Die sagenhaften Marsbewohner Die Abenteuer, die Kommodore Parker im letzten UTOPIABand – „Station ‚Olivia’“ – zu besteh...
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Die sagenhaften Marsbewohner Die Abenteuer, die Kommodore Parker im letzten UTOPIABand – „Station ‚Olivia’“ – zu bestehen hatte, gaben uns bereits Anlaß, uns mit der Frage nach der Existenz vernunftbegabter Lebewesen außerhalb unserer Erde zu beschäftigen. Bei dieser Gelegenheit erwähnten wir schon, daß unter allen Himmelskörpern der Planet Mars im weitaus höchsten Maße den Verdacht auf sich gelenkt hat, von menschenähnlichen Wesen bevölkert zu sein. Grund dafür geben jene feinen, dunklen Linien, die das Bild dieses Planeten im Fernrohr wie ein Netz überziehen und die ihr Entdecker, der italienische Astronom Schiaparelli (1877), „Kanäle“ nannte, weil ihm gerade kein passenderer Vergleich einfiel. Was für eine Bewandtnis es in Wirklichkeit mit den Marskanälen hat, vermögen wir auch heute noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Meinungen der Wissenschaftler schwanken zwischen ihrer Anerkennung als Anlagen technisch befähigter Planetenbewohner und ihrer Ablehnung als optische Täuschung. Sollte es tatsächlich so etwas wie eine „Marsmenschheit“ geben, so müßte diese allerdings über eine hochentwickelte Technik verfügen; denn Mars ist eine unwirtliche Welt, mit kaltem, trockenem Wüstenklima. Die Temperaturen liegen im Durchschnitt rund 30 Grad unter den entsprechenden der Erdoberfläche. Die Existenz größerer Wassermengen konnte nicht festgestellt werden. Nur eine karge Pflanzenwelt kann unter solchen Umständen gedeihen. Solange wir uns noch nicht durch persönlichen Augenschein von den Verhältnissen auf Mars überzeugen können, sind der Phantasie allerdings keine Schranken gesetzt.
Von Alf Tjörnsen „O Jim, alte Mondrakete, was wird der dicke Boß wohl diesmal auf dem Herzen haben? Es muß schon was Besonderes sein, sonst hätte er uns nicht so Hals über Kopf nach der City zurückbeordert.“ Fragend blickte Fritz Wernicke zu seinem Freund, dem Kommodore, hinüber. Jim Parker lächelte. „Ich vermute, daß es sich um sein neuestes Raketenflugzeug handeln dürfte, dieses Wunderkind X– 1001. Angeblich soll es alle bisherigen Geschwindigkeitsrekorde weit hinter sich lassen. Irgendein Spaßvogel behauptete neulich, man könnte damit in die Vergangenheit fliegen.“ „Das stelle ich mir furchtbar langweilig vor, Jim“, gähnte der kleine Weltraumpilot. „Wenn ich wissen will, wie es in der Vergangenheit aussah, brauche ich doch nur in so einem staubigen Geschichtsbuch nachzuschauen. Viel interessanter wäre es, wenn wir mit der Kiste in die Zukunft flögen. Dann könnten wir den Leuten was erzählen!“ „Wir können es ja mal versuchen, Fritz. Vielleicht erfahren wir auf diese Art im voraus, was wir auf unseren künftigen Pla-
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netenreisen erleben werden. Wir könnten dann auf diese Reisen selbst verzichten, weil wir …“ „Da, schau doch, Jim, welch reizendes Bild! Wie heißen denn die Inseln da unten?“ Jim Parker blickte aus dem Seitenfenster auf die Fluten des Stillen Ozeans hinab. Sie befanden sich an Bord eines DüsenKurierflugzeuges, das Ted S. Cunningham, der Chef des S.A.T. * , eigens entsandt hatte, um seine beiden tüchtigsten Raketenflieger auf schnellstem Wege in die Forschungsstadt Orion-City zurückzuholen. Die beiden Freunde waren durch Cunninghams Befehl aus einem Versuchsprogramm herausgerissen worden, das sie seit einigen Wochen auf dem riesigen südaustralischen Raketenversuchsfeld abwickelten. Jim Parker hätte die Arbeit gern noch zum Abschluß gebracht, aber sein hoher Chef schien es wirklich furchtbar eilig zu haben. „Das sind die Samoa-Inseln, Fritz“, erwiderte der Kommodore, nachdem er sich rasch orientiert hatte. „Wir überfliegen jetzt gerade die Insel Upolu. Siehst du den Hafen dort? Es ist Apia.“ „Ein reizendes Fleckchen Erde“, schwärmte Fritz Wernicke entzückt. „Wir sollten es uns mal aus der Nähe ansehen.“ „Ich fürchte, daraus wird nichts“, lenkte der Kommodore ein. „Vorläufig stehen andere Fahrten auf dem Programm. Wahrscheinlich werden wir in nächster Zeit den sonnennahen Merkur und den fernen Mars kennenlernen. Doch den Strand von Upolu werden wir wohl nie betreten.“ „Bei ‚Mars’ fällt mir gerade etwas ein, Jim“, meldete sich Fritz Wernicke wieder zum Wort. „Ich hatte heute nacht einen sehr spaßigen Traum.“ „Da bin ich aber neugierig“, brummte der Kommodore ohne sonderliches Interesse. „Also höre, Jim: Ich träumte, wir starteten mit einem neuar*
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium der USA
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tigen Rak-Flugzeug. Die Maschine bestand aus unzähligen einzelnen Stufen und sah aus wie ein Pfeil. Als wir auf dem Raketenflugplatz von Orion-City in die Maschine kletterten, war es genau dreizehn Uhr. Der dicke Cunningham trat heran und verkündete mit Donnerstimme: ‚Heute ist der Dreizehnte, boys!’ Wir ließen uns nicht stören und brausten los. Die Erde versank unter uns, es war das gewohnte Bild. Aber plötzlich wandtest du mir dein Gesicht zu, das ganz verzerrt war, und riefst: ‚Die Kiste gehorcht der Steuerung nicht mehr!’“ „Und was geschah dann?“ fragte Jim Parker, der nun doch mit wachsendem Interesse gefolgt war. „Dann? Nun, dann flogen wir direkt in den Weltraum hinein und waren plötzlich beim Mars. Dort sah alles rötlich-gelb aus, mit dunklen Flecken dazwischen. Gerade unter uns lag solch ein grau-grüner Fleck inmitten des rötlichen Landes. Fünf breite Kanäle strahlten nach allen Richtungen von ihm aus. ‚Das ist der Sonnensee’, sagtest du.“ „Der Sonnensee? Ja, den gibt es auf dem Mars wirklich“, rief der Kommodore lebhaft. „Lacus Solis heißt sein lateinischer Name, und zwei von den fünf Kanälen, die von ihm ausstrahlen, hören auf die schönen Namen Nectar und Ambrosia.“ „Ambrosia und Nectar – Speise und Trank der Götter im alten Griechenland“, schwärmte Fritz Wernicke von neuem. „Da tut es mir nachträglich noch leid, daß der Traum so schnell zu Ende ging.“ „Und wie endete er?“ Fritz Wernicke zuckte die Achseln. „Ich sagte ja schon: Genau unter uns lag der Sonnensee. – Nun, wir fielen mitten hinein. Aus …“ Jim Parker lachte. Aber sein Lachen hörte sich etwas unfrei an, und seine Stimme klang belegt, als er seinen Freund beruhigen wollte:
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„Das war ein Alptraum, Fritz. Du hast gestern abend zu lange mit den australischen Kollegen in der Kantine gepichelt Und dieser ‚Echt schottischer Whisky – made in Japan – ist ein gefährlicher Stoff. ‚Mach dir nichts draus – Träume sind Schäume.“ „Wenn du meinst, Jim“, entgegnete Wernicke ein wenig unsicher. „Aber sage mal, Mondrakete, was für ein Datum haben wir eigentlich heute?“ „Vorläufig immer noch den Zwölften, old fellow.“ „Das heißt also, daß wir mit der X–1001 ausgerechnet – am Dreizehnten starten …“ Betroffen sahen sich die beiden Freunde an. * „So, boys, hier ist unser neuestes Wunderkind“, sagte Generaldirektor Cunningham stolz, als er auf dem Raketenflugfeld von Orion-City mit dem Kommodore und Fritz Wernicke aus dem Wagen stieg und mit schwungvoller Gebärde auf das Raketenflugzeug wies, das schlank und blitzend in der Mittagssonne stand. „Na, Parker, was sagen Sie nun?“ Der Kommodore umkreiste die Maschine, die ungewöhnlich langgestreckt, fast wie ein Pfeil wirkte, mit aufmerksamen, kritischen Blicken. In seinem Kielwasser trottete der kleine Wernicke und zeigte ein betretenes Gesicht. „Genau wie in meinem Traum, Jim.“ Jim Parker achtete nicht darauf. „Ich hätte gern ein paar technische Einzelheiten erfahren, Boß, bevor ich mich mit Wernicke diesem ‚Wunderkind’ auf Gedeih und Verderb anvertraue.“ „Mister Woodbury, der Konstrukteur der X–1001, wird Ihnen alle näheren Erläuterungen geben“, sagte der Atomboß und winkte einen Mann im weißen Kittel heran, der nervös und ha-
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stig zwischen den Monteuren herumwetzte. „Also Parker, Sie starten um 13 Uhr. Ich werde mir, wenn irgend möglich, das Schauspiel vom Kommandoturm aus ansehen. So long – und Hals- und Beinbruch!“ „Fürchte, da wird’s nicht viel zu sehen geben“, grinste Fritz Wernicke hinter Cunningham her. „Wenn die Kiste wirklich solche Geschwindigkeit entwickelt, wie behauptet wird, dann sind wir längst wieder gelandet, bevor der Alte überhaupt begriffen hat, daß wir gestartet sind.“ Inzwischen ließ sich der Kommodore von Mister Woodbury in die Geheimnisse der „Wundermaschine“ einführen. Der Erfinder, ein kleiner Mann in mittleren Jahren, mit faltigem Gericht und schütterem Haar, war sehr stolz darauf, seine Schöpfung dem berühmten Weitraumflieger erklären zu dürfen. Umso entsetzter blickte er jedoch, als Jim Parker am Schluß der Führung nur kopfschüttelnd fragte: „Und was soll das Ganze überhaupt?“ „Aber – aber erlauben Sie, Kommodore“, stotterte Woodbury fassungslos. „Diesem Typ steht die Zukunft offen. Die zahlreichen abwerfbaren Raketenstufen bringen das Flugzeug in wenigen Sekunden auf kosmische Geschwindigkeit, ohne daß das eigentliche Triebwerk überhaupt in Tätigkeit zu treten braucht. Sie können mit der X–1001 ohne weiteres zum Mond fliegen, ohne den Umweg über die Außenstation zu machen. Ach, was sage ich – nicht nur zum Mond! Zum Mars können Sie ohne Zwischenlandung …“ „Moment mal“, unterbrach Jim Parker den Redeschwall des Begeisterten „Für interplanetarische Reisen würde ich für mein Teil ein großes solides Raumschiff vorziehen, das Platz genug für alles bietet, was man auf solch einer Fahrt braucht: Proviant und Wasser, Ersatzteile und Reservetreibstoffe, Schutzanzüge und vor allem …“
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„… Whisky“, warf Fritz Wernicke trocken ein. „Und außerdem“, fuhr der Kommodore fort, „gefällt mir die überschlanke Pfeilform der Kiste nicht ganz. Wenn das im Ernstfall bloß keinen Bruch gibt.“ „Wir haben eingehende statische Berechnungen und längere Versuchsreihen im Windkanal durchgeführt, Kommodore. Die Ergebnisse waren durchaus befriedigend.“ Mister Woodbury schien jetzt ernstlich gekränkt zu sein. Jim Parker sah es, und seine Gutmütigkeit siegte über die Bedenken. „Gut, Woodbury, versuchen wir’s mal.“ Er schüttelte dem Erfinder zum Abschied die Hand. „In anderthalb Stunden, punkt 13 Uhr, starten wir.“ * Es war kurz vor 13 Uhr. Obwohl Cunningham ausdrücklich angeordnet hatte, die Startzeit geheimzuhalten, mußte sich wohl doch einiges herumgesprochen haben. Jedenfalls war alles, was um diese Stunde auf dem Raketenflugplatz irgendwie abkömmlich war, zur Stelle und drängte sich zu beiden Seiten der Startbahn. Rufen und Händeklatschen gingen durch die Reihen der Wartenden, als die beiden Piloten vorfuhren und von Woodbury und dem Flugdienstleiter begrüßt wurden. Ohne weitere Umstände kletterten sie in die enge Führerkabine und machten es sich darin so bequem wie möglich. Dem Flugdienstleiter fiel es auf, daß sie weder Höhenschutzanzüge noch Fallschirme angelegt hatten. Befremdet fragte er den Kommodore nach dem Grund für diese Unterlassung. „Nur unnützer Ballast, Captain“, wehrte Jim Parker ab. „Wenn hier, bei diesen irrsinnigen Beschleunigungen, die kleinste Kleinigkeit schiefgeht, ist sowieso der Ofen aus.“
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„Denken Sie an die Sicherheitsvorrichtungen, falls etwas passieren sollte“, riet Woodbury, „an die Bremsschirme, die ausfahrbaren Tragflächen und den Mechanismus, der die Führerkanzel zerlegt, wenn Sie auf den roten Knopf drücken.“ „Ich fürchte, dazu würde uns im Ernstfall kaum Zeit bleiben“, grinste Jim. „Good-bye, Gentlemen! Achtung, Fritz, wir starten!“ „Glück ab!“ rief der Captain und sprang zurück. Mister Woodbury folgte seinem Beispiel. „Grüßen Sie den Mars!“ rief er in das Brausen der ersten Raketenstufe hinein. Die X–1001 setzte sich in Bewegung, sie raste über die Startbahn, Es war genau 13 Uhr. * „O Jim – das ist ja der reinste Selbstmord!“ Stöhnend und kläglich kamen die Worte aus dem Munde Fritz Wernickes, der – in seinen Sitz zurückgedrückt – mühsam den Zündschalter bediente. „Mund halten, Fritz“, preßte Jim Parker hervor. „Wir müssen jetzt durchhalten. Los, weiter beschleunigen!“ Mit zusammengebissenen Zähnen und verkrampftem Gesicht umklammerte er den Steuerknüppel. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet, auf das Armaturenbrett, auf dem die Zeiger rasch und stetig über die Skalen und Zifferblätter krochen. Aber er schien nichts zu sehen. Aufseufzend folgte der kleine Wernicke seinem Befehl. Der rotierende Schalthebel wanderte von Kontakt zu Kontakt, brachte eine Antriebsrakete nach der anderen zur Entzündung, während zugleich die leergebrannten abgeschleudert wurden. Die Beschleunigung wuchs ins Unerträgliche. „O Jim, wo mögen wir jetzt wohl sein?“ klang es wieder kläglich. „Mindestens schon dreimal um die ganze Erde herum – oder schon fast auf dem Mond …“ „Habe keine Ahnung“, knurrte der Kommodore mühsam.
