Nr. 402
Rätsel der Schwarzen Galaxis Ein Hauch von Freiheit von Hans Kneifel
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Nr. 402
Rätsel der Schwarzen Galaxis Ein Hauch von Freiheit von Hans Kneifel
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-Stau kommt Atlantis-Pthor, der »Dimensionsfahrstuhl«, auf seiner vorprogrammierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Und es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, jenen Ort zu erreichen, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Sternenvölker brachte. Als Pthor jedoch die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, geschieht etwas Unerwartetes. Der fliegende Kontinent kommt abrupt zum Stillstand. Atlan, nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, ergreift daraufhin die Flucht nach vorn. Zusammen mit Thalia und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos fliegt er mit dem Organschiff GRIET die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Dabei wird Enderleins Tiegel, ein Werft und Schrottplanet, fast zur Endstation für Atlans Expedition. Doch schließlich geht es mit der HORIET, einem neuen Organschiff, weiter zum Marktplaneten Xudon – und zu einem neuen RÄTSEL DER SCHWARZEN GALAXIS …
Rätsel der Schwarzen Galaxis
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Thalia - Die Pthorer bringen einen Hauch von Freiheit nach Xudon. Cembergall-Flyrt - Ein Sündenbock wird exkulpiert. Bronniter-Vrang - Gallionsfigur der HORIET. Conmat-Port - Ein ehrlicher Objektiver.
1. Langsam sank die Sonne Xudomanyla im Westen. Die spiralige Rauchschicht über dem Danjitter-Tal leuchtete auf, als sei sie elektrisch geladen. Die Hänge des Ringgebirges mit den mehr als zehntausend Metern hohen Bergriesen leuchteten auf wie Spiegel, als die letzten Sonnenstrahlen sie trafen. Das Bild strahlte nur scheinbar Stille und Frieden aus; die Wirklichkeit war ganz anders. Am Rand des Raumhafens, fast an der Grenze zum Markt von Danjitter-Tal, stand das riesige Raumschiff. Es war fast von jedem Punkt innerhalb des Ringgebirges zu sehen. Die HORIET mit ihrer erstaunlichen Länge von hundert Metern und der graubraunen, pockennarbigen Oberfläche bedrohte jedes lebende Wesen des offenen Marktes. Hinter der halbrunden, transparenten Kanzel des Organschiffs kauerte die Galionsfigur Bronniter-Vrang. Mehrere Luken und Schleusen des Organschiffs waren weit geöffnet. Anscheinend konnte der hypnosuggestive Rauch der verbrannten Schwarzen Loh den Insassen des Schiffes nichts anhaben. Oder die Partikel waren in der Luftmenge derart verdünnt worden, daß keiner der Dellos und niemand von der schweigenden, grauhäutigen Besatzung etwas spürte. Von dem großen Organschiff aus gingen zwei Gestalten auf das nächstgelegene Raumhafengebäude zu. Längst waren alle Händlerschiffe im näheren und weiteren Umkreis des großen Schiffes mit riskanten Manövern gestartet und in den Weltraum geflüchtet. Die zwei Gestalten wirkten im Gegensatz zu den Schiffen, den Bauwerken und der riesigen, absolut leeren Fläche klein und verloren. Aber da sie vom Organschiff kamen,
waren sie die Inkarnation der Macht und der Rache. Aus dem Zentrum des Marktes stieg kein Rauch mehr auf. Der abendliche Wind, der aus Westen kam, riß erste Lücken in die waagerechte Schicht der diffusen Wolke, die jetzt im letzten Sonnenlicht golden aufschimmerte. Ein seltsamer Ort! Noch seltsamer waren zwei verschiedene Zustände: schon vom Landefeld aus konnte man genau erkennen, daß ein Teil des Marktes mit seinen Geschäften, Hallen, Plätzen und Straßen so gut wie ausgestorben dalag – aber auch, daß daneben wütende Kämpfe im Gange waren. Folgende Überlegung wurde an Bord der HORIET angestellt: Jedermann auf diesem Planeten beziehungsweise im Danjitter-Tal von Xudon, der in der Lage war, die Landung des Organschiffs mitzuerleben, flüchtete in panischer Furcht. Dies galt ebenso für Individuen des Marktes, der bewohnten Segmente des kreisringförmigen Hafens und der Siedlungen zwischen Raumhafen-Außenrand und dem Ringgebirge wie für die Händlerschiffe. Atlan bedauerte noch immer nicht, daß er keine Waffe mitgenommen hatte. Im Schutz des Goldenen Vlieses fühlte er sich einigermaßen sicher. »Wir brauchen, um richtig handeln zu können, viel mehr Informationen«, sagte er entschlossen. »Da uns niemand entgegenläuft und aufklärt«, entgegnete Thalia, die ihren Raumanzug trug, ohne den Helm heruntergeklappt zu haben, »werden wir uns alle Informationen wohl selbst besorgen müssen.« Im Lauf seines langen und abenteuerlichen Lebens hatte der Arkonide immer wieder vor diesem Problem gestanden. Er wußte, daß Raumfahrerkneipen und andere Kaschemmen, sowie Verkaufsläden die eigent-
4 lich wichtigen Orte waren, an denen man interessante Einzelheiten erfuhr. Die Anlaufpunkte waren auf jedem fremden Planeten strategisch wichtig. Er bestätigte brummig: »Es war noch niemals leicht, liebste Thalia.« Die Bewohner von Xudon und dem offenen Markt warteten förmlich darauf, daß die HORIET ihren Auftrag erfüllen und den Markt auflösen würde. Warum war dieser Markt als verboten klassifiziert worden? Genau in diesem Augenblick starteten von zwei weit entfernten Segmenten des Raumhafens elegante, pfeilförmige Schiffe mit ohrenbetäubendem Lärm. Thalia fragte nach einigen hundert Schritten: »Kannst du mir sagen, was hier wirklich vorgeht? Dort drüben ist alles ausgestorben, und unmittelbar daneben scheint ein kleiner Bürgerkrieg zu toben?« »Ich weiß nicht. Unzweifelhaft ist etwas im Gang, das mit uns zu tun hat, mittelbar oder unmittelbar«, erwiderte Atlan. Vor ihnen flammten Lampen und Tiefstrahlerbatterien auf. Sie näherten sich dem langgestreckten Bauwerk, hinter dessen Fenstern strahlende Helligkeit war. Die Odinstochter sagte nach einer Weile: »Wir müssen ihnen begreiflich machen, daß wir nicht deshalb hier sind, um den Planeten zu bestrafen.« »Sie werden es uns nicht glauben?« »Warum bist du dieser Meinung?« »Weil die Organschiffe stets als Instrumente der Strafe eingesetzt worden sind«, sagte Atlan nachdenklich. »Im Moment sehe ich nicht die geringste Möglichkeit, es einer größeren Volksmenge begreiflich zu machen.« »Trotzdem sollten wir es ihnen sagen!« »Dazu müssen wir zumindest eine bestimmte Menge von ihnen getroffen haben«, erklärte Atlan. »Das scheint im Augenblick recht schwierig zu sein.« Die Galionsfigur Bronniter-Vrang reagierte nicht. Sie hatte zwar das Schiff hierhergebracht, aber weder Atlan noch Thalia konnten sich ernsthaft darauf verlassen, daß
Hans Kneifel dieser passiv betonte Zustand bestehen blieb. Vermutlich blieb ihnen für ihre Mission noch einige Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Galionsfigur den Dunklen Oheim davon verständigte, daß Atlan statt der Strafexpedition etwas ganz anderes plante, war keineswegs gering. Aber der Umstand war, im Moment jedenfalls, noch zu vernachlässigen. Ein System gläserner Eingangstüren öffnete sich in einer altertümlich und barbarisch wirkenden Front. Sie gingen in das vor ihnen liegende Gebäude hinein. Das Innere sah aus wie die Mischung zwischen einer RaumhafenAbfertigungshalle, einer riesigen Verkaufshalle und einem Lagerhaus. Langsam gingen Thalia und Atlan an den Schaltern und den riesigen Warenstapeln entlang. Kein lebendes Wesen zeigte sich. Der Mann im goldenen Anzug hob ratlos die Schultern. »Sie sind alle geflüchtet.« »Wir sollten zum eigentlichen Markt gehen«, schlug Thalia vor. »Eine ziemlich weite Strecke«, sagte er. »Ein Fahrzeug sollte sich finden lassen. Die Einheimischen werden auch nicht alle Wege zu Fuß zurücklegen.« Sie fanden zwischen den Schaltern, die in Form kleiner Kioske aufgebaut waren, und den Warenmengen einen breiten Durchgang. An dessen Ende öffneten sich wieder große Glastüren. Die Pthorer sahen sich einer Art Parkplatz gegenüber, auf dem eine kurios anmutende Sammlung von Vehikeln wartete. Die verschiedenartigen Geräte wirkten, als wären sie Bestandteile eines Museums. Zögernd gingen Atlan und Thalia näher heran und versuchten, zu erkennen, welche technische Prinzipien hier angewendet wurden. Schließlich entschieden sie sich zwischen den bunt bemalten, mit Bildern verzierten, aus Holz, oder Kunststoff hergestellten Geräten für eine schalenartige Konstruktion, die sich wohl wie ein Zugor steuern ließ und zwei Handbreit über dem Boden schwebte. »Da wir als Vertreter des strafenden Gesetzes hier gelandet sind«, sagte Atlan halb
Rätsel der Schwarzen Galaxis scherzhaft, »fällt der Diebstahl eines Gleiters auch nicht mehr ins Gewicht.« Der Gleiter war klein und bot ihnen gerade genügend Platz. Atlan probierte an den wenigen Hebeln und Schaltern, der Gleiter stieß zurück und bohrte sein Heck krachend in einen kastenförmigen Wagen. Atlan lachte kurz auf und bugsierte das Fahrzeug vorsichtig aus der Lücke hinaus. Überraschend helle Scheinwerfer blendeten auf und ließen die nähere Umgebung besser erkennen. Atlan und Thalia musterten jede Kleinigkeit so genau wie möglich; das Überleben konnte davon abhängen. »Die Szenerie ist auch nicht merkwürdiger als auf hundert anderen Planeten«, brummte der Arkonide und lenkte den bunt lackierten Gleiter auf den Rand der beleuchteten Ebene zu. Von Bronniter-Vrang wußten sie, daß die Hügel und Senken innerhalb der Grenzen des kreisringförmigen Raumhafens der Markt waren. »Für mich ist jedes Bild neu und aufregend«, gab Thalia zu. Der offene Gleiter wurde schneller. Atlan gewöhnte sich schnell an die Art der Steuerung. Sie fuhren auf einer breiten, leicht kurvigen Piste, die zwischen kleinen Wäldern, riesigen Lagerhäusern und hell erleuchteten, aber ausgestorben wirkenden Wohnhäusern verlief. Minuten später bremste Atlan den Gleiter und deutete nach rechts. Sie sahen einen kleinen Platz, von Bäumen mit kugelförmigen Kronen dicht umstanden. Dahinter waren die Fronten von Wohngebäuden. Auf dem Platz und auf Treppenstufen, die zu den Eingängen führten, lagen verkrümmte Gestalten. Einige Wesen bewegten sich. Sie krochen hin und her und versuchten, ihren Artgenossen zu helfen. Atlan und Thalia konnten fünf verschiedene Gruppen von Planetariern unterscheiden; größer und kleiner, aber alle aufrecht gehend. Sie verhielten sich wie Verwundete, die sich von einem Schlachtfeld hinwegschleppten. Alles geschah fast lautlos und in einer Weise, die deprimierend wirkte.
5 »Hast du eine Vorstellung«, fragte Thalia voller Verblüffung, »warum diese Kämpfe ausgebrochen sind? Sie waren schon im Gang, als wir noch im Anflug waren.« »Ich weiß es nicht, aber sicher hat die beabsichtigte Strafexpedition etwas damit zu tun.« Der Wind nahm zu, als sie weiterfuhren. An einigen Stellen riß die rätselhafte Rauchwolke auf und wurde nach Osten zerstreut. Der innere Rand des Raumhafens lag hinter den Pthorern; die Anzahl und Größe der belebten und von Häusern durchsetzten Flächen nahm zu. Atlan steuerte schweigend einen kleinen Hügel an, der ziemlich dicht bebaut war. Hier gab es weder kämpfende Gruppen noch solche, die ihre Verwundeten davonschleppten. »Riskieren wir's?« meinte Atlan. »Haben wir eine andere Wahl?« antwortete Thalia. Atlan bugsierte den Gleiter rückwärts unter eine Terrasse und stieg aus. Zwei große Stufen führten zu einem auffallenden Bogen, hinter dem die Reste eines Vorhangs aus irgendwelchen Perlenschnüren zu erkennen waren. Der Logiksektor des Arkoniden meldete sich: Eine Bar oder Trinkstube. Jedenfalls das Xudon-Äquivalent dafür. Hier bekommst du deine Informationen! »Eine Bar«, meinte Atlan hoffnungsvoll. »Ob uns allerdings die Getränke schmecken, kann ich nicht versprechen.« »Wir werden es überstehen!« Sie schoben die Schnüre mit den klappernden Steinperlen zur Seite und betraten einen großen, nicht sonderlich hohen Raum. Der Boden war feucht. Offensichtlich war er vor kurzer Zeit gereinigt worden. Das Innere des Raumes war nicht gerade verwüstet, aber sah reichlich mitgenommen aus. Eine Theke, geformt wie eine Barriere mit vier verschieden hoch angebrachten Oberkanten, stand mitten im Raum. Hinter der Theke arbeitete ein schwarzhäutiges Wesen, etwa so groß wie Atlan und Thalia. Der Planetarier
6 räumte Flaschen, Becher und Gläser auf, von denen viele zerbrochen waren. Atlan zwinkerte überrascht, als er sah, daß das Wesen mit drei Armpaaren hantierte, die außerordentlich biegsam waren. Sie wirkten wie schwarzlackierte Schlangen. »Wir sind sicher, daß wir hier alle Auskünfte erhalten, die wir brauchen«, sagte Atlan in Garva-Guva. Das fledermausartige Wesen richtete zwei riesige Augen auf die Eintretenden. Es schob den Kopf nach vorn, als sähe es trotz der riesigen, einander berührenden Augen nicht besonders gut. Langsam und in einem merkwürdig heiseren Tonfall antwortete das Wesen: »Ich kenne euch nicht. Wer seid ihr?« Die stabförmigen Ohren gerieten in Bewegung, falteten sich auf und glichen runden Scheiben an einem kurzen Stiel. »Wir sind vor kurzer Zeit gelandet. Unser Schiff ist die HORIET.« Das Wesen zuckte zurück. Die Arme und Hände erstarrten, der rüsselförmige Mund vibrierte. Es schien eine Angstreaktion zu sein, denn der Wirt rief leise: »Ich bin Schoff. Ich habe keinen Anteil an dem, was geschehen ist. Die Strafe sucht uns alle heim, nicht nur die Schuldigen. Seht selbst, was die Wahnsinnigen angerichtet haben!« Zögernd kamen Thalia und Atlan näher und stellten sich an die höchste der vier Theken. Das Fledermauswesen deutete mit zahlreichen Händen auf die Scherben und die zertrümmerten Flaschen. Jetzt nahmen sie auch einen merkwürdigen Geruch wahr. Die miteinander vermischten Reste der exotischen Getränke verströmten ein schreckliches Aroma, das den Raum füllte. »Warum ist hier gekämpft worden? Wir sahen die Spuren und auch noch kämpfende Gruppen«, meinte Thalia. »Alle haben gekämpft. Jemand hat eine Schwarze Loh hierhergebracht und angezündet. Der Geruch hat alle zu fanatischen Raufbolden gemacht.« »Ich verstehe. Das ist die Wolke über
Hans Kneifel Danjitter-Tal, nicht wahr?« fragte Atlan zurück. »Was ist eine Schwarze Loh?« »Das wißt ihr nicht? Ihr wollt nur den ruinierten Schoff, den ärmsten aller Camagurs, auf die Probe stellen. Ich bin ein schlechtes Ziel für Spott und Hohn.« Atlan und Thalia sahen sich verwundert an. Immerhin wußten sie jetzt ein wenig mehr. Anscheinend waren im Bereich des planetaren Marktes einige merkwürdige Dinge vorgefallen. Atlan hob die Hand und sagte nachdrücklich: »Ich bin Atlan. Ich frage dich, Camagur Schoff, was eine Schwarze Loh ist. Ich weiß es wirklich nicht. Auch bin ich nicht gekommen, um dich oder sonst jemanden zu verhöhnen. Los, berichte!« Der Wirt sagte, was er wußte. Er schilderte die Wirkung des Rauches, der von der verbrennenden Raubtiermumie vom Planeten Ginderan ausgeströmt war. Nach seinen Aussagen war das gesamte Kerngebiet des Marktes heimgesucht worden, und jedermann hatte gegenüber willkürlichen Gegnern alle ausgelösten Aggressionen ausgetobt. Die Kämpfe hatten erst dann aufgehört, als der Schrei »Das Organschiff!« erschollen war. »Und jetzt«, sagte er halb vorwurfsvoll und halb trotzig, »kommt ihr und wollt Dinge wissen, die ihr schon längst besser wißt als ich, der Ärmste aller Wirte. Vielleicht mildert ein heißer Lebap eure Wut?« »Wir sind nicht sicher, ob wir diesen Trunk überstehen«, erwiderte Thalia lächelnd. »Danke. Du bist der festen Überzeugung, daß die HORIET deshalb gelandet ist, weil Danjitter-Tal zerstört werden soll?« Der Camagur breitete seine sechs Arme aus und sträubte die Haare der hellblauen Kränze, die sich um seinen Körper zogen. »Wozu sonst? Ihr seid gekommen, weil euch die Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit vorgelegt wurden. Man verstieß gegen die Gesetze.« Schoff war nur schwer zu überzeugen, daß sie nicht die strafenden Abgesandten des Dunklen Oheims waren. Atlan begriff langsam, daß vermutlich keiner
Rätsel der Schwarzen Galaxis der Bewohner des Marktes jemals die Insassen der Organschiffe gesehen und persönlich erlebt hatte. Wer aus einem Organschiff stammte, war der Vertreter der strafenden Macht – darüber gab es keinen Zweifel! »Selbst wenn gegen die Gesetze verstoßen wurde«, sagte Atlan leicht gereizt, »sind wir nicht diejenigen, die dieses Gesetz durchsetzen. Willst du nicht verstehen?« »Warum seid ihr dann mit dem Organschiff gekommen?« war die Antwort. Atlan winkte resignierend ab. »Es gibt gewisse Unsicherheiten«, sagte er. »Und aus diesem Grund muß ich dich bitten, mir genau zu berichten, was es mit den Kugeln und dem Widerhauch der Freiheit auf sich hat.« »Widerschein der Freiheit«, korrigierte Schoff. »Meinethalben. Berichte, was du weißt!« Der Camagur erzählte ihnen, daß die drei reichsten und mächtigsten Geschlechter in den bleichen Marmorbergen die Durstigen, die Glühenden und die Breiten wären und daß man immer wieder in bestimmten Warensendungen Marmorkugeln gefunden hatte. Die Sendungen gingen in alle Richtungen des Marantroner-Reviers, wie sich diese kosmische Region nannte. Sie bestand aus rund hundert bewohnten Welten. Die Kugeln stachelten zum Widerstand gegen die Gesetze auf. Die kleinen Händler, die jene Durstigen mehrmals gewarnt hatten, rotteten sich zusammen und stürmten die Stapelpaläste der Durstigen. Der Camagur schloß: »Und wie wir wissen, soll keiner des Klans überlebt haben, nicht einmal die Diener. Bis zuletzt haben die Durstigen geleugnet, jene Kugeln herzustellen. Ihr wißt dies natürlich, und Chirmor Flog schickte euch. Wer weiß? Vielleicht bist du der Neffe Chirmor Flog selbst? Möglicherweise stellst du mich mit diesen Fragen auf die Probe? Nun, ich habe nichts zu verbergen – ich verkaufe Getränke an jedermann. Politische Betätigung ist mir ein Greuel.« Der Neffe des Dunklen Oheims, sagte der Extrasinn. Er hält dich für einen Abgesand-
7 ten dessen, der das Marantroner-Revier beherrscht. Dieses »Revier« gehörte zu den peripheren Zonen der Schwarzen Galaxis. Es schien eines der strategisch weniger wichtigen zu sein. Eine Information, die sich mit dem, was sie über das Kommunikationssystem des Organschiffs erfahren hatten, recht genau deckte. »Ich bin nicht Chirmor Flog«, sagte Atlan unwillig. »Sehe ich so aus?« »Niemand weiß, wie Flog aussieht. Ich am allerwenigsten, denn ich war niemals auf dem Planeten Säggallo, der Welt, auf der Flog wohnt.« »Von dort werden die Organschiffe eingesetzt«, meinte Thalia und ließ nicht erkennen, ob es eine Frage oder eine Feststellung war. Schoff erklärte kurz: »Von dort kommen die furchtbaren Instrumente der Rache.« »Aber wir haben die HORIET in Besitz genommen. Auch wir kennen weder den Neffen noch den Dunklen Oheim«, antwortete Atlan verdrossen. Es störte ihn, daß der Camagur beharrlich glaubte, sie würden augenblicklich beginnen, den Markt zu zerstören. »Wir kennen weder den Oheim noch den Neffen. Der Oheim, der im Zentrum der Sterne lebt, ist völlig unbekannt. Aber es gehen viele Berichte von Mund zu Mund, wie grausam er diejenigen bestraft, die gegen das Gesetz handeln. Deswegen weiß ich mit großer Sicherheit, daß euer vorgetäuschtes Unwissen nichts anderes soll, als uns auf die Probe zu stellen.« Der Camagur hob eine halbierte Flasche hoch, hielt sie dicht vor seine Facettenaugen und goß den verbliebenen Inhalt in einen Becher. Alle seine sechs Hände zitterten, als er den Becher hob und austrank. »Wohl bekommt's«, murmelte Atlan. »Deine Meinung ist also die eines armen Wirtes. Wie ist die Auffassung anderer? Der Mächtigen oder Regierenden?« »Die Marktsumme wird nichts anderes
