Kommissar X – Schaufle andren nie ein Grab von Rex Gordon Deutscher Erstdruck Nr. 904
Er sah das Ziel schon dicht vor ...
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Kommissar X – Schaufle andren nie ein Grab von Rex Gordon Deutscher Erstdruck Nr. 904
Er sah das Ziel schon dicht vor sich liegen – da stolperte er über ein paar Leichen
Scan, Korrektur und Layout by Orkslayer
E-Book Version 1.0 (Juni 2002)
Die Hauptpersonen des Romans:
Stan Harper:
Er ist nett und verliebt, aber darüber spricht niemand. Dafür reden alle von seinem plötzlichen Ende.
Tina White:
Sie muß erkennen, daß sie ihre Loyalität einem
Mann
widmete,
der
in
Mordverdacht gerät. Terence McDonald: Auf dem Wege zum Ruhm stolpert er über ein paar Leichen.
Jo Walker ist Kommissar X.
1. Kapitel
Als der Schuß fiel, lachte Tina noch. Lorraines Witz war sehr gewagt gewesen. Lorraine Crosswood liebte derbe Späße, aber jeder, der sie kannte, wußte genau, daß sie keineswegs so keß und liberal war, wie sie sich zu geben pflegte. „Das war oben bei uns", sagte Tina. Sie fühlte sich mit einem Schlag ernüchtert. Sie lagen zu viert am Bootsanleger in der Sonne: Lorraine, der junge Stan Harper, Ed Fisher und sie, Tina White. „Was war oben bei euch?" fragte Ed Fisher. Er holte eine Flasche Champagner aus der Kühlbox. Das war bereits die zweite Flasche, die er spendierte. Er hatte vor zwei Tagen seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert, aber das war nicht der eigentliche Grund seines spendablen Auftretens. Alle wußten, daß er hinter Lorraine her war. Ed Fisher war neu im Jachtklub, er konnte noch nicht wissen, daß es nahezu ausgeschlossen war, die rothaarige Lorraine zu erobern. Sie war seit fünf Jahren mit einem älteren, spröden Geschäftsmann verheiratet. Die Ehe war kinderlos geblieben. Lorraine liebte ihren Mann nicht, aber das bedeutete keineswegs, daß sie bereit gewesen wäre, mit anderen anzubandeln. Lorraine entstammte einer prominenten Familie aus Neuengland und hielt
eheliche Treue für eine unverzichtbare Charakterqualität - was nicht ausschloß, daß sie sich darüber lustig machte. „Ein Schuß", sagte Tina White und erhob sich. „Er ist oben in unserem Haus gefallen." Tina spürte, wie Stan Harpers Blicke ihren sonnengebräunten Körper abtasteten. Sie trug nur einen
knappsitzenden,
goldfarbigen Bikini, der die Attraktivität ihrer makellosen Figur freizügig zur Schau stellte. Der Bootsanleger befand sich am Fuße eines bewaldeten, steilen Hügels, der mit gut zwei Dutzend kleineren und größeren Wochenendhäusern bestückt war. Das Haus der Whites war eines der größten, es lag auf der Spitze der Erhöhung, galt als Winterfest und hatte drei Gästezimmer. Seine Fenster und Balkons erlaubten einen weiten Blick über Bucht und Meer. „Das war eine Fehlzündung, nehme ich an", sagte Ed Fisher und füllte die Plastikbecher mit dem schäumenden Champagner. „Die Straße ist von hier nicht zu sehen." Tina setzte sich wieder. Stan Harper senkte den Blick. Er war, genau wie Ed Fisher, noch nicht sehr lange Klubmitglied. Sein Vater besaß eine Fabrik in San Francisco. Er hatte den Sohn nach New York geschickt,
um
ihm
Gelegenheit
zu
geben,
Geschäftsfreund modernes Management zu lernen.
bei
einem
„Prost", sagte Ed Fisher und hob seinen Becher, mit der Linken stellte er die Flasche zurück in die Kühlbox. Tina trank, genau wie die anderen, dann stand sie erneut auf. „Es läßt mir keine Ruhe", sagte sie. „Ich muß feststellen, ob alles in Ordnung ist." „Da oben bei euch ist doch niemand", meinte Lorraine. „Oder hast du das Hausmädchen mitgebracht?" „Nein", erwiderte Tina. „Ich bin allein gekommen." Tina blickte auf die gleißende Fassade des großen, hübschen Hauses, von dem sie nur das Dach und ein paar Fenster und Balkons der oberen Etage sehen konnte. Eigentlich hatte Tina an diesem Wochenende gar nicht herauskommen wollen, Dick, ihr Mann, befand sich auf den Bahamas, er nahm dort an einer Tagung seines Verbandes teil. Dick hatte ihr angeboten, mitzufliegen, aber sie hatte abgelehnt. Sie haßte das Zusammensein mit Geschäftsleuten und deren Frauen. Ihr war es zuwider, all die banalen, dummen Dinge tun und sagen zu müssen, die das Umgangsklischee für diese Gelegenheiten vorschrieb. Zugegeben, auch im Klubleben regierte die Schablone, aber ein bißchen ungezwungener ging es hier schon zu. Man kannte sich, irgend jemand brachte stets ein paar Gäste mit, und wirklich langweilige Weekends waren selten.
„Ich fahre Sie hinauf", erklärte Stan Harper. Er schnellte buchstäblich aus der Hocke hoch. Es war zu spüren, wie stolz er auf seinen athletischen Körper war. „Mein Jeep steht dort am Zugang", sagte er. „Wir sind gleich zurück", meinte Tina. „Gebt gut acht, daß ihr keinem bösen Killer in die Arme lauft", spottete Ed Fisher und grinste breit. „Sucht ihn nicht zu lange, sonst leeren wir die letzte Flasche ohne euch!" „Sucht ihn vor allem nicht im Schlafzimmer", kicherte Lorraine. Die anderen lachten. Tina blieb kühl. Manchmal war Lorraine unmöglich. Stan Harper blieb dicht neben Tina. Es schien, als suchte er ihre Nähe, die Wärme und den Kontakt ihres biegsamen, jungen Körpers. Er war oft nur millimeterweit von ihr entfernt, aber er berührte sie nicht. Von Zeit zu Zeit schaute er sie an, scheu und verlangend zugleich. Es machte Tina nichts aus, von Stan angehimmelt zu werden. Sie war männliche Bewunderung gewöhnt, mehr noch, sie nahm diese Aufmerksamkeiten als selbstverständlichen Tribut für ihr Aussehen hin. Sie hatte nichts gegen einen gelegentlichen Flirt, aber im Prinzip war sie so treu wie Lorraine, bis jetzt hatte sie sich keinen Seitensprung geleistet.
Sie kletterten in den Jeep und fuhren los. Die schmale, asphaltierte Straße führte im Zickzackkurs hügelan. Stan nahm die Haarnadelkurven sehr behutsam. Das gefiel Tina. Sie kannte eine Menge Klubmitglieder, die sich auf dieser Straße im halsbrecherischen Tempo bewegten. Stan Harper war durch den Geschäftsfreund seines Vaters in den Klub eingeführt worden. Er war an jedem Wochenende hier draußen. Tina hatte Stan noch kein einziges Mal in weiblicher Begleitung angetroffen. Tina schätzte den jungen Mann auf 23. Sie selbst war 26. Unterwegs wechselten sie kein Wort. Stan Harper lenkte den Jeep von der Straße hinunter auf die Zufahrt zum White'schen Haus. Vor der Doppelgarage parkte Tinas rotes Alfa-RomeoSportcoupe. Stan Harper stoppte dicht dahinter und schaute Tina an. „Soll ich mitkommen?" fragte er. Er erschien ihr plötzlich männlicher als vorher, sogar begehrenswert. Seine dunkelblauen Augen waren sehr ernst. „Danke, das ist nicht nötig", erwiderte Tina rasch. „Es dauert nur eine Minute, ich bin sofort zurück." Sie stieg aus. Als sie das Haus betrat, bedauerte sie, Stan Harper nicht hereingebeten zu haben. Er war viel zu scheu und korrekt, als daß die Gefahr bestanden haben könnte, von ihm belästigt zu werden.
Der Schlüssel zum Hauseingang lag unter der Matte. Das war ein bißchen leichtsinnig. Dick hatte es schon oft moniert, aber in der Wochenendsiedlung wohnten nur Freunde und Bekannte, man vertraute einander und sah keinen Grund, sich übertriebener Sicherheitsmaßnahmen zu bedienen. Außerdem gab es die Klubangestellten, die darüber wachten, daß kein Fremder Schaden anrichtete. Es hatte trotzdem schon wiederholt Einbrüche gegeben, aber das war meist außerhalb der Saison gewesen, und immer nachts. Tina öffnete die Tür. In der Diele empfing sie der leicht muffig salzige Geruch, den die meisten Wochenendhäuser im Laufe der Jahre angenommen hatten und der sich dadurch erklärte, daß die Häuser während der Wintermonate kaum gelüftet wurden. „Hallo?" rief sie laut. Der Klang der eigenen Stimme erschreckte sie. Sie ging ins Wohnzimmer und öffnete die Terrassentür, um frische Luft hereinzulassen. Hinter ihr knackte es. Tina wirbelte herum. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Warum war sie heute so nervös? Sie begriff es nicht. Das Haus bestand zu zwei Dritteln aus Holz, da waren Geräusche dieser Art etwas ganz selbstverständliches. Was nun den ,Schuß betraf, so war nicht auszuschließen, daß es tatsächlich die Fehlzündung eines Wagens gewesen war, aber
vielleicht steckte auch ein Klubmitglied dahinter, das irgendwo auf dem Hügel ein neues Jagdgewehr erprobt hatte. Tina ging durch das Haus, ohne ihre innere, quälende Spannung ganz abschütteln zu können. Tina entdeckte nichts Verdächtiges, und schon gar keinen Hinweis auf einen Schuß und seine möglichen Folgen. Ehe sie das Haus wieder verließ, hatte sie den Einfall, ein paar Dosen Fruchtsaft aus der Küche zu holen, der ließ sich mit dem kalten Champagner mixen und würde dessen Wirkung etwas dämpfen. Tina hatte keine Lust, sich schon am frühen Morgen mit den anderen zu betrinken. Tina stoppte mitten in der Küche. Sie war auf etwas Nasses, Klebriges getreten. Sie blickte nach unten. Ihre Augen weiteten sich. Sie sah ein paar Tropfen Blut. Es waren nicht sehr viele, der größte war kaum daumengroß. Tina hob ihren nackten Fuß. Sie sah das verschmierte Blut auf ihrer Ferse und hatte plötzlich Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu unterdrükken. Blut! Wie kam es in die Küche?
Es war nicht hiergewesen, als sie gegen neun Uhr dreißig aus der Stadt gekommen war und ein paar mitgebrachte Vorräte im Kühlschrank verstaut hatte, dessen war Tina gewiß. Blut trocknete ein. Aber die Tropfen auf den erdbraunen Bodenfliesen waren frisch. Ihr fiel Stan Harper ein. Sie gab sich einen Ruck und eilte ins Freie. Der junge Mann saß am Lenkrad seines Jeeps. Er hatte den Kopf auf das große Lenkrad gebettet. Entweder dachte er nach, oder er schlief. Champagner am Morgen war nicht jedermanns Sache, schon gar nicht bei dieser Wärme. ,,Stan!" rief Tina. Harper rührte sich nicht. Tina lief ein paar Schritte auf den Jeep zu, dann blieb sie stehen. Ihr schien es so, als griffe eine unsichtbare, würgende Hand nach ihrem Hals. „Stan!" wiederholte sie kurzatmig. Es klang wie ein heiseres Krächzen. Der junge Mann rührte sich auch jetzt nicht. Tina bewegte sich auf ihn zu, wie im Traum. Sie blieb abrupt stehen, zum zweitenmal. Sie sah, daß sich an Stans Kopf etwas verändert hatte. Es war nicht viel, nur ein kleines Loch. Es befand sich mitten in der Schläfe. Seltsamerweise war es fast blutfrei. Aber es war der Schlußpunkt hinter Stan Harpers Leben.
Tina griff in die Luft, sie suchte einen Halt, aber sie fand keinen. Sie torkelte. Sie riß sich zusammen. Ihr war auf einmal kalt. Sie stand im Schatten der großen alten Platane und trug nur ihren Bikini, aber das war keine Erklärung für das jähe Frösteln, es war trotz allem sehr warm. Ein Mörder befand sich in der Nähe. Ein Wahnsinniger. Wenn sie nicht aufpaßte, würde es ihr ergehen wie dem armen Stan. Man würde sie töten.
Tina gab sich einen Ruck. Sie begann zu rennen. Das Tor kam näher, sie erreichte die Straße. Plötzlich schrie sie, sie hörte nicht auf damit, sie lief unentwegt weiter und zuckte zusammen, als ihre nackte Fußsohle etwas Scharfes berührte. Sie war auf einen Nagel getreten, vielleicht auch auf ein Stück Glas. Sie kümmerte sich
nicht
darum.
Sie
lief
weiter.
An
der
nächsten
Haarnadelkurve tauchte ein Mann auf. Es war Doc Standler, ein altes Klubmitglied. Er hatte seine Anglerstiefel an. „Was gibt es, was ist geschehen?" fragte er. Tina stoppte, sie lehnte sich schweratmend gegen den Arzt. Standler betrieb in der Stadt eine große Praxis, er war ein Modearzt und betreute vor allem Mitglieder der High Society. Seine
Ausstrahlung
war
dementsprechend,
er
war
hochgewachsen und sah blendend aus. Glatt zurückgekämmtes, silberblondes Haar, klare, hellblaue Augen, eine Adlernase und ein markantes Gesicht verbanden sich zu einer überzeugenden Einheit. Mark Standler war 48, er gehörte zu den engeren Freunden der Whites, das ergab sich schon aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Häuser. „Die Schüsse - haben Sie sie nicht gehört?" stieß Tina hervor. Sie zitterte am ganzen Körper. „Nein. Ich war im Haus, ich habe mich umgezogen. Ich will mit dem Boot rausfahren, um zu angeln. Beruhigen Sie sich doch, Tina! Sie sind ja völlig durcheinander." „Er ist tot", keuchte sie. „Stan ist tot." „Was?" entfuhr es ihm. „Ja, Stan Harper! Er hat ihn erschossen, am Steuer seines Jeeps." „Er?" Tina merkte, daß sie Unsinn redete und sich zusammenreißen mußte. Doc Standler hatte recht. Sie war völlig durcheinander. Sie redete von Schüssen, obwohl sie nur einen gehört hatte. Außerdem gab es keine Hinweise darauf, daß der Mörder ein ,er` war, ebensogut konnte es sich um eine Frau handeln oder um eine Gruppe. Aber was steckte hinter dem Verbrechen, warum war der unschuldige Stan sein Opfer geworden?
„Kommen Sie ins Haus", bat der Arzt und faßte Tina behutsam unter. „Sie stehen unter Schockeinwirkung." Tina riß sich los. „Ich bin okay - soweit man nach einem solchen Erlebnis okay sein kann", würgte sie hervor. „Begleiten Sie mich, Doc. Vielleicht ist ihm noch zu helfen, obwohl..." Sie führte den Satz nicht zu Ende. Mark Standler hatte in seinen über kniehohen Gummistiefeln Mühe, Tina zu folgen. Sie erreichten den Jeep. Standler beugte sich zu Harper hinab, vermied es jedoch, ihn zu berühren. Er richtete sich auf und schaute Tina an. „Wie konnte das passieren?" Tina war vier Schritte von dem Jeep entfernt stehengeblieben. Sie blickte an dem Toten vorbei in den Garten. Er war ziemlich verwildert. Dick haßte Gartenarbeit und behauptete, daß man die Natur nicht vergewaltigen dürfte. Tina fühlte sich beobachtet. Sie fröstelte erneut. Mark Standlers Nähe brachte es nicht fertig, sie zu beruhigen. Sie hatte Angst. Standler schaute sie immer noch an, prüfend. „Ich weiß es nicht", sagte sie. „Ich saß mit den anderen am Steg, als ich einen Schuß hörte. Ich hatte das Gefühl, daß er hier oben in unserem Haus gefallen sein mußte. Die anderen nahmen das nicht ernst, aber mir ließ es keine Ruhe. Stan war so nett, mich heraufzufahren. Ich ging ins Haus, er blieb im Wagen zurück.
Ach ja - da ist Blut in der Küche, ein paar Tropfen auf dem Fußboden. Ich trat hinein und erschrak. Ich rannte ins Freie, um Stan ins Haus zu bitten - und da sah ich den Jungen sitzen, zusammengesunken, mit einem Loch im Kopf. Ich verstehe das nicht. Ich habe keinen zweiten Schuß gehört." „Es gibt Waffen mit Schalldämpfern", meinte der Arzt, „aber ich habe eher den Eindruck, daß der Mörder ein Bolzengerät verwendete." „Er muß sich in der Nähe befinden", flüsterte Tina. „Vielleicht beobachtet er uns." „Wir müssen die Polizei informieren", sagte Mark Standler. „Kommen Sie mit mir ins Haus. Sie werden am Telefon unter Umständen ein paar Fragen beantworten müssen." „Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen", stieß Tina hervor. „Er muß sich noch auf dem Hügel befinden! Er kann sich nicht einfach in Luft auflösen..." Mark Standler schaute sich unwillkürlich um. „Wir haben eine Chance, ihn zu fassen", sagte er halblaut. „Um diese Zeit halten sich mindestens ein Dutzend Männer hier auf, entweder in den Häusern oder am Landesteg. Zusammen mit den Angestellten im Klubhaus können wir mindestens fünfzehn Burschen auf die Beine stellen, die den Killer jagen..."
„Ehe wir alle benachrichtigt haben, ist der Kerl längst über alle Berge", befürchtete Tina. „Wir müssen es versuchen", meinte der Arzt und eilte mit Tina ins Haus. Er wählte die Nummer des Klubhauses, das am Bootshafen lag. Luke Hammer, der Pächter, meldete sich. Doc Standler schilderte mit wenigen Worten, was geschehen war. „Informieren Sie die anderen", schloß er. „Der Kerl hat nur zwei Fluchtmöglichkeiten. Er muß versuchen, mit einem Wagen oder mit einem der Boote abzuhauen. Straße und Hafen lassen sich kontrollieren." Er legte auf. „Hammer wird das schon managen", sagte er. „Er war im Krieg Mastersergeant." Danach riefen sie das Police Headquarters in New York an. Standler überließ Tina den Hörer. Sie nannte ihren Namen und sagte, wo sie sich befand. Dann schilderte sie mit wenigen Worten, was geschehen war. Als sie auflegte, hatte sie sich noch immer nicht beruhigt, aber sie fror nicht mehr. Trotzdem kam sie sich in ihrem Bikini seltsam nackt vor. „Ich ziehe mir etwas über", sagte sie. „Bleiben Sie hier, Doktor? Standler nickte. „Ich warte, bis die Polizei eintrifft", versicherte er. Tina ging ins Schlafzimmer, Sie zog sich ein Paar Jeans und ein T-Shirt über, dann wusch sie sich im Schlafzimmer das Blut vom Fuß. Sie sah, daß sie sich verletzt hatte, und fragte sich, ob
die Tropfen in der Küche am Ende von ihr stammten, aber das hielt sie für ausgeschlossen, vermutlich hatte sie sich die Verletzung erst auf ihrer wilden, hügelabwärts führenden Flucht zugezogen. „Wir sollten McDonald herbitten", sagte Standler, als Tina zu ihm ins Wohnzimmer zurückkehrte. „McDonald?" fragte sie und blieb stehen. „Kennen Sie ihn nicht? Er hat sich ganz in der Nähe niedergelassen, ein Privatdetektiv." „Irgend jemand hat ihn erwähnt, ich erinnere mich. Er soll gut aussehen." „Das spielt keine Rolle, finde ich. Wichtiger ist, daß er kürzlich zwei schwierige Mordfälle aufgeklärt hat. Ich halte ihn für fähig, auch mit dieser Geschichte fertigzuwerden", meinte der Arzt. „Wer soll ihn engagieren?" fragte Tina. „Ich möchte das nicht über Dicks Kopf hinweg entscheiden." „Warum rufen Sie ihn nicht an"" fragte der Arzt. „Sie haben recht. Ich muß ihn informieren", sagte Tina. Sie meldete das Ferngespräch sofort an, dann setzte sie sich und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Standler gab ihr Feuer. Tina hatte darauf verzichtet, ihm eine Zigarette oder einen Drink anzubieten. Mark Standler trank und rauchte nicht.
„Wir kennen auch einen Detektiv, einen aus McDonalds Branche", sagte Tina. „Dick schwört auf ihn. Er heißt Walker. Jo Walker." „McDonald kennt die Gegend wie seine Westentasche, ich würde das als Vorzug werten." „Mir ist es egal, wer sich um den Fall kümmert", meinte Tina. „Hauptsache, dieses schreckliche Verbrechen wird rasch gesühnt." Ihr traten Tränen in die Augen. Sie hatte für Stan Harper kaum etwas empfunden, weder Sympathie noch Abneigung, aber er hatte sie vermutlich geliebt, das war zu spüren gewesen, zumindestens hatte er sie begehrt. Er hatte eigentlich nur deshalb sterben müssen, weil er sich erboten hatte, sie mit seinem Jeep ans Haus zu bringen. Oder steckte etwas ganz anderes hinter diesem furchtbaren Mord? Hatte der Täter nüchtern kalkuliert, daß Tina nach dem Schuß nach oben kommen und daß es Stan Harper sein würde, der sie chauffierte? War Stan Harper in eine sorgfältig präparierte Falle gelaufen? „Was denken Sie jetzt?" fragte Standler und setzte sich. Er nahm sich in den klobigen Anglerstiefeln recht unbeholfen aus.
Das Telefon klingelte. „Das ist die Vermittlung", sagte Tina und nahm den Hörer ab. Sekunden später hatte sie Dicks Hotel an der Strippe. „Mr. White, bitte", sagte sie. „Sorry, Madame - bei uns ist kein Gast dieses Namens gemeldet", antwortete eine männliche Stimme höflich. „Ist dort das, Eltville?" „Ja, Madame. Hotel Eltville." „Sie müssen sich irren. Dick White aus New York. Er hat mich erst gestern aus Ihrem Hotel angerufen!" „Ich habe das Gästebuch vor mir liegen, Madame. Aber ich will noch einmal mit dem Office kreuzchecken. . ." Tina biß sich auf die Lippen. Die Sekunden dehnten sich zu einer vollen Minute, dann meldete sich die männliche Stimme erneut. „Bedaure, Madame. Mr. White aus New York ist uns bekannt, er hat schon oft hier gewohnt, aber im Augenblick gehört er nicht zu unseren Gästen..." Tina legte auf. „Das begreife ich nicht", murmelte sie. „Ein Irrtum vielleicht?" „Ja, schon möglich", meinte Tina, obwohl sie nicht daran glaubte. Dick hatte sie belogen. Er hatte ihr gesagt, daß er im
,Eltville' abgestiegen war, er hatte es noch am Vortag telefonisch bestätigt. Sie vertraute Dick, er hatte ihr niemals Anlaß gegeben, seine Treue in Zweifel zu ziehen. War sie blind gewesen, hatte sich zwischen ihnen etwas verändert, kannte er Frauen, hatte er vielleicht sogar eine Geliebte, und diente ihm das sogenannte Verbandstreffen nur als Vorwand, um mit einem Mädchen oder einer Frau ein paar amüsante Tage verbringen zu können? Es klingelte. „Wer kann das sein?" fragte Tina. „Ich erledige das", meinte Mark Standler, erhob sich und ging hinaus. Er kehrte mit Ed Fisher zurück. Ed Fisher hatte ein buntes, offenes Hemd über seine Badehose gezogen und hielt ein Gewehr unter seinem Arm. Er war im Gesicht hochrot. „Wie konnte das nur passieren? Der arme Stan! Wir sind außer uns, völlig fertig. Wir werden das Schwein finden, ich knalle es über den Haufen, wenn es mir vor die Flinte laufen sollte..." „Nun mal ruhig Blut, Ed", sagte Mark Standler. „So läßt sich das nicht machen. Wir wollen den Mann stellen, aber wir dürfen uns nicht in die Rolle von Leuten drängen lassen, die an die Lynchjustiz glauben." „Er ist ein Killer, vielleicht ein Wahnsinniger", verteidigte sich Ed Fisher. „Den muß man jagen wie einen tollwütigen Hund."