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„Wahrscheinlich längst im Weltraum. Müssen nur achtgeben, daß wir nicht zu tief in die Atmosphäre eintauchen. Würden sonst als Sternschnuppe enden. Wieviele Schubraketen noch?“ „Die letzte Serie, Jim – Gott sei Dank!“ „In Ordnung. Schalte weiter!“ Den beiden Piloten kam es plötzlich so vor, als würden ihre Körper, die eben noch unter dem furchtbaren Andruck viele Zentner schwer zu sein schienen, federleicht. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihre Adern. Sie fühlten sich frei und ungehemmt – so, als schwebten sie, erlöst von aller Erdenschwere, engelgleich im unendlichen All. Dinge wurden unwirklich und bedeutungslos. Gedanken und Worte verwirrten sich. Der Dreizehnte – pünktlich um 13 Uhr … denken Sie an die Sicherheitsvorrichtungen, Kommodore … Glück ab … Hals- und Beinbruch … der Sonnensee … Nectar und Ambrosia … grüßen Sie den Mars … den Mars … * Weit dehnte sich der Weltraum mit seinen Myriaden blitzender Sterne. Längst hatten die Schubraketen aufgehört, zu donnern und zu brausen. In freier Trägheitsbahn flog die Maschine durch den Raum, einem fernen Ziel entgegen. Jim Parker fühlte sich leicht und wohlig – und dennoch steckte in seinen Gliedern irgendwie das Gefühl überstandener Anstrengungen, für kurze, schmerzhafte Augenblicke kam er sich immer wieder vor, als wäre er am ganzen Körper zerschlagen. Kein Wunder schließlich, wenn man bedachte, welch furchtbare Strapazen ihm die letzten Minuten gebracht hatten, ihm selbst und Fritz Wernicke! „Hallo, Fritz!“
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In dem Sitz hinter ihm rekelte sich der kleine Wernicke. Gerade setzte er die Feldflasche von den Lippen. Kameradschaftlich reichte er sie dem Kommodore herüber. „Komm, Jim, stärke dich. Du wirst es brauchen können – nach dem überstandenen Schrecken.“ Jim ließ sich nicht lange nötigen. Pfui Teufel, ein elend scharfes Zeug! Aber es tat gut und verscheuchte das schmerzhafte Gefühl in den Gliedern. „Sag mal, Fritz“, meinte Jim Parker und reichte die Flasche zurück, „wo sind wir denn eigentlich?“ „Hähähähä, großer Meister, natürlich an Bord des stolzen Raketenflugzeugs X–1001.“ „Albernheit! Das kann ich mir auch allein denken. Aber an welchem Punkt des Weltraums befindet sich in diesem Augenblick die X–1001?“ Fritz Wernicke machte ein sehr wichtiges Gesicht, als er dem Kommodore eine Fahrtroutenkarte nach vorn reichte und zwischen den eingezeichneten Kegelschnitten mit dem Finger herumfuhr. Jim Parker konnte der Erklärung nur mühsam folgen. Offenbar stand sein Geist noch zu stark unter dem Einfluß der Sekunden nach dem Start. „Und – wohin fahren wir überhaupt?“ stammelte er müde und fühlte bereits, daß ihm die Augen zufielen. „Zum Mars!“ rief Wernicke begeistert. „Grüßen Sie den Mars!“ Grüßen Sie den Mars? Wo hatte er das doch schon gehört? Jim konnte sich nicht darauf besinnen, die Müdigkeit überwältigte ihn plötzlich. „Übernimm du die Wache, Fritz“, murmelte er schlaftrunken, „und weck mich, wenn irgend was ist …“ Jim hatte kein Gefühl dafür, wie lange er in tiefstem Schlummer gelegen hatte. Er erwachte, als Wernicke ihn an der Schulter rüttelte und ihm aufgeregt zurief:
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„He Jim, altes Murmeltier, wach auf! Wir sind am Ziel. Vor uns der Mars!“ Gewaltsam riß der Kommodore die Augen auf. Wahrhaftig – die rötliche Scheibe des Mars bedeckte fast das ganze Blickfeld. Parkers geübte Hände griffen in die Steuerung. „Aufgepaßt, Fritz: Tragflächen ausfahren! Ich setze zur Umkreisung an.“ Die Maschine gehorchte dem Höhenruder. In weitgeschwungener Bahn umflog sie den fremden Planeten. Enger und enger wurden die Spiralen. Man mußte bereits in den höchsten Ausläufern der Marsatmosphäre fliegen; denn die Fernthermometer zeigten ein Ansteigen der Temperaturen der Außenhaut an, verursacht durch die immer stärkere Luftreibung. Draußen zogen, wie in einem Film, die Landschaften des Mars vorüber: endlose Wüsten, unterbrochen von dunkleren Flächen. War es Kulturland – waren es Wasserflächen? Die Entfernung war zu groß. Man konnte keine Einzelheiten erkennen. „Wir müssen noch weiter herunter“, entschied der Kommodore und drückte das Höhensteuer. „Schau mal, Jim, da unter uns: eine bekannte Gegend!“ „Das ist die Landschaft Thaumasia – und der dunkle Fleck darin ist der Lacus Solis.“ „Der Sonnensee! O Jim. das ist das Land meiner Träume“, lachte Wernicke. „Gib nur acht, daß wir nicht hineinfallen – in den Sonnensee.“ Verdammt – was war nur plötzlich mit der Steuerung los? Irgend etwas klemmte da. Rasend schnell verlor die Maschine an Höhe. Verzweifelt riß Jim Parker am Höhensteuer. Plötzlich war das Ruder wieder frei … … aber anstatt wieder Höhe zu gewinnen, wurde der Sturz nur noch steiler. „Bremsschirme raus!“ schrie der Kommodore. „Klar zum Aussteigen!“
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Wo war denn nur dieser rote Knopf, den man drücken mußte, um die Maschine zu zerlegen, wenn höchste Gefahr im Anzug war und die Besatzung das abstürzende Flugzeug verlassen mußte? Jim Parker fand ihn nicht. Gab es denn keine Rettung mehr? Die dunkle Fläche des Sonnensees wuchs ihnen rasend schnell entgegen. Der Kommodore schloß die Augen … * Im Operationssaal des deutschen Hospitals zu Apia hatte Doktor Herrmann – von seinem Assistenten, Doktor Schmitz, unterstützt – gerade einem alten Samoaner erfolgreich den Blinddarm herausgeschnitten. Froh, ihr Tagewerk für heute vollbracht zu haben, schlüpften die beiden Ärzte aus ihren Operationskitteln und wuschen sich die Hände. „Nun, Herr Kollege“, fragte Doktor Herrmann liebenswürdig, „wo werden Sie den heutigen Abend verbringen?“ „War ein verdammt heißer Tag heute, Herr Chefarzt“, sagte Doktor Schmitz und reckte sich. „Was könnte man da Besseres tun, als zum Strand zu fahren und sich in die Fluten zu stürzen, solange es noch hell ist?“ „Sie werden es noch so lange treiben, bis ein Haifisch Sie ins Bein beißt“, meinte der Chefarzt scherzend. Doch Doktor Schmitz sollte an diesem Abend nicht mehr in Gefahr kommen, gebissen zu werden – wenigstens nicht von Haifischen; denn gerade wollte sich der junge Arzt verabschieden, als Schwester Johanna erschien und zwei Neuzugänge meldete. „Man hat sie aus dem Meer gefischt – draußen, vor dem großen Korallenriff im Norden“, berichtete die junge Schwester aufgeregt. „Sie sind ohne Bewußtsein. Wir haben sie einstweilen ins Ambulatorium gebracht.“
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Schweigend gingen die Ärzte ins Sprechzimmer hinüber und standen gleich darauf vor den Verunglückten, die regungslos auf ihren Bahren lagen. Es handelte sich um zwei junge Männer, deren Kleidung durchnäßt und bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt war. Ein junger Fliegerleutnant, an dessen Ärmel die Aufschrift „Dominion of New Zealand“ prangte, trat vor und erstattete Bericht. Er hatte sich mit seinem Wasserflugzeug auf einem Patrouillenflug vor der Nordküste der Insel Upolu befunden und plötzlich nahe dem großen Riff zwei menschliche Körper im seichten Wasser treiben sehen. Kurz entschlossen war er heruntergegangen, hatte die beiden an Bord gezogen und sie in den Hafen von Apia gebracht, wo ein Ambulanzwagen des Roten Kreuzes ihren Weitertransport übernahm. Eine gründliche Untersuchung durch die beiden Ärzte ergab, daß die Unbekannten – mit Ausnahme von einigen Prellungen – offenbar weder äußere noch innere Verletzungen davongetragen hatten. Lediglich eine schwere Gehirnerschütterung schien bei beiden vorzuliegen. Wer mochten die beiden Verunglückten sein? Man hatte keine Papiere bei ihnen gefunden. Ihre zerrissene Kleidung gab nicht den geringsten Fingerzeig. Waren es schiffbrüchige Seeleute, Sportler oder gar Schmuggler, die draußen vor der Küste Schiffbruch erlitten hatten? Nun die tüchtige Polizei der Insel würde es schon herausbekommen, wenn die beiden erst einmal vernehmungsfähig sein würden. Doktor Herrmann dankte dem Piloten und ordnete an, die neuen Patienten in einem Zweibettzimmer des ersten Stockwerkes unterzubringen. *
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Thunderstorm! Das war ein harter Sturz gewesen. War es nicht geradezu ein Wunder, daß man mit dem Leben davongekommen war? Jim Parker richtete sich in der engen Kabine der X–1001 auf und betastete vorsichtig seine Glieder. Tatsächlich – die Knochen schienen noch sämtlich heil zu sein. Plötzlich hörte der Kommodore hinter sich ein klägliches Stöhnen. Ja, richtig, er hatte ja den guten Fritz Wernicke ganz vergessen. Schnell wandte er sich um. Der Arme hatte eine riesige, in allen Farben des Regenbogens schimmernde Beule an der Stirn und war offenbar ohne Besinnung. Doch sonst konnte Jim keine Verletzung an ihm erkennen. „Whisky“, flüsterte der kleine Weltraumpilot. Rasch setzte Jim ihm die Feldflasche an die Lippen. Fritz Wernicke nahm einen tüchtigen Schluck und schlug die Augen auf. Er war plötzlich wieder ganz wohl. „Hallo, Jim, kannst du mir nicht endlich verraten, in welcher gastlichen Gegend wir hier gelandet sind?“ „Ob sie gastlich ist, muß sich erst noch herausstellen“, erwiderte der Kommodore mit einem Blick aus dem zerbrochenen Seitenfenster. „Schätze jedoch, daß wir auf dem Mars gelandet – oder auch gestrandet – sind, und zwar mitten im Lacus Solis.“ „Im Sonnensee“, rief Wernicke. „Mein letzter Traum auf der alten Erde ist in Erfüllung gegangen. Wie romantisch!“ „Ganz so romantisch finde ich es nun doch nicht“, meinte Jim Parker. „Komm, Fritz, laß uns aussteigen. Wollen mal sehen, ob wir die Kiste nicht wieder klarkriegen.“ „Was?“ rief Wernicke erschrocken. „Hier, mitten im See, soll ich aussteigen?“ „Die Bezeichnung ‚See’ dürfte nicht ganz zutreffend sein.“ belehrte ihn sein Freund. „Sie stammt noch aus einer Zeit, als sich die Astronomen von den dunklen Flecken auf dem Mars noch kein rechtes Bild machen konnten. Heute nimmt man be-
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kanntlich an, daß es sich dabei um Gebiete mit Pflanzenwuchs handelt.“ „Prächtig!“ freute sich Fritz Wernicke „Spinat vom Mars!“ „das wird die Sensation des Tages sein, wenn wir später wieder daheim sind.“ Sie hatten inzwischen die Hermetiktür aufgestemmt und sprangen nun aus der Kabine ihres Miniatur-Raumschiffes. Es war kalt draußen, wie an einem Wintertag auf Erden. Aber von Schnee oder Eis war weit und breit nichts zu bemerken. Die Luft war dünn, wie auf hohen Bergen, doch ließ sie sich wenigstens atmen. Das Gehen fiel leicht; denn die Anziehung des Mars ist ja viel geringer als die der wesentlich größeren Erde.
Bis zum Horizont dehnte sich die flache Ebene, die dicht mit graugrünen, kohlartigen Gewächsen bestanden war. Der „Sonnensee“ war wirklich trocken. Nirgends war eine Wasserfläche zu entdecken. Die Untersuchung der X–1001 ergab, daß die Maschine überraschenderweise im wesentlichen unverletzt geblieben war. Außer den zerbrochenen Fenstern und leichten Schäden am Leitwerk ließ sich nur ein Defekt an der Funkanlage feststellen.
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„Schade“, bedauerte Wernicke. „Nun können wir nicht mal dem dicken Cunningham unseren Schiffbruch im ‚Sonnensee’ melden. Und auch Mister Woodbury wird vorläufig nicht erfahren, was für Rekordleistungen sein Wunderkind vollbracht hat.“ „Damit hat es keine Eile, Fritz“, entschied der Kommodore. Er versuchte, sich in der Gegend zu orientieren. Der Sonnensee lag in etwa 30 Grad südlicher Breite. Dort drüben, wo die Sonne über den Horizont gestiegen war, mußte Nordosten liegen. Ein breiter Kanal führte in dieser Richtung durch die Landschaft Thaumasia. Instinktiv schlug der Kommodore den Weg nach Nordosten ein. * „Mensch, Jim, dieser Mars ist ja ein scheußlicher Planet! Einfach nicht zum Aushalten. Kohl, Kohl und nichts als Kohl – wohin der Blick schweift. Das hätten wir auf der Erde bequemer haben können.“ Der kleine Fritz Wernicke fühlte sich zutiefst enttäuscht. „Wenn das alles ist, was du entdeckt hast“, bemerkte Jim Parker, „dann rate ich dir, deinen Blick ein wenig aufmerksamer schweifen zu lassen.“ „Wieso, Jim? Ich sehe wirklich weit und breit nur dieses komische, graugrüne Kraut. Ob es wohl eßbar ist?“ „Ich nehme es an; denn sonst hätte man sich wohl kaum die Mühe gemacht, es plantagenmäßig anzupflanzen. Sind dir noch gar nicht die Bewässerungsgräben aufgefallen, die überall den Boden überziehen?“ „Tatsächlich, Jim“, staunte Wernicke, „jetzt sehe ich sie auch. Das heißt also, daß es doch – Marsmenschen gibt. O Jim, ich muß an unsere letzten Erlebnisse auf Venus denken …“
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Der Kommodore winkte ab. „Das ist ein Kapitel für sich. Doch schau mal, da vorn bewegt sich was.“ Sie waren an einer niedrigen Hecke angekommen, die sich zu beiden Seiten dicht an ihren Weg heranschob. Und plötzlich sahen sie sich von etwa einem Dutzend schattenhafter Gestalten umringt, die ihre Waffen auf sie richteten. Erschrocken tastete Wernicke nach dem Atombrenner. Doch er war ja unbewaffnet. Wer hätte auch an solch ein Abenteuer denken können, als die X–1001 in Orion-City zu ihrem Testflug startete? Einer der drohenden Schatten trat heran. Und plötzlich nahm er menschliche Gestalt an. Fritz Wernicke erkannte ein schmales Gesicht mit intelligenten Zügen und hoher Stirn. Die großen, dunklen, mandelförmigen Augen blickten durch Brillengläser mit breitem, zwölfeckigem Rand. Der Fremde war von mittelgroßer Gestalt und schlankem Wuchs. Er trug ein uniformartiges Gewand aus einem glatten, rötlichen Kunststoff und einen Helm aus mattschimmerndem Metall auf dem Kopf. Ein schmaler Silberstreifen am linken Ärmel schien ihn als Offizier zu kennzeichnen. Der Fremde ließ die Waffe sinken, die wie ein Mittelding von Karabiner, Degen und Atombrenner aussah. Er steckte sich ein winziges Hörgerät in die linke Ohrmuschel und begann, in einer fremden Sprache auf den Kommodore einzureden. Diese Sprache war reich an Vokalen und klang wie Musik. Aber die beiden Weltraumfahrer verstanden kein Wort. „Wir sind in friedlicher Absicht gekommen“, erklärte der Kommodore schließlich. „Unser Fahrzeug ist im Lacus Solis abgestürzt, und ohne fremde Hilfe ist es uns nicht möglich, die Heimfahrt zur Erde anzutreten.“ Es war eine ziemliche Schnapsidee, einen Marsbewohner auf Englisch anzureden. Doch seltsamerweise schien der andere verstanden zu haben. Aus unsichtbaren Taschen seiner Uniform zauberte er zwei weitere Hörgeräte hervor, reichte sie Parker und Wernicke und
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zeigte ihnen ihre Handhabung. Der gute Fritz war sprachlos vor Überraschung, als er den winzigen Apparat im Ohr spürte: Während er mit dem rechten Ohr den melodischen Klang der Marssprache vernahm, hörte er mit dem linken alles, was der Fremde sagte, in die Sprache der eigenen Heimat übersetzt. „Ihr befindet euch im Königreich Thaumasia, Fremdlinge“, verkündete der Offizier. „Folgt mir jetzt, damit ich euch nach Aurora, der Hauptstadt des Landes, geleiten kann.“ „Hoffentlich nicht zu Fuß“, stöhnte Fritz Wernicke. „Ich bin schon jetzt hundemüde.“ Der Marsmensch lächelte. „Du wirst dich nicht anzustrengen brauchen, Fremdling. Die Reise wird sein wie ein kurzer Traum.“ „Was wird aus unserem Raumfahrzeug?“ fragte Jim Parker besorgt. „Es liegt im Lacus Solis, unter 33 Grad Süd, 95 Grad Ost.“ „Seid unbesorgt, euer Fahrzeug bleibt unter sicherem Schutz.“ Er gab einigen seiner Schattengestalten einen Wink und schickte sie in der Richtung zum Sonnensee fort, dann bat er die beiden Freunde, ihm zu folgen. Wie aus dem Boden gewachsen, lag plötzlich im Sonnenschein eine Kugel von etwa drei bis vier Meter Durchmesser vor ihnen. Ihre gläsernen Wände ließen den geheimnisvollen Antriebsmechanismus im Inneren erkennen. Kaum waren die beiden Weltraumfahrer mit ihrem Führer eingestiegen, als dieser den durchsichtigen Flugkörper auch schon in die Höhe steigen ließ. Er schob einen kleinen Zeiger über eine Skala und sagte: „Ich habe jetzt unser Fahrtziel eingestellt. Seht ihr die drei farbigen Knöpfe auf dem Schaltbrett? Mit ihnen reguliert man die Fahrtgeschwindigkeit. Ein Druck auf den roten Knopf – und mit der Schnelligkeit des Gedankens trägt uns der Flugkörper an jeden gewünschten Ort.“
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„Thunderstorm!“ rief Wernicke. „Ihr versteht euer Handwerk noch besser als wir. Unsere wackere X–1001 muß sich ja vor eurer Maschine verstecken.“ „Unmöglich“, rief der Kommodore. „So was gibt es ja gar nicht.“ Doch der Marsbewohner lächelte nur nachsichtig. Er drückte auf den roten Knopf. Dunkel wurde es um Fritz Wernicke – und im nächsten Augenblick wieder taghell. Erstaunt blickte er um sich. Das Bild hatte sich gewandelt. Wo eben noch endlose Plantagen mit graugrünem Kraut den Boden des fremden Planeten bedeckt hatten, stand jetzt eine Stadt mit breiten, sauberen Straßen und prunkvollen Gebäuden. Langsam sank die gläserne Kugel auf eine grüne Rasenfläche im Zentrum hinab. „Aurora, die Hauptstadt unseres Königreichs“, stellte der Offizier vor. * „Noch immer keine Nachricht von der X–1001?“ Ted S. Cunningham, der Beherrscher des Staatlichen AtomTerritoriums, wuchtete seine Fleischmassen hinter dem Schreibtisch hervor und ging seinem Privatsekretär Shilling entgegen, der mit einer Unterschriftsmappe unter dem Arm das Allerheiligste seines Chefs betrat. Shilling hob bedauernd die Schultern. „Nicht die geringste, Sir. Luftüberwachung und Radarstationen arbeiten mit Hochdruck. Auch das Observatorium für Erdbeobachtungen auf unserer Weltraumstation wurde eingeschaltet Aber bisher war alles vergeblich. Die Maschine ist spurlos verschwunden.“ „Na ja, daß sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Luft herumkutschiert, kann ich mir auch allein ausdenken“, knurrte
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der Atomboß böse. „Fragt sich nur, wo sie tatsächlich abgeblieben ist.“ „Mister Woodbury ist nach wie vor davon überzeugt, daß die X–1001 auf dem Wege zum Mars sei.“ „Dieser Woodbury ist ein alberner Schwätzer und Phantast“, tobte Cunningham. „Hol’ ihn der Teufel! Hätte ich mich doch niemals auf den Quatsch mit seiner X–1001 eingelassen. Unsere beiden besten Männer habe ich der verrückten Kiste anvertraut. Wer weiß, was aus ihnen geworden ist! Kommodore Parker und Fritz Wernicke! Vielleicht sind sie in irgendeinem fernen Winkel der Erde abgestürzt und zerschellt – oder ins Meer gestürzt und elend ertrunken – oder mit ihrer rasenden Maschine in der Luft explodiert und in Atome zerfetzt worden …“ „Wir wollen nicht gleich das Schlimmste annehmen, Sir“, versuchte Shilling zu trösten. Aber er war selbst nicht überzeugt. Cunningham fühlte das. Ungnädig schickte er seinen getreuen Mitarbeiter hinaus. * „Wohin bringen Sie uns eigentlich?“ fragte Jim Parker den jungen Offizier, als sie in einer Art U-Bahn-Schnellwagen geräuschlos unter den Straßen der Hauptstadt dahinrasten. „In den Königspalast“, lautete die Antwort. „Ihr werdet dort schon erwartet.“ „Aber das ist doch unmöglich“, entgegnete der Kommodore. „Niemand konnte auch nur das geringste über unsere Marsreise wissen. Sie geschah nämlich ganz unprogrammgemäß.“ Der Marsbewohner lächelte wieder einmal nachsichtig. „Die Sektion „Zukunft“ unserer nationalen Nachrichtenzentrale verfügt über Apparate und Methoden, die es ihr – innerhalb gewis-
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ser Grenzen – erlauben, Dinge zu erfahren, die noch nicht eingetroffen sind. Sie meldete vor kurzem die Ankunft eines Schiffes von einem fremden Stern.“ „Toll“, staunte Fritz Wernicke. „Na, hoffentlich ist Ihr verehrter Herr König nicht enttäuscht, wenn er uns simple Raketenfahrer sieht.“ „Ina, unsere Königin, wird sich freuen, die fremden Gäste willkommen zu heißen.“ Eine Königin – ach, du lieber Himmel! dachte Jim Parker bei sich und stellte sich die Königin als eine ältliche, würdige Matrone vor, auf dem Kopf eine prächtige Krone, in der Hand das Zepter, die mit strenger Baßstimme donnerte und dicke Zigarren rauchte, wenn sie nicht gerade auf ihrem Thron saß und regierte. „Station Königspalast“, verkündete der Offizier. Sie stiegen aus und sahen sich in einer hell erleuchteten, unterirdischen Halle. Einige Wachtposten salutierten. Der Leutnant ließ sie die untersten Stufen einer Rolltreppe betreten und stellte an einer kleinen Schalttafel eine Zahl ein. „Hoppla!“ rief Wernicke erschrocken, als sich die Stufen rasend schnell mit ihnen in Bewegung setzten. Sie fuhren direkt auf die Decke los. Doch ehe Fritz den Kopf einziehen konnte, sprang die Decke von selbst auf und ließ sie hindurch. Immer höher ging es hinauf, schließlich direkt durch eine massive Mauer. Die Treppe stand. Der Kommodore sah sich einem verzierten Portal gegenüber, das von einem Doppelposten flankiert war. Ein Adjutant trat vor und grüßte. „Die Königin erwartet euch, Fremdlinge.“ „Mensch, Jim, hast du ’ne Ahnung, wie man einen Hofknicks macht?“ flüsterte Wernicke ängstlich. Auch der Kommodore spürte ein ungewohntes Herzklopfen, als er jetzt durch das Portal schritt. Er hatte einen prunkvoll-
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strahlenden Saal erwartet, darin die Königin, unter mächtigem Baldachin majestätisch thronend … Statt dessen – ein kleiner, mit vornehmer Sachlichkeit eingerichteter Raum – kein Gold, kein Thron und kein Baldachin. Aus einem Sessel am Fenster erhob sich elastisch eine dunkelhaarige junge Dame in weißem Seidenkleid und schritt den Eintretenden impulsiv entgegen. „Willkommen, Fremdlinge“, sagte sie, und ihre Stimme klang wie die wunderbarste Melodie, die Jim Parker je im Leben gehört hatte. Der Kommodore stand wie in einem Traum. Die Welt um ihn herum war versunken. Er sah nur noch das zauberhafte Antlitz der jungen Königin, ihre dunklen, fröhlichen Augen … Fritz Wernicke räusperte sich und gab seinem Freund verstohlen einen Rippenstoß. Der Kommodore fand nur mühsam aus seinen Träumen zurück. Er verbeugte sich linkisch und schüttelte der Königin unbeholfen die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. „Gestatten, Majestät, mein Name ist Parker, Jim Parker, und dies ist mein Freund Wernicke. Wir kommen von – äh – von …“ „Ich weiß“, half ihm die Königin aus seiner Verlegenheit und forderte ihre Gäste zum Platznehmen auf. „Ihr seid mir schon avisiert. Nochmals: Seid herzlich willkommen und fühlt euch in Thaumasia wie in eurer Heimat. Und verübelt es dem armen Leutnant Togo nicht, daß er euch einen etwas unhöflichen Empfang bereitet hat.“ „Der Leutnant hat sich hilfsbereit und völlig korrekt benommen“, beeilte sich Jim Parker zu versichern. Die Königin lachte. „Es ehrt euch, daß ihr für ihn eintretet. Ich weiß, er hielt euch irrtümlich für feindliche Kundschafter. Die drohende Kriegsgefahr macht unsere Leute zuweilen etwas nervös.“ „Kriegsgefahr?“ staunte Jim Parker.
