Sämtliche Reden (Die Bibliothek der Alten Welt. Griechische Reihe)

DIE BIBLIOTHEK DER ALTEN WELT BEGRÜNDET VON I (7. 263. 287, 4>' ZALEUKOS, lokrischer Gesetzgeber,7H 86r ZENON, Gründ...

Author: Dion Chrysostomos; Winfried Elliger (Übers.)

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DIE BIBLIOTHEK DER ALTEN WELT

BEGRÜNDET VON I
MCMLXV[[

GRIECHISCHE REIHE

DIESER BAND WURDE HERAUSGEGEBEN VON WALTER RÜEGG

DION CHRYSOSTOMOS SÄMTLICHE REDEN

EINGELEITET, ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT VON WINFRIED ELLIGER

ARTEMIS VERLAG ZÜRICH UNDSTUTTGART

© 1967. ARTEMIS VERLAGS-AG· ZÜRICH SATZ UND DRUCK: BENTELl AG· BERN-BÜMPLIZ PRINTED IN SWITZERLAND

EINLEITUNG

EINLEITUNG

Als Synesios von Kyrene, der Neuplatoniker und spätere Bischof seiner 17aterstadt, die Geburt seines ersten Sohnes erwartete, verfaßte er eine kleine Schrift mit dem Titel «Dion Chrysostomos oder 170m Leben nach seinem 17orbild». In den einleitenden Kapiteln würdigt er die beiden Seiten von Dions Wesen, den sophistischen Rhetor und den politischen Philosophen,preist den sittlichen Ernst der Gedanken, die Originalität der Einfälle, die Schlagfertigkeit, die Mäßigung im Ausdruck; selbst die Spielereien könnten das ermthafte Anliegen Diom nicht verleugnen. Der ganze Ahschtlitt schließt mit den Worten: «Das war es, was ich über Dion meinem zukünftigen Sohne sagen wollte. Ich kam darauf, weil mir gerade, während ich seine verschiedenen Reden las, die Prophezeiung zuteil wurde . Wirklich fühle ich mich schon als 17ater und mächte mit meinem Sohn zusammen sein und ihn belehren über die Gedanken, die mir bei jedem einzelnen Schriftsteller und Buch kommen. Ich möchte ihm meine Lieblingsautoren vorstellen, jeden mit der passenden Beurteilung. Unter ihnen soll auch Dion von Prusa sein, der hervorragende Redner und Denker. Mit diesem Lob gebe ich ihn in die Hand meines Sohnes, damit er mir nach den 17ertretern der echten Philosophie einmal auch die politischen Schriften Diom zu ehren beginnt. Er soll sie als ZWischemtuJe zwischen dem Elementarunterricht und der Erziehung in den höchsten Wahrheiten betrachten I.» Freilich konnte Dion den hohen Rang, den ihm Synesios um die Wende vom 4. zum 5. 1ahrhundert zuteilte, aufdie Dauer nicht behaupten und teilte damit das Schicksal zahlreicher anderer antiker Autoren. Nachdem er lange Zeit neben Xenophon als Klassiker des einfachen Stils in Geltung gewesen und von den Rhetoren immer wieder studiert worden war, blieb er bis in die byzantinische Zeit hinein wirksam und wurde noch im lo.1ahrhundert von Arethas, dem Erzbischof von Caesarea,

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mit Scholien, also erläuternden Anmerkungen, versehen. Erst im14. 'Jahrhundert verblaßte sein Stern, und seither geriet Dion in Vergessenheit. Höchstens an der Peripherie philologischer Bemühungen fristete er noch ein bescheidenes Dasein. Heute, da sich die Maßstäbe grundlegend geändert haben und man dazu neigt, ein geistiges Phänomen nicht nur nach seinem - oft nicht einmal beweisbaren - absoluten Wert, sondern gerade in seiner historischen Bedingtheit und Besonderheit zu würdigen, könnte sich ein Wandel anbahnen. Nun wird man mit einer umwälzenden DionRenaissance vorläufig kaum rechnen können. Immerhin mag diese Übersetzung von Dions Reden - es ist die erste vollständige in deutscher Sprache - zur Wiederentdeckung des antiken Autors beitragen und ihn einem Schicksal entreißen, das er nicht verdient hat. Um Wesen und Bedeutung dieser interessanten Erscheinung richtig einzuschätzen, wird man gut daran tun, sich die geistigen Hintergründe zu vergegenwiirtigen, die Dions Werk mitbestimmt haben, vor denen es sich zugleich aber auch in klarert Konturen abhebt. Die Zeit Es istjene Zeit, in der der ur/geheure geistige Schwung, der das Griechentum, aber auch noch den Hellenismus beflügelte, zum Erliegen gekommen, die schöpferische Kraft, die mit dem Siegel der Originalitiit und Einmaligkeit immer Neues schaffte, erlahmt ist. ob man die Literatur, die Kunst oder die Wissenschaft ins Auge faßt, überall bietet sich das gleiche Bild: Neue Wege werden nicht beschritten, es wird kein Neuland mehr erobert. Statt dessen ist man bemüht, das Alte zu bewahren undeine Folge des zu unübersehbarer Fülle angestiegC11cn Wissens - zu systematisieren oder, wie etwa in der Medizin, sich zu spezialisieren. Typisch dafür sind die in dieser Epoche aufkommenden Encheiridia, kleine Handbücher, in denen ctwa die Haupt/ehren einzelner philosophischer Systeme zusammengestellt oder sonstige Trissensgebiete in kurzen Auszügen zusammengefaßt waren. Aber auch die großcn Werke beschränken sich aufeine mehr oder weniger systematische Erfassung des vorhandenen Wissens. Strabon,dessen umfangreiche Geographie uns größtenteils

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erhaltert ist, kannte nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der heschriehenen Länder aus eigener Anschauung; um so sorgfältiger henutzte er die vorhandene Literatur. Diodor aus Sizilien vcrfaßte eine Weltgeschichte in vierzig Büchern von den Anfängen der Welt his zu Caesars Krieg in Gallien. "/as dahei herauskam, ist durchaus keine eigenständige Leistung, sondern nur cine allerdings recht geschickte Kompilation von Berichten älterer Historiker. Auch die um einiges jüngere Gestalt des großen Astronomen Ptolemaios ist fir den Geist der Zeit kennzeichnend. Sein Lehenswerk hedeutet die grandiose Zusammenfassung der gesamten astronomischerI Kenntnisse des Altertums, zugleich aher auch die Wiedereinführung der hereits üherwundenen Lehre vom geozentrischen Weltsystem. Blättert man in der griechischen Literaturgeschichte nach engeren Zeitgenossen Dions, ist die Ausheute fast erschreckend spärlich. Nur zwei hekannte Namen wird man findert, den des Epiktet, der ührigens mit Dion das Schicksal der Verhannung unter Domitian teilte, und den des Plutarch. Der erste ricf im Rückgriffauf die alte Stoa, oft mit überraschenden, aher im Geist dcr Zeit liegenden Anklängen an christliche Gedankm, zu einem neuen, art den wahren Trerten orientierten Leben auf Der andere hehandelte in seinen philosophischett Traktatert vorwiegend Fragen der praktischen Ethik, und auch in seinem Geschichtswerk, den herühmten Parallclhiographien, in denell ein Römer rlehm einen entsprechenden Griechen gestellt wird, ist der Trille zu moralischer Belehrung stark spürhar. Die griechische Dichtung ist in den heiden ersten nachchristlichen 1ahrhunderten so gut wie gar nicht vertreten. Nicht nur stand sie im Schattcn der nunmehr weit bedeutertderen lateinischen Dichtung; auch die Vorliebe für die sophistischen Tranderredner, die sich üher jedes heliebige Thema verhreitert konrlten und sich eines ungeahnten Zulaufs erfreuten - Dion seihst ist wohl das beste Beispiel dafür -, heschnitt der Dichtung dert Lehemraum. Nur in spärlich besuchten Vorlesurtgen fristete sie noch ein kümmerliches Dasein, wie man hei dem jüngeren Plinius (Briefe 113) nachleserl mag.

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Nicht der Drang ill die Tiefe, der Drang in die Breite hestimmt diere Zeit. Diatrihen (s.S. XIX), Protreptikoi, dar heißt Aufrufe zur Beschäftigung mit der Philosophie, Trortschriften und die hereitr erwähnten Encheiridien, dar rind die literarischen Formen, die jetzt weite Yerhreitung finderl. Sie richten rich gerade an den Durchrchnittrhürger, nicht an die dünne Schicht der eigentlich Gebildeten. Jetzt errt bildet rich, durch die enge Nachharrchaft pon Philosophie und Rhetorik hegünrtigt, eine eigentliche Popularphilorophie. Der einzelne Memch, der nach der Auflörung der alten griechirchen Polir im Hellenirmur, dem ZeitalteI' zwirchen dem Tod Alexanderr der Großen und Chrirti Gehurt, an die Stelle der Polirbürgerr getreten war,fühlt rich alr Kormopolit,für den Stadt und Staat nur noch hegrmzter 11Iteresre haben, zugleich aher auch - und das irt die notwendige Kehrseite dieres Kormopolitirmur - alr Indipidualist mit einem aurgeprägten Streben nach persönlichem Glück. Dazu den Weg zu weifen wird die immer dringlichere Aufgahe der philosophie. So erklärt er rich, daß die naturphilosophischen, erkenntnirtheoreti rchen und metaphysirchen Probleme eitles Platon und Aristoteler durch Fragen der praktischen Lehemführung in den Hintergrund gedrängt werden und neue Syrteme, por allem Stoizismur und Epikureismus, entrtehen. Zwar werftri sie die alten Fragen nicht einfach üher Bord, aher in erster Linie ruchen rie Antwort für die ganz persönlichen Probleme der einzelnen. Daß hesonderr die stoirche Lehre, wenn auch, wie das Beispiel Epiktets zeigt, mit leicht kynirchem Eimchlag, noch in der Kairerzeit florierte und in Männern wie Seneca und Marc Aurel überzeugte Anhänger fand, heweist den Forthertand der memchlichen Grundstrebem rlach eigenem Glück, innerer Ruhe und Unahhängigkeit. Die gerade um diese Zeit heronderr rtark zu heobachtende Wendung der philorophischen Dertkem inr Myrtirch-Religiöre, die richer nicht nur aur der wachsenden Bekanntschaft mit den Religionen der Drtem zu erklären irt,fügt sich gut irl dierer Bild einer allgemeinen inneren Umicherheit und Sehmucht nach perrönlicher Heilrerfahrung. Noch war man pon der Theologie der Neuplatoniker des 3.nachchrirtlichen Jahrhundertr weit entfernt, aber er fehlt nicht an Zeichen, die diere Entwicklung bereits ahnen larren. So

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ist das hervorstechendste Merkmal der hetrachteten Epoche ihre Uneinheitlichkeit,ja in manchem ihre Gegensiit'Zlichkeit. Nehen dem Willen, das Alte 'Zu erhalten und 'Zu verarheiten, steht der Wunsch nach eigener glückhafter Erfahrung; platonisches, aristotelisches, stoisches Gedankengut vermischt sich mit Mysterientraditionen, die Wissenschaft, die mit dem üherkommenen schweren Erhe fertig 'Zu werden sucht, scheint sich mit der in die Zukunft gewandten, stark religiös gefärhten Haltung durchaus 'Zu vertragert. Das Lehm In diese Zeit hinein, die geistig alle Zeichen des Übergangs trägt, wurde um das 'Jahr 40 n. Chr. Dion ge horen. Seine Gehurtsstadt ist Prusa in Bithyniert, einer Landschaft im nordwestlichen Kleinasien, die seit 73 v. Chr. römische Provin'Z war. Es lag nahe an der Propontis, dem heutigen Marmarameer, und war eine kleine, unbedeutende Stadt, die an Geltung und Ansehen hinter ihren Nachharstädten Nikomedeia, Nikaia, Apameia weit 'Zurückstand und ihre große Zeit erst viele 'Jahrhunderte später als das osmanisch-türkische Brussa erlehte. Mit Ausnahme der 'Zulet'Zt genannten, einer römischen Bürgerkolonie, waren sie abhängig VOtt einem römischen Statthalter. Nur auf dem Gebiet der Verwaltung gah es eine gewisse Selhständigkeit, aber der Lokalpatriotismus der untereinander rivalisierenden Städte, von dem die einschlägigen RedetlDions ein anschauliches Bild entwerfen, vereitelte gemeinsame Schritte, die Erfolg versprochett hätten. So kantt Dion wohl von Privilegien berichten, die er in Rom durchgeset'Zt hat, aher sie gelten ehen nur for seine Vaterstadt. Da'Zu kam der schroffe Gegensat'Z von arm und reich, der sich hei der im allgemeinen zerrütteten Finanzlage der Städte hesonders kraß aUS71Jirkte. Die ßrotpreise hrauchten nur 'Zu steigen, und schon machte sich der Haß des Proletariats aufdie besit'Zende Klasse in wütenden Aushrüchen Luft - man lese nur die 46. Rede. Über die wichtigstert Ereignisse in Dions Leben gehen uns seine eigenm, besonders die bithynischett Reden den hesten Aufschluß, auch wenn sich die zahlreichen Außeru1tgen nicht hruchlos 'tusammettfügen lassen

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und manches unklar bleibt. Die Familie", aus der Dion stammte, gehörte zu den angesehensten und begütertsten in Prusa. Sie hatte sich durch reiche Spenden große Verdienste um die Stadt erworben. Vor allem der Großvater mütterlicherseits muß eine überragende Rolle gespielt haben; wie Dions Vater war er Ratsvorsteher. So dürfte es Dion nicht schwergefallen sein, das Bürgerrecht von Apameia und damit wohl auch das römische Bürgerrecht 3 zu erwerben. Allerdings nützte ihm das Vermögen der Familie dabei nur wenig, denn sein Vater war viel zu uneigennützig, als daß er ein guter Geschäftsmann hätte sein könnert. Bei seinem Tode stellte sich heraus, daß der immer noch ansehnliche Besitz an Boden und Häusern mit schwerm Schulden belastet war. Dion, der sich mit seinen Geschwistern in das Erbe teilte, konnte erst nach mehreren Jahren seinen Schuldenanteil tilgen. Trotzdem dürfte er noch zu den reichsten Bürgern gezählt haben. Von Dions geistigem Werdegang wissen wir nichts,jedoch dürfen wir auf Grund der Stellung seiner Familie und seiner eigenen Begabung annehmen, daß er eine Bildung nach dem damals geltenden Kanon bekommen hat, daß er sich also nach dem Grundstudium der Grammatik mit Dialektik und Rhetorik und wohl auch schon mit Philosophie befaßt hat. Der ausgebildete und über alle Mittel verfügende Redner war das Ideal der Zeit, wie es die sogenannte Zweite Sophistik wieder herausgestellt hatte 4 • Zwar waren die drei Komponenten des altgriechischen Bildungsgedankens, das Geistige, das ;isthetische und das Praktische, auch in diesem Ideal noch enthalten, aber das Verhältnis hatte sich verschoben. philosophie spielte eine untergeordnete Rolle, und auch die praktische Verwertung des eigenen Kiirmens vor Gericht und in der Politik war nicht das letzte Ziel. Zurschaustellung der eigenen Persö·nlichkeit und des eigenen Wissens mit der Absicht, den Hörern zu gefallen und ihnen zu imponieren, das war der TYunschtraum dieser Sophisten, die Dion selbst einmal unter dem Bild des eitel sein Gefieder spreizenden Pfaus geschildert hat (12, 2f). Daß Dion schon in dieser Zeit ausgedehnte Reisen unternommen hat, ist mit Sicherheit anzunehmen, unter anderem auch nach Rom, wo er mit Vespasian oder Titus persönliche Bekanntschaft schloß

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und wahrscheinlich auch schon M. Cocceius Nerva, dem spa'teren Kaiser, der ihn aus der Verbannung zurückholte, begegnet ist. Damit ist das Ereignis genannt, das am härtesten und entscheidendsten in Dions Leben eingegriffen und es von Grund auf umgestaltet hat. So unklar manche a'ußere Einzelheit bleibt, so deutlich zeichnen sich die Spuren dieser gewaltsamen Erschütterung im T-Verk ab. Wieder ist es· Dion selbst, der uns die beste und trotzdem noch recht verschwommene Auskunft gibt. In der Einleitung zur 13. Rede - sie hat als entscheidendes Dokument für Dions Verbannung zu gelten - spricht er von der Freundschaft zu einem den höchsten Kreisen nahestehenden Manne, die ihm die Verbannung eingetragen habe. Daß mit dem « Despoten» Domitian gemeint ist, daran kann kein Zweifel bestehen, wer dagegen der zum Tode verurteilte Freund Dions ist, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Vieles spricht für T. Flavius Sabinus, einen Vetter und schwager Domitians, der nach dem Zeugnis Suetons im lahre 82 hingerichtet wurde, möglicherweise, damit Domitian die Frau des Toten heiraten konnte. Da Dions Verbannung mit dem Regierungsantritt Kaiser Nervas im lahre 96 endete (45,2), dürfte sie insgesamt vierzehn lahre gedauert haben, eine Zeitspanne, die zu den übrigen Angaben Dions gut paßt. Die Verbannung erstreckte sich natürlich nicht auf das ganze römische Imperium, sondern nur auf Rom und Italien und, wie aus dem Anfang der 19. Rede hervorgeht, aufseine Heimat Bithynien. In diesen lahren führte er ein unruhiges Wanderlebett, zog VOll Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Zwar scheint es nicht an Einladungen verschiedener Städte, zu bleiben und sein Wissen in den DietISt der Stadt zu stellen, gefehlt zu haben (44,6). Aber im allgemeinen hielt es Dion wohl für geratener, sich nicht allzulange in den Städten aufzuhalten. Lieber lebte er inkognito in der armseligen Aufmachung eines Bettlers «unter Hirten und lägern, ehrbaren Leuten mit einfachen Sitten» (1,51) meist ohne Obdach, arm, verlassen und mittellos, VOll den Entbehrungen und Strapazen allmählich aufgezehrt. Nicht ohne Selbstironie, aber auch nicht ohne einen gewissen Stolz spricht Dion immer wieder von seinem Vagabundendasein, worein sich später auch die Klagen über seinen

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schlechten Gesundheitszustand mischen. Als Spiegelung eines solch persönlichen Erlebnisses können wir auch die berühmte «Euböische Idylle» betrachten, sicher das schönste Zeugnis der inzwischen erwachten Yorliebe für das einfache, ursprüngliche Leben fern jeder ungesundetl und überspanttten Zivilisation. Diese Yorliebe war es gewiß auch, die ihn zu der Exkursion ins Land der Geten veranlaßte. Der allgemein unter dem Namen «Daker» bekannte thrakische Yolksstamm hatte zur Zeit Domitians zwei römische Heere geschlagetl und so die Aufmerksamkeit aufsieh gelenkt. Mehr allerdings mag Dion seine unverbrauchte und unverbildete Kraft angezogen haben, und so schrieb er,fast in der Attitüde eines skeptischen Kulturkritikers, die (leider nicht erhaltene) Geschichte dieses Naturvolkes 5 • In dieser Hinwendurig zu einem kynischer Lebensanschauung nahestehenden Ideal liegt der geistige Ertrag der Yerbannungszeit. Synesios, und im Anschluß an ihn zum Teil auch die neuere Forschung, sieht in ihr den entscheidenden Einschnitt in Dions Entwicklung: 'Jetzt wird aus dem sophistischen Rhetor der Philosoph stoisch-kynischer Prägung, aus dem prunkenden Schausteller der Moralist und Erzieher. So wäre denn die Hinwendung zum Kynismus ohne Schwierigkeiten aus dem eigmstetl Erleben Dions zu erklären, ja fast erscheint sie - wohl oder übel- als dessen notwendige Folge, und es gibt eirle Anzahl Reden, darunter die naturgemäß in besonders starkem Maße kynisch gefärbten Diogenes-Reden (6,8,9,10), die nach der Radikalität ihrer Äußerungen urld dem Habitus des Redners eiger/tlich nur zur Zeit der Yerbannung denkbar sind. Die Frage ist nur, ob dieser Kynismus nicht lediglich eine durch die außergewöhnlichen Lebensumstände hervorgerufene Sonderform der stoischen Grundhaltung ist. Denn nach der allgemeinerI AmUlhme war Dion schon früher von Musonius, dem damals führenden Stoiker in Rom, für die stoische Lehre gewonrlen worden 6 • Der durch die Yerbantlung markierte Einschnitt wäre also nicht ganz so groß, den «Philosophen» Dion hätte es auch vorher schon gegeben, rlur ebetl nicht in dieser ausgesprochen kynischen Priigung. Man darf wohl antJehmen, daß Dions ernsthafter Natur die philosophische Betrachturtgsweise vorl Anfang an ver-

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traut gewesen ist, und ethisch-philosophisches Engagement braucht gelegentliche rhetorische Spielerei keineswegs auszuschließen. Deshalb wird man sich hüten, die in Dions Werk ohne Zweifel klar zu unterscheidenden Richtungen streng und ausschließlich bestimmten Epochen in seinem Leben zuzuweisen und aus ihrer Aufeinanderfolge eine bestimmte Erttwicklung des Autors zu erschließen. In gewissen Grenzen ist dasfreilich möglich, aber zwingend beweisen läßt sich so gut wie nichts. Die Nachricht vom Tod Domitians erreichte Diolt wahrscheittlich im Standlager der römischen Legionen an der unteren Donau, wo er sich gerade, in unmittelbarer Nachbarschaft der Daker, aufhielt. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück. Die 44. Rede könnte gut bei seinem Empfang gehalten worden sein. Die am Scbluß erwähnte Korresponden·z, mit Nerva weist aufsein gutes Verhältnis zum neuen Kaiser, wenn ihn auch eine Krankheit von der geplanten Reise nach Rom - jetzt sicher in offizieller Mission-abhielt(45,2). Da Ne/'va bereits im Jahre 98 starb, konnten die TFünsche, die Prusa seit langem hegte, erst von seinem Nacbfolger Traian gewährt werden. Wie wir aus der 40. und 45. Rede entnehmen, erreichte Dion in Rom die Genehmigungfür einen Rat von nunmehr hundert Ratsleuten und vor allem eigene Gerichtsbarkeit, Dinge, die zum Wohlstand und Ansehen der Stadt erheblich beitrugen. Freilich zeugen beide Reden auch von den Anfeindungen, denen Dion bald ausgesetzt war. Es muß in Prusa eine starke Opposition gegeben haben, die mit dem von Dion Erreichten nicht zufrieden war. Offen zum Ausbruch kam der Unwille aber bei anderer Gelegenheit. Dion hatte Pläne zur Verschönerung der Stadt vorgelegt, die in der Volksversammlung zunächst begeistert aufgegriffen worden waren? Bald aber regten sich TJ?iderstände, teils aus persönlichen, teils aus finanziellen Gründen, denn die Bauvorbaben mußtm von reichm Prusanern selbstfinanziert werden. Dabei hatte sich die Stadt wohl etwas übernommen. Wie aus der 48. Rede hervorgeht, mußte der Prokonsul als Friedensstifter angerufen werden, damit die ausstehenden Spertden eingetrieben werden konnten. In den Reden dieser Gruppe häufen sich dunkle Anspielungm, daß Dion Prusa bald verlassen werde, und aus diesem Grund lehnte er auch das ihm angetra-

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gene Archontenamt ab 8 • Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Traian den hochgeschätzten Freund hatte rufen lassen und ihn so aus seiner unerfreulichen Lage in Prusa befreite. Aus dieser letzten Lebmsperiode DiotlS gibt es wenige direkte Zeugr/isse. Abgesehen VOll einem Pliniusbrief(s. u.) sind wir auf Vermutungen angewiesen. Dion, der sich darüber beklagt, es nur «mit kleinen und unrühmlichen Dingen» zu tun zu haben (47,1), wird die Einladurig um so bereitwilliger angenommen haben, als sie ihm ein neues und viel weiteres Betätigungsfeld, als das kleine Prusa zu bieten hatte, versprach. So wäre, was ihm sein fiktiver Berater - Diom eigener IVunschtraumin Prusa empfohlen batte, in Erfüllung gegangen: Freisein von den kleinlichen Geschäften und Händeln der Stadt und das Zusammenleben mit dem kaiserlichen Freurld (47,20 ff.). Für den von 1ahr zu 1ahr vertrauter werdenden Umgang mit ihm sind die jhm gewidmeten Reden über die Kiinigsherrschaft ein schönes Zeugnis. Auch die übrigen Reden, die aller Wahrscheinlichkeit nach dieser Periode angeho'ren, zeigen Dion auf der Höhe seiner Meisterschaft. Es sind vor allem die großangelegten Reden, die er in Rhodos, Alexandreia, Tarsos und Kelainai gehalten hat: eine großartige Synthese der in den früheren Phasen vorherrschenden Tendenzen und Stilrichturtgen, der rhetorische Zauberkünstler, der kulturfeindliche Wanderprediger und der praktische Stadtpolitiker schließen sich zur Einheit zusammen. Wie wir aus der berühmten Olympischert Rede entnehmen können (12,16ff), begleitete Dion den Kaiser im römische Feldlager an der Donau, wo ein neuer Schlag gegen die Daker vorbereitet wurde, und begab sich dann aufdem kürzesten Weg nach Olympia, um dort seine Amprache zu halten 9. Das letzte Zeugnis über Dions Leben ist der Briefwechsel zwischen Traiall und Plinius dem 1üngeren 10, der im 1ahre 110 oder 111 Statthalter VOll Bithynien geworden war. Um diese Zeit treffen wir Dion wieder in Prusa. Gattin und Sohn waren gestorben, aber die alten Zwistigkeiten lebten weiter. Wegen des seinerzeit mit soviel Optimismus begonnenen Bauvorhabens forderten seine Feinde Rechenschaft von ihm, dazu kam eine -wie sich herausstellte, nicht stichhaltige - Klage wegen Maje-

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stätsbeleidigung. Wiihrend Diort nun sofort zur Verantwortung bereit war, zögerten seine Kläger den Prozeß hinaus, bis Traian schließlich die Anklage wegen Majestiitsbeleidigung abwies und nur die Rechenschaf'tsahlage Dions verlangte. Danach verliert sich in der überlieferung die Spur von Dions Leben. Wie sein Geburtsjahr ist auch sein Todesjahr nicht überliefert. Man nimmt allgemein an, daß er um das Jahr 120 gestorben ist. Das Werk Wenden wir uns nun Dions Werk zu, genauer, den achtzig erhaltenen Reden; denn die beiden großen Geschichtswerke überAlexander den Großen und die Geten sind ebenso wie einige philosophische Abhandlungen und mehrere Jugendschriften verlorengegangen. Wenn wir im folgenden die Reden zu verschiedenen Gruppen zusammenfassen, bedeutet das nicht eine Ordnung im chronologischen Sinn, sondern nach inhaltlichen und vor allem formalen Kritel"ien. Daß Akzentverschiebungen stattgefunden haben, ist nur natürlich, aber die Anhaltspunkte reichen nicht aus, einer bestimmten Lebensphase eine bestimmte Gruppe von Reden zuzuordnen, ganz abgesehen davon, daß ein solches Verfahren der Vielseitigkeit Dions nicht gerecht würde und auch kaum dem Gesetz des Lebens entspräche. Dion hat keine «Bekehrung» an sich erfahren, weder vom Rhetor zum Philosophen noch vom Kyniker zum Stoiker oder glühenden Patrioten. Eher ist er das alles in einem. Zunächst sind zwei Reden, «An die Korinther» und «Vom Glück» (2), also die 37. und 64., als unecht auszuscheiden. Sie werden heute allgemein Favorinus zugeschrieben,jenem Popularphilosophen undSchüler Dions, der in unterhaltsamer Weise seilt enzyklopädisches Wissen feilbot". Das geradezu alberne Prunken mit den eigenen Kenntnissen ul1d die den Zusammenhang immer wieder sprengenden ausgedehnten Exkurse über alle möglichen Raritäten machen diese Reden fast ungenießbar. Zur ersten Gruppe schließen sich eine Anzahl von Reden leicht spielerischen, zuweilen auch sophistischen Charakters zusammen. Sie sind nicht sehr zahlreich, aber wir wissen, daß Dion auch etwa ein Preislied auf

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einen Papagei, ein anderes auf eine Mücke geschrieben hat. Das bei Synesios erhaltene Enkomion aufdas Haar (s. Anhang) kann uns eine plastische Vorstellung von diese11. mehr oder weniger scherzhaftenSpielereiert geben. Als ausgesprochen rhetorische Übul~g, wie sie in den RednerschuIm gepjlegt wurde,hat die Paraphrase des euripideischen Philoktetprologs (59) zu gelten, ebenso die Synkrisis, das heißt der kritische Vergleich der drei philoktete (52). Es ist eine der bedeutendstettliterarkritischen Abhandlungen des Altertums mit außerordentlich treffenden und im wesentlichen bis heute gültig gebliebenen Urteilen über stil- und Wesensmerkmale der drei großen Tragiker. In den andren Reden mit literarischen Themen (53-61) handelt es sich jedesmal um eine eng umgrenzte Aufgabe, die mit Scharfsinn nach Prüfung eventueller Einwände einer Lösung zugeführt wird. In den beiden Melankomas-Reden (28 und 29) ist das gleiche Thema unter Verwertdung derselben Motive einmal dialogisch und gerafft, dann monologisch und weit ausladend angefaßt. Und schließlich muß die 11. Rede genarmt werden, das Unikum der ganzen Sammlung: Dion versucht zu beweisen, daß Troia von den Griechen niemals erobert worden ist. Die Rede hat die Philologie vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt: Wie vertragen sich die heftigen Angriffe gegen Homer mit der überall sonst zu beobachtenden Verehrung gerade dieses Dichters? Der scheinbare Widerspruch läßt sich nur beheben, wenn man die Rede so nimmt, wie sie aller Wahrscheinlichkeit nach gedacht war, nämlich nicht als ein Kapitel ernsthafter Homer-Kritik, sortderrt als willkommene Gelegenheit, solide Dichterkenntnis, Geist, Scharfsinn und Fertigkeit im Jonglieren mit Argumertten unter Beweis zu stellen. Wie bei den anderen Reden deI' Gruppe kommt es bei diesem «epideiktischen» Genus nicht so sehr auf die Sache als aufden Nachweis der eigenen Fähigkeit an. Und was konnte fir ein derartiges Paradestück geeigneter sein, als ein allgemein bekanntes, von keinem bestrittenes Faktum einfach auf den Kopf zu stellen? «Unmöglich», «unglaubwürdig», «widersprüchlich», «unpassend», das sind die Kategorien, nach denen Homers Dichtung hier beurteilt wird und die in der griechischen Rhetorik bei der Widerlegung der Argummte eines Gegners in der soge-

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nannten atlaskeue eine wichtige Rolle gespielt haben. Der Troikos wäre also am ehesten als eine Verbindung von anaskeue und epideiktischer Rede anzusehm 12. Wichtiger undfür Dion weit charakteristischer ist die zweite Gruppe, die sogenannten Diatriben. Es ist dies eine Literaturform, die Ilach dem Ausklang der klassischen griechischen Philosophie im 3. 'Jahrhundert aufkam und vor allem von den kynischen Wanderpredigern, als deren später Nachfahre ja auch Dion zu gelten hat, gepflegt wurde. Man hielt sie für die geeignete Form, moralphilosophische Lehren an den Mann 'Zu bringen. Um die Massen anzulocken, bedurfte es natürlich einer ganzen Anzahl zum Teil recht greller Mittel: AtJekdoten, Wortspiele und drastische Witze gehören gmauso dazu wie Ehtwürfe und Fragen, die Anrede eines fiktivm Gegners und der abgehackte Stil, der kurze parataktische Glieder bevorzugt 13 • Die Kapuzinerpredigt aus «Wallensteins Lager» gibt vielleicht das beste Bild einer solchen Rede, bei der es naturgemäß im Gegensatz 'Zur ersten Gruppe um die Sache, um eine möglichst große moralische, nicht ästhetische Wirkung geht und die formale Durcharbeitung gleichgültig ist. Die Gattung greift Dion auf, aber wie es bei einem Mann VOtt seinem Geschmack und ästhetischen Vermögen nicht anders sein kann, werden daraus unter seiner Hand nicht immer, aber häufig Gebilde, die auf künstlerischen Rang Anspruch erheben dürfen. Dion hat damit, die Maßstäbe volkstümlicher Beredsamkeit weit hinter sich lassend, die Kunstdiatribe geschaffen. Freilich ist auch bei ihm manches unvollkommm, manches sicher auch unvollendet, wobei unklar bleibt, was auf Dions und was auf Kosten der Überlieferung geht. So hat matJ hier und da den Eindruck, als ob eine private Auf 'Zeichnung eines Dion-Gespräches vorliege; zahlreiche Dubletten lassert an eine spätere ÜberarbeitutJg der/km, die aber der Rede trotzdem noch nicht ihre endgültige Gestalt 'Zu gebm vermochte; und schließlich sind Anfang und Ende matlcher Rede derart abrupt, daß man sie nur schwer für ein Ganzes wird halten wollen. 'Jedoch ist im letzten Fall durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß dieser Effekt volle Absicht ist, denn die Technik, Anfartg 1md Ende mehr zufällig 'Zu setzen, gehört

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zum Stil der Diatribe und soll dazu dienen, das Gespräch ganz natürlich und alltäglich erscheinen zu lassen. Wenn man von einigen Gelegenheitsarbeiten und wenigen tatsächlich unvollendet gebliebenen (oder zumindest unvollständig überlieferten) Reden absieht, sind die Diatriben Dions vor allem in formaler Hinsicht überlegt und durchgearbeitet, wenn sie auch den Anschein, Eingebung des Zufalls zu sein, im allgemeinen auf recht erhalten. Hierher gehören alle die Reden, die eine 'Frage des praktischen Verhaltens aufgreifen und im Lichte der kritischen, aber immer ethisch orientierten Vernunft prüfen. Als Ausgangspunkt bietet sich naturgemäß das fehlerhafte Verhaltender Menge an, und hieraufrichtet sich die ganze Stoßkraft der Rede. Daher eignet jeder Diatribe der Zug zum Zureden, Ermahnen, Aufmuntern und, wo es sein muß, zum Schelten und Anprangern, aber auch zur Belehrung. ob nun ein einzelner Fehler aufs Korn genommen oder ein allgemeines moralisches Thema aufgegrif fen wird, ob die Auseinandersetzung sich in monologischer Form mit gelegentlichen Einwürfen und Fragen, im Dialog mit einem meist nicht genauer bestimmten Gesprächspartner oder, was Dion besonders liebt, in einer Mischform 14 vollzieht - stets betätigt sich der Redner als eine Art Therapeut. So ist es denn kein Wunder, daß er sich besonders gern als Arzt begreift, dessen Aufgabe das Schneiden und Brennen im Diemte des Heilens ist. Von hier aus ergibt sich leicht der Ubergang zur dritten Gruppe, zu den Stiidtereden. Mag sich das publikum gewandelt haben - statt der neugierig herbeigeströmten Menge Rat und Bürgerversammlung -, mag der Nachdruck jetzt mehr auf Politik und Fragen des öffentlichen Interesses liegen, die Haltung des Redners gesetzter, sein Stil gemäßigter, ausgewogener sein - der sittliche Ernst und die Sorge für den andern sind geblieben, nur daß an die Stelle des Einzelnen die ganze Stadt getreten ist. Da wäre zuniichst Prusa selbst zu nennen, DiollS Vaterstadt, in der eine große Anzahl der auf uns gekommenen Reden gehaltetl worden ist (40 und 42-51). Dann folgen die Nachbarstädte Nikomedeia, Nikaia und Apameia (38, 39,41), schließlich Rhodos, Alexandreia, Tarsos und Kelainai (31-35). Gewiß gebm sich die an die Heimatstadt ge-

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richteten Reden persönlicher, eine Nuance herzlicher - nicht umsonst bilden sie unsere wichtigste ~elle für Dions Leben. Die auswärts gehaltenen Reden wiederum, übrigens kulturgeschichtliche ~ellen ersten Ranges, sind schwungvoller und mächtiger, zielen stärker auf große Wirkung heim Volk ab. Aber die Themen hleiben trotz der verschiedenen Anlässe im Grundsätz./ichen die gleichen. Da ist, gleichsam in drei konzentrischert Kreisen gestaffelt, die Zwietracht in der Bürgerschaft, zwischen dett einzelnen Sttidten und zwischen den Städten und den römischen Statthaltern. Das wäre der politische Aspekt, das, was sich dem neutralen Beobachter zunächst einmal darbietet. Aber zu diesen Fehlhaltungen - dazu gehört dann auch etwa das Verhalten der Alexandriner im Theater oder der Statuenmißbrauch bei den Rhodiern - kann es nur kommen, weil es an sittlicher Einsicht fehlt, weil Ehrgeiz und Egoismus sich auf der politischen Bühne tummeln und niemand weiter denkt als an den morgigen Tag. Soll hier Abhilfe geschaffen werden, müßte jeder bei sich selbst den Anfang machen, und hier ist der Punkt, an dem sich die großen politischen Reden mit den Diatrihen begegnen. Doch noch ein drittes Element kommt hinzu. Unüberhörhar ist irt manchen Reden der religiöse Unterton, der in den Diatriben vollständigfehlt. Die pflichten des Menschen werden letztlich nicht ethisch, sondern theologisch ahgeleitet: Der Mensch hat die Aufgahe, aufErden ein Abhild des göttlichen Reiches und der göttlichen Harmonie zu errichten, denn, und hier kommt die stoische Lehre am stärksten zum Durchbruch, dank seiner Vernunft ist er mit dem Göttlichen unmittelbar verbunden. In unserem Überblick fehlen noch drei hedeutende Redert: der Euboikos (7), der Olympiakos (12) und der Borysthenitikos (36). Sie, die nicht umsonst Dions Ruhm begründet hahen, lassert sich ohne Gewalt in keine der drei genannten Gruppett einordnert und sollen gesondert besprochen werden. Der Stil Es ist klar, daßdie ski z zierten Gruppen eigenen Stilgesetzen unterliegen, doch läßt sich bei Dion auch im Stilistischen eine gewisse Konstanz. beohachten. NatUr/ich ist die Variationsbreite zwischen einzelnen Reden

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nicht unerheblich, aber auch in ein und derselben Rede mischen sich die Stilarten, am deutlichsten im Euboikos, wo auf die gefiillig und kurzweilig erzählte Geschichte vom ']iigel' der theoretische zweite Teil folgt, der mit seinen verzwickten Satzkonstruktionen den Übersetzer schier zur Verzweiflung treiben kann. Es ist nicht nur unser Ziel, besondere Stileigentümlichkeiten der einzelnen Gattungen herauszuarbeiten, sondern auf einige allenthalben zu beobachtende Züge in Gestaltung und Diktion aufmerksam zu machen. Was dem modernen Leser wohl am stärksten auffällt- ut/d zugleich am stärksten mißfällt -, ist die Weitschweifigkeit der Worte und Gedanken. Im Kleinen sind es die häufigen Verdoppelungen sinnverwar/dter Wörter (Hendiadyoin), die sachlich zu entbehrende Voramtellung eines negativen Glieds vor das entsprechmde positive (polare Ausdrucksweise) und die Verdickung 'und damit zugleich Verundeutlichung des Ausdrucks. Im Großen wäre zu nennen: unnötige Wiederholungen, zu lange Exkurse, Bildhäufungen, mangei11de Proportionen (vor allem zu ausführlich geratene Einleitungen) und, aus all dem resultierend, lockere, oft rein assoziative Gedankenfolge. So berechtigt die Einwände vom heutigen Standpunkt aus sein mögen, sie treffen mehr die literarischen Gattungen als den Redner selbst. Das heißt, wetln Diorl nach damaligen Vorstellungen ein guter Redner sein wollte, konnte er kaum anders reden, als er geredet hat, und man wird gut daran tun, ihn mit den Maßstäben seiner Zeit zu messetJ. Auch das kann höchst reizvoll sein. Aber floch etwas at/deres mag vor falscher Beurteilung bewahren. Das, was wir heute von Dion lesen, war großenteils gar nicht für die Lektüre bestimmt, sondern für den lebendigen Vortrag. Dions Werk ist nicht irl die Kategorien esoterischer, spezialistischer Literatur, sondern geWissermaßen unter der Rubrik «Massenmedien» einzuordnen. Was dies bedeutet, schildert er selbst höchst anschaulich in der Einleitung der Borysthenitischm Rede (36), und selbst wenn er sich mit eiuem einzelnen unterhält, unifaßt die Szenerie die Menge der umstehenden Leute, die immer mit angesprochen sind (77.78,2). Man mache dett Versuch ur/d trage die Reden laut vor mit detl et/tsprechendm Bet01lungert und

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Gesten, u,ld schon entfällt ein Großteil dessen, woran man vorher Anstoß genommen hatte, oder erweist sich sogar für den Hörer als höchst wirksam und notwendig. Was für Straße und Volksversammlung gedacht ist, muß sich zwangsläufig in der Polsterecke etwas sonderbar ausnehmen. Außerdem gibt es ;'1 Dions Werk eine stattliche Anzahl exzellmter Stücke, die gerade in stilistischer Hinsicht hohen ArlSprüchm genügen. Da Dion im klassischen Griechmtum sein Memchmidealverwirklicht sah, schloß er sich der Tradition an, die aufden großen attischen Schriftstellern des 5. und 4.1ahrhunderts fußte. Nachdem etwa bis zur Zeitenwende der sogenannte Asianismus mit seinem bombastischen Schwulst, seinen zerhackten, stark rhythmisch modulierten Sätzen ftoriert hatte, setzte sich jetzt immer mehr die Gegenbewegung durch, der Attizismus: ein ausgewogener, an klassischett Vorbildern orientierter Redestil. Für Dion scheint neben der sokratischen Literatur vor allem Demosthenes, der große Redner der athenischen Demokratie, als Stilmuster wirksam geworden zu sein. In der Tat ist erstaunlich, wie sehr es Dion gelatlg, in Wortschatz, Phraseologie und Syntax ein gutes Attisch zu schreiben, wobei er sich freilich von der Umgangssprache weder ganz freimachen konnte noch wollte. Homophonie, Chiasmus, Hyperbeln, Betonung der Gegensätze durch hervorgehobene Stellung, Verdoppelung shJnverwandter Trörter, alle diese Stilmittel finden sich bei Dion, aber sie werden, von wenigm Ausnahmen abgesehen, mit Maß und immer im Dienst der Sache verwendet. Schlichtheit und Anschaulichkeit, also die beiden besonders charakteristischen ~alitäten des xenophontischenStils, sind auch die wichtigsten Wesensmerkmale von Dions Stil. Immer wieder ist man erstaunt über die Bildkraft seiner Sprache. Vergleiche und Gleichnisse, die ebenso drastisch wie poetisch sein können, bewahren vor einer rein abstrakten Entwicklung des Gedankenganges und sprechen die Vorstellutlgskraft des Volkes unmittelbar an, zu mal sie in der Regel aus dessm praktischen Erfahrungsbereich genommen sind. Neben den Arzt tritt in den Vergleichen gleichberechtigt der Steuermann, der eine wie der andere aus sachlicher Notwendigkeit: als legitimer Ausdruck des ethischen oder politischen Engagements. Nicht selten wird eine Prise

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EINLEITUNG

bissigen Humors untergemischt, wetm zum Beispiel das berühmte Alexandreia itt die Nähe eines Misthaufens gera"t (32,87) und seine Bewohner, naschhaft, wie sie sind, den Fliegentod sterben müssm (32, 49). Uberhaupt hat Dion für Pointen einm ausgesprochenen Sinti. Die Schlüsse der beidm Diogetles-Redetl 8 und 9 liefern dafür zwei markante Beispiele. Aber auch die übrigen Diogenes-Redett, die Auseinandersetzung zwischm Alexander und Diogenes (4,14 jf.) und dazu etwa die 66. Rede, alle voll witziger Einfälle, wird man mit dem größten Vergnügett lesen. DatlCbett gelingen Dion auch Schilderungm von geradezu lyrischem Reiz. Nicht von ungefähr ist die erste Hälfte der 7. Rede heute unter dem Namen «Euböische Idylle» bekannt und von H. Hommel in Hexametern, also im Versmaß der klassischm Idylle, übersetzt worden 15. Die Schilderung Indietls als des antiken Schlaraffenlandes (35, 18jf.), die genrehafte Einleitung der 52. Rede, die mit feiner Psychologie anschaulich erzählte Geschichte von Herakles am Scheidewege (1 ,61 jf.) sirtd weitere Passagm, die weniger det! Rhetor als den Poeten Dion ausweisen. Schließlich sei noch hingewiesen auf Dions Vorliebe für Personifikationen, Fabeln und historisch-mythische Typett: sardanapa/, Nero, der Perserkönig, die als Prototypen bestimmter menschlicher Verhaltemweism überall eittgesetzt werden kömlCn. Ein besonders schönes Beispiel für die Tiersymbolik, das zugleich auch Diom Sympathie für den Fabeldichter Äsop erklären mag, ist die Einleitung zur 12. Rede: der Pfau mit seinem prunkenden Gefieder und der Schwan, der det! Sterbegesang anstimmt. Ziehen wir den Kreis noch etwas weiter und betrachten wir eine andere Eigentümlichkeit von Diom Schreibweise: die lockere Verkttüpfung der GedankCtl, die die Einheit der Rede rlicht seltett zu gefährden scheint. Es ist klar, daß eine gewisse Weitschweifigkeit und Disproportion der Teile die notwendige Folge einer Denkart sind, wie Dion sie liebt: nicht streng wissenschaftliche Beweisführung, die exakt ableitet, begründet und folgert, sondern ein mehr assoziatives Vorgehen, das sich vom Augenblick, der Situation und dem mommtanen Eirifall, leiten läßt, also die Art und Weise, wie das Volk zu argumentieren pflegt. Uttd gerade

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das Volk wollte Dion ja ansprecben. TYas auf diesem TYege an Zielstrebigkeit und Exaktheit verlorengeben mag, wird an Volkstümlichkeit, Lebenmähe und schillernder Buntheit gewonnen. Übrigens kommt Dion immer da an, wo er ankommen will. Der Einwand, bei größerer Zielstrebigkeit hätte er sein Ziel schneller erreicht, mag, nur sachlich gesehen, richtig sein,jedocb ist er kaum gerechtfertigt, wenn man aucb das Publikum mit in Betracht zieht. Auch Sokrates schlug Umwege ein in der tlberzeugung, daß der kürzeste TYeg nur selten der pädagogisch wirksamste ist. Man wird sich leicht davon überzeugen können, daß den großangelegten Reden, die wohl kaum aus dem Stegreif gehalten worden sind, wohlüberlegte Gliederungen zugrunde liegen. 38,8 etwa ist eine solche Gliederung ausdrücklich angegeben, und die 12. Rede bietet am Schluß eine Zusammenfassung, die den Aufbau des Ganzen klar erker/nen läßt. Daneben findet sicb natürlich eine nicht geringe Attz.ahl recht sorglos gemachter Reden. Meistens handelt es sich jedoch bei diesen Arbeiten nicht um Reden im eigentlichen Sinn, sondern um die TYiedergabe eines Gesprächs, um eine kurze Improvisation wie zum Beispiel bei der 21. «Rede», in der es besonders viel Abschweifungen gibt, aber auch eine gewisse Kritik des Gesprächspartners, was, da dieser wohl nur fingiert ist, letztlich aufSelbstkritik binausläuft (§ 10 U.12). Dion selbst hat übrigens öfters zu dieser Technik des Abschweiftns und ständigen Wiederholem Stellung genommen und sie mit plausiblen Gründen verteidigt. Dabei kann er sich auf keinen geringeren als Sokrates beruftrl, wenn el' auf die Wichtigkeit und den Nutzen des bebandelten Themas bi1Jweist '6 • Frei/ich ist hier und da sicher auch eine gewisse Selbstgefälligkeit im Spiel- die Fülle der Gedanken müsse jede klare Ordnung sprettgen-, aber das bleibt doch die Ausnahme. Häufiger haben wir Gelegenheit, Dions Diplomatie, etwa bei einem heiklen Thema wie dem der 38. Rede, zu bewundern, die psychologisch geschickte Führung seiner Hörerschaft und die Kunst des Dialogs, der es, zum Beispiel im Gespräch zwischen Diogenes und Alexander (4) oder Achilleus und seinem Lehrer eheiron (58), gelingt, die heiden Partner mit wenigen, aber gekonnt gesetztert Strichen lebendig zu porträtieren.