„Jagen schon, aber nicht erschießen", sagte Standler. „Hier drin werden Sie ihn nicht finden, Ed." Ed Fisher lief rot an. „Wollen Sie mir unterstellen, daß ich mich zu drücken versuche? Er kann noch im Hause sein. Ich glaube sogar, daß er sich hier aufhält. Er lacht sich ins Fäustchen, während unsere Leute die Umgebung durchkämmen. Hier ist er relativ sicher. Das Haus ist groß und hat viele Zimmer. Das ist doch richtig, Tina?" Tina nickte. Ed Fisher hatte recht. Das Haus bot eine Unzahl von Versteckmöglichkeiten. Ihr konnte es nur recht sein, wenn sich ein mutiger Mann fand, der die Räume durchsuchte und sicherstellte, daß sich der Mörder nicht mehr im Haus befand. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich im Haus umsehe?" fragte Ed Fisher. „Nein - aber seien Sie vorsichtig, bitte", sagte Tina. Ed Fisher nickte, er verließ den Raum. „Ein armer Irrer", seufzte Standler. „Ist er betrunken?" „Er hat einige Becher Champagner zu sich genommen, ich weiß nicht, wieviel er vertragen kann", sagte Tina. Irgendwo außerhalb des Hauses fiel ein Schuß. Mark Standler sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Tina folgte ihm auf die Terrasse.
„Das gibt noch ein Unglück, ich sehe es kommen", meinte Mark Standler düster. „Jetzt fühlt sich jeder angerufen, den Killer zu jagen. Mich sollte es nicht wundern, wenn unsere tapferen Klubmitglieder sich dabei gegenseitig abschießen. Ich fürchte, es war ein Fehler von uns, die Burschen zum Mitmachen aufzufordern." „Wir haben immerhin die Chance, den Mörder zu stellen", meinte Tina. „Die dürfen wir uns nicht nehmen lassen."
2. Kapitel
Bis zum Eintreffen der Mordkommission vergingen fast zwei Stunden. Vorher erschienen mehrere Patrolcars der Polizei mit ihren Besatzungen. Sie hatten den Auftrag, sich an der Suche nach dem Täter zu beteiligen. Der Schuß, der zwischendurch auf dem Hügel gefallen war, hatte sich versehentlich aus dem Gewehr eines aufgeregten Klubmitgliedes gelöst und keinen Schaden angerichtet. Captain Rowland, der die Untersuchungen führte, merkte rasch, daß Tina White ihm nicht weiterhelfen konnte. Sie stand vor einem Rätsel, genau wie die anderen. Auch die Männer der Spurensicherung tappten im dunkeln. Der Jeep hatte vor der Doppelgarage auf einer Betonplatte gestanden. Der Mörder hatte darauf keine Fußabdrücke hinterlassen. Das Blut aus der Küche wurde konserviert und ins Polizeilabor geschickt. Eine erste Untersuchung des Opfers bestätigte die Theorie von Mark Standler. Stan Harper war mit einem Bolzenschießgerät getötet worden. Der Stahlstift, der in seinen Schädel eingedrungen war, blieb vorerst der einzige konkrete Hinweis auf den Täter. Captain Rowland und seine Leute machten sich an die Befragung der
anderen Klubmitglieder und hatten Mühe, mit den vielen Theorien fertigzuwerden, die ihnen dabei aufgetischt wurden. Mark Standler blieb bei Tina, nachdem die Beamten das Haus verlassen hatten. „Werden Sie in die Stadt zurückfahren?" fragte er. „Ja", sagte sie. „Hier bleibe ich auf keinen Fall."
Zwei Stunden später fuhr sie mit ihrem Alfa zurück nach New York. Das nicht sehr große, aber sehr noble Haus, das sie mit Dick am Battery Park bewohnte, stand unter Denkmalsschutz. An seiner altholländischen Fassade durfte nichts verändert werden. In dieser Gegend wohnte viel Prominenz, dementsprechend groß war die Zahl der Polizisten, die nachts hier patroullierte. Tina konnte sich in dem Haus völlig sicher fühlen. Sie verspürte Lust, in einem guten Restaurant zu essen, um sich abzulenken, aber dann zog sie es doch vor, im Hause zu bleiben. Sie hoffte, von Dick angerufen zu werden. Wenn er sich bloß melden würde! Das Dienstmädchen hatte Urlaub. Sie war nach Hause zu ihren Eltern gefahren, weil es ursprünglich Tinas Absicht gewesen war, das Wochenende in der Klubumgebung zu verbringen. Dick rief nicht an, weder am Nachmittag noch am Abend. Er vermutete sie sicherlich im Klub, aber wenn er sie dort zu
erreichen versuchte, würde man ihm sagen, was geschehen und weshalb sie nach New York zurückgekehrt war. Tina blieb nervös und gespannt, die Erinnerung an Stan Harpers schreckliches Ende ließ sie nicht los. Wer hatte es eigentlich auf sich genommen, Stans Vater zu informieren? Wäre es nicht ihre Pflicht gewesen, ein paar Worte mit den leidgeprüften Eltern zu wechseln und ihnen zu sagen, daß sie sich miserabel fühlte, weil sie sich einredete, eine gewisse Mitschuld zu tragen? Nein, das wäre unsinnig gewesen. Im übrigen konnte sie von den Harpers weder Trost noch Verständnis erwarten. Die Harpers waren vollauf mit ihrem eigenen Leid beschäftigt. Tina trank an diesem Abend ein paar Whiskys mehr, als es ihre Gewohnheit war, außerdem nahm sie eine Schlaftablette, weil sie befürchtete, durch ständiges Grübeln und Überlegen um ihre Nachtruhe gebracht zu werden. Sie schlief sofort ein. Als sie erwachte, hämmerte ihr Herz. Sie setzte sich im Bett auf, starrte ins Dunkel und fragte sich, was sie geweckt hatte. Sie, hörte das Ticken des kleinen Weckers neben ihrem Bett, sonst nichts. Sie legte sich zurück und schloß die Augen. Ihr fiel ein, was geschehen war. Sie fühlte, daß sie hellwach war und keine Chance hatte, rasch wieder einzuschlafen. Sie streckte die Hand aus, um Licht zu
machen. Ihre Finger stießen gegen etwas Rauhes und zuckten zurück. Der Berührung verband sich mit einem fast schmerzhaften Schock. Jemand stand neben ihrem Bett! Tina machte sich ganz steif, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Plötzlich traf sie der Strahl einer Taschenlampe. Tina kniff die Augen zusammen. „Nein", flüsterte sie. „Nein . . ." Das Licht verlosch. Tina öffnete die Augen. Sie hatte den Wunsch, aufzuspringen und davonzulaufen, aber sie spürte, daß sie keine Fluchtchance hatte. „Wer sind Sie?" würgte sie hervor. „Was wollen Sie von mir?" Plötzlich erschrak sie ein weiteres Mal. Sie nahm einen Duft wahr, einen sehr speziellen Duft. Dicks Parfüm ... Er verwendete es ganz dezent. Es handelte sich um eine Marke, die er in Europa kennengelernt hatte und die er sich seitdem regelmäßig aus Rom schicken ließ. Es war ein herber, unaufdringlicher und trotzdem ganz unverkennbarer Geruch. Das Parfüm hieß NIGHTHUNTER. Jäger in der Nacht ... Tina hatte sich über den, Namen amüsiert. Jetzt, in dieser Situation, erhielt er ein neues Gewicht, einen makabren Doppelsinn.
„Dick!" keuchte sie. Sie schrak zusammen, als sie eine Bewegung neben sich wahrnahm. Im nächsten Augenblick berührten sie zwei Hände, sie legten sich um ihren Hals. Tina erstarrte, nur eine Sekunde lang, dann wehrte sie sich verzweifelt gegen den brutalen Würgegriff, sie zog und zerrte an den behandschuhten Händen, aber sie schaffte es nicht, sie von ihrem Hals zu lösen. Sie strampelte. Sie stieß die Decke zu Boden, um sich zu befreien, ihr ganzer Körper war an dem Verteidigungsakt beteiligt. Sie schrie. Sie versuchte es jedenfalls, aber mehr als einen heiseren Krächzlaut brachte sie nicht zustande. Der Druck der unbarmherzigen, kräftigen Finger verstärkte sich. Terror und Todesangst wallten in Tina auf. Tränen traten in ihre Augen. Dick, ein Mörder? Das war ausgeschlossen, völlig undenkbar! Sie liebten sich nicht mehr wie am ersten Tage, zugegeben, aber die Harmonie ihrer Ehe war niemals ernsthaft gefährdet gewesen, es gab für Dick keinen Grund, sich seiner Partnerin auf eine so abscheuliche Weise zu entledigen. Tina merkte, daß sie gegen diesen Würgegriff keine Chance hatte. Ihr fiel ein, daß die Hände sie schon gestreichelt und
liebkost hatten, sie dachte an den Beginn ihrer Ehegemeinschaft, sie wollte all die Dinge hinausschreien, die ihr durch den Kopf schossen, ihre Angst vor allem, ihre Verzweiflung, das Flehen um Gnade, auch ihren plötzlichen, tiefen Haß. Sie dachte an Stan, an den Schuß, an die Bluttropfen auf dem Fußboden des Landhauses. Sie brachte keinen Sinn in das Geschehen, sie sah keine Zusammenhänge. Sie wußte nur, daß jemand gekommen war, um sie zu töten. Dick ... Ihr schwanden die Sinne. Das ist der Tod, fühlte sie. Dann hörte sie auf zu denken.
Irgendwann kam sie wieder zu sich. Sie starrte ins Dunkel, sie versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Ihre Erinnerung setzte ein. Sie griff nach der Lampe, das aufflammende Licht blendete sie. Sie sah das zerwühlte Bett. Die Decke lag auf dem Boden. Sie fühlte sich miserabel und hatte starke Kopfschmerzen. Ihre Angst setzte erneut ein. Du bist noch einmal davongekommen, dachte sie. Er wollte dich umbringen.
Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte mit zitternden Fingern die Nummer der Polizei. „Verbinden Sie mich mit der Mordkommission", bat sie. Eine Stunde später erschienen zwei Beamte in ihrem Haus. Einer von ihnen war Lieutenant Ronald Myers, ein Mitarbeiter von Captain Rowland. Der zweite hieß Baker. Tina erfuhr nichts über seinen Dienstgrad, aber es war klar erkennbar, daß es sich um einen Untergebenen des Lieutenants handelte. Myers war selbstverständlich darüber informiert, was Stan Harpers Tod herbeigeführt hatte und welche Rolle Tina White in dem Verbrechen spielte. Tina berichtete, was geschehen war. Sie ließ nur zwei Dinge aus. Die Wahrnehmung des Duftes von NIGHTHUNTER und Dicks Namen. „Sie glauben, es war ein Mordanschlag?" fragte der Lieutenant, der geduldig zugehört und bislang keine Zwischenfragen gestellt hatte. „Daran gibt es keinen Zweifel", erwiderte Tina. „Sie leben noch." „Bedauern Sie das?" fragte Tina scharf. „Ich lebe nur, weil diese Bestie meinte; ich sei bereits tot." „Ein Anfänger?" fragte Myers. „Ein Mörder - mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen", erklärte Tina.
Sie hatte genügend Zeit gehabt, sich anzuziehen und frisch zu machen. Unter ihrem Make-up war sie leichenblaß. Ron Myers beugte sich nach vorn und musterte prüfend ihren Hals. „Würgespuren", stellte er fest. „Er wollte mich töten, davon bin ich überzeugt", sagte Tina. „Was ist gestohlen worden?" „Nichts. Ich habe mich vor Ihrem Kommen im Hause umgesehen", erwiderte sie. „Soweit ich es beurteilen kann, wurde nichts angerührt. Alles steht oder liegt an seinem Platz." „Sie sagten, daß der Täter kein Wort von sich gab?" „Nicht eine Silbe." „Wie ist er ins Haus gekommen?" „Er muß einen Schlüssel besitzen." Tina steckte sich eine Zigarette an und machte sie sofort wieder aus. Sie konnte nur rauchen, wenn sie entspannt war. Sie schilderte nochmals, was sich ereignet hatte, diesmal langsamer und konzentrierter. Es schien, als sei sie bemüht, sich weitere Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen, aber die Dinge, die wirklich zählten, konnte sie dem Lieutenant nicht sagen. Dick hatte versucht, sie zu erwürgen. Das Motiv war simpel. Er wollte sie beerben. Offenbar gab es jetzt in seinem Leben eine andere Frau. Mit ihr wollte er zusammenleben. Um dieses Ziel zu erreichen, war er bereit gewesen, einen Mord auf sich zu nehmen.
„Haben Sie bereits mit Ihrem Mann gesprochen?" erkundigte sich der Lieutenant. „Nein", erwiderte Tina zögernd. „Er ist auf den Bahamas. Er nimmt dort an einer Verbandstagung teil. Er hat mir irrtümlich eine falsche Hoteladresse genannt, ich habe schon heute vormittag vergeblich versucht, ihn zu erreichen." „Könnte er es gewesen sein?" fragte Lieutenant Myers. Er blieb bei dieser ungeheuerlichen Frage völlig gelassen, man hätte meinen können, er spräche über das Wetter. „Dick?" stieß sie hervor. „Er hat ein Alibi!" „Welches?" „Ich sagte es bereits. Er befindet sich in Nassau." „Aber Sie haben, vergeblich versucht, ihn im Hotel zu erreichen", meinte der Lieutenant. „Ich sprach davon, daß er mir irrtümlich die fa lsche Adresse hinterlassen hat. Ich bin überzeugt, daß Dick auf den Bahamas ist." Warum sagte sie das? Weil sie selbst daran zu glauben wünschte? Weil sie sich immer noch gegen den Gedanken wehrte, daß Dick es fertiggebracht haben könnte, sie wie Ungeziefer vernichten zu wollen? NIGHTHUNTER war ein seltenes Parfüm, aber gewiß gab es noch andere Männer, die es benutzten.
Und doch: Es war sicherlich nicht die Duftnote, die in Unterweltskreisen Anklang fand. Ein Killer mit diesem Parfüm das erschien ihr fast undenkbar. „Der Täter hatte einen Schlüssel für das Haus", erinnerte Myers die junge Frau. „Den hat auch Liza, unser Dienstmädchen. Und Mrs. Gullner, die Putzfrau", sagte Tina. „Wer noch?" „Niemand außer mir und den genannten drei Personen", erwiderte sie. „Wer würde Sie beerbt haben?" „Dick." „Können Sie eine ungefähre Summe nennen? Was würde ihm im Falle Ihres Todes zufließen?" „Ein paar Millionen Dollar", sagte sie zögernd, dann fügte sie resolut hinzu: „Es ist absurd, Dick ist ein Mann in einflußreicher Position. Er verdient glänzend. Er arbeitet in seiner eigenen Firma ... " „Sie gehört ihm allein?" unterbrach der Lieutenant. „Ich bin mit sechzig Prozent daran beteiligt. Lieber Himmel, das ist nichts Ungewöhnliches. In unserem Bekanntenkreis gibt es Dutzende solcher Ehen, Partnerschaften mit unterschiedlichen
Vermögensanteilen. Niemand würde deshalb auf die Idee kommen, sich alles auf diese fürchterliche Art anzueignen." Es klingelte. „Das sind die Männer der Spurensicherung", sagte der Lieutenant. „Uns entschuldigen Sie jetzt, bitte. Wir können im Augenblick nichts für Sie tun, wir können Sie nur bitten, die Nerven zu behalten." Er ging mit Baker zur Tür, dort blieb er nochmals stehen. „Sehen Sie in dem Anschlag eine mögliche Verbindung mit Stan Harpers Tod?" wollte er wissen. „Nein", sagte sie.
Eine weitere Stunde verging damit, daß die Männer der Spurensicherung sich im Hause umschauten und hier und dort einige Fingerabdrücke nahmen. Gegen zwei Uhr morgens war der Spuk verschwunden, aber Tinas Angst und Nervosität waren geblieben, sie mußte unentwegt an Dick denken und eine Antwort auf die Frage suchen, ob er sie hatte töten wollen. Vieles sprach dafür. Ebenso vieles dagegen. Sie mußte mit ihm sprechen, sie mußte ihm dabei in die Augen sehen. Sie war sicher, daß sie sofort erkennen würde, ob er log oder ob er die Wahrheit sagte.
Sie fuhr zusammen, als das Telefon klingelte. Wer wünschte sie um diese Zeit zu sprechen? War es Dick? Wollte er sich davon überzeugen, daß sie sich nicht meldete, daß sie also tot war? Sie griff nachdem Hörer. „White." „Oh, Tina!" tönte ihr Lorraine Crosswoods Stimme entgegen. „Ich mußte dich einfach anrufen. Ich kann nicht schlafen. Ich muß immerzu an diesen schrecklichen Mord denken. Im Klub erzählt man sich die schrecklichsten Geschichten..." „Von wo rufst du an?" „Aus unserem Wochenendhaus. Weißt du, was hier getuschelt wird? Daß du ein Verhältnis mit ihm gehabt hättest, und daß Dick gar nicht auf den Bahamas sei, sondern hier, und daß er sich an Stan gerächt habe..." „Lieber Himmel, das ist doch Unsinn", murmelte Tina. „Wer sagt das?" „Ich will keinen Namen nennen, das würde alles nur noch schlimmer machen. Wir sind gute, alte Freundinnen. Ich muß einfach wissen, ob diese Gerüchte zutreffen. Hattest du was mit Stan?" „Nein!" schrie Tina. „Das ist doch verrückt! Er war in meinen Augen nur ein netter Junge, fast noch ein Kind."
„Sie sagen, du hättest auf dem letzten Klubfest sehr eng mit ihm getanzt..." „Er wohl mit mir. Na und? Was ist dabei? Bin ich denn von Irren umgeben? Glaubst du diesen Leuten? Du kennst mich doch! Ich bin schon für einen Flirt kaum ansprechbar, geschweige denn für mehr." „Schon gut, Liebling, reg dich nicht auf. Wahrscheinlich wird es immer ein paar Leute geben, die sich ihre Mäuler zerreißen müssen, sie fühlen sich sonst nicht wohl. Es ist nicht wirklich böse gemeint, hoffe ich." „Nicht böse gemeint?" echote Tina entrüstet. „Da unterstellt man mir ein Verhältnis mit Stan Harper und verdächtigt gleichzeitig Dick, den Jungen auf brutale Weise ermordet zu haben. Und da sagst du, das sei nicht böse gemeint?" „Reg dich nicht auf, Liebling, man wird bald wissen, warum Stan sterben mußte. McDonald ist bereit, den Fall zu übernehmen", meinte die Anruferin. „Ein toller Mann. Groß, schlank und sehr dynamisch..." „Mark erwähnte seinen Namen. Wer hat ihn engagiert, wer bezahlt ihn?" „Der Klub. Man rechnet damit, daß Stans Vater sich an den Unkosten beteiligen wird. Immerhin ist das Verbrechen fast auf unserem Klubgelände verübt worden, zumindestens an seiner
Grenze. Der Mord betrifft Mitglieder des Klubs, also sind wir alle daran interessiert, den Täter zu finden." „Ich muß jetzt schlafen, ich muß zumindestens versuchen, ein paar Stunden Ruhe zu finden", meinte Tina. „Hier ist ein tolles Ding passiert. Ich kann jetzt nicht darüber sprechen. Du erfährst es morgen." Sie legte auf. Ihr Herz hämmerte. Soweit war es also gekommen. Jetzt verdächtigte man Dick ganz offen, einen Mord begangen zu haben. Das Entsetzliche war, daß sie, Tina, inzwischen wußte, daß er durchaus zu einem solchen Verbrechen fähig war und offensichtlich versucht hatte, sie aus dem Wege zu räumen. Nur: Wo war das Tatmotiv? Was im Klub getratscht wurde, war barer Unsinn. Dick wußte, daß sie ihn niemals betrogen hatte, . außerdem war er wohl nicht der Mann, der aus Eifersucht bereit gewesen wäre, einen Mord zu begehen. Dick wollte ihr Geld und gleichzeitig seine Freiheit, eine andere Erklärung gab es nicht. Aber wer war das Mädchen, das hinter dem Geschehen steckte? Und selbst wenn es sie wirklich gab, selbst wenn Dick versucht hatte, die eigene Frau zu töten - wer hatte dann Stan Harper umgebracht, und warum?
Tina legte sich ins Dett. Sie war überzeugt davon, keinen Schlaf zu finden, aber sie fiel fast augenblicklich in einen tiefen Schlummer.
Sie erwachte vom Klingeln des Telefons, schaute benommen auf die Uhr und entdeckte, daß es acht Uhr morgens war. „White", meldete sie sich. „Hallo, Liebes", tönte ihr Dicks Stimme entgegen. „Ich habe versucht, dich in Orvid Beach zu erreichen. Habe ich dich aus dem Schlaf gerissen?" Ja, das hast du getan, dachte sie. Schon das zweitemal ... „Wo bist du?" fragte sie. „Kennedy Airport. Ich warte auf das Frühstück. Holst du mich ab, Liebling?" „Ich komme“, sagte sie und legte auf.
3. Kapitel
„Die Konkurrenz", sagte April Bondy lächelnd, als sie das Privatbüro ihres Chefs betrat und den Besucher anmeldete. „Terence McDonald “ Jo blickte verdutzt von der Zeitung hoch, in der er gelesen hatte. „Er wird hier erwähnt", sagte er. „McDonald hat sich in den Mordfall Harper eingeschaltet. Ich frage mich, wie Tom darüber denkt." „Darf ich ihn hereinbitten?" Jo nickte. Er erhob sich und ging dem Kollegen entgegen. Sie schüttelten sich die Hände. Terence McDonald sah sehr englisch aus; er betonte das noch mit seiner Kleidung: Gabardine und Tweed, dazu eine modische Wollkrawatte. Er hatte ein schmales, markantes Gesicht mit hellen Augen. Das Haar war weißblond. „Ich hatte schon immer mal den Wunsch, Sie kennenzulernen", sagte McDonald mit einer sonoren Stimme lächelnd. „Der berühmte Jo Walker! Es heißt, daß Sie die Nummer eins in der Branche sind." „Danke. Sie erwarten hoffentlich nicht, daß ich jetzt rot werde. Wollen Sie nicht Platz nehmen? April kann uns einen Kaffee
bringen, oder ziehen Sie etwas Kräftigeres vor?" erkundigte sich Jo. Terence McDonald setzte sich und schüttelte den Kopf. „Kaffee hört sich prima an", versicherte er. „Ich frage mich allen Ernstes, wie Sie es unter den gegebenen Umständen fertigbringen, konzentriert zu arbeiten." Jo hob fragend die Augenbrauen. Terence McDonald grinste. „Na, bei dieser Superpuppe in Ihrem Vorzimmer? Wo gabeln Sie so was bloß auf? Phantastisch! Girls wie dieses gibt es nur im Film, dachte ich bislang. Ich würde es Ihnen gern wegengagieren." „Sprechen Sie mit April", schlug Jo vor. „Ich habe eine bessere Lösung", meinte McDonald. „Wir bedienen uns der jungen Dame gemeinsam." Er schlug ein Bein über das andere und achtete sorgfältig darauf, seine scharfe Bügelfalte nicht zu ruinieren. „Ich bin im Kommen. Das werden Sie wissen. Im Osten. der Stadt bin ich ,in`. Die High Society setzt auf mich." „Das freut mich für Sie", sagte Jo. „Meine Anfänge waren weniger spektakulär." „Aber Sie haben es geschafft. Der Name Jo Walker ist ein Begriff. Wie wäre es, wenn wir uns zusammentäten und das größte Detektivbüro der Stadt eröffneten?"