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„Ja, leider.“ Ein Schatten der Sorge flog über Inas Gesicht. „Der Diktator von Hellas rüstet zum Überfall auf unser Land.“ * Zusammen mit Leutnant Togo, den die Königin zum ständigen Begleiter ihrer irdischen Gäste bestimmt hatte, bummelte Fritz Wernicke durch die gepflegten Straßen der Hauptstadt. Von allen Passanten, denen sie auf ihrem Weg begegneten, wurden sie fast freundschaftlich begrüßt. Dem kleinen Weltraumpiloten fiel es auf, daß nirgends ein Fahrzeug zu sehen war. Sein Begleiter lachte. „Diese rasenden Vehikel, die doch nichts als Verkehrsunfälle verursachen würden, haben wir unter die Erde – das heißt richtiger: unter den Marsboden – verbannt. Der eigentliche Verkehr wickelt sich in mehreren Stockwerken tief unter uns ab. Das hat zugleich den Vorteil, daß wir hier oben keinen Straßenlärm und -staub kennen.“ Fritz Wernicke verspürte plötzlich einen Bärenhunger. Togo führte ihn in ein Gebäude zur Rechten und fuhr mit ihm im Lift zum Dachgeschoß hinauf. Auf der Plattform nahmen sie an einem kleinen Tischchen Platz. Der Leutnant bediente eine buntfarbige Tastatur. Ein leises Summen ertönte – und schon erschien eine Fülle seltsamer Speisen auf der Tischplatte, wie von Geisterhand serviert. „Das ‚Tischleindeckdich’, wie im Märchen“, rief Wernicke begeistert. „Hoffentlich ist nachher auch ein ‚Eselstreckdich’ zur Stelle, wenn’s ans Bezahlen geht.“ Der Marsbewohner kannte das Märchen aus Fritz Wernickes Heimat nicht, aber er erriet den Sinn der Worte. „Machen Sie sich wegen der Bezahlung keine Sorge, Herr Wernicke“, sagte er belustigt. „Wir haben das böse Geld in Thaumasia schon vor Generationen abgeschafft. Der Staat garantiert jedem Bürger
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freie Wohnung und Verpflegung. Auch die Benutzung der Verkehrsmittel ist frei, und natürlich gibt es keine Steuern.“ „Unglaublich!“ Fritz Wernicke vergaß vor Überraschung zuzulangen. „Die Marsbewohner müssen ein glückliches Völkchen sein.“ „Nicht alle“, korrigierte ihn Togo. „Es gibt auch auf diesem Planeten Länder, die weit zurück sind, zum Beispiel die Gebiete des eisigen Thule, unter 60 bis 70 Grad Süd, oder das kriegerische Hellas.“ „Sagen Sie mal – ahem – sind eigentlich auch die Getränke bei euch kostenfrei?“ Togo lächelte. Wieder machte er sich an der geheimnisvollen Tastatur zu schaffen. Und plötzlich erschien vor Wernicke ein Pokal, in dem eine opalisierende Flüssigkeit schäumte. Mißtrauisch schnupperte der Weltraumpilot. Doch dann verklärten sich seine Züge, und er trank genießerisch. „A – a – h“, sagte er gedehnt, „ein herrliches Gesöff. Sagen Sie, wie nennt es sich eigentlich?“ „Wir nennen es ‚Nektar’. Es wird aus den Früchten eines seltenen Baumes gewonnen, der nur am Ganges, einer Landschaft am Äquator, gedeiht. Die Früchte werden …“ Fritz Wernicke sollte zu seinem Leidwesen die Geheimnisse der Gewinnung des Göttertranks nicht mehr erfahren. Ein schrilles Singen war plötzlich in der Luft, erregend und drohend. Es war, als verlöre die Sonne ihren Schein. Im fahlen Licht züngelten grüne Strahlenbündel, fern am Horizont, zum Himmel empor. Die Gespräche der Gäste an den anderen Tischen waren verstummt. Leutnant Togo stand auf und blickte zu den grünen Strahlen hinüber, die das Firmament abtasteten. „Südwest – die Richtung von Argyre“, murmelte er. „Dachte ich’s mir doch …“
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„Was bedeutet denn das alles?“ wollte Fritz Wernicke wissen. „Was sind das für unheimliche Strahlen?“ „Unsere Luftabwehr. Die bösen Nachbarn im Südwesten versuchen wieder einmal, unsere Grenzen zu überfliegen.“ * „Die Sache gefällt mir nicht“, sagte Doktor Herrmann zu seinem Assistenten. „Diese lange Bewußtlosigkeit bei unseren neuen Patienten auf Nummer 24 – das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“ Die beiden Ärzte des deutschen Hospitals zu Apia hatten ihre Nachmittagsvisite beendet und saßen im Zimmer des Chefs bei Zigaretten und eisgekühltem Sodawasser zusammen. Monoton summte der Ventilator. Durch das geöffnete Fenster klangen die Schreie der Seevögel herein. Doktor Schmitz zuckte die Achseln. „Auch mir kommt es rätselhaft vor, Herr Chefarzt. Eine besonders schwere Gehirnerschütterung – na schön. Aber einmal müßten die Männer doch wieder aufwachen. Wir haben getan, was wir konnten, aber sie machen keinerlei Anstalten …“ „Hat sich inzwischen irgendein Fingerzeig hinsichtlich der Personalien ergeben?“ „Nicht der geringste. Der örtlichen Polizeibehörde sind sie völlig unbekannt. Auch ist hier auf den Inseln in letzter Zeit niemand als vermißt gemeldet worden.“ „Vielleicht Schiffbrüchige?“ „Ich habe auch schon dran gedacht, aber der letzte Schiffbruch ereignete sich im vergangenen Jahr, als der Taifun die ‚Maryland’ auf das Korallenriff schleuderte. Nein – die Sache bleibt rätselhaft.“ Doktor Herrmann blätterte abwesend in einem Aktenstück,
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das auf seinem Schreibtisch lag. Schließlich drückte er die Zigarette aus und erhob sich seufzend. „Wir bleiben einstweilen bei der bisherigen Therapie, Herr Kollege. Lassen Sie ständig eine Wache bei den Patienten und benachrichtigen Sie mich sofort, wenn sich irgend etwas ändert – sei es zum Guten oder zum Bösen.“ * „Dort unten liegt das Bosporus-Schloß, meine Freunde.“ Leutnant Togo deutete mit einem Neigen des Kopfes durch die gläserne Wand des Flugkörpers in die Tiefe. Die Freunde waren einer Einladung der Königin gefolgt, die ein paar Tage der Erholung in ihrem Landsitz verbrachte, der in reizvoller Gegend an der Einmündung des breiten Kanals Ambrosia in den Bosporus, eine reich bewässerte und mit üppigen Pflanzungen bestandene Landschaft, gelegen war. „Herrliche Gegenden gibt es auf eurem Planeten“, sagte der Kommodore bewundernd. „Wie kommt es nur, daß wir von der Erde aus nie etwas davon feststellen konnten?“ „Bedenken Sie, daß die Entfernung doch zu groß ist“, erwiderte Togo. „Und außerdem vermeiden wir es nach Möglichkeit, daß man uns in die Karten guckt. In bestimmten Abständen haben wir in unserem Land mächtige Strahler aufgestellt. Ihre Wirkung ist so, daß sie das Bild verwischen, wenn man den Mars von draußen betrachtet. Wir dagegen können von hier aus die Erdoberfläche mit ihrem vielfältigen Leben sehr genau beobachten.“ „Vorausgesetzt natürlich, daß es bei uns daheim nicht gerade regnet“, bemerkte Fritz Wernicke. „Ihr seid eine raffinierte Gesellschaft“, lachte Jim Parker, „und uns kümmerlichen Erdenmenschen technisch himmelhoch überlegen.“
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„Nicht in jeder Hinsicht, Herr Kommodore“, warf Togo bescheiden ein. „In dem wichtigsten Punkt seid ihr uns über.“ „Wie meinen Sie das, Togo? In welchem Punkt?“ „In der Beherrschung der Atomenergie. Es gibt kein Uran auf unserem Planeten.“ „Was liegt eigentlich da hinten im Westen, jenseits des Bosporus?“ erkundigte sich Wernicke. „Hinter dem Bosporus liegt die Grenze unseres Reiches“, erwiderte Togo, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Dort beginnt Argyre, das Land unserer neidischen Nachbarn.“ Sanft setzte der gläserne Flugkörper vor dem Parktor des Schlosses auf. Die drei Männer schritten dem kleinen Schloß zu, einem ganz aus weißem Stein geformten Bau mit harmonischer Linienführung, der auf dem Gipfel eines buschbestandenen Hügels lag. Eine wundervolle Stille herrschte hier. Sie wurde durch die vereinzelten Posten der königlichen Leibwache nicht gestört, die innerhalb der Parkmauern ihren Dienst versahen. Das Gesicht der jungen Königin strahlte vor Freude, als sie ihre Gäste begrüßte. Sie trug heute ein dunkelgrünes Kostüm, das sie vortrefflich kleidete und sie noch frischer und jugendlicher erscheinen ließ als sonst. Jim Parker fühlte sich wieder sonderbar befangen in Inas Nähe, und es überlief ihn, den kühnen Weltraumeroberer, heiß und kalt, wenn er in die strahlenden Augen der jungen Marskönigin sah. Aber sie befreite Jim schnell aus seiner Verlegenheit und führte ihn mit seinem Begleiter in den Speisesaal. Nach dem Essen ließ es sich Fritz Wernicke nicht nehmen, die Bekanntschaft des königlichen Kellermeisters zu machen und sich ausgiebig an „Nektar“ und anderen scharfen Sachen zu laben. Indessen führte die Königin ihren Gast auf das flache Dach des kleinen Schlosses. Weit schweifte der Blick von hier
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aus westwärts, über die graugrünen Felder des Bosporus hinweg. „Diese Felder sind der Wohlstand meines Volkes“, sagte Ina und stützte sich leicht auf den kräftigen Arm des Kommodores. „Ungezählte Generationen haben daran gearbeitet, ein wunderbares Bewässerungssystem auszubauen, um die Wüsten des Mars in üppiges Ackerland zu verwandeln. Und das alles nur, damit wir, die Urenkel, den Gewinn davon haben sollten: ein leichtes Leben, das nicht mehr dem Kampf um die nackte Existenz gewidmet ist, sondern allein dem kulturellen Fortschritt und der Veredlung des Charakters.“ „Ein hohes Ziel“, meinte der Kommodore nachdenklich. „Mir scheint, wir irdischen Menschen sind noch himmelweit davon entfernt.“ „Die Marsmenschen nicht weniger“, seufzte Ina. „Das, was Sie hier sehen, gilt nur für das glückliche Volk von Thaumasia. In anderen Nationen dieses Planeten herrschen noch immer Haß und Mißgunst, Roheit und Gier, wie in grauer Vorzeit. Überall rüstet man zum Überfall auf Thaumasia.“ „Ich habe den Eindruck, daß die Leute von Thaumasia etwas zu weltfremd leben. Sie sollten mehr auf die Sicherheit des Landes bedacht sein.“ „Dies ist die Aufgabe Gulos, des Verteidigungsministers. Er ist ein ehrgeiziger und äußerst befähigter Mann.“ Die Königin wurde durch das Erscheinen eines Adjutanten unterbrochen, der ihr eine Meldung zuflüsterte. Ein Zug des Unmuts huschte über ihr Gesicht. Aber sie faßte sich schnell: „Führe die Herren in den Empfangsraum.“ Und – zu Jim Parker: „Kommen Sie mit, Jim. Sie können gleich ein Kapitel Marspolitik kennenlernen. Elbon, der Botschafter von Argyre, will einen Protest seiner Regierung vortragen. Die Sache scheint wichtig zu sein; denn mein Ministerpräsident, Professor Sarano, und
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Verteidigungsminister Gulo sind von der Hauptstadt mitgekommen.“ Jim Parker interessierte sich nicht für Politik. Seinem geraden Charakter war alles Unaufrichtige und Trügerische zuwider. Aber er merkte, daß die junge Königin Wert auf seine Anwesenheit legte, und so stimmte er zu. Die Audienz begann genau so, wie Jim es sich vorgestellt hatte. Der Botschafter des Nachbarlandes, ein verschlagen wirkendes Männchen in ordenbehängter Phantasieuniform, trug mit gespielter Entrüstung den Protest seiner Regierung vor. Zwei friedliche Passagierfluggeräte wären beim Überfliegen des Sonnensees durch die Luftabwehr Thaumasias vernichtet worden. Die Regierung von Argyre verlangte Schadenersatz und strengste Bestrafung der Schuldigen. Professor Sarano, ein stiller, vornehmer Gelehrtentyp, lief vor Zorn rot an. „Die Schuldigen haben ihre Strafe bereits erhalten, als sie von unserer Abwehr heruntergeholt wurden.“ Der Botschafter wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, aber die Königin kam ihm zuvor. „Der Zwischenfall hätte sich vermeiden lassen, wenn eure Flugmaschinen sich an die vereinbarte Route gehalten hätten.“ „Sehr richtig“, nickte der Verteidigungsminister wichtig. „Wer die Gebiete überfliegt, in denen wir unsere Strahler postiert haben – ich meine vor allem den Lacus Solis, den Aurorae Sinus und …“ „Ahem …“ Der Kommodore räusperte sich laut und vernehmlich und warf dem eifrigen Gulo einen abschätzenden Blick zu. Die Königin bemerkte es. „So genau will der Herr Botschafter das wohl gar nicht wissen“, wies sie ihren Verteidigungsminister zurecht. Und zu Elbon: „So wie die Dinge liegen, bedaure ich, den Protest der Regierung von Argyre zurückweisen zu müssen.“
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Die Audienz war beendet. Als Jim Parker später an der Seite der Königin durch die gepflegten Anlagen des Schloßparkes schritt, fiel ihm auf, wie bedrückt und schweigsam sie war. „So machen sie es immer, wenn sie irgendeine Bosheit im Schilde führen“, sagte Ina schließlich. „Sie provozieren Grenzzwischenfälle, um das eigene Volk aufzuhetzen und nach außen hin den Schein zu erwecken, sie seien die Angegriffenen.“ „Diese Methode ist auch auf der Erde gebräuchlich“, lachte der Kommodore rauh. „Ach, Jim, ich bin in so großer Sorge um mein Land. Vielleicht rüstet der ganze Staatenbund von Hellas schon zum Überfall auf Thaumasia.“ „Das müßte sich unschwer feststellen lassen. Soll ich mich mal ein bißchen in der Gegend umsehen? Ich denke da an einen kleinen Erkundungsflug um den ganzen Planeten. Er stand sowieso schon lange auf unserem Spielplan.“ „Man würde das Fluggerät als eines der unsrigen erkennen und würde Sie kurzerhand abschießen“, wandte Ina besorgt ein. „Nun, so leicht werde ich es den Halunken nicht machen. Im übrigen benutze ich meine eigene Maschine. Morgen um diese Zeit wissen wir bereits mehr.“ „Ich danke Ihnen, Jim“, sagte die junge Königin warm und drückte ihm impulsiv die Hand. * „Mein lieber Jim, wenn das nur gut geht“, sagte Fritz Wernicke bedenklich. „Die große Weltpolitik ist ein gefährliches Pflaster – auch auf dem Mars. Wir werden nicht die ersten sein, die darauf ausgerutscht sind.“ „Gib lieber acht auf das Steuer, Whiskytöter, sonst rutschen wir schon aus, bevor wir überhaupt angefangen haben.“ Sie
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hockten wieder in der engen Kabine der X–1001, die von den Marsingenieuren in der Zwischenzeit instand gesetzt worden war. In weiten Kurven kreiste das Raketenflugzeug über dem Sonnensee, der jetzt in nächtlichem Dunkel lag. Der Kommodore machte sich an dem Ultrarotstrahler zu schaffen, den ihm Leutnant Togo auf Geheiß der Königin übergeben hatte. Jetzt visierte er den Boden des Sonnensees an und drückte auf den Auslöser. Gespannt blickte er auf den Bildschirm. In gestochener Schärfe rollte der Talboden, taghell erleuchtet, vor seinen Augen ab. Jim drehte am Triebknopf der kontinuierlichen Vergrößerung. Das Gelände wuchs ihm förmlich entgegen. Schon konnte er die einzelnen Pflanzen der Marsplantagen deutlich unterscheiden. „Tolle Erfindung. Los, Fritz, gib Gas! Kurs Südwest.“ Über die Landschaften Thaumasias ging der Flug, über den fruchtbaren Bosporus, hinein in den Luftraum über dem öden Argyre. Bis zum fernen „Meer des Südens“ ging es. Hier befahl Parker zu wenden. Mit Nordwestkurs ging es zunächst über das Land Noachis und dann – nach einer scharfen Rechtskurve – über den Hellespontus nach Hellas hinein. Als sie über der Hauptstadt kreisten, stiegen aus dem Dunkel farbige Lichtbälle empor und zerplatzten in einem magischen Feuerwerk. „Sie beschmeißen uns mit Konfetti, Jim“, bemerkte der kleine Steuermann. „Demnach hat man uns doch bemerkt.“ „Was auch nicht anders zu erwarten war. Sicher haben sie uns jetzt auf den Bildschirmen ihrer Ultrarotgeräte und zerbrechen sich ihre Holzköpfe darüber, was für einen seltsamen Vogel sie da eingefangen haben. Dreh nach Südosten ab, Fritz. Wir wollen dem Staat Edom noch einen Höflichkeitsbesuch abstatten und dann heimwärts fliegen. Ich glaube, Königin Ina und ihr tüchtiger Kriegsminister werden nicht wenig erstaunt sein, wenn sie das Ergebnis unseres Fluges erfahren.“
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„Dann hat es sich also gelohnt?“ „Und ob es sich gelohnt hat! Sämtliche Armeen diesem rauflustigen Planeten scheinen auf dem Marsch gegen Thaumasia zu sein.“ „Mensch, Jim, da sind wir wohl gerade zur rechten Zeit gekommen …“ „Wie man’s nimmt. Jedenfalls dürfen wir unsere Freunde jetzt nicht im Stich lassen.“ Sie flogen bereits über dem Sinus Sabaeus, unter 10 Grad Süd, und näherten sich der Grenze von Edom. „Zählen diese Brüder auch zum Hellas-Bund?“ erkundigte sich Wernicke. „Offiziell gilt Edom als unabhängig, wie mir die Königin sagte. Aber es besteht der Verdacht, daß auch diese Nation zu den Hilfsvölkern des Angreifers gehört.“ In diesem Augenblick schlossen die Freunde geblendet die Augen, Ein breiter Lichtstrahl, von blendend grüner Farbe, züngelte aus der Tiefe herauf. „Der grüne Strahl! Ruder hart backbord!“ schrie der Kommodore. Fritz Wernicke riß das Steuer herum, daß die Maschine sich fast überschlug. Doch es war schon zu spät. Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde hatte der rechte Tragflügel den grünen Lichtschein gestreift … Mit schmetterndem Krachen zerbarst er in Atome. Die Maschine begann, in engen Spiralen abwärts zu trudeln. „Maschine stop! Bremsschirm raus!“ brüllte der Kommodore. Und gleich darauf: „Fallschirm!“ Ein zweimaliges hartes Rucken – es war, als würde das Flugzeug gewaltsam auseinandergerissen. Doch dann taumelte es merklich langsamer dem Boden entgegen. Mit dumpfem Knall setzte es auf.
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* „Herr Doktor, Herr Doktor – schnell, kommen Sie!“ Aufgeregt stürzte Schwester Johanna in das Zimmer des Chefarztes, der sich gerade zu einem Mittagsschläfchen auf die Couch gelegt hatte. Doktor Herrmann fuhr ganz verdattert aus dem ersten Schlummer auf. „Was ist denn passiert, um Himmelswillen?“ „Die Patienten – auf Zimmer 24 …“ „Ja, was denn? Sind sie etwa tot?“ „Aber Herr Chefarzt!“ Schwester Johanna war wirklich entsetzt. „Sie sind natürlich nicht tot, aber – sie reden.“ „Dann sind sie also endlich aufgewacht?“ „Aber nein, Herr Chefarzt, sie reden im Traum.“ „Ja, zum Donnerwetter, ist das denn ein Grund, mich hier in meinem heiligen Mittagsschlaf zu stören? Was ist es denn so Wichtiges, was die Kerls da zu schwätzen haben?“ Schwester Johanna machte ein hilfloses Gesicht. „Ich verstehe kein Wort, Herr Chefarzt. Sie sprechen irgendeine fremde Sprache. Deutsch ist es jedenfalls nicht, auch nicht Englisch oder Französisch, und Chinesisch schon gar nicht, soweit ich mir ein Urteil erlauben kann.“ „Na schön.“ Doktor Hermann erhob sich seufzend. „Dann wollen wir mal nachschauen. Holen Sie bitte auch Doktor Schmitz.“ Fünf Minuten später standen die beiden Ärzte mit Schwester Johanna an den Betten ihrer namenlosen Patienten von Nummer 24. Die beiden hatten die Augen geschlossen, sie waren offenbar noch immer ohne Bewußtsein. Aber ihre Lippen bewegten sich und formten Worte und Sätze in einer Sprache, die keiner der Ärzte je zuvor vernommen hatte – wobei das Merkwürdigste war, daß sie sich im Schlaf miteinander zu verständigen schienen.
