Sklavin des Lichts Version: v1.0
Mein eigener Schrei stürmte als weitere Marter von al len Seiten auf mich ein. Aber ...
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Sklavin des Lichts Version: v1.0
Mein eigener Schrei stürmte als weitere Marter von al len Seiten auf mich ein. Aber er war ein Nichts im Ver gleich zu dem Schmerz, der in mir tobte! Etwas wie ein unsichtbares Eisen wurde mir von Geis terhand in den Leib getrieben und schien jede Faser meines Körpers in weißer Glut zu verzehren. Längst war ich zu Boden gestürzt. Ich wälzte mich brüllend im Staub. Jemand, der zur Gänze Mensch war, mußte an dieser Qual unweigerlich zugrunde gehen. Ich wünschte mir in diesen endlosen Augenblicken nichts sehnlicher, als daß mein vampirisches Erbe mich nicht länger vor dem Tod – der Erlösung! – geschützt hätte.
Was bisher geschah Der schier endlose Korridor unter der Wüstenstadt Uruk führt in vergangene Epochen, die bedeutsam waren für das Vampirgeschlecht. So erfahren Duncan Luther und George Romano, die den Gang beschreiten, daß im alten Ägypten der Pharao Echnaton von der Vampirin Nofretete mittels Lilienkelch zum Blut sauger gemacht wurde, um eine große Gefahr in eine unterirdische Pyramide einzukerkern: den Nexius, ein amorphes Monstrum, das einst dem Kelch ent sprang. Und sie erfahren von einer »Dunklen Arche«, die dazu diente, auch die Vampire die Sintflut überleben zu lassen. Als Luther und Romano beim Bau der Arche umkommen, finden sie sich in Uruk wieder – am Ende des Korri dors! Felidae langt im Uruk der Gegenwart an, wo das LICHT ihr eine Vision schickt: Landru wird noch vor Lilith hier eintreffen und deren Mission gefähr den! So wird es notwendig, ein Ablenkungsmanöver zu starten. Lilith erhält den Auftrag, den Nexius zu befreien! Doch Grabräuber wurden auf die unterirdische Pyramide aufmerksam und sind dabei, sie zu öffnen. Landru will dies verhindern, kommt aber zu spät: Die amorphe Masse ist erwacht und wütet gnadenlos unter den Eindringlingen. Bei ihr ist eine junge Frau: Nofretete, die damals zusammen mit dem Nexius einge schlossen wurde! Sie ist es auch, die Liliths Plan letztlich vereitelt. Der Halb vampirin gelingt es zwar, den Eingang hinter Landru zu schließen, doch Nofre tete kennt eine Möglichkeit zur Flucht. Mit knapper Not gelingt es, den Nexius wieder in seinen unterirdischen Kerker zu bannen. Landru läßt Nofretete bei der Kairoer Vampirsippe zurück. Er ahnt nicht, daß in ihr ein Teil des Nexius lebt, der eine Symbiose mit der Königin einging … Lilith ist unterdessen in der Türkei angelangt, wo sie im Ararat-Gebirge ein eiförmiges Gebilde namens »Agrippa« bergen soll, das für ihre Bestimmung vonnöten ist. Im »Dunklen Dom« findet sie das steinerne Ei – und stößt auf die bislang unerweckten Kelchhüter, denen auch Landru angehörte. Sie waren die Vampire, die damals die Sintflut überlebten! Mit der Agrippa hofft Lilith die Macht, die hinter allem steht, zu klaren Aussagen zu zwingen, doch als sie ver sucht, das LICHT zu erpressen, kommt Schmerz über sie …
Die Hauptpersonen des Romans Lilith Eden – Tochter eines Menschen und einer Vampirin. 98 Jahre lag sie schlafend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist vor der Zeit er wacht. Nun kämpft sie gegen die Vampire, die in ihr einen Bastard sehen, bis sie sich ihrer Bestimmung bewußt wird. Der Symbiont – Ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, obwohl es fast jede Form annehmen kann. Der Symbiont ernährt sich von Vampirblut und verläßt seine Wirtin bis zu deren Tod nie mehr. Landru – Mächtigster der alten Vampire. Seit 268 Jahren jagt er dem Lili enkelch nach, dem Unheiligtum der Vampire, der ihm damals von Felidae gestohlen wurde. Felidae – Vampirin im Auftrag einer geheimnisvollen Macht, die Liliths Geburt in die Wege leitete und damit einen Plan verfolgt, der die Welt der Menschen und Vampire verändern wird. Beth MacKinsey – Gleichgeschlechtlich veranlagt, hat sich die Journalis tin in Lilith verliebt und ist zur Zeit deren einzige Gefährtin im Kampf ge gen die Vampire. Duncan Luther & George Romano – Zwei Tote, die Liliths Keim in sich tragen. Sie haben einen Tunnel in Uruk/Irak freigelegt und folgen ihm nun. An seinem Ende soll sich bald Liliths Bestimmung erfüllen. Die Vampire – Noch kennt niemand ihre wahre Herkunft, doch sie leben seit Urzeiten neben den Menschen in Sippen zusammen. Um einen neuen Vampir zu schaffen, muß ein Menschenkind schwarzes Blut aus dem Lili enkelch trinken. Der Kodex verbietet Vampiren, sich gegenseitig umzubrin gen. Die Dienerkreaturen – Tötet ein Vampir einen Menschen mit seinem Biß, wird dieser ihm nicht ebenbürtig, sondern eine Kreatur, die dem Vampir bedingungslos gehorcht. Ihrerseits kann eine Dienerkreatur den Vampir keim nicht weitergeben und wird – anders als die Ur-Vampire – mit zuneh mendem Alter immer lichtempfindlicher.
Der Gestank des Blutes und der Toten ringsum vermochte Faysal Yilmaz den Appetit nicht zu verderben. Seine fettigen Finger griffen nach dem nächsten Stück gebratenenen Hammelfleisches, während seine Männer noch immer jedes einzelne Zimmer des Gehöfts nach etwas Brauchbarem durchwühlten. Und brauchen konnten sie beinahe alles – Werkzeug, Wertsachen, Lebensmittel und vor allem natürlich Geld. Sie konnten es einsetzen im Kampf gegen die Unterdrückung ihres kurdischen Volkes in der Türkei. Ein unabhängiges Kurdistan war ihr eigentliches Ziel. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg, der gesäumt sein würde von Gewalt, Leid und Tod. Wie bisher. Wie heute. Das Anwesen der Familie Gordion glich einem Schlachtfeld, in das Yilmaz und seine Anhänger es über Nacht verwandelt hatten. Die Droge, mit der sich die Bande für den Überfall ›vorbereitet‹ hatte, konnte nicht allein die Erklärung für ihr brutales Vorgehen sein. Vielmehr schlug Fanatismus sie mit einer Blindheit, die sie ihre Gräueltaten kaum mehr begreifen ließ. Im Hause der Bauernfamilie hatte an diesem Tag ohnehin Blut flie ßen sollen. Ein bißchen allerdings nur. Mit der Beschneidung seines Gliedes sollte der jüngste Sproß zum Mann gemacht werden. Und dieser heilige Brauch wurde gefeiert wie eine Hochzeit. Faysal Yilmaz und seine Bande hatten ein Blutfest von unvorstell barem Ausmaß daraus gemacht! Denn das Haus der Gordions war schon in der Nacht voller Gäste gewesen, von denen keiner das Massaker überlebt hatte. Nur ein paar Frauen waren mit einem et
was verzögerten Tod zusätzlich gestraft worden … Hätte nicht der große Tag des jüngsten Sohnes angestanden, wä ren die kurdischen Terroristen kaum über das Gehöft hergefallen, da die Gordions beileibe nicht wohlhabend waren. Die Aussicht auf die teuren Geschenke, die bei solch einem Fest überreicht wurden, hatte die Mörderbande jedoch zusätzlich zu der Abgeschiedenheit des Anwesens gelockt. »Wir haben alles verladen«, riß eine Stimme Yilmaz aus seinen Ge danken. Kani, ein junger Bursche, dem kaum das erste Barthaar wuchs, dessen Augen aber schon mehr Gewalt gesehen hatten als die der meisten älteren Männer, stand so aufrecht neben Yilmaz, wie sein drogenzerfressener Verstand es gerade noch zuließ. »Seid ihr sicher, daß ihr nichts übersehen habt?« fragte der Ban denführer mit vollem Mund. Die Schwere seiner Zunge ließ das Schlucken zum Kraftakt und Kunststück gleichermaßen werden. Kani nickte lahm. »Gut«, meinte Faysal Yilmaz. Seine Hand knetete nachdenklich das fast taube Gehänge in seinem Schritt, während sein Blick auf den beiden blutbefleckten Mädchen ruhte, die mit starren Augen in einer Ecke der Küche lagen. »Vielleicht sollte ich mir noch ein bißchen Spaß gönnen, bevor wir verschwinden«, murmelte er. »Keine sch-schlechte Idee«, pflichtete Kani seinem Führer lallend bei. Im gleichen Moment drang ein entsetzlicher Schrei an ihre Ohren. Yilmaz tappte mit schweren Schritten zum Fenster und sah hinaus. In einiger Entfernung reckte der Große Ararat sein ewig schneebe decktes Haupt in den morgengrauen Himmel. Doch dafür hatte der Killer keinen Blick.
»Sieht so aus, als wäre uns noch eine ganze Menge Spaß gegönnt«, griente er dann, bevor er sich seine Kalaschnikow schnappte und Kani bedeutete, ihm zu folgen. Die schwarzhaarige Schönheit, die sich schreiend im Staub wand, konnte ihnen allen noch den Tag versüßen. Und irgendwo, ganz weit hinten in seinem drogenzertrümmerten Denken glaubte Faysal Yilmaz so etwas wie eine offene Rechnung zu entdecken, die er mit diesem Biest da draußen noch zu beglei chen hatte.
* Als ich die müde klingenden Schritte hörte, wußte ich nicht, wer da auf mich zukam. Aber ich hatte allenfalls eine Ahnung davon, was auf mich zukam. Zwischen den weißglühenden Schmerzwogen, die mein Bewußt sein überschwemmten, wurden Bilder hochgespült. Erinnerungen, die erst wenige Stunden alt waren, die aber auch dann noch frisch gewesen wären, wenn ich sie schon vor langer Zeit gesammelt hätte. Denn Eindrücke von solcher Grausamkeit würden nie verblassen. Nicht in jemandem, der auch nur einen Funken Menschlichkeit in sich trug … Mein inneres Auge sah den toten Jungen und vor allem das in sei nem Blick auf ewig konservierte Grauen, das er in den letzten Se kunden seines jungen Lebens empfunden hatte, unmittelbar bevor sie ihm die Kehle durchgeschnitten hatten. In meinem Kopf wurden die Schüsse wieder laut, die in der Nacht durch das Haus der Gordi ons gepeitscht waren, in dem ich auf meinem Weg zum Dunklen Dom Zwischenstation gemacht hatte. Schüsse, denen wie verfälschte
Echos die Todesschreie aus einem Dutzend und mehr Kehlen ge folgt waren. Das Scheusal, das den Jungen abgeschlachtet hatte, hatte ich ge richtet und dann dieser Orgie des Grauens den Rücken gekehrt; nicht zuletzt, weil ich mir selbst keine Chance gegen die schwerbe waffnete Horde ausgerechnet hatte. Ich zweifelte nicht daran, daß keiner der Familie oder von den Gästen das Gemetzel überlebt hatte. Denn ich erinnerte mich der be klemmenden Totenstille, die mir auf meinem Rückweg hierher auf gefallen war, bevor der Schmerz mein Empfinden für alles andere ausgelöscht hatte.* Daß die Mörderbande sich aber immer noch hier aufhielt, damit hatte ich nicht gerechnet. Doch der unverändert wütende Schmerz ließ mir ohnehin kaum Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen dieser Umstand für mich haben konnte. Ich erfuhr es früh genug. Wenn ich auch die Worte, die jetzt gesprochen wurden, kaum ver stand. Das Toben der Glutwogen in mir betäubte selbst mein Gehör. »Was ist denn mit der los?« »Sieht aus, als würde sie gleich krepieren.« »Dann sollten wir uns beeilen. Packt sie!« Schmierige Hände griffen nach mir und schleiften mich in Rich tung des Gehöfts. »Seht euch diesen Körper an. Der Schöpfer muß ihn in ganz beson derer Laune geschaffen haben …« Ich machte eine Erfahrung, die ich vorher kaum für möglich gehal *siehe VAMPIRA 44: ›Das Strafgericht‹
ten hätte: daß selbst mir der Spaß am Sex vergehen konnte. Dann nämlich, wenn er auf solch widerliche Art und Weise prakti ziert wurde, wie sie mir jetzt widerfuhr! In meinem bisherigen Leben hatte ich die körperliche Vereinigung stets als höchsten Genuß verstanden. Auch mit Partnern, die keine Traummänner im eigentlichen Sinn gewesen waren. Vielleicht hatte es daran gelegen, daß stets ich die Richtung gewiesen hatte. Diesmal jedoch war mir das Heft aus der Hand gerissen worden. Der Schmerz in mir ließ nicht zu, daß ich die Kontrolle überneh men, geschweige denn mich wehren konnte. Er war nur gerade auf das Maß zurückgegangen, das mich zum bewußten Empfinden der Gewalt verurteilte, die mir bereitet wurde. Damit quälte mich die Macht, die dahinterstecken mußte, tausendmal mehr als zuvor. Ich sehnte den Schmerz von eben regelrecht zurück, nur um nicht miterleben zu müssen, was dieser Kerl, in dessen dreckiges Gesicht der Schweiß ein wirres Muster wusch, mir antat, während zwei sei ner Kumpane meine Beine auseinanderdrängten und meine Arme hielten. Selbst der Symbiont, mein Mimikrykleid, dessen Form ich sonst mit meinem Geist beeinflussen konnte, schien sich mit meinen Peini gern gegen mich verschworen zu haben. Der schwarze Stoff ließ meine Brustwarzen frei, so daß der stinkende Kerl seine schmutzi gen Lippen nach Belieben darüber stülpen und daran saugen konn te. Und der Symbiont weigerte sich auch, meine Pforte zu bedecken, um mich vor dem prallgeschwollenen Stab zu schützen, der brutal in mich drängte. Über mir tauchte ein weiteres Gesicht auf. Trotz des Chaos, das in mir tobte, erkannte ich es wieder. Es gehörte dem Mordgesellen, dem ich in der vergangenen Nacht den Arm gebrochen hatte, als er auf mich hatte schießen wollen.
Ganz tief in mir fühlte ich einen Anflug von Dankbarkeit, als sich der Nebel im Blick des Kerls nicht hob, nachdem er mich ein oder zwei Sekunden nur angestarrt hatte. Die Droge, die seinen Geist wie auch den der anderen umschlossen hielt, verhinderte offenbar, daß er sich wirklich an mich erinnerte. Wer weiß, welche Gelüste dann in ihm wach geworden wären … »Es macht dir Spaß, he?« geiferte der Schwitzende über mir. Of fenbar mißdeutete er die Teilnahmslosigkeit, zu der mich Schmerz und Entsetzen zwangen, sehr gründlich. Ich schloß die Augen, um ihn wenigstens nicht ansehen zu müssen, wenn ich schon dazu verdammt war, ihn zu spüren. Funken gleißender Helligkeit durchsetzten die Dunkelheit hinter meinen Lidern. Und etwas daraus sprach ohne Worte zu mir. Als würde es kurzerhand Gedanken in mir entstehen lassen, die ich für meine eigenen halten mußte. Es war so einfach, alles zu beenden – den Schmerz und die Gewalt. Ich brauchte mich nur gehenzulassen. Aufzugeben, woran sich das Menschliche in mir bislang festgehal ten hatte. Zu verraten, woran ich bisher geglaubt hatte. Ich mußte mich nur – selbst verleugnen … Hinter dieser Bereitschaft, von der mich bloß ein Gedanke trennte, lauerte die Bestie, die mich erlösen konnte. Wenn ich nur wollte! Mit jedem Quentchen Kraft, das ich noch zusammenzuraffen ver mochte, verweigerte ich mich meinem eigenen Willen, all dies ge schehen zu lassen. Bis der Schmerz zurückkam. Schlimmer als zuvor. Die Mauer in mir zerbarst förmlich.
Ich versprach alles! Und das Ungeheuer in mir – – zerriß seine Fesseln!
* Erdek Cannakale glaubte, seit einer Ewigkeit in den wogenden Schatten gefangen zu sein. Obwohl ihn auf einer anderen Ebene sei nes Denkens immer noch das Wissen folterte, wann und wie er in dieses Meer aus schwarzem und rotem Nebel geraten war. Die Schreie, die Schüsse, der Schmerz … Er meinte lautlose Stimmen hinter den Schatten darum streiten zu hören, ob sie ihn nun mitnehmen oder noch eine Weile mit dem biß chen Leben strafen sollten, das in ihm verblieben war. Cannakale, der sein Leben dem medizinischen Kampf gegen Leid und Tod gewidmet hatte, wünschte sich nichts sehnlicher, als end lich sterben zu dürfen. Doch die widerstreitenden Stimmen jenseits des Nebels nahmen keine Notiz davon. Irgendwann, Helligkeit (Tageslicht?) brach vage durch das wattige Dunkel, gewann das sphärenhafte Wispern um ihn herum Substanz. Schreie brandeten an seine Ohren und weckten ihn aus der Be nommenheit. Vielleicht, weil er eine der Stimmen, die zu ihm dran gen, zu erkennen glaubte. Cannakale wußte sie nicht zuzuordnen. Aber da war ein Gefühl in ihm, eine angenehme Empfindung, die er mit dieser Stimme ver band. Selbst jetzt noch, da kaum etwas Menschliches darin mit schwang. Obwohl sie ihm nicht nur Wonnen bereitet hatte, sondern ihn da für hatte bezahlen lassen.
Mit seinem Blut … Nur – wer war sie? Mit dem Namen Lilith, der durch sein getrübtes Bewußtsein flat terte, wußte er nichts anzufangen. Die Erinnerung daran war selbst jetzt noch blockiert. Nur ein Gedanke keimte in ihm. Sie brauchte Hilfe. Cannakale sammelte jedes bißchen Kraft, das er noch in verborge nen Winkeln seines Körpers fand. Schließlich gelang es ihm in einer – wie ihm schien – übermenschlichen Anstrengung, die Augen zu öffnen. Und er sah, womit er ihr helfen konnte.
* Keine von dem guten Dutzend wilder Gestalten begriff in den ersten Sekunden, was da wirklich über sie kam. Und bevor auch nur der Ansatz von Verstehen in ihre drogentumben Schädel sickerte, hatten zwei von ihnen ihr Leben bereits unter scharfen Klauen nicht ein fach ausgehaucht – sondern es unter Schmerzen aus dem Leib her ausgebrüllt! Den schweißstinkenden Bandenführer über mir ließ ich als ersten den Tod schauen. Der Kerl, der meine Arme gehalten hatte, folgte ihm nur eine Sekunde später. Bei den Schreien ihrer sterbenden Kumpane erinnerten sich die an deren ihrer Waffen. Doch ehe der erste Schuß fiel, spritzte weiteres Blut durch den verwüsteten Raum, als raubtierhafte Zähne zielsi cher die nächste Hauptschlagader zerfetzten und ein weiterer Mör der zu Boden stürzte.
Das lähmende Erschrecken, das ich früher verspürt hatte, wenn ich der Bestie in mir freien Lauf ließ, wollte sich diesmal nicht ein stellen. Dazu war meine Genugtuung einfach zu groß. Mit dem win zigen Rest bewußten Denkens, das mir geblieben war, wünschte ich, ihnen jede Grausamkeit, die sie nicht nur mir, sondern allen ihren Opfern je angetan hatten, tausendfach heimzahlen zu können. Doch dazu war ihre Zahl zu groß. Zumal auch jetzt wieder, wie schon in der Nacht, der Versuch fehlschlug, ihren Willen zu unterjochen. Die Droge, mit der sie ihr jämmerliches Dasein erträglich machten, schützte ihren Geist vor meinem Zugriff. Das Donnern von Schüssen drang nur wie durch Nebel an mein Ohr. Schmerz war mir in diesen Momenten völlig fremd, trotzdem spürte ich, wie die Kugeln meine Haut aufrissen. Die Wucht der Ku geln ließ mich taumeln. Verwunderung darüber, daß ich unter ihren Schüssen nicht starb, empfanden sie vermutlich nicht. Wohl aber erkannte etwas in ihnen – Instinkt vielleicht, von dem Tiere wie sie geleitet sein mußten –, daß sie mich mit ihren Salven auf Distanz halten konnten. Mein Körper verfügte über die phänomenale Selbstheilungskraft eines jeden Vampirs. Dennoch hatte ich Zweifel, daß sie genügte, all diese Wunden in meinem Fleisch zu schließen. Zumal für jede halb wegs vernarbte mindestens zwei neue hinzukamen! Daß sich in den mörderischen Chor mit einemmal ein weiteres Krachen mischte, merkte ich im ersten Moment genausowenig wie die Killerbrut selbst. Doch als die ersten von ihnen wie vom Blitz niedergestreckt zu Bo den gingen, suchten sich die anderen Schützen ein neues Ziel. Daß ich den Bruchteil einer Sekunde zuvor auf Erdek Cannakale aufmerksam geworden war, änderte an seinem Schicksal nichts.
