Anne Alexander
Ruf aus einem fremden Land Irrlicht Band 315
Phyllis wollte bereits ihre Hand nach der Kleinen ausstr...
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Anne Alexander
Ruf aus einem fremden Land Irrlicht Band 315
Phyllis wollte bereits ihre Hand nach der Kleinen ausstrecken, als sie mitten in der Bewegung erstarrte. Etwas Rundes, Dunkles, das sie nicht erkennen konnte, lag auf Darias Bett. Plötzlich nahm sie eine schwache Bewegung wahr. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Vorsichtig wich Phyllis von Darias Bett zurück, bis sie den Lichtschalter an der Tür erreichte. In Gedanken betete sie, daß die Kleine vom plötzlichen Lichtschein nicht aufwachte. Eine falsche Bewegung, und Daria würde sterben. Sie hielt den Atem an, als sie den Lichtschalter hinunterdrückte. Die Deckenlampe flammte auf und bewies der jungen Frau, daß sie nicht von einer Halluzination genarrt worden war, sondern sich auf Darias Bett tatsächlich eine Sandviper ringelte. Daria schlief noch immer. Die junge Frau schlich zum Bett zurück. Die Schlange hob den Kopf. Ihre kleinen Augen verfolgten jede Bewegung. Noch schien sie sich nicht angegriffen zu fühlen. Aber die Sandviper beobachtete sie weiter. Sie richtete sich auf. Ihre Zunge schnellte blitzschnell vor und zurück. Phyllis wußte, daß ihr nicht mehr viel Zeit blieb…
Da waren hohe, aus einzelnen Elementen zusammengesetzte Säulen, die Nischen für Götterstatuen bildeten, ein aus zersprungenen Steinplatten zusammengesetzter Boden und etwas Großes, Dunkles, das über allem lag. Von Ferne erklang Musik. Eine Prozession aus schlanken, jungen Männern näherte sich dem Tempel Sie trugen Sandalen, knielange, gefältelte Röcke und goldenen, mit Edelsteinen besetzten Schmuck um Brust und Arme. Ein Mädchen in einem weißen, ebenfalls gefältelten Kleid ging ihnen entgegen. In den Händen hielt es ein purpurfarbenes Kissen, auf dem eine goldene Statue der Isis ruhte. »Hilf uns!« Phyllis Everson drehte sich zur anderen Seite. Sie war am Abend erst kurz vor Mitternacht zu Bett gegangen und hatte dann noch lange in dem neuen Ausstellungs-Katalog geblättert, den das Museum, in dem sie als Assistentin des Direktors arbeitete, vor kurzem herausgegeben hatte. Sie wußte, daß sie träumte. Es konnte auch nicht anders sein. »Hilf uns!« Eine winzige, fast durchsichtige, unbeholfene Hand streckte sich ihr aus dem Dunkel, das über dem Tempel lastete, entgegen. »Du bist die einzige, die uns retten kann. Komm zu uns.« Der jungen Frau wurde bewußt, daß die Stimme, die sie um Hilfe anflehte, fast überirdisch klang. »Wer bist du?« fragte sie im Schlaf. »Daria«, erwiderte die Stimme. »Wir brauchen dich. Ich habe Angst.« »Daria«, wiederholte Phyllis und war plötzlich hellwach. Sie schaltete die Nachttischlampe ein. Ihr Blick glitt zur Uhr. Es war kurz vor zwei. Die junge Frau strich sich mit beiden Händen ihre dunkelblonden Haare zurück. Wie kann man nur so etwas
Verrücktes träumen? dachte sie. Die geheimnisvolle Musik, die die Prozession begleitet hatte, klang noch in ihr nach. Es war einwandfrei ein ägyptischer Tempel gewesen. Vermutlich hing ihr Traum mit der neuen ägyptischen Abteilung des Museums zusammen. Was sie beunruhigte, war diese Stimme, die sie um Hilfe angefleht hatte. Es schien ein wirklicher Hilferuf gewesen zu sein. Und dann dieser Name! Phyllis stand auf und ging barfuß in die Küche. Sie öffnete den Kühlschrank. Zwar war es nicht gesund, eiskalte Milch zu trinken, doch ihr hatte es bis jetzt noch nie etwas ausgemacht. Mit dem Glas in der Hand kehrte die junge Frau ins Schlafzimmer zurück. Sie war versucht auf Searose, dem Besitz ihrer Schwester in Cornwall, anzurufen, hatte jedoch Angst, sich lächerlich zu machen. Daphne wäre wirklich die Letzte, die dich um Hilfe anflehen würde, sagte sie sich und ging wieder zu Bett. Aber es war ja auch nicht Daphne gewesen, die sie um Hilfe gebeten hatte, sondern ein Mädchen namens Daria. Die junge Frau zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie schloß die Augen und rief sich ihren letzten Urlaub ins Gedächtnis zurück. Sie war in Griechenland gewesen und hatte das Dorf aufgesucht, in dem ihre Großeltern geboren worden waren. Während sie langsam durch einen Pinienhain schlenderte, schlief sie wieder ein. »Wenn man wie wir täglich mit Altertümern zu tun hat, ist es nur verständlich, hin und wieder von ägyptischen Tempeln zu träumen«, meinte Peter Osborn, als ihm Phyllis am nächsten Morgen von ihrem Traum erzählte. Er wohnte in ihrer Nähe. Gewöhnlich fuhren sie gemeinsam zur Arbeit. »Und trotzdem bin ich beunruhigt«, gestand die junge Frau. »Wie komme ich plötzlich auf den Namen Daria? Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gehört.«
»Er dürfte nur selten bei uns in England vorkommen«, gab ihr Kollege zu. »Phyllis und Daphne sind allerdings auch nicht so geläufig.« »Meine Mutter war Griechin«, sagte Phyllis. »Ihre Eltern schickten sie während des Krieges zu Verwandten nach England. Nach der Schule nahm sie eine Stelle bei den Forbes auf Searose in Cornwall an. George Forbes, damals schon über dreißig, verliebte sich in meine Mutter. Sie heirateten gegen den Widerstand seiner Familie. Keine zwei Jahre später kam Daphne zur Welt. Und kurz darauf verunglückte George beim Polo so schwer, daß er an den Folgen im Winter darauf starb. Damals lebten seine Eltern schon nicht mehr. Meine Mutter blieb sieben Jahre Witwe, dann heiratete sie meinen Vater. Ich bin elf Jahre jünger als meine Halbschwester.« »Ihr seid nicht gut miteinander ausgekommen, nicht wahr?« Peter Osborn warf ihr einen kurzen Blick zu. »Streite es nicht ab, Phyllis, ich hatte längst den Eindruck, daß deine Kindheit alles andere als leicht gewesen ist.« Phyllis wußte, daß ihr Kollege sehr viel für sie übrig hatte. Manchmal gingen sie miteinander ins Kino oder mittags zum Essen, aber zu mehr hatte sie es niemals kommen lassen. Sie mochte Peter, schätzte ihn als Kollegen, liebte ihn jedoch nicht. »Es war meine Schuld«, gestand sie, als sie vor einer Ampel in der Nähe des Hydeparks hielten. Sie seufzte ganz leise auf. »George Forbes hatte Searose und fast sein gesamtes Vermögen Daphne hinterlassen. Meiner Mutter hatte er nur das Wohnrecht auf Searose und einen festen monatlichen Betrag zugesprochen, der es ihr erlaubte, standesgerecht zu leben. Mein Vater war auch nicht gerade mit Reichtümern gesegnet. Nur meiner Mutter zuliebe war er einverstanden, auf Searose zu leben, doch er fühlte sich dort nie sehr wohl, zumal Daphne
ihn spüren ließ, wem er die Annehmlichkeiten seines Lebens zu verdanken hatte. An Daphnes fünfzehntem Geburtstag, ich war damals vier, fuhr meine Mutter mit uns nach Bodmin. Meine Schwester und ich, wir saßen auf dem Rücksitz. Daphne sagte etwas Abfälliges über meinen Vater. Mutter wies sie zurecht. Sie stritten sich. Ich ergriff die Partei meiner Mutter, obwohl ich gar nicht so recht wußte, worum es ging, und schlug auf Daphne ein. Meine Mutter befahl uns, Ruhe zu geben, doch ich holte noch einmal aus und stieß mit dem Fuß heftig gegen das Schienbein meiner Schwester. Daphne schrie auf. Mutter blickte sich um und verlor die Gewalt über den Wagen. Wir rasten eine Böschung hinunter. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Krankenhaus. Ich hatte nur eine Gehirnerschütterung davongetragen, doch Daphne war mit dem Gesicht gegen das splitternde Fenster geschlagen. Noch heute zieht sich quer über ihre linke Wange eine Narbe.« »Sie hat dir nie verziehen?« »Nie«, bestätigte Phyllis. »Und ich kann es sogar verstehen. Immerhin verdankt sie diese Narbe mir. Ich weiß, daß Daphne mich haßt. Es verging kaum ein Tag, an dem sie mich nicht an diesen Unfall und meine Schuld erinnerte. Als meine Eltern bei einem Schiffsunglück ums Leben kamen, ich war damals gerade achtzehn, legte meine Schwester mir nahe, ihren Besitz zu verlassen. Ich zog nach London und versuchte, hier Fuß zu fassen. Seitdem habe ich Daphne nicht wiedergesehen. Wir telefonieren auch nicht miteinander, nicht einmal zu den Geburtstagen oder zu Neujahr.« »Und was empfindest du für deine Schwester?« fragte Peter Osborn. »Schließlich hat sie dir deine Kindheit verdorben.« »Ich sehe das überhaupt nicht so, Peter«, erwiderte die junge Frau. »Daphne war vor dem Unfall ein bildhübsches Mädchen. Die Narbe entstellt sie furchtbar. Natürlich gab es Männer, die
sich um sie bemühten, aber über kurz oder lang stellte sich dann doch stets wieder heraus, daß sie nur ihr Geld meinten.« Phyllis blickte auf die Straße hinaus. »Ich liebe Daphne. Als Kind habe ich immer auf eine Fee gehofft, die mir einen Wunsch freistellen würde. Ich wollte sie bitten, Daphnes Narbe unsichtbar zu machen.« »Lebt deine Schwester ganz allein auf Searose, ich meine, abgesehen vom Personal?« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat vor fünf Jahren geheiratet. Ich habe damals aus der Zeitung davon erfahren. William Grady, ein Mann, der zehn Jahre älter als sie ist. Seine erste Frau soll an einer Herzkrankheit gestorben sein.« »William Grady«, wiederholte Peter Osborn. »Etwa Doktor William Grady, der Archäologe?« »Ja, genau der«, bestätigte Phyllis. »Soweit ich weiß, arbeitet er gerade an einem Buch über die Etrusker. Doktor Grady hielt vor fünf Monaten einen Vortrag im Cambridge House. In der ›Zeitungsnotice‹ wurde dieses Buch erwähnt.« »So, da wären wir.« Peter Osborn fuhr in die Tiefgarage des Museums. »Wir könnten heute mittag zusammen essen«, schlug er vor. »Oder hast du schon eine Verabredung, Phyllis?« »Nein, treffen wir uns um halb zwei unten in der Halle«, erwiderte sie. »Ich werde pünktlich sein.« Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Danke fürs Zuhören, Peter.« »Ich bin jederzeit für dich da«, sagte er herzlich und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Phyllis!« Aus dem Dunkel streckte sich eine winzige Hand. »Phyllis, wir brauchen dich. Du mußt uns helfen.« Die junge Frau wollte im Traum nach der Hand greifen.
Fast berührte sie schon die winzigen Fingerchen, doch es war ihr unmöglich, sie zu erfassen. »Komm«, sagte sie. »Komm, ich helfe dir, Daria.« »Nicht nur mir«, antwortete die Stimme. »Wir…« Phyllis erwachte. Mit geschlossenen Augen versuchte sie, sich jede Einzelheit des Traumes ins Gedächtnis zurückzurufen. Zuerst hatte sie wieder diesen Tempel gesehen und auch Musik gehört. Wie in der Nacht zuvor hatte sie das Bedrohende gespürt, das über dem Tempel lag. Und dann hatte Daria sie erneut um Hilfe angefleht. Was hatte das Kind, und es schien sich um ein Kind zu handeln, mit dem Tempel zu tun? Und warum sollte ausgerechnet sie helfen? Die junge Frau schaltete die Nachttischlampe ein. Sie dachte jetzt an die große Puppe, die ihre Schwester ganz wie ihren Augapfel gehütet hatte. Daria hatte Daphne sie genannt. Phyllis stand auf. Sie fühlte, daß ihrer Schwester eine Gefahr drohte. Auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, daß Daphne sie jemals um Hilfe bitten würde, sie mußte sich Gewißheit verschaffen. Entschlossen ging sie ins Wohnzimmer und wählte die Nummer von Searose. Der Butler meldete sich. Seine Stimme klang reichlich verschlafen. Phyllis wunderte sich nicht darüber, nachdem sie sich vorgestellt hatte. Immerhin war es lange nach Mitternacht. »Miß Everson?« fragte er zweifelnd. »Ist etwas passiert?« »Verzeihen Sie die Störung, Mister Raike«, bat Phyllis betreten. »Könnte ich mit meiner Schwester sprechen?« »Tut mir leid, Miß Everson. Mistreß Grady und ihr Gatte sind schon seit Monaten in Ägypten«, erwiderte James Raike. »Mister Grady leitet die Ausgrabungen bei Carbuka, einer kleinen Stadt zwischen Kairo und Assiut.« »Wann haben Sie zuletzt von meiner Schwester gehört, Mister Raike?«
»Vor vier Tagen«, sagte der Butler. »Mister Grady rief an und bat mich, etwas für ihn zu erledigen. Er ließ mir von Ihrer Schwester viele Grüße ausrichten.« Also schien es Daphne gutzugehen. »Gibt es irgend etwas, was Sie mir sagen müßten, Mister Raike?« fragte Phyllis dennoch. »Es ist keine Neugierde. Ich mache mir Sorgen um meine Schwester.« James Raike zögerte. Er hüstelte. »Ich weiß nicht, ob ich berechtigt bin, mit Ihnen darüber zu sprechen, Miß Everson, aber schließlich handelt es sich bei Mistreß Grady um Ihre Schwester, auch wenn Mister Forbes nicht Ihr Vater war. Wir…« Die junge Frau seufzte in Gedanken auf. So umständlich konnte sich nur James Raike ausdrücken. »Was ist mit Daphne?« unterbrach sie ihn ungeduldig. »Ist sie krank?« »Nein, Ihre Schwester ist nicht krank, Miß Everson, aber Sie ist guter Hoffnung. Eigentlich hatten wir alle erwartet, daß Mister Grady noch vor der Geburt des Kindes mit seiner Gattin nach England zurückkehren würde. Wie es aussieht, ist das nicht der Fall. Mistreß Grady wird ihr Kind in Ägypten zur Welt bringen.« »In Ägypten?« wiederholte Phyllis erschrocken. »Mister Grady versicherte mir, daß ihnen in Carbuka ein guter Arzt zur Verfügung stehen würde.« »Ich bin froh, daß Sie mit mir darüber gesprochen haben, Mister Raike«, erwiderte Phyllis. »Danke.« »Werden Sie sich um Ihre Schwester kümmern, Miß Everson?« fragte der Butler. Phyllis merkte seiner Stimme an, wie wichtig es ihm war. »Wir haben stets bedauert, daß Sie seit Jahren nicht mehr auf Searose gewesen sind.« »Sie wissen, welche Umstände dazu geführt haben, Mister Raike«, sagte Phyllis. »Aber seien Sie beruhigt. Ich werde
mich um meine Schwester kümmern.« Sie wünschte ihm eine gute Nacht und legte auf. Daphne erwartete also ein Kind. Phyllis konnte es kaum fassen. Sie freute sich für ihre Schwester, verstand jedoch nicht, weshalb Daphne ihr Kind ausgerechnet in Ägypten zur Welt bringen wollte. Die junge Frau dachte wieder an ihren Traum, an die winzige Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Daphne brauchte Hilfe, da war sie sich jetzt ganz sicher. Sie trat an den Bücherschrank und griff nach dem Atlas, um herauszufinden, wie weit Carbuka von Kairo entfernt lag. »Wenn Sie möchten, können Sie am Fenster sitzen«, meinte Dr. Ralph Milford, als Phyllis Everson neben ihm Platz nehmen wollte. »Ich bin während der letzten Monate so oft geflogen, daß ich mich auch mit einem Platz neben dem Gang begnüge.« »Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann«, erwiderte die junge Frau. »Immerhin werden Sie extra nach einem Fensterplatz gefragt haben.« »Natürlich können Sie es annehmen.« Dr. Milford stand auf und trat auf den Gang hinaus. Da die meisten Passagiere des Fluges London-Kairo bereits ihre Plätze gefunden hatten, war das nicht weiter schwierig. »Danke.« Phyllis nahm Platz und schnallte sich an. »Ich sitze wirklich sehr gerne am Fenster«, bekannte sie. »Es ist phantastisch, wenn das Flugzeug über die Wolken gleitet. Es kommt mir dann immer vor, als würde man über weiche Wattebällchen fliegen.« »So habe ich es noch nicht gesehen«, meinte der junge Arzt und stellte sich vor. »Everson«, erwiderte Phyllis. Sie schätzte ihren Sitznachbarn auf etwa dreißig. Er hatte schwarze, leicht gewellte Haare und braune Augen. Auch wenn sie oft an ihrer Menschenkenntnis
zweifelte, war sie überzeugt, daß es sich bei Dr. Milford um einen sehr humorvollen Mann handelte. »Haben Sie auch einen Vornamen?« fragte Ralph. Die junge Frau gefiel ihm außerordentlich gut. »Phyllis.« Sie lächelte ihm zu. »Werden Sie Urlaub in Ägypten machen, Miß Everson?« »Stellen Sie immer so viele Fragen, Doktor Milford?« fragte Phyllis amüsiert. Ralph schnitt eine Grimasse. »Es ist schrecklich mit mir«, erklärte er. »Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, daß ich mich während der nächsten Stunden etwas zurückhalten werde. Mir liegt viel an Ihrer guten Meinung. Sie sollen nicht denken, ich sei neugierig.« »Wie sollte ich wohl auf diesen Gedanken kommen?« fragte die junge Frau und vertiefte sich in dem Heftchen über die Sicherheitsvorschriften, das für jeden Fluggast bereitlag. Es wurde ein überaus angenehmer Flug. Nicht nur das Wetter spielte mit, auch der Service und das Essen waren hervorragend, zudem erwies sich Dr. Milford als charmanter Reisegefährte. Er erzählte der jungen Frau von den beiden Reisen in die USA, die er während der letzten Monate unternommen hatte. »Als Arzt kann man gar nicht genug lernen«, meinte er. »Ich habe einige Zeit an der Mayo-Klinik in Rochester gearbeitet, aber auch in einem Hospital für Brandopfer in New York. Mein Onkel besitzt eine kleine Klinik in Carbuka. Ich werde ihm die nächsten Monate als Assistent zur Seite stehen.« »Carbuka?« Phyllis sah ihn überrascht an. »Ich will in die Nähe von Carbuka«, sagte sie. »Mein Schwager ist Archäologe und leitet ein Ausgrabungsobjekt in dieser Gegend. Meine Schwester hat ihn in die Wüste begleitet.«
»Na, das nenne ich Zufall.« Dr. Milford lachte. »Vielleicht finden wir noch mehr Gemeinsamkeiten. Sie sind nicht zufällig Ärztin?« Phyllis schüttelte den Kopf. »Pech gehabt, Doktor Milford. Ich arbeite im Mary-HallMuseum in London als persönliche Assistentin des Direktors.« »Sicher ein interessanter Beruf.« »Hochinteressant«, bestätigte die junge Frau und blickte aus dem Fenster. »Der Zeit nach müßten wir bald in Kairo sein.« »Noch eine halbe Stunde«, erwiderte Ralph. »Nach meiner Rückkehr aus Ägypten werde ich eine Stelle in der JamesKing-Klinik in Camelford antreten. Ich…« Phyllis konnte es kaum glauben. »Also die Welt ist wirklich klein«, staunte sie. »Ich bin in der Nähe von Camelford aufgewachsen. Der Besitz heißt Searose. Vielleicht haben Sie schon von ihm gehört.« Ralph Milford nickte. »Ja, Searose ist mir ein Begriff. Sind sie etwa mit den Forbes verwandt?« »Meine Schwester ist eine Forbes«, erwiderte Phyllis. »Meine Mutter war zweimal verheiratet.« Dr. Milford machte die junge Frau darauf aufmerksam, daß sie sich wieder anschnallen mußten. »Die erste Nacht in Ägypten werde ich im Kairo-Tower-Hotel verbringen«, sagte er und sah Phyllis an. »Sie haben nicht dort auch zufällig ein Zimmer gebucht?« »Doch, genauso ist es«, entgegnete sie lachend. Ralph ergriff spontan ihre Hand. »Meinen Sie nicht, daß wir bei so viel Gemeinsamkeiten einander auch mit den Vornamen anreden könnten?« Die junge Frau war zur Zurückhaltung erzogen worden, aber Ralph Milford gefiel ihr und sie hatte längst Vertrauen zu ihm gefaßt. »Warum eigentlich nicht?« fragte sie.
