Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier Schröder gegen Merkel
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Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier Schröder gegen Merkel
Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier
Schröder gegen Merkel Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Barbara Emig-Roller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15137-3
Inhalt 1. EINFÜHRUNG UND ANLAGE DER UNTERSUCHUNG 1.1 Schröder gegen Merkel
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Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
1.2 Kandidatenwahrnehmung in Echtzeit
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
2. DAS TV-DUELL UND SEINE WAHRNEHMUNG 2.1 Themen, Argumente, rhetorische Strategien
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Die Inhalte des TV-Duells Marcus Maurer
2.2 Populistisch und unkonkret
53
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells Carsten Reinemann und Marcus Maurer
3. DIE UNMITTELBAREN WIRKUNGEN DES TV-DUELLS 3.1 Erfolgreiche Überzeugungsarbeit
91
Urteile über den Debattensieger und die Veränderung der Kanzlerpräferenz Jürgen Maier
3.2 Personalisierung durch Priming
111
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler Marcus Maurer und Carsten Reinemann
3.3 Eine Basis für rationale Wahlentscheidungen?
129
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse Jürgen Maier
3.4 Verstärkung, Mobilisierung, Konversion Die Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsicht Michaela Maier
145
6
Inhalt
4. DIE NACHBERICHTERSTATTUNG UND IHRE WIRKUNGEN 4.1 Völlig anderer Ansicht
167
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell Carsten Reinemann
4.2 Viel Spielraum für die eigene Interpretation
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Wahrnehmung und Wirkung der Medienberichterstattung Michaela Maier
5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 5. Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können
229
Befunde und Konsequenzen der TV-Duell-Studie 2005 Marcus Maurer und Carsten Reinemann
LITERATUR
247
1.1
Schröder gegen Merkel Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Mehr als 20 Millionen Zuschauer verfolgten am 4. September 2005 das TVDuell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder. Zu diesem Zeitpunkt waren noch knapp 25 Prozent der Wahlberechtigten unschlüssig, wem sie am 18. September ihre Stimme geben sollten. Kein anderes Medienereignis erreichte während des Wahlkampfs so viele Zuschauer. Während viele Experten und Journalisten bemängelten, das Duell habe kaum neue Informationen gebracht, empfanden die Zuschauer das TV-Duell als informativ und wichtig: 75 Prozent sahen es als sehr gute Gelegenheit, etwas über die Positionen der Kandidaten zu erfahren. Für 37 Prozent war es eine Hilfe bei ihrer Wahlentscheidung (Infratest-Dimap 2005). Auch in den Medien fand das TV-Duell besondere Aufmerksamkeit: Über kein anderes Einzelereignis wurde so intensiv berichtet, kein anderes Ereignis rückte die Kanzlerkandidaten so in den Mittelpunkt des Medieninteresses (z.B. Brettschneider 2005; Wilke/Reinemann 2006). Über die möglichen Wirkungen des TV-Duells ist viel spekuliert worden. Wissenschaftler und Meinungsforschungsinstitute wiesen in ihren Wahlanalysen darauf hin, dass sich die Zustimmung zur SPD nach dem TV-Duell deutlich verstärkte (z.B. Schmitt-Beck et al. 2005: 41). Andere vermuteten, dass das TVDuell vor allem deshalb wichtig war, weil es Gerhard Schröder eine Plattform für seine Attacken auf Paul Kirchhof bot (z.B. Brettschneider 2005; Niedermayer 2007). Viele Medien hatten als entscheidende Stelle des Duells Schröders Liebeserklärung an seine Frau ausgemacht. Dieser Interpretation schloss sich wenige Wochen nach der Wahl auch Edmund Stoiber an, der hierin gleich den Wendepunkt des gesamten Wahlkampfs erkannt haben wollte (www.faz.net vom 23.10.). Aber war das wirklich so? War tatsächlich die Liebeserklärung entscheidend? Oder allgemeiner gewendet: Welche inhaltlichen Elemente des TVDuells lösten tatsächlich Wirkungen bei den Zuschauern aus? Wie nahmen die Zuschauer das TV-Duell also wirklich wahr? Wie veränderte es ihre Meinungen von den Kandidaten und ihre Wahlabsichten? Wie stabil waren diese Veränderungen? Welchen Einfluss hatte die Vor- und Nachberichterstattung der Me-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
dien? Und: Unterschieden sich die Wahrnehmungen und Wirkungen des Duells bei west- und ostdeutschen Zuschauern – wie dies etwa Analysen repräsentativer Umfragen für die TV-Duelle 2002 nahe legen (Maier 2006)? Diesen und anderen Fragen widmet sich der vorliegende Band. Um sie beantworten zu können, haben wir in Mainz und Jena vor, während und nach dem TV-Duell eine aufwändige Untersuchung durchgeführt. Ihre wichtigsten Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln präsentiert. In diesem ersten Kapitel wollen wir das TV-Duell in den Kontext des Bundestagswahlkampfs 2005 einordnen, seine Entstehung und seine Regeln skizzieren sowie kurz Ziele und Struktur dieses Buches vorstellen. Es geht hier also nicht um eine eingehende Analyse der gesamten Wahlkampfs oder der ihn begleitenden Medienberichterstattung. Vielmehr konzentrieren wir uns hier auf die Eckdaten, die für unsere Analyse des TV-Duells und das Verständnis seiner Bedeutung im Wahlkampf 2005 wichtig sind. Analysen des Wahlkampfs insgesamt, seiner medialen Darstellung, der Wahlkampfführung der Parteien sowie des Wahlergebnisses liegen aus kommunikations- bzw. politikwissenschaftlicher Sicht z.B. in den Bänden von Holtz-Bacha (2006), Jesse/Sturm (2006) sowie Brettschneider et al. (2007) vor.
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Ungebundene, Unentschlossene und Late-deciders: Die Entwicklung der politischen Stimmung im Wahlkampf
Wahlkämpfe spielen heute eine wesentlich größere Rolle für den Ausgang einer Bundestagswahl als noch vor 10 oder 15 Jahren. Dies vergrößert die Wirkungsmöglichkeiten für die Wahlkampfkommunikation der Parteien und Medien erheblich. Die Ursachen dieser gestiegenen Bedeutung von Wahlkämpfen liegen darin, dass immer weniger Wähler fest an eine Partei gebunden sind, immer mehr noch während des Wahlkampfs ihre Wahlabsicht ändern, und sich immer mehr erst sehr spät endgültig auf eine Partei festlegen. Die Bundestagswahl 2005 markiert den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung zu einer außerordentlich beweglichen, volatilen Wählerschaft: Knapp 34 Prozent der Wähler stimmten 2005 für eine andere Partei als die, die sie noch 2002 gewählt hatten. Knapp 24 Prozent veränderten noch während des Wahlkampfs ihre Wahlabsicht (Weßels 2007). Und 12 Prozent der Wähler trafen ihre Entscheidung erst in den letzten Tagen vor dem Wahltermin, manche erst in letzter Minute: Nach einer Schätzung der Forschungsgruppe Wahlen entschieden sich zwischen Samstagabend und Sonntag etwa 1,5 Millionen Wähler, doch nicht für die Union, sondern für die FDP zu stimmen (Forschungsgruppe Wahlen 2005).
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Nach mehreren verlorenen Landtagswahlen hatte die SPD am 22. Mai 2005 auch im sozialdemokratischen Kernland Nordrhein-Westfalen eine weitere herbe Niederlage einstecken müssen. Damit war nach sieben Jahren rot-grün auf Bundesebene auch die letzte rot-grüne Landesregierung abgewählt worden. Noch am Wahlabend verkündete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, dass die SPD nun Neuwahlen zum Bundestag anstrebe. Mit der Niederlage, so Kanzler Schröder später, sei die „politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt“. Um das strukturelle Patt zwischen Bundestag und unions-dominiertem Bundesrat aufzulösen, blieben nur schnellstmögliche Neuwahlen. Er selbst, so Schröder, würde wieder antreten. Die Union legte sich am 30. Mai in einer gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU auf Angela Merkel als Kandidatin fest. Die Ausgangslage schien für Union und FDP 2005 noch komfortabler als 2002. Seit kurz nach der Wahl 2002 hatten CDU/CSU stets einen Vorsprung in der Wählergunst besessen, der in der Woche nach der Wahl in NordrheinWestfalen auf fast 20 Prozentpunkte anwuchs. Gleichzeitig lag Angela Merkel unmittelbar nach der Neuwahlankündigung bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz erstmals vor Gerhard Schröder. Alles schien auf eine schwarz-gelbe Koalition hinauszulaufen. Dies führte dazu, dass die Union einen klassischen Regierungswahlkampf führte, in dem ihr Regierungsprogramm im Mittelpunkt stand. Die SPD verlegte sich dagegen auf einen klassischen Oppositionswahlkampf, in dem sie in erster Linie die Unions-Vorhaben in der Steuer- und Sozialpolitik attackierte: Vor allem gegen Ende setzte die SPD auf das Thema „soziale Gerechtigkeit“ und die Furcht vor sozialen Einschnitten (Brettschneider 2005; Jung/Wolf 2005; Bosch 2006). Im Verlauf des Wahlkampfs bröckelte die Zustimmung zur Union zusehends ab. Die Werte Merkels bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz zeigen ein Auf und Ab. Unmittelbar nach dem TV-Duell wollten dann wieder 54 Prozent der Wähler Gerhard Schröder als Kanzler, aber nur noch 35 Prozent Angela Merkel. Damit war der Vorsprung Schröders zwar nicht so komfortabel wie noch 2002, aber dennoch deutlich. Am Wahltag lag die Union dann mit 35,2 Prozent der Zweitstimmen nur noch knapp vor der SPD (34,3%). Angesichts des lange verloren geglaubten Rennens sah sich die SPD als eigentlichen Sieger der Wahl (Abbildungen 1 und 2). Noch nie zuvor hat eine Partei einen so großen Vorsprung in so kurzer Zeit verspielt wie die Union 2005 (Brettschneider 2005; Jung/Wolf 2005).
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Abbildung 1:
Die Entwicklung der Parteipräferenzen zwischen der Ankündigung von Neuwahlen und dem Wahltermin 2005 (in %)
60%
CDU/CSU
SPD
GRÜNE
FDP
Linke.PDS TV-Duell
50%
40%
30%
20%
10%
.0 9.
14
18
06 . .0 6. -1 5 . 21 06 .0 6. -2 2. 06 28 . .0 6. -2 9. 06 04 . .0 7. -0 6. 0 12 7. .0 7. -1 3. 07 19 . .0 7. -2 0. 07 26 . .0 7. -2 7. 07 01 . .0 8. -0 3. 08 09 . .0 8. -1 0. 08 15 . .0 8. -1 6. 08 23 . .0 8. -2 4. 08 29 . .0 8. -3 1. 08 06 . .0 9. -0 7. 09 .
05 . 07 .
06 .
-0 8.
-3 1. 05 .
30 .
23 .
05 .
-2 4.
05 .
0%
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer Projektion Sonntagsfrage, Wahlergebnis
2
Personalisierung und Talkshowisierung: Die Entwicklung der Medienberichterstattung im Wahlkampf
Die Wähler nehmen Politik, Politiker und Wahlkämpfe heute vor allem über die Medien wahr. Da sich langfristige Bindungen an die Parteien abschwächen bzw. in den neuen Ländern kaum vorhanden sind, bilden Medieninhalte eine immer wichtigere Basis für die Meinungsbildung der Wähler. Dies haben auch die Parteien erkannt und stellen die Medien in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampfmaßnahmen (z.B. Schmitt-Beck 2003). Unter den wahlbezogenen Inhalten der Massenmedien lassen sich drei Kategorien unterscheiden: 1. Die redaktionelle Berichterstattung. Hier treffen allein Journalisten die Entscheidung darüber, was und wie berichtet wird. 2. Teilmediatisierte Formate wie Interviews, TalkSendungen und Wahlkampfdebatten. Hier können sich Politiker oder Wähler in größerem Umfang selbst äußern und eigene Akzente setzen. Journalisten treten vor allem als Moderatoren oder Fragesteller auf. 3. Werbung, die die Parteien selbst gestalten und in den Medien platzieren können. Wir wollen nun kurz darauf eingehen, wie sich die ersten beiden Kategorien von Medieninhalten im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 dargestellt und entwickelt haben:
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
Abbildung 2:
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Die Entwicklung der Kanzlerpräferenzen zwischen der Ankündigung von Neuwahlen und dem Wahltermin 2005 (in %)
60%
Schröder
TV-Duell
Merkel
50%
40%
30%
20%
10%
0% Mai II
Juni I
Juni II
Juli I
Juli II
Juli III
Juli IV
Aug I
Aug II Aug III Aug IV
Sep I
Sep II
Quelle: Infratest Dimap: Deutschlandtrend Kanzlerpräferenz
Die redaktionelle Berichterstattung der Medien erreicht – von den TV-Duellen abgesehen – die meisten Menschen. Bedingt durch die überraschende Neuwahlankündigung und die Vertrauensfrage setzte die wahlbezogene Berichterstattung 2005 relativ früh ein. Dennoch lag der Schwerpunkt der Berichterstattung wie üblich in den letzten Wochen vor der Wahl. Die Höhepunkte bildeten die Tage um das TV-Duell und die Woche vor dem Wahltag (Krüger et al. 2005; Wilke/Reinemann 2007). In dieser heißen Phase des Wahlkampfs berichteten die Medien so intensiv über Wahl und Kandidaten wie nie zuvor bei einer Bundestagswahl. Dies traf vor allem auf die Presse zu (Wilke/Reinemann 2006; 2007). Aber auch in den Fernsehnachrichten machten Wahlkampfbeiträge einen so großen Teil der Politikberichterstattung aus wie nie zuvor. Allerdings wurde aufgrund konkurrierender unpolitischer Ereignisse wie des Papst-Besuchs und des Hurrikans Katrina insgesamt etwas weniger über Politik berichtet als 2002 (Schulz/Zeh 2006). Je näher der Wahltag rückte, umso stärker verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Medien auf die CDU/CSU. So fanden sich im August und September in den Fernsehnachrichten der wichtigsten Sender jeweils etwa doppelt so viele Aussagen über die Union wie über die SPD. Vor allem in der Schlussphase
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
des Wahlkampfs fokussierte sich die Berichterstattung über die SPD außerordentlich stark auf Gerhard Schröder. Dagegen war das Spektrum der öffentlich sichtbaren Unions-Vertreter deutlich breiter, nicht zuletzt bedingt durch die große Aufmerksamkeit für Paul Kirchhof (Brettschneider 2005; Krüger et al. 2005). Die außerordentlich starke Personalisierung der Berichterstattung zeigt sich auch darin, dass nie zuvor so viel über die Kanzlerkandidaten berichtet wurde, dass nie zuvor ihr Auftreten und ihre medialen Fähigkeiten so sehr zu zentralen Kriterien ihrer Beurteilung wurden und sie nie zuvor so häufig im Bild zu sehen waren (Schulz/Zeh 2006; Wilke/Reinemann 2006). Anders als bis in die 1990er Jahre wurde dabei über Amtsinhaber und Herausforderin in etwa gleichem Umfang berichtet, in manchen Zeitungen sogar mehr über Angela Merkel. Der traditionelle Kanzlerbonus, der sich in einer intensiveren Berichterstattung über den Amtsinhaber niederschlug, war – wie schon 2002 – nicht mehr erkennbar (Krüger 2005; Schulz/Zeh 2006; Wilke/Reinemann 2006). Was die Inhalte der Berichterstattung angeht, wurde die Steuerpolitik im Verlauf des Wahlkampfs zum dominierenden Thema. Dies lag zunächst an der Ankündigung der Union, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, und der Berufung Paul Kirchhofs in Angela Merkels Kompetenzteam. Bereits kurze Zeit später hatte Kirchhofs gar nicht für die kommende Legislaturperiode vorgesehenes Steuermodell, die so genannte Flat-Tax, die eigentlichen Pläne der Union zur Reformierung der Einkommenssteuer, die Absenkung von Eingangs- und Spitzensteuersatz, aus den Schlagzeilen verdrängt (Maurer 2007a). In der Schlussphase des Wahlkampfs wurde das Thema Steuern dann in der Berichterstattung immer häufiger mit dem Thema „soziale Gerechtigkeit“ verknüpft, ein Erfolg der Kommunikationslinie der SPD. Außerdem widmeten die Medien den Ergebnissen der Umfrageinstitute gegen Ende des Wahlkampfs immer mehr Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung über die Regierung wurde seit Mitte Juli zunehmend positiver, während die Union vor allen in den letzten Wochen vor der Wahl immer negativer dargestellt wurde (Brettschneider 2005). Zumindest in den letzten vier Wochen vor der Wahl wurde Gerhard Schröder in den Fernsehnachrichten positiver dargestellt als Angela Merkel (Schulz/Zeh 2006). In der überregionalen Presse spiegelten sich in den letzten vier Wochen nur zum Teil die traditionellen politischen Linien der Blätter wieder. Als eindeutige Unterstützer „ihrer“ Kandidaten erwiesen sich vor allem die Frankfurter Rundschau und Bild. Weniger eindeutig war die Unterstützung Angela Merkels dagegen bei FAZ und Welt, während die Süddeutsche Zeitung mit beiden Kandidaten gleichermaßen kritisch umging (Wilke/Reinemann 2007). Zumindest für die
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Schlussphase des Wahlkampfs war die nachträgliche Medienschelte Gerhard Schröders deshalb nicht gerechtfertigt – auch wenn die Medien, wie die meisten externen Beobachter und Demoskopen, den Sieg der Union lange Zeit für ausgemacht hielten (dazu auch Konken 2005). Neben der klassischen redaktionellen Berichterstattung gab es 2005 vor allem im Fernsehen so viele wahlbezogene Talk-Formate und Diskussionen wie bei keiner Bundestagswahl zuvor (Krüger et al. 2005). Neben dem TV-Duell der Kanzlerkandidaten strahlten die öffentlich-rechtlichen Sender Einzelinterviews mit den Kanzlerkandidaten (ARD, ZDF), die Runde aller Spitzenkandidaten (ARD), den „TV-Dreikampf“ der Spitzen der kleinen Parteien, „Nachtduelle“ (ZDF), „Wahlforen“ (ZDF), „Townhall-Meetings“ (HR, WDR, NDR) usw. aus. Allerdings hatten diese Sendungen bei weitem nicht so viele Zuschauer und erlangten bei weitem nicht die mediale Aufmerksamkeit der TV-Duelle. Den größten Zuspruch hatte mit knapp 6 Millionen Zuschauern die Diskussion der Spitzenkandidaten am 12. September. Hier trafen u.a. Angela Merkel und Gerhard Schröder nochmals aufeinander. Die Einzelinterviews der Kanzlerkandidaten bei Sabine Christiansen verfolgten 5,2 (Merkel) bzw. 5,8 (Schröder), die Interviews bei Berlin Mitte 2,5 (Schröder) bzw. 3,7 Millionen Zuschauer (Merkel). Die Reichweiten der anderen Talkformate und Sondersendungen blieben weit darunter.
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Das TV-Duell 2005: Entstehung, Organisation und Regeln
TV-Duelle entwickeln sich in jüngster Zeit in vielen Ländern zu den wichtigsten Medienereignissen in Wahlkämpfen. Während es sie noch Ende der 1970er Jahre nur in etwa 10 Ländern gab, fanden Ende der 1990er Jahre in mindestens 35 Ländern Fernsehdebatten unterschiedlichster Formate statt (Plasser/Plasser 2002: 312). Zwar gab es im deutschen Fernsehen schon seit den 1960er Jahren die „Elefantenrunden“ der Spitzenkandidaten aller im Bundestag vertretenen Parteien. Doch „TV-Duelle“, bei denen nur die Kandidaten der beiden größten Parteien gegeneinander antreten, haben sich erst seit dem Bundestagswahlkampf 2002 als feste Institution etabliert. Auch in Landtagswahlkämpfen scheinen sie zur Regel zu werden. Im Vorfeld fast aller Landtagswahlen der letzten Jahre gab es mindestens ein TV-Duell, so in Hamburg (2004), Nordrhein-Westfalen (2005), Schleswig-Holstein (2005), Baden-Württemberg (2006), Berlin (2006) und Mecklenburg-Vorpommern (2006). Die Bedeutung von TV-Duellen ist für die letzte Bundestagswahl, aber auch für nationale und regionale Wahlen in anderen Ländern vielfach belegt. Die Forschung ist sich weitgehend einig: Kein
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
anderes geplantes Ereignis in einem Wahlkampf erhält so viel öffentliche Aufmerksamkeit und kann so starke Wirkungen auf das Image der Kandidaten, die Wahlbeteiligung und die Wahlabsichten entfalten (z.B. Klein 2005; Maier/Faas 2005; Maurer/Reinemann 2003). Im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 wurde ein TV-Duell sehr schnell ins Gespräch gebracht. Bereits vier Tage nach der Neuwahl-Ankündigung regte Gerhard Schröder eine Fernsehdebatte mit seiner Herausforderin an (Die Welt vom 27.5.). Angela Merkel hielt sich mit einer Zusage zunächst zurück, da sie noch nicht offiziell als Kanzlerkandidatin nominiert worden war. Gleichzeitig fragten öffentlich-rechtliche und private Fernsehanstalten bei den beiden mutmaßlichen Kandidaten an und bekundeten vorsorglich schon einmal ihr Interesse an einer oder mehreren Fernsehdebatten. Anfang Juni verständigten sich die vier wichtigsten Sender auf den Vorschlag, wie 2002 zwei TV-Duelle zu veranstalten, von denen jeweils eins von ARD und ZDF bzw. RTL und SAT.1 ausgestrahlt werden sollte. Eine Antwort Merkels blieb fast zwei weitere Wochen aus, während Gerhard Schröder immer wieder auf seine Bereitschaft zu einer Fernsehdebatte hinwies. Der potentielle Koalitionspartner Guido Westerwelle riet Angela Merkel in dieser Zeit sogar öffentlich von einem TV-Duell mit Schröder ab. Schröder, so Westerwelle, sei „ein internationaler Meister im Flirt mit den Kameras.“ Dies würde sich in jedem Fernsehduell zeigen (netzeitung vom 10.7.). Erst am 11. Juli erklärte sich Angela Merkel gegenüber SAT.1 bereit, zu einem Fernseh-Duell anzutreten. Ende Juli begannen die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Kandidaten und denen der vier großen TV-Sender. Für Gerhard Schröder leitete Regierungssprecher Béla Anda, für Angela Merkel Willi Hausmann die Gespräche. Eine erste Verhandlungsrunde scheiterte an der Weigerung Merkels, wie 2002 zwei Debatten zu veranstalten. Merkels Berater begründeten dies öffentlich damit, dass wegen des extrem kurzen Wahlkampfs keine Zeit für zwei TVDuelle bliebe. Ein Argument, das selbst innerhalb der Union als nur vorgeschoben beurteilt wurde. Am 3. August mussten die SPD-Verhandlungsführer und die Fernsehanstalten dann aber doch nachgeben: Man einigte sich auf ein TVDuell am 4. September, zwei Wochen vor der Wahl. Es sollte 90 Minuten dauern, von allen vier großen TV-Sendern parallel zwischen 20:30 und 22:00 Uhr übertragen und von vier Journalisten moderiert werden. Wie diese Auseinandersetzung um die Zahl der TV-Duelle in der Wählerschaft wahrgenommen und beurteilt wurde, lässt sich nicht sagen. In den Medien jedenfalls wurde sie diskutiert und auch von konservativen Kommentatoren als Erfolg für Gerhard Schröder verbucht. So schrieb beispielsweise die Welt: „In einer für die Zukunft des Landes ziemlich belanglosen Frage, ist es Schröder
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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also gelungen, dem öffentlichen Bild der CDU-Chefin einen realen Kratzer zu verpassen. Nicht zum ersten Mal steht sie als über die Maßen auf Taktik bedachte Politikern da“ (Die Welt vom 4.8.). Zudem wurde darüber spekuliert, dass Angela Merkel aus den Erfahrungen Edmund Stoibers 2002 gelernt haben könnte: Der bayerische Ministerpräsident war in der ersten der beiden Debatten als „überraschend gut“ wahrgenommen worden, was man auf die niedrige Erwartungshaltung ihm gegenüber und die Favoritenrolle des „Medienkanzlers“ Schröder zurückführen kann. Im zweiten Duell war die Favoritenrolle Schröders deshalb nicht mehr so klar, und Edmund Stoiber musste nicht zuletzt deshalb eine deutliche Niederlage einstecken. Als Ort der Auseinandersetzung wählte man wie 2002 die ehemaligen Studios des DDR-Fernsehens in Adlershof, Berlin-Köpenick. Dort war genug Raum für die vielen hundert Journalisten, Politiker und Gäste, die die Debatte vor Ort verfolgen würden. Der formale und inhaltliche Rahmen des TV-Duells wurde nach Medienberichten weit weniger verbissen ausgehandelt als noch 2002 (Tagesspiegel vom 3.9.). Dies lag offenbar auch daran, dass die TVSender die Regeln im Vergleich zu 2002 lockern wollten, um die Debatte unterhaltsamer werden zu lassen und mehr direkte Konfrontationen zwischen den Kandidaten zu ermöglichen. Dementsprechend füllte das Regelwerk nur wenige Seiten, die der Öffentlichkeit – von einigen Eckpunkten abgesehen – allerdings nicht zugänglich gemacht wurden. Nach dem, was die Sender bekannt gaben, sollten die Antworten der Kandidaten 90 Sekunden nicht überschreiten, Diskussionen zwischen ihnen sollten aber – anders als 2002 – möglich sein. Alle 15 Minuten sollte ein Redezeitkonto eingeblendet werden und die Redezeit der Kandidaten am Ende möglichst ausgeglichen sein. Man ging von einer Gesamtredezeit von 35 bis 40 Minuten pro Kandidat aus. Die Einstellungen der zehn Kameras waren nach Angaben der Sender nicht reglementiert. Mit einer Ausnahme: Die Kandidaten durften nicht von hinten gezeigt werden. Die vier Moderatoren sollten jeweils zu zweit acht bis zehn Themenkomplexe ansprechen, wobei diese den Kandidaten nicht bekannt sein sollten. Die Einstiegsfrage jedes Komplexes sollte an beide Kandidaten gestellt werden, danach sollten die Moderatoren nachfragen. Die Länge der Themenkomplexe sollte je nach Bedeutung variieren (z.B. Tagesspiegel vom 3.9., Welt am Sonntag vom 4.9.). Über die Vorbereitung der Kandidaten auf das TV-Duell ist nicht viel bekannt. Sicher ist, dass Angela Merkel einen eigenen Maskenbildner hatte und sich u.a. von Alexander Niemetz vorbereiten ließ. Der ehemalige Moderator des ZDF-heute journals hatte kurz zuvor schon die späteren Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und Harry Carstensen auf ihre Fernsehdebatten vorbereitet. Aus
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
diesem Grund lehnte Niemetz auch die Anfrage Gerhard Schröders ab, der ihn offenbar ebenfalls als Coach engagieren wollte (Neue Osnabrücker Zeitung vom 15.4.2006). Angesichts dessen erscheint es zumindest fraglich, ob Gerhard Schröder zur Vorbereitung tatsächlich nur die „Fakten aus den Akten“ studierte, wie Regierungssprecher Béla Anda angab (Bild am Sonntag vom 24.7.2006).
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Zielsetzung des Buches
Der vorliegende Band richtet sich nicht nur an Wissenschaftler und Studierende, sondern auch an Journalisten, politische Akteure und alle Wählerinnen und Wähler, die sich für die Mechanismen politischer Meinungsbildung im Kontext von TV-Duellen interessieren. Sein Ziel ist es, die Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells auf die Zuschauern sowie die Reaktionen und Wirkungen der Vor- und Nachberichterstattung der Medien zu analysieren und zu erklären. Daraus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für Art und Struktur der Ergebnisdarstellung: Erstens werden die einzelnen Elemente der Studie bzw. des Wirkungsprozesses in Beiträgen abgehandelt, die auch für sich allein stehen können. Dies ermöglicht einen schnellen Zugriff auf einzelne Aspekte. Die jeweiligen Autoren sind dabei für die Analysen und Schlussfolgerungen selbst verantwortlich. Zweitens konzentrieren wir uns auf die demokratietheoretisch wichtigen bzw. für Journalisten, Wähler und Politiker bedeutsamsten Ergebnisse der Studie. Schließlich haben wir uns drittens bemüht, eine Sprache zu finden, die von möglichst vielen verstanden wird. Das bedeutet, dass sich die Darstellung des theoretischen Hintergrunds, des Forschungsstandes und statistischer Details auf das unbedingt Notwendige beschränkt. Die Befunde sollen im Vordergrund stehen. Die vorliegende Studie ist ein Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaftlern der drei rheinland-pfälzischen Universitäten Kaiserlautern (Jürgen Maier), Landau (Michaela Maier) und Mainz (Marcus Maurer und Carsten Reinemann). Die meisten der Autoren haben sich bereits 2002 mit den damaligen TV-Duellen beschäftigt und umfangreich dazu publiziert. Das gemeinsame Projekt 2005 wurde dadurch möglich, dass in Landau nun die gleichen Messinstrumente zur Verfügung standen wie schon 2002 in Mainz. Um die Duellwahrnehmungen und -wirkungen bei west- und ostdeutschen Wählern vergleichen zu können, haben wir die Vergleichsuntersuchung allerdings nicht in Landau, sondern in Jena durchgeführt.
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Wir wollen abschließend allen danken, die zum Gelingen des Projekts beigetragen haben: Finanziell wurde die Studie vom Verein der Freunde und Förderer des Mainzer Instituts für Publizistik unterstützt. Für die technische Umsetzung der RTR-Messung in Mainz war das Team des Medienhauses der Universität unentbehrlich. Unser Dank geht an Peter Stuppert, Nicole Labitzke, Michèl Hammann und Marcus Kiefer. Außerdem haben uns sowohl am Abend des TVDuells als auch bei der Durchführung der Inhaltsanalysen studentische Hilfskräfte unterstützt. Zu nennen sind in Mainz insbesondere Jens Mutzke, Melanie Leidecker, Meta Wolf, Dominik Becht und Magda Huthmann. In Jena haben uns die Kollegen bzw. studentischen Hilfskräfte Fanny Backhaus, Mandy Fickler, Georg Ruhrmann und Wolfgang Schlorke zur Seite gestanden. In Landau sind wir Patrick Bacherle, Manuel Frank, Helen Hertzsch, Kathrin Klietsch, Maike Luhmann, Frank Schneider und Karin Stengel zu Dank verpflichtet. Hans-Jürgen Weiß von der FU Berlin hat uns kostenlos eine Reihe von Sendungen der Nachberichterstattung zur Verfügung gestellt.
1.2
Kandidatenwahrnehmung in Echtzeit Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit vielen unterschiedlichen Fragen: Wie haben die Kandidaten im TV-Duell 2005 argumentiert? Wie haben die Massenmedien vor und nach dem Duell darüber berichtet? Wie haben die Zuschauer das TV-Duell kurzfristig wahrgenommen? Welche Wirkungen hatte das Duell langfristig? In diesem Kapitel wollen wir einen knappen Überblick über die Forschungsfragen, die Anlage und die Methoden des Projekts geben. Wir schildern zunächst die Anlage der gesamten Studie und gehen dann auf ihre unterschiedlichen Teile ein. Den theoretischen Hintergrund und den Forschungsstand zu den einzelnen Elementen des Projekts deuten wir jeweils nur kurz an. Mehr Informationen dazu enthalten die jeweiligen Kapitel des Ergebnisteils. Bei der Konzeption des Studiendesigns gingen wir in Anlehnung an Kepplinger et al. (1994) von einem vierstufigen Modell des Prozesses der Wahrnehmung und Verarbeitung politischer Medienbotschaften aus. Dabei werden vier Phasen unterschieden: Vor einem TV-Duell bestehen bei den Rezipienten Prädispositionen in Form von Parteibindungen, Meinungen über die Kandidaten, politischem Wissen und Erwartungen an den Ausgang des TVDuells. Insbesondere die Erwartungen an TV-Duelle werden maßgeblich von der Vorberichterstattung der Massenmedien geprägt. Während eines TV-Duells prägen Prädispositionen und Erwartungen die unmittelbare Wahrnehmung der Kandidaten. Hierbei geht es darum, wie die Zuschauer spontan auf die Aussagen der Kandidaten, ihre Stimme, Gestik und Mimik usw. reagieren. Direkt nach einem TV-Duell beeinflussen einerseits die schon zuvor bestehenden Prädispositionen und Erwartungen, andererseits die Eindrücke während der Debatte die Meinungen über die Kandidaten, die Ansichten über Sieger und Verlierer, Wahlabsichten etc. In den Tagen nach einem TV-Duell nehmen dann die Nachberichterstattung der Medien sowie Gespräche mit Familie, Freunden und Kollegen Einfluss auf Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten der Zuschauer (Abbildung 1). Vor dem Hintergrund dieses Analysemodells standen drei wesentliche Fragekomplexe im Zentrum der Studie:
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
(1) Wie haben die Zuschauer des TV-Duells 2005 Angela Merkel und Gerhard Schröder spontan wahrgenommen und wie kann man diese Wahrnehmungen erklären? Hier ging es uns erstens um die Frage, wie die Zuschauer während des TVDuells auf die Kandidaten reagiert haben. Zweitens wollten wir wissen, welchen Einfluss Prädispositionen der Zuschauer einerseits und inhaltliche Elemente des TV-Duells andererseits auf die unmittelbaren Reaktionen der Zuschauer haben. Im Hinblick auf die Prädispositionen der Zuschauer erwarteten wir aufgrund der Forschungslage und unserer eigenen Studien zu den TV-Duellen 2002, dass der größte Einfluss auf die Wahrnehmung von der Parteibindung ausgehen würde. Zuschauer, die einer bestimmten Partei zuneigen, werden den Kandidaten dieser Partei positiver wahrnehmen als seinen Kontrahenten (z.B. Maier/Faas 2005; Maurer/Reinemann 2003). Im Hinblick auf die Merkmale des TV-Duells selbst stellte sich u.a. die Frage, wie verbale und nonverbale Elemente wirken und welcher der beiden Kandidaten, welche Themen und welche Typen von Aussagen besonders starke Reaktionen hervorgerufen haben. (2) Welche kurzfristigen Wirkungen hatte das TV-Duell 2005 auf die Vorstellungen, Meinungen und Wahlabsichten der Zuschauer? Hier ging es um die Frage, welche Einflüsse die unmittelbare Wahrnehmung der Zuschauer während des TV-Duells auf ihre Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten hatte, die direkt nach dem Ende der Debatte ermittelt wurden. Im Mittelpunkt des Interesses standen Urteile über den Ausgang des TV-Duells (Gewinner-Frage), Meinungen über die Kandidaten und Einschätzungen ihrer Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenzen, Vorstellungen von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Deutschlands sowie Wahlabsichten. Außerdem sollte die Frage beantwortet werden, ob es zu Verschiebungen der Kriterien kommen würde, nach denen die Kandidaten beurteilt bzw. Wahlentscheidungen getroffen werden (Priming-Effekte). (3) Wie stabil waren die kurzfristigen Wirkungen des TV-Duells 2005? Hier ging es um die Frage, ob die direkt nach dem TV-Duell gemessenen Urteile bzw. die eventuellen Veränderungen von Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten in den folgenden Tagen stabil blieben. Da in dieser Zeit auch Einflüsse der Nachberichterstattung der Medien wahrscheinlich waren, stellte sich in diesem Kontext auch die Frage, wie die Medien in den Tagen nach dem TV-Duell über dessen Ausgang und die Kandidaten insgesamt berichteten.
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
Abbildung 1: Vor einem TV-Duell Prädispositionen
× Ú Ø Erwartungen
×
Ein Prozessmodell der Wahrnehmung und Wirkung von TV-Duellen auf die Zuschauer
Ö
Während eines TV-Duells
Ö
Direkt nach einem TV-Duell
Ö
Einige Tage nach einem TV-Duell
Ö ÖÖÖÖÖÖ ÖÖÖÖÞÖÖÖÖÖÖÖÞ Þ Ø Ø unmittelbare Meinungen/ Meinungen/ Ö Vorstellungen Wahrnehmung Ö Vorstellungen Ü × × Ö ÖÖÖÖÖÖ Ö ÖÖÖÜÖÖÖÖÖÖÜ× ×
Medien
Medien / Gespräche
Quelle: Maurer/Reinemann (2003): 136.
1
Die Anlage der TV-Duell-Studie 2005 im Überblick
Um unsere Forschungsfragen zu beantworten, haben wir in einer komplexen Untersuchungsanlage verschiedene sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden kombiniert. Die Studie bestand – aufbauend auf den Erfahrungen der 2002 durchgeführten Studien (Maier/Faas 2003b; Maurer/Reinemann 2003) – im Wesentlichen aus zwei Teilen: Den Kern des Projekts bildete eine quasiexperimentelle Untersuchung der Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells auf die Zuschauer. Zudem haben wir das TV-Duell selbst, die Vor- und Nachberichterstattung von Printmedien und Fernsehnachrichten sowie die sich an die Debatte anschließenden Fernseh-Sondersendungen inhaltsanalytisch untersucht. Im Rahmen der quasi-experimentellen Untersuchung haben wir Befragungen von Zuschauern vor und nach dem TV-Duell mit einer Echtzeitmessung ihrer unmittelbaren Wahrnehmung der Kandidaten während des TV-Duells kombiniert. Die Befragungen und die Echtzeitmessung wurden dabei mit denselben Zuschauern durchgeführt (Panel-Design). Wir können also für jeden einzelnen unserer Probanden nachzeichnen, was er vor dem Duell gedacht hat, wie er die Kandidaten während der Debatte wahrgenommen hat, was er unmittelbar danach dachte und wie sich seine Einschätzungen in den Tagen danach entwickelten. Um einen Vergleich zwischen Zuschauern in den alten und den neuen Bundesländern zu ermöglichen, haben wir insgesamt 121 Probanden in Mainz und
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Jena rekrutiert. In Jena gab es zudem eine Kontrollgruppe, die das Duell gar nicht sah, aber dennoch vorher und nachher befragt wurde. Auf die entsprechenden Befunde werden wir jedoch hier aus Platzgründen nicht eingehen. Am Tag des TV-Duells wurden die Probanden zunächst befragt, unter anderem zu ihren politischen Einstellungen und ihren Meinungen von den Kandidaten. Später sahen die Teilnehmer das TV-Duell gemeinsam und live in Hörsälen der Universitäten auf Großbildleinwänden. Direkt nach Ende des Duells wurden die Teilnehmer erneut schriftlich befragt und dann noch einmal vier Tage später. Diese Befragung wurde postalisch durchgeführt, die Probanden bekamen den Fragebogen per Post und schickten ihn selbst zurück (Abbildung 2). Abbildung 2: Vor dem TV-Duell
Anlage der TV-Duell-Studie 2005
Ö
Während des TV-Duells
Ö
Direkt nach dem TV-Duell
Ö
Einige Tage nach dem TV-Duell
Ö
Befragung 3
Ö
TV und Presse
QUASI-EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNG
Befragung 1
Ö
Echtzeitmessung (RTR)
Ö
Befragung 2
INHALTSANALYSEN
TV und Presse
2
Ö
TV-Duell
Ö
TVSondersendungen
Die quasi-experimentelle Untersuchung
Am Tag der Debatte, dem 4. September 2005, fanden sich die Teilnehmer etwa zweieinhalb Stunden vor dem TV-Duell in Räumlichkeiten der Universitäten ein. Etwa zwei Stunden vor Beginn der Debatte wurden die Test-Zuschauer schriftlich befragt. Insgesamt sollten sie 37 Fragen beantworten. Diese bezogen sich unter anderem auf ihre politischen Einstellungen und ihr politisches Wissen, ihre Vorstellungen von den Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenzen der Kandidaten, ihr Interesse an Politik und der Bundestagswahl, ihre Siegeserwartung für die Bundestagswahl, ihre Wahlabsichten, ihre Erwartungen an das TV-Duell, ihre Mediennutzungsgewohnheiten, ihre Nutzung wahlbezo-
Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
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gener TV-Formate sowie verschiedene soziodemografische Merkmale (Alter, Geschlecht, formale Bildung). Um zu ermitteln, wie die Zuschauer die Kandidaten während des Duells wahrgenommen haben, haben wir ein Computer gestütztes Messverfahren angewandt. Es ermöglicht, die Reaktionen der Zuschauer in Echtzeit aufzuzeichnen und wird auch als Real-Time-Response-Messung (RTR) bezeichnet. Das System besteht zum einen aus 7-stufigen Drehreglern, von denen jeder TestZuschauer einen erhält (siehe Abbildung 3). Mit diesem Regler können die Probanden angeben, welchen Eindruck sie gerade im Moment von den Kandidaten haben. Die jeweilige Position des Reglers wird per Funk einmal pro Sekunde an einen zentralen Rechner übermittelt. Hier werden die Daten jedes TestZuschauers zusammen mit einem Timecode gespeichert. In der vorliegenden Studie liegen so für jeden Zuschauer 5.568 einzelne Messwerte vor. Sie erlauben es, die individuellen Reaktionen der einzelnen Probanden auf die Kandidaten während des TV-Duells sekundengenau nachzuzeichnen. Indem man die Zuschauer zu verschiedenen Gruppen zusammenfasst (z.B. nach ihrer Parteibindung), kann man später auch die Reaktionen dieser Zuschauergruppen vergleichen. Die Funktionsweise der Geräte wurde den Teilnehmern vor Beginn der Debatte ausführlich erläutert und anhand eines Ausschnitts aus einer politisch neutralen Talkshow so lange geübt, bis die Teilnehmer die Geräte intuitiv bedienen konnten. Vor dem TV-Duell erhielten die Probanden nochmals eine verbale Einweisung und eine ausführliche schriftliche Anweisung, auf der auch eine stilisierte Abbildung des Drehreglers und der Skalen-Belegung zu sehen war (siehe Abbildung 3). In der Anweisung wurden die Zuschauer gebeten, mit Hilfe der Geräte ihre subjektiven Eindrücke von der Debatte wiederzugeben. Die einleitenden Sätze der Anweisung lauteten: „Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Sie sehen gleich das Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel. Während des Duells bitten wir Sie, mit Hilfe des Drehreglers anzugeben, welchen Eindruck Sie gerade im Augenblick von der Debatte haben. Ihnen stehen dazu sieben verschiedene Positionen zur Verfügung. Die mittlere Position „4“ ist die Ausgangsposition und bedeutet, dass Sie von keinem der Kandidaten einen besseren oder schlechteren Eindruck haben. (...)“
Der Skalenmittelpunkt „4“ wurde also als neutraler Punkt definiert, den die Teilnehmer dann wählen sollten, wenn sie keinen besonders guten oder schlechten Eindruck von den Kandidaten hatten. Werte unter 4 sollten dann gewählt werden, wenn die Teilnehmer einen guten Eindruck von Schröder oder einen schlechten Eindruck von Merkel hatten. Werte über 4 bedeuteten dementspre-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
chend einen guten Eindruck von Merkel oder einen schlechten Eindruck von Schröder. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, ihr Urteil abzustufen. Die Extrempositionen (1 und 7) waren für einen äußerst guten oder schlechten Eindruck reserviert. Auf präzisere Anweisungen haben wir bewusst verzichtet, um das Untersuchungsziel – die Messung subjektiver, individueller Wahrnehmungen – nicht zu gefährden. Es wurde den Probanden also beispielsweise nicht gesagt, ob sie besonders auf verbale oder besonders auf nonverbale Elemente des TV-Duells achten sollen. Die Reliabilität und Validität der Echtzeit-Messung, der Anweisung an die Zuschauer und der Skalenbelegung des Drehreglers haben wir anhand zweier Studien zum zweiten TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 nachgewiesen (Reinemann et al. 2005; Maier et al. 2006). Wir können also davon ausgehen, dass unser Verfahren eine Messung der unmittelbaren Zuschauereindrücke liefert, die wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen genügt. Abbildung 3:
Die Echtzeitmessung der Kandidatenwahrnehmung (RTR): Drehregler und Skalenbelegung
Im Augenblick ist mein Eindruck von der Debatte: Schröder ist gut oder Merkel ist schlecht
2 1
Merkel ist gut oder Schröder ist schlecht
neutral
3 4
5 6 7
Direkt im Anschluss an die Debatte wurden die Zuschauer erneut schriftlich befragt. Dabei haben wir darauf geachtet, dass sich die Probanden vor dem Ausfüllen des Fragebogens nicht miteinander unterhielten. So sollte sichergestellt werden, dass sich in der ersten Nachbefragung nur ihre subjektiven Eindrücke und individuellen Wahrnehmungen spiegeln – und nicht etwa bereits Wirkungen anschließender interpersonaler Kommunikation. Die Fragebögen
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waren weitgehend mit denen der Vorbefragung identisch. Nur die allgemeinen Angaben zur Mediennutzung und zu den soziodemografischen Merkmalen wurden nicht noch einmal erhoben. Außerdem wurde nach dem tatsächlichen Ausgangs des TV-Duells und dem tatsächlichen Verhalten der Kandidaten im Duell gefragt, nicht nach den entsprechenden Erwartungen. Die letzte der drei Befragungen wurde schriftlich durchgeführt. Die Probanden erhielten vier Tage nach dem TV-Duell einen weiteren Fragebogen und schickten diesen selbständig mit einem frankierten Rückumschlag zurück. Der Fragebogen war erneut weitgehend mit den vorherigen identisch. Hinzu kamen allerdings einige Fragen zur Nutzung der TV-Sondersendungen nach dem TVDuell, zur Nutzung von Medienberichten über die TV-Duelle in den Tagen danach, dazu, wie die Teilnehmer den Medientenor im Hinblick auf die Darstellung des Ausgangs des TV-Duells wahrgenommen haben, sowie zu Art und Intensität von Gesprächen über das TV-Duell. Die Rekrutierung der Teilnehmer für unsere quasi-experimentelle Studie erfolgte über redaktionelle Veröffentlichungen in regionalen Zeitungen in Mainz und Jena. In den Beiträgen wurde in allgemeiner Form darüber berichtet, dass die jeweiligen Universitäten eine Studie zum bevorstehenden TV-Duell planten. Am Ende der Artikel wurde zur Beteiligung an der Studie eingeladen und auf die Vergütung von 25 Euro hingewiesen. Da die Zahl der Probanden durch die zur Verfügung stehenden Messgeräte beschränkt war, musste unter allen Interessenten eine Auswahl getroffen werden. Dabei wurde ein Quotenverfahren angewandt: Da Parteipräferenzen die Wahrnehmung von TV-Duellen maßgeblich prägen, sollten vor allem die in den jeweiligen Städten vertretenen großen politischen Lager in etwa gleichem Umfang in den Stichproben repräsentiert sein. Dies bedeutete für Mainz, dass wir drei etwa gleich große Gruppen anstrebten: Anhänger der Bundesregierung (SPD, B90/Grüne), Anhänger der Parteien der Bundestagsopposition (CDU/CSU, FDP) sowie nicht an eine Partei gebundene Wähler. In Jena sollte neben den drei genannten eine vierte gleich große Gruppe von Anhängern der Linkspartei.PDS vertreten sein, um die dortigen politischen Präferenzen in etwa adäquat abzubilden. Neben der Vielfalt politischer Prädispositionen sollte außerdem Geschlechter, Altersstufen und Bildungsabschlüsse in etwa gleich verteilt sein. In Jena wurden außerdem nur Personen zugelassen, die vor dem Oktober 1989 in der damaligen DDR lebten. Die angestrebten Quoten wurden nicht exakt, aber in zufrieden stellender Weise erreicht. Im Folgenden wollen wir kurz die Struktur unserer Teilnehmergruppen in Jena und Mainz skizzieren (Tabelle 1). Außerdem ziehen wir Daten einer repräsentativen Befragung von TV-Duellschauern heran (Infratest Dimap 2005), um einen Ein-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
druck davon zu bekommen, wie sich unsere (nicht-repräsentative) Teilnehmergruppe von der Gesamtheit aller Zuschauer des TV-Duells unterschied: Betrachtet man die politischen Grundüberzeugen, dann waren 28 Prozent unserer Jenaer Teilnehmer Regierungsanhänger (SPD, B90/Grüne), 24 Prozent Oppositionsanhänger (CDU/CSU, FDP), 20 Prozent Anhänger der Linkspartei.PDS und 22 Prozent hatten keine Bindung an einer der Parteien. In Mainz rekrutierten sich 36 Prozent aus dem Regierungslager, 37 Prozent aus dem Oppositionslager und 27 Prozent hatten keine Parteibindung oder eine längerfristige Bindung an eine andere Partei. Damit war die angestrebte parteipolitische Quotierung in zufrieden stellender Weise erreicht. Unsere Teilnehmer waren dabei – ähnlich wie die Duell-Zuschauer insgesamt – stärker politisch interessiert als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Jeweils mehr als 60 Prozent gaben an, dass sie sich stark oder sehr stark für Politik interessierten. Betrachtet man die übrigen soziodemografischen Merkmale, so lag der Anteil der Frauen in Jena bei 49, in Mainz bei 40 Prozent. Im Vergleich zu allen TV-Duellzuschauern waren die Frauen in unserer Stichprobe damit in Mainz etwas unterrepräsentiert. Das Alter der Teilnehmer lag in Mainz im Durchschnitt etwas höher als in Jena (46 gegenüber 38 Jahren). Vergleicht man die Stärke der einzelnen Altersgruppen in unserer Stichprobe mit ihrer Repräsentanz unter allen TV-Duellzuschauern, so waren in Mainz die unter 40jährigen deutlich überrepräsentiert, die 40 bis 59jährigen in etwa ebenso stark unterrepräsentiert. Der Anteil der über 60jährigen entsprach in etwa dem unter allen TVDuellzuschauern. In Jena war ebenfalls die Gruppe der unter 40jährigen schwächer vertreten als unter allen Duellzuschauern, hier allerdings allein auf Kosten der über 60jährigen. Die mittlere Altersgruppe war in Jena dagegen etwa entsprechend ihrem Anteil an allen Duellzuschauern vertreten. Was die formale Bildung angeht, so war die Gruppe der Abiturienten bzw. Absolventen der 12. Klasse der erweiterten Oberschule noch etwas stärker als unter allen Duellzuschauer. Unterrepräsentiert waren vor allem Probanden mit den niedrigsten Bildungsabschlüssen. Die wichtigste Quelle politischer Information war für unsere Teilnehmer – wie für die Gesamtbevölkerung – das Fernsehen. Jeweils mehr als die Hälfte gab an, hier normalerweise sehr viel über Politik zu erfahren. Allerdings sagten auch jeweils mehr als 40 Prozent der Mainzer und Jenaer Probanden, dass sie viele politische Informationen aus Zeitungen bezögen. Dies entspricht der in Deutschland – z.B. im Vergleich zu den USA – noch immer sehr großen Bedeutung der Presse für die politische Meinungsbildung. Bemerkenswert ist zudem, dass für immerhin mehr als ein Drittel der Jenaer auch das Radio eine sehr wichtige Quelle politischer Information darstellte.
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
Tabelle 1: Merkmale der Studienteilnehmer in Jena und Mainz
Geschlecht Männer Frauen Alter 18-39 Jahre 40-59 Jahre 60 Jahre und älter Bildung Volks-/Hauptschule/POS 9. Kl. Mittlere Reife/POS 10. Kl. (Fach-)Abitur/EOS 12 Kl. Politisches Interesse Stark/sehr stark Parteiidentifikation SPD Bündnis 90/Die Grünen CDU/CSU FDP Die Linkspartei.PDS Keine / Keine Angabe Wichtigste Quellen politischer Information1 Fernsehen Zeitung Radio Regelmäßig genutzte Medien2 Allgemeine Zeitung Mainz Tagesschau (ARD) Ostthüringer Zeitung heute (ZDF) Gesehene TV-Auftritte der Kandidaten2 Merkel bei Sabine Christiansen Schröder bei Sabine Christiansen Merkel bei Berlin Mitte
Jena (n=49) %
Mainz (n=72) %
51 49
60 40
46 46 9
44 24 32
8 29 63
13 38 47
63
68
16 12 14 10 20 27
}28 }24
32 4 33 4 3 24
47 41 35
52 45 20
57 43 23
82 56 32
37 35 22
47 39 25
}36 }37
Anmerkungen: An 100 Prozent fehlende Werte: keine Angabe. 1 Teilnehmer, die aus einer Informationsquelle „sehr viel“ über Politik erfahren. Nur Quellen, die mindestens 30 Prozent der Teilnehmer in Jena oder Mainz nannten. 2 Medien und Sendungen, die von mindestens 30 Prozent der Teilnehmer in Mainz oder Jena täglich/fast täglich, wöchentlich/fast wöchentlich, immer/fast immer genutzt werden bzw. im Fall der TV-Auftritte der Kandidaten tatsächlich gesehen wurden.
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Das Medium, das die meisten unserer Mainzer Teilnehmer regelmäßig nutzten, war die Allgemeine Zeitung Mainz. Die Reichweite von 82 Prozent kann deshalb nicht verwundern, weil die Rekrutierung der Teilnehmer in Mainz allein über diese Zeitung lief. Da sich in Jena mehrere Zeitungen den Markt teilen und in diesen jeweils auch Hinweise auf die Studie erschienen, lag die höchste Reichweite unter den regionalen Tageszeitungen hier nur bei 43 Prozent (Ostthüringer Zeitung). Thüringer Landeszeitung (18%) und Thüringer Allgemeine (16%) erreichten jeweils weitere relevante Teile der Probandengruppe. Die bedeutendste Fernsehnachrichtensendung für unsere Teilnehmer war die Tagesschau. Jeweils mehr als die Hälfte der Teilnehmer sah sie zum Zeitpunkt der Studie täglich oder fast täglich. Alle anderen Medien erzielten eine weit geringere Reichweite. Nur einige TV-Nachrichtensendungen und politische TVMagazine sowie Sabine Christiansen und der Spiegel wurden regelmäßig von mehr als einem Viertel der Mainzer oder Jenaer Probanden genutzt. Nur sehr wenige unserer Test-Zuschauer waren Leser überregionaler Tageszeitungen. Insgesamt bezogen unsere Teilnehmer ihre alltägliche politische Information also vorwiegend aus den jeweiligen regionalen Abonnementzeitungen, den Fernsehnachrichten und dem Radio. Relativ viele unserer Teilnehmer hatten allerdings während des Wahlkampfs bereits die Chance genutzt, sich einen intensiveren Eindruck von Angela Merkel und Gerhard Schröder zu verschaffen. Jeweils etwa ein Viertel der Mainzer und der Jenaer hatte den Auftritt Merkels in Berlin Mitte gesehen, jeweils etwa ein Drittel das Interview Schröders bei Sabine Christiansen. Von den Jenaer Teilnehmern hatten sich knapp zwei Fünftel den Auftritt Angela Merkels bei Sabine Christiansen angeschaut, von den Mainzer Teilnehmern sogar fast die Hälfte.
3
Die Inhaltsanalysen
Neben unserer quasi-experimentellen Untersuchung der Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells haben wir auch die Inhalte des Duells und der Medienberichterstattung über das Duell untersucht. Wir haben hierzu quantitative Inhaltsanalysen durchgeführt. Die Inhaltsanalysen bilden in erster Linie die Grundlage für spätere Wirkungsanalysen: Die Inhalte des TV-Duells selbst sind die Basis für die Reaktionen der Zuschauer. Es ist deshalb wichtig zu wissen, welche Themen angesprochen wurden, wie die Kandidaten argumentiert haben und was über sie von ihrem Kontrahenten und den Moderatoren gesagt wurde. Auch die Vor- und Nachberichterstattung der Medien ist hier zunächst aus Wir-
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kungsgesichtspunkten von Interesse. Denn sie prägt die Erwartungen an das TVDuell und kann danach die Meinungen und Vorstellungen über dessen Ausgang verändern (im Überblick Maurer/Reinemann 2003: 35-37). Die inhaltsanalytische Untersuchung (Codierung) des TV-Duells, der TV-Sondersendungen und der Routineberichterstattung von Tagespresse und TV-Nachrichten wurde von vier geschulten studentischen Codiererinnen und Codierern in Mainz durchgeführt. Die Qualität der Codierung wurde durch intensive Codiererschulung, fortwährende Besprechungen während des Codierprozesses und Kontrollen der Codierung durch die Projektleiter sichergestellt. Die Inhaltsanalyse des TV-Duells Die Inhaltsanalyse des TV-Duells selbst hatte im Wesentlichen drei Ziele: Sie sollte erstens ermitteln, wie die beiden Kandidaten im Duell argumentiert haben. Welche Themen haben sie in den Mittelpunkt gerückt? Haben sie den Gegner angegriffen oder haben sie ihre eigenen Vorstellungen dargelegt? Welche rhetorischen Strategien haben sie eingesetzt? Sie sollte zweitens ermitteln, welches Bild die Kontrahenten und die Moderatoren von sich, den Parteien, den Sachthemen und der Lage im Land gezeichnet haben. Welcher Kandidat kam besser weg? Wie wurde die Lage bei wahlrelevanten Themen dargestellt? Waren die Moderatorinnen und Moderatoren parteiisch? Schließlich sollte sie drittens die nonverbale, visuelle Ebene des TV-Duells beschreiben. Hier ging es unter anderem um die Mimik und Gestik die Kandidaten, ob sie z.B. lächelten oder ernst waren, ob sie die Aussagen ihres Kontrahenten nonverbal kommentierten etc. Um die Inhalte des TV-Duells später auch mit den Wahrnehmungsdaten der Zuschauer verknüpfen zu können, haben wir für die Analyse der Debatte eine andere Herangehensweise gewählt als noch für die Analyse des Duells von 2002 (Maurer/Reinemann 2003). Während dort einzelne wertende Aussagen bzw. ganze Artikel die Basis der Auswertung darstellten, haben wir das Duell diesmal Sekunde für Sekunde analysiert. Wir haben also für jede Sekunde der Debatte unter anderem erhoben, wer gerade sprach, um welche Themen es ging, ob ein Kandidat, eine Partei, eine Sachposition oder Lage auf einem Politikfeld bewertet wurde, welche rhetorischen Stilmittel die Kandidaten verwendeten, wer im Bild zu sehen war usw. Die Inhaltsanalyse der Vor- und Nachberichterstattung der Medien Die Vor- und Nachberichterstattung der Medien haben wir zum einen anhand der Routineberichterstattung von sechs TV-Nachrichtensendungen, fünf überregionalen und fünf regionalen Tageszeitungen sowie drei Sonntagszeitungen untersucht. Die regionalen Tageszeitungen haben wir vor allem deshalb in die
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Analyse einbezogen, weil sie für viele unserer Probanden in Mainz und Jena die Hauptinformationsquelle waren. Um die Vor- und Nachberichterstattung zum TV-Duell möglichst vollständig zu erfassen, haben wir den Zeitraum zwischen dem Donnerstag vor und dem Mittwoch nach dem TV-Duell berücksichtigt, also die Zeit vom 1. bis zum 7. September 2005. Wie schon 2002 fiel der weit überwiegende Teil der Berichterstattung auch 2005 tatsächlich in diese Tage. Im Detail analysiert wurden alle Beiträge, in denen Angela Merkel oder Gerhard Schröder vorkamen oder die sich mit dem TV-Duell beschäftigten. Dadurch, dass wir nicht nur die Beiträge zum TV-Duell selbst untersucht haben, können wir vergleichen, wie die Kandidaten im Kontext der Berichterstattung über das TV-Duell selbst und wie in anderen Kontexten dargestellt wurden. Für die einzelnen Beiträge wurde dann unter anderem erfasst, um welche Themen es ging, welche Erwartungen an den Ausgang des Duells vermittelt wurden und wie der Ausgang im Nachhinein beurteilt wurde. Außerdem wurden Urheber, thematische Kontexte und alle wertenden Urteile über die Kandidaten erfasst. Hier ging es unter anderem darum festzustellen, ob die Urteile über die Kandidaten und den Ausgang des TV-Duells von Journalisten, Politikern, Meinungsforschern oder einzelnen Duellzuschauern stammten und welche Position diese verschiedenen Urheber jeweils vertraten. Im Einzelnen waren folgende Sendungen und Zeitungen Gegenstand der Analyse: y TV-Nachrichtensendungen - Tagesschau (20 Uhr) - Tagesthemen - heute (19 Uhr) - heute-journal - RTL-aktuell - 18:30 SAT.1-Nachrichten
y Überregionale Tageszeitungen und Sonntagszeitungen - Bild / Bild am Sonntag - Frankfurter Allgemeine Zeitung / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Frankfurter Rundschau - Süddeutsche Zeitung - Die Welt / Welt am Sonntag
y Regionale Tageszeitungen - Allgemeine Zeitung Mainz - Mainzer Rhein-Zeitung - Ostthüringer Zeitung - Thüringische Landeszeitung - Thüringer Allgemeine
Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
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Neben der redaktionellen Routineberichterstattung haben wir auch die direkt im Anschluss an die Debatten ausgestrahlten Sondersendungen der vier Sender ARD, ZDF, RTL und SAT.1 in die Analyse einbezogen. Zwar konnten unsere Test-Zuschauer diese Sendungen nicht von Anfang an verfolgen. Wie sich später herausstellte, sah jedoch gut ein Drittel unserer Teilnehmer zumindest noch Teile dieser Sendungen, nachdem sie nach Hause gekommen waren. Von Bedeutung ist die Analyse der TV-Sondersendungen aber vor allem deshalb, weil sie sich in anderen Studien als wichtigster medialer Einflussfaktor auf die öffentliche Wahrnehmung des Duellausgangs erwiesen hat. Erfasst wurden deshalb die gleichen Merkmale wie in der Analyse der Routineberichterstattung. Bei den Sendungen handelte es sich um: y TV-Sondersendungen - ARD: Sabine Christiansen: Nach dem Duell: Wer hat gewonnen? - ZDF: ZDF spezial: Das Duell - SAT.1: Talk der Woche - RTL: Das TV-Duell
2.1
Themen, Argumente, rhetorische Strategien Die Inhalte des TV-Duells Marcus Maurer
Fernsehdebatten unterscheiden sich von der alltäglichen Politikberichterstattung der Massenmedien vor allem dadurch, dass sie den Kandidaten die Gelegenheit geben, ihre Standpunkte mehr oder weniger unbeeinflusst von journalistischen Eingriffen einer großen Zahl von Wählern zu übermitteln. Auch wenn ihnen die Fragen vorher nicht im Detail bekannt sind, können die beteiligten Politiker und ihre Berater sich überlegen, welche Botschaften sie im Laufe des Duells auf jeden Fall unterbringen, wie sie die Argumente des Gegners parieren und welche rhetorischen Strategien sie dabei anwenden wollen. In TV-Duellen haben die Kandidaten mit anderen Worten fast vollständig die Kontrolle über das, was die Wähler erfahren. Aus demokratietheoretischer Sicht hat dies sowohl Vor- als auch Nachteile. Der wesentliche Vorteil besteht darin, dass sich die Wähler ein eigenes Bild von den Kandidaten machen können, das nicht durch journalistische Selektionskriterien und Darstellungsweisen verfälscht wird. Der wesentliche Nachteil besteht darin, dass die Kandidaten dadurch dazu verleitet werden, die Wähler nicht über ihre – möglicherweise umstrittenen – Zukunftspläne zu informieren, sondern zu versuchen, sie mit Hilfe selektiver Präsentation von Fakten und manipulativer Rhetorik auf ihre Seite zu ziehen (z.B. Maurer/Reinemann 2006b). Eine wichtige Rolle kommt deshalb, wie bei allen politischen Diskussionsrunden, den Moderatoren zu (Carlin et al. 2001; Schultz 2006). Mit ihren Fragen können sie steuern, wer zu Wort kommt und zu welchen Sachthemen oder Personen die Kandidaten Stellung nehmen. Mit ihrer Gesprächsleitung können sie Diskussionen zwischen den Kandidaten ermuntern oder verhindern. Durch ihre Nachfragen können sie die Kandidaten dazu bewegen, konkreter zu antworten oder Fakten richtig zu stellen. Bei aller Kontrolle der Kandidaten über ihre verbalen Botschaften sollte man nicht übersehen, dass ihre Kontrolle über die visuellen Eindrücke, die sie hinterlassen, deutlich geringer ist. Zwar werden die Kamera-Perspektiven in Fernsehdebatten in der Regel reglementiert. Allerdings bleibt es dem Regisseur überlassen, welche er jeweils wählt. So sind Gestik und Mimik der Kandidaten für die Zuschauer oft gar nicht erkennbar, weil die Regie gerade eine zu nahe oder zu
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Marcus Maurer
weite Kameraeinstellung gewählt hat. Zudem wechseln in vielen DuellÜbertragungen Einstellungen, in denen nur der jeweils sprechende Kandidat gezeigt wird, und solche, in denen auch sein zuhörender Kontrahent zu sehen ist. Der jeweils Zuhörende hat folglich keinerlei Einfluss darauf, ob seine positiven oder negativen Reaktionen auf das Gesagte für die Zuschauer erkennbar sind oder nicht. Aus diesen grundsätzlichen Vorüberlegungen lassen sich die zentralen Forschungsfragen dieses Kapitels ableiten. Wir wollen erstens wissen, wie die Kandidaten ihre Redezeit genutzt haben: Über welche Themen haben sie gesprochen? Haben sie ihre eigenen Leistungen herausgestellt oder den Gegner kritisiert? Wie konkret haben sie ihre politischen Ziele präsentiert? Welche rhetorischen Stilmittel haben sie dabei verwendet? Zweitens wollen wir aber auch wissen, wie die Kandidaten präsentiert wurden: Kamen beide gleich lang zu Wort? Waren beide gleich häufig im Bild? Welche Kameraeinstellungen wurden jeweils gewählt? Haben die Moderatoren einen der Kandidaten bevorzugt? Bevor wir diese und weitere Fragen beantworten, wollen wir kurz auf die Ergebnisse der bisherigen Forschung zu den Inhalten von Fernsehdebatten eingehen.
1
Debatteninhalte: Ein Forschungsüberblick
Mit den Inhalten von Fernsehdebatten haben sich bislang weit weniger Untersuchungen beschäftigt als mit ihren Wirkungen. Dennoch lassen sich einige zentrale Forschungsfragen ausmachen, die in mehreren Studien untersucht wurden: Unter dem Gesichtspunkt der Ausgewogenheit beschäftigen sich einige Inhaltsanalysen mit der Frage, ob die Teilnehmer an Fernsehdebatten gleich häufig bzw. gleich lang zu Wort kommen. Bei TV-Duellen nach amerikanischem Vorbild ist dies in der Regel schon deshalb der Fall, weil die Redezeiten reglementiert und die Moderatoren dazu angehalten werden, beiden Kandidaten gleiches Rederecht einzuräumen. Wie die Kandidaten ihre Redezeit nutzen, bleibt allerdings ihnen überlassen. So hatte Willy Brandt in der Fernsehdiskussion vor der Bundestagswahl 1972 zwar die mit Abstand längsten Redeanteile, allerdings nur deshalb, weil er so langsam sprach (Weiß 1976). In den TV-Duellen 2002 kamen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber fast gleich lang zu Wort (Tapper/Quandt 2003). Allerdings brachte Stoiber in dieser Zeit deutlich mehr Aussagen unter als Schröder (Maurer/Reinemann 2003: 66ff.; Müller 2003). Die Themen einer Fernsehdebatte werden einerseits von den Sendern vorgegeben. Je nach Anzahl und Länge der Duelle werden mehrere thematische
Die Inhalte des TV-Duells
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Blöcke gebildet, zu denen den Kandidaten Fragen gestellt werden. Andererseits können die Kandidaten eigene thematische Akzente setzen, indem sie das Thema wechseln, wie z.B. Edmund Stoiber, der im zweiten Duell vor der Bundestagswahl 2002 bei jeder mehr oder weniger passenden Gelegenheit auf die schlechte Lage am Arbeitsmarkt zu sprechen kam. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Frage, ob es in Fernsehdebatten vorwiegend um Sachthemen geht, oder vor allem um die Kandidaten: ihre Fähigkeiten, ihre Koalitionsmöglichkeiten oder ihr Privatleben. Zwar kann man annehmen, dass TV-Duelle alleine durch die Präsenz der Kandidaten die Personalisierung der Politik fördern (siehe Kapitel 3.2). Die Diskussionen in den deutschen Wahlkampfdebatten waren in der Vergangenheit aber meist von Sachthemen bestimmt. Eine Ausnahme bildete die Diskussionsrunde vor der Bundestagswahl 1980, in der es – in Folge der SPD-Kampagne gegen Franz Josef Strauß – in erheblichem Maße um politische Moral und Fairness im Wahlkampf ging (Schrott 1990). Im ersten Duell 2002, das von den Privatsendern RTL und SAT.1 übertragen wurde, spielte vor allem das Privatleben des Kanzlers eine relativ große Rolle, so dass die Persönlichkeit der Kandidaten zu einem der wichtigsten Themen des Duells wurde. Im zweiten Duell wurde dann zwar relativ häufig über mögliche Koalitionen nach der Wahl gesprochen, ansonsten dominierten aber eindeutig Sachthemen (Medien Tenor 2002; Tapper/Quandt 2003). Ähnliche Befunde liegen auch für die USA vor. So zeigen Benoit et al., dass die Diskussionen in den amerikanischen Fernsehdebatten deutlich weniger personalisiert und deutlich eher sachthemenorientiert sind als z.B. Wahlwerbespots (Benoit et. al 2002). Welche Sachthemen jeweils diskutiert werden, hängt von der aktuellen Themenlage ab. Betrachtet man die bisherigen Fernsehdiskussionen in Deutschland, zeigt sich allerdings, dass in der Regel Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Steuer- und Außenpolitik dominieren (Schrott 1990; Maurer/Reinemann 2003: 67; Müller 2003). Eine vergleichsweise häufig untersuchte Frage ist, welche argumentativen Strategien die Teilnehmer in Fernsehdebatten verfolgen. Hier kann man beispielsweise zwischen einer Angriffsstrategie, bei der der jeweilige Gegenkandidat und seine Politik kritisiert werden, und einer Leistungsbilanzstrategie, bei der die eigenen Leistungen hervorgehoben werden, unterscheiden. Welche Strategie gewählt wird, hängt vor allem von der Rolle des Kandidaten als Amtsinhaber oder Herausforderer ab. Während die Amtsinhaber eher eigene Leistungen herausstreichen, greifen die Herausforderer ihr Gegenüber an. Dies zeigte sich z.B. auch in den beiden TV-Duellen im Bundestagswahlkampf 2002. Während sich Schröder vor allem positiv über die eigenen Leistungen äußerte, kritisierte Stoiber die Politik der amtierenden Regierung (Maurer/Reinemann 2003: 69f.; Müller 2003). Allerdings bietet sich eine Angriffsstrategie auch für den
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Marcus Maurer
Kandidaten an, der im Wahlkampf zurückliegt. Es ist also durchaus denkbar, dass ein zurückliegender Amtsinhaber den Herausforderer attackiert. Schließlich hängt die Entscheidung für oder gegen eine Angriffsstrategie auch vom Format der Sendung ab: In Diskussionsrunden greifen sich die Teilnehmer seltener gegenseitig an als in Formaten, in denen sie abwechselnd Fragen gestellt bekommen. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Fragen, die den Kandidaten von den Moderatoren gestellt werden, häufig Angriffe auf den Gegner herausfordern (Carlin et al. 2001). Eine dritte Kandidaten-Strategie kann darin bestehen, den Zuschauern zu erläutern, welche Maßnahmen und Entscheidungen sie im Falle eines Wahlsieges treffen wollen. Dies ist nicht nur aus Sicht der Wähler wünschenswert, sondern auch eine der in amerikanischen Debatten am häufigsten angewandte Strategie (Benoit et al. 2002). Auch in den TV-Duellen 2002 war etwa die Hälfte aller Aussagen der Kandidaten Handlungsankündigungen (Maurer/Reinemann 2003: 69). Deutlich seltener wurden die rhetorischen Strategien der DebattenTeilnehmer untersucht. Hier geht es z.B. darum, ob die Kandidaten vor allem rationale Argumente oder emotionale Appelle verwenden, um die Zuschauer auf ihre Seite zu ziehen. Analysen der amerikanischen Fernsehdebatten zwischen 1960 und 1988 (Levasseur/Dean 1996) zeigen, dass die Kandidaten relativ selten Evidenzen in Form von statistischen Fakten anführten. Etwas häufiger kamen Evidenzen in Form von Verweisen auf vergangene Entscheidungen oder Leistungen vor. Äußerst selten wurden Zitate von Autoritäten als Evidenzen verwendet. Andere Untersuchungen zeigen, dass emotionale Appelle, z.B. Appelle an gesellschaftliche Wertvorstellungen (Gordon/Miller 2004) oder humorvolle Appelle (Smith/Voth 2002) in Fernsehdebatten eine zentrale Rolle spielen. Schließlich legen einzelne Untersuchungen den Schluss nahe, dass die Teilnehmer an Fernsehdebatten dazu neigen, vage und unkonkret zu bleiben, wenn sie über ihre Zukunftspläne sprechen (Medien Tenor 2002) und häufig nicht auf die gestellten Fragen zu antworten (Müller 2003; Tapper/Quandt 2003). Systematische Analysen zur Verwendung unterschiedlicher rhetorischer Strategien in Fernsehdebatten fehlen bislang allerdings – obwohl ihre unterschiedlichen Wirkungen bereits gut dokumentiert sind (Maurer/Reinemann 2003: 92ff.). Relativ wenige Inhaltsanalysen beschäftigen sich auch mit der visuellen Präsentation der Kandidaten in Fernsehdebatten. Einige ältere amerikanische Studien legen den Schluss nahe, dass die Kandidaten zumindest in einigen Debatten ungleich präsentiert wurden. So wurde in den Duellen zwischen Carter und Ford 1976 Carter häufiger aus günstigen Kameraperspektiven gezeigt. Zugleich hatte er häufiger Augenkontakt zum Publikum (Tiemens 1978). Eine Langzeitanalyse der Debatten 1976, 1984 und 1988 (Morello 1988; 1992) zeigt,
Die Inhalte des TV-Duells
37
dass die Duell-Übertragungen im Zeitverlauf immer schnellere Kamerawechsel beinhalteten und mit diesem Stilmittel häufig Konfrontationen zwischen den Kandidaten suggeriert wurden, die im verbalen Schlagabtausch nicht vorhanden waren. Von den Fernsehduellen im Bundestagswahlkampf 2002 ist lediglich bekannt, dass Stoiber in beiden Duellen deutlich häufiger allein im Bild zu sehen war als Schröder (Medien Tenor 2002). Fasst man diese Befunde zusammen, lässt sich festhalten, dass über die Inhalte von Fernsehdebatten weit weniger bekannt ist, als angesichts der Bedeutung des Themas zu erwarten wäre. Wir haben deshalb eine detaillierte Inhaltsanalyse des Fernsehduells zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel durchgeführt, die die Rede- und Bildanteile der Kandidaten, die Themenstruktur, die Argumentationsstrategien der Kandidaten, die rhetorischen Stilmittel, die sie verwendet haben, die Kameraperspektiven und vieles mehr sekundengenau erfasst (für eine detaillierte Beschreibung der Methode vgl. Kapitel 1.2). Im folgenden Abschnitt wollen wir die wichtigsten Ergebnisse präsentieren.