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Gewiß wird niemand behaupten wollen, Dion habe wie die großen griechischen Klassiker auf dem Gebiet des Stils absolute Maßstäbe gesetzt. Iras ihn daran hinderte, war eben das, was um seine Gestalt sympathisch macht,' das übersprudelnde Temperament, das um eir!etl Einfall nie verlegen ist, und das starke Engagement für die richtige Lebemfühnung des einzelnen und eine gesunde Politik in den Stäaten. Die [tl einem

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weiteren Kapitel wollen wir, soweit das in diesem Rahmet! möglich ist, kurz aufdie ~ellen und Vorbilder Dions eingehm- eine Originalität, die aufjedes Muster verzichten zu können glaubt, wäre etwas absolut Unantikes. Wir sind in einer glücklichen Lage, detJ:nDion selbst hat in seiner 18. Rede für einen einflußreichen Politiker eine Art LiteraturkarIOn aufgestellt, ein Verzeichrlis von Autoren, deren Studium er für die Praxis von größtem Nutzen erachtet. Wenn die Auswahl auch für einen anderetl unter dem GeSichtspunkt der praktischen Verwertbarkeit getroffin worden ist, kann doch kein Zweifel darm! bestehen, daß die meisten der genannten Namen auch für Dion selbst außerordentlich bedeutsam gewesen sind. Zunä"chst sei darauf hingewiesen, daß neben den altm Kla.csikertt auch modeme Schriftsteller, freilich mit gewisser Zurü ckhaltung, erwähnt werder!. Auch Dion selbst legte keinm Wert darauf, als attizistischer Purist zu gelten. Fragt man sich, weshalb Menander vor Aristophanes und Euripides vor den älteren Tragikern den Vorzug erhalten - auch bei Dion ist Euripides der meistzitierte Tragiker -, so ist neben der Fülle der Charaktere und der ausgebildeteren Psychologie bei Euripides sicher auch die Stellungnahme zu aktuellen Problemen und die stärker ausgeprägte moralische Tendenz dafür geltend zu machen, eine Tetldenz, die in zahlreichen Sentenzen ihren Niederschlag gefurlden hat und Dions grundsäTzlichem Anliegen entgegmkam. Daß Dion sich bei der Auswahl der Dichterzitate jedoch nicht ausschließlich von moralischen GeSichtspunkten leiten ließ, beweist die geringe Berücksichtigung Hesiods, der in dieser Hinsicht ergiebiger gewesen wäre. Statt dessen wirdals das A und 0 der Dichterlektüre Homer

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genannt und von Dion selbst auch mit Abstand am häufigsten zitiert. Wetm er sich wie in den Diogetles-Reden Kritik gefallen lassen muß, ist das nicht auf eine Entwicklung Dions vom Homerenthusiastm zum erbitterten Gegner Homers zurückzuführen, die im Troikos ihren Höhepunkt erreicht hätte, sondern auf Gesetze und Topoi der betreffenden RedegattUttgen: Auch bei Dion kann Diogmes, dessen Dichterbehandlung alles andere als pietätvoll war, nicht plötzlich zum bewunderndm Homerfreund werdm. Nebm Homer scheint Dion Herodot besonders gut gekannt zu haben. Zumindest legen das die Parallelfassungen nahe, die gerade dieser Historiker zu zahlreichen historischen Ereignissen, die Dion erwähnt, bietet. Weiterhin werden die «Sokratiker», genau genommetl freilich nur Xenophon, angeführt. Was Dion zu diesem Autor, der heutzutage vorwiegend beim Beginn der Griechischlektüre zu Wort kommt, hingezogen hat, wird deutlich, wenn man die Charakteristik des xenophontischen Stils liest (§ 14); eine bessere für Dions eigenen Stil ließe sich kaum finden. In der Tat galt Xenophon schon im Altertum als wichtigster Repräsentant jener Stilrichtung, die auf schlichten Ausdruck und sinnfällige Amchaulichkeit abzielte. Die vielgerühmte «Grazie» (§ 13) der Sokratiker ist es, die Dion anlockte und die er in seinen Reden zum gutert Teil verwirklicht hat. Es ist hier der Ort, noch auf eine Besonderheit hinzuweisen, die bei manchem mit der Materie nicht vertrauten Leser JirgerrJis erregen wird: die Interpretation der zahlreichen Dichterzitate, vor allem aus Homer. Daß immer wieder urigenau, da aus dem Gedächtnis zitiert oder das Zitat durch eine entsprechende Abänderungfür den beabsichtigten Zweck zurechtgestutzt wird, mag man noch durchgehen lassen, denn schließlich war man im Altertum weder dazu verpflichtet, Zitate zu kennzeichnen noch überhaupt genau zu zitieren. Dagegert wird man die psychologisierende und moralisierende Homerinterpretation nicht selten peinlich fil/den. Die Rüge, die sich Penelope fiir ihr Verhalten Odysseus gegenüber zuzieht (7,84 ff.); die Löwen der Kirke, die natürlich heruntergekommene Taugenichtse sind (77.78,34); Dolon, ein Sinnbild

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der Feigheit und Ruhmsucht (55,14), Pandaros, ein Symhol der Bestechlichkeit (55,15/), Antinoos, der Prototyp des verweichlichten Schlemmers (50, 20/) dienen als Belege dafür, daß Homer Laster und Tugenden der Menschen darstellen und sie selbst erziehen wollte (55, 9 ff.) 17. Man möge dahei aher hedenket!, daßfür die Griecben Dichtung nicht eitle rein ästhetische Angclegertheit war. Ilias und Odyssee waren das griechische Lesebuch, und Homer genoß das Ansehen eines Erziehers des griechischen Volkes. Hand in Hand mit dieser moralisierenden Dichterinterpretation geht die in manchen Fällen reichlich platt wirkende rationalistische Mythendeutung. Man könnte geradezu von einer « Entmythologisierung» sprechen. Medea giht Iason eine gegen alle Gefahren feiende Salhe - schon ist sie die Verkörperung der Vernunft (16, 10). Prometheus, dessen Leher vom Adler gefressen wird, aher immer wieder nachwiichst, ist der Sophist, der je nach der Meinung des Volkes sich aufbläst oder zusammenschrumpft (8,33). Was zwischen Deianeira und Nessos «wirklich» geschah, mag man i11 der 60. Rede nachlesen, in der 20. (19ff.) hekommt man eitle neue Interpretation des Parisurteils zu hören: keine schlüpfrige, sondern eine höchst vernünftige Geschichte. Auch können naturwissenschaftliche Theorien hemüht werden, um mythische Ereignisse zu erklären (11,76). Das lag im Zuge der Zeit und geht gerade hei Dion zum Teil auf Diogenes und die kynische Tradition zurück. Bei anderen Autoren hat diese Art der Dichtererklärung noch weit unsinnigere Blütett getriehen. Für einen feinsinnigen und im ganzen geschmackvollen Mann wie Dion war die Dichtung mehr als eine große Truhe, die man nach passenden Zitaten durchwühlen kann. Allein die Synopse der drei Tragiker (52) würde als Beweis dafür ausreichett. An die Seite der großen Dichter, Redner und Historiker treten die Philosophen. Vor allem eines Mannes ist hier zu gedenken, der Dions Lehenswerk entscheidend heeinflußt hat und auf den er sich immer wieder heruft: Sokrates. 'Fie sehr er sich als dessen Schüler verstanden hat, zeigt die 13. Rede, gleichsam eine Selbsthiographie im Abriß. Gewiß wird man nicht jedes Detail wörtlich nehmett wollen; mit Fiktionen

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haben wir bei Dion immer 'Zu rechnen. Aber soviel ist über jeden Zweifel erhaben: Durch die Befragung des delphischen Orakels will sich Dion bewußt in Parallele 'Zu Sokrates set'Zen und seiner Aufgabe eine höhere Weihe geben. Mit Sokrates teilt er ferner den rigoristischen Willen, den Menschen die Augen 'Zu öffnen und sie 'Zu der Einsicht 'Zu bringen, daß der an äußeren Gütern orientierte Maßstab, nach dem sie leben, nicht der ein'Zig mögliche und schon gar nicht der richtige ist IB • Auch die Methoden, die Dion dabei anwendet, gleichen denen, die wir von Sokrates kennen: das Arbeiten mit Beispie1m, die Art der Gesprächsführung, die mit der Prüfurtg des anderen gekoppelte Selbstprüfung (33,14), die Beteuerung, keine Schüler 'Zu haben, da man selbst nichts 'Zu lehren habe (12,13), und schließlich, was hinter dem allen steht, die Ironie. In 'Zwei Dingen allerdings unterscheidet sich Dion von seinem Meister. Sokrates sprach mit einem ein'Zelnen oder einer kleinen Gruppe. So etwa haben wir uns Dions Tätigkeit während des Exils vor'Zustellen. In den großen städten aber war sein Publikum die Menge, die ihm nicht selten sogar etwas Angst gemacht 'Zu haberI scheint. Das ist nicht nur ein formaler Unterschied, er rührt an die Substan'Z. Sokrates war Dialektiker, Dion ist - trotüiniger Dialoge und dialogischer Einkleidungen - Prediger. Er 'Zieht gegen den Luxus der Städte 'Zu Felde, gegen jede menschliche Schwäche, wo immer er sie trifft, und ist dabei unendlich vielmoralischer, als Sokrates esjemals war. Natürlich appelliert auch Dionan Vernunft und Einsicht, aber das Gan'Ze hat bei ihm einen anderen Klang. Allgemein gilt Dion aber nicht als Sokratiker schlechthin, sondern als stoischer Kyniker oder kynischer Stoiker. Und das ist er auch ohne Zweifel, was den Inhalt der von ihm vertretenen Philosophie betrifft. Stoische Gedanken finden sich allenthalbert in Dions Werk, ohne daß man in jedem Fall eine ~elle oder einen Gewährsmann dafür angeben könnte. Außerdem ist manches sicher auch Gemeingut des Gebildeten der damaligen Zeit gewesen. Wo Dion ausführlicher auf die stoische Lehre 'Zu sprechen kommt - 'Zu denken wiire vor allem an die theologischen und kosmologischen Probleme der 12. und 36. Rede (s. u) -, vertritt er eine Form des Stoi'Zismus, wie sie der universale griechische Denker Poseidonios (ca.

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135-51 v. Chr.) ausgebildet batte. Das gilt vor allem für die Einzelheiten der vorgetragenen naturwissenschaftlichen Lehren (harmonische Vollkommenheit des Weltstaates, Kosmologie, Ekpyrosis, Palingenese, Gotteserkermtnis), teilweise wohl auch für die bildreiche, auf begeisterten Prophetenton abgestimmte Sprache (Chor der Gestirne, Bild vom Steuermann und Wagenlenker)'9. Durch Poseidonios nämlich hatte sich die religiöse Wendung der Stoa vollzogen, hatten Mantik und Mystik in sie Eingang gefunden. Daß es sich dabei nicht um rein theoretische und daher für Dion letztlich unverbindliche Gedankengänge handelt, geht aus der scharfen Kritik hervor, die sich die Fpikureer, die Antipoden der Stoiker, gefallen lassen müssen. Ihre Ethik und Tbeologie wird scharf abgelehnt (12,36f.). Ebenso bekommen die modernen Sophisten Hieb auf Hieb: Was sie treiben, ist eitles Spiel ohne irgendwelchen verbindlichen Ernst'·. Wenn Dion in Übereinstimmung mit der stoischen Lehre den Menschen als «ein mit Vernunft begabtes sterbliches Wesen» (36, 13) definiert, tut er das nicht um der Definition willen, sondern wegen der praktischen Forderungen, die sich aus dieser Definition ergeben. Die Harmonie des von der Vernunft durchwalteten Kosmos ist als wissenschaftliche Theorie für ihn uninteressant. Wicbtig wirdl'ie inpraktischer Hinsiebt: als Muster eines eitlträcbtigen Stadtgefüges. Fast erschrekkend moralisch, aber nach dem Gesagten doch verständlich, fällt daher auch die Definition der Philosophie aus (70,10). Wo sich Dion aufdem Gebiet der Tbeorie bewegt, muß er als Stoiker bezeichnet werden. Seine praktische Zielsetzungjedoch und sein geradezu propagandistisches TFirken weisen ihn als Kyniker aus. Zwar findet er auch für sie verächtliche Worte (32,9), und oft genug äußert er sich ironisch fiber seine eigene kynische Aufmachung - schäbiger Kittel und möglichst ungepflegtes Haar -, aber damit sind mebr die Exzesse dieser späten Nachfahren des Diogenes und ihre Ignoranz gemeint, nicht Lehre und Leben des Meisters selbst. Dion, viele 'Jahre 'Zu einem «kynischen» Leben gezwungen, batte die großen Möglichkeiten dieser Philosophie, die die Echtheit ihrer Lehre in nicbt zu überbietender Weise an ihrer eigenen Lebensform dartat, am eigenen Leibe kennengelernt. Seine Aul

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rufe zu einem einfachen, bedürfnislosen Leben, seine durch Beispiel und Lehre gestützten Ermahnungen zur Tugend, das heißt zur richtigen Set'Zung der TFerte mit Hilfe der Vernunft, haben vom Kynismus her Richtung und Stoßkraft bekommen, ohne freilich für ihn direkt werben zu wollen; und auch itl späteren 'Jahren, als Dion längst ein angesehener Mann war, ist er dieser Grundüberzeugung treu geblieben, wie auch in den späten Reden formale Elemente des kynischen Diatribenstils immer wieder an die Oberfläche dringen. War Dion als Theoretiker Stoiker, so war er als Praktiker - in Ziel und Methode - Kyniker". Wenigstens erwähnt sei in diesem Zusammenhang der Name Platons. Er macht das Bild des Eklektikers Dionnoch schillernder, aber auch wahrer. Es wird überliefert, der «phaidon» sei neben einer DemosthenesRede die Lieblingsschrift Dions gewesen". Es scheint durchaus plausibel, daß die Trostrede des Charidemos (30) im Blick auf den Sokrates des «Phaidon» konZipiert worden ist. Der Mythos der Borysthenitischen Rede (36,39ff.) weist starke Anklänge an den «phaidros» auf, die Predigt des Sokrates aus der 13. Rede (14 ff.) geht auf den «Kleitophon», die gesamte 26. Rede aufden «SisJ'Phos» zurück· 3 • Nehmen wir dazu noch das nicht erhaltene «Enkomion auf Herakles und Platon», haben wir der Beweise genug, daß Dion seinen Platon genau studiert und offensichtlich auch gelieht hat. Daher finden sich denn auch neben den derheren,fest zupackenden Diatriben feinere Dialoge von sokratisch-platonischer Grazie und Eleganz. Bei ihrer Lektüre könnte man den Eindruck gewinnen, als habe man es mit einem Diogenes zu tun, der sich wie Platon auszudrücken beliebt. Das alles beweist: Gestalt und Werk Dions sind viel zu bunt und reich facettiert, als daß sie sich mit einem Begriff, in ein System fassen ließen. Es lag ihm fern, Philosophie systematisch zu betreiben. Er griffauf, was ihm gefiel, um es bei nächster Gelegenheit wieder fallen zu lassen, und auch Widersprüche, die natürliche Folge einer solchen Methode, scheinen ihn nicht beschwert zu haben. Dion war Eklektiker, der seinen Ehrgeiz nicht in möglichst originale Erfindung setzte, sondern die Masse des tlherlieferten als Stofffür seine Tätigkeit betrachtete undfrei damit

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EINLEITUNG

schaltete. Nur die Einkleidung in die entsprechende Form ist Diom eigene Leistung. Genauso, wie er sich selbst als Herakles, Odysseus, Sokrates oder Epameinondas betrachten konnte, konnte er auch bei Sokrates, Platon, Xenophon, den Kynikern und Stoikern seine Anleihen machen. So bemerkt Philostrat treffend (I 7), Dion sei « das Füllhorn der Amaltheia» gewesen, arlgefüllt mit dem Besten vom Besten. Wenn das Gesamtwerk Diom trotzdem mehr ist als ein Konglomerat disparater Einzelstücke urld unverbindlicher Einfalle, dann wegen der durchgängigen praktischethischen Tendenz. Dion war zu gleichen Teilett Philosoph urld Politiker und als Philosoph fast ausschließlich Ethiker. Rhetorik, und da trifft er sich mit Platon, gab es für ihn nur in Verbindung mit Philosophie, das heißt also auf dem Fundament der Ethik. Dabei leitete ihn eine an manchen Stellett fast romantisch anmutettde, von dem Bewußtsein des Epigonen getragene Sehnsucht nach den großett Vorbildern des klassischen Griechentums. Einzelne Reden Auf einige besonders ausgezeichnete Redett sei noch eingegangen, nicht in Form einer ausführlichen Interpretation, die an dieser Stelle nicht möglich ist, sondern andeutettd mit einigen Hinweisen, die der Leser selbst leicht wird vertiefen und vervollständigen körmen. Die Königsreden Die vier ersten Reden bilden vor allem aus thematischen Gründen eine Einheit. Sie zeichnen das stark stoisch-kynisch gefärbte, aber auch etwa von Platon mitbestimmte leuchtende Idealbild des guten Königs aufdem dunklen Hintergrund des Tyrannen. Im Grunde seines Herum war Dion Monarchist, und man geht wohl nicht fehl, in seinem Angriffauf Musonius, einen der philosophischen Führer der Opposition gegen Vespasian, eher politische als philosophische Motive am Werk zu sehen. Nur mußte eine Bedingung erfüllt sein: Das Prinzipat mußte den idealm Forderungen des Königtums einigermaßen entsprechen. Da dies bei Traian der Fall war, konnte Dion für ihn die vier Reden schreiben, die weniger von der Theorie als vom Charakter und von der Regierungstätigkeit des Kai24

KÖNIGSREDEN

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sers her konzipiert zu sein scheinen. Das Thema wird jeweils von verschiedenen Seiten angegangen, einzelne Teilbereiche - Sorge für die anderen, Selbstbeherrschung als erste Voraussetzung, Tapferkeit, Freundschaft - sind jeweils mit Vorrang behandelt. Aber in allen vier Reden jinden sich, gleichsam leitthematisch durchgearbeitet, zwei für Dion außerordentlich charakteristische Motive: das echte Königtum als Abbild der göttlichen Herrschaft im Kosmos und Homer als Leitbild und Lehrmeister 25 • Beide Gedanken spielen auch kompositorisch eine entscheidende Rolle. Den Königsreden gemeinsam ist ein klar erkennbarer dreiteiliger Aufbau. So steigt die erste Rede von einer Aufzählung der für den König unentbehrlichen Eigenschaften auf zu der in Form der praeterWo kurz gestreiften göttlichen Ordnung und der Fabel von Herakles am Scheidewege, die dadurch, daß sie einer uralten Frau in den Mund gelegt wird, besonderes Gewicht bekommt 26 • Auch die 4. Rede ist dreiteilig, wenn man als Mittelteil das selbständig überlieferte libysche Märchen ansetzt 2 ' . Eine Ar/ordnung der Teile nach dem Gesetz der Steigerung ist dabei unverkennbar. Wird schon durch den Wechsel von monologischen und dialogischen Partien 28 eine gewisse Spannung erzeugt, so stellt der Schlußjedesmai den auch durch die Form der Aussage besonders hervorgehobenen Gipfelpunkt dar. Wie bei dm großen platonischen Dialogen könnte man auch hier von einer Art «Schlußmythos» sprechen, der eine Zusammenfassung und letzte Bestätigung von höherer Warte aus bringt. Ganz klar liegen die Dinge in der 1. und 4. Rede: dort der Heraklesmythos, hier die von Diogenes ad hoc stilisierten und kostümierten Geister der drei Lebensformen des Erwerbstüchtigen, des Genießers und des Ruhmsüchtigen. Am Ende der 2. Rede steht das breit ausgeführte homerische Gleichnis von Stier und Hirte, ein Musterbeispiel antiker Homerdeutung, das diesmal aber getrost unsere Zustimmungjinden darf Übrigens bringt es über die gängige Deutung hinaus genau Dions Vorstellung vom wahren König zum Ausdruck: Wie der Stier den Hirten über sich hat, so der König Zeus. Eine Ausnahme macht lediglich die 3. Rede, die aber auch in anderer Hinsicht eine Fülle von Prohlemen aufgibt und nicht in endgültiger Form vorzuliegen scheint. 2

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EINLEITUNG

Hier möchte man das herrliche Sonnengleichnis (§ 73ff.), das auf die Bilder von Steuermann, Offizier urld Seele folgt, als Höhepunkt auffassen, doch folgen noch weit ausgesponnene Gedanken über Freundschaft. Trotz einiger Schwierigkeiten in der Überlieferung gehören die vier KÖ'nigsreden zu den bedeutendsten von Diom Gesamtwerk. Der Euboikos Ohne Zweifel die bekannteste der achtzig Reden ist die siebente, die sogenannte «Euböische Idylle». 'Jedoch scheint, was diese Bezeichnung angeht, äußerste Vorsicht geraten, denn wie der weitere Verlauf der Rede zu verstehen gibt, ist die Geschichte nicht ohne eine bestimmte Absicht erzählt 29 • Nun braucht das noch nicht ein Beweis gegen den Idyllencharakter ihrer Einleitung zu sein, aber auch in der «Idylle» selbst ist die praktische Tendenz immer wieder greifbar, wenn der Erzähler etwa wiederholt aus der Erzählung ausbricht und seine eigenen Reflexionen dazwischemchaltet (§ 9, 66, 80). Zudem ist der Boden, aus dem die Idylle wächst, die geheime Sehmucht nach dem verlorenen Paradies. Der Praktiker Dion aber hatte wohl die Vorzüge des Landlebens kennen- und schätzen gelernt, doch wäre es ihm nie beigefallen, sich von der Stadt abzuwenden, wie seine großen Reden beweisen; das aber ist der Preis, den der Idylliker für seine Liebe zum Lande zu zahlen pflegt. So ist es denn nur folgerichtig, wenn die beiden einfachen Leute auch ihre Kinder zu guten Bürgem erziehen und trotz ihrer schlechten Erfahrungen keinen Haß aufdie Stadt laut werden lassen. Als literarische Form mag also im großen und ganzen eine Idylle vorliegen, nach der Haltung des Erzählers ist sie es nicht. ,ras die ländliche Welt der Stadt voraus hat, ist der Fortbestand der alten, ewigen Ordnungen, die Mann und Frau, Eltern und Kinder, Memch und Natur, Bürger und Obrigkeit umschließen, und aufdiesem Hintergrund sollen die im zweiten Teil der Rede behandelten sozialpolitischen Probleme, vor allem das der Arbeitsbeschaffungfür das Großstadtproletariat, gesehen werden. In dieser Hinsicht stellt sich der Euboikos weniger als zur Stadtflucht einladende Idylle denn als stoisch-kyni-

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sches Traktat für den Städter dar, der sich Bedürfnislosigkeit und Autarkie des Landlebem zum Vorbild nehmen soll. Aber wie dem auch sei, ein Meisterstück ist Dion auf alle Fälle gelungen. Hier fehlt alles Gezwungene und Rhetorisch-Angestrengte, niemals wieder geht es bei Dion so herzlich und erquickend zu. Allein schon die Art, wie es ihm gelingt, den einfachen Mann durch seine Sprechweise zu charakterisieren, verdient Bewunderung: Alles kommt schlicht und unverbogen, und zwar in der Reihenfolge, in der es gedacht und vorgestellt wird 30 • Dann diefa;t will um scheinen, etwas unglaubwürdige - Einfalt des Mamtes, deI· mit Türmen(§ 22) und Theater (§ 24) nichts Rechtes anzufangen weiß, der sich, gutmütig, wie er ist, alles gefallen läßt und trotzdem mit seinem gesunden Bauernwitz und seiner Schlagfertigkeit, von der man nicht so genau weiß, ob sie angeborene oder gespielte Naivität ist, sich schließlich als der überlegene erweist. Unendlich viele kleine Züge von großer Feinheit ließen sich noch aufzählen: das psychologisch vollendet erfaßte Benehmen der beiden Verliebten, der im Überschwang der Wiedersehensfreude gegebmc Kuß, der von der Öffentlichkeit als deplaziert empfunden wird (§ 59) - ein Hieb gegen die Unnatürlichkeit des Stadtlebem -, die Wichtigkeit des OpJel"tieres für die Hochzeit, ein Zeichen für die Bedeutung einer gesunden und dauerhaften Ehe als Keimzelle der Stadtgemeinschaft. Trotz alledem : Nicht als rein ästhetisches Kunstwerk im Sinn einer Theokrit-Idylle haben wir den Euboikos zu beurteilen. Seinen Sinn empfängt er vom zweiten Teil her, werder! doch auch in der Geschichte selbst bereits stadtreformerische Tendenzen geäußert - für eine Idylle ein wenigpassendes Thema. Was vorliegt, ist aber auch nicht einfach ein idyllenhaft sich gebendes Plädoyer für die Armut gegen den Reichtum, sonderrt, wenn schon ein Plädoyer, dann für eine an der Vernunft sich orientierende Lebensweise, die auf alle Entartungserscheinungen einer überJeinerten Kultur verzichtet und allein zum Glück führt. Die Diogertes-Reden Eine Gruppe für sich bilden die vier besonders ergötzlichen DiogenesReden (6, 8, 9, 10), wenn sie sich auch in wichtigen Grundgedanken mit

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den Königsreden und vor allem dem Euboikos berühren. Im Mittelpunkt steht jener Mann, der auf Raffaels Schule von Athen,dem berühmten Wandgemälde in der Stanza della Segnatura des Vatikans, etwas abgerückt von den anderen und nur halb bekleidet, lässig auf den Stufen ausgestreckt in einem Buch liest - ein handgreiflicher Protest gegen Sitte und Konverltion seirler Zeitgenossen. So steht er auch vor uns in Dions Reden, die manchen biographischen Einzehug des bald schon legendären Sonderlingsfestgehalten haben 31: ohne festen Wohnsitz zwischen Athen und Korinth hin und her pendelnd, als Zuschauer bei den Isthmischen Spielen, als Prediger eines einfachen und vernünftigen, das heißt naturgemäßen Lebens, das allein Unabhängigkeit und damit ein glückliches Dasein garantieren kann. Auch Diogenes versteht sich als «Wettkämpfen>, aber die Gegner, mit denen er fertig zu werden sucht, sind Armut, Verbannung und ganz besonders die Lust. Nicht als ob er damit zur freitflucht auffordern wollte, sein 'Ja zum Leben ist hier genauso eindeutig wie im Euboikos das 'Ja Dions zur Stadt. Im Gegenteil, es wird eigens betont, daß der Genuß, etwa von einfachen Speisen, durch die richtige Lebensweise noch gesteigert werden kann. Nur darf man sich von ihm nicht abhängig machen lassen. Der Perserkönig ist dafür das abschreckende gemeinkynische Paradebeispiel: Inmitten seiner unbegrenzten Möglichkeiten lebt er das erbärmlichste Leben, weil er eins nicht überwinden kann, die Furcht; er glaubt Herr zu sein und ist ein Sklave. Die Natur hat den Menschen mit allem Lebensnotwendigen ausgestattet, die ZiPilisation, für Diogenes gleichbedeutend mit Kultur, dichtet ihm Bedürfnisse an und schwächt ihn, wie das Bild vom Tausendfüßler klarmachen soll (10,10). Immer wieder werden die tiere zum Vergleich herangezogen - die Gefährlichkeit dieses Verfahrens scheint Diogenes nicht aufgegangen zu sein, nämlich darüber selbst zum Tier zu werden. Und so kann es denn nicht wunder nehmen, daß das Urteil auch der Wohlmeinenden schwankte zwischen Lob und - meist - Verachtung, zwischen «weise» und «verrückt» (9,8f.). Das gesamte geistige Rüstzeug der kynischen Wanderprediger wira in diesen Reden aufgeboten: die zahllosen Vergleiche und Beispiele, oft

DER ZEUS DES PHEIDIAS

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in ganzen Ketten, aus Mythos und Alltag, viel derber als etwa homerische Gleichnisse, oft aber VOft iiußerster Präzision; die stark mora/istisch interpretierten Homerzitate; die Vorbildlichkeit der Tiere; Herak/es als Idol der Kyniker 32 und der Perserkönig als sein Gegenstück; das Selbstverständnis des Kynikers als eines Seelenarztes; drastische Gebärden, die si ch bewußt gegen die Konvention ri chten und scho ckieren sollen; die Aufforderung, sich von den Bindungen durch Religion und Staat frei zu machen: eine Befragung des Orakels erübrige sich für den vernünftigen Menschen, als Kosmopolit könne er nur einen einzigen Staat anerkmnen, das Weltall. Immer wieder sind es die gleichen Requisite1l, aber in Dions Darstellung, die den richtigm Mittelweg zwischen unglaubwürdiger Stilisierung undplattem Naturalismus findet, geht alles allzu Grobe und Ungeschlachte verloren. So gehiiren diese Reden, wenn man von der ersten, etwas zu additiv verfahrenden absieht, zu dem Kurzweiligsten, was man bei Dion, aber auch in der griechischen Literatur überhaupt lesen kann. Der Zeus des Pheidias Eine im Gedanklichen höchst interessante und in formaler wie stilistischer Hinsicht reizvolle Rede ist die Ansprache, die Dion, wohl im lahr 105, vor der olympischen Festversammlung angeSichts des berühmten ZeusStandbildes des Pheidias gehalten hat (12). Die Rede ist außerordentlich sorgfältig durchkomponiert 33 , der Stil in den verschiedenen Lagen ausgesprochen fein abgestimmt. Natürlich folgt Dion auch hier in der Erörterung theologischer und philosophischer Gedanken nicht nur seiner eigenen Eingebung. Die Aufteilung in eine natürliche, mythische und gesetzliche Theologie mit drei auf verschiedenem Wege zustande gekommenen Gottesvorstellungen 34 und dem Philosophen, dem Dichter und dem Staat als ihren Mittlern geht wohl auf Poseidonios zurück, den man etwa in dem poetisch überhöhten Hymnenstil des Abschnittes über die natürliche Gotteserkenntnis (§ 27ff.) unmittel bar zu vernehmen glaubt. Den bildenden Künstler als vierten Vermittler mag Dion selbst eingeführt haben, obwohl auch hier im einzelnen aus einer älteren Kunsttheorie geschöpft zu seirt scheint. Aber gerade dieser Teil, die Apologie des

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EINLEITUNG

Pheidias, ist der interessanteste, liefert er um doch ein einmaliges Zeugnis spätantiker Kumtdeutung. Daß der Zeus des Pheidias unter Diom Hand stoische Züge annimmt und als Gestalt gewordenes kynisches KörJigsideal erscheint, ist fast eine Selbstverstiindlichkeit. Wenn Dion aber die von der Stoa im allgemeinen abgelehnte und auch von ihm selbst meist kritisch beurteilte 35 bildliehe Götterverehrung an dieser Stelle rechtfertigt, beweist er damit eine auch sonst zu beobachtende Selbständigkeit. Hier stoßm wir auf die Grenzm seiner Systemgläubigkeit, und sie sind schneller erreicht, als man gemeinhin annehmen möchte: Auch wenn Dion die kynische Attitüde liebt, kann er, ein Mann von Kultur, letztlich nicht gegm die Kultur predigen. Die dem Pheidias in den Mund gelegte Kumtauffassung, die in der Kunst die Vermittlerin einer höherer/ Wahrheit sieht, unterscheidet sich radikal von der formal-ästhetischen, wie sie die zeitgenössischm Sophisten und Rhetoren vertraten. Wie sehr sich Dion gerade gegen ein solches rein ästhetisches Verhältnis zum Kumtwerk wendet, geht aus der Tatsache hervor, daß sich in der Pheidias-Rede zwischen kümtlerischen und religiösen Argumenten kaum scheiden läßt, daß seine Apologie ebemosehr ein Plädoyer für die bilder/de Kumt wie fir dm rechten Gottesglauben ist. Daher scheint es nur folgerichtig, wenn in der Preisrede auf den Künstler neben der Anmut das « Licht» als besonderes Merkmal des geschaffenm Zeus erwähnt wird (§ 52): Das Licht ist für dm Griechen zugleich das Rettende, Heilende, und gerade der Soter, der Retter, ist der Generalnenner, auf den sich alle übrigen Charakteristika des Gottes bringen laum (§ 74). Dabei soll nicht verschwiegen werden, daß Dion etwas einseitig vom Gesichtsausdruck der Statue ausgeht und das spezifisch griechische agonale Element, vor allem das Gegeneinander von königlich mildem Antlitz und den Darstellungen von Kampf und Tod auf den Reliefs des Thromessels übersieht. Auch das Argument,für dm bildenden Künstler sei es unmöglich, wie Homer den Gott in Aktion zu zeigen, ist nicht stichhaltig, wie etwa die berühmte Bronzestatue des dreizackschleudernden Poseidon im Athener Nationalmuseum beweist. Diese Einseitigkeit lehrt aber, worauf es Dion ankam: den das Nur-

DER ZEUS DES PHEIDIAS

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;isthetische transzendierenden Heilscharakter des großen Kunstwerks aufzuzeigen. Das hat mit primitiv-magischer volksfrö'mmigkeit nichts zu tun, eher Mnnte man 'Von echter Symbolik sprechen: das göttliche Wesen, das sich im Makrokosmos manifestiert, eingefangen im Menschetl als Mikrokosmos. Das Gute hatte für die klassischen Griechen den Charakter des den Memchen ergänzenden Fördernden, Heilsamen, und, sofern es sich ihm selbst anbietet, den Charakter des Anlockenden und damit des schönen. Dion faßt, einem Grundgedanken seiner Zeit folgend, das Gute religiös als das den Menschen 'Vor dem Verderben Bewahrende. Man hat Diom Zeit als eine Zeit der Renaissance des klassischen Griechentums bezeichnet und meinte damit das Anknüpfen an klassische Vorbilder ausschließlich in formaler Hinsicht. Obwohl das auf Dion in einem ganz allgemeinen Sinn zutrifft, ist hier 'Vielleicht der Punkt, wo man am ehesten von einer echten Renaissance sprechen kö'nnte, wenn ihr auch kein durchschlagender Erfolg beschieden war: Das Göttliche stellt sich rlOch einmal dar als das Rettende und das Schöne in einem. über dieses ihr tiefstes Anliegen hinaus bietet die Rede eine ganze Anzahl 'Von Ansätzen zu einer allgemeinetl Jisthetik und Poetik und nimmt manchetl Gedanken aus Lessings « Laokoon» bereits vorweg. Die ästhetisch unterschiedlichen ~alitiiten 'Von Sehen und Hö'ren, die im Vergleich zum bildenden Kümtler geradezu unbeschränkte Freiheit des Dichters, der gegensätzliche schaffensprozeß beim bildenden und darstellenden Künstler und das für beide mit entscheidende Problem der Zeit, der Einfluß des Materials aufEigenart und Ziel des Kunstwerks-lauter Gedanken, die in dem großen Agon zwischen Pheidias und Horner, wenn auch noch nicht systematisch 'Verarbeitet, so doch formuliert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Zugleich ist die Apologie des Pheidias die erste Rechtfertigung des bildmden Künstlers, der jetzt nicht mehr im Schatten des Dichters steht und sich mit der Bezeichnung « Ba'Jause» - im Griechischen ursprünglich: Handwerker - abfinden muß, sondern gleichberechtigt dem Dichter gegenübertritt. 1a, in Dions Darstellung scheint eslast so, als gehe Pheidias als Sieger aus dem Kampfmit Homer hervor.

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Noch in einer letzten Hinsicht ist die Rede für uns von unschätzbarem Wert. Als der Apostel Paulus in Athen auf dert Areopag gebracht wurde undjedermann begierig war, etwas Neues von ihm zu hören, war der berühmten Rede, die er dort hielt, ein Mißerfolg beschieden (Apostelgeschichte 17,16ff). obwohl er an damals bereits geläufige Vorstellungen, wie sie das Arat-Zitat wiedergibt, anknüpfen konnte, erwies sich die heidnische Idolatrie, die Verehrung der Götter durch Bilder, als das entscheidende Hindernis. Und doch waren Stoiker und Epikureer als die Vertreter der wichtigsten geistigen Strömungen - beide werden im Bericht genannt - von dem alten Glauben weit entfernt. Wenn der Olympiakos stark monotheistisch empfunden ist, darf man das nicht ausschließlich auf den konkreten Anlaß zurückführen, vielmehr war das eine Grundtendenz der Zeit. Um die Bekämpfung der Idolatrie ging es etwa auch der Stoa, und auch sonst hat es an Gemeinsamkeiten zwischen heidnischer Philosophie und Christentum nicht gefehlt. Ein direkter Berührungspunkt zwischen Areopagrede und Olympiakos wäre zum Beispiel der grundsätzliche Zusammenhang von Bilderdienst und Gotteserkenntnis. Die entscheidende Schwierigkeit aber war die vergeistigte Gottesauffassung des Christentums. Zwar hat Dion an anderer Stelle davon gesprochen, daß Frömmigkeit und GottesJürchtigkeit in demselben Maße zunehmen, wie Weihrauch und Kränze, also die äußerlichen Zeichert des Kultes, verschwinden (13.35), aber im entscheidenden Moment ist er nicht nur nicht bereit, auf das Bild des Gottes zu verzichten, sondern verteidigt es mit glühertden Worten, aus Begeisterungfür das Schöne ebensogut wie aus tiefer Frömmigkeit. Gerade dieses widersprüchliche Verhalten ist eins der Charakteristika, die die Situation, in die das Christentum hineingeboren wurde, kennzeichnen 36. Die Borysthenitische Rede Die nach dem Euhoikos bekannteste Rede aus Dions Gesamtwerk ist die Borysthenitische (36), dient sie doch philosophen und Religionshistorikern als besonders einleuchtendes Beispiel für den Synkretismus, das heißt die Vermischung und Verschmelzung der einzelnen Religionen seit der

BORYSTHENITISCHE REDE

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belletlistischen Zeit. Darüber sollte man jedoch die künstlerisch vollkommene Einleitung des Ganzen nicht übersehen, zumal sie für das richtige Verständnis der philosophischen Erörterungen des zweiten Teils unentbehrlich ist. Das Atmosphärische von Ort und Situation und dazu der Reiz des leicht Exotischen geben den Hintergrund ab für Dions kleines Erlebnis am Flußufer. Die geographischen und historischen Detaifr dienen nicht nur einer höheren Plastizität, sie führen unmittelbar zum Thema hirt. Die Lage von Borysthenes am iiußersten Rande der kultivierten Welt in unmittelbarer Nachbarschaft feindlicher Naturstämme, die Trümmer der alten Stadt und die immer gegenwiirtige Bedrohung durch äußere Feinde verleihert der Frage nach dem Wesert der guten und dauerhaften Stadt den Nachdruck höchster Aktualität. Zugleich ist es eine willkommene Gelegenheit, an die verpjlichtende altgriechische Tradition zu erinnern - nur der umympathische Römerfreund ist rasiert, alles andere trägt Haar und Bart lang (§17) - um! eine versteckte Huldigung an Homer und Platon anzubringen. Das alles fügt sich bruchlos wie selten in das Ganze ein und beweist die Meister·schaft Dions gerade auch in kleinen, unscheinbaren Zügen, so etwa, wenn der Redner, der durch das Lob eines anderen Dichters die Homerenthusiasten von Borysthenes fast beleidigt hätte, sich durch ein Homerzitat galant entschuldigt (§ 14). Die Erörterung des Themas selbst erfolgt in zwei inhaltlich und formal sich stark voneinander abhebetldm Abschnitten: die Lehre der philosophen (§18-38) und die Lehre der Magier (§39-57). Lediglich als Eimtieg dient diesmal das Dichterzitat : Die ~alität einer Stadt hängt nicht von ihrer Größe ab, sagt Phokylides (§ 13). Aber bald schon tritt an die Stelle des Dichters der Philosoph, und zwar noch viel umittelbarer, als in der Hieroson-Rede zum Ausdruck kommt (§ 27). Der ganze Passus ist das Platonischste, das man bei Dion finden wird. Freilich weniger im Inhaltlich-Gedanklichen. Dies steht in der stoischen Tradition, wie schon die einleitende Definition des MetlSchett als eines vernunft begabten Wesens und der Stadt mit den korrespondierenden Faktoren Gesetz. und Vernunft nahelegt. TFohl aber erinnern Sprache und

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EINLEITUNG

Vorgehen lebhaft an Natoll. Das erste merkt Hierosoll selbst an (§ 27), und unwillkürlich denkt man an den« Phaidros». Daß am Arifang einer jeden wissenschaftlichen Untersuchung eine Definition des behandeltm Gegenstandes 'Zu steher! habe, ist eine platonische Forderung, und auch das methodische Vorgehen selbst scheint bewußt an eine Verfahrensweise Platons angelehnt 'Zu sein. Im «Staat» wird eingangs die Definition der Gerechtigkeit gesucht. Da man sie nicht finden kann, proji'Ziert Platon sie vom Kleinen ins Große, von der Seele des ein'Zelnen auf eine ganze Stadt, wo sie besser 'Zu erkennen sei. Almlieh sieht auch Dion die Stadt auf dem Hintergrund der kosmischen Ordnung, und wie bei Platon die Seele als eine Art Spiegelung der Polis und ihrer Funktionert erscheint, so bei Dion die Stadt als Spiegelung des göttlichen Weltstaates, nur daß bei Naton die führende Rolle der Gerechtigkeit, bei Dion der sittlichen Vernurift 'Zufällt. Trot'Z der Nähe 'Zu P/aton im Formalen ist das vorgetragene philosophische Gedankengut natürlich stoisch. Was die stofflichen Grundlagen betrifft, wird man am ehesten an Poseidonios und eine vermittelnde ~e/le det/km, die Grundstimmung erttspricht etwa jener, die aus dem berühmtett Zeus-Hymtlus des Kleanthes spricht: ehrfürchtiges ErgrijJensein vor dem Geset'Z des Kosmos und die Gemeinschaft von Mensch und Gott durch das Band der Vernunft. Recht bunt dagegen wird das Bild im 'Zweiten Teil, eitler persischen Kosmologie, die Dion von Magiern gehört haben will. Nun hatten 'Zweifellos Elemente griechischer philosophie um diese Zeit längst Eintritt in die Mithrasreligion gefunden, und an der Erzählung vom Wagengespann und seinem Lenker mögen auch platonische Vorstellungen aus dem «Phaidros» mitgewirkt haben. Trot'Zdem aber sind die vorgetragenen kosmologischen und naturwissenschaftlichen Theorien im wesentlichen die von der Stoa her bekannten, während man die Geschichte als Garnes in künstlerischer Hinsicht als Dions eigerles T-Verk wird gelten lassen müssen 37 • "Verm das Zeusroß sich dann 'Zum rFagenlenker wandelt und mit der göttlichen ff.l'eltseele, dem Feuer und der Vernunft praktisch identisch wird, bis sich schließlich die Urmacht aus dem In-sich-selbst-Verharren 'Zu neuem SchajJen und Gestalten löst

ABSCHLUSS

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und unter dem alten Bild vom Hieros Gamos (heilige Hochzeit von Zeus und Hera) der Gedanke zur Tat wird, ist die Widersprüchlichkeit des stoischen GottesbegrifjCs zwischen raumfüllendem Stoff, Gesetz utld Notwendigkeit einerseits, Geist, Bewußtsein und zwecksetzendem "7il_ len andrerseits geschickt umspielt. Nie wieder hat Dion sich zu einem solch hohett Flug der Gedanken hinreißen lassen. So wirkt denn der schlußvergleich mit dem in die Höhe entschwindenden Vogel fast wie eitle Entschuldigung, daß er, der praktische Moralphilosoph, sich auf naturwissemchajtliche Spekulationen eingelassen habe. Berücksichtigt man aber Situation und Anlaß der Rede, so ist die Absicht, die Dion mit ihr verfolgte, klar, auch wetln sich der Schlußteil mehr als somt üblich verselbstätldigt: das Reich der Götter in seiner Vorbildhaftigkeit für die Polis der Memchett. Abschluß Was die Lektüre von Diom TFerk interessant macht, ist nicht so sehr die Bedeutung einiger seiner RedetI als kulturhistorische ~e!!e und eber/SOwenig seine Aktualität in einem vordergründigen Sinn. Das eine hieße, DiOlI zu rein archivarischer Bedeutung zu degradieretl, das andere, ihm in Verketlnung der eigenen Zeit ein historisch nicht gerechtfertigtes Gewicht beizulegen. Interessant sind die RedetI wohl vor allem als Zeugnis eines durch und durch griechisch empfindenden Memchm in römischer Zeit. Es katm kein Zweifel daran bestehen, daß Dion gleich seinem Zeitgenossen Plutarch, von wenigen Vorbehalten abgesehen, in praktischpolitischen Fragen ein Freund der Römer war, daß er trotzdem aber im Geistigen und Kulturellen ein bedingungsloser Verehrer der alten Griechen blieb. Mehr als der Verlust politischer Bedeututtg schmerzte ihn der Niedergarlg der althellmischen Kultur und de s Geistes, der sie getragen hatte. Zwar versuchte er, sich dem völligen Ruin entgegenzustemmen und wurde nicht müde, die Erinnerung an das verpflichtende Vorbild wachzuhaltm, aber ein Unterton der Resignation läßt sich kaum überhören. Dion repräsentiert, weun man so will, das t)'jiische Schicksal des Epigonen, und dies in eindrucksvoller TFeise: Er verehrt die klassi-

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EINLEITUNG

sehe Zeit des Griechentums, doch liegen seine eigenen geistigen TFurzeln gar nicht dort, sondern in der durch Stoa und Kynismus geprägten Ühergangszeit. Seiner ganzen Natur nach konnte sich Dion nicht damit hegnügen, wie es die meisten seiner Kollegen taten, in der Trauer um die verlorene Selhständigkeit den Schwanengesang auf den Untergang des Griechentums anzustimmen und höchstens noch den Versuch zu machen, Attika wmigstens in der Sprache von neuem erstehen zu lassen. Ihn drängte es zur Tat, und gerade deshalh konnte er sich unmöglich streng einem eir/zigen System anschließen. Er war Kyniker, aher zugleich vom alten Polisempfinden viel zu stark durchdrungen, als daß er sich außerhalh der menschlichen Gesellschaft hätte stellen können - die Bautätigkeit in Prusa paßt schlecht zu einem At/hänger des Diogenes. Er war Stoiker, was ihn aher nicht daran hinderte, gegen Musonius zu Felde zu ziehen, wenn er hier Gefahr witterte, der stoische Kosmopolitismus könne zur Ahwertung der Polis führen. Es hinderte ihn auch nichts, die Lehre der strengen Stoa zu einer Philosophie des gesunden Menschenverstandes umzumodeln und sie den praktischen Gegehenheiten hesonders im politischen Lehen anzupassen. In einer Epoche ohne Größe, gewissermaßen eingekeilt zwischen den glanzvollen, an Geist wie an Gelehrsamkeit üherreichen 1ahrhunderten des Hellenismus und den Stürmen der späten Kaiserzeit, in denen die antike Kultur untergehen sollte, ist Dion, den Spätere nicht ohne Grund Chrysostomos, «Goldmund» genannt hahen, nehen Plutarch wohl die faszinierendste Gestalt, gewandt und liehenswürdig, resigniert his zur Weltflucht und doch zum Handeln mtschlossen dort, wo es ihm um der EinzelrJen wie um der Polis willen notwendig und möglich schien.

SÄMTLICHE REDEN

,1. VON DER HERRSCHAFT (I)

(I) Von dem Flötenspieler Timotheos' erzählt man, daß er einst, als er Alexander dem Großen zum ersten mal aufder Flöte vorspielte, mit seinem sehr gekonnten und musikalischen Vortrag die dem König eigentümliche Art gen au getroffen habe, nicht mit einem einschmeichelnden langsamen Stück oder mit einem, das zur Entspannung und Zerstreuung dient, sondern, wie ich vermute, gerade mit der hellen Weise, die nach Athene genannt ist. (2) Und Alexander sei sofort wie besessen aufgesprungen und habe zu den Waffen gegriffen, so gewaltig habe ihn die Melodie dieser Musik und der Rhythmus des Vortrags ergriffen. Aber das kam nicht so sehr von der Gewalt der Musik als von dem energischen und temperamentvollen Wesen des Königs, (3) denn den Sardanapal hätte selbst Marsyas in eigener Person oder Olympos nicht aus dem Schlafzimmer von seinen Frauen weggelockt, geschweige denn Timotheos oder sonst einer von den neueren Künstlern. Ja mir scheint, nicht einmal, wenn Athene ihre eigene Weise vorgetragen hätte falls das möglich wäre -, hätte er zu den Waffen gegriffen, sondern wäre viel eher noch aufgestanden, um zu tanzen oder davonzulaufen. So erbärmlich war er dran wegen seiner schrankenlosen Freiheit und Schwelgerei. (4) Es ist nun billig, daß auch ich meine Aufgabe nicht schlechter erftille als ein Flötenspieler und Worte finde, die ebenso männlich und edel sind wie seine Töne, (s) dabei aber nicht nur in einer Tonart gesetzt, sondern zugleich leidenschaftlich und sanft, kriegerisch und friedlich, dem Gesetz gehorsam und trotzdem wahrhaft königlich, zumal ich mich an einen Mann 2 wende, der, glaube ich, ein entschlossener und

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VON DER HERRSCHAFT (I)

(1,5-9

dabei dem Recht sich beugender Führer sein will, der großen Mut, aber auch einen ausgeprägten Rechtssinn nötig hat. (6) Wenn nun Timotheos ebenso, wie er eine kriegerische Weise vortragen konnte, auch ein Stück hätte spielen können, das die Fähigkeit hat, die Seele gerecht, verständig, besonnen und menschlich zu machen, das nicht nur zu den Waffen treibt, sondern auch zu Frieden, Eintracht, Ehrfurcht vor den Göttern und Sorge für die Menschen, dann hätte er auf jeden Fall verdient, bei Alexander zu bleiben und ihm vorzuspielen, nicht nur beim Opfer, sondern auch bei andern Gelegenheiten: (7) wenn er sich willenlos der Trauer hingab, mehr als Anstand und Sitte gefordert hätten, wenn er strenger als recht und billig strafte, wütend wurde über seine Freunde und Gefährten oder seine sterblichen, leiblichen Eltern einfach übersah 3. (8) Aber musikalisches Wissen und Können reichen freilich nicht aus, eine vollständige Heilung und allseitige Abhilfe von Charakterschwächen herbeizuführen. Das ist nun einmal nicht möglich, wie schon der Dichter sagt: Seihst nicht den Söhnen Askleps gah dies der Gott z.um Geschenk. 4 Das vermag allein das Wort verständiger und weiser Männer, wie sie meist in früheren Zeiten gelebt haben, ein selbständiger und vollkommener Führer und Helfer für eine lenksame und gute Natur, zu jeder Vortrefflichkeit aufmunternd und auf dem richtigen Weg zu ihr hinführend. (9) Was mag nun der Gegenstand sein, der dir angemessen ist und deinen Eifer verdient? Und woher soll ich so vollendete Worte nehmen? Ich, ein Vagabund und philosophischer Autodidakt, der, soweit es möglich ist, meist an Mühe und Arbeit sein Vergnügen findet, die Worte aber nur zur Aufmunterung an sich selbst oder den ersten besten richtet - wie Männer, die beim Fortstemmen einer schweren Last rufen und singen und sich dadurch die Arbeit unbemerkt erleichtern: Arbeiter, keine Sänger und Liederdichter.