»Wunderbar.« Er wollte nach der Stewardeß klingeln, um Wein zu bestellen, als ihm einfiel, daß es dazu bereits zu spät war. In wenigen Minuten würden sie landen. »Stoßen wir heute abend im Hotel darauf an«, schlug er vor. Phyllis zögerte einen Augenblick. Sie fragte sich, auf was sie sich da einließ. Sie hatte diese Reise wirklich nur angetreten, um Daphne notfalls beistehen zu können. Für einen Flirt hatte sie keine Zeit. Andererseits konnte sie erst am nächsten Morgen zur Ausgrabungsstätte fahren. Dr. Milford würde sie von ihren Sorgen ablenken. »Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß«, drängte er. »Gut, einverstanden.« Sie lächelte ihm zu. »Aber ich habe vor, sehr zeitig schlafen zu gehen.« »Genau wie ich«, meinte der junge Arzt. »Passen wir gegenseitig auf uns auf. Das ist sicher sehr amüsant.« Vergnügt zwinkerte er ihr zu. Errötend blickte Phyllis aus dem Fenster. Sie gestand sich ein, daß sie sich auf das Zusammensein mit ihm freute. Vier Stunden später standen die jungen Leute auf der Panoramaterrasse des Kairo-Turms, dem hundertsiebenundachtzig Meter hohen Wahrzeichen der ägyptischen Metropole. Dr. Ralph Milford hatte sich während der letzten Wochen intensiv mit Ägypten beschäftigt, speziell mit Kairo, und erklärte seiner Begleiterin, was sie von hier aus sehen konnten. »Allein schon der Blick über die Stadt ist phantastisch«, meinte Phyllis. Sie schaute nach Osten zu den gelbroten Höhen der Mokattam-Berge, vor denen sich das Häuser- und Moscheengewirr von Alt-Kairo mit seinen Bazargassen erstreckte. »Wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir gemeinsam Kairo erobern«, sagte Ralph bedauernd.
»Irgendwann werde ich wiederkommen und mir alles anschauen«, meinte die junge Frau. »Ich frage mich, warum ich nicht schon längst einmal nach Ägypten geflogen bin. Die Zeit der Pharaonen hat mich schon immer interessiert. Ich hätte große Lust, in die Pyramiden hinabzusteigen.« Sie wandte sich nach Süden, wo sich gegenüber des Heluan-Stahlwerkes die Stufenpyramide von Sakkara erhob. »Dort ist Gizeh.« Dr. Milford wandte sich mit Phyllis nach Westen. Deutlich waren die Silhouetten der drei Pyramiden zu erkennen. Hinter ihnen dehnte sich die libysche Wüste aus. »Danke, daß Sie mich überredet haben, heute abend noch etwas die Stadt anzusehen«, sagte Phyllis. Sie hatte nicht vorgehabt, noch viel zu unternehmen. Wie sie sich kannte, hätte sie sich das Abendessen aufs Zimmer bringen lassen und wäre bald zu Bett gegangen. Schweigend legte er den Arm um ihre Schultern. Die junge Frau wehrte sich nicht dagegen. Obwohl sie Dr. Milford erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatte, spürte sie ein fast grenzenloses Vertrauen zu ihm. »Wie lange werden Sie in Ägypten bleiben, Phyllis?« fragte Ralph, als sie eine Stunde später in einem kleinen Restaurant nahe der Zitadelle beim Abendessen saßen. »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte sie und legte ihr Besteck beiseite. »Ich habe mir erst einmal zwei Wochen Urlaub geben lassen.« Phyllis blickte über die Terrasse auf die geschäftige Straße hinunter. Sie gestand sich ein, daß sie Angst vor dem hatte, was sie womöglich auf der Ausgrabungsstätte erwartete. »Sieht aus, als wäre es auch bei Ihnen keine reine Vergnügungsreise«, bemerkte Ralph. »Sie machen sich wegen irgend etwas Sorgen, oder irre ich mich?« Er blickte ihr ins Gesicht. »Ich habe es schon während des Fluges gespürt.«
»Klingt, als seien Sie auch noch Psychiater«, scherzte Phyllis, wenngleich ihr nicht nach Scherzen zumute war. »Sagen wir, ich habe ein sehr feines Gespür für die Sorgen meiner Mitmenschen«, erwiderte er. »Das kommt mir bei meinem Beruf immer wieder zugute.« Phyllis nippte an ihrem Wein. »Ich mache mir wirklich Sorgen«, gestand sie und dann erzählte sie ihm von ihrer Schwester und der gestörten Beziehung, die sie zueinander hatten. »Meinen Schwager habe ich noch nie kennengelernt. Daß er überhaupt existiert, habe ich nur aus der Zeitung erfahren.« »Dann ahnen Ihre Schwester und Doktor Grady nicht, daß Sie auf dem Weg zu ihnen sind?« Phyllis nickte. »Es ist eine ganz seltsame Geschichte«, sagte sie. »Vor einigen Nächten träumte ich von einem ägyptischen Tempel. Ich spürte, daß etwas Dunkles über ihm lag. Ich sah eine Prozession, die sich auf den Tempel zubewegte, und dann hörte ich plötzlich eine Stimme, die mich um Hilfe bat. Eine winzige Hand streckte sich mir entgegen.« »Und daraus leiten Sie ab, daß sich Ihre Schwester in Gefahr befindet?« fragte Ralph. Noch immer blickte er die junge Frau an. »Vermutlich fragen Sie sich jetzt, ob ich noch meinen Verstand beisammen habe«, meinte Phyllis. Er schüttelte den Kopf. »Keineswegs«, versicherte er. »Ich gebe sehr viel auf Ahnungen.« Er nahm ihre Hand. »Erzählen Sie weiter, Phyllis.« Die junge Frau berichtete ihm auch noch den Rest der Geschichte. Sie spürte, daß Ralph ihr glaubte, das machte ihr Mut. »Vielleicht droht weniger meiner Schwester als dem Kind eine Gefahr«, fügte sie hinzu. »Ich verstehe meine Schwester nicht. Warum kehrt sie zur Geburt ihres Kindes nicht nach England zurück.«
»Es wird sicher einen guten Grund dafür geben«, meinte Dr. Milford. »Auf jeden Fall sollte sie die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft nicht auf einer Ausgrabungsstätte verbringen.« »Mein Schwager versicherte dem Butler, daß Daphne einen guten Arzt hätte«, sagte Phyllis. »Vielleicht hat er damit sogar Ihren Onkel gemeint.« »Außer meinem Onkel gibt es noch einige einheimische Ärzte in Carbuka«, erwiderte Ralph. Er drückte ihre Hand. »Ich finde es fabelhaft, daß Sie extra nach Ägypten geflogen sind, um Ihrer Schwester beizustehen, obwohl Sie nicht wissen können, wie man Sie empfangen wird.« »Ehrlich, das ist meine kleinste Sorge«, erwiderte Phyllis. »Wenn mich meine Schwester nicht bei sich haben will, wird mich ihr Mann sicher nach Kairo zurückbringen lassen.« »Wie wollen Sie zur Ausgrabungsstätte kommen?« »Ich dachte an ein Taxi.« »Ich habe einen besseren Vorschlag«, sagte Ralph. »Mich erwartet morgen vor dem Hotel ein Jeep. Ich habe ihn bereits von England aus gemietet. Ich werde Sie zur Ausgrabungsstätte bringen und dann später nach Carbuka weiterfahren. Es wäre kein großer Umweg für mich. Fragt sich nur, ob Sie mit mir mitfahren wollen.« »Sehr gerne sogar«, erwiderte Phyllis spontan. »Falls es nötig ist und Ihre Schwester damit einverstanden, könnte ich sie auch untersuchen«, meinte der Arzt. »Ich bin auch in Geburtshilfe ausgebildet.« »Danke, Ralph.« Phyllis fühlte sich plötzlich um einiges leichter. Sie war ihrem Schicksal überaus dankbar, daß es sie mit Dr. Milford zusammengeführt hatte. Sie glaubte, nie zuvor einen Mann kennengelernt zu haben, der ihr auf Anhieb so sympathisch gewesen war. »Noch ein Glas Wein?« fragte Ralph.
»Nur einen kleinen Schluck«, erwiderte sie. »Vergessen Sie nicht, wir haben morgen einiges vor.« »Und ich freue mich darauf.« Ralph schenkte nach. »Auf ein gutes Gelingen«, sagte er und stieß mit ihr an. Sie brachen gleich nach dem Frühstück auf und verließen Kairo auf der Straße nach Assiut. Die Straße durch die Wüste folgte der Eisenbahnlinie. Ab und zu konnten sie einen Blick auf den Nil werfen, der sich rechts der Schienen entlangschlängelte. Immer wieder erblickten sie Pyramiden, und nicht nur Phyllis wünschte sich, etwas mehr Zeit zu haben, um wenigstens ein oder zwei besuchen zu können. »Ich hätte nicht gedacht, daß wir so gut vorwärtskommen«, sagte Dr. Milford, als sie Beba el-Kobra erreichten. »Ich hatte mir die Straßenverhältnisse bedeutend schlechter vorgestellt.« »Man soll den Morgen nicht vor dem Abend loben«, meinte Phyllis und machte ihn darauf aufmerksam, daß sie bis jetzt nur eine gutausgebaute Hauptstraße benutzt hatten. »Warten Sie, bis wir diese Straße verlassen müssen. Carbuka liegt mitten in der Wüste.« »Wer wird denn so schwarzsehen.« Ihr Begleiter lachte. Er hielt an, damit sie etwas trinken und sich die Füße vertreten konnten. Bereits einige Kilometer weiter mußte Ralph zugeben, daß Phyllis recht behalten hatte. Kurz hinter Beba el-Kobra waren sie in die Wüste abgebogen. Sein Jeep holperte und stolperte über eine mit Steinen übersäte Piste, die auf der Landkarte, großartig als Straße eingezeichnet war. »Aber die Landschaft ist großartig«, meinte Phyllis und wies auf die Wüstenberge, die sich stolz zum Himmel erhoben. Ihre Farben variierten zwischen hellgelb und dunkelbraun. Selten gab es auch ein verwaschenes Rot. Je nach dem Stand der Sonne, wurden die Täler in geheimnisvolle Schatten getaucht.
Bis auf wenige Agaven und Tamarisken hatte die Vegetation fast ganz aufgehört. Dafür begegneten ihnen immer wieder Kamele und Herden schwarzer Ziegen. Zweimal sahen sie auch Steinböcke und einmal sogar einen Luchs. »Bedeutungsvoller sind die kleineren Tiere«, scherzte Ralph. »Ich meine da Skorpione, Schlangen, Spinnen, giftige…« »Hören Sie auf!« Phyllis verzog das Gesicht. »Ich habe keine Lust, mit derartigen Tierchen Bekanntschaft zu schließen.« »Soweit ich weiß, hat Ihr Schwager sehr viel für Schlangen übrig«, sagte Ralph. »In einem Artikel, in dem über seine Arbeit berichtet wurde, habe ich gelesen, daß er einige wertvolle Giftschlangen besitzt.« Die junge Frau sah ihn ungläubig an. »Sie machen sich über mich lustig?« »Keineswegs, Phyllis«, widersprach der Arzt. »Ihr Schwager soll wirklich diesem Hobby frönen.« Die junge Frau zog fröstelnd die Schultern zusammen. »Arme Daphne. Ich kann mir nicht denken, daß meine Schwester gerne Searose mit Sandvipern und dergleichen teilt.« Es wurde Nachmittag, bis sie die Oase erreichten, in der Dr. Grady und sein Team ihr Quartier aufgeschlagen hatten. Phyllis hatte sich stets unter einer Oase etwas Großartiges vorgestellt, doch hier gab es nur einen winzigen See, der von mehreren Dattelpalmen umstanden wurde. Mehrere Meter vom See entfernt lagen die Ruinen eines Palastes, der früher einem Emir gehört hatte. In ihm hauste das Ausgrabungsteam. Die einheimischen Helfer hatten ihre Zelte zwischen den Palmen aufgeschlagen. Um diese Tageszeit wirkte das Lager wie ausgestorben. Nur ein paar Frauen und Kinder hatten sich am See niedergelassen. Ein abgemagerter Hund strich um ihre Beine. Neugierig
sprangen sie auf, als Dr. Milford seinen Jeep in der Nähe der Palastruine zum Stehen brachte. »Sieht nicht sehr einladend aus«, bemerkte er zu Phyllis, die sich bereits fragte, wie Daphne, die von klein auf den Luxus und Reichtum gewohnt war, hier leben konnte. Phyllis gab ihm keine Antwort. Sie stieg aus und ging der hochschwangeren Frau entgegen, die aus dem Haus kam. Sie war entsetzt über die Veränderung, die mit ihrer Schwester vor sich gegangen war. Wäre die Narbe nicht gewesen, die sich quer über Daphnes Wange zog, sie hätte ihre Schwester nicht wiedererkannt. Daphne war erst fünfunddreißig, wirkte jedoch um mindestens zehn Jahre älter. In ihren schwarzen Haaren zeigte sich ein erstes Weiß, ihre Haut wirkte trotz der Sonnenbräune fahl und in ihren Augen schien jegliches Leben erloschen zu sein. »Phyllis?« fragte Daphne Grady ungläubig. Dann glitt ein Strahlen über ihr Gesicht. »Phyllis, wo kommst du denn her?« Liebevoll umarmte sie die Jüngere. »Direkt aus Kairo«, erwiderte die junge Frau und bemühte sich, sich ihr Erschrecken über das Aussehen der Schwester nicht anmerken zu lassen. Sie stellte ihr Dr. Milford vor. »Wir haben uns zufällig während des Fluges kennengelernt. Doktor Milford ist auf dem Weg nach Carbuka, um dort in der Klinik seines Onkels zu arbeiten.« »Man sagte mir, daß es in Carbuka ein englisches Krankenhaus gibt«, erwiderte Daphne Grady und reichte Dr. Milford die Hand. »Herzlich willkommen.« Sie drehte sich halb um und wies auf die Palastruine. »Es ist nicht gerade Searose, aber ich habe versucht, dieses Gemäuer wohnlich einzurichten.«
»Ich bin überzeugt, es ist Ihnen gelungen«, meinte Ralph Milford galant. Auch er war über das Aussehen der Frau entsetzt. »Am besten, ihr kommt erst einmal ins Haus«, schlug Daphne Grady vor. »Es ist zwar nicht mehr so heiß, wie noch vor zwei Stunden, aber ihr werdet von der langen Fahrt erschöpft sein.« »Das sind wir auch«, gab Phyllis zu. Daphne wies ein einheimisches Mädchen, das ihr zur Verfügung stand, an, für Erfrischungen zu sorgen und zeigte ihren Gästen, wo sie sich waschen konnten. »Zum Glück ist Wasser hier kein Problem«, sagte sie. »Wir haben reichlich davon, seine Qualität ist hervorragend. William hat es analysieren lassen.« Es war das erste Mal, daß sie ihren Mann erwähnte. »Ist William noch auf der Ausgrabungsstätte?« fragte Phyllis. Daphne nickte. Sie wandte sich an Ralph: »Hätten Sie nicht Lust, zum Dinner zu bleiben, Doktor Milford? Mein Mann würde sich sicher freuen, Sie kennenzulernen. Wir könnten Ihrem Onkel über Funk mitteilen, daß Sie erst morgen früh nach Carbuka weiterfahren.« »Ich nehme Ihre Einladung gerne an, Mistreß Grady«, erwiderte der junge Arzt. »Dann sollte ich aber besser den Jeep ausladen. Ich habe für meinen Onkel einige medizinische Gerätschaften dabei. Es wäre schade, wenn etwas davon verlorengehen würde.« »Ich werde mich darum kümmern, daß Ihnen jemand hilft, Doktor Milford«, versprach Daphne. Sie bat Fatima, zwei Zimmer für den Besuch zu richten. »Wie Sie sehen, leben wir hier nicht ganz hinter dem Mond.« Sie reichte ihm und Phyllis die eisgekühlte Limonade, die das Mädchen gebracht hatte. Eine halbe Stunde später war Phyllis gerade dabei, ihren Koffer auszupacken, als Daphne in ihr Zimmer trat. Sie setzte
sich auf das einfache Bett. Schweigend sah sie ihrer Schwester zu. »Ich wünschte, ich könnte dir ein besseres. Zimmer bieten«, meinte sie schließlich, »aber wir sind schon froh, so untergebracht zu sein.« Sie seufzte leise auf. »Bei Ausgrabungen kann man keinen Luxus erwarten.« »Ich habe ihn auch nicht erwartet.« Phyllis setzte sich neben sie. »An und für sich rechnete ich halb und halb damit, in einem Zelt untergebracht zu werden.« Sie sah ihre Schwester an. »Ich hatte das Gefühl, daß du meine Hilfe brauchst.« »Ich bin sehr froh, daß du hier bist, Phyllis«, gestand Daphne. »Während der letzten Zeit habe ich oft an dich gedacht. Wäre ich nicht zu stolz dazu gewesen, ich hätte dir geschrieben. Aber nachdem ich dich quasi von Searose vertrieben hatte, wagte ich es nicht.« »Ich kann deinen Haß sehr gut verstehen, Daphne«, meinte Phyllis und berührte sanft die Narbe. Daphne hielt die Hand ihrer Schwester fest. »Es gibt Schlimmeres als Narben«, erwiderte sie niedergeschlagen. Sie legte Phyllis die Hand auf ihren Leib. »Das Kind, das in mir wächst, ist das einzige Positive in meinem Leben.« »Dann bist du mit William nicht glücklich?« »Er hat mich nur wegen meines Geldes geheiratet. Leider habe ich es zu spät erkannt.« Daphne stand auf und blickte durch das bogenförmige Fenster in den Hof, der hinter dem ehemaligen Palast lag. »William betrügt mich mit seiner Assistentin«, fügte sie hinzu. »Natürlich könnte ich mich scheiden lassen, aber diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Schon auf Searose steckten er und Mary White ständig zusammen. Als er mich vor eineinhalb Jahren bat, sie bei uns aufzunehmen, glaubte ich noch, daß sie wirklich nichts als, die Arbeit verbindet, doch dann kam ich dahinter, daß da weit mehr ist.« »Liebst du ihn noch?«
Daphne drehte sich um. In ihren Augen stand Haß. »Nein«, sagte sie. »Nein, ich liebe ihn nicht mehr.« »Aber warum bist du ihm dann nach Ägypten gefolgt?« »Nur aus Rache«, erwiderte Daphne und setzte sich wieder aufs Bett. »Ich konnte nicht zulassen, daß er Tag und Nacht mit dieser Mary zusammen ist. Außerdem war anfangs nur von drei Monaten die Rede. William hat seinen Vertrag, ohne sich mit mir abzusprechen, verlängert. Er hat mir freigestellt, nach Hause zurückzukehren, doch ich denke nicht daran. Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als hier mein Kind zur Welt zu bringen.« »Meinst du nicht, daß das sehr riskant ist?« fragte Phyllis. »Hast du wenigstens einen guten Arzt?« »Doktor Badari aus Carbuka besucht mich zweimal die Woche«, sagte Daphne. »Um ehrlich zu sein, ich halte nicht viel von ihm, doch man versicherte mir, daß es sich bei ihm um den besten Arzt in Carbuka handelt.« »Und das englische Krankenhaus?« »Es hat keinen besonders guten Ruf.« »Wer hat dir das gesagt?« »William.« Phyllis schüttelte den Kopf. Sie konnte ihre Schwester nicht verstehen. Von Daphnes früherem Elan schien nichts mehr vorhanden zu sein. »Wie kannst du da Williams Wort vertrauen?« fragte sie fassungslos. »Wer weiß, was er gegen Ralphs Onkel hat.« »Liebst du ihn?« In Daphnes dunkle Augen trat etwas Leben. Die junge Frau errötete. »Wir haben uns erst gestern kennengelernt«, sagte sie. »Allerdings finde ich ihn sehr nett.« »Ich auch.« Ihre Schwester lächelte. »Ich fühle mich in letzter Zeit nicht sehr wohl. Vor zwei Monaten ging ich abends spazieren. Plötzlich spürte ich einen scharfen Schmerz im Nacken.