8 denken!« versicherte der Camagur. Er zuckte abermals zusammen und deutete mit drei Armen zur Tür. Die Steinperlen klirrten und klapperten. Ein Wesen in einem Raumanzug kam breitbeinig herein. Der Anzug war tropfend naß, und als der Vorhang auseinanderklaffte, sahen die Pthorer, daß es heftig regnete. In der kurzen Zeit hatten sie tatsächlich eine Menge wichtiger Informationen aufgefangen. Der Fremde blieb zwischen ihnen an der Theke stehen und sagte durch den Außenlautsprecher des Raumanzugs: »Ich brauche dringend einen dreistöckigen Reyp! Aber wie bekomme ich ihn durch die Frontscheibe?« Der Camagur sagte hastig: »Das ist ein Noot. Ich kenne seinen Namen nicht. Aber er gehört zu den Objektiven.« »Richtig. Wer sind die beiden?« brummte der Noot und drehte den Oberkörper hin und her, um Atlan und dann Thalia genau zu mustern. »Und warum tragen sie … aha! Ich verstehe. Die Konzentration der LohRauchpartikel ist so gering, daß sie hier nicht mehr wirkt.« Er öffnete den Helm des Raumanzugs. Atlan und Thalia sahen einen hellblau geschuppten, einem Frosch nicht unähnlichen Kopf und Halsansatz. »Ich bin Conmat-Port, Objektiver, also Angehöriger der Marktpolizeitruppe. Und ihr?« Aufgeregt rief der Wirt: »Es sind die Herren der HORIET! Sie kamen mit dem Organschiff.« Der Noot schnupperte und stieß die Luft geräuschvoll aus. Auf seiner Stirn befand sich ein Horn, seine großen Augen öffneten und schlossen sich. »Ich verstehe. Die Untersuchung wird erfolgen, und bald haben wir den Schuldigen ermittelt«, sagte er in krächzendem Tonfall. »Und anschließend wird der verbotene Markt in Teilen zerstört.« Atlan war jetzt ehrlich verblüfft. Er glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. Die kaltschnäuzige Gelassenheit des Noots war ein krasser Gegensatz zum Verhalten des
Hans Kneifel angsterfüllten Schankwirts. »Chirmor Flog wäre über die präzise Aussage sicherlich hoch zufrieden«, sagte er. »Sind die Dämpfe der Schwarzen Loh in anderen Marktbezirken noch wirksam?« »Chirmor Flog, der Neffe, setzt die Befehle des Dunklen Oheims durch. Das ist ein unveränderlicher Faktor. Es wäre sinnlos, darüber Illusionen zu haben. Es passiert, was beschlossen wurde. Tatsächlich sind an anderen Stellen diese verdammten Dämpfe noch unverändert wirksam. Ihr also seid diejenigen, die den Markt strafen?« Thalia hatte schweigend der Auseinandersetzung zugehört. Sie sah das feine Lächeln in Atlans Gesicht. Der lakonische Noot schien der richtige Gesprächspartner für ihren Liebsten zu sein. »Wir sind diejenigen, die in der HORIET gelandet sind. Das ist richtig. Aber wir sind auf überraschende Weise in den Besitz des Organschiffs gekommen. Wir haben alles andere vor als den Markt zu zerstören. Wir suchen die Freiheitwiderscheinende Kugel und allerlei Informationen. Allerdings glaubt uns niemand.« Der Noot deutete auf einen Becher und eine Flasche. Seine Kaltblütigkeit war erstaunlich. Der Camagur füllte ein Getränk in den Becher und schob ihn über das ein wenig tiefere Brett der Theke. Der Noot kippte den Inhalt in seinen breiten Mund hinein. Die Bewegung war die eines professionellen Trinkers. »Auch ich glaube dir nicht«, sagte der Noot einfach. »Wenigstens fürchtet er sich nicht«, bemerkte Thalia und schüttelte den Kopf. »Was soll ich mich fürchten?« erklärte der Noot. »Ich verliere meinen Job, die Marktsumme wird hoffentlich restlos ausradiert, der verrückte Cembergall-Flyrt mit seiner Kugel wird als Schuldiger erklärt, und dann gehen die Händler von hundert Welten wieder daran, aus dem verbotenen, zerstörten Markt einen neuen, offenen Markt auf-
Rätsel der Schwarzen Galaxis zubauen. Meine Rolle in diesem Spiel ist so mikroskopisch, daß mich kaum etwas erschüttern kann.« »Mein Wort!« sagte Thalia hingerissen. »Der Bursche gefällt mir.« »Mir auch«, sagte Atlan zufrieden. »Da tauchte eben ein neuer, interessanter Begriff auf. Marktsumme. Was ist das?« Der Noot gab ein Geräusch von sich, das nichts anderes als ein haltloses Gelächter sein konnte. Der Schankwirt wich zitternd bis an das andere Ende seiner Bar zurück. Das Plätschern des Regengusses draußen hörte auf, die Geräusche arbeitender Wesen wurden lauter. Atlan stemmte die Fäuste in die Seiten und wiederholte seine Frage. »Die Marktsumme«, sagte der Noot langsam, »ist eine Gemeinschaft von zwölf Individuen. Drei Noots, ebenso viele Krejoden, drei von dieser Sorte«, er deutete auf den Camagur, »und drei Tamater. Die sind die Lustigsten. Die Marktsumme und die meisten der Objektiven sind bestechlich, unfähig und habgierig. Ich sage das nur, weil ich weiß, daß der Neffe alles weiß. Es gibt keine Geheimnisse, denn sonst wäre das Organschiff nicht so schnell hier aufgetaucht.« »Eine verständliche Erklärung«, sagte Atlan grimmig. »Es scheint, daß wir als nächsten Gesprächspartner die sogenannte Marktsumme vormerken sollten.« »Es wird dringend empfohlen«, bemerkte der Noot und kippte den nächsten Becher. »Ich kann euch zur Marktsumme bringen. Allerdings nur zum Büro; ob die Herren geruhen, anwesend zu sein, entzieht sich meiner Kenntnis.« Er hat rasende Angst und versucht, äußerste Kühle vorzutäuschen. Vermutlich gelingt es ihm noch eine ganze Weile lang, flüsterte der Logiksektor. Atlan ignorierte diesen Einwand und beschloß, dem Noot eine echte Chance zu geben. »In Ordnung, Conmat-Port. Bringe uns zur Marktsumme. Ist es ein weiter Weg?« »Einige Minuten. Dieses Viertel scheint nicht mehr im Aufruhr zu sein. Außerdem
9 sind die meisten Einwohner betäubt, voller Wunden und derartig erschöpft, daß sie uns nicht mehr angreifen werden.« Atlan hob den Arm und sagte: »Wir danken dir, Schoff, für viele Informationen. Es ist sicher, daß die Vernichtung des Marktes noch nicht gleich erfolgt. Zuerst unterhalten wir uns mit der Regierung dieser Zone.« Der Camagur stand noch immer zitternd in einer Ecke seiner Bar und sah schweigend von Atlan zu Thalia und dann zu ConmatPort. Er versuchte nicht einmal, seine Furcht zu unterdrücken. »Gehen wir?« fragte Thalia. »Ja, natürlich«, antwortete Atlan. Inzwischen begann er zu bedauern, daß er keine Waffe mitgenommen hatte. Um Thalia zu beruhigen, nahm er ihre Hand und zog sie mit sich aus der Bar hinaus. Vor ihnen stapfte der etwa eineinhalb Meter große Echsenartige die Stufen hinunter, wandte sich nach rechts und winkte mehrmals. Die folgende Viertelstunde war ein Marsch durch eine exotische, bedrohlich wirkende Welt, die dennoch eine fatale Ähnlichkeit mit anderen Plätzen dieser Art hatte. Atlan kannte solche Viertel. Hafenstädte, Märkte, Basare … sie ähnelten einander stets, sie hatten ihre eigene, unverwechselbare Ausstrahlung. Atlan sah jetzt auch die beiden anderen Typen der Einwohner aus der Nähe. Es waren die kleinen, an Käfer erinnernden Wesen, die der Noot Tamater nannte, und andere, die den Namen Krejoden hatten. Alle waren offensichtlich schwer angeschlagen.
2. Atlan versuchte, keinen Fehler zu machen. Er dachte an den Rauch der Schwarzen Loh, aber auf dem Weg, den sie gingen, kämpfte niemand. Dies bedeutete, glaubte der Arkonide, daß sich keine oder viel zu wenige Partikel in der Luft befanden. Er ging die vielen Stufen aufwärts und ab-
10 wärts, blickte in halbzerstörte Läden hinein und sah, daß hier tatsächlich nahezu an jeder Stelle eine Art Bürgerkrieg stattgefunden hatte. Danjitter-Tal schien ein merkwürdiges Pflaster zu sein. Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit – was immer das war –, eine brennende Schwarze Loh, die Furcht des einen Wesens und die scheinbare Abgebrühtheit des anderen, und die Auskünfte über die Marktsumme … es ergab noch kein begreifbares Bild des Ganzen. Die schmale Straße führte auf einen Platz hinaus. Der Noot verlangsamte seine Schritte und blieb vor Atlan und Thalia stehen. »Ihr scheint keine Furcht zu haben?« fragte er. »Im Gegensatz zu dir, Port«, entgegnete Atlan. »Die Viertelstunde ist vorbei. Wo ist die Summe des Marktes?« »Dort drüben in dem viereckigen Turm«, erklärte der Noot. »Es kann allerdings sein, daß …« Weiter kam er nicht. Mit einer überraschenden Plötzlichkeit belebte sich der kleine Platz. Aus dunklen Winkeln und allen Richtungen rannten nackte und bekleidete Wesen auf die drei Gestalten zu. Sie schwangen Knüppel und ähnliche Gegenstände und griffen an. Sie wurden von einer blinden Wut getrieben und reagierten wie Maschinen. Atlan schrie auf: »Vorsicht. Thalia, hierher!« Er konnte sich auf den Schutz des Goldenen Vlieses verlassen. Seine Hände fuhren in die fingerlosen Handschuhe des Anzugs der Vernichtung. Sein erster Schlag traf einen Camagur und warf ihn einige Meter weit zurück in einen Haufen aufkreischender Tamater. Thalia versuchte, zwischen dem Noot und den Gestalten hindurchzuschlüpfen, aber zwei Krejoden stürzten sich auf sie. Der Noot zog eine Waffe und feuerte. »Hinter mir her!« schrie er. »Wir sind wieder in einer gefährlichen Zone.« Der wechselnde Wind trieb also den suggestiv wirkenden Rauch in ein anderes Gebiet der Händlerstadt, sagte sich Atlan. Er duckte sich und warf sich vorwärts.
Hans Kneifel Mit einem Unterarm blockierte er den Hieb eines der zweieinhalb Meter großen Krejoden, unterlief den zusammenklappenden Körper des zweiten Riesen und stieß Thalia in die Richtung des Noots. Das Echsenwesen schwenkte seine stumpfläufige Waffe und feuerte kurz hintereinander dreimal. Drei Gestalten, gefährlich nahegekommen, wurden zurückgeschleudert und brachen zusammen. Atlan sprang einen Camagur an, dessen sechs Arme einen rasenden Wirbel beschrieben. Drei, vier Hiebe trafen mit dumpfen Schlägen das Goldene Vlies. Atlan registrierte sie lediglich, spürte aber keine Schmerzen. Er hörte, wie der Noot um Hilfe rief. Vielleicht sprach er ins Mikrophon seines Raumanzugs. Thalia war von einer Schar der gelbhäutigen Tamater umgeben. Die kleinen Käferwesen schrien mit schrillen Stimmen und hingen wie eine Traube an der jungen Frau. Sie klammerten sich an Arme und Beine und versuchten, Thalia zu Boden zu ziehen. »Hierher, Atlan!« schrie Thalia erstickt. Die Raserei ergriff mehr und mehr Einwohner dieses Marktteils. Der Noot hatte sich freigekämpft und war die Stufen einer Treppe hinaufgesprungen. Von dort aus schoß er mit der Lähmwaffe auf einzelne Angreifer. Als Atlan nur noch drei Schritte von Thalia entfernt war, tauchten aus dem Halbdunkel die schwarzen Gestalten dreier Camagurs vor ihm auf. Zu seinem Schrecken sah er, daß Thalia halb zu Boden gezogen worden war. Donnernd löste sich ein Schuß aus der Waffe des Objektiven. Atlan sprang über den zusammenbrechenden Camagur hinweg, schmetterte einen Angriff des zweiten Gegners zurück und war bei Thalia. Er riß einen Tamater von ihrem Rücken, schleuderte ihn in die Gruppe der nächsten Angreifer und sah, daß die Wesen untereinander zu kämpfen begonnen hatten. Sein Knüppel krachte auf die runden Schädel der Gelbhäutigen hinunter. Er packte Thalia um die Hüften und riß sie hoch. Ihr Gesicht war blutüberströmt.
Rätsel der Schwarzen Galaxis »Ein gefährliches Pflaster«, sagte sie stöhnend. »Wir sind gleich in Sicherheit«, versprach er, stellte sich zwischen sie und die nächste Gruppe der Händler und verteidigte sich. Rechts und links von seinen Schultern schoß der Noot gezielt in die Menge. Langsam zogen sich Atlan und Thalia zurück und erreichten die schmale Treppe, auf deren oberstem Absatz der Noot stand. »Verstärkung ist unterwegs! Die Marktsumme schlägt uns heraus!« schrie er und schoß, um den beiden Deckung zu geben. Atlan zerrte Thalia die Stufen aufwärts, trat mit dem Fuß gegen einen keuchenden und schreienden Noot und spürte, wie ein Krejode vor dem stachelartigen Schulterauswuchs des Anzugs zurückgeschleudert wurde wie von einer elektrischen Entladung. Dann standen sie dicht unterhalb von Conmat-Port. Aus den Lautsprechern seines offenes Raumanzugs kamen aufgeregt quäkende Stimmen. Atlan fragte sich, warum Thalia, er selbst und der Noot nichts von der Wirkung der hypnotischen Partikel spürten. Vielleicht hatte der Noot die Innenversorgung des Anzugs eingeschaltet, die alle Außenluft vor seinen Atemöffnungen wegblies. Und sie als Pthorer waren vielleicht dagegen immun. Wieder krachte ein Schuß an seinem Kopf vorbei und warf einen heranrasenden Camagur von der untersten Stufe. Mehrere Tamater krabbelten über seinen Körper. Atlan schob Thalia hinter sich und sprang die Stufen abwärts. Wieder traten seine Faust und der splitternde Knüppel in Tätigkeit. Viele Wesen lagen bewegungslos auf dem Pflaster. Andere kämpften in wild ineinander verkeilten Gruppen gegeneinander. Jeder schlug auf jeden und alles los, und ringsherum klirrte und krachte es. Aber nun kam von links eine Gruppe in rasender Eile herangerannt. »Meine Kollegen«, rief Conmat-Port und schoß zweimal. »Die Objektiven.« Es waren etwa ein Dutzend. Sie gehörten
11 allen vier hauptsächlich vertretenen Völkern an. Dies war schon auf den ersten Blick an der Größe und der Art der Raumanzüge zu erkennen. Die Objektiven bildeten eine Kette, die über die gesamte Breite der leicht ansteigenden Gasse reichte. Als sie zwanzig Schritt vom Platz entfernt waren, eröffneten sie ungerührt das Feuer aus den Lähmwaffen oder Schockstrahlern. Binnen weniger Sekunden bedeckte sich die Hälfte des Platzes mit regungslosen Körpern. Der Rest der hypnotisierten Händler kämpfte völlig ungerührt weiter. »In Ordnung«, kommentierte der Noot. »Bis zum Büro der Marktsumme sind es nur einige Schritte. Niemand wird uns mehr angreifen.« »Ich bezweifle es nicht«, murmelte Atlan, legte sich Thalias Arm um die Schulter und befand sich augenblicklich in der Mitte der Gruppe. Die Objektiven sicherten nach allen Seiten. Sie schoben sich wieder durch die Gasse zurück, stützten Atlan und Thalia und steuerten auf einen kantigen Turm zu. Sämtliche Fenster des Turmes waren hell erleuchtet, in einigen fehlte das Glas. »Ist es schlimm?« fragte Atlan nach einigen Schritten. Thalia schüttelte den Kopf, verzog aber vor Schmerzen das Gesicht. »Ich schaffe es schon«, sagte sie. »In den Räumen der Marktsumme werden wir dir helfen«, sagte Atlan. Die Phalanx der Objektiven ordnete sich, man führte Atlan und Thalia zum Eingang. Hinter den Mitgliedern der Marktpolizei schlossen sich schwere Türen. Die Objektiven öffneten ihre Raumanzüge, und der Noot sagte: »Es sind alle Angehörigen der Marktsumme verständigt worden. Sie warten oben – wie viele es inzwischen sind, weiß ich nicht. Kommt, bitte.« Sie bestiegen einen Lift, der sie in einem großen Saal entließ. Im Mittelpunkt des Raumes befand sich ein großer Tisch, umgeben von vier verschiedenen Gruppen von Sesseln. Große Fenster und viele Kommunikationsgeräte vervollständigten den Ein-
12 druck. In dem Raum herrschte fast vollkommene Stille. Atlan zählte neun Wesen. Sie hatten sich etwa halbkreisförmig gegenüber den Eingangstüren aufgestellt. Ein Krejode mit vibrierendem Kinnsack trat vor und sagte mit knarrender Stimme: »Die Marktsumme von Xudon, die Verwalter des offenen Marktes des Danjitter-Tales, begrüßt euch!« Atlan nickte. Hinter ihm traten vier Objektive den Raum. Conmat-Port war unter ihnen. Der Arkonide sagte: »Zuerst brauche ich Hilfe für Thalia. Sie ist von Kämpfenden verletzt worden.« Der Krejode deutete auf die Objektiven und antwortete: »Helft ihnen sofort.« »Selbstverständlich.« Conmat-Port berührte Thalia am Arm und führte sie hinaus. Atlan zog die Handschuhe aus und ließ sich in einen Sessel fallen, der wohl für einen Noot gebaut war. »Mir scheint«, sagte er und gab vorläufig seinen Versuch auf, seine wahren Absichten erklären zu wollen, »daß Chirmor Flog einigen Grund hat, bestimmte Änderungen durchzuführen und Strafen über den Markt zu verhängen. Offensichtlich ist DanjitterTal miserabel verwaltet worden.« Seine Antwort hatte den erwarteten Erfolg. Die Mitglieder der Marktsumme zeigten, soweit die Mimik ihrer fremdartigen Gesichter richtig zu deuten war, helles Entsetzen. Wie der machte sich der Krejode zum Wortführer. Er erklärte zögernd und stockend: »Ich bin Zarf aus dem Klan der Hungrigen. In der letzten Zeit sind viele Dinge geschehen. Einflüsse, die nicht vorhersehbar waren, traten auf. Der Volkszorn kehrte sich gegen die Durstigen. Und auch die Glühenden und die Breiten werden von der Wut nicht verschont bleiben.« Atlan hob die Hand und sagte kurz: »Sprechen wir von der Vergangenheit und nicht von der Zukunft. Wie verhält es sich mit den Marmorkugeln und dem Widerschein der Freiheit?«
Hans Kneifel »Erlaube, daß ich spreche«, meinte ein Noot im offenen, prunkvoll verzierten Raumanzug. »Mein Name ist GriselnemDaahl. Wir fanden immer wieder perfekt hergestellte Kugeln aus wertvollstem AderMarmor. Sie hatten eine starke Ausstrahlung. Die Ausstrahlung zwang jeden, gegen die Gesetze des Neffen zu verstoßen. Wir fanden bald heraus, daß die Kugeln vom Klan der Durstigen stammten. Wir warnten sie mehrmals. Als immer wieder Kugeln auftauchten, sie wurden als solche bezeichnet, die den Widerschein der Freiheit ausstrahlten, bekamen es viele Händler mit der Angst zu tun. Sie drangen in die Stapelpaläste ein, um dem durstigen Zyrl ernsthafte Vorhaltungen zu machen. Es kam zum Kampf. Von dem Klan der Durstigen blieb nichts mehr übrig. Alle sind tot, die Paläste geschleift und verbrannt.« »Interessant«, sagte Atlan und wußte jetzt mit Sicherheit, daß die Mitglieder der Marktsumme wirklich voller Furcht waren. Aber er zweifelte daran, daß sich alles wirklich genau so zugetragen hatte. »Und die Marktsumme war erstens überzeugt, daß einige Marmorkugeln die Macht des Neffen und darüber hinaus die des Dunklen Oheims ernsthaft gefährden? Und zweitens, daß keine anderen Maßnahmen als Mord oder Totschlag geholfen hätten?« Das Argument war keineswegs geeignet, die Mitglieder der Marktsumme zu beruhigen. Atlan wartete ab, bis der Noot und Thalia wieder hereingekommen waren. Thalias Kopf war verbunden. »Tramph-Ro«, sagte ein Tamater schrill. Atlan sah, daß er nur eines seiner drei Münder benutzte. »Nichts mehr half, richtig. Wir konnten der Entwicklung keinen Riegel mehr vorschieben und ihr nicht Einhalt gebieten.« »Also doch ein Problem einer schlechten Verwaltung«, sagte Atlan trocken. »Wieviel Objektive gibt es?« »Etwa dreihundert.« »Dreihundert Objektive also. Wieviel
