismen eurer Art taugt.« Er machte eine Pause. »Das habt ihr gut gemacht«, lobte Diamond. Sie wollte schlucken, aber ihr Mund war zu trocken. »Aber?«
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»Aber leider waren unsere Bemü hungen nicht erfolgreich. Der Körper eures Partners zeigte keinerlei Vitali tätszeichen.« Er ist tot, dachte Diamond. Ich muss mir das langsam sagen. Ich muss es aus wendig lernen. Ich muss ... »Man könnte meinen, er sei tot«, sagte Grek 124 »Könnte man ...« Diamond räusperte sich. »Könnte man auch etwas anderes sagen?« Sie spürte, wie der Maahk zögerte. Endlich sprach er: »Man könnte sagen: Dieser Terraner hat sich noch nicht ent schieden, ob er lebt oder tot ist. Derzeit ist er beides.« Was für ein Wahnsinn, dachte sie. Sie hätte der Aussage von Grek 124 gerne nicht geglaubt, aber in dessen Stimme hatte so viel Überzeugungskraft gelegen, dass ihr kein berechtigter Zweifel blieb. »Er ist beides?«, fragte sie nach. »Was heißt das?« »Er muss sich entscheiden«, sagte Grek 124. »Aber das kann doch nicht so schwer sein«, sagte Diamond leise zu dem Kon zept. Das Ausmaß der Verzweiflung in ihrer Stimme erschreckte sie. Der Teilhaber »Dich gehen lassen?« Pral erstarrte förmlich. »Damit würde ich alles zu nichtemachen. Dein alter Leib taugt nicht mehr als Bleibe. Du wirst keinen Halt finden. Verwehen. In den metare alen Zonen könntest du weiter existie ren. Mach das Netz der Frequenz-Mo narchie zu deinem Lebensraum. Bekämpf die Körperlichen mit mir, mit uns, von hier aus.« »Nein. Ich will die Fronten nicht ver wischen. Die Frequenz-Monarchie ist mein Feind. Ich werde nicht als Schma rotzer in ihrem Konstrukt hausen. Nicht einmal, wenn ich es nachhaltig sabotie ren könnte!« Rhodan, der Totenguerilla, dachte er. Das Schreckgespenst der Vatrox. Nein, danke. »Du willst lieber zurückschlüpfen in
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einen verwesenden Kokon und darin aufhören?« Pral klang ungläubig. »Ich denke nicht daran«, sagte Rho dan. »Hast du gehört, was ich gehört ha be? Was die Schatten über mich gesagt haben in diesem ...« Verlies wollte er sa gen, unterbrach sich aber und fuhr fort: »In diesem Raum voller Geräte? Es ist ein Relikt in ihm, das sich weigert zu sterben.« »Jeder Wille erschöpft sich irgendwann. Jede Weigerung endet.« »Dieses Relikt, von dem die Schatten maakhs gesprochen haben, ist mein Zell aktivator. Eine Leihgabe einer Superin telligenz, ein Vitalenergiespeicher.« »Ich bin mit diesem Konzept vertraut«, sagte Pral. »Ich begreife zwar die Tech nologie dieses Gerätes nicht, aber ich habe es mir sogar zunutze gemacht.« »Du?« Rhodan war erstaunt. »Wie?« »Nur die Vitalenergie deines Aktiva tors hat es mir ermöglicht, dich körper lich vom Transferdeck des Hofes zu ver setzen. Sonst wäre mir die Last zu groß gewesen. Nur die Vitalenergie deines Aktivators hat es mir ermöglicht, deine ÜBSEF-Konstante einzukapseln und in die Zonen zu heben. Dich dem Netz an zupassen und reisefähig zu machen. Zu machen – und zu halten.« Rhodan nickte innerlich. Er war im mer schon überzeugt davon gewesen, dass der Aktivator nicht nur seine Phy sis gewissermaßen mit Lebensenergie auflud, sondern auch seinen Geist – nun ja, auf besondere Weise belebte. »Danke!«, sagte er leise. »Du hast mir das Leben gerettet hast. Aber ich fürchte, genau das Quantum Vitalenergie, das du aus dem Aktivator abzweigst, fehlt dem Gerät bei dem Versuch, meinen Körper so weit zu heilen, dass er für mich wie der bewohnbar wird.« Pral dachte offenbar nach. »Bist du sicher?«, fragte er dann. »Nein«, sagte Rhodan. »Aber ich ken ne einen Weg, es herauszufinden.« Pral schwieg. »Lass es mich versuchen«, bat Rhodan eindringlich. Es konnte sein, dass es tatsächlich die Sorge um ihn, den abgelösten Geist Rho dan, war, die Pral zögern ließ.
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Vielleicht fürchtete der Schatten maahk aber auch nur, einen Verbünde ten zu verlieren, der hier, in den metare alen Zonen, kaum eine andere Wahl hatte, als sich auf die Seite Prals und seiner Gefährten zu stellen. Oder gab es noch einen anderen Grund? »Pral?« »Du bist der erste Gast, den ich – den irgendeiner von uns in die metarealen Zonen mitgenommen hat. Es ist kein sehr erprobtes Verfahren.« Es klang besorgt, fast ein wenig ent schuldigend. Rhodan konnte sich den ken, was der Schatten sagen wollte. »Es ist also nicht ganz geglückt«, schloss er. »Was ist schiefgegangen?« »Meist stellen wir uns unsere ÜBSEFStruktur als einheitliches, kohärentes Gebilde vor«, sagte der Schatten leise und bedächtig. »Wir ahnen zwar, dass es Unebenheiten gibt, Frakturen, überein anderliegende Schichten und – ja – Al ternativen unserer selbst, die wir gerne verkapseln würden für alle Zeit.« »Das ahnen wir. Ja«, sagte Rhodan. Unsere Dämonen. Das Ich unserer Alb träume. »Lassen wir diese Vorreden. Sag mir einfach: Was ist geschehen?« »Es ist mir nicht gelungen, dein men tales Substrat vollständig und heil in die metarealen Zonen zu retten. Der Über gang hat etwas freigesetzt und von dir entbunden. Ein verfinstertes Imago.« Rhodan spürte, dass ihm kalt wurde. Das Pochen im Kopf. Die herbeieilenden Schritte. Sein Verfolger war niemand anders als ... »Du willst sagen: etwas wie mein dunkles Ich?« Er schloss die Augen. Er war also nicht allein hier in den Reflektorischen Feldern. Allerdings hatten sie – seine beiden Varianten – unterschiedliche Ziele ver folgt. Während er, Rhodan, sich auf die Su che nach einer Heimat gemacht hatte – seinem Bungalow am Goshun-See –, nach einem Menschen, der ihn annahm und empfing – Maroana –, nach Wissen und Einsicht – der Irene-Lieplich-For schungsstation –, während alldem hatte sein dunkler Bruder ein ganzes Reich
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aufgebaut: ein schwarzes Solares Impe rium. Die SOL II. Die Mastibekk-Pyra miden. Die Denkmäler. Respekt, dachte er mit einem Anflug von Zynismus. Man ist fleißig gewesen in der kurzen Zeit. »Gut«, sagte er. »Sehen wir zu, dass wir meine beiden Teile wieder verbin den« – und rückumsiedeln in die Wirk lichkeit. »Das wird nicht so leicht«, sagte Pral. »Auf dem Weg von der Erde zum Jupiter – der Reflektor-Erde und dem ReflektorJupiter – habe ich nicht nur dich, son dern auch dein anderes Imago kennen gelernt.« »Ja«, sagte Rhodan. Das hatte er an satzweise auch – und es waren keine be sonders angenehmen Beinahe-Begeg nungen gewesen. »Dein dunkles Imago ist eine sehr zielstrebige Wesenheit. Sehr machtbe wusst. Dominant und durchsetzungsfä hig.« Rhodan begann zu ahnen, wo das Pro blem lag. Ich habe es längst gewusst. Auch wenn mir dieses Wissen nicht klar war. Die Solare Residenz – seine Solare Residenz –, gekrönt von einer Art AntiES. Unter dieses Sinnbild hat er seine Herrschaft gesetzt. Jetzt ist mir klar, warum. »Du meinst: Dieses andere Ich, mein Imago, würde sich einer Vereinigung wi dersetzen.« »Möglicherweise«, sagte Pral. »Er will nicht zurück. Er hat sich hier seine eige ne Welt geschaffen, von allen Schranken befreit.« Von allen moralischen Schranken, dachte Rhodan. »So, wie er es sieht«, sagte Pral, »steht seinem ultimativen Triumph nur noch einer im Weg, hindert nur noch einer ihn, sich selbst zu entfalten.« Rhodan nickte. »Der lästige Teilhaber seiner Exis tenz«, sagte Pral. »Sein altes Ich. Du.« Reiseauskunft Mondra Diamond hatte Grek 124 ge beten, Rhodan mit den Mitteln ihres
SERUNS zu untersuchen. Die Analyse ihres Anzugs zeigte: Die Verletzungen, die Rhodan bei der Bombenexplosion erlitten hatten, waren gravierend und ohne den Zellaktivator-Chip zweifellos tödlich. Aber die Schulterregion, in der der Chip saß, sah nur vergleichsweise ober flächlich verletzt aus. Der Zellaktivator konnte nicht beschädigt sein. Durfte nicht beschädigt sein. Sie war sich sicher, dass die Schatten maahks – nicht zuletzt mithilfe erbeute ter terranischer Medotechnik – fachkun dige medizinische Hilfe geleistet hatten. Warum also gab Rhodan kein Lebens zeichen von sich? Was sollte es heißen, dass er sich noch nicht entschieden hat te? Ihre Blicke wanderten zwischen Rho dan und dem Grek 1 von OROLOGION hin und her. Sie verglich die ähnliche Lage der beiden. Ihre Leblosigkeit. »Du hast recht«, sagte Grek 124, der ihre Blicke gedeutet hatte. »Euer Part ner und unser Partner stehen in einer Verbindung.« »In welcher Art von Verbindung?«, fragte Diamond. Und, wie um sich zu quälen, dachte sie: Sie sind tot. Wenn auch noch nicht aus Überzeugung. »Eine Verbindung im Jenseits?« Sie lachte auf. Die Vorstellung, dass sich Rhodan, der Terraner, und Grek 1, ein Schatten maahk, auf eine Art spirituelles Gelände geflüchtet hatten, erschien ihr grotesk. »Ist das eine Glaubenssache?«, fragte sie nach, beinahe wütend. »Ein Ritus?« »Ein Ritus?« Grek 124 wirkte ver blüfft. »Die metarealen Zonen sind in gewissem Sinne realer als die subme tarealen Zonen. Von einer anderen, flie ßenderen Wirklichkeit erfüllt. Das hat nichts mit der Monotonie der Univer salen Logik zu tun.« Von der Diamond gar nicht wissen wollte, was sie war. Sie winkte unwillig ab. Phrasen. »Wie auch immer«, sagte sie. »Wir brauchen ihn zurück. Holt ihn zurück.« Grek 124 wandte sich – wie ihr schien: Rat suchend – zu den anderen Maahks um. »Damit würden wir ihm in der Tat