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„Ist das nun Hottentottisch oder Botokudisch, Herr Kollege?“ fragte Doktor Herrmann kopfschüttelnd. Doktor Schmitz zuckte die Achseln. „Ich bin wahrhaftig viel in der Welt herumgekommen. Als Schiffsarzt auf weltumspannenden Passagierlinien lernt man allerhand Länder und Völker kennen. Aber diese Sprache ist mir nirgends begegnet. So was gibt es ja gar nicht.“ „Die beiden scheinen sich aber gut zu verstehen“, widersprach Schwester Johanna. „Man sollte einen Fachmann befragen“, überlegte Doktor Herrmann. „Vielleicht haben wir Glück. Ich lernte gestern abend im Deutschen Klub einen Sprachforscher kennen – Professor Wegener von der Hamburger Universität –, der nicht weniger als 21 lebende und tote Sprachen fließend spricht und darüber hinaus einige Dutzend andere kennt. Vielleicht könnte er uns helfen, das Rätsel um diese beiden Unbekannten zu lösen.“ „Professor Wegener? Ich will versuchen, ihn zu finden“, versprach der Assistenzarzt. * „Bruchlandung“, konstatierte Fritz Wernicke sachlich. „Mensch, Jim, daß uns dieses Pech passieren mußte.“ „Es ist zum Haarausraufen“, schimpfte der Kommodore. „Da ballt sich überall das Verhängnis über Thaumasia zusammen, und wir armseligen Würstchen, die wir unsere Freunde warnen müßten, wir stecken hier im Dickicht und können nicht vom Fleck, weil unsere Maschine zum Teufel ist.“ „Wenn doch wenigstens die Funkanlage in Ordnung wäre“, sagte Fritz Wernicke kläglich. „Jammere nicht, Fritz. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als
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uns schleunigst auf den Weg zu machen und zu versuchen, zu Fuß durchzukommen. Gelingt es uns, das Gebiet von Chryse zu erreichen, dann haben wir’s geschafft. Dort ist man den Thaumasiern wohlgesonnen und wird uns gewiß ein Fluggerät zur Verfügung stellen.“ „O Jim, weiß du, was du da von mir verlangst? Chryse ist von hier 60 Längengrade entfernt, wie du auf der Karte feststellen kannst. 60 Längengrade! Das ist so weit, wie von Ostafrika nach Sumatra – und das alles zu Fuß.“ „Unsinn, Fritz, dein Vergleich hinkt auf allen vier Beinen. Der Marsumfang ist nur halb so groß, wie der unserer Erde. Außerdem erleichtert uns die geringe Schwere auf diesem Planeten das Vorankommen ungemein. Schließlich und endlich hoffe ich doch, daß wir bald auf eine ‚marsmenschliche’ Niederlassung stoßen und von dort aus einen Funkspruch nach Aurora aufgeben können.“ „Und wie wollen wir uns in diesem Dschungel orientieren?“ „Nach den Sternen, Fritz, und am Tage nach der Sonne. Zum Glück herrscht auf dem wolkenarmen Mars fast durchweg klares Wetter. Doch komm jetzt, old fellow, wir wollen unsere Zeit nicht vertun.“ Seufzend stieg der kleine Wernicke aus der Führerkanzel und folgte seinem Kameraden in einem Abstand, der von einer Viertelstunde zur anderen größer und größer wurde. Der Kommodore rief zuweilen ungeduldig zurück und forderte Wernicke auf, gefälligst „die Beine in die Hand zu nehmen“. Aber der kleine Fritz hatte ganz einfach keine Lust. Diese Bummelei sollte ihnen ganz unverhofft zugute kommen. Sie mochten schon eine Stunde in östlicher Richtung gewandert sein, und vor ihnen am Horizont erschien bereits ein blasser, rosiger Schimmer. Da wurde der Dschungel weit vorn – dort, wo
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der Kommodore sich befand, – urplötzlich lebendig. Unwillkürlich verhielt Fritz Wernicke den Schritt. Er hörte Stimmengewirr, scharfe Befehle und das Brechen des Buschwerks. Seine erste Reaktion war, nach vorn zu stürzen und dem Gefährten beizustehen. Doch plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. So leise wie möglich schlich er sich an den Ort des Überfalls heran … * „Willst du uns nun endlich sagen, woher du wirklich kommst?“ Drohend richtete der edomitische General zum zehnten Male die gleiche Frage an Jim Parker, der sie mit seinem liebenswürdigsten Lächeln quittierte. „Ich sagte es bereits mindestens neunmal, Exzellenz: Ich komme von der Erde. Mein Raumfahrzeug landete dort drüben, fern im Westen, und ging bei der Landung zu Bruch. Als Schiffsbrüchiger rettete ich mich in dieses gastliche Land. Der Empfang, der mir bei euch zuteil wurde, hat alle meine Erwartungen übertroffen. Glaube mir, edler Fürst, man wird in meiner Heimat sehr erstaunt sein, wenn ich von der Gastfreundlichkeit der Marsbewohner berichten werde.“ In den stumpfen Zügen des Marskriegers, die vom allzu reichlichen Genuß des edlen „Nektars“ aufgedunsen waren, zuckte es. Wollte dieser Fremde ihn zum Narren halten? Zornig fuhr er auf: „Schweig, Fremdling! Das Märchen von der Erde und von deinem Raumfahrzeug magst du anderen auftischen, die dümmer sind als ich. Der Krieg kann jeden Augenblick ausbrechen – und du bist unter verdächtigen Umständen an unserer Grenze aufgegriffen worden. Du bist ein Spion, ein Kundschafter der Königin von Thaumasia!“
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„Eure planetaren Raufereien interessieren mich nicht“, gähnte Parker. „Aber sag mal, edler Scheich, wer ist denn diese Königin von Thaumasia?“ Der General schnippte verächtlich mit den Fingern. „Sie wird nicht mehr lange Königin sein. Noch bevor der Tag endet, werden die tapferen Luftstreitkräfte von Hellas das Schloß am Bosporus besetzt und die Königin entführt haben. Das übrige ist dann einfach. Die Feiglinge von Thaumasia, die den Frieden über alles lieben und auf uns alte Krieger herabblicken, werden keinen Widerstand mehr leisten, wenn ihre geliebte Königin nicht mehr unter ihnen weilt. Hahahaha!“ Der Kommodore erschrak. „Die Königin soll entführt werden? Und das mitten im Frieden? Ja, kennt man denn auf Mars kein Völkerrecht?“ „Völkerrecht?“ äffte der General den Sprecher nach. „Das ist nur etwas für die Schwachen. Im Angriff liegt die beste Verteidigung. Aber du scheinst auf Seiten Thaumasias zu stehen, Fremder. Das macht dich verdächtig. Ich lasse dich jetzt abführen. Heute abend setze ich das Verhör fort. Bis dahin kann der neueste Typ des ‚Wahrheitsfinders’ aus der Hauptstadt eingetroffen sein. Mit diesem praktischen Gerät wird auch der hartgesottenste Lügner überführt.“ – Der Kommodore verträumte den Tag auf der harten Pritsche in dem winzigen Bunker aus rötlichem Stein, der sein Gefängnis war. Seine Gedanken waren bei Ina. Der Königin selbst drohte höchste Gefahr, ihrem friedlichen und fortschrittlichen Reich aber stand der Untergang bevor. Und er, der davon wußte und alles hätte ändern können, er lag hilflos in der Gefangenschaft der Feinde und sah seinem nächsten Verhör entgegen, bei dem man ihn überführen wollte. Was das wohl für ein scheußlicher Apparat sein mochte, dieser „Wahrheitsfinder“?
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Stunde um Stunde tropfte dahin – unendlich langsam. Um die Mittagszeit wurde es überraschend warm. Ach ja – man befand sich hier unmittelbar unter dem Äquator. Was mochte wohl aus Fritz Wernicke geworden sein? Vielleicht hatte er sich hoffnungslos verirrt im Dschungel des Sinus Sabaeus. Aber solange Wernicke noch in Freiheit war, durfte auch er, Jim Parker, noch hoffen. Mit dieser Vermutung sollte der Kommodore recht behalten. Irgendwann, am Nachmittag, mußte er wohl eingenickt sein. Als er – von einem unbestimmten Geräusch aufgescheucht – die Augen öffnete, war es bereits fast dunkel. Wieder dieses seltsame Geräusch, ganz in der Nähe. Der Kommodore lauschte angestrengt „Ist dort jemand?“ „Pst! Vorsicht, alte Mondrakete, nicht so laut!“ „Fritz, bist du’s wirklich? Aber wo steckst du denn bloß? Ich kann dich nirgends entdecken.“ „Du bist wohl blind, Jim? Hier, setze dir die Brille auf!“ Aus der Luft heraus flog dem Kommodore eine jener großen, breitrandigen, zwölfeckigen Brillen in den Schoß, die er schon wiederholt bei den Marsbewohnern bemerkt hatte. Behutsam setzte er sie auf – und sah im selben Augenblick Fritz Wernicke in voller Lebensgröße vor sich stehen. „Hallo, Fritz, seit wann kannst du dich denn unsichtbar machen?“ Der kleine Steuermann tippte auf einen sternförmigen Kristall, den er auf der Brust trug. „Das ist das ganze Geheimnis, Jim. Dieser Stern verleiht seinem Träger die Gabe der Unsichtbarkeit, und die Zauberbrille, die du auf der Nase trägst, hebt diese Wirkung wieder auf. Verstanden?“ „So ziemlich. Aber woher hast du denn diese nützlichen Dinge?“ „Gefunden, Jim.“
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„Was? Gefunden? Ja, läßt man denn solche kostbaren Geräte hier einfach herumliegen?“ „Nun, ja – das heißt: nein. Es hingen noch ein paar Anhängsel daran.“ „Was für Anhängsel denn?“ „Nun, zwei von diesen ulkigen Marssoldaten. Ich mußte sie ein wenig narkotisieren. Sorry …“ Draußen näherten sich Schritte. „Hier, Jim“, flüsterte der kleine Steuermann hastig, „dieser Stern ist für dich. Und nun komm, bevor uns diese Halunken erwischen.“ Unsichtbar schlüpften die beiden Freunde aus dem Bunker, an den Posten vorbei, die zum Glück keine „Zauberbrillen“ trugen. Leise schlichen sie im Lager herum, auf der Suche nach einem unbewachten Ausgang Plötzlich faßte der Kommodore nach dem Arm des Freundes und deutete nach oben. Aus dem dunklen Blau des verdämmernden Himmels sank ein gläserner Flugkörper herab, in dessen Inneren zwei Männer in edomitischen Uniformen sichtbar waren. Jetzt setzte die Kugel auf. Einer der Uniformierten sprang heraus und langte nach einem übermannsgroßen Kasten, den sein Kamerad zur Einstiegluke schob. „Los, Fritz!“ kommandierte Jim Parker. Im nächsten Augenblick waren die beiden an dem Flugkörper. Gewandt schwangen sie sich ins Innere. Und während Wernickes Fußtritt den Edomiter in hohem Bogen durch die Luke ins Freie beförderte, fuhren die Finger des Kommodore schon über die Skala, um „Aurora“ einzustellen. „Klar zum Start!“ meldete Fritz Wernicke vergnügt. Der Kommodore drückte auf den roten Knopf. *
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Professor Wegener entpuppte sich als ein kleines, dürres Männchen mit grauem Spitzbart und gutmütigen blauen Augen hinter einer mächtigen Hornbrille. Wie der Prototyp eines Bücherwurms kam er dem jungen Assistenzarzt vor, der ihn in seinem Hotelzimmer in Apia aus einem Durcheinander von dickleibigen Wälzern und Manuskripten aufstörte. Der Gelehrte war sofort bereit mitzukommen, um die rätselhafte Sprache zu identifizieren, in der sich die beiden unbekannten Patienten unterhielten. Der Wagen des Assistenzarztes brachte ihn in zehn Minuten zum Deutschen Hospital. „Reden die Patienten noch?“ fragte er aufgeregt den Chefarzt, der ihnen auf der Treppe entgegenkam. „Hallo, Herr Professor! Sehr liebenswürdig, daß Sie sich herbemüht haben. Ja, kommen Sie nur, die beiden haben sich anscheinend sehr aufregende Dinge zu erzählen.“ Doch Professor Wegener schüttelte nur den Kopf, als er den merkwürdigen Patienten eine Weile zugehört hatte. „Ich fürchte, meine Herren, ich muß Sie enttäuschen“, sagte er betrübt, „aber diese Sprache ist mir völlig unbekannt.“ „Und haben Sie gar keine Vermutung?“ Der Sprachforscher zuckte die Achseln. „Ein paarmal war es mir so, als ob ich einzelne lateinische Laute herausgehört hätte – und dann wieder klang es wie Griechisch. Aber ich kann mich auch getäuscht haben. Nein, meine Herren, so unglaublich es sich anhört: Diese Sprache gibt es auf der ganzen Erde nicht.“ „Nanu, Herr Professor“, rief Doktor Herrmann ungläubig, „sind Sie etwa der Ansicht, die beiden Männer stammten – vom Mars?“ „Das habe ich nicht behauptet“, erwiderte der Gelehrte vorsichtig.
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* „Aber Jim, das ist doch gar nicht möglich! Eben weilten wir noch an den gastlichen Gestaden Edoms – wir steigen in diese komische Glaskugel – du drückst auf den Knopf – und schon sind wir in Aurora, mitten im Herzen von Thaumasia, fast auf dem entgegengesetzten Punkt des Planeten. Und das alles, ohne daß wir auch nur so viel davon gemerkt haben.“ Der kleine Steuermann schnippte mit den Fingern und konnte sich offenbar gar nicht beruhigen. Jim Parker antwortete nicht. Durch die gläserne Wand des Fluggeräts blickte er in die Tiefe, auf die Stadt, die ihnen rasch entgegenwuchs. Und diese Stadt mit ihren sonst so ruhigen, vornehmen Straßen – sie wirkte heute wie ein aufgestörter Ameisenhaufen. Die Einwohner drängten sich und hasteten ziellos durcheinander. Jede Ordnung schien über den Haufen geworfen. Der Kommodore sah es mit Beunruhigung. Fritz Wernicke spann indessen seine Gedanken weiter. „Mensch, Jim, wenn wir diesen Antrieb beim S.A.T. für unsere Planetenschiffe hätten! Wir könnten jedes Wochenende auf einem anderen Planeten verbringen. Selbst zum fernen Pluto wäre es dann nur ein Katzensprung. Ob uns die netten Marsbewohner das Geheimnis des ‚roten Knopfes’ wohl verraten werden, bevor wir zur Erde zurückkehren?“ „Schätze, daß es mit unserer Rückkehr zur Erde so bald nichts wird“, knurrte Jim Parker. „Unsere X–1001 ist so ziemlich im Eimer – und hier ist, wie mir scheint, in unserer Abwesenheit der Krieg ausgebrochen.“ „Wie kommst du denn darauf, Jim?“ Doch dem kleinen Steuermann sollte das Fragen sehr schnell vergehen. Gerade setzte der Flugkörper auf dem Rasen des großen Lufthafens im Zentrum der Stadt auf, als plötzlich wieder
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das schrille Singen in der Luft war, das die Freunde schon einmal gehört hatten. Irgendwo in der Stadt ertönten Explosionen. Mit zitternden Geisterfingern huschten grüne Strahlen über den Himmel. Plötzlich hatten sie einen jener kugelförmigen Flugkörper erwischt – noch einen – einen dritten … Mit schmetterndem Krachen zerplatzten die fremden Flugmaschinen in der Luft. Die übrigen suchten blitzschnell das Weite. Der Angriff war für diesmal abgeschlagen. „So soll es in früheren Zeiten auch auf unserer alten Erde zugegangen sein“, sagte Wernicke düster. „Und da wollten uns die Leute weismachen, die Marsmenschheit sei der irdischen himmelweit voraus.“ „In gewisser Hinsicht ist sie’s auch, mein lieber Fritz. Denke doch nur an all die Wunder, die wir in Thaumasia gesehen haben. Aber wo Licht ist, da ist bekanntlich auch Schatten, und was können die Leute in Thaumasia dafür, daß ihre barbarischen Nachbarn ihnen die Früchte ihres Fleißes nicht gönnen? Wenn ich doch nur wüßte, wie wir Königin Ina helfen könnten!“ „Ihr seid die einzigen, die der Königin helfen können. Den guten Geistern sei gedankt, daß ihr zurückgekehrt seid, meine Freunde.“ Leutnant Togo stand plötzlich vor ihnen. Mit ausgebreiteten Armen begrüßte er sie. „Wir hatten Glück im Unglück“, lachte Jim Parker grimmig. „Was ist denn bei euch inzwischen passiert? Wir bringen wertvolles Beweismaterial über die Kriegsvorbereitungen eurer
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Feinde mit. Aber mir scheint, wir kommen zu spät, und der Krieg ist bereits in vollem Gange.“ „Man hat uns überrumpelt“, gestand Togo beschämt. „Euer tüchtiger Verteidigungsminister scheint ein ganz ausgesuchter Weihnachtsmann zu sein“, wetterte Fritz Wernicke, obwohl er damit rechnen mußte, daß der junge Marsmensch gar nicht wissen konnte, was ein „Weihnachtsmann“ war. Aber Leutnant Togo achtete nicht darauf. „Das Schlimmste wißt ihr noch gar nicht, meine Freunde. Unsere Königin befindet sich in den Händen des Feindes. Das Bosporus-Schloß wurde überfallen – kaum, daß ihr zum Erkundungsflug aufgestiegen wäret. Tiefe Niedergeschlagenheit hat sich ganz Thaumasias bemächtigt …“ „Durch Niedergeschlagenheit bekommt ihr eure Königin nicht wieder frei“, sagte der Kommodore kalt. „Warum ist denn nichts unternommen worden?“ „Die Regierung kommt zu keinem Entschluß. Sie tagt schon seit zwölf Stunden ohne Unterbrechung in der Staatskanzlei. Besonders Minister Gulo soll die Angelegenheit bagatellisieren.“ „Das sieht ihm ähnlich. Kommt, Leute, wir wollen uns den Saftladen mal anschauen. Ich hoffe, die U-Schnellbahn wird wohl noch verkehren.“ Sie fuhren auf der Rolltreppe in den tiefen Schacht hinunter und bestiegen einen der stets abfahrbereiten Schnellwagen. Der Kommodore stellte den Richtungsanzeiger auf „Staatskanzlei“. * In der Staatskanzlei Thaumasias herrschte ein kopfloses Durcheinander. Unangefochten gelangte Jim Parker mit seinen Begleitern bis in den Sitzungssaal, in dem die Regierung tagte. Jeder hätte hier nach Belieben aus- und eingehen können.
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Um einen ovalen Tisch in der Mitte des Raumes saßen die Minister. Sie saßen hier schon seit mehr als zwölf Stunden, und manch einer schien dem Zusammenbruch nahe zu sein Mehr im Hintergrund saßen oder standen Staatssekretäre, hohe Offiziere, Schreiber und Kuriere. Unauffällig schoben sich die drei Neuankömmlinge bis in die erste Reihe vor. Der Sitzungssaal war von einem gelblichen Licht erfüllt, das hell war und doch den Augen nicht weh tat Es kam aus keiner sichtbaren Lichtquelle, die Luft selbst war es, die leuchtete. Während der Kommodore sich noch seine Gedanken über diese Erscheinung machte, hörte er die Stimme Gulos, des Verteidigungsministers: „… und ich sage es euch zum hundertsten Male: Es gibt nichts, was eine allgemeine Mobilmachung rechtfertigen würde. Eine kleine, räuberische Aktion, von einer irregulären Bande aus Argyre ausgeführt, ist noch kein Grund, einen weltumspannenden Krieg zu entfesseln.“ „Und die Bomben, die man uns erst vor einer Viertelstunde auf den Kopf geworfen hat?“ warf der Ministerpräsident ein. „Wir werden den Zwischenfall untersuchen“, entgegnete Gulo wegwerfend. „Außerdem sind die Schuldigen ja bereits von unserer Abwehr vernichtet worden. Nein, nein, meine Freunde, ich bin fest davon überzeugt, daß alle Gerüchte von den Kriegsvorbereitungen unserer Nachbarländer frei erfunden sind.“ „Irren ist menschlich“, ertönte da plötzlich Jim Parkers sonore Stimme. „Oder – besser gesagt – marsmenschlich. Ich komme nämlich gerade mit meinem Freund Wernicke von einem kleinen Spazierflug über Hellas und die umliegenden Ortschaften zurück. Es war sehr aufschlußreich, was wir dort zu sehen bekamen. Wenn es die Herren interessiert?“ „Ich protestiere!“ schrie Minister Gulo, blaurot im Gesicht.