* Der türkische Landarzt, der mich tags zuvor von seinem Blut hatte trinken lassen, verschaffte mir das bißchen Luft, das ich brauchte. Noch während sich die fürchterlichen Wunden in meinem Fleisch zu schließen begannen, stürzte ich mich wieder auf die Bande. Ich trieb das Leben mit meinen Krallen aus ihrem zuckenden Fleisch. Ihr Brüllen konnte mich so wenig stoppen, wie sie die Schreie ihrer Opfer gerührt hatten. Irgendwann war jede Bewegung um mich herum verebbt. Ein Stöhnen ließ die Bestie in mir, die sich gerade wieder in ihren dunklen Kerker zurückziehen wollte, noch einmal innehalten. Doch ihre Rückkehr war nicht notwendig. Im Durchgang zum Nebenzimmer rührte sich Erdek Cannakale. Am Boden kauernd wandte er mir sein blutüberströmtes Gesicht zu, in dem die Augen unnatürlich wach blickten. Zu wach, als daß er den Schmerz, der in ihm brennen mußte, nicht spüren konnte. Während das Monströse vollends aus meinen Zügen wich, trat ich zu dem Sterbenden und kniete nieder. Obwohl ich zumindest hinter all dem Blut, das meine Haut besudelte, wieder menschlich aussah, versuchte Cannakale vor mir wegzukriechen. Als könnte ich ihm noch irgend etwas antun, was er nicht schon jetzt ausstehen mußte. Mein Blick senkte sich in den seinen, und ich erlöste wenigstens seinen Geist von Schmerz und Grauen. »Du kannst mir noch einen letzten Dienst erweisen«, sagte ich. Dann beugte ich mich über ihn und fügte seinem Hals eine weitere Wunde zu, aus der ich alles Blut trank, das noch nicht aus dem zer rissenen Netzwerk seiner Adern geflossen war.
Erst danach erwies ich meinem Retter Dankbarkeit, indem ich ihm einen schnelleren Tod schenkte als den, der ihm bestimmt war. Umgeben von all den Toten fiel es mir nicht leicht, mich wenigs tens eine Weile zur Ruhe zu legen, um meinen Körper sich regene rieren zu lassen und neue Kraft zu sammeln für die Anstrengung, die mich noch erwartete. Aber mir blieb keine andere Wahl, wollte ich den Weg zurück nach Ägypten schaffen. Denn unterwegs würde ich womöglich keine Gelegenheit haben, frisches Blut zu ›tanken‹. Seit ich wußte, daß jenes Monstrum aus dreierlei Mensch all jene töte te, von deren Blut ich mich ernährte, war ich bemüht, nur noch aus Beth zu trinken. Sie war, obwohl auch sie meinen Keim in sich trug, aus unbekannten Gründen von der Dreiheit verschont geblieben. * Doch Beth’ Blut würde mir erst wieder zur Verfügung stehen, wenn ich sie aus der Mission in Kairo abgeholt hatte, in der ich sie nicht zuletzt zu ihrem eigenen Schutz zurückgelassen hatte. Und die Reise zurück, zumindest der Teil, welchen ich auf den le drigen Schwingen meiner Fledermausgestalt bewältigen mußte, würde beschwerlicher werden als der Herweg. Schließlich mußte ich nun eine Last in meinen Fängen transportieren. Die Agrippa. Jenes rätselhafte eiförmige Artefakt, das ich, wie prophezeit, im nunmehr eingestürzten Dunklen Dom im Inneren des Berges Ararat gefunden hatte und dessen Bedeutung mir nach wie vor unbekannt war. Ich wußte nur, daß es eng mit meiner wahren Bestimmung ver knüpft war. Den Gedanken, mich ihr zu widersetzen und meinen eigenen Weg zu gehen, verbat ich mir eisern. Allein der Nachhall jenes mörderischen Schmerzes genügte, mich *siehe VAMPIRA 39: ›Liliths Opfer‹
daran zu erinnern, wie wenig ich gegen den Willen jener Macht aus richten konnte, die hinter allem stand. Noch genügte er …
* Am Abend zuvor Kairo, im Armenviertel El-Kalifa Seit einigen Tagen versuchte Schwester Christine dieses eine Kran kenzimmer der koptischen Mission, in der sie Dienst am Nächsten tat, zu meiden. Und doch hatte sie den Raum nie zuvor häufiger aufgesucht als in eben diesen Tagen. Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, ihn in dieser Zeit auch nur ein einziges Mal bewußt betreten zu haben. Die Erinnerung der hageren Frau reichte stets nur zurück bis zu dem Punkt, an dem sie draußen, dicht an der gegenüberliegenden Flurwand entlang, die Tür zu dem Zimmer zu passieren meinte – und setzte immer erst in dem Moment wieder ein, da sie sich wie aus einem Traum gerissen inmitten des Raumes wiederfand. So hatte es Schwester Christine all die Male zuvor empfunden. Und so geschah es auch jetzt. Das schattendurchwobene Licht der fast heruntergebrannten Ker ze auf dem Nachtschränkchen reichte nicht in jede Ecke des Raum es, aber es genügte, seine spartanische Einrichtung erkennen zu las sen – ein schlichtes Bett, ein abgesessener Stuhl daneben, und an der Wand über dem Kopfende ein gut armlanges koptisches Kreuz.
Augenscheinlich hatte sich nichts in dem Zimmer verändert. Nicht einmal die knabenhaft schlanke Frau schien sich im Bett bewegt zu haben, seit Schwester Christine zum letztenmal hiergewesen war. Die junge Frau mit dem bleichen und doch bildhübschen Gesicht lag noch immer auf dem Rücken, die Hände über der Decke gefaltet, die Augen geschlossen. Wie – tot? Die Missionsschwester lenkte nur einen winzigen Teil ihrer Auf merksamkeit auf die Patientin. Merkwürdig desinteressiert nahm sie das kaum merkliche Heben und Senken des dünnen Lakens über der Brust und die leichte Bewegung der wie aus Wachs modellierten Nasenflügel zur Kenntnis. Die Frau mit dem kurzgeschnittenen Blondschopf schlief, oder zumindest stellte sie sich schlafend. Auch wenn Beth MacKinsay wirklich tot im Bett gelegen hätte, würde Schwester Christine diesen Umstand mit demselben Gleich mut hingenommen haben. Vor wenigen Tagen noch hätte allein der Gedanke, ihr könnte der Tod eines Menschen egal sein, ihr Innerstes nicht einfach nur in Aufruhr versetzt, sondern regelrecht zerrissen. Aber solche Empfindungen gehörten einem Leben an, das sie kaum noch führte. Allenfalls draußen, jenseits der Tür zu diesem Zimmer, bestand noch ein Abglanz davon. Hier drinnen jedoch be stimmten andere Dinge Schwester Christines Tun und Denken – Dinge, an die sie früher, wenn überhaupt, nur mit Abscheu und Ver achtung gedacht hatte. Wie jedesmal hatten sich das Unbehagen und die Beklemmung, die ihr dieser Raum bereitete, wenn sie draußen stand, mit dem Be treten in etwas anderes verwandelt – in etwas Hitziges, das unerfüll te Wünsche aus versiegelten Winkeln ihres Unterbewußtseins be freite und ein wohliges Kribbeln an Stellen ihres Körpers auslöste, die sie früher, in jenem anderen Leben, nie länger als unbedingt nö tig berührt hatte.
Vielleicht, überlegte sie auf einem freien Nebengleis ihres Den kens, rührte ihr Unbehagen daher, daß sie draußen sehr wohl wußte, was sie drinnen erwartete – daß sie sich widerstandslos dem wilden Verlangen und der Sehnsucht ergab. Daß ihre Beklemmung anfangs von der seltsamen Fremden, die Beth MacKinsay trotz allem für sie geblieben war, verursacht wor den war, hatte Schwester Christine längst verdrängt. Auch an die fa denscheinigen Ausflüchte, mit denen sich der Missionsleiter ihrer Bitte verweigert hatte, im Fall der schwerverletzten Beth MacKinsay doch die Behörden hinzuziehen, dachte sie nicht mehr. Ebensowe nig wunderte sie sich noch darüber, daß Pater Greorgius ihrem Wunsch, eine andere Schwester mit der Pflege dieser Patientin zu betrauen, entsprochen hatte, ohne eine Erklärung zu verlangen. Was Schwester Christine nicht vergessen hatte, waren die Bilder, die sie gesehen hatte, als sie vor ein paar Tagen wie von einer unwi derstehlichen Macht gezwungen einen Blick durch das Schlüsselloch in Pater Greorgius’ Kammer geworfen hatte. Als der Pater und zwei blutjunge Missionshelferinnen Dinge getan hatten, von denen Schwester Christine bis dahin nicht einmal gewußt hatte, daß man sie tun konnte … Der Schock darüber allerdings, von dem sie im allerersten Moment geglaubt hatte, er würde den Schlag ihres Herzens abwürgen, war längst verflogen. Er hatte ihr darüber hinweggeholfen. Sein Atem, den sie in jener Nacht zum erstenmal gespürt hatte, hatte nicht nur ihre wunde Seele geheilt, sondern in ihr das nie ge kannte Verlangen geweckt, es dem Pater gleichzutun. Mit Ihm. Ein kleines, allem Weltlichen entrücktes Lächeln spielte um Schwester Christines schmale Lippen, als sie Ihn jetzt ansah. Vor Tagen noch hatte die kleine, ans Kreuz genagelte Holzfigur so
ausgesehen wie all die Jahre zuvor: so, wie die Menschen sich Gottes Sohn vorstellten, der an ihrer statt gestorben war. Dann jedoch hatte die Gestalt sich verändert. Jetzt besaß sie kaum noch Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Heilandfigur. Sie hatte die Farbe absoluter Finsternis angenommen, schwärzer noch als Schwarz. Und sie schien aus einem amorphen, lederartigen Material zu bestehen, das ständig in Bewegung war, ohne jedoch wirklich den Eindruck von Bewegung zu erwecken. Wie töricht war es doch gewesen, sich vor Seinem Atem zu fürch ten. Aber in jener Nacht hatte sie Ihn erkannt. Nicht als Heiland. Sondern als dessen Widersacher. Als sie aus unerklärlichen Grün den der Bitte Beth MacKinsays nachkommen und das Kruzifix von der Wand nehmen wollte, hatte sie erstmals den Hauch aus dem Mund der Holzfigur gespürt. Seit dieser Nacht begleitete er sie überallhin. Sie fühlte ihn wie den Atem eines Unsichtbaren, der stets an ihrer Seite wandelte. Mal streifte er ihre Wange, dann fühlte sie ihn durch den Stoff ihrer Schwesterntracht hindurch auf ihren Brüsten – und manchmal kühl te er die heiße Feuchte zwischen ihren Schenkeln … Unhörbar schien in Seinem Hauch die Lockung zu liegen, Ihm wie der gegenüberzutreten. Auf einer niederen Ebene ihres Denkens zwang sich Schwester Christine, dem stimmlosen Ruf zu widerste hen. Doch die bis dato nie genutzten Bereiche ihres Bewußtseins er wiesen sich als stärker und brachten sie wieder und wieder zurück in dieses Zimmer. Längst erschrak sie nicht mehr, wenn er sich am Kreuz bewegte, um sich ihr zuzuwenden. Und auch den Eindruck, daß sich das ehe dem so sanfte, friedvolle Gesicht unter der Dornenkrone in etwas gänzlich anderes verkehrt hatte, hielt sie mittlerweile nicht mehr für ein Trugbild ihrer Phantasie. Hinter den ins Holz geschnitzten Au gen glänzte etwas, das Schwester Christine selbst im flackernden
Zwielicht der Kerze noch als Verlangen erkannte. »Dein Wille geschehe«, flüsterte die Frau mit dem silberdurchwo benen Haar heiser, während sie nähertrat und sich über die Schla fende hinweg zu Ihm vorbeugte. Im ersten Moment glaubte Schwester Christine, das fast schmerz erfüllte Keuchen hätte sich ihrer eigenen Kehle entrungen, weil sie die Glut in ihrem Schoß kaum noch zu ertragen imstande war. Erst als sie die unruhige Bewegung und weiteres Stöhnen wahrnahm, durchsetzt mit unverständlichen Worten, merkte sie, daß Beth MacKinsay es verursachte. Sie kümmerte sich nicht weiter darum und widmete ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder Ihm. Von ihren Lippen löste sich ein Laut, der irgendwo zwischen Er schrecken und Verzückung hängenblieb. Erneut fühlte sie den Atem aus dem Mund der Figur strömen, heftiger diesmal als je zuvor. Und fast meinte sie ihn jetzt sogar zu hören. Schließlich war es nur noch ihr eigener Atem, den Schwester Christine vernahm, gepreßt und erregt. Sie spürte etwas wie einen glutheißen und doch unsichtbaren Pfahl an ihre Pforte pochen, die sich nur allzu bereitwillig öffnen wollte. Doch sie erlaubte ihm erst einzudringen, als sie fast fluchtartig in ihre eigene Kammer zurückgerannt war und die Tür gewissenhaft abgesperrt hatte. Ihre kleinen Schreie drangen dennoch hinaus auf den Flur. Aber an solcherlei Dingen störte sich in der kleinen koptischen Mission niemand. Nicht mehr. Denn dazu war ein jeder viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Mit seinen eigenen Wünschen und Sehnsüchten.
Und Ängsten.
* Beth MacKinsay wußte nicht, wie lange sie schon in diesem Bett lag – nur, daß sie es schon sehr lange tat. Und jede einzelne Minute, die verstrich, schien das Schreckliche zu stärken, das nach ihr greifen und sie verändern, ihre Gedanken verdrehen und neu formen woll te. Wieder und wieder begann die Schwärze hinter Beth’ geschlosse nen Augenlidern zu brodeln. Und als sähe sie von oben in eine Windhose, die über die schwarzverbrannte Erde einer sonnenlosen Welt raste, reichte etwas wie ein Tunnel in die tosende Finsternis hinein. Dort unten, im Auge des Sturms, entstand aus dem Nichts ein weißglühender Punkt, der noch in derselben Sekunde zu wach sen begann, bis er zu einer kochenden Flut aus kaltem LICHT wur de, die durch den Tunnel auf Beth zurollte, um – ja, um was mit ihr zu tun? Eine Antwort auf diese Frage hatte Beth bislang nicht gefunden. Denn bis jetzt war das heranwogende LICHT noch jedesmal ver ebbt, ehe es sie vollends erreicht hatte. Eine Weile hatte Beth MacKinsay ernsthaft geglaubt, sie selbst hät te die kaltglühende Flut gestoppt – irgendwie, mit der Kraft ihrer Gedanken, ihres Willens oder womit auch immer. Vielleicht prallte es aber auch vor der Aura des großen Kruzifixes zurück, das über ihrem Bett an der Wand hing und dessen Anblick manchmal in ihr selbst den seltsamen Wunsch weckte, es abzunehmen … Inzwischen hatte Beth jedoch einen anderen Eindruck gewonnen. Einen, der sie keineswegs beruhigte. Wann immer sie genügend Konzentration aufbrachte, um in dem Chaos hinter ihrer Stirn eige
ne Gedanken ein Stückweit zu verfolgen, gelangte sie zu der Über zeugung, daß das LICHT sich ihrer längst hätte bemächtigen kön nen – wenn es nur gewollt hätte. Sie spürte, obwohl es noch nicht zur ›direkten Konfrontation‹ gekommen war, die Macht dahinter – eine Kraft von solch fühlbarer Urgewalt, daß Beth sie schlichtweg zu al lem fähig hielt. Das LICHT schien bisher nur mit ihr zu spielen. Möglicherweise versuchte es auch, sie zu zermürben, ihren Widerstand aufzuwei chen. Aber vielleicht wartete es auch einfach nur. Wie Beth. Im Warten erschöpfte sich ihre einzige Beschäftigung, während sie dalag. Zum Verlassen des Raumes fehlten ihr die Kraft und der Wil le. Wenn sie auch nur daran zu denken begann, aus dem Zimmer zu gehen, um sich in der Mission umzusehen, zerfaserte der bloße An satz des Wunsches auf seltsame Weise, so daß sie sich noch nicht einmal darüber wundern konnte. Und so tat sie also nichts anderes, als zu warten – auf Lilith, die Beth vor einiger Zeit in die Obhut dieser koptischen Mission im Stadtteil El-Kalifa gegeben hatte. Denn nur an einem Ort wie diesem wähnte sie ihre Freundin sicher vor weiteren Nachstellungen der Kairoer Vampirsippe. Den Leiter der Mission, Pater Greorgius, hatte Lilith dahingehend beeinflußt, daß er sich bis zu ihrer Rückkehr um Beth’ Genesung kümmerte, sie pflegte – und ansonsten weder neu gierige Fragen stellte noch sonst etwas unternahm, das Aufsehen hätte erregen können.* Mittlerweile wartete Beth nicht einfach nur auf Liliths Rückkehr. Sie sehnte sie förmlich herbei. Sie rief lautlos nach ihr. Aber ihre stummen Schreie blieben unbeantwortet. Doch die Stärke ihres Wunsches, Lilith möge endlich zurückkom *siehe Vampira 43: ›Die ewige Königin‹
men, beantwortete für Beth etwas anderes – eine Frage, die sie sich in den vergangenen Monaten hundertmal und öfter, wenn auch nicht wirklich bewußt, gestellt hatte: Was verband sie eigentlich mit Lilith – mit der Frau, die halb Mensch und halb Vampir war? Spontan hätte sie Lilith, die vor rund anderthalb Jahren in ihr Le ben getreten war und es nachhaltigst verändert hatte, ihre Freundin genannt. Doch einer kritischen Nachfrage hätte diese Antwort wo möglich nicht standgehalten. Konnte man wirklich befreundet sein mit einem Wesen, in dem eine Bestie schlummerte? Beth wußte, was diese Bestie anrichten konnte, wenn Lilith sie entfesselte. Sie hatte es mehr als einmal miterlebt. Was würde geschehen, wenn diese Bestie stärker wurde, Oberhand gewann? Wenn Liliths menschlicher Teil ihr nicht mehr zu trotzen imstande war? Würde Lilith sich ihrerseits dann noch an Begriffe wie Freundschaft und Vertrauen entsinnen? Beth hätte ihre Hand nicht dafür ins Feuer gelegt. Zumindest bis jetzt nicht. Nun aber, da sie so schmerzlich Lilith vermißte, spürte sie, daß ein starkes Band zwischen ihnen war. Ein Band, für das der Begriff Freundschaft nicht ausreichte. Wenn es eine Bezeichnung für eine noch tiefere Verbindung gab, dann beschrieb nur sie das Verhältnis zwischen Lilith und Beth. Sie wünschte sich, Liliths streichelnde Hände zu fühlen, ihren atemberaubend schönen Leib zu spüren, um dieser quälenden Einsamkeit zu entfliehen … Schritte näherten sich ihrem Bett. Durch den Nebel ihrer mühsam aneinandergeknüpften Gedanken erkannte Beth, daß weder Pater Greorgius noch Schwester Eman, die junge Ägypterin, die sie gesundgepflegt hatte, sie verursachten. Deren Schritte hatte sie in den vergangenen Tagen so oft gehört, daß Beth sie selbst in ihrem scheinbar endlosen Halbschlaf zu identifizie ren vermochte.