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die Entscheidung abnehmen«, sagt er. »Er wäre tot.« * In den nachfolgenden Minuten betei ligten sich einige der anderen Schatten maahks am Gespräch. Einzig das Kon zept verhielt sich still, sondierte die Gedankenwelt der Schatten und gab Diamond hin und wieder mit einem knappen Handzeichen zu verstehen, dass die Maahks die Wahrheit sagten – oder wenigstens das, was sie dafür hielten. Soweit Diamond es nach einigem Hin und Her verstand, steckten die Schatten maahks in einem Dilemma: Zunächst einmal lagen ihnen keinerlei Erfahrungs werte vor, wie ein Nicht-Schatten – und ein Nicht-Maahk wie Rhodan dazu, ein »sauerstoffatmender Humanoider« – die Ablösung seines mentalen Selbst vom materiellen Körper verkraftete. Diamond grinste kurz, als sie an die Berichte Ernst Ellerts dachte oder an die Pedotransferer-Fähigkeit der Cappins. Oh, einige von uns sauerstoffatmenden Humanoiden sind darin ziemlich gut. Grek 124 und seine Kollegen waren sich ziemlich sicher, dass Rhodans Selbst dank des Eingreifens von Grek 1 »weit gehend heil und integer« in die metare alen Zonen hatte eingehen können. Wie Rhodans Geist sich dort zurecht fand, was er wie wahrnahm, wie er seine neue Umgebung und sich selbst dort be griff, dazu konnten oder wollten die Schattenmaahks keine verbindlichen Aussagen machen. Wobei sich Diamond der Eindruck aufdrängte, dass die Schattenmaahks über dieses artgerechte Jenseits ungern informierten. Die Schatten hatten nicht nur Rhodan untersucht, sondern auch den Zellakti vator. Und sie hatten herausgefunden, dass der Vitalenergiespender ein uner klärliches Defizit aufwies: Das daumen nagelgroße Gerät hatte zunächst auf Hochtouren produziert, aber ein erheb licher Teil der bereitgestellten Vitalener gie schien zu versickern. Diamond hatte Tschubai einen fra genden Blick zugeworfen. Tschubai hat
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te zugleich ratlos die Brauen gehoben und fast unmerklich genickt. Richtig, aber ich habe keine Idee, wie sie das her ausgefunden haben, verstand Diamond. Unmittelbar im Anschluss dieser Ent deckung hatten die Schattenmaahks Rhodans Leib kryotechnisch tiefense diert, auf eine hochkomplexe medizi nische Art und Weise stillgestellt. Zur gleichen Zeit oder sogar kurz zuvor musste es Grek 1 gelungen sein, Rhodan von der anderen Seite aus paramecha nisch zu konservieren – was immer das heißen mochte. Worauf der Zellaktivator begonnen hatte, ein unvorhergesehenes Verhalten zu zeigen: Er fuhr seine Leistung für Bruchteile von Sekunden hoch, schien dann zu bemerken, dass der Leib eine derartige Zufuhr an Vitalenergie nicht verwerten konnte, sank – wieder für Se kundenbruchteile – auf ein kaum mehr nachweisbares Leistungsniveau herab, um seine Arbeit als wirkungslos zu er fahren und gleich darauf wieder ins Ex treme zu steigern. Und immer so weiter. »Warum habt ihr ihn nicht einfach am Leben gelassen?«, empörte sich Dia mond. »Selbstverständlich weil kein bewuss tes Leben mehr in ihm gewesen ist«, sagte Grek 124. »Wir mussten von Anfang an sicherstel len, dass die Leistungslücken im Betrieb des Vitalenergiespenders nicht dazu füh ren, dass der Leib verwest. Er liegt unter einem Sauerstoffzelt, und Sauerstoff ist ein höchst verwesungsfreundliches Gas. Bereits wenige Minuten nach dem Tod be ginnen in Leibern wie diesem ...« Diamond unterbrach ihn. »Danke! Und euer Dilemma liegt nun worin?« »Wenn wir ihn aus der Vitalvereisung heben, könnte das Leistungsdefizit des – wie hast du ihn genannt? – des Zellak tivators dazu führen, dass in einzelnen Regionen des Leibes der Verwesungs prozess einsetzt. Sollten von diesem Pro zess höherrangige Hirnregionen betrof fen werden, könnte ein zurückkehrendes Bewusstsein keinen Halt mehr finden. Vereinfacht gesagt.« Diamond nickte. »Aber ohne diese
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Wiederbelebung werden wir nicht er fahren, ob seine Rückkehr überhaupt möglich ist.« »Wohingegen wir sehr überzeugt da von sein können, dass es deinem Partner in der Obhut von Grek 1 in den metare alen Regionen wohl ergeht.« »Wenn er ein Schattenmaahk wäre«, sagte Diamond, »hätten auch wir daran keinen Zweifel.« Sie machte eine Pause. »Aber das ist er nicht.« »Es spricht nichts dagegen, dass er einem Schattenmaahk gleich dort eine ruhige und zufriedenstellende Existenz führt.« Diamond schüttelte unwillig den Kopf. Sie brauchte ein Argument. Was hatte Grek 124 vor einigen Minuten ge sagt? »Weitgehend heil und integer«, sagte sie. »Das waren eure Worte: weit gehend. Könnt ihr diesen Zustand von Heil und Integrität garantieren?« »Wäre er ein Schattenmaahk ...«, be gann Grek 124. »Der er aber nicht ist!«, rief Mondra Diamond. »Tatsächlich haben wir«, begann ei ner der Schattenmaahks, der sich bis lang im Hintergrund gehalten hatte, und verstummte dann. »Haben wir was?« Diamond schrie. Der Schattenmaahk schaute Grek 124 an, der ihm ein für Diamond unsicht bares Zeichen gegeben haben musste, denn der Schattenmaahk trat noch wei ter in den Hintergrund. »Tatsächlich«, sagte Tschubai mit dem Lloyd-Akzent in die dann eingetretene Stille, »tatsächlich habt ihr Daten emp fangen, die sich als Hinweis darauf deu ten lassen, dass der Transfer in die me tarealen Zonen im Falle Rhodans nicht ganz komplikationslos verlaufen ist.« »Ja«, gab Grek 124 nach einem uner träglich langen Moment Schweigen zu. »Hinweise. Keine unabweisbaren Fak ten.« »Was für Komplikationen?«, drängte Diamond. »Man könnte ...«, sagte der Schatten maahk aus dem Hintergrund, wurde aber von Grek 124 unterbrochen: »Man könnte es eine schizophorme Unschärfe im Transferverfahren nennen.«
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Zweikampf mit sich selbst Rhodan konnte sich nicht daran erin nern, jemals eine ähnlich verrückte Si tuation erlebt zu haben. Er hatte gegen viele Gegner gekämpft, mindestens zweimal auch gegen einen Perry Rho dan: den Perry Rhodan II des negativen Universums, den er auf D-Muner getötet hatte – zweimal getötet hatte, und gegen Perry zy Rhodan, seine Kopie in einem Parallel-Universum, in das es ihn im 25. Jahrhundert alter Zeitrechnung ver schlagen hatte. Diesmal aber ging es nicht gegen eine Kopie oder gegen eine parallele Gestalt, sondern gegen sich selbst. Gestatten, Dr. Jekyll, dachte er. Was plant Mr. Hyde? »Welche Optionen habe ich?«, fragte er Pral. »Ich könnte versuchen, diesen Teil deiner selbst – dich – zurückzubringen. Möglich, dass du dein anderes Imago hier zurücklassen kannst.« Rhodan dachte einen Moment darü ber nach. Schon dass ich darüber nach denken muss, zeigt, dass das keine Opti on sein kann. Ohne dieses Imago bin ich entscheidungsschwach. Ein mattes Spie gelbild meiner selbst. »Nein«, sagte er. »Ich würde für das, was ich zu tun habe, nicht mehr taugen. Möglich übrigens, dass mein Zellaktiva tor diese amputierte ÜBSEF-Variante nicht mehr als Perry Rhodan erkennt oder anerkennt. Zu riskant.« »Dann musst du ihn stellen«, sagte Pral. Rhodan lachte. »Ich habe nicht das Gefühl, dass ich ihn jagen muss. Wenn jemand von uns beiden Jäger ist, dann er. Ich ...« »Du bist die Beute«, sagte Pral. »Demnach müsste ich nichts tun, als auf ihn warten.« Er lauschte. Aber er hörte kein Pochen, keinen Schritt, der sich näherte. Waren ihre Gedanken welten auf ihm undurchschaubare Art verbunden? Hatte sein Imago gemerkt, dass Rhodan nicht mehr vor ihm fliehen wollte? Hatte er aus dieser Haltungsän derung seine Schlüsse gezogen, verbarg das Imago sich vor ihm?
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Rhodan musste lachen. Wunschden ken. Natürlich hat er sich nicht zurück gezogen. Er wartet. Er lauert und plant. Und dann greift er an. Sollte er darauf warten?