Am nächsten Morgen hatte sich an der Stelle eine kleine Beule gebildet. Ich bin nie dahintergekommen, was für ein Insekt mich gestochen hat, aber es muß etwas Giftiges gewesen sein. Jedenfalls haben meine Beschwerden da angefangen. Die Tropfen, die mir Doktor Badari dagelassen hat, nützen kaum etwas.« »Komm mit mir nach England zurück«, bat Phyllis und ergriff die Hände ihrer Schwester. »Immerhin geht es um deine Gesundheit und um die des Kindes.« »Nein, ich muß hierbleiben«, beharrte Daphne. »Ich darf nicht zulassen, daß William freie Bahn hat. Er hat mich verraten, nun soll er spüren, daß er auf ewig an mich gebunden ist.« Sie verzog verächtlich die Lippen. »Er selbst wird sich niemals scheiden lassen. William weiß genau, daß er keinen Penny von mir bekommen würde.« Phyllis sah ein, daß sie sich Zeit lassen mußte. Früher hatte ihre Schwester sie gehaßt, jetzt war es William. Daphne gehörte zu den Menschen, die es in ihrem Haß sogar in Kauf nahmen, selbst unterzugehen. »Dann laß dich wenigstens von Ralph untersuchen«, bat sie. »Er ist auch in Geburtshilfe ausgebildet.« Daphne dachte nach. »Gut, ich bin einverstanden«, sagte sie. »Wenn es sein muß, fahre ich sogar mit dir nach Carbuka, um die Klinik seines Onkels aufzusuchen.« Sie strich sich mit zwei Fingern durch die Haare. »Es war dumm von mir, auf William zu hören. Ich will ja nicht abstreiten, daß es auch hier gute Ärzte gibt, doch schließlich bin ich Engländerin.« Phyllis lächelte ihr zu. »Wir werden es schon schaffen«, meinte sie zuversichtlicher, als sie sich fühlte. Selten zuvor hatte sie sich ihrer Schwester so nahe gefühlt wie in diesem Augenblick. »Na, wenn das keine freudige Überraschung ist«, meinte Dr. William Grady und schüttelte Phyllis’ Hand. »Schön, dich
endlich kennenzulernen. Ich darf dich doch Phyllis nennen, immerhin bist du meine Schwägerin.« »Natürlich, William«, erwiderte die junge Frau. Vom ersten Augenblick an war ihr der Mann unsympathisch, dabei sah er sehr gut aus mit seinen blonden Haaren, dem markanten Gesicht und dem kleinen Schnurrbart, der seine Oberlippe zierte. Doch der Archäologe hatte etwas an sich, das Phyllis sofort abstieß. Sie wunderte sich, daß Daphne auf ihn hereingefallen war. Sie hätte ihrer Schwester mehr Menschenkenntnis zugetraut. »Auch Ihnen ein herzliches Willkommen, Doktor Milford«, sagte Dr. Grady und wandte sich Ralph zu. »Zudem möchte ich mich bei Ihnen bedanken, daß Sie sich meiner Schwägerin angenommen haben. Ich wünschte, Phyllis hätte uns ihre Ankunft mitgeteilt, dann hätte ich sie vom Flughafen abholen können. Nicht auszudenken, wenn sie ganz auf sich alleine gestellt gewesen wäre.« »Davon abgesehen, daß ich Phyllis gerne zu Ihnen gebracht habe, macht sie auf mich den Eindruck einer jungen Dame, die ganz gut für sich selber sorgen kann«, meinte der Arzt. »Darf ich euch mit meiner Assistentin Mary Withe bekannt machen?« Dr. Grady nahm den Arm der jungen Frau, die wenige Schritte hinter ihm am Jeep lehnte. In ihren knielangen Shorts, dem in der Taille verknoteten, beigefarbenen Hemd und den blonden kurzen Haaren, die ihr schmales Gesicht umrahmten, wirkte sie ausgesprochen attraktiv. Phyllis schätzte sie auf etwa dreiundzwanzig. »Mary, das sind meine Schwägerin Phyllis Everson und Dr. Milford. Er wird einige Zeit in Carbuka bleiben.« »Angenehm«, sagte Mary und bot erst Phyllis, dann Ralph die Hand. »Interessieren Sie sich für Archäologie?« Abschätzend sah sie Phyllis an. »Wie lange werden Sie bei uns bleiben, Miß Everson?«
»Das ist noch ungewiß«, erwiderte Phyllis. »Und was Ihre erste Frage betrifft, so würden wir – uns sehr gerne die Ausgrabungsstätte ansehen, nicht wahr, Ralph?« Sie blickte ihren Begleiter an. »Ich wäre sofort dabei«, bestätigte der junge Arzt. »Nun, es wird sich sicher einrichten lassen, daß wir Sie, Doktor Milford, und dich auf die Ausgrabungsstätte mitnehmen«, meinte William Grady. »Aber nun wollen wir erst einmal ins Haus gehen. Wie mir Daphne bei unserer Ankunft sagte, hat sie dem Koch den Auftrag gegeben, für heute abend ein Festessen zu zaubern.« Es war tatsächlich ein Festessen, zu dem sich die Gradys, Mary White, zwei weitere Assistenten, Phyllis und Ralph zwei Stunden später im Hof des alten Palastes niederließen: Es handelte sich ausschließlich um ägyptische Gerichte, doch Phyllis glaubte, nie zuvor etwas so Köstliches gegessen zu haben. Daphne Grady hatte sich etwas zurechtgemacht. Sie trug ein pastellfarbenes Kleid aus schimmernder Seide, das ihren Zustand so geschickt kaschierte, daß sie nur etwas füllig wirkte. Ihre frischgewaschenen Haare hatte sie aufgesteckt und auch etwas Make-up aufgelegt. Im weichen Licht der Hofbeleuchtung war von ihrer Narbe kaum etwas zu sehen. Doch Dr. Grady hatte nur Augen für Mary, selbst wenn er mit seiner Frau sprach. Vielleicht merkte er es nicht einmal, wie er sie anhimmelte. Die junge Frau genoß es jedenfalls, so von ihm emporgehoben zu werden. Immer wieder warf sie Daphne spöttische herausfordernde Blicke zu. Phyllis wurde sich bewußt, daß sie Mary White von ganzem Herzen haßte. Sie verstand ihre Schwester jetzt noch weniger. Wie einfach wäre es für Daphne gewesen, einen Schlußstrich unter diese Ehe zu ziehen und sich scheiden zu lassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß es etwas geben würde, was
ihren Schwager mehr treffen würde, als plötzlich ohne den Luxus, den ihm Daphne ermöglichte, leben zu müssen. »Um was für eine Ausgrabung handelt es sich eigentlich?« fragte Phyllis. »Um die Ruinen eines Tempels aus der zwölften Dynastie«, erwiderte Dr. Grady. »Die Entdeckung des Tempels verdanken wir einem Zufall«, fuhr er fort. »Ein Forschungsteam der Kairoer Universität suchte hier in der Gegend nach neuen Rohstoffvorkommen. Dabei stieß einer der Männer auf eine goldene Isis-Statue. Zuerst…« Phyllis hörte nur noch mit halbem Ohr auf die Worte ihres Schwagers. Sie dachte an die goldene Isis-Statue, die sie in ihrem Traum gesehen hatte. »Eine große Statue?« fragte sie. »Etwa dreißig Zentimeter groß«, gab Mary White Auskunft und sah die junge Frau nachdenklich an. »Verstehen Sie etwas davon, Miß Everson?« »Meine Schwester arbeitet in einem großen Londoner Museum«, sagte Daphne Grady. »Ich bin überzeugt, daß Phyllis’ Wissen um diese Dinge mindestens genauso groß ist wie das Ihre, Miß White.« Mary White steckte Daphnes Worte ohne jede Reaktion weg. »Wir freuen uns immer, jemanden die Ausgrabungsstätte zeigen zu dürfen, der etwas davon versteht«, sagte sie, dann wandte sie sich an Dr. Grady: »Sie entschuldigen mich bitte, ich wollte heute abend noch unser Ausgrabungsprotokoll vervollständigen.« »Selbstverständlich, Mary«, erwiderte er und erhob sich, um sie ins Haus zu bringen. Erst zehn Minuten später trat er wieder in den Hof. Auch die anderen beiden Assistenten zogen sich bald darauf zurück. Dr. Grady öffnete eine Flasche Wein und schenkte ein. »Für mich bitte nicht, William«, bat seine Frau.
»Fühlst du dich wieder nicht wohl, Darling?« Seine Stimme klang besorgt. »Ich werde morgen Edward nach Carbuka schicken, damit er Doktor Badari holt.« »Das ist nicht nötig, William«, erwiderte Daphne und warf Ralph einen freundlichen Blick zu. »Ich habe Doktor Milford gebeten, mich morgen vor seiner Weiterfahrt zu untersuchen. Er wird mir auch Blut abnehmen und ins Krankenhaus mitnehmen.« Phyllis bemerkte, wie sich die Haltung ihres Schwagers versteifte. Er schien Mühe zu haben, seine Beherrschung zu wahren. »Aber das ist wirklich nicht nötig, Doktor Milford«, sagte er. »Wir sind mit Doktor Badari sehr zufrieden, nicht wahr, Darling?« Er blickte seine Frau an. »Ich halte in letzter Zeit nicht mehr sehr viel von ihm, William«, meinte Daphne und erwiderte kampfbereit seinen Blick. Etwas von ihrem früheren Elan schien zurückgekehrt zu sein. »Außerdem kann es nichts schaden, den Rat eines zweiten Arztes einzuholen.« Der Archäologe hob sein Glas. »Ich bin überzeugt, du machst dir völlig grundlos Sorgen, Darling. Trinken wir darauf, daß es so ist.« Ich wünschte, ich könnte daran glauben, dachte Phyllis. Man mußte schon blind sein, um nicht zu sehen, wie schlecht es Daphne ging. Machte sich William Grady nur etwas vor, oder war er sogar schuld an ihrem Zustand? Plötzlich glaubte sie wieder die winzige Hand zu sehen, die sich ihr entgegenstreckte, und das flehende Stimmchen zu hören. Wir lassen euch nicht im Stich, Daria, dachte sie und nippte an ihrem Glas. »Ich mag ihn«, sagte Daphne Grady, als sie mit ihrer Schwester einen kurzen Spaziergang durch die Oase machte. Sie hatte keine Lust gehabt, das Haus zu verlassen. Phyllis hatte sie regelrecht dazu überreden müssen.
»Wen meinst du?« Daphne lachte auf. »Wen soll ich schon meinen?« fragte sie. »Deinen Ralph natürlich.« »Er ist unwahrscheinlich nett«, gab Phyllis zu. »Ich kann es kaum noch erwarten, ihn wiederzusehen. Zum Glück sind es bis zum Wochenende nur noch ein paar Tage. Ich freue mich schon darauf, mit ihm die Ausgrabungsstätte zu besuchen. Außerdem habe ich Ralph versprochen, nach Carbuka zu kommen.« Sie sah ihre Schwester an. »Ich möchte, daß du dann mitfährst. Du solltest dir das englische Krankenhaus ansehen. Du bist dort garantiert besser aufgehoben, als in der anderen Klinik.« »Ich wünschte, du könntest wenigstens bis zur Geburt des Kindes bei mir bleiben«, sagte Daphne. Phyllis hatte während der vergangenen Nacht lange darüber nachgedacht. »Ich werde mit meinem Chef von Carbuka aus telefonieren«, erwiderte sie. »Er wird einsehen, daß ich bei dir bleiben muß. Ich mache mir viel zuviel Sorgen um dich, als dich jetzt alleine zu lassen.« Daphne lehnte sich an ihre Schwester. »Ich kann dir nicht sagen, wie froh ich über deinen Besuch bin.« Sie wies zu einem kleinen Mädchen, das am Ufer des Sees spielte. »Die Kleine gehört Fatimas Schwester. Sie heißt Laila.« »Wie wirst du dein Kind nennen?« fragte Phyllis. »Wenn es ein Mädchen ist: Daria«, antwortete Daphne. »Ein Junge würde Darius heißen.« Sie seufzte leise auf. »Erinnerst du dich an die riesige Puppe auf meinem Bett? Ich habe mir immer eine Daria gewünscht.« Sie berührte ihren Leib. »Es wird eine Tochter, ich fühle es. Lach nicht, Phyllis, doch manchmal, wenn ich in meinem Bett liege und nicht schlafen kann, versuche ich mit ihr zu reden. Ich erzähle ihr von meiner Kindheit, von Searose und unserer Mutter. An meinen Vater kann ich mich ja kaum erinnern.«
»Hast du ihr auch von mir erzählt?« Daphne blieb stehen. »Ich habe in letzter Zeit wirklich sehr oft an dich gedacht, Phyllis«, sagte sie. »Ja, ich habe Daria von dir erzählt und davon gesprochen, wie sehr ich mir wünsche, mit dir Frieden zu schließen.« »Zum Glück haben wir wieder einander gefunden«, meinte Phyllis. »Daheim in England wird uns so schnell nichts mehr trennen können. Es…« »Woher wußtest du, daß ich Hilfe brauche?« fragte ihre Schwester. »Setzen wir uns etwas.« Sie zeigte zu einer schmalen Bank, die unter einer Dattelpalme stand. »Einer von Williams Assistenten hat sie für mich aufgestellt.« Phyllis überlegte, ob sie ihrer Schwester von ihrem Traum erzählen konnte. Früher war Daphne ein sehr realistischer Mensch gewesen, doch während der letzten Jahre schien sie sich geändert zu haben. Sie beschloß, es einfach zu wagen. »Daria hat mich um Hilfe gebeten«, sagte sie und sprach von ihrem Traum. Mrs. Grady schaute auf das Wasser. Erst nach einigen Minuten bemerkte sie: »Ich habe früher nur an Dinge geglaubt, die man sehen konnte, inzwischen weiß ich, daß es da noch mehr gibt.« Sie umklammerte die Hand ihrer Schwester. »Wenn es nicht nur ein Traum war, sondern es mein Kind wirklich geschafft hätte, sich mit dir über diese Entfernung in Verbindung zu setzen, scheine ich wirklich in Gefahr zu sein.« »Und deswegen solltest du mit mir nach England zurückkommen.« »Nein, ich bleibe hier, Phyllis. Ich lasse nicht zu, daß Mary White über mich triumphiert.« Daphne umfaßte die Hand ihrer Schwester. »Mach dir keine Sorgen, wir beide werden es schon schaffen.« Gegen Mittag zogen sich die beiden Frauen ins Haus zurück. Draußen war es fast unerträglich heiß geworden. Daphne
zeigte ihrer Schwester ein paar Skizzen, die sie während ihrer ersten Zeit in Ägypten angefertigt hatte. »Vielleicht sollte ich wirklich wieder malen«, sagte sie, als Phyllis ihr bestätigte, daß sie Talent besaß. »Ich hatte nur die Lust daran verloren, weil sich niemand für meine Bilder interessierte. William hat stets nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen und ›ganz nett‹ gemurmelt.« Sie wollten sich gerade zum Mittagessen an den Tisch setzen, als draußen ein Wagen vorfuhr. Fatima kam aufgeregt in die Halle. »Da sein ein Guide. Er nach Ihnen gefragt, Miß Everson«, sagte sie. »Es sein sehr wichtig.« Phyllis lief nach draußen. Sie achtete nicht auf ihre Schwester, die ihr langsam folgte. »Miß Everson?« Der Guide ging ihr entgegen. »Ich bin Marc Halsey«, stellte er sich vor. »Ich arbeite für ein Touristikunternehmen in Kairo.« Die junge Frau reichte ihm die Hand. »Weshalb wollten sie mich sprechen, Mister Halsey?« fragte sie. »Kommen Sie aus Carbuka? Hat Doktor Milford Sie geschickt.« Der Mann nickte. »Doktor Milford bat mich, Sie zu verständigen.« Er räusperte sich. »Sehen Sie, Doktor Milford hatte heute morgen einen Unfall. Er…« »Einen Unfall?« fragte Daphne Grady hinter Phyllis und umklammerte den Arm ihrer Schwester. »Ist Doktor Milford schwer verletzt?« fragte Phyllis und versuchte, nicht in Panik zu geraten. »Es geht ihm schon wieder einigermaßen«, versicherte der Guide. »Doktor Milford hat Glück gehabt und sich bei dem Unfall nur eine mittelschwere Gehirnerschütterung zugezogen.« »Am besten, sie kommen ins Haus, Mister Halsey«, schlug Phyllis vor. »Es ist sehr unhöflich von uns, Sie in der Sonne
stehen zu lassen. Sicher werden Sie auch durstig sein.« Sie strich sich die Haare zurück. Gutgelaunt hatte Ralph am Morgen von ihr Abschied genommen. »Bis bald«, hatte er gesagt. Fatima brachte eisgekühlte Limonade. Marc Halsey erzählte, wie er am frühen Vormittag Carbuka verlassen hatte, um nach Kairo zu fahren, wo ihn eine neue Reisegruppe erwartete. »Doktor Milford hatte nicht die geringste Chance«, sagte er. »Ich hatte das Radio eingeschaltet, achtete kaum auf meine Umgebung. Sehen Sie, auf dieser Straße oder was immer man auch darunter verstehen kann, begegnen einem nicht viele Wagen. Jedenfalls tauchte plötzlich ein riesiges Wüstenfahrzeug hinter einer Sanddüne auf. Doktor Milford wollte noch ausweichen, aber es war bereits zu spät. Der Wagen fuhr ihm direkt in die Seite. Sein Jeep stürzte um.« »Um was für ein Wüstenfahrzeug handelte es sich?« fragte Daphne Grady. »Um einen dieser Wagen, die speziell als Baufahrzeuge in dieser Gegend eingesetzt werden. Ich konnte nicht einmal erkennen, ob er ein Nummernschild hatte«, antwortete Halsey ärgerlich. »Keine zwei Minuten nach dem Unfall war er bereits wieder verschwunden.« »Fahrerflucht?« Der Guide nickte. »In der Wüste ein besonders abscheuliches Verbrechen. Ich bin froh, daß ich in der Nähe war. Ich zog Doktor Milford aus dem Jeep und fuhr mit ihm nach Carbuka. In der Klinik kam er zu sich und bat mich, Sie zu verständigen. Als ich auf dem Rückweg wieder an seinem umgestürzten Wagen vorbeikam, wollte ich seine Sachen in Sicherheit bringen, doch man hatte den Wagen in der Zwischenzeit total ausgeraubt.« »Mein Freund hatte eine Menge medizinisches Gerät für die Klinik seines Onkels dabei«, sagte Phyllis bedrückt. »Nun, da