„Ist das Ihr Ernst?" „Ja. Ich habe lange darüber nachgedacht. McDonald & Walker. Das wäre ein Knüller!" „Finden Sie?" McDonald grinste. „Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten. Das Firmenschild könnte auch andersherum Eindruck machen. Walker & McDonald. Würde Ihnen das besser gefallen?" „Ich brauche keinen Sozius." „Rationalisierung ist Trumpf, in jeder Branche. Man muß mit der Zeit gehen." „Klar, aber ich kann keinen Fortschritt darin entdecken, jeden Fall mit einem gleichberechtigten Partner absprechen zu müssen. Am Ende haben wir einen Debattierklub, aber keine Ergebnisse. Nein, das ist nichts für mich. Ich bleibe selbständig." „Wir könnten die Kompetenzen aufteilen. Sie werden nicht jünger, Walker, entschuldigen Sie, wenn ich das so offen ausspreche. Ich bin erst 27. Ich könnte die Action-Arbeit übernehmen, den gefährlichen Außendienst. Sie würden mir mit Rat und Tat zur Seite stehen und, falls es notwendig werden sollte, auch einmal handfest eingreifen ... " „Wer oder was hat Sie auf die Idee gebracht, ich könnte bereit sein, Ihren Vorschlag zu akzeptieren?" fragte Jo.
„Für mich ist das Beste gerade gut genug", sagte McDonald. „Ich will weiterkommen." „Ich stehe Ihnen nicht im Wege." „Vielleicht doch. Ich sagte es bereits: Sie sind die Nummer Eins in der Branche, die erste Adresse. Ich kann das noch werden, zugegeben, ich. kann Sie von diesem Platz verdrängen, aber warum sollten wir uns bekriegen und als Konkurrenten betrachten? Unsere Erfahrung und unsere guten Namen ermöglichen es uns, die beste Detektei der Stadt zu eröffnen - wir würden Kundschaft aus dem ganzen Land anziehen, wir könnten später auch Filialen in anderen Städten eröffnen." „Ich denke nicht in Supermarktbegriffen", sagte Jo. April brachte den Kaffee. McDonald musterte sie lächelnd und bedankte sich. Als sie das Office verließ, blickte er ihr bewundernd hinterher. „Sie sind ein Glückspilz. Aber das bin ich auch:" Er schaute Jo an. „Ich habe den Fall Harper gelöst." „Tatsächlich?" „Ja, ich kenne den Täter." „Glückwunsch. Was sagt Captain Rowland dazu?" „Den lasse ich noch etwas in seinem eigenen Saft schmoren", sagte McDonald.
„Befindet sich der Täter demzufolge noch auf freiem Fuß?" fragte Jo. „Ja. Ich habe meine Gründe dafür." „Weiß der Täter, daß Sie ihn erkannt haben?" „Ich habe es ihm auf den Kopf zugesagt. Er war ziemlich konsterniert. Fassungslos, um genau zu sein. Ich bin geradewegs von ihm zu Ihnen gefahren. Mit gutem Grund. Ich dachte, es sei ein guter Gedanke, meinen Erfolg gleichsam als Einstand anzubieten, als eine gesunde Grundlage für gedeihliches Zusammenwirken." Jo schüttelte den Kopf. „Ich bleibe bei dem, was ich sagte", meinte er. „Schade", seufzte McDonald. Er trank seinen Kaffee, dann stand er auf und sagte: „Sie werden es hoffentlich nicht zu bereuen haben. Ich bin der kommende Mann." Jo brachte seinen Besucher hinaus. McDonald blieb im Vorzimmer stehen und lächelte April ins Gesicht. „Falls Sie mal das Bedürfnis haben sollten, die Tapeten und den Arbeitgeber zu wechseln, wäre ich entzückt, Sie dabei unterstützen zu dürfen. Bei mir können Sie jederzeit anfangen." „Aber ich habe nicht vor, hier aufzuhören", gab April mit einem Lächeln zurück. „Er liebt dich", spottete Jo, als der Besucher gegangen war.
„Der liebt nur sich selbst", meinte April. „Seine Augen gefallen mir nicht. Das ist ein Mann, der über Leichen geht." „Das läßt sich in unserem Beruf nicht immer vermeiden", sagte Jo und kehrte zu seiner Zeitung zurück. Das Telefon klingelte. „Mr. White für Sie", meldete April. „Stellen Sie durch, bitte", sagte Jo und hatte eine Sekunde später Dick White an der Strippe. „Ich brauche Sie, Walker", sagte der Anrufer. „Ich sitze in der Tinte. Ein Mann namens McDonald will mir einen Mord anhängen." „Ich weiß", sagte Jo. „Woher?" „McDonald hat es mir erzählt." „Arbeiten Sie mit ihm zusammen?" „Er "möchte es, ich war dagegen. Worum geht es?" „Um den Mordfall Harper. Stan Harper. Sie haben davon gehört?" fragte White. Er hatte eine dunkle, angenehme Stimme, die freilich nicht verbergen konnte, wie gereizt und nervös ihr Besitzer war. „Gerade gelesen", sagte Jo. „Eine mysteriöse Geschichte. McDonald gibt Ihnen die Schuld an dem Verbrechen?" „Ja. Er hat gute Gründe dafür."
„Nämlich?" „Ich kann das nicht am Telefon erklären. Können wir uns in meinem Office sprechen? Am besten sofort - die Zeit drängt", sagte White. „In einer Stunde bin ich bei Ihnen", erklärte er. Er schaffte es nicht, Wort zu halten, da er mit seinem 450 SEL in einen Stau geriet, der durch einen Unfall auf dem Expressway verursacht worden war, Whites Stimmung war bei Jos Eintreffen auf den Nullpunkt gesunken. „Sie haben mich warten lassen mehr als neunzig Minuten", beschwerte er sich. Jo nahm Platz. Er schaute sich in dem Office um, Mahagoni und viel Messing, Kein Zweifel: White war ein Mann, der Wert auf Repräsentation legte. Er paßte in diese Umgebung, er war groß, markant, eine Persönlichkeit. „Schießen Sie los", bat Jo. „Ich habe eine Freundin", sagte White. „Ein Verhältnis. Das Mädchen ist Schauspielerin, Große Klasse. Ich bin verheiratet, das ist Ihnen gewiß bekannt. Tina ist eine großartige Frau, sie bedeutet mir sehr viel. Ich habe keineswegs vor, mich von ihr zu trennen, andererseits habe ich weder den Wunsch noch die Kraft, Mona aufzugeben," ,,Ihre Frau kennt das Mädchen?"
„Nein",- erwiderte White kopfschüttelnd und nestelte an seiner tadellos gebundenen Seidenkrawatte herum, „Bis jetzt hatte Tina keine Ahnung von Monas Existenz, aber natürlich werde ich meiner Frau beichten müssen, was los ist. Lieber Himmel, dieser Kerl, dieser McDonald zwingt mich dazu! Welcher Mann hat denn schon den Nerv, ohne zwingenden Grund seiner Frau zu beichten, daß es da plötzlich ein Mädchen gibt, das er hinreißend findet, das ihn beschwingt und verzaubert?" „Seit wann kennen Sie Mona?" „Vier Monate, aber intim geworden sind wir erst vor vier Wochen", meinte White. „Ich wollte ein langes Wochenende mit Mona verbringen. Sie wollte das auch. Also erfand ich Tina gegenüber eine Verbandstagung auf den Bahamas. Ich bot ihr sogar an, mitzukommen. Ich wußte genau, daß sie ablehnen würde. Tina haßt diese Treffen, sie geht ihnen aus dem Wege. Okay - natürlich war ich nicht auf den Bahamas." „Wo sonst?" „Hier, in New York." „Wo genau?" „Jetzt kommt's", sagte White. „Nur zehn Minuten von Ovid Beach entfernt, also sehr nahe der Stelle, wo der arme Stan Harper umgebracht wurde." „Haben Sie für die Tatzeit ein Alibi?"
„Mona. Aber ich bin nicht sicher, ob man ihr glauben wird. Man wird vermuten, daß sie mich zu decken versucht..." „Was hat Sie auf den Gedanken gebracht, das Wochenende in unmittelbarer Nähe Ihres Landhauses zu verbringen?" fragte Jo. „Mußten Sie nicht befürchten, von Ihrer Frau zufällig gesehen zu werden?" „Nein. Ich kenne die Gegend gut. Natürlich kennt man dort auch mich", sagte White, „Aber ich hatte nicht vor, mich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Ich wohnte mit Mona in einem Haus, das einem Freund gehört. Es liegt auf einem großen Grundstück und besitzt einen Swimmingpool. Mona und ich hatten also keine Veranlassung, wegzugehen." „Wie ist Terence McDonald dahintergekommen, daß Sie nicht in Nassau waren?" „Zunächst einmal muß gesagt werden, daß Tina versucht hat, mich in Nassau anzurufen. Damit konnte ich nicht rechnen. Was nun McDonald betrifft, so hat er nur die Recherchen angestellt, deren sich auch die Polizei bedient haben dürfte. Er hat einen Blick in die Fluglisten geworfen und dabei herausgefunden, daß ich die in Frage kommende Maschine nicht benutzt habe. Lügen haben kurze Beine, das habe ich am eigenen Leibe erfahren."
„Sie haben Ihre Frau beschwindelt, und Sie waren in der Nähe des Tatortes - aber das beweist noch nicht, daß Sie den Mord verübten", sagte Jo. „Richtig, aber McDonald wird es schon schaffen, das so hinzudrehen. Ein Motiv hat er schon. Ich habe versucht, es ihm auszureden. Es war zwecklos." „Soviel ich weiß, hat er noch nicht mit der Polizei gesprochen", sagte Jo. „Aus gutem Grund." „Nämlich?" „Er erwartet, daß ich mich freikaufe." „Er erpreßt Sie?" „So dumm ist der nicht, aber ich wette, er wartet auf ein Angebot von mir." „Werden Sie ihm eines machen?" „Ich weiß es nicht." „Lassen Sie die Finger davon", riet Jo. „Er hat mich in der Hand!" „Er kann nicht beweisen, daß Sie den Mord begangen haben", sagte Jo. „Er kann eine fast lückenlose Indizienkette aufbauen", meinte White. „Und er hat keine Mühe, einige Motive zu liefern, Ja, nicht nur eines! Die Geschworenen können sich dann
aussuchen, welches ihnen am besten gefällt. Ich wollte mich von Tina trennen und..." Jo fiel dem Sprecher ins Wort. „Nicht Tina wurde ermordet, sondern Stan Harper", sagte er. „Oh, Sie wissen noch nicht alles. Tina wurde in ihrem Haus überfallen, in der Nacht vom Sonnabend zu Sonntag. Ein klarer Mordversuch. Der Täter muß einen Schlüssel besessen haben", sagte White. „Davon steht nichts in den Zeitungen." „Sie werden es in den heutigen Mittagsausgaben lesen, nehme ich an." „Ihre Frau wurde verletzt?" „Nein,
aber
ich
habe
das
Gefühl,
daß
sie
unter
Schockeinwirkung steht. Das merkte ich bereits, als sie mich vom Flugplatz abholte. Sie war wie verwandelt, wie versteinert. Als ich ihr die Hand gab, zuckte sie zusammen. Es schien, als berührte sie etwas Ekelerregendes. Ich kam mir schrecklich schlecht vor, schließlich war mein Gewissen nicht sauber. Ich war zum Flugplatz gefahren, um meine Story glaubhaft wirken zu lassen, und nun trat Tina auf, als durchschaute sie mich. Wir sprachen auf der Heimfahrt kaum miteinander. Erst als wir zu Hause waren, eröffnete sie mir, was passiert war..." Er unterbrach sich, spielte mit einem Kugelschreiber und hatte
plötzlich Mühe, die richtigen Worte zu finden. „Tina scheint zu glauben, daß ich es war." „Daß Sie was waren?" fragte Jo. „Der Mann, der sie zu ermorden versuchte." „Was bringt sie darauf?" White zuckte mit den Schultern. „Das ist eine verrückte Geschichte. Sie spricht im gleichen Maß gegen mich wie vieles andere, deshalb ist sie gefährlich. Der Täter benutzte angeblich mein Eau de Toilette, eine Art Herrenparfüm. Ich bekomme es aus Europa geliefert. Es nennt sich ,Nighthunter` und ist hier nicht zu haben. Der Täter muß es benutzt haben, um bei Tina den Eindruck zu erwecken, daß ich sie ermorden wollte, eine andere Erklärung gibt es nicht." „Weiß die Polizei, daß Ihre Frau Sie für den mutmaßlichen Täter hält, für den Mann, der sie überfiel?" „Darüber hat Tina nur mit mir gesprochen. Sie sind. der zweite, der es erfährt. Aber stellen Sie sich einmal vor, was McDonald tun würde, wenn er davon Wind bekäme" ,seufzte Dick White. „Nicht auszudenken wäre das!" „Sie haben Ihrer Frau inzwischen gestanden, daß es diese Mona gibt?" „Mir blieb keine Wahl. Tina weiß jetzt alles." „Wie hat sie es aufgenommen?"
„Wie versteinert. Ohne Kommentar." „Ist sie rachsüchtig?" „Nein. Jedenfalls ist das ein Charakterzug, den ich an ihr niemals festgestellt habe. Aber jetzt weiß ich nicht, was in ihr vorgeht", sagte Dick White und warf den Kugelschreiber aus der Hand. „Ich kann Tina nicht verdenken, daß sie sauer reagiert. Ich habe sie betrogen und belogen." „Das haben Sie getan", bestätigte Jo. „Aber deshalb bin ich kein Mörder!" erregte sich Dick White. „Sie müssen mir das glauben!" Er lehnte sich zurück, starrte an die Zimmerdecke und sagte mit leiser, bitterer Stimme: „Ich habe die Vertrauensbasis zerstört, auf der Tina und ich uns bislang bewegten. Tina glaubt, daß ich versucht habe, sie zu ermorden. Vermutlich schreibt sie es meiner Laienhaftigkeit zu, daß der Anschlag mißglückte. Es ist eine unerträgliche Situation!" „Was sagt Mona dazu?" „Sie steht zu mir. Zugegeben, sie hat es einfach. Mona weiß schließlich, daß ich Stan Harper nicht ermordet haben kann. Sie weiß auch, daß ich bei ihr war, als man Tina überfiel. Aber Mona ist keine Zeugin, die ich präsentieren kann. Tina würde glauben, Mona und ich treiben ein abgekartetes Spiel. Die Polizei wird es nicht anders halten - und was McDonald darüber
denkt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich habe nur eine Chance. Es muß Ihnen gelingen, Stan Harpers Mörder zu fassen. Wenn das fehlschlägt, bin ich dran, das sehe ich ganz klar." „Welches Motiv sollten Sie gehabt haben?" „Im Klub blüht der Klatsch. Dort wird behauptet, zwischen Stan und Tina habe es intime Beziehungen gegeben, ich sei dahintergekommen und hätte mich an Stan gerächt, indem ich ihn ins Jenseits beförderte. Mit einem Bolzenschußgerät. Was für ein Unsinn! Ich werde den Klub verlassen. Ich habe keine Lust, mich von Schwachsinnigen verdächtigen und beschimpfen zu lassen. Aber vielleicht kommt mir die Klubleitung zuvor, vielleicht setzt sie mich raus. Stan Harper war fraglos in Tina verliebt, das muß zugegeben werden. Er hat ihr schöne Augen gemacht. Mich störte es nicht. Tina ist attraktiv. Ich bin es gewöhnt, daß sie Aufmerksamkeit erregt. Sie war mir treu, davon bin ich überzeugt." „Tina glaubte wohl auch an Ihre Treue - aber sie irrte sich", sagte Jo. „Ich bin ein Mann." „Die Theorie Ihrer Klubfreunde muß zusammenbrechen, wenn bekannt wird, daß es in Ihrem Leben ein Mädchen namens Mona gibt", sagte Jo.
White winkte ab. „Ich hatte auch Tinas wegen keinen Grund zur Eifersucht, aber das kümmert diese Idioten doch nicht", sagte er. „Wußte man im Klub, daß Sie eine Freundin haben?" erkundigte sich Jo. „Ich hatte keine Veranlassung, über mein Verhältnis mit Mona zu reden, aber ich kann nicht ausschließen, daß man mich mit dem Mädchen gesehen hat", sagte White. Er beugte sich nach vorn. „Übernehmen Sie den Fall?" „Hundert Dollar pro Tag, plus Spesen - Sie kennen die Bedingungen", sagte Jo. White nickte. „Ich verbessere sie. Zehntausend Dollar Erfolgsprämie, wenn Sie den Mörder finden. Fangen Sie gleich an?" „Ja", meinte Jo und zückte sein Notizbuch. „Nennen Sie mir Monas Adresse." White runzelte die Augenbrauen. „Mona Sticker, Queens, Jackson Avenue 117. Was wollen Sie von dem Mädchen? Mein Alibi überprüfen? Sie ins Kreuzfeuer nehmen?" „Ein paar Fragen stellen, nichts weiter", sagte Jo lächelnd und erhob sich. „Ich neige zur Gründlichkeit." Dick White brachte seinen Besucher zur Tür. „Sie haben freie Hand", entschied er. „Ich vertraue Ihnen.".
4. Kapitel
Mona Sticker war umwerfend attraktiv, eine große Blonde mit leuchtendblauen
Augen
und
einem
vollen,
sinnlich
geschwungenen Mund. Das modische, sehr lose gearbeitete Kleid deutete die Vorzüge ihrer Figur nur an, aber wenn Mona Sticker sich bewegte, wurde deutlich, daß ihre bemerkenswerte Oberweite keiner stützenden Elemente bedurfte. Die großen Brüste sprangen ebenso ins Auge wie Monas ungewöhnliche Langbeinigkeit. Jo schätzte das Mädchen auf 21. Das Zimmer, in das sie ihn führte, war ultramodern eingerichtet und schien zu beweisen, daß Mona keine Geldsorgen kannte. Dafür sprach auch ein gut bestückter Barwagen. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?" fragte sie. „Danke, nein, nicht im Augenblick", meinte Jo. Sie setzten sich. Mona rauchte. Sie hatte sehr schlanke, schöne Hände. Jo fand es schwer, am Äußeren des Mädchens einen Makel zu finden. Sie war eine perfekte Schönheit. „Sie wissen, weshalb ich zu Ihnen komme?" fragte er. Mona nickte. „Ja. Dick hat mich angerufen, er hat Sie avisiert", sagte sie. „Was halten Sie von den Vorwürfen, die ihm gemacht werden?" fragte Jo.
„Ich hoffe, sie werden nicht laut", sagte Mona. „Es wäre mir unerträglich, wenn er in Schwierigkeiten geriete." „Sie lieben ihn?" Mona stieß sehr langsam den Rauch aus. „Ich schätze ihn", schränkte sie ein. „Würden Sie ihn heiraten?" „Das steht nicht zur Debatte." „Es ist nur eine Frage." „Ja, ich würde ihn heiraten. Aber darüber sprechen wir nicht. Er hat niemals daran gedacht, sich von Tina zu trennen, glaube ich." „Und ich glaube, daß er die Dinge zu schwarz sieht. Sie können bestätigen, daß er weder Stan Harper umgebracht hat noch seine Frau erwürgen wollte - das ist doch richtig?" „Ja, das ist richtig. Obwohl..." Sie führte den Satz nicht zu Ende. „Obwohl?" drängte Jo. „Darf ich ganz offen sein?" „Ich bitte darum." Mona musterte das glühende Ende ihrer Zigarette. Es war zu spüren, daß sie Mühe hatte, eine passende Formulierung zu finden. „Als ich hörte, was geschehen ist, habe ich noch einmal gründlich nachgedacht, ich habe versucht, mir alles ins Gedächtnis zu rufen. Das ist bloß natürlich. Schließlich geht es um Mord, da muß man genau sein, übergenau, darin pflichten Sie mir doch bei?" „Unbedingt."
„Stan Harper starb, den Zeitungen zufolge, gegen zehn Uhr fünfundzwanzig. Um diese Zeit war ich in der Küche, allein. Ich bereitete das Frühstück zu. Dann deckte ich auf der Terrasse den Tisch. Das Ganze dauerte etwa eine halbe Stunde. In dieser Zeit habe ich Dick nicht gesehen." „Sie wollen damit sagen, daß er das Grundstück verlassen haben und zu seinem Landhaus zurück gegangen sein könnte?" „Ich sage nichts dergleichen, ich sage nur, daß ich ihn eine halbe Stunde lang - ungefähr zur Tatzeit - nicht gesehen habe." „Haben Sie ihn gefragt, wo er war?" „Sicher. Als das Frühstück fertig war, rief ich laut seinen Namen. Er tauchte aus dem Garten auf, ziemlich erhitzt, wie mir auffiel. Ich fragte ihn, weshalb er so außer Puste sei. Er antwortete, er habe ein bißchen Fitneßtraining betrieben und einige Runden gedreht . . ." „Okay, und was ist mit der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag?" fragte Jo. „Ich wurde gegen Morgen wach. Ich griff nach Dick, aber ich griff ins Leere. Er war nicht da. Ich schlief sofort wieder ein, aber am Sonntagmorgen, also gestern, erinnerte ich mich daran, und ich fragte ihn, wo er gewesen sei. Im Bad, antwortete er. Natürlich stimmt, was er sagt - aber Sie werden verstehen, daß ich mich in der Zwickmühle befinde."
Jo nickte. „Klar. Streng genommen hat Dick gar kein Alibi." „Er ist kein Mörder!" „Ich sage nur, daß er kein Alibi hat - es sei denn, Sie sind bereit, ihn zu decken." „Ich stehe zu ihm, was immer auch geschehen mag, aber vor Gericht werde ich wohl oder übel die Wahrheit sagen müssen, nicht wahr?" „Sie sind Schauspielerin?" „Ja. Im Moment ohne Engagement, aber man hat mir versprochen, mich im kommenden Monat zu beschäftigen." „Wovon leben Sie?" „Ich besitze eigenes Vermögen, außerdem verdiene ich mir ein Zubrot als Fotomodell", sagte sie. „White hält Sie nicht aus?" „Wo denken Sie hin! Er ist sehr großzügig, zugegeben, er macht mir Geschenke, aber ich würde niemals bares Geld von ihm akzeptieren." „Haben Sie mit jemand über das brüchige Alibi besprochen?" fragte er. „Nein, aber ein Berufskollege von Ihnen hat ein paar sehr bohrende Fragen gestellt." „Terence McDonald?"
