Jimmy Guterman Sinéad O'Connor Ihr Leben und ihre Musik
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Jimmy Guterman Sinéad O'Connor Ihr Leben und ihre Musik
»Sinéad O'Connor ist genau das, was sie eigenen Aussagen zufolge nicht sein will: ein berühmter Popstar. Ob sie nun einen ihrer Hits vor einem ausverkauften Auditorium singt oder ob sie einem fasziniert lauschenden Reporter ihre streitbaren Ansichten erläutert – ihre Arbeit steht immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit.« (Jimmy Guterman) Sie ist einer der bekanntesten Popstars der 90er Jahre: Sinéad O'Connor. Mit ihrer Ballade »Nothing compares to you« landete sie weltweit einen der sensationellsten Erfolge der letzten Jahre. Und doch galt sie bislang als eher publikumsscheu; als Star, der unter dem Rummel und Klatsch um ihre Person zutiefst leidet. Jimmy Guterman hat es jedoch geschafft – er erzählt die Geschichte der Sinéad mit einer entwaffnenden und oftmals provokanten Offenheit. Ihre Ansichten über Männer, Frauen, Politik, Religion und das Showgeschäft nimmt Guterman akribisch unter die Lupe. Ihr Leben, ihre Überzeugungen und ihre Musik – auf die mit zahlreichen Textbeispielen eingehend eingegangen wird – schließen sich so zu einem feinfühligen Portrait einer der engagiertesten und charismatischstenen Popkünstlerinnen unserer Tage zusammen.
Autor
Jimmy Guterman ist Autor zahlreicher Musikbücher. Zuletzt erschienen von ihm »The Sex Pistols and Amerika« und »The Rolling Stones«.
Jimmy Guterman
Sinéad O'Connor IHR LEBEN UND IHRE MUSIK Aus dem Amerikanischen von Kattrin Stier
GOLDMANN VERLAG
Deutsche Erstveröffentlichung Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Sinéad, Her Live and Music« bei Warner Books, New York
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Berteismann Made in Germany • 11/91 • 1. Auflage ©der Originalausgabe 1991 by Jimmy Guterman © der deutschsprachigen Ausgabe 1991 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: Christine Aliano Belichtung: Compusatz, München Druck: Wenschow, München Verlagsnummer: 41266 Lektorat: Erna Tom / SD Herstellung: Sebastian Strohmaier ISBN 3-442-41266-8
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2002
Für Jane Kokernak
Inhalt
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vorbemerkung des Autors Der dunkelblaue Vogel Irland London The Lion and the Cobra Amerika Kontrolle l Do Not Want What l Haven't Got Superstar Auseinandersetzung
9 11 25 39 49 63 79 91 111 123
Nachwort: Der blaue Vogel fliegt
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Anhang
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(Andrew Macpherson)
Vorbemerkung des Autors Ich weiß nicht, was für Mathe-Noten Sinéad O'Connor hatte, als sie elf war, und es interessiert mich auch nicht, ob sie ihren Sohn als Baby gestillt hat. Diese Art von aufdringlichen Histörchen, die als Enthüllungen daherkommen und dann zusammengenommen die Biographien von Popstars ergeben, gehen uns überhaupt nichts an. Und, was noch wichtiger ist, solche Informationen über eine Person fördern in der Regel weder das Verständnis ihrer Musik noch ihres Kontextes. Die Journalisten sollten sich (und auch die Mühe) nicht scheuen, mehr auf Sinéads Werk zu achten und weniger Tinte auf ihre Haarlänge oder ihren Familienstand zu verschwenden. Was an Sinéad interessant ist, sind weniger ihre privaten Lebensumstände als vielmehr ihre Musik und die damit verbundenen Probleme. Sinéad ist vierundzwanzig und hat erst zwei Alben herausgebracht, aber ihre Musik und ihr Verhalten haben bereits mehr Zündstoff geliefert, als es die meisten Rock and Roll-Sänger in ihrer ganzen Karriere tun. Wie wird man ein Superstar mit bewußt abgehobener, zurückhaltender Musik? Wie erreichen folkloristisch angehauchte Balla-
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den Spitzenplätze in den Charts, wo in unserer Zeit jeder so wild aufs Tanzen ist? Wie wird eine kahlköpfige Frau zum Sexsymbol? All dies sind untersuchenswerte Fragen, die interessanter sind als die Tatsache, ob Sinéad sich selbst die Haare schneidet oder was wirklich zwischen ihr und dem Sänger ihres Vorprogramms, Hugh Harris, gelaufen ist. Allerdings macht es einem Sinéad selbst schwer, ihre Musik isoliert zu betrachten. Auch wenn ihre Songs nicht buchstäblich autobiographisch sind (ein Songschreiber kann keine wahren Erlebnisse verarbeiten, ohne sie zu verändern), so präsentiert sie sie dennoch im übertragenen Sinne autobiographisch. Aus diesem Grund ist es unmöglich, sich genauer mit der Musik zu beschäftigen, ohne dabei auf die Künstlerin zu stoßen. Wenn Sinéad einem Interviewer erzählt: »Alle meine Songs sind autobiographisch«, und hinzufügt: »Wenn ich etwas zur Diskussion stellen will, dann mache ich das in meinen Songs«, so besteht sie selbst darauf, daß wir Rückschlüsse auf ihre Person ziehen, wenn wir ihre Musik hören. Und solange wir das tun, ohne dabei lächerliche Verrenkungen zu machen, können wir schließlich zu einem tieferen Verständnis der Songs und ihrer Interpretin kommen. Es könnte dann sogar noch mehr Spaß machen, Sinéads Platten zu hören. Jimmy Guterman Oktober 1990 In diesem Buch werde ich Sinéad nur bei ihrem Vornamen nennen, da das eher ihrem Selbstverständnis entspricht. Sinéads Musik behandelt die Themen Vertrauen und Nähe, und da würde der Gebrauch ihres Nachnamens unnötige Distanz schaffen.
1 Der dunkelblaue Vogel
Sinead O'Connor ist genau das, was sie eigenen Aussagen zufolge nicht sein will: ein berühmter Popstar. Ob sie nun einen ihrer Hits vor einem ausverkauften Auditorium singt oder ob sie einem fasziniert lauschenden Reporter ihre streitbaren Ansichten erläutert – ihre Arbeit steht immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie lebt ein äußerst exponiertes Leben, auch wenn sie sagt, daß ihr gerade dies nicht gefällt. Wenn sie auf der Bühne steht, versucht Sinéad sich so weit wie möglich den Leuten zu stellen, gleichzeitig bemüht sie sich, ihre Umgebung unter Kontrolle zu halten. Auf der Tournee, die ihrem zweiten, mehrfach mit Platin ausgezeichneten Album l Do Not Want What l Haven't Got (Ich will nichts, was ich nicht habe) folgt, hat sie ein Publikum, das diese Kontrolle erwartet. Sobald die Lichter im Saal ausgehen, wird Sinéad mit Gebrüll begrüßt, das sich stark von dem Getöse unterscheidet, wie es zum Beispiel bei Heavy-Metal-Bands üblich geworden ist, wenn die Roadies die Nebelmaschinen anwerfen. Es ist ein kniffliges Unterfangen, ein Gebrüll charakterisieren zu wollen, aber jeder, der schon öfter in Rockkonzerten war, kann unterscheiden zwischen einem Getöse, das nur als Auftakt dient, und einem wirklich erwartungsvollen Gebrüll. Sinéads Anhänger fühlen sich in der Regel von ihr angezogen, weil sie spüren, daß sie eine echte Persönlichkeit ist, die Gefühle und Erfahrungen beschreibt und besingt, mit denen sie
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sich identifizieren können. Es ist also klar, daß sie losbrüllen: Die ausgehenden Lichter verstärken ihre Verbundenheit mit Sinéad, und sie lechzen nach einem kraftvollen Auftakt. Und den bekommen sie. Während die Bühne noch im Dunkeln bleibt, ertönt Sinéads Stimme vom Band mit dem gesprochenen Anfangsteil von »Feel So Different« (Fühl' mich so anders), dem ersten Stück von der Platte: l Do Not Want What l Haven't Got. Das Gebrüll der Menge steigert sich, als die Erwartung in Erkennen umschlägt, und man hört: »God, grant me the serenity to accept the things l cannot change, the courage to change the things l can, and the wisdom to know the difference.« (Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, den Unterschied zu erkennen.) Synthesizer untermalen ihre Worte. Sinéad spricht ein Gebet, das jedem bekannt ist, der jemals in eine der vielen »Zwölf Schritte zum Heil«-Gruppen geraten ist, die in den 1980er Jahren starken Zulauf hatten. Es gibt also einen Wiedererkennungseffekt auf mehreren Ebenen. Zwei Spots flammen auf und erfassen Sinéad in der Mitte der Bühne. Sie trägt ein enges geblümtes Dress, fast wie einen Badeanzug, der in Shorts übergeht. (Eines der wenigen Outfits, in dem sie in letzter Zeit auf der Bühne erscheint, das nicht weit geschnitten ist.) Sie dreht sich zum Mikrophon und vertieft sich in ihren Song. Das helle Licht betont ihre schlanke Figur ebenso wie ihren kahlen Kopf. Aufgefangen von den Synthesizern, die sich im Verlauf des Songs immer mehr entfalten, ist »Feel So Different« ein Geständnis an ihr Publikum. Für diejenigen, die sich nicht so sehr für Sinéads erste LP The Lion And The Cobra (Der Löwe und die Kobra) erwärmen konnten (und das müssen viele in der Menge sein, da von dieser LP nur knapp ein Fünftel soviel verkauft wurde wie von der nachfolgenden), löst »Feel So Different« auf der Platte wie auch im Konzert ein wahres Hörerlebnis aus. Dieser Song verkündet deutlich, daß etwas Neues mit Sinéad und ihrem Werk passiert, »l am not like l was before« (Ich bin nicht so, wie ich früher war), singt sie langsam und bedächtig, und das
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sind keine leeren Worte eines Rockstars. Dies sind Worte einer reflektierten Künstlerin. Dennoch erhält die Kultfigur Sinéad heute abend ebensoviel Aufmerksamkeit wie die Künstlerin Sinéad. Die kleinste Handbewegung beziehungsweise Steigerung der Lautstärke ruft automatisch euphorisches Kreischen hervor. Wenn sie nur einen ihrer schwarzen Stiefel ein paar Zentimeter bewegt oder die Synthesizermelodie der Keyboarder Mark Taylor und Susan Davis mit einem sanften Hüftschwung unterstreicht, wird sie mit Jubel belohnt, der sie fast übertönt. Sie singt jetzt einen besonders persönlichen Song – ruhig, ohne Schlagzeug, das die Botschaft verstärken könnte –, und doch ist die Lautstärke und Intensität ihres Publikums eher so, wie man sie bei den Playback-Auftritten der New Kids on The Block erwarten könnte. Sinéads Fans äußern oft, daß sie ihnen gefällt, weil sie in ihr eine reizvolle, wenig technisierte Alternative zu videounterstützten Tanznummern wie z. B. von Milli Vanilli oder Paula Abdul finden, aber gerade jetzt bejubeln die Fans eine Kultfigur. Sie kreischen so laut, daß die Musik nicht mehr zu hören ist – sie springen nur noch auf Sinéads Image an, auch wenn es ein Anti-Image ist. »Feel So Different« steigert sich zum Höhepunkt hin. Nachdem sie sich schnell eine akustische Gitarre gegriffen hat, rockt Sinéad los, und das Publikum kommt wieder auf die Beine. Sinéad führt ihre fünfköpfige Band (die zwei Keyboarder, den Gitarristen Marco Pirroni, den Bassisten Dean Garcia sowie den Schlagzeuger David Ruffy) durch eine harte Version von »The Emperor's New Clothes« (Des Kaisers Neue Kleider), ein derb-kräftiger Rocker aus dem neuesten Album, der zugleich als Liebesbotschaft und als Abfuhr aufzufassen ist. Sinéad hüpft über die Bühne, während ihr Gesicht als Dia auf der riesigen Projektionsfläche hinter ihr erscheint. Wieder wird der zurückhaltenden Ehrlichkeit des Songs ein eher aufdringliches Bild entgegengesetzt. Der bewährte Gitarrist Pirroni wirft ein paar kräftige Akkorde ein, die lockerer sein könnten, aber Sinéad singt rauh, ungehobelt, wie ein Punk. Sie geht über die verletzlichen ebenso wie über die herausfordernden Zeilen der gefühlsbetonten Geschichte mit
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gleichbleibender Beharrlichkeit hinweg. Sie starrt geradeaus, spielt ihre Gitarre und singt. Ob Sinéad nun eine Ballade wie »Feel So Different« nur mit Synthesizer oder einen elektrischen Rocker wie »The Emperor's New Clothes« präsentiert, immer bleibt sie hochkonzentriert. Die Menge hat ihr Vergnügen, aber auf der Bühne ist es kaum zu spüren. Dann löst Sinéad die Spannung und versucht, sich selbst und ihr Publikum aufzulockern. Sie legt die Gitarre beiseite und fährt fort mit »l Want Your (Hands On Me)« (Ich will deine Berührung) – einem der wenigen Songs des ersten Albums, der stark genug ist, um neben einem Stück des neuen Albums bestehen zu können, »l Want Your (Hands On Me)« ist als Funkstück zum Abreagieren gedacht, aber obwohl Sinéad Hände und Körper rhythmisch bewegt, während inhaltlich der Song zu rauher, ungezügelter Lust animiert, so ist sie doch nicht auf natürliche Weise funky. Nicht umsonst hat sie die Hilfe eines echten Rappers wie M.C. Lyte in Anspruch genommen, als sie dieses Stück für Tanzclubs neu abgemischt hat. Sinéad streicht mit ihren Händen an ihrem Oberkörper entlang, aufreizend, so wie es die Menge inzwischen von Musikern wie Prince oder Madonna erwartet (und die wiederum haben diese Idee zumindest teilweise von den Minneapolis Dervish übernommen). Sinéad versucht aber nicht, die Bewegungen der Tänzerin Cat Glover (aus der Prince-Truppe zur Zeit von Sign Of The Times) zu imitieren. Ihre fahrigen Bewegungen sind auch zu spontan, als daß man ihr das Etikett der »Madonna der Intellektuellen« anhängen könnte, wie es oberflächliche Rockkritiker getan haben. Im Gegensatz zu Stücken von Prince oder Madonna ist das bewußt Arrangierte nur ein kleiner Teil des sexuellen Aufschreis in Sinéads »l Want Your (Hands On Me)«. Ihre Bewegungen sind ungeprobt und nicht einstudiert; Sinéad stellt ihren Song dar, ohne ihn überzustrapazieren, und die Menge geht mit. Dies ist allerdings nur eine Station der neunzigminütigen Reise, auf die Sinéad ihr Publikum mitnimmt. Sie präsentiert ihre Live-Show auch nicht wie Prince oder Madonna als fortschreitenden Striptease – es sei denn, man wollte diese Show als einen Striptease der
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Gefühle bezeichnen, in dessen Verlauf Sinéad mehr und mehr persönliche Geschichten erzählt. Die folgenden zwei Songs – »Three Babies« und »Black Boys On Mopeds« gehören zu den ruhigsten Aufnahmen auf l Do Not Want What l Haven't Got, und sie zeigen eine Frau, die weit mehr im Sinn hat als den nächsten Beischlaf (während Prince' und Madonnas freie Ansichten letzten Endes doch immer in Sex und Macht gipfeln.) »Three Babies«, ein Song, bei dem Sinéad auf ihrer zwölfsaitigen Akustikgitarre nur von zwei Keyboards unterstützt wird, ist ein andächtiges Lied, das fast religiöse Züge trägt und das zugleich ihren Stimmumfang und die Bandbreite ihrer Anliegen als Texterin deutlich werden läßt. »Three Babies« streift das Thema hart erkämpfter Monogamie und Mutterschaft, und es muß Sinéad heute sehr schwerfallen, diesen Song in jeder Show zu präsentieren. Ein Ozean trennt sie von ihrem dreijährigen Sohn in England; es wurde viel über ihre zweite Trennung von Ehemann (und ehemaligem Schlagzeuger) John Reynolds geschrieben, und die kurze Affäre mit dem Sänger Hugh Harris hat alte Wunden aufgerissen und einige neue hinzugefügt. Es spricht für das Engagement des Songs – und für Sinéads Einsatz –, daß er in keinem Augenblick falsch klingt. Am Ende der letzten Strophe ist Sinéad außer Atem, aber sobald sie aufhört zu singen, fangen die Fans an zu rufen. Die Keyboards drehen auf, die bewundernde Menge jubelt, und das kurze Lächeln, bevor sich Sinéad vom Publikum abwendet, zeigt, daß ihr eine solche Verehrung wohl ein wenig peinlich ist. »Black Boys On Mopeds« zeigt der Menge, daß Sinéad auch in ihren ruhigsten Songs durchaus bissig sein kann. Es ist das bitterste Stück auf l Do Not Want What l Haven't Got (und das will was heißen, wenn man »The Last Day of Our Acquaintance« – Der letzte Tag unserer Freundschaft- und »You Cause as Much Sorrow« – Du bereitest so viel Kummer – betrachtet); es ist aber auch das vielschichtigste der Stücke. Voll bewußter Übersteigerung und Übertreibung, die eher aus durchdachter Erfahrung zu sprechen scheint, als aus den übernommenen Glaubensgrundsätzen, die manchmal The Lion and the Cobra prägten, beschreibt »Black Boys On Mopeds« den sinnlosen Mord an einem jungen Mann und
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erweitert die Geschichte dann zu einer Anklage der Mißstände in Margret Thatchers England. Das Arrangement ist stark ausgedünnt, nur Sinéad an der Gitarre und der Keyboarder Davis, der auf einer zweiten akustischen Gitarre zusätzliche Akkorde spielt. Die Menge weiß mit diesem ruhigen, bedächtigen Song nur wenig anzufangen. Der aus dem Publikum kommende Lärm unterscheidet sich stark von der üblichen Unruhe bei einem Rockkonzert während langsamer Songs, aber er droht dennoch, die völlig vertiefte Sängerin zu übertönen. Diejenigen allerdings, die genau zuhören, können ein paar Zeilen aufschnappen, die den Kern von Sinéads Musik offenlegen. Sinéad beschreibt, wie eine junge Mutter draußen in der Kälte um fünf Uhr früh die Abfallhaufen der vergangenen Nacht vor einem Restaurant nach Essen durchwühlt. Sie fügt hinzu »in her arms she holds three cold babies« (in ihren Armen hält sie drei kalte Babys). Das ist eine lebendige, prägnante Zeile, die sich direkt auf die »Three Babies« des gerade verklungenen Songs bezieht und (selbst wenn sich Sinéad dessen nicht bewußt ist) auf Dorothea Langes Foto von 1936, das eine von der Wirtschaftskrise gebeutelte »Migrant Mother« (nichtseßhafte Mutter) in Nipomo, Kalifornien, zeigt, die mit letzter Kraft versucht, für ihre drei hungrigen, schmutzigen Kinder zu sorgen. Dies ist für Sinéad aber keine heuchlerische Anspielung, mit der sie sich selbst in den Mittelpunkt rücken will; sie gibt vielmehr eine unverfälschte Beschreibung, die durch ihre Einfachheit nur noch betroffener macht. Im Refrain legt Sinéad ihre Seele bloß, wenn sie singt: »England's not the mythical land of Madame George and roses« (England ist nicht das legendäre Land der Madame George und der Rosen). Diese Worte sollen das gute alte England entmythologisieren, aber sie zeigen auch, wie tief Sinéad in ganz andere Mythen eingetaucht ist, die zum Teil von ihrem Landsmann, dem irischen Soulsänger und Mystiker Van Morrison, stammen. Ein Song, der sich »Madame George« nennt, ist das zentrale Stück auf Morrisons Album Astral Weeks von 1968. Es ist einer der Grundpfeiler für Morrisons Ruf als ein Künstler, der Ray Charles und William Butler Yeats in einem einzigen gesungenen oder gedichteten Erguß zusammenfassen und übertreffen
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kann. Obwohl Sinéads Musik so wurzellos und originell ist wie alles in der heutigen Popmusik, ist auch sie beeinflußt worden. Und die Möglichkeiten, die Van Morrisons kompromißlose Liederzyklen bieten, sind ohne Zweifel ein wichtiger Einfluß. »Black Boys On Mopeds« endet mit einem wortlosen Stöhnen, das im Kreischen der Fans untergeht. Es sind persönliche Songs, die Sinéad heute abend singt, auch wenn sie nicht ganz so autobiographisch sind, wie es einige ihrer Fans und Kritiker gerne versichern, wenn sie auf ihre Vertrautheit mit dieser Künstlerin, deren Werk intimer ist als manche Freundschaft, hinweisen. Sinéads Songs klingen wie Geschichten, die in einem Kaffeehaus oder einem Wohnzimmer erzählt werden sollten und nicht in einer ausverkauften Halle mit achttausend lärmenden, mitsingenden Ohrenzeugen, die an ihren Lippen hängen. Sinéad selbst bleiben die hörbaren Störungen während ihrer Songs erspart – anstatt über eine laute Monitoranlage hört sie sich und ihre Band über Kopfhörer – aber zwischen den Songs lächelt sie und scheint sich als Anbetungsobjekt ihrer Fans unwohl zu fühlen. »Ich bin der langweiligste Mensch auf der Welt«, sagt sie leise, nachdem sie »Black Boys On Mopeds« beendet hat. »Deswegen kann ich nur vielen Dank sagen.« Die Begeisterung steigert sich noch um einige Dezibel. Allein in der Mitte der großen Bühne singt Sinéad »Jackie«, den ersten Song ihrer ersten Platte. Die Darbietung heute abend ist überzeugend, obwohl der Song nichts Besonderes ist; mehr als alles andere zeigt er, wie sehr sich die Texterin Sinéad zwischen ihrem ersten und zweiten Album entwickelt hat. Verspaare wie »Jackie's gone/She's lost in the rain« (Jackie ist fort, sie hat sich im Regen verlaufen) klingen, als suche sie nach einem streunenden Cockerspaniel. Da fast eine Million Exemplare von The Lion and the Cobra verkauft wurden, führt kein Weg daran vorbei, daß Sinéad auch Teile daraus spielt, aber mit Ausnahme von »l Want Your (Hands On Me)« und »Madinka« (dem Gitarrenfresser, mit dem sie ihre Auftritte beendet) kann keines der Stücke von der früheren Platte mit ihren neueren, persönlicheren, glaubwürdigeren Songs mithalten. Dennoch wird die Songschreiberin Sinéad
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heute abend von der Sängerin Sinéad übertroffen; zumindest nimmt das Publikum an, daß sie glaubt, was sie singt. Und weil die Präsentation von Rocksongs wichtiger ist als ihr Inhalt, kann Sinéad bestehen. »Jackie« ist ein verhältnismäßig kurzer Song, und das Folgende löscht die Schwächen dieses Songs aus dem Gedächtnis. Ein Roadie stellt ein Tonbandgerät neben Sinéad, die noch immer allein auf der Bühne ist, und sie schaltet es ein. Es folgt ein Höhepunkt der Show: »l Am Stretched on Your Grave« (Ich liege auf deinem Grab), ein makaberes Gedicht von Frank O'Connor (kein Verwandter von Sinéad), dem Sinéad O'Connor einen Schlagzeugrhythmus aus James Browns vielkopiertem Hit »Funky Drummer« aus dem Jahre 1970 unterlegt hat. Das Gedicht ist ein Beispiel klassischer irischer Schauerliteratur – der Erzähler lebt ein scheinbar normales Leben, verbringt aber in Wirklichkeit seine Nächte ausgestreckt auf der letzten Ruhestätte einer Jugendliebe. Solche Gefühle scheinen einer Kennerin der Romantik wie Sinéad geradezu auf den Leib geschrieben. So seltsam die Verbindung eines irischen Gedichts mit afroamerikanischen Rhythmen zunächst erscheinen mag, ist sie doch harmonisch. Das Werk von James Browns Schlagzeuger Clyde Stubblefield ist, wie treue Anhänger dieses Vaters des Soul wissen, formbar genug, um so ziemlich alles aufnehmen zu können. Zum ersten Mal in dieser Show steht die Menge nicht nur auf und wiegt sich im Rhythmus, sondern die Menge tanzt. Der rein instrumentale Schlußteil von »l Am Stretched on Your Grave« ist, verstärkt durch eine Geige vom Band, langgezogen (ein Charakteristikum vieler Songs auf l Do Not Want What l Haven't Got), und Sinéad will sich hier offensichtlich ihren Fans anschließen und sich nicht nur wiegen, sondern sich wirklich bewegen. Sie ist keine besonders gute Tänzerin, wie »l Want Your (Hands On Me)« vor ein paar Minuten gezeigt hat, aber der Rhythmus von »l Am Stretched on Your Grave« ist so mitreißend, daß auch sie davon erfaßt wird. Sinéad zeigt eine Art Volkstanz mit Elementen eines Militärmarsches. Sie ist zwar nicht Paula Abdul, aber keinesfalls wird sie sich wie eine Folksängerin auf ihr Hockerchen setzen und ihre
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akustische Gitarre zupfen, während Stubblefields unvergleichlicher Beat die Nachtluft erfüllt. Sinéads Musik entwickelte sich aus der Tradition der amerikanischen und britischen Folkmusik – bei ihren ersten Auftritten trällerte sie Lieder aus Bob Dylans Comeback-Zeit, doch dabei handelt es sich nur um erste Vorbilder und keine Wurzeln, denen sie nachhaltig verbunden bleibt. Folkmusik ist nur eine Klangrichtung für Sinéad, ein eher zufälliger Ausgangspunkt. Heutzutage hört sie oft und gerne den harten Rap von Public Enemy und N.W.A. (Niggas with Attitude; Sinéad trägt manchmal ein P.W.A.-T-Shirt: Paddy with Attitude*). In ihrer Bearbeitung des Frank O'Connor Gedichts vereint Sinéad die unvereinbaren Welten von zurückgezogener, poetischer Folkmusik und hartem, beat-besessenem Rap. Eine solche Verbindung ist der eindeutige Höhepunkt des Abends, was allerdings nicht bedeutet, daß derjenige, der nun den Saal verläßt, nicht etwas Wunderbares verpaßt. Die verbleibenden Darbietungen sind trotz der Unbekümmertheit so eindrucksvoll, daß sie jedem in der Menge noch tagelang im Kopf herumspuken werden. Dazu kommt, daß alle Instrumente live gespielt werden, was mittlerweile bei großen Shows schon ungewöhnlich ist. Diese Songs haben mehr Leben als es jede PlaybackAufnahme jemals haben wird. »The Last Day of Our Acquaintance« ist verletzlich und aufmüpfig zugleich; »Jump in the River« (Spring in den Fluß) ist ein dissonanter Knalleffekt; »Madinka« ist ein noch spannungsgeladenerer Rocker, bei dem Pirronis Gitarre schließlich der Durchbruch gelingt; und »Troy« (Troja), von Sinéad allein auf ihrer zwölfsaitigen Akustikgitarre als Zugabe gespielt, ist ein bitterer Segen, der die Menge zum Schweigen bringt. Eine solche Ruhe ist selten. Der lauteste Aufschrei des Abends ist dem Auftakt von »Nothing Compares 2 U« (Du bist unvergleichlich) vorbehalten, einem kurzlebigen Song von Prince, den Sinéad neu interpretierte und in achtzehn Ländern erfolgreich auf den ersten Platz brachte. In einer Zeit der Power-Balladen – in der '»Niggas with Attitude« bedeutet» Nigger mit Haltung«. »Paddy« ist ein Spitzname für einen Iren.
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Hardrock-Gruppen wie Poison und Skid Row mehr Schlaflied-Hits landen können als gemäßigte Schnulzensänger wie Kenny Rogers oder Lionel Ritchie – ist Sinéads »Nothing Compares 2 U« eine anregende Wiederbelebung dessen, was heutzutage selten geworden ist: die große, geradlinige Rock and Roll-Ballade, die weder ein schmalziger Schlager noch ein verlangsamter HeavyMetal-Stöhner ist. Auf der Bühne erweitert Sinéad dieses Lied, das eine unglückliche Liebe besingt, und obwohl ihre fünfköpfige Band das ganze Stück hindurch gedämpft bleibt, strebt Sinéads stimmliches Feuerwerk dem explosiven Gitarrenspektakel in »Layla«, dem Rock-Meilenstein der unglücklichen Liebe von Derek and the Dominoes, nach. Sinéad ist durch und durch professionell – jede noch so kleine Nuance ihres Gesangs ist wohlüberlegt – und dennoch ist die Hingabe, mit der sie an »Nothing Compares 2 U« herangeht, nicht die einer professionellen Sängerin, die mit einem Repertoire von manipulierenden Effekten arbeitet. Wie bei Eric Clapton und Duane Allman hat man auch bei Sinéad und »Nothing Compares 2 U« das Gefühl, daß sie nur fühlt und nicht denkt. Die gekonnt präsentierte Nähe zur Sache macht die Wirkung dieser Ballade aus, die Millionen direkt angesprochen hat. Überhaupt ist diese Direktheit einer der grundlegenden Aspekte von Sinéads Wirkung. Man muß in der Regel nicht viel von ihrer Musik gehört haben, um sich ein Bild machen zu können: Entweder man ist begeistert oder man wendet sich ab. Eine solche, fast augenblicklich entstehende Verbindung zwischen Künstler und Fan ist in einer Zeit der engstirnigen Rundfunkprogramme und der Berieselung mit Musikvideos, in denen das Publikum nicht nur gesagt bekommt, was es zu hören hat, sondern auch durch visuelle Hinweise in seiner Interpretation des Gehörten gelenkt wird, fast unmöglich geworden. Sinéads zweites Album war ein völlig unerwarteter Erfolg, l Do Not Want What l Haven't Got war sechs Wochen lang die Nummer eins und schaffte den Sprung an die Spitze der Billboard LP-Hitliste in nur drei Wochen. »Nothing Compares 2 U«, das einen Monat an der Spitze blieb, erreicht diese Position in nur vier Wochen. Eine solche Geschwindigkeit ist sonst nur bei Superstars zu erwarten, die
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bereits eine riesige Fangemeinde haben. Aber viele haben »Nothing Compares 2 U« nur einmal auf Platte gehört oder als Video gesehen und sind zu Fans geworden, ohne lang zu fragen. Angeblich kommt so etwas in der heutigen Plattenindustrie nicht vor, die stolz auf die vorsichtige Lenkung der Geschicke ihrer Musiker ist. Zum Vergleich: Der Musiker, der nach Sinéad die Charts anführte, gelangte auf dem üblicheren Weg dorthin, d.h. durch kluges Marketing, Präsenz in den Medien und einen gerade ausreichend vertrauten Klang. Der Erfolg von M.C. Hammers Please Hammer Don't Hurt 'Em- Album und der Single »U Can't Touch This« – ein Rap über der Rhythmus-Spur von Rick James' 1981er Hit »Super Freak« – haben den Weg an die Spitze erst vier Monate nach ihrem Erscheinen geschafft. So sollte es nach Meinung der Verantwortlichen, der Programmacher und der Werbeleute immer funktionieren. Aber Sinéad ist anders. Weil sie sich in kürzester Zeit die Treue eines Käuferpublikums erworben hat, das zu groß ist, als daß es von den Plattenfirmen ignoriert werden könnte, kann sie sich ein Verhalten erlauben, wie es sonst nicht einmal Künstler können, die mehr Platten verkaufen. Es mag widersprüchlich erscheinen, aber Sinéad nutzt diesen Vorteil, um die Aufmerksamkeit stärker auf ihr Werk zu lenken und nicht auf ihr Gesicht. Fans, die zu Rockkonzerten gehen, sind nicht nur bereit, mehr als zwanzig Dollar für eine Karte auszugeben, sondern kaufen dazu noch die angebotenen Werbeartikel der Künstler, wie T-Shirts und Programme. Auch Sinéad bietet Zeug an, allerdings mit einem Unterschied. Keines der vielen verschiedenen T-Shirts und Sweatshirts trägt ihr Bild; viele tragen noch nicht einmal ihren Namen. Im Titelsong von l Do Not Want What l Haven't Got singt sie: »l saw a navy blue bird/Flying way above the sea/l walked on and l learned later/That this navy bird was me« (Ich sah einen dunkelblauen Vogel/Der flog hoch über dem Meer/Ich ging weiter und erfuhr später/Dieser dunkelblaue Vogel war ich selbst). Und so ist auf vielen der T-Shirts ein dunkelblauer Vogel zu sehen. Die T-Shirts sind geheime Mitgliedsausweise; nur Fans verstehen, was dieser Vogel bedeutet.