Er überlegte. »Diese Reflektorenfelder
– sie helfen mir, eine Welt zu gestalten, in der ich mit diesem Körper leben, agie ren, mich bewegen kann?« Pral bestätigte. »Hat das, was ich über die Reflekto renfelder gestalte, für ihn denselben Wirklichkeitsgrad wie für mich?« »Das weiß ich nicht«, gestand Pral. »Aber wenn ich mir seine Konstruktio nen ansehe, das Solare Imperium, das er errichtet hat, und wenn ich sehe, wie wirklich diese Welt für dich ist, würde ich sagen: Allerdings, ihr beide teilt euch eine Wirklichkeit.« Rhodan lächelte. »Dann werden wir darangehen, ihm einen angemessenen Empfang zu bereiten.« Als ginge ein lautloser, aber kräftiger Wind, der in trockenes Laub fuhr, kam Bewegung in die unzähligen Scherben, die über den Boden verstreut lagen. Lautlos begannen die Splitter zu schwe ben. Sie sortierten sich, fügten sich neu zusammen. Der Spiegelsaal nahm Gestalt an. * Die Rekonstruktion des Spiegellaby rinths war abgeschlossen, aber die
Schritte seines Verfolgers ließen sich nicht hören. In seinem Kopf blieb es still. Rhodan wartete eine Weile. Dann ging er los. Er hatte sich entschieden, die Konfrontation zu suchen. Wenn sein Ver folger nicht willens war, ihm im Spiegel saal entgegenzukommen, würde er seine Gründe haben. Rhodan hatte das Gefühl, die Zeit liefe ihm davon. Er konnte nicht darauf war ten, dass sein Verfolger geruhte, die Ver folgung wieder aufzunehmen. Tauschen wir also die Rollen, dachte er. Es kostete ihn mehr Zeit, als er ge dacht hatte, das Spiegellabyrinth zu ver lassen. Zwei oder drei Mal hatte er ver sucht, den Ausgang zu denken. Aber offenbar funktionierten die Reflekto rischen Felder nicht verlässlich auf diese unmittelbare Weise. Er stellte sich ihren Wirkmechanismus vor wie den eines komplexen Körpers – seines menschlichen Körpers beispiels weise. Auch dort waren die meisten Pro zesse dem bewussten Zugriff entzogen oder nur in engen Grenzen manipulier bar. Er konnte sich nicht einfach hungrig denken, und wenn er hungrig war, konn te er sich nicht satt denken. Hinzu kam, dass sich diese Welt nicht allein aus seinem Geist speiste, sondern auch aus den Gedanken und Gefühlen seines Imagos.
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Das er sich wieder einverleiben muss te, wollte er wieder ganz er selbst wer den. Aber war er nicht er selbst? War er es nicht sogar mehr als je zuvor? Fühlte er sich nicht wie bereinigt? Er befand sich auf dem Platz vor dem Glaslabyrinth. Am Himmel standen Io und Ganymed. Er hörte ein Geräusch. Ein Tapsen und Schlurfen und Klacken wie von Holzschuhen. Er sah das Haus, das auf dem Kopf balancierte, die Rut sche und das Gebäude, das einem Ele fanten nachempfunden war. Buden öffneten automatisch ihre Läden. Leucht girlanden flackerten auf. Er roch tür kischen Honig und Lebkuchen, Glüh wein und Gurken, den schweren Duft gegrillter Steaks und gebratener Pilze. Ein Fahrgeschäft nach dem anderen entstieg der Dunkelheit, Tausende far bige Lämpchen leuchteten. Motoren sprangen an, Karussells gingen in Be trieb. Noch war er der einzige Gast. Er stand vor einem Zelt. Hinter den Vorhängen aus Fäden, auf die unzählige Glasperlen aufgezogen waren, schim merte ein schwaches Licht. Er las das verblichene, handgemalte Reklameschild über dem Zelteingang: »Madame Lali Adonay höflichst was auf Euch Zukunft weiszusagen sich anempfiehlt gegen 1 Silbergoschen pro Persona bittschön.« Das ist doch mal ein Wort, dachte er und betrat das Zelt. Ein niedriger Tisch, zwei Kerzen. Sie saß auf einem Kissen aus vielfach ge stopftem Plüsch über ein altes Perga ment gebeugt, in der Hand einen halbku gelförmigen Lesestein aus rotem Beryll. Sie sah nicht auf, als er eintrat. Er wartete eine Weile, dann räusperte er sich. »Hab ihn schon gesehen, Jungelchen«, murmelte sie, blickte aber nicht von ih rer Lektüre hoch. »Weiß schon, dass in seinem Alter man glaubt, dass die Zeit drängt. Gedulde er sich.« Im Licht der Kerzen hatte er gesehen, dass ihre Zähne aus Gold waren, ebenso das reiche, aber leichte Ohrgehänge und die vielfach übereinandergleitenden Ketten um ihren Hals.
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»Ich will nicht stören«, sagte er. »Stört er nicht«, sagte sie und las in aller Ruhe weiter. Rhodan sah sich um, die Hände im Rü cken verschränkt. »Ich gehe«, sagte er. »Ich hätte eh keinen Silbergroschen da bei, dich zu bezahlen.« »Tät ein halber reichen«, sagte die Wahrsagerin. »Habe ich auch nicht.« »Armes mittelloses Jungelchen«, seufzte sie. »Ohne Silbergroschen dunk le Zukunft.« Rhodan lachte leise. »Ja«, sagte er. »Das habe ich immer schon geahnt.« Endlich blickte sie auf. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Die Wahrsagerin war blind. Ihre Augen waren aus Glas – roter, beinahe leuchtender Beryll. »Hast viele Zukünfte, Jungelchen«, sagte sie leise. »Ist, was Zukunft anbe langt, gar kein Mangel. Du willst wis sen?« »Was?« »Weiß ich’s? Ob du wirst glücklich sein? Ob du wirst treffen Liebe deines Lebens nächstes Jahr? Ob du wirst haben Enkel und Urenkel und ob die Engel werden haben ein Auge auf die Schar?« Rhodan lächelte. »Wer will das nicht wissen?«, sagte er. »Und du wirst mir sa gen, was ich hören will, vermischt mit einem Tropfen Wermut, dass ich’s glau be.« »Wermut ist gut«, sagte sie und grins te. »Gegen Blähungen. Du sorgst dich wegen Blähungen?« Er lachte. »Ist nicht meine größte Sor ge.« »Da wir sprechen von Wermut ...« Sie hatte eine Flasche unter dem Tisch her vorgezogen, entkorkte sie, stellte zwei Gläser dazu und schließlich einen hohen Wasserbehälter mit vier Zapfhähnen. Sie goss ein smaragdgrünes Getränk in die Gläser und legte anschließend ei nen Löffel quer über jedes Glas. Der Löf fel war kunstvoll geschlitzt; die Schlitze ähnelten züngelnden Flammen. Die Wahrsagerin entnahm einer kleinen sil bernen Dose zwei Zuckerwürfel. Sie plat zierte die weißen Würfel auf die Löffel, schob jedes Glas unter einen Zapfhahn und öffnete ihn. Wasser tropfte auf die
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Zuckerwürfel, löste den Zucker und nahm ihn mit in die gelbe Flüssigkeit, zog darin eine milchige Spur und trübte das klare Grün des Getränkes allmählich ein. »Absinth?«, riet Rhodan. »Voller Wermut«, sagte die Wahrsage rin. »Trifft das seinen Geschmack, Jun gelchen?« Rhodan schüttelte den Kopf. »Eher nicht. Ich behalte für das, was kommt, lieber einen klaren Kopf.« »Das ist sehr weise«, sagte die Frau, nahm ihr Glas und trank es in wenigen, glucksenden Schlucken leer. »Sollte an meiner Stelle hier sitzen. Du hast doch nichts dagegen?«, fragte sie, griff nach dem Glas, das er abgelehnt hatte, und trank auch das aus. »Macht 22 Galax.« »Aber du hast mir gar keine Zukunft vorausgesagt«, protestierte er. »Ist für den Absinth«, sagte sie. »Zu kunft kommt kostenlos, hör zu: Lade dir die Last auf, und sie wird dich tragen.« »Klingt wie die Botschaft aus einem Glückskeks«, sagte Rhodan. »Ist es auch«, sagte die Wahrsagerin. »Esse ich eben gerne chinesisch und liebe es, mit kleinen Glückskuchen zu parlie ren.« Sie kicherte. »Manche von ihnen haben ziemlich was drauf.« Rhodan seufzte, drehte sich um und verließ das Zelt. Zeitvergeudung. Der Kirmesplatz hatte sich in der Zwi schenzeit wunderbar belebt. Gruppen von jungen Männern spazierten von Bu de zu Bude, Familien mit zwei, drei und mehr kleinen Kindern, frisch verliebte Pärchen. Alle gingen ohne ein Wort, stumm. Nur ihre Füße klackerten auf dem Boden. Rhodan sah ein buntes gemischtes Publi kum. Zunächst hatte er geglaubt, auf diesem Jahrmarkt seien nur Menschen unterwegs, dann entdeckte er einige Fantan-Leute, Ferronen und Topsider, Individualverformer, tellerköpfige Blues. Er sah zwei oder drei Posbis eng um schlungen Zuckerwatte in gläsernen Tu ben chemisch analysieren. Ein Haluter randalierte, weil man ihn nicht auf die Schiffsschaukel lassen wollte. Maahks, Twonoser und Gaids. Zwei Paddler tra ten lautlos lachend aus der Holzwand einer Geisterbahn mit dem Namen Bar