1,10-14]

VON DER HERRSCHAFT (1)

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(10) Zahlreich sind die Themen aus dem Gebiet der philosophie, und alle verdienen, gehört zu werden, und versprechen, sofern man nicht nur mit einem Ohr hinhört, wunderbaren Nutzen. Da ich aber einen Hörer gefunden habe, der unverzüglich mit Eifer nach meinen Worten greifen wird, muß ich peitho, die Musen und ApolIon um ihren Beistand anrufen und dann meine Aufgabe so entschlossen wie möglich anfassen. (11) Ich will das Wesen und die Gesinnung eines guten Königs, beides in Kürze umgreifend, darstellen - des Königs, dem schmkte der Sohn des listigen Kronos Zepter urtd Rechtsgewalt, daß er raten könne den Memchen. 5 (12) Vollkommen richtig scheint mir Horner neben vielem anderen auch das zu sagen, daß nicht jeder König Zepter und Macht von Zeus verliehen bekommen habe, sondern nur der gute, und zu keinem andern Recht, als für die Untertanen zu sorgen und zu raten, nicht um zu schlemmen und zu prassen (13) und mit allen in seiner Macht stehenden Mitteln die von Jähzorn, Schmerz, Furcht, Lust und den verschiedensten Begierden zerrüttete Seele mit Dummheit, Unverschämtheit, Hochmut und lauter Ungesetzlichkeit randvoll zu stopfen. Vielmehr soll er aufsieh und seine Untertanen achthaben und ein echter Hüter und Hirte seines Volkes sein, kein Tischherr und Zechgenosse, wie einer gesagt hat 6 • Nicht einmal Schlaf ftir die ganze Nach t darf er beanspruchen 7 in der Überzeugun g, er habe keine Zeit zum Müßiggang. (14) Übereinstimmend mit den anderen weisen und wahrhaftigen Männern sagt auch Horner, daß ein schlechter, zügelloser und habgieriger Mensch weder sich selbst jemals beherrschen und in der Gewalt haben kann noch einen andern, und niemals wird er ein König sein, selbst wenn die ganze Welt,Griechen und Nichtgriechen, Männer und Frauen, ihn daftir hielten und nicht nur die Menschen ihn bewunderten und ihm gehorchten, sondern auch die Vögel

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in der Luft und die Tiere auf den Bergen sich genauso wie die Menschen fügten und seine Befehle ausführten. (IS) Wir wollen also über den König sprechen, wie Homer ihn versteht, über den wahren König. Denn diese Darstellung, in einfachen Worten, ohne Schmeichelei und Verunglimpfung, bestimmt ganz von selbst den idealen König und heißt ihn gut, soweit er diesem Ideal entspricht; wo nicht, überführt und tadelt sie ihn. Zum ersten achtet ein guter König auf die Götter und verehrt ihre Macht. (I6) Denn ein gerechter und guter Mensch kann unmöglich einem anderen mehr vertrauen als den Gerechtesten und Besten, eben den Göttern. Wer aber glaubt, er könne mit seiner Schlechtigkeit jemals den Göttern gefallen, erweist sich schon darin als gottlos, denn das Göttliche gilt ihm offenbar als dumm und schlecht. (I7) Nächst den Göttern wird er für die Menschen sorgen, die Guten lieben und ehren, aber sich aller annehmen. Denn wer nähme sich einer Rinderherde mehr an als der Hirte? Wer wäre den Schafen hilfreicher und besser als der Schäfer? Wer liebte die Pferde mehr als der, der über sehr viele Pferde verfügt und den größten Nutzen von ihnen hat? (I8) Sollte da wohl jemand die Menschen mehr lieben als der, der Herr über sehr viele Menschen ist und sich ihrer höchsten Bewunderung erfreut? Denn schlimm wäre es, wenn die Herren von Tieren, die doch ganz in der Natur leben und fi-emden Blutes sind, gegen ihre Schutzbefohlenen mehr guten Willen zeigten als ein König, der über zivilisierte Menschen seines Bluts herrscht. (I9) Und umgekehrt lieben Herden ihre Hirten, Pferde ihre Lenker mehr als alles andere und folgen ihnen, und Hunde schützen die Jäger und lieben sie: So liebt alles, was abhängig ist, seinen Herrn. (20) Wie wäre es da denkbar, daß Wesen ohne Einsicht und Vernunft ihre Betreuer kennen und lieben, das Wesen aber, das am meisten Vernunft und die Fähigkeit zum Dankbarsein

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besitzt, sie nicht kennt und ihnen feindlich ist? Es ist schon so, der milde und menschenfreundliche König ist bei seinen Untertanen nicht nur beliebt, er wird auch von ihnen geliebt. Wenn er das weiß und die natürliche Anlage dazu hat, wird er ftir alle ein offenes und mildes Herz haben, da er in allen ja seine aufrichtigen Freunde sieht. (2r) Ferner glaubt er, mit Rücksicht auf seine Stellung mehr haben zu müssen, aber nicht Geld und Vergnügen, sondern Sorge und Kummer. Deshalb liebt er Arbeit mehr als mancher andere Vergnügen und Geld. Denn er weiß, daß fortwährender Genuß die Menschen in allem übrigen verdirbt und auch zum Genuß selbst bald unfähig macht, während Arbeit neben ihrem sonstigen Nutzen die Leistungsfähigkeit immer noch steigert. (22) Er allein darf die Soldaten mit «Kameraden », die ihm Nahestehenden mit «Freund» anreden, ohne das Wort Freundschaft lächerlich zu machen. Er kann nicht nur «Vater» seiner Bürger und Untertanen genannt werden, sondern auch mit Taten den Titel rechtfertigen. «Herr» aber läßt er sich nicht einmal von den Sklaven, geschweige denn von den Freien gerne nennen. (23) Denn er ist davon überzeugt, nicht um seiner selbst wlllen - er ist ja nur einer -, sondern um aller Menschen willen König zu sein. Und so bereitet es ihm mehr Vergnügen, anderen Gutes zu tun, als diese sich freuen, Gutes zu empfangen, und nur von diesem Vergnügen kann er nicht genug bekommen. Denn alles andere an seinem Amt betrachtet er als notwendig, in der Möglichkeit, Gutes zu tun, aber sieht er die einzige segensreiche Freiheit. (24) Mit seinem Gut geht er sehr großzügig um, als wlire es unerschöpflich, etwas Schlechtes aber kann er seiner Natur nach noch weniger verursachen als etwa die Sonne Finsternis. Wer ihn einmal gesehen und kennengelernt hat, will ihn nicht mehr verlassen, wer von ihm gehört hat, wünscht ihn noch heftiger, als Kinder den unbekannten Vater ausfindig ma-

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chen wollen, zu sehen. (25) Die Feinde fürchten ihn, und niemand will sein Feind sein, die Freunde aber sind voller Zuversicht, und wer in seiner nächsten Nähe ist, hält sich fur ganz geborgen. Hat jemand mit ihm zu tun, befällt ihn bei seinem Anblick nicht Schrecken und Furcht, wohl aber ein Gefuhl der Ehrfurcht, die viel stärker und mächtiger ist als die Furcht. Denn Furcht ist zu Haß und Flucht nur allzu bereit, Ehrfurcht aber macht anhänglich und bewundert. (26) Geradheit und Wahrhaftigkeit hält er flir die Zeichen eines königlichen und klugen Mannes, während er in Tücke und Hinterlist die Mittel des Dummen und Sklaven sieht. Er merkt ja, daß auch bei den Tieren gerade die feigsten und niedrigsten zugleich die falschsten und hinterlistigsten sind. (27) Wenn er auch von Natur ehrgeizig ist und weiß, daß die Menschen ganz natürlich die Guten ehren, so rechnet er doch noch weniger damit, von Widerwilligen geehrt zu werden als die Freundschaft derer zu erlangen, die ihn hassen. Kriegliebend ist er bis zu dem Grad, daß es immer noch in seiner Macht steht, Krieg zu führen; friedliebend, soweit nichts mehr vorhanden ist, wofür ein Krieg sich lohnte. Selbstverständlich weiß er auch, daß, wer am besten zum Krieg gerüstet ist, am ehesten in Frieden leben kann. (28) Er ist von Natur ein Freund seiner Gefährten, seiner Bürger und seiner Soldaten ohne Unterschied. Denn wer das Heer mißachtet und niemals oder nur selten die Männer, die für sein Reich Gefahren und Strapazen auf sich nehmen, gesehen hat und statt dessen der unnützen und unbewaffneten Menge schmeichelt, dem geht es ähnlich wie dem Hirten, der seine Hunde, die ihm beim Hüten helfen, nicht kennt, ihnen kein Futter gibt und nie eine Wache mit ihnen teilt: Er ermuntert nicht nur die wilden Tiere, sondern auch die Hunde, sich an der Herde zu vergreifen. (29) Wer aber seine Soldaten allzu weich behandelt, sie nicht Drill und Entbehrungen ertragen

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läßt und dem Volk nicht die nötige Sorge widmet, gleicht dem Steuermann, der seine Matrosen durch Schlemmerei und Schlaf am hellichten Tag verkommen läßt und dem es gleichgültig ist, wenn Passagiere und Schiff untergehen. (30) Wenn nun ein Herrscher sich in dieser Beziehung zwar richtig verhält, aber den Leuten in seiner Umgebung und denen, die sich seine Freunde nennen, die nötige Ehre vorenthält und nicht darauf achtet, daß sie in aller Augen glücklich und beneidenswert sind, dann wird er im geheimen zum Verräter an sich selbst und an seiner Herrschaft, denn er nimm t denen, die schon seine Freunde sind, den Mut und läßt allen anderen die Freundschaft mit ihm als keineswegs begehrenswert erscheinen. So beraubt er sich des schönsten und wertvollsten Besitzes, der Freundschaft. (31) Denn wer wird sich weniger bedenken, wenn es den letzten Einsatz gilt, als der Freund? Wer teilt bereitwilliger die Freude im Glück? Wessen Lob wäre willkommener als das der Freunde? Von wem schmerzte die Wahrheit weniger? Welche Festung, welches Bollwerk, welche Waffen sind zuverlässiger und stärker als der Schutz ergebener Männer? (32) Denn wieviel Freunde jemand hat, soviel Augen hat er, um zu sehen, was er will, soviel Ohren, um zu hören, was nötig ist, soviel Gedanken, um über das Nützliche nachzudenken. Ja es ist gerade so, wie wenn ein Gott einem Menschen mit nur einem Leib viele Seelen gegeben hätte, die alle für ihn sorgen. (33) Um die meisten Kennzeichen des guten Königs zu übergehen und gleich das eindeutigste zu nennen: Ihn loben alle Guten ohne Scheu, zu seinen Lebzeiten und auch noch später. Allerdings legt er keinen Wert auf das Lob von gemeinem Volk und Faulenzern, sondern nur auf das von Freien und Edlen, fur die ein Leben in Lug und Trug seinen Wert verloren hätte. (34) Wer möchte da einen solchen Mann und ein solches Leben nicht glücklich preisen? Wie sollten nicht von überallher die

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Leu te zusammenströmen, um ihn zu sehen und von seiner Vor. trefflichkeit Gewinn zu haben? Welcher Anblick wäre erhabe. ner als der eines edlen Königs, der vor keiner Mühe zurück· schreckt? Was könnte ein größeres Vergnügen bereiten als ein milder und freundlicher Herrscher, der allen helfen will und allen helfen kann? (35) Was wäre nützlicher als ein billiger und gerechter Herr? Wer könnte sicherer leben als der, den alle ohne Ausnahme schützen? Wer glücklicher als der, der in nie. mand einen Feind zu sehen braucht? Wer ungetrübter als der, der sich nichts vorzuwerfen hat? Wer ist schließlich glücklicher als der Mann, dessen Vortrefflichkeit überall bekannt ist? (36) Ich habe ganz einfach über den guten König gesprochen. Sollte das eine oder andere davon auch auf dich zutreffen, so bist du glücklich zu nennen wegen deines freundlichen und gü. tigen Wesens, glücklich aber auch wir, die wir daran teilhaben dürfen. (37) Nach diesem Teil meiner Ausführungen wollte ich eigentlich auf den größten und höchsten König und Herrscher zu sprechen kommen, den die Sterblichen und alle, die die An· gelegenheiten der Sterblichen verwalten, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben stets vor Augen haben müssen, indem sie sich im Rahmen des Möglichen nach ihm ausrichten und sich ihm angleichen. (38) Denn deswegen nennt Homer die echten Könige auch «gottgenährt»8 und «Zeus gleich an Rat» 9, und von Minos, der wegen seiner Gerechtigkeit den höchsten Ruhm genoß, erzählt Homer, er sei Gefährte des Zeus geworden 10. Und beinah alle Könige, die jemals bei Griechen und Nichtgrie. chen diesen Titel zu Recht getragen haben, gelten allgemein als Schüler und Nacheiferer dieses Gottes. (39) Denn Zeus hat als einziger unter den Göttern die Beinamen «Vater>} und «König}), «Polieus)}, «Philios}}, «Hetaireios)} und «Homognios», ferner «Hikesios», «Phyxios» und «Xenios» und zahllose an· dere Beinamen, die alle etwas Gutes bedeuten und Urheber

1,39-44]

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II

von Gutem sind". (40) «König» heißt er wegen seiner Herrschaft und Macht, «Vater» vermutlich wegen seiner Fürsorge und Milde, «Polieus» im Blick auf das Recht und das Gemeinwohl, «Homognios» wegen der Stammesverwandtschaft zwischen Göttern und Menschen, «Philios» und «Hetaireios», weil er alle Menschen zusammenführt und will, daß sie einander Freunde sind, nicht einer des andern erbitterter Feind, (4 r ) «Hikesios», weil er den Bittenden gnädig sein Ohr leiht, «Phyxios», weil er Sicherheit vor allem Schlechten gewährt, «Xenios», weil es den Anfang der Freundschaft bedeutet, wenn einem die Fremden nicht gleichgültig sind und man nicht glaubt, der andere gehe einen nichts an, «Ktesios» und «Epikarpios», weil er die Früchte gedeihen läßt und Reichtum und Besitz schenkt, nicht Armut und Mangel. Und so müssen von vornherein all diese Fähigkeiten der Macht und dem Namen des Königs innewohnen. (4 2 ) Schön wäre es, in diesem Zusammenhang über die Verwaltung des Kosmos zu sprechen, wie das All, glücklich und weise ausgedacht, fortwährend eine unendliche Zeit in unendlichen Umläufen ohne Unterbrechung durchwandert, gelenkt von einem guten Geschick und einer ebensolchen göttlichen Macht, von der Vorsehung und der gerechtesten und besten Gewalt; wie es auch uns sich selbst gleichmacht, da wir auf Grund der natürlichen Verwandtschaft zwischen ihm und uns unter ein und dasselbe Recht und Gesetz geordnet sind und derselben Verfassung teilhaftig. (43) Wer sie in Ehren hält, sich nach ihr richtet und nichts tut, was nicht in ihrem Sinn wäre, lebt nach dem Gesetz, ist bei den Göttern beliebt und fügt sich in die große Ordnung ein. Wer sie aber stört, soweit es in seinen Kräften steht, sie überschreitet und mißachtet, ist gesetzlos und ohne Ordnung, gleich, ob er sich privater Bürger oder Staatsmann nennt, obwohl bei einem Staatsmann der Verstoß viel größer und aller welt sichtbar ist. (44) Wie nun bei den

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Feldherren und Befehlshabern von Heeren, Städten und Vö\. kern jeder, der sich deine Haltung zum Vorbild nimmt un( mit deinem Wesen die größtmögliche Übereinstimmung zeigt dein vertrautester Freund sein mag, aber jeder, der dir nichl entspricht und dir unähnlich ist, Tadel und Verachtung ver. dient, sofort seines Postens enthoben wird und anderen Platl macht, die besser und ihrer Aufgabe eher gewachsen sind, (45' so ist es auch bei den Königen, denn sie haben, wie ich glaub~ ihre Gewalt und Vollmacht von Zeus verliehen bekommen Wer im Blick aufihn nach seinem Recht und seiner Satzung dal Volk gerecht und gut ordnet und regiert, wird eines guten Lo· ses und eines glücklichen Endes teilhaftig; (46) wer sich abel Ausschreitungen gestattet und den nicht ehrt, der ihm sein( Stellung anvertraut oder als Geschenk gegeben hat, der hai nichts von seiner großen Fülle und Macht außer dem einen daß er vor allen seinen Zeitgenossen und vor der Nachwelt all verbrecherischer, zügelloser Mensch dasteht - ein zweite! Phaeton, von dem man sich erzählt, er habe gegen den Willei des Schicksals den gewaltigen Götterwagen bestiegen, obwohl er ihn nicht lenken konnte. (47) So ungefähr sagt auch Homer Ihm, der verhärtet ist selbst und harte Gedankert heget, fluchen fortan, rolang er noch lebt, die Sterblichen alle Schmer'Zert hernieder, und ist er gestorberl, verspottet ihn jeder. Trer aber, selbst ohne Tadel, untadlig dertkt an die andern, dessen Ruhm tragen weithin, die Gast bei ihm waren im Hause, fern 'Zu den Memchen, und viele sprechen von ihm als dem Edlen." (48) Xch rür meinen Teil würde nun am allerliebsten, wie icl schon sagte, über dieses Thema sprechen, über Zeus und di( Natur des Alls. Da es aber für diese Gelegenheit entschiedel zu umfangreich ist und ohne genaue Beweisführungen niehl behandelt werden kann, habe ich vielleicht später einmal Zeit, mich damit zu befassen. (49) Wenn du aber gerne eine Ge· schichte hören möchtest, oder besser ein ehrwürdiges und heil·

1,4g-54]

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sames Wort in der Form einer Geschichte, dann wird dir, wenn du dir jetzt oder auch bei späterer Gelegenheit Gedanken darüber machst, durchaus angebracht erscheinen, was ich einmal eine Frau aus Elis oder Arkadien von Herakles erzählen hörte. (50) Als ich während meiner Verbannung einst umherzogund großen Dank weiß ich den Göttern, daß sie mich nicht zum Zeugen schreiender Ungerechtigkeit werden ließen 13 -, bereiste ich Länder, soviel ich konnte, in der Gestalt und Kleidung eines Landstreichers, bald unter den Griechen, bald außerhalb Griechenlands, bettelnd nur um ein Stückchen Brot, nicht um Schwerter und Schalen. 14 (SI) Und so kam ich auch einmal auf die Peloponnes. Aber von den Städten hielt ich mich fern und verbrachte meine Zeit auf dem Land, da es viele Möglichkeiten für interessante Beobachtungen bietet, und lebte unter Hirten und Jägern, ehrbaren Leuten mit einfachen Sitten. (52) Als ich nun den Alpheios aufwärts von Heraia nach Pisa ging, war ich eine Zeitlang auf dem richtigen Weg. Dann aber geriet ich plötzlich in ein unwegsames Waldgebiet, wo mehrere Pfade zu irgendwelchen Schafund Rinderherden ftihrten. Da ich niemand traf, den ich nach dem Weg hätte fragen können, verfehlte ich die Richtung und hatte mich am hellichten Mittag verirrt. Da sah ich auf einer Anhöhe eine Gruppe Eichen, die aussah wie ein heiliger Hain, und ging hin, ob ich vielleicht von dort einen Weg oder ein Haus ausmachen könnte. (53) Ich fand einige kunstlos zusammengeftigte Steine, aufgehängte Felle von Opfertieren, Keulen und Stäbe -lauter Weihgeschenke von Hirten, wie es schien, und ein wenig abseits saß eine kräftige, stattliche Frau, schon älter an Jahren, in ländlicher Kleidung, und graue Locken fielen ihr auf die Schultern. (54) Sie fragte ich ganz genau, und sie erzählte mir zuvorkommend und sehr freundlich in dorischer Mundart von dem Platz, daß er dem Herakles geweiht sei, von sich selbst, daß sie einen Jungen habe, einen Hirten, daß sie oft

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aber auch selbst die Schafe hüte. Von der Göttermutter habl sie die Wahrsagekunst verliehen bekommen, und alle Hirtel und Bauern der Umgebung fragten sie deswegen über Wachs tum und Erhaltung von Ernte und Vieh. (55) «Auch du», fuh sie fort, «bist nicht ohne göttliche Fügung hierhergekommen und nicht mit leeren Händen will ich dich ziehen lassen.» Dam sagte sie mir voraus, daß die Zeit meiner Irrfahrten undDrang sale bald vorüber sei, für mich und für alle andern Menschen (56) Das sagte sie aber nicht wie die meisten sogenannten ver zückten Männer und Frauen, indem sie um Atem rang, deI Kopf verdrehte und wild dreinzuschauen versuchte, sonden ganz beherrscht und bei klarem Bewußtsein. «Eines Tages», sagte sie, «wirst du einem mächtigen Mam begegnen, der über sehr viel Land und Leute herrscht 15. Ihn erzähle, ohne dich zu bedenken, diese Geschichte, auch wem der eine oder andere dich deswegen als herumvagabundieren den Schwätzer verachten sollte. (57) Denn all die klugel Worte und Gedanken der Menschen sind nichts wert im Ver gleich zu göttlicher Erleuchtung und Kunde. Alles nämlich was bei den Menschen jemals weise und wahr über die Götte und das All gesagt worden ist, ist nicht ohne göttliche Ab sicht und Fügung in der menschlichen Seele einmal entstan den und auf die Seher und Gottesmänner der Vorzeit zurück zufUhren. (58) So soll in Thrakien ein Orpheus gelebt haben der Sohn einer Muse, ein anderer soll als Hirte irgendwo in boiotischen Bergland die Musen selbst gehört haben 16. AU aber, die, ohne vom Gott ergriffen und erleuchtet zu sein, ir gendwelche selbsterfundenen Geschichten unter dem Scheil der Wahrheit in Umlauf bringen, sind töricht und schlecht. Höre also diese Geschichte mit wachen Sinnen und sehr auf merksam, damit du sie behältst und jenem weitererzählel kannst, mit dem du, wie ich sage, zusammentreffen wirst. Sil handelt von eben dem Gott, in dessen Nähe wir jetzt sind

,,;9-64]

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(59) Er war, .wie alle sagen, der Sohn von Zeus und A~kmene nd König mcht nur von Argos, sondern von ganz Gnechen~~nd. Allerdings wissen das die meisten nicht, sondern nur, daß er in der Fremde weilte, auf Kriegszügen und um sein Reich zu schützen, und sie behaupten, Eurystheus sei zu dieser Zeit König gewesen, aber das ist Unsinn. (60) Herakles war nicht nur König von Griechenland, sondern er herrschte über alles Land von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und über alle Menschen, bei denen es Heraklesheiligtiimer gibt. (61) Er war einfach erzogen, ohne die ausgeklügelten und überflüssigen Spitzfindigkeiten und Praktiken verfluchenswerter Menschen. Man erzählt sich auch von Herakles, er sei unbekleidet gegangen und habe nur ein Löwenfell und eine Keule bei sich gehabt. (62) Das ist aber so zu verstehen, daß er auf Gold, Silber und Kleidung keinen Wert legte, sondern das alles für wertlos hielt, soweit er es nicht verschenkte und anderen damit eine Freude machte. Jedenfalls hat er vielen nicht nur unendlich viel Geld gegeben, Land, Pferde- und Rinderherden, sondern ganze Reiche und Städte. Denn er glaubte fest, daß das alles ihm gehöre und keinem andern und daß den Gaben die Zuneigung der Beschenkten folgen werde. (63) Und auch das ist nicht wahr, daß er allein ohne Heer umherzog. Denn unmöglich hätte er Städte erobern, Tyrannen stürzen und die ganze Welt unter seiner Botmäßigkeit halten können ohne eine Streitmacht. Aber weil er alles selbst tat, seine Seele unerschrocken und sein Körper leistungsfähig war und er mehr als jeder andere zuwege brachte, sagt man, er sei allein umhergezogen und habe auch alles, was er wollte, allein ausgeführt. (64) Allerdings machte sich sein Vater '7 auch viel Mühe mit ihm, indem er ihm gu te Impulse gab und ihn mit vortrefflichen Menschen zusammenbrachte. Er ließ ihm auch bei jedem Unternehmen Zeichen zukommen, durch Vögel, Opfer-

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[I,64-6.

flammen und jede Art von Vorhersage. (65) Als er aber sah daß er nach Macht strebte - allerdings nicht aus den gewöhn lichen Gründen, um sich vergnügen und sich persönlich be reichern zu können, sondern um in der Lage zu sein, möglichs vielen möglichst viel Gutes zu tun -, da bedachte er doch, ob wohl er die edle Natur seines Sohnes kannte, was sterblich ar ihm war: daß es bei den Menschen viele schlechte Beispieli gibt fur Genußsucht und Ausschweifung und daß viele auel einen gutgearteten Menschen gegen seinen Willen von seinen eigentlichen Wesen und seiner Überzeugung abbringen. Da: alles bedachte Zeus und schickte den Hermes, nachdem er ihn aufgetragen hatte, was zu tun sei. (66) Als Hermes in Theben, wo der kleine Herakles auf wuchs, angekommen war, sagte er, wer er sei und wer ihn ge schickt habe, nahm ihn bei der Hand und führte ihn einen ge. heimen, noch von keinem Menschen betretenen Weg, bis el an einen ringsum sichtbaren und sehr hohen Berggipfel kam dessen Seiten in steilen Wänden schroff in eine tiefe Schluchi abfielen; durch sie floß im Kreis herum ein Strom, der laute: Rauschen und Tosen heraufsandte. Sah man von unten empor erblickte man oben nur einen einzigen Gipfel, in Wirklichkeil aber waren es zwei, die, wenn auch weit auseinanderstehend doch aus einem Massiv aufstiegen. (67) Der eine hieß König. spitze und war dem König Zeus heilig, der andere Tyrannen spitze, dem Typhon zubenannt. Sie hatten von außen zwe Zugänge, jede Spitze einen: die Königspitze einen sichere! und breiten, so daß man in einem Wagen ohne Gefahr une Unfall auf ihm ins Innere gelangen konnte, wenn es der höch ste Gott einem gestattete; der Zugang zur TyrannenspitZl aber war eng, gewunden und schwierig, so daß die meisten die hier ihr Glück versuchten, über die steilen Wände hinal in den Fluß stürzten, vermutlich deswegen, weil sie gegen da: Recht diesen Weg beschritten. (68) Beide Spitzen erscheine!

1,68-73]

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nun, wie ich schon sagte, von der Ferne gesehen, als eine einzige, ungeteilte Spitze, in Wirklichkeit aber ist die Königspitze so hoch, daß sie über den Wolken im klaren und strahlenden Himmelsraum liegt, während die andere viel niedriger . ist und die Wolken sich dicht um sie zusammenballen, finster und neblig. (69) Dorthin führte ihn nun Hermes und zeigte ihm die Beschaffenheit des Ortes. Als Herakles aber, jung und ehrgeizig, wie er war, unbedingt auch das Innere sehen wollte, sagte Hermes zu ihm: ,Dann folge mir, damit du genau den Unterschied siehst zwischen allem übrigen, was den Toren verborgen bleibt.' (70) Er zeigte ihm nun zunächst eine schöngestaltete, erhabene Frau, die auf dem höheren Gipfel auf einem glänzenden Thron saß, mit einem weißen Gewand angetan, ein Zepter in der Hand, nicht aus Gold oder Silber, sondern von anderer Art, lauter und viel strahlender - so etwa, wie sie meist die Hera malen. (7 I ) Ihr An tli tz war hei ter und voll Hoheit zugleich, so daß alle Guten ihr getrost ins Auge sehen konnten, aber kein Schlechter ihren Blick ertragen hätte, genausowenig, wie ein Mann mit kranken Augen in den Sonnenball sehen kann. Ihr Ausdruck war ruhig und gleichbleibend, und niemals wandte sie den Blick. (72) Tiefe Stille und lautlose Ruhe lag über dem Ort. Alles war voll von Früchten und lebendigen Wesen jeder Art. Es lag da auch unermeßlich viel Gold aufgehäuft, Silber, Erz und Eisen. Aber sie achtete nicht auf das Gold und hatte mehr Freude an den Früchten und an den lebenden Wesen. (73) Bei ihrem Anblick errötete Herakles vor heiliger Scheu, ergriffen von tiefer Ehrfurcht wie ein guter Sohn vor der edlen Mutter. Dann fragte er Hermes, welche Gottheit sie denn sei. Er antwortete: ,Das ist die glückselige Göttin Königsherrschaft, die Tochter des Königs Zeus.' Da wurde Herakles froh und faßte Vertrauen zu ihr. Und von neuem erkundigte er sich

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nach den Frauen, die bei ihr waren. ,Wer sind sie?' fragte er ,Wie schön und prächtig sie sind, von welch männlichem Aus sehen!' (74.) ,Die hier zur Rechten', gab Hermes zur Ant wort, ,mit dem furchterregenden und doch sanften Blick, is Gerechtigkeit, strahlend in reiner und klarer Schönheit. Nebel ihr sitzt Rechtsordnung, ganz ähnlich wie sie und nur im Aus sehen ein wenig unterschieden. (75) Die Frau auf der anderel Seite, voller Anmut, fein geschmückt und heiter lächelnd nennen sie Frieden. Und dieser kräftige Mann, der bei de Königsherrschaft steht, unmittelbar vor ihrem Zepter, mi grauem Haar und hohen Gedanken, der wird Gesetz genannt er heißt aber auch Rechtssinn, Ratgeber und Beisitzer. Ohne ihn dürfen die Frauen nichts tun und planen.' (76) Als Herakles das alles sah und hörte, war er entzück! und paßte gen au auf, daß er es niemals vergäße. Als sie danr von dort abstiegen, gelangten sie an den Zugang zur Tyran. nenspitze. ,Komm hierher', sagte Hermes, ,und sieh di! auch die andere Frau an, nach der die meisten trachten une um die sie sich alle erdenkliche Mühe geben, die Unglück seligen, um deretwillen sie zum Mörder werden, nur allzuofi Kinder den Eltern und Eltern den Kindern und Brüder den Bruder feind werden, bloß weil sie das größte Übel unbedingl haben wollen und in den Himmel heben: Macht ohne Klug. heit.' (77) Zunächst zeigte er ihm die Stelle, wo der Eingan@ war. Man sah nur einen Zugang, etwa so, wie ich ihn bereit! beschrieben habe, gefährlich und unmittelbar am Steilhan@ entiangftihrend. Da gab es viele unsichtbare und verborgene Gänge, und ringsum war der ganze Ort unterhöhlt und durch· löchert, wie ich vermute, bis unmittelbar an den Thron, Gänge und Pfade waren mit Blut besudelt und lagen voll Lei· ehen. Aber Hermes führte ihn keinen dieser Wege, sondern den Weg außen herum, der nicht so schmutzig war; denn Herakles sollte doch wohl nur alles betrachten.

1,78-8']

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(78) Als sie eingetreten waren, fanden sie Tyrannis hoch ben sitzen. Mit aller Gewalt wollte sie es der Königsherr;chaft gleichtun und sich ihr gleichstellen, nur, wie sie glaubte, auf einem viel höheren und festeren Thron, mit zahllosen schnitzereien, Ornamenten aus Gold, Elfenbein, Bernstein und Ebenholz und in den buntesten Farben angemalt. Aber der Thron war nicht fest am Grund verankert, sondern bewegte sich schwankend. (79) Auch sonst herrschte keine Ordnung, alles war auf Schein, Prahlerei und Luxus angelegt. Zepter gab es die Menge, und viele Turbane und Diademe auf dem Kopf. Sie versuchte zwar, die Haltung der Königsherrschaft nachzumachen, aber anstatt freundlich zu lächeln, grinste sie gemein und hinterhältig, statt majestätisch zu blicken, schaute sie mürrisch und finster drein. (80) Um ihren Stolz zur Schau zu stellen, sah sie keinen an, der sich ihr näherte, und wUrdigte ihn keines Blicks, weshalb sie auch jeder haßte und sie selbst keinen Menschen kannte. Ruhig sitzen bleiben konnte sie nicht, sondern ließ fortgesetzt den Blick im Kreis herumlaufen und sprang oft vom Thron auf. Das Gold barg sie auf widerliche Weise an der Brust, warf es dann wieder voller Furcht haufenweise fort und raubte schnell einem Vorübergehenden, was er hatte, war es auch noch so gering. (81) Ihr Kleid war bunt, hier purpurn, dort scharlach- und safranfarben; es schimmerten aber auch weiße Flecken durch das Gewand hindurch, und ihr Mantel war an vielen Stellen zerrissen. Sie leuchtete in den verschiedensten Farben, je nachdem sie Furcht, Unruhe, Mißtrauen oder Wut empfand; bald sah man sie von Kummer zu Boden gedrückt, bald von Freude hochgerissen; jetzt hatte sie ein verschwenderisches Lachen im Gesicht, im nächsten Augenblick schwamm sie in Tränen. (82) Sie hatte auch eine Schar Frauen um sich, aber sie glichen nicht denen, die ich als Begleiterinnen der Königsherrschaft erwähnt habe, sondern es waren Grausamkeit, Unverschämtheit, Gesetzlosigkeit und

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[1,82-2

Aufruhr, die sie alle zu vernichten und aufs erbärmlichste z~ grunde zu richten drohten. An Stelle der Freundschaft stan die Schmeichelei da, sklavisch und kriecherisch, und sie trad tete ihr genauso nach dem Leben, ja war sogar noch gierige als die andern, sie ins Verderben zu stürzen. (83) Als Herakles das alles zur Genüge beschaut hatte, fragt ihn Hermes, welche Verhältnisse und welche Frau ihm besse gefielen. ,Nun', sagte er, ,die eine bewundere und liebe id und sie scheint mir wahrhaftig eine Göttin zu sein, die vel dient, daß man ihr nacheifert und sie glücklich preist. Dj zweite aber kommt mir so hassenswert und widerlich vor, da ich sie am liebsten diesen Felsen hier hinunterstieße und ih den Garaus machte.' Diese Antwort hieß Hermes gut und hinterbrachte sie de~ Zeus. (84) Da übertrug er dem Herakles die Herrschaft übe das ganze Menschengeschlecht, weil er jetzt dieser Aufgab tatsächlich gewachsen sei 18. Und so strafte und vernichtet er, wo immer er Gewaltherrschaft und einen Tyrannen sah, Ix den Griechen und bei den Nichtgriechen ; wo aber Königshen schaft und einen König, da entbot er ihnen Ehre und Schuo Und deswegen», schloß die Frau, «ist er der Retter de welt und der Menschheit, nicht weil er sie vor den wildel Tieren schützte - welchen Schaden könnte schon ein LÖWI oder ein Wildschwein anrichten? -, sondern weil er die rohel und schlechten Menschen bestrafte und die Macht überheb licher Tyrannen brach und vernichtete.» Das tut er auch jetzt noch, und er ist dir Hilfe und Schut bei deiner Herrschaft, solange dir zu herrschen beschieden ist

2.

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(I) Man erzählt, daß Alexander sich schon als Junge einmal mit seinem Vater Philipp über Homer unterhalten habe, sei

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und schon ganz wie ein Mann. In diesem GeseIbstbewußt . s räch ging es letzten Endes um das Königsein. Alexander !mlich nahm an den Feldzügen seines Vaters bereits teil, obwohl philipp das nicht haben wollte. Er war aber nicht mehr zu halten, wie rassige junge Hunde um keinen Preis zu Hause bleiben wollen, wenn ihre Herren auf Jagd gehen, sondern oft die Ketten zerreißen und ihnen folgen. (2) Natürlich stören sie manchmal das Un ternehmen, wenn sie in ihrer jugendlichen Begeisterung Laut geben und das Wild vorzeitig aufscheuchen; manchmal allerdings packen sie auch die Beute dadurch, daß sie vorausspringen. So ginges beim ersten Mal auch Alexander: Bei Chaironeia soll er an Kampf und Sieg entscheidend beteiligt gewesen sein, während sein Vater vor dem Risiko zurückschreckte. Zu diesem Zeitpunkt nun opferten sie bei der Rückkehr aus dem Felde in Dion in Pierien I den Musen und richteten die Olympischen Spiele aus, die in diesem Land ein alter Brauch sein sollen. (3) Da fragte Philipp im Verlauf der Unterhaltung Alexander: «Warum, mein Sohn, bist du eigentlich so versessen auf Homer, daß du die anderen Dichter keines Blickes würdigst? Man sollte sich doch auch mit den anderen beschäftigen, da es weise Männer sind.» Alexander erwiderte: «Weil ich glaube, Vater, daß nicht jede Dichtung einem König ansteht, genausowenig wie jedes Kleid. (4) Die Werke der anderen Dichter betrachte ich zum Teil als Trink-, zum Teil als Liebeslieder; dann gibt es Preisgesänge auf siegreiche Wettkämpfer und Rosse, Klagelieder zu Ehren der Toten, und der Rest sind Scherz- lind Spottgedichte, zum Beispiel die Werke der Komödienschreiber und des parisehen Dichters'. (s) Vielleicht könnte man einen Teil von ihnen auch volkstümlich nennen, weil sie Ratschläge und l<;rmahnungen rur das Volk und den einzelnen enthalten, wie '~ch meiner Einschätzung etwa die Werke des Phokylides und

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Theognis. Was fur einen Nutzen könnte unsereins von ihnen haben, der ,Herr über alle sein und allen gebieten will' 3? (6) Allein die Dichtung Homers sehe ich als wahrhaft edel, großartig und königlich an. Sie muß aufmerksam lesen, wer über die Menschen in aller welt oder wenigstens über sehr viele und gerade die hervorragendsten herrschen will- ein, Völker_ hirte', genau im homerischen Sinn. Oder wäre es nicht abwegig, wenn ein König nur das beste Pferd reiten wollte, bei den Dichtern sich aber auch mit kleineren Geistern abgäbe, wie wenn er Zeit die Hülle und Fülle hätte? (7) Glaube mir, Vater, ich kann nicht einmal einen anderen Vers als den heroischen Hexameter Homers hören, geschweige denn einen anderen Dich ter! » Da staunte Philipp über die hohe Gesinnung seines Sohnes, der sich ganz offensichtlich nicht mit schlechten und niedrigen Gedanken abgab, sondern sich mit Heroen und Halbgöttern auf eine Stufe stellte. (8) Aber er wollte ihn doch noch etwas reizen und fragte: «Und von Hesiod, Alexander, hältst du nur wenig?» «Nein, sogar eine ganze Menge», gab er zur Antwort, «nur vielleicht nicht gerade für Könige und Feldherren.» «Für wen denn dann?» Da lachte Alexander: «Für Hirten, Baumeister und Bauern. Denn von den Hirten sagt er, daß die Musen sie lieben, den Bauleuten gibt er kluge Ratschläge, wie stark man eine Achsezu schneiden hat, den Bauern, wann sie das Faß anstechen sollen.»! (9) «Nun, ist das nicht nützlich für die Menschen?» fragte Philipp. «Nicht für uns, Vater, noch für die Makedonen von heute, wohl für die in früheren Zeiten, als sie noch, den Illyrern und Triballern dienstbar, ihre Herden weideten und das Land bestellten.» «Auch die folgende prächtige Hesiodstelle von Aussaat und Ernte gefällt dir nicht?» fragte Philipp weiter:

2,g--131

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Sind die Pleiaden, die Töchter des Atlas, im Aufgehn, fangt mit de~ Ernte an, w.enn sie sinken, ~eginnt mi~.dem Pjlügen!5 (10) «Viel heber habe Ich da, was bel Homer uber den Landbau steht», antwortete Alexander. «Wo schreibt Homer denn über den Landbau?» fragte philipp. «Meinst du vielleicht die Darstellung der Pflüger, Schnitter und Weinleser auf dem Schild 6?» «Nein, die nicht», sagte Alexander, «sondern die andere berühmte Stelle: So wie Schnitter in langen Reihen einander entgegen mähen die Schwod auf dem Feld eines reich begüterten Mannes, Weizen oder auch Gerste, die Bündel fallen in Haufen, so sprangen gegeneinander an die Troianer und Griechen, töteten sich, und keiner dachte schmählich zu jliehen. 7» (Il) «Und doch ist Homer dem Hesiod mit dieser Dichtung unterlegen», wandte Philipp ein 8 • «Oder ist dir die Inschrift am Dreifuß auf dem Helikon unbekann t: Diesen Dreifuß weiht Hesiod des Helikons Musen, Sieger im Lied über Homer, den gö'ttlichen Sänger, in Chalkis?» (12) «Vollkommen zu Recht unterlag er», räumte Alexander ein, «denn er kämpfte nicht vor Königen um den Preis, sondern vor Bauern und Bürgern oder, genauer, vor vergnügungssüchtigen Weichlingen. Und daftir rächte sich Homer dann ja mit seiner Dichtung an den Euboiern.» «Wie denn?» fragte Philipp verwundert. «Nun, er stellt sie als einzige von den Griechen ganz häßlich geschoren und nur am Hinterkopflangbehaart dar 9, wie die verzärtelten Knaben bei den modernen Dichtern.» (I3)DamußtePhilipplachen:«Siehstdu,Alexander,daßman die guten Dichter und die tüchtigen Geschichtsschreiber nich t beleidigen darf?Denn sie können überunssagen, wassiewollen.» «Nicht ganz», wandte Alexander ein. «Dem Stesichoros jedenfalls bekamen seine Lügen über Helena schIech t 10. Und von

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Hesiod glaube ich, Vater, daß er selbst genau gewußt hat, wi( sehr seine Fähigkeiten hinter denen Homers zurückblieben.): (14) «Wieso?» «Weil er einen Katalog von Frauen 11 anlegte, während Ho. mer die Helden besang, und tatsächlich das Frauengemach zum Gegenstand eines Gedichtes machte, das Lob der Männer Homer überlassend.» Da fragte Philipp weiter: «Nun, Alexander, möchtest du lieber Agamemnon, Achilleus oder sonst einer von jenen Hel. den sein oder Homer?» (15) «Nichts von all dem», war die Antwort, «ich möchte Achilleus und die anderen bei weitem übertreffen. Denn id glaube nicht, daß du schlechter als Peleus bist, auch möchte ich Makedonien nicht schwächer als Phthia und den Olymp weniger berühmt als den Pelion nennen ". Auch habe ich ge. wiß keine schlechtere Erziehung von Aristoteles bekommen als Achilleus von dem Sohn des Amyntor, Phoinix, einem Ver. bannten, der sich mit seinem Vater überworfen hatte. Außer. dem mußte Achilleus anderen gehorchen und wurde mit einer kleinen Streitmacht ins Feld geschickt, nicht als alleiniger Be.. fehlshaber, sondern um mit einem anderen gemeinsam den Feldzug durchzuführen. Ich aber möchte mich niemals von einem Menschen beherrschen lassen.» (16) Ein wenig gereizt wandte Philipp ein: «Aber, Alexan· der, du stehst doch unter meiner Herrschaft!» «Nein », antwortete der Sohn, «ich gehorche dir nicht in deiner Eigenschaft als Herrscher, sondern weil du mein Vater bist.» «Du kannst doch wohl nicht wie Achilleus von dir sagen, du seist der Sohn einer Göttin», entgegnete Philipp, «oder glaubst du, Olympias mit Thetis vergleichen zu können?» Still lächelnd antwortete Alexander: «Mir, Vater, scheint sie tapferer zu sein als alle Nereiden.»

.,'7-'9]

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(17) Da lachte Philipp: «Nicht nur tapferer, sondern auch kriegerischer, mein Sohn. Wenigstens liegt sie mit mir immer im Krieg.» - So weit konnten Vater und Sohn in Scherz und Ernst gehen. Da fragte ihn Philipp von neuern: «Aber wie kannst du, Alexander, wenn du Homer so heftig bewunderst, sein dichterisches Können einfach übersehen?» «Weil ich auch in Olympia», verteidigte sich Alexander, «den Herold sehr gerne mit lauter und klarer Stimme die Namen der Sieger ausrufen höre, ich selbst aber niemals die andern als Sieger ausrufen wollte, sondern viel lieber selbst als Sieger ausgerufen werden möchte.» (18) Damit bewies er eindeutig, daß er in Homer einen außerordentlichen und wahrhaft göttlichen Herold der Tüchtigkeit sah und sich selbst und die Helden Homers als Wettkämpfer betrachtete, die mit großen Taten um die Wette eifern. «Im übrigen », meinte er, «wäre es gewiß nicht verfehlt, Vater, wenn ich die Begabung zu einem guten Dichter hätte, denn ein König muß auch reden können. Du wenigstens siehst dich oft gezwungen, gegen Demosthenes, einen ganz gewaltigen Redner, der die Ohren seiner Hörer zu bezaubern versteht, und auch gegen die anderen athenischen Politiker zu schreiben und zu reden.» (19) «Gerne würde ich den Athenern Amphipolis' 3 überlassen», scherzte Philipp, «und dafür den redegewaltigen Demosthenes eintauschen. Aber wie, meinst du, denkt wohl Homer über die Redekunst?» «Ich glaube, er bewundert sie, Vater. Denn sonst hätte er dem Achilleus nicht Phoinix als Lehrer in der Redekunst beigegeben. Zumindest behauptet Phoinix, von Achilleus' Vater gesandt worden zu sein, ein Redner von Worten zu sein, ihn zu lehren, ein Täter von Taten. '4

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[2,20-'

(20) Auch sonst sind die besten und königlichsten HeIdei Homers in dieser Kunst nicht weniger geübt: Diomede~ Odysseus und Nestor, der an Einsicht und Überzeugungs kraft alle anderen übertrifft. Zu Beginn der Dichtung sag Homer von ihm: Süßer als Honigflossen die Worte ihm von der Zunge. IS (2I) Deshalb wünscht sich auch Agamemnon, lieber zehl alte Männer von Nestors Schlag als Ratgeber zu haben al junge Leute wie Aias und Achilleus; dann könnte er Troi: schneller erobern. Die Bedeutung der Redegewandtheit hat Homer auch nocl an anderer Stelle gezeigt. (22) Die Griechen waren wegen de Länge des Krieges und der Schwierigkeit der Belagerung, fer ner auch, wie ich vermute, wegen der ausgebrochenen Pest un( des Streites der beiden Könige Agamemnon und Achilleus an Erfolg ihres Unternehmens verzweifelt. Als zu allem Unglücl auch noch ein Aufrührer l6 unter ihnen auftrat und in der Versammlung Verwirrung stiftete, da eilten sie in Massen zu der Schiffen, um auf der Stelle an Bord zu gehen und sich in Sicher· heit zu bringen. Niemand vermochte sie aufzuhalten, une selbst Agamemnon wußte nicht mehr, was er in dieser Lag< anfangen sollte. (23) Da brachte einzig und allein Odysseus el fertig, die Leute zurückzurufen und umzustimmen: Mit Nestors Unterstützung redete er ihnen gut zu, daß sie schließ· lich blieben. Dieser Erfolg ist also eindeutig den Rednern zu· zuschreiben. Man könnte aber auch auf viele andere Stellen hinweisen. (24) Nicht nur Homer, auch Hesiod scheint so gedacht zu haben, daß neben der Philosophie auch die echte Redekunst einem König anstehe, wenn er von Kalliope sagt: Denn auch würdigen Herrschern gibt 'Zugleich das Geleit sie, wen von den gottentsprossenen Königen, wenn er geboren, huldvoll ansehn die Töchter des mächtigen Zeus und ihn ehren. 17

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(25) Verse zu schreiben, Vater, oder auch Prosa, wie du deine Briefe, durch die du, wie man sagt, sehr berühmt geworden bist, halte ich bei Königen nicht unbedingt für notwendig, es ei denn, sie wären noch jung und hätten Zeit dazu. So erzählt ~lan ja auch von dir, du habest dich in Theben mit rhetorischen Studien befaßt. (26) Auch in der Philosophie braucht ein König es nicht bis zur Vollendung zu bringen; es genügt, wenn er sich ehrlich und schlicht mit ihr beschäftigt, da er schon durch seine Taten sein freundliches, mildes und gerechtes, dabei aber stolzes und männliches Wesen beweist und sich am meisten freut, wenn eranderen Gutes tun kann, was dem Wesen derGötter ja am nächsten kommt. Philosophischen Erörterungen wird er gern zuhören, sooft sich Gelegenheit bietet, da er in ihnen nicht seiner Art Zuwiderlaufendes, sondern ihr Entsprechendes sieht. (27) An der Dichtung Freude zu haben und ihr seine Aufmerksamkeit zu widmen, möch te ich jedem edlen Herrscher von königlichem Sinn raten, freilich nicht an jeder, sondern nur an der besten und erhabensten, wie wir sie allein bei Homer kennen und vielleicht noch bei Hesiod an den en tsprechenden Stellen und bei einigen anderen, die Brauchbares geschrieben haben. (28) Auch möchte ich nicht alles lernen», fuhr Alexander fort, «was in den Bereich der Musik gehört; mir genügte es, Zither oder Leier spielen zu können für die Lieder zu Ehren der Götter und die Gottesdienste, auch wohl für die Lobgesänge auf tüchtige Männer. Aber die Liebeslieder der Sappho oder des Anakreon zu singen wäre für einen König wohl nicht das Richtige, und wenn es schon unbedingt sein muß, dann lieber noch ein Lied des Stesichoros oder Pindar. Aber vielleicht reichte auch dazu Homer.» (29) «Was?» warfPhilipp ein, «glaubst du, daß eine Stelle aus Homer zur Zither oder Leier paßt?» wild blickend wie ein Löwe rief Alexander: «Ich glaube, Vater, daß ein großer Teil der homerischen Gedichte zur Trom-

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pete gesungen werden kann, natürlich nicht, bei Gott, wen sie zum Rückzug bläst, sondern wenn sie mutig vorwärt treibt, und nicht von einem Chor von Frauen oder Mädche gesungen, sondern von einer Phalanx in Waffen; das wäre noc viel besser als die Gesänge des Tyrtaios bei den Spartanern. (30) Da lobte ihn Philipp, daß er gut und des Dichters wÜJ dig gesprochen habe. «Auch das », fuhr Alexander fort, «worüber wir eben noc gesprochen haben, zeigt Homer. Als Achilleus im Lager d< Achaier zurückbleibt, läßt er ihn keine leichten und verliebte Liedchen singen, obwohl er doch, wie erzählt wird, Brisels lieb sondern läßt ihn zur Zither greifen, die er ganz gewiß nie! gekauft oder von zu Hause mitgebracht, sondern aus der BeUi genommen hat, als Thebe erobert und Eetion, der Vater VQ Hektors Frau, erschlagen war 1B • (3 I) Damit erJreut' er sein Herz. und sang; 'POfl dm Taten der Männer, heißt es. Damit will Homer sagen, daß der edle und königlie! Mann weder beim Trinken noch beim Singen Tapferkeit un Heldentaten vergessen darf, sondern immer etwas Großes, w: Bewunderung verdient, tun oder sich solche Taten ins GI dächtnis zurückrufen muß.» (32) In solchen Gesprächen mit dem Vater zeigte sich seir Gesinnung. Den Homer liebte er wirklich, Achilleus aber b wunderte er nicht nur, sondern war eifersüchtig auf ihn, we Homer ihn in seiner Dichtung verlterrlicht hatte, so wie schöl Knaben eifersüchtig werden auf andere schöne Knaben, d einen einflußreicheren Liebhaber gefunden haben. Die ander< Dichter waren ihm ziemlich gleichgültig. (33) Stesichoros ur Pindar erwähnte er immerhin, den einen, weil er als Nachal mer des Homer gilt und die Einnahme Troias nicht übel da gestellt hat, Pindar wegen seiner glänzenden Begabung ur weil er seinen Vorfahren und Namensvetter Alexander mit de

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Beinamen philhellen 20 gepriesen hat. Aufihn spielt er an in dem Vers

genannt nach den glücklichen Söhnen des Dardanos."

Deshalb verschonte Alexander auch später bei der Zerstörung Thebens das Haus des Dichters und ließ die Inschrift einmeißeln:

Zündet das Haus des Pindar nicht an, des Musendichters ...

Damit zeigte er sich gewiß sehr dankbar gegen die, die ihn auf würdige Weise gepriesen hatten: So sehr liebte er den Ruhm. (34) «Nun gut», sagte Philipp, «mit großem Gefallen höre ich dich so reden, mein Sohn. Aber hältst du es nicht für richtig, daß der König einen Palast hat zu seiner Freude,ausgeschmückt mit wertvollem Gold, Bernstein und Elfenbein?» «Auf keinen Fall, Vater», antwortete er, «viel eher mit Rüstungen und Waffen von Feinden. Und mit solchem Schmuck soll er auch die Tempel ausstatten und damit die Götter gnädig stimmen. Auch Hektor hielt es so fur richtig, als er den Besten der Achaier zum Kampfe herausforderte: Falls er siegte, wollte er den Leichnam den Kameraden zurückgeben, «die Waffen aber», sagte er, «will ich ihm abnehmen,

aufhängen werde ich sie am Tempel des Schützen Apollon.'3 (35) Denn auf jeden Fall ist dieser Schmuck von Heiligtümern besser als Smaragd, Karneol und Onyx, womit Sardanapal Ninive ausschmückte. Denn eine derartige Prunkliebe ist nicht Sache eines Königs, sondern Spielerei eines törichten Mädchens oder einer prunksüchtigen Frau. (36) Deshalb beneide ich auch die Athener nicht so sehr wegen ihres keine Kosten scheuenden Aufwandes für ihre Stadt und ihre Tempel als um die Taten ihrer Vorfahren. Denn in dem Schwert des Mardonios' 4 und in den Schilden der früher einmal in Pylos gefangen genommenen Spartaner' 5 haben sie viel ehrwürdigere und bessere Weihgeschenke als in den Propyläen der Akropolis und dem Olympieion, das sie mehr als roooo Talente gekostet hat.»