„Ja. Ich fühlte, daß ich Dick gefährden würde, wenn ich McDonald die Wahrheit sage, deshalb habe ich mir erlaubt, sie zu unterdrücken." Das Telefon klingelte. Mona nahm den Hörer ab. „Für Sie, bitte." Jo nahm den Hörer entgegen und meldete sich. „Hallo, Walker", tönte es ihm entgegen. Jo erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte Terence McDonald. „Wundern Sie sich nicht, daß ich genau weiß, wo Sie sich gerade aufhalten?" fragte McDonald. „Sie werden es mir schon sagen", meinte Jo. „Okay. Sie wissen, daß ich bei ihr war. Bei Mona, meine ich. Aber Sie wissen nicht, daß ich in Monas Bleibe eine kleine Wanze zurückgelassen habe. Ein Abhörgerät. Ich habe soeben mitgekriegt, was das Mädchen Ihnen anvertraute. Es stützt meine Theorie. Vielen Dank, daß Sie mir helfen, Dick White zu überführen", spottete er. Jo legte auf. Er erhob sich und begann zu suchen. „Was ist los?" fragte Mona verdutzt. „Was geht hier vor?" Jo bückte sich. Er sah die Wanze an der Unterseite einer Tischplatte kleben und nahm sie ab. „Sehen Sie mal", sagte er. „Feind hört mit." „McDonald?" hauchte sie. Jo nickte.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, lege ich das Ding erst mal auf Eis - was sehr wörtlich zu nehmen ist", fügte er hinzu, ging in die Küche und warf die Wanze in den Kühlschrank. Er kehrte zu Mona zurück. Sie war dabei, sich ein Glas mit Cognac zu füllen. „Das ist unerhört", erboste sie sich. „Wie konnte der Kerl sich nur erdreisten, mich auf diese infame Weise zu belauschen?" „Sie können Strafanzeige gegen ihn stellen." „Kann ich? Dann müßte ich angeben, was ich nicht angeben will..." Jo setzte sich. „Wie ist er dahintergekommen?" fragte er. „Woher weiß McDonald, daß Sie mit Dick White befreundet sind?" „Keine Ahnung." „Welche Fragen richtete er an Sie?" „Es war offenkundig, daß es ihm darauf ankam, Dicks Alibi zu durchlöchern", sagte sie. „Das ist ihm jetzt gelungen." „Armer Dick! Ich könnte mich ohrfeigen. Hätte ich doch bloß den Mund gehalten." Sie griff zum Telefon, wählte Dick Whites Nummer und fing an, sich bei ihrem Freund zu entschuldigen. Sie schilderte, was sich ereignet hatte, und schloß: „Es tut mir so leid, aber ich konnte nicht ahnen, daß dieser Kerl so infam, so niederträchtig handelt . . ."
Es war zu merken, daß White sie zu trösten versuchte. Mona entspannte sich. „Ich halte zu dir, das weißt du", sagte sie. „Du kannst dich darauf verlassen." Sie legte auf und schaute Jo an. „Hat er eine Chance?" wollte sie wissen: „Natürlich", meinte Jo, „Aber im Augenblick sieht es nicht gut für ihn aus." „Sie werden das ändern?" „Ich hoffe es", erwiderte Jo. „Kannten Sie diesen Stan Harper?" „Nein." „Hat Mr. White jemals seinen Namen erwähnt?" „Nicht ein einziges Mal." „Danke", sagte Jo und stand auf. Mona brachte ihn in die kleine Diele. Jo spürte, daß das Mädchen noch etwas auf dem Herzen hatte. Er stoppte an der Apartmenttür und schaute Mona ins Gesicht. „Was ist?" fragte er. „Was soll sein?" „Das frage ich Sie. Sie bedrückt etwas. Was ist es?" „Die Sache mit dem Bolzenschußgerät." „Was ist damit?" „Dick besitzt so etwas ...!“ Das erfahre ich erst jetzt?"
„Ich halte es für einen dummen Zufall, alles spricht im Augenblick gegen ihn", sagte sie gequält. „Ich verschlimmere seine Lage, ohne es zu wollen..." Jo verabschiedete sich und ging. Er rief von unterwegs White an und fragte, was es mit dem Bolzenschußgerät für eine Bewandtnis habe. „Ein
Bolzenschußgerät?"
fragte
White
verwundert.
„Ausgeschlossen! Oh, warten Sie - Mona wird die kleine Armbrust gemeint haben. Ja, so etwas besitze ich. Ein Spielzeug. Früher haben wir damit auf Scheiben geschossen." „Wo ist das Ding?" „Keine Ahnung. In meinem Haus auf dem Speicher, würde ich sagen." „In welchem Haus?" „Im Landhaus, nehme ich an, draußen in Ovid Beach. Sie glauben, der Täter könnte es an sich genommen und den armen Stan damit getötet haben?" „Vieles spricht dafür, daß es sich so verhält." „Mist!" entfuhr es White. „Noch ein Glied in der Indizienkette, nicht wahr?" „Wir müssen damit rechnen, daß es dazu kommt", sagte Jo. „Warum haben Sie mir nichts von der Existenz dieses Dings erzählt?"
„Ich habe nicht daran gedacht, ich hatte vergessen, daß dieses Gerät existiert", meinte er. „Es ist Jahre her, daß ich es benutzte." „Woher weiß Mona, daß es existiert?" „Da bin ich überfragt. Warten Sie. Ich bin mal mit ihr auf dem Speicher gewesen, wir haben in den alten Klamotten gestöbert, es hat eine Menge Spaß gemacht..." ,,Danke", sagte Jo und legte auf.
Er fuhr zum Battery Park. Tina White empfing ihn in einem schneeweißen Kleid. Ein roter Gürtel und ein ebenfalls roter, um ihren Hals geschlungener Schal sorgten für knallige Kontraste. Es war zu sehen, daß Tina solcher Gegensätze kaum bedurfte, sie wirkte durch die Vollkommenheit ihres Gesichtsovals und durch eine starke Persönlichkeit. „Ich bin von Ihrem Mann ersucht worden, seine Interessen zu vertreten", sagte Jo, als sie sich im Wohnzimmer gegenüber saßen. „Er fühlt sich in die Enge getrieben. Tatsächlich sitzt er in der Klemme. Er kann daraus nur befreit werden, wenn es gelingt, Stan Harpers Mörder zu finden. Diese Aufgabe versuche ich zu lösen."
„Ich wünsche Ihnen dabei Glück", sagte sie und steckte sich eine Zigarette an. Jo entging nicht, wie müde und abgespannt die schöne, junge Frau wirkte. „Sie halten ihn für den Täter?" fragte er. „Nicht unbedingt", sagte sie. „Dick hatte keinen Grund, Stan zu töten - aber er hatte einen Grund, mich umzubringen." „Ich kenne diese Geschichte. Kann es nicht sein, daß es jemand darauf anlegt, Dick White als Mörder darzustellen? Da benutzte jemand sein Parfüm, um ihn zu diffamieren ..." Tina musterte Jo kühl. „Das hört sich gut an", sagte sie. „Aber wo ist das Motiv?" „Da muß ich passen", gab Jo zu. „Ich stehe vor einem Rätsel", sagte sie. „Es ist mir unmöglich, in Dick einen Mörder zu sehen - aber alles spricht gegen ihn. Es muß an diesem Mädchen liegen. Sie hat ihn verhext. Sie hat seinen Charakter verändert." „Das klingt sehr abenteuerlich", sagte Jo. „Ihr Mann gibt zu, daß das Mädchen ihn fasziniert. Aber ihm ist nicht zu widerlegen, daß das nichts an seiner Zuneigung ändert, die er für Sie, für seine Frau, empfindet." „Er hat mich belogen." „Jeder Mann belügt einmal seine Frau."
„Es war mehr als eine Lüge. Es war ein ganzes Netz von Lügen", sagte sie. „Er weiß das. Er bereut, sich so dumm verhalten zu haben, aber er kann es nicht rückgängig machen", sagte Jo. „Wußten Sie, daß er eine kleine Armbrust besitzt?" „Ja, wir hatten so etwas draußen in Ovid Beach, das Ding muß noch da sein, allerdings erinnere ich mich nicht, es in letzter Zeit gesehen zu haben. Es ist..." Ihre Augen wurden plötzlich groß und rund. Ihr dämmerte, welche Bedeutung dem Gerät zukam. „Ein Bolzenschußgerät", murmelte sie. „Ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Wenn Mark oder der Captain gleich von einer Armbrust gesprochen hätten, wäre der Groschen bei mir gefallen . . ." „Irgend jemand legt es darauf an, ihn zu vernichten", sagte Jo. „Das ist die einzige Erklärung. Dick White soll in den Verdacht geraten, Stan Harper getötet zu haben, es soll auch so aussehen, als habe er Sie zu töten versucht." „Warum? Warum will man das - und wer?" „Das müssen wir noch herausfinden." „Dick ist mein Mann. Ich möchte zu ihm stehen - aber nach Lage der Dinge fällt es mir schwer, ihm zu vertrauen. Wenn ich wüßte, daß er das Opfer einer Intrige, eines gemeinen Verbrechens geworden ist, wäre
ich die erste, die ihn mit allen Mitteln verteidigen würde." ,,Denken Sie nach. Wer könnte ein Interesse daran haben, ihn zu vernichten?" „Ich wüßte niemand." „Hat er Feinde?" „Ich kenne keine. Dick ist eine Persönlichkeit, er weiß, was er will. Männer wie er schaffen sich leicht, Respekt, aber es gibt nicht viele, die ihn lieben. Das ist auch im Klub so. Dick wird respektiert, aber er ist nicht der Bursche, dem man unentwegt auf die Schulter klopft. Das würde schon eher einem Ed Fisher widerfahren, das ist ein Kumpeltyp . . ." „Warum erwähnen Sie gerade ihn?" „Nur so, als Beispiel. Er saß mit uns am Anleger, als der Schuß fiel, von dem ich glaubte, daß er in unserem Haus gefallen sein müßte. Hat man schon eine Erklärung für das Blut gefunden, das ich in der Küche entdeckte?" „Was ist damit?" Tina berichtete, was es darüber zu sagen gab. Jo schüttelte den Kopf. „Ich bin mit Captain Rowland befreundet", sagte er dann. „Ich spreche mit ihm."
„Jetzt arbeiten drei Koryphäen an der Lösung des Falles", sagte Tina. „Captain Rowland, Terence McDonald und Sie. Einem muß es doch gelingen, Licht in diese schreckliche Angelegenheit zu bringen." „McDonalds
Lichtmethode
hat
die
Wirkung
eines
Spotlights", sagte Jo. „Dabei steht Ihr Mann genau im Scheinwerferlicht. Ich kann nicht ausschließen, daß Tom Rowland sich McDonalds Argumenten anschließt. Sie haben etwas für sich, sie sind nicht ohne innere Logik und Konsequenz." „Dem nach halten auch Sie Dick für einen Mörder?" „Wenn ich das täte, würde ich nicht für ihn arbeiten", sagte Jo. ,,Gibt es einen Mann, der sich um Sie bemüht?" „Das tun viele Männer, aber ich nehme das nicht ernst, es sind die üblichen Versuche, mit einer attraktiven Frau anzubandeln - harmlose Flirts. Ich habe keine Mühe, diese Leute auf Distanz zu halten. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie fragen sich, ob es einen Mann in meinem Leben gibt, dem Dick im Wege steht. Meine Antwort ist ein klares Nein. " Jo verabschiedete sich und ging. Er fuhr zum Police Headquarters. Dort sprach er mit Captain Rowland.
„Da kommen wir uns mal wieder ins Gehege", meinte der Captain, als er erfuhr, daß Jo für Dick White arbeitete. „Jetzt, wo ich weiß, auf welcher Seite du stehst, werde ich mit meinen Informationen haushalten müssen - ich kann mir nicht den Vorwurf des District Attorneys einhandeln, die Gegenseite begünstigt zu haben." „Noch ist Dick White kein Angeklagter." „Immerhin
gibt
es
eine
Menge
Indizien,
die
ihn
tatverdächtig machen." „Ich weiß, Gerade das nimmt ihn für mich ein. Dick White hatte keinen Grund, Stan Harper zu töten, Warum hätte er auf den Jungen eifersüchtig sein sollen? Tina gab ihm dazu keinen Grund - außerdem hatte er selbst eine Geliebte." „Vielleicht ist es falsch, eine Verbindung zwischen den Verbrechen herstellen zu wollen", sagte Captain Rowland. „Es kann sich um zwei Geschehnisse handeln, die man getrennt betrachten muß. Nehmen wir den an Tina verübten Mordversuch. Kann es nicht tatsächlich so gewesen sein, daß White seine Frau loswerden wollte, um Mona zu heiraten?" „Die beiden haben niemals darüber gesprochen. Mona und Dick, meine ich."
„Wer sagt das?" „Mona." „Sie versucht ihn zu decken." „Diesen Eindruck habe ich nicht - obwohl das Mädchen immer wieder versichert, daß sie zu ihm steht. In Wahrheit hat sie ihm bislang eher geschadet," „Womit?" Jo lächelte, „Ich bin in meiner, Informationspolitik wie du etwas gehandicapt", wich er aus. „Ich darf nichts sagen, was meinem Klienten schaden könnte," „Es gibt also einiges in dieser Richtung?" ,,Eine ganze Menge", gab Jo zu. „Aber bleiben wir bei dem auf Tina verübten Mordversuch. Du kennst White, Er ist ein großer, athletischer Mann. Wenn er zupackt und vorhat, jemand zu töten, schafft er es." „Er hat keine Erfahrung mit diesen Dingen, er kann geglaubt haben, sie sei tot. Sie rührte sich nicht mehr, nehme ich an..." „Gerade ein Laie würde in einer solchen Situation eher übertreiben, er würde ganz sichergehen wollen, daß sein Opfer tatsächlich nicht mehr lebt", widerspach Jo. „Nein, ich sehe das anders. Du wirst jetzt eine Neuigkeit erfahren, die White schadet. Ich sage sie dir trotzdem, weil ich in der Sache einen Beweis für Whites Unschuld
sehe. Tina hat dir verschwiegen, daß sie Dick für den Täter hält. Der Mann, der sie attackierte, benutzte Dicks Parfüm." „Er parfümiert sich?" „Es ist ein Eau de Toilette, ein europäisches Fabrikat, in New York kann man es nicht kaufen. Es ist also ein Produkt, das ganz spezifisch zu White gehört, das man hier nur an ihm findet - und das hat der wirkliche Täter ausgenutzt. Er hat sich mit dem Zeug eingesprüht, wohl wissend, daß Tina den Duft registrieren würde. Dem Mann ging es gar nicht darum, Tina zu töten. Im Gegenteil, Sie sollte am Leben bleiben - aber nur, um in Dick einen Mörder zu sehen." „Eine hübsche Hypothese, vielleicht hast du damit sogar recht", meinte der Captain. „Aber McDonalds Argumente sind
entschieden
zugkräftiger.
Wenn
du
dir
nichts
Besseres einfallen läßt, wird das Duell mit ihm für dich verlorengehen." „Ich sehe in dem Ganzen kein Duell." „Du kennst McDonald nicht. Er will immerzu gewinnen", sagte Captain Rowland. „Er
hat
mir
angeboten,
zusammenzuschmeißen", sagte Jo.
unsere
Firmen
„Ein cleverer Bursche. Er möchte sich die Zugkraft deines Namens zunutze machen. Dabei ist er selbst dabei, prominent zu werden. Er versteht es jedenfalls, sich im Gespräch zu halten." „Ich weiß", sagte Jo. „Was ist mit dem Blut, das in der Küche des Landhauses gefunden wurde?" „Gruppe Null, mehr wissen wir nicht darüber." „Welche Gruppe hat White?" „A", sagte der Captain. „Demnach war zur Tatzeit oder kurz vorher jemand im Haus, der die Blutgruppe „A“ hat, Vermutlich der Mörder", sagte Jo. „Das entlastet doch White." „Ja und nein, Was bedeuten schon ein paar Blutstropfen in der
Küche?
Ein
Landstreicher
kann
sie
dort
zurückgelassen haben. Harper wurde nicht in der Küche ermordet, sondern vor der Doppelgarage. Er war gar nicht im Haus - also können wir den Blutstropfen keine Bedeutung zumessen." „Du kannst sie nicht ignorieren." „Ich hoffe, wir finden früher oder später eine Erklärung dafür", sagte der Captain. „Was
ist
mit
Harper?
durchleuchtet?" fragte Jo.
Habt
ihr
sein
Vorleben
„Wir haben uns darum bemüht. Ein Junge ohne Makel, ziemlich scheu, stammt aus gutem Hause, war ein guter Schüler und hat sich hier in New York darum bemüht, ein ebenso fleißiger Volontär zu sein. Er arbeitete, wie du weißt, bei einem Geschäftsfreund seines Vaters. Der weiß nur Gutes über Stan zu berichten. Das gilt auch für den Hausmeister, der Stans Apartment betreute. Stan hatte kein festes Mädchen, kaum Freunde - er verbrachte die Wochenenden im Klub. Dort fühlte er sich am wohlsten: Wir haben in seinem Apartment ein Foto von Tina gefunden. Mit Widmung." „Für Stan?" staunte Jo. „Das ist anzunehmen. In Love, Tina. Mehr steht nicht darauf", sagte ; der Captain. „Kein Datum." „Hast du Tina danach gefragt, wie das Bild in Harpers Besitz gelangt ist?" „Noch nicht." „Er kann es entwendet haben. Er war verknallt in Tina, das ist bekannt." „Du hast für alles eine Erklärung", meinte der Captain. „Du wirst zugeben müssen, daß es sich dabei um Theorien handelt. Sie sind nicht besser oder überzeugender als diejenigen, die ich anzubieten habe."
Jo holte tief Luft, als er auf der Straße stand. Er war ziemlich ratlos. Er hatte das dumpfe Gefühl, noch mit einem Dutzend Leuten sprechen, zu können, ohne deshalb auch nur einen Schritt weiterzukommen. Schlimmer noch, seine bisherigen Unterhaltungen hatten lediglich
dazu
geführt
Dick
White
zusätzlichen
Belastungen und Verdächtigungen auszusetzen. Er fand, daß Mona Sticker in dem Geschehen eine Schlüsselrolle einnahm, und beschloß, sich nochmals mit dem Mädchen zu befassen. Er telefonierte ein bißchen herum, er kannte einige Leute aus der Theaterszene, aber niemand war in der Lage ihm etwas über Mona Sticker zu sagen, sie war praktisch unbekannt. Jo wunderte sich darüber. Bei Monas phantastischem Aussehen war anzunehmen gewesen, daß sie einen gewissen Popularitätsgrad erreicht hatte, selbst hier in New York, wo das Angebot
an
blendend
aussehenden
und
talentierten
Schauspielerinnen keineswegs klein war. Aber vielleicht kannte man Mona nur deshalb nicht, weil es ihr an beruflichem Können mangelte. Vielleicht besaß das Mädchen nicht die Gabe, ihre Attraktivität mit schauspielerischer Substanz auszufüllen.
Endlich - es war sein letzter Versuch, mehr über Mona zu erfahren - erwischte er einen Mann, der mit Monas Namen etwas anzufangen wußte. Es war ein älterer Agent, ein Mann namens Fred Carolli, von dem man wußte, daß er nur drittklassige Kräfte vermittelte. „Klar kenne ich sie", sagte Carolli. „Wenn du mit ihr schlafen willst, kannst du sie haben - für zweihundert pro Nacht." „Ein Callgirl?" „Sie gehört keinem Ring an, meines Wissens gibt es auch niemand, der hinter ihr steht und sie dazu zwingt, ihre Einkünfte abzuliefern. Sie ist keine Nutte im üblichen Sinn, sie weiß, daß sie schön ist, daraus schlägt sie Kapital." „Hat sie jemals auf der Bühne gestanden?" „Ja, aber das ist nicht der Rede wert. Unbedeutende Rollen, Statistenkram. Natürlich hält sie sich für talentiert, aber das tun alle, besonders diejenigen, die nicht viel auf dem Kasten haben. Immerhin kann sie sich Schauspielerin nennen, das kommt bei den Männern an." Was weißt du noch über sie?" „Das ist eigentlich schon alles. Sie verdingt sich gelegentlich als Fotomodell, manchmal arbeitet sie auch als Mannequin - aber ihre
Haupteinkünfte
Bettlägerigkeit."
bezieht
sie
mit
ihrer
Art
der
„Sie ist mit einem gewissen Dick White befreundet. Kennst du ihn?" „Nein." Jo bedankte sich und legte auf. Er rief White an. „Ich habe ein paar Erkundigungen über Mona eingezogen", sagte er. „Ich kann mir denken, was jetzt kommt", sagte White. „Nämlich?" „Mona ist kein Engel. Sie hat mir erzählt, wie sie lebte, ehe sie mich kennenlernte." „Was hat sie erzählt?" „Sie hat mit anderen Männern geschlafen, beinahe wahllos. Sie hat sich dafür bezahlen lassen." „Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?" „Ja, warum? Es ändert nichts. Es ändert nichts daran, daß ich Mona faszinierend finde, meine ich. Sie wissen, wie das so geht. Da kommt ein Mädchen wie Mona nach York, sie ist voller Erwartungen und Tatendrang, sie will sich bewähren, aber der Weg zum Ruhm führt noch immer durch männliche Betten. Sie hat sich anfangs dagegen gesperrt, dann hat sie nachgegeben, und eines Tages war Routine, wovor sie anfangs Abscheu empfand - schlimmer noch, sie machte einen Beruf daraus. Mona hat mir gesagt, daß das ihre Art der Rache an den
Männern war. Nicht sie hat sich damit erniedrigt, wollte sie sagen, sondern diejenigen, die mit ihr schliefen." „So kann man es auch sehen", sagte Jo. „Mona ist okay", erklärte White. „Ich fange an, das zu bezweifeln." „Mich überrascht, daß Sie sich als Moralapostel zu bewähren versuchen. Mona hat mir nichts vorgemacht. Das sollten Sie anerkennen." „Mona ist Ihr Alibi", sagte Jo. „Ich fürchte jedoch, dieses Alibi wird sich als Bumerang erweisen. Das Mädchen bedeutet eine Gefahr für Sie." „Machen Sie sich darüber keine Gedanken", meinte White. „Das bringe ich in Ordnung."
5. Kapitel
Als es klingelte, ging Mona Sticker zur Tür und öffnete. Vor ihr stand Terence McDonald. Er grinste und trat über die Schwelle. Mona schloß die Tür, dann sank sie in die Arme des Besuchers. Er küßte sie. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich. „Er war hier", sagte sie. McDonald nickte. „Das habe ich erwartet." „Er ist wirklich dein Konkurrent", sagte Mona und zündete sich eine Zigarette an. „Nicht nur als Detektiv. Auch als Mann. Ein Bursche, in den ich mich verlieben könnte." „Niemand hindert dich daran, es zu tun." „Wärest du nicht eifersüchtig?" McDonald schüttelte den Kopf. „Keine Spur. Worüber habt ihr gesprochen?" Mona schilderte die Unterhaltung und schloß mit den Worten: „Wie du siehst, habe ich mich strikt an deine Marschroute gehalten." „Braves Mädchen", lobte er. „Walker muß jetzt glauben, daß sein Klient der Täter ist", meinte Mona. „Gleichzeitig habe ich den Eindruck zu erwecken versucht, daß ich Dick für unschuldig halte. Walker wird das als Ausfluß
weiblicher Naivität betrachtet haben. Mein Gott, eigentlich ist das Ganze wirklich abscheulich . . ." „Das Leben ist abscheulich", meinte McDonald. „Diese Erkenntnis verwenden wir, um daraus Profit zu schlagen." „Hast du keine Angst, daß man dir eines Tages auf die Schliche kommen könnte?" Er lehnte sich zurück, lächelnd. „Nein", sagte er. „Was macht dich so sicher?" „Das Wissen um meine Überlegenheit." „Das ist Arroganz." „Überlegene Leute neigen dazu", räumte er ein. Mona blies ein paar Rauchringe in die Luft. „Es gibt Unsicherheitsfaktoren", sagte sie. „Zum Beispiel?" „Ich bin einer", meinte sie. „Du?" Sie schaute ihn an. „Nicht jetzt und hier. Aber ich bin eine Frau. Ich könnte mich verlieben. In einen Mann wie Walker. Ich sage nicht, daß es so ist, ich sage nur, was eines Tages passieren könnte. Eine verliebte Frau plaudert. Sie ist bestrebt, Ballast abzuwerfen." „Aber du liebst mich", sagte er. „Ja, ich liebe dich." „Bring mir was zu trinken", sagte er. „Das übliche."