Rätsel der Schwarzen Galaxis Händlerschiffe starten und landen täglich, im Durchschnitt?« »Zwanzig bis dreißig«, knarrte der Krejode. Die anderen Teile der Marktsumme standen noch immer unbeweglich, aber furchtsam da. Diese Schaustellung bewies mit brutaler Deutlichkeit, welche Machtposition ein Abgesandter des Neffen mit einem Schiff hatte, das tatsächlich von Säggallo kam. Atlan sagte sich jetzt völlig bewußt, daß er alle Informationen bekommen würde, die er dringend brauchte, vorausgesetzt, er spielte diese Rolle weiter. Er würde – vorläufig – diese Rolle weiterspielen. Noch war die Situation stabil. Die Galionsfigur würde wohl noch diese Nacht stillhalten und selbst versuchen, sich vollständig zu orientieren. Erst dann mußte Atlan handeln und sich ein neues Programm ausdenken. Er legte etwas mehr Schärfe in seinen Tonfall und fragte: »Zehn Objektive durchschnittlich für jedes Raumschiff, um genau kontrollieren zu können. Und ihr habt es nicht geschafft, die Ankunft, den Handelsabschluß und das Ausladen und Abtransportieren einer Schwarzen Loh zu entdecken? Dreihundert Objektive und zwölf von der Marktsumme? Chirmor sollte nicht den Markt ausräuchern und strafen, er sollte die untüchtige Marktsumme und zumindest viele der ebenso untüchtigen Objektiven bestrafen. Ich will annehmen, daß die meisten der Objektiven irregeleitet sind. Wie die Verwaltung, so auch die Ausführung. Habe ich recht?« Ein betretenes Schweigen war die Antwort. Atlan drehte sich im Sessel herum und blickte den Noot Conmat-Port fragend an. Der Objektive schien keine Lust zu haben, eine seiner zynischen Antworten zu geben. Dein Auftritt zeigt die erwünschte Wirkung, kommentierte der Logiksektor. Atlan zeigte auf Thalia und sagte, nicht weniger vorwurfsvoll: »Noch nicht genug mit dieser verderblichen Entwicklung! Als wir aus dem Schiff kamen und die Marktsumme aufsuchen wollten, wurden wir ange-
13 griffen und zusammengeschlagen. Warum sind wir nicht abgeholt und feierlich empfangen worden? Hat der Name des Neffen so an Glanz verloren? Nur ein Objektiver half uns. Du kannst bestätigen, Conmat-Port, was wir erlebt haben? Woher hätte sonst Thalia ihre Verletzung?« Der hungrige Zarf antwortete betreten: »Wir ahnten nichts von der Ankunft des Organschiffs.« »Spätestens nach den Funden der Freiheits-Marmorkugeln hättet ihr mit unumstößlicher Sicherheit wissen müssen, daß ein Schiff wie die HORIET landet!« »Und wir wagten nicht, uns der Gefährdung durch den wild um sich schlagenden Pöbel auszusetzen«, rief der Tamater. »Trotz Raumanzügen und der Betäubungswaffen? Ihr seid nicht nur untüchtig, sondern darüber hinaus fett und feige geworden!« erwiderte Atlan. »Wir werden dafür sorgen«, rief Tshiff eifrig, »daß die Schuldigen bestraft werden!« Atlan fragte knapp: »Wer sind die Schuldigen?« »Die Glühenden und die Breiten. Wenn es weitere Marmorkugeln dieser Art geben sollte, dann kommen sie von diesen Klans. Wir werden auch diese Paläste in den bleichen Marmorbergen ausräuchern lassen.« »Ihr tötet die Händler, noch bevor ihre Schuld erwiesen ist?« »Sonst stellt niemand Marmorteile dieser Art her. Es ist ungemein schwierig, und es bedarf langer Übung, Kugeln von solcher Makellosigkeit zu drechseln.« »Und wer hat die Schwarze Loh hierhergebracht?« wollte Thalia wissen. Weder sie noch Atlan hatten eine Ahnung, wie dieses Tier aussah und wie groß es war. »Das weiß niemand. Wenn es jemand weiß, dann ist es Cembergall-Flyrt, einer der erfolglosesten Objektiven«, rief, etwas sicherer geworden, der Krejode. Sein Artgenosse unterstützte diese Aussage, indem er mehrmals nickte und die Arme beteuernd bewegte. »Ich will diesen Objektiven sprechen. Er
14 ist ein Krejode?« »Nein. Ein Noot. Er fällt ständig auf, besonders durch seine Unbotsamkeit. Richtig«, erklärte Tshiff, der Tamater in seinem silberglänzenden Raumanzug. »Ich möchte ihn sprechen. Er soll später auf mein Schiff gebracht werden«, sagte Atlan befehlend. Sofort befahl der zweite Krejode den Objektiven, den Gefangenen augenblicklich zu holen und vorzuführen. Atlan winkte ab und entgegnete: »Nicht jetzt. Später. Ich nehme ihn mit, wenn ich mich ins Schiff zurückziehe und zusammen mit Thalia den Umfang der Strafaktion erörtere. Weiter in der Unterhaltung über den Markt und die erstaunlichen Vorfälle.« Er lehnte sich zurück und begann mit dem Sessel zu wippen. »Natürlich«, sagte er halblaut und in einem Ton, von dem er hoffte, daß er durch die Beiläufigkeit noch drohender wirken sollte, »möchte ich, bevor ich den Umfang der Vernichtung ermittle, die belastenden Materialien sehen. Wo sind die Marmorkugeln mit dem Widerschein der Freiheit?« Sofort sprang der Krejode vor und blieb vor Atlan stehen. »Darf ich euch in den Nebenraum führen? Dort haben wir die Kugel unter Verschluß. Ihre Ausstrahlung soll keinen von uns und auch sonst niemanden mehr in Versuchung führen, die Gesetze zu brechen und die Normen zu mißachten.« »In Ordnung. Zeige mir die Kugel.« Ein Objektiver riß eine Tür auf. Atlan und Thalia gingen hinter dem hungrigen Zarf her in ein kleines Büro. In der Wand, die mit wertvoll scheinenden Stoffen bespannt war, öffnete sich ein verkleideter Safe. Der Krejode griff mit seiner langfingrigen Hand hinein und holte die Kugel heraus. Er legte sie mitten auf einen Schreibtisch. »Das ist eine der Kugeln, mit denen die verachtenswürdigen Durstigen uns zwingen wollten, ungehorsam zu sein. Vielleicht ist eine Kugel bereits auf einem anderen Plane-
Hans Kneifel ten? Wir sind sicher, daß alle Kugeln gefunden wurden. Wir haben sie in Trümmern den Durstigen zurückgegeben.« Atlan und Thalia wechselten einen kurzen Blick voller Einverständnis. Sie konnten sich denken, daß genau dies nicht der Fall war: sicherlich hatte die überaus untüchtige Marktsumme mitsamt den bestechlichen und trägen Objektiven die wenigsten Marmorkugeln gefunden. Ein neuer Gedanke: wenn die Marktsumme behauptete, daß ein Objektiver untüchtig war, dann stimmte vermutlich eher das Gegenteil. Also ist Cembergall-Flyrt genau der Mann, den du suchst, empfahl der Logiksektor. »Ich verstehe!« sagte Atlan betroffen. Thalia und er starrten die Kugel an. Sie lag ruhig und kühl unter dem starken Licht einiger Scheinwerfer. Es stimmte, was allgemein behauptet wurde. Die Kugel strahlte tatsächlich den Widerschein der Freiheit aus. Wie konnte Marmor einem solchen Effekt unterliegen? Soweit der Arkonide und die Tochter Odins erkennen konnten, war die Kugel aus einem besonders wertvollen Brocken Marmor gedreht worden. Ihre Oberfläche war glatt und seidig wie eine kostbare Perle, zeigte aber das unverkennbare Muster der Marmoradern aus. Natürlich leuchtete der Stein nicht etwa aus sich heraus, sondern reflektierte bis zu einem bestimmten Grad das Licht des Zimmers. Aber die gleiche Empfindung ergriff Thalia und Atlan! Die Kugel tat etwas mit ihren Gedanken und Gefühlen. Eine Art Sehnsucht ergriff sie, so ähnlich wie der Wunsch, den man beim Betrachten eines besonders schönen Bildes verspürte. Nur viel intensiver und drängender, und vor allem ununterbrochen. Wenn schon, sagte sich Atlan, dieser Effekt ihm gegenüber intensiv und eindeutig war – vermutlich war dank der ARK SUMMIA und seiner unendlich langen Erfahrung seine Widerstandskraft gegen derartige Einflüsterungen größer als die eines anderen Wesens
Rätsel der Schwarzen Galaxis –, wie stark wirkte er erst gegenüber den Krejoden, Noots und wie sie sonst alle hießen? Vermutlich sehr stark, sonst wäre ihre Verwirrung nicht so groß, sagte mit Bestimmtheit der Logiksektor. Schweigend blickte er die Kugel an. Thalia ergriff seine Hand und drückte seine Finger. Das Zeichen, daß es ihr nicht um einen Deut anders erging. Der Krejode stand schweigend und in wachsender Unsicherheit da. Die Pthorer spürten noch immer den Wunsch, sich von allen Zwängen und Konventionen loszusagen, keinerlei unsinnige Gesetze von unbekannten Herrschern zu beachten, sich einfach über alles hinwegzusetzen und das zu tun, was sie wollten und wünschten. Schließlich lachte Atlan kurz auf und sagte: »Dieses Beweismittel wird den Neffen nicht wenig interessieren. Ich nehme es an mich und liefere es auf dem Planeten Säggallo ab.« Er streckte die Hand aus, nahm die Kugel und schob sie, um nicht erneut jemanden zu provozieren, in den Fäustling des Goldenen Vlieses. Der Stein füllte den Hohlraum gerade aus. »Was werdet ihr tun?« fragte der Krejode, als der Bann gebrochen schien. »Zunächst den Gefangenen besuchen«, sagte Atlan. »Und dann kommt der Teil, der für die Marktsumme, die Objektiven und den Markt im Danjitter-Tal von besonderem Interesse ist. Wir beratschlagen das Ausmaß der Strafaktion.« »Wann wird die Beratung zu einem Ergebnis gekommen sein?« fragte der Krejode, während er sie in den Sitzungssaal zurückgeleitete. Atlan lächelte zurückhaltend und antwortete: »Wer weiß? In einer Stunde oder einem Tag? Es kann sein, daß Chirmor Flog für das Marantroner-Revier ein Exempel statuieren möchte. Nachrichten dieser Art verbreiten sich bekanntlich schnell.«
15 Wenn Chirmor Flog seine Befehle aus tiefer im Zentrum gelegenen galaktischen Regionen erhielt, dann bekam diese Antwort einen Sinn. Außerdem mußte Atlan damit rechnen, daß die lebende Galionsfigur selbständig zu handeln begann. »Wird die Marktsumme vom Ergebnis der Beratungen verständigt?« fragte Tramph-Ro mit einem anderen seiner Münder. »Ganz sicher wird jedermann merken, welche Ergebnisse gefunden wurden«, versicherte Atlan. »Jetzt zu Cembergall-Flyrt, dem schlechten und untüchtigen Objektiven.« Sie beeilten sich, seinem Befehl zu folgen.
3. Im untersten Stockwerk des kantigen Marktsumme-Turmes lagen die Gefängniszellen. Conmat-Port und einige andere Objektive, angeführt von Tshiff, dem Tamater, begleiteten Atlan und Thalia durch die Gänge und über die Treppen. »Der Ruhe nach«, meinte Thalia nach einigen Schritten, »sind die Verliese ziemlich leer?« Conmat-Port erwiderte: »Nur eine tüchtige, in allen Punkten präzise arbeitende Marktregierung kann es sich leisten, wenige oder keine Gefangenen zu haben.« Atlan begriff den sarkastischen Doppelsinn der Worte. Tshiff beeilte sich zu versichern: »Es befindet sich nur vorübergehend Cembergall-Flyrt in einer Zelle. Er randalierte, weil er offensichtlich auf ungewöhnlich starke Weise in den, nun, zweifelhaften Genuß des Rauches gekommen ist.« Wieder erkundigte sich Thalia. »Aber es war doch jedem hier auf dem Markt bekannt, welche Folgen das Verbrennen einer Schwarzen Loh haben würde?« »Zweifellos. Indessen …« »Indessen kümmerte sich nicht wirklich jemand darum, den Import dieser suggestiven Waffe zu verhindern. Es müssen in Danjitter-Tal verbrecherische Narren herum-
16 laufen. Denn außer einer kleinen Gruppe von Händlern, die erstens über Raumanzüge und zweitens über Schutzwaffen verfügen, kann niemand Interesse daran haben.« Der Tamater schrie aufgeregt aus seinem linken Mund: »Wir haben nicht einen einzigen Plünderer gesehen oder gefangen. Objektive! Habt ihr etwas in dieser Art gesehen? Warum habt ihr es nicht berichtet?« Der Noot verzog seinen breiten Reptilienmund und erwiderte nachdenklich: »Wenigstens ich habe keinen Plünderer gesehen. Aber es können viele Gruppen gezielt vorgegangen sein. Dies wird sich erstens niemals mehr feststellen lassen, und zweitens sind die Plünderer sicherlich in jenen Schiffen zu finden, die beim Auftauchen der HORIET wie die Irrsinnigen geflohen sind.« Ratlosigkeit breitete sich aus. Mittlerweile stand die gesamte Gruppe vor einer Zelle. Ein großzügig bemessener Raum war an seinem Vorderteil durch ein kleinmaschiges Gitter aus dehnbaren Fäden abgeschlossen, in dem sich eine massive Tür befand. In der Zelle brannte das Licht hinter einer vergitterten Öffnung in der Decke. Inmitten des restlos zertrümmerten Inventars lag mit weit aufgerissenen Augen ein breitschultriger Noot in einer über und über beschmutzten Lederuniform. Conmat-Port trat an das Netz und rief: »He! Aufstehen, Kollege. Besuch für dich. Deine Mitarbeit wird dringend benötigt!« Der Noot stieß ein heiseres Krächzen aus. Dann versuchte er, vom Boden hochzukommen. Seine Gelenke schienen zu streiken. Atlan und Thalia hatten einen Noot ohne Raumanzug noch nicht aus der Nähe richtig betrachten können. Sie sahen den froschähnlichen Kopf, das auffallende Horn und die hellblau geschuppte Haut. Mit kratzenden Fingerkrallen richtete sich Cembergall-Flyrt auf. Als er erkannte, daß sich eine Gruppe außerhalb des Käfigs befand, schnellte er sich plötzlich mit einem wütenden Satz ge-
Hans Kneifel radeaus und krallte sich direkt vor dem anderen Objektiven in das Netz. Ungerührt zog Conmat-Port seine Schockwaffe. »Halt!« warf der Arkonide ein. Der Noot neben ihm sah ihn mit riesigen Augen fragend an. »Im Schiff möchten wir mit ihm sprechen. Es mag nötig sein, seine Bewegungsmuskulatur zu lähmen, falls er sich weiterhin widerborstig zeigt.« »In Ordnung, Chef. Du bestimmst hier!« gab Conmat-Port zur Antwort, drehte etwas an der Waffe und feuerte zwei kurze Schüsse ab. Sie trafen die Kniegelenke des Objektiven. Mit einem Wutschrei sackte Cembergall-Flyrt zusammen. Atlan befahl: »Holt ihn heraus und bringt ihn zum Schiff. Zugleich brauchen wir eine schnelle und standesgemäße Beförderung zur HORIET. Und dies sollte in großer Eile geschehen.« »Richtig«, bestätigte Tshiff. »In höchster Geschwindigkeit.« Die Objektiven schrie er an: »Worauf wartet ihr noch! Tut, was der Abgesandte des Neffen von uns verlangt. Schnell! Den besten Gleiter! Und einen anderen Gleiter für den Objektiven. Ihr haftet mit eurem Amt für die sachgerechte Ausführung! Vielleicht ist der Vertreter Flogs dann ein wenig milder.« So hört es sich schon besser an, sagte voller Zufriedenheit der Extrasinn.
* Im Büro der Marktsumme herrschten jetzt ein entsetztes Schweigen und eine Stimmung, die den Mitgliedern jeden Augenblick ihre Lage ins Bewußtsein zurückrief. Der Abgesandte des Neffen hatte sich nicht täuschen lassen. Seine Argumente bewiesen, daß er über den Markt und vieles andere genau Bescheid wußte. Seine Demonstration der Macht war überzeugend gewesen. Der hungrige Zarf sagte nach längerem nachdenken:
Rätsel der Schwarzen Galaxis »Es ist wohl jedem von uns klar geworden, daß wir uns in äußerster Gefahr befinden. Nicht nur unsere Stellung, sondern unser Leben ist gefährdet.« Tshiff erwiderte, sich aus dem Getränkevorrat reichlich einschenkend: »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit zur Rettung. Das ist meine Meinung. Wir müssen den Vertreter Flogs ablenken. Ein anderes Opfer, einen überzeugenden Schuldigen. Das brauchen wir. Richtig.« »Ausnahmsweise hast du recht«, erklärte Griselnem-Daahl unruhig. »Ein geschickter Spielzug? Er mag vieles wissen, aber er wird nicht jedes Geheimnis herausbekommen. Und überdies kann er wohl nicht Wochen und Monate lang hierbleiben und alles untersuchen. Ich schlage vor, daß wir erst einmal abwarten.« Tramph-Ro bewegte in höchster Aufregung seine vielen Arme. »Abwarten? Was sollen wir abwarten?« Ein anderes Mitglied meldete sich zu Wort. »Abwarten, bis die Nacht vorbei ist. Dann gibt es keinen Rauch mehr; schon jetzt ist kaum mehr etwas festzustellen. Dann werden wir die Objektiven ausschicken.« »Wozu? Wohin?« Die Aufregung nahm zu. Noch eben waren sie alle hoffnungslos gewesen. Jetzt schien sich eine Besserung der Lage anzudeuten. »In die am meisten geschädigten Bereiche des Marktes. Wir schüren die Wut der kleinen Händler.« »Was hast du vor?« »Die Glühenden und die Breiten stellen Marmorartikel her. Das trifft doch zu, oder etwa nicht?« Langsam begannen sie zu verstehen, worauf der Krejode hinaus wollte. Sie riefen sich aufmunternde Worte zu. »Es trifft zu. Also sollen die Händler selbst die Schuldigen bestrafen. Die Justiz des Volkes wird ohne unsere Überwachung zuschlagen. Gleich morgen früh beginnen wir. Der Weg zu den bleichen Marmorber-
17 gen ist weit und beschwerlich.« »Ich bin einverstanden«, rief Tramph-Ro. »Ausgezeichnete Idee.« »Richtig!« fügte Tshiff hinzu. »Wir müssen die HORIET so schnell wie möglich dazu bewegen, wieder abzufliegen. Erst wenn alles vorbei ist, wird der Markt wieder ein Zentrum des Handels sein.« Sie brauchten es nicht auszusprechen, sie wußten es alle. Ohne einen funktionierenden Markt waren sie überflüssig. Sie drängten sich kaum nach der Verwaltungsarbeit, aber sie waren in demselben Moment auch ohne Einkommen. »Ich bin dafür, diese Aktion bei Sonnenaufgang einzuleiten!« rief einer von ihnen. »Auch ich unterstütze diesen Antrag.« »Also befehlen wir es den Objektiven?« »Richtig.« Wenn sie es geschickt genug machten, würden die geschädigten Händler glauben, daß an der bevorstehenden Strafaktion des Schiffes und an den Verwüstungen durch den Rauch der Loh die Marmorhersteller schuld waren. Der Rest stellte kaum ein Problem dar. Man würde die Stapelpaläste schleifen und die Kommandanten der HORIET ablenken. »Vergeßt nicht«, rief der andere Noot. »Wir haben noch immer Cembergall-Flyrt. Er ist zwar im Schiff und steht noch immer unter dem Einfluß des aggressiven Rauches, aber …« »Aber er wird durch unsere Aussage überstimmt werden, gleichgültig, was dieser Atlan aus ihm herauspreßt.« »Falls wir es schaffen, einer Meinung zu sein.« »Wenn wir nicht diesmal einer Auffassung sind, brauchen wir uns in Zukunft keinerlei Sorgen mehr zu machen. Dann werden die Kampfstrahlen aus dem Organschiff jede Frage ein für alle Mal gelöst haben«, donnerte Griselnem-Daahl. »Richtig!« schrillte der Tamater und sprang aufgeregt in die Höhe. »Was sagen wir denen von Säggallo?« »Daß Cembergall-Flyrt die Marmorkugel
18 – die jetzt im Schiff ist – besorgt und damit alles ausgelöst hat. Ihm ist die Schuld zu geben an dem Import der Schwarzen Loh, an dem Ausbruch der Kämpfe und Streitigkeiten durch den Rauch, an den Verwüstungen und an den Massakern unter den Klans der bleichen Marmorbergen. Dies müßt ihr behaupten, gleichgültig, wie die Beweise aussehen.« »In Ordnung.« Die drei Krejoden, ein Viertel der Marktsumme, standen auf und bildeten eine Gruppe. Der hungrige Zarf führte immer das große Wort. Auch jetzt schien er für alle drei Krejoden zu sprechen. »Ich stelle mich ebenso wenig gegen die Ergebnisse unserer Beratung wie jeder andere hier. Ich hoffe es wenigstens, daß ausnahmsweise Einigkeit besteht. Wir stehen an einem gefährlichen Punkt unserer Existenz. Es muß nicht sein, daß die Marktsumme sich indirekt mit dem Blut der alten Geschlechter besudelt. Außerdem werden sowohl die Glühenden als auch die Breiten gewarnt sein. Sie sind die Nachbarn der getöteten Durstigen. Entweder schlagen sie mit aller Kraft zurück, und es gibt noch mehr Tote, oder sie haben die Warnung beherzigt und sind geflüchtet.« »Richtig«, sagte schrill der Tamater. »Und was jetzt?« »Ein Scheinangriff mit aller Wucht. Möglichst dramatisch. Und bevor es zum Höhepunkt kommt greifen wir ein. So wahren wir noch mehr unser Gesicht. Einverstanden?« Der Noot winkte ab und murmelte: »Macht, was ihr wollt. Wir werden ohnehin niemals erfahren, was der Kommandant der HORIET unternehmen wird.« »Spätestens in ein, zwei Tagen wissen wir es alle.« »Allerdings. Dann weiß es jeder.« Die versammelte Marktsumme war nicht in der Lage, ein neues Handlungskonzept zu entwickeln. Sie klebten förmlich an ihren Sesseln. Mit Erkenntnissen, die sie während ihrer langen und korrupten Herrschaftszeit gewonnen hatten, versuchten sie, sich wei-
Hans Kneifel terhin zu behaupten. Jedes Mittel war ihnen dazu recht, die eigene Stellung zu erhalten und die Gunst – oder zumindest nicht die vernichtende Rache – der OrganschiffMannschaft hervorzurufen. Sie versuchten im Moment, Stunde um Stunde zu überleben. Der erste Schritt schien gelungen zu sein. Ein Camagur sagte abschließend in resignierendem Ton: »Wir gehen auseinander. Bitte, laßt alle die Kommunikationsgeräte eingeschaltet. Wir müssen sekundenschnell miteinander sprechen können. Und wie lange brauchen wir, um die Objektiven zu verständigen?« »Falls sich jemand überwinden kann, hier im Büro zu bleiben, geht es sehr schnell. Ich bleibe hier, die ganze Nacht. Man muß Opfer bringen können«, sagte der hungrige Zarf.