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(37) «In diesem Punkt», sagte Philipp, «könntest du HOIli also nicht gutheißen. Denn den Palast des Alkinoos, eines gr: chischen Inselbewohners, stattet er nicht nur mit Gärten,Pfla zen und Wasserspielen, sondern auch mit goldenen Bildwer~ zu einem überaus angenehmen Wohnsitz aus' 6 • Und erst d Palast des Menelaos, der doch gerade erst aus dem Feld zurüc gekehrt ist! Beschreibt Homer ihn nicht wie eine persisc oder medische Königsburg, die denen einer Semiramis, ein Dareios oder eines Xerxes kaum nachsteht? (38) Er sagt zu Beispiel: So wie der leuchtende Glanz 'Pon Mond oder Sonne strahlt es durch den Palast, den hochgedeckten, des ruhm'Pollen Königs Menelaos,' 'Pon Gold und Bernstein, Elfenbein, Silber. 27 (39) Und doch hätten nach deiner Meinung eher troische R stungen darin glänzen sollen als all dieser Schmuck.» Das wollte Alexander nicht gelten lassen und sagte: «li glaube, da darf Homer nicht unverteidigt bleiben. Vielleic nämlich hat er den Palast nach dem Geschmack des Menela beschrieben, den er als einzigen unter den Griechen einl ,weichlichen Lanzenschwinger<'8 nennt. (40) Auch son schein t dieser Dich ter kaum etwas ohne Absich t zu sagen, vi! mehr stimmt er häufig Kleidung, Wohnung und Lebenswei auf den Charakter des betreffenden Menschen ab. Deswegl hat er die Königsburg bei den Phaiaken mit Hainen, Früchtl zu jeder Jahreszeit und immerfließenden Qgellen ausgestatte (41) und erst recht die Höhle der Kalypso, die, eine junge ur freundliche Göttin, allein auf einer Insel wohnte: Wie schreibt, duftete die Insel besonders schön von dem süßest! Räucherwerk, das auf ihr brannte, und lag schattig unter g11 nenden Bäumen. Rings um die Grotte rankte ein herrlichi Weinstock, mit Trauben schwer beladen, davor dehnten sie weiche Wiesen mit einer verwirrenden Fülle von Eppich un anderen Kräutern. In der Mitte entsprangen vier Qgellen, d I

2,41-45]

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en kristallklares Wasser sich in alle Richtungen ergoß, da die war'9. Das alles war über die Maßen ltebltch und reizend, ganz dem Wesen der Göttin entsprechend, wie ich glaube. (42) Den Hof des Menelaos aber, reich an Besi tz und reich an Gold, schildert er vermutlich nach asiatische~ Vorbildern. Auch war Menelaos 'a ziemlich nah verwandt mit Tantalos und Pelops, weshalb ;uch, wie ich vermute, Euripides den Chor beim Auftreten des Königs darauf anspielen läßt: und Mutelaos von üppiger Schönheit ist klar zu erkettnen, entsprorren dem Blut Tantalidengeschlechts. 30

~gend nicht nach ~iner Seite ~bs~hüssig un~ uneben

Ganz anders dagegen beschreibt Homer das Haus des OdysseuS. (43) Da er ein vorsichtiger Mann war, fällt auch die Beschreibung seines Hauses danach aus. Homer sagt nämlich: Raum reiht sich an &tum; den Hof umgeben ringsum Mauern und Zinnen. Die Tore mit ihren zwei Flügeln verwehren jedem den Zutritt, und keiner könnte sie jemals bezwingen. 3I (44) Bei Homer muß man einige Stellen als Rat und Aufmunterung auffassen, andere als reine Erzählung und wieder zahlreiche andere als Tadel und Spott. So scheint Homer, was das Schlafen und den Tageslauf betrifft, sehr wohl eine echt heldische und königliche Erziehung geben zu können und Lykurgos bei ihm die gemeinsamen Mahlzeiten der Spartiaten kennengelernt zu haben, bevor er den Spartanern die Verfassung gab. (45) Man sagt ja auch, er sei ein Bewunderer des Homer gewesen und habe als erster seine Dichtung von Kreta lind Ionien nach Griechenland gebracht. So läßt Homer zum Beispiel den Diomedes sich hart ,auf dem Fell eines im Freien lebenden Rindes' ausstrecken,nachdem er ringsum die Speere, mit dem Schaft in die Erde, senkrecht aufgestellt hat, nicht zur Zierde, sondern um danach zu greifen 3'. Dann setzt Homer den Helden Fleisch vor, und zwar vom Rind, also eindeutig zur

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Stärkung, nicht zum Genuß33. (46) Auch Agamemnon, der obersten und reichsten König, läßt er bei jeder Gelegenheit eil Rind opfern und die Besten dazu laden, und den Aias empfang Agamemnon nach dessen Sieg mit den Rückenstücken eine: Rindes 34 . (47) Fische dagegen essen die homerischen Helder niemals, obwohl sie ihr Lager am Meer haben und der Dichtervollkommen zu Recht - den Hellespont jedes mal ,fischreich nennt, eine Beobachtung, die schon Platon aufgefallen ist 3s .Ja nicht einmal die Freier läßt er Fisch essen, die doch so gernl in Üppigkeit schwelgen und dazu noch auflthaka ihre Gelagl halten 36. (48) Weil nun Homer diese Dinge nicht ohne Absicht er zählt, gibt er klar zu verstehen, wie die Nahrung beschaffer sein soll und wozu sie gut ist. Wenn er eine Mahlzeit empfehler will, nennt er sie ,kraftgebend', also fähig, Kraft, das heiß Stärke 37, zu geben. Das sagt er zur aufmunternden Belehrung daß sich die tüchtigen Leute auch ums Essen zu kümmern hät ten - zumal er sich in den verschiedenen Nahrun gsmi tteln une den feinen Genüssen sehr wohl auskennt, so daß die Perser Syrer und Griechen in Italien und Ionien, die heutzutage al die größten Feinschmecker gelten, den üppigen Aufwand, dei wir bei Homer antreffen, bei weitem nicht erreichen.» (49) «Was'/» warfPhilipp ein, «gibt er seinen Helden nich möglichst schöne Kleider?» «Ganz gewiß», sagte Alexander, «aber keine weibischel oder reich verzierten. Agamemnon allein trägt ein Purpurge wand 38, und Odysseus hat nur einen Purpurmantel von ZI Hause mitgebracht 39. Denn Homer ist nicht der Meinung, dal ein Führer armselig aussehen und sich in nichts von der großel Menge der gemeinen Soldaten unterscheiden solle, vielmeh müsse er durch Kleidung und Rüstung seine höhere StellunJ und seine größere Würde vor den anderen zeigen, ohne aller dings zu übertreiben und auf derlei Äußerlichkeiten zu großel

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Wert zu legen. (50) Den Karer zum Beispiel, der sich mit Gold zum Krieg geschmückt hat, weist er sehr schroff zurecht: Der zog stets in den Kampf mit Gold geschmückt wie ein Mädchm, Tor der, denn nicht hielt das Gold ihm ab das bittre Yerderbm, sOlIdern gefällt 'Pon der Hand des schnellfüß' gen Aiakiden lag er im Fluß. Das Gold aber nahm sich Achilleus, der tapfre. 40 (SI) So macht d.er ~,ichte~' ihn wegen seine,r Prahlerei und Dummheit zugletch lacherhch: daß er den Femden sozusagen den Kampfpreis gleich mitbrachte, wenn sie ihn erschlügen. Homer lehnt also das Tragen von Gold ganz eindeutig ab, erst recht, wenn man in den Kampf zieht: Armbänder und Halsketten, Helmschmuck und Zügel aus Gold, wie es die Perser lieben sollen. Sie haben eben keinen Homer, der sie in allen Fragen des Krieges zurechtweisen könnte. (52) Mit diesen Verhaltensregeln machte er seine Leute zu guten Führern und gehorsamen Soldaten. Bei ihm rücken sie vor:

schweigend, 'Poil Furcht 'Por den Führern,4 1

während die Barbaren mit lautem Lärm und in großer Unordnung heranrücken, den Kranichen vergleichbar 4'. Denn gerade die Ehrfurcht der Soldaten vor ihren Führern bringt in Gefahren am ehesten Rettung und Sieg; wo aber die Furcht vor den Führern fehlt, da wird sehr schnell die Furcht vor den Feinden Platz ergreifen. (53) Auch nach einem Sieg verhalten sich bei Homer die Achaier ruhig in ihrem Lager 43 • Sobald aber die Troianer einen Vorteil errungen zu haben glauben, ist bei ihnen die ganze Nacht hindurch Schall 'Pon Flöten und Pfeifen und Lärmen der Memchmmenge. 44 Denn auch darin sieht Homer ein sicheres Zeichen für Gut und Schlecht, ob man sein Glück mit Fassung trägt oder sich ganz im Gegenteil von ihm ohne Hemmung fortreißen läßt. (54) So scheint mir Homer ein sehr (ähiger Lehrm~ister zU sein, Vater, und wer auf ihn zu achten "bemüht ist, .aer;erfolg,

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reichste und beste König. Denn Homer selbst hält es für au! gemacht, daß die bei den königlichsten Tugenden Tapferkei und Gerechtigkeit sind, wenn er sagt: heides, ein trefflicher König und kräftiger Lanozemchwinger 4S so, als ob diesen beiden Tugenden alle anderen folgten. (55) Meiner Meinung nach genügt es nicht, wenn der Köni selbst an Tapferkeit und Würde voransteht, er darf auch de anderen nicht zuhören, wenn sie Flöte oder Zither spielen ode ausgelassene und lockere Lieder singen. Auch der falschen Be wunderung schmutziger Reden, an denen nur die Dümmste: Vergnügen finden, darfer keinen Raum in sich geben, (56) viel mehr muß er das alles - maßloses Gelächter und die Dichtel die mi t ihren Possen dieses Geläch ter hervorrufen, sei es in Vel sen oder in Prosa - an erster und dringlichster Stelle möglichs weit von sich weisen und aus seiner eigenen Seele verbanne~ dann auch aus der Stadt, deren König er ist. Ferner müßte e ausschweifendes Tanzen und die verführerischen Gesten de Frauen bei unanständigen Tänzen verbieten, die scharfen uni der Melodie zuwiderlaufenden Rhythmen der Flöten, die syn kopierten Melodien mit ihren geschmacklosen Schnörkeli und das bunte Kombinieren lauter Instrumente. (57) Nur ei, Lied wird er selbst singen und die anderen singen lassen, dei überaus kräftigen und durchdringenden Gesang zu Ehren de Kriegsgottes ; er erfreut und erleichtert beim Hören nicht, son dem ruft unwiderstehliche Furcht und Verwirrung hervor, wi sie Ares in eigener Person einjagt, laut von der ohersten Zinne der Stadt die Troer anfeuernd. 46 Oder wie schon die Stimme Achilleus' gen ügt, die Troer in di Flucht zu jagen, bevor sie ihn selbst überhaupt gesehen haben und zwölf Männer den Tod unter ihren eigenen Wagen uni Waffen finden zu lassen 41. (58) Es kann auch der von den Mu sen fur den Sieg komponierte Gesang sein, der Siegesgesan~ wie Achilleus die Achaier den Paian anstimmen läßt, als Hek

2,58- 62 ]

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tOrS Leichnam zu den Schilfen gebracht wird, und selbst den Vorsänger macht: Auf denn, stimmt dett Sieggesang an, ihr jungen Achaier, laßt zu den schiffen, den hohlen, uns kehren zurück mit dem Toten! Großer Ruhm ist errungen, getötet der göttliche Hektor, den in der Stadt die Troer verehrten, als wäre ein Gott er. 48 (59) schließlich auch, denke ich, die Lieder zur Ermutigung, wie etwa die spartanischen Marschlieder, die mit der Verfassung Lykurgs und den Bräuchen der Spartaner genau übereinstimmen:

AUf, ihr 'Jungen, Sprossen Spartas, reich an Männern, Bürgervätern, haltet vor den Schild mit der Linken, kühnen Mutes schWingt die Speere, achtet nicht auf euer Leben! Denn es war nie Brauch in Sparta. 49

(60) Dementsprechend wird er keine Chortänze und Chöre mit taumelnden und unbeherrschten, sondern nur mit möglichst festen, beherrschten Bewegungen in gemessenem Rhythmus einfuhren, also etwa den Waffen tanz, der beim Opfer zu Ehren der Götter, aber auch als Übung für den Krieg getanzt wird. Nach Homer hat Meriones diesen Tanz beherrscht, denn er läßt einen Troer sagen: Meriones, auch wenn du ein Tänzer bist, hätte mein Speer doch hald deinem Tanxen ein Ende bereitet, hätt' ich getroffen. so (61) Oder glaubst du, daß Homer gemeint haben könne, der Sohn des Molos, der zu den besten Achaiern zählte, habe einen anderen Tanz als den kuretischen und in Kreta SI heimischen Walfentanz beherrscht, mit seinen schnellen und flinken Wendungen, um vor einem Geschoß auszuweichen und sich leicht vor ihm zu decken? (62) Mit diesen Überlegungen stimmt überein, daß der König nicht ebenso betet wie die anderen Menschen noch auch die

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[2.62-65

Götter anruft mit einer Bitte wie der ionische Dichter Ana. kreon: Herr, mit dem Eros, der alles bezwingt, Nymphen mit dunklem Aug',purpurrt angetan Aphrodite scherzend spielen, der du ziehst über hoher Gebirge Grat, dringend flehe ich, komm zu mir, gn;idig erfüllend mir meinen Wut/scb, neig' dein Ohr meiner Bitte! Rate gut dem Kleobulos, daß er freundlich doch meiner Lieb', o Dionys, willfahre!5 2

(63) Auch wird er, beim Himmel, keine Bitten äußern wie in den attischen Tisch- und Trinkliedern, die gar nicht zu Kö. nigen passen, sondern nur zu Leuten aus dem Volk und zu hei. teren, ganz ausgelassenen Sippschaften: Daß eine schöne Leier ich würde aus Elfenbein, schöne Knaben mich trügen zum dionysischen Reigen! Daß eine schöne Brosche ich würde, groß und golden, und eine schöne Frau mich trüge!53 (64) Viel eher wird er beten, wie der König aller Griechen bei Homer betet: Zeus, du berühmter und größter in schwarzen TFolken des Himmels, laß nicht eber die Sonne versinken, die Dunkelheit nahm, bis ich die rußschwarze Halle des Priamos stürzte zu Boden, bis das alles verzehrende Feuer die Tore verheerte und ich den Leibrock des Hektor in Fetzen zerriß an der Brust ibm mit meinem Schwert, und viele Gefährten um ihn kopfüber sanken zuvor in den Staub und bissen ins Gras mit den Zähnen. 54 (65) Noch viele andere lehrreiche Beispiele für tapferes und königliches Verhalten könnte man aus Horner anfuhren, aber

2. 65-691

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. alle durchzugehen führte jetzt vielleicht zu weit. Nur soviel .. ei noch angemerkt: Homer läßt seine Uberzeugung, daß der ~önig der Beste von allen sein müsse, an allen Helden klar hervortreten, besonders aber an Agamemnon, als er zum ersten Male das Heer aufstellt und die Führer insgesamt und die große Menge der Schiffe aufzählt. (66) In dieser Szene läßt Homer keinem anderen der Helden Raum, sich mit ihm zu messen, sondern wie der Stier die Herde an Stärke und Größe überragt, sO übertreffe auch der König die anderen, sagt Homer: So wie der Stier in der Herde bei weitem das stattlichste Tier ist, unter den Rindern, die auf der Triese weiden, hervorragt, so gab Zeus dem Atriden an jenem Tage besonders, daß er die anderen Helden weit überragte und ausstach. ss (67) Dieses Gleichnis wählt der Dichter aber nicht einfach, wie mir scheint, um Agamemnons Stärke zu rühmen und zu veranschaulichen, denn dann hätte er ihn auch durch den Vergleich mit einem Löwen treffend charakterisieren können. Er wollte vielmehr sein sanftes Wesen und seine Einsatzbereitschaft rur die Untergebenen deutlich werden lassen. Denn der Stier ist nicht nur ein edles Tier, er setzt auch seine Kraft nicht Hir sich selbst ein wie der Löwe, der Eber oder der Adler, die die anderen Tiere verfolgen und überwältigen, um sie selbst zu fressen; deshalb könnte man in ihnen auch eher ein Bild der Tyrannis als der Königsherrschaft sehen. (68) Der Stier aber, will mir scheinen, dient dem Dichter eindeutig dazu, die Königsherrschaft und das Bild des Königs zu zeichnen. Denn Nahrung und Unterhalt findet der Stier ohne Schwierigkeit auf der Weide, so daß er deswegen kein Tier überwältigen oder übervorteilen muß, sondern wie ein reichgesegneter König hat er unerschöpflich und im Überfiuß, was er braucht. (69) Er herrscht und gebietet über seine Stammesgenossen mit freundlichem und fi.irsorgendem Sinn, so möchte man sagen; er führt sie auf die Weide, und zeigt sich ein wildes Tier, ergreift er Sie

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nicht die Flucht, sondern kämpft für die ganze Herde und st, den Schwachen bei, entschlossen, die Herde vor den gefä lichen Raubtieren zu retten. Genauso muß es ein Herrsc machen, wenn er ein echter König ist und die höchste E unter den Menschen verdient. (70) Kommt eine andere Hel kämpft der Stier ab und zu auch mit deren Leitstier um c Sieg, damit er und seine Herde als die Stärkeren dastehen. I der Stier nie mit Menschen kämpft, sondern sich die Führt des Überlegenen gefallen läßt, obwohl ihn die Natur zum sten Tier und zum geborenen Führer unter den vernunftlo Tieren gemacht ha t; daß er sich der Vern unft und Einsich t f willig unterordnet, obwohl er an Stärke, Mut und Kraft I mand unterlegen ist und niemand nachsteht - wie sollte n nicht auch darin eine erzieherische Lektion über das Herrscl für einsichtige Könige sehen? (71) Daß derjenige herrscl muß, der sich vor seinesgleichen als der Überlegene erweist, ~ er zu Rech t und nach dem Willen der Na tur seine ftihrende S lung innehat? Daß er für die Sicherheit seiner vielen Untertal aufkommen muß, indemer ftir sie rät undftir sie kämpft, wem sein muß? Sie vor den wilden und gesetzlosen Tyrannen schül mit anderen Königen aber, wenn es den einen oder ande geben sollte, um den Preis der Tüchtigkeit kämpft und, we irgend möglich, die Oberhand zu gewinnen sucht zum Bes der Menschen weit und breit? (72) Daß er schließlich den G tern als den Besseren folgt etwa wie guten Hirten, ihrem hö ren und glückseligeren Wesen Ehrfurcht erweist, in ihnen se Herren und Gebieter sieht und zu erkennen gibt, daß zunäc einmal er selbst, dann aber auch alle seine Untertanen der we vollste Besitz des Gottes sind, des größten und obersten Köni: (73) Sehen wir weiter, wie es die klugen Hirten mache Wenn der Stier, bösartig und wild geworden, gegen se eigentliche Bestimmung ein willkürliches Regiment ful seine Herde mißachtet und mißhandelt, vor den äußeren Fe

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den zurückweicht. und sich hint~r der weh.rlosen M~nge verkriecht; wenn er sIch, ohne daß eme Gefahr 1m Anzug 1St, überheblich und ausfällig gebärdet, bald laut und drohend brüllt, bald mit erhobenen Hörnern ein Tier, das sich nicht wehren kann, anfällt, nur um seine Kraft an Schwächeren und zum Kampf Untauglichen auszulassen; wenn er die Herde nicht mehr in Ruhe weiden läßt, weil er ihr fortwährend Schrecken und Furcht einjagt, dann entfernen ihn die Besitzer und Hirten und schlachten ihn, da er nicht geeignet ist, die Herde zu führen, und ihr nur Schaden bringt. (74) Wenn er aber gutmütig gegen die ihm folgenden Rinder ist, beherzt und furchtlos gegenüber wilden :rieren; wenn e~, würdig ~nd edel, seine Herde schützen und leIten kann und sIch den Huten gehorsam fUgt, dann lassen sie ihn bis ins hohe Alter auf seinem Posten, auch wenn er bereits recht schwerfällig geworden ist. (75) Genauso machen es auch die Götter und vor allem - weil er der fürsorgende Vater von Menschen und Göttern gemeinsam ist - der große König der Könige, Zeus. Wer unter den Menschen mit Gewalt, Unrecht und Ungesetzlichkeit seine Herrschaft ausübt, seine Macht nicht die Feinde, sondern die eigenen Untertanen und Freunde spüren läßt; wer unersättlich ist im Vergnügen, unersättlich an Hab und Gut; wer schnell mit seinem Argwohn zur Hand ist, unversöhnlich zürnt, für Verleumdungen ein offenes Ohr hat, guten Worten unzugänglich ist; wer zu allem fähig, hinterhältig, gemein, überheblich ist, die Schlechten fordert und auf die Besseren eifersüchtig ist; wer von Bildung völlig unberührt ist, nicht an Freundschaft glaubt und keinen Freund hat, als wäre ein solcher Besitz unter seiner Würde - (76) den schafft Zeus beiseite lind läßt ihn verschwinden, da er nicht wert ist, zu herrschen und an seiner eigenen Ehre und an seinem Titel teilzuhaben. Beispiele dafür sind vielleicht Phalaris und Apollodor neben vielen anderen ihres Schlages. (77) Den tapferen und menschlichen König aber, der sei-

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nen Untertanen wohlwill, die Tüchtigkeit in Ehren hält und seinen Ehrgeiz dareinsetzt, nicht schlechter als die Guten da. zustehen, die Ungerechten zur Besinnung zwingt, den Schwa. ehen beisteht - solch einen König bewundert Zeus wegen sei. ner Vortrefflichkeit und läßt ihn in der Regel ein hohes Alter erreichen. So hören wir es von Kyros 56 , dem Meder Deiokes, von Idanthyrsos, dem Skythen, von Leukon und vielen anderen spartanischen Königen, auch von einigen der alten Ägypter. könige. (78) Wird er aber vom unerbittlichen Schicksal dahin. gerafft, bevor er ein hohes Alter erreicht hat, dann läßt ihm Zeus wenigstens die Ehre zuteil werden, daß alle gut von ihm sprechen und ihn in alle Ewigkeit preisen. Unser Vorfahre», schloß Alexander, «ist ein Beispiel dafür: Wegen seiner Tüch. tigkeit galt Herakles als Sohn des Zeus.» (79) Als er das hörte, riefPhilipp erfreut aus: «Nicht um. sonst, Alexander, schätzen wir Aristoteles so hoch und haben ihm gestattet, seine Vaterstadt Stageira 57 in der Gegend von Olynthos wiederaufzubauen. Denn der Mann verdient viek prächtige Geschenke, wenn er dir solche Gedanken über das Herrschen und die Pflichten eines Königs nahebringt, ob er nun Homer interpretiert oder es sonstwie schafft.»

3.

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(I) Sokrates, der vor vielen Jahren als armer Mann in Athen lebte und dir' vom Hörensagen bekannt ist, wurde in seinem AI ter gefragt, ob er den Perserkönig' für glücklich hai te. «Viel· leicht», gab er zur Antwort, «ist er glücklich. Aber ich weiß es nicht, weil ich nie mit ihm zusammen war und seine Sinnes· art nicht kenne 3 .» Gewiß war Sokrates der Ansicht, daß das Glück nur von ihr abhänge, nicht von goldenem Geschirr, von~ Städten, Ländern oder Menschen; daß jeder das Glück nurin:: sich selbst und in seinem eigenen Wesen zu suchen habe.

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(2) Weil Sokrates nun die Seele des Persers nicht kannte, laubte er, auch über dessen Glück nichts aussagen zu können. h aber, erlauchter Herrscher, bin in deiner Nähe gewesen c d kenne deine Natur vielleicht besser als jeder andere, ich un ' daß du an Wahrheit und Freimut größere Freude hast weJß, Is an schmeichelei und Täuschung. (3) So mißtraust du töaichten Freuden genauso wie schmeichlerischen Menschen, ~arte Arbeit aber nimmst du auf dich, weil du in ihr Proben deiner Tüchtigkeit siehst. Und wenn ich beobachte,Herrscher, wie du dich mit den Werken der Alten beschäftigst und ihre klugen und scharfsinnigen Worte auffaßt, dann muß ich sagen, daß du ganz gewiß ein glückseliger Mann bist, der du nach den Göttern die größte Macht hast und deine Gewalt aufs beste ausübst. (4) Denn wer alles Angenehme genießen, bittere Erfahrungen vermeiden und so sorgenfrei wie irgend möglich leben, kurz, tun kann, was er will, ohne daß ihn jemand daran hindert, vielmehr alles ihn dafür lobt - (s) wenn dieser Mann ein dem Gesetz mehr ergebener Richter ist als die durchs Los dazu Bestimmten, wenn er ein rechtschaffenerer König ist als die rechenschaftspftichtigen Beamten in den Städten, ein streitbarerer Heerführer als die ihm folgenden Soldaten, wenn er bei jeder Aufgabe arbeitswilliger ist als die zur Arbeit Gezwungenen, weniger den Luxus liebt als die, die sich keinen Luxus gestatten können, fur seine Untertanen mehr übrig hat als ein Vater fur seine Kinder, von den Feinden mehr gefürchtet wird als die unbesiegbaren und unwiderstehlichen Götter - muß man das Schicksal dieses Mannes nicht gut nennen, nicht nur für ihn selbst, auch fur alle anderen Menschen? (6) Das Schicksal der meisten Menschen nämlich ist unbedeutend, ob es sich nun um kleine Privatleute oder um Menschen mit einer ziemlich belanglosen Aufgabe handelt, und es geht nur den Betreffenden selbst an. Gehorchen einem aber

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zahllose Städte, lenkt einer mit seiner Einsicht das Geschicl einer Unmenge von Völkern, schauen ungezählte miteinande nicht verkehrende Menschenstämme auf die Klugheit eine Mannes, dann wird er der Retter und Bewahrer der ganzei Menschheit, vorausgesetzt, daß er ein solcher guter Herrsche ist. (7) Denn ist einer Herr und Herrscher über alles, danl reicht seine Klugheit aus, auch den Unklugen zu helfen, über legt er doch für alle zugleich. Seine maßvolle Haltung mach auch die Maßlosen maßvoller, denn er achtet auf alle gleich Seine Gerechtigkeit teilt sich auch den Ungerechten mit, une seine Tapferkeit vermag die weniger Tapferen nicht nur Zl retten, sondern auch mutiger zu machen. (8) Denn niemanc ist so feige, daß er nicht getrost dem Führer folgte, mit deli ihm der Sieg sicher ist, niemand so gleichgültig, daß er di( Hände in den Schoß legte, wenn er den vom Gott allein daz~ Befugten Befehle austeilen sieht, niemand so ganz ohne Ehr. gefuhl, daß er nicht bereit wäre, einem Mann beizuspringen und zu helfen, der sich fur andere abmüht undes gar nicht nöti! hat. (9) Dasselbe scheint mir auch Homer sagen zu wollen, wenn er vom guten König spricht und dann schließt: unter ihm sind gut 4 die Völker. 5 Ein solcher König betrachtet die Tüchtigkeit für die andern als wertvollen Besitz, fur sich selbst als Notwendigkeit. (10; Denn wer brauchte mehr Einsicht als der, der in den wichtig. sten Fragen zu raten hat? Wer ein feineres Rechtsgefühl all der, der noch über den Gesetzen steht? Wer maßvollere Besonnenheit als der, dem alles erlaubt ist? Wer standhaftere Tapfer. keit als der, der alles zu bewahren hat? (Il) Und wen freuten die guten Taten mehr als den, der die ganze Menschheit zu seinen Zuschauern und Zeugen hat? Was er auch tut, nich~ kann im verborgenen bleiben, genausowenig wie die Sonn! ihren Lauf durch die Finsternis nehmen kann; denn bevor sie alles andere bescheint, wird sie selbst sichtbar.

3.It-18j

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(12) Wenn ich das sage, bin ich mir bewußt, daß meine Wortc eiter ausgeführt werden müßten. Aber es besteht keine Ge; hr ich könnte mich jemals als Schmeichler entpuppen, denn ':h habe keinen geringen und nur augenblicklichen Beweis ~eines Freimutes gegeben. (13) Wenn ich zu einer Zeit, da alle aus Furcht lügen zu müssen glaubten, allein es gewagt habe, die Wahrheit zu sagen, und zwar unter Lebensgefahr 6, 'etzt aber, wo man ungehindert die Wahrhei t sagen kann, löge, ~hne daß eine Gefahr in der Nähe ist, dann wüßte ich ja nicht, wann es Zeit ist, seine Meinung frei zu äußern, lind wann zu schmeicheln! (14) Und doch, alle, die etwas mit Überlegung tun, tun es um des Geldes, um des Ruhmes oder um eines Vergnügens willen, schließlich wohl auch der Tugend zuliebe und weil sie das Gute an sich ehren. (15) Ich aber habe es niemals für recht gehalten, von jemand Geld anzunehmen, obwohl viele es mir geben wollten; und man wird finden, daß ich trotz meiner bescheidenen eigenen Mittel anderen abgab, ja sogar häufig das Geld hinausgeworfen habe. (16) Was für ein Vergnügen hätte ich auch darin finden sollen, wenn selbst die Schmeichler, die ihre Kunst in der Öffentlichkeit ausüben, zugeben, es sei nichts widerlicher als das Schmeicheln. Was für einen Reiz hätte es haben sollen, sich mit Recht tadeln zu lassen, nur um einen andern zu Unrecht zu loben? (17) Ja, Schmeichelei scheint nicht einmal rühmlich lind schön zu sein, wenn man sich ihrer bedient, um zu Ansehen zu kommen oder aus einem anderen an sich guten Grund. Von allen Übeln, möchte ich fast sagen, stellt sich die Schmeichelei als das schlimmste heraus. (18) Erstens zerstört sie etwas vom Schönsten und Berechtigtsten, was es gibt, die Anerkennung, so daß diese nicht mehr aufrichtig und verdient erscheint; und das Allerschlimmste: Den Preis der Tugend teilt sie der Schlechtigkeit zu. So handeln die Schmeichler noch viel schlech-

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[3,18--:23

ter als die Falschmünzer, denn diese machen nur das Geld ver. dächtig, jene aber die Tugend unglaubwürdig. (19) Ferner nennt man wohl den Schlechten in der Regel dumm, und er ist es auch in Wirklichkeit. Trotzdem sticht der Schmeichler an Torheit alle aus. Denn von allen, die die Wahr. heit verdunkeln, ist er allein frech genug, seine Lügen denen vorzutragen, die genau wissen, daß er lügt. Denn wer wüßte nicht, was er selbst tut? Wer wäre so einfältig, daß er nicht wüßte, ob er an der Arbeit oder am Nichtstun Freude hat, ob er lieber den andern übervorteil t oder rech t handel t, ob CI' dem Vergnügen erliegt oder gute Taten liebt? (20) Und so erreicht der Schmeichler, will mir scheinen, das, was er am meisten erhofft, nämlich sich bei dem, den er lobt, beliebt zu machen, gerade nicht. Ganz im Gegenteil, er macht sich eher verhaßt als beliebt, wenn er nicht gerade an einen vollkommenen Hohlkopf gerät. (21) Schon wenn er den Armen als reich preist, lügt er und hält dem Gepriesenen seine Armut vor. Lobt er den Häßlichen als schön, stellt er ihm doch seine Häßlichkeit vor Augen. Oder wenn er den Krüppel unversehrt nennt, wie könnte er ihm damit einen Gefallen erweisen, daß er ihn an sein Unglück erinnert? Wer aber den Dummen wegen seines Verstandes lobt, findet bei ihm, gerade weil er dumm ist, vielleicht noch am ehesten Glauben und richtet damit um so größeren Schaden an, denn er bringt ihn dazu, sich selbst zu raten und sich nicht an die Verständigen zu wenden. (22) Wer schließlich den Feigling als Helden bewundert, der machtvon der Dummheit des Umschmeichelten den rechtmäßigsten Gebrauch: Wenn der Betreffende ihm folgt und sich an die Auf. gaben des Tapferen macht, wird er vermutlich bald sein Ende finden. (23) Ganz allgemein: Ertappt man den Schmeichler, wird er verurteilt und obendrein noch gehaßt, denn man hat den Ein· druck, als mache er sich lustig. Gelingt es ihm aber, einen von

3,t3-·8]

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der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen, erntet er dafür keiroßen Dank, denn was für einen Gefallen schein t er einem nen g " schon zu tun, wenn er dIe Wahrheit sagt? (24) In, der Tat, er 'st noch viel schlechter als falsche Zeugen, denn SIe bestechen ~en Richter nicht, sie täuschen ihn bloß, der Schmeichler aber wi!1 ihn mit seinem Lob zugleich bestechen, (25) Damit ich mi,r aber nicht, d~n Vorwurf der Schmeichelei zuziehe bei denen, dIe schnell mltlhrer Verleumdung zur Hand sind, noch du dir nachsagen lassen mußt, nur allzugern ließest du dich unverblümt loben, will ich jetzt über den guten König sprechen, welcher Art er sein muß und worin der Unterschied besteht zu dem, der zwar vorgibt, ein Herrscher zu sein, in Wahrheit aber von Herrschaft und Königtum himmelweit entfernt ist. (26) Wollte jemand behaupten, ich wiederholte immer dieselben Worte, so träfe mich derselbe Vorwurf wie Sokrates. Denn man erzählt sich', daß einst Hippias aus Elis, als er den Sokrates längere Zeit über Gerechtigkeit und Tugend hatte reden hören und er wie gewöhnlich die Steuerleute, Ärzte, Schuster und Töpfer zum Vergleich heranzog, gerufen habedenn schließlich war er ein Sophist: (27) «Immer wieder dasselbe, Sokrates!» Und Sokrates erwiderte lachend: «Ja, auch immer über dasselbe. Du zwar sagst vor lauter Weisheit, wie es scheint, nie dasselbe über denselben Gegenstand, mir aber scheint gerade das zum Besten zu gehören, Denn wir wissen, daß die Lügner viel sich Widersprechendes sagen, die Wahrheitsliebenden aber unmöglich etwas anderes als die Wahrheit sagen können.» (28) Wenn ich nun einen anderen Gegenstand sähe, der ernster und dir an gemessener wäre, würde ich ihn behandeln. Nun aber möchte ich behaupten, daß ein Arzt in erster Linie über die Gesundheit und Krankheit des Körpers zu hören oder zu sprechen hat - deshalb heißt er ja auch «Gesundmacher» und «Arzt» - oder der Steuermann über Jahreszeiten, Winde und Gestirne, denn deswegen heißt er zu Recht «mit

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[3,28-;

dem Steuern betraut»; ebenso auch der Herrscher und Köni über das Herrschen und Lenken der Menschen. (29) Auch in dieser Frage will ich versuchen, Sokrates' Me nung darzulegen. Nach der Auskunft über das Glück wollte de Frager 8 von Sokrates folgendes wissen: (30) «Du weißt doc ganz genau, Sokrates, daß von den Menschen unter der Sonr jener der stärkste ist und nicht einmal den Göttern an Mac! nachsteht, der das unmöglich Scheinende möglich mache kann, der, wenn er will, zu Fuß über das Meer schreitet, übe die Berge segelt und die Flüsse von Menschen leertrinken läß (3 I) Oder hast du nicht gehört, daß der Perserkönig Xerxes d: Land zum Meer machte, indem er das höchste Gebirge durcl stach, damit den Athos vom Festland abtrennte und das Ful volk über das Meer führte, auf einem Wagen fahrend wie Pe seidon bei Homer? Und vielleicht schwammen ganz ähnlic auch bei ihm die Delphine und Meeresungeheuer unter de Schiffsbrücke her, als er darüberfuhr 9.» (32) «Auch das kann ich dir nicht sagen », entgegnete Sokr: tes, «ob solch ein Mann sehr viel vermag, wie du sagst, ode nur sehr wenig oder gar überhaupt nichts. War er besonnel tapfer und gerecht und machte er alles, was er unternahm, m Überlegung, so würde ich sagen, daß er stark und tatsächlic im Besitz der größten Macht war. (33) War er aber feige,dumn ausschweifend und gesetzlos und folgte er nur der Willkü scheint er mir, ganz im Gegenteil, schwächer als der ärmSI Bettler gewesen zu sein, der nicht eine einzige Scholle besitz um sie fur seinen Lebensunterhalt mit dem Spaten umzubrc chen, geschweige denn, daß er die größten Berge durchstoche hätte, wie du sagst. (34) Denn wer unfähig ist, seinen Zorn, cle oft nur über Kleinigkeiten entstanden ist, zu zügeln; unfähil die niedrigsten Begierden zu besiegen; unfähig, die Trauer va sich zu weisen, wobei manchmal zur Trauer gar kein Grun vorliegt; wer Entbehrungen nicht ertragen kann, nicht einm:

3.34-39

1

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des Vergnügens willen; wer unfähig ist, die Furcht zu ver-

u~ben, die in Gefahren nichts nützt und nur den größten Scha::n anrichtet - wie sollte der nicht über alle Maßen schwach ·n unterlegen den Frauen, unterlegen den Eunuchen? (35) sei, . Oder nennst du etwa den stark, der schwächer Ist als das Sanfteste, was es gibt, als ~er Schlaf? ~on ihm gefesselt, oft sogar ohne Ketten, kann er sich selbst mcht helfen, erst recht nicht anderen, und niemand zu Hilfe rufen von denen, die bereit wären zu helfen.» (3 6) Da warfjener ein: «Das aber weißt du doch wenigstens, Sokrates, daß der Perserkönig über den größten und besten Teil der bewohnten Erde herrscht. Außer Griechenland nämlich, Italien und einigen wenigen anderen Völkern in Europa hat er den ganzen Rest in seiner Gewalt, (37) und er herrscht über alles, was wir Asien nennen, bis hin zu den Indern - aber auch von ihnen sollen viele ihm untertan sein -, dann über den größten Teil von Libyen, in Europa über Thrakien und Makedonien. Über all diese Länder ist er Herr, weshalb er ja auch als einziger ,Großkönig' genannt wird.» (3 8) Da sagte Sokrates: «Nicht einmal das weiß ich genau, ob er überhaupt König von einer Stadt oder einem Dorf ist.» «Dann hast du allein», rief jener, «nie davon gehört, was alle wissen?» «Ich habe viele Leute reden hören von dem, was du sagst», entgegnete Sokrates, «Griechen und Nichtgriechen. Was mich aber zu keinem endgültigen Urteil kommen läßt, ist folgendes. (39) Ich weiß nicht, mein Bester, ob er gesetzlich und zu Recht Herr aller dieser Länder und so geartet ist, wie ich es oft beschrieben habe. Wenn er nämlich gutgesinnt und menschenfreundlich ist, das Gesetz achtet und auf die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Untertanen bedacht ist; wenn er zunächst einmal selbst glücklich und klug ist, wie ich sagte, aber auch die andern an seinem Glück teilhaben läßt und seine eigenen

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Interessen von denen der Untertanen nicht abtrennt, sonder~ dann sich am meisten freut und dann glaubt, es gehe ihm 31ll besten, wenn er sieht, daß es seinen Untertanen gut geht_ dann ist er der Mächtigste und ein wahrer König. (40) Ist er aber vergnügungssüchtig, geldgierig, überheblich und ein Ver. ächter des Gesetzes; glaubt er, er diene seinen Interessen nUr, wenn er möglichst viel besitzt und möglichst oft und ausge. lassen in Vergnügungen schwelgt; lebt er frei von Sorge und Arbeit dahin und sieht in seinen Untertanen ausnahmslos Skla. ven und Knechte seiner Vergnügungslust; (41) hat er nicht die Art eines guten Hirten, der für Obdach und Weide fur seine Herde sorgt, ferner die wilden Tiere abwehrt und vor Dieben auf der Hut ist, sondern fällt er als erster darüber her, vernich. tet sie und gestattet es auch andern, als handle es sich, sagen wir, um eine feindliche Beute - niemals könnte ich einen sol. chen Regen ten Herrscher oder König nennen, viel eher Tyrann und Peiniger, wie ApolIon einst den Tyrannen von Sikyon" genannt hat, auch wenn er viele Tiaren, viele Zepter und viek Untertanen hatte.» (42) So pflegte Sokrates zu sprechen, während er bei jeder Gelegenheit die Regierenden und die Untertanen zur Tugend hinwenden und besser machen wollte. Ähnlich haben sich auch seine Nachfolger" über Regierung und Königtum geäußert, im engsten Anschluß an seine genau überlegten Grundsätze. (43) Schon die Bezeichnungen allein machen den Unterschied zwischen beiden Formen deutlich. «Regierung» wird als gesetzliche Verwaltung und Fürsorge für die Menschen nach dem Gesetz definiert, «Königtum» als keinem rechenschaftspflichtige Herrschaft, wobei der Wille des Königs Gesetz ist. (44) Im Gegensatz zu diesen beiden Formen ist der «Tyrann», besser die «Tyrannis» der gewaltsame und widerrechtliche Mißbrauch von Menschen durch den, der die Macht auf seiner Seite zu haben glaubt.

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49 (45) Man unterscheidet drei ganz bekannte Verfassungsforn die auf der Grundlage von Gesetz und Recht mit der Hilfe ~:e; guten Genius und eines gütigen Geschicks zustande komel en. An erster Stelle und mit den größten Aussichten auf ein ~ückliches Gedeihen steht die, von der wir im Augenblick g rechen: Die Einsicht und Tüchtigkeit eines einzigen trelf~fchen Mannes lenkt die Geschicke einer Stadt, mehrerer Völker oder der ganzen Menschheit. (46) An zweiter Stelle kommt die sogenannte Aristokratie: Nicht einer und nicht viele, sondern wenige, und zwar die Besten, regieren; diese Form ist schon etwas abgerückt von der idealen Verfassung. So scheint mir auch Homer gedacht zu haben, wenn er sagt: 3. 4$-49]

Gut ist es nicht, viele Herren z.u haben; einer soll Herr sein, einer nur König, wem's gab der Sohn des listigen Kronos. U (47) So etwa am wenigsten brauchbar von allen ist die dritte. Sie hofft, durch das maßvolle Verhalten und die Tüchtigkeit der Bürger im Laufe der Zeit einen befriedigenden und gesetzlichen Zustand erreichen zu können, und heißt Demokratie ein schöner, freundlicher Name, wenn nur die Sache selbst durchführbar wäre. (4 8) Diesen drei eben genannten Verfassungen stehen drei gesetzwidrige und entartete Formen gegenüber. Zunächst die Tyrannis, bei der durch den Übermut und die Gewalttätigkeit eines einzelnen, und zwar des Schlechtesten, alle anderen zugrunde gehen. Dann die Oligarchie, hart und ungerecht, die durch das Übergewicht einiger weniger verkommener Elemente aus der besitzenden Klasse auf Kosten der mittellosen Menge zustande kommt. (49) Am Ende der Reihe steht die bunt zusammengewürfelte, wimmelnde Volksmenge, die schlechterdings nichts weiß, aber immer aufgewühlt und wildgemacht wird von skrupellosen Demagogen - eine ungestüme und gefährliche Woge, von wilden Stürmen hin und her gepeitscht.

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Diese entarteten Formen nun habe ich nur im Vorbeigeh gestreift, obwohl ich bei jeder von ihnen eine Menge von Mi geschicken und Zusammenbrüchen aus vergangener Zeit at zählen könnte. (50) Auf den glücklichen und gottgefligten Z stand aber, wie er jetzt herrscht, muß ich sorgfältiger eingehe Es gibt viele anschauliche Bilder und klare Parallelen flir die Regierungsform. An Herden und Bienenschwärmen bewei die Natur, daß nach ihrem Willen der Stärkere über den Schw cheren herrscht und für ihn sorgt. Aber es gibt gewiß kein de~ licheres und schöneres Bild als die Lenkung des Alls durch d Hand des ersten und besten Gottes. (5 I) Ein solcher Herrscher ist zunächst einmal von den Gö tern geliebt, weil er bei ihnen die größte Ehre und das größ Vertrauen genießt. An erster und dringlichster Stelle wird, das Göttliche verehren und nicht nur zugeben, sondern fe davon überzeugt sein, daß es Götter gibt, damit auch er selb rechtmäßige Herren über sich hat. (52) Er glaubt, daß den al deren Menschen seine Fürsorge in demselben Maße nützt w ihm selbst die Herrschaft der Götter. Und auch das weiß I ganz genau, daß er von schlechten Leuten niemals ein G schenk annehmen darf; auch glaubt er nicht, die Götter m Gaben und Opfern von ungerechten Menschen erfreuen 2 können, da er weiß, daß sie nur die Gaben von Guten freund1ic annehmen. Infolgedessen wird er bestrebt sein, sie auch m solchen Geschenken reichlich zu verehren. Nie aber wird er au hören, ihnen mit jenen anderen Geschenken Ehrfurcht zu el weisen, mit guten Werken und gerechten Taten. (53) Tugen hält er flir Frömmigkeit, das Laster flir lauter Gottlosigkeil denn er sieht nicht nur in den Tempelräubern und Gottesläsu rern fluchbeladene Verbrecher, sondern viel mehr noch in de Feigen, Ungerechten, Unbeherrschten, Unverständigen, kun in allen, die gegen die Macht und den Willen der Götter etwa tun. (54) Er glaubt nicht nur an Götter, sondern auch an gUi

1

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SI

3.54-58

'ster und Halbgötter, die Seelen guter Menschen, die ihre Gelbliche Hülle abgestreift haben. An diesem Glauben hält er ster . . fest, gewiß mcht zu se~~e~ Schaden. .. . .' ( 5) Die Fürsorge [ur dIe Menschen halt er nIcht fur eme Ne~ensache oder bloße Plackerei, wenn er etwa mit Sorgen chwer beladen ist, sondern für seine persönliche Aufgabe und s 'nen Beruf. Beschäftigt er sich mit etwas anderem, so ist er seI 'h' h t zu seI. ttges tue, d as 'nIC der Meinung, dß a er etwas U nWlC nem Ptlichtenkreis gehöre. Wenn er aber auf das Wohl seiner Untertanen bedacht ist, dann ist er überzeugt, seine Pflicht zu erftillen, weil er vom obersten Gott mit dieser Aufgabe betraut ist; ihm muß er gehorchen, und er darf nicht ungehalten sein über ihn, denn er glaubt ja, daß dies die ihm zufallenden Aufgaben sind. (56) Denn niemand ist so verweichlicht und vergnügungssüchtig, daß er an seiner eigenen Arbeit nicht Freude hätte, auch wenn sie mühselig ist. So ist der Steuermann am wenigsten aufgebracht über seinen harten Dienst auf See, ein Bauer am wenigsten über seine Landarbeit, einJäger über die Strapazen während der Jagd; und doch sind Feldarbeit und Jagd über alle Maßen anstrengend. (57) Nein, ein König hält Sorgen und Mühen um der anderen willen nicht ftir unter seiner Würde, und er ist nicht der Meinung, es gehe ihm deswegen schlechter, weil er die meisten Mühsale auf sich zu nehmen und sich am meisten zu plagen habe. Er sieht ja auch, daß die Sonne, obwohl sie nicht geringer ist als irgendeiner der Götter, nicht ungehalten ist darüber, daß sie, \Im die Menschen und das Leben überhaupt zu erhalten, immerfort ihren Dienst verrichtet. (58) Ferner hält er Tapferkeit, Selbstdisziplin und Klugheit gerade für die notwendig, die das Recht vernachlässigen und gerne als Tyrann auftreten, wenn sie nicht in kürzester Zeit untergehen wollen; ja noch mehr, er merkt, daß sie, wollen sie auch nur eine Weile an der Macht bleiben, mehr noch als die

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[3,51

guten Herrscher auf diese Eigenschaften angewiesen si (59) und zwar um so stärker, je mehr Menschen sie hassen 1 ihnen entgegenarbeiten, ohne daß sie selbst einen zuverlä gen Freund hätten. Sie dürfen nie schlafen und müssen iml auf der Hut sein, daß sie bei ihrer Verteidigung den Fein< nicht unterlegen sind und, schmiedet man ein Komplott, Verschwörer sofort entdecken. Von Genüssen müssen sie s fernhalten, an den Magen, an Schlaf und Liebeslust dürfen kaum denken im Gegensatz zu dem, der von allen geH< wird und keinen Feind zu fürchten hat. (60) Wenn man nun dieselben Sorgen, oder gar noch me und viel größere Plagereien in Kauf nehmen muß, wenn n sich vor dem Genuß genauso in acht zu nehmen, Gefahren nauso zu trotzen hat, wieviel besser ist es da, das alles Bunde mit dem Recht und dem Guten als im Bunde mit d Schlechten und dem Unrecht zu machen, wieviel besser, I statt Tadel zu ernten und von den Menschen wie von< Göttern geliebt statt gehaßt zu werden! (61) Überdies ist Gegenwart fur den Menschen nur sehr kurz und schwer berechnen, den größten Teil seines Lebens macht die Erin rung an die Vergangenheit aus und die Hoffnung auf die: kunft. Wen von beiden wird nun wohl die Erinnerung freuen und wen quälen, wen von beiden werden die Erwartl gen ermutigen und wen erschrecken? - Also ist das Leben I guten Königs auf jeden Fall auch angenehmer. (62) Du siehst, daß der Gott das Gute allenthalben dazu stimmt hat, fur das Schwächere zu sorgen und darüber herrschen, wie etwa die Geschicklichkeit über die Un schicklichkeit, die Stärke über die Schwäche, und daß er Klugheit dazu bestellt hat, fUr die Torheit zu sorgen und raten. Bei all diesen Aufgaben ist das Herrschen keinesWi leicht, sondern mühselig, und es hat nicht mehr Erholungt Muße, wohl aber mehr Sorge und Arbeit zu bieten. (63)

3,63-68]

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bauchen sich die Passagiere auf einem Schiff um nichts zu k~mmern und nicht das Meer zu beobachten, ja nicht einmal ZU wissen, wo auf der Welt sie sind, wie man so sagt. Und viele reisen auf diese Weise bei schönem Wetter und vertreiben sich die Zeit mit Würfeln, Singen und Schmausen. Kommt aber ein Sturm auf, dann mu.mmen sie sich ein und warten ab, was kommt; mancher legt sIch sogar schlafen und steht nicht eher auf, als bis man im Hafen eingelaufen ist. (64) Der Steuermann aber muß das Meer beobachten, er muß zum Himmel emporschauen, er muß nach Land Ausschau halten. Auch die Tiefe darf er nicht aus den Augen lassen, oder er läuft unversehens auf einen Felsen unter Wasser oder auf ein verborgenes Riff auf. (65) Er allein darf nachts noch weniger schlafen als die nächtlichen Wachtposten. Wenn er sich bei Tageinmalein klein wenig Schlaf stiehl t, dann ist sel bst dieser Schlaf noch leich t und unruhig, denn oft ruft er «Die Segel einziehen! », «Das Ruder herum! »oder ein anderes Kommando. So kümmert er sich noch im Schlaf mehr um das Schiff als die andern, die hellwach sind. (66) Im Feld achtet jeder Soldat nur nil' sich allein auf seine Waffen und seine Ration, und beides will er sich nicht selbst besorgen, sondern verlangt, daß es bereitgestellt werde; nur auf seine eigene Gesundheit, nur auf sein Wohl ist er bedacht. (67) Pflicht des Führers aber ist es, darauf zu sehen, daß alle gut ausgerüstet sind, daß alle Qgartier haben; und nicht nur die Mägen der Menschen, auch die der pferde muß er füllen. Wenn nicht alle haben, was sie brauchen, ist er darüber viel ungehaltener, als wenn er selbst krank wäre, denn auf das Wohlergehen seiner Soldaten legt er genausoviel Wert wie auf sein eigenes. Siegen ist nämlich unmöglich, wenn man für die Soldaten nicht sorgt, für den Sieg aber wählten schon viele tapfere Männer den Tod. (68) Ferner ist der Körper eines jeden von uns nicht in der Lage, sich selbst zu helfen, da er ohne Verstand ist, noch ist es 4

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[3.68'74

seine Art, für sich selbst zu sorgen. Hat ihn die Seele verlassen, kann er nicht einmal kurze Zeit fortbestehen, sondern löst sich sofort auf und zerfallt. Die Seele aber trägt alle Sorgen für ihn, beunruhigt sich bei jeder Vorstellung und quält sich mächtig, wenn ihn ein Schmerz befällt. (69) Und nur, wenn sie da i8~ empfindet der Körper den Schmerz, die Seele aber wird schon gequält, bevor der Schmerz auftritt, ja häufig nur aus Furcht, auch wenn er sich gar nicht einstellen wird. Den Tod spürt der Körper niemals, die Seele aber empfindet auch ihn. Und sie macht viel durch, wenn sie den Körper aus Krankheit rettet, vor den Feinden rettet, aus dem Sturm rettet, aus dem Meer rettet. So hat die Seele in jeder Beziehung mehr Arbeit und Mühsal als der Körper und ist doch göttlicher und königlicher. (70) Jeder wird wohl zugeben, daß der Mann stärker und zum Führen tauglicher ist als die Frau. Den Frauen fallen die meisten häuslichen Arbeiten zu, dafür bleiben sie in der Regel verschont vor Stürmen, Kriegen und Gefahren. (71) Die Män. ner aber müssen in den Krieg ziehen, müssen zur See fahren und müssen unter freiem Himmel die Feldarbeit verrichten. Und trotzdem wird keiner die Frauen deswegen glücklicher nennen wollen als die Männer. (72) Wer aber aus Schwachheit und Unmännlichkeit die Lebensweise einer Frau angenom. men hat wie zum Beispiel Sardanapal, der ist wegen dieser Schande berüchtigt bis auf den heutigen Tag. (73) Nun aber das Größte! Du siehst, wie die Sonne, selbst ein Gott, den Menschen an Glückseligkeit überlegen ist und daß sie sich nicht weigert, uns durch die Zeiten hindurch zu dienen und alles zu tun, um uns am Leben zu erhalten. (74) Was anderes denn könnte man von der Sonne sagen, als daß sie immerfort schafft, worauf die Menschheit angewiesen ist! Sie ruft die Jahreszeiten hervor und teilt sie ein, sie läßt alle Tiere, alle Pflanzen wachsen und gedeihen, sie führt da; schönste und lieblichste Schauspiel herauf, das Licht, ohne da!