In ihrer Brust zündete ein Funke, der ganz und gar nichts mit dem gefräßigen LICHT zu tun hatte. »Lilith?« glaubte Beth zu fragen. Doch ihr Mund war so trocken, daß nur ein heiseres Keuchen daraus wurde. Es wurde dennoch ver standen. »Ich bin hier.« Beth wunderte sich nicht darüber, daß sie die Freundin erst in dem Moment erkannte, da sie sich fragte, weshalb sie Lilith nicht sehen konnte. Die Freude über ihre Rückkehr überwog alles andere. »Ich fürchtete schon, du würdest mich für immer hier liegen las sen.« Erleichterung flutete jeden Winkel von Beth’ Körper und erfüllte ihn mit einer Kraft, die nach der langen Tatenlosigkeit fast schmerz te. »Es gab viel zu tun«, erwiderte Lilith. Sie trat näher an das Bett heran. Beth erschrak beinahe, als sie Lilith im Schein der Kerze jetzt besser erkennen konnte. Das Gesicht der Halbvampirin wirkte noch blasser als sonst. Jede einzelne ihrer Gesten und Bewegungen verriet eine Müdigkeit, der nicht mit Schlaf beizukommen war … »Du siehst – nicht gut aus«, bemerkte Beth. Lilith lächelte matt und freudlos. »Danke. Aufmunternde Worte sind genau das, was ich jetzt brau che.« »Entschuldige …« Lilith winkte ab. »Du hast ja recht. Ich muß furchtbar aussehen. Ich hatte lange kei ne Gelegenheit zu trinken.« »Möchtest du …?« fragte Beth leise. »Wenn es dir nichts ausmacht«, sagte Lilith. »Nein. Natürlich nicht«, antwortete Beth. Obwohl ihr der Gedan
ke, daß Lilith sich an ihrem Blut laben würde, um wieder zu Kräften zu kommen, absolut nicht behagte. Die fürchterlichen Wunden an ihrem Hals, die ihr die Kairoer Vampire zugefügt hatten, waren ge rade erst verheilt. Wenn Lilith nun ihre Zähne hineingrub, würden der Schmerz und vor allem die Erinnerung an dieses furchtbare Er lebnis unweigerlich wieder in Beth hochgespült werden. Aber was tat man nicht alles für jemanden, der einem mehr als nur eine Freundin war? »Sei vorsichtig«, bat Beth trotzdem, als sie ihren Kopf ein klein we nig zurückbeugte, um die Haut über ihrer Schlagader zu straffen. »War ich das jemals nicht?« Die Stimme klang ganz nah. Beth spürte, wie Lilith über sie kam. Allein die lange vermißte Berührung schien es ihr in diesem Mo ment wert, sich der Halbvampirin zum Trunke zu bieten. Beth sah direkt in Liliths geöffneten Mund. Die leicht gebogenen Eckzähne schienen ihre nahe genug, um sie mit spielerischer Zunge berühren zu können. Liliths eigene Zunge netzte wie in Vorfreude auf das Blutmahl ihre vollen Lippen. Ein Hauch der Erregung stieg aus ihrem Rachen der sich einen Herzschlag später in einen Tunnel verwandelte! Einen Tunnel, der sich in wogender Schwärze wand! Und vom Grund des sich krümmenden Schlauches raste eisiges LICHT auf Beth zu. Schneller, gieriger als je zuvor. Und diesmal verlosch es nicht, ehe es Beth erreichte. Diesmal kam es über sie. Und in sie. Als das Trugbild Liliths verblaßte, war das Warten vorüber. Es war an der Zeit zu handeln.
* »Sarif, wach auf!« Das gequälte Ächzen und Stöhnen des jungen Mannes, der sich unruhig auf seinem schmutzigen Deckenlager hin und her warf, hät te schauerlich geklungen an diesem Ort und vor allem zu so später Stunde – hätten nicht tausend oder mehr Menschen den Nord-Fried hof von Kairo zu ihrer ständigen Wohnstatt erkoren und mit Leben erfüllt. »Was ist?« Sarif schreckte hoch und sah sich mit einem Blick um, der erst ein paar Sekunden nach dem Körper aus dem Schlaf in die Wirklichkeit zurückfand. »Du hast wieder geträumt«, sagte Zenhum an seiner Seite. Ein trauriges Lächeln huschte über Sarifs jungenhaftes Gesicht. »Danke, daß du mich geweckt hast, mein Freund.« Zenhum, der seine Jugend mit einem dichten schwarzen Vollbart zu kaschieren trachtete, lächelte zurück. »Vielleicht hören die Träume auf, wenn du mir endlich davon er zählst?« meinte er. In seinen dunklen Augen entdeckte Sarif ehrliche Sorge. Trotzdem erwiderte er: »Es gibt Träume, von denen man niemandem erzählen sollte.« Vor allem dann nicht, wenn diese Träume von Blut und Schmerz, Trauer und Angst handelten und Vampire darin die Hauptrolle spielten, dachte Sarif. Aber er hütete sich, diesen Gedanken laut auszusprechen. Statt dessen erhob er sich und ließ den Blick über die gewaltige Totenstadt schweifen, die längst nicht mehr allein den Verstorbenen gehörte. Hunderte kamen täglich aus Oberägypten nach Kairo, in
der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die allerwenigsten von ihnen fanden in der zu lebenslänglichem Wachstum verurteilten Stadt mit ihren 16, 17 oder 18 Millionen Einwohnern Arbeit, geschweige denn eine Wohnung. Und so zogen sie dort ein, wo sie niemanden störten – um in morbider Harmonie und Nachbarschaft mit den Toten zu le ben. Die Vertrautheit des Bildes vermochte die Nachwirkungen des ewig gleichen Alptraumes in Sarif kaum zu lindern. Er kannte nur einen Ort, an dem er sich davon erholen konnte. Vielleicht lag es an der besonderen Aura dort, die einen so krassen Gegensatz zu sei nem Traum darstellte, daß er wenigstens ein kleines bißchen verges sen konnte. Aber vielleicht lag es auch einfach nur an der hübschen Amira, in der er zu jeder Zeit eine geduldige Zuhörerin fand. Mit der er Zwiesprache halten konnte, ohne reden zu müssen. »Du gehst noch weg?« fragte Zenhum verwundert. »Es ist beinahe Mitternacht!« Sarif hatte noch nicht einmal gemerkt, daß er schon im Weggehen begriffen war. Er nickte. »Ja. Du mußt dir keine Sorgen machen.« »Das tue ich aber. Du bist nicht nur mein Freund, sondern auch meine Familie. Unsere Wohnung ist so furchtbar leer ohne dich.« Seine Handbewegung umschloß den staubigen Winkel zwischen zwei staubbedeckten Grabstätten, in dem sie sich häuslich niederge lassen hatten. Sein Grinsen entblößte zwei Zahnreihen, die so schief standen wie die meisten Grabsteine ringsum. Sarif bemühte sich, das unbesorgte Lächeln zu erwidern. »Ich bin bald zurück«, sagte er und ging. Sein Traum hing ihm an wie ein Schatten. Wirklich entkommen konnte er ihm nie und nirgends. Und manchmal plagten ihn die Bil der sogar im Wachsein.
Wie jetzt, als er über den Northern Cemetry schritt und ab und zu gedankenverloren einen Gruß erwiderte … Sarif war in jener Nacht spät nach Hause gekommen (damals hatte er noch ein richtiges Zuhause; und eine Familie!). Er hatte ein paar Piaster verdient gehabt, war mit einem Kübel Öl und einem zwei Meter langen Pinsel durch die Straßen Al-Qahiras gezogen und hat te die Rollädenscharniere von Geschäften und Werkstätten ge schmiert. Er freute sich auf das stolze Lächeln, das ihm sein Vater schenken würde, wenn er das eingenommene Geld auf den Tisch le gen würde, und fast mehr noch auf den warmen Glanz, der dann in die Augen seiner Mutter treten würde. Aber Sarifs Vater lächelte nicht mehr, und seine Mutter sah ihn nicht mehr mit diesem ganz besonderen Blick an. Nicht in dieser Nacht und in keiner anderen. Sarif kam gerade noch rechtzeitig, um den letzten Akt des grausi gen Dramas mitzuerleben. Und er verstand bis heute nicht recht, warum er allein ihn überlebt hatte. Eine Horde fremder Männer (zu diesem Zeitpunkt hatte Sarif ihr wahres Wesen noch nicht gekannt) war in das kleine Haus seiner Familie eingefallen und hatte schrecklich gewütet. Kein Möbelstück schien mehr unversehrt, geschweige denn an seinem Platz. Aber das war nebensächlich. Vieltausendmal schlimmer war das, was die Fremden seiner Familie antaten – seiner Mutter, seinem Vater, seiner Schwester: Wie Trauben an einem Strauch hingen die Männer an ih ren Körpern. Und ein widerwärtiges Schmatzen und Schlürfen weh te wie ein Chor aus der tiefsten Hölle durchs Haus. Obwohl es offensichtlich war und er wie jeder andere die Ge schichten gehört hatte, verstrich eine Ewigkeit, bis Sarif begriff, was hier vor seinen Augen geschah – was diese Fremden wirklich waren
und taten. Eine weitere verging, ehe er auch nur daran denken konnte, sich zu bewegen. Und auch dann gab es nichts, was er tun konnte. Er fühlte sich als Gefangener in seinem Körper, zum tatenlosen Zusehen verdammt. Denn es war noch nicht vorbei. Irgendwann verebbten die saugenden Geräusche, und die Leichen seiner Angehörigen, die, so glaubte Sarif, längst blutleer sein muß ten, wurden wie wertloser Plunder fallengelassen. Doch sie blieben nicht lange liegen. Wie auf ein geheimes Kommando erhoben sie sich – nur um endgültig zu sterben. Zumindest sein Vater und seine Mutter wurden von ihrem unto ten Dasein erlöst. Ein Geräusch wie von brechenden Ästen drang an Sarifs Ohren, als zwei der Vampire vortraten und seinen Eltern die Gesichter mit einer scheinbar mühelosen Bewegung auf den Rücken drehten. Vollends entseelt sanken sie zu Boden. Allein seine Schwester Omohid verschonten sie. Verschont – ha! Sarif wünschte sich nichts so sehr, als daß die Blut sauger auch Omohid das Genick gebrochen hätten … Daß Sarif in diesen Augenblicken nicht kerzengerade in den Wahnsinn ging, verhinderte nur eine Wahrnehmung, die ihn damals verwirrt hatte und die er zu verstehen sich noch heute weigerte. In dem Moment, als sein Vater starb, hatte Sarif den Blick des Al ten noch einmal auf sich ruhen gespürt. Klar und deutlich, unge trübt von dem, was der Biß der Vampire auch in ihn gepflanzt ha ben mochte. Und etwas hatte in dieser Sekunde den beinahe schon toten Körper verlassen und war in Sarif gefahren. Etwas, das Sarif noch heute in sich fühlen konnte, das aber nie aufgegangen war. Wie ein Saatkorn, das in unfruchtbaren Boden gesetzt wurde.
Vielleicht lag es daran, daß Sarif nicht von seines Vaters Blut war. Daß er – nicht seines Vaters Sohn war! Seine Mutter hatte dieses Geheimnis mit ihm geteilt, als sie Sarif für alt genug gehalten hatte. Ein Fremder hatte ihr einst Gewalt an getan, und diesem bis dahin schrecklichsten Erlebnis der herzensgu ten Frau war Sarif entsprossen. Der Vater hatte nie davon erfahren. Er hätte sein Eheweib samt des Balges, das sie ihm untergeschoben hatte, davongejagt. So aber liebte er beide, und zumindest Sarifs Mutter sah die Spra che der Liebe als mächtiger an als die des Blutes. Und Sarif hatte kei ne Mühe, den Mann, der ihn großgezogen hatte, fürderhin als sei nen wahren Vater zu ehren. Nur sein besonderes Erbe, das er ihm im Sterben übertragen hatte, vermochte Sarif nicht anzutreten. Und vielleicht war es auch eben dieser Umstand, weswegen ihn die Vampire in dieser Nacht am Leben gelassen hatten. Weil sie mit ihren Übersinnen spürten, daß Vater und Sohn nicht vom gleichen Blute waren – und der Sohn deshalb keine Gefahr für sie bedeutete. Der Keim, den er damals empfangen hatte, verriet Sarif aber zu mindest eine Ahnung davon, womit sein Vater in all den Nächten, die er nicht zu Hause verbracht hatte, beschäftigt gewesen war. Und er wußte jetzt auch, was es mit jenem zwar mächtigen, doch schmucklosen Holzpflock auf sich hatte, den sein Vater gehegt und gepflegt hatte wie ein besonders wertvolles Schmuckstück. Er war sein Werkzeug für eine Aufgabe gewesen, für die er offenbar von Bluts wegen bestimmt war. Aber der Pflock war verbrannt wie alles andere, das Sarifs Familie je besessen hatte. In dem Feuer, das die Vampire in dieser Nacht leg ten, um auch die allerletzten Erinnerungen an ihren todbringenden Feind zu tilgen.
Nur Sarif war übriggeblieben. Mit nichts anderem als dem, was er auf dem Leib trug, und in der Tasche die Handvoll Piaster, die er an diesem Tag verdient hatte. Noch heute wünschte er sich, die Vampire hätten damals in ihrem Rausch auch ihn ausgelöscht. Oder ihn wenigstens mit ihrem Blut kuß vergiftet. Denn Sarif glaubte nicht, daß ihre Kreaturen zum Träumen ver dammt waren. Und es wäre ihm auch erspart geblieben, seiner Schwester Omo hid eigenhändig das Genick brechen zu müssen, als er ihr vor ein paar Nächten wieder begegnet war.
* Beth MacKinsay erwachte. Hätte jemand sie gesehen, wäre ihm als erstes das kalte Leuchten aufgefallen, das ihre Pupillen ausfüllte. Aber sie befand sich allein im Zimmer. Und so konnte sie tun, was zu tun war. Was zu tun ihr das LICHT auftrug. Für einen Moment kehrte sich Beth’ Blick nach innen, als gäbe es in ihr etwas von Bedeutung zu sehen. Im gleichen Maße lauschte sie in sich hinein. Und plötzlich konnte sie sich selbst beobachten. Gerade so, als hät te das LICHT ihr ganzes Sein auf einen winzigen Punkt zusammen gestaucht und dann dieses mikroskopisch kleine Etwas aus dem Körper verbannt, weil es ihn gänzlich für seine eigenen Zwecke brauchte. Oder mißbrauchte. Ihre Empfindungen mußten auf ein Minimum reduziert sein, nur
so konnte Beth sich erklären, daß ihr die Situation weder Qual noch Angst bereitete. Sie verspürte – nichts. Allenfalls etwas wie Neugier de darüber, wie es weitergehen würde. Sie sah sich selbst dabei zu – Nicht mir selbst, nur meinem Körper! schrie es in dem, was Beth jetzt war – wie sie sich im Bett aufsetzte, erstaunlich geschmeidig. Es war nichts Marionettenhaftes an ihren Bewegungen. Auch nicht, als sie aufstand und sich umdrehte, um zu dem armlangen Koptenkreuz an der Wand zu sehen. Erst jetzt stellte Beth fest, daß sie zugleich noch durch die Augen ihres Körpers sah. Das doppelte Sehen ließ sie schwindeln, und sie merkte, daß ihr Körper einen Moment lang taumelte. Bis sie mit der zweifachen Wahrnehmung zumindest einigermaßen klarkam. So ähnlich mußte wohl auch Lilith empfinden, wenn sie den Scout, das Tattoo in ihrer Handfläche, zum Kundschaften aussandte. Beth’ Hände griffen nach dem großen Kreuz mit der geschnitzten Figur, die nicht mehr wie der Sohn Gottes aussah, sondern schwarz und häßlich. Jetzt endlich gelang, was die Male vorher nicht ge klappt hatte: Als Beth in den Tagen zuvor versucht hatte, das Kruzi fix abzunehmen, hatte es förmlich an der Wand festgeklebt, unlös bar. Obwohl es nur an einem einzigen Haken hing. Nun konnte sie es mühelos herunternehmen. Vielleicht lag es an dem LICHT, das ihre Hände wie weißglimmende Gaze umfloß. Aus der Vermutung wurde Gewißheit, als ihr Blick auf den Mund der Figur fiel, deren Lippen plötzlich nicht mehr im Schmerz erstarrt waren, sondern sich in lautlosem Schreien bewegten. Beth legte das schwere Holzkreuz auf das Bett. Die Gestalt daran wand sich in Agonie. »Gleich wird deine Pein ein Ende haben«, kam es fast frohgelaunt über ihre Lippen. Auch Beth’ Stimme verriet zu ihrer eigenen Ver wunderung nichts über den fremden Einfluß, unter dem sie stand.
Das LICHT versickerte in der Haut ihrer Hände wie phosphores zierendes Wasser in einem Schwamm und wanderte durch ihren Körper, stieg in ihrer Kehle empor. Und dann erbrach Beth das LICHT. Der weißleuchtende Schwall ergoß sich auf das Kruzifix, legte sich wie zähflüssiger Schleim über das Holz und drang ein. Aber es blieb nur für ein paar Sekunden darin. Dann brach es wieder hervor. Die Beschaffenheit des Holzes veränderte sich. Es wurde nachgie big, wölbte sich wie unter innerem Druck und riß schließlich doch. Aus den zunächst noch haarfeinen Rissen trat das LICHT, und dem aufbrechenden Leib der Holzfigur entstieg fauliger Brodem, wie ihn übler auch ein Leichnam nicht verströmen konnte, der lange im Grab gelegen hatte.
* Wann immer es seine Zeit zuließ, suchte Ismail Alschwehe die klei ne koptische Mission inmitten des heruntergekommenen Häuser meers des Stadtteils El-Kalifa auf. Nicht, weil er sich einen Teller Foul oder Kushari erhoffte, sondern um denjenigen zu helfen, die auf der Schattenseite des Lebens ihren Stammplatz gefunden hatten. Ismail lächelte traurig, als ihm der Gedanke durch den Kopf ging. Schattenseite des Lebens … Solches Denken war sein lästiges Mitbringsel aus Europa, wo er Medizin studiert hatte. In Kairo ging kein trostloses Lebensgefühl um, herrschte kein abendländischer Trübsinn. Man war einverstan den und zufrieden mit dem, was man hatte, und strebte nicht nach mehr. Man nahm seinen zugewiesenen Platz im Leben ein, arran
gierte sich damit und machte das Beste daraus. Auch wenn dieses Beste anderswo als Armut oder Elend gelten mochte … Seinen heutigen Besuch in den Missionsbaracken hätte sich Ismail Alschwehe im Grunde sparen können. In dieser Nacht hatten hier keine mittellosen Kranken Zuflucht und Hilfe gesucht, denen die Mitarbeiter von Pater Greorgius nicht mit ihren eigenen Möglichkei ten Linderung verschaffen konnten. Und die schlimmen Halswun den der Frau namens Beth MacKinsay waren längst verheilt. Warum Pater Greorgius sie trotzdem noch immer hierbehielt und die ohne dies hinten und vorne nicht ausreichenden Spendenmittel, mit de nen er seine Station zum Großteil finanzierte, in eine längst genese ne Patientin ›investierte‹, hatte er dem befreundeten Arzt nie verra ten. Wie dem auch sein mochte – der Dienstplan im Gesira Hospital hatte Alschwehe gerade heute abend Gelegenheit zu einem Abste cher nach El-Kalifa verschafft, und so war er eben hergekommen. Zumal es in der Mission weder Telefon noch Funk gab, so daß er sich vorher nicht hatte erkundigen können, ob seine ärztliche Hilfe oder auch nur sein Rat vonnöten waren. Ismail Alschwehe zuckte die Schultern, während er den schmalen Flur entlangging, an dem zu beiden Seiten die wenigen Kranken zimmer der Mission lagen. Er hätte sich ohnehin nicht von seinem Besuch abbringen lassen. In seiner unentgeltlichen Hilfe sah er eine Art Rückzahlung an sein Volk dafür, daß es ihm besser ging als den meisten. Besser ging … Da war er wieder, dieser europäische Gedanke, den er einfach nicht mehr ganz aus seinem Kopf bekam. Im Schwesternzimmer hatte Alschwehe einen kleinen Karton mit Medikamenten abgestellt, die er in der Klinik ›abgezwackt‹ hatte.