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diocs Höllenfahrt. Traumforum. Eine ho lografische Leuchtschrift warnte: ACH TUNG! Pro Gondel nur eine Person! Okefenokees schritten neben Gurrads und Dumfries. Insektoide Karduuhls und echsenartige Lacoons, Laren und aneinandergeklammerte Hyptons, wuch tige Kelosker zankten sich schweigend um einen Apfel in rotem Zuckerguss, greise Yaanztroner mit goldschim merndem Haar schleckten Softeis. Er sah Hulkoos mit Stachelpelzen, die auf kleinen Schlitten eine große, gläserne Schüssel mit einer hirnähnlichen Subs tanz zogen. Was für ein Gewimmel!, dachte er. Wie viele Völker? Wie viele Individuen? Manche von ihnen gingen ungelenk, mit merkwürdig pendelnden Beinen. An dere schienen zu schweben. Im Licht der Buden und der Karussells blitzten hin und wieder die Drähte auf, an denen sie hingen. Die Drähte führten hinauf in ei nen nachtschwarzen Himmel, der lang sam und bedrohlich rotierte und soeben einen sanften, beinahe unmerklichen Sog auf Rhodan auszuüben begonnen hatte. Das Krathvira, erkannte er. Der Para abstrakt-Transponsor der Fundamenta listen. Er nimmt an Stärke zu. Meine Zeit wird knapp. * »Ich bin RHODAN.« Rhodan fühlte sich unter die Achseln gefasst und emporgerissen. Der Jahr markt und seine glitzernden Lichtgirlan den blieben unter ihm zurück. Für einen Atemzug fürchtete Rhodan, er müsste sich in dem Gewebe der Drähte verfan gen, die die Heerschar der Marionetten befehligte. Aber er ging – wenn das denn eine Er klärung war – an den Gestaden eines Meeres entlang. Die Szenerie war offen kundig umgeschlagen. Er war allein. Es war sehr kalt. Kein Licht, keine Sied lung, kein Leuchtturm, so weit das Auge reichte. Nur das schwarze Meer zu seiner Seite. An der anderen Seite tauchte der breite Strand in die Dämmerung. Dämmerung. Täuschte er sich, oder
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kam ihm jemand vom Horizont her ent gegen? Szenenwechsel ... Es war ein atemberaubender Flug. Je mand trug ihn, er spürte die Hände seines Trägers in den Achseln, es tat weh. Sie waren schnell. Ein schwarzer Mantel um flatterte sie. Der Mund seines Entführers ganz nah an seinem Ohr. Rhodan hörte ihn im Sturm fragen: »Wozu leben wir?« Gute Frage. »Wir Mächtigen wissen die Antwort«, brüllte die Stimme ihm ins Ohr. »Ich zu mal. Ich bin RHODAN. Ich trage Fiora nos Anzug der Einsamkeit.« »Oh«, lachte Rhodan. Er wusste von Parr Fiorano, dem Anzugmacher, der diese übermächtigen Ausrüstungsgegen stände gefertigt hatte: den Anzug der Phantome, den Anzug der Gravitation, den Anzug der Zeit – die Garderobe der Kosmokratendiener. »Wer ist dein Schneider? Der Anzug ist dir etwas zu groß, möchte ich meinen.« »Ich wachse hinein.« Rhodan blickte auf das Meer hinab. Erstaunt bemerkte er, dass die flachen Wellen gefroren waren. Ein vereistes Meer. Ein strenger Winter. Die Gestalt vom Horizont näherte sich langsam. Der Flug wurde noch schneller, noch irrsinniger. »Täusch dich nicht«, sagte sein Träger. »ES hat dir Zeit spendiert, eine Menge Zeit. Jedenfalls auf den ers ten Blick. 20.000 Jahre?« »20.000 Jahre«, sagte Rhodan. »Nur ein Hauch«, schrie die Stimme. »Vorüber in einem Herzschlag der Ster nenuhr. Denke schneller. Löse das kos mische Rätsel, bevor es dich löst!« Szenenwechsel ... Rhodan sah über dem Meer in der Fer ne vier oder fünf Ballone. Obwohl es windstill war, schienen sie gemächlich auf ihn zuzutreiben. Rhodan blieb ste hen. Er schaute den Ballonen zu. Ja, kein Zweifel. Sie kamen näher. Szenenwechsel ... Die Stimme im Sturm. »Wozu leben wir? Hast du dich das nie gefragt?« »Doch«, schrie Rhodan zurück. Die Rockschöße des schwarzen Mantels flat terten wie wahnsinnige Raben. Der Wind heulte.
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»Und?«, schrie die Stimme. »Was hast du dir geantwortet?« Szenenwechsel ... Rhodan kniff die Augen zusammen. Das, was er für Ballone, für Heißluftbal lone vielleicht, gehalten hatte, waren Menschen. Sie trugen Mäntel, lange Rö cke, aufgebläht, und ruderten mit gro ßen, breitblättrigen Paddeln durch die Luft. Ohne zu wissen, warum, war ihm klar, dass es Gaukler waren. Heliumgaukler, die in jedem Jahr kamen, sobald die See vereiste. Die luftdichten Ballonkleider voll von Helium, kamen sie über die See. Sie waren noch weit entfernt, aber von einer übernatürlichen Deutlichkeit. Es war eine bunte Truppe, beinahe eine Ku riositätenschau, wie man sie in den ir dischen Zirkussen der präastronau tischen Ära vorgeführt hatte. Eine der Gestalten schien den anderen einige Ellen voraus. Ihr Gewand war am weitesten gebauscht und über und über mit Holo-Pailletten verziert, die in allen möglichen – und einigen unmöglichen – Farben spielten. Vielleicht war sie übrigens eine Domp teuse, denn an ihrer Seite rollte eine klei ne Heliumkugel mit stummelartigen Auswüchsen – ein Raubtier möglicher weise. Zwei weitere Artisten musterte er nur kurz. Der letzte war interessanter. Er drehte sich im Flug wie ein langsamer Kreisel und schien – wie Janus – zwei Gesichter, wenn nicht sogar zwei Schä del zu haben, die am Hinterkopf mitein ander verwachsen waren. Der eine Kopf trug einen schwarzen Zylinder, was ihm das Aussehen eines altertümlichen Varieté-Zauberers ver lieh, eines Gedankenlesers und Hypnoti seurs. Den anderen Kopf schmückte ein prächtiger indischer Turban, das Gesicht darunter war edel geschnitten, dunkel wie ein nubischer König. Rhodan richtete seine Aufmerksam keit wieder auf die Gestalt, die sich ihm vom Horizont her näherte. Sie hatte of fenkundig ihre Schritte beschleunigt. Es ist ein Wettrennen, erkannte er. Und er spielte die entscheidende Rolle bei die
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sem Lauf: Wenn er weiterging wie bisher, Richtung Horizont, würde ihn zuerst die Gestalt erreichen, die ihm von dort ent gegenkam. Blieb er stehen, wären die Gaukler vor dem einzelnen Läufer da. Was tun? Die Stimme lachte. Szenenwechsel ... »Was tun?«, schrie sie ihm ins Ohr. »Na komm, entscheide dich! Wozu lebst du, wenn nicht, um zu entscheiden?« »Wie soll ich entscheiden?«, schrie er zurück. »Ich weiß nicht, wer da auf mich zukommt!« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm nach unten. Die Wolken waren auf gerissen und Rhodan sah auf ein Meer mit vereisten Wellen und einem schma len Streifen Strand. Er sah sich selbst, zögernd. »Soll ich es dir sagen?«, flüsterte ihm die Stimme durch den Sturm zu, und sei ne Stimme durchstach das Toben des Sturms wie ein Blitz die Nacht. »Es ist Maroana, sie kommt zu dir in Gestalt von KOLTOROC. Es ist KOLTOROC. Er kommt zu dir in Gestalt von Maroana. Die Liebe deines Lebens. Oder? Dein Vernichter. Oder? Und die Gaukler? Nun, sie sind unter wegs, um dir etwas vorzugaukeln. Wozu sonst. Das ist ihr Beruf. Was sie dir vor gaukeln werden – wer weiß? Ob sich die Gestalt als Maroana entpuppt oder als KOLTOROC – wer weiß? Wie schade, dass wir die Dinge nicht von ihrem Ende her sehen können, nicht wahr? Wir wä ren weise. Wir würden keine Fehler ma chen. Wir würden nicht zögern.« Szenenwechsel ... Er stand am Strand des vereisten Mee res. Er setzte den Fuß auf das Eis. Das Eis trug. Die Kälte zog in seinen Fuß, die Waden hinauf, wie ein lebendiges Tier. Er setzte sich in Bewegung und begann, über das Eis zu laufen. So wich er beiden aus, der Gestalt und den Gauklern. Wollte die Gestalt ihn er reichen, würde sie sich aufs Eis wagen müssen; wollten die Gaukler ihn errei chen, würden sie eine Kursänderung vornehmen müssen. Und wenn er es richtig berechnet hatte, würden sie alle ihn zugleich erreichen. Szenenwechsel ...