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„Ich protestiere dagegen, daß Fremde, die nicht einmal von unserem Planeten stammen …“ „Aber nicht doch“, wehrte der Ministerpräsident ab. „Ob fremd oder nicht – hier geht es um die Rettung unseres Landes. Jeder ist uns willkommen, der uns helfen will.“ Der Kommodore trat an das Leuchtrelief des Planeten Mars, das eine Wand des Sitzungssaales ganz bedeckte. Ruhig berichtete er von den Beobachtungen, die ihm auf dem Erkundungsflug gelungen waren. Eine Welle der Erregung brandete hoch, als er geendet hatte. „Der Fremde will uns aus Gründen, die ich noch nicht ganz durchschaue, hinters Licht führen“, zischte Gulo. „Ich behaupte, er hat diesen Flug überhaupt nicht durchgeführt. Wo ist denn die Flugmaschine geblieben, mit der er angeblich gestartet ist? Unsere Luftüberwachung meldete nichts von ihrer Rückkehr.“ „Das dürfte auch kaum möglich sein“, erwiderte Jim Parker trocken. „Unsere X–1001 geriet in den Grünen Strahl. Sie liegt jetzt im Dschungel von Edom ..“ „Und ihr seid wohl zu Fuß zurückgekommen?“ höhnte Gulo. „Zu Fuß um den halben Planeten herum?“ Der Kommodore hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch da drängte sich plötzlich ein Offizier durch die Menge, eilte auf Professor Sarano zu und flüsterte ihm eine Meldung zu. Erregt stand der Ministerpräsident auf und klopfte auf die Tischplatte. Augenblicklich trat eine atemlose Stille ein. „Meine Freunde, ich erhalte soeben eine alarmierende Nachricht: Truppen von Argyre haben am Aurorae Linus in breiter Front unsere Grenze überschritten und die Grenzposten überwältigt.“ „Na also, Herr Verteidigungsminister“, rief Fritz Wernicke mit einem herausfordernden Blick auf Gulo. „Nun zeigen Sie mal, was Sie können!“
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„In Vertretung der Königin ordne ich hiermit die Mobilmachung an“, fuhr Professor Sarano fort. „Der Verteidigungsminister wird sofort alle erforderlichen Schritte einleiten, um die Angreifer zurückzuschlagen.“ „O weh“, seufzte der Kommodore vernehmlich, „ich fürchte, mit diesem Gulo hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Bei seiner Begabung …“ Ein haßerfüllter Blick aus den Augen des Ministers traf ihn. Doch Professor Sarano kam einer Erwiderung zuvor. „Was werdet ihr nun tun, meine Freunde?“ wandte er sich den beiden Raumfahrern zu. „Dürfen wir mit eurer Hilfe rechnen?“ „Das dürft ihr ganz gewiß“, versicherte Jim Parker. „Vor allem will ich mich mal unauffällig nach dem Verbleib der Königin umsehen. Habt ihr eine Vermutung, wohin man sie gebracht haben könnte?“ „Wir wissen es nicht, aber ich vermute, daß sie in der alten Burg der Könige von Hellas weilt, weit fort von hier, am Hellespontus, unter 60 Grad Süd.“ „Am Hellespontus? Die Gegend kennen wir bereits. Komm, Fritz – wollen uns die alte Raubritterburg mal ein wenig genauer anschauen.“ * „Die beiden Patienten geben mir Rätsel um Rätsel auf“, sagte Doktor Herrmann kopfschüttelnd. Er ging mit seinem Assistenten im Garten des Deutschen Hospitals zu Apia spazieren. Es war am Spätnachmittag. Nach einem brütend heißen Tag begann jetzt von der See her eine erfrischende Brise zu wehen. „Sie meinen unsere ‚Marsmenschen’?“ lächelte Doktor Schmitz. „Ja, natürlich. Schwester Johanna berichtete vorhin, daß die beiden wieder eine sehr aufgeregte Unterhaltung in der klang-
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vollen Sprache ihrer Heimat geführt hätten. Das Unbegreifliche ist, daß es absolut nicht gelingen will, diese seltsamen Kunden zu vollem Bewußtsein zu bringen.“ „Marsmenschen“, meinte der Assistenzarzt sinnend, „sollte Professor Wegener wirklich im Ernst gesprochen haben? So was gibt es doch eigentlich nur in utopischen Romanen. Ich vermute viel eher, wir haben es mit ganz gewöhnlichen Südseeschmugglern zu tun, die sich in einer Art von besonderem Pidgin-Englisch verständigen.“ „Dann müßte Wegener aber doch wenigstens Anklänge an eine bekannte Sprache gefunden haben“, widersprach der Chefarzt lebhaft. „Vielleicht – sollte man tatsächlich noch einen anderen Fachmann befragen – irgend jemand, der sich auf die Verhältnisse auf Mars besonders gut versteht …“ „Dafür käme eventuell mein alter Freund Frisius in Betracht. Er ist Astronom am Radcliff-Observatorium in Pretoria.“ „Ich glaube nicht, daß die Astronomen uns viel dazu sagen könnten“, lächelte Doktor Schmitz. „Sie betrachten die Planeten doch nur aus der Ferne.“ „Na, und? Haben Sie einen besseren Vorschlag, Herr Kollege?“ „Wie wäre es“, entgegnete Doktor Schmitz vorsichtig, „wenn wir das Staatliche Atom-Territorium der USA. in Orion-City verständigten? Wenn die Vermutung Professor Wegeners tatsächlich zutreffen sollte, dann dürfte wohl das S.A.T. die zuständige Instanz sein.“ „Richtig“, entschied der Chefarzt. „Wir wollen sofort einen Luftpostbrief nach Orion-City aufsetzen. Cunningham, oder so ähnlich, heißt der dortige Chef, wenn ich nicht irre.“ *
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Mit dem automatisch gelenkten Schnellwagen fuhren Parker, Wernicke und Togo im zweiten unterirdischen Stockwerk der Landeshauptstadt zum „Phobos-Hotel“ zurück, in dem die Regierung von Thaumasia ihre Gäste bei allem erdenklichen Komfort unterzubringen pflegte. Unterwegs schwiegen sich die drei aus. Doch als sie im Lift zu ihrem im 18. Stock gelegenen Appartement emporgeschwebt waren und es sich in den bequemen Sesseln an dem riesigen Fenster behaglich gemacht hatten, ergriff der Kommodore endlich das Wort. „Schade um dieses herrliche Land“, begann er und ließ seine Bücke weit in die Runde schweifen – über die flachen Dächer und die gepflegten Straßen von Aurora über die Pflanzungen am Stadtrand und die rötliche Wüste, die sich in der Ferne bis zum Horizont erstreckte. „Schade um dieses Land und seine hohe Kultur – und um seine friedlichen, liebenswerten Bewohner …“ „… und um seine vortrefflichen Getränke“, warf Fritz Wernicke ein, der sich schon wieder an der Tastatur des ‚Tischleindeckdich’ zu schaffen machte und das verheißungsvolle Wort ‚Nektar’ auf der Skala suchte. „Aber mir scheint“, fuhr der Kommodore nachdenklich fort. „Thaumasia ist überkultiviert. Seine Regierung lebt in einer Art ‚Wolkenkuckucksheim’. Sie hat den Sinn für die rauhe Wirklichkeit verloren und tappt restlos im Finstern herum, wenn der böse Nachbar mit dem Säbel rasselt.“ „Es sind nicht alle so wie unser tüchtiger Kriegsminister“, wandte Togo schüchtern ein. „Man teilt im Volk nicht überall seine Meinung.“ „Mir scheint es, als sei das ganze Volk in diesem Augenblick nichts anderes, als ein verstörter, hilfloser Haufen.“ „Das liegt nur daran, daß unsere Königin entführt worden
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ist“, rief Togo erbittert „Gib dem Volk von Thaumasia seine Königin wieder, mein Freund, und du wirst sehen, daß es sich wie ein Mann gegen die Angreifer erhebt.“ „Da sind wir Erdenmenschen andere Kerle“, lachte Fritz Wernicke, dem es endlich gelungen war, eine dickbauchige Flasche „Nektar“ auf den Tisch zu zaubern. „Wir hätten gar nicht so lange gewartet, sondern hätten uns längst wie ein Mann aufgemacht, um uns die Dame zu holen.“ „Du hast recht, Fritz“, pflichtete ihm Jim Parker bei. „Aber unsere neuen Freunde scheinen in dieser Hinsicht nicht auf Draht zu sein. Ergo müssen wir ihnen mal kräftig unter die Arme greifen. Punkt eins: Befreiung der Königin! Togo, zeig uns doch mal ganz genau, wo diese alte Ritterburg liegt, von der Professor Sarano sprach.“ Der junge Leutnant zog eine Art Generalstabskarte aus der Tasche und breitete sie auf dem runden Tisch aus. „Hier – unter Längengrad 315 – liegt die Westgrenze von Noachis. Und dort drüben …“ „Ihr wollt verreisen, meine Freunde?“ fragte da plötzlich eine sanfte, spöttische Stimme. Die drei, die ihre Köpfe über die Karte gebeugt hatten, fuhren überrascht hoch. Sie blickten in das höflich lächelnde Gesicht eines Offiziers im Majorsrang, der wie aus dem Boden des Zimmers gewachsen vor ihnen stand. Auch an den Wänden standen dicht bei dicht Soldaten, die sich scheinbar unbeteiligt an ihren Waffen zu schaffen machten. Fritz Wernicke war der erste, der sich wieder faßte. „Thunderstorm“, schimpfte er und gab seinem Freund einen Rippenstoß. „Mensch, Jim, sind wir dämlich! Hätten wir unsere komischen Zauberbrillen auf der Nase gehabt, als wir vorhin ins Zimmer kamen, dann hätten wir die Brüder gleich entdeckt.“
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„Es hätte euch auch nicht viel geholfen“, versicherte der Major freundlich. „Selbstverständlich ist das ganze Haus von Truppen besetzt. Wie gesagt, werdet ihr eure Reisepläne ein wenig verschieben müssen. Der Herr Verteidigungsminister ist nämlich in Sorge, daß ihr vielleicht in die Hände unserer Gegner fallen könntet …“ „Zu liebenswürdig“, sagte der Kommodore spöttisch, „aber der Herr Minister soll sich unseretwegen nur nicht übernehmen. Wir sorgen schon selbst für uns.“ „Trotzdem“, erwiderte der Major, noch immer im liebenswürdigsten Ton, „habe ich die Ehre, euch bis auf weiteres unter meinen Schutz zu nehmen. Ich werde euch an einen Ort geleiten, wo euch bestimmt nichts fehlen wird.“ „Aha“, sagte Jim Parker, „nichts – mit Ausnahme der Freiheit.“ Der Major hob vielsagend die Schultern. „Es ist ja nur vorübergehend.“ „Das will ich hoffen.“ Für einen Augenblick wog der Kommodore die Chancen ab. Sollte er es auf einen Ringkampf ankommen lassen, um durch einen überraschenden Angriff die Freiheit zu gewinnen? Doch dann fiel sein Blick auf die Bewaffneten, und er gab den Gedanken auf. „Also – gehen wir“, sagte er achselzuckend und schritt seinen Freunden voran zur Tür. „Armes Thaumasia …“ * „Was denkst du wohl, Jim, wohin uns diese Heinis bringen werden?“ Sie hockten im Inneren eines jener großen, durchsichtigen, kugelförmigen Flugkörper, die hierzulande anscheinend dem Transport von Luftlandetruppen dienten. Der Kommodore blickte auf die rote Wüste, die rasch unter ihnen dahinglitt.
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„Schätze, daß es in Richtung zur Ostgrenze des Landes geht, also will man uns möglichst weit von der Front wegschaffen“, erwiderte der Kommodore. „Was meinst du, Togo?“ „Unser Reiseziel braucht kein Geheimnis für euch zu sein“, mischte sich der ewig lächelnde Major ein, der den Transport persönlich überwachte. „Ich bringe euch nach einem Fort am Mare Sirenum. Oberst Malo, der Kommandant dieser kleinen Festung, wird sich glücklich schätzen, so erlauchte Gäste unter seinem Schutz zu wissen.“ Also Festungshaft … Nun, immer noch besser, als in irgendeinem tiefen, muffigen Kerker! Jetzt kam es ihnen zugute, daß man in Thaumasia schon seit Generationen keine Gefängnisse mehr kannte. „Mare Sirenum – welch verheißungsvoller Name!“ schwärmte Fritz Wernicke. „Meer der Sirenen. Sag mal, Jim, waren die neun Sirenen nicht jene schönen Damen im alten Griechenland, die auf dem Parnass die Künste und Wissenschaften förderten?“ „Du bist unmöglich, Fritz. Es scheint mir, du hast in der betreffenden Schulstunde gefehlt – oder hast sie geschwänzt, was wahrscheinlicher sein dürfte. Was du meinst, sind die neun Musen. Die Sirenen waren sagenhafte Meerjungfrauen. Durch ihren himmlischen Gesang lockten sie die Schiffer ins Verderben.“ „O weh, Jim, dann gehe nur nicht zu nahe ran! Wer weiß, ob es nicht auch auf Mars solche fleischfressenden Wasserpflanzen gibt.“ „Wir sind am Ziel, meine Freunde“, erklärte der Major. „Oberst Malo erwartet euch bereits.“ Oberst Malo schien zu wissen, was er so erlauchten Gästen schuldig war. Er hatte seine ganze Streitmacht in Reih und Glied am Gestade des „Sirenen-Meeres“ antreten lassen, das freilich
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eher einer teilweise kultivierten Moorlandschaft glich, als einem der wogenden Ozeane der fernen Erde. Die kleine Festung selbst bestand aus etwa einem Dutzend flacher, bunkerartiger Gebäude, von einer starken Mauer im Geviert umgeben und mit einem Antennenmast in der Mitte. Eine Anzahl kleinerer Antennen ragte in gleichmäßigen Abständen über die Mauerkrone heraus. „Das sind die Strahler der Flugabwehr“, erwiderte Leutnant Togo auf die geflüsterte Frage des Kommodores. Inzwischen hatte der Major seine „Gäste“ in aller Form an den Fortkommandanten übergeben. Jetzt verbeugte er sich noch einmal höflich vor ihnen und bestieg mit dem Begleitpersonal den Flugkörper, der im selben Moment den Blicken der Zurückbleibenden entschwand. „Donnerwetter, der hat’s aber eilig“, staunte Fritz Wernicke. Oberst Malo trat heran und begrüßte seine Häftlinge auf das herzlichste. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ich mich über euren Besuch freue, meine Freunde!“ rief er – und man merkte, daß er es aufrichtig meinte. „Endlich eine Abwechslung in der ewigen Trostlosigkeit von Fort Ulysses. Wir werden Fahrten in die Umgebung machen und im Mare Sirenum Wildenten schießen. Abends werden wir O-Lo spielen und …“ „Du hast dir ja allerhand vorgenommen, mein Freund“, dämpfte der Kommodore Oberst Malos Begeisterung. „Wir haben aber eigentlich gar nicht die Absicht, deine Gastfreundschaft solange in Anspruch zu nehmen.“ „Es ist Krieg im Westen, meine Freunde“, erklärte der Oberst gewichtig. „Doch am Gestade des Mare Sirenum seid ihr weitab vom Schuß. Was könnt ihr Besseres tun, als hier bei uns zu warten, bis alles vorüber ist?“ „Du bist ein Gemütsmensch, Malo“, lachte Fritz Wernicke und hieb dem dicken Oberst auf die Schulter, daß es knallte. „Aber sag mal: Was gibt es eigentlich bei euch zu trinken?“
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„Nektar und Zephir“, strahlte der Oberst. „Zephir? Was ist denn das für ein Stoff?“ „Ein besonders scharfer“, versicherte Malo mit wichtiger Miene. „Er wird aus Zephyria importiert, einem Land am entgegengesetzten Ende des Mare Sirenum.“ „Her damit!“ entschied Fritz Wernicke und schnalzte mit der Zunge. „Ich könnte mir allerdings noch etwas Besseres für uns vorstellen, als hier „Zephir“ zu schlürfen und die Hände in den Schoß zu legen.“ Jim Parker sagte es mit seltsamer Betonung. Und – als er die fragenden Blicke der anderen auf sich gerichtet sah: „Ina, die Königin, zu befreien.“ * „Was gibt es, Shilling? Noch immer keine Spur von der X– 1001, dieser xmal verdammten Unglücksmaschine?“ Der dicke Ted S. Cunningham, der sich beim Eintritt seines Privatsekretärs weit im Schreibtischsessel zurücklehnte, sah grau und verfallen aus. Sein Blick hing in banger Frage am Munde Shillings. Bedauernd hob der Sekretär die Schultern. „Nicht die geringste Spur, Boß. Oberst Mortimer erhielt soeben vom Präsidium der Weltpolizei die Mitteilung, daß man die Suche nach der verschollenen Maschine als aussichtslos eingestellt hätte. Die Mittagsblätter widmen Kommodore Parker und Mister Wernicke bereits seitenlange Nachrufe.“ Shilling legte ein paar umfangreiche Zeitungen vor dem Generaldirektor auf die Schreibtischplatte. Sie zeigten auf den ersten Seiten Photos der X–1001, ihres Konstrukteurs und der beiden verschollenen Piloten.
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Cunningham schob die Blätter mit müder Bewegung zur Seite und trat ans Fenster. Draußen ratterte der Pulsschlag der großen Forschungsstadt, der pausenlose Arbeit verhieß – und ein Hasten von Erfolg zu Erfolg. Doch die beiden Männer, die in unermüdlichem Einsatz ihres Lebens mehr zu diesen Erfolgen beigesteuert hatten als irgendein anderer, sie waren nicht mehr dabei, waren verschollen, ausgelöscht … Ein Frösteln kroch über den Rücken des Atomgewaltigen. Müde drehte er sich um. „Sonst irgend etwas, Shilling?“ Der Sekretär räusperte sich. „Ahem – da ist ein sehr merkwürdiger Brief für Sie gekommen, Sir, aus Apia, per Luftpost.“ „Apia? Hat das nicht irgendetwas mit Bananen und Ananas zu tun? Südsee oder so ähnlich?“ „Es ist der Haupthafen der Samoa-Inseln, Sir. Ein gewisser Doktor Schmitz vom Deutschen Hospital gibt an, man habe ein paar unbekannte Patienten aufgenommen, die möglicherweise – vom Mars kämen.“ „Vom … – wie war das, bitte?“ „Vom Mars“, grinste Shilling verlegen. „Himmeldonnerwetter!“ schimpfte der Atomboß. „Für dumme Witze habe ich im Augenblick verdammt wenig Sinn. Was ist denn das für eine Bude, dieses Hospital? Wahrscheinlich eine Heilanstalt für Geistesgestörte.“ „Das geht aus dem Absender nicht klar hervor“, erwiderte Shilling sachlich und reichte das Schreiben an seinen Chef weiter, der es mit gerunzelter Stirn überflog. „Was soll ich den Leuten antworten, Sir?“ „Gar nichts“, knurrte der Atomboß und feuerte den Luftpostbrief von den Samoa-Inseln zerknüllt in den Papierkorb. *
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Oberst Malo war restlos glücklich. Seit Jahren hatte er, als Kommandant des Forts Ulysses, seine Tage am Gestade des Mare Sirenum verbringen müssen, und ein Tag war öde wie der andere gewesen. Seine Offiziere und Mannschaften wurden von Zeit zu Zeit abgelöst, aber ihn selbst schien das Verteidigungsministerium auf seinem einsamen Posten völlig vergessen zu haben. Um so größer war seine Freude, als ihm ein gütiges Schicksal ganz unverhofft zwei so interessante Gäste ins Haus schneien ließ, wie es Jim Parker und Fritz Wernicke waren. Der Oberst tat sein Möglichstes, um den beiden Weltraumfahrern den unfreiwilligen Aufenthalt am Mare Sirenum kurzweilig und unterhaltsam zu gestalten. Die beiden lernten eine ganze Menge dabei und waren bemüht, sich ihrem Gastgeber dankbar zu erweisen. Aber Jim Parker ließ zugleich keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er nur auf eine Gelegenheit wartete, sich der Aufsicht der thaumasischen Truppen zu entziehen. Es war an einem sternklaren Abend. Ein ungewöhnlich warmer Sommertag war zu Ende gegangen, und Oberst Malo saß mit seinen Gästen auf dem flachen Dach des Kommandantenhauses, das auf geheimnisvolle Art durch verborgene Heizkörper erwärmt wurde. Während er mit Fritz Wernicke eine Partie O-Lo spielte – das Nationalspiel der Marsbewohner, das dem Schachspiel ähnelte –, stand der Kommodore auf und trat an die niedrige Brüstung. Lange sandte er den Blick nach Westen. Die altvertrauten Sternbilder, die auch hier nicht anders aussahen als auf der Erde, zogen ihren Bogen über den Himmel, um fern, am Westhorizont, unterzutauchen. Ein besonderes Gestirn fiel in ihrem Reigen auf: Deimos, einer der beiden winzigen Monde des Mars. Ein Ausflug zu ihm müßte sich lohnen, dachte Jim Parker. Schade, daß man jetzt nicht die X -1001 zur Verfügung hatte.