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Sinéad kann gefühllose Witze über die Kürze ihres Haares und abfällig chauvinistische Bemerkungen über ihr ziemlich offenes Benehmen gut wegstecken. In Interviews gibt sie nur die Informationen preis, die sie für notwendig hält. Und schnell lenkt sie von Themen ab, die ihr nicht behagen, was mitunter extreme Formen annimmt. Früher hat Sinéad Interviews selbst mitgeschnitten, um sich später gegen die erwarteten falschen Zitate wehren zu können, und während eines Fernsehinterviews mit dem amerikanischen Nachrichtenliebling Maria Shriver untersagte sie einem Kameramann, ständig ihre Stiefel zu filmen. (Diese Anweisung wurde sogar mit ausgestrahlt.) Sinéad möchte schon gerne ein Popstar sein, aber sie hat immer darauf bestanden, es auf ihre eigene Weise zu werden, und legt Wert darauf, es auf ihre eigene Weise zu bleiben.
2 Irland
Ist das eine Perücke unter der Mütze? (London Features International)
Nach
eigener Aussage war Sinéad schon immer so wie sie heute ist: dickköpfig, aufsässig, weder willens noch in der Lage, sich anzupassen. Sie wurde in Glenageary, einem Arbeiterviertel von Dublin, am 8. Dezember 1966 geboren und sollte eine unglückliche Kindheit in Irland verleben (als Mitglied einer Religionsgemeinschaft, deren Glauben sie als unterdrückend und sexistisch empfand), wo Ehescheidungen nicht erlaubt waren. Sinéad wuchs als drittes der vier Kinder von John und Marie O'Connor auf. Vorsichtig und ängstlich beobachtete sie die Überreste einer Ehe, deren Zerfall schon vor ihrer Geburt begonnen hatte. John O'Connor war Ingenieur (später wandte er sich der Juristerei zu), und Marie war vor ihrer Hochzeit Schneiderin gewesen. Sie hatten jung geheiratet, zu jung, wie sie beide rückblickend feststellten. Und Sinéad, ihre zwei Brüder und ihre Schwester verbrachten ihre Kindheit in einem Zuhause, in dem Streit, Ärger und bedrückendes Schweigen an der Tagesordnung waren. Allem Anschein nach hatte Marie das Gefühl, in der Beziehung zu erstikken. Sie fühlte sich durch die Aufgaben in der Ehe und mit den Kindern einer echten beruflichen Karriere beraubt. Da Marie und John als gute Katholiken jedoch an der Unauflösbarkeit der Ehe festhielten, führte dies schließlich zu einem unbehaglichen Dahinleben, das manchmal in Gewaltausbrüchen gipfelte. (Bei Interviews spricht Sinéad oft von einer Kindheit, die von nicht näher
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bezeichnetem »Mißbrauch« überschattet war.) 1975 trennten sich John und Marie endgültig (als irische Katholiken konnten sie sich nicht scheiden lassen), und während der folgenden fünf Jahre lebte Sinéad die meiste Zeit bei ihrer Mutter. Mit dreizehn begann Sinéad das zu tun, was die meisten Dreizehnjährigen tun, ob sie nun ein glückliches Zuhause haben oder nicht: Sie lehnte sich auf. Sinéad hat einmal gesagt, daß die fünf Jahre im Haus ihrer Mutter dunkel und größtenteils freudlos waren, und mit dreizehn zog sie zu ihrem Vater zurück. Während der folgenden Jahre sah sie ihre Mutter nur selten, zum letzten Mal mehr als ein Jahr bevor die Mutter 1985 mit dem Auto tödlich verunglückte. Es ist weder weit hergeholt noch aufdringlich anzunehmen, daß der Mangel an Rückhalt in einer so wichtigen Lebensbeziehung Sinéads Werk durchdringt, und auch die Künstlerin selbst hat das eingestanden. The Lion and the Cobra ist Marie O'Connor gewidmet; vielleicht der Gerechtigkeit halber widmete Sinéad l Do Not Want What l Haven't Got ihrem Vater, allerdings mit wesentlich wärmeren Worten. Es scheint, als habe John O'Connor die Zügel wesentlich lockerer gehalten als seine Frau. Wieder reagierte Sinéad wie alle anderen Jugendlichen auch: Sie probierte aus, wie weit sie gehen konnte, ohne zurückgepfiffen zu werden. Sie schwänzte so oft die Schule, daß man sie im Schulsekretariat als Bummlerin registrierte; anstatt zur Schule zu gehen, durchstreifte sie Dublin und spielte Videospiele. Sie finanzierte ihre regelmäßigen Space-Invaders-Eskapaden mit dem Geld, das sie aus der Brieftasche ihres Vater mitgehen ließ. Nachdem man ihr dieses kleine Vergehen hatte durchgehen lassen, fing sie an, auch Kleider und Parfüm zu klauen, so lange, bis sie geschnappt wurde, als sie versuchte, sich mit einem Paar unbezahlter Schuhe aus einem Laden zu schleichen. Sinéads Verstöße gegen das Gesetz waren äußerst geringfügig, wenn man bedenkt, in welch unschöne Situationen ein junger Teenager geraten kann. Sinéad, ihre Interviewer und ihre Fans würden ihre Herkunft gerne so stilisieren, daß sie an Dickens Roman Schwere Zeiten erinnert, aber eine solche Legendenbildung durch andere
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zeigt nur, daß sich keiner daran erinnert, wie es mit dreizehn wirklich war. Trotz allem hielt John O'Connor es aber schließlich für notwendig, daß seine Tochter Zucht und Ordnung lernte. Sinéad wanderte nun von einer strengen Schule zur nächsten, darunter auch das Internat Mayfield College in Drumcoda, bis sie schließlich in der Newton School in Waterford, einige Autostunden südlich von Dublin, zur Ruhe kam. Sinéad betont auch heute noch, daß es schwierige Jahre des Eingesperrtseins für sie waren. (Immer noch spricht sie mit Hohn über die Dominikanerinnen, die in Blackrocks Sion Hill School über ihre Seele wachten.) Aber es war auch eine Zeit, in der sie sich darüber klar wurde, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. In ihrem Schlafraum spielte sie Gitarre, und allmählich machte ihr das Singen und auch Schreiben erster Songs immer mehr Spaß (einige davon singt sie bis heute); gleichzeitig war ihre Musik aber auch Trost. Die Entwicklung verlief nur langsam, wurde aber durch den Mangel an anderen Zerstreuungen begünstigt. Schließlich führte Sinéad ein Klosterleben. Es überrascht nicht, daß dieser Abschnitt in Sinéads Leben auch durch ungeheure Zweifel an der institutionalisierten Religion gekennzeichnet war. Mark Cooper von O erzählte sie: »Wenn man in Irland aufwächst, möchte man so sein wie die Jungfrau Maria. Irische Frauen werden dazu erzogen, zu der Mutter Gottes aufzuschauen, und sie sind fixiert auf Reinheit und Keuschheit.« Die Tatsache, daß ihrem Wunsch nach künstlerischer Ausdrucksmöglichkeit die emotionale Unterdrückung (oder das Gefühl einer emotionalen Unterdrückung) durch die Nonnen, in deren Obhut sie sich befand, gegenüberstand, stürzte Sinéad in noch größere Verwirrung, als sie vor ihrem Eintritt in die betreffenden Anstalten bestanden hatte. Es gab aber auch Lehrer, die ihre aufkeimenden Talente förderten, und Sinéad hat sich nie völlig von ihrer religiösen Erziehung gelöst. Niemand hat den religiösen und spirituellen Qualitäten ihres Werks mehr Aufmerksamkeit geschenkt als sie selbst. Obwohl sie die institutionalisierte Religion ablehnt, beschäftigt sie sich oft
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damit. Sie erzählte SPIN, daß sie als Kind fasziniert war von der Hl. Bernadette und deswegen Nonne werden wollte. Sinéads erster Druchbruch kam, als eine ihrer Lehrerinnen von Mayfield sie bat, bei ihrer Hochzeit zu singen. Sinéad trällerte eine Version von »Evergreen«, Barbara Streisands Hit in Ein neuer Stern am Himmel, einem Film, dessen Hauptanliegen der Rock and Roll sein soll. (Sinéad war ein großer Fan der Musicals von Barbara Streisand.) Sinéads Darbietung dieses Lieds wäre nur ein kleiner Schritt in ihrer Entwicklung gewesen – das erste Mal vor vielen Leuten zu singen und so weiter – wenn nicht der Bruder der Braut, Paul Byrne, der Schlagzeuger der Band In Tua Nua gewesen wäre. Schnell wurden Byrne und Sinéad Freunde, und schließlich half Sinéad dabei, »Take my Hand« (Nimm meine Hand), die erste Single der Gruppe, zu schreiben. Mehr als sechs Jahre später klingt diese seltene Aufnahme (Sinéads nachfolgende Entwicklung zum Superstar hat aus der 45er Island-Records-Scheibe so etwas wie ein Sammlerobjekt gemacht) wie eine farblose, aber vielversprechende Komposition, die nicht mehr als die minimale Aufmerksamkeit verdient, die sie damals erhielt. »Take My Hand« ist durchaus gefälliger Folk-Rock, der aber keineswegs die Energie oder – was noch wichtiger ist – die Erfahrung der späteren Werke Sinéads bietet. Bestenfalls kann man ihn als den Sound eines jungen Talents, das gerade anfängt, seinen Weg zu finden, bezeichnen. Gar nicht so schlecht für eine Fünfzehnjährige, die noch ein Jahr zuvor keinerlei Richtung in ihrem Leben hatte. Frühe Aufnahmen sind oft der sicherste Hinweis auf die musikalischen Wurzeln eines Künstlers, aber wer danach in »Take My Hand« sucht, wird enttäuscht werden. Dieser Folk-Rock ist so arttypisch, daß er sich aus so verschiedenen Quellen wie Richard Thompsons bedrohlich schwindelerregender Musik und den eher sparsamen Äußerungen einer Joni Mitchell speisen könnte, womit dieses Gebiet praktisch abgedeckt ist. Sinéad und In Tua Nua sind nur zwei Namen in der irischen Rockmusik, bei denen eine solche detektivische Suche nach dem Ursprung ihrer Ideen ohne Erfolg bleibt. Eine Musikerin mit Sinéads Talent kann gar nicht umhin, wirklich originell zu sein. (Noch einmal zurück zu dem Artikel in SPIN:
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Der Interviewer schreibt, er habe Sinéad Patti Smith's »Piss Factory« und Richard Heils »Blank Generation« vorgespielt, die ihr beide nicht gefielen, ebenso wie die New York Dolls, von denen sie noch nie gehört hatte. Soviel also zu ihren angeblichen Wurzeln in der New Yorker Punkszene.) Der Mangel an deutlichen Einflüssen auf die Musik von In Tua Nua läßt sich auf eine für den irischen Rock and Roll grundlegende Eigenschaft zurückführen, seine fast unverschämte – und notwendige – Wurzellosigkeit. Diese Wurzellosigkeit ist ein entscheidendes Element der Rock and Roll-Szene eines jeden Landes mit Ausnahme der USA, wo Wurzellosigkeit mit Opportunismus und Faulheit gleichgesetzt wird. Rock and Roll ist aus allen amerikanischen Musikformen heraus entstanden, insbesondere aus Country- und Westernmusik, aus dem Country- und City-Blues sowie aus den Gospels der Schwarzen. (Alle diese Formen, die den Rock beeinflußt haben, lassen sich letztendlich bis nach Afrika zurückverfolgen, aber der Rock and Roll seit 1954 bezieht sich eher direkt auf seine amerikanischen Vorläufer.) Zuweilen versuchen die Briten, die amerikanischen Rundfunkprogramme mit eigenen Produktionen zu überrollen, indem sie den amerikanischen Hörern neue Sounds britischer Bands präsentieren, die allerdings fast immer nach amerikanischem Muster gestrickt sind. In den frühen l980er Jahren war die interessanteste und auch eine der erfolgreichsten unter den britischen Bands, die die US-Hitlisten stürmten, die Band Culture Club, ein Quartett, das eine Unmenge von Formen des Rock und Soul der 1960er Jahre (besonders die von Motown Records) wiederbelebte. Sicherlich hat den amerikanischen Hörern die Musik gefallen, aber gleichzeitig waren alle fasziniert vom Sänger der Gruppe, Boy George, einem hochgewachsenen Transvestiten mit Rasta-Frisur, der sogar Joan Rivers ausstechen konnte. Alle britischen Bands (und das gilt auch für alle anderen Bands außerhalb der Vereinigten Staaten) verwenden, wissentlich oder unwissentlich, musikalische Mittel, die der amerikanische Süden hervorgebracht hat. Wenn ein Musiker behauptet, seine Wurzeln lägen bei den Anfängen der britischen Bands, den Beatles oder den Rolling Stones, dann ist es mehr als
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wahrscheinlich, daß er oder sie in Wirklichkeit auf etwas zurückgreift, das durch die Beatles oder Stones herausgefiltert wurde. Eines der markantesten Beispiele der erwähnten Wurzellosigkeit ist U2, die bekannteste aller irischen Rockbands, deren visionäre und bombastische Tendenzen eine Zeitlang ein wichtiger Einfluß für Sinéad waren. Zur Zeit, als die Sammlung Rattle and Hum von U2 herauskam (als Nachfolger von The Joshua Tree, einer Platte, die alle Rekorde brach), wurde oft behauptet, diese Schallplatte und der gleichnamige Film handelten von der »Suche nach den Wurzeln« der Gruppe. (Viel von diesem Gerede wurde mittels Anzeigen und Werbematerial des Films verbreitet. Man muß also davon ausgehen, daß man dem Publikum genau das vermitteln wollte.) Rattle and Hum war das sechste Album des Quartetts (das achte, wenn man die Maxi-Singles mit Liveaufnahmen mitzählt); es scheint absurd, daß sich die Gruppe nach mehr als acht gemeinsamen Jahren auf einmal dazu entschließen sollte, ihre Wurzeln zu entdecken. Irische Bands wie U2 zeichnen sich vielmehr durch die fremden Wurzeln aus, die sie für sich beanspruchen. Da es keine echten irischen Rock and Roll-Wurzeln gibt (einzige Ausnahme: Van Morrisons Gruppe Them, die einen unvergleichlichen, düsteren irischen Bluesrock spielte – vergleichbar der britischen Mischung der frühen Rolling Stones), müssen irische Rockbands im Ausland nach einer Tradition suchen, die ihnen gefällt. U2 begann 1980 mit dem phantastischen Boy, das auf so unterschiedliche Vorbilder wie Led Zeppelin und die Sex Pistols zurückgreift, jede auf ihre Weise eine grundlegende britische Rock and Roll-Band, die amerikanische Formen verarbeitete. Die U2 ertasteten sich in der Folge ihren Weg durch verschiedenste Stilrichtungen, von denen einige vielversprechend (so 1983 der präzise, durchdachte Rock von War) und andere verwirrend waren (wie die unklaren Art-Rock-Posen von The Unforgettable Fire, das im folgenden Jahr erschien). Als der U2-Sänger Bono (alias Paul Hewson) das Lied mit dem Titel »l Still Haven't Found What l'm Looking For« (Ich hab' noch immer nicht das gefunden, was ich suche) sang, waren damit nicht nur geistige Anliegen gemeint.
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Aber mit Rattle and Hum begab sich U2, wie viele nicht-amerikanische Rockbands vor ihnen, in den Vereinigten Staaten auf die Suche nach ihren »Wurzeln«. Sie nahmen mehrere Stücke im Sun Studio in Memphis, Tennessee, auf, in der Heimat von Howlin' Wolf, Roy Orbison, Charlie Rich, Roscoe, Gordon und des millionenschweren Quartetts Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Carl Perkins und Johnny Cash. Hier, bei Sun, wurden die U2 von den Bläsern begleitet, die auch hinter den vielen wunderbaren Soul-Hits von Stax in den 60er und frühen 70er Jahren standen. Unter den Sun-Einspielungen der U2 finden sich auch ein Duett mit der Bluesgröße B.B. King und eine Hommage an die Sängerin Billie Holiday über Akkordwechsel, die aus Bob Dylans »Like a Rolling Stone« geklaut waren. (Dylan erscheint auf dieser Doppel-LP immer wieder als ein verehrter, wenn auch überholter Bezugspunkt der Gruppe.) Die U2 strebten nach einer »Ehrlichkeit«, wie sie bei den Musikern zu spüren war, die sie als ihre Vorläufer betrachteten. Und sie hofften auf ähnliche Erfolge, indem sie an denselben Orten wie einige dieser Leute Aufnahmen machten. Die genannten Quellen – wie Sun, Stax, Dylan und der amerikanische Electric-Urban-Blues – sind nicht nur weit entfernt von dem meist großen Klang der U2, sondern sie sind fast ebensoweit entfernt von den ursprünglichen Vorbildern der U2. Die U2 sind Fans dieser verschiedenen Repräsentanten der amerikanischen Musik, und manchmal sind sie dabei intelligent und respektvoll genug, die übernommenen Formen gut zu verarbeiten. Aber die Entscheidung der U2, »amerikanische Musik« zu machen, war ein bewußter Schritt und keine natürliche Reaktion auf das, was sie in ihrer heimatlichen Umgebung gehört hatten. Sie fühlten sich durch diese sehr unterschiedlichen Formen angezogen, nachdem sie den größten Teil eines Jahrzehnts auf der Straße verbracht hatten, und popularisierten sie. Rock and Roll-Bands verbringen viel – vielleicht sogar zu viel – Zeit damit, von Stadt zu Stadt zu reisen. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich in dieser physischen Wurzellosigkeit vieler Bands (besonders bei den irischen, die ins Ausland gehen müssen, wenn sie für mehr als eine Woche auf Tour gehen wollen) eine musikalische Wurzellosigkeit spiegelt.
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Dieselbe Wurzellosigkeit findet sich auch bei anderen irischen Bands, die in den letzten Jahren von sich reden gemacht haben. Irlands wichtigste Punk-Bands (Stiff Little Fingers, That Petrol Emotion) haben nichts spezifisch Irisches als Kennzeichen ihrer Musik, und sogar bemerkenswertere Bands (wie Thin Lizzy) und weniger bemerkenswerte (wie die Boomtown Rats) haben sich entscheidende Anregungen aus Großbritannien und letztendlich aus den USA geholt. Die Pogues übernehmen Elemente irischer Musik aus der Zeit vor dem Rock und bauschen sie bis zur Lächerlichkeit auf; Clanna, Steeleye Soan und die Chieftains umgehen diese Frage, indem sie die Popmusik gänzlich vermeiden und sich auf die traditionellen Formen stützen. Was ein großer irischer Künstler leisten kann, zeigt sich an der Karriere eines Van Morrison. Dieser Musiker ist Sinéads deutlichster – vielleicht einziger – irischer Vorläufer. Mitte der 60er Jahre leitete Morrison die in Belfast beheimatete Gruppe Them, eine am Blues orientierte Band, die mit ebensolcher Begeisterung spielte wie die frühen Rolling Stones und, zumindest auf Platte, sogar noch wilder klang. Ihr Markenzeichen »Gloria« wurde zu recht zu einem RockKlassiker, und solche Musik setzte den Maßstab, an dem sich alle anderen irischer Bands messen lassen müssen. Als die Gruppe Them auseinanderging, zog Morrison in die Vereinigten Staaten und nahm hier eine Reihe von großartigen Schallplatten auf, die den keltischen Soul (und die keltische Seele) mit amerikanischem Pop verbanden. Schließlich ging er wieder zurück nach Irland, aber seine bedeutendsten Studioaufnahmen für Warner Brothers – Astral Weeks (1968), Moondance (1970), Tupelo Honey (1971), St. Dominic's Preview (1972), Veedon Fleece (1974) und Into the Musik (1979) – veranschaulichen die Spannung zwischen Morrisons tiefer Verwurzelung in der irischen Kunst (William Butler Yeats und James Joyce sind eindeutige Quellen) und seiner ungezügelten Liebe zur amerikanischen Musik (ganz besonders zu Bob Dylans Band und Basement Tapes-Zeit). Was Morrison hervorbrachte war keine Mischung (wie es bei U2 und vielen anderen der Fall ist), sondern etwas völlig Neues – und unverkennbar Irisches. Sinéad und Bono von U2 sind zwei der
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vielen irischen Musiker, die häufig und mit Respekt den Namen Van Morrison erwähnen. Die britische Band Dexy's Midnight Runners versuchte sogar, sich als irisch zu verkaufen, um Morrisons Erbe antreten zu können. Die irische Band Waterboys brachte ein Album (Fisherman's Blues) heraus, das ein ehrbarer Versuch war, etwas von der Kraft von Astral Weeks für sich zu gewinnen. Morrison selbst nahm ein Album mit den traditionell orientierten Chieftains auf (Irish Heartbeat, 1988), das trotz seiner ausufernden Sentimentalität stark an die Tradition erinnert. Morrisons Einfluß auf die irischen Bands ist zwar deutlich, aber er ist nicht ausschließlich: Einige bekannte Rockgruppen wie Cactus World News (zweitklassiges U2-Format) und die Undertones (passabler Power-Pop) entwickelten sich, als hätte Morrison nie existiert. Morrison ist der einzige irische Musiker vor Sinéad, der etwas völlig Neues geschaffen hat. Die meisten irischen Bands träumen davon, in die berühmt-berüchtigten, mehrfach platinierten Fußstapfen der U2 zu treten, so daß es ihnen ganz unmöglich ist, eine solche Originalität zu erreichen. Zu viele von ihnen tun so, als sei es dasselbe, einen erfolgreichen Sound (beispielsweise den von U2) nachzuahmen, wie ihn weiterzuentwickeln. Am Ende bleiben sie der Musik der U2 ebenso verpflichtet wie die Gruppe Knack der Musik der Beatles. Wurzellosigkeit, die nicht immer etwas Schlechtes ist, wurde hier durch unschönen Opportunismus ersetzt. Nichts kann die Geschichte des irischen Rock and Roll so vollkommen erzählen wie Morrisons Platten; zwei Bücher haben es dennoch versucht, und einem davon gelingt es beinahe. Mark J. Prendergasts The Isle of Noises: Rock and Roll's Roots in Ireland ist ein erfrischendes, anregendes Werk, dem größtenteils gute Recherche zugrunde liegt, aber Prendergast verliert sich schließlich in unzähligen unbedeutenden Anmerkungen über vergessene Kneipen-Rockgruppen aus Dublin, so daß es ihm am Ende nicht gelingt, das gesammelte Material in einen Zusammenhang zu bringen. Er beschreibt Sinéads Stimme als »rein wie frischer Schnee«. Im Gegensatz zu was: gelbem Schnee? Viel nützlicher, will man die irische Rockszene verstehen, ist Roddy Doyles komischer Roman The Commitments, der die kurze,
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aber steile Karriere einer fiktiven Dubliner Soul-Revival-Band analysiert. Die Commitments fahren auf die Soul-Musik von Sam Cooke und Otis Redding ab, weil sie »echter« klingt als das, was man in den heimischen Kneipen und im Radio hört. Und ihr Fanatismus der Neubekehrten (sehr ähnlich dem der U2 in den USA während ihrer Rattle and Hum-Sessions) beschert ihnen großen Erfolg, zum Beispiel wenn sie James Browns »Night Train« so umschreiben, daß die Aufzählung der Städte auf ihrer Insel einen Sinn ergibt. »Keiner lachte«, beschreibt Doyle einen Auftritt. »Es war nicht komisch. Es war wahr.« Natürlich werfen die Mitglieder der Band im nächsten Augenblick mit Beschimpfungen um sich. Am Schluß des Romans organisieren die wenigen Musiker, die noch nicht auseinandergelaufen sind, eine Country-Punk-Gruppe. Sie stürzen sich mit dem gleichen Engagement auf den neuen wie zuvor auf den alten Sound, und ihre Begeisterung ist ansteckend. Sie lieben ihr neues Spielzeug, die Alben der Byrds aus der Mitte der 60er Jahre, tatsächlich, aber der Leser wird den Verdacht nicht los, daß die Gruppe nach weiteren sechs Wochen vielleicht Power-Pop-Polkas spielen könnte. Es ist so schwierig, die Wurzeln der irischen Rock and Roll-Bands dingfest zu machen, weil diese übernommenen Wurzeln alle paar Monate ganz andere sein können. Hätte die Verbindung von Sinéad mit In Tua Nua gehalten, sie hätten sich ebensogut zu einer Heavy-Metal-Band wie zu einer ausgewachsenen Folk-Truppe entwickeln können. Es öffneten sich Wege in alle Richtungen. Sinéad blieb nicht lange bei In Tua Nua. Ihr Vater erlaubte ihr nicht, mit der Gruppe auf Tournee zu gehen (daß sie wohl nicht viel versäumt hat, weiß man, wenn man sich die Musik einmal anhört), und deswegen blieb sie in Waterford. Während sie in diesem Internat war, arbeitete sie noch stärker an ihrer Musik und fing an, regelmäßiger öffentlich aufzutreten, meist in Kneipen oder Kaffeehäusern und oft mit einem Gitarristen als Unterstützung. In der Regel sang sie Bob Dylan-Songs, und auch frühe Versionen der etwas weniger kommerziellen Stücke auf The Lion and the Cobra, »Drink before the War« (Trink noch vor dem Krieg) und »Never Get Old« (Werd niemals alt) wurden schon damals vorgestellt. Sinéad
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hielt es noch ungefähr ein Jahr in Waterford aus, bevor sie beschloß, in Zukunft ihren Lebensunterhalt als Sängerin zu verdienen. Auf Drängen ihres Vaters studierte Sinéad sogar für kurze Zeit an der Musikhochschule in Dublin. Mit siebzehn schloß sich Sinéad einer Gruppe namens Ton Ton Macoute als Sängerin an. Für die Gruppe schreiben durfte sie allerdings nicht. Keiner, der Ton Ton Macoute je gehört hat, hat irgend etwas Gutes über sie zu sagen. (Sie blieben nicht lange genug zusammen, um etwas wirklich Lobenswertes zu entwikkeln.) Das war auch die Meinung der englischen Plattenfirma Ensign Records, die auf einer Dubliner Probebühne mehrere Bands vorspielen ließ. Keine von ihnen hinterließ einen bleibenden Eindruck. Nigel Grainge und Chris Hill von Ensign waren allerdings beeindruckt von Sinéads Präsenz und Intensität (jedoch nicht von den Stücken, die sie sang) und sie machten ihr Mut. Zu dieser Zeit war Sinéad noch immer schrecklich schüchtern vor einem Publikum – und ganz besonders vor einem Publikum, das aus zwei Managern einer britischen Plattenfirma bestand. Und Grainge und Hill erkannten, daß es schwer sein würde, sie zu verkaufen, solange sie nicht lernte, sich entspannter in der Öffentlichkeit zu bewegen. Bemüh dich, sagten sie zu ihr, und wir sind gerne bereit, dich wieder einmal anzuhören. Und mit dieser halb ermunternden, halb typisch blasierten Plattitüde kehrten sie nach England zurück. Nur knapp einen Monat später (mittlerweile hatte sich Ton Ton Macoute in aller Stille aufgelöst) war eine selbstsicherere Sinéad überzeugt, daß sie nun reif genug für einen Plattenvertrag sei. Sie teilte dies Grainge in einem Brief mit. Sie erwähnte auch sein Versprechen, ihr bei der Aufnahme von Demos (Demonstrationsfassungen von Songs für Bewerbungszwecke) zu helfen, und äußerte nochmals ihre Bereitschaft, nach England zu kommen. Grainges Angebot, ihre Demos zu finanzieren, existierte nur in Sinéads Erinnerung, aber sie war ehrgeizig und verlangte gehört zu werden. Wie die Mehrzahl der Rock and Roll-Musiker mit Verstand, hat Sinéad später deutliche Vorbehalte gegenüber dem Erfolg geäußert. Aber damals konnte sie sich, wie die meisten, die die Kehrseite des Ruhms noch nicht kennengelernt haben, nichts
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Schöneres vorstellen: Sie wollte alles, was sie noch nicht hatte. Grainge, dem ihr Wagemut gefiel, schickte der altklugen Sinéad ein Flugticket, um sie dann sofort wieder zu vergessen. Die Zeitschrift Rolling Stone brachte in ihrer Titelgeschichte vom 14. Juni 1990 über Sinéad auch ein Photo von ihr, das sie auf dem Flughafen von Dublin vor dem Abflug nach England zeigt. Sie trägt eine Jeansjacke, und ihr Gepäck steht auf dem Boden zwischen ihren Beinen. Sie steht gerade, blickt in die Kamera und enthüllt die zarte Andeutung eines Lächelns. Sie wirkt zuversichtlich und beunruhigt zugleich. Dann erst bemerkt man, daß sie an der Kamera vorbei in die Zukunft schaut. Sie hat keine Zeit für diesen Moment; sie ist bereits weitergegangen. Als Sinéad dann im Büro von Ensign auftauchte, ließ der überraschte Grainge sie Platz nehmen und rief Karl Wallinger, einen der Musiker auf seiner Namensliste, an. Der aus Nordwales stammende Wallinger, ein früheres Mitglied der Waterboys, war in London, um ein Soloprojekt in Gang zu bringen (das er später unter dem Namen World Party herausbrachte). Grainge trug ihm auf, die kleine Sinéad durch die Wirren bei der Aufnahme ihres ersten professionellen Demobandes zu begleiten. Als Grainge kurz darauf ins Studio kam, traf er auf einen strahlenden Wallinger, und er sah und hörte, wie Sinéad eine umwerfende Version von »Troy« aufs Band sang, ein fesselndes Bekenntnis von Schmerz im Angesicht sexuellen Verrats. (Die anderen drei Songs, die sie an jenem Tag aufnahm, waren »Jerusalem«, »Drink before the War« und »Just Call Me Joe« – Nenn mich einfach Joe.) Die schlichte Darbietung, nur Sinéads geschmeidige Stimme und ihre unverstärkte Gitarre, vermochte eine Lawine des Schreckens auszulösen, die sowohl Grainge als auch Wallinger überraschte. Und als Grainge die vier Demos hörte, machte er gleich Nägel mit Köpfen; Sinéad unterzeichnete einen Vertrag mit Ensign Records und zog endgültig nach London (in eine Wohnung mit fließend kaltem Wasser in Stoke-Newington).
