Robert E. Vardeman
Ruinen der Macht Mech Warrior – Dark Age Band 3
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN...
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Robert E. Vardeman
Ruinen der Macht Mech Warrior – Dark Age Band 3
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Nachdem das interstellare Kommunikationsnetz zer schlagen und die besiedelten Systeme von ihren Nach barn abgeschnitten wurden, hat in der Republik der Sphäre eine archaische Zeit begonnen, in der die Battle Mechs, einst die Könige des Schlachtfelds, den langsa men Wiederaufbau steuern. Doch der Zusammenhalt der Republik ist durch den Streit der zahlreichen Frak tionen gefährdet – und auf dem Planeten Mirach droht dieser Konflikt zu einem blutigen Bürgerkrieg zu eska lieren, ein Bürgerkrieg, der schwerwiegende Folgen weit über Mirach hinaus haben würde …
1
Einöde 200 km nördlich von Cingulum, Musasalah, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. April 3133 Zwielicht über einer Welt der Hoffnungslosigkeit. Nichts erschien so, wie es hätte sein sollen – und das störte Austin Ortega. Er war schon früher auf diesem Schießplatz gewesen, aber diesmal schien es anders. Auf eine schwer fassbare Weise anders. Blutrotes Licht troff vom Himmel und floss über die Felsenland schaft, verlieh ihr eine surreale Qualität. Die fernen Berge erbrachen schwarze Geröllhalden, so wie er es in Erinnerung hatte. Doch das unebene Gelände, über das er seinen Mech steuerte, zeigte Spuren von Bergbauarbeiten, die Mirachs Natur Gewalt antaten. Hinter Austin öffneten sich gewaltige Schluchten, wo Tagebau die Oberflä che des Planeten aufgerissen hatte, bis auch der letzte Rest Wolfram geborgen war. Und niemand hatte die geringsten Anstalten unter nommen, die Spuren zu beseitigen oder auch nur die Eingänge zu den subplanetaren Schachtanlagen zu schließen. Aber es war ein fach, den Centurion-BattleMech über das Trümmerfeld zu steuern, solange er den Schlundlöchern auswich. Austin hatte diesen Mechtyp schon früher gesteuert – einige Male – und beherrschte den Stahlkoloss mit einem Können, das auf dem Planeten seinesgleichen suchte. Doch er hatte keine Ahnung, gegen welchen Typ BattleMech er antrat. Noch nicht. Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
Austin setzte den Neurohelm fest auf und neigte den Kopf ein we nig, um die Gleichgewichtsrückkopplung zum Mech zu testen. Ein leises Feedbackkitzeln auf der Kopfhaut bestätigte ihm, dass alles in Ordnung war. Dann verband er einen aus der Pilotenliege kommen den Schlauch mit der Kühlweste. Ein leises Seufzen erklang, als die Pumpe ihre Arbeit aufnahm und Kühlflüssigkeit durch die Weste floss. Von einem Augenblick zum nächsten schwitzte er nicht mehr, sondern fror. Aber das würde sich, wenn er erst Feindkontakt hatte, schnell ändern. Ein BattleMech erzeugte eine erstaunliche Abwär me, und der Teil, den die Wärmetauscher nicht schnell genug ablei ten konnten, drang mit erdrückender Gewalt ins Cockpit. Er ließ die Arme auf die Stützen der Liege sinken und legte die Hände selbstsicher um die Steuerknüppel. Er genoss es, wie sich sei ne Finger um das Metall schlossen, bis die Fingerspitzen leicht auf den Feuerknöpfen lagen. Wie sie für den Betrieb des Kampfkolosses lebenswichtige Systeme testeten und sicherstellten, dass die Waffen schussbereit waren. Austin kaute auf der Unterlippe, während er die Instrumente studierte, deren Anzeigen im Randbereich des Sichtschirms zu sehen waren. Die größten Sorgen machte ihm die Luxor-Autokanone im rechten Arm des Mechs, obwohl er nur grüne Lichter sah. Die Waffe hatte eine unangenehme Tendenz, im schlimmstmöglichen Augenblick zu blockieren. Austin steuerte den fünfzig Tonnen schweren Centurion mit einer aus Vertrautheit gewachsenen Selbstsicherheit. Die Maschine war ein mittelschwerer BattleMech mit ausgezeichneten Wärmeeigen schaften und guten Geschwindigkeits- und Beweglichkeitswerten, für dieses felsige Gelände hervorragend geeignet. Er hatte Langstre ckenraketen und zwei Laser zur Verfügung, von denen einer seinen verwundbaren Rücken deckte. Allerdings zeigte der in der Mitte des Mechtorsos montierte vorwärts feuernde Photec-Laser nur eine La dung von achtzig Prozent. Austin bearbeitete mit wachsender Frus tration die Kontrollen, bis er schließlich entschied, dass er keine Zeit hatte, sich noch länger mit dem beschädigten Lichtwerfer herumzu ärgern. Entweder die Waffe beendete den Ladevorgang automatisch
oder nicht. Seine Füße arbeiteten auf den Pedalen, als er sich unbe wusst nach vorne lehnte und in seinem Eifer, sich in Bewegung zu setzen, die Gurte straffte. Myomermuskeln in den meterlangen Oberschenkeln des Mechs zogen sich zusammen, als ihn Austin zu einer letzten Betriebsprüfung im Kreis drehte. Alles klar, dachte er. Er schob den Fahrthebel ein Drittel nach vor ne, und der Mech setzte sich Bewegung, stampfte mit zwanzig Stun denkilometern durch die zerklüftete Mondlandschaft. Ein leises Lä cheln spielte um Austins Lippen, als er sah, dass der vordere Laser aufgeladen war. Die Anzeige meldete volle Energie. Während der Sichtschirm des Centurion die Umgebung in gesto chen scharfer Optik darstellte, zeichneten sie die Sensoren auf den Hilfsschirmen in Infrarot und als seismographische Anzeige. Mit feuerbereiten Lasern und eingeschalteter Zielerfassung beschleunig te Austin den Centurion auf vierzig Stundenkilometer und trottete auf ein Areal zu, wo er akzeptable Deckung für einen Hinterhalt zu finden hoffte. Als er über das Geröll stapfte, fiel es ihm immer schwerer, einen sicheren Halt für die Mechfüße zu finden. Der Boden war zwischen den zwanzig Meter hohen Halden seltsam brüchig, und mehr als einmal brach der 50-Tonnen-Mech durch die Oberfläche. Seine riesi gen gepanzerten Füße drohten in weite Tunnelgänge zu sinken, die in den Boden getrieben worden waren, um subplanetare Erzadern auszubeuten. Ich muss sowohl die Oberfläche als auch die Bergwerksstollen kartogra phieren, dachte er und lud automatisch gesammelte seismische Da ten in den Navigationscomputer, um sich in der Hitze des Gefechts nicht auf leichtsinnige Annahmen über die Tragfähigkeit des Bodens zu verlassen. Austins Besorgnis darüber, wie vertraut und trotzdem fremd das Gelände schien, nahm noch zu. Er wagte nicht davon aus zugehen, dass er tatsächlich alle Einzelheiten der schuttübersäten Landschaft kannte, die sich um ihn herum erstreckte. Das Terrain bewies ein größeres Potenzial für Gefahren, als er erwartet hatte.
Austin atmete tief durch und schmeckte die metallische Note gefil terter Luft. Er ließ sich in die Polster der Liege sinken und fühlte, wie sie sich an die Konturen seines Körpers anpassten, als er den Sichtschirm studierte und nach dem Gegner suchte, den er so gut kannte. Nichts in der Luft. Freier Himmel. Austin wusste, Dale wür de diesen Kampf zu einem echten Zweikampf machen, Mann gegen Mann, ein taktisches Duell in direkter Konfrontation, um des Ge fühls willen, sich einen echten Sieg erkämpft zu haben. Austin hatte vor, dieses Gefühl für sich zu reservieren. Als er durch die grün leuchtenden Anzeigen schaltete und auf der Sichtprojektion nach einem Angriffsziel suchte, erhielt er ein völlig anderes Bild des Schlachtfelds. Seine Augen weiteten sich etwas, als er in der Nähe radioaktive Hügel entdeckte. Erz aus einem Pechblendebergwerk? Die Möglichkeit bestand, auch wenn das auf einem Wolframfeld eher ungewöhnlich schien. Austin dachte einen Moment lang über diese Anomalie nach, dann fuhr er den Fusionsreaktor höher und stürmte los. Der radioaktive Bereich störte die Sensoren und bot seinem Gegner eine Versteckmöglich keit. Das war genau die Art von Hinterhalt, wie Dale ihn mochte. Hier blindlings vorzustürmen, war ein waghalsiges Manöver, doch hoffte er darauf, dass ihm das Überraschungsmoment den Sieg brachte. Falls Dale überhaupt hier lauert und die Strahlung als Versteck benutzt. Der Centurion donnerte schweren Schritts vorwärts und sein Sturmlauf verzehrte die Distanz mit fünfundsechzig Stundenkilo metern. Austin ging methodisch vor und überprüfte mit den seismi schen Sensoren den Boden auf Tunnel und Schwachstellen, die sei nen Vormarsch behindern konnten. Obwohl es notwendig war, die Umgebung zu beobachten, konzentrierte sich Austin auf mögliche Hinweise, wo Dale stecken konnte. Er wusste nicht, warum er reagierte. Weder der Sichtschirm noch irgendeiner der Hilfsmonitore zeigte eine Gefahr. Sein Zeigefinger zog den Auslöser der LSR-Lafette durch, und zehn Raketen fauchten
auf eine kleine Schattenzone links von der größten radioaktiven Ab raumhalde zu. Eine Rakete prallte als hell singender Querschläger von der Flanke des Gesteinhügels ab. Sieben rissen einen Stück Bo den auf und schleuderten Erzstaub hoch in die Luft, wo er sich als funkelnder Nebel vor den Sonnenuntergang legte. Das mattrote Licht der fernen Sonne Mirachs wurde vom dunklen Abraum reflek tiert und erzeugte Schwaden, die zugleich wie frisches Blut glänzten und wie silbriges Konfetti tanzten. Der Anblick lenkte ihn ab. Austin verspürte wegen der Vergeudung einer Raketensalve eine gewisse Verlegenheit, bis die Ortung warnend aufheulte. Ein grün lich schimmernder Infrarotschatten auf dem Sichtschirm zeichnete stark erhitzte Metallpanzerung. Seine beiden restlichen Raketen wa ren genau dort eingeschlagen. Geschmolzenes Metall spritzte über die Halde. Erster Treffer! Er verschwendete keine Zeit darauf, sich dafür zu gratulieren, dass er Dale gefunden hatte, bevor der aus seinem Ver steck aufgetaucht war. Die Schlacht hatte begonnen. Jetzt hab ich dich, dachte Austin und griff mit ganzer Wucht an. Sein Vorgehen entsprach keineswegs der üblichen, zurückhaltenden Art, mit der er Gefechte anging. Normalerweise versuchte er zu nächst, ein Gefühl für die Situation zu entwickeln und mehr über seinen Gegner zu erfahren, bevor er angriff. Aber Austin wollte das hier schnell hinter sich bringen, und die Änderung seiner typischen Kampftaktik sollte ihm den Sieg bringen. Er feuerte den vorwärts montierten 806c-Laser. Ein tödlicher, bern steingelber Energiestrahl bohrte sich mitten ins Ziel. Schrapnell flog hinauf in das schwächer werdende rote Licht der Abendsonne und zeigte ihm, dass der Treffer ein paar hundert Kilo äußere Kristall stahlpanzerung weggesprengt hatte. Austin beschleunigte weiter und setzte zum Todesstoß an. Er brach durch die Trümmerschwaden, die sein Gegner aufgewir belt hatte, und endlich konnte er Dales Mech identifizieren. Dale steuerte einen fünfzig Tonnen schweren Vollstrecker III, bewaffnet
mit einem schweren BlazeFire-Extremreichweiten-Laser, einem leichten Chis-comp-2000-Extremreichweiten-Laser und einer schwe ren Imperator-Automatik-Ultra-Autokanone/10. Keine Raketen. Der Vollstrecker war Austins Maschine an Masse, Geschwindigkeit und Beweglichkeit ebenbürtig. Es war ein ausgeglichenes Gefecht, doch die Sprungdüsen des Vollstrecker konnten sich als kampfent scheidender Faktor erweisen. Austin musste mit den LSR auf den anderen BattleMech einhäm mern, um den Piloten daran zu hindern, dass er den schweren Laser treffsicher einsetzte. Ohne stabile Position sank die Zielsicherheit der Inertial-Feuerleitschaltungen. Das war die am leichtesten auszu nutzende Schwäche des Federated-Hunter-Ortungs-und-Zielerfas sungssystems. Er setzte eine weitere Salve aus zehn LSR in den Torso des Voll strecker III, in der Hoffnung, Dale weiter zu verunsichern. Die Fontä ne davonfliegender Panzersplitter machte Austins Infrarotanzeige wertlos. Er konzentrierte sich auf die optische Anzeige des Sichtschirms, zog das Fadenkreuz auf den Vollstrecker und feuerte erneut. Ein noch größerer Panzerungsverlust belohnte ihn. Die Salve reichte nicht aus, den Star-Guard-CIV-Panzerschutz zu durchbre chen, aber Austin ging es vor allem darum, Dale am Einsatz der Mc Cloud-Special-Sprungdüsen zu hindern. Mit deren Hilfe hätte sein Gegner zwischen den Erzhalden verschwinden und den direkten Schlagabtausch in ein Räuber-und-Gendarm-Spiel verwandeln kön nen. Wieder feuerte Austin seinen Lichtwerfer. Sein Herz überschlug sich, als rote Lämpchen auf dem Steuerpult aufleuchteten und ein neuer Warnton aufgellte. Der Frontlaser lud nicht wieder auf. Das beunruhigte Austin. Er zögerte. Ein Zögern, das es dem Vollstrecker erlaubte, sich zu drehen und mit dem BlazeFire-Laser zurückzuschlagen. Austin riss unwillkür lich den Arm hoch, um sein Gesicht zu schützen, obwohl der son nenheiße Energiestrahl sein Cockpit nie erreichte. Dafür zerstörte er
einen Teil seines Corean-B-Ortungs-und-Zielerfassungssystems. Mit einem einzigen Angriff hatte Dale ihn die Hälfte der Kanzelinstru mente gekostet. Eine schnelle Zustandsüberprüfung ergab, dass der Centurion zudem auch noch eine beträchtliche Menge an Panzerung vom rechten Bein verloren hatte. Austin drehte den Centurion, um die unbeschädigten Sensoren ein setzen zu können. Er sah, wie der Vollstrecker den rechten Arm hob, sah das helle Mündungsfeuer der Autokanone. Dann wurde er hef tig durchgeschüttelt, als die Granatensalve auf seinen Mech einhäm merte. Alarmsirenen gellten auf, als die Geschosse mit den Panzer brechenden Spitzen aus abgereichertem Uran weiteres Metall aus dem Körper des Kampfkolosses rissen und am rechten Bein das un ter der Panzerung gelegene Metallskelett freilegten. Wieder wendete er den Mech, verlor in der Bewegung den Vollstrecker momentan aus der Sicht, drehte sich weiter, um dem Stakkatobeschuss der gegneri schen Autokanone auszuweichen und den anderen BattleMech wie der in den funktionierenden Bereich des Sichtschirms zu holen. Als Dales Vollstrecker III auf dem Schirm vorbeizog, feuerte er eine Salve Langstreckenraketen ab. Er brauchte die eingeschränkt funktionstüchtigen Anzeigen nicht, um zu wissen, dass er vorbeigeschossen hatte. Austin blieb keine Wahl mehr. Er zog nach links und beschleunig te den Centurion auf Höchstgeschwindigkeit. Ionisierte Luft tauchte seinen Mech in eine leuchtende Aura, die Außentemperatur stieg je doch nicht dramatisch an. Dale feuerte, allerdings vorbei. Gut, dachte Austin. Soll er seine Energie und Munition nur ver schwenden. Jetzt halfen ihm die vorhergegangenen Bodenabtastungen. Durch die Schäden an den Sensoren konnte er kaum etwas von dem erken nen, das direkt vor ihm lag, und so überließ Austin es dem Naviga tionsprogramm, ihn durch die Gebirgslandschaft aus schwarzem Abraum zu lotsen, während er seine Aufmerksamkeit auf den Be reich hinter sich konzentrierte. Er hatte den Vollstrecker verloren,
wusste aber nur zu gut, wer jetzt der Jäger war und wer der Gejagte. Austin hatte sich mit dem Präventivangriff einen leichten Vorteil verschafft, ihn aber durch den erlittenen Schaden und die Unter schiede zwischen den beiden Mechs wieder verloren. Der Vollstre cker konnte Dank seiner Sprungdüsen schneller zum Angriff überge hen. Was noch schlimmer war: Dale hatte größere Erfahrung im Ein satz von Langstreckenwaffen. Wenn Austin Dales Maschine zur Strecke bringen wollte, durfte er sich nicht allein auf die Raketen verlassen. Er würde auch die Autokanone und den mittelschweren Laser einsetzen müssen. Die Kühlweste knisterte und zischte. Austin bemerkte es erst, als er den Centurion abbremste und sich an eine umfassende Schadens erfassung machte. Ob Dales Lasertreffer das Kühlsystem beschädigt hatte oder ob es von selbst ausgefallen war, spielte unter den gege benen Umständen keine Rolle. Die Temperatur in der Kanzel stieg. Und das rapide. Falls es ihm nicht gelang, den Vollstrecker III schnell zu erledigen, würde er in seinem eigenen Cockpit braten. Austin hielt an. Dann beugte er den Mech leicht in der Hüfte, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Er drehte den Torso und sah sich um, so gut das mit den seitlichen und rückwärtigen Sensoren möglich war. Die Tatsache, dass auf seinem Sichtschirm ein riesiges schwarzes Loch klaffte, behinderte ihn enorm. Er wusste, Dale war hinter ihm, auch wenn die Ortung ihn nicht zeichnete. Der Vollstre cker folgte ihm. Sein Pilot wartete auf die perfekte Gelegenheit, ihn auszuschalten. Dale würde es nicht auf einen Todesstoß anlegen. Erst würde er Austin erniedrigen, indem er den Centurion kampf unfähig schoss. Danach würde er kommen und einen schweren Me tallfuß auf den am Boden liegenden Metallkoloss stellen, während er seinen Sieg über sämtliche Frequenzen hinaustrompetete. Besser vernichtet werden, als eine derartige Schande zu erleben. Austins Gedanken rasten. Er fühlte den Schweiß an den Kanten des Neurohelms auf der Haut kitzeln und hinab auf seine Brust rin
nen. Wenn er jetzt in Panik geriet, hatte er bereits verloren. Austin hatte Dale schon einmal überrumpelt und dadurch einen kleinen Vorteil errungen. Jetzt würde sein Gegner erwarten, dass er seine Wunden leckte. Doch Austin setzte alles auf eine Karte. Seine Füße bearbeiteten die Pedale. Er schwenkte den Centurion herum und hielt Ausschau nach dem Vollstrecker. Du wolltest mich von hinten überraschen, dachte Austin, als er den Mech schnell näher kommen sah. Mit entschlossen zusammengebis senen Zähnen feuerte er eine neue Salve aus zehn Raketen genau vor Dale in den Boden und schleuderte frische Steinfontänen auf. Der Vorhang aus glühenden Splittern drehte sich träge im ersterben den Sonnenlicht und schwächte eventuell auf ihn gezielte Laser schüsse ab. Er wusste nicht einmal, ob Dale überhaupt auf ihn feuer te. Austins Überraschungstaktik funktionierte. Die Raketen hatten vor dem Vollstrecker ein Loch im Boden aufgerissen, und Dale war geradewegs hineingestolpert. Austin rief seine Karten auf und sah, dass sein Gegner in einen zehn Meter tiefen Bergwerkstunnel ge stürzt war. Wohin wird er jetzt laufen?, fragte er sich. Austin war klar, dass Dale nicht sofort wieder an die Oberfläche kommen würde, wo er damit rechnen musste, genau in die nächste Raketensalve zu springen. Er würde entlang des Tunnels die Position ändern und in einiger Ent fernung wieder heraufkommen, bevor er den Angriff fortsetzte. Austin folgte den schweren Schritten des Vollstrecker mit Hilfe der seismischen Sensoren, als Dale nach rechts abrückte. Er beschleunig te den Centurion, schätzte die Entfernung ab und setzte eine weitere Salve ein Stück vor Dale, in der Hoffnung, den Gang über dem Voll strecker zum Einsturz zu bringen. Auch nachdem er feststellte, dass er zu weit vorgehalten hatte, setzte er den ruhelosen Vormarsch fort. Die Detonation der Raketen hatte ein neues Loch im Boden aufgerissen, aber der Rest des Tun
nels war blockiert. Austin machte die Waffen klar. Mehr als einen Schuss würde er nicht bekommen. Mit lodernden Sprungdüsen stieg der Vollstrecker aus der Öffnung. Austin feuerte mit allem, was er hatte. Raketen schlugen in den geg nerischen Mech, aber Dale war vorbereitet. Er stieg aus allen Rohren feuernd in den Himmel. Austin kreischte, als wäre es sein eigener Arm, da schnitt ein La serschuss durch den rechten Mecharm und trennte die Autokanone ab. Die in der Kammer der Kanone explodierenden Granaten taten ihren Teil, die Szenerie in ein flammendes Inferno zu verwandeln. Schlimmer noch, sein Frontlaser schleuderte eine Lanze aus tödlich gleißender Lichtenergie, aber der zweite Schuss war bereits deutlich schwächer. Die Waffe lud nicht richtig auf. Dale ahnte die Schwäche seines Gegners und näherte sich dem To desstoß. Austin schüttelte ihn noch einmal mit einer Raketensalve durch, dann raubte Dales treffsicheres Laserfeuer ihm selbst diese Angriffsmöglichkeit. Die Lafette flog auseinander, warf ihn in die Gurte und zerstörte den größten Teil des Mechtorsos. Keine Autokanone, der nach vorne feuernde Laser beschädigt, die Raketen außer Gefecht … Austin war nur noch eine Zielscheibe. Auf der Sichtprojektion sah er den Vollstrecker III näher kommen, aber dessen Lichtwerfer feuerten wild in der Gegend herum. Die meisten Schüsse gingen ins Blaue. Austins wildes Angriffsfeuer hatte das Feuerleitsystem des Mechs beschädigt, Dales Lasern aber nichts von ihrer Schlagkraft genommen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine der Energiebahnen ihr schutzloses Ziel traf. Austin zuckte zusammen, als eine Lichtbahn den linken Arm sei ner Kampfmaschine abtrennte. Dann verschwand ein weiteres Stück des rechten Arms in einem Nebel geschmolzenen Metalls. Wieder versuchte er, den Frontlaser abzufeuern, doch die Waffe produzierte nur einen dünnen Funkenregen, als sich einzelne Trümmersplitter auflösten. Es war kaum genug für ein Signal auf Dales Bedrohungs anzeige.
Der Centurion war schrottreif, aber Austin dachte nicht daran auf zugeben. Er wirbelte herum, als wolle er fliehen, dann bremste er, beugte den Mech nach vorne, um ein kleineres Ziel zu bieten, und wartete. Die Zeit verstrich, in jeder Sekunde hämmerte sein Herz ein Dutzend Mal, aber er tat nichts. Mit den noch funktionierenden hin teren Sensoren verfolgte Austin, wie der Vollstrecker sich näherte. Schweiß tränkte seine Kühlweste, deren Systeme drohten, endgültig den Dienst aufzugeben. Noch aber gab ihm die stetige, wenn auch träge Bewegung des Kühlmittels durch die Schlauchleitungen Hoff nung. Eine schwache, vage Hoffnung. Austin vergewisserte sich, dass der Rückenlaser voll aufgeladen war. Vom Instinkt geleitet richtete er den Mech zu voller Größe auf. Mit einem Blick weit aufgerissener Augen sog er an Informationen ein, was er bekommen konnte, nahm jede Einzelheit des zerklüfteten Schlachtfelds in sich auf. Austin feuerte den Rückenlaser in den Tor so des Vollstrecker. Dale hatte sich von dem Anblick des scheinbar wehrlosen, fliehen wollenden Gegners täuschen lassen und keinen Angriff des Centurion mehr erwartet. Vor Austins Augen verschwamm die Umgebung, als die Hitze im Cockpit in die Höhe schoss. Er kam sich vor wie ein Laib Brot im Backofen. Doch die Datenanzeige des Computers zeigte ihm, dass er den Vollstrecker mit seinem Schuss aufgespießt und abgeschossen hatte. Er wartete, wollte sehen, ob Dale ausstieg. Der andere Pilot blieb in seinem Mech. Austins Rückenlaser hatte zusammen mit dem Rest der Mechsysteme auch Dales Schleudersitz ausgeschaltet. Dann rammte der steuerlose Vollstrecker III gegen den Centurion und beide Maschinen stürzten zu Boden. Austin feuerte noch einmal den rückwärtigen Laser, als er nach vorne fiel. Das Steuerpult loder te mit roten Warnlichtern auf, als im Torso unter ihm die eingelager te LSR-Munition detonierte. Um ihn herum wurde es schwarz.
»Doppelter Abschuss«, stellte Dale Ortega fest und schlug seinem
Bruder Raul auf die Schulter. »Du wirst in dem alten Centurion im mer besser. Diesmal hast du dich nicht mehr so leicht verprügeln lassen.« »Warum hast du einen Vollstrecker genommen?«, fragte Austin und lehnte sich auf der Pilotenliege des BattleMechsimulators zu rück. Es dauerte ein paar Minuten, bis er den Eindruck abschütteln konnte, einen Konstruktmech zu steuern, und wieder in die Realität des Simulators zurückfand. Er stöpselte die Kühleinheit aus und drückte sich ab, schwang die Beine von der Liege und streckte sie, um den Blutkreislauf anzuregen. Er hatte sie so lange verkrampft. »Weil ich wusste, dass du mit dem Centurion antrittst. Ich dachte mir, in einem Vollstrecker kann ich den Kampf schnell zu Ende brin gen. Ich hatte nicht mit dem Gelände gerechnet. Gibt es die Gegend wirklich?« »Keine Ahnung. Ich war genauso überrascht.« Er lehnte sich zur Seite und rief auf dem Sichtschirm einen Nachbericht auf. »Ja, es ist eine reale Gegend, wir haben auf der Geländematrix schon früher trainiert. Deswegen kam sie mir auch so bekannt vor. Aber die Com putersimulation hat den Tagebau und die Abraumhalden hinzuge fügt. Wir sollten unseren Planeten besser studieren.« »Das Studieren überlasse ich dir, Kleiner«, kommentierte Dale her ablassend. »Ich konzentriere mich auf das Vergnügen.« »War es Vergnügen genug für dich, als ich den ersten Treffer lan dete?« Austin verspürte ein leises Triumphgefühl, als er die Frage stellte. Normalerweise spielte er selbst im Simulator zu konservativ und musste selbst den ersten Treffer einstecken. »Du lernst von mir.« Dales Miene leuchtete auf. Die grauen Augen blitzten, und das breite, fröhliche Grinsen zeigte ein gleichmäßiges, weißes Gebiss. Der sauber gestutzte schwarze Schnurrbart zuckte leicht. Austin schaffte es nicht, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen, der auch nur halb so gut aussah. Er hatte es versucht. Aber sein Bruder war derjenige der beiden, der mit seinem guten Ausse hen und dem fröhlichen, offenen Auftreten alle Aufmerksamkeit auf
sich zog. Sie hatten sich beide vor einem Jahr beim Nahkampftraining das Nasenbein gebrochen. Dales Nase war schnurgerade verheilt, Aus tin jedoch hatte auf halber Höhe einen leichten Buckel zurückbehal ten, der ihn an die Verletzung erinnerte. So war es schon immer ge wesen, wenn es um ihn und seinen großen Bruder ging. »Ich wünschte, die Sim würde mir nicht schon vor dem Kampf so viele Ausrüstungsfehler aufhalsen. Mein vorderer Laser ist ausgefal len.« Austin bedauerte die Worte, kaum hatte er sie ausgesprochen. Sie klangen nach Selbstmitleid. Der Simulationscomputer verteilte zufällig Schäden und Ausfälle auf die Ausrüstungsteile der Benut zer, auf dieselbe Weise, in der er gelegentlich das Gelände variierte. Es schien nur so, dass Dale jedes Mal besser davonkam. Widerwillig gestand Austin sich ein, dass Dale deshalb häufiger gewann, weil er über den besseren Kampfinstinkt verfügte. »Such dir das nächste Mal nicht so einen alten Kasten aus«, riet sein Bruder. »Meine Waffen haben alle funktioniert, obwohl der Computer versucht hat, mir eine Störung in der Energiezufuhr un terzujubeln. Aber mit ein bisschen Fummeln habe ich den Fusionsre aktor wieder auf Nominal bekommen. Es war so einfach wie … dich zu besiegen!« Dales hellgraue Augen funkelten amüsiert, als er Aus tin foppte. Austin weigerte sich, darauf einzugehen. »Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen. Wir haben noch anderes zu erledigen.« Mit einer flinken Körperdrehung duckte sich Dale durch die Luke im Heck des Simulators und ging hinüber zu den Spinden, um seine Ausrüstung zu verstauen. Austin fuhr die Simulatorkapsel herunter und streckte die langen Beine. Er war 180 Zentimeter groß und trotzdem noch fünfzehn Zentimeter kleiner als sein Bruder. Beide hatten schwarzes, zu ei nem Bürstenschnitt geschorenes Haar. Dales war allerdings dichter, was darauf hindeutete, dass Austin irgendwann damit rechnen konnte, eine Glatze zu bekommen – wie ihr Vater. Er stieg aus der Kapsel und verstaute seine Sachen in seinem Spind.
Er und Dale traten mindestens einmal die Woche in einer Compu tersimulation gegeneinander an, manchmal auch häufiger, obwohl ihr Vater überhaupt nichts davon hielt. Baron Sergio Ortega war schon seit den Tagen Devlin Stones der Gouverneur von Mirach. Sergio hatte für Stone gefochten und war einer der besten MechKrie ger auf dem Feld gewesen. Obwohl er selbst dazu tendierte, seine Leistungen herunterzuspielen, hatte er seinen Titel und die Gouver neurswürde von Mirach seiner Tapferkeit vor dem Feind zu verdan ken. Austin wünschte sich, sein Vater würde diesen Teil seines Lebens nicht so abwerten. Heutzutage konzentrierte sich Sergio Ortega eher auf philosophische Fragen. »Ich will ihn mir noch einmal ansehen«, erklärte Austin plötzlich. Er brauchte nicht zu erklären, was er meinte. Dale wusste es auch so. »Wozu? Er hat sich nicht bewegt«, antwortete Dale. Dann grinste er großmütig. »Aber warum nicht? Du hast dir für das Unentschie den eine Belohnung verdient.« »Unentschieden!«, schrie Austin. »Ich habe dich besiegt.« »Wenn beide Mechs zerstört werden, ist es ein Unentschieden. So steht es in den Regeln.« Die Brüder stritten sich weiter über den Ausgang des Gefechts, während sie durch das Trainingsgebäude und über den weiten Ra sen zum Parkplatz gingen. In der Simulation hatte Zwielicht ge herrscht und die rote Sonne nur eine täuschend schwache Helligkeit verbreitet. In der Wirklichkeit ging die riesige rote Sonnenscheibe gerade im Osten auf und wurde allmählich wärmer. Alles deutete auf einen ungewöhnlich warmen Frühlingsmorgen hin. Die zwei kleineren der vier Monde Mirachs, Arit und Batn, bewegten sich vor der Sonne vorbei. Austin schwang sich in den Wagen und startete den Motor. Dale stieg an der Beifahrerseite ein. Die Simulatorhalle lag im Norden des Gouverneursparks, eines tausend Hektar großen Geländes, in des
sen Grenzen sich das meiste dessen befand, was Austin etwas be deutete. Ihr Ziel lag für einen Fußweg zu weit entfernt. Wie Dale war er Offizier bei den 1. Kosaken-Landers, einer Elite einheit der Republikanischen Miliz, die zu Ehren seiner Dienste für Devlin Stone dem Befehl des Gouverneurs unterstellt war. Ihre Ka serne leuchtete einen Kilometer vom Trainingszentrum entfernt an der äußersten Nordgrenze des Parks im Morgenlicht, aber im Au genblick hatte Austin ein anderes Ziel. Zwischen den Waldstücken ragten im Zentrum des Parks wichtige Regierungsgebäude und der Facettenpalast auf, Amtsgebäude und Residenz des Gouverneurs. Auch Austin hatte dort gewohnt, bevor er als Lieutenant, Junior Grade, zu den 1. Kosaken-Lanciers gegangen war. Aber sein Vater war in der Regel vollauf mit den planetaren Regierungspflichten be schäftigt gewesen, und in den Plänen seines älteren Bruders hatte er selten eine Rolle gespielt. Dementsprechend hatte Austin seine Zeit vor allem damit zuge bracht, das riesige, gut unterhaltene Museum in der Südwestecke des Parks zu erkunden, in der Nähe der Hauptstraßen nach Cingu lum. Die planetare Hauptstadt Mirachs lag zehn Kilometer entfernt. Austin schwenkte auf die äußere Ringstraße des Geländes, während Dale unentwegt über den Kampf plapperte und – wenn schon nicht einen computerbestätigten Triumph, dann doch – zumindest einen moralischen Sieg für sich reklamierte. Die gepflegten Rasenflächen und sorgsam kultivierten Wälder glitten ebenso unbeachtet vorbei wie der übrige Straßenverkehr. Austin war ganz auf das Museum konzentriert. Sie erreichten das weitläufige Glas-und-Stahl-Gebäude des Muse ums des Modernen Mirach nach zwanzig Minuten Fahrt, stellten den Wagen auf dem Parkplatz ab und schlenderten den breiten Be tonweg zu den riesigen polierten Stahltüren hinauf. Unmittelbar hinter dem Eingang lag die Rotunde, der hohe, überdachte Innen hof, von dem zahlreiche Gänge ins Gebäudeinnere abzweigten. Je der Flügel war einer bestimmten Epoche in der Geschichte Mirachs und der Republik gewidmet, doch Austin blieb vor dem zehn Meter
hohen Centurion-BattleMech stehen, der im Zentrum des runden In nenhofs aufragte. Er hätte nicht sagen können, wie oft er schon an genau dieser Stelle stehen geblieben war und zu dem Mech hochge starrt hatte. Jedes Mal wieder erfüllte ihn eine Ehrfurcht, so neu und frisch wie der Morgen. »Immer wieder faszinierend, nicht wahr?«, fragte Dale. Austin hörte die Anerkennung in der Stimme seines Bruders heraus, ob wohl der versuchte, sie unter gespielter Nonchalance zu verbergen. »Jedes Mal«, bestätigte er. Heute stand der Innenhof fast men schenleer, nur drei junge Frauen lasen die Textplatte vor den Füßen des Centurion. Austin bemerkte, wie sie sich Notizen machten, und fast wäre er hinübergegangen und hätte angeboten, ihnen mehr über die Ge schichte des Mechs zu erzählen. Das war nicht irgendein Battle Mech. Das war Sergeant Death, der Mech, den sein Vater gesteuert hatte. Austin riss sich von den Studentinnen los, um loszuplappern. In keinem Geschichtsbuch stand dieser Name der Maschine. Der Mech befand sich in der Museumshalle, wie seit Jahrzehnten, mit glänzend polierter Panzerung, drohender Autokanone, gelben Strei fen an den Beinen und roten Markierungen an den Armen. Er war mit Lasern und Langstreckenraketen bewaffnet, genau wie der si mulierte Mech, den er im Training steuerte. Austin hatte ihm zu Da les beträchtlicher Erheiterung den Spitznamen Sergeant Death gege ben. Seinem Vater hatte er nichts davon verraten, und er würde es auch nie tun – was Dale seit ihren Kindertagen eine Möglichkeit ge geben hatte, ihn zu erpressen. »Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie eine Schlacht in den Zeiten aussah, als noch Mechs aufeinander prallten«, stellte Austin mit respektvoll gedämpfter Stimme fest. »Panzer und Krötenrüstun gen sind einfach nicht dasselbe.« Sein Herz schlug schneller. Nichts ließ sich mit einem kampfbereiten BattleMech vergleichen. »Gehen wir rauf«, erklärte Dale. Sie gingen um den Centurion her um zur Rückwand der Rotunde und fuhren mit einem Aufzug zu ei
nem Laufsteg vier Stockwerke über dem weißen Marmorboden des Museums. Von diesem luftigen Aussichtspunkt fünf Meter über dem Mech konnten sie um Sergeant Death herumgehen und ihn von oben betrachten. Austin nutzte die Gelegenheit, während Dale statt dessen aus dem turmhohen Museumsfenster hinüber nach Cingu lum schaute. Austin unterdrückte das Gefühl der Sinnlosigkeit, das ihn zu ver schlingen drohte, als er auf den Kampfkoloss hinabschaute. Dies war der einzige BattleMech, der noch auf Mirach existierte, und die zunehmende Versteifung seines Vaters auf eine pazifistische Politik machte es unwahrscheinlich, dass man in absehbarer Zukunft weite re einkaufte oder baute. Die 1. Kosaken-Lanciers waren mit Kröten rüstungen und Panzerfahrzeugen ausgerüstet. Nicht einmal die Truppen des Planetaren Legaten waren merklich schwerer bewaff net, von Panzerbataillonen und verschiedenen motorisierten Artille riegeschützen abgesehen. »Wir spielen doch bloß«, stieß er ärgerlich hervor, die blauen Au gen auf Sergeant Death fixiert. »Du meinst, wie wir es als Kinder getan haben? Stimmt«, antwor tete Dale, »es hat Spaß gemacht, sich in den alten Kasten zu schlei chen und so zu tun, als ob.« »Ich will ihn steuern. Und zwar wirklich, nicht nur in einer Com putersimulation.« »Glaubst du, du könntest es besser als Papa?« Dale lachte. »Such dir ein neueres Modell, eines mit modernster Bewaffnung, statt zu versuchen, die Vergangenheit nachzuholen. Dann brauchst du nur noch jemanden zu finden, der dich anwirbt und zu einem echten Kampf mit ins All nimmt. Die Republik ist ständig auf der Suche nach fähigen Mechpiloten.« Austin bemerkte, wie Dale hinunter in die Rotunde blickte, zu den drei Frauen. Dann riss er sich los und schaute wieder hinüber zur Stadt. »Denkst du an Hanna?« Austin bemerkte das leichte Zucken im Mundwinkel des älteren Bruders, als der ein Lächeln unterdrückte.
Im Lauf der Jahre hatte sich Dale Ortega einen beachtlichen Ruf als Schürzenjäger erworben. Doch seit er Hanna Leong kannte, bemerk te er andere Frauen kaum noch. »Sie müsste ihre Sendung ungefähr jetzt beenden.« »Sie ist wirklich etwas Besonderes«, stellte Austin fest, »aber du kannst mir nicht erzählen, du hättest die Blonde da unten nicht be merkt.« Er reckte den Hals und schaute hinunter zu den drei Stu dentinnen, die Sergeant Death gerade für irgendeine Arbeit fotogra fierten, die ihr Professor ihnen aufgegeben hatte. »Habe ich nicht«, antwort ete Dale, und Austin glaubte ihm. »Du kannst sie haben.« Austin war nicht interessiert. Er verbrachte den größten Teil seiner Zeit in der Ausbildung. Als jüngster Offizier einer Eliteeinheit muss te er zusätzlich zu seinen eigenen Pflichten noch die Aufgaben erle digen, die dienstältere Offiziere auf ihn abwälzten, so genannte Ge orge-Aufträge. »Ich habe mich mit Papa darüber unterhalten, mein Patent mögli cherweise zurückzugeben«, sagte Dale plötzlich. »Was? Das kannst du nicht! Du bist der beste Mann der Einheit, Dale! Vater hat dir doch nicht etwa eingeredet, dass das Offiziers handwerk unmoralisch ist?« »Ich bin nicht der Beste, Austin. Das bist du. Zumindest hast du das größte Potenzial, und du wirst der Beste sein, sobald ich aus scheide. Ich habe bei den 1KL alles erreicht, was ich erreichen kann.« Er hob die Hand, um Austins Widerspruch abzuwehren. »Das Offi ziersleben macht mir Spaß, aber nicht so viel Spaß, wie ich noch vor ein paar Jahren geglaubt habe. Papa hat mich zu gar nichts überre det. Es gibt noch andere Aufgaben für mich, und er will mir einen Diplomatenposten geben.« »Damit du sein Nachfolger als Gouverneur werden kannst?« »Das steht hoffentlich noch in Jahren nicht an. Ich bin kein so be gabter Schüler wie du, Kleiner. Es dürfte dauern, bis Papa in ein
paar Jahrzehnten anfängt, an den Ruhestand zu denken, bevor ich auch nur halbwegs qualifiziert bin, in seine Fußstapfen zu treten.« »Ich bin nicht so gut wie du«, erwiderte Austin, von dem unerwar teten Kompliment völlig überrascht. »Und du hast deine Chance bei der Blonden verpasst«, bemerkte Dale mit einem Blick nach unten. »Sie und ihre Freundinnen sind gerade gegangen.« Austin war nicht bereit, sich ablenken zu lassen. Er hatte immer gewusst, dass Dale früher oder später die 1. Kosaken-Lanciers zu gunsten eines Zivilpostens verlassen würde. Aber ausgerechnet jetzt? Der älteste Sohn eines Barons benötigte auf einer Vielzahl von Gebieten Erfahrung, um einen Planeten regieren zu können. Aber ausgerechnet jetzt? »Ich hoffe, du überlegst es dir noch, besonders im Augenblick, da in den Städten so viel Unruhe herrscht«, sagte er schließlich. »Das könnte der beste Zeitpunkt sein, um zu studieren, wie Papa arbeitet. Er ist überzeugt, dass Diplomatie militärischen Lösungen immer überlegen ist.« »Er hat die schlimmsten Aufstände nicht erlebt. Das würde sich schnell ändern, wenn sie die Stadt verlassen und versuchen, den Pa last zu stürmen.« »Du machst dir zu viel Sorgen, Austin«, beschwichtigte Dale. »Komm. Ich habe vergessen, zu erwähnen, dass wir um elf einen Termin bei Papa haben.« Austin wollte protestieren. Dale hätte ihm schon vorher von seiner Absicht erzählen sollen, aus dem Militär auszuscheiden. Dann beru higte er sich. Dale hatte es ihm erzählt – auf seine Weise. Der ältere Ortega schlenderte pfeifend zum Aufzug. Austin folgte ihm langsamer und warf einen letzten Blick zurück auf den Centuri on, bevor sich die Aufzugstür leise zischend schloss.
2
Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. April 3133 »Wie sehe ich aus?«, fragte Austin Ortega. Er strich seine Uniform glatt. »Was soll das? Wir besuchen nur Papa. Du glaubst doch wohl nicht, dass wichtige Leute dabei sind, wenn er mit zwei kleinen Offi zieren seiner Leibgarde redet, oder?« Dale klang locker, Austin aber bemerkte den Ausdruck im Gesicht seines Bruders. Er hatte die Stirn leicht gerunzelt. Austin entdeckte den Ansatz von Sorgenfalten in Dales Augenwinkeln und fragte sich, was er zurückhielt. »Ich muss erst noch zur Wache«, stellte Dale fest. Sie grüßten die 1KL-Posten am Nordeingang des Palastes und schwenkten hinter der Tür sofort nach links durch einen großen offenen Torbogen. »Master Sergeant Borodin«, rief Dale. Der gedrungene Mann hin ter dem Schreibtisch des Diensthabenden sprang auf und nahm Hal tung an. »Lieutenant Ortega«, bellte Borodin. »Schön, Sie zu sehen, Sir. Sie auch, Lieutenant JG.« Borodin stand kerzengerade auf seinem Platz, doch seine dunklen Augen zuckten hin und her und ließen sich kei ne Einzelheit entgehen. Der Master Sergeant war stolz darauf, das Zentrum der Gerüchteküche der 1KL zu sein, und Austin musste zugeben, dass der kleine Unteroffizier, wenn er den Dienstplan aus hängte, über so ziemlich alles Bescheid wusste, was in der Einheit
vor sich ging. »Gibt es irgendetwas zu melden, Master Sergeant?«, fragte Dale. »Haben Sie die neuen Befehle gesehen, Sir?« Dale trat zum Schreibtisch hinüber und überflog die Ausdrucke, die Borodin ihm reichte. Austin schaute hinauf zu dem kleinen Para bolspiegel hoch oben im Torbogen, in dem Borodin jeden sehen konnte, der den Palast betrat. Austins Spiegelbild war verzerrt und zeigte ihn aus diesem Winkel nur von der Hüfte aufwärts. Kurz ge schorenes dunkles Haar bedeckte seinen Kopf. Sein breites Gesicht mit den hohen Jochbeinen sah gut aus, das wusste er, wenn auch nicht so gut wie das seines Bruders. Er hob die Hand an den Buckel auf seiner Nase, an die Stelle, wo der Bruch verheilt war, dann trat er verlegen beiseite, aus dem Blickwinkel des Spiegels. Austin gefiel das Bild von sich, das er in Gedanken pflegte, besser. Breite Schulter, tonnenförmige Brust, muskulöse Arme – als Ergebnis des strapazi ösen Trainingsprogramms aller 1KL-Soldaten. Austin war stolz auf die Muskeln, die er seit seinem Dienstantritt vor sechs Monaten auf gebaut hatte. Vor den 1KL hatte er – mit Ausnahme der Trainings zeit im Mechsimulator – sehr viel Zeit damit zugebracht, zu studie ren, und nicht annähernd genug damit, sich körperlich fit zu halten. »Gute Arbeit, Master Sergeant. Weiter so«, verabschiedete sich Dale von Borodin. »Komm, Austin. Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht zu spät kommen wollen.« »Nehmen wir die Abkürzung«, schlug Austin vor. Dale nickte ab wesend. Er war in Gedanken versunken. Er sprach nicht darüber, was er erfahren hatte, und Austin fragte nicht danach. Sie bahnten sich ihren Weg durch das Labyrinth der Gänge in der Residenz des Gouverneurs, einem erweiterten Nachbau des Winter palastes in Sankt Petersburg auf Terra. Schließlich erreichten sie den Großen Sankt-Georgskorridor, der direkt zum Büro des Gouver neurs führte. Filigran verzierte goldene Bögen gaben Wände aus Buntglas frei, die historische Szenen aus der Geschichte Terras und der Republik der Sphäre darstellten. Austin kannte die Stellen, an
denen man erkennen konnte, wo ganze Fenster ausgetauscht wor den waren, als die Republik an die Stelle der Vereinigten Sonnen ge treten war. Doch die allerwenigsten, die diesen Prachtkorridor hin abgingen, hätten derartige minimale Diskrepanzen je bemerkt. Drei Meter hohe Triptychen dienten als Türen zu Gängen, die in andere Teile des Palastes führten. Aber die exotischen Holzintarsien, die Wandgemälde, die prachtvollen Wandteppiche, selbst die außer gewöhnlichen Tische aus gewundenem Kristallglas verblassten ne ben dem Boden. Jeder Schritt Austins drückte das Holz leicht zu sammen. Das Quietschen, das sich daraus ergab, klang wie das pro testierende Zirpen eines Vogels. Austin hatte sein ganzes Leben im Facettenpalast verbracht und fand an der kostbaren Ausstattung nichts Besonderes. Er und Dale hatten als Kinder im Westflügel gespielt, zwischen unbezahlbaren Kunstwerken, Gobelins und Möbeln, die schon vor zweihundert Jahren antik gewesen waren. Eines ihrer Lieblingsspiele hatte darin bestanden, die antiken Möbel so hoch wie möglich aufzustapeln, um die gekonnt konstruierte Decke zu erreichen. Kein einziges Mal wa ren die beiden Knaben gestürzt, aber es war ihnen auch nie gelun gen, ihr hoch gestecktes Ziel zu erreichen. Als ihr Versteckspiel ernsthafteren Militärsimulationen gewichen war, hatten sie die riesigen Bibliotheken unsicher gemacht. Austin hatte Schlachten und Ausrüstung studiert, während Dale darauf ge wartet hatte, dass ihm sein jüngerer, studierfreudigerer Bruder eine Zusammenfassung dessen gab, was er entdeckt hatte. Doch obwohl er so viel Zeit im Palast verbracht hatte, bekam Aus tin noch immer eine Gänsehaut, wenn er diesen speziellen Korridor entlangging, dem der ganze Palast seinen Namen verdankte: Facet tenpalast. Über ihnen waren in der Decke Hunderte Kilo mikrotom geschnittene Edelsteine eingelassen. Rubine, Smaragde, Saphire, Chrysolithe, Diamanten – sie alle ließen den Großen Korridor in ih rem besonderen Licht erglänzen. Auf dem Weg den Gang hinab schien Austin durch eine Abfolge von Regenbogen zu schreiten,
durch ein Kaleidoskop von Farben, die sich in einem leuchtenden Mahlstrom um ihn drehten. Und das war nur ein einziger Gang. Er kannte fünfzig andere Korridore und Säle, in denen das durch die Juwelen gefilterte Licht noch exquisiter war. Er schluckte mühsam, als er sich daran erinnerte, wie er sich ein mal ins Schlafzimmer seiner Eltern geschlichen hatte. Der Raum war immer und für alle verboten gewesen, für Dienerschaft und Familie gleichermaßen, was die Anziehung noch verstärkte, die er auf Aus tin ausgeübt hatte. Eines Nachmittags hatte er sich hineingeschli chen und war in das sirupweiche Licht getreten, das von der Decke fiel und den ganzen Raum erfüllte. Die Aura, die ihn umgeben hatte, war hypnotisch und eindringlich gewesen, beinahe berauschend. Er hatte sich gerade noch verstecken können, als seine Eltern unerwar tet erschienen waren. Austin erinnerte sich, wie er einen Blick auf seine – in diesem Strahlen badende – Mutter hatte werfen können, bevor er unbemerkt entkommen war. Es war das letzte Mal gewe sen, dass er sie lebend gesehen hatte. Kurz darauf war sie bei einem Flugzeugabsturz umgekommen. Austin ging etwas schneller, und Dales Schritte wurden länger, als er sich anstrengte, mit seinem Bruder mitzuhalten. Ihre Schritte hall ten den Großen Korridor entlang, bis sie die hohen, von Schnitzerei en verzierten Holztüren erreichten, die den Weg zum Vorzimmer des Gouverneursbüros freigaben. Die so genannte Waffenkammer beherbergte nicht nur einen kompletten Bürostab, sondern auch eine Sammlung echter Waffen aus Welten in der ganzen Republik. Diese Ausstellung stand keinem der Räume des Museums nach, auch wenn sein Vater ständig drohte, sie in irgendeinen entfernteren Teil des Palastes zu verlegen. Austin hatte seinem Vater gesagt, dass der jenige, der sich nicht an die Geschichte erinnerte, dazu verdammt war, sie zu wiederholen. Er hoffte, dass dieses Argument bei seinem Vater und dessen wachsendem Widerwillen gegen Gewalt und Waf fen etwas ausrichtete. Doch irgendwie zweifelte er daran. Er würde die Waffen vermissen. »Der Baron erwartet Sie«, stellte ein Sekretär fest und schaute von
seinem Schreibtisch auf, als Austin und Dale davor stehen blieben. »Sie können sofort durchgehen.« »Danke«, antwortete Dale mechanisch. Austin warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu. Er wirkte jetzt entspannter, aber Austin argwöhnte, dass das nur Fassade war, nur vorgetäuscht. Durch seine Gedanken zuckte ein Bild Dales, der wie eine Sprungfeder gespannt war. Der ältere Ortegabruder bewegte sich wie eine Raubkatze, elegant, schlank und geschmeidig. Wäh rend Austin durch das Training bei den 1KL muskulöser geworden war, hatte Dale den Körper eines Langstreckenläufers entwickelt. Er bot in seiner makellosen, tiefschwarzen Uniform, deren silberne Lieutenantsabzeichen im farbigen Licht der Juwelendecke glänzten, einen bemerkenswerten Anblick. Zwei kleine gestreifte Bänder auf der Uniformbrust zeigten, dass Dale im vorigen Jahr an den Gefech ten gegen die Kupferminenarbeiter teilgenommen und mitgeholfen hatte, die versuchte Invasion Ventrales, des zweiten Kontinents Mi rachs, durch eine Söldnereinheit zurückzuschlagen, die möglicher weise in Jacob Bannsons Sold gestanden hatte. Bannson war der ehr geizige Vorsitzende eines riesigen interstellaren Konzerns, der Ge schäftsinteressen in zwei Präfekturen hatte. Die Republik hatte nach Monopolvorwürfen gegen ihn seinen Aktivitäten Zügel angelegt, und Bannson hatte zurückgesteckt. Aber jetzt, nach dem Zusam menbruch des HPG-Netzes, häuften sich die Gerüchte, dass Bann son auf weniger kommerzielle Methoden zurückgriff, um seinen Einfluss auszuweiten. Eine Verbindung Bannsons zum VentraleZwischenfall war nie nachgewiesen worden, aber alle hatten ihre ei genen Ansichten darüber, wer hinter diesem gescheiterten Vorha ben stand. Auf Austins Brust prangte nur eine Einheitsauszeichnung. Das war der Unterschied, den zwei Jahre ausmachten. Zwei Jahre und das Bürgerrecht der Republik. In einem Monat würde auch er seine Dienstzeit beenden und sich die Bürgerrechte verdient haben. Dann konnte er es über den Rang eines Lieutenant, Junior Grade, hinaus schaffen und den endlosen Arbeitsaufträgen Lebewohl sagen.
Sie gingen hinüber zum großen Doppelportal, wo zwei 1KL-Pos ten zackig beiseite traten und die Türflügel öffneten, die lautlos ein wärts schwangen und den Blick auf einen Raum freigaben, der noch prächtiger eingerichtet war als die Waffenkammer oder der Große Korridor vor ihr. Juwelen aller Farben und aus allen Ecken des Pla neten funkelten in der Decke und strahlten ein Farbenspektrum her ab, das sich in ständiger Bewegung befand und sich durch exzellen te Justierung über Sergio Ortegas Schreibtisch zu einem steten wei ßen Licht bündelte. Der mit Bildschirmen bedeckte Schreibtisch zeigte Bilder aus der ganzen Welt, auf denen Aufstände ebenso zu sehen waren wie die intimeren Einzelheiten des Geschäftslebens auf Mirach. »Papa«, stellte Dale fest. »Gut siehst du aus.« Sergio winkte sie herein. Die Posten schlossen hinter ihnen die Tür und die Brüder blieben vor dem riesigen Schreibtisch stehen. Im Ge gensatz zu Dales Behauptung sah ihr Vater gar nicht gut aus. Der schüttere Kranz grauer Haare um seinen kahlen Fleck verriet, wie selten er sich in letzter Zeit kämmte. Dunkle Ringe um die Augen kündeten von langen Arbeitsstunden und wenig Schlaf. Und das leichte Zittern der sonst erzruhigen Hand – als Sergio auf die freien Sessel deutete – überzeugte Austin davon, dass er unter einer gewal tigen Anspannung stand. Normalerweise war sein Vater fröhlich und munter. Heute schien er distanziert. »Eure Ausbildung verläuft gut«, bemerkte Sergio. Es war keine Frage. »Du hast unsere letzten Trainingsberichte gesehen?«, fragte Dale beinahe ängstlich. Austin warf seinem Bruder aus dem Augenwin kel einen schnellen Blick zu und fragte sich, was er sich geleistet hat te, das seine Bewertung hätte negativ beeinflussen können. Sergio Ortega räusperte sich. »Es wird Zeit, dass du die 1. Kosaken-Lanciers hinter dir lässt und dich anderen Bereichen widmest. Übrigens, Austin, du hast deine Bürgerrechte erhalten.«
»Vorzeitig?« Das überraschte ihn. Sein Vater hatte keineswegs die Angewohnheit, Familienmitglieder bevorzugt zu behandeln. Jede Vorzugsbehandlung konnte zu unerwünschten Konflikten führen. »Du hast es dir verdient, Sohn. Und der Zeitpunkt ist günstig. Du wirst ein paar Wochen Zeit brauchen, dich im Büro zurechtzufin den. Die Bürgerrechte befreien dich von Sicherheitsbedenken, die sonst hätten auftauchen können.« Austin brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sein Vater gesagt hatte. »Wir beide, Sir? Ich wusste, dass Dale Ihrem Stab zugeteilt werden soll, aber ich möchte bei den 1KL bleiben«, protestierte er. »Du überraschst mich, Austin. Dale macht es Spaß, herumzustol zieren und den Mädchen seine Orden zu zeigen. Von dir hatte ich das nicht erwartet«, tat Sergio den Einwand ab. »Sir«, setzte Austin nach, und suchte nach den passenden Worten, um seinen Vater zu überzeugen. »Die Unruhen nehmen zu, und Le gat Tortorelli scheint nicht bereit, etwas zu unternehmen. Sie benöti gen ausgebildete Soldaten in Ihrer Leibwache, um …« Er unterbrach sich, als er die wachsende Verärgerung im Gesicht seines Vaters sah. »Es gehört mehr zum Leben, als die Fähigkeit zu töten«, erklärte Sergio. »Mit Kampf hat noch nie jemand ein Problem besser gelöst, als es mit Diplomatie möglich gewesen wäre. Deshalb habe ich die Polizei angewiesen, keine Gewalt gegen die Demonstranten anzu wenden, es sei denn, das Leben der Beamten gerät in Gefahr. Ich habe auch dem Legaten geraten, vorsichtig zu sein. Ich hatte gehofft, die Zeit bei den 1KL würde dir einen Einblick darüber verschaffen, wie die Bürger die Autoritäten betrachten.« »Sie betrachten uns als das über ihren Köpfen hängende Schwert des Damokles«, stellte Dale fest. »Das ist der Zweck des Militärs.« »Das ist es nicht!«, schnappte Sergio. »Die Aufgabe des Legaten ist der Schutz, nicht die Einschüchterung. Die Pflicht des Gouverneurs ist es, Streitigkeiten aufzulösen, bevor es notwendig wird, die Unter stützung des Legaten anzufordern. Wir müssen unter allen Umstän
den nach einer friedlichen Lösung suchen. Es ist viel zu einfach, ein Leben zu nehmen – und unglaublich schwer, eines zu erhalten.« »Welche Schritte unternehmen Sie gegen die Aufstände, Sir?«, fragte Austin. »Calvilena will in einzelnen Sektoren Cingulums das Kriegsrecht ausrufen, aber ich weigere mich, das zu genehmigen. Mein Haupt stand wird kein Schlachtfeld werden. Ich tue alles, was ich kann, um die Ängste wegen des Ausfalls des HPG-Netzes zu beruhigen, aber wir haben dadurch eine Menge Arbeitsplätze verloren. Durch den Ausfall von Exportaufträgen wird es notwendig, die Produktion in den Bergwerken herunterzufahren. Es dauert nur länger, als ich er wartet hatte, in anderen Bereichen der Wirtschaft neue Arbeitsplätze zu schaffen, das ist alles.« Austin bezweifelte keine Sekunde, dass Legat Calvilena Tortorelli ein Interesse daran hatte, das Kriegsrecht auszurufen. Das hätte ihm gewaltige Macht verschafft. Die Beziehung zwischen dem Gouver neur und dem Legaten war auf Mirach schon immer schwierig ge wesen, aber Tortorelli hatte sich nie auf eine wirkliche Konfrontation eingelassen. Während seiner Karriere hatte er sich im Kampf hervor getan, wenn es zählte. Mehr als nur ein einzelner Offizier der 1KL vertrat die Ansicht, Tortorelli habe seine Berufung zum Legaten der Tatsache zu verdanken, dass Präfekt Radick nur seine wenigen, sel tenen Erfolge zur Kenntnis nahm. Sergio schob den Sessel zurück, stand auf und kam um den Schreibtisch nach vorne. »Kommt mit.« Er öffnete die Bürotür. Die 1KL-Posten nahmen Haltung an, als er sie passierte. »Der Konferenzsaal ist bereit, Mylord«, stellte der Sekretär fest, als Sergio an seinem Schreibtisch vorbeikam. »Danke, Gordon.« Der Gouverneur verließ das geschäftige Büro, bog in einen vom Hauptgang abzweigenden Privatkorridor ab und verlangsamte den Schritt, um den 1KL-Posten die nötige Zeit zu las sen, für ihn und seine Söhne die Türflügel des Konferenzzimmers
zu öffnen. Ein riesiger ovaler Tisch aus auf Hochglanz poliertem Holz beherrschte den mit Wandteppichen geschmückten Raum. Zahlreiche hochlehnige Stühle umstanden ihn. Am Kopfende warte te ein größerer gepolsterter Stuhl auf Sergio Ortega. Er setzte sich, warf einen Blick auf die für ihn aktivierten Monitore, dann atmete er tief durch und drückte einen in der Tischplatte eingelassenen Knopf. Eine Doppeltür schwang auf der gegenüberliegenden Seite weit auf. »Hereinspaziert«, dröhnte Sergio herzlich und klang wie in alten Zeiten. »Schön, dass Sie kommen konnten, Legat Tortorelli. Sie auch, Ministerin.« Austin verdrehte den Hals und sah den Legaten hereinstolzieren, begleitet von der Informationsministerin. Tortorelli war ein klein wüchsiger Mann, der seine besten Tage bereits hinter sich hatte. Sein erheblicher Leibesumfang ließ keinen Zweifel daran, dass seine große Zeit als aktiver Militär vorbei war, auch wenn ein Dutzend Orden auf der Uniform tanzte und klimperte. So sehr er sich auch bemühte, Austin hatte es nie geschafft, mehr als drei davon zu iden tifizieren. Es war geradezu überraschend einfach für ihn, den Lega ten abzuqualifizieren. Tortorelli mochte von Präfekt Radick persön lich ernannt sein und sich auf das ganze militärische Gewicht der Präfektur IV berufen können. Aber der Kollaps des interstellaren Kommunikationsnetzes hatte dieser Autorität Gewicht genommen und den Mann auf seine eigenen, beschränkten Möglichkeiten zu rückgeworfen. Trotz Tortorellis Anwesenheit glitt Austins Blick sofort weiter zur Ministerin für Information, Lady Elora Rimonowa. Sie war keine Schönheit, er hätte sie nicht einmal als attraktiv bezeichnen können, aber sie verfügte über eine gewisse Qualität, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Wann immer sie einen Raum betrat, in dem sich eine größere Anzahl von Menschen befand, verstummten deren Gesprä che und alle Blicke folgten ihr. Sie war groß, so schlank, dass es an Ausgemergeltheit grenzte, und hatte stechende smaragdgrüne Au
gen, die in krassem Kontrast zur blutleer wirkenden, alabasterwei ßen Haut und den rostroten Haaren standen. Rimonowa musterte die Welt grundsätzlich von oben herab mit abfälligem Blick, die kaum sichtbaren Lippen unter der Adlernase zur Andeutung eines verächtlichen Grinsens verzogen. Aber wenn sie sprach, bewies ihre Stimme einen loreleihaften Zauber. Austin hatte mit ihr im Laufe der Jahre an verschiedenen Konfe renzen teilgenommen, aber jetzt fragte er sich, ob er sie jemals wirk lich gesehen hatte. Ihre beeindruckende Präsenz hatte ihn bis jetzt im mer überwältigt, und er war froh über jede Gelegenheit gewesen, sich aus dem Staub zu machen, damit er unter vier Augen mit sei nem Vater reden konnte. Diese Begegnung schien anders. Es war fast, als wollte sein Vater, dass er sie studierte. Eine ungewöhnliche weiße Haarsträhne knapp über Rimonowas rechtem Ohr wirkte ir gendwie fehl am Platze, und die silbernen und goldenen Ringe an all ihren langen, knochigen Fingern standen in noch deutlicherem Widerspruch zur eher spartanischen Kultur Mirachs. Die vorherr schende Mode verbat mehr als einen, höchstens zwei Ringe, eine Sit te, die noch aus der Frühzeit der Besiedlung des Planeten stammte, als Edelmetalle für lebenswichtigere Aufgaben als die persönliche Verschönerung benötigt wurden. »Gouverneur«, begrüßte Lady Elora Austins Vater mit seidiger, verführerischer Stimme. »Es tut mir Leid, so brüsk sein zu müssen, aber falls Sie eine Verlautbarung für die Hauptnachrichten heute Abend haben, brauche ich sie jetzt bald.« »Ich weiß. Ich kenne den Zeitplan«, antwortete Sergio wie zu je mandem in einem anderen Raum, wenn nicht gar einer anderen Di mension. »Heutzutage, wo uns über das HPG keine Informationen von anderen Welten mehr erreichen, sind die Nachrichten wichtiger denn je.« »Vielen Dank für Ihr Verständnis. Ohne Ihre offiziellen Verspre chungen wären die Unruhen in der Bevölkerung weit schlimmer, als sie es ohnehin sind.« Die verächtliche Neigung ihrer Lippen verbrei
terte sich zu etwas, das Elora vermutlich für ein einschmeichelndes Lächeln hielt. Austin kannte die offiziellen Verlautbarungen des Informations ministeriums und staunte über den dünnen Schleier der Wahrheit über einem Grundtenor des Verrats. Lady Elora leitete die regie rungsamtliche Nachrichtenagentur und hatte den Auftrag, die Posi tion des Gouverneurs vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Aber die aus ihren Veröffentlichungen ablesbare Haltung deckte sich zuwei len kaum mit dem, was Austin als die seinem Vater zustehende Loyalität bezeichnet hätte. Die Ministerin trat nie offen ins Licht und sagte, was sie dachte, solange sie im Schatten bleiben und ein feines Netz aus Worten von ambivalenter Bedeutung spinnen konnte. Ohne um Erlaubnis zu fragen, setzte Elora sich auf den Stuhl, der am nächsten zu der Tür stand, durch die der Legat und sie eingetre ten waren. Tortorelli ließ sich auf den Platz neben ihr fallen. »Mylord, haben Sie über meine Empfehlung nachgedacht? Falls ja, können wir eine offizielle Erklärung aufsetzen und Lady Elora die Bevölkerung noch heute Abend informieren lassen.« Tortorelli plus terte sich vor selbst empfundener Bedeutung auf, während er sprach. Austin und Dale wechselten einen schnellen Blick. Calvilena Tor torellis einfältiges Grinsen verriet, dass er sich von seiner Empfeh lung einen persönlichen Machtzuwachs versprach. Austins Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken. »Die Idee enthält Aspekte, die mir gefallen«, bemerkte Sergio, leg te die Fingerspitzen aufeinander und stützte das Kinn auf den so ge falteten Händen. »Es würde mir gestatten, das Militärbudget zu kür zen und die so frei werdenden Mittel Sozialmaßnahmen zuzuleiten, die zu einer Linderung der Spannung beitragen könnten.« »Ein ausgezeichneter Aufmacher für die Nachrichten, Mylord«, stellte Lady Elora fest. »Legat Tortorelli ist ein fähiger militärischer Kommandeur. Die Ersten Kosaken-Lanciers werden eine bereits eta
blierte Streitmacht noch verstärken.« »Was?« Austin schoss hoch. »Vater! Du denkst doch nicht ernst haft daran, deine Leibgarde aufzugeben? Du kannst die 1. KosakenLanciers nicht dem Legat unterstellen!« »Ruhig, Austin.« Sergio runzelte die Stirn. »Ja, Baronet, Sie sind nur ein Lieutenant, Junior Grade. Sie verges sen sich«, fügte Tortorelli hinzu und musterte Austin abfällig. Der Legat setzte zu einer weiteren Bemerkung an, doch ein Blick Eloras brachte ihn zum Schweigen. »Vom finanziellen Standpunkt ebenso wie vom praktischen wäre eine derartige Entscheidung durchaus sinnvoll, Mylord.« Die Minis terin drehte sich halb zu Austin um. »Der Gouverneur wäre keinem zusätzlichen Risiko ausgesetzt. Im Gegenteil, die erweiterten Ausbil dungsmöglichkeiten, die den 1KL durch diesen Wechsel zur Verfü gung stünden, würden eine bereits fähige Einheit eher noch verbes sern.« »Das sind gute Argumente, Lady Elora«, bestätigte Sergio. »Ich werde mir das ganz sicher durch den Kopf gehen lassen. Die so frei werdenden Steuergelder könnten wir dazu benutzen, uns für eine Spende Jacob Bannsons in gleicher Höhe zu qualifizieren.« Austin stöhnte innerlich. Sein Vater hatte nicht geglaubt, dass Bannson hin ter dem Ventrale-Überfall gesteckt hatte, und jetzt hatte sich das An gebot in seinen Gedanken festgesetzt, das Bannson, verzweifelt be müht, auf Mirach neue Märkte zu erschließen, schon vor Wochen von einem Privatkurier hatte überbringen lassen. Sergio hatte es kurz mit Austin besprochen, doch der hatte es nicht ernsthaft für möglich gehalten, es annehmen zu können. Es hätte sie zu abhängig von einem völlig Außenstehenden gemacht – und ihm damit zu viel Macht in die Hand gegeben. »Bannson?« Lady Elora klang entsetzt. »Er möchte eine große Handelsniederlassung auf Mirach aufbau en, ist dazu aber ohne erhebliche Subventionen nicht bereit. Ohne funktionierenden HPG wird das zusätzliche Handelsaufkommen für Mirach uns allen neue Arbeitsplätze verschaffen.«
»Ja, natürlich«, stellte Lady Elora vorsichtig fest. »Bannsons Han delsschiffe würden auch zusätzliche Nachrichten aus anderen Syste men bringen. Das könnte die Bevölkerung beruhigen, weil sie das Gefühl bekäme, vom alltäglichen Geschehen auf den restlichen Wel ten der Republik nicht mehr völlig abgeschnitten zu sein.« Ihre Worte klangen ehrlich, aber Austin bemerkte die versteiften Schultern der Informationsministerin und ihre Hände, die sich in stinktiv zu Fäusten ballten, bevor sie sich sofort wieder entspannten. Die Eröffnung seines Vaters hatte sie überrascht, fast so sehr, wie ihn die Aussicht, die 1. Kosaken-Lanciers könnten dem Befehl des Legaten unterstellt werden, schockiert hatte. Das gefiel Austin. Heutzutage kam es nur selten vor, dass Elora über irgendetwas nicht schon vor dem Gouverneur informiert war. »Sobald Sie über die Einzelheiten verfügen, Gouverneur, werde ich die Verlautbarung für Ihre Genehmigung vorbereiten.« Elora hob den Kopf, aber sie wirkte nicht mehr ganz so hochmütig wie bei ihrem Erscheinen. »Es wird nicht lange dauern, bis die Angelegenheit unter Dach und Fach und bereit für Ihre erfahrenen Hände ist«, antwortete Ser gio. Elora Rimonowa zögerte kurz, dann stand sie auf und verließ den Konferenzsaal. Tortorelli folgte ihr wie an einer unsichtbaren Leine. »Das kannst du nicht machen, Vater!«, protestierte Austin, kaum dass die Tür sich hinter dem Legaten und der Ministerin geschlos sen hatte und sie wieder allein im Zimmer waren. »Er hat Recht, Papa«, unterstützte ihn Dale. »Du brauchst eine ei gene Leibgarde. Es ist unmöglich, dass du darauf angewiesen bist, Tortorellis Dienstweg einzuhalten. Wer weiß, wen oder was er dir zur Unterstützung schicken würde – oder wann. Du wärst gerade in dem Moment, in dem du am stärksten auf Loyalität angewiesen bist, dem Legaten ausgeliefert.« »Ich habe dem Legaten gesagt, dass ich darüber nachdenke. Ich muss erst noch einmal mit Leclerc reden, bevor ich meine Entschei
dung fälle.« Captain Manfred Leclerc kommandierte die 1KL, seit die Einheit aus der Republikanischen Miliz ausgegliedert worden war, und Austin vertraute ihm blind. Sich mit seinem Vater herumzustreifen, konnte ihm nichts bringen, und Captain Leclerc würde den Gouver neur sicher davon überzeugen, jede Umorganisation abzulehnen. »Gehen wir zurück in mein Büro. Ich habe eure Entlassungspapie re aus den 1KL fertig. Stichtag ist Ende des Monats. Es wird Zeit, dass ihr zwei euch weiterentwickelt.« Sergio stand auf und der Blick seiner farblosen Augen war eine deutliche Herausforderung an Aus tin oder Dale, sich zu widersetzen. Keiner der beiden nahm sie an.