2
Die Kandidaten in Wort und Bild
Bevor Peter Kloeppel kurz vor Ende des Duells Kanzler Schröder zu seinem Schlusswort aufrief, warf er noch einmal einen Blick auf die Stoppuhr und konstatierte, erstaunlicherweise seien beide Kandidaten fast auf die Sekunde gleich lang zu Wort gekommen. Unsere Analysen bestätigen diese Behauptung weitestgehend. Nach unseren Berechnungen, bei denen wir nicht nur die von den Moderatoren zugeteilte Redezeit, sondern auch die Zwischeneinwürfe der Kandidaten berücksichtigt haben, sprach Angela Merkel (2302 Sekunden) etwas länger als Gerhard Schröder (2281 Sekunden). Die Moderatoren kamen zwischen 206 (Kloeppel) und 275 (Christiansen) Sekunden zu Wort. Auf beide Kandidaten entfielen somit 41 Prozent der Redezeit, auf die Moderatoren jeweils 4-5 Prozent.1 Zwei Kameraeinstellungen dominierten während des Duells: Eindeutig am häufigsten war diejenige, in der einer der beiden Kandidaten alleine zu sehen war. Schröder war dabei etwas länger (2057 Sekunden) alleine zu sehen als 1 Unsere Ergebnisse weichen leicht von denen einer anderen Redezeit-Analyse des Duells ab (Tapper/Quandt 2006). Dies ist darauf zurückzuführen, dass dort, wenn mehrere Personen gleichzeitig gesprochen haben, Redeanteile für alle erfasst wurden. Wir dagegen haben aus Gründen späterer Wirkungsanalysen in solchen Situationen immer nur einen Redner erfasst, nämlich denjenigen, der am besten zu verstehen war und deshalb vermutlich die stärksten Eindrücke bei den Zuschauern hinterlassen hat.
38
Marcus Maurer
Merkel (1982 Sekunden). Dies entspricht 37 bzw. 36 Prozent der Duelldauer. Weitaus seltener wurden beide Kandidaten gemeinsam gezeigt. In der Regel geschah dies durch Einstellungen, in denen einer der beiden im Vordergrund von (schräg) hinten zu sehen war, während der andere im Hintergrund frontal und dominierend erkennbar war. Diese Einstellungen machten 737 Sekunden des Duells aus, wobei jeweils fast genau in der Hälfte der Fälle Schröder bzw. Merkel im Vorder- bzw. Hintergrund zu sehen waren (je 7% der Duelldauer). In 592 Sekunden waren einer oder mehrere der Moderatoren zu sehen. Hinzu kamen wenige Sekunden, in denen entweder alle sechs Beteiligten (175), nur die beiden Kandidaten gleichberechtigt von vorne (17) oder Schröder und einer der Moderatoren (8) zu sehen waren. In der Regel war im Verlauf des Duells nur derjenige zu sehen, der sprach. Schröder war zu 81 Prozent seiner Redezeit alleine im Bild, Merkel zu 79 Prozent. Waren beide gemeinsam im Bild, wurde allerdings fast immer der Sprecher mit dem Rücken zur Kamera gezeigt, während Gestik und Mimik des Zuhörenden für die Zuschauer gut erkennbar waren. Diese Einstellung wurde etwas häufiger gewählt, wenn Merkel sprach, als wenn Schröder sprach (286 vs. 259 Sekunden). Schröder hatte folglich häufiger die Gelegenheit, Merkels Ausführungen für die Zuschauer gut sichtbar visuell zu kommentieren als umgekehrt. Einstellungen, in denen der sprechende Kandidat überhaupt nicht zu sehen war, kamen praktisch nicht vor (bei beiden Kandidaten jeweils 3%). Zusammenfassend kann man folglich festhalten, dass durch die Redezeit und die Kameraeinstellungen keiner der beiden Kandidaten wesentlich bevorzugt oder benachteiligt wurde.
3
Die Themen des Duells
Formal hatten die ausrichtenden Sender das Duell in 11 unterschiedlich lange Abschnitte aufgeteilt, an denen sich die Fragen der Moderatoren orientierten. Nach den Eingangsstatements der Kandidaten ging es zunächst um die Benzinpreise und die Ökosteuer, anschließend wurde die Steuerpolitik diskutiert, zunächst mit dem Schwerpunkt des Kirchhof-Modells, dann anhand der von der Union geplanten Mehrwertsteuererhöhung. Danach folgten Themenblöcke zum Arbeitsmarkt, zur Gentechnik, zur Rentenpolitik, zur Frauen- und Familienpolitik, zum Hurrikan Katrina, der kurz zuvor weite Teile von New Orleans zerstört hatte, zur EU und dem EU-Beitritt der Türkei, zur Energiepolitik und den Energiepreisen sowie zu möglichen Koalitionen nach der Wahl. Am Ende standen die Schlussstatements der beiden Kandidaten.
Die Inhalte des TV-Duells
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Unsere sekundengenaue Analyse erlaubt allerdings eine deutlich differenziertere Betrachtung. Tatsächlich haben die Kandidaten häufig das Thema gewechselt und Themen angesprochen, auf die die Fragen der Moderatoren gar nicht abzielten. Das am längsten diskutierte Sachthema war die Steuerpolitik. Hier ging es vorrangig um die Reform der Einkommenssteuer. Etwas kürzer wurden die Themen Arbeitsmarkt (Entwicklung der Arbeitslosenzahlen), Außenpolitik (EU-Beitritt der Türkei) und Sozial- und Gesundheitspolitik behandelt. Relativ ausführlich wurde auch die Energie- und Umweltpolitik thematisiert. Hier ging es vor allem um die Energiepreise. Insgesamt diskutierten die Teilnehmer rund 70 Prozent der Duellzeit über Sachthemen. In etwa 20 Prozent der Zeit ging es um Persönliches. Hier wurde z.B. über den UnionsSteuerexperten Paul Kirchhof und seine Familie diskutiert – nicht über seine Steuerpläne. Auch Schröders Frau Doris und die Ansichten, die sie kurz zuvor in einem Interview über Frau Merkel geäußert hatte, waren länger Gegenstand der Diskussion. Hinzu kamen Gespräche über die allgemeinen politischen Fähigkeiten der Kandidaten und ihre Unterstützung in den eigenen Reihen. In 10 Prozent der Duellzeit war kein Thema erkennbar (Tabelle 1). Tabelle 1 zeigt auch, dass sich die Themenschwerpunkte der Kandidaten und Moderatoren durchaus unterschieden. Auffallend ist vor allem, dass die Moderatoren in ihren Fragen deutlich häufiger auf Persönliches und Koalitionsfragen abzielten als die Kandidaten in ihren Antworten. Dies spricht dafür, dass es den Politikern eher um die Sache ging, während die Moderatoren eher versuchten, Unpolitisches und Wahlkampfgeplänkel in den Vordergrund zu rücken.2 Auf der anderen Seite haben die Kandidaten aber auch Themen in die Diskussion eingebracht, nach denen die Moderatoren kaum oder gar nicht gefragt haben. Das galt vor allem für die Bildungs-, aber auch für die Wirtschaftpolitik. Schließlich lassen sich Unterschiede in den Themenprioritäten der beiden Kandidaten ausmachen. Beide Kandidaten haben – so gut es ging – versucht, für sie unangenehme Themen zu meiden und angenehme Themen anzusprechen. So sprach Merkel häufiger als Schröder über Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, während Schröder mehrmals ohne erkennbaren Anlass auf den IrakKrieg zu sprechen kam (Außenpolitik). Beide Kandidaten wechselten allerdings 2
Der Befund, dass in den Fragen der Moderatoren überdurchschnittlich häufig kein Thema erkennbar war, ist dagegen ein Artefakt. Wir haben mit der Themencodierung jeweils erst in der Sekunde begonnen, in der das Thema erkennbar war, und nicht „rückwirkend“ codiert. Somit konnte in der Regel in den ersten Sekunden der Moderatorenfragen noch kein Thema codiert werden. In den ersten Sekunden der Antworten der Kandidaten wurde dagegen das Thema der vorausgegangenen Frage codiert. Grund für diese Art der Codierung sind wiederum unsere Wirkungsanalysen: Wir haben jeweils das Thema codiert, von dem die Zuschauer den Eindruck haben mussten, dass es gerade diskutiert wird.
40
Marcus Maurer
weitaus seltener das Thema, als es Edmund Stoiber im zweiten Duell 2002 mit dem wiederholten Rekurrieren auf den Arbeitsmarkt tat. Tabelle 1:
Die Themen des Duells Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Steuern
15
Arbeitsmarkt
9
15
9
14
12
12
10
Außenpolitik
12
9
6
10
Sozial-/Gesundheitspolitik
11
9
9
10
Energie/Umwelt
9
7
6
7
Familien-/Frauenpolitik
2
7
4
5
Wirtschaft
4
5
2
4
Bildung/Forschung
6
3
x
4
Staatsschulden
3
2
1
3
Koalitionsbildung
1
2
6
2
sonstige Sachthemen
3
2
1
3
Kein Sachthema
19
18
25
19
Kein Thema erkennbar
6
9
19
10
100
100
100
101
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39) x = Wert < 0,5 Prozent
Betrachtet man die Aussagen der Kandidaten genauer, verfestigt sich der Eindruck, dass das Duell relativ sachorientiert war. In jeweils etwa der Hälfte ihrer Redezeit diskutierten Schröder und Merkel über ihre inhaltlichen Positionen. In je etwa einem Fünftel ging es um die Lage des Landes bei verschiedenen Themen, z.B. die Lage am Arbeitsmarkt oder den Zustand des Steuersystems. Über die Kompetenz der Kandidaten ging es in etwa zehn Prozent der Zeit. Nur in fünf Prozent wurde die Persönlichkeit der Kandidaten oder anderer Personen diskutiert (Tabelle 2).
Die Inhalte des TV-Duells
Tabelle 2:
41
Diskussionsgegenstände im Duell Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Inhaltliche Position
51
50
32
47
Lage des Landes
22
20
13
19
Politische Kompetenz
10
11
12
11
Persönlichkeit
6
3
4
4
Sonstiges
5
7
19
8
Kein Gegenstand erkennbar
7
9
19
11
101
100
99
100
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
4
Die Argumentationsstrategien der Kandidaten
Das Duell zwischen Schröder und Merkel entsprach der klassischen Konstellation der meisten Fernsehdebatten: Dem langjährigen Amtsinhaber stand eine erst seit kurzem als Kandidatin feststehende Herausforderin gegenüber. Deshalb konnte man erwarten, dass Merkel angreifen und Schröder seine Politik der letzten Jahre verteidigen würde – ganz so, wie es bereits 2002 ablief, wenn auch mit geringem Erfolg für den damaligen Herausforderer Stoiber. Andererseits lag Schröders Partei in den Wahlumfragen noch weiter zurück als drei Jahre zuvor. Ein Wahlsieg der Union galt vielen als so sicher, dass sie in Merkel bereits eine Art gefühlte Kanzlerin sahen. Folglich könnte aus Schröders Sicht eine reine Verteidigung seiner Politik auch zu wenig sein, um das Ruder noch herumzureißen. Merkel musste dagegen aufpassen, nicht in eine Art Amtsinhaber-Rolle zu geraten, in der sie ihre politischen Vorschläge für die Zukunft bereits jetzt verteidigen musste. Wie die Kandidaten dieses Problem gelöst haben, werden wir im folgenden Abschnitt untersuchen. Zunächst wollen wir die Frage beantworten, über wen die Kandidaten im Duell vor allem gesprochen haben: über sich, ihr eigenes politisches Lager und ihre Ziele, oder über den politischen Gegner und dessen Ziele. Der Übersichtlichkeit halber haben wir dabei alle Politiker und Parteien des damaligen Regierungslagers (SPD und B90/Grüne) und alle
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Marcus Maurer
Politiker und Parteien des damaligen Oppositionslagers (CDU/CSU und FDP) zusammengefasst. Die Aussagen über die beiden kleineren Parteien fallen allerdings kaum ins Gewicht. Um sie ging es im Duell jeweils nur etwa 30 Sekunden. Die Analysen zum Selbst- und Fremdbezug in den Aussagen der Kandidaten zeigen, dass sowohl Schröder als auch Merkel häufiger über ihr eigenes politisches Lager gesprochen haben als über das gegnerische. Noch überraschender ist, dass dies für die Herausforderin wesentlich stärker galt als für den Amtsinhaber. Merkel nutzte mehr als ein Drittel (36%) ihrer Redezeit zur Präsentation eigener Vorschläge oder zur Herausstellung eigener Kompetenzen auf den verschiedenen Themenfeldern. Bei Schröder war es weniger als ein Viertel (24%). Beide Kandidaten sprachen dabei etwas häufiger über sich selbst als über ihre Partei. Für Schröder galt dies stärker als für Merkel. Relativ lange haben beide Kandidaten auch über die Lage auf den verschiedenen Politikfeldern und über die Wünsche und Interessen der Bevölkerung („…das interessiert die Bürgerinnen und Bürger nun wirklich…“) gesprochen. Bemerkenswerter Weise haben sich die Fragen der Moderatoren etwas ausführlicher mit Merkel und der damaligen Opposition als mit Schröder und der damaligen Regierung beschäftigt. Auch insgesamt war das Duell folglich stärker von Diskussionen über Merkel und ihre Partei als von Diskussionen über Schröder und seine Partei geprägt (Tabelle 3). Tabelle 3:
Selbstbezug und Fremdbezug in den Aussagen der Kandidaten
Aussagen über…
Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Regierungslager (rot-grün)
24
13
22
19
Opposition (schwarz-gelb)
19
36
28
28
Bevölkerung
13
19
14
16
Lage auf einem Politikfeld
21
19
10
18
Sonstige Objekte
14
6
16
11
kein Objekt erkennbar
8
7
10
8
100
100
100
100
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
Die Inhalte des TV-Duells
43
Diese erste Analyse deutet darauf hin, dass Schröder so argumentiert hat, wie wir es als typisch für einen Amtsinhaber beschrieben hatten. Merkel dagegen hat als Herausforderin ebenfalls wie ein Amtsinhaber argumentiert – sogar noch wesentlich stärker als Schröder. Dies bestätigen auch die Analysen der Tendenz der Aussagen der Kandidaten: Während etwa der Hälfte des Duells wiesen die Aussagen der Kandidaten und Moderatoren keine erkennbare Tendenz auf. Allerdings äußerten sich alle am Duell Beteiligten in der übrigen Zeit häufiger negativ als positiv. Am negativsten äußerten sich die vier Moderatoren, die sich praktisch überhaupt nicht zu positiven Aussagen durchringen konnten. Am wenigsten negativ äußerte sich Angela Merkel. Statt Schröder und seine Partei fortwährend anzugreifen, wie es Herausforderer in der Regel tun, verwendete Merkel einen beachtlichen Teil ihrer Redezeit auf eine positive Selbstdarstellung (Tabelle 4). Tabelle 4:
Tendenz der Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Negativ
28
25
35
28
Ambivalent
5
4
1
4
Positiv
20
18
4
17
keine Tendenz erkennbar
48
53
60
52
Summe
101
100
100
101
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
Dies wird noch deutlicher, wenn man sich die Aussagen über die Kandidaten im Duell näher betrachtet. Zunächst einmal ist erkennbar, dass im Duell deutlich länger über Merkel (766 Sekunden) als über Schröder (678 Sekunden) gesprochen wurde. Zudem wird deutlich, dass sich die Tendenz der Darstellung der beiden Kandidaten praktisch nicht unterschied: Beide wurden in etwa einem Drittel der Zeit, in der über sie gesprochen wurde, negativ charakterisiert. In nur einem Zehntel der Zeit war die Darstellung positiv (Tabelle 5). Bemerkenswert werden diese Befunde erst im Vergleich: Im zweiten TV-Duell 2002 war Schröder mehr als doppelt so oft Gegenstand der Diskussion wie Stoiber. Dessen Darstellung war insgesamt fast ausgewogen, weil er sich selbst öfter lobte und
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Marcus Maurer
Schröder kaum über ihn sprach. Schröder dagegen wurde fast ausschließlich negativ charakterisiert, weil er auch kaum über sich selbst sprach und von Stoiber unablässig angegriffen wurde (Maurer/Reinemann 2003: 70). Tabelle 5:
Tendenz der Aussagen über die Kandidaten im Duell
Negativ
Schröder (n=678)
Merkel (n=766)
%
%
32
35
Ambivalent
4
3
Positiv
11
13
keine Tendenz erkennbar
53
50
Summe
100
101
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells
Was waren nun die Quellen der Bewertung der Kandidaten im Duell 2005? Beide Kandidaten wurden von den Moderatoren fast ausschließlich kritisiert. Für Merkel galt dies noch etwas stärker als für Schröder. Betrachtet man die Kritik der Kandidaten aneinander, zeigt sich erneut ein unerwartetes Bild: Schröder hat Merkel häufiger kritisiert als umgekehrt. Während Schröder, wenn er über Merkel sprach, in 69 Prozent der Zeit ein negatives Bild von ihr vermittelte, waren es umgekehrt nur 54 Prozent. Zudem sprach Schröder auch deutlich länger über Merkel als umgekehrt (247 vs. 191 Sekunden). Bemerkenswert ist zudem, dass sich Schröder auch selbst länger kritisiert als gelobt hat – auch wenn das Plus an Selbstkritik nur zwei Prozent betrug. Die Tatsache, dass Merkel im Duell nur etwas schlechter wegkam als Schröder, lag allein daran, dass sie sich relativ oft selbst gelobt hat. Abschließend wollen wir noch einen Blick auf den Handlungsbezug der Kandidatenaussagen werfen. Hier geht es erstens darum, ob die Kandidaten vor allem vergangenheits- oder zukunftsbezogen argumentiert haben. Zweitens geht es darum, wie konkret die zukunftsbezogenen Aussagen der Kandidaten waren. Wir haben dabei zwischen Handlungsankündigungen (Zukunftspläne der Parteien), Handlungsaufforderungen (Aufforderungen, in der Regel an den Kontrahenten, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen) und Handlungsbilanzen (Diskussion vergangener Leistungen) unterschieden. Die Handlungsankündigungen ha-
Die Inhalte des TV-Duells
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ben wir noch einmal danach unterschieden, wie konkret sie geäußert wurden: Als sehr konkret haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn die Aussagen den größtmöglichen Informationsgehalt enthielten und für die Wähler keine Fragen offen blieben („Wir wollen die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöhen“). Als weniger konkret haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn lediglich ein politisches Ziel genannt wurde, über das man geteilter Meinung sein kann, ohne dass aber erläutert würde, wie es erreicht werden soll („Wir wollen die Steuern senken“). Als unkonkret bzw. vage haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn Ziele formuliert wurden, die keine politischen Richtungsentscheidungen darstellen, z.B. weil ihre Verwirklichung von nahezu allen Parteien und Wählern geradezu selbstverständlich als positiv betrachtet wird („Wir wollen ein gerechtes Steuersystem“). Wenn man davon ausgeht, dass den Zuschauern konkrete Aussagen über die Maßnahmen, die die Parteien im Falle eines Wahlsieges ergreifen wollen, am ehesten bei ihrer Wahlentscheidung helfen, war das Duell wenig ergiebig. Gerade einmal in zwei Prozent der Duelldauer wurden solche konkreten Pläne genannt. Überhaupt machten Handlungsankündigungen insgesamt nur sieben Prozent des Duells aus. Das ist umso erstaunlicher, als das Duell ja eigentlich den Kandidaten die Möglichkeit geben soll, über ihre politischen Ziele zu sprechen. Deutlich häufiger ging es im Duell aber um die Vergangenheit. 16 Prozent der Duellzeit wurde über die Bilanzen der Parteien und Kandidaten diskutiert. Auch dies ist für die Wähler eine vergleichsweise hilfreiche Information – zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass daraus Rückschlüsse über zukünftige Leistungen möglich sind. In mehr als drei Vierteln des Duells (76%) erhielten die Wähler allerdings überhaupt keine derartigen Informationen. Vergleicht man die Argumentationsstrategien der beiden Kandidaten, wird deutlich, dass Schröder noch wesentlich vergangenheitsbezogener argumentiert hat als Merkel. Lediglich vier Prozent seiner Redezeit nutzte er für Handlungsankündigungen. Bei Merkel waren es immerhin 12 Prozent. Umgekehrt führte Schröder (20%) häufiger Bilanzen an als Merkel (15%) und forderte sie häufiger zum Handeln auf – gerade so, als sei sie bereits Kanzlerin. Er bilanzierte dabei vor allem seine eigenen Leistungen, die Lage des Landes – worin man eine Art indirekte Bilanz der eigenen Leistungen sehen kann – und gelegentlich auch die Leistungen der Regierung Kohl. Selbst seine konkreten Handlungsankündigungen, die insgesamt nur 49 Sekunden in Anspruch nahmen, waren überwiegend Ankündigungen von (vermeintlichen) Unions-Plänen. So erklärte er beispielsweise das Steuermodell Paul Kirchhofs ausführlich, um es anschließend zu diskreditieren. Die Zuschauer erfuhren im Duell folglich kaum etwas über Schröders Pläne für die kommende Legislaturperiode. Merkel sprach dagegen
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Marcus Maurer
fast ausschließlich über ihre eigenen Ziele (z.B. Steuerkonzept der Union, Festhalten an der Kernenergie, Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei) und bilanzierte die vergangenen Leistungen Schröders ähnlich häufig wie ihre eigenen. Auch in diesem Punkt nahm sie folglich nur teilweise die klassische Herausforderer-Rolle ein (Tabelle 6). Tabelle 6:
Handlungsbezug in den Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) %
Handlungsankündigung sehr konkret weniger konkret unkonkret/vage
Merkel (n=2302) %
2 2 x
3 5 4
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
x 3 -
2 3 2
Handlungsaufforderung
4
x
-
2
Handlungsbilanz
20
15
8
16
kein Handlungsbezug
72
73
89
76
100
100
100
101
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39) x = Wert < 0,5 Prozent
5
Die rhetorischen Stilmittel im Duell
Wir wollen uns in diesem Abschnitt auf drei rhetorische Stilmittel konzentrieren, von denen wir in unseren Analysen des zweiten TV-Duells zwischen Schröder und Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 (Maurer/Reinemann 2003) festgestellt hatten, dass sie einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kandidaten durch die Zuschauer haben. Im ersten Schritt wollen wir vergleichend untersuchen, wie häufig die Kandidaten Evidenzen (z.B. Zahlenbelege, Zitate von Autoritäten, historische Belege) und emotionale Appelle verwendet haben. Erstere sprechen für eine eher rationale Argumentation, weil es darum geht, das, was man sagt, mit Fakten anzureichern oder zu begründen. Letztere sprechen für eine eher emotionale Argumentation, weil es darum geht, bei den Wählern bestimmte positive (z.B. Stolz, Zusammengehörigkeitsgefühl) oder
Die Inhalte des TV-Duells
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negative (z.B. Angst, Neid) Gefühle auszulösen. Unsere Analysen hatten ergeben, dass emotionale Appelle weitaus positivere Wirkungen auf die Rezipienten haben als Evidenzen. Im zweiten Schritt beschäftigen wir uns dann mit der Verwendung von Gemeinplätzen. Wir knüpfen damit an unsere Analysen aus dem vorangegangenen Abschnitt an, in dem wir bereits die Verwendung von vagen Handlungsankündigungen untersucht haben. Da vage, floskelhafte Aussagen, die wir hier als Gemeinplätze bezeichnen wollen, selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen vorkommen können, wollen wir dies hier gesondert untersuchen. Beide Kandidaten haben im Duell häufiger emotionale Appelle verwendet als Evidenzen. Dabei benutzte Schröder (17% seiner Redezeit) häufiger Evidenzen als Merkel (11%). Zugleich verwendete er aber auch häufiger emotionale Appelle (22 vs. 17%). Wenn Evidenzen verwendet wurden, waren es vor allem Zahlenbelege – Arbeitslosenzahlen, Steuertarife, Wirtschaftsdaten usw. Relativ häufig kamen auch so genannte historische Belege vor. Hierunter fallen vor allem Verweise auf vergangene Entscheidungen oder Ereignisse („Sie haben doch damals mitregiert“). Relativ selten verwendeten die Kandidaten Zitate oder Referate von Autoritäten, um ihre Behauptungen zu stützen. Allerdings taten dies die Moderatoren umso öfter. Sie zitierten in ihren Fragen vor allem kontroverse Interview-Aussagen von Politikern wie Paul Kirchhof oder Joschka Fischer. Wenn emotionale Appelle verwendet wurden, waren es meist negative Appelle. Für Merkel galt dies noch deutlich stärker als für Schröder. Zumindest in diesem Punkt agierte Merkel wie eine Herausforderin. Mehrmals versuchte sie, den Zuschauern durch drastische Schilderungen der aus ihrer Sicht negativen Regierungsbilanz Schröders Angst vor weiteren vier Jahren Rot-Grün zu machen. Schröder konterte dies zwar mit ähnlichen Einwürfen, beispielsweise im Zusammenhang mit Kirchhofs Steuerplänen, appellierte zugleich aber häufiger als Merkel auch an positive Emotionen. Die vier Moderatoren verwendeten dagegen kaum positive Appelle. Während Schröder häufiger Evidenzen und emotionale Appelle verwendete, benutzte Merkel häufiger Gemeinplätze, also Sätze, denen im Grunde genommen niemand widersprechen kann, weil sie quasi selbstverständlich sind. In rund einem Fünftel ihrer Redezeit argumentierte Merkel auf diese Weise. Bei Schröder war es weniger als ein Zehntel. Dabei war bei Merkel – nicht aber bei Schröder – ein starker Zusammenhang zwischen der Verwendung von Gemeinplätzen und einer positiven Aussagetendenz zu beobachten. Merkel benutzte Gemeinplätze vor allem dann, wenn sie über ihre eigene Position sprach („Wir wollen nach innen, dass wir Vorfahrt für Arbeit haben, dass wir sagen: sozial ist, was Arbeit schafft, dass unsere Kinder eine bessere Zukunft haben“).
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Marcus Maurer
Tabelle 7:
Rhetorische Stilmittel in den Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) sec
Merkel (n=2302) sec
Evidenzen Zahlenbeleg Zitat/Referat Historischer Beleg
256 33 92
144 35 81
73 100 17
473 168 190
Emotionale Appelle positiv negativ
232 278
121 267
3 75
356 620
Gemeinplätze
192
441
16
649
Moderatoren (n=946) sec
Gesamt (n=5529) sec
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
6
Das nonverbale Verhalten der Kandidaten
Wir haben im ersten Abschnitt dieses Kapitels bereits gezeigt, dass Schröder rund anderthalb Minuten länger alleine im Bild war als Merkel. Zudem war er etwa eine halbe Minute länger im Hintergrund zu sehen, während Merkel sprach, als umgekehrt. Wir wollen in diesem Abschnitt abschließend untersuchen, wie die Kandidaten sich verhalten haben, während sie im Bild zu sehen waren. Dabei soll es darum gehen, ob sie Blickkontakt zu den Zuschauern aufgenommen haben, ob sie gestikuliert haben und ob sie die Aussagen des Kontrahenten nonverbal kommentiert haben, wenn sie mit ihm gemeinsam im Bild waren. Glaubt man der Legende, hat Richard Nixon die Fernsehdebatten im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1960 gegen John F. Kennedy unter anderem deshalb verloren, weil er bei seinen Statements Kennedy ansah, als wolle er ihn überzeugen. Kennedy dagegen sah in die Kamera, so dass es für die Fernsehzuschauer so aussah, als ob er sich direkt an sie wenden würde. Auch wenn es sich dabei zweifellos um einen Mythos handelt (Maurer/Reinemann 2007), wollen wir uns hier zunächst mit derselben Frage befassen. Wir beschränken uns dabei auf die Einstellungen, in denen der jeweils sprechende Kandidat alleine – in der Regel im Porträt – im Bild zu sehen war. Die Analysen zeigen, dass beide Kandidaten relativ selten und vor allem während ihrer
Die Inhalte des TV-Duells
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Schlussstatements direkt in die Kamera schauten. Merkel tat dies allerdings doppelt so lange wie Schröder (153 vs. 76 Sekunden). Etwas häufiger sahen beide während ihrer Statements den jeweiligen Kontrahenten an. Auch dies tat Merkel länger als Schröder (205 vs. 164 Sekunden). Wesentlich häufiger blickten Merkel (547 Sekunden) und Schröder (796 Sekunden) knapp an der Kamera vorbei. Am häufigsten schließlich hatten beide Kandidaten weder mit dem Kontrahenten noch mit den Zuschauern Blickkontakt. Das galt für Merkel (960 Sekunden) erneut etwas länger als für Schröder (900 Sekunden). Die Erklärung für diese Befunde ist relativ einfach: Beide Kandidaten sahen in der Regel mehr oder weniger automatisch den Moderator an, der ihnen die letzte Frage gestellt hatte – ganz so wie es die Höflichkeit gebietet. Saß derjenige halbwegs in der Linie der Kamera, sah der antwortende Kandidat nur knapp, andernfalls deutlich an der Kamera vorbei. Bei der Analyse der Gestik der Kandidaten haben wir grob zwischen einer offenen und einer geschlossenen Gestik unterschieden, wobei man allgemein davon ausgeht, dass eine offene Gestik (z.B. sichtbare Handflächen) von den Zuschauern als positiver wahrgenommen wird. Unsere Daten zeigen deutliche Unterschiede in der Gestik der beiden Kandidaten. Waren die Kandidaten alleine im Bild, waren bei Schröder wesentlich häufiger Gesten erkennbar als bei Merkel. Während Schröder in genau der Hälfte der Zeit, in der er zu sehen war, gestikulierte, tat Merkel dies nur in weniger als einem Drittel der Zeit. Wenn die Gestik der Kandidaten zu sehen war, war sie bei beiden zu etwa 55 Prozent offen. Die Tatsache, dass vergleichsweise selten Gesten Merkels erkennbar waren, muss aber nicht heißen, dass sie nicht gestikuliert hat. Es kann auch heißen, dass sich ihre Gestik unterhalb des Kameraausschnitts abgespielt hat. Hierfür spricht, dass in den Einstellungen, in denen beide Kandidaten gemeinsam aus größerer Distanz zu sehen waren, deutlich mehr Gesten erkennbar waren. Bei Merkel war dies in fast zwei Dritteln, bei Schröder sogar in fast drei Vierteln der Zeit der Fall. Die Kameraeinstellungen, bei denen der zuhörende Kandidat im Hintergrund zu sehen ist, während der andere spricht, geben den Duellteilnehmern die Gelegenheit, die Aussagen des jeweiligen Kontrahenten nonverbal zu kommentieren. Sie sind somit eine Art zusätzliche „Redezeit“, in der man seiner Zustimmung oder Missbilligung Ausdruck verleihen kann, ohne den Kontrahenten unterbrechen zu müssen. Wir haben unterschiedliche nonverbale Reaktionen des zuhörenden Kandidaten erfasst, die wir hier der Einfachheit halber zu zustimmenden und ablehnenden Reaktionen zusammenfassen wollen. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass Schröder diese Gelegenheit etwas häufiger erhielt, weil die entsprechende Kameraeinstellung häufiger gewählt wurde, wenn
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Marcus Maurer
Merkel sprach (286 vs. 259 Sekunden). Darüber hinaus nutzte Schröder diese Gelegenheit aber auch häufiger. In 118 Sekunden (41% der entsprechenden Einstellungen) kommentierte er Merkels Aussagen nonverbal. Umgekehrt waren es nur 94 Sekunden (36%). Die Befunde für die nonverbalen Reaktionen der Kandidaten gleichen dabei auf verblüffende Weise denen für ihre verbalen Argumentationsstrategien: Insgesamt überwogen die ablehnenden Reaktionen bei beiden Kandidaten eindeutig. Allerdings war Merkel wiederum diejenige, die mit Schröder zumindest etwas weniger kritisch umging als umgekehrt. Immerhin 8 Sekunden länger als umgekehrt kommentierte sie Schröders Ausführungen mit Kopfnicken oder ähnlichen zustimmenden Gesten. Schröder war dagegen 32 Sekunden länger als Merkel mit ablehnender Gestik oder Mimik zu sehen (Tabelle 8). Tabelle 8:
Nonverbale Kommentare der Kandidaten Schröder spricht/ Merkel kommentiert nonverbal (n=259) sec 17
Merkel spricht/ Schröder kommentiert nonverbal (n=286) sec 9
Ablehnend
77
109
Keine Reaktion
165
168
Nonverbale Reaktion Zustimmend
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells
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Zusammenfassung und Diskussion
Wir haben uns in diesem Kapitel mit den Inhalten des Duells beschäftigt. Dazu haben wir eine sekundengenaue Inhaltanalyse des verbalen und nonverbalen Geschehens in den etwas mehr als 90 Duellminuten durchgeführt. Das wichtigste Ergebnis aus formaler Sicht ist, dass beide Kandidaten im Duell im Großen und Ganzen gleich behandelt wurden. Während Merkel etwa eine halbe Minute länger sprach, war Schröder etwa zwei Minuten länger im Bild zu sehen. Die unterschiedlichen Kameraeinstellungen verteilten sich etwa gleich auf die beiden Kandidaten. Allerdings war Schröder etwas öfter zu sehen, während Merkel sprach als umgekehrt. Er hatte folglich etwas länger die Gelegenheit, Merkels Ausführungen nonverbal zu kommentieren. Auch von den vier Moderatoren
Die Inhalte des TV-Duells
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wurden beide Kandidaten in etwa gleich behandelt – beide wurden fast ausschließlich kritisiert. Die Schwerpunktthemen des Duells waren Steuern, Arbeitsmarkt und Außenpolitik – Themen, die sich aufgrund der aktuellen Ereignislage angeboten hatten und auch in der Vergangenheit häufig in Fernsehdebatten diskutiert wurden. Das Duell wurde eindeutig von Sachthemen dominiert, Persönliches spielte nur eine untergeordnete Rolle. Das heißt aber nicht, dass die Zuschauer umfassend über die politischen Ziele der beiden Kandidaten oder gar über im Falle eines Wahlsiegs geplante Maßnahmen informiert worden wären. Im Gegenteil: Das Duell war von Diskussionen um vergangene Leistungen und Kritik der Kandidaten aneinander geprägt. Statt klar zu sagen, welche Maßnahmen sie im Falle eines Wahlsieges ergreifen wollen, flüchteten die Kandidaten sich bei der Diskussion um ihre politischen Positionen häufig in vage Formulierungen („Wir müssen…“ oder „Die Menschen wollen…“ anstelle von „Wir werden…“). Vor allem über Schröders Pläne für die kommende Legislaturperiode erfuhren die Zuschauer praktisch nichts – ein Befund, der in ähnlicher Form im gesamten Wahlkampf zu beobachten war (Maurer 2007a). Aus Sicht der Kandidaten ist dies eine durchaus vernünftige Strategie, weil sie sich auf diese Weise nicht angreifbar machen. Aus Sicht der Wähler ist es jedoch wenig hilfreich. Auf der anderen Seite bestätigen sich die Ergebnisse amerikanischer Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Fernsehdebatten zumindest mehr Informationen enthalten als andere Mittel der Wahlkampfkommunikation, z.B. Wahlwerbespots im Fernsehen: Schröder und Merkel verwendeten im Duell fast ebenso häufig Evidenzen wie emotionale Appelle. Die Wähler wurden zudem relativ häufig über die Lage des Landes unterrichtet – auch wenn beide Kandidaten sie freilich sehr unterschiedlich darstellten. Wahlwerbespots haben einen weitaus geringeren Informationsgehalt. Sie drehen sich seltener um Sachthemen, enthalten noch mehr vage Gemeinplätze und deutlich mehr emotionale Appelle als Evidenzen. Anders als in den USA waren die Wahlspots in den vergangenen Bundestagswahlkämpfen jedoch deutlich weniger negativ als die Aussagen der Kandidaten im Duell (Maurer 2007b). Der bemerkenswerteste Befund dieses Kapitels ist allerdings, dass das Duell 2005 völlig anders ablief als die Duelle zwischen Schröder und Stoiber drei Jahre zuvor. Merkel trat nicht im Entferntesten wie eine Herausforderin auf, sondern wie die eigentliche Amtsinhaberin: Sie sprach wesentlich häufiger über sich und ihre Partei als über Schröders Regierungsbilanz. Sie kritisierte Schröder weniger stark, als er das umgekehrt tat. Sie kommentierte Schröders Ausführungen visuell weniger negativ als umgekehrt. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass Merkel im Gegensatz zu Stoiber 2002 und den meisten Herausforde-
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Marcus Maurer
rern in Fernsehdebatten keine Angriffsstrategie gewählt hat. Dies mag einerseits geplant gewesen sein. Möglicherweise hatte die Union als einen der Gründe für Stoibers damaliges Scheitern seine unablässigen Angriffe auf Schröder ausgemacht. Nicht ohne Grund: Kritik am Gegner polarisiert die Zuschauer, weil sie die Anhänger des Gegners nicht überzeugt, sondern noch stärker hinter ihm versammelt (Reinemann/Maurer 2005; siehe auch Kapitel 2.2). Auf der anderen Seite mag Merkel jedoch auch unfreiwillig in die Amtsinhaber-Rolle geraten sein. Im gesamten Wahlkampf war die Union von vielen bereits als kommende Regierungspartei betrachtet worden. Dementsprechend ging es auch in den Massenmedien fast ausschließlich um deren Pläne für die kommende Regierungsperiode. Was Schröder und die SPD wollten, interessierte dagegen kaum. In ähnlicher Weise, wenn auch weniger deutlich, drehte sich das Duell häufiger um Merkel und die Union als um Schröder und die SPD. Das lag nicht nur daran, dass Merkel weniger angriff, sondern auch daran, dass die Moderatoren häufiger Fragen zur Unionspolitik stellten und Schröder deutlich häufiger, als es Amtsinhaber üblicherweise tun, Merkel und ihre Politik thematisiert hat. Insgesamt ist das Duell folglich ausgesprochen untypisch verlaufen. Welcher der beiden Kandidaten hiervon stärker profitiert hat, werden wir in den folgenden Kapiteln untersuchen.
2.2
Populistisch und unkonkret Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Welche Aussagen in einem TV-Duell am besten ankommen, ist eine der zentralen, aber empirisch eher selten untersuchten Fragen der Debattenforschung. Dies ist umso verwunderlicher, als Spekulationen über die „entscheidenden Stellen“ einer Fernsehdebatte zum Standardrepertoire der Nachberichterstattung gehören. Nicht selten werden sogar Sieg und Niederlage in einem TV-Duell an einzelnen Statements der Kandidaten festgemacht (Maurer/Reinemann 2007). Auch nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder wurde über die Wirkung einzelner Aussagen und die Wahrnehmungen der Zuschauer spekuliert: So war man sich einig, dass die ersten 20 Minuten der Debatte „langweilig“, die steuerpolitischen Diskussionen für die Zuschauer „zu kompliziert“ gewesen seien. Und in manchen Medien wurden die möglichen Wirkungen von Gerhard Schröders „Liebeserklärung“ ausführlich diskutiert (siehe Kapitel 4.1). Allerdings zeigen die wenigen vorliegenden Studien, dass Journalisten und Experten ein TV-Duell zuweilen ganz anders wahrnehmen als der „normale“ Duellzuschauer zuhause vor dem Fernseher (z.B. Steeper 1978; Lang/Lang 1979; Lemert et al. 1991). Die Gründe für diese Differenzen sind vielfältig und werden an anderer Stelle ausführlich diskutiert. Auch Eindrücke von „Experten“ sind also zunächst einmal subjektiv und sagen kaum etwas darüber aus, wie die Kandidaten von den Zuschauern wirklich wahrgenommen werden. Dies wollen wir in diesem Kapitel für das TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel detailliert untersuchen. Wir bedienen uns dabei einer Echtzeit-Messung, der Zuschauerreaktionen (siehe Kapitel 1.2).
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Die unmittelbare Wahrnehmung von TV-Duellen: Bisherige Befunde
Die unmittelbaren Reaktionen auf eine medial vermittelte Botschaft hängen stets von Merkmalen der Rezipienten und der Botschaft ab. Auf der Rezipientenseite bestimmen sowohl längerfristig stabile als auch kurzfristig variable Faktoren die Verarbeitung und Wirkung politischer Botschaften. Zu den eher stabilen Cha-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
rakteristika zählen u.a. Parteibindungen, politisches Vorwissen und politisches Interesse. Zu den weniger stabilen Faktoren zählt die Aufmerksamkeit, die einer Medienbotschaft entgegen gebracht wird. Hohe Aufmerksamkeit führt beispielsweise dazu, dass Botschaften intensiver verarbeitet werden und verbale Elemente sowie die Qualität von Argumenten eine größere Rolle spielen. Geringere Aufmerksamkeit dagegen führt dazu, dass beispielsweise nonverbale Signale, die Glaubwürdigkeit einer Quelle oder die schlichte Zahl von Argumenten stärker ins Gewicht fallen (z.B. Eveland et al. 2003). Auf Seiten der politischen Botschaft beeinflussen formale und inhaltliche Merkmale die Wahrnehmung der Rezipienten. Zu den formalen zählen z.B. Länge bzw. Umfang einer Botschaft, die Schnittfolge bei audiovisuellen oder das Layout bei gedruckten Informationen. Zu den inhaltlichen Charakteristika gehören verbale und nonverbale Elemente (z.B. Gestik und Mimik). Beide können das Thema einer Botschaft oder Bewertungen von Sachverhalten und Personen vermitteln (z.B. Kepplinger 2002). Für eine Erklärung von Wirkungen politischer Kommunikation muss man also immer beide Seiten berücksichtigen: Rezipienten und Botschaften. Welche Merkmale von Rezipienten und Botschaften für die Wahrnehmung von TVDuellen besonders wichtig sind, wollen wir nun kurz skizzieren: Auf der Rezipientenseite wird die unmittelbare Wahrnehmung der Kandidaten während eines TV-Duells stark von den vorherigen politischen Einstellungen beeinflusst. Vor allem die Parteiidentifikation, also die längerfristige Bindung an eine Partei, hat eine große Erklärungskraft. Zuschauer nehmen den Kandidaten ihrer Partei oder Koalition in der Regel positiver wahr als den Kandidaten eines anderen politischen Lagers (z.B. Maurer/Reinemann 2003; Faas/Maier 2004; Jarman 2005). Allerdings kann die Parteiidentifikation nicht vollständig erklären, wie die Zuschauer während eines Duells auf die einzelnen Aussagen der Kandidaten reagieren, wen sie nachher für den Sieger halten oder aus welchen Aussagen sie etwas Neues lernen. Vielmehr hat auch das, was Kandidaten und Journalisten tatsächlich sagen, wie sie aufeinander reagieren und interagieren, einen Einfluss auf die unmittelbaren Wahrnehmungen der Zuschauer: So hat sich gezeigt, dass selbst die Anhänger eines Kandidaten nicht alle seine Aussagen gleich überzeugend finden, sondern von manchen stärker beeindruckt sind als von anderen. Außerdem kann ein Kandidat auch die Anhänger seines Gegners beeindrucken, wenn er rhetorisch geschickt ist oder die richtigen Themen trifft. Schließlich gibt es immer mehr Wahlberechtigte, die sich gar keiner Partei fest verbunden fühlen und sich gerade deshalb von einem TV-Duell eine Hilfe für ihre Wahlentscheidung erhoffen. Für sie spielt eine parteipolitische Brille als Wahrnehmungsfilter natürlich gar keine Rolle (Rei-
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells
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nemann/Maurer 2005). Um herauszufinden, welche Botschafts-Elemente eines TV-Duells die Zuschauer am meisten beeindrucken, haben wir bereits 2002 eine Echtzeitmessung von Zuschauerreaktionen durchgeführt (RTR-Messung) (Maurer/Reinemann 2003; 2006b; Reinemann/Maurer 2005). Unsere damaligen Befunde lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Erstens haben die Kandidaten die Zuschauer 2002 vor allem mit Worten überzeugt. Die verbale Ebene der Debatte war dominant, visuelle Eindrücke dagegen weniger wichtig. Eine TV-Debatte ist also eine für die massenmediale politische Kommunikation über das Fernsehen eher untypische Situation. Fernsehnachrichten werden oft eher nebenbei genutzt, was dazu führt, dass visuelle Informationen für die Informationsverarbeitung und Eindrucksbildung der Zuschauer sehr wichtig sind (z.B. Kepplinger/Maurer 2005). TV-Duelle verfolgen die Zuschauer dagegen offenbar mit recht hoher Aufmerksamkeit. Viele versprechen sich eine Hilfe für die Wahlentscheidung, andere wollen anderntags mitreden, wenn das TV-Ereignis des Jahres diskutiert wird (Dehm 2005). Diese untypisch hohe Aufmerksamkeit erklärt vermutlich, warum die verbale Ebene hier stärker in den Vordergrund tritt als bei der normalen Fernsehnutzung (Reinemann/Maurer 2005). Damit stehen unsere Befunde im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht, wonach vor allem nonverbale Elemente TV-Duelle entscheiden, weil sie sachlich ohnehin nichts Neues brächten (dazu Druckman 2003; Maurer/Reinemann 2007; anders Maier/Faas 2004; Faas/Maier 2004b). Zweitens waren die Kandidaten unter Zuschauern aller politischen Lager besonders mit Statements erfolgreich, in denen sie ihre Ziele und Absichten darstellten. Allerdings formulierten sie dabei nicht etwa konkrete Vorhaben und politische Alternativen. Vielmehr sprachen sie hier Fragen an, bei denen sich die Zuschauer schon vor Beginn der Debatte weitgehend einig waren, oder sie drückten sich sehr allgemein und vage aus. Nicht selten handelte es sich um das, was wir als „zustimmungspflichtige Gemeinplätze“ bezeichnet haben. Dass politische Akteure vor allem in der Wahlkampfkommunikation bewusst abstrakte und unkonkrete Aussagen einsetzen, um ein möglichst breites Spektrum von Wählern anzusprechen, haben bereits andere Studien gezeigt (z.B. Conover/Feldman 1989; Waldman/Jamieson 2003). Dass diese Strategie offenbar tatsächlich aufgeht, konnten wir mit unserer Echtzeit-Analyse auch empirisch nachweisen. Daneben führten in einigen Fällen auch Personalisierung und Emotionalisierung zu positiven Reaktionen über alle politischen Lager hinweg. Drittens polarisierten die Kandidaten vor allem mit solchen Aussagen, in denen sie ihren Kontrahenten angriffen. Während die Anhänger der Kandidaten solche Attacken positiv aufnahmen, ernteten sie bei den Anhängern des Gegners Ablehnung. Auch auf die ungebundenen Wähler machten viele dieser Angriffe
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
keinen guten Eindruck. Führten die Kandidaten zur Unterstützung ihrer Angriffe Belege in Form von Zahlen und Fakten an, wurde die Ablehnung durch die Anhänger des politischen Gegners sogar eher noch stärker. Dies war vor allem bei Aussagen zur Wirtschaftslage und zur Arbeitsmarktsituation der Fall. Dabei spielte es keine Rolle, ob die genannten Fakten richtig oder falsch waren. Dass man mit Kritik und harten Fakten unentschlossene Wähler und Anhänger des Gegners nicht beeindruckt, darauf deuten auch andere Studien hin. Auch sie zeigen, dass Argumente mit Fakten und statistischen Informationen, die gegen einen politischen Akteur sprechen, von seinen Anhängern noch negativer bewertet werden als Argumente, die ohne solche Evidenzen auskommen (z.B. Levasseur/Dean 1996; Slater/Rouner 1996; Meffert et al. 2006). Viertens differenzierten die Duell-Zuschauer in der Regel nicht zwischen unkonkreten oder unwahren Aussagen einerseits und substantiellen oder konkreten Aussagen andererseits. In der Intensität der Zustimmung bzw. Ablehnung unterschieden sich die Reaktionen der Zuschauer auf die beiden Aussagetypen nicht systematisch. Auch hatten sie einen gleich hohen Einfluss auf die Ansichten über den Ausgang des Duells. Es war also nicht so, dass die Zuschauer Gemeinplätze, übertriebene Emotionalisierungen oder irreführende Darstellungen von Fakten als solche erkannten und sich in ihrer Urteilsbildung primär auf politische Substanz und schlagkräftige Argumente stützten. Vielmehr konnten die Kandidaten mit beiden Arten von Aussagen gleichermaßen punkten (Reinemann/Maurer 2005). Wir werden im Folgenden untersuchen, ob sich diese Befunde auch für die TV-Debatte im Bundestagswahlkampf 2005 bestätigen.
2
Die Wahrnehmung des TV-Duells in Mainz und Jena im Vergleich
Wie wurden die Kandidaten nun während des Duells wahrgenommen? Und welche Unterschiede gab es zwischen Mainz und Jena? Wie reagierten die Anhänger der verschiedenen politischen Lager? Wie die ungebundenen Wähler? Um diese Fragen zu beantworten, werden wir in einem ersten Schritt einen Überblick über die Gesamtwahrnehmung des TV-Duells durch die Zuschauer in Mainz und Jena geben. Dabei werden wir vergleichen, welchen Eindruck die Kandidaten während der verschiedenen Themenblöcke machten, welche Statements zu den größten Differenzen zwischen den Mainzer und den Jenaer Zuschauern führten und welchen Einfluss die Parteibindungen auf die Wahrnehmung der Kontrahenten hatten. Im zweiten Schritt der Analyse werden wir die einzelnen Stellen identifizieren, an denen die Kandidaten die Zuschauer insgesamt, die Anhänger ihres jeweils eigenen Lagers bzw. die nicht an eine Partei
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells
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gebundenen Zuschauer am stärksten beeindruckten. Der dritte Schritt wird darin bestehen, die Stellen zu identifizieren, an denen die Kandidaten die Anhänger der verschiedenen politischen Lager polarisierten, an denen Gegner und Anhänger eines Kandidaten also ganz unterschiedlich reagierten. Im vierten Schritt werden wir erfolgreiche und polarisierende Stellen vergleichen, um zu klären, wieso sie die heftigsten Reaktionen ausgelöst haben. Wir haben den Ablauf unserer Studie und die Funktionsweise unserer Messgeräte bereits oben ausführlich erläutert (siehe Kapitel 1.2). Wir wollen deshalb an dieser Stelle nur noch einmal darauf hinweisen, dass der Skalenmittelpunkt „4“ als neutraler Punkt definiert war. Die Teilnehmer sollten den Regler auf die 4 stellen, wenn sie keinen besonders guten oder schlechten Eindruck von den Kandidaten hatten. Werte über 4 bedeuteten einen guten Eindruck von Merkel oder einen schlechten Eindruck von Schröder, Werte unter 4 einen guten Eindruck von Schröder oder einen schlechten Eindruck von Merkel. Die Verlässlichkeit und Angemessenheit dieses Verfahrens haben wir anhand unserer Daten für das zweite TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 ausführlich untersucht und bestätigt (Reinemann et al. 2005; Maier et al. 2007). Die Wahrnehmung des Duells in Mainz und Jena im Überblick Um einen Eindruck von der Gesamtwahrnehmung der Zuschauer zu bekommen, betrachten wir zunächst den Mittelwert aller 5.568 einzelnen Messpunkte. Dabei zeigt sich, dass die Mainzer und Jenaer Zuschauer leicht unterschiedliche Eindrücke von der Debatte hatten. Während in Mainz Angela Merkel etwas besser ankam (Mittelwert = 4,08), hatten die Jenaer Zuschauer einen etwas besseren Eindruck von Gerhard Schröder (3,87). Auch wenn diese Differenzen nicht statistisch signifikant sind, unterscheidet sich doch die grundsätzliche Tendenz der Eindrücke. Einen Überblick über den Verlauf der Wahrnehmungen während der gesamten Debatte gibt Abbildung 1. Es zeigt sich, dass die Mainzer und Jenaer insgesamt bemerkenswert ähnlich auf die Kandidaten reagiert haben. Der Zusammenhang zwischen den Kurven ist außerordentlich hoch (r=.77; p<.01). Erst die nähere Analyse wird die durchaus vorhandenen Unterschiede zeigen. Dass die Ergebnisse unserer Echtzeit-Messungen in Mainz und Jena einerseits sehr ähnlich sind, wir aber gleichzeitig – wie wir noch sehen werden – die Unterschiede zwischen den Zuschauern gut erklären können, ist aus zwei Gründen bedeutsam: Aus methodischer Sicht, weil diese Ähnlichkeit ein erneuter Beleg für die Verlässlichkeit und Gültigkeit unserer Echtzeit-Messungen ist. Wir messen mit diesem Verfahren offenbar, was wir messen wollen: Die Tendenz der unmittelbaren Wahrnehmungen der Kandidaten durch die Duellzuschauer.
Vorteil Merkel
1
2
3
4
5
6
7
Abbildung 1:
Vorteil Schröder Eingangsstatements Benzinpreise/Ökosteuer
Jena Mainz
Die Wahrnehmung des TV-Duells in Mainz und Jena (gewichteter Mittelwert)
Steuerpolitik/Kirchhof
Mehrwertsteuer
Arbeitslosigkeit
Gentechnik Renten/Kirchhof
Frauen/Familie Hurrikan Katrina
EU / Türkei
Energiepolitik/-preise
Koalitionen Schlussstatements
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells
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Aus theoretischer Sicht ist die hohe Übereinstimmung bedeutsam, weil sie zeigt, dass die Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung politischer Botschaften keineswegs bei jedem Menschen völlig individuell und anders als bei anderen abläuft. Vielmehr reagieren die Zuschauer – natürlich stets in Abhängigkeit von ihren politischen Präferenzen – außerordentlich ähnlich auf ein und dieselbe Botschaft. Obwohl Medieninhalte also von jedem einzelnen Zuschauer individuell kognitiv verarbeitet werden, folgen Verarbeitung und Reaktionsweisen überindividuellen Gesetzmäßigkeiten. Die Wahrnehmung der Themenblöcke in Mainz und Jena Neben den Eingangs- und Schlussstatements gab es im TV-Duell elf weitere Themenblöcke. Fasst man jeweils die Reaktionen der Mainzer und Jenaer Zuschauer für diese Abschnitte zusammen, werden erste deutliche Unterschiede sichtbar: Zwar schnitt Gerhard Schröder bei allen Themen in Jena besser ab als in Mainz. Doch waren die Differenzen unterschiedlich groß. Kaum ein Unterschied festzustellen war während der Eingangsstatements und als die Kandidaten über den Hurrikan Katrina, die Mehrwertsteuer und Lohnzusatzkosten sowie mögliche Koalitionen sprachen. Die Differenzen lagen hier bei maximal 0,1 Skalenpunkten. Alle diese Themenbereiche konnte Gerhard Schröder in Jena und in Mainz für sich entscheiden. Etwas größer waren die Differenzen bei den Themen Arbeitsmarkt, Energiepolitik, Benzinpreise/Ökosteuer und Steuerpolitik/Kirchhof (0,1-0,2 Skalenpunkte). Dabei machte Angela Merkel in Mainz auf den Feldern Steuer-, Energie- und Arbeitsmarkpolitik einen besseren und beim Thema Energiepolitik einen ebenso guten Eindruck wie Gerhard Schröder. Die größten Differenzen zwischen Mainz und Jena ergaben sich bei den Diskussionen um Gentechnik (0,23), Frauen- und Familienpolitik (0,26), Renten/Kirchhof (0,33) und vor allem den Türkei-Beitritt zur EU (0,43). Auch die Schlussstatements lösten recht unterschiedliche Reaktionen aus (0,32). Dabei unterschied sich bis auf eine Ausnahme auch die grundsätzliche Richtung der Eindrücke. Während die Jenaer Zuschauer bei diesen Themen Schröder teilweise deutlich im Vorteil sahen, kam in Mainz Merkel besser an. Nur beim Thema Gentechnik sahen die Jenaer und die Mainzer Zuschauer den damals amtierenden Bundeskanzler im Vorteil (Abbildung 2).
Vorteil Merkel
3,00
3,25
3,50
3,75
4,00
4,25
4,50
4,75
5,00
Abbildung 2:
Vorteil Schröder
Eingangsstatements
Jena Mainz
Die Wahrnehmung der Themenblöcke in Mainz und Jena (gewichtete Mittelwerte)
Benzinpreise/Ökosteuer
Steuerpolitik/Kirchhof
Mehrwertsteuer
Arbeitslosigkeit
Gentechnik
Renten/Kirchhof
Frauen/Familie
Hurrikan Katrina
EU / Türkei
Energiepolitik/-preise
Koalitionen
Schlussstatements
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells
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Die Wahrnehmung einzelner Statements in Mainz und Jena Bei welchen einzelnen Statements unterschied sich die Wahrnehmung der Zuschauer in Jena und Mainz am deutlichsten? Wir greifen hier die Aussagen heraus, an denen die Abweichung zwischen den Mainzer und den Jenaer Zuschauern mindestens einen Skalenpunkt betrug. Dies war siebenmal der Fall. Fünf der Aussagen stammten von Angela Merkel, zwei von Gerhard Schröder. Bis auf eine Ausnahme bewerteten die Jenaer Zuschauer Gerhard Schröder stets deutlich besser bzw. Angela Merkel deutlich schlechter als die Mainzer Zuschauer. Betrachtet man die Statements und die Reaktionen darauf im Einzelnen, stellt man fest, dass sich die Unterschiede auf ganz verschiedene Weise ergaben: An einigen Stellen reagierten nur die Zuschauer in einem der beiden Untersuchungsorte, während die Eindrücke der anderen stabil blieben; an anderen Stellen reagierten die Zuschauer in die gleiche Richtung, aber mit unterschiedlicher Intensität; und an wiederum anderen Stellen reagierten die Jenaer und die Mainzer völlig konträr: Die einen fanden eine Aussage besonders gut, die anderen dagegen besonders schlecht. Am größten waren die Unterschiede zwischen Mainzern und Jenaern während Merkels Statements zu einem möglichen Beitritt der Türkei zur EU. Ihre Ablehnung einer Vollmitgliedschaft und ihr Verweis auf die Zustimmung zu ihrer Position in der Bevölkerung wurde von den Mainzer Zuschauern deutlich positiver aufgenommen als von den Jenaern, die Merkel hier nur leicht positiv bewerteten. Die größte Differenz während dieses Statements betrug 1,32 Skalenpunkte. Betrachtet man die Eindrücke über die Zeit, so verliefen diese in Jena und Mainz recht ähnlich, erreichten aber in Jena nicht die hohen Mainzer Werte. Völlig anders reagierten die Mainzer und Jenaer Zuschauer auf eine direkte Attacke Merkels auf Schröder. Hier kritisierte sie ihn dafür, dass er in einem Statement kurz zuvor seine steuerpolitischen Vorstellungen für die nächste Legislaturperiode nicht konkretisiert habe („Das war eben wieder Fehlanzeige, absolute Fehlanzeige“) (1,16). Während sich unter den Zuschauern in Mainz ihr guter Eindruck von Merkel noch einmal verbesserte, fiel in Jena die zu Beginn des Statements noch leicht positive Beurteilung plötzlich und deutlich ins Negative. Ein fast ebenso großer Unterschied ergab sich auch bei einem weiteren Angriff Merkels. Sie attackierte Schröder wegen der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit („Sie können doch nicht wirklich zufrieden sein mit der Lage im Land! Wir haben 5 Millionen Arbeitslose!“) (1,15). Diesmal ergaben sich die Unterschiede durch die deutlich besseren Reaktionen der Mainzer Zuschauer. Während die Werte für Merkel in Jena relativ stabil im neutralen Bereich verharrte,
62
Carsten Reinemann/Marcus Maurer
verbesserte sich der Eindruck der Mainzer Zuschauer innerhalb von 15 Sekunden dramatisch um einen halben Skalenpunkt. Ein weiterer großer Unterschiede ergab sich aus Merkels Bemerkung, sie verstehe sich als politisches Produkt der deutschen Einheit und sie sei stolz darauf, eine gesamtdeutsche Politikerin mit ostdeutschen Wurzeln zu sein (1,08). Dieses Statement wurde von den Jenaer Zuschauern insgesamt nicht sehr positiv aufgenommen: Merkels Bewertung stürzte hier innerhalb von zwei Sekunden um fast einen halben Skalenpunkte aus dem positiven in den negativen Bereich ab. Der Eindruck der Mainzer Zuschauer von Merkel verbesserte sich dagegen leicht. Auch Merkels Hinweis, ihr Modernisierungskurs werde im Gegensatz zu Schröders Situation in der SPD von ihrer eigenen Partei unterstützt, führte zu einer großen Abweichung (1,07). Sie kam erneut durch eine scharfe Reaktion der Jenaer Zuschauer zustande kam. Merkel hatte darauf hingewiesen, dass sie sich im Gegensatz zum Kanzler sicher sein könne, dass sie in ihrem Modernisierungskurs von ihren Parteifreunden unterstützt werde („Ich weiß mich im Gegensatz zum Bundeskanzler doch meiner Truppen, meiner Parteifreunde sicher, dass wir gemeinsam diesen Modernisierungskurs tragen“). Während die Wahrnehmung der Mainzer Zuschauer im neutralen Bereich verblieb, stürzte die Beurteilung Merkels innerhalb von acht Sekunden um einen ganzen Skalenpunkt vom neutralen in den negativen Bereich ab. Gegensätzlich waren die Reaktionen auch auf einen Schlagabtausch der beiden Kontrahenten zum Steuerkonzept Paul Kirchhofs (1,00). Nachdem Schröder behauptet hatte, Kirchhof wolle ausschließlich eine Kapital gedeckte Rentenversicherung, warf Angela Merkel ihm eine Angst-Kampagne vor, die er mit Unwahrheiten führe („Und das ist eine Argumentation, die nicht dazu führen kann, dass Deutschland den besten Weg findet.“). Zunächst unterschieden sich die Reaktionen der Mainzer und der Jenaer nur in ihrem Niveau. Als Gerhard Schröder aber auf den Vorwurf Angela Merkels zum wiederholten Male damit antwortete, er zitiere nur Paul Kirchhof, führte dieses Beharren in Mainz zu negativen, in Jena dagegen sofort zu positiven Reaktionen. Erst als Schröder sein Argument weiter entfaltete, konnte er auch die Mainzer wieder etwas stärker mitnehmen. Noch ein Statement Gerhard Schröders provozierte sehr unterschiedliche Reaktionen in Ost und West: Darin wies er die Möglichkeit einer Koalition mit der Linkspartei strikt von sich und begründete dies mit den wirtschafts- und außenpolitischen „Illusionen“ der Partei. Während die Reaktionen der Zuschauer in Jena zunächst recht stabil im neutralen Bereich verharrten, fand Schröder in Mainz große Zustimmung.
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7
"Das wird nicht nur von mir gesagt, sondern von der gesamten SPD-Führung. Und das hat Gründe [...]. Nein, Moment. Das hat Gründe. Der Grund liegt einfach darin, dass mit dieser Partei kein Staat zu machen ist. Sie hat Illusionen, was Wirtschaftspolitik im nationalen Maßstab angeht. Und sie würden außenpolitisch Deutschland isolieren, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gäbe. Das können sie ausschließen. ...
Mainz ...Nein, in der Tat: Ich will mich anstrengen, um meine Arbeit in dieser Koalition, die ich führe, fortsetzen zu können. Nun kann man ja sagen, die Meinungsumfragen sind nicht rosig. Das will ich auch gern zugestehen. Aber wissen Sie: Ich hab noch nie vor der Zeit aufgegeben. Das hat mein ganzes Leben gekennzeichnet. Ich tue das auch diesmal nicht. Und ich bin ziemlich sicher, dass wir eine reelle Chance haben, das Blatt noch zu wenden. "
Jena
Die Wahrnehmung eines Statements in Jena und Mainz: Schröder zur rot-roten Koalition (gewichteter Mittelwert)
1 01:25:48 01:25:54 01:26:00 01:26:06 01:26:12 01:26:18 01:26:24 01:26:30 01:26:36 01:26:42 01:26:48 01:26:54
Vorteil Schröder
Vorteil Merkel
Abbildung 3:
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells 63
64
Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Die höchste in dieser Passage erreichte Abweichung lag bei -1,12 Skalenpunkten. Erst als Schröder auf seine persönlichen Anstrengungen und seine Zuversicht den Wahlausgang betreffend zu sprechen kam, näherten sich die Jenaer denen der Mainzer Zuschauer wieder an (Abbildung 3). Die Wahrnehmung in Mainz und Jena in Abhängigkeit von den Parteibindungen Was sind die Ursachen der unterschiedlichen Wahrnehmungen in Mainz und Jena? Frühere Studien haben gezeigt, dass die Wahrnehmung der Kandidaten in einem TV-Duell stark von der Parteibindung der Zuschauer beeinflusst wird. Da wir die parteipolitische Struktur der Stichproben in Jena und Mainz an die tatsächlichen politischen Verhältnisse in den neuen und den alten Bundesländern angepasst haben, liegt zunächst die Vermutung nahe, dass dies eine Ursache der Unterschiede sein könnte. Tatsächlich unterschieden sich die Wahrnehmungen der politischen Lager beträchtlich. Dabei unterschieden sich in Mainz alle drei Lager signifikant, während sich in Jena jeweils nur die Regierungsanhänger und die Unabhängigen bzw. Anhänger anderer Parteien von den Anhängern der Opposition signifikant unterschieden. In beiden Städten hatten die Regierungsanhänger einen positiveren Eindruck von Schröder (MZ: 3,40; J: 3,56) und die Oppositionsanhänger einen positiveren Eindruck von Merkel (MZ: 4,72; J: 4,52). Die übrigen Zuschauer, die entweder Anhänger keiner Partei waren oder der Linkspartei nahe standen, nahmen in Mainz beide Kandidaten fast gleich war (4,02), während es in Jena auch unter ihnen einen Vorsprung für Schröder gab (3,73). Dies lag jedoch nur zum Teil an den Anhängern der Linkspartei, die in Jena 20 Prozent der Probanden ausmachten und Schröder sogar etwas positiver wahrnahmen als die Anhänger der Regierung (3,50). Denn auch die nicht an eine Partei gebundenen Zuschauer in Jena beurteilten Gerhard Schröder sehr viel positiver als Angela Merkel (3,80). Bemerkenswert ist, dass die jeweils eigenen Kandidaten in Jena sowohl von den Regierungs- wie auch von den Oppositionsanhängern nicht ganz so positiv wahrgenommen wurden wie in Mainz. Über den gesamten Verlauf der Debatte betrug die Differenz 0,16 (Schröder) bzw. 0,20 (Merkel) Skalenpunkte. Dies mag auf den ersten Blick nicht dramatisch erscheinen. Wir werden jedoch im weiteren Verlauf der Analyse sehen, dass die Zuschauer in Jena offenbar generell weniger stark reagierten, was auch dazu führte, dass ihre Spitzenwerte für Zustimmung und Ablehnung durchweg niedriger ausfielen Gab es noch andere Merkmale unserer Zuschauer, die ihre Wahrnehmung der Kandidaten beeinflussten? Wir haben dies für eine Reihe anderer Faktoren geprüft. Es zeigt sich, dass weder Geschlecht, noch Alter, formale Bildung, politisches Interesse oder das Interesse der Zuschauer am Wahlkampf eine ent-
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells
65
scheidende Rolle für ihre unmittelbaren Wahrnehmungen spielten, wenn man ihre Parteibindung berücksichtigt. Allerdings ist die Erklärungskraft der Parteibindung in Mainz sehr viel größer als in Jena. Während sie in Mainz fast 60 Prozent der Unterschiede der unmittelbaren Wahrnehmungen erklären kann, sind es in Jena nur 25 Prozent. Die selbst eingeschätzte Parteibindung prägte die Eindrücke der Jenaer Zuschauer also weniger stark als die Eindrücke der Mainzer. Dies passt zu dem Befund, dass die Reaktionen der Jenaer Parteianhänger für „ihren“ Kandidaten weniger heftig ausgefallen sind (Tabelle 2). Tabelle 2: Determinanten der unmittelbaren Wahrnehmung des TV-Duells
Geschlecht: weiblich Alter
Mainz beta
Jena beta
.10
-.06
.07
.14
Bildung
-.10
.12
Politisches Interesse
-.17
-.04
.10
.14
Interesse am Wahlkampf Richtung der Parteiidentifikation
.75***
.58**
korrigiertes R2
.59***
.25**
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). Abhängige Variable: Individueller Mittelwert aller Einzeleindrücke während des TV-Duells (n=5.568). Die Parteibindung wurde wie folgt codiert: -1 = SPD und B90/Die Grünen; 0 = keine Bindung, andere Partei, Linkspartei; 1 = CDU/CSU und FDP. * p<.05, ** p<.01, *** p<.0001.
Warum hatte die Parteibindung in Jena einen geringeren Einfluss auf die Wahrnehmung der Kandidaten? Eine Ursache könnte sein, dass die Parteibindungen in Jena weniger stark waren als in Mainz. Dies war jedoch nicht der Fall. Auch die Zuordnung der Anhänger der Linkspartei in der Regressionsanalyse ist nicht die Ursache. Selbst wenn man sie dem „linken Lager“ zurechnet, weil sie Schröder de facto ebenso positiv wahrgenommen haben wie die Regierungsanhänger, vergrößert sich die Erklärungskraft der Parteibindungen in Jena kaum. Ebenso kann man Methodeneffekte ausschließen, da die Untersuchungen in Mainz und Jena völlig gleich abliefen. Es bleibt deshalb nur die Möglichkeit, dass es für die Mainzer und die Jenaer Zuschauer etwas Unterschiedliches bedeutete, Anhänger eines politischen Lagers zu sein. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass die Parteibindung der ostdeutschen Zuschauer weniger
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affektiv aufgeladen ist. Auch wenn sie die Frage nach der Parteibindung bejahen und auf der Stärke-Skala einen ebenso hohen Wert angeben wie die Westdeutschen, könnte ihre emotionale Bindung an ihre Partei unter Umständen weniger stark sein als im Westen. Obwohl beide Gruppen ähnliche Antworten geben, könnten sie doch etwas anderes meinen. Aufgrund der längeren Tradition der Parteibindungen im Westen ist dies plausibel.
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Einhellige Zustimmung: Die erfolgreichsten Stellen
Nachdem wir uns einen ersten Überblick über die Wahrnehmungen der Mainzer und Jenaer Zuschauer verschafft haben, wollen wir uns nun den erfolgreichsten Stellen des TV-Duells zuwenden. Dabei gehen wir zunächst auf die Stellen ein, die bei allen Zuschauern, unabhängig von ihren politischen Prädispositionen, besonders gut ankamen. Dann werden wir prüfen, mit welchen Aussagen die Kandidaten bei ihren eigenen Anhängern, und schließlich, mit welchen Aussagen sie bei den nicht an eine Partei gebundenen Zuschauern den größten Erfolg hatten. Wir untersuchen dies jeweils für Mainz und Jena getrennt, da vorbereitende Analysen ergeben hatten, dass selbst die Reaktionen von Zuschauern des gleichen politischen Lagers in Ost und West manchmal durchaus unterschiedlich ausfielen. 3.1 Einhellige Zustimmung: Erfolge bei allen Zuschauern Zunächst wollen wir diejenigen Statements betrachten, die bei allen Zuschauern gut angekommen sind, unabhängig davon, ob es sich um Anhänger oder Gegner eines Kandidaten oder um Ungebundene handelte. Der Vorteil solcher Statements für einen Kandidaten besteht darin, dass er mit ihnen sowohl die eigene Anhängerschaft mobilisieren, als auch Ungebundene, Schwankende und Anhänger des politischen Gegners auf seine Seite ziehen kann. Als Indikator für die Wahrnehmungen der Zuschauer insgesamt ziehen wir den Mittelwert der Mittelwerte der Anhänger der Bundesregierung (SPD, B90/Grüne), der Anhänger der Opposition im Bundestag (CDU/CSU, FDP) und der unabhängigen Probanden sowie der Probanden mit anderen Parteipräferenzen (z.B. Linkspartei) heran. Als erfolgreichste Stellen mit einvernehmlicher Zustimmung definieren wir jene Augenblicke bzw. Passagen, an denen dieser Mittelwert um mehr als einen Skalenpunkt vom neutralen Mittelwert „4“ abwich. Wir suchen also nach den Passagen, in denen wir für Gerhard Schröder einen Mittelwert von „3“ oder weniger bzw. für Angela Merkel einen Mittelwert von „5“ oder mehr gemessen haben.