3 London
(Laura Levine)
Sinead hat die Jahre, in
denen sie in London hauste und The Lion and the Cobra schrieb, als einsam in Erinnerung. Der Ensign Manager Grainge erzählte dem Journalisten Mikal Gilmore von Rolling Stone: »Sie verbrachte viel Zeit damit, im (Ensign) Büro herumzuhängen, Tee zu kochen und das Telefon zu bedienen.« Sie hatte nichts anderes zu tun und wußte nicht, wo sie sonst hätte hingehen sollen. Und dennoch brachten ihr diese zwei Jahre ein beachtliches musikalisches Wachstum. Sie entwickelte ihre eher farblosen Folksongs zu ausgereiften Stücken und war Mitte des Jahres 1986 soweit, sie einspielen zu können. Grainge und Hill waren zufrieden und wollten sie nun mit dem Produzenten Mick Glossop ins Studio schicken. Während dieser Zeit traf Sinéad zwei Männer, die einen nachhaltigen Eindruck auf sie machten. Während sie in London war, verkehrte sie in denselben Kreisen wie Fachtna O'Ceallaigh, ein irischer Landsmann mit grenzenlosen Rock-Ambitionen. Einige Jahre zuvor war O'Ceallaigh bereits als Manager der Boomtown Rats und der Gruppe Bananarama auf den Geschmack des Erfolgs in der Rockszene gekommen. Und nun war er ebenso wild darauf, einen mit Platin ausgezeichneten Künstler zu managen, wie Sinéad wild darauf war, dieser Künstler zu sein. O'Ceallaigh stammt aus der »persönlichen« Schule der Rockmanager: Er
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glaubt aus tiefster Seele an seine Klienten und tut alles, was in seiner Macht steht, um seine Schützlinge vor echten oder eingebildeten Gefahren zu schützen. O'Ceallaigh gehörte zu der Sorte Managern, die von den Musikern geliebt und von allen anderen gehaßt wurden. Grainge, der in den frühen Zeiten der Boomtown Rats, als diese bei Ensign unter Vertrag standen, schon mit O'Ceallaigh zu tun gehabt hatte, versuchte alles, um Sinéad davon abzuhalten, einen Vertrag mit O'Ceallaigh abzuschließen. Aber für Sinéad, die einen starken Manager haben wollte, war das die beste Empfehlung, die O'Ceallaigh hätte bekommen können. O'Ceallaigh glaubte so fest an Sinéad wie sie selbst. Er besaß ihr Vertrauen. Neben seiner Fähigkeit, die Ensign-Leute in Schach und sie Sinéad vom Hals zu halten, sprach noch etwas anderes für O'Ceallaigh: seine Beziehungen. Die Gruppe U2 hatte mit einem Teil des Geldes, das ihr Platin-Album The Unforgettable Fire und die ausverkaufte Tournee danach eingespielt hatten, eine eigene Plattenfirma, Mother Records, gegründet, um anderen irischen Bands, die ein großes Publikum verdient hatten, zu helfen. O'Ceallaigh leitete Mother Records. Ein eigenes Label scheint ein fast unumgängliches Attribut für Rock-Superstars zu sein: Apple von den Beatles, Paisley Park von Prince, Rolling Stones, Fly von David Byrne und Luaka Bop. Sogar ein zweitrangiger Star wie Sting besaß für kurze Zeit seine eigene Firma. Es ist bemerkenswert, daß keines dieser Labels auf lange Sicht überlebte. (Die wenigen, die es doch geschafft haben, wie Paisley Park oder Rolling Stones, sind keine echten Plattenlabels, sondern lediglich ein Vorwand, um dem Produkt ein anderes Logo aufsetzen zu können.) Wie die meisten dieser Labels sollte auch Mother Records einem ganz bestimmten Zweck dienen. Plattenfirmen mit so eng gefaßten Zielen haben jedoch nie Erfolg. Obwohl es lobenswert war, daß die U2 einen Teil ihres Einkommens in die Szene investieren wollten, aus der sie selbst hervorgegangen waren, so konnte ein solches Vorhaben doch nicht von Dauer sein. Schlimmer noch, die erste Gruppe, die U2 bei Mother Records protegieren wollte, war Cactus World News, ein äußerst
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unselbständiger Verein, deren Verhältnis zu U2 dem von John Cafferty und der Beaver Brown Band zu Bruce Springsteen ähnelte: ein trauriger Abklatsch der echten Geschichte. All das störte O'Ceallaigh zu dieser Zeit nicht. Er hatte enge Verbindungen zu U2, der bekanntesten und beliebtesten Band in Irland und damit zu den nach Van Morrison wichtigsten Popmusikern der Insel. O'Ceallaigh, der einen Kopf größer war als Sinéad, war ein Manager, zu dem sie aufblicken und von dem sie lernen konnte. Der andere wichtige Mann in Sinéads Leben während der Zeit in London vor Erscheinen ihres Albums war ihr zukünftiger Ehemann John Reynolds. Man hatte ihn als Schlagzeuger für Sinéads erste Platte gewonnen. Und obwohl er nicht mehr vorzuweisen hatte als einen Einsatz als Stöcke-Spieler für Transvision Vamp, eine britische Version der amerikanischen Punks der zweiten Generation Holly and the Italiens, fügte sich Reynolds gut in die Studiogruppe ein, die Sinéad und O'Ceallaigh zusammengestellt hatten. Und es muß auch sonst gefunkt haben, denn schon bald nachdem er zur Band kam, wurden er und Sinéad ein Paar. Aber bevor Sinéad das Aufnahmestudio betrat, um zielsicher ihr Debüt-Album aufzunehmen, hatte die Neunzehnjährige noch ein anderes Vorhaben: eine Zusammenarbeit mit einem Mitglied von O'Ceallaighs Geschäftspartnern, U2. Der Gitarrist der Band, Dave Evans (als Musiker bekannt unter dem Namen »the Edge«), schrieb gerade die Filmmusik für The Captive (Der Gefangene) und wollte eines der Stücke in diesem Soloprojekt mit einer Sängerin besetzen. (Der U2-Sänger Paul »Bono« Hewson war schon seit In Tua Nuas »Take my Hand« ein Fan von Sinéad.) Sinéad flog nach Dublin, O'Ceallaigh stellte sie vor, und bald begannen Evans und Sinéad ihre Zusammenarbeit. Es ist keine Übertreibung, ihr gemeinsames Stück »Heroine« (Heldin) – das nichts mit dem gleichnamigen Titel von Velvet Underground zu tun hat –, als gewaltigen Fortschritt zu bezeichnen im Vergleich zu dem, was Sinéad mit In Tua Nua oder Ton Ton Macoute erreicht hatte. Zum ersten Mal arbeitete sie mit jemandem zusammen, der ihr als Texter und Musiker mindestens ebenbürtig war. Sinéad sollte später fast eben-
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soviel Wert auf Beherrschung legen wie Prince, aber man kann nicht leugnen, daß ein starker Partner sogar den zurückhaltendsten Rockmusiker herausfordern kann. Bei »Heroine« hatte Sinéad endlich jemanden gefunden, der es wert war, ihre Begabung zu teilen. »Heroine« ist um Synthesizer herum aufgebaut, aber der warme Sound dieser elektronischen Keyboards ist ganz anders als der gekünstelte, seelenlose, high-tech Synthesizerklang von Spitzenreitern der Charts Mitte der 80er Jahre, wie beispielsweise der Gruppe Eurythmics. Das erste Wort aus Sinéads Mund ist »Afraid« (Angst), und nach diesen ersten Silben hält sie für einen Moment inne, als sei mit diesem Wort bereits alles gesagt. (Dies ähnelt der ersten Zeile von Roy Orbisons »It's Over« – Es ist vorbei –: »Your baby doesn't love you any more. What more needs to be said?« – Deine Kleine liebt dich nicht mehr. – Was gibt es noch mehr zu sagen?) Aber Sinéads wehmütige Stimme wird von Instrumenten umgeben, die sie mit jedem Takt mehr einhüllen, und so kann sie fortfahren. Eberiso wie viele seiner Stücke für U2 ist Evans »Heroine« ein Stimmungsstück. Assoziationen überwiegen gegenüber einer fortlaufenden Erzählung. Die Worte geben nicht viel her, aber Sinéads Präsentation ist entscheidend. Ihr Aufschrei »Bring me into your arms again« (Nimm mich wieder in deine Arme), gefolgt von einer für Evans typischen sprunghaften Gitarrenmelodie, ist anrührend und provokant zugleich. Diese Ballade steigert ihr Tempo nicht, aber sie baut Druck auf: Sinéad singt frei und zeigt erste Andeutungen ihres mehroktavigen Stimmumfangs, den sie bald genauer erkunden sollte. Es war ein vielversprechendes Debüt für Sinéad; die erste Aufnahme unter ihrem eigenen Namen. Wer ihren Song hörte, verlangte nach einer ganzen Platte von ihr. Evans war so zufrieden mit dieser Einspielung, daß er Sinéad einlud, bei einer Sondersendung der britischen Pop-Fernsehshow »Old Grey Whistle Test« aus Belfast im Vorprogramm der U2 zu singen. Obwohl sie so klein, so dünn und so unbekannt war, überraschte sie das Publikum mit ihrer ausgereiften Stimme, ihren Texten, die von Verrat erzählten, und ihrer Autorität. Sie überraschte ihr Publikum auch mit ihrem kahlgeschorenen Kopf.
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Sinéad hatte in London nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihren Haaren herumexperimentiert. Die Angestellten bei Ensign schlossen damals Wetten ab, womit sie wohl bei ihrem nächsten Besuch im Büro ankommen würde. (Zur gleichen Zeit zogen die Ensign-Leute sie ständig damit auf, daß sie so klänge wie eine Vielzahl anderer Sängerinnen auch – Grace Slick, Aretha Franklin, Tammi Terrell –, die Sinéad nicht einmal dem Namen nach kannte.) Nach den üblichen, wenig benutzerfreundlichen Punkfrisuren versuchte es Sinéad mit einem Mohikanerschnitt, hatte den Mr. T.-Look jedoch bald leid und ließ einen Stoppelschnitt folgen. Schließlich rasierte sie den verbleibenden Flaum ganz ab. Ihr kahler Schädel – provokant und seltsam anziehend zugleich – blieb von da an ihr Markenzeichen: Selbst 1990 bezeichnete die Nachtprogramm-Talkshow-Marionette Arsenio Hall sie noch als »diese kleine kahle Dame«. Als die Zeitschrift Spin ihre fünfte Geburtstagsausgabe veröffentlichte, setzte man Sinéad auf die Titelseite und druckte ein zwei Jahre altes Interview ab (ein typischer Spin-Trick), das Legs McNeil, einer der Chefredakteure der Zeitschrift, mit Sinéad geführt hatte. Es zeigte sich, daß in diesem Artikel mehr von McNeil als von seiner eigentlichen Interviewpartnerin die Rede war. (Auch das ist ein normales Vorgehen für Spin.) Er enthielt auch ein köstliches Gerücht, das wunderbar wäre, wenn es stimmte. Weil Sinéads Plattenfirma sie dazu hatte bewegen wollen, sich mehr »aufzutakeln« und sich »mädchenhafter« zu präsentieren, hatte sie ihr ganzes Haar abrasiert. In Wahrheit hatte Sinéad ihre eigenen Gründe, ihren Kopf kahlzuscheren; dazu zählt auch, daß sie nicht noch ein typisch weiblicher Rockstar mit einer langen Mähne sein wollte. Alles spricht dafür, daß sie es aus eigenem Antrieb getan hat und nicht aufgrund unverschämter Forderungen anderer. Jeder hatte seine eigene Theorie, warum Sinéad ihre Haare rasiert hat. Diese Theorien reichten von – sie ist auf dem Frisiersessel eingeschlafen – bis hin zu – sie wollte sich öffentlich für ihre Untreue gegenüber einer ungenannten Person strafen –, aber keine dieser Hypothesen enthielt auch nur einen Funken Wahrheit. Sinéad selbst hat einmal gesagt, wobei sie sich offenbar der charmanten Widersprüchlich-
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Sinéad singt »Mandinka« bei der Verleihung der Grammy Awards 1988. (Paul Robicheau)
keit ihrer Aussage nicht bewußt war: »Mit der Frisur bezieht man Stellung zur Mode, und ich will keine Stellung beziehen.« Die energische, kahlköpfige Frau betrat das Londoner Aufnahmestudio, um The Lion and the Cobra einzuspielen, mit einer weiteren Überraschung: Sie war schwanger von Reynolds. Mit Unterstützung von Reynolds und den Ensign-Leuten plante Sinéad eine Abtreibung – sie war sogar schon im Krankenhaus –, aber in letzter Minute entschied sie sich dagegen. Ihr Leben war in Aufruhr. Sie war schwanger von einem Mann, der ihr zwar viel bedeutete, den sie aber noch nicht sehr lange kannte und deswegen nicht wußte, ob es eine gemeinsame Zukunft überhaupt gab. Sie lebte in London, einer riesigen, kalten Stadt, deren Kühle und Größe ihre Einsamkeit und ihr Heimweh noch verstärkten. Zudem stand sie noch unter dem extremen Druck, der mit der Aufnahme eines ersten Albums verbunden ist. Viele Popmusiker machen sich verrückt mit ihrem ersten größeren Werk, Sie arbeiten unter dem (leider sehr berechtigten) Verdacht, daß sie keine zweite Chance bekommen werden, wenn sie nicht gleich beim ersten Mal einen Hit landen. Vielleicht habe ich nie wieder die Chance, ein Publikum zu erreichen, denken sie, deswegen schließe ich jetzt alles andere aus meinem Leben aus und konzentriere mich ganz auf meine Arbeit. Diesen Luxus konnte sich Sinéad aufgrund ihrer übergroßen persönlichen und beruflichen Probleme damals nicht leisten. (Wie Grainge von Ensign vermutet hatte, versuchte O'Ceallaigh einen Keil zwischen Sinéad und ihre Plattenfirma zu treiben.) Sinéad konnte sich nicht ganz in ihrer Arbeit verlieren; die Anforderungen des wirklichen Lebens waren zu groß, um vernachlässigt zu werden. Unter diesen Umständen überrascht es nur wenig, daß die Sessions, die Sinéad unter Glossops Aufnahmeleitung im Herbst 1986 einspielte, ein Flop waren. Sie war nervös, Glossop und sie waren häufig anderer Meinung in bezug auf das Endprodukt, und sie wurde von Tag zu Tag runder. Sinéad war noch nicht soweit, ihre Probleme ganz in ihre Musik ableiten zu können, und selbst wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre, wäre Glossop der überhebliche Störfaktor geblieben, der andere Vorstellungen von
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der Platte hatte als Sinéad und O'Ceallaigh. Als die Aufnahmen beendet waren und Glossop nur noch darauf wartete, die Platte endgültig abzumischen, gaben die Verantwortlichen bei Ensign Sinéad und O'Ceallaigh schließlich nach, und es wurde beschlossen, Sinéad noch einmal von vorne anfangen und sie diesmal die Aufnahmen selber leiten zu lassen. Sie verstand am meisten von ihren Songs und sollte sie deshalb mit Unterstützung des Toningenieurs Kevin Moloney selbst produzieren. Sinéad muß während dieser Zeit wieder einige Kraft gesammelt haben, denn sie war nun in der Lage, unter größtem Druck ein stimmiges Album zu produzieren. Die Aufnahmen begannen im April 1987; zu diesem Zeitpunkt war sie bereits im siebten Monat schwanger und wußte, daß sie die Arbeit innerhalb von zwei Monaten beenden mußte. Daß sie mit ihren gerade zwanzig Jahren all das auf die Beine stellen konnte, ist in mancher Hinsicht weit beeindruckender als die Platte selbst. Im Juni desselben Jahres war die Platte fertig (die Ensign-Leute waren ebenso zufrieden wie Sinéad und O'Ceallaigh) und Sinéad brachte ihren Sohn Jake Reynolds zur Welt. Kurz nach Jakes Geburt zerstritt sie sich mit John, wodurch ihre Beziehung zu O'Ceallaigh noch enger wurde.
4 The Lion
and the Cobra
(© 1987 Chrysalis Records Ltd.)
Auf
der inneren Plattenhülle von Sinéads Album steht handschriftlich und auf gälisch: »Du wirst auf den Löwen und die Kobra treten. Du wirst den großen Löwen und die Schlange zertreten.« Sinéad mag Eigenwerbung ablehnen, aber solch ein Covertext ist eine wunderbar unverschämte Geste, die zeigt, daß Sinéad weiß, wie gut sie ist, und daß sie keine Ruhe geben wird, bis alle es wissen. (Die Tatsache, daß dieser kurze Text in Gälisch abgefaßt war, stellte gleichzeitig sicher, daß dabei nicht allzu viele Leute im Spiel waren.) Auf The Lion and the Cobra sind viele ruhige Stücke zu finden, aber diese Sammlung von neun Stücken hat dennoch nichts Gefälliges an sich. Das gilt vor allem auch für das Coverfoto, auf dem Sinéad ihren Kopf nach vorne neigt – und damit die Aufmerksamkeit auf ihre nur schwach angedeuteten Haare legt – und an den Trägern ihres Hemdes nach Halt sucht. Sie blickt auf den Boden, tief in quälende Gedanken versunken. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man ein unleserliches Gekritzel auf dem Rücken ihrer linken Hand. Das Cover von The Lion and the Cobra verspricht, daß diese Platte etwas noch nie Gehörtes, noch nie Dagewesenes ist. Das Photo stellt Sinéad als Widerspruch dar: zum einen als einen Menschen, der unbestimmte Qualen durchleidet, und gleichzeitig als Menschen, der ein Publikum auf eine ganze neue Weise ansprechen will.
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Tatsächlich ist The Lion and the Cobra mit Ausnahme weniger Stücke ein Album, das von einer selbstsicheren Frau gesungen wird, die gleichzeitig ständiger Bestätigung bedarf. Sie mag mit einer Intensität in die Kamera starren, als sei sie ein geistiges Kind von Johnny Rotten, und sie mag die Doc-Marten-Boots tragen, die bei der neuen Generation der rechtsgerichteten englischen Punks so beliebt sind (diese Punks sind natürlich, ebenfalls kahlköpfig, aber da hört die Ähnlichkeit mit Sinéad auch schon auf), aber dieses Erscheinungsbild paßt nicht zu der verletzlichen Frau, die die Songs auf The Lion and the Cobra singt. Sinéads Erscheinung ist die eine Sache, ihre Kunst ist eine andere. Der Kern von Sinéads Band für diese Platte bestand neben Reynolds am Schlagzeug und Schlagzeug-Computer aus dem Keyboarder Mike Clowes, dem Gitarristen Rob Dean und dem Bassisten »Spike« Hollifield. (Die wichtigste Ergänzung war Marco Pirroni, der frühere Begleiter von Adam Ant. Er fügte dem einzigen traditionellen Hardrock-Song des Albums, »Madinka«, mehrere Gitarrenspuren hinzu und erhöhte damit seine Spannung.) Dennoch ist The Lion and the Cobra ganz deutlich das Album einer einzelnen Musikerin und nicht das Album einer Band. Sinéads Stimme und ihre Rhythmusgitarre sind ständig im Vordergrund der luftigen Arrangements, und mit Ausnahme einiger sensationeller gesprochener Einwürfe sind keine anderen Stimmen auf der Platte zu hören. Viele Songs auf The Lion and the Cobra haben einen großen Klang, aber sie lassen sich immer auf diese einzelne Frau und ihre Gitarre zurückführen. Das klare Anfangsstück, »Jackie«, ist richtungweisend und macht deutlich, was an The Lion and the Cobra so aufregend und was andererseits unvollendet geblieben ist. Sinéads Stimme setzt allein ein und erzählt von einer lange verlorenen Liebe, und eine E-Gitarre, die per Computer Streicher imitiert, gewinnt nach und nach die gleiche Stärke. Es ist eine seltsame Mischung, mit der es Sinéad gelingt, eine winterliche Schauerszenerie heraufzubeschwören, die der wahnhaften Liebe zu einer Person, die »seit zwanzig Jahren unter der Erde ist«, genau entspricht. Sinéads experimenteller Gesang ist beispiellos in seinem Wechsel zwischen
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ganz leichten, ätherischen und kräftigen, erdverbundenen Stimmlagen. Der Song zeigt die Stärken ihrer Stimme, ohne dabei auf die üblichen angeberischen Kniffe von Sängern mit großem Stimmumfang zurückzugreifen. Trotzdem verliert die Darbietung an Überzeugungskraft, wenn Sinéads »Jackie«-Gebrüll langsam zu einem »Jackie O«-Singsang zusammenfällt. Neben dieser Anspielung auf eine Berühmtheit (die Witwe John F. Kennedys tauchte das letzte Mal in Tim Currys »l Do the Rock« und in »l Want to be Jackie Onassis« von Human Sexual Response auf) mindert dieser Kunstgriff die vertrauliche Wirkung, die Sinéad erzielen will. Mit »Madinka« gibt es solche Probleme nicht. Die Kombination von heißem Gesang mit kräftig knackigen Gitarren liefert einen Rock, der hart genug ist, die Programmacher der amerikanischen Plattensender (Album-Oriented-Radio, AOR) zufriedenzustellen. Und trotzdem war das Anliegen dieses Songs so verschieden von dem der gewöhnlichen, langhaarigen Plattensender-Jungs, daß er sofort eine Sonderrolle einnahm. Die drei Gitarristen (Sinéad, Dean und Pirroni) verbeißen sich in ihre Riffs, während Sinéads stark verzerrte Stimme kreischt. Im Refrain singt sie aus voller Kehle: »l don't know shame/l feel no pain/l can't/See the flame« (Ich kenne keine Scham/Ich fühle keinen Schmerz/Ich kann nicht/Die Flamme sehen). Bemerkenswerterweise fügt sie zwischen der dritten und vierten Zeile eine ganz kleine Pause ein und gibt dem ganzen damit eine fruchtbare Doppelbedeutung. Gegen Ende des Songs unterstreicht Sinéad diesen Punkt noch, indem sie die Passage ohne die vierte Zeile singt. Gesungen von einer zwanzigjährigen, kahlköpfigen, unverheirateten, schwangeren Frau, die überzeugt ist, irgendwie anders zu sein als die anderen, wirken diese Zeilen eindringlich und überzeugend. »Madinka« zeigt, daß Sinéad mit abgenutztem Material arbeiten und dabei etwas Neues zustande bringen kann. Die Zeilen, um die es sich hier dreht, sind alles andere als neu: »l'm not the same/l have no shame« (Ich bin nicht die gleiche, ich habe keine Scham) sang Madonna in »Burnin' Up« auf ihrem ersten Album, allerdings in einem wesentlich enger gefaßten Kontext. (Lust ist nur eines der vielen Themen, mit denen sich der offenherzige Song »Madinka«
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beschäftigt.) Die Akkorde der E-Gitarre von »Madinka« sind einer erstklassigen Heavy-Metal-Gruppe wie AC/DC würdig. Sinéad verschärft ihre textliche Aussage, aber sie glättet ihren Sound, indem sie den Erdrutsch der E-Gitarren in »Madinka« mit akustischen Gitarrenklängen überzuckert. Die Interaktion zwischen akustischen und E-Gitarren spiegelt gekonnt die verletzlichen und aggressiven Aspekte von Sinéads Gegenwart auf dieser Platte. Sobald sie den beruhigenden, mehrfach wiederholten lyrischen Nachsatz des Stückes, »So l can give you my heart« (So kann ich dir mein Herz schenken), erreicht, mäßigt Sinéad ihre bissige Seite, aber sie klingt noch immer kraftvoll. Als vielschichtige Mischung von allem, was Sinéad so interessant macht, ist »Madinka« ein phantastisches Stück, das wiederholtes Hören mit immer neuem Vergnügen belohnt. The Lion and the Cobra ist ein Debüt-Album voller Songs, die Sinéad noch als Teenager geschrieben hat. Daher kann die junge Musikerin und Texterin die Intensität von »Madinka« auch nicht die ganze Platte hindurch aufrechterhalten. Dennoch verraten auch die Songs, die einer genaueren Untersuchung nicht standhalten, viel über Sinéad, und einige von ihnen sind sogar wegweisend für spätere Erfolge. »Jerusalem« hat eine recht gute unveränderte melodische Figur zu bieten, und Sinéad liefert eine fast funkige Darbietung, die nur von ihren etwas zu neckischen und poetischen Worten untergraben wird. Wie schon »Jackie« bietet auch »Jerusalem« ein weiteres Beispiel dafür, daß Sinéad noch nicht im Vollbesitz einer Stimme ist, die Bewegtheit zeigen kann, ohne weinerlich zu klingen. Auch »Jerusalem« geht in einem Wirrwarr von Klängen unter – der abenteuerliche Mittelteil klingt wie eine Collage von Klangeffekten. »Just Like U Said It Would B« (Genau wie du es gesagt hast) bewegt sich auf derselben Ebene. Die folkige Einleitung ist an Beatles-Gitarrenklänge aus der Rubber-Soul-Ära angelehnt, und die Geschichte, die wieder einmal von einem religiösen Initiationsritus handelt, bleibt ohne Form. (Es bleibt auch unklar, ob hier eine geistige oder körperliche Defloration in sarkastischem Ton beschrieben wird.) Zeilenpaare wie »Will you be my lover/Will you be
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In »Troy« sang Sinéad, sie würde einen Drachen töten. Vom Aufräumen hinterher war nie die Rede. (London Features International)
my mama« (Wirst du mein Liebster, wirst du meine Mama sein) sind nichtssagend bis auf die ekstatische Haltung, mit der Sinéad sie rüberbringt. Und dennoch: »Just Like U Said It Would B« gelingt die Verbindung von britischem Folk (in der Tradition der innovativen Folkrock-Gruppe Fairport Convention) mit den neobarocken Stilelementen der Gruppe Left Bänke, die man zumindest einmal gehört haben sollte. Der etwas unsicher gekünstelt wirkende Song »Never Get Old« ist dagegen problematischer. Der gehobene Ton macht ihn langatmig, und seine guten Seiten, die an Aja-Zeiten von Steely Dan erinnern, kommen erst zum Vorschein, wenn Reynolds Drums endlich hart in Sinéads wortloses Stöhnen einbrechen. Am stärksten wird dieser Song aber durch die Nebenrolle der irischen Sängerin Enya (mit vollem Namen: Enya Ni Bhronäin) aufs Abstellgleis geführt. Enyas auf gälisch gesprochene Passagen sind als bewußt elitäre Mittel eingesetzt, da sie sicherstellen, daß die meisten Fans nicht verstehen, wovon hier die Rede ist. Die große Mehrheit von Sinéads Publikum bekommt so einen Teil der Geschichte nicht mit. Ein solches Elitedenken ist von gewollt künstlerischen Bohemiens zu erwarten (Enyas Musik und die ständig wiederholten Klagen von »Never Get Old« stammen beide aus dem Land von Laurie Andersons »O Superman«), aber es hat nichts mit der direkten emotionalen Kommunikation zu tun, um die sich Sinéad in allen Stücken auf The Lion and the Cobra bemüht. Das nächste Stück, das sechseinhalbminütige Psychodrama »Troy«, deckt ein ähnlich gehobenes musikalisches Terrain ab wie »Never Get Old« und »Jackie«, ist dabei aber wesentlich erfolgreicher und reizvoller. Als herausragende Analyse des trügerischen Weges von der Liebe zur Untreue verbindet »Troy« einen breiten Klang mit einer ausufernden Geschichte, die kleine, alltägliche Augenblicke und große, aus der griechischen Mythologie übernommene, mit gleichem Geschick erfaßt (obwohl Sinéads Versprechen »l'd kill a dragon for you/And die« (Ich würde für dich einen Drachen töten und sterben) ein bißchen zuviel des Guten ist). Synthetische Streicher umspielen Sinéad, während sie zum Kern einer durch Lügen zerstörten Beziehung gelangt. Sie richtet
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den Song an ihren untreuen Liebhaber, und man kann fühlen, wie er sich windet, obwohl die Erzählerin zu sehr in ihren eigenen Schmerz versunken scheint, um das zu bemerken. Mit Ausnahme einiger lyrischer Klischees (mehrfach steigt in diesem Song ein Phoenix aus den Flammen) ist »Troy« ein ideales Demonstrationsobjekt, das zeigt, wie genau Sinéad an Herzensangelegenheiten herangehen kann. Die Version von »Troy« auf The Lion and the Cobra ist inzwischen der sparsameren Live-Fassung gewichen, die Sinéad allein mit Akustikgitarre singt und die in dem herausgespuckten Schrei »You are still a fucking liar« (Du bist noch immer ein verdammter Lügner) gipfelt. Aber hier zeigt sich nicht nur irgendeine nüchterne Sängerin und Songschreiberin, die einen Ex-Liebhaber beschimpft; ungeachtet seiner Ambitionen wirkt dieser Song echt. Solche Geister lassen sich nicht endlos beschwören, und so läßt Sinéad auf »Troy« eine ausgeklügelte Weiße-Mädchen-FunkÜbung, »l Want Your (Hands On Me)« folgen. Es ist ein drängender Song, voller Verlangen nach körperlicher Zuneigung und voller Hoffnung auf das, was geschehen wird, wenn der Zuhörer sie beim Wort nimmt. E-Gitarren prallen von Reynolds programmierten Schlagzeugrhythmen ab und lassen Sinéad genügend Raum, ihre Lust in alle Richtungen zu versprühen. Sie nährt den Rhythmus und bezieht im Gegenzug ihre Kraft aus diesem Rhythmus. (Übrigens klingen sowohl »Madinka« als auch »l Want Your Hands On Me« viel heißer als der Rest auf The Lion and the Cobra, vermutlich weil sie erst nach der ursprünglichen Aufnahme unter Produzentin Sinéad, Toningenieur Moloney und Manager O'Ceallaigh von anderen Leuten neu abgemischt wurden. Die ruhigeren Songs auf The Lion and the Cobra schmeicheln sich langsam ins Bewußtsein des Hörers; »l Want Your (Hands On Me)« und »Madinka« springen einem vom ersten Augenblick an entgegen.) The Lion and the Cobra klingt nicht wie eine Platte, die von den U2 stammen könnte – es gibt hier nur wenig Verbindung zu der Ästhetik von Sinéads Landsleuten in »Three Chords and the Truth« – aber das Album ist mit Sicherheit ebenso düster und ernsthaft wie die Musik der U2 in ihren ernstesten und weihevollsten
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Momenten. Anstatt sich auf die Geschichte einzulassen und nach verstärkenden Details zu suchen, stößt Sinéad gleich zu einer unbefangenen Erklärung vor. Und in der Regel identifiziert sich Sinéad, wie die U2 in ihren besten Zeiten, so sehr mit den Gefühlen eines Songs, daß der Mangel an konkreten Details nicht annähernd so wichtig erscheint wie der Schwung der Musik. Die beiden vorletzten Stücke auf The Lion and the Cobra sind zwei ältere Kompositionen. »Drink before the War« ist eine glühende Ballade, in der Sinéad sich vorstellt, sie sei ein Soldat kurz vor Ausbruch der Schlacht. Die meisten der Reime sind etwas zu einfach (»You live in a shell/Create your own hell« – Du lebst in einer Muschel/Schaffst dir deine eigene Hölle; »You dig your own grave/lt's a life you can save« – Du gräbst dein eigenes Grab/Du kannst ein Leben retten). Aber wenn Sinéad nach zwei Dritteln dieses von der Orgel vorangepeitschten Stückes die rhetorischen Gesten ablegt und den Song die drastische Geschichte von zerbrechenden Leben erzählen läßt, dann scheinen die lyrischen Fauxpas schon nicht mehr so störend. In »Drink before the War« zeigt Sinéad ihre wohl gekonnteste Gesangstechnik auf dieser Platte, mit vielen bewußt eingesetzten Abstürzen und Ausfällen. Die Platte klingt aus mit »Just Call Me Joe«, einer Ballade voll gesteuerter Rückkopplungseffekte, die um die unheilverkündende Griffbrettartistik des Gastgitarristen Kevin Mooney herum aufgebaut wird, der das Stück unter dem Pseudonym Black Moon E. komponierte. Wenn Sinéad mit der Erklärung loslegt »We came here across the Great Divide« (Wir sind über den großen Graben hierhergekommen), fürchtet man fast, daß »Just Call Me Joe« sechs Minuten lang nichtssagende, große Mythen dahinschwätzen wird. Aber die herben, künstlich verzerrten Gitarrenmelodien, eine Fortentwicklung aus Lou Reeds betörenden Klagen bei Velvet Underground und den Moll-Epen von Neu Young mit Crazy Horse, überwältigen und überwinden schließlich alle Probleme des Textes. »Just Call Me Joe« ist der widerborstige, aber ironischerweise zurückhaltende Schluß eines Albums, das im ganzen alles andere als zurückhaltend ist. The Lion and the Cobra trug Sinéad sofort den
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Das Ende eines üblen Tages (man achte auf ihr linkes Auge). (Geoff Swane/LFI)
Ruf einer irischen Seherin in der Tradition Van Morrisons ein, die allen Erwartungen gerecht wurde, die sie mit ihrem Song für Captive geweckt hatte. Sinéad hatte sich der Prahlerei des Textes auf ihrer Plattenhülle gewachsen gezeigt, sie war auf den Löwen und die Kobra getreten und aus dieser Erfahrung klüger und noch temperamentvoller hervorgegangen. Aber ein emotional so tiefgreifendes Album ist normalerweise nicht der Stoff, aus dem Plattenhits gemacht werden (das wird jeder von Richard Thompson bis zu Steve Earle bestätigen können). Der amerikanische Partner von Sinéads Plattenfirma veranschlagte einen Verkauf von nur fünfundzwanzigtausend Exemplaren, und einige in der Firma waren noch nicht einmal überzeugt, daß eine Frau wie Sinéad, die einen ziemlich seltsamen Eindruck auf sie machte, überhaupt so viel erreichen könnte. Sinéads erstes Album wurde zu einem Zeitpunkt an die nichtsahnenden Plattenläden ausgeliefert, als man Alben von weiblichen Popmusikern noch als amüsantes Novum betrachtete. Rückwärtsgewandte Folkmusikerinnen wie Suzanne Vega und Tracy Chapman standen bei den jungen Fans, die Joni Mitchel nicht mehr kannten, und bei den älteren Fans, die ihr nachtrauerten, gerade besonders hoch im Kurs. Nur weil sie eine Frau war, wurde Sinéad mit diesen offensichtlichen Folkies in einen Topf geworfen. Sie selbst hat das in einem Interview mit Billy Coleman, das in Musician erschien, am besten kommentiert. »Ich bin weder eine Anhängerin der Folkmusik noch Suzanne Vegas oder Joni Mitchels«, sagte sie. »Das ganze Zeug ist wischi-waschi, wenn man mich fragt.« Aber weil sie eine Frau war, deren vielseitige Musik auch einige Elemente des Folk enthielt, war es leicht, sie in diese Schublade zu stecken. (Andere, weniger berühmte, aber nicht weniger begabte Musikerinnen wie Sam Phillips wurden auf ähnliche Weise über einen Kamm geschoren.) Viele Bäume mußten dran glauben, damit die Journalisten, die es nicht lassen konnten, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was das alles bedeuten mochte, sich wortreich darüber auslassen konnten. Die tiefere Bedeutung all dessen war ganz einfach: Ein weibli-
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cher Folkie, Suzanne Vega, hatte mit »Luka« eine Single auf Platz drei gelandet. »Luka« ist ein elektrisch verstärkter Song, der laut Vega den Kindesmißbrauch thematisiert, aber ebensogut auch über Gewalt gegen Frauen berichten könnte. Wie auch immer, der Folkhit »Luka« war ein Zufallstreffer, und anstatt ihn als das zu nehmen, was er war, nämlich als Ausnahmefall, beschloß die Musikindustrie, darin einen Trend zu sehen. So erschien plötzlich eine Fülle von Artikeln über »Frauen in der Rockmusik«, als könnte das eine sinnvolle Einteilung sein. Warum wurde nie ein Artikel über »Männer in der Rockmusik« geschrieben, über Pete Townshend, Boy George und Robert Cray, die ebensoviel (und ebensowenig) gemeinsam haben wie die Frauen in diesen Rundumschlägen. Der Grund ist, daß die Musikindustrie auf eine lange Tradition des Sexismus zurückblicken kann. Nur wenige unter Dutzenden von sehr ungleichen Rockmusikern sind Frauen. Und diese wenigen stehen in der Regel unter dem Diktat von Männern, wie Ike Turners Ex-Frau Tina gerne bestätigen wird. In der Zeitschrift TV Guide erschien unter anderem eine Titelstory mit der irreführenden Überschrift: »Warum Frauen jetzt den Rock regieren«. Die drei Frauen, die auf dem Titelbild abgebildet wurden – Janet Jackson, Paula Abdul und Madonna – waren Musikerinnen, die nolens-volens doch den traditionellen männlichen Erwartungen an eine Popsängerin entsprachen. Sinéad war ebensowenig auf diesem Titelbild zu finden wie irgendeine Rap-Musikerin. Die Frauen, die laut TV Guide die Rockszene beherrschten, waren diejenigen, die die Männer gerne an dieser Stelle gesehen hätten, da sie glaubten, diese Frauen leicht manipulieren zu können. Für das breite Rockpublikum (und man kann das auch auf die Rockindustrie ausweiten) war der Rock and Roll immer ein Rock and Roll, der von Männern geschrieben und produziert wurde. Viele können sich unmöglich ein weibliches Gegenstück zu Jerry Lee Lewis, Jimi Hendrix oder David Bowie vorstellen, weil man sie nicht als männliche Musiker, sondern als Rockmusiker schlechthin betrachtet. Es gibt keine bedeutenden weiblichen Plattenproduzenten, die nicht selbst aktiv Musik machen. Wenn einmal eine Frau – sei es Joan Jetti oder Patti Smith – versucht, ein Hardrocker
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nach den männlichen Hardrock-Regeln zu sein, wird sie gleich für verrückt erklärt. Und diese Einschränkungen gelten nicht nur für das Geschlecht, sondern auch für die Rasse. Als das Hardrock-Quartett Living Colour 1988 sein erstes Album auf den Markt brachte, waren die Zeitungen und Zeitschriften voll von Geschichten über den »schwarzen Rock and Roll«. Das war eine Anmaßung, da fast der ganze Rock and Roll aus Formen entstanden ist, die ursprünglich von Afroamerikanern stammten. Und deswegen sollte »schwarzer Rock and Roll« auch als überflüssige Bezeichnung verstanden werden. Aber die Polarisierung der Rassen hatte sich in den USA gegen Ende von Reagans zweiter Amtszeit so verschärft, daß die Vorstellung von Afroamerikanern, die Rock and Roll spielen, zum Novum geworden war. Unter diesen Umständen konnte Sinéad einfach nicht als das verstanden werden, was sie war: eine begabte junge Musikerin mit provokantem Aussehen und Sound. Es gab keine Schublade, in die die Popmusikindustrie ein »kahles Mäuschen« stecken konnte. Und anstatt sich um ein Verständnis von Sinéads Musik und Person zu bemühen, versuchte die Musikindustrie, sie zu vereinnahmen.