„Ich kann auch einen vertragen", meinte sie, stand auf und verließ das Zimmer. Sie kehrte mit zwei gefüllten Gläsern zurück. Sie enthielten Bourbon und Eis. „Danke", sagte McDonald und nahm sein Glas entgegen. Er trank nicht daraus, sondern drehte es nachdenklich in seinen Fingern. „In Walkers Augen bist du zu einem Sicherheitsrisiko für White geworden." „Das war beabsichtigt." „Hast du einmal darüber nachgedacht, weshalb ich das so wollte?" „Natürlich. Der Strick um Whites Hals soll sich immer enger ziehen." „Hm, aber dafür gibt es eine noch bessere Methode", erklärte der Besucher. „Das höre ich zum erstenmal. Darüber hast du bislang nicht gesprochen." „Ich tue es jetzt", meinte er, führte langsam sein Glas zum Mund und trank. Er fühlte Monas fragende Blicke auf sich gerichtet und genoß die Spannung, die seine Worte in ihr ausgelöst hatten. „Sprich!" bat sie. Er setzte das Glas ab. „Es ist ganz einfach", sagte er. „Ich bringe dich um." „Was?" stieß Mona hervor. „Ich bringe dich um", wiederholte er gelassen, fast gelangweilt. „Die Polizei wird glauben, daß Dick White dich getötet hat - um das Sicherheitsrisiko auszuschalten."
Mona starrte ihm in die Augen. Sie liebte makabre Witze und schwarzen
Humor,
aber
sie
war
unfähig,
McDonalds
Bemerkung eine heitere Seite abzugewinnen. Ihr schien es plötzlich so, als sei sie gefangen und als habe sie den Fehler gemacht, mit einem Löwen zu spielen. Er hatte eine Zeitlang die Abwechslung genossen, aber jetzt brach seine wahre Natur durch, jetzt hatte er vor, sie zu töten. „Warum sagst du so etwas?" murmelte sie. „Willst du mir Angst machen?" „Du warst mir sehr nützlich", sagte er, „Aber jetzt wird es Zeit, dich abtreten zu lassen. Es gibt dafür mehrere Gründe. Einen hast du selbst genannt. Du bist eine Frau und könntest dich verlieben. Zum Beispiel in einen Mann wie diesen Jo Walker. Das wäre mein Ende, nicht wahr?" „Unsinn! Ich könnte mit einem Fremden niemals über diese Dinge sprechen", verteidigte sich Mona. „Was dir schadet, muß auch mir schaden. Wir sitzen in einem Boot. Schließlich habe ich gewußt, was ich tue, ich habe mitgemacht, und zwar freiwillig." „Aus Hörigkeit, so etwas entschuldigt man leicht bei einer Frau", winkte er ab. „Aber hier geht es um Mord!" „Eben", nickte er. „Deine Nerven werden diesem Streß auf die Dauer nicht gewachsen sein."
„Ich bin dir nicht hörig", sagte sie. „Aber du behauptest, mich zu lieben." „Das ist etwas anderes." „Du bist schön. Ein guter Anwalt wird keine Mühe haben, dich vor Gericht herauszuboxen. Du weißt das, zumindestens glaubst du an diese Möglichkeit. Ich habe noch andere Gründe, mich von dir zu trennen. Du kennst sie. Ich will Dick White fertigmachen." „Warum haßt du ihn?" „Ich hasse ihn nicht. Ich will nur sein Geld." „Du glaubst wirklich, er sei bereit, sich freizukaufen?" fragte sie. „Ihm bleibt keine Wahl." „Hast du von Anbeginn meine Mitwirkung - und mein Ende einkalkuliert?" fragte sie kaum hörbar. „Ja" Mona senkte den Blick, schaute in ihr Glas und fragte sich, warum sie nicht aufsprang und aus der Wohnung zu flüchten versuchte. Warum schrie sie nicht um Hilfe? Warum unternahm sie nichts, um der drohenden Gefahr zu entkommen? Warum hörte sie sich statt dessen Terence McDonalds zynisches Geständnis an? Sie war für ihn nur ein Werkzeug gewesen, ein Wegwerfwerkzeug. Mona verspürte einen bitteren Geschmack
im Mund, aber der störte sie nicht. Viel schlimmer war die Angst vor dem Ende, das plötzliche Wissen um McDonalds Entschlossenheit, sie zu töten. „Ich kann das nicht glauben", murmelte sie. Aber sie glaubte ihm, auch wenn alles in ihr sich dagegen sträubte. Sie hatte gemeint, bei McDonald eine Sonderstellung zu genießen, sie hatte auf ihre Schönheit und Attraktivität gebaut, und es hatte sie mit einem prickelnden Gefühl der Spannung und Erregung erfüllt, mit einem Mann gemeinsame Sache zu machen, dem ein Menschenleben so gut wie nichts bedeutet. Sie hatte sich in den Killer verliebt. Mona zwang sich zur Konzentration. Sie wußte seit langem, daß Terence skrupellos war, ein Mann ohne Gewissen. Sie hatte das vorübergehend bewundert, sie hatte sich eingeredet, daß sich dahinter Stärke verbarg, eine phantastische Überlegenheit gegenüber allen Wertbegriffen, die die Gesellschaft aufgestellt hatte, aber jetzt, da sie von seiner seelenlosen Grausamkeit persönlich bedroht war, ging es für sie nur noch darum, das nackte Leben zu retten. Sie nahm einen Schluck aus dem Glas. Ihre Muskeln waren gespannt, auch ihr Geist war hellwach, aber die immer größer werdende Furcht lähmte sie und machte es ihr unmöglich, sich zu verteidigen.
Sie schaute ihn an. „Gib mir eine Chance", bat sie. Warum sagte sie das? Terence McDonald war nicht der Mann, der jemand eine Chance gab. Keinem außer sich selbst. Er lächelte. Seine Augen blieben davon unberührt, sie waren hell, kalt und wachsam. Die Augen eines Killers. „Du willst mich quälen", meinte sie. „Du bist mir böse, weil ich behauptet habe, ich könnte mich in Walker verlieben." Er lachte kurz, sagte aber nichts. „Rede doch endlich!" schrie sie. „Du weißt alles, was es zu wissen gibt", meinte er. Warum saß er einfach so da, warum schaute er sie unentwegt an, lauernd, drohend und amüsiert zugleich, warum tat er nichts, um seine Worte zu verwirklichen? Mona kam sich vor wie ein von der Schlange hypnotisiertes Kaninchen. Mona fühlte sich gedemütigt und gequält, sie war entschlossen, um ihr Leben zu kämpfen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte. Sie besaß keine Waffe, um sich zu verteidigen. Mit ihren Händen und ihrer körperlichen Kraft war sie McDonald hoffnungslos unterlegen, das wußte sie. „Du haßt mich", stellte sie fest. „Aber nein", sagte er. „Warum willst du mich töten?" „Wir fangen an, uns im Kreise zu drehen", seufzte er. „Ich hasse Wiederholungen." Er griff in
seine Jakkentasche und zog ein Paar Baumwollhandschuhe daraus hervor. Mona sah zu, wie er sie sich überstreifte, ohne Eile. Monas Herz schlug seltsam langsam. Sie starrte auf McDonalds Hände, sie belauerte seine Bewegungen. Ihr war klar, was sie zu bedeuten hatten, aber sie konnte oder wollte noch immer nicht glauben, daß sie ihrem Mörder gegenübersaß, mit einem Bourbon in der Hand, und gleichsam die Vorbereitungen für ihre eigene Hinrichtung verfolgte. Das war doch absurd, grotesk, einfach unmöglich! Sie nahm einen Schluck aus dem Glas, dann gab sie sich einen Ruck. Sie kippte dem Mann den Whisky ins Gesicht. Ein Eiswürfel traf McDonalds rechtes Auge. Mona sprang auf, sie rannte auf die Tür zu. Ein schriller Laut zerrte an ihren Nerven. Erst als sie die Klinke in der Hand hielt, wurde ihr klar, daß sie die eigenen Hilfeschreie hörte. Sie wollte die Tür aufreißen, aber sie kam nicht mehr dazu. McDonald hatte sie erreicht. Er preßte ihr die Rechte auf den Mund, mit der linken Hand riß er sie herum. Mona wehrte sich. Sie biß ihm in die Finger. McDonald gab ihr einen Stoß. Sie stürzte so heftig zu Boden, daß sie meinte, sich die Rippen gebrochen zu haben.
„Steh auf", sagte McDonald. Er stand direkt über ihr. In seinen Augen funkelte es tückisch. Mona schaute ihn an. Ihr war plötzlich schlecht. „Geh ans Telefon", befahl er. Mona raffte sich auf. Sie kam hoch und torkelte ein wenig, aber sie gehorchte. „Du wolltest eine Chance haben", sagte er. „Ich gebe sie dir." Mona blickte in seine Augen. Es gab keinen Grund, Terence McDonald zu glauben, aber ihr blieb keine Wahl, sie klammerte sich an die Hoffnung, daß er sich anders besonnen hätte. „Was soll ich tun?" fragte sie. „Ruf ihn an. White, meine ich. Sage ihm, daß du jetzt wüßtest, wer ihn bedroht. Bitte ihn, herzukommen. Füge hinzu, daß ihn niemand sehen darf..." „Ich kann jetzt nicht sprechen", murmelte sie. „Ich bin völlig fertig." „Das macht nichts", meinte er. „Es ist gut, wenn deine Stimme zittert. Er soll ruhig merken, daß du erregt bist. Das läßt alles viel echter wirken." Mona griff nach dem Hörer. Ihre Finger zitterten, als sie Dick Whites Nummer wählte. Er war in seinem Büro, er meldete sich. Mona sagte, was McDonald von ihr gefordert hatte. Sie wußte, daß es falsch war, so falsch wie alles andere, was sie bislang für
ihn getan hatte, aber sie fand nicht die Kraft, Dick White zu warnen und laut herauszuschreien, was sie quälte und bedrohte. Terence McDonald stand dicht neben ihr. Er brauchte nur die Gabel des Telefons nach unten zu drücken, um ihr eventuelles Aufbegehren zu stoppen. „Was ist los, was ist geschehen?" fragte Dick White. „Komm her, ich kann das nicht am Telefon sagen", flüsterte sie. McDonald nahm ihr den Hörer ab und legte auf. „Gut gemacht", lobte er. Sie schaute ihn an, bittend. „Wirst du jetzt aufhören, mir Angst zu machen? "flüsterte sie. „Aber ja", sagte er und hob seine Hände. „Ich bette dich zur Ruhe, Liebling. Du wirst nie wieder Angst haben, niemals wieder, niemals..." Mona wollte schreien, aber die Finger an ihrem Hals schnürten ihr die Luft ab. Sie brachte nur einen heiseren Krächzlaut zustande, sie zerrte an den unbarmherzigen Händen, sie trat um sich, aber McDonald stand wie ein Fels. Mona spürte, wie ihr die Kräfte schwanden und wie sich eine zitternde Schwäche in ihren Knien ausbreitete. Sie bäumte sich ein letztes Mal verzweifelt gegen die tödliche Attakke auf, dann überfiel sie ein beängstigender Schwindel, der sich mit einem tosenden Rauschen in ihren Schläfen verband. Als sie das
Bewußtsein zu verlieren begann, war ihr klar, daß es daraus kein Erwachen geben würde.
6. Kapitel
Dick White besaß einen Schlüssel zu Monas Apartment. Er benutzte ihn kaum. Wenn Mona zu Hause war, zog er es vor, zu klingeln.
Es
widersprach
seinem
Taktgefühl,
sie
in
Lockenwicklern oder in einer anderen, ihr nicht genehmen Aufmachung zu überraschen. Er klingelte auch diesmal. Als Mona nicht öffnete, benutzte er den Schlüssel und betrat die Diele. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Dick White blieb stehen, er zögerte plötzlich, weiterzugehen. Er erinnerte sich an das Beben in Monas Stimme und an das abrupte, von ihr verursachte Ende des Gespräches. „Mona!" rief er. Sie antwortete ihm nicht. Sie hatte ihn gebeten, sofort zu kommen. Was hatte sie dazu veranlaßt? Was war geschehen? Er ging ein paar Schritte nach vorn und stoppte erst, als er die Wohnzimmerschwelle erreicht hatte. Sein Herz machte einen Sprung. Mona lag nur wenige Schritte von der Tür entfernt. Dick White konnte ihr Gesicht nicht sehen, es war dem Teppich zugekehrt, aber er begriff sofort, daß Mona nicht mehr zu helfen war. Sie war tot.
Einen Moment lang schien es ihm so, als sei er völlig allein auf der Welt. Er hatte keine Angst. Er verspürte auch kein Bedauern über das, was dem Mädchen zugestoßen war. Es war wie in einem Traum. Er stand einfach da und lauschte dem raschen Klopfen seines Herzens, er hörte die Wohnzimmeruhr ticken, er hörte jetzt auch die Geräusche der Straße, aber nichts ging ihm unter die Haut, alles war nur unwichtige Kulisse. Dann, geradezu schlagartig, überfiel ihn die Erkenntnis, was ihn erwartete: ein weiterer Mordverdacht. Mona war tot. Was hatte Jo Walker gesagt? Daß das Mädchen ein Sicherheitsrisiko sei. ,Machen Sie sich darüber keine Gedanken` hatte er, Dick White, geantwortet. ,Ich bringe das in Ordnung.` Jetzt war alles in Ordnung. Mona, die ihm hatte helfen wollen und doch bereit gewesen war, sein Alibi zu zerpflücken, konnte nicht mehr sprechen. Dick White ging auf sie zu, er beugte sich über sie. Sie ist noch warm, dachte er. Als er sich aufrichtete, taten ihm alle Glieder im Leibe weh. Er kam sich alt vor, alt und nutzlos. Er fühlte sich eingekreist. Irgend jemand wollte ihn vernichten, der kein Gesicht hatte, keinen Namen, nicht einmal ein erkennbares Motiv.
Er dachte an die Polizei, an Jo Walker, an Tina, seine Frau, er dachte an sich selbst, aber kein Gedanke war klar und konstruktiv, seine Erregung machte ihn unfähig, einen Entschluß zu fassen. Erst als ihm dämmerte, daß er in eine Falle gelockt worden war, sah er etwas klarer. Wenn er seinem Impuls folgte und einfach verschwand, würden sich Leute finden, die ihn in der Wohnung oder im Hause gesehen hatten. Damit würde er alles nur viel schlimmer machen. Er griff nach dem Telefon und wählte Jos Office-Nummer. April Bondy meldete sich. „Ihren Chef, bitte", sagte Dick White und nannte seinen Namen. Eine Sekunde später hatte er Jo an der Strippe. White teilte mit, wo er sich befand und was geschehen war. „Sie hatte mich hergebeten, sie war erregt, sie sagte, ich solle allein kommen. . .",erklärte er. „Benachrichtigen Sie die Mordkommission", bat Jo. „Ich mache mich sofort auf die Socken." Dick White tat, worum Jo Walker ihn ersucht hatte, danach fühlte er sich etwas besser. Er schaute sich in dem Zimmer um. Er entdeckte keine Kampfspuren. Er vermied es, die Tote anzusehen. Mona.
Hatte er sie geliebt, oder war sie nur eine hübsche Abwechslung in seinem Leben gewesen, eine Mischung aus Sex und Attraktivität, ein junges Mädchen, dem es gelungen war, sein Selbstgefühl zu heben? Er wußte es nicht. Dies war einfach nicht der Augenblick, zu sich selbst zu finden, er mußte sich erst beruhigen, danach würde er klarer denken können.
Zunächst traf die Besatzung eines Patrolcars ein, die vom Polizeipräsidium routinemäßig zum Tatort abkommandiert worden war. Die Beamten schauten sich nur kurz in der Wohnung um, danach zogen sie sich zurück. Kurz darauf erschien Jo Walker. Die Männerbegrüßten sich. Jo beugte sich über die Tote. ,,Erdrosselt", stellte er fest. „Mit den Händen." „Mein Gott, wie entsetzlich", murmelte Dick White. „Vor einer Stunde habe ich noch mit ihr gesprochen. Was hat sie mir bloß sagen wollen - was?" „Wir werden es vielleicht niemals erfahren", meinte Jo. Er begann sich im Wohnzimmer umzusehen. Dann ging er in die Küche. Als er zurückkehrte, warf er einen Blick in den Gläserschrank. „Was suchen Sie?" fragte Dick White. Er hatte sich so gesetzt, daß er die Tote nicht anzusehen brauchte. „Sie hatte Besuch."
„Wie kommen Sie darauf?" „Eine Vermutung. Das Geschirrtuch in der Küche ist feucht. Ich nehme an, daß jemand ein paar Gläser ausgewaschen hat. Hier ist es schon." Er hob ein Glas gegen das Licht. „Männerarbeit", stellte er fest. „Der Lippenstift ist noch zu sehen, zum Abwaschen wurde nur kaltes Wasser verwendet - es mußte wohl schnell gehen." „Okay, wir wissen, daß der Mörder hier war, was hilft es uns, festzustellen, daß er etwas getrunken hat?" „Zusammen mit Mona", sagte Jo. „Daraus läßt sich schließen, daß sie ihn kannte. Einen Fremden lädt man nicht zum Trinken ein." „Das bringt uns nicht weiter." „Sie haben keinen Grund, die Dinge so pessimistisch zu betrachten", sagte Jo. Er stellte nach gründlicher Prüfung ein zweites Glas behutsam zur Seite. „Wie soll ich sie denn sonst sehen?" erregte sich Dick White. „Man wird versuchen, mir auch diesen Mord anzuhängen. Es ist leicht, dafür ein Motiv zu finden. Sie sagen selbst, daß Mona für mich zu einem Sicherheitsrisiko geworden sein könnte." „Davon weiß Captain Rowland noch nichts", beruhigte ihn Jo. „Irgend jemand wird es ihm schon beibringen - der Mörder
nämlich", sagte Dick White. „Der Mann, der unentwegt versucht, mich zu vernichten! Erst Harper, dann die Attacke auf Tina, und nun Mona. Ich könnte es gewesen sein, in allen drei Fällen. Und darauf legt es der Unbekannte an. Er will mich fertigmachen." Die Mordkommission traf ein. Captain Rowland gab sich kühl. Nur für Jo hatte er ein kurzes, kumpelhaftes Lächeln übrig. Jo überließ ihm die Gläser. „Ich lasse sie sofort im Labor untersuchen", versprach der Captain. Einer der Männer von der Spurensicherung hob ein Haar hoch. „Das stammt nicht von ihr", sagte er. „Ein Männerhaar. Auf ihrer Schulter." Captain Rowland nahm das Haar entgegen. Er schaute Dick White an: „Es könnte eines von Ihren sein." „Ich bin ganz sicher, daß es eines von mir ist", grollte Dick White. „Ich bin ebenso sicher, daß Sie noch konkretere Beweise für meine angebliche Schuld finden werden. Danach suchen Sie doch, nicht wahr?" „Geht auch ins Labor", sagte der Captain ungerührt: „Würden Sie uns zum Vergleich ein Stück von Ihrer Haarpracht überlassen, bitte?"
„Warum nicht? Ob ich mir das Haar abschneiden lasse oder angesichts meiner Lage ausraufe, ist ziemlich egal", meinte Dick White. Im nächsten Moment schämte er sich seiner Erregung. Diese Art von Emotionen waren lächerlich angesichts des Schicksals, das Mona ereilt hatte. Vielleicht hatte sie ihn wirklich geliebt, jedenfalls hatte sie ihm oft genug ihren Dank dafür abgestattet, daß er sie praktisch aus der Gosse gezogen hatte. Er hatte sie davor bewahrt, in einem Milieu zu versacken, das ihrer nicht würdig gewesen war. Die Abkehr von allem, was mit ihrer Vergangenheit zu tun gehabt hatte, war ihr indes nicht gut bekommen, das bewies ihr schreckliches Ende. War Mona von der Vergangenheit eingeholt worden? Captain Rowlands nächste Worte zeigten, daß er sich ganz ähnliche Fragen stellte. „Könnte es sein, daß sie versucht hat, einen ehemaligen Freier zu erpressen?"fragte er White. „Mona? Ausgeschlossen!" „Finden Sie? Sie wäre nicht die erste aus diesem Gewerbe gewesen, die auf die Idee gekommen ist, sich zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen." „Sie hätte mich erpressen können. Sie hat das niemals versucht", sagte White.
„Vielleicht hat sie es versucht", meinte Captain Rowland trocken. Dick White lief rot an. „Das ist schon wieder eine Ihrer infamen Unterstellungen", beschwerte er sich. „Ich liebte Mona. Ich hatte keinen Grund, sie zu töten. Kennen Sie einen Mörder, der die Mordkommission zum Tatort bittet?" „Davon kenne ich eine ganze Menge", sagte Captain Rowland. „Die meisten waren wie Sie der Ansicht, damit gleichsam ein Alibi gewonnen zu haben. In den meisten Fällen stellte sich freilich heraus, daß ihr Optimismus nicht gerechtfertigt war. Er wurde zum Bumerang." Jo verabschiedete sich und verließ die Wohnung. Er hätte sich gern noch etwas darin umgesehen, aber Captain Rowland und seine Leute würden diese Arbeit für ihn erledigen, ihnen würde nichts entgehen, was von Bedeutung war. Jo fuhr zurück in die siebte Avenue. Als er das Office betrat, machte sich April Bondy gerade vor dem Spiegel zurecht. Sie setzte ihre Baskenmütze auf. „Feierabend", sagte sie. „Oder hast du noch etwas für mich zu tun?" Jo grinste.
„Ich wüßte schon was", meinte er, „aber ich möchte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, meine Vormachtstellung als Chef mißbraucht zu haben." ,,Schade", seufzte April spöttisch und ging. Jo setzte sich an seinen Schreibtisch, legte die Beine hoch, verschränkte die Arme hinter dem Nakken und dachte nach. Er brauchte nicht sehr lange, um plötzlich auf eine Idee zu stoßen, die ihn faszinierte. Er rief Ron Myers an. „Wie gut kennst du Terence McDonald?" fragte Jo. „Komisch, daß du gerade jetzt nach ihm fragst", meinte der Lieutenant. „Auf ihn ist soeben ein Mordanschlag verübt worden."
7. Kapitel
Terence McDonalds Bungalow lag weit draußen in Long Island, gut zwanzig Meilen von der City entfernt, am Rande von Bellport. Das Haus war nicht sehr groß, aber es machte einen
modernen,
gepflegten
Eindruck.
Das
polierte
Messingschild an der Tür nannte nur McDonalds Namen und verzichtete auf eine Berufsbezeichnung. Es dunkelte, als Jo an der Tür klingelte. „Wer
ist
da?"
ertönte
McDonalds
Stimme
aus
der
Sprechanlage. „Ich bin's, Jo Walker." Sekunden später wurde die Tür geöffnet. McDonald warf einen wachsamen, mißtrauischen Blick über Jo Walkers Schulter. „Kommen Sie herein", bat er. Er schloß hinter Jo die Tür ab und legte die Kette vor. „Nervös?" fragte Jo und folgte dem Hausherrn in ein mittelgroßes, sehr geschmackvoll möbliertes Wohnzimmer. McDonald ließ sich in einen Sessel fallen. „Sie haben gut reden!" sagte er. „Jemand will mich abservieren." „Jemand?" fragte Jo und setzte sich dem Privatdetektiv gegenüber.