Jetzt wollte er nur noch kurz bei Pater Greorgius vorbeischauen, ehe er sich auf den Heimweg machte. Eine Mütze voll Schlaf konnte er nach dem anstrengenden Krankenhausdienst ebenfalls gebrauchen, bis er sich wieder in den berufsmäßigen Kampf um Leben und Tod stürzte. Vor der Tür zu Pater Greorgius’ Kammer, die fast am Ende des Korridors lag, blieb der Arzt stehen. Er hatte schon die Faust erho ben, um anzuklopfen, als er einen Moment lang völlig ernsthaft überlegte, ob er am Ende nicht schon schlief. Und träumte. Natürlich hatte er schon Geräusche wie diese gehört. Schließlich genoß er selbst gern die Fleischeslust, und sein verheirateter Sohn, der mit seiner Frau noch im Elternhaus wohnte, schlug zumindest in dieser Beziehung sehr seinem Vater nach. Aber Alschwehe hätte nie und nimmer erwartet, solche Laute je mals an einem Ort wie diesem zu vernehmen. Schon gar nicht in dieser Lautstärke. Und am allerwenigsten aus der Kammer des Paters! Ehe es ihm richtig bewußt wurde, ließ Ismail Alschwehe die Hand sinken und legte sie auf die Klinke. Bevor er es verhindern konnte, öffnete er die Tür. Nur einen Spalt breit. Aber weit genug, um Pater Greorgius sehen zu können – – der im Umgang mit Schwester Eman selbst den allergeringsten Rest an Priesterwürde vermissen ließ! Als Ismail Alschwehe den Korridor hinunterrannte, wußte er schon nicht mehr, ob er die Tür nun leise geschlossen oder zuge schlagen hatte. Es war ihm auch völlig egal. Er mußte nur schnells tens das Örtchen am anderen Ende des Flurs erreichen, bevor es zu spät war und sich sein Ekel und seine Erschütterung über das Gese hene und doch Unglaubliche schon hier freie Bahn brachen. Als der Arzt schließlich mit dem Kopf über dem stinkenden Loch
in der rohen Holzbank lehnte, revoltierte zwar sein Magen, aber es tropfte nur gallbitterer Speichel über seine Lippen. Und wie von Geisterhand fortgewischt verschwand das Bild aus Pater Greorgius’ Kammer hinter seiner Stirn. Ein anderes erschien an seiner Stelle. Eines, das Alschwehe mehr fürchtete als alles andere und das er am liebsten für immer vergessen hätte. Aber er wußte, daß er es nie würde auslöschen können. Daß er da mit leben mußte. Bis zum Ende. Eine wahre Flut von Eindrücken ergoß sich in das plötzlich ent standene Vakuum zwischen seinen Schläfen. Er preßte die Lider aufeinander, doch die Bilder flimmerten über die Innenhäute wie über winzige Leinwände. Bilder von einer der größten Katastrophen, die Kairo je heimge sucht hatten. Das Erdbeben, bei dem vor einigen Jahren so viele Menschen ihr Leben verloren hatten. Und bei dem auch Ismail Alschwehe gemeint hatte sterben zu müssen. Als er bei den Bergungsversuchen selbst verschüttet worden war und endlose Stunden in beklemmendster Enge seiner Befreiung hat te harren müssen. Seitdem flößten ihm Räume, die kleiner als sechs Quadratmeter waren, panische Angst ein. Jedes Zimmer seines eigenen, neugebau ten Hauses verfügte über mehr als großzügige Abmessungen. Selbst in seinem Bad hätte eine zehnköpfige Familie Platz gefunden, ohne sich gegenseitig in der Intimsphäre zu stören. Ismail Alschwehe haßte winzige Räume! Räume wie diese kaum quadratmetergroße Toilette, deren Wände
unvermittelt auf ihn zurückten wie die einer Müllpresse! In den ersten drei Sekunden beinahe quälend langsam – und dann plötzlich rasend schnell! »NEIN!!!« Es wäre wohl normal gewesen, wenn Ismail Alschwehe im aller letzten Atemzug seines Lebens an seine Familie gedacht hätte. Oder wenigstens an Freunde oder Kollegen. Oder an einen besonderen Fall seiner beruflichen Laufbahn … Statt dessen dachte er an die seltsame Patientin namens Beth MacKinsay. Und starb.
* »Oh, Pater, Ihr wißt wahrlich Wunder zu wirken!« Schwester Eman jauchzte, und in ihren nachtfarbenen Augen brannten kleine Feuerwerke ab, als sich Pater Greorgius zum dritten Mal in sie ergoß und die Lava des in seinen Lenden eruptierenden Vulkans ihr Innerstes schier entflammte. Mit einem Seufzen, das nicht aus Erschöpfung geboren wurde, zog sich der grauhaarige Pater aus ihr zurück. Er war eisern entschlos sen, binnen kürzester Zeit all das nachholen, dem er in den sechzig Jahren seines Lebens entsagt hatte. Denn wer wußte schon, wie lan ge sie noch in ihm wirken würde – diese Kraft, die alle Hemm schwellen überschwemmte und jede Barriere, die ihn bislang von al lem allzu Weltlichen ferngehalten hatte, mit kalter Glut nieder brannte. Schwester Eman unterstützte ihn in seinem Vorhaben nach Kräf ten. Mit der rechten Hand umfaßte sie seinen noch immer strammen
Schaft und verhinderte mit massierenden Bewegungen, daß er sich schon jetzt zur Ruhe legte. Mit den Fingern der Linken preßte sie die Nippel ihrer festen Brüste und entlockte sich selbst kleine Laute, die zwischen süßem Schmerz und Wollust pendelten. Einen Moment lang überlegte Pater Greorgius, ob er nicht Schwes ter Amira hinzurufen sollte. So sehr ihn Emans wunderschöner, samtener Mädchenkörper auch beglückte, so gelüstete ihn doch nach Abwechslung. Denn seit ihrem Treiben in wilder Dreisamkeit vor einigen Nächten wußte Greorgius, daß Frau nicht gleich Frau war. Im Vergleich zu Eman war Amira geradezu schmal gebaut. Wäh rend er sich in Eman wild und rücksichtslos bewegen konnte, ver langte das Eindringen in Amira Behutsamkeit, wollte er ihr nicht wehtun. Trotzdem er sich ihres Körpers vorsichtig bemächtigt hatte, schien Amira noch nicht einmal einen Teil der Lust zu empfinden, wie es Eman tat. Noch jetzt erinnerte sich der Pater daran, daß er hinter dem tränenfeuchten Schleier in Amiras Augen etwas wie Ab lehnung und Widerwillen, fast Ekel gesehen hatte. Ihre Schreie schienen nicht Echo der in ihr pochenden Lust zu sein, sondern blo ßes Blendwerk. Offenbar wirkte das Lustweckende in Amira nicht in dem Maße, wie es bei ihm und Eman geschah. Warum Pater Greorgius gerade jetzt an die Frau namens Beth MacKinsay denken mußte, die in erster Linie von ihm und Schwes ter Eman betreut wurde, wußte er nicht … Es blieb ihm auch keine Zeit, dem Gedanken länger nachzugehen. Eman zog all seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war zu ihm ge krochen und setzte mit den Lippen fort, was sie mit der Hand be gonnen hatte. Kurz bevor er die nächste Explosion in sich aufsteigen fühlte,
drückte der Pater Emans Kopf sanft zurück. Er drängte sie auf den Rücken, kniete sich über sie und ließ sein Glied im Tal ihres Busens auf und ab wandern. Nachdem er jede andere Stelle ihres Körpers bereits mit allen Sinnen erforscht hatte, war ihm nun nach dieser Art der Befriedigung. Aber noch ehe er sich zwischen Emans milchkaffeefarbene Brüste verströmen konnte, hielt Pater Greorgius inne. »Was ist? Warum hört Ihr auf?« fragte Eman verwundert. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr zu schweigen. Dann konnte auch sie hören, was Greorgius schon zuvor vernommen hat te. Schreie. Geboren in höchster Not. In – Todesangst? »Meine Güte!« entfuhr es dem nackten Mädchen. »Das klingt wie …« »… Ismail Alschwehe«, ergänzte Pater Greorgius tonlos. Er saß ab und schlüpfte in seinen zerschlissenen Morgenmantel. Dann verließ er die Kammer und folgte den Schreien zum Ende des Flurs hinab. Eman ging ihm nach, ihre Blöße mit einem Laken bedeckend. Greorgius erkannte die Stimme hinter dem panischen Brüllen nun tatsächlich als die des befreundeten Arztes. Doch sie verstummte, ehe er und Eman den winzigen Toilettenraum am jenseitigen Ende des Korridors erreicht hatten. Trotzdem öffnete der Pater die Tür und sah hinein. Über die rück wärtige Wand des Kämmerleins zog sich eine aus Brettern gezim merte Bank mit einem Loch darin, daneben lag eine Stapel alter Zei tungen zur Säuberung. »Nichts«, faßte Greorgius seinen Eindruck in ein einziges Wort. Schwester Eman sah an seiner Schulter vorbei. »Vielleicht haben
wir uns getäuscht«, meinte sie. »Wahrscheinlich«, erwiderte der Pater und zog die Tür zu. »Wo waren wir stehengeblieben?« Emans fordernde Hand half seiner Erinnerung umgehend auf die Sprünge. Hätte nicht der Nachhall der Lust ihrer beider Sinne noch getrübt, wäre ihnen vielleicht die unnatürliche Maserung der hölzernen Bank aufgefallen. Die dunkelbraunen Linien im Holz schienen die Silhouette eines knienden Mannes nachzuzeichnen. Eines Mannes, der vor Sekunden noch Ismail Alschwehe gewesen war.
* Scheinbar gleichgültig wie ein Notschlächter, der schlimmeren Ge stank als diesen gewohnt war, fuhr Beth in dem Tun, das nicht das ihre war, fort. Ihre Hände wischten über den im LICHT in Sekundenschnelle ver westen hölzernen Leib und nahmen den leuchtenden Schleim auf, der wiederum in den Poren ihrer Haut versickerte. Dabei spürte sie, wie sich das Material, aus dem Kreuz und Figur geschaffen waren, verändert hatte. Es fühlte sich mürbe an, schien formbar geworden zu sein und war zugleich rissig und heiß wie gekochter Teer. Jemand kommt. Die Warnung tauchte direkt in ihrem Bewußtsein auf, wie hinein gepflanzt. »Was jetzt?« hörte Beth sich selbst leise fragen.
Es ist niemand, der uns wirklich schaden könnte. Er wird nicht beunru higt sein, wenn er dich schlafend im Bett vorfindet. Es wird ihm nicht auf fallen, daß das verfluchte Symbol an der Wand fehlt. Tue folgendes … Beth lauschte dem lautlosen Auftrag, der in ihrem Inneren ent stand, und schickte sich an, ihn auszuführen. Mit vier Nägeln war der nun wirklich tote Körper ans Kreuz ge schlagen. Zwei steckten in den Handflächen, die beiden anderen in den Risten der Füße. Der Eindruck, sich selbst von außerhalb zu beobachten und zu gleich mit den eigenen Augen zu sehen, wurde für Beth wieder stär ker. Und ein paar Sekunden später war sie regelrecht froh darüber, daß sich der größere Teil ihrer Wahrnehmung in diesen Momenten auf ihr reduziertes, aus dem Körper verbanntes Selbst konzentrierte. Denn so blieb ihr der schlimmste Schmerz erspart. Beth sah ihren Händen dabei zu, wie sie sich an den Nägeln zu schaffen machten. Wie ihre Fingerspitzen sich um die Köpfe der starken Metallstifte schlossen und sie mit kleinen ruckenden Bewe gungen aus dem verfaulten Holz zogen, einen nach dem anderen. Der weitaus unangenehmere Teil folgte noch. Selbst unter der Knute der uralten Macht, die alle Kontrolle über sie an sich gerissen hatte, zögerte Beth einen winzigen Augenblick, es tatsächlich zu tun. Aber es mußte sein. Und sie konnte sich ohnehin nicht wirklich dagegen wehren. Das LICHT verstärkte seinen kaltglühenden Griff um das, was einst ihren eigenen Willen ausgemacht hatte. Beth legte drei der Nägel auf dem Bett ab und setzte die Spitze des verbliebenen an die Haut, die sich wachsbleich über ihren Handrücken spannte. Ein großer Blutstropfen trat an der Stelle her vor wie eine rote Perle.
Es tat nicht einmal wirklich weh, als Beth sich den fast fingerlan gen Nagel Millimeter um Millimeter unter die Haut schob. Sie spür te nur ein unangenehmes Ziehen. Beinahe unangenehmer war da das ledrige Schaben, mit dem die Haut an der Einstichstelle über das Metall streifte und das seltsam laut in ihren Ohren klang. Kaum hatte sich der Nagel bis zum Kopf in ihr Fleisch gebohrt, merkte sie, daß etwas mit dem Metall geschah. Ihr vom LICHT durchsetztes Blut reagierte darauf, tat etwas damit. Ein feines Krib beln entstand an dieser Stelle, als konzentrierte sich dort etwas wie Elektrizität. Als würde der Nagel aufgeladen. Den zweiten Nagel trieb sich Beth auf gleiche Weise ins andere Handgelenk. Die beiden übrigen schob sie sich unter die dünne Haut ihrer Fußrücken. Dann verstaute sie das morsche Kreuz und die rissige Figur unter dem Laken, bevor sie sich selbst ins Bett legte und die Augen schloß. Einen Atemzug, bevor die Tür ihres Zimmers geöffnet wurde.
* »Amira?« Sarifs Stimme verwehte in den düster-flackernden Schatten des Kerzenlichts, das den Raum zu füllen suchte. Er erhielt keine Antwort, hörte nur den flachen Atem der blonden Frau mit den europäischen Gesichtszügen, die reglos im Bett lag. Irgend etwas irritierte Sarif in dem Zimmer, das ihm so vertraut war wie jeder andere Raum der kleinen Mission. Ihm war, als fehlte etwas darin. Doch ehe er sich näher damit befassen konnte, hatte er die Tür auch schon wieder geschlossen, und der seltsame Gedanke blieb dahinter zurück.
Seltsam erschien ihm manches in dieser Nacht. Eigentlich alles sogar. Es hatte bereits draußen begonnen, noch bevor er die Baracke be treten hatte. Sarif hatte sich auf unbestimmte Weise gewarnt gefühlt und im gleichen Zuge hingezogen. Als wäre er ein Stück Eisen, das zwi schen die ungleichen Pole eines Magneten geraten war. Letztlich hatte er das Missionsgebäude natürlich doch betreten, nicht zuletzt deshalb, weil er sich selbst einen Narren schalt wegen seiner eigen artigen Eindrücke. Doch der Merkwürdigkeiten war auch noch kein Ende, als er schließlich in das schlichte Gebäude aus Wellblech, Holz und rohem Stein eintrat. Aus jedem Winkel schien ihm hier das seltsame Flui dum, das er schon draußen gespürt hatte, entgegenzuströmen. Aber das ließ sich mit etwas Selbstüberzeugungskraft seiner überreizten Phantasie zuschieben. Eine unverrückbare Tatsache dagegen war die unnatürliche Stille in der Mission. Natürlich ging es an diesem Ort nie wirklich laut zu. Aber es wa ren doch stets Geräusche zu vernehmen – ein Räuspern hinter einer Tür, das Klappern von Geschirr aus der im rückwärtigen Bereich ge legenen Küche oder Stimmen, die irgendwo leise miteinander spra chen. Heute hörte Sarif nichts, außer seinem eigenen Herzschlag, der ihm in dieser gespenstischen Stille überlaut schien, und seinem Atem, der plötzlich seltsam heftig ging. Dabei hatte er durchaus den Eindruck, es wären Geräusche um ihn herum. Doch irgend etwas schien sie zu schlucken, lange bevor sie sein Ohr erreichten. Etwas Unheimliches …
»Amira?« Obwohl Sarif überzeugt war, den Namen des Mädchens nur ge flüstert oder allenfalls ganz leise gerufen zu haben, kam ihm sein ei genes Wort in dieser Lautlosigkeit wie ein donnernder Ruf vor, der sogar ein unmögliches Echo erzeugte. Niemand und nichts rührte sich. Auch die scheinbare Menschenleere war ungewöhnlich. An vielen Tagen reichte der Platz in der Mission nicht aus, so viele Menschen hofften darauf, hier Hilfe, eine warme Mahlzeit oder einfach nur Zu spruch zu finden. In dieser Nacht allerdings schien es Sarif, als wür de jeder, der nicht unbedingt hier sein mußte, die Mission meiden. »Nun reiß dich zusammen«, mahnte er sich zur Vernunft, wäh rend er die ersten Türen öffnete. Die Zimmer waren leer bis auf das, in dem die blonde Frau ruhte. Er hatte die Tür zu Beth MacKinsays Raum kaum zugezogen, als ein furchtbarer Verdacht in ihm keimte. Die Erinnerung stürzte sich wie ein mordlüsternes Raubtier auf ihn und fraß alle Gedanken, bis nur noch jene übrig blieben, die ihren Ursprung in jener Blutnacht hatten. Hatte sich hier, an diesem von christlichem Denken ganz und gar durchsetzten Ort, etwa Ähnliches zugetragen wie damals in seinem Elternhaus? Hatten die Vampire diese kleine Bastion der lichten Mächte gestürmt, um die Kraft daraus zu tilgen, ehe sie ihnen ge fährlich werden konnte? Und hatten sie mit ihrem Biß alle, die hier lebten und arbeiteten, zu ihren Kreaturen gemacht? Auch … »Amira!« Jetzt schrie Sarif wirklich. Er rannte. Bis er Laute hörte, die ihm so schrecklich vertraut waren.
Der junge Ägypter sah sich kurz um und machte dann die Tür aus, hinter der die Quelle der Geräusche liegen mußte. Sie drangen aus der Kammer von Pater Greorgius. Ohne zu zögern trat Sarif ein. Heute nacht würde er sich nicht zur Tatenlosigkeit verdammen lassen. Diesmal würde er handeln. Auch wenn das Erbe seines Vaters nicht wirklich in ihm aufgegangen war, so wußte er doch, wie er der Vampirbrut den Garaus machen konn te. Er hatte es mit seiner Schwester Omohid tun müssen, als sie zu ihm gekommen war und um sein Blut gebettelt hatte. Furchtbareres konnte ihm nie widerfahren. Es würde ihm ein Leichtes sein, jeden anderen Blutsauger zu entseelen. Nackt lag Pater Greorgius auf seinem Bett. Seinen Widerstand hat te die Vampirin – oder die Kreatur – offenbar schon gebrochen. Jetzt räkelte sie sich ebenso nackt wie der Geistliche auf ihrem Opfer. Selbst von seiner ungünstigen Warte aus konnte Sarif erkennen, daß er offenbar nicht zu spät gekommen war. Die Kreatur schien den Pa ter noch nicht gebissen zu haben. Noch spielte sie nur mit der Zunge an der Stelle seines faltigen Halses, in die sie gleich gierig ihre Zähne stoßen würde. Sarif sprang vor und bekam die Nackte an den Schultern zu fas sen. Mit einem Wutschrei riß er sie von Pater Greorgius herunter und schleuderte sie quer durch den Raum. Erst jetzt sah er, mit wem er es zu tun hatte. Für Schwester Eman kam seine Hilfe demnach zu spät. Er konnte sie nur noch erlösen. »Sarif, was …?« Den Schrecken und das Nichtverstehen in ihren nachtschwarzen Augen deutete Sarif als Zorn. Sie würde sich auf ihn stürzen, um sich erst an seinem Blut zu laben, bevor sie sich endgültig dem Pater
widmete. Aber er würde es nicht zulassen. Furchtlos trat Sarif der Missionsschwester entgegen und schlang wie hundertmal geübt Arme und Hände um ihren Kopf. Mit einem kräftigen Ruck brach er ihr Genick und ließ sie zu Boden gleiten. Auf den Wandel des verzerrten Ausdrucks auf ihrem Gesicht in ein friedliches Lächeln wartete er allerdings vergebens. Statt dessen spürte er die Berührung einer zitternden Hand an sei ner Schulter und hörte die Stimme des Paters dicht hinter sich: »Mein Sohn, was hast du getan?« Sarif drehte sich um und fragte voller Verwunderung: »Was ich getan habe? Ich habe Euch gerettet, Pater!« Pater Greorgius sah hinab auf sein Geschlecht, das jetzt müde und welk zwischen seinen Beinen hing, und wiederholte: »Mich gerettet?« Und nach einer kleinen Weile ergänzte er: »Ja, vielleicht hast du das tatsächlich.« Dann sank auch er zu Boden. Nicht, weil das Bewußtsein aus ihm floh oder Schmerz ihn über wältigte. Sondern weil sein Körper tagelanger, ungewohnter Höchstleistung endlich Tribut zollen mußte.
* Zenhum lag mit geschlossenen Augen auf seinem Deckenlager, aber er fand allem Bemühen zum Trotz keinen Schlaf. Zwar hatte er Sarif flachsend verabschiedet, doch die Sorge um den Freund wucherte hinter der scheinbaren Leichtigkeit und hielt ihn wach.