kann man nichts machen. Zum Glück ist ihm selbst nicht viel passiert.« Sie drückte Halseys Hand. »Danke für Ihre Hilfe.« »Sie war selbstverständlich, Miß Everson«, erwiderte der Mann und stand auf. »Für mich wird es Zeit. Man erwartet mich in Kairo.« »Möchten Sie nicht zum Lunch bleiben, Mister Hasley?« fragte Daphne. »Wir wollten ohnehin gleich essen.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich das nächste Mal in der Gegend bin, Mistreß Grady«, versprach er und kehrte zu seinem Jeep zurück. Phyllis trank in langsamen Schlucken ihre Limonade. Sie machte sich große Sorgen um Ralph. Am liebsten wäre sie sofort nach Carbuka gefahren, aber sie wollte ihre Schwester gerade jetzt nicht allein lassen. »Wir haben ein Funkgerät«, sagte Daphne. »Wenn William gegen Abend zurückkommt, werden wir ihn bitten, sich über Funk mit der Klinik in Verbindung zu setzen.« Sie schloß ihre Schwester in die Arme. »Seien wir froh, daß deinem Freund nicht mehr passiert ist. Es hätte viel schlimmer kommen können.« »Das ist wahr«, erwiderte Phyllis. »Ohne die Hilfe von Mister Halsey hätte Ralph sterben können.« Sie sah ihre Schwester erschrocken an. »Ich glaube, ich habe mich wirklich in ihn verliebt.« »Das habe ich längst gemerkt«, meinte Daphne und legte den Arm um sie. »Komm, gehen wir essen. Hier verdirbt alles so schnell. Es wäre schade, denn unser Koch gibt sich mit jeder Mahlzeit große Mühe. Er träumt davon, eines Tages in einem großen Hotel zu arbeiten.« Phyllis war der Appetit vergangen, doch sie wollte ihre Schwester nicht enttäuschen, deshalb setzte sie sich mit ihr an den Tisch. Marc Halsey hatte es zwar nicht einmal angedeutet, doch je länger sie darüber nachdachte, um so mehr verdichtete
sich in ihr der Verdacht, daß dieses Wüstenfahrzeug Ralphs Jeep absichtlich gerammt hatte. Aber warum? Ralph war das erste Mal in Ägypten, konnte sich also hier unmöglich Feinde gemacht haben. Irgend etwas stimmte da nicht. »Darf ich hereinkommen?« fragte Phyllis Everson, als sie fünf Tage später ihren Kopf durch die Tür in das Zimmer von Dr. Milford steckte. »Na, das nenn ich eine Überraschung«, meinte der junge Arzt erfreut. Er richtete sich auf. »Wie schön, daß Sie mich besuchen, Phyllis. Sie ahnen nicht, wie oft ich während der vergangenen Tage an Sie gedacht habe.« »Und das trotz Gehirnerschütterung?« Er faßte sich an den Kopf. »Erinnern Sie mich nicht daran«, bat er belustigt. »Erst jetzt weiß ich, was es heißt, eine Gehirnerschütterung zu haben. Es ist etwa wie ein übergroßer Kater nach einer durchzechten Nacht. Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen und dazu diese Übelkeit und der Schwindel.« Er seufzte auf. »Nun ja, mir geht es wieder besser, und das ist die Hauptsache.« Die junge Frau trat an sein Bett. Sie hatte ihm einige Blütenzweige mitgebracht, die sie auf dem Weg in die Klinik gekauft hatte. »Gibt es hier auch eine Vase?« »Da müssen wir Schwester Betty fragen.« Ralph drückte auf die Klingel. Schon wenige Minuten später kam eine ältere Schwester ins Zimmer und nahm Phyllis die Blumen ab. Phyllis setzte sich an sein Bett. »War Ihr Onkel nicht erschrocken, Sie als Patienten in die Klinik zu bekommen?« fragte sie. »Er war jedenfalls alles andere als begeistert.« Das Gesicht des Arztes verdüsterte sich. »Da bringe ich extra aus England einige medizinische Gerätschaften mit und dann verschwinden sie sang- und klanglos im Wüstensand. Die Blutprobe von Ihrer Schwester ist natürlich auch verloren.«
»Ich wollte Daphne heute mitnehmen, aber sie fühlte sich nicht wohl genug für eine Fahrt in die Stadt. Gestern hatte sie sich noch darauf gefreut. Heute morgen machte sie jedoch einen völlig erschöpften Eindruck.« »Und trotzdem sind Sie gekommen?« »Daphne bestand darauf.« Phyllis erhob sich, um der Schwester die Blumen abzunehmen. »Danke«, sagte sie und stellte die Vase auf Ralphs Nachttisch. »Hätten Sie gerne eine Tasse Tee?« erkundigte sich die Schwester. »Später vielleicht«, erwiderte die junge Frau. »Ich muß schon sagen, hier wird man ziemlich verwöhnt«, bemerkte sie, als sie wieder mit Dr. Milford allein war. »Vergiß nicht, ich bin der Neffe des Chefs.« Ralph lachte. »Ich mache mir große Sorgen um Daphne. Wenn man wenigstens wüßte, was für ein Insekt sie gestochen hat.« Gedankenverloren strich sie Ralphs Decke glatt. »Es paßt nicht zu Daphne, alles so hinzunehmen.« »Sobald ich wieder aufstehen darf, komme ich zu euch und werde ihr noch einmal Blut abnehmen«, versprach Ralph. »Ich mache mir nämlich auch Sorgen um Ihre Schwester. Wie lange werden Sie nun in Ägypten bleiben?« »Auf jeden Fall bis nach der Geburt des Kindes«, erwiderte Phyllis. Sie freute sich, als sie bemerkte, wie bei ihren Worten seine Augen aufleuchteten. »Sie ahnen nicht, wie erschrocken wir waren, als uns Mister Halsey die Nachricht von Ihrem Unfall brachte.« Sie lachte. »Übrigens ein sehr netter Mann.« Er drohte ihr mit dem Finger. »Sie werden mir doch nicht untreu werden, Phyllis?« »Keine Angst, Ralph«, meinte sie amüsiert, dann wurde sie wieder ernst. »Mister Halsey meint, daß an Ihrem Unfall einiges ziemlich mysteriös ist.«
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Ralph. »Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß plötzlich rechts vor mir ein riesiges Fahrzeug auftauchte und direkt auf mich zuraste. Ich hatte nicht die geringste Chance auszuweichen.« Er atmete tief durch. »Es mag lächerlich klingen, doch ich glaube, daß der Fahrer dieses Wagens absichtlich in meinen Jeep gefahren ist. Warum, kann ich mir allerdings nicht erklären. Es…« »Was sagt denn die Polizei?« Ralph lachte gequält auf. »Wir sind hier nicht in England, Phyllis. Der zuständige Inspektor suchte mich in der Klinik auf. Sein Assistent schrieb ein Protokoll, doch dabei wird man es wohl bewenden lassen. Mein Onkel meint auch, daß kaum Aussichten bestehen, die geraubten Sachen wiederzubekommen.« »Könnte das Ganze nicht ohnehin ein Raubüberfall gewesen sein?« fragte Phyllis. »Vielleicht hatte man es von Anfang an auf die medizinischen Geräte abgesehen. Wäre Mister Halsey nicht gekommen, hätte man Sie wahrscheinlich sofort ausgeraubt und dann liegenlassen.« »Diese Idee ist mir auch schon gekommen«, gestand ihr Freund. »Nun ja, wir können es nicht ändern.« Er hob die Schultern. »Sobald ich wieder auf den Beinen bin, werde ich versuchen, der Polizei etwas Dampf zu machen, aber es wird wohl kaum etwas nützen.« »Höchstens schaden«, sagte Dr. James Milford von der Tür her. »Ich habe geklopft, aber niemand hat mich gehört«, fügte er hinzu und trat an das Bett seines Neffen. »Sie sind also Miß Everson?« Er drückte herzlich Phyllis’ Hand. »Mein Neffe hat mir schon viel von Ihnen erzählt.« »Nur das Beste, möchte ich betonen«, sagte Ralph. »Wenn Sie Lust haben, können Sie sich nachher die Klinik ansehen, Miß Everson«, schlug Dr. James Milford vor. »Für
Ihre Schwester wäre es besser, wenn sie sich entschließen könnte, ihr Kind bei uns zur Welt zu bringen.« Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich. »Um ehrlich zu sein, ich verstehe Ihren Schwager nicht. Ich bin Doktor Grady nie zuvor begegnet. Wie kann er behaupten, daß meine Klinik einen schlechten Ruf hätte?« »Das verstehe ich auch nicht, Doktor Milford«, erwiderte Phyllis. »Davon abgesehen, ist mir hier vieles unverständlich.« Sie sah erst Ralph, dann seinen Onkel an. »Ich nehme an, Sie wissen, weshalb ich nach Ägypten gekommen bin?« »Ralph hat es mir gesagt.« »Ich bin überzeugt, daß meine Schwester den falschen Arzt hat, nur scheint mein Schwager nicht dieser Meinung zu sein. Er schwört auf Doktor Badari.« »Das ist ein großer Fehler«, meinte Dr. James Milford. »Ich möchte zwar nicht mit gleicher Münze heimzahlen, doch hat Dr. Ali Badari nicht einmal bei seinen Landsleuten einen besonders guten Ruf. Er steht im Verdacht, erst letztes Jahr den Tod einer jungen Frau verursacht zu haben.« Beschwörend sah er Phyllis an. »Wenn Ihnen etwas an Ihrer Schwester liegt, dann bringen Sie sie zu uns. Nach allem, was mir Ralph erzählt hat, ist sie sehr krank. Ohnehin sollte sie so kurz vor der Niederkunft nicht mehr dort draußen in der Wüste sein.« »Ich werde tun, was ich kann«, versprach Phyllis. Sie nahm sich vor, am Abend noch einmal mit ihrer Schwester darüber zu sprechen. Es ging nicht an, daß sie ihr Leben und das Leben des Kindes riskierte, nur weil sie verhindern wollte, daß ihr Mann und Mary White Gelegenheit erhielten, sie zu betrügen. Wenn die beiden wirklich ein Verhältnis miteinander hatten, fanden sie sicher genug Möglichkeiten, um ungestört miteinander alleine zu sein. »Wie geht es Doktor Milford?« erkundigte sich William Grady, als er am nächsten Vormittag mit seiner Frau und
Phyllis quer durch die Wüste nach En Berka fuhr, einer malerischen Oase, die zehn Kilometer vom Ausgrabungsort entfernt lag. Völlig überraschend hatte er am Abend zuvor diesen Ausflug vorgeschlagen. An und für sich hätte auch Mary White sie begleiten sollen, doch die junge Frau hatte es vorgezogen, im Camp zu bleiben. »Er fühlt sich wieder ganz wohl, William«, erwiderte Phyllis. Besorgt schaute sie ihre Schwester an. Der Jeep holperte und stolperte über die schlechte Straße. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß diese Fahrt Daphne guttun würde. »Geht es?« fragte sie. Daphne nickte, obwohl sie sich alles andere als wohl fühlte, doch sie wollte ihrer Schwester den Ausflug nicht verderben. »Vielleicht sollten wir besser umkehren, William«, meinte Phyllis. »Wir haben nicht daran gedacht, daß Daphne kurz vor der Niederkunft steht.« Dr. Grady hielt am Straßenrand. Er drehte sich den Frauen zu. »Tut mir leid, Darling, ich bin ein Esel. Natürlich kehren wir um«, sagte er. »Nachdem wir schon soweit gekommen sind.« Daphne schüttelte den Kopf. »Ich wollte En Berka schon immer sehen, aber du hattest nie Zeit, mit mir hinzufahren. Nein, ich lasse mir diese Fahrt jetzt nicht entgehen.« »Es wäre besser, Daphne«, drängte Phyllis. »Bitte, fahr weiter, William«, bat ihre Schwester entschlossen. »Gerade um diese Jahreszeit soll es in En Berka besonders schön sein. Wenn wir Glück haben, führt die Quelle genug Wasser, so daß wir auch den Wasserfall sehen können.« »Da hörst du es, Phyllis.« Dr. Grady gab wieder Gas. Es dauerte noch knapp eine halbe Stunde, bis sie die Oase erreichten. Sie lag malerisch zwischen hohen ockerfarbenen Bergen. Ein schmaler Wasserfall stürzte aus zweihundert
Meter Höhe in einen kleinen See, der von Buschwerk und Wasserpflanzen umgeben wurde. »Die Quelle entspringt oben in einer Höhle«, berichtete William Grady. »Vor einigen Wochen bin ich hiergewesen und habe im hinteren Teil dieser Höhle primitive Zeichnungen entdeckt. Wenn ich meine Arbeit am Tempel beendet habe, wird sich mir hier ein weiteres Betätigungsfeld auftun. Ich möchte herausfinden, was für Menschen hier früher gelebt haben.« »Wenn man dich so hört, könnte man glauben, du wolltest nie wieder nach England zurückkehren«, sagte seine Frau. »Ich habe nun einmal mein Leben der Archäologie gewidmet, Darling«, erwiderte er. »Aber sei beruhigt, Daphne, nächstes Jahr werde ich mindestens sechs bis acht Monate in England verbringen. Ich will an meinem Buch über die Etrusker weiterarbeiten und zudem die Erkenntnisse, die ich während der jetzigen Ausgrabung gewonnen habe, niederschreiben.« Er legte den Arm um sie und führte sie zu einem schattigen Platz, der unter einem Felsüberhang lag. »Ruh dich etwas aus.« Phyllis brachte den Picknickkorb. Während sie eine Kleinigkeit aßen, blickte sie zu der Höhle hinauf, in der die Quelle entsprang. »Ich würde die Zeichnungen zu gerne sehen«, sagte sie. »Warum steigst du mit William nicht hinauf?« fragte ihre Schwester. »Ich sitze hier sehr gut.« Sie lehnte sich zurück. »Wenn ich zur Zeit nicht so unbeholfen wäre, würde ich euch begleiten.« Phyllis war sich nicht sicher, ob sie Daphne alleine lassen konnten, doch wiederum, was sollte ihr hier passieren? Zudem waren sie in der Nähe. »Ich zeige dir gerne die Zeichnungen«, sagte ihr Schwager und stand auf. »Komm, Phyllis.« Er wollte ihr die Hand reichen.
»Ich glaube, alleine komme ich besser vorwärts«, lehnte sie ab. »Macht es dir wirklich nichts aus, wenn wir gehen, Daphne?« »Nein, ganz gewiß nicht«, versicherte ihre Schwester und griff nach einem Pfirsich. Hintereinander stiegen sie den schmalen Pfad hinauf, der vom See zur Höhle führte. Immer wieder blickte sich Phyllis um. Daphne hatte sich wieder gegen den Felsen gelehnt. Sie schien völlig entspannt zu sein. Schon bald hatten sie die Höhle erreicht. William Grady nahm die Taschenlampe, die er stets bei sich trug, und beleuchtete die Höhlenwände. Undeutlich konnte Phyllis einige schwarze und rote Strichzeichnungen erkennen. Sie zeigten Tiere, meistens Steinböcke. »Faszinierend«, meinte sie und berührte vorsichtig mit den Fingerspitzen die Zeichnungen. »Ich…« Ein gewaltiger Schlag ließ den ganzen Berg erzittern. Sekundenlang war die junge Frau wie gelähmt, dann stürzte sie nach draußen und sah, wie sich über den Abhang, unter dem Daphne saß, polternd eine Steinlawine nach unten bewegte. »Daphne!« schrie sie entsetzt und rannte den schmalen Pfad hinunter. Sie sah, wie ihre Schwester gerade noch unter dem Überhang hervorkriechen konnte, bevor er von einem Felsbrocken getroffen abbrach. Daphne stolperte in die Richtung des Wagens. Aber sie kam nicht weit, schon nach wenigen Metern rutschte sie aus und stürzte schwer zu Boden. Phyllis hörte, wie hinter ihr William Grady entsetzt aufschrie. Außer sich vor Angst um Daphne rannte sie weiter. Nicht eine Sekunde dachte sie daran, daß die schweren Steine sie treffen könnten. Immer wieder stolpernd kletterte sie über jedes Hindernis hinweg.
Endlich erreichte sie ihre Schwester. Daphne hatte die Finger in den Boden gekrallt. Sie krümmte sich vor Schmerzen. Um ihren Unterleib hatte sich der Sand rot verfärbt. »Das Kind«, flüsterte sie fast bewußtlos. »Das Kind. Rette mein Kind.« »Um Gottes willen!« stieß William Grady hervor, als sein Blick auf das Blut fiel. Er warf sich neben seine Frau auf den Boden, versuchte, ihren Kopf in seinen Schoß zu betten. »Es wird alles wieder gut«, sagte er unablässig. »Hab keine Angst, wir werden dafür sorgen, daß dir nichts geschieht.« »Ich brauche deine Hilfe, William«, sagte Phyllis und verbot sich, an etwas anderes als an das Kind zu denken. »Wir schaffen es nicht mehr bis zur Klinik. Das Kind kann jeden Augenblick kommen. Wir sind die einzigen, die Daphne in dieser Stunde beistehen können.« »Verstehst du denn etwas davon?« fragte er überrascht. »Nein, aber wir werden es schaffen«, erwiderte sie und gab mit ruhiger Stimme ihre Anweisungen. »Das kleine Mädchen verdankt sein Überleben einzig und alleine Ihrem besonnenen Verhalten, Miß Everson«, meinte Dr. James Milford einige Stunden später, als er mit Phyllis vor dem Inkubator stand, in den Daria gleich nach Ankunft in der Klinik gelegt worden war. »Wie stehen ihre Chancen?« fragte Phyllis und berührte zärtlich die winzige Stirn der Kleinen. Daria schlug die Augen auf und schien sie anzusehen. »Daria wird einige Zeit in der Klinik bleiben müssen, doch wie es aussieht, wird sie es schaffen. Auch wenn die Kleine etwas zu früh auf die Welt gekommen ist, sie ist sehr kräftig und scheint einen ausgeprägten Überlebenswillen zu haben«, erwiderte der Arzt. Phyllis wandte sich um. »Und wie steht es um meine Schwester, Doktor Milford?« fragte sie, wenngleich sie die Antwort bereits zu kennen glaubte.