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In Mainz erfüllten 21 Passagen dieses Kriterium. Sie hatten eine Gesamtlänge von 3:59 Minuten. Ihr Umfang lag 13 Mal unter 10 Sekunden. Allerdings kamen auch deutlich längere Passagen vor. Die umfangreichste hatte eine Länge von 1:21 Minuten. 15 der erfolgreichsten Statements stammten von Angela Merkel. Sie hatten eine Gesamtlänge von 2:34 Minuten. Auf Gerhard Schröder entfielen nur sechs der erfolgreichen Aussagen. Sie hatten eine Länge von 1:25 Minuten. In Jena konnten die Kandidaten die Duellzuschauer nur in neun Fällen so positiv beeindrucken, wie sie dies in Mainz geschafft hatten. Die entsprechenden Passagen erreichten nur eine Länge von 37 Sekunden. Anders als in Mainz stammten in Jena fast alle der erfolgreichen Aussagen von Schröder (36 Sekunden). Nur einmal reagierten die Jenaer so positiv auf Merkel (1 Sekunde). Ein Drittel der in Mainz erfolgreichsten Statements beschäftigte sich mit ökonomischen Fragen. Zu den angesprochenen Themen zählten Steuern und Abgaben (n=4), Wirtschaft und Finanzen (n=3) sowie der Arbeitsmarkt (n=3). Daneben waren die Kandidaten auch mit Aussagen zu Außenpolitik (n=2), Familie (n=2) und Energie (n=2) mehrfach erfolgreich. Die meisten der in Jena erfolgreichsten Statements bezogen sich auf den Bereich der Steuern und Abgaben (n=3). Außerdem kamen Aussagen zu Außenpolitik (n=2), Gentechnik, Staatsverständnis, Rente, Persönlichem besonders gut an. Vier der in Jena erfolgreichsten Statements zählten auch in Mainz zu denen, auf die die Zuschauer mit der deutlichsten Zustimmung reagierten. Dies waren vor allem die besten Aussagen Schröders. Einhellige Zustimmung in Mainz Die erfolgreichste aller Passagen in Mainz war nach etwa einer Stunde Angela Merkels Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei und der Vorschlag einer privilegierten Partnerschaft. Hier lag die Zustimmung zur Herausforderin fast eineinhalb Minuten lang über dem Grenzwert von 5,0 und erreichte in der Spitze einen Wert von 5,63. Im Duell 2002 hatte keiner der beiden Kandidaten in Mainz einen so guten Wert erhalten. Merkel sagte u.a. „(…) ich glaube, dass die Integrationsfähigkeit, das heißt die Aufnahmefähigkeit, der Europäischen Union, so wie sie jetzt besteht, nicht gegeben ist, um einen Mitgliedsstaat wie die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen. Und das sage ich den Menschen heute und das habe ich auch dem türkischen Ministerpräsidenten gesagt. Und es interessiert die Menschen. Wir sagen es ohne Schaum vor dem Mund. Aber wir haben dabei eine ganz große Zustimmung.“
Unmittelbar zuvor hatte Gerhard Schröder sein erfolgreichstes Statement abgegeben, das gleichzeitig das zweiterfolgreichste der gesamten Debatte war (2,47).
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Als es um die Hilfe für die Hurrikan-Opfer von New Orleans ging, kritisierte Schröder das Krisenmanagement von Präsident Bush und folgerte daraus: „Denn wenn Sie sich einmal anschauen, wie auf der anderen Seite wir solche nationalen Katastrophen bewältigt haben, dann hat das schon deutliche Unterschiede. Und ich behaupte, das hängt auch zusammen mit der spezifischen Art und Weise, wie wir sagen: Für solche Situationen, für Menschen, die in Not sind, brauchen wir keinen schwachen Staat, sondern brauchen einen starken Staat.“
In ihren übrigen sehr erfolgreichen Statements forderte Merkel die Eindämmung der Steuerflucht (5,27), Bürokratieabbau (5,25), eine sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich vernünftige Energiepolitik (5,15), Respekt vor den unterschiedlichen Lebensentwürfen von Familien (5,10), weitere Anstrengungen bei den Arbeitsmarktreformen (5,09), eine „breite“ und ökologisch ausgerichtete Energiepolitik (5,05), Maßnahmen gegen Steuervermeidung (5,05) und eine Mentalität in Deutschland, bei der nicht zuerst gefragt werden, was nicht geht, sondern was geht (5,01). Außerdem sicherte Merkel zu, sich bei der Wirtschaft dafür einzusetzen, dass die von Müttern in der Erziehung von Kindern erworbenen Fähigkeiten „besser eingebracht werden“ (5,08), und versprach zum Ende ihres Schlussstatements, nach der Wahl das zu tun, was sie vor der Wahl sage (5,13). Zu den erfolgreichsten Statements Merkels gehörten außerdem Aussagen, in denen sie unter Hinweis auf die Zahl der Arbeitslosen zweimal die Bilanz Schröders am Arbeitsmarkt (5,24; 5,00) sowie beim Wirtschaftswachstum (5,03) und hinsichtlich der Verschuldung des Bundes (5,00) kritisierte. In Schröders weiteren sehr erfolgreichen Statements warnte er davor, dass die „Kopfpauschale“ der Union den Menschen bei unzureichender Finanzierung die Lebensgrundlage nehmen würde (2,86) und dass Merkels Konzept zur Finanzierung der Senkung der Arbeitslosenversicherung „auf Sand gebaut sei“ (2,90). Außerdem schloss er eine Koalition mit der Linkpartei aus (2,93), befürwortete die „Reichensteuer“ (2,96) und versprach, dass sich Deutschland auch künftig aus überflüssigen Kriegen wie im Irak heraushalten werde (2,97). Einhellige Zustimmung in Jena Die größte Zustimmung in Jena erhielt Schröders zweimalige Ankündigung, Deutschland künftig „aus überflüssigen Kriegen wie den im Irak“ herauszuhalten. Fast wortgleich hatte er dieses Vorhaben in seinem Eingangs- und Schlussstatement untergebracht, obwohl er nicht danach gefragt worden war (2,72 bzw. 2,73):
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„Und ich bitte um Vertrauen für meine Politik, damit ich Deutschland weiter führen kann als ein Land, das als mittlere Macht seine Aufgabe darin sieht, den Ärmsten der Armen zu helfen und die Konflikte dieser Welt friedlich zu lösen und Deutschland aus überflüssigen Kriegen wie den im Irak wirklich heraushält.“
In Mainz war nur diese Passage im Schlussstatement besonders erfolgreich gewesen. Ebenso gut kam Schröders Forderung nach einem starken Staat für Notfälle an, die er im Zusammenhang mit der Diskussion um die Folgen des Hurrikans Katrina vertrat (2,73). Auch diese Aussage zählte zu den TopStatements in Mainz. Positiv beeindruckt waren die Jenaer auch von Schröders Ablehnung des vermeintlichen Plans Paul Kirchhofs, die Rentenversicherung wie die Kfz-Versicherung aufzubauen („was dieser Professor aus Heidelberg vorgeschlagen hat“) (2,97), von seiner Ablehnung der Kürzung der Pendlerpauschale (2,98) sowie von seiner Forderung, therapeutisches Klonen zuzulassen (2,98). Sehr positiv reagierten die Jenaer Zuschauer auch auf Schröders ironischen Einwurf „Viel Spaß mit Herrn Stoiber, wenn’s um’s Geld geht!“ Mit diesem auf die Person Stoibers abzielenden Angriff hatte Schröder Angela Merkel unterbrochen und damit seine Kritik unterstrichen, die Union würde bei ihren Plänen zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung die Begehrlichkeiten der Länder nicht ausreichend berücksichtigen (2,99). Der sprunghafte Anstieg der Werte für Schröder ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich Edmund Stoiber mit seiner Kritik an den Ostdeutschen in den neuen Bundesländern nicht gerade beliebt gemacht hatte. Schließlich brachte Schröder auch sein Angriff auf das Unions-Konzept zur Finanzierung der Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung („wahrlich auf Sand gebaut“) große Zustimmung (2,99). Eine Aussage, die in Mainz ebenfalls sehr gut ankam. Merkel konnte die Jenaer Zuschauer dagegen nur mit ihrer Aussage zur Steuerflucht voll überzeugen (5,05): „Und unser Problem - und das wissen Sie - ist in Deutschland, dass viel Leistungsträger gar nicht mehr hier Steuern zahlen, sondern dass sie das im europäischen Ausland tun. Und das müssen wir verhindern!“
3.2 Anhänger mobilisieren: Erfolge im eigenen Lager Ein Ziel, das die Kandidaten mit ihrem Auftritt in einem TV-Duell erreichen wollen, ist die Mobilisierung der eigenen Anhänger. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn sich die Anhänger trotz ihrer langfristig gewachsenen Bindung unsicher in ihrer Wahlentscheidung sind. Dies war vor dem TV-Duell 2005 der Fall. Unter den 20-25 Prozent, die zwei Wochen vor der Wahl noch unentschlossen waren, waren offenbar deutlich mehr enttäuschte SPD als CDU-
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Wähler. Es stellt sich deshalb die Frage, mit welchen Aussagen die Kandidaten in ihrem eigenen Lager besonders gut angekommen sind. Um dies zu untersuchen, konzentrieren wir uns auf die Stellen des Duells, an denen Schröder bei den Regierungsanhängern einen Wert von mindestens „2“ bzw. Merkel bei den Anhängern der Opposition einen Wert von mindestens „6“ erreichte. In Mainz erreichten Kanzler und Herausforderin unter ihren Anhängern jeweils etwa gleich lang die außerordentlich hohen Zustimmungswerte von mindestens „2“ bzw. mindestens „6“. Die entsprechenden Passagen umfassten bei Schröder 1:26 Minuten, bei Merkel 1:22 Minuten. Dabei handelte es sich um insgesamt elf Statements bzw. Passagen, vier von Merkel und sieben von Schröder. Merkels sehr erfolgreiche Statements waren im Durchschnitt also wesentlich länger. Anders gesagt: Sehr starke Zustimmung zu Angela Merkel baute sich unter ihren Anhängern in Mainz seltener und langsamer auf, hielt dann aber länger an. Schröder konnte dagegen auch mit kurzen Bemerkungen und einzelnen Formulierungen starke Reaktionen hervorrufen, die Begeisterung aber nicht so lange halten. Die meisten der unter den eigenen Anhängern erfolgreichen Aussagen beschäftigten sich mit Steuern und Abgaben (n=4), Außenpolitik (n=2) und Persönlichem (n=2). Wie bereits die Analyse der bei allen Zuschauern erfolgreichen Stellen gezeigt hat, ergibt sich auch hier, dass die Jenaer Zuschauer weniger stark auf die Kandidaten reagierten als die Mainzer. Für Gerhard Schröder gab es nur eine, für Angela Merkel drei Stellen, an denen sie die eigenen Anhänger so stark beeindruckten, wie dies in Mainz der Fall gewesen war. Die Gesamtlänge dieser Statements und Passagen erreichte beim Bundeskanzler nur fünf Sekunden, bei seiner Herausforderin immerhin 27 Sekunden. In diesen Statements ging es um Steuern und Abgaben, Außenpolitik, den Arbeitsmarkt und Energiepolitik bzw. Seitenhiebe auf Arbeitsminister Wolfgang Clement und Umweltminister Jürgen Trittin. Keines dieser Statements zählte in Mainz zu den erfolgreichsten unter den eigenen Anhängern. Erfolge bei den eigenen Anhängern in Mainz Der Bundeskanzler war bei seinen Anhängern in Mainz am erfolgreichsten mit der Forderung nach einer „Reichensteuer“ (1,50). In der Spitze fast ebenso erfolgreich war er, als er die Gegenfinanzierung der Senkung der Arbeitslosenversicherung massiv kritisierte (1,67). Mit seinen Ausführungen erreichte er über fast eine Minute Wahrnehmungswerte von „2“ oder besser. Man kann deshalb vermuten, dass diese Passage seine Anhänger besonders wichtig gewesen sein dürfte. Er sagte u.a.:
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„Also werden Sie, wenn Sie das Ziel erreichen wollen, massiv in die Leistungen der Bundesagentur eingreifen müssen. Dann müssten Sie schon sagen, welche Leistungen das sein sollen. Sollen das die Leistungen sein für die Wiedereingliederung? Wenn Sie das wollen, treffen Sie insbesondere den Osten unseres Landes. Wenn Sie das nicht wollen, müssten Sie sagen, wo Sie’s sonst hernehmen wollen. Ihr Finanzierungskonzept, Frau Merkel, ist wahrlich auf Sand gebaut.“
Ebenfalls besonders gut kam die Kritik an Merkels Antwort zur Rolle Bushs bei der Bewältigung des Hurrikans Katrina an (1,70). Er sagte hierzu: „Zunächst einmal habe ich eine Meinung. Frau Merkel hat ja auf Ihre Frage überhaupt nicht geantwortet. Der amerikanische Präsident selber - das hätte sie doch sagen dürfen - hat gesagt, es sei unakzeptabel, die Hilfeleistung, wie sie abgelaufen sei. Also kritisiert man ihn gar nicht, wenn man das bestätigt.“
Auch mit zwei weiteren Angriffen auf die steuerpolitischen Vorstellungen der Union bzw. Paul Kirchhofs war Schröder bei den Anhängern von SPD und B90/Die Grünen besonders erfolgreich (1,90; 2,00). Darüber hinaus erreichte Schröder unter seinen Mainzer Anhängern besonders hohe Zustimmungswerte mit der Ablehnung des Irak-Krieges in seinem Eingangsstatement (2,00), seiner Kritik an der mangelnden ethischen Verantwortung der Mineralölunternehmen (2,00) sowie der persönlichen Bemerkung, dass er sich in der verbleibenden Zeit des Wahlkampfs anstrengen wolle, um die Wahl doch noch zu gewinnen (2,00). Die Herausforderin beeindruckte ihre Mainzer Anhänger vor allem mit zwei längeren Statements besonders stark. Am erfolgreichsten war sie mit ihrem Angriff auf die Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die sie mit scharfer Kritik an den in der SPD-Kampagne verwendeten Zahlen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes beendete (6,43). Merkel sagte: „Und jetzt muss ich noch ein Wort für die Zuschauerinnen und Zuschauer sagen. Die Frage, dass von April bis Juni bis hin in den September immer die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse zunimmt, das ist eine ganz normale Regel. Im Winter nimmt sie wieder ab. Und deshalb ist jeder sinnvolle Vergleich immer nur ein Jahresvergleich. Alles andere ist statistischer Schmu.“
Außerdem machten auch ihre Ablehnung des Türkei-Beitritts zur EU (6,33) und ihre Forderung nach einem Mentalitätswechsel in Deutschland (6,15) bei ihren Mainzer Anhängern einen besonders guten Eindruck. Dies galt auch für die letzten Sätze ihres Schlussstatements (6,23). Sie lauteten:
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„Und liebe Bürgerinnen und Bürger, ich kann Ihnen nicht versprechen, alle Probleme von einem Tag auf den anderen zu lösen. Aber ich sage Ihnen vor der Wahl, was wir nach der Wahl tun werden. Und ich bin überzeugt: In Deutschland steckt mehr; die Menschen in diesem Lande können mehr. Wir müssen unsere Chancen nutzen. Dafür bitte ich um Ihr Vertrauen.“
Erfolge bei den eigenen Anhängern in Jena Gerhard Schröder erreichte die höchsten Zustimmungswerte unter seinen Jenaer Anhängern, als er in seinem Schlussstatement ankündigte, Deutschland künftig aus Kriegen wie dem im Irak heraus zu halten (1,85; siehe oben). Angela Merkel beeindruckte ihre Jenaer Anhängerschaft besonders mit ihrer Forderung, die Steuerflucht ins europäische Ausland zu unterbinden (6,08). Außerdem baute sie in zwei Statements zur Arbeitsmarkt- und Energiepolitik Seitenhiebe auf Wolfgang Clement und Jürgen Trittin ein, die in ihrer Anhängerschaft sofort zu positiven Ausschlägen führten. So nannte sie als eine der ihrer Ansicht nach notwendigen Maßnahmen am Arbeitsmarkt den Bürokratieabbau und fügte hinzu: „Der Wirtschaftminister Clement ist massiv gescheitert bei all seinen Versuchen, das zu machen, weil, wie immer, die sozialdemokratische Fraktion und die Grünen ihm nie gefolgt sind.“ (6,00).
Und im Zusammenhang mit ihrer Forderung nach einer längeren Laufzeit für Kernkraftwerke sagte sie: „Alles andere ist Verschleuderung des Volksvermögens. Und wenn ich heute Herrn Trittin höre und sage, wir müssten unabhängig von Erdöl werden, dann werden wir das natürlich auch ein Stück, wenn wir das, was wir haben, weiter nutzen.“
Obwohl Merkel bei genauerer Betrachtung Trittin eigentlich nicht wirklich kritisiert, wurde die Bemerkung von ihren Anhängern offenbar als Kritik verstanden. Diese Interpretation ist deswegen wahrscheinlich, weil die Äußerung Jürgen Trittins, auf die Merkel anspielte, in der Woche vor dem TV-Duell in der Boulevardpresse massiv skandalisiert worden war. So lautete eine Titelschlagzeile in Bild am Montag vor dem Duell „Wut auf Trittin“; am Dienstag brachte Bild eine „Benzin-Wut-Tabelle“; am Mittwoch lautete der Bild-Aufmacher „Benzin-Wut und die Politiker reden nur Müll“; am Donnerstag schließlich war der Aufmacher der Politik-Seite „Warum lassen sie Ihr Auto nicht auch mal stehen, Herr Trittin?“
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3.3 Unabhängige bekehren: Erfolge bei nicht an eine Partei Gebundenen Immer weniger Wähler fühlen sich einer Partei verbunden und immer mehr Wähler entscheiden erst kurz vor der Wahl, wen sie wählen (z.B. Weßels 2007). Unmittelbar vor den TV-Duellen waren je nach Umfrage zwischen 20 und 25 Prozent der Wahlberechtigten nicht sicher, welcher Partei sie ihre Stimme geben würden. Gerade in einem TV-Duell mit seinem breiten Publikum lohnt es sich für die Kandidaten, diese Gruppe anzusprechen, da sie auf der Suche nach Hilfe für ihre Wahlentscheidung sind. Welche Aussagen bei ihnen gut ankommen, ist deshalb eine besonders relevante und interessante Frage. In unsere folgenden Analyse konzentrieren wir uns auf die Befragten, die vor dem TV-Duell sagten, sie hätten keine längerfristige Parteibindung (n=39). Von diesen gaben vor der Debatte knapp zwei Drittel an, sich noch nicht für die Wahl einer Partei entschieden zu haben. Etwas mehr als ein Drittel hatte eine konkrete Wahlabsicht für SPD (n=5), CDU (n=5), Linkspartei (n=3) bzw. Bündnis90/Die Grünen (n=2). Anders herum gab ein Drittel der noch unentschlossenen Probanden an, eigentlich an eine Partei gebunden zu sein (14 von 39), die meisten davon an die SPD (n=6). Um die Aussagen zu identifizieren, mit denen die Diskutanten bei den Ungebundenen besonders gut ankamen, suchten wir nach den Stellen, an denen die durchschnittlichen Messwerte in dieser Gruppe für Schröder bei mindestens „3“ bzw. für Merkel bei mindestens „5“ lagen. Dies war in Mainz insgesamt 33mal der Fall, 21mal für Merkel und 12mal für Schröder. Diese hohe Zahl erfolgreicher Statements beider Kandidaten ist ein Beleg dafür, dass die Eindrücke der Ungebundenen in Mainz weniger stark vorgeprägt waren als bei den Parteianhängern und deshalb beide Kandidaten eine Chance hatten, Punkte zu machen. Die Passagen, an denen die Herausforderin in Mainz besonders gut ankam, hatten eine Länge von insgesamt 4:06 Minuten. Die erfolgreichen Passagen des Amtsinhabers erreichten nur eine Länge von insgesamt 2:02 Minuten. In Jena waren die Kandidaten unter den Ungebundenen 17mal besonders erfolgreich. 14mal gelang dies Gerhard Schröder, 3mal Angela Merkel. Die sehr positiv bewerteten Passagen hatten eine Länge von 1:25 (Schröder) bzw. 0:24 Minuten (Merkel). Die Kandidaten konnte unter den ungebundenen Mainzern am häufigsten mit Aussagen zu Steuern und Abgaben (n=9), dem Arbeitsmarkt (n=6), der Außenpolitik (n=5) und Persönlichem Punkte machen (n=3). Die ungebundenen Zuschauern in Jena ließen sich sogar am häufigsten von Aussagen beeindrucken, die Persönliches der Kandidaten betrafen oder persönlich Angriffe darstellten (n=5). Die übrigen erfolgreichen Statements bezogen sich auf ganz
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unterschiedliche Sachverhalte, ohne dass sich ein besonderer thematischer Schwerpunkt heraus kristallisierte. Erfolge bei den Ungebundenen in Mainz Auch unter den Ungebundenen Mainzern war Gerhard Schröder am erfolgreichsten mit seiner im Eingangsstatement geäußerten Ankündigung, Deutschland künftig aus Kriegen wie dem im Irak herauszuhalten (2,73). Auch die Wiederholung dieser Ankündigung im Schlussstatement zählte zu seinen am besten bewerteten Aussagen (3,00). Ebenso erfolgreich wie mit seiner ersten IrakAussage war Schröder allerdings, als er seinen Plan für eine „Reichensteuer“ erläuterte (2,73). Unter den Ungebundenen in Mainz machte Schröder auch Punkte mit der Verteidigung seiner Frau, die Angela Merkel kritisiert und dafür in die Schusslinie geraten war (2,77). Allerdings nahm die Zustimmung für Schröder mit der eigentlichen „Liebeserklärung“ wieder ab. Möglicherweise hatten die ungebundenen Zuschauer hier dann doch den Eindruck, Schröder habe etwas zu dick aufgetragen. Weitere Top-Aussagen Schröders waren seine Forderung, therapeutisches Klonen zuzulassen (2,81), seine Forderung nach einem „starken Staat“ für Notsituationen (2,81) und seine Kritik an den Mineralölkonzernen, die er aufforderte „ein Stück weit ethische Verantwortung“ zu übernehmen (2,84). Außerdem gewann er Zustimmung mit seiner Forderung, die Pendlerpauschale nicht abzuschaffen (2,90), seiner Kritik an der geplanten Abschaffung der Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-, Schicht- und Feiertagsarbeit (3,00), seinem Verweis auf die Misserfolge der Regierung Kohl auf dem Arbeitsmarkt (3,00) und seiner Kritik am vermeintlichen Rentenkonzept „dieses Professors aus Heidelberg“ (3,00). Schließlich konnte er die Ungebundenen Mainzer auch noch mit einer weiteren persönlichen Bemerkung beeindrucken. Im Zusammenhang mit der Frage möglicher Koalitionen kam er auf die öffentliche Einschätzung seiner Wahlchancen zu sprechen und bemerkte: „Aber wissen Sie: Ich hab noch nie vor der Zeit aufgegeben. Das hat mein ganzes Leben gekennzeichnet. Ich tue das auch diesmal nicht. Und ich bin ziemlich sicher, dass wir eine reelle Chance haben (...).“
Die beiden erfolgreichsten Aussagen Merkels fanden sich – mit etwas Abstand – in ihrer längeren Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei (je 5,80). Als sie diese Position in ihrem Schlussstatement nochmals andeutet, wurde sie wieder sehr gut bewertet (5,17). Ebenfalls sehr erfolgreich war Merkels Aufzählung notwendiger Maßnahmen für mehr Beschäftigung und ihre Kritik an zu viel Büro-
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kratie (je 5,67). Einen guten Eindruck machte sie auch mit ihrer Aufzählung der drei Anforderungen an eine gute Energiepolitik (5,58) sowie einer persönlichen Bemerkung zu ihrer Herkunft (5,50). Hier erwähnte sie, dass sie schon einmal gefragt worden sei, ob sie ein politisches Produkt von Rot-Grün sei. Ihre Antwort lautet: „Ich kann nur sagen, wenn ich ein politisches Produkt bin, dann eins der deutschen Einheit, und darauf bin ich stolz, gesamtdeutsche Politikerin mit ostdeutschen Wurzeln zu sein, und ansonsten bin ich ein Produkt meiner Eltern und darauf bin ich auch stolz.“
Großen Erfolg hatte Merkel außerdem mit ihrer zweimaligen Kritik an Steuerflüchtlingen (5,29; 5,14), an denen, die viel verdienen, aber die Ausnahmen im Steuerrecht kennen (5,00) und ihrer daraus abgeleiteten Forderung nach einem gerechten Steuersystem (5,29). Hier sagte sie: „Das ist doch das, was die Menschen auch ärgert, dass die, die viel verdienen, meistens die Ausnahmen gut kennen, vielleicht noch einen Steuerberater gut kennen und nicht das bezahlen, was auf dem Papier steht. Und ich möchte, dass jeder wieder nach seiner Leistung besteuert wird und sich nicht mit Ausnahmen herausreden kann.“
Merkel konnte auch punkten mir ihrer Kritik an der schlechten Situation auf dem Arbeitsmarkt (5,31); mit ihrer Forderung nach besserer Kinderbetreuung (5,23); mit ihrem Verweis auf die hohe Neuverschuldung (5,17); mit den in ihrem Schlussstatement zitierten Unions-Slogans „Vorfahrt für Arbeit“ und „Sozial ist, was Arbeit schafft“; ihrer Forderung, die Kernkraftwerke möglichst lange laufen zu lassen (5,01) und eine möglichst „breite“ Energiepolitik zu betreiben (5,00); mit ihrem Vergleich zwischen der Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland und anderen Ländern (5,00) sowie ihrer Kritik an Schröders Aussagen zur Pendlerpauschale (5,00) und der SPD-Kampagne, nach der die Vorhaben der Union den sozialen Frieden gefährdeten (5,00). Schließlich kam auch ihre Bemerkung gut an, die Politik habe den Menschen kein bestimmtes Familienmodell vorzuschreiben (5,00). Erfolge bei den Ungebundenen in Jena Von den Zuschauern in Jena, die nicht längerfristig an eine Partei gebunden waren, wurde Gerhard Schröder insgesamt besser wahrgenommen als Angela Merkel (3,80). Die Ursache dafür war, dass er sie während des Duells häufiger
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und über längere Zeit besonders beeindrucken konnte. Sieben dieser 14 Stellen waren auch bei den Ungebundenen in Mainz besonders gut angekommen. Am erfolgreichsten war auch hier Schröders Forderung nach einem „starken Staat“ für Notsituationen (2,40). Ebenfalls sehr gut kam seine Kritik an der Finanzierung der Senkung der Arbeitslosenversicherung an („wahrlich auf Sand gebaut“) (2,67). Das gleiche galt für seine Forderung nach dem therapeutischen Klonen, sein Hinweis auf die rentenpolitischen Leistungen seiner Regierung, seine Ankündigung, Deutschland aus „überflüssigen Kriegen wie dem Irak“ heraus zu halten, seine Ablehnung einer Koalition mit der Linkspartei (alle 2,83), seine Kritik an der geplanten Abschaffung der Pendlerpauschale (2,92) sowie seine Kritik an der arbeitsmarktpolitischen Bilanz der Regierung Kohl (2,93). Aber auch fünf eher persönliche Bemerkungen Schröders beeindruckten die ungebundenen Jenaer Zuschauer relativ stark. Dazu zählte Schröders Aussage, er habe nie vor der Zeit aufgegeben und werde es auch diesmal nicht tun (2,85). Kurz zuvor war auch seine Aussage gut angekommen, er werde sich im Wahlkampf erneut anstrengen (3,00). Außerdem wurden ein Seitenhieb und ein direkter Angriff auf Edmund Stoiber von den Jenaern sehr positiv beurteilt. Schröder hatte Angela Merkel „Viel Spaß mit Herrn Stoiber“ gewünscht (3,00) und Edmund Stoibers Kritik an „den Ostdeutschen“ ins Feld geführt (2,88). Er tat dies, als er die Situationen vor den Wahlen 2002 und 2005 verglich: „Da ist Ihr Kollege - und sicher auch Freund - Herr Stoiber bereits Bundeskanzler gewesen, auch überall so ausgerufen worden. Und vielleicht [hat] ein Teil der außerordentlich unanständigen Vorwürfe gegenüber den Menschen aus dem Osten auch was mit seinem Frust darüber zu tun. Das könnte wenigstens sein.“
Schließlich wurde auch der erste Teil von Schröders Verteidigung seiner Frau von den Jenaern sehr positiv bewertet (3,00). Ähnlich wie in Mainz ließ aber die Zustimmung bei der eigentlichen Liebeserklärung schon wieder nach. Angela Merkel hinterließ bei den Jenaer Ungebundenen nur mit drei Aussagen einen sehr guten Eindruck. Zwei davon zählten auch den zu besten bei den Ungebundenen in Mainz. Am positivsten wurde Merkels Kritik an den „vielen Leistungsträgern“ bewertet, die „nicht mehr hier ihre Steuern zahlen, sondern im europäischen Ausland“ (5,38). Ebenfalls gut kam ihre Forderung nach einem Mentalitätswechsel in Deutschland an, wobei sie in diesem Zusammenhang Paul Kirchhof als positives Beispiel anführte (5,18). Schließlich kam auch ihr Angriff gegen den Kanzler gut an, in dem sie ihm vorwarf, seine Regierung habe die
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Pendlerpauschale 2004 ganz abschaffen wollen, weshalb seine vehemente Kritik an ihrer geplanten Streichung unglaubwürdig sei (5,17).
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Unterschiedliche Reaktionen: Die polarisierenden Stellen
Im Kontrast zu den Stellen des TV-Duells, die auf einvernehmliche Zustimmung bei allen Zuschauern trafen oder bei den Anhängern der verschiedenen politischen Lage und den Ungebunden besonders erfolgreich waren, wollen wir nun die polarisierenden Stellen des TV-Duells betrachten. Als polarisierende Stellen definieren wir diejenigen Augenblicke, an denen sich die RTRMittelwerte der Regierungs- und der Oppositionsanhänger deutlich unterscheiden. An diesen Stellen konnten die Kandidaten zwar die eigenen Anhänger überzeugen, schreckten aber gleichzeitig politische Gegner und oftmals auch unabhängige Wähler ab. Beim zweiten TV-Duell 2002 haben wir an den Stellen von starker Polarisierung gesprochen, an denen sich die mittlere Wahrnehmung von Regierungs- und Oppositionsanhängern um mindestens drei Skalenpunkte unterschied. Dies war beim TV-Duell 2005 allerdings in keinem einzigen Augenblick der Fall. Die Ursache dieser geringeren Polarisierung war offenbar, dass Angela Merkel bei den Regierungsanhängern auf weniger negative Reaktionen stieß als ihr Vorgänger Edmund Stoiber. Wir betrachten hier deshalb diejenigen Passagen des Duells, in denen sich die durchschnittlichen Messwerte der Regierungs- und Oppositionsanhänger um mindestens 2,5 Skalenpunkte unterschieden. In Mainz wurde eine solche Polarisierung an insgesamt 19 Stellen des Duells erreicht. Die entsprechenden Passagen hatten eine Länge von 58 Sekunden. 13 der polarisierenden Statements stammten von Merkel (38 Sekunden), sechs von Schröder (19 Sekunden). Merkel provozierte in Mainz also deutlich stärkere Reaktionen – sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht. In Jena fanden sich dagegen nur zwei so stark polarisierende Stellen. Dies bestätigt erneut, dass die Jenaer Zuschauer das TV-Duell offenbar weniger durch eine parteipolitische Brille sahen. Sie waren weniger geneigt, den Ausführungen ihrer Kandidaten zu folgen, urteilten aber auch weniger scharf über den gegnerischen Kandidaten. In Mainz beschäftigte sich knapp die Hälfte der polarisierenden Aussagen mit ökonomischen Themen. Dabei ging es um Steuern und Abgaben (n=4), Wirtschaft und Finanzen (n=3), Renten und Gesundheit (n=3) sowie Parteipolitik und Koalitionen (n=3), den Arbeitsmarkt (n=2) und Außenpolitik (n=2). In Jena drehten sich die beiden polarisierenden Statements um die Außen- bzw. Energiepolitik.
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Polarisierende Stellen in Mainz Die am stärksten polarisierende Aussage in Mainz war Merkels Bemerkung, Deutschland habe die geringsten Wachstumsraten in Europa. An dieser Stelle unterschieden sich die Eindrücke der Anhänger des Regierungslagers von denen des Oppositionslagers um 2,81 Skalenpunkte. Sie sagte: „Deutschland hat die geringsten Wachstumsraten, weil sich Exportweltmeister plus Binnenkonjunktur addieren. Es geht um das Gesamtwachstum einer Volkswirtschaft. Und da stehen wir schlecht da.“
Ähnlich stark polarisierte Merkel das Publikum, als sie Schröder zitierte und ihm vorwarf, die Wähler mit Äußerungen zur Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer betrogen zu haben (Differenz = 2,80). Ebenso stark waren die Differenzen, als Merkel Schröders Argumentation zurückwies, seine Regierung habe die Arbeitslosigkeit gesenkt und er dafür als Beleg die Entwicklung zwischen April und September 2005 anführte (2,79). Schröder polarisierte die Zuschauer am stärksten, als er Merkel vorwarf, sich in ihrer Darstellung seiner Rolle bei der letzten Mehrwertsteuererhöhung 1997 geirrt zu haben (2,76): „Frau Merkel, Sie irren. 1997 regierten Sie ja mit. Da sind Vertreter aus Ihrer Partei, der Arbeitgeberverbände zu mir gekommen und haben gesagt - ich war damals Ministerpräsident: Können wir die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöhen, damit die Rentenbeiträge nicht weit über 20 Prozent steigen.“
Merkel polarisierte die Anhänger von Regierung und Opposition außerdem gleich zweimal mit dem Vorwurf, zwischen Schröder und seiner Fraktion herrsche kein Vertrauen mehr (2,70; 2,70). Ebenfalls polarisierend wirkten ihre Vorwürfe, dass die Arbeitslosenzahl aktuell höher sei als unter der „Regierung Kohl“ (2,61), dass es Deutschland an ökonomischer Stärke mangele (2,60), Schröder eine Angst-Kampagne gegen die Union betreibe (2,56), der Berliner Regierende Bürgermeister Wowereit im Zweifelsfall eine rot-rote Koalition anstreben würde (2,55) und Schröder im Zusammenhang mit Mehrwert- und Ökosteuer einen Rechenfehler gemacht habe (2,50). Außerdem polarisierte Merkel die Anhänger der verschiedenen politischen Lager mit der Ankündigung, Deutschland außenpolitisch zu einem „starken und verlässlichen Partner“ machen zu wollen (2,66), was bei den Regierungsanhängern wohl Erinnerungen an ihre Position im Irak-Konflikt weckte; mit einem Seitenhieb auf Schröder, der beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie „dazu gelernt“ habe (2,53); sowie mit einem ihrer letzten Sätze im Schlussstatement. Hier äußerte sie, dass in Deutschland „mehr“ stecke und die Menschen in Deutschland
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„mehr“ könnten (2,52). Offenbar verstanden die Regierungsanhänger dies als Kritik an sich und an den Leistungen „ihrer“ Regierung. Neben seiner Bemerkung zur Entstehung der Mehrwertsteuererhöhung 1997 spalteten fünf weitere Aussagen des Kanzlers das Publikum. Dabei kritisierte er die Gegenfinanzierung der Absenkung der Arbeitslosenversicherung („wahrlich auf Sand gebaut“) (2,68), die Finanzierung der Gesundheitspolitik („ihre berühmte Kopfpauschale“) (2,61), Merkels außenpolitische Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit dem Türkei-Beitritt zur EU („wie im IrakKonflikt“) (2,61) und die Mineralölkonzerne, die primär für die hohen Ölpreise verantwortlich seien (2,52). Schließlich polarisierte er Regierungs- und Oppositionsanhänger auch mit seinem Hinweis, dass es seine Regierung gewesen sei, die „aus Schulden bei den Krankenkassen inzwischen Überschüsse“ gemacht habe (2,64). Polarisierende Stellen in Jena Die stärkste Polarisierung in Jena entstand in der bereits mehrfach zitierten außenpolitischen Passage von Schröders Schlussstatement (2,61). Hier bat er darum, Deutschland weiter führen zu können als „mittlere Macht“, die ihre Aufgabe darin sieht, „den Ärmsten der Armen zu helfen“ und Konflikte friedlich zu lösen und „Deutschland aus überflüssigen Kriegen wie dem im Irak wirklich heraus hält.“ Die Polarisierung an dieser Stelle entstand dadurch, dass die Regierungsanhänger sofort mit deutlicher Zustimmung reagierten, als Schröder von „friedlicher Konfliktlösung“ sprach. Die Oppositionsanhänger ließen sich davon zunächst noch nicht sonderlich beeindrucken. Als Schröder dann aber den Irak explizit erwähnte, wurde aus dem polarisierenden Statement eine seiner erfolgreichsten Aussagen. Die zweite gravierende Polarisierung ergab sich während eines Statements Schröders zur Energiepolitik seiner Regierung (2,50). Schröder wies darauf hin, dass die rot-grüne Bundesregierung begonnen habe, die erneuerbaren Energien zu fördern. In diesem Zusammenhang kritisierte Schröder, dass diese Politik von CDU und FDP „vielfach angefeindet“ worden sei. Noch bevor dieser Seitenhieb auf die Opposition beendet war, reagierten die Zuschauer der gegnerischen Lager plötzlich und in entgegen gesetzter Richtung. Besonders stark war der Ausschlag bei den Regierungsanhänger: Innerhalb von vier Sekunden fiel der Mittelwert von 3,69 auf 2,92. Wie kam es dazu? Die Ursache der Polarisierung lag offenbar nicht auf der verbalen Ebene. Die Reaktionen der Zuschauer lassen sich nicht sinnvoll auf den Inhalt oder die Form von Schröders Argumentation zurückführen. Eine bessere Erklärung liefert die Analyse der visuellen Ebene. Die negativen Reaktionen der Jenaer Re-
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gierungsanhänger setzten genau in dem Augenblick ein, als Angela Merkel im Bild erschien und die Äußerungen Schröders mimisch kommentierte. Zuvor war Schröder allein im Bild gewesen. Für vier Sekunden folgte dann ein Wechsel zu einer typischen Kameraeinstellung des Duells: Der Sprecher (hier Schröder) war nun nur noch von hinten zu sehen, der Zuhörer (hier Merkel) dagegen von vorn. Angela Merkels Mimik und Gestik brachten ihre Missbilligung von Schröders Kritik deutlich zum Ausdruck: Sie zog die Mundwinkel nach unten, schüttelte den Kopf und wandte sich dann unwillig ab (Abbildung 4). In den Eindrücken der Regierungsanhänger spiegelt sich also offenbar vor allem die negative Bewertung von Merkels mimisch geäußerter Kritik, nicht so sehr eine Zustimmung zu Schröders Einsatz für die Windenergie. Einen solch eindeutigen Effekt optischer Kommentierung haben wir für die erfolgreichen und polarisierenden Stellen weder 2002 noch bei unseren bisherigen Analysen in diesem Beitrag feststellen können. Solche Effekte nonverbaler Kommunikation sind in der Forschung jedoch ausführlich belegt (im Überblick Kepplinger 2002).
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Erfolgreiche und polarisierende Stellen im Vergleich
Wir wollen die erfolgreichsten und die polarisierenden Stellen nun im Hinblick auf zwei wesentliche Charakteristika vergleichen: ihre Themen und ihren Typ. Bei längeren erfolgreichen Passagen haben wir zur Identifikation der inhaltlichen Charakteristika die erfolgreichste Stelle innerhalb dieser Passage herangezogen. Für unseren Vergleich greifen wir auf eine Typologie von Benoit (2004) zurück, in der er drei Typen persuasiver Botschaften in der Wahlkampfkommunikation unterscheidet: (1) Positiv gefärbte selbstbezügliche Aussagen, in denen die Kandidaten ihre eigenen Pläne, Ansichten und Verdienste darstellen; (2) Angriffe auf den politischen Gegner und (3) Verteidigungen gegen Angriffe. Diese Typen von Aussagen können entweder Sachthemen oder einzelnen Akteure (Politiker oder Parteien) betreffen. Aussagen zu Sachthemen wiederum können sich mit Vergangenem (Handlungsbilanz), konkreten künftigen Vorhaben oder allgemeinen, abstrakten Zielen beschäftigen. Akteursbezogene Aussagen können sich dagegen mit persönlichen Qualitäten, Führungs- und Managementfähigkeiten sowie Grundhaltungen befassen. Allerdings erscheint es uns nicht überzeugend, Verteidigungen als eigenen Aussagetyp zu konzipieren. In den bislang von uns analysierten Duellen waren „Verteidigungen“ gegen einen Angriff stets entweder selbstbezüglich-positive Aussagen oder wiederum ein Angriff auf den Kontrahenten.
Vorteil Schröder
Vorteil Merkel
Regierungsanhänger Jena
Oppositionsanhänger Jena
Polarisierung durch optische Kommentierung: Regierungs- und Oppositionsanhänger in Jena
1,00 01:22:29 01:22:34 01:22:39 01:22:44 01:22:49 01:22:54 01:22:59 01:23:04 01:23:09 01:23:14 01:23:19 01:23:24 01:23:29
2,00
3,00
4,00
5,00
6,00
7,00
Abbildung 4:
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells 81
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Themen Die mit Abstand meisten Statements, die bei den Zuschauern insgesamt oder auch in einer der genauer untersuchten Gruppen einen besonders großen Eindruck hinterließen, beschäftigten sich mit dem Themenkomplex Steuern und Abgaben (n=27). Anders als eine ganze Reihe von Journalisten, die sich in der Nachberichterstattung äußerte, fanden die Zuschauer die Steuer- und Abgabendiskussion also keineswegs langweilig – ganz im Gegenteil. Ebenfalls großen Eindruck machten die Kandidaten mit außenpolitischen Themen, Schröder mit seinen Bemerkungen zum Irak, Merkel mit ihrer Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei (n=17). Relativ viele der Aussagen, auf die die Zuschauer am stärksten reagierten, beschäftigten sich auch mit dem Arbeitsmarkt (n=14) bzw. waren persönliche Aussagen der Kandidaten über sich selbst oder andere politische Akteure (n=11). Auch manche Äußerungen der Kandidaten zu Wirtschaft/Finanzen (n=8), Rente/Gesundheit (n=8), Energie (n=7), Parteipolitik/Koalitionen (n=6) und Familie (n=5) lösten besonders starke Reaktionen bei den Duellzuschauern aus. Relativ stark besetzt ist auch unsere SonstigesKategorie. Darunter haben wir u.a. Schröders Statement zur Bedeutung eines starken Staates in Notsituationen rubriziert. Die Reaktionen auf das Thema Steuern und Abgaben machen klar, welche Brisanz die Diskussion um die von den Union angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Gegenfinanzierung der Beitragssenkungen, die Mineralölund Ökosteuer, die Pendlerpauschale und die Debatte um die Steuerkonzepte von Paul Kirchhof zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfs bereits erreicht hatte. Allerdings war es keineswegs so, dass die bloße Erwähnung von Paul Kirchhof bereits im TV-Duell ein Garant für einen Punktgewinn unter den Duellzuschauern gewesen wäre. Die außerordentlich heftigen Reaktionen auf die außenpolitischen Themen sind vermutlich auf den hohen Grad an Emotionalität zurückzuführen, der sich mit dem Irak-Krieg und dem Türkei-Beitritt verband. Dass die entsprechenden Äußerungen auf positive Resonanz stießen, hängt allerdings nicht damit zusammen, dass die Zuschauer von den Kandidaten im Duell überzeugt worden wären. Bereits vor dem Duell waren drei Viertel der Deutschen gegen einen Beitritt der Türkei zur EU (Eurobarometer 64, Frühjahr 2005) und etwa genauso viele waren der Ansicht, der Irak-Krieg sei nicht gerechtfertigt gewesen (Eurobarometer Flash 151, 10/2003). Schröder und Merkel erzeugten hier also Zustimmung für sich, indem sie die Ansichten der Zuschauer bestätigten. Auffällig sind auch die deutlichen Effekt der Personalisierung. Dies gilt sowohl für Bemerkungen der Kandidaten zu ihrer Person als auch für Angriffe auf einzelne Politiker. Aussagen über ihre eigene Person und ihr privates Um-
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feld kamen vor allem bei den nicht an eine Partei Gebundenen gut an. Dies stützt die Vermutung, dass vor allem in diesem Wählersegment die Kandidaten als Kriterium der politischen Meinungsbildung wichtig sind (z.B. Kepplinger/Maurer 2005). Angriffe auf Politiker des gegnerischen Lagers waren dagegen vor allem bei den eigenen Anhängern sehr erfolgreich. Ziel war dabei nicht allein Paul Kirchhof, sondern auch Wolfgang Clement, Jürgen Trittin und Edmund Stoiber. Selbst die Kritik Schröders an Helmut Kohl führte bei seinen Anhängern noch sieben Jahre nach dem Ende von Kohls Kanzlerschaft zu sehr positiven Reaktionen. Bemerkenswert sind diese Erfolge auch, weil man die starken Reaktionen auf die Seitenhiebe gegen Edmund Stoiber und Jürgen Trittin auch auf die mediale Skandalisierung ihrer Aussagen zur Gemütslage der Ostdeutschen bzw. den hohen Benzinpreisen zurückführen kann. Aber die thematische Analyse der erfolgreichsten Aussagen zeigt noch eine weitere Gemeinsamkeit. Bei vielen dieser Aussagen handelt es sich um Statements, in denen die Kandidaten sich populistischer Rhetorik bedienten. Die Kernelemente populistischer Ideologien bilden zwei Orientierungen: Erstens die Orientierung gegen „die da oben“, in der der Gegensatz zwischen Volk und Eliten innerhalb einer Gesellschaft betont wird (vertikale Dimension). Zweitens die Orientierung gegen „die da draußen und „die anderen“, in der der Gegensatz zwischen dem eigenen Land oder Volk gegenüber anderen Völkern oder Minderheiten betont wird (Rensmann 2006). Beide Kandidaten bedienten sich Aussagen, in denen entsprechende Gegensätze betont wurden. Augenfällig wird dies beispielsweise in Schröders wiederholter Bezeichnung Paul Kirchhofs als „dieser Professor aus Heidelberg“. Aber auch die Ausführungen der Kandidaten zu Steuerflucht, Steuervermeidung, Reichensteuer und der gesellschaftlichen Verantwortung der Mineralölkonzerne beinhalten eine Positionierung gegen „die da oben“: Mit Besserverdienenden, Steuerflüchtlingen und großen Konzernen haben die Kandidaten die „übliche Verdächtigen“ für negative Entwicklungen und Zustände verantwortlich gemacht, für die die „kleinen Leute“ die Zeche zahlen müssen. Die Abgrenzung nach außen funktionierte ebenfalls: Dies wird in den außerordentlichen Erfolgen der Ablehnung des Türkei-Beitritts, der Abgrenzung gegen die USA im Hinblick auf die Beteiligung am Irak-Konflikt und auch in Schröders erfolgreichstem Statement deutlich: Wir sind anders (und besser) als die Amerikaner und Bush, wir könnten mit einer solchen Katastrophe umgehen. Die thematische Analyse der erfolgreichsten Statements zeigt damit insgesamt, dass die von den Zuschauern wahrgenommene Wichtigkeit eines Themas offenbar nicht entscheidend dafür ist, wie stark sie ihm zustimmen oder nicht. Vielmehr können die Kandidaten auch mit weniger wichtigen Themen, persön-
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lichen Bemerkungen und Angriffen sowie populistischer Rhetorik die Zuschauer auf ihre Seite ziehen. Aussagetypen Für das zweite TV-Duell 2002 hatten wir festgestellt, dass die Kandidaten unter allen Zuschauern mit solchen Aussagen erfolgreich waren, in denen sie entweder in unkonkreter und teils fast trivialer Weise über ihre eigenen Pläne und Ziele sprachen, oder in denen sie populäre Ansichten äußerten, die von einem Großteil des Publikums geteilt werden. Polarisierende Aussagen dagegen waren dadurch gekennzeichnet, dass die Kandidaten ihren politischen Gegner kritisierten. Wenn sie zudem Fakten anführten, um ihre Behauptungen zu belegen, nahm die Polarisierung noch zu. Die Analyse der Aussagen, mit denen die Kandidaten bei ihren eigenen Anhängern den größten Erfolg hatten, hatte ebenfalls gezeigt, dass die Kandidaten hier durchaus mit Kritik und Angriffen Erfolg haben konnten. Pointiert hatten wir aus diesen Befunden geschlossen, dass man in Fernsehduellen am ehesten Erfolg haben könne, wenn man nicht versucht, die Zuschauer für eigene, konkrete Vorhaben zu gewinnen, sondern wenn man sie im Unklaren lässt oder einfach die Meinungen wiederholt, die die Zuschauer ohnehin haben. Diese Mechanismen der Eindruckbildung in TV-Duellen werden durch die Reaktionen der Zuschauer auf das TV-Duell 2005 in weiten Teilen bestätigt. In Mainz waren 15 der 21 erfolgreichsten Statements selbstbezügliche Aussagen, in denen die Kandidaten über ihre eigenen Ziele und Prioritäten sprachen. In Jena waren es 6 von 9. Auch bei den nicht an eine Partei gebundenen Zuschauern in Mainz waren 24 der 33 erfolgreichsten Aussagen selbstbezüglich, nur 9 waren Angriffe auf den politischen Gegner. In Jena beschrieben die Kandidaten in 11 der 17 erfolgreichsten Aussagen ihre eigenen Pläne und Ziele, sechsmal äußerten sie Kritik. Ausgewogen war das Verhältnis von Kritik und selbstbezüglichen Aussagen dagegen bei den Statements, die bei den eigenen Anhängern der Kandidaten die größte Zustimmung auslösten (Mainz: 6:6; Jena: 2:2). Eine Polarisierung der politischen Lager entstand dagegen am ehesten dann, wenn die Kandidaten deutliche Kritik an ihrem politischen Gegner übten – zumindest in Mainz. 15 der 19 am stärksten polarisierenden Aussagen waren solche Angriffe, nur bei 4 dieser Statements handelte sich um selbstbezügliche Aussagen (Tabelle 2). Ähnlich wie 2002 gab es unter den erfolgreichsten Aussagen zum einen solche, bei denen sich die Kandidaten der Zustimmung einer großen Mehrheit der Zuschauer sicher sein konnten. Hier wurden die Kandidaten auch recht konkret. Dies galt z.B. für die Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei durch Angela
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Merkel oder die Ablehnung von Kriegen wie im Irak im Gerhard Schröder. Weit häufiger kamen die Kandidaten aber dann gut an, wenn sie populäre Ansichten äußerten, ohne zu sagen, was diese Ziele konkret bedeuten oder wie sie praktisch erreicht werden sollen. Dies galt etwa für die allgemeine Forderung nach der Verhinderung von Steuerflucht und Steuervermeidung, die Forderung von Respekt vor unterschiedlichen Lebensentwürfen von Familien, die Forderung, bei den Reformen nicht stehen zu bleiben und eine optimistische Mentalität in Deutschland zu etablieren oder die Forderung nach einem „starken Staat“ für Notsituationen. Im Zusammenhang mit den erfolgreichen Stellen ist noch ein weiterer Punkt bemerkenswert. Die Tatsache, dass sich unter ihnen 2005 relativ viele Angriffe finden, hängt vermutlich mit den Inhalten dieser Angriffe zusammen: Noch 2002 gehörten die Statements Edmund Stoibers, in denen er auf die hohen Arbeitslosenzahlen und die gebrochenen Versprechen Schröders zu deren Senkung hingewiesen hatte, zu den denjenigen Aussagen, die die politischen Lager am stärksten polarisierten. Dies war 2005 anders. Nun konnte Angela Merkel mit der Kritik an hoher Arbeitslosigkeit, wachsender Verschuldung und niedrigem Wachstum selbst bei Anhängern der Regierung punkten. Die ökonomischen Fakten und der Misserfolg der eigenen Regierung wurden nun nicht mehr kognitiv bestritten. Aber auch hier kam es darauf an, wie der Angriff verpackt war: Als Angela Merkel im Rahmen ihrer Kritik an der hohen Arbeitslosigkeit die Bilanz der „Regierung Kohl“ erwähnte, war es mit der einheitlichen Zustimmung vorbei. Die Anhänger der Regierung Schröder goutierten diesen Vergleich ganz und gar nicht. Betrachtet man die polarisierenden Stellungnahmen genauer, so unterschieden sich die Reaktionen der Anhänger der politischen Lager vor allem dann, wenn der jeweilige politische Gegner attackiert wurde. In einer Reihe von Fällen wurden dabei Zahlen und Fakten genannt, denen eigentlich niemand widersprechen kann, weil sie zweifelsohne sachlich richtig sind. So sagte Merkel beispielsweise, dass Deutschland so geringe Wachstumsraten habe, weil nicht allein der Export, sondern auch die Binnenkonjunktur zähle. Sie warf Gerhard Schröder vor, dass nicht das gesamte Aufkommen der Ökosteuer in die Absicherung der Rente fließe, wie er es versprochen habe. Sie bemerkte, dass sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zwischen April und September immer erhöhe. Und sie wies drauf hin, dass andere Länder bei gleichen externen Schocks Arbeitsplätze hinzu gewonnen hätten. Dennoch überzeugte Merkel mit diesen Aussagen nur die eigene Klientel, nicht aber die Anhänger der Regierung. Wie schon 2002 zeigt sich auch für das TV-Duell 2005, dass die Annahme, man könne in einer Fernsehdebatte mit
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harten Fakten auch Anhänger des politischen Gegners überzeugen, in den meisten Fällen falsch ist. Auch bei den parteigebundenen Zuschauern machten solche Aussagen keinen besonders guten Eindruck. Tabelle 3: Urheber, Typen und Themen der erfolgreichsten und der polarisierenden Statements (Anzahl) Besonders großer Erfolg bei allen eigenen UngeZuschauern Anhängern bundenen MZ J MZ J MZ J n n n n n n
Polarisierung
MZ n
J n
URHEBER Merkel Schröder
15 6
1 8
21 12
3 14
4 8
3 1
13 6
1 1
AUSSAGETYP Selbstbezug: Lob/Plan Bilanz (Lage) Konkrete Pläne Generelle Ziele Person/Partei
15 2 13 -
6 1 5 -
24 7 13 4
11 1 1 6 3
6 2 3 1
2 1 1 -
4 1 3 -
1 1 -
Fremdbezug: Angriff Bilanz (Lage) Konkrete Pläne Generelle Ziele Person/Partei
6 4 2 -
3 1 2
9 5 1 1 2
6 2 2 2
6 1 3 1 1
2 1 1 -
15 9 4 2
1 1 -
4
9 5 6 3 1 1 3 2 3
3 1 1 5 2 1 2 2
4 2 1 2 1 2
1 1 2
4 2 2 3 3 3 1 1
1 1 -
33
17
12
4
19
2
THEMA Steuern/Abgaben Außenpolitik Arbeitsmarkt Persönliches Wirtschaft / Finanzen Rente/Gesundheit Energie Parteien/Koalitionen Familie Sonstiges
3 3 1 2 1 2 3
3 2 1 1 2
N
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Fazit
Dieses Kapitel beschäftigte sich damit, wie die Zuschauer die Kandidaten während des Duells wahrgenommen haben. Untersucht haben wir diese Frage mittels einer Echtzeit-Messung der unmittelbaren Reaktionen von insgesamt 121 Test-Zuschauern in Mainz und Jena. Die wichtigsten Befunde unserer Analyse kann man in fünf Punkten zusammenfassen: (1) Nimmt man die unmittelbaren Reaktionen unserer Zuschauer als Maßstab, konnte in Mainz Angela Merkel, in Jena dagegen Gerhard Schröder das TV-Duell für sich entscheiden. Dass Schröder in Jena insgesamt vorn lag, ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Anhänger der Linkspartei während des TV-Duells einen noch besseren Eindruck vom Kanzler hatten als die Anhänger der Bundesregierung. Zum anderen gewannen auch die Ungebundenen in Jena einen besseren Eindruck von Schröder, während die Ungebundenen in Mainz positiver auf Merkel reagierten. Was die Anhänger von Regierung und Opposition angeht, so wurde deren Wahrnehmung deutlich von ihrer Parteibindung geprägt: Die Regierungsanhänger nahmen Schröder positiver wahr, die Oppositionsanhänger Merkel. (2) Trotz der zahlreichen Unterschiede, die in Bezug auf politische Einstellungen, Interesse und Wissen zwischen den Menschen in den neuen und alten Bundesländern allgemein herrschen (z.B. Vetter/Maier 2005; Völkl 2005), nahmen unsere Zuschauer in Mainz und Jena das TV-Duell bemerkenswert ähnlich wahr. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass unsere Gruppen im Hinblick auf ihre politischen Einstellungen und Kompetenzen homogener waren als die Bevölkerung in den neuen und alten Bundesländern insgesamt. Dies trifft allerdings vermutlich auch auf die Duellzuschauer zu: Politisch Entfremdete und Uninteressierte gehören seltener zum Publikum von TV-Duellen. Unterschiede zwischen Jena und Mainz gab es vor allem in zwei Punkten. Erstens war das Niveau der Zustimmung bei den Jenaer Anhängern der Kandidaten weniger stark, die Prägekraft der politischen Prädispositionen also geringer. Da wir die erfolgreichen und polarisierenden Stellen des Duells nach für Mainz und Jena einheitlichen Kriterien bestimmt haben, führte dies dazu, dass die Zahl solcher Stellen in Jena durchweg geringer war. Zweitens umfasste die Schnittmenge der in Mainz und Jena erfolgreichen bzw. polarisierenden Statements jeweils nicht mehr als die Hälfte dieser Aussagen. Unterschiedliche Reaktionen kamen zum einen dadurch zustande, dass sich die Struktur der politischen Einstellungen des Publikums in beiden Städten unterschied (z.B. bei Schröders Ablehnung einer rot-roten Koalition), zum anderen dadurch, dass Themen und Personen ange-
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sprochen wurden, von denen die Zuschauer in den neuen Bundesländern besonders betroffen waren (z.B. bei Erwähnungen Stoibers). (3) Wie schon 2002 wurden die stärksten Reaktionen bei unseren Zuschauern fast immer durch das ausgelöst, was die Kandidaten gesagt haben. Die verbale Ebene war also entscheidend. Nur in einem Fall führte eine optische (mimische) Kommentierung einer Aussage Schröders durch Merkel zu einer starken Reaktion – in diesem Fall einer Polarisierung. Das bedeutet nicht, dass generelle positive oder negative Emotionen, die beim bloßen Anblick eines Politikers hervorgerufen werden können, nicht in die Gesamturteile der Zuschauer eingeflossen sind. Zu deutlichen, identifizierbaren Ausschlägen führten visuelle, nonverbale Elemente jedoch in unseren Analysen nur in einem Fall. Erneut widersprechen unsere Analysen damit den immer wieder kolportierten Annahmen über die große Wirkung des Visuellen in TV-Duellen. Wie bereits zu Anfang erwähnt, hängt dies vermutlich auch damit zusammen, dass TV-Duelle mit vergleichsweise hoher Aufmerksamkeit verfolgt werden. Dabei muss man allerdings bedenken, dass die herausragende Bedeutung der verbalen Ebene nicht gleichbedeutend mit inhaltlicher Substanz ist. (4) Besonders erfolgreich unter allen Zuschauern und unter den Ungebundenen waren Statements, in denen die Kandidaten in allgemeiner Form über ihre Pläne und Ideen sprachen. In nur wenigen dieser Aussagen sprachen die Kandidaten über konkrete politische Vorhaben. Die meisten der erfolgreichen Aussagen beschäftigten sich mit Steuern und Abgaben, Außenpolitik, dem Arbeitsmarkt und Persönliches. Anzeichen dafür, dass der „Liebeserklärung“ Gerhard Schröders eine herausragende Bedeutung zukam, gibt es allerdings nicht. In ihren erfolgreichsten Statements leisteten die Kandidaten keine Überzeugungsarbeit, sondern vertraten entweder unkonkrete Ansichten oder aber Positionen, von denen sie bereits zuvor wussten, dass sie von der weit überwiegenden Mehrheit des Publikums geteilt wurden. Die Kandidaten polarisierten die eigenen und die Anhänger des anderen politischen Lagers dagegen vor allem durch Aussagen, in denen sie ihren Kontrahenten direkt angriffen. Dies galt auch dann, wenn sie ihre Kritik durch Fakten untermauerten, die eigentlich nicht zu bestreiten. Damit bestätigen sich zum großen Teil die Befunde zur Wirkung bestimmter Aussagentypen, die sich bereits in unserer Analyse des zweiten TVDuells 2002 ergeben hatten (Maurer/Reinemann 2003; Reinemann/Maurer 2005). Die vorliegende Analyse ist aus mehreren Gründen bedeutsam: Sie zeigt zum einen, wie man subjektive Einschätzungen von „Experten“ über die Wahrnehmungen politischer Medieninhalte auf eine objektive, empirisch abgesicherte Grundlage stellen kann, indem man Echtzeit-Messungen durchführt. Zum ande-
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ren verdeutlicht sie, dass TV-Duelle keine Garantie dafür sind, dass sich der politische Diskurs im Wahlkampf stärker an Sachthemen und Problemlösungen orientiert. Dies auch in TV-Duellen zu fördern, dafür sind in erster Linie die politischen Akteure selbst, aber auch die Moderatoren der Duelle und die Journalisten mit ihrer Vor- und Nachberichterstattung verantwortlich. Denn sie können durchaus Einfluss darauf nehmen, ob sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer während und nach einem Duell vor allem auf Inhalte oder Liebeserklärungen richtet.
3.1
Erfolgreiche Überzeugungsarbeit Urteile über den Debattensieger und die Veränderung der Kanzlerpräferenz Jürgen Maier
Wer eine Fernsehdebatte gewonnen und wer sie verloren hat, ist eines der wichtigsten Kriterien, anhand deren ein TV-Duell beurteilt wird. Insbesondere die Massenmedien richten ihren Fokus auf diese Frage, mit deren Beantwortung die Komplexität solcher Live-Diskussionen enorm und – durch den Rückgriff auf Meinungsumfragen – sehr schnell reduziert werden kann. Dies war auch beim TV-Duell 2005 nicht anders: Zahlreiche vor diesem Ereignis publizierte Medienberichte widmeten sich dem möglichen Ausgang der Debatte. Direkt im Anschluss an die Diskussion flimmerten erste Umfrageergebnisse über die Bildschirme und Experten bemühten sich, die Aussagen von Kanzler und Herausforderin miteinander zu vergleichen und unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten (vgl. hierzu auch Kapitel 4.1). Die massenmediale Berichterstattung über den Debattensieger setzt – zumindest wenn Bezug auf Bevölkerungsbefragungen genommen wird – voraus, dass die Zuschauer eines TV-Duells in der Lage sind, die unzähligen Eindrücke, die im Laufe einer Diskussionssendung auf sie einwirken, zu einem die Debattenleistung der Kandidaten vergleichenden Gesamturteil zu verdichten. Dass Rezipienten hierzu in der Lage sind, ist empirisch gut belegt. Welche Prozesse hinter dieser Urteilsbildung stehen und was sich daraus für die individuellen politischen Orientierungen ergibt, ist hingegen weniger bekannt. Das vorliegende Kapitel geht deshalb der Frage nach, wie es zur Wahrnehmung des Debattensiegers kommt und welche Folgen sich für die Einstellung zu den Kandidaten ergeben.
1
Wie kommen Zuschauerurteile über den Debattensieger zustande? Ein Überblick über den Forschungsstand und ein Modell
Die Frage nach dem Sieger eines TV-Duells ist so alt wie das Wahlkampfereignis „Fernsehdebatte“ selbst. Bereits bei den legendären Duellen zwischen Ken-
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Jürgen Maier
nedy und Nixon im Jahr 1960 wurde in zahlreichen der in diesem Zusammenhang durchgeführten Untersuchungen Fernsehzuschauern mehr oder weniger direkt die Frage gestellt, welcher der beiden Kandidaten gewonnen hat (Katz/Feldman 1962: 196f.). Zwischenzeitlich gehört die Frage nach dem Debattensieger zu den am häufigsten gestellten Fragen und ist Bestandteil zahlreicher Wirkungsstudien über TV-Duelle (Kraus 2000: 193). Wie die Zuschauer zu ihrem Urteil über den Debattensieger kommen, ist hingegen nicht abschließend geklärt. Fest steht nur, dass sich in der Debattenliteratur keine Hinweise finden, die darauf hindeuten, dass Rezipienten größere Schwierigkeiten haben, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Dies ist durchaus bemerkenswert, da auf Zuschauer von Fernsehdebatten unzählige verbal und nonverbal vermittelte Informationen einströmen, die bereits im Einzelfall meist nur schwer miteinander zu vergleichen sind. Das Aufsummieren solcher „Einzelwertungen“ zu einem die Debattenleistung der Kandidaten vergleichenden Gesamturteil erscheint angesichts der nur begrenzten menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten nochmals um einiges anspruchsvoller. Die Fähigkeit, bereits unmittelbar nach oder noch während einer Debatte solche vergleichenden Gesamturteile zu formulieren, wird üblicherweise mit dem starken Einfluss langfristig stabiler politischer Grundüberzeugungen (gemessen über die Parteiidentifikation, die Wahlabsicht, die Selbsteinstufung entlang von Links-Rechts- oder Liberal-Konservativ-Skalen) erklärt. Dieser konsistenztheoretisch gut begründbare Zusammenhang wurde bereits in den Begleituntersuchungen zu den Kennedy-Nixon-Debatten aufgedeckt (Katz/ Feldman 1962: 198f.) und in zahlreichen nachfolgenden Studien bestätigt (z.B. Davis 1982: 487; Holbrook 1996: 114; Lang/Lang 1962; McKinnon/Tedesco 1999: 200; Sears/Chaffee 1979: 238; Sigelman/Sigelman 1984: 627). Die Filterwirkung der Parteibindung sorgt dabei dafür, dass typischerweise der Kandidat der „eigenen“ Partei als Sieger, der politische Gegner hingegen als Verlierer wahrgenommen wird. Mit anderen Worten: Die Parteiidentifikation sorgt – im Einklang mit den Befunden der klassischen Wahlkampfforschung (z.B. Lazarsfeld et al. 1944) – für eine Verstärkung bereits vorhandener politischer Dispositionen (in diesem Fall der positiven Einstellung gegenüber dem eigenen und der negativen Einstellung gegenüber dem gegnerischen Kandidaten). Es ist allerdings umstritten, wie stark der Einfluss der Parteibindung auf die Siegerwahrnehmung ist und ob Orientierungen gegenüber dem präferierten Kandidaten und seinem Gegner tatsächlich in gleichem Maße verstärkt werden. Fest steht, dass die parteipolitische Grundorientierung die Wahrnehmung des Debattensiegers nicht determiniert. Dies lässt sich schon allein daran ablesen, dass es immer wieder quantitativ nicht zu vernachlässigende Gruppen von Zuschauern gibt, die
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– obwohl mit einer Parteiidentifikation ausgestattet – den politischen Gegner anstelle des eigenen Kandidaten zum Debattensieger erklären. In diese Lücke stößt ein zweiter Erklärungsansatz, der einen engen Zusammenhang zwischen der Siegerwahrnehmung und der bereits vor einem Duell vorhandenen Siegererwartung postuliert. Die wenigen Studien, die sich mit der Assoziation der beiden Konzepte beschäftigen, zeigen allerdings übereinstimmend, dass diese Beziehung eher schwach ausgeprägt ist (Delli Carpini et al. 1997: 150; Maurer/Reinemann 2003: 138, 147f.; stärkere Zusammenhänge berichten Reinemann/Maurer 2005: 787f.). Die Ursachen hierfür sind nicht abschließend geklärt, hängen aber möglicherweise mit der Herkunft der Siegererwartung zusammen. Diese resultiert zum einen aus bereits vor der Debatte vorliegenden Politikpräferenzen. Zum anderen dürfte sich die Siegererwartung auch aus der Vorberichterstattung über das TV-Duell speisen. Je größer der Einfluss der letztgenannten Komponente ausfällt, desto eher besteht die Möglichkeit, dass sich der erwartete und der tatsächliche Ausgang einer Fernsehdebatte voneinander unterscheiden. Welche Konsequenzen solche Diskrepanzen für die Einstellungen zu den Kandidaten bzw. für die individuellen Verhaltensabsichten haben, ist aus wissenschaftlicher Sicht nach wie vor eine offene Frage. Bestenfalls finden sich in der Literatur Beschreibungen über die soziale und politische Zusammensetzung von Zuschauergruppen, bei denen Siegererwartung und Siegerwahrnehmung auseinander fallen (z.B. Maurer/Reinemann 2003: 143). Die empirische Beziehung zwischen Siegererwartung und -wahrnehmung löst sich vor allem dann auf, wenn man die wahrgenommene Debattenleistung kontrolliert (z.B. Maurer/Reinemann 2003: 154f.; Reinemann/Maurer 2005: 787ff.). Ihre valide Erfassung ist methodisch kein einfaches Unterfangen. Eine Möglichkeit besteht in der – auch in der vorliegenden Studie durchgeführten – Messung spontaner Zuschauerreaktionen während der Debatte mittels RealTime-Response-Technik. Das auf diese Weise gemessene Ergebnis der individuellen Verarbeitung von Debatteninhalten hängt stark, aber bei weitem nicht perfekt mit dem wahrgenommenen Debattensieger zusammen (z.B. Delli Carpini et al. 1997: 150; Maier/Faas 2003a: 388; 2004: 29; Maier et al. 2007; Reinemann et al. 2005: 69f.). Nach Patterson (2000: 2) werden die Aussagen der Kandidaten vor allem unter zwei Gesichtspunkten beurteilt: Zum einen, ob die Kandidaten in der Lage sind, das Amt, für das sie sich bewerben, auszufüllen. Hier spielt vor allem die Persönlichkeit des Kandidaten – also seine Führungsstärke, seine Integrität oder seine Ausstrahlung – eine entscheidende Rolle (in diesem Sinn auch Katz/Feldman 1962: 198 sowie Zakahi/Hacker 1995: 112). Zum anderen geht es um die inhaltlichen Positionen und politischen Konzepte
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der Kandidaten und die simple Frage, wer besser ist bzw. wer den Ansichten der Fernsehzuschauer am nächsten kommt (Katz/Feldman 1962: 198; Patterson 2000: 2). Um bei den Rezipienten zu punkten ist dabei nicht nur entscheidend, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. Angriffe auf den politischen Gegner sind für das Ziel, eine Debatte zu gewinnen, eher abträglich, während positive Darstellungen oder gar Allgemeinplätze gut geeignet sind, um positive Evaluationen zu erhalten (z.B. Baker et al. 1981; Maurer/Reinemann 2003: 121ff.; McKinney et al. 2001: 2248f.; Norpoth/Baker 1983: 617; Patterson 2000: 3; Reinemann/Maurer 2005; Schrott 1990: 668f. sowie Kapitel 2.2). Wenngleich also der eigenständige Einfluss der wahrgenommenen Debattenleistung prinzipiell darauf hinweist, dass TV-Duelle in der Lage sind, das Schutzschild der selektiven Wahrnehmung zu durchbrechen (in diesem Sinn Chaffee/Dennis 1979: 90), sind solche spontanen Bewertungen der Debattenperformanz selbstverständlich nicht unabhängig von politischen Voreinstellungen (z.B. Faas/Maier 2004; Maier/Faas 2004: 30f.; Maier et al. 2007; Reinemann et al. 2005: 70). Dennoch geht von der perzipierten Debattenleistung der Kandidaten auch nach Kontrolle solcher Prädispositionen ein starker Effekt auf die Wahrnehmung des Debattensiegers aus (Maier et al. 2007; Reinemann et al. 2005: 70). Die hier dargestellten Ansätze zur Erklärung des wahrgenommenen Debattensiegers – die Wirkung parteipolitischer Grundüberzeugungen, der Einfluss von bereits vor einem Duell vorhandenen Siegererwartungen sowie der Effekt der wahrgenommenen Debattenperformanz – werden in empirischen Untersuchungen bislang stets separat untersucht. Die Analyse eines die verschiedenen Erklärungsansätze simultan berücksichtigenden Modells wird hingegen nur selten vorgenommen (Reinemann/Maurer 2005: 789; ein etwas anders operationalisiertes Kausalmodell findet sich bei Maurer/Reinemann 2003: 147ff.). In Abbildung 1 ist ein solches Modell dargestellt. Es umfasst eine Beziehung zwischen dem erwarteten und dem wahrgenommenen Debattensieger (Pfad A). Diese ist anzunehmen, da die Erwartungen an den Ausgang eines TV-Duells – bedingt durch den Einfluss der Parteibindung (B) – eine über die Zeit hinweg relativ stabile Einstellung sein sollte, deren Änderung ein gewisses Maß an kognitiven Dissonanzen verursacht.1 Weiterhin sollte die Meinung über den erwarteten Debattensieger die wahrgenommene Debattenleistung der Kandidaten beeinflussen (C). Gleiches gilt, wenn auch in wesentlich stärkerem Maße, für die Parteibindung (D), die darüber hinaus auch die Wahrnehmung des De1
Der weiter oben skizzierte Einfluss der Medienberichterstattung auf die Siegererwartung wurde hier nicht spezifiziert.