Der Blick aus Sarifs Augen wurde mit jedem Mal, das Zenhum ihn aus den Alpträumen weckte, stumpfer. Und irgendwann, vielleicht eines nicht einmal mehr fernen Tages, das wußte der bärtige Ägyp ter, würde er völlig erlöschen. Dann, wenn Sarif tatsächlich so tot war, wie er ihm schon jetzt bis weilen schien. Umgebracht entweder von dem, was ihn in seinen Träumen quälte, oder durch eigene Hand, weil er dem stummen Leid nicht länger gewachsen war. Zenhum wünschte sich, daß Sarif mit ihm darüber sprechen wür de. Vielleicht würde das allein schon genügen, um ihm über den gröbsten Schmerz – oder was immer ihn auch belastete – hinwegzu helfen. Aber jedesmal, wenn Zenhum dem Freund anbot zu reden, schien Sarif sein dunkles Geheimnis nur noch ein kleines bißchen tiefer in seiner Seele zu vergraben. Schmerz durchtrennte Zenhums Gedankenkette. Etwas Spitzes senkte sich um einige Millimeter in die Haut unter seinem Kehlkopf. Obwohl die Wunde winzig war, konnte Zenhum den einzelnen kleinen Blutstropfen, der hervortrat, spüren wie glü hende Lava. Er riß die Augen auf und sah in ein fremdes Gesicht, das einer Drohung gleich über dem seinen schwebte. Im Blick seines etwa gleichaltrigen Landsmannes las Zenhum ein Versprechen, das von Tod und allen möglichen Qualen kündete. »Was willst du? Wer bist du? Was habe ich dir getan?« preßte Zen hum mühsam hervor. »Viele Fragen auf einmal, Freund«, erwiderte der andere leise. »Doch ich will sie dir beantworten, so wie ich hoffe, daß du mir Ant worten auf die meinen geben wirst. Mein Name ist Galim …« »Ich kenne dich nicht«, sagte Zenhum. Erleichtert registrierte er, daß der andere die Dolchspitze ein wenig zurücknahm, so daß er
nicht fürchten mußte, sich durch die bloße Bewegung seines Adams apfels noch ärger zu verletzen. »Ich weiß«, entgegnete Galim, »und wir hätten uns nie kennenler nen müssen, wenn du nicht einen Mann namens Sarif zu deinen Freunden zähltest.« »Sarif? Was ist mit ihm? Ist ihm etwas zugestoßen?« »Noch nicht«, stieß Galim heiser hervor. In seinen Augen explo dierte dunkle Glut. »Was soll das heißen?« »Das heißt, daß ich ihn suche. Und finden werde. Und erst dann wird deinem Freund Sarif etwas zustoßen«, zischte Galim und reck te den Dolch drohend zwischen Zenhums Augen, als wollte er an ihm erst ausprobieren, was er später mit Sarif anzustellen gedachte. »Warum?« fragte Zenhum verwirrt. »Was hat er dir getan?« »Was er mir getan hat, fragst du?« Galim hielt seine Stimme nur mühsam im Zaum, um niemanden zu wecken. »Er hat mir das Liebste genommen, was ich auf Erden besaß. Das Beste, was mir je widerfahren ist.« »Sarif? Das ist …« »… unmöglich, willst du sagen?« geiferte Galim. »Nun, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie Sarif zum Mörder wurde.« »Sarif ist kein Mörder! Du mußt dich irren!« beschwor Zenhum den anderen. »Er war es. Ich habe mir die Suche nach ihm nicht leichtgemacht und alles gewissenhaft überprüft. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Der Mann, der die Frau getötet hat, die ich liebte, ist dein verdamm ter Freund Sarif!« Zenhum schwieg erschüttert. Handelte es sich bei dem, was Galim ihm hier mit feuriger Stimme vortrug, etwa um Sarifs Geheimnis?
War es diese Last, mit der sein Freund kaum leben konnte? Hatte er sein Gewissen tatsächlich mit einem Mord belastet? Nein! schrie alles in Zenhum. Und doch hatte etwas in Galims Worten, in der Art und Weise sei nes Sprechens, Zweifel in Zenhum gesät. »Wo steckt der Hund?« fuhr Galim ihn an. Dem Maß seiner Unge duld nach zu urteilen wiederholte er die Frage bereits zum zweiten Mal. »Er – ist nicht hier«, sagte Zenhum zögernd. »Das sehe ich«, zischte Galim. »Aber du weißt, wo er ist. Ihr lebt wie Brüder hier.« »Ich weiß es nicht«, behauptete Zenhum. »Vielleicht verbirgt sich das Wissen ja tief in dir«, meinte Galim. »Was hältst du davon, wenn ich es suche. Damit!« Zenhum spürte brennenden Schmerz über seine Brust sengen, als ihm Galim kurzerhand die Klinge über seine Haut zog. Tiefer ließ Zenhum den anderen nicht suchen. »Ich bin nicht sicher, ob Sarif dort hingegangen ist«, stieß er her vor, »aber es gibt in El-Kalifa eine koptische Mission, die er ab und zu aufsucht. Möglicherweise findest du ihn da.« »Gut«, erwiderte Galim, nur etwas besänftigt. »Wenn ich ihn dort nicht antreffe, sehen wir uns wieder. Um uns weiter … zu unterhal ten.« Er wischte Zenhums Blut an dessen Deckenlager von der Klinge und steckte den Dolch ein. »Was wirst du mit Sarif tun, wenn du ihn findest?« rief Zenhum dem anderen fast wie von selbst nach, als der schon im Weggehen begriffen war. Er wollte die Antwort im Grunde gar nicht hören. Galim blieb stehen und sah noch einmal auf Zenhum hinab.
»Ich werde ihm das Genick brechen. Wie er es mit meiner gelieb ten Omohid getan hat.«
* Beth MacKinsay verharrte bewegungslos, auch als die Tür sich hin ter dem fremden jungen Mann längst wieder geschlossen hatte. Sie spürte die Hitze, die von dem veränderten Material des Kruzifixes ausging, das sie nach wie vor unter dem Laken verbarg, und das fei ne Kribbeln, das dort seinen Ursprung hatte, wo die Nägel unter ih rer Haut steckten und von ihrem Blut umspült wurden. Wieder wartete sie. Nicht mehr auf Liliths Rückkehr. Sondern auf weitere Anweisun gen jener Macht, die ihren Geist durchglühte und ihren Körper be nutzte. Wann immer sie ihn brauchte. Jetzt zum Beispiel. Es ist an der Zeit. Tue folgendes … Die lautlose Stimme erklärte Beth, was sie von ihr erwartete. Beth tat es, ohne zu zögern. Wieder wurde sie auf seltsame Weise Zeugin ihres eigenen Han delns. Sie stieg aus dem Bett und schlug die Decke zurück. Dann wartete sie, bis das LICHT erneut wie feiner Nebel aus ihren Fingern kroch und sie schließlich umgab wie phosphoreszierende Handschuhe. Erst jetzt griff sie nach dem armlangen Koptenkreuz. Beth fand ihre Vermutung von vorhin bestätigt: Was früher vom Alter steinhart gewordenes Holz gewesen war, hatte sich verändert, war nun formbares Material.
So mußte es auch sein. Schließlich sollte etwas Neues, ganz und gar anderes daraus entstehen. Beth legte die unter dem LICHT aufgedunsene und an zahllosen Stellen geborstene Figur zunächst zur Seite und begann die teerartig weiche und doch noch stabile Masse des Kruzifixes zu kneten. Fast schien es ihr, als würde etwas darin gegen das LICHT um ihre Hän de angehen wollen, doch fehlten ihm die Mittel dazu. Das Material gab der Kraft ihrer Hände nur widerstrebend nach, doch als schließ lich nichts mehr von der ursprünglichen Kreuzform zu erkennen war, schwand dieser Widerstand. Dann verbanden Beth’ Hände die beiden unförmigen Klumpen zu einem einzigen. Und schließlich begannen sie damit, diesen Laib neu zu formen. Etwas daraus zu machen. Jemanden …
* Der alte Ahmed war regelmäßiger Gast in Pater Greorgius’ Missi onsbaracken. Ob er auch ein gern gesehener war, das bezweifelte er allerdings selbst. Dazu tauchte er vermutlich zu oft hier auf. Auch dann, wenn er nicht wirklich Not litt. Doch der Pater war ein viel zu guter Mensch, als daß er ihn das hätte spüren lassen. Um seine Engelsgeduld aber nicht über Gebühr zu strapazieren, kam Ahmed manchmal auch ›inoffiziell‹. Er ver zichtete dann auf eine Begrüßung und mied tunlichst jede Begeg nung mit den Schwestern oder gar dem Pater. Und er kannte sich nach all den Jahren in der Mission gut genug aus, um zu wissen, wie
man hier problemlos jedermann aus dem Weg ging. Außerdem wußte er natürlich, wo die Lebensmittelvorräte gela gert wurden, und so konnte er sich ebenso mühelos selbst bedienen. Gewissensbisse bereitete Ahmed seine eigene Vorgehensweise nicht. Und als Diebstahl hätte er sie nie und nimmer bezeichnet! Da war schon seine Gabe vor, für jede Lebenslage und Situation flugs einen Wahlspruch zu ersinnen. Einen wie diesen etwa: »Der Herr hat’s gegeben – und der Herr Ahmed hat sich’s genommen.« Daß in der Mission in dieser Nacht nicht viel los war, kam Ahmed sehr entgegen. So konnte er es sich sparen, in das Rattenloch zurück zukehren, in dem er sonst zu nächtigen pflegte. Er würde heute ge wiß niemandem das Bett wegnehmen, wenn er zum Schlafen hier blieb. Er würde einfach die Schuhe ausziehen, dann merkten die Schwestern noch nicht einmal, daß in dem Bett überhaupt jemand gelegen hatte. Das Ungeziefer, das er trotzdem hinterlassen würde, war mit bloßem Auge ja kaum zu sehen … Im Obergeschoß des Hauptgebäudes betrat Ahmed ein Zimmer, von dem er wußte, daß es ohnehin selten belegt wurde. Man erspar te den Kranken möglichst die Mühe, die steile Treppe hochzustei gen. Er erkor es nicht zum erstenmal zu seiner vorübergehenden Schlafstatt. Sorgfältig schlug Ahmed das Laken zurück. Dann zog er, wie er sich vorgenommen hatte, die Schuhe mit den beiden aufgerissenen Krokodilsrachen aus und stellte sie pedantisch ans Fußende des Bet tes. Ähnlich gewissenhaft drapierte er seine zerschlissene Jacke über die Stuhllehne, bevor er sich endlich mit einem genußvollen Seufzen zurücksinken ließ. Doch der Schlaf wollte ihn in dieser Nacht nicht gewohnt rasch in seine Arme schließen.
Statt dessen kreisten, wie er selbst meinte, unsinnige Gedanken durch seinen Kopf. Merkwürdige Empfindungen stürzten sich nun, da er ruhig dalag, in seinen schlichten Geist. »Das Haus des Herrn ist seltsam heute nacht«, brabbelte er matt. »Als hätte das Böse den Herrn aus seinem Heim vertrieben …« Als die Schreie losbrachen, war es mit Ahmeds Ruhe völlig vorbei. Wenn er es noch gekonnt hätte, wäre der Alte aufgestanden und hätte den heute so ungastlichen Ort schleunigst verlassen. Aber dazu war es zu spät. Die Schreie – sie lähmten ihn. Denn sie klangen genauso – wie damals … Wie damals, als Ahmed sich nicht nur ungefragt an Orten reiner Menschenliebe einquartiert hatte, sondern auch dort, wo normaler weise pro Übernachtung ein paar hundert Pfund verlangt wurden. Es war der größte Fehler seines Lebens gewesen, sich ausgerechnet in jener Nacht heimlich in das Luxushotel inmitten des Stadtteils Sa malek zu schleichen. Vielleicht hätte er aber auch nur einfach nicht im Bett rauchen sol len … Ahmed stutzte und setzte sich auf. Lag da nicht plötzlich Brandgeruch in der Luft? Und die Schreie, die ihm einen Moment lang verebbt schienen, wurden sie nicht wieder laut? Lauter als zuvor? Und vielstimmiger? Wie – damals? Die hölzernen Wände um ihn begannen gespenstisch zu knacken. Nur für ein paar Sekunden. Dann platzte hervor, was dahinter mit feurigen Klauen wütete und alles vernichtete, was sich ihm in den Weg stellte. Wie damals!
Jetzt war es Ahmed, der schrie. Wenn auch nicht sehr laut. Und nicht sehr lange. Das Zimmer der Mission wurde kaum einmal belegt. Ahmed wur de erst nach Tagen gefunden. Als Verwesungsgeruch unter der Tür hervor in den Flur hinaus waberte. Wie ein Mensch in einem ansonsten völlig unversehrten Raum ver brennen konnte, blieb ungeklärt. Wie so manches andere in der Mission von Pater Greorgius.
* Der Weg vom Nord-Friedhof bis nach El-Kalifa war weit, doch Ga lim kannte keine Erschöpfung. Ihn trieb eine Kraft, die erst dann verbraucht sein würde, wenn er getan hatte, wofür sie ihm gegeben worden war. Wenn er den Tod seiner geliebten Omohid gerächt hatte. Süße kleine Omohid. Eines nachts war sie in sein Leben getreten und hatte ihm seither alle Nächte sündig verschönt. Sie hatte ihm die Augen für die Wun der der Nacht geöffnet, so daß er fortan die Tage an ihrer Seite ver schlief, um nur noch zu der Zeit zu leben, zu der das Leben wirklich lohnte. Alles war herrlich gewesen, bis zu jener Nacht, da Omohid ohne ihn gegangen war. Er war ihr dennoch gefolgt, trotzdem sie ihn ge beten hatte, es bleiben zu lassen. Furcht nagte in ihm. Angst, daß er ihr nicht mehr genug zu geben vermochte. Daß sie sich anderswo holte, was sie vermißte.
Gut, er hatte sich ein paarmal schwach gefühlt nach den wilden Nächten mit Omohid. Vielleicht hätte er ihr besser nichts davon er zählt … Galim hatte in jener Nacht beobachtet, wie Omohid auf einen jun gen Mann traf, wie sie mit ihm sprach – um sich ihm dann regel recht an den Hals zu werfen! In diesem Augenblick hatte Galim losstürmen wollen, um dieses merkwürdige Paar, dessen bloßer Anblick sein Herz in kleine Teile riß, zu trennen. Doch was dann geschehen war, hatte mehr als nur sein Herz zer rissen. Und er hatte nichts dagegen tun können. Der Fremde griff nach Omohids Gesicht, nur scheinbar zärtlich – denn im nächsten Moment drehte er das bezaubernde Antlitz des Mädchens nach hinten. Das Brechen von Omohids Genick schwang wie ein leiser Pistolen schuß durch jene Nacht. Wie ein Schatten war der Mörder eins geworden mit der Dunkel heit. Zu schnell, als daß Galim, vom Schock ohnehin aller Kraft be raubt, ihm hätte folgen können. Aber er hatte sich das im Silberlicht des Mondes gut zu erkennen de Gesicht eingeprägt. Ein befreundeter Künstler hatte nach Galims Beschreibung eine Zeichnung angefertigt und solange Änderungen daran vorgenommen, bis das Bild exakt mit dem seiner Erinnerung übereinstimmte. Galim hatte es in der ganzen Stadt herumgezeigt. Und so hatte er schließlich Sarifs Spur gefunden. Eine Fährte, der Galim folgen wollte, bis er die am Ende wartende Beute erlegt hatte. Jetzt führte sie ihn also quer durch Al-Qahira, die ›Siegreiche‹, in den Stadtteil El-Kalifa. Die Dunkelheit lag wie hineingegossen in den engen Gassen. Nur hin und wieder diente Galim ein schwach
erleuchtetes Fenster als Orientierungspunkt in der Finsternis. Trotzdem konnte er noch lange nach jener koptischen Mission su chen, wo er vielleicht auf Sarif treffen würde, ohne sie je zu finden. Diesen Teil der Stadt kannte Galim nicht sonderlich gut. Aber bei den herrschenden Sichtverhältnissen hätte ihm wohl noch nicht ein mal Ortskenntnis etwas genutzt. Ein Rascheln und Ächzen seitlich von ihm schien Galim wie ein Wink des Schicksals. Er beugte sich hinüber und packte auf gut Glück zu. Seine Finger gruben sich in rauhes Leinen, und schließlich zappelte eine wim mernde Gestalt in seinen Fäusten. »Hör auf zu winseln«, knurrte Galim den anderen an, aus dessen Mund ihm der Gestank einer Müllkippe entgegenwehte. »W-was willst d-du?« fragte der andere. Galim drehte die Nase aus dem unmittelbaren Dunstkreis. »Ich suche die Mission von Pater Greorgius«, antwortete er. »Bring mich hin. Es soll dein Schaden nicht sein.« »Was kriege ich dafür?« kam es schon nicht einmal mehr halb so ängstlich zurück. »Ich schenke dir dein Leben«, erklärte Galim und unterstrich mit seinem Dolch, was er meinte. Das Argument zog. Wenige Minuten später standen sie vor der Station, die aus mehre ren Baracken bestand. Galim hatte das seltsame Gefühl, daß es nicht allein an seiner Waf fe lag, daß sein Führer stehenden Fußes das Weite suchte. Er konnte selbst fühlen, daß etwas hier nicht … Hätte nicht Rachsucht sein Denken gänzlich vereinnahmt, hätte Galim sich vielleicht überlegt, ob es wirklich ratsam war, die Missi
on zu betreten. Das Knistern, als seine Finger Sarifs Bild berührten, das er noch immer in der Tasche trug, räumte schließlich auch die allerletzten Vorbehalte aus. Galim betrat das größte der heruntergekommenen Missionsgebäu de, in denen in dieser Nacht alles andere wehte als der Geist christli cher Nächstenliebe.
* Sarif hatte sich geirrt. Es war beim zweiten Mal keineswegs einfacher gewesen als zuvor. Im Gegenteil. Im nachhinein schienen ihm seine eigenen Hände wie Fremdkör per. Als könnte er nicht fassen, daß sie und er es gewesen waren, die Schwester Eman getötet hatten. Nein. Nicht getötet. Nur erlöst. Nur … Sarif wünschte, die Worte würden endlich in sein Begreifen drin gen. Daß er sie nicht einfach nur dachte, sondern wirklich verstand, und daß sie ihm endlich den Trost spendeten, den sie ihm jetzt nur vorzugaukeln vermochten. Wie blind tappte Sarif durch die Flure der Mission, in der Hoff nung, daß ihm nicht noch eine Kreatur über den Weg laufen möge. Damit er es nicht noch einmal tun mußte. Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Eine Tür wurde geöffnet, und eine junge Ägypterin in Schwestern robe trat heraus.
»Amira.« Der Name floß als gequältes Seufzen über Sarifs Lippen. Nein. Bitte. Nicht auch sie. »Sarif«, sagte sie erstaunt. »Ich hatte …« »… befürchtet, daß ich dich finden würde?« vollendete Sarif ihren Satz ganz anders als sie es hatte tun wollen. »Befürchtet?« wiederholte sie verwundert. »Wie kommst du dar auf?« »Du hast dich versteckt«, stellte er fest. Amira nickte. »Das stimmt. Woher weißt du das? Seltsame Dinge gehen hier vor, seit ein paar Tagen.« »Schreckliche Dinge«, verbesserte Sarif. Amira senkte beschämt den Kopf. Hastig zog sie den Kragen ihrer Tracht ein wenig zurecht, damit er die Spuren verbarg, die Pater Greorgius in seiner Lust hinterlassen hatte. Der gequälte Ausdruck in Sarifs Augen entging ihr. »Du hast recht«, sagte sie. »Schreckliche Dinge. Ich schäme mich so.« »Das mußt du nicht. Es ist nicht deine Schuld«, spendete Sarif ihr letzten Trost. »Du kennst nicht die ganze Wahrheit. Pater Greorgius, er hat …«, setzte Amira an, ohne den Blick zu heben. Sie konnte Sarif nicht in die Augen sehen. Nicht jetzt, da jede einzelne Erinnerung an das, was sie mit Pater Greorgius getrieben hatte, in ihrem Gesicht zu le sen sein mußte. »Ich habe den Pater vor dem Schlimmsten bewahrt«, erklärte Sarif. »Und ich kann auch dir helfen, Amira. Komm näher.« Gegen ihren Willen gehorchte Amira. Ihr Unterbewußtsein sehnte
sich nach einer tröstenden Berührung, aber zugleich wußte sie nicht, ob sie je wieder von einer Männerhand berührt werden wollte. Sarifs Finger faßten behutsam nach ihrem Gesicht, hoben es an, bis sich ihre Blicke begegneten. Tränen trübten plötzlich den warmen Glanz in Sarifs Augen, als er sanft über die samtenen Wangen der jungen Schwester strich. »Süße Amira, kleine Amira«, flüsterte er bedauernd. »Sarif, was hast du?« »Es tut mir leid.« »Was tut dir leid?« »Daß ich es tun muß. Wieder tun muß.« Amira kam nicht mehr dazu zu fragen, was Sarif tun zu müssen glaubte. Keines Menschen Mund sprach, wenn er unversehens über dem Nacken saß. »Hund!« brüllte jemand vom Ende des Flurs her. »Du hast es wie der getan!« Wie ein der Hölle entstiegener Dämon, aus nichts anderem als Zorn und Gewalt geboren, stürmte der Fremde auf Sarif zu.
* Beth staunte über sich selbst. In einem Anflug von Ironie dachte sie, daß das LICHT womöglich ein bis dahin verborgenes Talent in ihr freigelegt hatte. Denn ihre Händen schufen etwas, das sie in jeder anderen Situati on als Kunstwerk bezeichnet hätte. Der Klumpen, der vorhin noch ein koptisches Kreuz gewesen war, erlangte unter ihren schnell arbeitenden Fingern eine neue Form.
Beth drückte hier mit den Handballen, nahm dort etwas Material weg, um es an anderer Stelle anzusetzen und passend zu modellie ren. Längst spürte sie aus der teerartigen Masse keinen Widerstand mehr. Das schwarze, immer noch heiße Material war wie Wachs in ihren vom LICHT umflorten Händen. Obwohl Beth selbst das Werk gestaltete, wußte sie doch nicht, was letzten Endes daraus werden würde. Um so verwunderter nahm sie zur Kenntnis, daß ihre Hände einen Körper aus der pechschwarzen Masse formten. Einen Leib allerdings, der sich völlig von dem der ehemaligen Christusfigur unterschied. Einen Körper, der von unverkennbar weiblicher Natur war. Und den Beth nur zu gut kannte. Schließlich gab es am Original kaum ein Fleckchen Haut, das sie noch nicht berührt hatte. In Beth’ Händen entstand ein bewundernswert und gleichermaßen erschreckend getreues Abbild – – von Lilith Eden!