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Die Stimme lachte, laut und boshaft. »Nur keine Entscheidung selbst fällen, ja?« »Warum sollte ich?« »Weil es eine Lust ist zu entscheiden. Weil jede Entscheidung etwas ist wie ein Schlag mit der Axt, der uns von diesem Gestrüpp oder jenem befreit. Denk dir«, sagte die Stimme fröhlich, »was wir hier gemeinsam tun könnten. Dieses Land jenseits der Materie – es ist wie ein neues Amerika. Unendliches Neuland. Wir sind sein Entdecker. Wir könnten es gestalten, beleben, kolonisieren. Niemand ist hier, der sich uns entgegenstellte. Unser Wille könnte Gestalt annehmen.« Rhodan schüttelte langsam den Kopf. Niemand? Abgesehen von der FrequenzMonarchie. Abgesehen von den Schatten maakhs. Abgesehen von den Fallen, die die Fundamentalisten hier errichteten. Wie konnte man so leichtsinnig sein, so schwerelos zuversichtlich? Ihr kleines Reich wäre nichts als eine imaginäre Enklave. Und außerdem: »Wo zu? Es wäre eine Wahnwelt. Ein Nichts. Abhängig von den Reflektorischen Fel dern.« »Wir könnten lernen, über die Felder und ihre Projektoren zu herrschen.« »Selbst wenn uns das gelingen würde: Es wäre nur ein Spiel. Wir würden spie len, während in der Wirklichkeit der
Die Welt des
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Krieg gegen die Frequenz-Monarchie weitergehen würde. Ein wirklicher Krieg mit wirklichen Opfern.« Die Stimme lachte. Rhodan fühlte sich hochgerissen, das Meer unter ihnen ver sank. Schon waren sie hoch über den Sturmwolken. Die Stimme sagte: »Davor hast du Angst, nicht wahr? Die Mensch heit allein zu lassen.« »Sie käme ohne mich aus. Und ohne dich.« »Sagst du. Glaubst du aber nicht.« »Glaube ich das nicht?« Die Stimme lachte, beschwingt und jungenhaft. »Nein. Du glaubst, ohne dich fehlte der Menschheit ein wesentlicher Teil. Ihr Seelenjuwel. Der Auserwählte des Wanderers. Du hältst dich für unver zichtbar, unersetzlich.« »Jeder Mensch ist unverzichtbar, un ersetzlich. Das nennt man seine Indivi dualität.« Ihr Flug ging zu Ende. Der schwarze Mantel breitete sich zu einer Schwinge aus, blähte sich zu einem Fallschirm. Sie schwebten eine kurze Weile hinab und landeten dann auf einer stählernen Platt form, einer Scheibe von nicht mehr als zehn Metern Durchmesser. Über ihnen drehten sich die Galaxien wie mächtige Räder, unfasslich nah, mit ihren Billi onen und Billiarden Sonnen. Unter ihnen war nur der schwarze Wirbel. Das Krathvira. Sie saßen einander auf zwei einfachen Holzschemeln gegenüber. Rhodan und eine menschliche Gestalt, in einen dunk len Nebel gehüllt. Manchmal rissen die Schwaden des Nebels auf und enthüllten Teile der Gestalt, mal einen verrenkten Arm, mal ein versteinertes Gesicht. »Das ist der Anzug der Einsamkeit«, sagte sein Gegenüber. »Du siehst, er schmeichelt seinem Träger nicht unbe dingt.« »Wozu dient er?« Sein Gegenüber winkte ab. »Zu etwas Unbegreiflichem. Niemand begreift die Einsamkeit.« RHODAN beugte sich nach vorne, die diffusen Hände verschränkt, Rhodan spürte seinen Blick. »Lass sie«, sagte sein Gegenüber leise. »Lass die Menschheit los. Lass sie er
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wachsen werden. Die Menschen kommen ohne dich aus.« Rhodan betrachtete sein Gegenüber. Er begriff nicht – und wahrscheinlich war es ja auch gar nicht zu begreifen –, wie diese Abspaltung dieser Elemente seiner Per son hatte vonstatten gehen können. Denk nicht darüber nach, forderte er sich auf. Du willst doch fort aus dieser Pseudowelt. Zurück in die Realität. Be laste dich nicht mit Gedanken an die hie sigen Verhältnisse. Er hörte, dass sein Gegenüber weiter sprach, achtete aber nicht mehr auf das, was er sagte. Hatten seine eigenen Ge danken ihm nicht eben ein Stichwort gegeben? Aber welches? Er rief sie sich in Erinnerung, überprüfte Wort für Wort. Belaste. Die Last ... Was hatte die Wahrsagerin ihm gera ten? Lade dir die Last auf, und sie wird dich tragen. Er stand auf und trat an den Rand der Plattform. »Mir fällt eben ein, wie ich es dir beweisen könnte.« »Was beweisen?« Rhodan lächelte. »Dass ich durchaus den Mut habe, unsere Menschheit sich selbst zu überlassen. Dass ich es ihr zu traue, ohne mich auszukommen.« Sein dunkles Gegenüber schob sein Gesicht aus der Nebelkleidung. Es wirkte müde, als hätte es seit Jahrtausenden nicht mehr geschlafen. »So?« »Es ist ganz leicht«, sagte Rhodan. »Das wagst du nicht«, sagte sein Ge genüber. »Versuch, mich daran zu hindern.« Er hob einen Fuß und streckte das Bein über den Abgrund. Mit einem ein zigen Satz war sein Gegenüber bei ihm, packte ihn bei den Schultern. Rhodan bückte sich, schob seine Schultern gegen den Leib des anderen und richtete sich mit ihm auf. »Das wagst du nicht«, wiederholte RHODAN, sein dunkles Imago. »Mit dir zusammen gibt es nichts, was ich nicht wage«, sagte Rhodan und trat mit der Last über den Rand der Platt form hinaus. Es war, als spränge das Krathvira ihm ins Gesicht. *
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Er war wieder eins mit sich. Für einen Moment glaubte er, das Ge spinst der Marionettenfäden zu sehen. Die Fäden überkreuzten und verknote ten sich. Wie ein Sicherheitsnetz hing es zwischen ihm und dem Krathvira. Dann begann es sich zu verwandeln. Rhodan erkannte die Stränge und Kno tenpunkte, die hitzesprühenden Sphä ren. Das war das Netz der FrequenzMonarchie. Wieder ganz und gar er selbst, bereite te es ihm keine Mühe, das Netz zu befah ren. Er reiste mit einer derartigen Leich tigkeit, dass es ihm beinahe leidtat, das Netz bald verlassen zu sollen. Er spürte einen Begleiter neben sich. Pral. Wie geht es dir?, fragte der Schatten maahk. Es geht mir gut, sagte Rhodan. Es könnte so bleiben, sagte Pral. Nie mand zwingt dich, das Netz zu verlas sen. Ich weiß, sagte Rhodan. Aber ich glau be, ich bin noch nicht so weit, dass ich ein mir ein Leben jenseits meines Körpers wirklich wünsche. Es klang, wie er fand, ein wenig nach einer Entschuldigung.
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Ich verstehe, sagte Pral. Rhodan spür te, dass der Schattenmaahk durchaus nicht verstand, aber seine Entscheidung akzeptierte. Was muss ich tun, um in meinen Leib zurückzukehren?, fragte er Pral. Rhodan bemerkte, wie sich der Schat tenmaahk an ihm vorbeischob und die Führung übernahm. Folge mir, sagte Pral. Du hast es nicht mehr weit. Es ist dir klar, dass dein Körper schwer versehrt ist und du Schmerzen leiden wirst? Ja, sagte Rhodan. Das ist der Preis, sagte Pral. Der Preis für diese Art von Leben. Schmerz als Preis, sagte Rhodan. Wenn es sein muss: gut. Ich werde ihn zahlen. Das Gefühl, auf Eis zu schlagen. Hartes, abweisendes Material. Theorie und Praxis Diamond hatte mehr und mehr das Gefühl, dass die Zeit ihr zwischen den Fingern verrann. Ihr war, als wäre der entscheidende Moment da – und nie mand außer ihr erkannte ihn. Wenn man ihn versäumte, wäre alles verloren.
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Woher wusste sie das? Egal. »Was müssen wir tun, um ihn zu wecken?« »Theoretisch?«, fragte Grek 124. »Wie auch immer.« »Wir müssten die Tiefenkryostase lö sen und zugleich Grek 1 auffordern, sich in seinen Körper wiedereinzugliedern. Möglichst unter Mitnahme des Bewusst seins eures Partners.« Diamond atmete durch. »Tut das!« »Ich hatte gehofft, dir verdeutlicht zu haben, dass dieser Versuch hoch riskant ist.« »Ich übernehme die Verantwortung«, sagte Diamond. »Du?« Grek 124 schien fassungslos. »Wie könntest du durch einen puren Wil lensakt meine Verantwortung überneh men?« Wie sollte sie den Schattenmaahks klarmachen, dass sie und Rhodan immer wieder wechselseitig die Verantwortung füreinander übernommen hatten – eine lebenspraktische Übung. Sie bezweifelte, dass Grek 124 und die anderen Schatten sich diesen Argumenten zugänglich zei gen würden. Sie zog ihre Waffe, entsicherte sie und richtete sie – alles in einer einzigen, an mutigen Bewegung – auf Grek 124. »Bit te«, sagte sie. Grek 124 löste sich in einen Schatten auf, verschwand und wurde direkt neben ihr wieder stofflich. Sie fuhr herum, zielte wieder, er löste sich wieder auf, verschwand, tauchte wieder auf. »Lass das!«, rief sie. Die Waffe wies mit der Abstrahlöffnung zu Boden. Dia mond dachte nach. Sie hob die Waffe wieder und richtete sie auf den leblosen Rhodan unter dem Sauerstoffzelt. »Ich habe meine Ent scheidung getroffen«, sagte sie. »Für We sen unserer Art ist der Tod ein ziemlich unumkehrbarer Prozess. Das Pendeln zwischen den Realitäten liegt uns nicht. Wir wollen Entscheidungen.« Ihr Finger lag auf der Auslösetaste. Grek 124 und die anderen Schatten schienen sich stumm zu beraten. »Wir akzeptieren«, sagte Grek 124 end lich. »Wir informieren Grek 1 über die Situation. Wir beenden die Kryostase.«
Wim Vandemaaan
Er gab den anderen Schattenmaahks einen Wink. Wie ein wohl einstudiertes Ballett von leichten Riesenleibern gingen sie an die Arbeit. Wiederverkörperung Das Eis schmolz fast übergangslos. Rhodan brach ein. Er hatte das Gefühl, er würde in eine Sonne stürzen. Das Licht war purer Schmerz, und der Schmerz leuchtete. Verbrennungen ersten bis vierten Grades, dachte er mit einer Kaltschnäu zigkeit, die ihn selbst überraschte. Nur die Verbrennungen ersten und zweiten Grades tun weh. Was darüber hinaus geht, hat auch die Nerven verbrannt. Taubes Fleisch. Totes Gewebe. Die Behandlung von Brandverlet zungen und Verbrennungsfolgentrau mata stellte auch im 15. Jahrhundert NGZ die Medotechnologie noch vor Pro bleme. Die terranische Medotechnologie, die sich mit der Therapie bei Terranern be fasste. Bei ihm aber waren Maahks am Werk, Wasserstoffatmer, für die Sauerstoffat mer mit ihrem Metabolismus eher exo tische Lebensformen darstellten. Er beobachtete die Szene wie durch einen wässrigen Schleier. Die Maahks, zwei Terraner. Mondra und Ras, das Konzept. Er hätte gerne etwas gesagt, etwas ge tan, Mondra umarmt, Ras die Hand ge geben. Aber nichts ging. Er sah, wie Mondra ihm einen kurzen Blick zuwarf, sich dann wieder den Maahks zuwandte, in deren medizi nischer Obhut er sich befand. Immerhin spürte er seinen Zellaktiva tor pochen, wie langsame, hallende Glo ckenschläge aus großer Ferne, warm und beruhigend. Wie mit jedem Glocken schlag Lebensenergie in seinen Leib ge pumpt wurde. »Surreal«, hörte er die Stimme einer der behandelnden Medotechniker in Kraahmak sagen. »Die Organe dieser Sauerstoffatmer sind einfach surreal.