3
AllWorldComm-Industriegelände, südlich von Cinguium, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 5. April 3133 »Die Menge wird unruhig«, bemerkte Marta Kinsolving. Sie presste die Lippen zu einem Strich zusammen und strich sich eine herab hängende kastanienbraune Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie sich vorbeugte, um die Bildschirmzeile zu studieren. Acht Kame ras beobachteten das Haupttor der Hauptfabrik AllWorldComms. Auf drei Schirmen waren skandierende, brüllende, wütende Mobs entlassener Arbeiter und Angestellten zu sehen. Der Niedergang der Bergwerke hatte Auswirkungen auf die gesamte Geschäftswelt Mi rachs gehabt, und AWC gehörte zu den am schlimmsten betroffenen Firmen. In den letzten Monaten hatte AWC ein Viertel der Beschäf tigten entlassen und Marta sah weitere Kündigungswellen kommen. »Keine Bange«, beruhigte sie ihre Werkschutzchefin. Inger Ryu min griff an der AllWorldComm-Direktorin vorbei und drückte einen roten Knopf. »Damit werden wir fertig.« »Es geht mir um unser Bild in der Öffentlichkeit«, erinnerte Marta sie. »Wir müssen wenigstens ein paar Kunden behalten.« »Und genau so machen wir das«, erwiderte Ryumin mit einem scharfen Unterton in der Stimme. »Ich will nicht respektlos erschei nen, aber meiner Ansicht nach machen Sie sich zu viel Sorgen um das Falsche. Ihre Hauptsorge sollte sein, den Konzern zu leiten. Mei
ne ist es, AWC-Eigentum zu beschützen. Es wird niemand zu Scha den kommen, solange er nicht die stromführenden Drähte im Zaun und den Torflügeln berührt.« Normalerweise behielt Marta ihr gelegentlich aufbrausendes Tem perament im Zaum, diesmal jedoch nicht. »In einem Punkt haben Sie Recht, Chief Ryumin«, fauchte sie. »Ich bin hier die Direktorin, und Sie arbeiten für mich.« »Dann rufen Sie die Polizei«, gab Ryumin zurück. »Lassen Sie die dafür sorgen, dass niemand unsere Fabriken beschädigt und unsere Arbeiter zusammenschlägt. Sie haben meinen Werkschutz verklei nert, Sie haben keine zusätzliche Ausrüstung genehmigt, und ich bin nicht sicher, ob ich mich auf die Gelder für das Sonderprojekt verlas sen kann, das Sie und die anderen Direktoren sich ausgedacht ha ben.« Marta wusste die Zurückhaltung zu schätzen, mit der Ryumin an sprach, wie die Mirach Business Association, ein Zusammenschluss der großen planetaren Arbeitgeber, sich zögernd zu einer Überein kunft durchgerungen hatte, ArbeitsMechs umzurüsten und mit ih nen genau genommen eine Privatarmee aufzubauen. Doch die Gel der waren knapp und das ganze Projekt war geheim. Die Mechs sollten nur umgebaut und eingesetzt werden, wenn das wirklich nö tig wurde, denn das war nicht weniger als ein Schlag ins Gesicht des Gouverneurs und des Legaten. »Ich tue mein Bestes, AWC zahlungsfähig zu halten. Seit das Netz zusammengebrochen ist, beziehen wir unsere gesamten Einkünfte aus planetaren Verbindungen, und die haben eine minimale Ge winnspanne. Die neuen Mondrelais beanspruchen so ziemlich das gesamte Entwicklungsbudget. Sie wissen selbst, welche Schwierig keiten es in Ventrale mit den Tantalminen gibt, und …« »Marta«, unterbrach Ryumin. »Es tut mir Leid. Ich versuche nur, so gut es geht mit dem wenigen auszukommen, das ich besitze. Sa gen Sie mir, wie ich mit diesen Unruhestiftern umgehen soll, und ich tue es.«
»Sie machen das schon richtig, Inger«, antwortete Marta mit etwas freundlicherer Stimme. Sie standen alle unter enormem Stress. Es war nicht leicht, das Geschäft in Gang zu halten. Und gerade für All WorldComm war diese Aufgabe nach dem Zusammenbruch des Hyperpuls-Netzwerks nahezu unmöglich geworden. Marta kämpfte ständig mit dem Aufsichtsrat um die Finanzen, und die Zeit, die ihre Pflichten als Präsidentin der Mirach Business Association bean spruchten, brachte sie regelmäßig in Konflikt mit den Wünschen der Aufsichtsratsmitglieder. »Sorgen Sie nur dafür, dass sie nicht in die Fabrikanlage eindringen. Unsere Posten können sie nicht unbe grenzt aufhalten und die Zäune könnten nachgeben.« »Schließt das auch …?« Ryumin deutete auf einen anderen Moni tor. Martas braune Augen trübten sich einen Moment. So weit war es schon gekommen. Inger Ryumin hatte außer Sicht der Demonstran ten einen ArbeitsMech im Innern einer der Fertigungshallen pos tiert. Der rechte Arm der riesigen, entfernt humanoiden Maschine endete in einem rasiermesserscharfen, meterlangen Diamantbohrer. In der linken Hand hielt er einen zwanzig Kilogramm schweren Vorschlaghammer. Kam er gegen die Menge zum Einsatz, würde ihn nichts und niemand aufhalten können. Das Blutbad würde un beschreiblich werden. Und die MBA debattierte sogar darüber, diese furchtbaren Maschinen noch aufzurüsten und mit automatischen Schnellfeuerkanonen und Raketenwerfern zu bestücken. Marta zuckte zusammen, als Alarmsirenen heulten und ein rotes Licht aufblinkte. »Etwa hundert von ihnen haben das Tor eingerissen«, erklärte Ryumin mit Blick auf einen Datenschirm. »Der Zaun ist ausgefallen, ohne sie aufhalten zu können.« »Setzen Sie den Mech ein«, befahl Marta. Ihr Inneres verwandelte sich in Stein. Sie schuldete es ihren verbliebenen Beschäftigten, sie zu schützen. Die Demonstranten dort draußen in der Menge moch ten selbst einmal AWC-Beschäftigte gewesen sein, aber sie hätten
ihre Entlassung akzeptieren sollen, statt gegen ihre ehemaligen Kol legen zur Gewalt zu greifen. »Und besorgen Sie mir eine abhörsiche re Konferenzschaltung mit Nagurski und Chin.« Marta hasste den Gedanken, dass die beiden Vizepräsidenten der Mirach Business Association so schnell Recht bekommen hatten. Sie musste Sicherheitsfragen zwar mit dem AWC-Aufsichtsrat abstim men, aber nach diesem Angriff auf das Eigentum der Firma, der so wohl die Produktion als auch die Angestellten gefährdete, würde dessen Mitgliedern keine andere Wahl bleiben, als dem Vorschlag der MBA zuzustimmen. Die Umrüstung der IndustrieMechs würde anlaufen. »Wird gemacht«, bestätigte Ryumin, »aber die Verbindung, die sie vor dem Aufruhr verlangt haben, ist gerade auf Kommleitung 703 zustande gekommen.« Die Werkschutzchefin deutete ans Ende der Steuerkonsole. »Geben Sie dem Mechfahrer den Einsatzbefehl. Minimale Gewalt anwendung.« Ryumin griff nach dem Mikro, um den Befehl weiterzugeben. Marta schien es, als hätte sich plötzlich die ganze Welt gegen sie verschworen. Sie zog ein Kommset über und schaltete die Abhörsi cherung zu, damit niemand sie belauschen konnte. Dann stellte sie die Kamera scharf. Eine schnelle Sicherheitsüberprüfung bestätigte eine abhörfreie Verbindung. Doch ihr war klar, dass sie sich auf die se Information nicht restlos verlassen konnte. Schon gar nicht, wenn man bedachte, mit wem sie sprach. Sie schaltete den Bildschirm ein. »Ah, Ms. Kinsolving, es tut mir Leid, dass Sie so lange auf den Rückruf warten mussten«, sagte Lady Elora. Der Rotschopf lächelte falsch. Ihr Grinsen hätte man beinahe als Grimasse bezeichnen kön nen. »Unruhen an zahlreichen Punkten der Stadt erforderten meine Aufmerksamkeit. Der Baron verlangte Bilder und Berichte von mei nen Leuten.« Elora drehte sich etwas zur Seite, mit einer Handbewe gung zu jemandem außerhalb des Kamerablickwinkels. »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn Legat Tortorelli mit anhört, was Sie mir
zu sagen haben, meine Liebe?« »Nur zu, laden Sie ein, wenn Sie wollen«, erwiderte Marta sarkas tisch. Ihre Wut drohte wieder einmal, die Oberhand zu gewinnen. Ein Blick durch den Raum zeigte, dass Ryumin den ArbeitsMech ge gen den Mob in Bewegung gesetzt hatte. Es war unmöglich, das ge heim zu halten. Sie musste die Konfrontation auf der Stelle über offi zielle Kanäle melden. Und eine unverzüglichere Gelegenheit als die se Verbindung ins Informationsministerium gab es nicht. »Sie sind zu gütig, meine Liebe«, kommentierte Lady Elora mit ge spielter Dankbarkeit. »Ich möchte eine Mitteilung an den Gouverneur weitergeben.« »Das klingt ernst. Sollte ich das aufzeichnen?« Lady Elora hob einen knochigen Finger, deutete damit auf ein Kontrollpult außer halb des Bildes und wartete. Im Licht des Scheinwerfers, der auf sie gerichtet war, blitzten und funkelten ihre Ringe. Das Farbenspiel lenkte Marta für einen Moment ab. »Wie Sie wollen. Ich reiche eine förmliche Beschwerde gegen das Ministerium für Information ein.« »Als Direktorin von AllWorldComm?« »Die Firma wird später eine umfassende Erklärung herausgeben, aber Sie sollen wissen, dass AWC mit aller Heftigkeit gegen die von Ihnen veröffentlichten so genannten Nachrichten protestiert, in de nen angedeutet wurde, die Firma sei verantwortlich für die Zerstö rung der HPG-Station Mirachs – und ebenso, dass AWC in irgendei ner Form von Mirachs Kommunikationsblackout profitieren könnte. Diese Berichte haben zu Unruhen an unseren Fertigungsanlagen ge führt und uns gezwungen, Maßnahmen gegen Aufrührer zu ergrei fen, die versuchten, Firmeneigentum zu zerstören.« »Welche Art von Maßnahmen?« Eloras Miene erinnerte plötzlich an ein Raubtier. »Sie sind eine Expertin im Einsatz von Andeutungen und Halb wahrheiten«, sprach Marta ungerührt weiter. In ihr brodelte kalte
Wut. Die Monitore zeigten Männer und Frauen verletzt am Boden liegen, während der Mech den Mob vom AWC-Gelände drängte. »Sie stacheln die Leute auf und benutzen AWC dazu als Sünden bock.« »In meiner Eigenschaft als Ministerin versichere ich Ihnen, dass in unseren offiziellen Nachrichtensendungen nur die reine Wahrheit ausgestrahlt wird. Wir sind eine staatliche Behörde mit dem Auf trag, die Öffentlichkeit zu informieren.« »Mir ist klar, dass unsere Position prekär ist. Man sollte sich nie mit jemandem anlegen, der das Mikrofon hält«, antwortete Marta. »Andererseits halten Sie das Mikrofon vielleicht, aber AllWorld Comm stellt es her.« »Wollen Sie damit andeuten, dass Sie dem Ministerium für Infor mation Ausrüstung vorenthalten könnten, die unverzichtbar ist, um das Recht der Öffentlichkeit auf Information zu befriedigen, falls wir keine Ihrer Firma genehmen Berichte ausstrahlen? Hat es in Verbin dung mit der Hyperpulsgenerator-Ausrüstung ähnliche Ausfälle ge geben? Möchten Sie die Rolle AWCs bei der Vernichtung der HPGStation kommentieren?« Was auch immer sie jetzt sagte, es würde so lange bearbeitet, ge schnitten und neu zusammengefügt werden, bis die Aussage her auskam, die Lady Elora haben wollte. Es würde schon schlimm ge nug werden, wenn die Nachricht von den verletzten Demonstranten publik wurde. »Sie erhalten die formelle Erklärung vor Ablauf des Tages.« »Ich erwarte ihren Empfang. Ach, noch eine Sache, bevor Sie die Verbindung unterbrechen«, warf die Ministerin ein. »Was ist mit dem Zwischenfall, den Sie erwähnt haben? Können Sie mir darüber Näheres mitteilen?« »Die Bilder sind höchst entmutigend«, mischte sich Tortorelli ein. »Setzen Sie einen Mech ein, um die Unruhen niederzuschlagen? Au genzeugen berichten, von einer gefährlichen Kampfmaschine be droht zu werden.«
Marta winkte Inger Ryumin. Entweder Lady Elora Rimonowa oder Legat Tortorelli verfügte über eine direkte Kameraverbindung zu dem Blutbad am Fabrikstor, und sie wollte, dass die Werkschutz chefin diese Leitung unterbrach. Ryumin erkannte sofort, was nötig war, und setzte mehrere Techs darauf an, die Kameras aufzuspüren und zu zerstören. »Die MBA verfügt über einen privaten Sicherheitsdienst, um das Eigentum ihrer Mitglieder zu beschützen, wenn es notwendig wird«, kommentierte Marta vorsichtig. Ryumin streckte den Dau men in die Höhe. Eloras Bilder von dem Gemetzel wurden gestört. Aber die Katze war aus dem Sack. »Das ist eine ernste Angelegenheit, die wir mit Gouverneur Ortega besprechen müssen«, stellte Tortorelli fest. »Als Planetarer Legat be stehe ich darauf, dass jede Art von Mecheinsatz auf der Stelle been det wird.« »Danke für Ihre Stellungnahme, Legat Tortorelli.« Marta unter brach die Verbindung, riss sich das Kommset vom Kopf und schleu derte es in einem Wutanfall durch den Raum. Sie stampfte davon und überließ es Ryumin, für Ordnung zu sorgen. Marta musste sich mit ihrem Aufsichtsrat und den Vizepräsidenten der MBA in Ver bindung setzen, um sie zu informieren, bevor sie die verzerrte Be richterstattung sahen, die Lady Elora mit ziemlicher Sicherheit als Eilmeldung durch den Äther jagen würde. Mit althergebrachten Ge schäftsmethoden war jetzt nichts mehr zu erreichen. Die Lage hatte sich drastisch verändert, und Lady Eloras knochige, beringte Finger würgten den Informationsstrom an die Massen ab.
»Meine Güte, sie wirkte furchtbar verärgert«, bemerkte Calvilena Tortorelli. »Habe ich sie etwa so aufgebracht?« »Was macht das schon, Calvi?«, höhnte Elora, als sich die Bilder ihrer Kameras an der AWC-Fabrik in einem grauen Rauschen auf lösten. Marta Kinsolvings Werkschutzchefin war wirklich effizient.
Elora fragte sich, ob Ryumin bestechlich war. »Natürlich macht es etwas!« Tortorelli schürzte die breiten Lippen und schmollte. »Sie kann meine Autorität nicht einfach ignorieren. Ich bin der Legat!« »Das stimmt«, bestätigte sie ihm und legte beruhigend die Hand auf seinen Arm. »Der Frieden im Inneren muss geschützt werden. Genau das wollen wir alle, aber ich fürchte, der Gouverneur leistet dabei keine besonders gute Arbeit und …« Sie unterbrach sich jäh. »Was ist, Elora? Du hast etwas entdeckt, nicht wahr? Was ist es?« »Vielleicht gar nichts«, sagte sie zögernd und baute die Spannung für ihr Gegenüber auf. »Mir ist nur eben der Gedanke gekommen, dass AllWorldComm möglicherweise eine Allianz mit Jacob Bann son aufbauen könnte.« »Wie das? Dieser Pirat kommt mir nicht auf meine Welt! Es ist em pörend, dass der Gouverneur auch nur in Betracht zieht, ihn hier eine Handelsstation eröffnen zu lassen!« »Nein, Calvi, du hast ganz Recht. Es wäre ein Fehler, wenn wir ihm erlauben würden, an dieser Stelle einen Brückenkopf zu errich ten«, bestärkte sie ihn. »Ich vermute, Mylord Ortega greift nach ei nem Strohhalm, aber für AWC gilt das nicht. Kinsolving könnte Bannson als eine Möglichkeit betrachten, ihre untergehende Firma wieder rentabel zu machen. Und wenn es nicht AWC ist, dann ist es die Mirach Business Association … die vermutlich … dahintersteckt. Erinnerst du dich an diese Söldner und den Angriff auf Ventrale letztes Jahr? Sie könnten eine Abteilung von Bannsons Rabauken ge wesen sein. Ich habe Gerüchte aufgeschnappt, dass Bannson eine Privatarmee aufbaut. Möglicherweise war der Überfall Bannsons grobschlächtiger Versuch, sich hier zu etablieren. Schließlich findet man Bannson überall, wo es Geld und Handel gibt. Er muss sich im mer irgendwie einmischen und absahnen.« »Niemals! Nicht auf meiner Welt!« Lady Elora schaute dem Legaten nach, als er mit rot angelaufenem Gesicht und wütend vor sich hin brabbelnd aus ihrem Büro stürmte.
Es war wirklich ein Kinderspiel, ihn zu manipulieren. Wenn sie erst so weit war, Kontakt zu Kai Radick aufzunehmen und ihm eine wei tere Welt für die Stahlwölfe anzubieten, würde sie Tortorelli abser vieren. Und den Baron gleich mit.
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Kaserne der 1. Kosaken-Landers, Gouverneurspark, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 12. April 3133 »Du ruinierst dir noch die Augen mit der Leserei, und ich darf dann Blindenhund spielen«, neckte Dale Ortega seinen Bruder. Dale lehn te sich lässig zurück, und der pneumatische Sessel seufzte leise, als er sich an die Konturen seines hageren Leibes anpasste. Dann legte er die gestiefelten Füße auf den Tisch des Aufenthaltsraums. Die an deren Gardisten befanden sich entweder auf Streife oder waren mit Wartungsarbeiten beschäftigt, sodass nur Austin und er Wache schoben. Und sein Bruder schien heute ein echter Langweiler zu sein. Austin ignorierte alle Versuche, ein Gespräch zu beginnen und hatte die Nase in den Stapeln von Berichten vergraben, die er als Of fizier erhielt. Dale war stolz darauf, wie schnell sein kleiner Bruder die Bürger rechte erworben hatte. Austin mochte zwar glauben, ihr Vater hätte den Papierkrieg für ihn abgekürzt, aber Dale wusste es besser. Aus tins Leistungen waren vorbildlich gewesen. Wenn er Dienst hatte, entspannte er keine Sekunde. Er arbeitete hart, und außer Dienst noch härter. Dale seufzte bei der Erinnerung daran, wie schwer es ihm gefallen war, die vollen Bürgerrechte zu erringen. Bei jemandem mit seiner Neigung zu Streichen war mit einer Serie kleiner Probleme zu rechnen gewesen, aber nachdem er den riesigen vierstufigen Brunnen am Tschechowplatz rot angemalt hatte, hätte
sein Vater ihn beinahe verstoßen. »Dale!« »Was?« Er schwang den Sessel herum und schaute zu seinem Bru der hinüber. »Wach auf. Die Nachrichten fangen an.« »Na und?« Dale ließ sich wieder zurücksinken, dann schoss er so schnell in die Höhe, dass der Sessel bei dem Bemühen, ihn abzustüt zen, wie eine Schlange zischte. »Dachte ich mir, dass das deine Aufmerksamkeit erregt«, bemerk te Austin und kam herüber. Mit der Infrarot-Fernbedienung stellte er den Ton lauter. »In der ganzen Hauptstadt tobt der Aufruhr. Zehn Tote. Das ist schon unangenehm genug, aber so wie Elora es präsentiert, kommt es noch schlimmer rüber, als es ohnehin schon ist.« »Was hat sie davon?«, fragte sich Dale. »Sie hetzt die Menschen grundlos auf. Sie ist Ministerin für Information. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe, unter diesen Umständen die Position der Regierung so zurückhaltend wie möglich darzustellen. Öl auf die Wellen zu gießen. Und jetzt hör dir das an! Ihr Sprecher erweckt den Eindruck, niemand wäre seines Lebens mehr sicher! Er fordert die Leute gera dezu auf, sich zu bewaffnen! Das ist eine offene Aufforderung zur Gewalt!« »Vater sollte durchgreifen. Ich weiß, er hat gesagt, die Polizei ist angewiesen, sich bei Demonstrationen im Hintergrund zu halten, aber allmählich wird diese Nichteinmischungspolitik gefährlich.« Dale konnte sich nicht entsinnen, Austin schon einmal so aufgeregt gesehen zu haben. Zumindest in diesem Punkt waren sie auf einer Wellenlänge. »Die Bewachung des Palastes muss verschärft werden«, stellte er fest. »Papa hat es abgelehnt, als Manfred anbot, die Posten zu verdop peln und Kröten auf dem Gelände zu stationieren. Ohne verstärkte
Patrouillen ist der Gouverneurspark offen und schutzlos einem An griff ausgeliefert. Scoutwagen, Schweberäder und Kröten. Das ist es, was wir brauchen«, bestätigte Austin. »Unglückseligerweise glaubt Vater, er könne sich mit Worten aus allem herauswinden.« »Vielleicht kann er das ja wirklich«, antwortete Dale. »Schließlich kann ich mich überall einmischen.« Dale lachte, doch er verstummte schnell wieder, als er sah, dass Austin sich nicht beruhigte. »Es gibt keine Möglichkeit, mit einem wütenden Mob zu debattie ren. Wenn Elora nicht in der Lage ist, die Medien besser zu kontrol lieren, sollte er sie ersetzen. Es ist mir egal, was sie darüber redet, dass man eine Zensur vermeiden und den wachsenden Hunger der Öffentlichkeit nach Informationen stillen muss.« »Diesmal könnte sie Recht damit haben«, wandte Dale ein. »Lass dich jetzt nicht von deiner Wut mitreißen, Kleiner. Benutze deinen Verstand, wie du es sonst auch tust. Die kleinste Andeutung einer Nachrichtenzensur hätte furchtbare Folgen. Wir tappen hier doch alle im Dunkeln herum, ohne die geringste Ahnung, was im Rest der Republik geschieht. Wenn die Leute jetzt auch noch den Ein druck bekämen, sich nicht einmal darüber informieren zu können, was vor der eigenen Haustür geschieht, könnte es erst richtig kra chen.« »Sie lässt zu, dass ihre Nachrichtensprecher die Menge aufput schen«, insistierte Austin stur. »A propos Aufputschen!«, rief Dale, stieß sich aus dem Sessel ab und rannte zur Tür. Seine lange Arme schlossen sich um eine zierli che Frau. »Wenn du weiter so zudrückst, brichst du mir alle Knochen, Dale«, protestierte Hanna Leong. »Letzte Nacht habe ich keine Beschwerden gehört, Liebling«, erwi derte Dale und gab ihr einen Kuss. »Hi, Hanna«, rief Austin. Er begrüßte die Freundin seines Bruders, konzentrierte sich aber weiter auf die Nachrichten.
»Was machst du gerade?«, fragte Hanna. Dale hielt sie fest, als sie ihn wegzustoßen versuchte. Wenn sie bei ihm war, fühlte er sich wohl. Er konnte das Kinn bequem auf ihren Kopf stützen, tat es aber nicht, weil er wusste, dass sie das nicht mochte. Es brachte ihre sorg sam gepflegte schwarze Frisur durcheinander, aber vor allem störte es sie – eigener Aussage nach –, da es unangenehme Kindheitserin nerungen bei ihr weckte. Dale hatte ihr die ganze Geschichte über einen herablassenden Onkel aus der Nase gezogen, der ihr ständig den Kopf getätschelt und jede ihrer Leistungen lächerlich gemacht hatte. Ein wichtiger Teil der Motivation Hannas, eine eigene Nach richtensendung beim Informationsministerium für sich zu etablie ren, war das Bedürfnis gewesen, sich Respekt zu verschaffen. Dale war fasziniert von ihr, obwohl er eingestand, dass ihn zu nächst vor allem ihre schlanke Schönheit und die tiefschwarzen Au gen angezogen hatten. Hanna war als Reporterin ebenso kompetent wie als Präsentatorin. Dale fragte sich, ob er seine neue Position im Stab seines Vaters dazu würde benutzen können, sie als Nachfolge rin Eloras zu empfehlen. Austin hatte mit seiner Kritik an Lady Elo ra und ihren Leistungen als Ministerin für Information völlig Recht. Ihr Vater musste schleunigst erkennen, dass Elora die Arbeit der Re gierung weniger unterstützte als vielmehr untergrub. Und welchen besseren Ersatz hätte es für sie geben können als Hanna Leong? »Er ist im Dienst«, erklärte Dale. »Er ist immer im Dienst. Austin, du machst dich selbst verrückt, wenn du dir das ansiehst.« Dale spürte, wie Hanna sich anspannte, als sie sah, dass Austin die Nach richten eingeschaltet hatte. »Ich habe damit nicht gemeint, dass die Nachrichten ihn verrückt machen, obwohl es mich durchaus um den Verstand bringt, dir zuzusehen.« Endlich gelang es Hanna, sich aus seiner Umarmung zu befreien. »Was ist los?«, fragte er leise. »Ich muss mit dir reden. Jetzt. Unter vier Augen.« »Austin, könntest du bei Manfred den Bereitschaftsbericht abho len? Er ist unten in Aufmarschzone 5 und fummelt irgendwas an seiner Rüstung. Er repariert sie oder montiert neue Waffen, ich weiß
auch nicht genau.« »Routinewartung«, antwortete Austin. »Du solltest gelegentlich mal einen Blick auf den Dienstplan werfen.« Er schob sich an Hanna und seinem Bruder vorbei und brummte irgendetwas darüber, wie sich der Aufruhr in Cingulum auf andere Städte ausdehnte. »Er kann einfach nicht entspannen«, stellte Dale kopfschüttelnd fest. »Und jetzt färbt das sogar auf dich ab. Ich will kein Stirnrunzeln sehen. Wenn du bei mir bist, ist nur Lächeln erlaubt«, sagte er streng. Dale beugte sich vor, um Hanna wieder zu küssen. Doch sie wich ihm aus. »Es ist Lady Elora«, erklärte sie. »Es ist immer irgendwas«, stieß er angewidert aus. »Was ist mit ihr? Wenn sie dir Schwierigkeiten macht, marschier ich rüber und wisch den Boden mit ihr. Sie ist nur eine Ministerin. Du bist meine Liebste.« »Das hier ist wichtig, Dale.« Hanna setzte sich auf die Couch. Er setzte sich neben sie und zwang die Automatik, die Polster an zwei Körper anzupassen. »Und jetzt sag mir, was los ist und wie ich es in Ordnung bringen kann.« »Es kursieren … Gerüchte. Darüber, dass sie Mirach an die Stahl wölfe übergeben will. Erst habe ich das nicht weiter beachtet, aber jetzt glaube ich, sie hat Kuriere zu Kai Radick geschickt.« »Langsam, Hanna. Stahlwölfe? Wovon redest du?« Hanna atmete tief durch und fing noch einmal von vorne an. »Es geht eine Menge vor, wovon du nichts weißt. Es geht eine Menge vor, wovon der Gouverneur nichts weiß. Elora hält alles zurück.« »Du klingst schon so paranoid wie Austin. Er glaubt, sie wäre für die Aufstände verantwortlich.« »Das ist sie, Dale. Ich bin mir sicher, dass sie es ist. Elora hat erfah ren, dass Radick sich selbständig gemacht hat, dass er kein Präfekt mehr ist. Er hat eine Gruppe von ClanKriegern um sich versammelt,
die dem Wolfsclan Loyalität geschworen haben. Sie nennen sich die Stahlwölfe und überfallen ein System nach dem anderen. Wir haben etwas von einem Angriff auf Achernar gehört, aber es sind keine of fiziellen Berichte eingetroffen …« »Sicher nicht. Mein Vater würde etwas von dieser Größenordnung niemals geheim halten. Das ist gewaltig.« Dale war nicht völlig un beleckt, was die Clans betraf. Es waren wilde Krieger, die sich durch gezielte Selektion fortpflanzten, um Intelligenz und Kraft zu för dern. Sie sollten riesig sein und zu den gefährlichsten Kämpfern al ler Zeiten gehören. Aber soweit es ihn betraf, waren sie Geschichte, keine Wirklichkeit, und außerdem lebten sie so weit entfernt, dass sie schon dadurch mehr Mythos als Realität darstellten. »Er könnte es für sich behalten, falls er nicht sicher ist – und falls es noch andere Probleme in der Republik gibt.« »Durch den Ausfall der HPGs machen Gerüchte die Runde, die unter anderen Umständen niemand im Traum ernst nehmen wür de.« Dale schaute in Hannas Augen und erkannte, dass sie von dem, was sie sagte, überzeugt war. Er hatte noch nie erlebt, dass sie blind lings irgendetwas akzeptierte. Dazu war sie eine zu gute Journalis tin. »Und warum sollte Radick wollen, dass Elora hier auf Mirach solche Unruhe erzeugt? Was hätte er zu gewinnen?« »Was hätte sie zu gewinnen? Das ist die Frage!«, erwiderte Hanna hitzig. »Seit ich von dieser Sache Wind bekam, habe ich Nachfor schungen angestellt. Wusstest du, dass Clannerblut in ihren Adern fließt?« Das überraschte Dale. »Wenn du bis in Eloras Geburtsjahr zurückgehst, findest du auf den Gesellschaftsseiten eine Menge Artikel über ihre Mutter, eine stürmische Romanze und eine erstaunlich schnelle Hochzeit. In den Behördenakten – in den Polizeiakten, um genau zu sein – habe ich noch etwas anderes entdeckt: Einen Bericht über die Vergewalti gung Lady Galina Stepanowas durch einen Clanner. Neun Monate und die erwähnte Hochzeit später …«
»Lass mich raten: Ein süßes kleines Baby namens Elora«, vervoll ständigte Dale. »Aber wenn das stimmt, müsste Elora die Clans dann nicht hassen?« »Warum sollte sie? Sie ist hier auf Mirach als Adlige aufgewach sen. Angesichts ihres Adelsstandes und der Abstammung von ei nem Clanner hält sie sich ihnen für ebenbürtig. Elora will den Baron stürzen und die Aufrührer dann von Tortorelli niederschlagen las sen. Das würde den Planeten schutzlos den Stahlwölfen ausliefern.« »Jetzt atme mal tief durch«, beruhigte Dale sie. »Ich muss das erst verarbeiten.« Was Hanna über Tortorelli gesagt hatte, machte ihn nachdenklich. Er hatte gesehen, wie Elora den Legaten manipulierte. »Es ist mehr als nur ein Gerücht, Dale. Ich weiß es. Ich kann nicht alles davon beweisen, vor allem nicht, dass Elora versucht hat, sich mit Radick in Verbindung zu setzen, aber es ist logisch. Du kennst sie nicht so gut wie ich. Sie hält sich für etwas Besseres als eine bloße Ministerin, und in Gedanken hat sie ihren Status immer höher ge schraubt. Ihren Clan-Status.« »Sie würden sie nie akzeptieren, selbst wenn es ihr gelänge, ihnen eine ganze Welt zu übergeben.« »Wir wissen das, aber versuch einmal, ihr das zu sagen. Sie glaubt, ihr Wolf-Blut macht sie zu etwas Besserem als wir anderen. Ihre Ambitionen sprengen jede Vernunft. Die Republik ist ihr gleichgül tig, und sie bildet sich ein, wenn sie Radick ihren Wert beweisen kann, indem sie ihm Mirach auf dem Silbertablett serviert, kann sie ihre Position verbessern.« Das war für Dale zu viel. »Wie willst du beweisen, dass sie für die Aufstände verantwortlich ist? Die Menschen sind verunsichert, seit wir vom HPG-Netz abge schnitten wurden, und jedes noch so unbedeutende Gerücht über eine Invasion oder eine Katastrophe entwickelt ein unberechenbares Eigenleben. Aber es geht ziemlich weit, die Verantwortung für all das bei Elora zu suchen. Es sei denn, sie hat dir befohlen, vor der Kamera zu lügen.«
»Sie verfügt über eine kleine, handverlesene Gruppe von Mitarbei tern, die alles tun, was sie verlangt. Elora weiß sehr gut, dass sie mir nicht trauen kann, jedenfalls nicht, was das betrifft, und zwar dei netwegen nicht.« »Was, meinetwegen?«, schmunzelte Dale. »Falls das stimmt, liegt es nicht an mir. Sie weiß einfach, dass du zu ehrlich bist, um die Zu schauer anzulügen.« »Ich wusste, es gibt einen Grund, warum ich dich liebe.« Hanna gab ihm einen Kuss. »Hmm, lecker, aber nicht der richtige Moment dafür. Hast du handfeste Beweise?« »Nicht genug, aber es passt alles zusammen. Könnte ich es dem Baron vorlegen, könnte es bei ihm unter Umständen genügend Zweifel an ihr wecken, um sie abzulösen.« »Papa hat im Augenblick sehr viel zu tun, aber ich werde sehen, was sich machen lässt. Zu schade, dass ich noch nicht in seinen Bü rostab versetzt bin.« Dale verstummte für einen Moment, dann grinste er und stellte fest: »Wir sind ganz allein.« »Dale!«, rief Hanna. »Du bist unverbesserlich. Bitte besorg mir einen Termin. Und jetzt muss ich wieder gehen. Die Sendung fängt bald an.« »Immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten«, beschwerte sich Dale mit gespieltem Widerwillen. Seine gute Laune verflog, als sich die Tür hinter Hanna geschlos sen hatte. Der Zusammenbruch des interstellaren Kommunikations netzes löste grundlegende Veränderungen aus, und er verstand nicht mehr, was vorging. Er musste mit Austin reden.
»Lieutenant Ortega«, grüßte Manfred Leclerc. »Sie kommen gerade rechtzeitig, um bei den Kalibrierungstests der Rüstung zu helfen.« Der Kommandeur der 1KL warf Austin ein Messgerät zu. Austin
legte es beiseite und setzte sich neben den Captain. Manfred war etwa ebenso alt wie der Baron, aber ständiges Training hielt ihn in Hochform. Falls er jemals irgendeine Belastung fühlte, hatte Austin das noch nie bemerkt, weder auf dem Schlachtfeld noch außerhalb. Durch Manfred Leclercs Adern schien Eiswasser zu fließen, von den Zehenspitzen bis hinauf zum 190 Zentimeter höher liegenden Ge hirn. Wie die anderen Soldaten der 1KL auch, trug er das strohblonde Haar kurz, aber dank buschiger Augenbrauen, die wie die Enden ei nes peitschenden Taus zuckten, wenn er sprach, wirkte er ver gleichsweise haarig. Ein Aspekt im Aussehen seines Vorgesetzten, der Austin besonders zusagte, war dessen große Nase. Sie war nach einem Bruch so ungeschickt geschient worden, dass Austin bei ih rem Anblick seinen eigenen Gesichtserker vergaß. Manfreds muskulöse Hände schlossen sich um das Messgerät. »Machen Sie sich Sorgen, weil Sie die 1KL verlassen sollen?«, frag te der Captain. »Nein, das ist es nicht allein«, beantwortete er seine eigene Frage. »Da ist noch etwas.« Austin hatte schon immer den Eindruck gehabt, dass Manfred sei ne Gedanken lesen konnte. Er schaute sich in der Materialkammer um und atmete tief ein. Ein halbes Dutzend Lanciers arbeitete mit Laserschweißbrennern an Krötenrüstungen und verursachte einen scharfen Ozongeruch, der das übliche Aroma von Leder, Metall und Lötblei erschlug. Austin bemerkte, wie präzise die Handgriffe rund um den großen Arbeits tisch mit der tiefschwarzen Platte waren. Viele der Ersten KosakenLanciers hatten sich durch die Ränge hochgearbeitet und als Techs angefangen, bevor sie sich für die angesehene Aufgabe qualifizier ten, den Gouverneur zu beschützen. Jetzt, da der Baron überlegte, die 1KL dem Befehl des Präfekten zu unterstellen, schien es Austin, als würde sich all diese Mühe, all diese Loyalität, bald als ver schwendet herausstellen. Der stämmige Einheitskommandeur ließ die Knöchel knacken und
winkte Austin beiseite. Mit leiser Stimme, ganz anders als sein ge wöhnlicher Befehlston, fragte er: »Was haben Sie darüber gehört?« »Über die Aufstände?« »Sie wissen, wovon ich rede«, widersprach Manfred ungeduldig. Seine blauen Augen fixierten Austin. »Über die Verlegung. Ist das wahr?« Austin zögerte. Der Leibgarde-Captain neigte nicht dazu, auf halt loses Gerede hereinzufallen. Der junge Ortega kannte keinen Offi zier, der die Welt so realistisch sah wie er, aber dieses Gerücht klang ausgesprochen handfest. »Ich weiß es nicht, Manfred«, antwortete er unbehaglich. »Dale und ich waren dabei, als mein Vater dem Legaten sagte, er denke über dessen Vorschlag nach, er habe aber noch keine Entscheidung gefällt.« Selbst falls die 1KL unter Tortorellis Befehl kam, wollte Austin bei der Einheit bleiben. »Ich habe von Freunden gehört, dass bereits Gelder verschoben werden. Gelder, die wir für neue Gefechtspanzer und eine Lanze Schweberäder bekommen sollten. Das bedeutet, der Gouverneur schickt uns zum Teufel!« »Vielleicht hat er ganz etwas anderes vor«, suchte Austin nach ei nem rettenden Strohhalm. Als er die Resignation auf Manfreds Zü gen sah, riss er die Augen auf. »Was sollte das denn sein? Ach, egal. Möglicherweise ist es sogar besser für die Moral der Truppe, wenn wir dem Legaten unterstellt werden. Der Gouverneur unternimmt einfach zu wenig, um den Aufruhr zu beenden. Nennen wir es beim Namen, Austin: Es ist ein Aufstand. Keine ›zivile Unruhe‹. Das klingt zu harmlos. Auf den Straßen sterben die Leute. Vielleicht könnten wir endlich ausrücken und der Gewalt ein Ende machen, wenn wir dem Legaten unterstellt wären.« Austin setzte zu einer Entgegnung an, dann presste er die Lippen zusammen. Er war derselben Meinung wie sein Captain – bis zu ei nem gewissen Punkt zumindest. Sergio Ortega brauchte eine Leib
garde dringender als je zuvor, doch sein Vater schuldete es der Be völkerung Mirachs und der Republik, die Ordnung wiederherzu stellen, so gut er irgendwie konnte, ungeachtet der persönlichen Ri siken, die er dabei einging. »Ich lasse es Sie wissen, wenn ich etwas erfahre«, versprach er. »Mit uns ist es aus«, erklärte Manfred Leclerc. »Ich spüre es in den Knochen. Wir werden Tortorelli unterstellt und Sie sind im Stab Ih res Vaters besser aufgehoben. Es war schön, mit Ihnen zu dienen.« Der Captain streckte ihm überraschend die Hand entgegen. Austin schüttelte sie automatisch und starrte Leclerc überrascht an. Das klang endgültig, nach einem Abschied, den keiner von ihnen wirk lich wollte. »Noch ist nichts endgültig beschlossen«, sagte er. »Es könnte sich noch alles so ergeben, dass die 1KL weiter als Leibgarde des Gou verneurs fungiert und ich hier Offizier bleibe und …« »Nein«, widersprach sein Kommandeur entschieden. »Dazu wird es nicht kommen.«
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Landungsschiffsfeld Mirach, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 15. April 3133 »Warum setzt er nicht auf? Hat ihm die Anflugkontrolle keine Vorrangautorisation erteilt?« Sergio Ortega tigerte auf der voll ver glasten Aussichtsplattform, die ihm freie Sicht auf das Landungs schiffsfeld westlich von Cingulum bot, auf und ab. In der Nachmit tagshitze flimmerte die Luft über dem weiten Stahlbetonfeld, das selbst das Gewicht des größten kommerziellen Landungsschiffes tragen konnte. In der Ferne ragten die Türme mit den Flugsicher heitsbeamten auf, deren Kommunikationsanlagen die Sprungpunkte an den Polen der Sonne Mirachs ebenso überwachten wie die IRNotfrequenz. »Das Landungsschiff ist im Anflug, Herr Baron«, erklärte Manfred Leclerc, der über einen Ohrhörer Informationen erhielt. »Die Ehren garde steht bereit.« »Danke, Captain.« Sergio atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Er hasste Pomp und Protokoll, und der Gesandte Lordgouverneur Sandovals hatte sich einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt für die sen Besuch ausgesucht. Sergio musste mit den Gewerkschaftsfüh rern reden und ihnen neue Arbeitsplätze zusichern, um die Arbeits losen zu beruhigen und die Demonstranten von der Straße zu be kommen. Und die Wirtschaft? Er blickte sich auf der Empfangsplatt form um und hakte die Namen der Konzernbosse ab, die zum Emp
fang des Gesandten Parsons eingeladen waren. Marta Kinsolving stand bei den anderen Direktoren, die in der Mi rach Business Association Einfluss hatten. Sergio musste mit ihnen allen reden, allerdings hatte er wegen der Probleme mit Gewerk schaftsorganisatoren, die es darauf anlegten, zu ihrem persönlichen Vorteil den sozialen Frieden zu stören, die dazu notwendigen Be sprechungen verschieben müssen. Sobald er diese Schwierigkeiten beigelegt hatte, würde er sich um die andere Seite der ökonomi schen Gleichung kümmern. »Er wird in wenigen Minuten aufsetzen«, bemerkte Lady Elora. Sergio blickte über die Schulter. Sie trug ein atemberaubendes vio lettes Seidenkleid mit hohem Kragen, eine der Bedeutung des Besu chers angemessene Garderobe. »Ich habe mich in die Verbindung mit der Anflugkontrolle eingeklinkt. Die zentrale Landebucht ist für eine sofortige Ankunft geräumt worden.« »Danke«, bestätigte Sergio steif. Er hätte damit rechnen müssen, dass seine Ministerin persönlich erschien, obwohl er den Protokoll beamten angewiesen hatte, dem Ministerium für Information nur ein allgemein gehaltenes Memorandum über Jerome Parsons' An kunft zu schicken. »Sie ehren uns mit Ihrer Anwesenheit, Lady Elo ra.« Elora verbeugte sich in seine Richtung. »Die Ankunft eines so be deutenden außerplanetaren Würdenträgers, eines Repräsentanten des Lordgouverneurs persönlich, ist die Hauptschlagzeile des Tages. Meine Reporter und Kamerateams sind in Position, um jeden Mo ment, jedes Wort, jede winzige Information einzufangen, die Ge sandter Parsons uns über seine Reisen auf andere Welten der Repu blik mitteilt. Ich hoffe, Sie werden ein Interview arrangieren. Ihn zu hören, würde viel dazu beitragen, die öffentliche Zuversicht zu stär ken.« »Halten Sie eine Rede, Elora?«, fragte Sergio. Es konnte nur scha den, sie gegen sich aufzubringen, solange er nicht mehr über ihre Verbindungen ins All in Erfahrung gebracht hatte. Unter Umstän
den hatte sie bereits Kontakt zu Parsons aufgenommen, auch wenn der Gesandte sich geweigert hatte, beim Anflug auf Mirach etwas anderes als reinen Navigationsverkehr zuzulassen. Diese Kommuni kationssperre beunruhigte Sergio. Er wusste nichts über Sinn und Zweck von Parsons Besuch. Natürlich würde er den Grund für die Visite früher oder später erfahren, aber er wollte ihn jetzt wissen. Falls Parsons kam, um neue Bündnisse auf Mirach zu schmieden, konnte das eine Veränderung in seinen Plänen nötig machen. Wieder schaute Sergio hinüber zu Marta Kinsolving und den an deren Wirtschaftsmagnaten. Er bemerkte, dass Benton Nagursky, der Bergwerksdirektor, es nicht für notwendig erachtet hatte zu er scheinen, der ältliche Agrobiologe Dr. Boris Chin aber schon. Zwei der drei Präsidiumsmitglieder der MBA würden ihre Chance be kommen, zu sehen und gesehen zu werden. Sergio löste sich von Elora und überließ es seinem Protokolloffi zier, sie zu beschäftigen, während er Leclerc beiseite zog. »Es wird keinen … Zwischenfall geben, Captain, hoffe ich?« »Herr Baron, die gesamte 1KL ist in Alarmbereitschaft. Es besteht keinerlei Gefahr, dass ein Schuss die Panzerverglasung der Emp fangsplattform durchschlägt, und Legat Tortorelli hat schwere mo bile Einheiten um das Landefeld in Stellung gebracht, um mögliche Demonstranten aufzuhalten.« »Was ist mit meinen Söhnen? Ich möchte sie hier bei mir haben, nicht in einem Krötenpanzer irgendwo da draußen auf dem Feld.« »Das habe ich berücksichtigt, Herr Baron. Sie warten am Fuß der Aussichtsplattform und werden auf dem roten Teppich zu Ihnen stoßen, wenn Sie den Gesandten willkommen heißen. Aber sie tra gen beide Uniform, keine Diplomatenanzüge.« »Das geht in Ordnung. Sie werden ja erst in zwei Wochen aus den 1KL entlassen.« Sergios Gedanken befassten sich bereits mit der be vorstehenden Begegnung mit Parsons. Er drehte sich um und packte Leclerc am Arm. »Ist sonst alles in Ordnung?« Der Captain zögerte, dann nickte er. »Sie können auf mich zählen,
Herr Baron.« »Ich weiß«, bestätigte Sergio. Bevor er mehr sagen konnte, erbebte die Plattform und das tiefe Donnern der gewaltigen Triebwerke ei nes aufsetzenden Landungsschiffes brandete im Saal auf. Obwohl sie sich Kilometer entfernt befanden, machte das zunehmende Tosen der Raumschiffsmaschinen jedes Gespräch unmöglich. Sergio ließ Leclerc wieder an die Arbeit gehen und kehrte in die Mitte der Platt form zurück, wo ihn die Mächtigen Mirachs umringten. Er konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass deren Macht im Vergleich mit der des Mannes, der jetzt im Zentrum des Lan dungsschiffsfeldes eintraf, nichts war. Der Gesandte mochte keine planetare Industrie oder Regierung kontrollieren, aber er hatte Zu gang zum Lordgouverneur. Solange Aaron Sandoval die Entschei dungen traf, wurden diese von Vertrauten und Ratgebern wie Jero me Parsons formuliert. Sergio fragte sich unwillkürlich, warum Par sons Mirach ausgerechnet jetzt einen Besuch abstattete. Dieser Zeit punkt konnte kein Zufall sein. Er schüttelte den Gedanken ab und wartete, bis die donnernde Druckwelle, mit der das kugelförmige Landungsschiff der UnionKlasse sich auf die vier Landestützen senkte, an den druckverstärk ten Panzerglasscheiben der Plattform vorbeigeschlagen war. Eine Gluthitze, die selbst die momentane Hitzewelle in den Schatten stellte, lag über der Stahlbetongrube, doch die eintreffenden Wür denträger verließen das silbern glänzende Schiff augenblicklich durch eine spezielle Transportröhre, die gegen die Außentempera tur perfekt abgeschirmt war. Sergios gepanzerte Privatlimousine hielt am Fuß des Aufzugs an, Hitzeschilde wurden automatisch aus gefahren, um die Passagiere zu schützen, dann drehte die Limousi ne um und raste zurück zur Plattform. Sergio ging die Treppe hinab und hinüber zu dem roten Teppich, der an der Tür des Wagens ausgerollt wurde. Austin und Dale folg ten ihm. Sie boten in ihren schwarz-silbernen Uniformen einen prachtvollen Anblick, aber Sergios Aufmerksamkeit war ganz auf
den Mann konzentriert, der aus der Limousine stieg. »Papa«, fragte Dale und trat näher an seinen rechten Ellbogen, »was hältst du von Hanna Leongs Verdacht? Sie …« »Hier ist weder die Zeit noch der Ort dafür, Dale«, schnitt Sergio seinem älteren Sohn das Wort ab, dann trat er vor und begrüßte sei nen Gast. »Euer Exzellenz, willkommen auf Mirach.« Parsons streckte die schwammige Hand aus. Sie wirkte, als hätten sich sämtliche Knochen aufgelöst. Er schüttelte Sergios Hand, dann zog er die Finger hastig zurück und legte sie wieder auf seinen be achtlichen Bauch. Das schüttere blonde Haar des Gesandten war lang und wurde von kleinen, juwelenbesetzten Spangen gehalten, aber in den scharfen, klaren grünen Augen lag keine Spur von Dan dyhaftigkeit. Sergio war es, als würde sich ihm ihr Blick bis in die Seele bohren. Nichts könnte ihnen entgehen. Dabei wäre es leicht gewesen, das zu übersehen. Lebhafte Muster in Rosa und Kobaltblau auf der Weste unter Parsons' formeller Frackjacke lenkten den Blick auf die falschen Stellen seiner Anato mie. Die Hose war weit geschnitten und verbreiterte sich an den seltsamsten Stellen, sodass sie noch betonte, wie krumm die Beine des Gesandten waren. Doch Sergio war klar, ein Diplomat von Par sons' Rang und Namen hätte sich niemals derart ausstaffiert, wenn es die allerneueste Mode nicht verlangte. Trotz seines Standarddi plomatenanzugs aus kohlschwarzer Jacke und Hose über dem stei fen weißen Frackhemd mit Diamantmanschettenknöpfen fühlte er sich neben Parsons' maßgeschneiderter Erscheinung ein wenig wie ein Bauerntölpel. Der Gesandte lehnte sich leicht zurück und neigte den Kopf, wäh rend er den Gouverneur von oben herab musterte. »Mein lieber Baron Ortega, wie schön, Sie nach so langer Zeit ein mal leibhaftig zu treffen. Lordgouverneur Sandoval hat sich so aner kennend über Sie und Ihren prachtvollen Planeten geäußert, dass ich das Gefühl habe, Sie bereits als Freund und Vertrauten zu ken nen.«
»Euer Besuch ist eine besondere Ehre für unsere bescheidene Welt, Exzellenz«, erwiderte Sergio. »Bitte begleitet mich zur Empfangs plattform. Alle sind schon sehr gespannt auf Euch.« »Und ich bin gespannt darauf, sie zu treffen«, bemerkte Parsons gutmütig. Er machte eine Pause, lächelte einschmeichelnd und frag te: »Sind diese beiden prachtvollen Offiziere Ihre Söhne, Baron? Sie müssen Baronet Dale sein.« Er reichte Dale die Hand zu einem kraft losen Händedruck, dann drehte er sich zu Austin um und wieder holte die Geste. »Baronet Austin. Es ist mir ein Vergnügen. Haben Sie sich bereits die Bürgerrechte erworben?« Austin öffnete vor Überraschung den Mund, dann presste er doch noch hervor: »Ja, Euer Exzellenz. Letzte Woche erst.« »Fabelhaft! Sie können stolz auf Ihre Söhne sein, Baron.« »Sie ehren meine Familie mit Ihrer Großzügigkeit, Exzellenz«, be dankte sich Sergio und überspielte die Überraschung darüber, dass der Gesandte seine Söhne erkannt hatte. Aaron Sandoval beschäftig te sicher keine Dummköpfe, aber Jerome Parsons zeigte sich auf den Besuch auf Mirach unerwartet gut vorbereitet. Sergio hatte sein Ein treffen nie nur für die belanglose Stippvisite eines gelangweilten Bü rokraten gehalten, aber jetzt war ihm klar, dass weitaus mehr dahin ter stecken musste, als er erwartet hatte. »Bringen wir die Vorstellungen hinter uns«, drängte Parsons. »Da nach muss ich mich frisch machen. Und anschließend finden Sie möglicherweise die Zeit für ein privates Gespräch, Baron.« »Ich stehe ganz zu Eurer Verfügung, Exzellenz.« Der beleibte Parsons bewältigte die kurze Treppe hinauf zur Platt form unter einigem Keuchen und Ächzen, dann arbeitete er sich langsam durch die wartenden Würdenträger. Sergio bemerkte, dass er die meisten mit Namen begrüßte und sich mit mehreren einge hend unterhielt – wie mit langjährigen Freunden. Dabei hatte Par sons, soweit er das sagen konnte, keinen von ihnen jemals zuvor ge sehen. »Es gefällt mir nicht, wie lange er bei Elora steht, Papa«, bemerkte
Dale. »Sie benehmen sich, als würden sie einander seit Jahren ken nen.« »Er hat ein freundliches Wesen«, antwortete Sergio. Auch ihm war nicht entgangen, wie lange der Gesandte sich mit Lady Elora Rimo nowa unterhielt. »Bitte, Sir, hat Hanna …« »Ich sagte Ihnen bereits, wir reden später darüber«, schnappte Ser gio. Dale zog sich verärgert zurück. Sergio war froh zu sehen, wie Aus tin seinen Bruder leise zur Zurückhaltung ermahnte. Dies war ein öffentlicher Empfang. Es waren nicht nur Eloras Reporter hier, auch Journalisten privater Medien hielten Augen und Ohren nach mögli chem Material offen. Seit das Netz zusammengebrochen war, waren Besuche aus dem All schlagzeilenträchtig. Die Ankunft eines Diplo maten von Parsons' Rang würde Cingulum für Wochen mit Nach richten und Tratsch über seine Reisen durch die Republik versorgen. Jerome Parsons entfernte sich von Lady Elora und sprach leise mit Marta Kinsolving und Dr. Chin. Sergio wünschte sich, er hätte das diplomatische Protokoll ignoriert und Abhörgeräte installieren las sen, um alle Gespräche dieses Empfangs aufzuzeichnen. Er bemerk te den Ausdruck auf Eloras Gesicht und wusste, ihr ging derselbe Gedanke durch den Kopf. Sergio hatte Manfred Leclerc beauftragt, die Konstruktion der Plattform nur Stunden vor Parsons' Eintreffen zu überwachen und danach alle bis zum letzten Moment fern zu halten. Das garantierte zwar nicht, dass Abhörgeräte auf die Ver sammlung gerichtet wurden, aber zumindest verhinderte es deren Installation im Parkett. »Austin«, winkte er seinem jüngerem Sohn. »Wenn der Gesandte die Empfangsreihe etwas weiter hinabgegangen ist, möchte ich, dass du mit Marta Kinsolving sprichst und eine Tour der AWC-Anlagen arrangierst.« »Für dich und Parsons?« »Für dich. Erzähl ihr, was immer dazu nötig ist. Du wirst in mei
nem Stab als Kommunikationsoffizier arbeiten.« »In Ausbildung, Sir.« »Du brauchst nicht zu sehr ins Detail zu gehen. Sorg einfach dafür, dass du den Rundgang bekommst, und halt die Augen offen. Ge sandter Parsons weiß Ms. Kinsolvings Gesellschaft offenbar zu schätzen.« »Ist das ein Wortspiel, Sir?« »Finde es heraus.« Sergio nickte Manfred Leclerc zu, als Parsons sich vom Letzten der versammelten lokalen Würdenträger löste. »Wir können uns von hier direkt zum Palast begeben, Euer Exzel lenz«, schlug er dem Gesandten vor. »Vielleicht unterhalten wir uns unterwegs schon.« »Eine ausgezeichnete Idee, Baron. Eine fabelhafte Idee.« Parsons stoppte, als er Manfred in Krötenrüstungen gekleidete Posten der 1KL um die Limousine zusammenziehen sah. Er nickte einmal kurz, wie in anerkennender Bestätigung, dann ächzte und keuchte er die Stufen hinab. Sergio war klar, dass sie einen kritischen Punkt in Parsons' Besuch erreicht hatten. Das Protokoll verlangte, dass der Höherrangige die Limousine als Zweiter bestieg. Am Schlag des Wagens zögerte er und war sich nicht sicher, was er nun tun sollte. Rangierte ein Plane tarer Gouverneur über einem Reisenden Gesandten? Die Situation löste sich von selbst, als Parsons sich vor ihm in den Fonds drängte und die Frage damit entschied. Noch verwirrter über Verhalten und Pläne des Gesandten als zuvor, ließ Sergio sich auf dem Platz gegen über Parsons nieder, der begeistert schien, in so kurzer Zeit so viele Menschen getroffen zu haben. »Vielen Dank, dass Sie zu meiner Begrüßung so viele prominente Bürger auf das Landefeld eingeladen haben, Baron. Ich weiß die Ehre zu schätzen, die Sie mir erweisen.« »Euer Besuch ist eine Ehre für uns, Exzellenz.« Sergio zögerte, dann fügte er hinzu: »Welchen Zweck dieser Besuch auch verfolgen
mag.« »Es tut mir Leid, Sie deswegen so lange im Dunkeln tappen lassen zu müssen, Baron, aber wir leben in gefährlichen Zeiten. Ich bin si cher, da werden Sie mir zustimmen.« Parsons griff in eine Innentasche seiner Jacke und holte ein kleines Bündel Papiere hervor. Er hielt sie wie eine Opfergabe auf den aus gestreckten Händen, beugte sich etwas vor und wartete, dass Sergio sie nahm. »Vom Lordgouverneur persönlich«, stellte der Gouverneur mit ei nem Blick auf das Siegel fest. »Seit das HPG ausgefallen ist, erhalten wir kaum noch offizielle Kommuniqués.« »Lordgouverneur Sandoval möchte Mirach enger in das Gewebe der Präfektur einbinden«, erklärte Parsons. Er faltete die Hände über dem Bauch und lehnte sich zurück, während die Limousine ge schmeidig anfuhr. »Sagen Sie, Baron, empfinden Sie den Dienst an der Republik als lohnend?« »Selbstverständlich, Euer Exzellenz«, bestätigte Sergio und be mühte sich die Regeln des Spiels zu ergründen, zu dessen Teilneh mer er geworden war. Die Frage klang, als verberge sie die ein oder andere Landmine. »Ich stehe loyal zur Republik.« »Und zum Lordgouverneur?« »Natürlich«, bekräftigte Sergio und wälzte in Gedanken die spärli chen Hinweise, die ihm sein Gegenüber gab. »Aber ist das nicht ein und dieselbe Frage? Ist eine Loyalität zur Republik nicht gleichzeitig Loyalität zu Lordgouverneur Sandoval?« Noch während er die Fra ge stellte, bemerkte er ein Flickern in Parsons' grünen Augen, aus dem er schloss, dass dies möglicherweise nicht zutraf. Falls Sando val sich von der Republik losgesagt hatte und auf eigene Rechnung aktiv wurde, erklärte das einiges an diesem Besuch. In Verbindung mit dem, was Hanna Leong ihm gestern erzählt hatte, schien es, als könnten alle Führungspersönlichkeiten der Re publik mehr am Erfolg ihrer persönlichen Ambitionen interessiert sein als daran, deren Einheit zu sichern.
»Ich bin verpflichtet, ihm darüber Bericht zu erstatten, ob Mirach und seine Bevölkerung eventuelle Bedenken über die Zugehörigkeit zur Republik hegen«, stellte der Gesandte geschmeidig fest. »Ich bin sicher, Sie werden feststellen, dass unsere Loyalität keinen Schaden genommen hat, auch wenn der Kollaps des HPG-Netzes viele hier auf Mirach verunsichert hat.« »Das ist gut zu wissen, Baron. Schließlich könnte eine andere Alli anz für eine Welt mit beachtlichem Mineralreichtum größere Vortei le bringen.« Parsons zuckte mit den Fingern einer Hand, als wolle er jede derartige Möglichkeit als absurd abtun. Sergio wollte das Päckchen öffnen, das der Gesandte ihm überge ben hatte, doch Parsons streckte die Hand aus und hielt ihn auf. »Die Berichte sind so trocken. Sie werden noch genügend Zeit ha ben, sie in Ruhe zu lesen und eine Antwort aufzusetzen, die ich dem Lordgouverneur persönlich überbringen kann.« Sergio neigte leicht den Kopf in Parsons' Richtung. Er würde jede verfügbare Sekunde brauchen, um diese Antwort zu formulieren.
6
Café Galactica, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 15. April 3133 »Elora hat mich gefeuert«, erklärte Hanna Leong mit erstickter Stim me. »Sie hat meine Sendung dieser Hohlnuss Bethany übergeben, hat mir erklärt, ich sei nicht gut genug, und dann hat sie mich gefeu ert!« Dale Ortega sah, wie schwer es ihr fiel, nicht laut loszuheulen. Er griff über den kleinen Tisch auf dem Bürgersteig vor dem Café und hielt ihre Hand. Einen Moment lang verstummte der Lärm der Großstadt. Die keine zwei Meter entfernt im Zwielicht vorbeisausen den Wagen verschwanden. Den Turm der Republik, das höchste Ge bäude des Planeten, nahm Dale kaum noch wahr, obwohl der An blick ihn gewöhnlich faszinierte. Irgendetwas daran, wie die Turm spitze durch die Wolken brach, inspirierte ihn und ließ ihn daran glauben, dass alles möglich war, besonders bei Sonnenuntergang. Als er und Austin noch jünger gewesen waren, hatten sie hier in die sem Café herumgehangen und zugesehen, wie die obersten Stock werke gebaut wurden. Als sein Vater das Hochhaus Devlin Stone geweiht hatte, hatten Dale und Austin zum ersten Mal bei einer offi ziellen Gelegenheit neben ihm gestanden. Ihre Mutter war nur eine Woche vorher gestorben und Sergio Or tega hatte die Knaben stärker in seine tägliche Routine einbinden wollen, um sie abzulenken.
Irgendwie hatte Dale den Turm immer weniger als einen Tribut an Devlin Stone betrachtet und vielmehr als ein Denkmal für seine Mutter. Es fiel ihm schwer, die Worte zu finden, um Hanna densel ben Trost zu spenden, den das Gebäude für ihn bedeutete. »Du findest was Besseres«, erklärte er ihr. »Du hast Talent und mehr Ehrgeiz als jede andere Frau, die ich je gesehen habe.« Er grinste und setzte hinzu: »Du hast fast so viel wie ich.« »Austin ist der mit dem Ehrgeiz«, antwortete Hanna, tupfte sich die Tränen aus dem Augenwinkel und lächelte ein wenig. »Du bist der mit dem jungenhaften Charme. Weißt du es jetzt wieder?« »Wenn ich bei dir bin, vergesse ich alles. Erinnerst du dich, wie wir uns kennen gelernt haben?« »Du hast mir auf einem Empfang, von dem ich für das Ministeri um für Information berichtet habe, einen Drink übers Abendkleid gegossen. Damals habe ich dich für einen kompletten Idioten gehal ten.« »Deine Schönheit hat mir die Sinne geraubt«, entschuldigte sich Dale und stellte überrascht fest, dass es sein voller Ernst war. Vor her, bei anderen Frauen, war das nichts weiter als eine Schmeichelei gewesen. Aber nicht bei Hanna. »Dass du nicht losgebrüllt und mich heruntergeputzt hast, weil ich ein gutes Kleid ruiniert hatte …« »Ein Abendkleid«, verbesserte Hanna. »Du hast die Katastrophe gut weggesteckt.« »Und mich auf eine Verabredung mit dir eingelassen. Du hast überhaupt keine Zeit verloren. Möglicherweise besitzt du doch Ehr geiz.« Dann verblasste Hannas Lächeln. »Und Elora hat mich gefeu ert. Ich hätte es wissen müssen, aber trotzdem hat es mich über rascht.« »Hat sie von deinem Treffen mit meinem Vater erfahren?«, fragte Dale. »Ich habe ihn heute erst danach gefragt, aber er wollte nichts dazu sagen. Natürlich war er gerade damit beschäftigt, den Gesand ten zu empfangen.« Er hatte Hanna mehrere Tage nicht gesehen und
war selbst auch ebenso von den Vorbereitungen für das Eintreffen von Jerome Parsons mit Beschlag belegt worden wie alle anderen. Manfred Leclerc hatte ihn nicht nur in die 1KL-Ehrengarde versetzt, sein Vater hatte ihn als Verbindungsoffizier zwischen dem Proto kollchef und dem Transportverantwortlichen auf Trab gehalten. Er hatte aufgeatmet, als sein Vater und der Gesandte abgefahren wa ren. Dies war seine erste Chance, zu erfahren, wie Hannas Gespräch verlaufen war. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Möglicherweise weiß Elora von unserem Treffen. Sie versucht, alles zu erfahren.« Hanna starrte ihn Hilfe suchend an. »Sie hat mich so abrupt gefeuert, sie muss da von wissen.« »Mein Vater wird etwas unternehmen.« »Ich kann meine Anschuldigungen nicht beweisen. Sicher, ein Teil lässt sich belegen. Sie ist der Bastard eines Clan-Angreifers, aber das ist kein Verbrechen. Ich kam langsam näher dran, herauszufinden, ob sie Kontakt mit Radick hat. Aber durch meine Entlassung habe ich meine besten Kontakte im Ministerium verloren.« »Hat Papa dir geglaubt?« Er fasste ihre Hand fester. »Er hat sich nicht festgelegt, aber ich denke schon. Ich bin sicher, Elora will Tortorelli gegen ihn benutzen und ihn absetzen. Manches von dem, was ich aus ihrem Mund gehört habe, deutet darauf hin, dass sie die wahnwitzige Idee hat, es könnte ihre Macht noch ver größern, wenn sie Mirach den Stahlwölfen aushändigt.« Als der Kellner sich dem Tisch näherte, bedeutete ihr Dale mit ei ner schnellen Geste, zu schweigen. »Zwei Kaffee. Haben Sie terranischen Import?«, fragte er. »Nur einheimischen«, antwortete der Kellner höflich, der Dales Blick auswich und die Straße auf und ab schaute. »Zwei Kaffee. Und mich beruhigt es immer, wenn ich was essen kann«, fügte er hinzu und versuchte, sich an seine letzte Mahlzeit zu erinnern. Seit einem frühen Bissen in der 1KL-Kaserne hatte er
durch die Vorbereitungen für den Empfang des Gesandten noch nichts gegessen. »Kulebiaka und den Kaffee«, bestellte er. Die mit Fleisch und Gemüse gefüllte Pastete konnte selbst den schlimmsten Hunger stillen. Der Kellner schaute wieder die Straße hinunter, strich sich das Haar nach hinten, dann drehte er um und hastete zurück ins kleine Café. Dale wollte ihm noch etwas nachrufen, zögerte dann aber. »Was ist, Dale?«, fragte Hanna. »Ich … Nichts, schätze ich. Der Kellner schien sich viel mehr für den Verkehr zu interessieren als für meine Bestellung.« Er zuckte die Achseln. Dale schloss Hannas Hand in seine beiden Hände und wollte sie beruhigen, dass er ihr ganz sicher eine Stelle im Stab des Barons ver schaffen konnte, als er Reifen kreischen und das Aufheulen eines Motors hörte. Ein Wagen drehte auf sie zu und raste über den Bord stein. »Hanna!«, schrie er. Er warf sich über den kleinen Tisch, versuch te, sie mit den Armen zu umschließen und zu beschützen. Der Wa gen prallte gegen Hanna und streifte Dale. Er flog durch die Luft und krachte in den nächsten Tisch. Er versuchte sich aufzusetzen, aber seine Gliedmaßen versagten ihm den Dienst. Er stand unter Schock, konnte keinen klaren Gedanken fassen, bis das geistige Bild von Hannas entsetzten Zügen den Nebel vertrieb. Dale kroch auf Händen und Knien zu ihr und schaute in ihr Ge sicht. Ihm war, als stürze er in eine bodenlose, dunkle Leere. Der Winkel, in dem ihr Kopf zur Seite gedreht war, ließ keinen Zweifel an ihrem Tod. »Hanna«, krächzte er und berührte ihre Wange. In der Ferne heul ten Sirenen, aber das war ohne Bedeutung. Der Krankenwagen kam bereits zu spät.
7
Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 15. April 3133 »Eine beeindruckende Organisation, Lady Elora«, lobte Jerome Par sons und schaute sich im Sendestudio um. Sein Kopf hob und senkte sich, was das Dreifachkinn über seinem Kragen heftig zum Schwab beln brachte. »Sie haben mit begrenzten technischen Möglichkeiten viel erreicht. Nicht, dass Mirach nicht über gescheite Köpfe und an nehmbaren Zugriff auf moderne Technologie verfügt, das will ich beileibe nicht sagen.« »Bitte, Gesandter. Ich verstehe voll und ganz, was Ihr sagen wollt«, beruhigte ihn Elora. Sie bewegte sich mit langsamen Schrit ten, bei denen ihr violettes Seidenkleid wie eine aufgeschreckte Schlange zischte. Parsons beobachtete sie amüsiert. Sie wusste, dass seine Augen und Ohren ihr folgten. Was ihr nicht bewusst zu sein schien war allerdings, dass er bereits auf einem Dutzend anderer Welten Ziel derartiger Taktiken gewesen war. Oder vielleicht war sie eitel genug zu glauben, keine andere Frau könne ihr das Wasser reichen. Parsons ermüdete eine derartige Selbstverliebtheit. »Da bin ich sicher«, bemerkte Parsons und strich beiläufig mit den dicken Fingerspitzen über das Kontrollpult. Seine wandernde Hand hielt über einem bestimmten Teil der Konsole. Er bediente mit ge konnter Bewegung einen Schalter und rief eine Ansicht Cingulums auf dem Monitor auf.
»Im Abendlicht ist die Stadt so hübsch. Es tut mir wirklich Leid, dass ich den Sonnenuntergang verpasst habe. Mit einem Gestirn, das ein so weinrotes Licht ausschüttet, muss er spektakulär gewesen sein. Aber ich saß in der Limousine mit ihren getönten Panzerglas scheiben fest.« »Der Baron wollte nur Eure Sicherheit garantieren.« »Natürlich«, antwortete Parsons und justierte ein paar andere Kontrollen. »Er hat eine bedeutende Verpflichtung, so wie Sie auch, Lady Elora.« »Was meint Ihr damit, Exzellenz?« »Das Ministerium für Information kontrolliert über achtzig Pro zent der Nachrichten. Ich bin sicher, das ist eine große Verantwor tung.« Er bemerkte, wie Elora Rimonowa misstrauisch wurde. »Das Ministerium unterstützt die Ziele unserer Welt, wo es nur kann. Es sind die Kosten der Ausrüstung und der Mangel an ausge bildeten Mitarbeitern, die andere daran hindern, ebenfalls Nachrich tensendungen zu produzieren.« »Und es hilft auch, dass sie als Regierungsbehörde einen direkten Draht zum Büro des Barons haben.« »Entschuldigt mich einen Augenblick, Exzellenz«, unterbrach die Ministerin, als ein junger Mann am anderen Ende des Raumes unge duldig winkte. Parsons schaute ihr nach, als sie hinüberschwebte und leise mit ihm sprach. Keine Minute später kehrte Elora zurück. »Die Arbeit hört nie auf«, entschuldigte sie sich. »Er sah nach einem Bediensteten aus. In welcher Eigenschaft ist er im Informationsministerium beschäftigt?«, fragte Parsons. »Er arbeitet nicht hier«, antwortete sie schnell. »Er ist ein Kellner in einem hiesigen Café. Er ist nur gekommen, um … eine Reservie rung zu bestätigen.« Ihre Miene verhärtete sich für einen Moment. »Einen so persönlichen Service findet man selten«, kommentierte Parsons und fragte sich, was es mit ihrem Gesichtsausdruck auf sich hatte. Er drehte den Regler für das Monitorbild, bis er die Überspie
lung eines Berichts über einen Unfall empfing. »Wie tragisch«, be merkte er. »Im Stadtzentrum ist eine Frau bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.« »Cingulum ist eine gefährliche Stadt geworden, Exzellenz«, nickte Elora, griff über das Pult und schaltete die Einspielung ab. »Das ist nicht das richtige Signal für Euch.« »Welches Signal wäre Ihnen lieber, Ministerin?«, fragte der Ge sandte. »Vielleicht etwas mit einer Beschreibung, wie man Mirach aus einem schwächer werdenden Bündnis befreit?« »Lässt der Griff der Republik auf die Präfektur nach?« »Wirklich, das habe ich nie gesagt«, stieß Parsons aus und riss in gekünstelter Überraschung die Augen auf. Elora verstand seine Ab sicht. Sie kam offenbar zu dem Schluss, dass Sandoval nach dem HPG-Kollaps Ausschau nach neuen Allianzen hielt. Er fragte sich, was sie noch wusste … oder vermutete. »Ihr repräsentiert Lordgouverneur Sandoval«, stellte sie vorsichtig fest. »Über meine Kontakte habe ich mit jemandem ein Interview ge führt, der behauptet, Sandoval würde sich von der Republik abset zen.« Parsons lachte. Es gelang ihm, ehrlich zu klingen. »Das stimmt nur insoweit, als sich, sagen wir, Präfekt Radick von der Republik ab setzt. Es ist eine Schande, dass sich solche Gerüchte verbreiten, aber das macht es für Leute wie Sie und mich umso wichtiger, solchen … Verrat zu unterdrücken.« »Ganz Eurer Meinung, Gesandter«, bestätigte Elora mit leichter Verbeugung. »Wenn Sie mich entschuldigen, Ministerin«, bedankte er sich für das Gespräch. »Es ist schon spät, und die Anstrengungen des heuti gen Tages haben mich doch erheblich mitgenommen. Und was für meinen Schönheitsschlaf noch schlimmer ist, ich werde bereits vor Morgengrauen wieder aufstehen müssen.« »Sie verlassen Mirach schon so bald?«
»O nein, ich bleibe noch ein paar Tage. Morgen früh, viel zu früh für meinen Geschmack, hat Legat Tortorelli eine Inspektion des Mi litärs angesetzt. Es gibt nichts Ermüdenderes als an Ausrüstungskis ten oder langen Reihen von Soldaten vorbeiwandern zu müssen, die sich ohne vernünftigen Grund herausgeputzt haben und Haltung annehmen mussten. Ernsthaft, als ich das letzte Mal eine derartige Inspektion über mich ergehen ließ, hatte ich anschließend Blasen an den Füßen – von den Formationen, die ich abgehen musste. Und niemand wusste dieses Opfer zu schätzen. Niemand.« Ein tiefer Seufzer der Resignation entrang sich Parsons' Brust. »Aber das ist nun einmal das Schicksal eines Gesandten.« »Falls es Euch zu sehr ermüdet, kann ich möglicherweise etwas In teressanteres für Euch arrangieren«, bot Elora an. »Sie sind eine bemerkenswert freundliche Gastgeberin, dass Sie sich auf diese Weise meiner annehmen«, bedankte sich Jerome Par sons. »Aber ich muss leider daran teilnehmen, so sehr es mich auch langweilt. Der Legat hat nachdrücklich darauf bestanden, seine Ver bundstreitkräfte paradieren zu lassen.« »Hat er das? Tatsächlich?« Elora runzelte die Stirn. »Guten Abend, Lady Elora.« Parsons verbeugte sich leicht. Er ver stand es, in anderen Menschen zu lesen. Elora hatte nichts von die ser Einladung des Legaten gewusst. Und so fand die Saat der Zwie tracht ihren Boden.
8
Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 15. April 3133 »Sie haben den anderen entkommen lassen«, fauchte Lady Elora. Der Mann, der als Kellner in dem Straßencafé gearbeitet hatte, ließ sich davon allerdings nicht einschüchtern. »Sie wollten den Tod der Frau. Sie ist tot. Der Mann hätte zusätz lich gekostet.« »Unfähig«, grummelte Elora. Sie schob den Sessel vom Schreib tisch zurück und stierte den Mann an. Er hatte sich schon früher als nützlich erwiesen. Er konnte ihr auch weiter nutzen. Hanna hatte zu viele Informationen ausgegraben. Was konnte sie mit diesem Wis sen getan haben? Ohne Zweifel hatte sie ihrem Geliebten davon er zählt. Es wäre alles sehr viel einfacher gewesen, wäre Dale Ortega mit ihr zusammen umgekommen. Aber hatte sie es noch jemand anderem gegenüber erwähnt? Elora kochte vor Wut. Sie hatte Hannas Beschattung angeordnet, als deut lich geworden war, dass es im Informationsministerium eine un dichte Stelle gab. Doch die Überwachung hatte wiederholt versagt. Hanna konnte außer mit dem Baronet noch mit einer Vielzahl von Menschen über ihren Verdacht gesprochen haben. Bei dem Gedan ken, die Reporterin könnte ihre Entdeckung dem Baron mitgeteilt haben, traten tiefe Falten auf die Stirn der Ministerin. Sie verwarf den Gedanken schnell. Der Baron hätte Elora entlas
sen. Oder? War er möglicherweise gewieft genug zu erkennen, wie das auf die Menschen gewirkt hätte, die an jedem Wort des Ministe riums hingen? Sie hatte ihr Möglichstes getan, den Nachrichten des Ministeriums die größtmögliche Zuschauerzahl zu sichern und kon stant angedeutet, dass hinter der nächsten Ecke Gefahr lauerte. Die Ministerin für Information zu entlassen hätte man in der Öffentlich keit als Versuch der Zensur ausgelegt. »Ich habe noch einen Auftrag für Sie.« »Kein Problem.« »Diesmal werden Sie eine schwierigere Rolle spielen müssen als die eines Kellners.« »Kein Problem.« »Lassen Sie sehen, wie schnell Sie sich in einen Soldaten verwan deln können. In einen, der den Nachschub für den Legaten kontrol liert.« Sie grinste, als der Mann sie perplex anstarrte. Die Idee war ihr gekommen, nachdem sie gehört hatte, dass Tortorelli Krieg spie len wollte. Die Spiele sind eröffnet.
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Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 16. April 3133 »Worte reichen nicht aus, meine Trauer auszudrücken, Dale«, er klärte Sergio Ortega. »Ich weiß, Hanna hat dir sehr viel bedeutet.« Dale Ortega bemühte sich, ein stoisches Gesicht aufzusetzen, aber Austin sah den Schmerz, den sein Bruder fühlte. Bei seiner ganzen Vorgeschichte als Weiberheld hatte Dale in Hanna Leong endlich eine Seelenverwandte gefunden gehabt. Sie durch einen so furchtba ren Verkehrsunfall zu verlieren, musste schmerzen, möglicherweise noch schlimmer, weil sie ihre Mutter auch schon durch einen Hub schrauberabsturz verloren hatten. Austin fragte sich, ob es besser war, den Tod kommen, ihn sich unaufhaltsam nähern zu sehen, oder abrupt mit dem Ende konfron tiert zu werden. Doch so sehr er sich auch bemühte, er kam zu kei ner Antwort. »Ich stehe in Kontakt mit den Behörden«, stellte der Gouverneur fest, »und man hat mir versichert, dass der Fahrer gefunden und mit der ganzen Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen wird. Die se Tragödie hätte sich niemals ereignen dürfen.« Dale wollte antworten, sah seinen Bruder an, dann schloss er den Mund. Austin fragte sich, was Dale hatte sagen wollen. »Warum nimmst du nicht ein paar Tage frei?«, schlug er vor. Er
wollte seinem Bruder helfen, die Trauer zu verarbeiten, und wusste, eine gewisse Zeit ohne Verpflichtungen konnte helfen, den Schick salsschlag zu mildern. »Dazu besteht kein Anlass«, wehrte Dale ab. »Ich habe nur ein paar Kratzer abbekommen. Ich arbeite lieber, als herumzusitzen und mich selbst zu bemitleiden.« Austin hörte noch etwas anderes in den Worten des Bruders mit schwingen. Dale wollte die Möglichkeiten zur Verfügung haben, die ein Arbeitsplatz im Gouverneursbüro ihm eröffnete. Warum?, fragte sich Austin. Was hat Dale vor? »Ich weiß, das ist ein furchtbarer Zeitpunkt, um über Politik zu re den«, sagte Sergio. »Die Idee deines Bruders, dass du ein, zwei Wo chen Urlaub nehmen solltest, ist ausgezeichnet. Betrachte dich von diesem Moment an als beurlaubt.« Er blätterte in seinem Terminka lender. »Warum gehen wir nicht fischen, sobald der Gesandte abge reist ist? Wie früher. Auf dem Meer hat es dir immer gut gefallen.« »Dir könnte ein kleiner Urlaub auch gut tun, Papa«, bemerkte Austin. »Ich ziehe es vor, mich in die Arbeit zu vertiefen, Sir«, argumen tierte Dale und schien von der Vorstellung, sein Vater könnte ihn aus dem Büro schicken, empört. »Ich kann nicht garantieren, dass ich mit ganzem Herzen bei der Sache bin, aber jede Ablenkung hilft.« »Bis der Gesandte abreist«, insistierte Sergio. »Bis dahin wirst du dich ausruhen. Ihr zwei seid meine engsten Ratgeber. Ihr nützt mir nur mit klarem Herzen und Verstand.« »Was macht der Gesandte heute?«, fragte Dale. »Tortorelli führt seine Truppen vor«, erwiderte Sergio mit sichtba rem Missfallen. Austin erwartete jeden Augenblick, dass sein Vater ausspuckte. »Es ist eine Sache, die Leistungen einer Welt zur Schau zu stellen, aber den Eindruck mit einem Schauspiel militärischer Macht zu ruinieren?« Er schüttelte den Kopf.