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Doch was war das? Ein anderes helles Gestirn bewegte sich dort unter den Sternbildern. Es stieg vom Untergangshorizont herauf – zog in östlicher Richtung heran … „Hallo, Oberst!“ rief Jim Parker. „Schätze, da will uns jemand besuchen.“ Oberst Malo warf nur einen flüchtigen Blick zum Firmament. „Du täuschst dich, Freund“, lachte er. „Das ist Phobos.“ „Ja, richtig! Phobos, der innere Mars-Mond, der so schnell um den Planeten kreiste, daß er für einen Beobachter auf der Marsoberfläche im Westen auf- und im Osten unterging.“ Wieder betrachtete der Kommodore den stillen Reigen der Sterne, die westwärts zogen – dorthin, wo irgendwo im fernen Hellas die junge Königin von Thaumasia in der Gefangenschaft ihrer Feinde lag. Jim Parker trug jedem der tausend Sterne einen Gruß auf: Ich komme, Ina, ich befreie dich – wenn ich nur selbst erst heraus bin! Eine fahle Helligkeit erfüllte plötzlich die Nacht. Überrascht blickte der Kommodore zum Zenit. Auch die O-Lo-Spieler und Leutnant Togo waren aufgesprungen. Der ganze Himmel über dem Fort wimmelte plötzlich von leuchtenden Glaskugeln, Flugkörpern, die sich schnell abwärts bewegten. „Alarm!“ schrie der dicke Oberst, der plötzlich sehr beweglich geworden war. Als Jim Parker sich anschickte, mit den anderen in den Bunker der Kommandantur zu eilen, sah er noch, wie auch die Dächer der anderen Gebäude sich blitzschnell leerten und die Bedienungsmannschaften zu den Strahlern stürzten. Im bombensicheren Befehlsbunker nahm der Kommandant die Meldung entgegen, welche die Funkstation soeben aufgenommen hatte: „Das 23. Luftgeschwader von Hellas fordert Fort Ulysses zur Übergabe auf.“
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„Hähähä“, lachte Fritz Wernicke, „das möchte denen so passen!“ Der Oberst starrte seinen Gast entgeistert an. „So einfach ist das nicht, meine Freunde. Die Entscheidung über Kapitulation oder Gegenwehr liegt einzig und allein beim Ministerium. Magura!“ rief er seinen Adjutanten heran. „Frage sofort in Aurora an!“ Der Adjutant stob mit dem Funker davon. „Schöner Saftladen“, brummte der Kommodore. Oberst Malo senkte beschämt das Haupt. Die Antwort des Verteidigungsministers, die Magura gleich darauf überbrachte, übertraf die kühnsten Erwartungen des Kommodores. „Das Fort ist dem überlegenen Gegner ohne unnötige Gegenwehr zu übergeben“, meldete der Adjutant mit stockender Stimme. Der Oberst errötete, als er die Blicke der Raumfahrer auf sich gerichtet sah. „Befehl ist Befehl“, sagte er ausweichend. Den Kommodore packte die Wut. „Wer solche Befehle ausführt, ist ein Verräter. Wehrt euch doch eurer Haut, wenn ihr nicht zu feige dafür seid!“ Der Oberst wollte aufbrausen. Aber Fritz Wernicke legte sich ins Mittel. „Der Befehl spricht ausdrücklich von ‚unnötiger’ Gegenwehr und einem ‚überlegenen’ Gegner“, grinste er listig. „Los, Malo, jetzt wollen wir’s ihnen beweisen, daß unsere Gegenwehr nicht unnötig und daß uns der Feind nicht überlegen ist.“ Oberst Malo atmete tief auf. „Du hast recht, mein Freund! Aber wie kommt es, daß gerade ihr, die Gefangenen, uns helfen wollt?“ „Wir werden nicht mehr lange Gefangene sein“, sagte der Kommodore ahnungsvoll. „Auch ist das jetzt belanglos. Jetzt geht es um Thaumasia – und um die Rettung der Königin.“
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„Zu den Waffen!“ brüllte der Oberst pathetisch. „Es lebe die Königin!“ „Vielleicht wird doch noch was aus ihm“, raunte der Kommodore seinem Freund zu. * Über den flachen Dächern von Fort Ulysses hingen noch immer die feindlichen Flugkörper, etwa dreißig an der Zahl, am Himmel. Dem Geschwaderkommandeur schien der Geduldsfaden zu reißen, als absolut keine Antwort von unten kam. Er entschloß sich, ein kurzbefristetes Ultimatum zu stellen: „An den Kommandanten von Fort Ulysses: Erwarte Übergabe binnen fünfzehn Minuten. Nach Ablauf dieser Frist wird unverzüglich mit Angriff begonnen.“ Die Antwort kam prompt – wenn auch in einer Form, mit der die Angreifer nicht gerechnet hatten. Hinter den Befestigungsmauern des Forts flammte es an mehreren Stellen auf. Grünliche Strahlen fingerten geisterhaft zum Himmel. Jetzt hatten sie einen der feindlichen Flugapparate erfaßt – nun einen zweiten – einen dritten … Krachend explodierten die riesigen Kugeln mitsamt ihrer ganzen Bombenlast. Die starken Druckwellen zertrümmerten die benachbarten Flugkörper, die hilflos herabtaumelten. Die Besatzungen – soweit sie die Katastrophe überlebt hatten – versuchten, sich an Fallschirmen zu retten. In zwei, drei Sekunden war alles vorüber. Nur ein einziger von den dreißig Flugapparaten hatten die Katastrophe überstanden. Mit rasender Geschwindigkeit ging er zu Boden und landete auf dem freien Platz Inmitten der Baulichkeiten des Forts, wo sich die Besatzung ohne weitere Gegenwehr den Thaumasiern ergab.
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„Wo ist euer Kommandeur?“ herrschte Jim Parker den Führer des gelandeten Flugkörpers an. Der fremde Offizier zuckte ratlos die Achseln. „Oberst Inton ist tot. Seine Maschine wurde als erste von dem Grünen Strahl erfaßt.“ „Ich werde unseren Sieg sofort nach Aurora melden“, erklärte Oberst Malo stolz. „Halt!“ rief Jim Parker. „Ich habe eine Idee.“ Und er sprach eine Weile auf den Fortkommandanten ein, der erst verständnislos den Kopf schüttelte, dann jedoch begeistert nickte. Gemeinsam begaben sie sich in die Funkstation. Gleich darauf ging ein Funkspruch nach Aurora ab – streng geheim, und an den Verteidigungsminister persönlich gerichtet: „Habe Fort Ulysses kampflos besetzt. Besatzung und zwei Fremde, die angeblich von der Erde stammen, befinden sich in meinem Gewahrsam. Inton, Oberst der Luftwaffe von Hellas.“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Beglückwünsche dich zum großen Erfolg“, las Malo fassungslos. „Haltet euch für weiteren Einsatz gegen die Hauptstadt bereit. Viel Glück! Gulo.“ „Euer tüchtiger Verteidigungsminister hält es mit dem Landesfeind“, stellte der Kommodore sachlich fest. „Ich vermutete es schon längst Hier haben wir den Beweis.“ * Die Sorgenfalten in dem massigen Gesicht Generaldirektor Cunninghams wurden von Tag zu Tag tiefer. Der „Atomboß“ welkte sichtlich dahin. Die Kiste mit den geliebten kostbaren „Havannas“ – das Stück einen Dollar – stand unberührt auf dem Schreibtisch. Und das war das schlechteste Zeichen, das man sich im Leben des dicken Ted S. nur vorstellen konnte.
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Seit jenem verhängnisvollen Mittag, an dem diese neunmal verdammte Kiste, die X-1001, sich auf dem Raketenflugplatz von Orion-City mit irrsinniger Geschwindigkeit in die Lüfte schwang und ihm seine beiden besten Männer auf Nimmerwiedersehen entführte, seit jenem Mittag wollte in dem gewaltigen, weitverzweigten Gefüge des S.A.T. rein gar nichts mehr klappen. Das Besiedlungsprojekt des Planeten Venus war ins Stocken geraten. Die geheimnisvollen Ereignisse, die vor kurzem die Siedlung „Silverfield of Venus“ in Angst und Schrecken versetzt hatten, * hatten weitere Interessenten abgeschreckt. Hier fehlte ein Mann wie Jim Parker, der wohl die richtigen Worte gefunden hätte, um alle Zweifel und Befürchtungen zu zerstreuen. Ach, er fehlte nicht nur hier! Überall, wo es um die Erfolge des S.A.T. ging – in Konstruktionsbüros, in Laboratorien, in den Montagehallen der Raumschiffe und auf dem Prüffeld, in den Mondwerken und auf der Außenstation –, überall vermißte man den Kommodore, der stets mit Rat und Tat zur Stelle war, und seinen kleinen, ewig tatenhungrigen und whiskydurstigen Steuermann Fritz Wernicke. Seufzend schob Cunningham einen Aktenstoß zur Seite und musterte über die Schreibtischplatte hinweg mit mürrischem Gesicht seinen Besucher, der kein Geringerer war als Oberst Mortimer, der Chef des Sicherheitsdienstes von OrionCity. „Äh, Mortimer – Sie haben mir gerade noch gefehlt. Was Sie mir für gewöhnlich bringen, ist doch alles andere als erfreulich.“ „Das ist meine persönliche Berufstragik, Boss“, grinste der Sicherheitschef verbindlich. „Und was verschafft mir diesmal die Ehre?“ „Es handelt sich um diesen Woodbury …“ *
Siehe UTOPIA, 25. Band: „Station ‚Olivia’“
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„Den Vater der unglückseligen X -1001? Kommen Sie mir bloß nicht mit dem!“ „Sorry, Boß.“ Mortimer ließ sich nicht beirren. „Mußte ihn in Schutzhaft nehmen lassen. Einige seiner Kollegen wollten ihn verprügeln, weil er steif und fest behauptete, der – ahem – der Kommodore hätte die Sache mit der X–1001 selbst verschuldet, weil er es sich in den Kopf gesetzt hätte, unbedingt mit dieser Unglückskiste zum Mars zu fliegen.“ „Blödsinn! Parker wäre nie auf solch einen Unsinn verfallen. Dieser Woodbury gehört ins Irrenhaus. – Ja, was gibt’s denn?“ Shilling, der Privatsekretär des Atomgewaltigen, erschien in der Tür und räusperte sich diskret „Pardon, Sir – ein Telegramm mit Rückantwort aus – aus Apia.“ „Apia – Apia? Waren das nicht diese Marsmenschen? Geben Sie her!“ Ärgerlich las Cunningham die Depesche, schleuderte sie dann mit gereiztem Knurren auf die Tischplatte. „Marsmenschen?“ erkundigte sich Mortimer. Sein Interesse war erwacht. Mit knappen Worten unterrichtete ihn Cunningham von der merkwürdigen Anfrage des Deutschen Hospitals in Apia auf den Samoa-Inseln. Gedankenverloren sah Mortimer auf die Depesche in seiner Hand. Plötzlich stand er impulsiv auf und steckte das Blatt ein. „Sie gestatten doch, Boß? Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir diese Burschen in Apia mal unter die Lupe nehme? Schaden kann so was nie.“ „Was soll das heißen, Mortimer? Glauben Sie etwa an Mondkälber und Marsmenschen?“ Mißtrauisch schielte der Atomboß zu seinem Sicherheitshäuptling hinauf. „Nicht unbedingt, Boß“, wich der lange Oberst aus. „Habe nur gerade mal so’ne Idee – mal sehen, ob was Wahres dran ist. So long!“
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* Auf dem freien Platz im Mittelpunkt des Forts Ulysses herrschte ein reges Kommen und Gehen. Unter den wachsamen Augen des Kommodores machten geschickte Hände den großen Flugkörper der Hellas-Leute wieder startklar, der bei seiner überstürzten Notlandung leichte Schäden davongetragen hatte. Beunruhigt blickte er von Zeit zu Zeit auf seine Armbanduhr. Noch wölbte sich der sternübersäte Nachthimmel über ihren Häuptern, aber der Morgen war nicht mehr fern. Indessen stellte Fritz Wernicke mit Leutnant Togo die kleine Mannschaft zusammen, die sie auf ihrem gefahrvollen Flug begleiten sollte. Zwölf ausgesuchte Leute waren es, außer den drei Anführern, und jeder war mit einer jener geheimnisvollen Schußwaffen, einem Fallschirm und hochexplosiven Handgranaten ausgerüstet. Sie alle trugen die Uniformen der Luftstreitkräfte von Hellas. Auf der Brust jedes Mannes funkelte der sternförmige Kristall, der ihnen im Notfall die Gabe der Unsichtbarkeit verlieh. Endlich war es soweit. Der Befehl des Kommodore rief die Männer an Bord des Flugkörpers. Jim Parker schüttelte Oberst Malo noch einmal die Hand. „Rette die Königin, mein Freund“, sagte der Oberst bewegt. „Mögen alle guten Geister euch begleiten.“ „Haltet euch bereit, Malo. Verständige die Kommandanten der benachbarten Garnisonen und rufe die Miliz unter die Waffen. Sobald mein Zeichen euch erreicht, brecht ihr zur Hauptstadt auf, um die Königin zu schützen.“ Ein letztes Winken noch – schnell stieg die gläserne Kugel senkrecht in den Himmel. In ihrem Inneren bediente Wernicke
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den Richtungsanzeiger. Nach kurzem Suchen stellte er ihn auf „Hellespontus“ ein. Und wieder einmal drückte der Kommodore auf den roten Knopf … * Tiefer noch war die Nacht über dem Hellespontus – und schwärzer der Nachthimmel, als die geheimnisvolle Kugel über ihrem Zielgebiet erschien; denn man war in Gedankenschnelle der Sonne nach Westen vorausgeeilt. Es würde noch manche Stunde vergehen, bis das Tagesgestirn in dieser Gegend über dem Horizont auftauchte. „Dort drüben – zwei Kilometer weiter nach Süden“, flüsterte Togo, der neben dem Kommodore an der Steuerung hantierte. Gleich darauf erschienen auf dem Bildschirm des Ultrarotgerätes die düsteren Mauern einer offenbar uralten Burg, die in tiefem Schlaf zu liegen schien. „Die alte Königsburg der früheren Herrscher von Hellas“, erklärte Leutnant Togo, und es klang beinahe feierlich. „Na, dann woll’n wir mal“, entschied der Kommodore. „Los, runter mit der Kiste!“ Im nächsten Augenblick setzte der Flugkörper bereits auf dem mit groben Steinen gepflasterten Boden des inneren Burghofes auf. Die Wache stolperte verschlafen heran. Leutnant Togo ging auf einen Offizier im Range eines Hauptmanns zu und erstattete Meldung: „Flugmaschine 19, aus dem 23. Luftgeschwader, beschädigt vom Feindflug zurück. Erbitte Erlaubnis …“ Mehr hörten die beiden Raumfahrtpiloten nicht. Durch die Kraft der unbekannten, strahlenden Kristalle, die sie an ihren Kombinationen trugen, hatten sie sich unsichtbar gemacht. So
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geräuschlos wie möglich schlichen sie über den Hof davon und verschwanden im Eingang zu dem mächtigen runden Schloßturm, aus dem ihnen matter Lichtschein entgegenfiel. Als sie am Fuß der eisernen Wendeltreppe standen, blickten sie sich für Sekunden unschlüssig an. „Sicher schmachtet die Königin in den tiefsten Verliesen dieses alten Gemäuers“, flüsterte Fritz Wernicke und zeigte nach unten. „Das glaube ich kaum“, meinte der Kommodore. „Dazu bestände doch gar keine Veranlassung. Wenn man sie überhaupt hierher gebracht hat, dann wird man ihr vermutlich den Aufenthalt so angenehm wie möglich gemacht haben. Ich nehme an, sie steckt da oben.“ „O Jim, du hast ja keine Ahnung, wie es in echten, alten Ritterburgen zugeht Man legt die Gefangenen in Ketten und stößt sie ins Verlies, wo sie mit Ratten und Spinnen …“ „Mäßige deine Phantasie, Fritz! Wir haben keine Zeit, uns hier mit romantischen Betrachtungen aufzuhalten. Dieser Hauptmann kann jeden Augenblick Verdacht schöpfen, und dann sind wir geliefert. Geh du meinetwegen in den Keller – ich steige nach oben. Treffpunkt im Hof!“ Mit gewaltigen Sätzen seiner langen Beine hetzte Jim Parker die Wendeltreppe hinauf, die nur dürftig von Fackeln beleuchtet war Die Errungenschaften einer hypermodernen Technik, die überall auf Mars das Leben der Bewohner kennzeichneten, sie schienen durch die dicken Mauern der alten Königsburg von Hellas nicht hindurchgedrungen zu sein. Im ersten Stockwerk klangen dem Kommodore Stimmen entgegen. Eine Tür stand halbgeöffnet. Jim Parker schaute hindurch und sah in eine Art Wachstube, in der ein gutes Dutzend Soldaten beim O-Lo-Spiel an den Tischen hockte. Einige waren an die schmale Schießscharte getreten, die dem Raum als Fenster diente, und verfolgten die Vorgänge im Schloßhof.
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Heimlich stahl sich der Kommodore vorbei. Lautlos klomm er die Stufen zum nächsten Stock empor. Wieder stand er vor einer Tür, die jedoch geschlossen war. Ein unbekanntes Herzklopfen überfiel ihn, als er langsam die Klinke herunterdrückte. Ein sanftes Licht durchflutete das Gemach, das mit einer gewissen Behaglichkeit und Eleganz ausgestattet war, wie sie in diesen kalten Mauern fast unwirklich erscheinen mußte. Am Fenster stand eine schmale Frauengestalt. Auf das leise Knarren der Tür hin fuhr sie herum. „Ina!“ Mit raschem Griff hatte Jim Parker den Kristall abgerissen, der ihn unsichtbar machte. In voller Lebensgröße stand er in dem niedrigen Raum, wie aus dem Boden herausgewachsen. Die mandelförmigen Augen der jungen Königin wurden ganz groß und strahlend. „Jim – oh, ich wußte, daß du kommen würdest!“ Mit einem kleinen Jubellaut warf sie sich in seine Arme. * „Die Herren vom S.A.T. haben endlich geruht, uns zu antworten“, meldete Doktor Schmitz dem Chefarzt im Deutschen Hospital zu Apia. „Ein gewisser Mortimer hat aus Orion-City gekabelt und seine Ankunft für morgen abend angekündigt.“ „Nett von ihm“, brummte Doktor Herrmann und wischte sich mit dem großen, blütenweißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. „Anscheinend nimmt man die Sache beim S.A.T. doch ernst, was mich – offen gestanden – etwas wundert. Na, ich bin gespannt, was dabei herauskommt.“ Die beiden Ärzte begannen mit ihrer Morgenvisite. Als sie gerade das Zimmer 24 betreten wollten, kam ihnen schon in der Tür Schwester Johanna mit allen Anzeichen der Aufregung entgegen.
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„Herr Chefarzt, denken Sie doch nur: Der eine von den beiden Patienten – der größere, wissen Sie, – ist eben wach gewesen. Zwar nur für einen Augenblick, aber jedenfalls hatte er die Augen weit offen. Als er mich sah …“ Schwester Johanna errötete und schlug die Augen nieder. „Na, weiter – was geschah denn da?“ ermunterte sie Doktor Herrmann. „Oh, er – er sah mich ganz sonderbar an, und dann breitete er die Arme aus und rief: ‚Ina!’“ „Hm.“ Doktor Herrmann konnte sich nur mühsam ein Lächeln verbeißen, und auch im Gesicht des Assistenzarztes zuckte es verdächtig. „Wahrscheinlich sollte das ‚Johanna’ heißen – in der Marssprache natürlich.“ * „Bitte gehorsamst, die Störung entschuldigen zu wollen – aber, wir haben leider keine Zeit, uns hier mit ‚romantischen Betrachtungen aufzuhalten.’ Nicht wahr, großer Kommodore, das waren doch eben noch deine eigenen Worte?“ Überrascht blickten Jim Parker und Ina auf, als Fritz Wernicke mit dem freundlichsten Lächeln der Welt in der Tür erschien. „Eure Sorglosigkeit in Ehren, meine Lieben“, fuhr er fort, „aber ich denke, wir sollten doch allmählich an die Abreise denken. Freund Togo wird schon wie auf Kohlen sitzen. Gratuliere übrigens zu deinem Erfolg, Jim. Du hattest also doch den rechten Riecher, als du treppaufwärts stürmtest. Nun, ganz erfolglos war ich auch nicht. Habe nämlich dem Weinkeller des Hauses einen kleinen Besuch abgestattet und ein wenig Kriegsbeute eingeheimst.“ Der Kommodore mußte lachen. Erst jetzt bemerkte er, daß aus sämtlichen Taschen und Reißverschlüssen in der weiten
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Kombination seines durstigen Freundes verheißungsvolle Flaschenhälse hervorsahen. In diesem Augenblick erscholl vom Hof herauf ein warnender Pfiff, augenblicklich gefolgt von der scharfen, trockenen Detonation einer dieser hochwirksamen Handgranaten der Mars-Streitkräfte. „Da geht das Feuerwerk schon los“, meinte Fritz Wernicke gleichmütig, „gehen wir jetzt lieber.“ „Wir sind gefangen“, flüsterte die Königin. „Unten, im ersten Stock, die Wache …“ „… kann uns nichts anhaben“, grinste der kleine Steuermann. „Habe mir nämlich erlaubt, die Kerle von außen einzuriegeln.“ „By Jove, du bist ein Teufelskerl, Fritz“, lobte der Kommodore. „Doch nun raus hier, sonst demolieren uns die Halunken am Ende noch den Flugapparat.“ Als sie zu dritt die Treppe hinunterrannten, hörten sie die eingeschlossenen Wachtsoldaten wie irrsinnig gegen die Tür donnern. Aber sie gab nicht nach. Unangefochten erreichten sie das Erdgeschoß. Zwei Wächter waren gerade damit beschäftigt, das Tor nach außen zu verbarrikadieren. Doch ein paar wohlgezielte Jagdhiebe beförderten sie in die seligen Gefilde der Träume. Das Tor flog auf. Im Halbdunkel des Burghofes erkannte der Kommodore außer dem gelegentlichen Aufblitzen einer Gewehrmündung zunächst gar nichts. Erst als er sich die bewußte Brille auf die Nase gestülpt hatte, nahm er schattenhaft die Gestalten der Kämpfenden wahr. Togo wurde mit seinen Leuten hart bedrängt, das erkannte Parker auf den ersten Blick. „Macht euch unsichtbar!“ befahl er seinen Begleitern und heftete der Königin den Kristall an das Kleid. „Und dann hinüber zum Flugapparat!“ „Und du, Jim?“ fragte Fritz Wernicke besorgt.