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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battensiegers (E) steuern sollte. Schließlich beinhaltet das Modell eine Kausalbeziehung zwischen der wahrgenommenen Debattenleistung und der Wahrnehmung des Debattensiegers (F). Ist die Verstärkerhypothese korrekt, sollte vor allem für den Pfad E eine starke empirische Beziehung ermittelt werden. Ist die Hypothese vom Kausalzusammenhang zwischen erwartetem und wahrgenommenem Debattensieger zutreffend, sollte für Pfad A eine signifikante Beziehung ermittelt werden. Ist hingegen die Hypothese von der eigenständigen Wirkung der Debattenleistung richtig, sollte Pfad F die größere Bedeutung zukommen. Abbildung 1: Ein Kausalmodell zur Erklärung des wahrgenommenen Debattensiegers
Erwarteter Debattensieger
A
wahrgenommener Debattensieger C
B
Debattenleistung (RTR-Messung)
D
Parteiidentifikation E
F
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Wie kamen die Zuschauerurteile über den Sieger der TV-Debatte 2005 zustande? Empirische Befunde und ein Modelltest
Nicht nur in den Medien (Kapitel 4.1), sondern auch bei den Teilnehmern unserer Untersuchung wurde Amtsinhaber Schröder als klarer Favorit für das TVDuell gehandelt (Tabelle 1): 40 Prozent der Mainzer Probanden bzw. 43 Prozent der Untersuchungsteilnehmer in Jena gingen davon aus, dass der „Medienkanzler“ die Diskussion für sich entscheiden würde. Demgegenüber trauten nur jeweils vier Prozent Angela Merkel einen Sieg zu. Der überwiegende Teil der Probanden (Mainz: 56%, Jena: 53%) erwartete jedoch ein Unentschieden bzw. war nicht in der Lage, den Ausgang des Duells vorherzusagen. Tabelle 1:
Erwarteter und wahrgenommener Debattensieger Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Sieg Schröder
40
31**
43
63
Unentschieden
56
40
53
25
4
29
4
12
+39
+51
Sieg Merkel Vorsprung Schröder
+36
+2**
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest auf Ost-West-Unterschiede)
Nach der Debatte verschob sich das einmütige Urteil der Untersuchungsteilnehmer in Mainz und Jena. So wurden die an die Kandidaten gestellten Erwartungen in Mainz nur begrenzt erfüllt: Jeweils etwa drei von zehn Probanden sahen Schröder bzw. Merkel als Sieger, während 40 Prozent den Ausgang des Duells als Unentschieden werteten. Ein völlig anderes Bild zeigt sich hingegen in Jena: Rund zwei Drittel der Untersuchungsteilnehmer erklärten den Kanzler zum Sieger. Zwölf Prozent waren der Meinung, Merkel habe besser abgeschnitten. Weitere 25 Prozent konnten sich nicht entscheiden, welcher Kandidat die Debatte gewonnen hat. Während Schröder – im Übrigen ähnlich wie schon bei der ersten TV-Debatte des Jahres 2002 (z.B. Maier/Faas 2003a: 386f.; 2005: 86) – aus Sicht der Mainzer Probanden also deutlich hinter den an ihn gerichteten Erwartungen zurück blieb, fanden die Untersuchungsteilnehmer in Jena, dass er
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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diese sogar leicht übertroffen hat. Demgegenüber wurde Merkel an beiden Standorten attestiert, dass sie sich deutlich (Mainz) bzw. etwas besser (Jena) geschlagen hat, als vor der Debatte angenommen wurde. Repräsentative Umfragen unter den Zuschauern der Fernsehdebatte2 spiegeln nicht ganz das hier gezeichnete Bild wieder.3 Zwar berichten alle Institute von einem klaren Sieg Schröders. Am deutlichsten fiel dieser beim Meinungsforschungsinstitut Forsa (Auftraggeber: RTL) aus. Hier sahen 54 Prozent der Befragten den Kanzler im Vorteil, während nur 31 Prozent Angela Merkel zur Gewinnerin kürten. Etwas knapper aber immer noch unzweifelhaft war der Vorsprung Schröders bei Infratest Dimap (Auftraggeber: ARD). Hier nannten 49 Prozent den Amtsinhaber als Sieger, 33 Prozent sahen die Herausforderin im Vorteil. Zwischen diesen Werten rangierten die Ergebnisse von Emnid (Schröder: 52%, Merkel: 32%), die ihre Resultate bereits schon am Ende der Debatte in SAT.1 vorlegten (siehe dazu auch Kapitel 4.1). Ein Vergleich der Befragungsergebnisse, die während und nach dem Duell erhoben wurden, zeigt, dass Merkel offenbar in der zweiten Hälfte der Debatte etwas besser abgeschnitten hat als im ersten Teil, da der Vorsprung Schröders mit zunehmender Dauer der Diskussion geringer wurde. Die für das ZDF tätige Forschungsgruppe Wahlen berichtete schließlich ebenfalls einen Sieg Schröders, den 48 Prozent zum Sieger erklärten. Merkel nannten 28 Prozent als Gewinnerin. Allerdings zeigen die nach ost- und westdeutschen Zuschauern differenzierten Ergebnisse keine wesentlichen Unterschiede in der Bewertung der Debattenleistung der beiden Kontrahenten.4 Infratest Dimap bestätigt dieses Ergebnis für unentschiedene Wähler. Legt man hingegen alle in dieser Umfrage interviewten Rezipienten des TV-Duells zugrunde, zeigt sich, dass Schröder – analog zu den Befunden unserer Experimentalstudie – in den neuen Bundesländern deutlich besser abgeschnitten hat, als im Westteil des Landes. Nichtsdestotrotz gelang es Merkel
2 Eine Zusammenfassung der im Folgenden zitierten Umfrageergebnisse findet sich unter http://www.welt.de/data/2005/09/04/770859.html (abgerufen am 05.09.2005). Aussagen über den Debattensieger aufgrund von repräsentativen Zuschauerbefragungen sind aus methodischer Sicht jedoch nicht ganz unproblematisch. Vgl. hierzu z.B. Leuthold/Valentine (1981) sowie Maier/Faas (2005: 88). 3 Der Vergleich zwischen Umfrage- und Experimentaldaten soll nicht nahe legen, dass letztere repräsentativ sind. Dennoch schärft der Vergleich den Blick dafür, inwieweit die hier berichteten Zahlen von anderen Ergebnissen abweichen. Abweichungen zwischen beiden den beiden Varianten (sowie zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute) können neben der unterschiedlichen methodischen Herangehensweise auch dadurch zustande kommen, dass teilweise unterschiedliche Frageformulierungen verwendet wurden. 4 Vgl. http://www.forschungsgruppe.de/Verschiedenes/TV_Duell_2005/TVDuell_05_Newsl.pdf (abgerufen am 30.10.2006).
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auch in den alten Bundesländern nicht, Schröder zu schlagen (Infratest Dimap 2005). Meinungsumfragen belegen aber neben dem eindeutigen Bild zum Ausgang der Debatte auch, dass Schröder, der als klarer Favorit ins Rennen ging, die an ihn gestellten Erwartungen zwar erfüllen konnte, Merkel mit ihrem Auftritt aber mehr überraschte. So etwa berichtete die Forschungsgruppe Wahlen, dass 32 Prozent der Auffassung waren, Merkel habe das gezeigt, was man von ihr erwarten konnte. 54 Prozent der befragten Fernsehzuschauer waren der Meinung, die Herausforderin habe besser abgeschnitten als erwartet. Zwölf Prozent fanden hingegen, dass ihr Auftritt schlechter war als vor dem Duell angenommen. Der Auftritt des Kanzlers übertraf demgegenüber für 18 Prozent der Befragten die an ihn gestellten Erwartungen, während 19 Prozent fanden, Schröder sei hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Die große Mehrheit (60 Prozent) waren hingegen der Meinung, der Auftritt des Kanzlers habe ihren Erwartungen entsprochen. Bemerkenswert ist, dass – wie schon für die zweite Fernsehdebatte des Jahres 2002 gezeigt werden konnte (Maurer/Reinemann 2003: 138, 142) – solche Erwartungen an den Ausgang der Debatte nur sehr begrenzt mit den Wahrnehmungen zusammenhängen, wer das Duell gewonnen hat. Für die in Mainz gesammelten Experimentaldaten beträgt die Korrelation .25, in Jena .32 (in beiden Fällen ist p<.05).5 Der wahrgenommene Ausgang der Diskussion entsprach somit nur bei 46 (Mainz) bzw. 61 Prozent (Jena) unserer Probanden den vor dem Duell formulierten Erwartungen (Tabelle 2). 21 (sechs) Prozent gingen vor der Fernsehsendung davon aus, dass Schröder gewinnen würde, kamen aber im Anschluss an die Übertragung zu einem anderen Ergebnis. Drei (zwei) Prozent erwarteten einen Merkel-Sieg, hatten nach der Debatte aber den Eindruck, dass Schröder gewonnen hat oder dass beide Kanzlerkandidaten gleich gut abgeschnitten haben. Schließlich richteten sich 29 bzw. 31 Prozent vor dem Streitgespräch auf ein Unentschieden ein, konnten aber nach dem Duell doch einen Sieger ausmachen. In Mainz ging die Tendenz eher zu Angela Merkel, in Jena votierten die meisten für Gerhard Schröder. Hinter den in Tabelle 1 zu beobachtenden Verschiebungen zwischen dem erwarteten und dem wahrgenommenen Debattensieger stehen also komplexere Austauschprozesse. Die größten „Wanderungsströme“ sind dabei bei denjenigen zu erkennen, die vor dem Duell keinen der Kandidaten als Sieger erwartet haben. In Mainz ist darüber hinaus zu 5
Bei den nachfolgenden Analysen wurden Personen, die nicht in der Lage waren, den Ausgang der Debatte zu prognostizieren oder zu bewerten, mit denjenigen zusammengefasst, die ein Unentschieden erwarteten bzw. erkannt haben.
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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beobachten, dass viele Testpersonen, die einen Schröder-Sieg erwarteten, dann doch ein Unentschieden erkannten oder sogar Angela Merkel zur Gewinnerin erklärten. Tabelle 2:
Zusammenhang zwischen erwartetem und wahrgenommenem Ausgang der Fernsehdebatte
Wahrgenommener Ausgang des Duells
Erwarteter Ausgang des Duells Sieg Schröder Unentschieden Sieg Merkel % % %
Mainz Sieg Schröder
19
11
0
Unentschieden
11
26
3
Sieg Merkel
10
18
1
Sieg Schröder
37
25
2
Unentschieden
2
22
0
Sieg Merkel
4
6
2
Jena
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49).
Wie sind diese Veränderungen zu erklären? Zwei Varianten scheinen hier plausibel: Zum einen ist bekannt, dass die Wahrnehmung von Politik – und hierzu zählt zweifellos auch die Meinung darüber, wer in einer Fernsehdebatte die bessere Figur macht bzw. machen wird – in erheblichem Maße von längerfristigen politischen Grundüberzeugungen beeinflusst wird. Diese als Parteiidentifikation bezeichneten Grundüberzeugungen fungieren dabei nicht nur als „Leuchtfeuer auf politischer See“ (Falter 1977: 478), mit dessen Hilfe man zu Parteien, Politikern und politischen Themen eine Einstellung entwickeln kann – auch dann, wenn man nur über wenige Politikkenntnisse verfügt. Die Parteiidentifikation sorgt darüber hinaus auch dafür, dass in aller Regel nur solche Informationen aufgenommen und verarbeitet werden, die mit bereits bestehenden politischen Orientierungen im Einklang stehen. Durch die Aufnahme primär konsonanter Information sollte die Rezeption eines Fernsehduells also demnach bei parteigebundenen Personen dazu führen, dass der „eigene“ Kandidat, der in aller Regel ohnehin schon überdurchschnittlich gut beurteilt wird, nach einer TV-Debatte nochmals besser bewertet wird. Mit anderen Worten: Die Partei-
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identifikation sollte dafür sorgen, dass bereits vorhandene Einstellungen verstärkt werden. Tatsächlich kann man auch im Kontext der Fernsehdebatte 2005 Veränderungen der Siegerwahrnehmungen erkennen, die man als Verstärkung bereits vorhandener Dispositionen werten kann (Tabelle 3). So vergrößert sich bei Regierungs- sowie bei PDS-Anhängern an beiden Standorten die Differenz zwischen dem Anteil derjenigen, die Schröder als Gewinner der Debatte erwarten bzw. sehen, und denjenigen, die von einem Sieg Merkels ausgehen bzw. erkennen. Gleichzeitig schlägt der vor dem Duell wahrgenommene Vorteil Schröders unter Anhängern von CDU/CSU und FDP in einem Vorsprung Merkels nach der Debatte um. Ebenfalls deutliche Veränderungen sind unter parteipolitisch Ungebundenen zu erkennen, die natürlich ohne Kenntnis weiterer politischer Orientierungen der Untersuchungsteilnehmer nicht aus dem Blickwinkel der Verstärkung von bereits vorhandenen Einstellungen interpretiert werden können: Während es Merkel in Mainz gelingt, den Vorsprung Schröders zu neutralisieren, kann der Kanzler seinen bereits vor dem Duell vorhandenen Vorteil in Jena weiter ausbauen. Tabelle 3:
Erwarteter und wahrgenommener Debattensieger nach Parteiidentifikation (Vorsprung Schröder in Prozentpunkten)
Parteiidentifikation für…
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % %
SPD, Bündnis 90/Die Grünen
+54
+58**
+64*
+79*
CDU/CSU, FDP
+22
-52
0
0
-
-
+60
+80
+32
0
+31
+46
PDS Keine/Andere Parteiidentifikation
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest auf Unterschiede nach Parteiidentifikation)
Zum anderen kommt als Erklärung für die Diskrepanz zwischen Siegererwartung und Siegerwahrnehmung die perzipierte Debattenleistung der Kanzlerkandidaten selbst in Betracht. Die Bewertung der Debattenperformanz wird zwar selbst wieder in hohem Maße durch die Parteibindung gesteuert (z.B. Maier/Faas 2004: 30f.; ähnlich auch Maurer/Reinemann 2003: 147). Perfekt ist die
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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Schutzschildfunktion der Parteiidentifikation jedoch nicht, denn gegnerischen Kandidaten gelingt es immer wieder, positive Bewertungen zu bestimmten Aussagen und Verhaltensweisen zu erzielen (z.B. Faas/Maier 2004; Maurer/ Reinemann 2003: 92ff.; Reinemann/Maurer 2005; sowie Kapitel 2.2). Auf diese Weise kann von der Debattenleistung, so wie sie von den Rezipienten eines Duells gesehen wird, ein eigenständiger Beitrag zur Erklärung des wahrgenommenen Debattensiegers ausgehen. Tabelle 4:
Zusammenhang zwischen RTR-Messung und wahrgenommenem Debattensieger
Wahrgenommener Debattensieger
Mainz RTR: Sieg RTR: Sieg Schröder Merkel % %
Schröder
63**
Unentschieden
34 3
Merkel
5
Jena RTR: Sieg RTR: Sieg Schröder Merkel % % 85**
13
45
15
47
50
0
40
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Der gemessene Zusammenhang zwischen der per Real-Time-ResponseMessung erfassten wahrgenommenen Debattenleistung und der Perzeption des Debattensiegers ist sehr stark. Die Korrelation liegt in Mainz bei .72, in Jena bei .59 (in beiden Fällen gilt p<.01). Noch etwas greifbarer ist der Zusammenhang aus dieser Perspektive (Tabelle 4): 63 (Mainz) bzw. 85 Prozent (Jena) derjenigen, die den Auftritt Schröders – gemessen an ihren spontanen Reaktionen – besser beurteilen als den seiner Herausforderin, erklärten den Kanzler auch in der direkt nach dem Duell durchgeführten Befragung zum Debattensieger. 34 bzw. 15 Prozent werten die Debatte als Unentschieden und drei bzw. null Prozent erklären Merkel zur Gewinnerin. Umgekehrt kommen 50 bzw. 40 Prozent derjenigen, die die Kanzlerkandidatin der Unionsparteien aufgrund ihrer Echtzeitbewertungen im Vorteil sahen, in der Befragung zu dem Ergebnis, dass sie die Diskussion für sich entschieden hat. 45 bzw. 47 Prozent finden, dass das
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Duell keinen Sieger hatte, während fünf bzw. 13 Prozent den Kanzler als Gewinner sahen.6 Welche der drei Varianten – Einfluss der Siegererwartung, Wirkung der Parteibindung oder Effekt der Debattenleistung – ist nun aber zutreffender, wenn es darum geht, das Zustandekommen der Siegerwahrnehmung zu erklären? Da die verschiedenen Variablenkomplexe konzeptionell und empirischen nicht nur mit dem wahrgenommenen Debattensieger, sondern auch miteinander in Beziehung stehen, hilft die bisher angestellte bivariate Betrachtung von Zusammenhängen bei der Beantwortung dieser Frage nicht weiter. Aufschluss bietet einzig eine simultane Analyse der Kausalströme, so wie sie in Abbildung 1 spezifiziert wurden. Empirisch zeigt sich dabei, dass eine Reihe der erwarteten Kausalbeziehungen statistisch nicht signifikant sind (Abbildung 2). Interessanterweise sind diese in Mainz und Jena identisch, so dass davon auszugehen ist, dass sich der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess bei den Probanden beider Standorte gleicht. Dieser Prozess sieht dabei wie folgt aus: Die Erwartungen an den Ausgang der Debatte unterliegen dem systematischen Einfluss der Parteibindung. Dabei wirkt die Parteiidentifikation in der erwarteten Richtung, d.h. Anhänger der Regierungsparteien erwarten typischerweise einen Schröder-Sieg, während Anhänger von CDU/CSU und FDP verstärkt davon ausgehen, dass Angela Merkel das Fernsehstudio als Gewinnerin verlassen wird. Dieser Zusammenhang ist dabei nicht übermäßig stark ausgeprägt – dies gilt insbesondere für die Untersuchungsteilnehmer in Mainz. Im Umkehrschluss heißt dies, dass noch andere, hier nicht berücksichtigte Faktoren bei der Herausbildung der Siegererwartung eine Rolle spielen – allem voran vermutlich die Berichterstattung der Massenmedien über dieses Ereignis. Die Parteiidentifikation steuert darüber hinaus in hohem Maße die mittels Real-Time-Response-Messung erhobene Wahrnehmung der Debattenleistung – ein Ergebnis, dass sich bereits in den vorangegangenen Analysen auf Aggregatebene abzeichnete (vgl. hierzu Kapitel 2.2). Dieser Einfluss ist in Mainz deutlich stärker als in Jena – und dies obwohl an beiden 6 Dass die Ergebnisse der RTR-Messung und der direkt nach der Fernsehsendung erfassten Siegerwahrnehmung nicht völlig deckungsgleich sind, ist auf die unterschiedliche Gewichtung der spontanen Eindrücke von der Debatte für die Beantwortung der Frage, welcher Kandidat das Duell gewonnen hat, zurückzuführen. In den vorliegenden Analysen wird immer davon ausgegangen, dass alle Eindrücke mit gleichem Gewicht in das zusammenfassende Urteil über den Debattenauftritt von Kanzler und Herausforderin einfließen. Die empirischen Ergebnisse in diesem sowie in den anderen Kapiteln zeigen jedoch, dass diese Annahme nicht zutrifft. Dass sich die durch computergestützte Erfassung sichtbaren Schwankungen in der spontanen Beurteilung der Kandidaten durch die nachträgliche Einschätzung des Debattensiegers nur zum Teil erfassen lassen, unterstreicht die Notwendigkeit von RTR-Messungen zur Analyse von Verarbeitungs- und Meinungsbildungsprozessen.
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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Standorten im Rahmen der Rekrutierung von Testpersonen auf eine Gleichverteilung der verschiedenen parteipolitischen Lager geachtet wurde. Dies lässt den Schluss zu, dass Parteibindungen in den alten Bundesländern politische Orientierungen stärker prägen als in den neuen Bundesländern. Schließlich besteht eine enge Kausalbeziehung zwischen der wahrgenommenen Debattenleistung und dem wahrgenommenen Debattensieger. Wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Stärke dieses Effekts sind hier zwischen den Probanden in Mainz und Jena nicht zu beobachten. Abbildung 2: Ein Kausalmodell zur Erklärung des wahrgenommenen Debattensiegers – empirische Ergebnisse R2 = 0,54 / 0,37
R2 = 0,07 / 0,19 Erwarteter Debattensieger
wahrgenommener Debattensieger
R2 = 0,61 / 0,30 0,27* / 0,44**
Debattenleistung (RTR-Messung)
0,58** / 0,50**
0,75** / 0,45**
Parteiidentifikation
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). Ausgewiesen sind standardisierte Pfadkoeffizienten bzw. – über den jeweiligen Variablen – die Erklärungsleistung des jeweiligen Teilmodells. Der erste Wert ist jeweils das Ergebnis für den Standort Mainz, der zweite Wert für den Standort Jena. * p<.05, ** p<.01; nicht angezeigte Pfade sind statistisch nicht signifikant.
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Demgegenüber ist der untersuchte Einfluss des erwarteten Debattensiegers auf den wahrgenommenen Debattensieger bzw. die wahrgenommene Debattenleistung der Kandidaten nicht signifikant. Damit scheidet die Erklärung aus, dass die Erwartungen an den Ausgang eines TV-Duells – direkt oder vermittelt über andere Größen – auf das tatsächliche Ergebnis projiziert werden. Ebenso wenig signifikant ist der Effekt der Parteibindung auf die Perzeption des Debattensiegers. Dies legt den Schluss nahe, dass die Debattenleistung tatsächlich einen eigenständigen Einfluss auf die Wahrnehmung des Debattensiegers hat. Die Vorstellung, dass durch die Rezeption eine simple Verstärkung bereits vorhandener Dispositionen stattfindet, stellt sich als nicht erklärungskräftig heraus. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Parteibindung keine Schlüsselstellung in diesem Prozess zukommt. Ihr Einfluss wirkt sich aber eher vermittelt über die Wahrnehmung der Debattenleistung aus. Da dieser Einfluss aber keineswegs deterministisch ist, bleibt somit für die Kandidaten in einer Debatte ein nicht unerheblicher Spielraum, mit ihren Argumenten und ihrem Auftreten auf die Beurteilung ihrer Performanz durch den Fernsehzuschauer – und damit auf Frage, wer aus Rezipientensicht die Debatte gewonnen oder verloren hat – zu nehmen.
3
Der Einfluss der Siegerwahrnehmung auf die Einstellung zu den Kanzlerkandidaten
Nach unseren Befunden steht für unsere Untersuchungsteilnehmer der Debattensieger also nicht von vornherein fest. Viele lassen sich bei ihrem Urteil darüber, welcher Kandidat die Diskussion gewonnen hat, von der Debattenleistung der Kontrahenten – und weniger von ihren parteipolitischen Präferenzen oder ihren Erwartungen an den Ausgang des Duells – leiten. Als Folge ist zu beobachten, dass große Teile der Probanden (54% in Mainz, 39% in Jena) ihre vor der Sendung geäußerte Erwartung über den Debattensieger direkt im Anschluss an das Ereignis korrigiert haben. Welche Konsequenzen hat dies nun für die Einstellung zu den beiden Kandidaten? Verschieben sich aufgrund des wahrgenommenen Ausgangs der Diskussion die Meinungen zu Schröder und Merkel? Eine Grundvoraussetzung, um von einem solchen Zusammenhang auszugehen, ist natürlich, dass zumindest ein Teil der Probanden nach der Debatte andere Einstellungen zu den beiden Kanzlerkandidaten hat als zuvor. Ob dies der Fall ist, soll im Folgenden exemplarisch an der Frage nach der Kanzlerpräferenz – einer wichtigen Determinante des Wahlverhaltens – untersucht werden.
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
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Aus Tabelle 5 geht hervor, dass sich das Stimmungsbild sowohl in Mainz als auch in Jena im Laufe der TV-Debatte zu Gunsten von Schröder verändert hat. So vergrößerte sich der Anteil derjenigen, die – wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte – für den Amtsinhaber votieren würden, von 39 auf 44 Prozent (Mainz) bzw. von 41 auf 53 Prozent (Jena). Die Unterstützung von Merkel blieb in Mainz hingegen unverändert (jeweils 38%), in Jena hatte sie leichte Einbußen zu verzeichnen (Rückgang von 22 auf 18%). Gleichzeitig sank der Anteil derjenigen, die sich für keinen der beiden Kandidaten entscheiden konnten, von 24 auf 18 Prozent (Mainz) bzw. von 37 auf 29 Prozent (Jena). Tabelle 5:
Kanzlerpräferenz vor und nach dem Duell (Aggregatbetrachtung) Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Schröder
39
44
41
53
Merkel
38
38
22
18
Keinen von beiden
24
18
37
29
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49).
Die in Tabelle 5 zu beobachtenden Veränderungen der Kanzlerpräferenz werden allerdings unterschätzt, da hier nur Verschiebungen für die Gesamtheit der Probanden erfasst werden. Analysiert man die Veränderung der Kanzlerpräferenz auf der Individualebene, zeigen sich wesentlich größere und komplexere Austauschprozesse (Tabelle 6). So ist zu erkennen, dass zwar die meisten Teilnehmer der Untersuchung auch nach dem Duell bei ihrer vor der Debatte geäußerten Kanzlerpräferenz geblieben sind.7 Dies trifft für 93 Prozent der Schröderund 89 Prozent der Merkel-Anhänger in Mainz zu. In Jena sind diese „Haltequoten“ mit 85 (Schröder) bzw. 55 Prozent deutlich niedriger. Gleichzeitig gelingt es aber beiden Kandidaten, Anhänger des jeweils gegnerischen Lagers für sich zu gewinnen. Schröder „konvertiert“ vier Prozent der Anhänger seiner Herausforderin in Mainz und sogar 27 Prozent in Jena. Umgekehrt konnte Merkel nur vier (Mainz) bzw. fünf Prozent der Schröder-Anhänger zu einer Veränderung der Kanzlerpräferenz bewegen. Darüber hinaus ist bei einer Reihe von Proban7 Insgesamt weisen 83 Prozent der Mainzer und 67 Prozent der Jenaer Probanden eine stabile Kanzlerpräferenz auf.
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den zu erkennen, dass sie zwar von ihrer ursprünglichen Kanzlerpräferenz abrücken, sich aber noch nicht zu einer Unterstützung des vormaligen politischen Gegners durchringen können. Der Anteil dieser Gruppe unter den SchröderAnhängern der ersten Befragungswelle beträgt vier (Mainz) bzw. zehn Prozent (Jena). Für Merkel sind mit sieben (Mainz) bzw. 18 Prozent (Jena) etwas höhere Werte zu beobachten. Schließlich ist zu erkennen, dass Schröder nicht nur erfolgreicher darin war, die eigenen Anhänger an sich zu binden und neue Anhänger aus dem Lager des politischen Gegners zu rekrutieren, sondern auch bessere Überzeugungsarbeit unter Probanden leistete, die sich vor dem Duell noch für keinen der beiden Kandidaten erwärmen konnten. In Mainz konnte er 29, in Jena 33 Prozent dieser Gruppe dazu bewegen, ihn zu unterstützen. Merkel gelang dies hingegen nur bei zwölf (Mainz) bzw. elf Prozent (Jena) der Untersuchungsteilnehmer. Tabelle 6:
Kanzlerpräferenz vor und nach dem Duell (Panelbetrachtung)
Nach dem Duell
Schröder %
Vor dem Duell Merkel %
Keiner von beiden %
Mainz Schröder
93
4
29
Merkel
4
89
12
Keiner von beiden
4
7
59
85
27
33
5
55
11
10
18
56
Jena Schröder Merkel Keiner von beiden
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49).
Sind diese Umorientierungen nun ursächlich auf die Rezeption des TV-Duells zurückzuführen? Die in Tabelle 7 ausgewiesene Analyse legt diesen Schluss nahe. So besteht sowohl in Mainz als auch in Jena ein deutlicher Einfluss der vor dem Duell indizierten Kanzlerpräferenz auf den nach dem Duell geäußerten Wunschkanzler: Dabei gilt, dass Personen, die sich vor dem Duell für Merkel bzw. Schröder aussprachen, dies in aller Regel auch nach dem Duell taten. Dieser Einfluss ist in Jena jedoch deutlich geringer als in Mainz, was der in den
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vorangegangenen Tabellen zu beobachtenden größeren Instabilität der Kanzlerpräferenz unter ostdeutschen Probanden entspricht. Weiterhin geht vom wahrgenommenen Ausgang der Debatte ein starker eigenständiger Einfluss auf die Kanzlerpräferenz aus. Hier gilt, dass Untersuchungsteilnehmer, die Merkel (Schröder) im Vorteil sahen, nach dem Duell mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Kanzlerpräferenz für die Herausforderin (den Amtsinhaber) aufwiesen. Dieser Effekt ist in Jena nicht nur deutlich größer als in Mainz, sondern auch erheblich bedeutsamer als der Einfluss der vor dem Duell geäußerten Kanzlerpräferenz. Tabelle 7:
Determinanten der nach dem Duell geäußerten Kanzlerpräferenz
Kanzlerpräferenz vor dem Duell
Mainz beta
Jena beta
.59**
.31**
Wahrgenommener Debattensieger
.38**
.61**
Korrigiertes R2
.78**
.59**
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Für die Kandidaten ergibt sich daraus, dass aus einem gelungenen Auftritt bei einem Fernsehduell durchaus manifeste Vorteile erwachsen können. Sowohl Merkel als auch – allerdings in weit größerem Maße – Schröder gelang es durch ihre Debattenperformanz, Anhänger des jeweiligen politischen Gegners umzustimmen und unentschlossene Wähler für sich zu gewinnen. Dass die von den beiden Kandidaten während der Debatte geleistete Überzeugungsarbeit bei den Teilnehmer der Untersuchung in Jena auf fruchtbareren Boden fiel als bei den Mainzer Probanden, ist angesichts der auch eineinhalb Jahrzehnte nach der deutschen Einheit immer noch schwächeren parteipolitischen Verwurzelung ostdeutscher Bürger (z.B. Rattinger 2006) nicht überraschend.
4
Zusammenfassung und Fazit
Fernsehdebatten werden von Medien und Politik häufig auf die Frage reduziert, welcher Kandidat sie „gewonnen“ und wer sie „verloren“ hat. In ihrer der Beurteilung eines Sportereignisses nicht unähnlichen Sicht auf eine TV-Diskussion stützten sie sich gerne auf Meinungsumfragen, die standardmäßig die Frage
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Jürgen Maier
nach dem wahrgenommenen Debattensieger enthalten. Wie die Befragten angesichts der zahlreichen zwischen den Kandidaten ausgetauschten Argumente und der Fülle der von ihnen ausgesendeten nonverbalen Signalen zu einer so reduzierten, die Leistungen und das Auftreten der Kontrahenten vergleichenden Wahrnehmung gelangen, wurde in der Debattenforschung bislang kaum hinterfragt. Eine Ursache hierfür mag die weit verbreitete Ansicht sein, dass Fernsehdebatten – wie andere Wahlkampfelemente auch – vorwiegend bereits vorhandene politische Dispositionen verstärken. Diese Vorstellung ist zwar nicht grundsätzlich falsch; das Bild, das mit den vorliegenden Daten für die Fernsehdebatte 2005 gezeichnet wird, ist jedoch etwas komplexer. So nimmt die Parteibindung nach den vorliegenden Ergebnissen keinen direkten Einfluss auf die Siegerwahrnehmung, sondern wirkt sowohl in Mainz als auch in Jena nur vermittelt über die wahrgenommene Debattenleistung. Aussagen und Auftreten der Kandidaten werden somit zwar durch die parteipolitische Brille betrachtet. Der Einfluss der Parteibindung ist allerdings nicht so stark, dass Argumente des eigenen Kandidaten generell für gut und die des Gegners ebenso automatisch für schlecht befunden werden. Vielmehr werden Aussagen und Verhaltensweisen der Kandidaten ein gutes Stück weit unabhängig von politischen Grundüberzeugungen und Erwartungen an den Ausgang einer Debatte (die mit dem wahrgenommenen Debattensieger kausal nichts zu tun haben) beurteilt. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass alle verbalen und nonverbalen Signale der Kandidaten grundsätzlich über das Potenzial verfügen, das für Politik und Medien so wichtige Zuschauerurteil über den Debattensieger zu beeinflussen. Tatsächlich schlägt sich eine gute Debattenperformanz positiv auf die Einstellung zu den Kandidaten nieder. In Mainz veranlasste der Auftritt der beiden Kontrahenten jeden fünften, in Jena sogar jeden dritten Probanden dazu, seine vor dem Duell geäußerte Kanzlerpräferenz abzuändern. Insbesondere unentschiedene Wähler benutzen das TV-Duell dazu, sich einem der beiden Kandidaten zuzuwenden. Für einen kleinen Teil der Wähler ist sogar zu erkennen, dass sie eine bestehende Kanzlerpräferenz aufgrund der Fernsehdebatte zugunsten des vormaligen politischen Gegners abändern. „Gewinnen ist nicht alles, aber es hilft“ – mit diesem Satz hat Peter Schrott (1993) einmal einen Aufsatz über die Effekte der „Elefantenrunden“ der 1970er und 1980er Jahre überschrieben. Dieser Satz trifft auch auf die Fernsehdebatte des Bundestagswahlkampfs 2005 zu. So hat Schröder das Duell zwar gewonnen, die nachfolgende Wahl hingegen jedoch nicht. Dennoch gelang es ihm – wie auch die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen – durch seinen Debattenauftritt zahlreiche neue Wähler an sich zu binden und (da Merkel diesbezüglich
Urteile über den Debattensieger und Veränderung der Kanzlerpräferenz
109
deutlich weniger Erfolg hatte) damit den Ausgang der Wahl noch einmal spannend zu gestalten. Fernsehdebatten sind demnach ein ernstzunehmendes Wahlkampfereignis. Angesichts der hier skizzierten, von längerfristigen politischen Grundüberzeugungen unabhängigen Kurzfristeffekte muss ein Sieg in einer solchen Live-Konfrontation das erklärte Ziel eines jeden Kandidaten sein.
3.2
Personalisierung durch Priming Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler Marcus Maurer und Carsten Reinemann
Gegner von Fernsehduellen führen vor allem ein Argument ins Feld: Fernsehduelle fördern die Personalisierung der Politik. Sie lenken die Aufmerksamkeit weg von Sachthemen hin zu Personen und lassen unpolitische Eigenschaften der Kandidaten, z.B. ihre Fähigkeit, sich vor einem großen Publikum gut zu präsentieren, wichtiger erscheinen als ihre politische Kompetenz. In letzter Konsequenz – so die Kritiker – tragen sie dazu bei, dass die Wähler ihre Wahlentscheidungen eher von den Kandidaten als von Parteien oder Sachthemen abhängig machen. Bereits nach den beiden TV-Duellen im Bundestagswahlkampf 2002 urteilte beispielsweise die vom Grimme-Institut eingesetzte „Kommission zu den Kanzlerdebatten“, das Duell richte „die Aufmerksamkeit des breiten Publikums auch in Deutschland auf das Modell eines ‚Präsidialkanzlers’, der Legitimation wesentlich aus medialer Präsenz und Überzeugungskraft bezieht“ (Frankfurter Rundschau vom 17.09.2002). Besonders problematisch sei dies in einem parlamentarischen Regierungssystem wie dem der Bundesrepublik, in dem nicht Politiker sondern Parteien gewählt werden. Hier passe ein TV-Duell schlicht nicht zum Wahlsystem (z.B. Donsbach 2002). Vor dem Duell 2005 diskutierten dann auch die Medien kontrovers darüber, welche Auswirkungen die zugespitzte Konfrontation zweier Kandidaten für das Funktionieren der bundesdeutschen Demokratie haben würde – mit durchaus unterschiedlichem Ergebnis (z.B. einerseits Tuma 2005; andererseits Krupa 2005). Wir wollen in diesem Kapitel untersuchen, ob das TV-Duell tatsächlich die Urteils- und Entscheidungskriterien der Wähler im Bundestagswahlkampf 2005 verändert hat. Zuvor wollen wir jedoch ein theoretisches Modell präsentieren, das den Einfluss von TV-Duellen auf die Personalisierung der Politik erklären kann.
112
1
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Personalisierung durch Priming – Ein Modell
Wie stark Wahlentscheidungen personalisiert sind, ist zweifellos eine der am häufigsten untersuchten Fragen der Wahlforschung. Sie basiert auf dem sozialpsychologischen Ansatz zur Erklärung des Wahlverhaltens (Campbell et al. 1960), der im Wesentlichen drei Erklärungsfaktoren unterscheidet. Langfristig beeinflusst die emotionale Bindung an eine Partei (Parteiidentifikation) die Wahlabsicht. In jedem Wahlkampf kommen zwei kurzfristige Faktoren hinzu: die Themenorientierung, also die Frage, welche Positionen die Wähler bei den wahlrelevanten Streitfragen einnehmen bzw. wem sie die Lösung der politischen Probleme zutrauen, und die Kandidatenorientierung, also die Urteile der Wähler über die Kandidaten. Die Frage ist dann für jede Wahl aufs Neue, welcher dieser drei Faktoren die Wahlentscheidung am stärksten beeinflusst (zusammenfassend Schoen/Weins 2005). In der Regel ist dies immer noch die Parteibindung. Umstritten ist, ob die Erklärungskraft der Kandidatenorientierungen – und somit die Personalisierung des Wahlverhaltens – in den letzten Jahrzehnten größer geworden ist oder lediglich von Wahl zu Wahl variiert, ohne dass ein Trend erkennbar ist (einerseits z.B. Ohr 2000; andererseits z.B. Brettschneider 2002). Die Urteile der Wähler über die Kandidaten basieren wiederum auf einer Reihe mehr oder weniger voneinander unabhängiger Einzeleindrücke. Dabei kann man zwei Dimensionen unterscheiden: eher unpolitische Persönlichkeitseigenschaften und politische Sachkompetenzen (z.B. Klein/Ohr 2000; Gabriel 2002; Kepplinger/Maurer 2005).1 Unter Persönlichkeitseigenschaften versteht man Eigenschaften, die man von allen Menschen erwarten kann, z.B. dass sie sympathisch, vertrauenswürdig oder ehrlich sind. Sachkompetenzen sind Eigenschaften, die man speziell von Politikern erwarten kann, z.B. dass sie die Arbeitslosigkeit senken, die Wirtschaft ankurbeln oder die Renten sichern. Personalisierung der Politik kann in diesem Sinne folglich auch bedeuten, dass die Wähler Politiker eher anhand von Persönlichkeitseigenschaften als anhand von Sachkompetenzen beurteilen. Hier zeigen die meisten Untersuchungen ein eindeutiges Bild: Die Wähler beurteilen Politiker eher anhand von Persönlichkeitseigenschaften – vor allem Sympathie und Glaubwürdigkeit – als anhand von Sachkompetenzen (z.B. Kepplinger/Maurer 2005: 112ff.).
1 Einige Untersuchungen (z.B. Brettschneider 2002) unterscheiden auch vier Dimensionen (Kompetenz, Führungsstärke, Integrität, persönliche Eigenschaften). Für die diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsfrage erscheint die Unterscheidung in zwei Dimensionen jedoch sinnvoller (dazu auch Schoen/Weins 2005: 236).
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
113
Warum kann man nun annehmen, dass TV-Duelle sowohl den Einfluss der Kandidatenorientierungen auf das Wahlverhalten, als auch den Einfluss unpolitischer Persönlichkeitseigenschaften auf die Urteile über Politiker vergrößern? Die Antwort liefert eine Theorie, die bislang kaum explizit auf diese beiden Fragen angewandt wurde: die Priming-Theorie. Vor etwa 20 Jahren entdeckten Shanto Iyengar und Donald R. Kinder mehr oder weniger zufällig den PrimingEffekt der Medienberichterstattung (Iyengar/Kinder 1987). Sie stellten in mehreren Experimenten fest, dass Fernsehzuschauer, denen Beiträge zu bestimmten politischen Themengebieten gezeigt wurden, ihre Urteile über den amerikanischen Präsidenten und ihre Wahlentscheidungen vor allem anhand ihrer Eindrücke von seinen Leistungen auf diesem Themengebiet abhängig machten. Hatten die Zuschauer beispielsweise mehrere Beiträge über Energiepolitik gesehen, hingen ihre Gesamturteile über Präsident Carter und ihre Wahlentscheidungen anschließend verstärkt von ihrer Beurteilung der Energiepolitik Carters ab. Diese experimentell gewonnen Ergebnisse wurden in späteren Untersuchungen auch in Feldstudien bestätigt (z.B. Iyengar/Simon 1993). Die Rezipienten greifen bei ihrer Urteilsbildung über Politiker vor allem deshalb auf die Kriterien zurück, die ihnen aufgrund aktueller Informationen gerade präsent sind, weil eine Berücksichtigung aller relevanten Kriterien für die Urteilsbildung die menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten bei Weitem übersteigen würde (zu einer ausführlichen Darstellung dieser Prozesse siehe Peter 2002). Iyengar und Kinder haben ihre Untersuchungen zunächst auf die Vorstellungen von den Sachkompetenzen der Politiker auf verschiedenen Themengebieten beschränkt. Neuere Untersuchungen haben mittlerweile gezeigt, dass die Wähler bei ihrer Urteilsbildung über Politiker auch vor allem die Persönlichkeitseigenschaften heranziehen, die in den Medien besonders häufig vermittelt werden (z.B. Kepplinger/Maurer 2003). Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Medienberichterstattung das relative Gewicht von Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenzen für die Urteilsbildung über Politiker verschieben kann – ein Sachverhalt, der zuletzt als Image-Priming bezeichnet wurde (Druckman/Holmes 2004). Schließlich haben einzelne Untersuchungen gezeigt, dass die Medienberichterstattung auch die Entscheidungskriterien bei Wahlen beeinflusst. So machten beispielsweise Wähler, die nur selten Medien nutzten, ihre Wahlentscheidung bei der kanadischen Präsidentschaftswahl 1988 zu etwa gleichen Teilen von ihrer Parteibindung und ihren Ansichten über die Persönlichkeit der Kandidaten abhängig. Für Wähler, die häufig Medien nutzten, war dagegen die Persönlichkeit der Kandidaten deutlich wichtiger (Mendelsohn 1994). Allen Untersuchungen ist gemeinsam, dass sie explizit oder implizit die Medienberichterstattung als Ursache der Personalisierung der Politik be-
114
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
trachten. Weil die Medien – vor allem das Fernsehen – Personen und ihre unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften in den Vordergrund rücken und die Wähler sich bei ihrer Urteilsbildung an den Kriterien orientieren, die die Medienberichterstattung vorgibt (Priming-Effekt), spielen die Kandidaten auch in parlamentarischen Demokratien eine wichtige Rolle für die Wahlentscheidung. TV-Duelle sind zugespitzte Konfrontationen zwischen den beiden Spitzenkandidaten in einem Wahlkampf. Sie werden zudem von mehr Wählern rezipiert als jede andere Art von Wahlkampfkommunikation. Man kann folglich annehmen, dass sie besonders starke Priming-Effekte verursachen. Wir haben deshalb bereits anlässlich unserer Untersuchung des zweiten TV-Duells im Bundestagswahlkampf 2002 (Maurer/Reinemann 2003) ein Drei-Ebenen-Modell zur Analyse von Priming-Effekten durch Fernsehduelle entwickelt: Erstens werden in Fernsehdebatten manche Sachthemen intensiver diskutiert als andere und Eindrücke von manchen Persönlichkeitseigenschaften der Kandidaten häufiger vermittelt als andere. Man kann deshalb annehmen, dass die Themen und Persönlichkeitseigenschaften, die den Zuschauern häufiger vermittelt werden, für die Urteilsbildung relevanter werden (Ebene I). Zweitens liefern Fernsehduelle vor allem Informationen über unpolitische Persönlichkeitseigenschaften der Kandidaten. Ob ein Kandidat sympathisch, unsicher oder rhetorisch geschickt ist, ist während des gesamten Duells erkennbar. Ob er die Arbeitslosigkeit senken kann, wird nur deutlich, wenn seine Kompetenz auf diesem Themenfeld angesprochen wird. Man kann deshalb vermuten, dass Persönlichkeitseigenschaften im Vergleich zu politischen Sachkompetenzen für die Gesamturteile über die Kandidaten an Bedeutung gewinnen (Ebene II). Drittens liefern Fernsehduelle den Wählern vor allem Informationen über die Kandidaten. Für 90 Minuten erscheint der Wahlkampf als eine Konfrontation zwischen zwei Personen. Man kann deshalb annehmen, dass die Vorstellungen von den Kandidaten im Vergleich zu den langfristigen Parteibindungen für die Wahlabsicht an Bedeutung gewinnen (Ebene III). Abbildung 1 zeigt die vermuteten Priming-Effekte exemplarisch am Beispiel eines fiktiven TV-Duells, das vor allem Informationen über die Glaubwürdigkeit der Kandidaten liefert. Die Urteilskriterien, die jeweils relevanter werden, sind grau hinterlegt (Abbildung 1).
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
115
Abbildung 1: Die drei Priming-Ebenen in Wahlkämpfen
TV-Duell
z.B. Betonung der Frage des Glaubwürdigkeit der Kandidaten
z.B. Wirtschaftskompetenz
Vorstellungen von Kompetenzen insgesamt z.B. außenpolitische Kompetenz
Ebene II z.B. Glaubwürdigkeit
Ebene I
Vorstellungen von Kandidaten/ Parteien insgesamt
Vorstellungen von der Persönlichkeit insgesamt
z.B. Auftreten
Ebene III Parteiidentifikation
Wahlentscheidung
Themenbezogene Vorstellungen
Quelle: Maurer/Reinemann (2003): 33
In unserer Untersuchung des zweiten TV-Duells 2002 haben sich diese Annahmen im Großen und Ganzen bestätigt. Die Vorstellungen von den Kompetenzen der Kandidaten auf den Themenfeldern, die im Duell besonders häufig diskutiert wurden (Arbeitslosigkeit, Außenpolitik, Bildung), prägten die Gesamturteile über die Kandidaten nach dem Duell stärker als vorher. Allerdings galt dies jeweils nur für den Kandidaten, der bei dem jeweiligen Themenfeld im Duell eher keinen guten Eindruck hinterlassen hatte (Schröder: Arbeitslosigkeit; Stoiber: Außenpolitik). Die Vorstellungen von den Persönlichkeitseigenschaften der Kandidaten, die im Duell häufig erkennbar waren (v.a. Sympathie), prägten die Gesamturteile über die Kandidaten nach dem Duell ebenfalls deutlich stärker als vor dem Duell (Ebene I). Das Duell veränderte auch den relativen Einfluss von Sachkompetenz und Persönlichkeit auf das Gesamturteil über die Kandidaten (Ebene II). Allerdings war der Einfluss bei den Kandidaten gegenläufig: Beide Kandidaten wurden vor und nach dem Duell vor allem anhand unpolitischer Persönlichkeitseigenschaften beurteilt. Während bei Stoiber der Einfluss der Vorstellungen von seiner Sachkompetenz aber größer wurde, verschwand er bei Schröder komplett. Am relativen Einfluss von langfristiger Parteibindung und
116
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Kandidatenorientierung auf die Wahlabsicht (Ebene III) ändert sich zunächst nichts: Die CDU-Wahlabsicht war vor allem, die SPD-Wahlabsicht ausschließlich von der langfristigen Parteibindung geprägt. Veränderungen waren erst in den Tagen nach dem Duell erkennbar: Die Meinungen der Wähler über Schröder wurden fünf Tage nach dem Duell erstmals für die Wahlentscheidung relevant. Nun wollten deutlich mehr Menschen die SPD wählen, die sich traditionell nicht der SPD verbunden fühlten, weil sie eine gute Meinung von Schröder hatten. Dies war zwar nicht direkt auf das Duell, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auf die intensive Nachberichterstattung in den Massenmedien zurückzuführen (Maurer/Reinemann 2003: 192ff.). Eine Reihe repräsentativer Befragungen zu den TV-Duellen 2002 bestätigen diese Ergebnisse für einzelne der drei Ebenen (Donsbach et al. 2004; Schoen 2004; Klein 2005; anders Maier 2006). Experimente zu amerikanischen Fernsehdebatten legen zudem die Annahme nahe, dass die Priming-Effekte von TV-Duellen vor allem durch die visuelle Präsenz der Kandidaten entstehen. Probanden, die eine Debatte gesehen hatten, beurteilten die Kandidaten hinterher stärker anhand von unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften als anhand von Sachpositionen. Bei Probanden, die die Debatte lediglich zu hören bekamen, war es umgekehrt (Druckman 2003). Insgesamt kann man folglich festhalten, dass Politiker Fernsehdebatten oder andere öffentliche Auftritte (Druckman/Holmes 2004; Druckman et al. 2004) dazu nutzen können, die Urteilskriterien über sich selbst oder ihre Gegenkandidaten in ihrem Sinne zu verändern. Sie können beispielsweise Sachthemen, bei denen sie als besonders kompetent gelten, so häufig thematisieren, dass sie von den Wählern vor allem anhand dieser Sachthemen beurteilt werden. Sie können Persönlichkeitsmerkmale in den Vordergrund treten lassen, wenn sie als wenig sachkompetent gelten. Und sie können sich selbst in den Vordergrund rücken, wenn die Wähler mit ihrer Partei unzufrieden sind. Priming-Effekten kommt in Wahlkämpfen folglich eine erhebliche Bedeutung zu. Wir wollen deshalb im Folgenden untersuchen, ob auch das Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel PrimingEffekte verursacht hat. Wir orientieren uns dabei an unserem Drei-EbenenModell des Priming.
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
2
117
Der Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Sachkompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften auf die Gesamturteile über Schröder und Merkel (Priming-Ebene I)
Im ersten Schritt wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Sachthemen den Gesamteindruck der Wähler von den beiden Kandidaten vor dem TV-Duell besonders stark geprägt haben und wie sich dies durch das Duell verändert hat. Dazu berechnen wir multiple Regressionen, die den Einfluss der Vorstellungen von 11 einzelnen Sachkompetenzen (z.B. „Gerhard Schröder kann die Arbeitslosigkeit senken“; für einen Überblick siehe Tabelle 1) auf die Gesamturteile über die Kandidaten (z.B. „Was halten Sie – ganz allgemein – von Gerhard Schröder?“) bei gleichzeitiger Kontrolle der Vorstellungen von allen anderen Sachkompetenzen ermitteln. Wie groß der jeweilige Einfluss ist, zeigen in den folgenden Tabellen die beta-Werte. Je höher der Wert, desto größer der Einfluss. Wenn – wie von uns erwartet – die Kompetenzen auf den Themenfeldern, die im Duell diskutiert wurden, für die Urteilsbildung der Wähler wichtiger werden, müssten folglich die entsprechenden beta-Werte nach dem Duell höher sein als zuvor. Wie wir bereits gezeigt haben (siehe Kapitel 2.1), wurde im Duell vor allem über Steuerpolitik, die Arbeitslosigkeit und die Außenpolitik gesprochen. Relativ häufig angesprochen wurde auch die Sozialpolitik. Diese Themen sollten folglich für die Urteilsbildung über die Kandidaten relevanter werden. Dagegen wurden z.B. Bildung und Staatsverschuldung kaum diskutiert. Sie sollten folglich Relevanz verlieren. Ob dies zutrifft, überprüfen wir im Folgenden für die Zuschauer in Mainz und Jena getrennt. Vor dem Duell hatte keine einzige der Vorstellungen von den 11 Sachkompetenzen einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Gesamturteile der Mainzer Probanden über Schröder. Die Meinungen der Jenaer Probanden wurden allein von ihren Vorstellungen davon geprägt, ob Schröder für soziale Gerechtigkeit sorgen kann. Nach dem Duell hatte sich bei den Mainzer Zuschauern nichts geändert: Nach wie vor waren die Gesamturteile von den Vorstellungen von den einzelnen Sachkompetenzen nicht beeinflusst. Eine Veränderung zeigt sich allerdings bei den Jenaer Zuschauern: Ihre Urteile wurden nun nicht mehr davon beeinflusst, ob sie Schröder zutrauten, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, sondern davon, ob sie ihm zutrauten, die Familien zu fördern. Dies entsprach den Erwartungen, weil über dieses Thema im Duell zumindest gelegentlich diskutiert wurde. Lässt man die statistische Signifikanz außer Acht, kann man zudem festhalten, dass die Vorstellungen bei den zentralen Duellthemen Arbeit und Außenpolitik für die Mainzer Probanden durch das Duell relevanter
118
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
wurden. Diese Ergebnisse müssen jedoch sehr vorsichtig interpretiert werden. Abgesehen davon zeigten sich die erwarteten Priming-Effekte nicht (Tabelle 1). Tabelle 1:
Der Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Sachkompetenzen Schröders auf die Meinungen über ihn
Schröder kann… die Bildung verbessern
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Vor dem Duell beta
Jena Nach dem Duell beta
.25
.20
.03
-.12
die Wirtschaft ankurbeln
.18
.18
.28
.08
die Arbeitslosigkeit senken
-.01
.15
.25
.19
deutsche Interessen vertreten
-.01
.14
.38
-.06
für soziale Gerechtigkeit sorgen
.17
.11
.39*
.47
die Steuern senken
-.19
-.02
-.31
-.15
die Familien fördern
.08
.14
.01
.44*
die Renten sichern
.17
-.08
.03
.01
die Gesundheit bezahlbar halten
.07
.06
.23
.21
Terroranschläge verhindern
.07
.13
-.01
-.12
die Staatsverschuldung reduzieren
.15
.16
.07
.19
.38**
.32**
.43**
.51**
korrigiertes R
2
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Angela Merkel wurde vor dem Duell anhand etwas anderer Kriterien beurteilt als Gerhard Schröder. Für die Wähler in Mainz war besonders wichtig, dass sie „die Gesundheit bezahlbar halten“ kann. Für die Jenaer Wähler war keine von Merkels Sachkompetenzen so relevant, dass sie einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Gesamturteile über sie hatte. Nach dem Duell wurden für die Mainzer Zuschauer zwei Vorstellung relevanter: die Vorstellung, ob Frau Merkel deutsche Interessen vertreten kann – dies entspricht den Erwartungen – und die Vorstellung, ob sie für soziale Gerechtigkeit sorgen kann. Unwichtiger wurden dagegen die Vorstellungen von ihren Kompetenzen im Bereicht der Gesundheitspolitik – auch dies hatten wir erwartet. Für die Urteilsbildung der Je-
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
119
naer Zuschauer blieben die Vorstellungen von den Sachkompetenzen Merkels irrelevant – auch wenn wiederum Veränderungen erkennbar waren, die wir aufgrund fehlender statistischer Signifikanz allerdings nicht interpretieren wollen (Tabelle 2). Tabelle 2:
Der Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Sachkompetenzen Merkels auf die Meinungen über sie
Merkel kann…
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
die Bildung verbessern
.01
-.13
.20
.32
die Wirtschaft ankurbeln
.19
.16
.06
.58
die Arbeitslosigkeit senken
.02
.05
.11
.18
deutsche Interessen vertreten
.24
.29**
.25
.18
für soziale Gerechtigkeit sorgen
.09
.30*
.05
-.02
die Steuern senken
.01
-.06
-.13
-.10
die Familien fördern
-.10
-.04
.48
.04
die Renten sichern
.29
.08
-.25
-.25
die Gesundheit bezahlbar halten
.39*
.26*
.17
-.05
Terroranschläge verhindern
-.06
-.05
-.12
-.24
die Staatsverschuldung reduzieren
-.21
.04
.05
-.02
.56**
.68**
.72**
.51**
korrigiertes R
2
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Insgesamt kann man folglich festhalten, dass das TV-Duell im Hinblick auf den Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Sachkompetenzen auf die Gesamturteile über die Kandidaten kaum systematische Priming-Effekte verursacht hat. Dies kann man vermutlich damit erklären, dass die einzelnen Sachkompetenzen insgesamt wenig zur Erklärung der Gesamturteile beitrugen. Das galt für Schröder noch stärker als für Merkel. Sowohl vor als auch nach dem Duell war den Wählern praktisch keine Sachkompetenz so wichtig, dass sie das Gesamturteil statistisch signifikant geprägt hätte. Daran konnte auch das TV-Duell nichts
120
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
ändern, das sich zudem mit einer relativ großen Zahl von Sachthemen ähnlich intensiv befasst hat. Folglich ist es ohnehin fraglich, ob man in diesem Fall einen Priming-Effekt erwarten kann. Im zweiten Schritt wollen wir den Einfluss des TV-Duells auf die Relevanz der Vorstellungen der Wähler von 13 einzelnen Persönlichkeitseigenschaften (z.B. „Gerhard Schröder ist sympathisch“; für einen Überblick siehe Tabelle 3) für ihre Gesamturteile über die Kandidaten untersuchen. Hier kann man erwarten, dass zwei Gruppen von Eigenschaften für die Urteilsbildung der Zuschauer relevanter werden: einerseits Eigenschaften, die während eines Duells ständig erkennbar sind, weil sie vor allem visuell vermittelt werden (Sympathie, Unsicherheit, Lockerheit) oder ständig unter Beweis gestellt werden müssen (rhetorisches Geschick), andererseits Eigenschaften, die in einem Duell verbal thematisiert werden. Welche das sind, ist von Duell zu Duell unterschiedlich. In diesem Duell ging es – wie im gesamten Wahlkampf – häufig um die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit der Kandidaten. So war eine der erfolgreichsten Aussagen Merkels, als sie in ihrem Schlussplädoyer darauf hinwies, sie sage vor der Wahl, was sie nach der Wahl tun werde (siehe Kapitel 2.2). Zudem warf Merkel Schröder z.B. vor, die Rentner betrogen und sein Versprechen, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken, nicht gehalten zu haben. Im Gegenzug kritisierte Schröder Merkel, weil sie den Wählern nicht klar sage, wie sie die geplante Neuorganisation des Gesundheitssystems („Kopfpauschale“) finanzieren wolle und bat in seinem Schlussstatement um „neues Vertrauen“ für seine Politik. Vor dem Duell beurteilten die Mainzer Zuschauer Schröder vor allem danach, ob er sympathisch, glaubwürdig und unsicher ist, sowie danach, ob er die anstehenden Probleme lösen kann. Den Jenaer Zuschauern war besonders wichtig, ob er tatkräftig ist. Wie erwartet, änderten sich die Urteilskriterien der Zuschauer nach dem Duell: In beiden Untersuchungsorten nahm die Relevanz von Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit mehr oder weniger deutlich zu – in Jena noch stärker als in Mainz. Eine zunehmende Relevanz von Sicherheit, Lockerheit und rhetorischen Fähigkeiten war dagegen weder in Mainz noch in Jena erkennbar. Unterschiede zwischen den beiden Untersuchungsorten gab es vor allem hinsichtlich der Relevanz von Sympathie und Problemlösungsfähigkeit. Während die Jenaer Zuschauer Schröder nach dem Duell, wie erwartet, verstärkt danach beurteilten, ob er sympathisch ist, war die Sympathie für die Mainzer Zuschauer nach dem Duell weniger relevant als vorher. Ebenso war es auch mit der Problemlösungskompetenz: Ihr starker Einfluss auf die Urteilsbildung der Mainzer Zuschauer war nach dem Duell fast vollständig verschwunden. In Jena wurde die Problemlösungskompetenz dagegen für die Urteilsbildung wichtiger, ohne allerdings einen statistisch signifikanten Einfluss zu erreichen (Tabelle 3).
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
Tabelle 3:
121
Der Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Persönlichkeitseigenschaften Schröders auf die Meinungen über ihn Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Schröder…
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
ist sympathisch
.23*
.10
.25
.38**
ist glaubwürdig
.37**
.43**
.15
.28**
ist sozial
-.06
.05
-.08
-.41**
ändert oft seine Meinung
.06
-.17*
.06
.09
wird mit den Problemen fertig
.30*
.06
.01
.12
ist ehrlich
-.09
.13
.28
.55**
ist entscheidungsfreudig
.02
.12
.03
.04
ist tatkräftig
.01
.01
.27*
.13
kann gut reden
.18
.01
.02
.06
denkt vor allem an sich
-.24
-.03
.,03
-.13
wirkt unsicher
-.18*
-.01
-.16
-.05
denkt langfristig
.02
.03
.09
.06
ist locker
-.03
-.07
-.10
-.14
.65**
.80**
.75**
.79**
korrigiertes R
2
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Die Kriterien zur Beurteilung von Merkel veränderten sich durch das Duell in ähnlicher Weise. Bereits vor dem Duell war den Wählern an beiden Untersuchungsorten vor allem wichtig, ob sie sympathisch ist. Die Urteile der Mainzer Zuschauer wurden auch noch stark davon geprägt, ob sie sozial ist, die Urteile der Jenaer Zuschauer davon, ob sie eine gute Rednerin ist. Nach dem Duell nahm die Relevanz der Glaubwürdigkeit, nicht aber die der Ehrlichkeit, in Mainz und Jena stark zu. Nicht relevanter wurden wiederum die Sicherheit, Lockerheit und rhetorischen Fähigkeiten. Im Gegenteil: Der Einfluss der rhetorischen Fähigkeiten ließ in Jena sogar stark nach. Die Veränderungen der Relevanz der Sympathie und Problemlösungsfähigkeit entsprachen denen, die wir
122
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
schon bei den Urteilskriterien über Schröder beobachtet haben: Beide wurden in Jena wichtiger, in Mainz etwas unwichtiger. Insgesamt lässt sich folglich festhalten, dass bei der Untersuchung des Einflusses der Vorstellungen von einzelnen Persönlichkeitseigenschaften auf die Gesamturteile über die Kandidaten deutlich stärkere Priming-Effekte erkennbar waren, als bei der Untersuchung des Einflusses der Vorstellungen von einzelnen Sachkompetenzen (Tabelle 4). Tabelle 4:
Der Einfluss der Vorstellungen von einzelnen Persönlichkeitseigenschaften Merkels auf die Meinungen über sie
Merkel… ist sympathisch ist glaubwürdig
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta .43**
.25*
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta .27*
.39*
.22
.32*
.28
.47**
ist sozial
-.24*
-.19
.04
.05
ändert oft ihre Meinung
-.10
.10
-.14
-.02
wird mit den Problemen fertig
.16
.14
.01
.39**
ist ehrlich
.26
.20*
-.11
.02
ist entscheidungsfreudig
-.02
.12
.17
.09
ist tatkräftig
-.03
.09
-.12
.01
kann gut reden
-.06
.07
.28*
.08
denkt vor allem an sich
-.24
-.03
-.14
-.04
wirkt unsicher
-.05
-.08
.05
-.06
denkt langfristig
.14
.19*
.23*
.20
ist locker korrigiertes R2
.06
.03
.05
-.15
.70**
.78**
.77**
.86**
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
3
123
Der relative Einfluss der Vorstellungen von der Sachkompetenz und der Persönlichkeit auf die Gesamturteile über Schröder und Merkel (Priming-Ebene II)
In diesem Abschnitt wollen wir untersuchen, ob das TV-Duell dazu geführt hat, dass die Zuschauer ihre Urteile über die Kandidaten verstärkt anhand von unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften getroffen haben. Dazu vergleichen wir den relativen Einfluss der Vorstellungen von der Sachkompetenz und der Persönlichkeit der Kandidaten auf die Gesamturteile über sie. Die Vorstellungen von der Sachkompetenz der Kandidaten ermitteln wir, indem wir für jeden einzelnen Probanden in Mainz und Jena einen additiven Index aus den Vorstellungen von den 11 einzelnen Sachkompetenzen bilden, die wir im vorangegangenen Kapitel behandelt haben. Die Vorstellungen von der Persönlichkeit der Kandidaten ermitteln wir auf dieselbe Weise aus den 13 einzelnen Persönlichkeitseigenschaften. Die Meinungen über beide Kandidaten wurden in Mainz und Jena vor und nach dem Duell wesentlich stärker von den Vorstellungen der Wähler von der Persönlichkeit der Kandidaten geprägt, als von den Vorstellungen von der Sachkompetenz. In Jena galt dies noch stärker als in Mainz. Dennoch waren deutliche Priming-Effekte des Duells erkennbar. Die Gesamturteile der Mainzer Probanden über Gerhard Schröder basierten vor dem Duell zumindest auch auf den Vorstellungen von seiner Sachkompetenz. Nach dem Duell war dieser Einfluss praktisch verschwunden. Ein vergleichbarer Effekt konnte in Jena nicht auftreten, weil die Zuschauer Schröders Sachkompetenz bereits vor dem Duell nicht für ihre Urteilsbildung herangezogen hatten. Bei der Urteilsbildung über Merkel zeigen sich erneut bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Mainzer und Jenaer Probanden: Die Urteile der Mainzer Probanden über Merkel waren vor dem Duell praktisch nicht von ihren Vorstellungen von Merkels Sachkompetenz geprägt. Nach dem Duell zeigte sich jedoch ein statistisch signifikanter Einfluss. Dagegen waren die Urteile der Jenaer Probanden nur vor dem Duell von ihren Vorstellungen von Merkels Sachkompetenz geprägt. Nach dem Duell war allein Merkels Persönlichkeit relevant (Tabelle 5).
124
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Tabelle 5:
Der relative Einfluss der Vorstellungen von der Sachkompetenz und der Persönlichkeit auf die Meinungen über Schröder und Merkel Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Schröder Sachkompetenz
.25*
.10
.04
.12
Persönlichkeit
.63**
.81**
.83**
.74**
korrigiertes R2
.65**
.76**
.72**
.67**
.18
.34**
.30*
.02
Persönlichkeit
.64**
.57**
.61**
.89**
2
.62**
.74**
.75**
.75**
Merkel Sachkompetenz korrigiertes R
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Betrachtet man diese Ergebnisse im Lichte der Stärken und Schwächen der Kandidaten, kann man festhalten, dass zumindest bei den Mainzer Probanden beide Kandidaten vom Duell profitiert haben: Die Wähler hatten bei fast allen Sachkompetenzen positivere Vorstellungen von Merkel als von Schröder. Durch das Duell wurde die Sachkompetenz bei der Beurteilung von Merkel wichtiger. Die Gesamturteile über sie sind folglich auch deshalb positiver geworden, weil sich die Urteilskriterien der Wähler verändert haben. Zugleich hatten die Wähler bei fast allen Persönlichkeitseigenschaften positivere Vorstellungen von Schröder als von Merkel. Durch das Duell wurden die Vorstellungen von der Persönlichkeit Schröders wichtiger. Auch die Urteile über ihn haben sich folglich u.a. deshalb verbessert, weil sich die Urteilskriterien verändert haben. Ein nahezu identisches Ergebnis hatten wir bereits für das zweite TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 gefunden (Maurer/Reinemann 2003: 196). TV-Duelle führen folglich nicht zwangsläufig zu einer größeren Personalisierung der Politik – zumindest, wenn man das relative Gewicht von Sachkompetenz und Persönlichkeit bei der Beurteilung von Politikern betrachtet. Sie heben vielmehr die
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
125
Stärken der Kandidaten hervor und machen diese für die Urteilsbildung relevanter. Bei den ostdeutschen Zuschauern in Jena zeigte sich allerdings ein anderes Bild. Hier wurden die Persönlichkeitseigenschaften, die insgesamt nicht zu Merkels Stärken zählten, für die Urteile über sie relevanter. Das Duell hat Merkel hier folglich eher geschadet als genutzt.
4
Der relative Einfluss der Parteibindung und der Meinungen über die Kandidaten auf die Wahlabsicht (Priming-Ebene III)
In diesem Kapitel beschäftigen wir uns abschließend mit der Frage, nach welchen Kriterien die Wähler ihre Wahlentscheidungen treffen wollten. Wahlabsichten basieren – wie bereits erläutert – in der Regel sowohl auf den langfristigen Einstellungen zu den Parteien (Parteibindung), als auch auf den Urteilen über die Spitzenkandidaten. Wir wollen im Folgenden untersuchen, ob die intensive Präsenz der Kandidaten im TV-Duell dazu geführt hat, dass die Zuschauer ihre Wahlabsichten nach dem Duell stärker von den Kandidaten abhängig gemacht haben als zuvor.2 Vor dem Duell waren die Wahlabsichten vor allem von den langfristigen Parteibindungen geprägt. Dies galt für die Jenaer Probanden noch stärker als für die Probanden in Mainz. Nach dem Duell hatten sich die Entscheidungskriterien der Jenaer Zuschauer nicht verändert. In Mainz waren dagegen deutliche Priming-Effekte erkennbar: Sowohl die SPD- als auch die CDU-Wahlabsicht war nach dem Duell erwartungsgemäß wesentlich stärker von den Meinungen über den jeweiligen Spitzenkandidaten geprägt als zuvor. Die Meinungen über die Kandidaten prägten die Wahlabsichten in beiden Fällen sogar stärker als die langfristigen Parteibindungen. Betrachtet man den relativen Einfluss von Parteien und Kandidaten auf die Wahlabsicht, ist folglich zweifellos eine Personalisierung durch das Duell erkennbar (Tabelle 6).
2 Die Variablen wurden für die nachfolgenden Analysen wie folgt umcodiert: Bei der Analyse der Kriterien für die SPD-Wahl wurde die Wahlabsicht mit 1 codiert, wenn ein Befragter die SPD wählen wollte. Alle anderen Befragten erhielten den Wert 0. Analog wurde die Parteibindung mit 1 codiert, wenn sich ein Befragter langfristig mit der SPD identifizierte. Alle anderen Befragten erhielten den Wert 0. Gleiches galt jeweils für die Analyse der Kriterien für die CDU-Wahl.
126
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Tabelle 6:
Der relative Einfluss der langfristigen Parteibindung und der Meinungen über die Kandidaten auf die Wahlabsicht Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
SPD Parteibindung
.60**
.42**
.72**
.69**
Meinung über Schröder
.24**
.43**
.16
.13
korrigiertes R2
.53**
.55**
.63**
.54**
CDU Parteibindung
.55**
.41**
.66**
.65**
Meinung über Merkel
.29**
.50**
.22*
.23*
.57**
.64**
.61**
.61**
2
korrigiertes R
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
Betrachtet man diese Ergebnisse im Lichte der Stärken und Schwächen der beiden Parteien, kann man festhalten, dass das TV-Duell der SPD mehr genutzt hat als der CDU/CSU. Der größte und vielleicht einzige Trumpf der SPD im Wahlkampf war ihr immer noch vergleichsweise beliebter Spitzenkandidat Schröder. In den Wochen vor der Wahl bevorzugte eine deutliche Mehrheit der Wähler ihn als Bundeskanzler (siehe Kapitel 1.1). Von einer Personalisierung des Wahlverhaltens konnte die SPD folglich nur profitieren. Bemerkenswert ist, dass diese Personalisierung nur bei den westdeutschen Wählern in Mainz festzustellen war, nicht aber bei den ostdeutschen in Jena. Diese beurteilten die Kandidaten zwar stärker anhand ihrer Persönlichkeit als die Mainzer Probanden. Zugleich spielten die Kandidaten im Vergleich zu den Parteibindungen nur eine untergeordnete Rolle. Dies belegt aufs Neue, dass die Unterscheidung mehrerer Personalisierungs- bzw. Priming-Ebenen sinnvoll und notwendig ist.
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler
5
127
Zusammenfassung und Fazit
Wir haben uns in diesem Beitrag mit der Frage beschäftigt, ob das TV-Duell die Kriterien zur Beurteilung der Kandidaten und die Kriterien für die Wahlentscheidung verändert hat. Einen solchen Einfluss des Duells auf die Urteilskriterien der Wähler bezeichnen wir als Priming-Effekt, weil wir davon ausgehen, dass die Informationen, die das Duell den Wählern vorrangig liefert, bestimmen, welche Kriterien sie für ihre Urteilsbildung vor allem heranziehen. Wir haben dabei drei Ebenen des Priming in Wahlkämpfen unterschieden: Auf der ersten Ebene kann man annehmen, dass die Vorstellungen der Wähler von den Sachkompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften der Kandidaten, um die es im Duell vor allem geht, für die Urteilsbildung über die Kandidaten wichtiger werden. Unsere Analysen zeigen, dass dies vor allem für die Persönlichkeitseigenschaften galt. Für die Urteilsbildung relevanter wurden die Persönlichkeitseigenschaften, die im Duell häufig angesprochen wurden (Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit) und – allerdings nur bei den ostdeutschen Probanden in Jena – diejenigen, die häufig visuell erkennbar waren (Sympathie). Entgegen den Erwartungen nicht relevanter wurden Eigenschaften wie Lockerheit, Unsicherheit und rhetorisches Geschick. Priming-Effekte von Sachthemen waren praktisch nicht erkennbar. Dies kann man vermutlich vor allem darauf zurückführen, dass Sachthemen grundsätzlich keine große Rolle für die Urteilsbildung der Wähler spielten. Auf der zweiten Priming-Ebene kann man annehmen, dass TV-Duelle die Relevanz von unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften bei der Beurteilung der Kandidaten vergrößern. Die Relevanz der politischen Sachkompetenz sollte dagegen geringer werden. Unsere Analysen zeigen, dass dies nur zum Teil zutrifft. Wie schon beim zweiten TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 gewannen bei den Mainzer Probanden vielmehr die Stärken der jeweiligen Kandidaten an Relevanz. Bei Schröder war es – wie vermutet – die Persönlichkeit. Bei Merkel war es – wie schon 2002 bei Stoiber – die Sachkompetenz. Die Jenaer Zuschauer beurteilten allerdings Merkel nach dem Duell stärker anhand ihrer Persönlichkeit als zuvor. Für Merkel, deren Stärke die Sachkompetenz war, war dies folglich ein Nachteil. Auf der dritten Priming-Ebene kann man annehmen, dass die intensive Präsenz der Kanzlerkandidaten während des Duells dazu führt, dass die Relevanz der Meinungen über die Kandidaten für die Wahlentscheidung zunimmt. Die Relevanz der Einstellungen gegenüber den Parteien (Parteibindung) sollte dagegen geringer werden. Unsere Analyse zeigen, dass dies nur für die Mainzer Probanden zutraf – allerdings für beide Parteien in gleicher Weise. Nach dem
128
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Duell prägten die Urteile über die Kandidaten die Wahlentscheidungen sogar stärker als die langfristigen Parteibindungen. In Jena traten dagegen praktisch keine Veränderungen der Urteilskriterien auf. Insgesamt lässt sich folglich festhalten, dass das TV-Duell zwischen Schröder und Merkel zum Teil erhebliche Priming-Effekte verursacht hat. Diese Priming-Effekte haben überwiegend dazu geführt, dass der Wahlkampf stärker personalisiert wurde: Die Duell-Zuschauer beurteilten die Kandidaten nach dem Duell stärker aufgrund von unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften und wollten eher aufgrund ihrer Meinungen über die Kandidaten wählen als aufgrund ihrer langfristigen Parteibindungen. Diese Effekte traten jedoch nicht überall auf – manche waren nur bei den Mainzer Probanden, manche nur bei den Jenaer Probanden und manche bei beiden gleichermaßen zu beobachten. Dabei lassen sich kaum systematische Unterschiede zwischen den Effekten in den beiden Untersuchungsorten ausmachen. Dies mag allerdings auch daran liegen, dass wir in unserem quasi-experimentellen Design mit vergleichsweise geringen Fallzahlen operieren müssen. Folglich können bereits wenige statistische Ausreißer die Effekte überlagern. Trotz dieser Einschränkungen kann man festhalten, dass die PrimingEffekte des TV-Duells aller Wahrscheinlichkeit nach einen bedeutsamen Einfluss auf das Wahlergebnis hatten: Sie haben der CDU nicht durchweg geschadet, aber der SPD durchweg genutzt, weil das Duell die Aufmerksamkeit der Wähler weg von der SPD hin zu ihrem populären Kandidaten Schröder gelenkt hat. Zudem hat es die Aufmerksamkeit der Wähler weg von Schröders Schwäche, der Sachkompetenz, hin zu seiner Stärke, der Persönlichkeit, gelenkt. Ob sich diese Effekte auch noch zwei Wochen nach dem Duell bei der Wahlentscheidung bemerkbar gemacht haben, können wir hier nicht untersuchen. Einen Hinweis darauf liefern allerdings unsere längerfristigen Analysen, die wir in einem späteren Kapitel präsentieren werden (siehe Kapitel 4.2).