»Du solltest den Legaten den Mob zurücktreiben lassen«, schlug Dale vor. »Das wäre eine bessere Demonstration seiner Fähigkeiten.« »Nein!« Sergio setzte sich wieder und starrte seinen Sohn an. »Ich will nicht, dass er noch mehr Gewalt einsetzt als bisher. Das würde die Wiederherstellung des Friedens eher erschweren als erleichtern und nur zu noch mehr Toten führen. Ich werde in einer Reihe offe ner Foren mit den Menschen reden und neue Hilfsprogramme an bieten.« »Du willst dich dem Mob ausliefern?« Dale riss die Augen auf. »Sie werden dich lynchen!« »Also wirklich, Dale. So weit wird es nicht kommen. Ich werde nicht hinter Barrikaden regieren, umringt von Leibwächtern, wie Zar Nikolaus. Ich muss zu den Menschen gehen und mit ihnen reden, ihre Ängste lindern, ihnen deutlich machen, dass das Universum nicht untergeht, nur weil das HPG-Netz gestört ist.« »Elora schürt mit jeder Nachrichtensendung ihre Ängste«, stellte Austin fest. »Ich habe mit ihr darüber gesprochen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sie ihre Kompetenzen als Ministerin überschrei tet. Sie hat eine große Gefolgschaft unter den Opfern der Wirt schaftsmisere, und ich zögere, sie zu entlassen. Würde ich sie feuern, könnten die Arbeitslosen das als Versuch deuten, ihren Protest ab zuwürgen.« »Sie baut ihre Macht aus, indem sie weitere Unruhen anstachelt«, sagte Austin. Er beobachtete das Spiel der Gefühle auf der Miene seines Vaters und entschied sich zu einem Schuss ins Blaue. »Hanna hat am Tag vor ihrem Tod mit dir gesprochen. Ich habe ihren Na men im Terminplan gesehen. Ging es um Lady Elora?« »Es war nichts von Bedeutung«, unterbrach Dale. »Vergiss es, Austin.« »Er hat Recht. Wir haben uns über eine ganze Reihe von Dingen unterhalten.« Sergio schien nicht gewillt, näher auf das Gespräch
einzugehen, und Austin war klar, dass er mit Insistieren nichts errei chen konnte, schon gar nicht, nachdem Dale seinem Vater Schützen hilfe gab. »Vergessen wir Elora für den Augenblick«, fuhr Sergio fort. »Ich habe mich entschlossen, die Verlegung der 1. Kosaken-Lanciers un ter die Autorität des Legaten zu beschleunigen. Mit sofortiger Wir kung.« Austin war zu schockiert, um ein Wort herauszubringen. Er starrte seinen Vater nur ungläubig an. »Aber Papa, mit sofortiger Wirkung? Du willst doch nicht einmal, dass Tortorelli die Truppen einsetzt, die er schon hat. Wozu willst du ihm noch mehr geben? Bitte überleg dir das mit den 1KL.« »Der Befehl ist bereits ausgegeben. Captain Leclerc bereitet die Verlegung der Einheit zur Blood-Hills-Kaserne vor. Ihr beide gehört von heute an zu meinem Stab.« »Wer soll deine Leibwache stellen?«, fragte Austin. »Wenn du in die Stadt willst, brauchst du eine Leibwache. Selbst hier im Palast brauchst du Wachen, und wenn es nur ist, um zu verhindern, dass irgendwelche Ausflügler in Arbeitsräume wandern, in denen sie nichts verloren haben.« In Wahrheit sorgte sich Austin, dass mehr als harmlose Touristen durch den Palast schleichen könnten. Es gab zu viele Ecken und Nischen hier, in denen sich ein Attentäter verste cken konnte. Die 1KL patrouillierte ständig durch das Gebäude und unternahm in zufälligem Abstand Durchsuchungen, um den Gou verneur zu beschützen. »Der Legat hat sich bereit erklärt, ein Kontingent der Ehrengarde abzustellen. Mehr brauche ich nicht.« Austin und Dale blickten sich an. Ihr Vater legte eindeutig zu viel Gewicht auf Worte und nicht genug auf Stahl, wenn es um die ver ängstigten Einwohner Mirachs ging – und leider auch um knallharte Übeltäter. »Schickt meinen Protokollchef herein. Wir müssen den Reiseplan des Gesandten besprechen.« Sergios Miene wurde sanfter, als er
Dale betrachtete. »Selbst wenn du vorhast, bis zu unserer Angeltour zu arbeiten, möchte ich, dass du dir heute frei nimmst, Dale. Einen so schweren Verlust wie deinen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.« »Ja, Sir«, antwortete Dale. Die beiden Brüder verließen das Büro und Austin schauderte, als sie an den beiden Kosaken-Lanciers vorbeikamen, die neben der Tür Wache hielten. Bald würde man sie ablösen. Er fragte sich, ob das Gerücht stimmte, dass Tortorelli derartige Aufgaben als Bestrafung betrachtete und seine unfähigsten Soldaten dafür einteilte. Dale unterhielt sich leise mit dem Sekretär des Gouverneurs, der den Protokollchef rief. Austin sah, wie Dale in sich zusammensack te, kaum dass er diese winzige Verpflichtung erledigt hatte. Die emotionale Belastung ließ sich nicht länger verheimlichen. »Hier lang«, sagte er und deutete zu einem freien Büro ein Stück den Gang hinab. »Wir müssen überlegen, was wir jetzt tun.« »Was ich tue, weiß ich schon«, erklärte Dale. Er ging in das leere Büro, ließ sich in einen Sessel fallen und lehnte sich zurück. Als er die Augen schloss, wirkte er um Jahre gealtert. »Was hast du vor?«, fragte Austin. Er hatte aus den Worten seines Bruders mehr herausgehört als nur die Notwendigkeit, Hannas Tod zu betrauern. »Ich bin in ihrem Blut gebadet«, stellte Dale fest. Er schaute zu sei nem Bruder hoch. »Das war kein Unfall, Austin. Man hat sie ermor det. Und es ist reines Glück, dass ich mit dem Leben davongekom men bin.« »Jetzt redest du dir was ein«, widersprach Austin. »Die Zeugen haben ausgesagt, der Wagen sei zu schnell gewesen und der Fahrer hätte die Kontrolle verloren.« »Er hat irgendjemandem ein Zeichen gegeben. Der Kellner hat je mandem ein Zeichen gegeben, dass wir an diesem Tisch saßen. Dann ist er weggerannt, unmittelbar bevor der Wagen auf den Bür
gersteig schoss. Manche Attentäter nehmen eine Pistole. Der hier hat einen Wagen benutzt.« »Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass Hannas Tod nur eine Lau ne des Schicksals war. Ich weiß, es ist leichter für dich, zu glauben, dass es einen Grund dafür gab. Es lässt ihr Leben wichtiger erschei nen, wenn sie für einen bestimmten Zweck gestorben ist. Aber es war ein Verkehrsunfall. Ein Unfall mit Fahrerflucht, Dale, nur ein Unfall.« »›Nur ein Unfall‹«, wiederholte Dale bitter. »Ich weiß, was ich ge sehen habe. Man hat Hanna ermordet, und ich werde herausfinden, wer dafür verantwortlich war.« »Worüber hat Hanna mit Papa geredet?« Austins Frage hatte nicht mehr Erfolg als kurz zuvor im Gouverneursbüro. »Misch dich nicht ein, Brüderchen. Lass es.« Dale ging aus dem Büro, bevor Austin ihn aufhalten konnte. Er setzte sich in den frei gewordenen Sessel und dachte angestrengt nach. Unglücklicherweise ohne Erfolg. Je mehr er sich bemühte, die Probleme zu analysieren, die seinen Bruder, seinen Vater und seine Heimatwelt beschäftigten, desto größer wurden seine Zweifel, dass es eine Antwort gab.
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AllWorldComm-Labor, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 16. April 3133 »Ich bin hocherfreut, dass es Ihnen möglich war, ein Plätzchen in Ih rer ohne Zweifel übervollen Terminplanung für mich zu finden, Ms. Kinsolving«, erklärte Jerome Parsons mit einem freundlichen Lä cheln. »Es muss schwierig für Sie sein, einen so gewaltigen Kommu nikationskonzern zu leiten und sich auch noch mit mir abzugeben.« »Soweit ich weiß, Exzellenz, hat man Sie heute Morgen mit Para den und Militärschauspielen unterhalten«, erwiderte Marta Kinsol ving zurückhaltend. Parsons erwartete eine Antwort, sie war sich je doch nicht sicher, was er hören wollte. Er hatte sein Gefolge im Vor zimmer gelassen, wo es sich mit den Büroangestellten von AWC un terhielt. Sie hatte ihren Assistenten angewiesen, die niederen Diplo maten mit so viel Speis und Trank wie möglich abzufüllen und alle subtileren Aushorchungsmanöver den fähigen Händen Inger Ryu mins überlassen. Nach Parsons' Körperfülle zu schließen, wusste er Delikatessen zu schätzen. Vermutlich würde sich sein Stab den Ver lockungen der Gaumenfreuden ebenfalls aufgeschlossen zeigen, was ihr eine Gelegenheit bot, sich unter vier Augen mit dem Gesandten zu unterhalten. »Kann ich Euch etwas zu essen anbieten? Oder einen Drink?«, fragte sie. »Danke, nein«, lehnte Parsons knapp angebunden ab. »Ihre F-und-
E-Abteilung ist ziemlich beeindruckend, Ms. Kinsolving. Ich stelle fest, dass AWC nicht nur bei hochmoderner Technologie eine Spit zenposition hält, sondern auch in Kommunikationstheorie.« »Seit dem Zusammenbruch des HPGs sind wir eifrig bemüht, pro fitable Geschäftszweige zu erschließen«, antwortete Marta zögernd. Parsons hatte irgendetwas an sich, das ihr Unbehagen bereitete. Lordgouverneur Sandoval hätte sicher keinen Dummkopf geschickt und ungeachtet der überfressenen, trägen Fassade, die Parsons mit solcher Mühe vorschützte, um oberflächliche Betrachter zu täu schen, bemerkte sie einen beachtlichen Tiefgang in diesem Mann. »Ich kann Ihr Problem nachfühlen. Andere Planeten haben mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.« »Wir installieren Relaisstationen auf allen vier Monden. Kleinere Einheiten auf Arit, Kalb und Batn, und auf Kuton die Hauptstation. Das sollte es uns ermöglichen, die Kosten dramatisch zu senken und den Nachrichtenverkehr auf das Zehnfache zu steigern. So seltsam es klingen mag, aber bisher pflegten wir, Nachrichten über das HPG-System in andere Systeme zu schicken und von dort auf den entsprechenden Zielsatelliten zurückzustrahlen. Das war schneller und billiger, als eigene Kommsatelliten zu bauen, in die Umlauf bahn zu schießen und zu unterhalten. Und es half uns, hier auf Mi rach mit minimalem Personalaufwand zu arbeiten.« »Und jetzt stellen Sie fest, dass Sie Schwierigkeiten haben, ein ein faches Funksignal von einer Halbkugel dieser Welt auf die andere zu senden.« Parsons nickte. »Angesichts der Auswirkungen, die die Protonstürme Ihrer Sonne auf Kommunikationssatelliten haben, sind Relaisstationen auf den Monden eine innovative Lösung des Problems.« Marta hegte den Verdacht, dass Parsons den größten Teil der mo dernen Technologien verstand, die sie ihm in diesem subplanetaren Laborkomplex gezeigt hatte. Zudem war er ein Meister auf dem Ge biet der zwischenmenschlichen Beziehungen. Sein kurzer Wort wechsel mit ihr und Dr. Chin auf dem Landefeld hatte genügt, um
dieses längere Zusammentreffen in Sekunden zu arrangieren. Warum?, fragte sich Marta. Für jemanden von Parsons' Bedeutung in der Präfektur muss Mirachs Technologie primitiv erscheinen. Sie musste die Scharade mitspielen, bis er seine Gründe für diesen Besuch der AWC-Anlage zu erkennen gab. »Das stimmt«, erklärte sie. »Der Vorteil einer Installation unserer Relais auf den Monden ist, dass deren Masse sie gegen Sonnenerup tionen abschirmt. Wir können Standardausrüstung benutzen und auf größere Konstruktionen verzichten. Vielleicht sind Sie an unse ren ehrgeizigeren Forschungsprojekten interessiert?« Sie drehte sich halb um und stellte fest, dass Parsons sich nicht gerührt hatte. »Nein, Ms. Kinsolving. Ich denke nicht.« »Falls die Militärdemonstrationen des Legaten Sie heute Morgen über Gebühr ermüdet haben, können wir sicher …« »Ich habe die anderen Führungsmitglieder der MBA eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten«, stellte er nüchtern fest, ohne die blumi gen Ausschmückungen, deren er sich normalerweise bediente. »Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel.« »Nein, das ist in Ordnung. Wie viel Zeit gestehen Sie uns zu? Ist Ihr Terminplan eng?«, fragte sie. »Sehr eng.« Parsons schob den bauschigen Ärmel des legeren Hemds zurück und schaute auf die Uhr. »Sie müssten etwa jetzt ein treffen. Können Sie dafür sorgen, dass man sie hierher bringt? Oder haben sie automatisch Zutritt?« »Meine Werkschutzchefin …«, setzte Marta an, unterbrach sich aber mitten im Satz, als sie Ryumin sah, die Chin und Nagursky ins Labor führte. »Was soll das?«, fragte Benton Nagursky mit gewohnt grober Stimme. »Ich bin kein Laufbursche, den man einfach irgendwohin bestellt.« »Euer Exzellenz«, grüßte Dr. Chin Parsons und verbeugte sich leicht. »Bitte vergebt unserem Kollegen. Mister Nagursky hat mit
ständigen Unruhen bei seinen Anlagen zu kämpfen und ist entspre chend aufgebracht.« Parsons warf Marta einen fragenden Blick zu. »Hier kann uns niemand belauschen«, antwortete sie. Sie hatte er raten, was ihm Sorgen bereitete. »Meine besten Techs und Wissen schaftler kontrollieren die Schutzmaßnahmen einmal pro Woche und zusätzlich in unregelmäßigem Abstand.« »Was wollen Sie von uns?«, fragte Nagursky direkt. Er war ein mürrischer, aufbrausender Mann, der aussah, als würde er an der Seite seiner Bergleute in den Minen arbeiten. Doch er hatte ein be gnadetes Talent, was Finanzen anging. Nagursky hatte ein Banken imperium aufgebaut und aufgegeben, um sich an ein Unternehmen zu machen, das alle seine Berater als finanziellen Selbstmord be zeichnet hatten. Sein auf Seltene Erden spezialisierter Bergbaukon zern hatte sein Vermögen verhundertfacht. Keine Elektronik auf Mi rach oder einem halben Dutzend anderer Welten ließ sich ohne die seltenen Elemente herstellen, die sein vertikal integrierter Bergbau konzern Nagursky Enterprises aus dem Boden holte. Der Firma gehörte alles, vom Boden, den sie ausbeutete, über die riesigen BergbauMechs und die Schmelzanlagen bis hin zu den Ver tretern, die dafür sorgten, dass sie für ihre Seltenen Erden den best möglichen Preis erzielte, auf Mirach ebenso wie irgendwo sonst. Marta bemerkte, wie amüsiert Parsons von Nagurskys Auftreten war. In Anbetracht eines langen Morgens in der Gesellschaft des Le gaten musste die Grobheit des Bergbaumagnaten erfrischend wir ken. Zumindest hoffte sie das. Alles an Parsons deutete auf eine ge nau definierte Mission hin. »Der Lordgouverneur ist daran interessiert, sich über die Sorgen und Nöte aller Bewohner seiner Präfektur zu informieren«, erklärte Parsons vage. Er faltete die Hände über dem Bauch und lächelte wie ein Buddha. Doch im Blick der scharfen, klaren Augen des Diploma ten lag nichts Abgeklärtes. »Marta, ich habe keine Zeit für schöne Reden. In Ventrale streiken
die Bergarbeiter, und die Unruhen drohen, auf uns hier überzugrei fen.« Nagursky musterte widerwillig den Gesandten Parsons. Par sons war das genaue Gegenteil des Magnaten. Nagursky war so ein fach und strapazierfähig gekleidet wie irgendein BergbauTech, der untertage einen ArbeitsMech steuerte, und hatte sichtlich keine Ver wendung für die maßgeschneiderte Kleidung, die Jerome Parsons bevorzugte. Während Parsons von gedrungenem Körperbau war, war Nagursky groß und muskulös. Parsons' grüne Augen schauten in Nagurskys erdbraune. Keiner der beiden Männer blinzelte. »Haben Sie Angst vor einem Angriff? Vor der Menge der Entmu tigten? Oder vor einer weniger greifbaren, aber dadurch keineswegs weniger gefährlichen Seite?«, fragte Parsons. »Seit Sie das Netz haben zusammenbrechen lassen, wissen wir nicht mehr, wo oben und wo unten ist«, erwiderte Nagursky mit dem üblichen Mangel an Zurückhaltung. »Kommen Sie zur Sache. Ich habe ein Geschäft zu führen, und dasselbe gilt für Ms. Kinsol ving und Dr. Chin.« »Meine Zeit ist begrenzt«, stellte Parsons fest und klang jetzt eher wie Nagursky denn als ein Diplomat. »Meine unmittelbare Mission lautet, zuzuhören.« »Wie bitte?«, fragte Nagursky nach. »Sie wollen, dass ich Sie an brülle?« »Falls Sie darauf bestehen und das Ihre beste Möglichkeit ist, Ihre Probleme und die etwaigen Antworten des Lordgouverneurs darauf auszudrücken«, erwiderte Parsons. Er setzte sich in einen Sessel ne ben einem großen Tisch und lehnte sich zurück, die Hände über dem Bauch gefaltet. Seine Lider senkten sich etwas, sodass es aus sah, als würde er jeden Moment einschlafen. Aber Marta hatte den Eindruck, dass genau das Gegenteil der Fall war. Parsons würde sich an jedes Wort, jede Nuance und jede winzige Bewegung aller in diesem Raum Anwesenden erinnern, als hätte er das Gespräch digi tal aufgezeichnet. »Sie wollen wissen, was ich über das Bergwerksgeschäft zu sagen
habe?«, fragte Nagursky kampflustig. Parsons nickte leicht. Ben Nagursky holte zu einer detaillierten Beschreibung der alle samt auf Angst beruhenden Handelshemmnisse zwischen Mirach und anderen Systemen der Präfektur aus. Seit dem Verlust der inter stellaren Kommunikationsverbindungen bauten andere Planeten Handelsbarrieren auf. Zunehmender Sprungschiffverkehr bedeutete ein zunehmendes Risiko der Invasion, und so reduzierten alle Syste me den Reiseverkehr, mit vorhersehbaren Schäden für den freien Handel. Danach beschrieb er die wirtschaftlichen Probleme Mirachs – und das, was Sandoval gegen sie unternehmen konnte. Marta hörte Nagurskys Tirade nur mit halbem Ohr zu. Sie hatte das alles schon bei früheren Gelegenheiten erfahren und stimmte ihm zu. Sie war mehr daran interessiert, Parsons zu beobachten. Der Mann nickte ab und zu mit dem Kopf und ermunterte den MBAVize-Präsidenten, weiterzureden, bis ihm der Atem ausging. Dann bat er Dr. Chin um einen Überblick über die Nahrungsproduktion auf Mirach und die Auswirkungen des HPG-Kollapses auf seine Forschungen. »So, Euer Exzellenz«, ergriff Marta das Wort, nachdem Boris Chin seinen Vortrag beendet hatte. »Und wie wird der Lordgouverneur uns nun helfen? Wie wird er Mirach unterstützen?« »Es freut mich zu hören, dass Sie nicht die Ansicht vertreten, das wäre ein und dasselbe, Ms. Kinsolving«, entgegnete Parsons. »Zu viele Wirtschaftsführer neigen zu dem Glauben, das Schicksal ihres Planeten sei unlösbar mit ihrem eigenen verbunden. Ich finde es be sonders interessant, dass Sie Ihre eigenen Firmeninteressen verteidi gen …« »Die der übrigen MBA-Mitglieder auch«, unterbrach Nagursky. »Wir haben uns aus gutem Grund zusammengeschlossen. Einer für alle, alle für einen.« »Wie edelmütig«, kommentierte Parsons trocken. »Ich stelle fest, dass Sie bereit sind, Ihre gemeinsamen Firmen zu verteidigen, aber keine Neigung zeigen, dem Gouverneur die Macht zu entreißen, um
Ihren persönlichen Vorteil ungehinderter zu verfolgen.« »Unsere Werkschutzkräfte sind den Truppen des Legaten nicht ge wachsen«, stellte Nagursky fest. »Halten Sie mich nicht zum Narren, Sir«, widersprach Parsons. »Jeder Ihrer drei Konzerne ist dabei, einen IndustrieMech umzurüs ten. Und auch wenn Sie damit Recht haben, dass ein Erfolg in einem Kampf nicht sicher wäre, könnte selbst ein einzelner umgebauter ArbeitsMech gewaltige Zerstörungen anrichten. Sie kennen ihre Möglichkeiten. Sie verfügen über drei davon in Ihrem MBA-Arse nal.« »Vier«, korrigierte Marta, die keinen Grund sah, zu lügen, und sich fragte, wie viel der Gesandte noch wusste. Parsons zögerte, dann griff er in die Tasche. Er musterte einen klei nen Signalgeber und hob die Brauen. Dann steckte er das Gerät wie der zurück. Marta blieb das Herz im Hals stecken. Das subplanetare Labor war von einem Faraday'schen Käfig umschlossen und gegen Kommsi gnale abgeschirmt. Kein Signal durfte in diesen Raum vordringen. »Der Legat hat mich für morgen zu einem Manöver eingeladen, ei ner Gefechtsübung, bei der er seine beste Einheit gegen die 1. Kosa ken-Lanciers des Gouverneurs ins Feld schickt. Natürlich in aller Freundschaft, da bin ich sicher«, setzte er mit ironischer Untertrei bung hinzu. »Wenn ich diese Militärübung gesehen habe, werde ich in einer besseren Position sein, Empfehlungen zu geben.« Jerome Parsons stand auf, verbeugte sich nacheinander vor Chin, Nagursky und Marta, und fragte Letztere dann: »Wären Sie so freundlich, mich an den Ort zu begleiten, an dem Ihre Werkschutz leiterin meinen Stab mit Fragen bombardiert?« »Wem werden Sie Ihre Empfehlungen geben?«, stieß Nagursky aus. Parsons drehte sich zu ihm um, lächelte leicht und erwiderte: »De nen, die in der günstigsten Position sind, Ihnen zu helfen. Ich verab
schiede mich.« Marta ging ins Vorzimmer voraus. Parsons folgte ihr wie ein riesi ger, überdekorierter Ballon. Sie ging schnell, um ihren Vorsprung zu halten, bis sie sich weit genug wieder gefasst hatte, um ihre innere Aufgewühltheit, nachdem sie die Fragen und Kommentare des Ge sandten gehört hatte, hinter einer unbeteiligten Maske zu verste cken. Parsons war eine tickende Zeitbombe. Aber wer hatte die Bombe gelegt?
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Sardanaplus-Hochland, 1255 Kilometer östlich von Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 17. April 3133 Lady Elora lugte über die Schulter ihres Regisseurs. Der kleinwüch sige, an eine Ratte erinnernde Barnaby war über diese Einmischung so verärgert, dass er ständig vor sich hin brummelte, bis sie sich ge zwungen sah, auf sein Verhalten zu reagieren. »Sollten wir die Gefechtsübung von einem anderen Punkt aus auf nehmen?«, fragte sie, erhielt aber nur ein undefinierbares Murren zur Antwort. Sie befanden sich fast einen Kilometer vom Komman dohauptquartier entfernt. Nur ein Reporter und ein Kameramann hatten die Erlaubnis erhal ten, den Legaten und seinen Stab zu interviewen. Sie strich sich mit der Hand über die schlanke, in einen glänzend metallicgelben Rock gehüllte Hüfte. Der farbenfroh leuchtende Stoff bot einen deutlichen Kontrast zu der streng geschnittenen, dun kelblauen Bluse und machte sie unter den im Tarnschema gehalte nen Uniformen der Stabsoffiziere des Legaten, die rings um sie her wuselten, zum Paradiesvogel. Die Militärs trugen alle Helme, wäh rend sie das rostrote Haar zu einem lockeren Nebel drapiert hatte, der ruhelos im Wind wogte. »Ist Bethany bereit für die Einspielung?«
»Die ist nie bereit«, beschwerte sich Barnaby. »Zu schade, das mit Hanna.« »Konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit. Der Gouverneur und der Legat haben dem Informationsministerium die Aufgabe anvertraut, die volle Effektivität der Streitkräfte zu zeigen.« »Das wird die Unruhen nicht beenden«, stellte Barnaby abgelenkt fest. »Wollten Sie Bethanys Mikro so früh aktivieren?«, fragte er. Barnaby schaute zu ihr hoch. Elora setzte an, ihn für seine Aufmüp figkeit zusammenzustauchen, dann machte sie sich klar, dass sie sich in seine Arbeit eingemischt hatte. Das konnte sie sich nicht er lauben. Baron Sergio hätte auf die Idee kommen können, dass sie die Nachrichten manipulierte. Er war ein Schwächling, das war deutlich daran zu erkennen, dass er sie nicht schon viel früher zur Ordnung gerufen hatte. Elora war vorsichtig zu Werke gegangen, hatte langsam ein Mono pol im Sammeln und Ausstrahlen von Nachrichten aufgebaut. Der Schlüssel zum Erfolg war bei diesem Spiel Zurückhaltung. Bis es zu schwierig wurde, etwas an den Tatsachen zu ändern, die sie ge schaffen hatte. Das Ministerium für Information brauchte sie, und die Bewohner von Mirach brauchten sie noch viel mehr, seit der Kollaps der HPGKommunikation sie vom Nachrichtenstrom aus den übrigen Syste men der Republik abgeschnitten hatte. Dank Sergio Ortegas unin spirierter Führung in diplomatischen und wirtschaftlichen Fragen war sie alles, was zwischen ihnen und der Anarchie stand. »Keine Bange«, bemerkte Barnaby. »Ich überprüfe die Tonleitung, weil der Wind stärker wird. Hören Sie irgendein Pfeifen? Oder eine Rückkopplung? Es ist da draußen auf dem Schlachtfeld doch hof fentlich nicht staubig? Bethany flippt aus, wenn ihre Frisur was ab bekommt.« »Schlachtfeld«, spottete Elora mit einem Blick über seine Schulter auf den Monitor. »Diese Vorstellung ist so spontan wie No-Theater.« Sie starrte wütend zu Legat Tortorelli und seinen Beratern hinüber,
die Muster auf einen Computergrafikschirm zeichneten, bei denen es mehr darum ging, Jerome Parsons zu beeindrucken, als irgendein reales Gefechtsszenario zu präsentieren. Das war alles ein Schau spiel, um Eindruck auf den Gesandten des Lordgouverneurs zu ma chen, auch wenn es als Abschiedsmanöver der 1. Kosaken-Lanciers verkauft wurde, bevor sie restlos in den Truppen des Legaten auf gingen. Lady Elora gestattete sich ein dünnes Lächeln. Sinn und Zweck dieser Übung würden sich schon bald ändern. Sie blickte hinaus über die sanft wogenden Bergkuppen. Der Früh ling hatte ein ungleichmäßiges Wachstum der Bodenpflanzen ausge löst. Sie weigerte sich, von Gras zu sprechen. Es war eine seltsame Kombination aus üppigen und dornigen Ranken, die das Gelände bedeckte, dem Boden ein graugrünes Aussehen verlieh und die Farbbalance der Kameras überforderte. Elora nahm ein kleines elek tronisches Fernglas und suchte das Gelände nach den gegnerischen Kräften ab. »Was soll das hier überhaupt?«, murrte Barnaby. »Brot und Spiele? Bilden Sie sich ein, das wird die Demonstrationen aufhalten?« »Sie könnten die Plünderungen ein paar Minuten unterbrechen, um sich anzusehen, wie effektiv der Legat ihre Protestaktionen be enden könnte, sollte er sich dazu entschließen.« »Wollen Sie das als Einleitung?«, fragte der Regisseur. »Nein!« Elora fühlte einen Moment lang Panik. »Bethany hat ihren Text. Sie soll anfangen, wenn sie so weit ist.« Elora war derart darin aufgegangen, die Landschaft zu studieren, sicher in der Gewissheit, dass ihre Kameras in Position waren, jede Einzelheit der Übung aufzuzeichnen, dass sie laut gedacht hatte. »Sie ist drauf«, stellte Barnaby fest und schaltete auf die Kamera einspielung einer schlanken Blondine in Tarnkleidung. »Ich hoffe bloß, Bethany hat nicht schon wieder vergessen, wo die Kamera steht. Sie glotzt dauernd in die Gegend.«
»Der Gouverneur und der Gesandte treffen ein«, bemerkte Elora. Ihr Puls beschleunigte sich. »Bethany soll sie interviewen, sobald sie mit der Einleitung fertig ist.« Am Gesichtsausdruck des Barons und Parsons' erkannte sie, dass die beiden keine allzu freundliche Unter haltung miteinander hatten. »Schalte auf die Drei«, sagte Barnaby. »Guten Tag, die Herren«, begrüßte die Reporterin die beiden Wür denträger fröhlich. »Was halten Sie von der heutigen Gefechts übung?« Sergio Ortega versteifte sich. »Ich betrachte sie als eine einzige Verschwendung von Zeit, Geld und Anstrengung.« Eine dermaßen direkte Antwort eines Politikers überraschte Betha ny. »Sie versaut's. Das hat sie vom Baron nicht erwartet, und jetzt weiß sie nicht, was sie sagen soll«, knurrte Barnaby. Er schaltete sich auf die Leitung zu ihrem Ohrhörer und versorgte sie über das Bü gelmikro seines Kommsets mit neuen Informationen. »Stimmt es, dass dies heute das letzte Manöver der 1. KosakenLanciers als eigenständige Einheit sein wird? Sie unterstellen sie der Autorität Legat Tortorellis, Gouverneur Ortega?« »Ja«, speiste Ortega die unerfahrene Reporterin ab, die Mühe hat te, sich die nächste Frage zurechtzulegen. »Gesandter Parsons«, drehte sie sich hastig zu Sergios Begleiter um, »was erwartet Ihr, wer heute gewinnen wird?« »Muskeln müssen trainiert werden, um sie zu stärken«, antwortete Parsons. »Ich freue mich auf einen Wettkampf, bei dem die bessere Einheit den Sieg erringen wird.« »Auf wen setzt Ihr, Gesandter? Auf die regulären Truppen oder auf die 1. Kosaken-Lanciers?« »Fragen Sie mich nach dem Kampf«, blockte Parsons die Frage mit freundlichem Lächeln ab. Elora bedeutete Barnaby mit einem Handzeichen, umzuschalten.
Er schaltete auf eine über das Manövergelände jagende Kamera und erlöste Bethany von der Aufgabe, das Interview fortzusetzen. »Sind Kameras auf dem Schlachtfeld, mit denen wir die Einheiten herausholen können, die von den Söhnen des Barons befehligt wer den?«, fragte Elora. Barnaby nickte. Er war vollauf damit beschäf tigt, die besten Blickwinkel und Ansichten für die Zuschauer da heim an den Bildschirmen zu finden. Elora trat ans Ende des Regiepults, wählte an der Kommeinheit einen Zugriffscode und zögerte. Sie überlegte, wie das, was sie gera de vorhatte, das Machtgleichgewicht auf Mirach verändern würde. Dann drückte sie den SENDEN-Knopf. »Was tun Sie?«, wollte Barnaby wissen. »Nichts, was Sie zu interessieren braucht«, antwortete sie leicht hin. »Ich überprüfe nur die Bereitschaft.« »Ich kann eine Kamera an jeden Punkt auf dem ViertelmillionHektar-Gelände schicken. Sie brauchen sie nicht persönlich zu posi tionieren.« Elora lächelte. Barnaby glaubte, sie wollte ihm – als Regisseur – in die Parade fahren. Dabei verschaffte sie ihm eine zusätzliche Gele genheit, seine Kunst zu beweisen. Es würde nicht mehr lange dau ern. »Barnaby, Barnaby«, tadelte sie ihn. »Nicht so übereifrig. Keine Bange. Dieser Tag gehört Ihnen. Da draußen geht die Post ab, nicht hier.« Sie blickte hinüber zu dem Pulk von Politikern, die zusahen, wie die Soldaten auf den Computerschirmen des Kommandopos tens Simulationen abspielten. Elora wusste, dass sie besser hier ge blieben wäre, wo sich ihre Anwesenheit erklären ließ. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste mitten im Geschehen sein. »Besorgen Sie mir einen Wagen. Ich will mir den Rest der Übung beim Legaten und seinem Stab ansehen.« Barnaby grunzte, verbrachte ein paar Sekunden damit, ihre An weisung weiterzugeben, und zeigte dann, als ein Kamerawagen her
anrollte, hinüber. »Der bringt Sie zum Befehlsbunker des Legaten.« Seine Erleichte rung über ihr Verschwinden war so offensichtlich, dass Elora lachen musste. Sie kicherte den ganzen Weg zu Calvilena Tortorellis Be fehlsposten. Wenn alles richtig lief, bedeutete das, dass ihre sorgfäl tige Planung sich auszahlte. Der Wagen kam ein Dutzend Meter vor einem Postenhäuschen zum Stehen und Elora stieg aus. Sie schlenderte mit minimalem Hüftschwung zu dem Soldaten hinüber, zeigte ihren Ausweis vor und traf gerade rechtzeitig im Bunker ein, um dem Legaten über die Schulter zu schauen, als er dreidimensionale Computergrafiken der realen Einheiten über eine leuchtende topographische Karte bewegte. Weder Sergio noch Par sons nahmen Notiz von ihr. Elora trat ein Stück zur Seite, um den Baron besser beobachten zu können. »Sie befehligen Ihre Einheiten doch wohl nicht persönlich, Legat?«, fragte Sergio. »Sie verfügen über vollständige Informatio nen bezüglich beider Seiten.« »In einem echten Gefecht würden wir uns genau darum bemühen, Herr Baron«, erwiderte Tortorelli. »Aber diesmal operieren die Ein heiten im Feld unabhängig. Wir überwachen hier nur die generellen Fortschritte, wir steuern sie nicht. Sonst könnte dem Gesandten ein Teil des Geschehens entgehen.« »O ja, das wollen wir natürlich nicht«, kommentierte Parsons. Sein Interesse driftete von der Computeranzeige ab, doch Elora konnte nicht feststellen, wonach der Mann suchte, oder was in seinem Kopf vorging. »Es ist immer gut, den Überblick zu haben.« »Die Übung beginnt in wenigen Minuten«, erklärte Tortorelli. »Die Grundsituation ist folgende: Meine Heimatgarde-Einheit besteht aus vier Behemoth-II-Panzern, vier Condors, vier taktischen JES-Raketen werfern sowie Infanterie in Truppentransportern. Die Kompanie Hauberk-Kröten ist an den Seiten aufgestellt, während die wirkliche Feuerkraft in der Mitte meiner Linie konzentriert ist. Der erste Pan zerangriff wird den Gegner aus dem Versteck locken, sodass die ge
panzerte Infanterie Position und Anzahl der Feinde feststellen kann. Nachdem der Gegner auf diese Weise lokalisiert wurde, rücken die Kröten unter der Deckung von Raketensalven vor und löschen die 1KL aus.« »Was ist mit der Infanterie? Bleibt die in den Transportern sitzen und schreibt Feldpostkarten heim an die Liebsten?«, fragte Parsons. Elora schaute überrascht auf. In der Bemerkung lag mehr als nur eine Spur von Kritik. Sie hatte versucht, etwas über den Hinter grund des Gesandten herauszufinden, war dabei aber gescheitert. Ob er von adliger Abstammung war, ließ sich nicht feststellen. Aber welche Ausbildung hatte er genossen? Er verstand etwas von Taktik – oder hatte er nur erraten, dass Tortorelli keine Ahnung davon be saß? »Reserven. Falls der Kampf zu hart für die Kröten wird, rücken die Panzer vor und unterstützen einen massiven Infanterieangriff. Wir greifen an, statt das Feld-HQ zu verteidigen.« Der Legat wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. »Und die 1. Kosaken-Lanciers?«, fragte Parsons. Der Gesandte beugte sich vor, reckte den Hals und studierte, wie Captain Leclerc seine Truppen aufgestellt hatte. »Ihnen fehlen die Panzer, aber sie verfügen über einen höheren Prozentsatz an Krötentruppen.« »Das hier ist ein Mobiles Taktisches HQ?«, fragte Parsons und deutete auf ein kleines Fahrzeug, das durch einen leuchtend weißen Stern auf dem Dach gekennzeichnet war. »Manfred Leclerc hat auf der Anschaffung bestanden«, erklärte Sergio. »Ein weißer Elefant, wenn Sie mich fragen. Bei jeder meiner Reisen muss es auf einen Transporter verladen werden. Leclerc be steht darauf, dass es vor mir eintrifft, damit er von dort aus die Schutzmaßnahmen koordinieren kann.« »Im Feld ist es ein leistungsstarkes Koordinationszentrum«, gab Tortorelli zu, »aber mit meiner verteilten Befehlsstruktur ist es nicht zu vergleichen. Jedem Einheitskommandeur steht es frei, eigenstän
dig Ziele festzulegen und die von meinem Feldkommandeur gesetz ten Aufgaben zu erfüllen.« »Sie brauchen also weniger Koordination, sobald der Kampf be gonnen hat?«, vergewisserte sich Parsons. »Ein interessanter, nein, ich möchte sogar sagen, ein innovativer Ansatz. Es ist beinahe, als würde man ein Dutzend Partisanentruppen aufs Feld schicken.« »Ich …« Tortorelli war sich nicht sicher, wie er auf Parsons Kom mentar antworten sollte. Er schluckte, dann überspielte er seine Un sicherheit, indem er mit lauter Stimme rief: »Geben Sie das Startsi gnal für Operation Kaiser!« Elora trat mit einem Lächeln näher. Ihre eigene Offensive hatte längst begonnen.
»Das ist lächerlich, Dale«, raunzte Manfred Leclerc. »Sie haben hier nichts verloren. Machen Sie, dass Sie wegkommen. Ich sende das Waffenruhe-Signal und …« »Was erwarten Sie von mir, Captain? Ich werde die letzte offizielle Mobilisierung der Einheit ganz bestimmt nicht verpassen. Ab mor gen sind die 1KL nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern.« »Ich kenne Ihre Gefühle für die Einheit«, erwiderte Leclerc. »Aber Sie haben sich nicht genug Zeit genommen, um Hannas Tod zu ver arbeiten.« Er senkte die Stimme ein wenig und schaute hinüber zu Austin. »Austin sagt mir, Sie sind nicht davon überzeugt, dass es ein Unfall war.« »Man hat den Fahrer noch nicht gefunden und der Wagen war ge stohlen. Hanna musste sterben, weil …« Dale brach ab. »Ich bin in der Lage, meine Arbeit zu tun, Captain Leclerc«, erklärte er steif. »Es ist mir egal, was Sie oder mein Bruder davon halten.« »Bitte, Dale«, bettelte Austin, aber es war klar, dass sein Bruder nicht nachgeben würde. Nicht, dass er ihm deswegen irgendeinen Vorwurf gemacht hätte. Ihr Vater hatte befohlen, dass die 1KL un
mittelbar nach Abschluss des Manövers dem Legaten unterstellt wurde. »Niemand bestreitet Ihr Können, Lieutenant Ortega«, stellte Le clerc fest. Dann stieß er ein resigniertes Seufzen aus. »Steigen Sie ins Mobile THQ. Wir müssen herausbekommen, wo sie sind. Sie haben eine mehr als doppelte Übermacht an Kröten.« »Ich werde auch nach ihren Panzern Ausschau halten.« Ein dün nes Lächeln spielte um Dales Lippen. »Ich verstehe meinen Job. Ge nau genommen kann mir keiner das Wasser reichen.« »Raus mit Ihnen«, knurrte Leclerc. »Und was Sie betrifft«, drehte er sich zu Austin um. »Machen Sie, dass Sie in Ihre Rüstung kom men!« »Auf der Stelle, Captain!«, bestätigte Austin und nahm zackig Hal tung an. Ihm blieb kaum noch Zeit, seine Läuterer-Rüstung anzule gen. Er steckte schon in dem hautengen Overall, dessen Außenhaut seidig glatt glänzte und dessen Inneres mit Kühlmittelschläuchen bedeckt war. In diesem Kühlanzug fühlte er sich für ein BattleMech cockpit bereit. Aber er musste sich mit einem Krötenpanzer zufrie den geben. Nur eine Kröte. Austin wusste sehr gut, wie kampfstark ein ausgebildeter Soldat in dieser Rüstung sein konnte. Er fühlte sich in der Rüstung wohl, aber trotzdem hätte er lieber im Cockpit eines Mechs gesessen. »Sind Sie bereit, Lieutenant?«, fragte Jürgen, sein Tech. Der Mann hatte die mobile Ladeeinheit mitgebracht, die den offenen Gefecht spanzer trug. »Bereit«, bestätigte Austin. Er kletterte an der Einheit hoch, drehte sich um und steckte die Beine in die Rüstung. Sie passte wie eine be queme Hose, bis Jürgen den Passmechanismus betätigte und sie ihn von der Hüfte abwärts nach unten zog. Anschließend arbeitete er sich in den Torso. Jürgen steuerte die Brustplatte in Position. »Ich erhalte Rückmeldung von Ihren Overallsensoren, Sir«, melde
te Jürgen mit Blick auf die Anzeigen. »Alle Schaltkreise melden grü nes Licht.« Austin fügte einen Teil der Rüstung nach dem anderen hinzu und jedes Mal bestätigte Jürgen die Funktionstüchtigkeit. Sie überhaste ten nichts, sondern hielten eine gleichmäßige Geschwindigkeit bei. Es dauerte nicht lange, bis Austin so weit war, die Waffen zu testen. Die Kalibrierung verlief problemlos, doch es wurmte ihn, dass er keine echten Waffen zur Verfügung hatte. Die Regeln der heutigen Übung schrieben Platzpatronen und Raketen mit Farbgefechtsköp fen vor. Keine Energiewaffen. Autokanonen mit Farbgranaten. Nichts als Spielerei. »Wollen Sie eine Salve abfeuern, um sich zu vergewissern, dass die KSR funktionieren, Lieutenant? Sie sind improvisiert, weil ich Ihre Laser für die Übung deaktivieren musste.« Austin reckte sich, überprüfte anhand der Sichtprojektion, dass die Zielerfassung mit der Ausrichtung der Raketen übereinstimmte, dann hob er den Daumen. »Der Sprungtornister ist auch einsatzbereit, Sir«, hörte er Jürgen sagen. Mit ächzenden Myomermuskeln bewegte sich Austin auf der Stel le, drehte die eine Tonne schwere Krötenrüstung hin und her und registrierte, dass der Gefechtspanzer seine Bewegungsfreiheit kaum merklich beeinträchtigte. »Passt perfekt«, lobte er Jürgen. »Danke, Sir. Machen Sie die Bastarde schön bunt, zum Ruhm der Ersten Kosaken-Lanciers!« Austin grinste, dann marschierte er mit schnellem Schritt an seine Gefechtsposition. Die 1KL hatte nur wenig Personal, aber er stellte mit Genugtuung fest, dass Master Sergeant Borodin die Kompanie bereits versammelt und für das bevorstehende Scheingefecht ange heizt hatte. »Schön, dass ich Sie gezogen habe, Lieutenant«, begrüßte ihn Bo rodin. »Ich hasse diese so genannten Manöver. Keine echten Rake
ten, nur Farbprojektile. Keine Lichtwerfer oder PPKs, keine Gaus sgeschütze. Wir bewerfen uns nur gegenseitig mit Farbbeuteln und tun so, als würde das etwas bedeuten.« »So sind nun einmal die Regeln, Master Sergeant«, bestätigte Aus tin. In ihrer Verachtung für die Manöverregeln, die Legat Tortorelli aufgestellt hatte, waren sie sich alle einig. Und alle bei den 1KL wussten, dass sie vermutlich zum letzten Mal als Einheit antraten. Niemand erwartete, dass Tortorelli sie nach dem Transfer unter sei nem Befehl zusammen lassen würde. »Captain Leclerc«, meldete Austin über Befehlsfrequenz, »Kompa nie Alpha ist bereit.« »Haltet euch an den Schlachtplan, und wir werden gewinnen!«, antwortete der Captain aufmunternd. Dann schaltete Leclerc auf Austins Privatkanal. »Machen Sie sich keine Sorgen um Dale. Er kann im THQ die Situation steuern. Ich nehme einen Shandra raus und melde, was ich sehen kann.« Austin hörte es auf dem Privatkanal knacken, als Leclerc zurück auf die Offiziersfrequenz schaltete. Alles, was er jetzt sagte, konnten die vier Kompanieführer hören. »Nach dem, was ich bis jetzt von Tortorellis so genannter Taktik erfahren habe, neige ich zu dem Schluss, dass er die falschen Einheiten einsetzt.« »Was haben Sie gesehen, Captain?« »Keine Energiewaffen bedeutet, dass uns ihre KSR-bestückten Condor-Panzer die größten Schwierigkeiten machen werden. Die Condors sind schnell. Die Behemoths wären gegen Defensivstellungen besser, und wir bleiben in Bewegung.« »Die Behemoths könnten auf Distanz bleiben und ein ganzes Areal mit Raketen eindecken«, wand Lieutenant Newell von Kompanie Beta ein. »Wenn wir nahe genug herankommen, sind sie Schrott«, erwiderte Leclerc. »Er wird uns mit den Condors zusetzen. Sie sind schneller als wir, aber ich bezweifle, dass er zu einem gemeinsamen Angriff in der Lage ist. Außerdem neigt Tortorelli dazu, seine Kompanie Hau
berks bei der regulären Infanterie zu behalten. Zielt auf die Hilfsfahr zeuge. Alpha rückt geradewegs in die Mitte vor und zieht das Feuer auf sich. Beta unterstützt. Delta und Gamma kommen über die linke, re spektive rechte Flanke. Sobald wir mehr über Tortorellis Aufstel lung wissen, erhalten Sie aktualisierte Lagepläne vom THQ.« »So schnell wie möglich vorrücken«, gab Austin an Borodin wei ter. »Abzählen. Gerade und ungerade Zahlen bewegen sich gemein sam vorwärts. Kein Rückzug.« »Verstanden, Sir. Wir sind das Kanonenfutter.« »Wo wären wir besser aufgehoben als mitten im Gefecht, Master Sergeant? Ich erwarte, dass Kompanie Alpha die feindliche Befehls zentrale überrennt und den Kampf beendet, bevor Tortorellis Com putermonitor uns zeichnet!« Austin hörte, wie die Männer und Frauen der Kompanie jubelten. Sie waren wild auf den Einsatz. Durch ihre Adern pulste das Ad renalin. Er hatte nur noch eine letzte Frage an Manfred Leclerc. Er schaltete auf den offenen Kanal. »Wer kommandiert den Gegner, Sir? Ich habe versucht, mich um zuhören, aber niemand konnte mir eine Antwort geben.« »Ich habe auch kein Glück gehabt, was das betrifft. Möglicherwei se hat er jedem Einheitskommandeur den Befehl über eine spezifi sche Angriffszone gegeben. Das würde bedeuten, dass sie ihre Ak tionen kaum koordinieren. Wir werden es bald herausfinden.« »Eine wahnwitzige Befehlsstruktur«, kommentierte Austin. »THQ, hören Sie mit?«, fragte Leclerc. »Schließen Sie die Hecklu ke!« »Laut und deutlich, Captain«, antwortete Dales Stimme. »Wir ver stauen gerade die letzten Reste. Moment, hier kommt's. Wir haben das Startsignal bekommen. Ich orte vier Behemoths. Ich weiß nicht, ob sie ein Bombardement planen, aber wenn wir schnell vorrücken, können wir sie erreichen, bevor sie ihre Condors in Stellung gebracht
haben. Ich habe ihr HQ unmittelbar hinter den Behemoths lokali siert.« Auf Austins Sichtprojektion leuchtete ein winziger weißer Stern auf und markierte ihr Ziel. Kleinere grüne Punkte bewegten sich über die Anzeige, während Dale die aktuellen taktischen Informa tionen übermittelte. »Ich bin mit dem Shandra unterwegs. Ich brauche eine IFF-Ken nung. In Ordnung, THQ. Zum Sieg!«, brüllte Manfred Leclerc. »In Ordnung, ihr Affen«, bellte Austin über die Frequenz seiner Kompanie. »Sprungtornister zünden und los geht's. Wir lassen die schweren Brocken des Gegners links liegen und greifen nur Ziele an, die leicht genug sind, um sie ohne längeres Gefecht zu erledigen. Wir sorgen für Verwirrung und Ablenkung, aber unser Angriffsziel ist das feindliche HQ! Verstanden?« Austin erhielt von seinen Leuten die gewünschte Reaktion. Sie wa ren allesamt Veteranen und hatten eine längere Dienstzeit hinter sich als er. Doch jeder einzelne Soldat der Einheit wusste, dass er hervorragende Wertungen im Simulator erzielte, mit BattleMech und Krötenpanzer, und er hatte lange genug persönlich mit der gan zen Kompanie in voller Gefechtsausrüstung trainiert, um sie zu ei ner wie ein Mann agierenden Kampfeinheit zusammenzuschwei ßen. Und was noch besser war, er hatte Borodin als Spieß. Der Sprungtornister schleuderte ihn nach vorne. Austin erhob sich in die Luft und sauste nur einen Meter über dem öligen, dornigen Gras dahin. Bei jedem neuen Sprung stieß er sich mit beiden Füßen hart ab. Hinter ihm folgten vier Krötentrupps in einer Linie und rückten abwechselnd vor, sodass die hinteren Soldaten den vorde ren Deckung geben konnten. »Im Vormarsch Waffen noch einmal überprüfen«, befahl er. We gen der Umrüstung der Läuterer-Rüstungen auf Raketenbewaffnung befürchtete er Ausfälle. Kurzstreckenraketen waren für die meisten Aufgaben der 1. Kosaken-Lanciers gut geeignet. Sie konnten Zivil fahrzeuge abwehren, falls jemand dumm genug war und versuchte,
den Gouverneur mit einem Laster oder einer Autobombe auszu schalten. Aber trotzdem bevorzugte Austin die normalerweise bei Läuterer-Kröten eingesetzten Laser. Die Plastikgefechtsköpfe auf den Raketen der 1KL waren mit ei nem neonpinkfarbenen Gemisch gefüllt. Ein Fleck auf einem Panzer hatte nicht viel zu sagen, doch die volle Salve eines Krötentrupps auf der Rüstung eines gepanzerten Infanteristen bedeutete dessen Tod. Er musste nur den orangenen Farbladungen aus den Geschützroh ren der Legatstruppen ausweichen. Was sich als recht einfach er wies, als Alpha mit stetigen zehn Kilometern in der Stunde vorrück te. Wobei der stürmische Vormarsch der Einheit zugegebenermaßen die vordersten Einheiten des in Hauberk gerüsteten Gegners einfach ignorierte. Die Soldaten des Legaten wuselten verwirrt umher und wussten nicht, wie sie reagieren sollten, als der Feind einfach an ih nen vorbeiraste, die Sprungtornister auf voller Leistung, und abge sehen von einzelnen Gelegenheitsschüssen im Vorbeiflug keine An stalten machte, sich zum Kampf zu stellen. »Links, Lieutenant«, klang Borodins Warnung durch den Helm. Austin drehte sich leicht, ohne die Flugrichtung zu ändern, und sah ein Schweberad. »Wie viele von denen sind es?« »Ich sehe sechs, Sir. Alle dicht beieinander.« Ein Blick auf die knapp vor Austins Augen leuchtende Kartenan zeige bestätigte es. »Feuer!« Noch während Austin den Befehl bellte, holte er den Gegner ins Fadenkreuz und löste selbst zwei Raketen aus. Die Ge schosse zischten aus den Rohren und flogen an der Spitze vage er kennbarer Rauchspuren davon. Dutzende andere leisteten ihnen Ge sellschaft, als seine Kompanie den Befehl ausführte. Grellrosa Farbe verkleisterte Schweberäder und Fahrer. Klare Ab
schüsse. Warum Tortorellis Offizier sie in derart enger Formation ins Feld geschickt hatte, war für Austin unbegreiflich. Schweberäder eigneten sich vor allem dazu, die Bewegungen des Gegners auszu kundschaften. Diese sechs waren jetzt nicht einmal mehr dazu in der Lage, ihr Hauptquartier vor dem rasanten Durchmarsch der Kröten kompanie zu warnen. »Gute Arbeit«, gratulierte Austin seinen Leuten. Er lud die nächste Salve KSR nach und hielt Ausschau nach weiteren Zielen, ohne da bei den Vormarsch abzubremsen. Mit einem Auge hielt er das Ge lände vor sich im Blick, das andere hatte er auf der Sichtprojektion. Ständig trafen neue Meldungen der Kundschafter ein, aber Austin war klar, dass ein Großteil dieser Daten von seiner eigenen Kompa nie stammte. Sie trafen auf weniger Widerstand als erwartet und drangen schneller und weiter vor als die anderen Kompanien. Selbst Kompanie Beta, die ihnen unmittelbar folgte, hatte Mühe mitzuhal ten, und Lieutenant Newell brauchte nur aufzuräumen, was Alpha ihm übrig ließ. »Sir, wir kommen dem schweren Panzer verteufelt nahe«, bemerk te Borodin. Austin überprüfte schnell die Entfernung und gab sie ans THQ weiter. »Alle Waffen bereit«, ordnete er an. Er konnte nicht fassen, dass sie die ganze gegnerische Streitmacht so leicht überrollten. Ein einzi ger schneller Dolchstoß durch die Mitte, und Tortorellis Kampf gruppe war erledigt. »Schwere Kämpfe in den Außenbereichen«, drang Dales gelassene Stimme aus dem Lautsprecher. »Captain Leclerc wurde von einer Lanze Kröten ausgeschaltet.« »Kaum Widerstand an der Bauchseite«, meldete Austin. »Schlitzt sie auf«, erwiderte Dale. Jetzt färbte Erregung seine Stim me. Ihren Kommandeur mochten sie verloren haben, aber die Schlacht war so gut wie gewonnen.
»Scouts auf sechs Uhr«, befahl Austin. »Ich habe keine Lust, in eine Falle zu hüpfen.« Das war alles zu leicht. Viel zu leicht. »Be richt!« »Radar zeichnet entfernte Bewegung«, meldete sich der hinterste Soldat. »Könnte ein Condor mit Richtung THQ sein.« »Sonst noch was?« Austin wartete, während sich auf dem Schirm die Symbole für Hauberk-Eskorten und langsamere ungepanzerte Infanterie um meh rere Truppentransporter drängten. »In Schussweite in drei, in zwo, in einer – Feuer frei, Feuer frei, Feuer frei!« Austin schlug auf den Boden, spannte die Beinmuskulatur und veränderte die Justierung der Sprungdüsen, um steiler in die Höhe zu jagen. Voraus sah er zwei Behemoth-Panzer. Seine KSR fauchten aus den Rohren und verspritzten ihre harmlose Neonfarbe über schwere Panzerung, Kanonenrohre, LSR-Lafetten und sogar über unvorsichtige Panzerfahrer, die den Kopf neugierig aus der Luke des Geschützturms steckten. »Erwischt!«, kam die erste Meldung herein. »Ich auch« – die zwei te. Austin schaltete den Sprungtornister ab, kam mit trommelnden Beinen auf, schwankte kurz, sprang dann wieder ab. Der zweite Be hemoth II war keine hundert Meter entfernt. Zwei Raketen schlugen auf dem Panzer ein. Noch zwei weitere folgten, dann lud die Auto matik mit einem hohlen Scheppern den letzten Reservepack nach. Als er sich am Ende der Sprungbahn wieder zu Boden senkte, drehte er sich in der Luft und sah einen Condor-Panzer mit Höchst geschwindigkeit herandonnern. Austin feuerte eine Salve im Fallen und schoss daneben. »Condor im Anmarsch. Hab ihn verfehlt. Ist jemand anders in Posi tion, ihn zu erledigen? Lieutenant Newell?« »Sorry, Lieutenant«, antwortete Borodin. »Ich glaube, Newells
ganze Kompanie haben sie erwischt. Einer der Behemoths, die wir nicht attackiert haben, hat das Feuer auf Beta eröffnet.« »Dale«, rief er. »Ich brauche eine aktuelle Gefechtseinschätzung. Wir sind fast da.« Die Antwort kam leise und von heftigen Störun gen überlagert. »Wir geben ihnen Zunder, Austin«, hörte er. Dale lachte. »Wir ha ben Verluste an den Flügeln, aber dein Angriff hat ihnen das Rück grat gebrochen. Seit ihrem ersten Ansturm hält unsere Frontlinie, der größte Teil von Beta ist allerdings verloren. Die Überlebenden versuchen sich zu sammeln. Ich werde ihnen eine Kapitulationsauf forderung schicken. Wir haben ein Viertel unserer Kräfte verloren, hauptsächlich bei Beta.« Austins Kompanie hatte drei der schweren Panzer des Gegners ausgeschaltet. So weit er es feststellen konnte, hatten die Behemoths nur ein paar vereinzelte Schüsse abgeben können, doch selbst die waren verheerend gewesen. »Dale, ich erhalte immer noch Meldungen über einen Condor mit Kurs auf das Taktische HQ.« »Ich zeichne ihn. Barkhausens Kompanie Delta ist auf Abfang kurs.« Dales Stimme verblasste kurz, dann hörte Austin seinen Bru der brüllen: »Setzt die Kiste in Bewegung und bringt uns außer Reichweite. Der Panzer kann jeden Moment feuern! Er …« Austin stolperte vor Schreck, als eine gewaltige Explosion durch den Helm des Läuterer donnerte und einen Augenblick später das Schlachtfeld erbebte. Vier weitere Detonationen folgten in kurzem Abstand. Es klang wie eine Panzersalve – eine Salve scharfer Grana ten.
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Sardanaplus-Hochtand, 1255 Kilometer östlich von Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 17. April 3133 Austin blinzelte, und einen Moment lang glaubte er, seinen Bruder zu sehen. Bevor er Dales Namen über die Lippen bringen konnte, sprach die Erscheinung ihn mit gefühlsschwerer Stimme an. »Austin, du lebst!« »Papa!« In Austins Ohren klang seine Stimme wie ein dumpfes, fernes Krächzen, aber der Gouverneur verstand ihn trotzdem. »Du darfst dich nicht anstrengen«, antwortete Sergio Ortega. Austin zwang sich, zu rekonstruieren, was geschehen war. Er war drauf und dran gewesen, seine Kompanie zu einem schnellen Sieg zu führen. Das feindliche Hauptquartier hatte schutzlos vor ihnen gelegen, nachdem sie die zur Verteidigung aufgestellten BehemothPanzer ausgeschaltet hatten. Er erinnerte sich an die Meldung über einen Condor-Panzer, der mit Höchstgeschwindigkeit auf das Takti sche HQ zusteuerte, in dem Dale saß. Dann eine Explosion. Er blin zelte. Seine Ohren klingelten noch immer von der Explosion. Danach konnte er sich nur noch daran erinnern, wie er zurückgerannt war und vom THQ lediglich ein qualmendes Wrack gefunden hatte. Dale war tot.
Der Condor hatte drei Salven aus den schweren Arbalest-LSR-La fetten abgefeuert. Die letzte Salve hatte aus scharfer Munition be standen. »Er ist tot, Papa. Sie haben Dale in die Luft gejagt. Sie sollten keine scharfe Munition feuern!« »Sobald die Meldung eintraf, hat Tortorelli die Übung abgebro chen«, erklärte Sergio. »Wir sind gemeinsam in einem Befehlsfahr zeug hergekommen.« Der Baron wirkte noch älter als zuvor. »Er ist tot, Austin. Dale hat uns verlassen. Es gibt keinen Zweifel.« Sergio Ortega wandte sich ab, um die Tränen zu verbergen. »Lieutenant«, mischte sich Austins Tech ein. »Sie sind noch immer in Rüstung.« Austin ließ sich von Jürgen aus dem Gefechtspanzer helfen. Sein Geist war wie betäubt, und daran änderte sich auch nichts, als er aus dem Metallpanzer gestiegen war und im Overall neben seinem Va ter stand. »Ich hätte das nie zulassen dürfen«, sagte der Baron mit tonloser Stimme und schaute auf die Rauchfahne, die aus dem Wrack auf stieg. »Es muss eine andere Möglichkeit geben, unsere Probleme zu lösen, wenn schon eine einfache Übung in einem so furchtbaren Un glück enden kann. Ein Manöver hat mich meinen Sohn gekostet?« »Herr Gouverneur, Sie haben mein tiefstes Mitgefühl. Ich weiß nicht, wie so etwas geschehen konnte. Aber es war ein Manöverun fall, ein furchtbares Missgeschick. Niemanden trifft eine Schuld.« Legat Tortorelli plusterte sich auf und bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, er hätte alles unter Kontrolle. Der Versuch misslang. »Ein Unfall, Legat. Ein tragischer, beklagenswerter Unfall, der uns einen jungen Offizier mit blendenden Zukunftsaussichten gekostet hat«, bestätigte Lady Elora. »Lieutenant Ortega wird eine tiefe Lücke hinterlassen. Mit Ihrer Erlaubnis, Gouverneur Ortega, wird das Informationsministerium im Andenken Ihres Sohnes eine ein stündige Sondersendung produzieren und ausstrahlen.« Austin löste sich von der kleinen Gruppe und ging an den Rand
der Klippe. Das Schlachtfeld war voll von derartigen taktischen Her ausforderungen, die es für Ausbildung und Training umso besser geeignet machten. Jetzt hatten die Herausforderungen eine tödliche Dimensionen erreicht. Das THQ war über die Klippe geschleudert worden. Falls irgendjemand an Bord die Breitseite aus fünfzehn Ra keten wider Erwarten überlebt hatte, hatte der fünfzehn Meter tiefe Sturz sein Ableben garantiert. Ein plötzliches, heftiges Schwindelge fühl traf ihn wie ein Hammerschlag, dann, einen Augenblick später, konnte er sich wieder fangen. Rings um ihn bewegten sich Men schen, doch er schien wie von einer Glaskugel eingeschlossen. Aus tin hatte das Gefühl, er habe einen Friedhof betreten. Alle standen regungslos und stumm da, starrten ihn an wie einen Käfer unter dem Mikroskop, bis Lady Elora sprach. »Was für ein Gefühl ist es, miterleben zu müssen, wie Ihr Bruder auf so tragische Weise ums Leben kam, Lieutenant Ortega?« Sie trat näher und neigte sich etwas zu ihm herüber. Ein Hauch vom Garde nienduft ihres Parfüms traf ihn und verursachte erneutes Schwin delgefühl. Wie konnte sie es wagen, ihm eine derartige Frage zu stellen? Austin hätte die Hände ausstrecken und ihr den Hals um drehen mögen, aber angesichts der Kameras und Mikrofone, die auf ihn gerichtet waren, starrte er sie nur wortlos an und wünschte sie zum Teufel. »Wir werden Sie später für die Gedenksendung interviewen«, er klärte Elora. Austin ging zurück zu seinem Vater. »Von diesem Moment an, Legat«, stellte der ältere Ortega fest, »unterstehen die 1. Kosaken-Lanciers Ihrem Befehl. Je eher jede Spur ihrer Existenz aus meinem Leben getilgt ist, desto besser.« »Gouverneur Ortega.« Tortorelli verneigte sich. Seine Augen leuchteten angesichts der neu gefundenen Macht. »Sie dürfen sich gewiss sein, dass diese Einheit einen Ehrenplatz unter den Truppen Mirachs erhalten und jederzeit zu Ihrer Verfügung stehen wird, soll ten Sie sie benötigen.« »Ich werde sie nicht benötigen«, stellte Sergio nüchtern fest.
Austins erster Gedanke war, dass sein Vater jetzt mehr als je zuvor Schutz benötigte. Aber er wusste genau, dass er mit einer derartigen Argumentation keine Chance auf Erfolg hatte. Also versuchte er et was anderes. »Papa, Dale hätte nicht gewollt, dass die 1KL dem Legaten unter stellt wird. Behalte sie in seinem Gedächtnis, zu seiner Ehre.« Er sah die Kiefermuskeln seines Vaters spielen und kannte dessen Ant wort. Schon vor dem Manöver hatte es kaum eine Chance gegeben, dass er seinen Entschluss änderte. Jetzt gab es überhaupt keine mehr. »Der Anblick ihrer Uniformen würde mich an Dale erinnern«, lehnte Sergio ab. »Ich möchte zurück zum Palast. Begleitest du mich, Austin?« »Ich komme nach, Papa«, wehrte er ab. »Lass mich erst Abschied nehmen.« Sein Blick glitt hinüber in Richtung des Wracks. »In Ordnung«, bestätigte Sergio und entfernte sich mit steifen Schritten. Austin machte einen Bogen um den Bereich, den Elora Rimonowa für ihre Zwecke requiriert hatte. Sie hatte die Reporterin beiseite ge drängt und moderierte den Bericht selbst. Austin konnte es nicht er tragen, ihr zuzuhören. Die Worte tragisch und Unfall hallten ihm in den Ohren, als Austin davonstolperte und den Shandra fand, den Manfred Leclerc bei der Gefechtsübung gefahren hatte. Er schwang sich auf den Fahrersitz, drehte den Zündschlüssel und donnerte davon, auf den Condor-Pan zer zu, der Dale, das Taktische Hauptquartier und dessen sieben an dere Insassen auf dem Gewissen hatte. Die warme Luft, die über sein Gesicht strömte, vertrieb den Nebel des Schocks ein wenig, und Austin wurde von Minute zu Minute entschlossener. Die dumpfrote Scheibe der fernen Sonne streichelte ihn mit lauwarmen Rubinstrahlen und linderte die Schmerzen und Verspannungen des Manövers. Aber nichts konnte den Schmerz auslöschen, den der Verlust seines Bruders hinterlassen hatte.
Dale war fort. Dales Stärke, seine gute Laune, seine Sorglosigkeit, alles war fort. Für immer und ewig verloren. Der Schock verblasste und machte Gift Platz, das an seinem Geist und seinen Gedärmen fraß. Hanna war ermordet worden. Dale ebenfalls. Austin musste herausfinden, warum. Mit der wachsenden Geschwindigkeit des Scoutwagens nahm auch seine Entschlossen heit zu. Während der Schlacht war er zu sehr darauf konzentriert gewesen, die Panzer auszuschalten, um wirklich wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Derselbe seltsame Tunnelblick, dieselbe restlose Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel richtete sich jetzt dar auf, den Fahrer zu suchen, der auf Dale geschossen und ihn umge bracht hatte. Austin hatte keine Schwierigkeiten, den Panzer zu finden. Er war keine hundert Meter vom Absturzpunkt des Taktischen HQs abge stellt. Infanteristen wimmelten um den Condor, drängten sich um eine Frau, die den Helm weggeworfen hatte und pausenlos den Kopf schüttelte, als weigere sie sich, die Wirklichkeit anzuerkennen. »Sie! Sie haben den Panzer kommandiert!«, brüllte er. Austin bremste, und die Räder des fünfundzwanzig Tonnen schweren Wa gens schleuderten eine haushohe Staubwolke auf, als er aus dem Shandra sprang, noch bevor der ganz zum Stillstand gekommen war. Er hatte die Fäuste geballt und wollte sich auf die Panzerfahrerin stürzen, bis sie den Kopf hob und er ihr verhärmtes, schmerzver zerrtes Gesicht sah. Er blieb stehen und starrte sie an. Er hätte nicht geglaubt, irgendwer könnte unter Dales Tod mehr leiden als er. Langsam öffnete Austin die Fäuste. Die Frau – den Rangabzeichen nach ein Sergeant – war bleich, und ihre Hände zitterten, als sie sich den Dreck aus dem Gesicht wischte. In ihren Augen standen Tränen, die aber nicht flossen. Austin hatte schon früher Menschen in diesem Zustand gesehen. Die Panzerfah rerin stand unter Schock. Wie er selbst noch kurz zuvor. »Sie haben die LSR abgefeuert?«
»Ich wusste nicht, dass scharfe Munition geladen war.« »Eine komplette Salve soll mit Explosivsprengköpfen bestückt ge wesen sein«, stellte Austin fest. Er trat näher. Sie wich zurück, dann riss sie sich zusammen und blieb stehen. »Ich wusste es nicht!« Sie versuchte, mit ruhiger Stimme zu ant worten, aber die Belastung war zu groß. »Ich habe gefeuert, was an Bord war. Ich dachte, es wären alles Farbraketen. Glauben Sie mir, Lieutenant. Bitte!« »Was ist passiert? Wer hat Ihren Panzer bestückt?« Die Schultern der Sergeantin sackten und sie bebte unter der Ner venbelastung. »Ich weiß es nicht. Die Crew im Depot. Irgendje mand. Es gab eine letzte Inspektion unmittelbar vor der Übung und eine Lafette wurde ausgewechselt. Mehr weiß ich nicht.« »Lassen Sie sie in Ruhe«, mischte sich ein Infanteriecorporal ein. Er schob sich zwischen die Sergeantin und Austin. »Wissen Sie, wer die scharfe Munition geladen hat?« »Es war ein Fehler. Ein böser Fehler, aber jetzt ist daran nichts mehr zu ändern. Gehen Sie. Gehen Sie, Sir.« Austin spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Er hatte seinen Bruder verloren. Er dachte nicht daran, sich jetzt herumkommandie ren zu lassen, nicht von einem Infanterie-Mannschaftsgrad. Dann schaute er ins Gesicht der Sergeantin und wusste: Niemand hier hat te Dales Tod absichtlich verursacht. Es war genauso gewesen, wie sie es gesagt hatten. Ein tragischer Unfall. Zumindest, soweit sie das wussten.
13
Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 25. April 3133 Austin Ortega stand reichlich steif in der Tür zum Büro seines Va ters und fühlte sich ausgesprochen fehl am Platz. Die letzte Woche war auf eine unwirkliche Weise an ihm vorbeigezogen, sprunghaft, gebrochen, in einem Sinne so gedehnt, dass sie eine Million Jahre zu dauern schien, und verwirrenderweise gleichzeitig so gerafft, dass sie in wenigen Stunden vorbei war. Dales Staatsbegräbnis war mehr zu einem Öffentlichkeitsspektakel als zu einer Gedenkfeier geraten, aber Austin wusste, es war nötig gewesen. Mit Dale war Mirachs Kronprinz gestorben. Das Begräbnis hatte sich um Dales Status gedreht, aber nicht nur darum. Mit einem Schlag war Austin Nummer eins auf der Thron folgeliste der Baronie geworden. Gedanken darüber, einmal selbst Baron zu werden, hatte er sich zuletzt in der frühen Kindheit ge macht. Doch selbst damals war das nie mehr als eine spielerische Fantasie gewesen. Dazu hatte Dale eine viel zu wichtige Rolle in sei nem Leben gespielt. Im Augenblick schien diese Fantasie plötzlich ausgesprochen wahrscheinlich. Als er sich den Baron jetzt anschaute, wirkte sie sogar ganz beson ders wahrscheinlich. Sergio Ortega war in der vergangenen Woche um ein Dutzend Jahre gealtert. Er schien nur noch ein Schatten sei ner selbst.
Austins Vater hatte den Schock verarbeitet und die Rituale absol viert, die für die Bestattung unumgänglich waren. Aber all das hatte ungemein an seinen Kräften gezehrt. Austin konnte nicht sagen, ob es besser war, dass Gesandter Parsons den Abflug bis nach der Bei setzung verschoben hatte, oder nicht. Was würde er dem Lordgou verneur über Mirach zu berichten haben? Trotz der Möglichkeit, dass der Bericht durchweg negativ ausfiel, hatte Austin Mühe, son derliches Interesse daran aufzubringen. Jerome Parsons war wieder fort, seine Mission so mysteriös wie eh. Was sie für Mirach bedeute te, kümmerte Austin weit weniger als die Frage, wer dem Panzer bei der Gefechtsübung die scharfe Munition untergeschoben hatte. Seine Gedanken kreisten um das wenige, das er wusste. Das Gan ze wirkte durchgängig wie ein Unfall. Ein tragischer Fehlgriff. Aber er selbst hatte Dale zugeredet, dass Hannas Tod nur »ein tragischer Unfall« gewesen war. Jetzt verstand er, warum sein Bruder sich die ser Erklärung so widersetzt hatte. In seinem Geist tobte ein offener Konflikt zwischen der Logik einerseits und einem instinktiven Un behagen andererseits, das sich weigerte, bloßen Fakten nachzuge ben. Hinter Dales Tod musste mehr stecken. Und das bedeutete: Für Hannas Tod galt dasselbe. Austin hatte versucht, aus seinem Vater herauszukitzeln, worüber Hanna Long bei ihrem Treffen mit ihm gesprochen hatte, aber der Baron hatte eine unsichtbare Mauer um sich aufgebaut und zog sich immer häufiger in die Einsamkeit zurück. Jetzt, da die 1KL unter Tortorellis Befehl stand, war Austin zudem von einer weiteren In formationsquelle abgeschnitten. Bis dahin hätte er die Leibwache des Barons fragen können, wohin er gegangen war, wen er getrof fen, was er getan hatte. Natürlich waren derartige Informationen ge heim, aber als Kamerad und Mit-Lancier hätte er sie den Posten schon entlocken können. Und immerhin war er zudem noch Baro net. Thronerbe. Alleiniger Thronerbe.