3.14-80]

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!les Schöne am Himmel wie auf Erden nichts nütze wäre, ja a 'cht einmal das Leben selbst. Und niemals wird sie müde, uns ~esen Gefallen zu erweisen. (75) Aber sie lebt doch wohl in einer sehr harten Knechtschaft, könnte man einwenden, denn wenn sie auch nur ein klein wenig unachtsam wäre und aus 'hrer Ordnung träte, in demselben Augenblick wäre es aus mit ~em ganzen Himmel, mit der ganzen Erde, mit dem ganzen Meer, und diese ganze schöne und segensreiche Ordnung würde sich in das häßlichste und furchtbarste Chaos verkehren. (76) Jetzt aber, wie auf einer Leier die richtigen Töne greifend, tritt sie nie aus der reinen, vollkommenen Harmonie und zieht immer ein und dieselbe Bahn. (77) Da die Erde der Wärme bedarf, um die Pflanzen hervorzubringen, um sie wachsen zu lassen und zur Reife zu bringen; da die Tiere ihrer bedürfen, um ihr Leben zu fristen und sich wohl zu mhlen; da ganz besonders wir s~lbst, am stärksten auf Hil:e angev:ies~n, ihrer bedürfen, hat Sle den Sommer gemacht, mdem Sle slch immer mehr unserer Erde nähert, damit sie alles entstehen, a!les wachsen und alles reifen lasse und den Menschen ein göttliches und wunderbares Fest der Freude gebe. (7 8) Da wir Menschen und alles übrige Leben andererseits aber auch der entgegengesetzten Temperatur bedürfen - die Körper brauchen Kälte, um sich zusammenziehen zu können, die Pflanzen haben Verhärtung, die Erde Regen nötig -, geht die Sonne wieder von'uns weg und zieht sich in eine entsprechende Entfernung zurück. (79) So hält sie vollkommen sicher und zuverlässig ihre Grenzen ein - zu unserem Besten, denn wenn sie beim Näherkommen ein wenig zu dicht an uns heranrückte, würde sie alles in Brand stecken, und entfernte sie sich ein bißchen zu weit, würde alles vor Frost erstarren. (80) Da wir aber zu schwach sind, den Wechsel ohne Übergang zu ertragen, läßt sie ihn nach und nach eintreten und gewöhnt uns gewissermaßen, ohne daß wir es merken, durch den Früh-

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ling daran, die Hitze zu ertragen, und macht uns durch den Herbst widerstandsfähig für die Kälte, indem sie es nach delll Winter langsam wieder wärmer, nach dem Sommer wieder kälter werden läßt, so daß wir ohne Beschwerden von einelll Höhepunkt zum andern gelangen. (8r) Da es ferner das größte Vergnügen ist, das Licht zu sehen, wir aber ohne Licht nichts tun können und, wenn wir schlafen, ganz der Ruhe pflegen und für das Licht keine Ver. wendung haben, hat sie, solange wir wach sein müssen, den Tag geschaffen, und läßt es Nacht sein, solange wir schlafen müssen. Dabei wandert sie um die ganze Erde, schickt bald die einen zu Bett, weckt bald die anderen auf; sie zieht sich zu. rück von denen, die das Licht nicht mehr brauchen, und scheint denen, die es in ihrem Tageslauf nötig haben. Und trotzdem wird sie niemals müde, durch alle Zeiten hindurch ihre Aufgaben zu erfüllen. (82) Wo aber der allerschönste und strahlendste Gott in alle Ewigkeit seine Sorge für die Menschheit nicht vernachlässigt, sollte sich da ein gottesfürchtiger und einsichtiger Mensch durch solche Pflichten belastet fühlen? Sollte er es nicht, so. weit es in seinen Kräften steht, der Macht und der Menschen. liebe des Gottes gleichtun? (83) Solche Überlegungen lassen ihn unverdrossen durchhalten. Er bemerkt, daß harte Arbeit Gesundheit und Wohlergehen bringt, dann auch einen guten Ruf, Bequemlichkeit aber genau das Gegenteil. Ferner werden die Anstrengungen ganz von selbst immer schwächer und lassen sich leichter ertragen; das Vergnügen aber, das der Arbeit folgt, wird dadurch größer und unschädlicher. Dagegen läßt Bequemlichkeit die Anstrengungen immer beschwerlicher er· scheinen, während sie das Vergnügen mindert und ihm seinen Reiz nimmt. (84) Der Mensch, der sich immer nur ein bequemes Leben macht und nie eine Arbeit anrührt, ist schließlich überhaupt keiner Anstrengung mehr gewachsen und emp-

3. 84- 9']

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findet keinen R~iz mehr, sei er a~ch noch so stark. (85) Wer Iso die Arbeit mcht scheut und sIch zusammennehmen kann, ~ t nl'cht nur als König geeigneter, sondern hat auch ein viel . 1S enehmeres Leben als 1m umgekehrten Fall. an~86) Die Freundschaft hält er für sein schönstes und heiligstes Gut, denn er ist davon überzeugt, daß es für einen König weniger schimpflich und gefährlich ist, kein Geld als keine Freunde zu haben, und daß das Glück sich weniger durch Reichtum, Heere und sonstige Macht bewahren läßt als durch die Treue der Freunde. (87) Denn für sich allein ist keiner einer Aufgabe gewachsen, auch nicht in seinem privaten Kreis. Je mehr und je größere Aufgaben aber ein König zu erfüllen hat, auf desto mehr und desto pflichtbewußtere Mithelfer ist er angewiesen. Denn auch die größten und wichtigsten Aufgaben muß er entweder anderen anvertrauen oder fallenlassen. (88) Dem einzelnen Bürger gewähren die Gesetze Schutz, daß er nicht ohne weiteres von denen übervorteilt werden kann, mit denen er zu tun bekommt, ob er ihnen nun Geld anvertraut, ein Haus überläßt oder sie zu Teilhabern bei einem Unternehmen macht: Die Gesetze bestrafen jeden, der Unrecht tut. Könige aber können bei einem Vertrauensbruch nicht bei den Gesetzen, sondern nur bei dem guten Willen der Untertanen Schutz suchen. (89) Natürlich sind diejenigen, die dem König nahestehen und sich mit ihm in die Regierungsgeschäfte teilen, mächtiger als alle anderen; vor ihnen kann er sich nicht anders schützen, als daß er ihre Liebe gewinnt. Dem ersten besten aufs Geratewohl an der Macht teilzugeben ist also äußerst gefahrlich; (90) je mehr Macht aber jemand seinen Freunden gibt, desto mächtiger wird er selbst. (91) Allerdings müssen notwendige und nützliche Güter dem Besitzer nicht unbedingt Vergnügen bereiten; und was erfreut, ist deswegen noch lange nicht förderlich, im Gegenteil, ein großer Teil der angenehmen Dinge erweist sich als

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[3,9I-98

schädlich. (92) Mauern zum Beispiel, Waffen, Kriegsmaschi. nen und Heere gehören zu dem notwendigen Besitz eines Herr. schers, denn ohne sie kann er seine Herrschaft nicht behaupten. Was er aber, abgesehen vom Nutzen, für ein Vergnügen darin finden soll, kann ich nicht erkennen. (93) Schöne Haine dage. gen, kostspielige Wohnungen, Statuen und Bilder alter, volI. kommener Kunst, goldene Mischkrüge, reichverzierte Tische, Purpurgewänder, Elfenbein und Bernstein, duftende Salben, alles, was das Auge entzückt, das Ohr mit Gesang und Instru. menten erfreut, dazu reizende Frauen und schöne Knaben_ das alles erweist sich als nicht zum praktischen Nutzen, san. dern zum Vergnügen erdacht. (94) Allein auf die Freundschaft trifft es zu, daß sie das Nützlichste mit dem Angenehmsten verbindet. ~ugleich ist sie auch, wie ich glaube, das größte VOn den notwendigen Gütern: Waffen, Mauern, Truppen und Städte sind ohne Freunde, die nach dem Rechten sehen, zu gar nichts nütze und flur allzu unsicher, Freunde aber sind auch ohne das alles von Nutzen. (95) Ferner sind diese Dinge nUr im Krieg nützlich, lebt man aber fortwährend im Frieden, VOr. ausgesetzt, daß das möglich ist, sind sie eine nutzlose Bela. stung. Dagegen ist es auch im Frieden gefährlich, ohne Freunde zu leben. (96) Ja mehr noch: Die Vergnügen, die ich nannte, mit Freunden zu teilen, steigert die Freude, sich ihnen allein in der Einsamkeit hinzugeben ist das Allertrostloseste, und niemand könnte es aushalten. Noch schlimmer allerdings wäre es, wenn man das Vergnügen mit Leuten teilen müßte, die einen nicht lieben. (97) Welches Fest könnte willkommen sein, wenn nicht das Allerwichtigste vorhanden ist, welches Gelage Freude machen ohne die Freundschaft der Teilnehmer? Wel· ches Opfer könnte den Göttern wohlgefällig sein ohne Fest· gäste? (98) Bereiten nicht auch jene Liebesbeziehungen das größte Vergnügen und sind am wenigsten ausschweifend, die

3,98-I03]

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durch die Sympathi.e der Liebenden zustande kommen und den sich nach ZuneIgung sehnenden Menschen von Knaben der Frauen zuteil werden? (99) Die Freundschaft hat viele ~amen, wie es ja gewiß auch viele Arten von ihr gibt. Die mit schönheit und Jugend verbundene Freundschaft aber wird mit Recht Eros genannt, und er gilt als der schönste der Götter.

(100) Heilmittel sind für die Kranken nützlich, für die Gesunden überflüssig, Freundschaft aber ist für den Gesunden wie für den Kranken immer außerordentlich notwendig. Sie hilft, den Besitz zu wahren, hält die Armut ab, macht den Ruhm noch leuchtender und verschleiert die Ruhmlosigkeit. (101) Sie allein ist es, die alles Beschwerliche erleichtert, alles Gute vermehrt. Denn welches Unglück wäre ohne Freundschaft nicht unerträglich, welches Glück ohne Freunde nicht reizlos? Wenn auch Einsamkeit etwas Trauriges und das AllerfUl'chtbarste ist, so darf man doch nicht das Verlassensein von Menschen darunter verstehen, sondern das von Freunden; zumindest ist völlige Einsamkeit oft besser als die Gegenwart übelwollender Leute. (I02) Für mich gibt es kein Glück ohne einen Menschen, der sich mit daran fi·eut. Leichter nämlich dürfte jemand das schlimmste Unglück mit Freunden als das größte Glück ohne sie ertragen können. Denn mit Recht halte ich den ftir den Unglücklichsten, der im Unglück eine große Zahl Leute hat, die sich über ihn freuen, im Glück aber niemanden, der sich mit ihm freut. (I03) Wer die meisten und Besten zu Freunden und, wenn überhaupt jemand, den Schlechtesten zum Feind hat, wen viele lieben, mehr noch loben und niemand tadeln kann, wie sollte der nicht vollkommen glücklich sein? Denn ein solcher Mann hat viele, die sich mit ihm freuen, aber keinen, der sich über ihn freute, und deswegen ist er glücklich in allem, hat er doch viele Freunde, aber keinen Feind.

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(104) Wenn aber Augen, Ohren, Zunge und Hände dem Menschen alles bedeuten, um angenehm, ja um überhaupt leben zu können, so gilt das noch viel mehr von zuverlässigen Freunden. (105) Denn mit den Augen kann man gerade er. kennen, was vor den Füßen liegt, mit Hilfe der Freunde aber kann man bis ans Ende der welt sehen. Mit den Ohren können wir nur hören, was ganz in der Nähe ist, aber durch die, die uns wohlwollen, wird für uns alles, was notwendig ist, wo immer es auch sein mag, vernehmbar. (106) Mit der Zunge kann sich der Mensch nur denen mitteilen, die in seiner Umgebung sind, mit den Händen, wenn er auch noch so stark ist, höch. stens die Arbeit von zwei Männern verrichten. Mit Hilfe sei. ner Freunde aber kann er mit allen Menschen sprechen und jede Arbeit vollbringen, denn die ihm wohl gesonnen sind, sagen und tun alles in seinem Interesse. (107) Und was am überraschendsten ist: Da er viele Freunde hat, kann er, ob. wohl er selbst nur einer ist, vieles zur gleichen Zeit tun, vieles zugleich sich überlegen, vieles sehen und vieles hören, an vie. len Stellen zugleich sein - was selbst den Göttern schwerfallt-, so daß nirgends etwas ohne seine Fürsorge bleibt. (108) Natürlich erfreuen auch die Erfolge der Freunde einen guten Menschen, nicht weniger als sein eigenes Vergnügen. Wie sollte der nicht glücklich sein, der, wenn er vergnügt ist, viele Körper hat, um das Vergnügen zu genießen, und wenn er glücklich ist, viele Seelen, um sich zu freuen? (109) Wenn ferner der Ruhm dem Ehrgeizigen erstrebenswert ist, so kann er vielfachen Ruhm ern ten, sooft seine Freunde gelobt werden. Wenn es zum Wesen des Reichtums gehört, seinen Besitzer zu erfreuen, so ist vielfältig reich, wer mit seinen Freunden teilt, was er hat. (110) Sodann macht es Freude, edlen Menschen seine Gunst zu bezeugen, wenn reichlich Mittel vorhanden sind, es macht aber auch Freude, selbst Geschenke zu bekommen, wenn man

3. I1o- 11 5)

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'e ehrlich verdient hat. Wer seinen Freunden einen Gefallen hat seine Freude zugleich als Geber wie als Nehmer. :n altes Sprichwort sagt ja, der Besitz der Freunde sei gemeinenn daher der Gute etwas Gutes hat, dann dürfte das sa m. W sicher allen zugute kommen. (ru) In anderen Dingen nun will ein solcher König keineswegs mehr haben als seine Bürger, ja in manchem, etwa Muße, Bequemlichkeit und Erholung, ist er sogar mit weniger zufrieden, nur in der Freundschaft will er mehr. (rI2) Weit davon entfernt, es für befremdlich und merkwürdig zu halten, ist er vielmehr stolz darauf, von den jungen Leuten mehr geliebt zu werden als deren Eltern, von den alten mehr als ihre eigenen Kinder, von denen, die mit ihm verkehren, mehr, als sich die lieben, die auf gleichem Fuß miteinander verkehren, von denen, die nur von ihm gehört haben, mehr, als die Nächsten sich lieben. (u3) Wenn er auch die Bande des Blutes und der Verwandtschaft hochschätzt, so hält er in gewisser Weise die Freundschaft doch für ein wertvolleres Gut als die Verwandtschaft, denn Freunde sind nützlich, auch ohne verwandt zu sein, während selbst die nächsten Verwandten einem nichts taugen ohne Freundschaft. Ja,er hat von der Freundschaft eine so hohe Meinung, daß er glaubt, niemandem sei von einem Freund jemals Unrecht geschehen. Das rechnet vielmehr zu dem, was als unmöglich gilt, (II4) denn sobald einer bei einer schlechten Tat ertappt wird, beweist er, daß er eben kein Freund war. Allen nämlich, denen Schlechtes widerfahren ist, ist es von Feinden widerfahren - nur hielt man sie fur Freunde und wußte nicht, daß es Feinde waren. Man darf sich dann wohl seine eigene Dummheit vorwerfen, nicht aber den Namen der Freundschaft schlechtmachen. (Us) Als Vater kann ich schon einmal ungerecht sein gegen meinen Sohn und als Kind mich gegen meine Eltern verfehlen, auch kann der Bruder vom Bruder ein Unrecht erfahren. Aber die Freundschaft SI weist,

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hält der gute König für ein solch heiliges Gut, daß er sich auch die Götter zu Freunden zu machen sucht. (n6) Aus allem, was ich gesagt habe, geht hervor, daß fÜr den Tyrannen genau das Gegenteil gilt. Aus jedem Gut, das ich angeführt habe, wird bei ihm ein Übel, ganz besonders in dem zuletzt berührten Punkt: Der Tyrann steht ganz ohne Freunde da, denn er kann sich keinen zum Freund machen. (n7) Seinesgleichen verachtet er, weil sie schlecht sind, VOn den andern, den Guten, wird er gehaßt; der verhaßte Feind ist aber auch in den Augen der Ungerechten ungerecht, denn während die Gu ten ihn mit Recht hassen, verschwören sich die Schlechten gegen ihn, weil sie dieselben Ziele verfolgen. (n8) Der Perserkönig hatte einen Mann, der «das Auge des Königs» hieß'3 - kein besonders angesehener, sondern ein ganz gewöhnlicher Mensch: Der König wußte nicht, daß alle Freunde eines guten Königs seine «Augen» sind. (II9) Wie sollte ein guter König auf die Bande des Blutes und der Verwandtschaft nicht besonderen Wert legen? Hält er doch seine Familie und seine Verwandten für einen Teil seiner selbst! (120) Er sorgt nicht nur dafür, daß sie etwas abbekommen von dem, was man das Glück nennt, sondern viel mehr noch, daß sie in den Augen der anderen ihre Teilhabe an der Herrschaft verdient haben, und auf keinen Fall wird er sich nachsagen lassen wollen, er zöge sie vor, weil sie verwandt, nicht aber, weil sie besonders tüchtig seien. Seine Verwandten liebt er ganz besonders und hält sie für seine zwangsläufigen Freunde. (121) Denn von Freunden kann man sich trennen, wenn man etwas Anstößiges an ihnen bemerkt hat, bei Verwandten aber läßt sich die Verwandtschaft nicht aufheben; man wird sich die Bezeichnung gefallen lassen müssen, was für Leute die Verwandten auch sein mögen. (122) Seine Frau betrachtet er nicht nur als Partnerin für Bett- und Liebesfreuden, sondern als rat- und tatkräftige Helferin für sein ganzes Leben.

3. 12,....128]

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(1 2 3) Er allein versteht unter Glück nicht ein behagliches Leben, sondern vielmehr Rechtschaffenheit; für ihn ist die 'fugend kein Zwang, sondern eine Frage des Wo liens, Durchhalten bedeutet ihm nicht Mühsal, sondern Sicherheit. Das Vergnügen erhöht er durch Arbeit und hat so einen größeren Genuß dabei, während Gewöhnung ihm die Anstrengung leichter werden läßt. (124) Nutzen und Vergnügen sind ihm ein und dasselbe, denn er sieht, wie auch die einfachen Leute, wenn sie gesund bleiben und ein hohes Alter erreichen wollen, nicht ein untätiges Leben ohne jede Anstrengung führen, sondern etwa ein Handwerk ausüben, zum Teil sogar ein sehr anstrengendes wie zum Beispiel die Schmiede, Schiffsbauer und Zimmerleute. ( 125) Wer Land besitzt, verrichtet, bevor er alt wird, die anstrengende Arbeit des Bauern, der Städter geht seiner Beschäftigung in der Stadt nach. (126) Gymnasien und Ringplätze sieht er bevölkert von Leuten, die nichts zu tun haben: Die einen machen einen Wettlauf auf der Rennbahn, andere ringen miteinander, wieder andere beschäftigen sich mit einer anderen Übung, und sie alle sind doch keine Wettkämpfer - kurz, jedermann, wenn er nicht ganz dumm ist, beschäftigt sich mit Essen, Baden und allen möglichen anderen der Gesundheit zuträglichen Dingen 14. Der Herrscher aber unterscheidet sich von all diesen Leuten dadurch, daß er sich nicht nur zum Spaß anstrengt und nicht nur seinen Körper trainiert, sondern das alles in einer bestimmten Absicht tut: Er hilft, wo etwas seiner Fürsorge bedarf, er handelt schnell, wo Eile not tut, erfüllt eine nicht leicht zu erfüllende Aufgabe, stellt ein Heer zum Kampf auf, macht Land urbar, gründet eine Stadt, überbrückt Flüsse und baut Landstraßen. (128) Nicht deswegen schätzt er sich glücklich, weil er die schönsten Pferde, die schönsten Waffen, die schönsten Kleider und so weiter haben kann, sondern die besten Freunde, und er hält es rur viel schimpflicher, einem seiner Untertanen in der

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(3)

[3.128-'31

Freundschaft nachzustehen als in einem dieser Punkte. (U9) Denn wer sich von allen Menschen die zuverlässigsten aus. suchen kann - und da ist wohl keiner, der nicht gerne seinern Ruf folgte -, wäre es nicht zum Lachen, wenn der nicht die besten Menschen in seiner Nähe hätte? Die meisten Herrscher haben nur für Leute ein Auge, die sich an sie heranmachen, gleich auf welche Weise, und die zum Schmeicheln bereit sind; alle anderen halten sie sich vom Leibe, die Besten ganz beson. ders. (130) Der gute König aber trifft seine Wahl unter allen, da er es fur abwegig hält, sich nisäische Pferde kommen zu las. sen, weil sie besser sind als die thessalischen, und Hunde aus Indien 1 5, und nur bei den Menschen sich mit dem zu begnügen, was sich gerade anbietet, (131) zumal er alles hat, um sich Freundschaft zu erwerben. Die Ehrgeizigen macht Lob zuge. tan, die Führernaturen die Aussicht auf Teilhabe an der Herr. schaft, die Kriegerischen eine militärische Aufgabe, wer gern ein Amt hätte, ein Posten in der Verwaltung, den für Liebe Empfänglichen vertrauter Umgang. (132) Wer wäre nun eher in der Lage, Beamte zu ernennen? Wer brauchte mehr Leute für seine öffentlichen Aufgaben? Wer wäre befugter, an großen Unternehmungen teilnehmen zu lassen? Wem wäre es eher möglich, einem anderen eine militärische Aufgabe anzuver· trauen? Wessen Ehrungen wären glänzender? Wer führte eine prächtigere Tafel? Und wenn Freundschaft käuflich wäre, wer hätte mehr Mittel, so daß keiner ihm den Rang streitig ma· ehen könnte? (I33) Da er aber von Natur ein Mensch ist, auch wenn er im Leben eine so hohe Stellung einnimmt, muß auch er eine Art Erholung von seinen Pflichten haben. Aber gerade das war schon oft fur viele die Qgelle unedler und selbstzerstörerischer Leidenschaften, die zugleich auch das Ansehen der Königs· herrschaft unterhöhlten. (134) Der eine, von Sangeslust ge· packt, winselte und heulte fortgesetzt in Theatern, statt an

3.l34-4.l]

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seine pflichten als König zu denken, begnügte er sich damit, die Könige der Vorzeit auf der Bühne darzustellen 16. Ein anderer wurde zum begeisterten Flötenspieler l7 • (135) Der gute König aber hört solchem Unfug nicht einmal lange zu. Er hält die Jagd ftir die schönste Erfindung, und an ihr hat er seine rößte Freude. Dabei wird der Körper kräftiger, das Herz mu~ger - eine Vorschule ftir das ganze Kriegshandwerk. (136) Denn da muß er reiten und laufen, seinen Mann stehen gegen viele kampflustige Tiere, Hitze und Kälte ertragen, und manches Mal wird er von Hunger und Durst gequält; aber aus lauter Leidenschaft für die Jagd gewöhnt er sich daran, das alles mit Vergnügen auszuhalten. Allerdings meine ich nicht die persische Jagd. (137) Denn die Perser haben das Wild in Gehegen eingeschlossen, und sooft sie die Lust dazu ankommt, töten sie es: wie in einem Pferch eingesperrt und an Kraft gebrochen, denn sie wollen weder Anstrengung noch Gefahr. Dabei bringen sie sich aber um die Freude beim Aufspüren, um den Einsatz beim Stellen des Wildes, um den Kampf Auge in Auge. (138) Das wäre genauso, wie wenn sie sich ftir tüchtige Soldaten ausgäben, aber auf einen Kampf mit den Feinden verzichteten und statt dessen die Gefangenen zu Hause nähmen und sie töteten.

4.

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(I) Man erzähl t, Alexander sei einmal mi t Diogenes zusammengetroffen - er, der nicht allzuviel Zeit hatte, mit dem, der Zeit im Überfluß besaß. Denn schließlich war er der König der Makedonen und vieler anderer Völker, jener aber ein Verbannter aus Sinope. Von dieser Begegnung sprechen und schreiben viele, wobei sie Alexander nicht minder bewundern und loben, weil er, der Herrscher über Millionen lind der mächtigste Mann seiner Zeit, es nicht für unter seiner Würde gehalten habe, sich

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mit einem armen, aber klugen und an Entbehrungen gewöhn. ten Mann zu unterhalten. (2) Denn es liegt in der Natur des Menschen, sich zu freuen, wenn man die Weisheit von der h.öchsten Macht und Gewalt geehrt sieht, und so berichtet man bei derartigen Gelegenheiten nicht nur, was wirklich gesche. hen ist, sondern übertreibt und dichtet selbst etwas hinzu, ja entkleidet die weisen Männer von allem anderen wie Besitz, Ansehen und körperlicher Stärke, damit es so scheint, als wUr. den sie einzig wegen ihrer geistigen Fähigkeiten geachtet. (3) Wie aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Begegnung verlief, möchte ich jetzt erzählen, da ich gerade fi·ei bin von anderen Verpflieh tun gen. (4) Wie es heißt, war Alexander außerordentlich ehrgeizig und ruhmliebend, stets darauf bedacht, bei Griechen und Nichtgriechen einen möglichst großen Namen zu hinterlassen, und er wollte sozusagen nicht nur von den Menschen in aller Welt, sondern auch, wenn es irgend möglich wäre, von den Vögeln und den Tieren auf den Bergen verehrt werden. (s) Die anderen verachtete er alle und hielt keinen ftir fähig, sich in diesem Punkt mit ihm zu messen, weder den König der Perser noch der Skythen noch der Inder noch irgendeinen Mann oder eine Stadt in Griechenland. (6) Er stellte nämlich fest, daß Luxus und Untätigkeit beinah alle Menschen verdorben hatten und sie jedem Gewinn und jedem Vergnügen erlagen. Wenn er aber von Diogenes hörte, was er redete, was er tat und wie er seine Verbannung trug, dann sah er manches Mal auf die Armut und Einfachheit dieses Mannes herab, da er noch jung war, erzogen im Dünkel eines Königs; (7) oft aber bewunderte lind beneidete er ihn auch wegen seines Mutes und seiner Standhaftigkeit, am meisten jedoch wegen seines Ruhmes, daß alle Griechen ihn so, wie er war, kannten und bewunderten und bei allem Ehrgeiz keiner es ihm gleichtun konnte. (8) Er selbst brauchte die makedonische Phalanx' und die thessalische Rei-

4. 8- 14 ]

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terei, die Thraker, Paionier und zahlreiche andere Völker, wenn irgendwohin gehen und sich einen Wunsch erfüllen wollte, erährend der andere ohne Begleitung in vollkommener Sicher:eit ging, wohin er Lust hatte, nicht nur bei Tag, auch bei Nacht. (9) Er selbst brauchte Unmengen Gold und Silber, um ein Vorhaben auszuführen, ja, wollte er unterwürfige Makedonen und Griechen haben, mußte er oft mit Worten und Geschenken Herrscher und Volk zu gewinnen suchen. (ro) Der andere aber machte sich an keinen Menschen heran, um ihm zu schmeicheln, sondern sagte allen die Wahrheit, und ohne einen Pfennig Geld zu besitzen, erreich te er alles, was er woll te, und scheiterte nie bei einem Vorsatz; er allein führte das Leben, das er Hir das beste und glücklichste hielt, und niemals hätte er Alexanders Krone oder die Schätze der Meder und Perser gegen seine Armut eingetauscht. (n) Weil den König nun der Gedanke wurmte, daß ein Mann, der frei und sorglos lebte und obendrein genauso berühmt sein sollte, ihm etwas voraushabe, vielleicht auch, weil er sich Gewinn aus einer Begegnu"ng mit diesem Mann versprach, wollte er ihn schon lange einmal sehen und ihn sprechen. (I2) Als er, in Korin th an gekommen, die Gesandtschaften der Griechen empfangen und die anderen Angelegenheiten der Verbündeten erledigt hatte, sagte er seiner Umgebung, er wünsche ein wenig auszuspannen, und ging fort - ich kann nicht sagen: an die Tür des Diogenes. Denn er hatte keine Tür, weder eine große noch eine kleine, auch kein eigenes Haus oder einen Herd wie die Besitzenden, (13) vielmehr dienten ihm die Städte als Wohnung, und dort lebte er auf den öffentlichen Plätzen und an den heiligen Orten, die den Göttern geweiht waren, und die ganze Erde hielt er für seinen Herd, da sie allen Menschen gemeinsam Herd und Ernährerin ist. (14) An jenem Tage weilte er gerade im Kraneion, und zwar allein, denn er hatte keine Schüler und keine solche Scharen um sich wie die

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Sophisten, die Flötenspieler und die Tanzmeister. Wie er da saß, trat also der König zu ihm und begrüßte ihn. Diogenes aber warf ihm einen zornigen Blick zu, wie ein Löwe, und forderte ihn auf, ein wenig beiseite zu treten; er sonnte sich näm_ lich gerade. (IS) Die Unerschrockenheit und Ruhe des Man_ nes, der sich durch seine Gegenwart keineswegs einschüchtern ließ, erregten sofort Alexanders Bewunderung. Denn es ist ganz natürlich, daß die Mutigen die Mutigen liebgewinnen, während die Feigen sie argwöhnisch betrachten, sie als ihre Feinde hassen und nur die Niedrigen willkommen heißen und gern haben. Und so sind dem einen Wahrheit und Freimut am liebsten, dem andern Schmeichelei und Lüge; die einen leihen denen gern ein Ohr, die im Umgang mit ihnen zu gefallen suchen, die andern solchen, denen es dabei um die Wahrheit geht. (16) Nach einer Weile fragte Diogenes, wer er sei und weshalb er zu ihm komme. «Willst du vielleicht etwas von meinem Eigentum?» fragte er. «Was denn», sagte Alexander, «hast du etwa Geld und besitzt etwas, von dem du abgeben könntest?» DaraufDiogenes: «Ja, eine ganze Menge von großem Wert, nur bin ich mir nicht sicher, ob du überhaupt etwas davon abbekommen kannst. Natürlich keine ,Schwerter und Becken" und Mischkrüge, keine Betten und Tische, wie sie Dareios 3 von Persien sein eigen nennen soll.» (17) «Kennst du eigentlich nicht den König Alexander?» fragte der andere. «Ich höre viele seinen Namen nennen», gab Diogenes ZUI Antwort, «wie wenn Dohlen umherflattern, ihn selbst abe: kenne ich nicht, denn seine Gesinnung ist mir unbekannt.: «N un », sagte Alexander, «du kannst auch seine Gesinnun: jetzt in Erfahrung bringen, denn gerade deswegen bin ich hieJ damit du mich kennenlernst und ich dich sehe.»

4,x8-22]

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(18) «Du wirst mich aber nur mit Mühe sehen können», ,vandte Diogenes ein, «wie Leute mit schwachen Augen das Licht. Aber sage mir, bist du jener Alexander, von dem man sagt, er sei ein Bastard?» Da wurde der König rot vor Zorn, aber er hielt an sich; nur reute es ihn schon, eine Unterredung gesucht zu haben mit einem plumpen Landstreicher, wie er glaubte. (19) Diogenes nun merkte seine Verlegenheit und wollte sein Herz wieder umkehren, wie Kinder ihre Würfel umdrehen. Auf die Frage Alexanders, wie er dazu komme, ihn einen Bastard zu nennen, sagte Diogenes: «Wie ich dazu komme? Auch deine Mutter nennt dich doch so, wie ich höre. Oder ist es nicht Olympias, die sagt, nicht Philipp sei dein Vater, sondern ein Drache oder Ammon oder was weiß ich ftir ein Gott, Mensch oder Tier? Also bist du doch wohl ein Bastard. (54) Oder nennst du einen Hahn von ungleicher Herkunft nicht Bastard? Und scheint dir der Abstand eines Gottes zu einem sterblichen Weib nicht größer zu sein als der eines reinrassigen Hahns zu einem gewöhnlichen Huhn? Wenn es nun um deine Abkunft so bestellt ist, wie man sich erzählt, dann bist auch du ein Bastard, genau wie ein Hahn in einem solchen Fall. Aber vielleicht ist er gerade deswegen ein besserer Kämpfer als die anderen.» (20) Da lächelte Alexander und freute sich wie nie zuvor, und Diogenes wollte ihm keineswegs mehr grob vorkommen, sondern taktvoller als jeder andere, da er allein ein Kompliment zu machen verstand. «Wie nun », fragte er, «hältst du die Behauptung für richtig oder ftir falsch?» (21) «Das ist nicht ganz sicher», war die Antwort. «Wenn du dich selbst in Zucht hast und dich auf die göttliche Kunst, König zu sein, verstehst, dann hindert dich nichts, ein Sohn des Zeus zu sein. (22) So soll ja auch Homer sagen, daß Zeus wie I'on den Göttern so auch von den Menschen der Vater ist, aller-

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[4,22"-2)

dings nicht von den Sklaven, Gemeinen und Niederen. Bist du aber ein Feigling, ein Schweiger und eine Knechtsnatur, so hast du weder mit den Göttern noch mit den rechtschaffenen Men. sehen etwas gemein. (23) Man erzählt, in Theben hätten die sogenann ten Sparten 4 ein Zeichen ihrer Abkunft am Körper getragen - ich glaube, es war ein Speer; wer dieses Zeichen nicht trug, galt nicht als Sparte. Glaubst du nicht, daß auch die Söhne des Zeus ein solches Zeichen in ihrer Seele haben, woran man erkennt, wofern man überhaupt zu einer Erkennt. nis fähig ist, ob sie von Zeus abstammen oder nicht?» Über diese Antwort freute sich Alexander sehr (24) und fragte, wie man wohl am besten König sei. Mit einem strengen Blick zu ihm empor sagte Diogenes: «Man kann genausowenig ein schlechter König sein wie ein schlechter guter Mensch. Denn der König ist der beste von allen Menschen, da er der tapferste, gerechteste und mildeste ist und sich von keiner Mühsal und von keiner Begierde unterkriegen läßt. (25) Oder glaubst du, ein Mann, der die Zügel nicht halten kann, sei ein Wagenlenker? Wer nicht steuern kann, ein Steuermann, Wer nicht heilen kann, ein Arzt? Das ist unmöglich, selbst wenn alle Griechen und Nichtgriechen es behaupteten und ihm uno zählige Diademe, Zepter und Tiaren gäben, wie man Kindern, die ausgesetzt werden, Halsbänder umlegt, damit sie später zu identifizieren sind. Wie du nun nur steuern kannst auf die Art eines Steuermanns, so kannst du auch nur König sein auf die Art eines Königs.» (26) Aus Furcht, er könne sich als ein Mann, der nicht zu regieren versteht, verraten, fragte Alexander: «Und wer, denkst du, kann diese Kunst lehren? Oder wohin muß ich gehen, um sie zu lernen?» (27) Diogenes antwortete: «Du beherrschst sie doch, wenn wahr ist, was Olympias sagt, und du von Zeus abstammst. Denn er ist es, der diese Kunst als erster und am besten versteht und

4,<7-3<]

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. ",em er will, mitteilt. Jeder aber, dem er sie mitgeteilt hat,

~Ie, und heißt ,Sohn des Zeus's. (28) Oder meinst du, die SoIstbisten lehrten d as H errsch? . en D"le meisten von I'h nen wissen ~ nicht einmal, wie man zu leben, geschweige denn zu herrJa hen hat. (29) Weißt du nicht», fragte er, «daß es zwei Arten s~n Erziehung gibt, eine göttliche und eine menschliche? Die ;öttliche ist groß und gewaltig und leicht, die menschliche aber klein, schwach, voller. Gefahr und Irrtum. Trotzdem muß sie zu der erstgenannten hmzutreten, wenn etwas Rechtes dabei herauskommen soll. (30) Die meisten nennen diese menschliche Art ,Erziehung' und meinen damit etwas für Kinder 6 , vermute ich. Und wer sich in der persischen, griechischen, syrischen und phönikischen Literatur am besten auskennt und die meisten Bücher gelesen hat, der gilt ihnen als der Weiseste und Gebildetste. Finden sie aber unter solchen Leuten einen Taugenichts, einen Feigling oder einen habgierigen Menschen, so ist in ihren Augen weder die Seele noch der Mensch viel wert. Die andere Art nennt man bald ,Erziehung', bald ,Mannhaftigkeit' und ,Seelengröße'. (31) Und deswegen hießen bei den Alten ,Söhne des Zeus' alle diejenigen, die diese gute Erziehung bekommen und eine männliche Seele hatten, die erzogen waren wie der berühmte Herakles. Jeder nun, der, von edler Natur, diese Erziehung besitzt, erwirbt auch schnell jene andere: Er braucht nur weniges zu hören und auch das nur selten, eben das Bedeutendste und Wichtigste; dann ist er schon eingeweiht und bewahrt es in seiner Seele. (32) Und niemand wird ihm etwas davon rauben können, keine Zeit und kein Sophist, selbst wenn er es mit Feuer herausbrennen wollte. J:a, auch wenn man den Menschen verbrennte, wie man von Herakles erzählt, er habe sich selbst verbrannt, werden die Grundsätze in seiner Seele bleiben, genauso, denke ich, wie auch bei Toten, die man verbrennt, die Zähne unversehrt blei-

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[4.32'31

ben, während der ganze Körper vom Feuer verzehrt wird. (3J' Denn er braucht nicht zu lernen, sondern nur sich zu erinner~ Dann weiß und erkenn t er sofort, wie wenn er von Anfang a~ all diese Lehrsätze in seinem Bewußtsein gehabt hätte. Wen~ er ferner einem Mann begegnet, der sozusagen den Weg kennt so läßt er ihn sich schnell erklären und geht weiter, sobald e; ihn erfahren hat. Trifft er aber auf einen trotz seiner Unwissen, heir prahlenden Sophisten, so wird dieser ihn mit seinen Irr. wegen ermüden, indem er ihn bald nach Osten, bald nach We. sten, bald nach Süden schleppt: Er weiß nichts und ergeht sie! nur in Vermutungen, denn auch er ist früher von solchen Gauklern lange an der Nase herumgefuhrt worden. (34) Ein Beispiel: Bei der Jagd wittern nichtabgerichtete Hunde in ihrem Unge. stüm die Fährte nich t und nehmen sie nich t auf, durch ihr Bei. len und Benehmen aber, als wüßten sie die Spur und sähen sie, locken sie die anderen in die falsche Richtung, und viele Hunde folgen ihrem blinden Gebell- natürlich gerade die dümmsten. (35) Von der Meute nun lassen sich diejenigen Hunde, die still sind und nicht bellen, lediglich auf die falsche Fährte locke~ die unbändigsten und dümmsten aber machen es den erste;, nach und wetteifern darin, die anderen mit lautem Gebell i~ die Irre zu führen. So ist es auch bei den sogenann ten Sophisten: Manchmal läuft ihnen ein großer Schwarm von Toren nad. Und du wirst finden, daß ein Sophist sich in nichts von einem lüsternen Eunuchen unterscheidet.» (36) Bei den letzten Worten fragte sich Alexander verwun· dert, worin Diogenes wohl den Sophisten mit einem Eunuche~ vergleiche, und er erkundigte sich. Die Antwort: «Weil die Geilsten unter den Eunuchen, ihre Männlichkeit und Leiden· schaft für die Frauen beteuernd, mit ihnen schlafen und sie nicht in Ruhe lassen und doch nichts dabei herauskommt selbst wenn sie ganze Tage und Nächte mit ihnen zusamme~ wären. (37) Bei den Sophisten kannst du viele finden, die trou

4.37-42]

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'hres Alters noch nichts gelernt haben und in den Diskussionen viel hilfloser umhergetrieben werden, als Homer den ;dysseuS auf dem Meer umherirren läßt, und eher könnte 'ner, wie Odysseus, in den Hades hinabsteigen, als daß er ein ~rauchbarer Mann wird bei dem, was er da redet und hört. (38) Wenn du bei deiner Veranlagung mit einem vernünftigen Mann zusammenträfst, würde ein Tag dir genügen, um einen Begrilfvon seinem Tun und Können zu bekommen, und es bedürfte keiner ausgeklügelten Kunstgriffe und Diskussionen. Wenn du aber nicht Zeus oder einen damit vergleichbaren Menschen zum Lehrer hast, der dir ohne Umschweife eindeutig sagt, was du zu tun hast, so hast du nichts davon, brächtest du auch dein ganzes Leben schlaflos und hungrig bei den elenden sophisten zu. (39) Das hat schon lange vor mir auch Homer gesagt. Du kennst doch die Dichtungen Homers?» Sehr stolz darauf, daß er das eine Werk, die Ilias, ganz und von der Odyssee große Teile auswendig konnte, fragte Alexander verwundert: «Wo spricht Homer denn darüber?» «Dort», erwiderte Diogenes, «wo er Minos den ,Gefährten des Zeus" nennt. (40) Oder heißt ,Gefährte sein' nicht soviel wie ,verkehren mit'? Von Minos sagt er also, er sei Gefährte des Zeus, wie wenn er ihn seinen Schüler hätte nennen waUen. Glaubst du nun, daß Minos als Schüler über etwas anderes mit Zeus gesprochen habe als über das Recht und die Pflichten eines Königs? Soll er doch auch der gerechteste aller Menschen gewesen sein. (41) Und wenn Homer die Könige ,von Zeus genährt' und ,Freund des Zelts' nennt, sollte er da etwas anderes meinen als eben die Nahrung, die ich mit Belehrung und Unterweisung bezeichnete? Oder bist du der Ansicht, die Königewürden von Zeus genährt wie von einer Amme, mit Milch und Wein und Speise, nicht mit Wissen und Wahrheit? (42) Genauso versteht er auch unter Freundschaft nichts anderes als dasselbe wollen und denken, also eine Art Gleichgesinnt-

1 ach

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[4.42~48

heit. Das ist doch, wie ich annehme, auch bei den Menschen SQ' Freunde sind in allem gleichgesinnt und haben in nichts ver: schiede ne Ansichten. (43) Wer nun mit Zeus befreundet ist und dieselbe Gesinnung hat wie er, wie sollte der jemals etwas Unrechtes begehren, etwas Schlechtes und Schändliches be. absichtigen können? Dasselbe will Homer wohl auch sagen, wenn er einen König als ,Völkerhirten' preist. (44) Denn ein. zige Aufgabe des Hirten ist es, seine Schafe zu versorgen, sie Zu bewahren und zu schützen, nicht, beim Himmel, sie zu töten, zu schlachten und abzuhäuten. Allerdings treibt bisweilen auch ein Metzger viele Schafe vor sich her, wenn er sie gekauft hat; aber es besteht doch ein himmelweiter Unterschied zwi. schen der Aufgabe eines Metzgers und der eines Hirten, etwa so wie zwischen der Königsherrschaft und der Tyrannis. (45) Als Xerxes und Dareios zum Beispiel weit von Susa her Massen von Persern, Medern, Saken, Arabern und Ägyptern hierher nach Griechenland in den Tod schickten, handelten sie da als Könige oder als Schlächter, als sie ihre Beute zur Schlachtbank führten 7» (46) Da sagte Alexander: «Allem Anschein nach hältst du nicht einmal den Großkönig für einen König!» Diogenes lächelte: «Nicht mehr, Alexander, als meinen klei. nen Finger.» «Und wenn ich ihn unterworfen habe», fragte Alexander, «werde ich kein großer König sein 7» «Doch», erwiderte Diogenes, «aber nicht deswegen. (47) Denn wenn Kinder ,König' spielen, wie sie es selbst nennen, ist der Sieger doch niemals ein richtiger König. Die Kinder wis· sen ja auch genau, daß ihr siegreicher ,König' dem Schuh· macher oder dem Zimmermann gehört. Er muß das Handwerk seines Vaters lernen, ist aber von zu Hause weggelaufen, um mit den anderen Kindern zu spielen; doch glaubt er gerade dann eine ernste Beschäftigung zu haben. (48) So kann es schon

4.48-5 1 ]

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. mal sein, daß selbst ein Sklave, der seinem Herrn fortge-

~~:fe~ ist, ,König' wird. Vielleicht macht auch ihr nun etwas Ähnliches: Jeder von euch hat kampflustige Knaben auf seiner Seite, er die Perser und die anderen Völker in Asien, du die Makedonen und Griechen. Und wie nun die Kinder versuchen, 't dem Ball einander zu treffen, der Getroffene aber ausscheiso versuchst auch du, Dareios zu treffen, und er dich, und vieileicht triffst du ihn sogar und wirfst ihn aus dem Spiel, denn du scheinst mir der bessere Schütze zu sein. (49) Dann werden alle, die früher, auf seiner Seite standen, auf deiner Seite stehen und sich vor dir verbeugen, und du wirst König über alle genannt werden.» Da fühl te sich Alexander von neuem getroffen und war ärgerlich. Denn er wollte nicht leben, wenn er nicht König von Europa, Asien, Libyen und jeder Insel irgendwo im Ozean wäre. (so) Ihm ging es genau umgekehrt wie bei Homer dem Achilleus in der Unterwelt. Jener sagt nämlich, er wolle lieber als Tagelöhner leben bei einem armen Mann, der nicht gar piel hat zum Lebm, als über all die abgeschiedenen Toten zu herrschen. s

:t

Alexander dagegen, glaube ich, hätte es vorgezogen, zu sterben und auch nur über ein Drittel der Toten zu herrschen, als lediglich ein Gott zu werden und ewig zu leben, es sei denn, er hätte König über die anderen Götter werden können. (5 I) Zeus allein hätte er vielleicht nicht geringgeachtet, weil die Menschen ihn König nennen, und gerade deswegen setzte ihm Diogenes auch so gewaltig zu. «Ich glaube, du scherzt, Diogenes », sagte der König. «Wenn ich Dareios und dazu noch den König der Inder unterworfen habe, hindert mich nichts mehr, der größte König aller Zeiten zu sein. Denn was bliebe mir noch übrig, wenn ich Herr von Babyion, Susa, Ekbatana und des indischen Reiches geworden bin?»