5 Amerika
(Laura Levine)
Die
plumpen Versuche der Musikindustrie, Sinéads runden Kopf in eine vorgefertigte quadratische Schublade zu pressen, konnten die wachsende Entschlossenheit der jungen Frau nur noch stärken. Sinéad mag beim Singen schon immer eine große Klappe gehabt haben, aber das war gar nichts gegen das, was sie erreichen konnte, wenn sie redete. Bevor jedoch Sinéad im positiven Sinne von sich reden machen konnte, mußte sie noch mit einer neuen Plattenfirma verhandeln. Ensign hatte eine Vertriebsvereinbarung mit Chrysalis getroffen, die The Lion and the Cobra international vermarkten sollten. Aber die knappen Finanzen bei Ensign führten schließlich dazu, daß die Firma von Nigel Grainge und Chris Hill ganz an Chrysalis verkauft wurde. Die nunmehr zur Tochtergesellschaft gewordene Firma behielt das Recht, in eigener Verantwortung Künstler unter Vertrag zu nehmen, und die Liste mit den Namen Sinéad, World Party, die Waterboys und die Blue Aeroplanes war kurz, aber unverwechselbar und beeindruckend und sowohl künstlerisch als auch kommerziell erfolgreich. Aber trotz aller Bemühungen und guter Vorsätze wurde Sinéad von den Chrysalis-Angestellten ebenso wie von außen als Chrysalis-Musikerin betrachtet. Grainge und Hill beschwerten sich manchmal, daß Mike Bone, der Chef von Chrysalis, und auch sein Nachfolger John Sykes die wichtige Rolle, die Ensign für Sinéad gespielt hatte, unter den Tisch
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fallen ließen. Aber gleichzeitig mußten die beiden Ensign-Leute zugeben, daß es Chrysalis besonders in den USA wahrscheinlich eher gelingen würde, ihren Musikern zum großen Erfolg zu verhelfen. Chrysalis machte gerade schwere Zeiten durch – Pat Benatar, die sich lange gehalten hatte, konnte nicht mehr so regelmäßig wie früher ihre Hits landen, und das Vorzeigeschild von Chrysalis, die Softrocker Huey Lewis und die News, standen kurz davor, die Firma zu verlassen. Immerhin konnte Chrysalis einen unerwarteten Erfolg mit Billy Idol verbuchen, einem Möchtegern-Punk, der sein spöttisches Lächeln bei Sid Vicious geklaut hatte und einen PlattensenderMassensound verbreitete, wie er Sid Vicious ganz und gar nicht behagt hätte. Idol war ein britischer Punk-Veteran (er sang für die äußerst drittklassige Punkband Generation X, die ja auch den Gründer der noch unmöglicheren Gruppe Sigue Sigue Sputnik hervorgebracht hat), dem aus unerklärlichen Gründen eine gewisse In-Qualität zugesprochen wurde. Wenn es Chrysalis also gelungen war, Idol so groß rauszubringen, konnte man annehmen, daß es ihnen auch bei Sinéad gelingen würde. Was aus Sinéads Sicht ebenfalls für Chrysalis sprach, war die Tatsache, daß sie sich sehr um das erste Album von Karl Wallingers World Party, Private Revolution, bemühten und auch wirklich zwei Hits daraus landen konnten: das Titelstück (mit einem Video, das Sinéad am Schlagzeug zeigte) und »Ship of Pools«, eine kraftvolle Geschichte vom ökologischen Untergang, die über einer präzisen Rhythmusspur aus der Beggar's Banquet-Ära der Rolling Stones gesungen wird. Wenn Sinéad schon unter einem der größeren US-Labels erscheinen mußte – und das mußte sie, wenn sie mehr als zehntausend Platten verkaufen wollte –, dann war Chrysalis gewiß nicht die schlechteste Entscheidung. So hätten zum Beispiel die Vielschwätzer Walter Yetnikoff, der Präsident von CBS-Records, oder Irving Azoff von MCA-Records wohl kaum gewußt, was sie mit einer Musikerin anfangen sollten, die nicht sofort bereit war, sich allen Konventionen zu beugen. Gerade als sich Grainge an die Arbeit für Chrysalis gewöhnte, geriet Sinéads Manager, Fachtna O'Ceallaigh (mit dem Grainge
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ja immer noch gestraft war), wieder mal in Schwierigkeiten. (Grainge hätte O'Ceallaigh bei Sinéad auch weiterhin anzuschwärzen versucht, wenn O'Ceallaigh ein Treffen der beiden ohne ihn nicht extrem schwer gemacht hätte.) Der schillernde Fachtna hatte sich durch sein Gerede um seinen Job als Manager von Mother Records gebracht. O'Ceallaigh war ein ausgesprochener Befürworter von Sinn Fein, der der irischen Separatistenorganisation angehörte. Diese Haltung entfremdete ihn den ausgesprochen pazifistisch gesinnten Mitgliedern von U2. In dem Film Rattle and Hum berichtet Bono vor dem aufwiegelnden Song »Sunday Bloody Sunday«, daß Menschen irischer Herkunft in den USA oft erwarteten, daß er den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufnehme. Bonos Antwort auf der Bühne lautete: »Fuck the revolution!« In diesem Zusammenhang mußte O'Ceallaighs »Vive la revolution«-Haltung den U2 ein Greuel sein. Die Jungs von U2 schätzten O'Ceallaigh als einen hartgesottenen Typen so lange, bis er anfing, für sie zu arbeiten. Exzentriker sind immer angenehmer, solange man sie nicht auf der Gehaltsliste stehen hat. O'Ceallaigh gab dem Ganzen dann noch den Rest, als er einem Reporter anvertraute: »Ich finde die Musik der U2 buchstäblich zum Kotzen.« Als ihm gekündigt wurde, stand Sinéad als Schützling und gute Freundin von O'Ceallaigh natürlich auf Seiten ihres Mentors, dem sie in den Anmerkungen zu The Lion and the Cobra mit den Worten Dank zollte, er habe sie am stärksten beeinflußt und sei ihr bester Freund. Eine Haltung, die ihr eines Tages noch viel Kummer bereiten sollte. In den Interviews, in denen sie für The Lion and the Cobra warb, verhielt sich Sinéad wie jede frühreife Zwanzigjährige, der plötzlich ein Mikrophon hingehalten wird. Sie sagte Dinge wie: »Es kümmert mich nicht, ob ich berühmt bin, (aber) ich will mein Leben leben«, die ihr gleich Anerkennung verschafften. Und im Gegensatz zu der Anerkennung, die die Presse ihrem Kollegen Billy Idol entgegenbrachte, war dieser Respekt nicht aufgesetzt oder unbedacht. Aus Sinéad konnte man etwas machen, und O'Ceallaigh bestärkte sie darin, provozierende Äußerungen mit hoch erhobenem Kopf vor-
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zutragen, einem Kopf, den viele Interviewer so lange anstarrten, bis sie es ihnen verbot. Zu jedermanns großer Überraschung bei Chrysalis, waren die Zeitschriften ganz wild auf Interviews, und die Leute kauften die Platte. Chrysalis' Erwartung von fünfundzwanzigtausend verkauften Exemplaren wurde bald übertroffen. Und der Präsident von Chrysalis, Bone, rasierte sich seinen Kopf kahl, vielleicht als Buße für seinen Mangel an Zutrauen (aber wahrscheinlich eher als Werbegag). Sogar die konservativen kommerziellen amerikanischen Rundfunksender spielten die Platte. Sinéads Hauptstützpunkt unter den US-Sendern waren verständlicherweise die College-Rundfunkstationen (auch bekannt als »alternative radio«). Die CollegeSender waren gegenüber neuen Musikern, die sich von der Masse abheben, schon immer äußerst aufgeschlossen – und besonders, wenn es sich um etwas androgyne Musiker handelte, die offensichtlich literarisch versiert mit düsteren, angsterfüllten Texten spielten. Sinéad paßte genau in diese Kategorie und gelangte somit ganz selbstverständlich in die alternativen und College-Charts. Was hätte einen größeren Reiz auf die amerikanischen Mittelschicht-Kids ausüben können, als eine magere, kahlköpfige Frau mit irischem Akzent? Aber wahrscheinlich war es eher Sinéads Erfolg auf dem weit größeren Markt der AOR-Plattensender, der Bone zum Rasierer greifen ließ. Die große Überraschung war, daß Sinéad dort überhaupt nicht hineinpaßte neben all den alternden, legendären Rockstars. Regelmäßige Hörer der amerikanischen Plattensender laufen Gefahr, daß sie immer wieder die gleichen drei Songs hören, bis sie an Altersschwäche sterben. Diese Sender hatten Mitte der 70er Jahre großen Einfluß auf den amerikanischen Plattenmarkt, und daher überrascht es nicht, daß die wenigen, altgedienten Titel im Programm aus dieser Zeit stammen. Überraschend ist es vielmehr, daß die Hörer in den USA noch Interesse haben, eine Platte mit Lynyrd Skynryyds »Free Bird«, mit »Won't Get Fooled Again« von den Who, »Stairway to Heaven« von Led Zeppelin oder mit »(Don't Fear) The Reaper« von Blue Oister Cult zu kaufen. Es ist nämlich nur leicht übertrieben, wenn man behauptet, daß die AOR-Program-
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me praktisch eine Endlosschleife dieser Songs darstellen. Wenn man einen dieser Songs hören will, muß man nur das Radio anmachen und ein paar Minuten warten. Die wenigen neueren Songs im Programm – von Gruppen wie Foreigner oder Winger – sind dem großen Rock der 70er Jahre so verpflichtet, daß sie ebensogut von Cover-Bands* stammen könnten. Die Hauptursache für den deutlichen Verlust an Marktanteilen des Rockradios in den 80er Jahren – der nicht nur auf die größere Konkurrenz und eine stärkere Spezialisierung zurückzuführen ist – war die Tatsache, daß sich die Musikauswahl seit über einem Jahrzehnt kaum verändert hatte. »Won't Get Fooled Again« ist wirklich ein bahnbrechender Meilenstein der Rockgeschichte, aber diesen legendären Song fünfzehn Jahre lang alle paar Stunden hören zu müssen, wird sogar den begeistertsten Who-Fan zur Verzweiflung bringen. Es gab nur einen Song auf The Lion and the Cobra, der in das schmale AOR-Programm gepaßt hätte – »Madinka« – und nachdem er sich bei den College-Sendern bewährt hatte, machten sich die Chrysalis-Werbeleute bei den Programmachern der Plattensender für diesen Song stark. Manchmal gelingt einem der College-Radio-Lieblinge der Aufstieg zum AOR-Star, aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Auf jeden Titel von R.E.M. oder Replacements kommen Hunderte von Robyn Hitchcocks oder Alarms. Man muß schon etwas Besonderes sein, um den Sprung von einem Publikum von einhundertausend zu einem Publikum von einer Million zu schaffen. Marco Pirronis Gitarrenakkorde kamen hart genug, daß »Madinka« neben den großen Jungs bestehen konnte, aber es war etwas ganz Ungewöhnliches, was diesen Song ins Radio brachte: Sinéad war einfach anders. Die Rock-Radio-Fans hatten die Nase voll, und sie waren aufgeschlossen für eine Musik, die sich in alte Strukturen einfügte, die aber doch etwas moderner als die Dinosaurier war. Dieser Unterschied wurde in einer ungeheuer erfolgreichen Werbekampagne herausgestellt. Diese Kampagne wurde inszeniert von Elaine Schock, einer altgedienten Werbefrau der Platten* Bands, die alte Songs von berühmten Bands imitieren
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branche, die gerade ihre eigene Firma aufgemacht hatte. Es war eine gute Verbindung; Schock gehört zu den wenigen wichtigen Werbeleuten des Rock, die nicht in einer der großen Städte sitzen. Und der Abstand zu der ungesunden Betriebsamkeit von New York oder Los Angeles machte eine weniger verrückte Konzeption der Kampagne möglich. Sinéad war Elaine Schocks erste Kundin. Schock wollte sich bei ihrem ersten Auftrag als Selbständige bewähren, und ihre Begeisterung war der entscheidende Faktor, der Sinéads Gesicht in die Presse brachte, was wiederum das Interesse der Radioleute weckte. Natürlich war das einzige, was den meisten Discjockeys in ihren Sendungen zu Sinéad einfiel, daß sie keine Haare hatte. Es war oberflächliches DJ-Geschwätz, aber es war werbewirksam. Auch Live-Shows trugen zum Verkauf der Platte bei. Und das, obwohl Sinéad und ihre Band nur in Clubs und kleinen Konzertsälen auftraten. Aber eine solche intimere Atmosphäre verstärkte die Wirkung der ruhigen, in sich geschlossenen Songs, die den Großteil von The Lion and the Cobra ausmachen. Ihre etwas mehr als einstündigen Auftritte enthielten fast alle Songs ihres ersten Albums sowie eine herbe Geschichte »The Value of Ignorance« (Der Wert der Unwissenheit), von der es noch keine Aufnahme gibt. Sinéad sang viele Songs ohne Band und tat damit alles, die unvermeidliche Distanz zwischen Künstlerin und Publikum zu verringern. Obwohl sie inzwischen ein ziemlich gut verkäufliches Album bei einer großen Plattenfirma hatte, bemühte sie sich, die Kaffeehaus-Atmosphäre ihrer ersten Auftritte wiederzubeleben. Das beeindrukkendste ihrer Solostücke war die Neuinterpretation von »Troy«. Ohne die reich verzierte Orchestrierung kam die schmerzliche und zweifelnde Stimmung des Liedes zum Vorschein. Nur mit Sinéad und ihrer Gitarre waren die Klagen in dieser Version von »Troy« noch besser vernehmbar. Viele Fans verließen Sinéads Konzerte tief bewegt. Der Erfolg von The Lion and the Cobra ließ sich mit dem von l Do Not Want What l Haven't Got nicht vergleichen – es erreichte nie Platin-Zahlen –, aber es war ein Hit von beachtlicher Größe, der sich allein in den USA schließlich mehr als eine halbe Million mal
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Sinéads erster amerikanischer Auftritt im World in New York. Man beachte den Button. (Nick Elgar/LFI)
verkaufte. Presse, Rundfunk, Live-Auftritte und Musikvideos machten Sinéad bekannt. Drei Songs aus The Lion and the Cobra – »Troy«, »l Want Your (Hands On Me)« und »Madinka« – wurden von John Maybury gefilmt, und als Ganzes gesehen umreißen sie das Spektrum von Sinéads Intentionen. Videos sind in der Regel nichts anderes als geistlose Werbespots, und auch Sinéads Videos leiden an den üblichen Problemen dieser Form (eine ungeschickte Mischung von Plattitüden, Übertreibungen und Selbstüberschätzungen). Aber die Songs sind zu gut, als daß sie durch aufgesetzte Bilder zerstört werden könnten. Der Film zu »Troy« dauert ganze zehn Minuten und sechzehn Sekunden und enthält weit mehr als nur dieses eine Stück. Der Anfang umfaßt große Teile von »Never Get Old« und Clips von verschiedenen anderen Titeln aus The Lion and the Cobra. Bis sich der Film schließlich auf »Troy« konzentriert, ist der Betrachter einer ganzen Reihe von Bildern der launisch wirkenden Sinéad in den verschiedensten Situationen ausgesetzt. Die Bildfolgen während des Songs selbst sind ebenso ausgefallen wie die musikalische Zusammensetzung. Sinéad wird in verschieden spärlich bekleideten Aufmachungen im Kreis herumgewirbelt, von denen eine an Pussy Galores vergoldete Schwester erinnert, die in dem Film Goldfinger ermordet wird. Dies war das erste Video, das zu The Lion and the Cobra erschien, und als solches stellt es Sinéad in ihrer Rolle als verstoßene Nonne vor. Sie trägt weite Umhänge, starrt in die Ferne und wirkt doch nur wie die Sekretärin des Kate Bush Fanclubs. Das Video ist gekünstelter als der Song und kann ihm deswegen nicht gerecht werden. Der Videoclip zu »l Want Your (Hands On Me)«, in dem auch M.C. Lyte mit ihrem kurzen Rap aus der Maxi-Single-Version des Songs zu sehen ist, wirkt zumindest wesentlich bestimmter. Sinéad trägt eine Lederjacke und wiegt sich im Rhythmus, während hinter ihr Bilder von Blumen und Händen vorübersausen. Mutig blickt sie in die Kamera. Und gleichzeitig fordert sie die Kamera heraus, auf ihr Verlangen nach körperlicher Zuwendung einzugehen. Sie vermittelt dabei das Gefühl, daß sie genügend Kraft hat zu überleben, auch wenn sie nicht gewinnt. Wieder mögen manche
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Sinéads Blicke als aggressiv empfunden haben, aber sie sind nicht mehr als die einer selbstsicheren Frau. Von einer ganz anderen Seite zeigt sich Sinéad in dem Video zu »Madinka«. Echte Rockfans waren vielleicht enttäuscht, daß Sinéad den Musik-TV-Zuschauern »Madinka« nicht als den hervorragenden schlichten Gitarrenrocker vorstellte, den sie auf der Platte und im Konzert präsentiert hatte. Aber selbst die schnellen Schnitte und die wirbelnden Fotomodelle lassen diesen Clip bei weitem nicht so gekonnt erscheinen wie beispielsweise die Videofassung von »Troy«. Sinéad bewegt die Lippen zu »Madinka«, ohne die Aufmerksamkeit auf die Kraft und das Durchsetzungsvermögen des Songs zu richten; an ihrem linken Ohr baumelt ein Ohrring mit einem Kruzifix. Die Kamera ist vor allem während des besänftigenden Schlusses auf Sinéad gerichtet, weniger während der dynamischeren Abschnitte davor. Dieses Video versucht in erster Linie, die Aggressivität des Songs herunterzuspielen. Wenn man sich The Lion and the Cobra anhört, die begleitende Tournee verfolgt und die danach gedrehten Videos betrachtet, dann zeigt sich überdeutlich, daß jeder, der Sinéad als aggressiv oder anmaßend (oder andere sexistische Bezeichnungen für eine solche Haltung) empfand, das Werk dieser Musikerin nicht ausreichend beachtet hatte. Jeder Song, den Sinéad in den Jahren 1987 und 1988 sang, war auf der Grundlage ihrer Verletzlichkeit aufgebaut. Diejenigen, die der Meinung waren, daß Sinéad zu stark auftrat, reagierten damit auf ihr Verhalten außerhalb des Konzertsaals oder des Studios, und das ist etwas ganz anderes. Zu viele Kritiker rezensierten ihre Interviews anstelle ihrer Platte und sprachen damit von einer ganz anderen Musikerin. Sinéad zeigte sich in ihren Interviews so, wie sie von der britischen Popmusik-Wochenzeitung New Musical Express einmal beschrieben worden war: »Ein weiblicher Johnny Rotten der 80er Jahre, eine angsterfüllte junge Frau, die die Gesellschaft mit ihrem Aussehen und ihren Ansichten schockiert.« Was hatte diese winzige, verletzliche Frau nur getan, um einen Vergleich mit dem Sänger der Sex Pistols zu rechtfertigen?
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Popmusiker, die zu jung zu viel Aufsehen erregen, neigen dazu auszuflippen. Michael Jackson wurde zum Einsiedler in seinem Zoo; Prince wurde zum sexuellen Eremiten, und W. Axl Rose von Guns n' Roses, faßte seine abstoßendsten Phantasien in Worte und setzte sie schließlich in die Tat um. Sinéad betrachtete die Reihe von Mikrophonen vor ihrer Nase und wollte einfach nur Krach schlagen. Sie wollte so artikuliert und streitbar sein wie Bob Dylan und so bestimmt und streitbar wie Johnny Rotten. Sie mag sich nicht getraut haben, in ihrer Musik richtig loszurocken, aber ihr Geplapper schmetterte sie heraus wie ein Gitarrensolo von Jimmi Hendrix. Es ist nicht verwunderlich, daß der Reporter von der Zeitschrift People Sinéads Haarschnitt als »Manson-Family«-Aufmachung bezeichnete; so stark und so unverschämt wirkte sie. Sinéad bestärkte die Presse darin, ihre Kindheit mit der des Artful Dodger aus Charles Dickens' Oliver Twist zu vergleichen. Und sie betonte, daß eines der Internate, durch die sie gewandert war, mit einem Pflegeheim für Sterbefälle verbunden war. »Als Strafe ließ man uns in der Altenstation auf dem Fußboden schlafen«, erzählte sie People. »Überall waren Ratten, und die alten Frauen stöhnten und kotzten.« Sie nutzte jede Gelegenheit, den gefeuerten Produzenten Mick Glossop anzugreifen, und versuchte ihre Zuhörer davon zu überzeugen, daß sie kein typischer egoistischer Rockstar sei. (»Ich möchte mich nie für etwas Besonderes halten, nur weil ich irgendeinen blöden Song geschrieben habe.«) Aber Sinéad war etwas Besonderes und das wußte sie auch. Wie hätte sie sich sonst ihrer eigenen Meinung so sicher sein und so bereit sein können, diese auf die kleinste Provokation hin zu vertreten? Zum Teil lag das sicher daran, daß Sinéad, die gerade einundzwanzig geworden war, unter dem starken Einfluß einer Clique stand, deren Anführer ihr Manager O'Ceallaigh war. Und wie die meisten in diesem Alter, schwatzte sie die Ansichten der Leute nach, deren Anerkennung sie erhalten wollte. Zum anderen lag es sicher auch daran, daß sie wie die meisten Zwanzigjährigen in ihre eigenen Ansichten verliebt war. Sinéad gibt O'Ceallaigh die Schuld an ihren damaligen Äußerungen, die sie heute zum Großteil bereut. Und ihre Kommentare
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zu dieser Zeit über die U2 und ihre Anhänger und über die allgemeine Lage in Irland waren sicherlich eine Folge von O'Ceallaighs Verbitterung darüber, daß die U2 ihn als Chef von Mother Records gefeuert hatten. Sinéad schätzte O'Ceallaigh und konnte daher die Angriffe, die angeblich auf ihn gerichtet waren, nicht hinnehmen. In der Zeitschrift i-D zerfetzte sie die »bombastische« Musik der U2. In der Zeitschrift Melody Maker, die ungefähr so zum New Musical Express steht wie Time zu Newsweek, attackierte sie die Hothouse Flowers, eine gar nicht so schlechte, folkoristisch angehauchte Gruppe bei Mother Records, indem sie den Sänger der Band einen »Wichtigtuer« schimpfte. Wie es sich für einen echten Punk gehört, biß sie nach der Hand, die sie erst gefüttert hatte. Die U2 hatten sie als erste gefördert, aber sie, ihre früheren Freunde, waren Feinde ihres jetzigen Freundes und damit auch ihre Feinde. In demselben Interview mit Melody Maker verriet Sinéad aufs Allerdeutlichste ihre grundlegende Naivität in bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen, die Arbeitsweise der Popmusikindustrie und auf den Inbegriff des Bösen, das viele in die Arme der IRA treibt. Die entscheidende Äußerung war: »Ich bin für die IRA und Sinn Fein. Ihre Gewaltanwendung gefällt mir nicht, aber ich kann sie verstehen, auch wenn es furchtbar ist.« Diese Waghalsigkeit fiel fast sofort auf ihre Urheberin zurück. Sinéad sprach nicht für sich selbst – sie sprach in Verteidigung von O'Ceallaigh. Mit ihren Angriffen gegen die U2, die auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit waren, erregte Sinéad den Zorn der Fans dieser Gruppe in der britischen, irischen und (nicht ganz so sehr) in der amerikanischen Musikszene. Und ihre Kommentare über die IRA waren einfach dumm. Solche Äußerungen waren ein gefundenes Fressen für die Presse, aber sie minderten auch die menschlichen Qualitäten ihrer Musik. Es war unmöglich, die Musik mit den Aussagen zu vereinen, es sei denn, man betrachtete entweder die Musik oder die Aussagen als falsch. Glücklicherweise hat sich gezeigt, daß Sinéads Aussagen falsch waren. Aber das konnte damals niemand wissen, nicht einmal Sinéad selbst, die von Mal zu Mal dreister wurde. Sie war das weibliche Gegenstück zu ihrem Zeitgenossen Terence Trent D'Arby, einem
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ungeheuer begabten Musiker, dessen Selbstdarstellung mindestens soviel Aufsehen erregte wie seine Musik. Aber D'Arby achtete darauf, nur seine eigene Person umstritten zu machen, so daß sich die Fans und Kritiker über sein wildes Innenleben den Kopf zerbrachen, ihn aber zugleich als äußerst intelligent erkannten. Sinéads Fans und Kritiker waren dagegen gezwungen, sich zu überlegen, ob sie überhaupt dachte, bevor sie den Mund aufmachte. O'Ceallaigh war begeistert von dem, was Sinéad sagte, und die Verantwortlichen bei Chrysalis und Ensign griffen nicht ein, weil Sinéad ihrer Meinung nach den Verkauf von The Lion and the Cobra damit nur förderte. Es könnte sogar sein, daß sowohl Leute von der Plattenfirma als auch O'Ceallaigh Sinéad zu ihrem provokanten Verhalten gedrängt haben. Auf diese Weise blieb ihr ungewöhnlicher Vorname im Bewußtsein der Öffentlichkeit, und es machte deutlich, daß Sinéad sich von den Heerscharen der anderen Folksängerinnen unterschied. Der Höhepunkt von Sinéads Veranstaltungen zu The Lion and the Cobra war ein Playback-Auftritt bei der Verleihung des Grammy, eine der vielen Auszeichnungen, mit denen sich die amerikanische Musikindustrie jährlich schmückt. Die Verleihung des Grammy ist die offizielle Ehrung der National Association of Recording Arts and Sciences und hat in dieser Funktion nur wenig mit dem zu tun, was wirklich gerade in der Popmusik passiert. Weil letztendlich die Industrie bestimmt, wer die Auszeichnung erhält, wird sie nur an Künstler verliehen, die einen kommerziellen Erfolg vorweisen können. Die Gewinner sind immer bereits mehrfach platinierte Veteranen. Veränderungen im Verhalten der Organisation finden nur ganz langsam statt: Mehrfach wurde in zwei aufeinanderfolgenden Jahren der gleiche Musiker für dieselbe Platte geehrt, beispielsweise Paul Simon für Graceland. Einmal wurde der Grammy in der Heavy-Metal-Kategorie an Jethro Tull verliehen, einer albernen Gruppe, die mit Heavy Metal nur wenig mehr zu tun hat als die Beach Boys. Die Show ist nichts anderes als eine Selbstbeweihräucherung im Stil der Oscar-Verleihung. Mit ihrem kahlen Kopf und grimmigen Aussehen wirkte Sinéad zwischen all den lächeln-
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den, aufgeputzten Stars so wie der Film »Twin Peaks« achtzehn Monate später bei der Verleihung des Emmy Awards der Fernsehanstalten: Sie war allen meilenweit voraus, sie hatte die Verhältnisse durcheinandergebracht, und keiner wußte so recht, was er mit ihr anfangen sollte. Obwohl sie sich mit dem Unding eines Playback-Auftritts vor einem echten Publikum zufriedengeben mußte (und sie hat niemals erwähnt, warum sie nicht wie andere an diesem Abend live spielte), fegte Sinéad durch »Madinka«, so gut sie nur konnte. Sie trug einen aufwendigen schwarzen BH, ein Paar zerschlissene Jeans mit einem »Jake«-Flicken auf dem Knie und einem Streifen von der Hose ihres Sohnes, der von einer Gürtelschlaufe baumelte, außerdem ihr Markenzeichen, die Doc-Marten-Boots und das Logo der Rap-Gruppe Public Enemy auf ihren kahlen Kopf gemalt. Bei ihrem Auftritt klappte den Zuschauern von Washington bis Florida die Kinnlade runter. Nichts kann einen Playback-Live-Auftritt wirklich retten, aber Sinéads wunderbare, bilderstürmerische Wiedergabe von »Madinka« kam dem näher als irgend etwas zuvor. Mitten in diesen höflichen Abend platzte sie hinein wie ein Punk. Zum ersten Mal lieferte sie einen Auftritt, der ihren großen Reden entsprach. Den Zuschauern (im Saal und auch zu Hause) verschlug es den Atem. Sie waren es nicht gewohnt, jemanden zu sehen, der echt zu sein schien. Unverhohlen sexy, bezogen auf Insiderwitze (kaum jemand wußte wer Jake oder Public Enemy waren), war dieser Auftritt gerade deshalb ein Erfolg, weil er fehl am Platze war. Obwohl Mike Bone von Chrysalis sich riesig freute, daß er Sinéad auf einer Bühne mit so vielen Zuschauern untergebracht hatte, munkelte man bei Chrysalis und Ensign, daß Sinéad diesmal zu weit gegangen war. Die Zeitschrift Variety zitierte Nigel Grainge: »Wir sind uns darüber im klaren, daß sie es sich an diesem Abend mit einer ganzen Menge Leute verdorben hat.« In aller Stille fingen die Verantwortlichen an, darüber nachzudenken, wie sie ihren merkwürdigen Star zur Ruhe bringen konnten. Aber alle wußten, wie schwierig dies sein würde, solange sie in der Obhut von Fachtna O'Ceallaigh war.