Es behagte ihm nicht, dass Manfred Leclerc seit Dales Beisetzung nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetaucht war. Er fühlte sich ein sam. Der Sekretär des Gouverneurs winkte ihn aus der Waffenkammer ins Büro. »Alles ist vorbereitet, Papa«, sagte Austin. »Zu schade, dass du die Pressekonferenz nicht für mich überneh men kannst«, bedauerte Sergio, während er sich aus dem Sessel stemmte. »Aber das geht nicht. Ich bin der Gouverneur.« Der Ton, in dem er das sagte, ließ in Austin den Eindruck entstehen, das Ge wicht einer ganzen Welt laste auf seinem Vater und er sei nahe dar an, diese Verpflichtung aufzugeben. »Ich würde es dir abnehmen, wenn ich das könnte, aber man zählt auf dich. Lady Elora hat die Öffentlichkeit noch stärker verunsi chert.« »Neue Aufstände. Ich muss mit den Gewerkschaftsführern spre chen. Und mit dieser Kinsolving. Das kannst du für mich tun, Aus tin.« Sergio ging seinem Sohn voraus auf den Flur. Er bewegte sich, als würde er an unsichtbaren Fäden in den Konferenzsaal gezogen, wo das Informationsministerium und andere, kleinere Nachrichten sender ihre Kameras für den ersten offiziellen Pressetermin seit der Beerdigung aufgebaut hatten. Sergio trat ans Mikrofon, räusperte sich und begann zu reden, ohne sich lange zu vergewissern, ob die Reporter so weit waren. Möglicherweise war es ihm auch gleichgültig. »Nach den traurigen Ereignissen der letzten Woche wird es Zeit, in die Zukunft zu blicken und Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme zu finden, mit denen sich Mirach konfrontiert sieht. Ge sandter Parsons hat uns Hoffnung auf Unterstützung durch die Re publik gemacht, aber es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, den ers ten Schritt auf dem Weg zur Besserung aus eigener Kraft zu tun.« Austin war sich keineswegs sicher, was er davon halten sollte, dass Marta Kinsolving und andere Mitglieder der Mirach Business
Association seinem Vater bei dieser Pressekonferenz Gesellschaft leisteten. Nach der kurzen Einleitung des Gouverneurs widmete Elora Marta und den anderen weit mehr Aufmerksamkeit, wie Aus tin feststellen konnte, indem er an Lady Elora vorbei zu deren öli gem Regisseur an seinem Kontrollpult blickte. Kleine Monitore zeig ten die Bilder aller Kameras im Raum, bevor ein kombiniertes Multi phasensignal sie ins Sendestudio im Ministerium für Information übermittelte. Für jede Minute Sendezeit, die Elora Gouverneur Orte ga zugestand, erhielten die MBA-Repräsentanten drei, ganz, als wä ren sie ihm an Bedeutung ebenbürtig und hätten zudem Wichtigeres zu äußern. Sagte Sergio etwas, schnitt Elora für eine Reaktion auf Benton Na gursky. Wenn Marta Kinsolving ans Mikrofon trat, blieb die Kamera auf ihr. In Austin wuchs der dringende Wunsch, mit den Ratgebern seines Vaters zu reden und Elora irgendwie beiseite zu drängen. Ihre Stellung als Ministerin machte das schwierig, aber den Versuch war es wert. Er hatte seinem Vater schon vorgeschlagen, sie abzuset zen, und war gescheitert, als ließe sich jetzt nichts mehr ändern. Doch es hatte sich bereits etwas geändert. Baronet Austin Ortega, designierter Erbe des Gouverneurspostens von Mirach. Er atmete tief durch. Er würde einen eigenen Stab und Regierungsstil aufbauen müssen. »Als Folge der Versetzung meiner Leibgarde unter den Befehl Le gat Tortorellis«, erklärte Sergio Ortega gerade und lenkte Austins Aufmerksamkeit zurück auf die dicht gedrängten Journalisten und den Anlass für die Konferenz, »sind im Budget des Gouverneurs zu sätzliche Gelder frei geworden. Gemeinsam mit Ms. Kinsolving und der Unterstützung der Mirach Business Association haben wir einen mutigen Plan entwickelt, Stationen auf den vier Monden unserer Welt als Kommunikationsrelais zu benutzen. Das wird uns gestat ten, innerhalb von Sekunden in Kontakt mit jedem Punkt der Plane tenoberfläche zu treten. Das HPG-Netz zwischen den Systemen der Republik mag zusammengebrochen sein, aber wir werden trotzdem Zugriff auf schnelle und zuverlässige Kommunikationswege behal
ten. Ms. Kinsolving.« Sergio gab das Mikro für die rothaarige Direktorin von AllWorld Comm frei. »Die Gelder«, erklärte Marta Kinsolving mit energischer Stimme, »werden ausreichen, das erste planetare Kommnetz Mirachs aufzu bauen.« Sie sprach über die Notwendigkeit dieses Netzes, die Kos ten und die eingesetzte Technologie. Doch Austin war mehr an der Frau am Pult interessiert als an dem, was sie zu sagen hatte. Marta war keine Schönheit, aber ihre Energie und Entschlossenheit fessel ten seine Aufmerksamkeit. Es lag wohl an dem Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlte, an ihrer Sicherheit, das Projekt ebenso betreffend wie ihre eigene Person. Indem er die komplette Finanzierung für den Aufbau des GlobalNetzes durch AllWorldComm garantierte, hatte der Gouverneur ihr eine herausragende Stellung unter den Mitgliedern der MBA gesichert. Falls sie in diesem Karpfenteich nicht ohnehin schon der Hecht war. Austin bemerkte, wie zuvorkommend Boris Chin sie behandel te, und selbst der polternde Benton Nagursky überließ häufig Marta das Mikrofon für die Antwort auf Fragen der Journalisten über die Beteiligung der MBA und die weltweiten Aussichten auf neue Ar beitsplätze. Austin machte sich allmählich Gedanken über die MBA und die möglichen politischen Ambitionen ihrer Mitglieder. Abgesehen da von, dass er ein respektierter und häufig brillanter Pflanzengeneti ker war, wusste Austin so gut wie nichts über den greisen Dr. Chin mit der durchscheinend bleichen Haut. Aber Ben Nagursky war da für bekannt, dass er von keinerlei Skrupeln geplagt wurde, wenn es darum ging, Geschäftshindernisse aus dem Weg zu räumen. Wenn Marta Kinsolving sich unter diesen Haien halten konnte, musste sie mindestens ebenso brillant – und skrupellos – sein. Der Gedanke löste in seinen Gedanken eine Kettenreaktion aus, die ihn zurück zu Dales Tod brachte. Irgendjemand hatte die tödlichen Raketen bewusst falsch etiket
tiert, und er hatte erhebliche Zweifel daran, dass dieser Jemand un ter Tortorellis Leuten zu suchen war. Die Kontrolle über die 1KL er langt zu haben, war für Calvilena Tortorelli ein beachtlicher Coup. Die Verlegung der Einheit war aber längst angekündigt gewesen, und sein Motiv schien daher weniger wichtig als das Marta Kinsol vings. Sie, ihre Firma und die MBA profitierten enorm von den jüngsten Entwicklungen. Das Geld für die GlobalNetz-Finanzierung hätte noch ein ganzes Jahr im bürokratischen Genehmigungsverfah ren festhängen können, hätte Austins Vater die Freigabe nicht be schleunigt. Sie oder AWC hatten schnell und gewaltig davon profi tiert. Doch es gab keine erkennbare Beziehung zu Dales Tod. Austin runzelte die Stirn. Die Sache mit dem Motiv war doch nicht so ein deutig, wie er geglaubt hatte. Ein wütendes Zischeln lenkte seine Aufmerksamkeit von Marta auf Lady Elora. Sie putzte ihren Regisseur herunter, weil er in einer Kameraeinstellung irgendein winziges Detail übersehen hatte. Die Informationsministerin hatte von der Berichterstattung über die Ge fechtsübung und über Dales Tod profitiert. Die Nachrichten des MfI erreichten die höchsten Einschaltquoten des Planeten, und das im mer weiter wachsende Publikum sah neben der Berichterstattung auch Eloras neueste Stiche gegen den Gouverneur und dessen Re gierungsführung – beziehungsweise deren Scheitern. Seit Dales Tod war es in anderen Städten Mirachs zu vereinzelten Unruhen gekom men, aber Austin wusste, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Fass überlief. Er brauchte bloß aus dem Palast in die Stadt zu ge hen, um die Spannung zu spüren. Elora trieb die Zuschauer fast dazu, Recht und Gesetz auf Mirach auf die Probe zu stellen, um her auszufinden, ob die Republik und ihre Repräsentanten für die Men schen des Systems noch relevant waren. Austin wusste nicht, was Eloras Zorn erregt hatte, aber ihr Regis seur gab verängstigt klein bei. Barnaby war hektisch bemüht, die Einstellungen zu verändern und Kameras zu verschieben, bevor er die Sendung weiter ins Ministerium für Information übermittelte. Die Sprecher auf dem Podium verlasen ihre Schlussworte, und die
Pressekonferenz näherte sich dem Ende, als sein Vater wieder ans Rednerpult trat. »Danke, Ms. Kinsolving. Wir freuen uns bereits dar auf, in naher Zukunft – in nächster Zukunft – die Früchte praktisch sofortiger Kommunikation zu ernten.« Die kleine Gruppe von Re portern explodierte förmlich vor Fragen, aber Sergio erklärte ent schieden: »Das war alles. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.« Sergio hinterließ den Eindruck, GlobalNetz sei besser als das HPG, obwohl Austin klar war, dass das unmöglich stimmen konnte. Trotzdem fragte er sich, ob das AWC-Projekt Lady Elora und den Würgegriff würde umgehen können, in dem sie die Nachrichtenbe richterstattung hielt. »Sohn«, wandte Sergio sich an ihn, während er zur Tür ging. »Ich habe eine Kabinettsbesprechung. Die Ventrale-Koalition macht mir seit Jahrzehnten das Leben schwer, und daran hat sich auch jetzt nichts geändert. Kümmere dich um die Angelegenheit, die wir be sprochen hatten, ja?« Bevor Austin mehr als kurz nicken konnte, war sein Vater bereits vorbei und in ein Gespräch mit seinem Minister für Bergbau und Energie vertieft. Austin trat einen Schritt zurück und machte den Weg für Eloras Crew frei, die ihre Ausrüstung abtransportierte. Es dauerte keine fünf Minuten, und sie waren verschwunden. Marta Kinsolving blieb im Konferenzsaal, zusammen mit Nagursky und Chin. »Mein Vater wird einige Zeit in der Kabinettsbesprechung bleiben«, erwähnte Austin, in der Annahme, dass sie auf den Gou verneur warteten. »Wir haben hier nichts mehr zu erledigen. Danke, Baronet Ortega«, antwortete Dr. Chin mit einer minimalen Verbeugung in seine Richtung. Nagursky grunzte nur, als hätte ihm jemand den Finger in den Bauch gestoßen, riss den Kopf zum Ausgang und zog gemeinsam mit dem ältlichen Genetiker ab. Marta blätterte in einem Stapel Papiere, steckte sie in eine Mappe und wollte ebenfalls gehen. Austin zögerte, dann trat er auf sie zu. »Kann ich Ihnen irgendwie
behilflich sein?« Marta hob die Augenbrauen. Ihre braunen Augen fixierten ihn. »Danke, ich bin selbst in der Lage, meine Unterlagen zu tragen.« »Sie hatten mir eine Besichtigung bei AWC versprochen, als wir auf dem Landefeld auf den Gesandten Parsons warteten.« Sie stieß einen tiefen Seufzer der Resignation aus. Dann lächelte sie. »Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass Sie stören. Ich bin nur durch das Global-Netz-Projekt sehr in Zeit not. Die Arbeit türmt sich auf meinem Schreibtisch, wenn ich nicht zur Stelle bin, um sie zu erledigen. Aber Sie hatten natürlich auch kaum freie Zeit, nicht wahr? Mein Beileid zu Ihrem Verlust.« In Austins Ohren klang das ehrlich, aber er war sich nicht sicher, inwieweit er ihr trauen konnte. Er bewegte sich durch ein Minenfeld und konnte Freund und Feind nicht unterscheiden. »Danke«, antwortete er. »Sobald Sie die Zeit finden.« »Setzt Ihr Vater Sie als Verbindungsmann für das GlobalNetz-Pro jekt ein?« »Ich tue mein Bestes, ihm einen Teil der Last abzunehmen.« »Falls Sie sich frei machen können, begleiten Sie mich. Ich muss in die Labors, um mich zu vergewissern, dass wir all die prächtigen Geräte, die ich gerade versprochen habe, auch herstellen und pünkt lich liefern können.« Austin war sich der Blicke bewusst, die ihnen auf dem Weg durch den langen Korridor folgten, der sich durch den Büroflügel des Fa cettenpalastes erstreckte. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, wenn er Soldaten im Waldgrün der Heimatgarde Tortorellis bemerkte, die sie aus versteckten Positionen beobachteten. Austin war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, dass der Legat Gar disten in den Palast geschickt hatte. Warum benahmen sich die Sol daten eher wie Spione denn wie Wachen? Austin und Marta Kinsolving traten durch den Westausgang hin aus in den windigen Nachmittag. Die Sonne senkte sich als riesiger
roter Fleck einem nebligen Horizont entgegen. Vom Meer her waren Wolken aufgezogen und versprachen Regen, aber Austin wusste, um diese Jahreszeit blieb es meistens bei dem Versprechen. Cingu lum konnte bis zum Beginn des Monsuns im Herbst nicht mehr mit kräftigerem Regenfall rechnen. »Ich werde einen Wagen anfordern …«, setzte er an. »Sie können bei mir mitfahren. Es ist ein Firmenwagen«, winkte Marta ab. Austin schluckte. Die schnittige weiße Limousine schien einen ganzen Häuserblock lang, mit genug Platz für alle Beschäftigten des Palasts. Lautlos öffnete sich ein Schlag und Marta duckte sich ins In nere. Austin folgte und ließ sich ihr gegenüber auf einem weichen Ledersitz nieder, der so bequem war, dass es an eine Sünde grenzte. »Ich bin mehr an das Cockpit eines BattleMechs gewohnt.« Sie zuckte zusammen. »Ich wollte sagen, eines BattleMech-Simulators«, korrigierte er sich hastig. »Das ist ein AWC-Gerät, oder?« »Es wird von einer unserer Tochterfirmen hergestellt. Es besteht nicht sonderlich viel Nachfrage mehr danach.« Marta entspannte sich etwas, doch Austin erkannte, dass er sie verunsichert hatte. »Erzählen Sie mir vom GlobalNetz. Wird es tatsächlich das HPG ersetzen?« »Natürlich nicht«, verneinte Marta, immer noch zurückhaltend. »Aber wir werden in der Lage sein, direkte Gespräche beinahe ohne Zeitverlust herzustellen. Momentan laufen sämtliche Kommverbin dungen mehr schlecht als recht über Bodenrelaisstationen.« Fast hätte Austin hinzugefügt: die vom Ministerium für Informati on überwacht werden. Aber er beherrschte sich noch rechtzeitig. Er hatte es aus Martas Worten herausgehört, auch ohne dass sie es aus drücklich gesagt hatte. »GlobalNetz wird diese Engpässe umgehen?« »Durch die Übermittlung an eines der Mondrelais und zurück. Mit einem Netzwerk von Relais an der Oberfläche und im Orbit können
wir das Millionenfache dessen an Nachrichtenverkehr bewältigen, was derzeit möglich ist. Und es wird möglich sein, mit einem einzi gen tragbaren Kommgerät nicht nur Vidphonverbindungen zu nut zen, sondern auch kommerzielle Sendungen zu empfangen.« »Wird Lady Elora das zulassen?« »Sie ist vielleicht Ministerin für Information, aber der Privatwirt schaft kann sie deshalb noch lange keine Vorschriften machen. Mit dem Segen – und dem Geld – Ihres Vaters wird sich das Informati onsministerium an eine deutlich kleinere Rolle gewöhnen müssen, als es sie heute noch spielt.« Austin lehnte sich zurück und räkelte sich ein wenig auf dem wei chen Leder, während er sich das durch den Kopf gehen ließ. Nach der heutigen Bekanntmachung würde AWC zum Ziel der Propagan da Lady Eloras werden, falls Marta die nötige Ausrüstung nicht schnell an Ort und Stelle brachte. »Es wird die Kommunikation auf Mirach revolutionieren«, stellte sie fest. »Aber es ist kein HPG.« »Nein«, wiederholte Marta, in etwas feindseligerem Ton als zuvor. »Da wir uns auf die Republik nicht mehr verlassen können, werden wir unsere eigene Technologie einsetzen. GlobalNetz wird nicht zu sammenbrechen – wie die Hyperpuls-Verbindungen.« Nach einer dermaßen mutigen Erklärung, aus der deutlich wurde, was sie von der Republik hielt, verlegte Kinsolving sich auf allge meine Aussagen, die vermutlich aus der sicher schon vorbereiteten Werbekampagne stammten. Austin war froh, dass er zumindest einen Moment lang ihre wahren Gefühle zu Gesicht bekommen hat te. Sie war keine Anhängerin der Republik. Doch bedeutete das, sie würde den Gouverneur verraten, wenn sich ihr die Gelegenheit bot? Wem gehörte ihre Loyalität? Austin hielt Jacob Bannson für einen möglichen Kandidaten. Bannson würde bevorzugt Geschäftsleute ansprechen, wie er selbst einer war, und er hatte bei seinem Vater
wegen eines Handelspostens angefragt. Möglicherweise dauerten Bannson die Verhandlungen mit dem Gouverneur zu lange und er hielt Ausschau nach einem zweiten Brückenkopf auf Mirach, mit der Hilfe der MBA. Austin war klar, dass das nur Spekulationen waren. Aber er wür de es herausfinden, um Mirachs Willen, genauso, wie er herausfin den würde, ob Marta Kinsolving irgendetwas mit Dales Tod zu tun hatte. Um seines Seelenfriedens Willen.
14
Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 25. April 3133 Lady Elora Rimonowas Züge leuchteten im grünen Phosphorschein. Sie saß über den Schreibtisch ihres Büros gebeugt, an dessen Rück wand nur ein großer – als Fensterattrappe angelegter und momen tan abgeschalteter – Monitor gelegentlich die Illusion freier Sicht über die Stadt erzeugte. Auf wortlose Befehle hin blinkte ein halbes Dutzend Monitore um sie herum an und aus. Es gab Platz auf dem Schreibtisch, um Papiere auszubreiten und Notizen zu verfassen. Aber der Rest der Tischplatte war ein sanft ansteigendes Meer aus Monitorschirmen und Reglern, das es ihr gestattete, die Einspielun gen aller Kameras zu sehen, die das Ministerium in Betrieb hatte, zu beobachten, zu redigieren und zu spionieren. Ihre langen, knochi gen Finger tanzten über die Kontrollen und wechselten rastlos von einem Bild zum nächsten. Im Ministerium für Information geschah nichts ohne ihre Zustimmung und Aufsicht. Doch trotz dieser hautnahen Kontrolle fühlte sich Elora ausge schlossen, ignoriert, sie hatte das Gefühl, ihre Untergebenen würden sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machen. Hier in ihrem spar tanischen Büro konnte sie an ihrer Spionageausrüstung sitzen und eine Liste ihrer Feinde zusammenstellen. Und es war eine ungeheu er lange Liste. Sie zögerte, als ein Schirm Legat Tortorelli zeigte, wie er mit drei
Adjutanten durch den Korridor zwei Etagen unter ihrem Büro has tete. Sie wusste, es waren Leibwächter, keine Berater, denn die Sen soren des Ministeriums zeigten ihre geholsterten Waffen so deutlich, als hätten sie sie offen in der Hand getragen. Der Legat war im Erd geschoss durch die Kontrollen marschiert und unterwegs zu ihr. Jetzt hatte er die nur mit Sondererlaubnis benutzbare Rolltreppe er reicht, die auf direktem Weg ins oberste Geschoss des Ministeriums führte, wo Elora in ihrem elektronischen Horst thronte. »Der Legat darf heraufkommen«, stellte sie fest, während ihr Zei gefinger leicht auf einer Sensorfläche lag. »Seine Leibwächter blei ben unten im Empfangsbereich.« Sie erhielt keine Antwort und hatte auch keine erwartet. Ihr Stab war zuverlässig, solange er keine komplexen Aufgaben ausführen musste. Sie war immer noch wütend, dass Hanna Long fast zwei Tage unbeobachtet geblieben war, bevor sie dauerhaft aus dem Weg geräumt wurde. Wo war sie in dieser Zeit gewesen? Oder spielte das keine Rolle mehr, jetzt, da auch Dale Ortega ausgeschaltet war? Es waren Fragen wie diese, die jeden ihrer wachen Momente be herrschten. Elora atmete tief ein, dann ließ sie die Luft langsam wieder entwei chen. Es wurde Zeit, sich auf den unangemeldeten Besuch des Lega ten vorzubereiten. Schnelle Finger tanzten über die Kontrollen, Bildschirme versan ken lautlos in der Schreibtischoberfläche und hinterließen nur die Andeutung von Nahtstellen – als einzigen Hinweis auf die versteck ten Monitore. Ein einziger Bildschirm, auf dem die aktuelle Nach richtensendung des Ministeriums lief, blieb auf einer Seite des Schreibtischs sichtbar. Elora lehnte sich in ihrem Chefsessel zurück und verdrängte das Gefühl des Ausgeliefertseins. So viel geschah überall, ohne dass sie es persönlich überwachte, steuerte und aus nutzte. Das war der Preis, den sie für die Beziehung mit Calvilena Torto relli bezahlte. Er war ein lästiges, aber notwendiges Übel.
Die Bürotür glitt mit einem Flüstern auf und der korpulente Legat hastete herein. »Calvi!«, begrüßte sie ihn mit falscher Freude. »Wie schön, dass du vorbeikommst.« »Elora.« Der Legat klang verängstigt. Vermutlich war er verunsi chert, weil er seine Leibwächter zwei Stockwerke tiefer hatte zu rücklassen müssen. »Verzeih mir, dass ich mich nicht angemeldet habe, aber die Ereignisse haben mir keine Wahl gelassen. Furchtbare Ereignisse, einfach schrecklich!« »Bitte, nimm Platz. Ich …« Lady Elora zuckte zurück, als Tortorelli sie unterbrach. »Ist dieser Raum abhörsicher?« »Ja, das ist er«, bestätigte sie misstrauisch. »Was ist los?« »Keine Fenster?«, fragte er. »Du sitzt im obersten Stockwerk eines fünfzig Stock hohen Wolkenkratzers und hast keine Fenster?« »Fenster sind ein Sicherheitsrisiko, Calvi. Das weißt du genau. Ein Kommlaser, der auf eine Glasscheibe gerichtet wird, verwandelt das ganze Fenster in ein Mikrofon.« »Worüber ich mit dir reden will, ist streng geheim. Streng!« »Ich lebe nach dem Grundsatz, dass die Wände Ohren haben, Cal vi«, beruhigte sie ihn und fragte sich allmählich, was so furchtbar wichtig sein konnte. Was auch immer es war, ihm machte es ganz offensichtlich Angst. »Was ich entdeckt habe, darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Sollte irgendjemand erfahren, was ich herausgefunden habe … sagen wir einfach, der Schaden für Mirach wäre unermess lich.« Elora überlegte, was das sein könnte. Sie entschied, dass sie ihn ablenken musste, falls es sich bei dem, was er ihr zu sagen hatte, um das handelte, was sie angesichts seines Benehmens vermutete. »Was ist es, Calvi? Sag es mir. Du weißt, ich kann ein Geheimnis bewah ren.«
»Baronet Dales Tod«, flüsterte er kehlig. »Es war kein Unfall.« »Calvi, du hast den Baronet ermordet?«, stieß sie mit gekünstelter Überraschung aus. »Was redest du da, Frau? Nein, nein, nicht ich. Aber ich habe den Mann entdeckt, der die scharfen Raketen eingeschmuggelt hat. Eine Überwachungskamera hat ihn aufgezeichnet. Er gehörte nicht zu meinen Leuten, und er war ganz sicher nicht bei den 1KL.« Elora verzichtete darauf, die unbeholfene Art zu erwähnen, mit der Tortorelli das Manöver vorbereitet hatte, oder seine Entschei dung, den Befehl auf zu viele untergeordnete Offiziere zu verteilen. Was ihr Sorgen machte, war, dass der Attentäter auf frischer Tat ge filmt worden war. »Hast du ihn festgenommen? Ihn an den Baron ausgeliefert? Nein, er sollte den Zivilbehörden übergeben werden.« »Er ist verschwunden, Elora. Weg. In Luft aufgelöst. Aber der Ba ron wird glauben, ich hätte etwas damit zu tun.« »Wer weiß sonst noch davon?«, fragte sie. »Von den Bildern und dem Attentäter?« »Eine Hand voll Techs. Und ihr Kommandeur.« »Verteil sie über die ganze Welt, Calvi«, riet sie. »Versetz sie und achte darauf, dass sie keinen Kontakt mehr untereinander haben. Befördere den Offizier. Gib ihm eine Stabsposition, wo du ihn im Auge behalten kannst. Du darfst nicht riskieren, dass auch nur ein Wort davon publik wird.« »Aber ich weiß nicht, wer er ist. War. Meine Güte, Elora, das ist ein Albtraum!« »Ein Albtraum, mit dem ein erfahrener Kommandeur wie du leicht fertig wird«, schmeichelte sie ihm. Sie überlegte, wie schwie rig es werden würde, alle Zeugen aus dem Weg zu räumen, und kam zu dem Schluss, dass es besser war, einen unvorsichtigen An gestellten zu eliminieren als die Fragen zu riskieren, die der Tod ei
nes halben Trupps von Heimatgardisten auslösen würde. »Ich sollte es dem Baron melden. Ich hatte nichts damit zu tun. Er muss es erfahren und sein anderer Sohn stellt ständig Fragen.« Das besiegelte das Todesurteil des Attentäters. Elora wusste noch nicht, wie er aus dem Leben scheiden würde, aber es musste bald geschehen. Und es würde geschehen. »Würde es Sergio helfen, wenn du zu ihm gingest? Ich glaube, hin ter dem Tod des Baronets könnte mehr stecken als du ahnst, Calvi. Sieh dir an, was ich entdeckt habe!« Sie berührte einen Sensorpunkt auf der Schreibtischplatte. Der kleine Monitor an der Ecke des Schreibtischs drehte sich zu dem Le gaten hinüber – wie eine Radarantenne, die ein Ziel anpeilte. »Das hier wurde versehentlich nach der Pressekonferenz des Gouver neurs aufgenommen und könnte einen Hinweis darauf bieten, für wen der Attentäter gearbeitet hat. Wir drehten eine Reportage über die lebenswichtigen Industrien Mirachs. Natürlich musste ich dabei auch einen Teil über AllWorldComm herstellen.« »Natürlich«, bestätigte Tortorelli und starrte mit zusammengeknif fenen Augen auf den Bildschirm, um sich über das, was er sah, klar zu werden. »Ms. Kinsolving und Austin Ortega waren heute Vormittag auf ei ner Besichtigung der AWC-Fabrikanlagen, als das hier aufgenom men wurde.« Die besten Techs des Ministeriums hatten Stunden damit zuge bracht, den kurzen Ausschnitt auf maximale Effektivität hin zusam menzuschneiden. »Ich bin natürlich keine Expertin«, stellte sie langsam fest, »aber für mich hört sich das so an, als sprächen sie über die politische Sta bilität Mirachs und Ms. Kinsolving machte sich über deine Versu che, für Ordnung zu sorgen, lustig.« »Also, ich …« Tortorelli stotterte vor Entrüstung. »Es hört sich tat sächlich danach an. Sie propagiert geradezu die offene Rebellion!
Und das vor dem Sohn des Gouverneurs!« »Austin ist ein wenig naiv, was Hochverrat angeht«, räumte Elora ein. »Obwohl? Genau betrachtet, wer hat am meisten von Dale Orte gas Tod profitiert?« »Baronet Austin ist der Nächste auf der Thronfolgeliste«, kam Tor torelli genau zu dem Schluss, den Elora ihm anbot. »Aber es war sein eigener Bruder!« »Ehrgeiz kennt kein Gebot«, sagte sie. »Er war auf dem Schlacht feld und hätte dem Attentäter dabei helfen können, an die scharfen LSR zu kommen. Und er wusste mit Sicherheit in jedem Moment der Gefechtsübung, wo sich das THQ befand.« »Aber sein eigener Bruder!«, stieß Tortorelli aus. »Es ist möglicherweise ein völlig unschuldiges Gespräch. Wie ge sagt, das ist nur ein kurzer Ausschnitt aus ihrer langen Unterhal tung.« »Der Gouverneur muss auf der Stelle davon erfahren. Schick eine Kopie in …« »Bitte, Calvi«, unterbrach ihn Elora und bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. Sie ließ ihn ein paar Sekunden schmoren, bevor sie weitersprach. »Ich bin nicht sicher, ob es richtig wäre, Baron Ortega zu alarmieren. Falls sein Sohn ihm gegenüber nicht erwähnt hat, wie AWC und vermutlich die ganze MBA sich hinter seinem Rücken verschwören oder seine Amtsführung zumin dest kritisieren, bin ich nicht sicher, ob es wirklich unsere Sache ist, das zu tun. Und für mehr fehlen uns die Beweise. Etwa für einen Brudermord.« Wieder machte Elora eine Pause, so, als wüsste sie nicht genau, ob sie weitersprechen sollte. »Was ist, Elora? Da ist noch etwas, was du mir vorenthältst.« »Die MBA hat ArbeitsMechs umgebaut«, erklärte sie unumwun den. »Angeblich zum Schutz ihres Firmeneigentums. Diese hölli schen Maschinen könnten gegen die Demonstranten benutzt werden
… oder gegen legitime Militäreinheiten.« »Dann könnte das eine offene Revolte sein?« Legat Tortorelli war sichtlich schockiert. »Jetzt ergibt das alles einen Sinn. Die MBA setzt ihre Mechs gegen meine Truppen ein, um an die Macht zu kommen. Falls der Baron sich widersetzt, bringen sie ihn um und setzen den Baronet an seine Stelle.« »Aber das können wir nicht beweisen, und die bloße Erwähnung unseres Verdachts dem Baron gegenüber könnte uns alle gefähr den.« »Nein! Ich verfüge über die nötigen Truppen, um selbst gegen auf gerüstete IndustrieMechs zu kämpfen. Es wäre eine furchtbare Schlacht, aber so werden sie nicht an die Macht kommen!« »Du bist der Mann der Stunde, Calvi. Du hast im Kampf gegen BattleMechs auf anderen Welten Erfahrung gesammelt. Aber mögli cherweise wird es ja gar nicht notwendig. Ich könnte mich irren.« Eloras Gedanken rasten. Sie musste ihren Privatattentäter aus dem Weg räumen, aber möglicherweise noch nicht sofort. Nicht, bevor er einen letzten Auftrag erledigt hatte. »Es wird schwierig werden, das geheim zu halten«, stellte Torto relli fest. »Eine so gewaltige Verschwörung. Der eigene Sohn des Ba rons. Die MBA. Wer weiß, wie weit sich die Fäden dieses Verrats noch erstrecken?« »Ja, wer?«, bestätigte Elora.
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Hauptquartier des Legaten, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 26. April 3133 »Notfallbesprechung«, bellte ein Colonel. »Bewegung!« Manfred Leclerc drehte sich um und schaute hinüber zu dem Offi zier, in dem Glauben, der Befehl hätte ihm gegolten. Ein halbes Dut zend hoher Offiziere lief zum Aufzug am Ende der Halle, zeigte dem Posten die Dienstausweise und wurde in Dreier- und Vierer gruppen durchgewunken. Der Rest wartete ungeduldig, während der Expressaufzug zum Besprechungszimmer des Legaten fuhr und wieder zurückkehrte. Manfred gesellte sich zu dem kleinen Pulk Of fiziere, der darauf wartete, vierzig Stockwerke hoch befördert zu werden, um zu hören, was Tortorelli zu sagen hatte. Ein anderer Offizier, ein Major der Infanterie, drehte sich um und musterte Manfred von den Stiefeln bis zum Uniformkragen. Als er die Abzeichen am Kragen erreichte, stoppte er. »Sie brauchen an der Besprechung nicht teilzunehmen, Captain«, teilte ihm der Major mit. Manfred drehte sich um, weil er annahm, der andere Offizier sprä che mit jemand anderem. Als ihm klar wurde, dass er selbst gemeint war, antwortete er: »Ich bin der ranghöchste Offizier der 1. KosakenLanciers. Falls kein spezieller Grund vorliegt, der dagegen spricht, sollte ich an der Besprechung beteiligt sein.«
Der Major und drei andere zeigten dem Garde-Sergeanten ihre Dienstausweise. Manfred folgte ihnen, aber der Gardist streckte die Hand aus und schob ihn mit sanftem Druck zurück. »Tut mir Leid, Sir, Sie nicht. Ihre Sicherheitsstufe ist zu niedrig.« Der Infanteriemajor grinste Manfred hämisch an, bevor sich die Aufzugstüre zischend schloss und die Kabine hinauf zum Konfe renzsaal glitt. »Für wen ist die Besprechung gedacht? Ich bin neu.« »Ich weiß, Captain Leclerc.« Der Posten rührte sich nicht. Manfred gab nach. Es gefiel ihm nicht, wie der Unteroffizier ihn aufgehalten hatte, aber der Sergeant befolgte nur seine Befehle. Nicht, dass das Manfred ein Trost war. Die Sicherheitskräfte Mi rachs waren gemessen an der Größe der planetaren Bevölkerung recht klein, und die 1KL stellten eine erhebliche Verstärkung des Mi litärs dar. Er war schlau genug, sich nicht aufzuregen. Stattdessen suchte er sich einen freien Schreibtisch und setzte sich, als hätte er jedes Recht auf diesen Platz. Keine Stunde später öffnete sich die Aufzugstür wieder und gab die Offiziere frei, die an der Notfallbesprechung des Legaten teilgenommen hatten. Manfred gab vor, in die Bearbeitung eines Stapels Akten vertieft zu sein, aber er las nicht einmal eine Zeile. Seine ganze Aufmerk samkeit war auf die schwatzhaften Offiziere konzentriert. Er unter drückte ein Grinsen, als ausgerechnet der Infanteriemajor keinen Meter entfernt stehen blieb, um sich mit einer Panzerkommandeurin zu unterhalten. »Merken Sie sich meine Worte, Captain«, sagte er. »Noch vor Herbstanfang stehen Sie mit all Ihren Behemoths im Feld.« »So schlimm hat es sich gar nicht angehört«, wiegelte der Captain ab. »Ein paar Unruhestifter, mehr nicht.« »Sie haben nicht zugehört, was der Legat gesagt hat. Versuchen Sie sich klar zu machen, was er meinte.«
»Sie sprechen von der möglichen Revolte?« Der Panzercaptain lachte und schüttelte den Kopf. »Er leidet unter Verfolgungswahn.« »Legat Tortorelli leidet nicht unter Verfolgungswahn«, schnappte der Major. »Er ist vielleicht übervorsichtig, aber nicht verrückt. Pas sen Sie auf, was Sie sagen, Captain Mugabe. So etwas ließe sich leicht als Insubordination auslegen, wenn nicht sogar als Verrat.« »Verzeihung, Sir«, murmelte Mugabe. »Ich glaube nur einfach nicht, dass wir uns wegen der MBA Sorgen zu machen brauchen. Je denfalls nicht auf die Art, wie es der Legat tut. Denen geht es um Profit, nicht um Rebellion.« »Sie bauen diese Schrottkisten nicht ohne Grund um«, erwiderte der Major. »Sorgen Sie dafür, dass Ihre Einheit bereit ist, wenn nötig auf der Stelle auszurücken. Es wird eine schnelle Reaktion und schwere Artillerie nötig sein, eine Revolte niederzuschlagen, die vom Sohn des Gouverneurs angeführt wird.« Manfred zuckte hoch und hätte den Aktenstapel fast umgeworfen. Hastig senkte er wieder den Kopf, um nicht aufzufallen und sich zu verraten. Der Major stampfte davon, um mit einem noch ranghöhe ren Offizier zu reden. Manfred schaute auf und wollte die Panzer kommandeurin ansprechen, überlegte es sich dann aber doch an ders. Sie befehligte die Behemoths II, die Austin Ortega im Verlauf des Manövers so gründlich abgefertigt hatte. Captain Mugabes Auf merksamkeit zu erregen, konnte ihm nur schaden. Wenn er über haupt zu etwas Nutze sein wollte, musste er unsichtbar bleiben. Manfred sah den Lieutenant aus dem Lift steigen, dessen Schreib tisch er requiriert hatte. Selbst niedrige Offiziere waren zu der Not fallbesprechung des Legaten bestellt worden. Das verfestigte Man freds Schlussfolgerung in Bezug auf das, was hier vor sich ging. Noch war er zwar ein Captain und befehligte die 1. Kosaken-Lan ciers, aber das würde sich bald ändern. Die 1KL wurden aufgelöst, eine Lanze nach der anderen, und ›zur besseren Integration‹ zu an deren Einheiten versetzt, bis ihr Zusammenhalt als Einheit zerstört war. Er hatte Gerüchte aufgeschnappt, dass er selbst in eine Test
gruppe versetzt werden sollte: eine nicht existente Testkompanie ohne Aufgabe. Das hieß, man würde ihn einen Schreibtisch steuern und Berichte über gar nichts schreiben lassen, die niemand las. Manfred lächelte bei dem Gedanken an eine derartige Einteilung. Sie war für das, was er zu tun hatte, perfekt geeignet. Nichts anderes hatte er erwartet, als Gouverneur Ortega die Ein heit Tortorellis Befehl unterstellt hatte. Aber er hatte nicht damit ge rechnet, dass der Legat die Truppen gegen die Bevölkerung mobili sierte, mit der Entschuldigung, Austin würde eine Revolte anführen. Das war dermaßen absurd, dass Manfred sich fragte, warum dieses Gerücht nicht das schallende Gelächter erntete, das es verdiente. Vermutlich hatte Lady Elora etwas damit zu tun. Wahrscheinlich so gar eine ganze Menge. Er stand auf, ging ein Stück in Richtung Aufzug und blieb am frei en Schreibtisch eines Majors stehen. Er aktivierte die Kommeinheit, wählte eine Ziffernfolge, zählte bis drei und unterbrach die Verbin dung. Anschließend suchte er sich einen Weg zwischen den Schreibti schen hindurch und hinunter zur Garage. Er fand ein Motorrad, kritzelte seinen Namen ins Fahrtenbuch, stieg auf und fuhr los. Manfred genoss den Fahrtwind im Gesicht. Der Hauch der Gefahr ließ seinen Atem schneller gehen, und der Duft der Gräser, die an der Straße in die Stadt wuchsen, erinnerte ihn an den Bauernhof sei ner Eltern, auf dem er aufgewachsen war. Damals hatte er das Ge fühl gehabt, sein ganzes Leben bestünde darin, Unkraut zu jäten. Manfreds Nase juckte. Ihm wurde klar, dass sich so viel nicht ge ändert hatte. Damals waren die störrischen Pflanzen, die er umge mäht hatte, knöchelhohe Winden und die höheren blaugrauen Gras sorten gewesen. Jetzt jätete er das Unkraut im Garten des Gouver neurs. Er legte sich mit hoher Geschwindigkeit in eine Kurve. Das Hinter rad brach aus und er hielt an. Er blickte sich um. Sein Rad war das einzige Fahrzeug auf dieser Seite der Umgehungsstraße. Eine lang
same Schlange von Wagen bewegte sich auf den Hochhauskomplex zu, den er gerade verlassen hatte, doch niemand folgte ihm. Man fred fummelte in einer Jackentasche und setzte eine Brille auf. Nach ein paar Sekunden Justierung konnte er den rötlichen Himmel nach Spuren fliegender Spionagesonden absuchen. Die IR-Linsen zeigten Wärmereflexionen von ein paar Metallflächen, aber Manfred ent schied, dass sie von hoch fliegenden Flugzeugen stammten. Er hatte nicht den Eindruck, dass ihn irgendwer verfolgte oder elektronisch überwachte. Er drehte den Motor auf, bis er heulte, und raste weiter. Die Zeit arbeitete gegen ihn, aber er musste sichergehen, dass niemand sah, mit wem er sich traf. Er fuhr quer durch Cingulum, schlidderte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit um Straßenecken, wurde in zufälligen Abständen langsamer und schneller, um mögliche Überwacher abzuschütteln. Mehr als einmal kehrte er um, hielt an und fuhr eine Seitenstraße in eine heruntergekommene Gegend der Stadt, von wo aus er nach Verfolgern Ausschau hielt, und die ganze Zeit – wirklich die ganze Zeit – behielt er die IR-Sensorbrille auf. Im Feld half sie, feindliche Kröten und Motorfahrzeuge zu entdecken. Hier warnte sie ihn vor fliegenden Kameras. Erst als er absolut sicher war, dass ihn niemand beobachtete, bog Manfred Leclerc in eine enge, mit Müll übersäte Gasse und lehnte das Motorrad an eine Hauswand. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung, trat auf die Straße hinaus und ging geradewegs zu einem kleinen Buchladen, der wie zwischen zwei größeren Geschäften ein geklemmt wirkte. Er betrat den Laden, unterdrückte den Drang, sich umzudrehen und ein letztes Mal auf die Straße zu schauen, ob ihn jemand gesehen hatte. Dann ging er zu dem Verkäufer hinter einem langen Tresen, der sich durch drei Viertel des Geschäfts zog. »Ich hätte gern ein Geschichtsbuch«, sagte er. »Geschichte ist ein staubtrockenes Thema«, erhielt er zur Antwort. »Vielleicht würde Ihnen etwas anderes mehr liegen.« Der Verkäufer
wirkte gelangweilt und schaute nicht hoch. Er saß hinter dem Tre sen und las in einem Buch. »Dann kaufe ich halt ein Kochbuch.« Der Mann hob den Kopf, deutete wortlos mit dem Kinn zu einer Wendeltreppe hinauf in den zweiten Stock, griff unter den Tresen und drückte auf einen Knopf. Dann widmete er sich wieder seiner Lektüre. Manfred hastete die Treppe hoch. Er war sich der leistungsstarken Sensoren und der Elektronik sehr bewusst, die er unterwegs passier te. Am Kopf der Treppe öffnete er die Tür, schob sich eilig hindurch und schloss sie mit einem Gefühl ehrlicher Erleichterung hinter sich. Er hatte es geschafft, ohne entdeckt zu werden.
»Sie machen sich zu viel Sorgen, Manfred«, stellte Sergio Ortega fest. »Es tut mir Leid, dass ich so spät komme, Mylord. Ich musste si chergehen, dass niemand meine Abwesenheit bemerkt hat.« »Falls ich mich nicht sehr irre, nimmt man Sie im Hauptquartier des Legaten gar nicht wahr. Das erleichtert es Ihnen, häufiger zu verschwinden, und das werden Sie auch müssen, wenn wir diesen Plan schnell zu Ende bringen wollen.« Sergio saß in einem beque men Plüschsessel und hatte ein Buch auf die Armlehne gestützt. Manfred trat einen Schritt zur Seite, um den Titel lesen zu können. Es war ein Buch mit Essays über Pazifismus, geschrieben von einem Terraner namens Bertrand Russell. »Ich konnte ein paar Offiziere belauschen, die sich nach einer Not fallbesprechung unterhielten«, erklärte er mit einer gewissen Verbit terung. »Zu der Sie nicht eingeladen waren, vermute ich.« Sergio lachte. »Nehmen Sie's sich nicht so zu Herzen, Manfred. Wenn Sie eingela den worden wären, würde ich mir Sorgen machen.«
»Sie haben wohl Recht, Sir«, gab Manfred zu. »Ein Major der In fanterie sprach mit einer Panzerkommandeurin über eine Mobilisie rung gegen Zivilisten. Der Major prahlte damit, dass Kröten jeden Aufrührer erledigen könnten.« »Machogehabe, nichts weiter. Ich kann nicht fassen, dass Tortorelli Krötentruppen gegen Demonstranten einsetzen würde, nachdem ich ihn ausdrücklich vor einer solchen Maßnahme gewarnt habe.« »Er ist besorgt, es könnte eine Revolte bevorstehen, Mylord. Eine Rebellion, die in der Lage wäre, die Regierung zu stürzen.« »Ein Putsch? Und ihr Anführer …?« An der Art, wie Sergio sich aufsetzte, erkannte Manfred, dass er die volle Aufmerksamkeit des Gouverneurs hatte. Er zögerte, dann antwortete er: »Ihr Sohn. Mit der Unterstützung der MBA und ihrer umgerüsteten ArbeitsMechs.« »Austin will mich stürzen?« Sergios gute Laune verflog, als er die Nachricht überdachte. »Er ist ein Hitzkopf, und wir sind unter schiedlicher Ansicht darüber, wie man gegen die Demonstrationen vorgehen sollte, aber er würde niemals eine Revolte anführen.« »Das glaube ich auch nicht, Herr Baron«, bestätigte Manfred. »Nein, natürlich würde er das nicht tun. Er ist ein guter Junge. Aber er hat eine sture Ader und findet, dass ich als Regierungschef dieses Planeten momentan keine besonders gute Arbeit leiste. Ich möchte ihn so weit wie möglich aus diesem ganzen Geschehen her aushalten, bis er mehr Erfahrung gesammelt hat, aber wenn Torto relli glaubt, er würde eine Revolte anführen, wird das unter Um ständen unmöglich sein.« Manfred sagte nichts, während Sergio mit sich selbst sprach und schließlich zu dem Schluss kam, dass Austin niemals eine Rebellion unterstützen würde, selbst wenn er glauben würde, sie könnte die Kontrolle der Republik über Mirach stärken. Manfred war besorgt, dass der Gouverneur sich nicht wirklich so anhörte, als glaube er selbst, was er sagte. Tief in ihrem Innern
wussten beide Männer, dass Calvilena Tortorelli fähig war, das Mili tär gegen die Zivilbevölkerung in Marsch zu setzen. Dabei war es völlig gleichgültig, ob er das aus Angst oder aus Dummheit tat. Und sie wussten auch, Austin würde sich dem mit allen Mitteln wider setzen.
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Industrial-Giants-Fabrikanlage, knapp außerhalb Cingulums, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 30. April 3133 »Der Gouverneur plant ja wohl nicht, seine Ausgaben für andere Projekte zu kürzen, oder?«, fragte Marta Kinsolving. Sie versuchte, unbesorgt zu klingen, Austin Ortega spürte jedoch die Anspannung in der Frage. Ihre braunen Augen fixierten ihn und er fühlte sich et was unbehaglich dabei, sie anzulügen. »Das Budget für das bevorstehende Steuerjahr steht«, antwortete er mit genau überlegten Worten. Das war die Wahrheit. Er wusste einfach nicht, was sein Vater tun würde, weil er weder in den ge nauen Ablauf der Regierungsgeschäfte eingeweiht war, noch darin, wie sein Vater zu seinen Entscheidungen fand. Zweierlei jedoch war sicher. Auf Grund seiner pazifistischen Ansichten neigte Sergio Or tega nicht dazu, die Mittel für Militärausgaben zu erhöhen, und Austin hatte sich die Führung durch eine zweite Fabrik unter falschen Voraussetzungen erschlichen. Er war sich nicht sicher, ob es ihm darum ging, herauszufinden, welche militärischen Kapazitäten die MBA entwickelte, oder ob er nur Marta wiedersehen wollte. Sie hatte sich wie ein angenehmer Stachel in seinem geistigen Fleisch festgesetzt, unmöglich zu igno rieren, aber nicht schmerzhaft. So sehr er sich auch bemühte, Austin fand keinerlei Hinweis darauf, dass Marta Dales Tod in Auftrag ge
geben hatte. Die Spur führte zu der Tech, die die scharfe Munition geladen hatte, und brach dann abrupt ab. Als die Munition ins Feld geliefert wurde, war eine Kiste falsch beschriftet gewesen. Die Tech hatte geglaubt, den Panzer nur mit Farbraketen zu beladen. Aber wie und wo die Kiste verwechselt – oder böswillig vertauscht und die Etikettierung gefälscht – worden war, blieb ein Rätsel. In der Nachschubkette gab es einen Soldaten, den er nicht hatte identifizie ren können, aber es war schwer, dieser Spur nachzugehen, denn sein Vater hielt ihn mit unbedeutenden, aber sehr zeitaufwändigen Arbeiten beschäftigt. Seine einzige momentane Chance, zur eigenen Zufriedenheit zu beweisen, dass Dales Tod mehr als der offiziell verlautbarte Unfall gewesen war, bestand darin, die Geschäfte Marta Kinsolvings zu durchleuchten, um sie und die MBA von der Liste der Verdächtigen streichen zu können. Sie und AWC hatten von Dales Tod enorm profitiert. Der Vertrag, den Sergio Ortega öffentlich gemacht hatte, trug viel dazu bei, die Einnahmeverluste durch den Wegfall des HPG-Verkehrs wettzuma chen und verlieh AllWorldComm eine einflussreiche Position auf Mirach, die das Potenzial hatte, eine ernste Konkurrenz für das In formationsministerium zu werden. Das von AWC projektierte Glo balNetz würde die Bürger des Planeten direkt untereinander vernet zen und den Bedarf für zentrale Nachrichtensendungen unter der Kontrolle Lady Eloras drastisch reduzieren. Es würde genügen, einen Schalter umzulegen, um die Verbindung zu jedem beliebigen Nachrichtenanbieter aufzunehmen, und die geringen Kosten, die mit dem Angebot eines derartigen Dienstes verbunden waren, wür den dazu führen, dass Dutzende Privatfirmen auf den Markt der Di rektnachrichten drängten. Das Ministerium für Information würde trotzdem noch einen be achtlichen Anteil des Nachrichtenstroms kontrollieren. Eloras Wür gegriff aber würde sich wie von selbst lockern, sobald die Bürger Zugriff auf andere, pluralistischere Informationsquellen erhielten.
Austin war sich nicht sicher, ob es seinem Vater bewusst war, doch Sergio Ortega hatte durch die Bereitstellung dieses neuen In formationskanals seine eigene Macht erheblich reduziert. Auch wenn Lady Elora sich selten genug an das Drehbuch hielt, das Aus tin für sie geschrieben hatte, sie wahrte doch zumindest die Fassade, den Gouverneur und dessen Politik zu unterstützen. Zu wenig und mit abnehmender Tendenz, dachte Austin und ließ sich einen Moment ablenken. Wäre es besser für den Gouverneur, die Nachrichtenkanäle unter Kontrolle zu bringen, oder sie zu öffnen, wie er es jetzt tat? Austin war sich nicht sicher, wie Marta, die MBA und all die anderen Fraktionen auf Mirach diesen direkten Kanal zu den Bürgern nutzen würden. Er konnte nur hoffen, dass Marta es ernst gemeint hatte, als sie sagte, AllWorldComms Interesse sei dar auf beschränkt, die Ausrüstung zu liefern, und mit den Inhalt dürf ten sich andere ihr Brot verdienen. Er wünschte, sein Vater hätte ihm mehr anvertraut und ihn nicht wie einen kleinen Beamten behandelt. Nicht zum ersten Mal fragte sich Austin, wie sein Leben nun aussähe, wäre er bei den Ersten Ko saken-Lanciers geblieben, selbst unter dem Befehl Legat Tortorellis. Er hatte ein Talent für das Soldatenleben bei sich entdeckt. Dagegen verunsicherte ihn die Arbeit als Adjutant seines Vaters. Er hoffte, es könnte sich als nützlich erweisen, sich in den Fabrik anlagen der MBA-Konzerne umzusehen – wie hier in dieser neuen ArbeitsMechfabrik. Wie genau sich das äußern könnte, hätte er nicht zu sagen gewusst, es sei denn, er fand irgendwelche Hinweise auf Dales Tod. Aber wie auch immer, er musste sich irgendwie beschäf tigt halten. Und er hatte Marta Kinsolving überredet, ihn durch die Mirach-Industrial-Giants-Fabrik zu führen. »Ich hoffe, das Projekt wird alle fiskalischen Hürden nehmen«, be merkte sie. »Welches Projekt?«, gab er zurück, und erst, als die Worte schon ausgesprochen waren, machte er sich klar, welchen Eindruck diese Frage hinterlassen musste. Er würde sich eindeutig zusammenrei
ßen und verhindern, dass seine Gedanken abdrifteten. »GlobalNetz natürlich«, antwortete Marta. »In zwei Wochen sind die Relais auf allen vier Monden betriebsbereit, und jeder, dem Ihr Vater eine Konzession zugesteht, kann die billige Breitband-Sende kapazität nutzen.« GlobalNetz würde helfen, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung planetenwärts zu lenken, darauf, was andere auf Mirach leisteten, statt sich über Vergleiche mit anderen Planeten aufzuregen, die ver mutlich nichts als heiße Luft waren. »Werden nur MBA-Firmen in der Lage sein, sich um Sendezeit zu bewerben?«, fragte er. »Ich bin sicher, das werden eine Menge von ihnen tun, da wir eine weit verzweigte Organisation sind. Aber wir werden die Lizenzen nicht strikt auf Mitglieder beschränken.« Hauptsache, »eine Menge« bedeutet nicht nur das Informationsministe rium, dachte Austin. An Martas Miene erkannte er, dass sie hinter dem, was sie sagte, stand. Sie erreichten den Eingang der riesigen Werkhalle. Im Innern er streckten sich die Reihen BergbauMechs in verschiedenen Ferti gungsstufen hundert Meter weit. Die Maschinen, die sich ihnen am nächsten befanden, waren die vollständigsten, sechs Meter hoch mit einem Bohrkopf an einem Arm und einer riesigen Schaufel am ande ren, deren Gewicht den Arm nach unten zog. Das waren Maschinen, die sich mit gnadenloser Effizienz ins Innere eines Berges vorarbei ten und dort Erzadern abbauen konnten. »Sind diese Einheiten für Nagursky bestimmt?«, fragte er. Austin betrachtete den ersten Mech in der Reihe. Der gedrungene, bedroh lich wirkende Koloss hätte keine großen Umbauten gebraucht, um sich in eine tödliche Kampfmaschine zu verwandeln. Natürlich hätte er keinem Vergleich mit einem echten BattleMech standgehalten, aber die gab es in den Streitkräften Mirachs nicht. Auch wenn Dale und er das Steuern eines BattleMechs im Simulator endlos trainiert hatten, war das doch nichts weiter als ein Freizeitspaß gewesen.
»Ich werde mal nachsehen.« Marta zog ein Telefon aus der Tasche und sprach mit schneller Stimme. Als sie das Gerät zurücksteckte, nickte sie. »Ben Nagursky hat acht bestellt.« »Acht!« Das überraschte Austin. »Expandiert sein Bergbauimperi um derart rasant?« Austin war vertraut genug mit BergbauMechs, um zu wissen, dass man mit so vielen Maschinen innerhalb weniger Wochen einen kompletten Berg aushöhlen konnte. Marta zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Wir arbeiten zum Wohl der gesamten Industrie Mirachs zusammen, aber mehr als die unge fähre Richtung unserer jeweiligen Geschäftspläne teilen wir nicht miteinander. Möglicherweise wartet ein neues Vorkommen darauf, ausgebeutet zu werden. Nagursky würde ein neu entdecktes Erzla ger derart ansehnlicher Größe erst publik machen, wenn das erste Erz aus dem Boden kommt und er etwas zu verkaufen hat.« Austin hatte den Eindruck, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit sagte. Er zögerte, ihre Antwort als Lüge zu bezeichnen, aber sie klang irgendwie … unwahr. »Dieses Telefon, das tragbare, das Sie gerade benutzt haben. Ge hört das auch zu Ihrem GlobalNetz-Programm?« »Hier.« Sie zog das Gerät aus der Tasche und reichte es ihm. »Sie können es wie ein herkömmliches Telefon benutzen. Oder Sie drücken einen der kleinen blauen Knöpfe, um Nachrichten, Wetter vorhersagen oder sonstige Informationen abzurufen.« »Klar, zwanzig Grad, Wind von Norden 10 km/h«, meldete der kleine Bildschirm, als Austin den Wetterberichtsknopf drückte. »Noch sind die auf GlobalNetz verfügbaren Nachrichten ziemlich lückenhaft, aber wenn die Mondstationen erst fertig sind und die ganze Welt abgedeckt ist, wird sich das rasch ändern«, versprach Marta. Dieser kleine Kommunikator beeindruckte sie sichtlich mehr als die riesigen Mechs dort in der Halle. Die Wahrheit ist stärker als der Mech?, fragte er sich. Es fiel Austin schwer, das zu glauben. Es klang zu sehr nach einem Satz, wie ihn sein Vater sagen könnte.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich einen ausprobiere?«, fragte er. »Behalten Sie es.« »Nicht das Telefon. Einen von denen?« Er deutete zu einem Berg bauMech am Ende der Fertigungsstraße. »Ich weiß nicht, ob er schon abgenommen ist«, stellte sie fest. »An wen muss ich mich wenden, um es herauszufinden?« Austin hob das Telefon in stummer Herausforderung an sie, den Fabriklei ter anzurufen. Marta zeigte ihm, wie man das Gerät benutzte, indem sie die Verbindung herstellte. Austin sprach ein paar Minuten mit dem Manager, dann steckte er das Telefon ein. »Alles geregelt. Der Leiter sagt, ich kann einen ausprobieren, so lange ich die Ausrüstung nicht überlaste.« »Die Maschinen hier haben nur Verbrennungsmotoren«, warnte Marta. »Keinen Fusionsreaktor wie in Ihrem Simulator.« Als Austin das hörte, musste er lachen. Der größte Teil der Simula torausrüstung und die gesamte Software stammten von AllWorld Comm. Damit kannte sich Marta aus. »Haben Sie jemals einen Mech gesteuert? Einen echten Mech?«, fragte sie. »Ich … Ich kenne mich im Cockpit aus«, antwortete Austin und er laubte sich noch einmal eine gewisse Freiheit im Umgang mit der Wahrheit. Er hatte mit Krötenpanzern trainiert, in sämtlichen mobi len Einheiten der 1KL und in einigen der schwereren Panzertypen des Legaten. Außer im Simulator hatte er aber noch nie irgendeinen Mech kontrolliert. »Das ist gut. Es erfordert beträchtliche Erfahrung. In einem Ar beitsmodell besteht keine Notwendigkeit für laterale Beweglichkeit, deshalb ist die Steuerung fast ausschließlich auf Vor- und Rück wärtsbewegung ausgerichtet, mit sehr begrenzter Seitwärtskorrek tur. Die Handkontrollen nehmen den meisten Platz ein, aber sie sind einfacher zu durchschauen als der Lademechanismus einer Autoka
none. Die Steuerung rechts ist für den Bohrer, die andere auf der lin ken Seite für die Schaufel.« »Möglicherweise werde ich ein wenig graben oder bohren, um mich damit vertraut zu machen«, erwiderte Austin, dessen Puls jetzt ein wenig schneller ging. Er hätte sich schon viel früher einen Indus trieMech suchen sollen, an dem er üben konnte, dachte er. Er und Dale hätten eine Menge Spaß mit Scheingefechten haben können. Der Gedanke an den toten Bruder dämpfte seine Begeisterung et was. Trotzdem begleitete er Marta mit entschlossenem Schritt hin über zu der Maschine. Die braunhaarige Industrielle kannte sich of fenbar ebenso gut mit den metallenen Riesen aus wie er. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, lächelte sie. »Ich war ein halber Junge, als ich noch kleiner war. Ich weiß alles, was es über Mechs zu wissen gibt. Aber selbst wenn ich als junges Mädchen nicht von ihnen fasziniert gewesen wäre, würde ich mich mit ihnen auskennen. Bevor ich ins Management kam, habe ich die Entwicklungsarbeit der Simulatorensoftware bei AWC geleitet.« Er vergaß dauernd, was in dieser Frau steckte. Ihre technischen Kenntnisse waren nur einer der Faktoren, denen sie ihren rasanten Aufstieg in eine so einflussreiche Position verdankte. Die anderen Direktoren in der Mirach Business Association waren alle erheblich älter als Marta. »Hier«, erklärte sie und holte etwas aus einem Briefumschlag, der an der Wand hinter dem Mech klebte, den er mit bewunderndem Blick beäugte. »Die Aktivierungscodes.« »Danke.« Er schaute sie sich an. Die Sequenzen waren recht ein fach, aber schließlich befanden sich diese Mechs auch noch in der Werkhalle, und die Neurohelme waren noch nicht programmiert. Wenn sie erst in den Minen zum Einsatz kamen, würden Nagurskys Fahrer ihre persönlichen Neurohelme eichen und erheblich schwie riger zu knackende Zugangscodes eingeben. Nagursky hatte be stimmt kein Interesse daran, dass jeder x-beliebige Angestellte sich einen BergbauMech schnappen und damit eine Spritztour unterneh
men konnte. So wie Austin es jetzt vorhatte. Mit einem breiten Grinsen wie ein Clown zog er die Jacke aus und ließ sich von Marta in einen Overall helfen. Er schaute sich nach ei ner Kühlweste um, fand aber keine. Also fragte er danach. »Die werden Sie nicht brauchen. Das ist ein VerbrennungsmotorMech. Schon vergessen? Wenn die Luft über dem Boden ausrei chend stark in Bewegung ist, tragen Kühlflossen den größten Teil der Abwärme davon. Momentan haben wir eine Windgeschwindig keit von zehn Stundenkilometern. Erinnern Sie sich?« Sie klopfte auf die Tasche, in der er das Telefon hatte. »Unter Tage«, erklärte sie weiter, »sorgen riesige Ventilatorschäch te dafür, dass die Luft um den Mech in Bewegung bleibt. Der Fahrer kommt nicht dermaßen ins Schwitzen.« »Trotzdem«, wandte Austin ein. »Nach ein, zwei Stunden muss es in der Kanzel gehörig stickig werden.« »Aber so lange werden Sie nicht draußen sein«, stellte sie entschie den fest. Dann schaute sie übertrieben deutlich auf die Uhr, um ihn daran zu erinnern, dass sie einen Konzern zu leiten hatte. »Warum lassen Sie mich nicht allein und kümmern sich ums Ge schäft?«, schlug er vor. »Sie haben sich große Mühe gemacht, um mir diese Fabrik zu zeigen, und das weiß ich wirklich zu schätzen. Aber ich möchte nicht noch mehr von Ihrer Zeit in Anspruch neh men.« »Es ist eine der Grundregeln von Industrial Giants, dass ich Sie aus dem Werk begleiten muss, wenn ich Sie hier hereingebracht ha be. Bis ich jemanden gefunden hätte, dem ich die Verantwortung für Sie übergeben könnte, wären Sie von Ihrem kleinen Ausflug wieder zurück. Länger als fünf Minuten werden Sie nicht brauchen«, erklär te sie mit stechendem Blick. Austin erkannte einen Befehl, wenn er ihn hörte. Marta hatte seine Zeit am Steuer des Mechs soeben festge schrieben.
»Ich beeile mich«, versprach er, obwohl er am liebsten den ganzen Tag im Cockpit geblieben wäre. Er hastete die am linken Mechbein festgeschweißte Leiter hinauf, öffnete die Heckluke und glitt in die Kanzel. Er zog den Neurohelm über und schauderte leicht, als die Elektronik die Systeme der Maschine an sein Hirnwellenmuster ang lich. Diese Einstellungen würde man später löschen und den Neuro helm vollständig neu kalibrieren müssen. Doch Austin ging davon aus, dass Marta dies in Kauf nahm. Er schaute durch das breite Kunststofffenster vor sich, wo bei einem BattleMech der Sichtschirm gewesen wäre, und fühlte sich wie im siebten Himmel. Es war zwar kein Kampfkoloss, aber trotzdem gut genug. Nachdem er sich die Kontrollen näher angesehen hatte, fühlte er sich sicher genug, um die Checkliste durchzugehen. Bei einem Batt leMech hatten diese Listen mehrere eng beschriebene Seiten. Der BergbauMech kam durch das Fehlen komplexer Waffensysteme mit einer Seite Anweisungen aus. Die Maschine hustete Abgase und schüttelte sich, bereit zum Aufbruch. »Alles klar«, verkündete Austin. Als er keine Antwort erhielt, suchte er nach dem Funkgerät. Es war außer Betrieb. Er spielte noch ein paar Sekunden an Schaltern und Knöpfen herum, dann war je der Zweifel beseitigt. Das Gerät war tot. Eine Kommverbindung war nicht möglich. Er zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Er angelte es aus der Tasche und hörte Martas Stimme. »Na los, bringen Sie ihn raus aufs Testgelände und probieren Sie aus, was er kann.« »Was ist mit dem Funkgerät los?« »Die wenigsten BergbauMechs haben eins«, erklärte Marta. »Es be steht wenig Anlass, kilometerlange Koaxialkabel auszurollen und an die Kanzeleinheit anzuschließen.« Austin hätte sich selbst einen Tritt versetzen können, dass er daran nicht gedacht hatte. BergbauMechs waren für den Einsatz unter der planetaren Oberfläche gedacht und benutzten keine normalen Funk geräte. Falls eine Kommunikation notwendig war, wurden die Ein
heiten über Kommkabel mit dem Leitstand verbunden. Der Mech bewegte sich dann wie an der Leine, am Ende eines dicken Koaxial kabels, das langsam von der Trommel rollte, während die Maschine sich ins Gestein vorarbeitete. »In Ordnung!« Er erreichte den letzten Punkt der Checkliste, zog die Luke zu und schnallte sich an. Die Luke schloss sich mit einem lauten Zischen, und die interne Luftversorgung der versiegelten Kanzel sprang an. Austin schaute aus dem Polymerfenster und strahlte wie ein klei nes Kind zu Weihnachten. Er saß am Steuer eines Mechs, bereit zum Start. Er stellte die Füße fest auf die Pedale, packte die Steuerknüp pel und setzte die schwerfällige Maschine in Bewegung. Der Mech stampfte aus der Werkshalle, aber Austin durchzuckte ein plötzli ches Gefühl der Angst. Irgendetwas stimmte nicht. Der Mech rea gierte nicht so, wie er sollte. Dann beruhigte er sich wieder. Aus dem Simulator war er schnellere BattleMechs gewohnt. Jetzt saß er in einer Maschine, für die es keinerlei Anlass gab, mit sechzig Stun denkilometern übers Gelände zu fegen oder feindlichen Schüssen auszuweichen. Sie war darauf ausgelegt, sich in die Erde zu graben, Felsen zu bohren und Erz zu schaufeln. Sonst nichts. Das änderte nichts daran, wie begeistert Austin darüber war, diese gewaltige Maschine zu kontrollieren. Er schaute aus seinem luftigen Sitz hoch in der Kanzel hinab auf die Welt. Vor dem Fabriksgebäude waren konventionelle Militäreinheiten aufgereiht, die für den Dienst in der Armee des Legaten bestimmt waren. Truppentransporter und mehrere Scoutwagen standen auf dem Platz geparkt und warteten darauf, abgeholt und an ihre neuen Einsatzorte gebracht zu werden. Aber verglichen mit dem BergbauMech waren sie flach und kraftlos. Die enorme Kraft seiner Metallbeine jagte Austin einen Schauder das Rückgrat hinauf. Einem plötzlichen Impuls folgend, aktivierte er den Bohrer am rechten Mecharm. Der Mechanismus drehte sich sinnlos. Es war noch kein Bohrkopf montiert. Er nahm sich den linken Arm vor und absolvierte ein paar spas
tisch wirkende Schaufelbewegungen, bis er den richtigen Rhythmus fand. Kurz hinter der Fahrzeugreihe hob er einen fünf Meter langen Graben aus, um sich selbst zu beweisen, dass er den Mechanismus unter Kontrolle hatte. Anschließend stieß Austin einen Freudenjuch zer aus und richtete die Maschine auf. Er saß zwei Stockwerke über dem Boden, blickte von diesem luftigen Aussichtspunkt aus über das Testgelände und setzte den Mech in Bewegung. Der Koloss wuchtete mit etwa derselben Geschwindigkeit dahin, die ein joggen der Mensch erreichte. Er verfügte zwar über keines der hochmoder nen Ortungsgeräte, die ein echter BattleMech besaß, nicht einmal über die Infrarotsichtgeräte und Radarentfernungsmesser konven tioneller Militärfahrzeuge, aber bei dieser Testfahrt waren sie auch entbehrlich. Austin genügten die jämmerlich primitiven Sensoren und sein angeborener Adlerblick, um alles aus dem Mech herauszu holen, was in ihm steckte. Der Motor heulte unter der Beanspruchung immer heller auf, doch Austin kümmerte sich nicht darum. An den einfachen Instrumenten konnte er ablesen, dass keine Überlastungsgefahr bestand. Als die Nadeln der Instrumente sich schließlich doch der roten Warnlinie näherten, nahm er widerwillig Leistung zurück. Er stampfte mit beinahe zehn Stundenkilometern über das Gelände und ging völlig in dem Erlebnis auf, als er plötzlich das leise Zirpen des Telefons wahrnahm. Er drückte mit dem Daumen auf den An nahmeknopf, dann zuckte er zurück, als Martas Stimme förmlich aus dem winzigen Lautsprecher explodierte. »Austin!«, schrie sie. »Antworten Sie! Antworten Sie, verdammt noch mal!« »Ich höre«, meldete er sich und hielt das Telefon ein Stück vom Ohr weg, um nicht taub zu werden. Er wusste nicht, wie er die Laut stärke drosseln konnte. »Was ist los?« »Die Überwachung des Testgeländes meldet einen wild geworde nen Mech bei Ihnen auf dem Feld. Er hält schnell auf Sie zu und scheint es auf Sie abgesehen zu haben.«
»Wie, ein wild gewordener Mech? Wovon reden Sie?« Austin schüttelte das Telefon, als erwarte er, eine verständlichere Aussage zu erhalten, wenn er das Gerät kräftig genug misshandelte. »Niemand weiß, wer sich in der Maschine befindet. Wir erhalten auf unsere Funksprüche keine Antwort. Aber wir wissen, dass der Mech für den Kampfeinsatz umgebaut ist, Austin. Halten Sie Ab stand. Drehen Sie um und kehren Sie so schnell wie möglich hierher zurück.« »Dafür ist es zu spät«, stellte er fest. Jetzt sah Austin den anderen Mech. Ein brauner Punkt bewegte sich über das rötliche Grau des Testgeländes. Er wurde schnell größer – und reagierte noch schnel ler. Die Geschwindigkeit, mit der sein anonymes Gegenüber bei drehte und auf ihn zuhielt, verriet Austin, dass der andere Mech über Ortungs- und Zielsuchsysteme verfügte. Sein Mech wankte, als ihn eine Serie von Schlägen in die Seite traf. Austin hatte Mühe, die Bergbaumaschine aufrecht zu halten. Er brauchte ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, dass jemand eine Autokanone auf ihn abgefeuert hatte und das Hämmern die Ein schläge von Granaten waren. Ein großer Bereich der linken Torsosei te war beschädigt, aber der Mech funktionierte noch. Er duckte die humanoide Maschine, um ein kleineres Ziel für den Angriff zu bie ten, dann fand er sich als Ziel einer Raketensalve wieder. Die Ge schosse heulten über und um ihn – zwei trafen den rechten Me charm und sprengten ihn vom Rumpf. Austin knurrte und kämpfte darum, den Mech senkrecht zu hal ten. Ihm war klar, falls er umkippte, war er geliefert. Autokanonen feuer und eine weitere Raketensalve würden sein Leben in Sekun den ausradieren. Er konnte sich nicht einmal mit dem Schleudersitz retten. Ein simpler BergbauMech verfügte über keinen derartigen Rettungsmechanismus. Aus irgendeinem Grund amüsierte ihn die Vorstellung einer tief unter der Oberfläche in einem Grubenstollen aus dem Mechkopf ka tapultierten Rettungskapsel. Dann verblasste der Humor des menta
len Bildes abrupt. Ein erneuter Angriff mit der Autokanone des Um baus beschädigte sein rechtes Mechbein und ließ ihn erheblich lang samer werden. Austin schätzte seine Lage blitzschnell ein. Er brauchte sich nichts vorzumachen: Sie war hoffnungslos. Er verfügte über keinerlei er wähnenswerte Bewaffnung, die gegen einen aufgerüsteten Indus trieMech von Wert gewesen wäre. Er atmete tief ein, trat mit ganzer Kraft auf die Pedale, riss an den Knüppeln und jagte den Motor auf Höchstleistung hoch, um geradewegs auf den feindlichen Mech zu zustürmen. Sein Frontalangriff überraschte den gegnerischen Fahrer lange genug, um Austin einen Blick auf das zu gestatten, womit er es zu tun hatte. Der AgroMech war mit einer Autokanone und zwei Raketenlafet ten massiv umgebaut worden. Doch mit den Lafetten war irgendet was schief gegangen. Austin sah schwarze Rauchfäden aus dem Ge rät auf der rechten Schulter der Maschine aufsteigen, die eine ernst hafte Fehlfunktion verrieten. Falls der andere Pilot noch eine Salve auslöste, würden höchstens ein oder zwei Raketen Austin erreichen. Der Rest würde im Rohr explodieren und den Angriff in einen flam menden Selbstmord verwandeln. Austin zwang seinen Mech mit Höchstgeschwindigkeit weiter, ohne sich von den immer treffsicherer werdenden Autokanonensal ven des AgroMechs aufhalten zu lassen. Rauch füllte die Kanzel und nahm ihm den Atem. Er hatte jedoch keine andere Wahl, als so dicht wie möglich zum Feind aufzuschließen. Hätte er versucht zu ent kommen, hätte ihn die Autokanone in Metalltrümmer zerlegt. Der Aufprall des BergbauMechs auf die gegnerische Maschine riss ihm den Kopf nach hinten. Glücklicherweise verhinderte die Kopf stütze der Fahrerliege Schlimmeres. Austin hob die Grabschaufel und stieß sie mit ganzer Gewalt wieder abwärts. Riesige blaue Fun ken stoben, als die Metallkante der Schaufel mit dem Bein des ande ren Mechs kollidierte. Das war die einzige Chance, die er hatte, die Maschine seines Geg
ners zu beschädigen. Dutzende Granaten aus dessen Autokanone sprengten die Oberseite der Maschine weg. Heiße Luft und Staub drangen in die offene Kanzel. Er konnte kaum noch etwas sehen, ge schweige denn die Maschine steuern. Aber er musste weiterkämp fen, wenn er überleben wollte. Er riet, wo sich der AgroMech aufhalten musste, und stürmte durch die Staubwolke. Dann schnitt ein Strom von Granaten mit ge härteten Spitzen aus abgereichtem Uran dem BergbauMech die Bei ne unter den Knien ab, und Austin wusste: Seine Taktik hatte ver sagt. Der Mech kreischte in beinahe menschlicher Agonie, als das Metall brach. Dann steigerte sich der Motor zu einem nicht durchzu haltenden Kreszendo. Der Mech starb unter seinem Fahrer in einer Orgie aus metallenem Schmerz. Austin spürte die schwere Maschine zur Seite kippen – und es gab nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Der Aufschlag auf den Boden war so hart, dass er ihn bis in die Zähne spürte und sich für einen Moment ein schwarzer Tunnel vor seinen Augen öffnete. Doch irgendwie gelang es ihm, bei Bewusstsein zu bleiben. »Austin! Austin! Ich komme! Leben Sie noch?« »Gerade so eben«, antwortete er Marta über das Telefon. Irgend wie war es durch das Cockpit geschleudert worden und neben sei nem Kopf gelandet. Er drückte es ans Ohr. »Wie meinen Sie das, Sie kommen?« Erst glaubte er, eine Explosion zu hören. Dann erkannte er, dass er über die Telefonverbindung Metall auf Metall krachen hörte. Was Marta auch immer getan hatte, es hatte dem gnadenlosen Stakkato der AK-Granaten auf den am Boden liegenden Mech ein Ende berei tet. Durch die wie ein Tornado um ihn herumwirbelnden Staubwol ken erhaschte Austin einen Blick auf einen Truppentransporter, der mit protestierendem Knirschen des Getriebes zurücksetzte und dann wieder einen Satz nach vorne machte, um den AgroMech zu rammen. Das gepanzerte Transportfahrzeug war unbewaffnet, also
benutzte Marta es als improvisierten Rammbock. Austin sah den AgroMech einen Arm in ihre Richtung schwenken. Rauch flutete aus der Mündung der Autokanone, als er feuerte. »Marta!« Austin machte sich klar, dass es sinnlos war, sie warnen zu wollen. Falls sie noch nicht wusste, dass der Umbau die Autokanone auf sie abgefeuert hatte, war sie bereits tot. Verzweifelt bearbeitete er die Steuerung des BergbauMechs und suchte nach einem System, das noch funktionierte. Die Grabschaufel schwang in einem weiten Bo gen parallel zum Boden und erwischte den AgroMech in Knöchel höhe. Metall verbog sich, der heiße, beißende Gestank gefolterten Stahls füllte seine Nase. Dann: Stille. Austin hing in den Sicherheitsgurten. Er war wie gelähmt. Dann fasste er sich allmählich und schlug auf den Freigabemechanismus der Gurte. Er stürzte fast einen Meter und knallte mit dem Kopf auf eine Metallkante. Dann zog er die Füße unter den Leib, duckte sich unter der geborstenen Polymerplatte hindurch, die kurz zuvor noch ein Cockpitfenster gewesen war, und stolperte ins Freie. Er hatte gehofft, außerhalb des zerstörten Mechs freier atmen zu können. Das war ein Irrtum gewesen. Der Staub und der Gestank von schmelzendem Metall, brennendem Kordit und noch etwas an derem, das ihm den Magen umdrehte, waren hier im Freien noch schlimmer. Nachdem er sich übergeben hatte, wischte sich Austin den Mund ab und schleppte sich weiter. Er fürchtete sich vor dem, was ihn erwartete. »Marta!« Der Truppentransporter lag auf der Seite. Flammen tanz ten auf dem frei liegenden Strebwerk, wo der gnadenlose Autokano nenbeschuss den Wagen aufgerissen hatte. »Ich bin okay«, antwortete eine erstickte Frauenstimme. Sie zog sich aus der hinteren Notausstiegsluke und fiel zu Boden. Austin kniete sich neben sie. Sie hatte blutige Schrammen und war
dreck- und ölverschmiert. Doch bevor er etwas sagen konnte, kam sie ihm zuvor. »Sie sehen furchtbar aus«, stellte sie fest. Ihm wurde klar, dass er um nichts besser aussehen konnte. Irgend wie brachte ihn das zum Lachen. Dann packte ihn ein hysterischer Lachkrampf, der ihn schüttelte, bis ihm die Tränen übers Gesicht lie fen. »Entschuldigung. Tut mir Leid, dass ich so die Kontrolle verloren habe«, stieß er mühsam aus, die Hände in die Seiten gepresst, als er sich halbwegs wieder im Griff hatte. Er hatte so laut gelacht, das ihm die Rippen schmerzten. Austin wischte sich die Tränen aus den Augen, dann schaute er hinüber zu dem AgroMech. »Den haben Sie gehörig zugerichtet«, erklärte er. »Sie müssen ihn frontal gerammt haben.« »Die Grabkralle des BergbauMechs hat die Arbeit zu Ende ge bracht.« »Zu Ende?«, fragte Austin grimmig. »Hier ist gar nichts zu Ende. Noch nicht.« Er stolperte über das umgepflügte Schlachtfeld zu dem qualmend am Boden liegenden AgroMech. Als er näher kam, konnte er deut lich erkennen, wie gründlich die Maschine für den Kampfeinsatz umgebaut worden war. Er bahnte sich einen Weg durch Berge dampfenden Altmetalls und zerrte die Cockpitluke ganz auf. Die Kanzel war leer. Der feind liche Fahrer war geflohen. Austin trat sich einen Weg durch die Trümmer frei und suchte nach dem Neurohelm. »Wonach suchen Sie?«, fragte Marta von der Luke aus. »Nach der Identität des Fahrers«, antwortete er. Dann entdeckte er den Helm. Der Mut verließ ihn, als er sah, wie schwer dieser beschä digt war. Er hob ein paar Drähte und den halb zerschmolzenen Helm auf. Daran konnte niemand mehr feststellen, wer diesen Mech gesteuert hatte. »An diesem Teil lassen sich bestimmt keine Hirn
wellenmuster mehr untersuchen.« Er drehte sich um und sah Martas Gesichtsausdruck. »Wissen Sie, wem dieser Mech gehörte?«, fragte er. Sie brauchte nicht zu antworten. Er las es ihr vom Gesicht ab.