3.3
Eine Basis für rationale Wahlentscheidungen? Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse Jürgen Maier
Der Stellenwert einer Fernsehdebatte wird häufig nur danach beurteilt, ob sie einen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang genommen hat. TV-Duelle werden in dieser Perspektive als Wahlkampfinstrument betrachtet, dessen Funktion es ist, Einfluss auf die Einstellungen und Verhaltensabsichten von Wählern zu nehmen. Dabei wird jedoch übersehen, dass Fernsehdebatten auch andere Funktionen übernehmen können, die aus demokratietheoretischer Sicht überaus wünschenswert sind. Eine dieser Funktionen ist die Vermittlung von politischen Kenntnissen. Durch die Versorgung der Bürger mit wichtigen Wahlkampfinformationen sollen TV-Debatten – so etwa die Überlegung des Educated Fund of the League of Women Voters, der über lange Jahre die amerikanischen Präsidentschaftsdebatten gesponsert hat – dazu beitragen, dass Wahlentscheidung eher „rational“ als auf der Basis ideologischer Grundorientierungen getroffen werden (Graber/Kim 1978: 407). Empirische Studien zeigen jedoch ambivalente Befunde. Zwar kommen die meisten Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Fernsehdebatten Wissen vermitteln, aber eine Reihe von Analysen weist auch darauf hin, dass der Zuwachs an Wissen nicht gleichmäßig über alle unterschiedlichen Gruppen von Fernsehzuschauern stattfindet. Im vorliegenden Kapitel steht deshalb die Frage im Vordergrund, ob die Zuschauer aus der Fernsehdebatte des Bundestagswahlkampfs 2005 etwas über Politik gelernt haben.
1
Vermittlung politischer Kenntnisse durch Fernsehdebatten? Ein kurzer Überblick über den Forschungsstand
Lernen kann man als den Erwerb und die Speicherung von Wissen definieren. Wissenszuwächse entstehen also durch die – wie auch immer vonstatten gehende1 – Aufnahme von Informationen. Die Überprüfung eines Lernprozesses be1
In der Psychologie finden sich sehr unterschiedliche Lerntheorien. Für eine kurze Übersicht vgl. z.B. Fischer/Wiswede (2002: 55-69).
130
Jürgen Maier
steht im einfachsten Fall darin, ob eine angebotene Information auch tatsächlich abgerufen werden kann. Ist dies der Fall, wurde der Wissensbestand offenbar erweitert; es wurde also gelernt (auch wenn damit nicht sichergestellt ist, dass das Erlernte verstanden wurde). Ist dies nicht der Fall, wurde die angebotene Information entweder nicht aufgenommen oder nicht gespeichert. Es hat also kein Lernprozess stattgefunden; das Wissen wurde nicht vergrößert. Wenn man von der Vermittlung von politischen Kenntnissen im Kontext von Fernsehdebatten spricht, geht es also darum, ob Zuschauer in der Lage sind, sich z.B. an bestimmte Fakten, die während der Sendung genannt wurden, zu erinnern.2 Aussagen von Zuschauern, die nach einer Debatte gefragt wurden, ob sie durch das TV-Duell etwas gelernt haben, werfen zunächst ein kritisches Bild auf die Wissensvermittlungsfunktion solcher Diskussionssendungen. So etwa lag der Anteil derjenigen, die behaupten, durch die US-Fernsehdebatten des Jahres 1976 etwas Neues gelernt zu haben, zwischen einem Zehntel und einem Drittel (Chaffee 1978: 333; Rose 1979: 214). Ähnliche Zahlen werden auch für spätere Präsidentschaftswahlen berichtet (z.B. Kaid et al. 2000: 171). Für Deutschland liegen zu den Fernsehduellen 2002 und 2005 Zahlen vor (Dehm 2002: 604; 2005: 629ff.). Danach gaben 2002 19 (erstes Duell) bzw. 15 Prozent (zweites Duell) und 2005 33 Prozent des Debattenpublikums an, dass ihnen die Diskussionen der Kanzlerkandidaten neue Erkenntnisse gebracht haben. Durchgängig berichteten dabei jüngere Befragte von überdurchschnittlichen Erkenntnisgewinnen. Die Differenzierung nach ost- und westdeutschen Fernsehzuschauern sowie nach dem Grad des politischen Interesses lassen hingegen keinen verallgemeinerbaren Zusammenhang zum subjektiv wahrgenommenen Wissenserwerb erkennen. Die bisherige Forschung zu debatteninduzierten Lerneffekten hat sich weniger auf das Erlernen handfester politischer Fakten, sondern eher auf den Erwerb von Kenntnissen über Kandidaten und ihre politischen Positionen konzentriert. Die Befunde über den Einfluss von Fernsehdiskussionen auf die Erweiterung von Kenntnisständen über die Kandidaten bzw. die im Wahlkampf diskutierten Themen sind dabei eher widersprüchlich. So kommen einerseits einige Studien zu dem Ergebnis, dass durch die Rezeption von TV-Duellen kein unmittelbarer Wissenszuwachs erzielt wird (z.B. Drew/Weaver 1998; Graber/Kim 1978; Kennamer 1987; 1990; Weaver/Drew 1995; 2001; Weaver et al. 1998). Allerdings scheint der Konsum von Fernsehdebatten das Interesse am Wahlkampf zu vergrößern, das sich wiederum als eine wichtige Determinante für das 2 Ob die vorgetragenen Fakten wahr oder falsch sind, spielt für die Beurteilung des Lernerfolgs keine Rolle.
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
131
Vorhandensein politischer Kenntnisse herausgestellt hat. Die kognitive Involvierung hängt also von der politischen Involvierung ab, die sich wiederum durch die Rezeption von Wahlkampfdiskussionen erhöhen lässt (Weaver/Drew 1995). Anderseits belegt die Mehrzahl der empirischen Untersuchungen zu diesem Thema eine Vergrößerung von politischen Kenntnisständen durch den Konsum von TV-Debatten (z.B. Becker et al. 1979; Benoit et al. 1998; Bishop et al. 1978; Chaffee 1978; Delli Carpini et al. 1997; Drew/Weaver 1991; Holbrook 1999; Jamieson/Adasiewicz 2000; Just et al. 1990; Katz/Feldman 1962; Lemert 1993; Miller/McKuen 1979; Sears/Chaffee 1979; Zhu et al. 1994; für Deutschland: Maurer/Reinemann 2003: 202; 2006b). Dabei zeigte sich, dass Fernsehduelle für eine Erhöhung des Wissensstandes vor allem über weniger bekannte Kandidaten und ihre politischen Positionen sorgen (Rose 1979; Zhu et al. 1994). Besonders ausgeprägt ist dies bei Fernsehdebatten in US-amerikanischen Vorwahlkämpfen, den sogenannten primary debates, da hier häufig relativ unbekannte Kandidaten auftreten (z.B. Benoit et al. 2002; Holbrook 1999; Lemert et al. 1983; Pfau 1988). Allerdings ist der Einfluss solcher Diskussionsrunden in aller Regel nur für Politikfelder zu beobachten, die auch in der Sendung thematisiert wurden (z.B. Zhu et al. 1994). Weiterhin beeinflusst auch die Parteibindung den Wissenserwerb. Fernsehzuschauer lernen dabei vor allem über den „eigenen“ Kandidaten (z.B. Abramowitz 1978; Jacoby et al. 1986; für Deutschland Weiß 1976). Allerdings zeigen einige dieser Studien, dass debatteninduzierte Lerneffekte nur für bestimmte Gruppen von Zuschauern zu beobachten sind (z.B. Graber/Kim 1978; Holbrook 1999; Kennamer 1990; Lemert 1993): Von TVDuellen profitieren dabei diejenigen, die ohnehin schon überdurchschnittliche politische Kenntnisse aufweisen. Fernsehdebatten vergrößern also die Wissensunterschiede zwischen gut und schlecht informierten Wählersegmenten; sie verbreitern die Wissenskluft (zur Wissenskluft-Hypothese vgl. z.B. die klassische Arbeit von Tichenor et al. 1970). Es gibt jedoch auch vereinzelte Hinweise darauf, dass Fernsehdebatten zu einer Nivellierung politischer Kenntnisstände beitragen (z.B. Holbrook 2002). TV-Duelle helfen demnach politisch weniger gut Informierten, ihre Wissenslücken zu verringern und zu besser informierten Wählergruppen aufzuschließen. Ob Fernsehdebatten in der Lage sind, Wissensklüfte zu schließen oder ob sie diese eher vergrößern, ist nur auf den ersten Blick ein akademisches Problem. Vielmehr hat die diesbezügliche Wirkung von TV-Diskussionen handfeste praktische Konsequenzen, da „Disparitäten in der gesellschaftlichen Wissensverteilung immer auch mit ungleich verteilten Chancen verknüpft sind“ (Bonfadelli 1987: 306). Ungleich verteiltes Wissen hat also Folgen – etwa hinsichtlich der Kenntnis individueller Einflussmöglichkeiten auf
132
Jürgen Maier
politische Entscheidungsprozesse und auf diesem Wege möglicherweise auch auf Wahlbeteiligung und Wahlverhalten. Insgesamt belegt also der überwiegende Teil der US-amerikanischen Debattenliteratur, dass Fernsehzuschauer durch das Verfolgen einer TV-Debatte etwas über Politik und ihre zentralen Akteure lernen. Fernsehdebatten werden somit offenbar ihrer demokratietheoretisch erwünschten politischen Bildungsfunktion gerecht. Allerdings moderieren einige Variablen wie z.B. die Parteibindung die Aufnahme von Wissen und stehen so der uneingeschränkten Erweiterung von Kenntnisständen im Weg. Schließlich gibt es Hinweise, dass die Rezeption von TV-Duellen die Wissensunterschiede, die zwischen verschiedenen Wählergruppen bestehen, eher vergrößert als verringert.
2
Die Fakten und ihre Darstellung durch die Kanzlerkandidaten
Um den Einfluss der Fernsehdebatte 2005 auf die politischen Kenntnisse der Zuschauer zu untersuchen, wurden direkt vor und unmittelbar nach dem TVDuell insgesamt sieben Wissensfragen zur Wirtschaftslage gestellt. Diese bezogen sich auf x den aktuellen Umfang der Arbeitslosigkeit, x den Vergleich der aktuellen Arbeitslosigkeit mit der Situation vor der Bundestagswahl 1998, x den aktuellen Umfang der Arbeitslosigkeit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Union, x den Vergleich des aktuellen Wirtschaftswachstums mit der Situation vor der Bundestagswahl 1998, x den Vergleich des aktuellen Wirtschaftswachstums in Deutschland mit dem anderer EU-Staaten, x den Vergleich zwischen der aktuellen Besteuerung von Einkommen und der Situation vor der Bundestagswahl 1998 sowie x den Vergleich des deutschen Mehrwertsteuersatzes mit der Besteuerung des Umsatzes in anderen Staaten der EU. Damit die Fernsehdebatte einen Einfluss auf die Kenntnisse der Zuschauer zu diesen Themen ausüben kann, ist die Nennung der entsprechenden Fakten durch die Kandidaten oder die Moderatoren Grundvoraussetzung. Diese wurde für fast alle gestellten Fragen erfüllt: So war der aktuelle Umfang der Arbeitslosigkeit mehrfach Gegenstand der Debatte – ohne dass allerdings die exakte Zahl von 4,77 Millionen bzw. die
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
133
dazugehörige Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent jemals erwähnt wurden.3 Angela Merkel sprach an einer Stelle von 5 Millionen, an zwei weiteren Stellen von fast 5 Millionen Arbeitslosen: „Wir müssen zwischen zwei Dingen unterscheiden. Das eine ist die Arbeitslosigkeit im Lande. Wir haben fast 5 Millionen Arbeitslose und wir müssen alles unternehmen, um zu sagen: Vorfahrt für Arbeit!“ „Wir haben 5 Millionen Arbeitslose! Wir verlieren jeden Tag, auch aufs letzte Jahr bezogen; da können Sie nicht von April bis Juni rechnen […] Das hat die Bundesagentur uns jetzt noch einmal gesagt, sind wieder jeden Tag 1.100 Arbeitsplätze verloren gegangen, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze!“ „Also ich finde, eine Gesellschaft, die fast 5 Millionen Arbeitslose hat und die viele, viele Menschen hat, die um ihren Arbeitsplatz bangen, die ist verpflichtet, wenn sie eine menschliche Gesellschaft sein will, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir das verändern können.“
Gerhard Schröder bestritt diese Zahl interessanterweise nicht. Allerdings verwies er darauf, dass bei der Interpretation der Arbeitslosenstatistik die veränderten Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung von Erwerbslosen berücksichtigt werden müsse: „Und im Übrigen, die andere Zahl, die immer vor sich hergetragen wird, jene 5 Millionen, in der stecken 300.000 bis 400.000 frühere Sozialhilfeempfänger, die da gehalten wurden in der Sozialhilfe; alleine 180.000 junge Leute unter 25 Jahren, obwohl sie arbeitsfähig waren und sind, jedenfalls partiell arbeitsfähig waren und sind.“
Maybrit Illner kam der tatsächlichen Zahl der Arbeitssuchenden am nächsten: „Die schwarze Regierung unter Helmut Kohl hat es bis 1998 nicht geschafft, massiv das Arbeitslosigkeitsproblem in Deutschland zu lösen. Die sieben Jahre rotgrüner Regierungszeit bescheren uns jetzt tatsächlich wenigstens zum frühzeitigen Schluss der Legislatur 4,7 Millionen Arbeitslose.“
Als einzige nahm Angela Merkel einen direkten Vergleich zwischen der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt und der diesbezüglichen Situation im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 vor: 3
Als Referenzwert wurde die Arbeitslosenzahl im Juli 2005 gewählt. Diese wurde – wie üblich – am Ende des jeweiligen Folgemonats (also Ende August) vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht.
134
Jürgen Maier
„Und Herr Schröder ist 1998 mit der Maßgabe angetreten: ‚Wenn ich es nicht schaffe, die Zahl der Arbeitslosen signifikant zu reduzieren, dann bin ich es nicht wert, wiedergewählt zu werden.’ Jetzt sind sieben Jahre Rot-Grün vorbei und die Zahl im Juli war höher als die Zahl unter der Regierung Helmut Kohl.“
Tatsächlich waren im Juli 1998 4,13 Millionen Menschen ohne Arbeit; sieben Jahre später lag die Zahl – wie bereits erwähnt – bei 4,77 Millionen. Die Kanzlerkandidatin zog ebenfalls einen Vergleich zwischen dem Wirtschaftswachstum im Jahr 1998 und der aktuellen Situation: „Natürlich sind wir Exportweltmeister. Daraus generiert sich aber noch nicht automatisch Wachstum. Deutschland hat die geringsten Wachstumsraten, weil sich Exportweltmeister plus Binnenkonjunktur addieren; und es geht um das Gesamtwachstum einer Volkswirtschaft. Und da stehen wir schlechter: Die Wachstumsprognosen sind nach unten korrigiert worden; sie waren im Übrigen im Jahre 1998 höher.“
Auch mit diesem Vergleich hatte Merkel recht: der reale Zuwachs des Bruttoinlandprodukts lag im 2. Quartal 1998 um 1,7 Prozent über dem Vorjahreswert. Demgegenüber wuchs die Wirtschaft im 2. Quartal 2005 gegenüber dem 2. Quartal 2004 um 1,5 Prozent. Dissens herrschte über die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen Vergleich. Merkel behauptete: „Deutschland hat die rote Laterne in diesem Jahr wieder beim Wachstum.“
Schröder wies demgegenüber zum einen darauf hin, dass Deutschland seit drei Jahren in Folge „Exportweltmeister“ sei. Zum anderen bilanzierte er die deutsche Wirtschaftskraft wie folgt: „Nun schauen Sie sich die Situation rings um uns herum an. Die Skandinavier sind besser; das gebe ich doch zu. Die Versäumnisse sind in den 90er Jahren gemacht. Aber wollen Sie mir denn ernsthaft erzählen, dass die Italiener im Moment wirtschaftlich besser sind als die Deutschen? Und wollen wir mal über Frankreich, über Spanien, über andere diskutieren? Das können wir doch gerne. Dann werden Sie sehen, dass die Wirtschaftskraft Deutschlands von einer Größe ist, auf die man wirklich stolz sein kann; denn wir sind es gewesen, die bei einer stagnierenden Weltwirtschaft – und die hatten wir von 2000 bis 2003 – Marktanteile als einziges G-7-Land, als einziges G-7-Land, das sind die wirtschaftsstärksten Länder der Welt, hinzugewonnen haben.“
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
135
Recht hatte keiner der Kandidaten: So lag nach Angaben der Europäischen Kommission das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands im Jahr 2004 um 1,2 Prozent über dem Vorjahreswert. In Europa wuchs die Wirtschaft hingegen um durchschnittlich 2,4 Prozent bzw. – zieht man nur die Länder heran, die bereits 2003 EU-Mitglieder waren – 2,3 Prozent. Dennoch lag Deutschland im europäischen Vergleich nicht – wie von Merkel behauptet – auf dem letzten, sondern nur auf dem vorletzten Platz: denn Italien (+0,9%) schnitt noch schlechter ab. Frankreich (+2,3%) und Spanien (+3,1) verbuchten allerdings – ebenso wie die drei skandinavischen EU-Mitglieder Dänemark (+1,9), Finnland (+3,5) und Schweden (+3,7) – ein deutlich größeres Wirtschaftswachstum, auch wenn die Ausführungen Schröders eine andere Reihenfolge suggerieren. Die Veränderung der Einkommensteuersätze wurde von Schröder – völlig korrekt – hervorgehoben: „Als ich ins Amt kam, war der Spitzensteuersatz, Sie wissen das, bei 53 Prozent. Jetzt ist er bei 42. Da bleibt er auch. Der Eingangssteuersatz, der die kleinen Steuerzahler interessiert, war bei 25,9 Prozent. Jetzt ist er bei 15 Prozent.“
Nicht thematisiert wurden die Arbeitsmarktsituation Deutschlands im Vergleich zu anderen EU-Staaten sowie die Mehrwertsteuer im europäischen Vergleich. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt stellte sich in Deutschland schlechter dar als in den meisten anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union. So lag die Arbeitslosenquote 2004 hierzulande im Mittel bei 9,5 Prozent und in der EU bei 7,9 (EU-15) bzw. 8,7 Prozent (EU-25). Deutschland lag hier keineswegs auf dem letzten Platz, denn neben zahlreichen, im Mai 2004 neu in die EU aufgenommenen Staaten wiesen auch Frankreich, Griechenland und Spanien höhere Arbeitslosenquoten auf. Dennoch überwog die Zahl der Staaten (EU-15: 11, EU-25: 16), die eine geringere Arbeitslosenquote aufwiesen als Deutschland. Die Mehrwertsteuer lag in Deutschland vor der Bundestagswahl 2005 bei 16 Prozent. Im europäischen Durchschnitt wurden Umsätze mit 19,6 Prozent besteuert. Nur in drei EU-Staaten lag der Steuersatz auf (Spanien) oder unter (Luxemburg, Zypern) dem deutschen Niveau. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Fakten von den beiden Kandidaten im Großen und Ganzen korrekt dargestellt wurden. Kleinere Ungenauigkeiten gab es beim genauen Umfang der Arbeitslosigkeit. Größere Differenzen zwischen der realen und der durch die Kontrahenten dargestellten Lage zeigten sich bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen EU-Staaten.
136
3
Jürgen Maier
Der Einfluss des TV-Duells auf politische Kenntnisse
Die Diskussion zwischen Schröder und Merkel hat eine deutliche Wirkung auf das Wissen der Zuschauer zu den verschiedenen wirtschaftspolitischen Fakten ausgeübt (Tabelle 1). In zwei Fällen haben sich die Kenntnisse signifikant verbessert: Erstens hat sich das Wissen um den aktuellen Umfang der Arbeitslosigkeit vergrößert. Zwar wusste weder vor noch nach dem Duell kaum jemand die korrekte Arbeitslosenzahl (4,77 Millionen). Lässt man jedoch eine kleine Abweichung zu (r 100.000), hat sich der Anteil der korrekten Nennungen von 33 auf 40 Prozent (Mainz) bzw. 20 auf 41 Prozent (Jena) erhöht. Die während der Debatte von Merkel und Illner genannten Zahlen stießen in Mainz und Jena auf unterschiedliche Resonanz. Während in Mainz vor allem der Anteil derjenigen gestiegen ist, der wie Merkel von (fast) 5 Millionen ausgeht, tendierten die Jenaer Befragten eher zu der von Illner verbreiteten Zahl. Ebenfalls zugenommen hat zweitens der Anteil der korrekten Nennungen zur Veränderung der Einkommensteuer. In Mainz konnten diese Frage nach der Debatte 58 Prozent gegenüber 40 Prozent vor dem Duell richtig beantworten; in Jena waren es sogar 61 gegenüber 31 Prozent. In drei Fällen haben sich die wirtschaftspolitischen Kenntnisse der Teilnehmer des Experiments nicht signifikant verändert. Für den Vergleich der Arbeitslosigkeit zwischen Deutschland und Europa war dies auch nicht zu erwarten; diese Frage wurde in der Debatte nicht diskutiert. Ein Thema waren hingegen die Unterschiede in der Arbeitsmarktsituation in 1998 und 2005 sowie die Veränderung des Wirtschaftswachstums am Ende der Ära Kohl und vor der aktuellen Bundestagswahl. Dass in beiden Fällen keine Verbesserung der Wissensstände zu verzeichnen ist, könnte zum einen daran liegen, dass die Probanden insbesondere zur Arbeitsmarktlage schon sehr gute Kenntnisse aufwiesen – nur jeder Zehnte wusste nicht, dass sich die Situation im Jahr 2005 schlechter darstellte als beim Regierungswechsel 1998. Zum anderen war die Ausführung Merkels zum verschlechterten Wirtschaftswachstum eher beiläufig. Ihr Hauptaugenmerk lag darauf, den Hinweis des Kanzlers, Deutschland sei Exportweltmeister, mit einer Definition zum Gesamtwirtschaftswachstum zu kontern. In zwei Fällen hat sich das wirtschaftspolitische Wissen der Versuchsteilnehmer signifikant verschlechtert. Zum einen betrifft dies die – während der Debatte nicht angesprochene – Höhe der Mehrwertsteuer in Deutschland im Vergleich zur Höhe von Konsumsteuern in anderen Staaten der Europäischen Union. In Mainz hat sich der Anteil derjenigen, die wussten, dass in Deutschland geringere Steuern erhoben werden als im europäischen Ausland, um zehn Prozentpunkte verringert. Warum diese Veränderung zu beobachten ist, können
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
137
wir mit den vorliegenden Daten nicht erklären. In Jena blieb der Anteil der korrekten Nennungen hingegen stabil. Tabelle 1:
Der Einfluss der Fernsehdebatte auf politische Kenntnisse (Anteil richtiger Nennungen) Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % %
Arbeitslosigkeit Umfang 2005: 4.77 Mio.
0
0
4
4
Umfang 2005: 4.77 Mio. r 0.1 Mio.
33
40
20
41**
Umfang 2005: 4.9-5.0 Mio. (Merkel)+
32
47**
37
41
8
19*
8
Veränderung 1998/2005
90
89
80
84
Vergleich D/EU
63
68
65
65
75
74
69
59
76
60**
78
61*
40
58**
31
61**
74
64*
69
69
3.2
3.2
2.8
3.1
+
Umfang 2005: 4.7 Mio. (Illner) +
33**
Wirtschaftswachstum Veränderung 1998/2005+ +
Vergleich D/EU Steuern
Veränderung Einkommensteuer 1998/2005+ Vergleich Mehrwertsteuer D/EU ++
Mittelwert Wissensindex (5 Items)
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01, + Zahl genannt/Thema diskutiert, ++ Der Index besteht aus folgenden Merkmalen: Umfang Arbeitslosigkeit 2005: 4.77 Mio. r 0.1 Mio., Veränderung Arbeitslosigkeit 1998/2005, Veränderung Wirtschaftswachstum 1998/2005, Vergleich Wirtschaftswachstum D/EU, Veränderung Einkommensteuer 1998/2005
Zum anderen haben sich die Kenntnisse über das deutsche Wirtschaftswachstum im europäischen Vergleich verschlechtert. Sowohl in Mainz als auch in Jena wussten vor dem Duell rund drei Viertel aller Versuchsteilnehmer, dass
138
Jürgen Maier
Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten hier schlechter abschneidet. Nach der Debatte hat sich dieser Anteil auf 60 bzw. 61 Prozent reduziert. Faktisch haben sich also zahlreiche Personen der von Schröder vertretenen (und sehr ausführlich dargelegten) Sichtweise angeschlossen, dass Deutschland wichtigen europäischen Ländern zumindest auf Augenhöhe begegnet oder sogar besser abschneidet (Tabelle 2): Ihr Anteil hat sich in Mainz von 17 auf 28 Prozent, in Jena sogar von 12 auf 30 Prozent erhöht. Die einfache Feststellung Merkels, Deutschland sei in punkto Wirtschaftswachstum Schlusslicht in Europa, konnte der persuasiven Kraft des Kanzlerworts offenbar nichts entgegensetzen. Der Anteil derjenigen, die ihre Position teilten, schmolz auf die bereits erwähnten 60 Prozent. Die angesichts der einander widersprechenden Botschaften von Kanzler und Herausforderin ebenfalls denkbare Variante, dass die Teilnehmer der Studie verunsichert wurden und sich nicht mehr zutrauten, die richtige Antwort zu geben, trat hingegen nicht ein. Der Anteil dieser Personengruppe hat sich kaum verändert. Tabelle 2:
Einschätzung des Wirtschaftswachstums in Deutschland und Europa vor und nach der Fernsehdebatte
Im Vergleich zu den meisten EU-Ländern ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland… …größer …gleich groß …geringer+ Weiß nicht
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % % 7 18 10 10 76 60 7 11
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % % 0 14 12 16 78 61 10 8
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). + richtige Antwort
Die skizzierte, dramatische Veränderung von Kenntnissen hat aber nicht uniform über alle politischen Gruppen stattgefunden (Tabelle 3). So haben vor allem Anhänger der Regierungsparteien ihre Ansicht über die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen Vergleich verändert – mit der Konsequenz, dass sie nach dem Duell erheblich weniger zu diesem Thema wussten also zuvor. In Mainz ist dieser Anpassungsprozess statistisch signifikant, in Jena – ebenso wie bei der PDS – knapp nicht signifikant. Demgegen-
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
139
über haben die Anhänger von Union und FDP ebenso wie parteipolitisch Ungebundene ihre Kenntnisse deutlich seltener eingebüßt. Tabelle 3:
Kenntnisse über das Wirtschaftswachstum in Deutschland und Europa vor und nach der Fernsehdebatte nach Parteiidentifikation (Anteil richtiger Nennungen)
Alle SPD, Bündnis 90/Die Grünen CDU/CSU, FDP PDS Keine/andere Parteiidentifikation
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell % % 76** 60 65* 38 89 85 74 53
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell % % 78* 61 79 57 92 75 80 50 62 62
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01
4
Die Fernsehdebatte und die Wissensklufthypothese
Die Hypothese von der Wissenskluft besagt, dass es bestimmte Gruppen in der Gesellschaft gibt, die über mehr Wissen verfügen als andere. Diese Gruppen werden über ihren sozioökonomischen Status definiert, der häufig mit der formalen Bildung gemessen wird. Diese wiederum hängt eng mit dem Interesse an Politik zusammen – einer Größe also, die in besonderem Maße darüber entscheidet, ob Wähler eine Fernsehdebatte ansehen oder ob sie dies nicht tun (für Deutschland Faas 2006; Maier/Faas 2005). Unterschiede in politischen Kenntnisständen, die auf das Vorhandensein einer sozioökonomisch bedingten Wissenskluft hinweisen, lassen sich also daran erkennen, dass sich nach Kontrolle anderer relevanter Erklärungsgrößen statistisch signifikante Wissensunterschiede nach Bildung oder Politikinteresse nachweisen lassen. Wissen wird dabei im Folgenden über einen Index gemessen, in dem die Kenntnisse über alle in der Fernsehdebatte diskutierten Themen zusammengefasst werden (vgl. hierzu die Anmerkungen zu Tabelle 1). Wie aus der letzten Zeile von Tabelle 1 ersichtlich ist, liegt die mittlere Anzahl der richtigen Antworten in Mainz sowohl vor als auch nach der Debatte bei 3,2. Kenntniszu-
140
Jürgen Maier
wächse, die bei einzelnen Themen zu erkennen sind, wurden hier also durch den Verlust von Wissen bei anderen Wirtschaftsfragen aufgehoben. Anders sieht die Situation in Jena aus, wo sich die durchschnittliche Zahl der korrekten Antworten von 2,8 auf 3,1 erhöht hat. Selbstverständlich bestehen zwischen den Untersuchungsteilnehmern erhebliche Wissensunterschiede. So etwa lag der Anteil derjenigen, die zu maximal einem der fünf Themengebiete eine richtige Antwort geben konnten, vor dem TV-Duell in Mainz bei zehn und in Jena bei zwölf Prozent. Nach der Debatte hat sich dieser Anteil nur geringfügig verändert (Mainz: 8%, Jena: 12%). Umgekehrt konnten vor der Live-Konfrontation der beiden Kanzlerkandidaten in Mainz 38 Prozent und in Jena 22 Prozent auf mindestens vier Fragen eine richtige Antwort erteilen. Nach dem Duell hat sich dieser Anteil auf 43 bzw. 39 Prozent erhöht. Tabelle 4:
Determinanten politischen Wissens+ Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell beta beta
Geschlecht: weiblich
.08
.06
.23
.11
Alter
.16
.08
-.17
.00
Bildung
.05
.01
.14
.17
Politisches Interesse
.43**
.35*
.17
.07
Interesse am Wahlkampf
-.11
.00
.24
.24
Stärke Parteiidentifikation
.06
-.01
.23
.15
korrigiertes R2
.16**
.09
.22*
.03
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49). * p<.05, ** p<.01, + abhängige Variable: Wissensindex (5 Items)
Lassen sich nun die zwischen den Teilnehmern der Untersuchung vorhandenen Wissensunterschiede als Wissenskluft deuten und welchen Einfluss hatte die Fernsehdebatte hierauf? In Mainz findet sich vor der Debatte ein signifikanter Einfluss des politischen Interesses auf das Wissen über wirtschaftspolitische Fakten. Politisch Interessierte weisen demnach auch nach Kontrolle anderer wichtiger Merkmale einen höheren Kenntnisstand auf als politisch weniger Interessierte. Andere Faktoren, allen voran die formale Bildung, haben hingegen
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
141
keinen bedeutsamen Einfluss auf das Wissen. In Mainz findet sich somit eine Wissenskluft. Diese wird durch die Rezeption des TV-Duells etwas verringert, jedoch nicht vollständig abgebaut. Dies belegt der nun etwas geringere (aber nach wie vor statistisch signifikante) Effekt des Politikinteresses. Weiterhin ist zu erkennen, dass sich die Erklärungsleistung des Gesamtmodells (R2) von Prezu Posttest deutlich verschlechtert, denn auch die geringfügigen Wissensunterschiede, die zwischen den Untersuchungsteilnehmern nach Geschlecht, Alter und Parteibindung bestehen, reduzieren sich durch die Debatte weiter. Demgegenüber findet sich in Jena weder vor noch nach dem Duell ein signifikanter Einfluss der formalen Bildung oder des Politik- bzw. Wahlkampfinteresses auf das politische Wissen. Auch andere Variablen spielen zur Erklärung individueller Kenntnisstände keine Rolle. Eine Wissenskluft ist in Jena also nicht zu beobachten. Dennoch bewirkt die Fernsehdebatte auch hier eine Nivellierung der kaum bedeutsamen Wissensunterschiede, die zwischen verschiedenen sozialen und politischen Gruppen bestehen. Als Konsequenz sinkt die Erklärungsleistung des Gesamtmodells dramatisch.
5
Zusammenfassung und Fazit
Im vorliegenden Kapitel ging es um die Frage, ob Zuschauer etwas aus Fernsehdebatten lernen. Lernen wurde hier als Erwerb und die Speicherung von Wissen definiert und durch einen Vergleich von Kenntnisständen zu ausgewählten wirtschaftspolitischen Themen direkt vor und direkt nach der Debatte gemessen. Die Antwort auf diese Frage ist unter zwei Gesichtspunkten relevant: Erstens heben die Befürworter von Live-Diskussionen zwischen den Spitzenkandidaten im Wahlkampf immer wieder hervor, dass es bei solchen Sendungen nicht nur darum geht, Wähler zu gewinnen, sondern auch darum, Wähler zu informieren. Könnten Debatten dies nicht leisten, würde dieses Sendeformat ein Stück weit an Legitimation einbüßen. Zweitens stellt sich die eng mit dem ersten Aspekt in Zusammenhang stehende Frage, ob Wähler in der Lage sind, durch die Rezeption von TV-Duellen eine „rationalere“, d.h. eine eher an Sachthemen als an der Persönlichkeit der Kandidaten oder den eigenen politischen Grundüberzeugungen ausgerichtete Wahlentscheidung zu treffen. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass durch eine Fernsehdebatte tatsächlich die Basis für eine rationale Wahlentscheidung verbreitert wird, indem möglicherweise entscheidungsrelevante Informationen zur Kenntnis genommen werden.
142
Jürgen Maier
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Fernsehdebatte zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel das Wissen über Politik beeinflusst hat. Allerdings bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sich Kenntnisstände vergrößert haben. Vielmehr ist zu konstatieren, dass sich vor der Debatte vorhandenes Wissen mindestens genauso häufig durch die Verfolgung des Streitgesprächs verringert hat. Gelernt wird nach unseren Beobachtungen vor allem dann, wenn zum einen – wie im Fall der Einkommensteuer – die Fakten präzise und in einfachen, klaren Worten benannt werden. Zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit eines Lernerfolgs, wenn – wie im Fall der Arbeitslosenzahl – Informationen mehrfach erteilt werden (hierzu z.B. Cacioppo/Petty 1979). Demgegenüber tragen widersprüchliche Informationen dazu bei, dass Wissen abgebaut wird. Die von den Kandidaten getroffenen Angaben werden dann nämlich – wie im Fall der Einschätzung der Wirtschaftsleistung Deutschlands im Vergleich zu anderen europäischen Staaten geschehen – unter parteipolitischen Gesichtspunkten beurteilt. Mit anderen Worten: Es wird die Information gespeichert, die vom „eigenen“, in aller Regel als glaubwürdiger erachteten Kandidaten stammte.4 Ist diese Information aber falsch (wie dies bei Schröder in diesem Zusammenhang der Fall war), führt dies unweigerlich zum Verlust von objektiv vorhandenem Wissen – eine Beobachtung, die im Übrigen schon bei der zweiten Fernsehdebatte 2002 gemacht wurde (Maurer/Reinemann 2003: 202; 2006b). Die Veränderung von Kenntnisständen erfolgte dabei aber nicht nach dem Muster, das die Wissensklufthypothese sowie einige Debattenstudien zu diesem Thema nahe legt: Die Fernsehdebatte 2005 hat die in Mainz deutlich zu erkennende und in Jena nur sehr schwach ausgeprägte Wissenskluft nicht vergrößert, sondern etwas verringert. Kognitiv und politisch schwächer Involvierte haben also durch die Rezeption des TV-Duells tatsächlich zu stärker involvierten Untersuchungsteilnehmern aufschließen können. Aus demokratietheoretischer Sicht sind die Befunde dieses Kapitels eher positiv zu bewerten: Zum einen konnten eindeutige Lerneffekte nachgewiesen werden, die im Einklang mit der gewünschten Informationsfunktion von Fernsehdebatten stehen und die Voraussetzung für ein „rationaleres“ Wahlverhalten schaffen (ob das TV-Duell 2005 tatsächlich zu einer stärkeren Ausrichtung der Wahlabsicht an Sachfragen geführt hat, wird in Kapitel 3.2 untersucht). Zum anderen hat die Diskussion zwischen Schröder und Merkel Wissensklüfte abge4 Tatsächlich unterscheiden sich Regierungs- und Oppositionsanhänger vor dem Duell in der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Kandidaten. So wird Gerhard Schröder von Anhängern der SPD und Bündnis 90/Die Grünen signifikant glaubwürdiger eingeschätzt als von Unions- und FDPAnhängern (Mainz: +1,3 vs. -0,6, p<.01; Jena: +1,4 vs. -0,3, p<.05). Gleiches gilt für Angela Merkel – allerdings nur in Mainz (-0,4 vs. +1,8, p<.01), nicht jedoch in Jena (+0,6 vs. +1,0, n.s.).
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse
143
baut und nicht – wie aufgrund früherer Forschungsergebnisse zu erwarten war – vergrößert. Allerdings gibt es aber auch klare Hinweise, dass TV-Duelle eine negative Wirkung auf politische Kenntnisstände ausüben können. Nach unseren Befunden ist dies jedoch kein Problem des Sendeformats, sondern das Resultat eines sozialpsychologisch erklärbaren Prozesses. Dass dieser nicht in Gang gesetzt wird, liegt im Verantwortungsbereich der an einer Debatte beteiligten Akteure.
3.4
Verstärkung, Mobilisierung, Konversion Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsicht Michaela Maier
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir uns mit der Wirkung des TVDuells vor der Bundestagswahl 2005 auf das politische Wissen und verschiedene politische Einstellungen der Fernsehzuschauer beschäftigt. In diesem Kapitel untersuchen wir nun seine Effekte auf die Wahlabsichten der Teilnehmer unseres Experiments, d.h. einerseits ihre Absicht, an der Wahl teilzunehmen, der sogenannten Wahlbeteiligungsabsicht, sowie andererseits ihre Absicht, ihre Stimme am Wahltag einer bestimmten Partei zu geben. Diese Variablen betrachten wir im Zusammenhang mit anderen politischen Einstellungsgrößen, wie z.B. der grundsätzlichen Parteiidentifikation der Zuschauer, ihren Sympathiebewertungen der Parteien, ihrer Einschätzung, ob die Wahl bereits entschieden ist, ihren Urteilen über den Debattensieger und ihrer Einschätzung des wahrscheinlichen Wahlsiegers. In Kapitel 4.2 wird dann analysiert, welchen Einfluss die interpersonale und die durch Massenmedien vermittelte Anschlusskommunikation nach dem TV-Duell auf diese politischen Einstellungen, Partizipations- und Verhaltensabsichten hatte.
1
Forschungsstand
In den vorangegangenen Kapiteln wurde u.a. analysiert, welche Effekte das Fernsehduell bei der Bundestagswahl 2005 auf die Einstellungen der Fernsehzuschauer gegenüber den Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Angela Merkel hatte und wie sich das politische Wissen unserer Studienteilnehmer durch die Fernsehdebatte veränderte. Die für viele Politiker, Journalisten und auch Wissenschaftler zentrale Frage ist jedoch, welche Effekte ein solches Medienevent im Wahlkampf auf den Ausgang der Wahl hat: Wie viele Bürger wollen nach dem Fernsehduell zur Urne gehen, für wen wollen sie ihre Stimmen abgeben? Ob Fernsehdebatten einen Einfluss auf die Wahlbeteiligung und das Wahlverhalten der Bürger haben und wie groß dieser gegebenenfalls ist, ist in der einschlägigen, vor allem amerikanischen Literatur umstritten: Zum Ergebnis,
146
Michaela Maier
dass im Fernsehen übertragene Diskussionen der Spitzenkandidaten keine nennenswerten Effekte haben, kommen z.B. die Arbeiten von Abramowitz (1978), Miller/MacKuen (1979), Jamieson/Birdsell (1988), Lanoue (1991) und Benoit et al. (1998). Andere Autoren berichten hingegen von Effekten, die sogar entscheidend für den Wahlausgang gewesen sein könnten (Middleton 1962; Chaffee 1978; Davis 1982; Kelley 1983; Delli Carpini et al. 1997; Geer 1988; Kaid et al. 2000; für Zusammenfassungen dieser Forschungsbefunde auch Benoit et al. 1998; Maurer/Reinemann 2003). Folgende Gründe sprechen theoretisch dafür, dass Fernsehdebatten eher geringe Effekte auf die Wahlabsichten der Bürger haben könnten: y Die politischen Einstellungen und das Wahlverhalten der Bürger werden in erster Linie durch ihre langfristige Bindung an eine politische Partei (Parteiidentifikation) determiniert (Campbell et al. 1960). y Fernsehdebatten werden oft erst kurz vor der Wahl veranstaltet. Gemäß den Ergebnissen empirischer Studien sind die Wahlabsichten der meisten Bürger zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits verfestigt. Dies zeigt sich auch daran, dass die Zahl der unentschiedenen Wahlberechtigten im Laufe des Wahlkampfes abnimmt (z.B. Schmitt-Beck/Faas 2006). y Personen, die schon vor der Debatte genau wissen, wen sie wählen wollen, ändern aufgrund der Rezeption der Fernsehdiskussionen in der Regel ihre Wahlabsicht nicht mehr. Ihre Verbundenheit mit der langfristig präferierten Partei und deren Spitzenkandidat wird durch das Duell hingegen meist verstärkt (z.B. Chaffee 1978; Katz/Feldman 1962; Zakahi/Hacker 1995). Ein Grund für den letztgenannten Verstärkungs- oder „Reinforcement“Effekt ist, dass Personen, die bereits eine Partei- oder Kandidatenpräferenz aufweisen, die Informationen und Geschehnisse während eines Fernsehduells vor dem Hintergrund dieser bestehenden Einstellungen selektiv wahrnehmen (Faas/Maier 2004; Maurer/Reinemann 2003). In einschlägigen Studien gaben die Probanden zwar teilweise an, die Debatte habe ihre Wahlentscheidung beeinflusst, die Autoren dieser Studien gehen jedoch davon aus, dass damit eine Bestätigung oder Verstärkung der bereits getroffenen Entscheidungen gemeint sei, die keinen Effekt auf die Stimmenverteilung bei der Wahl habe (Graber/Kim 1978; Chaffee 1978; zur Bedeutung der Fernsehduelle aus der Sicht der Wähler auch Mayer/Carlin 1994; Plasser et al. 2003). Auch Benoit et al. (2002) berichten von einer solchen Bestätigung der Wahlabsicht, die sich ihrer Ansicht nach jedoch immerhin in einer erhöhten Wahlbeteiligungsabsicht niederschlagen kann (z.B. Wald/Lupfer 1978; Best/Hubbard 2000; Benoit et al. 2001). Diese Studien stehen ganz im Einklang mit dem Tenor der klassischen amerikanischen Studien zur Wahlforschung (z.B. Lazarsfeld et al. 1944), die die größten
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
147
Effekte von Wahlkämpfen im Bereich der Mobilisierung der Wähler sowie der Aktivierung und Verstärkung bereits vorhandener politischer Einstellungen sehen. Es gibt jedoch auch durchaus Gründe dafür anzunehmen, dass die Fernsehduelle entscheidende Effekte auf die Wahlabsicht der Bürger haben und dass diese in ihrer Bedeutung in den vergangenen Jahren sogar zugenommen haben könnten: y Die Zahl parteipolitisch ungebundener Bürger nimmt stetig zu. Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland, wo insbesondere in den neuen Bundesländern der Anteil derjenigen Personen hoch ist, die über keine langfristigen Bindungen an die etablierten politischen Parteien verfügen (in Westdeutschland liegt der Anteil der Personen mit langfristiger Parteiidentifikation zwischen 65 und 70 Prozent, in Ostdeutschland bei gut 50 Prozent, Falter/Rattinger 2001). Diese politisch ungebundenen Wähler treffen ihre Wahlentscheidung typischerweise später im Wahlkampf als Personen mit fester Parteibindung (so genannte „Late Deciders“) bzw. haben ein höheres Potenzial ihre Wahlabsicht kurz vor der Abstimmung noch einmal zu ändern (so genannte „Party Shifters“). y Von politisch weniger gebildeten und interessierten Personen kann man annehmen, dass sie sich leichter von den Informationen und Argumenten, die im Verlauf einer Fernsehdebatte ausgetauscht werden, sowie vom Auftreten der beiden Kandidaten beeindrucken lassen als Personen, die bereits ein fundiertes Bild von den zur Wahl stehenden Persönlichkeiten und ihren politischen Positionen haben. y Durch Fernsehdebatten, die zur Hauptsendezeit, bestenfalls auch noch gleichzeitig von mehreren Fernsehsendern ausgestrahlt werden und von einem Millionenpublikum gesehen werden, können auch solche Bürger erreicht werden, die politisch weniger interessiert sind, die hinsichtlich ihrer politischen Orientierungen noch eher formbar sein sollten und die durch andere Formen der Wahlkampfkommunikation kaum erreicht werden (so genannte „politikferne“ Wählersegmente, Maier/Faas 2005; Faas 2006). y Auch in Situationen, in denen Bürger aus verschiedensten Gründen keine klaren Einstellungen zu Charakter, Qualifikationen, Fähigkeiten und Performanz der Kandidaten aufweisen (neben ihrer politischen Ungebundenheit oder ihrem geringen politischen Interesse könnten z.B. auch bestimmte Ereignisse und Enthüllungen während des Wahlkampfes zu solchen Unsicherheiten führen), könnte das Auftreten der Spitzenkandidaten im Fernsehen eine wichtige Orientierungshilfe für die Wahlberechtigten sein.
148
Michaela Maier
y Weil die Diskussionssendungen in der Regel erst relativ kurz vor dem Wahltermin stattfinden, sind sie häufig das letzte politische Ereignis, an das sich die Wähler erinnern (Schrott 1990). Tatsächlich konnte in verschiedenen empirischen Studien nachgewiesen werden, dass vor allem unentschiedene Wähler Fernsehdebatten als Informationsquellen über die zur Verfügung stehenden Kandidaten nutzen und dass sie ihnen auch bei der Wahlentscheidung helfen (z.B. Katz/Feldman 1962). Schon Rose (1979) hat gezeigt, dass politisch Uninteressierte und Personen mit geringem politischem Wissen ihre Wahlabsicht nach der Debatte eher änderten als politisch Interessierte und Gebildete. McKinney et al. (2001) berichten, dass sich alle Probanden in ihrer Untersuchung zur US-Präsidentschaftswahl 2000 nach der Rezeption der Primary-Debatte zwischen Bush und McCain eine Meinung gebildet hatten, wen sie wählen wollten. Zwar gehen auch diese Autoren nicht davon aus, dass die Mehrheit der Wähler ihre Wahlentscheidung aufgrund von Fernsehdebatten trifft, vielmehr kommen sie zum Ergebnis, dass nur eine „nennenswerte Minderheit“ (Geer 1988: 498) ihre Wahlpräferenz tatsächlich verändert. Sie betonen jedoch, dass auch solche Minderheitenentscheidungen bei besonders knappen Wahlausgängen ausschlaggebend sein können (z.B. Zakahi/Hacker 1995; Plasser et al. 1996; Jamieson/Adasiewicz 2000). Einige Autoren argumentieren, dass die Bedeutung solcher „Konversionseffekte“ systematisch unterschätzt werde, da sie häufig nur auf der Aggregatebene (z.B. für eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe) betrachtet werden, auf der sich Stimmengewinne und -verluste unter Umständen gegenseitig aufheben. Auf der Individualebene seien hingegen teilweise deutlich größere Effekte von Fernsehdebatten erkennbar (Delli Carpini et al. 1997; Best/Hubbard 2000). Die Ergebnisse vor allem der amerikanischen Forschung zu Effekten von Fernsehdebatten auf die Wahlabsicht der Bürger sind also sehr uneinheitlich. Aufgrund der erläuterten Befunde könnte man schließen, dass zwar nicht die Mehrzahl der Bürger ihre Wahlentscheidung in Abhängigkeit vom Verlauf eines Fernsehduells fällt, es aber dennoch gut vorstellbar ist, dass zumindest für einige Wählersegmente der Ausgang einer solchen Fernsehdiskussion zur Wahlentscheidung beiträgt. In Deutschland ist die Forschung zur Wirkung von Fernsehduellen eine eher junge Disziplin. Anlässlich der ersten deutschen Fernsehdebatten nach USamerikanischem Vorbild vor der Bundestagswahl 2002 kamen sowohl Maurer/Reinemann (2003) als auch Maier/Faas (2005) zum Ergebnis, dass die Diskussionen zwischen den Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bei politisch mäßig oder kaum interessierten Bürgern einen signifikanten positiven Effekt auf die Wahlbeteiligungsabsicht hatten. Gleichzeitig wurde die
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
149
Wahlabsicht deutlich von den Urteilen über die Debattenperformanz der beiden Kandidaten beeinflusst (Maier/Faas 2005), sodass die Autoren die Frage nach der Wirkung der Fernsehduelle auf das Wahlverhalten deutscher Wähler eindeutig positiv beantworteten. Angesichts der berichteten Forschungsergebnisse sowie den Befunden früherer Arbeiten verschiedener Mitglieder unserer Projektgruppe gehen wir davon aus, dass die Fernsehdebatte 2005 bei den Zuschauern zumindest moderate Effekte auf die Wahlabsicht für eine bestimmte Partei gehabt haben dürfte. Diese sollten in der Gruppe der politisch Ungebundenen stärker gewesen sein als bei Probanden mit langfristiger Parteibindung.
2
Veränderungen der Siegeserwartungen, der Partizipations- und der Wahlabsicht durch das Fernsehduell
Erwartungen an den Wahlausgang – Effekte des Duells Im Folgenden sollen die Effekte der Fernsehdebatte zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 auf die Erwartungen der Studienteilnehmer bezüglich des Wahlausgangs sowie auf ihre eigene Wahlbeteiligungs- und ihre Wahlabsicht für eine bestimmte Partei analysiert werden. Da, wie zu Beginn des Kapitels beschrieben, Analysen auf der Aggregatebene die tatsächlichen Effekte des Fernsehduells auf die Einstellungen und Verhaltensabsichten der einzelnen Studienteilnehmer tendenziell unterschätzen, werden im Folgenden sowohl die Veränderungen auf der Aggregat- als auch auf der Individualebene ausgewiesen. Zunächst wird der Frage nachgegangen, wie viele der Teilnehmer unseres Experiments vor dem Duell den Eindruck hatten, dass die Wahl schon entschieden sei und welchen Wahlsieger sie erwarteten. Eine Funktion von Fernsehdebatten, auf die in der Literatur immer wieder hingewiesen wird, ist, den Bürgern nicht nur eine Hilfestellung für ihre eigene Wahlentscheidung, sondern auch Informationen und eine größere Sicherheit bezüglich des wahrscheinlichen Wahlausgangs zu geben. Tatsächlich hatte der größte Teil der Teilnehmer in unseren Experimentalgruppen vor dem Fernsehduell den Eindruck, dass der Ausgang der Bundestagswahl noch offen sei: In Mainz dachten dies 68 Prozent der Teilnehmer, in Jena waren es 65 Prozent (auch Tabelle 1a). Nur rund ein Drittel der Studienteilnehmer (29% in Mainz und 33% in Jena) hatten den Eindruck, die Wahl sei schon entschieden. Dabei glaubte die deutliche Mehrheit der Probanden, dass eine Koalition aus
150
Michaela Maier
CDU/CSU und FDP die Wahl gewinnen würde.1 In Mainz dachten dies vor dem Duell 76 Prozent der Probanden (Tabelle 2a), nur 10 Prozent gingen von einem erneuten Sieg der Regierungskoalition aus, 14 Prozent gaben an, es sei unmöglich zu sagen, wer die Wahl gewinnen werde. Betrachtet man den erwarteten Wahlsieger in Abhängigkeit von der Parteiidentifikation der Probanden, so zeigt sich, dass alle Anhänger der Unionsparteien und der FDP, die an dieser Studie teilnahmen, dachten, diese Koalition werde die Wahl gewinnen. Auch die überwiegende Mehrheit der Anhänger der bisherigen Regierungskoalition (69%) ging davon aus, dass Union und FDP die Wahl für sich entscheiden würden; hingegen erwarteten nur 23 Prozent der Regierungsanhänger den erneuten Sieg der „eigenen“ Parteien. Bei den Mainzer Probanden ohne Parteibindung war die Unsicherheit, wer die Wahl gewinnen würde, am größten: Zwar glaubten 53 Prozent der „Parteilosen“ ebenfalls an einen Sieg von Union und FDP, doch 42 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei unmöglich zu sagen, wer die Wahl gewinnen werde. In Jena sah das Meinungsbild deutlich anders aus: Hier war die Gruppe derjenigen, die dachten, die Unionsparteien und die FDP würden die Wahl gewinnen, mit 59 Prozent zwar auch am größten, während nur 8 Prozent an einen Sieg des Regierungslagers glaubten, doch 33 Prozent der Jenaer gaben an, es sei nicht möglich vorauszusagen, wer die Wahl gewinnen werde. Zu dieser Gruppe gehörten insbesondere Personen ohne Parteibindung (von ihnen gaben 54% an, nicht zu wissen, wie die Wahl ausgehen werde) und Zuschauer, die eigentlich der PDS zuneigten (in dieser Gruppe konnten 50% den Wahlausgang nicht abschätzen). Doch selbst ein Viertel der Anhänger von CDU/CSU und FDP konnte in Jena nicht sagen, wer die Wahl gewinnen würde. Insgesamt kann also festgestellt werden, dass die Probanden in Jena hinsichtlich des Wahlausgangs weniger sicher waren. Es scheint so, als sei das Klima für die Regierungsparteien hier etwas günstiger gewesen als in Mainz. Beim Vergleich der Antworten, die die Teilnehmer unserer Studie bei der schriftlichen Befragung direkt nach der Debatte gaben, zeigen sich erneut zum Teil deutliche Unterschiede zwischen der Mainzer und der Jenaer Teilgruppe. In 1 Die Frage, wer die Wahl gewinnen würde, wurde allen Untersuchungsteilnehmern gestellt. Würde man an dieser Stelle nur die Antworten derjenigen Personen berücksichtigen, die der Ansicht waren, die Wahl sei bereits entschieden, so würden die Fallzahlen sehr klein. Die Ergebnisse sähen dann etwas anders aus: In Mainz waren im Pretest alle Befragten, die dachten, die Wahl sei schon entschieden, der Ansicht, Union und FDP würden sie gewinnen. Im Posttest hatten fünf Prozent ihre Meinung geändert und gingen nun von einem Sieg von SPD und Grünen aus. In Jena waren beim Pretest 81 Prozent der Ansicht, Union und FDP könnten die Wahl für sich entscheiden, 19 Prozent glaubten an einen Sieg von Rot-Grün. Im Posttest war der Anteil für Union und FDP deutlich auf 73 und für SPD und Grüne geringfügig auf 18 Prozent gesunken.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
151
der Mainzer Experimentalgruppe werden auf der Aggregatebene zunächst nur marginale Veränderungen der Meinungen bezüglich der Frage sichtbar, ob die Wahl schon entschieden sei – die Zahl derer, die das glaubten, stieg von 29 auf 31 Prozent; der Anteil derjenigen, die glaubten, das Rennen sei noch offen, sank hingegen von 68 auf 65 Prozent (Tabelle 1a). Die Analyse der Veränderungen auf der Individualebene zeigt hingegen größere Veränderungen als auf der Aggregatebene erkennbar: Wie in Tabelle 1b dargestellt, waren nur 71 Prozent der Personen, die vor der Fernsehdiskussion gesagt hatten, die Wahl sei schon entschieden, nach dem Duell noch immer dieser Meinung. 24 Prozent dieser Probanden hielten den Wahlausgang nach der Debatte hingegen wieder für offen. Umgekehrt waren 84 Prozent derjenigen Personen, die vor dem Duell den Wahlausgang als offen eingeschätzt hatten, auch danach noch immer dieser Meinung. 14 Prozent aus dieser Gruppe hielten die Wahl dagegen nach der Fernsehdiskussion für entschieden. Im Jenaer Sample sind bereits auf der Aggregatebene deutlichere Veränderungen bei der Einschätzung des Wahlausgangs zu erkennen (Tabelle 1a): Hier sank der Anteil der Personen, die den Wahlausgang für sicher hielten, von 33 auf 22 Prozent. Dieser Effekt ist nur knapp nicht statistisch signifikant. 74 Prozent (+ 9 Prozentpunkte) waren hier nach dem Duell der Meinung, die Wahl sei noch offen. Bei der Betrachtung der Veränderungen auf der Individualebene (Tabelle 1b) wird deutlich, wie dieser deutliche Aggregateffekt zustande kommt: Nur 50 Prozent der Personen, die vor der Fernsehdiskussion der Meinung waren, die Wahl sei bereits entscheiden, dachten das auch nach dem Duell noch. 44 Prozent aus dieser Gruppe hielten den Wahlausgang hingegen nach der Fernsehsendung wieder für offen. Diese unterschiedlich starken Effekte in Mainz und Jena lassen sich durch die unterschiedlichen Urteile über den Debattensieger erklären (vgl. Kapitel 3.1): In Mainz waren die meisten Probanden der Ansicht, das Fernsehduell sei unentschieden oder mit leichten Vorteilen für Angela Merkel ausgegangen. Dieses Urteil führte nicht zu einer Veränderung ihrer Einschätzung, ob die Wahl schon entschieden sei. In Jena war hingegen ein großer Teil der Studienteilnehmer der Ansicht, Gerhard Schröder habe das Duell gewonnen. Dies könnte dazu geführt haben, dass der Ausgang der Wahl wieder eher als offen gesehen wurde. Die Fernsehdebatte hatte also auf keinen Fall den Effekt, dass der Wahlausgang für die Wähler leichter zu prognostizieren gewesen wäre. Im Gegenteil scheint es retrospektiv so, als hätten die Wähler ein sehr gutes Gespür dafür gehabt, wie knapp der Wahlausgang sein würde.
152
Tabelle 1a:
Michaela Maier
Ist die Wahl schon entschieden? Wirkung des Duells auf der Aggregatebene
Der Ausgang der Bundestagswahl…
Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell
Diff.
Vor dem Duell
Jena Nach dem Duell
%
%
Diff.
%
%
Ist schon entschieden
29
31
+2
33
22
-11
Ist noch offen
68
65
-3
65
74
+9
Weiß nicht
3
4
+1
2
4
+2
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede im Pre- und Posttest)
Tabelle 1b:
Ist die Wahl schon entschieden? Wirkung des Duells auf der Individualebene Vor dem Duell Schon entschieden
Mainz Noch offen
Weiß nicht
Schon entschieden
Jena Noch offen
Weiß nicht
Nach dem Duell
%
%
%
%
%
%
Ist schon entschieden
71
14
-
50
9
-
Ist noch offen
24
84
50
44
91
-
Weiß nicht
5
2
50
6
-
100
N
21
49
2
16
32
1
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49)
Auch auf die Meinung der Studienteilnehmer, wer die Bundestagswahl gewinnen würde, hatte die Fernsehdebatte zwischen Schröder und Merkel einen direkten Einfluss: Zwar dachte nach dem Duell nach wie vor die Mehrheit unserer Probanden, Union und FDP würden die Wahl für sich entscheiden, doch in beiden Experimentalgruppen ging dieser Anteil bereits auf der Aggregatebene deutlich zurück: In Mainz von 76 auf 63 und in Jena von 59 auf 51 Prozent (Tabelle 2a). Gleichzeitig konnte die Koalition aus SPD und Grünen in Mainz
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
153
um 8 und in Jena um 6 Prozentpunkte zulegen. Diese Effekte sind im Mainzer Sample beide statistisch signifikant. Die Veränderungen der Einstellungen im Jenaer Sample verfehlen das Signifikanzkriterium nur relativ knapp. Analog zum Befund, dass auch nach der Fernsehdebatte noch viele Probanden der Meinung waren, der Ausgang der Wahl sei noch offen, stieg auch die Zahl der Personen, die der Ansicht waren, es sei unmöglich zu sagen, wer die Wahl gewinnen würde í in Mainz von 14 auf 19 und in Jena von 33 auf 35 Prozent. Tabelle 2a:
Erwarteter Sieger der Bundestagswahl Wirkung des Duells auf der Aggregatebene Mainz Vor dem Duell
Nach dem Duell
%
%
SPD/Grüne
10
18
CDU/CSU/FDP
76
Unmöglich zu sagen
14
Die meisten Stimmen bekommen…
Jena Diff.
Vor dem Duell
Nach dem Diff. Duell
%
%
+8*
8
14
+6
63
-13*
59
51
-8
19
+5
33
35
+2
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pre- und Posttest)
Bei der Analyse der Veränderungen auf der Individualebene (Tabelle 2b) wird wieder klar, wie diese Veränderungen auf der Aggregatebene zustande kommen: Während sowohl in Mainz als auch in Jena die wenigen Personen, die schon vor dem Duell an einen Sieg der regierenden rot-grünen Koalition glaubten, diese Ansicht beibehielten, blieben nur 76 Prozent in Mainz und 79 Prozent in Jena bei ihrer Meinung, Union und FDP würden die Wahl für sich entscheiden. Ein nennenswerter Teil der Probanden aus dieser Gruppe war nach der Diskussionssendung der Ansicht, es sei unmöglich, den Wahlsieger zu prognostizieren (Mainz: 16%; Jena: 14%) oder hielt jetzt sogar einen Sieg von rot-grün für möglich (Mainz: 7%; Jena: 7%). Doch auch unter den Zuschauern, die vor der Fernsehdebatte nicht hatten sagen können, wer die Wahl gewinnen würde, waren nach dem Duell deutliche Veränderungen zu erkennen: 30 Prozent in Mainz und 13 Prozent in Jena gingen nun von einem Sieg von schwarz-gelb aus; 20 Prozent in Mainz und 6 Prozent in Jena hingegen von einem erneuten Erfolg der rot-grünen Regierungskoalition.
154
Tabelle 2b:
Michaela Maier
Erwarteter Sieger der Bundestagswahl í Wirkung des Duells auf der Individualebene
SPD/ Grüne
Vor dem Duell Mainz Union/ Unmöglich SPD/ FDP zu sagen Grüne
Jena Union/ Unmöglich FDP zu sagen
Nach dem Duell
%
%
%
%
%
%
SPD/Grüne
100
7
20
100
7
6
CDU/CSU/FDP
-
76
30
-
79
13
Unmöglich zu sagen
-
16
50
-
14
81
N
7
55
10
4
29
16
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49)
Insgesamt kann also festgestellt werden, dass vor dem Fernsehduell viele der Probanden davon ausgingen, dass der Wahlausgang noch offen sei. Die allermeisten erwarteten einen Sieg der Unionsparteien und der FDP. Dabei war die Stimmung in der Jenaer Teilgruppe etwas günstiger für die amtierende Regierungskoalition von SPD und Grünen als in Mainz. Weder in Mainz noch in Jena hat die Fernsehdebatte dazu beigetragen, dass sich die Teilnehmer unserer Studie sicherer gewesen wären, wie die Wahl ausgehen würde. In Jena waren sich die Befragten nach dem Rededuell sogar deutlich unsicherer als vorher. Die Performanz der beiden Spitzenkandidaten vor den Kameras führte außerdem vor allem dazu, dass die von den Probanden wahrgenommenen Wahlchancen der SPD und der Grünen gegenüber den Unionsparteien und der FDP stiegen. Wahlbeteiligungsabsicht – Effekte des Duells auf die Partizipationsbereitschaft Selbst Autoren, die bezweifeln, dass Fernsehduelle einen nennenswerten Effekt darauf haben, für wen die Bürger am Wahltag tatsächlich ihre Stimme abgeben, räumen ein, dass sich die Wahlbeteiligungsabsicht der Bürger, d.h. ihre Bereitschaft an der Wahl teilzunehmen, durch die Rezeption solcher Diskussionssendungen erhöhen kann. Die Teilnehmer unserer Experimente waren sich jedoch bereits vor dem Fernsehduell sehr sicher, dass sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen würden: Sowohl in Mainz als auch in Jena sagten 92 Prozent der Probanden, sie würden bestimmt zur Wahl gehen. In Mainz wollten die verbleibenden 8 Prozent wahrscheinlich an der Wahl teilnehmen. In Jena wollten weitere 2 Prozent wahrscheinlich und 6 Prozent vielleicht zur Urne gehen.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
155
Diese Wahlbeteiligungsabsicht ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sicherlich sehr hoch und kann durch das überdurchschnittlich hohe politische Interesse der Teilnehmer erklärt werden, die sich in der Regel genau deshalb freiwillig für solche Studien melden (vgl. Kapitel 1.2). Entsprechend blieb die Absicht, sich an der Wahl zu beteiligen, bei unseren Probanden auch nach dem Fernsehduell unverändert hoch.2 Wahlabsicht – Effekte des Duells auf das intendierte Stimmverhalten Bei der Betrachtung der Angaben, wie viele der Versuchsteilnehmer bei der Bundestagswahl welche Partei wählen wollten, gilt es zu beachten, dass für diese Studie jeweils ähnlich viele Personen ausgewählt wurden, die entweder SPD und Grünen oder Union und FDP oder keiner Partei anhingen. In Jena wurde zudem eine vierte Gruppe von Probanden rekrutiert, die sich grundsätzlich mit der Linkspartei identifizierten (vgl. Kapitel 1.2). Die nach diesen Regeln ausgewählten Teilnehmer wollten in Mainz mehrheitlich CDU/CSU wählen (38%), 28 Prozent favorisierten die SPD, 4 Prozent die FDP, 6 Prozent Bündnis90/Die Grünen, eine Person wollte eine andere Partei wählen, und 24 Prozent der Probanden hatten sich noch nicht entschieden, wem sie ihre Stimme geben wollten (Tabelle 3a). Laut einer Politikbarometer-Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF 2005) hatten in der Gesamtbevölkerung zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfes 43 Prozent die Absicht CDU/CSU zu wählen, 32 Prozent wollten ihre Stimme für die SPD abgeben, je 7 Prozent für FDP und Grünen und 8 Prozent für die Linkspartei. Die Unterschiede zwischen den Wahlabsichten unserer Probanden im Vergleich mit der repräsentativen Bevölkerungsbefragung ergeben sich zwangsläufig durch die Stichprobenvorgaben unserer Studie. Denn wie zu erwarten, folgten die meisten Teilnehmer unseres Experiments mit ihrer Wahlabsicht ihrer allgemeinen Parteineigung: 89 Prozent der Anhänger von Union und FDP wollten diese auch wählen, lediglich 11 Prozent wollten eine andere Partei wählen oder machten zu dieser Frage keine Angabe. 77 Prozent derjenigen, die sich mit SPD oder Grünen identifizierten, wollten diese ebenfalls wählen, 19 Prozent wollten eine sonstige Partei wählen oder machten keine Angabe zu dieser Frage. Von den Personen ohne Parteibindung wollten 26 Prozent Union oder FDP wählen, 21 Prozent die Regierungsparteien, 5 Prozent die PDS, aber
2
Dieser Befund, der hier auf der Aggregatebene berichtet wird, wurde auch auf der Individualebene überprüft. Die Ergebnisse der Korrelationsanalyse bestätigen, dass die Wahlbeteiligungsabsicht zwischen Pre- und Posttest sehr stabil war. Für das Mainzer Sample beträgt Pearson’s r .80 und für das Jenaer Sample sogar 1.00.
156
Michaela Maier
47 Prozent wollten eine andere als die etablierten Parteien wählen oder hatten dazu keine Angabe gemacht. In Jena hatten 17 Prozent der Studienteilnehmer die Absicht, die CDU zu wählen, 20 Prozent wollten ihre Stimme der SPD geben, 9 Prozent der FDP, 11 Prozent den Grünen, 22 Prozent der Linkspartei, und 22 Prozent hatten sich noch nicht entschieden. Auch hier wollten die meisten Personen im Einklang mit ihrer Parteiidentifikation wählen: 83 Prozent der Anhänger von Union und FDP wollten diese auch wählen, bei SPD und Grünen betrug dieser Anteil 86 Prozent und bei der Linkspartei 80 Prozent. Von den Personen ohne feste Parteineigung wollten hier sogar 77 Prozent eine andere Partei wählen oder hatten keine Angaben gemacht. Die meisten Teilnehmer der Studie waren sich ihrer Wahlentscheidung sehr sicher (Mainz: 47%, Jena: 37%) oder ziemlich sicher (Mainz: 49%, Jena: 51%). Eher unsicher waren lediglich 4 Prozent in Mainz und 12 Prozent in Jena. Nach dem Fernsehduell waren – wie auf der Grundlage des bisherigen Forschungsstandes von uns erwartet – sowohl bezüglich der Wahlabsicht der Probanden als auch bezüglich der Sicherheit dieser Verhaltensabsicht bereits auf der Aggregatebene zum Teil deutliche Veränderungen zu erkennen: Hinsichtlich der Wahlabsicht der Studienteilnehmer für eine bestimmte Partei konnten sowohl die Union als auch die SPD in beiden Teilgruppen leicht vom Fernsehduell profitieren: In Mainz gewannen beide Parteien 5 Prozentpunkte an Zustimmung (im Fall der SPD ist dieser Effekt statistisch signifikant). In Jena legte die Union um 3 und die SPD um 2 Prozentpunkte zu. Während die FDP in beiden Gruppen etwas und auch die PDS in Jena verloren (der Stimmenverlust für die FDP im Mainzer Teilsample erfüllt nur knapp das statistische Signifikanzkriterium nicht), blieb die Zustimmung für die Grünen unverändert. Interessanterweise nahm die Gruppe der unentschiedenen Wähler in Mainz von 24 auf 14 Prozent signifikant ab, während sie in Jena sogar noch leicht von 22 auf 27 Prozentpunkte wuchs.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
Tabelle 3a:
157
Wahlabsicht í Wirkung des Duells auf der Aggregatebene
Vor dem Duell
Mainz Nach dem Duell
Wahlabsicht
%
%
CDU/CSU
38
43
SPD
28
FDP
Diff.
Jena Vor dem Nach dem Duell Duell
Diff.
%
%
+5
17
18
+1
33
+5*
20
22
+2
4
3
-1
9
2
-7
Bündnis 90/Grüne
6
7
+1
11
11
0
Linkspartei.PDS
1
-
-
22
20
-2
Andere Partei
0
0
-1
0
0
0
Nicht entschieden
24
14
-10**
22
27
+5
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49)
Die Analyse der Entwicklung der Wahlabsicht auf der Individualebene (Tabelle 3b) zeigt erneut, wie diese Veränderungen zu erklären sind: Im Mainzer Sample profitierten die Unionsparteien von Stimmengewinnen unter Zuschauern, die vor dem Fernsehduell in ihrer Wahlabsicht unentschieden gewesen waren. Die SPD konnte sowohl Stimmen aus der Gruppe der zuvor Unentschiedenen als auch von denjenigen hinzugewinnen, die zuvor für die Unionsparteien und die FDP hatten stimmen wollen. In Jena waren die Wahlabsichten auf der Individualebene deutliche stabiler als in Mainz: Hier konnte die SPD nur geringfügig hinzugewinnen, nämlich die Stimme eines vormaligen FDP-Sympathisanten.
158
Tabelle 3b:
Michaela Maier
Wahlabsicht í Wirkung des Duells auf der Individualebene Vor dem Duell FDP Grüne PDS
CDU/ CSU
SPD
%
%
%
%
%
%
96
-
-
-
100
24
SPD
4
100
33
-
-
12
FDP
-
-
67
-
-
-
Bündnis 90/Grüne
-
-
-
100
-
6
Linkspartei.PDS
-
-
-
-
-
-
Unentschieden
-
-
-
-
-
59
27
20
3
4
1
17
100
-
-
-
-
-
SPD
-
100
50
-
-
-
FDP
-
-
50
-
-
-
Bündnis 90/Grüne
-
-
-
100
-
-
Linkspartei.PDS
-
-
-
-
90
-
Unentschieden
-
-
-
-
10
100
N
8
9
2
5
10
10
Nach dem Duell
Unentschieden
Mainz CDU/CSU
N Jena CDU/CSU
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49)
Bei den Personen, die nach dem Fernsehduell angaben zu wissen, welche Partei sie bei der Bundestagswahl wählen würden, hatte sich in beiden Versuchsgruppen der Anteil derjenigen signifikant erhöht, die sich ihrer Wahlentscheidung sehr sicher waren (Tabelle 3c): In Mainz stieg er von 47 auf 60 Prozent. In Jena war er zwar noch immer deutlich niedriger, legte jedoch auch hier von 37 auf 48 Prozent zu.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
Tabelle 3c:
Sicherheit der Wahlabsicht
159
Sicherheit der Wahlabsicht í Wirkung des Duells auf der Aggregatebene Mainz Vor dem Nach dem Duell Duell
Diff.
Vor dem Duell
Jena Nach dem Duell
%
%
Diff.