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„Keine Angst, Fritz! Ich komme gleich nach.“ Es war ein groteskes Bild, wie der Kommodore im nächtlichen Burghof umherhüpfte, ständig im Kreuzfeuer der feindlichen Waffen, deren Schützen selbst unsichtbar blieben. Jim Parker fühlte sich selbst nicht wohl in seiner Haut. Aber die List gelang. Zwei schrille Pfiffe kündigten ihm an, daß Fritz Wernicke mit der Königin den Flugapparat erreicht hatte. Mit langen Sätzen hastete Jim quer über den Hof und sauste mit einem Hechtsprung durch die Einstiegluke in die Glaskugel des riesigen Flugkörpers hinein. Ein feindliches Geschoß streifte ihn an der rechten Schulter. Doch er achtete nicht darauf. Die Tür schlug zu. Augenblicklich ließ Leutnant Togo den Apparat in große Höhen aufsteigen, um ihn aus der Reichweite der feindlichen Waffen zu bringen. „Wohin?“ fragte er mit einem Blick auf die Königin. „Nach Aurora!“ lautete der Befehl. * Aurora! Tief unter ihnen lag die Stadt, im Schein der Morgensonne glänzend, und in den Augen der jungen Königin leuchtete es, als sie nach langer Gefangenschaft die Heimat wiedersah. Dankbar drückte sie dem Kommodore die Hand. Ein maßloser Jubel brandete durch die Hauptstadt, als sich die Nachricht von der Rückkehr der Königin herumgesprochen hatte. Immer und immer wieder mußte Ina am Fenster erscheinen, um sich der begeisterten Menge zu zeigen, die sich um den Königspalast drängte. In aller Eile wurde die Regierung zu einer Lagebesprechung zusammengerufen. Es war ein düsteres Bild, das Professor Sarano von der Lage an den Fronten entwarf. Besonders im
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Nordwesten war der Gegner tief ins Land vorgedrungen. Seine Angriffsspitzen hatten fast den Sonnensee erreicht. Gulo, der Kriegsminister, wohnte der Sitzung nicht bei. Es hieß, er weilte an der Front. „Na warte, old fellow“, knurrte der Kommodore grimmig, „wenn ich dich erwische!“ Die Königin hatte ihren Rettern einige Räume im Ostflügel des Schlosses anweisen lassen. Nach den Aufregungen der letzten vierundzwanzig Stunden sehnten sich alle nach Ruhe. Auch Jim Parker zog sich zeitig in sein Zimmer zurück. Mitten in der Nacht wurde er ohne ersichtlichen Grund wach. Jim kannte das: So war es immer, wenn sein „sechster Sinn“ ihn vor einer Gefahr warnen wollte. Leise stand er auf, schlüpfte im Dunkeln in die Kleider und trat auf den Gang hinaus, nachdem er sich noch mit Hilfe des geheimnisvollen Kristalls unsichtbar gemacht hatte. Draußen schien gerade eine Wachablösung vor sich zu gehen. Die Posten der Schloßwache, die überall in den Gängen Dienst taten, wurden durch andere ersetzt – Männer in feldmarschmäßiger Ausrüstung. Jetzt kamen zahlreiche Schritte die Treppe am anderen Ende des Flurs herauf. Rasch füllte sich der Gang mit Bewaffneten, die vorsichtig näherrückten. Da erkannte Jim ihren Anführer. Es war – Gulo, der verräterische Kriegsminister! Kurzentschlossen stieß der Kommodore den nächststehenden Doppelposten zur Seite und stürzte ins Zimmer, in dem Fritz Wernicke und Leutnant Togo schliefen. Er schlug die Tür zu, riegelte sie ab und schob alle greifbaren Möbelstücke heran, um sie zu verbarrikadieren. Wernicke, mit einem Satz aus den Federn, unterstützte ihn aus Leibeskräften. „Gulo?“ fragte er beiläufig. Der Kommodore nickte grimmig.
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Draußen brandete Lärm auf. Eine barsche Stimme befahl zu öffnen. Faustschläge hämmerten gegen die Tür. Im Hintergrund des Zimmers hantierte Togo an einem winzigen Sender, der nicht größer als eine Taschenuhr war. „Ob Malo wohl auf dem Posten ist?“ fragte er unruhig. Bange Minuten vergingen. Als die Begleiter Gulos versuchten, die Tür mit Gewalt aufzubrechen, verlegte sich Fritz Wernicke aufs Verhandeln und hielt eine langatmige Rede. Ehe Gulo begriff, daß er nur gefoppt werden sollte, hatten die Eingeschlossenen wertvolle Zeit gewonnen. Vor den Fenstern leuchtete jetzt der Himmel in fahlem Schein. Zehn oder zwölf mächtige Flugkörper schossen in schräger Bahn herab, direkt auf den Königspalast zu. „Malo kommt“, frohlockte Leutnant Togo. „Wir sind gerettet!“ Wieder ließ er eifrig den kleinen Taschensender spielen. Unter den wütenden Schlägen der Belagerer zersplitterte die Türfüllung. Parker, Wernicke und Togo hoben die Waffen – bereit, ihr Leben so teuer wie nur möglich zu verkaufen. Da donnerte plötzlich wildes Kriegsgeschrei durch den Gang. Die Belagerer hielten erschreckt inne – und warfen die Waffen weg. Nur einer bahnte sich mit Gewalt einen Ausweg: Gulo, der Verräter! Ehe Oberst Malo die Lage ganz erkannt hatte, war der Minister schon die Treppe hinunter. Die Dunkelheit der Nacht sog ihn auf. „Wir werden den Kerl schon kriegen“, versicherte der Oberst, als er gleich darauf dem Kommodore und seinen Begleitern die Hände schüttelte. „Das will ich hoffen“, meinte Jim Parker. „Der Bursche ist gefährlich. Entwaffne alle Truppenverbände in der Hauptstadt, die noch zu ihm halten, und übernimm das Kommando in Aurora. Du bist ein tüchtiger, zuverlässiger Offizier, mein Freund.
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Ich werde die Königin bitten, dich als Nachfolger Gulos zu bestätigen.“ Der überraschte Oberst brachte kein Wort über die Lippen. Er schüttelte nur immer wieder voll Dankbarkeit die Hand des Kommodores. * „Evening, Gentlemen – verdammt heißer Tag heute.“ „Nicht heißer als an anderen Tagen auch.“ Doktor Herrmann sah erstaunt zu seinem Besucher auf, der ganz unvermittelt vor ihm in seinem Arbeitszimmer stand – sehr lang, sehr hager und in einen Sportanzug Anno dazumal gekleidet – und ihn prüfend ansah. „Mortimer“, stellte sich der Fremde mit einer knappen Verbeugung vor. „Mister Mortimer – aus Orion-City?“ Erfreut trat der Chefarzt auf den Gast aus den Staaten zu und nötigte ihn, Platz zu nehmen. „Wir haben Ihr Telegramm erhalten. Riesig nett, daß Sie gekommen sind, Sir. Nun, was halten Sie von der Sache? Übrigens – rauchen Sie?“ „Vielen Dank, Herr Doktor. Ja, ich rauche, aber am liebsten meine eigene Marke.“ Und er drehte sich mit affenartiger Geschwindigkeit einen regenwurmartigen Glimmstengel. Gleich darauf verpestete ein grausam stinkender Qualm den kleinen Raum. Doktor Herrmann kämpfte verzweifelt einen würgenden Hustenanfall nieder. „Was ich von der Geschichte halte, Doc?“ nahm Mortimer das Gespräch wieder auf. „Offen gesagt, hielt ich Sie zunächst für leicht übergeschnappt und Ihr Hospital für ein Asyl für Geistesgestörte. Aber ich konnte mich nun durch persönlichen Augenschein davon überzeugen, daß zumindest diese Vermutung nicht zutrifft.“
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„Dank für das Kompliment“, verneigte sich der Chefarzt ironisch. „Aber zur Sache: Wie denken sie im S.A.T. darüber? Gibt es so was wie Marsmenschen? Und, wenn ja – ist es möglich, daß solche Wesen zu uns auf die Erde gelangen?“ Oberst Mortimer stieß eine Wolke übelduftenden Zigarettenrauchs von sich. Dann machte er eine wegwerfende Bewegung. „Wenn es so was gäbe, na ja, dann spräche eigentlich nichts dagegen, daß die Kerle uns auch auf Erden heimsuchten. Aber – ich glaube nun mal nicht an den Schwindel. Zwar haben unsere Kolonisten auf Venus vor nicht allzu langer Zeit einen recht ulkigen Hokuspokus erlebt, aber ich wette meinen alten Hut, daß es nichts mit Marsmenschen und ähnlichem Quatsch zu tun hatte.“ Doktor Herrmann stand auf. „Wenn es Ihnen recht ist, Sir, gehen wir jetzt mal hinüber und sehen uns die Patienten an.“ „Well, ich platze schon vor Spannung.“ Oberst Mortimer erhob sich zu seiner ganzen respekteinflößenden Länge und trat den scheußlichen Glimmstengel auf dem Fußboden aus. Diese Amerikaner haben allesamt kein Benehmen, dachte der Chefarzt bei sich. Aber er sagte nichts und geleitete seinen Besucher höflich in den ersten Stock hinauf. In dem freundlichen, mit sachlicher Nüchternheit eingerichteten Krankenzimmer Nummer 24 stand das Fenster weit offen und ließ die erfrischende Meeresbrise mit den weißen Vorhängen spielen. Die beiden Patienten lagen in ruhigem Schlummer. Es war das gewohnte Bild. „So liegen sie nun schon seit ihrer Einlieferung“, erklärte der Arzt kopfschüttelnd. „Wir haben alles versucht, um sie zum Aufwachen zu bringen, aber es war vergeblich.“ „Wahrscheinlich haben sie die Schlafkrankheit“, murmelte Oberst Mortimer. „Habe mal so was von Tsetsefliegen gehört, von denen es hier in der Gegend wimmeln soll.“
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Doktor Herrmann warf ihm einen mitleidigen Blick zu. „Die Schlafkrankheit tritt in Zentralafrika auf, Sir – und wir leben hier in der Südsee.“ „Ahem – ja, dann wollen wir uns Ihre Marsmenschen mal näher anschauen. Sie gestatten doch?“ „Deswegen bat ich Sie ja her.“ Der Chefarzt forderte Mortimer auf, näherzutreten. Erwartungsvoll sah der Oberst den Patienten in die stillen Gesichter … … und prallte mit einem unartikulierten Schrei zurück – wachsbleich im Gesicht! Der Chefarzt war geneigt, nun seinerseits den Besucher aus Amerika für einen Verrückten zu halten. Behutsam griff er nach seinem Puls. „Aber, so beruhigen Sie sich doch, Sir.“ Mortimer riß sich los und stolperte zur Tür. „Zum Telephon! Wo ist das nächste Telephon?“ „Im Erdgeschoß, Sir. In der Aufnahme …“ Der Oberst jagte schon mit langen Sätzen seiner endlosen Beine die Treppe hinab. Er stürzte ans Telephon, verlangte die Nummer der Funkstation … Wenige Minuten später eilte eine Depesche durch den Äther – an Generaldirektor Cunningham in Orion-City. * Als Jim Parker am Morgen nach dem Abenteuer mit den Gulo-Leuten in Begleitung seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schlenderte, fiel ihm die bedrückte Stimmung der Passanten auf. Beunruhigt drängte er – früher, als es eigentlich seine Absicht gewesen war, zur Rückkehr ins Königsschloß. Er erkundigte sich sofort nach Königin Ina und erfuhr, daß der Ministerpräsident und Malo, der zum General avanciert
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war, bei ihr weilten. Der Kommodore sollte gleichfalls an der Unterredung teilnehmen. Jim Parker ließ sich melden und trat in den Audienzraum, wo ihn die Königin mit großer Herzlichkeit begrüßte. Ihr Gesicht zeigte jedoch gleich wieder den Ausdruck tiefster Besorgnis. „Wir haben zuverlässige Meldungen erhalten, wonach der Feind mit erdrückender Übermacht zum entscheidenden Schlag gegen Thaumasia ausholt. Er konzentriert seine Truppen im Grenzgebiet von Argyre. Wir haben ihm nicht den zehnten Teil seiner Macht entgegenzustellen.“ „Die Gefahr wäre für immer gebannt, wenn wir nur ein paar Kilogramm Uran besäßen“, rief Professor Sarano und rang die Hände. „In der Theorie haben wir die Herstellung von Atombomben genauestens berechnet. Auch die Anlage selbst steht schon. Einige wenige Kilogramm dieses kostbaren Elements – und wir hätten in weniger als vierundzwanzig Stunden eine Waffe in der Hand, die uns vor allen unseren Feinden retten würde.“ „Was nützt das alles“, sagte Ina müde. „Es ist und bleibt eben alles graue Theorie. Solange es nicht gelingt, auf unserem Planeten jenen kostbaren Grundstoff zu entdecken, der auf eurer Erde die ganze Energiewirtschaft auf den Kopf stellt und neu belebt hat …“ „Wenn es sich nur darum handelt“, meinte der Kommodore sinnend, „dann kann ich euch vielleicht helfen. Das Atomtriebwerk der X–1001 arbeitet mit Uran. Allerdings müßten wir es erst holen; denn die Maschine liegt im Augenblick flügellahm im Sinus Sabaeus.“ „Das ist kein Problem“, winkte General Malo ab. „Gib uns die genaue Position der Maschine, und unsere Flugmaschinen brechen sofort auf, um den wertvollen Treibstoff zu bergen.“ „Dann wäre da freilich noch etwas zu bedenken“, sagte Jim
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Parker langsam und sah die Königin versonnen an. „Wenn ich euch den Treibstoff überantworte, können wir nicht zur Erde zurück. Wir sind dann für immer auf eure Gastfreundschaft angewiesen.“ Die junge Königin hielt seinem Blick stand. „Du sollst nichts gegen deine Überzeugung tun“, sagte sie schließlich. „Aber bedenke, daß das Schicksal meines ganzen Volkes jetzt in deinen Händen liegt.“ Tausend widerstreitende Gefühle kreuzten sich im Herzen des Kommodores. Er würde für immer an die fremde Welt dieses Planeten gefesselt sein, wenn er den unersetzlichen Treibstoff opferte. Konnte er das verantworten – seiner großen, kosmischen Aufgabe, den Kameraden vom S. A. T. und vor allem Fritz Wernicke gegenüber, dessen Leben und Schicksal ihm auf diesem Marsflug anvertraut war? Doch ein Blick in die Augen der jungen Königin, die flehend auf ihn gerichtet waren, ließ alle seine Zweifel verstummen. „Ihr sollt das Uran bekommen“, sagte er, und seine sonst so feste Stimme zitterte. Ina sprang bewegt auf. Sie wollte ihm danken – doch Malo kam ihr zuvor. „Wunderbar!“ rief er und umarmte den Kommodore stürmisch. „Die ganze Luftflotte von Thaumasia wird in wenigen Augenblicken aufbrechen, um …“ „… um im Grünen Strahl der feindlichen Flugabwehr zu zerschmelzen“, fuhr ihm Jim Parker dazwischen. „Nein, mein Freund, da weiß ich besseren Rat. Existiert der Flugkörper noch, mit dem ich damals aus Edom floh?“ „Gewiß – aber warum fragst du?“ „Ich werde selbst fliegen“, erklärte der Kommodore und reckte sich. „Wernicke und Togo begleiten mich. Bereitet inzwischen alles vor, damit keine Zeit mehr verloren wird, wenn wir mit dem Uran zurückkehren.“
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* Auf die Hauptstadt von Thaumasia herab stieß der nächtliche Angriff der feindlichen Luftstreitkräfte. Geschwader auf Geschwader erschien geisterhaft am Himmel, geriet in die Fänge des Grünen Strahls, wurde zersprengt und vernichtet. Doch immer neue Flugmaschinen tauchten auf. An allen Ecken und Enden der Stadt rauschten die Bombenteppiche herunter. „Es ist der letzte Zermürbungsangriff“, sagte General Malo. „Sie wollen uns sturmreif machen.“ „Wo steht die Hauptmacht des Feindes?“ wollte Jim Parker wissen. Sie standen auf dem Zentralflugplatz der Hauptstadt und beobachteten das schaurige Schauspiel am Himmel; der Kommodore und Fritz Wernicke, Professor Sarano, General Malo und eine kleine Gruppe von Stabsoffizieren. Der General antwortete: „Sie ist im Zentrum des Bosporus zusammengezogen. Das Gros der Heere von Hellas, Noachis und Argyre scheint an dieser Stelle auf den Befehl zum Generalangriff zu warten.“ „Wie weit seid ihr mit eurer Bombe?“ „Das Staatslaboratorium hat die Lieferung für die nächste halbe Stunde zugesagt.“ erwiderte der Ministerpräsident „Oh, meine Freunde, was würde wohl aus uns, wenn ihr uns nicht das kostbare Element verschafft hättet?“ „Wie stark wird die Wirkung der Bombe sein?“ Jim Parker sah dem bevorstehenden Abwurf mit Unbehagen entgegen. In seinem Inneren verabscheute er zutiefst jedes Massenvernichtungsmittel. Er bekämpfte den Mißbrauch technischer Errungenschaften für Kriegszwecke, wo er nur konnte. Allerdings sah er in diesem Fall auch keinen anderen Weg, um das Volk von Thaumasia vor seinen grausamen Feinden zu retten.
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„Theoretisch ist mit einem unmittelbaren Wirkungskreis von fünfzigtausend Schritt Durchmesser zu rechnen“, gab Professor Sarano Auskunft, „wozu allerdings noch die Giftwirkung der radioaktiv verseuchten Atmosphäre käme.“ Den Kommodore erschauderte es. Seine Sorge wuchs ins Ungeheuere. Was würde geschehen, wenn die Atomspaltung auf Boden und Atmosphäre übergriff? Was wußte man denn schon über die chemische Zusammensetzung des Mars? Aber er kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuspinnen. Der feindliche Luftangriff war zu Ende gegangen. Und plötzlich trat Leutnant Togo auf die Gruppe zu und meldete seinen Flugapparat klar zum Einsatz. Es handelte sich um die erbeutete Maschine 19 aus dem 23. Geschwader von Hellas, das über Fort Ulysses ein so schmähliches Ende gefunden hatte An ihrer Abwurfvorrichtung hing bereits die geheimnisvolle Bombe – ein kugelförmiger Körper von rund zwei Tonnen Gewicht, der am Fallschirm über dem feindlichen Gelände abgeworfen werden sollte. Die Besatzung begab sich an Bord des Flugapparates. Leutnant Togo nahm von seinem Chef die letzten Befehle entgegen. Er salutierte und trat auf Parker und Wernicke zu, um sich zu verabschieden. „Mach’ deine Sache gut, Togo“, sagte der Kommodore und reichte ihm die Hand. „Schmeiß das Ding nur nicht zu früh runter“, rief Fritz Wernicke dem jungen Offizier zu, „und mach dich anschließend schleunigst aus dem Staub!“ Lächelnd stieg Togo ein. Die riesige, gläserne Kugel schoß steil zum Himmel empor und entschwand den Blicken der wenigen Zuschauer, die auf dem Flugplatz zurückblieben. „Kommt mit in die Funkstation, Freunde! Der Zauber geht gleich los.“ Aufgeregt riß Malo seine Begleiter mit.