* Vor dem Turm der Marktsumme blieb Atlan stehen und deutete auf Conmat-Port. »Ich möchte, daß du unseren Gleiter zur HORIET steuerst.« Die Sterne über Danjitter-Tal waren nur noch an einem Drittel des Himmels zwischen den Zehntausendern des Ringgebirges sichtbar. Der Rest war von wild durcheinanderwirbelnden Wolken bedeckt. Hinter den Wolken zuckten bleiche Flächenblitze. Der Wind kam in einigen abgerissenen Sturmstößen. »Selbstverständlich, Abgesandter von Chirmor Flog.« Er hielt die Tür auf. Atlan half Thalia in den Sitz und wandte sich wieder an den Noot. »Angesichts der Marktsumme waren deine Ausführungen sehr zurückhaltend. Um nicht zu sagen spärlich.« »Das Leben eines Objektiven«, sagte der Noot ruhig, »mag nicht viel wert sein. Aber ich halte nichts davon, es selbst wegzuwerfen. Außerdem halte ich nicht viel von Denunziation.« Er schwang sich hinter die
Rätsel der Schwarzen Galaxis Steuerung und schob einen Hebel nach vorn. »Das wird nicht verlangt. Mir scheint, die Marktsumme war ein wenig konfus?« Der Gleiter schwebte eine immer breiter werdende Gasse hinunter, überquerte einen Platz, schwebte an einem Waldstück oder einem Park vorbei und steuerte auf die breitere Piste hinaus. Atlan und Thalia lehnten sich in die Polster. Der Noot antwortete ärgerlich: »Die Marktsumme versucht, mit allen Mitteln zu überleben. Nicht, daß die Versammlung untüchtig wäre. Sie ist nur durch eine zu lange Zeit verwöhnt und korrumpiert worden. Dasselbe gilt für viele Objektive, mich nicht ausgeschlossen. Aber daß sie ausgerechnet den hochanständigen Cembergall-Flyrt als Hauptschuldigen aufbauen – das geht zu weit.« Der schwere Gleiter summte, immer schneller werdend, die ausgestorbene Piste in der Richtung des Raumhafens weiter. Das Organschiff war von hier aus noch nicht zu sehen. »Das ist immerhin eine Antwort«, sagte Thalia, »die brauchbare Informationen enthält. Cembergall-Flyrt ist also nicht der Hauptschuldige?« »Alles andere als das. Er hat immer auf Kosten seiner Bequemlichkeit die Schwarze Loh gesucht, seit das Gerücht aufgetaucht ist. Er hat sich nicht bestechen lassen. In der Bar, in der ihr zuerst wart, zahlte er jeden Becher selbst. Mit der Loh hat er nicht das geringste zu tun; im Moment leidet er darunter wohl am meisten. Er lag angeblich direkt neben der brennenden Loh.« Der andere Gleiter mit dem halb gelähmten Cembergall-Flyrt schwebte hinter ihnen. Ein halbes Dutzend Objektive saß darin und folgte dem Kommandanten der HORIET. Atlan war gespannt darauf, was ihm der andere Noot berichten würde, wenn er wieder einen klaren Verstand hatte. »Und wie verhält es sich mit der Marmorkugel?« »Cembergall-Flyrt hat sie nicht mit sich herumgeschleppt. Ich glaube, er hat sie ge-
19 funden.« »Wir haben sie bei uns«, antwortete Atlan. »Da ist sie auch sicher am besten aufgehoben«, sagte der Noot grimmig. »Ich persönlich bin sicher, daß eine verbrecherische Bande die Loh angezündet hat. Keiner der Offiziellen, also weder die Marktsumme noch die Objektiven, würde einen solchen Wahnsinn beginnen. Und wenn ihr von Säggallo kommt, um den Markt zu strafen, dann wäre es für alle Beteiligten das beste, vorsichtig vorzugehen.« »Dieses Problem wird im Schiff diskutiert«, erklärte Thalia. »Der junge, angeblich anständige Noot ist also nicht der Schuldige an dem riesigen Debakel?« »Auf keinen Fall!« sagte nachdrücklich der Objektive. »Und wie beurteilt die Marktsumme die Wirkung der Marmorkugeln?« »Sie fürchtet sich.« »Warum?« »Weil der sogenannte Widerschein der Freiheit sie hinwegfegen kann.« Atlan sah hinter einem Gebäudekomplex die HORIET auftauchen. »Jetzt weiß ich viel genauer, warum wir hier eine umfangreiche Strafexpedition starten sollen«, sagte er. Natürlich waren Atlans Pläne ganz anders. Sein Ziel lag irgendwo in weiter zeitlicher und stellarer Entfernung. Xudon war nur einer der ersten Schritte auf dem Weg dorthin. Und ganz sicher bekam er hier viele der Informationen, die er im Kampf für Pthor und gegen die Herrscher der Schwarzen Galaxis brauchte. Er schwieg, bis die beiden Gleiter hintereinander vor der Schleuse der riesigen HORIET anhielten. In der Umgebung hatte sich nichts geändert. Noch immer hielt die Furcht vor dem Organschiff jedes Lebewesen davon ab, sich dem Koloß zu nähern. Atlan und Thalia stiegen aus und winkten den Objektiven. »Bringt Cembergall-Flyrt ins Schiff. Achtet darauf, daß er nicht um sich schlägt.«
20 Eine Schar Dellos unter Führung von Gärgo rannte aus dem Schiff heraus und umringte die Fahrzeuge. Atlan gab seine Anordnungen und sah zu, wie man CembergallFlyrt wegtrug. Er wehrte sich noch immer verbissen; in seinem Kreislauf steckten noch Rauchpartikel der Schwarzen Loh. »In Ordnung«, sagte er schließlich. »Ich werde meinen Entschluß der Marktsumme bekanntgeben.« Die Objektiven bestiegen zögernd die Gleiter. Atlan sah ihnen nach. Eine Menge verworrener Gedanken beschäftigte ihn. Eines wußte er mit Sicherheit: sie mußten Xudon bald verlassen. In dem Moment, da der Neffe die Vollzugsmeldung von BronniterVrang verlangen würde, kam die Wahrheit ans Licht der Sonne. Langsam ging er ins Schiff zurück, diesen riesigen Körper, dessen Konstruktion organische und anorganische Materie auf verblüffende Weise miteinander vereinigte. * Thalia hatte sich den Raumanzug ausgezogen und sich frisch gemacht. Als sie einen Korridor überquerte, liefen wieder einige der schweigsamen oder stummen Grauhäutigen an ihr vorbei. Sie hatte sich noch immer nicht an diese ameisenhaft wirkenden Mitglieder der Bedienungsmannschaft gewöhnen können. Jedesmal überzog ein Schauer ihre Haut. Sie flüchtete sich fast in Atlans Kabine. Auch der Arkonide hatte das Goldene Vlies abgelegt und lag entspannt in einem Sessel. »In Kürze wird der Scheinfrieden in Danjitter-Tal sein Ende haben«, sagte Atlan, sprang auf und machte Thalia ein aufmunterndes Getränk. Ein Drittel der Nacht war vorüber. »Ich habe den Eindruck, daß hier jeder tut, was er will. Die Gesetze und Einschränkungen des Neffen oder des Oheims gelten nicht viel. Die Marktsumme ist ein Haufen korrupter Händler, die Objektiven haben sich anstecken lassen, und es gehen unglaubliche Dinge vor. Ich meine dies aus der Sicht unserer ›Befehlshaber‹ gesehen.« Sie ließ sich müde in einen Sessel fallen und warf einen langen Blick auf den Bildschirm, der ein Panorama der Umgebung
Hans Kneifel zeigte. Die Blitze waren stärker geworden. Es zog ein Gewitter auf. »Du hast völlig recht«, antwortete Atlan. »Die Dellos versuchen gerade, unseren temperamentvollen Freund wieder zu sich zu bringen.« Zwischen ihnen lag auf dem Tisch die Marmorkugel. Ihr Anblick wirkte wie der eines außerordentlich kostbaren Juwels. Die Ausstrahlung blieb unverändert wirksam. Atlan und Thalia allerdings brauchten diese Ausstrahlung nicht, um den Begriff der Freiheit zu erkennen. »Wer hat die Wahrheit gesagt? Die Marktsumme oder dieser fabelhafte Noot, der solch markante Sprüche von sich gab?« »Wir werden es erfahren. Vorläufig gebärdet sich Cembergall noch wie ein Rasender«, sagte Atlan und setzte sich. »Wir sollten die Pause benutzen, um uns zu erholen. Anschließend werde ich versuchen, mit Bronniter-Vrang zu sprechen.« »Die Galionsfigur ist unser nächstes Problem.« »Ganz bestimmt.« Beide rechneten damit, daß sie rechtzeitig gewarnt werden würden, wenn sich gefährliche Entwicklungen anbahnten. Über Danjitter-Tal entlud sich jetzt das Gewitter mit Blitzen, langanhaltendem Donner und heftigen Regengüssen, die von Sturmstößen schräg über das Land gepeitscht wurden. Vielleicht wurden jetzt die letzten Partikel des Schwarze-Loh-Rauches weggeblasen oder weggespült.
* Etwa drei Stunden vor Sonnenaufgang, als bereits die ersten Sterne über den Schroffen des Ringgebirges zu flackern begannen, hörten Gewitter und Regen auf. Das herabstürzende Wasser hatte im Gebiet des Marktes und der vielen kleinen Wohnviertel den ärgsten Schmutz von den Straßen gespült. Die Luft war sauber und völlig klar. Die ersten Händler erwachten aus ihrer Starre und sahen, was passiert war. Erschöpfte Tamater
Rätsel der Schwarzen Galaxis verbanden einander die Wunden, Krejoden und Camagurs stolzierten in ihren Läden hin und her und versuchten, die Schäden zu erfassen. Diener und Händlergehilfen erwachten und beteiligten sich an den Aufräumungsarbeiten. Lautes Zetern und Wehklagen war in den Heimatsprachen der Händler zu hören und in Garva-Guva. Nachbarn, die noch vor einem halben Tag wie besessen aufeinander eingeschlagen hatten, halfen sich gegenseitig und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Die ersten Objektiven waren unterwegs. Sie hatten von der Marktsumme den Auftrag, Fragen zu beantworten und die Wut der halbwegs ruinierten Händler und Dienstleistenden auf die vermeintlichen Urheber des Zwischenfalls zu richten. Die Drohung des gelandeten Organschiffs hing noch immer wie ein furchtbares Schicksal über allen. Die Verwüstungen waren ungleichmäßig verteilt, analog den Zonen, in denen sich be sonders viel oder wenig Rauchpartikel niedergeschlagen hatten. Dort, wo es wenige Wunden und kaum Schwerverletzte oder gar Tote gegeben hatte, wirkten die Worte der Objektiven. Die Marktsumme hatte nur solche Männer ausgeschickt, auf die sie sich restlos verlassen konnte. Es gab erste Erfolge. Kleine Gruppen rotteten sich zusammen und diskutierten, ob nicht tatsächlich die alten KrejodenGeschlechter mit ihren verdammten Kugeln an allem die Schuld hatten. Bei der großen Ausdehnung des Marktes dauerte alles seine Zeit … Es landeten sogar zwei Raumschiffe auf einem weit entfernten Teil des Hafens. Als einer der Kapitäne das Organschiff sah, startete er sofort wieder durch. Der andere bewies ungewöhnlich großen Mut oder hatte ein völlig reines Gewissen – er landete, setzte aber sein Zylinderschiff am äußersten Punkt ab, fast am jenseitigen Rand des Kreisrings. Irgendwo auf einem Platz blieben zwei Objektive stehen und stutzten. Es waren
21 Krejoden; niemand trug mehr einen Raumanzug. Der Effekt der suggestiven Rauchgase oder Partikel war vorbei. »Ist das nicht die Stelle, an der wir gestern überfallen wurden?« fragte der Objektive und musterte die Hausfronten und die Aushängezeichen der Händler. »Ich glaube, das ist der Platz. Sehen wir nach!« »Dort hinten, in dem Winkel …« Sie bogen ab, umklammerten die Kolben der Waffen und liefen über ein von Abfällen übersätes Stück Rasen. Zwischen die weit ausragenden Äste großer Bäume geduckt stand ein Schuppen. Von seiner Vorderfront fehlten einige Latten und Verstrebungen. Gestern waren sie als Waffen gebraucht worden. »Ob sie noch lebt?« meinte der Krejode. »Der alte Arzt jedenfalls meinte, daß sie nur in einem Schock liegt.« »Wir werden es sofort sehen.« Ein Fußtritt sprengte die einfache Tür auf. Die Scheinwerfer der Objektiven blitzten gegen die rohen Wände und beleuchteten Trümmer und Unrat. Aber als sie herumschwenkten, trafen die Lichtkegel auf eine langgestreckte Gestalt. »Da ist sie!« stieß einer der Krejoden aus. Er beugte sich zu der jungen Frau hinunter. Sie lag unbeweglich da, genauso, wie sie gestern hier auf die schmutzigen Decken hingelegt worden war. »Irgendwie wird es mir gespenstisch!« knarrte der ältere Objektive. Das Sehorgan war geschlossen und öffnete sich auch nicht, als die grellen Lichtstrahlen es trafen. Nicht einmal die Färbung des Lides änderte sich. Der jüngere Objektive ergriff das Handgelenk und spürte, daß das Blut rhythmisch durch die Adern pulsierte. »Es wird das beste sein, wir bringen sie dorthin, wo sie ärztliche Hilfe hat.« »Zum alten Dnarc? Diesem Greis?« »Er praktiziert in der Nähe, und er ist Krejode wie wir – und wie sie. Los, hilf mir. Schließlich sind wir keine Barbaren.« »Meinetwegen.«
22 Der Körper der jungen Frau war schlaff und schwer, aber sie legten ihn sich über die Schultern und schleppten das Mädchen um einige Ecken, etliche Treppen hinauf und hinunter, und schließlich standen sie vor der Tür der Praxis. »Wecken wir den kleinlichen Dnarc auf?« »Wird wohl nicht nötig sein.« Die Objektiven waren während langer Jahre abgehärtet worden. Nichts war ihnen mehr fremd. Aber sie brachten es nicht über sich, die junge Frau hilflos liegenzulassen. Gestern waren sie, der gesamte Trupp, angegriffen worden. Während die anderen versuchten, sich durchzuschlagen, hatten sie die Unbekannte hierhergebracht. Sie wuchteten die Tür auf, legten das bewegungslose Mädchen auf einen Behandlungstisch und vertrauten darauf, daß der kleinliche Dnarc seine Patientin wiedererkennen würde. Vor der Wohnung des alten KrejodenMediziners blieben sie stehen und blickten hinunter auf diesen Teil des Marktes. »Was werden die Organschiffer mit uns machen?« fragte der Jüngere. »Ich rechne damit, daß sie eine sehr nachdrückliche Warnung aussprechen. Nach Meinung der Marktsumme werden sie große Teile von Danjitter-Tal verwüsten. Es wird Tote geben, viele Tote. Die Arbeit von Generationen wird zunichte gemacht.« »So straft Chirmor Flog?« Die Vorstellung, daß die HORIET mit feuernden Geschützen über dem Markt kreisen würde, entsetzte sie. Die Vorstellung war so grauenvoll, daß sie fast abstrakt blieb. Langsam gingen sie die Stufen hinunter. »So straft er. Man hört es von den Kommandanten der Händlerschiffe.« »Wird der Angriff auf die Glühenden und Breiten ihren Zorn besänftigen?« erkundigte sich zögernd der jüngere Krejode. Der andere Objektive antwortete knarrend: »Mit Sicherheit nicht. Vielleicht lenkt der Angriff ab, so daß andere Teile zerstört wer-
Hans Kneifel den als die geplanten.« »Wir sollten davonrennen und uns irgendwo verstecken!« Um sie herum füllten sich mehr und mehr Läden, Gassen und Plätze mit Leben. Aber es entbehrte jeder Fröhlichkeit. »Das würde unser Leben vielleicht retten, aber nichts sonst ändern«, schloß der Objektive und zog seinen Partner mit sich. »Weiter! Wir haben einen Auftrag zu erledigen.« »Ich komme.« Der erste helle Streifen zeigte sich hinter der schwarzen Silhouette der Berge. Der Nachtwind legte sich allmählich. Je heller es wurde, desto deutlicher erkannte man von vielen Punkten des Danjitter-Tales den wuchtigen Körper der HORIET.
* Das Gewölbe war ruhig und kühl wie immer. Der Händler der Würste und der feinen Waren aus dem Schlammozean wußte, was geschehen war, und deshalb freute er sich noch immer. Er war sowohl den Kämpfen im Markt entkommen als auch den zusammengerotteten Gruppen auf dem Weg hierher. Auch war der Rauchschleier der Schwarzen Loh gnädig an seinem Geschäft vorbeigezogen. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen – einerseits. Andererseits sah er, wenn er den Kopf hob, das Organschiff hinter den Bäumen aufragen. Es wirkte wie ein fremdes, böses Tier. Hatte jemand, vielleicht ein Objektiver, die Loh hierhergebracht und angezündet, nur zu dem Zweck, dieses Schiff zu rufen? Ein Gedanke, der nicht von der Hand zu weisen war. Irroth, der Tamater, bereitete seinen Laden vor, kontrollierte seine Waren, rechnete und schätzte und wußte, daß heute nicht ein einziger Kunde kommen würde. Er ersetzte die Lauge, in der die Delikatessen schwammen, trieb seine Helfer und Familienangehörigen zur Eile an und rückte den Tisch, auf dem er die Waren für den Straßenverkauf
Rätsel der Schwarzen Galaxis anbot, in den Bereich des späteren Schattens. Als er vor das Gewölbe hinaushüpfte und seine Schürze vom Tau und dem nassen Gras feucht wurde, hörte er den Lärm. Er zuckte zusammen. Schon wieder? Der vierarmige Zwerg mit der gelben Haut und den vier Armen sprang aufgeregt in die Höhe und dann hinaus in die Richtung des Weges zum Raumhafen. Er blieb hinter niedrigen Büschen stehen und sah verwundert auf die Karawane, die an ihm vorbeiraste. Gleiter und Fahrzeuge aller Arten waren überfüllt von Gestalten aller vier Völkergruppen. Die Scheinwerfer der Fahrzeuge waren eingeschaltet. Aufgeregte Stimmen von Krejoden knarrten laut herüber, die HektikMünder von Tamatern in zerbeulten, heimlosen Raumanzügen schrillten und kreischten, Camagurs fauchten laut und schwangen blitzende Waffen jeder denkbaren Art, die flachen Schädel der Noots drehten sich aufgeregt hin und her. An der Kreuzung bog der seltsame Zug nach links ab. Also nahm er nicht die Piste zum Raumhafen, sondern die andere. Sie führte in die Richtung der bleichen Marmorberge. Irroth brauchte sich erst gar nicht zu erinnern. Er hatte vor kurzer Zeit fast das gleiche Bild vor Augen gehabt. Auch fast zur selben Zeit. Eben funkelten die ersten Sonnenstrahlen über den fernen Gebirgskamm. Diesmal war die Karawane der wütenden Händler und deren Diener und Familienangehörigen weitaus länger. Sie konnte nur ein Ziel haben. Irroth gebrauchte den schlimmsten Fluch, den sein Volk kannte und rief aus der Hektik-Sprachöffnung: »Sie morden und brennen schon wieder. Diesmal sind die anderen Geschlechter der Marmorkünstler dran.« Ihn persönlich ging der Tod eines Krejoden nur mittelbar an. Das Volk der Tamater, dessen Individuen zweigeschlechtlich waren, hatte ein anderes Verhältnis zum Leben
23 und Sterben als andere Völker. Irroth aber haßte Mord, und darüber hinaus wurde jetzt abermals eine Entwicklung in Bewegung gesetzt, die furchtbar enden mußte. »Sie sind alle wahnsinnig. Und die Marktsumme duldet es!« schrie er. Er lief zurück zum Haus, setzte sein mit Werbesprüchen und Bildern verziertes Vehikel in Gang und fuhr los. Entweder, sagte er sich, innerlich halb krank vor Furcht und Unsicherheit, brachten ihn die Organschiffer gleich um, oder er starb während der Racheaktion. Eine schwache Hoffnung blieb ihm: im Gefüge der Macht war er kleiner als ein Staubkorn.