%
%
Sehr sicher
47
60
+13
37
48
+11
Ziemlich sicher
49
34
-15
51
43
-8
Eher unsicher
4
7
+3
12
9
-3
Sehr unsicher
0
0
0
0
0
0
0,81
0,85
+0,04*
0,73
0,80
+0,07**
55
62
36
33
MW N
Basis: Alle Personen, die auf die Frage nach der Wahlabsicht eine konkrete Partei genannt hatten * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pre- und Posttest)
Tabelle 3d:
Sicherheit der Wahlabsicht Wirkung des Duells auf der Individualebene Vor dem Duell Mainz Sehr Ziem- Eher sicher lich unsicher sicher % % %
Sehr unsicher %
Sehr sicher
100
33
-
-
100
26
-
-
Ziemlich sicher
-
63
-
-
-
74
50
-
Eher unsicher
-
4
100
-
-
-
50
-
Sehr unsicher
-
-
-
-
-
-
-
-
26
27
2
-
10
19
4
-
Nach dem Duell Sehr sicher
N
%
Jena Ziem- Eher lich unsicher sicher % %
Sehr unsicher %
Basis: Alle Personen, die auf die Frage nach der Wahlabsicht sowohl im Pretest als auch im ersten Posttest eine konkrete Partei genannt hatten (Pretest: Mainz: n=55; Jena: n=33)
160
Michaela Maier
Die Ergebnisse der Individualanalyse (Tabelle 3d) zeigen, dass ein größerer Teil derjenigen, die sich vor dem Duell bezüglich ihrer Wahlabsicht ziemlich sicher gewesen waren, nach der Fernsehdiskussion sehr sicher in ihrer Entscheidung waren (Mainz: 33%; Jena: 26%). Hingegen gab es nur eine Person in Mainz, die durch die Rezeption des Fernsehduells in ihrer Wahlabsicht unsicherer wurde. Die Wahlabsicht der Teilnehmer unserer Studie wurde insgesamt – wie nicht anders zu erwarten – sehr stark von der Parteibindung der jeweiligen Bürger determiniert. Es fällt jedoch auf, dass trotz der überdurchschnittlich hohen politischen Involvierung unserer Studienteilnehmer, viele von ihnen vor der TVDebatte noch nicht sicher waren, wen sie wählen würden: In Mainz waren dies 24 Prozent der Probanden und in Jena 22 Prozent. Laut Forschungsgruppe Wahlen (ZDF 2005) lag der Vergleichswert in der Gesamtbevölkerung mit 28 Prozent unentschiedenen Wahlberechtigten nur leicht über den Werten unseres Samples. Beinahe noch interessanter ist jedoch der Befund, dass der Anteil der unentschiedenen Wähler nach dem Rededuell in Jena weiter gewachsen war, während er in Mainz signifikant sank. Hier konnten – was die Wahlabsichten für die Parteien angeht – sowohl die Unionsparteien als auch die SPD von der Performanz ihrer Spitzenkandidaten profitieren. Die Ergebnisse der Individualanalysen haben deutlich gemacht, dass das Fernsehduell 2005 keine einheitlichen Effekte auf die Wahlabsicht der Zuschauer hatte. Maier/Faas (2005) und andere haben gezeigt, dass die Wirkung solcher Wahlkampfereignisse sowohl von der Parteiidentifikation der Bürger als auch von ihrem Urteil über den Debattensieger abhängt (siehe Kapitel 3.1; Maurer/Reinemann 2003). Im folgenden Analyseschritt werden daher die Effekte der Fernsehdebatte auf die Wahlabsicht der Teilnehmer unserer Studie sowohl für die Parteiidentifikation als auch für die Urteile über den Debattensieger kontrolliert. Die entsprechenden Daten sind in Tabelle 4 dargestellt. Dabei haben wir drei Gruppen unterschieden: (1) Personen, die Angela Merkel nach dem Duell als Siegerin sahen, (2) Probanden, die angaben, das Duell sei unentschieden ausgegangen, und (3) Teilnehmer, die meinten, Gerhard Schröder habe die Debatte gewonnen. Aufgrund der teilweise sehr geringen Fallzahlen, wurde auf eine Differenzierung des Mainzer und Jenaer Samples verzichtet. Betrachtet man zunächst die Wahlabsicht der Anhänger der Unionsparteien und der FDP (Lesehilfe: 1. Datenzeile), so zeigt sich, dass in den drei Gruppen vor dem Duell jeweils zwischen 80 und 90 Prozent der Probanden ihre Stimme der Union geben wollten. Die langfristige psychologische Bindung an die Unionsparteien oder ihren bevorzugten Koalitionspartner, die FDP, scheinen also einen deutlichen Einfluss auf die Wahlabsicht vor dem Duell gehabt zu haben. Auf diese Wahlabsicht hatte das Fernsehduell 2005 in den verschiedenen Grup-
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
161
pen unterschiedliche und nachvollziehbare Effekte: Von den Personen, die sich mit Union und FDP identifizierten und die Angela Merkel als Siegerin der Fernsehdebatte wahrgenommen hatten, wollten nach dem Duell 95 Prozent der Union ihre Stimme geben (+5 Prozentpunkte). Von denjenigen, die meinten, das Duell sei unentschieden ausgegangen oder es sei nicht möglich zu sagen, wer gewonnen habe, wollten 73 Prozent die Union wählen (-14 Prozentpunkte). Von den Zuschauern, die eigentlich eine langfristige Bindung an Union und FDP aufwiesen, die jedoch Schröder im Duell als überlegen empfunden hatten, wollten nur noch 40 Prozent die Union wählen (-40 Prozentpunkte). Gleichzeitig wollten nach dem Duell auch Anhänger von Union und FDP die SPD zu wählen, und zwar 13 Prozent der Probanden, die sagten, das Duell sei unentschieden ausgegangen, und 20 Prozent derjenigen, die der Ansicht waren, Schröder habe die Debatte für sich entschieden. Vor der Fernsehdiskussion hatte keiner der Unions- und FDP-Anhänger seine Stimme für die SPD abgeben wollen. Tabelle 4:
Veränderung der Wahlabsicht in Abhängigkeit von Parteiidentifikation und der Wahrnehmung des Debattensiegers Wahrnehmung des Debattensiegers
Parteiidentifikation/ Wahlabsicht PID Union/FDP CDU/CSU SPD PID für SPD CDU/CSU SPD PDS/Keine PID CDU/CSU SPD
Merkel Siegerin Vor Nach dem dem Duell Duell % % (n=19) 90 95 (n=3) 33 33 33 67 (n=5) 20 60 -
Unentschieden/ unmöglich zu sagen Vor Nach dem dem Duell Duell % % (n=15) 87 73 13 (n=8) 13 25 63 63 (n=18) 28 28 17 17
Schröder Sieger Vor Nach dem dem Duell Duell % % (n=5) 80 40 20 (n=29) 90 93 (n=19) 16 21
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen haben (Mainz: n=72; Jena: n=49) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pre- und Posttest)
162
Michaela Maier
Bei der Interpretation dieser Daten sind stets die in den einzelnen Untergruppen teilweise geringen Fallzahlen zu beachten, die bereits bei einer Veränderung der Wahlabsicht bei nur wenigen Studienteilnehmern zu deutlichen Schwankungen der Prozentzahlen in den jeweiligen Gruppen führen können. Vermutlich auch aufgrund dieser geringen Fallzahlen genügen alle in Tabelle 4 dargestellten Effekte nicht den Kriterien eines statistischen Signifikanztests. Nichtsdestotrotz sind die Effekte nachvollziehbar und logisch zu interpretieren: Selbst bei Personen, die sich langfristig mit den Unionsparteien oder der FDP identifizierten, führte die Einschätzung, Angela Merkel habe das Duell gewonnen, noch zu einer Verstärkung der Wahlabsicht für die Union. Das Urteil, Gerhard Schröder habe die Diskussion für sich entschieden, führte hingegen zu einer Abnahme der Wahlabsicht für die „eigene“ Partei und zu einer Zunahme der Wahlabsicht für die SPD. Selbst bei den Personen, die keinen Debattensieger benennen konnten, hatte die Diskussionssendung einen leichten positiven Effekt auf die Wahlabsicht für die SPD. Bei denjenigen Personen, die sich langfristig mit der SPD oder Bündnis90/Die Grünen identifizierten, zeigten sich etwas andere Effekte als bei den Unions- und FDP-Anhängern. Zwar wollte die Mehrheit die SPD wählen, allerdings planten einige der SPD- und Grünen-Anhänger auch schon vor der Debatte, ihre Stimmen für die Union abzugeben. Nach der Debatte war der Anteil der SPD- und Grünen-Identifizierer, die die SPD wählen wollten, in derjenigen Zuschauergruppe, die Schröder als Sieger gesehen hatte, erwartungsgemäß auf 93 Prozent gestiegen. Die Unionsparteien konnten bei den SPD-Anhängern in unserem Zuschauersample jedoch nicht vom wahrgenommenen Debattensieg ihrer Kandidatin profitieren. Von diesen Personen wollte nach dem Rededuell sogar ein Proband mehr für die SPD stimmen. Dieser Effekt ist aufgrund der sehr geringen Fallzahlen nicht über zu bewerten. Er könnte jedoch darauf hinweisen, dass auch die Wahrnehmung eines starken Gegenkandidaten zu einer Mobilisierung der eigenen Wähler führen kann. Bei den Studienteilnehmern, die zu keiner der etablierten Parteien eine langfristige Bindung aufwiesen, sind hingegen Effekte des Duells vor allem in derjenigen Untergruppe zu erkennen, die Angela Merkel als Siegerin gesehen hatte: Hier entschieden sich im Posttest zusätzlich zwei von fünf Personen, ihre Stimme der Union zu geben. Auch die SPD konnte leichte Zuwächse bei der Wahlabsicht verzeichnen, und zwar bei denjenigen Zuschauern, die Schröder als Sieger gesehen hatten. Bei denjenigen Probanden, die den Ausgang der Fernsehdebatte als unentschieden wahrgenommen hatten, blieben die Wahlabsichten stabil.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
3
163
Fazit
Ingesamt lassen sich die Meinungen unserer Probanden bezüglich des von ihnen antizipierten Ausgangs der Bundestagswahl 2005 und ihre Partizipations- und Wahlabsichten sowie die Effekte des Fernsehduells auf diese politischen Einstellungen und Verhaltensabsichten folgendermaßen zusammenfassen: Zirka zwei Drittel unserer Studienteilnehmer waren 14 Tage vor der Wahl der Auffassung, die Bundestagswahl sei noch nicht entschieden. Während dieser Anteil auf der Aggregatebene in Mainz auch nach dem Fernsehduell relativ stabil war, nahm er in Jena doch deutlich von 65 auf 74 Prozentpunkte zu. Auf der Individualebene zeigten sich wie zu erwarten mehr Veränderungen als auf der Aggregatebene zu erkennen waren: Während diese Austauschprozesse in Mainz jedoch etwas diffuser waren, nahm in Jena ganz klar die Zahl derjenigen ab, die die Wahl für entschieden hielten. Mit Blick auf die Ergebnisse von Kapitel 3.1 kann dieser Befund so erklärt werden, dass die Jenaer Probanden – anders als die Zuschauer in Mainz – Gerhard Schröder als Sieger der Fernsehdiskussion gesehen hatten. Es ist also nachvollziehbar, dass sie eher als die Probanden in Mainz, die das Duell als unentschieden gesehen hatten, der Meinung waren, dass sich die Wahlchancen für die Regierungskoalition erhöht hätten und der Wahlausgang offener sei als vor dem Duell. Bezüglich der Frage, wer die Wahl gewinnen würde, sank die Prognose für eine mögliche Koalition von Union und FDP sogar in beiden Versuchsgruppen (Einschätzung nach dem Duell: Mainz: 63%, Jena: 51%), während SPD und Grüne leichte Zuwächse verzeichnen konnten (Mainz: 18%, Jena: 14%). Hinsichtlich der individuellen Wahlabsicht der Probanden konnten sowohl die Union als auch die SPD vor allem in Mainz leicht von der Fernsehdebatte profitieren. Die Analyse auf der Individualebene zeigte, dass die Unionsparteien in Mainz nach dem Duell mehr Zustimmung von vormals unentschiedenen Wählern bekam, während die SPD neben Unentschiedenen auch Personen für sich gewinnen konnte, die vor der Fernsehdiskussion die CDU oder die FDP hatten wählen wollen. Anders als im Jahr 2002 (Maurer/Reinemann 2003) hatte die Fernsehdebatte keine positive Wirkung auf die Wahlabsicht für eine der kleineren Parteien, ganz im Gegenteil verlor die FDP in Jena einige Stimmen. Die Frage, ob sich Fernsehdiskussionen, bei denen nur die Spitzenkandidaten der beiden größten Parteien zu Wort kommen, negativ auf die Chancen kleinerer Parteien auswirken, sollte nach diesem Befund nicht voreilig ad acta gelegt werden. In einer weiteren Analyse wurde überprüft, ob sich die Urteile über den Debattensieger bei Zuschauern mit verschiedener Parteiidentifikation unter-
164
Michaela Maier
schiedlich auswirkten. Die Analyse zeigte, dass selbst bei Personen, die sich langfristig mit den Unionsparteien oder der FDP identifizierten, die Einschätzung, Angela Merkel habe das Duell gewonnen, noch zu einer Verstärkung der Wahlabsicht für die Union führte. Die Einschätzung, Gerhard Schröder habe die Diskussion für sich entschieden, führte hingegen in dieser Gruppe zu einer Abnahme der Wahlabsicht für die „eigene“ Partei und zu einer Zunahme der Wahlabsicht für die SPD. Auch bei den SPD- und Grünen-Identifizierern, nahm der Anteil der Personen, die die SPD wählen wollten, in derjenigen Zuschauergruppe zu, die Schröder als Sieger gesehen hatte. Die Unionsparteien konnten bei den SPD-Anhängern in unserem Zuschauersample jedoch nicht vom wahrgenommenen Debattensieg ihrer Kandidatin profitieren. Diese, vermutlich aufgrund der geringen Fallzahlen nicht signifikanten Effekte, können Hinweise dafür sein, dass das Fernsehduell 2005 bei unseren Zuschauern genau die verschiedenen Wirkungen hatte, die auch in der Literatur immer wieder erwähnt werden: Einerseits kann die Wahrnehmung einer guten Performanz des „eigenen“ Kandidaten bei den Stammwählern tatsächlich zu einer Verstärkung der Wahlabsicht („Reinforcement“) führen, dieser Effekt zeigte sich sowohl bei den Unions- als auch bei den SPD-Anhängern. Dass SPD-Stammwähler, die Angela Merkel im Duell als überlegen bewertet hatten, dennoch die SPD wählen wollten, spricht dafür, dass auch die Wahrnehmung eines starken Gegenkandidaten zu einer Mobilisierung der eigenen Wähler führen kann. Die Tatsache, dass einige Unions-Identifizierer, die Gerhard Schröder als Debattensieger gesehen hatten, diesen nach dem Duell auch wählen wollten, stärkt zudem die These, dass Fernsehduelle auch zu Konversionseffekten führen können. Der Befund, dass das Fernsehduell 2005 in verschiedenen Zuschauergruppen unterschiedliche Effekte hatte, deckt sich auch mit dem Befund der Vorgängerstudie von Maurer/Reinemann (2003), dass die Richtung der Veränderungen der Wahlabsicht durch das zweite TV-Duell bei der Bundestagswahl 2002 nicht einheitlich war, was in dieser Studie ebenfalls durch die unterschiedliche Wahrnehmung der Debatte begründet wurde. Diejenigen Personen, die wussten, welche Partei sie wählen würden, waren sich nach der Fernsehdiskussion in ihrer Entscheidung sicherer. Doch vor allem in Jena war der Anteil derjenigen Probanden, die auch nach dem Fernsehduell noch unschlüssig waren, wem sie bei der Wahl ihre Stimme geben würden, mit 24 Prozent recht hoch. Es ist davon auszugehen, dass diese Personen besonders zugänglich für Argumente gewesen sein könnten, die im Rahmen der massenmedialen Berichterstattung und im Rahmen der interpersonalen Anschlusskommunikation nach dem Duell ausgetauscht wurden.
Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsichten
165
Ähnlich wie für das Fernsehduell 2002 (Maurer/Reinemann 2003), kann letztendlich auch für das Fernsehduell 2005 festgehalten werden, dass die Effekte der Debatte zumindest auf die Wahlabsichten der Studienteilnehmer eher moderat waren. Aus unterschiedlichen, bereits genannten Gründen sollten diese Wirkungspotenziale jedoch nicht unterschätzt werden: Erstens nahmen an unserer Untersuchung vor allem politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger teil. Bei der im Durchschnitt politisch weniger interessierten Gesamtbevölkerung könnten die Effekte des Duells tendenziell stärker ausgefallen sein als in unserem Sample, da die politischen Einstellungen in der Gesamtbevölkerung vermutlich weniger stark ausgeprägt und persistent waren. Zweitens war ein erstaunlich hoher Anteil von Wahlberechtigten zwei Wochen vor der Bundestagswahl 2005 noch nicht sicher, wem sie ihre Stimme geben würden. Zumindest im Mainzer Sample hatte das Fernsehduell gerade auf diese Gruppe der unentschiedenen Wähler deutliche Effekte. Welche Wirkungen die interpersonale und die massenmediale Anschlusskommunikation auf die politischen Einstellungen und die Wahlabsichten unserer Studienteilnehmer hatten, wird in Kapitel 4.2 untersucht.
4.1
Völlig anderer Ansicht Die Medienberichterstattung über das TV-Duell Carsten Reinemann
Was von einem TV-Duell im Gedächtnis bleibt und wer von ihm profitieren kann, hängt nicht zuletzt von der Vor- und Nachberichterstattung der Massenmedien ab. Die Vorberichterstattung bestimmt die Erwartungen an den Duellausgang und die Nachberichterstattung kann die eigenen Eindrücke der DuellZuschauer bestärken oder verändern. Außerdem prägt die Nachberichterstattung die Eindrücke derjenigen, die ein TV-Duell nicht selbst gesehen haben. Die persönliche unmittelbare Wahrnehmung durch die Zuschauer ist deshalb nicht allein entscheidend für die Gesamtwirkung einer Fernsehdebatte. Besonders augenfällig wird der Einfluss der Nachberichterstattung, wenn die Medien Aussagen aus einem TV-Duell hervorheben, die die Zuschauer zu Hause gar nicht als wichtig wahrgenommen haben, und sich daraus eine Umbewertung des Abschneidens der Kandidaten ergibt. Einen besonders starken Einfluss auf die Zuschauer des Duells haben die unmittelbar im Anschluss beginnenden TVSondersendungen, da sich die eigenen Eindrücke der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefestigt haben (im Überblick Maurer/Reinemann 2003; McKinney/Carlin 2004). Man kann die Duellberichterstattung jedoch nicht nur im Hinblick auf ihr Wirkungspotential, sondern auch hinsichtlich ihrer Qualität betrachten. In diesem Zusammenhang ist etwa interessant, ob die Medien tatsächlich – wie etwa ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender 2005 ankündigte – „verantwortungsvoll“ mit der Nachberichterstattung umgehen; ob sie eher Inhalte oder Äußerlichkeiten thematisieren; ob sie ausgewogen berichten; wen sie zu Wort kommen lassen und wie sie mit Umfragedaten umgehen. Dabei geht es letztlich auch darum, welche Rolle die Journalisten einnehmen: Agieren sie vor allem als Chronisten und kritische Beobachter, die das Ereignis und die Reaktionen darauf wiedergeben und einordnen? Oder handeln sie als politische Akteure aus eigenem Recht, die ihre eigene Interpretation des Ereignisses in den Vordergrund stellen oder sogar mit Nachdruck durchsetzen wollen? Die Berichterstattung über TV-Duelle wurde bislang vor allem im Zusammenhang mit US-Präsidentschaftsdebatten untersucht (z.B. Lowery et al. 1990;
168
Carsten Reinemann
Morello 1991; Lemert et al. 1991; Jacques et al. 1993; Kendall 1997; Lemert et al. 1999; Kaid et al. 2000; Schroeder 2000; Benoit et al. 2004). Mittlerweile liegen auch für die die TV-Duelle im Bundestagswahlkampf 2002 einige Analysen vor (Maurer/Reinemann 2003; Donsbach/Jandura 2005; Scheufele et al. 2005). Allerdings machen Analysen der Berichterstattung nur einen sehr kleinen Teil der gesamten Debattenforschung aus. Wir wollen zunächst zentrale Befunde der wenigen Studien kurz diskutieren. Danach werden wir unsere eigene Analyse vorstellen. Dabei konzentrieren wir uns auf die Frage, wie die Medien den Verlauf und den Ausgang des TV-Duells dargestellt haben und wie dieser Eindruck zustande kam. Der Beitrag dient damit auch als Basis für die Analysen der Meinungsänderungen in den Tagen nach dem Duell.
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Die Berichterstattung über TV-Duelle: Bisherige Befunde
TV-Duelle sind in vielen Ländern diejenigen Wahlkampfereignisse, über die die Medien am intensivsten berichten. Dies galt auch in den Bundestagswahlkämpfen 2002 und 2005. Andere TV-Diskussionsformate wurden und werden in den Medien bei weitem nicht so umfangreich vor- und nachbereitet (Wilke/Reinemann 2004; 2006). Finden mehrere TV-Duelle statt, so ist zumindest in den USA die Aufmerksamkeit für die erste Debatte größer als für die folgenden (z.B. Jacques et al. 1993). Dies war im deutschen Bundestagswahlkampf 2002, als es ebenfalls zwei TV-Duelle gab, nicht der Fall (Wilke/Reinemann 2004). Allerdings hatte dies möglicherweise damit zu tun, dass diese Art von Fernsehdebatten 2002 ein neues Phänomen im deutschen Bundestagswahlkampf war. Allgemein kann man dabei in der Berichterstattung über TV-Duelle drei Phasen unterscheiden: Die Vorberichterstattung, die unmittelbar im Anschluss stattfindenden TV-Sondersendungen sowie die Folgeberichterstattung am späteren Abend und an den folgenden Tagen nach einem TV-Duell. Vorberichterstattung Die Vorberichterstattung über die Debatten beginnt in dem Moment, in dem von einem der Kandidaten die Forderung nach einem TV-Duell gestellt wird. Wenige Tage vor den Debatten setzt dann die Eigenwerbung der veranstaltenden Sender, das Erwartungsmanagement der Wahlkämpfer und die demoskopische Ermittlung der Erwartungshaltungen in der Wählerschaft ein. Über all dies berichten die Medien (z.B. Schroeder 2000; Trent/Friedenberg 2000; Norton/Goethals 2004). Die Medien schaffen so einen Erwartungshorizont und einen Interpretationsrahmen für das Duell. Amerikanische Studien haben ge-
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zeigt, dass die Medien im Vorfeld vor allem die Erwartungen an den Ausgang der Debatte, die Debatten-Strategien der Kandidaten und die möglichen Auswirkungen auf das Wahlergebnis in den Mittelpunkt rücken. Dabei werden an einen in den Umfragen zurückliegenden Kandidaten in der Regel höhere Erwartungen gestellt. Die TV-Duelle werden oft als „seine letzte Chance“ etikettiert, die Wahl noch zu gewinnen (z.B. Kaid et al. 2000). Welche Themen angesprochen werden (sollten) und wie die Kandidaten dort argumentieren werden, spielt dagegen so gut wie keine Rolle (z.B. Lemert et al. 1991; Kendall 1997; Kaid et al. 2000). TV-Duelle erscheinen deshalb in der Vorberichterstattung nicht primär als Ereignisse, in denen es um einen Austausch von Argumenten geht, der den Wählern als Basis für eine wohl begründete Wahlentscheidung dienen kann. Vielmehr werden sie häufig als Show dargestellt, in der es nicht um Inhalte, sondern um Sieg und Niederlage geht, über die rhetorische Fähigkeiten und Medientauglichkeit entscheiden (Maurer/Reinemann 2003). TV-Sondersendungen Noch während das TV-Duell läuft, beginnt innerhalb des Journalismus ein kollektiver Meinungsbildungsprozess. Vor allem die zahlreichen Journalisten am Ort der Debatte tauschen sich intensiv aus, um ihre eigenen Eindrücke unter einander abzusichern. Durch diese Koorientierung entsteht schnell ein kollektives Urteil darüber, wie ein Ereignis zu interpretieren ist (Reinemann 2003). Da verlässliche Umfragedaten zunächst noch nicht vorliegen, stammen die meisten Urteile über den Ausgang des Duells in der unmittelbaren Nachberichterstattung von Journalisten. Dies zeigen Studien für alle US-Präsidentschaftsdebatten zwischen 1980 und 1996. In dieser Zeit stieg die Bedeutung der Journalisten als Urteilsinstanz deutlich an, weil sie zunehmend bemüht waren, sich dem Einfluss der Spin doctors der Kandidaten zu entziehen (Lemert et al. 1999). Da die TV-Duelle in Deutschland noch relativ neu sind, gibt es bislang kaum Studien, die sich mit der Instant Analysis beschäftigen. Die einzige vorliegende Analyse zeigt, dass sich die Sendungen von ARD und ZDF nach dem zweiten Duell 2002 beträchtlich in ihrer Interpretation der Debatte unterschieden. Dies war vor allem auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Gesprächsrunden zurückzuführen (Maurer/Reinemann 2003). Entsprechende Befunde liegen auch aus den USA vor (z.B. Kendall 1997). Dies ist deswegen von so großer Bedeutung, weil die Duell-Zuschauer vermutlich immer nur eine dieser Sendungen sehen und ihre Meinungen daher in unterschiedlicher Richtung beeinflusst werden können (dazu Maurer/Reinemann 2003). Außerdem stammten wie in den USA auch beim zweiten deutschen TV-Duell 2002 die meisten Urteile von Journalisten. Auf sie entfielen 40 Prozent aller Aussagen über das
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Abschneiden der Kandidaten. Daneben waren die Meinungsforschungsinstitute die wichtigsten Quelle. Die auf Blitzumfragen von Zuschauern basierenden Aussagen machten 20 Prozent aller Urteile aus (Maurer/Reinemann 2003). Im Mittelpunkt der unmittelbaren Nachberichterstattung steht meist die Frage nach dem Sieger. Studien aus den USA und Deutschland zeigen, dass die kommentierenden Journalisten ihre Urteile über den Sieg nur selten mit der Stärke von Argumenten, inhaltlichen Positionen oder sachlichen Fehlern der Kandidaten begründen. Vielmehr beziehen sie sich oft auf die Gemütslage der Kandidaten (z.B. ihre Nervosität oder Aggressivität), ihre rhetorischen Fähigkeiten oder darauf, wie gut sie mit den Regeln eines Duells zu Recht kamen (z.B. Lemert et al. 1999; Maurer/Reinemann 2003). Folgeberichterstattung Auch in der Folgeberichterstattung spielen die Inhalte der Debatte, die konkreten Aussagen der Kandidaten und ihre politischen Kompetenzen nur eine Nebenrolle (z.B. Kendall 1997; Benoit/Hansen 2004). Zudem ist die Berichterstattung negativ verzerrt. In allen Präsidentschaftsdebatten zwischen 1980 und 2000 hoben die Tageszeitungen in ihrer Nachberichterstattung solche Aussagen hervor, in denen die Kandidaten sich gegenseitig angriffen, und vernachlässigten dafür Aussagen, in denen die Kandidaten auf ihre eigene Bilanz oder ihre Pläne eingingen (Benoit et al. 2004). Dagegen wurde eine durchgängige Überbetonung von Duell-Aussagen über die Persönlichkeit der Kandidaten nur für Fernsehnachrichten, nicht aber für die Presse nachgewiesen (Kendall 1997; Benoit/Hansen 2004). Dies hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass es in den USA mittlerweile zumindest in den Qualitätszeitungen üblich ist, die Sachbehauptungen der Kandidaten genauer unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Richtigkeit zu prüfen („debate watch“). Eine Ursache für die Vernachlässigung der politischen Inhalte der Debatten ist vermutlich, dass den Journalisten die Wahlkampfaussagen der Kandidaten längst bekannt sind. Dabei übersehen Journalisten allerdings, dass sie politische Experten sind, ihre Zuschauer und Leser aber nicht (z.B. Morello 1991; Kendall 1997; Maurer/Reinemann 2003). Auch im Vordergrund der Folgeberichterstattung stehen deshalb oftmals die Persönlichkeit der Kandidaten und die Frage nach Gewinner und Verlierer. Sie wird häufig auf Basis der Blitzumfragen beantwortet, die unmittelbar nach dem TV-Duell durchgeführt werden. Daneben spielen auch das Format und Spekulationen über die Auswirkungen auf den Wahlausgang eine wichtige Rolle (z.B. Kendall 1997; Maurer/Reinemann 2003; Donsbach/Jandura 2005). Dabei werden für solche Wirkungen hohe Maßstäbe angelegt. Oftmals vertreten Journalisten und Experten die Ansicht, die Effekte einer Debatte seien gering, da im
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Aggregat nur wenige Zuschauer ihre Wahlabsicht verändert hätten. Andere Effekte wie die Bestärkung von Wahlabsichten, Agenda-Setting oder die Stärkung des Vertrauens in das demokratische System werden kaum beachtet. Zumindest in den USA sind Journalisten auch in der Folgeberichterstattung des Fernsehens immer häufiger zu Urhebern von Urteilen über den Ausgang der Debatten geworden. Auch die TV-Journalisten waren offenbar bemüht, sich den intensiver werdenden Einflussversuchen der Spin doctors zu entziehen (Lemert 1999). Dagegen haben Analysen von Tageszeitungen gezeigt, dass diese Parteienvertreter in ihrer Nachberichterstattung noch sehr viel häufiger als Quellen nutzen (z.B. Jacques et al. 1993). Obwohl also zumindest im Fernsehen die Journalisten immer stärker in den Vordergrund gerückt sind, hängen ihre Urteile über den Ausgang eines TV-Duells in den USA dennoch stark von den Blitzumfragen ab. Allerdings müssen Medien-Urteile und Blitzumfragen nicht immer übereinstimmen (Donsbach/Jandura 2005). Auch zwischen verschiedenen Medien kann es Unterschiede geben. So wurde das Bild, das die deutschen Medien vom zweiten TV-Duell 2002 zeichneten, zumindest in einigen Fällen von der generellen politischen Linie der Medien überlagert (Maurer/Reinemann 2003).
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Die Berichterstattung im Überblick
Um den Umgang der Medien mit dem TV-Duell zu untersuchen, haben wir die wichtigsten TV-Nachrichtensendungen, fünf überregionale und fünf regionale Tageszeitungen sowie drei Sonntagszeitungen im Zeitraum zwischen dem Donnerstag vor und dem Mittwoch nach dem TV-Duell untersucht. Gegenstand der Analyse waren Tagesschau (20 Uhr), Tagesthemen, heute (19 Uhr), heutejournal, RTL-aktuell, 18:30 SAT.1-Nachrichten sowie die Titelseiten und Ressorts Politik, Medien und Vermischtes/Panorama von Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR), Süddeutsche Zeitung (SZ), Welt, Allgemeine Zeitung Mainz (AZ), Mainzer Rhein-Zeitung (MRZ), Ostthüringer Zeitung (OTZ), Thüringische Landeszeitung (TLZ) und Thüringer Allgemeine (TA). In der Analyse wurden alle Beiträge berücksichtigt, in denen einer der Kandidaten vorkam und/oder die sich mit dem TV-Duell beschäftigten. So können wir die Darstellung der Kandidaten im Zusammenhang mit dem Duell mit ihrer Darstellung in der übrigen Berichterstattung vergleichen. Außerdem haben wir die direkt im Anschluss an die Debatten stattfindenden Sondersendungen von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 in die Analyse einbezogen. Die von uns untersuchten Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen brachten an den Tagen rund um das TV-Duell 441 Beiträge, die sich mit den Kandi-
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daten und/oder dem TV-Duell beschäftigten. 74 Prozent wurden in den Zeitungen gedruckt, 26 Prozent im Fernsehen gesendet. 196 Beiträge wurden vor und 244 nach der Debatte publiziert. Der Anteil der Beiträge, in denen die Debatte eines der drei Hauptthemen war, variierte an den Tagen deutlich. Am Freitag und Samstag lag der Anteil der Beiträge mit Duellbezug noch bei 41 bzw. 62 Prozent. Am Sonntag vor und nach dem Duell sowie am Montag und Dienstag thematisierten alle Beiträge, in denen die Kandidaten vorkamen, auch das TVDuell. Am Mittwoch war dies nur noch in drei von zehn Beiträgen der Fall. Abbildung 1:
Der Umfang der Berichterstattung über das TV-Duell Anzahl der wertenden Aussagen über die Kandidaten
1000 900
Gesamt Duellbezug Anderer Kontext
895
800 700 600
557
500
430
400 300 200
161
165 120 83
100 0 2.9.
3.9.
4.9. vorher
4.9. nachher
5.9.
6.9.
7.9.
Basis: 2.411 wertende Aussagen über die Kandidaten und ihr Abschneiden im TV-Duell in Tagesund Sonntagszeitungen, TV-Nachrichten und TV-Sondersendungen.
In der regulären Berichterstattung und den Sondersendungen fanden sich insgesamt 2.411 wertende Aussagen über die Kandidaten sowie über ihr erwartetes oder tatsächliches Abschneiden im Duell. Dabei handelte es sich sowohl um verbale Aussagen als auch um Umfrageergebnisse, die zum Teil in Schaubildern visualisiert wurden. 17 Prozent (n=409) wurden vor und 83 Prozent (n=2.002) nach dem Duell publiziert. 78 Prozent (n=1.883) erschienen in den Zeitungen, 22 Prozent (n=578) waren in den Nachrichten und Sondersendungen des Fernsehens zu finden. Die meisten Aussagen wurden in den Dienstagsausgaben der
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Tageszeitungen publiziert, die aufgrund des späten Sendetermins montags noch nicht sehr ausführlich berichten konnten. Dabei dominierten vor dem Duell noch solche Urteile über die Kandidaten, die sich nicht auf ihr erwartetes oder tatsächliches Abschneiden im Duell bezogen (Abbildung 1).
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Die Vorberichterstattung zum TV-Duell 2005
Der Hurrikan Katrina war über New Orleans hinweg gezogen und hatte Verwüstung und Chaos gebracht. In der Folge waren die Benzinpreise kräftig angestiegen. Im deutschen Wahlkampf lösten die gestiegenen Energiepreise eine Diskussion über die Höhe der Mineralöl- und Ökosteuer aus. Beide Themen dominierten die Medienberichterstattung in den Tagen vor dem TV-Duell. Fotos aus New Orleans prangten auf den Titelseiten der Zeitungen. Das wichtigste Wahlkampfereignis am Donnerstag und Freitag war der CSU-Parteitag, bei dem Angela Merkel überschwänglich gefeiert wurde. In den Fernsehnachrichten wurde im Zusammenhang mit den Kandidaten fast immer auch das bevorstehende TV-Duell erwähnt (96% der Beiträge). Sachthemen (58%) und andere Wahlkampfereignisse (18%) wurden sehr viel seltener angesprochen, wenn es um die Kandidaten ging. Wie 2002 wurden in den Tagezeitungen sehr viel häufiger über die Kandidaten berichtet, ohne dass das Duell erwähnt wurde (50% der Beiträge). Dennoch blieb das TV-Duell auch in den Tageszeitungen der wichtigste thematische Kontext der Kandidatendarstellung. Sachthemen (40%) und andere Wahlkampfereignisse (30%) spielten im Vergleich dazu eine geringere Rolle. In der Presse lag der Schwerpunkt der Duellberichterstattung auf ihrer Organisation und ihren möglichen Auswirkungen auf den Wahlausgang. Die am häufigsten im Zusammenhang mit den Kandidaten angesprochenen Sachthemen waren Wirtschaft, Energiepolitik und Steuern. So griff Bild in seinem Aufmacher am Samstag die Unionsforderung zur Freigabe der Ölreserven auf und titelte: „Kanzler – Rück’ den Billigsprit“ raus. Spätestens seit einem BildAufmacher vom Donnerstag waren außerdem die kritischen Äußerungen der Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf über Angela Merkel ein Medienthema. Im Fernsehen wurde ebenfalls intensiv auf die Organisation der Duelle, aber auch auf ihre mediale Inszenierung eingegangen. So brachte das heute journal am Freitag ein Stück über das Design des Studios in Adlershof. Die wichtigsten Sachthemen im Kontext der Kandidatenberichte waren im Fernsehen ebenfalls Wirtschaft und Energiepolitik (Ölpreise). Dagegen spielte die Steuerdiskussion hier keine so große Rolle.
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Carsten Reinemann
Welche Erwartungen wurden in den Medien an den Ausgang des Duells vermittelt? Insgesamt fanden sich in den Zeitungen 58, in den Fernsehnachrichten 20 Aussagen, in denen Erwartungen über das Abschneiden der Kandidaten ausdrücklich geäußert wurden. Sowohl in den Zeitungen wie im Fernsehen bezogen sich die Aussagen etwa zu gleichen Teilen auf Gerhard Schröder und Angela Merkel. Über die Hälfte der Aussagen stammte aus Befunden der Meinungsforschungsinstitute (n=42). Journalisten drückten ihre persönlichen Erwartungen 19mal aus, Politiker kamen 11mal zu Wort und Experten 6mal. Die Erwartungen in der Presse waren eindeutig: In 28 von 31 Aussagen über den Bundeskanzler wurde erwartet, dass er das Duell gewinnen oder gut abschneiden würde. Nur dreimal wurde die Annahme geäußert, Gerhard Schröder würde es im TV-Duell schwerer haben als noch 2002. Dagegen wurde nur in sieben von 27 Aussagen über Angela Merkel die Ansicht vertreten, sie werde das Duell gewinnen oder gut abschneiden. Außerdem fanden sich vier Aussagen, in denen die Erwartung formuliert wurde, die Kanzlerkandidatin würde es vermutlich leichter haben als Edmund Stoiber 2002. Dagegen wurde 16mal die These vertreten, Angela Merkel würde im Duell unterliegen, schlecht abschneiden oder es schwerer haben als ihr Vorgänger 2002. Auch im Fernsehen dominierte die Erwartung, der Amtsinhaber würde als Sieger aus dem Duell hervorgehen oder zumindest gut abschneiden. 10 von 11 Aussagen hatten diesen Tenor. Dagegen wiesen alle acht Aussagen über Angela Merkel in die andere Richtung. Nur ein einziges Mal wurde die Vermutung geäußert, das Duell würde unentschieden ausgehen. Die möglichen Auswirkungen des TV-Duells auf den Wahlausgang wurden vor allem in den Zeitungen angesprochen. Dabei wiesen fast alle Blätter auf den eindeutigen Vorsprung der Union vor der SPD in den Umfragen hin. Daraus leiteten die meisten die Annahme ab, das TV-Duell würde keine entscheidende Wirkung auf den Ausgang der Wahl mehr entfalten. Diese Ansicht wurde auch durch Experten und Demoskopen unterstützt. Angesichts dieser Situation, so die meisten Zeitungen, gehe es für Merkel vor allem darum, den Vorsprung nicht zu verspielen. Anders als vor dem zweiten TV-Duell 2002 war angesichts der demoskopischen Lage nicht von einem „Kopf an Kopf-Rennen“ die Rede. Allerdings wiesen einige Blätter darauf hin, dass es in den letzten Wochen einen leichten Trend zur SPD gegeben habe und in den donnerstags bzw. freitags veröffentlichten Befragungen von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen eine schwarz-gelbe Koalition nur noch knapp vorne lag. Das TV-Duell, so etwa die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Rundschau und die Welt, könne also durchaus Einfluss darauf haben, ob es am Ende für einen völligen Regierungswechsel reichen würde oder doch eher eine große Koalition zustande
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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käme. Allerdings war diese Annahme innerhalb der Berichterstattung nicht sonderlich prominent vertreten. Insgesamt dominierte in der Vorberichterstattung eine zwiespältige Sicht auf das bevorstehende TV-Duell: Zwar wurde überwiegend erwartet, dass Gerhard Schröder das Streitgespräch für sich entscheiden und Angela Merkel eher unterlegen sein würde. Allerdings wurde in den meisten Medien aufgrund des großen Vorsprungs der Union vor der SPD nicht davon ausgegangen, dass das TV-Duell das Rennen um die Kanzlerschaft wirklich noch einmal spannend machen könnte.
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Die TV-Sondersendungen: Instant-Analysis
Die Sondersendungen, die auf allen vier übertragenden Sendern unmittelbar nach dem TV-Duell begannen, hatten ein großes Publikum. Fast 16 Millionen Menschen, also etwa 80 Prozent der Duellzuschauer, blieben vor dem Fernseher. Damit hatten auch die Sondersendungen noch ein weitaus größeres Publikum als alle anderen Medienereignisse des Wahlkampfs (Tabelle 1). Da man davon ausgehen kann, dass die Zuschauer in der Regel nur eine der Sondersendungen verfolgten, ist es wichtig, ob sich diese in ihrer Darstellung und Interpretation des Ereignisses unterschieden. Gemeinsam war den Sendungen u.a., dass sie Umfrageergebnisse präsentierten und die Duell-Moderatoren des jeweils eigenen Hauses interviewten. Bereits ein Blick auf die Länge der Sendungen zeigt aber deutliche Unterschiede: Am längsten war mit etwa einer Stunde die Sendung der ARD, gefolgt vom ZDF spezial mit 52 Minuten. Die SAT.1Sendung Talk der Woche beschäftigte sich etwa 40 Minuten mit dem TV-Duell, während Das TV-Duell: Die Analyse auf RTL netto nur 22 Minuten lang war: Die halbstündige Sendung enthielt einen Werbeblock von 7:30 Minuten. Auch die Konzepte und inhaltlichen Schwerpunkte der vier Sondersendungen unterschieden sich deutlich. Die ARD konzentrierte sich im Wesentlichen auf Interviews mit anwesenden und zugeschalteten Journalisten sowie die Präsentation von Umfragedaten. Nur einmal wurden die Reaktionen von Zuschauern eingeholt. Gäste des Chefs des ARD-Hauptstadtstudios Thomas Roth waren im Studio von Sabine Christiansen die Journalisten Friedrich Nowottny und Brigitte Huber (Brigitte). Auch Günther Jauch wurde als politischer Journalist vorgestellt (Stern TV). Außerdem waren der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) im Studio. Bereits um 22:13 Uhr präsentierte der ARD Umfrage-Experte Jörg Schönenborn (WDR) Ergebnisse einer Halbzeit-Befragung, die Infratest Dimap zwi-
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Carsten Reinemann
schen 21:15 und 21:30 Uhr durchgeführt hatte. Die Befunde der Nachbefragung wurden um 22:37 Uhr und noch einmal gegen Ende der Sendung geliefert. Auf die Wiedergabe von Ausschnitten aus der Debatte verzichtete die ARD völlig. Dies trug dazu bei, dass vor allem Roland Koch (CDU) und Wolfgang Clement (SPD) über politische Inhalte und die Argumente der Kontrahenten sprachen. Von den anwesenden Journalisten wurde dagegen inhaltlich kaum diskutiert. Das lag vermutlich daran, dass sie einhellig der Meinung waren, das TV-Duell habe inhaltlich „nichts Neues“ gebracht, man habe die Argumente „alle schon einmal gehört“ (so etwa Friedrich Nowottny, Günther Jauch und Sabine Christiansen). Nur abstrakt wurde darüber geredet, ob die Kandidaten zu allgemein oder zu konkret gewesen seien. Statt mit Argumenten beschäftigte man sich lange mit dem „Faktor Frau“, der Gemütslage der Kandidaten und ließ den Pantomimen Samy Molcho mehr als drei Minuten lang die Körpersprache der Kandidaten interpretieren. Auch die Liebeserklärung Gerhard Schröders an seine Frau wurde angesprochen, allerdings nicht ausführlich thematisiert. Tabelle 1: Reichweiten des TV-Duells sowie der anschließenden Diskussionen und Nachrichten (ab 14 Jahren in Mio.)
ARD ZDF RTL SAT.1 Gesamt
TV-Duell
Sondersendungen
Mio. 9,61 5,98 3,72 1,39 20,7
Mio. 7,45 4,63 3,20 0,89 16,17
Anschließende Nachrichten Mio. 2,74 2,36 5,10
Quelle: AGF
Auch das ZDF konnte sich nicht verkneifen, bereits um 22:06 Uhr als erstes Element der Sendung demoskopische Halbzeit-Ergebnisse zu präsentieren. Sie stammten von der Forschungsgruppe Wahlen, die ab 21:15 Uhr 600 Duellzuschauer befragt hatte. Die Befunde der Nachbefragung wurden dann um 22:29 Uhr gesendet. Ansonsten hatte das ZDF mit Abstand die meisten Gesprächspartner. Neben der Moderatorin Maybrit Illner interviewten Peter Frey und Peter Hahne u.a. die Journalisten Alice Schwarzer (Emma), Kurt Kister (Süddeutsche Zeitung) und Ulrich Reitz (Westdeutsche Allgemeine), die Politiker Franz Müntefering (SPD), Volker Kauder (CDU), Markus Söder (CSU), Dirk Niebel (FDP) und Reinhard Bütikofer (B90/Die Grünen), die Prominenten Esther
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Schweins und Dieter Wedel sowie den Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Eindrücke von Duellzuschauern holte man unter „Ostdeutschen“, Gewerkschaftern und mittelständischen Unternehmern ein. Wie die ARD verzichtet auch das ZDF darauf, Statements der Kandidaten aus der Debatte zu wiederholen. Dennoch war die ZDF-Sendung deutlich stärker inhaltsorientiert und deshalb politischer als die der ARD. Dies lag vor allem an den Parteienvertretern und Duellzuschauern, die von sich aus auf Sachthemen zu sprechen kamen, oder von Moderatoren und Korrespondenten danach gefragt wurden. Von den anwesenden Journalisten ging Alice Schwarzer am häufigsten auf die Sachthemen ein. Immer wieder wurde dabei über Paul Kirchhof gesprochen. Schröders Liebeserklärung kam im ZDF dagegen nur am Rande vor. In der SAT.1 Extra-Ausgabe von Talk der Woche sprach Bettina Rust mit der Promi-Reporterin und Politologin Nadja Al-Chalabi (SAT.1), Dieter Kronzucker (N24) sowie dem Publizisten Helmuth Karasek. Außerdem gab es eine Schalte zu Duell-Moderator Thomas Kausch und vier Statements von Prominenten, die in Adlershof live dabei gewesen waren. Journalistisch indiskutabel war auf SAT.1 der Umgang mit einer „Blitzumfrage“, deren Ergebnisse bereits um 22:08 Uhr präsentiert wurden. Sie wurde von Emnid noch während des Duells zwischen 21:15 und 21:45 Uhr durchgeführt (vgl. Kapitel 3.1). InterviewZeitraum und Befragtenzahl wurden den Zuschauern jedoch vorenthalten. So musste man den Eindruck haben, es handele sich um eine repräsentative Nachbefragung. Dennoch: SAT.1 machte die politischste aller Sondersendungen. Die gesamte zweite Hälfte wurde inhaltlich diskutiert. Zweimal wurden Ausschnitte aus der Debatte gezeigt, in denen Statements zu den Themen „Bildung und Familie“ bzw. „Steuern“ wiederholt wurden. Auf dieser Basis stritten die Gäste vor allem über die Familienpolitik der CDU und die Flat-Tax Paul Kirchhofs. Im Übrigen wurde auch der Nutzen der Duelle anders eingeschätzt als etwa in der ARD: Die Gewinner der TV-Duelle, so der Tenor, seien die Zuschauer. Auffällig an der Sondersendung von RTL war zunächst, dass man sich hier nicht dazu hinreißen ließ, Halbzeit-Ergebnisse zu präsentieren. Man schaltete stattdessen zu Beginn der Sendung in das Call-Center von Forsa und wartete, bis das Institut seine Befragung mit über 2000 Interviews abgeschlossen hatte. Erste Befunde wurden um 22:29 Uhr präsentiert. Die wichtigsten Diskutanten im Studio waren der ehemalige SPD-Wahlkampfleiter Mathias Machnig und der ehemalige Medienberater von Edmund Stoiber, Michael Spreng. Letzterer bildete allerdings keinen Gegenpol zu Machnig, sondern teilte oftmals Machnigs negative Urteile über Merkels Auftritt. Neben Zuschauerreaktionen von vier verschiedenen Orten und Interviews mit Michael Glos (CSU) und Franz Müntefering (SPD), zeigte RTL vier Ausschnitte aus der Debatte, zu denen Spreng
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Carsten Reinemann
und Machnig jeweils kurz Stellung nahmen. Dabei wurden Statements zu den Themen „Situation in Deutschland“, „Kirchhofs Steuermodell“, „Arbeitslosigkeit“ und auch die Liebeserklärung Schröders gezeigt. Überhaupt wurde die Liebeserklärung bei RTL am häufigsten angesprochen: Duell-Moderator Kloeppel bezeichnete sie als die Stelle, die ihn am meisten überrascht habe; Michael Spreng sprach anerkennend von „ganz großem Kino Schröders“; Mathias Machnig bezeichnete die Äußerung als „geschickt“; und der zugeschaltete Korrespondent Gerhard Hofmann beschrieb die negativen Reaktionen der in Adlershof befindlichen Journalisten auf Schröders Statement. In den Sondersendungen wurden Angela Merkel und Gerhard Schröder sowohl im Hinblick auf ihr Abschneiden im TV-Duell als auch in anderer Hinsicht bewertet. Fast 90 Prozent aller 379 Aussagen beschäftigten sich allerdings mit der Performance der Kandidaten im TV-Duell. Da die übrigen Aussagen zudem die Tendenz der Darstellung der Kandidaten nicht veränderten, konzentrieren wir uns im Folgenden auf die 330 Aussagen zum Duell. Entsprechend der Länge der Sendungen fanden sich die meisten davon in der ARD-Sendung (43%), gefolgt von ZDF (29%), SAT.1 (15%) und RTL (13%). In der Erhebung hatten wir zwischen Statements über „Gewinner“ und „Verlierer“, anderen Urteilen über das Abschneiden im Duell und solchen unterschieden, die den Auftritt mit den Erwartungen verglichen. Da in 75 Prozent der Aussagen keine Urteile über Gewinner oder Verlierer abgegeben oder Vergleiche mit den Erwartungen angestellt wurden, verzichten wir für die Sondersendungen auf eine in dieser Hinsicht differenzierte Analyse. Stattdessen fassen wir alle positiven und negativen Urteile über die Auftritte der Kandidaten zusammen. Auf allen Sendern entfielen etwa gleich viele Aussagen auf Schröder und Merkel. Für die Urteile gab es zwei wesentliche Quellen: Journalisten und Meinungsforschungsinstitute, deren Befunde die Eindrücke der Zuschauer widerspiegeln. 38 Prozent der Aussagen kamen von Journalisten, 27 Prozent von den demoskopischen Instituten. 12 Prozent der Urteile stammten von einzelnen Duellzuschauern, 11 Prozent von Experten (darunter Samy Molcho), 10 Prozent von Politikern und 3 Prozent von Prominenten. Allerdings unterschieden sich die Sender beträchtlich darin, wie intensiv sie die einzelnen Gruppen zu Wort kommen ließen: Besonders groß war die Dominanz der Journalisten bei SAT.1 (70%) und der ARD (44%). Beim ZDF (22%) und RTL (14%) kamen sehr viel häufiger andere Akteure zu Wort. Die Befunde der Meinungsforscher waren bei ARD und ZDF mit etwa 30 Prozent gleich stark präsent, während bei RTL und SAT.1 nur 18 Prozent der Urteile von Demoskopen stammten. Politiker waren mit weitem Abstand beim ZDF am präsentesten (24%). Den größten Wert auf die Meinungen einzelner Duellzuschauer legte RTL (23%), gefolgt vom ZDF
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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(15%). Experten fanden die größte Beachtung bei RTL (24%), wobei wir Matthias Machnig und Michael Spreng als Experten eingestuft haben. Aber nicht nur die Formate der Sondersendungen unterschieden sich. Sie lieferten auch ein unterschiedliches Bild vom Ausgang des Duells. Während bei ARD und RTL die positiven Aussagen über Schröder und die negativen über Merkel überwogen, wurde bei ZDF und SAT.1 Angela Merkel etwas besser bewertet. Allerdings war der Saldo für beide Kandidaten insgesamt positiv und die Unterschiede zwischen ihnen waren sehr viel kleiner als bei ARD und SAT.1 (Abbildung 2). Abbildung 2:
Die Bewertung der Kandidaten in den Sondersendungen (Saldo positiver und negativer Aussagen)
20
Saldo Schröder
Saldo Merkel
15 15
13 12
10
12
9
4
5
0 -2 -3
-5
-10
ARD
ZDF
RTL
SAT.1
Basis: 330 Aussagen über das Abschneiden der Kandidaten im TV-Duell.
Diese Befunde bestätigen andere Untersuchungen zur politischen Linie der Sender (Maurer/Reinemann 2006a). Obwohl die beiden öffentlich-rechtlichen Sender zur Ausgewogenheit verpflichtet sind, vermittelten sie in ihren Sondersendungen damit wie 2002 einen sehr verschiedenen Eindruck vom Duellausgang (Maurer/Reinemann 2003). Der eher ausgeglichene Eindruck im ZDF kam diesmal vor allem durch die Vielzahl der Gäste zustande, unter ihnen viele Politiker unterschiedlicher Couleur. Außerdem wurden hier auch viele demoskopi-
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sche Befunde präsentiert, die für Angela Merkel sprachen (z.B. der Vergleich mit den Erwartungen, Meinungsänderungen über die Kandidaten). Das demoskopische Urteil in der ARD fiel dagegen sehr viel eindeutiger pro-Schröder aus, weil z.B. mehr Wert auf die Unentschlossenen gelegt wurde. Mindestens ebenso bemerkenswert wie die Unterschiede zwischen den Sendern ist allerdings: Die Urteile der Journalisten unterschieden sich in eklatanter Weise von den Befunden der demoskopischen Institute. Betrachtet man alle Sender zusammen, so beurteilten die zu Wort kommenden Journalisten das Abschneiden Merkels weitaus positiver als das Abschneiden Schröders (+29 vs. +12). Der Eindruck der Duellzuschauer, der sich in den präsentierten Ergebnissen der Umfragen spiegelte, war ein völlig anderer: Hier gab es nicht nur mehr positive Urteile über Schröder als über Merkel, sondern über Angela Merkel fanden sich sogar weit mehr negative als positive Bewertungen (+31 vs. -21). In dieselbe Richtung weist ein Vergleich zwischen Experten und Bürgern: Die professionellen Beobachter fanden den Auftritt Merkels, die Laien den Auftritt Schröders besser (Experten: +4 vs. +8; Bürger +13 vs. -5). Die Differenzen zwischen Journalisten und Zuschauern bleiben auch erhalten, wenn man die einzelnen Sender für sich betrachtet. Auf allen Sendern war der Saldo positiver und negativer Aussagen, die auf den Umfragen basierten, für Schröder positiv und für Merkel negativ. Die deutlichsten Differenzen zwischen den Kandidaten ergaben sich bei der ARD. Dem gegenüber fielen die Urteile der Journalisten in den Sendungen von ZDF, RTL und SAT.1 für Merkel besser aus als für Schröder. Nur in der ARD ergab sich insgesamt ein leicht besserer Eindruck für Schröder. Er entstand vor allem gegen Ende der Sendung. Nachdem gegen 22:30 Uhr die Ergebnisse der Nachbefragung präsentiert worden waren, schienen sich manche der Studiogäste stärker an die positiven Aspekte des Auftritts Schröders und die Fehler Merkels zu erinnern, obwohl die mittlerweile eingetroffene Sabine Christiansen energisch dagegen hielt (Abbildung 3). Dass die Zuschauer völlig anderer Ansicht über den Ausgang des TVDuells waren, fiel den Diskutanten in den Sondersendungen selbst auf, als die ersten Ergebnisse der Halbzeit-Umfragen präsentiert wurden. Zuvor hatten bereits einige Journalisten ihren Eindruck geäußert, dass das Duell zumindest unentschieden ausgegangen sei. Nun war mancher doch recht überrascht und es wurde sogar versucht, die Befunde zu relativieren.
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Abbildung 3:
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Die Bewertung der Kandidaten in den TV-Sondersendungen durch Journalisten und Meinungsumfragen (Saldo positiver und negativer Aussagen) Saldo Schröder
20
Journalisten
15
13
Saldo Merkel
Meinungsumfragen
14
10
9
10 5 5
6
6 3
3 0
2
1
0 -2
-2
-5
-3
-10
-15
-14
-20
ARD
ZDF
RTL
SAT.1
ARD
ZDF
RTL
SAT.1
Basis: 330 Aussagen über das Abschneiden der Kandidaten im TV-Duell.
Von mehreren Korrespondenten und Duell-Moderatoren wurde dabei darauf hingewiesen, dass ihre Ansicht nicht nur ihre persönliche Einschätzung sei, sondern weitgehender Konsens unter den Kollegen in Adlershof: „Also ich glaube, wir hatten alle vier im Studio den Eindruck, das war pari, das war wirklich sehr ausgeglichen (…).“ (Sabine Christiansen, ARD) „Die Kollegenschaft scheint hier ziemlich das Ganze so zu sehen, dass es pari-pari ausgegangen ist.“ (Gerhard Hoffmann, RTL) „Ich werde mich natürlich auch tunlichst zurückhalten und da jetzt meine eigene Einschätzung abgeben. Aber so wie ich das gesehen habe, war das relativ auf gleicher Augenhöhe, oder?“ (Thomas Kausch, SAT.1)
Neben solchen Aussagen, in denen die journalistischen Beobachter ihren Eindruck nicht weiter begründeten, kam der Erwartungshaltung an Angela Merkel in der Diskussion eine besondere Bedeutung zu. Der Kern der journalistischen
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Argumentation auf allen Sendern lautete in etwa: Angela Merkel ist besser gewesen als erwartet, also hat sie im Grunde gewonnen. Es wurde also kein absolutes, sondern ein relatives Maß als maßgeblicher Indikator für den Ausgang des Duells herangezogen. So resümierte beispielsweise RTL-Korrespondent Gerhard Hofmann die Eindrücke der in Adlershof anwesenden Journalisten so: „(…) bei den Erwartungen, die man ja in Schröder gehabt hat, dass er haushoch gewinnen werde, würde das bedeuten, dass Angela Merkel eigentlich im Grunde dieses Duell für sich entschieden hat (…).“ (Gerhard Hofmann, RTL)
Im ZDF wurde diese Ansicht auch durch den Vertreter der Forschungsgruppe Wahlen unterstützt. Auf die Frage, ob die Herausforderin Punkte gemacht habe, weil sie besser war als, man erwartet habe, antwortete Matthias Jung: „Es ist natürlich so, dass Gerhard Schröder als Sieger des TV-Duells hervorgeht, aber entscheidend ist natürlich (H.d.A.), wie die Erwartung vorher gewesen ist. Und von daher kann man sagen: Relativ hat sich Frau Merkel durch das TV-Duell verbessert.“ (Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen).
Für was dies „entscheidend“ sein sollte, blieb unklar. Zwar zeigten im ZDF präsentierte Befunde tatsächlich, dass sich die Meinungen über Angela Merkel stärker verbessert hatten als über Schröder. Doch dies ist für TV-Duelle zwischen Herausforderern und Amtsinhabern keineswegs ungewöhnlich, vor allem, wenn es sich um das erste Zusammentreffen dieser Art handelt (Maier/Faas 2003a; Maurer/Reinemann 2003). Dennoch wurden die Umfragedaten zumindest im ZDF als Beleg für einen „relativen Sieg“ Merkels herangezogen. So fragte ZDF-Redakteur Peter Hahne in Adlershof den SPD-Vorsitzenden: „Herr Müntefering, die Journalisten sagten eben, Angela Merkel sei überraschend stark gewesen. Wir haben auch in der Umfrage gehört, dass Schröder zwar deutlich besser abgeschnitten hat, aber Merkel gegenüber den Erwartungen doch wesentlich besser war. Gerhard Schröder zu schwach heute?“ (Peter Hahne, ZDF)
Die Journalisten begründeten ihre Urteile dabei von Ausnahmen abgesehen nicht mit inhaltlichen Positionen, der Stärke der Argumente oder der Problemlösungskompetenz der Kandidaten. Dies hätte man aufgrund der Vertrautheit der Journalisten mit den Sachthemen vielleicht erwarten können – auch wenn nicht alle Gesprächspartner im engeren Sinne politische Journalisten waren. Entsprechende Aussagen machten aber nur 11 Prozent aller Journalistenurteile aus. Dagegen bezogen sich von den Befunden der Befragungen 38 Prozent auf
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Kompetenzen und Positionen der Kandidaten. Wenn die Journalisten ihre Urteile begründeten, dann bezogen sie sich in den meisten Fällen auf das Auftreten und die Gemütslage der Kandidaten, ob sie beispielsweise „nervös“, „angriffslustig“ oder „sicher“ gewesen seien (40% aller Aussagen).
5
Die Nachberichterstattung in Zeitungen und Fernsehnachrichten
In den beiden Nachrichtensendungen, die sich in ARD und ZDF an die Sondersendungen anschlossen, war das TV-Duell der Aufmacher. Beide Sender brachten, anders als in den Sondersendungen, hier auch kurze Ausschnitte aus der Debatte. Allerdings wurden die beiden Sendungen von weit weniger Zuschauern verfolgt als die Sondersendungen (insgesamt 5,4 Mio.). Am nächsten morgen machten die meisten Montagszeitungen bereits mit dem TV-Duell auf und verwendeten Fotos mit den beiden Kontrahenten im Studio als Titelfotos. Vor allem die Regionalzeitungen nutzen die Möglichkeiten, die ihnen ein später Redaktionsschluss heute bietet. Allerdings konnte kaum eine Zeitung die endgültigen Umfrageergebnisse noch ins Blatt heben. Manche Blätter berichteten deshalb über die Halbzeit-Ergebnisse, zum Teil, ohne den Leser über ihren vorläufigen Charakter zu informieren (z.B. die AZ und die MRZ). Dennoch fand das Gros der Berichterstattung wie 2002 erst am Dienstag nach dem TV-Duell statt. In so gut wie allen Beiträgen, in denen die Kandidaten eine Rolle spielten, war auch das TV-Duell Thema (96%). Dabei wurde in fast allen Zeitungen auch über die Diskrepanzen zwischen den Urteilen der Journalisten und den Ansichten der Duellzuschauer berichtet. Eine echte Erklärung hatte man dort allerdings nicht parat. In etwas mehr als einem Drittel der Berichte wurden auch über Sachthemen bzw. entsprechende Aussagen der Kandidaten berichtet (36%). Zeitungen und Fernsehnachrichten unterschieden sich darin kaum. Dagegen spielte der Wahlkampf als solcher im Fernsehen eine deutlich größere Rolle als in den Zeitungen, da die Sender die Kandidaten bei ihren nächsten Wahlkampfauftritten am Montag beobachtet hatten (35% vs. 15%). Betrachtet man die Themen im Einzelnen, spielte die Frage nach Gewinner und Verlierer die mit Abstand größte Rolle. In 30 Prozent aller Beiträge wurde sie angesprochen. An zweiter Stelle folgt die Beschäftigung mit den Inhalten des TV-Duells (16%). Auch in einigen regionalen Tageszeitungen wurden zentrale Aussagen der Kandidaten im Duell ausführlich wiedergegeben. Eine ganze Reihe von Beiträgen – u.a. in Bild – beschäftigte sich zudem mit tatsächlichen oder vermeintlichen sachlichen Fehlern der Kandidaten. Dabei ging es beispielsweise um Merkels Behauptungen, Paul Kirchhof habe vier Töchter und sie
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Carsten Reinemann
habe als Jugendministerin den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt. Außerdem wurde verschiedentlich der Streit um den „richtigen“ Indikator für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt (Jahres- vs. Monatsvergleich) anhand offizieller Zahlen geprüft. Dagegen wurde die Liebeserklärung Gerhard Schröders zwar verschiedentlich erwähnt, spielte aber nur am Dienstag in Bild eine wichtige Rolle. In den ostdeutschen Blättern wurde darüber hinaus kritisiert, dass Ostthemen kaum angesprochen worden waren. Nur zwei Politikfelder wurden in mehr als 10 Prozent der Nachberichte zu einem der drei zentralen Themen: Wirtschaft (11%) und Steuern (14%). Fast völlig verschwunden war das Thema „Energie“, das vor dem Duell eine große Rolle gespielt hatte. Dagegen hatte vor allem das Thema Steuern durch das TVDuell an Bedeutung gewonnen. Dies lag an der Diskussion um Paul Kirchhof, sein Steuerkonzept und seine „Streichliste“. Die Aussagen der Kandidaten zu Kirchhof wurden von den Medien besonders häufig und prominent zitiert und diskutiert. Zu den häufigsten Zitaten gehörte Schröders Warnung, Deutschland nicht zum „Versuchskaninchen“ der Steuerpläne Paul Kirchhofs zu machen. Auch die Unklarheiten über die ominöse „Streichliste“ wurden in vielen Medien thematisiert. Andere politische Akteure – vornehmlich der Regierungsparteien – nahmen diesen Faden dankbar auf und drehten die Geschichte weiter. Vor allem Schröder war durch das TV-Duell ein Agenda-Setting gelungen, das für den weiteren Verlauf des Wahlkampfs vermutlich eine wichtige Rolle gespielt hat. Insgesamt veröffentlichten die Zeitungen und Nachrichtensendungen in den Tagen nach dem Duell 1.221 Aussagen über das Abschneiden der Kandidaten und 402 Urteile, die sich nicht auf das Streitgespräch bezogen. Der Fokus lag damit noch sehr viel stärker auf dem Abschneiden der Kandidaten als beim zweiten TV-Duell 2002 (Maurer/Reinemann 2003). Wir befassen uns nun zunächst mit den duellbezogenen Aussagen. Jeweils etwa ein Drittel stammte von Journalisten und Meinungsforschungsinstituten (32% bzw. 30%). Aussagen von Politikern machten knapp ein Fünftel der Urteile aus (18%), auf Experten und einzelne Bürger oder Prominente entfielen jeweils etwa 7 Prozent. Journalisten (34% vs. 25%) und Institute (31% vs. 24%) kamen in der Presse etwa häufiger, Politiker dagegen seltener zu Wort (15% vs. 32%). Wie beurteilten die Medien das Abschneiden Angela Merkels und Gerhard Schröders? Betrachten wir zunächst den Gesamteindruck, den die Beiträge vermittelten, in denen ein ausdrückliches Urteil über Gewinner und/oder Verlierer enthalten war (n=83): Aus 36 Berichten ergab sich der Anschein, Gerhard Schröder habe gewonnen. Nur in fünf wurde Angela Merkel als Siegerin dargestellt. Die meisten Nachberichte vermittelten jedoch alles in allem den Eindruck, das TV-Duell sei unentschieden ausgegangen (n=42).
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Der Eindruck eines Schröder-Sieges war also nicht so deutlich, wie beispielsweise nach dem zweiten TV-Duell 2002. Dies wird auch in den Überschriften der Aufmacher und prominentesten Kommentare deutlich. Keine der untersuchten Zeitungen erklärte Schröder darin zum klaren Sieger. Vielmehr dominierte der Eindruck eines Unentschieden, zumindest aber eine zwiespältige Sicht auf den Duellausgang. So lauteten die Überschriften beispielsweise: y „Gutes Duell auf Augenhöhe“ (5.9., Aufmacher, MRZ) y „Schröder punktet im Duell – Merkel besser als erwartet“ (5.9., Aufmacher, TA) y „SPD: Schröder Sieger – Union: Merkel Sieger“ (6.9., S.1, FAZ) y „Schröder und Merkel sehen sich gestärkt“ (6.9., Aufmacher, AZ) y „Wenn der bessere verliert“ (6.9., Leitartikel S.3, FR) y „Zwei Sieger, ein Verlierer“ (6.9., S. 3, Welt)
Einen differenzierteren Blick auf die mediale Rekonstruktion des Ereignisses erlaubt die Analyse der einzelnen Urteile. Wir haben dabei u.a. zwischen Aussagen unterschieden, in denen die Kandidaten ausdrücklich als „Sieger“ oder „Verlierer“ bezeichnet wurden (n=341; 28%), in denen ihnen allgemein ein gutes oder schlechten Abschneiden (n=711; 59%) oder ein Übertreffen der bzw. ein Zurückbleiben hinter den Erwartungen attestiert wurde (n=76; 6%). Die restlichen 93 Aussagen, in denen z.B. der Duellausgang als unentschieden bewertet oder ein Erfüllen von Erwartungen konstatiert wurde, lassen wir zunächst unberücksichtigt. Es zeigt sich, dass zwischen den Urteilstypen deutliche Unterschiede bestanden. Bei der Sieger-Verlierer-Frage lag deutlich Schröder deutlich vorn. Er wurde sehr viel häufiger als Sieger bezeichnet als Merkel (192 vs. 80 Aussagen) und seltener als Verlierer (12 vs. 55). Betrachtet man die mehr als doppelt so häufig vorkommenden, allgemeinen Urteile über das Auftreten, dann wurde Schröder hier nur etwas häufiger ein gutes Abschneiden als Merkel (256 vs. 236) und etwas seltener ein negatives Abschneiden attestiert (95 vs. 124). Der Vorsprung Schröders war hier also geringer. Dass sie die Erwartungen übertroffen hatte, wurde dagegen fast nur von Merkel behauptet (n=59), dass er die Erwartungen enttäuschte hatte, fast nur von Schröder (n=14) (Abbildung 4). Von wem stammten die verschiedenen Urteile? Die Analyse zeigt, dass fast die Hälfte der Sieger-Urteile von den Demoskopen stammten, aber nur 17 Prozent von Journalisten. Dagegen wurden die meisten allgemeinen Bewertungen über das Abschneiden der Kandidaten von Journalisten abgegeben (38%) und nur ein knappes Viertel basierte auf Befunden der Meinungsforscher (24%). Auch bei Vergleichen mit den Erwartungen dominierten die Journalisten (33%) vor den Demoskopen (22%).
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Der Auftritt der Kandidaten wurde also in der Berichterstattung mit verschiedenen Typen von Urteilen bewertet. Um eine Vorstellung vom Gesamteindruck zu bekommen, den die verschiedenen Medien erzeugten, fassen wir wie bereits bei der Analyse der Sondersendungen im Folgenden jeweils alle für die Kandidaten positiven und negativen Urteile zusammen. Abbildung 4:
Typen von Urteilen über das Abschneiden der Kandidaten in der Folgeberichterstattung (Anzahl)
350
Schröder
Merkel
positive Urteile
300
negative Urteile
250
200
150
100
50
0
hat gewonnen
gut Erwartungen abgeschnitten übertroffen
hat verloren
schlecht Erwartungen abgeschnitten enttäuscht
Basis: 1.211 Urteile über das Abschneiden der Kandidaten. Nicht ausgewiesen sind 93 Aussagen, in denen z.B. der Ausgang als Unentschieden oder die Erwartungen an die Kandidaten als erfüllt beurteilt wurden.
Die zusammenfassende Betrachtung der negativen und positiven Urteile zeigt deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Medien: Die überregionalen Tageszeitungen waren sich diesmal – anders als beim zweiten TV-Duell 2002 – nicht einig über den Ausgang des Duells. In Bild, Welt und FAZ wurde Angela Merkels Auftritt positiver bewertet als der ihres Kontrahenten. In der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung stand Gerhard Schröder besser dar. Am deutlichsten waren die politischen Tendenzen in Bild und FR. Die Regionalzeitungen beurteilten Gerhard Schröders Auftritt insgesamt etwas besser als den Angela Merkels. Ausgeglichen war die Beurteilung der Kandidaten nur in der Allgemeinen Zeitung Mainz. In der Mainzer Rhein-Zeitung, der Ostthü-
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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ringer Zeitung und der Thüringer Landeszeitung wurden mehr positive Aussagen über Schröder als über Merkel publiziert, wobei allerdings der Saldo auch für Merkel positiv blieb. Nur in der Thüringer Allgemeinen wurde der positive Saldo für Gerhard Schröder von einem negativen Saldo für Angela Merkel kontrastiert. Von den Fernsehnachrichten stellten RTL News und SAT.1 18:30 den Auftritt des Kanzlers besser dar, in heute und heute journal ergab sich eine ausgeglichene Bilanz der Kontrahenten. Nur in tagesschau und tagesthemen fand sich ein deutlicher Überhang positiver Urteile über Angela Merkel. Dies entspricht für die ARD zwar nicht dem Eindruck der Sondersendungen, sehr wohl aber den Befunden anderer Studien, die zeigen, dass die tagesschau Angela Merkel im Wahlkampf 2005 im Vergleich zu den Nachrichten anderer Sender am positivsten bewertete (Schulz/Zeh 2006) (Abbildung 5). Abbildung 5:
Die Bewertung der Kandidaten in der Folgeberichterstattung nach Medien (Saldo positiver und negativer Urteile)
80
Saldo Schröder
Saldo Merkel
70 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30
Bild Welt FAZ SZ
FR
AZ MRZ OTZ TLZ TA
ARD ZDF RTL SAT.1
Basis: 1.221 Aussagen über das Abschneiden der Kandidaten im TV-Duell.
Es stellt sich die Frage, ob die in den Sondersendungen zu beobachtende Diskrepanz zwischen Journalisten- und Zuschauermeinung (Umfragen) auch noch in der Folgeberichterstattung Bestand hatte. Betrachten wir zunächst wieder alle Medien zusammen. Tatsächlich zeigt sich das gleiche Bild: Von den Journalisten wurde Merkel besser beurteilt als Schröder (+132 vs. +99). Das gleiche gilt
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Carsten Reinemann
für die zitierten Experten (+32 vs. +15) und – überraschenderweise – auch für die zu Wort kommenden Politiker (+72 vs. +58). Im krassen Gegensatz dazu standen die referierten Befunde der Meinungsforscher. Hier gab es nicht nur ein klares Plus für Schröder, sondern der Saldo für Merkel lag weit im negativen Bereich (+181 vs. -50). Von den Zuschauern, die vor allem in den regionalen Zeitungen zu Wort kamen, wurde ebenfalls Merkel schlechter beurteilt als Schröder (+10 vs. +35). Auch wenn man die Medien im Einzelnen analysiert, finden sich die beschriebenen Widersprüche. Um dies anschaulich machen zu können, haben wir in Abbildung 6 jeweils den Saldo positiver und negativer Aussagen für Gerhard Schröder vom entsprechenden Saldo für Angela Merkel subtrahiert (= Gesamtsaldo). Dem entsprechend bedeutet ein Wert über „0“, dass Angela Merkel häufiger positiv beurteilt wurde als Gerhard Schröder, ein Wert unter „0“, das Gerhard Schröder häufiger positiv bewertet wurde als Angela Merkel. Das Ergebnis zeigt, dass die Journalisten in acht Medien Angela Merkels Auftritt im TVDuell positiver bewerteten als den Gerhard Schröders und die dort referierten Umfragergebnisse in die andere Richtung wiesen (Bild, Welt, FAZ, SZ, AZ, MRZ, TA, ARD). In die gleiche Richtung wiesen journalistische und demoskopische Urteile in den übrigen sechs Medien (FR, OTZ, TLZ, ZDF, RTL, SAT.1). Hier überwogen unter Journalisten und in den referierten Befunden der Meinungsforscher positive Bewertungen des Kanzlers (Abbildung 6). Die oben beschriebenen Gesamttendenzen der Medien ergeben sich also vor allem durch eine unterschiedliche Gewichtung demoskopischer und journalistischer Urteile. So ignorierte Bild die repräsentativen Umfragen fast völlig. Stattdessen ließ man politisch eindeutig einzuordnende Journalisten ihr Urteil abgeben. Ein Paradebeispiel für die Nutzung „opportuner Zeugen“ (Hagen 1992). Welt und FAZ dagegen berichteten intensiv über die Ergebnisse der Institute, so sich hier auch viele positive Urteile über Schröder fanden. Auch AZ und MRZ, vor allem aber die TA berichteten intensiv über die Umfrageergebnisse, setzen in ihren Kommentaren oder bei der Zitierung anderer Akteure jedoch eigene Akzente. So brachte die Thüringer Allgemeine Interviews mit HansHermann Tiedje bzw. Guido Westerwelle, die beide ein Unentschieden gesehen hatten. Die größte publizistische Unterstützung erhielt Gerhard Schröder von der FR: Sie berichtete nicht nur sehr intensiv, sondern hier waren die journalistischen Aussagen fast ebenso zahlreich wie die demoskopischen Befunde und wiesen in die gleiche Richtung. Ein Sonderfall ist die Süddeutsche Zeitung. Sie entzog sich zumindest nach dem TV-Duell weitgehend dem Medienhype und verzichtete ebenfalls fast völlig auf die Präsentation von Umfragen.