Reise in die Niemandswelt
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Man könnte an der Monotonie der Uni versalen Logik zweifeln.« »Man könnte ihre Retro-Stringenz für eine Humoreske halten«, sagte eine zwei te Stimme. »Man könnte sich religiöser Erörte rungen enthalten und seine Arbeit tun«, sprach eine dritte. Rhodan musste all seinen Schmerzen zum Trotz grinsen und bezahlte sein Grinsen mit neuen Schmerzen, die sein Bewusstsein fluteten. Sein letzter Ge danke war: »Siehe da, selbst unsere maahkschen Freunde philosophieren über jenseitige Dinge.« Dann barg ihn eine besinnungslose Nacht. * Die Schattenmaahks taten ihre Ar beit. Rhodan war bewusstlos, aber die Vi talzeichen wurden stärker. Wenn Dia mond die Symbole, die in den Monitoren der Geräte aufleuchteten – dreidimensi
onale, geometrische Figuren, die lang sam von einem blassen Blau zu einem intensiven Orange wechselten –, nicht falsch deutete, stabilisierten sich die Le bensfunktionen. Mondra Diamond schaute sich um, warf einen Blick auf Rhodan, seine Me diker, auf ihre therapeutischen Geräte, wieder auf Rhodan, alles, um sich das Gefühl zu geben, wenigstens etwas Kon trolle über die Situation zu haben. Da zu sein für den Fall der Fälle. Dabei gab es nichts Zermürbenderes als ausweglose Untätigkeit. Schieres Ab warten. Deswegen war es beinahe eine Er leichterung, als Tschubai plötzlich ausrief: »Die Fundamentalisten kom men!« Diamond nickte, zog ihren Strahler und aktivierte ihn. Sie dachte: Es war also doch nur ein Täuschungsmanöver der Fundamenta listen. Wir haben sie wie Jagdhunde zu den Schatten geführt. Jetzt kommen sie, die Beute zu erlegen.
ENDE Auch im Roman der kommenden Woche bleiben wir an der Seite Perry Rho dans und Mondra Diamonds, die sich durch ihren Kontakt mit den Schatten maahks neue Einblicke in die Mysterien der Frequenz-Monarchie erhoffen. Band 2534, geschrieben von Christian Montillon, erscheint nächste Woche überall im Zeitschriftenhandel unter folgendem Titel: DER GESANDTE DER MAAHKS PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag GmbH, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: VPM Druck KG, Karlsruher Str. 31, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de. Vertrieb: VU Verlagsunion KG,
65396 Walluf, Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung: Pabel-Moe
wig Verlag GmbH, 76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 36. Unsere
Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der
Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H.,
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Kommentar
Situationstransmitter Diese bei den Lemurern und Tefrodern Stoßimpuls-Ge nerator oder Tele-Transporter genannten Anlagen und Aggregate dienen der Erzeugung eines »Tunnels« auf Halbraumbasis. Das Tele-Transportfeld arbeitet hierbei nicht im Sinne eines echten Transmitters, sondern er möglicht es, einen von außen angeregten Linearflug durchzuführen – auch als »extern induzierter HalbraumDurchgang« umschrieben –, bei dem es zu einer gegen poligen Aufladung des zu transportierenden Objekts kommt. Die Bezeichnung Situationstransmitter stammt von Atlan und basiert auf der erstmaligen Beobachtung Ende März 2404 im Wrack-System der Redeye-Doppelsonne von Andromeda angesichts der »variablen, auf die Situation bezogenen Einsatzmöglichkeit«. Hauptkennzeichen ist der meist rund eine Million Kilome ter durchmessende Feuerring, dessen Inneres von einem violetten Fluten und Wallen erfüllt ist – der aber auch deutlich größer oder kleiner sein kann. Dieses Phänomen entsteht als Eingang wie als Ausgang des Halbraumtun nels. Im Gegensatz zu einem Transmitter wird zur Erstel lung jedoch keine Gegenstation benötigt, sondern es genügen die Anlagen des Stoßimpuls-Generators, in des sen »Nähe« bauartbedingt das Tele-Transportfeld ent steht – was bei lemurischen Originalanlagen durchaus einige Millionen und mehr Kilometer bedeuten konnte und kann. Größe und Masse des zu transportierenden Objekts so wie die Reichweite der durch den Halbraum projizierten »Röhre« sind ausschließlich eine Frage der Energiever sorgung, welche meist nur durch Sonnenzapfung sicher zustellen ist. Im Extrem können also Sonnen oder gar ganze Sonnensysteme über große Distanzen mit hoher Überlichtgeschwindigkeit versetzt oder neu gruppiert werden. Die Geschwindigkeit im Halbraumtunnel ist variabel – sie kann im Bereich eines kleinen Überlichtfaktors angesie delt, aber auch deutlich größer sein. Vor dem Hyperim pedanz-Schock von 1331 NGZ war sie bei den Original anlagen der Lemurer wie den Pyramidenvielecken auf den Justierungsplaneten von Sonnentransmittern oder bei der Stoßimpuls-Generator-Plattform ZEUT-80 im Maximum bei Distanzen von nicht mehr als 50.000 Licht jahren kaum von dem Nullzeit-Transport eines Transmit ters zu unterscheiden. Ursprünglich stammt das Verfahren von den seinerzeit in
Andromeda beheimateten Sonneningenieuren und wurde von den Lemurern übernommen. Auf diese Weise gelang es diesen, die vielen hundert Sonnentransmitter zu bau en – in vielen Fällen sogar ohne direkte Hilfe der Sonnen ingenieure. Leider blieb die Erhöhung der Hyperimpedanz auch bei dieser Technologie nicht folgenlos. Eine an Nullzeit her anreichende Transport-Geschwindigkeit lässt sich nur noch über wenige Lichtjahre Distanz realisieren; danach sinkt der erzielbare Überlichtfaktor selbst bei optimaler Projektionsgröße des »Feuerrings« extrem rasch ab. Andererseits hat sich herausgestellt, dass das seinerzei tige wegen der Hyperimpedanz-Erhöhung eingesetzte »abgespeckte« Verfahren, aus Energiespargründen und zur Schonung der verwendeten Hyperkristalle einen möglichst kleinen Situationstransmitterring zu erzeugen, genau das Falsche war – energetisch am günstigsten mit gleichzeitig optimalem Wirkungsgrad ist die Großprojek tion. Die bei den MOTRANS-Plattformen der Terraner einge setzten Situationstransmitter sind dennoch sogar mehr als hundert Jahre nach Erhöhung des hyperphysika lischen Widerstands und trotz Forschung und Verbesse rung auf eine Maximalreichweite von rund 10.000 Licht jahren begrenzt. Und beim Überlichtfaktor ist der Wert von fünfzehn Millionen die Obergrenze. Im Gegensatz dazu leisten, wie sich inzwischen erwiesen hat, die Ori ginalanlagen der Lemurer – sei es in Form der Pyrami denvielecke oder bei ZEUT-80 – deutlich mehr. Ihre Reichweite beträgt viele 100.000 Lichtjahre, und sie ge statten selbst bei diesen Distanzen noch einen maxima len Überlichtfaktor von fünfzehn Millionen. Hintergrund ist, dass Hyperkristallauslaugung, der er höhte Energieverbrauch und dergleichen als Folge des Hyperimpedanz-Schocks weitgehend durch Hyperkavi tation ausgeglichen werden können. Hinzu kommt die Verwendung von Drokarnam – entweder in reiner Form, bei Legierungen oder als gezielte Dotierung anderer Hy perkristalle. Abgeleitet vom lemurischen Drokar für Dra che, ist die Umschreibung Drachenmetall durchaus am bivalent gemeint gewesen, als Segen wie Fluch. Nicht einmal das Salkrit aus der Charon-Wolke kann mit diesen besonderen Eigenschaften konkurrieren. Deshalb wird es wohl auf absehbare Zeit keinen Nachbau von Anlagen wie die von ZEUT-80 geben. Rainer Castor
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Liebe Perry Rhodan-Freunde, ab und zu geht etwas schief. Im Sicatemo-System zum Beispiel. Darauf gehe ich weiter hinten noch ein. Meistens sind es jedoch kleine Gedanken- oder Tipp fehler, die man überliest. Frank Lynker hat uns auf ei nen solchen aufmerksam gemacht. Er schreibt: »Ich habe gerade mit großem Interesse den Neutrino-Be richt in PR 2526 gelesen. Wirklich gut geschrieben. Solche Berichte würde ich im PR-Journal gerne mehr lesen. Die Tiefe der Detektoren wird im Bericht mit 1450 bis 2450 Kilometern angegeben. Das soll doch sicherlich ›Meter‹ heißen, oder?« Korrekt, lieber Frank. Es sind Meter, keine Kilometer. Aktuelles und Vermischtes Jürgen Weber-Rom,
[email protected] Der Grund, warum ich – neben meiner Zufriedenheit seit 1981 – schreibe: Ich habe etwas Interessantes herausgefunden, das sicher auch viele andere Leser interessiert. Ich weiß, wie weit die Fernen Stätten entfernt sind ... Wenn man die acht Minuten für 38.479 Lichtjahre mit den 12,4 Millionen in 65 Minuten und dem Multiplika tor gegenrechnet, kommt man auf 1.868.873.132, also 1,8 Milliarden Lichtjahre. In 65 Minuten legt man das 39,66-fache der Strecke zurück wie bei einer Reisedauer von 8 Minuten, ergo 247 Minuten. Das ergibt ... Lasst bitte nicht die Ansicht des Protagonisten von 47 Millionen Lichtjahren wahr werden. Auch nach dem Hyperimpedanzschock ist das dem Pomp und Trara einer ES-Auswanderungsaktion nicht würdig. Sollte ich doch nicht getroffen haben, könnte das eine klasse Idee für eine Spekulation seitens Icho Tolots sein, die er Perry vorträgt, um angesichts der gewal tigen Entfernung gemeinsam zu erbleichen. Die Handlung kommt zurzeit ordentlich in Fahrt. Perry hat endlich die Fernen Stätten erreicht und einiges an Kenntnissen über die Frequenz-Monarchie gesam melt. Zum Schluss ein paar Wünsche. – Lasst bitte keine weiteren Aktivatorträger den Jordan hinunterschwimmen. – Vertieft bitte die Altmutanten-Geschichte. Fellmer
Lloyd, Ras Tschubai und andere könnten sicher für die nächsten 100 oder 200 Jahre als Konzepte an der Handlung teilnehmen. – Mondra sollte bei Perry bleiben (mit dem neuen Kat zenvieh). – Gebt den Galaktikern ein bisschen aus der Zeit vor der erhöhten Hyperimpedanz zurück. – Bostich hätte sicher Potenzial für einen echten Ter ranerfreund, seine arrogante Arkonidenspitzfindig keit muss er ja nicht aufgeben. Zu den Fernen Stätten sage ich an dieser Stelle nichts. Jedes Wort dazu wäre genau eines zu viel. In Sachen Jordan wollen wir uns nicht festlegen. Im derzeit in der 5. Auflage laufenden Cantaro-Zyklus er wischt es sogar mehrere Aktivatorträger. Seither ist immer wieder vereinzelt einer gestorben, Myles Kantor etwa. Erinnert sich noch jemand an den? Bostich wäre ein Kandidat für den Löffel, aber wir brau chen ihn noch. Ein paar Leser würden Tek oder Tiff bevorzugen. Homer geht nicht. Ohne das Finanzgenie bricht das gesamte Universum zusammen. Er ist der Einzige, der den galaktischen Spagat zwischen Real wirtschaft und Börsenspekulatius schafft. Mondra eventuell. Irgendwann hat Ramoz wieder einen nächtlichen Fressschub.Aber davon weiß Mondra zum Glück nichts. Zum Glück? Klaus Schulze,
[email protected] Die LKS von Heft 2525 ist für mich eine der besonde ren, unter anderem wegen der Mail von Klaus Rupp recht und deiner Antwort dazu (der Oberst ist eigentlich ein guter Terraner, oder?). Auch deine Antwort an Christian Hanusch lässt »hof fen«. Der Kommentar sollte nicht unerwähnt bleiben, denn ES braucht die Menschheit nicht als Mentalsubstanz. Ob Perry die Frequenz-Monarchie auslöschen muss? Ich glaub’s eher nicht. Und ich bin gespannt, welchen Feind sie hat. Perry ist mal wieder so was wie das Zünglein an der Waage beziehungsweise der »Vollstrecker«. Klar ist auch, dass ES die Menschheit mehr schützt, als oft mals erkennbar ist. Noch was: Es wäre ungerecht, nicht zu erwähnen, dass W. V. (Wim Vandemaan) der Roman gut gelungen ist.
