Eugen Gabowitsch
Scaliger, Newton und Hardouin: Wer hatte recht? Diesen Vortrag hielt Dr. Gabowitsch auf der Jahrestagu...
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Eugen Gabowitsch
Scaliger, Newton und Hardouin: Wer hatte recht? Diesen Vortrag hielt Dr. Gabowitsch auf der Jahrestagung des EFODON e.V. am 29. Juli 2000 in Karlsruhe. Wer der drei großen Persönlichkeiten am Anfang der Chronologiedebatte hatte Recht: Scaliger, Newton oder Hardouin? Zu Scaliger (1540-1609) finden wir im Brockhaus und Efron, 1898, folgendes: Scaliger war der letzte große Vertreter der Renaissance, er befreite die Wissenschaft des Nordens von der Dominanz des Südens (den „Griechen”, den Italienern). Vor Scaliger herrschten die mittelalterlichen Methoden der Zeitzählung nach Heiligenkalendarien (Listen) und nach dem kirchlichen Kalender. In dieser Zeit wurde die Chronologie nur für rein kirchliche Zwecke benutzt: für Feststellung von Daten der kirchlichen Feste. Seine größte Errungenschaft: Er veröffentlichte Texte der alten Chronographen. Die Wiederherstellung dieser Werke war ein Wunder der divinatorischen Kritik (divinatorisch bedeutet „durch die Kraft der Imagination”, „durch Voraussehen der künftigen Ereignisse”, „durch das Erahnen”, „auf göttliche Art und Weise”). Folglich: die Weltgeschichte wurde auf Grund von Annahmen, durch Erraten der künstlichen Konstruktionen, aber nicht auf Grund der klaren historischen Information zusammengestellt. Jacob Bernays, 1855: „Niemandem gebührt von seiten der neuen deutschen Philologie eine würdigende Betrachtung mit größerem Rechte, als dem Franzosen des sechszehnten Jahrhunderts, Joseph Justus Scaliger. Denn mehr als ein anderer vor oder nach ihm hat er sich dem Ideale einer universalen Umfassung des altertümlichen Lebens genähert, welchem Ideale zuzuschreiben die deutsche Philologie nie aufgehört hat.”
Seine Quellen: Julius Africanus (Chronik 212-221) oder 1365-1374? (Plus 1053 Jahre) Kirchenlehrer Hieronymus (347420?) oder 1400-1473? Eusebius (4. Jh.) oder 14-15. Jh.? vielleicht doch 13.-14. Jh. (Armenische Manuskripte, falls sie richtig datiert wurden) Die Rolle von Isaac Newton als eiEFODON-SYNESIS Nr. 6/2000
nem der ersten Zweifler an der Richtigkeit der Chronologie Scaligers kann kaum gebührend genug gewürdigt werden. In erster Linie betonen alle Chronologiekritiker die Kürzung der Chronologie um 300 bis 1000 Jahre durch den großen Naturwissenschaftler. Aus der heutigen Perspektive soll sein überzeugender empirischer Beweis der Unmöglichkeit einer eindeutigen Datierung der historischen Ereignisse hervorgehoben werden. Neben dem unermüdlichen Kritiker der Existenz des Altertums Jean Hardouin muss Isaac Newton als einer der Väter der heutigen Chronologiekritik betrachtet werden. J. Hardouin hat solche Wissenschaften wie Numismatik, Archäologie, literarische Kritik und kritische Historiographie als Erster (oder einer der Ersten) verwendet und sollte darum als Erzvater der westlichen Geschichtsrekonstruktion betrachtet werden. I. Newton gründete die naturwissenschaftliche Kritik der Geschichtsschreibung, die bei russischen Chronologiekritikern des 20. Jh. ihre besondere Blüte erlebt. Der große Naturwissenschaftler Isaac Newton interessierte sich sein ganzes Leben lang für Theologie, Geschichte und chronologische Naturgesetze. Astronomie (z. B. der Astronom Chiron) Herodot (490 v. Chr.- ca. 420 v. Chr) oder (15.-16. Jh.)? Die Heilige Schrift Im weiteren Verlauf des Vortrags folgte ich dem Artikel Eugen Gabowitsch, „Newton als (neben Hardouin) geistiger Vater der Chronologiekritik und Geschichtsrekonstruktion“. SYNESIS Nr. 6/1999
Newtons Hauptverdienst: Er lieferte einen empirischen Beweis dafür, dass die Menge der historischen Quellen widersprüchlich sind: Aus einer Untermenge der Quellenmenge folgt eine Chronologie, aus anderen – eine ganz andere! Folglich ist jede Chronologie, die
einfach aus einer Menge der Quellen abgeleitet ist, noch nicht bewiesen. Folglich ist die Chronologie von Scaliger nicht bewiesen und – wie wir das heute wissen - falsch. Auch die Chronologie Newtons ist falsch, aber er startete die naturwissenschaftliche kritische Analyse der geschichtlichen Quellen, setzte eine Grundlage für diese Analyse. Man konnte um die Zeit noch die ausführliche statistische Analyse aller geschichtlichen Daten nicht unternehmen. Darum scheiterte Newton als Chronologe, aber ...
Newton und Hardouin:
Bei allen anderen Kritikern der Newton’schen „Chronologie” kann man vom großen Respekt, mit dem sie den kritisierten Newton behandeln, sprechen. Für J. Hardouin ist der große Mann, den er als ersten Geometer und Mathematiker Europas sieht, keine Autorität in Sachen Chronologie. Trotzdem war die Reaktion von Jean Hardoin auf die „Chronologie” von I. Newton keinesfalls eindeutig negativ. Einerseits irritierte ihn (Hardoin) der Newton’sche Glauben an die Existenz des Altertums und er fragte: „Wollen die Menschen nie aufhören über das Alter der Welt zu diskutieren?”. Andererseits betonte er, dass, obwohl die meisten Chronologen sich bemühen, die Welt möglichst alt erscheinen zu lassen, I. Newton mit seinen astronomischen Retrokalkulationen die Welt um 534 Jahre verjüngt hat. Eine ganz andere Frage ist, dass der Skeptiker Hardouin an der Existenz des Astronomen Chiron zweifelte. Er hielt ihn für einen berühmten Arzt, der nie die ihm zugeschriebenen astronomischen Beobachtungen gemacht hatte. Und ohne Chirons Beobachtungen verlieren die Retrokalkulationen Newtons jegliche Aussagekraft (nicht aber die statistischen Überlegungen). Interessant ist auch zu erwähnen, dass kein geringerer als Voltaire die 43
Scaliger, Newton... Verteidigung Newtons gegen Hardouin übernahm (alles, was einem Jesuiten nicht gefiel, war für ihn verteidigenswert). Obwohl er sich gegen jedes System skeptisch wehrte und darum auch das System der Chronologie
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grundsätzlich ablehnte, fand er das neue chronologische System Newtons richtig. Vielleicht spielte für ihn auch die Tatsache eine Rolle, dass das neue System das alte völlig überflüssig machte. Im Streit zwischen Rationalität und geisteswissenschaftlichem Kritizismus gewann Hardouin. Im Streit zwischen dem geisteswis-
senschaftlichen Konservatismus (Scaliger, etablierte Geschichtsschreibung) gewann der moderne Rationalismus (Morosov, Fomenko, Heinsohn) unterstützt vom geisteswissenschaftlichen Kritizismus (R. Baldauf, W. Kammeier, U. Topper etc.)
EFODON-SYNESIS Nr. 6/2000