»Wir haben getan, was wir konnten, Miß Everson«, sagte James Milford. »Dennoch wird Ihre Schwester die nächsten Stunden kaum überleben. Sie hat zuviel Blut verloren. Man darf auch nicht die Strapazen vergessen, denen sie auf der Fahrt von der Oase nach Carbuka ausgesetzt war. Wußten Sie, daß Ihre Schwester herzkrank ist?« »Nein.« »Doktor Grady wußte auch nichts davon«, bemerkte der Arzt. »Wir haben ein EKG gemacht und es dabei festgestellt. Es wäre sinnlos, jetzt noch jemandem Vorwürfe zu machen, nur bestätigt dieser Vorfall meine Meinung über Doktor Badari.« Niedergeschlagen verließ Phyllis die Säuglingsstation. Sie traf ihren Schwager am Bett seiner Frau an. William Grady schien völlig gebrochen zu sein. Stumm hielt er Daphnes Hand. »Ich war bei Daria«, sagte Phyllis und setzte sich ebenfalls an Daphnes Bett. Seit ihre Schwester auf der Fahrt nach Carbuka das Bewußtsein verloren hatte, war sie nicht mehr aufgewacht. »Der Kleinen geht es gut. Doktor Milford würde gerne mit dir sprechen, William.« Dr. Grady stand auf. Er warf einen verzweifelten Blick auf seine Frau, berührte kurz Phyllis’ Schulter und ging hinaus. Die junge Frau blickte ihm nach. Sie fragte sich, ob sie ihren Schwager nicht die ganze Zeit über falsch eingeschätzt hatte. Seit dem Steinschlag, der scheinbar durch ein die Schallmauer durchbrechendes Flugzeug ausgelöst worden war, schien er ein völlig anderer geworden zu sein. Während der Fahrt ins Krankenhaus hatte sich William ununterbrochen Vorwürfe wegen seines Leichtsinns gemacht. Er hatte sich selber verdammt, weil er diesen Ausflug vorgeschlagen hatte. »Wenn Daphne stirbt, habe ich sie auf dem Gewissen«, hatte er fast schluchzend gesagt. »Ich werde nie wieder in einen Spiegel blicken können.«
»Phyllis?« Die junge Frau fuhr herum. »Daphne, Gott sei Dank, du bist wach«, sagte sie erleichtert und wollte zur Klingel greifen, um Dr. Milford herbeizurufen. »Nein, laß das«, bat Daphne so leise, daß Phyllis sie kaum verstehen konnte. »Ich weiß, daß ich sterben muß.« Sie umklammerte die Hand ihrer Schwester. »Ich habe vor dem Tod keine Angst. Er kommt als guter Freund zu mir.« »Was sagst du da, du mußt nicht sterben, Daphne«, versuchte Phyllis sie zu beschwichtigen. »Was ist mit Daria?« Daphne blickte sie starr an. »Geht es ihr gut?« »Daria ist völlig gesund. Du mußt dir keine Sorgen um deine Tochter machen«, erwiderte Phyllis. »Soll ich sie dir bringen lassen?« Sie wollte aufstehen. »Bleib hier. Ich trage das Bild meiner Tochter im Herzen«, flüsterte Daphne. »Versprich mir, daß du immer für Daria dasein wirst. Du darfst sie nie verlassen.« »Ich verspreche es«, sagte die junge Frau den Tränen nahe. »Du kannst dich darauf verlassen, Daphne. Du…« Phyllis spürte, wie sich die Finger der Kranken von ihrem Arm lösten. »Daphne!« schrie sie auf, doch ihre Schwester konnte ihr nicht mehr antworten. Lautlos war sie von ihr gegangen. Bereits einen Tag später wurde Daphne Grady auf dem englischen Friedhof von Carbuka beigesetzt. Es war eine stille, ergreifende Feier, zu der sich außer ihren Angehörigen auch Dr. Gradys Mitarbeiter und einige Engländer, die in Carbuka lebten, versammelt hatten. Phyllis war wie betäubt vor Schmerz. Sie war nach Ägypten gekommen, um ihrer Schwester beizustehen, aber sie hatte ihr nicht helfen können. Sie machte sich heftige Vorwürfe, mit William zur Quelle hinaufgestiegen zu sein, auch wenn sie sich gleichzeitig sagte, daß sie den Steinschlag schließlich nicht
voraussehen konnten. Und selbst wenn sie bei Daphne geblieben wären, hätte ihre Schwester bei der Flucht vor den Steinen stolpern und hinschlagen können. Natürlich wäre es am besten gewesen, auf den Ausflug zu verzichten, aber selbst Daphne hatte ja den Wasserfall sehen wollen. Sie blickte zu Mary White hinüber, die zwischen den beiden Assistenten stand. Das Gesicht der jungen Frau schien unbewegt, doch in ihren grünen Augen stand ein Glanz, der ganz und gar nicht zu einer Beerdigung zu passen schien. Phyllis fragte sich, ob Mary jetzt damit rechnete, die dritte Mrs. Grady zu werden. Im Augenblick sah es nicht danach aus, als würde ihr Wunsch jemals in Erfüllung gehen. William schien völlig gebrochen zu sein. Sie hatten noch am Abend sehr lange miteinander gesprochen. Ihr Schwager machte sich heftige Vorwürfe, nicht darauf bestanden zu haben, daß Daphne nach England zurückkehrte. »Ich habe viele Fehler gemacht«, hatte er zu ihr gesagt. »Ich kann nur hoffen, eines Tages Vergebung zu finden.« Phyllis griff nach der Schaufel und warf Erde auf Daphnes Sarg hinunter. Es war noch keine vierzehn Tage her, daß sie sich mit ihrer Schwester versöhnt hatte. Zwischen ihnen hatte alles anders werden sollen. Nun war Daphne tot. »Ich werde deine Hilfe brauchen, Phyllis«, sagte Dr. William Grady, als sie nach der Beerdigung den Friedhof verließen. »Ich verstehe nichts von Kindern. Um ehrlich zu sein, sie haben mich nie sonderlich interessiert. Ich weiß nicht, was ich mit Daria anfangen soll.« »Daria ist nicht irgendein Kind. Sie ist deine und Daphnes Tochter.« Phyllis blickte zu ihm auf. »Bitte, gib nicht Daria die Schuld an Daphnes Tod.«
»Daphne könnte noch leben, wenn dieses Kind nicht gewesen wäre«, erwiderte ihr Schwager. »Ich habe mit Doktor Milford gesprochen. In zwei oder drei Wochen ist Daria soweit, daß wir mit ihr nach England zurückkehren könnten. Bitte, Phyllis, bleib solange noch bei uns.« »Das habe ich ohnehin vor, William«, versicherte die junge Frau. »Ich werde mir ein Zimmer in Garbuka nehmen, um in ihrer Nähe zu sein.« »Ich bin froh, daß ich mich auf dich verlassen kann«, meinte er und wandte sich wieder dem Friedhof zu. »Es fällt mir schwer, Daphne zurückzulassen. Unsere Ehe mag in letzter Zeit einigen Belastungen ausgesetzt gewesen sein, doch ich habe meine Frau geliebt. Gott allein weiß, wie sehr ich sie geliebt habe.« »Du kannst dich auf mich verlassen, William«, versprach Phyllis und drückte seine Hand. »Es wird schon irgendwie weitergehen.« »Es ist gut, daß es dich gibt«, sagte er und hielt ihr die Wagentür auf. »Ich wünschte, wir hätten uns schon früher kennengelernt.« »Ist sie nicht zauberhaft?« Phyllis schaute auf Daria hinunter, die zufrieden in ihrem Arm lag und an ihrem Fläschchen nuckelte. »Ja, das ist sie«, erwiderte Dr. Ralph Milford. Seit zwei Tagen durfte er aufstehen und auch in den Garten hinausgehen. Er rechnete damit, Anfang der nächsten Woche seine Arbeit in der Klinik aufnehmen zu können. »Man sagt, Säuglinge könnten in den ersten Wochen noch nicht richtig sehen, aber ich habe stets das Gefühl, als würde mich Daria ganz intensiv anschauen.« Die junge Frau ergriff eines der winzigen Händchen. War es wirklich Daria gewesen, die sich über tausende von Kilometern hinweg mit ihr in Verbindung gesetzt hatte? Nach wie vor erschien es Phyllis
unverständlich. Manchmal, wenn sie abends in ihrem Bett lag und sich bemühte einzuschlafen, glaubte sie wieder die winzige Hand zu sehen, die sich ihr entgegenstreckte, und Darias Stimme zu hören. »Vergessen Sie nicht, Sie beide sind viel intensiver miteinander verbunden, als es sonst zwischen Tante und Nichte, ja, wahrscheinlich sogar zwischen Mutter und Tochter üblich ist«, erwiderte Ralph. »Daria ist ein ganz besonderes kleines Wesen.« Er nahm seiner Freundin das Fläschchen ab und stellte es auf einen Tisch. »Ich werde Sie vermissen, wenn Sie wieder in England sind, Phyllis.« »Sie werden mich bald vergessen haben, Ralph.« Phyllis hob Daria hoch, damit sie ihr Bäuerchen machen konnte. »So ist es fein, Lovely«, lobte sie, als es auch sofort gelang. Liebevoll bettete sie die Kleine wieder in den Brutkasten. »Wie können Sie so etwas sagen?« fragte der junge Arzt, als sie die Säuglingsstation verließen. »Seit wir uns kennenlernten, gab es nicht einen einzigen Tag, an dem ich nicht an Sie gedacht hätte.« Er legte den Arm um ihre Taille. »Kein Wunder, bei den Ereignissen der letzten Zeit«, sagte Phyllis. Seit dem Tod ihrer Schwester waren zehn Tage vergangen. Sie wohnte jetzt ganz in der Nähe der Klinik bei einer alten Dame, die kurz vor dem Krieg nach Ägypten gekommen war und hier ihre zweite Heimat gefunden hatte. Ralph führte seine Freundin in den luftigen Laubengang, der die einzelnen Bereiche der Klinik miteinander verband. »Setzen wir uns etwas«, schlug er vor und steuerte eine weiße Sitzgruppe an, die malerisch zwischen blühendem Oleander stand. Der betäubende Duft der Blüten erfüllte die ganze Umgebung. »Wenn ich meinem Onkel nicht versprochen hätte, während der nächsten Monate in seiner Klinik zu arbeiten, würde ich mit Ihnen nach England zurückkehren«, sagte er, nachdem sie
Platz genommen hatten. »Abgesehen davon, daß ich Sie schrecklich vermissen werde, mache ich mir auch Sorgen um Sie. Ich traue Ihrem Schwager nicht. Der Mann ist mir zutiefst unsympathisch.« »Das war mir William früher auch«, gestand Phyllis. »Ich hatte ihn sogar in Verdacht, Daphne langsam zu vergiften, doch ich habe mich geirrt. Williams Trauer um Daphne ist echt. Er muß sie wirklich sehr geliebt haben.« »Oder er versteht es ausgezeichnet, alle hinters Licht zu führen«, erklärte Dr. Milford. »Schade, daß mein Onkel nicht daran gedacht hat, eine Autopsie bei Ihrer Schwester durchzuführen. Es…« Er bemerkte, wie sich Phyllis’ Gesicht verfärbte. »Verzeihen Sie«, bat er schuldbewußt. »Ich habe für einen Moment vergessen, daß der Tod Ihrer Schwester erst wenige Tage zurückliegt.« »Nein, es ist schon gut, Ralph.« Phyllis schluckte. »Sprechen Sie ruhig weiter.« »Bei einer Autopsie hätte man herausfinden können, ob eine Vergiftung vorlag, oder die Beschwerden Ihrer Schwester nur mit der Schwangerschaft und ihrer Herzkrankheit zusammenhingen. Als ich damals Ihre Schwester untersuchte, sprach sie davon, daß sie sich bis zu dem Insektenstich wohl gefühlt hätte. Eine etwaige Vergiftung hätte man natürlich auch darauf zurückführen können.« Er stieß heftig den Atem aus. »Zu dumm, daß die Blutprobe, die ich von Ihrer Schwester genommen hatte, ebenfalls gestohlen worden ist.« »Daphne ist tot. Nichts, was man jetzt noch herausfinden könnte, würde ihr mehr helfen«, sagte Phyllis niedergeschlagen. »Und was William betrifft, so haben wir uns wirklich in ihm getäuscht. Kein Mensch kann sich so verstellen. Ich war vorgestern im Camp. Mein Schwager vernachlässigt sogar seine Arbeit. Einer seiner Assistenten
sagte mir, daß er stundenlang in der Wüste sitzen würde und nichts weiter täte, als vor sich hin zu starren.« »Und Miß White?« »Ist äußerst ungehalten, wie mir scheint. Sie sieht ihre Zukunftsträume im Sande verrinnen.« Phyllis lehnte sich zurück. »Ich will nicht behaupten, daß sich meine Schwester geirrt hat. William hat sicher ein Verhältnis mit Miß White, doch seine Beziehung zu ihr scheint mit Liebe nicht das geringste zu tun zu haben. Wer weiß, vielleicht hätten meine Schwester und er sogar wieder zueinander gefunden.« Dr. Milford antwortete ihr nicht. Sie merkte ihrem Freund deutlich an, daß er ihre Meinung über William nicht teilte. »Wahrscheinlich halten Sie mich für eine romantische Närrin«, bemerkte sie. »Nein, so ist es nicht«, widersprach er. »Ich halte Ihren Schwager nur für einen hervorragenden Schauspieler.« Er strich sanft über ihren Arm. »Er hat seine Tochter erst ein einziges Mal gesehen. Gibt Ihnen das nicht zu denken?« »Er gibt Daria die Schuld an Daphnes Tod«, sagte Phyllis. Sie hatte immer wieder versucht, mit William über Daria zu reden, aber ihr Schwager wollte nichts von seiner Tochter wissen. »Wie es aussieht, hat Daria nicht nur ihre Mutter verloren«, fügte sie hinzu. »Ein Segen, daß sie wenigstens eine Tante hat, die sie über alles liebt«, meinte Ralph und blickte ihr in die Augen. »Bei all Ihrer Liebe zu Daria, bleibt da auch noch etwas für mich?« Er hob die Hand und berührte sanft ihr Gesicht »Wissen Sie, daß Sie mir unendlich viel bedeuten?« »Ich hoffte es«, gestand die junge Frau. »Heißt das, daß auch du mich liebst?« fragte er und ergriff spontan ihre Hände. »Ich wagte es nicht, daran zu glauben.«
»Ja, ich liebe dich, Ralph«, erwiderte die junge Frau. »Ich glaube, ich habe mich schon an unserem ersten gemeinsamen Abend in dich verliebt.« Unter Tränen lächelte sie. Ralph stand auf und beugte sich über Phyllis. Zärtlich küßte er ihr die Tränen fort. Zwei Wochen später begleitete Dr. Ralph Milford seine Freundin, die kleine Daria und Dr. Grady zum Kairoer Flughafen. Er wußte, daß es noch Monate dauern würde, bis er Phyllis wiedersehen konnte. Er machte sich große Sorgen um sie, aber es war ihm unmöglich, sie nach England zu begleiten. Er durfte seinen Onkel nicht im Stich lassen. Sie hatten bereits das Gepäck abgegeben. Dr. William Grady sprach noch mit einem Journalisten, der bereits vor einigen Wochen einen Artikel über die Ausgrabungen geschrieben hatte. »Paß auf dich und die Kleine auf«, sagte Ralph. Er schaute auf Daria hinunter, die in ihrer Tragetasche schlief. »Halte die Augen offen, Darling.« »Du machst dir viel zu viele Sorgen um uns«, meinte Phyllis. Sie stellte die Tragetasche ab und legte die Arme um den Hals des jungen Mannes. »Versprich mir, daß wir oft miteinander telefonieren.« »Wann immer es geht«, erwiderte Ralph. »Ich möchte über alles Bescheid wissen, was auf Searose geschieht.« Er strich ihr die Haare zurück. »Hat dein Schwager erwähnt, wie lange er in England zu bleiben gedenkt?« »Nein, bisher noch nicht«, sagte seine Freundin. »Länger als drei, höchstens vier Wochen wird er aber kaum bleiben. Vermutlich wird er sogar gleich, nachdem alles geregelt ist, nach Ägypten zurückkehren. Er kann seine Arbeit nicht lange im Stich lassen.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Stelle dir vor, seine Assistenten würden während seiner Abwesenheit etwas Bedeutendes entdecken.«
»Er würde es kaum ertragen können.« Dr. Milford blickte zu Phyllis’ Schwager hinüber, der noch immer mit dem Journalisten sprach. »Man könnte ihn wirklich für einen trauernden Witwer halten«, fügte er sarkastisch hinzu. »Du tust William unrecht.« Phyllis dachte daran, wie ihr Schwager sie vor einigen Tagen gebeten hatte, Daphnes Sachen zusammenzupacken. Er selbst war nicht dazu in der Lage gewesen, und Mary White hatte er nicht damit beauftragen wollen. Sie war froh darüber. Miß White hatte bei den Sachen ihrer Schwester nichts verloren. »Warten wir es ab, Phyllis«, sagte Ralph. »Wie ich deinen Schwager einschätze, knüpft er große Erwartungen an das Testament deiner Schwester. Hoffentlich hat sie rechtzeitig an ihr Kind gedacht.« »Es ist anzunehmen«, meinte die junge Frau. »Daphne wird ganz sicher schon vor Monaten ihr Testament zu Gunsten ihres Kindes geändert haben.« Sie erinnerte sich, wie ihre Schwester mit einundzwanzig, als sie über ihren Besitz hatte verfügen können, bei ihrem Anwalt ein erstes Testament hinterlegt hatte. Sie selbst war damals zehn gewesen. »Du wirst nicht einen Penny von mir erben, dafür habe ich gesorgt«, hatte Daphne damals zu ihr gesagt. »Mein ganzes Vermögen wird an meinen zukünftigen Mann gehen und sollte ich nicht heiraten, an eine wohltätige Vereinigung.« »Phyllis!« rief Dr. Grady. »Es wird Zeit.« Phyllis schaute zu Ralph auf. »Werde mir nicht untreu.« »Nicht eine Sekunde.« Der junge Arzt nahm sie in die Arme. »Einen guten Flug, Darling. Wir telefonieren heute abend miteinander.« Dr. William Grady stand plötzlich neben ihnen. »Es tut mir leid, aber wenn wir das Flugzeug nicht verpassen wollen, müssen wir jetzt gehen, Phyllis.«
»Schon gut, William.« Die junge Frau griff nach der Tragetasche mit ihrer Nichte. »Alles Gute, Doktor Milford.« Der Archäologe schüttelte Ralphs Hand. »Wenn ich wieder in Ägypten bin, werde ich Sie und Ihren Onkel aufsuchen.« »Ich werde es meinem Onkel ausrichten, Doktor Grady«, versprach Ralph Milford. »Eine gute Reise.« »Danke!« William nickte ihm zu. »Komm, Phyllis.« Er nahm den Arm der jungen Frau. Phyllis ging mit ihm zur Paßkontrolle. Bevor sie die Sperre passierten, drehte sie sich noch einmal nach Ralph um und winkte ihm zu. Am liebsten wäre sie zu ihm zurückgelaufen. Nie zuvor hatte sie sich so verlassen gefühlt. »Es scheint wirklich zwischen euch die große Liebe zu sein«, bemerkte William Grady, als sie weitergingen. Seine Worte klangen herausfordernd und spöttisch zugleich. Phyllis gab ihm keine Antwort Sie fragte sich, ob Ralph mit seiner Meinung über ihren Schwager nicht doch recht hatte. Einem Mann wie William Grady fiel es sicher nicht schwer, den trauernden Witwer zu spielen. Daria wachte auf und begann zu weinen. Die junge Frau nahm das Kind in die Arme. Schon nach wenigen Minuten hatte es sich beruhigt. »Möchtest du Daria nicht einmal halten?« fragte sie ihren Schwager und wollte ihm die Kleine geben. »Nein«, erwiderte Dr. Grady kurz angebunden und wandte sich ab. Leicht wirst du es mit deinem Vater nicht haben, Lovely, dachte Phyllis niedergeschlagen, während sie mit Daria im Arm zu einem Kiosk ging, um noch eine Kleinigkeit für den Flug zu kaufen. Ihr Schwager schien fest entschlossen, das Kind völlig aus seinem Leben zu verbannen.
*
Es war für Phyllis Everson ein Seltsames Gefühl, nach Searose heimzukehren. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag war sie nicht mehr dort gewesen. Als sie jetzt durch die lange Allee fuhren, die vom Parktor zum Haus führte, überfiel sie die Erinnerung an ihre Kindheit. Erlebnisse, an die sie schon jahrelang nicht mehr gedacht hatte, standen plötzlich wieder vor ihren Augen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, daß sie und Daphne besser miteinander ausgekommen wären. Ohne jenen schrecklichen Unfall, der ihre Schwester so entstellt hatte, wäre ihrer aller Leben anders verlaufen. Kaum hatten die beiden Wagen, die Dr. Grady, seine Tochter, Phyllis und das Gepäck vom Flughafen abgeholt hatten, vor dem großen Portal gehalten, kamen ihnen James Raike und dessen Frau Elsie entgegen. Die beiden alten Leute wirkten bekümmert. Daphne war beim Personal stets sehr beliebt gewesen, obwohl sie den Leuten oft das Leben schwergemacht hatte. »Es tut mir so leid, Miß Everson«, versicherte der Butler, als er sie begrüßte. »Ich wünschte, Ihre Heimkehr nach Searose würde unter einem anderen Stern stehen.« »Das wünschte ich mir auch, Mister Raike«, erwiderte die junge Frau. Sie hatte mit ihm und seiner Frau bereits von Carbuka aus telefoniert. »Unser aller Beileid, Doktor Grady.« James Raike drückte kühl die Hand des Witwers. »Im Namen des ganzen Personals möchte ich Ihnen sagen, wie gern wir Ihre Gattin hatten und wie tief uns ihr plötzlicher Tod erschüttert.« »Danke, Raike.« Dr. William Grady schaute am Haus hinauf. »Ich werde niemals vergessen, wie glücklich ich hier mit
meiner Frau gewesen bin«, sagte er düster. »Wer hätte geahnt, daß ich eines Tages ohne sie nach England zurückkehren muß.« Phyllis hatte die Tragetasche mit Daria aus dem Wagen genommen. Elsie Raike beugte sich über das kleine Mädchen. »Armes kleines Ding«, meinte sie. »Es wird hart für sie werden, ohne Mutter aufzuwachsen.« »Ich habe meiner Schwester versprochen, stets für Daria dazusein«, sagte Phyllis. »Ich werde versuchen, ihr die Mutter zu ersetzen.« Sie blickte William nach, der bereits ins Haus ging. Sie hoffte, daß er nicht beschließen würde, Daria in ein gutes Kinderheim zu geben, weil er sich durch seinen Beruf nicht um sie kümmern konnte. Daria war seine Tochter, kein Gericht der Welt würde da Einspruch erheben. »Wir sind sehr froh, daß Sie und Ihre Schwester sich noch versöhnt haben, Miß Everson«, sagte die Frau des Butlers. »Wir haben für Sie und das Kind zwei nebeneinanderliegende Zimmer richten lassen. Falls Sie nicht damit einverstanden sein sollten, kann man das morgen immer noch ändern.« »Nein, das ist völlig in meinem Sinne«, versicherte die junge Frau. »Ich möchte in Darias Nähe bleiben.« Sie lächelte Mrs. Raike zu. »Gehen wir erst einmal hinein.« »Während des Dinners kann sich eines der Mädchen um die kleine Miß kümmern«, schlug der Butler vor. »Nelli, die Tochter des Gärtners, ist sehr zuverlässig. Zudem liebt sie Kinder. Die Kleine wird bei ihr in guter Hut sein.« »Wie gewöhnlich haben Sie schon für alles gesorgt, Mister Raike«, meinte Phyllis. »Ich weiß, daß ich mich auf Sie und Ihre Frau verlassen kann. Danke.« Sie drückte die Hand des alten Mannes. Der Butler zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Es ist gut zu wissen, daß Sie sich um die kleine Miß kümmern werden, Miß Everson.« Er wandte sich halb dem
Arbeitszimmer zu, dessen Tür sich gerade hinter Dr. Grady geschlossen hatte. »Wir können alle nur hoffen, daß Miß Daria einmal glücklicher als ihre Mutter wird.«
*
Auf Searose hatte sich kaum etwas verändert, seit Phyllis mit achtzehn Jahren nach London gezogen war. Die meisten der Leute, die auf dem Besitz arbeiteten, kannte sie noch. Man zeigte ihr offen, daß man sich über ihre Rückkehr freute. Dabei wußte die junge Frau noch nicht einmal, ob es tatsächlich eine Rückkehr für immer sein würde. Sie hatte in London ihre Arbeit und eine eigene Wohnung, Freunde, die ihr etwas bedeuteten, zudem war sie sich nicht sicher, ob ihr Schwager sie überhaupt auf Searose haben wollte. Auch wenn sie hier geboren worden war und ihre Kindheit verbracht hatte, der Besitz hatte Daphne gehört. Während der letzten Tage hatte die junge Frau immer wieder mit Dr. Milford telefoniert. Sie sehnte sich bereits jetzt nach Ralph und konnte es kaum noch erwarten, bis er aus Ägypten zurückkehrte. Sie hatte ihm erzählt, daß es auf Searose tatsächlich Terrarien mit Giftschlangen gab. Ein jüngerer Mann, den ihr Schwager extra dafür eingestellt hatte, kümmerte sich um die Reptilien. Sie waren in einem kleinen Gebäude im Park untergebracht. Wenn sich William nicht in seinem Arbeitszimmer aufhielt, war er meist dort zu finden. »Ich habe schon als Kind ein Faible für Giftschlangen gehabt«, hatte ihr Dr. Grady erzählt, als er ihr die Schlangen vorgeführt hatte. Ungerührt hatte er eine weiße Ratte genommen und sie in das Terrarium einer Kobra gesetzt.