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(52) Wie Diogenes ihn vor Ehrgeiz brennen und sich ll1it ganzer Seele leidenschaftlich nach diesem Ziel strecken sah, wie die Kraniche mit gestrecktem Körper fliegen, wohin aUen immer sie un terwegs sind -, rief er: (53) «Aber bei dieser Einstel. Iung wirs t du keinem etwas voraushaben noch ein wahrer König sein, auch nicht, wenn du über die Mauer von BabyIon sprängst lind so die Stadt einnähmst, ohne die Mauern von außen Zu durchstoßen und zu unterwühlen, und dasselbe auch mit Susa und Baktra machtest; auch nicht, wenn du nach dem Vorbild des Kyros wie eine Wasserschlange durch den Fluß in die Stadt eindrängest 9 oder durch den Ozean schwämmest und einen neuen Erdteil, der noch größer ist als Asien, hinzugewännest., (55) «Und welcher Feind bleibt mir noch», fragte Alexan. der, «wenn ich die Völker, die ich nannte, unterworfen habel. «Der Feind, mit dem am schwersten zu kämpfen ist», ga~ Diogenes zur Antwort. «Er spricht nicht persisch und nicht medisch, wie Dareios es tut, glaube ich, sondern makedonisd und griechisch.» Da befiel Alexander eine quälende Unruhe, dem Diogenes könnte in Makedonien oder Griechenland ein Feind bekannt sein, der sich zum Krieg gegen ihn rüste, und er fragte: (56) «Wer ist dieser Feind in Griechenland oder Makedonien?» «Du kennst ihn nicht und glaubst sonst alles am besten zu wissen?» «So willst du ihn mir nicht nennen, sondern vor mir geheim. halten ?» «Schon lange habe ich ihn genannt, aber du willst nicht hören, daß du dir selbst der größte und ärgste Feind bist, solange du schlecht und uneinsichtig bist. Und das ist der Mann, den du weniger kennst als jeden anderen Menschen. (57) Denn kein dummer und schlechter Mensch kennt sich selbst. Und Apollon hätte sein ,Erkenne dich selbst!' nicht zum ersten Gebot gemacht, wenn er nicht gewußt hätte, daß Selbster·

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kenntnis für jedermann das ~c1~wieri~ste ist. (~8) Oder glaubst d nicht, daß mangelnde EInsIcht dIe allergroßte und gefahrli~hste Krankheit ist und den von ihr Befallenen schadet, daß der uneinsichtige Mensch sich selbst den größten Schade~ zuftiat?Wer den andern am meisten schadet und die meisten Übel ve~ursacht, der ist doch wohl ihr größter und ärgster Feind. Deshalb empöre dich nur über mich, spring von einem Bein aufs andere, (59) halte mich für den größten Schuft und mache mich vor aller Welt schlecht, ja wenn du willst, durchbohre mich mit deinem Speer! Denn ich bin der einzige, von dem du die Wahrheit hörst, und bei keinem anderen Menschen wirst du sie erfahren können. Denn kein anderer ist solch ein Ehrenmann wie ich und so freimütig.» (60) So sprach Diogenes, vollkommen un bekümmert darum, ob ihm etwas geschehen könne, und abgesehen davon war er sich auch sicher, daß ihm nichts geschehen werde. Er wußte nämlich, daß Alexander ein Sklave seines Ruhmes war und sich niemals an ihm vergreifen werde. (6r) Und so sagte er ihm, daß er nicht einmal das Zeichen des Königs trage. Da verwunderte sich Alexander: «Hast du nicht noch eben gesagt, der König brauche kein Zeichen?» «Gewiß, keine äußerlichen wie Tiara und Purpur, denn die sind zu nichts nütze. Das natürliche Zeichen aber muß er auf alle Fälle an sich tragen.» (62) «Und was fur ein Zeichen ist das?» fragte Alexander. «Dasselbe, das auch die Bienenkönigin hat. Du hast doch schon gehört, daß sie von der Natur zur Köni gin un ter den Bienen gemacht ist und diese Stellung nicht ererbt hat, wie ihr, die ihr von Herakles abstammt, es bei euch nennt.» «Was für ein Zeichen ist es denn nun?» wiederholte Alexander. (63) «Hast du von Bauern nicht schon einmal gehört, daß diese Biene allein keinen Stachel trägt, da sie gegen niemand

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eine Waffe nötig hat"? Denn keine von den anderen Bienen wird ihr ihre Stell un g strei tig machen oder mi t ihr darum kämp. fen, wenn sie dieses Zeichen hat. Du aber gehst, will mir schei. nen, nicht nur in Waffen umher, du legst dich auch mit ihnen schlafen. (64) Weißt du nicht, daß es ein Zeichen von Furcht ist. wenn ein Mensch Waffen trägt? Ein furchtsamer Mensch abe; kann genausowenig König werden wie ein Sklave.» Bei diesen Worten hätte Alexander den Speer beinahe aus der Hand gleiten lassen. (65) Diogenes aber wollte ihn damit nUr veranlassen, sich mehr auf gute Taten und Rechtlichkeit alsaur Waffen zu verlassen. «Auch du », fuhr Diogenes fort, «hast ein hitziges Tempera. ment, einen solch gefährlichen und gewalttätigen Stachel. (66) Warum wirfst du, was du jetzt trägst, nicht weg, nimmst einen einfachen Kittel und dienst denen, die sich besser in der Gewalt haben, statt mit einem lächerlichen Diadem herumzulaufenr Oder willst du dir demnächst vielleicht einen Kamm und eine Tiara wachsen lassen wie ein Hahn? Kennst du nicht das Saken. fest, das die Perser feiern, gegen die du jetzt zu ziehen ge. denkst?» (67) Sofort erkundigte sich Alexander, was für ein Fest da! sei, denn er wollte alles über die Perser in Erfahrung bringen. «Sie nehmen einen der zum Tode verurteilten Gefangenen, setzen ihn auf den Thron des Königs, geben ihm königliche Gewänder und lassen ihn Befehle erteilen, trinken und prassen, ja während dieser Tage darf er sich sogar mi t den Kebsweibern des Königs vergnügen, und niemand hindert ihn zu tun, was er will. Dann aber wird er ausgezogen, ausgepeitscht und aufge. hängt. (68) Wofür scheint dir nun dieses Fest ein Zeichen zu sein? Und warum wird es wohl bei den Persern gefeiert? Ist der Sinn nicht folgender: Oft erlangen dumme und schlechte Men· schen eine solche Macht und einen solchen Titel; dann leben sie eine Weile in Saus und Braus und finden sehr bald ein er·

4. 68- 74 ]

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bärmliches Ende. (69) Daher ist es ganz natürlich, daß der un'ssende Tor sich freut und glücklich schätzt, wenn er von den ;;sseln befreit wird, der Wissende aber jammert und sich wehrt itzugehen und viellieber wie bisher in Ketten bleiben will. 0) Versuche also nicht, du Tor, König zu sein, bevor du zur ;ernunft gekommen bist! Solange ist es besser, keine Befehle zu erteilen, sondern in einem Fellkittel für sich allein zu leben.» «Du willst mich, den Nachfahren des Herakles, mich, den Führer der Griechen und König der Makedonen, auffordern, einen Fellkittel anzuziehen?» (7 1) «Warum nicht? Auch dein Vorfahr trug doch einen.» «Welcher Vorfahre?» «Archelaos ". Oder war Archelaos kein Ziegen hirte und trieb keine Ziegen vor sich her, als er nach Makedonien kam? Glaubst du nun, er habe das in einem Purpurgewand oder in einem Fellkittel getan?» Die Frage erheiterte Alexander, und lachend sagte er: «Du meinst die Geschich te mi t dem Orakel, Diogenes?» (72 ) Da runzelte Diogenes die Stirn: «Mit welchem Orakel? Ich weiß nur, daß Archelaos ein Ziegenhirt war. Wenn du aber dein eingebildetes Wesen und deine derzeitige Beschäftigung ablegst, dann wirst du ein König sein, vielleicht nicht im üblichen Sinn, aber in Wirklichkeit. Und du wirst nicht nur Herr über alle Männer sein, sondern auch über alle Frauen, wie es Herakles war, den du deinen Vorfahren nennst.» (73) «Über welche Frauen?» wollte Alexander wissen. «Du meinst wohl die Amazonen?» «Nein, die zu besiegen war keine Kunst. Ich meine eine andereArt, außerordentlich gefährlich und wild. Kennst du nicht jenes libysche Märchen u?» «Nein.» (74) Da erzählte ihm Diogenes die Geschichte mit großem Vergnügen, denn er wollte ihn wieder etwas trösten. So ma-

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ehen es ja auch Ammen mit kleinen Kindern: Wenn sie die Kinder geschlagen haben, trösten sie sie wieder und erzählen ihnen eine schöne Geschichte. (75) «Glaube mir», fuhr Diogenes fort, «du wirst nicht eher König sein, als bis du deinen Genius ausgesöhnt hast und ihm dienst, wie du sollst: nicht als Sklave, unfrei und schlecht, wie du jetzt bist, sondern zum Herrschen befähigt, frei und könig_ lich.» (76) Da war Alexander bestürzt über den Mut und die Uner. schrockenheit dieses Menschen und glaubte, er wisse mehr als die andern. Er bestürmte ihn, ihm ja nichts vorzuenthalten, sondern ihm zu sagen, wer sein Genius sei und wie man ihn versöhnen müsse. Er hoffte nämlich, seinen Namen zu erfahren und welche Opfer oder Sühneleistungen er ihm darzubringen habe. (77) Als Diogenes sah, wie aufgeregt und wie gespannt er war, trieb er sein Spiel mit ihm und zog ihn hierhin und dort. hin, ob er sich vielleicht von seiner Einbildung und seiner Ruhmgier abbringen lasse und wieder ein wenig nüchtern werde. (78) Er hatte nämlich bemerkt, daß Alexander bei dem gleichen Anlaß bald erfreut, bald betrübt und seine Seele so wenig klar war wie das Wetter während der Sonnenwende, wenn aus derselben Wolke Regen und Sonnenschein kommen. Er spürte auch, daß dem König die Art und Weise, wie er mit ihm sprach, nicht gefiel, weil er nie einen guten Redner gehört, sondern nur die Reden der Sophisten als erhaben und großartig bestaunt hatte. (79) Da Diogenes nun die Sympathie des Königs gewinnen, zugleich aber auch beweisen wollte, daß er, wenn er wolle, seine Rede wie ein gelehriges und folgsames Pferd auch etwas weiter ausschreiten lassen könne, erzählte er ihm von den Geistern, die jeden Menschen begleiten und ihm Glück oder Unglück bringen: daß die guten und schlechten Geister nicht außerhalb des Menschen sind; (80) daß nichts

4. 80-841

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res als die eigene Gesinnung eines jeden Geist ist; daß der 311de Geist des verständigen und guten Menschen gut, der des hlechten schlecht ist, ebenso der eines freien Menschen frei, ~~r eines Sklave~ u~frei, der. eines.kön.iglichen und hoch~esin.n Mannes kömghch, der emes medngen und unedlen medng. «Um nun nicht», fügte Diogenes hinzu, «jede Einzelheit u erwähnen und eine Menge Worte darüber zu verlieren, will ~ch nur die allgemeinsten und bekann testen Geister erwähnen, von denen, kann man sagen, alle Menschen getrieben werden, Tyrannen und Bürger, Reiche und Arme, ja ganze Völker und Städte.» Und er führte, mit vollen Segeln, großartig und unerschrocken, Punkt für Punkt seine Rede durch. (82) «Zahlreich, Sohn des Philipp, sind in allen Dingen Laster und Verderbnis bei den unglückseligen Menschen, so sehr, daß sie alle aufzuzählen beinah unmöglich ist - in der Tat, wie schon der Dichter sagt: Nicht möglich ist's, 'Zu nennen solch ein furchtbar Wort, kein Mißgeschick, kein Unglück, das von Gott verhängt, des Last nicht trüge, wer als Mensch geboren ist. I3 (83) Man kann sagen, daß es vorzüglich drei Lebensformen sind, in die die meisten Menschen leicht hineingeraten, nicht, beim Himmel, nach vernünftiger Überlegung und Prüfung, sondern weil sie sich von einem unvernünftigen Drang und vom Zufall hinreißen lassen. Und ebenso viele Geister muß man annehmen, denen der große Haufe in seiner Unwissenheit nachläuft und dienstbar ist, der eine diesem, der andere jenem, wie eine erbärmliche, zügellose Horde einem erbärmlichen, wahnsinnigen Führer. (84) Die erste der genannten Lebensformen ist dem Vergnügen und der Ausschweifung in allen sinnlichen Genüssen ergeben, die zweite dem Besitz und dem Reichtum, die dritte, noch auffallender und ungeordneter als die beiden ersten, der Ehre und dem Ruhm; sie beweist ihre Unordnung und ihren Wahnsinn noch eindeutiger und mäch-

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[4,84-,,:

tiger insofern, als sie sich vormacht, einem edlen Ziel nachzu. jagen. . (85) Wir wollen es nun machen wie die geschickten Künst. ler, die sozusagen allem ihre Vorstellungen und ihre Kunst auf. prägen. Sie stellen nicht nur göttliche Wesen in Menschengestalt dar, sondern auch alles andere. So malen sie manchmal· Flüsse als Männer und Qyellen als verschiedene Frauengestal. ten, auch Inseln, Städte und so gut wie alles andere, hat es Homer doch sogar gewagt, Skamandros un ten aus der wirbeln. den Flut sprechen zu lassen [4. (86) Freilich, Stimmen könneQ sie ihren Bildern nicht verleihen, aber charakteristische Züge und entsprechende Zeichen, wie zum Beispiel die Flußgätter meist in zurückgelehnter Haltung, nackt, mit lang herabWal. lendem Bart, mit Tamarisken oder Schilf bekränzt dargestellt werden. (87) So wollen auch wir uns in unserer Darstellung, nicht schwächer und schlechter zeigen als jene in ihren Kün. sten, wenn wir jetzt die Eigenart der drei Geister fur die drci, Lebensformen bildlich darzustellen versuchen, indem wir es genau umgekehrt wie die sogenannten Physiognomiker ma. ehen und ein Gegenstück zu ihrer Kunst und Sehergabe liefern. (88) Denn diese Leute schließen aus der Gestalt und dem Äuße. ren auf den Charakter und erklären ihn so, während wir aus dem Wesen und der Handlungsweise den Ausdruck und die Gestalt, die beidem entspricht, ableiten wollen, ob wir auf diese Weise vielleicht die durchschnittlichen und schlechteren For. men besser erfassen können. (89) Um die Verkehrtheit deI Lebensformen aufzuzeigen, ist es gewiß nicht unangebracht und uns zu verübeln, wenn wir uns, wenn nötig, auch an der Seite von Dichtern, Handwerkern und ReinigungspriesternIl sehen lassen und von überallher mit großem Eifer Bilder und Beispiele herbeischaffen in der Hoffnung, die Menschen damit von ihrer Lasterhaftigkeit, Selbsttäuschung und verderblichen Leidenschaft abzuhalten und sie dazu zu bringen, das Gute zu

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lieben und sich nach einem besseren Leben zu sehnen. (90) oder wir halten es mit den Weihe- und Sühnepriestern, die den zorn der Hekate besänftigen wollen und behaupten, sie könnenihn verschwinden lassen. Dazu reden sie dann vor dem Reinit ungsakt von vielen merkwürdigen Erscheinungen und weisen guf sie hin. Wie sie behaupten, schicke sie der Zorn der Göttin. a (9 1) Nun gut. Der Geist der Habgier strebt nach Gold und Silber, nach Land, Vieh, großen Häusern und jeder Art Besitz. Wird ein Künstler, der sein Fach versteht, ihn nicht mürrisch und finster darstellen, in einer erniedrigenden und gemeinen Baltung? Struppig und schmutzig, liebt er nicht Kinder noch Eltern noch Vaterland, nur dem Geld ftihlt er sich verwandt, und in den Göttern sieht er lediglich eine Einrichtung, die ihm zu vielen gewaltigen Schätzen und zum Tod einiger Freunde und Verwandten verhilft, damit er sie beerben kann; Feste aber hält er für lauter Schaden und unnützen Aufwand. (92) Nie lacht er oder lächelt auch nur, alle sieht er argwöhnisch an, wittert in allen eine Gefahr und mißtraut allen. Mit dem Blick eines Raubtieres bewegt er fortwährend seine Finger, ob er nun sein eigenes Vermögen oder das der anderen nachrechnet. Für alles andere hat er weder Sinn noch Begabung, über Bildung und Wissenschaft lacht er, soweit es nicht um Rechnungen und Geschäfte geht; nur dem Reichtum, der mit Recht in Wort und Bild blind dargestellt wird, jagt er in noch größerer Blindheit nach. (93) Versessen auf jeden Besitz, hält er nichts ftir zu gering, im Unterschied zum Magnetstein, der nur Eisen anziehen soll, rafft er auch Erz und Blei an sich, ja selbst Sand und Stein, wenn man sie ihm gäbe. Denn geradezu überall und in jedem Fall hält er das Haben für nützlicher und besser als das Nichthaben, am meisten aber giert er und ist geradezu verrückt nach dem Erwerb von Geld, weil das am schnellsten und ohne daß er einen Finger dafür regen muß, zunimmt, bei Tag und Nacht mehr wird und vermutlich sogar dem Mond in seinem

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zuvorkomme 6 •

[4.93-100

Lauf noch (94) An Feindschaft, Haß, Verwün. schungen denkt er überhaupt nicht. Ferner hält er allen ande. ren Besitz lediglich fUr eine Zierde und amüsanten Zeitver. treib, das Geld aber bedeutet ihm, auf eine Formel gebracht, den Inbegriff des Reichtums. (95) Geld verfolgt und sucht er überall, um Schande und Unrecht völlig unbekümmert. NUt die Strafe fUrchtet er mehr als ein Wegelagerer, von Angst überwältigt, denn er hat die Seele eines feigen Hundes: Wenn dieser damit rechnet, nicht ertappt zu werden, raubt er, sind aber Wächter in der Nähe, dann begnügt er sich mit einem Blick und hält sich, wenn auch widerwillig, fern. (96) So soll der Geist der Habsucht denn aussehen: von Uno scheinbarem Äußeren wie ein Sklave, nie schlafend, nie lä. chelnd, fortgesetzt mit jemand in Zank und Streit, an Haltung und Wesen genau einem schamlosen und schmierigen Kupplet gleich, der sich das bunte Kleid einer stadtbekannten Dirne angezogen hat. Häßlich und ekelhaft ist dieser Geist, (97) und über seine eigenen Freunde und Genossen, besser, Diener und Knechte bringt er Schimpf und Schande, ob er sie nun im Ge. wande eines kleinen Bürgers oder in dem eines Königs antrifft. (98) Oder sieht man nicht eine ganze Menge sogenannter Könige, die Krämer, Zöllner und Bordellwirte sind? Wollen wit etwa behaupten, daß Dromon und Sarambosl 7 , die in Athen einen Laden hatten und von den Athenern deshalb Krämer ge. nannt wurden, mit Recht so genannt worden seien, Dareios der Ältere aber, der in BabyIon und Susa seinen Laden hatte und deswegen bei den Persern auch heute noch der ,Krämer"! heißt, seinen Namen zu Unrecht trage? (99) Im Unterschied zu den anderen Geistern hat dieser nun eine Eigentümlichkeit: Manchmal ist er uneingeschränkter Herr der Seele, manchmal aber scheint er auch den andern ge· fügig, weil der Reichtum der bereitwillige Diener und Hand· langer jedes Triebes und jeder Leidenschaft ist. (roo) Aber ien

4,100- 104]

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reche jetzt von dem Geist, der die Sinne des unglücklichen

~enschen vollkommen beherrscht, der weder um des Vergnüens noch um des Ruhmes willen seine Schätze erwirbt, der

~einen Reichtum nicht, um ihn auszugeben und zu verwenden,

ufhäuft, sondern ihn zusammenhält und unnütz bewacht,

~irklich in finsteren Verliesen eingeschlossen.

(101) Soviel zu diesem. Der zweite Mensch nun und der Geist, der diesem Menschen entspricht, ist der Geist, der die Orgien der Lust entfesselt und diese Göttin - eine durch und durch weibliche Gottheit- bewundert und ihr den ersten Rang einräumt. Schillernd und vielgestaltig, ist er unersättlich in allem, was Nase und Gaumen kitzelt, dann auch, glaube ich, in allem, was angenehm zu sehen und zu hören ist, sanft und weich zu beflihlen, wie tägliche - besser noch, zweimal am Tag warme Bäder und Salben, die nicht zur Linderung bei Erschöpfung dienen, (102) ferner weiche, schleppende Gewänder, gut gepolsterte Betten und eine aufmerksame Bedienung für jeden Wunsch und jedes Bedürfnis. Auf das alles ist er ängstlich bedacht, am meisten und maßlosesten aber auf den leidenschaftlichen, brennenden Liebesgenuß im Verkehr mit Frauen und Männern und noch in einigen anderen unsagbaren und namenlosen Ausschweifungen. Auf all das stürzt er sich mit derselben Leidenschaft, nichts ist ihm unerlaubt, nichts unmöglich. (10 3) Für unsere Zwecke setzen wir nur einen solchen Geist, der mit allen diesen Krankheiten und Exzessen der Seele behaftet ist, damit wir nicht eine ganze Schar von lüsternen, dem Essen und Trinken ergebenen und zahllosen sonstigen Geistern versammeln müssen, sondern ausschließlich diesen einen darzustellen brauchen als Inbegriff der Maßlosigkeit und Unterjochung unter die Lust. (104) Wenn nur von irgend woher die Gelder unerschöpflich fließen, aus der Kasse eines Königs oder aus dem riesigen Vermögen eines Privatmannes, wälzt er sich bis in sein Alter in grenzenloser Wollust. Wenn nicht, hat

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[4."°4- ' 08

er seine Mittel sehr schnell verschleudert und bleibt dann auch in seiner Armut immer noch unbefriedigt und gierig, i~ Mangel und ungestilltem Verlangen hinter der Befriedigung seiner Begierden gewaltig zurück. (105) Ja, dieser Geist hat auch schon Männer, die ganz unter seiner Herrschaft standen das Leben und das Aussehen von Frauen annehmen lassen, "'~ die Sage von Menschen erzählt, die in Vögel oder wilde Tiere verwandelt wurden, wenn sie einer solchen Lust erlagen. Aber auch hier'9 tritt wieder ein Führer mit entgegenge. setzten Eigenschaften auf. (106) Dieser schwächliche und nichts wagende Geist der zweiten Gruppe verführt die Men. sehen zwar mit Leichtigkeit zu allen weibischen Krankheiten und den anderen Lastern, soweit sie nur Schaden und Schande bringen; wo aber die Lust mit einer Strafe erkauft werden mu~ sei es, daß der Schuldige mi t dem Tod, mit Gefängnis oder mit einer schweren Geldbuße bestraft wird, da läßt er lieber die Finger aus dem Spiel. (107) Der angriffslustige und waghalsige Geist dagegen treibt dazu, alle menschlichen und göttlichen Grenzen bedenkenlos zu überspringen. Während der schwäch. liche und nichts wagende Geist im selben Augenblick, in dem er einen zu seinem Werkzeu g mach t, bereits die Schändlichkeit solchen Tuns eingesteht und keine männliche Aufgabe anfaßt, sondern jede politische Tätigkeit zum Wohle des Ganzen deo nen überläßt, die ein besseres Leben geführt haben, (108) taucht der draufgängerische und unerschrockene Geist, nach. dem er viel Demütigung und Schande über sich hat ergehen lassen müssen, wenn sich, wie man sagt, das Blatt gewendet hat, als Feldherr oder Demagoge wieder auf, mit scharfer und durchdringender Stimme wie ein Schauspieler auf der Bühne. Sein weibisches Kleid hat er inzwischen weggeworfen und sich irgendwo die Kleider eines Soldaten oder Redners gerafft: So geht er, allen frech in die Augen blickend, als Erpresser umher, der welt ein Schrecken.

4.,og-IISl

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(I 09) Paßt ~.un zu einem deral:tigen ~eist ein männli~hes d würdiges Außeres oder eher em schmiegsames und welch~:hes? Wir wollen ihm sein eigen diches Aussehen geben, nicht . es männliche und furchterregende, das er häufig, wenn er Jen . ( . Zeus, so mag er d enn m . . h verstellt, anmmmt. IIO)Beim :;~er üppigkeit einherschreiten, nach Salbe und Wein duften, . einem safranfarbenen Gewand unter lautem, unbändigem ~Iächter, am hellen Tag betrunken, sein ausgelassenes Gelage feiern, welke Kränze auf dem Kopf und um den Hals, torkelnden Ganges, tanzend und weibisches, unmelodisches Zeug singend. (IlI) Weiber ohne Scham und Zucht, bekannt als Sinnesfreuden, sollen ihn führen, die eine schleppt ihn hierhin, die andere dorthin, keine weist er ab oder versagt sich ihr, sondern folgt allen mit dem größten Vergnügen. (112) Und laß die Frauen unter lautem Zimbel- und Flötengetön, den Rasenden in ihrer Mitte, hastig dahineilen. Er aber soll mitten unter ihnen noch lauter und ausgelassener schreien, bleich und verweichlicht, weder an frische Luft noch an Arbeit gewöhnt, mit hängendem Kopf, mit wässrigen Augen lüsterne Blicke werfend, aber immer nur den Körper betrachtend, ohne Rücksicht auf die Seele und ihre Weisungen. (II3) Sollte ein Bildhauer oder Maler diesen Mann darstellen, so könnte er kein besseres Modell finden als den Syrerkönig ZO , der mitten unter seinen Eunuchen und Kebsweibern im Harem sein Leben verbringt, ohne Lager, Krieg und Rat jemals gesehen zu haben. (u4) Auch Verführung soll ihm vorangehen, voll erblüht und von gewinnendem Wesen, geschmückt mit allem Dirnenschmuck, lächelnd eine Menge schöner Dinge versprechend, als ftihrte sie ihn geradewegs ins GI ück - bis sie ihn unversehens in die Grube stürzt,in einen tiefen, sch lammigen Sum pr. Da kann er sich dann wälzen mit seinen Kränzen und seinem Safran gewand. (IIS) Das ist der Herr, dem diese Seelen dienen, und so geht es allen, die durch das Leben taumeln, unlustig und unfähig zu

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[4.lIS-I~

jeder Arbeit, Sklaven der Lust, nur dem sinnlichen Vergnügen ergeben: Sie leben ein Leben voll Schimpf und Schande, nicht aus freier Wahl, sondern willenlos hineingetrieben. (II6) Nun brennt meine Rede darauf, wie in einem drama. tischen Wettkampf, in dem der Chor eingefLihrt wird, nach diesem Geist den dritten einzufuhren : den Geist des Ehrgeizes. Allerdings ist er im Augenblick kaum aufs Kämpfen versessen obwohl er von Natur aus in allem ehrgeizig ist und immer de; ersten platz fLir sich beansprucht. Indes geht es bei ihm jetzt gar nicht um Ruhm und Ehre, sondern um seine große und ver. diente Ruhmlosigkeit. (II7) Überlege dir nun, wie wir diesen Geist des Ehrgeizes an Aussehen und Gestalt formen wollen! Mit Flügeln und luftig, das ist wohl klar, seinem Wesen und seiner Leidenschaft entsprechend; von den Winden dahinge. tragen, wie sich die Maler die Söhne des Boreas' l vorgestellt und gemalt haben, leicht und in die Höhe gehoben, mit den Winden des Vaters um die Wette eilend. (I I 8) Aber jene stell. ten, sooft sie wollten, ihre Fähigkeit unter Beweis: Eine Zeitlang fuhren sie mit den andern Helden in der Argo über das Meer und verrichteten ihre Bootsarbeit und ihre sonstigen Aufga. ben so gut wie jeder andere. Der oberste der ehrgeizigen Män. ner aber schwebt immer in der Höhe und berührt niemals die Erde oder etwas Niedriges, sondern ist immer irgendwo hoch oben. (II9) Wenn das Wetter heiter und windstill ist oder ein sanfter Zephyr weht, dann steigt er vor überschwenglichem Glück höher und höher bis in den Himmel; oft aber hüllt er sich in eine dunkle Wolke, wenn ihn nämlich Verachtung und Ta· del der großen Menge treffen, der er unterwürfig den Hol macht und die er zum Herren über sein Glück eingesetzt hat. (120) Was allerdings die Sicherheit betrifft, so gleicht er keineswegs dem Adler, dem Kranich oder einem anderen Vogel, eher könnte man ihn mit dem erzwungenen und wider· natürlichen Flug des Ikaros vergleichen, nachdem Daidalos

4,12<>-U4]

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eS fertiggebracht hatte, das Unmögliche möglich zu machen.

(121) In seiner jugendlichen Selbstüberschätzung wollte Ikaos über den Sternen segeln und konnte sich auch kurze Zeit dann aber lockerten sich die Bindungen, das Wachs floß weg, und so gab er dem Meer, in dem er nach seinem Sturz versank, den Namen". (122) So geht es auch dem Geist des Ehrgeizes: Auch er vertraut sich schwachen und wahrhaft leichten Schwingen an - ich meine die Ehrungen und Auszeichnungen, die ihm von der großen Menge wahllos zuteil werden; unsicher und ohne festen Halt wird er dahingetragen und reißt den Menschen, seinen dienstfertigen Verehrer, mit. Bald scheint er vielen erhaben und glücklich, bald wieder erniedrigt und unglücklich - auch den anderen, zuerst und ganz besonders aber sich selbst. (12 3) Wer sich jedoch diesen Geist nicht geflügelt denken und darstellen möchte, der verurteile ihn zum Schicksal des lxion, der qualvoll und gewaltsam auf einem sich drehenden Rad im Kreis herumgeschwungen wird. In der Tat, den Ruhm mit einem Rad zu vergleichen ist gewiß nicht unpassend oder schlechter als die anderen kunstvoll durchgeführten Vergleiche: In wechselnder Bewegung läuft es ganz leicht um seine eigene Achse, und mit seinem Schwung zwingt es die Seele, die verschiedensten Gestalten anzunehmen, mehr noch als die Töpferscheibe die auf ihr geformten Dinge. (124) Ein Mann nun, der immerfort um den Weg ist und sich herumtreibt, das Volk und die Massen umschmeichelt bei öffentlichen Versammlungen und rhetorischen Schaustellungen oder bei den sogenannten Freundschaften und Aufwartungen bei Königen und Tyrannen - wie sollte der einem nicht leid tun wegen seiner Veranlagung und seiner Lebensweise? Wohlgemerkt, ich meine nicht den Mann, der sich in der besten Absicht zum Wortführer macht und versucht, in eine riesige Menschenmenge mit Überzeugungskraft und wohlmeinen-

~alten,

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den, angemessenen Worten Ordnung zu bringen und sie ZUm Besseren zu führen. (125) Das soll für diesen Geist genügen, damit wir nicht bei unserem augenblicklichen Versuch, ihn mit Kleidern, Gebär. den und allem übrigen Zubehör auszustatten, in einen ufer. losen Wortschwall hineingeraten. (126) Man könnte also, Um es kurz zu machen, ihn charakterisieren als ehrgeizig, unver. ständig und aufgeblasen - lauter Eigenschaften, die mit Prah. Ierei, Eifersucht und allen gefährlichen, wilden Leidenschaften dieser Art aufs engste verwandt sind. Denn es kann gar nicht anders sein, als daß diese unsozialen, wilden und gefährlichen Regungen die Folge eines ehrgeizigen Charakters sind, (127) daß dieser Mann ferner seine Gesinnung häufig ändert und unausgeglichen ist, da er sich einem unberechenbaren Herrn verschrieben hat, zwischen Freude und Enttäuschung noch stärker und häufiger hin und her geworfen als ein Jäger: Ihm soll es ja fast immer so ergehen, wenn er die Beute aufspürt und dann wieder aus den Augen verliert. (128) Wird solchen Men. sehen Anerkennung und Lob zuteil, dann blüht und gedeiht ihre Seele zu einer erstaunlichen Größe wie der heilige Ölzweig in Athen, von dem die Sage berichtet, er sei an einem einzigen Tage zum vollen Wachstum gekommen' 3 • Sofort aber zieht sie sich wieder zusammen, wird kleinmütig und schwindet dahin, wenn Tadel oder üble Nachrede sie trifft. (129) Auch an der Seite dieses Geistes folgt die Täuschung, und zwar die verlockendste von allen, denn sie macht es ganz anders als die des habgierigen und genußsüchtigen Geistes. Diese beiden konnten keine herrlichen Dinge versprechen und brachten die von ihnen Verführten auch nicht dem Scheine nach zu Glanz und Ruhm; nur die Namen dieser Güter riefen sie ihnen verheißungsvoll zu und ließen sie vor ihren Augen gaukeln. Die Verlockung des dritten Geistes hingegen um· s'trickt und bezaubert den Menschen und redet ihm ein, er

4,12g--135]

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liebe das Schöne und sein Geltungsdrang führe ihn zu Tugend und wahrer Größe. (13 0 ) Und wieder bin ich versucht, auch an dieser Stelle noch einmal auf die Sage von Ixion zu sprechen zu kommen. Im Verlangen nach der glückseligen Vereinigung mit Bera umarmte er ein dunkle, finstere Wolke und zeugte eine unbrauchbare und unnatürliche Brut, das bunt zusammengesetzte Geschlecht der Kentauren. (131) Wenn nämlich die Liebe zu wahrer Größe ihr Ziel verfehlt und sich mit der Ruhmsucht einläßt, dann läßt sie sich in der Tat, ohne daß sie es merkt, an Stelle jenes göttlichen und heiligen Bundes mit einer Wolke ein. Und aus solchen Verbindungen oder Vereinigungen kann wohl kaum etwas Nützliches und Brauchbares kommen, nur unsinnige Wunderlichkeiten, den Kentauren ähnlich: die politischen Künste gewisser Demagogen und die Machwerke der Sophisten. (132) Denn Sophisten und Demagogen sind nur SöldnerfLihrer - davon unterscheide ich ausdrücklich die Offiziere, Erzieher und Politiker z4 • Alle jene andern aber verdienen, dem Geist des Ehrgeizes zugeteilt und seiner Partei und seinem Gefolge eingereiht zu werden. (133) Damit hätte ich die Menschen dargestellt, die von einem der genannten Geister umgetrieben werden. Oft sind es aber auch zwei oder sogar alle drei, die von demselben Menschen Besitz ergriffen haben; dann geben sie widersprechende Befehle und drohen, wenn er ihnen nicht zu Willen ist, mit ganz furchtbaren Strafen. (134) Der Geist der Vergnügungssucht fordert ihn auf, sein Geld fürs Vergnügen auszugeben und weder Gold noch Silber noch den restlichen Besitz zu schonen. Der kleinliche Geist der Habgier läßt das aber nicht zu, sondern versucht, ihn mit der Drohung zurückzuhalten, er werde ihn, wenn er jenem gehorche, mit Hunger und Durst in äußerster Armut und Not verderben lassen. (135) Der Geist der Ruhmsucht hinwiederum ermuntert ihn immer wieder, für das Ansehen sein Eigen turn zu opfern; der andere Geist

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bietet aber auch ihm energisch Widerpart. Und in der Tat, der Freund des Vergnügens und der Freund des Ruhmes können niemals übereinstimmen und dasselbe sagen. Denn der eine verachtet den Ruhm und hält ihn für Unsinn; er zitiert gerne den Zweizeiler des Sardanapal: So viel ist mein nur, wie ich gegessen, gepraßt und der Liebe Freuden genossen; die restlichen Güter sind alle verloren. (136) Auch hält dieser Geist mit Vorliebe einem immer wie. der den Tod vor Augen, daß man bald kein Vergnügen mehr genießen könne. Der Geist der Ruhmsucht aber zieht, ja schleppt einen vom Vergnügen fort, indem er mit Schimpf und Schande droht. (137) Ratlos, was es tun, wohin es sich wenden und wo es untertauchen soll, läuft das Opfer oft fort in die Finsternis und versucht, im geheimen dem zweiten Geist dienstbar und zu Gefallen zu sein. Der andere aber spürt es auf und zerrt es wieder ans Tageslicht. (138) So muß die Seele, die, uneins und zerrissen, fortgesetzt in ewigem Kampf und Aufruhr mit sich selbst lebt, in das tiefste Elend geraten. Denn das Zusammen treffen von Krankheiten, die sich zu wider. sprechen scheinen, machen die Heilung schwierig oder aus. sichtslos. Genauso wird das auch mit den ineinander ver. wickelten und verflochtenen Leidenschaften der Seele sein. (139) Wir aber, die wir jetzt zu einer reineren und besseren Harmonie als vorher gelangt sind, wollen den guten und wei. sen göttlichen Geist preisen - wir, denen die freundlichen Moiren bestimmt haben, ihn zu erlangen, wenn wir einer gesunden Erziehung und der Vernunft teilhaftig geworden sind.» 5.

EIN LIBYSCHES MÄRCHEN

(I) Ein libysches Märchen I zu Papier zu bringen und an dergleichen seine Schreiblust auszulassen ist kein erfolgverspre. chendes Unternehmen, gewiß nicht, zumal ein solcher Gegen-

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LIBYSCHES MÄRCHEN

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stand kaum auf das rege Interesse von vernünftigen Menschen stößt. Trotzdem darf die allgemeine Geringschätzung uns nicht abhalten, über solch ein Thema zu plaudern. Denn vielleicht springt für uns selbst ein nicht geringer Nutzen dabei heraus, wenn wir die Geschichte irgendwie zum Stimmen bringen und sie zum Bild der Wirklichkeit und Wahrheit werden lassen. (2) Ein derartiges Vorgehen und seine Wirkung scheinen mir dem Verfahren vergleichbar, das Bauern bei pflanzen anwenden, zumindest, wenn es zum Erfolg fUhrt. Sie pfropfen nämlich bisweilen unfruchtbaren wilden Pflanzen zur Veredelung gezüchtete und fruchttragende Triebe auf und machen so aus dem nutzlosen Gewächs, das ihnen nichts einbrachte, eine ertragreiche Nutzpflanze. (3) So ist auch ein vernünftiges Wort der Deutung, einem nutzlosen Märchen aufgepfropft, durchaus nützlich und bewahrt es davor, umsonst erzählt zu werden. Vielleicht haben auch die ersten Dichter sich ihre Geschichten zu solch einem Zweck etwa ausgedacht, vielleicht wollten sie in Rätseln und Bildern sprechen zu denen, die sie richtig verstehen konnten. (4) Das ist das «Vorspiel zum Gesetz», wie jemand' gesagt hat. Nun bleibt noch übrig, das «Gesetz» selbst, also die Geschichte zu berichten und vorzutragen, mit der wir treftend die menschlichen Leidenschaften im Bilde darstellen können. (5) In alten Zeiten, so wird erzählt, gab es eine gefährliche und wilde Art von Tieren, ganz besonders in den unbewohnten Gegenden von Libyen. Das Land scheint auch heute noch die verschiedenartigsten Tiere zu beherbergen, Kriechtiere und alle anderen Gattungen. (6) Darunter gab es also auch diese besondere Tierart, von der jetzt die Rede sein soll. Der Leib war so ungefähr aus den größten Gegensätzen zusammengesetzt - ein merkwürdiges Ungeheuer, das sich wegen des Futters bis zum Mittelmeer, nämlich bis zur Syrte, vorwagte. (7) Es machte Jagd auf die anderen Tiere, auf Löwen

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und Panther, wie jene auf Hirsche, Wildesel und Schafe, arn liebsten aber fing es Menschen. Deswegen kam es auch in die Nähe menschlicher Siedlungen bis zur Syrte. (8) Die Syrte ist eine Meeresbucht, die sich weit ins Land erstreckt und, wie man erzählt, in drei Tagen durchquert werden kann, wenn kein Hindernis auftritt. Ist man aber hin. eingefahren, ist eine Ausfahrt nicht mehr möglich. (9) Denn Untiefen, Qgerrinnen und sich langhin erstreckende große Sandbänke machen die Durchfahrt zum Meer äußerst schwie. rig, wenn nicht sogar unmöglich. Der Meeresboden ist närn. lich in der Bucht nicht klar, vielmehr läßt das Terrain, porös, sandig und ohne festen Untergrund, das Meerwasser einströ. men. (10) So lassen sich wohl auch die großen Dünen und Sand. wälle erklären. Wie sich im Binnenland derartige Dünen in. folge der Winde bilden, so sind sie hier in erster Linie auf die Brandung zurückzuführen. Auch die Gegend ringsum bietet ein ähnliches Bild: eine weite, hügelige Sandwüste. - (11) Auf jeden Fall, wann immer Schiffbrüchige vom Meer aus ins In. nere des Landes vordrangen oder Einheimische gezwungen waren, durch diese Gegend zu ziehen, oder auch sich hier. her verirrt hatten, erschienen diese Ungeheuer und pack. ten sie. (12) Wuchs und Aussehen ihres Körpers war etwa folgen. dermaßen: Das Gesicht war das einer wohlgestalteten Frau, Brust, Busen und auch der Nacken so wunderbar, wie sie kein sterbliches Mädchen, keine Braut in der Blüte ihrer Jugend aufweist, wie sie kein Künstler in Stein hauen oder malen könnte. Die Haut glänzte strahlend, und die Augen erfullten· das Herz eines jeden, der sie ansah, mit Zuneigung und Ver· langen. (13) Der Rest des Körpers aber war hart und von ci· nem undurchdringlichen Schuppenpanzer bedeckt; der uno tere Teil war ganz Schlange und lief in einen widerlichen Schlangenkopf aus. Diese Ungeheuer, so erzählt man, hatten,

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keine Flügel wie die Sphinxe - sie konnten auch nicht wie jene sprechen oder irgendeinen andern Laut von sich geben, sondern nur sehr scharf zischen wie die Schlangen -, (14) von aUen Landtieren aber waren sie die schnellsten, so daß keins ihnen jemals entrinnen konnte. Die Tiere überwältigten sie mit ihrer Körperkraft, die Menschen mit List: Sie entblößten ihre Brüste und verzauberten die Menschen zugleich mit ihrem Blick und riefen so ein unwiderstehliches Verlangen nach Vereinigung in ihnen wach. Die Menschen gingen dann auf sie zu wie auf Frauen, sie aber blieben unbeweglich und senkten sogar häufig den Blick, wie anständige Frauen es tun. (15) Aber sobald der Mensch in ihre Nähe gekommen war, packten sie zu. Sie hatten nämlich auch Klauen, die sie bis dahin versteckt gehalten hatten. Die Schlange tötete dann den Menschen sofort mit einem giftigen Biß und fraß den Leichnam im Verein mit dem anderen Getier auf. (16) Diese Geschichte ist nicht für kleine Kinder erfunden, um sie zu größerer Vorsicht und Artigkeit zu erziehen, sondern ftir die Erwachsenen und ihre hochgradigere Dummheit. Von uns in diese Rede 3 übernommen, kann sie vielleicht sehr schön zeigen, was es mit den Leidenschaften auf sich hat: daß sie, bar jeder Vernunft und von tierischem Verlangen, ein Vergnügen verführerisch in Aussicht stellen, die Menschen in ihrem Unverstand durch Trug und Zauber an sich locken, um sie dann elend und erbärmlich ins Verderben zu stürzen. (17) Wie Kindern solche Geschichten einfallen, wenn sie zur Unzeit essen, spielen oder etwas anderes tun wollen, so sollten auch wir sie uns immer als abschreckendes Beispiel vor Augen halten, damit wir uns, wann immer Luxus, Geld, Liebeslust, Ruhm oder ein anderes Vergnügen uns reizt, niemals mit diesen zu allem fähigen Leidenschaften einlassen und von ihnen ins Verderben und in den schmählichsten Untergang gerissen werden.

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(18) Auch den Schluß der Geschichte auf diese Weise Zu deuten ist bei etwas Scharfsinn gewiß nicht schwer, zumal wenn man beinahe mehr Zeit hat, als man eigentlich haben sollte. Hier das Ende der Geschichte. Ein libyscher König wollte die Brut ausrotten, erbost über soviel Verluste in seinem Volk. Viele von diesen Ungeheuern hausten nämlich ausgerechnet in seinem Reich, nachdem sie jenseits der Syrte einen undurch. dringlichen, dichten Wald in Besitz genommen hatten. (19) Er brachte ein riesiges Aufgebot zusammen und stöberte sie in ihren Schlupfwinkeln auf. Sie waren nämlich nicht schwer ausfindig zu machen wegen ihrer Schlangenschwänze und des furchtbaren Gestanks, der von ihren Behausungen ausging. Er umstellte sie von allen Seiten und ließ Brände legen, so daß ein Teil von ihnen, jeder Möglichkeit zur Flucht beraubt, mit. samt den Jungen umkam. Die Libyer aber flohen in aller Eile aus dieser Gegend und gönnten sich bei Tag und Nacht keine Ruhe, bis sie sich im Glauben, einen großen Vorsprung zu haben, an einem Fluß niederließen. (20) Als aber die Tiere, die vorher aufJagd ausgezogen waren, den Verlust ihrer Schlupfwinkel bemerkten, folgten sie den Männern zum Fluß, wo sie die einen im Schlafe liegend, die anderen vollkommen er· schöpft von den Strapazen überraschten, und sie brachten sie alle ohne Ausnahme um. (21) Damals also konnte der König sein Vorhaben, die Brut auszurotten, nicht vollenden. Später aber kam Herakles, der die ganze Erde von wilden Tieren und Tyrannen säuberte, auch in diese Gegend. Er zündete die Stelle an und tötete alles, was aus dem Feuer floh. Die einen erschlug er mit seiner Keule, wenn sie ihm zu nahe kamen, die anderen traf er mit seinen Pfeilen, wenn sie wegzulaufen versuchten. (22) Vielleicht will die Geschichte sagen, daß die große Menge, wenn sie ihre Seele reinigen will wie einen unzugäng.

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rehen Ort, der von wilden Tieren wimmelt, die Brut der Be\erden aus ihrem Versteck holt und vernichtet in der Hoff~ung, endlich frei und sicher vor ihnen zu sein, ihre Arbeit aber icht ganz zu Ende fuhrt und so wenig später von den übrignebliebenen Leidenschaften vollkommen verdorben wird. (23) ~erakles aber, der Sohn des Zeus und der Alkmene, hat seine A.ufgabe erflillt und seine Seele gereinigt und gebändigt. Und das wollte er mit der «Bändigung» der Erde auch zeigen 4 • (24) Ist es euch recht, wenn wir den Jüngeren zuliebe noch ein kurzes Stück an die Geschichte anhängen? Denn sie sind von ihrer Wahrheit so sehr überzeugt, daß sie versichern, später einmal sei eines dieser Ungeheuer einer griechischen Festgesandtschaft begegnet, die, von einer großen Menge Reiter und Bogenschützen begleitet, zum Orakel des Ammon unterwegs war. (25) Sie glaubten auf einem Sandhügel eine Frau liegen zu sehen. Sie hatte ein Fell übergeworfen, wie es Sitte ist bei den libyschen Frauen, und ließ, den Nacken zurückgelehnt, ihre Brüste sehen. Da vermuteten sie, so erzählt man, es sei eine Dirne aus irgendeinem Dorf, die unterwegs sei zu ihrer Kundschaft. (26) Zwei junge Leute aber, von ihrer Schönheit fasziniert, näherten sich ihr, und jeder wollte der erste sein. Da ergriff das Ungeheuer den vorderen, zog ihn in ein Sandloch hinab und verschlang ihn. (27) Der andere junge Mann, der sie einholen wollte, sah das mit Bestürzung und schrie laut, und die anderen eilten herbei. Das Ungeheuer aber stürzte sich mit seinem Schlangenleib auf ihn, tötete ihn und verschwand zischend. Den Leichnam fanden sie bereits faulend und in Verwesung übergehend. Die einheimischen Führer jedoch warnten sie, den Toten zu berühren, da sie sonst alle sterben müßten.

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6. DIOGENES ODER ÜBER DIE GEWALTHERRSCHAFt

(I) Als Diogenes aus Sinope von seiner Vaterstadt verbannt worden und nach Griechenland gekommen war, hielt er sich bald in Korinth, bald in Athen auf. Er ahme die Lebensweise des persischen Königs nach, sagte er. Denn jener verbrachte den Winter in Babyion und Susa, manchmal auch in Baktra, also in den heitersten Gegenden Asiens, den Sommer aber im medischen Ekbatana, wo die Luft immer sehr kühl ist und der Sommer etwa so wie der Winter in der Umgebung von Babyion. (2) So wechsele auch er seinen Wohnsitz nach den Jahreszeiten. Denn Attika habe weder große Gebirge noch sei es von Flüssen durchzogen wie die Peloponnes und Thessalien. Die Erdkrume sei dünn und die Luft leicht, so daß es nur selten regne und, wenn es schon einmal regne, das Wasser sich schnell verlaufe. Attika sei fast ganz vom Meer umgeben und habe daher ja auch seinen Namen als «Küstenland»' bekommen. Ferner liege die Stadt im Flachland und erstrecke sich nach Süden. (3) Der Beweis: Nur mit Südwind könne man von Sunion her den Piräus anlaufen. Ganz natürlich also sei der Winter mild. In Korinth aber sei es im Sommer luftig, weil infolge der ins Land geschnittenen Buchten die Luftmassen dort ununterbrochen zusammenströmen. Außerdem spendet Akrokorinth Schatten, und die Stadt selbst senkt sich stärker zum Lechaion und nach Norden. (4) Beide Städte seien viel schöner als Ekbatana und Babyion, und das Kraneion, die Akropolis in Athen und die Propyläen seien viel besser gebaut als die Königspaläste in Asien, nur an Größe stünden sie ihnen nach. Und doch habe auch Athen einen Umfang von 200 Stadien', wo jetzt der Piräus und die Verbindungs mauern zwischen ihm und dem äußeren Stadtrand ausgebaut seien - seit kurzem sei ja auch diese ganze Gegend bewohnt -, so d~ß Athen immer·

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ÜBER DIE GEWALTHERRSCHAFT

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hin die halbe Fläche von Babyion einnehme, wenn man glauben dürfe, was man sich von den dortigen Größenverhältnissen erzählt. (s) Ferner stellten die Schönheit der Häfen, ja mehr noch, die Standbilder, Gemälde, Arbeiten aus Gold, Silber und Bronze, die Münzen und die Einrichtungen, nicht zuletzt der Komfort der Häuser alles dort in Asien in den Schatten. Er für seinen Teil allerdings kümmere sich nicht weiter um derlei Sachen. (6) Bei jedem Umzug habe der persische König eine sehr weite Reise zu machen, er dagegen könne den größten Teil von Sommer und Winter fast auf der Straße verbringen. Habe er die Nacht in der Nähe von Megara zugebracht, könne er am folgenden Tag ohne Schwierigkeiten in Athen sein, wenn er wolle, über Eleusis; er könne aber auch den kürzeren Weg über Salamis wählen, ohne durch einsame Gegenden wandern zu müssen 3. So habe er dem König einiges voraus und führe ein bequemeres Leben, zumal seine häuslichen Verhältnisse besser gere ge! t seien. (7) So pflegte Diogenes im Scherz zu sagen. Aber eigentlich wollte er damit allen, die den Reichtum des Persers und sein sprichwörtliches Wohlergehen bestaunten, klarmachen, daß es darum ganz anders stehe, als sie vermuteten. Denn mit dem einen könne er überhaupt nichts anfangen, das andere aber stehe auch dem ärmsten Bettler frei. (8) Auch vernachlässigte Diogenes gar nicht seinen Körper, wie einige in ihrer Dummheit glaubten; sie sahen ihn halt häufig frieren, im Freien leben und Durst ertragen und meinten deswegen, Gesundheit und Leben gälten ihm nichts. Er aber war durch seine Abhärtung von besserer Gesundheit als die anderen, die sich den Bauch vollschlagen, im Hause hocken und sich niemals Kälte und Hitze aussetzen. (9) Dabei war es flir ihn ein noch größeres Vergn ü gen, sich von der Son ne wärmen zu lassen, ein größeres Vergnügen, Speise zu sich zu neh-

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men. Weitaus am meisten aber freute er sich über die Jahres. zeiten: Kam der Sommer heran und trieb schon die kalte Luft auseinander, war er froh darüber; ging der Sommer zu Ende, ärgerte er sich deswegen nicht, war er doch die stechende Hitze los. Indem er mit den Jahreszeiten Schritt hielt und sich ihnen allmählich anpaßte, gelangte er, ohne Schaden zu neh. men, vom Höhepunkt der einen zum Höhepunkt der anderen. (ra) Feuer, Schatten und Obdach nahm er nur selten in An. spruch - er wollte die einzelnen Jahreszeiten nicht vorweg. nehmen 4. Deshalb hielt er es auch nicht mit den anderen Men. schen. Weil sie es sich leisten können, immer ein Feuer zu Uno terhalten, an Kleidung Überfluß haben und Häuser besitzen, rennen sie, wenn sie auch nur ein bißchen Kälte spüren, VOr dem ersten Lufthauch weg, verzärteln sich und werden uno fähig, Kälte zu ertragen. (Il) Weil sie während des Sommers im kühlen Schatten leben und nach Belieben Wein trinken können, wissen sie bis an ihr Ende nicht, was Sonne ist, kennen keinen natürlichen Durst, halten sich wie die Frauen nur im Haus auf, sind träge und an keine Strapazen gewöhnt und haben die Seele voll trunkenen Vergessens. Deswegen denken sie sich schwerverdauliche Speisen aus - und Bäder, um die Beschwerden wieder zu beseitigen. Am selben Tag wollen sie ein kühles Lüftchen und warme Kleidung, Schnee und Feuer zugleich, und was das Allermerkwürdigste ist: Sie sehnen sich nach Hunger und Durst. (12) Obwohl sie ein lockeres Leben fUhren, finden sie kein Vergnügen an der Liebe, weil sie das natürliche Verlangen nach ihr nicht abwarten können. Und so suchen sie wenig befriedigende, freudlose Vergnügen. Diogenes dagegen nahm erst wieder etwas zu sich, wenn er seit geraumer Zeit nichts mehr gegessen und getrunken hattedas hielt er für die appetitanregendste und pikanteste Zukost. Und so aß er Gerstenbrot mit größerem Vergnügen als andere die teuersten Delikatessen, trank mit mehr Vergnügen Wasser

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UBER DIE GEWALTHERRSCHAFT

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aUs einem Bach als andere ihren thasischen Wein. (13) Er lachte über Leute, die durstig sind und an einer Qgelle vorbeigehen, um unter den äußersten Anstrengungen vielleicht Wein aus Chios oder Lesbos aufzutreiben. Von ihnen sagte er, sie seien viel dümmer als das Rindvieh: Habe dies Durst, gehe es niemals an einer Qgelle oder einem klaren Bach vorüber, habe es Bunger, verschmähe es nicht die zartesten Blätter und das Gras, das als Futter ausreiche. - (14) Die schönsten und gesundesten Gebäude stünden ihm in allen Städten offen: Tempel und Gymnasien. Ein Gewand genügte ihm für Sommer und Winter, denn die frische Luft ertrug er ohne weiteres, da er sich an sie gewöhnt hatte. (IS) Die Füße schützte er nie, denn sie seien nicht zerbrechlicher, meinte er, als Augen und Gesicht. Beide aber, von Natur sehr zart, ertrügen die Kälte gut, weil sie nie bekleidet würden. Die Menschen könnten nämlich nicht gut umhergehen, wenn sie wie an den Füßen auch an den Augen Schuhe trügen. - Er sagte wohl auch, die Reichen seien wie neugeborene Kinder: fortwährend brauchten sie Windeln. (r6) Woftir die Menschen sich gewaltig plagen und eine Unmenge Geld ausgeben - viele Städte liegen deswegen verwüstet, viele Völker sind deswegen erbärmlich untergegangen-, dafür regte er keinen Finger und bezahlte nicht einen Heller. (r7) Er brauchte nämlich nirgends hinzugehen, um seine Liebeslustzu befriedigen, sondern Aphrodite war, wie er im Scherz sagte, allüberall bei ihm, und zwar gratis. Die Dichter aber lögen infolge ihrer eigenen ausschweifenden Phantasie, wenn sie die Göttin «vielgolden»5 nennten. Als ihm viele das nicht abnahmen, en thüllte er vor aller Augen das Geheimnis: «Wenn die Menschen wären wie ich, wäre Troia niemals erobert noch Priamos, der König der Phryger und ein Nachfahre des Zeus, am Altar des Zeus erschlagen worden. (r8) Aber die Achaier glaubten in ihrer Torheit, auch die Toten hätten noch Verlan-

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gen nach Frauen, und deshalb opferten sie Polyxena am Grab des Achilleus. Die Fische zeigen sich da um einiges schlauer als die Menschen. Wenn es sie drängt, ihren Samen auszusto_ ßen, verlassen sie ihre Behausung und reiben sich an etwas Rauhem. (19) Ich wundere mich, daß die Menschen weder ihren Fuß noch ihre Hand noch einen anderen Körperteil ,am Silber reiben'6 wollen und daß nicht einmal die Steinreichen auch nur einen Pfennig dafür ausgeben. Für jenes eine Glied aber setzen sie oft viele Talente Geld, ja manchmal sogar ihr Leben aufs Spiel.» (20) Im Spaß fuhr er fort: «Diese Art Von ,Verkehr'7 ist eine Erfindung des Pan. Als er, in Liebe zu Echo entbrannt, Tag und Nacht durch die Berge irrte, ohne sie fangen zu können, da gab ihm Hermes diesen Wink; denn der Hilflose, dessen Sohn er ja war, erbarmte ihn. Als Pan das begriffen hatte, war seine große Not zu Ende. Und von ihm haben es dann die Hirten gelernt.» (21) Mit solchen Reden machte er sich gerne lustig über die aufgeblasenen und törichten Menschen. Am meisten aber nahm er die Sophisten aufs Korn, die gerne vornehm tun und mehr wissen wollen als die anderen. Dann sagte er häufig, daß die Menschen, verweichlicht, wie sie seien, armseliger lebten als die Tiere: (22) «Ihnen genügt Wasser zum Trinken und Gras zum Fressen, die meisten von ihnen sind nackt das ganze Jahr hindurch, ein Haus betreten sie nie, brauchen kein Feuer und leben solange, wie ihnen von der Natur bestimmt ist, vorausgesetzt, daß sie nicht eines gewaltsamen Todes sterben. Kräftig und gesund leben sie alle zusammen und haben weder Arzt noch Medikamente nötig. (23) Die Menschen dagegen hängen zäh am Leben und verfallen auf die verschiedensten Mittel, um den Tod hinauszuzögern, und trotzdem erreicht kaum einer von ihnen ein hohes Alter. Sie leben mit Krankheiten beladen, die alle auch nut· zu nennen gewiß nicht leicht ist, und die Heilmittel, die die Erde

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ihnen zu bieten hat, reichen fur sie nicht mehr aus, sie nehmen Messer und Feuer hinzu. (24) Und selbst wenn Cheiron und die Söhne des Asklepios sie heilen wollten, könnten sie ihnen nichts mehr nützen, auch kein Seher mit seiner Seherkunst, kein Priester mit seiner Reinigung - so ausschweifend und verdorben sind sie. (25) Sie haben sich zu Städten zusammengeschlossen, um sich gegen die Feinde draußen zu schützen. Dafür tun sie nun sich selbst gegenseitig Unrecht und begehen alle möglichen Untaten, als ob sie sich eigens zu diesem Zweck zusammengeschlossen hätten. Deswegen auch erzählt die Sage, wie ich glaube, daß Zeus den Prometheus wegen der Erfindung und Weitergabe des Feuers bestrafte, weil er nämlich in dem Feuer Ursprung und Beginn der menschlichen Verweichlichung und Bequemlichkeit sah. Denn gewiß hat Zeus die Menschen nicht gehaßt oder ihnen etwas Gutes vorenthalten wollen.» (26) Man wandte ein, der Mensch könne nicht wie ein beliebiges Tier leben, wegen der Zartheit seines Körpers und weil er nackt und nicht wie die meisten Tiere mit Haaren oder Flügeln bedeckt noch in eine feste Haut eingehüllt ist. (27) Dem hielt Diogenes entgegen, die Menschen seien nur wegen ihrer Lebensweise so wenig widerstandsfähig, weil sie in der Regel die Sonne peinlich mieden, aber auch die Kälte; ihre Nacktheit brauche sie keineswegs zu stören. Das bewies er ihnen an den Fröschen und einigen anderen Tieren, die noch viel zarter und nackter sind als die Menschen. Einige von ihnen ertrügen nicht nur die kalte Luft, sondern könnten auch währenddes Winters im eiskalten Wasser leben. (28) Erwies darauf hin, daß bei den Menschen selbst Auge und Gesicht keiner schützenden Hülle bedürften. Überhaupt gebe es in keinem Raum ein Lebewesen, das nicht auch in ihm leben könne. Wie hätten sonst die ersten Menschen ihr Leben erhalten können, ohne Feuer, ohne Häuser, ohne Kleidung und ohne Nahrung,