„Ich kann nicht sagen, wer es ist - aber ich kann mir denken, wer dahintersteckt." „White?" fragte Jo trocken. „Wer sonst? Ich habe einiges gegen ihn in der Hand, sogar eine ganze Menge. Er weiß das." „Ist Ihnen bekannt, was Mona Stikker widerfahren ist?" fragte Jo. „Ja. Eine schreckliche Sache. Wie ich hörte, war White zur Tatzeit bei ihr." „Das war er nicht", sagte Jo. „Er ist Ihr Klient. Ich kann begreifen, daß Sie sich bemühen; ihn zu verteidigen. Das ist sogar Ihre Pflicht. Ob Sie damit dem Recht und der Wahrheitsfindung dienen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Was mich betrifft, so sehe ich da gewisse Zusammenhänge..." „Wo wurde auf Sie geschossen?" „Hier draußen", erwiderte McDonald. „Als ich aus meinem Wagen kletterte und auf den Hauseingang zumarschierte, knallte es. Das Geschoß drang dicht neben mir in die Wand. Sie können das Loch noch bewundern, den Bleiklumpen hat die Polizei mitgenommen, er befindet sich zur Untersuchung im Labor." „Weiter", bat Jo.
„Viel gibt es nicht zu berichten. Ich hechtete sofort in Deckung; da knallte es zum zweitenmal. Es ist ein Wunder, daß der Schütze mich verfehlte. Aber ich bin jetzt gewarnt. Mir ist klar, daß jemand die Absicht hat, mich aus dem Verkehr zu ziehen. Keine sehr angenehme Erkenntnis, das dürfen Sie mir glauben." „Ich kenne das." McDonald grinste spöttisch. „Das glaube ich Ihnen. Sind Sie hergekommen, um mir Ihre Dienste als Kollege anzubieten? Vielen Dank. Ich bin gern bereit, Sie als Mitarbeiter und Teilhaber zu begrüßen - aber diesen Fall löse ich allein. Ich finde das Schwein, das mich abknallen wollte, darauf dürfen Sie sich verlassen." „Wenn Sie der Meinung sein sollten, daß Dick White sich hinter dem Anschlag verbirgt, darf ich darauf hinweisen, daß er sich zur Tatzeit in Mona Stickers Wohnung befand - in Gegenwart einiger Polizisten." „Ich weiß", sagte McDonald, „Aber Killer kann man kaufen. Ihnen brauche ich das nicht zu erklären." „Sie leben noch." „Durch einen Zufall", meinte Mebonald. „Dank meiner guten Reflexe, wenn Sie so wollen. Natürlich schließe ich nicht aus,
daß der Schütze mich gar nicht treffen wollte. Es kann eine Warnung gewesen sein." „Eine Warnung wovor?" „Sie fragen wirklich naiv", meinte McDonald. „White will mir zu verstehen geben, daß ich mich besser in Zurückhaltung übe, sonst..." Er führte den Satz nicht zu Ende. „Das trauen Sie ihm zu?" „Sie nicht?" „Aus welcher Entfernung wurden die Schüsse auf Sie abgegeben?" fragte Jo. „Siebzig Yards, würde ich sagen", meinte McDonald. „Aus einem fahrenden Wagen. Ein dunkelgrüner Porsche. Es wäre sinnlos gewesen, ihm zu folgen. Die Nummer habe ich nicht erkannt. Ich wette, der Schlitten ist eigens für diese Attacke geklautworden. . ." „Welches war Ihr spektakulärster Fall?" wollte Jo plötzlich wissen. McDonald hob die Augenbrauen. „Sie haben eine etwas verwirrende Art, das Thema zu wechseln", stellte er fest. „Aber wenn Sie schon fragen, muß ich den Fall Kirkland nennen. Die Sache liegt jetzt ein Jahr zurück. Ich hatte gerade angefangen. Es war ein bißchen Glück dabei, daß es mir gelang, die Fäden des Verbrechens zu entwirren."
„Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Indizienprozeß. Wie hieß der Mann, der wegen erwiesenen Mordes an Art Kirkland verurteilt wurde?" „Red Lawton. Er erhielt lebenslänglich." „'Für wen arbeiteten Sie damals?" „Selbstverständlich für die Kirklands, für die Familie des Opfers." „Sie sagen, daß Sie damals gerade begonnen hatten. Was brachte eine so reiche, prominente Familie wie die Kirklands dazu, sich an einen praktisch unbekannten Detektiv zu wenden, an einen - verzeihen Sie - Anfänger?" McDonald lächelte. „Sie kamen nicht zu mir", sagte er. „Ich ging zu Ihnen. Machen wir uns nichts vor, Walker, in dieser Branche kann man nicht davon leben, sich mit Annoncen und Handzetteln anzupreisen. Man muß sich seinen Namen erarbeiten; man muß in die Schlagzeilen kommen, man muß seinen Namen zu einem Markenzeichen machen. Ich hatte keine Lust, darauf zu warten, daß mir das Glück einen reichen Klienten ins Haus wehte. Als die Sache mit Kirkland passierte, ging ich ihr aus eigenem Antrieb nach. Ich fand eine Spur, dann noch eine. Ich sammelte meine Beobachtungen und legte sie den Kirklands vor. Die waren beeindruckt. Mir, dem scheinbaren Amateur, war es gelungen,
binnen
kürzester
Zeit
mehr
Fakten
zusammenzutragen, als es die Polizei geschafft hatte. Sie gaben mir eine Chance. Sie engagierten mich und brauchten es nicht zu bereuen. Ich fand den Mörder." „Eine großartige Leistung", lobte Jo. „Danke. Ich in selbst jetzt noch ein wenig stolz darauf. Das war für mich der Durchbruch", sagte McDonald und stand auf. „Es ist besser, wenn ich die Vorhänge schließe. Ich habe keine Lust, mich nochmals als Zielscheibe für irgendwelche Gangster anzubieten." Er hatte kaum ausgesprochen, als es knallte. Das Fenster zerbarst in tausend Splitter. Das Glas regnete auf den Teppichboden. McDonald warf sich flach auf den Bauch. „Licht aus!" schrie er.
Seine Worte erwiesen sich als überflüssig. Jo hatte bereits den Schalter erreicht. Er begnügte sich nicht damit, das Licht auszuknipsen, er stürmte durch die Diele ins Freie. Er sah einen Schatten über die Hecke springen, die den Vorgarten von der Straße trennte. Jo eilte zu seinem Wagen, schwang sich hinein und fuhr los, ohne die Scheinwerfer anzumachen. Er zog hörbar die Luft durch die Nase, als er sah, wie in einer Seitenstraße
die
roten
Heckleuchten
eines
Pontiacs
aufflammten. Der Wagen fuhr los. Jo folgte ihm in sicherem Abstand. Als sie den Highway erreicht hatten, war Jo gezwungen, die Scheinwerfer anzustellen. Er blieb auf Distanz. Der Pontiac verließ den Highway in der Höhe von Oakdale und fuhr weiter in Richtung Sayville. Jo überholte den Pontiac auf der schmalen, asphaltierten Straße, setzte seinen 450 SEL vor einer Kurve quer und zwang den Fahrer des Pontiacs auf diese Weise zum Anhalten. Der Mann bremste scharf und stieg aus. Er war allein. „Was ist los?" fragte der Mann. „Panne?" Jo setzte seinen Wagen zurück, um die Straße wieder freizumachen. Er kletterte ins Freie. Der Pontiacfahrer war deutlich zu sehen. Er stand im Scheinwerferlicht. Jo schätzte den Mann auf 28. Er trug helle Hosen und ein tailliertes, kleingemustertes Hemd, dazu burgunderrote Schuhe. Sie waren stark verschmutzt. Der Mann hatte eine Halbglatze, eine vorspringende Stirn und einen schmallippigen Mund. Die dunklen, schmalen Augen standen dicht beieinander. Jo bemerkte, daß der Mann keine Waffe bei sich hatte. Jo ging an ihm vorbei auf den Pontiac zu. Dessen Maschine lief noch, die Fahrertür stand offen.
„He, was ist los, können Sie nicht antworten?" fragte der Mann mit der Halbglatze: Jo beugte sich ins innere des Pontiacs. Auf dem Rücksitz lag ein angebrochener Karton mit Dosenbier, sowie eine Packung mit Papiertüchern. Jo öffnete den Deckel des Handschuhkastens. Der Mann mil der Halbglatze war herangekommen, er riß Jo wütend zurück. „So nicht, mein Junge", keuchte er wütend. „Keine Holdups mit Lenny!" Er schoß seine Linke ab. Jo hatte sich umgedreht. Er schaffte es gerade noch, dem Schlag zu entgehen und konterte. Jo hatte im Handschuhfach einen Revolver gesehen. Der Schuß durch das Fenster war zwar mit einem Gewehr abgefeuert worden, aber möglicherweise befand sich diese Waffe im Kofferraum des Wagens, oder der Mann mit der Halbglatze hatte sie unterwegs weggeworfen. Sie kämpften hart und verbissen. Der Mann mit der Halbglatze versuchte es mit ein paar Tiefschlägen. Jo blockte sie ab und beschleunigte die Gangart. Sein Gegner hielt mit, aber nur für eine Minute, dann baute er plötzlich ab. Er atmete lauter, seinen Schlägen fehlte der Punch.
Jo kam mit der Rechten voll durch. Der Mann mit der Halbglatze drehte sich um die eigene Achse, schlug ziellos ins Leere und sackte zusammen. Jo bückte sich nach ihm und zog ihm die Brieftasche aus der Hose. Der Führerschein des Mannes lautete auf den Namen Leonhard Shelby. Jo prägte sich die Daten ein und steckte Führerschein und Brieftasche zurück in Shelbys Hosentasche. Shelby stöhnte leise. Ihm fehlte die Kraft, sich zu erheben. Jo trat erneut an den Pontiac heran und nahm mit spitzen Fingern den Revolver aus dem Handschuhfach. Die Waffe war geladen und verströmte einen penetranten Gewehrölgeruch. Jo schnupperte an der Mündung. Der Revolver war in letzter Zeit nicht benutzt worden. Jo ließ die Trommel rotieren und nahm die Patronen an sich, dann legte er den Revolver zurück ins Handschuhfach. Shelby kam auf die Beine. „Scheiße", keuchte er. „Willst du mein Geld? Das kannst du haben. Ganze zehn Dollar!" Jo trat an den Kofferraum des Wagens. Er war verschlossen. „Aufmachen", sagte er. „Da ist nichts drin, nur der Reservereifen", meinte Shelby. Er befingerte sich das Kinn. „Aufmachen", wiederholte Jo. Shelby beugte
sich
ins
Wageninnere. Er zog die Schlüssel ab, gleichzeitig riß er den
Revolver aus dem Handschuhfach. Er richtete die Waffe auf Jo. Shelby war entgangen, daß Jo die Magazintrommel geleert hatte. „Hoch mit den Klauen!" zischte Shelby. „Den Schlüssel", sagte Jo gelangweilt und streckte die Hand aus. Plötzlich durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Er hatte übersehen, daß sich noch eine Patrone im Lauf befinden mußte. „Du spinnst, mein Junge", höhnte Shelby, dem die Waffe in der Hand ein Gefühl von Macht und Überlegenheit gab. „Wenn du nicht spurst, brenne ich dir eins auf den Pelz..." Jo griff in seine Tasche und holte die Patronen daraus hervor. „Sieh mal, was ich hier habe", sagte er. Shelby sah verdattert aus. Er warf einen Blick auf die Magazintrommel des Revolvers und bemerkte die dunklen Löcher, die ihm entgegengähnten. Jo schaltete. Er sprang nach vorn und drosch mit einem Handkantenschlag die Waffe aus Shelbys Fingern. Der Revolver landete auf dem Asphalt und schlurrte mit einem metallischen Geräusch bis an die Grasnarbe auf der anderen Straßenseite. „Den Schlüssel!" sagte Jo und atmete auf. Shelby überließ Jo den Schlüsselbund. Jo überquerte die Fahrbahn und nahm den Revolver an sich, dann öffnete er die Kofferraumklappe. Shelbys Worte bestätigten sich. Der
Heckraum war leer, unter der Gummiabdeckung befand sich nur das festgeschraubte Reserverad. „Wir fahren zurück, mit meinem Wagen", entschied Jo. „Deinen Schlitten lassen wir hier stehen. Fahre ihn weiter nach rechts, sonst brummt dir noch jemand ins Blech." „Okay, gib mir den Schlüssel", sagte Shelby. Jo grinste. „Schon gut, ich mache das", sagte er. Als er die Worte in die Tat umsetzte, rannte Shelby los, auf den Mercedes zu. Er sah, daß der Zündschlüssel nicht steckte, stieß einen Fluch aus und rannte weiter, in die Dunkelheit hinein. Jo folgte ihm. Shelby rannte von der Straße herunter und stolperte in einen Graben. Jo hörte, wie Shelby einen Schmerzensschrei ausstieß. Shelby kam wieder auf die Beine und versuchte, seine Flucht fortzusetzen, aber er hatte sich den Knöchel verstaucht und gab auf. Wenig später saßen sie in Jos Mercedes. Shelby lenkte den Wagen auf Jos Geheiß, Jo saß hinter Shelby im Fond. „Wohnst du hier draußen?" fragte Jo. „Was geht dich das an?" „Lassen wir das", sagte Jo. „Ich weiß noch immer nicht, was das Ganze bedeuten soll", meinte Shelby. „Ist das 'ne Entführung oder so was? Bei mir ist nichts zu holen, Junge." „Warten wir es ab", sagte Jo.
Er wies Shelby den Weg. Sie stoppten vor McDonalds Bungalow und stiegen aus. „Du gehst voran", sagte Jo. „Wer wohnt hier" „Als ob du das nicht wüßtest!" „Sind Sie das, Mister Walker?" tönte es aus der Sprechanlage neben der Tür. „Ja", erwiderte Jo. „Ich habe Ihnen einen Besucher mitgebracht." McDonald öffnete die Tür. Er hielt einen Revolver in der Hand. „Wer ist das?" staunte er. „Lenny Shelby", sagte Jo, öffnete sein Jackett und wies auf Shelbys Revolver, den er in den Hosenbund geschoben hatte. „Das Ding habe ich ihm abgeknöpft." Sie gingen ins Wohnzimmer. Shelby schaute sich darin um. „So möchte ich auch mal wohnen", sagte er und ließ sich unaufgefordert in einen Sesselfallen. „Ich bin neugierig, wie es weitergeht", höhnte er. Jo streckte die Hand aus. „Sehen Sie sich seine Schuhe an", sagte er zu McDonald. „Sie können feststellen, ob der Lehm und die Erde, die sich an den Sohlen befinden, mit Ihrem Gartenboden identisch ist." „Wo haben Sie den Kerl aufgegabelt?" fragte McDonald. „In einer Seitenstraße. Er fuhr los, und ich folgte ihm." „Er hat mich auf der Landstraße gestoppt - lebensgefährlich!" beklagte sich Shelby. „Ich werde Anzeige gegen ihn erstatten." Er sah das zerschossene Fenster, schnippte mit den Fingern und
sagte: „Jetzt kapiere ich, was gespielt wird! Ich habe vorhin in der Gegend einen Schuß gehört. Wunderte mich noch darüber. Sie glauben, ich könnte der Schütze gewesen sein? Das ist doch völliger Quatsch! Warum sollte ich grundlos in der Gegend herumballern?" Er blickte Jo an, ziemlich giftig. „Ich bin doch kein Gangster wie Sie", schloß er. „Grundlos?" spottete Jo. „Davon ist nicht die Rede." „Sie haben mir die Kanone geklaut", sagte Shelby. „Untersuchen Sie sie doch! Damit ist nicht geschossen worden." „Nicht heute abend, das ist mir klar", sagte Jo und schaute McDonald an. „Kümmern Sie sich um ihn, ich schaue mich ein wenig im Garten um ." Er verließ den Bungalow durch die Vordertür, verzichtete jedoch darauf, sich im Garten umzusehen und näherte sich statt dessen auf Zehenspitzen dem zerschossenen Fenster, das zum Wohnzimmer gehörte. Er vernahm erregte Stimmen. „Reg dich nicht auf", sagte McDonald. „Ich bügle das aus. Er kann dir nichts beweisen, gar nichts. Du kriegst dein Geld. Zufrieden?" „Der Kerl spielt verrückt." „Das ist sein Beruf." „Wenn ich wegen dieser Geschichte in Schwierigkeiten geraten sollte, haue ich dich in die Pfanne."
„Du solltest mir nicht drohen, Lenny", sagte McDonald mit sanfter Stimme. „Schon gut. Ich bin wütend. Du hast mir versichert, das Ganze sei absolut harmlos, nur ein Spiel. Und dann muß ich erleben, wie der Kerl Amok läuft und mich auf dem Highway zusammenschlägt!" „Dafür bitten wir ihn zur Kasse", versicherte McDonald. Jo hatte genug gehört. Er holte eine Taschenlampe aus seinem Wagen und suchte den Garten ab. Es war nicht sehr schwer, die Stelle zu finden, wo der Schütze gestanden hatte. Jo nahm ein paar Erdklümpchen an sich und kehrte damit zurück ins Haus. „Hier", sagte er und legte die Bodenproben in seinen Ascher. „An dieser Stelle hat er gestanden. Die Spuren sind deutlich sichtbar. Wenn Sie wollen, können Sie an Ort und Stelle einen Vergleich vornehmen." „Okay, ich erledige das", sagte McDonald. „Ich habe seine Personalien aufgenommen. Ein verstockter Bursche. Ich koche ihn gar, mein Wort darauf. Sie haben mir fabelhaft geholfen. Egal ob Shelby nun der Mann ist, der auf mich geschossen hat, oder nicht - Sie haben bewiesen, daß es noch Kollegen gibt. Ich hoffe, Ihnen das eines Tages honorieren zu können."
„Ich kann es kaum erwarten", spottete Jo, legte Shelbys Revolver und Patronen neben dem Ascher ab und ging zur Tür. „Sie wollen schon gehen?" fragte McDonald erstaunt. Jo grinste. „Sie kennen sich in unserem Gewerbe doch aus", meinte er, „Sie werden wissen, was jetzt zu tun ist." McDonald nickte. „Aber klar. Überlassen Sie Shelby ruhig mir." „Vergessen Sie nicht, daß es uniformierte Kollegen gibt", sagte Jo. „Mit Burschen wie diesem werde ich allein fertig", erklärte McDonald.
8. Kapitel
Am nächsten Nachmittag saß Jo im Gefängnis. Als Besucher. Captain Rowland hatte ihm eine Sprecherlaubnis verschafft. Jos Gesprächspartner war Red Lawton. Red Lawton, 46, verurteilt zu Lebenslänglich wegen vollendeten Mordes, begangen an Art Kirkland. Lawton war ein schmalgesichtiger, bebrillter Mann mit schlanken, sensiblen Händen und unruhigen, hellen Augen. Er hatte das nervös anmutende Gesicht eines empfindsamen Intellektuellen. Jo bedauerte Lawton. Jo wußte, wie schwer es Leute wie er im Gefängnis hatten. Sie fanden keinen Kontakt zu ihren Mithäftlingen, sie lebten völlig isoliert und konnten von Glück reden, wenn man sie nicht verhöhnte, erpreßte und bespuckte. Jo stellte sich dem Gefangenen vor, dann kam er geradewegs zur Sache. „Was halten Sie von Terence McDonald?" fragte er. Red Lawtons Mundwinkel zuckten bitter. „Ihm verdanke ich es, daß ich hier sitze. Ich bin es müde geworden, anderen gegenüber meine Unschuld zu beteuern. Ich werde es auch jetzt nicht tun. Wer glaubt schon einem wie mir? Für die Öffentlichkeit bin ich
ein Verbrecher, ein Mörder, der seine gerechte Strafe erhalten hat. Wahrscheinlich bin ich das auch in Ihren Augen. Aber warum fragen Sie mich nach McDonald?" „Er ist mein Kollege, aber ich habe ihn in Verdacht, daß er seine Lizenz mißbraucht." „Ich weiß, wie er arbeitet. Er legt Spuren, er konstruiert Motive, er geht dabei im wesentlichen von Fakten aus,. die jedem bekannt sind, er versteht es, Wahrheit und Phantasie zu einem überzeugenden Netz zu verbinden, in dem sein Opfer dann zappelt - und von ihm vernichtet wird. Gnadenlos. Das Dumme ist, daß niemand ihm etwas am Zeuge flicken kann. Im Gegensatz zu seinem Opfer hat er kein erkennbares Tatmotiv. Und doch gibt es eines. Nein, mehrere. Geltungssucht, Grausamkeit - und eine krankhafte Geldgier." „Wer hat Art Kirkland getötet?" „Ich war es nicht, auch wenn die Indizienkette lückenlos erscheint." „Wer war es?" „Wenn ich Ihnen das sage, erklären Sie mich für verrückt", meinte Lawton. „McDonald?" „Er und kein anderer", versicherte Lawton. „Nur kann ich es ihm nicht beweisen. Ich habe einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt,
ich habe versucht, mit Hilfe eines guten Anwaltes zu meinem Recht zu kommen -aber McDonald war nichts nachzuweisen, und als mir das Geld ausging, war ich fertig, ich blieb hilflos auf der Strecke." „Wieso ging Ihnen das Geld aus? Die Lawtons galten als reich..." „Sie waren es auch", sagte Lawton. „Aber ich habe Art in einer schwierigen Phase geholfen. Seine Geschäfte gingen schlecht, ich sanierte ihn mit ein paar Millionen Dollar, dieses Geld fehlte mir, als ich es brauchte . . ." „Moment mal. Sie sanierten den Mann, den Sie getötet haben sollen? Niemand schlachtet die Kuh, die ihm Milch liefert", sagte Jo. „Das ist die landläufige Meinung", spottete Red Lawton. „Ich glaubte, daß sie für mich Alibiwirkung haben würde, aber statt dessen wurde das Ganze zum Bumerang. Sie wissen, daß ich ein Verhältnis mit Arts Frau hatte. Wir liebten uns, wirklich. Aber später hieß es, ich hätte sie nur bekommen, weil ich sie kaufen konnte, weil meine Millionen, die in Arts Firma steckten, Debby gefügig machten..." „So ähnlich hat sich Debby Kirkland meines Wissens im Prozeß geäußert", sagte Jo. „Ja. Man hat Debby herumgekriegt, das war McDonalds Werk", meinte Red Lawton. „Er hat ihr eingeredet, daß ich Art tötete,
um mit seiner Firma meine Millionen zurückzubekommen - und gleichzeitig seine Frau." „Die Tatwaffe war Ihr Revolver." „McDonald hat ihn mir gestohlen. Aber das kann ich ihm nicht beweisen." „Wie ist er dahintergekommen, daß zwischen Debby und Ihnen intime Beziehungen bestanden?" „Keine Ahnung. Vielleicht durch einen Zufall. Aber nachdem er wußte, daß Debby und ich uns heimlich trafen, konnte er sein Verbrechen minutiös vorbereiten. Als Art Kirkland ermordet wurde, fiel zunächst kein Verdacht auf mich, ich galt als Arts Freund, man bedauerte mich sogar wegen des Geldes, das ich in seine Firma investiert hatte - und dann kreuzte plötzlich dieser McDonald auf und schaffte es, alles in ein neues Licht zu tauchen." Jo verabschiedete sich und ging. Ehe er die Besucherzelle verließ, sagte er: „Sie können sich Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme Ihres Prozesses machen, glaube ich."
Er fuhr zurück ins Büro. Von dort rief er Terence McDonald an. „Was hat sich inzwischen getan?" fragte Jo. „Sie sprechen von Lenny Shelby, nehme ich an. Eine Fehlanzeige. Die Bodenproben, die ich seinen Schuhen entnahm, sind nicht mit meiner Gartenerde identisch."
„Sie haben ihn laufenlassen?" „Mir blieb keine Wahl. Er will Sie anzeigen. Wußten Sie das?" fragte McDonald. „Er hat es mir angedroht." „Sie haben ein Alibi. Ich stehe Ihnen bei, falls es zu einem Prozeß kommen sollte", meinte McDonald tröstend. „Ich kann mir schon selbst helfen, danke. Sie wissen noch immer nicht, wer für die Anschläge auf Sie verantwortlich ist?" „Dick White, wer sonst? Ich habe das der Polizei gesagt. Whites Alibi beeindruckt- mich nicht. Er hat sich einen Mann gekauft." Jo legte auf. Er schaute auf die Uhr. April steckte den Kopf ins Office. „Kaffee?" fragte sie. „Und ein paar Sandwiches", bat er. „Ich habe noch nichts gegessen."