17
Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 1. Mai 3133 »Was hatte Manfred überhaupt dort verloren?« Austin Ortega starr te seinen Vater ungläubig an. Das Büro des Gouverneurs lag in hel len Sonnenschein gebadet, doch es war so totenstill, dass Austin das Hämmern seines Herzens hören konnte. »Er ist doch nicht deser tiert, oder? Die Verlegung zur Heimatgarde hat niemandem bei den 1KL gefallen, aber das wäre offener Verrat. Es sei denn …« Er starrte seinen Vater an, als ihm die Implikationen klar wurden. »Manfred ist ein loyaler Offizier«, erklärte Sergio mit neutraler Stimme. »Du hast gewusst, dass er in der Fabrik war und Mechs für die MBA getestet hat. Warum hast du mir das nicht gesagt?« »Es gibt keinen Grund für dich, in diese Sache verwickelt zu wer den.« »Marta Kinsolving steckt auch mit drin«, stellte Austin fest und setzte in Gedanken die Puzzlestücke zusammen. »Sie wollte mir nicht verraten, dass es Manfreds Mechumbau war, aber so viel zu mindest habe ich aus ihr herausbekommen.« »Sie und die MBA arbeiten bei der Untersuchung der Situation rückhaltlos mit mir zusammen«, erwiderte Sergio. »Bitte, Austin, tu mir den Gefallen. Halte Abstand.«
»Dafür ist es zu spät. Das war nicht Manfred in dem Mech. Er kann es nicht gewesen sein. Manfred hätte keinen Grund, mich an zugreifen.« »Jemand anders hat den umgebauten Mech gesteuert«, bestätigte Sergio. »Seine Identität ist noch unbekannt. Indem er den Neuro helm zerstörte, hat er seine Spuren gekonnt verwischt. Aber es be steht kein Grund zu der Annahme, dass er es gezielt auf dich abge sehen hatte. Vermutlich ging es ihm darum, die bei Industrial Giants gefertigten ArbeitsMech zu zerstören. Du warst zufällig auf dem Testgelände, und er entschloss sich, einen funktionstüchtigen Mech zu zerstören.« Austin hatte Mühe, die Vorstellung zu schlucken, dass sein Vater, Manfred Leclerc und Marta Kinsolving sich verschworen hatten. Welchen Sinn und Zweck diese geheime Partnerschaft auch haben mochte, es hatte wenig oder gar nichts mit dem GlobalNetz zu tun. Sie hielten irgendein anderes strategisches Vorhaben vor ihm ge heim. »Wenn du weiter nach Antworten suchst, bringst du damit nur Manfreds Leben in Gefahr, Austin.« »Hat es mit den Morden an Dale und Hanna zu tun?«, fragte er. Die Worte kamen ohne nachzudenken, aber kaum waren sie ausge sprochen, durchzuckte es Austin wie ein Elektroschock. Oberfläch lich betrachtet war das absurd. Drei unzusammenhängende Atten tatsversuche, zwei erfolgreich, der dritte nur an einem unvorherseh baren Glücksfall und Marta Kinsolvings schnellem Eingreifen ge scheitert. »Mach dich nicht selbst verrückt«, herrschte Sergio Ortega seinen Sohn an. »Wer hätte wissen können, dass du die Industrial-GiantsFabrik besuchst? Niemand außer Ms. Kinsolving wusste, dass du überhaupt in einem Mech raus wolltest, und sie hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um dich zu retten. Und jetzt gib Ruhe. Ich möchte, dass du mir vertraust; ich weiß, was ich tue.« »Ich will mit Manfred reden. Wo ist er?«
Das drängende Summen der Sprechanlage unterbrach Sergios Antwort. Er drückte den Empfangsknopf. »Was ist?« »Mylord«, drang die Stimme des Sekretärs aus dem Lautsprecher. »Legat Tortorelli ist hier, um Sie zu sprechen. Er sagt, es sei drin gend.« »Schicken Sie den Legaten herein.« Es blieben noch viele Fragen offen. Austin wollte widersprechen, doch Sergio hob die Hand und machte dem Gespräch ein abruptes Ende. Austin schaute über die Schulter zum Eingang des Büros, wo die Türe flüsternd aufschwang und Legat Calvilena Tortorelli her einmarschierte. Juwelenbesetzte Orden hüpften bei jedem Schritt auf seiner Brust. Tortorelli blieb vor dem Schreibtisch stehen und knallte allen Ernstes mit den Hacken. »Gouverneur Ortega!« Austin bemerkte, was der Sekretär nicht erwähnt hatte: Lady Elora folgte dem Legaten in diskretem Abstand und blieb in der Nähe der Tür stehen. Sie strich sich das keineswegs faltige rote Seidenkleid über dem schlanken Leib glatt, stellte sich in Positur und wartete. Austin schaute sich unwillkürlich um, doch die Ministerin war al lein. »Und, Legat? Was gibt es?«, fragte Sergio. »Sie unterbrechen ein wichtiges Gespräch mit dem Baronet.« »Es trifft sich gut, dass er hier ist, Herr Gouverneur«, stellte Torto relli fest, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu Austin umzudre hen. »Wir untersuchen die Ereignisse an der Mechfabrik eingehend.« »Auf Ihren Befehl, Herr Legat?«, fragte Austin. »Ist es für den Le gaten nicht ziemlich ungewöhnlich, in einer zivilen Angelegenheit eine derartige Untersuchung durchzuführen?« »Nicht, wenn ein mit Autokanone und Langstreckenraketen be stückter AgroMech involviert ist. Das ist eine ernste Sache.« »Was haben Sie herausgefunden?«, fragte Sergio. Er und Austin
wechselten einen kurzen Blick. Austin kochte. Als Tortorelli antwor tete, spannte er sich unwillkürlich an. »Wir wissen, wer die Verantwortung für den Zwischenfall trägt, Herr Gouverneur. Es ist ein Offizier meiner Truppen.« »Was?«, riefen beide Ortegas einstimmig. »Es tut mir Leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der Attentatsver such auf das Konto von niemand minderem als Captain Manfred Leclerc geht.« »Wie kommen Sie darauf, dass der Captain irgendetwas damit zu tun hatte?« »Genaueste Untersuchungen der Ausrüstung im Mechcockpit ha ben bewiesen, dass er der Fahrer war.« »Der Neurohelm war zu schwer beschädigt, um irgendeine Identi fikation zu gestatten«, warf Austin ein. »Das habe ich selbst gese hen.« »Es gibt noch andere Hinweise. Zugangscodes und anderes«, gab der Legat zurück. »Wir sind uns sicher, dass er verantwortlich war, und ich habe die zivilen Behörden verständigt. Aber bisher ist es ih nen nicht gelungen, Captain Leclerc ausfindig zu machen. Ich habe den Militärischen Nachrichtendienst beauftragt, nach ihm zu su chen. Da er sich im Dienst befand, untersteht Leclerc in dieser Ange legenheit der militärischen Gerichtsbarkeit. Angesichts der bisher gesammelten Beweise für seine Beteiligung an diesem abscheulichen Verbrechen wird er kaum Verbündete finden. Wir werden ihn bald dingfest gemacht haben, Herr Gouverneur.« Austin wusste nicht, was er sagen sollte. Er blickte von Tortorelli zu Lady Elora, deren dünnes Lächeln ihm verriet, dass sie die trei bende Kraft hinter der Anklage gegen Manfred war. »Ich finde diese Anschuldigungen unglaublich«, erklärte Sergio, »aber sicher wird der Captain sie vor Gericht vollständig klären.« »Er war es nicht«, stieß Austin hervor. »Wir sind Freunde.« »Die Beweise widersprechen Ihren, ähem, Gefühlen«, bemerkte
Lady Elora mit sanfter Stimme. Die Worte schnitten wie ein Messer mit Sägeklinge. »Seine Fingerabdrücke fanden sich an den Kontrol len des Agro-Mechs. Man hat dort keine anderen gefunden.« »Keine?«, fragte Austin. »Nicht einmal die eines Techs? Gibt Ihnen das nicht zu denken? Man braucht ein Team ausgebildeter Techni ker, um einen Mech einsatzbereit zu machen. Und ein Pilot würde Handschuhe tragen.« »Ich habe mich falsch ausgedrückt«, ruderte Elora zurück. »Sicher lich gab es noch andere Fingerabdrücke. Von Leclercs Techs. Aber an der Steuerung hat man nur die Abdrücke des Captains gefunden. Vielleicht hat er sie ohne Handschuhe angefasst. Ich weiß, Sie haben ihn für Ihren Freund gehalten, und das muss manche Überzeugung ins Wanken bringen. Doch es gibt noch weitere Beweise.« »Nämlich?« »Zeugen, die ihn dabei sahen, wie er den umgebauten AgroMech fertig machte«, antwortete der Legat. »Sie werden zurzeit befragt.« »Die Untersuchung scheint bei Ihnen in guten Händen«, stellte der Gouverneur fest und schleuderte Austin erneut einen strengen Blick zu, um ihn an einem neuen Ausbruch zu hindern. »Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden, Legat.« »Das Ministerium für Information bemüht sich ebenfalls nach bes ten Kräften, Baron«, warf Elora ein. »Captain Leclercs Bild ist Teil al ler Nachrichtensendungen, verbunden mit einer Erklärung, warum die Bürger, die ihn sehen, ihn der Militärpolizei ausliefern sollen.« »Nicht den Zivilbehörden?«, fragte Austin nach. »Oder den Zivilbehörden, aber es wird allgemein davon ausge gangen, dass es gefährlich sein kann, Manfred Leclerc zu stellen, so dass Militäreinheiten besser dafür geeignet sind.« Lady Eloras smaragdgrüne Augen funkelten belustigt. Offenkun dig war sie der Ansicht, dass dieses Treffen nach Wunsch verlaufen war und sie einen Sieg errungen hatte. »Ich bin sicher, alle Beteiligten tun nur das, was sie als ihre Pflicht
verstehen«, sagte Sergio. »Wenn Sie so freundlich wären, mir alle Berichte mit dem Vermerk STRENG GEHEIM zukommen zu lassen, Legat.« »Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mylord.« Tortorelli drehte sich um und folgte Lady Elora aus dem Büro. Austin schloss hinter ihnen die Tür. »Es gibt keine Beweise«, stieß er wütend aus. »Sie fabrizieren sich, was sie brauchen. Elora fabriziert es!« »Ich sage dir das jetzt zum letzten Mal, Austin. Halte dich da raus. Lass die Dinge ihren Gang gehen. Du kennst nur einen Teil der Fak ten.« »Ja, Sir«, bestätigte Austin, dachte aber nicht daran, einen Freund in Gefahr zu ignorieren. Manfred Leclerc war ein anständiger Kerl. Austin musste mithelfen, das in Ordnung zu bringen … und heraus finden, in was für ein Intrigenspiel sein Vater verwickelt war. Er hat te das unbehagliche Gefühl, dass Sergio Ortega mehr über Dales und Hannas Tod wusste, als er erkennen ließ. Hastig verließ er das Büro. Tortorelli und Elora waren schon ver schwunden, als er die Tür hinter sich ins Schloss zog. Austin über legte, ob er der Ministerin folgen sollte, aber ihr nachzuspionieren konnte ihm nichts nutzen. Sie war eine Expertin auf diesem Gebiet. Was auch immer er sehen oder aufschnappen würde, wäre nur ex akt das, was Elora ihn bemerken lassen wollte. »Zur Hölle mit ihr!«, stieß er aus. Die Büroangestellten drehten sich verwundert zu ihm um. Er lächelte verlegen und bedeutete ih nen, weiterzuarbeiten. Sie war eine Meisterspionin, ständig damit beschäftigt, Informationen auszugraben. Es war denkbar, dass ihn jemand von ihren Leuten zur Fabrik verfolgt hatte. Vielleicht hatte sie auch schon vorher von seinem Besuch dort gewusst. Immerhin war es alles andere als ein Staatsgeheimnis gewesen. Er atmete tief durch, um zur Ruhe zu kommen. Austin musste Manfred Leclerc finden, bevor Elora einen Lynch mob aufwiegelte, und er wusste nur einen Ort, an dem er mit der
Suche beginnen konnte. Mit zunehmender Entschlossenheit und länger werdenden Schritten verließ er den Palast. Vor der Jagd wür de er erst noch eine Tarnung anlegen müssen.
18
Blood-Hills-Kaserne, außerhalb Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 1. Mai 3133 Die riesige Scheibe der Frühlingssonne beherrschte den westlichen Horizont, verwirrte die Augen mit seltsamen blutroten Lichteffekten und gestattete dem Zwielicht, sich über das raue Land zu stehlen und es für die Nacht in Besitz zu nehmen. Gen Norden hatten sich vierzigtausend Jahre zuvor die Gletscher zurückgezogen und steile Täler mit runden Sohlen und mehr Erzvorkommen zurückgelassen, als sich in einem Menschenalter abbauen ließen. Im Osten erstreckte sich bis zum Marabot-Ozean eine Ebene. Das steppenähnliche Flach land war das Einzige, was Austin Ortega vertraut erschien. Als Kind hatte er dort Wandertouren unternommen, die ihn gelehrt hatten, wie trügerisch diese Landschaft sein konnte. Kleine, bissige Tiere schnappten ohne Vorwarnung nach den Knöcheln des Wanderers, und die allgemeine Dürre machte jeden längeren Ausflug riskant. Im Süden schließlich lag Cingulum, die planetare Hauptstadt Mi rachs und Austins Geburtsort. Mirach war ein kalter, unscheinbarer Planet, der vom Rest der Re publik kaum beachtet wurde. Aber für Austin bedeutete er Heimat. Stürmisches Wetter, eine schwache Sonne, Ozeane, auf denen das gesamte Jahr Eisberge trieben – es war das perfekte Trainingsgelän de für einen Krieger. Trotzdem fühlte sich Austin vom Schicksal be trogen. Er war kein Krieger, jedenfalls nicht so, wie Dale einer gewe
sen war. Schluss damit!, dachte er. Es half nichts, sich an den eigenen Unzu länglichkeiten festzubeißen. Wenn er auch nur eine Chance haben wollte, die Informationen zu Tage zu fördern, die er brauchte, durfte er sich nicht schon vorher selbst entmutigen. Und Austin würde nicht zulassen, dass man Manfred Leclerc zum Sündenbock für die Ereignisse bei Industrial Giants machte. Das lenkte seine Gedanken auf eine neue Bahn. Er musste verhin dern, dass sein Freund zu einem Bauern in Lady Eloras Spiel um die Macht reduziert wurde. Bei dieser Mission ging es um mehr, wie Austin sich widerstrebend eingestand. Er wollte auch seinem Vater beweisen, dass er zu etwas nütze war. Sergio Ortega war ein anstän diger Mann, in vielerlei Hinsicht ein großer Mann, der Mirach durch gute und schlechte Zeiten sicher geführt hatte. Aber er war starrköp fig und gestand niemals ein, falsch zu liegen. Austin konnte seinen Vater einfach nicht davon überzeugen, dass ein guter Gouverneur nicht nur ein Wohltäter sein durfte, sondern auch bereit sein musste, wenn es nötig wurde, mit eiserner Faust zu regieren. Die Demons trationen auf der ganzen Welt wurden ständig gewalttätiger, und trotzdem weigerte sich Sergio, sie niederschlagen zu lassen. Ein Krötenbataillon, das in den Städten patrouilliert, würde schon genü gen, dachte er. Das würde ausreichen, die paar Heißsporne zu brem sen, die Ängste in der Bevölkerung zu einem Tumult aufzupeit schen, der die Stabilität des ganzen Planeten gefährdete. Ein, zwei Kompanien der feinsten gepanzerten Infanteristen des Legaten, die durch die Hauptstadt marschierten, und Lady Eloras verbale Stiche leien würden ein schnelles Ende finden. Ohne Aufstände, ohne die hysterische Angst, vom Rest der Republik abgeschnitten zu werden, würde sie nichts weiter sein als ein zahnloser Tiger. Doch Sergio riet Tortorelli noch immer von Truppen ab. Sein einzi ges Zugeständnis zur Aufrechterhaltung der Ordnung hatte darin bestanden, die Polizei einzusetzen. Aber in Austins Augen war das zu wenig und zu spät. Die Polizei war nicht in der Lage, Probleme
dieser Größenordnung zu lösen. Austin riss sich aus seinen Gedanken und zurück in die Gegen wart, als er fast von der Straße abkam. Der Wagen schleuderte mit quietschenden Reifen durch die Kurve, und er kämpfte mit dem Steuer, bis es ihm endlich gelang, das Fahrzeug wieder zu stabilisie ren. Dann schnurrte er mit über zweihundert Stundenkilometern weiter in Richtung Kaserne. Es dauerte nicht lange, bis er die blauen und gelben Blinklichter auf dem Dach des Wachhäuschens sah und abbremsen musste. Noch mehr als einen Kilometer vom Ziel ent fernt nahm er den Fuß vom Gas. Die Nadel des Tachometers zählte die davonschmelzenden km/h wie die Schichten einer Zwiebel, und als er nahe genug war, die einzelnen Posten am Kasernentor zu er kennen, war er bei einer annehmbaren Geschwindigkeit angekom men. Austin bremste und hielt den Wagen auf Höhe der neben der Fahrbahn wartenden Soldatin an. »Guten Abend, Sir«, begrüßte ihn die Frau. Sie beugte sich herab und schaute in den Wagen. »Sie sind allein?« »Ich hatte Ausgang«, log er. Austin hatte für diese Scharade seine Uniform aus dem Schrank geholt, die Uniform, von der er nicht ge glaubt hatte, sie jemals wieder tragen zu können. Obwohl er kein Recht mehr hatte, das schwarz-silberne Tuch zu tragen, überraschte es ihn, wie gut er sich darin fühlte. »Welche Einheit?«, fragte die Soldatin mit leichtem Stirnrunzeln. Er wollte antworten: unter Captain Leclerc. Doch er beherrschte sich noch rechtzeitig. Selbst wenn Manfred nicht in ernsten Schwie rigkeiten gesteckt hätte, wäre das keine akzeptable Antwort gewe sen. Die Ersten Kosaken-Lanciers wurden aufgelöst und die Solda ten zu kleineren Einheiten versetzt, die über den ganzen Kontinent Musasalah verstreut waren. Aus den Gesprächen, die er von den einzelnen 1KL-Wachen aufgeschnappt hatte, die noch im Palast Dienst taten, wusste er, dass ein Teil der Kosaken-Lanciers sogar auf die andere Seite der Welt nach Ventrale geschickt wurden, um dort als Garnisonstruppen auf abgelegenen Forschungsstationen zu die
nen. Unter derartigen Bedingungen würden die 1KL innerhalb von Monaten jeden inneren Zusammenhalt verlieren. Aber Austin war sich ziemlich sicher, dass Tortorelli es genau dar auf anlegte: Er wollte die Garde des Gouverneurs zerschlagen und ihn verwundbar machen. Ganz gleich, welche Männer aus der Trup pe des Legaten er abstellte, um Sergio Ortega zu bewachen, sie wür den nicht über die unbedingte Loyalität zum Gouverneur verfügen, die Manfred Leclerc der 1KL antrainiert hatte, und es sich wohl zweimal überlegen, ob sie bereit waren, sich im Ernstfall zwischen ihn und die Kugel eines Attentäters zu werfen. »Abgestellt zum Stab des Legaten. Verbindungsarbeit mit dem Büro Gouverneur Ortegas.« Austin fummelte in der Brusttasche und zog seinen Ausweis heraus. Die Plastikkarte enthielt keinerlei militä rische Daten, aber sie trug im unteren Teil das offizielle Siegel und die Unterschrift seines Vaters. Die Wachsoldatin nahm den Ausweis entgegen und musterte sie unter dem grellen Schein der Postenhauslichter mit zusammenge kniffenen Augen. Dann zog sie das maschinenlesbare Dokument durch den Schlitz eines Lesegerät. Austin hielt den Atem an. Doch sie verzichtete offenbar darauf, seine komplette Akte aufzurufen. »Gute Fahrt, Lieutenant«, sagte sie, als sie ihm den Ausweis zu rückgab. »Sie kennen den Weg zu Colonel Armitages Büro?« »Zum Kommandeursbüro? Natürlich kenne ich den. Aber vorher muss ich noch kurz in die Kaserne.« Sie trat zurück, salutierte und winkte ihn durch. Dann erst erkann te er, dass er gerade eine letzte kleine Prüfung bestanden hatte. Zum Glück war er früher schon häufiger zusammen mit Manfred, Dale und den anderen Offizieren der 1KL zu Trainingsseminaren hier ge wesen. Austin zwang sich, das Gaspedal nicht durchzutreten. Er rollte langsam in das Labyrinth enger Straßen und hielt Ausschau nach der richtigen Kreuzung. Als er sie gefunden hatte, bog er ab und hielt an. Austin sprang aus dem Wagen, vergewisserte sich, dass an seiner
Uniform nichts auszusetzen war und betrat die Kaserne durch den Haupteingang. Zwei in der Eingangshalle herumlungernde Soldaten blickten auf – als sie jedoch die Uniform und Abzeichen der 1KL er kannten, wandten sie sich hastig ab. Das sagte Austin einiges über den Status seiner alten Einheit. Von dieser deutlichen Abgrenzung beleidigt stieg er die Treppen hoch zu den für die Kosaken-Lanciers reservierten Zimmern. Beziehungsweise zu dem, was von ihnen noch übrig war. Die ersten drei, die er untersuchte, waren leer, im vierten aber fand er eine sprudelnde Quelle von Informationen. Master Sergeant Dmitri Borodin ähnelte einer Spinne im Zentrum ihres Netzes. Jede noch so winzige Vibration verwandelte sich durch ihn in ein blühendes Gerücht. Er war genau der Mann, den Austin gesucht hatte. »Master Sergeant, weitermachen«, begrüßte ihn Ortega. Borodin zuckte überrascht von dem Hardwarehandbuch auf, das er ange strengt studiert hatte. »Lieutenant. Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind. Die meisten von uns sind heute Nacht unterwegs.« »Wieder mal Strafdienst erwischt, Sarge?« Austin lachte und setzte sich auf die Kante des Schreibtischs, an dem Borodin sich mühte, die technischen Daten zu begreifen. Austin beugte sich hinüber und las den Titel. »Muss ja ein ziemlicher Hammer gewesen sein diesmal. Sie haben sich doch nicht wieder auf dem Schwarzmarkt erwischen lassen?« »Es war nur als Scherz gemeint. Ich wollte wirklich niemanden verletzen, Lieutenant. Ehrlich. Der Hintern des Majors war auch kaum angesengt. Er hat es beinahe nicht gespürt, schon gar nicht, nachdem die Hose geflickt war.« Austin wünschte sich, er hätte Zeit für die ganze Geschichte ge habt. Aber er hatte eine Mission. Dales Tod, sein eigenes knappes Entkommen, Manfreds Anklage – all das war wichtiger als eine si cher lustige Anekdote aus dem Soldatenleben, die ihn nur ablenken
konnte. »Aber Sie sind bestimmt nicht hier, um sich meine Geschichten an zuhören. Wie ist es Ihnen ergangen seit dem … Manöver?«, fragte Borodin. »Eine verdammte Schande, das mit Ihrem Bruder. Er hätte eine Rüstung tragen sollen …« »Ich werde zurückkommen«, erklärte Austin, in der Hoffnung, einen Kommentar Borodins zu provozieren. Er wurde nicht ent täuscht. »Habe mir schon so etwas gedacht, jetzt wo Dale tot ist und Cap tain Leclerc bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt. Wir brauchen je des Quäntchen Führungstalent, das wir kriegen können. Nicht, dass noch viele von uns übrig wären. Ich stelle den Dienstplan zusam men, wissen Sie.« Borodin schaute ihn an, als erwarte er eine Ant wort. Austin war nicht sicher, was der Master Sergeant hören woll te. »Ich wünschte, ich könnte Manfred helfen«, sagte er. »Er ist ein guter Soldat, ganz gleich, was man über ihn erzählt.« »Sie haben das Gerücht auch gehört? Dass er sich abgesetzt hat und in Cingulum untergetaucht ist, um Aufstände anzuzetteln?« Bo rodin senkte die Stimme. »Ich stehe voll hinter Aaron Sandoval, aber nur als Lordgouverneur einer Republik-Präfektur – und sonst nichts.« Austin sagte nichts. Bei den Truppen machte mehr die Runde, als er erwartet hatte. Normalerweise befassten sich Soldaten nicht mit politischen Fragen. »Nein, Lieutenant, glauben Sie mir, Sandoval ist ein respektabler Bursche, tapfer und zuverlässig wie eine Klinge aus gehärtetem Stahl. Aber auf meine Loyalität kann er nur zählen, solange er in Devlin Stones Fußstapfen bleibt.« »Ich kann nicht glauben, Manfred – Captain Leclerc – würde einen Widerstand gegen die Regierung unterstützen.« »Das ist tatsächlich schwer zu glauben, aber manch einer erzählt
was anderes.« Borodin räusperte sich. »Ich weiß, Sie sind befreundet mit dem Captain, aber ich muss wissen, wem seine wahre Loyalität gehört.« »Manfred unterstützt die Republik ohne wenn und aber«, erklärte Austin wie aus der Pistole geschossen. Er richtete sich etwas auf, als ihm klar wurde, dass Borodins angedeutete Frage in eine andere Richtung gezielt hatte. »Sie glauben, Manfred hätte sich mit jemand anderem eingelassen?« »Nicht ich, Lieutenant, ich nicht«, wehrte der Master Sergeant ab, der kein Verlangen danach hatte, einen 1KL-Offizier anzuschwär zen, nachdem Austin ihn gerade erst so vehement verteidigt hatte. »Aber andere, na, die kennen ihn nicht so gut. Besteht vielleicht eine Chance, dass er mit der MBA gemeinsame Sache machen könnte?« Austin wusste: Bei der Antwort auf diese Frage musste er sich vor sehen. Er hatte eine Ahnung von den Plänen seines Vaters, und es schien Teil dieser Planung zu sein, dass Manfred in den umgebauten Mechs der MBA trainierte. »Mit der Mirach Business Association? Was hat denn eine Wirt schaftsvereinigung mit Manfred am Hut?« »Jetzt beleidigen Sie aber meine Intelligenz, Lieutenant!« Borodin machte ein Gesicht, als käme ihm die Galle hoch. »Niemals, Master Sergeant. Ich käme nicht einmal auf den Gedan ken. Klären Sie mich auf.« Austin sah zur offenen Tür, um sicherzu gehen, dass niemand sie belauschte. Ich entwickle allmählich Anzeichen von Verfolgungswahn, dachte er. Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Unteroffizier und ver suchte das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden, zu verdrän gen. »Also, Sir, Gerüchten zufolge baut die MBA ArbeitsMechs um. Jede Menge. Wie den AgroMech, der Sie fast umgebracht hat. Er verfügte über Raketen, nicht wahr?« »Ich weiß nicht, ob es mehr als ein paar umgerüstete Industrie
Mechs gibt, aber der eine, der mich angegriffen hat, war schwer be stückt. Trotzdem. Ich glaube nicht, dass Manfred ihn gesteuert hat, ganz gleich, was Tortorelli oder das Informationsministerium be haupten.« »Manche Leute sagen, er hätte im Cockpit gesessen, Sir. Manche Leute.« Borodin fixierte ihn mit durchbohrendem Blick. »Sie würden sich nicht gegen Ihren Vater stellen. Das weiß ich. Aber man erzählt sich, Sie und die Chefin der MBA könnten sich vielleicht verschwo ren haben, ihn zu stürzen.« »Ich stehe loyal zu meinem Vater, zu Mirach und zur Republik«, rief Austin entschieden. Mehr noch, er konnte sich nicht vorstellen, dass Manfred auf ir gendeiner anderen Seite als der der Republik stand. Falls der Cap tain einen Mech für die MBA fuhr, hatte er dazu mit Sicherheit die volle Zustimmung des Gouverneurs, und er tat es zu einem anderen Zweck als zum Sturz der Regierung. Austin schauderte leicht, als er sich darüber klar wurde, dass noch andere Konfliktlinien möglich waren, sobald man Lady Elora und Calvilena Tortorelli mit in diesen Verschwörereintopf mischte. Han na hatte wahrscheinlich wegen etwas sterben müssen, das sie sei nem Vater über Lady Elora mitgeteilt hatte. Elora hatte ihre Verach tung für den Gouverneur kaum versteckt, doch wie weit würde sie in ihrem Widerstand gegen ihn gehen? Wäre sie bereit, ihn umbrin gen zu lassen? Wie sollte er wissen, welcher Spur er folgen sollte? Zu viele ver schiedene Fraktionen auf Mirach standen am Rand eines blutigen Bürgerkriegs, der den Planeten zum Schlachtfeld für zahlreiche ein ander bekriegende Machtblöcke zu machen drohte. Es würde Jahr zehnte dauern, eine derart zersplitterte Welt später wieder zu einen. »Tja, Sir, es ist möglich, dass sich der Captain da draußen auf dem Testgelände befand, als Sie den BergbauMech ausprobierten. Und die MBA hat ihm Befehl gegeben, Sie zu erledigen.« Austin musste lachen. »Na, dann hat Marta Kinsolving aber von
diesem Angriff nichts gewusst. Sie hat mir das Leben gerettet.« »Sie hat Sie gerettet, indem sie den AgroMech rammte, richtig? Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Es sei denn, in der MBA gibt es Streit darüber, welches der beste Weg ist, die Macht zu ergreifen.« »Das ergibt nicht allzu viel Sinn, finden Sie nicht auch? Zu viele Gerüchte und zu wenige Fakten, da liegt das Problem, Master Ser geant.« »Ja, da liegen Sie vermutlich ganz richtig.« Der Sergeant legte an gesichts der komplizierten Lage die Stirn in tiefe Falten. Das Haupt problem von Verschwörungstheorien war die Existenz unzähliger Auslegungsmöglichkeiten. Alles ließ sich beweisen … oder entkräf ten. Das Fehlen von Beweisen wurde selbst zum Beweis. »Freut mich, dass damit wenigstens ein Gerücht aus der Welt ist.« »Das bedeutet aber nicht, dass die MBA sich nicht darauf vorberei tet, all die umgebauten Mechs loszulassen. Und wer wäre ein besse rer Pilot als Manfred Leclerc, besonders, wenn man bedenkt, wie er behandelt wurde?« »Ganz egal, wie gut er ist, ein einzelner Mann in einem Mech kann sich nicht ewig gegen ausgebildete Infanterie und Kröteneinheiten halten«, stellte Austin fest. »Es wäre ein harter Kampf, aber früher oder später würde die schiere zahlenmäßige Überlegenheit einen BattleMech überwältigen.« Manche ihrer Gefechtsübungen sollten genau diesen Beweis erbringen, nicht nur für die Soldaten der 1KL, sondern auch für Tortorelli. »Hat die MBA Fahrer für ihre Mechum bauten angeworben?« »Nicht wirklich«, erwiderte Borodin. Sein Tonfall überzeugte Aus tin nicht davon, dass er die Wahrheit sagte. »Eigentlich interessiert es mich ja gar nicht, aber wo könnte die MBA einen Soldaten darauf ansprechen, ob er Interesse hätte, sich in einem Mechcockpit anzuschnallen? Denken Sie nur an die Schlag kraft, die man zur Verfügung hätte, verglichen mit den Waffen, die wir benutzen! Autokanonen, Raketen, was für ein Erlebnis.« Er sah die träumerische Miene Borodins. Es war eine Vorstellung, die dem
Sergeant in seiner Kriegsromantik hervorragend gefiel. »Hier würden sie keine Rekruten finden«, versicherte Borodin. Austin wartete. Drückendes Schweigen senkte sich über das Zim mer, bis dem Unteroffizier unbehaglich wurde. »Ich weiß wirklich nichts darüber, verstehen Sie.« »Sie sind ein erstklassiger Tech, Master Sergeant. Einen umgebau ten Mech unter die Finger zu bekommen, wäre für Sie, als würde ein Traum Wahrheit werden. Ein beinahe so großer Wunschtraum wie der, einen zu steuern.« »Könnte sein, dass Sie, wenn Sie Durst haben, irgendwann nach Mitternacht ins Borzoi gehen.« »Irgendwann«, sagte Austin nachdenklich. »Ich bin die meiste Zeit ziemlich beschäftigt.« »Morgen Nacht könnte eine gute Zeit dafür sein«, bemerkte Boro din. »Für ein Gläschen vor dem Schlafengehen. Mehr nicht.« »Mehr nicht«, bestätigte Austin. »Es sei denn, ich treffe einen alten Bekannten, mit dem ich Erinnerungen austauschen kann.« »Das läge im Bereich des Möglichen«, murmelte Borodin unbehag lich. Er vergrub die Nase wieder in den Seiten des Handbuchs, dann kehrte er Austin den Rücken zu. Hätte er es in meterhohen roten Lettern auf die Zimmerwand geschrieben, der Sergeant hätte das Ende ihrer Unterhaltung nicht deutlicher machen können. Austin verließ jetzt den ungesprächigen Borodin und wanderte durch die anderen Räume, ohne weitere Mitglieder der 1KL zu fin den. Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück und fuhr wieder nach Cingulum. Diesmal fuhr er langsamer, um nachdenken zu können. Über ihm, am dunklen Himmel, zogen drei der vier Monde Mirachs ihre Bahn.
19
Taverne Borzoi, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 2. Mai 3133 Das Borzoi war eine als russische Jagdhütte ausstaffierte Kneipe, komplett bestückt mit ausgestopften Tierköpfen an den Wänden und langen Eichentischen, deren Platten von Bierflecken bedeckt waren. Eine nähere Begutachtung ergab allerdings, dass die Flecken ebenso dauerhaft in eine Plastikoberfläche eingelassen waren wie das Eichenholzmuster, und die Trophäen an den Wänden waren ge nauso künstlich wie das russische Motiv der ganzen Dekoration. Ein Bär von einem Kerl – mit buschigem Vollbart – arbeitete hinter der langen Theke. Seine Augen waren ständig in Bewegung, wie Radar schüsseln auf der Suche nach Feinden. Er behielt die Hände unter dem Tresen, was Austin ein wenig beunruhigte. Er fragte sich un willkürlich, was der Barmann in der Hand hielt. »Guten Abend«, sprach er den Mann an, der zur Erwiderung nur nickte. Die Hände hielt der Barmann weiter verborgen. »Stürmische Nacht, heute Nacht.« Ein Schockstab war eine Sache, aber eine großkalibrige Pistole eine ganz andere, falls der Hüne auf einen Kampf aus war. Vor jeman dem, der ihn schocken wollte, konnte Austin davonlaufen, doch die Erfahrung lehrte ihn, dass bei einem mit einer Schusswaffe bewaff neten Gegner ausweichen sinnvoller war als weglaufen. Und hier in dieser künstlich auf gemütlich getrimmten Taverne hatte Austin ein
ausgesprochen unbehagliches Gefühl. Er fühlte sich vielleicht nicht gerade von Feinden umzingelt, aber doch umringt von misstraui schen Fremden, die ihm in keinster Weise freundlich gesinnt waren. Allerdings war er möglicherweise auch einfach nur so übernervös, dass in seinen Augen jeder andere verdächtig schien. Er versuchte, ruhiger zu werden, aber es fiel ihm schwer. »Hab um diese Jahreszeit schon schlimmere Unwetter erlebt«, er klärte der Barmann. Austin entschied, dass er wenig Chancen auf eine angeregte Konversation hatte, verließ die Theke wieder und setzte sich am hinteren Ende des langen Schankraums an einen lee ren Tisch. Barmann und Kellnerin ignorierten ihn. Das störte Austin nicht weiter. Er war nicht gekommen, um zu trinken. Er folgte nur Dmitri Borodins Hinweis. Er zog den Mantel aus und hängte ihn über die Stuhllehne. Dann lehnte er sich zurück. Seine Gedanken wanderten. Er lächel te, als er sich an die guten Zeiten mit Dale erinnerte, daran, wie er als Rekrut zum ersten Mal vor Manfred in Reih und Glied gestanden und vor lauter Hast vergessen hatte, die Hose zu schließen. Er erin nerte sich an das Entsetzen und die unglaubliche Erregung, die er in der Kanzel des BergbauMechs gefühlt hatte, während er auf dem Testgelände gegen den AgroMech kämpfte. Warum ihm ausgerech net diese Erinnerungsfragmente in den Sinn kamen, konnte er sich nicht recht erklären. Extreme Angst und ebenso extreme Befriedi gung. Er hätte in der Mechfabrik ums Leben kommen können. Aber er hatte getan, wofür er jahrelang trainiert hatte. Und er hatte dabei in einem Mech gesessen, auch wenn dieser nicht für den Kampfeinsatz umgerüstet war. Austin hatte sich auf eine ganz besondere Art und Weise komplett gefühlt, an den Steuerknüppeln eines echten Mechs. Als sich der Spaziergang durch seine Erinnerungen derart seltsam verzweigte, wurde er unruhig. Austin zwang sich, nicht auf die Uhr zu sehen, aber er war sicher, dass er sich jetzt seit mindestens fünf zehn Minuten hier im ›Borzoi‹ befand. Es war nach Mitternacht.
Nichts war geschehen. Der Barmann forderte ihn nicht einmal auf, etwas zu bestellen oder zu verschwinden, obwohl das Geschäft nicht gerade glänzend lief. Bis auf ihn und die Angestellten war die Kneipe leer. Aber welches Geschäft mochte Gestalten, die nur her umlungerten? Die Tatsache, dass ihn niemand zwang, zu ver schwinden, falls er nichts bestellen wollte, zeigte Austin, dass er auf der richtigen Spur war. Dann kam ihm die Erleuchtung. Er musste den Kontakt herstellen, und er hatte den Schlüssel dazu bekommen. »Kann ich ein Gläschen vor dem Schlafengehen bekommen?«, rief Austin dem Barmann zu. Dessen buschige Augenbrauen hoben sich ein wenig. Er beugte sich über die Theke und sprach leise mit der Bedienung. »Wollen Sie sonst noch was?«, fragte er Austin. »Ein Gläschen vor dem Schlafengehen. Mehr nicht.« Austin hätte sich selbst einen Tritt versetzen können, dass er nicht eher etwas ge sagt hatte. Borodin hatte ihm das Kennwort verraten, und er hatte es nicht erkannt. Er hätte wissen müssen, dass Manfreds Freunde auf Erkennungssignalen bestehen würden. Wie sonst hätten sie wissen sollen, dass er ihnen nicht die Behörden auf den Hals hetzte. Die Kellnerin machte weiter ihre Arbeit, verschwand dann im Hinterzimmer und kehrte eine Minute später mit einem Tablett Glä ser zurück. Weitere zehn Minuten verstrichen. Austin stand halb auf, als ein Mann, der zum Schutz vor dem Wind wie eine Mumie eingepackt war, von der Straße hereinkam. Der böige Wind drang hinter ihm in den Schankraum ein, bis er die Türe gegen den Sturm ins Schloss knallte. Die Angestellten begrüßten ihn herzlich und ver sammelten sich um ihn wie um einen lange vermissten Verwandten, aber Austin bemerkte, wie die Bedienung über die Schulter einen versteckten Blick in seine Richtung warf. Was auch immer der Neu ankömmling so Spannendes zu erzählen hatte, es betraf Austin. Der wünschte sich jetzt, er wäre bewaffnet gekommen. Um ehrlich zu sein, er wünschte sich, er hätte einen Krötenpanzer getragen. Endlich konnte er seine Nervosität nicht länger unterdrücken. Aus
tin schaute auf die Uhr und stellte fest, dass er bereits zwanzig Mi nuten im ›Borzoi‹ wartete. Es war Zeit zu gehen. Er hatte gehofft, Manfred wäre aufgetaucht oder zumindest jemand, der ihm helfen konnte, mit Manfred in Verbindung zu treten. Borodins Kennwort hatte ihm nicht viel geholfen. Austin hatte nicht einmal einen Drink bekommen. Als er um den kleinen Tisch trat, bellte ihn der Barmann an: »Wir schließen erst in einer Stunde. Setz dich wieder hin, Towarischtsch.« Der Mann sprach mit grober Stimme, aber Austin hörte keine Dro hung heraus, also ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken und legte die Hände vor sich auf den Tisch. Das Warten fiel ihm immer schwerer. Plötzlich riss er die Augen auf und schoss hoch. »Manfred!« Der Kunde an der Theke zog den schweren Schal vom Gesicht. »So ist's recht, brüllen Sie es in alle Welt hinaus.« Manfred Leclerc lachte, um der Zurechtweisung ihren Stachel zu nehmen. »Wenn aus Ihnen noch ein Spion werden soll, müssen Sie Zurückhaltung lernen.« »Spionage? Ist es das, worum es hier geht?« Manfred setzte sich neben Austin und beugte sich herüber, um in einem kaum hörbaren Flüsterton reden zu können. »Ich bin kein Spion und ich habe nicht versucht, Sie umzubringen, aber das wissen Sie selbst. Ihr Vater hat es Ihnen bereits gesagt. Dass Sie heute Abend hier sind, beweist mir, dass Sie ihn vermutlich ignoriert haben, als er Ihnen sagte, Sie sollen die Finger von dieser Sache lassen.« »Wir sind Freunde, Manfred. Es sieht ganz danach aus, als brauch ten Sie Hilfe. Fast so dringend wie ich Antworten.« »Ich bin Ihr Freund, Austin. Jetzt und für alle Zeit.« Manfred streckte die Hand aus und drückte Austins Arm. »Ich bin froh, dass Sie Eloras Geschichte nicht geschluckt haben, nach der ich hinter
dem Angriff auf Sie steckte.« »Sie hätten überhaupt keinen Grund dafür gehabt«, antwortete Austin. »Was geht hier vor? Allmählich bin ich so weit, zu glauben, dass selbst Borodin irgendwelche versteckten Ziele verfolgt.« »Dmitri?« Leclerc lachte. »Das ist köstlich. Dmitri ist so ziemlich der durchsichtigste Mensch, den ich je gesehen habe. An ihm ist wirklich alles offen und ehrlich. Er ist ein treuer und guter Unterge bener. Lassen Sie sich niemals dazu verführen, ihm zu misstrauen.« »Wer hat versucht, mich umzubringen? Und haben Sie irgendet was über Dales Tod in Erfahrung gebracht?« »Langsam«, beruhigte ihn Manfred. Er warf einen schnellen Blick zurück zur Bedienung. Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben nur ein paar Minuten, bevor sie uns finden.« »Wer?« Austin war ehrlich entgeistert. »Jemand mit großer Machtfülle, der möglicherweise ein Bündnis mit Fremdweltlern eingegangen ist, das wir bekämpfen müssen.« »Elora?« »Natürlich Elora«, bestätigte Manfred. »Ich dachte, Sie würden mehr davon verstehen. Es ist besser, Sie ziehen sich zurück und ge ben den Plänen Ihres Vaters Gelegenheit, sich zu entfalten.« »Ich will helfen. Hat sie Dale umgebracht? Und Hanna? Soll das heißen, sie hat Ihnen eine Falle gestellt? Wie?« »Der Mech war meiner, aber jemand hat ihn entführt«, erklärte Le clerc. »Deshalb hat man meine Fingerabdrücke auch überall gefun den. Ich hatte ihn zusammen mit den Techs stundenlang durchge checkt.« Er starrte Austin in die Augen. »Ohne die Verlegung der 1KL und Tortorellis Besessenheit, uns auseinander zu reißen, hätte ich nie die nötige Zeit gehabt, der ständigen Beobachtung zu entge hen. Man hat mir sinnlose Aufgaben zugeteilt und niemand hat sich darum gekümmert, ob ich sie erledige.« »Deswegen war mein Vater so entschlossen, die 1KL loszuwerden? Damit Sie Zugriff auf die MBA-Mechs bekommen?«
Manfred nickte. »Falls der Mann, der die Zugangscodeplatinen er setzt und den Mech entführt hat, sich beim Steuern vorsah, hat er möglicherweise die Fingerabdrücke meiner Übungsmission ein paar Stunden zuvor nur verwischt.« »Wer auch immer ihn gesteuert hat, er hatte Erfahrung darin.« »Ich bin mir nicht sicher, wer der Fahrer war, aber ich vermute, ich kann ihn identifizieren. Ich habe nicht nur die Techs auf Vorder mann gebracht, ich habe auch nach Kräften herumgeschnüffelt. Be weise gegen ihn zu finden, ist schwerer, da er seine Identität öfter zu wechseln scheint als die Unterwäsche. Eine ausgesprochen zwielich tige Gestalt. Ich vermute, er ist einer von Eloras Handlangern.« »Aber er wusste, wie man einen Mech steuert«, protestierte Aus tin. »Er könnte ein unehrenhaft entlassener BattleMechpilot von einem anderen Planeten sein. Eines ist jedenfalls sicher: Er hat keine Skru pel, jemanden umzubringen.« »Was ist mit Marta Kinsolving?«, wollte Austin wissen. »Wie passt sie in dieses Puzzle?« »Sie können ihr vertrauen. Wir arbeiten inzwischen eng zusam men.« Austins Gesichtsausdruck, als er das hörte, veranlasste Man fred zu weiteren Erklärungen. »Ich bilde die Fahrer der MBA aus – und ja, Ihr Vater weiß davon. Er ist nicht glücklich über die Herstel lung so gefährlicher Maschinen, aber ich achte darauf, dass sie nicht missbraucht werden. Ich versichere Ihnen, Austin, wir alle arbeiten daran, den Ausbruch eines Bürgerkriegs hier auf Mirach zu verhin dern.« Austin ließ sich Manfreds Worte durch den Kopf gehen. Er wuss te, er sollte sich den Wünschen seines Vaters fügen und Manfreds Rat annehmen, doch er befürchtete, dass in diesem Fall unterginge, was ihm so wichtig war. »Dale?«, fragte er und fürchtete sich vor der Antwort. »Hat Elora ihn umbringen lassen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Leclerc, »aber ich gehe jede Wette ein, dass sie einem ihrer Leute den Befehl gegeben hat, den Wagen durch den Terrassenbereich des Straßencafés zu fahren und Hanna zu töten. Möglicherweise hatte es der Wagen auch auf Dale abgese hen. Nachdem er dort entkommen ist, wurde er zum Opfer eines Manöverunfalls. Falls ich mit der Vermutung richtig liege, dass Elo ras Handlanger auf einer anderen Welt eine militärische Ausbildung erhalten hat, könnte das erklären, wie er sich unbemerkt einschlei chen und die Manövermunition gegen scharfe Raketen austauschen konnte.« »Was hat Hanna meinem Vater erzählt, das sie ihr Leben gekostet hat?«, fragte Austin. »Sie muss es auch Dale erzählt haben, deswe gen musste er sterben. Elora vermutet wahrscheinlich, dass ich es ebenfalls weiß. Sie wird ihre Killer weiter auf mich hetzen, und da bei weiß ich gar nichts.« »Sie haben ein Recht darauf, es zu erfahren«, bestätigte Manfred, »aber ich habe Ihrem Vater versprochen, Ihnen nichts zu sagen. Es ist zu Ihrem eigenen Besten. Borodin hätte Ihnen nie verraten dür fen, wie Sie mich erreichen können.« »Er ist ein guter Mann«, stellte Austin fest. »Und er weiß, dass ich nicht aufgebe, wenn ich mich einmal auf etwas eingelassen habe. Genau wie Sie.« »Ich muss mit Ihrem Vater reden. Können Sie das arrangieren? Ich habe versucht, ihn über unsere üblichen Kanäle zu erreichen, aber Elora lässt sie überwachen. Ihre Spioniererei wird immer aggressi ver.« »Die üblichen Kanäle? Ich verstehe nicht.« Bevor Manfred antworten konnte, griff die Bedienung nach einem Bierkrug, juchzte laut und wirbelte um ihre Achse. Das Bier spritzte in hohem Bogen aus dem Krug und in die Gesichter zweier Männer, die soeben das Borzoi betraten. »Militärpolizei! Sie müssen Ihnen gefolgt sein«, knarzte Manfred. »Verschwinden Sie durch die Hintertür. Möglicherweise sind sie
auch hinter Ihnen her.« »Wir müssen in Verbindung bleiben.« Die Kellnerin drehte sich weiter und rammte dem vordersten Mili tärpolizisten den leeren Bierkrug auf den Kopf. Er stolperte nach hinten gegen seinen Begleiter, aber drei weitere MP drängten sich durch den Eingang und stießen die beiden beiseite. So sehr die Be dienung sich auch bemühte, die Neuankömmlinge aufzuhalten, sie wichen ihr aus und kamen geradewegs durch den Schankraum. »Nordseite des Zar-Alexander-Brunnens«, sagte Manfred. Dann trat er gegen seinen Stuhl, der sich überschlagend durch den Raum flog und die Militärpolizisten zwang, zur Seite zu springen. Er nutz te die Gelegenheit, zur Tür des Lageraums zu fliehen, hindurchzu huschen und die schwere Holztür hinter sich ins Schloss zu werfen. Austin hörte einen Riegel schließen. Er hatte keine Ahnung, was Manfred gemeint hatte, aber darüber konnte er sich später immer noch Gedanken machen. Austin sprang auf und rief die MP an, um sie aufzuhalten. Die ihm am nächsten stehende Soldatin, eine Frau, über deren linke Wange sich eine häss liche Narbe zog, fixierte ihn. In diesem Augenblick wusste Austin, dass Manfred Recht gehabt hatte. Die Truppe war nicht nur wegen des abtrünnigen Captains hier, sie hatte es auch auf ihn selbst abge sehen. Die Frau nestelte an ihrem breiten Netzgürtel, um den Schockstab zu ziehen. Austins Gedanken überschlugen sich. Die MP brauchte nur den Elektrostab zu aktivieren und sich in seine Richtung fallen zu lassen. Er hätte keine Chance gehabt, dem Stab zu entgehen und schon die kleinste Berührung hätte ihn für mehrere Sekunden ge lähmt. Er packte den Rand des Tisches, streckte die Beine und riss an der Platte. Der Holztisch kippte um und schlug gegen die Soldatin, die den Schockstab verlor. Austin spielte mit dem Gedanken, sich mit ihr um die Waffe zu schlagen, aber dann erkannte er, dass er in die sem Zweikampf keine Chance gehabt hätte.
Er packte einen freien Stuhl, den er mitten in den Pulk der Militär polizisten warf, dann rannte er zu den Toiletten. Die MP waren nicht dumm. Sie mussten wissen, dass gefährliche Flüchtlinge ver suchen würden, sich durch Fenster oder die Hintertür zu retten. Austin konnte nur hoffen, dass Manfred irgendein sicheres Versteck oder einen geheimen Ausgang gefunden hatte. Die kleinen Fenster der Toiletten öffneten sich auf eine Gasse, in der ohne Zweifel andere Militärpolizisten warteten. Austin sprang auf ein Waschbecken, bekam das Gitter eines Lüftungsschachts zu fassen und riss es mit seinem Körpergewicht aus der Halterung. Er zog sich hoch und zwängte sich in die enge Öffnung, als auch schon die MP hinter ihm durch die Türe stürzte. Er hatte nur Sekunden – Bruchteile von Sekunden! – bis sie seinen Fluchtweg entdeckten. Er wand sich wie eine Schlange, erreichte eine Abzweigung des verdreckten Schachtwerks und sah einen Weg hinaus. Über ihm drehte sich langsam ein Ventilator, zog die schale Luft an und drückte sie hinaus in die stürmische Nacht. Austin brach die Halterung des Ventilators aus und fiel hinaus aufs Dach. Er hatte Glück. Das Flachdach war leer. Hastig stand er auf, rutschte aus, lief zum Dachrand und sah seine Chance. Er zog sich ein paar Schritte zurück, dann nahm er Anlauf, so schnell er konnte. Am Rand des Daches stieß er sich hinaus auf die Straße ab und lan dete auf dem Dach eines Lasters, der gerade durch die Straßensper re kam, die die Militärpolizei aufgebaut hatte. Aus der Fahrerkabine drang wütendes Gebrüll und der Fahrer hielt an. Bevor der Mann aussteigen konnte, um nachzusehen, was auf dem Dach seines Lastwagens gelandet war, rutschte Austin an dessen Rand und ließ sich auf der abgewandten Seite zu Boden fallen, so dass der Laster ihn vor den Soldaten verbarg. Er kam zu Atem und ging schnell eine Gasse hinab, fort von dem LKW. Die wütende Stimme des Fahrers und die schweren Schritte der Soldatenstiefel, deren Echo durch die Nacht hallte, verrieten ihm, dass er nur weni ge Sekunden hatte, bis man ihn entdeckte.
Austin duckte sich hinter einen Kistenstapel, als ein Lichtkegel die Dunkelheit zerteilte. Man suchte nach ihm. Er hörte die MP streiten. Dann verschwand der Lichtkegel. Austin hielt den Atem an und lauschte, ob ihm jemand in die Gasse folgte. Nach einer Zeit, die ihm wie eine kleine Ewigkeit erschien, wagte er einen Blick zurück. Der Laster schien weitergefahren zu sein und auf der Straße waren keine Streifen zu sehen. Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und hastete davon. Er war ihnen entwischt. Aber was nun?
20
Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 »Was ist schief gegangen?«, wollte Lady Elora wissen. Sie konnte sich kaum beherrschen. Der Mann machte sie wütend. Da stand er vor ihrem Schreibtisch, selbstzufrieden und eingebildet. Dabei hatte er versagt. Niemand versagte bei einem Auftrag, den sie erteilt hatte. Schon gar nicht zweimal. »Es hat sich als Fehler erwiesen, sich auf die Militärpolizei zu ver lassen«, stellte er fest. Der Mann, der schon als Kellner, als Muniti onsTech und Industrie-Mechfahrer für sie gearbeitet hatte, trug noch immer die Uniform eines Militärpolizisten. »Aber es ist nur eine Fra ge der Zeit, bis wir sie finden. So wütend, wie die MP über den Fehl schlag waren, wird weder Leclerc noch Ortega lange genug überle ben, um es zu einem Verhör kommen zu lassen.« »Ich weiß, wo sich Austin Ortega befindet«, bemerkte Elora. »Er wurde vor einer Stunde bei der Rückkehr in den Palast gesehen.« »Dann kann ich die Uniform anbehalten und mich noch vor Mor gengrauen um ihn kümmern.« Der Mann zuckte die Achseln. »Bei den Wachen, die Tortorelli für den Palast eingeteilt hat, könnte ich problemlos hineinmarschieren. In dieser Uniform könnte ich sie so gar dazu bringen, mir dabei zu helfen, dem Baronet die Kehle durchzuschneiden.«
»Und wie planen Sie, Leclerc zu finden?« »Das, Lady Elora, ist mein Geheimnis, aber ich habe Methoden, um alles und jeden aufzuspüren. Absolut alles und jeden.« Er ver schränkte die Arme und musterte sie, als wäre dies sein Büro und sie die Untergebene. Geheimnisse. Elora kochte innerlich. Was weißt du schon von Geheim nissen? Sie lehnte sich zurück und musterte ihn. Er hatte sich schon zwei mal als nützlich erwiesen. Aber jetzt? »Ich sehe, Sie denken daran, mich aus dem Weg zu räumen«, stell te er ohne eine Spur von Angst in den fahlblauen Augen fest. Elora hasste ihn für diese Augen. Ihre Mutter hatte Jahre damit zuge bracht, ihr den Mann zu beschreiben, der sie gezeugt hatte, bis Elora ein perfektes mentales Bild des sadistischen Vergewaltigers hatte. Der Clanner, der sie gezeugt hatte, hatte Augen von dieser Farbe ge habt. Damit allerdings endete die Ähnlichkeit. In der wilden Erinne rung ihrer Mutter war er ein muskelbepackter Hüne gewesen. Die ser Mann war in keinster Weise beeindruckend, wodurch er sich für den Beruf eines Attentäters hervorragend eignete. Niemand erinner te sich an jemanden, der so durchschnittlich aussah wie er. Das Clanblut, das durch ihre Adern floss, mochte dünn sein, aber sie hatte sich schon als junges Mädchen geschworen, das wettzuma chen. Die hastig arrangierte Hochzeit ihrer Mutter mit einem jungen Landgutbesitzer aus Ventrale hatte der Tochter Legitimität und Adelsstand gesichert. Trotzdem haderte Elora mit dem Schicksal. Nicht gut genug für die Clanner? Immer wieder hatte sie sich ge sagt, dass Entschlossenheit über genetische Manipulation siegen konnte. Sie würde ihnen ihre Größe beweisen, indem sie Kal Radick ganz Mirach auslieferte. Natürlich hatte sie keinerlei Antwort auf das Schreiben erhalten, das sie vor so vielen Wochen per Landungsschiff auf den Weg ge bracht hatte. Ihr Name sagte Radick gar nichts, aber das würde sich ändern. In gewisser Weise war es ihr sogar egal, ob er ein derart
großzügiges Geschenk anerkennen würde. Es war ihr bereits Beloh nung genug, nur mit Worten und sorgfältiger Planung eine ganze Welt zu erobern. Sie würde wissen, dass sie es gewesen war, die Or tega abgesetzt und Tortorelli lächerlich gemacht hatte, bevor sie die Macht ergriff. Aber falls Radick ihr in seiner neuen Ordnung den Posten der pla netaren Gouverneurin anbot, würde sie nicht ablehnen. Sie würde ihm und den Stahlwölfen beweisen, dass schon ein Tropfen Clan blut genügte, um zu siegen. Dieses Nichts da vor ihr hatte versagt. Es störte sie, dass der Bur sche sie so problemlos durchschaute, aber er hatte natürlich schon auf vielen Welten allein durch sein Können überlebt. »Sie müssten mir Ihren Wert beweisen«, erklärte sie. »Es wäre dumm von mir, ein wertvolles Werkzeug zu zerstören. Aber es wäre ebenso dumm, ein fehlerhaftes Werkzeug weiterzubenutzen.« »Ich lebe vom Töten. Und davon, Dinge herauszufinden.« Er grinste bösartig. »Sie haben Ihre Karriere im Informationsministeri um gezielter übler Nachrede und Intrigen zu verdanken.« »Ist das das Beste, was Sie zustande bringen? Das kann Ihnen jeder hier im Ministerium erzählen. Sie alle hassen mich – und jeder von ihnen kann Ihnen detaillierte Informationen über jede einzelne Per son liefern, die ich auf dem Weg an meine jetzige Position als Tritt leiter benutzt habe.« Sie verzog keine Miene, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht bewertete. Er glaubte, eine Trumpfkarte im Är mel zu haben. »Sie haben sich mit Präfekt Radick in Verbindung gesetzt und ihm angeboten, ihm die Kontrolle über Mirach zu geben«, sprach der Mann weiter. »Den Berichten zufolge steht Radick nicht mehr loyal zur Republik, und Sie planen, diese wechselnde Bündnispolitik für sich auszunutzen. Mirach wäre unter der Herrschaft der Clans eine deutlich andere Welt.« »Sie versagen nicht nur bei eigentlich einfachen Aufträgen, sie we ben auch farbenprächtige Märchen.«
»Sie haben Ihre Kindheit mit dem Kampf gegen einen Minderwer tigkeitskomplex zugebracht. Sie waren ein Bastard mit grenzenlo sem Ehrgeiz, sich zu beweisen, jemanden zu finden, der Sie, wenn schon nicht liebt, dann zumindest respektiert.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Das gefällt mir.« »Dass ich der Bastard eines ClanKriegers bin?« »Dass Sie ehrgeizig sind. Das gentechnische Programm der Clans beeindruckt mich nicht.« »Ach ja, Sie haben gegen sie gekämpft, nicht wahr? Dabei haben Sie gelernt, einen BattleMech zu steuern. Aber Sie waren ein Feig ling, der lieber geflohen ist als zu kämpfen, und deswegen haben Sie Ihre Einheit verloren.« Jetzt war es an Elora zu grinsen. »Ich finde auch so manches heraus.« »Nur damit wir uns richtig verstehen.« Sein Grinsen hatte sich in eine wütende Miene verwandelt. »Ich verstehe Sie nur zu richtig«, erwiderte Elora. »Sie haben es nicht geschafft, Leclerc zu töten, der jetzt untergetaucht ist und ver mutlich MBA-Fahrer darin ausbildet, ihre umgerüsteten Mechs zu steuern. Das wird meinen Putsch erheblich erschweren. Außerdem ist es Ihnen schon zum zweiten Mal misslungen, den Baronet zu tö ten, sodass die Informationen, über die er verfügen könnte, weiter hin eine Gefahr darstellen.« »Sein Bruder und die Reporterin, das waren die echten Bedrohun gen. Austin Ortega weiß nichts, was Ihnen gefährlich werden könn te.« In einer plötzlichen Eingebung erkannte Elora, woher der Mann seine Hintergrundinformationen über sie hatte: aus Hanna Leongs Unterlagen. Nachdem er sie umgebracht hatte, hatte er die Dateien der Journalistin durchsucht und gelesen, was sie entdeckt hatte. »Haben sie irgendetwas über einen Flugzeugabsturz enthalten?«, fragte Elora. »Was? Diese Frage verstehe ich nicht.«
»Nein, natürlich nicht.« Sie zog eine kleine Pistole aus der Schreib tischschublade, zielte und feuerte einen einzelnen, tödlich akkuraten Schuss zwischen die Augen des Mannes ab. Er hatte sie falsch einge schätzt, geglaubt, ihre einzigen Waffen wären Worte. Ein gelöstes Problem lag tot vor ihr auf dem Büroboden. Jetzt musste Ministerin Elora Rimonowa sich um andere unerledigte Ge schäfte kümmern, die mehr drängten.
21
Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 »Papa, hör mir zu«, herrschte Austin Ortega seinen Vater an. »Die haben nicht versucht, Manfred und mich festzunehmen. Die wollten uns umbringen!« »Das glaube ich kaum, Austin. Nicht nur, dass ich dir klipp und klar gesagt habe, befass dich nicht mehr mit dieser Sache, du hast dich auch noch heimlich mit ihm getroffen. Wie hätte es wohl ausge sehen, wenn die Militärpolizei dich zusammen mit Manfred festge nommen hätte?« Sergio Ortega starrte seinen Sohn an. Die farblosen Augen des Gouverneurs waren unergründlich. Es lag ein Hauch von Besorgnis darin, aber nicht von der Art, die Austin erwartet hat te. Seinem Vater machte die mögliche schlechte Publicity, wäre der Baronet in Begleitung eines abtrünnigen Offiziers erwischt worden, mehr zu schaffen, als die Ungerechtigkeit der ganzen Situation. »Es war Militärpolizei, keine Zivilbeamten«, betonte Austin. »Sie haben die Leute im ›Borzoi‹ umgebracht und das Lokal anschlie ßend in Brand gesteckt, um ihre Verbrechen zu vertuschen.« »Ich habe den offiziellen Bericht des Legaten über den Zwischen fall gelesen«, antwortete Sergio. »Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich die MP in irgendeiner Weise falsch verhalten hat. Es war der Barmann, der das Lokal angezündet hat, dieser Pavel Orndorff. Es gibt ein Überwachungsvideo des Zwischenfalls.« Er schüttelte
traurig den Kopf. »Ihr hättet zu Tode kommen können. Du und Manfred.« »Ich kann auf mich aufpassen.« Austin hatte Mühe, nicht vor lau ter Wut zu brüllen. »Behandle mich nicht wie ein kleines Kind.« »Du bist zwar kein Kind mehr, aber du benimmst dich wie eines. Zieh wenigstens einen Augenblick lang die Möglichkeit in Betracht, dass ich mehr über das weiß, was hier vorgeht, als du. Wenn du dich weiter blindlings in Angelegenheiten einmischst, die dich nichts angehen, kann ich dich irgendwann vielleicht nicht mehr ret ten.« »Ich habe niemanden nötig, der mich rettet. Sag mir, was du vor hast. Warum sägst du Elora nicht ab? Du weißt, dass sie diese Über wachungsbänder manipuliert hat. Papa, ich bin sicher, der Barmann hätte das Lokal nicht angezündet und Selbstmord begangen. Das ist eine Vertuschungsaktion.« Austin bemerkte die Veränderung in der Miene seines Vaters und die möglichen Implikationen behagten ihm gar nicht. »Du kannst mich nicht einfach ins All oder nach Ventrale oder an welchen stoneverlassenen Ort sonst schicken, um mich loszuwer den, Papa. Ich schwöre dir, ich komme zurück. Du musst mich ins Vertrauen ziehen.« »Du hast mir deutlich gezeigt, dass du das nicht verdienst«, ent gegnete Sergio kalt. »O doch, Vater, ich verdiene es. Meine Fitnessberichte in den 1KL waren immer tipptopp. Ich lerne schnell. Ich kann herausfinden, was Dale und Hanna zugestoßen ist, wenn du mich nur lässt.« »Du wirst tun, was ich dir sage.« Jetzt brach sich die Wut des Gou verneurs Bahn. »Wegen deines dummen Treffens hat es unnötige Tote gegeben. Leclerc ist auf der Flucht und versteckt sich wer-weißwo. Das allein schon macht es schwerer für mich, gegen Elora vor zugehen und die Aufstände zu beenden.« »Das ist nicht fair«, wehrte sich Austin.
»So etwas wie Fairness gibt es nicht. Ich hätte erwartet, dass du in zwischen so viel zumindest gelernt hast. Du bist in meinem Stab, um zu lernen. Also halte den Mund und lerne.« Sergio schüttelte kurz, aber entschieden den Kopf, um jede weitere Gegenrede zu un terbinden. Er beugte sich zur Seite und drückte den Knopf auf dem Schreibtisch. Die hohen, geschnitzten Holzflügel der Bürotür schwangen auf lautlosen Angeln auf. Die Türangeln waren das Einzige, das lautlos war. Eine bellende Meute stürmte aus der Waffenkammer bis vor den Schreibtisch des Gouverneurs. »Gouverneur Ortega, was können Sie uns über die Beziehung Ih res Sohnes zu dem Verräter Manfred Leclere sagen?«, brüllte ein Re porter, den Austin am Morgen erst kurz in einer Sendung des Infor mationsministeriums gesehen hatte. Austin trat einen Schritt zur Seite. Er war von der Aggressivität der Fragen entsetzt. Irgendwie gelang es ihm jedoch, durch den Mob der Reporter nahezu aller Nachrichtenmedien Mirachs die ein zige Person zu entdecken, die wirklich wichtig war. Lady Elora stand nahe der Rückwand der Waffenkammer und unterhielt sich leise mit ihrem Regisseur. Der gehetzt wirkende Mann mit dem Rat tengesicht hielt ein kleines Steuergerät in der Hand, statt wie sonst an einem großen Pult zu sitzen. Dem Schweiß auf seiner Stirn nach zu schließen, hatte Barnaby erhebliche Schwierigkeiten, die kompli zierten Kamerafahrten zu liefern, die Elora von ihm verlangte. Für einen winzigen Moment trafen sich die smaragdgrünen Augen Eloras mit denen Austins. Er glaubte, den Hauch eines Lächelns über ihre dünnen Lippen huschen zu sehen, dann übertönte ihre lautsprecherverstärkte Stimme den Lärm der anderen Fragen. Es war unübersehbar, wie sie ihre Position als Informationsministerin dazu ausnutzte, die Konkurrenz technologisch zu übertrumpfen. »Gouverneur Ortega, stimmt es, dass Ihr Sohn sich gestern Nacht der Festnahme entzogen hat, nachdem er in Gesellschaft eines be kannten Verräters angetroffen wurde?«
»Ladys und Gentlemen, bitte!«, rief Sergio. »Das hier ist mein Ar beitszimmer. Ich werde Ihre Fragen im Konferenzsaal beantworten. Aber nicht hier.« Austin schaute sich nach Wachen um, die die Reportermeute aus dem Büro zurück in den Vorraum drängten, aber es waren nirgends welche zu sehen. Er schob sich um die Journalisten herum zur Tür und gab dem Sekretär ein paar Anweisungen. Der Mann holte fünf andere Angestellte aus dem Stab des Gouverneurs und gemeinsam machten sie sich daran, die Reporter aus dem Arbeitszimmer des Gouverneurs und weiter auf den Flur zu drängen. Nachdem Elora sich betont an die Spitze der Parade setzte, gingen die anderen be reitwilliger. Austin bahnte sich durch die lichter werdende Menge den Weg zurück ins Büro. »Du brauchst eine Bewachung durch die 1KL.« Austin hatte den Eindruck, als wolle sein Vater antworten, aber dann besann sich Ser gio anders. Eine Maske absoluter Gelassenheit senkte sich über seine Züge, wie immer in schwierigen Situationen. Darum beneidete ihn Austin in diesem Augenblick. Er war nicht in der Lage, sich zu be herrschen, solange sein bester Freund auf der Flucht war und er nicht wusste, wer seinen Bruder ermordet hatte. Aber noch schlimmer als all das war, dass sein eigener Vater ihm nicht vertraute. »Danke«, erklärte Sergio mit geradeaus gerichtetem Blick. Austin war sich nicht sicher, ob der Gouverneur mit ihm oder mit dem Se kretär und den anderen Angestellten gesprochen hatte. Er fragte nicht weiter, sondern folgte seinem Vater mit den protokollarisch gebotenen zwei Schritten Abstand zum Konferenzsaal. Eigentlich hätte der Protokolloffizier des Gouverneurs diesen Termin vorberei ten müssen, aber den hatte Austin schon seit Tagen nicht mehr gese hen. Was viel entscheidender war, als Ministerin für Information hätte Elora Rimonowa die Aufgabe gehabt, den Nachrichtenstrom in sichere Bahnen zu lenken, statt an vorderster Spitze der Sturmflut den Staudamm niederzureißen.
Die Brecher schlugen über Austin zusammen, kaum dass er hinter seinem Vater aufs Podium trat. Hundert Fragen aus hundert Mün dern wetteiferten um eine Antwort, aber eine einzige hallte laut und klar über alle anderen hinweg. »Warum hat sich der Baronet mit einem bekannten Verbrecher ab gegeben?« Es war eine Frage, wie sie Elora hätte stellen können, doch das brauchte sie nicht, denn es war die eine Frage, auf die sie alle eine Antwort verlangten. »Mein Sohn Austin hat versucht, Captain Manfred Leclerc dazu zu bewegen, sich freiwillig den Behörden zu stellen, als es zu diesem Zwischenfall kam«, erklärte Sergio. »Er hatte Leclerc beinahe davon überzeugt, dass eine weitere Flucht sinnlos war, als übereifrige Be amte der Militärpolizei des Legaten das Gespräch unterbrachen. Le clerc wurde durch das unnötig gewaltsame Eindringen der Militär polizistin in das Lokal verschreckt und ergriff die Flucht.« »Stimmt es nicht, dass Ihr Sohn mit dem Verräter Leclerc geflohen ist?« »Mit derartigen unbewiesenen Vorverurteilungen erweisen Sie un serem Rechtssystem einen Bärendienst. Manfred Leclerc hat ein Recht auf eine faire Verhandlung. Nach seiner Festnahme wird ein Gericht über seine Schuld oder Unschuld entscheiden.« »Dann streiten Sie ab, dass Ihr Sohn sich mit Verrätern und Mör dern herumtreibt?« »Nächste Frage, bitte.« Austin wartete auf eine Gelegenheit, sich zu verteidigen, doch er sah die geballten Fäuste seines Vaters und erkannte, wie viel Kraft es ihn kostete, ruhig zu bleiben. »Eine letzte Frage, Gouverneur Ortega«, dröhnte Elora und ver wies alle anderen Reporter auf die hinteren Ränge. »Was ist Ihre Re aktion auf das jüngste Kommuniqué, in dem sowohl Präfekt Radick als auch Lordgouverneur Sandoval zum Ausdruck bringen, dass sie ›kein Vertrauen‹ in Ihre Fähigkeiten besitzen, Ihre Pflichten als Re gierungschef Mirachs zu erfüllen?«
Schweigen senkte sich über den Raum. Dann brach ein Sturm von Fragen los. »Warum haben Sie diese Nachricht von den Führern der Republik geheim gehalten, Gouverneur?« »Was verbergen Sie vor uns?« »Was halten Sie noch zurück?« Der Lärm steigerte sich zu einem Creszendo. Selbst wenn Sergio Ortega eine Antwort versucht hätte, niemand hätte sie gehört. Austin kämpfte darum, seinen Vater zu beschützen, als die Repor ter en masse heranstürmten und Fragen brüllten. Elora war die Mi nisterin für Information und hatte öffentlich erklärt, dass der Gou verneur nicht nur das Vertrauen der zwei höchsten Republiksbeam ten der Präfektur verloren hatte, sondern darüber hinaus getan hat te, was sich rapide zum schlimmsten Kapitalverbrechen von allen hier auf Mirach entwickelte: aus dem All eintreffende Nachrichten nicht sofort bekannt zu geben. Der Kollaps des HPG-Netzwerks ließ Verschwörungstheorien wie Grashalme sprießen. Fast hatte Austin die Reporter zurückgedrängt, als er Eloras Gna denstoß hörte: »Nachdem die Regierung der Präfektur IV das Vertrauen in Ihre Amtsführung verloren hat, Gouverneur Ortega: Wann ist mit der Ernennung Ihres Nachfolgers zu rechnen?« Austin war, als hätte ihn die Ministerin mit einem Vorschlagham mer getroffen. Eloras Plan war leicht zu durchschauen. Es würde keinen Nachfolger geben, weil der Lordgouverneur das Vertrauen in Sergio Ortega nicht wirklich verloren hatte. Aber Elora war jetzt in einer Position, von der aus sie einen Militärputsch Legat Tortorel lis, bis ein ziviler Amtsnachfolger eintraf, tatkräftig unterstützen konnte. Und natürlich würde der niemals ankommen. Sie wollte den Gouverneur blamieren und dann ihren Speichelle cker an seinen Platz setzen. Von ihrer Position als Chefin des über
mächtigen Ministeriums für Information aus würde Lady Elora Mi rach aus dem Hintergrund komplett kontrollieren. Tortorelli würde seinen Posten als Legat behalten und die oberste militärische mit der faktischen obersten zivilen Autorität vereinigen. Alle Fäden der Macht würden in ihren gierigen Fingern zusam menlaufen. »Hier entlang, Vater«, sagte er. Sergio Ortega ließ sich von seinem Sohn aus dem Konferenzsaal in den Flur führen. Zu Austins Überra schung stürmten ihnen Dmitri Borodin und vier andere Soldaten, die er nicht erkannte, entgegen. Alle fünf trugen die waldgrüne Uni form der Heimatgarde. »Niemand darf das Gebäude verlassen, Austin«, erklärte Borodin und hob die Hand, um ihn aufzuhalten. »Da drinnen tobt der Mob«, sagte der. »Helfen Sie dem Baron zu rück in sein Büro …« Borodin wirkte betrübt, als er sich von den vier anderen löste. Mit leiser Stimme stellte er fest: »Wir sind hier, um sicherzustellen, dass Gouverneur Ortega nur in sein Büro geht. Das waren die Befehle Le gat Tortorellis, persönlich erlassen, unmittelbar bevor wir ausge rückt sind.« »Das ist unglaublich!«, brüllte Austin. »Mach keine Szene, Sohn«, sagte Sergio. »Das ist es nicht wert.« Er kehrte auf direktem Weg in sein Arbeitszimmer zurück, gefolgt von zwei Wachen. Austin blieb mit Borodin und den zwei anderen Gar disten auf dem Flur zurück. Angesichts dieser Ungerechtigkeit brodelte es in Austin. Sein Va ter war ein Baron und Gouverneur von Mirach, und er wurde wie ein Gefangener behandelt. Dann riss er sich zusammen und machte sich klar, dass Borodin ein guter Soldat war, der seine Befehle aus führte, auch wenn sie seinen persönlichen Loyalitäten zuwiderlie fen. »Danke für alles, was Sie bisher getan haben«, murmelte er. »Kann
ich weiter auf Sie zählen?« »Auf mich können Sie zählen, Sir, aber die Streife, die mich beglei tet«, antwortete Borodin unbehaglich: »Die sind alle Gefolgsleute von Lordgouverneur Sandoval … falls er sich für die Vereinigten Sonnen erklärt. Bei jeder Ankunft eines Landungsschiffes gibt es neue Gerüchte. Es heißt, Sandoval versucht, VerSon-Systeme zu rückzuholen, und es gibt einige, denen das ganz recht wäre.« Das traf Austin wie ein weiterer Schlag. Er war zu sehr mit der ört lichen Situation beschäftigt gewesen, um auch nur daran zu denken, was im Rest der Präfektur vor sich gehen könnte, erst recht jetzt nach dem Zusammenbruch der Hyperpulsgeneratoren. Die Verei nigten Sonnen waren einer der älteren Staaten der Inneren Sphäre, deren terranahe Systeme Devlin Stone zum Bau der Republik annek tiert hatte. Falls die Gerüchte stimmten, was Austin weder sicher be jahen noch verneinen konnte, steckte Mirach in größeren Schwierig keiten, als er geahnt hatte. Und wo stand in diesem Spiel Sandovals Gesandter Parsons? »Sie trauen mir nicht wirklich, weil sie wissen, dass ich die Repu blik vorziehe. Aber es wird allmählich schwer, noch daran zu glau ben, dass die Republik die richtige Wahl ist, Lieutenant, verdammt schwer.« Austin bemerkte, dass die beiden Soldaten in Borodins Begleitung grinsten. Sie hatten mitgehört und würden das Gespräch dem Dienst habenden Offizier berichten. »Weitermachen, Master Sergeant«, beendete er die Unterhaltung, als wäre er noch Borodins Vorgesetzter. »Einen Moment, Lieutenant. Ich empfange neue Befehle.« Borodin zog ein kleines Funkgerät aus der Tasche und hob es ans Ohr. »Mit kommen«, befahl er den beiden Soldaten. »Wir lösen die Pressekon ferenz auf. Der Gouverneur ist auf Befehl von Legat Tortorelli von jetzt an nicht mehr zu sprechen.« Borodin warf Austin einen bedau ernden Blick zu, dann formte sein Mund lautlos die Worte: »Ver schwinden Sie von hier«, bevor er seine Leute in den Konferenzsaal
führte. Austin fragte sich, ob Tortorellis nächster Befehl lauten würde, alle Personen im Palast festzunehmen. Momentan lief alles wie aus dem Handbuch für einen unblutigen Staatsstreich. Und er hatte seinen Vater davor gewarnt, die 1KL Tortorellis Befehl zu überstellen. Das Gefühl, Recht gehabt zu haben, konnte gegen die Angst, die sich wie ein Krebsgeschwür in Austins Eingeweiden ausbreitete, wenig ausrichten. Nachdem Tortorelli den Gouverneur und seinen Stab von der Öffentlichkeit abgeriegelt hatte, würde Lady Elora als einzige Quelle der Öffentlichkeit für amtliche Bekanntmachungen übrig bleiben. Und über deren Inhalt machte sich Austin, nachdem sie den Gouverneur öffentlich als Verräter angeklagt hatte, keine Il lusionen. Er bog in einen Seitengang und tauchte schnell im Labyrinth der Palastkorridore unter. Er war in diesem Gebäude aufgewachsen, doch als er es jetzt durchwanderte, fühlte er sich darin fremd, in ei ner Umgebung so bizarr und tödlich wie die Tundra außerhalb der Black-Hills-Kaserne. Austin trat um eine Ecke und blieb plötzlich stehen. In einer Ni sche, keine fünf Meter entfernt, stand Marta Kinsolving. Sie hielt ein GlobalNetz-Telefon ans Ohr und sprach hastig ins Mikrofon. Austin schnappte nur Bruchstücke dessen auf, was sie sagte, aber als er er kannte, worum es ging, gefror ihm das Blut in den Adern. »Marta!«, rief er. Sie blickte überrascht auf. Dann unterbrach sie hastig die Verbindung und steckte das Telefon ein. »Ich muss gehen«, sagte sie, wirbelte davon und stiefelte den Gang hinab, so schnell sie konnte, ohne zu laufen. Austin fühlte sich an keine Regeln der Höflichkeit gebunden. Er holte sie ein, bevor sie die Tür hinaus in den kleinen, schneebedeckten Park südlich des Pa lasts erreicht hatte. »Ich habe gehört, was Sie zu Manfred gesagt haben. Das können Sie nicht tun.« Sie drehte sich zu ihm um. Martas Züge wurden hart und ihre
Kinnmuskeln spannten sich. »Passen Sie auf sich auf, Austin. Ich weiß, welche Befehle Tortorel li gegeben hat. Er und Elora haben ihren Zug gemacht, und wir dür fen nicht zulassen, dass sie damit Erfolg haben.« Sie riss sich los und rannte in das Heckenlabyrinth des Parks. Austin zögerte kurz, dann folgte er ihr. Falls er sie nicht davon überzeugen konnte, die Rebelli on abzublasen, stand Mirach vor dem offenen Bürgerkrieg.