* Atlan war bereits wach und ließ sich in den Anzug der Vernichtung helfen, als der Dello Caahan hereinkam. »Du wirkst erregt«, sagte Atlan. »Neuigkeiten?« »Du solltest dringend vor das Schiff kommen, König von Pthor. Ein interessanter Anblick erwartet dich.« Der Dello schien belustigt zu sein. »Wenn es nur das ist«, sagte Atlan ruhig. »Kein Brand, keine Prügeleien, kein neuer Volksauflauf?« »Nein. Wenigstens bisher noch nicht. Allerdings ist eben erst die Sonne aufgegangen. Wir warten natürlich auf eine Reaktion der Marktsumme.« »Nicht nur darauf«, sagte der Mann im Goldenen Vlies und reckte seine Schultern. »Wer ist vor dem Schiff?« »Ein einheimischer Händler. Komischer kleiner Kerl mit gelber Haut, einer Schürze und vier Armen.« »Ich komme.« Mit großen Schritten lief Atlan durch den Korridor, betrat die Schleuse und blieb überrascht auf der Rampe stehen. Vor dem Schiff stand ein kastenförmiges Gerät auf vier schmalen Rädern, über und über voller Schriftzeichen und rätselhafter Darstellungen, die sich ausnahmslos auf Eßwaren be-
24 zogen. Aus einem Rohr im Heck des Geräts kam stoßweise, mit knatternden Geräuschen verbunden, hellgrauer Rauch. Neben dem Fahrzeug stand ein Tamater. »Du willst mit dem Vertreter von Chirmor Flog sprechen?« fragte Atlan und ging auf den etwa einen Meter kleinen Tamater zu. »Ja. Dringend!« schrillte die aufgeregte, hohe Stimme des Gelbhäutigen. »Das muß seinen Grund haben«, meinte Atlan. Wieder erwachten sein Mißtrauen und seine Vorsicht. Er betrachtete interessiert den Sehkranz des kleinen Wesens und bemerkte, daß die Gruppe der Dellos, die ebenfalls gespannt zusahen, immer größer wurde. »Sie sind unterwegs!« schrie der Tamater. »Wer ist unterwegs und wohin?« wollte Atlan wissen. »Alle. Gleiter, Wagen, Fahrzeuge. Der halbe Markt und alle bewaffnet. Die Marktsumme wird ihnen gesagt haben, daß es wieder neue Marmorkugeln gibt, und jetzt werden sie die Glühenden und die Breiten …« Atlan fragte alarmiert: »Habe ich es richtig verstanden? Es rasen Hunderte bewaffnet in die bleichen Marmorberge, um die Klans der Glühenden und der Breiten ebenso auszurotten wie die Durstigen? Die Marktsumme stellt sich ihnen nicht entgegen?« Der Tamater stieß ein hohles Geräusch aus. »Die Marktsumme? Die tut gar nichts. Sie will, daß der Neffe glaubt, daß die Schuldigen immer die anderen sind.« »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Wir werden ihnen zeigen, wie der Neffe die Gesetzesbrecher straft.« Er drehte sich schnell herum und sagte zu Caahan: »Sprich mit der Galionsfigur. Wir starten augenblicklich.« Der Tamater bewegte sich mit kurzen, hüpfenden Schritten zur Fahrerkabine seines Wagens zurück und schrie: »Du wirst sie strafen, Herr?« »Das erscheint sicher. Es wird nicht zu übersehen sein. Fahre mit deinem bunten Gestell weg, damit wir dich nicht verletzen,
Hans Kneifel wenn die HORIET startet.« Er drehte sich um und rannte ins Schiff zurück. Thalia lief an ihm vorbei. Die Bedienungsmannschaft befand sich in heller Aufregung, verrichtete aber die verschiedenen Handgriffe und Schaltungen wie stets in völliger Lautlosigkeit. Atlan blieb vor dem nächsten Bildschirm stehen, aktivierte die Kommunikationseinheit mit Bronniter-Vrang und sagte: »Das Schiff startet sofort. Wir beginnen mit einer Strafexpedition.« Die lebende Galionsfigur gab zurück: »Ich verstehe nicht ganz. Strafaktion gegen wen oder wogegen? Soll ich etwa den Auftrag so ausführen, wie er uns erteilt wurde?« Atlan hatte nicht erkennen können, daß die letzte Bemerkung, die er zum Tamater gemacht hatte, den Kleinen förmlich verstört zurückgelassen hatte. Damit wir dich nicht verletzen, wenn das Schiff startet. Ein Abgesandter des Neffen, der sich um einen kleinen Krämer und dessen Gesundheit kümmerte? Aber jetzt wurde Atlan aufmerksam. An einigen Signalen merkte er, daß die HORIET langsam startete. Sein Logiksektor sagte: Bronniter-Vrang scheint ernsthafte Zweifel bekommen zu haben. »Zuerst«, erklärte Atlan mit großer Vorsicht und nickte Thalia zu, die jetzt neben ihm stand und den Dialog mit anhörte, »müssen wir verhindern, daß das Chaos größer wird. Es geschehen Dinge, die nicht im Sinn Chirmor Flogs sein können. Jemand versucht, sich seine Rechte anzueignen.« Die Antworten der Galionsfigur in GarvaGuva waren nicht nur akustisch, sondern darüber hinaus ein wenig telepathisch. Sie glichen, fiel Atlan ein, der Ausstrahlung der Marmorkugel. »Das muß verhindert werden«, entgegnete die Galionsfigur. Täuschte er sich, oder hörte Atlan eine gewisse Leichtigkeit heraus? Konnte es sein, daß sich die Bewußtseinssperre in einem ge-
Rätsel der Schwarzen Galaxis ringen Bereich gelöst hatte. Er fuhr fort: »Zielangabe: die bleichen Marmorberge. Die Nachbarberge des Klans der Durstigen. Darauf bewegt sich ein Zug von gesetzesbrechenden Händlern zu. Sie wollen anstelle des Neffen strafen. Ich fordere, daß sie aufgehalten und so nachhaltig erschreckt werden, daß sie ihren Versuch augenblicklich einstellen.« »Verstanden. Die HORIET ist bereits unterwegs.« Atlan rief: »Ich muß sämtliche Informationen haben. Nichts unternehmen, ehe ich nicht im Beobachtungsraum bin.« »Wir fliegen in angemessener Höhe an den Ort des Zwischenfalls. Ich erwarte weitere Anweisungen.« »Alles klar.« Atlan zog Thalia mit sich. Er schüttelte verwundert den Kopf; er hätte nichts anderes erwartet, als daß Bronniter-Vrang ihm mitteilte, daß er mit der Vollzugsmeldung an den Neffen erheblich in Verzug sei und keineswegs mehr länger Aufschub duldete. Jetzt aber schien irgendeine Art von Sinneswandel eingetreten zu sein. Er blieb inmitten der großen Bildschirme stehen. Eine Gruppe Dellos saß an den Kontrollen der Anlage. Das Schiff schwebte in etwa fünfhundert Metern Höhe über einem leeren Segment des Raumhafenrings. Auf den Steuerbordschirmen waren die Marmorberge zu sehen, jetzt im harten, fast waagrechten Licht der aufgehenden Sonne. Dahinter erstreckten sich bewaldete Hügel, die ziemlich bald in die kahlen Bergflanken des Ringgebirges übergingen. Die Straße führte zwischen dem völlig leeren Landefeld und einer Zone aus Gebäuden, Parks und einem kleinen See hindurch. Bis auf etwa zwei Kilometer hatte sich die Vorhut der Karawane den bleichen Marmorbergen genähert. Atlan versuchte, mit neutralen Informationen eine weitere Reaktion des Steuermanns hervorzurufen. »Der mittlere Berg muß nach allem, was
25 ich weiß, die Heimat des Klans der Durstigen sein, beziehungsweise gewesen sein. Auf dem Bildschirm sehe ich Spuren von Feuer und Zerstörung.« »Diese Information ist richtig«, erklärte Bronniter-Vrang. »Die unmittelbaren Nachbarn sind die Breiten und die Glühenden«, meinte er. »Das Ziel der Volksmenge, die Selbstjustiz üben möchte.« »Verstanden.« Die schwach telepathischen Ströme, die von Bronniter-Vrang in seiner durchsichtigen Kanzel ausgingen, waren durchaus positiv und anders als sonst. Sie wirkten lebendiger, fand der Arkonide. Verblüfft sah er, daß sich keiner der rasenden Händler um das Schiff kümmerte, das jetzt mit schwacher Fahrt über die bezeichneten drei Gesteinskomplexe driftete. »Aus diesem Gebiet sind die Marmorkugeln mit dem Widerschein der Freiheit gekommen. Dies kann allerdings nur als Hinweis, nicht als bewiesen gelten.« Zur Verblüffung aller erwiderte Bronniter-Vrang, von einem Strom warmer und fast herzlicher Empfindungen begleitet: »Ich habe durch das Bordsystem lange und intensiv die Marmorkugel in deiner Kabine betrachtet. Sie ist außergewöhnlich und bedeutungsvoll. Sie ist aber nicht das Thema dieses Fluges. Wir sind an Ort und Stelle. Was soll geschehen?« Atlan präzisierte in steigender Verwunderung seine Anordnungen. Das Schiff unter der Kontrolle Vangs wartete jetzt unbeweglich über den drei bleichen Marmorbergen. Die Sonnenstrahlen ließen eine Breitseite hell und deutlich hervortreten. Der riesige Körper zeichnete sich deutlich gegen den pastellenen Morgenhimmel ab. Man mußte es von jeder Stelle des Danjitter-Tales sehen können. »Alle Befehle werden augenblicklich ausgeführt!« antwortete Bronniter-Vrang. Kurz darauf bewies das Organschiff, daß sein Erscheinen über dem Markt von Xudon keine
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Hans Kneifel
leere Drohung gewesen war.
4. Jetzt klang die sonst wohltönende, volle Stimme des breiten Klynn ängstlich und zitternd. Seine Sprachblase vibrierte, und sein hagerer Kopf schien noch schmaler als sonst zu sein. Der glühende Talt wußte, wie es seinem Nachbarn zumute war. »Ich habe es immer wieder gesagt, Nachbar. Wir sind die nächsten, die hingemetzelt werden.« Der andere Krejode senkte den Kopf und erwiderte leise: »Ich sehe die Meute kommen, ebenso wie du. Mich werden sie nicht unvorbereitet antreffen.« »Mich auch nicht.« Sie hatten alles versucht, um sich und ihren Klan in Sicherheit zu bringen. Aber keiner der Händlerkommandanten hatte sich bereit erklärt, sie mitzunehmen. Außerdem waren die meisten Schiffe bereits gestartet, als man Verbindung aufgenommen hatte. »Diesmal sind es viel mehr Bewaffnete«, stellte der breite Klynn fest. »Meine Verteidigung steht. Wir werden die Produktion eines ganzen Jahres auf sie herunterschleudern.« »Unsere Eingänge sind verschlossen und zugemauert. Aber sie sind hartnäckig – auch der durstige Zyrl ist nicht ohne erbitterte Gegenwehr gestorben.« Beide Klanoberhäupter hatten versucht, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Sämtliche Insassen der Marmorberge, vom jüngsten Krejoden-Lehrling bis zu den fanatisch behüteten Kindern, befanden sich innerhalb mehrerer Verteidigungslinien. Der Angriff würde keine Überraschung sein wie bei dem durstigen Zyrl. Wenn eine Linie zusammenbrach, flüchteten die Verteidiger tiefer in den Berg und höher hinauf. Ihre Möglichkeiten waren zahlreich. »Siehst du es auch?« schrie der glühende Talt plötzlich. »Was?« Der breite Klynn zuckte unter dem Eindruck der aufgeregten Stimme aus
dem Lautsprecher zusammen. »Die HORIET! Das Organschiff!« »Einen Augenblick.« Auf dem Bildschirm sah der Glühende, wie der Breite neue Einstellungen an seinen Spähgeräten vornahm. Er selbst hatte durch einen Zufall aus einer Luke gesehen und den mächtigen Schatten entdeckt. »Die zweite und noch viel furchtbarere Bedrohung!« sagte schließlich der Breite mit trostloser Betonung. »Sie sind jetzt gestartet, um uns für die Herstellung der Marmorkugeln zu bestrafen!« »Aber … wir haben nicht eine einzige Kugel …!« Der glühende Talt gab ein Ächzen von sich. »Sage es ihnen! Wir haben gehört, wie der Herrscher auf Säggallo zu strafen pflegt. Danjitter-Tal wird in Flammen und Rauch aufgehen. Unsere Berge werden von den Kampfstrahlen gespalten werden.« Namenloses Entsetzen ergriff die Krejoden. Die Spitze des unabsehbar langen Zuges aus dem Marktgebiet kam unaufhaltsam näher. Das Organschiff glitt hinter den Marmorbergen vorbei, flog eine enge Kurve und blieb genau über der Grenzlinie zwischen den ersten Bergen und dem flachen Land in der Luft stehen. »Unsere Klans werden aussterben!« murmelte der breite Klynn schließlich. Die Ungewißheit und das Warten waren furchtbar. Die Stimmung unter den Klanangehörigen war unbeschreiblich. »Das Organschiff Flogs wird uns wenigstens in einem Sekundenbruchteil töten«, stöhnte der glühende Talt auf. »Vielleicht.« Keiner der Klanoberhäupter wußte, wer wirklich die Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit geschaffen hatte. Nach ihrer festen Meinung gab es keinen Marmor auf dem gesamten Planeten, der mehr war als unbelebte Materie. Seit vielen Generationen beuteten sie die Marmorbrüche aus. Ihnen war niemals ein Wunder dieser Art begeg-
Rätsel der Schwarzen Galaxis net. Sie konnten nicht einmal denjenigen verfluchen, der die erste Kugel geschaffen oder präpariert hatte. Sie würden aber mit ihrem Leben dafür zahlen, daß ein Unbekannter solche Kunstwerke geschaffen hatte. Schweigend warteten sie. Mit ihnen warteten alle Klanangehörigen, bis an die Schultern bewaffnet mit allem, was sich in Speichern und Magazinen gefunden hatte. Abwechselnd starrten sie das Organschiff und den Mob an. Der Zug spaltete sich in zwei Teile. Eine Spitze wies auf den Berg der glühenden Talt, der andere zielte auf die Stapelpaläste des breiten Klynn.
* Ein Geräusch wie von Schwärmen rasender Insekten ging von den Spitzen der Karawane aus. Antriebsgeräusche der Fahrzeuge, gellende Hörner und Signaleinrichtungen, die Schreie von mehr als tausend Wesen, die sich gegenseitig aufgestachelt hatten, dazu das Klirren der Waffen – ein chaotischer Lärm brandete als Echo von den Hängen der bleichen Berge zurück. Fast gleichzeitig erreichten die schnellsten Gleiter die ersten Markierungen des fremden Besitzes. Es waren versandfertige Marmorblöcke, länglich und würfelförmig, von unterschiedlicher Größe und zum Transport in Raumschiffen verpackt. Entweder sahen die Händler das Schiff nicht, oder sie ignorierten es. Plötzlich blitzten Strahlen auf, die heller als die Sonne waren. Schmetternde Entladungen ertönten. Einige Meter vor den Gleitern fuhren Feuersäulen in den Boden. Sie rissen tiefe Krater auf und vergasten Erde, Bäume und Gestein. Die Gase entzündeten sich explosionsartig. Der kurze Donnerschlag war laut und fuhr unüberhörbar über Danjitter-Tal dahin; beide Feuerstrahlen schlugen genau gleichzeitig ein. Gesteinstrümmer, glühende Gasschleier und weißglühende Tropfen Lava spritzten nach allen Seiten. Der Explosionsdruck wir-
27 belte die Gleiter umher und schleuderte sie zurück. Mit gräßlichem Klirren und Krachen stießen weitere Gleiter zusammen. Die Händler schrien auf, ihre Körper verkeilten sich ineinander, und überall bohrten sich die glühenden Tropfen tief in die Haut. Einige Gleiter fingen zu brennen an. Aus den Luken der HORIET brandeten, als der erste Donner aufgehört hatte, eine Vielzahl weniger energiereicher Strahlen. Sie schlugen abwechselnd rechts und links der beiden Sturmspitzen ein und bildeten eine Doppelwand aus Flammen, Rauch und mächtigen Gesteinspulverstaub. Weiter hinten, dort, wo sich der Zug gabelte, hielten die Fahrzeuge an. Verwirrung brach aus, als sich die Händler vom ersten Schrecken erholt hatten. Einige Fahrzeuge rasten und ratterten nach rechts und links aus dem Zug hinaus. Andere drehten sich um und jagten in die Richtung des Marktes davon. Wieder andere stießen zusammen, als sie zu flüchten versuchten. Die zuckenden und krachenden Feuerstrahlen rissen eine Doppelreihe tiefer Krater in den Boden. Die Krater füllten sich mit glühendem Gestein. Ätzende Dämpfe und vielfarbiger Rauch erhoben sich in gewaltigen Wolken. Die Blitze und der Donner der vergangenen Nacht waren, verglichen mit dieser Aktion, geradezu eine Wohltat für Auge und Ohr gewesen. Schlagartig waren alle Teilnehmer der Vernichtungsaktion mehr als ernüchtert; nackte Furcht ersetzte binnen Sekunden die künstlich hervorgerufene Wut. Einzelne Fahrzeuge schossen aus den Rauchwolken hervor und bewegten sich in Schlangenlinien davon. Andere krochen mit stotternden Maschinen in die Richtung des Marktes. Wieder andere stießen im Rauch zusammen und kippten. Die Händler fielen heraus und flohen zu Fuß durch das Inferno, das jetzt der Morgenwind langsam nach Osten trieb. Unverändert schwebte die HORIET über der chaotischen Szene. Etwa fünf Minuten vergingen nach dem
28 letzten Schuß. Teile der Landschaft unter dem Organschiff wurden wieder deutlich sichtbar. Der Boden war übersät von Trümmern, weggeworfenen Waffen und anderen Gegenständen. Zwischen den eingedrückten und zerbeulten Wracks der Fahrzeuge rannten wie blinde Tiere Camagurs ebenso wie Noots, Krejoden nicht anders als Tamater umher und versuchten, zu entkommen. Instinktiv wandten sie sich dorthin, wo der Rauch aufriß. Eine Massenflucht, die nur ein Ziel kannte, hielt alle Angreifer in ihrem Bann. Nur fort aus dem Bereich der kochenden Tümpel und der brennenden, explodierenden Gleiter. Die Panik riß die Händler zu Höchstleistungen hin. Sie rannten schneller und sprangen weiter als je in ihrem Leben. Dann bewegte sich das Schiff wieder. Niemand achtete darauf. Die HORIET flog einige Kilometer weit nach Norden. Dann drehte sich der Koloß, so daß Bronniter-Vrang in seiner Kanzel nach Süden blickte. Langsam flog das Schiff in diese Richtung. Die Geschütze feuerten jede halbe Sekunde einen Schuß ab. Eine schnurgerade Reihe tiefer Krater und Einbrüche entstand. Die Ränder der Einschlagstellen berührten sich. Es bildete sich ein nicht sonderlich tiefe Schlucht, eher ein Graben voller kochender und rauchender Gesteinsreste. Wieder fuhr der gewaltige Donner entfesselt über die Senken und Hügel hinweg und kam als Echo viel später von den Flanken der Bergriesen zurück. Ganz Danjitter-Tal wurde erschüttert. Der Boden bebte; es war, als bäume sich der Planet Xudon auf. Höhere Gebäude gerieten in Vibrationen. Die Angst breitete sich fast so schnell aus wie der Schall. Selbst die Insassen der bleichen Marmorberge, die noch während der ersten Schüsse fast taub von ihren Luken, Terrassen und Plattformen geflohen waren, sahen sich von einzelnen herunterbrechenden Galerien bedroht. Sie würden erst sehr viel später, wenn sich der letzte Rest der Wolken aus ihren
Hans Kneifel Stapelpalästen verzogen hatte, begreifen, was passiert war. Jetzt füllten Rauch, Staub und ätzende Gase fast jeden Hohlraum der bewohnten Marmorberge aus. Eine breite Wolkenfront erstreckte sich schon jetzt bis in eine Höhe von mehr als tausend Meter. Sie war ohne Schwierigkeiten aus dem Weltraum zu erkennen. Langsam trieb sie nach Osten und verhüllte noch immer das Sonnenlicht. Aus dieser Wolke kam die HORIET in lautlosem Flug und landete weich wieder auf dem alten Platz. Die totenähnliche Ruhe, die sich jetzt über Danjitter-Tal ausbreitete, war nach dem Orkan des Donners noch intensiver. Jedes lebende Wesen innerhalb des Ringgebirges hatte gesehen oder gehört, wie die HORIET den Plan der Marktsumme zunichte gemacht hatte.
* Fast die Hälfte der Pthor-Besatzung stand vor dem Schiff und blickte der riesigen graugelben Wolke nach. Die Stille war unheimlich. Nur langsam durchdrang das Sonnenlicht die Barriere aus Staub und Rauch. Schließlich meinte Atlan nachdenklich: »Die Stapelpaläste der alten KrejodenGeschlechter sind vom Mob nicht betreten worden. Sie werden es auch niemals wieder wagen.« »Und sicherlich hat diese eindrucksvolle Demonstration das Leben von zwei Klans mit allen Dienern und Arbeitern gerettet«, fügte Thalia hinzu. »Wir müssen unbedingt eine Erfolgsmeldung nach Säggallo abgeben.« »Das nächste Schiff, das von Chirmor Flog abgeschickt wird, ist unmöglich so rücksichtsvoll wie wir, die falschen Rächer«, rief Wurdihl. »Ob wir einen Hyperfunkspruch riskieren können? Ich denke an den auf sturen Gehorsam programmierten Bronniter-Vrang«, warf Fälser, der Dello-Kommandant, warnend ein.
Rätsel der Schwarzen Galaxis Atlan hob die Schultern. »Das müssen wir noch herausfinden!« »Wie ist das gemeint?« Atlan deutete auf die offene Schleuse und erläuterte: »Ich bin nicht ganz sicher, aber die Galionsfigur scheint sich innerlich verändert zu haben. Vielleicht ist der Prozeß noch nicht soweit fortgeschritten, daß sich Bronniter auf unsere Seite schlagen und für uns lügen kann.« Die Dellos waren verwirrt. Sie verstanden nicht, was Atlan meinte. Er hatte seine Eindrücke eben erst mit Thalia diskutiert. »Wenn die Galionsfigur aussagt, die Bestrafung des offenen Marktes wäre erfolgt, dann wird Flog, der Neffe, nicht mißtrauisch und schickt auch kein anderes Organschiff. Außerdem werden wir nicht verfolgt und behelligt. Schließlich sind wir Eindringlinge, die sich in verbotenem Gebiet bewegen.« Die Gruppe ging langsam die Rampe hinauf und durchquerte die Schleuse. »Wenn sich aber Bronniter-Vrang weiterhin so verhält, wie wir ihn als Schiffssteuermann kennengelernt haben, als Galionsfigur, die das Schiff vollständig unter Kontrolle hält, dann wird er nicht tun, was wir wollen. Ein Mittel, ihn zu zwingen, besitzen wir nicht.« Thalia setzte hinzu: »Jeder Versuch, ihn zu zwingen, würde sich ins Gegenteil verkehren.« »Das trifft zu«, erklärte der Dello Branor. »Denkst du daran, daß wir zu allen unseren Problemen auch noch einen Gefangenen an Bord haben?« »Aus diesem Grund gehen wir jetzt ins Schiff. Ich nehme an«, sagte Atlan und öffnete den kapuzenartigen Kragen des Goldenen Vlieses, »daß ihr ihn einigermaßen gut versorgt habt?« Einer der Dellos antwortete: »Er hat sich stundenlang wie ein Untier gebärdet; wir mußten ihn gefesselt halten. Dann brach er zusammen und schlief lange. Anschließend reinigte er in einer komplizierten Prozedur seine Schuppenhaut.