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soweit sie nicht von selbst wuchs? Aber ihr Scharfsinn und ihre ganze unendliche Erfindungsgabe in allem, was das tägliche Leben betrifft, habe den späteren Geschlechtern letzten Endes nichts genützt, (29) denn die Menschen stellten ihre Klugheit nicht in den Dienst der Tüchtigkeit und Gerechtigkeit, sondern in den Dienst des Vergnügens. Auf der Jagd nach Vergnü_ gen um jeden Preis werde ihr Leben immer freudloser und mühsamer, und während sie glaubten, für sich selbst vorzusorgen, kämen sie vor lauter Sorge und Voraussicht erbärmlich um. Und deswegen werde sicher zu Recht von Prometheus erzählt, er sei an einen Felsen gekettet worden und ein Adler habe an seiner Leber gefressen. (30) Alles nun, was nur mit gewaltigen Kosten und entbeh_ rungsreichen Anstrengungen zu erlangen war, das verwarf Diogenes und wies daraufhin, wie schädlich es für alle sei, die sich damit einließen. Was aber leicht und ohne Mühe zu machen dem Körper gegen Kälte und Hunger helfen konnte und was geeignet war, ein körperliches Bedürfnis zu befriedigen, das alles verschmähte er keineswegs. So zog er einen gesunden Ort einem mit schädlichem Klima vor, auch sollte er der Jahreszeit jeweils angepaßt sein. (3 I) Ferner sorgte er dafur, daß Nahrung in ausreichender Menge und einfache Kleidung vorhanden waren. Von öffentlichen Geschäften aber, Prozessen, Rivalitätskämpfen, Kriegen und politischen Umtrieben wollte er nichts wissen. In erster Linie versuchte er, nach dem Vorbild der Götter zu leben, von denen Homer ja sagt, daß sie allein frei von aller Sorge seien 8; Homer ging nämlich davon aus, daß das menschliche Leben mühevoll und anstrengend sei. Ähnliches hätten auch die Tiere erkannt, meinte Diogenes. (32) Die Störche zögen vor der Hitze des Sommers in gemäßigte Zonen und blieben dort so lange, wie es ihnen gefalle; dann aber flögen sie alle zusammen wieder weg, um dem Winter zu entgehen. Die Kraniche dagegen, die den Winter ganz gut über-

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stehen könnten, stellten sich zur Zeit der Aussaat ein, wegen des Futters. (3 3) Hirsche und Hasen kämen während der kalten Jahreszeit aus dem Gebirge in die Ebenen und Täler herab und fanden dort in windgeschützten, freundlichen Winkeln Unterschlupf; während der heißen Periode aber zögen sie sich in den Wald und in die nördlichsten Regionen zurück. (34) Wenn er sah, wie alle anderen Menschen ihr ganzes Leben in Unrast verbrachten, ihr ganzes Leben sich gegenseitig belauerten, fortwährend in tausend Nöten schwebten, sich nie Ruhe gönnen durften, nicht einmal an Feiertagen oder wenn Waffenstillstand ausgerufen war, und das alles nur taten und sich gefallen ließen, um leben zu können; ferner,daß ihre größte Furcht war, das sogenannte Lebensnotwendige könnte ihnen einmal fehlen, und sie dazu noch trachteten und sorgten, ihren Kindern ein möglichst großes Erbe zu hinterlassen - dann wunderte er sich, daß er nichts dergleichen tat und der einzige unabhängige Mensch war, daß kein anderer von seinem wahren Glück eine Ahnung hatte. (35) Deshalb hielt Diogenes es nicht für richtig, sich fernerhin noch mit dem König der Perser zu vergleichen, denn der Abstand sei groß, erklärte er: «Der Perserkönig ist der unglücklichste Mensch auf der Welt. Er fürchtet bei all seinen Schätzen die Armut, furchtet die Krankheit und kann doch auf alles, was der Gesundheit abträglich ist, nicht verzichten. Er hat gewaltige Angst vor dem Tod und lebt im Glauben, jeder fUhre etwas gegen ihn im Schilde, bis hin zu seinen eigenen Söhnen und Brüdern. (36) Daher kann er nicht mit Vergnügen essen, obwohl die erlesensten Genüsse vor ihm stehen, und beim Trinken die drückendsten Sorgen nicht vergessen. Keinen Tag darf er sorgenfrei verbringen, immer sieht er sich den furchtbarsten Qgalen ausgesetzt. Ist er nüchtern, will er sich betrinken, um im Rausch seinem Verhängnis zu entrinnen; ist er betrunken, muß er sich für einen Mann des Todes halten, da

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er sich selbst nicht helfen kann. (37) Im Wachen wünscht er schlafen zu dürfen, um die Schreckgesichte zu vergessen, aus dem Schlaf springt er sofort auf, da die Träume allein ihn schon töten. Die goldene Platane 9 , die Prachtbauten der Semiramis und die Mauern von Babyion können ihm dabei nichts nützen. (38) Das Absurdeste aber: Er hat Furcht vor Unbewaffneten und vertraut sich Bewaffneten an; er untersucht jeden, der sich nähert, ob er nicht eine Waffe bei sich hat, lebt aber umgeben von lauter Waffenträgern. Von den Unbewaffneten flieht er Zu den Bewaffneten, von den Bewaffneten zu den Unbewaffneten: Vor dem Volk schützt er sich durch eine Leibwache 10, vor der Leibwache durch Eunuchen. Er hat niemand, dem er vertrauen und bei dem er auch nur einen einzigen Tag ohne Furcht leben kann. (39) Jede Speise und jedes Getränk sieh t er argwöhnisch an und hält sich Diener, die alles erst untersuchen müssen wie Späher auf einem Weg, der von Feinden wimmelt. Nicht ein. mal den nächsten Verwandten darf er trauen, nicht den Kin. dem, nicht der Frau. Und so schwer und drückend die Herr. schaft auch ist, er will und kann doch nie auf sie verzichten. (40) Alle menschlichen Leiden haben den einen Trost, daß sie einmal aufhören. Wer gefangen ist, rechnet damit, einmal wieder frei zu werden, der Verbannte kann vielleicht wieder in sein Vaterland zurückkehren, und der Kranke darfbis an sein Ende auf Genesung hoffen. Der Machthaber aber kann nicht aus seiner Lage befreit werden, ja er darf nicht einmal darum bitten, höchstens um irgend etwa~ anderes. Wenn jemand durch den Tod eines Freundes schmerzlich getroffen ist, so weiß er genau, daß sich mit der Zeit die Trauer legt. Bei den Alleinherrschern aber ist das Gegenteil der Fall, die Schwierig. keiten nehmen zu. (41) Denn es ist nicht leicht für einen Ge· waltherrscher", alt zu werden, und sclnver hat er es in seinem Alter, ganz anders, als das Sprichwort vom Pferd sagt". Denn die Zahl derer, die unter ihm zu leiden haben oder ihn verach·

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tell, ist größer geworden, er aber ist hinfallig und kann sich selbst nich t helfen. Jedes Unglück erschreckt von Natur aus den, der darauf wartet,mehr, als es dem, der sich ihm stellt, zu schaften macht, und zwar gilt das genausogut von Armut, Verbannung, Gefängnis und Verlust der bürgerlichen Rechte. (42) Und beseitigt man noch die Todesfurcht, bleibt überhaupt nichts Schlimmes mehr. Denn abgesehen davon, daß der Tod keinem mehr, der ihn erlitten hat, zu schaffen macht, sind die Toten jeden Kummer überhaupt los. Die Furcht vor dem Tod aber ist so bedrükkend, daß schon viele das Ende vorweggenommen haben. Seeleute, die in einen Sturm gerieten, warteten den Untergang des Schiffes nicht ab, sondern töteten sich vorher; andere taten dasselbe von Feinden umringt, obwohl sie genau wußten, daß sie auch nicht mehr als sterben können. (43) Genau das aber ist die Lage, in der sich die Alleinherrscher ständig befinden, gleich ob bei Tag, gleich ob bei Nacht. Einem verurteilten Verbrecher ist der festgesetzte Tag bekannt, an dem er sterben muß; aber nicht einmal darin sieht der Gewaltherrscher klar, ob der Tod noch eine Weile auf sich warten läßt oder ob seine Stunde bereits geschlagen hat. Auch nicht den geringsten Augenblick ist er frei von dieser Furcht, sogar beim Essen und beimOpferftirdie Götter muß er voll Furchtsein. (44) Kommt einen solchen Mann einmal die Lust an zu heiterer Unterhaltung, muß er, selbst bei den Freuden der Liebe, mag seine Leidenschaft noch so groß sein, an den Tod denken - das geliebte Wesen könnte ihn ja umbringen. (45) Und er trinkt mit dieser Furcht und geht mit ihr schlafen. Und so scheint mir der Tyrann nur glücklich zu sein in dem Augenblick, in dem er erschlagen wird, denn dannister befreit von seinem größten Übel. Was aber das Ungereimteste von allem ist: Die anderen, die rettungslos ins Unglück geraten sind, wissen Bescheid und quälen sich nicht lange herum, wenn ihnen der Tod freisteht.

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Der Tyrann aber glaubt im größten Unglück, er lebe im größ. ten Glück, wohl verleitet durch den Glauben all derer, die keine Ahnung von seiner wahren Lage haben. (46) Mit dieser Blind. heit hat der Gott ihn geschlagen, damit er seine Strafe über. haupt aushalten kann. Wem es gut geht, der findet sein Leben recht schön, und das Sterben wird ihm infolgedessen schwerer. (47) Wem es aber schlecht geht, der glaubt sein Leben nUr recht mühsam ertragen zu können, und den Tod erwartet er als willkommenen Freund. Beides ist für die Gewaltherrscher schwieriger als fur gewöhnliche Menschen, denn sie leben ein viel freudloseres Leben als die, die um jeden Preis sterben wol. len, fürchten andrerseits aber den Tod so sehr, als ob sie die größten Annehmlichkeiten im Leben gehabt hätten. (48) Es ist ein Naturgesetz, daß seltener Genuß erfreut, dauernder Ge. nuß aber in Überdruß umschlägt und daß Übel, die nie wei. ehen, schwerer zu ertragen sind. Der Tyrann nun lebt fast be. ständig mit beidem zusammen, mit dem Genuß und der drük. kenden Sorge, so daß er von Sorgen fast immer bedrängt ist und vom Gcnuß nie etwas merkt. (49) Immer fUrchtet er die Macht der Reichen, die Besitzgier der Armen. Den Gewalt. herrschern allein dankt niemand, auch wenn er Gutes von ihnen empfangen hat; denn niemand glaubt, er könne jemals genug bekommen. Wer aber nicht bekommt, was er will, der haßt sie am allermeisten. (50) Mehr als jeder andere wird gehaßt, wer sich ungerech. terweise viel Besitz erworben hat. Deshalb wird niemand mehr gehaßt als der Tyrann. Dabei muß er sich seiner Umgebung noch gefällig erweisen; tut er es nicht, riskiert er sein Leben. Sich vielen bei vielen Gelegenheiten gefällig erweisen ist aber schwer, wenn man anderen nichts wegnehmen will. Also hat er auch die Geschädigten noch zu Feinden, während die GÜnst· linge ihm nicht über den Weg trauen und möglichst schnell von ihm loszukommen suchen. Was fern ist, fürchtet er wegen

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ÜBER DIE GEWALTHERRSCHAFT

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der großen Entfernung, was nah ist, wegen seiner Nähe. Bei den Menschen in der Ferne argwöhnt er Krieg, bei denen in der Nähe Hinterlist. (SI) Frieden hält er nicht fur ratsam, weil die Menschen dann allzuviel Zeit haben, Krieg nicht, weil er seine Untertanen unter Druck setzen muß, um Gelder aufzutreiben und sie zum Militär zu zwingen. Die Folge davon: Ist Krieg, sehnen sich die Gewaltherrscher nach Frieden, hat man Frieden geschlossen, brechen sie sofort einen neuen Krieg vom Zaun. (S2) Hat das Volk reichlich zu leben, fürchten sie seinen Übermut, werden die Zeiten härter, seine Empörung. Für sie gibt es keine Sicherheit, ob sie nun .~ußer Landes gehen oder im Land bleiben, ob sie sich in der Offentlichkeit zeigen oder zurückgezogen leben, ja bei jedem Schritt, den sie machen, fühlen sie sich unsicher und wittern überall Fallen und Hin terlist. (53) Jeder von ihnen zählt sich die Tyrannenmorde und Verschwörungen vor, die es jemals in der Geschichte gegeben hat, und jeder sieht das alles bereits auf sich zukommen und stirbt jeden dieser Tode vor lauter Angst. Er möchte sich wohl immer umsehen und umdrehen, weil er von allen Seiten einen Stoß erwartet, aber gerade das kann er nicht tun aus Scham und Furcht zugleich. (S4) Denn je mehr ein Tyrann seine Furcht zeigt, desto eher verschwört man sich gegen ihn, weil man seine Feigheit verachtet. Sein Leben gleicht dem eines Mannes, derin einer engen Zelle eingeschlossen ist: Von der Decke hängen Schwerter herab, an den Wänden ringsherum sind welche befestigt, und mit der Spitze berühren sie seine Haut. (SS) So eng nicht nur um den Körper, sondern auch um die Seele des Tyrannen sind die Schwerter gestellt, daß selbst Tantalos, von dem es doch heißt: Er 'Zittert vor dem Fels, der überm Kopf ihm hängt, 13 im Hades ein viel leichteres Leben hat. Denn Tantalos fürchtet nicht mehr den Tod, dem Tyrannen aber geschieht zu Lebzeiten, was man sich von jenem als einem Toten erzählt.

IIO

DIOGENES

[6.56-61

(56) Alle nun, die nur über eine Stadt herrschen oder über ein kleines Land, können aus ihrem Reich fliehen und dort, 'Wo sie Zuflucht gefunden haben, leben. Aber niemand hat einen solchen Mann gern, man haßt ihn, begegnet ihm mit Mißtrauen und liefert ihn bereitwillig denen aus, die er tyrannisiert hat. Wer aber über viele Städte und Völker herrscht und über uno endlich viel Land wie etwa der Perserkönig, der kann unmög. lieh entrinnen, selbst wenn es ihm gegeben wäre, sein Unglück zu begreifen, oder ein Gott ihm die Augen öffnete. (57) Nie. mals aber scheint er in Sicherheit leben zu können, und wenn er zu Erz oder Eisen würde, selbst dann müßte er, in Stücke gehauen oder eingeschmolzen, sterben. Wenn nun jemand furchtlos mit ihm spricht, wird er zornig und fUrchtet die freie Gesinnung; wenn aber ergeben und uno terwürfig, glaubt er ihm seine Ergebenheit nicht. (58) Von deo nen, die ihm freimütig begegnen, glaubt er sich nicht ernst ge. nommen, von den Unterwürfigen betrogen. Tadel trifft ihn vielfach schärfer als einen anderen, weil man es wagt, von ihm, einem Machthaber, schlecht zu reden. Über ein Lob aber freut er sich nicht, denn er hält es fur unmöglich, daß man bei klarem Verstand so etwas sagt. (59) Das Schönste und Nützlichste, was der Mensch besitzen kann, ist ihm vollkommen fremd: Auf wohlwollen und Freundschaft darf er bei keinem rechnen. Eher könn ten Wärter noch ihre wilden Löwen lieben als Diener und Menschen, die mit ihm zu tun haben, einen Tyrannen. (60) Ich dagegen gehe, wohin ich will », schloß Diogenes, « bei Nacht, ich gehe aber auch bei Tag, ohne Begleitung. Ich habe auch keine Angst, wenn es sein muß, ohne Heroldstab durch ein Heerlager oder mitten durch eine Räuberbande zu gehen, denn keiner ist mir friedlichem Wanderer in irgendeiner Weise feind. Und wenn alles Gold, alles Silber und alles Erz aus· gehen sollte, würde mir das kein bißehen schaden. (61) Und wenn ein Erdbeben alle Häuser zerstörte wie einst in Sparta

6,61-7,3]

DER JAGER

III

und alle Schafe umkämen, so daß niemand mehr Kleidung genug hätte, und nicht nur Attika, sondern auch Boiotien, die pe1oponnes und Thessalien von der Not heimgesucht würden, was früher ja schon einmal geschehen sein soll, so würde ich um nichts schlechter oder ärmer leben. (62) Um wieviel denn sollte ich nackter sein als jetzt, um wieviel unbehauster? Ich werde immer noch ausreichend zu essen haben, Äpfel und Hirse und Gerste und Erbsen und die billigsten Bohnen, Eicheln, in der Asche geröstet, und Kornelkirschen, mit denen Kirke die Gefährten des Odysseus bewirtete, wie Homer erzählt '4, und von denen sogar die größten Tiere auf die Dauer leben können.» '7.

DIE EUBOIISCHE REDE ODER DER JÄGER

(I) Was ich jetzt erzählen möchte, habe ich selbst erlebt, nicht nur von anderen gehört. Vielleicht ist es nicht nur die Art des Alters, geschwätzig zu sein und einen Gedanken, der einem mal gekommen ist, nur schweren Herzens wieder fallen zu lassen, vielleicht teilt diese Eigentümlichkeit mit den alten Leuten ein Mensch, der weit herumgekommen ist. Der Grund ist wohl darin zu suchen, daß beide viel erlebt haben, woran sie sich gern erinnern. Ich will nun berichten, was fur Menschen ich begegnet bin und wie sie gelebt haben, beinah in der Mitte Griechenlands. (2) Es traf sich, daß ich von Chios - der Sommer war schon zu Ende - mit einigen Fischern herüberfuhr in einem winzigen Boot. Da erhob sich ein Sturm, und nur mit äußerster Mühe konnten wir uns in die Höhlen von Euboia' retten. Das Boot ließen die Fischer auf eine felsige Klippe unten an der Steilküste auflaufen, wo es zerschellte. Sie selbst machten sich auf den Weg zu einer Gruppe von Purpurfischern ., die an einem Felsvorsprung in der Nähe ankerten; dort wollten sie bleiben und mit ihnen zusammen arbeiten. (3) Allein zurückgeblieben,

II2

EUBOIISCHE REDE

wußte ich nicht, in welcher Stadt ich ein Obdach suchen sollte und so irrte ich ziellos am Meer entlang, ob ich vielleicht ir: gend wo ein Schiff vorbeifahren oder vor Anker liegen sähe. Als ich ein ganzes Stück gegangen war, konnte ich zwar immer noch keinen Menschen entdecken, aber ich stieß auf einen Hirsch, der gerade erst von der felsigen Küste in die Brandung gestürzt war; die Wogen umspülten ihn, und er atmete noch. Ein wcnig später glaubte ich von oben Hundegebell zu Ver. nehmen, nur ganz schwach wegen des Tosens vom Meer her. (4) Ich ging weiter und klomm mühselig zu einer höhergelegenen Stelle. Da sah ich die Hunde ratlos hin und her laufen- bedrängt von ihnen, war das Tier vermutlich den Felsen herabgesprun. gen - und kurz darauf auch einen Mann, nach Aussehen und Kleidung ein Jäger, mit kräftigem Bart, das Haar nicht häßlich und gemein nur aufdem Hinterkopf, wie HomerdieEuboiervor Troia erscheinen läßt 3 : Mir scheint, er machte sich voll Spott darüber lustig, daß, während die anderen Achaier ordentlich aussahen, sie nur auf der einen Hälfte des Kopfes Haar trugen. (5) «Heda, Freund!» rief mich der Mann an, «sahst du hier in der Gegend einen fliehenden Hirsch?» Ich antwortete: «Ja, er liegt bereits in der Brandung», und führte ihn hin lind zeigte es ihm. Er schleppte ihn aus dem Meer und zog ihm mit einem Messer die Haut ab. Ich legte mit Hand an, so gut es ging. Dann trennte er die Hinterkeulen ab und wollte sie schon mitsamt dem Fell fortschaffen. Da forderte er mich auf, ihm zu folgen und sich mit ihm zusammen den Braten schmecken zu lassen, erwohne nicht weit von hier.( 6) «Wenn du dann bei uns geschlafen hast»,fuhrer fort, «kannst du morgen früh wieder ans Meer gehen, denn jetzt ist nicht gut segeln. Und laß es dich nicht verdrießen! Ich wär's zufrieden, wenn der Wind sich in fünf Tagen schon gelegt hätte. Aber damit ist nicht zu rechnen, wenn die Bergspitzen hier aufEuboia, wie du jetzt siehst, ringsum von Wolken fest eingehüllt sind.» Zu·

1,6-101

DER JAGER

II3

gleich fragte er, woher ich komme und wie ich hierher verschlagen worden sei; das Schiff sei doch wohl zerschell t. «Es war winzig klein», sagte ich, «einige Fischer wollten herüberfahren, und ich reiste als einziger Passagier mit, denn ich hatte es eilig. (7) Gleichwohl brach das Schiff auseinander, als es auf dem Land auflief.» «Das mußte wohl so kommen», meinte er, «sieh dir doch an, wie wild und zerklüftet die Insel zum Meer hin abfällt! Diese Gegend hier nennt man die Höhlen Euboias; wird ein Schiff hierhergetrieben, ist es rettungslos verloren. Nur ganz selten können sich einige der Besatzung retten, es sei denn, sie hätten so wie ihr ein ganz leichtes Boot. Jetzt aber komm erst einmal getrost mit und erhol dich von deinem Schrecken! Morgen wollen wir dann nach Kräften dafür sorgen, daß du alles Notwendige bekommst, da wir uns einmal kennengelernt haben. (8) Du siehst mir nach einem Städ ter aus, nicht nach einem Seemann oder Bauern, und deiner Schmächtigkeit nach zu urteilen scheinst du nicht gerade gut bei Kräften zu sein.» Ich folgte ihm gerne, ohne auch nur im geringsten eine schlechte Absicht zu befürchten. Ich hatte ja auch nichts weiter bei mir als einen schäbigen Mantel. (9) Schon früher hatte ich bei ähnlichen Gelegenheiten - ich war ja dauernd unterwegs- häufig die Erfahrung gemacht und machte sie auch diesmal, daß Armutin Wahrheit etwas Heiliges und Unantastbares ist und daß niemand einem etwas zuleide tut, noch viel weniger, als wenn man einen Heroldstab trüge. Deshalb folgte ich auch jetzt guten Mutes. (10) Beinah zwei Stunden waren es bis zu seiner Hütte. Als wir nun vorwärts schritten, erzählte er mir unterwegs von seinen Verhältnissen, wie er zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern lebte. «Wir sind zwei Familien, mein Freund», begann er, «und wohnen auf demselben Grundstück. Jeder von uns Männern ist verheiratet mit der Schwester des

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EUBOIISCHE REDE

[7,10-1S

anderen, und wir haben Kinder, Sölme und Töchter. (I I) Größ_ tenteils leben wir von der Jagd, ein wenig treiben wir aber auch Ackerbau. Grund und Boden gehört nicht uns, wir haben ihn weder geerbt noch gekauft. Unsere Väter waren frei, aber arm wie wir, Lohnhirten, die die Rinder eines begüterten Mannes, eines Einheimischen hier von der Insel, hüteten. Viele Herden von Pferden und Rindern besaß er, viele Schafherden, viele fruchtbare Äcker, viel sonstigen Besitz und alle diese Berge hier. (12) Als nach seinem Tod der Besitz eingezogen wurde_ man spricht sogar davon, der König habe ihn umbringen lassen wegen seines Reichtums -, trieb man das Vieh sofort weg, um es zu schlachten, mit dem Vieh aber auch unsere eigenen paar Kühe, und niemand gab uns Geld dafür. (13) Damals nun blieben wir wohl oder übel dort, wo wir gerade die Rinder geweidet und uns Hütten gebaut hatten, auch einen Pferch aus Holz, nicht groß und fest, wegen der Kälber, daß es für den Sommer eben wohl reichte. Denn im Winter ließen wir die Herden in der Ebene weiden, wo wir ausreichende Weideflächen besaßen und viel Heu aufgespeichert hatten. Im Sommer trieben wir dann das Vieh in die Berge zurück. (14) Hier hielten sich unsere Väter am liebsten auf. Der Platz steigt nach beiden Seiten hin an und bildet einen tiefen, schattigen Einschnitt. Mitten hindurch fließt ein Bach, nicht reißend, so daß Rinder und Kälber mit Leichtigkeit hindurchwaten können; er ist wasserreich und klar, da das Wasser aus einer nahen Qyelle hervorsprudelt. Auch während des Sommers weht immer ein Lüftchen durch dieTalsenke. Dann die umliegenden Wälder, weich und feucht, keine Brutstätte fur Bremsen oder eine andere Rinderplage! (15) Viele wunderschöne Wiesen breiten sich aus unter hohen vereinzelten Bäumen, alles voll üppiger Pflanzen den ganzen Sommer hindurch, so daß das Vieh keine große Fläche durchstreifen muß. Aus all diesen Gründen fanden sich unsere Väter dort regelmäßig mit ihrer Herde ein.

7.XS-I9]

DER JAGER

II5

Damals nun blieben sie in ihren Hütten, bis sie Tagelohn oder andere Arbeit gefunden hätten, und lebten von dem Ertrag eines winzigen Sti.ickchen Landes, das sie nahe bei dem Ort, wo sie sich niedergelassen hatten, bestellten. (16) Das reichte ihnen aus, da es gut gedi.ingt war. Und weil sie mit den Rindern keine Arbeit mehr hatten, begannen sie zu jagen, bald allein, bald mit Hunden. Denn zwei von ihren Hunden, die den weggetriebenen Rindern gefolgt waren, hatten die Herde verlassen, als sie ein gutes Stück mitgelaufen waren und die Hirten vermißten, und waren zu ihren Herren zurückgekehrt. Diese beiden folgten ihnen zunächst, wie wenn es gar nicht umsjagen ginge. Wenn sie Wölfe ausmachten, nahmen sie eine Strecke weit die Verfolgung auf, Eber und Hirsche aber beachteten sie überhaupt nicht. (17) Sahen sie einmal einen Bären, früh oder spät, dann bellten sie, und gemeinsam nahmen sie es mit ihm auf, wie wenn sie mit einem Menschen kämpften. Dadurch aber, daß sie das Blut von Ebern und Hirschen zu lecken bekamen und häufig ihr Fleisch fraßen, besannen sie sich spät noch eines Besseren und fraßen lieber Fleisch statt Gerstenbrot. Sie stopften sich dami t voll, wenn sie etwas gejagt hatten, wenn nicht, hungerten sie. Dadurch wurden sie noch schärfer auf die Jagd und verfolgten schließlich ohne Unterschied jedes Tier, das sich zeigte, und nahmen auf manche Weise Witterung und Fährte auf. So wurde aus Wachhunden noch so etwas wie Jagdhunde, wenn sie es auch erst spät lernten und nicht allzu schnell waren. (18) War aber der Winter gekommen, hatten unsere Väter nichts mehr zu tun, da sie weder in die Stadt hinabstiegen noch in ein Dorf. Dann verbrachten sie ihre Zeit damit, die Hütten sorgfältiger abzudich ten und die U mzäun un g fester zu machen, auch brachten sie den ganzen Platz in Ordnung. (19) Die Jagd war im Winter leichter, denn die Spuren waren eher auszumachen, da sie in den feuchten Untergrund eingedri.ickt waren.

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EUBOIIsCHE REDE

[7"9""23

Auch ließ der Schnee sie schon von weither erkennen, so daß man nicht erst lange suchen mußte. Wie ein Weg führten sie zu dem Wild hin, das jetzt viel eher ängstlich in seinen Schlupf. winkeln blieb. Es konnte sogar vorkommen, daß man Hasen und Rehe in ihren Lagern überraschte. (20) So blieben unsere Väter von jener Zeit an dort und hat. ten kein Verlangen mehr nach einer anderen Lebensweise. Uns, ihren beiden Söhnen, gab jeder seine eigene Tochter zur Frau. Beide sind etwa vor einemjahr gestorben, die vielen Jahre, die sie gelebt hatten, aufzählend, noch rüstig und ungebrochen, noch frisch bei Kräften. Von den Müttern ist meine noch am Leben. (21) Der eine von uns beiden ist noch niemals in die Stadt hinuntergekommen, obwohl er jetzt fünfzig Jahre ist. Ich nUr zweimal, das erste Mal mit dem Vater, als ich noch klein War und wir die Herde noch hatten. Später kam dann einer und wollte Geld einfordern - wie wenn wir welches gehabt hätten !_, und wir sollten ihm in die Stadt folgen. Wir hatten aber wirk. lich kein Geld, ich schwor es ihm, sonst hätten wir ihm doch etwas gegeben. (22) Wir bewirteten ihn, so gut wir konnten, und gaben ihm zwei Hirschfelle. Ich folgte ihm dann in die Stadt; er sagte nämlich, einer müsse unbedingt mitkommen und die Sache klären. Ich sah nun, wie schon bei meinem ersten Besuch, viele große Häuser und außen herum eine starke Mauer mit hohen, vier. eckigen Aufbauten 4, und viele Boote lagen friedlich vor Anker wie auf einem See. (23) Hier aber gibt es weit und breit keinen solchen Platz zum Landen, weshalb hier auch so viele Schiffe scheitern. Das alles sah ich und eine große Menschenmenge, dicht zusammengedrängt, und unvorstellbares Lärmen und Rufen, so daß ich den Eindruck hatte, als stritten sie alle miteinander. Er führte mich nun zu einigen Beamten und sagte lachend: ,Hier ist er, nach dem ihr mich geschickt habt. Er hat nichts als sein Haar und eine Hütte aus sehr klotzigem Holz.'

7,24-.8]

DER JÄGER

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(2.4) Die Beamten wollten. gerade in~ The~ter.5 gehen, und ich folgte ihnen. Das Theater Ist ausgehohl t wIe eme Schlucht, nur nicht langgestreckt nach zwei Seiten hin, sondern im Halbkreis ewölbt, und nicht natürlich, sondern mit Steinen gebaut. !ber vielleicht lächelst du jetzt über mich, daß ich dir längst bekannte Dinge erzähle. zunächst ~lUn beriet die Menge lange Zeit über einige andere Fragen. Bald riefen sie freundlich und zufrieden, wenn sie mit jemand einverstanden waren, bald erregt und zornig, (25) und ihre Erregung war ganz furchtbar. Sofort jagten sie den Menschen, über die sie mit ihrem Geschrei herfielen, heillosen schrecken ein: Die einen liefen herum und bettelten um Gnade, die anderen warfen vor Angst ihre Kleider weg. Auch ich selbst wäre einmal fast zu Boden gerissen worden von ihrem Geschrei, wie wenn plötzlich eine Woge oder ein Donnerschlag über mich hereingebrochen wäre. (26) Einige traten vor, andere standen mitten in der Menge auf und redeten zum Volk. Die einen sagten nur wenige Worte, die anderen hielten lange Reden. Den einen hörten sie ziemlich lange zu, über die anderen waren sie aufgebracht, sobald sie nur den Mund auftaten, und ließen sie nicht einmal ,piep' sagen. Als aber die Menge sich beruhigt und der Lärm sich gelegt hatte, ftihrte man auch mich vor. (27) Und jemand rief: ,Hier ist einer von denen, Männer, die seit vielen Jahren aus dem Land, aus unserm Eigentum, in die eigene Tasche gewirtschaftet haben - nicht nur er allein, auch sein Vater bereits in früherenJahren -, die unsere Almen abweiden, dort das Land bebauen und jagen, schon viele Häuser gebaut und Weinstöcke gepflanzt haben und sonstige Vorteile genießen in großer Zahl, ohne irgendeinem Pacht zu zahlen rur das Land noch es vom Volk geschenkt bekommen zu haben. (28) Wofur hätten sie es auch bekommen sollen? Sie haben, was uns gehört, sie sind reich, und trotzdem haben sie noch niemals eine Abgabe an die

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EUBOIISCHE REDE

[7,2&"31

Stad t geleistet oder einen Teil ihres Einkommens an sie gezahlt. Frei von Steuern und Abgaben leben sie, als wären sie verdiente Männer der Stadt. Ich glaube sogar, sie sind noch nie hier in der Stadt gewesen.' (29) Ich schüttel te den Kopf, und das Volk brach in Gelächter aus, als es das sah. Jener Redner aber wurde böse über das Ge. lächter und zog über mich los. Dann, wieder zum Volk ge. wandt, rief er: ,Wenn ihr damit einverstanden seid, dann kön. nen wir doch gleich alle über den gemeinsamen Besitz herfal. len! Die einen nehmen die Gelder der Stadt - wie man es jetzt bereits tut, das könnt ihr mir glauben! -, die anderen verteilen das Land unter sich, ohne lange danach zu fragen. Wenn ihr diesen Gaunern hier gestattet, umsonst mehr als hundert Hek. tar besten Bodens zu behalten, von dem ihr drei attische Maß Korn pro Mann bekommen könntet!' (30) Als ich das hörte, lachteich,so laut ich konn te. Die Menge indes lachte nicht mehr wie vorher, sondern schlug Lärm. Der Mann aber war zornig, und mit einem finsteren Blick auf mich rief er: ,Seht ihr die Verstellungskünste und die Unverschämt. heit dieses Halunken, wie frech er lacht? Nicht viel, und ich lasse ihn mit seinem Komplizen abfUhren! Ich höre nämlich, daß die Bande, die sich bald das ganze Land in den Bergen an. geeignet hat, zwei Rädelsftihrer hat. (3 r) Vermutlich lassen sie auch vom Strandgut ihre Finger nicht, sooft etwas ange. schwemmt wird, da sie ja fast unmittelbar über dem Kap Ka. phareus wohnen. Denn woher hätten sie sonst so wertvolle Äcker, ja ganze Dörfer, so viel Vieh und Zugtiere und Sklavenl (32) Vielleicht betrachtet ihr jetzt sein ärmelloses Hemd, wie schäbig es ist, und das Fell, in dem er hergekommen ist - um euch zu täuschen, als sei er ein Bettler und Habenichts. Ich auf jeden Fall bekomme es fast mit der Angst zu tun, wenn ich ihn ansehe, und mir ist, als sähe ich Nauplios 6 leibhaftig vom Ka· phareus her kommen. Ich glaube, er gibt oben auf den Bergen

7,3~-371

DER JÄGER

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Feuerzeichen, damit, wer vorbeifährt, gegen die Felsen gewor-

. d'• fen WIr

(33)So redete er und noch viel mehr, und die Menge tobte. Ich aber wußte mir nicht zu helfen und fürchtete, sie würden mir tWas antun. e Da trat jemand anders hervor, ein ordentlicher Mann, wie ich aus seinen Worten und seinem Äußeren schließen ließ. Zu~ächstforderte er das Volk auf, sich zu beruhigen, und es wurde still. Dann erklärte er mit ruhiger Stimme, daß, wer unbebautes Land urbar mache und bearbeite, keineswegs Unrecht tue, sondern ganz im Gegenteil Anspruch darauf habe, ein Lob zu bekommen. (34) Man dürfe nicht über die ungehalten sein, die das Land der Gemeinde bebauten und bepflanzten, sondern über die, die es verwahrlosen ließen. ,Zur Zeit nämlich', erklärte er, ,liegen beinah zwei Drittel unseres Landes wüst, aus Gleichgültigkeit und aus Mangel an Menschen. Ich selbst habe einen Besitz von vielen Hektar, wie vermutlich auch manch anderer, nicht nur in den Bergen, sondern auch in der Ebene. Wenn jemand mein Land bestellen wollte, würde ich es ihm nicht nur umsonst überlassen, sondern gerne noch ein Aufgeld zahlen. (35) Es ist doch klar, daß das Land für mich wertvoller würde, und außerdem bietet es, bewohnt und bebaut, einen freundlichen Anblick. Unkultiviert aber ist es ein nutzloser Besitz für seinen Eigentümer und obendrein ein ganz trauriges Zeugnis für die Armseligkeit seines Herrn. (36) Daher scheint es mir besser, alle anderen Bürger, soviel ihr nur könnt, anzuregen, sich einen Teil des staatlichen Landes zu erwerben und urbar zu machen; die Leute mit einigem Kapital sollen mehr erwerben, die Armen, soviel einem jeden möglich ist, damit das Land euch Frucht bringt und die willigen unter den Bürgern von zwei gewaltigen Übeln befreit werden, von der Untätigkeit und der Armut. (37) Für zehn Jahre sollen sie das Land unentgeltlich besitzen, nach diesem Zeitraum sich zu

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[7.37~40

einer Abgabe verpflichten lind einen kleinen Teil des Boden. ertrags abliefern, aber kein Vieh. Wenn ein Fremder Land er. wirbt, soll auch er funfJahre lang frei von Abgaben sein, dann aber das Doppelte von den Bürgern abliefern. Wer aber Von den Fremden zwanzig Hektar unter den Pflug genommen hat der soll das Bürgerrecht bekommen, damit der Anreiz mög: liehst groß ist. (38) Zur Zeit ist sogar die Gegend vor den Stadttoren eine furchtbar wilde und häßliche Wüstenei, und es sieht dort aus wie in der tiefsten Wildnis, nicht wie in der Umgebung einer Stadt. Dafür wird das Gebiet innerhalb der Mauern, wenig. stens zum größten Teil, als Saat- und Weideland benutzt. Ich muß mich wundern, daß die Redner Leute anzeigen, die am Kaphareus, also dem entlegensten Winkel Euboias, Land be. bauen wollen, daß sie es aber für nichts Außergewöhnliches halten, wenn das Gymnasion umgegraben wird und auf dem Marktplatz Vieh weidet. (39) Ihr seht doch wohl mit euern eigenen Augen, daß sie aus euerm Gymnasion einen Acker ge. macht haben, so daß der Herakles und viele andere Statuen von Heroen und Göttern im Korn verschwunden sind. Daß ferner Tag für Tag die Schafe dieses Redners frühmorgens auf den Marktplatz stürmen und am Rathaus und bei den Verwal. tungsgebäuden weiden. Kommt daher ein Fremder zum ersten Mal in unsere Stadt, wird er sich über sie lustig machen, oder sie tut ihm leid.' Als sie das hörten, richteten sie ihren Zorn lauthals gegen den ersten Sprecher. (40) ,Trotzdem glaubt er, ärmliche kleine Leute ins Gefäng. nis bringen zu müssen - offenbar, damit in Zukunft überhaupt niemand mehr arbeitet, sondern jedermann sein Unwesen treibt, draußen als Räuber, in der Stadt als Dieb. Ich bin der Meinung, man sollte diese Leute auf dem belassen, was sie sich selbst geschaffen haben. Soviel rechtens, sollen sie ab heute an

7. 40-441

DER JAGER

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Abgaben entrichten, die fr~heren Einna.l?men aber wollen wir 'hnen nicht anrechnen, da Sie wertloses Odland urbar gemacht ~nd so ihr Land erworben haben. Wenn sie aber einen Kaufreis rur ihr Land zahlen wollen, dann sollten wir es ihnen bilP ' Jiger gebenI a semem an deren. ' (4 1) Als er geendet hatte, widersprach der erste Redner, und beide beschimpften sich lange Zeit. Schließlich forderte man auch mich auf, meine Meinung zu sagen. ,Was soll ich sagen?' fragte ich. ,Was du über das hier Vorgebracht« denkst', sagte einer allS der Versammlung. ,So erkläre ich', gab ich zur Antwort, ,daß er kein wahres Wort gesprochen hat. (42) Ich glaubte zu träumen, ihr Männer, als er von Äckern und Dörfern und ähnlichem faselte. Wir haben weder ein Dorf noch Pferde noch Esel noch Rinder. Schön wär's, wenn wir alle die Schätze hätten, von denen er sprach, dann könnten wir euch davon abgeben und gehörten selbst zu den Besitzenden. Aber unser jetziger Besitz reicht fUr uns aus, und wenn ihr wollt, könnt ihr etwas davon abhaben. Wenn ihr aber alles wollt, werden wir uns etwas anderes suchen.' Auf diesen Vorschlag erhiel t ich Beifall. (43) Da fragte mich der Beamte, was wir dem Volk geben könnten. ,Vier Hirschfelle', antwortete ich, ,aber sehr schöne.' Die meisten lachten darüber, der Beamte aber wurde böse auf mich. ,Bärenfelle sind rauh', fUgte ich hinzu, ,und Ziegenfelle nicht so wertvoll; die einen von ihnen sind schon alt, die anderen klein. Wenn ihr aber wollt, könnt ihr auch die haben.' Da wurde er noch böser und nannte mich einen albernen Ackerknecht. (44) ,Jetzt sprichst auch du noch von Äckern!' rief ich. ,Hast du nicht gehört, daß wir keine Äcker haben?'

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EUBOIISCHE REDE

[7.44-48

Er fragte, ob wir beide bereit wären, je ein attisches Pfund Zu geben. Ich erwiderte: ,Wir wiegen 7 unser Fleisch nicht, aber was vorhanden ist, wollen wir euch geben. Etwas ist eingesal. zen, das andere geräuchert, aber nicht viel schlechter als das Gesalzene, Schinken vom Schwein, Hirschkeulen und andere saftige Stücke.' (45) Da wurden sie wieder laut und nannten mich einen Lüg. ner. Dann fragte er mich, ob wir Korn hätten und wieviel. Ich antwortete der Wahrheit gemäß: ,Zwei Scheffel Weizen und vier Scheffel Gerste, eben so viel Hirse und ein zwölftel Maß Bohnen, sie sind heuer nämlich nicht geraten. Weizen und Gerste könnt ihr haben, die Hirse laßt uns. Solltet ihr die Hirse aber nötig haben, könnt ihr auch die bekommen.' ,Und macht ihr keinen Wein?' fragte ein anderer. (46) ,Doch', sagte ich, ,wenn einer von euch uns besucht, wollen wir ihm davon geben. Aber er soll einen Schlauch mit. bringen, denn wir haben keinen.' ,Wieviel Weinstöcke habt ihr denn?' ,Zwei vor dem Tor', gab ich zur Antwort, ,und im Hof zwanzig. Auf der andern Seite des Flusses sind es ebensoviel, wir haben sie erst vor kurzem gepflanzt. Sie sind sehr edel und tragen große Trauben, wenn die Vorübergehenden sie hängen lassen. (47) Aber damit ihr nicht umständlich nach jeder Ein. zelheit erst fragen müßt, will ich euch unsern ganzen übrigen Besitz aufzählen: acht Ziegen, eine Kuh ohne Hörner, ein wun· derschönes Kälbchen von ihr, vier Sicheln, vier Hacken, drei Speere, und jeder von uns hat ein Messer für die Jagd. Das ir· dene Geschirr- was könnte man davon schon sagen ?Wir haben Frau und Kinder. Wir wohnen in zwei netten Hütten. Dann besitzen wir noch eine dritte, in der das Korn und die Felle la· gern.' (48) ,Beim Himmel', warf der Redner ein, ,und wo ihr euer Geld vergrabt!'

7,4

8-5 X]

DER JAGER

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Dann komm', gab ich zurück, ,und grab es aus, du Dummko~f! Wer vergräbt denn Geld? Es wächst ja doch nicht.' Da lachten alle. Wie mir schien, machten sie sich über ihn lustig. Das ist unser ganzer Besitz. Wenn ihr nun alles haben wollt, eben wir es euch freiwillig, und ihr braucht nichts mit Gewalt ;egzunehmen, als wären wir Fremde oder schlechte Menschen. (49) Denn gewiß sind auch wir Bürger dieser Stadt, wie ich von meinem Vater weiß. Denn als er einmal hierher in die stadt kam, traf es sich gerade, daß Geld ausgeteilt wurde, und er bekam sein Teil wie jeder andere Bürger. Auch erziehen wir unsere Kinder zu Bürgern eurer Stadt. Solltet ihr sie einmal nötig haben, werden sie euch helfen gegen Räuber und Feinde. Zur Zeit ist Frieden; wenn es aber einmal ernst werden sollte, werdet ihr wünschen, die große Men ge zeigte sich als das, was wir sind. Denn glaubt ja nicht, dieser Redner hier werde dann flireuch kämpfen - es sei denn mit Schimpfworten wie die Weiber! (50) Wenn wir Wild erlegen, wollen wir euch von Fleisch und Fell einen Teil abgeben. Nur schickt jemand zum Abholen ! Wenn ihr die Hütten abzureißen befehlt, wollen wir sie abreißen, wenn sie euch stören. Aber ihr müßt uns dann hier ein Haus geben. Oder wie sollen wir den Winter überstehen können? Ihr habt ja innerhalb der Mauern viele Häuser, in denen niemand wohnt. Eins von ihnen wird uns ausreichen. Wenn wir aber nich t hier le ben und den sowieso schon zu en gen Raum für die zusammengepferchte Menge nicht noch enger machen wollen, so ist das wohl kein Grund, uns aus den Hütten zu vertreiben. (SI) Und was er sich erfrechte, über das Strandgut zu sagen, etwas so Erbärmliches und Gemeines - ich hätte es beinah vergessen und gleich zu Anfang sagen sollen -, wer von euch möchte ihm das jemals abnehmen? Denn abgesehen von der Taktlosigkeit ist es auch vollkommen unmöglich, dort etwas

12 4

EUBOIISCHE REDE

[7.51-5\

sammeln, wo doch von Planken nicht mehr zu sehen ist als ein paar Splitter: So winzig ist, was dort an Land gespült wird. Auch ist die Küste unzugänglicher als jede andere. (52) Und die Körbe, die ich einmal an Land geschwemmt fand, nagelte ich an die heilige Eiche nahe am Meer. Niemals soll es gesche. hen, bei Gott, daß ich so etwas an mich nehme oder GeWinn schlage aus dem Unglück anderer Menschen. Niemals habe ich mich bereichert, oft aber Erbarmen gehabt mit Schiffbrüchi. gen, die zu mir kamen, sie in meiner Hüttc beherbergt und ihnen zu essen und zu trinken gegeben. Und wenn ich ihnen mit etwas anderem helfen konnte, tat ich es und begleitete sie bis in bewohnte Gegenden. (53) Aber wer von ihnen kann mir das jetzt bezeugen? Ich tat es ja auch nicht, daß sie es mir be. scheinigten oder um des Dankes willen, wußte ich ja nicht ein. mal, woher sie kamen. Möge keiner von euch jemals in eine solche Lage kommen!' Bei meinen Worten stand einer mitten in dcr Menge auf, und ich dachte schon bei mir, daß vielleicht noch ein anderer solche Lügen gegen mich vorbringen wolle. (54) Der aber sagte: ,Männer, lange habe ich hin und her überlegt, ob ich ihn kenne, und konnte es doch nicht glauben. Nachdem ich ihn aber mit Sicherhei t erkann t habe, schiene es mir schlimm, ja mehr noch, ein Verstoß gegen die Götter, wenn ich nicht sagte, was icli von ihm weiß, und wenigstens mit Worten für all das Gute dankte, das er mir mit Taten erwiesen hat. (55) Ich bin, wie ihr wißt, Bürger wie dieser hier' - dabei zeigte er auf seinen Neben· sitzer, der sich ebenfalls erhob. ,Wir waren gerade unterwegs mit dem Schiff des Sokles, es ist jetzt zwei Jahre her. Als das Schiff am Kaphareus gescheitert war, konnten sich nur ganz wenige von unserer großen Zahl retten. Die einen nun nahmen Purpurfischer bei sich auf, denn einige von ihnen hatten Geld im Beutel. Wir aber, vollkommen hilflos an Land geworfen, gingen auf einem Pfad vorwärts in der Hoffnung, bei Schäfern

ZU

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oder Hirten Obdach zu finden, denn sonst hätten wir vcrhunern und verdursten müssen. (56) Mit knapper Not eri"eichten !ir noch ein paar Hütten, blieben stehen und riefen. Da kam dieser Mann heraus und fUhrte uns in seine Hütte. Dann zündete er ein Feuer an, aber nicht alles auf einmal, sondern nach nd nach. Den einen von uns beiden rieb er ab, den andern ~eine Frau, mit Talg, denn Öl hatten sie nicht. Zum Schluß gossen sie noch warmes Wasser über uns, bis sie unsere ermatteten Lebensgeister wieder zurückgerufen hatten. (57) Dann legten sie uns hin und deckten uns zu mit dem, was sie hatten, und setzten uns Weißbrot zu essen vor, sie selbst aber aßen gekochte Hirse. Sie gaben uns auch Wein zu trinken, während sie selbst Wasser tranken, und reichlich Hirschfteisch, teils gebacken, teils gekocht. Am folgenden Tag wollten wir dann aufbrechen, aber sie ließen uns drei Tage lang nicht gehen. (58) Dann brachten sie uns in die Ebene hinab, und beim Abschied gaben sie uns Fleisch und jedem ein wunderschönes Fell. Als er bemerkte, daß ich von dem schrecklichen Erlebnis noch sehr mitgenommen war, nahm er seiner Tochter den kurzen Überrock ab und steckte mich hinein; sie warf sich dafUr ein Tuch um. Den Rock gab ich dann zurück, als ich im Dorf angekommen war. So verdanken wir nach den Göttern ihm hier zumeist unser Leben.' (59) Seinen Worten hattedas Volk mit Vergnügen gelauscht und wllte mir Beifall. Ich aber erkannte nun auch ihn und rief: ,Sei gegrüßt, Sotades!' Und stürzte zu ihm hin und küßte ihn und seinen Begleiter. Das Volk aber lachte laut, daß ich ihm einen Kuß gab. Da wurde mir klar, daß man sich in den Städten nicht küßt. (60) Nun trat jener anständige Mann vor, der sich anfangs rur mich eingesetzt hatte. ,Ich bin der Meinung, Bürger', sagte er, ,man sollte diesen Mann ins Stadthaus einladen zu einem Festessen. Wenn er im Krieg einen Bürger mit seinem

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Schild gedeckt und ihm so das Leben gerettet hätte, wäre Cr dafür nicht großzügig beschenkt worden 7 Jetzt aber, Wo er zwei Bürgern das Leben gerettet hat, ja vielleicht sogar noch mehr Menschen, die nicht unter uns sind, sollte er da keine Auszeichnung verdient haben 7 (61) Für den Rock, den er sei. ner Tochter genommen und dem Bürger in seiner Not gegeben hat, soll die Stadt ihm einen neuen geben und dazu noch einen Mantel, als Anreiz für die andern, rechtschaffen zu sein und einander auszuhelfen. Ferner soll man beschließen, daß sie den Ertrag ihres Landes behalten dürfen, sie und ihre Kinder, ohne daß sie jemand behelligt. Schließlich sollte man ihnen noch hundert Drachmen geben für das landwirtschaftliche Gerät. Diesen Betrag will ich für die Stad t aus meiner eigenen Tasche zahlen.' (62) Dieses Angebot wurde beifällig aufgenommen und sein Vorschlag auch im übrigen ausgeführt. Sofort brachte man die Kleider und das Geld ins Theater. Ich wollte es nicht anneh. men, aber sie sagten, ich könne unmöglich in diesem Fell mit ihnen essen. ,Nun', gab ich zurück, ,dann esse ich heute eben nichts.' Trotzdem zogen sie mir den Rock an und warfen mir den Mantel über. Ich wollte auch noch das Fell darüber. ziehen, aber sie ließen mich nicht. (63) Das Geld allerdings wollte ich aufkeinen Fall nehmen und schwor, daß ich es nicht anrühren werde. ,Wenn ihr aber einen sucht, der es haben soll', sagte ich, ,so gebt es doch dem Redner, daß er es ver. gräbt; er scheint ja vom Fach zu sein!' - Von jenem Tag an hat uns keiner mehr belästigt.» (64) Er hatte gerade geendet, als wir bei den Hütten ange·, langt waren. Lachend sagte ich: «Aber von einem hast du den Bürgern nichts gesagt, von deinem schönsten·Besitz.» ' «Was denn 7» fragte er. «Ich meine hier den wunderschönen Garten, mit viel Ge· müse und Bäumen.»