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Das Gewagteste an Sinéads Grammy-Auftritt war vielleicht ihre implizite Anerkennung von Public Enemy. Sinéad engagierte sich für den Rap noch bevor das für eine weiße Sängerin als cool – oder zumindest angebracht – galt. Sinéad war schon von Anbeginn ihrer Karriere an ein Rap-Fan gewesen. Sie wählte auch Rob Base als Vorprogrammnummer ihres amerikanischen Show-Debüts im New Yorker World. Wahre Rap-Liebhaber erkannten, daß die Hip-Hop-Kultur größtenteils schon seit dem Ende der ruhmreichen Tage von Afrika Bambaataa und Soul Sonic Force, von Grandmaster Flash und den Furious Five und von Run-D.M.C. im Jahre 1984 verzweifelt nach neuen Einfallen suchte. Aber Public Enemy gehörte zu den wenigen, die versuchten, neue Grenzen zu finden, die sie überwinden konnten. Musikalisch waren sie überragend: Sie waren in der Lage, aus beliebigen kurzlebigen Vorlagen neue Stücke mit ganz eigenem Sound zu machen. Und die beiden Rapper Chuck D. und Flavor Flav waren ein so unverwüstlich komisches Gegensatzpaar, wie es die Popmusik noch nicht gesehen hatte. Sie lieferten auch politischen Zündstoff: Die Ideologie der Gruppe grenzte an rassischen Separatismus, und sie hatten enge Verbindungen zu Louis Farrakhan, dem moslemischen Geistlichen, dessen bemerkenswerte Vorschläge, wie das ökonomische Joch des Rassismus zu durchbrechen sei, von seinen regelmäßigen Haßausbrüchen zunichte gemacht wurden. Public Enemy produzierte tolle Platten, aber Sinéads offensichtliche Unterstützung dieser Gruppe ließ erneut Zweifel aufkommen, was die Wahl ihrer Freunde anbetraf. Zu dieser Zeit waren Sinéad solche öffentlichen Überlegungen vollkommen egal. Im Anschluß an ihren Grammy-Auftritt flog sie nach London zurück und heiratete John Reynolds.
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Die
Menschen, die Sinéad näher kannten – viele von ihnen gehörten zu O'Ceallaighs irischem Patriotenzirkel – waren völlig von den Socken, als ihr Aushängeschild die Richtung wechselte und John Reynolds heiratete. Während des ganzen Jahres nach Jakes Geburt hatte Sinéad sich immer weiter von Reynolds weg und zu O'Ceallaigh hin entwickelt. Damit hatte also niemand gerechnet. Es hat in der britischen Boulevardpresse, in angeseheneren amerikanischen Zeitschriften wie Musician und unter Sinéads Fans viele Spekulationen darüber gegeben, ob O'Ceallaigh nun jemals Sinéads Liebhaber war. Wen schert's? Es geht uns nichts an, und es ist eigentlich auch nicht wichtig. Wirklich wichtig ist dagegen die Tatsache, daß Sinéad das Gefühl hatte, eine schwere Zeit durchzumachen, und daß sie einem wichtigen Menschen in ihrem Leben näherkam, während sie sich von dem anderen entfernte. Zweifellos bestand zwischen Sinéad, O'Ceallaigh und Reynolds eine starke emotionale Bindung, wenn auch nicht unbedingt eine sexuelle. Es ist leicht, während einer ausgedehnten Tournee, wie es Sinéads 1988er Beutezug war, das häusliche Leben zu verherrlichen. Wenn es nicht gelingt, mehrere Konzerte an aufeinanderfolgenden Abenden in einer Halle oder einem Stadion auszuverkaufen, was eine etwas gemächlichere Gangart ermöglicht, die sich nor-
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malen Reisen nähert, dann kann das Tourneeleben einer Rock and Roll-Band eine ruhelose, langweilige und immer wieder deprimierende Angelegenheit sein. Die standardisierten Holiday-lnnZimmer werden, wenn man hintereinander zwölf genau gleich aussehende bewohnt, zu Gefängniszellen; Busse und Lastwagen werden zu beweglichen Gefängniszellen oder täglichen Höllenfahrten (die genaue Umkehrung von Woody Guthries »Bound for Glory«-Zug). Jede Stadt und jede Bühne sieht gleich aus; eine Bronchitis fühlt sich wie Tuberkulose an; man weiß nicht mehr, welcher Tag heute ist, wenn man nicht die Lokalzeitungen liest; nichts und niemand ist von Dauer, und Verwirrung ist das einzige Gefühl, das lange genug vorhält, um einen Eindruck zu hinterlassen. Rockbands beschreiben diesen Zustand immer wieder; einige durchschauen das Ganze, die meisten nicht. Der langhaarige Superstar und Blödmann aus New Jersey, Jon Bon Jovi, hat, so scheint es, zehntausend Songs geschrieben, die herumreisende Rockbands mit Revolverhelden auf der Flucht vergleichen. Die Rockmusiker selbst sehen sich mehr als Handlungsreisende wie Willy Loman*, die auf der Suche nach Wahrheit von Stadt zu Stadt ziehen, bis sie irgendeine kosmische Antwort finden. Diese existentielle Sehnsucht ist völliger Schwachsinn. Das Herumreisen mit einer Rockband hat seine erhebenden, mit etwas Glück sogar ein paar erleuchtende Momente, aber es gibt auch lange Phasen der Langeweile und des alltäglichen Umgangs mit Leuten, die keine Musiker sind. Mit anderen Worten, für jeden, der nicht völlig in sich eingesponnen ist (und es gibt viele, die sich dem Rockerleben auf der Straße verschreiben, weil es die arroganteste Art der Abhängigkeit fördert), sind Rocktourneen dem echten Leben näher, als es die meisten zugeben wollen. Trotzdem macht es ein solches Leben notwendig, für ziemlich lange Zeit von zu Hause wegzusein. Und das wiederum ist besonders unschön für die Mutter oder den Vater eines kleinen Kindes, besonders für die Mutter, die auch noch schief angesehen wird, * Figur aus dem Drama »Der Tod eines Handlungsreisenden« von Arthur Miller
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wenn sie nicht bei ihrem Kind bleibt. Die langen Reisezeiten, die Stunden zwischen Soundcheck und Auftritt, in denen nie etwas passiert, und das ganze lockere Drum und Dran einer solchen Existenz, lassen einem Rockmusiker mehr als genug Raum, über sein ganzes Leben nachzudenken. Und man kann Babybilder nur kurze Zeit betrachten, ohne Heimweh zu bekommen. Sinéad nutzte diese Zeit zum Nachdenken, und gegen Ende ihrer Tournee wurde sie sich darüber klar, daß ihr Leben dabei war, außer Kontrolle zu geraten. Daß Sinéad nach London zurückzog und Reynolds heiratete, war ein Versuch, das Problem zu bewältigen. Gleichzeitig schuf ihre Hochzeit die notwendige Spannung zwischen Sinéad und O'Ceallaigh. Notwendig deshalb, weil Sinead eine eigenständige Persönlichkeit werden wollte. Sinéads Arbeit aus dieser Zeit ist genau dokumentiert in The Value of Ignorance, einer kurzen (nur 35 Minuten langen) Videoaufzeichnung einer Show vom Juni 1988 im Londoner Dominion Theatre von John Maybury. Die Auswahl der Songs entspricht so ziemlich dem, was man von einer ihrer Live-Shows erwarten würde, da sich ihr Programm immer nur wenig änderte: The Value of Ignorance präsentiert sieben Songs aus The Lion and the Cobra und eine a capella-Zugabe eines in einen neuen Zusammenhang gestellten Gedichts von Frank O'Connor: »l Am Stretched on Your Grave«. Obwohl dieser Film den Namen eines unveröffentlichten, sehr emotionalen Stücks trägt, das zu Sinéads damaligem Repertoire gehörte, erscheint dieser Song hier nicht. Mit Ausnahme von illegalen Konzertmitschnitten blieb er bis heute unveröffentlicht. Fast das ganze Video Value of Ignorance besteht aus Nahaufnahmen von Sinéad. Aber der Aufnahmestil ist so bewußt verzerrt, daß sich aus den extremen Nahaufnahmen keinerlei Intimität mit der Sängerin ergibt. Auf den Bildern ist kaum zu erkennen, daß Sinéad von einer Band begleitet wird; nur selten fährt die Kamera so weit zurück, daß das erkennbar wird. Ihre Begleitung könnte ebensogut aus einem Studiowagen auf der anderen Straßenseite kommen. Und das Publikum ist auch kaum zu hören und zu sehen und hätte auch überhaupt nicht zu kommen brauchen. The Value of Ignorance ist so unergiebig wie es eine Liveauf-
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Zeichnung überhaupt nur sein kann. Das Band wirkt wie ein ausgedehntes gestelltes Video, das nur zufällig während eines Konzerts aufgenommen wurde. Nichts von dem, was so gut ist an Sinéad, ist auf dieser Aufnahme zu finden. Was vermittelt wird, ist gekünstelte Gleichgültigkeit. Sinéad singt ein paar wunderbare Songs, aber es kümmert sie nicht, ob sie auch bei irgend jemandem außer ihr selbst ankommen. Letztendlich bleibt The Value of Ignorance nicht mehr als ein eitles Unterfangen und ein Souvenir für ganz hartgesottene Fans. Sowohl Sinéad als auch ihr treues Publikum haben Besseres verdient. Ein neuer Song aus dieser Zeit, der es bis zur Veröffentlichung gebracht hat, war »Jump in the River«. Ein Song, der in der Filmmusik zu Jonathan Demmes warmherziger Komödie Married to the Mob auftauchte. Geschrieben in Zusammenarbeit mit Marco Pirroni stellt dieser Song (wenn man von den allerbesten Stücken auf The Lion and the Cobra absieht) einen plötzlichen Entwicklungsschub in der Qualität von Komposition und Text dar. Sinéad spielt fast alle Instrumente dieses Stücks selbst (Andy Rourke, der Ex-Bassist der Smiths, macht Einwürfe auf der Bass- und der Akustikgitarre), und Sinéad klingt kontrollierter als auf allen früheren Aufnahmen. Der Sound des Stückes ist brutaler Rock (es bricht los mit einem Schuß), und darüber breitet sich in gefährlichen Kaskaden Sinéads schwermütige Stimme, die von einer aufwühlenden, zufälligen Liebschaft erzählt. »Jump in the River« hat mehr von einem kräftigen Riff als von einem Song und geht sowohl musikalisch als auch textlich stärker ran als die Stücke auf The Lion and the Cobra inklusive »Madinka«. Sinéads synthetischer Schlagzeugrhythmus ist so grimmig, als stamme er von der Platte White Light/White Heat der Velvet Underground, und ihre Erinnerung an harten Sex ist kraftvoll und lebendig. (»There's been days like this before, you know/And l liked it all/Like the times we did it so hard/There was blood on the wall« – Es hat schon Tage wie diesen gegeben/Und es hat mir gefallen/Wie die Male, als wir es so hart brachten/Daß die Wand voller Blut war.) Aber »Jump in the River« handelt nicht nur von einem unvergeßlichen Liebesabenteuer; es geht hier um die bedingungslose Hin-
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gabe. Der Refrain des Songs lautet: »And if you said >Jump in the River<, l would/Because it would probably be a good idea« (Und wenn du sagtest >Spring in den Fluß<, ich würde es tun/Weil es wahrscheinlich eine gute Idee wäre). Die Ich-Erzählerin überläßt sich nicht nur sexuell, sondern auch geistig ganz ihrem Liebhaber. Der Song handelt von Vertrauen, davon, daß man sich ganz einem anderen hingibt, und dem Frieden einer solchen Geste setzt Sinéad gewaltige Akkorde auf ihrer E-Gitarre entgegen. »Jump in the River« ist warmherzig und wild zugleich. In John Mayburys Video zu diesem Stück laufen schnelle Bilder ab, mit Dutzenden von exakten, genau auf die Musik abgestimmten Schnitten, aber es läßt den Song weniger entschlossen klingen als er ist. Über weite Strecken des Clips sitzt Sinéad an einem Schreibtisch und sieht aus, als befände sie sich in einer Art kosmischem Dilemma. Das Video zu »Jump in the River« untergräbt den Song. Wie soll sich Sinéads Publikum für ein Stück begeistern, wenn der Eindruck erweckt wird, daß sie sich selbst dabei langweilt. Es ist also nicht überraschend, daß »Jump in the River« trotz seiner großen Stärken nicht gerade ein Hit wurde. Wie bei »l Want Your (Hands On Me)« versuchte Sinéad auch bei »Jump in the River« eine Neuinterpretation, als die unvermeidliche längere Version für Tanzclubs abgemischt werden mußte. Mit diesen neuen Versionen konnte Sinéad zwar das von ihr gewünschte Hip-Hop-Publikum erreichen, aber sie können einer Musikerin nicht gerecht werden, deren Stärken anderswo liegen. Schon allein die Tatsache eines Remix läßt vermuten, daß ein Song bei der ersten Aufnahme nicht so recht gelungen war, aber in jedem Fall ist Sinéads ursprüngliche, selbst produzierte Version einem fremden Remix vorzuziehen. Niemand versteht ihre Songs besser als sie selbst. Eine weitere Parallele zu »l Want Your (Hands On Me)« ist die Tatsache, daß Sinéad auch hier auf die Hilfe und Unterstützung eines anderen Stars zurückgriff. In diesem Fall war es die umstrittene Performance-Künstlerin Karen Finley, die Sinéad Ende 1988 bei einer Benefizveranstaltung für die Organisation »Refuse and Resist« in New York kennengelernt hatte. Finleys verrückte Performance stellte die flippige Seite von Sinéads gemäßigteren Bühnenäuße-
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Der zurückhaltende Popstar stellt sich den Photographen bei einer Pressekonferenz 1988. (Paul Robicheau)
(Paul Robicheau)
rungen und ein natürliches Gegengewicht dar. Wie schon bei M.C. Lyte brachte Sinéad mit Finley einen Sound und eine Stimmung in ihr Stück, die sie selbst nicht hätte liefern können. Und gleichzeitig war es ein Schlag ins Gesicht der Zensur, die zu jener Zeit in den Vereinigten Staaten an Einfluß gewann. Finleys wilder Rap in der erweiterten Fassung von »Jump in the River« ist abwechselnd bedrohlich und verrückt vor Lust und dreht sich immer um anatomische Beschreibungen, die als obszön gelten können. Das war nicht überraschend – es hat auch schon Shows gegeben, in denen sich Karen Finley eine Süßkartoffel ins Hinterteil stopfte – aber sie verdeutlichten das Verlangen, das in der Originalversion der Geschichte, die von einer lebensverändernden Leidenschaft handelt, nur angedeutet wird. In gewissem Sinne hätten Finleys Kreischen und ihre Forderungen nach Sex auch zu dem Rennix von »l Want Your (Hands On Me)« gepaßt. Wie man aus diesen beiden Tanzversionen schließen kann, sah Sinéad darin eine Gelegenheit, ihren Songs Elemente hinzuzufügen, zu denen sie selbst nicht in der Lage war und die eine verbale Direktheit besaßen, die ihr selbst abging. Sinéad war dabei, sich zu einem klassischen Rockstar und Kontroll-Freak zu entwickeln, aber sie kannte ihre Grenzen. Sinéad hatte also künstlerisch und persönlich an Sicherheit gewonnen, als sie die Verbindung mit Reynolds einging. Sie konnte sich selbst und ihre Fähigkeiten besser einschätzen, und die Möglichkeit, längere Zeit zu Hause bei Jake zu sein, gab ihr noch zusätzlich Kraft. Sie war nun kein Kind mehr, und sie war bereit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie benahm sich unauffällig und versuchte so etwas wie ein normales Leben zu führen. Das Jahr auf Tournee hatte eine chronische Erschöpfung bei ihr hinterlassen, und sie versuchte, mit Yoga Abhilfe zu schaffen. Sinéad tat noch einen Schritt, wahrscheinlich den schwersten von allen: Sie entließ ihren Manager und besten Freund. Viele, die irgendwann einmal mit Fachtna O'Ceallaigh zu tun hatten, nutzen jede Gelegenheit, um über ihn herzuziehen. Es heißt, er sei zu aggressiv, zu rechthaberisch und neige zu sehr dazu,
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aus jeder unbedeutenden Auseinandersetzung einen wahren Atomkrieg zu machen. Aber alle, die während der drei Jahre, als O'Ceallaigh Sinéads Manager war, mit ihm zu tun hatten, stimmen in einem Punkt überein: O'Ceallaigh tat das, was seiner Meinung nach das beste für Sinéad war, selbst wenn es nicht wirklich in ihrem Interesse war. Es ist die Aufgabe eines guten Rock and Roll-Managers, dem Künstler zu helfen, die Kontrolle zu bewahren. Aber O'Ceallaigh hatte statt dessen Sinéad unter Kontrolle. Zugegeben: Sie unterwarf sich im willig, da sie von O'Ceallaigh und seinen Ansichten begeistert genug war, um allem, was er sagte, bedingungslos zuzustimmen. (Vom Musikalischen her gesehen, könnte man mit Recht behaupten, daß diese Situation Sinéad zu »Jump in the River« inspirierte.) Kein zwanzigjähriger Rockstar möchte oder sollte sich mit der geschäftlichen Seite des Rock and Roll abgeben müssen. Vielmehr will dieser Rockstar das Leben einer Künstlerin führen, will, daß alle ihre Genialität bestätigen und ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen, weil sie letztendlich das Geld verdient, von dem sämtliche Gehälter bezahlt werden. Man ist dazu übergegangen, O'Ceallaigh die Schuld an allem zu geben, was Sinéad zwischen 1987 und 1989 getan hat. (Sinéad selbst tut das in Interviews, wenn jemand O'Ceallaigh ins Gespräch bringt.) Aber man sollte nicht vergessen, daß Sinéad zu dieser Zeit zwar noch sehr jung, aber keineswegs unzurechnungsfähig war. Niemand hat sie gezwungen, einen Vertrag mit O'Ceallaigh zu machen, niemand hat sie gezwungen, bei O'Ceallaigh zu bleiben, und niemand hat sie gezwungen, O'Ceallaigh zu verteidigen. Aber Ende 1989 war Sinéad O'Ceallaighs überdrüssig geworden. Sie selbst wollte die völlige Gewalt über ihr Leben und ihre Karriere, und bislang lebte O'Ceallaigh stellvertretend durch sie. Mit ihren Ausfällen in bezug auf U2 und auf die IRA war ein Punkt erreicht, an dem die Künstlerin zum Sprachrohr ihres Managers geworden war und nicht umgekehrt. Der altgediente Rockmanager Nigel Monk weist darauf hin, daß sich große Probleme nicht vermeiden lassen, sobald ein Manager sich selbst für den Rockstar hält. Wenn Sinéad sich weiterentwickeln wollte, dann mußten
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O'Ceallaigh – und sein Klüngel – gehen. Sie waren sich zu nahe gekommen, und er behinderte sie in zu vieler Hinsicht. Genau wie Sinéad sich schnell über die Vorstellungen ihres Produzenten Mick Glossop hinausentwickelt hatte, so war sie schließlich auch ihrem Beschützer, Fachtna O'Ceallaigh, entwachsen. In der Folge zeigten O'Ceallaighs Äußerungen, daß er nie verstanden hatte, warum man ihm den Laufpaß gab. Er erzählte Mikal Gilmore von Rolling Stone: »Ich habe Sinéad niemals als Person oder Sache betrachtet, die Schallplatten produziert. Ich habe in ihr immer den Menschen und die Freundin gesehen.« Mit anderen Worten: O'Ceallaigh war Sinéad als Person zu nahe gekommen, um ihre Karriere erfolgreich managen zu können, ohne seine eigenen Gefühle immer zuerst zu berücksichtigen. Und das konnte nicht gutgehen. Sinéad reagierte auf diese Trennung, wie es sich für eine Künstlerin gehört: Sie stürzte sich auf ihre Musik und fing so schnell und so stürmisch wie möglich an, zu schreiben und Aufnahmen zu machen. Zusammen mit Toningenieur Chris Birkett begab sie sich in ein kleines Studio – wieder wollte Sinéad die Aufnahmen selbst leiten –, brachte auch sparsam andere Musiker mit ins Spiel (Reynolds, Pirroni, Rourke) und schüttete schließlich ihr Herz aus in den neuen Songs. Diese sehr persönlichen Stücke – viel direkter und durchdachter als die auf The Lion and the Cobra – würden ihr vermutlich kein Massenpublikum einbringen, dachte sie, aber es war die emotional ehrlichste Schallplatte, die sie machen konnte, und das war entscheidend. Gegen Jahresende fand Sinéad einen neuen Manager (Steve Fragnoli, ein ehemaliger Mitarbeiter des Management-Teams von Prince) und hatte es fast geschafft, ihr altes Verhältnis zu Grainge und Hill von Ensign wiederherzustellen. Die beiden hatten eine frühe Version der neuen Platte gehört und ermutigten Sinéad, ihrer Inspiration zu folgen, obwohl sie von der Intimität der Stücke sehr überrascht waren. Alle hielten l Do Not Want What l Haven't Got für eine tolle Platte, aber niemand glaubte, daß sie sich gut verkaufen würde. Es würde Sinéads Image als Kultfigur stärken, aber nichts weiter.
7 / Do Not Want What l Haven't Got
(© 1990 Ensign Records Ltd., a subsidiary of Chrysalis Records Ltd.)
Obwohl
es von großem künstlerischen Wert ist, sollte Sinéads zweites Album l Do Not Want What l Haven't Got doch eine Platte über die Loslösung von allem Künstlichen sein. Wie John Lennons legendenerschütternde LP Plastic Ono Band, die er produzierte, nachdem sich die Beatles aufgelöst hatten und alle seine Träume dahin waren, handelt auch Sinéads zweites Album ganz von Ehrlichkeit angesichts unablässiger, unverständlicher Untreue. Plastic Ono Band ist ein deutlicher Vorläufer, selbst wenn Sinéad diese unerschrockene Platte nicht gekannt hat. Auf l Do Not Want What l Haven't Got geht Sinéad wirklich in sich. Sie löst sich von dem Element des Künstlichen, das sie noch bei The Lion and the Cobra hinderte, ihre wahren Möglichkeiten zu entfalten, und findet dabei weit mehr, das sich auf die Außenwelt übertragen ließe. Diese Wendung nach innen verhilft Sinéads Werk zu mehr Offenheit. Anstatt sich auf Mythen zu stützen, macht sie die Entdeckung, daß sich aus den persönlichsten Gefühlen der umfassendste Song entwickeln kann. l Do Not Want What l Haven't Got zeigt eine ungeheure Entwicklung bei Sinéad; dennoch bleibt Sinéad so unhistorisch wie U2 vor The Joshua Tree. Die Intensität dieses Albums mag auf einer Stufe stehen mit Plastic Ono Band und Van Morrisons St. Dominic's Preview, aber musikalisch hat l Do Not Want What l Haven't Got ebensowenig mit einem dieser wegweisenden Alben zu tun wie
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mit dem, was 1990 in der Popmusik passierte. Seine bewußt abgehobenen, folkloristisch angehauchten Balladen sind dem Beatbestimmten Zeitgeist entgegengesetzt. Wenn Sinéad auch immer noch verbreitet, ihre Lieblingsmusik sei der harte Rap auf Fear of a Black Planet von Public Enemy und auf Straight Outta Compton von N.W.A., so hat l Do Not Want What l Haven't Got doch mit Ausnahme eines entlehnten Schlagzeugstücks nichts mit dem Rap gemeinsam – es sei denn, man ließe Sinéads starke Neigung, vielleicht sogar Vorliebe, gelten, bekannten Wörtern und Wendungen neue Bedeutungen abzugewinnen, l Do Not Want What l Haven't Got ist ebenso direkt wie alles, mit Ausnahme des brutalsten Rap, aber vom Klang her gibt es keinerlei Verbindung. Was l Do Not Want What l Haven't Got so bewegend macht, ist Sinéads Fähigkeit, dieselben Ideen, die sie auf The Lion and the Cobra zum ersten Mal zur Sprache brachte – Verrat, Spiritualität, Verrat, unerwiderte Liebe und noch mehr Verrat – hier mit mehr Nachdruck und ohne die zeitweilige Unergründlichkeit ihres ersten Albums zu verwerten. Ihre musikalische und lyrische Sprache ist wesentlich schmuckloser (d.h. weniger wortreich), und der gewonnene Freiraum in ihrem Klang und ihren Worten gibt ihr Freiheit und Zuversicht. »Feel So Different«, mit fast sieben Minuten Spielzeit das längste der zehn Stücke dieses Albums, sprüht nur so von Freiheit und Zuversicht. Es beginnt mit einem von den Anonymen Alkoholikern übernommenen Gebet mit der Bitte um Gelassenheit. Hier fragt sich der Hörer einen Moment lang, ob er nicht versehentlich in eine psychotherapeutische Sitzung geraten ist oder ob er etwa eine Carly Simon-Platte, besungen von Shirley MacLaine, vor sich hat. Abgesehen von den Ursprüngen des Gelassenheitsgebets bei den A.A., ist dieses Gebet auch zu einer wichtigen Beschwörung in den Selbthilfegruppen der 1980er und 1990er Jahre geworden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Kodependenz (Mitabhängigkeit von Angehörigen suchtkranker Menschen) und andere individuelle und gesellschaftliche Probleme zu bekämpfen, die sich die Autoren von Selbsthilfebüchern ausgedacht haben. Das mag zynisch klingen, aber man darf nicht vergessen, daß sich das
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Problem Kodependenz zu einem millionenschweren Industriezweig entwickelt hat. Die New-Age-Kults sind für findige Geschäftsleute ein einfaches Mittel, um schnell an Geld zu kommen, während Heerscharen von betroffenen Menschen glauben, daß sie ihre Probleme und Schwächen überwinden können. Selbst wenn diesen Menschen geholfen wird – und das ist, um gerecht zu sein, häufig der Fall – so werden sie gleichzeitig ausgenutzt. Außerhalb des Aufnahmestudios haben Sinéad und ihr Karma mit östlichen und mittelöstlichen Glaubenssystemen geliebäugelt. Als l Do Not Want What l Haven't Got gerade erschienen war, gestand Sinéad in Pulsei, daß sie neben Yoga auch eine Affinität zur Zahlenmystik, zum Kabbalismus (jüdische Geheimlehre), zu Reinkarnation und zu täglichen Gebetsübungen habe. Sinéad ist auf der Suche in ihrer Musik; sie ist auf der Suche in ihrem Leben. Glücklicherweise manifestiert sich diese New-Age-Schwammigkeit in »Feel So Different« nicht weiter, nachdem das richtungweisende Gelassenheitsgebet abgehakt ist. Begleitet von Nick Ingrams gleitenden Streicherarrangements beginnt eine konzentrierte Sinéad zu singen, als sei sie tatsächlich eine ganz andere als die, die The Lion and the Cobra geschrieben, gesungen und damit eine Tournee bestritten hat. Sie läßt sich nicht mehr von dem Versuch ablenken, zuviel in jede Strophe hineinlegen zu wollen, sie ersetzt die Bandbreite der Gefühle nicht mehr durch die Bandbreite ihrer Stimme, und sie macht nicht zu viel Aufhebens um ihre Sache. Der Text spricht davon, daß sie ein anderer Mensch geworden ist, und Sinéads Darbietung entspricht ihren Worten. Schon beim ersten Hören kann selbst ein Fan des ersten Albums sofort die lyrische und musikalische weitere Entwicklung in diesem Zeugnis spüren. Der Text von »Feel So Different« führt Sinéads verbesserte Beherrschung der Technik vor, ihre Verse an eine imaginäre zweite Person zu richten, ein alter Folk-Trick, den Bob Dylan zu einem Imperativ der Rocklyrik gemacht hat. Wer will, kann auch autobiographische Bezüge zur ihrem Bruch mit O'Ceallaigh finden (»l started off with many friends... l thought they meant every word they said/But like everyone else they were stalling« – Anfangs hatte
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ich viele Freunde... Ich dachte, sie meinten wirklich, was sie sagten/Aber sie redeten nur herum, wie alle anderen.) Aber der Durchbruch, von dem im Text die Rede war, hat einen anderen Schwerpunkt. Sie fühlt sich anders, weil sie sich verändert hat und nicht die anderen. Als nächstes Stück auf l Do Not Want What l Haven't Got folgt »l Am Stretched on Your Grave«, mit dem unübertoffenen James Brown-Beat über der Vertonung eines Frank O'Connor Gedichts von Phillip King. Der Vater des Soul hätte diese geniale Promenadenmischung von Gedicht, Melodie und Beat sicher nicht für möglich gehalten. Hier wird die im ersten Album mißlungene Mischung von traditionellen und zeitgenössischen Elementen geschickt vollendet, und als weiterer Pluspunkt kommt dazu, daß sich die Hörer diesmal nicht mit Enya zufriedengeben müssen. Die Hinzufügung einer ausgewählten Schlagzeugaufnahme von Chris Stubblefield läßt die ältere a capella-Version dieses Songs aus The Value of Ignorance noch unvollständiger erscheinen als zuvor. Als eine der zwei großartigen, gewagten Wiederaufnahmen auf l Do Not Want What l Haven't Got läßt »l Am Stretched On Your Grave« Sinéad fünfeinhalb Minuten lang davon träumen, der erste gälische Rapper der Welt zu sein. Steve Williams' runde Fiedel schließt im Schlußteil den Kreis. Gleich nach »Feel So Different« zeigt auch dieses Stück besonders gut, daß Sinéad nun die Kraft hat, sich stärker auf ihr irisches Erbe einzulassen und es mit ihrer neuen Liebe, der Rap-Musik und der Hip-Hop-Kultur zu verbinden. Oberflächlich betrachtet, hat die Musik von »Three Babies« mit ihren von Ingram geleiteten Streichern und Sinéads atemlosem Vortrag eine gewisse Ähnlichkeit mit der von »Feel So Different«, aber hier sind die geistigen Aspekte stärker in den Song wie auch in seine Darbietung integriert. Der Aufhänger sind dabei die andächtigen Aspekte des Stücks. Sinéad fröstelt sich ehrerbietig durch eine Geschichte, die von einer Unterwerfung erzählt, die sogar noch deutlicher ist als diejenige, die »Jump in the River« motivierte. Sinéad hatte hier etwas gefunden, das »Dinge bewies, an die ich nie geglaubt hätte«, und ihre Freude am Musizieren klingt, als sei sie schwer erkämpft: Sinéad singt von Blasphemie und
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Entsagung. Hingerissen von den Worten, die sie rezitiert, singt sie zu ihrer eigenen Akkordbegleitung auf der Akustikgitarre und erhabenen Synthesizermelodien (mit Ausnahme der Streicher ist sie die einzige Musikerin in diesem Stück). Die drei Babys im Titel könnten eine Vielzahl von Leuten bedeuten. Manche sehen darin die Sängerin, ihren Ehemann und ihren Sohn; andere vertreten die Hypothese, damit sei die Heilige Dreieinigkeit gemeint. Wer immer diese Babys auch sein mögen, sie haben Sinéad zu einem bewegenden Lobgesang inspiriert. Es ist eine herrliche und großartige Beschwörung, die aber dennoch faßbar bleibt. Bei »The Emperor's New Clothes« ist der Titel dumm, ansonsten ist das Stück aber ein perfekter Popsong. Dieses erste richtige Rockstück auf l Do Not Want What l Haven't Got ist ein ideales Beispiel von lyrischen Vorstellungen, die als Autobiographie präsentiert werden. Die Erzählerfigur ist eine Frau mit einem kleinen Kind, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Diese Frau erinnert stark an Sinéad selbst, und das soll auch so sein. Aber man wird dem Geschick, dem Einfallsreichtum und der Professionalität der Songschreiberin Sinéad nicht gerecht, wenn man diesen Song auf seine autobiographische Komponente reduziert. Viele Künstler wollen in ihrem Werk das reale Leben widerspiegeln, aber lebensechte Kunst muß nicht zur reinen Dokumentation werden. Als Carl Simon beispielsweise mit »You're so vain« einmal einen überraschend guten Song herausbrachte, da schienen die meisten Leute, anstatt sich einfach an dem Song selbst zu freuen, vor allem dafür Interesse zu haben, ob dieser Song an Warren Beatty gerichtet war oder nicht. (Manche Leute lernen nie dazu; heutzutage fragen sich die Rockkritiker dasselbe bei Madonnas Songs.) Indem Sinéad häufig betont, daß ihre Songs sehr persönlich sind, öffnet sie solchen Interpretationen Tür und Tor. Aber damit wird sie sich selbst nicht gerecht und verleitet ihre Fans und Kritiker, dasselbe zu tun. Sie ist eine Künstlerin und keine Tagebuchschreiberin. Hier nur ein schnelles Beispiel, warum es an sich schon dumm ist, einen solchen Song ganz und gar wörtlich zu nehmen. In der ersten Strophe von »The Emperor's New Clothes« erklärt Sinéad: »And