Phyllis verstand nicht, daß Daphne diese Schlangen auf ihrem Besitz geduldet hatte. Auch wenn ihr William versichert hatte, daß keine der Schlangen fliehen konnte, immer wieder befürchtete sie, im Park auf eine zu treten. An diesem Nachmittag sollte Daphnes Testament verlesen werden. Dr. Basil Kallgren, der alte Familienanwalt, den Phyllis bereits seit ihrer Kindheit kannte, hatte hinter dem Schreibtisch in der Bibliothek Platz genommen. Dr. William Grady saß in einem der breiten Sessel, mit denen Daphnes Großvater die Bibliothek ausgestattet hatte. Auch wenn der Archäologe sich zu beherrschen versuchte, er konnte seine Nervosität nur schwer verbergen. Dr. Kallgren räusperte sich. »Es gibt Pflichten im Leben eines Anwalts, denen man sich nicht gerne unterzieht«, sagte er. »Als mir Mistreß Grady vor nunmehr vierzehn Jahren ihr erstes Testament anvertraute, hatte ich nicht erwartet, daß ich einmal gezwungen sein werde, ihren Letzten Willen zu verlesen. Ich…« »Wie wäre es, wenn Sie zur Sache kommen würden, Doktor Kallgren«, fiel ihm William Grady ungeduldig ins Wort. In der Bibliothek wurde es für eine Sekunde so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann schnappte der Butler halblaut nach Luft. Phyllis verstand ihren Schwager nicht. Auch wenn es um seine Zukunft ging, wie konnte er sich eine derartige Blöße geben? Dr. Grady spürte, daß er einen Fehler gemacht hatte. »Ich wollte Sie natürlich nicht unterbrechen, Doktor Kallgren«, sagte er. »Aber Sie werden verstehen, daß ich den Tod meiner lieben Frau noch nicht überwunden habe und daß alles, was damit zusammenhängt, eine große Belastung für mich ist.« »Ich kann Ihre Gefühle durchaus verstehen, Doktor Grady«, versicherte der Anwalt mit unbewegtem Gesicht. »Mistreß Grady hat im Laufe der letzten Jahre zweimal ihr
ursprüngliches Testament geändert«, fuhr er fort. »Die letzte Fassung erhielt ich vor vier Monaten. Sie wurde mir über unsere Botschaft in Kairo übermittelt. Mistreß Grady…« »Wie ist das möglich?« William Grady stand auf und trat an den Schreibtisch. »Daphne hat das Camp während der letzten Monate kaum verlassen. Sie…« »Würden Sie bitte wieder Platz nehmen, Doktor Grady«, bat der Anwalt. »Ihre Gattin war vor vier Monaten in Kairo. Sie hat mich aus dem Hotel Nile Hilton angerufen und mir gesagt, daß sie bei der englischen Botschaft eine Neufassung ihres Letzten Willens hinterlegen wird.« Der Archäologe setzte sich wieder. »Ich habe mich geirrt«, gestand er. »Jetzt fällt mir ein, daß Daphne tatsächlich vor einigen Monaten in Kairo gewesen ist, um einige wichtige Besorgungen zu machen.« Dr. Kallgren brach das Siegel des Testaments auf. Er räusperte sich erneut, bevor er es verlas: »Es fällt mir nicht leicht, schon wieder mein Testament zu ändern, aber die Umstände zwingen mich dazu. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, nur erwähnen, daß ich Searose und mein Vermögen nicht einem Menschen hinterlassen kann, der dessen nicht würdig ist.« William Grady stieß einen halberstickten Laut aus. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er schien sich nur noch mit Mühe beherrschen zu können. »All denen, die meiner Familie und mir treu gedient haben, möchte ich meinen Dank aussprechen und sie bitten, trotz der Legate, die sie erhalten, auf Searose zu bleiben«, verlas der Anwalt weiter. Dann folgten die einzelnen Summen, die Daphne der Dienerschaft hinterlassen hatte. »Meine Schwester Phyllis soll wissen, daß ich ihr längst verziehen habe und daß es mir leid tut, daß wir uns während der letzten Jahre nicht mehr gesehen haben. Ich möchte sie
bitten, für mein Kind zu sorgen und es nicht im Stich zu lassen. Aus meinem Vermögen soll Phyllis fünfzigtausend Pfund erhalten. Des weiteren steht ihr bis an ihr Lebensende das Wohnrecht auf Searose zu. Searose und mein restliches Vermögen vermache ich meinem ungeborenen Kind. Bis zu seiner Volljährigkeit soll mein Vermögen von Dr. Basil Kallgren und seinem Partner verwaltet werden. Die Zinsen aus meinem Vermögen sollen zu zwei Dritteln für den Unterhalt von Searose verwendet werden. Ein Drittel von ihnen steht meinem Mann zu, wenn er sich verpflichtet, sich in die Erziehung unseres Kindes nicht einzumischen. Anderenfalls geht er auch dieses Geldes verlustig.« »Ich glaube kaum, daß ich mir das länger anhören muß, Doktor Kallgren«, brauste William Grady auf und trat erneut an den Schreibtisch. »Immerhin gibt es in diesem Land Gesetze. Meine Frau ist während der letzten Monate ihrer Schwangerschaft ständig krank gewesen. Sie wußte nicht mehr, was sie tat. Deshalb ist dieses Testament ungültig.« »Tut mir leid, Doktor Grady, doch Ihre Frau hat dieses Testament vor Zeugen abgefaßt, die eidesstattlich erklärten, daß sie bei bester geistiger Gesundheit ist«, erwiderte der Anwalt. »Sie werden sich an den Ehevertrag erinnern, der vor Ihrer Heirat aufgesetzt wurde. In ihm steht, daß Sie niemals Anspruch auf das Vermögen Ihrer Gattin erheben werden.« »Natürlich erinnere ich mich an diesen Vertrag. Schließlich hatten Sie meine Frau dazu überredet«, erklärte Dr. Grady wütend. »Aber Sie werden sich auch daran erinnern, daß meine Frau und ich damals je ein Testament abfaßten, in dem der andere als Alleinerbe erklärt wurde.« »Sicher, Doktor Grady«, erwiderte der Anwalt ruhig. »Nur das Testament Ihrer Frau wurde durch dieses hier aufgehoben.« Er sah den Archäologen an. »Meinen Sie nicht,
daß Sie es dabei belassen sollten? Denken Sie bitte daran, daß die Erbin des Vermögens Ihre eigene Tochter ist. In dieser Familie wurde die Erbfolge bereits einmal so geregelt und zwar vom Vater Ihrer verstorbenen Gattin. Diese Regelung stellt sicher, daß Searose und das Vermögen in der Familie bleiben.« Dr. William Grady straffte die Schultern. »Sie werden noch von mir hören, Doktor Kallgren«, sagte er und verließ hochaufgerichtet die Bibliothek. Das Personal von Searose kehrte an seine Arbeit zurück. Phyllis ahnte, daß die Verlesung des Testaments noch lange die Gemüter der Leute beschäftigen würde. Vermutlich würde man auch außerhalb des Besitzes darüber klatschen. Sie wünschte sich, ihr Schwager hätte sich etwas mehr zusammengenommen. Sicher hatte Daphne irgendwann mit ihm darüber gesprochen, wie die Erbfolge von ihrem Vater geregelt worden war. William hätte damit rechnen müssen, daß Daphne darauf zurückgreifen würde. »Was werden Sie nun tun, Miß Everson?« fragte Dr. Kallgren, als ihn die junge Frau zu seinem Wagen brachte. Er hatte es abgelehnt, über Nacht auf Searose zu bleiben, weil ihn am nächsten Morgen dringende Geschäfte in London erwarteten. »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als meine Stelle in London zu kündigen«, erwiderte Phyllis. »Daphne hat mir ihre Tochter anvertraut. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich mich dieser Verpflichtung kaum entziehen.« Sie seufzte auf. »Außerdem liebe ich das Kind. Daria ist für mich etwas ganz Besonderes.« »Es freut mich, daß Sie es so sehen, Miß Everson«, sagte der alte Anwalt. »Geben Sie gut auf die Kleine acht. Hätte ich erwartet, daß Ihre Schwester nicht mehr aus Ägypten heimkehren würde, ich hätte ihr noch zu ein, zwei Zusätzen im
Testament geraten. Nun ist es leider dazu zu spät.« Er drückte die Hand der jungen Frau, stieg in seinen Wagen und fuhr zum Tor. Phyllis spürte, daß in den Worten des Anwalts eine deutliche Warnung gelegen hatte. Befürchtete Dr. Kallgren etwa, William könnte seiner Tochter etwas antun, um in den Genuß des Vermögens zu kommen? – Nein, soweit würde nicht einmal William gehen. Auch wenn er Daria nicht liebte, sie war immerhin sein eigen Fleisch und Blut. Trotz seiner Drohung, das Testament anzufechten, kehrte Dr. William Grady bereits eine Woche später nach Ägypten zurück. Von Dr. Kallgren erfuhr Phyllis, daß ihr Schwager ihn schriftlich gebeten hatte, seinen Anteil der Zinsen auf ein Londoner Konto zu überweisen. Sie war froh, daß William es vorgezogen hatte, nicht länger auf Searose zu bleiben. Während der letzten Tage hatten sie kaum noch miteinander gesprochen. Nicht ein einziges Mal hatte er den Weg ins Kinderzimmer gefunden. Es war, als würde Daria für ihn überhaupt nicht existieren. Das kleine Mädchen war Phyllis’ ganze Freude. Es entwickelte sich prächtig, und der Kinderarzt, den sie mit Daria aufsuchte, um sie vorsorglich untersuchen zu lassen, war sehr zufrieden. »Du bist ein richtiger kleiner Sonnenschein«, sagte die junge Frau, oft zu der Kleinen. Noch immer hatte sie ihre Trauer um Daphne nicht überwunden und manchmal träumte sie nachts von ihrer Schwester. In jedem der Träume bat Daphne sie, gut auf Daria zu achten. Die junge Frau war nach London gefahren, um mit ihrem Chef zu reden und ihn zu bitten, sie ohne Kündigungszeit freizugeben. Stanley Rockett war ihrem Wunsch nachgekommen, wenn auch schweren Herzens, doch er hatte eingesehen, daß sie jetzt in erster Linie für ihre Nichte dasein mußte.
Peter Osborn hatte es Phyllis schwerer gemacht. Er hatte ihr vor Augen geführt, daß es ein großer Fehler sein konnte, ständig für andere Menschen einzutreten und sich selbst darüber zu vergessen. Ganz offen hatte er ihr gesagt, daß er an eine gemeinsame Zukunft mit ihr gedacht hatte. Phyllis war nichts anderes übriggeblieben, als ihm von Ralph Milford zu erzählen. »Sieht aus, als würde ich in meinem Leben stets zu spät kommen«, hatte er gemeint und ihr alles Gute gewünscht. Ich habe keinen Grund, mich Peter gegenüber schuldig zu fühlen, dachte die junge Frau, als sie an diesem Nachmittag in die Räume ihrer Schwester ging. Sie hatte ihm niemals irgendwelche Versprechungen gemacht, trotzdem tat es ihr leid, ihn so enttäuscht zu haben. Phyllis holte tief Luft. Seit ihrer Rückkehr aus Ägypten war sie nicht mehr in den Zimmern ihrer verstorbenen Schwester gewesen. Damals hatte sie nur überwacht, daß Daphnes Sachen auch sicher untergebracht wurden. Doch nun wurde es Zeit, sie endlich auszupacken. Es würde nichts bringen, noch länger damit zu warten. Auf dem Schreibtisch im Salon stand ein frischer Rosenstrauß. Die junge Frau nahm an, daß Elsie Raike ihn am Morgen gebracht hatte. Erst neulich hatte Mrs. Raike zu ihr gesagt, wie sehr sie es bedauerte, daß Mistreß Grady nicht in der Heimat beigesetzt worden war. Phyllis überlegte, ob es nicht eine gute Idee wäre, Daphne nach England überführen zu lassen. Es war ihr ohnehin unverständlich gewesen, weshalb ihr Schwager auf einer Beisetzung in Ägypten bestanden hatte. Die Kisten und Koffer standen unberührt im Schlafzimmer. Phyllis nahm einen der Koffer und legte ihn aufs Bett. Sie holte tief Luft, bevor sie ihn aufschloß und damit begann, ihn auszupacken.
Die Dämmerung brach herein. Phyllis öffnete eine der Kisten. Sie erinnerte sich noch, wie sie diese Kiste gepackt hatte. Sie enthielt Daphnes Zeichnungen, Bücher, Papiere, einen verschlossenen Rosenholzkasten und Schmuck. Vielleicht sollte ich morgen weitermachen, dachte die junge Frau, als sie Daphnes Zeichnungen in den Händen hielt. Vom Schmerz überwältigt schluchzte sie auf. Noch immer glaubte sie, versagt zu haben. Warum hatte sie nicht von vornherein abgelehnt, nach En Berka zu fahren? Sie legte die Zeichnungen auf den Nachttisch und griff nach dem Rosenholzkasten. Schon wollte sie ihn ebenfalls auf den Nachttisch stellen, als sie es sich anders überlegte. Sie nahm den kleinen Schlüssel, den sie in Daphnes Papieren gefunden hatte, und schloß den Kasten auf. Verwundert schaute sie auf ein dickes Tagebuch. Phyllis’ Herz klopfte zum Zerspringen, als sie das Tagebuch aus dem Kasten nahm. Hatte sie das Recht, in ihm zu blättern? Sie war sich nicht ganz sicher, dann sagte sie sich jedoch, daß die Aufzeichnungen für sie wichtig sein könnten. Sie schaltete das Licht ein und setzte sich mit dem Tagebuch in einen mit Chintz bezogenen Sessel. Daphne hatte mit den Aufzeichnungen zwei Jahre nach ihrer Heirat mit William begonnen. Sie hatte das Tagebuch nur sporadisch geführt und immer nur hineingeschrieben, wenn sich etwas ereignet hatte. Fasziniert las Phyllis die Aufzeichnungen ihrer Schwester. Schon bald hatte Daphne erkennen müssen, daß auch Dr. William Grady sie nur ihres Vermögens willen geheiratet hatte. »… alles, was mir William geschworen hatte, ist nichts als Lug und Betrug gewesen. Ich war dumm genug, ihm zu gestatten, seine Assistentin auf Searose aufzunehmen. Meint er wirklich, daß ich keine Ahnung habe, wohin er während der
Nacht verschwindet? Mehr als einmal habe ich schon nachts in sein Schlafzimmer gesehen. Er behauptet, nächtliche Spaziergänge zu machen…« Phyllis las Eintragung um Eintragung. Die Ehe ihrer Schwester schien die reine Hölle gewesen zu sein. »… ich habe mir immer Kinder gewünscht. Heute habe ich durch Zufall erfahren, daß William zeugungsunfähig ist. Noch ein Betrug, den er an mir begangen hat. Mein Haß auf ihn wächst von Tag zu Tag. Natürlich wäre es einfach, mich scheiden zu lassen, aber dann müßte ich William eine angemessene Abfindung zahlen. Dr. Kallgren hatte mich gewarnt, diesen Passus in den Ehevertrag aufzunehmen, doch blind vor Liebe wie ich war, wollte ich nicht auf ihn hören. Ich könnte dieser Abfindung nur entgehen, wenn ich Williams Untreue als Scheidungsgrund angebe. Doch das kann ich nicht, denn William würde sich nicht scheuen, mich vor aller Welt bloßzustellen…« Es war längst Zeit für das Dinner, doch Phyllis brachte es nicht fertig, das Tagebuch ihrer Schwester beiseite zu legen. Seite um Seite blätterte sie um, erlebte, wie Daphnes Haß auf William mit jedem Tag gewachsen war. Die junge Frau konnte ihre Schwester nicht verstehen. Daphne war schließlich eine sehr reiche Frau gewesen. Warum hatte sie William nicht die Abfindung gezahlt und sich dafür Frieden erkauft? Andererseits war es vielleicht gerade dieser Haß gewesen, der ihre Schwester aufrechtgehalten hatte. Plötzlich tauchte immer öfter der Name eines jungen Mannes auf den Seiten des Tagebuchs auf. Er hieß Fred Lancaster und stammte aus Canterbury. Daphne hatte ihn als Restaurator für einige der Gemälde engagiert. »… ich weiß, daß Fred mich wirklich liebt«, schrieb ihre Schwester.
»Wir haben heute sehr lange miteinander gesprochen. Natürlich ist es eine aussichtslose Liebe, denn schließlich bin ich eine verheiratete Frau und dazu noch zwölf Jahre älter als er. Aber mein Leben ist schöner geworden, seit es Fred gibt.« Phyllis ließ das Tagebuch sinken. Schon als ihre Schwester davon gesprochen hatte, daß ihr Mann zeugungsunfähig war, hatte sie sich gefragt, wer dann wohl Darias Vater sein möchte. Es wunderte sie nicht mehr, daß William dem kleinen Mädchen keine Beachtung schenkte, denn schließlich war er ja der erste, der wissen mußte, daß Daria nicht seine Tochter sein konnte. »… heute ist es passiert. Fred und ich, wir haben miteinander geschlafen. Hinterher fühlten wir uns beide schuldig. Vielleicht ist es gut, daß Fred schon nächste Woche nach Canterbury zurückkehren muß. Aber ich werde ihn vermissen.« Wieder blätterte Phyllis um. Ihre Schwester beschrieb die schreckliche Zeit nach Freds Weggang, ihre Verzweiflung, ihre Angst, daß nun alles aus sein würde. »… ich bin beim Arzt gewesen. Er sagte mir, daß ich schwanger bin. Ich kann es kaum glauben… … Nun weiß es auch William. Fassungslos starrte er mich an, dann ging er an die Bar und schenkte sich einen doppelten Whisky ein. Als er sich mir wieder zuwandte, fragte er mich, wie ich mir nun unsere Zukunft vorstellen würde. Ich sagte ihm, daß dieses Kind seinen Namen tragen würde. Wütend warf er das leere Glas in den Kamin. Ich habe mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt.« Die nächsten Eintragungen befaßten sich fast ausschließlich mit Daphnes Schwangerschaft und Williams Versuch, wenigstens nach außen hin ihre Ehe aufrechtzuerhalten. Er schien eingesehen zu haben, daß Daphne sich durch sein Verhalten nicht zu einer Scheidung hinreißen lassen würde.