* Sarif konnte spüren, wie der andere hinter ihm herandonnerte. Fast glaubte er, der Boden würde unter den Schritten erbeben. Ein Stich fuhr ihm in die Brust, als er den Blick wehen Herzens von Amiras totem Körper lösen mußte, um sich dem Fremden zuzu wenden. Galim hatte die Faust vorgereckt, und daraus ragte die beidseitig geschliffene Klinge eines Dolches hervor. Die Spitze wies genau auf Sarif, und wenn der Heranstürmende nicht rechtzeitig stehengeblie
ben wäre, hätte er ihn unweigerlich aufgespießt. Doch das lag gar nicht in Galims Absicht. Er verhielt seine Schritte und steckte die Waffe zurück in den Gür tel. »Dein Blut ist zu gering, als daß ich meine Klinge damit besu deln würde. Du sollst sterben wie sie.« Sarif wies bedauernd auf Amira hinab. »Du kanntest sie?« fragte er. Galim schnaubte. Eine ganze Salve gifttriefender Pfeile schien Sarif aus seinen Augen, entgegenzuschießen. »Nein, sie nicht. Aber wenn ich noch einen letzten Beweis ge braucht hätte, so hättest du ihn mir jetzt geliefert: Du hast sie« – er zeigte auf Amira – »auf die gleiche Weise getötet wie meine Omo hid!« »Omohid?« entfuhr es Sarif. »Du hast Omohid gekannt?« »Ich habe sie geliebt. Und du hast sie mir genommen.« »Ich habe sie erlöst«, erklärte Sarif. »Weil sie eine Kreatur war.« »Du wagst es, die Frau, die ich verehrte, noch im Tode zu beleidi gen?« »Hat sie dich zu einem der ihren gemacht?« fragte Sarif lauernd. Und im stillen stellte er sich die Frage, ob von Vampiren geschaffene Kreaturen den Keim überhaupt weiterzugeben vermochten. Hätte das nicht unweigerlich zur Folge gehabt, daß sich die Blutsauger ra send vermehren mußten, bis sie sich schließlich selbst ihrer Nah rung beraubt hatten? »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Elender. Omohid hat mir stets mehr gegeben, als sie mir genommen hat. Du hast unsere Liebe und unser Leben zerstört. Und dafür – stirb!« Galim schrie die Worte und stürzte sich aus dem Stand auf Sarif. Vielleicht war es Galims Fehler, daß er auf den Einsatz des Dol
ches verzichtete. So standen die Chancen halbwegs gleich. Sarif tänzelte zur Seite und entging mühelos den zupackenden Händen des nur unwesentlich kräftigeren Gegners. Als Galim vom eigenen Schwung getragen noch einen Schritt nach vorne setzte, hakte Sarif ihm den Fuß zwischen die Beine und brachte ihn zu Fall. Ehe Galim sich erheben konnte, war Sarif über ihm und schlug ihm die Handkante in den Nacken. Noch nicht einmal sehr kräftig. Aber er traf genau den Punkt. Galim erschlaffte. Sarif widerstand dem Reflex, den Kopf des anderen packen und verdrehen zu wollen. Statt dessen wälzte er Galim herum und schob dessen Oberlippe hoch. Die Eckzähne sahen nicht anders aus als Sa rifs eigene. Damit beantwortete sich auch seine Frage von vorhin: Nein, Kreaturen konnten den Keim nicht übertragen und ihrerseits eigene Sklaven erschaffen. Gut. Als Sarif sich jedoch wieder nach Amira umwandte, war gar nichts mehr gut. Da stöhnte der junge Ägypter wieder unter der Last der Schuld, die er auf sich hatte laden müssen. Er ächzte unter dem Fluch des väterlichen Erbes, für das er nicht geschaffen war und mit dem die Schicksalsmacht ihn doch zu leben zwingen wollte. Vielleicht geschah es in dem Moment, da seine Hand sich weigern wollte, die leeren Augen in Amiras nach hinten gedrehtem Gesicht zu schließen. Auf jeden Fall war er plötzlich präsenter denn je zuvor: Sarifs Wunsch, die Vampire hätten ihn damals in jener Blutnacht nicht ver schont, sondern ebenfalls zu ihrer Kreatur gemacht. Vielleicht wäre dieses Dasein nicht schlimmer als zu sterben. Bestimmt aber war es besser als ein Leben wie das seine zu führen.
Er wünschte sich, von dieser Möglichkeit kosten zu dürfen, und sei es nur, um seinem fluchbeladenen Leben für eine Weile zu ent fliehen. Er wußte nicht, daß es Orte gab, an denen Wünsche nur allzu leicht in Erfüllung gingen. In Nächten wie diesen.
* Die Figur in ihren Händen schien Beth MacKinsay leichter als das Koptenkreuz, aus dem sie geschaffen war. Das Material hatte sich offenbar in jeder Hinsicht verändert. Zu tatenlosem Staunen verurteilt sah sie weiter zu, was ihr Körper tat. Doch jetzt mengte sich leise Beunruhigung in ihr Interesse. Und wäre sie Herrin ihrer Sinne gewesen, wäre Beth unweigerlich in Pa nik geraten über ihr Tun. Denn obwohl es noch nicht ganz offen sichtlich war und sie den Zweck nicht wirklich verstand, so begann sie doch zu ahnen, worauf alles hinauslief. Unter fremdem Willen legte Beth die schwarze Figur, die Lilith bis ins Detail nachempfunden war, zwischen Tür und Bett auf den Bo den. Dann faßte sie den Nagelkopf, der wie eine metallene Warze auf ihrem Handgelenk saß, und zog den Metallstift aus ihrem Fleisch. Wieder empfand Beth das dabei entstehende Geräusch schlimmer als den Schmerz. Aber das mochte daran liegen, daß die Empfindungen ihres Körpers nicht bis zu dem Punkt herüberreich ten, an den ihr Denken verbannt worden war. Mit der Spitze des nunmehr in kaltem LICHT glühenden Nagels öffnete Beth die kleine Wunde ein bißchen weiter, bis das Blut in ei nem schmalen Rinnsal hervortrat, über ihre Finger rann und zu Bo
den tropfte. Mit vorgestreckter Hand ging Beth im Kreis, so daß schließlich ein Ring aus blutigen Tropfen die Lilith-Figur umgab. Sie kniete nieder und verrieb die Blutflecken, bis sie sich zu einem ge schlossenen Kreis verbanden. An ihrer Wunde benetzte Beth dann ihre Finger mit frischem Blut und begann damit, eigentümliche Zei chen auf die Kreislinie zu malen, die sie nicht einmal andeutungs weise verstand. Sie tat einfach nur, wie ihr geheißen ward. Zunächst bedächtig und sehr sorgfältig, dann zunehmend schnel ler, als das LICHT sie zu größerer Eile trieb. Als sie hastig den letzten Blutstrich geführt hatte, kroch sie rasch an die Figur heran, nahm sie in die rechte Hand, während ihre Linke den leuchtenden Nagel umfaßt hielt. Ihr starrer Blick war ins Nichts gerichtet. Beth wartete wieder. Auf den Befehl diesmal. Er kam, als draußen bereits der neue Tag über Kairo kroch. In dem Moment, als er lautlos in ihrem Körper aufklang, fühlte Beth jenen ausgelagerten Teil ihres Selbsts von einem kalten Sog er faßt und in ihren Leib zurückgerissen. Wo er nunmehr vollends im LICHT ertrank! Daß sie dem Befehl gehorsamer denn je folgte, bekam sie nicht mehr bewußt mit. Wie auf einen Knopfdruck hin rammte sie ihre linke Hand der rechten entgegen. Der Nagel aus dem Kruzifix bohrte sich tief in die Brust der LilithFigur. Und rund 1500 Kilometer entfernt, am Fuße des Berges Ararat in der Türkei, schrie die Halbvampirin auf, wälzte sich unter Qualen im Dreck und schalt sich selbst eine Närrin …
… weil sie die Macht des LICHTS unterschätzt hatte.*
* »Verdammt!« entfuhr es Yorga, als der hohe Stapel Blechgeschirr ins Wanken geriet und sich in der nächsten Sekunde laut scheppernd auf dem steinernen Küchenfußboden verteilte. Hastig legte die fast barhäuptige Frau ihre Hand über die Lippen. Ein guter Christ flucht nicht! hatte Pater Greorgius die Missionskö chin gelehrt. »Ach, was soll’s«, sagte Yorga zu sich selbst und ergänzte des Pa ters Weisheiten um eine eigene: »Ein guter Christ ist ein Mensch der guten Tat und nicht des Wortes. Der Herr wird’s mir schon nachse hen.« Bevor sie sich bückte, um das Geschirr aufzulesen, ließ die treue Yorga den Blick über ihr kleines Reich schweifen. Es war eher ärm lich, gerade mit dem Notwendigsten ausgestattet. Aber blitzsauber. Das mußte sein. Denn Sauberkeit war der allerbeste Schutz gegen die meisten Krankheiten, die in einem Viertel wie El-Kalifa grassier ten. Auch das hatte ihr Pater Greorgius gesagt. Doch das hatte Yorga schon vorher gewußt. Auch wenn sie in schlichtesten Verhältnissen aufgewachsen war, so hatte Reinlichkeit doch schon immer einen ganz besonderen Stellenwert für sie gehabt. Der bloße Anblick von Schmutz und Dreck schmerzten ihr in den Augen. Und deshalb ver mied sie es tunlichst, hinaus in die Stadt zu gehen, die in manchen Teilen aus nichts anderem als Schutt und Abfall gemacht war. Da blieb Yorga lieber hier und brachte ihre Küche auf Hochglanz. *siehe VAMPIRA 44
Einen reinlicheren Ort fand man womöglich in ganz Kairo nicht. Obwohl das zu Boden gefallene Eßgeschirr gewiß nicht schmutzig geworden war, ließ Yorga Wasser in die Spülschüssel laufen, ehe sie sich daran machte, die Blechnäpfe aufzuheben. Während sie das Geschirr ordentlich ineinander stapelte, dachte sie daran, wie wenige Menschen heute nach einer Mahlzeit verlangt hatten. Sonst mußte Yorga oft schon am frühen Abend bedauernd den Kopf schütteln, weil ihre Töpfe leer waren. Heute jedoch waren noch etliche Portionen Foul übrig. Aber das war nicht weiter schlimm. Wie die meisten Feinschmecker unter ihren Landsleuten vertrat Yorga die Ansicht, daß der braune Bohneneintopf um so bes ser schmeckte, je öfter er aufgewärmt wurde. Sie zählte die gestapelten Näpfe und stellte fest, daß einer fehlte. »Ordnung muß sein«, ächzte Yorga und machte sich auf die Suche nach dem einen Napf, der irgendwo in einen Winkel zwischen die Schränke gerutscht sein mußte. Das Herumkriechen auf dem blank gescheuerten Boden bereitete ihr nicht nur wegen ihres Alters Mü he. Beim Abschmecken der großen Essensmengen, die sie in der Missionsküche Tag für Tag zubereitete, verwendete Yorga auch einen entsprechend großen Löffel … Der fehlende Blechnapf schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er fahrungsgemäß würde Yorga irgendwann unversehens darüber stolpern und sich wundern, warum sie ausgerechnet an dieser Stelle nicht danach gesucht hatte. Trotzdem war sie nicht gram wegen der erfolglosen Suche. Denn sie fand etwas anderes. »Gott sei Dank rechtzeitig, bevor das kleine Biest Nachkommen in meine Küche setzen kann«, grummelte Yorga angriffslustig. Das war kein leichtfertiges Anrufen des Herrn; sie dankte dem Schöpfer wahrhaftig, daß er ihren Blick auf den vielbeinigen kleinen Stören
fried ihrer heiligen Sauberkeit gelenkt hatte. Zwar meinte Pater Greorgius, daß kein Mensch irgendein Lebewe sen töten dürfte, und schiene es ihm noch so gering, aber Yorga war sicher, daß diese Regel ganz bestimmt nicht auf Kakerlaken und ähnliches Gekreuch zutraf. Diese Plage konnte doch nur der Teufel zu ihnen geschickt haben! Yorga wagte sich kaum zu rühren, um den chitingepanzerten Stö renfried nicht zu verschrecken. Ganz vorsichtig und langsam tastete sie außerhalb des Blickfelds der winzig kleinen Facettenaugen nach ihrer Spezialwaffe im Kampf gegen diese Brut. Ihre Finger schlossen sich um das elastische Plastikstück, mit dem sie schon manchem Insekt den Garaus gemacht hatte. Daß trotzdem kein noch so kleiner Rest daran klebte, verstand sich von selbst. Auch das, was von diesem widerlichen Bürschlein übrigblieb, wür de Yorga gleich sorgfältig abwaschen. Die Hand mit der Plastiklatte zum Schlag erhoben, kroch sie Zenti meter um Zentimeter näher, um auch ja beim ersten Hieb richtig zu treffen. Der Kakerlak verharrte reglos. Nur die beiden kaum sichtbaren Fühler auf seinem Kopf bewegten sich, als wolle er sondieren, wer sich ihm da näherte. Yorga verriet es ihm zähneknirschend. »Ich bin dein schlimmster Alptraum.« Daß die Schabe das Kompliment gleichermaßen hätte zurückge ben können, verschwieg die schwergewichtige Köchin. Wer wußte schon zu sagen, ob diese Biester am Ende nicht schlauer waren, als alle Welt annahm? Der Kakerlak hatte eine strategisch günstige Position eingenom men. In dem kaum armbreiten Spalt zwischen dem gußeisernen Herd und dem altmodischen Waschtisch konnte Yorga ihn nur mit
viel Glück auf den ersten Streich erwischen. Sie öffnete den Mund zu einer weiteren launigen Bemerkung, doch die Worte blieben ihr schier im Halse stecken. Das mit einem mal übermächtige Gefühl, aus mehr als nur einem winzigen Augen paar angestarrt zu werden, ließ sie alles andere vergessen. Und im gleichen Moment sah sie all diese anderen Augen. In der Schwärze unter dem Herd glitzerte etwas wie Tausende winziger Diamantsplitter. Und bevor Yorga wirkliches Entsetzen empfinden konnte, geriet Bewegung in diese Schwärze, die nicht etwa die bloße Abwesenheit von Licht bedeutete, sondern lebendig war! Weil sie aus Abertausenden kleiner horniger Körper bestand, die sich jetzt wie eine breiige Woge unter dem Herd hervor ergoß. Eine nicht versiegende Flut aus Schaben, Spinnen und Gewürm rollte auf Yorga zu. Ekel verschloß ihre Kehle, so daß sie das Grauen noch nicht einmal mit einem Schrei lindern konnte. Die Plastiklatte in ihrer Hand schi en ihr plötzlich das Lächerlichste auf der Welt zu sein. Als streckte sie die Waffen vor der Übermacht des Feindes, ließ Yorga ihr Schlagwerkzeug fallen. Aber ändern konnte sie mit dieser Geste nichts. Ihr blieb nur die Flucht. Mit der Hand tastete sie nach dem Herd, um sich beim Aufstehen daran abzustützen. Doch ihre Finger und dann auch schon der gan ze Arm versanken in dem, was gerade noch massives Gußeisen ge wesen war. Jetzt hatte es sich verwandelt – in eine Million oder mehr aneinan derreihender winziger Chitinleiber, die unter dem Druck ihrer Hand knisternd nachgaben.
Yorga fiel vornüber. Ihr Gesicht landete in einer schwarzen Klaue, die aus sich aufeinandertürmenden Schaben bestand – und deren Krallen sich bewegten! Sie gruben sich in Yorgas Augen, schoben sich in ihre Ohren, in die Nasenlöcher, in den Mund. Ein völlig absurder Gedanke trieb durch Yorgas über und über von Insekten bedeckten Kopf, als längst schon alles auslöschende Finsternis ihr Innerstes flutete. Jedes einzelne Krabbeltier, das sie je erschlagen hatte, schien wiederer standen zu sein, um sich an ihr zu rächen. Dann erstickte das Gekreuch Yorgas Atem. Doch an ihrem Fleisch tat es sich noch lange gütlich.
* Sein Wille geschehe … Wieder und wieder wisperten diese drei Worte in Schwester Christine. Sie wünschte, Er würde endlich zu ihr kommen. Über sie. In sie. Sie vermochte sich nicht länger selbst vorzutäuschen, daß ihre Hände die Seinen waren und Er mit ihr tat, was doch nur sie selbst ihrem Körper angedeihen ließ. Die Feuchte ihrer Scham schien zu kochen, ihre darüberstreicheln den Finger zu verbrennen. Erlöse mich … Und Er kam. »O Herr«, flüsterte sie dankbar, »ich wußte, daß du mich erhören würdest. Komm – und erlöse mich. Endlich!«
* Sarif strich wie ein ausgehungertes Raubtier durch die Gänge der Missionsbaracke. Aber nicht Hunger war seine Triebfeder. Sondern Durst. Unsäglicher Durst, der ihn umbringen würde, wenn er ihn nicht endlich stillen konnte. Wäre ein Rest seines früheren Wesens in ihm verblieben, hätte Sa rif sein jetziges Dasein gewiß schlimmer empfunden als den Tod. Doch hatte er weder die Möglichkeit zum Vergleich noch zur Um kehr. Er war geworden, was er hatte sein wollen. Und würde es bleiben bis zum Ende. Ein Ende, das schneller kommen konnte, als ihm lieb war. Wenn er nicht endlich Blut bekam! Sarif verhielt im Schritt. Seine Nasenflügel blähten sich wie die Nüstern eines Tieres, das Witterung aufnahm. Auch er witterte etwas. Rettung. Dort, hinter jener Tür. Sarif öffnete sie. »O Herr, ich wußte, daß du mich erhören würdest. Komm – und erlöse mich. Endlich!« Die überbordende Gier ließ Sarif nicht einmal Raum, sich über das merkwürdige Willkommen zu wundern. Mochte sie ihn nennen, wie sie wollte, und mochte sie auch nicht die Schönheit sein, die er sich als Quell seines ersten Trunkes gewünscht hätte – ihm blieb kei
ne andere Wahl, wollte er verhindern, daß seine Haut welker wurde wie die der Frau, die ihm bereitwillig ihre Schenkel öffnete und ihre Ader darbot. Um den Genuß wenigstens ein bißchen zu erhöhen, wollte Sarif ihr Blut erst in Wallung versetzen. Wäre der Durst nicht alles beherrschend in seinem Denken gewe sen, hätte es ihn vielleicht Überwindung gekostet, sich dieses nicht mehr ganz jungen Körpers zu bemächtigen. So aber beglückte er Schwester Christine mühelos mit dem ganzen Erfindungsreichtum seiner Jugend.
* Galim schlug die Augen auf. Und wunderte sich auf unwirkliche Weise, daß er dazu überhaupt in der Lage war. Vielmehr hätte er damit gerechnet, daß dieser Sarif seine Wehrlo sigkeit ausgenutzt und ihm das Genick gebrochen hätte, so wie er es mit dem bedauernswerten Mädchen getan hatte, in dessen unnatür lich verdrehtes Gesicht Galim am Boden liegend sah. Er wandte den Kopf, weil er den Anblick keine Sekunde länger er trug. Weil Omohid genauso dagelegen hatte … Der Gedanke ließ Galim den Schmerz in seinem Nacken, wo ihn Sarifs Hieb getroffen hatte, verdrängen und weckte statt dessen neue Kraft, die er nutzen wollte, um zu tun, weswegen er gekom men war. Er rappelte sich auf und machte sich aufs neue an die Suche nach Sarif.
Er mußte den Kerl finden, ehe er weiteres Unheil anrichtete. Bevor ein weiterer Mensch unter seinen Händen sterben mußte. Galim fand ihn. Als die Frau unter Sarif sterben sollte.