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there's millions of people/To offer advice and say how l should be/But they're twisted/And they will never be any influence on me« (Es gibt Millionen von Leuten/Die mir gute Ratschläge geben und mir sagen, wie ich sein sollte/Aber die sind alle verdreht/Und werden mich niemals beeinflussen können). Eine wörtliche Interpretation dieser Zeilen legt nahe, daß Sinéad einige Millionen von aktiven Zuhörern hat (was nicht der Fall war, als sie diesen Song schrieb) und daß sie dieses aktive Publikum für blöde hält (was unwahrscheinlich ist). Eine solche Interpretationsweise würde mit der einiger vorschneller Kritiker übereinstimmen, die Mark Knopfler von den Dire Straits als Rassisten und Menschenfeind angegriffen haben, nur weil der Erzähler seines Songs »Money for Nothing« solche unschönen Ansichten vertrat. Der Erzähler dieses Songs war außerdem ein Gerätelieferant, aber das warf man Mark Knopfler nicht vor. Auch Randy Newman, der regelmäßig von Rassisten, Vergewaltigern und stumpfsinnigen Rockstars schreibt, wird oft auf ähnliche Weise kritisiert. Bestimmte Ansichten, die sich durch eine ganze Karriere hindurchziehen, sind eine Sache, aber ein einzelner Song macht noch nicht eine Karriere aus. Schriftsteller haben die Freiheit, neue Charaktere zu schaffen, obwohl viele Autoren, Rocktexter Inbegriffen, nicht in der Lage sind, Charaktere zu erfinden, die sich von den Urhebern unterscheiden. Bevor Sinéad nicht einem Song oder einer Platte den Titel The Story of My Life (Meine Lebensgeschichte) gibt, sollten die Hörer ihre Songs nicht als Vorwand benutzen, um sagen zu können, sie wüßten über ihr Privatleben Bescheid. Das Besondere an »The Emperor's New Clothes« ist die Tatsache, daß dieser Song von autobiographischen Elementen ausgeht und sich dann, dank seiner beweglichen Akkorde, in ein Dutzend fruchtbarer Richtungen zerstreut. (Randy Newman griff bei den ersten paar Stücken seiner Platte Land of Dreams zum selben Trick.) »The Emperor's New Clothes« ist ungeheuer vielschichtig. Das Stück kehrt Dylans Methode, eine imaginäre zweite Person einzuführen, die ja auch in »Feel So Different« angewandt wurde, um, indem diese imaginäre zweite Person abwechselnd geliebt und verabscheut wird. Das Stück besingt die Häuslichkeit
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und verkündet zugleich die Ablösung von einem Gönner – vielleicht O'Ceallaigh? Es ist abwechselnd selbstgerecht und beschwichtigend: Es gibt sich in seiner eigenen, anerkanntermaßen in sich widersprüchlichen Aussage zu erkennen. Wie in »Madinka« übernimmt der Gitarrist Pirroni auch hier eine entscheidende Funktion; »The Emperor's New Clothes« präsentiert eine beispielhafte Mischung von akustischen und E-Gitarren. Sinéads akustische Melodien umschmeicheln die aggressiveren von Pirronis E-Gitarre und unterschreichen damit die ähnliche Beziehung im Text. »The Emperor's New Clothes« bewegt sich auf einen kraftvollen und eigensinnig repetitiven Schluß zu, in dem die Band hart dabeibleibt und ihre Akkorde lauter und lauter spielt. Neunzig Sekunden dauert dieser rockige Schluß, auf der knappen Single-Version ist er kürzer, aber er wird niemals langweilig; das Quartett könnte, wenn es wollte, diese Akkorde den ganzen Abend so weiterspielen, wenn das Band lang genug wäre. Unglücklicherweise steht direkt vor diesem gelungenen Schluß das einzig künstliche Element dieses Songs. Der Titel erscheint nicht im Text, bis Sinéad ihn viermal wiederholt und dann in den Schluß hinübertanzt. Weil der Titel des Songs ein Klischee darstellt – und zudem ein Klischee ohne jeden Bezug –, löst er den Song nicht so gut auf, wie er sollte. Sinéad hat sich alle anderen Elemente von »The Emperor's New Clothes« wohl überlegt; der Song verdient einen besseren Einfall, um ihn zusammenzuhalten. Aber dennoch reichen der schwindelerregende Enthusiasmus der Musik und die vielschichtige Ironie von »The Emperor's New Clothes« aus, dieses Stück von vornherein zum Klassiker zu machen. Im Herbst 1990 brachte Chrysalis ein Remix von »The Emperor's New Clothes« heraus, auf dem die ursprüngliche Rhythmusspur gelöscht und eine neue, unpassende aufgepfropft worden war, die sich an Tänzer auf der Suche nach geeigneter Musik richten sollte. Der völlige Mißerfolg dieser Version verdeutlicht, wie sehr Text und Musik des Originals ineinandergriffen; sie waren untrennbar, und der Verlust des einen ließ das andere leer klingen. Ruhiger als »The Emperor's New Clothes«, aber sogar noch ausdrucksstärker ist das Stück »Black Boys On Mopeds«. Vor melo-
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dischem Background spielt Sinéad alleine auf ihrer zwölfsaitigen Takamine-Akustikgitarre. »Black Boys On Mopeds«, arrangiert von Sinéad und Karl Wallinger von World Party, der sich zu einem hervorragenden Pop-Kenner entwickelt hatte, ist ein Protestsong, dessen Schönheit die Aussagekraft seiner unschönen Geschichte verstärkt. »Black Boys On Mopeds« handelt von dem unbestreitbaren Verfall Großbritanniens unter der mehr als zehnjährigen Regierung von Premierministerin Margaret Thatcher, der eisernen Lady der Konservativen. Die Bilder des Songs sind verzweifelt und ausdrucksvoll. Die Titelidee wurde angeregt durch den sinnlosen Tod von Nicholas Bramble, den die Polizei verfolgte, weil er unter dem Verdacht stand, das Moped, das er fuhr, gestohlen zu haben. Voller Angst fuhr Bramble immer schneller und wurde schließlich bei einem Zusammenstoß getötet. Allgemein wurde die Auffassung vertreten, daß man Bramble nicht verdächtigt hätte, wäre er nicht ein Schwarzer gewesen. Obwohl in einem Untersuchungsverfahren ein Fehlverhalten der Polizei ausgeschlossen wurde und obwohl der Unfall rein technisch durch Brambles eigenes Verschulden verursacht wurde, wäre Brambles Tod doch ohne das böswillige Einschreiten der Polizei nicht denkbar gewesen. Sinéad ist also emotional – wenn auch nicht legal – berechtigt, England als »the home of police/Who kill block boys on mopeds« (die Heimat einer Polizei, die schwarze Jungs auf Mopeds umbringt) anzuklagen. »Black Boys On Mopeds« ist der kürzeste Song auf l Do Not Want What l Haven't Got, nimmt aber in vieler Hinsicht den größten Raum ein. Er ist voller Übertreibungen, von denen sich viele abgestoßen fühlten. Aber politische Kunst beruht immer auf Übertreibung. Auch hier kann man wieder den Unterschied zwischen schöpferischer und dokumentarischer Kunst sehen. Am meisten waren die Leute durch die übertriebene Darstellung in der ersten Strophe verärgert, in der sich die Erzählerfigur wundert, daß Margaret Thatcher »schockiert« war über den brutalen Angriff der chinesischen Regierung auf das eigene Volk auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Denn »the same Orders are given by her« – (sie selbst gibt dieselben Befehle). Sicherlich tritt die
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Grausamkeit einer Margaret Thatcher nicht so offen zutage wie die eines Li Peng, aber eine solche Übertreibung scheint dennoch notwendig zu sein, weil der reinen Wahrheit keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt wird. Mrs. Thatcher führte einen Krieg im südlichen Atlantik, in dem es um ein paar Schafe und um den Stolz ging und der viele sinnlose Tote hinterließ. Und wenn Mrs. Thatcher das Vorgehen des Li Peng-Regimes für ein moralisches und politisches Desaster hält, warum läßt sie es dann zu, daß die Briten ihre Herrschaft in Irland mit Gewalt aufrechterhalten? Der Sinn von »Black Boys on Mopeds« ergibt sich mehr aus den Gefühlen als aus den Tatsachen. Wieder ist es selbst für einen Fan von The Lion and the Cobra unmöglich, dieses Stück aus l Do Not Want What l Haven't Got zu hören, ohne die ungeheure Entwicklung, die jedes Element von Sinéads Kunst durchlaufen hat, zur Kenntnis zu nehmen. Es wäre unfair, diese tiefgehende Darbietung mit den Oberflächlichkeiten ihres Debüts zu vergleichen. Es soll hier genügen, die am häufigsten zitierten Worte aus »The Emperor's New Clothes« zu paraphrasieren: Wie hätte sie wissen können, was sie wollte, als sie erst einundzwanzig war? Zwei Jahre später ist sie immer noch jung, aber sie ist wesentlich reflektierter, sowohl als Texterin, als auch als Musikerin und als Produzentin. Die spärlichen Melodien der Akustikgitarre bilden den Rahmen zu »Black Boys On Mopeds«, und Sinéad läßt ihre Stimme springen, um bestimmte Dinge hervorzuheben. Der Song richtet sich an eine Person, die älter ist als Sinéad, an einen Idealisten, dessen Begeisterung erloschen ist. Sinéad reagiert liebevoll und nachdrücklich auf diese Person, die einmal das war, was Sinéad heute ist. In der letzten Strophe bricht sie eine Lanze für die Loslösung von weltlichen Dingen; eine Vorstellung, die auch in »The Emperor's New Clothes« auftaucht (»l see plenty of clothes that l like/But l won't go anywhere nice for a while« – Ich sehe jede Menge Kleider, die mir gefallen/Aber ich werde in nächster Zeit keine Gelegenheit haben, sie zu tragen) und die besonders deutlich wird in dem antimaterialistischen Titelsong, der sich gegen die Welt der Yuppies richtet. Aus Sinéads Sicht gibt es Profanes auf der einen Seite
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Sinéad führt »l want Your (Hands On Me) vor. Der Rapper M. C. Lyte ist nirgends zu entdecken. (Paul Robicheau)
Sinéad tanzt selbstvergessen auf der ersten Station ihrer Tournee im Jahr 1990. Ihre Halskette läßt vermuten, daß »Nothing Compares 2U« nicht alles ist, was sie von Prince übernommen hat. (Paul Robicheau)
und Heiliges auf der anderen. Wie Prince auf den Platten Sign o' the Times, The Black Album und Lovesexy untersucht auch Sinéads Werk die Vorzüge der beiden Seiten, entscheidet sich aber letztendlich fest für eine Seite. Sie möchte gut sein. Prince lieferte die aufschlußreichste Ballade zu l Do Not Want What l Haven't Got, die unter Sinéads Händen zum allumfassendsten Lied einer unglücklichen Liebe seit »Layla« von Derek and the Dominoes wurde: »Nothing Compares 2 U«. Sinéad lernte diesen Song durch O'Ceallaigh kennen, und ihre Vorstellung ist so überzeugend, daß man kaum glauben kann, daß sie dieses Stück nicht selbst geschrieben hat. Prince schrieb »Nothing Compares 2 U« für Family, eine der weniger bedeutenden Gruppen, die er förderte. Family war ursprünglich aus Prince's Bedürfnis heraus entstanden, den wenigen Mitgliedern der Gruppe Time, die ihn nicht nach Purple Rain verlassen hatten, Arbeit zu verschaffen. Außerdem wollte er damit Susannah Melvoin (der Zwillingsschwester von Wendy Melvoin, die damals Gitarristin in seiner Band Revolution war) eine Auftrittsmöglichkeit verschaffen. Es ist nicht klar, ob Susannah seine damalige Geliebte war oder nicht. (Es ist bei weitem irreführender und mühsamer, die Liebschaften von Prince zu verfolgen, als die von Sinéad zu umreißen.) Das einzige Album der Gruppe war ein Mischmasch, der sich irgendwo an der Grenze zwischen den Verpoptesten Elementen der psychedelischen Musik und den verpoptesten Elementen des Funk entlanghangelte. Aber, wie es schon das Firesign Theater einmal formulierte: Wie kann man an zwei Orten gleichzeitig sein, wenn man eigentlich nirgendwo ist? Familys einzige Single war »Screams of Passion«, ein Stück, in dem Susannah Melvoin einen vorgetäuschten Orgasmus ins Mikrophon stöhnte – ein Einfall, der schon zehn Jahre zuvor bei Donna Summers und Andrea True idiotisch gewirkt hatte und der auch jetzt nur idiotisch und überholt dazu klang. Melvoin war unglaubwürdig; ihr Gestöhne klang nicht nach gesteigerter Lust, sondern so, als müsse sie gleich niesen. Hätte sie einen Job als Telefonsex-Dame an Land gezogen, wäre sie schon am ersten Tag wieder gefeuert worden.
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In den Händen der Family war »Nothing Compares 2 U« lediglich Prince's neueste Kodependenz-Hymne, eine Ballade mit unerwarteten Akkordwechseln, die schon fast als barock zu bezeichnen waren und die denen in Prince's weniger bedeutenden Balladen aus der Zeit von Parade und Under the Cherry Moon glichen. Die Orchestrierung ist eine aufgeblasene, hölzerne und gänzlich unglaubwürdige Übung. Jeder, der sich fragt, warum niemand ein zweites Album von Family haben wollte, muß sich nur einmal dieses Stück anhören. Dagegen hat Sinéads Version von »Nothing Compares 2 U« vielen auf Anhieb gefallen. Der Respekt vor Sinéads Darbietung sollte noch größer sein, wenn man bedenkt, daß es ihr gelungen ist, diesen Song aus seinen scheußlichen Ursprüngen zu lösen und daraus die härteste Nummer 1 in der Easy-Listening-Kategorie der amerikanischen Charts seit Jahren zu machen. Sinéad produzierte ihre Aufnahme von »Nothing Compares 2 U« mit einem Mann, der zu dieser Zeit gerade als die englische Version von Prince galt: Nellee Hooper von der Funkgruppe Soul II Soul. Hoopers Abart des Funk ist wesentlich beschränkter als die von Prince, aber er erwies sich bei dieser Aufnahme als geeigneter Arbeitspartner für Sinéad. Die Einleitung von »Nothing Compares 2 U« ist sparsam, nur ein Synthesizer. »It's been seven hours and fifteen days/Since U took your love away« (Jetzt sind es sieben Stunden und fünfzehn Tage/Seitdem du mir deine Liebe genommen hast) singt Sinéad und begibt sich weiter in den Song. Etwas fehlt. Sinéads Gesang ist technisch so erstaunlich wie immer, aber da ist etwas in ihrem Ton, etwas, von dem sie zurückgehalten wird. Mitten in der Strophe bricht das Schlagzeug herein. Es erhält das schmerzhaft langsame Tempo aufrecht, aber es kann der Sängerin keinerlei Erleichterung bieten. Sinéad kämpft sich voran; völlig niedergeschmettert, nur noch empfänglich für ihren eigenen Schmerz. Der Song bleibt sparsam; die Sängerin und ihre überwältigende Traurigkeit stehen die ganze Zeit im Vordergrund. Sie hat völlige Freiheit, kann aber ohne ihren Geliebten nicht leben. Auch ihr Arzt kann ihr nicht helfen. Alle Blumen in ihrem Hinterhof sind verdorrt. Sie weiß, »that living with you, baby, was sometimes hard/But l'm
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willing to give it another try/'Cos nothing compares... 2 U« (daß es manchmal schwer war, mit dir zu leben, Baby. Aber ich bin bereit, es noch mal zu versuchen, weil du einfach unvergleichlich bist). Die Sprache des zerbrochenen Herzens ist unverzagt, während die Sängerin unsicher erscheint. Aber dennoch ist sie bereit, um ihren Geliebten zu kämpfen. Dies führt uns zu dem grundlegenden Widerspruch in »Nothing Compares 2 U« und zu dem wichtigsten Element, das dieses Stück mit »Layla« gemein hat. Bei Sinéad ist »Nothing Compares 2 U« so völlig hoffnungslos wie Hank Williams »Lost Highway« oder Robert Johnsons »Love in Vain«, aber sie singt es mit so erstaunlicher Stimmkraft, daß man sie keineswegs als so ausgelaugt empfindet, wie sie zu sein vorgibt. Wenn sie noch so kraftvoll, mit solcher Konzentration singen kann, war sie vermutlich zu schade für den, der sie verlassen hat. Sie ist eine starke Frau, die nicht so schnell aufgibt. Sie ist stark. Vergeßt den Geliebten: Sie ist einfach unvergleichlich. »Jump in the River«, aus der Filmmusik zu Married to the Mob vom Jahr davor, ist das nächste Stück auf der Platte. Und es beschreibt dieselbe Beziehung ungefähr sechzehn Tage vorher. Sinéads rauer Riff auf der Gitarre entwickelt sich nie zu einem richtigen Song, aber das Geheimnis dieses harten und dennoch unterwürfigen Stücks ist seine Unbekümmertheit. Es ist gut aufgehoben auf l Do Not Want What l Haven't Got, nach der Verzweiflung von »Nothing Compares 2 U« liefert dieser Song sowohl lyrisch wie rhythmisch Erleichterung. Aber diese Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, da als nächstes zwei Originalaufnahmen voller Angst folgen. »You Cause As Much Sorrow« ist eine sanfte, aber ernstgemeinte Abfuhr. Die Sängerin selbst gibt zu: »It just sounds more vicious/Than l actually mean/l really am soft and tender and sweet« – (Es klingt einfach gemeiner/Als es eigentlich gemeint ist/In Wirklichkeit bin ich sanft und zärtlich und lieb). Das Stück ist ebenso vertraulich wie »Three Babies« und »Black Boys On Mopeds«, und seine Bitterkeit ist von halb geflüstertem Gesang umhüllt, bis sich Sinéad aufschwingt und den pointierten Galgenhumor der Titelzeile verkündet: »You
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cause as much sorrow dead/As you did when you where alive« – (Du verursachst genausoviel Kummer nach deinem Tod/Wie zu deinen Lebzeiten). Das ist Kodependenz in ihrer heimtückischsten Form, obwohl Sinéads unablässiger Versuch, ihren Kindheitsglauben in ihren Songs zu erforschen, manche zu der Vermutung veranlaßt, daß sie diesen Song an Jesus Christus richtet. In der letzten Zeit hat sich Sinéad in Interviews öfter abfällig über die instituionalisierte Religion geäußert, aber sie macht auch immer wieder deutlich, daß sie äußerst vertraut ist mit der katholischen Kirche. Sinéad hat sich niemals gescheut, die Kirche für all das verantwortlich zu machen, was ihrer Meinung nach an der gescheiterten Ehe ihrer Eltern und an ihr selbst genagt hat. Etwa zur gleichen Zeit, als sie die Songs für l Do Not Want What l Haven't Got schrieb, gab Sinéad auch ihr Debüt als Schauspielerin in Hush-a-Bye-Baby, einem Film, der beim Dublin Film Festival lief und auch im britischen Fernsehen gesendet wurde. Sinéad spielte die Rolle eines fünfzehnjährigen Mädchens (mit Haaren; sie trug eine Perücke), deren Freundin schwanger wird. »Der Film zeigt ganz einfach, was für einen schlechten Einfluß eine irische Erziehung auf junge Mädchen haben kann«, bemerkte Sinéad gegenüber der Zeitschrift Pulse! über den Film, der sich auf die wahre Geschichte der Anne Lovett stützt, einem irischen Mädchen, das mit ihrem toten Baby im Arm tot in einer Felskapelle der heiligen Madonna aufgefunden wurde. Das Stück »Three Babies« auf l Do Not Want What l Haven't Got wurde ursprünglich für Hush-a-Bye-Baby geschrieben, was zu einer weiteren Interpretationsmöglichkeit der Frage führt, wen die Erzählerfigur darstellen soll, besonders wenn man dabei die Zeile »l have wrapped your cold bodies around me« – (Ich habe eure kalten Leiber um mich gelegt) betrachtet. »Why can't you just let me be?« – (Warum kannst du mich nicht einfach so lassen?) fragt Sinéad neben auf- und abschwellenden Klavierklängen in »You Cause As Much Sorrow« mit der Verzweiflung eines Menschen, der diese Frage schon tausendmal gestellt hat. Dabei erinnert sie besonders an Hazel Motes, die einem Jesus-Wahn verfallene Heldin in Flannery O'Connors kirchentreu-
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em Roman Die Weisheit des Blutes. Es ist aber anzunehmen, daß Sinéad mit dem Werk dieser Vorgängerin nicht vertraut ist. Flannery O'Connor war wie Sinéad irische Katholikin, die besessen war von der Schlechtigkeit der Welt und dem Bedürfnis, sich davon zu trennen. Sinéad macht dort weiter, wo Flannery nach ihrem vorzeitigen Tod eine Generation vorher aufgehört hat, obwohl Sinead aus eigener Erfahrung schreibt und nicht wie Flannery aus dem Schlafzimmer auf dem Bauernhof ihrer Mutter. Flannery blieb immer Beobachterin, die ganz auf Gottes Gnade setzte. Sinéad dagegen ist aktive Teilnehmerin, und ihre Moral orientiert sich am gelebten Leben. Sinéad akzeptiert einige katholische Glaubensgrundsätze – so hat sie sich in Interviews schon dazu bekannt, an ein Leben nach dem Tod zu glauben –, aber sie behält sich vor, jedes einzelne Element des Glaubens für sich zu prüfen und abzulehnen. Der nun folgende Song ist so fest in der Erfahrung der Erzählerin verankert, daß Sinéad gar nicht auf die Idee kommt, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Geschichte vielleicht zwei Seiten haben könnte. »The Last Day of Our Acquaintance« ist der erbarmungsloseste Song auf l Do Not Want What l Haven't Got. Es ist der ehrlichste, unerbittlichste Song über eine Trennung seit Sam Phillips »Out of Time« (von ihrer Sammlung The Indescribable Wow!), und Phillips Song ist weitaus großzügiger. Bei »The Last Day of Our Acquaintance« machen sowohl die Darbietung als auch der Text deutlich, daß hier die Erzählerin die Betrogene ist. Das Arrangement, das auf Reynolds gewaltigem Schlagzeug basiert, löst eine Reihe von ruhigen Explosionen aus, während Sinéad einem zukünftigen Ex-Mann eine Abfuhr erteilt. Sie stellt sich die Scheidungsverhandlung in einem Rechtsanwaltsbüro vor, bei der »l'll talk but you won't listen to me« – (Ich werde reden, aber du wirst mir nicht zuhören). Der Hörer findet nie heraus, was die beiden auseinandergebracht hat, aber es ist klar, daß die Erzählerin sich selbst keine Schuld gibt. Gegen Ende des Songs fordert die Band lauthals mehr und mehr Raum: Reynolds zerschlägt alles, was ihm in die Quere kommt, und der Bassist Jan Wobble umschmeichelt den Beat, ohne ihn zu besänftigen. (Wobble, der früher einmal Bassist für
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Public Image Limited, John Lydons Band nach den Sex Pistols, war, galt allgemein als noch anachronistischer als Pirroni, aber hier kann er glänzen.) Die Rhythmusgruppe erinnert ganz besonders an Crazy Horse. »Two years ago the seed was planted« – (vor zwei Jahren wurde der Samen gelegt), ruft Sinéad und bezieht sich dabei offenbar auf eine ungeplante Schwangerschaft. Zu der Zeit, als l Do Not Want What l Haven't Got herauskam, bemerkte Sinéad gegenüber Time, es sei ihr Ziel »hart zu schreiben«. Hier ist ein Song, der härter ist als jedes ihrer Interviews, die sie zu The Lion and the Cobra gegeben hat. Und diesmal legt ihr keiner die Worte in den Mund. Es ist ihre Wut; und sie ist eine Frau der Tat. Nach der Explosion von »The Last Day of Our Acquaintance« kommt der magische Niederschlag von »l Do Not Want What l Haven't Got«. Es ist ein a capella-Stück, das ganz nah am Mikrophon gesungen wird und das in einem großen Atemzug beginnt, um dann sechs hinreißende Minuten lang einen Weg zurückzuverfolgen, auf dem nicht weniger Gefahren lauern als auf dem Weg in The Pilgrim's Progress*. Sinéad durchschreitet das Tal des Schattens und geht klüger und gefaßter daraus hervor. Sie hält die Töne, so lange sie nur kann, so verliebt ist sie in die Geschichte, daß sie gar nicht loslassen mag. Niemals zuvor oder danach hat ihr Gesang so friedlich und ohne Sorgen geklungen. »l Do Not Want What l Haven't Got« ist der Höhepunkt des Albums. Das Stück erzählt von einer geistigen Suche und setzt dort ein, wo die erste Nummer der Platte »Feel So Different« aufhörte. Gleichzeitig liefert es einen Kommentar zu den dazwischenliegenden Stücken, die bei eingehender Betrachtung genau die geistigen Herausforderungen beschreiben, auf die Sinéad in ihrem Titelsong anspielt. In dieser Aufnahme aus den letzten Tagen eines der gierigsten Jahrzehnte, das die westliche Zivilisation durchlitten hat, gebietet ein Popstar Einhalt. Sinéad hat das Glück, singen zu können: »l have all that l requested/And l do not want what l haven't got« – (Ich hab' alles, worum ich gebeten habe/Und ich * Pilgerreise von John Bunyan, ein englisches Erbauungsbuch des 17. Jahrhunderts
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will nichts, was ich nicht habe). Sie hat schwere Zeiten durchgemacht, und sie hat sie überlebt. Jetzt will sie nur noch ein ruhiges, normales Leben führen. Es wurde jedoch gleichzeitig klar, daß, nachdem die Leute das Album l Do Not Want What l Haven't Got hörten, Sinéad niemals wieder ein solches Leben würde führen können. Ironischerweise sollte sie die Erklärung ihrer finanziellen und geistigen Zufriedenheit zur Millionärin machen.
8 Superstar
Sinéad vergräbt sich ganz in ihre Musik... (Nick Elgar/LFI)
Einige
Manager bei Ensign und Chrysalis waren, obwohl das keiner heute noch zugeben würde, besorgt, daß l Do Not Want What l Haven't Got zu persönlich sei, um ein großer Hit zu werden. Sie wußten jedoch auch, daß sie den Marktwert von The Lion and the Cobra ebenfalls um den Faktor zwanzig unterschätzt hatten. Die Vorbestellungen waren ermutigend, und man hoffte das Beste. Diesmal wollten sie den Stolz beiseite lassen, diesmal wollten sie im Unrecht sein. Es war kein besonders gutes Jahr für die Plattenfirma gewesen; man brauchte einen Verkaufsschlager. Trotzdem waren sie besorgt; zudem war ihnen das Beispiel von Terence Trent D'Arby noch frisch im Gedächtnis, was ihre Sorge nur noch steigerte. D'Arbys erstes Album, Introducing the Hardline According to Terence Trent D'Arby, war eine erfrischende Verarbeitung einer großen Vielzahl von Soul- und Popstilen, von der zwei Millionen Exemplare verkauft wurden, während D'Arby der Presse fast ebensoviel Zündstoff lieferte wie Sinéad. In seinen Live-Auftritten konnte er Musikern wie den Rolling Stones und Sam Cooke das Wasser reichen und sie sogar übertreffen, so gut war er. Aber D'Arbys nachfolgendes Album Neither Fish nor Flesh war nicht das, was die Leute erwarteten, und es war ein Schlag ins Wasser. Diesmal war nicht allein der Soul die Grundlage, denn Neither Fish nor Flesh entsprang einer breiter gefächerten Mischung von Sweet Soul, Swamp Rock, psychedelischer Musik und Prince.
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D'Arbys zweites Album war wild, es war verrückt, und obwohl es in vieler Hinsicht visionär war, wußte keiner in der Plattenindustrie, was er damit anfangen sollte. (Elvis Costello hatte eine ähnlich unterschiedliche Sammlung, Spike, ungefähr zur selben Zeit herausgebracht, aber ihm ließ man es durchgehen, weil er weiß war. Afroamerikanische Musiker, die nicht die Erwartungen erfüllen und die von einer Rockindustrie, die schon nach zehn Sekunden nicht mehr zuhört, wenn sie die fragliche Platte nicht für einen Hit hält, als »experimentell« abgestempelt werden, haben keine Chance.) Die Texte von Neither Fish nor Flesh waren persönlich und wurden als beschränkt empfunden. (Obwohl sie nicht beschränkter waren als beispielsweise die Texte des platinierten Art-Rockers Rush.) Und D'Arbys neues Auftreten – ebenso selbstsicher, aber weit weniger überkandidelt – war nicht halb so verkaufsfördernd wie früher. Die Chrysalis-Leute rauften sich die vor Kummer ergrauten Haare. Was aber an dem wirtschaftlichen Mißerfolg von Neither Fish nor Flesh besonders schlimm war – abgesehen davon, daß einem begabten Musiker die Möglichkeit genommen wurde, sich in der Öffentlichkeit zu entfalten und zu lernen – war der unvermeidbar lähmende Effekt auf die zweiten Alben von Künstlern, die bereit waren, ein Wagnis einzugehen. Man benutzte Neither Fish nor Flesh als abschreckendes Beispiel; viele Musiker, die mit ihrer ersten Platte sehr erfolgreich gewesen waren, wurden angehalten, an einer guten Sache nichts zu ändern. Viele gaben sich damit zufrieden. Eine Vielzahl von zweiten Alben, die 1990 herauskamen – von der Jeff Healy Band bis zu den Indigo Girls – waren deutlich weniger interessant als ihre Vorgänger. Das lag vor allem daran, daß sie Felder beackerten, die bereits beim ersten Mal gründlich abgeerntet worden waren. Die Plattenfirmen wurden mit der Zeit so ängstlich, so zynisch und so gierig, daß sie gar nicht mehr daran dachten, die Produktionsgelder für das neue Album eines Musikers vorzustrecken oder zu übernehmen: Virgin ließ auf Paula Abduls mehrfach platiniertes Debüt Forever Your Girl den Titel Shut Up and Dance folgen, nichts als ein Remix von sieben Songs aus dem Debüt-Album. Arista ließ
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dem sogar noch erfolgreicheren ersten Album Girl You Know It's True von Milli Vanilli ein ähnliches The Remix Album folgen. Die Neuerscheinungen waren, wie erwartet, ohne Experimente, langweilig und auch erfolgreich genug, daß echte Rockfans fürchten mußten, daß sich ein solches Vorgehen allgemein einbürgern könnte. Abdul und Milli Vanilli hatten schon beim ersten Mal nicht unbedingt große Kunst hervorgebracht; sich ihre zweiten Alben anzuhören war daher, als schaue man sich Wiederholungen einer Unterhaltungsshow im Fernsehen an. Dieselben Schwierigkeiten, die sich auf D'Arbys Verkaufszahlen auswirkten, könnten auch Paula Abdul oder Milli Vanilli beim nächsten Mal treffen. Das ist möglich, obwohl es unwahrscheinlich scheint, da das Werk dieser beiden Musiker eigentlich immer nach demselben Muster gestrickt ist. Aber wenn es doch passieren sollte und diese Musiker die wirtschaftliche Gunst des Publikums verlieren, dann wird es eben erst bei ihrem dritten Album der Fall sein, nicht bei ihrem zweiten, und ihre Plattenfirmen werden bis dahin schon eine Menge mehr Geld gescheffelt haben. Vielleicht werden Paula Abdul und Milli Vanilli in den nächsten zehn Jahren einfach immer wieder dasselbe Album herausbringen, unter Titeln wie: Die echten Demo-Bänder, Das große Playback-Vergnügen, Die Video-Versionen und Die (bislang) größten Hits. In der Zwischenzeit können ihre Plattenfirmen dann schon einmal die obligatorische Multi-CD-Box zusammenstellen. Nie schien der Titel Forever Your Girl (Ewig die Deine) so bedrohlich. Eine solche Vorstellung ist natürlich übertrieben (hoffentlich ist sie es), aber sie zeigt, wie häufig die Verantwortlichen in den Plattenfirmen ihre Musiker beim zweiten Album dazu bewegen wollen, bei dem zu bleiben, was beim ersten Mal so gut angekommen ist. Und obwohl einige klare Köpfe erkannt haben mögen, daß l Do Not Want What l Haven't Got ein weitaus gehaltvolleres und zeitloseres Werk war als The Lion and the Cobra, so dachten auch diese klaren Köpfe zuallererst an ihre eigenen Gehälter. Aber alle Einwände wurden entkräftet, sobald sie das Video sahen, das der unermüdliche John Maybury zu »Nothing Compares 2 U« aufgenommen hatte.