22
Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 Austin Ortega setzte zu einem Endspurt an und hechtete in Marta Kinsolvings Limousine, unmittelbar bevor sich der Schlag schloss. Überrascht von dieser unerwarteten Störung schaute die Firmenche fin auf. »Austin!« Sie verzog das Gesicht. »Hören Sie auf, sich einzumi schen, Austin. Was glauben Sie, können Sie gegen den Legaten aus richten?«, fragte sie beißend. »Machen Sie, dass Sie hier rauskom men und beschützen Sie Ihren Vater.« »Tortorelli wird meinem Vater nichts tun«, gab er zurück. »Er wird ihn nicht einmal festnehmen, bis er seine Truppen in Stellung gebracht hat und Elora noch mehr Angst verbreitet und eine Macht übernahme vertretbar gemacht hat. Noch steht die Mehrheit der Be völkerung hinter der Regierung.« Sein Puls hämmerte, sein Mund war taub und trocken. Austin hatte seinen Vater endlos über Schlüs selmomente und Wendepunkte der Geschichte reden hören. Er hatte ihm nie geglaubt, dass es solche Phänomene wirklich gab, und falls doch, war er fest davon überzeugt gewesen, dass sie nichts mit ih rem realen Leben hier auf Mirach zu tun hatten. Jetzt erkannte er, wie falsch er damit gelegen hatte. Hier und jetzt, in diesem präzisen Moment, stand das Schicksal der Welt auf dem Spiel. Und was noch erschreckender war: Was er jetzt tat, war das Wichtigste.
»Sie verstehen überhaupt nichts«, sagte Marta. Sie wollte dem Fah rer ein Zeichen geben, doch Austin packte ihr Handgelenk. »Selbst eine Lanze umgebaute AgroMechs kommt gegen die Ver bundwaffeneinheiten des Legaten nicht an.« Daran, wie bleich Mar ta wurde, erkannte Austin, dass er ins Schwarze getroffen hatte. »Versuchen Sie nicht, uns aufzuhalten«, gab sie zurück und fand etwas von ihrer Selbstsicherheit wieder. Sie riss sich los, machte aber keine erneuten Anstalten, den Fahrer zu alarmieren. »Wenn über haupt jemand, dann sollten Sie erkennen, was hier vorgeht. Mirach steht vor einem Bürgerkrieg, der uns zugrunde richten wird. Die Aufstände sind nur ein Vorgeschmack der Schwierigkeiten, die wie ein steuerloses Landungsschiff über uns hereinstürzen werden.« »Das ist Eloras Werk«, erklärte Austin. »Ein Blinder sieht, dass Tortorelli ihre Marionette ist. Sie nutzt den Ausfall der HPG-Kom munikation aus. Sie ist verantwortlich für die Straßendemonstratio nen, indem sie Angst und Paranoia schürt. Meinen Vater kann sie aber nur mit Tortorellis Hilfe loswerden. Für diese Arbeit hat sie sich ein schwaches Werkzeug ausgesucht.« »So schwach, wie Sie zu glauben scheinen, auch nicht. Er hat eine vollständige Mobilisierung angeordnet, aber diesmal liegt die Pla nung nicht in seiner Hand. Es wird keinen leichten Sieg geben, wie Sie ihn bei der Gefechtsübung hatten, mit der er versucht hat, Par sons zu beeindrucken.« »Wollen Sie damit sagen, es ist Eloras Strategie?« Austin wusste, dass Tortorelli über erfahrene Feldoffiziere verfügte. Wenn sie mit anständigen Befehlen losgelassen wurden, waren sie jedem einhei mischen Widerstand gewachsen. »Die MBA hat Recht, Mechs zu unserem Schutz einzusetzen. Im Endeffekt beschützen wir die Bevölkerung … und die Regierung Ih res Vaters.« »Aber denken Sie auch an die Schlachtopfer!« Austin überraschte sich mit dem, was er sagte, selbst. Er hörte sich langsam an wie sein Vater, so wie er sich gegen den Einsatz der umgebauten Arbeits
Mechs gegen die Kräfte des Legaten stemmte. »Ihre umgerüsteten Mechs können Tortorellis Einheiten unglaublichen Schaden zufü gen, aber die Kollateralschäden wären furchtbar, besonders wenn die Gefechte in der Stadt stattfinden.« Er wollte Mirach retten, aber nicht auf Kosten seiner Bevölkerung. »Selbst wenn Manfred mit Ih ren Piloten trainiert hat, haben sie unmöglich genug Erfahrung ge sammelt, um eine Orgie der Verwüstung zu vermeiden, wenn sie auf Kröteneinheiten treffen, die von Panzern unterstützt werden.« »Was schlagen Sie stattdessen vor?«, fragte Kinsolving und lehnte sich zurück. Sie war nicht überzeugt, aber bereit zuzuhören. Austin wertete das zumindest als einen Fortschritt. »Sie müssen einen Keil durch Tortorellis Streitmacht treiben. Psy chologische Kriegsführung, nicht militärische Aktionen, das ist Ihre einzige Chance. Ich habe mit einer Reihe von Unteroffizieren ge sprochen und weiß, ihre Loyalitäten sind verteilt.« Austin detaillier te weder, in welche Richtungen diese Loyalität tendierte, noch er wähnte er, dass die Reihe der Unteroffiziere, mit denen er geredet hatte, aus exakt einer Person bestand. Master Sergeant Borodin klang wie ein Fels der Zuverlässigkeit in einem Meer unsicherer Ge folgschaften. Aus dieser Verwirrung musste er eine Loyalität zu Ba ron Ortega aufbauen, aber Elora musste man entschlossen entgegen treten. Solange Sergio Ortega unter Hausarrest stand, fiel er als Ban nerträger aus. »Betrachten Sie sich als diesen Keil?«, fragte Marta geradeheraus. »Nein«, wehrte Austin ab. »Dale hätte das Zeug dazu gehabt, aber er ist tot. Ich bin bei den 1KL beliebt, aber ich genieße nicht den glei chen Respekt wie Manfred Leclerc. Wir müssen ihn finden und wie der als Kommandeur etablieren.« »Leichter gesagt als getan«, murmelte Marta. »Elora hat ihn zum Verbrecher abgestempelt. Es würde nicht reichen, ihn wieder als Kommandeur der 1KL einzusetzen, schon gar nicht, wenn die zu ei ner Rebelleneinheit innerhalb der Heimatgarde werden.« Austin hoffte darauf, dass Tortorelli noch nicht genügend Zeit ge
habt hatte, die Männer und Frauen der 1. Kosaken-Lanciers kom plett über Mirach zu verteilen. Ein starker Anführer wie Manfred an der Spitze einer starken Einheit wie den 1KL hatte eine Chance, einen Teil der Truppen in der Heimatgarde auf seine Seite zu zie hen. Austins Schultern sackten etwas, als er sich klar machte, dass er nach rettenden Strohhalmen griff. Aber die Alternative zu dem Ver such, Tortorellis Truppen zu unterminieren, bestand darin, die MBA-Mechs loszulassen. Er hatte den starken Eindruck, dass Marta gar nicht richtig verstand, welches Maß an Zerstörung diese metalle nen Kolosse anrichten konnten. »Wir müssen reden. Sie, ich und Manfred«, drängte er. »Rufen Sie ihn an und …« »Ich kann ihn nicht erreichen«, antwortete Marta. »Er meldet sich bei mir.« »Ich weiß, wie ich mit ihm in Kontakt treten kann, aber ich verfüge nicht über die Mittel, ihm zu helfen, falls ich es tue.« »Was müssen Sie tun, um ihn zu erreichen?«, fragte sie. Austin fühlte sich in einem Strudel von Intrigen gefangen. Er war sich nicht sicher, wie weit er Marta vertrauen konnte. Doch in dieser Lage, mit seinem Vater in Tortorellis Hand, den 1KL in Auflösung und Manfred auf der Flucht, blieb ihm keine andere Wahl. Leclerc würde wissen, was weiter zu tun war, wenn sie diese Sache erst durchgesprochen hatten. »Nordseite des Zar-Alexander-Brunnens«, sagte er. »Was ist damit?«, schreckte Kinsolving aus ihren Gedanken hoch. »Oh, wie Sie mit Manfred Kontakt aufnehmen können.« Sie wies den Fahrer an, die Richtung zu ändern. Die schwere Limousine neigte sich etwas, als sie in schneller Fahrt um eine Kurve bog. Da von abgesehen bemerkte Austin nichts von ihrer Geschwindigkeit, als sie durch die planetare Hauptstadt rasten. »Er hat Glück, einen Freund wie Sie zu haben«, stellte Marta plötz lich fest.
»Und eine Gönnerin wie Sie. Wie haben Sie ihn dazu überredet, die Fahrer für Ihre aufgerüsteten Industrie-Mechs auszubilden?« Marta zuckte die Achseln. Ihre braunen Augen lösten sich kurz von Austins Gesicht. Dann kehrten sie zu ihm zurück. »Manfred ist ein ziemlich beeindruckender Mann. In vielerlei Hin sicht.« Ein leichtes Lächeln trat auf ihre Lippen. Austin begriff, wie der Captain der 1KL und die Präsidentin der Mirach Business Association gelernt hatten, einander zu vertrauen. Er hatte die simple Tatsache übersehen, dass die Welt aus mehr als nur Politik und Militär bestand. Ein rotes Licht blinkte auf dem gepolsterten Konsolenbrett vor Marta auf. »Zar-Alexander-Brunnen«, sagte sie. Sie wechselte die Polarisie rung des Fensters auf Austins Seite, sodass er hinausschauen konn te. Die riesige weiße Limousine musste mehrmals um den Brunnen mit seinen zwanzig Meter hohen Wasserfontänen und seidigen Dunstschleiern herumfahren, bis Austin die Nachricht entdeckte. Jemand, der auf dem Bürgersteig um den Brunnen spazierte, hätte sie für eine Schmiererei gehalten, aber als Austins Blick schließlich auf die Zeichnung fiel, erkannte er sie sofort als einen Lokalisatorco de, den die 1KL auf Manövern benutzte. Er entschlüsselte die relati ve Positionsangabe und gab entsprechende Anweisungen an den Fahrer weiter. Der Teil der Stadt, in den sie als Nächstes fuhren, sah aus, als hätte der Krieg hier schon gewütet und nur Gebäuderuinen und verängstigte Überlebende zurückgelassen. Austin trommelte nervös mit den Fingern. Er hatte Angst, Man fred könnte bereits tot zwischen den Trümmern liegen. Die Limousi ne kam gleitend zum Stehen. »Hier ist es, genau vier Kilometer vom Brunnen«, teilte der Fahrer ihnen über die Gegensprechanlage mit. »Hier«, sagte Marta und öffnete ein kleines Fach in der Tür, in dem eine Kaliber-10-mm-Pistole sichtbar wurde. Er nahm die Waffe,
lud eine Patrone in die Kammer und hielt die Pistole einen Moment in der Hand, um sich mit dem Gefühl und der Balance vertraut zu machen. Er erkannte die Marke nicht, doch es war offensichtlich, wie sie benutzt wurde. »Das Magazin enthält verschiedene Patronen«, bemerkte Marta. »Jede dritte Kugel ist explosiv. Die anderen sind Panzer brechend.« »Allzu viel werden die aber nicht durchschlagen können«, erwi derte Austin und betrachtete die kompakte Waffe. Dann kamen ihm Zweifel. Marta Kinsolving war nicht der Typ für leere Prahlereien. »Auf kurze Entfernung reicht ein Magazin davon aus, einen Solda ten in leichter Krötenrüstung schwer zu verwunden.« »Ich bezweifle, dass es jetzt schon dazu kommen wird.« Austin schob sich aus dem Wagen und fand sich in einer ihm fremden Welt wieder, die nichts mit der fürstlichen Eleganz des Facettenpalasts oder der spartanischen Strenge einer Militärkaserne gemein hatte. Der Gestank von verrottendem Abfall und Tod beleidigte seine Sin ne nicht minder als der Anblick ausgebrannter Häuser und halb un ter Schutt begrabener Leichen, die zu bergen niemand auch nur An stalten machte. Er hob die Pistole und machte sich auf den Weg. Auf die Suche nach den nächsten Instruktionen Manfreds – vorausgesetzt, der Captain weilte überhaupt noch unter den Lebenden.
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Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 »Was soll das heißen, du hast den Kontakt verloren?« Elora Rimono was grüne Augen wurden kälter als Jade, als sie Calvilena Tortorelli anstarrte. »Waren die Geräte, die ich dir überlassen habe, unzuläng lich, oder sind die Operateure unfähig gewesen?« »Bitte, Elora, sei nicht so«, bat Tortorelli und wanderte durch das Büro der Ministerin. Er nahm hier und da ein paar Zierobjekte auf und stellte sie nach rein oberflächlicher Betrachtung wieder zurück. Elora wurde mit jeder Sekunde wütender. »Wie hättest du mich denn gerne, Calvi?«, fragte sie mit einer Stimme, die vor Gift triefte. »Sie werden schon wieder auftauchen. Wohin sollen sie ver schwunden sein? Schließlich hat Kinsolving einen großen Kommu nikationskonzern zu leiten, ganz abgesehen von den trostlosen MBA-Tagungen. Und wen kümmert es, wo sich Ortegas nutzloser Sohn herumtreibt? Der Baronet macht ohnehin nichts anderes, als mal hierhin, mal dorthin zu hecheln. Er ist in der Welt der politi schen Manöver, in der du und ich solche Meister sind, völlig verlo ren. Es war eine gute Idee von mir, ihn von den 1KL zu trennen, ob wohl ich vermute, dass er sich zum Soldaten auch nicht wirklich eig net.« »Du vergisst, wer den Angriff der 1KL während der so genannten
Gefechtsübung angeführt hat«, erinnerte ihn Elora. Sie hätte sich ge wünscht, ihn nicht als Kommandeur der Heimatgarde zu benötigen. Die zivilen Unruhen ließen sich schnell beilegen, sobald er seine Truppen zum Einsatz brachte, aber nur zu einem hohen und bluti gen Preis. Elora lächelte dünn. Sie würde sichergehen, dass die Schuldzuweisungen dort landeten, wohin sie gehörten, wenn sie erst sicher war, dass Mirach ein weiteres glitzerndes Juwel im Heft des Clanschwerts war und man ihren wahren Wert anerkannt hatte. Sie kippte den Bürosessel hinter ihrem riesigen Schreibtisch nach hinten. Ihr Blick glitt über die glatte Fläche der frisch aufgerüsteten Tischplatte. Die Oberfläche war durch geschickt montierte Linsen so geneigt, dass sie sich in ihrem Sessel drehen konnte, ohne irgendei nen Teil der Anzeige aus den Augen zu verlieren. Unter der Platte zeigte ihr ein halbes Dutzend verschiedener Bildschirme nicht nur die momentan laufenden Sendungen, sondern auch die Gesichter der daran arbeitenden Regisseure und Produzenten. Sie streckte die Hand aus. Der Ring an einem der knochigen Finger klickte leise, als er auf die polierte Tischplatte schlug, und streifte durch eine kaum sichtbare Vertiefung. Die Bilder auf den Monitoren wechselten und zeigten jetzt die Stadt um das Ministerium für Information. Tortorelli plapperte weiter, prahlte damit, wie schnell er den Ba ron von aller Unterstützung isoliert hatte, und rechnete sich den Er folg zahlreicher cleverer Schachzüge an, die er vorgeschlagen hatte. Er sollte sich ruhig einbilden, die Fäden in der Hand zu halten, statt als nächster Sündenbock schon vorbereitet zu werden. Elora war mehr daran interessiert, die neue Welle von Straßenunruhen zu be obachten. Cingulum wurde von einem Dutzend Tumulte zerrissen. Gouverneur Ortega die Polizeiunterstützung zu nehmen war schwierig gewesen, weil sie es langsam und unbemerkt hatte anstel len müssen, sodass es niemandem wirklich auffiel, am allerwenigs ten Sergio Ortega. Inzwischen wusste er, dass er nur noch ein zahn loser Tiger war, aber er konnte nichts mehr unternehmen, um die Kontrolle zurückzuerlangen, denn er hatte die Möglichkeit verloren, seine Befehle durchzusetzen.
Mit Gerüchten über Entlassungen, Disziplinarstrafen und ein schneidende Gehaltskürzungen zur Entlastung des defizitären pla netaren Haushalts hatte Elora dafür gesorgt, dass sich die Polizei selbst in eine Ansammlung von Plünderern und Aufrührern ver wandelt hatte. Tatsächlich ging es Mirach wirtschaftlich kaum schlechter, doch ohne die konstante Möglichkeit des Vergleichs mit anderen Welten der Republik über das HPG-Netz glaubten die Mas sen alles, was sie ihnen erzählte, weil die Nachrichten sie täglich da mit fütterten, von morgens bis abends. Sie kontrollierte den Infor mationsfluss – und hätte eine Informationsministerin die Menschen belogen? Fast wäre Elora in lautes Gelächter ausgebrochen, als sie sich dar an erinnerte, wie sie über Kämpfe auf Achernar berichtet und die Gerüchteküche in Cingulum damit angeheizt hatte. Tatsächlich hat te sie nur durch Hörensagen von Landungsschiffsbesatzungen da von erfahren, aber es klang besser – und war für ihre Zwecke weit dienlicher – gewaltige Verluste an Menschenleben zu melden, als handele es sich um amtlich bestätigte Fakten. Das lieferte den Leu ten Material für Spekulationen. »Kannst du garantieren, dass Kinsolving und der Baronet uns kei ne Probleme machen?«, fragte sie. »Was ist mit diesem abtrünnigen Captain?« »Leclerc?« Tortorelli beendete seine Besichtigungstour des Arbeits zimmers und die Inspektion sämtlicher Kunstgegenstände und Sta tuetten, dann blieb er vor einem riesigen falschen Fenster stehen, um hinaus über die Stadt zu schauen. Elora streckte eine juwelenge schmückte Hand aus, um das Bild zu ändern und zu sehen, wie der Legat reagierte. Aber sie hielt in der Bewegung inne. Es interessierte ihn nicht wirklich, dass er einen kunstvoll versteckten Wandbild schirm anstarrte. »Im Borzoi hast du ihn nicht festgenommen. Deine Militärpolizei hat es ebenso wenig geschafft, ihn seit seiner Flucht wieder aufzu spüren.«
»Das Borzoi?« Tortorelli zog die Stirn in Furchen und versuchte, sich an den Namen zu erinnern. »Das Lokal, in dem es den MP nicht gelungen ist, ihn und den jun gen Ortega zu töten.« »Hieß das so?« Tortorelli schüttelte den Kopf. »Irgendein Offizier, dem ich überhaupt keine Genehmigung erteilt hatte, hat die Aktion geleitet. Ich bin sicher, man hat ihn für seine Inkompetenz inzwi schen zur Rechenschaft gezogen. Es steht in dem Bericht, den mein Stab geschrieben hat.« Elora lachte, der Legat hatte jedoch keine Ahnung, warum. Torto relli stand genau auf dem Fleck, an dem ein einzelner Schuss aus ih rer Pistole das Blut des falschen MP-Offiziers vergossen hatte. Sie hatte die Leiche am Rand eines Aufstands auf die Straße werfen las sen, und niemand hatte es bemerkt, noch hatte es irgendjemanden interessiert. Eines Tages würde den Legaten dasselbe Schicksal erei len. Aber nicht heute. Noch brauchte sie ihn. Elora ging in Gedanken die möglichen Nachfolger Tortorellis durch, nachdem der Gouverneur abgesetzt war. Präfekt Radick wür de in dieser Angelegenheit sicher auf ihren Vorschlag hören, da er ihm die Kontrolle über Mirach sicherte. »Bist du inzwischen näher an einer Festnahme Leclercs, Calvi?« Sie senkte die Stimme zu einem kehligen Flüstern, um ihr jede Spur von Kritik zu nehmen. Sie hatte von klein auf gelernt, dass man mit Honig mehr Fliegen fing als mit Essig, auch wenn ihr Bedarf an ei nem Insekt wie Tortorelli rein nebensächlich war. Er saß bereits in der Falle, und sobald es mit seiner Nützlichkeit vorbei war, konnte sie ihn ohne weitere Umstände erschlagen. »Meine besten Offiziere sind auf der Suche nach ihm. Er könnte sich im Ruinenfeld versteckt halten.« »Da werden sie ihn niemals aufspüren, es sei denn du setzt ausrei chende militärische Mittel ein, um die Häuser einzureißen, die noch stehen.« Ruinenfeld war der Name, den ihre Nachrichtensprecher – intern – einem besonders heruntergekommenen Teil der Stadt gege
ben hatten. Das zehn Häuserblocks große Viertel enthielt nichts als ausgebrannte Gebäude und zwielichtige Gestalten. »Das ist möglicherweise gar keine so schlechte Idee. Danke für den Vorschlag, Elora.« Soeben hatte Elora den nächsten Schritt ihres Planes vorbereitet, Gouverneur Ortega noch irrelevanter zu machen und Legat Torto relli das Image eines bluttriefenden Schlächters zu verpassen. Sie musste sich zwar vorsehen, sich nicht von übertriebener Selbstsi cherheit überwältigen zu lassen, doch es war beinahe an der Zeit, sich mit Präfekt Kai Radick in Verbindung zu setzen und ihn auf diese feine Welt einzuladen.
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Trümmerfeld, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 Austin zuckte beim kleinsten Geräusch zusammen. Die meisten wurden von Ratten und anderen Aasfressern verursacht, die sich an den Kadavern gütlich taten, die auf den Straßen lagen – beziehungs weise auf dem, was von den Straßen noch übrig war. Ganze Häuser waren eingestürzt. Vor dem geistigen Auge sah er, wie die Fassaden bröckelten und auf die Demonstranten herabstürzten, die im Ge dränge nicht ausweichen konnten. Dann folgte der Rest des Gebäu des, durch Brände bis ins Fundament geschwächt, seiner Fassade in einer langsamen, beinahe majestätischen Abrissorgie. Der Gestank nach Tod und Verfall stieg ihm zusammen mit dem allgegenwärtigen Staub unangenehm in die Nase. Doch er wanderte vorsichtig weiter durch die Trümmer. Austin umklammerte die klei ne Pistole, die ihm Marta Kinsolving mitgegeben hatte, so fest, dass seine Hand schweißnass war. Er dachte ständig daran, dass die bei den ersten Kugeln im Magazin Panzerbrecher waren, die dritte eine Explosivkugel. Darauf konzentrierte er sich so vollständig, dass er nicht hörte, wie sich der Mann hinter ihm anschlich. Austin wirbelte herum, als er ein leises Ploppen hörte und ein grellweißes Licht die gesamte Umgebung aus einer Höhe von fast zehn Metern taghell erleuchtete. Sein Blick schwenkte umher und hinauf zu dem gleißenden Punkt auf einem Fensterbrett im dritten
Stock, dann fiel er zurück auf die lautlose dunkle Gestalt hinter ihm. Er hob die Pistole. »Stehen bleiben oder ich schieße!«, brüllte er. Als der Mann, der ihm folgte, nicht anhielt, feuerte Austin. Einmal, zweimal. Beide Ku geln trafen den Mann mitten in die Brust. Austin sah die Treffer Fleisch und Blut wegreißen, aber der Mann zögerte nur. Er schaute hinunter auf seine Brust, hob die Hand an die beiden kleinen Ein schusslöcher, dann grinste er. Austin zuckte zusammen. Sein Gegenüber hatte nur noch zwei Zähne im Mund, aber das Erschreckendste an ihm waren seine Au gen. In ihnen flackerte der Wahnsinn. Es war keine Spur von Be wusstsein mehr zu erkennen. Austin feuerte ein drittes Mal. Diesmal detonierte das Geschoss und schleuderte Blut und Eingeweide durch die Luft – wie eine Fon täne am Zar-Alexander-Brunnen. Er sprang zurück, sank auf ein Knie und hob die Arme über den Kopf, um sich vor dem widerwär tigen Regen zu schützen, der über der Straße niederging. Als Austin wieder aufschaute, hatte er Mühe, sich nicht zu übergeben. Brodeln des Blut hatte sich ringsum in klebrigen Pfützen gesammelt. »In der Wirklichkeit ist Töten nicht so angenehm sauber wie im Si mulator, was?«, hörte er eine gelassene Stimme. Austin flog herum, um sich der neuen Bedrohung zu stellen, senk te die Waffe aber sofort wieder, als er Manfred Leclerc erkannte. »Ich weiß nicht, warum ihn die beiden ersten Schüsse nicht aufge halten haben«, keuchte er. Seine Stimme brach unter der Anspan nung. »Ich habe ihn getroffen. Ich habe es gesehen.« »Das waren Panzer brechende Kugeln. Die sind durch ihn durch gegangen wie ein Laser durch ein Vakuum. Woher haben Sie die Pistole?« Austin wusste, Manfreds eigentliche Frage war eine andere. In Wirklichkeit wollte er wissen, woher Austin eine derartige Waffe hatte. Auch jetzt blieb Leclerc der Kommandeur, der Ausbilder.
»Wir müssen hier weg«, antwortete er. »Marta Kinsolving …« »Marta!« Der Ausdruck auf Manfreds Gesicht bestätigte, was Aus tin bereits vermutet hatte. »Sie hat mir die Pistole mitgegeben. Sie wartet da hinten in ihrer Limousine. Wir müssen Sie in ein Versteck bringen, wo …« Austin stolperte, als wieder grellweiß loderndes Licht über ihm aufflamm te, diesmal von der anderen Straßenseite her. »Was war das?«, fragte Manfred und rieb sich die Augen. »Ich habe fast genau hineingesehen, als es explodierte.« »Schnell«, drängte Austin, der erkannte, was Manfred entging. »Kein Wort. Mir nach. Beeilung!« Die beiden hasteten im Laufschritt durch die Straßen. Austin war nicht sicher, ob er den Weg zurück durch die Trümmerlandschaft richtig in Erinnerung hatte, aber er musste Manfred beweisen, dass er kein völliger Dorftrottel war, der über seine eigenen Füße stolper te. Austin hatte sich selbst immer für einen erfahrenen Soldaten ge halten, doch der kurze Ausflug ins Trümmerfeld hatte ihn über zeugt, dass es Soldaten und Soldaten gab. Straßenkampf war jeden falls nicht seine Sache. Er saß lieber in der Kanzel eines Mechs, statt zu Fuß, ungepanzert und mit einer kleinen, schlagkräftigen, aber für die Mission ungeeig neten Waffe, zwischen Häuserblocks herumzuirren. »Da ist der Wagen«, rief Manfred und rannte los. Austin folgte ihm langsamer, vom Rennen durch die Ruinen außer Atem. Er blin zelte, als ein weiterer der grellweißen Lichtpunkte ein Dutzend Me ter hinter der Limousine aufloderte. Er stützte sich an der Seite des Wagens ab, blickte sich um und stellte fest, dass er und Manfred be trächtliche Aufmerksamkeit erregt hatten. Eine Gruppe dürrer Män ner und Frauen folgte ihnen, kaum mehr als Haut und Knochen, ge kleidet in Lumpen, wie Eisenspäne, die von einem Magneten ange zogen wurden. Austin wollte auf sie schießen, dann ließ er die Pisto le sinken und stieg in den Fonds der Limousine. Er hätte ihnen ver mutlich einen Gefallen damit erwiesen, doch es wäre falsch gewe
sen, auf Menschen zu feuern, die er zu beschützen geschworen hat te. Manfred und Marta saßen nebeneinander und pressten die Ober schenkel aneinander. Davon abgesehen hätte man glauben können, sie wären sich eben erst begegnet. Sie schauten einander nicht an und ihre Hände berührten sich nicht. Er ließ sich auf den Sitz gegen über fallen und fragte: »Kommen wir hier wieder weg?« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er von der plötzlichen Beschleunigung fast aus den Polstern geschleudert wurde. Manfred fing ihn auf und drückte ihn vorsichtig auf den weichen, lederbezo genen Sitz zurück. »Ich bin froh, hier wegzukommen«, stellte Austin fest. »Wie haben Sie das überlebt, Manfred? Diese Gegend ist furchtbar. Ich muss meinem Vater davon erzählen und etwas für diese Leute tun.« »Er weiß davon«, bemerkte Manfred. »Es gibt andere, drängende re Probleme, die Vorrang haben.« »Aber …« »Seien Sie still, Austin«, unterbrach ihn Marta. »Haben Sie die klei nen Explosionen da hinten gesehen?« »Was war das?«, fragte Manfred. »Überwachungskameras. Möglicherweise hat Tortorelli ihre Instal lation befohlen, aber die von ihnen gelieferten Bilder sind bestimmt an Elora gegangen. Darauf können Sie sich verlassen.« »Warum sind sie explodiert?« »AllWorldComm stellt sie her, also kann ich ihre Position heraus finden. Ich bin vielleicht nicht in der Lage, ihr kodiertes Signal zu unterbrechen, aber sobald ich weiß, wo sie sind, kann ich einen Fun kimpuls an sie abschicken, der die Elektronik durchbrennen lässt. Und das habe ich getan.« »Was tun wir jetzt?«, fragte Manfred. »Tortorelli und Elora wissen beide, wo ich bin. Und das bringt Sie ebenfalls in Gefahr.« »Während Sie beide sich die Gegend ansahen, habe ich mich mit
meiner Werkschutzchefin in Verbindung gesetzt. Es gibt keine Mög lichkeit, Sie zu verstecken. Nicht hier auf Mirach. Wir fahren auf di rektem Weg zum Raumfeld unserer Firma. In Kürze hebt ein Lan dungsschiff ab. Sie können sich auf Kuton verstecken.« »Ich verlasse Mirach nicht. Nicht jetzt!«, protestierte Manfred. »Sie hat Recht«, stellte Austin fest. »Wir brauchen einen Anführer, und Sie sind der Einzige, der infrage kommt. Wenn es uns nicht ge lingt, die Truppen des Legaten irgendwie zu spalten, wird er die Kontrolle restlos übernehmen.« »Was Sie da vorschlagen, ist Meuterei, Verrat«, erwiderte Man fred. »Ohne mich, Austin. Es würden zu wenige Mitglieder der Hei matgarde mitspielen.« »Wenn wir es nicht versuchen, gibt es keine Chance, Tortorelli und Rimonowa aufzuhalten«, warf Marta ein. »Austin hat mich davon überzeugt, dass die MBA die umgerüsteten Mechs nicht in den Kampf schicken kann, ohne große Verwüstungen anzurichten.« Manfred starrte Austin einen Moment lang an, so als sähe er ihn in einem völlig neuen Licht. Dann nickte er zögernd. »Er hat mit seinen Einwänden Recht. Die Mechs können eure Fabriken verteidigen, aber Sie wären gewaltig im Nachteil, falls Sie versuchen sollten, sie offensiv gegen Krötentruppen einzusetzen. Der Sachschaden in der Stadt wäre furchtbar, und jeder Soldat, den einer der Mechs tötete, wäre ein loyaler Bürger Mirachs, der nur legitim erscheinende Be fehle des rechtmäßigen planetaren Legaten ausführt.« Austin ließ sich in die weichen Polster des Sitzes sinken. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh. »Es war ganz schön clever, die Nachricht auf dem Brunnen zu hin terlassen«, wechselte er das Thema. Manfred lächelte und nickte ein mal kurz. Austin verstand die Botschaft. Halt die Klappe. Er beobachtete Manfred und Marta, wie sie sich im weiträumigen Fonds der Limousine eng aneinander drückten und dabei versuch ten den Eindruck zu erwecken, einander kaum zu kennen. Jetzt, da er darauf achtete, bemerkte er auch die verstohlenen Blicke und
winzigen, kurzen Berührungen. Beinahe hätte er gefragt, ob Marta Manfred auf den Mond begleiten würde. »Da ist es«, erklärte Marta, als sich die Polarisation der Fenster än derte und das Raumfeld sichtbar wurde. »Wir wollen hoffen, dass wir ihnen einen Schritt voraus bleiben können.« Sie schaute zu Aus tin hinüber und schürzte die Lippen. »Sie sollten ihn begleiten. Ihr Leben ist beinahe so gefährdet wie seines.« »Ich muss meinen Vater aus dem Hausarrest holen und irgendwo hin bringen, wo er ungestört zu den Menschen reden kann, ohne dass Lady Elora jedes Wort zensiert.« Der Wagen rollte ans hintere Ende des Feldes, wo das kleinste der Landungsschiffe stand. Beinahe konnte Austin das Raumschiff in angespannter Erwartung des Starts zittern sehen, aber das war reine Einbildung. Wenn überhaupt, herrschte in seiner Umgebung weniger Betrieb als bei seinen größeren Vettern auf dem Rest des kleinen Raumha fens. »Ich werde den Sicherheitskordon deaktivieren«, erklärte Marta. Sie lehnte sich über Manfred, der absolut nichts dagegen hatte, und hob ein kleines GlobalNetz-Telefon aus der Halterung in der Arm stütze. Marta fummelte mehrere Sekunden an dem Gerät herum und gab die Autorisierungssequenzen ein, die es ihnen gestatteten, sich dem Landungsschiff so kurz vor dem Start zu nähern. »Mir ist, als würde ich davonlaufen«, bemerkte Manfred. »Es muss eine bessere Möglichkeit für mich geben, Unterstützung zusammen zutrommeln. Auf Kutan werde ich wie ein Feigling aussehen.« Er nahm das Telefon aus ihrer Hand und steckte es ein. »Ich sehe nach, ob alles in Ordnung ist«, schlug Austin vor, um Manfred und Marta etwas Zeit – allein miteinander – zu geben. Er stieg aus der Limousine, schaute sich um, dann wanderte er zu dem Landungsschiff hinüber und starrte an dessen Rumpf hoch. In der Ferne hatte es winzig ausgesehen. Jetzt, aus der Nähe, schätzte er seine Höhe auf über hundert Meter. Scheinwerfer vom ganzen
Raumfeld warfen ihr Licht auf die glänzende Außenhülle und ließen sie silbern schimmern. Dunklere Markierungen wiesen das Schiff als AllWorldCommFrachter aus. Austin atmete tief ein und schmeckte den metallischen Biss von Treibstoffkomponenten in der Luft. Als er sich wieder umdrehte, sah er Marta herüberlaufen. Manfred blieb im Wagen. »Stimmt etwas nicht?«, fragte er. »Nein, er kommt. Er hat noch ein paar letzte Kleinigkeiten zu erle digen.« Austin runzelte die Stirn, als er Manfred telefonieren sah. Nach dem Gesichtsausdruck zu schließen, hatte sein Gesprächspartner be unruhigende Neuigkeiten. Manfred schaute sich um, als erwarte er jeden Augenblick, dass MP-Trupps das Raumfeld stürmten, dann bemerkte er, dass Austin ihn beobachtete und unterbrach hastig die Verbindung. Mit wem hat er wohl geredet?, überlegte Austin. Er wollte schon fra gen, aber Manfred rannte an ihm vorbei. »Beeilung«, drängte Marta. »Je weniger Zeit wir vertrödeln, desto geringer ist die Gefahr, dass Elora erfährt, was wir planen.« Man fred legte den Arm um Marta und zog sie für einen Abschiedskuss an sich. Dann ließ er sie los, gab Austin einen Schlag auf die Schul tern und lief auf die andere Seite des Landungsschiffes, wo ihn ein kleiner Aufzug zur Einstiegsluke mittschiffs bringen würde. »Wir müssen sehen, dass wir hier wegkommen. Der planmäßige Start ist in fünf Minuten.« Marta zögerte, warf dem Frachter noch ein beinahe scheues Lächeln zu, dann stieg sie in den Wagen. Austin folgte ihr auf dem Fuße. Die Limousine schoss mit Höchstgeschwindigkeit davon, auf eine Zeile Kontrollbunker am anderen Ende des Feldes zu. »Ich habe mich in die Feldkontrolle eingeklinkt«, bemerkte Marta und legte die Einspielung aus dem Bunker auf die Sprechanlage der
Limousine. »Wir sind beim Start sicher außerhalb der Gefahrenzo ne.« Austin hielt den Atem an, als sich der Countdown dem Ende nä herte. »Triebwerke zünden«, leierte der Fluglotse monoton herunter. »Fünnef, vier, drei, zwo, eins, Start.« Austin beugte sich nervös vor, konnte das Landungsschiff durch das Heckfenster kaum erkennen. Ein plötzlicher Lichtschein ließ es aufleuchten und zwang ihn trotz der polarisierten Scheibe, die Au gen zusammenzukneifen. »Da fliegt er«, sagte Austin. Dann versagte ihm die Stimme. Das Landungsschiff hatte sich kei ne hundert Meter vom Boden gelöst und beschleunigte noch, als es explodierte.
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AWC-Firmenraumfeld, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 Unwillkürlich drängte sich Austin die Anschuldigung des Verrats auf die Lippen. Doch ein Blick auf Marta Kinsolvings entsetztes Ge sicht überzeugte ihn, dass sie nichts mit der Explosion und Man freds Tod zu tun haben konnte. »Finden Sie heraus, was geschehen ist«, forderte Austin sie auf und verdrängte den Schock, indem er den Befehl übernahm. »Das Kontrollzentrum muss Messgeräte haben.« »Ich … ja, natürlich. Die Fluglotsen.« Mit zitternder Hand gab Marta die Nummer ein, die sie direkt mit den Startbunkern für die Landungsschiffe verband. Austin schaute aus dem Wagenfenster. Draußen regierte das Cha os. Techs rannten umher, brüllten, gestikulierten, beschuldigten ein ander, schafften Rettungsmaterial an die Absturzstelle. »Uns ist noch nie ein Frachtschiff explodiert. Ben Nagursky ist das ein paarmal passiert, aber das waren alles Testmaschinen. Dies … das hier sind alles nur Standardlasttransporter. Seit Jahrhunderten in Gebrauch, zuverlässige Schiffe.« Wütend schleuderte Marta das Telefon auf den Boden der Fahrzeugkabine. »Keine Antwort. Kom men Sie.« Sie kletterte aus dem Wagen und marschierte voraus zum
nächsten Bunker. Austin schob die Techs im Innern beiseite, um ihr den Weg zur Startleiterin frei zu machen. »Dr. Penrose, was ist denn mit dem Frachterstart schief gelaufen?«, herrschte Marta die bleiche, zitternde Frau an. »Ich weiß es nicht. Alle Anzeigen waren im grünen Bereich«, ant wortete die Startleiterin. »Aber der abrupte Schubverlust und die ex plosive Natur der Fehlfunktion lassen mich Sabotage vermuten.« »Jemand hat das Schiff sabotiert? Sie meinen, es war irgendeine Art Bombe an Bord?« Marta knirschte ungeduldig mit den Zähnen, während sie auf Antwort wartete. Austin war klug genug, kein Wort zu sagen. Dr. Penrose deutete auf einen Schirm, über den sich eine gestochen scharfe Leuchtspur zog. »Sehen Sie hier. Eine Millisekunde vor der Explosion des Schiffes kam es zu einer schweren Detonation im Rumpfinnern, in unmittelbarer Nähe des Fusionsreaktors. Wir wer den nach Spuren suchen und herausfinden müssen, um welche Art von Sprengstoff es sich handelte. Falls wir ermitteln können, wel cher Art die Bombe war, können wir vielleicht feststellen, wer als Verantwortlicher infrage kommt. Aber wer immer es war, er war gut genug, unsere Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen. Und er kennt sich mit Landungsschiffen aus.« »Der Legat hat Zugriff auf Explosivstoffe aller Art«, bemerkte Austin leise. »Jeder mit einem Militärausweis kann sich unter dem Vorwand einer Inspektion Zugang zu allen Schiffen verschaffen, die ins All starten sollen.« »Riegeln Sie das Gelände ab«, entschied Marta. »Jeder wird ver hört. Ich will diesen Saboteur.« »Ms. Kinsolving, eine derartige Sabotage erfordert Vorbereitung. So etwas dauert.« Dr. Penrose räusperte sich. »Wahrscheinlich ist der Täter längst verschwunden.« »Vielleicht auch nicht. Wir müssen es zumindest versuchen. Falls wir keinen Erfolg haben, überlegen wir uns, wie wir weiter vorge hen.«
Marta stieß einen Tech beiseite und nahm eine Kommkonsole in Beschlag. Innerhalb von Sekunden erschienen zwei bekannte Ge sichter auf dem Schirm. Austin erkannte Dr. Chin in der oberen Hälfte des horizontal geteilten Bildes, und einen verschlafen drein blickenden Benton Nagursky in der unteren. »Softwaregesicherte Verbindung«, erklärte Marta hastig, ebenso sehr für Austin wie als Information für die beiden MBA-Direktoren. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Legat ein Landungs schiff sabotiert hat. Wir leiten in diesem Moment eine Untersuchung ein.« Sie schluckte, bevor sie weitersprach. »Manfred Leclerc war an Bord.« »Möchten Sie, dass wir den Einsatz der Mechs genehmigen?«, fragte Dr. Chin. »Ja.« Mehr sagte Marta nicht. Die beiden anderen streckten die Hand nach Kontrollen außerhalb des Bildbereichs aus und der Schirm wurde dunkel. »Sie dürfen Tortorelli nicht angreifen«, brach es aus Austin heraus. »Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, warum uns das nicht weiter hilft. Das könnte genau die Lücke in unserer Deckung sein, auf die Elora lauert.« »Ich weiß, aber Manfred war auf dem Schiff.« Jetzt ließ sie den Tränen freien Lauf. »Ich weiß nicht, ob er auf die Soldaten so stark gewirkt hätte, wie wir hofften, aber er hätte sein Bestes getan.« »Ich kenne niemanden, der treuer zur Republik gestanden hätte als er«, bestätigte Austin. »Und er war mein Freund.« »Ich werde mir die vollen Telemetriedaten beschaffen.« Marta riss sich zusammen und nahm die Schultern zurück. »Es spielt keine Rolle, was das Landungsschiff zerstört hat, solange wir Beweise da für finden, wer seine Vernichtung befohlen hat und sie jedem zeigen können, der bereit ist, zuzuhören.« »Wir wissen schon, wer dafür verantwortlich ist«, entgegnete Aus tin.
»Elora handelt schneller, als wir erwartet haben«, murmelte Marta. »Wenn wir nicht weiter dafür bezahlen wollen, dass wir sie unter schätzen, müssen wir handeln. Sofort!«
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Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 3. Mai 3133 »Ja«, grinste Lady Elora Rimonowa von einem Ohr zum anderen. Hämisch lachend lehnte sie sich in ihrem komfortablen Chefsessel zurück und war zum ersten Mal seit Tagen restlos zufrieden. Sie schaute an Legat Tortorelli vorbei auf den Panoramablick über Cin gulum. Mit einer lässigen Bewegung der Hand über einen Infrarot sensor schaltete sie das Bild der Fensterattrappe zu einem Sonnen aufgang um. Dann aktivierte sie eine andere Kontrolle, die eine wei tere Serie von Angriffen auf die MBA einleitete. Es war endlich so weit, die Macht auf Mirach neu zu verteilen. Der plötzliche Lichteinfall aus dem falschen Fenster ließ Calvilena Tortorelli aufschrecken. Er starrte auf die prächtige Szene. »Es ist die falsche Tageszeit für einen Sonnenaufgang«, bemerkte er und runzelte die Stirn, während er eine Lösung für dieses Rätsel suchte. »Das ist nicht dieselbe Richtung wie vor ein paar Minuten noch. Jetzt blickt das Fenster nach Osten.« Seine Miene hellte sich auf. »Oh, du schlaues Luder. Du hast die Projektion verändert, um mir zu schmeicheln.« »Dir entgeht nichts, Calvi«, antwortete Elora mechanisch. Ihre Ge danken rasten über ein Dutzend verschiedene Pfade zur Macht. Mit der Vernichtung einer wichtigen AWC-Ausrüstungslieferung nach Kuton war Marta Kinsolvings Plan, ihr Medienmonopol zu brechen,
wenn nicht zu zerschlagen, dann doch zumindest gebremst. Aber jetzt spielte das keine Rolle mehr. Das Schicksal hatte es so gewollt, dass Manfred Leclerc an Bord des Frachters gewesen war, und mit seinem Tod hatte die MBA den einzigen erfahrenen Piloten/Kom mandeur für ihre Kampftruppe umgebauter ArbeitsMechs verloren. Mehr noch, Leclercs Tod bedeutete das Aus für die 1. Kosaken-Lan ciers. Die letzte noch auf Gouverneur Ortega eingeschworene Ein heit hatte ihren Anführer und Bannerträger verloren. »Es sieht prächtig aus, Calvi«, stellte sie fest. »Der Morgen eines neuen Tages.« »Aber es ist immer noch so spät.« Sie warf einen Blick auf die Einspielung der einzelnen Videokame ra, die die hektischen Bergungsanstrengungen auf dem Landungs schiffsfeld übermittelte. Ein anderer Schirm zeigte eine kodierte Nachricht, die die Zustellung des Pakets überflüssigerweise bestä tigte. Jemanden zu finden, der die Sabotage durchführte, war leicht gewesen, den militärischen Sprengstoff für diese Aktion zu bekom men, sogar noch leichter. Elora wusste nur zu gut, wie zerstritten Tortorellis Truppen waren. Jemanden zu finden, der ihn loyal gegen Baron Ortega unterstützte und dumm genug war, die Lügen einer attraktiven und mächtigen Frau zu glauben, war ein unterhaltsamer und äußerst erfolgreicher Zeitvertreib gewesen. Natürlich hatte sie jetzt keinen Bedarf mehr für derlei Handlanger. Jetzt konnte sie das Geschehen auf ein größeres Spielbrett verlagern, wo Entscheidun gen nicht durch die Platzierung eines einzelnen Bauern fielen, son dern durch die Bewegungen einer gewitzten und äußerst gefährli chen Dame. »Ein beeindruckendes Paket. Ich hätte, ehrlich gesagt, nicht erwar tet, dass der Mann dazu fähig ist«, stellte Tortorelli leise fest. Elora schreckte auf. Sie war in ihren Machtträumen so tief versunken ge wesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie der Legat bei seinem nervö sen Rundgang durch ihr Arbeitszimmer hinter ihr stehen geblieben war, um sämtliche Kunstgegenstände zu inspizieren. Er legte eine
Hand auf ihre knochige Schulter. »Lass es mich wissen, wenn du in meinem Namen Leute aus meinen Einheiten beauftragst. Ich kann den Erfolg ihrer Missionen sichern. Keiner von uns empfindet son derliche Zuneigung für Sergio Ortega.« »Wie Recht du hast, Calvi«, hauchte sie, warf die rote Haarmähne zurück und schaute nachdenklich zu ihm auf. Möglicherweise war er doch nicht ein solcher Narr, wie sie geglaubt hatte.
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AWC-Firmenraumfeld, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 4. Mai 3133 »Es gibt keine Hoffnung mehr«, stellte Marta Kinsolving fest. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis Austin Blutstropfen unter den schar fen weißen Zähnen hervorquellen sah. Doch die Firmenchefin hielt sich kerzengerade, während sie die Fotos von den Überresten des Landungsschiffes betrachtete. »Irgendwelche Strahlungslecks?« »Ja, aber sie sind harmloser, als ich befürchtet hatte«, antwortete Dr. Penrose. »Den ersten Berichten zufolge gibt es einen nicht weiter bedenklichen Hüllenbruch im Fusionsreaktor, der bereits repariert wird. Das Ausmaß der Explosion war mehr eine Folge der Entzün dung flammbarer Chemikalien an Bord des Landungsschiffes durch die Hitze, und die sind besorgniserregender. Die Brände auf dem Feld werden noch mehrere Tage lodern. Die Verseuchung der Um gebung hat ein beträchtliches Ausmaß.« Penrose zögerte kurz und blickte zwischen Austin und Marta hin und her, dann fragte sie: »Ma'am, was haben Sie damit gemeint: ›Es gib keine Hoffnung mehr‹? Hoffnung worauf? Es war vom Moment der Explosion an klar, dass wir von dem Schiff nichts retten konnten.« »Ich habe mich darauf verlassen, dass die Ausrüstung auf Kuton eintrifft«, log Marta nicht sonderlich erfolgreich, zumindest in Aus tins Augen. »Jetzt brauchen wir die Relaisstation besonders drin gend.«
»Natürlich, für das GlobalNetz.« Penrose war nur einen Meter fünfundfünfzig groß, aber Austin spürte, welche Energie in diesem kleinen Körper steckte. Sie ließ sich von niemandem etwas vorma chen und glaubte Martas Erklärung keine Sekunde lang. Ein neues Landungsschiff ließ sich innerhalb von Tagen fertig machen. Die fi nanzielle Belastung eines solchen Kraftakts war gewaltig, doch ein Megakonzern wie AllWorldComm konnte sie ertragen. Der Gewinn durch die Eröffnung des weltweiten GlobalNetzdienstes war noch gewaltiger. Marta drehte sich zu ihm um. Ihre braunen Augen waren bodenlo se Brunnen der Trauer. »Gibt es irgendjemanden, den wir benachrichtigen müssen? Man fred hat nie eine Familie erwähnt.« »Die 1KL waren die einzige Familie, die ich ihn je habe erwähnen hören.« Die Verzweiflung der Stunden nach dem Landungsschiffs unglück hatten für sie beide stummer Trauer Platz gemacht. Er und Marta mussten Manfreds Verlust schweigend ertragen. »Ms. Kinsolving, das sollten Sie sich ansehen«, rief ein Tech, der an einer Monitorzeile arbeitete. Auf den Bildschirmen flackerte eine Szene nach der anderen auf. Wie es irgendjemandem gelingen konn te, dieses visuelle Unwetter zu entziffern, war Austin ein Rätsel, aber der Mann in der Mitte der Schirme stürzte sich auf ein be stimmtes Bild. Ein paar Sekunden schneller Handgriffe, und diesel be Nachrichtensendung erschien auf allen Monitoren. »… unsere Quellen melden, dass die Mirach Business Association sich von der Republik losgesagt hat und in Verhandlungen mit Ja cob Bannson steht.« »Das ist eine Lüge!«, stieß Marta wütend aus. »Was ich Ihnen zeigen wollte, läuft gerade über die Sender, Ms. Kinsolving«, sagte der Tech. »Das hier war eine Aufzeichnung aus einer Nachrichtensendung vor zwei Stunden.« Das Bild auf den Schirmen zerfloss wie ein Ölfilm auf einer Wasseroberfläche und verfestigte sich zu Lady Eloras kantigem Gesicht. Sie wirkte so un
heilschwanger, wie Austin sich fühlte. »Bürger von Mirach«, erklärte Elora würdevoll. »Ein Tag, der das Potenzial zu einem Freudenfest hatte, hat sich in eine Stunde der Gefahr verwandelt. Vor weniger als einer Stunde hat das Ministeri um für Information eine erste Nachricht von Präfekt Kai Radick über den Wiederaufbau des HPG-Netzwerks erhalten.« Das Schweigen, das sich im ganzen Raum ausbreitete, explodierte eine Sekunde später in einem Pandämonium. »Ruhe!«, brüllte Marta. »Warum habe ich nichts von einer HPGSendung erfahren?« »Weil es keine gibt, deswegen«, antwortete Dr. Penrose, die hastig eine Serie von Messgeräten kontrollierte. »Auch wenn wir uns hier alle den Arsch aufreißen, um das Frachtschiff zu bergen, ich würde nie gestatten, dass etwas so Wichtiges wie eine eintreffende HPGNachricht unserer Aufmerksamkeit entgeht. Das ist nie passiert, Ms. Kinsolving. Dafür lege ich die Hand ins Feuer.« »Diese verlogene Schlampe«, knurrte Marta. »Ich will hören, was sie sagt«, meinte Austin. Er trat näher an die Monitore heran, doch der Tumult im Kontrollbunker verschluckte Eloras Worte. Er neigte den Kopf zur Seite und versuchte zu hören, was sie sagte. Es musste einen Weg geben, ihre Lügen gegen sie zu kehren, ganz gleich, wie clever sie war. »Präfekt Radick hat sich auf die Seite der Bürger gestellt«, sprach Elora weiter, und ihre Stimme bebte jetzt vor Erregung. »Er ist be reit, eine Volksbewegung zum Sturz der Tyrannei zu unterstützen. In diesem Streben nach maximaler Freiheit bittet er alle Bürger, nur Legat Tortorelli zu folgen, bis die Regierungsgeschäfte erfolgreich an Personen übergeben werden können, die über größere Führungs qualitäten verfügen.« »Bürgerkrieg. Das ist es, wozu sie aufruft«, stellte Austin fest. »Sie fordert die Bevölkerung auf, Tortorelli zu unterstützen – und sie selbst –, wenn die beiden gegen meinen Vater vorgehen.« Austin schloss die Augen und wusste, was nun geschehen würde – so si
cher, als wäre es bereits eingetroffen. Das Militär, das er in mehrere Fraktionen zu spalten gehofft hatte, würde Tortorellis Befehlen wie ein Mann folgen. Manfred war tot. Dale war tot. Sergio Ortega stand im Palast unter Hausarrest und durfte mit niemandem Kontakt aufnehmen. Lady Elora kontrollierte die Nachrichten. Die einzige glaubhafte Opposition gegen den Putsch bestand aus den umgebauten ArbeitsMechs der MBA. Aber so mächtig diese Truppe auch war, sie würde gegen die versammelte Macht eines ganzen Planeten stehen. Austin sah nichts als Schrecken am Horizont. Ihm fehlten die Er fahrung Manfred Leclercs und das Charisma seines Bruders, aber ir gendjemand musste die Kräfte mobilisieren, die noch daran glaub ten, dass Mirach innerhalb der Republik überleben und gedeihen konnte. Seine Gedanken rasten. Die Menschen auf Mirach hatten gehört, dass das Netz wieder funktionierte. Und sie würden alles glauben, was Elora ihnen er zählte. »Sie wirken wie in Panik«, bemerkte Marta. »Ich … Nein. Nein, das ist es nicht. Es geschieht alles gleichzeitig. Ich kann mich kaum entscheiden, was ich jetzt zu tun habe. Ich muss zum Palast und meinen Vater befreien. Falls er ein paar Solda ten davon abhalten kann, Tortorelli zu folgen, muss er die Chance dazu bekommen.« »Ihr Vater war bis jetzt ausgesprochen passiv. Er könnte andere Pläne haben«, warf Kinsolving ein. Austin fühlte nichts als Verachtung für seinen Vater. Die besten Tage des alten Mannes waren vorbei, und jetzt erwartete ihn nur noch Schande. Seine fein gedrechselten Worte würden gegen die Ra keten und Laser nichts ausrichten, die der Legat gegen ihn sammel te. Das hier war ein Putsch, keine Podiumsdiskussion. Auf den Ver lierer wartete der Tod.
»Irgendwie müssen wir Elora und Tortorelli aufhalten. Können Sie Ihre Nachrichtensendungen stören? Die Ausrüstung stammt doch vermutlich von AWC. Ihre Techs kennen sich mit den Geräten bes ser aus als irgendwer sonst.« »Sie verkennen die Lage, Austin«, schüttelte Marta den Kopf. »Elo ra hat der Welt bereits verkündet, dass sie eine Nachricht von Ra dick empfangen hat. Soweit es die Bevölkerung betrifft, ist sie der Messias. Die Aufstände wurden von Angst vor der Isolation ge speist, der Furcht vor dem, was im Rest der Präfektur vorgeht, ohne dass irgendjemand hier davon erfährt. Sie hat sich als das Orakel etabliert, das den Menschen diese Angst nehmen kann.« »Und ihnen sagen kann, was sie zu tun haben«, ergänzte Austin bitter. Marta hatte Recht. »Elora ist uns weit voraus.« »Niemand wird protestieren, wenn die Heimatgarde ausrückt und unsere Firmen beschlagnahmt, weil die Leute glauben, dass Radick Tortorelli vorbehaltlos den Rücken deckt. Die Macht des Glaubens an das wieder erstandene HPG-Netz wird sie dazu aufstacheln, uns zu vernichten, wenn wir die Mechs jetzt nicht einsetzen.« Austin sah keinen Ausweg. Die MBA konnte entweder verhandeln und darauf hoffen, dass Elora sich gnädig zeigte, oder sie konnte ihre ultimative Waffe einsetzen und versuchen, die militärische Macht des Legaten zu brechen. Elora wusste nicht einmal, was Gnade war. Alle hatten verloren. Alle außer Elora. Marta bellte Befehle und machte sich daran, ihre Kampfeinheiten und die der Mirach Business Association in Stellung zu bringen. Während ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Notwendigkeit gerich tet war, Fabriken und Arbeiter vor den Mobs zu beschützen, die sich ohne Zweifel bereits sammelten, schlich sich Austin davon, öffnete die schwere Bunkertür und trat hinaus ins Morgenrot. Die rote Sonnenscheibe hob sich mühsam über den Horizont und versprach Flüsse aus Blut, bevor sie am Ende des Tages wieder ver sank. Austin requirierte die Limousine und jagte nach Cingulum da
von, zu seinem Vater.
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Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 4. Mai 3133 »Halt!« Für einen Moment war Austin zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich darüber klar zu werden, dass der Posten ihn meinte. Er hat te sein ganzes Leben im Palast verbracht, bis er in die Kaserne der 1KL umgezogen war, als sein Militärdienst begann. Aber inzwi schen hatte sich die Lage geändert, und in der Hast, seinen Vater zu sprechen, hatte er das dummerweise vergessen. »Austin Ortega, Adjutant des Gouverneurs«, identifizierte er sich und griff nach seinem Ausweis. Augenblicklich wurde er mit dem Rücken gegen die nächste Wand gedrückt und starrte in die Mün dungen zweier Gewehre. »Behalten Sie die Hände, wo wir sie sehen können«, befahl der Posten. »Der Gouverneur ist mein Vater. Erkennen Sie mich nicht?« »Holt den Captain der Wache. Wir haben ihn geschnappt«, rief der Soldat unmittelbar vor Austin. Der Baronet schaute sich um und sah Geschützstellungen knapp hinter dem Südeingang des Palastes, wo es nie zuvor welche gege ben hatte. Gewehrläufe starrten hinter riesigen verzierten Steinsäu len hervor und in der Ferne hörte er das Knallen von Stiefeln auf
dem Marmorboden des Korridors. »Was geht hier vor? Ich verlange, den Gouverneur zu sprechen!« Austin war klar, dass seine Worte nichts ausrichteten. Er wollte sich nur Zeit verschaffen, um nachzudenken. Falls man den Captain der Wache rief, konnte das nur bedeuten, dass man ihn bei dessen An kunft in irgendeine Kerkerzelle weitab vom Palast bringen würde. »Ich – mein Bauch!«, schrie er auf, hielt sich den Leib und klappte zusammen. Durch die Bewegung brachte er den Kopf für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Schussfeld der Gewehre. Das gab ihm die Gele genheit, sich nach vorne zu werfen und dem Soldaten vor ihm die Schulter in den Leib zu rennen. Die beiden anderen versuchten, ihn anzuvisieren und zu feuern. Er gab ihnen keine Gelegenheit dazu. Er stieß den ersten Soldaten gegen seine Kameradin und verdarb ihr den Schuss. Den Dritten erwischte er mit einem harten Tritt nach hinten an der Kniescheibe. Unter dem Tritt, auf den ein Maulesel hätte stolz sein können, barst der Knochen, gefolgt von einem lauten Schmerzensschrei. Austin nutzte die durch den Aufschrei entstande ne Verwirrung und blieb in Bewegung. Er wirbelte, packte zu, teilte kurze, schnelle Hiebe aus, die ihre Empfänger schockten. Als alle drei Soldaten am Boden lagen, hatte Austin ein Gewehr in der Hand. Er sah eine Offiziersuniform fünf Meter entfernt hinter ei ner Säule auftauchen und drückte ab. Die Kugel prallte auf den Stein und ein Schwarm scharfer Splitter sirrte wie wütende Bienen durch den Korridor. Der kurze, aber wilde Kampf hatte die Aufmerksamkeit der Solda ten in den Geschützstellungen erregt. Sie schwenkten die automati schen Waffen herum und eröffneten das Feuer, doch Austin war schon zwischen den Säulen verschwunden und benutzte den massi ven Kalkstein als Deckung. Trotzdem schwirrten ihm die Kugeln um die Ohren und zwangen ihn, den Kopf einzuziehen, bis er ein niedriges Geländer erreichte. Ohne abzubremsen hechtete er über das Stahlgeländer und stürzte fast vier Meter tief.
Der Aufprall war hart, aber er erholte sich schnell. Wenn er überle ben wollte, blieb ihm nichts anderes übrig. Die Abzeichen der Solda ten hatten sie als Legat Tortorellis persönliche Garde identifiziert, und für Austin hieß das, sie unterstanden Lady Eloras Befehl, ob ih nen das bewusst war oder nicht. Er fluchte über seine eigene Dummheit. Er wusste: Sein Vater durfte keinen Kontakt mit irgend jemandem außerhalb des Palastes aufnehmen. Natürlich bedeutete das, man würde auch jeden anhalten, der von außen zu ihm gelan gen wollte. Der schmale Gang bog nach rechts ins Dunkel ab. Austin war schon oft hier entlanggekommen, seit Dale und er den Geheimgang als Kinder auf einem ihrer Entdeckungszüge gefunden hatten. Er fuhr mit der Hand über den glatten Stein, fand die leichte Ver tiefung aber nicht, die er suchte. Dann fiel ihm ein, dass er erst vier zehn gewesen war, als er diesen Gang zuletzt benutzt hatte. Er such te tiefer an der Wand, entdeckte die Stelle und presste kräftig, bis die Wand lautlos zur Seite glitt. Austin verschwand durch die Öff nung, gerade als ein Kugelhagel in den engen Gang prasselte. Er drückte die Tür wieder zu und lehnte sich keuchend dagegen. Auf der anderen Seite hörte er wütende Stimmen, als die Soldaten sich wunderten, wie sie ihn hatten verfehlen können, und sich ge genseitig die Schuld für diesen Fehler gaben. Austin ertastete sich den Weg durch die Dunkelheit. Dale und er hatten hier vor Jahren Taschenlampen abgelegt, aber Austin ver schwendete keine Zeit mit einer Suche. Die Batterien waren inzwi schen ohnehin leer. Er rief sich alte Erinnerungen ins Gedächtnis und arbeitete sich stetig durch das Labyrinth der Gänge unter dem Palast, die ursprünglich einmal für Dienstboten und Arbeiter ange legt worden waren. Ein kleines helles Rechteck ein gutes Stück höher verriet ihm, dass er sich dem Ausgang näherte. Austin nahm drei Stufen auf einmal, bis er ein Auge an die Wandöffnung drücken konnte und in den Korridor hinausschaute, der den Konferenzsaal mit dem Arbeits
zimmer seines Vaters verband. Hätte es einen geheimen Weg ins Gouverneursbüro gegeben, er hätte ihn benutzt. Aber Dale und er hatten bei all ihren Erkundungszügen nie einen entdeckt, und dabei hatten sie alle Zeit der Welt gehabt, danach zu suchen. Jetzt schien Austin die Zeit davonzulaufen. Ein Trupp Heimatgardisten marschierte vorbei, bis zum letzten Mann paradeplatzperfekt. Er fasste das Gewehr fester und verge wisserte sich, dass es durchgeladen war. Dann öffnete er das uralte Schloss und trat hinaus auf den Flur. Zehn schnelle Schritte brachten ihn in die Waffenkammer. Seine Miene verhärtete sich, als er sah, dass alle ausgestellten Waffen von den Wänden verschwunden waren. Auch die Schreibtische standen verlassen. Obwohl es noch früh am Tag war, hätte der Bürostab schon an der Arbeit sein müssen. Auch wenn der Facettenpalast ein außergewöhnlich elegantes Ge fängnis war, der Gouverneur saß in Einzelhaft. Für einen Moment befürchtete Austin, er würde seinen Vater aus irgendeiner Kerker zelle befreien müssen, in die Tortorelli – also Lady Elora – ihn ge steckt hatte, aber sobald er die Bürotür erreichte, wusste er, dass Elora sich ihren letzten Schlag gegen den Gouverneur noch aufgeho ben hatte. Der Baron schaute hoch, als Austin eintrat und die Türe hinter sich schloss. »Du hättest nicht kommen dürfen, Austin. Ich habe dir gesagt, du sollst dich da heraushalten.« »Ich bin hier, um dich zu holen, Papa.« »Du bist bewaffnet«, stellte Sergio fest. »Leg das weg. Es bringt nichts.« »Du musst hier raus und eine Exilregierung aufbauen. Du musst an die Loyalität zur Republik so vieler Soldaten wie möglich appel lieren und Tortorellis Truppen spalten, zumindest teilweise die Kon trolle zurückgewinnen.«
»Nicht mit Gewalt!« Jetzt stand der Baron auf. Seine Augen fun kelten, als frische Entschlossenheit in ihm erwachte. »Du musst ler nen, dass man mit Gewalt nichts erreicht, Austin.« »Mit dieser Einstellung hast du es erreicht, dass du hier einge schlossen bist und deine Aufgabe nicht mehr erfüllen kannst. Wie willst du die Bürger von Mirach beschützen, wenn Elora alle Kom munikationswege von und zu diesem Büro kontrolliert? Wie willst du regieren, wenn Tortorelli dich nicht aus der Tür lässt, ohne dich auf allen Seiten mit Fünferreihen von Soldaten einzuschließen?« »Du verstehst das nicht«, antwortete Sergio. »Ich besitze immer noch eine beachtliche Macht. Ich muss hier bleiben, wo ich sie ein setzen kann.« »Dann setz sie ein!«, brüllte Austin. »Mach den Aufständen ein Ende. Manfred haben sie auch schon umgebracht.« Austin blinzelte überrascht, als sein Vater nicht reagierte, wie er es erwartet hatte. Eigentlich hätte ihn diese Nachricht aufstacheln müs sen. Er hätte erkennen müssen, dass Tortorelli und Rimonowa aufs Ganze gingen und bereit waren, seine Freunde und Familie umzu bringen, um an die Macht zu kommen. »Der Landungsschiffsstart«, bemerkte Sergio und fixierte seinen Sohn mit unergründlichem Blick. »Du warst da draußen, nicht wahr? Du und Marta Kinsolving?« Austin wagte kaum, seinen Mund zu öffnen. Aber schließlich presste er hervor: »Manfred war mein Freund. Nach Tortorellis Sa botage war von ihm nicht einmal mehr genug für ein anständiges Begräbnis übrig.« »Auge um Auge, Zahn um Zahn? Soll das der einzige Weg zum Erfolg sein? Ich glaube nicht.« Austin unterdrückte eine wütende Entgegnung, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. »Warum haben sie dich noch nicht abgesetzt?« Austin tigerte im Büro seines Vaters auf und ab wie ein eingesperrtes Raubtier im
städtischen Zoo, während er diese Frage in seinem Kopf hin und her wälzte. »Was kontrollierst du noch, das sie dir nicht nehmen kön nen?« »Die moralische Autorität. Meine Stellung als Gouverneur von Mi rach«, antwortete Sergio. »Und noch etwas.« Er winkte Austin zu sich und hielt ein GlobalNetz-Telefon hoch. Sergio rief eine Nachrichtenmeldung auf, die das Informationsmi nisterium noch nicht veröffentlicht hatte. Austins Augen weiteten sich, als er die Meldung hörte. »Jerome Parsons ist zurück«, bestätigte sein Vater. »Der Gesandte des Lordgouverneurs?« Austin wusste nicht, ob er eine Hilfe oder ein Hindernis sein würde. »Er trifft in sechzig Stunden hier ein. Elora und Tortorelli wagen es nicht, die Macht an sich zu reißen. Sie haben Angst vor seiner Fracht.« »Was für eine Fracht?«, fragte Austin, jetzt doch neugierig gewor den. »Gesandter Parsons hat einen BattleMech dabei.«
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Museum des modernen Mirach, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 4. Mai 3133 Austin Ortega ging in Deckung, als ein Trupp grün uniformierter In fanteristen auf der Suche nach ihm im Laufschritt durch die Rotun de des Museums stürmte. Er hatte das Büro seines Vaters vor fast ei ner Stunde verlassen, gefolgt von Sergio. Als ein Dutzend Soldaten aus dem Großen Korridor auf sie zugekommen waren, hatte der Ba ron sie abgelenkt und Austin die Chance zur Flucht gegeben. Er hat te seinen Vater nur ungern zurückgelassen, aber angesichts der un erwarteten Rückkehr Jerome Parsons' ging er davon aus, dass Sergio für die nächste Zeit in keiner unmittelbaren Gefahr schwebte. Trotz dem wusste er, dass es mit dieser zweifelhaften Sicherheit von einer Sekunde zur nächsten vorbei sein konnte. Er musste einen Plan schmieden, wie er Sergio Ortega aus der Hand von Tortorellis Sol daten befreien konnte. Der einzige Ort, der ihm einfiel, an dem er sich verstecken konnte, bis ihm eine Eingebung kam, war das Museum im Gouverneur spark. Und da er sich einmal im Museum befand, hatte sein Weg ihn natürlich sofort auf den Laufsteg geführt, von dem aus er auf den BattleMech hinabschauen konnte. Er wagte wieder zu atmen, als der Truppführer die Soldaten end lich aus der Umgebung des Centurion und in einen anderen Muse umsflügel scheuchte. Das Echo ihrer Schritte verklang in fernen
Gängen, dann wurde es wieder lauter, als sie zurückkehrten. Austin blieb in seinem Versteck und wartete, während der Offizier unten in der Rotunde Befehle bellte. »Das Museum wird geschlossen. Verriegelt. Keine Besucher. Ha ben Sie den Befehl verstanden?« Der Offizier starrte dem Sergeanten aus ein paar Zentimetern Entfernung in die Augen. »Ja, Sir«, bestätigte der Unteroffizier. »Das Gebäude ist leer. Wir riegeln es sofort ab.« »Sorgen Sie dafür. Und dann bringen Sie Ihren Trupp zurück in den Ostflügel des Palastes. Wir werden diese Jagd erst beenden, wenn wir den Flüchtigen haben.« Der Sergeant blieb in Hab-Acht-Haltung stehen, bis der Offizier sich entfernt hatte, dann scheuchte er seine Leute nach draußen. Austin hörte, wie die schweren Eingangstüren ins Schloss fielen und die Riegel sich schlossen. Er war allein. Im Innern des Museums, Dank der Nachlässigkeit der Soldaten. Er trat zurück ins helle Licht, beugte sich über das Geländer und betrachtete den alten BattleMech seines Vaters. Austin empfand beim Anblick von Sergeant Death noch immer ein Kitzeln der Erregung. »Ein Mech«, sagte er laut. Er starrte den Koloss an und wusste: Die Vorstellung, den Centuri on in eine echte Waffe gegen Tortorellis Truppen zu verwandeln war nicht mehr als ein Wunschtraum. Sergeant Death war vor Jahr zehnten eingemottet worden und seitdem nur noch ein Ausstel lungsstück. Er stand schon seit der Zeit vor Austins Geburt hier. Warum nicht?, fragte er sich, als er zum Aufzug ging und zu einem der tieferen Laufgänge hinabfuhr. Er hatte nichts zu verlieren. Mit dem 50-Tonnen-Mech hatte er eine Chance, Tortorellis Truppen zu verjagen und seinen Vater zu befreien. Falls es nicht möglich war, den BattleMech zu aktivieren, war er nach dem Versuch auch nicht schlechter dran als jetzt.
Austin erinnerte sich, wie Dale und er sich als junge Burschen hier hereingeschlichen hatten und ins Cockpit geklettert waren, um sich als mächtige Krieger wie ihr Vater zu fühlen. Und er erinnerte sich, wie die Kanzel auf Befehl des Barons versie gelt worden war, um sie und andere angehende MechKrieger fern zu halten. Trotzdem war der Fusionsreaktor der Maschine auf Bitten des Museumsdirektors in Betrieb gehalten worden. Er wollte den Centurion so nahe wie möglich am Originalzustand ausstellen: ein metallener Avatar des Todes, der für Devlin Stone und die Republik der Sphäre in den Kampf gezogen war. Über diesen Tribut an die Originaltreue seiner Ausstellungsstücke freute sich Austin in diesem Augenblick ganz besonders. Wie lange wird Elora Papa noch am Leben lassen?, fragte er sich. Aus tin hatte keine Ahnung, zu welchem Zweck Jerome Parsons einen BattleMech nach Mirach brachte, aber ein derartiger Kampfkoloss musste das Gleichgewicht der Macht stören. Falls er ihn Tortorelli übergab, war alles verloren. Händigte Parsons den BattleMech Ser gio aus, bestand zwar die Gefahr, dass der Gouverneur sich weiger te, ihn sinnvoll einzusetzen, aber zumindest würde das der Bevölke rung das Ausmaß des Vertrauens demonstrieren, das Lordgouver neur Aaron Sandoval für Sergio Ortega empfand, ganz gleich, wel che Regierung Sandoval unterstützte. Das konnte unter Umständen genügen, sowohl das Volk als auch das Militär umzustimmen, auf die Tortorelli und Elora zählten. Austin fielen keine persönlichen Motive ein, die Parsons bewegen könnten, den BattleMech für eigene Zwecke zu verwenden. Der Ge sandte würde seine beträchtliche Unterstützung entweder Elora oder dem Baron zukommen lassen. Falls Parsons sich auf Eloras Sei te schlug, brauchte Austin den Centurion, um ihnen entgegenzutre ten. Er stieg über das Geländer und hangelte sich zu dem Wartungsge rüst hinüber, das mehr dekorativen als funktionalen Zwecken diente. Schnell kletterte er die Streben hinauf, bis er die Plattform
hinter dem Cockpit erreicht hatte. Er nahm einen tiefen Atemzug und hielt ihn fest, als er das Problem sah, vor dem er stand. Der Nissan-200-Fusionsreaktor im Torso der Kampfmaschine mochte in takt und bereit sein, dem Centurion die nötige Energie zu liefern, um das Museum zu verlassen. Doch die Cockpitluke war zuge schweißt. Eine Punktschweißung gegenüber der schweren Angel verschloss sie sicherer, als es jedes Schloss gekonnt hätte. Austin setzte sich auf die Plattform und ließ die Beine über den Rand baumeln, während er nachdachte. Er starrte auf die ge schweißte Stelle. Ohne einen Schweißbrenner oder Laser war der Mech nicht zu öffnen. »Ein Laser«, murmelte er bei sich und schaute abwärts auf die Brust des BattleMechs. Über seinen mittelschweren Photec-806c-La ser verfügte der Centurion noch. Doch aus Platzgründen war vor der Aufstellung in der Rotunde der ursprünglich im Rücken montierte Laser entfernt worden. Im rechten Arm befand sich die Luxor-Auto kanone, die LSR-Lafette im Torso. Die Raketen waren längst in eine Lagerhalle gebracht worden, aus Angst, die Gefechtsköpfe oder Treibsätze könnten im Laufe der Zeit instabil werden. Aber der vor dere Torsolaser war noch intakt und die Autokanone hatte man im Originalzustand belassen. Er würde Munition für die Schnellfeuer kanone brauchen, doch das war kein unüberwindliches Problem. Hinter dem Museum befanden sich Lagerhallen, in denen das Ar chiv untergebracht war. Er erinnerte sich, dort Stapel von Kisten mit Panzer brechender Munition gesehen zu haben. Wollen mal sehen, ob ich so schlau bin, wie ich glaube. Austin rutschte am Oberarm des BattleMechs hinab und setzte sich rittlings auf das Handgelenk. Das kalte Metall presste gegen seine Beine. Er beugte sich zur Brustpartie der Maschine vor, öffnete eine kleine Wartungs klappe und überprüfte die Leitungen zum Laser. Er stellte fest, dass sie aus Sicherheitsgründen gelöst waren. Die losen Enden glänzten unter schweren roten Isolierkappen. Es geschah zwar selten, aber gelegentlich konnte sich eine statische Ladung aufbauen und die furchtbare Vernichtungskraft des Lichtwerfers zufällig auslösen. Mi
rachs Sonne war berüchtigt für ihre sporadischen schweren Ionenge witter, die derartige statische Ladungen verursachten. Im Innern des Museums hätte eine unbeabsichtigte Laserentladung katastrophale Folgen. Das Glück ist mit den Dummen, entschied er. Er brauchte für sein Vorhaben keine Zeit damit zu verlieren, die Leitungen zu lösen. Er schlang sich die Stromkabel um den Arm und kletterte zurück zum Cockpit. Oben angekommen schälte er ein paar Zentimeter des roten Iso liermaterials von beiden Kabeln und nahm eine Leitung in jede Hand. Er legte ein blankes Kabel auf die Punktschweißung, dann wandte er das Gesicht ab und stieß das andere stromführende Kabel auf das erste. Die zum Abfeuern des Lasers gedachte Energie entlud sich durch den Stahlring, zerschmolz die Schweißung und fraß ein tiefes Loch in die Cockpitluke. Das gleißende Licht und das davon spritzende flüssige Metall ließen Austin zurückspringen. Nicht gerade perfekt, aber gut genug, dachte er und musterte den glü henden Kreis, der die Kanzelluke nachzeichnete, mit zusammenge kniffenen Augen. Der improvisierte Schweißbrenner hatte fast fünf zig Zentimeter der Luke und Dichtung zerstört. Es war ein geringer Preis für den Zugang. Austin trat die Luke auf und starrte in die Kanzel, die er so gut kannte. Sein Puls schlug unwillkürlich schnel ler, als die schale, muffige Luft im Innern entwich und ihm der Ge ruch in die Nase stieg, an den er sich so gut erinnerte. Früher hatten Dale und er nur getan als ob. Sein Bruder hatte sich immer über ihn lustig gemacht, weil er beim Simulatortraining grundsätzlich einen Centurion dieses Typs wählte. Nun musste sich die jahrelange Übung auszahlen. Besonders vorsichtig, weil die Enden der Stromkabel jetzt frei la gen, glitt Austin wieder den Mecharm hinunter und an die War tungsklappe. Er hatte eine gewisse Erfahrung in der Wartung von Geschützen, die ihm jetzt gute Dienste leistete. Er wünschte sich zwar immer noch, er hätte ein paar der Techexperten der 1KL zu
Hilfe rufen können, doch es erwies sich als einfacher als erwartet, die Kabel wieder anzuschließen. Keine zwanzig Minuten später hat te er den Laser einsatzbereit. Der Fusionsreaktor lieferte Strom – und er hatte einen funktions tüchtigen Laser. Austin kletterte zurück zum Cockpit, stieg durch die Luke und schob sich auf die Pilotenliege. Sie war kleiner und enger, als er sie in Erinnerung hatte, aber natürlich war er bei seinem letzten Besuch hier auch erst acht gewesen. Nur ein einzelnes Lämpchen brannte auf der Konsole mit stetig rotem Licht und zeigte an, dass der Reak tor im Minimalbetrieb lief. Ohne sich die Mühe zu machen, die Si cherheitsgurte anzulegen, checkte Austin die Kontrollen und warte te, bis die Lämpchen grün aufflackerten und die Anzeigen sich be wegten. Laser voll aufgeladen! Strom floss durch die Systeme und unter Tonnen von Panzerung verborgene Myomermuskeln zogen sich zusammen. Nach so vielen Jahren des Stillstands erwachte der Centurion mit ächzenden Glie dern wieder zum Leben. Er fühlte sich großartig, als Sergeant Death leicht ruckte und ihn nach hinten in die Polster der Pilotenliege warf. Austin wusste, wo das Problem lag, und auch, wie es zu lösen war. Er griff hinter sich und holte den Neurohelm aus der Halte rung, setzte ihn vorsichtig auf, sicherte ihn mit dem Kinngurt. Das vertraute Kitzeln auf der Kopfhaut und im Innern seines Schädels blieb aus. Über die Jahre hatte der Neurohelm die Programmierung verlo ren. Austin griff nach unten, schaltete die benötigten Systeme ein, jonglierte mit den Energiewerten und lehnte sich entspannt zurück, damit die automatischen Systeme des BattleMechs sich an sein Hirn wellenmuster anpassen konnten. Den Neurohelm zu programmie ren, der unverzichtbar war, um die Balance der riesigen humanoi den Kampfmaschine zu halten und bei ihrer Bewegung zu helfen,
würde Stunden, wenn nicht sogar Tage dauern, besonders ohne die Hilfe eines entsprechend ausgebildeten Techs. Austin streckte sich aus und machte es sich so bequem wie mög lich. Solange die Soldaten des Legaten Jagd auf ihn machten, konnte er hier ohnehin nicht weg. Also durfte er den BattleMech in aller Ruhe programmieren, damit er seinen Befehlen gehorchte.