»… heute sagte mir William, daß er mit Mary White und seinen beiden anderen Assistenten in drei Wochen nach Ägypten reisen würde, um dort ein Ausgrabungsprojekt zu leiten. Meint er, so meiner Gesellschaft und seinen Verpflichtungen zu entkommen? Trotz meiner Schwangerschaft werde ich ihn begleiten. Ich kann nicht zulassen, daß er sich in Ägypten ungestört mit dieser Mary amüsiert.« Phyllis stand auf und streckte sich. Sie wollte schon das Tagebuch zuschlagen, um vor dem Schlafengehen noch einmal in ihm zu lesen, als ihr Blick auf eine weitere Eintragung fiel. »… wir waren in Carbuka. Auf dem Rückweg ins Camp hatten wir eine Panne. Nachdem wir fast drei Stunden auf Hilfe gewartet hatten, schlug William vor, zu Fuß weiterzugehen. Auf der Straße wäre es ein Marsch von zwei Stunden gewesen, doch er meinte, daß wir eine Abkürzung nehmen könnten. Man muß es ihm lassen, er kennt sich in Wüstengebieten aus. Wir nahmen die beiden Wasserkanister und marschierten los. Plötzlich stockte sein Schritt. Eine fieberhafte Erregung hatte ihn gepackt. Vielleicht wurde er deshalb so unvorsichtig. Als ich ihn fragte, was los sei, antwortete er mir, daß uns der Zufall wahrscheinlich zum Grab der Prinzessin Therasic geführt hätte. Er erzählte mir, daß er vor vier Jahren zum ersten Mal aus einem alten Papyrus von dieser Prinzessin erfahren hätte. Es sei sehr genau beschrieben gewesen, wie Therasic beigesetzt worden war. Er gestand mir, daß er den jetzigen Auftrag nur angenommen hatte, weil er das Grab der Prinzessin in der Nähe des Tempels vermutete. Er wies mich auf die Felsformationen hin, die ebenfalls im Papyrus erwähnt worden waren. Es war das erste Mal seit Jahren, daß ich mich William wieder verbunden fühlte. Seine Erregung hatte auch mich gepackt. Für knapp eine Stunde waren wir so etwas wie
Verschwörer. Er gestand mir, daß nur er diesen Papyrus kannte und er sagte mir, daß die Zeit noch nicht reif sei, das Grab der Prinzessin freizulegen. Er nahm mir das Versprechen ab, darüber zu schweigen… …es ist alles, wie es war. William behandelt mich, wenn wir allein sind, wie Luft. Nur im Beisein seiner Leute spielt er den liebevollen Ehemann. Auch mit dem Grab der Prinzessin wird er mich belogen haben. Wenn es wirklich existiert, plant er vermutlich, es für sich selbst auszubeuten…« Es klopfte. Phyllis schrak auf. »Ja, bitte!« rief sie. Elsie Raike kam in Daphnes Schlafzimmer. »Wir suchten Sie schon überall, Miß Everson«, sagte sie. »Haben Sie das Dinner vergessen?« Sie schaute auf Daphnes Sachen. »Es muß schlimm für Sie sein.« »Ja, das ist es, Mistreß Raike«, erwiderte Phyllis. Sie schlug das Tagebuch ihrer Schwester zu und folgte ihr in den bewohnten Teil des Hauses. »Hallo, Daria!« Dr. Ralph Milford streckte die Arme nach dem kleinen Mädchen aus, das Phyllis aus seinem Bettchen hob. »Na, wie geht es dir, Lovely?« Auch wenn Daria den Sinn der Worte noch nicht verstehen konnte, sie spürte die Wärme, die von ihnen ausging. Strahlend lächelte sie den jungen Mann an. Mit ihren vier Monaten hatte sich die Kleine prächtig entwickelt. Nicht ein einziges Mal war sie bisher krank gewesen. »Sie ist meine ganze Freude«, sagte Phyllis. »Da sollte ich direkt eifersüchtig werden«, meinte Dr. Milford und drückte Daria an sich, dann reichte er sie Nelli Klood, der Tochter des Gärtners, die Phyllis bei der Betreuung der Kleinen half. »Dazu hast du keinen Grund, Ralph«, versicherte Phyllis, als sie wenig später durch den Park zu den Klippen gingen. »Ich
habe Tag und Nacht an dich gedacht und die Stunden bis zu deiner Rückkehr gezählt.« »Soll ich das wirklich glauben, Darling?« Er nahm sie in den Arm. Lange sah er sie an, dann ließ er seine Fingerspitzen sanft über ihr Gesicht gleiten. »Ich liebe dich«, sagte er leise und zärtlich. »So interessant meine Arbeit in Ägypten gewesen ist, ich bin vor Sehnsucht nach dir fast krank geworden.« Engumschlungen gingen sie weiter. Dr. Milford erzählte seiner Freundin, daß er zweimal ihren Schwager in Carbuka getroffen hatte, der Mann es aber nicht einmal für nötig befunden hatte, seinen Gruß zu erwidern. Er wußte von seinen Telefonaten mit Phyllis, daß Daphne ihren Mann enterbt hatte und er nur über einen Teil der Zinsen verfügen konnte. »William ist nicht Darias Vater«, sagte Phyllis. Am Telefon hatte sie nicht mit Ralph darüber sprechen wollen. Jetzt erzählte sie ihm von dem Tagebuch. »Ich habe mich nach Fred Lancaster erkundigt. Er ist inzwischen verheiratet. Seine Frau erwartet ein Kind.« »Du solltest dich nicht mit ihm in Verbindung setzen«, riet Ralph. »Zudem ist ja nicht einmal sicher, ob er wirklich Darias Vater ist.« »Wer sollte es sonst sein?« »Gut, ich gebe mich geschlagen«, lachte er, dann wurde er wieder ernst. »Wenn Daria achtzehn ist, können wir ihr immer noch sagen, daß William Grady nicht ihr Vater sein kann. Sie soll dann selbst entscheiden, ob sie Mister Lancaster kennenlernen will.« »Etwas Ähnliches habe ich mir auch gedacht«, gestand Phyllis. »Ich…« Sie sah ihn herausfordernd an. »Warum hast du ›wir‹ gesagt?« fragte sie. »Es klang, als würden wir in achtzehn Jahren immer noch Zusammensein.« »Das werden wir auch«, erwiderte Ralph und nahm seine Freundin erneut in den Arm. »Ich möchte dich nämlich
heiraten, mein Darling.« Er hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Du bist jetzt eine vermögende Frau und ich nur Arzt in einer Privatklinik, aber ich liebe dich und ich meine, wir werden es schon schaffen.« »Ich kann mir nichts Schöneres denken, als die Frau eines Arztes zu sein«, versicherte Phyllis glücklich. »Aber eines sollte dir klar sein. Daria wird immer zu unserem Leben gehören. Ich werde sie niemals aufgeben.« »Wir werden sie niemals aufgeben«, sagte der junge Arzt. Leidenschaftlich zog er sie an sich und küßte sie.
*
Während der nächsten Wochen hörten weder Phyllis noch Dr. Basil Kallgren etwas von William Grady, zweimal konnten sie allerdings einen kurzen Artikel über die Ausgrabungen bei Carbuka in der Times lesen. Der Journalist, mit dem William auf dem Kairoer Flughafen gesprochen hatte, war wieder in Ägypten gewesen und hatte ihn im Camp besucht. Es war Herbst geworden. Die Blätter der Parkbäume verfärbten sich. Jeden Tag unternahm Phyllis mit Daria lange Spaziergänge durch den Besitz. Die junge Frau begann ihre Arbeit in London zu vermissen. Sie war es nicht gewohnt, geistig nicht gefordert zu werden, deshalb beschloß sie, an einer Familiengeschichte der Forbes zu arbeiten. Später würde Daria einmal alles über ihre Familie und Searose wissen wollen. Wann immer es seine Arbeit an der Privatklinik erlaubte, fuhr Dr. Milford nach Searose. Oft blieb er auch über das Wochenende. Längst war es kein Geheimnis mehr, daß Phyllis und er sich liebten. Als die junge Frau Mr. Raike sagte, daß sie
und Dr. Milford sich Ende Oktober verloben wollten, gestand er ihr, daß er längst damit gerechnet hatte. An diesem Abend hatte Phyllis noch lange mit ihrem Freund telefoniert, bevor sie zu Bett gegangen war. Die Tür zu Darias Zimmer stand offen. Das kleine Mädchen schlief tief und fest. Phyllis träumte von Ralph. Sie sah sich bereits mit ihm vor dem Traualtar stehen. Zwar hatten sie noch nicht davon gesprochen, wann sie heiraten wollten, doch sie wußte, daß sie nicht allzu lange damit warten würden. Gerade noch hatte sie Ralph ihr Jawort gegeben und sie hatten glücklich einander in die Augen gesehen, als plötzlich eine düstere Wolkenwand auf sie niedersauste. Aus ihr heraus streckte sich eine kleine Hand. »Hilf mir!« Mit einem Schlag war die junge Frau wach. Sie schaltete die Nachttischlampe ein. Aus dem Nebenzimmer drang kein Laut, aber noch immer glaubte sie, Daria um Hilfe rufen zu hören. Du machst dich lächerlich, dachte sie, als sie aufstand und barfuß zur Verbindungstür eilte. Was soll der Kleinen in deiner Nähe passieren? Auf Zehenspitzen näherte sich Phyllis dem Bettchen des Kindes. Das Mondlicht fiel durch die hohen Fenster, aber nur ein schwacher Abglanz davon erreichte Daria, deren leise Atemzüge die Stille des Zimmers durchbrachen. Phyllis wollte bereits ihre Hand nach der Kleinen ausstrecken, als sie mitten in der Bewegung erstarrte. Etwas Rundes, Dunkles, das sie nicht erkennen konnte, lag auf Darias Bett. Plötzlich nahm sie eine schwache Bewegung wahr. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Vorsichtig wich Phyllis von Darias Bett zurück, bis sie den Lichtschalter an der Tür erreichte. In Gedanken betete sie, daß die Kleine vom plötzlichen Lichtschein nicht aufwachte. Eine falsche Bewegung und Daria würde sterben.
Sie hielt den Atem an, als sie den Lichtschalter hinunterdrückte. Die Deckenlampe flammte auf und bewies der jungen Frau, daß sie nicht von einer Halluzination genarrt worden war, sondern sich auf Darias Bett tatsächlich eine Sandviper ringelte. Daria schlief noch immer. Sollte sie Bruce Haley anrufen, den jungen Mann, der die Reptilien in den Terrarien betreute? Seine Wohnung befand sich in einem Seitenflügel des Hauses. Doch bis Bruce hier sein würde, war es vielleicht zu spät. Die junge Frau schlich zum Bett zurück. Die Schlange hob den Kopf. Ihre kleinen Augen verfolgten jede Bewegung. Noch schien sie sich nicht angegriffen zu fühlen. Phyllis überlegte, ob sie einfach das Kind aus dem Bett reißen sollte, aber das erschien ihr zu gefährlich. Die Sandviper konnte blitzschnell zustoßen. Die junge Frau blickte sich im Zimmer um. Plötzlich entdeckte sie auf der Couch, die zwischen den beiden Fenstern stand, eine dicke Wolldecke. Lautlos ging sie zur Couch, faltete die Decke zusammen und kehrte zu Daria zurück. Die Sandviper beobachtete sie noch immer. Sie richtete sich auf. Ihre Zunge schnellte blitzschnell vor und zurück. Phyllis wußte, daß ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Es war riskant, aber es gab keinen anderen Weg. Die junge Frau trat soweit an das Bett heran, wie sie es wagen konnte, dann warf sie die dicke Decke blitzschnell auf die Schlange. Bevor die Sandviper sich von ihrer Überraschung erholt hatte, riß Phyllis das Kind an sich und flüchtete zur Tür. Das kleine Mädchen brüllte vor Schreck. Es war nicht gewohnt, so brutal aus dem Schlaf gerissen zu werden. Schreiend klammerte es sich an seine Tante.
»Da haben wir noch einmal Glück gehabt, Lovely«, meinte Phyllis aufschluchzend. Sie schloß die Tür hinter sich, drehte sogar den Schlüssel herum. Atemlos drückte sie Daria an sich. Es dauerte ein paar Minuten, bis die junge Frau sich soweit gefaßt hatte, daß sie zum Telefon gehen konnte, um Bruce Haley anzurufen. Ihre Hand zitterte, als sie den Hörer abhob. Phyllis glaubte, sich nie zuvor in ihrem Leben so gefürchtet zu haben, wie während der letzten Minuten. Noch während sie mit dem entsetzten Bruce sprach, fragte sie sich, wie die Sandviper ausgerechnet auf Darias Bett gekommen war. »Nach wie vor ist es mir ein Rätsel, wie die Sandviper ins Haus gekommen ist und vor allen Dingen auf Darias Bettchen«, meinte Phyllis Everson, als sie drei Tage später mit Dr. Milford auf der Terrasse saß und Tee trank. Nachts träumte sie immer wieder von den schrecklichen Minuten, in denen sie mit dem Kind und der Schlange alleine gewesen war. »Bruce Haley schwört, daß alle Schlangen in ihren Terrarien gewesen sind, als er das Reptilienhaus verlassen hat.« »Die Schlange ist nicht von alleine in Darias Zimmer geraten«, sagte Dr. Milford. »Da hat jemand kräftig nachgeholfen.« Phyllis gestand ihm, daß sie auch schon daran gedacht hatte. »Doktor Kallgren hat mich nach der Testamentseröffnung gewarnt und durchblicken lassen, daß Daphne in ihrem Testament einen großen Fehler gemacht hat. Dem Gesetz nach gilt Daria als Williams Tochter. Wenn sie stirbt, wird er sie beerben.« »Unfälle passieren nun einmal, besonders, wenn es Sandvipern und dergleichen auf dem Besitz gibt. Wer wollte deinen Schwager dafür zur Verantwortung ziehen, wenn seine Tochter durch die Unachtsamkeit anderer Leute von einer Schlange gebissen wird?« Ralph blickte düster in seine Teetasse. »Dr. Grady könnte sich darauf berufen, daß er alles
getan hat, um Unglücksfälle auszuschließen. Bei Mister Haley handelt es sich um einen ausgebildeten Tierpfleger, der sein Handwerk auf einer Schlangenfarm erlernt hat.« »Erinnerst du dich an das Grab der Prinzessin, das Daphne in ihrem Tagebuch erwähnt hat?« fragte die junge Frau nachdenklich. »Wenn William es tatsächlich heimlich ausbeuten will, wird er erst einmal eine Menge Geld dazu brauchen. Immerhin müßten eine Menge Leute bestochen werden.« Ihr Freund nickte. »Ja, so einfach ist es heute nicht mehr, ein altes Grab aufzubrechen und sich die Kostbarkeiten anzueignen, die es enthält. Vor allen Dingen wird es schwierig sein, die Sachen außer Landes zu bringen.« Er schenkte sich Tee nach. »Du meinst also, daß William auf Daphnes Erbschaft spekulierte, um an das Grab heranzukommen?« Phyllis nickte. Sie seufzte leise auf. »Und ich glaubte tatsächlich, ich hätte mich in William getäuscht, als er mir nach Daphnes Tod den trauernden Witwer vorspielte. Weißt du, daß ich in letzter Zeit sehr oft darüber nachgedacht habe, ob mein Schwager nicht auch für Daphnes Tod verantwortlich ist.« »Man kann einen Steinschlag auch künstlich auslösen«, bemerkte Dr. Milford. »Also hast du auch schon darüber nachgedacht.« »Nicht nur einmal«, gestand der junge Arzt. Er schlug leicht mit der flachen Hand auf den Tisch. »Aber es nützt uns nichts, wenn wir hier sitzen und darüber nachgrübeln, ob Doktor Grady für den Tod deiner Schwester verantwortlich ist. Jetzt geht es um Daria. Wir müssen das Kind auf jeden Fall vor ihm beschützen.« »Der einzige Weg wäre die Polizei«, meinte Phyllis. »Nur haben wir nicht den geringsten Beweis für seine Schuld. Wir wissen ja nicht einmal, ob er in England ist.«
»Ich werde heute abend meinen Onkel anrufen«, schlug Ralph vor. »Es dürfte ihm nicht schwerfallen, herauszufinden, ob sich dein Schwager im Camp aufhält.« »Ich habe mir vorgenommen, daß Daria nie mehr ohne Aufsicht ist. Nachts wird sie in meinem Zimmer schlafen und tagsüber, wenn ich nicht bei ihr bin, wird Nelli sie nicht aus den Augen lassen. Ich habe dem Mädchen zwar nicht gesagt, was ich vermute, doch ich weiß, daß ich mich auf sie verlassen kann.« »Gehen wir ein Stückchen spazieren«, schlug der junge Arzt vor. Phyllis stand auf. Mit Ralph stieg sie die Terrassenstufen zum Park hinunter. »Ich habe mit Doktor Kallgren gesprochen«, sagte sie. »Er will sich darum kümmern, daß die Schlangen anderweitig untergebracht werden. Er meint, daß niemand mich zwingen könnte, die Reptilien weiter auf Searose zu dulden.« »Je eher die Schlangen wegkommen, um so besser wird es sein«, pflichtete ihr Ralph bei. »Ich habe ganz gewiß nichts gegen diese Tiere, doch auf einem Privatbesitz haben sie nichts verloren.« Er legte den Arm um sie. Phyllis lehnte den Kopf gegen seine Schulter. Sie dachte wieder daran, wie sie in das Zimmer ihrer Nichte gekommen war und die Schlange auf dem Bett der Kleinen vorgefunden hatte. »Daria hat geschlafen«, meinte sie. »Trotzdem bin ich mir ganz sicher, daß sie mich um Hilfe gerufen hat.« »Sie wird es im Unterbewußtsein getan haben«, erwiderte Ralph. »Zwischen euch gibt es eine Verbindung, die sich mit normalen Maßstäben nicht erklären läßt. Ich bin gespannt, ob das auch später noch so sein wird.« Er blieb stehen. »Wer weiß, was ich mit euch beiden noch für Überraschungen erleben werde.«
»An deiner Stelle würde ich beizeiten das Weite suchen«, scherzte Phyllis. »Ich werde mich doch nicht selbst ins Abseits stellen.« Er tippte mit dem Zeigefinger gegen Phyllis’ Nasenspitze. »Nein, so schnell wirst du mich nicht los, Darling. Damit mußt du dich abfinden.« »Was für ein hartes Los.« Sie schmiegte sich an ihn. »Ich werde es wie ein Mann tragen.« Lachend küßte er sie. Auf Searose nahm alles seinen gewohnten Lauf. Jeden Vormittag arbeitete Phyllis an der Familienchronik der Forbes. Es machte ihr große Freude, in der Bibliothek und in alten Papieren, Briefen und Fotos zu stöbern. Sie verfolgte die Geschichte des Hauses bis ins sechzehnte Jahrhundert zurück. Die Porträts, die überall im Haus hingen, erhielten plötzlich eine völlig neue Bedeutung für sie. Als kleines Mädchen hatte sie sich stets vor diesen steifen Damen und Herren gefürchtet, die so streng von den Wänden herabblickten, nun erschienen sie ihr wie alte Bekannte. Ralph hatte mit seinem Onkel telefoniert und erfahren, daß sich Dr. Grady zur Zeit zwar nicht im Camp aufhielt, aber er Ägypten auch nicht verlassen hatte. Von einem Kollegen der Kairoer Universität war der Archäologe eingeladen worden, an einer Ausgrabung in der Nähe der sudanesischen Grenze teilzunehmen. »Ist das nicht reichlich ungewöhnlich?« fragte Phyllis, als ihr Ralph einige Tage vor ihrer Verlobungsfeier davon erzählte. »Wieso läßt William seine eigene Ausgrabung im Stich?« »Das habe ich mich auch schon gefragt«, gestand Dr. Milford. »Es sieht deinem Schwager gar nicht ähnlich. Bei der Ausgrabung des Tempels ist er schließlich der leitende Archäologe, während man bei dem anderen Projekt seinen Namen höchstens nebenbei erwähnen wird.«
Phyllis hob die Schultern. »Im Grunde kann es uns egal sein«, meinte sie. »Mir ist es nur wichtig, daß William sich nicht in England aufhält. Wußte dein Onkel zufällig, wann mein Schwager zur sudanesischen Grenze gefahren ist.« »Vor etwa drei Wochen«, erwiderte Ralph. »Also hat er mit dem Anschlag auf Daria nichts zu tun.« »Oder er hat jemanden bestochen, der die Schlange in ihr Zimmer geschafft hat«, bemerkte Phyllis. »Ich wünschte, ich könnte mich sicher fühlen, aber ich habe nach wie vor Angst um Darias Leben.« Sie blickte zu ihrem Freund auf. »Vielleicht sollte ich Doktor Kallgren Daphnes Tagebuch geben. Es müßte doch möglich sein, amtlich feststellen zu lassen, daß William nicht Darias Vater ist und deshalb nach ihrem Tod auch keinen Anspruch auf eine Erbschaft erheben kann.« »Mag sein, daß es da eine Möglichkeit gibt, Darling, nur würden wir da ganz gewiß Daphnes Willen zuwider handeln«, gab der junge Arzt zu bedenken. »Deine Schwester wollte nicht, daß an Daria der Makel einer außerehelichen Geburt haftet. Auch wenn wir heute im zwanzigsten Jahrhundert leben und ein uneheliches Kind keine Schande mehr ist, wir müssen an Darias Zukunft denken. Sie wird eines Tages erwachsen sein. Wenn es jetzt wegen der Vaterschaft einen Skandal gibt, werden die Zeitungen spätestens bei ihrer Heirat alles noch einmal aufrollen. Diese Geschichte könnte auch ihre Schulzeit überschatten. Kinder können sehr grausam sein. Möchtest du ihr das antun?« »Nein«, sagte Phyllis, »aber genausowenig möchte ich in ständiger Angst um sie leben. Wir können Daria nicht während ihrer ganzen Kindheit einsperren, nur weil wir befürchten, man könnte ihr etwas antun. Und was wird sein, wenn William sich eines Tages entschließt, seine Tochter für die Ferien zu sich zu nehmen? Wie leicht läßt sich ein Unfall inszenieren.«
»Laut Testament dürfte ihm das verwehrt sein«, gab Ralph Milford zu bedenken. »Er darf sich nicht in ihre Erziehung einmischen.« »Und wenn er bewußt auf seinen Anteil der Zinsen aus dem Vermögen verzichtet?« fragte Phyllis. »Immerhin bekommt er alles, wenn Daria etwas passiert.« »Ich weiß, daß wir eine Lösung finden müssen«, sagte Ralph und nahm sie in die Arme. »Aber wir dürfen uns jetzt auch nicht verrückt machen lassen, Darling. Im Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als sehr gut auf Daria aufzupassen.« Die junge Frau sah ein, daß ihr Freund recht hatte. Ihnen waren die Hände gebunden, aber manchmal glaubte sie die Belastung nicht länger ertragen zu können. Immer wieder wachte sie nachts auf und eilte an Darias Bettchen, weil sie befürchtete, die Kleine könnte im Schlaf ermordet worden sein. Nicht einmal die Vorbereitungen zur Verlobungsfeier konnten sie von ihren Sorgen ablenken. Die Angst um Daria überschattete alles. »Sie können unbesorgt sein, Miß Everson, ich werde gut auf Daria aufpassen«, versprach Nelli Klood. Sie hatte es sich auf der Couch im Kinderzimmer gemütlich gemacht und war gerade dabei, Daria zu füttern. »Ich werde sie nicht einen Moment aus den Augen lassen.« »Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann, Nelli«, meinte die junge Frau. Sie beugte sich über Daria und küßte sie auf den dunklen Haaransatz. Mit jedem Tag schien das kleine Mädchen Daphne ähnlicher zu werden. »Eines der Mädchen wird Ihnen nachher von den Köstlichkeiten des kalten Büfetts bringen«, versprach sie und ging zur Verbindungstür. »Danke, Miß Everson.« Nelli widmete sich wieder der Kleinen.