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Unterstützt von einer reinen Frauenmannschaft hatte Maybury einen stimmungsvollen Clip zu Prince's altem Song gedreht. Der Film folgt einer verloren wirkenden Sinéad bei einem Spaziergang im Park; Wasserspeier sorgen dabei für Farbe und Auflockerung. Die notwendigen Playback-Abschnitte zeigen Sinéad in Nahaufnahme, wobei die Kamera nur von ihrer Stirn bis zum oberen Rand ihres schwarzen Rollkragenpullovers geht. Sinéad war nicht zu übersehen, allumfassend; die Zuschauer konnten dem Anblick dieses herumirrenden Wesens nicht ausweichen. Beim Schnitt des »Nothing Compares 2 U«-Clips erkannten Maybury und Sinéad sofort, daß der Teil mit den Nahaufnahmen so umwerfend gut war, daß man ihn einfach als Grundlage für den ganzen Clip nehmen mußte. Gefilmt vor einem schwarzen Hintergrund, waren diese minimalistischen, bilderstürmerischen Aufnahmen ein Affront gegen die ausufernden Videos, die normalerweise das Musikfernsehen (MTV) und andere Kanäle bevölkern. »Nothing Compares 2 U« läßt sich vielleicht am ehesten als Antivideo bezeichnen, als Gegenpol zum Programm des Musikfernsehens. Näher konnte man der direkten Kommunikation in einer PlaybackSituation nicht kommen: eine Frau, ihr Gesicht, verstört und schutzlos, füllt den ganzen Bildschirm. Die Träne, die gegen Ende des Songs an ihrer Wange herunterläuft, ist echt; sie zeigt, wie sehr Sinéad an ihren Song glaubt, wie sehr sie sich damit identifiziert und wie sehr er sie inspiriert. Sinéad versucht, direkt in die Kamera zu blicken, aber oft muß sie wegschauen, manchmal auf den Boden, manchmal gen Himmel. Sinéad entschied sich auch für eine dieser himmelwärts blickenden Aufnahmen als Titelbild für Album, Kassette und CD von l Do Not Want What l Haven't Got. Dieses Coverfoto steht im krassen Gegensatz zu der gequält wirkenden Aufnahme, die The Lion and the Cobra schmückte. Hier wirkt Sinéad zufrieden mit sich und der Welt (es ist verblüffend, wie unterschiedlich eine Aufnahme wirken kann, wenn sie aus dem Kontext gerissen wird) und paßt sich damit dem Titel des Albums und der treibenden Kraft an, die dahintersteht. Gleichzeitig war das Ganze ein guter Werbeschachzug, da diejenigen, denen Sinéads Bild vor allem aus dem Video zu »Not-
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hing Compares 2 U« vertraut war, nun dieses Bild zusammen mit der Musik nach Hause tragen konnten. Will man verstehen, warum die Single »Nothing Compares 2 U« und das Album l Do Not Want What l Haven't Got so schnell solch ungeheuer durchschlagenden Erfolg hatten, dann darf man die Bedeutung des »Nothing Compares 2 U«-Videos nicht unterschätzen. Dieses Video war nicht nur eine erholsame Abwechslung von den spärlich bekleideten Fotomodellen und den brustbehaarten Heavy-Metall-Schwachköpfen, die normalerweise das Videoprogramm beherrschen. »Nothing Compares 2 U« führte Sinéad auch bei denjenigen wieder als empfindsame Musikerin ein, die sich von der Aggressivität ihres Grammy-Auftritts abgestoßen gefühlt hatten, und diejenigen, die Sinéad noch nie zuvor gesehen hatten, waren ebenfalls sehr beeindruckt. Liebeslied-Balladen ohne Schlagerschmalz oder Heavy-Metal-Anklänge sind eine Seltenheit in der Rockszene, so daß die bildliche Darstellung selbst einer mittelmäßigen Ballade dieser Art gute Aussichten auf Erfolg hat. Da der Clip vor allem aus extremen Nahaufnahmen bestand, konnte Sinéads Stoppelhaarschnitt (sie hatte sich gerade die Haare ein wenig wachsen lassen) diesmal auch niemanden befremden. Zu sehen war eine singende Frau, und jeder Betrachter konnte sich seine oder ihre eigene Vorstellung von der Realität dahinter machen. Das Video konnte somit alles sein, was ein Betrachter darin sehen wollte. Nur einen Monat nach dem Erscheinen der Single und des Videos waren »Nothing Compares 2 U« und l Do Not Want What l Haven't Got an der Spitze der Popsingle- und Album-Charts von Billboard. Das Fachblatt schrieb einen beachtlichen Anstieg der Verkaufszahlen der Begeisterung über Sinéads neue LP zu. Ein Vertreter des Einzelhandels sagte: »Sinéad O'Connor hat einfach alles zum Explodieren gebracht.« Trans World Music Corp., eine Kette mit 437 Geschäften, berichtete, daß l Do Not Want What l Haven't Got vom ersten Erscheinungstag an das bestverkaufte Album der Kette war. Chrysalis eilte sich, so viele Exemplare wie möglich pressen zu lassen. In Großbritannien war l Do Not Want
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What l Haven't Got innerhalb der ersten Woche nach Erscheinen an der Spitze der Album-Charts: Das ist nicht selten in der Musikbranche, die ja darauf eingestellt ist, schnell auf neue Trends zu reagieren; aber es ist dennoch eine beachtliche Leistung. In den Neuenglandstaaten, wo Sinéad beim ersten Mal sehr gut aufgenommen worden war, berichtete die Strawberries-Kette mit ihren 125 Geschäften, daß sich nur die Alben The Joshua Tree und Bruce Springsteens epische Live-Collection in der ersten Woche besser verkauft hatten als l Do Not Want What l Haven't Got. Sowohl U2 als auch Bruce Springsteen waren, als diese Platten erschienen, seit langem etablierte Musiker – The Joshua Tree war das fünfte Album der U2; Live/1975-1985 das achte von Bruce Springsteen. Beide hatten seit langem eine ergebene Anhängerschaft; aus dem einstigen Kult war ein Trend geworden. Sinéad konnte nicht auf eine solche Geschichte zurückblicken – nur eine gute Platte und ein ungeheurer Bekanntheitsgrad –, was ihre so aus dem Stand erbrachte Leistung nur noch erstaunlicher macht. Die Strawberries-Kette berichtete, daß sich l Do Not Want What l Haven't Got fünfmal besser verkaufte als der zweitbeste Verkaufstitel der Kette. »Nothing Compares 2 U« war die erste echte Platin-Single des Jahres. (Es waren auch andere Platin-Auszeichnungen vergeben worden, aber die schlössen die Anteile an den Verkaufszahlen für Longsingles mit ein.) An nur einem Tag wurden sage und schreibe mehr als eine halbe Million Exemplare von l Do Not Want What l Haven't Got verkauft. Das ist fast so viel wie von The Lion and the Cobra ein ganzes Jahr nach Erscheinen verkauft waren. In materieller Hinsicht besaß Sinéad nun mehr, als sie sich jemals erträumt hatte. Sinéads aufgehender Glücksstern hatte auch sofortige und direkte Auswirkungen auf die Plattenfirma, die befürchtet hatte, l Do Not Want What l Haven't Got wäre nicht gy,t verkäuflich. Chrysalis konnte in einem Vierteljahr einen Gewinn von 2,3 Millionen Dollar verzeichnen, im Vergleich zu einem Verlust in Höhe von 3,5 Millionen im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Sinéads abgehobene Grübeleien hatten die Fans in die Plattenläden zurückgebracht und eine ganze Firma umgekrempelt. Im
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September 1990 gab Chrysalis bekannt, daß sich die internationalen Brutto-Einnahmen der Firma gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt hatten. Der Erfolg von l Do Not Want What l Haven't Got folgte demselben Weg, den Chrysalis gegangen war, um The Lion and the Cobra durchzusetzen, aber diesmal konnte Chrysalis mit laufendem Motor starten. Und da Sinéad bereits vielerorts eine bekannte Größe war, konnten die Werbeleute der Firma schon mit einem großen Vorsprung loslegen. Anstatt auf der untersten Stufe der Radio-Leiter mit dem College-Radio zu beginnen und sich wie beim ersten Mal von diesem Stützpunkt aus an das Album-Radio (AOR) zu wenden, versuchte Chrysalis diesmal sofort, den Erfolg auf mehreren Programmen des Album-Radio und bei den Sendern, die sich mit zeitgenössischer Musik an Erwachsene wenden (diese eher seichten Musikprogramme, die vor allem Schlaflosigkeit heilen sollen), vorzubereiten. Anschließend richteten sie ihre Blicke auf die CHR-Sender (Contemporary Hits Radio), auf denen die zum jeweiligen Zeitpunkt vierzig erfolgreichsten Hits gesendet werden. Auf jeder Stufe war das Video zu »Nothing Compares 2 U« das zugkräftigste Verkaufsmittel der Chrysalis-Werbeleute. Die AORSender mußten diesmal nicht erst durch hohe Verkaufszahlen überzeugt werden. Als »Nothing Compares 2 U« schließlich an die Spitze der Pop-Charts gelangte, hatten viele AOR-Stationen »The Emperor's New Clothes« bereits regelmäßig im Programm, ohne daß die Chrysalis-Leute irgend etwas dazu tun mußten. Auch die Rock-Presse kam stark zum Einsatz. Fast alle Besprechungen waren positiv (eine frühe Notiz in der Zeitschrift Rolling Stone brachte den Stein schnell ins Rollen), und Sinéads Interviews lasen sich wie echte Bekenntnisse. Die Interviews waren Erklärungen und Ausführungen der Ideen, die sie in »Feel So Different« entwickelt hatte. Ohne sich explizit von O'Ceallaigh loszusagen, sprach Sinéad nun darüber, wie sehr sie inzwischen ihre eigenen Kommentare über die IRA ablehne, wie sehr sie ihren Mann und ihren Sohn liebe und wie entschlossen sie sei, nie ein typischer Superstar zu werden, egal wie berühmt sie würde. Sie bedauerte
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weite Teile ihres öffentlichen Auftretens der vergangenen zwei Jahre, und das, was sie sagte, klang aufrichtig. Sie klang wie eine Frau, die beginnt, sich in ihrer Rolle als Erwachsene wohl zu fühlen. Weil Sinéad nun berühmt war, richteten diejenigen im Musikgeschäft, die nichts für Musik übrighatten (und diese gibt es reichlich), ihr Interesse nun auf Sinéads glänzenden Schädel und machten ihn zu ihrem neuen Aufhänger. Die Kolumnisten der Lokalzeitungen machten überflüssige Bemerkungen über ihre Haare – einige titulierten ihre bevorstehende Tournee »Bald Ambition« (glatzköpfiger Ehrgeiz), eine Anspielung auf den Namen von Madonnas Tournee »Blonde Ambition« (blonder Ehrgeiz). Damit zeigten sie aber nur, wie unsicher die angeblich so liberale amerikanische Presse gegenüber Menschen ist, die wirklich einmal anders sind. Das erste, was Ignoranten mit bedrohlichen Außenseitern, die sie nicht verstehen, tun, ist sie lächerlich zu machen, doch das zeigt nur, was für Kleingeister viele sind. Sinéad war ein leichtes Ziel; kahl, winzig und weiblich. Die ach so starken Männer von Presse und Rundfunk ließen keine Gelegenheit aus, sich über Sinéad lustig zu machen. Die Zeitschrift Rolling Stone druckte eine Karikatur, die eine glatzköpfige, mürrische Sinéad, umgeben von Haarteilen zum Ausschneiden mit den Frisuren von Madonna, Marge Simpson und anderen amerikanischen Kultfiguren zeigt. Die Karikatur trug den Titel »Rock and Roll Makeover: The Do l Want Is the One l've Got« – (Rock and Roll-Umgestaltung: Was ich will, ist der Look, den ich hab'). Wenn schon Rolling Stone sich über Sinéad lustig machte, was würden dann erst die konservativeren Journalisten tun? »Ich hab' ihr Album angehört, und es ist eine wirklich ernst zu nehmende, künstlerische Leistung«, gab ein Produzent des WHTZSenders zu, einem der führenden amerikanischen CHR-Programme. »Aber die Tatsache, daß sie so kurze Haare hat und daß sie völlig einzigartig ist, bringt einen einfach dazu, Witze zu reißen.« Das ist schon Zynismus und damit weit weniger entschuldbar als Dummheit. WHTZ war einer von vielen Sendern, die Wetten ausschrieben, bei denen Hörer, die sich den Kopf kahlrasierten, irgend etwas im Zusammenhang mit Sinéad gewinnen konnten. (Aber keiner die-
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ser Sender war so schlau, eine gemeinsame Werbekampagne mit einem örtlichen Haarersatz-Anbieter auszuarbeiten.) Bei WMMS in Cleveland rasierten sich vier Hörer für eine Lederjacke und zwei Konzertkarten die Haare ab. In Chicago setzte der WKQX Diskjokkey eine Prämie von fünfhundert Dollar für das Toupet seines kahlköpfigen Gegenspielers John Bohannon, Diskjockey von WBBM aus. Der wiederum lieh seine zwanzig Toupets an Hörer aus und forderte Murphy auf, mit den zehntausend Dollar herauszurücken. Bei all dem Unsinn war es schwer, noch an die Musik zu denken. In Sinéads Konzerten sind es wenigstens begeisterte Fans, die die Musik übertönen; hier war das Problem die geschwätzige Selbstdarstellung der Journalisten. Die Rockindustrie und die amerikanischen Medien haben besonders in den letzten Jahren oft das Werk von Musikern trivialisiert, die sich selbst als Künstler verstanden. Als Bruce Springsteen beispielsweise 1984/85 Rekordzahlen seiner Platte Born in the U.S.A. verkaufte, versuchte man seine dunklen, fragenden Geschichten eines betrogenen Amerikaners auf einen fäusteschwingenden Chauvinismus à la Rambo zu reduzieren. (Alles was Springsteen mit Sylvester Stallone gemeinsam hat, ist sein Bizeps.) Der chauvinistische Automobil-Manager lacocca versuchte Springsteen dazu zu bewegen, seine Stimme für einen Chrysler-Werbespot herzugeben. Und als Springsteen ihm sagte, er könne sich seine 12 Millionen Dollar sonstwohin stecken, suchte sich lacocca einen anderen, der Springsteen darstellen sollte (und ausgerechnet Kenny Rogers). Für unkritische Ohren war es lacocca nun also doch gelungen, Springsteen für den Werbespot zu bekommen – zweifellos zu einem Bruchteil der Kosten. Nachdem Springsteen zum Superstar geworden war, verlor er ein wenig die Kontrolle. Auch andere durften über sein Image und seine Werte bestimmen: sowohl Ronald Reagan als auch Walter Mondale beanspruchten Springsteen als einen Anhänger während ihres Wahlkampfs, der so gar nichts mit der Musik zu tun hatte. Der bedrohliche Unterton von Springsteens Musik wurde durch die höchst vereinfachende, fraglose Art von Patriotismus ersetzt, den das Establishment bei weitem vorzieht.
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Genau davor fürchtete sich Sinéad, als sie sah, wie l Do Not Want What l Haven't Got und »Nothing Compares 2 U« die Charts hinaufkletterten. Weil sie sowohl optisch wie musikalisch sofort erkennbar war, war sie bemüht, einen stärkeren Halt in ihren privaten Beziehungen zu finden. Sinéad war fasziniert und geschmeichelt, daß ihre Musik nun ein viel größeres Publikum erreichte, aber ihr Leben wollte sie selbst in der Hand behalten. Gleich zu Beginn der ersten der beiden längeren Reisen durch das medienhungrige Amerika versprach Sinéad, daß sie versuchen wollte, normal zu bleiben. Sie wußte, wie schwer das sein würde; denn gerade hatte sie sich zum zweiten Mal von Reynolds getrennt.
9 Auseinandersetzung
Sinéad
begann ihre Tournee 1990 als ein neuer, etwas merkwürdiger Star; sie beendete sie als die damals umstrittenste Popmusikerin und das zu einer Zeit, wo Popmusiker überall und ständig für Aufsehen sorgten. Sinéad startete diese Tournee mit einer Platte auf Nummer eins und mit einem Kloß im Hals. Wieder einmal hatte sie Reynolds verlassen – (er vertrieb sich nun als Schlagzeuger für die britische Gruppe Max die Zeit) – zu einem Augenblick, an dem man den Eindruck hatte, daß in jedem Interview ihr häusliches Glück mit Reynolds in den höchsten Tönen gelobt wurde. Es muß schwierig für sie gewesen sein, diese Interviews zu lesen, die doch wie Zeitungsausschnitte aus dem vorigen Jahrhundert auf sie wirken mußten. (Zeitschriften haben oft eine Vorlaufzeit von zwei oder mehr Monaten zwischen Ablieferung und Abdruck eines Artikels.) Sinéads Beziehung zu Hugh Harris, dem Sänger ihres Vorprogramms, blieb so lange privat, bis eine Zeitschrift anfing, Jakes Kindermädchen für Informationen über die Affäre zu bezahlen. Bald wurde Jake nach England zurückgeschickt. Der erste Teil der Tournee war ein einziger, uneingeschränkter Triumph. Keiner kam auf die Idee, Sinéad persönliche Fragen zu stellen; die Musik und das Video sagten alles, was zu sagen war. Soloauftritte in den Fernsehsendungen MTV Unplugged und VH-1 New Visions untermauerten ihre Position als gewandelte, bedeu-
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tende Künstlerin. Und ihre ersten Auftritte vor ausverkauften Häusern waren konzentrierte, positive Angelegenheiten, die mit fast messianischem Eifer begrüßt wurden. Es waren »Love-lns« ohne das Drum und Dran der Hippie-Zeit. Während ihrer Show im Orpheum in Boston, dem zweiten Konzert auf ihrer Tournee, riefen zwei junge Mädchen im Parkett: »We love you, Sinéad!« zwischen den Songs und manchmal während der ruhigen Songs. Jedes Publikum schien die Texte zu allen Songs auf l Do Not Want What l Haven't Got auswendig zu kennen. Sinéad ließ sich durch die Begrüßung nicht einschüchtern, aber sie bemühte sich, sie auch nicht auszunutzen oder ein typischer Rockstar zu werden. Und das war bei ihr auch nicht wahrscheinlich, gleichgültig, wie groß die Hallen waren, die sie füllte. Es ist unmöglich, sich vorzustellen, daß Sinéad ruft: »Guten Abend, (Name der jeweiligen Stadt)! Seid ihr bereit loszurocken?!« Sinéads fünfköpfige Band beherrschte die Songs aus dem ff, ohne dabei unflexibel zu klingen. Während sie die Songs, die sich Sinéad zu l Do Not Want What l Haven't Got ausgedacht hatte, für das Publikum aufleben ließen, boten sie ihr angemessene Unterstützung, aber sie vergaßen dabei nie, wer der Star war. Bei »Madinka« und »The Emperor's New Clothes« rockten sie los, und während der Balladen fingen sie Sinéad auf. An manchen Abenden war »The Last Day of Our Acquaintance« der Höhepunkt. Es begann als ganz ruhige Ballade und endete damit, daß der Saal tobte. Als sei dieses Stück auf der Platte nicht schon beharrlich genug, spielte Sinéad bei ihren Live-Auftritten eine längere Version mit einer unerbittlichen Zusatzstrophe: »You were no life raft to me/l drowned in pain and misery/You did nothing to stop me/Now drown in your own self-pity« – (Du konntest mir keinen Halt bieten/Ich ertrank in Schmerz und Unglück/Du tatest nichts, um mir zu helfen/Jetzt ertrink du selbst in deinem Selbstmitleid). Mit dieser neuen Strophe wurde »The Last Day of Our Acquaintance« zum größten Rache-Song des Rock and Roll seit »96 Tears« von Question Mark and The Mysterians, und Sinéad präsentierte ihn mit bitterer Freude. Sinéad lernte immer mehr über ihre Songs, die sie Abend für Abend spielte, und sie lernte mehr über sich selbst,
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indem sie neue Songs in ihr Programm aufnahm. Eines dieser Stücke war Mary Blocks »Anarchie Gordon«, ein weiterer Song, der Liebe und Tod zusammenbringt, und der verständlich macht, warum Sinéad es »tröstlich« findet, daheim in London in der Nähe eines Friedhofs zu wohnen. Als sie mit Bill Flanagan von Musician einmal über das Sterben sprach, sagte sie über ihren eigenen Tod: »Es verwirrt und beschäftigt mich, daß ich dann alles wissen werde, was ich jetzt nicht weiß. Ich werde plötzlich alles ganz klar vor mir sehen, und es wird wunderbar sein.« Man kann nur hoffen, daß sie Flanagan auf den Arm nehmen wollte, obwohl das zweifelhaft ist. Kein Wunder, daß sie immer so viel Schwarz trägt. Zurück zur realen Welt: Hier ließ sich Sinéad für die Sendung der ehemals innovativen komischen Unterhaltungsserie »Saturday Night Life« am 12. Mai engagieren. 1990 hatte diese NBC-Show schon längst allen Wagemut und alle Spontaneität eingebüßt, durch die sich die Folgen der ersten Jahre ausgezeichnet hatten. In ihrem fünfzehnten Jahr war »Saturday Night Life« nicht mehr als eine simple Unterhaltungsshow. Allerdings eine Unterhaltungsshow mit einem Publikum von 'zig Millionen, so daß Bands, denen Auftritte in der Show angeboten wurden, diese nicht ablehnen konnten. Ungefähr zur selben Zeit schnappte sich »Saturday Night Life« auch einen Conferencier für die Show, in der Sinéad zwei Songs singen würde, und zwar einen nicht besonders sympathischen Typen aus Brooklyn namens Andrew Silverstein, der unter dem Namen Andrew »Dice« Clay auftrat. In seiner Rolle als »Dice-man« nahm Silverstein – je nachdem, von welchem Gesichtspunkt aus man es betrachtet – entweder liberale geheiligte Kühe aufs Korn oder verbreitete seinen Haß auf die bösartigste Art und Weise. Clays Repertoire (das weniger aus Witzen als aus ständigen Angriffen bestand) war menschenfeindlich, sexistisch, rassistisch, größendiskriminierend, voll Fremdenhaß und, und das ist vielleicht das Wichtigste, gar nicht komisch. Viele Leute, die zum Beispiel Sam Kinisons Themen nicht ausstehen können, akzeptieren sie zumindest ein wenig, da dieser Mann manchmal einfach umwerfend komisch sein kann: Er ist ein Vergnügen, das man sich mit schlech-
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tem Gewissen gönnt. Clay, der dagegen das Pech hat, seinen Haß nicht einmal mit einem einzigen guten Witz verbinden zu können, ist weitaus weniger interessant. Seine Auftritte bestehen aus Kinderreimen, die er zu etwas schlüpfrigen Oberschüler-Kalauern umformuliert (»Little boy blew. He needed the money« – Klein Hänschen blies. Er brauchte das Geld), und aus ungezielten Angriffen auf Minderheiten, die sich nicht wehren können, wie etwa Opfer von AIDS oder die neue Einwanderergeneration, die in Nachtschichten in den Geschäften arbeitet, die rund um die Uhr geöffnet haben. Aber der Hauptbestandteil von Clays »Nummer« ist sein Haß (wahrscheinlich ein Ausdruck von Angst) gegen Frauen. Er kann nichts mit Frauen anfangen, die nicht vor ihm auf die Kniefallen, und sogar das läßt ihn noch unbefriedigt. Er verschanzt sich hinter haßerfüllten Kraftausdrücken, um damit die Angst vor seiner eigenen Unzulänglichkeit zu verstecken. Er entspricht in seiner Rolle als Komiker einem Raufbold, der zuschlägt und dann davonrennt. Eine Woche vor der Aufnahme der »Saturday Night Life«-Folge wurde Sinéad darauf aufmerksam gemacht, was es mit Clay auf sich hatte; sie war entsetzt. Sie überlegte noch, was zu tun war, als Nora Dunn, die zur ständigen Besetzung von »Saturday Night Life« gehörte, ihr die Entscheidung abnahm. Am Dienstag vor der Show, in der Clay Conferencier sein sollte, entschied sich Nora Dunn, die Sendung zu boykottieren. Sie bezeichnete Clays Nummer als »abscheulich« und teilte der Nachrichtenagentur Associated Press mit: »Ich liebe 'Saturday Night Life‘ und ich fühle mich solidarisch mit meinen Kollegen, mit denen, die mit mir auftreten, und mit denen, die diese Show vorbereiten. Ich respektiere sie, aber ich werde nicht zusammen mit Andrew Dice Clay auftreten; ich will nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden und ich lehne seine Arbeit ab. Ich lehne es ab, ihm die Möglichkeit zu geben, sich und seine Ansichten zu präsentieren. Ich habe das Recht, meine Meinung so bestimmt zu vertreten.« Sie fuhr fort mit dem Argument, daß Popularität allein noch kein Grund sein könne, jemanden zu engagieren: »Wenn ich Engagements für die Show in den 30er Jahren vergeben hätte, hätte ich doch nicht Adolf
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Hitler engagiert, nur weil er der Führer war und eine große Anhängerschaft hatte.« Diese übertriebene Darstellung ist nicht so treffend wie beispielsweise Sinéads Darstellung in »Black Boys On Mopeds«, aber die erstere hat ja auch nichts mit Kunst zu tun. Sie machte aber deutlich, wie sehr Nora Dunn Clays Auftreten ablehnt. Die anderen Frauen in »Saturday Night Life« hielten sich in dieser Sache zurück, auch Victoria Jackson, die schon zusammen mit Clay in einem bemerkenswert langweiligen Film namens Casual Sex? aufgetreten war. Nora Dunn ist nun wirklich keine große Künstlerin, aber sie hatte sich sehr genau überlegt, was sie über Clay sagte, bevor sie den Mund aufmachte. Sie wollte Clay nicht wie manche andere der Zensur unterwerfen; sie hat nur betont, daß sie auf keinen Fall irgend etwas mit ihm zu tun haben wollte. Dunns Argumentation und Sinéads Gewissen ließen Sinéad nur eine einzige Möglichkeit. Am nächsten Tag gab Sinéads PR-Agentin Elaine Schock folgende Stellungnahme ab (hier ein Ausschnitt): »Es wäre absurd, wollte eine Frau, deren Songs auch von den Erfahrungen einer Frau handeln, nach einem der Monologe von Andrew Dice Clay auftreten.« Ein paar Skeptiker wandten ein, Sinéad könne ja bereits auf ein äußerst erfolgreiches Album und eine Single bauen und habe es daher nicht nötig, sich so zur Schau zu stellen, aber man darf niemand dafür verantwortlich machen, daß er (oder sie) einflußreich genug ist, dem eigenen Gewissen folgen zu können. Die beiden Ersatzkünstler, die als Ersatz für Sinéad engagiert wurden (Julee Cruise, Chanteuse bei David Lynch, und die Rockabilly-Musiker, Spanic Boys, ein Vater-undSohn-Gespann), waren dankbar für diese Chance und zögerten nicht, das kurzfristige Angebot anzunehmen. Aber die Spekulationen, die Sinéads Auftrittsverweigerung umgaben, waren dumm und an den Haaren herbeigezogen. Wenn Sinéad arbeitslos gewesen wäre und fünfzigtausend Pfund Schulden gehabt hätte, wäre sie dann vielleicht in der Show erschienen? Das entspricht den albernen hypothetischen Fragen, die einige Reporter an Politiker richten; die vorgestellte Situation ist so weit hergeholt, daß es sich gar nicht lohnt, näher auf sie einzugehen. Schlimmer noch,
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ein solcher Vorschlag legt nahe, daß Sinéads ganze Karriere auf einer Vorspiegelung falscher Tatsachen aufbaut, und das ist schon so zynisch, daß es keiner Entgegnung bedarf. Man kann, wenn man möchte, Sinéads Verhalten kritisieren, aber man kann nicht im Ernst behaupten, sie habe jemals finanzielle Überlegungen über künstlerische gestellt. Eine solche Anschuldigung wäre verbohrt und kleinlich. Es wäre allerdings immer weniger verbohrt und kleinlich als die zynische Entscheidung des verantwortlichen Produzenten von »Saturday Night Life«, Lome Michaels, Clay in der Show zu behalten und dafür Sinéad und Dünn gehen zu lassen. Er zeigte damit keinerlei Loyalität gegenüber Dunn, die immerhin zum Team gehörte und ihm daher wichtiger hätte sein sollen als jemand wie Clay, der nur eine Woche lang die Luft verpesten und sich dann schnell wieder verziehen würde. Wie Red Auerbach, Trainer der Boston Celtics, einmal gesagt hat: »Loyalität beruht auf Gegenseitigkeit.« Wenn ein Chef keine Loyalität gegenüber seinen Untergebenen zeigt, werden auch sie ihm keine entgegenbringen. Und damit ließ sich Michaels Sinéad durch die Lappen gehen, in einer Woche, in der sie sowohl in den Single- als auch in den AlbumCharts von Billboard auf Platz eins stand. Michaels ist nicht dumm – er wußte, daß Clay nur eine Mißgeburt der Medien war und bereits nach kurzer Zeit nur noch eine Figur im Spiel Trivial Pursuit sein würde –, und aus diesem Grund wollte er Clay in seiner Show haben, solange er noch nicht vollkommen vergessen war. Damals verbreitete Michaels viel leeres Gewäsch; unter anderem glaubte er aufgrund des Verfassungsrechtes auf freie Meinungsäußerung Clay Gelegenheit geben zu müssen, seinen Haß zu versprühen. Was Michaels damals allerdings nicht erzählte, war, daß die Agentin Liz Welch nur wenige Stunden, nachdem Sinéad einen Auftritt in der Show abgelehnt hatte, einen Anruf von Vertretern der aufrührerischen Rap-Gruppe Public Enemy erhielt, die anboten, in der Show aufzutreten. Und obwohl zu diesem Zeitpunkt nur noch vier Tage bis zur Sendung blieben, wurde das Angebot ohne Zögern abgelehnt. Wenn an irgendeiner Stelle bei dieser Folge von »Saturday Night
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Nein, das soll keine Stevie Nicks Imitation sein. (Paul Robicheau)
Life« zensiert worden ist, dann dadurch, daß Public Enemy abgelehnt wurde. Die Gruppe war ebenso streitbar wie Clay (vielleicht sogar noch mehr, da sie als Afroamerikaner einen Groll gegen die weißen Machtstrukturen hegten), und sie hatten eine enorm große Anhängerschaft. Ihr Platin-Album Fear of a Black Planet war die in den USA bestverkaufte Platte nach l Do Not Want What l Haven't Got. Aber die Verantwortlichen von »Saturday Night Life« waren der Meinung, man habe mit Clay bereits genügend Zündstoff für diesen Abend, und man wollte bei den musikalischen Gästen auf Nummer Sicher gehen und relativ unbekannte, sicherlich wohlerzogenere Musiker wie Cruise und die Spanics einladen. Bei »Saturday Night Life« brüstete man sich damit, daß man bis an den Rand des im Fernsehen Machbaren geht, aber die Entscheidung, Public Enemy abzuweisen, war feige und möglicherweise sogar rassistisch. Es war genau die Art von Fernseh-Programmentscheidung, über die sich Michaels so oft lustig macht. Michaels hätte ein Held sein können, wenn er nur gewollt hätte. Er hätte die dringend notwendige Solidarität unter den »Saturday Night Life«-Angestellten fördern können, in der es von Anfang an an Zusammenhalt gefehlt hatte. Er hätte sich hinter eine Musikerin stellen können, die sowohl ein Gewissen als auch ein Millionenpublikum hatte. Er hätte Clay abschießen sollen, aber er wollte eine einfache Lösung. Eigentlich wäre an Dunns und Sinéads Entscheidung, sich von Clay zu distanzieren, nichts auszusetzen gewesen; ihre Handlungsweise hatte Format. Aber Michaels egoistische Unnachgiebigkeit und sein Bedürfnis nach Selbstdarstellung lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Michaels bekam seinen Willen, und die Sendung von »Saturday Night Life« vom 12. Mai war die Folge mit der höchsten Einschaltquote der Saison, was aber nicht viel zu sagen hat, wenn man bedenkt, wie sehr die Zuschauerzahlen dieser Show bereits abgebröckelt waren. Aber Dünn und Sinéad blieben letztendlich doch die Sieger. Die Show war an diesem Abend noch schlechter als gewöhnlich. Der erste Sketch war eine Parodie der Frank Capra Fantasie It's
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A Wonderful Life, in der Clay seines Lebens überdrüssig war und mit dem Gedanken an Selbstmord spielte. (Einige Zuschauer werden ihn sicherlich dabei unterstützt haben.) Anstelle des Engels Clarence, der den Hauptdarsteller des Films, Jimmy Stewart, begleitete, taucht hier der Teufel, gespielt von Jon Lovitz, auf und befiehlt Clay, mit dem Gejammer aufzuhören. Dann führt der Teufel Clay umher, um ihm zu zeigen, wie anders die Welt gewesen wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Es wird sofort deutlich, daß Clay nicht mehr schauspielerisches Talent hat als Brooke Shields oder Tor Johnson: Er liest seinen Text von Stichwort-Karten ab und hofft, daß er die Betonungen richtig hinkriegt. Der Teufel verrät Clay, was geschehen wäre, wenn er nicht bereit gewesen wäre, an diesem Abend Conferencier für »Saturday Night Life« zu sein. Dann hätte Frank Zappa diese Rolle übernommen und eine siebzigminütige Tirade gegen die Zensur vom Stapel gelassen. Und einer von Sinéads Verstärkern wäre Dunn auf den Kopf gefallen und hätte sie erschlagen. Was Sinéad wiederum so verstört hätte, daß sie nicht mehr die Kraft hätte aufbringen können zu singen. »Wie schade«, sagt Clay emotionslos. »Sie war ein niedliches, kahles Mäuschen.« Im weiteren Verlauf der Show hatte Jan Hooks, die zur festen Besetzung gehört, einen kurzen Auftritt, in dem sie verkündete: »Ich habe die Show nicht boykottiert, weil ich mich einfach nicht getraut habe.« Es blieb unklar, ob das ein Witz sein sollte; jedenfalls war es überhaupt nicht komisch. Die Beteiligten versuchten, aus dem Boykott etwas zu machen, aber weil sie eindeutig nicht verstanden hatten, was hier auf dem Spiel stand, konnten ihre Worte gar nichts bewirken. Wenige Monate später befand sich Sinéad immer noch auf ihrer ausverkauften Tournee, Nora Dunn hatte in dem von der Kritik hochgelobten Film Miami Blues mitgespielt, und »Saturday Night Life« ging immer noch in jeder Folge schon nach dem zweiten Sketch die Luft aus. Was Clay angeht, so war er bereits auf dem besten Weg, in der unvermeidbaren Versenkung zu verschwinden. Der erste Film, in dem er auftrat, The Adventures of Ford
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Sinéad schlägt die Gitarre zu »The Emperor's New Clothes«: »How could l possibly know what l want/when l'm only twenty-three?«. (Paul Robicheau)
Farlaine, fiel durch; sein In-Concert-Film, um den so viel Rummel gemacht worden war, wurde abgeblasen; und er selbst wurde bei Green Records rausgeschmissen. Neun Tage, nachdem sie in »Saturday Night Life« hätte auftreten sollen, kreuzte Sinéad auf einer Aufnahmebühne in Chicagos South Side auf, wo sie ein Video zu »The Emperor's New Clothes« drehen wollte. Dieses Stück war eine gute Wahl für eine zweite Single aus l Do Not Want What l Haven't Got, und es gehörte zu den stärksten Nummern der Live-Show. Während das Video zu »Nothing Compares 2 U« deutlich mehr war als der übliche Werbespot für den Song und einem das Stück wirklich näherbringen konnte, mußten bei »The Emperor's New Clothes« selbst begeisterte Fans dieses Songs zugeben, daß man das Video am besten nicht sah, wenn man die Musik genießen wollte. Das Video stellt ein Solo-Playback, keinen Live-Auftritt, dar und zeigt Sinéad auf einer kleinen Variete-Bühne. Sie trägt ein schwarzes Kleid und versucht funky auszusehen, während einige Zuschauer im Publikum sogar stricken. Das Video hatte keine Kraft, war ziellos. Der Song selbst behielt seinen Glanz, aber die Dumpfheit des Videos trug dazu bei, daß »The Emperor's New Clothes« als Single kein größerer Hit wurde. Die Tournee ging weiter. Sinéad gab Hugh Harris den Laufpaß. (Er verschwand von der Bühne und aus ihrem Leben.) Und sie engagierte sich in verschiedenen Star-Projekten. Den ganzen Sommer über widmete sie »The Last Day of Our Acquaintance« entweder »allen Frauen, die heute abend hier sind« oder Andrew Dice Clay. Für Oktober sagte Sinéad ihre Beteiligung an einer Show in Chile zugunsten von Amnesty International zu, bei der sie die Bühne mit den üblichen Vertretern des Rock-Gewissens (Sting, Peter Gabriel, Jackson Browne) sowie mit den Kultfiguren der Teeny-Generation, den New Kids on the Block, teilen sollte. Ein weiteres Projekt, an dem sich Sinéad beteiligte, war Red, Hot, and Blue: A Benefit for AIDS Research and Relief. Das Projekt bestand aus einer Serie von Kurzfilmen, in denen verschiedene Musiker Songs von Cole Porter interpretierten. Ein interessanter
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Auf der Bühne in Berlin. (JANA/STAR FILE)
Einfall, da Porter klar und trocken über Liebe und Sex geschrieben hat, während er gleichzeitig seine eigene Homosexualität geheimhalten mußte, um weiterarbeiten zu können. Sinéad steuerte eine Version von »You Do Something To Me« bei. Im Film, der von John Maybury gedreht wurde, trägt sie eine alte Perücke, die sowohl an Veronika Lake als auch an Jayne Mansfield erinnert. Im Juni stellte sie den Song mit großem Orchester auf einer Pressekonferenz vor. Unter den weniger bemerkenswerten Musikern, die an diesem Projekt beteiligt waren, sind David Byrne, Neneh Cherry, Fine Young Cannibals, k.d.lang, die Neville Brothers zu nennen, dazu noch Sinéads Freunde, die U2. Auf der Liste der Filmemacher waren neben John Maybury auch Percy Adlon, Pedro Almodóvar, Jonathan Demme und Wim Wenders vertreten. Sinéads bombastischste außerplanmäßige musikalische Aktion fand am 21. Juni in Berlin statt, wo sie sich an Roger Waters The Wall-Spektakel beteiligte. Bei dieser Veranstaltung kam aber nicht viel mehr heraus, als daß Sinéad ohne ausreichende Verstärkung den Song »Mother« zum besten gab, daß sie mit früheren Mitgliedern der Band (Rick Danko, Levon Helm und Garth Hudson) spielen konnte und daß sie sich mit ihrem Idol Van Morrison fotografieren ließ. Kaum einer der zweihunderttausend Menschen bei diesem Konzert hat sie singen gehört. Die Presse widmete Sinéad nun mehr und mehr Aufmerksamkeit. Nachdem irgendwo über die Geschichte mit Harris berichtet (oder besser: getratscht worden war, denn für einen echten Bericht reichte es wirklich nicht aus), und nachdem Sinéad zwei Auftritte im Mittleren Westen der USA verschoben hatte, beschloß irgendein genialer Mensch, daß diese beiden Tatsachen den unwiderlegbaren Beweis erbrachten, daß Sinéad schwanger sei und unter »starker morgendlicher Übelkeit« zu leiden hatte, wie es eine der Boulevard-Zeitungen formulierte. Das alles war natürlich nichts als sensationslüsterner Blödsinn, aber Sinéad konnte sich wenigstens damit trösten, daß es gar nicht mehr schlimmer werden konnte. Der ganze Medienzirkus würde vorbeigehen, und dann würde man ihr auch ihr Leben wieder selbst überlassen. Sie hatte sich getäuscht.