29 Schließlich putzte er mit Mitteln, die er in seiner Zelle fand, seinen Lederpanzer. Er aß und trank, als habe er tagelang Marmorblöcke geschleppt. Inzwischen hockt er da, starrt die Bildschirme an und wundert sich.« Atlan lachte kurz auf. Thalia legte ihren Arm um seine Schultern und fragte: »Was denkt ihr über ihn?« »Ich verstehe nicht ganz, Tochter Odins«, entgegnete Branor. Im Hintergrund der Schleuse hantierten einige der unauffälligen, schweigenden Humanoiden der ursprünglichen Besatzung. Ohne sie zu beachten, gingen Thalia, Atlan und die Dellos von Pthor ins Schiff. »Ist er wirklich ein Unhold, der Alleinschuldige an den Zwischenfällen und tatsächlich so untüchtig, wie die Marktsumme es uns glauben lassen möchte?« »Auf keinen Fall. Eher ist das Gegenteil richtig«, erklärten die Dellos. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wir müssen handeln, ehe Chirmor Flog merkt, was wirklich passiert ist. Deswegen müssen wir zuerst mit Cembergall-Flyrt sprechen. Kommt!« Vier Dellos brachten das untersetzte Echsenwesen mit der hellblauen Schuppenhaut in die Beobachtungszentrale. Thalia holte die Marmorkugel und legte sie gut sichtbar auf ein Pult. Als der Noot die Marmorkugel sah, hatte er für nichts anderes mehr Interesse. Er ging langsam auf das Pult zu, beugte sich darüber und sagte fast ehrfürchtig: »Die große Plejade! Ihr habt sie gefunden!« Sofort unterbrach ihn Atlan. »Die Marktsumme gab sie uns. Du kennst die Marmorkugel?« Der Objektive richtete die großen Augen seines Froschkopfes auf den Mann im leuchtenden Goldenen Vlies. »Ich fand die große Plejade. Eine junge Krejodenfrau hielt sie in der Hand. Je länger ich nachdenke, desto sicherer bin ich, daß es eine überlebende des Stapelpalast-Massa-
30 kers ist. Ich verlor sie aus den Augen, weil ich überfallen wurde …« »Berichte uns, von Anfang an.« Der Noot krümmte die langen, hornigen Krallen seiner Hände. Er löste den Blick von der Marmorkugel. »Wo bin ich? Wer seid ihr? Ich verstehe nichts.« »Du bist an Bord des Organschiffs HORIET. Wir sind die Organschiffer. Die Marktsumme hat dich gefangengehalten und an uns übergeben. Soeben haben wir einen zweiten Angriff auf die Klans in den bleichen Marmorbergen angehalten. Du hast es vielleicht auf den Bildschirmen gesehen.« Der Noot sagte mit rauher Stimme: »Ich habe es geahnt. Das ist mein Ende. Chirmor Flog wird mich ohne Anhörung vernichten.« Atlan rief dazwischen: »Ich bin nicht Chirmor Flog. Wir alle, die du hier siehst, haben das Organschiff sozusagen gekapert. Oder hätte der Neffe das zweite Massaker verhindert?« »Nein. Ich denke nicht. Wer seid ihr?« »Fremde im Marantroner-Revier. Nicht die Vollstrecker des Dunklen Oheims.« »Ihr verspottet mich. Das kann ich nicht glauben. Niemand wird es euch glauben. Ihr wollt sicher nur prüfen, ob die Gesetze des Neffen eingehalten werden.« »Und … werden sie eingehalten?« »Nicht von der Marktsumme. Viele Händler tun es freiwillig. Manche Objektive gehorchen ebenfalls. Ich versuche es.« Schnell hatte sich der Raum mit der Dello-Mannschaft gefüllt. Sie lauschten der Darstellung des Noots, denn sie ahnten, daß ihnen hier jemand tatsächlich die Wahrheit sagen würde. Da fast jeder Raum im Einflußbereich der Galionsfigur lag, galt als sicher, daß Bronniter-Vrang auch jetzt jede Information aufnahm. »Also: Noch einmal von vorn. Berichte uns, möglichst kurz und präzise, den Ablauf der Geschehnisse, und zwar von dem Augenblick an, als die Marktsumme gegen die Durstigen zu handeln begann.« »Ich habe nichts zu verlieren«, krächzte
Hans Kneifel der Noot. Immer wieder blickte er zwischen Atlan und der Marmorkugel hin und her, die er die »große Plejade« nannte. Dann begann er zu berichten. Er fing an, als sich die Händler zusammenrotteten, von den Objektiven im Auftrag der Marktsumme in ihrer verständlichen Wut aufgepeitscht, um gegen die Hersteller der Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit vorzugehen. Er schilderte, wie Irroth ihn aufgesucht hatte, wie er die bewegungslose und bewußtlose junge Krejodin zum Arzt brachte, wie er niedergeschlagen und betäubt und dann in unmittelbarer Nähe der brennenden Schwarzen Loh wieder aufgewacht war. Nach dieser Aktion setzte seine Erinnerung immer wieder aus, und er entsann sich erst wieder Realität, als er in einem unbekannten Raum aufwachte. Dies war die Zelle der HORIET. Schweigend hörten Atlan und die anderen zu. Schließlich sagte Thalia: »Wir haben begriffen. Meinst du noch immer, daß wir die Abgesandten des Neffen sind?« Ohne von der großen Plejade aufzublicken, antwortete der Objektive: »Ich bin nicht sicher. Ich habe gesehen, wie das Schiff den Vorstoß in die Marmorberge zum Halten gebracht hat. In meiner Vorstellung handelt die Flotte der Organschiffe ganz anders. Rücksichtslos und grausam.« »Vermutlich«, sagte Atlan. »Wer hat nach deiner Meinung die Schwarze Loh hierhergebracht und angezündet?« »Ich kann es mir nicht denken. Kein Einwohner von Danjitter-Tal, niemand zwischen den Hängen des Ringgebirges kann so ver rückt sein, einen solchen Zwischenfall herbeizuführen. Wenn die HORIET wirklich ein Schiff des Neffen wäre, würden viele von uns nicht mehr leben.« Atlan nickte und richtete die nächste Frage an den Objektiven. »Glaubst du jetzt also, daß wir nicht die Vertreter Flogs sind?« »Ich muß es wohl glauben. Sicher bin ich
Rätsel der Schwarzen Galaxis nicht. Was habt ihr mit uns vor?« »Die Verhältnisse ändern. Wenn wir nicht Danjitter-Markt vernichten, wird es ein anderes Schiff tun.« Ein Verdacht, der schon lange in Atlan schwelte, hatte inzwischen Gestalt angenommen. Es mochte sein, daß der Neffe Chirmor Flog schon seit geraumer Zeit diesen offenen, verblüffend liberalen Markt in Verdacht hatte. Er brauchte Beweise oder ein Vorkommnis, das ihm gestattete, eine Strafexpedition durchzuführen. Es war durchaus möglich, daß Agenten Flogs die Schwarze Loh hierhergebracht und angezündet hatten. Dann gab es einen echten Grund, einzugreifen. Und die HORIET hatte den Auftrag bekommen. Falls diese Überlegung zutraf, und es sprach sehr viel dafür, wurde die Lage Atlans zusehends schwieriger. »Was versteht ihr unter ›Veränderung der Verhältnisse?‹ Neue Gesetze?« fragte der Noot. Cembergall-Flyrt berührte ab und zu sein Rauchhorn, als ob er prüfen wollte, ob wieder irgendwelche verderblichen Gase ausströmten. »Die alten werden genügen, wenn sie korrekt eingehalten werden«, meinte der Arkonide. »Dann müßt ihr die Marktsumme zwingen, korrekt zu handeln«, schlug der Objektive vor. »Wie können wir das?« »Ich kann euch in dieser Richtung einige Vorschläge machen. Ich habe lange Jahre darüber nachgedacht, denn ich liebe den Markt und meinen Beruf.« »Später. Wie lauten deine Pläne?« »Falls ihr mich am Leben laßt«, sagte der Noot ruhig, »dann werde ich zuerst die Überlebende aus dem Marmorberg-Massaker suchen. Sie ist sicherlich eine aus dem Klan der Durstigen. Dann, wenn sich die Verhältnisse stabilisiert haben, werde ich wohl einen Laden eröffnen. Allerdings weiß ich nicht, womit ich handeln soll.« Atlan erkundigte sich: »Du möchtest weiterhin Objektiver bleiben?«
31 »Ja, natürlich.« »Aber ein Objektiver mit mehr Macht hinter sich?« »Auch das ist richtig, Herr!« »Das läßt sich arrangieren. Sage uns, wie man die Marktsumme zwingen kann, sich korrekt zu verhalten!« Cembergall-Flyrts Vertrauen zu diesen Raumfahrern wuchs. Er hatte Wesen dieser Gestalt noch niemals gesehen. Aber sie strahlten Sicherheit und Vernunft aus. Er kannte sie nicht, aber die wenigen Taten, die er miterlebt hatte, sprachen für sie. Er schlug vor, was getan werden konnte, um einerseits den Markt zu erhalten, andererseits ein erneutes Eingreifen des Neffen und seiner Organschiffe zu vermeiden und weiterhin, wie verhindert werden konnte, daß Gesetzlosigkeit, Betrug und Verbotsüberschreitungen überhand nahmen. Atlan, Thalia und die Dellos hörten mit wachsender Verwunderung zu. Hier sprach ein Mann, der sämtliche Zusammenhänge sehr genau kannte und ebenso die Schwachstellen selbst herausgefunden hatte. Das Konzept schien gut; Atlan stimmte zu. Zunächst aber mußte die Drohung beseitigt werden – falls es gelang! –, die von der Galionsfigur ausging.
* Während Atlan, mit schwierigen Überlegungen beschäftigt, noch zögerte, meldete sich sein Extrasinn: Entweder haben andere Objektive, die selbst Cembergall-Flyrt nicht kennt, die Schwarze Loh nach Xudon gebracht, um auf die ungesetzlichen Zustände aufmerksam zu machen. Oder es waren Agenten Chirmor Flogs. Auf jeden Fall werden die vorgeschlagenen Aktionen einen lang anhaltenden Erfolg haben. Wenn du mit Bronniter-Vrang verhandelst, nimm die große Plejade mit. Er unterliegt ihrer Ausstrahlung! Atlan nahm die Marmorkugel in die Hand. Unverändert ruhte der Blick des Noots auf der großen Plejade. Zum ersten-
32 mal hatte die neue Besatzung der HORIET diesen Namen gehört; er stammte von … ja, von wem eigentlich? Von jemandem, aus dem getöteten Klan? Von der Marktsumme oder von Cembergall-Flyrt selbst? Der Objektive fragte: »Was hast du mit dieser Marmorkugel vor, Herr?« »Ich zeige sie der Galionsfigur.« »Ihr nehmt sie mit euch, wenn die HORIET wegfliegt?« »Das ist richtig«, meinte Atlan. »Hier würde sie noch mehr Unheil anrichten. Wir verfolgen einen festen Plan, in dem der Widerschein der Freiheit eine wichtige Rolle spielt. Wer gab der Kugel diesen schönen Namen?« Der Noot krümmte seine Krallen. Sein Schweifrudiment zuckte. Schließlich erklärte er unsicher: »Es gab, als die ersten Kugeln auftauchten, so etwas wie ein Gerücht. Es wurde hinter vorgehaltener Hand ausgestreut. Eines Tages würde die schönste Kugel erscheinen. Man würde sie die große Plejade nennen, und sie würde auf wunderbare Weise die Freiheit über uns alle kommen lassen. Das Gerücht hielt sich nicht lange. Als ich die Kugel zum erstenmal sah, gab ich ihr in Gedanken diesen Namen. Ich finde, es paßt kein anderer. Allerdings kann es sein, daß die junge Krejodin mir eine andere Auskunft gibt. Sie liegt in tiefem Schock, und ich will sie suchen, falls ihr mir tatsächlich gestattet, das Schiff zu verlassen.« »Darüber reden wir später«, sagte Atlan und ging allein durch die Schiffskorridore in die durchsichtige Bugkanzel hinein. Hier blieb er stehen und holte tief Luft. Was er jetzt zu tun hatte, konnte außerordentlich schwer sein und für sie alle vernichtende Folgen haben. Er richtete das Wort an die Galionsfigur. »Bronniter-Vrang! Wir müssen einen Hyperraumfunkspruch absetzen. Er soll an die Zentrale auf Säggallo weitergegeben werden, was dann sicherlich automatisch geschieht.«
Hans Kneifel Die Galionsfigur, an die komplizierten Einrichtungen des Lebenserhaltungssystems angeschlossen, wirkte auf Atlan stets wie die Verkörperung der tiefsten und erbarmungslosesten Sklaverei. »Du meinst, die Erfolgsmeldung an Chirmor Flog soll aussagen, daß die Strafaktion durchgeführt wurde?« Atlan versuchte, seine Nervosität zu verbergen. Der quasitelepathische Eindruck, den er auffing, war durchaus positiv. Bisher hatte sich Bronniter-Vrang mehrere Male störrisch verhalten – der Gegensatz zwischen den Anordnungen Atlans und der »Programmierung« der willenlosen Kreatur war zu groß gewesen. »Das wäre eine Reaktion in meinem Sinn«, sagte er und legte die große Plejade in die Vertiefung eines Sockels. »Die Stammbesatzung ist von euch entmachtet worden. An allen wichtigen Schaltstellen sitzen die Männer, die du mitgebracht hast.« Atlan versuchte es mit einer Ausflucht. »Jene grauen, schweigenden Wesen … sie sind uns allen unheimlich. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu verstehen. Ist das Auswechseln für dich ein Grund, unsere Anordnungen nicht zu befolgen?« Die Strömung warmer, verständnisvoller Impulse hielt unverändert an. Die Galionsfigur sagte: »Hast du nicht gemerkt, daß ich mein Verhalten geändert habe? Seit sich die Marmorkugel an Bord befindet, spüre ich, daß ich einen eigenen Willen habe. Dies trifft zeitgleich mit dem Erscheinen des Noots zu. Ich habe die große Plejade, euch und ihn genau beobachtet. Mir ist, als öffne sich mehr und mehr eine neue Welt für mich.« Atlan schluckte. Er hatte nicht hoffen können, daß der kuriose Dialog eine solch überraschende Wendung nahm. Vorsichtig, jedes Wort abwägend, fragte er zurück: »Bedeutet deine Äußerung, daß du den Begriff der persönlichen Freiheit kennenlernst?« »Nach allem, was ich darüber vor Stun-
Rätsel der Schwarzen Galaxis den weder wußte noch fühlte – es muß der erste Hauch der Freiheit sein.« Diesmal war Atlan etwas mutiger. »Heißt das, daß deine Abhängigkeit von der Konditionierung schwindet?« »Sie war bereits während dem Flug zu den bleichen Marmorbergen wesentlich geringer gewesen.« »Nimmt deine Unabhängigkeit zu?« »Solange ich die große Plejade in meiner Nähe weiß, nimmt meine Unabhängigkeit zu. Ich kann die Wirkung nicht erklären, aber sie ist unzweifelhaft vorhanden. Ich bin verwirrt. Solche Gefühle spürte ich noch nie.« Der Widerschein der Freiheit! Jetzt erkennst du, warum der Neffe das Organschiff ausschickte! rief der Logiksektor triumphierend. »Wie stellst du dir die nächste Zukunft vor?« fragte Atlan voller Spannung. Von diesen Antworten hing vieles ab. »Ich werde wohl immer hier angeschlossen bleiben und das Schiff in allen Einzelheiten kontrollieren. Bisher, habe ich es ohne eigenen Willen getan. Ab jetzt – das denke und fühle ich im Augenblick – werde ich kritisch alle Vorkommnisse verfolgen. Ich werde tun, was du verlangst, denn ich bin sicher, daß es mit der Freiheit zu tun hat. Ich muß noch lernen, sehr viel lernen.« »Das ist richtig. Wir werden dir helfen«, sagte der Arkonide und fühlte seine Erleichterung. Die Sonnenstrahlen fielen durch das transparente Material der Organkuppel und ließen die vielen Kabel, Anschlüsse, Verteiler und Gerätepulte aufblitzen. Atlan wußte, daß ihm noch gewaltige Mengen von Informationen über die Schwarze Galaxis fehlten. Aus dem Archiv des Schreckens hatte er fast gar kein brauchbares Wissen entnehmen können. Auf Xudon war ein Teil seiner Überlegungen bestätigt und durch mehr oder weniger exakte Auskünfte untermauert worden. Er kannte dennoch kaum die zu erwartenden Gefahren dieser Sterneninsel. Wenn es jetzt gelang, die Galionsfigur zu einer Art
33 Gefolgsmann zu machen, war mehr gewonnen, als er und Thalia gehofft hatten. »Ja«, wiederholte er. »Wir werden dir helfen, Bronniter-Vrang.« »Ich werde eure Hilfe brauchen, denn ich habe viele Gedanken, mit denen ich noch nichts anfangen kann«, erwiderte BronniterVrang. »Dann setze einen Funkspruch ab. Der Inhalt: die Strafaktion ist durchgeführt. Der verbotene Markt von Danjitter-Tal ist teilweise zerstört. Die überlebenden Wesen werden in der Furcht vor den Gesetzen bleiben. Der Einsatz ist beendet, es gab an Bord keine Verluste. Wie du diese Meldung im einzelnen formulierst, weißt du besser als ich«, ordnete Atlan an. Er war alles andere als sicher und erinnerte sich deutlich daran, wie der Bite Ganzelpohn an Bord der GRIET beim Erreichen eines unsichtbaren Einflußbereichs wieder völlig unter die Kontrolle der Mächte dieser Galaxis geraten war. »Niemand wird merken, daß ich meine Abhängigkeit verliere. Ich setze den Hyperraumfunkspruch sofort ab!« versprach die Galionsfigur. »Wir danken dir. Es geschieht auch im Interesse von Hunderttausenden auf diesem Planeten, wie du weißt.« Atlan betrachtete die vielen Arme des blauen Tentakelwesens und wartete. Unsichtbare und unhörbare Vorgänge liefen ab. Atlan hoffte, daß die Antwort eines anderen Schiffes oder der Zentrale auf Säggallo ihnen Zeit lassen würde. Es konnte aber auch sein, daß sie den Befehl erhielten, Enderleins Tiegel anzufliegen oder eine andere Welt, womöglich mit einem ähnlichen Auftrag. Bronniter-Vrang schien sich innerhalb der Festhaltungen des Überlebenssystems zu bewegen. War er in der Lage, die Welt dort draußen ebenso zu sehen wie Atlan und dessen Freunde? Vielleicht gelang es ihnen, tatsächlich die Welt Säggallo anzufliegen … eine Chance mehr, Pthor vor der Besitznahme der Mächtigen zu bewahren.
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Nach einer Weile meldete sich das quallenartige Wesen wieder und sagte: »Ich habe die Meldung ausgestrahlt. Ich kommunizierte mit einem Organschiff, das als Relaisstation fungiert. Wir erhalten nach entsprechender Zeit Antwort. Läßt du die große Plejade hier?« »Ja. Aus welchem Grund?« »Ihre Ausstrahlung ist eine Art geistiger Nahrung für mich. Vielleicht ist es eines Tages möglich, vom Dunklen Oheim völlig frei und unabhängig zu werden.« Atlan stand auf und zeigte auf das Gelände des leeren Raumhafens hinaus. »In kurzer Zeit starten wir. Die HORIET verläßt den Planeten Xudon. Vorher haben wir aber noch einige Dinge zu klären.« »Ich weiß. Ich kenne die Pläne, die du mit Cembergall-Flyrt und Thalia entwickelt hast. Ich begrüße deine Entscheidungen.«
5. Die Mittagssonne strahlte fast senkrecht herunter. Ihre Strahlen beleuchteten den riesigen Bezirk zwischen den Hängen des Ringgebirges. Die gigantische Wolke hatte jetzt eine Höhenströmung erreicht und wurde auseinandergezogen; sie wirkte wie ein riesiger Schleier, der die Welt darunter verbarg. Der Bereich des Marktes lag scheinbar gänzlich ausgestorben da. Tausende und aber Tausende hatten die gewaltige Demonstration des Organschiffs gesehen und gehört und hockten zitternd da. Sie warteten voller Angst auf das, was in Kürze geschehen würde. Lange konnte das furchtbare Schiff Chirmor Flogs nicht mehr auf dem Raumhafen liegen. Die Mitglieder der Marktsumme verhielten sich nicht anders. Inzwischen hatten sich auch die fehlenden Mitglieder wieder eingefunden. Sie waren in den Einfluß des Rauches geraten; eingekeilt zwischen den rasenden und kämpfenden Händlern hatten sie es nicht geschafft, ihre Raumanzüge anzuziehen. Jetzt versteckten sie sich in ihren Privatwohnungen, aber un-
unterbrochen sprachen die zwölf Mitglieder über die Verbindungsleitungen miteinander. Sie fragten sich, was nach dem eindeutigen Mißerfolg der Aktion gegen die Krejoden geschehen würde. Würde ihre Macht gebrochen werden? Strafte Chirmor Flog jeden von ihnen persönlich? Das Warten zerrte an ihren Nerven. Die völlige Ungewißheit lähmte sie. Es gab keine Möglichkeit, auszuweichen. Niemand half ihnen, und so kam es, daß die Gedanken der Krejoden, Tamater, Noots und Camagurs sich immer schneller im Kreis drehten und heillose Furcht hinterließen. Kurz darauf – von den meisten Bewohnern des Marktes unbemerkt – verließen einige Dutzend kleiner Gestalten das Schiff. Sie trugen hastig zusammengeschnürte Bündel mit sich und liefen schweigend auf die nächstgelegenen Bauwerke zu. Keiner der grauen, haarlosen Wesen sagte etwas, aber jede Bewegung drückte Ratlosigkeit aus. Als der letzte von ihnen die Tore der langen Magazine passiert hatte, schloß sich leise rumpelnd die Schleuse der HORIET. Das Schiff startete und schwebte zum Zentrum von Danjitter-Tal, zum Marktgebiet. Der annähernd ovale Schatten glitt über die Häuser, verfinsterte vorübergehend die Sonne, wanderte weiter. Entsetzt und das Schrecklichste erwartend, starrten zahllose Wesen zum Himmel und erkannten die narbige Außenhülle des großen Organschiffs. Jeder erwartete die weißglühenden Vernichtungsstrahlen aus den Geschützprojektoren. Die HORIET beschrieb einen weiten Kreis über dem Gebiet, dann einen zweiten, viel engeren. Schräg über dem System von Gassen, Plätzen und Treppen, in dem der kantige Turm der Marktsumme stand, hielt das Schiff an. Wieder verging einige Zeit. Das Warten auf die nächste Aktion erschütterte die Händler und alle anderen tiefer als jeder Angriff. Ein seltsames Geräusch ertönte. Ein helles, metallisches Knacken.
Rätsel der Schwarzen Galaxis Dann donnerte eine Stimme, tausendfach verstärkt, über den Markt dahin. »Der Vertraute Chirmor Flogs sagt euch: ein letztes Mal erging Gnade vor Recht.« Fenster klirrten, die Mauern schienen zu zittern. Einige Händler, die schneller begriffen, versuchten sich zu entspannen. Aber der nächste Schrei aus der Richtung des Schiffes ließ sie abermals zusammenzucken. »Die Marktsumme wird überwacht. Die Zeit des bequemen Lebens ist vorbei. Beim nächsten Verstoß wird Chirmor Flog ein eingeäschertes Stück von Xudon hinterlassen. Der Objektive Cembergall-Flyrt wird dem Neffen Bericht erstatten.« Die HORIET bewegte sich nicht. Langsam versuchten die Zuhörer, zu verstehen, was diese Worte für die Zukunft des Marktes bedeuten würden. Wieder unterbrachen neue, aufregende Worte ihre Überlegungen. »Cembergall-Flyrt genießt unser Vertrauen. Er ist der Beauftragte des Neffen auf Xudon. Von seinen Meldungen hängt es ab, ob der Markt zerstört wird oder weiter funktioniert. Die Meldungen erfolgen regelmäßig.« Kaum waren die letzten Worte verhallt, zuckte mit ungeheurem Getöse wieder ein Glutstrahl schräg hinunter. Das oberste Geschoß des Marktsumme-Turmes wurde auseinandergesprengt und in Flammen und Rauch gehüllt. Trümmer prasselten auf die Dächer und Terrassen der nächstgelegenen Häuser und zerfetzte die Blätter und Äste der Gewächse. »Das war ein Zeichen. Denkt stets daran, daß Cembergall-Flyrts Worte Gültigkeit haben. Er spricht für den Neffen.« Das Organschiff bewegte sich wieder, glitt weiter und senkte sich über einem freien Teil des Geländes. Die Schleuse öffnete sich, die Rampe schob sich zum Boden hinunter. Es waren nicht viele Bewohner des Marktes, die folgende Szene sehen konnten: Der Noot kam aus dem Schiff. Ihm folgte ein hochgewachsener Mann in einem goldenen Anzug, auf dem die Sonne unerträglich helle Reflexe hervorrief. Cem-
35 bergall-Flyrt und der Kommandant des Organschiffs tauschten einen langen Händedruck aus und schienen wichtige Dinge miteinander zu besprechen.