»Vermutlich werde ich im Laufe des Abends auch noch einmal nach oben kommen«, sagte Phyllis und wollte nach nebenan gehen. »Miß Everson!« »Ja?« Phyllis wandte sich Nelli zu. Nelli hob den Kopf. »Was befürchten Sie?« fragte sie. »Wir alle wissen, wie große Sorgen Sie sich seit dieser Schlangengeschichte um Daria machen. Glauben Sie, jemand könnte unserer kleinen Miß etwas antun?« Die junge Frau beschloß, aufrichtig zu sein. »Ja, das befürchte ich, Nelli«, erwiderte sie. »Vergessen Sie nicht, daß Daria ein sehr reiches kleines Mädchen ist.« »Sie meinen, man könnte sie entführen?« In Nellis Augen stand Angst. »Ich würde es niemals zulassen, Miß Everson. Bis zum letzten Atemzug würde ich Daria verteidigen.« »Danke, Nelli.« Phyllis lächelte dem Mädchen zu, bevor sie ihr Zimmer betrat. Sie blickte in den Spiegel und überprüfte ihr Make-up. Es wurde allerhöchste Zeit, in die Halle hinunterzugehen. Sicher waren bereits die ersten Gäste eingetroffen. Phyllis wünschte sich, Ralph und sie hätten ihre Verlobung in einem kleineren Kreis feiern können, doch sie mußten auch auf ihre Freunde Rücksicht nehmen. Nicht nur Ralphs neuer Chef, der Besitzer der Privatklinik, hatte darauf bestanden, mit seinem ganzen Team eingeladen zu werden, auch ihr früherer Chef und einige ihrer Kollegen hatten zur Verlobung kommen wollen. Dr. Ralph Milford ging der jungen Frau entgegen, als diese die Treppe zur Halle hinunterstieg. »Ich dachte schon, du hättest noch in letzter Minute die Flucht ergriffen«, scherzte er, bevor er Phyllis seinem Chef vorstellte. »Das spare ich mir für die Hochzeit auf«, sagte sie strahlend und schmiegte sich an ihn.
Es war ein gelungener Abend. Zum erstenmal seit Jahren wurde wieder ein großes Fest auf Searose gefeiert. Die Halle, die Bibliothek und zwei der großen Salons erstrahlten förmlich im Lichterglanz. Die Musiker, die eigens für diesen Abend engagiert worden waren, gaben ihr Bestes. Bis weit in den Park klang die Musik hinaus. »Schade, daß es nicht unsere Verlobungsfeier ist«, bemerkte Peter Osborn, als er mit seiner früheren Kollegin tanzte. »Ich wünschte, ich hätte nicht all die Jahre gezögert. Mir fehlte ganz einfach nur der Mut, Sie um Ihre Hand zu bitten, Phyllis.« »Sagen wir lieber, Sie zögerten, weil Sie instinktiv spürten, daß ich nicht die Richtige für Sie bin, Peter.« »Das sagt sich jetzt leicht«, meinte er und sah sie so entsagungsvoll an, daß es Phyllis schwerfiel, nicht aufzulachen. »Die Welt ist voller hübscher Mädchen, die nur auf Sie warten«, versuchte sie ihn zu trösten. Während sie miteinander tanzten, blickte sie sich um. Sie entdeckte neben der Treppe, die in den ersten Stock führte, ein junges Mädchen, das wenige Monate, bevor sie nach Ägypten geflogen war, im Museum angefangen hatte. Unmerklich steuerte sie mit Peter auf das Mädchen zu. »Ich muß mich auch um die anderen Gäste kümmern«, meinte sie. »Warum tanzen Sie nicht mit Miß Kimbel?« Peter Osborn verzog das Gesicht. »Nun gut, wenn Sie darauf bestehen, Phyllis«, gab er nach und bat Monica Kimbel um den nächsten Tanz. »Frühere Verehrer können wohl sehr anstrengend sein«, lachte Ralph, als er endlich Gelegenheit fand, ein paar Minuten mit seiner Braut zu verbringen. »Wem sagst du das?« fragte Phyllis. »Laß uns etwas essen.« Sie nahm seinen Arm und steuerte mit ihm auf das kalte Büfett zu. Aber sie kamen nicht weit, weil sie von seinem Chef
angesprochen wurden. Sieht aus, als müßte ich heute abend verhungern, dachte die junge Frau und ergab sich ihrem Schicksal. Kurz nach zehn steckte Dr. Ralph Milford seiner Braut den Verlobungsring an den Finger. »Und wo bleibt der Verlobungskuß?« rief einer seiner Kollegen, der bereits etwas zu reichlich dem Wein zugesprochen hatte. Ralph nahm Phyllis in die Arme. »Ich liebe dich«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr und küßte sie sanft auf die Lippen. Phyllis schaute zu ihm auf. »Stell dir vor, ich hätte damals ein anderes Flugzeug genommen«, sagte sie leise. »Ob wir trotzdem wohl die Chance bekommen hätten, uns kennenzulernen?« »Ganz gewiß«, meinte er. »Ich bin überzeugt, daß wir von Anfang an füreinander bestimmt gewesen sind.« Unter dem Jubel der Verlobungsgäste küßte er sie erneut. Die junge Frau hatte zweimal während des Abends nach ihrer Nichte gesehen. Jedesmal hatte Daria ruhig geschlafen. Nelli saß mit einem Buch auf der Couch, während der Fernseher lief, den sie extra für diesen Abend in Darias Zimmer gestellt hatten. Es war alles in Ordnung, und zum ersten Mal seit langer Zeit machte sich Phyllis keine Sorgen. Sie hatte zwar nicht viel getrunken, doch es erschien ihr, als würde sie am Arm von Ralph über Wölken schweben. »Ich bin so glücklich«, sagte sie zu ihm, als sie gegen Mitternacht miteinander tanzten. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin.« »Doch, das kann ich«, erwiderte er und nahm sie noch etwas fester in den Arm. »Denn mir ergeht es genauso. Du ahnst nicht, wie ich diesen Tag herbeigesehnt habe.« Phyllis schmiegte sich an ihn. »Ich wünschte, Daphne wäre bei uns«, sagte sie plötzlich. »Ich muß immer wieder an sie
denken. Warum hat sie ihr Leben vom Haß beherrschen lassen? Sie könnte heute noch leben, wenn sie sich beizeiten von William getrennt hätte. Ich kann zwar verstehen, daß sie ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit schützen wollte, aber die Abfindung an William hätte sie nicht arm gemacht.« »Die Menschen sind nun einmal verschieden, Darling. Deine Schwester war verbittert, weil sie schon sehr früh erkennen mußte, daß die meisten Männer nur an ihrem Geld interessiert waren. Vermutlich hat sie wirklich nur ein einziges Mal in ihrem Leben die wahre Liebe kennengelernt, damals während der kurzen Romanze mit Fred Lancaster. Wir…« Ralph blickte Phyllis irritiert an. »Was hast du?« fragte er. Seine Verlobte war stehengeblieben und schien angestrengt zu lauschen. »Daria!« stieß Phyllis hervor. »Sie ruft mich!« Mit einer heftigen Bewegung schob sie ihren Verlobten beiseite und eilte zur Treppe. »Was ist denn passiert?« fragte Peter Osborn, der nur einen halben Meter von ihnen entfernt mit Monica Kimbel getanzt hatte. Ralph antwortete ihm nicht. Er eilte seiner Verlobten nach. Phyllis hatte den ersten Stock erreicht. Sie bog in den Gang ein, der zu ihrem Zimmer führte. Ganz deutlich hörte sie Darias verzweifeltes Rufen. »Warte!« Dr. Milford hatte die junge Frau eingeholt. Nicht einen Augenblick zweifelte er daran, daß es wirklich Daria war, die Phyllis gehört hatte. Sie wandte sich ihm zu. »Wir haben keine Zeit!« stieß sie hervor. Sie hatten die Tür zu Darias Zimmer erreicht. Sekundenlang lauschte Ralph. Im Zimmer schien alles ruhig zu sein. »Psst!« machte er, dann öffnete er vorsichtig die Tür.
Was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Dr. William Grady stand über Daria gebeugt und drückte ihr ein Kissen auf das Gesichtchen. Ralph stieß die Tür ganz auf. William fuhr herum. »Sie!« Verzweifelt sah sich William Grady nach einem Fluchtweg um, aber der junge Arzt war schneller als er. Mit wenigen Schritten hatte ihn Ralph erreicht. Es kostete ihn keine Mühe, den Mann zu überwältigen. Er hatte stets Sport getrieben. Phyllis riß das Kissen vom Gesicht ihrer Nichte. Sie schrie entsetzt auf, als sie sah, daß Daria bereits blau angelaufen war. »Sie stirbt!« rief sie Ralph entgegen und beugte sich über Daria, um ihr Atem einzuhauchen. Ralph hatte Dr. Grady niedergeschlagen. Der Archäologe war bewußtlos neben dem Fenster liegengeblieben. »Laß mich das machen«, sagte er und drängte seine Verlobte zur Seite. Ohne sich weiter um Phyllis zu kümmern, begann er mit der Wiederbelebung des kleinen Mädchens. »Was ist hier los?« Peter Osborn tauchte im Kinderzimmer auf. Verständnislos blickte er auf William Grady, dann zu Ralph. Er sah das dicke Kissen am Boden liegen, und plötzlich verstand er. »Soll ich die Polizei verständigen?« fragte er. »Ja, rufen Sie die Polizei an«, bat Phyllis. Angstvoll beobachtete sie ihren Verlobten. Daria durfte nicht sterben. Wenn es ihr schon nicht möglich gewesen war, Daphne zu retten, so durfte sie nicht auch bei Daria versagen. »Hallo, Lovely, da bist du ja wieder.« Dr. Milford berührte sanft die Nase des kleinen Mädchens, dann wandte er sich Phyllis zu. »Es ist alles in Ordnung«, versicherte er. »Daria geht es wieder gut. Sie war nur bewußtlos. Wir sind gerade noch zur rechten Zeit gekommen.« Daria begann zu weinen. Phyllis hob sie hoch und drückte sie an sich. Mit dem Kind im Arm ging sie zu William hinüber,
der noch immer bewußtlos war. Erbittert schaute sie auf den Mann hinunter. Sie wandte sich um. »Wo ist eigentlich Nelli?« »Ich habe sie gerade gefunden«, sagte Dr. Milford. Er kniete sich neben das junge Mädchen, das bewußtlos hinter der Couch lag. »Er hat sie betäubt.« »Die Polizei kommt gleich«, meldete Peter Osborn. Hinter ihm drängte sich ein Teil der Gäste ins Kinderzimmer. »Sieht mir ganz nach einer Verlobungsfeier mit Überraschungen aus«, bemerkte Ralphs Chef. »Was ist überhaupt passiert? Hat wirklich jemand versucht, die Kleine zu ersticken?« »Ja«, erwiderte Ralph, während er sich bemühte, Nelli wieder zu Bewußtsein zu bringen. »Aber es sieht aus, als sei der Alptraum der letzten Wochen endlich vorbei.« Daria hatte sich beruhigt. In Phyllis’ Armen war sie wieder eingeschlafen. Die junge Frau brachte sie in ihr eigenes Zimmer hinüber und legte sie dort ins Bett. Erst jetzt spürte sie den Schock. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen, um erst nach Tagen wieder herauszukommen. Aber sie wußte, dazu gab es keine Möglichkeit. Sie mußte sich den Fragen der Polizeibeamten stellen. Einen Tag später kamen Phyllis Everson und ihr Verlobter aus der Privatklinik, in der Ralph arbeitete. Die junge Frau trug Daria auf dem Arm. Vorsorglich hatten sie die Kleine vom Kinderarzt untersuchen lassen. Daria hatte den Mordversuch unbeschadet überstanden. Schweigend fuhren sie nach Searose zurück. Phyllis stand noch immer etwas unter Schock. Ralph hatte ihr ein Beruhigungsmittel geben wollen, doch die junge Frau hatte abgelehnt. Sie konnte nicht glauben, daß es ihr damit leichter fallen würde, mit der Tatsache fertig zu werden, daß Daria nur wie durch ein Wunder gerettet worden war.
»Jetzt ist alles vorbei, Darling«, sagte Dr. Milford, als sie durch das breite Parktor fuhren. »Jetzt werden wir endlich in Ruhe leben können.« »Ich wünschte, es wäre an dem«, erwiderte Phyllis mutlos. »Gut, mein Schwager ist verhaftet worden, es spricht alles gegen ihn, aber eines Tages wird er aus dem Zuchthaus entlassen werden. Meine Menschenkenntnis mag zwar nicht allzu gut sein, doch ich halte ihn für einen Mann, der niemals vergißt. Glaube mir, Ralph, solange William im Zuchthaus sitzt, wird er seinen Haß nähren. Wir müssen davon ausgehen, daß er sich irgendwann an uns rächen wird.« »Daran dürfen wir nicht denken, Phyllis«, meinte Ralph Milford. »Wir können nicht mit Daria in ein anderes Land auswandern, genausowenig wie eine andere Identität annehmen. Zudem wird dein Schwager, wenn er eines Tages aus dem Zuchthaus entlassen wird, ein gebrochener Mann sein. Er wird andere Sorgen haben, als sich an uns zu rächen.« »Ich kann leider nicht daran glauben.« Die junge Frau blickte zu dem Wagen, der vor dem Portal stand. »Gehört er nicht Inspektor Ellis?« »Ja, sieht aus, als hätten wir Besuch.« Dr. Milford parkte neben dem Wagen des Inspektors. James Raike kam ihnen in der Halle entgegen. »Inspektor Ellis wartet im Salon auf Sie«, meldete er. »Soll ich die kleine Miß nach oben bringen?« Phyllis legte ihre Nichte in die Arme des alten Mannes. »Mit Daria ist alles in Ordnung, Mister Raike. Sagen Sie das bitte auch Nelli«, bat sie. »Wie geht es ihr? Heute morgen wirkte sie noch etwas mitgenommen.« »Inzwischen hat sie sich erholt«, erwiderte der Butler. »Sie macht sich große Vorwürfe, daß es Doktor Grady gelungen ist, ins Zimmer einzudringen und sie mit einem Spray zu betäuben.«
»Nelli trägt keine Schuld an dem, was passiert ist«, sagte Phyllis und ging mit ihrem Verlobten in den Salon. Inspektor Ellis, der am Fenster gesessen hatte, stand auf. Er ging ihnen entgegen. »Ich hoffe, ich störe nicht«, bemerkte er, als ihm Phyllis die Hand reichte. »Als ich hörte, daß Sie nicht hier sind, wollte ich wieder gehen, aber Ihr Butler sagte mir, daß er Sie noch vor dem Lunch erwartet.« »Ich bin froh, daß Sie nicht weggefahren sind, Inspektor Ellis«, erwiderte Phyllis. »Bitte, nehmen Sie wieder Platz.« Sie setzte sich auf die Couch. »Hat mein Schwager gestanden?« Der Inspektor nickte. »Ja, Ihr Schwager hat noch in der Nacht ein lückenloses Geständnis abgelegt«, entgegnete er. »Wir hatten kaum mit dem Verhör begonnen, als er auch schon zusammengebrochen ist.« Er sah von Ralph zu Phyllis. »Sie hatten recht, Doktor Grady war auch für den ersten Anschlag auf Daria verantwortlich. Wie wir erfuhren, hielt er sich schon seit Wochen in England auf. Seine angebliche Teilnahme an weiteren Ausgrabungen in Ägypten erwies sich als eine Finte, die Sie hinters Licht führen sollte.« Er räusperte sich. »Doktor Grady hat uns gestanden, daß er versucht hatte, seine Frau mit kleinen Dosen eines langsam wirkenden Giftes zu ermorden. Die Idee dazu kam ihm, nachdem Ihre Schwester von einem unbekannten Insekt gestochen worden war. Ihr Besuch machte seinen Plan zunichte.« Er wandte sich Ralph zu. »Ihr Unfall auf der Straße nach Carbuka ist ebenfalls ihm zuzuschreiben. Zwei Männer wurden dafür bezahlt, in Ihren Wagen hineinzufahren. Er mußte verhindern, daß Sie die Blutprobe seiner Frau untersuchen. Dabei hätten Sie das Gift festgestellt.« »Also doch«, sagte Ralph. »Ich hatte mir bereits etwas Ähnliches gedacht.« Er stand auf. »Und wie war das mit dem Steinschlag? Hat Doktor Grady auch damit etwas zu tun?«
»Der Steinschlag wurde durch eine Sprengung ausgelöst«, erwiderte der Inspektor. »Wie gesagt, Doktor Grady legte ein umfassendes Geständnis ab. Er sprach von dem Grab einer ägyptischen Prinzessin, das er für sich ausbeuten wollte. Er brauchte das Geld seiner Frau, um Arbeiter und Beamte bestechen zu können. Doktor Grady rechnete nicht damit, daß Ihre Schwester bereits das Testament geändert hatte, Miß Everson. Er glaubte, wenn es ihm gelingen würde, sie zu ermorden, ohne daß es wie Mord aussah, wäre er mit einem Schlag ein vermögender Mann. Doch dann mußte er erkennen, daß er sich geirrt hatte. Ihre Schwester hatte den Hauptteil ihres Vermögens ihrer Tochter vermacht. Deshalb beschloß er, auch das Kind umzubringen. Es sollte aussehen, als sei Daria im Schlaf erstickt. Nelli wäre nach kurzer Zeit wieder zu sich gekommen und hätte nur noch das tote Kind vorgefunden.« »Aber wie ist er ins Haus gekommen?« fragte Ralph. »Wie er mir sagte, gibt es einen Geheimgang. Seine Frau hatte ihm diesen Gang einmal gezeigt. Es war für ihn nicht schwer, Nelli zu betäuben. Sie war in ein Buch vertieft. Er trat hinter das Mädchen und sprühte ihm das Betäubungsmittel ins Gesicht.« Der Inspektor wandte sich wieder Phyllis zu. »Hätten Sie nicht plötzlich nach dem Kind sehen wollen, Doktor Grady wäre auch dieser Mord gelungen.« »Was wird mit ihm geschehen?« fragte Ralph. Der Inspektor atmete tief durch. »Doktor Grady hat gegen Morgen in seiner Zelle Selbstmord verübt«, erwiderte er. »Vermutlich wußte er, daß es für ihn keine Zukunft mehr gibt.« Phyllis und ihr Verlobter brachten den Inspektor zu seinem Wagen. Arm in Arm wandten sie sich dann den Klippen zu. Keiner von ihnen bedauerte den Tod des Archäologen, trotzdem lag es ihnen fern, darüber zu triumphieren.
»Nun hat dieser Alptraum doch ein Ende gefunden«, sagte die junge Frau nach einer Weile und blickte auf das Meer hinaus. »Jetzt können wir endlich damit beginnen, das alles zu vergessen«, meinte Ralph Milford. »Wir werden Daria adoptieren, das dürfte auch im Sinne deiner Schwester sein. Wenn sie meinen Namen trägt, wird man sie später nicht mit dem Mörder Grady in Verbindung bringen. Doktor Kallgren wird uns helfen, sie vor der Neugierde und Sensationsgier unserer lieben Mitmenschen zu schützen.« Phyllis schmiegte sich an ihn. »Ich weiß schon, warum ich dich so liebe«, sagte sie. »Von Anfang an spürte ich, daß man sich auf dich verlassen kann und daß du da bist, wenn man dich braucht.« »Soll es zwischen Liebenden nicht auch so sein?« fragte er und stieg mit ihr den Klippenpfad hinunter. »Nichts auf der Welt wird uns jemals wieder trennen können«, fügte er hinzu und drückte ihre Hand.