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Am 24. August fuhren Sinéad und ihre Band in Holmdel, New Jersey, vom Garden State Park Highway ab, um dort im Garden State Arts Center aufzutreten. Es war ein typischer Show-Tag: erst Soundcheck und dann Warten. Kurz vor ihrem Auftritt erfuhr Sinéad, daß es im Arts Center üblich war, vor jeder Show »The Star-Spangled Banner«, die Nationalhymne der Vereinigten Staaten, zu spielen. Zunächst war Sinéad verwirrt, dann wurde sie wütend. Sie konnte dem ganzen keinen Sinn abgewinnen und verlangte, daß man die Nationalhymne nicht spielte. Die Vertreter des Arts Center teilten ihr mit, sie habe keine andere Wahl, aber in Wirklichkeit waren sie es, die keine andere Wahl hatten: Neuntausend Leute warteten darauf, Sinéad zu hören. Schließlich gestattete die New Jersey Highway Authority, die Trägerin des Arts Centers, Sinéads Auftritt, um Ärger zu vermeiden. Gleichzeitig erteilten sie Sinéad aber ein lebenslängliches Hausverbot für das Arts Center. Die Highway Authority zog mit ihrem selbstgerechten Verhalten, das letztendlich nach hinten losging, letztendlich jedoch den kürzeren. Indem sie Sinéad Hausverbot erteilte, wurden zwar die hartgesottenen Patrioten beschwichtigt, aber angesichts der Tatsache, wie schlecht es 1990 um das Tournee-Geschäft bestellt war (und voraussichtlich auch 1991 sein würde), war es dumm, sich selbst einer Künstlerin zu berauben, die noch nicht zur Uralt-Riege gehörte und ein ausverkauftes Haus garantieren konnte. Die meisten Konzerte im Arts Center konnten nur mit Müh und Not ihre Kosten einspielen, und deswegen hatte man dort weder das Recht – noch die Position – sich zu beschweren. Der zweite Idiot an Bord war Frank Sinatra, der am folgenden Abend im Center spielte. Die Zeitung USA Today zitierte Sinatras Bemerkungen über Sinéad während seines Auftritts so: »Man hätte ihr nicht erlauben dürfen aufzutreten. Wenn ihr etwas nicht gepaßt hat, dann hätte sie ja einfach gehen können.« Tatsächlich hatte »Ol' Blue Eyes« aber weit weniger elegante und schlüssige Worte gebraucht. Er sagte in Wirklichkeit: »Diese Sinéad O'Connor, das muß ja wohl eine total blöde Tante sein. Ich habe gehört, sie hat da ein paar Sachen gesagt, die ich gar nicht wiederholen will. Ich
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Sinéad mit Van Morrison, der sie musikalisch am stärksten beeinflußt hat, bei Roger Waters »The Wall-Konzert« in Berlin.
würde sie in den Hintern treten, wenn sie ein Typ wäre. Bestimmt schlägt sie ihre Kinder, um sich fit zu halten.« Sicher waren das typische Bemerkungen eines Mannes, dem man nachsagt, schon mehrfach gewalttätig gegenüber Frauen geworden zu sein, aber diesmal war er selbst für seine Verhältnisse ziemlich weit gegangen. Sinéad behandelte Sinatras Ausbruch so geringschätzig, wie er es verdient hatte. Gegenüber der Nachrichtensendung MTV News sagte sie, Sinatra habe wohl die Schlagzeilen nötig, und sie vermutete gegenüber Entertainment Today, daß »es wahrscheinlich sehr wichtig ist für Frank, das Gefühl zu haben, die amerikanischen Behörden seien auf seiner Seite.« Ein paar Wochen später regte sich der übergeschnappte Sinatra dann schon wieder über George Michael auf, der es sich anders überlegt hatte und doch nicht mehr bereit war, für die MTV Kameras mit dem Arsch zu wackeln. Trotzdem war klar, daß Sinéad das Thema aufgreifen mußte. Einen Tag nach Sinatras Konzert sagte sie gegenüber USA Today, sie könne nicht verstehen, was irgendwelche Nationalhymnen mit ihr, ihrer Musik oder ihren Fans zu tun hätten. Sie sagte, sie wolle nicht respektlos erscheinen und sie habe ganz grundsätzlich etwas dagegen, nach einer Nationalhymne zu spielen. Trotzdem fiele es ihr aber besonders schwer, nach »The Star-Spangled Banner« aufzutreten. Sie sagte: »Ich bin eine ausgesprochene Gegnerin von Zensur, und deshalb mag ich nicht nach der Nationalhymne die Bühne betreten in einem Land, in dem Menschen verhaftet und schickaniert werden, die nichts weiter tun als auf der Bühne ihre Meinung zu äußern.« Sie fügte hinzu: »Ich hege wirklich keinerlei Mißachtung gegenüber Amerika oder den Amerikanern.« Sie bezeichnete von der Zensur betroffene Künstler als »ihre Freunde« und rief zur Solidarität mit ihnen auf. Von den Medien her gesehen beging Sinéad den Fehler, eine intelligente Erklärung abzugeben und damit gleichzeitig die RapGruppe 2 Live Crew, die schon des öfteren verhaftet worden war, zu unterstützen, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo harte Zensurkämpfe über alles mögliche ausgefochten wurden, angefangen
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von Filmen für Erwachsene und Rap-Musik bis hin zu Robert Mapplethorpes Photographien. Zudem kam Sinéads Ablehnung der Nationalhymne nur knapp einen Monat, nachdem die Situationskomikerin Roseanne Barr die Hymne lächerlich gemacht hatte, als sie sie vor einem Baseball-Spiel der San Diego Padres »sang«. Barr wollte witzig sein, Sinéad war klug und ernsthaft, aber das hielt nur wenige davon ab, eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Anstatt sich mit den grundlegenden Problemen zu befassen, die die Vereinigten Staaten bedrängen, ermunterten die amerikanischen Politiker ihre Wähler dazu, ebenso hohlköpfig wie sie selbst zu sein und sich um Symbole zu streiten. Eines der wichtigsten Themen bei der geistlosen Präsidentschaftswahl von 1988 war deshalb die Frage, ob es rechtens sei, die amerikanische Flagge zu verbrennen. Indem sie sich nun schützend vor das kriegsverherrlichende »The Star-Spangled Banner« stellten, bewegten sie sich auf derselben niedrigen Stufe. Warum sollte man so schwierige Themen wie Zensur und Rassismus ansprechen, wenn man sich ebensogut mit Trivialitäten herumschlagen konnte. Innerhalb von 48 Stunden nach Sinéads Auftritt im Arts Center rief Nicholas Spano, Senator des Staates New York, zum Boykott auf und organisierte eine Protest-Demo in Saratoga, an der Sinéad inkognito unter einer braunen Perücke und einer Baeballmütze teilnahm. Spano selbst muß etwas Besseres zu tun gehabt haben, denn er nahm nicht teil. Und allen anderen scheint es ebenso gegangen zu sein: Nur ein Dutzend Leute tauchte auf. Der dritte Schwachkopf im Bunde war die New York Post, die mit ihrer umfassenden Berichterstattung andere Zeitungen dazu verleitete, die Geschichte für wirklich mitteilenswert zu halten. Das Titelblatt der Post vom 27. August zeigt ein Bild von Sinéad bei den Grammy Awards, darüber die seitenfüllende Schlagzeile »IRISCHE SÄNGERIN BELEIDIGT USA«. Zum Ausgleich fand sich noch ein winzig kleiner Hinweis auf die Golfkrise ganz unten auf der Seite. Der folgende Bericht war sogar noch katastrophaler. Die drei Artikel über Sinéad (drei Artikel mehr als die Zeitung an diesem Tag über Obdachlosigkeit druckte) stammten aus der Feder von Cathy Burke. Ihr Verständnis der Probleme, um die es hier ging,
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schien vollkommen von Sinatras PR-Leuten und Verteidigern bestimmt zu sein. Schon in ihrem ersten Satz verglich sie Sinéad mit Roseanne Barr und stützte sich nur auf Aussagen der Highway Authority, die inzwischen eine wahre Verleumdungskampagne in Gang gebracht hatte. Burke schrieb, daß »Sinéads Presseagentin, Elaine Schock, der Bitte um Rückruf nicht entsprochen hätte.« Natürlich hat sie nicht zurückgerufen! Wer sitzt schon an einem Sonntag im August in seinem Büro? Ein anderer, kleinerer Artikel ist sogar noch lächerlicher: Burke bezeichnet den nur selten gedruckten Legs McNeill als einen »bekannten Rock-Journalisten« und mißbraucht das Wort »Politik« an allen Ecken und Enden. Kein Wunder, daß die Post Burke an einem Sonntag im Sommer arbeiten ließ. Der vierte im Bunde bei dieser selbstgerechten Fahrt ins Nichts waren die Diskjockeys der Rundfunksender, neben denen Cathy Burkes Ergüsse in der Post fast Pulitzer-Preis verdächtig wirkten. Der Programmdirektor des New Yorker WHTZ-Senders (Z 100) zeigte den für einen Diskjockey typischen Unverstand bei komplexeren Problemen, als er sagte: »Keine Nationalhymne. Kein Haar. Keine Hits mehr auf ZI00. Soll sie ihre Karriere doch in einem anderen Land machen.« Als der Diskjockey Scott McKenzie aus Boston gefragt wurde, warum er Sinéads Musik boykottiere, sagte er: »Das ist doch naheliegend, besonders jetzt mit dieser Geschichte im Nahen Osten. Da können wir so was wirklich nicht brauchen.« Als man Elaine Schock schließlich erreichte (Billboard wartete bis Montag mit dem Anruf), um ihren Kommentar zu hören, hatte sie das letzte Wort: »Diese Sender tun das nur, um sich interessant zu machen. Ich glaube nicht, daß ihre Proteste in irgendeiner Weise ehrlich sind.« Sie wies außerdem darauf hin, daß keiner der fraglichen Sender sich jemals Gedanken darüber gemacht hatte, warum Sinéad sich so und nicht anders verhalten hatte. Sinéad setzte ihre Tournee fort, allerdings mit einer Änderung: Sie nahm einen Song von Bob Marley und den Wailers mit seiner Forderung nach Freiheit »Get Up, Stand Up« in ihr Programm auf. Sinéad ist nicht gerade ein Naturtalent für Reggae, aber ihre Marley-lnterpretation war eine ruhige, durchdachte Geste und
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hatte so überhaupt nichts mit den einfältigen Angriffen auf sie gemeinsam. Eine Woche später befand sich Sinéad im Universal Amphitheatre in Universal City, wo sie an den Verleihungsfeierlichkeiten der MTV Video Awards teilnahm. Diese Veranstaltung hat sich in den sieben Jahren ihres Bestehens zu einer ebensolchen Schicki-MickiAngelegenheit entwickelt, wie die Verleihung der Grammy Awards und der American Music Awards. Sinéad war für vier Auszeichnungen nominiert, einschließlich der für das beste Video des Jahres. Die Show hat sich inzwischen völlig dem hirnlosen Hollywood angepaßt, was man allein schon an ihrem unvermeidlichen Gastgeber, Arsenio Hall, erkennen kann. Und wie der Regisseur Oliver Stone betonte, bevor er einen Award überreichte: »Durch Videos habe ich gelernt, neu zu sehen.« Oh. Wie bei der Grammy-Verleihung zwei Jahre davor, wurde auch hier deutlich, daß das Establishment Sinéad noch immer nicht »zu fassen kriegte«. In einem Interview kurz vor der Show äußerte Billy Idol – ausgerechnet ein Label-Kollege von Sinéad, dessen Promotionausgaben vermutlich durch Sinéads Einnahmen gedeckt wurden – die Vermutung, daß Sinéad für das beste männliche Video ausgezeichnet werden würde. Man kann sich gut vorstellen, daß Andrew Dice Clay sich Billy Idol ausgesucht hatte, um die Songs für seinen mißratenen Film zu schreiben. An diesem Abend trat Sinéad mit ihrem nominierten Stück »Nothing Compares 2 U« auf, das sie mit dem vollständigen, erweiterten Schluß präsentierte. Sie erschien in einem durchsichtigen, weißen Kleid und sang als eine der wenigen Musikerinnen live. (Nach dem Live-Auftritt der Motley Crue hätte man sich allerdings wirklich wünschen können, sie hätten Playback gespielt.) Obwohl Sinéad Probleme mit dem Monitor hatte, lieferte sie eine Version ihres Hits, die auf der Version der Platte aufbaute und sie weiterentwickelte. Sinéad erhielt drei der vier Auszeichnungen, für die sie nominiert war: Bestes weibliches Video, Bestes postmodernes Video (was immer das heißen mag) und Bestes Video des Jahres. Sie schien ehrlich überrascht, so absahnen zu
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können, und sie und Regisseur Maybury wirkten selig wie die Kinder. Als man ihr den Hauptpreis überreichte, dankte sie Prince, ihren jetzigen und früheren Managern, ihrem Ehemann (die Klatsch-Journalisten räusperten sich), ihrer Band und »Mr. God« (vier der ausgezeichneten Musiker hatten bereits Gott gedankt, was sich bis zum Ende des Abends zu einem immer wiederkehrenden Witz entwickeln sollte). Dann wurde Sinéad ernst. »Ich habe großen Respekt für die Menschen in allen Ländern, auch für das amerikanische Volk. Meine Haltung gegenüber der Nationalhymne sollte dazu dienen, auf das Problem der Zensur aufmerksam zu machen. Und es ist sogar noch schlimmer, wenn sich unter dem Deckmantel der Zensur Rassismus breitmachen kann. Das war es, was ich sagen wollte.« Das Publikum brach in noch lautere Begeisterungsstürme aus als nach ihrem Auftritt etwas früher an diesem Abend. Sinéad wurde als Kultbild verehrt, aber in dem Moment des größten Beifalls von selten der Musikindustrie bestand sie darauf, diesen Moment mit Bedeutung zu füllen. Ihre Überzeugungen waren ihr wichtiger als das Bild. In diesem Augenblick befand sie sich auf dem Gipfel der Welt und hatte eine ganze Musikindustrie zu sich hinaufgezogen.
Nachwort: Der blaue Vogel fliegt
Am
29. September 1990, als sich alle wieder beruhigt hatten, erschien Sinéad bei der Eröffnungsvorstellung der sechzehnten Saison von »Saturday Night Life«. Das war eine großzügige Geste, aber es hatte sich vieles verändert. Nora Dunn gehörte nicht mehr zum Team, und obwohl die Texter der Show einen ganzen langen Sommer Zeit gehabt hatten, sich neue Witze auszudenken, waren ihre Sketche an diesem Abend so schwach wie die, die sie sich normalerweise in sechs Tagen aus den Fingern saugen. Sinéad sang an diesem Abend, versteckt hinter einer violetten John-Lennon-Brille, zwei Songs, und sie trat mit einer deutlicheren Rock and Roll-Pose auf als sonst. »Three Babies«, das erste Lied, diente zum Aufwärmen. Ihre Stimme klang so mitgenommen, wie eine Rockstimme normalerweise am Ende einer langen Tournee klingt. Und als sie während des Synthesizer-Solos im Kreis marschierte, hatte man den Eindruck, sie marschiere nur herum, um ihr Interesse wach zu halten. Wesentlich besser war dann – nach den Worten: »Ich möchte diesen Song den Frauen auf der ganzen Welt widmen« – »The Last Day of Our Acquaintance«. Das anfängliche Solo auf der Akustikgitarre brachte das Publikum zur Ruhe, aber dann wurde der Song stärker, tiefer und drehte schließlich zu einem ausgewachsenen Rock and Roll auf, dessen Schlagzeug und Gitarren in die Nacht hinausschrien. Sinéad spielte dieses Stück, als wäre sie wirklich der Punk, zu dem sie die Presse, beson-
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ders in England, immer gerne gemacht hätte. Sie tanzte, wirbelte herum, schrie; sie war ein großer Rockstar, professionell, zupakkend, ihrem Image entsprechend. So hatte sie nun doch ihren Auftritt in »Saturday Night Life«, allerdings so, wie sie selber es wollte. Gegen Ende ihrer 1990er Tournee konnte Sinéad es kaum noch erwarten, bis sie sich endlich vor den Medien zurückziehen konnte, und die wenigen Interviews, die sie gab, drehten sich immer darum, wie unglücklich sie sich als Superstar fühlte. Sie wollte ihr Leben wiederhaben, sagte sie, und sie würde alles tun, um es zu bekommen. »Ruhm« war für sie zum Schimpfwort geworden. Und doch wollte Sinéad beides haben. Wenn sie sich auf der einen Seite damit brüstet, daß ihr Publikum sie liebt, weil ihre Musik so persönlich und autobiographisch ist, und auf der anderen Seite sagt, ihr Leben ginge das Publikum nichts an, dann ist sie eindeutig verwirrt. Wenn sie es haßt, ein Star zu sein, dann sollte sie keine Videos mehr machen, ihr Bild nicht mehr auf die Covers ihrer Platten bringen und keine Interviews mehr geben. Werbung ist eine notwendige, wenn auch manchmal unangenehme Begleiterscheinung des Ruhms. Wie die meisten Rockstars, weiß Sinéad die Bewunderung zu schätzen, aber gleichzeitig wünscht sie sich einen Regler, um sie auf- und zuzudrehen. Und ihre »ehrlichen« Kommentare über die verheerenden Wirkungen des Ruhms klangen zuweilen fast bokkig. Das Jahr war lang gewesen. (Auch Sinéads Aussage, daß der Rassismus von Seiten der Rapper nicht annähernd so verwerflich sei wie der Rassismus der Weißen, ist wohl ihrer Erschöpfung zuzuschreiben.) 1990 war Sinéads erfolgreichstes und schmerzhaftestes Jahr. Sie wurde unwiderruflich zum Superstar und hatte zugleich größte Probleme, die Beziehungen zu den ihr am nächsten stehenden Menschen aufrechtzuerhalten. Die bedeutendste Leistung von l Do Not Want What l Haven't Got ist, daß es Sinéad dabei gelungen ist, eine Vielzahl von schmerzhaften und herausragenden Erfah-
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rungen zu einem Zyklus aufregender Songs zu formen. 1990 war ein wildes Jahr für Sinéad, das eine Menge unterschiedlicher und starker Erfahrungen mit sich brachte, so daß wir Sinéads nächster Platte wohl mit Spannung entgegensehen können.
Sinéad singt »Mandinka« bei der Verleihung der Grammy Awards 1988.
(AP/Wide World Photos)
Anhang
Sinéad O'Connor Discographie(1963 – 1990) Mit In Tua Nua »Take My Hand« (Island Single, 1983, nicht mehr lieferbar) Mit The Edge Filmmusik zu The Captive (Virgin, 1986) Sinéad singt ein Stück: »Heroine« (Thema aus The Captive); (Musik von The Edge; Text von The Edge und Sinéad O'Connor). Mit World Party (Kurt Wallingers Gruppe) Private Revolution (Chrysalis/Ensign, 1986) Sinéad singt Hintergrund-Vocals bei einem Stück. Sie tritt auch in dem Video zu »Private Revolution« auf. Mit World Party Goodbye Jumbo (Chrysalis/Ensign, 1990) Sinéad singt Hintergrund-Vocals bei einem Stück: »Sweet Soul Dream«.
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Die LPs The Lion and the Cobra (Chrysalis/Ensign, 1987) Produzentin: Sinéad O'Connor, Coproduzent und Toningenieur: Kevin Moloney; Mixing Sinéad O'Connor, Kevin Moloney und Fachtna O'Ceallaigh. Stücke: Jackie / Madinka / Jerusalem / Just Like U Said It WouldB / (Never Get Old/Troy / l Want Your (Hands On Me) / Drink Before the War / Just Call Me Joe. l Do Not Want What l Haven't Got (Chrysalis/Ensign, 1990) Produzentin: Sinéad O'Connor (außer »Nothing Compares 2 U« - produziert von Sinéad O'Connor und Nellee Hooper); Toningenieur: Chris Birkett (außer »Three Babies – Toningenieure: Chris Birkett und Sean Devitt). Stücke: Feel So Different/l Am Stretched on Your Grave/Three Babies/The Emperor's New Clothes/Black Boys On Mopeds/Nothing Compares 2 U/Jump In the River/You Cause As Much Sorrow/The Last Day of Our Acquaintance/l Do Not Want What l Haven't Got.
Ausgewählte B-Seiten und Verschiedenes Live at the Paradise (illegaler Mitschnitt, 1988) Dies ist ein Teil einer Live-Sendung auf WBCN-Radio von Sinéad O'Connors erstem Konzert im Bostoner Paradise Rock Club. Songs: Jackie/Madinka/Never Get Old/Just Like U Said It Would B/Jerusalem/Smith's Song/Just Call Me Joe/l Want Your (Hands On Me). l Want Your (Hands On Me) (Chrysalis/Ensign, 1988) M.C. Lyte produziert von Audio Two; »Just Call Me Joe« produziert von Paul Watts.
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Unter den vier Stücken auf dieser Maxi-Single sind drei neue Abmischungen von Titeln auf The Lion and the Cobra, die um den Rapper M.C. Lyte bereichert wurden. Das vierte Stück ist eine Live-Version von »Just Call Me Joe«, aufgenommen von BBC Radio One. Jump in the River (Chrysalis/Ensign, 1988) Karen Finley produziert von Mark Kamins. Unter den drei Stücken auf dieser Maxi-Single sind zwei Versionen des Titelsongs, von denen eine verlängert und um die provokante Performance-Künstlerin Karen Finley bereichert wurde, sowie die Version von »Jerusalem« aus The Lion and the Cobra. The Wall (PolyGram, 1990) Begleitet von Mitgliedern der Band sang Sinéad O'Connor den Song »Mother« bei Roger Waters' aufwendiger Berliner Produktion der Rockoper von Pink Floyd. The Emperor's New Clothes (Chrysalis/Ensign, 1990) »The Emperor's New Clothes« neu abgemischt von Hank Shocklee, EOS und Gary G-Wiz; »Madinka« neu abgemischt von Paul »Groucho« Smykle. Unter den vier Stücken auf dieser CD-Single sind zwei Versionen des Titelsongs, davon eine als Remix für Tanzclubs mit einer völlig neuen Rhythmusspur. Außerdem »What Do You Want?« (ein Überbleibsel der Sessions mit Mick Glossop, das auch auf der Rückseite der zwei Stücke enthaltenden Single-Kassette erscheint) und eine neue Version voller Klangeffekte von »Madinka« unter der Bezeichnung »Jake's Remix«. The Emperor's New Clothes (Chrysalis/Ensign, 1990) »The Emperor's New Clothes« neu abgemischt von Hank Shocklee, EOS und Gary G-Wiz; »l Am Stretched on Your Grave« neu abgemischt von Bill Coleman mit Super D.J. Dmitry und Jungle D.J. Towa Towa. Diese Maxi-Single unterscheidet sich wesent-
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lieh von ihrem CD-Single-Gegenstück. Die erste Seite enthält zwei Versionen des Titelsongs (die Remix-Version der CD-Single und die ursprüngliche Fassung). Auf der zweiten Seite finden sich zwei neue Abmischungen von »l Am Stretched on Your Grave«, wieder gedacht für Tanzclubs. Übrigens ist die Single von »The Emperor's New Clothes« kürzer als die Version auf der LP, da der größte Teil des langen instrumentalen Schlusses weggelassen wird.
Red, Hot, and Blue: A Benefit for AIDS Research and Relief (Chrysalis, 1990) Für diese Benefiz-Platte, mit Aufnahmen von Cole Porter-Stükken, lieferte Sinéad eine Version von »You Do Something To Me«. Auf einer Pressekonferenz im Juni 1990, bei der das Projekt vorgestellt wurde, sang Sinéad diesen Song mit großem Orchester.
Ausgewählte Videographie (1987-1990) Offizielle Videos Troy(1987,10 Min. 16 Sek.) Regie: John Maybury Enthält große Teile von »Never Get Old« und kurze Ausschnitte von anderen Stücken auf The Lion and the Cobra. Jump in the River (1988,4 Min. 10 Sek.) Regie: John Maybury M.C. Lyte tritt in diesem Video auf. Madinka (1988,3 Min. 44 Sek.) Regie: John Maybury Nothing Compares 2 U (1989,5 Min. 6 Sek.) Regie: John Maybury Gewann drei MTV-Awards (Auszeichnungen des amerikanischen Musik-Fernsehens)
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The Value of Ignorance (1989,35 Min. 12 Sek.) Regie: John Maybury Live-Aufnahme aus dem Londoner Dominion Theatre, Juni 1988; Songs: Jackie/Just Like U Said It Would B/Madinka/Just Call Me Joe/Never Get Old/Jerusalem/Troy/l Am Stretched on Your Grave (a capella-Version). The Emperor's New Clothes (1990,4 Min. 26 Sek.) Regie: Sophie Milken Three Babies (1990,4 Min. 47 Sek.) Regie: John Maybury You Do Something to Me (1990,2 Min. 34 Sek.) Regie: John Maybury
Ausgewählte Auftritte im US-Fernsehen Grammy Awards, Februar 1989 Playback zu »Madinka« »On the Edge« mit Maria Shriver, August 1990 Relativ aufschlußreiches Interview trotz Maria Shrivers oberflächlicher Fragen; ein guter, knapper Abschnitt mit Auftritten von Sinéad. MW Awards, September 1990 Ein Interview vor der Show mit Kurt Loder; starke Live-Darbietung von »Nothing Compares 2 U«; Sinéad gewinnt drei der vier Auszeichnungen, für die sie nominiert war.
(Laura Levine)
Danksagungen Viele haben mitgeholfen, aber an allem, was schiefgegangen ist, gebe man mir die Schuld. Dank an Amanda Joy Rubin für ihre aufopfernde Suche nach Photos und an Cindy Redmont von Chrysalis Records in New York für die prompte Erledigung unverschämter Bitten. Dank auch an Elaine Schock, die mir keine Steine in den Weg legte, und an Oedipus für das Ticket und die Bänder, an Noel E. Monk, der nichts persönlich nahm, und an T.P. für die Hilfe in letzter Minute. Für ihre Ermutigung und Unterstützung danke ich der üblichen Truppe von freundlichen Versagern: Mark Caro and der Mark Caro Shufflin' Crew, John »Soul Brother Number One« Guterman, den Experten des Schrank-Designs Janestein and Sister, dem King von Nashville Andrew McLenon, dem Weltmeister im Boxball Owen O'Donnell, dem Spitzendiskussionspartner Tim Riley und natürlich George L. Tirebiter. Ich danke auch Anatole Broyard, der mir gezeigt hat, wie es »weitergeht«. Daneben gilt mein Dank auch Kerry Rodensky Timbers von Bromberg and Sunstein. Persönlich möchte ich noch den Scheys und den Kokernaks danken. Und vor allem: Dank an Charlie Conrad von Warner Books. Conrad ist ein idealer, »natürlicher« Lektor, jeder Autor sollte das Glück haben, mit einem so engagierten und ermutigenden Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.