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Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 7. Mai 3133 »Diese Idioten haben überall nach ihm gesucht«, stieß Calvilena Tor torelli wütend aus. Er kehrte Lady Elora den Rücken zu und starrte auf die ausgezeichnete Illusion des Stadtpanoramas. Sie schüttelte erstaunt den Kopf. Obwohl er wusste, dass er nur eine Projektion betrachtete, dämpfte das seine Begeisterung dafür, zu verfolgen, was sich am Himmel über den Häusern und unten in den Straßen abspielte, in keinster Weise. Elora hatte Aufzeichnun gen aus dem Herbst vor dreizehn Jahren gewählt, als sie endlich als Ministerin in dieses Büro eingezogen war. »Calvi, Schätzchen, du musst einfach mehr Truppen für die Suche nach ihm abstellen.« »Noch mehr?« Der Legat brauste auf, was für ihn gar nicht charak teristisch war. Er wirbelte mit funkelndem Blick herum. »Austin Or tega flaniert in den Palast, an meiner persönlichen Garde vorbei – angeblich den besten Truppen unter meinem Befehl, meiner Leibwa che! – und redet über zehn Minuten mit dem Gouverneur, bevor er wieder verschwindet. Einfach so!« Er schnippte mit den fleischigen Fingern. »Er ist vor der Nase meiner besten Leute verschwunden!« »Er hat sein ganzes Leben im Palast verbracht, Calvi. Er kennt alle Verstecke. Er drückt sich wie eine Schabe irgendwo in den Wänden herum. Der Baronet ist derzeit nicht unser wichtigstes Problem.«
Auf der Liste der Hindernisse, Mirach für den Ruhm des Kai Radick zu sichern, stand Austin Ortega nur an dritter oder vierter Stelle. Sie hatte leichtsinnigerweise angenommen, der Gouverneur würde sich die Maßnahmen untätig gefallen lassen. Stattdessen hatte er es zu sätzlich zu dem kurzen Treffen mit seinem Sohn irgendwie ge schafft, sich aus dem Palast heraus mit anderen in Verbindung zu setzen. So sehr sie sich auch bemühte, es war nicht gelungen, ihn aufzuhalten. Erst hatte sie versucht, seine Agenten zu lokalisieren, indem sie seine Leitungen abhören ließ. Das hatte nicht funktioniert, und jetzt kam auch noch dieser verfluchte Jerome Parsons zurück. Damit war ihre Gelegenheit dahin, Sergio in Isolierhaft zu stecken. Wie sollte sie Parsons die Situation erklären, wenn Sergio nicht ver fügbar war, um ihn wieder willkommen zu heißen? Tot? Parsons war kein Narr. Er würde nach den Umständen seines Todes fragen. Ihre einzige Möglichkeit, einen weiteren Besuch des Gesandten zu überstehen, hing von Sergios Bereitschaft zur Mitar beit ab. Und sie musste in Erfahrung bringen, warum Parsons einen BattleMech nach Mirach schaffte. Sie konnte sich nur vorstellen, dass die Maschine als Geschenk gedacht war. Also würde sie Sergio die Gelegenheit zu einer netten Rede geben. Anschließend konnte Tortorelli den gewaltigen Kampfkoloss im Namen der Heimatgarde in Empfang nehmen. Danach würde es keine Rolle mehr spielen, was Sergio Ortega sag te oder mit wem er sprach. Der Baron war nur noch ein Papiertiger, seit er so dumm gewesen war und dem Vorschlag zugestimmt hatte, die 1KL unter den Befehl Tortorellis zu stellen. Seine einstmals kampfstarke Leibgarde war zerschlagen und über den ganzen Globus verstreut. Als sich Elora an das Schicksal ihres Kommandeurs erinnerte, trat unwillkürlich ein Lächeln auf ihre Lippen. Manfred Leclerc war bei der Explosion des Landungsschiffes in Ionen zerblasen worden. Dieser simple Sa botageakt hatte ihrer Sache dramatisch weitergeholfen. Aber Sergio Ortega unterhielt noch immer seine geheimen Komm
leitungen, ganz gleich wie scharf sie ihm nachspionierte. Ohne Par sons' Rückkehr hätte sie ihn in eine Gefängniszelle werfen lassen. Aber Mirach brauchte jetzt mehr als nur irgendeinen Gouverneur. Es musste derselbe Gouverneur sein, mit dem Parsons bei seinem letzten Besuch gesprochen hatte. »Was ist mit der MBA?«, fragte Tortorelli unvermittelt. Der plötzli che Themenwechsel zwang Elora zu einem Gedankensprung. »Sie haben Bergbau-, Agro- und andere ArbeitsMechs umrüsten lassen. Ich habe einige Reporter losgeschickt, uns genauere Informa tionen über deren Bewaffnung und Aufstellung zu besorgen, aber man lässt sie nicht in die Nähe der Maschinen. Es reicht auch nicht, die Bevölkerung gegen die MBA aufzuhetzen. Wenn du den Battle Mech, den Parsons dir als Geschenk mitbringt, schnell genug ein satzbereit bekommst, kann er mit den MBA-Umbauten kurzen Pro zess machen.« »Wann trifft Parsons ein?« Elora schaute auf ihre Monitore. Auf einem der Schirme lief ein Countdown. Sie lächelte. »Keine Stunde mehr. Wir werden ihn auf dem Raumhafen emp fangen und fragen, wie er die Übergabe des Mechs handhaben möchte. Falls er auf der Gegenwart des Gouverneurs besteht, findet sich sicher ein Weg, Sergio zu überreden.« »Drogen? Er ist immer noch ein ziemlich guter Kämpfer, trotz sei nes dauernden Geredes von Pazifismus«, wandte Tortorelli ein. »Mit der Androhung körperlicher Gewalt kann man bei ihm nichts ausrichten.« Elora hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Sergios Zusammenarbeit würden sie erzwingen. Sie war bereits damit beschäftigt, sein Schicksal vorzuzeichnen, sobald Parsons Mirach wieder verlassen hatte. Möglicherweise wären noch ein paar fiktive Nachrichten des angeblich wiederaufgebauten HPG-Netzes nötig, um die Bürger zu beruhigen, aber wenn sie erst alle davon überzeugt waren, dass die schnelle und einfache Kommunikation zwischen den Systemen der
Republik wiederhergestellt war, dann würde sich herausstellen, dass Sergio Ortega das Netz erneut sabotiert hatte. Oder möglicherweise würde sie auch dessen unangenehmem Sohn die Schuld geben. »Sollte ich meine Garde holen? Ein paar Kompanien Gefechtspan zer? Als Ehrengarde, natürlich.« »Für die Ankunft des Gesandten Parsons?« Sie schüttelte den Kopf. Eine feuerrote Haarsträhne fiel ihr übers Gesicht und sie wischte sie ungeduldig fort. »Das wird nicht notwendig sein. Die Menge wird friedlich bleiben. Ich habe ihnen erzählt, er käme, um die Wiedererrichtung des HPG-Netzes zu feiern.« »Wieso ist er überhaupt schon wieder da? Er ist doch kaum abge flogen.« Die Frage überraschte Elora. Sie war so mit Sergio, dessen Sohn und der Propaganda gegen die MBA beschäftigt gewesen, dass sie sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Aber die Ant wort lohnte auf jeden Fall eine Nachfrage. »Die Größe des Empfangs auf dem Landungsschiffsfeld Mirach sollte der Bedeutung des Ereignisses entsprechen, Calvi.« Sie fragte sich, ob ein paar Krötenkompanien nicht vielleicht doch notwendig sein würden, um zu verhindern, dass ein Mann, der einen Battle Mech mitbrachte, die Wahrheit entdeckte. Ihre schnellen, langen, mit Ringen besetzten Finger klapperten auf der Tastatur. Als die Antwort eintraf, wurden ihre Augen schmal. Jerome Parsons weigerte sich, ihre Funksprüche anzunehmen.
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AWC-Firmenraumfeld, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 7. Mai 3133 »Leitstrahl steht, Ms. Kinsolving«, traf der erwartete Anruf des Lan defeldleiters ein. »Soll ich es noch einmal nachprüfen, um auf Num mer Sicher zu gehen?« »Das ist nicht nötig«, entschied Marta Kinsolving. Sie wunderte sich, dass Gesandter Parsons sich ausdrücklich geweigert hatte, auf dem Landungsschiffsfeld Mirach aufzusetzen und Kurs auf das viel kleinere AllWorldComm-Feld genommen hatte. Es war ein Rätsel, aber seine Motive für diese Entscheidung interessierten Marta in diesem Moment weit weniger als die Sorge, dass die Trümmer des explodierten Frachtschiffs rechtzeitig vor Jerome Parsons vom Feld geschafft werden konnten. Martas Telefon klingelte. Fast hätte sie es abgeschaltet, um unge stört arbeiten zu können, aber dann nahm sie das Gespräch aus ei nem plötzlichen Impuls heraus doch an. Sergio Ortega schaute sie von dem winzigen Bildschirm aus an. »Marta, gut Sie zu sehen. Es tut gut, überhaupt jemanden zu se hen. Viel Zeit bleibt mir nicht, bevor die Wachen mich abführen.« »Das werden sie nicht wagen, Herr Baron«, beruhigte ihn Marta. »Elora mag die Bevölkerung mit imaginären HPG-Nachrichten zum Brodeln gebracht haben, aber einen Gouverneur gewaltsam aus dem Amt zu entfernen wäre mehr, als sie sich momentan aufhalsen will.«
»Wäre Parsons nicht wieder aufgetaucht, hätte ich inzwischen meine eigenen Pläne umgesetzt. Soweit ich das erkennen kann, fliegt er Ihr Feld an. Sind Sie darauf vorbereitet, seine Ankunft zu übertragen?« »Das Informationsministerium stört die AWC-Frequenzen.« Sergio schnaubte verächtlich. »AllWorldComm hat den überwie genden Teil der Ausrüstung hergestellt, mit der das Ministerium ar beitet. Sie wissen sehr genau, wie man sie neutralisieren kann. Stö ren Sie ihre Signale. Sie haben die offizielle Erlaubnis. Es ist wichtig, der Allgemeinheit zu zeigen, dass der Gesandte des Lordgouver neurs Tortorelli und Elora aus dem Weg geht.« »Ich verstehe, Herr Baron«, bestätigte sie. »Wir werden unser Möglichstes tun und ausstrahlen, was hier tatsächlich geschieht.« »Halten Sie diese Leitung so lange wie möglich aufrecht«, bat Ser gio. »Ich möchte aus erster Hand erfahren, was Parsons vorhat.« »Was Lordgouverneur Sandoval vorhat, meinen Sie. Parsons at met ohne ausdrückliche Order nicht mal aus.« »Sie unterschätzen ihn. Begehen Sie diesen Fehler nicht. Aber in ei nem Punkt haben Sie Recht. Parsons Loyalität gehört zu gleichen Teilen Sandoval und der Republik.« Marta zögerte mit einer Antwort. Alarmklingeln und im ganzen Bunker aufblinkende Warnlichter lenkten sie ab. »Herr Baron, ich schalte auf eine Mehrbildeinspielung vom Feld und aus dem Empfangsbereich um. Parsons' Landungsschiff hat aufgesetzt.« Marta wartete nicht auf eine Bestätigung. Sie schoss aus dem Sessel und hastete zur schweren Tür des Bunkers, wo sie unge duldig wartete, bis die von der Ankunft des Landungsschiffes auf gewirbelten giftigen Gasschwaden sich aufgelöst hatten. Dann trat sie hinaus aufs Landefeld. Sie stand kerzengerade, den Kopf hoch erhoben, und wünschte, sie hätte zwei der umgebauten MBA-Mechs als Ehrengarde dabei. Parsons zu begrüßen, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ihn so kurz nach seinem letzten
Besuch wieder hierher gebracht hatte, war beunruhigend. Sie nahm mit jedem Schritt hinauf zur Empfangsplattform zwei Stufen und trat vor bis an den Rand der Empore, um auf den Gesandten zu warten. Die Windböen erstarben, aber Marta lief es trotzdem eiskalt den Rücken hinab. »Sind die Kameras in Position? Zeichnen sie alles auf und senden es?«, fragte sie. Sie hatte ihre Telefonverbindung auf eine Verbin dung in den Bunker umgeschaltet. »Was passiert? Durch den Dampf hier auf dem Feld kann ich es nicht deutlich erkennen.« »Die Frachtluken öffnen sich, Ms. Kinsolving.« Selbst das Wummern und Knirschen von einhundert Tonnen be wegtem Metall konnte sie nicht von der schieren, überwältigenden Ausstrahlung des BattleMechs ablenken, der durch den Nebel wate te. Sie hatte die umgerüsteten ArbeitsMechs bei ihren Gefechtsübun gen beobachtet. Es war ein beeindruckender Anblick. Der fünfzehn Meter über ihr aufragende Atlas nahm ihr den Atem. »Hallo, Ms. Kinsolving«, dröhnte eine Stimme, die sie nur mit Mühe als die von Jerome Parsons erkannte, über das Landefeld. Sie drang aus einem Lautsprecher im Rumpf des Landungsschiffes. »Bitte entschuldigen Sie den dramatischen Auftritt, aber ich finde es immer nützlich, mich der Aufmerksamkeit meiner Zuhörer zu ver gewissern, bevor ich etwas sage.« »M-meine habt Ihr, Gesandter«, stammelte Marta. Sie ging davon aus, dass er ein Richtmikrofon auf sie gerichtet hatte. Sie atmete tief durch und vergewisserte sich, dass ihr Telefon noch übertrug. Nicht, dass irgendjemand etwas hätte unternehmen können, wenn dieser Koloss ein paar Schritte vorwärts getan und sie zerquetscht hätte. »Das ist ein Atlas-BattleMech, bestückt mit einem Gaussgeschütz, zwei schweren Extremreichweiten-Lasern, einer in jedem Arm, und zwei im Torso montierten LSR-Lafetten.« »Beeindruckend, Gesandter.« Marta war klar, dass im Cockpit von Parsons' Maschine ein kampferfahrener MechKrieger saß, ein Kämp fer von ganz anderem Kaliber als die Männer und Frauen, die sich
an den Kontrollen der MBA-Mechumbauten abmühten. Der BattleMech ruckte leicht, als würde er ungeduldig darauf war ten, sein Zerstörungswerk zu beginnen. Ozon, das von den elektri schen Entladungen in seiner Störsenderphalanx herrührte, ließ ihre Augen tränen und stieg ihr unangenehm in die Nase. Nichts aber konnte die überwältigende Präsenz dieses Bergs von purer Kraft dicht vor ihr mindern. »Warum haben Sie ihn hierher gebracht?«, fragte sie. »Zu Demonstrationszwecken, Ms. Kinsolving. Lordgouverneur Sandoval möchte, dass jeder auf dieser Welt erfährt, wie treu die Mi rach Business Association zur Republik steht und wie überzeugt Sie persönlich sich für Mirach und die Einhaltung der Verfassung ein setzen.« »Demonstrationszwecke?« »Dieser Mech untersteht Ihrem Befehl, Ms. Kinsolving. Für einen begrenzten Zeitraum.« Marta stand einen Moment lang nur stocksteif da. Dann schaltete sie mit einem Daumendruck die Telefonleitung zurück zu Sergio Ortega. Der verfolgte noch immer jede Sekunde von Parsons' An kunft über sein abhörsicheres GlobalNetz-Telefon. »Herr Baron«, fragte sie leise. »Was meinen Sie?« »Sie wissen, was ich mit dem BattleMech täte«, kam die Antwort des Gouverneurs. Marta räusperte sich und wandte sich mit klarer Stimme an den Gesandten. »Ich möchte, dass der Atlas die Ordnung in Cingulum wiederherstellt. Keine weiteren Straßenkämpfe. Keine Plünderun gen mehr. Mit minimaler Gewaltanwendung.« »Wie Sie befehlen.« Der BattleMech drehte sich langsam um, visierte die fernen Häu sersilhouetten der Hauptstadt an und wurde schneller, bis er schließlich mit seiner Höchstgeschwindigkeit von fünfundsechzig Stundenkilometern über das Feld stürmte. Als der Kampfkoloss au
ßer Sicht verschwand, schaute Marta wieder auf ihr Telefon. Rau schen. Lady Elora war es endlich gelungen, die Signale vom AWCRaumfeld und vom Gouverneur zu stören. Marta Kinsolving schauderte, als ihr klar wurde, dass dies der Er öffnungsschuss war. Sergio Ortega würde auf Grund seiner philoso phischen Einstellung niemals zulassen, dass der Mech gegen Torto rellis Truppen zum Einsatz kam. Aber nichts hinderte Elora und Tortorelli daran, das gesamte Militär des Legaten gegen den Mech zu schleudern. Den beiden war es mit Sicherheit gleichgültig, ob ganz Cingulum in Schutt und Asche lag, solange sie nur Sieger blie ben. Parsons und Lordgouverneur Sandoval hatten sich für eine Sei te entschieden, und der Legat und die Ministerin waren offensicht lich Teil der falschen Fraktion. Der Entscheidungskampf war schnel ler angebrochen, als irgendwer erwartet hatte. Das, so viel war Marta bewusst, konnte die Rettung für Mirach be deuten … oder den Untergang.
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Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 »Wir stehen vor einer wichtigen Mission, Master Sergeant«, stellte Sergio Ortega mit grimmiger Stimme Dmitri Borodin gegenüber fest. »Wie viele Mitglieder der alten 1KL befinden sich im Palast?« Borodin grinste von einem Ohr zum anderen. »Mehr als Sie glauben würden, Herr Baron. Keine Ahnung, wie das passieren konnte«, kicherte er, »aber ich habe den Dienstplan geschrieben, und wie der Teufel es will, sind doch tatsächlich über die Hälfte von den Besten der Besten hier statt irgendwo anders.« Borodin hüstelte gespielt bescheiden. »Und dann bin da noch ich.« »Sie haben schon eine Menge getan, Master Sergeant. Dass Sie mich letzte Woche über den fehlenden Sprengstoff informiert haben, war hilfreicher, als Sie ahnen.« Sergio strich mit der Hand über sein GlobalNetz-Telefon, hob es aber nicht auf. »Haben Sie herausgefun den, wo sich Austin befindet?« »Nachdem Sie ihm erzählt haben, dass der Gesandte auf dem Rückweg ist, Herr Baron, ist er spurlos verschwunden. Vorwürfe kann ich ihm deswegen keine machen. Tortorellis Garde wollte ihm den Hals umdrehen, weil er sie wie Idioten hat aussehen lassen. Ich habe die letzten paar Tage überall rumgefragt und nach einer Spur von ihm gesucht.« Borodin schüttelte den Kopf. »Es ist, als wäre er vom Mirachboden verschluckt worden.«
»Aber es gibt keine Gerüchte, dass Tortorellis Truppen ihn ge schnappt haben?« »Nicht einmal den Hauch. Im Gegenteil, wenn überhaupt etwas. Die Donnerwetter von ganz oben kommen dicht und heftig, weil keiner den Lieutenant findet. Den Baronet, wollte ich sagen, Herr Gouverneur.« »Geht schon in Ordnung«, beruhigte Sergio den Master Sergeant. Er wusste, dass Borodin Austin in erster Linie als Offizier betrachte te. Er wusste, sein Sohn konnte auf sich selbst aufpassen, aber jetzt hätte er sich gerade gewünscht, er wäre hier, so wie er sich Manfred Leclerc an seiner Seite wünschte. Doch Sergio hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man nicht immer haben konnte, was man sich wünschte. »Schaffen Sie alle Gardisten Tortorellis aus dem Weg, die sich wei gern, den Palast zu verteidigen«, befahl er. »Aber bringen Sie sie nicht um. Schließen Sie sie im Keller des Ostflügels ein. Der Wein keller hat schwere Türen, die man, wenn sie verriegelt sind, ohne Sprengstoff nicht öffnen kann.« »Was? Sie lassen diese Bande an Ihren guten Wein, Herr Gouver neur?« »Er wird helfen, sie ruhig zu halten«, erwiderte Sergio. Ihm gefiel, wie der Verstand des Unteroffiziers arbeitete. »Übernehmen Sie die Kontrolle über die schweren MG-Nester, die Tortorelli an den Ein gängen hat aufbauen lassen. Falls Sie nicht genug 1KL-Soldaten fin den, um sie alle zu bemannen, fallen Sie in die Palastkorridore zu rück, bis Sie mit den Leuten, die Sie haben, die Flurkreuzungen si chern können. Falls es nötig wird, kann ich Ihnen eine Karte mitge ben.« »Herr Gouverneur, ich bewache Sie jetzt seit fast drei Jahren. Es gibt nicht viele Teile des Facettenpalastes, die ich und die anderen noch nicht ausgekundschaftet haben. Nur um zu wissen, von wo eine Gefahr drohen könnte, versteht sich.« »Machen Sie sich wegen möglicher Schäden am Palast keine Ge
danken. Bringen Sie sich nicht unnötig in Gefahr.« »Herr Gouverneur, wir werden für unsere Sicherheit sorgen, für Ihre und auch für die des Palastes.« Borodin salutierte zackig und rannte davon. Unterwegs bellte er Befehle. Wie ein Rattenfänger lockte er Soldaten im Mattgrün der Infanterie Tortorellis aus allen Ecken des Großen Korridors. Sergio erkannte sie alle als Ehemalige Kosaken-Lanciers. Dieser Teil des Plans hatte funktioniert. Tortorelli war in der Einteilung seiner Soldaten nachlässig gewor den, weil er geglaubt hatte, alle Truppen im Palast stünden loyal hinter ihm. Sergio plante, erhebliche Fortschritte bei seiner Neutrali sierung und der Lady Elora Rimonowas zu machen, bevor der Legat merkte, dass mit seinem Schoßgefangenen etwas nicht stimmte. Ortega schloss einen Moment lang die Augen, dann verdrängte er das Bedauern. Er hatte Elora und ihren krankhaften Ehrgeiz igno riert. Fast hätte ihn das seine Welt gekostet. Als er erkannte, dass sie plante, Mirach aus der Republik zu lösen, war sie schon viel zu stark gewesen, um sie einfach absetzen zu können. Schlimmer noch, Ser gio hatte nie herausgefunden, ob sie nun ein Bündnis mit Kai Radick eingegangen war oder nicht. Falls diese so genannten Stahlwölfe ihretwegen auf Mirach auf tauchten, befürchtete Sergio ernsthaft, dass außer Eloras Ambitionen nichts von der Welt, die er kannte, übrig bleiben würde. Doch wie die Dinge derzeit lagen, hatte Lordgouverneur Sandoval sich gegen Tortorelli und Elora entschieden und seinen Gesandten mit einem BattleMech geschickt, um für Ordnung zu sorgen. Und von Kai Ra dick hatte niemand etwas gehört. Sergio wusste: Eine Machtdemonstration durch Sandovals Battle Mech würde für sich – ohne entsprechende Begleitmaßnahmen – letztlich nichts erreichen. Es war mehr dazu nötig, und um das in die Wege zu leiten, musste er hier und jetzt aus seinem goldenen Käfig ausbrechen. Er hatte die Verlegung der 1. Kosaken-Lanciers zugelassen, um Manfred Leclerc die Gelegenheit zu geben, mit der MBA zusammenzuarbeiten und deren Mechprogramm im Auge zu
behalten. Die Umlegung hatte den zusätzlichen Vorteil gehabt, Elora ein falsches Gefühl der Sicherheit zu geben, indem es sie im Glauben ließ, er sei schutzlos und verwundbar. Doch er hatte in diesem Spiel viel verloren. Seinen ältesten Sohn. Hanna Leong. Er hätte nie geglaubt, dass Elora so weit gehen wür de. Jeder Mensch hatte irgendwo einen blinden Punkt. Seiner war Elora Rimonowa. Es war erschreckend, wie leicht er immer wieder in die Falle tappte, diese Frau zu unterschätzen. Sergio ließ sich in seinen Sessel fallen und nahm das GlobalNetzTelefon auf, das ihm Marta Kinsolving überlassen hatte. Es war mit AWCs neuester Verschlüsselungstechnik ausgerüstet. Er wollte den Anruf erledigen, den er kurz zuvor verschoben hatte. Doch er hielt inne, als Master Sergeant Borodin mit einer Meldung hereinstürzte. »Alles gesichert, Herr Baron. Wir haben ein Dutzend Heimatgar disten, für die ich mich oder mindestens zwei 1KL sich verbürgen, überredet, sich uns anzuschließen.« »Das genügt mir, Master Sergeant«, bestätigte Sergio. »Haben Sie gesehen, was sie in den Nachrichten erzählt?« Die Worte schienen Borodin den Mund zu verbrennen. Hastig schaltete Sergio das Televid ein, um zu erfahren, was das Ministerium für Information ausstrahlte. Bei dem Anblick des Atlas, der in der Innenstadt von Cingulum von schweren Panzern einge kesselt war und von Kröten umschwärmt wurde, stockte ihm der Atem. Der BattleMech bemühte sich, die Truppen des Legaten un schädlich zu machen, ohne die Gebäude zu zerstören – und ihre Be wohner zu töten. Aber Sergio war klar, dass diese Aufgabe nicht zu lösen war. Entweder die gigantische Kampfmaschine feuerte ihre Waffen ab, oder die Panzer und Krötentruppen würden sie unerbitt lich attackieren, wie sie es trainiert hatten, bis sie selbst diesen Kampfkoloss zu Boden zwangen. Sergio wusste, indirekt hatte er den Einsatz des BattleMechs be hindert, indem er darauf bestanden hatte, Todesfälle unter der Zivil bevölkerung – und im Militär – auf ein Minimum zu begrenzen.
Aber sie alle waren Bürger Mirachs. Ein Monitor flackerte auf dem Schreibtisch und stellte Eloras Ge sicht dar. Sie zeigte eine wilde Miene, wie er sie noch nie bei ihr ge sehen hatte. Unwillkürlich musste er daran denken, wie gefährlich es war, eine Ratte in die Enge zu drängen. Bei dem Versuch zu ent kommen konnte die Ratte plötzlich wütender kämpfen, als man er wartet hatte. Er musste ihr eine Chance lassen, sich zurückzuziehen und das Blutvergießen zu beenden. »Ergeben Sie sich, Sergio. Sie haben keine Chance. Retten Sie un schuldige Leben.« Er hörte deutlich die Falschheit in ihrer Stimme. »Es muss einen Grund geben, dass Sie mir die Kapitulation anbie ten, Elora«, antwortete er. »Entwickelten die Ereignisse sich in Ihrem Sinne, würden Sie mich gar nicht zur Kenntnis nehmen. Oder mich umbringen. Was ist? Besteht eine Chance, dass der BattleMech aus bricht und zum Palast kommt, um ihn zu bewachen? Das würde den Menschen auf Mirach zeigen, dass der Lordgouverneur mich weiterhin unterstützt.« »Ich versuche, Ihr erbärmliches Leben zu retten, Baron«, fauchte Elora. »Ich ergebe mich nicht«, erklärte Sergio. »Ich habe meiner Leibgar de befohlen, den Palast und die Unantastbarkeit meiner Amtsräume zu verteidigen. Ich bedaure nur eines: dass ich nicht eher erkannt habe, welches Ausmaß Ihr Ehrgeiz hat. So viele mussten unnötiger weise ihr Leben lassen.« »Zu wenig, und zu spät«, höhnte sie. »So wie ich Sie kenne, haben Sie Ihre Soldaten wahrscheinlich angewiesen, nicht zu schießen, sondern meine Truppen zu Tode zu langweilen.« »Ihre Truppen?«, fragte Sergio mit sanfter Stimme. »Ergeben Sie sich, Baron?« »Nein.« »Das beste Panzerbataillon des Legaten wird den Facettenpalast in einen hundert Meter hohen Trümmerhaufen verwandeln.«
Er warf einen Blick hinüber zu Borodin. Der Master Sergeant nahm eine Funkmeldung entgegen und machte ein ausgesprochen grimmiges Gesicht. Lautlos formte er die Worte: »Sie bringen die Be hemoths in Stellung. Südlich vom Palast.« »Das ist Ihre letzte Chance, Baron. Das Einzige, was Ihnen als Ver teidigung bleibt, sind ein paar mit Gewehren bewaffnete Verräter.« »Nicht notwendigerweise«, gab Sergio zurück. »Der Atlas ist auf dem Weg hierher.« »Der BattleMech sitzt in der Falle«, erwiderte Elora herablassend. »So wie Sie. Und von Ihnen beiden wird nichts übrig bleiben!« Die Verbindung wurde unterbrochen. Sergio schluckte schwer, als er die Nachrichtensendung betrachte te. Elora hatte, was den BattleMech betraf, Recht. Der Atlas versuch te den Condors zu entkommen, die ihn hartnäckig beschossen. Doch es gelang ihm nicht. Selbst wenn der MechKrieger im Innern den Mech auf der Stelle mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Palast in Bewegung gesetzt hätte, konnte er niemals eintreffen, bevor die mit leidlos aus dem Süden heranrollenden Behemoths das Feuer eröffne ten. »Master Sergeant Borodin«, befahl er. »Bereiten Sie die Evakuie rung des Palastes vor.« »Evakuierung, Sir? Niemals! Wir sind hier, um ihn zu beschützen. Und Sie.« »Falls Sie keinen Wert darauf legen, sich mit kaum mehr als einem Gewehr in der Hand mit einem Panzer anzulegen, werden Sie tun, was Ihnen gesagt wird. Abzug. Jetzt. Wir ziehen uns zurück.« Borodins gestammelte Entgegnung wurde vom Einschlag der ers ten Granate aus dem Gaussgeschütz des vordersten Behemoth II in die Fassade des Südeingangs abgeschnitten. Die Druckwelle er schütterte das ganze Gebäude und zerstörte den größten Teil seiner Kommunikationssysteme. Sergio Ortega lehnte sich in seinem Sessel zurück und beobachtete
über eine Außenkamera den unaufhaltsamen Vormarsch der feuern den Panzerformation. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie in Reichweite aller Geschütze waren. Dann stand das Ende bevor. So sei es. Eher würde er sterben, als die Regierungsgewalt Mirachs Elora Rimonowa zu übergeben.
33
Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 6. Mai 3133 Lady Elora fühlte sich blendend. Ihre durchscheinend weiße Haut war vor Erregung gerötet. Sie saß auf der Sesselkante und beugte sich über den Schreibtisch, als wäre er ein riesenhaftes Musikinstru ment, auf dem sie spielte. Die ganze Schreibtischplatte erstrahlte in Anzeigelichtern, flackernden Warnsignalen und stetig brennenden Bestätigungen. Ein Dutzend Monitore übertrugen Bilder aus der Stadt und von den Kämpfen. Fühlt es sich so an, Macht zu besitzen, wahre Macht?, fragte sie sich. Ihre Finger flogen wie juwelenbesetzte Vögel über die Platte, als sie eine Einheit nach der anderen in die Schlacht führte und Tortorellis Einheiten taktische Informationen übermittelte. Sie brachte einen Behemoth-II-Panzer in Stellung und befahl ihm, auf einen Truppentransporter zu feuern, der ehemalige 1KL-Solda ten zum Palast fuhr. Der schwere Laser brannte sich tief in die Flan ke des Transporters und löschte ein Dutzend Leben aus. Der Feind, jubelte sie. »Ähem«, räusperte sich Calvilena Tortorelli. »Wie läuft es? Setzt du die Einheiten dem Schlachtplan entsprechend ein, den ich dir ge geben habe?« Er drehte sich von seinem Aussichtspunkt am simu lierten Bürofenster zu ihr um. Elora hatte die friedliche Stadtszene rie auf dem Fenster beibehalten. Das gefiel dem Legaten, obwohl es
nichts dazu beitrug, den Tod und die Vernichtung zu relativieren, die Cingulum in Wahrheit heimsuchten. Ihr zuckte der Gedanke durch den Kopf, dass die Bürger Mirachs viel Ähnlichkeit mit ihm hatten. Wenn man ihnen nur genug hübsche Bilder vorsetzte, saßen sie stundenlang zufrieden vor der Glotze und ließen sich in jede ge wünschte Richtung dirigieren. Es war an der Zeit, dass die Republik Mirach verlor. Kai Radick würde weit effektiver herrschen. Und zwar wegen ihr. »Alles läuft bestens, Calvi«, antwortete sie. »Möchtest du es selbst sehen?« Mit beinahe ungezügelter Freude tauschte sie das Stadtpan orama gegen die Übertragung einer auf einer Dachecke in der In nenstadt von Cingulum montierten Überwachungskamera. Tortorel li sprang zurück, als ein Dutzend Raketen mit enormer Gewalt un mittelbar vor ihm explodierte. Elora musste auf eine andere Kamera umschalten. Diejenige, von der sie die Bilder erhalten hatte, war zerstört. Von weiter straßenab wärts richtete sie die Kamera auf den anrückenden Atlas. »Der BattleMech«, stellte Tortorelli mit einer Spur von Angst in der Stimme fest. »Parsons hätte ihn meinem Befehl unterstellen sol len. Aber diese Beleidigung spielt keine Rolle, nicht wirklich. Meine Soldaten sind dafür ausgebildet, ihn zur Strecke zu bringen, und er macht es ihnen sogar leicht. Er wehrt sich nicht einmal!« »Der Pilot will nicht mehr von der Stadt und ihren Einwohnern zerstören als nötig.« Sie verzichtete darauf zu erwähnen, dass es für den BattleMech zu spät war, sich selbst zu retten. Mit sorgfältigen Zügen hatte sie ihn mit schwerer Artillerie und Panzern eingekesselt. Ein paar CondorPanzer stießen zu schnellen Störangriffen vor, um sich sofort wieder zurückzuziehen, bevor die schweren Laser des Mechs sie abschießen konnten. Aber der Atlas war doppelt behindert. Er konnte weder die unglaubliche Schlagkraft seines Gaussgeschützes einsetzen, noch verfügte er über Sprungdüsen. So war er gezwungen, auf dem Bo den entlangzustampfen, wo ihn die Enge der Straßenzüge behinder
te, die einzuäschern er keine Erlaubnis hatte. Elora hatte Tortorellis Strategie vom ersten Moment an ignoriert. Sie war nicht dumm. Das Auf und Ab der Schlacht eröffnete sich ihr auf den Monitoren des Schreibtischs so deutlich wie nur etwas. Was nötig und was unmöglich war, wurde innerhalb von Sekunden of fensichtlich. Das hatte sie dem ununterbrochenen Strom von Infor mationen über die Schlacht, den Feind und die Position der Einhei ten des Legaten zu verdanken. »Ich halte das Propagandabombardement aufrecht. Kinsolvings Techs können meine Sendungen nicht blockieren. Wäre es ihr gelun gen, die Relaisstationen auf allen vier Monden in Betrieb zu neh men, sähe die Sache womöglich anders aus. Aber hier unten hat das Ministerium für Information die technischen Möglichkeiten, die Leute alles glauben zu machen, was wir nur wollen!« Tortorelli musterte sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Au gen. Elora erkannte, dass ihre Stimme sich zu einem Kreischen ge steigert und sie ihre Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle hatte. »Wir stehen kurz vor dem Sieg, Calvi. Du bist ein brillanter Takti ker.« »Stratege«, verbesserte er abwesend. »Der allgemeine Schlachtplan ist Strategie. Seine Umsetzung ist Taktik.« Lady Elora ließ ihn reden. Ihre Gedanken rasten der Wirklichkeit voraus zum bevorstehenden Sieg über den BattleMech. Sollte sie Parsons als Verräter aburteilen und hinrichten, oder war es besser, ihn wie einen geprügelten Hund zurück zu Aaron Sandoval zu ja gen? Eindeutig Letzteres. Auf diese Weise konnte sie die Botschaft deutlicher machen: Mirach hatte unter der Ägide Kai Radicks einen BattleMech vernichtet. Von nun an war das System für Einheiten der Republik Sperrgebiet – falls sie nicht dasselbe Schicksal erleiden wollten. Möglicherweise würde ihr der Schlachtverlauf die Entscheidung auch abnehmen. Es bestand die Chance, dass Jerome Parsons starb, sei es im Kampf oder von der Hand ihrer Anhänger.
Ein neuer Strudel von Intrigen wirbelte um Elora, als sie sich über legte, welche Vorteile es haben könnte bekannt zu geben, dass Kin solving und die MBA Sandovals Gesandten ermordet hatten. Sie hatte bereits verbreiten lassen, dass Sergio Ortega Mirachs HPG-Sta tion erneut zerstört hatte. Es spielte kaum eine Rolle, ob die Allge meinheit diese drastische Lüge glaubte, solange es nur genug Leute gab, die darauf hereinfielen. All das konnte ausreichen, dem Trium virat der MBA-Spitze die Herrschaft über Mirachs Wirtschaft zu ent reißen. Dann würde Elora nicht nur die militärische und zivile Auto rität des ganzen Planeten kontrollieren, sondern auch seine auf Bergbau, Landwirtschaft und Fabrikproduktion basierende ökono mische Macht. Autorität, Macht und Reichtum! »Das willst du nicht wirklich«, erklärte Tortorelli. »Warum nicht?«, fragte sie und ihre grünen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen. Woher weiß er, was ich denke? »Du steuerst die Panzer in die Enge. Von dort müssen sie entwe der Munition verschwenden, um sich einen Weg durch das Ruinen feld freizuschießen, oder in einem weiten Umweg Zeit verschwen den. Wenn sie das tun, könnte der BattleMech ausbrechen und eine Verteidigungsstellung am Palast etablieren.« »Dort könnte der Atlas seine Geschütze einsetzen, ohne Angst ha ben zu müssen, Zivilisten zu töten«, murmelte sie zögernd und ließ sich den Einwand des Legaten durch den Kopf gehen. Elora ent spannte sich, als ihr bewusst wurde, dass Tortorelli den Verlauf des in der Hauptstadt tobenden Kampfes kommentiert hatte und nicht ihre politischen Winkelzüge. »Er könnte den Gouverneur auf jeden Fall verteidigen, bis wir Kröten zur Stelle hätten, sollte Parsons das vorhaben.« Tortorelli stockte kurz, dann sagte er: »Fordere ihn auf, sich zu ergeben.« »Parsons?« »Nein, nein, Liebes. Fordere Sergio auf, sich zu ergeben. Er wird es tun, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Du weißt, wie ihn
der Anblick von Blut erschüttert. Ich glaube wirklich, er ist von all dem pazifistischen Unsinn überzeugt, den er die ganze Zeit ablässt. Sag ihm, wenn er uns nicht auf der Stelle die Regierungsgeschäfte übergibt, wird es noch mehr Blutvergießen geben.« »Nur er kann das verhindern«, fügte Elora hinzu und verstand ge nau, worauf Tortorelli hinauswollte. Das war die Achillesferse des Gouverneurs. Zu Devlin Stones Zeiten mochte er ein verwegener Kämpfer gewesen sein, aber seither hatte er den Willen zum Kampf verloren und glaubte, man könne alles mit Verhandlungen lösen. Sie würde ihm beweisen, wie Politik wirklich funktionierte. Worte waren ganz nett, aber eine Raketensalve oder Laserbreitseite lieferte zuverlässigere Resultate. »Nein, warte … Er wird sich nicht ergeben«, unterbrach Tortorelli, als sei ihm gerade eine wichtige Erleuchtung gekommen. »Er wird in seinem Märtyrertod das stärkere Signal sehen, um das Volk gegen uns zu vereinen. Damit könnte er sogar Recht haben. Ja, dieser Plan könnte tatsächlich aufgehen. Aber ich glaube nicht daran.« Er streckte den Arm an Elora vorbei zum Schreibtisch aus und stellte eine Verbindung zu seiner Bataillonsführerin her. »Captain Mugabe, Sturmangriff. Greifen Sie den Palast mit allem an, was Sie haben.« »Sir!«, kam die Antwort. »Bitte wiederholen Sie den Befehl, Sir.« »Zerstören Sie den Facettenpalast«, befahl Tortorelli energisch. »Es werden keine Gefangenen gemacht.« »Verstanden, Sir.« Die Bestätigung kam zögernd, aber Tortorelli sah, dass Mugabe gehorchte. Sie war seine beste Panzerkomman deurin. Sie brachte den Behemoth II schnell in Position und feuerte eine Gausskugel, die mit furchtbarer Wirkung in die Fassade ein schlug. »Er wird sich nicht ergeben«, wiederholte der Legat. »Habe ich das Richtige getan, Elora? War es richtig, den Befehl zu geben, den Pa last mit all seinen Bewohnern in Schutt und Asche zu legen?«
»Ich kann bekannt geben, dass er sich bereits ergeben hat«, stellte Elora mehr bei sich als ihm gegenüber fest. Der Gedanke gefiel ihr. Wenn sie mit ihren Kameras vor Ort ging, konnte sie danach jede Gegenwehr von der Seite des Gouverneurs als einen Bruch des Waf fenstillstands darstellen. »Ja, das ist großartig. Viel Zeit hat er nicht mehr, also streng dich an, dass es auch ehrlich klingt.« Elora fixierte Tortorelli mit einem kalten Blick. Hatte er das sarkas tisch gemeint? Sie konnte es nicht feststellen, denn er hatte sich wie der umgedreht und kehrte an das simulierte Fenster zurück, um die Vernichtung zu beobachten, die sich wie eine Sturmflut über Cingu lum ergoss. Panzer feuerten auf den Atlas und Kröten kletterten über seinen Rumpf. Trotz der zunehmend schweren Verluste durch die stampfenden Füße und wedelnden Arme des Metallriesen, als er versuchte, ihren Nadelstichen zu entkommen, ließen sie nicht lo cker. Aber nichts konnte Eloras Gefühl der Zufriedenheit übertreffen, als fünfzehn Minuten später ihr Nachrichtensprecher die Live-Über tragung der Kämpfe für die Mitteilung von der bedingungslosen Kapitulation Gouverneur Sergio Ortegas unterbrach. Damit war die Bühne für den Sieg bereitet. Falls der Baron kämpf te, erschien er als Verbrecher. Kämpfte er nicht, würde er sterben.
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Museum des modernen Mirach, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 Also dann, dachte Austin Ortega. Er hatte fünf Tage nach Kräften ge arbeitet und den Neurohelm auf sein Hirnwellenmuster eingestellt. Dann hatte er Zugangscodes festgelegt, um alle Systeme des Battle Mechs einsatzbereit machen zu können. Er hatte Munition aus den Lagerhallen geholt und sich mit einem kleinen Elektrotransporter abgemüht, die in einem subplanetaren Bunkerraum lagernden LSRPacks zu laden. Normalerweise hätte ein Trupp von Techs diese Ar beit übernommen, aber Austin hatte sich auf seine Ausbildung und eine beträchtliche Menge angeborener technischer Begabung verlas sen. Und er hatte sich körperlich stärker verausgabt, als er zugeben mochte. Jeder Muskel im Leib schmerzte. Es waren hektische, kräfte zehrende fünf Tage gewesen. Sergeant Death hatte sich unter seiner sorgfältigen Pflege in weni ger als einer Woche von einer leblosen Metallstatue in eine wieder erstandene Kampfmaschine verwandelt. Das beweist nur, was für eine robuste Konstruktion ein solcher Centuri on ist, dachte er mit einem Gefühl von Zufriedenheit. Dann schlug eine Welle der Trauer über ihm zusammen. Dale hatte mit seiner Einschätzung des alten Mechs falsch gelegen. »Das ist für dich, großer Bruder«, sagte er. Er befestigte den Gurt
des Neurohelms unter dem Kinn, schnallte sich auf der Pilotenliege an und legte die Hände um die Steuerknüppel. Dann presste er die Pedale nieder und Sergeant Death erwachte. Ein riesiger Metallfuß bewegte sich nach vorne und zertrümmerte den Marmorboden der Rotunde. Als der BattleMech sich umdrehte, explodierte ein Schalt kasten im Erdgeschoss des Innenhofs in einem Funkengewitter und einer Kakophonie von elektrischen Kreisch- und Pfeiftönen. Austin steuerte den Centurion vorwärts und brach durch die Westwand des Museums, ohne abzubremsen. Steine und Leisten stürzten herab und prallten prasselnd von der Metallhülle des Mechs ab. In der riesigen Staubwolke, die er aufgewirbelt hatte, war an freie Sicht nicht mehr zu denken. Austin schaltete den Sichtschirm um. Zu seiner Befriedigung arbeitete die Ortung und Zielerfassung ein wandfrei. Als er das Corean-Transband-J9-Funksystem aktivierte, empfing er jedoch zu seiner Enttäuschung nur Rauschen. Er hatte gehofft, Kontakt mit dem Atlas aufzunehmen, sein Vorgehen mit dem Piloten der überschweren Maschine zu koordinieren und eine unangreifbare Verteidigungslinie um den Palast aufzubauen. Mit Myomermuskeln, die nach jahrzehntelanger Untätigkeit pro testierend ächzten, setzte Sergeant Death sich schwerfällig in Bewe gung, erst unsicher, dann zunehmend stabil. Austin machte es sich bequem und stellte fest, dass es ihm leichter fiel, den alten Mech in der Wirklichkeit zu steuern als im Simulator. Aber das war zu er warten gewesen. In der computerisierten Konstruktwelt des Simula tors wurde er unablässig mit Problemen konfrontiert, um seine Fä higkeiten zu testen und ihn auf jede mögliche Schwierigkeit vorzu bereiten, vor die ihn ein wirklicher Kampf stellen konnte. Er justierte die Radaranzeige und sah, dass der Atlas sich über zwanzig Kilometer entfernt in der Stadt aufhielt. Kleine Lichtblitze rund um den anderen Mech zeigten, wie wild entschlossen Tortorel lis mittelschwere Panzer ihn attackierten. Der MechKrieger an den Kontrollen der Maschine schlug mit gelegentlichen chirurgischen Feuerstößen auf die Condors zurück und ignorierte, was Austin als das wirkliche Ziel betrachtete: den Gouverneur.
»Atlas von Centurion. Atlas, bitte melden. Hören Sie mich?« Austin versuchte es über mehrere Kanäle, doch auf keiner Frequenz erhielt er eine Antwort. Schließlich gab er den Versuch auf, Sandovals Pilo ten zu kontaktieren. Es kostete zunehmende Aufmerksamkeit, über das Museumsgelände zum Palast zu gelangen, ohne sämtliche, au ßerhalb des Gebäudes aufgebauten, Ausstellungsstücke zu pulveri sieren. Austin schaltete die Ortung um und sog die Luft zwischen den Zähnen scharf ein. Der Legat hatte zwar den größten Teil seiner Mi litärmacht gegen den Atlas in den Kampf geworfen, doch es blieb im schnellen Vormarsch auf den Palast genug, um ihn zu erobern. Oder mit Mann und Maus zu zerstören. Austin hatte gehofft, sein Vater wäre irgendwann in den letzten Tagen geflohen, aber der Anblick einer solchen auf den Palast zu steuernden Streitmacht machte diese Hoffnung schnell zunichte. Der schlimmste aller Kriege – der Bürgerkrieg – breitete sich aus wie Unkraut: wohin er blickte. Der Lichtblitz einer Laserkanone zuckte aus der Richtung des Fa cettenpalasts herüber, dicht gefolgt vom markerschütternden Über schallknall eines Gaussgeschützes. Tortorelli hatte einen Behemoth II als Speerspitze des Angriffs eingesetzt. Sie wollen Papa umbringen, erkannte er. Elora und Tortorelli waren nicht darauf aus, ihn gefangen zu nehmen, ihm einen Schauprozess zu machen und ihn als Verräter hinzurichten. Sie wollten ihn hier und jetzt dauerhaft aus dem Weg räumen. In gewisser Weise emp fand Austin Befriedigung darüber. Es bedeutete, der Widerstand der MBA und des Atlas war heftiger, als die Verschwörer erwartet hat ten. Es erschreckte ihn jedoch zugleich auch, denn es bedeutete ebenfalls, dass es die Ministerin und den Legaten nicht mehr interes sierte, was Jerome Parsons dem Lordgouverneur berichtete. Mit einem Gefühl, als wäre er so groß wie der zehn Meter hohe Centurion und zweimal so unverwundbar, beschleunigte Austin auf Höchstgeschwindigkeit und nahm direkten Kurs auf die weitläufi
gen Gärten um den Palast. Ortung und Zielerfassung über schwemmten ihn mit Daten. Die sensorische Überlastung verschlimmerte sich noch, als Warnglocken den Bruchteil einer Sekunde anschlugen, bevor ein La sertreffer ihn durchschüttelte. Zerschmolzene Stahlkeramik floss über den Mechrumpf davon. Instinktiv drehte er den Koloss, um zu verhindern, dass sich der Angriff auf eine einzige Stelle konzentrier te. Austin suchte den Sichtschirm ab und fand den Ursprung des Angriffs. Eine Verbundwaffeneinheit war mit Höchstgeschwindig keit auf die südlichen Palasttore zugestürmt und hatte stattdessen ihn gefunden. Ein VV1 Ranger-Infanterieabwehrfahrzeug raste auf ihn zu. Die Maschinengewehre ratterten nutzlos, aber die vier Laser peitschten brutal auf ihn ein. Austin wurde sich kaum bewusst, was er tat, als seine rechte Hand den Abzug reflexartig betätigte und sich eine tödliche Salve Grana ten aus der Autokanone über das Gelände bewegte und hart in den Ranger einschlug. Sein linker Zeigefinger krümmte sich und zehn LSR schossen aus den Rohren. Der Ranger schüttelte sich unter dem Einschlag der Salve und kippte auf die Seite. Austin feuerte eine zweite Salve, die ihn in brennende Einzelteile zerlegte. Augenblicklich zog er das Fadenkreuz auf zwei Truppentranspor ter hinter dem VV1. Mehrere Salven der Autokanone vernichteten sie problemlos. Er schluckte hart. Die Transporter waren voller Menschen gewe sen. Möglicherweise hatte er einen Teil von ihnen gekannt. Es konn ten ehemalige Mitglieder der 1KL darunter gewesen sein. Dann blieb Austin keine Zeit mehr zum Nachdenken. Er musste ums blan ke Überleben kämpfen. Eine Kompanie Kröten stürmte auf ihn zu, wollte mit Lasern und LSR-Fünferlafetten die Beine des Centurion unbrauchbar machen und ihn hier festhalten, um ihn in Ruhe aus einander nehmen zu können. Er trat aus, als wäre Sergeant Death in klebrigen Morast geraten,
und schleuderte einen Teil der Infanteristen davon. Doch er erkann te, dass ihr unerbittlicher Angriff Erfolg zeigte. Schwere Raketen, Sprengstoff, selbst Lichtwerfer … sie alle kosteten den Mech Panze rung und beschädigten schließlich sogar ein paar der Sensoren. Vom Verlust der StarGuard-III-Panzerung hatte er weniger zu befürchten als von einem Ausfall der Steuerung. Die Kröten verbissen sich wie Terrier in die verwundbarsten Stellen ihres Gegners. Austin feuerte die Autokanone ab und mähte eine Zeile gepanzer te und ungepanzerte Infanteristen nieder, die auf ihn zuhielten. Er zog das Fadenkreuz höher und visierte einen mittelschweren Condor an. Ein langer Feuerstoß sprengte den Panzer in die Luft. Dann schwang er herum und geriet schwer ins Wanken. Die Gausskugel eines Behemoth II traf Sergeant Death mitten in die gepanzerte Brustpartie. Er tat einen Schritt nach hinten, und der Schritt wurde zu einem Stolpern. Sein Kopf schwamm bei dem Ver such, den Centurion aufrecht zu halten. Im Stolpern löste er die Au tokanone aus. Er wollte wieder vorwärts gehen, aber ein Granaten hagel hämmerte in sein rechtes Mechbein. Rings um ihn herum flammten Warnlichter auf, doch der Schaden am rechten Bein war der schwerste. Austin löste einen weiteren Orkan von AK-Granaten aus, aber die Angreifer ließen nicht locker. Die Hauberk-Kröten feu erten ihre Langstreckenraketen direkt in das beschädigte Bein. Die Entfernung war zu gering, um die Sprengköpfe der Raketen scharf zu machen, aber die bloße kinetische Energie des Aufpralls richtete schon genug Schaden an. Endlose Feuerstöße rissen Panzerung da von, sprengten sie weg, zertrümmerten sie. Er erwischte einige der Soldaten, aber nicht genug. Der Centurion hatte zu schwere Schäden am rechten Bein erlitten. Er gab unter seinem Gewicht nach, und er krachte mit einem ohren betäubenden Donnerschlag zu Boden. Austin war einen Moment lang zu geschockt, um sich zu bewegen. Dann blinzelte er mühsam und holte die Zielerfassung wieder scharf ins Blickfeld. Soldaten in Hauberk-Gefechtspanzern stürmten
auf ihn zu, um den Mech mit Lasern und Raketen zu zerstören. Er wälzte den Centurion auf den Rücken, hob den rechten Me charm mit der Autokanone und … nichts. Austin schrie vor Frustra tion und presste den Auslöser in die Fassung, der zentnerweise Ex plosivgranaten mit Spitzen aus abgereichertem Uran in die Reihen der Kröten hätte schleudern müssen. Nichts. Der Lademechanismus der Kanone blockierte. Er grub die Fersen des Mechs in die Erde und schleuderte gewalti ge Staubwolken auf, versuchte, sich vom Rücken aus herumzuwer fen und weit genug aufzurichten, um den Torsolaser gegen die An greifer einzusetzen, bevor sie ihn erreichten. Er war nicht bereit, bei ihrem Liliputanerangriff den Gulliver zu spielen. Und Legat Tortorellis Leute würden sich nicht damit zufrieden ge ben, ihn festzubinden. Sie würden seinen Centurion zerstören. Sie würden ihn umbringen. Austin feuerte den Laser und ionisierte eine breite Schneise mitten durch die Staubwolke. Wieder und wieder feuerte er. Dann blieb plötzlich eine Salve aus, die einen Trupp Soldaten hätte auslöschen sollen. »Nein, verdammt! Tu mir das nicht an!«, tobte er. Die Ladeanzeige des Photec-Lasers meldete einen Kurzschluss. Er konnte die Waffe wieder klar machen, aber er hatte keine Ahnung, wie lange es dau ern würde, sie auch nur teilweise wieder aufzuladen. Er änderte die Taktik, konzentrierte sich darauf, den BattleMech auf die Beine zu bekommen statt zu kämpfen. Er setzte ihn auf und hatte es fast geschafft, die Beine unter den Rumpf zu ziehen, als ein neuer Raketenschwarm in Sergeant Death einschlug. Er krachte erneut flach auf den Rücken und Austin sah nur leeren Himmel auf dem Sichtschirm über sich. Aber er weigerte sich, aufzugeben und zu sterben. Sein Vater brauchte ihn. Die Repu blik brauchte ihn. Elora durfte nicht gewinnen. Mit einem Armschwung warf der Centurion zwei Infanteristen um
und wälzte sich auf die Seite. Aus dieser Position starrte er dem Tod direkt ins Angesicht. Ein Condor senkte die Kanone – und jeden Mo ment würde ein Orkan aus Granaten geradewegs ins Cockpit des Centurion hämmern.
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Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 Der ferne Donner explodierender Raketen weckte unliebsame Erin nerungen in Sergio Ortega. Der ganze Palast erzitterte in den Grundfesten, als die Condor-Panzer ihn anvisierten und versuchten, die Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, die Master Sergeant Borodin aufgebaut hatte. Sergio wusste leider nur zu gut, dass selbst die beste, ausgeklügeltste Verteidigung unter einem ausreichend heftigen Beschuss irgendwann zusammenbrach. Er hatte geglaubt, seine Kriegerzeiten wären endlich vorüber. Aus grauer Vorzeit überlieferte Worte klangen durch seine Gedan ken. »Tausende zu morden kleidet sich in hehre Namen, nennt sich ruhmreiche Kriegskunst und gebiert berühmte Dramen.« Und es würde Eloras Ruhm sein, den die Dramatiker verkündeten. Er war ein Narr gewesen, zu glauben, sie würde mit ihrem Angriff zögern, wenn Gesandter Parsons erst eingetroffen und den BattleMech – zu Demonstrationszwecken – Marta Kinsolvings Befehl unterstellt hat te. Er hatte nicht daran gedacht, wie groß die Ähnlichkeit zwischen seiner Informationsministerin und einer in die Enge getriebenen Ratte war. Der Atlas hatte den Kampf um die Macht auf Mirach nicht verhin dert, sondern beschleunigt. Elora hatte die stählernen Kiefer der Fal le gespürt, die sich um ihre Ambitionen schloss und hatte nur noch
die Wahl gehabt, zu handeln oder zu scheitern. Dies sah Sergio jetzt glasklar und wünschte sich, er könnte ein paar der Ereignisse nach träglich beeinflussen, die sie dazu gebracht hatten, Legat Tortorelli zu umgarnen und eine Erfolgschance für ihre Machtpläne zu sehen. Er schloss kurz die Augen und fühlte die fernen Erschütterungen durch den Boden dringen und ihn schütteln. Sergio war allein in den riesigen Hallen, die von Erinnerungen und Kanonendonner er bebten. Borodin und die anderen, die noch loyal zu ihm und den Idealen der Republik standen, befanden sich in den Stellungen, wo sie gegen die Truppen Eloras kämpften und ohne Zweifel starben. Er schaute auf die Bildschirme und sah drei Panzer schnell näher kommen, zwei Condors und einen Behemoth II. Dann schreckte er, als plötzlich ein gigantischer Metallfuß sein Sichtfeld ausfüllte und sich den Panzern in den Weg stellte, zurück. »Der Centurion!«, schrie er. Sergios farblose Augen weiteten sich. Nur ein Mensch konnte diesen BattleMech – seine alte Maschine – so kompetent steuern. »Austin, nein! Kämpf nicht gegen sie! Du ris kierst dein Leben«, brüllte er verzweifelt. Hektisch bearbeitete Sergio die Kommausrüstung. Er kannte die Frequenz, auf der der Centurion empfing, so genau wie sein Gesicht im Spiegel. Fast vier Jahre hatte er in seinem Cockpit gelebt und für die Republik gekämpft. Seit dem Tag, da er den BattleMech dem Museum übergeben hatte, hatte er nicht mehr geglaubt, diese Ein stellungen je wieder zu benötigen. Er fand die richtige Frequenz, um Austin zu rufen, aber es war zu spät. Sergio beobachtete entsetzt, wie der Centurion stürzte und die Panzer zum Gnadenstoß in Stellung gingen. Die Autokanone des Mechs hatte eine Ladehemmung und aus der Mündung des verblie benen Lasers sprühten Funken. Das verriet einen unter diesen Be dingungen möglicherweise tödlichen Kurzschluss. »Austin, melde dich. Austin!« Sergio entschied, dass weitere Ver suche, den Mech zu erreichen, sinnlos waren, und suchte nach einer anderen Frequenz. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er die Trä
gerwelle hörte. Das kurze Strich-Punkt-Strich-IFF-Signal verriet ihm, dass er möglicherweise auf die einzige Chance gestoßen war, die seinem Sohn noch blieb. »Peil mein Signal an«, sagte er mit erstickter Stimme. »Beeil dich. Bitte, beeil dich.« Sergio Ortega sank zurück in seinen Sessel, die Augen auf den Monitoren, und verfolgte das Kampfgeschehen auf dem Palastgelände. Alles andere war vergessen.
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Ministerium für Information, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 »Es läuft alles nach Plan«, stellte Lady Elora Rimonowa fest. Ihre Lippen waren zu einem so breiten Grinsen zurückgewichen, dass sie an einen Totenkopf mit roter Haarmähne erinnerte. »Parsons Battle Mech sitzt in der Stadtmitte fest, wo wir ihn zu Tode schinden kön nen.« »Ah ja, durch ihre lächerlichen Gefechtsregeln zur Untätigkeit ver dammt«, stellte Calvilena Tortorelli herablassend fest. »Sie versu chen Leben zu retten, obwohl der einzige Sinn und Zweck eines BattleMechs darin besteht, es zu vernichten. Geht es noch dümmer?« »Meine, Verzeihung, deine Panzer haben ihn umzingelt. Ganz gleich, wohin der Mech sich wendet, er steht unter Beschuss. Falls er sich zurückzieht, verfolgen ihn die Panzer.« Sie starrte auf die Ka merabilder, die aus einem Dutzend verschiedener Blickwinkel ein trafen. Riesige Klumpen geschmolzenen Metalls lösten sich vom Rumpf des Atlas, abgesprengt vom Bombardement der Geschütze eines halben Dutzends Panzer. »War es Gesandter Parsons, der dem Piloten verbot, die Mechwaf fen einzusetzen, wo er Zivilisten gefährden könnte, oder war es Marta Kinsolving?« Tortorelli strich sich über das Kinn und schien nachzudenken. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass es ihr als Präsi
dentin der MBA etwas ausmachen würde, wenn wir die ganze Stadt abschlachten, aber der Sachschaden, der könnte ihr zu schaffen ma chen. Falls AllWorldComm keinen beträchtlichen Immobilienbesitz in der Innenstadt hat, gilt das doch mit Sicherheit für die anderen MBA-Mitglieder.« Elora hörte ihm bei diesem Selbstgespräch nicht wirklich zu. Was spielte es für eine Rolle, ob Parsons oder Kinsolving dem Mechpilo ten die schwachsinnige Anweisung gegeben hatte, sich nur zu ver teidigen statt anzugreifen? Das Ergebnis blieb sich gleich. Die ganze Macht des planetaren Militärs von Mirach traf den Mech wie ein überdimensionierter Schmiedehammer. Es spielte keine Rolle, dass er noch einsatzbereit war. Sie hatten ihn in der Falle, zwangen ihn zur Verteidigung, während die beste Panzerkommandeurin des Le gaten unterwegs war, Sergio Ortega im Facettenpalast zu eliminie ren. Nicht mehr lange, und der Palast wird zu seinem Grab, jubelte Elora. Sie kicherte, als sie die Ausstrahlung der Bilder genehmigte, auf denen Legat Tortorellis Truppen den Attas bombardierten, verbun den mit herzlichen Glückwünschen an die Soldaten. Angebote riesi ger Reichtümer für Infanterie und Kröten, falls es ihnen gelang, den BattleMech zur Strecke zu bringen, wurden veröffentlicht und boten ihnen eine weitere Möglichkeit, Ruhm zu ernten. Aber kein Soldat würde den Preis für sich beanspruchen können. Die schweren Panzer würden früher oder später genug Panzerung wegschälen, um das Innenleben des Mechs für den Todesstoß frei zulegen. Keine Gnade, keine Gefangenen, dachte sie und starrte auf die Moni tore, die auf dem ganzen Schreibtisch ausgefahren waren. »Ja, ja, eindeutig. Die Schlacht verläuft gut«, murmelte Tortorelli, als habe er gerade ein Streitgespräch mit sich selbst gewonnen. »Ich habe sorgsam geplant. Das dürfte mir einen weiteren Orden einbringen. Ja, das sollte es.« Er stolzierte durch ihr Büro, spreizte sich wie ein Pfau und übte
seine Dankesreden. Sie war sich nicht sicher, wann genau er den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Sie hatte seine Autorität nur gebraucht, um das gesamte Mili tär Mirachs gegen den Gesandten des Lordgouverneurs in Bewe gung zu setzen. Und gegen Gouverneur Ortega. Sie drehte sich mit ihrem Sessel etwas zur Seite, einem anderen Monitor zu, der auf ihrem Schreibtisch glänzte. Sie fuhr mit der Ka mera die weiten Gartenanlagen des Gouverneursparks ab und sah zwei leichte Panzer vor den Bodentruppen herrollen, unterstützt von einem Behemoth II. Sie würden den Palast mit Verbundwaffen angreifen, nachdem ihn Sergio unter Zuhilfenahme der Verteidigun gen, die der Legat hatte anlegen lassen, in eine Festung verwandelt hatte. Eloras Begeisterung steigerte sich noch, als sie sah, wie die Panzer kommandeurin ihre Einheiten aufstellte. Der Behemoth II übernahm mit den leichteren Condors die Spitze der Gefechtsformation. Sergio hätte ebenso gut eine riesige Zielscheibe auf dem Rücken tragen können. Die Schlacht würde innerhalb von Minuten vorbei sein. Keine Verteidigungstaktik konnte gegen einen derartigen Ansturm Erfolg haben. »Was ist das?« Elora sprang auf und lehnte sich vor, stützte sich mit geballten Fäusten auf die Schreibtischplatte. »Da ist noch ein BattleMech!« »Woher kommt der denn? Ich muss schon sagen. Dieser Jerome Parsons ist verschlagener, als ich ihm zugetraut hätte. Er muss ihn bis jetzt versteckt haben«, erklärte Tortorelli. »Nein, das hat er nicht. Das ist Sergio Ortegas alter Mech.« »Der mit der gräulichen Lackierung, der im Museum vor sich hin rostet?« Tortorelli runzelte die Stirn, als er den Monitor vor Elora studierte. Wütend schaltete sie die Einspielung auf das riesige Fens ter, wo bis zu diesem Augenblick das Stadtpanorama Cingulums zu sehen gewesen war. Jetzt füllten die Details des uralten BattleMechs beinahe die ganze Wandfläche.
»Captain Mugabe«, fauchte Elora mit kaum noch beherrschter Stimme. »Greifen Sie den BattleMech an. Er darf nicht nahe genug an den Palast gelangen, um ihn zu verteidigen!« »Das ist meine Aufgabe, Elora. Ich sollte die Befehle erteilen«, be schwerte sich Tortorelli und schien beinahe zu schmollen. »Ich habe den Befehl in deinem Namen gegeben, Calvi. Setz dich und sieh zu, was deine Soldaten gegen einen BattleMech zustande bringen«, beschwichtigte sie. Sie sah den Centurion mit riesigen Schritten auf den Palast zuren nen, sichtlich erpicht, Sergio Ortega zu beschützen. Aber Tortorellis Kommandeurin vor Ort gehörte zur Elite der Heimatgarde und hat te im Simulator genau derartige Panzergefechte gegen BattleMechs trainiert. Captain Mugabe ließ die Condors an beiden Flanken aus schwärmen und griff den Centurion dann entschlossen mit Infanterie und Kröten in Hauberk-Rüstungen an. Als die Soldaten zurückwei chen mussten, waren die Panzer in Stellung, um das Bombardement aufzunehmen. »Genau so«, murmelte Elora, als ein besonders vernichtender Gausstreffer einen Großteil der Brustpanzerung des Centurion wegs prengte. Nach einem ausdauernden Beschuss, der sich auf das rech te Mechbein konzentriert hatte, geriet der BattleMech ins Straucheln, kippte weg und schlug so hart auf den Parkboden auf, dass die Ka mera von der Druckwelle ins Wanken geriet. »Holt ihn euch, holt ihn euch«, rief sie. Jetzt wurde ihre Rache noch süßer. »Das in dem Centurion muss Austin Ortega sein. Wer käme sonst infrage?« Die Panzer rollten näher, um dem Kampfkoloss den Gnadenstoß zu versetzen. In Gedanken trieb sie sie an. Austin Ortega hob die Autokanone … Die Waffe blockierte. Diesmal jubelte sie wirklich. Der Jubel verwandelte sich in ein ersticktes Wutgeheul, als sie die Neuankömmlinge sah.