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
Abbildung 6:
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Die Bewertung der Kandidaten in der Folgeberichterstattung durch Journalisten und Zuschauer (Gesamtsaldo positiver und negativer Aussagen über Schröder und Merkel)
40
Gesamtsaldo Journalisten
30
Gesamtsaldo Meinungsumfragen
Werte über "0" = Merkel positiver bewertet Werte unter "0" = Schröder positiver bewertet
20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50
Bild Welt FAZ
SZ
FR
AZ MRZ OTZ TLZ TA
ARD ZDF RTL SAT.1
Basis: 1.221 Aussagen über das Abschneiden der Kandidaten im TV-Duell.
Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf die Urteilskriterien der verschiedenen Akteursgruppen. Eine unterschiedliche Gewichtung dieser Kriterien könnte die divergierenden Urteile von Journalisten und Zuschauern eventuell erklären. In etwas mehr als der Hälfte aller Aussagen über das Abschneiden der Kontrahenten wurde eine Begründung für das jeweilige Urteil abgegeben. Die Journalisten taten dies am häufigsten (62% der journalistischen Aussagen). Allerdings bezogen sich diese Begründungen zum überwiegenden Teil auf das Auftreten und die Persönlichkeit der Kandidaten (31 bzw. 17% aller Aussagen). Zum Vergleich: Das Auftreten der Kandidaten wurde nur in 6 Prozent der referierten Befunde der demoskopischen Institute und in 13 Prozent der zitierten Politikeraussagen als Begründung angegeben. Nur die zitierten einzelnen Bürger verwiesen ähnlich häufig wie die Journalisten auf das Auftreten und die Persönlichkeit der Kandidaten hin (26 bzw. 20%). Dem gegenüber spielten Kompetenzen und Positionen nur für die Experten und in den Umfragen eine wesentliche Rolle. Mit entsprechenden Aussagen begründeten sie 24 bzw. 28 Prozent ihrer Urteile. Die Journalisten stützten nur 14 Prozent ihrer Aussagen auf Positionen und
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Kompetenzen. Experten waren die Journalisten also in erster Linie für die Form, nicht für die Inhalte der Debatte. In den Tagen nach dem Streitgespräch haben wir in allen untersuchten Beiträgen auch solche wertenden Urteile über die Kandidaten erfasst, die sich nicht direkt auf ihr Verhalten oder Abschneiden im TV-Duell bezogen. Solche Aussagen konnten sowohl in Beiträgen über das Duell als auch in der übrigen Politikdarstellung vorkommen. So war es nicht selten, dass in einem Beitrag über das TV-Duell auch ganz allgemein die Fähigkeiten der Kontrahenten beurteilt wurden. Zu diesen Aussagen zählen auch die Bewertungen, die die Kandidaten während des Duells über einander abgaben und die in der Nachberichterstattung zitiert wurden. Dies geschah in den Zeitungen in Form von Zitaten, in den Fernsehnachrichten in Form von Ausschnitten aus dem Duell. Wir wollen nun zum Abschluss unserer Analyse untersuchen, wie oft solche Urteile vorkamen und ob sich ihre Tendenz mit der der Urteile über das Abschneiden im TV-Duell deckte. Dies ist wichtig für die möglichen Wirkungen der Nachberichterstattung. So könnten die nicht duellbezogenen Aussagen die Einschätzungen der DuellPerformance stützen oder aber konterkarieren. Insgesamt publizierten die untersuchten Medien 402 wertende Charakterisierungen der Kandidaten, die sich nicht auf ihr Abschneiden im TV-Duell bezogen. Die Aussagen entfielen zu gleichen Teilen auf Merkel und Schröder. Bei einem Drittel handelte es sich um Zitate oder Referate von Urteilen, die die Kandidaten während des Duells über einander abgegeben hatten. Im Durchschnitt aller Medien machten die nicht auf das Duell bezogenen etwa ein Viertel aller Aussagen über die Kandidaten aus (28%). Allerdings gab es große Unterschiede zwischen den Medien. Der Anteil entsprechender Aussagen schwankte zwischen 8 Prozent bei der Thüringer Allgemeinen und 57 Prozent bei der Süddeutschen Zeitung. Ebenfalls überdurchschnittlich häufig fanden sich solche Urteile in der ARD (44%), bei Bild (41%), RTL (39%) und dem ZDF (36%). Etwa im Durchschnitt lagen SAT.1 (28%), die FR (28%), die Thüringer Landeszeitung (25%) und die Mainzer Rhein-Zeitung (24%). Unterdurchschnittlich viele Aussagen brachten neben der Thüringer Allgemeinen die Welt (19%), die Ostthüringer Zeitung (19%), die FAZ (17%) und die Allgemeine Zeitung Mainz (11%). Die Möglichkeit, dass Urteile über das Abschneiden im Duell konterkariert oder unterstützt wurden, war also sehr unterschiedlich ausgeprägt. Betrachtet man ihre Tendenz, dann waren die auf andere Aspekte bezogenen Aussagen insgesamt negativer als die Aussagen über die DuellPerformance. Die Saldi negativer und positiver Aussagen lagen für beide Kandidaten häufiger im negativen Bereich. Dennoch bleibt bei neun von 14 Medien die grundsätzliche Richtung der Kandidatenbewertung gleich. Ein gegenläufiger
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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Trend ergab sich nur bei Welt, FAZ, OTZ, ARD und ZDF. Allerdings fallen die entsprechenden Aussagen bei den drei Tageszeitungen kaum ins Gewicht, da sie hier – wie gesehen – nur einen kleinen Teil aller Aussagen über die Kandidaten ausmachten. Nur bei den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern kann man annehmen, dass die entsprechenden Urteile einen wirksamen Kontrast zu den Debatten-Urteilen bildeten. Die Gesamttendenz der Kandidatenbewertung stellt sich in ARD und ZDF also etwas ausgewogener dar, wenn man alle und nicht nur die Aussagen über die Duell-Performance betrachtet. 6
Zusammenfassung und Diskussion
In diesem Beitrag haben wir die Vor- und Nachberichterstattung über das TVDuell zur Bundestagswahl 2005 untersucht. Im Mittelpunkt unserer Analyse stand die Frage, welchen Eindruck die Medien vom Verlauf und dem Ausgang des Duells vermittelten und wie dieser Eindruck zustande kam. Der Grund für diese Schwerpunktsetzung war, dass wir eine Basis für die Analyse der Wirkungen der Nachberichterstattung auf unsere Test-Zuschauer schaffen wollten. Daneben haben wir an der einen oder anderen Stelle aber auch Aspekte berücksichtigt, die Hinweise auf die Qualität der Vor- und Nachbereitung des TVDuells durch die Medien geben. Wir wollen unsere Befunde in fünf Punkten zusammenfassen: (1) Wie schon 2002 war das Medieninteresse für das TV-Duell auch 2005 wieder enorm. Die Basis für ein Priming der Kandidaten als Faktoren der Wahlentscheidung war also auf jeden Fall gegeben. Dabei standen allerdings in erster Linie ihre persönlichen und rhetorischen Qualitäten, weniger ihr Fachwissen oder ihre Führungskompetenz im Mittelpunkt. Doch die mediale Aufmerksamkeit richtete sich zumindest nach dem Duell nicht nur auf die beiden Personen. Dadurch, dass die steuerpolitischen Vorstellungen Paul Kirchhofs und seine vermeintliche Streichliste im TV-Duell selbst eine enorme Rolle spielten, wurde auch der Fokus der Medien auf dieses Thema gelenkt. Dieser Agenda-SettingEffekt ist vermutlich ebenso bedeutsam für den weiteren Wahlkampf gewesen wie die Beeinflussung der Meinungen über die Kandidaten. (2) Der Ausgang des TV-Duells schien bereits vorher festzustehen. Demoskopische Befunde und journalistische Urteile vermittelten überwiegend den Eindruck, der „Medienkanzler“ würde als Sieger aus dem Duell hervorgehen. Allerdings – so der Tenor – würde dies dem Wahlkampf kaum noch eine andere Wendung geben. Nach dem Duell vermittelten die meisten Beiträge den Eindruck, das Duell sei unentschieden ausgegangen. Als Sieg Schröders wurde das
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TV-Duell etwas seltener dargestellt. Das Auftreten der Kandidaten wurde aber keineswegs nur im Rahmen der Kategorie „Sieg oder Niederlage“ bewertet. Sehr viel häufiger waren andere Urteile über das Auftreten der Kandidaten. Dabei unterschied sich das Bild, das die verschiedenen Medien vermittelten, sehr viel deutlicher als etwa beim zweiten TV-Duell 2002. Vor allem die überregionalen Tageszeitungen berichteten weitgehend entsprechend ihrer traditionellen politischen Linien. Aber auch die Sondersendungen und die TVNachrichten vermittelten unterschiedliche Eindrücke vom Ausgang des Duells. In den regionalen Zeitungen überwog dagegen mit einer Ausnahme der Eindruck, Schröder habe gewonnen. Insgesamt kann man also davon sprechen, dass in den Medien keine Konsonanz und Eindeutigkeit in der Beurteilung des TVDuells herrschte. Dies hat das Wirkungspotential der Nachberichterstattung mit Sicherheit verringert, da sich den Rezipienten die Möglichkeit bot, ihre jeweilige Sicht auf das Duell in den Medien bestätigt zu finden. (3) Was bereits den Gästen der Sondersendungen auffiel, zeigt auch unsere Analyse: Die Ansichten von Journalisten und Bevölkerung über den Ausgang des Duells gingen weit auseinander. Offenbar hatte sich unter den in Adlershof anwesenden Journalisten und auch den Moderatoren des Duells schnell ein weitgehender Konsens darüber gebildet, dass das Duell zumindest unentschieden ausgegangen sei. Diese Einschätzung und die Tatsache, dass sie unter den Kollegen Konsens sei, wurde in den Sondersendungen immer wieder artikuliert und so auch den Journalisten zuhause vermittelt. Warum die Unterschiede zwischen Zuschauern und Journalisten auftraten, wollen wir gleich noch etwas ausführlicher diskutieren. Klar ist: Viele Journalisten vertraten ihre Ansichten mit Nachdruck und wählten entsprechende Überschriften, Interviewpartner und Indikatoren aus. Sie waren vor allem Akteure – und weniger Chronisten. (4) Unter dem Aspekt journalistischer Qualität verdient auch noch der Umgang der Sondersendungen mit den Blitzumfragen Beachtung. Bis auf RTL brachten alle Sender demoskopische Halbzeit-Ergebnisse. Wie diese bei SAT.1 präsentiert wurden, war völlig indiskutabel. Bei ARD und ZDF wurde zumindest das Zustandekommen der Daten erklärt. Man kann nur vermuten, dass die Redaktionen die Zwischenergebnisse als geeignetes Instrument ansehen, die Zuschauer nach dem Duell am Bildschirm zu halten. Da die echten Nachbefragungen etwa 20 bis 25 Minuten dauerten, die Halbzeit-Ergebnisse aber bereits wenige Minuten nach ihrem Ende präsentiert wurden, kann man außerdem davon ausgehen, dass die Mehrzahl der nachher Befragten die Zwischenstände bereits kannte. Das bedeutet, dass die repräsentativen Umfragen keineswegs den „reinen“ Eindruck der Zuschauer von der Debatte wiedergeben, sondern nicht nur durch die journalistischen Aussagen zu Beginn der Sondersendungen, son-
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell
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dern auch durch die Befragungen beeinflusst werden können. Dass die wenig aussagekräftigen Halbzeit-Ergebnisse am nächsten Tag sogar in verschiedenen Zeitungen abgedruckt wurden, macht sie noch zusätzlich problematisch. Und auch wenn es diesmal gut ging, weil die Halbzeit-Ergebnisse mit den Nachbefragungen weitgehend übereinstimmten: Offenbar haben ARD, ZDF und SAT.1 nichts aus den Duellen 2002 gelernt. Damals wichen die Zwischenergebnisse deutlich von den Endergebnissen ab und erweckten so zunächst einen völlig falschen Eindruck (Maurer/Reinemann 2003). (5) Schließlich zeigt die Analyse der Nachberichterstattung auch, dass Journalisten den Neuigkeits- und Informationsgehalt der Debatte für die durchschnittlichen Zuschauer unterschätzen. Journalisten stellen zunächst die Frage, was in einer Debatte neu ist, was an ihr Nachrichtenwert besitzt. Da ihnen die inhaltlichen Argumente offenbar längst bekannt sind, konzentrieren sie sich vermutlich schon beim Betrachten einer Debatte viel stärker auf Elemente, die zur Nachricht werden könnten: Die Art des Auftretens der Kandidaten, missglückte Formulierungen oder besonders prägnante Aussagen. Dabei ist vielen Journalisten offenbar nicht bewusst, dass die Fernsehduelle für die Zuschauer eine völlig andere Bedeutung haben. So waren nach dem TV-Duell 2005 75 Prozent der Zuschauer der Ansicht, das Duell sei „eine sehr gute Gelegenheit, um zu erfahren, wie die Kandidaten zu den wichtigen Themen stehen“. Fast 40 Prozent sagten, das Duell helfe ihnen, eine „endgültige Wahlentscheidung zu treffen“ (Infratest Dimap). Möglicherweise ist diese Geringschätzung des inhaltlichen Nutzens für die Wähler der Grund dafür, dass politische Inhalte gerade in der Nachbereitung des Fernsehens eine nur geringe Rolle spielen. Warum bewerteten die Journalisten Merkel besser als Schröder, während die Duellzuschauer es genau umgekehrt sahen? Es gibt dafür mehrere mögliche Erklärungen: Erstens könnte es sein, dass die zu Wort kommenden Journalisten wenn nicht eine politische Präferenz für Merkel, so doch zumindest die Erwartung eines Regierungswechsels hatten. Dass dies so war, hat die Analyse der Vorberichterstattung gezeigt. Dem entsprechend fiel es den Journalisten vielleicht leichter, die künftige Kanzlerin zu loben und den in zwei Wochen abtretenden Altkanzler zu kritisieren. Zweitens könnte es sein, dass sich die Journalisten als politische Experten viel stärker auf die Sachargumente und Inhalte des Duells konzentriert haben als die Zuschauer. Die bessere Bewertung Merkels wäre dann folgerichtig, sofern sie wirklich die besseren Argumente gehabt hätte. Für diese Möglichkeit spricht in unseren Daten nichts. Vielmehr begründeten die Journalisten ihre Urteile so gut wie nie mit inhaltlichen Argumenten. Drittens könnte es sein, dass die Journalisten stärker auf die Art des Auftretens und weniger auf die Inhalte achteten als die Zuschauer, da ihnen die Inhalte bekannt
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waren. Für diese Möglichkeit spricht, dass die Journalisten häufig den geringen Neuigkeitswert der Argumente betonten und Auftreten und Persönlichkeit der Kandidaten in den Vordergrund rückten. Viertens ist es möglich, dass die Journalisten als Kommunikationsexperten zumindest die rhetorische Qualität eines Debatten-Auftritts tatsächlich besser beurteilen können als normale Zuschauer. Dafür spricht, dass die Urteile der Experten denen der Journalisten ähnelten. Allerdings gibt es offenbar noch einen weitere Erklärung für die Unterschiede zwischen Zuschauern und Journalisten: Die unterschiedliche Relevanz der Erwartungen. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich bei der nachträglichen Interpretation des TV-Duells um eine journalistische selffulfilling prophecy der besonderen Art handelte. Vor dem Duell vermittelten die Medien den Eindruck, Merkel habe keine Chance gegen Schröder, es handele sich um die Konfrontation des „Medienkanzlers“ mit einem „Medienneuling“. Ein Sieg Schröders sei deshalb zu erwarten. Dies war auch die Linie der VorabPR der Unions-Wahlkämpfer. Aber hatten die berichtenden Journalisten wirklich damit gerechnet, dass Schröder einen „Kantersieg“ gegen seine Herausforderin einfahren würde? Oder legte mancher Beobachter die Latte möglichst tief, um Spielraum für jede mögliche Interpretation zu haben? Wie hätte ein Duell aussehen können, in dem man vor dem Hintergrund der äußerst niedrigen Erwartungshaltung den Auftritt Merkels nicht als „besser als erwartet“ hätte interpretieren können? Dass die wirklichen Erwartungen der Journalisten tatsächlich etwas anders lagen als die öffentlich verbreiteten, darauf deutet auch eine Bemerkung Kurt Kisters in der ZDF-Sondersendung hin. Seine Bilanz lautete: „Was interessant ist, dass ich immer wieder auch von Kollegen die Beurteilung gehört habe, dass [die Kandidaten] eigentlich das gebracht haben, was alle erwartet haben: Also schon Angela Merkel war besser als man gedacht hat, aber das haben auch ziemlich viele gedacht (H.d.A), und Schröder war so, wie er immer ist.“ (Kurt Kister, Süddeutsche Zeitung, in der ZDF-Sondersendung)
Warum aber haben die Journalisten dennoch einen so großen Wert auf den Vergleich mit den Erwartungen gelegt? Neben den politischen Präferenzen mancher Beobachter dürfte die wesentliche Ursache sein, dass ein unerwarteter Ausgang eines TV-Duells einen höheren Nachrichtenwert hat. Es handelt sich dann um ein „überraschendes“ Ereignis, dass journalistische Aufmerksamkeit, Professionalität und eingehende Analyse erfordert und rechtfertigt. Ein erwarteter Ausgang wäre dagegen langweilig gewesen, die Selbstinszenierung des Journalismus als Überbringer spannender Neuigkeiten weit weniger gelungen. Letztlich haben also Journalisten durch ihre Interpretationen selbst einen Gutteil dazu beigetragen, ein Ereignis zu inszenieren, über das es sich lohnte zu berichten.
4.2
Viel Spielraum für die eigene Interpretation Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung Michaela Maier
1
Forschungsbefunde
In den Kapiteln 3.1 bis 3.4 wurde gezeigt, dass sich die Wahrnehmungen der Probanden unserer Studie bezüglich des Siegers des Fernsehduells 2005, aber auch ihre Einstellungen zu den zur Wahl stehenden Kandidaten, ihr politisches Wissen und ihre Verhaltensabsichten am Wahltag durch die Rezeption des Fernsehduells veränderten. In diesem abschließenden Kapitel soll nun untersucht werden, wie stabil die Effekte der Fernsehdebatten auf das politische Wissen, sowie auf Einstellungen und Verhaltensabsichten waren und ob sie die Zeit bis zur Wahl überdauerten. Obwohl genau diese Frage, nämlich ob Fernsehduelle nicht nur kurzfristige Wirkungen haben, sondern sich auch auf das tatsächliche Wahlverhalten auswirken, sowohl für Parteien und Politiker als auch für Journalisten, Medienmacher und andere (kritische) Beobachter des Wahlkampfes zentral sein dürfte, ist der Forschungsstand zu diesem Themengebiet sehr überschaubar. Lanoue/Schrott (1991: 121) konstatieren: „This is, of course, a crucial question, but one that has been substantially ignored by researchers“ (auch Maier 2004: 76). Dies ist besonders deshalb erstaunlich, da Hovland et al. (1953; auch Hovland et al. 1949) bereits vor über 50 Jahren gezeigt haben, dass die Einflüsse massenmedialer Kommunikation flüchtig sind. In der Zeit nach dem Fernsehduell können sich für das tatsächliche Wahlverhalten relevante Wahrnehmungen und Einstellungen erneut verändern. Dabei sind vor allem drei Einflussgrößen denkbar: x x
x
Effekte der massenmedialen Berichterstattung über das Fernsehduell, Effekte der interpersonalen Kommunikation, vor allem Gespräche z.B. mit Familienangehörigen, Freunden und Arbeitskollegen über das Fernsehduell sowie wieder erstarkende Effekte allgemeiner politischer Einstellungen, z.B. der langfristigen Identifikation mit einer politischen Partei.
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Michaela Maier
Über den potenziellen Einfluss, den die Anschlusskommunikation auf die durch die Debatte geprägten Einstellungen haben könnte, existieren verschiedene Auffassungen. Schon Lazarsfeld et al. (1944) hatten festgestellt, dass entsprechend der Theorie der selektiven Zuwendung und Verarbeitung (Vogel et al. 2007) in erster Linie solche Informationen und Berichte über die zur Wahl stehenden Kandidaten rezipiert und erinnert werden, die mit der eigenen Auffassung übereinstimmen (auch Maier/Faas 2003a). Wäre dem so, könnten durch die Rezeption der Medienberichterstattung vor allem Reinforcement-Effekte (vgl. Kapitel 3.4) erreicht werden, jedoch keine Veränderungen (so genannte Konversions-Effekte) von Einstellungen. Allerdings scheint es wenig realistisch, dass Bürger die Tonalität der Medienberichterstattung bzw. möglicherweise inkonsistente Meinungen von Gesprächspartnern zuverlässig erahnen und die Rezeption solcher Bewertungen durch die Medien bzw. solche Gesprächssituationen konsequent vermeiden können (Noelle-Neumann 1973a; 1973b). Jamieson/Birdsell (1988) gehen sogar davon aus, dass Bürger in der Folge von Fernsehdebatten verstärkt interpersonale Diskussionen suchen, um sich weitere Informationen über die Kandidaten zu beschaffen, und Lang/Lang (1979: 311) formulierten: „Impressions were constantly tested against those of others, including interpretative and analytic commentaries offered by authoritative mass media sources.“ Sie gingen also anders als Lazarsfeld et al. davon aus, dass der Vergleich der eigenen Wahrnehmungen und Einstellungen mit denen anderer Personen (auch vermittelt durch die Medien) zwar zunächst sehr wohl gesucht werde und dass es durch diese Anschlusskommunikation zu einer Anpassung der eigenen Attitüden komme. Eine solche Anpassung könnte wiederum leicht auf der Grundlage sozialpsychologischer Konsistenztheorien (Festinger 1957; Heider 1958) erklärt werden und zwar als Versuch, kognitive Dissonanzen zu vermeiden bzw. wahrgenommene Dissonanzen zu reduzieren. Angesicht dieser sehr verschiedenen Auffassungen scheint die Frage tatsächlich offen, ob und welche Effekte massenmediale und interpersonale Anschlusskommunikation auf die direkten Debatteneffekte haben. Die meisten Studien zur Persistenz von Debatteneffekten wurden bislang in den USA durchgeführt. Hinweise darauf, dass die Rezeption von Medienberichten nach einer Fernsehdebatte die Wahrnehmung der Debattenperformanz der Kandidaten maßgeblich beeinflusst, ergaben sich aus den Studien von Kaid et al. (2000), Lupfer/Wald (1979), Patterson (1980) und Steeper (1978). Der Fall aus der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftsdebatten, der in der Literatur am häufigsten zitiert wird, um die Einflussmöglichkeiten der Anschlusskommunikation zu belegen, ist die Carter-Ford Debatte 1976. Direkt nach dieser Fernsehdiskussion war über die Hälfte der Befragten der Ansicht,
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
197
Ford hätte sie gewonnen. Die anschließende Medienberichterstattung, vor allem über die Auslassungen Fords zur Situation Osteuropas, soll die Ursache dafür gewesen sein, dass bereits zwei Tage nach dem Duell nur noch weniger als 30 Prozent der Befragten Ford als Sieger sahen, während jetzt Carter von über der Hälfte der Bevölkerung als Sieger wahrgenommen wurde (Patterson 1980; Steeper 1978). In der deutschsprachigen Literatur ergeben sich vor allem aus den Ergebnissen der beiden Vorgängerstudien zu diesem Buch Hinweise auf die Persistenz von Debatteneffekten. In ihrer Studie zur Wirkung der beiden Fernsehduelle bei der Bundestagswahl 2002 haben Maier/Faas (2006) gezeigt, dass sich die Wahrnehmung der Versuchspersonen bezüglich der Debattenperformanz der beiden Spitzenkandidaten, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, jeweils in der Woche nach den Duellen deutlich veränderte: Während sich nach der ersten Debatte die Wahrnehmung der Leistung Schröders binnen Wochenfrist signifikant verschlechterte (weil der Auftritt Stoibers von den Medien als überraschend stark dargestellt wurde), gingen die positiven Bewertungen für Stoiber in der Woche nach der zweiten Debatte signifikant zurück (weil nach dem zweiten Duell Schröder als klarer Sieger berichtet wurde). Bezüglich der Frage, wer die Debatte für sich entschieden hatte, zeigten sich in der Studie von Maier/Faas (2006) bei beiden Diskussionssendungen ähnliche Effekte, wie sie auch Maurer/Reinemann (2003) für das zweite Fernsehduell 2002 gefunden haben: Bei den Messungen direkt im Anschluss an die beiden Live-Übertragungen hatte Schröder jeweils einen Vorsprung von ca. 20 Prozent vor Stoiber. In der Woche nach der ersten Debatte verlor Schröder jedoch deutlich an Zustimmung, während der Anteil der Probanden stieg, die glaubten, Stoiber habe das Duell gewonnen, so dass Stoiber nach einer Woche rund 10 Prozentpunkte vor Schröder lag (Maier/Faas 2006: 49). In den Tagen nach dem zweiten Fernsehduell stieg der Anteil der Zuschauer, die Gerhard Schröder für den Sieger des Duells hielten (bei Maurer/Reinemann 2003 von 53 auf 66%; bei Maier/Faas von 49 auf 63%). Gleichzeitig nahm der Anteil der Versuchspersonen, die Edmund Stoiber als Sieger sahen ab (bei Maurer/Reinemann 2003 von 19 auf 15%; bei Maier/Faas (2006) von 29 auf 19%). Auch der Anteil derjenigen, die das Duell als unentschieden gesehen hatten, sank bei Maurer/Reinemann (2003) von 28 auf 19 Prozent. Die Ergebnisse der
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Michaela Maier
beiden Experimentalstudien stimmen auch mit Befunden verschiedener repräsentativer Befragungen überein (Maurer/Reinemann 2003).1 Nun stellt sich die Frage, was der Auslöser für diese Veränderungen der direkten Debatteneffekte gewesen sein könnte? Maier/Faas (2006) zeigten, dass der Tenor der Medienberichterstattung, den die Probanden ihrer Studie wahrnahmen, deutlich von den Eindrücken abwich, die sie selbst vom Verlauf und Ergebnis des Fernsehduells hatten. Nur ein Drittel der Probanden hatten den Eindruck, dass die eigene Meinung mit der Berichterstattung der Medien übereinstimmte. Ähnliches zeigte sich auch für die interpersonale Anschlusskommunikation: Auch hier hatten fast die Hälfte der Studienteilnehmer das Gefühl, die Urteile ihrer Gesprächspartner würden nicht mit ihren eigenen Wahrnehmungen übereinstimmen. In der Folge passten die Probanden ihr Urteil über den Debattensieger sowohl dem wahrgenommenen Tenor der Medienberichterstattung als auch den wahrgenommenen Meinungen ihres persönlichen Umfelds an. Die Autoren konnten hingegen keine Hinweise darauf finden, dass Teilnehmer ihrer Studie die von ihnen wahrgenommenen Informationen entsprechend ihren eigenen Einstellungen „uminterpretiert“ hätten. Maurer/Reinemann (2003: 152) haben für das zweite Fernsehduell 2002 nachgewiesen, dass in der Woche danach insgesamt 20 Prozent der Probanden ihre Ansicht über den Ausgang des Fernsehduells an den von ihnen wahrgenommenen Medientenor angeglichen haben. Ob die massenmediale oder die interpersonale Kommunikation einen stärkeren Einfluss auf die Veränderung der individuellen Meinungen hatte, kann auf der Grundlage der beiden Studien nicht eindeutig geklärt werden: Während Maier/Fass (2006) für die erste Debatte stärkere Effekte der interpersonalen Kommunikation fanden, stellten sie übereinstimmend mit Maurer/Reinemann (2003) fest, dass bei der zweiten Debatte die massenmedialen Einflüsse stärker gewesen seien. Doch nicht nur die Einstellungen derjenigen Wahlberechtigten, die das Fernsehduell selbst gesehen haben, verändern sich durch die Anschlusskommunikation; auch Personen, die das Duell nicht gesehen haben, bilden sich so eine Meinung über den Debattensieger. Maurer/Reinemann (2003: 140) haben gezeigt, dass eine Woche nach dem zweiten Fernsehduell bei der Bundestagswahl 2002 nur noch weniger als ein Achtel der Bevölkerung nicht sagen konnte, wie das Fernsehduell ausgegangen war, obwohl nur rund ein Viertel der wahlberechtigten Deutschen (15 Millionen) das Duell selbst gesehen hatte. Innerhalb einer 1
Donsbach/Jandura (2005) kommen hingegen auf der Grundlage einer repräsentativen Panelbefragung auch für das erste Fernsehduell zum Ergebnis, dass sich die Zuschauermeinungen im Zeitverlauf zugunsten Schröders geändert hätten.
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
199
Woche hatte sich in der Bevölkerung weitestgehend die Meinung durchgesetzt, Gerhard Schröder habe das zweite Fernsehduell für sich entschieden. Direkt nach der Fernsehdiskussion hatten hingegen noch rund 30 Prozent Edmund Stoiber als Sieger gesehen.2 Die Autoren bieten angesichts dieses Phänomens die Erklärung an, dass sich diejenigen Bürger, die die Debatte nicht selbst gesehen hatten, dem Tenor der Medienberichterstattung angeschlossen hätten, die Gerhard Schröder als Sieger zeigte. Die Persistenz der Effekte beider Fernsehduelle im Wahlkampf 2002 auf die allgemeine Bewertung der Kandidaten hat Maier (2004) untersucht. Er kommt zum Ergebnis, dass mit Hilfe der Mediennutzung sowie der interpersonalen Anschlusskommunikation erklärt werden kann, warum sich die durchaus nennenswerten Effekte der beiden Fernsehdiskussionen auf die Kandidatenorientierungen der Teilnehmer (auch Maurer/Reinemann 2003: 158) seiner Experimentalstudie bereits in der Woche nach dem Duell stark abschliffen (beim ersten Duell ging der standardisierte Pfadkoeffizient für Schröder z.B. von 0,36 auf 0,19 zurück; bei Stoiber war der positive Effekt der Debatte nach einer Woche gar nicht mehr nachzuweisen). Ein hoher Medienkonsum sowie die Rezeption von mit den eigenen Wahrnehmungen konsistenten Informationen führten zu einer Stabilisierung der Debatteneffekte, während die Rezeption dissonanter Informationen die Persistenz der Debatteneffekte weiter verringerte (auch Maier/Faas 2003a). Ähnliche Befunde zeigten sich auch für die Wirkung interpersonaler Kommunikation: Beiläufige Unterhaltungen über das Fernsehduell sowie die Wahrnehmung inkonsistenter Bewertungen durch die Gesprächspartner führten zu einem Stabilitätsverlust der Debatteneffekte, während intensive Gespräche und der Austausch konsistenter Sichtweisen die Persistenz der Debattenwirkung förderten. Bezüglich der Veränderungen der Wahlabsichten nach dem zweiten Fernsehduell 2002 hatten Maurer/Reinemann (2003) einen aus der U.S.amerikanischen Forschung bekannten sogenannten „Welleneffekt“ bestätigt (Shaw 1999). D.h. dass das Fernsehduell durch die Medienberichterstattung eine zweite Welle von Einstellungsänderungen nach sich zieht. In der Untersuchung von Maurer und Reinemann legten die SPD, die Grünen und die FDP 2002 in der Woche nach der Debatte zu, während die Union und die sonstigen Parteien in der Wählergunst verloren. Gleichzeitig halbierte sich der Anteil der unentschlossenen Wähler. Die Autoren gehen davon aus, dass diese Veränderungen vor allem auf Mobilisierungseffekte zurückzuführen sind, da sich ihre Proban2 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auf der Basis einer repräsentativen Querschnittsbefragung auch Scheufele et al. (2005).
200
Michaela Maier
den in der Regel für die Wahl derjenigen Partei entschieden, der sie langfristig zuneigten, oder für deren wahrscheinlichen Koalitionspartner. Auch die Sicherheit der Wahlentscheidung nahm in der Studie von Maurer/Reinemann (2003) in der Woche nach dem Fernsehduell auf der Aggregatebene weiter zu (der Anteil der Personen, die sich ihrer Wahlentscheidung sehr sicher waren, stieg von 63 auf 67%). Dabei belegen mehrere Studien (u.a. Delli Carpini et al. 1997; Maurer/Reinemann 2003; Maier/Faas 2006; vgl. Kapitel 3.4), dass die Effekte von Fernsehdebatten durch Aggregatanalysen unterschätzt werden. Häufig wird das Ausmaß der Einstellungsveränderungen erst auf der Basis von Individualanalysen sichtbar. Maurer/Reinemann (2003) zeigten darüber hinaus, dass die Effekte des Duells auf der Individualebene höchst unterschiedlich und nicht nur auf eine Partei ausgerichtet waren. Aufgrund dieser Befunde werden im Folgenden neben Analysen auf der Aggregatebene die Veränderungen der Wahlabsicht und der ihr vorgelagerten politischen Einstellungen in der Woche nach dem Duell auch auf der Individualebene aufgezeigt.
2
Nutzung und Wahrnehmung der Nachberichterstattung zu den Duellen
An der postalischen Nachbefragung im Rahmen unserer Experimentalstudie zur Fernsehdebatte 2005 haben jeweils drei Probanden aus Mainz und Jena nicht mehr teilgenommen, die ursprünglich zur Versuchsgruppe gehörten (vgl. Kapitel 1.2). Diese Personen werden in diesem Kapitel nicht mehr berücksichtigt. Die Daten, die sich auf die ersten beiden Messzeitpunkte (Befragungen direkt vor und direkt nach dem Duell) beziehen, werden daher ebenfalls nur für diejenigen 115 Probanden (69 in Mainz und 46 in Jena) berichtet, die an allen drei Befragungswellen teilnahmen. Die an dieser Stelle für die beiden ersten Messzeitpunkte berichteten Ergebnisse können daher geringfügig von den Daten abweichen, die in den vorangegangenen Kapiteln präsentiert wurden. Der Versand der Fragebögen für die Nachbefragung erfolgte am Dienstag nach dem Duell (6. September 2005), die meisten Befragten füllten sie nach eigenen Angaben bereits am Mittwoch (Mainz: 74%; Jena: 44%) und am Donnerstag (Mainz: 19%; Jena: 31%) aus; die beiden letzten Fragebögen wurden am 13. (Jena) und 14. September (Mainz), also gut eine Woche nach dem Duell, ausgefüllt. In dieser postalischen Befragung in der Woche nach dem Fernsehduell wurden die Teilnehmer der Studie zunächst gefragt, ob sie am Abend nach der Live-Übertragung anschließend noch die Nachberichterstattung über das Duell
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
201
im Fernsehen gesehen hatten. 55 Prozent der Befragten in Mainz und 59 Prozent der Jenaer Probanden gaben an, keine der Sondersendungen gesehen zu haben,3 während die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) die Reichweiten der Sondersendungen bei den Bürgern, die die Fernsehdebatte zu Hause am Bildschirm verfolgt hatten, je nach Sender auf 67 (SAT.1) bis 86 Prozent (RTL) schätzte (vgl. Kapitel 4.1, ARD: 78%, ZDF: 77%). In Mainz hatten 19 Prozent der Befragten nach dem Nachhausekommen noch das ZDF-Spezial: Das Duell gesehen, in Jena waren es 7 Prozent. Hier hatten hingegen 24 Prozent die ARDSendung Sabine Christiansen Nach dem Duell – Wer hat gewonnen verfolgt, in Mainz waren dies 13 Prozent. Ebenfalls 13 Prozent in Mainz und 11 Prozent in Jena hatten Ausschnitte aus mehr als einer Sendung gesehen: In Jena sahen diese Probanden sowohl ARD als auch ZDF; in Mainz verfolgten die Testpersonen darüber hinaus auch Ausschnitte der RTL-Sendung. Den Talk der Woche bei SAT.1 sah keiner unserer Probanden. Auf die Frage, in welchen Fernsehnachrichtensendungen sie im Laufe der auf das Duell folgenden Woche Informationen über die TV-Debatte wahrgenommen hatten, zeigte sich wie zu erwarten das große Interesse der Studienteilnehmer an politischen Informationssendungen, das unter Umständen durch die Teilnahme an unserer Studie sogar noch weiter verstärkt wurde: nur 4 Prozent der Teilnehmer in Mainz und 15 Prozent in Jena gaben an, überhaupt keine Nachrichtenbeiträge zum Fernsehduell gesehen zu haben. In beiden Teilpopulationen hatte die Mehrzahl der Befragten sowohl in der ARD als auch im ZDF Beiträge zu diesem Thema wahrgenommen (Mainz: 45%; Jena: 44%), jeweils eine größere Gruppe hatte nur ARD-Fernsehnachrichten gesehen (Mainz: 13%; Jena: 17%), und eine weitere nennenswerte Gruppe hatte außer den öffentlichrechtlichen Nachrichtensendungen auch noch die RTL-Nachrichten gesehen (Mainz: 19%; Jena: 11%). SAT.1-Nachrichten wurden lediglich von Probanden aus Mainz rezipiert und auch hier nur von 13 Prozent. Die Nutzung regionaler Tageszeitungen war in unseren Versuchsgruppen ebenfalls stark ausgeprägt, wenngleich nicht ganz so stark, wie die Nutzung von Fernsehnachrichtensendungen. 90 Prozent der Mainzer Probanden rezipierten in der Woche nach dem Duell Berichte über dessen Verlauf in den regionalen Tageszeitungen (Allgemeine Zeitung Mainz: 75%; Mainzer Rheinzeitung: 1%; 3 Bei der Interpretation der Nutzungszahlen zu dieser Sondersendungen muss berücksichtigt werden, dass alle Versuchspersonen das Duell in den Räumen der Universitäten Mainz und Jena verfolgt hatten, und dass zumindest einige angesichts der Dauer der anschließenden Nachbefragung in der Universität und des zurückzulegenden Heimwegs die maximal einstündigen Sondersendungen vermutlich gar nicht sehen konnten. Dies trifft insbesondere für die nur halbstündige Sendung von RTL zu.
202
Michaela Maier
beide Regionalzeitungen: 13%), in Jena waren dies 76 Prozent (Ostthüringer Zeitung: 41%; Thüringer Allgemeine: 13%; Thüringer Landeszeitung: 4%; mehrere Regionalzeitungen: 17%). In überregionalen Tageszeitungen nahmen 55 Prozent der Mainzer und 30 Prozent der Jenaer Befragten Berichte über das Duell war. In Mainz lagen Schwerpunkte dabei auf Bild (25%), der FAZ (20%) und der Welt (16%); in Jena wurde die Welt mit knapp 11 Prozent am häufigsten gelesen. Die interpersonale Anschlusskommunikation nach dem Duell hatten die Studienteilnehmer in den beiden Teilgruppen als relativ ähnlich empfunden. In Jena engagierten sich die Probanden in den Tagen nach der Debatte zwar etwas häufiger in Gesprächen mit Verwandten, Kollegen und Bekannten über die TVDiskussion: Während in Mainz jeweils rund ein Drittel der Befragten angaben, ein- bis zweimal, drei- bis viermal oder mehr als viermal mit Personen aus ihrem Umfeld über das Duell gesprochen zu haben, erinnerten sich in Jena über 40 Prozent der Befragten an mehr als vier Gespräche. Die wahrgenommene Intensität der Gespräche lag jedoch in beiden Subpopulationen bei 3,4, d.h. auf der 5-Punkte-Skala von 1 „sehr beiläufig“ bis 5 „sehr ausführlich“ leicht über dem Skalenmittelpunkt. Die Teilnehmer der Studie in beiden Städten hatten die Gespräche also etwas eher als ausführlich, denn als beiläufig erlebt. Auch die Eindrücke, ob die Einschätzungen ihrer Gesprächspartner über den Sieger des Duells ähnlich gewesen seien wie ihre eigenen, waren in Mainz und in Jena ähnlich: Jeweils gut 40 Prozent der Befragten (Mainz: 41%; Jena: 44%) hatten vor allem mit Personen gesprochen, die einen ähnlichen Eindruck vom Sieger des Duells gehabt hatten, wie sie selbst; jeweils 44 Prozent hatten mit Personen gesprochen, die ihre Sichtweise zumindest teilweise teilten; lediglich 15 Prozent in Mainz und 9 Prozent in Jena hatten hauptsächlich mit Personen gesprochen, die bezüglich des Ausgangs des Duells eine vollkommen andere Meinung hatten. Den Tenor der Medienberichterstattung über den Ausgang der Fernsehdebatte hatten unsere Probanden in Mainz und Jena ebenfalls sehr ähnlich wahrgenommen: Die überwiegende Mehrheit war der Ansicht, Schröder sei von den Medien als Sieger dargestellt worden (Mainz: 61%; Jena: 67%), jeweils rund ein Drittel (Mainz: 33%; Jena: 28%) waren der Ansicht, die Medien hätten für „unentschieden“ votiert oder sie waren sich nicht sicher, wie die Medienberichterstattung ausgefallen sei, aber nur sechs Prozent in Mainz und vier Prozent in Jena hatten Angela Merkel in den Medien als Siegerin gesehen. Diese Wahrnehmung des Medienurteils durch die Fernsehzuschauer stimmt nur teilweise mit den Befunden der Inhaltsanalyse der Nachberichterstattung (vgl. Kapitel 4.1) überein: Die Inhaltsanalyse kam zunächst zu dem Ergebnis, dass die meis-
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
203
ten Medienberichte den Eindruck vermittelten, das Fernsehduell sei unentschieden ausgegangen (n=42 Berichte), etwas weniger Berichte (n=36) hatten Gerhard Schröder explizit als Sieger benannt. In der Wahrnehmung der Teilnehmer unserer Studie war der Medientenor hingegen wesentlich deutlicher zugunsten Schröders ausgefallen: Mehr als die Hälfte der Befragten in jedem Sample hatten Schröder auch in den Medien als Sieger gesehen. Bezüglich der Darstellung Angela Merkels kommt die Wahrnehmung der Studienteilnehmer den Ergebnissen der Inhaltsanalyse deutlich näher: In 5 von 83 Beiträgen wurde Angela Merkel als Siegerin genannt, und es waren auch lediglich 15 Prozent der Probanden in Mainz und 9 Prozent in Jena, die Angela Merkel in den Medien als Siegerin wahrgenommen hatten. Nach Auffassung der Probanden unserer Studie stellten die von ihnen rezipierten Medien also in der Mehrzahl Gerhard Schröder als Sieger des Duells dar, während Angela Merkel nur von sehr wenigen Medien als Gewinnerin der Fernsehdiskussion bewertet wurde. Welche Effekte diese Wahrnehmung der Medienberichterstattung und auch die interpersonale Anschlusskommunikation auf das politische Wissen und auf die dem Wahlverhalten vorgelagerten politischen Einstellungen hatten, wird in den folgenden Abschnitten untersucht.
3
Effekte der Nachberichterstattung zu den Duellen
Wirkungen auf das politische Wissen Zunächst sollen die Effekte der massenmedialen und der interpersonalen Anschlusskommunikation auf das politische Wissen analysiert werden. In Kapitel 3.3 wurde gezeigt, dass die Fernsehdebatte zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel das politische Wissen der Studienteilnehmer direkt beeinflusste – allerdings nicht zwangsläufig im Sinne eines Zuwachses an korrektem Faktenwissen: Tatsächlich wurde „richtiges“ Wissen vor allem in solchen Fällen erworben, in denen „Fakten präzise und in einfachen, klaren Worten benannt“ wurden, wie zum Beispiel beim Thema Einkommensteuer, oder wenn Informationen wiederholt wurden, wie zum Beispiel die Arbeitslosenzahlen. Boten die Diskutanten hingegen widersprüchliche Informationen zu einem Thema an, wie zum Beispiel zur Wirtschaftsleistung Deutschlands, neigten die Zuschauer dazu, dem von ihnen favorisierten Kandidaten zu glauben – auch wenn seine Informationen falsch waren. In Tabelle 1 sind nun zusätzlich zu den Veränderungen des politischen Wissens unserer Probanden zwischen dem Pretest (W1) und dem ersten Posttest direkt nach dem Duell (W2) auch die Entwicklungen in der Wo-
204
Michaela Maier
che nach der Fernsehdebatte (W3) dargestellt.4 Bei der Betrachtung der Ergebnisse zeigt sich, dass die durch das Fernsehduell induzierten signifikanten Wissenszuwächse auch in der Woche nach der Diskussion stabil blieben: In Mainz erinnerten bei der schriftlichen Befragung noch 46 Prozent der Probanden die von Angela Merkel genannte Zahl der Arbeitslosen, 16 Prozent gaben die von der Moderatorin Maybrit Illner genannte Zahl an. In Jena stieg die Zahl der Personen, die die Arbeitslosenzahl ziemlich genau angeben konnten (r 0,1 Mio.) sogar noch leicht auf 50 Prozent. Die Anzahl der Personen, die die von Illner genannte Zahl erinnerten, blieb auch in diesem Sample gleich. Bezüglich des Wissens über das Wirtschaftswachstum in Deutschland im Jahr 2005 im Vergleich zu 1998 zeigte sich in der Woche nach dem Duell in der Jenaer Experimentalgruppe erstmals ein signifikanter positiver Effekt, während sich die durch die Fernsehdebatte induzierten negativen Effekte auf das Wissen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit Deutschlands im europäischen Vergleich wieder leicht abschliffen. Die durch das Duell hervorgerufenen positiven Lerneffekte auf das Wissen über die Einkommenssteuer blieben hingegen weitgehend stabil (mit einem leichten Abschleifungseffekt in der Mainzer Teilgruppe und einem weiteren leichten Zuwachs in Jena). Der auf dem Wissensindex erzielte Mittelwert war entsprechend zwischen dem ersten und dem zweiten Posttest in Mainz weitgehend stabil, während er in der Jenaer Teilgruppe sogar signifikant von 3,07 auf 3,39 Punkte stieg. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die durch das Fernsehduell induzierten Wissenszuwächse in der Woche danach weitgehend stabil blieben und in manchen Fällen durch die Anschlusskommunikation sogar weiter zunahmen (z.B. Wissen über die Arbeitslosenzahlen und die Einkommensteuer). Negative Effekte des Duells auf das Wissen, die durch widersprüchliche und falsche Informationen zustande gekommen waren (z.B. bezüglich der Leistungsfähigkeit Deutschlands) schliffen sich in der Woche nach dem Duell wieder ab.
4 In dieser Darstellung wurden nur diejenigen Wissensgebiete berücksichtigt, die in der Fernsehdebatte thematisiert wurden.
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
Tabelle 1:
205
Einfluss der Anschlusskommunikation auf das politische Wissen (Anteil richtiger Nennungen)
W1+ %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
-
-
-
4
4
4
Umfang 2005: 4.77 Mio. r 0.1 Mio.
35
41
36
20
41**
50
Umfang 2005: 4.9-5.0 Mio. (Merkel)
32
46**
46
37
41
35
9
19*
16
7
33**
33
91
90
93
78
83
78
Veränderung 1998/2005
75
72
80
72
63
78*
Vergleich D/EU
78
61**
67
76
61*
72
Veränderung Einkommensteuer 1998/2005
41
59**
54
30
59**
61
Mittelwert Wissensindex (5 Items)+ +
3.20
3.23
3.29
2.76
3.07
3.39*
Arbeitslosigkeit Umfang 2005: 4.77 Mio.
Umfang 2005: 4.7 Mio. (Illner) Veränderung 1998/2005 Wirtschaftswachstum
Steuern
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell)) + W1=vor dem Duell, W2=direkt nach dem Duell, W3=in der Woche nach dem Duell ++ Der Index besteht aus folgenden Variablen: Umfang Arbeitslosigkeit 2005: 4.77 Mio. r 0.1 Mio., Veränderung Arbeitslosigkeit 1998/2005, Veränderung Wirtschaftswachstum 1998/2005, Vergleich Wirtschaftswachstum D/EU, Veränderung Einkommensteuer 1998/2005
Effekte auf die Wahrnehmung der Kandidaten Nun soll zunächst auf der Aggregat- und im Anschluss auch auf der Individualebene untersucht werden, ob die Nachberichterstattung der Medien und die interpersonale Anschlusskommunikation einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Debattensiegers durch die Probanden hatten. Wie bereits in Kapitel 3.1 berichtet, hatten sich die Einschätzungen der Teilnehmer unserer Studie in dieser Frage durch die Rezeption der Debatte signifikant verändert: Direkt nach der Fernsehdiskussion wurden die Leistungen von Schröder und Merkel von den
206
Michaela Maier
Mainzer Teilnehmern unseres Projekts als ähnlich gut bewertet, jeweils 30 Prozent der Probanden sahen Schröder oder Merkel als Sieger der Debatte (Tabelle 2a). Damit hatte Merkel deutlich besser abgeschnitten, als in der Vorbefragung von den Studienteilnehmern erwartet, Gerhard Schröder hingegen etwas schlechter. Auch in Jena konnte Angela Merkel mehr Zuschauer überzeugen, als in der Vorbefragung erwartet, jedoch blieb der Zugewinn deutlich hinter dem in Mainz zurück. Der klare Sieger des Duells war in den Augen der Jenaer Probanden Gerhard Schröder (61%). Der Anteil der Personen, die nicht sagen konnten, wer das Duell gewonnen hatte, reduzierte sich im ersten Posttest in beiden Teilpopulationen, in Jena jedoch stärker als in Mainz. Tabelle 2a:
Wahrnehmung des Debattensiegers: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Wer wird das Duell gewinnen?/ Wer hat das Duell gewonnen?
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
Gerhard Schröder
41
30
38
41
61*
67
Unentschieden/ unmöglich zu sagen
55
39*
36
54
26**
28
4
30**
26
4
Angela Merkel
13
4*
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
In der Woche nach dem Duell wurden weitere Effekte auf die Siegerwahrnehmung der Probanden sichtbar: Beim zweiten Posttest, der schriftlichen Befragung einige Tage nach der Fernsehdiskussion, waren die Werte für Schröder weiter gewachsen, in Mainz auf 38 (+8 Prozentpunkte) und in Jena sogar auf 67 Prozent (+6 Prozentpunkte). Gleichzeitig war der Anteil derjenigen Zuschauer, die Angela Merkel als Siegerin des Duells gesehen hatten, wieder gesunken: In Mainz fiel dieser Verlust noch vergleichsweise milde aus (-4 Prozentpunkte), in Jena wurde jedoch im zweiten Posttest wieder das Ausgangsniveau des Pretests erreicht (-9 Prozentpunkte). Trotz der geringen Fallzahlen war dieser Rückgang statistisch signifikant. Diese Befunde scheinen gut mit der Wahrnehmung der Medienberichterstattung durch die Zuschauer überein zu stimmen: Wie bereits dargelegt, waren die meisten unserer Probanden der Ansicht, die Medien hätten
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
207
Gerhard Schröder als Sieger des Duells dargestellt, nur sehr wenige hatten Angela Merkel in der Medienberichterstattung als Siegerin wahrgenommen. Durch die Analyse der Veränderungen der Siegerwahrnehmungen auf der Individualebene (Tabelle 2b) wird deutlich, wie diese auf der Aggregatebene sichtbaren Entwicklungen zustande kommen. Während 91 Prozent der Mainzer Probanden, die Gerhard Schröder direkt nach dem Fernsehduell als Sieger gesehen hatten, ihn auch in der Woche nach dem Duell noch als Sieger einschätzten und nur 10 Prozent aus dieser Gruppe binnen Wochenfrist zu der Auffassung kamen, das Duell sei unentschieden ausgegangen, waren lediglich 71 Prozent der Probanden, die zunächst Angela Merkel als Siegerin gesehen hatten, in der Woche nach der Fernsehdiskussion noch immer dieser Meinung. 19 Prozent aus dieser Gruppe waren nun der Ansicht, die Debatte sei unentschieden ausgegangen, 10 Prozent sahen retrospektiv sogar Schröder als Sieger. Von denjenigen, die den Ausgang des Duells zunächst als unentschieden beurteilt hatten, blieben 70 Prozent bei dieser Meinung, 19 Prozent sahen in der Woche danach Schröder als Gewinner und nur 11 Prozent Merkel. Tabelle 2b:
Wahrnehmung des Debattensiegers: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene
In der Woche nach dem Duell
Unmittelbar nach dem Duell Mainz Jena Gerhard Unent- Angela Gerhard UnentSchröder schieden Merkel Schröder schieden % % % % %
Angela Merkel %
Gerhard Schröder
91
19
10
86
42
33
Unentschieden/ unmöglich zu sagen
10
70
19
14
58
33
-
11
71
-
-
33
21
27
21
28
12
6
Angela Merkel N
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46)
Im Jenaer Sample zeigten sich noch gravierendere Veränderungen zu Ungunsten Merkels: Hier lag die Haltequote bei Personen, die Schröder als Sieger gesehen hatten, bei 86 Prozent, bei Merkel jedoch nur bei 33 Prozent. Jeweils ein Drittel aus dieser Gruppe sah hingegen eine Woche später Schröder als Gewinner oder
208
Michaela Maier
nahm den Ausgang der Debatte als unentschieden wahr. 42 Prozent der Personen, die zunächst für ein Unentschieden plädiert hatten, kamen in den Tagen nach dem Duell zu der Auffassung, Gerhard Schröder habe es für sich entschieden. Neben der Wahrnehmung des Siegers des Fernsehduells soll nun auch die Entwicklung weiterer für die Wahlentscheidung relevanter Einstellungsgrößen untersucht werden und zwar zunächst die Gesamturteile der Zuschauer über die beiden Kandidaten. Die in Tabelle 3 dargestellten Daten zeigen, dass sich das Gesamturteil der Befragten über Gerhard Schröder in Jena durch das Duell selbst signifikant verbessert hatte, während in Mainz kaum eine Veränderung erkennbar war. In Mainz hatte sich zwischen dem Pretest und dem ersten Posttest hingegen das Meinungsbild über Angela Merkel verbessert; in Jena konnte sie nicht von ihrer Debattenperformanz profitieren. Während die positiven Trends bei der Siegerbewertung in beiden Fällen erhalten blieben, waren in der Woche nach dem Duell die Sympathie-Bewertungen für Schröder ausgerechnet in Jena signifikant rückläufig (-0,39 Skalenpunkte), während Angela Merkel ihrerseits in Mainz signifikant an Sympathiepunkten verlor (-0,47 Skalenpunkte). Zwar wurden Gerhard Schröder in Jena und Angela Merkel in Mainz auch eine Woche nach der Fernsehdebatte noch deutlich besser bewertet als im jeweils anderen Teilsample, doch die positiven Effekte des Duells auf die allgemeine Kandidatenbewertung hatten sich innerhalb weniger Tage deutlich reduziert. Tabelle 3:
Entwicklung der Gesamturteile über die Kandidaten: Wirkung der Anschlusskommunikation (Skala von +5 bis -5)
Meinung über die Kandidaten
W1 MW
Mainz W2 MW
W3 MW
W1 MW
Jena W2 MW
W3 MW
Gerhard Schröder
0,49
0,62
0,46
0,65
1,43**
1,04*
Angela Merkel
0,52
0,80
0,33** -0,04
-0,22
-0,20
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
Eine Analyse der Veränderungen der Kandidatenbewertungen zwischen dem Pretest und dem zweiten Posttest zeigt, dass 77 Prozent der Mainzer und 80 Prozent der Jenaer Probanden in der Woche nach dem Duell für Gerhard Schrö-
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
209
der wieder denselben Wert (maximal ein Skalenpunkt Veränderung) angaben wie im Pretest; für Angela Merkel lag die Übereinstimmung zwischen Pre- und zweitem Posttest bei 72 Prozent in Mainz und 76 Prozent in Jena. Dieser Befund kann so erklärt werden, dass beide Kandidaten bei der Mehrzahl der Probanden durch das Fernsehduell nur einen kurzfristigen Sympathiegewinn verbuchen konnten. Eine mögliche Erklärung für die deutlichen Abschleifungseffekte nach dem Duell könnte sein, dass die Bewertung der Kandidaten in der Medienberichterstattung (mit Ausnahme der Sondersendungen, vgl. Kapitel 4.1) eine nachrangige Rolle spielte, während ganz klar die Frage nach dem Debattensieger im Vordergrund stand (dazu auch Jamieson/Adasiewicz 2000). Auf der Grundlage des im ersten Abschnitt des Kapitels beschriebenen Forschungsstandes kann gefolgert werden, dass nur solche Einstellungsveränderungen über die Zeit stabil sind, die in der Anschlusskommunikation aktualisiert werden. In Kapitel 3.2 wurde untersucht, ob das TV-Duell dazu geführt hatte, dass die Kandidatenbewertungen unserer Studienteilnehmer eher durch ihre Wahrnehmung der unpolitischen Persönlichkeitseigenschaften der Spitzenkandidaten geprägt wurden als durch die Wahrnehmung ihrer politischen Kompetenzen (zweite Priming-Ebene). Dabei zeigte sich, dass dies nur teilweise der Fall war: Bei den Mainzer Probanden gewannen durch die Fernsehdebatte die von den Studienteilnehmern wahrgenommenen Stärken der jeweiligen Kandidaten weiter an Relevanz. Im Falle Schröders war dies seine Persönlichkeit, bei Merkel die Sachkompetenz. Die Jenaer Zuschauer beurteilten hingegen Merkel nach dem Duell stärker auf der Grundlage ihrer Persönlichkeitsmerkmale als zuvor. Da Merkels Stärke eher im Bereich der Sachkompetenz lag, folgern Maurer und Reinemann, dass diese Veränderung der Bewertungskriterien durch die Fernsehdebatte zugunsten der Persönlichkeitsmerkmale ein Nachteil für die Spitzenkandidatin der Unionsparteien gewesen sei. In Tabelle 4 ist dargestellt, wie sich in der Woche nach dem Duell der Einfluss der wahrgenommenen Sachkompetenzen der Spitzenkandidaten (additiver Index aus 11 einzelnen Sachkompetenzen) und ihrer Persönlichkeitsmerkmale (additiver Index aus 13 Persönlichkeitseigenschaften) auf ihre Gesamtbewertung veränderte. In der Mainzer Experimentalgruppe schwächte sich die Bedeutung der gegenüber den Sachkompetenzen dominierenden Persönlichkeitseigenschaften Schröders nur geringfügig ab. Im Falle Merkel nahm die relative Bedeutung der Sachkompetenz hingegen weiter leicht zu, während die noch immer bedeutsameren Persönlichkeitsmerkmale leicht an Gewicht einbüßten. Bei den Jenaer Zuschauern nahm die Bedeutung der Persönlichkeitsmerkmale Schröders in der Woche nach dem Duell deutlicher ab als in Mainz, dennoch blieben sie das alleinige signifikante Kriterium für die Gesamtbewertung des SPD-Kandidaten.
210
Michaela Maier
Für die Bewertung Angela Merkels schliff sich der Debatteneffekt leicht ab, doch nach wie vor hatte ihre Sachkompetenz in dieser Gruppe keinerlei Einfluss auf ihre Gesamteinschätzung. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die durch die Fernsehdebatte gestiegene Relevanz der Persönlichkeitseigenschaften für die Bewertung der Spitzenkandidaten in der Woche nach dem Duell bereits wieder leicht zurückging, während die (relativ allerdings noch immer weniger bedeutsame) Sachkompetenz Merkels zumindest im Mainzer Sample einen stabilen signifikanten Effekt aufwies. Allerdings konnte die Unionskandidatin im Jenaer Sample auch in der Woche nach dem Duell nicht mit ihrer Sachkompetenz punkten. Tabelle 4:
Einfluss der wahrgenommenen Sachkompetenz und der Persönlichkeitsmerkmale auf die Kandidatenbewertung Mainz Direkt nach In der Woche danach dem Duell beta beta
Direkt nach dem Duell beta
Jena In der Woche danach beta
Schröder Sachkompetenz
.09
.13
.13
.29
Persönlichkeit
.81**
.77**
.73**
.60**
2
.75**
.75**
.67**
.70**
Sachkompetenz
.30**
.33*
Persönlichkeit
.60**
.55**
.96**
.84**
2
.75**
.72**
.78**
.69**
korrigiertes R Merkel
korrigiertes R
-.10
-.00
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01
Bezüglich der Frage, für wen sich die Studienteilnehmer entscheiden würden, wenn sie den Kanzler direkt wählen könnten, zeigt sich hingegen ein ganz anderes Bild als bei der Entwicklung der Gesamtbeurteilung der Kandidaten. Auf der Aggregatebene nahm die Zustimmung zu Gerhard Schröder als Kanzler in beiden Samples sowohl durch das Duell selbst als auch in der Woche nach dem
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
211
Duell zu (Tabelle 5a). Dieser Zuwachs der Kanzlerpräferenz verfehlt in Jena in beiden Zeiträumen nur knapp das Kriterium der statistischen Signifikanz. Mit einer Zustimmung von 61 Prozent im zweiten Posttest liegt dieser Wert in Jena erneut deutlich höher als in Mainz (49%). Die Zustimmung zu Angela Merkel als Kanzlerin war hingegen in beiden Teilpopulationen recht stabil und mit 42 Prozent beim zweiten Posttest in Mainz und mit 22 Prozent in Jena deutlich niedriger als für Schröder. Ein signifikanter Rückgang zeigte sich hingegen beim Anteil der Personen, die unentschieden waren, ob sie lieber Schröder oder lieber Merkel zum Kanzler bzw. zur Kanzlerin wählen würden, oder die keinen von beiden wählen wollten. Tabelle 5a:
Entwicklung der Kanzlerpräferenz: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Kanzlerpräferenz
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
Gerhard Schröder
39
45
49
37
50
61
Unentschieden/keinen von beiden
23
17
39
30
17*
Angela Merkel
38
38
24
20
22
9* 42
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
Auf der Individualebene (Tabelle 5b) wird wieder deutlich, wie diese Veränderungen auf der Aggregatebene zustande kommen: Während die Kanzlerpräferenzen für Schröder (Haltequoten Mainz: 97%; Jena: 96%) und Merkel (Haltequoten Mainz: 96%; Jena: 89%) sehr hoch waren, bildeten sich in der Woche nach dem Duell viele der direkt nach der Diskussionssendung noch unentschlossenen Probanden ihre Meinung zur Kanzlerfrage. Während Schröder in dieser Gruppe in Mainz etwas größere Zugewinne verzeichnen konnte als Merkel (33% vs. 25%), änderten in Jena deutlich mehr der zunächst Unentschiedenen ihre Einstellung zugunsten Schröders (36% vs. 7% für Merkel). In Jena konnte Schröder darüber hinaus 11 Prozent der Personen für sich gewinnen, die direkt nach dem Duell Angela Merkel als Kanzlerin präferiert hatten. Theoretisch ist diese Veränderung der Einstellungen leicht zu erklären, selbst wenn sie nicht mit der Entwicklung der Kandidatenbewertungen übereinstimmt, die zuvor
212
Michaela Maier
betrachtet wurde: Bereits Lazarsfeld et al. (1944) hatten festgestellt, dass mit zunehmender zeitlicher Nähe zur Wahl immer größere Anteile der Wahlberechtigten angeben, den von ihnen antizipierten Sieger der Wahl wählen zu wollen, bzw. dass nach Wahl stets mehr Bürger angeben, den Wahlsieger gewählt zu haben, als das Wahlergebnis dies dokumentiert. Tabelle 5b:
Entwicklung der Kanzlerpräferenz: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene
Gerhard Schröder
Unmittelbar nach dem Duell Mainz Jena UnentAngela Gerhard Unentschieden/ Merkel Schröder schieden/ Keinen Keinen % % % %
Angela Merkel
In der Woche nach dem Duell
%
Gerhard Schröder
97
33
-
96
36
11
Unentschieden/ keinen von beiden
-
42
4
-
57
-
Angela Merkel
3
25
96
4
7
89
26
23
14
9
N
31
12
%
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46)
Dieser Effekt, dass viele Personen den Sieger wählen bzw. gewählt haben wollen, wird auch „Bandwagon-Effekt“ genannt (weil bei der anschließenden Parade alle auf dem Wagen des Siegers mitfahren wollen). In diesem Sinne ließe sich auch der Befund zur Entwicklung der Kanzlerpräferenz interpretieren: In der Woche nach der Fernsehdebatte hatten die meisten unserer Studienteilnehmer den Eindruck, Gerhard Schröder würde von den Medien als Sieger dargestellt. Im Jahr 2002 hatten die Befragten bereits erlebt, wie die rot-grüne Regierungskoalition mit ihrem Kanzlerkandidat Gerhard Schröder nicht zuletzt durch dessen starke Debattenperformanz die Wahl gewann, nachdem Umfragewerte noch Wochen vor der Wahl ein eher düsteres Bild für die regierenden Parteien gemalt hatten. Es scheint schlüssig, dass auch im Fernsehduell 2005 und der anschließenden Medienberichterstattung viele Wähler Schröder als Siegertyp wahrgenommen und ihre Kandidatenpräferenz im Sinne des Bandwagon-Effekts zu seinen Gunsten verändert haben. Die entscheidende Frage ist, inwiefern sich
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
213
diese Veränderungen in der hypothetischen Kanzlerfrage auch auf die Wahlabsicht der Probanden niederschlugen. Effekte auf die Siegeserwartungen Das Fernsehduell 2005 selbst hatte auf die Wahrnehmung der Probanden, ob die Wahl bereits entschieden oder ihr Ausgang noch offen sei, wie bereits in Kapitel 3.4 gezeigt, nur in der Jenaer Versuchsgruppe einen Einfluss. Hier nahm durch das Fernsehduell der Anteil derjenigen Personen zu, die der Ansicht waren, der Ausgang der Bundestagswahl sei noch offen (Pretest: 63%; Posttest I: 74%), gleichzeitig nahm der Anteil derjenigen ab, die dachten, die Wahl sei schon entschieden (Pretest: 35%; Posttest I: 22%). Im Mainzer Teilsample blieben die Erwartungen bezüglich des Wahlausgangs hingegen ziemlich stabil: Rund zwei Drittel der Befragten glaubten, der Wahlausgang sei noch offen, rund ein Drittel ging davon aus, dass die Wahl bereits entschieden sei. In der Woche nach dem Fernsehduell änderte sich an dieser Verteilung der Einstellungen auf der Aggregatebene in der Mainzer Teilgruppe kaum etwas (Tabelle 6a). Tabelle 6a:
Ist die Wahl schon entschieden? Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Der Ausgang der Bundestagswahl…
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
Ist schon entschieden
30
32
33
35
22
26
Ist noch offen
68
65
67
63
74
70
1
3
0
2
4
4
Weiß nicht
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
Im Jenaer Sample hat es den Anschein, als hätte sich der Effekt des Fernsehduells, d.h. die Zunahme des Anteils von Personen, die dachten, die Wahl sei noch offen, leicht abgeschliffen. Der Rückgang dieses Werts von 74 auf 70 Prozent ist jedoch statistisch nicht signifikant. Auf der Individualebene (Tabelle 6b) werden zwar deutlichere Austauschprozesse zwischen den Gruppen sichtbar, die den Wahlausgang als schon entschieden bzw. als noch offen ansahen, als zunächst auf der Aggregatebene zu erkennen. Dabei wechselten jedoch sowohl
214
Michaela Maier
Personen, die die Wahl zunächst als entschieden gesehen hatten, in die Gruppe, die den Wahlausgang als offen beurteilte (Mainz: 27%; Jena: 30%), als auch Personen, die die Wahl zunächst als noch offen gesehen hatten, in die Gruppe, die die Wahl für entschieden hielt (Mainz: 16%; Jena: 12%). Insgesamt bleibt festzuhalten, dass weder das Fernsehduell selbst, noch die anschließende Kommunikation dazu führte, dass die Zuschauer sicherer gewesen wären, wie die Bundestagswahl ausgehen würde. Im Ergebnis hielten gut zwei Drittel den Wahlausgang rund zehn Tage vor der Wahl noch für offen. Tabelle 6b:
Ist die Wahl schon entschieden? Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene
In der Woche nach dem Duell
Unmittelbar nach dem Duell Mainz Jena Schon Noch Weiß Schon Noch entschieden offen nicht entschieden offen % % % % %
Weiß nicht %
Schon entschieden
73
16
-
70
12
50
Noch offen
27
84
100
30
85
-
Weiß nicht
-
-
-
-
3
50
22
45
2
10
34
2
N
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46)
In Übereinstimmung mit den Befragungsergebnissen zum erwarteten Wahlausgang zeigten sich auch bezüglich der Frage, wer die Wahl gewinnen werde, in der Woche nach dem Fernsehduell auf der Aggregatebene kaum nennenswerte Veränderungen (Tabelle 7a). Durch das Fernsehduell waren sowohl in der Mainzer als auch der Jenaer Probandengruppe die Anteile derjenigen Personen gestiegen, die SPD und Grünen einen Sieg zutrauten, während jeweils der Anteil derjenigen Probanden zurückging, die einen Sieg von Union und FDP antizipierten. Die durch das Fernsehduell entstandenen Einstellungsbilder bezüglich des Wahlsiegers scheinen angesichts der Ergebnisse auf der Aggregatebene auch in der Woche nach dem Duell relativ stabil. Am ehesten scheint erwähnenswert, dass der Anteil von Personen, die sagten, es sei unmöglich zu prognostizieren, wer die Wahl gewinnen werde, in der Woche nach dem Duell in beiden Versuchsgruppen nochmals leicht stieg.
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
Tabelle 7a:
215
Erwarteter Sieger der Bundestagswahl: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Erwarteter Wahlsieger
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
SPD und Bündnis90/Grüne
10
17*
15
7
13
13
CDU/CSU und FDP
75
64*
64
61
52
48
Unmöglich zu sagen
15
19
22
33
35
39
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
Bei der Analyse der Veränderungen auf der Individualebene (Tabelle 7b) werden jedoch zumindest für das Mainzer Sample erneut wesentlich deutlichere Austauschprozesse sichtbar als auf der Aggregatebene zu erkennen: Während die SPD zwischen dem Pretest und dem ersten Posttest eine Haltequote von 100 Prozent aufzuweisen hatte (Kapitel 3.4), gingen nur 58 Prozent der Probanden, die unmittelbar nach dem Duell einen Sieg von Rot-Grün erwartet hatten, auch in der Woche nach dem Duell noch davon aus, dass die Regierungskoalition die Wahl erneut für sich würde entscheiden können. 25 Prozent der Probanden aus dieser Gruppe meinten jetzt, es sei unmöglich, den Wahlausgang vorherzusagen, 17 Prozent prognostizierten nun einen Sieg der schwarz-gelben Koalition. Auch in der Gruppe der Mainzer Studienteilnehmer, die unmittelbar nach dem Duell nicht hatten sagen können, wer die Bundestagswahl gewinnen würde, waren in der Woche nach dem Duell deutliche Veränderungen zu erkennen: Zwar gingen 15 Prozent nun von einem Sieg von SPD und Grünen aus, 23 Prozent sahen jedoch Union und FDP als Wahlsieger. Sowohl in der Mainzer Gruppe, die nach dem Duell einen Sieg von Schwarz-Gelb prognostiziert hatten, als auch in den verschiedenen Gruppen innerhalb des Jenaer Samples sind die Haltequoten der Einstellungen direkt nach dem Duell höher. Dennoch sind auch hier auf der Individualebene mehr Veränderungen zu erkennen, als die Ergebnisse auf der Aggregatebene ahnen lassen. Allerdings sind diese Austauschprozesse nicht systematisch, d.h. es ist nicht zu erkennen, welche mögliche Koalition von der Anschlusskommunikation profitiert hätte. Dieser Befund bestätigt insofern die bereits präsentierten Ergebnisse, als die Unsicherheit, wer die Wahl
216
Michaela Maier
gewinnen würde, bei den Teilnehmern unserer Studie auch in der Woche nach dem Duell noch sehr groß war. Tabelle 7b:
Erwarteter Sieger der Bundestagswahl: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene
In der Woche nach dem Duell
SPD/ Grüne %
Unmittelbar nach dem Duell Mainz Jena Union/ Unmöglich SPD/ Union/ Unmöglich FDP zu sagen Grüne FDP zu sagen % % % % %
SPD/Grüne
58
2
15
83
4
-
Union/FDP
17
89
23
17
83
6
Unmöglich zu sagen
25
9
62
-
13
94
N
12
44
13
6
24
16
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46)
Effekte auf das Wahlverhalten So bleibt zuletzt die zentrale Frage, inwiefern sich die interpersonale und die massenmediale Anschlusskommunikation nach dem Fernsehduell auf die Wahlbeteiligungsabsicht der Teilnehmer unserer Studie, ihre Wahlabsicht für eine bestimmte Partei sowie die Sicherheit dieser Wahlabsicht auswirkten. Wie aufgrund des überdurchschnittlich hohen politischen Interesses unserer Probanden nicht anders zu erwarten, blieb ihre Absicht am 18. September 2005 zur Wahlurne zu gehen, auch in der Woche nach dem Fernsehduell unverändert hoch (vgl. Kapitel 3.4). 94 Prozent der Mainzer Probanden und 91 Prozent der Jenaer Studienteilnehmer wollten bestimmt zur Wahl gehen. Bezüglich der Wahlabsicht für eine bestimmte Partei und auch bezüglich der Sicherheit dieser Verhaltensabsicht waren in Kapitel 3.4 hingegen teilweise deutliche Veränderungen konstatiert und auf Effekte des Fernsehduells zurückgeführt worden. Wie sich gezeigt hatte, konnten sowohl die Unionsparteien als auch die SPD vor allem in Mainz leicht vom guten Abschneiden ihrer Spitzenkandidaten beim Fernsehduell profitieren. In Mainz nahm gleichzeitig der Anteil der Unentschiedenen zwischen Pretest und erstem Posttest signifikant ab, während der Anteil der unsicheren Probanden in Jena sogar leicht wuchs.