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Die Funkstation war ein mittelgroßer, in geschwungener Linienführung gebauter Raum, in dem bequeme Sessel den Besucher zum Platznehmen einluden. Zwei Funker bedienten an einem Pult in der Mitte eine geheimnisvolle Tastatur. Die Eintretenden setzten sich und lauschten dem Zirpen und Pfeifen der vielen Stimmen, die geisterhaft die Luft durchschwirrten und unmittelbar aus Decke und Wänden des Raumes zu kommen schienen; denn ein normaler Lautsprecher war nirgends zu sehen. „Hallo – Flugfeld Aurora! Hier Togo, an Bord der Maschine 19. Anflug durch feindliche Luftsperre gelungen. Befinde mich genau über dem Zentrum der gegnerischen Truppenansammlungen. Achtung – ich klinke aus!“ Atemlose Spannung bemächtigte sich der Männer in der Funkstation. Fast unerträglich erschienen ihnen jetzt das schrille Zirpen, die vielfältigen Geräusche des Äthers, die das Schweigen erfüllten. Da – endlich! Eine donnernde Detonation ließ die Luft erzittern. Ein Tosen und Brüllen, als sollte die Welt untergehen, verschlang alle anderen Geräusche. Es ging in ein Rauschen über und wurde allmählich schwächer. Undefinierbare, unheilschwangere Laute brodelten wirr durch den Raum. „Kreise in großer Höhe über dem Abwurfgebiet“, kam jetzt wieder Togos Stimme, die heiser und irgendwie erschüttert
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klang. „Unter mir – eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes! Die Armeen der Feinde vernichtet, ihre Reste in wilder Flucht. Die Wälder des Bosporus-Gebietes brennen. Es ist, als stünde der Boden selbst in Flammen, als glühe die Luft …“ Jim Parker stand auf, bleich im Gesicht. „Wo befindet sich die Königin?“ fragte er, und auch seine Stimme klang heiser und fremd. „Du findest sie im Bosporus-Schloß“, entgegnete Professor Sarano, „im Großen Hauptquartier.“ „Komm, Fritz“, sagte der Kommodore. „Ich vermute, man wird uns nötig haben.“ Mit langen Sätzen hetzten die beiden Raumfahrer über das Flugfeld von Aurora. * „Hallo, Mister Douglas! Freue mich riesig, Sie mal wieder in Orion-City zu sehen.“ Schwerfällig stemmte sich Ted S. Cunningham in einem Schreibtischsessel hoch und reichte seinem Gast die Hand. „Tja – hat sich manches geändert seit Ihrem letzten Besuch …“ Robert Douglas, seines Zeichens Assistent an Amerikas größter Sternwarte, dem berühmten Observatorium auf dem Mount Palomar, verstand sofort, worauf der Atomboß anspielte. „Ich kann es einfach noch nicht glauben, Sir, daß Parker und Wernicke nicht wiederkehren sollen. Mein Gefühl sagt mir, daß …“ „Gefühle sind trügerisch“, winkte der dicke Ted S. müde ab und geleitete Douglas an den runden Tisch am Fenster, an dem er so manches liebe Mal mit dem Kommodore gesessen hatte, wenn es galt, über einen neuen Vorstoß in die Sternenwelt zu beraten.
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„Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, das Sie interessieren wird, Sir“, sagte der Astronom und breitete eine Reihe von großformatigen Photos auf dem Tisch aus. Sie zeigten das kreisrunde Bild eines Planeten, sowie stark vergrößerte Ausschnitte einzelner Teile seiner Oberfläche. „Mars“, meinte Cunningham mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme. „Sehe ich nicht zum erstenmal.“ „Schauen Sie nur genauer hin“, mahnte Douglas. „Hier, diese dunkle Gegend, ist der sogenannte Bosporus.“ „Und der große, helle Fleck mitten drin?“ „Sehen Sie, Sir, das ist es gerade! Der gehört nämlich eigentlich nicht dorthin. Die Aufnahme gelang mir rein zufällig in der vorgestrigen Nacht. Beim Entwickeln fiel mir der Fleck sofort auf. Ich rannte gleich an den nächstbesten Refraktor, um die Geschichte durch direkte Beobachtung zu überprüfen …“ „Und Sie fanden die Wahrnehmung bestätigt?“ „Allerdings. Die fragliche Gegend war gerade besonders deutlich zu beobachten. In der Atmosphäre über dem Bosporus stand eine pilzförmige Staubwolke, schätzungsweise 80 Kilometer hoch. Sie sah genau so aus wie die Explosion einer Atombombe.“ „Interessant – und nun sehen Sie darin wohl den Beweis für die Existenz der sagenhaften Marsmenschheit? Nee, mein Lieber, daran glaube ich nicht.“ „Ich nämlich auch nicht“, lachte Robert Douglas. „Vermutlich rührt die merkwürdige Staubwolke vom Aufschlag irgendeines kleinen Planeten her, der an dieser Stelle auf Mars abgestürzt ist.“ Cunningham beugte sich gerade wieder über die Aufnahmen, als Shilling eintrat und sich in seiner diskreten Art räusperte. „Ahem – Funkspruch aus Apia, Sir. Von Oberst Mortimer.“ „Nanu? Der hat es ja furchtbar wichtig mit seinen –
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‚Marsmenschen’.“ Erstaunt las er die Depesche, und seine Stirn runzelte sich. „Kommen Sie unverzüglich nach Apia – die größte Überraschung Ihres Lebens wartet auf Sie. Mortimer.“ Sekundenlang herrschte Schweigen. Dann hieb der Atomboß mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Habe ich’s nicht gleich gesagt – dieses Hospital ist eine Heilanstalt für Verrückte! Und offenbar werden dort ansteckende Fälle behandelt; denn nun hat es auch den langen Mortimer erwischt. Sagen Sie doch, Shilling, was soll ich nur tun?“ „Ich würde an Ihrer Stelle sofort nach Apia fliegen“, entgegnete der Sekretär ahnungsvoll. * „Mensch, Jim, was ist denn das? Geht hierzulande neuerdings die Sonne im Westen auf?“ Überrascht deutete Fritz Wernicke zum westlichen Horizont, der in grünlichem Schein gloste. Der Kommodore preßte die Zähne zusammen. Schließlich kam seine Antwort mit leiser, bedrückter Stimme: „Es ist das Atomfeuer, Fritz, das ist weit schlimmer als ich befürchtet hatte. Wir wollen uns beeilen, zum Bosporus-Schloß zu kommen.“ Sie waren bisher mit gedrosselter Geschwindigkeit geflogen, doch jetzt betätigte Jim Parker den bekannten roten Knopf. Fast im gleichen Moment erblickten sie unter sich den Park des Schlosses, der jetzt von Militär und Kriegsgerät wimmelte. Alles war in den Schein des Atomfeuers getaucht, das giftgrün und drohend aus der Ferne heranwuchs. Steil schoß der Flugkörper zur Landung herab. Der Boden kam den beiden Piloten mit Blitzesschnelle entgegen. Doch der Kommodore hatte noch im Vorbeirasen die schlanke, einsame
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Gestalt erkannt, die auf die Brüstung des flachen Daches gestützt stand und bewegungslos nach Westen schaute. Drei Minuten später erschien er bereits auf dem Dach des Schlosses und stürzte auf die Königin zu. Langsam wandte sie ihm das Gesicht zu, als sie seinen Schritt vernahm. Ihre Augen waren groß und voller Traurigkeit Sie stand, ganz in einem grünen Schimmer, still vor der kräftigen Gestalt ihres Freundes von der fernen Erde. „Die Feinde Thaumasias sind vernichtet Aber ich kann mich über den Sieg nicht freuen. Zu groß ist die Katastrophe.“ „Sie wird noch viel größer werden“, sagte der Kommodore grimmig, und ein hellgrüner Strahl, der über den Horizont heraufschoß, schien seine düstere Prophezeiung unterstreichen zu wollen. „O Jim, was willst du damit sagen? Sprich doch – was wird geschehen?“ „Es sieht ganz so aus, als habe das Atomfeuer auf den Boden – ja, auf die Luft des Planeten übergegriffen. Spürst du den Sturmwind, der westwärts weht? Es ist mir noch nicht klar, wie man der Gefahr begegnen, wie man den Weltuntergang bannen könnte.“ Starr war der Blick des Kommodores auf den Westhorizont gerichtet, der in immer wilderem Feuerschein lohte. Angstvoll preßte sich Ina an ihn. „Was können wir nur tun, Jim?“ „Gib der Armee den Rückzugsbefehl. Die Truppen sollen alles stehen und liegen lassen und sich – so schnell wie möglich – auf die Hauptstadt zurückziehen. Alle Siedlungen zwischen dem Bosporus und Aurora sind von der Bevölkerung zu räumen. Vielleicht, daß es uns gelingt, den Brand in der Wüste Thaumasias zum Stillstand zu bringen.“ „Du hast recht, Jim. Erteile du die Befehle.“
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Der Kommodore trat an das Geländer und rief den Stabsoffizieren im Park seine Kommandos zu. Auch Fritz Wernicke wurde nicht vergessen. „Du übernimmst das Kommando über die Flugkörper, Fritz. Nimm die Königin und so viel an Mannschaften mit wie hineingehen. Ein Apparat bleibt zu meiner Verfügung.“ „Okay, Jim!“ Der kleine Steuermann tobte davon. „Ich bleibe bei dir, Jim. Ich bleibe hier, bis der letzte Mann in Sicherheit ist.“ Fest sah die Königin den Kommodore an. Jim Parker wollte es ihr ausreden, aber er kam nicht mehr dazu. Ein Meer grüner Flammen war da plötzlich am Westhimmel, kroch lodernd zum nächtlichen Zenit hinauf … „Hau ab, Fritz!“ brüllte der Kommodore. In dichten Reihen stiegen die großen Glaskugeln zum Himmel. Plötzlich schien es, als wollten sie der Steuerung nicht mehr gehorchen. Für Sekunden pendelten sie hin und her. Doch dann ging es wie ein Ruck durch die ganze Formation, die nun die Richtung nach Osten einschlug. Schnell leerte sich nun der Park. „Es wird Zeit für uns, Ina“, mahnte der Kommodore. Die Königin, die unentwegt nach Westen geblickt hatte, riß sich gewaltsam von dem unheimlichen Bild des wabernden, grünen Feuers los. Wie im Traum folgte sie ihrem Begleiter in den Park, wo einsam der letzte Flugkörper auf sie wartete. Jim Parker schob Ina durch die Einstiegöffnung und folgte ihr unverzüglich. Der Flugapparat schoß in die Höhe. Mit sicherer Hand stellte der Kommodore den Richtungsanzeiger auf „Aurora“. Dann drückte er den roten Knopf tief herunter. Doch da fühlte er, wie sich ihm die Haare sträubten. Der Flugkörper folgte nicht der befohlenen Richtung; er schwankte hin und her, neigte sich dann schräg nach Westen und taumelte unaufhaltsam auf die grüne Flammenwand zu. Die geheimnis-
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volle Energie, die ihm den Antrieb gab – sie war dem Sog des gewaltigen Feuersturms nicht gewachsen. Schneller wurde der Flug – immer schneller. Ina war plötzlich verschwunden. In rasendem Sturz schoß der Flugkörper mitten hinein in die gleißende Hölle des entfesselten Atomfeuers … Immer heller wurde der Flammenschein. Er drang schmerzhaft durch die geschlossenen Lider, wechselte vom Grün in ein blendendes Weiß hinüber. Jim Parker fühlte sich am ganzen Körper geschüttelt – und eine Donnerstimme brüllte: „Parker! Menschenskind, so wachen Sie doch endlich auf!“ * Noch etwas benommen, aber doch schon wieder vergnügt und glücklich, hockten die beiden Patienten, in denen Mortimer und Cunningham zu ihrer freudigen Überraschung die vermißten und längst totgeglaubten Weltraumfahrer wiedererkannt hatten, in ihren Betten und ließen sich die Erfrischungen munden, die Schwester Johanna eilfertig angeschleppt brachte. „Kinder – bin ich glücklich!“ stöhnte der dicke Cunningham ein ums andere Mal und reckte die Arme dankbar zum Himmel. „Aber nun sagt mir bloß mal: Wo habt ihr nur so lange gesteckt?“ „Hier, im Hospital natürlich“, lächelte Doktor Herrmann, der auf die Kunde vom Erwachen seiner prominenten Patienten hin sofort in Begleitung des Assistenzarztes herbeigeeilt war. „Auf dem Mars natürlich“, korrigierte ihn der Kommodore und grinste vergnügt. Und dann erzählten die beiden Freunde
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den atemlos lauschenden Zuhörern ihren merkwürdigen Traum. „Thunderstorm!“ rief Cunningham kopfschüttelnd, als Parker geendet hatte und sich von Doktor Schmitz eine Zigarette geben ließ. „Das ist der seltsamste Traum, der mir je begegnet ist.“ „Haben Sie eine Vermutung, was aus dieser Unglücksmaschine X–1001 geworden sein könnte?“ erkundigte sich Oberst Mortimer. „Geplatzt“, erwiderte Fritz Wernicke, „und wahrscheinlich irgendwo bei den Haifischen. Jedenfalls nicht auf dem Mars. Ahem – Sagen Sie, Schwester, haben Sie nicht noch so ein kleines Stärkungsmittel für einen armen, schwachen Rekonvaleszenten?“ Sehnsüchtig blickte er auf die Kognakflasche, die Schwester Johanna auf die Fensterbank gestellt hatte. „Sagen Sie, Herr Kommodore“, fragte Doktor Schmitz, „wie war das eigentlich mit der Marssprache? Sie haben sich doch im Traum mit Ihrem Freund stundenlang auf ‚Martialisch’ unterhalten.“ „Habe ich das?“ staunte Jim. „Sorry – dann habe ich alles wieder vergessen.“ „Ich auch“, beteuerte Fritz Wernicke. „Heißen Dank, Schwester. Auf Ihr Wohl!“ „Schade“, meinte Cunningham schmunzelnd. „Die Kenntnis der Marssprache wäre euch bestimmt zugute gekommen, wenn wir eines Tages unser großes Mars-Projekt verwirklichen. Wie wär’s Parker – hätten Sie nicht Lust, Ihre Marskönigin wiederzusehen?“ „Ina war eine herrliche Frau“, lächelte Jim Parker versonnen. „Aber sie wird eben die ‚Frau meiner Träume’ bleiben. Und was das Mars-Projekt anbetrifft, so bin ich im Augenblick noch gar nicht so versessen darauf, dem roten Planeten meinen An-
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trittsbesuch abzustatten. Offen gesagt, Boß: Für’s erste ist mein Bedarf an Erlebnissen mit Marsmenschen, Venusgeistern und Weltraumgespenstern gedeckt.“ Der Kommodore reckte sich und ließ den Blick durch das weitgeöffnete Fenster über Hafen und Meer schweifen. „Ich sehne mich wieder nach handfesten Abenteuern, von denen unsere schöne alte Erde, wie auch der weite Weltraum, gewiß genug zu bieten hat.“ „Bravo!“ rief Fritz Wernicke und hob sein Glas. „Auf die handfesten Abenteuer!“ – Ende –
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UTOPIA-BRIEFKASTEN Liebe UTOPIA-Freunde! Rund 65 Prozent aller Zuschriften, die wir laufend erhalten, stammen von jugendlichen Lesern. Manche von ihnen haben uns umfangreiche „Konstruktionspläne“ für Raumschiffe und Außenstationen eingereicht. Wir freuen uns darüber und sind bestrebt, diesen jugendlichen Eifer auf einen sachlichen Weg zu lenken, der vielleicht einmal zu einem richtigen Raumschiff führen wird. Was wir vor einiger Zeit an dieser Stelle sagten, ist gewiß wahr: Jim Parker lebt unter der jungen Generation! * H. B. aus Ludwigsburg fragt nach dem Hersteller der Modellrakete RAK 53. Wir bitten ihn, sich an Dipl.-Ing. G. Sautier, Hamburg 20, Husumer Str. 35, zu wenden. Werner B. aus Offenbach a. Main stellt folgende Fragen: 1) Aus wieviel Schichten besteht die Atmosphäre, und was für Vorgänge finden in ihnen statt? Unsere Antwort: 3 Hauptschichten: Troposphäre (0–10 km Höhe), Witterungserscheinungen. Stratosphäre (10–70 km), keine nennenswerten Wettererscheinungen, in unteren Lagen gleichbleibende Temperatur (– 54 Grad Celsius). Ionosphäre (oberhalb 70 km). Atome z. T. ionisiert. Nordlichter, Meteore. 2) Welche Höhen hat man bereits mit Raketen, bemannten 88
und unbemannten Ballonen und Flugzeugen erreicht? Unsere Antwort: Raketen: 402 km (Februar 1949 durch Zweistufenrakete A4 + WAC Corporal). Bemannte Ballons: 23,4 km. Unbemannte Ballons: sicher: 35,9 km, angeblich sogar 42 km. Flugzeuge: über 20 km mit Rak.-Flugzeugen. Genaue Daten nicht bekannt (Geheimhaltung!). 3) Welchen Durchmesser hat die Sonne? Wie hoch schätzt man ihr Alter? Was finden auf der Sonne für Vorgänge statt? Wo stehen in Europa Koronographen? Was sind Protuberanzen? Was hat es mit den Sonnenflecken für eine Bewandtnis, und kommen sie periodisch wieder? Unsere Antwort: Die Sonne hat einen Durchmesser von 1 391 000 km, ihr Alter beträgt zwischen 2 und 3,5 Milliarden Jahren. Vorgänge: Flecke, Fackeln, Protuberanzen usw. Einzelheiten finden Sie in jedem populär-wissenschaftlichen Buch über Astronomie. Wegen Koronographen fragen Sie bitte einmal bei der Wiener Volkssternwarte, Wien XVI, Johann-Staud-Str. 10, an. Protuberanzen sind am Sonnenrand zu beobachten, es handelt sich bei ihnen um Ausbrüche glühender Gasmassen aus der Sonnenatmosphäre. Sonnenflecke sind Wirbelgebiete in der Sonnenatmosphäre; Periode der Fleckenhäufigkeit: 11, 124 Jahre. * Anfragen unserer Leser, die Astronomie Weltraumfahrt, Raketentechnik usw. betreffend, beantworten wir gern und kostenlos. Schreiben Sie bitte an den UTOPIA-Briefkasten, PabelVerlag, Rastatt/Baden, Freundliche Grüße Ihre UTOPIA-Schriftleitung.
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Lesen Sie im nächsten (27.) UTOPIA -Band: Alarmzustand im Weltraum! Im Verein mit der Weltpolizei fahndet der Sicherheitsdienst des Staatlichen AtomTerritoriums der USA nach Mexass, dem skrupellosen Abenteurer und ersten Freibeuter des Weltalls. Ein dichter Sperrgürtel von Raumschiffen wird zwischen Erde und Venus gelegt, um den gerissenen Gangster abzufangen. Doch Mexass, der das Reich der inneren Planeten wie seine Tasche kennt, hat alle Chancen auf seiner Seite – bis Kommodore Parker zu seiner Verfolgung startet Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 25 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pfg.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
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Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 26) Der Planet mit dem Ring Über Saturn, den zweitgrößten Planeten unseres Sonnensystems, ist bereits ausführlich im Anhang des 17. UTOPIABandes berichtet worden. Saturn ist – soweit uns bis heute bekannt – der einzige Himmelskörper, der von einem System frei schwebender Ringe umgeben wird. Im Fernrohr bietet er ein reizvolles Bild. Kein Wunder, daß er uns auch als lockendes Reiseziel für eine künftige Weltraumexpedition erscheint. Allerdings dürfte er nicht gerade zu den ersten Zielen gehören. Seine Entfernung – der mittlere Abstand von der Sonne beträgt immerhin 1428 Millionen Kilometer, d. i. fast der doppelte Abstand des Jupiter – ist zu groß dafür. Auch würde seine Oberfläche gewiß keine Landungsmöglichkeiten bieten. Die Atmosphäre des Saturn enthält – ebenso wie die Jupiteratmosphäre – die giftigen Gase Methan und Ammoniak, und auch die Oberfläche dieses Planeten dürfte noch feuerflüssig sein. 860mal übertrifft Saturn unsere Erdkugel an Rauminhalt. Seine Wanderung um die Sonne vollendet er in 29,5 irdischen Jahren. Ist also das Jahr auf Saturn sehr lang, so gilt das nicht für die Tagesdauer; denn in 10 ½ Stunden dreht sich der riesige Planet um seine Achse. Diese schnelle Rotation hat es bewirkt, daß auch Saturn an den Polen stark abgeplattet ist. Ebensowenig wie der Planet selbst, eignet sich der frei schwebende Ring für einen Besuch mit dem Raumschiff; denn er besteht, wie wir heute wissen, aus einer Unzahl von Steinchen und kosmischen Staubteilchen.
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Der Raumfahrer der Zukunft wird daher voraussichtlich einen der zehn Monde des Saturn ansteuern, von denen der größte, Titan, mit seinen 4370 Kilometer Durchmesser, ein recht beachtlicher Himmelskörper ist. Titan ist der erste Mond in unserem Sonnensystem, auf dem man einwandfrei eine Atmosphäre feststellen konnte. (Fortsetzung folgt)
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 08/2010
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