* »Wie ich mich danach gesehnt habe.« Die Worte der Nackten waren kaum zu verstehen. Sie erstickten fast in dem Keuchen und Stöhnen, wie Sarif es nie wilder und hem mungsloser aus dem Mund einer Frau gehört hatte. Schwester Christines nicht mehr ganz straffer Körper entwickelte überraschende Qualitäten. Weil alle Energie, die die Natur für sol che Zwecke in einem Menschen aufsparen mochte, nie zuvor ge nutzt worden war. Jetzt verströmte diese Kraft in einem einzigen Mal. Als wüßte die Missionsschwester, daß dieses eine Mal auch ihr letztes sein würde … Sarif drang in die fast schmerzhafte Enge, die sich keinem Mann vor ihm je geöffnet hatte. Zugleich walkte er ihre schweren Brüste, die sich unter den Berührungen seiner Hände noch zu glätten schie nen. Er schob die Zunge zwischen seinen vorstehenden Augzähnen hindurch über ihre Lippen und genoß das Spiel mit der ihren. Schwester Christine kam, lange bevor er seine Explosion nahen fühlte. Dafür fühlte er ganz deutlich etwas anderes. Das Blut in ihren Adern war nicht einfach nur in Wallung geraten – es brodelte hindurch! Ein perfides Lächeln legte sich um Sarifs Mund. Es war an der
Zeit. Seine Lippen wanderten über ihr Kinn und weiter, bis er die Stelle gefunden hatte, unter der er das heiße Pochen am heftigsten spürte. Dann öffnete er den Mund und versuchte, seine spitzen Eckzähne in ihre Schlagader zu senken. Seine vermeintlich spitzen Eckzähne. Denn sie waren so wenig spitz wie Sarif wirklich ein Vampir oder auch nur eine Kreatur war. Als der sprudelnde Strom überkochenden Blutes ausblieb, biß Sa rif heftiger zu, verzweifelter. Er begriff nicht, was er falsch machte! Was konnte man dabei falsch machen? Der Blutkuß – mußte er sei ner Art nicht naturgegeben sein wie einem Menschen die Fähigkeit zu essen und zu trinken? Kräftiger preßte Sarif seine stumpfen Zähne aufeinander im Bemü hen, sie doch noch in Schwester Christines Hals zu bohren. Er zog und zerrte an dem schmalen Hautstreifen, den er mit den Zähnen erfaßte. Die Schreie der Frau kündeten nicht länger von Wollust und Wonne. Schließlich schmeckte Sarif doch Blut. Aber der rote Lebenssaft pulste nicht hervor, sondern sickerte nur aus der häßlichen Bißwun de. Keuchend schleckte Sarif über das rohe Fleisch. Auf die belebende Wirkung des Elixiers wartete er allerdings ver gebens. Es schmeckte ihm nicht einmal wirklich; ganz im Gegenteil. »Das war endgültig deine letzte Schandtat, elender Hund!« Sarif war Galim beinahe dankbar für die Störung. Der junge Mann, der sich unter fremdem Einfluß für eine vampiri sche Kreatur hielt, löste seinen Mund vom Hals der schmerzwim mernden Missionsschwester. Angewidert wischte er sich das Blut
von den Lippen. Eine bange Frage formulierte sich hinter seiner Stirn: Wie sollte er überleben, wenn er das für seine Art so notwendige Elixier nicht trin ken konnte? Die nächsten Sekunden enthoben ihn einer Antwort darauf. Er hatte die zornbebende Stimme hinter sich keineswegs verges sen, nur einen Moment verdrängt. Ein fataler Irrtum, der ihm erst bewußt wurde, als er die Klinge im Rücken spürte – und Schmerz empfand! Doch Wildheit und der Durst, den er nicht zu stillen vermochte, wogen schwerer und verhinderten, daß das Leben aus ihm wich. Gewandt wie eine Katze federte Sarif von seinem stöhnenden Op fer herunter und wirbelte zu Galim herum. In der Bewegung glitt die Dolchklinge aus der Wunde. Galims Blick wechselte verständnislos zwischen der bluttropfen den Waffe und Sarif hin und her. Wie war es möglich, daß der Kerl sich ihm derart verletzt noch entgegenstellte? Galims Verwunderung erlosch, als Sarif mit raubtierhaftem Fau chen auf ihn zusprang. Die wütende Kraft, die ihn bei seiner Suche nach dem Mörder Omohids geleitet hatte, gewann wieder Kontrolle über ihn. Vielleicht war Sarif ja nur auf seine eigene Art zu töten … Galim fing die Hände des anderen ab, als sie sich um seinen Hals legen wollten. Er gab Sarifs Vorwärtsdrang eine Winzigkeit nach und stieß ihn dann zurück. Auf dem Rücken landete der Nackte ne ben dem Bett, von dem die verletzte Frau dem Kampf mit schmerz verkniffenem Gesicht zusah. Im nächsten Augenblick war Galim über dem Liegenden und preßte ihn mit seinem Körpergewicht zu Boden. »Nun ereilt dich doch noch das verdiente Ende«, keuchte er, wäh
rend er Sarifs Gesicht fest in beide Hände schloß. Es war letztlich doch schwieriger, als er angenommen hatte, je mandem das Genick zu brechen. Erst im dritten Versuch gelang es ihm, den Widerstand zu überwinden, den Sarifs Nackenmuskulatur ihm entgegensetzte. Vielleicht war ihm der Sieg letztlich auch nur vergönnt, weil der Nackte aufzugeben schien. Wenn er schon nicht wie eine Vampir kreatur leben konnte, so wollte Sarif wenigstens so sterben. Und diese ›Ehre‹ wurde dem von unlöschbarem Durst Verwirrten zuteil. Doch bevor der Glanz seiner Augen vollends erlosch, traf Ga lim noch ein ganz eigentümlicher Blick daraus – und etwas ging auf ihn über … Doch die Saat, die in Sarif schon auf unfruchtbaren Boden gefallen war, traf in Galim auf schieren Fels. Aber das Korn versuchte selbst in ungeeignetstem Grund zu kei men. Denn es war seine Bestimmung, nicht einzugehen, solange noch Vampire auf Erden weilten.
* Später an diesem Morgen Türkei Freiwillig gefangen in diesem kleinen bepelzten Körper kämpfte ich mich über das leere, dunkle Land tief unter mir. Noch war die Son ne nicht am Horizont zu sehen; nur ein rosafarbenes Band zeugte von ihrem baldigen Erscheinen.
Es war längst kein scheinbar müheloses Flattern mit ledrigen Schwingen mehr, das mich vorantrug. Die Kraft, die ich für diese Reise gesammelt hatte, drohte kaum auszureichen, um mich bis An kara zu bringen. Von dort aus, so mein Plan, wollte ich mit dem Flugzeug nach Kairo weiterreisen. Doch mit jedem Flügelschlag, dem ich meinem ersten Etappenziel näherkam, schien es weiter in die Ferne zu rücken. Als sollte ich es nie erreichen. Es war nicht das Gewicht meines eigenen Körpers, das mir zu schaffen machte, und auch nicht die beträchtliche Wegstrecke. Viel mehr saugte die Last, die ich zu transportieren hatte, scheinbar jedes Tröpfchen Energie aus mir heraus. Dabei war die Agrippa durchaus bequem zu tragen. Meine Fänge fanden in der zerklüfteten Oberfläche des eiförmigen Gebildes ge nügend Halt. Und das Ding, das ich aus dem Hüterdom im Berg Ararat geborgen hatte, war im Grunde auch nicht wirklich schwer. Doch etwas darin belastete mich. Etwas, das ich nicht benennen konnte, von dem ich nur wußte, daß es mehr als nur mein Leben verändern würde. Aber dieses Wissen reichte, um mir die Agrippa wie eine zentner schwere Last erscheinen zu lassen. Noch in Tokio hatte ich von der Existenz dieses Artefakts erfahren. Ein ›Schlüssel‹ sollte es sein, der mir das Tor zu meiner wahren Be stimmung öffnen würde und den ich zu suchen und zu finden ge zwungen war. Nun hatte ich ihn also gefunden – und zugleich geglaubt, damit ein Druckmittel gegen jene unerbittliche Macht in Händen zu haben, die meinte, nach Belieben über mich verfügen zu können. Ich wollte es einsetzen, um jenem LICHT, das für meine Geburt und meinen Werdegang verantwortlich war, neue Regeln zu diktieren.
Diese Leichtgläubigkeit hatte ich mit Schmerzen bezahlt, deren Ausmaß sich kein Mensch vorstellen oder gar ertragen konnte. Die Macht, die sich stets mit gleißender Helligkeit tarnte, ließ nicht zu, daß ich den mir vorbestimmten Weg verließ oder etwa einen ei genen beschritt. Sie gängelte mich an einem imaginären Band, und mochte es auch noch so lang sein, das LICHT verlor nie die Kontrol le über mich. Vielleicht entstand der Gedanke, weil der Schmerz inzwischen aus mir verschwunden war. Zwar spürte ich noch immer den Druck des unsichtbaren Eisens, als säße eine Klinge in meinem Fleisch, die mich nur verletzen, mir aber nicht wehtun konnte. Auf jeden Fall fühlte ich mich frei genug, um mir eine Tollkühnheit zu gestatten. Tief unter mir sah ich das schäumende Band eines Flusses mit rei ßender Strömung. Was würde geschehen, wenn ich kurzerhand meine Fänge öffnete, um die Agrippa in die tobenden Fluten dort unten stürzen zu las sen? Würde das Artefakt fortgerissen werden – und aus meinem Le ben verschwinden? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Ich löste meinen Krallen aus dem Ei. Die Agrippa fiel …
* … und in Kairo öffnete Beth MacKinsay, die im Lotussitz inmitten des Blutkreises saß, die Augen! Tue folgendes … Rasch zog Beth, oder vielmehr die Macht in ihr, den nächsten Na gel aus dem Fleisch ihres Handgelenks. Obwohl er mittlerweile aus
nichts anderem als gestaltgewordenem LICHT bestand, verbrannte sie sich nicht daran. Denn auch seine Energie war einem anderen Zweck geweiht. Beth griff nach der schwarzen Lilith-Puppe, in deren Leib der erste Nagel inzwischen seine metallene Substanz zurückgewonnen hatte. Ohne hinsehen zu müssen, traf Beth mit dem weißglühenden Na gel die Brust der Figur und trieb ihn tief in ›Liliths‹ Körper. Das Metall glitt mühelos in die schwarze Masse …
* … wie ein heißes Messer in Butter fuhr, so drang ein weiterer un sichtbarer Dorn in meine Brust und versetzte mich in agonische Ra serei! Die Muskeln meines kleinen Körpers verkrampften sich, mein Be wußtsein war nur noch damit beschäftigt, sich irgendwie gegen den anbrandenden Schmerz zu wehren. Übergangslos konnte ich keine noch so geringe Bewegung mehr ausführen. Ohne etwas dagegen tun zu können, raste auch ich wie ein Stein in die Tiefe. Der karstige Boden und das wildkochende Wasser des Flusses schienen mir entgegenzuspringen. Zwischen dem Grund und mir erkannte ich einen kleinen Punkt, der größer wurde, je näher ich an ihn heranstürzte. Entgegen allen Naturgesetzen fiel die Agrippa langsamer als ich; vermutlich würde ich sogar noch vor ihr auf der Erde zerschmettert oder von der reißenden Strömung gefressen werden. Ich konnte mir meinen ›Landeplatz‹ nicht aussuchen. Und es war mir in diesen grauenhaften Sekunden, in der die Weiß glut jede Faser meines Ichs verbrannte, auch völlig egal.
Ich wollte nur, daß es schnell ging! Doch was ich wollte, zählte längst nicht mehr. Das wurde mir schon im nächsten Moment deutlich vorgeführt. Im Sturz merkte ich, daß etwas mit meinem sich windenden Kör per geschah. Er verformte sich. Ich transformierte in meine menschliche Gestalt zurück, ohne die Rückverwandlung selbst ausgelöst zu haben! Und als ich die Agrippa einholte, streckte ich wider Willen meine Hand aus und griff nach dem steinernen Ei, packte es. Ich glaubte, den Staub und das Wasser schon riechen zu können – als sie plötzlich unter mir wegsackten! Luft fuhr unter meine Fleder mausflügel und ließ mich wieder aufsteigen. Der grausame Schmerz verebbte, und ich wandte mich gehorsam in jene Richtung, in der ich Ankara wußte.
* Ich erinnerte mich an Zeiten, da hatte ich meine Menschlichkeit als Fluch betrachtet. Immer dann, wenn sie mich mit menschlichen Schwächen geschla gen und Empfindungen wie Schmerz, Trauer und Entsetzen ausge setzt hatte. Inzwischen hatte ich gelernt, damit zu leben – oder mich wenigs tens damit zu arrangieren –, sowohl Mensch als auch Vampir zu sein. Und heute war ich manchmal fast dankbar, auch menschlich sein zu dürfen. Es gab mir zum Beispiel die Möglichkeit, Verzweiflung mit Tränen zu lindern.
Wie jetzt. In den Winkeln meiner geschlossenen Augen glitzerte es feucht, während die leisen Stimmen um mich herum im gedämpften Dröh nen der Flugzeugtriebwerke untergingen. Ich war umgeben von vielleicht hundert Menschen und fühlte mich doch so einsam, als wäre ich das einzige Lebewesen auf der Welt. Und so ähnlich verhielt es sich ja auch: Ich war das einzige Wesen meiner Art. Das Kind zweier Welten. Doch das war nicht der Grund, aus dem ich weinte. Wie gesagt, damit kam ich zurecht. Womit ich mich nicht abfinden konnte, war das Wissen, kein wirk lich eigenes Leben zu führen, sondern nur ein Werkzeug zu sein, mit dem eine unbekannte, aber unvorstellbar starke Macht nach Belie ben hantierte. Ich hatte mich lange täuschen lassen (oder mich selbst getäuscht?) und geglaubt, ich wäre frei, mein eigener Herr. Und doch war beina he jeder Schritt in den zwei Jahren seit meinem verfrühten Erwa chen vorbestimmt gewesen, ferngelenkt. Dabei hatte ich mehr als nur einmal Leid und manches Mal auch Tod über Menschen gebracht, die ich auf meinem Weg getroffen hatte, und mich dafür mit Selbstvorwürfen gegeißelt. Doch die Vor stellung, daß jene Macht hinter mir all das billigend in Kauf genom men hatte, nur um ihr Ziel – wie auch immer es aussehen oder wo immer es liegen mochte – zu erreichen, zerriß das Menschliche, das Skrupelbehaftete in mir. Es war nicht mehr der Schmerz des Pfahls, der in mir wütete, son dern der meiner Gedanken. Und obwohl er von ganz anderer Art war, schien er mir ebenso unerträglich. Aber er betäubte mich nicht, sondern weckte vielmehr Entschlos
senheit, aus dem Mut der Verzweiflung geboren. Den Willen zum Widerstand, den das LICHT schon zweimal auszulöschen versucht hatte. Ich versuchte das, was in mir zu wachsen begann, ganz tief unter Demut und scheinbarer Schicksalsergebenheit zu verbergen. Ich wußte nicht, was die Macht, der ich meine Existenz zu verdan ken hatte, mit mir plante. Aber die Hoffnung, daß es sich bei dabei um etwas Gutes handelte, war längst gestorben. Das LICHT – oder was sich auch damit maskieren mochte – hatte sich als rücksichtslos und lebensverachtend erwiesen. Wer wußte schon, wie viele Menschen ich ins Verderben stürzen würde, wenn ich dem vorgezeichneten Weg ergeben bis zum Ende folgte? Vielleicht stand das Wohl der gesamten Menschheit auf dem Spiel? War es nicht zu rechtfertigen, ein paar wenige in den Tod zu schi cken, um Milliarden Leben zu retten? Konnte ich nicht die hundert Menschen, die mit mir im Flugzeug nach Kairo saßen, opfern, um alle anderen vor einem vielleicht un gleich schlimmeren Schicksal zu bewahren? Ich konnte nicht nur – ich mußte es tun. Und niemand würde mich dafür zur Rechenschaft ziehen können. Denn einen Flugzeugabsturz würde auch ich nicht überleben.
* Mein Plan war so simpel, daß er diese Bezeichnung kaum verdiente. »Wo wollen Sie hin? Kann ich Ihnen helfen?« Die Hand des Stewards, dessen stattliche Erscheinung in jeder an
deren Situation Wasser auf die Mühlen meiner erotischen Phantasi en gewesen wäre, hielt mich sanft zurück, als ich die schmale Tür zum Cockpit der Maschine schon beinahe erreicht hatte. »Ich wünschte, mir könnte irgend jemand helfen«, sagte ich leise, während mein Blick ihm etwas ganz anderes suggerierte. Der Glanz seiner Augen wurde stumpf. Seine Finger glitten fast zärtlich von meinem nackten Arm. Dann hatte er mich auch schon vergessen. Ich drehte den Knauf der Tür zum Cockpit und öffnete sie. Die beiden Männer in den Pilotensitzen wandten sich synchron um. »Sie müssen sich verlaufen haben, Miß«, meinte der Co-Pilot. »Nein, ich bin hier schon richtig«, erwiderte ich traurig. »Mein Weg ist hier …«
* … noch nicht zu Ende. Tue folgendes … Beth’ Finger glitten über ihr angewinkeltes Bein und berührten den Fußrücken. Sie faßten den winzigen vorstehenden Kopf des glü henden Nagels und zogen ihn unter der wächsernen Haut hervor. Auch diesen Dorn spießte sie in die Lilith-Puppe. Diesmal weder in Brust noch Rücken, sondern zwischen die Schenkel. Beth drückte den Nagel tiefer in den Körper als die beiden zuvor. Der Schmerz …
*
… füllte mich aus, als hätte jemand die Hülle meines Körpers mit kochender Lava gefüllt! Ich schrie so laut, daß ich glaubte, die Fenster müßten unter dem Ton zerbersten! Aber das geschah natürlich nicht. Der Co-Pilot war aufgesprungen und eilte auf mich zu. »Allmächtiger, was ist mit Ihnen?« rief er erschrocken. Er versuchte mich auf den Rücken zu drehen, doch der Krampf, in den mein Körper sich verwandelt hatte, war so nicht zu lösen. Wie durch einen blutigen Nebel bekam ich mit, daß der Pilot über das Bordtelefon Hilfe herbeirief. Wenig später – ich hatte jedes Zeitgefühl verloren – vernahm ich eine weitere Stimme: »Lassen Sie mich durch. Ich bin Arzt!« Gesichter trieben wie Wolken durch den Sturm, in dem ich gefan gen war. Hände berührten mich, ich fühlte mich gepackt und wie ein Bündel fortgetragen. Ich schwamm in verwundertem bis er schrockenem Raunen, als ich zwischen den Sitzreihen hindurch zum Heck der Maschine transportiert wurde. Erst als die Tür eines klei nen Erste-Hilfe-Raumes hinter mir geschlossen wurde, blieben die Stimmen zurück. »Was ist das für ein Ding, das sie in der Hand hält?« fragte eine Frau, die ich durch die Glutnebel hindurch als Stewardeß erkannte. Laßt es mir! Nehmt es mir nicht weg! wollte ich sie warnen, doch der Schmerz formte jedes Wort zu unverständlichen Schreien. »Gehen Sie ruhig hinaus, um die Passagiere zu beruhigen«, hörte ich den Mann sagen, der sich vorhin als Arzt vorgestellt hatte. »Ich komme hier schon zurecht.« »Wie Sie meinen.« Die Tür klappte zu. Der Schmerz ließ nach. Er war noch immer mörderisch, aber im
Vergleich zu der eben noch verspürten Urgewalt erschien er mir jetzt beinahe erträglich. Zumindest ertrug ich ihn, ohne weiter zu schreien. Das weiße Flammenmeer, in das ich die ganze Zeit über gestarrt hatte, versiegte. Ich erkannte endlich das Gesicht meines Helfers. Er mochte um die Fünfzig sein. Graue Strähnen ließen sein volles Haar und seinen Bart wie mit Silberfäden durchwirkt aussehen. In seinen Augen entdeckte ich neben einem väterlich-gütigen Ausdruck noch etwas anderes. Etwas, das mich den Rest des Schmerzes mit neu erwachender Kraft zurückdrängen ließ. Die Macht, die mich eben noch gequält hatte, schien den Wunsch, dem Verlangen in seinem Blick nachzugeben, gutzuheißen. Sie entließ mich aus ihrem Griff. Und ich handelte. Ich mußte den Arzt nur soweit hypnotisieren, daß er keine Fragen stellte. Alles andere tat er aus freiem Willen. »Komm zu mir«, flüsterte ich. Er verriegelte die Tür zu der kleinen Kabine, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ich legte die Agrippa beiseite und streckte die Hände nach ihm aus, doch es hätte dieser Aufforderung nicht bedurft. Er ließ sich ne ben mir nieder, drückte mich auf das Laken zurück und überschüt tete mein Gesicht mit Küssen. Gleichzeitig wanderte seine Hand über meinen Bauch und tiefer, erreichte meine Scham und begann sie durch den ›Stoff‹ des Symbionten hindurch erregt zu reiben. Kurz dachte ich daran, ihn einzulassen, aber nach dem gerade Er lebten stand mir der Sinn nicht nach Sex. Ich benötigte etwas ande res von ihm. Das unter seiner bronzefarbenen Haut in Wallung gera tene Blut schürte den Durst in mir.