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
217
In der Woche nach dem Duell zeigten sich bezüglich der Wahlabsicht erneut bereits auf der Aggregatebene einige interessante Effekte (Tabelle 8a): Im Mainzer Teilsample ging der Anteil der Personen, die ihre Stimme für die Unionsparteien abgeben wollten, wieder leicht zurück und zwar beinahe auf das Niveau von vor dem Fernsehduell. D.h., es sieht so aus, als hätte sich der positive Effekt, den das Fernsehduell in Mainz auf die Wahlabsicht für die Unionsparteien hatte, in der Woche nach dem Duell wieder reduziert. Die zwischen Pretest und erstem Posttest gewachsene Zustimmung für die SPD blieb hingegen stabil, ebenso der nach dem Fernsehsehduell gesunkene Anteil von Personen, die sich noch nicht entschieden hatten, wen sie wählen wollten. In der Jenaer Versuchsgruppe blieb die Zustimmung zu den Unionsparteien, die sich durch das Fernsehduell nicht verändert hatte, auch in der Woche nach der Diskussion absolut stabil. Die Absicht der Jenaer Probanden, die SPD zu wählen, nahm zwischen dem ersten und dem zweiten Posttest jedoch weiter zu, und diese Zunahme verfehlt nur knapp das Kriterium der statistischen Signifikanz. Gleichzeitig ging im Jenaer Sample der Anteil derjenigen Personen, die nach dem Fernsehduell noch nicht gewusst hatten, wen sie wählen würden, signifikant von 26 auf 17 Prozent zurück. Tabelle 8a:
Wahlabsicht: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Wahlabsicht
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
CDU/CSU
38
44
39
17
17
17
SPD
28
33*
33
15
17
24
FDP
4
3
4
9
2
7
Bündnis 90/Grüne
6
7
7
11
11
13
Linkspartei.PDS
1
0
1
22
20
20
Andere Partei
0
0
1
0
0
0
23
13**
13
22
26
17*
Nicht entschieden/keine Antwort
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell))
218
Michaela Maier
Bei der Analyse der Wahlabsicht auf der Individualebene (Tabelle 8b) wird deutlich, dass die auf der Aggregatebene sichtbaren Veränderungen, sowohl im Mainzer als auch im Jenaer Sample vor allem auf die Gruppe derjenigen Befragten zurückzuführen sind, die direkt nach dem Duell noch unentschieden gewesen waren, wem sie ihre Stimme geben wollten. In dieser Gruppe konnte in der Woche nach dem Duell in erster Linie die SPD Stimmen gewinnen (Mainz: +11 Prozentpunkte; Jena: +25 Prozentpunkte), doch auch die kleineren Parteien gewannen in dieser Teilpopulation Zustimmung (Mainz: Grüne: +11, Sonstige: +11 Prozentpunkte; Jena: PDS: + 8 Prozentpunkte). Tabelle 8b:
Wahlabsicht: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene
In der Woche nach dem Duell Mainz CDU/CSU SPD FDP Bündnis 90/Grüne Linkspartei.PDS Sonstige Unentschieden N Jena CDU/CSU SPD FDP Bündnis 90/Grüne Linkspartei.PDS Sonstige Unentschieden N
Unmittelbar nach dem Duell FDP Grüne PDS
CDU/ CSU %
SPD
Unentschieden
%
%
%
%
%
90 10 30
96 4 23
100 2
80 20 5
-
11 11 11 67 9
100 8
100 8
100 1
100 5
11 89 9
25 8 67 12
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46)
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
219
In Kapitel 3.2 wurde analysiert, ob die Bedeutung der Kandidatenbewertung für die Wahlabsicht im Verhältnis zur langfristigen Bindung der Wähler an eine politische Partei durch die Rezeption des Fernsehduells zugenommen hatte (dritte Priming-Ebene). Die Ergebnisse zeigten, dass dies nur für die Mainzer Probanden zutraf – hier waren die Kandidatenbewertungen nach dem Duell jedoch sogar bessere Prädiktoren für die Wahlentscheidung als die langfristigen Parteibindungen. In Jena konnte ein solcher Debatteneffekt hingegen nicht nachgewiesen werden. In der Woche nach dem Duell ging der starke Debatteneffekt auf die Bedeutung der Kandidatenbewertung im Mainzer Sample sowohl für eine Wahlabsicht für die SPD als auch für eine Wahlabsicht für die CDU deutlich zurück (Tabelle 9).5 Tabelle 9:
Einfluss von Parteiidentifikation und Kandidatenbewertungen auf die Wahlabsicht: Wirkung der Anschlusskommunikation Mainz Direkt nach In der Woche dem Duell danach beta beta
Direkt nach dem Duell beta
Jena In der Woche danach beta
SPD Parteibindung
.42**
.52**
.73**
.53**
Meinung Schröder
.43**
.36**
.11
.21
.53**
.58**
.57**
.39**
Parteibindung
.43**
.53**
.62**
.62**
Meinung Merkel
.48**
.34**
.27*
.26*
.65**
.59**
.62**
.61**
2
korrigiertes R CDU
2
korrigiertes R
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (Mainz: n=69; Jena: n=46) * p<.05, ** p<.01 5 Wie in Kapitel 3.2 wurden die Variablen für die nachfolgenden Analysen wie folgt recodiert: Bei der Analyse der Kriterien für die SPD-Wahl wurde die Wahlabsicht mit 1 codiert, wenn ein Befragter die SPD wählen wollte. Alle anderen Befragten erhielten den Wert 0. Analog wurde die Parteibindung mit 1 codiert, wenn sich ein Befragter langfristig mit der SPD identifizierte. Alle anderen Befragten erhielten den Wert 0. Gleiches galt jeweils für die Analyse der Kriterien für die CDUWahl.
220
Michaela Maier
Gleichzeitig legte die langfristige Bindung der Probanden an die SPD bzw. die CDU als Prädiktor für die Wahlabsicht wieder deutlich zu. Im Jenaer Sample, wo die Parteiidentifikation traditionellerweise kein so aussagekräftiger Faktor ist wie in den alten Bundesländern, hatte lediglich die Gesamtbewertung von Angela Merkel einen zusätzlichen signifikanten positiven Effekt auf die Wahlabsicht für die CDU. Dieser blieb jedoch ebenso wie der rund doppelt so starke Effekt der Parteiidentifikation auch in der Woche nach dem Fernsehduell absolut stabil. Bezüglich der Wahlabsicht für die SPD verlor die Parteiidentifikation in Jena hingegen etwas an Bedeutung. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass das Fernsehduell in Mainz kurzfristig wie erwartet zu einer stärkeren Personalisierung der Wahlabsicht geführt hatte. Dieser Effekt ließ jedoch relativ bald nach dem Duell wieder nach, und die Identifikation mit einer Partei wurde wieder zum besten Prädiktor für die Wahlabsicht (dazu auch Maier/Maier 2007). In Jena konnte hingegen keinerlei Effekt des Fernsehduells auf die Personalisierung der Wahlabsicht festgestellt werden. Tabelle 10a: Sicherheit der Wahlabsicht: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Aggregatebene
Sicherheit der Wahlabsicht
W1 %
Mainz W2 %
W3 %
W1 %
Jena W2 %
W3 %
Sehr sicher
49
62
63
32
49
57
ziemlich sicher
47
32
34
59
45
35
Eher unsicher
4
7
4
9
7
8
Sehr unsicher
0
0
0
0
0
0
0,82
0,85*
0,75
0,81*
0,83
a
MW
0,87
Basis: Alle Personen, die auf die Frage nach der Wahlabsicht eine konkrete Partei genannt hatten (Pretest: Mainz: n=53; Jena: n=34; Posttest I: Mainz: n=60; Jena: n=31; Posttest II: Mainz: n=59; Jena: n=37) * p<.05, ** p<.01 (Signifikanztest der Unterschiede zwischen Pretest und Posttest I (unmittelbar nach dem Duell) bzw. zwischen Posttest I und Posttest II (in der Woche nach dem Duell)) a Mittelwerte auf einer Skala von 0 „sehr unsicher“ bis 1 „sehr sicher“
Die Sicherheit der Wahlentscheidung war durch die Rezeption des Fernsehduells, d.h. zwischen dem Pretest und dem ersten Posttest, in beiden Teilsamples signifikant gestiegen: In Mainz waren direkt nach dem Fernsehduell 62 (+13
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
221
Prozentpunkte) und in Jena 49 Prozent (+17 Prozentpunkte) sehr sicher, dass sie die von ihnen genannte Partei wählen würden. In der Woche nach der Fernsehdebatte nahm die Sicherheit der Wahlabsicht für eine bestimmte Partei unter den Probanden auf der Aggregatebene weiter zu (Tabelle 10a). In Mainz war diese Zunahme denkbar gering (+1 Prozentpunkt), in Jena fiel sie mit 8 Prozentpunkten deutlicher, wenngleich auch nicht statistisch signifikant aus. Die Analyse der Veränderungen auf der Individualebene zeigt (Tabelle 10b), dass in der Woche nach dem Duell in beiden Samples vor allem Personen sicherer in ihrer Wahlentscheidung wurden, die nach dem Duell angegeben hatten, ziemlich sicher (Mainz: 18%; Jena: 21%) oder eher unsicher (Mainz: 67%; Jena: 50%) gewesen zu sein. Von denjenigen, die sich bereits nach dem Duell sehr sicher gewesen waren, waren in Jena eine Woche später noch alle derselben Ansicht, in Mainz waren sich nur 11 Prozent etwas weniger sicher. Tabelle 10b: Sicherheit der Wahlabsicht: Wirkung der Anschlusskommunikation auf der Individualebene Vor dem Duell Mainz Sehr sicher
Jena
Eher unsicher %
Sehr unsicher %
Sehr sicher
%
Ziemlich sicher %
Sehr sicher
89
18
-
-
Ziemlich sicher
11
82
67
Eher unsicher
-
-
Sehr unsicher
37
Unmittelbar nach dem Duell
N
Ziemlich sicher %
Eher unsicher %
Sehr unsicher %
100
21
-
-
-
-
71
50
-
33
-
-
7
50
-
-
-
-
-
-
-
-
17
3
-
17
14
4
-
%
Basis: Alle Personen, die auf die Frage nach der Wahlabsicht sowohl beim ersten als auch beim zweiten Posttest eine konkrete Partei genannt hatten (Mainz: n=57; Jena: n=35)
Es stellt sich Frage, ob die Wahrnehmung der Medienberichterstattung durch unsere Studienteilnehmer zum Zuwachs der Zustimmung für Gerhard Schröder geführt haben könnte, der auf der Individualebene bei Personen zu beobachten ist, die direkt nach dem Fernsehduell noch nicht gewusst hatten, wen sie bei der Bundestagswahl wählen würden. Um diese Vermutung zu überprüfen, wurden
222
Michaela Maier
die Veränderungen der Wahlabsichten in der Woche nach dem Fernsehduell in Abhängigkeit von dem von ihnen wahrgenommenen Medientenor dargestellt (Tabelle 11). In Tabelle 12 wurde versucht, die Wirkung der interpersonalen Kommunikation abzubilden. Aufgrund der Komplexität der Darstellung wurde auf eine Differenzierung zwischen Mainz und Jena verzichtet. Tabelle 11:
Wahrnehmung des Medientenors und Art der Veränderung der Wahlabsicht Wahrnehmung des Medientenors
Veränderung der Wahlabsicht nach dem Duell Æ 3-4 Tage später
Sieger Schröder n
Unentschieden n
Siegerin Merkel n
Gesamt n
Zuschauer, die ihre Absicht änderten CDU/CSU Æ SPD CDU/CSU Æ andere Partei CDU/CSU Æ unentschieden
3
3
SPD Æ CDU/CSU SPD Æ andere Partei
1
1
Andere Partei Æ CDU/CSU Andere Partei Æ SPD Andere Partei Æ andere Partei
2
2
Unentschieden Æ CDU/CSU Unentschieden Æ SPD Unentschieden Æ andere Partei
3
1
3
2
24
9
2
SPD
19
10
1
Andere Partei
12
8
4 5
Zuschauer mit stabiler Wahlabsicht CDU/CSU
Unentschieden
35 30 20
10
4
1
15
Summe
73
36
6
115
Gesamt in %
63
31
5
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen und an der postalischen Nachbefragung teilgenommen haben (n=115). Fett gedruckt sind die Werte für die Zuschauer, bei denen eine Meinungsänderung in Richtung des wahrgenommenen Medientenors stattfand.
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
223
In Tabelle 11 ist die Veränderung der Wahlabsicht in Abhängigkeit von der Wahrnehmung der Medienberichterstattung über den Debattensieger dargestellt. Es wird deutlich, dass trotz der insgesamt großen Stabilität der Wahlabsicht in der Woche nach dem Fernsehduell insgesamt 15 Personen ihre Verhaltensintention geändert haben. Allerdings kann die Richtung dieser Veränderungen nur in drei Fällen durch die Wahrnehmung des Medientenors erklärt werden: Drei Personen, die direkt nach dem Duell noch die Unionsparteien wählen wollten, die jedoch in den Medien Gerhard Schröder als Debattensieger wahrnahmen, waren sich eine Woche nach dem Duell unsicher, wem sie bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben würden. Zwar gewann auch die SPD an Zustimmung, und zwar wie zu erwarten bei Personen, die noch nach dem Duell unentschieden gewesen waren, wen sie wählen wollten, allerdings hatten diese die Berichterstattung als unentschieden (3 Personen) oder sogar pro Angela Merkel erlebt (1 Person). Dass für die massenmediale Berichterstattung nach dem Fernsehduell 2005 kein eindeutigerer und stärkerer Effekt auf die Wahlabsicht der Studienteilnehmer festzustellen war, kann leicht dadurch erklärt werden, dass die Medienberichterstattung in den Tagen nach dem Duell kein konsonantes Bild über den Ausgang der Debatte zeichnete (vgl. Kapitel 4.1): In ähnlich vielen Beiträgen wurde der Ausgang des Duells als unentschieden oder als Sieg Schröders dargestellt, andere Medien konzentrierten sich weniger auf die Frage des Siegers als auf das Auftreten der Kandidaten, wodurch auch Angela Merkel in der Medienberichterstattung punkten konnte. Hinzu kommt, dass die Bewertungen der Journalisten des Ausgangs des Duells und die in den Medien dargestellten Ergebnisse der Umfrageinstitute häufig nicht übereinstimmten. Diese Konstellation hat das Wirkungspotenzial der Nachberichterstattung sicherlich verringert. Auch die interpersonale Kommunikation scheint keinen starken systematischen Effekt auf die Veränderungen der Wahlabsicht gehabt zu haben. In Tabelle 12 sind die Veränderungen in Abhängigkeit davon dargestellt, ob die Gesprächspartner der Probanden Gerhard Schröder oder Angela Merkel als Debattensieger oder das Duell als unentschieden gesehen hatten. Insgesamt hatten erneut drei Personen ihre Einstellungen in Richtung der wahrgenommenen Bewertungen ihrer Gesprächspartner verändert: Zwei Personen, die direkt nach dem Duell noch die Unionsparteien wählen wollten, jedoch mit Personen sprachen, die bezüglich des Debattensiegers unentschieden waren, waren sich eine Woche nach dem Duell ebenfalls nicht mehr sicher, wen sie wählen wollten. Lediglich eine Person, die zunächst noch unentschlossen gewesen war, änderte ihre Wahlabsicht entsprechend der wahrgenommenen Attitüden ihrer Gesprächspartner zugunsten der SPD. Die anderen Veränderungen der Wahlabsicht sind durch die interpersonale Kommunikation ebenfalls nicht zu erklären.
224
Tabelle 12:
Michaela Maier
Wahrnehmung der Meinungen im sozialen Umfeld und Art der Veränderung der Wahlabsicht Meinungen im sozialen Umfeld
Veränderung der Wahlabsicht nach dem Duell Æ 3-4 Tage später
Pro Schröder n
Unentschieden n
Pro Merkel n
Gesamt
2
1
3
n
Zuschauer, die ihre Absicht änderten CDU/CSU Æ SPD CDU/CSU Æ andere Partei CDU/CSU Æ unentschieden SPD Æ CDU/CSU SPD Æ andere Partei Andere Partei Æ CDU/CSU Andere Partei Æ SPD Andere Partei Æ andere Partei
1
1
2
1
3
4
Unentschieden Æ CDU/CSU Unentschieden Æ SPD Unentschieden Æ andere Partei
3
1
4
4
24
5
33
SPD
15
14
Andere Partei
11
8
19
Unentschieden
4
8
13
Summe
36
63
1
Gesamt in %
34
59
8
Zuschauer mit stabiler Wahlabsicht CDU/CSU
29
107
Basis: Alle Teilnehmer, die das Duell gesehen, an der postalischen Nachbefragung teilgenommen und Angaben zur Wahrnehmung der Debatte durch ihre Gesprächpartner gemacht haben (n=107). Fett gedruckt sind die Werte für die Zuschauer, bei denen eine Meinungsänderung in Richtung des wahrgenommenen Medientenors stattfand
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
4
225
Fazit
In diesem Kapitel wurde untersucht, wie stabil die Effekte der Fernsehdebatte auf das politische Wissen, die Einstellungen und Verhaltensabsichten unserer Studienteilnehmer waren. Dabei stand insbesondere die Frage im Mittelpunkt des Interesses, welchen Einfluss die massenmediale und interpersonale Anschlusskommunikation nach dem Duell auf diese Variablen hatte. Eine Analyse der Mediennutzung unserer Probanden im Nachgang der Fernsehdebatte 2005 bestätigte erneut das überdurchschnittlich große politische Interesse der Studienteilnehmer. Z.B. hatten lediglich 4 Prozent der Teilnehmer in Mainz und 15 Prozent der Teilnehmer in Jena in den Folgetagen überhaupt keine Nachrichtenbeiträge zum Fernsehduell gesehen, und auch die interpersonale Kommunikation über das Duell wurde eher als ausführlich denn als beiläufig wahrgenommen. Bezüglich des Tenors der Medienberichterstattung über die Fernsehdebatte waren die deutliche Mehrzahl unsere Probanden (über 60% in beiden Teilgruppen) der Ansicht, dass Schröder von den Medien als Sieger dargestellt worden war. Dieser Befund verwundert etwas angesichts der Ergebnisse der Inhaltsanalyse, die gezeigt hatte, dass das Duell in mindestens ebenso vielen Beiträgen als unentschieden bewertet worden war. Allerdings kann die etwas andere Wahrnehmung der Probanden immer durch ihre individuelle Mediennutzung und -verarbeitung erklärt werden. Bezüglich der Frage, ob Fernsehduelle ein geeignetes Sendeformat sind, um auch politisches Faktenwissen zu vermitteln, lässt sich festhalten, dass die durch die Diskussionssendung induzierten Wissenszuwächse auch in der Woche danach weitgehend stabil blieben und in manchen Fällen durch die Anschlusskommunikation sogar weiter zunahmen (z.B. Wissen über Arbeitslosenzahlen und Einkommensteuer). Negative Effekte auf das Wissen, die zustande gekommen waren, weil während der Debatte widersprüchliche und falsche Informationen verbreitet wurden, schliffen sich in der Woche nach dem Duell wieder ab. Das Fazit, dass durch Fernsehdebatten zwischen den Spitzenkandidaten tatsächlich demokratietheoretisch gewünschte Lerneffekte eintreten können (vgl. Kapitel 3.3), kann auf der Grundlage dieser Befunde also bestätigt werden. Die eigene Siegerwahrnehmung der Probanden veränderte sich in der Woche nach dem Duell weiter positiv für Gerhard Schröder, während der Anteil der Personen, die Angela Merkel als Siegerin gesehen hatten, weiter sank. Auch bei der Kanzlerpräferenz der Befragten waren ähnlich positive Entwicklungen zu beobachten wie bei der Wahrnehmung des Debattensiegers: Die Zustimmung für Gerhard Schröder stieg in beiden Teilgruppen weiter auf 49 Prozent in Mainz und 61 Prozent in Jena. Allerdings blieben die Zustimmungswerte für
226
Michaela Maier
Angela Merkel gleichzeitig recht stabil (42% in Mainz und 22% in Jena); ein signifikanter Rückgang zeigte sich hingegen bei der Zahl der unentschiedenen Personen. Interessanterweise entwickelte sich die Gesamtbewertung der beiden Kandidaten nicht in die gleiche Richtung wie die Siegerwahrnehmung und die Kanzlerpräferenz, sondern die positiven Effekte des Duells schliffen sich binnen Wochenfrist sowohl in Mainz (für Angela Merkel) als auch in Jena (für Gerhard Schröder) signifikant ab. Dieser Befund kann so erklärt werden, dass die Bewertung der Kandidaten in der Medienberichterstattung kaum eine Rolle spielte, sondern die Frage nach dem Duell- und dem künftigen Wahlsieger stark betont wurde. Es kann – auch mit Blick auf den Forschungsstand – vermutet werden, dass nur solche Einstellungsveränderungen über die Zeit stabil sind, die in der Anschlusskommunikation aktualisiert werden. Bezüglich der relativen Bedeutung der von den Zuschauern wahrgenommenen Sachkompetenzen und Persönlichkeitsmerkmalen für die Gesamtbewertung der Spitzenkandidaten wurde festgestellt, dass sich die durch die Fernsehdebatte gestiegene Relevanz der Persönlichkeitseigenschaften in der Woche nach dem Duell bereits wieder leicht abschliff. Im Mainzer Sample hatte außerdem die Sachkompetenz Merkels einen stabilen signifikanten Effekt auf ihre Gesamtbewertung, allerdings konnte die Unionskandidatin im Jenaer Sample auch in der Woche nach dem Duell nicht mit ihrer Sachkompetenz punkten. Die Veränderungen der individuellen Einstellungen unserer Probanden zu den beiden Kanzlerkandidaten hatten jedoch keinesfalls den Effekt, dass ihre Sicherheit bezüglich des Wahlausgangs größer geworden wäre: Rund zehn Tage vor der Wahl hielten noch immer gut zwei Drittel den Ausgang der Wahl für offen. Bei den beiden Variablen, die der Simulation des tatsächlichen Wahlverhaltens dienen, nämlich den Fragen nach der Wahlabsicht und ihrer Sicherheit zeigten sich auch in der Woche nach dem Duell weitere Effekte wieder bereits auf der Aggregatebene: Die durch das Duell gewachsene Wahlabsicht für die SPD blieb in Mainz stabil und legte in Jena sogar noch mal zu, während sich der zunächst positive Effekt des Duells auf die Wahlabsicht für die Unionsparteien in Mainz binnen Wochenfrist abschliff. Gleichzeitig sank zumindest in Jena der Anteil derjenigen Personen signifikant, die noch nicht wussten, wem sie ihre Stimme geben würden. Dieser Befund auf der Aggregatebene legte zunächst die Interpretation nahe, die Nachberichterstattung zum Fernsehduell, die von den Probanden ja als pro Schröder wahrgenommen wurde, hätte diese positiven Effekte für die SPD nach sich gezogen und zur Abschleifung des zunächst ebenfalls positiven Debatteneffekts für die Unionsparteien geführt. Die Analyse der Veränderungen der Wahlabsicht auf der Individualebene ergab jedoch recht
Wahrnehmung und Wirkung der Nachberichterstattung
227
wenig Rückhalt für diese Interpretation. Lediglich drei Personen hatten ihre Wahlabsicht in Richtung des von ihnen wahrgenommenen Medientenors geändert. Auch bezüglich der Effekte der interpersonalen Anschlusskommunikation auf die Wahlabsicht zeigten sich nur wenige Veränderungen, von denen auf einen starken Einfluss der interpersonalen Kommunikation geschlossen werden könnte: Lediglich vier Personen veränderten in der Woche nach dem Duell ihre Wahlabsichten in Richtung der von ihnen wahrgenommenen Attitüden ihrer Gesprächpartner. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass auf der Individualebene auch in der Woche nach dem Fernsehduell wie zu erwarten wesentlich mehr Veränderungen der Wahlabsicht sichtbar wurden als auf der Aggregatebene. Allerdings konnten diese Veränderungen nicht systematisch durch den von den Probanden wahrgenommenen Medientenor oder die interpersonale Anschlusskommunikation erklärt werden.
5. Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können Befunde und Konsequenzen der TV-Duell-Studie 2005 Marcus Maurer und Carsten Reinemann
Nur wenige Tage nachdem Kanzler Schröder Ende Mai 2005 mehr oder weniger überraschend verkündet hatte, im Herbst um ein Jahr vorgezogene Neuwahlen durchführen lassen zu wollen, und lange bevor Angela Merkel offiziell als seine Herausforderin feststand, liefen bereits erste Gespräche über mögliche TVDuelle im Vorfeld der Wahl. Nach langen Diskussionen einigte man sich schließlich auf ein Duell zwei Wochen vor dem Wahltag. Da, wie bei der DuellPremiere im Bundestagswahlkampf 2002, vier Sender (ARD, ZDF, RTL und SAT.1) übertragen wollten, lief das Duell am 4. September 90 Minuten lang auf allen vier Kanälen gleichzeitig. Entsprechend hoch waren die Einschaltquoten: Mehr als 20 Millionen Zuschauer sahen zu, wie vier Moderatoren den zwei Kandidaten abwechselnd Fragen stellten. An den Regeln hatte sich im Vergleich zu den Duellen 2002 nicht viel geändert. Ein wenig mehr Diskussionen zwischen den Kandidaten waren zugelassen. Im Grunde galt jedoch das gleiche Prinzip wie drei Jahre zuvor: Die Kandidaten warteten darauf, dass sie gefragt wurden und antworteten dann. TV-Duelle zwischen den beiden Spitzenkandidaten sind relativ einzigartige Wahlkampfereignisse: Die Kandidaten können ihre Wahlkampfbotschaften ungefiltert an ein ungewöhnlich großes Fernsehpublikum übermitteln. Die Zuschauer können das Auftreten und die Sachpositionen der Kandidaten unmittelbar miteinander vergleichen. Die Medien berichten bereits Tage vor und noch Tage nach dem Duell über das Geschehen, so dass sich auch diejenigen, die das Duell nicht selbst gesehen haben, ein Bild machen können. TV-Duelle haben folglich ein erhebliches Wirkungspotenzial. Darüber, ob dieses Potenzial auch zum Tragen kommt, gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen sehen in den Duellen ein substanzloses Spektakel, das in gefährlicher Weise in den demokratischen Willensbildungsprozess eingreift: Nach ihrer Auffassung werden TVDuelle allein durch das Auftreten der Kandidaten entschieden. Es zählen vor allem Attraktivität und regelmäßige Blicke in die Kamera. Was man sagt, ist nicht so wichtig – nur versprechen darf man sich nicht. Längerfristig führe dies dazu, dass die Wähler ihre Wahlentscheidungen vor allem anhand von Personen
230
Marcus Maurer/Carsten Reinemann
treffen, während die Positionen der Parteien zu Sachthemen immer unwichtiger würden. Die anderen vermuten, dass die Zuschauer ein solches Duell so sehr durch ihre parteipolitische Brille betrachten, dass sie überhaupt nicht von dem beeinflusst werden, was sie gesehen und gehört haben. Sie erklärten vielmehr denjenigen zum Sieger, den sie schon vorher lieber mochten, und wählten die Partei, die sie ohnehin gewählt hätten. Beide Ansichten werden vor allem über die Massenmedien verbreitet, in denen vor und nach einem Duell unzählige Experten und Laien dazu gebracht werden, ihre persönlichen Meinungen über den Duellausgang und seine Ursachen zu äußern. Um diesen subjektiven Eindrücken wissenschaftliche Fakten gegenüber zu stellen, haben wir bereits anlässlich der TV-Duelle im Bundestagswahlkampf 2002 verschiedene empirische Untersuchungen über Inhalte, Nutzung, Wahrnehmung und Wirkungen der Debatten durchgeführt. Anlässlich des TV-Duells zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2005 haben wir diese Analysen wiederholt und um einen Vergleich der DuellWahrnehmungen und Wirkungen bei west- und ostdeutschen Wählern ergänzt. Wie bereits 2002 haben wir dabei mehrere, methodisch komplexe Untersuchungen durchgeführt. Die Inhalte des Duells haben wir mit einer sekundengenauen Inhaltsanalyse auf verbaler und visueller Ebene erfasst. Die Wahrnehmungen der Zuschauer haben wir mit einer ebenfalls sekundengenauen kontinuierlichen Messung ihrer Eindrücke während der Debatte (RTR-Messung) erhoben. Dazu haben wir 72 Probanden in Mainz und 49 Probanden in Jena das Duell live auf einer Großbildleinwand verfolgen lassen. Die Wirkungen des Duells auf dieselben Zuschauer haben wir mit drei Befragungen kurz vor, kurz nach und einige Tage nach dem Duell gemessen. Der Vergleich der letzten beiden Befragungswellen erlaubt zudem Aussagen über die Wirkungen der Nachberichterstattung und interpersoneller Gespräche über das Duell. Um die Medienwirkungen in der Woche nach dem Duell präzise erklären zu können, haben wir zudem eine Inhaltsanalyse der Duell-Berichterstattung von zehn Tageszeitungen, der Nachrichtensendungen von vier Fernsehsendern und der Diskussionsrunden, die direkt im Anschluss an das Duell in den vier Sendern übertragen wurden, durchgeführt. Wir wollen im Folgenden die wichtigsten Ergebnisse dieser Analysen noch einmal zusammenfassen: Die Inhalte des Duells Fernsehdebatten zwischen einem langjährigen Amtsinhaber und einem erst seit kurzem als Herausforderer feststehenden Gegenkandidaten laufen in Regel nach einem ganz bestimmten Schema ab: Der Herausforderer attackiert, der Amtsin-
Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können
231
haber verteidigt seine Politik der letzten Jahre. So lief es auch 2002 als Stoiber unablässig Schröder und seine Politik angriff – allerdings mit mäßigem Erfolg. Im Wahlkampf 2005 kam jedoch eine ungewöhnliche Konstellation hinzu. Schröders Partei war in den Wahlumfragen Monate vor der Wahl bereits so deutlich abgeschlagen, dass kaum jemand ihm mehr einen Sieg zutraute. Merkel wurde folglich von vielen bereits als „gefühlte“ Kanzlerin wahrgenommen. Ihre politischen Pläne – vor allem die geplante Mehrwertsteuererhöhung und der Vorschlag, den Steuerexperten Paul Kirchhof zum Finanzminister zu machen – wurden im Wahlkampf heftig diskutiert, während die Zukunftspläne der SPD kaum interessierten; zu unwahrscheinlich erschien es, dass Schröder die Gelegenheit bekommen würde, sie in die Tat umzusetzen. Diese Konstellation spiegelte sich auch im Duell wieder: Die Politik Merkels und ihrer Partei war deutlich häufiger Gegenstand des Duells als die Politik Schröders und seiner Partei. Dies lag einerseits daran, dass die Moderatoren häufiger Fragen zur Unionspolitik stellten. Vor allem lag es aber daran, dass Merkel überwiegend über sich selbst und die Union sprach, anstatt Schröder und die amtierende Regierung anzugreifen. Zwar äußerten sich beide Kandidaten insgesamt überwiegend negativ und wurden auch überwiegend negativ dargestellt. Schröder kritisierte Merkel aber intensiver als umgekehrt. Dies zeigte sich nicht nur in seinen verbalen Aussagen, sondern auch in seinen visuell erkennbaren Reaktionen auf Merkels Statements. Schröder argumentierte zudem deutlich häufiger vergangenheitsbezogen als Merkel. Während sie ihre Zukunftspläne präsentierte, sprach Schröder eher über die Bilanz seiner Regierungszeit. Alles deutet folglich darauf hin, dass Merkel – bewusst oder gezwungenermaßen – keine Angriffsstrategie fuhr. Sie trat vielmehr auf wie eine Amtsinhaberin. Sieht man von diesem bemerkenswerten Befund ab, verlief das Duell allerdings sehr ähnlich wie die Duelle 2002. Die Kandidaten wurden im Großen und Ganzen gleich behandelt. Während Merkel etwas länger zu hören war, war Schröder etwas länger zu sehen – vor allem dann, wenn Merkel sprach und er ihre Ausführungen visuell kommentierte. Die Moderatoren kritisierten beide Kandidaten gleichermaßen fast ausnahmslos. Im Duell ging es überwiegend um Sachthemen – vor allem um Steuerpolitik. Dennoch haben die Wähler wenig Substanzielles über die Pläne der Kandidaten im Falle eines Wahlsieges erfahren. Das Duell war vielmehr von emotionalen Appellen (Schröder) und Gemeinplätzen (Merkel) geprägt. Wie bereits für die Duelle 2002 kann man folglich festhalten, dass es zwar überwiegend um die Sache und nicht um Personen ging. Die Diskussionen blieben jedoch relativ oberflächlich. Warum Kandidaten so argumentieren, wird deutlich, wenn man die Wahrnehmung ihrer Aussagen durch die Zuschauer analysiert.
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Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Die unmittelbare Wahrnehmung des Duells durch die Zuschauer Summiert man die Eindrücke unserer 121 Testzuschauer in den 90 DuellMinuten, wird deutlich, dass die Mainzer Zuschauer einen leichten Sieg für Angela Merkel, die Jenaer Zuschauer dagegen einen etwas deutlicheren Sieg für Gerhard Schröder gesehen haben. Über die Zeit betrachtet reagierten die Zuschauer in Mainz und Jena allerdings ausgesprochen ähnlich auf die Aussagen der Kandidaten. Die Unterschiede lassen sich vor allem durch die unterschiedliche Zusammensetzung des Publikums erklären: In Jena nahm – entsprechend der tatsächlichen Verteilung in der Bevölkerung – auch eine große Gruppe PDSAnhänger an der Untersuchung teil. Sie nahmen Schröders Aussagen sogar noch positiver auf, als die Anhänger der Bundesregierung. Zudem zeigte sich, dass die parteipolitisch Ungebundenen in Mainz Merkel etwas positiver wahrnahmen als Schröder, während es in Jena umgekehrt war. Diese Ergebnisse deuten bereits darauf hin, dass die Zuschauer das Duell tatsächlich durch ihre parteipolitische Brille wahrgenommen haben: Die Anhänger der damaligen Regierung hatten positivere Eindrücke von Schröder, die Anhänger von Union und FDP hatten positivere Eindrücke von Merkel. Dies galt im Prinzip für das gesamte Duell. Wie stark die Unterschiede waren, hing jedoch von den Aussagen der Kandidaten ab. Die Aussagen, mit denen die Kandidaten nahezu das gesamte Publikum überzeugen konnten, haben wir als erfolgreichste Stellen, diejenigen, mit denen sie nur ihre eigenen Anhänger überzeugen konnten, die Anhänger des jeweiligen Kontrahenten aber umso stärker gegen sich aufbrachten, als polarisierende Stellen bezeichnet. Die wichtigste Frage unserer Analysen war folglich, wie die Kandidaten in TV-Duellen argumentieren müssen, um das gesamte Publikum für sich zu gewinnen, und wie sich nicht argumentieren dürfen, wenn sie das Publikum nicht polarisieren wollen. Der Nutzen von Aussagen, mit denen man das gesamte Publikum überzeugt, ist dabei offensichtlich. Polarisierende Aussagen können hilfreich sein, wenn man die eigenen Anhänger mobilisieren will. Allerdings bietet ein TV-Duell die nahezu einzigartige Möglichkeit, 90 Minuten Anhänger aller Parteien und Ungebundene zu erreichen. Es scheint folglich keine besonders gute Strategie zu sein, sich angesichts dieser Chancen auf die Mobilisierung der eigenen Anhänger zu konzentrieren. Vergleicht man die spontanen Reaktionen der Zuschauer auf die Aussagen der beiden Kandidaten, zeigt sich, dass es Merkel deutlich häufiger gelang, das gesamte Mainzer Publikum zu überzeugen, während Schröder häufiger die Jenaer Zuschauer geschlossen überzeugte. Zugleich polarisierte Merkel die Mainzer Zuschauer aber auch häufiger als Schröder. Die Jenaer Zuschauer wurden von beiden Kandidaten kaum polarisiert. Beide Kandidaten waren dabei beson-
Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können
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ders mit Aussagen erfolgreich, in denen sie ihre eigenen Pläne und Ziele darstellten, dabei aber vage und unkonkret blieben. Es ging in diesen Aussagen nicht darum, die Wähler zu überzeugen, sondern darum, ihnen das zu sagen, was sie ohnehin für richtig halten – entweder, weil es quasi selbstverständlich ist (Schröder: Eintreten für Menschen in Not), oder, weil es sich um Positionen handelt, von denen die Kandidaten bereits im Vorfeld wissen konnten, dass sie von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden (Merkel: Ablehnung des EUBeitritts der Türkei). Dagegen polarisierten die Kandidaten die Zuschauer vor allem mit Aussagen, in denen sie ihren Kontrahenten direkt angriffen. Dies war auch dann der Fall, wenn sie ihre Kritik mit konkreten Fakten belegten. Diese Befunde gelten im Grundsatz für die Reaktionen der Zuschauer in Mainz und Jena gleichermaßen. Zudem hatten sie sich in identischer Weise bereits für das zweite Duell im Bundestagswahlkampf 2002 gezeigt. Neben der landläufigen Meinung, dass Negative Campaigning in Wahlkämpfen besonders erfolgreich ist, widerlegen unsere Analysen zwei weitere Mythen der Duellhistorie. Sie zeigen erstens, dass die visuellen Eindrücke der Zuschauer weit weniger entscheidend sind, als oft angenommen wird. Die stärksten Reaktionen der Zuschauer lassen sich mit einer Ausnahme durch die Aussagen der Kandidaten erklären, nicht durch ihre Gestik oder Mimik. Wir wollen damit nicht sagen, dass visuelle Signale in TV-Duellen keine Rolle spielen. Dass dies nicht zutrifft, zeigen Experimente, in denen den Rezipienten TVDuelle mit und ohne Ton vorgespielt wurden, wobei sich die Eindrücke von Hörern und Sehern zum Teil unterschieden. Visuelle Signale werden jedoch im Zweifelsfall von den verbalen Signalen überlagert. Sie wirken unterstützend, aber weitaus schwächer als die verbalen Signale. Dies kann man einerseits damit erklären, dass sich die meisten Zuschauer von den Debatten eine echte Hilfe für ihre Wahlentscheidung versprechen. Sie befinden sich folglich in einer High Involvement-Situation, was wiederum die Konzentration auf die verbale Ebene fördert. Andererseits kann man es damit erklären, dass die Kandidaten in der Duell-Vorbereitung so intensiv geschult wurden, dass ihnen kaum grobe Fehler in Gestik und Mimik unterlaufen sind. Die visuelle Ebene war folglich deutlich ereignisärmer als die verbale. Die Tatsache, dass sich die Zuschauer in einer High Involvement-Situation befinden, ist vermutlich auch die Erklärung dafür, dass unsere Daten einen weiteren Mythos widerlegen: Viele Beobachter hatten nach dem Duell Schröders Liebeserklärung an seine Frau als entscheidende Stelle ausgemacht. Dass dies ein gelungener Coup in typischer Schröder-Manier war, war weitgehend unumstritten. Die Frage war nur noch, wie viele Wählerstimmen ihm dies wohl einbringen würde. Tatsächlich hatten die Zuschauer während des Duells auf Schrö-
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Marcus Maurer/Carsten Reinemann
ders Bemerkung kaum reagiert. Selbst seine Anhänger reagierten nur leicht positiv, seine Gegner nahmen ihn während dieser Aussage sogar negativ wahr. Im Grunde hatte Schröder alles getan, um bei den Zuschauern positive Emotionen auszulösen. Diese wollten jedoch vermutlich nichts über sein Privatleben hören, sondern über seine Politik. So wichtig Emotionen im Wahlkampf sind, so klar ist, dass sie mit politischen Themen verbunden werden müssen – zumindest dann, wenn die Wähler wie in einem TV-Duell auf politische Informationen hoffen. TV-Duelle werden folglich weder durch gutes Aussehen, noch durch emotionalisierende Ausflüge ins eigene Privatleben gewonnen. Es geht darum, den Wählern eigene politische Ziele zu präsentieren – aber so vage und unkonkret, dass sie für alle akzeptabel erscheinen und möglichst niemanden ausgrenzen. Ob sich dies auch längerfristig auf die Urteile der Zuschauer auswirkt, haben wir in unseren Wirkungsanalysen untersucht. Die Wirkungen des Duells So bemerkenswert unsere Befunde zu den Ursachen positiver und negativer Eindrücke von den Kandidaten während des Duells auch sind: Relevant werden sie nur, wenn sich die unmittelbaren Eindrücke auf die Urteile der Zuschauer noch nach dem Duell auswirken. Wir haben deshalb eine Reihe von potenziellen Wirkungen des Duells untersucht. Einige der zentralen Effekte sind in Tabelle 1 nochmals im Überblick dargestellt. Dabei ist jeweils ausgewiesen, wie viele der Zuschauer ihre Meinungen, Vorstellungen oder Wahlabsichten durch das TVDuell oder in den Tagen danach verändert haben. Es handelt sich also um die in Panel-Analysen aufgedeckten individuellen Veränderungen, die sich im Aggregat allerdings teilweise wieder aufheben: Erstens haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wen die Zuschauer nach dem Duell für den Sieger gehalten haben. Hierbei zeigten sich erneut deutliche Unterschiede zwischen unseren Probanden in Mainz und Jena. Die meisten der Mainzer Zuschauer waren der Meinung, das Duell sei unentschieden ausgegangen. Die Jenaer hatten deutlich überwiegend einen Sieg Schröders gesehen. Der Vergleich mit den kurzfristigen Eindrücken derselben Zuschauer während des Duells (Mainz: knapper Sieg für Merkel; Jena: deutlicherer Sieg für Schröder) zeigt tendenzielle Ähnlichkeiten, jedoch keine exakte Übereinstimmung. Offensichtlich gibt es neben den Eindrücken, die die Zuschauer während der Debatte erhalten, noch weitere Einflüsse auf ihre nachträglichen Urteile darüber, wer die Debatte gewonnen hat. Am ehesten kommt hierfür die längerfristige Parteibindung infrage: Man könnte annehmen, dass die Zuschauer, egal, wie ihr Eindruck während der Debatte war, den Kandidaten der von ihnen favorisierten Partei für
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den Sieger halten. Denkbar wäre auch, dass sie denjenigen als Sieger nennen, von dem sie schon vor der Debatte geglaubt haben, dass er gewinnen würde. Wir haben deshalb bereits für die Duelle 2002 ein komplexes Analysemodell entwickelt, mit dem wir die Einflüsse der Erwartungen an den Duellausgang, der längerfristigen Parteibindungen und der Eindrücke während des Duells auf die Siegerwahrnehmung nach dem Duell untersuchen können. Die Analysen zeigen, dass bei simultaner Kontrolle aller drei Einflussfaktoren weder die Erwartungen, noch die Parteibindungen eine nennenswerte Rolle spielen. So unterschied sich bei etwa der Hälfte der Zuschauer in Mainz und einem Drittel in Jena die vorherige Erwartung über den Sieger von dem Urteil, dass sie nach dem Duell tatsächlich abgaben (Tabelle 1). Die Siegerwahrnehmung nach dem Duell wird also ausschließlich von den Eindrücken der Zuschauer während des Duells erklärt. Dies gilt grundsätzlich für die Mainzer und die Jenaer Zuschauer, für erstere jedoch noch etwas stärker. Bedeutsam ist dies aus zwei Gründen: Erstens zeigt es, dass die Annahme, TV-Duelle hätten keine nennenswerten Wirkungen, weil die Zuschauer ohnehin nur das sehen, was sie sehen wollen, falsch ist. Der Auftritt der Kandidaten im Duell hat vielmehr so große Wirkungen, dass er sogar den Einfluss der Parteibindung überlagert. Zweitens zeigt es, dass unsere Befunde zu den Ursachen der positiven und negativen Wahrnehmungen der Zuschauer während des Duells keineswegs irrelevant sind. Im Gegenteil: Die positiven Eindrücke, die die Zuschauer von den Kandidaten auch dann gewinnen, wenn sie vage und unkonkret argumentieren, schlagen sich deutlich in ihren Urteilen nieder, die sie nach dem Duell über die Kandidaten äußern. Zweitens haben wir uns mit den Wirkungen des Duells auf die Meinungen über die Kandidaten beschäftigt. Auch hier zeigen sich starke Effekte des TVDuells: Zwischen einem Fünftel und knapp einem Drittel der Zuschauer veränderte seine generelle Meinung über die Kandidaten. Dabei konnten in Mainz sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel von ihrem Auftritt profitieren. In Jena dagegen wurde nur Schröder nach dem TV-Duell positiver bewertet, während Angela Merkel nachher im Durchschnitt etwas schlechter beurteilt wurde. Knapp ein Fünftel der Zuschauer in Mainz und ein Drittel in Jena veränderte sogar seine Kanzlerpräferenz. Sowohl in Mainz, vor allem aber in Jena konnte Gerhard Schröder hier deutlich zulegen. Drittens haben wir uns mit dem Einfluss des Duells auf die Urteilskriterien der Wähler beschäftigt. Diesen Effekt haben wir als Priming bezeichnet. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Befürchtung, dass TV-Duelle aufgrund der lang andauernden Präsenz der Kandidaten die Personalisierung des Wahlverhaltens fördern. Demnach kann man vermuten, dass die Kandidaten nach dem
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Marcus Maurer/Carsten Reinemann
Duell vor allem anhand von Persönlichkeitsmerkmalen (Sympathie, Vertrauenswürdigkeit) und weniger anhand ihrer Problemlösungskompetenz beurteilt werden. Tatsächlich zeigte sich allerdings – wie bereits 2002 – dass beide Kandidaten von den Mainzer Probanden nach dem Duell deutlicher anhand ihrer Stärken beurteilt wurden als zuvor: Schröder anhand seiner Persönlichkeit, Merkel anhand ihrer Sachkompetenz. Bei den Jenaer Zuschauern wurde Merkel allerdings nach dem Duell ebenfalls eher anhand ihrer Persönlichkeit beurteilt. Weiter kann man annehmen, dass die Zuschauer ihre Wahlentscheidungen nach dem Duell eher von ihren Meinungen über die Kandidaten und weniger von ihren Parteibindungen abhängig machen. Dies galt für die Mainzer Zuschauer eindeutig. Bei den Jenaer Zuschauern traten dagegen kaum Veränderungen der Urteilskriterien auf. Es spricht folglich einiges dafür, dass TV-Duelle unter gewissen Umständen tatsächlich die Personalisierung der Wahlentscheidung fördern. Dies nützt Kandidaten, deren Stärke ihre Persönlichkeit ist, und Parteien, die einen beliebten Spitzenkandidaten haben. Allerdings kann man dem Effekt, der von der reinen Präsenz der Kandidaten ausgeht, offensichtlich durch eine intensive Diskussion über Sachthemen entgegenwirken. Viertens haben wir untersucht, ob die Wähler durch das Ansehen des Duells ihr Wissen über die Lage des Landes vergrößert haben. Wie bereits im zweiten TV-Duell 2002 zeigen unsere Ergebnisse auch diesmal, dass die Wähler im Duell einiges gelernt haben. Bis zur Hälfte der Zuschauer passte seine Vorstellungen von der Lage am Arbeitsmarkt, der Wirtschaftslage und der Höhe der Steuerbelastung in Deutschland den Aussagen der Kandidaten im Duell an (Tabelle 1). Beeinflusst wurden sowohl die Zuschauer in Mainz als auch in Jena. Es spielte dabei allerdings keine Rolle, ob die Kandidaten die Lage des Landes korrekt dargestellt hatten oder nicht. So waren – nach einer entsprechenden Behauptung Schröders – nach dem Duell deutlich mehr Zuschauer der Ansicht, das Wirtschaftswachstum in Deutschland sei höher als in den meisten anderen EU-Ländern, obwohl dies nicht zutraf. Zugleich hatten die Zuschauer allerdings auch ihre Kenntnisse über die Lage am Arbeitsmarkt und ihr Wissen über die Veränderungen der Einkommenssteuer während Schröders Regierungszeit deutlich verbessert. Wir können folglich festhalten, dass TV-Duelle erhebliche Lerneffekte verursachen. Auch dies kann man damit erklären, dass die Zuschauer das Geschehen besonders aufmerksam verfolgen, weil sie sich eine Hilfe für ihre Wahlentscheidung erhoffen. Ob diese Lerneffekte aus demokratietheoretischer Sicht positiv zu beurteilen sind, hängt allerdings davon ab, ob die Kandidaten den Zuschauern die volle Wahrheit präsentieren. Dass sie dies nicht immer tun, ist allerdings weniger ein Problem des Formats, als vielmehr ein Problem der demokratischen Diskussionskultur. Gefragt wären hier die Moderatoren,
Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können
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die falsche oder selektive Darstellungen korrigieren können. Dies setzt allerdings voraus, dass ihnen die tatsächlichen Fakten bekannt sind. Schließlich haben wir uns mit den Wirkungen des Duells auf wahlbezogene Vorstellungen und Wahlabsichten beschäftigt. Auch hier konnten wir zum Teil erhebliche Wirkungen beobachten. So beeinflusste das TV-Duell bei etwa einem Fünftel der Mainzer und Jenaer Zuschauer die Vorstellung, ob die Bundestagswahl bereits entschieden oder noch offen sei. In Mainz veränderte ein Viertel der Zuschauer seine Einschätzung davon, wer die Wahl gewinnen würde. In Jena war dies bei 16 Prozent der Fall. In beiden Fällen nahm die Einschätzung, dass schwarz-gelb die Wahl gewinnen würde, ab. In Mainz änderten darüber hinaus 14 Prozent der Zuschauer ihre Wahlabsicht, nachdem sie das Duell gesehen hatten. Profitieren konnten davon in Mainz vor allem CDU und SPD. Die Zahl der Unentschlossenen nahm dagegen deutlich ab. In Jena veränderten durch das Duell immerhin 8 Prozent der Zuschauer ihre Wahlabsicht. Profitieren konnten hier die SPD, die Linkspartei und die Gruppe der Unentschiedenen. Von denjenigen schließlich, die eine bestimmte Partei wählen wollten, wurde etwa ein Fünftel in seiner Wahlentscheidung bestärkt oder aber verunsichert. Bedenkt man, dass man es bei einem TV-Duell mit einem nur 90minütigen Einzelereignis zu tun hat und mit Zuschauern, die politisch überdurchschnittlich interessiert sind, dann sind diese Wirkungen auf wahlbezogene Vorstellungen und Wahlabsichten beträchtlich. Dass sie sich beim TV-Duell 2005 teilweise gegenseitig wieder aufgehoben haben, ist eine andere Frage (Tabelle 1). Zusammenfassend kann man folglich festhalten, dass das Duell bei den Zuschauern eine ganze Reihe unterschiedlich starker Wirkungen hervorgerufen hat. Theoretisch ist jedoch denkbar, dass diese Wirkungen relativ bald – und damit auch vor der Wahl – wieder nachgelassen haben. Andererseits kann man annehmen, dass die Medienberichterstattung über das Duell den Zuschauern weitere Eindrücke vermittelt hat, die ihre eigenen Eindrücke sowohl bekräftigt, als auch verändert haben könnten. Um herauszufinden, welches Bild die Medien vom Duellausgang vermittelt haben, haben wir eine umfangreiche Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung über das Duell durchgeführt. Die Medienberichterstattung über das Duell Wie nach den beiden Duellen im Bundestagswahlkampf 2002 strahlten auch diesmal alle vier beteiligten Fernsehsender direkt nach dem Duell Sondersendungen aus, in denen Politiker, Journalisten, mehr oder weniger bekannte Unterhaltungskünstler und ausgewählte Bürger ihre Meinung über den Duellausgang verbreiten konnten. Zugleich wurde im Verlauf der Sendungen immer wieder über die Ergebnisse repräsentativer Umfragen berichtet, die im Auftrag
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der Sender durchgeführt worden waren. In den Sendungen ging es fast ausschließlich um das Abschneiden der Kandidaten im Duell. Die meisten Aussagen dazu stammten entweder von den eingeladenen Journalisten oder aus repräsentativen Bevölkerungsumfragen. Wie bereits 2002 vermittelten die Sendungen völlig unterschiedliche Eindrücke davon, wie die Kandidaten im Duell abgeschnitten hatten. Während in den Sendungen von ARD und RTL der Eindruck vermittelt wurde, Schröder habe klar gewonnen, suggerierten die Sondersendungen bei ZDF und SAT.1 ein Unentschieden. Darüber hinaus wichen die Urteile der eingeladenen Journalisten deutlich von den Urteilen der Bevölkerung ab. Während die Journalisten das positive Auftreten Merkels herausstrichen, zeigten die repräsentativen Umfragen, dass die Bevölkerung Schröder eindeutig als Gewinner gesehen hatte. Es ist also nicht nur so, dass die Sondersendungen die eigenständige Urteilsbildung der Zuschauer bereits wenige Minuten nach Ende des Duells wieder konterkarieren können. Darüber hinaus hängt es von der Auswahl der Interviewpartner, die sich wiederum offensichtlich an den redaktionellen Linien der jeweiligen Sender orientiert, ab, welchen Eindruck die Zuschauer von der Qualität des Auftritts der Kandidaten bekommen. Auffällig war zudem, dass manche Sender auch mittels der Auswahl bestimmter Umfrageergebnisse einen anderen Eindruck vom Ausgang des Duells erzeugten, als ihre Konkurrenz. Der Wettlauf der Sender hat zudem auch nach dem Duell 2005 wieder dazu geführt, dass bereits kurz nach dessen Ende Umfrageergebnisse über den Ausgang veröffentlicht wurden. Tatsächlich handelte es sich um Daten, die nach etwa 45 DuellMinuten erhoben wurden und deshalb ebenso wenig aussagekräftig sind, wie Halbzeitstände bei Fußballspielen. In einem Fall wurde dies den Zuschauern vom betreffenden Sender noch nicht einmal mitgeteilt. Wie schon 2002 berichteten auch Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen ausführlich über das Duell. Vor dem Duell erweckten die Medien mehrheitlich den Eindruck, Schröder werde das Duell gewinnen. Gleichzeitig wurde dem Duell aber keine große Bedeutung mehr für den Wahlausgang beigemessen. Nach dem Duell waren die Urteile weniger eindeutig. Die überregionalen Zeitungen berichteten entlang ihrer redaktionellen Linien. Die regionalen Tageszeitungen, die wir untersucht haben, stellten – mit einer Ausnahme – Schröder als eindeutigen Sieger dar. Die Fernsehnachrichten vermittelten wiederum unterschiedliche Eindrücke. Insgesamt war die Nachberichterstattung über das Duell also alles andere als konsonant. Betrachtet man die Urheber der Urteile, zeigt sich derselbe Befund wie bei den Sondersendungen: Während die von den Medien verbreiteten repräsentativen Bevölkerungsumfragen einen mehr oder weniger deutlichen Sieg Schröders dokumentierten, kommentierten die
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Journalisten derselben Medien das Geschehen zum Teil vollkommen anders. Sie sprachen zwar nicht unbedingt Merkel den Sieg zu, wiesen aber häufig darauf hin, dass sie und ihre Kollegen ein Unentschieden gesehen hätten, oder lobten Merkel zumindest dafür, dass sie deutlich besser als erwartet aufgetreten sei. Offensichtlich hatten viele Journalisten das Duell mit ganz anderen Augen gesehen als die Bevölkerung – und zudem das Bedürfnis, dies auch zu kommunizieren. Betrachtet man die Ergebnisse der Inhaltsanalysen der Nachberichterstattung im Hinblick auf mögliche Änderungen von Meinungen, Vorstellungen oder Wahlabsichten der Zuschauer in den Tagen nach dem Duell, sind einheitliche Wirkungen auf alle Rezipienten nahezu ausgeschlossen. Je nach individueller Mediennutzung haben die Duellzuschauer in den folgenden Tagen ganz unterschiedliche Informationen über die Kandidaten erhalten. Zudem fanden sich oft auch innerhalb der einzelnen Medien widersprüchliche Urteile über den Duellausgang. Im Aggregat dürften folglich nur geringe Veränderungen zu beobachten sein. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Nachberichterstattung keine Wirkungen auf die Rezipienten hatte. Es kann auch bedeuten, dass sich die unterschiedlichen Wirkungen auf der Individualebene im Aggregat aufgehoben haben. Die Wirkungen der Nachberichterstattung und der interpersonellen Kommunikation über das Duell Direkt nach dem Duell und einige Tage später haben sich unsere Probanden weiter intensiv in den Medien über den Ausgang der Debatte und die Wahl insgesamt informiert. Fast die Hälfte unserer Test-Zuschauer in Mainz und Jena hat noch Teile der Sondersendungen direkt nach dem Duell gesehen – in Mainz überwiegend im ZDF, in Jena vor allem in der ARD. In den drei Tagen nach dem Duell haben fast alle unserer Probanden regelmäßig Fernsehnachrichten gesehen – vor allem die Nachrichten von ARD und ZDF. Fast ebenso viele haben sich aus Regionalzeitungen informiert. Überregionale Zeitungen spielten dagegen keine große Rolle. Rund zwei Drittel der Duellzuschauer in Mainz und Jena waren der Ansicht, die von ihnen genutzten Medien hätten Gerhard Schröder als Sieger des Duells dargestellt. Etwa ein Drittel hatte den Eindruck, die Medien hätten alles in allem den Eindruck vermittelt, das Duell sei unentschieden ausgegangen. Nur rund fünf Prozent hatten den Eindruck, die Medien hätten Merkel als Siegerin präsentiert. Dies spricht dafür, dass sich die Rezipienten ihr Urteil über den Tenor der Medienberichterstattung vor allem auf Basis der expliziten Siegerurteile gebildet haben, die sie in den Medien vorgefunden haben. Dass die Medien zugleich Merkels Auftreten gelobt und häufig darauf hinge-
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wiesen hatten, dass sie die Erwartungen übertroffen habe, spielte hierfür offensichtlich kaum eine Rolle. Das bedeutet allerdings nicht notwendigerweise, dass solche Aussagen keine Wirkungen auf das Bild von der Kandidatin hatten. Die meisten der Duellzuschauer haben sich in den Tagen danach zudem mit Bekannten, Verwandten oder Kollegen über das Duell unterhalten. Etwa 40 Prozent von ihnen hatte dabei überwiegend mit Personen gesprochen, die ihre Sichtweise über den Duellausgang teilten. Der Rest hatte dagegen eher mit Personen gesprochen, die zumindest teilweise anderer Ansicht über den Duellausgang waren als sie selbst. Nimmt man das Informationsverhalten der Duellzuschauer als Grundlage, lassen sich unterschiedliche Wirkungen in den Tagen nach dem Duell erwarten: Einige der Zuschauer müssten in ihren Ansichten bestärkt worden sein, andere müssten ihre Ansichten aufgrund von Medienberichterstattung und interpersonaler Kommunikation geändert haben. Schließlich kann man auch annehmen, dass einige, die ihre Meinungen durch das Duell verändert haben, mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Duell zu ihren ursprünglichen Ansichten zurückgekehrt sind. Tatsächlich haben wir in den Tagen nach dem Duell wiederum erhebliche Veränderungen festgestellt. Allerdings waren sie in der Regel deutlich geringer als die, die durch das Duell selbst verursacht wurden: Die stärksten Veränderungen zeigten sich bei der Frage, wen die Zuschauer für den Sieger des Duells hielten. Etwa ein Viertel unserer Probanden in Mainz und Jena veränderte in den Tagen nach dem Duell nochmals seine Einschätzung des Duellausgangs. In beiden Fällen profitierte Gerhard Schröder. Wie die meisten Jenaer Zuschauer bereits direkt nach dem Duell, waren nun auch die meisten Mainzer Zuschauer der Ansicht, Schröder habe das Duell gewonnen. In Jena hatte sich der Vorsprung Schröders weiter vergrößert. Ein bemerkenswerter Teil derjenigen, die das Duell gesehen hatten, traute folglich bereits nach wenigen Tagen seinem eigenen Urteil über den Duellausgang nicht mehr. Stattdessen hatten viele Zuschauer ihre Ansichten dem wahrgenommenen Medientenor angepasst. Diese Befunde, die sich mit unseren Befunden für die Duelle 2002 decken, stellen die Annahme, dass Fernsehduelle die unabhängige Urteilsbildung der Zuschauer fördern, erneut infrage. Die intensive Nachberichterstattung der Medien lässt vielmehr einen erheblichen Teil der Zuschauer bereits nach kurzer Zeit an seinem eigenen Urteilsvermögen zweifeln. Ihre Meinungen über die Kandidaten veränderten in den Tagen nach dem Duell zwischen 10 und 20 Prozent der Zuschauer. In der Regel kann man diese Veränderungen als nachlassende Wirkungen des Duells betrachten: Von Gerhard Schröder hatten die Mainzer nun wieder eine ähnliche Meinung wie vor dem Duell. Auch die unmittelbar nach dem Duell außerordentlich positiven
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Meinungen der Jenaer Zuschauer von Schröder schwächten sich wieder ab, blieben aber etwas positiver als vor dem Duell. Von Angela Merkel dagegen hatten die Mainzer und Jenaer Zuschauer nun sogar eine schlechtere Meinung als vor dem Duell. Dies kann man allerdings nicht auf die Berichterstattung über Merkels Auftreten im Duell, sondern vielmehr vor allem auf die ausgesprochen negative Berichterstattung über Merkel in anderen Zusammenhängen, vor allem der Steuerpolitik, zurückführen. Auch die Kanzlerpräferenzen veränderten sich in den Tagen nach dem Duell noch einmal erheblich. Vor allem die Zahl der Unentschiedenen reduzierte sich, wovon in Mainz beide Kandidaten gleichermaßen, in Jena allerdings vor allem Schröder profitierte. Bemerkenswerte Befunde zeigt auch die Analyse der Veränderungen der Urteilskriterien der Wähler (Priming). Betrachtet man die Bedeutung von Sachkompetenz und Persönlichkeit für das Gesamturteil über die beiden Kandidaten, zeigt sich, dass die Veränderungen, die durch das Duell eingetreten waren, auch in den folgenden Tagen nahezu vollständig erhalten blieben. Die Mainzer Zuschauer bewerteten Schröder nach wie vor ausschließlich anhand seiner Persönlichkeit und Merkel nach wie vor deutlich stärker als vor dem Duell auch anhand ihrer Sachkompetenz. Die Jenaer Zuschauer beurteilten beide Kandidaten immer noch nur anhand ihrer Persönlichkeit. Betrachtet man dagegen die Bedeutung von Kandidat und Partei für die Wahlentscheidung zeigt sich ein anderes Bild: Die Mainzer Zuschauer machten ihre Wahlentscheidung wenige Tage nach dem Duell wieder vor allem von ihrer Parteibindung abhängig. Die Personalisierungseffekte des Duells hatten hier also wieder etwas nachgelassen. Die Jenaer Zuschauer, die CDU wählen wollten, taten dies wie an den anderen beiden Zeitpunkten auch wenige Tage nach dem Duell vor allem, weil sie sich langfristig der CDU verbunden fühlten. Für diejenigen, die SPD wählen wollten, spielten ihre Meinungen über Schröder in den Tagen nach dem Duell erstmals eine größere Rolle. Bei 20 bis 30 Prozent der Zuschauer veränderte sich in den Tagen nach dem TV-Duell das politische Wissen. Bemerkenswerter Weise erinnerten sich die meisten Zuschauer noch daran, was sie im Duell über die Arbeitslosenzahlen und die Entwicklung der Einkommenssteuer seit 1998 gelernt hatten. Die Wirkungen der überwiegend falschen Darstellungen der Wirtschaftslage ließen dagegen wieder nach. Zwar haben die Medien in ihrer Duell-Berichterstattung die fehlerhaften Darstellungen nicht explizit korrigiert. Vermutlich konnten die Wähler jedoch dort oder aus Gesprächen mit Bekannten oder Verwandten die richtigen Informationen erhalten. Auch im Hinblick auf die wahlbezogenen Vorstellungen und Wahlabsichten gab es erneut Veränderungen. Jeweils etwa ein Fünftel der Mainzer und
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Jenaer Zuschauer war nun wieder anderer Ansicht darüber, ob die Wahl schon entschieden sei oder nicht. Sowohl in Mainz wie in Jena glichen sich die Veränderungen in beide Richtungen im Aggregat nahezu aus. Nur wenige Zuschauer änderten dagegen ihre Erwartungen an den Ausgang der Wahl. Einige Tage nach dem Duell glaubten zwar die meisten noch immer, schwarz-gelb würde die Wahl gewinnen. Diejenigen, die durch das Duell von dieser Überzeugung abgebracht wurden, blieben aber auch noch Tage später bei ihrer Meinung. Auch die Wahlabsichten veränderten sich noch einmal: Immerhin rund 15 Prozent der Zuschauer veränderten ihre Wahlabsicht in die ein oder andere Richtung. Diese Veränderungen hoben sich zwar im Aggregat zum Teil auf. In Mainz war jedoch die Union der klare Verlierer. Die Wählerstimmen, die die Partei durch das Duell gewonnen hatte, waren nach wenigen Tagen wieder verloren. Die Stimmengewinne für die SPD blieben dagegen erhalten. Einige Zuschauer, die noch unmittelbar nach dem Duell die Union wählen wollten, waren nun unschlüssig, wem sie ihre Stimme geben sollten. Ebenso viele der nach dem Duell noch Unentschlossenen hatten sich nun für eine Partei entschieden – nicht aber für die Union. In Jena reduzierte sich vor allem die Zahl derjenigen, die unmittelbar nach dem Duell noch unentschlossen gewesen waren. Profitieren konnte hier vor allem die SPD, die einige Tage nach dem Duell zum ersten Mal deutlich stärkste Partei unter unseren Jenaer Probanden war. FDP und Bündnis 90/Die Grünen gewannen ebenfalls Wählerstimmen, nicht aber die CDU. Zusätzlich nahm bei denen, die sich schon ein Urteil gebildet hatten, wen sie wählen wollten, die Sicherheit der Wahlentscheidung zu. Die Verluste für die Union kann man sicher nicht auf die Berichterstattung über Merkels Duell-Auftritt zurückführen. Allerdings wurden im Duell bereits jene für die Union kritischen Themen auf die Agenda gesetzt, die die öffentliche Diskussion in den Tagen danach und bis zur Wahl prägen sollten: Die Mehrwertsteuererhöhung und die Steuerpläne des Unionskandidaten für das Finanzministerium, Paul Kirchhof.
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Tabelle 1: Individuelle Veränderungen von Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten durch das TV-Duell und in den Tagen danach (Anteil der Probanden, bei denen Veränderungen auftraten) Veränderungen durch das TV-Duell Mainz Jena % %
Veränderungen in den Tagen danach Mainz Jena % %
Kandidaten Debattensieger1 Meinung Schröder2 Meinung Merkel2 Kanzlerpräferenz1
53 31 24 17
39 29 22 33
23 13 19 13
28 14 12 18
Wissen Höhe Arbeitslosigkeit Einkommenssteuer 98/05 Wachstum D/EU Mehrwertsteuer D/EU
40 31 34 18
49 43 31 6
18 23 21 17
22 29 17 12
Wahlverhalten Sicherheit Wahlausgang Siegeserwartung Wahlabsicht Sicherheit Wahlabsicht3
21 25 14 18
22 18 8 22
22 16 12 16
20 13 18 17
Anmerkung: Die Werte in der Tabelle geben den Anteil der Befragten an, die ihre individuellen Meinungen, Vorstellungen oder Wahlabsichten durch das TV-Duell oder in den Tagen danach verändert haben (Panelanalyse, Individualebene), wobei die Richtung der Veränderung nicht berücksichtigt ist. Lesehilfe: Durch das TV-Duell veränderten 14 Prozent der Mainzer Zuschauer ihre Wahlabsicht. In den Tagen nach dem TV-Duell war dies bei 18 Prozent der Jenaer Zuschauer der Fall. 1
Anmerkung: „Merkel“ vs. „Schröder“ vs. „keiner von beiden/unentschieden/unmöglich zu sagen“. Anmerkung: Veränderungen um mindestens zwei Skalenpunkte auf einer 11-stufigen Skala. 3 Anmerkung: Nur Zuschauer, die eine bestimmte Partei wählen wollten (ohne Unentschlossene). 2
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Ein abschließendes Fazit: Die Rolle von TV-Duellen in Wahlkämpfen In diesem letzten Abschnitt wollen wir die Frage beantworten, welche generellen Erkenntnisse über die Rolle von TV-Duellen in Wahlkämpfen man aus unseren Befunden ableiten kann. Im Zentrum unserer Analysen stand diesmal der Vergleich der Wahrnehmungen und Wirkungen des Duells bei ost- und westdeutschen Zuschauern. Unter dem Strich zeigen unsere Befunde, dass in beiden Fällen kaum generelle Unterschiede erkennbar waren. Frappierend ist vor allem, wie ähnlich beide Zuschauergruppen im Verlauf des Duells auf die Aussagen der Kandidaten reagiert haben. Die Unterschiede, die deutlich wurden, lassen sich jeweils vor allem mit der unterschiedlichen ideologischen Zusammensetzung des Publikums erklären: Unser Jenaer Testpublikum bestand – wie die ostdeutsche Bevölkerung insgesamt – zu einem erheblichen Teil aus Anhängern der Linkspartei, die dem Sozialdemokraten Schröder inhaltlich eher zustimmen konnten als seiner Herausforderin. Nimmt man hinzu, dass sich der bei weitem überwiegende Teil unserer Ergebnisse bereits in identischer Form in den TVDuellen im Bundestagswahlkampf 2002 gezeigt hatte, verfestigt sich der Eindruck, dass unsere Befunde zur Wahrnehmung und Wirkung von Fernsehduellen grundsätzliche Mechanismen der kurzfristigen und längerfristigen Urteilsbildung der Wähler widerspiegeln. Sie zeigen, wie Fernsehduelle gewonnen werden, und dass der Sieg in einem Fernsehduell nicht folgenlos bleibt, sondern vielmehr einen Image-Gewinn und – in geringerem Maße – einen StimmenGewinn für die eigene Partei nach sich zieht. Wie sehr ein TV-Duell den Wahlausgang tatsächlich beeinflusst, hängt von mindestens drei weiteren Faktoren ab: Erstens kommt es auf die Ausgangslage vor Beginn des Duells an. Liegt eines der beiden Lager vor Duellbeginn aussichtslos zurück, kann auch ein deutlicher Sieg im Duell zu wenig sein, um das Ruder herumzureißen. Es ist folglich unrealistisch anzunehmen, dass die Partei eines Duellsiegers zwangsläufig die Wahl gewinnt. Ihr Kandidat gewinnt vielmehr zusätzliche Sympathien und die Partei in der Folge eine gewisse Menge zusätzlicher Wählerstimmen. Ob es zum Wahlsieg reicht, hängt davon ab, wie deutlich der Abstand zwischen den Parteien vorher war. Fragt man sich nun, wie groß die Menge an zusätzlichen Wählerstimmen ist, die durch ein Duell gewonnen werden können, kommt es zweitens auf die Unterschiede im Duellauftritt der Kandidaten an. Werden die Kandidaten wie im Duell 2005 als weitgehend ähnlich gut wahrgenommen, werden weniger Wählerstimmen bewegt als bei einem klaren Sieg eines der Kontrahenten. Drittens kommt es auf die Art der Medienberichterstattung nach einem Duell an. Unsere Analysen zeigen, dass die Medien – zumindest bei einem knappen Duellausgang – in der Woche nach dem Duell die Deutungshoheit über das Geschehen übernehmen. Viele Zuschauer
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passen ihr Urteil über den Sieger in den Tagen nach dem Duell der in den Medien vertretenen Meinung an. Diejenigen, die das Duell nicht gesehen haben, sind ohnehin vor allem auf die Mediendarstellung angewiesen, wenn sie sich ein Urteil bilden wollen. Wie die Wählerbewegungen in den Tagen nach dem Duell ausfallen, hängt folglich vor allem davon ab, wie einheitlich die Medien über das Duell berichten. Bei einer konsonanten Berichterstattung profitiert die Partei desjenigen, der als Sieger dargestellt wird. Wenn die Medien uneinheitlich über den Duellausgang berichten, heben sich eventuelle Veränderungen in den Wahlentscheidungen unter dem Strich auf. Betrachtet man diese Erkenntnisse und bedenkt, dass bei den letzten beiden Bundestagswahlen bereits Veränderungen von wenigen Zehntelprozentpunkten einen komplett anderen Wahlausgang bedeutet hätten, wird deutlich, welch bedeutsame Rolle TV-Duelle in Wahlkämpfen spielen können. Umso bedenklicher erscheint es, dass seitens der Beteiligten nach wie vor keinerlei Bereitschaft besteht, die Duelle professionell zu institutionalisieren. Nach wie vor werden die Teilnehmer und Regeln von zwei Parteien und vier Fernsehsendern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Wer sich an welcher Stelle mit seinen Forderungen durchgesetzt hat, wird selbst im Nachhinein geheim gehalten. Nach wie vor greifen die Duell-Moderatoren die Kandidaten in ihren vorformulierten Fragen zwar hart an, lassen ihnen anschließend jedoch ohne weiteres ausweichende Antworten und falsche Sachdarstellungen durchgehen. Nach wie vor lassen es sich die Sender nicht nehmen, im Anschluss an die Duelle – die vorgeblich der unabhängigen Meinungsbildung der Zuschauer dienen – Diskussionsrunden zu veranstalten, in denen Experten und Laien erklären, wen man für den Sieger halten muss. Nach wie vor werden in diesen Diskussionsrunden von seriösen Umfrageinstituten Zahlen mit fragwürdiger Aussagekraft präsentiert, weil jeder Sender der erste sein möchte, der irgendetwas vorweisen kann. Nach wie vor berichten Tageszeitungen und Fernsehnachrichten in den Tagen nach dem Duell vor allem darüber, wer gewonnen hat, anstatt die wichtigsten Aussagen aus dem Duell wiederzugeben und falsche Aussagen der Kandidaten richtig zu stellen. Fernsehdebatten in Wahlkämpfen sind grundsätzlich dazu geeignet, den Wählern Informationen zu liefern, die ihnen bei ihrer Wahlentscheidung helfen. Sie haben gegenüber anderen Formen der Wahlkampfkommunikation eine ganze Reihe von Vorteilen, die wir in diesem Band mehrfach herausgestellt haben. Damit diese Vorteile zum Tragen kommen, müssen die Duelle professionell organisiert werden. Wir haben bereits anlässlich der Duelle im Wahlkampf 2002 für eine unabhängige Organisation der Duelle plädiert (Maurer/Reinemann 2003: 223ff.). Es scheint, als wären wir davon heute weiter entfernt denn je. Vor
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allem die übertragenden Sender betrachten die Duelle zunehmend als ihr Eigentum, eine unterhaltsame Fernsehsendung mit anschließendem ProminentenPanel und Zuschauerabstimmung, die hohe Einschaltquoten garantiert – sozusagen „Deutschland sucht den Superstar“ mit Politikern – und verkennen dabei deren demokratische Relevanz vollkommen. Auch die beiden großen Parteien haben kaum ein Interesse daran, die Kontrolle über die Organisation abzugeben – womöglich käme eine unabhängige Organisation auf die Idee, auch die kleineren Parteien an der Debatte zu beteiligen. Unsere Befunde zeigen, dass Fernsehdebatten ein erhebliches demokratisches Potenzial besitzen. Sie zeigen außerdem, dass die Zuschauer keine Show-Veranstaltung sehen möchten. Sie wollen vielmehr über die Pläne der Parteien informiert werden. Medien und Politik sollten dies registrieren und entsprechende Konsequenzen ziehen.
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