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Ja, der Oberst ist eigentlich ein guter Terraner. Aber selbst die Guten machen manchmal Mist, und über Sinn oder Unsinn einer Entscheidung kann man da nach ganz toll diskutieren, wenn man sie nicht selbst treffen musste. Wie sogar die ganz Guten voll in die Sch... langen, zeigte kürzlich Band 2527, in dem Atlan vor Augen geführt bekommt, wie naiv er bisher gehandelt hat.Altbekannt: Das Gegenteil von »gut« ist meistens »gut gemeint«. Andreas Tonner,
[email protected] Gerade bin ich mit dem Lesen des Romans 2526 »Die Gespenster von Gleam« fertig geworden. Ich bin be geistert. Ein großes Lob an Michael. Es tauchen immer mehr Fragezeichen über die derzei tigen Konstellationen unter den Andromeda-Völkern auf (sind die Twonoser, wie in meinem letzten Leser brief erhofft, zu einem zersplitterten, vagabundierenden und plündernden Volk als Vandalen Andromedas verkommen?). Es wäre schade für ein Volk, das in der alten Geschichte eine größere Rolle spielte, wenn auch auf Seiten der Meister der Insel. Hier wäre ein Ansatzpunkt für zukünftige intergalak tische Entwicklungshilfe, eventuell auch durch die Wurme der Aarus und der Milchstraßen-Springer/Me handor. Eines wird nun immer klarer: Der Konflikt zwischen Maahks und Schattenmaahks ist ausgebrochen. Was mich ein wenig irritiert: Warum taucht jetzt plötzlich diese in der Vergangenheit als optionale Zukunft ge schilderte Möglichkeit eines Maahk-internen Konfikts so zeitnah zum Erscheinen der Frequenz-Monarchie auf? Gibt es da Zusammenhänge, oder sind es unabhängig voneinander stattfindende Geschehnisse? Wenn sie zusammengehören, könnte dann die Fre quenz-Monarchie der Auslöser sein? Sie könnte zu nächst versucht haben, den größten Machtfaktor in An dromeda aus dem Spiel zu nehmen, bevor sie sich ganz Andromeda und später die Milchstraße vornimmt. Das wäre durch Kriege der Maahks untereinander möglich. Um da sinnvoll zu handeln, bräuchte die Monarchie sehr gute Kenntnisse über einen Teil der Vergangen heit, in dem sie gerade nicht aktiv war. Woher hat sie dann dieses Wissen? Noch eine Frage zur Frequenz-Monarchie:
Da sie schon mehrere Hyperimpedanz-Zyklen/Phasen überwunden hat und diese kosmosweit wirken, wie weit ist dann die Monarchie verbreitet? Ist ihr Zentrum der zentrale Galaxien-Cluster und Andromeda ihr Hauptzentrum (also im Kern des Hoheitsgebiets von ES)? Gibt es dort in den anderen Galaxien des PolyportNetzes auch Hibernationswelten? Ich weiß wohl, dass du mir hierauf derzeitig keine Ant worten geben kannst, aber ich hoffe, dass diese Fragen in zukünftigen Romanen beantwortet werden. Zuletzt einige Fragen zu den Sonnentransmittern der Lemurer: Die Galaktiker haben ja im Zuge ihres schnellstmög lichen Vordringens nach Andromeda viele alte (und auch neu entdeckte alte) Transmitter wieder in Betrieb genommen. Wie wollen sie die mit ihren Flotten si chern? Für eine parasitäre Heuschrecken-Zivilisation wie die Monarchie dürfte solche Hightech äußerst verlockend sein, wie auch die Suche nach den alten Multika-Pla neten der Meister der Insel belegt. Fragen über Fragen, die hoffentlich alle in noch fol genden Romanen geklärt werden. Atlan wird von den Steuerautomaten der Sonnentrans mitter als Berechtigter anerkannt. Er kann die Steuerund Zugriffkodes ändern und dadurch verhindern, dass Unbefugte die Sonnentransmitter benutzen. Die Terraner werden von den alten Steuergehirnen als Tefroder identifiziert. Und sie sprechen in den Lenksta tionen nicht Interkosmo oder Terranisch, sondern bes tes Tefroda. Die meisten deiner Fragen beantworten sich im aktu ellen Zyklus. Werner Bahn,
[email protected] Zuallererst möchte ich allen lebenden und auch ver storbenen Mitwirkenden an dieser Serie meine Hoch achtung aussprechen und meinen Dank dafür ausdrü cken, dass ich über vier Jahrzehnte ihr Werk begleiten durfte. Im zarten Alter von zehn Jahren (1966) kam ich zum ersten Mal mit der Serie in Berührung. Da ich damals schon eine Leseratte war und alle möglichen Bücher, Heftromane und Comics verschlang, geriet ich durch einen Nachbarn zwangsläufig auch an einige PERRY
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RHODAN-Hefte. Mein erster Roman trug den Titel »Finale für Twin« (Heft 230). Dieser Roman zog mich so in seinen Bann, dass ich fortan Woche für Woche zum Kiosk ging und mir den neuesten Roman holte. Ab Band 250 der 1. Auflage las ich parallel die 2. Auflage, um die fehlenden Bände aufzuholen. Bis zum heutigen Tag hat sich nichts daran geändert. Woche für Woche fiebere ich dem neuesten Roman entgegen. Ich hoffe, Perry wird auch in den nächsten Jahren mein ständiger Begleiter sein und mir weiterhin helfen, dem Fremden und Unbekannten gegenüber tolerant zu sein. Ein ganz großes Dankeschön sagen wir für die jahr
zehntelange Lesetreue.
Wir geben uns Mühe, dass dir unsere Romane noch
lange Zeit wöchentlicher Wegbegleiter sein werden.