»Du darfst mir auf andere Weise zu Diensten sein«, flüsterte ich und verstärkte den Griff meiner geistigen Hand. Wie ich es zuvor schon Doktor Cannakale in der Türkei befohlen hatte, hieß ich nun diesem Mann, das Skalpell aus seiner Arzttasche nehmen. In einem Schränkchen des Erste-Hilfe-Raumes fand ich ein Gefäß, das meinen Zwecken genügte. »Schneide hier«, sagte ich nur und wies auf die Pulsader seiner lin ken Hand. Der Arzt führte gehorsam den Schnitt aus. Rotes, warmes Blut quoll hervor. Ich hielt das Gefäß darunter, um es aufzufangen. Als das Behältnis voll war – ein halber Liter mochte darin sein –, half ich dem Mann, die Blutung zu stoppen. Während ich mich dann mei nem Trunk widmete, vernähte er geschickt seine eigene Wunde und verband sie. Aus dem Becher schmeckte das Blut natürlich nicht halb so gut wie frisch aus der Ader, aber es löschte wenigstens den ärgsten Durst und half mir, weitere Kraft zu finden. Ich leckte die letzten Tropfen vom Rand, ehe ich das Gefäß in der Arzttasche des Mannes verschwinden ließ. In diesem Moment versuchte jemand die Tür zu öffnen und klopfte dann. Die Zeit reichte gerade noch, um meinem Opfer die Erinnerung an das eben Geschehene zu nehmen. Dann schloß er auf und erwiderte den fragenden Blick der Stewardeß mit einem Lächeln. »Ist alles in Ordnung?« fragte sie mißtrauisch. »In bester Ordnung«, behauptete der Arzt und ging an ihr vorbei.
* Den Flughafen Heliopolis verließ ich ebenso problemlos, wie ich in
Ankara an Bord des Fluges nach Ägypten gelangt war. Per Hypnose ging ich allen lästigen Kontrollen aus dem Weg. Meinen falschen Paß englischer Staatsbürgerschaft, den mir Robert Craven hatte an fertigen lassen, hatte ich in all den Wirrnissen leider nicht mitneh men können. Jetzt lehnte ich mich in die ramponierten Polster eines unüberseh bar verkehrserprobten Taxis zurück. »Wohin darf’s gehen, Schönste des Abendlandes?« fragte mich der junge Bursche am Steuer. Ich achtete darauf, so weit zur Seite zu rut schen, daß er mich – beziehungsweise meinen verwaschenen Sche men – nicht im Rückspiegel erfassen konnte. »Nach Kairo«, entgegnete ich. »Stadtteil El-Kalifa.« Auf den zwanzig Kilometern, die zwischen dem Flughafen und der Stadt lagen, die von den Einheimischen ›Mutter aller Söhne‹ ge nannt wurde, fühlte sich mein Fahrer zum Fremdenführer berufen. Er plapperte in einem fort: was man in Kairo tat und was besser nicht, was man unbedingt sehen mußte und was man sich sparen konnte, wo man am günstigsten unterkam … Es interessierte mich keinen Deut, aber ich ließ ihn reden. Es tat gut, eine Stimme zu hören, die nicht von Dingen wie Gefahr, Tod und Bestimmung sprach. Im Verkehrsgewühl der staubigen Straßen von Kairo war fahreri sches Können nicht sehr gefragt. Viel wichtiger waren Geduld – und eine funktionierende Hupe. Das Taxi schwamm im zähen Blech strom mit, aber irgendwann kam ich zu der Überzeugung, daß ich zu Fuß mindestens doppelt so schnell am Ziel sein würde. »Ich danke dir«, hauchte ich dem Fahrer ins Ohr und strich ihm sanft über den Nacken. Dabei suggerierte ich ihm, daß meine Berüh rung mehr wert war als alles Geld der Welt, was er mir entrückt lä chelnd glaubte.
Mein rätselhaftes Mitbringsel aus der Türkei in der Hand stieg ich aus, entging nur knapp einigen Kamikaze-Fahrern und erreichte schließlich das verwinkelte Gassenlabyrinth des Stadtteils El-Kalifa. Hier, im Schutze der koptischen Mission von Pater Greorgius, würde Beth mich schon sehnsüchtig erwarten. Glaubte ich. Eine vage Ahnung von Unheil beschlich mich schon, als ich erst auf Sichtweite an die Mission heran war. Ich leugnete die Warnung meines Unterbewußtseins, indem ich mir einredete, daß meine über reizten Nerven schuld daran waren. Außerdem hatte ich ganz einfach keine Lust mehr, hinter allem und jedem eine Gefahr zu vermuten. Ich wollte nur noch eines: Beth wiedersehen, sie gesund und munter in die Arme schließen und we nigstens für ein paar Stunden vergessen, was das, was ich bislang für mein eigenes Leben gehalten hatte, noch für mich bereithielt. Ich hätte besser auf meinen Instinkt gehört …
* Galim hatte die Wunde an Schwester Christines Hals so gut ver sorgt, wie es die spärlichen Mittel hier zuließen. Dann hatte er die Frau in ihrem Bett zugedeckt, um sich Sarifs Leichnam anzuneh men. Einen Moment lang fragte er sich, weshalb der Tote, nachdem er ihm doch das Genick gebrochen hatte, nicht zu Staub zerfallen war, wie es seiner Art zueigen war. Doch noch bevor er sich wirklich fragen konnte, was es mit dem Begriff ›seine Art‹ auf sich hatte, zerstob der Gedanke. Etwas in ihm wußte, wie sich all dies verhielt, und das genügte Galim.
Er schleifte den Toten aus dem Zimmer, damit die Schwester ihren Peiniger nicht sehen mußte, wenn sie wieder zu Bewußtsein kam. In einem unratübersäten Winkel hinter der Baracke ließ Galim die Lei che einfach liegen. »Sollen sich die Ratten um dich kümmern. Du hast kein anderes Ende verdient«, zischte er. Dann kehrte er in die Mission zurück – obwohl er doch vollbracht hatte, weswegen er in der Nacht hergekommen war. Sarif war tot, sogar auf die Weise gestorben, die er ihm vorbe stimmt hatte – wie Omohid. Eigentlich gab es hier nichts mehr für ihn zu tun. Das andere, das Neue in Galim wußte es besser. Etwas würde hierherkommen, das es aus der Welt zu tilgen galt. Eines dieser Wesen, deren Ausrottung seine Aufgabe war. Er mußte die Blutsauger bekämpfen, wo immer er auf sie traf. So wie hier. Der Vampir war schon ganz nahe. Und jetzt betrat er das Gebäude! Mit einem Schrei auf den Lippen stürzte Galim sich auf den ver haßten Blutsauger – eine Bestie, die sich mit sündiger Schönheit zu tarnen suchte, deren wahre Natur er aber sofort durchschaut hatte!
* Es mochte an der Erschöpfung der beschwerlichen Reise und den Torturen liegen, die ich ausgestanden hatte, daß ich nicht sofort rea gierte. Aus den Schatten, die den Flur vor mir erfüllten, tauchte etwas
wie eine Furie auf und warf sich brüllend auf mich. Der Ägypter war zwar nicht gerade von schmächtiger Gestalt, wie ich rasch erkannte, aber die Kraft, mit der er mich ungestüm zu Bo den schleuderte, hätte ich trotzdem nicht in ihm vermutet. Keuchend schob er sich über mich. Seine Hände schnappten wie Schlangenmäuler nach meinem Hals. Ich bekam seine Handgelenke zu fassen, bevor er seine Finger um meine Kehle schließen konnte. Doch seiner ungeheuren Kraft hatte ich trotz meines vampirischen Erbes kaum etwas entgegenzusetzen. »Verdammte Bestie!« brüllte er. »Blutsauger! Dein Ende ist gekom men!« Speichel sprühte von seinen Lippen in mein Gesicht. Und tief in seinen Augen loderte wahrhaft heiliger Zorn. Als wäre es seine schicksalsgewollte Bestimmung, Wesen meiner Art zu vernichten … Ich überließ mich ganz meinen Instinkten, stemmte die Füße unter seinen Bauch und stieß ihn von mir. Wie von einem Katapult ge schleudert flog der Fremde nach hinten. Das verschaffte mir gerade eine Sekunde Pause; mehr nicht. Einem Kastenteufel gleich kam er wieder hoch, sprang mich ein weiteres Mal an und rang mich erneut zu Boden. Und diesmal ging mir ein bizarrer Gedanke durch den Sinn. Was war, wenn ich ihn einfach gewähren ließ? Ich wollte doch ster ben! Konnte er mir in der Situation, in der ich verzweifelt gefangen war, einen größeren Gefallen erweisen, als mein Genick zu brechen? Ich stellte alle Abwehr ein. »Erlöse mich«, flüsterte ich. Das Lächeln auf meinen Lippen irritierte ihn für einen Moment, dann aber schlossen sich seine Hände um meinen Hals und drück ten zu.
Da drang eine fremde Stimme an mein Ohr. »Du hast den Erlöser getötet«, sagte sie. »Stirb dafür!« Ich hörte einen dumpfen Schlag, das Knirschen zermalmter Kno chen. Blut sprenkelte mein Gesicht. Das Feuer in den Augen meines Mörders erlosch. Etwas versuchte mich aus seinem Blick zu erreichen. Wie ein Fun ke, der verzweifelt neue Nahrung suchte. Doch mich verschmähte er.
* Die Frau, deren aufgelöstes Haar von silbrigem Grau durchwoben war, stand mit hängenden Armen da. Der schwere Kandelaber, mit dem sie Galim den Schädel zertrümmert hatte, entglitt ihrer kraftlos gewordenen Hand. »Ich habe den Erlöser gerächt«, sagte sie mit fast kindlichem Stolz, der nicht zu der Leere in ihren Augen passen wollte. Erst als sie sich mir zuwandte, trat ein Ausdruck in ihren Blick, den ich aber nicht ergründen konnte. »Wer sind Sie, daß er auch Sie töten wollte?« fragte die Frau, die ihre Blöße nur unzureichend hinter einem Bettlaken verbarg. Aus ei ner Wunde an ihrem Hals floß Blut und tränkte das Tuch. »Wer ich bin?« erwiderte ich leise. »Jemand, der offenbar zum Le ben verdammt ist.« Im gleichen Maße, in dem sich die Ernüchterung in mir breitmach te, festigte sich auch der Verdacht, daß sich während meiner Abwe senheit etwas Grundlegendes in der koptischen Mission verändert haben mußte. Etwas, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Ich hatte es plötzlich sehr eilig, das Zimmer aufzusuchen, in dem ich Beth MacKinsay zurückgelassen und Pater Greorgius aufgetra gen hatte, meine Freundin gesundzupflegen und auf meine Rück kehr zu warten. Ich öffnete die Tür und …
* … Beth zog den letzten noch verbliebenen Nagel aus dem Fleisch ih res Fußes. Wie einen Stift aus reinem LICHT hielt sie ihn zwischen ihren Fingern. Sie bewegte ihn provozierend langsam, in der Gewiß heit, daß nichts und niemand sie hindern konnte, zu tun, was ihr aufgetragen worden war. Die Spitze des weißglühenden Metalls berührte die Puppe über der Nasenwurzel, genau zwischen den Augen – – und genau an dieser Stelle meines eigenen Körpers spürte auch ich die Berührung des Nagels. Das Verstehen brach wie eine Springflut in meinen Kopf. Im Grunde hätte es dazu nicht einmal des Anblicks der aus schwarzem Material geformten Figur bedurft, die mir bis aufs Haar glich. Es genügte, Beth’ Augen zu sehen. Kaltes LICHT hatte darin den Platz von Iris und Pupillen einge nommen, viel heller als das verbliebene Weiß ihrer Augäpfel. Das Leuchten ließ sie seltsam blind erscheinen. »Nein, Beth!« schrie ich. »Tu es nicht!« Wahrscheinlich hörte sie mich nicht einmal. Ich wünschte, ich hätte den Scout noch besessen, jenes Tattoo, das mir Felidae vermacht hatte. Ihn hätte ich losschicken können, um Beth zu entwaffnen oder zumindest abzulenken. Doch die schatten
hafte Fledermaus hatte mir im Dunklen Dom ihren allerletzten Dienst erwiesen, als sie die Agrippa aus dem Altarstein geholt hatte, ehe sie mit diesem mystischen Ort untergegangen war.* So gab es nichts, was ich noch tun konnte. Hinter Beth’ maskenhaft starren Zügen formte die Macht, die ih ren Körper erobert hatte, einen Ausdruck grimmiger Zufriedenheit. Und ganz zuletzt glaubte ich sogar noch, so etwas wie Belustigung dahinter zu entdecken. Dann zog das LICHT wieder an den Fäden seiner Marionette, zu der es Beth gemacht hatte. Und sie rammte den Nagel tief in den Schädel der schwarzen Fi gur. Ich versuchte mich irgendwie gegen den Schmerz zu wappnen, der diesmal noch fürchterlicher sein mußte als die Male zuvor. Aber er blieb aus. Zumindest spürte ich ihn nicht. Ich spürte – gar nichts mehr. Ich lebte, aber genauso gut hätte ich tot sein können. Ich war so wenig aus eigener Kraft in der Lage, mich zu bewegen wie die Pup pe, die Beth in Händen hielt. Das LICHT hatte meinen eigenen Willen gelähmt. Daß ich trotzdem handeln konnte, verdankte ich Beth. Sie übernahm die Führung meines Körpers. Ich durfte nur noch denken. Und das war das eigentlich Grausame an meiner neuen Lage.
* *siehe VAMPIRA 44
»Laß uns gehen.« Auch wenn es wie eine Aufforderung klang, so waren Beth’ Worte nichts anderes als ein Befehl. Ich reagierte darauf, als hätte ich meine Beine selbst veranlaßt, sich zu bewegen. Meine Finger hielten die Agrippa umschlossen, doch spüren konnte ich die rissige Oberfläche des Eies nicht. Hinter Beth trat ich aus dem Zimmer. Draußen auf dem Flur stand noch immer die Frau neben dem Er schlagenen. Ein von Wahnsinn erfülltes Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie Beth sah. »Sie sind wieder ganz gesund? Das freut mich. Ich wünsche Ihnen alles Gute!« Fast erwartete ich, daß die Macht, die Beth und nun auch mich lenkte, die Frau töten würde. Nur einfach so, weil ihr danach war … Ich war zumindest noch fähig, Erleichterung zu verspüren, daß sie es nicht tat. Offenbar mordete das LICHT nur dann, wenn es seinen Zwecken diente. Wir verließen die Baracke durch einen Hinterausgang. Etwas abseits sah ich die Leiche eines jungen Mannes liegen. Sei ner verrenkten Kopfhaltung nach konnte er nur auf eine Weise ge storben sein. Was mochte hier nur geschehen sein? Im Grunde war ich froh, es nicht zu wissen. Allein was ich wußte und selbst erlebt hatte, genügte, um das Ent setzen in meinem ferngelenkten Körper noch lange wachzuhalten. Beth streckte den Arm aus und wies auf einen japanischen Jeep ohne Verdeck. Nur Rost und das Gottvertrauen seines Besitzers schienen ihn noch zusammenzuhalten. Ob das Ding auch fuhr,
stand auf einem ganz anderen Blatt. »Steig ein«, befahl Beth mit einer Stimme, aus der das LICHT sprach. Ich gehorchte ohne eigenes Zutun. Wohin würde unsere Fahrt füh ren? Beth wandte mir den Kopf zu, und ich erkannte, daß das LICHT auch meine Gedanken kontrollierte. »Dein Weg«, erklärte sie kalt, »führt uns nach Uruk.« Ich mußte mich ans Steuer des Jeeps setzen; Beth nahm neben mir Platz. Im vierten Versuch gelang es mir, den Motor zu starten. Obwohl ich im Autofahren ungeübt war, hatte ich keine Probleme, den Geländewagen durch das Kairoer Verkehrsgewimmel zu füh ren. Hier fiel mein miserabler Fahrstil gar nicht erst auf …
* Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis wir mit dem altersschwachen Vehikel dem Zentrum der ägyptischen Hauptstadt soweit entronnen waren, daß man zumindest nicht ständig an anderen Fahrzeug ent langschrammte. Wir erreichten die Bezirke der Stadt, in die kaum ein Tourist sei nen Fuß setzte. Weil es hier nichts zu sehen gab außer der orientali schen Wirklichkeit. Die Männer, die sich im Schatten der armseligen Häuser um blubbernde Wasserpfeifen scharten, wirkten noch am idyllischsten. Weniger ansehnlich waren die verwesenden Eselsbäu che, die hier und da mitten auf der Straße lagen, plattgefahrene Hunde und nackte Katzen, deren Gestank sich mit dem Smog mischte, der anderswo entstand und sich hier niedersetzte, als gäbe es nichts, was diesen Ort noch verderben könnte.
»Dort hinein«, sagte Beth und wies auf eine enge Gasse, die von der staubigen Hauptstraße abzweigte und gerade breit genug war, um Pater Greorgius’ Jeep aufzunehmen. Als wäre sie hier aufgewachsen, lotste Beth mich durch ein Laby rinth, in dem jeder andere sich nach kürzester Zeit hoffnungslos ver fahren hätte. Schließlich ließ sie mich den Wagen irgendwo inmitten der lehm braunen und scheinbar menschenverlassenen Gegend stoppen. »Du mußt durstig sein«, erinnerte sie mich an ein Bedürfnis, das mein Körper nicht mehr zu empfinden in der Lage war. Doch Beth’ Worte schienen zu genügen, es zu wecken. Weil sie es wollte. Sie veranlaßte mich sogar zu einem roboterhaften Nicken. Ich haßte sie! Oder vielmehr das, was in sie gefahren war. Das bösartige Lächeln, das wie von unsichtbaren Fingern geformt in ihren Mundwinkeln erschien, weckte mein Mißtrauen. Doch es gab nichts, was ich hätte unternehmen können, um das Geschehen abzuwenden. Und fast kam es mir so vor, als würde die Macht in Beth den Ver dacht, der tief in mir keimte, noch schüren. »Geh voraus«, wies sie mich an. Ich schwang die Beine aus dem Jeep und schritt vor Beth her auf eines der einstöckigen Lehmgebäude zu. Meine ›Freundin‹ schob mich unsanft durch die Türöffnung in das schattige Halbdunkel da hinter. Eine Weile geschah nichts. Dann hörte ich Geräusche von dort, wo die Schatten vollends zu Dunkelheit gerannen, und einen Moment später trat ein Junge auf
uns zu. Er konnte nicht älter als fünfzehn Jahre sein, auch wenn der Aus druck in seinem schmalen Gesicht etwas anderes vortäuschen moch te. Plötzlich wußte ich, wozu Beth mich zwingen würde. Und viel leicht wäre ich ihr ungeachtet der Tatsache, daß ihr Körper nur tat, was das LICHT ihm auftrug, an die Gurgel gegangen, wenn ich auch nur das kleinste Glied hätte rühren können. Das Geschöpf, das wie Beth aussah, erlaubte mir nicht einmal, dem Jungen seine Angst zu nehmen. »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?« Auch seine Fragen blieben unbeantwortet. Der Gewalt, zu der Beth mich trieb, hatte der Junge nichts entge genzusetzen. Roh stieß ich seinen schmalen Körper auf den festge stampften Lehmboden und warf mich mit einer animalischen Wild heit auf ihn, die ich mir bisher verboten hatte. Das Ungeheuerliche in meinen Zügen brachte wenigstens den Nutzen, daß der Junge vor Schreck wie gelähmt dalag und vielleicht nicht wirklich bewußt mitbekam, was ich ihm antat. Ohne daß ich es wollte, waren meine Eckzähne gewachsen. Ich senkte sie nicht in die Ader, sondern hieb sie hinein, als gelte es, durch Beton zu beißen. Ich trank. Doch ich saugte längst nicht alles aus, was an Blut in dem Jungen war. Der geringe Verlust hätte ihn nicht getötet. Doch sein Schicksal war bereits beschlossen. »Töte ihn«, befahl Beth mitleidlos. Unter dem Willen, den sie mir aufzwang, legten sich meine Hände um den Kopf des Jungen und brachen ihm das Genick.
Im allerletzten Moment seines Lebens schien er doch noch zu be greifen, was ihm da widerfuhr. Die in seinen Augen erstarrte Anklage verfolgte mich noch, als wir Ägypten im Flugzeug hinter uns ließen. ENDE
Der bittere Kelch von Adrian Doyle Aller Widerstand hilft Lilith nicht. Einer Marionette gleich, ohne Kontrolle über ihren Körper, muß sie Beth gehorchen – oder viel mehr der fremden Macht in Beth. Ihrer beider Weg endet in Uruk, bei dem Korridor durch die Zei ten. Hier also soll Lilith aus dem Lilienkelch trinken, soll sich ihrer wahren Bestimmung bewußt werden – und alle Menschlichkeit ver lieren! Es wird eine neue Lilith sein, die aus dem Kelchritual hervorgeht. Eine Lilith, die nach dem Willen des LICHTS lebt und handelt. Eine Vampirin ohne Moralvorstellungen und Gewissen …