* Atlan sagte: »Ich wünsche dir viel Glück. Sowohl bei der Suche nach der jungen Krejodin als auch bei deinen Versuchen, indirekt den Markt zu beherrschen.« Der junge Noot breitete die Arme aus und erwiderte: »Die Krejodin werde ich bald gefunden haben, falls sie noch lebt. Ich danke euch für alles. Natürlich werde ich mit den Gedanken der Freiheit sehr behutsam umgehen.« »Das wird sich als richtig herausstellen. Du mußt vorsichtig sein, denn man wird tun, was du erlaubst. Denke stets daran, daß es andere Organschiffe gibt.« »Ich denke, ich kenne jetzt den Unterschied. Ich werde auch für die kleinen Grauen sorgen, die ihr aus dem Schiff entlassen habt.« »Ich weiß«, sagte Atlan und hoffte, daß möglichst viele Leute von Xudon diese Szene sehen würden, »daß du es ernst meinst. Sie werden Freude an der Freiheit finden wie jeder andere. Und sie werden auch dich und unser geheimes Abkommen nicht verraten.« Der Noot hatte seine Scheu restlos abgelegt, aber er bewies durch sein zurückhaltendes Benehmen, daß er kein Dummkopf war. Atlan hätte einen Schlechteren für diese Mission finden können. »Ich bin nicht sicher, ob alles so werden wird, wie wir es besprochen haben. Aber ich versuche, mein Bestes zu geben.« Wieder schüttelten sie sich die Hände. Atlan spürte die harten Hornringe der Klauen zwischen seinen Fingern. »Lebe wohl, Cembergall-Flyrt!« sagte er. »Lebe wohl, Fremder. Auch ich wünsche euch alles Glück. Ihr werdet es brauchen, denn der Dunkle Oheim ist mächtiger als al-
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les, was wir kennen.« Atlan hob den Arm. Er ging ins Schiff zurück, während sich Cembergall-Flyrt orientierte und einen Weg einschlug, der ihn am brennenden Turm der Marktsumme vorbei zu seiner Wohnung bringen würde. Er mußte zuerst alles mit seiner Frau besprechen, sich ausruhen und über seine Zukunft nachdenken. Als ihn die Sonnenstrahlen trafen, schien das Objektiven-Zeichen zu funkeln und zu glühen. Die HORIET schwebte senkrecht in die Höhe. Wieder flog sie langsam einen stets größer werdenden Kreis über den Markt. Ebenso langsam vergrößerte sich der Abstand zum Boden. Die Flugbahn war wie ein Symbol: das Schiff und somit die einzige wirkliche Macht in der Schwarzen Galaxis beobachtete den Markt. Dann, im Norden von Danjitter-Tal, über dem Teil des Ringgebirges, beschleunigte sich der Flug, und das Schiff raste schräg in den Himmel und in den Weltraum hinaus. Die ersten Händler wagten es, aufzuatmen – sie hatten noch einmal überlebt. Der Schrecken aber saß tief in ihnen. Sie würden den Objektiven fragen müssen, was Recht war, und was verboten blieb.
* Ein Blick auf die Bildschirme zeigte den Planeten, der ständig kleiner wurde. Jetzt meldete sich Bronniter-Vrang und sagte, während Atlan und Thalia sich endlich entspannten und daran dachten, essen und schlafen zu können: »Soeben erhalte ich einen Funkspruch. Er kam von demselben Relaisschiff, das auch unsere Vollzugsmeldung weitergegeben hat.« »Also weiß jetzt unser geheimnisvoller Freund auf Säggallo«, meinte Atlan, »daß die Strafaktion auf Xudon stattgefunden hat.« »So ist es«, antwortete die Galionsfigur. »Von irgendwo im Marantroner-Revier kam
die Botschaft, daß die HORIET in Kürze mit einem neuen Auftrag zu rechnen habe. Wir sollen uns bereit halten, auf Befehl des Neffen sofort zu handeln.« »Wir werden sehen«, versprach Atlan. Diesmal würden weder die grauen Humanoiden noch ein beeinflußter BronniterVrang sie daran hindern, zu tun, was sie wollten. »Ich danke dir für die Durchführung meiner Anordnungen und Wünsche.« Langsam schloß die Galionsfigur, während abermals eine Strömung herzlicher Impulse Atlan und Thalia einhüllte: »Die Zeit meiner Freiheit ist noch kurz. Es gibt keine Erfahrungen darüber, wie lange ein Organschiff existieren kann, dessen Steuermann einen eigenen und unabhängigen Willen besitzt.« »Die Länge dieser Zeitspanne bestimmen wir!« sagte der Arkonide. Er glaubte, was er antwortete.
* Es war unzweifelhaft wie ein langsames Erwachen aus einem langen und tiefen Alptraum-Schlaf, als endlich das Organschiff verschwunden war. Die Bediensteten des Raumhafens trauten sich wieder vor ihre Pulte und schalteten zögernd und unsicher ihre Geräte ein. Einige Händlerschiffe, die den Start der HORIET auf den Ortungsschirmen mit verfolgt hatten, meldeten sich und erkundigten sich, ob sie landen konnten, und was eigentlich geschehen sei. Je mehr Zeit verging, desto mehr Schiffe landeten. Fast alle die Kugelschiffe, die Pfeilschiffe und die röhrenförmigen Raumboote, die während der Ankunft des Organschiffs geflüchtet waren, kamen wieder zurück. Zwar konnten sie die Wolke aus Rauch und Staub nicht mehr aus dem Weltraum aus erkennen, aber vor der Landung sahen sie die Krater, wenigstens die meisten davon. Innerhalb eines knappen halben Tages landeten rund vierzig Schiffe und öffneten ihre Schleusen. Die ersten Handelsgüter
Rätsel der Schwarzen Galaxis wurden entladen. Die verschiedenen Teile des Raumhafens, sehr weit vom Zentrum des Marktes entfernt, waren zuerst handlungsfähig. Waren gingen hin und her, immer mehr Transporte wurden ausgeführt, da mehr und mehr Arbeiter aus den Siedlungen kamen. Die Wesen hatten ausgeschlafen, ihren Schock verarbeitet und die Wunden verbunden. Ab und zu fanden sie einen Schwerverletzten oder Toten, der während der erbitterten Kämpfe gestorben war. Die Erinnerung an den Rauch der Schwarzen Loh wurde verdrängt und lag wie ein schwarzer Schatten in der Vergangenheit. Der Objektive Cembergall-Flyrt kam aus der Tür seines Hauses. Trotz der Macht oder genauer des Einflusses, den er jetzt präsentierte, war er unsicher. Er bemühte sich, es niemandem zu zeigen. Seine Lederkleidung war neu und glänzte hochpoliert. Das große Abzeichen, das ihn als Angehörigen der Marktpolizei auswies, strahlte förmlich. »Es ist ein schöner Morgen«, sagte der Noot. »Hoffentlich wird es ein schöner Tag.« Zwei krejodische Glasverkäufer kamen vorbei. Ihr Gleiter war schwer mit Glasplatten vieler Stärken und Größen beladen, dazu mit den Gestellen und dem Werkzeug. Sie würden in der nächsten Zeit sehr viel Arbeit haben und gut verdienen. »Kein Rauch um dein Horn, Objektiver!« rief knarrend der ältere der beiden. »Du hast nicht das eine oder andere Fenster, das in Scherben ging?« Der Tonfall und die Gesten der Krejoden waren zuvorkommend, aber nicht unterwürfig. Der Objektive hob einen Arm und rief zurück: »Danke. Meine Fenster sind heil geblieben. Aber ihr werdet viel Glas brauchen!« »Jedes Drama hat auch sein Gutes«, war die Antwort. »Die Marktsumme hat viel mehr aufzubauen!« »Das ist richtig. Kennt ihr den kleinlichen
37 Dnarc?« »Du meinst den alten Raumfahrerarzt?« Langsam schwebte der Gleiter die Gasse entlang. »Den meine ich. Wenn ihr ihn seht, sagt ihm, ich muß ihn dringend sprechen«, rief er ihnen nach. Die Krejoden winkten freundlich; angesichts des voraussichtlichen Arbeitsanfalls hatten sie allen Grund dazu. »Machen wir! Gute Arbeit, CembergallFlyrt!« »Dasselbe für euch.« Der Noot lächelte innerlich. Lange hatte er alle jene verwirrenden und überraschenden Aspekte mit seiner Frau durchgesprochen. Sicher hatte sie recht: für ihn fing eine neue Zeit an. Es lag fast ausschließlich bei ihm, was er daraus machte. Er sprang die Stufen hinunter und ging hinter dem Gleiter her. Zuerst mußte er seinen Bereich des Marktes kontrollieren. Er erwartete Trümmer, Ratlosigkeit, teilweise vernichtete Existenzen. Wo war die junge Krejodin? Cembergall-Flyrt ging langsam weiter. Vor dem ersten Laden blieb er stehen. Er sah eine Weile lang zu, wie zwei Camagurs versuchten, Trümmer, Scherben und Verwüstungen zu beseitigen. Als Zeichen dafür, daß sie nicht aufgaben, schienen sie neue Gewänder angelegt zu haben; farbenprächtige Umhänge und Kittel aus Kunststoffgewebe, die wie Regenbogen leuchteten. Sie kehrten das Pflaster, schütteten Unrat und Abfall in große Säcke, putzten die unversehrten Glasflächen und spannten leuchtende Kunststoffolien in die leeren Rahmen. Der Objektive ging näher heran und lehnte sich gegen den Rahmen des Eingangs. »Ihr habt viel verloren?« fragte er. Das Paar kam aus dem Hintergrund des Raumes. Ein Teil der Regale war bereits mit neuen Waren gefüllt. Dieses Geschäft handelte mit Getränken aller Art und den dazugehörigen Trinkgefäßen. Aufgeregt blähten die Camagurs die riesigen Ohren auf, als sie den Objektiven erkannten. »Vielleicht ein Drittel von allem«, sagte der Mann und verzog seinen Rüsselmund. »Andere hat es schwerer getroffen.«
38 »Ich hörte ununterbrochen Raumschiffe landen«, tröstete ihn der Objektive. »Wie immer werden die Raumschiffer berauschende Getränke brauchen. Und auf den gewaltigen Schreck hin wird auch die Nachbarschaft einkaufen. Ihr solltet einen kleinen Kredit aufnehmen und das Lager vergrößern.« »Eine gute Idee von dir«, erklärte die Frau und begann, hingebungsvoll die Oberflächen der Verkaufstische zu säubern. »Dürfen wir dir etwas anbieten? Keine Bestechung? Nur eine kostenlose Probe, die zu nichts verpflichtet?« Bisher hatte der Objektive aus Furcht, als bestechlich zu gelten, jedes Angebot dieser Art abgelehnt. Er erkannte, daß er sich durch die Ablehnung alles andere als beliebt gemacht hatte; ein Schluck lockerte die Zungen oder aktivierte die Sprechblasen. Er grinste und erwiderte: »Der Vertraute Chirmor Flogs läßt sich nicht bestechen. Aber da der Neffe Nachsicht walten ließ, stehe ich ihm nicht nach.« Er nahm einen winzigen Becher Esorh und kippte das kalte Getränk zwischen die Hornlippen. Gutgelaunt sagte er: »Das kann nicht zur Regel werden. Sonst bin ich eine Stunde nach Anfang des Rundgangs bewußtlos. Solltet ihr den alten kleinlichen Dnarc sehen, richtet ihm bitte aus, er möge mich in meinem Büro anrufen. Das heißt, falls es noch existiert.« Er stellte den Becher zurück, dankte und verließ den Laden. Irgendwie, fühlte er, begann auch er sich zu verändern. Er wurde lockerer und gelöster, sah seine Arbeit nicht als traurigernste Beschäftigung, sondern als Aufgabe, die er freudig erledigte. Er ging weiter. Ganz allmählich versuchten alle, den Schock zu überwinden und zu vergessen. Aus dem Umland kamen die ersten Lieferungen an Nahrungsmitteln. Die Gassen wurden von den Gambertrupps gereinigt. Hier gab es einen geschlossenen Laden, dort versuchten die käferartig wimmelnden
Hans Kneifel Tamater, eine halbwegs in Trümmer gegangene Fleischerei wie der betriebsfähig zu machen. An anderer Stelle entlud ein riesiger Lastengleiter exotische Waren, die nur aus einem Raumschiff stammen konnten. Cembergall-Flyrt beantwortete zahllose Fragen. Wie es ihm im Organschiff ergangen sei? Wie sahen die Vertrauten des Neffen aus? Waren sie grausam oder nachsichtig? Sollte man im Hinblick auf gute Geschäfte disponieren, oder würde der offene Markt von Danjitter-Tal in der nächsten Zeit kümmerlich bleiben? Was geschah mit den Marmorkugeln und deren Widerschein der Freiheit? Er versuchte, nicht zu lügen, und gab reich lich knappe Auskünfte. Plötzlich, an der Ecke des Akedeplatzes, hielt ein kleiner Gleiter direkt vor ihm an. Der Objektive verbarg sein Erschrecken, als er den hungrigen Zarf erkannte, den Sprecher der Krejoden, wichtiges Mitglied der Marktsumme. Der Objektive wartete schweigend. Der Hungrige verließ den Gleiter in großer Eile. Obwohl er den Noot um einiges überragte, wirkte er auf einmal weniger groß und erheblich weniger mächtig. Der Objektive sah dem Wortwechsel unruhig entgegen, schließlich hatte wohl jeder inzwischen die Neuigkeit erfahren. »Ich spreche jetzt nur für mich, habe mich mit den anderen noch nicht getroffen«, sagte der hungrige Zarf hastig. »Meine Hochachtung! Und mein Dank dafür, daß du es geschafft hast, die Strafe milde ausfallen zu lassen.« »Ich verhielt mich wie immer«, erwiderte Cembergall-Flyrt steif. »Wie kann ich das verstehen?« »Korrekt, möglichst unbestechlich und wahrheitsgetreu«, sagte der Objektive nicht ohne Würde. »Überhaupt wird die Frage der Bestechlichkeit in den nächsten Monaten zwischen dem Vertreter Chirmor Flogs und mir einen breiten Raum einnehmen.« »Gewiß, gewiß«, versicherte das Mitglied der Marktsumme. »Sicher ist, daß die Marktsumme nicht unter der Wut der Organ-
Rätsel der Schwarzen Galaxis schiffer zu leiden hatte.« Vorsichtig probierte der Objektive seine neue Macht aus und sagte: »Ich bin beauftragt worden, die Gesetze zu achten. Bestechliche oder faule Objektive sollen ebenso wie unkorrekte Mitglieder der Marktsumme gemeldet und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden, wie ihr gehört habt. Wie weit ist der Wiederaufbau des Turmes?« Der Krejode war aufgeregt und voller Angst. Seine langen Arme bewegten sich nervös, die Finger zitterten, als er mit heftig vibrierendem Sprachsack hervorstieß: »Es sollte eine Sitzung einberufen werden. Wir sehen ein, daß der eine oder andere ein wenig zu nachlässig wurde. Eine bedauerliche Folge der vielen Arbeit. Alles soll geschehen, damit Xudon weiterhin einen blühenden Handel sieht.« Elender Heuchler! dachte CembergallFlyrt und nickte. Er sagte: »Ich jedenfalls muß so handeln, wie es mir im Schiff aufgetragen wurde. Das ist die Bedingung dafür, daß Flog uns alle am Leben läßt. Es ist nicht nur am Turm, sondern überall viel Aufbauarbeit zu leisten.« »Mit neuer Kraft werden wir an diese Aufgabe herangehen!« rief der hungrige Zarf. »Schon heute abend wird dich die Marktsumme von allen Maßnahmen verständigen.« Höflich, aber betont kühl gab CembergallFlyrt zurück: »Ich bin über mein Büro zu erreichen, falls es noch nicht zerstört wurde.« »Ganz sicher wird man dir Räume zur Verfügung stellen, die deiner würdig sind!« Schon wieder versucht man, mich zu bestechen und einzuwickeln, sagte sich der Objektive und entgegnete: »Danke. Kein Bedarf. Mit einer Renovierung meines einfachen und verwahrlosten Büroraums bin ich gut bedient. Und das hat auch noch Zeit.« Völlig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht, zog sich der hungrige Zarf zum Gleiter zurück. Sein Weltbild war zerbrochen.
39 Die Maßnahmen, die bisher – außer bei diesem jungen Noot – erfolgreich gewesen waren, halfen nicht mehr. Er rief knarrend: »Wir sprechen uns. Jeder muß daran interessiert sein, daß deine Meldungen den Neffen beruhigen und eine Strafaktion unmöglich machen.« »Das ist mein Ziel.« Überaus herzlich winkend, völlig verstört, schwang sich der langbeinige Krejode in den Gleiter und rammte, als er beschleunigte, einen Eckstein aus Granit. Mit einem häßlichen Kreischen verschwand das Fahrzeug um die Ecke und geriet außer Sicht. Nur der Umstand, daß viele Händler, Bewohner, Diener und Angestellte ihn anstarrten, hinderte Cembergall-Flyrt daran, in ein endloses Gelächter auszubrechen. Er mußte sehr vorsichtig sein. Die Freiheit, die er in winzigen Schritten durchsetzen wollte, vertrug keine großartigen Gesten. Das Gesetz durfte nicht umgangen werden; ein reibungsloser Handel war die Voraussetzung dafür, daß die wichtigen Ideen über die hundert bewohnten Welten des Marantroner-Revier verbreitet werden konnten. Nach einem langen und ziemlich ermüdenden Gang durch diesen Teil des Marktes befand er sich endlich unmittelbar neben seinem Büro. Äußerlich, auf den allerersten Blick, hatten es die fleißigen Händler unter Einsatz aller ihrer Kräfte geschafft, eine gewisse Ordnung zu schaffen. Es würde lange dauern, bis der vorherige Zustand erreicht war. Wieder klirrte irgendwo Glas; jemand hämmerte die Scherben einer zerschlagenen Scheibe aus dem Rahmen. Aber die Stimmen des Marktes klangen schon wieder fest und keineswegs zögernd.
* Der Noot lachte sarkastisch auf, als er die Reste der Tür zur Seite stieß und sein Büro betrat. Es sah schlimm aus. »Die Marktsumme wird wohl einiges zu
40 renovieren haben«, brummte CembergallFlyrt und sah sich in den Trümmern um. Sein Büro schien sich in einem Zentrum der Kämpfe befunden zu haben. Mit zwei schnellen Schritten war er hinter dem mit Staub, Mauerbrocken und Splittern übersäten Schreibtisch, hinter den er die junge Krejodin gelegt hatte. Decken und Kissen waren noch vorhanden, aber die Krejodin, die in ihren Fingern die große Plejade gehalten hatte, war verschwunden. »Jemand hat sie gefunden und ihr den Stein weggenommen. Der Stein war im Besitz der Marktsumme, ehe ihn Atlan bekam«, faßte der Objektive zusammen und wollte zum Bildschirm gehen, als ihm einfiel, daß er keine Verbindung bekommen würde. »Und das Büro der Marktsumme hat die HORIET in die Luft gesprengt.« Der Objektive blieb stehen und dachte nach. Die Fenster waren zerstört, das Büro mit allen seinen Einrichtungsgegenständen schien tatsächlich von einer Gruppe miteinander kämpfender Marktbewohner verwüstet worden zu sein. Der Noot entsann sich, daß er wegen der jungen Frau zuerst beim Arzt gewesen war, diesen gesprochen und hierher bestellt hatte. »Das ist es! Der kleinliche Dnarc!« Er rannte hinaus und sprang mit großen Sätzen die Stufen hinunter. Durch das zunehmende Getümmel der Gassen und Plätze rannte er an verdutzten Wesen vorbei, die ihn kannten und grüßten. Er registrierte, daß sich dieser Teil des Marktes mehr und mehr belebte. Die Schlange der Wartenden vor der Praxis des Arztes war fünfhundert Meter lang! Cembergall-Flyrt stieß einen Fluch aus und blieb stehen. Alle Stufen, die Gasse, die lange Treppe hinunter zum nächsten Platz und die verschiedenen Nischen waren voller Angehöriger der vier Hauptvölker und einiger weniger Kleingruppen. Als der Objektive von einigen Umstehenden erkannt wurde, prasselten, Rufe und Fragen auf ihn ein.