»Cantaro« – Gegen den Wall, Teil 2 Es ist ein beeindruckender Vorgang. Da finden sich nach einem von NATHAN einst entwickelten Baupro gramm 100.000 Segmente eines Giganten an 8000 Stellen mitten im All zu Konglomeraten zusammen, zu Baugruppen sozusagen, und gehen miteinander me chanische Verbindungen ein. Die Hamiller-Tube steuert den Vorgang und optimiert ihn, bis der syntronische Kontakt zwischen allen Segmenten hergestellt ist. Da nach fügen sich die Konglomerate zum Gesamtschiff zusammen, ein aufwendiger Vorgang, der vom 3. bis 14. Januar 1144 NGZ andauert. Ganz zum Schluss flutet die Hamiller-Tube die BASIS mit dem Interkon nektfeld. Das molekular vorbehandelte Material der Schnittflächen und Schnittkanten reagiert und stellt eine molekulare Verbindung her. Die Segmente ver schmelzen zu einem einzigen Bauteil, der BASIS. Was einst mit dem überraschenden Heimatalarm be gann, die mehrtausendköpfige Besatzung zu einer überstürzten Flucht zwang und dem Schutz des Schiffes vor dem Zugriff feindlicher Mächte diente (Der Teufel in Terras Hallen wird im Lauf des Zyklus eine Rolle spielen), findet nach Jahrhunderten ein gutes Ende. Begonnen hat der Cantaro-Zyklus bekanntlich mit dem Auffinden der zerlegten BASIS, deren 100.000 Einzel teile über einen Raumschifffriedhof mitten im All ver
streut waren – eine geschickte Tarnung über Jahr hunderte. Weitere Wracks waren mit der Zeit hinzugekommen. Nach Rhodans Eintreffen gelingt es, die Hamiller-Tube in der CIMARRON in Sicherheit zu bringen. Von diesem Zeitpunkt an behält Rhodan die Wiederherstellung des gigantischen Fernraumschiffs im Blick. Die MONOCE ROS stellt fest, dass die Segmente der BASIS im Trüm merfeld hin und wieder Korrekturbewegungen ausfüh ren, um Kollisionen untereinander oder mit Trümmern fremder Wracks zu vermeiden. Durch den Kampf mit Karaponiden aus Hangay wird ein Fragment der BASIS beschädigt. An seiner Stelle fügt Hamiller später einen von den Terranern vorbereiteten Dummy ein, der intern ausgebaut und das ursprüngliche Fragment damit re konstruiert wird. Band 1429 bringt mit »Hamillers Herz« die Normalisie rung der Hamiller-Tube, wobei es ihr gelingt, ihr eigent liches Geheimnis aus den 700er-Bänden weiterhin zu wahren, ob in ihr tatsächlich das Gehirn des Wissen schaftlers Payne Hamiller oder dessen Bewusstsein integriert ist, oder ob es sich lediglich um ein Pro gramm handelt, mit dem Hamiller einst genau das hatte vortäuschen wollen. In Band 1430 »Hamillers Puzzle« findet dann die Re konstruktion der BASIS statt. Nicht im Roman ge schildert sind zwei Pflanzenwesen, die mit ihren para normalen Fähigkeiten aus der Ferne zusehen und die dem Leser aus den vorangegangenen Zyklen schon bekannt sind. Die beiden Zatara-Schwestern Co manzatara und Huakaggachua, zwei pflanzliche Intel ligenzen, könnten sogar einen Blick in die Zukunft werfen, und das würde sich dann so lesen, wenn eine Schwester der anderen telepathisch berichtet: Comanzatara: »Ich sehe 100.000 große und kleine Teile. Sie alle sind zerstreut in einer Gegend fern von uns, die man Trümmerfriedhof-Sektor nennt. Die Teile gehören zusammen, denn sie sind gleichen Ursprungs. Sie gehören zum wohl gewaltigsten Raumschiff, das je gebaut wurde. Jetzt existiert dieses Raumschiff in 100.000 Puzzle steinen, die in dreidimensionaler Struktur zu neuer Form finden sollen ... Das Raumschiff nennen die Ter raner mit Stolz BASIS.« Huakaggachua: »Berichte mir mehr davon in allen Ein zelheiten. Es könnte sehr wichtig sein ...«
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»... Ein fantastischer Prozess hat eingesetzt. Es ist Bewegung in die wahllos verstreuten Fragmente der BASIS geraten. Veranlasst hat das die Hamiller-Tube. Einiges über diesen geheimnisvollen Kasten habe ich dir schon berichtet. Normalerweise befindet sich die Tube in einem der großen Räume nahe der Hauptleit zentrale, und diese wiederum gehört in den Bereich des erwähnten Fragments 1-BRAVO ... ... Noch ist völlig unüberschaubar, in welchem Sektor der Zusammenbau beginnen soll. Weitab vom Frag ment 1-BRAVO haben sich etwa 800 Teile zu zwei größeren Komplexen zusammengeschlossen, aber selbst mit einem Blick in das Morgen kann ich nicht erkennen, was im Endeffekt daraus werden soll ...«
Ein Ziel erreicht Rhodan nicht sofort. Die BASIS ist zwar wieder komplett, aber noch längst nicht einsatzfähig. Das erklärt die Hamiller-Tube denn auch unverblümt. Der Terraner kann es sich vorläufig abschminken, mit dem Koloss zum Milchstraßenwall zu fliegen. Arndt Ellmer Grafikwettbewerb – Platz 10 Transmitter auf Gatas von Stephan Folville,
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»... Die Verbindungen zwischen der Hamiller-Tube und den Positroniken und Syntroniken auf den zahllosen Bruchstücken sind hergestellt. Die hohe Aktivität der Tube ist auch in der Kommandozentrale zu spüren, denn auf einem Bildschirm werden in verkürzter Form die pausenlosen Anweisungen dargestellt. Die Signal folgen sind so schnell, dass ein menschliches Auge ihnen nicht folgen kann. Die Gesamtzahl der Befehle, die Hamiller bereits erlassen hat, beträgt mehrere Mil liarden, denn für jede Einzelbewegung wird eine solche Sequenz erlassen. Die größten Schwierigkeiten macht die zeitliche Koordinierung ...« Dieser Text zeigt gewissermaßen die Außenperspekti ve, während der Leser es im Roman aus der Innenpers pektive erlebt, also aus der Sicht der Protagonisten, die sich in der BASIS befinden und die Vorgänge am eige nen Leib erfahren. Ein Vergleich mit dem Genre Film bietet sich an. Immer wenn es spannend und wichtig wird, ist die Kamera ganz dicht drauf. Zu den Sternen!
Euer Arndt Ellmer • Pabel-Moewig Verlag GmbH • Postfach 2352 • 76413 Rastatt •
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Impressum Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen. E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief veröffentlicht.
Glossar
Brücke in die Unendlichkeit Durch den kosmokratischen Cyberklon Voltago erhielt Perry Rhodan den ersten Hinweis auf die Brücke in die Unendlichkeit. Es erwies sich, dass sie als Transportme dium der Koalition Thoregon diente und sich zwischen einzelnen »Pilzdomen« erstreckte. Die Brücke in die Un endlichkeit zeigt sich für Menschen als ein scheinbar endlos langer, gut zehn Meter breiter Steg. Die Lauffläche besteht aus Bohlen von zwanzig Zentimetern Durchmes ser, die bei näherem Hinsehen wie massives Graphit in Balkenform wirken. In unregelmäßigen Abständen ist der Bohlensteg mit schwarzen Beschlägen an 50 Zentimeter dicken Brückenpfeilern aufgehängt, die einen Meter in die Höhe sowie bis in eine unbekannte Tiefe reichen. Nach unten verschwinden die Pfeiler optisch wie in trü bem Wasser. Mit jedem Schritt, den ein Benutzer der Brücke auf dem Graphitsteg tut, ist es, als würde ein Schleier über der Umgebung weggezogen. Der Steg schwebt mitten in einem gleißend hellen Universum; man kann Sterne und Schwarze Löcher, Planeten und Gala xien erkennen. Am anderen Ende der Brücke wartet ein Nebelfeld. Wird das durchdrungen, endet die Brücke er neut an einem Pilzdom. Mithilfe eines Passantums kann die Brücke gezielt gesteuert werden. Hetos der Sieben / Konzil der Sieben Das Hetos der Sieben ist ein Zusammenschluss von sie ben Völkern, die als intergalaktischer Machtblock ihren Einflussbereich weiter ausdehnten und ab dem Jahre 3459 Alter Zeitrechnung auch die Milchstraße in ihr Reich eingliedern wollten. Die Mitgliedsvölker des Konzils wa ren die Zgmahkonen, die Kelosker, die Laren, die Masti bekks, die Hyptons, die Greikos und die Koltonen. Jedem der Völker kam dabei eine wichtige Rolle zu: Die Zgmah konen gründeten das Konzil und rekrutierten die weiteren Mitgliedsvölker nach deren Fähigkeiten: So stellten die Laren das Militär und die Mastibekks waren für die Energieversorgung zuständig. Mastibekks Die vergeistigten Mastibekks besitzen keine körperliche Form mehr und sind im Hetos der Sieben für die stetige Energieversorgung der SVE-Raumer der Laren verant wortlich: Jeder SVE-Raumer muss regelmäßig die Pyra miden aufsuchen, um die für seine Energieversorgung unverzichtbaren Polungsblöcke wieder aufzuladen. Die Raumschiffe dieses Volkes dienen als Reservoir mastibekk’scher Bewusstseine. Sie gleichen schwarzen Keramik-Pyramiden und werden auch Monumente der Macht genannt, da ihr Erscheinen die endgültige Beset
zung einer Galaxis durch das Konzil der Sieben symboli sieren. Unter der Keramikhülle bestehen die Schiffe allerdings aus einer terkonitähnlichen, molekularverdich teten Metallplastik. Zudem emittiert ein Pyramiden raumer eine Art Panikstrahlung und entzieht die Farbpig mente seiner Umgebung: Unmittelbar nach der Landung eines Pyramidenschiffes entsteht so ein Albinoring im Umkreis von 500 Metern um das Schiff. Dieser Effekt ist für organisches Leben absolut tödlich. Netzgänger / Gänger des Netzes Eine im 5. Jahrhundert NGZ knapp 500 Individuen unter schiedlichster Völker umfassende Organisation, die sich im Einflussbereich des Kosmonukleotids DORIFER ent lang der Stränge des Psionischen Netzes zu bewegen vermochte, bis das Netz für sie unpassierbar wurde. Die Organisation löste sich 447 NGZ auf, als ihre Hauptziele erreicht waren. Die Gänger des Netzes hatten es sich zur Aufgabe gemacht, für die Erhaltung des Moralischen Kodes, speziell die Sicherheit von DORIFER, zu kämpfen. Dabei richtete sich ihr Handeln vorwiegend gegen das Regime der Ewigen Krieger, das sich seit beinahe 50.000 Jahren in den zwölf Galaxien Estartus herausgebildet hatte und dessen Handeln auf die Zerstörung des Psio nischen Netzes gerichtet war. Die Gänger des Netzes wurden von den Querionen initi iert, einem der Erbauervölker des Sternenschwarms, auf dessen Route auch die Milchstraße liegt. Wesen, die über die richtige Persönlichkeit und Geisteshaltung verfügten, wurden in den Bund aufgenommen und erhielten mittels eines Psionischen Imprints die Gabe, auf den Strängen des Netzes in Nullzeit zu reisen (»persönlicher Sprung«). PAD-Seuche Die durch Viren eingeschleppte und über Hyperfunk verbreitete PAD(»Psychosomatische Abstraktdeforma tion«)-Seuche wurde durch Anti-ES freigesetzt und durch Perry Rhodan bei der Rückkehr aus dem Anti-Universum eingeschleppt. Alle Intelligenzwesen waren infektionsge fährdet, wobei die Inkubationszeit der Seuche zehn bis dreizehn Tage betrug. Der Krankheitsverlauf war vom jeweiligen Volk abhängig; bei den Terranern begann die erste Phase mit einer enormen Verstärkung verdrängter Wunschvorstellungen, durch die die Erkrankten ihre täg lichen Pflichten vernachlässigten, bis hin zum totalen Zusammenbruch der Zivilisation. In der zweiten Phase verspürten alle Menschen den Wunsch, an den Ort ihres Ursprungs – Terra – zurückzukehren, und die dritte Pha se bedeutete ein Dahinvegetieren unter starken Schmer zen bis hin zum Tod.