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Palastgärten, Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 Austin Ortega kämpfte um seine Rettung und blickte dem Tod ins Auge. Sein Laser verweigerte den Dienst. Die Autokanone hatte eine Ladehemmung. Einige Hochexplosivgranaten saßen in der Ge schützkammer fest, wo sie jeden Augenblick in die Luft fliegen konnten. Aus seiner Position flach auf dem Boden konnte er den an tiken Centurion nicht wieder aufrichten und zur Gegenwehr einset zen, was der Maschine an Kraft noch blieb. Die Alarmglocken im Cockpit überschlugen sich, als der Condor die Autokanone senkte und geradewegs auf ihn richtete. Austin konnte nicht ausweichen. Sergeant Death würde sich innerhalb von Sekunden in sein Grab verwandeln. Doch Austin gab nicht auf. Hektisch bearbeitete er die Kontrollen, wälzte den Centurion herum und richtete ihn auf Hände und Knie auf. Ein Myomerbündel riss und ließ ihn zur Seite kippen. Wieder erschien die Mündung der Panzerkanone im Frontbereich des Sichtschirms. Dann zuckte er zusammen und riss die Hände vors Gesicht, um seine Augen vor der Funkenfontäne zu schützen, die plötzlich vor ihm explodierte. Ungläubig beobachtete er, wie ein diamantbesetz tes Sägeblatt sich hob und erneut auf den Panzer hinabfiel. Der erste Hieb hatte den Lauf der schweren Kanone gekappt. Das diaman
tharte Sägeblatt drehte sich so schnell, dass es nur ein Schemen war, bis es auf die Oberseite des Panzers traf und den halben Geschütz turm wegschnitt. »Wer ist da?«, fragte Austin und suchte nach einer Frequenz, auf der er sich bei seinem Retter bedanken konnte. Er erhielt jedoch kei ne Antwort und gab auf. Sein Komm war defekt. Austin hörte das dumpfe Knattern einer Autokanone, dann hob eine Explosion den Centurion vom Boden und rollte ihn mehrere Meter beiseite. An seiner Reaktionsfähigkeit gab es nichts auszusetzen. Er benutz te den Schwung der Detonation dazu, den Centurion auf die Knie zu heben und dann ganz aufzurichten. Sein Blick zuckte über die Kon sole. Die meisten Instrumente waren tot – was er aber sah, bestätigte ihm, dass er noch genug Energie hatte, um weiterzukämpfen. Trotz der Schäden am rechten Mechbein konnte er sich bewegen. Der Pa last würde nicht fallen, solange Austin Ortega seinen guten alten Sergeant Death steuerte. Aus seiner luftigen Position zehn Meter über dem Boden sah er ei nem umgebauten IndustrieMech einen zweiten Panzer erledigen. Das Sägeblatt am linken Arm, das den Panzer zerteilt hatte, hing schief herab. Einige der Diamantzähne waren abgebrochen, und aus dem Motor der Säge stieg dichter, ölig schwarzer Qualm auf. Ein zweites, an der linken Mechschulter befestigtes Sägeblatt wirbelte weiter in einem tödlichen Halbkreis. Aber den wirklichen Schaden teilte die hämmernde Autokanone im rechten Arm aus. Austin stampfte mit den Mechbeinen, um die leichte Infanterie auf Distanz zu halten. Die schwereren Kröten hielten erneut auf ihn zu, fanden sich aber plötzlich im Schussfeld der Autokanone des Ar beitsMechs. Der Fahrer dieser Maschine war ein Meister seines Fa ches. Austin war sich ziemlich sicher, sich zu irren, doch es schien, als fände jede Einzelne der Kaliber-50-mm-Granaten ihr Ziel und er ledigte einen der Angreifer. Einem lauten Knirschen in der rechten Mechschulter Austins folg te eine leise Detonation. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass
die Ladehemmung sich selbst behoben hatte und er die Autokanone wieder abfeuern konnte. Er humpelte hinüber und stellte sich Rücken an Rücken mit dem Umbau. Von dort schoss er auf jedes Ziel, das sich ihm bot. Als er die Autokanone reflexartig hob, um auf eine Bewegung am Rand des Sichtschirms zu feuern, blockierte die Waffe erneut. Diesmal atmete er auf, da die Waffe versagte. Fast hätte er auf einen zweiten MBA-Mech gefeuert, diesmal einen umgebauten BergbauMech, der KSR-Salven auf Infanterie und leicht gepanzerte Fahrzeuge abfeuerte. Die Autokanone auf der anderen Rumpfseite schwieg. Offenbar litt sie ebenso unter einer Ladehemmung wie die des Sergeant Death. Austin suchte erneut die Konsole ab, aber er war waffenlos. Der rückwärtige Laser war ausgebaut worden, bevor der Centurion ins Museum kam, und der Lichtwerfer auf der rechten Torsoseite hatte Aufladeprobleme. So erratisch, wie die Spannung fluktuierte, war er möglicherweise schrottreif. Und die Autokanone? Endgültig blo ckiert. Ein heftiger Schlag trieb ihn mehrere Schritte vorwärts. Er schwang den Centurion herum, so schnell er konnte, und stellte sich seinem Retter. Auf dem Sichtschirm sah er den anderen Piloten durch das Fenster der Fahrerkabine zum Funkgerät zeigen. Austin senkte den Kopf des Centurion, um für sein Gegenüber durch das Kanzeldach sichtbar zu werden, und schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass seine Funkanlage ausgefallen war. Der andere Pi lot forderte ihn auf, den Schleudersitz zu betätigen, aber Austin dachte nicht daran, Sergeant Death aufzugeben. Das wäre gewesen, als hätte er einen gefallenen Kameraden für den Feind zurückgelas sen. Der Centurion hatte sich als ebenso tödliche Waffe erwiesen, wie er es schon unter der Hand seines Vaters gewesen war. Er musste husten, dann stieg ihm Qualm in die Augen und zwang ihn zu blinzeln. Jetzt sah Austin, was los war. Alle grünen Lichter auf seiner Konsole brannten rot. Die Umwälzpumpe des Kühlmittel
kreislaufs war ausgefallen. Kriechfeuer arbeiteten sich an den Stromleitungen entlang. Der prachtvolle Kampfkoloss war dem Tod geweiht. Austin leitete die Notabschaltung ein, dann löste er hastig die Gurte und zog die Schläuche aus den Buchsen der Kühlweste. Er drehte sich, bis er es mit der Angst bekam, zu zerreißen. Doch es ge lang ihm, sich aus der Pilotenliege zu befreien und zur Luke zu ge langen. Von der Schulter des Centurion winkte er dem ArbeitsMech zu. Die tödliche Kreissäge an dessen Schulter wurde langsamer und kam schließlich knirschend zum Stehen. Erst dann kam die Maschi ne näher. Mit einem kräftigen Sprung segelte Austin durch die Luft und angelte panisch nach einem Handgriff. Er rutschte mehrere Zentimeter ab, dann fand er mit Händen und Füßen Halt. Aus der Luke des Centurion schlugen so gewaltige Flammenzun gen, dass Austins Hosenbeine von der Hitze Feuer fingen, obwohl er fünf Meter entfernt war. Der Mechfahrer setzte sich bereits ab, um ihn mit dem Rumpf der Kampfmaschine zu beschützen. Mit geübter Leichtigkeit beugte er die Maschine zu Boden, damit Austin ab springen konnte. Die Luke des Mechs sprang auf und Austin erlebte die nächste Überraschung. »Manfred!«, rief er und starrte seinen Retter ungläubig an. »Sie le ben!« »So leicht wird man mich nicht los!« Manfred Leclerc lachte und sprang zu Boden, wo er Austin umarmte und fest an sich drückte. »Aber wie? Ich habe gesehen, wie Sie in die Luft geflogen sind?« Manfred lachte und schüttelte den Kopf. »Ihr Vater hat mich ange rufen, als ich gerade aus dem Wagen steigen wollte, und hat mich gewarnt. Borodin hatte entdeckt, dass Sprengstoff aus dem Lager fehlte, und den Baron gerade noch rechtzeitig informiert, sodass er mir Bescheid geben konnte. Die Kuton-Relaisstation ist eine solche Bedrohung für Eloras Nachrichtenmonopol, dass es nicht schwer war zu entscheiden, dass ein Landungsschiff voller Kommausrüs
tung mit Kurs auf den Mond nicht unbedingt der sicherste Ort auf der Welt war.« Manfred wurde ernst. »Ich habe das Schiff nie betre ten.« »Ich habe Sie gesehen! Marta hat Sie gesehen!«, protestierte Aus tin. »Sie konnten mich gar nicht sehen. Der Schiffsrumpf befand sich zwischen uns. Aber ich habe einen schweren Fehler begangen. Ich habe das Schiff zwar nicht betreten, ich habe aber versucht, den Pilo ten zu warnen. Ich hatte jedoch nur ein GlobalNetz-Telefon. Nie mand an Bord des Schiffes konnte diese Frequenz empfangen, daher habe ich sie nicht warnen können.« »Sie hätten Marta etwas davon sagen sollen. Sie hätte sie über den Kontrollbunker warnen können.« »Als mir dieser Gedanke kam, hatte die Startsequenz schon begon nen, und ich bin so schnell gerannt, wie ich konnte, um nicht gebra ten zu werden. Ich habe gerade noch rechtzeitig einen Graben er reicht, in dem ich vor den Flammen in Sicherheit war. Und dann war es zu spät. Das Schiff flog noch im Start auseinander. Es gab nichts, was ich hätte tun können, also dachte ich mir, es ist besser, Tortorelli und Elora in dem Glauben zu lassen, ich sei tot.« »Aber woher haben Sie den Mech? Sie müssen Marta gesagt ha ben, dass Sie überlebten.« »Natürlich, aber als ich mich mit ihr in Verbindung gesetzt habe, waren Sie schon von der Bildfläche verschwunden. Ihr Vater und Marta wussten, dass ich noch lebe. Möglicherweise auch Borodin, obwohl ich das bezweifle. Allerdings, falls Sie ihn jetzt fragen, wette ich, er behauptet, es gewusst zu haben.« »Sie haben mir das Leben gerettet«, stellte Austin fest und schaute sich um. Im Gouverneurspark herrschte jetzt Stille. Der Boden war von Kratern übersät, brennende Äste verunstalteten einst makellose Rasenflächen. Aber das störte Austin nicht. Die Schäden am Facettenpalast wirkten jedoch geringfügig, auch wenn im Südflügel ein Feuer brannte und gewaltige Breschen in den
Mauern des Ostteils klafften. »Mein Vater?«, fragte Austin. »Lebt. Borodin passt auf ihn auf.« »Was tun wir jetzt?«, fragte Austin. »Hier scheint es friedlich zu sein.« »Wir haben immer noch einen Krieg zu gewinnen. Wir haben die Condors ausgeschaltet und die Infanterie in die Flucht geschlagen. Aber der Behemoth hat sich zurückgezogen und eine ganze Stadt vol ler Heimatgardisten macht Jagd auf einen Atlas.« Austin blickte sich zu dem Centurion um. Sergeant Deaths Tage auf dem Schlachtfeld waren vorbei. »Besorgen Sie mir ein Gefährt und wir kümmern uns um die Lega tentruppen in der Stadt«, sagte er zu Leclerc. »Tut mir Leid, es ist nichts für Sie frei. Ich habe die anderen MBAMechs angewiesen, sich bei dem Atlas zu sammeln. Wir müssen die Kämpfe in der Stadt beenden, aber Ihr Platz ist hier.« Er drehte sich wieder zu seinem Mech um. »Das können Sie nicht machen. Ich will mitkämpfen. Ich habe einen Platz verdient.« »Das Leben ist ungerecht«, erwiderte Manfred und stieg zurück in den Mechumbau. Die Luke schloss sich mit einem Hallen, das in Austins Ohren wie eine Totenglocke klang. Er stand reglos da und starrte Manfred nach, als der den ArbeitsMech nach Cingulum in Bewegung setzte. Austin dachte nicht daran zurückzubleiben. Er rannte zum Sü deingang des Palastes, wo ihn Dmitri Borodin und sechs Soldaten erwarteten, die er als Kosaken-Lanciers erkannte. »Master Sergeant«, begrüßte er Borodin. »Alles unter Kontrolle?« »Hier ist inzwischen alles ruhig, Lieutenant. Wir hatten ziemliche Verluste, aber das ist nicht weiter überraschend. Wir haben zum Ausgleich auch einige Neuzugänge, Heimatgardisten aus den Pan zern, die ausgestiegen sind und sich ergeben haben. Sie sind zu uns
übergelaufen, weil sie keine rechte Lust hatten, gegen den Gouver neur zu kämpfen.« Borodin grinste und setzte hinzu: »Der Gouver neur hat daran möglicherweise auch einen Anteil. Er hat unseren Kurzwellensender benutzt und alle Soldaten, die loyal zur Republik stehen, aufgefordert, sich uns anzuschließen.« Austin grinste. Möglicherweise hat der alte Herr doch noch nicht allen Kampfgeist verloren. »Zwei Panzerfahrer und einiges an Infanterie«, fuhr Borodin fort. »Was den Captain mit dem Befehl über diese Mission angeht – in dem Behemoth II –, bin ich mir nicht ganz sicher. Könnte sein, sie hat auch ihre Zweifel.« »Ausgezeichnete Arbeit, Master Sergeant«, lobte Austin. »Sie ha ben den Befehl.« »Sie sind der ranghöhere Offizier, Baronet. Ich glaube, der Baron möchte Sie sprechen.« »Wie schnell sind die Panzer? Die, deren Besatzung kapituliert hat?« »Sie wollen nicht wirklich in einen von diesen Metallsärgen stei gen«, erwiderte Borodin und fixierte Austin. »Das ist kein angemes senes Gefährt für einen Baronet. Sie brauchen einen Untersatz mit Stil.« »Wenn Sie es dem Baron gegenüber nicht erwähnen, tue ich es auch nicht.« Austins Puls raste. Er schaute hinüber zu Sergeant Death und wusste, einen BattleMech konnte er nicht mehr steuern. Selbst wenn Manfred über einen Umbau für ihn verfügt hätte, es hätte zu lange gedauert, den Neurohelm auf ihn einzustellen, damit er ihn in die Schlacht steuern konnte. Borodin holte das Funkgerät aus der Tasche und sprach hinein. Dann schaute er zum Himmel. Einen Augenblick lang sah Austin gar nichts. Dann tauchte am Horizont über dem Nordrand des Gouverneursparks ein kleiner schwarzer Punkt auf.
»Ein 1KL-Sergeant hat die Besatzung überredet, Ihnen einen Blick auf die Kämpfe zu ermöglichen«, erklärte Borodin. »Die 1KL hat ihre Finger überall. Vielleicht sollten Sie sich das merken, Lieuten ant. Es sind alles loyale Soldaten, ganz gleich, welche Uniform sie tragen.« »Ich verstehe, Master Sergeant. Danke.« Austin hob schützend den Arm vors Gesicht, als ein Neunauge-Transporthubschrauber – offen bar ein modifiziertes Modell – in einer riesigen Staub- und Schmutz wolke aufsetzte. Austin drehte sich um und verabschiedete sich mit einem exakten Salut von Borodin, an dessen Fähigkeit, den Palast und den Gouverneur zu beschützen, er keinen Zweifel hegte. Dann senkte er den Kopf und rannte auf die offene Einstiegsluke zu. Die Schlacht im Gouverneurspark war vorbei. Der Krieg noch nicht.
38
Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 9. Mai 3133 »Willkommen an Bord, Lieutenant«, brüllte die Pilotin gegen den Rotorenlärm an. Trotz der Heimatgarde-Insignien an ihrer Uniform erkannte Austin sie als Tech der 1KL. »Ich wusste gar nicht, dass sie ein Neunauge fliegen können, Ser geant Posner.« Austin schwang sich in die hintere Truppenkabine – neben dem an einer Seitentür montierten Maschinengewehr – und schnallte sich auf einen freien Sitzplatz. »Ich lerne schnell, Sir. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Helis und habe eine Menge Zeit im Simulator verbracht. Deshalb hat mich der Legat einem zugeteilt. Haben Sie vor, das MG zu benut zen, Lieutenant?«, rief Posner über die Schulter. »Dann sollten Sie den Türschützenharnisch anlegen. Wir wollen schließlich nicht, dass Sie rausfallen.« »Zeigen Sie mal, wie schnell Sie uns zu den Kämpfen bringen kön nen, Sergeant.« Austin folgte ihrem Rat, stand von dem Sitzplatz auf und stieg in den Gurtharnisch. Er hatte die Schlösser der schweren Gurte kaum geschlossen, als Posner die Rotoren auf volle Leistung schaltete und der Hubschrauber wie eine Rakete aufwärts schoss. Austin fand einen Helm und setzte ihn auf, vergewisserte sich, dass die Sprechverbindung zur Pilotin funktioniere, und klappte das Visier nach unten, um sich vor dem peitschenden Wind zu schützen,
der seine Augen tränen ließ. Er wollte nichts verpassen. Und aus fünfhundert Metern Höhe entging ihm auch wirklich nichts. Austin wurde ernst, als er die Verwüstungen sah, die der Gouverneurspark erlitten hatte. Vom Boden aus hatte er sie gar nicht richtig wahrge nommen. Der Behemoth hatte tiefe Furchen im Boden hinterlassen und die leichteren Condors hatten einen beträchtlichen Teil der Landschaft umgepflügt. Die wirkliche Verwüstung aber war das Werk des Kampfes zwischen dem BattleMech, dem ArbeitsMech und den Angreifern gewesen. Er spürte einen Frosch im Hals, als er Sergeant Deaths Wrack im Park liegen sah. Der Hubschrauber beschleunigte, und Austin ent deckte knapp außerhalb des Parks Manfred, der in seinem Mechum bau auf Cingulum zuhielt. Das Neunauge jagte mit seinen 150 km/h Höchstgeschwindigkeit über ihm vorbei und ließ den ArbeitsMech schnell hinter sich. Austin winkte ihm zu, dann hörte er eine Explo sion. Hastig drehte er sich um. Er schaltete die Vergrößerungsfunktion des Helmvisiers ein und suchte die Stadt ab. Voraus sah er bernsteingelbe Laserbahnen über den Atlas zucken. Der riesige BattleMech bemühte sich, den Angrif fen auszuweichen, während er mit den eigenen Lichtwerfern zu rückschlug. Die Explosion war die Vernichtung eines von seinem Antwortfeuer getroffenen Panzers gewesen. Austin konnte nicht er kennen, welcher Panzertyp dabei zerstört worden war. Noch waren sie zu weit entfernt, um in die Häuserschluchten der Stadt hinabzu blicken. Aber die kurz darauf folgende Sekundärexplosion der ein gelagerten Munition machte es unwahrscheinlich, dass die Besat zung entkommen war. »Wohin, Lieutenant? Mitten ins Geschehen?« Jetzt hörte er Ser geant Posner über die Sprechfunkverbindung des Helms, und sie brauchten sich nicht mehr anzubrüllen, um einander zu verstehen. »Kreisen Sie über dem Kampf. Ich muss erst mal sehen, was wir überhaupt tun können, bevor ich weiß, wo wir am effektivsten sind.« Er klammerte sich an einen an der Seitenwand des Neunauge
befestigten Handgriff, als Posner die Maschine in eine enge Kurve legte. Austin erkannte, dass sich der Kampf ins Ruinenfeld verlagert hatte. Eine Menge Gebäude waren bereits zerstört und hatten hohe Schuttberge hinterlassen. Scharfe, glänzende Stahlträger ragten wie bleiche Knochen aus den Trümmern. Das Schlimmste aber waren die immensen Krater im Boden. Teilweise waren sie groß genug, den Atlas komplett zu schlucken. »Der BattleMech hat ernste Schäden, Lieutenant«, bemerkte die Pi lotin. »Er liefert den Angreifern keinen ernsthaften Zweikampf. Der Pilot schießt nur in Antwort auf direkte Attacken. Aber er scheint nicht in akuter Gefahr zu schweben.« »Wenn der Mech reagiert, schießt er gezielt. Keine Begleitschäden, wenn er sie vermeiden kann.« Austin wusste, die Befehle des Piloten mussten noch darüber hinausgehen. Minimale Verluste an Men schenleben. Der Atlas hatte die undankbare Aufgabe erhalten, unter Beschuss von Panzereinheiten der Heimatgarde die Ordnung wie derherzustellen, nicht nur gegen unbewaffnete und ungepanzerte Straßenmobs. »Wouh!«, stieß Posner aus, und der Hubschrauber machte einen Satz zur Seite. Austin war froh, dass er den Gurtharnisch angelegt hatte. Ohne diese Sicherung wäre er kopfüber aus der offenen Sei tentür gestürzt. »Wir werden vom Boden aus beschossen. Wie lau ten Ihre Befehle, Lieutenant?« »Sie haben Raketen. Wehren Sie sich«, ordnete Austin an. Das Neunauge erbebte, als Posner eine Salve von vier Kurzstreckenrake ten abfeuerte. Die Rauchspuren der Raketen zogen ihre Flugbahn hinab zum Boden nach, aber Austin konnte nicht ausmachen, ob sie ihr Ziel auch trafen. Der Hubschrauber legte sich hart zur Seite, um dem Antwortfeuer auszuweichen. Austin sah LSR vorbeisausen, fast nahe genug, um sie mit ausgestreckter Hand zu berühren. Die Ma schine war zu leicht gepanzert, um eine volle Salve zu überstehen, aber Posner wich einem potenziellen Desaster mit bemerkenswerter Geschicklichkeit aus.
»Ihre Kröten greifen den Atlas an«, setzte er sich mit Posner in Ver bindung. »Bringen Sie uns runter, wo ich dem Riesen helfen kann, die Zecken abzustreifen.« »Ich versuche, Verbindung mit dem Atlas aufzunehmen, Sir, aber der Funkverkehr wird gestört.« »Elora«, knurrte Austin. Lauter antwortete er: »Versuchen Sie wei ter, den BattleMech zu erreichen. Er soll abziehen. Es gibt keinen Grund für ihn, da herumzustehen und sich prügeln zu lassen.« »Er ist dafür gebaut, Schaden wegzustecken«, bemerkte Posner. Wie um ihren Kommentar zu bestätigen, fing der überschwere Batt leMech eine Raketenbreitseite ab. Er verlor etwas Panzerung an der linken Torsoseite und möglicherweise wurde seine eigene KSR-La fette beschädigt, aber davon abgesehen schüttelte er den Angriff un beeindruckt ab. Austin wusste, der Atlas konnte schwere Angriffe zwar überste hen, aber dafür war er nicht konstruiert worden. Er war gebaut, um Vernichtung auszuteilen. Der Heli schwang herum, dann fiel er wie ein Stein zwischen die Hochhäuser. Posner flog nur noch zehn Meter über der Straße und schoss über einen Krötentrupp hinweg, der im Laufschritt auf den BattleMech zuhielt. Sie flog scharf zurück, drehte die Maschine um hundertachtzig Grad und brachte Austin in Angriffsposition. Er packte das Maschinengewehr und zog den Ladehebel zurück. Einen Augenblick zögerte er, dann drückte er ab. Das MG ratterte laut und spuckte bleiernen Tod. Der Kugelhagel zeichnete eine Spur in den Asphalt und erwischte den vordersten Infanteristen voll. Die schweren Kugeln prallten singend von der Krötenrüstung ab und schleuderten den Mann zurück. Dann stieg der Hubschrauber plötzlich in die Höhe. Austin verlor das Gleichgewicht und fiel nach draußen. Er starrte senkrecht nach unten. Der Infanterietrupp unter ihm hatte sich verteilt und war in Deckung gegangen. Alle Soldaten trugen Hauberk-Rüstungen und zielten mit den Lasern auf das Neunauge. Austin sah das Laserfeuer
vorbeizucken und nahe Gebäude treffen. Die Fehlschüsse sprengten Brocken davon, verdampften Fenster und erfüllten die Luft mit Be tonstaub. Posner schwenkte zurück und Austin fiel wieder in Feuerposition. Das Fadenkreuz des Maschinengewehrs schwenkte über den Krö tentrupp, und Austin gab einen langen Feuerstoß ab. Er sah den Truppführer zucken, dann krachte er vornüber auf den Straßenbe lag. Eine dumpfe Explosion hob eine Tonne Gefechtspanzer kurz vom Boden, bevor sie wieder hart aufschlug. Austin hatte den Rake tenwerfer getroffen und die eigene Bewaffnung hatte die Rüstung zerstört. Und den Soldaten in ihrem Innern. Dann war der Hubschrauber vorbei, und Posner stieg schnell hö her. »Panzer«, erklärte sie unnötigerweise, als ein fußballgroßer Ni ckeleisenball aus einem Gaussgeschütz an ihnen vorbeiraste, dicht gefolgt von einem Überschallknall, der die Maschine durchschüttel te. Austin war froh, dass er den schallgedämpften Helm trug. »Behemoth«, bestätigte er. »Mit Kurs auf den BattleMech. Schon ir gendwelche Erfolge bei der Kontaktaufnahme mit dem Atlas?« »Keinen. Aber ich habe Funkverkehr auf einer anderen Frequenz aufgefangen. Sie wird von AWC benutzt.« Der Hubschrauber erzitterte, als ihn Autokanonenfeuer traf und von der gepanzerten Rumpfunterseite abprallte. Als er sich bemüh te, mehr Höhe zu gewinnen, erhaschte Austin einen kurzen Blick auf neue Truppenbewegungen am Boden. Tortorellis Einheiten stürzten sich ohne Rücksicht auf Verluste auf den BattleMech. Eine Kompanie Kröten rückte unter dem Deckungsfeuer eines Condor langsam vor. In der Ferne waren Behemoth-Panzer damit beschäftigt, mit Gaussgeschützen und schwerem Laserfeuer systematisch weite re Gebäude einzureißen, um dem Atlas jede Deckung zu nehmen. »Der MechKrieger ist ziemlich clever«, kommentierte Posner. »Er benutzt die Trümmer geschickt, um die Angreifer auf Distanz zu
halten, aber ihm läuft die Zeit davon. Sie haben ihn umzingelt und jetzt ziehen sie die Schlinge zu.« »Schalten Sie mich auf die AllWorldComm-Frequenz«, bat Austin. Er suchte das verwüstete Terrain ab und sah, wie die leichteren Pan zer den Atlas unaufhaltsam auf einen Punkt zutrieben, an dem die drei Behemoths II ihr Geschützfeuer konzentrieren konnten. »Leitung steht, Lieutenant.« »AWC-Einheit, bitte melden.« Einen Moment lang kümmerte sich Austin um das Gefecht am Boden und sandte einen langen Feuer stoß aus dem MG auf einen Panzer hinab. Die Panzerung des Con dor war mehr als dick genug, den Kugelhagel abzulenken, aber der Angriff erregte die Aufmerksamkeit des Fahrers und hielt ihn auf. Zumindest für ein paar Sekunden. »Wer spricht?«, erreichte ihn eine misstrauische Antwort. »Lieutenant Ortega, 1KL«, identifizierte er sich ohne nachzuden ken. »Bringen Sie die umgebauten ArbeitsMechs?« »Ich brauche eine genauere Identifikation, Lieutenant.« »Dafür reicht die Zeit nicht. Hören Sie zu. Manfred Leclerc ist in seinem Mech vom Gouverneurspark auf dem Weg zur Stadt. Der Palast ist sicher und Gouverneur Ortega ist es auch. Ich kreise in ei nem Hubschrauber über der Stadt und der Atlas ist eingekesselt.« »Wir können den BattleMech nicht kontaktieren«, erhielt er zur Antwort. »Die Frequenz wird gestört.« »Wie weit sind Sie noch entfernt? Können Sie einen Fluchtweg für den Atlas freimachen?« »Wir liegen unter schwerem Beschuss durch einen Panzer, einen Behemoth.« Die Verbindung löste sich in lautes Rauschen auf, aber eine leise Stimme drang durch die Störungen, bei deren Klang sein Puls schneller schlug. Er brüllte, als könnte das Manfred helfen, ihn bes ser zu verstehen. »Manfred! Wie lange noch, bis Sie eingreifen können?«
»Die anderen MBA-Mechs werden angegriffen«, meldete Manfred. »Ich benutze für die Verbindung mit ihnen eine Frequenz, die Elora nicht stört.« »Wir müssen diese Störsendungen abstellen. Können Sie einen Mech zum Informationsministerium schicken, damit er die Sende masten auf dem Dach umlegt?« »Wird gemacht«, meldete Manfred Sekunden später. »Der Mech erreicht das Ministerium in ein paar Minuten.« Austin kam zu einem schnellen Entschluss. Es blieb keine Zeit mehr. Der Atlas näherte sich der Todeszone im Schussfeld der drei Behemoth-Panzer. Sobald sie ihn gemeinsam unter Beschuss nahmen, würde selbst der überschwere Kampfkoloss schwere Schäden erlei den, genug, um den Kröteneinheiten zu erlauben, ihn außer Gefecht zu setzen. »Sofort angreifen. Wir müssen dem BattleMech einen Ausweg ver schaffen.« »Ich werde mir keine Gedanken um Begleitschäden machen«, stellte Manfred fest. »Tortorellis Leute bleiben Bürger von Mirach«, warnte Austin. Jetzt erkannte er aus erster Hand, wie furchtbar ein Bürgerkrieg war. Die Verluste in diesem Kampf waren nicht irgendwelche ›an deren‹. Es waren Nachbarn und Freunde, Geschwister und Ver wandte. »Verstanden. Angriff!«, brüllte Manfred. Das Neunauge schwenkte über dem Atlas ein, damit Austin die Si tuation überblicken konnte. Direkt voraus, keinen Kilometer die Hauptstraße hinauf, wartete ein Behemoth II. Auf Straßen, die im rechten Winkel abzweigten, warteten zwei weitere, bereit, das Feuer zu eröffnen. Der Condor und die Krötentruppen hinter dem Atlas trieben den Stahlgiganten langsam aber sicher unter das Fadenkreuz der schweren Panzer. »Wir haben keine Chance gegen einen Behemoth«, stellte er der Pi
lotin gegenüber fest. »Wir holen uns die Truppen hinter dem Battle Mech.« Er sah einen IndustrieMech einen der breiten Straßenzüge hinab wuchten, auf einen der schweren Panzer zu. Austin versuchte den Fahrer aufzuhalten. Es war ein umgebauter BergbauMech, mit einer Autokanone und Langstreckenraketen bewaffnet. Als er sich dem Panzer näherte, eröffnete der Mech das Feuer und schoss eine Rake tensalve nach der anderen ab. Der Behemoth erwiderte das Feuer mit den Lasern, dann verlor Austin den tödlichen Zweikampf in dem Orkan aus Qualm, Staub und umherfliegenden Trümmern aus den Augen. »Los geht's, Lieutenant«, warnte ihn Posner. Austins Magen wollte den Körper durch den Mund verlassen, als sie sich abwärts stürzten. Er klammerte sich an das Maschinengewehr und drückte ab. Die Kugeln prallten von Krötenpanzern ab und warfen einen der Solda ten zu Boden. Zumindest hatte Austin diesen Eindruck. Wichtiger aber war, dass es ihnen gelang, den Trupp in Deckung zu scheu chen. Dann veränderte sich das Kampfgeschehen drastisch. Manfred stampfte in Sicht und sein umgerüsteter Mech feuerte die Autokano ne auf einen Condor ab. Der Funkenflug der Querschläger füllte die Luft mit einem Schwarm künstlicher Glühwürmchen. Ein paar der abgeprallten Granaten schlugen in die Unterseite des Neunauge, als sie vorbeibrausten. Austin zog den Abzug durch und schickte noch ein paar Kilo MG-Kugeln zusätzlich in das Bombardement. Aber es war Leclercs Angriff, der den Panzer stoppte. Der Panzer antwortete mit Laserfeuer, dann verschwand er in einer grauen Wolke, als Manfred mit der Autokanone draufhielt. »Hol sie dir!«, jubelte Austin. Manfred stampfte vorwärts und die beschädigte Kreissäge an seinem linken Mecharm wirbelte wie wild. Die Staubwolke verschluckte den Mech, dann zuckten Funken durch die Schwaden. »Erwischt«, meldete Manfred begeistert. »Der Panzer ist kampfun
fähig.« Austin wurde in die Gurte geschleudert, als der Hubschrauber einen Satz machte. Er feuerte ein paar Runden auf einen anderen Panzer – einen Dämon –, traf aber nicht. »Die Kröten stürzen sich auf den Atlas. Sie wirken panisch«, mel dete Sergeant Posner. »Der andere Mechumbau hat den Behemoth ausgeschaltet, bevor es ihn erwischt hat. Eine Gausskugel hat ihn praktisch direkt erwischt.« »Wir können die Straße für den BattleMech säubern«, antwortete Austin. »Halten Sie uns dicht über dem Boden.« Mit einer Hebelbewegung lud er einen neuen Munitionsgurt, dann konzentrierte er sich darauf, alle Kröten abzuschießen, die er auf der Straße sah. Während das Neunauge hin und her flog, sah Austin, wie sich Manfred auf einen anderen Panzer stürzte. Ein Laserstrahl peitschte über die rechte Flanke des Umbaus und badete ihn in töd licher Lichtenergie, die den Großteil der Panzerung zerkochte. Und danach zu schließen, wie der Mech humpelte, hatte der Angriff nicht nur die Panzerung beschädigt. »Wie sieht es mit den Sendemasten auf dem Informationsministe rium aus?«, fragte er. »Der Mech ist fast da, Sir«, meldete Posner. »Captain Leclerc hat sich mit einem anderen Panzer angelegt, und der zieht ihm die Hosen aus. Fliegen Sie rüber, damit wir helfen können.« Austin wünschte sich, er hätte mehr als ein einzelnes Ma schinengewehr in der Tür der Truppenkabine zur Verfügung ge habt. Sie stürzten sich abwärts, damit Austin sich auf den Panzer konzentrieren konnte. Doch der Condor feuerte eine Salve in das Neunauge und schleuderte es beiseite. Der Schock der Raketentreffer nahm Austin kurz den Atem. Er richtete sich auf und fragte sich, wieso er nicht mehr an dem MG saß. »Erledigt«, triumphierte Manfred. »Aber ich verliere Leistung. Der
Verbrennungsmotor ist so langen Kämpfen nicht gewachsen.« »Was ist mit dem Mech beim Ministerium?« Er erhielt die Antwort, als plötzlich eine Kakophonie von Stimmen aus den Helmlautsprechern schlug. Ein Dutzend Soldaten brüllte ihm gleichzeitig die Ohren voll, als die Störsendungen abbrachen und sie wieder Funkkontakt hatten. »Achtung, Heimatgarde«, sendete Austin, nachdem Posner ihn auf die Befehlsfrequenz von Tortorellis Einheiten geschaltet hatte. »Feu er einstellen. Ich wiederhole, Feuer einstellen. Hier spricht Baronet Austin Ortega. Ich befehle Ihnen, das Feuer einzustellen.« »Hat nicht viel Effekt, Sir«, meldete Posner. Austin war nicht bereit, die Chance aufzugeben, dieses Gemetzel hier und jetzt zu beenden. Er suchte nach Worten, die den entschei denden Unterschied machen konnten. »Miracher Heimatgarde«, setzte er langsam an. »Jeder, der mich hören kann: In den letzten drei Monaten sind Sie mit Meldungen über den Tyrannen Sergio Ortega bombardiert worden, und jetzt ha ben Legat Tortorelli und Lady Elora Rimonowa Ihnen befohlen, die Waffen gegen ihn zu erheben.« Er machte eine Pause und fragte sich: Wie kann ich zu ihnen durchdringen? Über die anderen Kommfre quenzen hörte er Elora die Soldaten weiter aufhetzen … Und dann hatte er die Antwort. »Aber das sind nicht die Befehle Legat Tortorellis, nicht wahr? Achten Sie darauf, wessen Stimme die Befehle erteilt: Es ist Lady Elora. Die Ministerin für Information hat Sie auf die Straßen befoh len, um Mirach gegen Gouverneur Ortega zu verteidigen, den viele von Ihnen persönlich kennen und unter dem Sie jahrelang gedient haben. Gegen einen Helden der Republik, einen Mann, der seit einer Woche im Facettenpalast unter Hausarrest steht, nicht in der Lage, mit irgendjemandem Kontakt aufzunehmen, unfähig, seinem eige nen Volk zu helfen. In diesem Kampf geht es nicht darum, Mirach vor seinem Gouverneur zu schützen. Es geht darum, uns gegen den Propagandakrieg zu verteidigen, den das Ministerium für Informati
on führt. Die Republik hat einen Atlas nach Mirach geschickt, um die Ordnung und Vernunft wiederherzustellen, für die der Gouver neur steht. Machen Sie die Augen auf: Der Atlas hat niemanden an gegriffen. Er hat sich und die Stadt nur verteidigt.« Jetzt wurde Aus tins Stimme leidenschaftlich. »Ich wende mich an alle Soldaten der 1KL. Stellen Sie das Feuer ein. Sie wissen, ich sage die Wahrheit. Für den Frieden in Cingulum und die Einheit Mirachs, stellen Sie das Feuer ein. Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst und Falschheiten unsere Welt in Stücke reißen. Ich bitte alle, die Lady Eloras Befehlen folgen, stellen Sie das Feuer ein!« Aus dem Funkgerät brach hartes Knistern, dann schnatterten Dut zende Stimmen durcheinander. »Ein Teil der Einheiten dreht ab, Sir«, meldete Posner. »Wo ist die nächste Einheit, die es nicht tut?« »Beinahe unmittelbar unter uns.« »Manfred, können Sie noch?« »Ich bin dabei!« Das Neunauge schwang herum und Austin sah einen Trupp Krö ten, der im Laufschritt auf den Atlas zuhielt. »Kröteneinheit, brechen Sie den Angriff auf den Atlas ab!«, brüllte Austin ins Mikro. Er feuerte das MG ab. Dabei achtete er sorgfältig darauf, keinen der Infanteristen zu treffen. Doch er zielte dicht ge nug neben sie, um ihnen einen Schrecken einzujagen. Die Soldaten zerstreuten sich, als Manfreds Mech auf sie zustürmte. Die wirbeln de Diamantsäge an der linken Schulter der Maschine schien in Flam men zu stehen, so schnell drehte sie sich. Keiner der Soldaten war ernsthaft in Gefahr, aber der Anblick des Umbaus machte ihrem An griff ein Ende. »Der Atlas zieht sich zurück. Er geht nicht in die Falle der Behe moths«, gab Posner durch. Austin war zu beschäftigt, um ihr zu antworten. Dann ging ihm
die Munition aus. Aber er hatte noch einen freien Kommkanal, und den nutzte er. »Feuer einstellen! Bringen Sie nicht noch mehr Bürger unserer Welt in Gefahr.« »Sind Sie wirklich der Baronet?«, fragte eine leise Stimme über die Befehlsfrequenz des Legaten. »Der bin ich. Ergeben Sie sich – und niemand wird Sie dafür be langen, dass Sie Ihre Befehle befolgt haben.« »Ich sehe einen dieser Mechumbauten auf mich zukommen.« »Alle AWC-Einheiten, Kampf einstellen«, befahl Austin. Er konnte nur hoffen, dass sie auf ihn hörten. Falls nicht, musste er kostbare Zeit damit verschwenden, die Befehle über Manfred zu leiten – oder sogar über Marta Kinsolving. »Kampf eingestellt«, erhielt er die Bestätigung, eine nach der ande ren. Zu Austins Überraschung erhielt er fünf dieser Meldungen. Ein Teil der Mechumbauten war noch auf dem Weg nach Cingulum, aber sie meldeten sich trotzdem, um dem Gegner zu zeigen, wie viel Feuerkraft zur Verfügung stand. Wieder hörte er Stimmen, hauptsächlich Kosaken-Lanciers, die ihre Kameraden drängten, den Kampf einzustellen. Falls sie über zeugend genug argumentierten und bestätigten, dass man sich auf sein Amnestieversprechen verlassen konnte, müssten allmählich Einheiten in ganz Cingulum die Waffen strecken. Und das taten sie. Der Atlas marschierte vorbei. Austin blickte auf die mächtige Kampfmaschine hinab und erkannte, dass die Schäden beträchtlich, aber nicht irreparabel waren. Austin erwähnte die noch immer funktionsfähigen Waffen des BattleMechs, wiederholte die Drohung der anrückenden MBA-Ma schinen und überließ es dann den Ersten Kosaken-Lanciers, wo auch immer sie unter den Kröteneinheiten verstreut waren, die Kapitula tion zu vollenden.
»Wir haben ein Problem, Lieutenant. Ein gewaltiges Problem.« Austin schwang sich aus der Tür und sah den Behemoth II die Stra ße herabrollen, mit direktem Kurs auf Manfred Leclercs beschädig ten Mech. Das Gaussgeschütz war geladen und zielte. »Captain Mugabe, Sie haben den Befehl über Legat Tortorellis Ein heiten. Kümmern Sie sich sofort um eine geordnete Kampfeinstel lung«, funkte Austin. »Ist das etwa Mugabe in dem Behemoth? Tortorellis beste Panzer kommandeurin?«, fragte Posner. »Wie wird sie …« Weiter kam die Pilotin nicht. Eine zackige Antwort der BehemothKommandeurin unterbrach sie. »Captain Mugabe bestätigt, Baronet.« Das Gaussgeschütz hob sich. »Alle Heimatgarde-Einheiten: Kampf einstellen. Feuer einstellen, ich wiederhole: Feuer einstellen. Hier spricht Captain Mugabe. Feu er einstellen.« Austin war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er die Luft ange halten hatte. Jetzt atmete er erleichtert aus. Dann sprach er wieder ins Mikro. »Gouverneur Ortega, die Stadt ist gesichert. Ich weise Captain Mugabe an, Militärstreifen zur Aufrechterhaltung der Ord nung einzuteilen.« »Gut gemacht, Austin«, lobte Manfred über eine sichere Frequenz. »Das zeigt allen, wo wir stehen. Besonders Mugabe.« Austin starrte aus dem Neunauge auf den Atlas, der sich sorgfältig einen Weg durch die Straßen der Stadt bahnte und nach dem Weg suchte, der ihn mit der geringsten Verwüstung aus Cingulum hin ausführte. »Ja«, bestätigte Austin. »Gut gemacht. Gut gemacht, alle, die wir hier sind.«
39
Facettenpalast, Cingulum, Mirach Präfektur IV, Republik der Sphäre 12. Mai 3133 »Der letzte Panzerführer in der Blood-Hills-Kaserne hat sich erge ben«, verkündete Sergio Ortega und klang ausgesprochen selbstzu frieden. »Ohne dass ein Schuss gefallen ist. Captain Mugabe spielte bei der Aushandlung seiner Kapitulation eine entscheidende Rolle. Ich vermute, beim Wiederaufbau der Legatsstreitkräfte wird sie sich als noch nützlicher erweisen.« Seine farblosen Augen fixierten Aus tin, der an der Seite des Büros stand. »Die Vernunft hat über die Waffengewalt triumphiert.« Austin zuckte mit keiner Wimper. »Hätte ich nicht den Centurion in Betrieb gesetzt – deinen BattleMech –, hätte Tortorelli den Palast überrannt und ihr wärt alle tot. Mugabe hatte das Gaussgeschütz ih res Behemoth auf deinen Kopf gerichtet.« »Aber sie hat sich geweigert, Tortorellis – Eloras – Befehl zu befol gen und den Palast zu zerstören. Er war ein zu wichtiges Symbol der Republik für sie, als dass sie seine Vernichtung über sich ge bracht hätte.« »Der Centurion hat sie aufgehalten und ihr Zeit verschafft, darüber nachzudenken, wie falsch ihre Befehle waren«, feuerte Austin zu rück. »Hast du vergessen, wie es wirklich war? Ich habe Manfred geru fen«, antwortete Sergio. »Die Machtdemonstration hat ausgereicht,
Mugabe zur Kapitulation zu bewegen.« »Nachdem über hundert Soldaten gefallen waren.« Austin schluckte und schmeckte Galle, als er an diese Statistik dachte. Wie hätte ich anders handeln können?, fragte er sich. Gab es einen Weg, für Papas Sicherheit zu sorgen, ohne die Truppen des Legaten umzubrin gen? Falls es einen Weg gegeben hatte, er hatte ihn nicht gesehen – weder in der Hitze des Gefechts noch danach. Die Drohung mit Ge walt war wertlos, wenn man nicht bereit war, auch tatsächlich Ge walt anzuwenden. »Vergessen Sie nicht meine Rolle in dem Ganzen?«, fragte Man fred Leclerc. »Sie waren Hundefutter, bis ich Sie gerettet habe.« »Was meine Argumentation bestätigt, Papa«, setzte Austin nach. »Ohne Manfreds Kreissäge und Autokanone wäre ich jetzt tot.« »Du hättest dich niemals in den Kampf einmischen dürfen. Es war deine Anwesenheit, die dich in Gefahr gebracht hat.« »Hätte ich Tortorellis Truppen nicht von dem Hubschrauber aus beschäftigt, bis Manfred und die anderen MBA-Umbauten eintrafen, hätten wir alles verloren.« »Deine Ansprache an die Soldaten hat viele von ihnen veranlasst, über die Rechtmäßigkeit der Befehle nachzudenken, die Tortorelli – und Elora – gegeben hatten«, widersprach der ältere Ortega. »Es wa ren Worte, die den Kampf entschieden haben, keine Kugeln.« »Hätte ich keinen Mech losgeschickt, um den Kanal gewaltsam freizumachen, hätte ich zu niemandem sprechen können.« »Bitte, meine Herren Kampfhähne«, unterbrach Manfred den Streit. »Was soll das? Keiner von Ihnen wird den anderen je über zeugen. Gouverneur Ortega hat Recht, Austin. Die Kombination aus Parsons politischem Einfluss und Marta Kinsolvings Loyalität zu Mirach waren die Garantie, dass wir Elora und Tortorelli früher oder später besiegen. Und«, setzte er hinzu und drehte sich zum Ba ron um, »Sie mussten Gewalt einsetzen, um Ihre Ziele zu erreichen. Ohne die MBA-Mechs hätten Sie nicht überlebt.«
»Wie Manfred es vorhin ›Hundefutter‹«, grinste Austin.
so
farbig
ausgedrückt
hat:
»Der Einsatz von Gewalt ist ein Beweis für das Versagen der Di plomatie«, bemerkte Sergio. »Diplomatie und ein gewisses Maß an Hinterlist haben mir weit bessere Dienste geleistet als brutale Ge walt. Dadurch konnte ich Manfred erreichen und davor warnen, in das Frachtschiff zu steigen.« »Herr Baron«, bemerkte Manfred und neigte den Kopf zur Tür. Marta Kinsolving betrat soeben das Büro, begleitet vom Gesandten Parsons. Ihre Wangen waren leicht gerötet, doch ihr kurzer Blick zu Manfred konnte das erklären. »Gesandter Parsons, Ms. Kinsolving. Ich freue mich, dass Sie mei ne Einladung angenommen haben.« Sergio stand auf und deutete mit offener Hand auf zwei bequeme Ledersessel vor dem Schreib tisch. »Wir müssen dieses Treffen kurz halten«, erklärte Jerome Parsons brüsk. Austin verglich sein Benehmen mit dem ersten Besuch des Mannes und seinem unsicheren Auftreten damals. Jetzt war er Herr der Lage. »Ich bin hocherfreut über den Ausgang meiner Mission auf dieser schönen Welt und möchte Ihnen allen mein Lob ausspre chen.« Austin schaute zu seinem Vater hinüber. Irgendetwas an Parsons Kompliment klang falsch. »Warum habt Ihr überhaupt einen Atlas hierher gebracht, Exzel lenz?«, fragte er. Er ließ den zweiten Teil der Frage unausgespro chen, sein Vater stellte ihn dann aber doch. »Warum habt Ihr den BattleMech dem Befehl der MBA unterstellt?« Parsons atmete tief durch, schaute sich im Arbeitszimmer um, dann blickte er über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Bürotür geschlossen war. »Sie haben Ihre Loyalität bewiesen. Sie alle.«
»Unsere Loyalität zur Republik«, stellte Austin fest. »So ist es«, nickte Parsons. »So ist es. Ich habe Ms. Kinsolving und ihrer Organisation den Befehl über diesen BattleMech zugespro chen, um ihre Loyalität zu stärken. Ich war mir nicht darüber im Klaren, wie eng sie sich an Ihre Empfehlung halten würde, die Kampfkraft des Atlas nicht einzusetzen, Baron.« »Hattet Ihr Angst, wir würden eine Allianz mit Bannson eingehen?«, fragte Marta. »Der BattleMech war ein indirektes Mittel, uns die Vorteile anhaltender Loyalität zur Republik vor Augen zu führen und uns die Unterstützung zu geben, die wir gegen Elora und Tortorelli brauchten?« »Das stimmt«, gab Parsons zu. »Aber mein Plan umfasste noch einen anderen Aspekt. Ich war sicher, Gouverneur Ortega würde zwar weiterhin loyal zur Republik stehen, sich aber entsprechend seiner philosophischen Neigungen weigern, den Atlas einzusetzen.« »Ihr hättet ihn nicht herbringen sollen«, erklärte Sergio. Doch Aus tin hörte aus den Worten des Gesandten etwas anderes heraus. »Ich musste mich vergewissern, dass Ihre Loyalität nicht in erster Linie Aaron Sandoval gehört und erst danach der Republik«, fuhr Parsons fort. »Das sind zwei verschiedene Dinge, nicht wahr?«, fragte Austin. Seine Gedanken überschlugen sich. »Was geht in der Präfektur vor, wovon wir nichts wissen, weil das HPG-Netz ausgefallen ist?« »Austin«, wies ihn Sergio zurecht. »Ist schon in Ordnung, Gouverneur. Es wird Zeit, unser Geheim nis zu lüften«, winkte Parsons ab. »Ich stehe loyal zur Republik, aber mit Hinblick auf Aaron Sandoval könnte ich das nicht mehr sagen.« Schweigen senkte sich über den Raum. »Für wen arbeitet Ihr dann, wenn nicht für den Lordgouverneur?« »Sagen wir: für eine Paladin der Republik. Und belassen es dabei. Sandoval allerdings hält mich noch immer für seinen loyalen Ge sandten.«
»Ein Doppelagent«, flüsterte Manfred. Austin blickte zu seinem Vater, dessen rätselhaftes Lächeln plötz lich Bände sprach. Sergio hatte darauf bestanden, einen Plan zu ha ben. Zwei Monate hatte er geschwiegen. Austin blickte wieder zu Parsons. »Ja, ein Doppelagent.« Der Gesandte schaute ihnen nacheinander in die Augen. »Diese Information könnte mein Ende bedeuten. Mein Leben liegt jetzt in Ihrer Hand. Obwohl er weiterhin als Lordgou verneur der Präfektur fungiert, ist Aaron Sandoval in Wahrheit kein loyaler Gefolgsmann der Republik mehr. Nach dem Zusammen bruch des Hyperpulsnetzes hat er den Geschmack der Macht zu schätzen gelernt, ebenso wie Kai Radick. Sie haben vielleicht schon Gerüchte über ihre Abtrünnigkeit gehört. Diese Gerüchte stimmen. Angesichts des Chaos, das über uns hereingebrochen ist, haben wir zu wenig Zeit und Mittel, um ihre Positionen neu zu besetzen.« Parsons' Miene wurde ernst. »Ich sage Ihnen eines: Ich bin gerne bereit, mein Leben für die Republik aufs Spiel zu setzen. Ich versu che, die Unterstützung ihrer Mitgliedswelten zu stärken, und meine Loyalität gehört keiner Einzelperson. Die Ideale Devlin Stones sind größer als ein Einzelner. Was auch geschieht, ich werde für die Ein heit der Republik der Sphäre kämpfen – und wenn es sein muss: auch sterben.« »Mirach ist keine große und reiche Welt, aber auf uns kann die Re publik zählen«, erklärte Sergio. »Sie sind sich ziemlich einig und sehr patriotisch. Danke. Und jetzt«, stellte Parsons mit einem Blick auf die Uhr fest, »drängt die Zeit. Ich muss Sie verlassen.« Er bewegte allerdings keinen Muskel. »Das Geheimnis Eurer Mission wird diesen Raum nicht verlassen, Exzellenz. Danke.« Austin trat an den Schreibtisch und schüttelte Parsons die Hand. Der Blick des Gesandten kündete von eiserner Entschlossenheit und unbedingter Loyalität. Parsons nickte, dann schüttelte er ihnen allen die Hand, bis er schließlich zu Sergio kam. Er lächelte den Baron an. »Würden alle
Welten von so fähigen und zuverlässigen Herrschern regiert wer den, gäbe es keinen Anlass, sich Sorgen um die Zukunft der Repu blik zu machen.« Damit hastete Jerome Parsons aus dem Zimmer. »Wenn man sich auf Sandoval und Radick nicht mehr verlassen kann, müssen wir auf alles vorbereitet sein«, bemerkte Austin. Er drehte sich zu Marta um. »Sie müssen Ihre Mechumbauten der di rekten Autorität des Gouverneurs unterstellen.« »Nein!«, stieß Sergio aus. »Ihre umgerüsteten Mechs sollten wie der für ihre eigentlichen Aufgaben umgebaut werden.« »Du hast den Gesandten gehört. Mirach könnte zu einer Schachfi gur im Machtkampf zwischen …« »Austin, sei vernünftig«, unterbrach ihn sein Vater. »Mirach wird durch seine Willenskraft loyal bleiben. Man kann Patriotismus nicht aus Stahl schmieden.« »Welcher Patriot kann dem Stahl eines BattleMechs standhalten?«, schoss Austin zurück. »Das war Parsons' Botschaft an uns. Der Atlas und die anderen Mechs sind ein Schwert für den Kampf gegen unse re Feinde.« »Seine Botschaft war, dass wir über sie triumphieren können. Die 1KL ist loyal geblieben, und ich habe bewusst zugelassen, dass sie über Tortorellis gesamte Heimatgarde verteilt wurden. Ganze Kom panien Tortorellis haben sich ergeben, weil die Kosaken-Lanciers ihre wacklige Loyalität zu ihm untergruben. Waffengewalt hatte da mit wenig zu tun.« »Ohne die umgebauten Mechs hätten ihre Worte gar nichts be wirkt«, widersprach Austin. Aber in Gedanken gestand er sich ein, dass sein Vater ausgesprochen schlau agiert hatte. Tortorelli hatte die 1KL als Geschenk angenommen, ohne auch nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, sie könnten eine Waffe des Gouverneurs blei ben. Manfred hatte die Bewegungsfreiheit bekommen, die er brauchte, um mit den umgebauten ArbeitsMechs zu trainieren und eine Brücke zu Marta Kinsolving und der Mirach Business Associa tion zu schmieden. Sein Vater hatte die 1KL nicht als Soldaten einge
setzt, sondern als Agenten. Das gestand Austin ihm zu. Er wusste aber auch, dass Borodin Gewalt gebraucht hatte, um den Palast und dessen Hausherren zu beschützen. Genau das wollte er jetzt anfüh ren. Marta und Manfred standen nebeneinander und hörten sich den Streit an, der endlos auszuufern drohte, bis Sergio die Hand hob. »Wir haben andere, wichtigere Dinge zu besprechen.« Er fixierte seinen Sohn mit farblosen Augen. Austin beruhigte sich. Sein Vater hatte Recht. Es würde noch sehr lange dauern, bis sie sich in diesem Streit einig waren. »Es wird eine kleinere Umgestaltung der Machtverhältnisse auf Mirach geben«, stellte Sergio fest. »Gesandter Parsons war im Prin zip mit mir einig, was das betrifft.« »Welche Art von Umgestaltung, Herr Baron?«, fragte Marta. »Sie werden mit den Veränderungen gut leben können, Ms. Kin solving. Keine Sorge, die Regierung wird den Besitz der MBA oder anderer Privatfirmen nicht anrühren. Wir sind für die Unterstüt zung, die Sie uns geleistet haben, ausgesprochen dankbar. Beson ders die Leihgabe Ihrer Mechs kam gerade rechtzeitig.« »Behalten wir die Mechs?«, fragte sie. »Wir brauchen die Mechs«, betonte Austin. »Wir werden sie mög licherweise nie benötigen, um Mirach zu verteidigen, aber falls das stimmt, was der Gesandte uns über wechselnde Loyalitäten in der Präfektur erzählt hat, können wir die Möglichkeit auch nicht aus schließen. Unsere oberste Priorität sollte es sein, den Centurion zu re parieren.« Sergio dachte eine Weile nach. Er schaute von Austin zu Manfred und weiter zu Marta, und Austin gewann den Eindruck, dass er sich jede ihrer Positionen durch den Kopf gehen ließ. »Du könntest Recht haben, Austin, aber nur im Hinblick auf die ArbeitsMechs. Wir können sie in die 1KL integrieren, die wieder meinem persönlichen Befehl unterstellt werden.« Austin lachte fast,
als sein Vater hinzufügte: »Wenn die 1KL mir unterstehen, kann ich entscheiden, ob ich die Mechs einsetze oder nicht. Aber«, sprach er hastig weiter, »der Centurion kommt zurück ins Museum. Er ist eine zu mächtige Waffe, und ich möchte uns keiner Versuchung ausset zen, zu derartiger Gewalt zu greifen.« Austin dachte nur: Ich habe ihn einmal aus dem Museum geholt, ich kann ihn auch ein zweites Mal holen, falls es jemals so weit kommt. Das war ein Kompromiss, mit dem er sich zufrieden geben konnte. Sergio sprach weiter. »Die wirklichen Änderungen finden auf Re gierungsebene statt. Lady Elora ist als Informationsministerin abge setzt.« »Das nützt Ihnen ebenso wie uns, Herr Baron«, kommentierte Marta. »Was haben Sie mit ihr vor?« Sergio lehnte sich in seinem Sessel zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und stützte das Kinn auf die Hände. Er musterte nach denklich Manfred, Austin und schließlich Marta, bevor er antworte te. »Ein öffentlicher Prozess würde alte Wunden aufreißen. Sie wird als Reporterin im Ministerium für Information bleiben.« »Das kannst du nicht tun, Papa! Sie …« »Sie kann ihre von keiner Verantwortung belasteten Aufgaben an einem abgelegenen Standort erfüllen. Zum Beispiel auf Kuton. Sie verfügen doch über eine komfortable Wartungsstation auf der Mondoberfläche, wenn ich mich richtig entsinne?«, fragte er Marta. »Komfortabel kann man sie wirklich nicht nennen. Und was sollte sie von da oben berichten? Es ist nur eine Relaisstation.« »Sie könnte dort auf Bereitschaftsposten eingesetzt werden, um vor Ort zu sein, sollte es irgendwann einmal etwas zu berichten ge ben.« Sergio klang, als würde er laut nachdenken. »Sie könnte in der luftdichten Unterkunft ein gutes Stück abseits der technischen Anla gen wohnen, die AWC auf der Mondoberfläche installiert hat.« »Ohne Druckanzug?«, schlug Manfred vor.
Sergio zuckte die Achseln. »Der Aufbau Cingulums wird beträcht liche Mittel verschlingen. Da wir Mister Bannsons Finanzangebot nicht annehmen werden, wird es notwendig sein, die Finanzierung für einige Projekte zu kürzen.« Austin empfand keinen Triumph. Elora Rimonowa würde auf Ku ton im Exil bleiben, wo sie nichts zu tun hatte, als auf den nächsten Nachschubflug zu warten – und wo die Besatzung des Versorgungs schiffes ihr einziger menschlicher Kontakt war. Tief im Innern wuss te er, dass sie für den Tod Hannas und Dales verantwortlich war, aber sie würde niemals für diese Verbrechen vor Gericht kommen. Die Beweise waren zu gut versteckt. Trotzdem würde er weitersu chen. Und wenn es nur war, um endlich Frieden zu finden. Das Exil auf Kuton war die schlimmste Strafe, die für sie möglich war, erst recht, weil es ein lebenslanges Exil bedeutete. Dann ließ sein Vater eine Bombe platzen. »Was Legat Tortorelli angeht, er bleibt auf seinem Posten.« »Das kannst du nicht tun«, protestierte Austin. Er sah, dass Marta um nichts minder wütend reagierte. Doch Manfred schmunzelte. »Was hast du mit ihm vor?« »Ich vermute, Tortorelli würde vehement gegen jeden Versuch protestieren, ihn aus dem Amt zu entfernen, da die Ernennung pla netarer Legaten ein eifersüchtig gehütetes Privileg des Präfekten ist. In Anbetracht all dessen, was Gesandter Parsons uns mitgeteilt hat, halte ich es nicht für klug, unerwünschte Aufmerksamkeit auf Mi rach zu ziehen. Legat Tortorelli wird auf seinem Posten bleiben, aber die Ereignisse der letzten Monate haben deutlich gezeigt, was für eine schwere, kräftezehrende Aufgabe dieser Posten für einen Ein zelnen ist.« »Ein Verbindungsoffizier könnte ihm dabei helfen, meinst du nicht, Papa?«, fragte Austin, der begriffen hatte, worauf sein Vater hinauswollte. »Meinst du, Captain Leclerc wäre dafür geeignet?« »Captain?« Sergio nickte seinem Sohn anerkennend zu. »Ich nehme an«, erklärte Manfred.
»Tun Sie Ihr Bestes, dem armen, überarbeiteten Calvilena so viele Sorgen wie möglich abzunehmen. Halten Sie mich in allen Punkten auf dem Laufenden, die Rekrutierung und Material betreffen, Cap tain Leclerc. Und die tägliche Aufsicht über die Streitkräfte. Und al les, was sonst noch aufkommt. Das sollte die Belastung des Legaten erheblich mildern und ihm Zeit für seine Hobbys geben. Wie immer die auch aussehen.« »Sie werden eine neue Kommausrüstung benötigen, Captain, wenn ich mich nicht irre?«, fragte Marta. Ihr Lächeln war fast so breit wie das Manfreds. »Das können Sie beide später unter sich ausmachen«, bemerkte Sergio. Marta, Manfred und Sergio stürzten sich in eine Debatte über an dere Fragen vom Wiederaufbau Cingulums bis zur Notwendigkeit, das GlobalNetz so schnell wie möglich fertig zu stellen. Austins neu er Posten als Stabschef seines Vaters versprach ein hektischer Voll zeitjob zu werden. Es gab so viel zu tun, nicht zuletzt die Wieder herstellung eines gewissen Centurion-BattleMechs, bevor er an sei nen Ehrenplatz im Museum des modernen Mirach zurückkehrte.
Glossar
AUTOKANONE Autokanonen sind Schnellfeuergeschütze, die ganze Salven von Panzer brechenden Granaten abfeuern. Das Kaliber leichter Autoka nonen reicht von 30 bis 90 mm, schwere Autokanonen können ein Kaliber von 80 bis 120 mm oder noch größer besitzen. Die vier Ge wichtsklassen (leicht, mittelschwer, schwer und überschwer) wer den auch als AK/2, AK/5, AK/10 und AK/20 gekennzeichnet. Je der ›Schuss‹ einer Autokanone besteht aus einer Granatensalve, die ein komplettes Magazin leert. BATTLEMECH BattleMechs sind die gewaltigsten Kriegsmaschinen, die je von Menschen erbaut wurden. Diese riesigen humanoiden Panzerfahr zeuge wurden ursprünglich vor über 500 Jahren von terranischen Wissenschaftlern und Technikern entwickelt. Sie sind schneller und in jedem Gelände manövrierfähiger, besser gepanzert und schwerer bewaffnet als jeder Panzer des 20. Jahrhunderts. Sie ragen zehn bis zwölf Meter hoch auf und sind bestückt mit Partikelprojektorkano nen, Lasergeschützen, Schnellfeuer-Autokanonen und Raketenlafet ten. Ihre Feuerkraft reicht aus, jeden Gegner mit Ausnahme eines anderen BattleMechs niederzumachen. Ein kleiner Fusionsreaktor liefert ihnen nahezu unbegrenzt Energie. BattleMechs können auf Umweltbedingungen so verschieden wie glühende Wüstenei und arktische Eiswüsten eingestellt werden. BLAKES WORT
Der mystizistische Geheimbund Blakes Wort spaltete sich nach der Reformation Sharilar Moris und Anastasius Fochts 3052 von Com Star ab und führte die vorherige Struktur und die Ziele des Ordens zunächst aus ihrer neuen Heimat in der Liga Freier Welten weiter, ab 3058 von Terra aus, das er in einem Handstreich besetzte. Im Jah re 3067 überzog Blakes Wort nach jahrzehntelanger geheimer Vorbe reitung die Innere Sphäre mit einem blutigen Bürgerkrieg. Dieser so genannte Heilige Krieg hatte die Errichtung einer Theokratie zum Ziel, die den gesamten von Menschen besiedelten Weltraum unter der Führung von Blakes Wort vereinigen sollte. Vier Jahre später wendete sich mit der Flucht Devlin Stones aus ei nem Umerziehungslager des Ordens das Schicksal gegen den Heili gen Krieg, und im Laufe zehnjähriger Kämpfe gelang es Stone und seinen im Laufe der Zeit immer zahlreicher werdenden Mitstreitern, unter ihnen Victor Steiner-Davion, die Innere Sphäre zu befreien und Blakes Wort zu zerschlagen. CLANS Beim Zerfall des Sternenbundes führte General Aleksandr Kerens ky, der Oberkommandierende der Regulären Armee des Sternen bundes, seine Truppen beim so genannten Exodus aus der Inneren Sphäre in die Tiefen des Alls. Weit jenseits der Peripherie, mehr als 1300 Lichtjahre von Terra entfernt, ließen Kerensky und seine Leute sich auf fünf wenig lebensfreundlichen Welten nahe eines Kugels ternhaufens nieder, der sie vor einer Entdeckung durch die Innere Sphäre schützte. Innerhalb von fünfzehn Jahren brach unter ihnen jedoch ein Bürgerkrieg aus, der drohte, alles zu vernichten, für des sen Aufbau sie so hart gearbeitet hatten. In einem zweiten Exodus führte Nicholas Kerensky, der Sohn Aleksandrs, seine Gefolgsleute auf eine der Welten im Innern des Kugelsternhaufens, um dem Krieg zu entfliehen. Dort, auf Strana Metschty, entwarf und organisierte Nicholas Kerensky die faschi stoide Kastengesellschaft der Clans, die 3050 als Eroberer in die In
nere Sphäre einfielen und auf ihrem Weg nach Terra einen großen Teil der vor ihnen liegenden Nachfolgerstaaten besetzten, bevor es Präzentor Martialum Anastasius Focht in der Entscheidungsschlacht von Tukayyid 3052 gelang, ihnen einen fünfzehnjährigen Waffen stillstand abzuringen. Kurz vor dessen Ablaufen – 3067 – konnte der 2. Sternenbund in einer gemeinsamen militärischen Anstrengung unter der Führung von Victor Steiner-Davion einen der Invasoren clans, die Nebelparder, auslöschen und in einem Widerspruchstest auf Strana Metschty die Invasion endgültig beenden. COMSTAR Das interstellare Kommunikationsnetz ComStar wurde von Jero me Blake entwickelt, der in den letzten Jahren des Sternenbunds das Amt des Kommunikationsministers innehatte. Nach dem Zusam menbruch des Bundes eroberte Blake Terra und organisierte die Überreste des Sternenbund-Kommunikationsnetzes in eine Privator ganisation um, die ihre Dienste mit Profit an die fünf Häuser weiter verkaufte. In den Jahrhunderten danach entwickelte sich ComStar zu einem mächtigen Geheimbund, der sich in Mystizismus und Ri tuale hüllte, bis es nach der Entscheidungsschlacht gegen die Clans auf Tukayyid unter Prima Sharilar Mori und Präzentor Martialum Anastasius Focht zur Reformation des Ordens und Abspaltung der erzkonservativen Organisation Blakes Wort kam. DEVLIN STONE Besten Schätzungen – und nach dem Ende des Heiligen Kriegs er beuteten Blakes-Wort-Akten – zufolge wurde Devlin Stone Ende 3042/Anfang 3043 geboren. Das genaue Datum ist ebenso unbe kannt wie der Name, unter dem er geboren wurde. Sein Leben unter diesem Namen begann im Umerziehungslager RBMU 105 der Bla kisten auf Kittery im Jahre 3070. Dies war eines der düstersten Jahre des Heiligen Krieges, in dem die Liga Freier Welten unterging und der draconische Koordinator Theodore Kurita starb. 3071 brach Sto
ne gemeinsam mit Prof. David Lear, dem Sohn des berühmten Me chKriegers Kai Allard-Liao, aus dem Lager aus und organisierte den örtlichen Widerstand, dem es innerhalb einiger Monate gelang, die Blakisten von Kittery zu vertreiben. Ein Jahr später verfügte Stone über eine Organisation, die mehrere nahe gelegene Systeme aus dem Zugriff des Heiligen Krieges befreit hatte. Diese Systeme verei nigten sich schließlich zur Präfektur Kittery und wurden zum Vor bild der Reformen, die Stone später bei der Gründung der Republik durchführte. Ende 3073 machte David Lear Stone mit verschiedenen Staatsmän nern und Heerführern der Inneren Sphäre bekannt, die sich Blakes Wort widersetzten. Unter ihnen war auch ComStars Präzentor Mar tialum Victor Steiner-Davion, der Bruder der Fürsten der Lyrani schen Allianz und Vereinigten Sonnen. Von Stones Reformgedanken beeindruckt, stellte ihn Steiner-Davion weiteren Personen vor und unterstützte seine Vorschläge als eine vernünftige Methode, den ständigen Kriegswirren ein Ende zu setzen, unter denen die Innere Sphäre seit Jahrhunderten litt. Mit zunehmender Unterstützung durch wichtige Fürsten und Militärs wurde Blakes Wort zurückge drängt, bis 3081 schließlich auch das Solsystem befreit wurde. Nach dem Ende des Heiligen Krieges verlangte Devlin Stone so fort die Gründung der Republik der Sphäre, eines neuen interstella ren Reiches, das alle Systeme in einhundertzwanzig Lichtjahren Umkreis um Terra umfassen sollte. Mit der Unterstützung von Per sönlichkeiten wie Victor Steiner-Davion, Hohiro Kurita und Anasta sius Focht sowie der überwältigenden Mehrheit der Öffentlichkeit in nahezu der gesamten Inneren Sphäre, wurde im Dezember 3081 die Gründung der Republik ausgerufen. Die meisten von ihr bean spruchten Systeme schlossen sich freiwillig an. Andere wurden von ihren Hausfürsten an Stone abgetreten, nur einige wenige mussten gewaltsam der Herrschaft kleinerer Kriegsfürsten entrissen werden, die Stones Reformen als persönlichen Angriff auf ihre Machtbasis betrachteten. Die größten Schwierigkeiten machte die Konföderation Capella, in der sich einzelne Gruppierungen der Republik mit mili
tärischer Gewalt widersetzten, bis Kanzler Sun-Tzu Liao 3085 dazu gebracht werden konnte, den Tikonov-Vertrag zu unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Devlin Stone bereits zwei Sozialpro gramme installiert, die historisch mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden. Das erste war das Umsiedlungsgesetz von 3082, sein erster Erlass als Exarch der Republik. Mit der Hilfe dieses Pro gramms wurden Angehörige aller innerhalb der Republikgrenzen siedelnden Kulturen auf sämtliche Systeme des neuen Staates ver teilt, um durch die dadurch ermöglichte direkte Erfahrung alte Vor urteile und Feindschaften zu bekämpfen. Das Programm dauerte Jahrzehnte, erreichte aber das gesteckte Ziel. Das zweite Programm war das Rückkaufprogramm von Militärmaterial, ein Ergebnis des Bürgerrechts-Prioritätserlasses von 3083. Im Rahmen dieses Planes wurden BattleMechs und anderes Kriegswerkzeug außer Dienst ge stellt, Armeen verkleinert und Militärwaffen dem Besitz von Privat personen entzogen. Zum Ausgleich für diese Maßnahmen gewährte die Republik den Betroffenen das Bürgerrecht sowie weitere sozio ökonomische Vergünstigungen. Der durch die so für die Privatwirt schaft freigestellten Mittel und Kapazitäten erzielte Aufschwung war derart deutlich, dass auch die Großen Häuser ähnliche Pro gramme einführten und sich sogar bis in die von den Clans besetz ten Gebiete ausbreiteten. Der Aufbau der Republik nahm Jahre in Anspruch und ging nicht restlos friedlich vonstatten. Exarch Devlin Stone eröffnete 3085 die erste Sitzung des Senats auf Terra und gründete 3088 die Ritter der Sphäre. 3091 war die Verwaltungsstruktur fest etabliert, die Grenzen der Präfekturen lagen fest und die meisten planetaren Regierungen halfen mit, die Republik zu einem Vorbild für den Rest der Inneren Sphäre zu machen. Die Ruhe währte bis 3104, als ein Machtkampf in der Konföderation Capella über die Grenze schwappte und den Ex archen schließlich zur Entsendung von Truppen in die capellani schen Sektoren zwang. Diese sporadischen Konflikte plagten die Re publik fast ein Jahrzehnt, bis die Friedensbemühungen von 3113 die Region schließlich stabilisierten.
Damit begann das Goldene Zeitalter oder die Friedensgeneration, wie Devlin Stone sie nannte, eine ganze Generation Bürger und Ein wohner der Republik, die Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht kannte. Exarch Stone betrachtete dies als die Krönung seiner An strengungen und gab 3130 seinen Rücktritt bekannt. Nach zahlrei chen Ansprachen, Paraden und einer persönlichen Empfehlung, die zur Wahl Damien Redburns zum ersten Exarchen mit limitierter Amtszeit führte, gab Devlin Stone sein letztes Versprechen: Zurück zukehren, falls er wirklich gebraucht werde. Und dann verschwand er. ELEMENTARE Die mit Kampfanzügen ausgerüstete Eliteinfanterie der Clans. Die se Männer und Frauen sind wahre Riesen, die speziell für den Ein satz der von den Clans entwickelten Rüstungen gezüchtet werden. GAUSSGESCHÜTZ Ein Gaussgeschütz benutzt eine Reihe von Elektromagneten, um ein Projektil durch den Geschützlauf in Richtung des Ziels bis auf Überschallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Obwohl sein Einsatz mit enormem Energieaufwand verbunden ist, erzeugt das Gaussge schütz nur sehr wenig Abwärme, und die erreichbare Mündungsge schwindigkeit liegt doppelt so hoch wie bei einer konventionellen Kanone. Gaussgeschütz-Munition besteht aus massiven Kanonenkugeln aus Nickeleisen. Daher kann es nicht zu einer Munitionsexplosion kommen, wenn feindliche Schüsse in ein Gaussmunitionslager durchschlagen. Der Treffer zerstört jedoch in der Regel den Lademe chanismus. Ein Treffer an einem Gaussgeschütz selbst kann die Kondensatoren zerstören, mit deren Hilfe die Nickeleisenkugel be schleunigt wird. Die dabei abrupt frei werdende gespeicherte Ener gie hat Folgen, die der einer Munitionsexplosion vergleichbar sind, denn sie schlägt durch die Steuerleitungen in den Neurohelm des
Piloten durch. INNERE SPHÄRE Mit dem Begriff ›Innere Sphäre‹ wurden ursprünglich die Sternen reiche bezeichnet, die sich im 26. Jahrhundert zum Sternenbund zu sammenschlossen. Derzeit bezeichnet er den von Menschen besie delten Weltraum innerhalb der Peripherie. KOMPANIE Eine Kompanie ist eine militärische Organisationseinheit der Inne ren Sphäre, die aus drei BattleMech-Lanzen oder bei Infanteriekom panien aus drei Zügen mit insgesamt 50 bis 100 Mann besteht. KRÖTEN Die in der freien Inneren Sphäre übliche Bezeichnung für eine Eli teinfanterie, die mit Kampfanzügen ausgerüstet ist, eine zuerst bei den Clans entwickelte Waffengattung. Deren so genannten Elemen tare sind wahre Riesen, die speziell für den Einsatz der von den Clans entwickelten Rüstungen gezüchtet werden. Die freie Innere Sphäre ist bei der Entwicklung ähnlicher Gefechtsanzüge deutlich im Hintertreffen, nicht zuletzt, da als Träger dieser Anzüge nur nor male Menschen zur Verfügung stehen. KSR Abkürzung für ›Kurzstreckenrakete‹. KSR sind ungelenkte Rake ten mit hochexplosiven oder Panzer brechenden Sprengköpfen. Sie sind nur auf kurze Reichweiten wirklich treffsicher, haben durch den größeren Gefechtskopf aber eine stärkere Sprengkraft als Lang streckenraketen. KSR-Lafetten sind in Ausführungen mit zwei (leicht), vier (mittelschwer) und sechs (schwer) Abschussrohren ver fügbar und feuern beim Einsatz eine Salve aus allen Rohren ab. Durch ihre – gegenüber LSR – größere Streuwirkung sind sie vor al
lem bei Angriffen gegen Ziele wirkungsvoll, die bereits an mehreren Stellen ihren Panzerschutz eingebüßt haben. Fahrzeuge sind für An griffe durch KSR besonders empfindlich, da die Chance, dass eine einzige Rakete ausreicht, um das Fahrzeug auszuschalten, ver gleichsweise groß ist. LANDUNGSSCHIFFE Da Sprungschiffe die inneren Bereiche eines Sonnensystems gene rell meiden müssen und sich dadurch in erheblicher Entfernung von den bewohnten Planeten einer Sonne aufhalten, werden für interpla netare Flüge Landungsschiffe eingesetzt. Diese werden während des Sprungs an die Antriebsspindel des Sprungschiffes angekoppelt. Landungsschiffe besitzen selbst keinen Überlichtantrieb, sind jedoch sehr beweglich, gut bewaffnet und aerodynamisch genug, um auf Planeten mit einer Atmosphäre aufzusetzen bzw. von dort aus zu starten. Die Reise vom Sprungpunkt zu den bewohnten Planeten ei nes Systems erfordert je nach Spektralklasse der Sonne eine Reise von mehreren Tagen oder Wochen. LASER Ein Akronym für ›Light Amplification through Stimulated Emissi on of Radiation‹ oder Lichtverstärkung durch stimulierte Strah lungsemission. Als Waffe funktioniert ein Laser, indem er extreme Hitze auf einen minimalen Bereich konzentriert. BattleMech-Laser gibt es in drei Größenklassen: leicht, mittelschwer und schwer. Laser sind auch als tragbare Infanteriewaffen verfügbar, die über einen als Tornister getragenen Energiespeicher betrieben werden. Manche Entfernungsmessgeräte und Zielerfassungssensoren bedienen sich ebenfalls schwacher Laserstrahlen. LSR Abkürzung für ›Langstreckenrakete‹, zum indirekten Beschuss
entwickelte Raketen mit hochexplosiven Gefechtsköpfen. LSR-Lafet ten sind in Ausführungen mit fünf (leicht), zehn (mittelschwer), fünfzehn (schwer) und zwanzig (überschwer) Abschussrohren ver fügbar und feuern beim Einsatz eine Salve aus allen Rohren ab. MASCHINENGEWEHR Obwohl sie selten gegen BattleMechs eingesetzt werden, macht die hohe Feuergeschwindigkeit von Maschinengewehren sie zu exzel lenten Infanterie-Abwehrwaffen. Außerdem ist ihre Hitzeentwick lung im Vergleich zu allen anderen Waffen, die von BattleMechs ins Feld geführt werden, vor allem Energiewaffen, verschwindend ge ring. NACHFOLGERSTAATEN Nach dem Zerfall des Sternenbunds wurden die Reiche der Mit glieder des Hohen Rats, die fünf so genannten Großen Häuser der Inneren Sphäre, unter dem Namen Nachfolgerstaaten bekannt. Die Nachfolgerstaaten bestehen aus derzeit fünf Herrscherhäusern: Haus Steiner (Lyranische Allianz), Haus Kurita (Draconis-Kombi nat), Haus Davion (Vereinigte Sonnen), Haus Liao (Konföderation Capella) und Haus Marik (Liga Freier Welten). Die Bedeutung die ser fünf Häuser hat jedoch seit der Reformation Devlin Stones und der Gründung der Republik der Sphäre erheblich abgenommen. PANZERUNG Zwei verschiedene Lagen Panzerung ergänzen einander, um einen modernen BattleMech – und vor allem seine ungepanzerten, aber le benswichtigen internen Bauteile – vor Energie- und Projektilwaffen zu schützen. Normalerweise wird für die äußere Panzerungsschicht ein Kristallstahl-Verbundstoff verwendet. Dieses Material verfügt über ausgezeichnete Hitzeableitungsfähigkeiten und verschafft dem BattleMech so einen wirksamen Schutz gegen Angriffe mit Lasern
und Partikelstrahlwaffen. Eine innere Schicht aus Boron-Nitrit, im prägniert mit Diamant-Monofilament, stoppt Panzer brechende Ge schosse und die durch Partikelstrahlbeschuss erzeugten hochbe schleunigten Neutronen. Diese zweite Schicht sorgt zugleich dafür, dass glühendes Schrapnell nicht bis zu den internen Komponenten wie Fusionsreaktor oder Gyroskopf durchschlagen kann. REPUBLIK DER SPHÄRE Die Republik der Sphäre unter der Regierung Exarch Damien Red burns umfasst 250 besiedelte Welten in einem kugelförmigen Raum abschnitt von ungefähr 120 Lichtjahren Radius um das Solsystem und ihre Zentralwelt Terra. Die 3081 von Devlin Stone gegründete und aus zehn mit lateinischen Ziffern bezeichneten Präfekturen be stehende Republik wurde aus Systemen geformt, die nach dem Sieg über Blakes Wort von den Großen Häusern und den Clans an sie ab getreten wurden. Das Motto der Republik lautet Ad Securitas per Unitas, übersetzt: Durch Sicherheit zur Einheit. SPRUNGSCHIFFE Interstellare Reisen erfolgen mittels so genannter Sprungschiffe, deren Antrieb im 22. Jahrhundert entwickelt wurde. Der Name die ser Schiffe rührt von ihrer Fähigkeit her, ohne Zeitverlust in ein weit entferntes Sonnensystem zu ›springen‹. Es handelt sich um ziemlich unbewegliche Raumfahrzeuge aus einer langen, schlanken An triebsspindel und einem enormen Solarsegel, das an einen giganti schen Sonnenschirm erinnert. Das gewaltige Segel besteht aus einem Spezialmaterial, das gewaltige Mengen elektromagnetischer Energie aus dem Sonnenwind des jeweiligen Zentralgestirns zieht und lang sam an den Antriebskern abgibt, der daraus ein Kraftfeld aufbaut, durch das ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge entsteht. Nach einem Sprung kann das Schiff erst Weiterreisen, wenn es durch Aufnahme von Sonnenenergie seinen Antrieb wieder aufgeladen hat. Sprungschiffe reisen mit Hilfe ihres Keamy-Fuchida-Antriebs in
Nullzeit über riesige interstellare Entfernungen. Das K-F-Triebwerk baut ein Raum-Zeit-Feld um das Sprungschiff auf und öffnet ein Loch in den Hyperraum. Einen Sekundenbruchteil später materiali siert das Schiff am Zielsprungpunkt, der bis zu 30 Lichtjahre weit entfernt liegen kann. Sprungschiffe landen niemals auf einem Planeten und reisen nur sehr selten in die inneren Bereiche eines Systems. Interplanetarische Flüge werden von Landungsschiffen ausgeführt, Raumschiffen, die bis zum Erreichen des Zielpunktes an das Sprungschiff gekoppelt bleiben. STERNENBUND Im Jahre 2571 wurde der Sternenbund gegründet, um die wich tigsten nach dem Aufbruch ins All von Menschen besiedelten Syste me zu vereinen. Der Sternenbund existierte annähernd 200 Jahre, bis 2751 ein Bürgerkrieg ausbrach. Als das Regierungsgremium des Sternenbunds, der Hohe Rat, sich in einem Machtkampf auflöste, bedeutete dies das Ende des Bundes. Die Hausfürsten riefen sich zum neuen Ersten Lord des Sternenbunds aus, und innerhalb weni ger Monate befand sich die gesamte Innere Sphäre im Kriegszu stand. Dieser Konflikt währte drei Jahrhunderte, bis zum Überfall durch die Clans. Die Jahrhunderte nahtlos ineinander übergehender Kriege werden in toto als die ›Nachfolgekriege‹ bezeichnet. Erst die Gefahr durch die Clan-Invasion führte 3058 bei der ersten WhittingKonferenz auf Tharkad zur Neugründung des Sternenbunds, dessen Erster Lord alle vier Jahre neu gewählt wurde. Dieser zweite Ster nenbund wurde 3067, nach dem Sieg über die Clans, von seinen Mitgliedsstaaten einvernehmlich aufgelöst, kurz bevor Blakes Wort den Heiligen Krieg ausrief.