Hans Kneifel »Laßt mich bitte durch!« bat er und musterte die etwa eintausend Wartenden. Jeder von ihnen sah bemitleidenswert aus. Brüche, Schrammen, Risse und Wunden aller Art, fleckige Verbände, geschiente Gliedmaßen … einzeln gesehen kaum eine wirklich schwere Verletzung, im Ganzen jedoch eine erschütternde Reihe. »Ich bin nicht verletzt«, rief er. »Ich muß Dnarc nur sprechen. Ich verspreche euch, Hilfe herbeizuholen. Sonst steht ihr noch in fünf Tagen hier!« Bereitwillig machten einige Platz. Der Objektive schob sich vorsichtig weiter und erreichte schließlich nach immer neuen Bitten die Tür der Praxis. Er blickte hinunter auf die Schlange und sah ein, daß Dnarc es niemals schaffen würde, alle diese Verwundeten und Stöhnenden zu behandeln. »Es müssen Ärzte aus den Raumhafengebäuden geholt werden!« sagte er entschlossen. Aber sein eigenes Problem ging vor. Er hämmerte an die Tür. Ein Camagur in schmutziger Schutzkleidung öffnete. Ohne Umschweife fragte Cembergall-Flyrt: »Ist eine junge, sehr hübsche Krejodin hier? Sie muß seit gestern mittag bewußtlos hier liegen?« Der Camagur musterte den Objektiven und winkte mit zweien seiner Hände. »Bist du Cembergall-Flyrt?« »Ja.« »Der kleinliche Dnarc suchte dich. Er bricht vor Erschöpfung gleich zusammen. Er benötigt dringend Hilfe.« Der Camagur schob einige Verletzte von der Tür weg, schrie ihnen zu, sie sollten sich gedulden und schloß die ächzende Tür. Im Behandlungszimmer herrschte ein unglaubliches Durcheinander. Cembergall entschloß sich spontan, seinen neuen Einfluß gezielt einzusetzen. Er nickte dem Arzt zu, ging in den Privatraum und sah sich um. Keine Krejodin. Er setzte sich vor das Rufgerät, tippte eine Nummer und verlangte einige Auskünfte. Er wählte eine andere Nummer. Auf dem Bildschirm tauchten ein Büro
Rätsel der Schwarzen Galaxis des Raumhafens auf, kurz darauf ein Camagur. Cembergall-Flyrt sagte ruhig, aber mit Bestimmtheit: »Ich bin Cembergall-Flyrt. Die Gnade von Chirmor Flog hat den Markt verschont. Deswegen stauen sich vor jeder Arztpraxis große Mengen Patienten. Jeder Arzt, hier der Krejode Dnarc von den Kleinlichen, ist überlastet und überfordert. Bringt sofort eine gute ausgerüstete Mannschaft hierher. Vielleicht wird dann die Raumhafenorganisation bei meinem nächsten Bericht lobend erwähnt.« Der Camagur in seinem farbenprächtigen Gewand blickte mit riesigen Augen geradeaus in die Linsen, aber seine sechs Hände arbeiteten bereits auf Tasten und Schaltern. »Ich helfe dir gern, Cembergall-Flyrt, aber ich weiß nicht, wo der Arzt, den du erwähnst, seine Praxis hat.« Der Objektive sagte es ihm und schilderte, wie das Team am schnellsten hierhergelangte. »Ich stelle die Gruppe persönlich zusammen«, versprach der Camagur. »Hier warten fast tausend Leute auf euch. Sie sind sehr elend und brauchen schnell Hilfe.« »Verstanden!« Der Noot schaltete ab und ging zurück zu dem kleinlichen Dnarc. Der Mediziner tat, was er konnte, und seine beiden Helfer schufteten wie die Rasenden, aber es ging schleppend voran. »In ein paar Minuten bekommst du Hilfe, Kleinlicher«, versprach der Objektive. »Ich suche die Krejodin. Hast du sie behandelt?« Der Mediziner war erschöpft und nickte langsam. »Ich fand sie in deinem Büro«, murmelte er mit schlaffer Sprechblase. »Die Objektiven kamen, nahmen ihr den Stein weg, dann verlor ich sie aus den Augen. Ich fand sie wieder hier in der Praxis. Sie ist dort hinten, im Wohnraum.« Cembergall-Flyrt war froh, das zu hören. »Geht es ihr gut?« »Ja. Heute früh ist sie aus dem Schock aufgewacht. Etwas schwach – geh hinein
41 und sprich mit ihr.« »Genau das habe ich vor. Danke, Kleinlicher.« Der Noot kannte die Wohnung und die Praxis. Jetzt trug die einfache und verbrauchte Einrichtung die Spuren der Arbeit. Es war sicher gut und nützlich, dafür zu sorgen, daß man auch diesem Arzt bessere Arbeitsbedingungen verschaffte. Er stieß die nächste Tür auf und befand sich in einem einfach eingerichteten Wohnraum in typisch krejodischem Geschmack. Er entdeckte die junge Frau im Sessel des Arztes und näherte sich ihr langsam. »Du weißt, wer ich bin?« fragte er. »Ein Noot«, sagte sie matt. »Offensichtlich ein Objektiver.« »Ich fand dich und die Marmorkugel bei einem Nahrungsmittelhändler draußen am Hafeninnenrand.« »Wo ist sie, die große Plejade?« »Merkwürdig«, sagte er. »Niemand sagte mir, wie die Kugel heißt. Trotzdem wußte ich es. Nun, die große Plejade ist in einem Organraumschiff unterwegs und wird den Widerschein der Freiheit über die Planeten des Marantroner Reviers bringen. Die Marktsumme hat sie den Organschiffern gegeben.« »Und du?« fragte sie. Sie schien geschwächt und stand noch unter dem Eindruck des langanhaltenden Schocks. Andererseits war sie dadurch, daß sie die Ereignisse nicht bewußt miterlebt hatte, einer Reihe unangenehmer Zwischenfälle entgangen. »Ich bin …«, begann er. »Was bin ich eigentlich wirklich? Ich versuche, die Fehler der Vergangenheit vorsichtig zu korrigieren. Ich bin Chirmor Flog verantwortlich. Ich war im Organschiff und habe miterlebt, wie der Abgesandte des Neffen einen Angriff auf die Breiten und die Glühenden niedergeschlagen hat.« »Ich bin die durstige Gryta«, sagte sie. »Vielleicht lebt niemand von meinem Klan mehr in den Marmorbergen.« »Das werden wir noch heute feststellen. Ich kenne das Ausmaß meiner Macht noch
42 nicht«, sagte er. »Aber nimm nicht an, daß ich nun der wichtigste Mann auf Xudon bin. Ich werde nur verhindern, daß solche Dinge passieren wie in den letzten Tagen.« Sie stand auf und stützte sich auf den Sessel. Jemand hatte ihr neue Kleidung verschafft. »Bringe mich hier weg. Die Umgebung ist deprimierend.« Im gleichen Augenblick schrillte an Cembergall-Flyrts Gürtel das Rufgerät. Er bedeutete der durstigen Gryta, einen Moment zu schweigen, schaltete das Funkgerät ein und sagte: »Ich höre. Objektiver Cembergall-Flyrt.« Eine bekannte Stimme kam aus dem kleinen Lautsprecher. »Conmat-Port hier. Es gibt jede Menge Ärger. Ich habe einen Gleiter … du mußt sofort hierherkommen.« Der Noot begriff und erwiderte: »Ich bin bei dem kleinlichen Dnarc. Schicke den Gleiter los. Wo bist du, und was ist los?« »Die Glühenden und die Breiten sind da. Hundert Leute ungefähr. Bewaffnet wie der Zorn der Sterne. Sie fangen an, die Marktsumme abzuschlachten, jedenfalls sieht es so aus. Eile ist angebracht.« »Ich komme!« versprach der Objektive. »Ich bringe die letzte Überlebende des Massakers bei den Durstigen mit. Vielleicht hilft's. Kannst du die Krejoden noch aufhalten?« »Du solltest dich beeilen. Sieht nicht gut aus. Sie wollen Rache nehmen für die Durstigen und für den gestrigen Überfall.« »Wir kommen. Ende.« Die durstige Gryta hatte jedes Wort verstanden. Der Noot und die junge Krejodin nickten sich zu. Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Er rief dem Mediziner zu, daß er später wiederkommen würde und daß ein Team vom Raumhafen hierher unterwegs war, dann schob er sich wieder durch die wartenden Patienten und rannte mit Gryta hinter sich auf den nächsten Platz zu. Mit heulenden Signalen raste ein kleiner
Hans Kneifel Gleiter heran. Ein Tamater saß am Steuer und winkte. »Von Conmat-Port?« schrie CembergallFlyrt. »Ja. Einsteigen.« Der Noot half der jungen Frau in den Sitz, der Gleiter drehte auf der Stelle und zog mit kreischendem Getriebe davon. Der Tamater steuerte sicher und geschickt. Während er um die Ecken raste, den kleinen Gruppen der auseinanderspringenden Passanten auswich und auf dem direkten Weg auf den Turm der Marktsumme zuschwebte, rief er ununterbrochen aus seinem HektikMund: »Sie sehen furchtbar aus. Jeder hat ein paar Waffen. Die Marktsumme ist recht zahlreich versammelt, weil sie die Arbeiten … Achtung, das war knapp … die Arbeit am Turm soll anfangen, die Handwerker …« »Kümmere dich um die Steuerung!« brüllte der Noot. Cembergall-Flyrt wußte, daß es ernst wurde. Der geglückte Versuch, den zweiten Überfall zu verhindern, hatte den Geschlechtern nicht nur das Leben gerettet, sondern ihre Wut und den Haß auf die Marktsumme ausbrechen lassen. Ihre Angst war in die Bereitschaft umgeschlagen, sich für diese Erniedrigung zu rächen. Darüber hinaus stand vor ihren Augen das Gemetzel an den Durstigen. Der Noot rechnete fest damit, daß es nicht nur ein harmloser Zwischenfall wurde. »Keine Sorge. Ich habe es gelernt.« Der Gleiter schoß schräg über einen Platz und hielt an. Als sie zwischen den Mauern hindurchgerast waren, hatte CembergallFlyrt gesehen, daß es wirklich ernst war. Augenblicklich vergaß er seine persönlichen Probleme. Mit einem riesigen Satz sprang er aus dem Gefährt und lief in die Mitte des Platzes. Baumaschinen, Handwerker und Material beanspruchten eine Seite des Platzes. Über die Treppe an der anderen Seite kamen die Krejoden aus den bleichen Marmorbergen herauf. Sie steckten in Rüstungen und alten Raumanzügen ihrer Ahnen. Waffen glänzten und funkelten im Sonnenlicht. Man hörte
Rätsel der Schwarzen Galaxis nur die Schritte und klirrende Geräusche; die Angehörigen der zwei Klans näherten sich schweigend und unerbittlich. Der Noot lief auf die Krejoden zu und breitete die Arme aus. Hinter ihm drängten sich mindestens neun Mitglieder der Marktsumme zusammen. Natürlich waren sie unbewaffnet und redeten leise und aufgeregt miteinander. Aus der Gruppe der Bauarbeiter kam Conmat-Port hervor und stellte sich zu dem anderen Noot. »Aufhalten können wir beide die Krejoden nicht!« sagte er knurrend. CembergallFlyrt drehte sich halb herum und gab zurück: »Nicht mit Waffen, da hast du recht.« Er winkte nach hinten. Die Krejodin, die aus dem Gleiter ausgestiegen war, ging langsam und starr auf ihn zu. Die erste Reihe der schweigenden Klanangehörigen erreichte den Platz und ging drohend weiter. Cembergall-Flyrt schrie: »Was wollt ihr?« Einer der langen, hageren Männer hob das Visier des Helmes. Es war der breite Klynn. Er stieß hervor: »Wir zahlen es der Marktsumme heim.« Seine Worten waren laut und deutlich und hallten über den Platz. Die Mitglieder der Marktsumme drängten sich enger zusammen. Außer dem Tamater und den zwei Noots waren keine anderen Objektiven auf dem Platz. Die Händler der nächstgelegenen Geschäfte zogen sich zurück und schlossen die rasselnden Läden. »Was zahlt ihr den Verwaltern des Marktes heim? Den Umstand, daß sie den Angriff auf die Stapelpaläste haben scheitern lassen?« schrie der Objektive so laut er konnte. Der Einwand beeindruckte die Klanangehörigen nicht. Etwa fünfzig von ihnen standen in einer Art Halbkreis vor den Stufen am Rand des Platzes. Mit ausgebreiteten Armen befand sich noch immer Cembergall-Flyrt vor ihnen. »Sie? Das Schiff hat eingegriffen!« rief ein Mann aus der Reihe der Angreifer. »Und wer hat die Organschiffer verstän-
43 digt, nach eurer Meinung?« gab der Objektive zurück. »Gryta, her zu mir.« Die durstige Gryta stellte sich zwischen die Noots und musterte den wild aussehenden Haufen der Krejoden. Nach einigen Sekunden sagte sie mit überraschend klarer Stimme: »Ich bin die durstige Gryta. Wenn überhaupt jemand an dem Gemetzel und an den folgenden Unruhen die Schuld hat, dann bin ich es.« Die Eröffnung war sogar für den Objektiven überraschend. Sie hatte zur Folge, daß die meisten Krejoden die Waffen senkten. Andere, die noch auf den Treppenstufen standen, schoben und drängten, um auf den Platz zu kommen. »Wie kannst du die Schuld daran haben?« erkundigte sich ein anderer Mann. Es war der Klanführer Talt der Glühenden. »Weil mindestens eine Marmorkugel mit dem Widerschein der Freiheit aus unseren Marmorbrüchen stammt!« Ein Schweigen der Verwunderung breitete sich aus. Sogar die Bauarbeiter hoben erschrocken die Arme. »Das ist nicht wahr! Niemand hat solche Kugeln hergestellt!« Die durstige Gryta schob die Noots ein wenig zur Seite und trat vor. Sie erklärte fest und deutlich: »Der laute Quahrt, ein blinder Krejode, der seit den Tagen meines Großvaters in unserem Marmorberg lebte, stellte solche Kugeln her. Als die verwirrten Händler eindrangen, flüchtete ich zu ihm. Er gab mir die Kugel und zeigte mir den Weg ins Tal. Der Noot Cembergall-Flyrt hat mich gerettet, die Kugel ging von mir an die Marktsumme und von dort ins Organschiff. Ich selbst bin Krejodin aus einem der ältesten Klans. Vermutlich bin ich die einzige Überlebende meiner Sippe. Ich werde nicht lügen. Das ist die Wahrheit!« »Während die HORIET eure Stapelpaläste und Marmorbrüche schützte, war ich an Bord. Die große Plejade – so nennen wir die Marmorkugel – wird den Widerschein der
44 Freiheit überall in weitem Umkreis durch das Marantroner-Revier tragen!« rief der Noot, kaum daß die durstige Gryta geendet hatte. Drohend richtete der breite Klynn ein Feuerrohr auf den Objektiven. »Ist das wahr?« »Habt ihr nicht die Worte der Organschiffer gehört? Sie waren laut genug. Ich bin der Berater des Neffen auf Xudon. Und ich verspreche euch, daß ich ihm von eurem Versuch berichte. Dann kommt die HORIET oder ein anderes, größeres Schiff und verwandelt eure Marmorberge in glutflüssige Vulkane!« Tausend Augen oder Sehorgane aller Art betrachteten die Szene. Die Händler, zufällig anwesende Käufer und Diener hatten sich zurückgezogen und starrten unbehaglich hinter Jalousien und Verkleidungen auf den Platz hinunter. Jede kämpferische Auseinandersetzung war für den Handel schädlich. Ganz besonders in den ersten Stunden eines Tages, an dem sich der Markt schrittweise zu erholen begann. Die Sonne strahlte heiß herunter. Das Schweigen wurde lastend; unruhig bewegten sich die Mitglieder der Marktsumme und die Bewaffneten aus den bleichen Marmorbergen. Noch immer stand Cembergall-Flyrt mit ausgebreiteten Armen schützend zwischen Marktsumme und Krejoden. Schließlich murmelte einer der Krejoden: »Ich kenne den lauten Quahrt. Er war ein Meister seines Faches.« »Er starb, weil er einen Marmorbruch über sich zum Einsturz brachte«, sagte die siebzehnjährige Krejodin. »Deine Eltern wußten nichts von der großen Plejade und ähnlichen Kugeln?« fragte der breite Klynn unsicher. »Nein. Sie hätten es unterbunden, weil sie um ihr Leben ebenso viel Angst hatten wie ihr Nachbarn.« Der Objektive schrie dazwischen: »Steckt die Waffen weg, klappt die Visiere hoch und verhaltet euch wie vernünftige Mitglieder des offenen Marktes. Die Marktsumme ist nicht beliebt, das weiß selbst sie. Aber sie
Hans Kneifel hat keinen Befehl gegeben, euch zu vernichten!« Er wußte genau, daß das Gegenteil richtig war. Aber der Mord an den Marktsummenmitgliedern würde den Markt in Anarchie stürzen. Irgend jemand würde sich dafür rächen müssen und abermals die Krejoden angreifen. So nahmen die Kämpfe und Zwischenfälle niemals ein Ende. Das einzige, das ihnen allen jetzt helfen konnte, war Ruhe. Nur in diesem Schutz konnte vorsichtig die Freiheit wachsen. Der erste Schuß eines der Krejoden machte alles zunichte. »Du bist der Vertraute. Dein Wort?« »Bei meinem Wort«, sagte der Noot feierlich. »Und ich werde tagein, tagaus kontrollieren, daß es so bleibt.« Er wunderte sich noch immer über seine Reaktion und seinen Erfolg. Noch vor drei Tagen hätte man ihn zur Seite geschoben und nicht weiter beachtet. Aufmerksam blickte er die Reihen der Krejoden entlang. Hoffentlich machte niemand eine unvorsichtige Bewegung oder hantierte gedankenlos mit der Waffe. »Und wer garantiert, daß deine Kontrolle Erfolg hat, Objektiver? Bisher waren die Objektiven mit Erfolgen dieser Art nicht reich gesegnet.« »Chirmor Flog hat die Garantie übernommen. Was ich berichte, gilt. Sterbe ich infolge Gewalt, erscheint das nächste Organschiff. So einfach ist das, Krejode. Du kannst mir dankbar sein, daß ich dich und deinen Klan davor bewahrt habe, zu Mördern zu werden. Mord ist im Gesetz des Dunklen Oheims verboten.« Der breite Klynn schrie knarrend: »Dann können wir Krejoden also in Frieden leben? Brauchen wir nicht mehr zu fürchten, daß man uns wegen Vorgängen angreift, die uns nicht angelastet werden können?« »So lange ich kontrolliere, gilt mein Wort«, erklärte Cembergall-Flyrt mit Bestimmtheit. »Dann, Nachbar, sollten wir abziehen und uns an die Arbeit machen. Es gibt viel auf-
Rätsel der Schwarzen Galaxis zuräumen.« »Einverstanden, Nachbar!« Die Klanführer gaben ihren Bewaffneten Befehle und winkten sie zurück. Die starke Gruppe stapfte klirrend und rasselnd die Stufen wieder hinunter und stieg in die warten den Transportmaschinen. Der Objektive blickte ihnen schweigend nach und fühlte, wie sein Rauchhorn vibrierte. Er wandte sich an die durstige Gryta und meinte halblaut: »Danke, Gryta. Deine Worte haben den Ausschlag gegeben. Die Kämpfe wären wieder ausgebrochen. Diesmal hätte die Ernüchterung nach der Erschöpfung nicht gereicht, um ein gräßliches Morden zu unterbinden.« Conmat-Port erklärte brummig: »Du scheinst im Schiff milde, verzeihend und edel geworden zu sein. Ausgerechnet den Verein, der dir mit Absicht am übelsten mitgespielt hat, hast du eben gerettet. Ich kann das gutheißen, aber nicht verstehen, Cember!« »Wir haben keine bessere Marktsumme, aber wir haben sie eben. Solange es sie gibt, ist sie die Autorität. Verändere sie, und ich werde die Veränderung verteidigen. Ich weiß besser als du, welche Betrüger und Lumpen es sind.« »Gut. Ich dachte schon, dir wäre die Kritikfähigkeit abhanden gekommen.« »Keine Sorge, Partner. Und – unter den Objektiven brauche ich auch Freunde. Es wird sich einiges ändern.« Sie hatten leise gesprochen. Sie gingen auf die Mitglieder der Regierung zu. Die schweigenden Männer waren noch immer im Bann der Furcht. Cembergall-Flyrt deutete eine Ehrenbezeigung an und meinte: »Ich habe eure Macht nicht gebrochen. Jetzt haben wir auch euer Leben gerettet. Ich werde dafür sorgen, daß als Gegenleistung Korruption und Schwindel und Bestechung aufhören. Einverstanden?« Sie hätten ihm alles versprochen, aber er verlangte nur noch eine schnelle Renovierung seines Büros und eine Unterstützung der Ärzte. Dann griff er nach dem Arm der
45 durstigen Gryta. »Ich habe dir versprochen, mich um den Rest deines Besitzes zu kümmern. Die Organschiffer haben mehrere Dutzend schweigsamer, ungeheuer fleißiger Bedienungsmannschaften hier abgesetzt. Ich bin sicher, es sind die richtigen Arbeiter, um dir beim Wiederaufbau deiner Stapelpaläste zu helfen.« »Ich komme mit.« Sie nahmen den Gleiter, mit dem ConmatPort sie hatte holen lassen. Mit dem anderen Noot besprach Cembergall-Flyrt die Einzelheiten: die kleinen Grauen, die Atlan »Humanoiden« genannt hatte, sollten mit Vorräten und Ausrüstungen zum Stapelpalast der Durstigen gebracht werden. Der dicke Noot grinste und erkundigte sich: »Über welches Konto soll verrechnet werden, Herrscher von Xudon und DanjitterMarkt?« »Die Marktsumme zahlt's, Partner. Und bezeichne mich niemals wieder so, denn ich bin nur ein kleiner Objektiver, der ebenfalls bestraft wird, wenn Chirmor Flog es für angebracht hält, zu strafen.« »Geht in Ordnung, Objektiver Cembergall-Flyrt!« sagte der Noot.
* Bevor der Gleiter durch das rauchgeschwärzte, zertrümmerte und aus den Angeln gehobene Hauptportal des größten Stapelpalastes schwebte, hielt der Objektive das Fahrzeug an und blickte blinzelnd in den Himmel. »Wohin schaust du? Woran denkst du?« wollte die durstige Gryta wissen. Er sagte: »Ich denke an die Organschiffer der HORIET, die jetzt zu einem anderen Ziel unterwegs sind. Ich beneide sie nicht um ihre Aufgabe. Sie müssen gehorchen und Dinge tun, die ihnen fremd sind. Ich wünsche ihnen viel Glück und einen problemlosen Flug. Und ich wünsche uns, daß niemals
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Hans Kneifel
wieder ein Organschiff über Xudon erscheint.« Er dachte: Ich hoffe, Atlan, Thalia und ihre dreißig fremden Männer werden mit der großen Plejade nach und nach eine Revolution in Gang bringen, die den Neffen und den Oheim hinwegfegt und die Freiheit in das Marantroner-Revier bringt. Wir alle würden besser schlafen und fröhlicher sein, wenn wir wüßten, daß sie Erfolg haben. Ich wünsche ihnen sehr viel Erfolg. Und ich hoffe, sie kommen bald wieder nach Xudon und helfen mir, auch hier die Freiheit einzuführen. Der Gleiter schwebte weiter hinein. Sie sahen sich um. Eine breite Gasse der blind-
wütigen Zerstörung zog sich durch die Hallen und über die Rampen. Cembergall-Flyrt sah die durstige Gryta lange an und sagte: »Es wird niemals wieder so sein wie zuvor. Aber eines Tages werden aus deinen Werkstätten die schönsten Marmorkunstwerke hervorgehen, die man je gesehen hat.« »Aber niemals wieder Kugeln mit dem Widerschein der Freiheit!« sagte sie und lächelte. Wer weiß? dachte der Objektive. Vielleicht doch?
ENDE