Nachdem er sich gestärkt hatte, fuhr er nach Brooklyn. Leonhard Shelby wohnte im Hause Lewis Avenue 14. Das Apartment lag in der vierten von sechs Etagen. Als Jo an der Tür klingelte, war es neunzehn Uhr. Shelby öffnete. Er starrte finster in Jos Gesicht. „Sie? Wollen Sie sich bei mir entschuldigen? Daraus wird nichts! Ich erstatte Anzeige..."
Jo grinste. „Wenn Sie's noch nicht getan haben, werden Sie nicht mehr dazu kommen", spottete er. Sie siezten sich diesmal, aber die Spannung zwischen ihnen hatte sich eher erhöht. Shelby versuchte die Tür zuzuschlagen. Jo stellte seinen Fuß dazwischen. „Ich habe mit Ihnen zu reden", sagte er. „Das ist Hausfriedensbruch!" schnaufte Shelby. „Ich will Ihnen ein Angebot machen", sagte Jo. „Gehen Sie zum Teufel!" „Können Sie es sich leisten, ein paar muntere Scheinchen so einfach flattern zu lassen?" Shelbys eng beieinanderstehende Augen wurden schmal. Er biß sich auf die Unterlippe, dann öffnete er die Tür, gab den Weg ins Wohnungsinnere frei und sagte mürrisch: „Kommen Sie zur Sache, und versuchen Sie nicht, mich aufs Kreuz zu legen." Jo setzte sich ins Wohnzimmer. Es war modern möbliert, aber die Einrichtung verriet weder Qualität noch Geschmack. An den Wänden hingen ein paar Aktfotos, ungerahmt. Shelby ließ sich in einen Sessel fallen. „Ich habe gestern abend gehört, was zwischen Ihnen und McDonald besprochen wurde", sagte Jo. „Ich weiß, daß er für die Schüsse gezahlt hat."
Shelby sah verdutzt aus. „Warum sagen Sie das mir - und nicht ihm?" fragte er. „Ich habe meine Gründe dafür", meinte Jo. „Ich zahle Ihnen das Doppelte, wenn Sie zugeben, auf McDonalds Weisung gehandelt zu haben." „Wem gegenüber soll ich das zugeben?" „Der Polizei gegenüber." Shelby überlegte, dann schüttelte er den Kopf. „Das kann ich nicht machen." „Ist es eine Frage des Preises?" „Ich haue niemand in die Pfanne!" „O doch, das tun Sie. Ihnen muß klar sein, daß die gestellten Anschläge einen Zweck erfüllen. Sie sollen einem anderen schaden. In diesem Fall Dick White." „Was schert mich Dick White?" „Was schert Sie Terence McDonald? Sie und ich wissen, daß er vor nichts zurückschreckt." „Wie mich das beeindruckt!" höhnte Shelby. „Sprechen wir vom Geld", sagte Jo. „Jedes Ding hat seinen Preis, stimmt", meinte Shelby. „Sie können haben, was Sie wollen - aber Sie müssen schon etwas mehr ausspucken, als Sie mir angeboten haben." „Nennen Sie mir eine Summe." „Tausend Dollar."
Jo überlegte kurz, dann nickte er. Geben Sie mir es schriftlich", sagte er. „Das Geständnis? Sie können es haben. Aber nur gegen bare Münze." „Die Banken haben geschlossen, wo soll ich jetzt tausend Dollar hernehmen?" „Das ist Ihre Sache." Jo schaute auf seine Uhr. „Ich kann das Geld aus meinem Safe holen. Kommen Sie mit? „Keine Lust. Ich warte hier auf Sie. Wie lange werden Sie brauchen, um die Mäuse zu besorgen?" „Eine Stunde, würde ich sagen." „Ich werde zu Hause sein", versicherte Shelby. „Wie gesagt, Sie kriegen das Geständnis. Mir kann dabei nicht viel passieren. Ich habe auf McDonalds Haus
geballert,
und
während
Ihres
Besuchs
in
das
Wohnzimmerfenster. Ich hatte den Auftrag, niemand dabei zu verletzen. Man kann mir allenfalls groben Unfug anhängen, mehr nicht." „Genau", sagte Jo. Shelby grinste. „Sie sind ein Schlitzohr", meinte er. „Genau wie McDonald." „Woher kennen Sie ihn?" „Wir haben früher zusammen gepokert, ich landete wegen einer Kleinigkeit im Knast - er hat mir geholfen."
„Wie hat er Ihnen geholfen?" „Er schanzte mir Aufträge zu." „Mit anderen Worten: Er hat sich selbst geholfen", spottete Jo. „Sie dienten ihm als Werkzeug. Sie waren, nehme ich an, billiger und verläßlicher als andere." „Kann schon sein. Holen Sie jetzt das Geld?" „Ja. Sprechen Sie nicht mit McDonald", warnte Jo. „Mit ihm ist nicht zu spaßen." „Wem sagen Sie das?" fragte Shelby. Jo ging. Er kehrte nach siebzig Minuten zurück und klingelte an Shelbys Wohnungstür. Niemand öffnete. Jo verspürte ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Sein Instinkt sagte ihm, daß es Ärger gegeben hatte - und noch geben würde. Er wiederholte das Klingeln, ohne Erfolg. Er schaute sich das Türschloß an. Eine gute Marke. Mit einem Dietrich war da nichts zu machen. Jo suchte den Hausmeister auf, einen Mann namens Bingsley. Jo wies sich aus. „Ich fürchte, da oben ist etwas nicht in Ordnung. Schnappen Sie sich den Generalschlüssel und helfen Sie mir, die Sache zu klären", bat Jo. „Das gibt nur Ärger", sagte Bingsley. „Gehen Sie meinetwegen zur Polizei. Bringen Sie mir was Schriftliches. Dann sehen wir weiter."
Jo trat ans Fenster. Er wies zum Hof. Die große, asphaltierte Fläche war mit parkenden Wagen vollgestellt und wurde von einigen sanft im Winde schaukelnden Lampen beleuchtet. „Da ist sein Pontiac", meinte Jo. „Der steht immer auf diesem Platz. Wenn Shelby zu Hause ist, meine ich", sagte Bingsley. „Es ist eine von ihm gemietete Parkfläche." „Er erwartet mich und öffnet nicht", sagte Jo, drehte sich um, zog eine Zehndollarnote aus seiner Brieftasche, hielt sie hoch und fragte: „Können Sie mit diesem Papier etwas beginnen?" Der Hausmeister nahm Jo den Schein ab und knurrte. „Methoden sind das!" Dann holte er einen Schlüssel vom Brett und begab sich mit Jo in die vierte Etage. Sie klingelten noch einmal, dann überließ Bingsley den Schlüssel Jo und sagte: „Auf Ihre Verantwortung." Jo öffnete die Tür. Von der Schwelle aus konnte er in das offene Wohnzimmer blicken. Er sah auf Anhieb, was geschehen war. Leonhard Shelby hing an einem Strick, der am Lampenhaken der Zimmerdecke befestigt worden war. Unter Shelby lag ein umgestürzter Stuhl. Leonhard Shelby war tot.
9. Kapitel
„Gibt's da was zu sehen, Gentlemen?" ertönte eine männliche Stimme aus dem Treppenhaus. Jo blickte über seine Schulter. McDonald hatte gerade den Lift verlassen. Der Privatdetektiv sah heiter und gelöst aus. „Sie stehen da wie erstarrt", stellte er fest, kam heran und stieß einen Pfiff aus. Jo trat über die Schwelle. McDonald und Bingsley folgten ihm. „Mein Gott", murmelte der Hausmeister. Jo trat ans Telefon. Er nahm den Hörer mit dem Taschentuch ab und benachrichtigte die Mordkommission. „Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Walker", sagte McDonald mit sanfter Stimme. Jo legte auf, er drehte sich um, schweigend. „Hat er Sie erpreßt?" fragte McDonald. „Ich habe keinen Anlaß, so dumme Fragen zu beantworten", meinte Jo. McDonald
zog
mit
spitzen
Fingern
einen
zusammengefalteten Briefbogen aus der Tasche. „Wissen Sie, was ich hier habe?" fragte er. „Sie werden es mir gleich sagen", spottete Jo. „Ein Geständnis", sagte McDonald. „Von Shelby, nehme ich an?"
„So ist es", bestätigte McDonald. „Handschriftlich ausgefertigt, versehen mit Datum und Zeit. Es wurde heute mittag aufgesetzt." „Ich nehme an, daß Sie es ihm diktierten", sagte Jo. „Aus dem Dokument geht klar hervor, daß Sie Shelby gekauft haben. Vermutlich in Whites Auftrag. Shelby sollte mich liquidieren." „Als ich dabei war?" „Ja, das sollte Ihr Alibi werden..." „Großartig. Ihrer Theorie zufolge gab ich Shelby den Auftrag, Sie zu töten. Das Motiv liegt auf der Hand. Ich mußte etwas für meinen Klienten tun, für den von Ihren ,Erkenntnissen und Beweisen` bedrohten Dick White." „War es nicht so?" „Das wissen Sie besser als ich." „Überlassen wir es der Polizei, die notwendigen Rückschlüsse zu ziehen", sagte McDonald. „Shelby war bereit, zu singen. Wahrscheinlich hat er mit Ihnen darüber gesprochen. Vielleicht glaubte er, einen gegen den anderen ausspielen zu können, vermutlich forderte er von Ihnen einen höheren Preis. Das brachte Sie auf die Idee, die Notbremse zu ziehen." McDonald grinste höhnisch. „Sie setzen Ihre Hypothese gegen meine Theorie. Das ist legitim. Aber Sie können nur Worte
vorweisen, ich aber dies. Das graphologische Gutachten wird eindeutig festhalten, daß Shelby diese Zeilen geschrieben hat..." „Mr. Walker kann das nicht getan haben, Mister", sagte Bingsley. „Er hat mich doch erst darum gebeten, die Wohnung für ihn zu öffnen." McDonald lachte kurz und unlustig. „Durchschauen Sie nicht den Bluff? Damit will er die Polizei täuschen." „Ich weiß, daß Shelby für Sie arbeitete, McDonald", sagte Jo. „Er
hat
diese
Schüsse
auf
Ihr
Haus
und
auf
das
Wohnzimmerfenster abgegeben. Damit sollte der Eindruck vertieft werden, daß ein in Panik geratener Dick White sich des Mannes zu entledigen versucht, der drauf und dran ist, ihn zu ,entlarven'." „Sie sind ein findiger Kopf." „Ich habe gehört, was Sie gestern zu Shelby sagten - und ich habe Shelbys Bestätigung dafür bekommen, daß er auf Ihrer Lohnliste stand." „Märchen", behauptete McDonald, der völlig unbeeindruckt blieb und nicht mal mit der Wimper zuckte. „Sie neiden mir meine Erfolge. Sie wollen Ihren Hauptkonkurrenten aus dem Wege räumen. Dafür ist Ihnen Jedes Mittel recht." „Ich heiße nicht McDonald."
„Sie übersehen, daß ich mit konkreten Beweisen operiere, während Sie auf dünne Worte und Behauptungen angewiesen sind", höhnte McDonald. Als Captain Rowland mit seinen Leuten eintraf, gaben Jo und sein Widersacher zu Protokoll, was sie zu sagen hatten. Der Arzt, die Fotografen und die Männer der Spurensicherung begaben sich sofort an die Arbeit. Der Captain unterhielt sich zunächst mit McDonald. Er hörte sich an, was der Privatdetektiv zu sagen hatte, dann fragte er: „Was führte Sie heute abend zu Leonhard Shelby? Was wollten Sie von ihm?" „Sie wissen, daß er mir nach anfänglichem Zögern das schriftliche Geständnis überlassen hat", sagte McDonald. „Es ist klar, daß Shelby dafür ein Honorar erwartete. Ich wollte es ihm bringen." „Danke,
ich
habe
keine
weiteren
Fragen.
Nicht
im
Augenblick", sagte der Captain. „Stimmt es, daß Sie mit Jo Walker befreundet sind?" fragte McDonald. „Ja, so kann man es nennen." „Wäre es nicht besser, wenn Sie sich in diesem Falle für befangen erklären würden?" Tom Rowland stand auf. „Das überlassen Sie am besten mir", sagte er.
Kurz darauf saßen sich Jo und der Captain in der kleinen, schmutzigen Küche von Lenny Shelby gegenüber. „McDonald hat keine schlechten Argumente", sagte Tom Rowland. „Ich brauche dir nicht zu erklären, welche Bedeutung das von Shelby niedergeschriebene Geständnis hat." „Es ist erstunken und erlogen. McDonald hat es dem Kerl diktiert." „Das mußt du beweisen." „Wie wäre es, wenn du mir mal ein bißchen Arbeit abnehmen würdest? Ich dachte, wir sitzen in einem Boot." „McDonald ist ein scharfer Hund. Er wird die Presse wissen lassen, daß wir miteinander befreundet sind. Das bringt mich in eine fatale Situation." ,McDonald hat das Geständnis diktiert. Shelby ging gegen Bezahlung oder unter Bedrohung auf den Text ein. McDonald ist auf diese Arbeitsweise spezialisiert. Ein Mann wie er braucht große Fälle. Morde. Er fabriziert sie selbst - und löst sie im Patentverfahren, indem er der Polizei und der Justiz einen von ihm ausgewählten, ,Täter` liefert, mitsamt Motiv und Spuren, versteht sich. Ich habe ihn durchschaut. McDonald hat Shelby abserviert, das steht für mich fest." „Er hat für die Tatzeit kein Alibi, richtig, aber das hast auch du nicht." „McDonald wußte von Shelby, daß ich ein zweites Mal
in der Wohnung aufkreuzen würde. McDonald hat sich darauf eingestellt." „Was wirst du Jetzt tun?" Jo erhob sich und ging zur Tür. „Ihm das Handwerk legen", sagte er. „Was sonst?" „Moment noch", rief der Captain ihm hinterher. „Willst du nicht wissen, was bei dem Haarvergleich herausgekommen ist? Das Haar, das wir an Mona Stickers Schulter fanden, stammt von Dick White." „Was bedeutet das schon? Es kann seit Tagen oder Wochen dort
gehangen haben. White
war
mit
dem
Mädchen
befreundet", sagte Jo. ,,Ich habe schlechte Nachrichten für dich", meinte Tom Rowland. „Wir sind der Sache mit gewohnter Gründlichkeit auf den Grund gegangen. Mona hat das Kleid erst am Morgen ihres Todes aus der Reinigung geholt." Jo schob die Unterlippe nach vorn. „Es gibt nur eine Erklärung dafür", sagte er. „McDonald hat das Haar mitgebracht, er hat es seinem Opfer angehängt." „Wie willst du das beweisen?" „Ich lasse mir etwas einfallen", versicherte Jo und ging.
Er fuhr zu Fred Carolli, dem Agenten, der Mona gekannt hatte.
„Ich muß noch mehr über das Mädchen wissen", sagte Jo. „Sie hat als Fotomodell gearbeitet, Für wen?" „Es war kein fester Job, nehme ich an. Sie war zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde. Warte mal - ich habe sie vor ein paar Monaten in Tonios Studio gesehen. Frag ihn nach ihr, vielleicht erinnert er sich an sie. Tonio Pratt, zehnte Avenue." Tonio Pratt entpuppte sich als ein bärtiger Mittdreißiger mit dunkler Brille und nervösem Wesen. „Sicher habe ich sie gekannt", sagte er. „Sie sah blendend aus, umwerfend - aber sie war nicht so fotogen, wie man hätte meinen können. Ihr Gesicht war nasenbetont. Man durfte sie niemals im Profil fotografieren." „Sie ist ermordet worden. Haben Sie davon gehört?" „Ja", sagte Pratt, ohne irgendwelche Anteilnahme zu zeigen. „Ich habe es in der Zeitung gelesen. Ich weiß auch, daß Mona ihr Geld nicht immer auf die feinste Art verdiente. Na und? Die meisten meiner Modelle sind käuflich. Das hat die Branche so an sich. Mona wußte, welche Risiken sich damit verbanden. Sie hat sich nicht darum gekümmert." „Haben Sie noch Fotos von ihr?" „Ja, eine ganze Serie. Noch unveröffentlicht. ,Einkaufsbummel` war das Leitmotiv. Keine schlechte Bilderfolge, aber sie ist nicht zu verkaufen", sagte Pratt. „Mal was Ungestelltes. Ich folgte Mona eines Tages und
fotografierte sie beim Einkaufen. Beim Gang ins Restaurant. Eine Junge Frau in der großen Stadt, wissen Sie. Gar nicht so übel - aber leider ohne Dramatik, trotz des Mannes, der ins Spiel kommt. Ich verkaufe Ihnen die Serie. Für hundert Bucks können Sie die Serie haben." „Darf ich sie mal sehen? Fünf Minuten später hielt Jo die Bilder in der Hand. Er stieß einen Pfiff aus. „Gekauft", sagte er. „Vorausgesetzt, daß ich auch die Negative haben kann." „Die Negative bleiben in meinem Besitz." „Zweihundert Dollar", sagte Jo. Pratt grinste. „Sie haben mich überzeugt", sagte er. Jo fuhr zurück ins Office und schloß die Bilder in den Safe. Eines behielt er bei sich.
Er fuhr nach Long Island. McDonalds Wagen stand vor der Garage. Jo klingelte an der Tür. Niemand öffnete. Jo ging um den Bungalow herum. Er hörte Musik. Terence McDonald lag am Rande des kleinen Schwimmbeckens, das sich an die Terrasse seines Hauses anschloß. Er hatte ein Kofferradio neben sich stehen und ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. Aus dem Lautsprecher drangen die Klänge einer harten Rock- und Beatgruppe. McDonald lag auf dem Bauch, er
war nur mit einer Badehose bekleidet. Sein Kopf ruhte auf den verschränkten Armen. McDonald machte den Eindruck, als ob er schliefe, aber als Jo näher kam, setzte der Privatdetektiv sich mit einem Ruck auf. Er grinste, als er Jo erkannte. „Hallo", sagte er. „Wen haben wir denn da? Haben Sie es sich überlegt? Wollen Sie endlich einsteigen? Bedaure, Sir. Dafür ist es zu spät. Sie hatten Ihre Chance, Walker. Sie haben sie nicht genutzt." „Wie gut kannten Sie Mona?" fragto Jo. Er setzte sich auf einen Gartenstuhl am Beckenrand. „Ich habe einige Male mit ihr gesprochen, um Licht in diese Affäre zu bringen - genau wie Sie." „Das ist alles?" „Das ist alles." „Ich frage mich, ob Sie sie nicht besser und intimer gekannt haben, als Sie zuzugeben wagen." „Warum stellen Sie diese Frage? Sie ist absurd. Ich kannte das Mädchen nicht." Jo zog das Foto aus der Tasche. Er warf es vor McDonald in den Rasen. Der griff danach und musterte es. Er schaute es ziemlich lange an, dann legte er es fast behutsam beiseite. Er blinzelte zu Jo hoch. „Wer hat das gemacht?" „Ist nicht wichtig. Aber das Datum zählt. Es liegt drei Monate zurück." „Drei Monate", murmelte McDonald. Es klang
verschlafen, aber Jo spürte, wie es in McDonald arbeitete. Er war hellwach. „Zu diesem Zeitpunkt war Mona bereits mit Dick White befreundet", sagte Jo. „Es wird kalt", meinte McDonald und erhob sich. „Wie ich sehe, haben Sie sich am Fuß verletzt", sagte Jo. „Ich bin in eine Scherbe getreten. Nichts von Bedeutung", sagte McDonald. „Blutgruppe Null, nehme ich an." „Wie bitte?" „Nichts von Bedeutung. Oder doch: Ich wette, Sie haben sich draußen in Ovid Beach verletzt - an dem Morgen, als Sie Stan Harper töteten. Wie sind Sie ins Haus gekommen? Was haben Sie in der Küche,getrieben ?" McDonald wandte sich ab. Er ging auf die Terrasse zu. „Das ist doch alles Unsinn", meinte er. „Sie wissen das ganz gut, Wenn das Bild oder Ihre Theorien von irgendwelchem Wert wären, hätten Sie beides längst dem Captain unterbreitet. Aber Sie wissen natürlich, daß sich damit nichts anfangen läßt." Er blieb stehen, blickte über seine Schulter und sagte scharf: „Ich bin kein Killer, Walker." „Ich sehe das anders", sagte Jo. McDonald ging über die Terrasse ins Wohnzimmer. Jo folgte ihm. McDonald schlüpfte
in einen Lumber und ging noch einmal nach draußen, um das Radio und sein Glas ins Haus zu holen. Jo blieb an der Terrassentür stehen. McDonald bewegte sich ohne Eile und scheinbar sehr selbstsicher, aber wenn man genau hinsah, ließ sich feststellen, daß sein Auftreten um eine Nuance zu lässig war, das Ganze war aufgesetzt und stand in keinem rechten Verhältnis zu seiner plötzlichen Verunsicherung. „Auf diesem Foto sitzen Sie mit Mona an einem Tisch im ,Greco'. Ich kenne das Lokal. Kein sehr großer Laden, gute Mittelklasse. Die Art, wie der Ober Sie bedient, läßt erkennen, daß er Sie kennt. Er wäre ein guter Zeuge, glaube ich", sagte Jo, als McDonald ins Zimmer zurückkehrte. „Ein Zeuge wofür?" „Er kann bestätigen, daß Sie wiederholt mit Mona in dem Lokal waren." „Was würde das beweisen?" „Eine ganze Menge. Als White glaubte, Mona sei nur für ihn da, lauerten Sie im Hintergrund und dirigierten das Geschehen", sagte Jo. „Welches Geschehen?" „Das Verbrechen. Sie brauchten mal wieder einen Fall. Und Geld. Der Jachtklub gab Ihnen den Auftrag, den Mord aufzuklären. Damit boten sich Ihnen zwei Möglichkeiten. Sie konnten für die ,Entlarvung` des Täters sorgen oder Sie konnten sich dafür entschließen, Dick White zur Ader zu lassen.
Vermutlich hätten Sie letzteres getan, wenn ich Ihnen nicht in die Quere gekommen wäre." „Sie übersehen einen wichtigen Punkt. Der Klub ist an mich herangetreten. Ich nicht an ihn." „Stimmt. Ein glücklicher Zufall für Sie. Wenn auch nicht so zufällig, wie es scheint. In Long Island haben Sie sich einen Namen gemacht. Es gibt Modeärzte, und es gibt Modedetektive. Sie sind einer." „Auch Modeärzte tragen Verantwortung. Das gleiche gilt für Modedetektive. Ich diene dem Recht", behauptete McDonald. „Ich war noch nicht fertig", sagte Jo. „Der Klub gab Ihnen den Auftrag, richtig, aber wenn das nicht geschehen wäre, hätten Sie es wie im Fall Kirkland gehandhabt, nehme ich an - sie hätten ein paar Erkenntnisse` aus dem Hut gezaubert und damit Eindruck geschunden. Bis jetzt haben Sie es noch immer geschafft, sich in den Vordergrund zu spielen. Ihnen ist Jedes Mittel recht. Mord inbegriffen." „Das ist absurd. Erwarten Sie, daß irgend Jemand diesen Unsinn schlucken wird." „Ich kann ihn beweisen." „Mit dem Foto?" „Ja auch das. Mit Ihrem verletzten Fuß. Und so weiter, und so weiter."
„Sie bluffen." „Und Sie werden unsicher", sagte Jo. Mc Donald setzte sich. Er nippte an seinem Glas. Seine Hand war ruhig. „Sie wollen mich erpressen", sagte er ruhig. „Das gehört nicht zu meinem Arbeitsstil." „Was fordern Sie?" „Ich sagte schon einmal: Ich heiße nicht MCDonald", erklärte Jo. „Sie sind unverschämt." „Eher wahrheitsliebend", meinte Jo, „Und nach wie vor darauf erpicht. Unrecht zu sühnen." „Ihre Reklamesprüche können Sie sich für Ihre Klienten aufsparen", sagte McDonald. „Sie haben die Stirn, mich einen Mörder zu nennen. Was lasten Sie mir an? Daß ich Mona umbrachte? Oder gar Stan Harper? Vielleicht auch Leonhard Shelby?" „Richtig", sagte Jo gelassen. „Er arbeitete für Sie. Sie mußten ihn aus dem Wege räumen. Er war zu einem Sicherheitsrisiko für Sie geworden." „Sie ticken Ja nicht richtig", empörte sich der Hausherr und leerte sein Glas. Er stellte es so hart neben sich ab, daß es zerbrach.
„Es war wie bei Red Lawton", fuhr Jo gelassen fort. „Sie machten sich Ihre Kenntnis gewisser Umstände zunutze, verübten einen Mord und spielten sich dann als der Mann auf, der imstande ist, das Rätsel zu lösen. Der große Terence McDonald! Die Beweise, die Sie brauchten, produzierten Sie selbst - gleich am laufenden Band." „Reden Sie nur weiter, ich mag Leute mit blühender Phantasie", knurrte McDonald. „Sie kannten Mona Sticker vermutlich schon, als Dick White an das Mädchen herantrat. Mona ließ sich mit White ein. Sie förderten das Verhältnis." „Ich bin kein Zuhälter!" „Stimmt, Sie sind etwas noch Schlimmeres", sagte Jo gelassen. „Es machte Ihnen nichts aus, daß sich die Liaison zwischen Mona und White über viele Monate hinzog. Auf diese Weise hatten Sie genügend Zeit, die Informationen zu sammeln, die Sie für den Coup brauchten. Sie wußten zuguterletzt eine ganze Menge über Dick und Tina, Sie wußten auch, daß Stan Harper in Tina verliebt war. Das brachte Sie auf die Idee, den Fall von dieser Seite her anzugehen. Es war von Anbeginn Ihr Ziel, Dick White in Schwierigkeiten zu bringen. Sie erreichten es, indem Sie zunächst einmal Stan Harper töteten." „Mit Whites Armbrust, wie logisch!" höhnte McDonald.
„Klar ist das logisch. Es ging schließlich darum, White zu belasten. Während Tina und die Klubmitglieder glaubten, daß Dick White auf den Bahamas sei, wußten Sie durch Mona, daß er sich in New York aufhielt - nur wenige Minuten von seinem Landhaus in Ovid Beach entfernt. Sie sorgten dafür, daß das rasch publik wurde. Damit waren die Weichen für alle nachfolgenden Ereignisse gestellt. Der tüchtige
Terence
McDonald konnte wieder einmal sein Genie beweisen." „Ich könnte den Spieß Jetzt umkehren und behaupten, daß Ihre Methode nicht anders ist. Sie konstruieren den Ablauf nach Ihrem Gutdünken." „Ich weiß, daß ich kein Mörder bin." „Ich bin auch keiner. Damit stehen wir im Patt", sagte McDonald. „Patt? Das erinnert mich an Pratt. So heißt der Fotograf, von dem die Fotos stammen", sagte Jo. „Ich werde mich Jetzt mit dem Ober im Greco' unterhalten. Sie haben doch nichts dagegen einzuwenden?" „Im Gegenteil", sagte McDonald. Er zwang sich zu einem Grinsen. „Reden Sie nur mit ihm. Ein Quatschkopf Ihres Zuschnittes muß das tun, er braucht es. Aber Sie werden nichts von dem erreichen, was Sie sich vorgenommen haben. Dick White bleibt nach wie vor der Mann, der für Stan Harpers Tod und alle nachfolgenden Verbrechen geradestehen muß."
Jo ging. Er stoppte an der nächsten Telefonzelle und versuchte das Restaurant Greco' zu erreichen. Die Leitung war besetzt. Jo grinste dünn und legte auf. Er glaubte zu wissen, wer in diesem Moment mit dem Restaurant telefonierte. Er wählte die Nummer des Police Headquarters und erfuhr, daß Captain Rowland sich nicht im Hause befand. Jo teilte Ron Myers mit, was er für wichtig hielt, dann hängte er auf. Am nächsten Morgen rief der Captain ihn im Büro an. „Ich habe Pratt und sein Studio beobachten lassen, die ganze Nacht hindurch, genau wie du's vorgeschlagen hast", meinte Tom Rowland. „Da hat sich nichts getan." „Es war wohl ein bißchen naiv von mir, anzunehmen, daß McDonald den Köder schlucken würde", meinte Jo. „Natürlich ahnt er, was ich mit der Nennung von Pratts Namen bezweckte. Tut mir leid - aber ich hatte gehofft, daß McDonald sich in die Ecke gedrängt fühlt und dementsprechend reagiert." „Du hast es nicht mit einem Anfänger zu tun", meinte der Captain. „Das merke ich", sagte Jo. Er nahm das Mittagessen im ,Greco` ein. Es war nicht schwer, den Ober zu erkennen, der auf dem Foto Mona und McDonald bediente. Jo winkte ihn heran. Er zeigte ihm das Bild. Der Ober lächelte.
„Das bin ich", sagte er. „Was ist mit den Gästen?" „Ich kenne sie nicht", sagte der Ober und gab das Foto zurück. „Entschuldigen Sie mich jetzt, bitte. Ich habe zu tun.“ Jo schaute sich um. Das Restaurant war noch nicht einmal zu einem Viertel besetzt. Der Ober lehnte sich an den Tresen, er trommelte mit den Fingern auf die Metallplatte und wartete auf irgend etwas. Es war zu sehen, daß seine Eile nur vorgetäuscht war. Er hatte nichts zu tun. Als er endlich ein Essen serviert hatte und erneut an Jos Tisch vorbeikam, winkte Jo ihn erneut heran. „Mein Kollege bedient Sie", sagte der Ober. „Ich weiß. Aber ich möchte Sie sprechen." „Ich bin sehr beschäftigt, Sir." „Wie heißen Sie?" „Ich bin Louis, Sir." „Louis und wie noch?" Der Ober hob irritiert die Augenbrauen. „Wollen Sie sich über mich beschweren?" fragte er. Jo lächelte. „Ich brauche Ihren Namen." „Wofür?" „Es geht um einen Mord", sagte Jo. Louis zuckte zusammen. „Um Mord?" hauchte er.
„Was glauben Sie denn? Oder meinen Sie, McDonald sei ein Mann, der Schweigegeld verschenkt?" Louis schluckte. Er blickte nervös um sich. „Hier können wir das nicht besprechen", sagte er. „Um Drei mache ich Schluß. Erwarten Sie mich am Hinterausgang." Jo war zur verabredeten Zeit zur Stelle. Der Ober kreuzte eine Viertelstunde später auf und entschuldigte sich wegen der Verzögerung. „Mit der Abrechnung klappte es nicht, das kommt schon mal vor. Wo können wir uns unterhalten?" „Setzen wir uns in meinen Wagen", schlug Jo vor. Er wandte sich zum Gehen und sah das Fahrzeug, das auf der Straße vorbeirollte und durch sein Schritttempo auffiel. Das Seitenfenster war herabgekurbelt. Der Fahrer trug einen breitkrempigen Hut und eine Sonnenbrille. Wichtiger als diese Dinge war jedoch der Revolver in seiner behandschuhten Rechten. Die Waffe trug einen Schalldämpfer, sie sah ebenso drohend wie klobig aus. All das nahm Jo auf einen Blick wahr. Er packte Louis am Arm und riß ihn mit sich zu Boden. Das harte, Plopp`, das sich mit dem Straßenlärm vermischte, war kaum zu hören und von den meisten nicht als Schuß zu erkennen, aber hinter den beiden auf ihren Bäuchen gelandeten Männern ging eine Scheibe zu Bruch.
„Was war das, was soll das?" stammelte Louis verwirrt. Jo richtete sich auf. „Hat schon mal Jemand einen Mordversuch auf Sie verübt?" fragte er. „Nein, wieso?" „Dann war dies der erste", versicherte Jo. Jo rannte bis an die Einmündung der Gasse. Der Wagen, aus dem geschossen worden war, passierte die nächste Kreuzung. Er bewegte sich in einer langen Fahrzeugschlange. Jo machte kehrt. Louis hatte sich erhoben. Er klopfte sich den Staub aus dem Anzug. „Jemand hat auf uns geschossen? Auf mich?" fragte er ungläubig. „Vielleicht auch auf mich", sagte Jo. „Haben Sie den Kerl erkannt?" „Nein, aber ich kann mir denken, wer es war." „McDonald?" „Sie wissen Jetzt, wozu er fähig ist", sagte Jo. „Er ist doch Detektiv..." „Genau wie ich", sagte Jo und zückte seine Lizenzkarte, „aber ich würde ihn nicht als eine Zierde des Berufsstandes betrachten. Was hat er Ihnen für Ihr Schweigen geboten?"
Sie erreichten Jos Mercedes und setzten sich hinein. Louis machte sich ganz klein. Er schaute nervös durch die Fenster. Es war klar, daß er Angst hatte. „Können wir nicht irgendwohin fahren?" „Zu mir, ins Office. Einverstanden?" „Ich will keinen Ärger haben", sagte Louis. Jo startete die Maschine und lenkte seinen Wagen aus der Parklücke. „Den haben Sie bereits", versicherte er. „Sie können ihn loswerden, indem Sie sich von McDonald befreien." „Wer sagt mir, daß Sie ungefährlicher sind als er?" wollte Louis wissen. „Captain Rowland vom Police Headquarters" meinte Jo. „Einen besseren Leumundszeugen kann ich Ihnen leider nicht bieten." „Das genügt", sagte Louis. „Sie wissen, was Mona zugestoßen ist?" „Ja.". „War sie Stammgast in Ihrem Lokal?" „Nein, aber sie kreuzte häufig mit McDonald bei uns auf. Die beiden waren ein Paar, das war zu sehen, dafür hat unsereiner einen Blick." „Wann waren sie das letzte Mal bei Ihnen?" „Vor zwei Wochen. Sie verzehrten eine große Portion Kuskus."
„War Mona Jemals mit einem anderen Mann als McDonald bei Ihnen?" „Nein." „Wann hat McDonald mit Ihnen gesprochen und Sie gebeten, den Mund zu halten?" „Er hat mit mir telefoniert. Er sagte, es sei schädlich für seinen Ruf, wenn herauskäme, daß er mit Mona befreundet war. Er bot mir für mein Schweigen fünfhundert Dollar." „Haben Sie das Geld bekommen?" „Nein, noch nicht. Er wollte es heute vorbeibringen. In bar", sagte Louis. „Er hat versucht, mit Blei zu zahlen", meinte Jo. „Ich kann das nicht glauben, es geht nicht in meinen Kopf hinein", sagte Louis. „Wenn das in Ihren Kopf gegangen wäre, könnten wir nicht mehr miteinander sprechen", meinte Jo. „Mann, hören Sie auf. Makabre Witze sind Ja ganz schön, aber hier geht es schließlich um mein Leben." „Es liegt an Ihnen, es zu behalten. Machen Sie Ihre Aussage, und sorgen Sie dafür, daß McDonald aus dem Verkehr gezogen wird, dann haben Sie Ruhe vor ihm und seiner Kanone", erklärte Jo.
„Ich weiß so gut wie nichts von ihm", sagte Louis. „Ich wußte nicht mal, daß er Privatdetektiv ist und McDonald heißt. Ich kannte ihn nur vom Ansehen, als Monas Begleiter." „Das genügt", sagte Jo. „Es wird ihm das Genick brechen."
10. Kapitel
Tonio Pratt war müde. Die Theateraufnahmen . hatten sich bis weit nach Mitternacht hingezogen. Er fluchte, als er die beiden Koffer mit den Kameras, den Objektiven und den Scheinwerfern zum Wagen schleppte. Manchmal fragte er sich, was ihn auf die Idee gebracht hatte, Berufsfotograf zu werden. Während eine ganze Industrie sich abmühte, den Amateuren durch Miniaturisierung von Kameras und Zubehör das Leben zu erleichtern, mußte ein Profi immer noch Schwerstarbeit verrichten, um Aufnahmen von Jener Qualität herzustellen, wie die Kundschaft sie verlangte. Er verstaute die Koffer in seinem Stationcar, steckte sich eine Zigarette an und überlegte, ob er noch zu Marios Pizzeria fahren sollte, seinem Stammlokal in der zehnten Avenue. Jemand trat von hinten an ihn heran. Tonio straffte sich, als er plötzlich einen harten Druck im Rücken spürte. Er wußte sofort, worum es sich handelte. Pratt schaute über seine Schulter. Der Mann hinter ihm trug einen Hut und eine Brille mit dunkelgetönten Gläsern. Pratt war es, als hätte er das Gesicht des Mannes schon einmal gesehen. „Was soll das?" fragte Pratt. „Weißt du, was ich in der Hand halte?"
„Eine Kanone. Ist das ein Überfall? Sie können haben, was ich in der Brieftasche spazierenführe - ganze siebzig Bucks", sagte Pratt und hoffte, daß es dem Fremden nicht darum ging, ihm die Kameraausrüstung zu entführen. Zwei Hasselblads, eine Bronica und mehrere Rolleis waren mitsamt ihren Wechselobjektiven ein Vermögen wert. „Wir fahren zu dir. Du weißt Jetzt, was dir blüht, wenn du nicht spurst. Kapiert.?" Pratt nickte. Diese Scheißstadt, dachte er. Man ist seines Lebens nicht mehr sicher. Aber er liebte New York. Sogar diese Bedrohung erfüllte ihn mit einem Gefühl prickelnder Spannung. Er bedauerte nur, daß es keine Möglichkeit gab, das Geschehen im Bilde festzuhalten. Sie stiegen ein und fuhren los. „Kennen wir uns?" fragte Pratt. „Vielleicht", sagte der Mann. „Ich hab's", meinte Pratt. „Sie sind der Bursche, den ich mit Mona fotografierte." McDonald gab keine Antwort. Er hatte den Revolver vor sich auf dem Schoß liegen. „Da war einer bei mir und hat die Bilder gekauft", sagte Pratt. „Ich weiß", meinte McDonald. „Ich hätte gern die Negative." „Sorry, die besitzt Jetzt Walker." McDonald schaute Pratt an.
„Mir machst du nichts vor. Ich kenne euch Profis. Ihr trennt euch nicht von den Negativen, um keinen Preis." „Die Serie war unverkäuflich. Walker hat mir für die Bilder und den Film zweihundert Mäuse hingeblättert. Da konnte ich nicht widerstehen.'' „Er hat dich auf meinen Besuch vorbereitet, stimmt's?" fragte McDonald mißtrauisch. „Du betest Jetzt herunter, was er dir aufgetragen hat." „Ist doch Quatsch", meinte Pratt stirnrunzelnd. In seinem Magen breitete sich ein lastender Druck aus. Er spürte, daß McDonald ihm nicht glaubte. Das war gefährlich. „Ich bin Fotograf, nichts sonst. Ich halte nichts von Leuten, die im Dreck herumstochern." „Du bist käuflich. Die zweihundert . Bucks beweisen es", sagte McDonald. „Nicht ich bin käuflich. Meine Bilder sind es", stellte Pratt richtig. „Willst du mir weismachen, daß dir nicht verdammt klar ist, worum es geht?" „Ich kann es mir zusammenreimen, klar", sagte Pratt. „Sie legen Wert darauf, daß Ihre Verbindung zu Mona Sticker nicht publik wird." „Erraten", meinte McDonald. „Warum kommen Sie erst Jetzt zu mir?"
„Ich wußte nichts von der Existenz dieser verdammten Serie", meinte McDonald. „Walker hat mich darauf gebracht. Sie werden der Polizei gegenüber erklären, daß er Sie dafür bezahlt hat, eine Fotomontage anzufertigen. Ich möchte das schriftlich von Ihnen haben." „Das geht nicht, es hilft Ihnen nicht weiter", sagte Pratt. „Walker besitzt die Negative. Negative lassen sich nicht frisieren. Er kann damit beweisen, daß die Bilder echt sind." „Um die Negative kümmere ich mich schon, machen Sie sich darüber keine Gedanken", meinte McDonald. Um null Uhr fünfundfünfzig betraten sie Pratts Studio, das über eine Galerie mit den Wohnräumen des Fotografen verbunden war. „Schreiben Sie, was ich Ihnen diktiere", befahl McDonald. Er hielt den Revolver auf Pratt gerichtet. Pratt zuckte mit den Schultern. Sie stiegen die Treppe hinauf. Pratt ging voran, McDonald folgte ihm. Plötzlich wirbelte Pratt herum, er stürzte sich auf seinen Gegner. Es hatte nicht in Pratts Absicht gelegen, den Helden zu spielen, aber er wollte sich auch nicht herumkommandieren lassen, schon gar nicht hier, in der ihm vertrauten Umgebung, also wurde er ein Opfer der jähen Aufwallung. Pratts Reflex kam für McDonald völlig unerwartet. Er stürzte und polterte mit seinem Kontrahenten bis ans untere Ende der
Stufen. Dort blieb er liegen wie betäubt. Er verspürte einen scharfen Schmerz in seinen Rippen, und ihm schien es so, als hätte er sich mehrere Brüche zugezogen. Pratt erging es nicht anders. Er wagte es nicht, sich zu rühren, jedenfalls zeigte sich, daß McDonald früher auf die Beine kam und das Geschehen sofort wieder im Griff hatte. „Du verdammter Idiot", keuchte McDonald. „Soll ich dich Jetzt und hier abknallen?" Pratt kam auf die Beine. Er verzog das Gesicht und rieb sich die Hüfte, dann machte er kehrt und erklomm zum zweitenmal die Treppe. Diesmal blieb McDonald auf größerer Distanz. Sie setzten
sich
in
Pratts
Office.
Pratt
griff
nach
dem
Kugelschreiber. „Was soll ich schreiben?" fragte er. „Hiermit versichere ich auf Ehre und Gewissen, daß ich von Jo Walker, Privatdetektiv, den Auftrag erhielt, einige Fotomontagen herzustellen, auf denen die ermordete Mona Sticker in Begleitung von Terence McDonald zu sehen ist", diktierte McDonald. Pratt begann zu schreiben. McDonald schaute ihm über die Schulter. „Die Unterschrift", sagte er. „Und das Datum von gestern, bitte." „Warum denn das?" „Tu, was ich dir sage."
Pratt befolgte McDonalds Anordnung. „Zufrieden?" fragte er mürrisch. „Ja", meinte McDonald und trat zwei Schritte zurück. Er hob den Revolver und richtete die Mündung auf Pratts Kopf. „Jetzt kannst du krepieren." Pratt erhob sich. Er hielt sich mit einer Hand am Stuhl fest. „Nein", murmelte er. „Nein. Das können Sie nicht machen. Das wäre..." „... Mord", nickte McDonald. „Darin kenne ich mich aus, mein Junge." „Sie können mich nicht töten", würgte Pratt hervor. „Die Polizei und Walker müßten zu dem notwendigen Schluß kommen, daß Sie es taten, um einen lästigen Zeugen aus dem Wege zu räumen..." „Ich habe das Dokument, deine Aussage", widersprach McDonald. „Das sichert mich ab." „Man wird wissen, daß Sie mich dazu gezwungen haben", keuchte Pratt. „Diese Leute sind doch nicht von gestern!" „Wissen nützt denen viel, sicher, aber sie müssen in der Lage sein, es zu beweisen. Das können sie nicht. Ich halte alle Trümpfe in der Hand, pratt. Wie findest du das?" Tonio Pratt schluckte. Er fühlte, daß McDonald es ernst meinte und nicht der Mann war, mit dem sich reden ließ.
„Denken Sie an die Negative", brachte Pratt schließlich noch mühsam hervor. „An denen werden Sie scheitern. Die werden Ihre Montagetheorie zunichte machen." „Du vergißt, daß ich vorhabe, die Negative an mich zu bringen", höhnte McDonald. „Überlaß das nur mir." Er hob die Hand mit der Waffe. Er zielte, ganz ruhig. Der Fotograf stand wie erstarrt. Er war unfähig, sich zu rühren oder ein weiteres Wort zu äußern. Pratts Herz blieb stehen, als er sah, wie McDonalds Finger sich am Abzug krümmte und den Druckpunkt erreichte. Im nächsten Moment knallte es. Das Echo des Schusses brach sich donnernd in dem großen, halbdunklen Raum. Es wurde abgelöst von einem harten, metallischen Poltern. McDonald war der Revolver aus der Hand gefallen. Pratt spürte, daß ihm die Wäsche auf der Haut klebte. Er hielt sich immer noch am Stuhl fest. McDonalds Gesicht verzerrte sich. Er starrte auf seine rechte Hand, fassungslos. Aus dem Gelenk sickerte Blut. Pratt wandte den Kopf. Aus dem dunklen Hintergrund des Raumes tauchten zwei Männer auf. Einer von ihnen hielt einen Revolver in der Hand. Es war die Waffe, die McDonald gestoppt und verletzt hatte.
„Walker!" stieß Pratt hervor. Er mußte sich setzen. Der Schock schüttelte ihn wie ein Blatt im Winde. Der Mann mit dem Revolver überließ seine Waffe Jo. „Sie gestatten doch?" fragte er Pratt, dann griff er nach dem Telefonhörer, nahm ihn ab, wählte eine Nummer und sagte: „Captain Rowland. Einen Notarztwagen, bitte." Er nannte Pratts Adresse und legte auf. Pratt fand seine Sprache wieder. „Wie kommen Sie in mein Studio?" fragte er. „Ich habe mir erlaubt, einen Ihrer Mitarbeiter zu bestechen", sagte Jo. „Er hat mir den Schlüssel überlassen. Ich konnte ihm klarmachen, daß das Ganze Ihrem persönlichen Schutz dient." „Warum haben Sie nicht mit mir gesprochen?" fragte Pratt fassungslos. „Sie hätten sich McDonald gegenüber vielleicht verraten", sagte Walker. „Mißbilligen Sie unser Handeln? Wir warten schon seit drei Nächten auf diese Chance." „Mißbilligen?" echote Pratt heiser. „Lieber Himmel, ohne Sie wäre ich Jetzt ein toter Mann!" „Das ist nun McDonald", stellte der Captain grimmig fest. „Auch wenn er noch atmet und einiges auf die Beine stellen wird, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es wird ihm nicht weiterhelfen. Was uns betrifft, so geht die Arbeit erst
wirklich los. Wir werden nachzuprüfen haben, was es mit McDonalds anderen ,Fällen` für eine Bewandtnis hat." „Wir?" fragte Jo. Er grinste dünn. „Überlasse das ruhig mir. Schließlich lebe ich davon, komplizierte Fälle zu lösen. Es ist mein Job." „Ja, richtig", sagte der Captain spöttisch. „Du wirst mehr denn Je zu tun haben. Deine Branche ist um einen prominenten Vertreter gebracht worden. Sie muß ab Jetzt ohne Terence McDonald auskommen." ENDE
KOMMISSAR X erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus, Redaktion: Pabel Verlag KG, 8 München 2, Augustenstraße 10. Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-MoewigSemrau, 7550 Rastatt, Pabelhaus, Tel. (07222) 13-240: Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 4. Preis: DM 1,20 (inkl. 5,5 °/, Mwst.). Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb, A-5020 Salzburg, Franz-JosefStraße 21. Nachdruck, auch Auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, 2 Hamburg 1, Burchardstraße 11, Tel. 040/33 96 16 29. Telex: 02/161024. Printed in Germany.Juni 1976