1,64-69]

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«Es gab ihn zu jener Zeit noch nicht», entgegnete er, «wir haben ihn erst später angelegt.» (6S)Wir traten ein und ließen es uns den Rest des Tages gutsein. Wir Männer streckten uns aus aufeinem hohen Lager von Laub und Fellen, die Frau saß dabei in der Nähe ihres Mannes. Eine Tochter in heiratsfähigem Alter bediente uns und goß uns ZU trinken ein, dunklen süßen Wein. Die Söhne bereiteten das Fleisch zu, legten es uns vor und aßen mit. Da mußte ich diese Menschen glücklich preisen, denn ich glaubte, sie lebten glücklicher als alle, die ich kann te. (66) Dabei war ich in den Häusern von reichen Leuten zu Gast gewesen, nicht nur bei Privatleuten, sondern auch bei Statthaltern und Königen. Waren sie mir vorher schon unglücklich vorgekommen, so jetzt erst recht, da ich die Armut und Unabhängigkeit dieser Leute sah, daß ihnen nichts von der Freude an Essen und Trinken abging, ja selbst darin sie den Reichen fast noch etwas voraushatten. (67) Wir waren schon beinah gesättigt, da kam auch der Bruder. Sein Sohn folgte ihm, ein hübscher Bursche, einen Hasen in der Hand. Beim Ein treten wurde er rot, und während sein Vater uns begrüßte, küßte er das Mädchen und gab ihm den Hasen. Die Tochter hörte nun auf, uns zu bedienen, und setzte sich neben die Mutter, und der Bursche löste sie ab. (68) Ich fragte unsern Gastgeber, ob sie es sei, der er den Rock weggenommen habe, um ihn dem Schiffbrüchigen zu geben. Lachend antwortete er: «Nein, die ist schon längst verheiratet und hat bereits große Kinder, mit einem wohlhabenden Mann im Dorf.» «Sie helfen eu<:h wohl», fragte ich, «wenn ihr etwas braucht?» «Wir brauchen nichts», sagte die Frau, (69) «aber sie holen wohl etwas, wenn wir gejagt haben, oder auch Obst und Gemüse, denn sie haben keinen Garten beim Haus. Letztes Jahr,

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da holten wir Weizen, aber nur zur Saat, und wir gaben es ihnen zurück gleich nach der Ernte.» «Wie steht es nun mit diesem Mädchen», erkundigte ich mich, «wollt ihr sie auch einem wohlhabenden Mann geben damit auch sie euch Weizen borgt?» Da wurden sie beide rot' das Mädchen und der ßmsche. ' (70) Ihr Vater antwortete: «Sie wird einen armen Mann bekommen, einen Jäger, wie wir es sind.» Und lächelnd warf er dem Jungen einen Blick zu. «Warum habt ihr sie nicht schon weggegeben?» fragte ich. «Oder muß er noch aus irgendeinem Dorf herkommen ?» «Ich denke, er ist nicht weit von hier», sagte er, «hier drinnen. Wir wollen die Hochzeit feiern, wenn wir einen guten Tag ausgesucht haben.» «Wonach beurteilt ihr denn den guten Tag?» wollte ich WIssen. «Wenn der Mond nicht mehr klein ist», erklärte er, «auch muß die Luft klar sein und der Himmel strahlend.» (71) «Ist er denn wirklich ein guter Jäger?» erkundigte ich mich. Er bejahte es. «Ich bin es», sagte der Bursche, «ich ringe einen Hirsch nieder und nehme es mit einem Eber auf. Wenn du willst, Fremder, kannst du dich morgen mit eigenen Augen davon überzeugen.» «Und diesen Hasen hast du selbst gefangen?» fragte ich. «Natürlich», sagte er lachend, «bei Nacht mit einem kleinen Netz. Der Himmel war nämlich ganz klar und der Mond so groß wie nie zuvor.» (72) Da mußten beide lachen, der Vater des Mädchens und der Vater des Jungen. Er aber schämte sich und schwieg. Da sagte der Vater des Mädchens: «Nicht ich bin es, mein Junge, der die Hochzeit hinauszögert. Dein Vater will noch abwarten, bis er hingegangen ist und ein Opfertier gekauft hat. Man muß doch den Göttern ein Opfcr bringen.»

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Nun schaltete sich der jüngere Bruder des Mädchens ein: «J\ber er hat doch schon längst ein Tier zum Opfern, es steht drinnen im Stall hinter der Hütte, ein Prachtstück!» (73) «Wirklich?» fragten sie ihn, und er bejahte es. «Woher hast du es denn?» erkundigten sie sich. «Als wir die Wildsau mit den Frischlingen überraschten, da liefen die Jungen alle weg, denn sie waren schneller als Hasen. Eins aber trafich mit einem Stein und warfihmmein Fell über, als ich es zu fassen bekam. Ich tauschte es im Dorf ein und bekam dafür ein Ferkel. Das mästete ich, nachdem ich ihm hinterm Haus einen Stall gebaut hatte.» (74) «Deswegen also», sagte der Vater, «lachte deine Mutter, sooft ich verwundert ein Schweinegrunzen hörte, und dafür hast du die ganze Gerste gebraucht!» «Die Kastanien», verteidigte er sich, «reichten ja zum Mästen nicht aus, wenn es nicht nur Eicheln fressen wollte. Aber wenn ihr es gerne sehen möchtet, gehe ich hin und hole es her.» Natürlich wollten wir es sehen, und er ging, mit ihm die Kinder im fi:öhlichen Wettlauf. (75) Währenddessen stand das Mädchen auf und brachte aus der anderen Hütte klein geschnittene Sperberbeeren, Mispeln, Winteräpfel und pralle Trauben von einem edlen Gewächs und legte alles auf den Tisch, nachdem sie mit Blättern die Reste der Mahlzeit abgefegt und den Tisch mit sauberen Farnblättern gedeckt hatte. Da kamen auch die Kinder, mit Lachen und Scherzen das Schwein vor sich hertreibend. (76) Auch die Mutter des Burschen folgte mit den zwei kleineren Brüdern. Sie brachten appetitliche Brote mit und gekochte Eier in hölzernen Schüsseln und geröstete Erbsen. Die Frau begrüßte ihren Bruder und dessen Tochter und sagte, nachdem sie neben ihrem Mann Platz genommen hatte: «Da ist ja das Opfertier, das der Bursche schon lange fur die Hochzeit gefuttert hat, und auch alles andere bei uns ist vor-

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bereitet, Mehl und Gerste stehen bereit. Nur ein wenig Wein fehlt uns noch, aber der ist leicht aus dem Dorfzu beschaffen.» (77) In ihrer Nähe stand der Sohn und sah den Schwieger. vater an. Der sagte lachend: «Der hier ist es, der uns hinhält. Er will wohl das Schwein erst noch fetter machen.» «Es platzt vor lauter Speck ja schon auseinander», gab der zurück. (78) Ich wollte ihm beispringen: «Seht nur zu», sagte ich, «daß der Junge nicht mager ist, bis das Schwein fett wird!» «Unser Gast hat ganz recht», sagte die Mutter, «schon jetzt ist er dünner, als er sein sollte. Erst neulich merkte ich, wie er nachts wach lag und sich aus der Hütte schlich.» «Die Hunde bellten», versuchte er sich herauszureden , «und ich ging raus, um nachzusehen.» (79) «Nein», widersprach sie, «du irrtest, von Unruhe ge. trieben, umher. Wir wollen ihn nicht länger mehr sich quälen lassen.» Und sie umarmte die Mutter des Mädchens und gab ihr einen Kuß. Diese wandte sich an ihren Mann: «Dann wollen wir tun, wie sie es wünschen.» Alles war damit einverstanden, und man setzte auf den dritten Tag die Hochzeit fest, mich aber baten sie, doch so lange bei ihnen zu bleiben. (80) Ich blieb nicht ungern und dachte bei mir, wie es um die Reichen und ihre Hochzeiten bestellt ist, mit ihren Heiratsvermittlern und Vennögensuntersuchungen und ihrer Abstammung, mit Brautgaben und Mitgift, Versprechungen und Betrügereien, Vereinbarungen und Kontrakten. Und was kommt nur allzuoft dabei heraus? Zank und Streit in der Ehe. (81) Diese ganze Geschichte habe ich natürlich nicht ohne Absicht erzählt, nicht um zu fabulieren, wie vielleicht mancher glauben möchte, sondern, wie ich schon eingangs mir vorgenommen hatte, um an einem selbsterlebten Beispiel leben und Treiben der Armen darzustellen für jeden, der an ihren

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7,8 1- 84]

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Worten, an ihren Taten und ihrem Zusammenleben beobachten will, ob sie wegen ihrer Armut den Reichen in irgendeinem Belang eines anständigen und naturgemäßen Lebens nachstehen oder ob sie nicht vielmehr in jeder Beziehung im Vorteil sind. (82) Wenn ich mich allerdings im Blick auf die Worte des Euripides 8 frage, ob die Armen wirklich nicht in der Lage sind, den Pflichten der Gastfreundschaft nachzukommen, so daß sie niemals jemand bei sich aufnehmen und einem in seiner Not helfen können, so finde ich, daß es mit ihrer Gastfreundschaft doch ganz anders bestellt ist: Sie zünden bereitwilliger als die Reichen ein Feuer an, erklären sich anstandslos bereit, einem den Weg zu zeigen, wenn sie auch bei solchen Gelegenheiten verschämt sind, und sträuben sich seltener, etwas abzugeben von dem, was sie haben. Dagegen gäbe kein Reicher einem Schiffbrüchigen etwas, ein Purpurkleid seiner Frau oder Tochter oder ein viel wertloseres Kleidungsstück, einen Mantel oder einen Rock, obwohl er unzählige davon hat, ja nicht einmal einen Sklavenkittel. (83) Das zeigt auch Homer, denn er läßt den Eumaios, einen armen Knecht, dennoch Odysseus gastlich bei sich aufnehmen mit Essen und Schlafen, während ihm die Freier in ihrem Überfluß und Hochmut nur äußerst widerwillig abgeben von dem, was ihnen nicht einmal gehört. So läßt er Odysseus selbst dem Antinoos sein kleinliches Gebaren vorwerfen: Nicht einmal Sah wirst du geben dem Bittenden in deinem Hause, der du an fremden Tischenjet'Zt sit'Zt, doch es nicht übers Herz bringst, Brot mir 'Zu geben ein wenig, wo doch so 'Piel noch im Haus ist. 9 (84) Mögen die Freier wegen ihrer sonstigen Schlechtigkeit so gewesen sein - aber nicht einmal Penelope, die doch gut war und sich nach dem Schicksal ihres Mannes erkundigte, nicht einmal sie gab ihm, wie Homer berichtet, einen Mantel, als er in seinen dürftigen Kleidern neben ihr saß. Sie versprach ihm

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den Mantel nur, wenn sich seine Nachricht über OdysseUs bewahrheite, daß er nämlich noch in jenem Monat heim. kehre 'o . (85) Und später, als Odysseus den Bogen von den Freiern verlangte, die ihn nicht spannen konnten, und sie auf ihn erbost waren, daß er sich anmaße, mit ihnen um den Preis der Tüchtigkeit zu kämpfen, da forderte sie, ihm den Bogen zu geben, denn ihr Heiratsversprechen gelte natürlich nicht für ihn. Wenn es ihm gelinge, den Bogen zu spannen und den pfeil durch die Äxte hindurchzuschießen, so wolle sie ihm ei. nen Leibrock, einen Man tel und Schuhe geben ". (86) So mußte Odysseus den Bogen des Eurytos spannen und sich so viele junge Männer zu Feinden machen, und vielleicht wäre er sogar an Ort und Stelle von ihnen umgebracht worden, wenn er Rock und Schuhe in Empfang nehmen wollte, oder er hätte den Odysseus, der seit zwanzig Jahren nirgends mehr gesehen worden war, leibhaftig vorfUhren müssen, und zwar innerhalb der genannten Frist. Andernfalls hätte er in den. selben Lumpen wieder abziehen können aus dem Haus der verständigen und guten königlichen Tochter des Ikaros! (87) Beinah genauso verhält sich Telemachos, als er mit dem Schweinehirten über Odysseus spricht: Er gibt ihm den Auf. trag, Odysseus möglichst schnell in die Stadt zu begleiten, damit er dort betteln könne, und ihn nicht länger mehr auf dem Hof zu versorgen ". Denn auch wenn Odysseus und Telemachos es so vereinbart hatten 13 - der Schweinehirt war keineswegs überrascht über dieses unmenschliche Vorgehen, (88) wie wenn es selbstverständlich wäre, arme Leute aus der Fremde so streng und kleinlich zu behandeln und nur die Reichen mit üppigen Geschenken herzlich zu empfangen, natürlich, weil man von ihnen eine entsprechende Gegengabe erwartet - was heute in der Regel bereits ausschlaggebend ist fUr freundliche und zuvorkommende Behandlung. (89) Denn die scheinbaren Herzlichkeiten und Gefälligkeiten unter-

1,8g-93]

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scheiden sich bei genauerem Zusehen in nichts von Einzahlungen und Darlehen mit hohen Zinsen - ein seit je geübtes Verfahren, wenn nicht, beim Himmel, die heutigen Verhältnisse die von früher noch übersteigen wie bei allem andern, was heute schlecht ist. (90) Ich könnte ferner auch über die phaiaken und ihre Menschenfreundlichkeit sprechen, falls jemand ihr Verhalten Odysseus gegenüber nicht unedel und ihres Reichtums nicht unwürdig finden sollte: in welcher Absicht und aus welchen Gründen sie sich entschlossen haben, ihn so großzügig und prunkvoll zu behandeln. Aber was ich bisher zu diesem Thema sagte, ist schon mehr als genug. (9 I ) Soviel ist auf jeden Fall klar, daß der Reichtum weder in Fragen der Gastfreundschaft noch in einer anderen Beziehung seinen Besitzern große Dienste leistet, ganz im Gegenteil, daß es zu seinem Wesen gehört, die Menschen kleinlich und knauserig zu machen, in der Regel sogar noch mehr, als es die Armut tut. Auch wenn sich unter den Reichen einer findet - vielleicht ein einziger unter zehntausend -, dessen Wesen freigebig und großzügig ist, so ist das noch lange kein Beweis dafür, daß die große Mehrzahl von ihnen in diesem Punkt nicht doch schlechter wird als Menschen ohne große Mittel. (92) Einem armen Mann, ist er nur von Natur nicht schlecht, genügt das bißchen, was er hat, um wieder zu Kräften zu kommen, wenn er von einer leichteren Krankheit befallen wird, etwa wie Arbeiter gewöhnlich krank werden, wenn sie sich iibergessen haben. Es reicht aber auch noch, Freunde, die ihn besuchen, als Zeichen der Liebe Geschenke zu geben, ohne Hintergedanken, aus freiem Herzen und ohne damit lästig zu fallen, (93) vielleicht nicht gerade silberne Mischkrüge, reichgestickte Kleider oder ein Viergespann - Geschenke einer Helena und eines Menelaos für Telemachosl 4 • Natürlich würden sie einen solch hohen Besuch von Statthaltern und Königen gar nicht bekommen, wenn diese nicht gerade außerordent-

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lieh bescheidene und gute Menschen sind, denen nichts Zu gering ist, wenn es nur von Herzen kommt. Maßlosen Gästen dagegen mitdem Auftreten eines Tyrannen könn tensievermut_ lieh nicht entsprechend zu Diensten stehen und werden auf eine solche Gastfi·eundschaft auch keinen großen Wert legen. (94) Menelaos, der allein in der Lage war, den reichsten Mann aus Asien als Gast zu beherbergen, weil kein anderer in Sparta den Sohn des Königs Priamos bei sich aufnehmen konnte, hat gewiß nicht das bessere Teil erwählt. (95) Denn der Gast räumte ihm doch nur das Haus aus, nahm außer den Schätzen auch noch die Frau und segelte davon, die Tochter mutterlos zurücklassend. Da verzehrte sich Menelaos lange Zeit in Jammer über sein Unglück und bat jeden König in ganz Griechenland, ihm zu helfen. Er war auch gezwungen, seinen Bruder anzuflehen, daß er in die Opferung seiner Tochter 15 in Aulis einwillige. (96) Zehn Jahre saß er vor Troia und führte· Krieg, und auch dort wieder schmeichelte er mit seinem Bruder den Heerführern; tat: er es nicht, wurden sie böse und drohten jedesmal mit der Abfahrt. Viele Strapazen und unendliche Gefahren nahm er auf sich, später irrte er umher und konnte erst nach unzähligen Leiden nach Hause zurückkehren. (97) Ist es da nicht vollkommen verkehrt, mit dem Dichter" den Reichtum zu bewundern und ihn als wahrhaft erstrebenswert zu betrachten? Er sagt, der größte Vorteil an ihm sei, die Gäste beschenken zu können und, auch wenn noch so anspruchsvolle Leute ins Haus kämen, immer in der Lage zu sein, ihnen Obdach zu gewähren und solche Gaben vorzusetzen, an denen sie das größte Vergnügen hätten. (98) Ich führe die Meinung der Dichter nicht an, nur um gegen sie zu Felde zu ziehen oder weil ich sie um ihr Ansehen beneidete, das sie sich mit ihren Werken auf Grund ihres Könnens erwor· ben haben; nicht deswegen, weil ich meinen Ehrgeiz darein· setzte, sie zu widerlegen, sondern weil ich gerade bei ihnen die

7.98-103]

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Meinung der großen Menge finden ~u können glaube: was die meisten über Reichtum und alles andere, was sie bewundern, denken und was sie sich von jedem dieser Schätze Großes versprechen. (99) Denn wenn die Dichtung ihnen nicht entspräche und nicht ihre eigenen Ansichten widerspiegelte, würden sie sie selbstverständlich nicht so heftig lieben und die Dichter als weise und gute Menschen, die die Wahrheit sagen, preisen. (1 00) Leider ist es unmöglich, jeden einzelnen aus der Menge beiseite zu nehmen und ihn auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen oder alle der Reihe nach zu fragen: « Mensch, was fürchtest du eigentlich die Armut so sehr und schätzt den Reichtum so über Gebühr, was hoffst du denn groß zu gewinnen, wenn du, 0 Wunder, Kaufmann oder König würdest und so zu Geld kämst?» Aber das ist ja ausgeschlossen und läßt sich niemals durchfuhren. (101) So laßt uns also notgedrungen zu ihren Sprechern und Anwälten gehen, zu den Dichtern, da wir bei ihnen offen und in Verse gefaßt die Ansichten der großen Mengen finden. Und ich glaube, wir werden nicht ganz fehlgehen. (102) Was wir jetzt tun, pflegen ja wohl auch noch klügere Menschen zu machen. Denn eben diesen Versen des Euripides hat eilt großer Philosoph widersprochen, von dem wohl niemand sagen kann, wie mir scheint, er habe aus lauter Streitsucht diesen und des Sophokles Worten über den Reichtum widersprochen, jenem nur ganz knapp, diesem ausfLihrlicher I7 ; allerdings nicht in der Breite, wie wir es jetzt tun, da er die Frage nicht völlig frei aus dem Stegreifbehandelte, sondern in einem Buch erörtert hae 8 • (103) Soviel über das Landleben und das Leben eines Jägers und Hirten. Vielleicht habe ich schon mehr Zeit darauf verwandt als richtig, aber ich wollte auf irgendeine Weise zeigen, daß die Armut unabhängige Männer, die mit ihren eigenen Händen arbeiten wollen, an einem anständigen Leben und Auskommen nicht hindert, sondern sie zu weit größeren,

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nützlicheren und der Natur mehr entsprechenden Werken und Taten treibt, als die sind, zu denen der Reichtum die Menschen gewöhnlich verleitet. (104) So wollen wir jetzt denn Leben und Treiben der Armen in den Haupt- und Landstädten betrachten und uns fragen, bei welcher Lebensweise und bei was für Beschäftigungen sie ein keineswegs kümmerliches Leben fUhren können, nicht schlechter als das von Leuten, die mit hohen Zinsen Anleihen machen, sich genau auf das Berechnen von Tagen und Monaten verstehen und große Miets_ häuser, Schiffe und eine Menge Sklaven besitzen. (lOS) Für diese Armen ist es gewiß nicht leicht, in den Städten Arbeit zu finden, und sie sind auf fremde Mittel ange_ wiesen, wenn sie zur Miete wohnen und alles kaufen müssen, nicht nur Kleider und Hausgerät und Essen, sondern sogar das Brennholz fUr den täglichen Bedarf; und wenn sie einmal Rei. sig, Laub oder eine andere Kleinigkeit brauchen, (106) müssen sie alles, das Wasser ausgenommen, für teures Geld kaufen, da alles verschlossen und nichts frei zugänglich ist - außer den vielen teuren zum Verkauf angebotenen Artikeln, versteht sich. Da stellt es sich denn bald als schwierig heraus, unter sol· chen Umständen weiterzuleben, wenn man außer seinem ei. genen Leib nichts mehr besitzt. Und erst recht, wen,n wir ihnen nicht bei jeder Arbeit, die sich bietet, oder ohne Unterschied bei allen anderen Erwerbsmöglichkeiten mit Rat und Tat zur Seite stehen. (107) Daher könnten wir uns unter Umständen sogar gezwungen sehen, unsere braven Armen aus der Stadt zu weisen, damit wir, wie Homer sagt, wirklich «gutbewohn. te», das heißt nur von wohlhabenden Leuten bewohnte Städte haben, und dürften innerhalb der Stadtmauern, wie es scheint, keinen freigeborenen Arbeiter mehr dulden. Aber was sollen wir mit ihnen allen machen? Etwa verstreu t im Land ansiedeln, wie die Athener in alten Zeiten und dann noch einmal unter Peisistratos 19 über ganz Attika verteilt gewohnt haben sollen?

7,108-Il1]

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(108) Nun, diese Lebensform ha't ihnen gewiß nichts geschadet und keinen entarteten Menschenschlag hervorgebracht; vielmehr waren es in jeder Beziehung bessere und bescheidenere Bürger als die, die in der Stadt später als Volksvertreter, Richter und Staatsschreiber lebten, t:1ul und gemein in einem. Die Gefahr wäre also bestimmt nicht groß, wenn alle diese Armen richtige Bauern würden. Trotzdem glaube ich, daß sie auch in der Stadt keinen Mangel zu leiden brauchen. ( 109) Aber wir woUen sehen, wievielerlei und was überhaupt sie tun können, um nach unseren Begriffen ein ordentliches Leben zu ftihren, damit sie nicht untätig herumsitzen und zwangsläufig immer wieder auf etwas Schlechtes verfallen. Insgesamt sind alle Beschäftigungen und Handwerke in der Stadt zahlreich und vielfältig, einige auch sehr einträglich, wenn man «einträglich» nach dem Geld beurteilt. (no) Sie alle der Reihe nach aufzuzählen ist keine Kleinigkeit, wegen der Unmenge genauso wie wegen der Sinnlosigkeit. Soviel aber soll in Kürze an Lob und Tadel darüber gesagt sein: Alle Beschäftigungen, die wegen zu geringer Bewegung und zu langem Sitzen der Gesundheit des Körpers und seinem Kräftehaushalt abträglich sind, die die Seele en tstellen und unfrei machen oder überhaupt ohne jeden Nutzen sind, sind nur wegen dieses erbärmlichen Luxus in den Städten erfunden worden, und man dürfte sie eigentlich überhaupt nicht mit «Handwerk» und «Arbeit» bezeichnen. Denn niemals hätte ein weiser Mann wie Hesiod unterschiedslos jede Arbeit gutgeheißen, wenn er auch etwas Schlechtes oder Häßliches unter dieser Bezeichnung verstanden hätte. (I II) Mit Beschäftigungen, denen eine dieser Gefahren anhaftet, es mag sein, welche es will, soll sich niemand einlassen, der frei geboren ist und etwas auf sich hält, weder selbst etwas davon verstehen noch sie seinen Kindern beibringen. Denn weder nach Hesiods noch nach unserer Meinung wird cr ein «Arbeiter» sein, wenn er so etwas unter-

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nimmt. Statt dessen wird er sich den entehrenden Vorwurf gefallen lassen müssen, ein Müßiggänger zu sein, auf unlautere Weise Geld zu erwerben und geradezu gemein, unnütz und verkommen genannt zu werden. (112) Was aber denen, die es betreiben, gut ansteht, nichts Schlechtes in ihren Seelen her. vorruft und zu keiner Krankheit fuhrt, weder zu all den übri. gen noch, bedingt durch den Mangel an Bewegung, zu körper_ licher Schwäche, Trägheit und Schlaffheit, und dazu ein zufriedensteIlendes Leben ermöglicht - (II 3) wenn die Leute das alles eifrig und strebsam tun, werden sie keinen Mangel haben an Arbeit und Lebensunterhalt. Auch dürften sie den Reichen dann kaum noch Gelegenheit geben, sie mit Recht die besitz_ und erwerbslose Klasse zu nennen, was diese ja gerne tun; ganz im Gegenteil, sie erwerben mehr als jene und besitzen praktisch alles, was notwendig und nützlich ist. (114) Wir wollen nun bei diesen beiden Arten von Beschäftigung anführen - nicht genau in jeder Einzelheit, aber im Umriß doch erkenn bar -, von welchen wir abraten und aus welchen Gründen, und welchen wir bedenkenlos nachzugehen empfehlen, ohne auf das dumme Gerede der Leute zu achten, die gern ihren Spott ausschütten nicht nur über anderer Leute Arbeit, an der nichts Tadelnswertes zu finden ist, sondern auch über die ihrer Eltern: wenn die Mutter bei jemand in Diensten stand oder einmal Trauben gelesen hat oder gegen Lohn Amme war von einem Kind, das seine Mutter verloren hatte oder aus reichem Haus stammte oder dessen Vater Lehrer oder Erzieher war. Vor solchen Vorwürfen brauchen sie sich nicht zu schämen, sie sollen nur unbeirrt auf ihr Ziel losgehen. (115) Denn wenn die Leute so etwas sagen, nennen sie damit nichts anderes als die Zeichen der Armut, während sie doch offensichtlich die Armut selbst und nicht eine dieser Beschäftigungen schmähen und in ihr ein ganz gewaltiges Übel und Unglück sehen. Da wir nun behaupten, Armut sei kein größeres Übel und Un-

7.XI5-Il8]

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glück als Reichtum und für viele vielleicht sogar zuträglicher, darf der Spott über jemandes Beschäftigung nicht schwerer genommen werden als der über jemandes Armut. (1l6) Denn wenn die Leute, ohne die Sache selbst, die sie zu bemängeln haben, zu nennen, offenbar nur deren tägliche Folgen zum Gegenstand ihres Spottes machen, dann hätten sie eine viel größere Menge von wahrhaft Schändlichem, das der Reichtum verursacht, vorzubringen, nicht zuletzt, was bei Hesiod als größter Tadel gilt, den Vorwurf der Untätigkeit. Da könnten sie sagen: Memch, weder 'Zum Gräber schufen die Götter dich noch auch 'Zum Pflüger'o und: «Umsonst hast du deine Hände, denn wie von Freiern sind sie weich und zart.»" (U7) Nun, das folgende ist wohl jedermann bekannt und vielleicht schon häufig gesagt: die Färber und Salbenköche mit ihrem Frisieren von Frauen und Männern - da ist kein großer Unterschied mehr heutzutage - und ihrem Aufputzen beinah auf jede Art und Weise, nicht nur von Kleidung, sondern auch von Haar und Haut mit Schminkwurzeln und Bleiweiß und allen möglichen Mittelchen, um falsche Jugend und ein unechtes Äußeres vorzutäuschen; ferner das Verzieren der Häuser an Decken, Wänden und Böden, teils mit Farbe, teils mit eingelegten Steinen, bald mit Gold, bald mit Elfenbein, dann die Schnitzereien an den Wänden selbst - (118) das Beste wäre, das alles überhaupt nicht in eine Stadt einzulassen, das Zweitbeste aber, in unserer gegenwärtigen Untersuchung zu bestimmen, daß keiner unserer Armen sich zu einer derartigen Beschäftigung hergibt. Wir kämpfen im Augenblick gegen die Reichen wie im Chor, und es geht in diesem Kampf nicht um das Glück, denn das Glück ist weder für die Armut noch für den Reichtum als Preis ausgesetzt, sondern allein der Tüchtigkeit vorbehalten oder, anders ausgedrückt, einer bestimmten Lebensweise und dem Maß halten im Leben. sO

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(II9) Auch Schauspieler in Tragödien und Komödien dürfen unsere Armen nicht werden noch Leute, die mit irgendwelchen Possen unbändiges Gelächter hervorrufen, oder Tänzer und Chorleute - nur die heiligen Chöre wollen wir ausnehmen. Aber sie sollen nicht die Leiden der Niobe oder des Thyestes besin_ gen oder im Tanz darstellen, nicht als Zither- und Flöten_ spieler im Theater um den Sieg kämpfen, auch wenn deswegen einige angesehene Städte über uns ärgerlich sein werden, Smyrna und Chios", und Argos 23 natürlich auch, da wir, soweit es von uns abhängt, verhindern, daß sich Homers und Agamemnons Ruhm noch weiter ausbreitet. (120) Vielleicht sind auch die Athener böse, weil sie glauben, wir ließen es an der nötigen Ehrfurcht ihren Tragödien- und Komödiendich_ tern gegenüber fehlen, wenn wir ihnen ihre Diener 24 wegneh_ men mit der Begründung, sie trieben nichts Rechtes. Auch die Thebaner werden voraussichtlich ungehalten sein, weil man ihren Sieg mißachtet, den ihnen Griechenland im Flötenspiel zuerkannt hat. (121) Waren sie in diesen Sieg doch so verliebt, daß sie sich in einer Zeit, da ihre Stad t zerstört war- und sieistes ja noch heute beinah außer einem kleinen Teil, der Kadmeia, die noch steh t -, um die zahlreichen verschwundenen Tempel, Säulen und Inschriften nicht kümmerten, sondern nur den Hermes hervorsuchten und wieder aufstellten, weil er die Inschrift über das Flötenspiel trug: Hellas erkannte im Flötenspiel Thebm den mtell Preis zu. Und jetzt noch steht auf dem alten Markt dieses Standbild allein unter den Trümmern. (122) Aber wir fürchten keine dieser Städte noch die Leute, die uns vielleicht zum Vorwurf machen, wir dächten gering von den eifrigsten Bemühungen der Griechen. All das erkHiren wir für Tätigkeiten, die mit dem Ehrgefuhl eines freien Menschen nicht in Einklang stehen, weil sie neben all den andern Übeln auch das größte im Gefolge haben, die Unverschämtheit, diese allzu über-

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hebliehe Einbildung der Menge oder, noch treffender, ihre Arroganz. (123) Auch sollen die Armen keine Waren oder Belohnungen rur das Ergreifen von Dieben und Entlaufenen ausrufen und mitihrem ordinären Geschrei auf den Straßen und dem Marktplatz herumlaufen, auch keine Schreiber von Kontrakten, Vorladungen und sonstigen Schriftstücken für Prozesse und Beschwerden sein, als verstünden sie etwas von Juristerei. Ferner dürfen sie keine schlauen und durchtriebenen Prozeß-Anzettler und Winkeladvokaten werden, die gegen Bezahlung allen ohne Unterschied, selbst den größten Verbrechern, ihren Beistand anbieten, die mit einer Frechheit ohnegleichen die Verbrechen anderer Leute verteidigen, sich entsetzlich gebärden und schreien und um Gnade flehen für Menschen, mit denen sie weder befi-eundet noch verwandt sind. Auch wenn einige von ihnen in der Stadt angesehen und berühmt zu sein scheinen, wollen wir unseren Armen doch nicht gestatten, einer von ihnen zu werden, und es lieber den anderen überlassen. (124) Wohl muß ein Teil von ihnen mit den Händen geschickt umgehen können, aber mit der Zunge und dem Recht geschickt hantieren zu können, dazu besteht durchaus kein Anlaß. Wenn einige dieser Beschäftigungen, von denen ich gesprochen habe und über die ich noch zu sprechen haben werde, für die Städte in ihrer jetzigen Form nützlich zu sein scheinen, etwa die Niederschrift von Prozessen und Kontrakten, vielleicht auch einige öffentliche Bekanntmachungen, so ist hier nicht der Ort zu bestimmen, wie und von wem ausgeführt sie am wenigsten schaden können. (I25) Denn wir arbeiten im Augenblick keine Verfassung aus, die die beste oder wenigstens besser als viele andere wäre, sondern wir haben uns vorgenommen, über die Armut zu sprechen: daß ihre Lage keineswegs so hoffnungslos ist, wie es der großen Menge scheint, ein Unglück, dem man aus dem Wege gehen müsse, daß sie viel-

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[7,125-13.

mehr ordentliche und unschädliche Möglichkeiten in großer Zahl bietet für Leute, die mit ihren eigenen Händen arbeiten wollen. (126) Unter dieser Voraussetzung nämlich habe ich mich entschlossen, zu Anfang so ausführlich über das Leben des Landmanns und des Jägers und jetzt über die Beschäftigungen in der Stadt zu berichten, welche von ihnen unschädlich und für Leute, die nicht ganz armselig leben wollen, geeignet sind und welche den Menschen verderben, wenn er sich mit ihnen abgibt. (127) Wenn ein großer Teil des Gesagten im allgemeinen dem bürgerlichen Leben und der Wahl des Richtigen dienlich ist, so ist deswegen der Länge meiner Darlegungen um so eher zu verzeihen, als ich nicht ohne Grund so ausführlich geworden bin und nicht planlos bei Unnützem verweilte. Denn die Betrach tungder Landarbeit und der Handwerke und des richtigen und falschen Lebens überhaupt hat sich vernünftigen Leuten schon in sich als einer gründlichen und sehr genauen Untersu_ chung wert herausgestellt. (128) Man möge also über die Weitschweifigkeit meiner Worte, auch wenn sie sich gewaltig in die Länge zu dehnen scheinen, nicht ungehalten sein, denn es handelt sich nicht um gleichgültige und wertlose Dinge, die fehl am Platze wären. Auch hat der Redner das Gesamtthema nicht verlassen, solange er notwendige und der Philosophie zustehende Fragen behandelt. (129) Wenn wir es in diesem Punkt wie die Jäger machen, werden wir wahrscheinlich nicht fehlgehen: Wenn sie eine erste Spur aufgenommen haben und beim Verfolgen der Spur auf eine zweite, deutlichere und frischere stoßen, dann folgen sie dieser, ohne sich zu bedenken, und kehren, haben sie ihren Fang gemacht, zur ersten zurück. (130) So ist auch das Vorgehen jenes Mannes' s wohl zu rechtfertigen, der mit der Frage nach dem gerechten Menschen und der Gerechtigkeit beginnt, dann aber die Stadt als Modell für sie einführt, ein Vielfaches an Worten aufihre Verfassung verwendet

7.130--134]

DER JÄGER

143

und nicht lockerläßt, bis er alle wechsel und Formen des StaateS durchgesprochen hat in einer sehr klaren und großartigen Darstellung der wesentlichen Merkmale jeder Staatsform (13 1) auch wenn er sich hier und da kritisieren lassen muß wegen seiner Ausführlichkeit und dem langen Verweilen, bei seinem Modell natürlich. Nur wenn das Gesagte in keinem Zusammenhang mit dem vorgenommenen Thema steht und die Sache, deretwegen jemand ursprünglich zur Diskussion hinzugezogen wurde, dabei nicht klarer geworden ist, ist Kritik - wenn überhaupt, dann aus diesem Grund - nicht ganz unberechtigt. (132) Sollte sich also herausstellen, daß ich bespreche, was nicht zur Sache gehört und mit dem Thema nichts ZU tun hat, müßte ich mir natürlich den Vorwurf der Weitschweifigkeit gefallen lassen, wobei allerdings zu bemerken wäre, daß bei einer Rede weder die Länge noch die Kürze an sich gelobt oder getadelt werden darf. Wir wollen also getrost den übrigen Tätigkeiten in den Städten nachgehen, das eine erwähnen, anderes stillschweigend übergehen. (133) Vor einer Stellungnahme zu den Bordellwirten und ihrem Geschäft dürfen wir uns nicht drücken, als handle es sich um eine Frage, die man so oder so bean tworten könne, sondern mit aller Festigkeit müssen wir verbieten, daß jemand einem solchen Gewerbe nachgeht, sei er nun arm oder reich; daß jemand aus der zügellosen Sinnlichkeit der Menschen Geld mach t, das bei allen gleich verach tet ist; daß jemand nur um des Gewinns willen Menschen zur Vereinigung ohne echte Liebe und Zuneigung zusammenbringt und im Krieg erbeutete Frauen, Kinder oder sonstwie mit Geld Erkaufte zur Schande in schmutzigen Häusern ausstellt, die allenthalben in der Stadt zu sehen sind, wo Beamte vorbeikommen, auf den Marktplätzen, in der Nähe der Regierungsgebäude und der Tempel, mitten im Heiligsten. (134) Weder ausländische noch grie-

144

EUBOIISCHE REDE

[7.134-'38

chische Frauen, die, früher vollkommen frei, jetzt in der här. testen Knechtschaft leben, sollen sie in eine derart schändliche Unfreiheit fUhren - ein Gewerbe, noch viel erbärmlicher und schmutziger als das der Pferde- und EselhaI ter, denn sie lassen nicht Vieh mit Vieh ohne Zwang, ganz aus eigenem Antrieb und ohne Scham sich paaren, sondern geile, ausschweifende Menschen mit Scham empfindenden und widerstrebenden Menschen in einer erfolglosen und unfruchtbaren Vereinigung der Leiber, die eher der Zerstörung als der Schöpfung neuen Lebens dient, ohne Scham vor einem Menschen oder einem Gott, (135) vor Zeus, dem Schutzherrn der Familie, vor Hera, der Beschirmerin der Ehe, vor den Fruchtbarkeit bringenden Moiren, vor Artemis, die den Gebärenden beisteht, oder VOr der Mutter Rhea, weder vor den Geburtshelferinnen, den Eileithyien, noch vor Aphrodite, der Göttin des natürlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Mann und Frau. (136) Weder ein Herrscher noch ein Gesetzgeber darf solch schmutzige Geschäfte zulassen oder fUr gesetzlich erklären, .weder in besonders tüchtig verwalteten noch in zweit-, dritt- und viert. rangigen oder sonstwie gearteten Städten, wenn es noch ver. hindert werden kann. (137) Wenn er aber alte Gewohnheiten und krankhafte Erscheinungen, die sich im Lauf der Zeit festgesetzt haben, antrifft, darf er sie aufkeinen Fall ohne Behandlung weiterwuchern lassen, sondern muß sie im Rahmen des Möglichen auf irgendeine Weise zum Stillstand und unter Kontrolle bringen. Denn niemals bleibt das Schlechte an einer Stelle, es ist immer in Bewegung und artet ins Uferlose aus, wenn es nicht in die notwendigen Schranken gewiesen wird. (138) Wir müssen hier also genau auf der Hut sein und dür· fen den körperlichen Mißbrauch entehrter und unterjochter Menschen auf keinen Fall nachsichtig und leichtfertig hinnehmen, einmal schon deswegen, weil der Gott, als er es schuf, das ganze Menschengeschlecht ohne Unterschied mit dem Recht

7.

138-140]

DER JÄGER

145

auf Achtung und Gleichberechtigung geschaffen hat und cs die gleichen Zeichen und Merkmale des berechtigten Anspruchs auf Achtung an sich trägt, nämlich die Vernunft und das Wissen um Gut und Böse. Zum andern müssen wir aber auch bedenken, daß Lasterhaftigkeit, in Freiheit üppig gediehen, nur schwer an eine Grenze kommt, die sie aus Furcht nicht mehr zu überschreiten wagt: Durch Übung und Gewöhnung bei scheinbar kleinen und erlaubten Gelegenheiten wird sie unaufhaltsam stark und kräftig und schreckt schließlich vor nichts mehr zurück. (139) In diesem Zusammenhang müssen wir mit großer Sicherheit annehmen, daß die öffentlich mit verachteten Geschöpfen allzu schamlos und hemmungslos getriebene Unzucht nicht zuletzt fur die der Öffentlichkeit verborgenen Vergehen an Frauen und Kindern aus angesehenen Familien verantwortlich zu machen ist. Denn ohne alle Bedenken riskiert man solche Vergehen, wenn die Scham in der Öffentlichkeit nichts mehr gilt, und es ist nicht so, wie manche glauben, daß die Bordelle zur Sicherung und Verhütung solcher Vergehen eingerichtet worden seien. (140) Schnell könnte jetzt jemand allzu einfach sagen: Ihr weisen Gesetzgeber und Herrscher, die ihr erst einmal solche Unsitten zugelassen habt, als wenn ihr wunder was fur ein Mittel gegen die Ausschweifungen in euren Städten gefunden hättet, seht zu, daß euch diese öffentlichen und unverschlossenen Häuser nicht die verschlossenen Häuser und innersten Gemächer öffnen, daß die, die jetzt draußen auf der Straße ihr ausschweifendes Leben mit geringem Aufwand führen, sich nicht mit reichlich Geld und Geschenken an frei geborene und angesehene Frauen heranmachen, unzufrieden mit dem, was sie allzu billig in vollkommener willkür genießen können, aber, mit dem Risiko der Gefahr und mit verschwenderischen Mitteln, angriffslustig gerade auf das, was ihnen verwehrt ist.

146

EUBOIISCHE REDE

[7,141-145

(141) Ihr werdet das Problem noch genauer sehen, denke ich , wenn ihr folgendes überlegt. Wo man liber Ehebruch einiger_ maßen großzügig hinwegsieht und ihm großes und außeror_ dentlich freundliches Verständnis entgegenbringt, wo die Männer in ihrer Naivität das meiste überhaupt nicht bemerken und gewisse Dinge einfach nicht wissen wollen, wo sie damit einverstanden sind, daß die Ehebrecher Gäste, Freunde und Verwandte genannt werden, manchmal ihnen sogar selbst freundlich entgegenkommen und sie bei Festen und Opfern zu Tische laden, wie man, denke ich, seine besten Freunde lädt, und sich nur über ein allzu deutliches und öffentliches Vorgehen mit Maßen aufregen - (142) wo sich also, sage ich, der Ehebruch in derartig gesellschaftlichen Bahnen vollzieht, da fällt es schwer, noch an die Jungfräulichkeit der Mädchen zu glauben und anzunehmen, das Brautlied werde bei der Hochzeit der Mädchen mit Fug und Recht gesungen. (143) Muß es da nicht häufig wie in alten Sagen zugehen - natürlich abgesehen von den wütenden Vätern, die sich heutzutage immer einmischen -, wenn viele die Liebesabenteuer, die man sich von den Göttern erzählt, nachahmen, wenn Gold in Strömen durch die Dächer fließt, und zwar mit größter Leichtigkeit, da die Zimmer nicht aus Erz und Stein sind' 6, (144) und wenn, 0 Wunder, Silber in nicht geringen Mengen herabtröpfelt, nicht nur in den Schoß der Mädchen, auch in den der Mütter, Ammen und Erzieher, wenn viele andere schöne Gaben bald heimlich durch das Dach Einlaß finden, bald aber auch offen im Bett? (145) Ist es ferner nicht wahrscheinlich, daß an Flüssen und Qgellen oft ähnliches geschieht, wie es die Dichter von früheren Zeiten berichten? Vielleicht nicht gerade in der breiten Öffentlichkeit, aber sicher in den Häusern der Reichen, in prunkvollen Villen inmitten der Gartenanlagen draußen vor der Stadt, in herrlich ausgestatteten Gemächern und wunderbaren Hainen. Da gibt es keine armen Töchter von armen Köni-

1,145-150]

DE R JÄGER

147

gen, die Wasser tragen und in ausgedehnten Wäldern oder am Fluß spielen und ein kühles Bad nehmen, sondern nur reiche 'föchter von reichen Eltern, die in fürstlichen Villen das alles privat besitzen, viel großartiger und prunkvoller als in den öffentlichen Einrichtungen. (146) Aber trotzdem würde man vielleicht erwarten, daß auch in einer solchen Stadt noch Kinder geboren werden von der Art, wie Homer den Eudoros, den Sohn von Hermes und polydora, nennt, wohl um seine Herkunft zu verschönen:

1ungfrausohn, den gebar Polydora, lieblich im Reigen.'7 (147) Auch bei den Spartanern trugen einige, die auf solche Weise geboren waren, diesen Namen, denn eine ganze Menge hieß bei ihnen «Parthenier»·8. Kämen die meisten von denen, die in so entarteten Städten geboren werden, nicht um, vermutlich, weil sich keine göttliche Macht ihrer annimmt, wäre ohne Zweifel die ganze Welt voller Helden. (148) Heutzutage aber sterben die einen sofort, und was groß wird, lebt unerkannt als Sklave bis ins hohe Alter, da ihm die Eltern nicht helfen können. Nun gut, wo es um die Mädchen ganz einfach so bestellt ist, was sollen wir da von den Jungen erwarten? Was fur eine Erziehung und Anleitung sollen sie bekommen? (149) Ist es überhaupt noch denkbar, daß dies verwahrloste Geschlecht von der verderblichen Unzucht mit Männern abläßt und haltmacht vor der gesunden und klar von der Natur gezogenen Grenze? Wird es nicht, wenn es seine Lust bei den Frauen auf alle erdenkbare Weise befriedigt hat, dieses Vergnügens überdrüssig werden und seine Gier noch wüster und gesetzloser zu stillen suchen? (ISO) Denn die Verführung der Frauen, gerade auch der freigeborenen und der Mädchen, hat sich als leicht und mühelos herausgestellt für den, der sich mit Geld auf eine solche Jagd macht. Selbst bei außerordentlich angesehenen Frauen und Töchtern aus wirklich angesehenen Familien kommt ge-

DIOGENES

[7,150-8, 2

wiß zum Ziel, wer mit dem Mittel des Zeus mit Gold in den Händen kommt. (15 I) Was dann bei vielen folgt, ist wohl klar: Ein Mann, der bei solchen Genüssen keine Befriedigung mehr findet, weil er diese Art jederzeit und ohne jeden Widerstand haben kann, verachtet, was sich ihm leicht anbietet, und Ver_ schmäht die Liebe mit Frauen als eine allzu bereitwillig ange_ botene Gabe - in der Tat etwas typisch Weibliches - und geht lieber ins Männergemach, um dort die jungen Leute, die in Kürze einen Posten als Beamter, Richter oder Offizier beklei_ den sollen, zu verführen. (152) Hier glaubt er, eine außeror_ dentlich schwer zu beschaffende Art von Lust gefunden zu haben. Es geht ihm wie dem zu sehr dem Wein ergebenen Trunksüchtigen, der oft nach ausgedehntem Genuß von Mengen ungemischten Weins den Geschmack am Trinken verliert und sich durch Schwitzen und durch den Genuß salziger Speisen oder anderer Reizmittel künstlich wieder durstig macht. 29 ,

8. DIOGENES ODER VON DER TUGEND

(I) Als Diogenes aus seiner Vaterstadt Sinope verbann t worden war, kam er, in nichts vom ärmsten Bettler unterschieden, nach Athen. Dort traf er noch eine ganze Anzahl von Sokrates' Freunden an: Platon, Aristippos, Aischines, Antisthenes und Eukleides aus Megara; Xenophon allerdings lebte in der Verbannung, weil er am Feldzug des Kyros teilgenommen hatte. Alle anderen nun lernte er bald verachten, nur mit Antisthenes verkehrte er regelmäßig, wobei er allerdings weniger mit seiner Person als mit seinen Worten einverstanden war; sie allein hielt er für wahr und dem Menschen besonders nützlich. (2) Verglich er einmal den Menschen Antisthenes mit seinen Worten, warf er ihm wohl allzu große Weichheit vor und schimpfte ihn eine Trompete: sich selbst könne er nicht hören, soviel Lärm er auch mache. Antisthenes aber entzog sich solchem

8,.-71

VON DER TUGEND

149

'fadel nicht, denn er war voller Bewunderung für die Eigenart dieses Mannes. (3) Nicht faul, verglich er Diogenes mit Wespen, die mit ihren Flügeln zwar wenig Geräusch machten, dafür aber um so schärfer stächen. Darüber, daß Diogenes sprach, wie er dachte, freute sich Antisthenes, ähnlich wie Sachverständige, die bei einem unbändigen, im übrigen aber mutigen und arbeitsfreudigen Pferd das schwer zu zügelnde Temperament gern in Kauf nehmen, dem trägen und schwerfalligen aber jeden Wert absprechen. (4) Manchmal nun erhöhte er die Spannung des Diogenes, manchmal war er bemüht, sie zu vermindern, wie Saiten macher die Saiten spannen und dabei aufpassen, daß sie nicht reißen. Nach dem Tod des Antisthenes verlegte Diogenes seinen Wohnsitz nach Korinth, weil er auf den Umgang mit den anderen keinen Wert legte. Dort lebte er, ohne sich eine Wohnung zu mieten oder sich bei einem Freund einzuquartieren, sondern hauste im Kraneion unter freiem Himmel. (s) Er sah nämlich, daß dort sehr viele Menschen zusammenkamen wegen der Häfen und der Dirnen, aber auch weil die Stadt gleichsam an einem Schnittpunkt Griechenlands lag. Wie der pflich tbewußte Arzt dort helfe, wo die meisten Kranken sind, so müsse der Mann, der eingesehen habe, worauf es im Leben ankommt, dort sich aufhalten, wo die meisten Menschen ohne diese Einsicht lebten, um ihnen ihren Unverstand vorzuhalten und sie von ihm zu überzeugen. (6) Zur Zeit der Isthmischen Spiele nun, als alles am Isthmos versammelt war, machte auch er sich auf den Weg dorthin. Er stellte nämlich bei festlichen Versammlungen der Griechen gerne Beobachtungen an i.iber Ziele und Ambitionen der Mensehen: weshalb sie sich auf Reisen begeben und worauf sie sich etwas einbilden. (7) Auf der anderen Seite war er selbst für jeden, der etwas von ihm woilte, zu sprechen und gab seiner Verwunderung Ausdruck, daß, gäbe er sich als Zahnarzt aus,

ISO

DrOGENES

[8,7_11

alle, denen ein Zahn gezogen werden müsse, zu ihm kämen ja beim Himmel, verspräche er, ihre Augen zu heilen, alle .Au: genieidenden ihn visitieren würden; genauso sei es, wenn er ein Mittel gegen eine kranke Milz, gegen Gicht oder Schnupfen wüßte. (8) Wo er aber denen, die auf ihn hören wollten, das Ende ihrer Unwissenheit, ihrer Schlechtigkeit und ihres aus. schweifenden Wesens in Aussicht stelle, achte niemand aufihn und bitte, ihn zu heilen, selbst wenn er viel reicher dabei wer. den könnte. Wie wenn man unter seelischen Krankheiten weni. ger zu leiden hätte als unter physischen und der Schmerz bei einer geschwollenen Milz oder einem faulen Zahn schwerer zu ertragen wäre als bei einer Seele, die ohne Einsicht, unwissend , feige, unbesonnen, genußsüchtig, unfrei, jähzornig, unfreund. lieh und zu allem Schlechten fahig - kurz, ganz und gar ver. dorben ist! (9) Zu jener Zeit war es auch, daß man rings um den Posei. dontempel beobachten konnte, wie viele erbärmliche Sophisten schrien und sich gegenseitig beschimpften, ihre sogenannten Schüler miteinander stritten, viele Prosaisten ihre stumpfsin. nigen Schreibereien vorlasen, viele Dichter ihre Werke rezitier. ten und beim Publikum Beifall ernteten, viele Gaukler ihre Kunststücke zeigten, viele Wahrsager die Zeichen deuteten, zahllose Redner das Recht verdrehten und nicht wenig Krämer verhökerten, was sie gerade hatten. (10) Natürlich rannte man auch gleich zu ihm, allerdings kein Korinther. Was hätten sie auch bei ihm profitieren sollen, da sie ihn ja täglich in Korinth sahen! Wer herzu kam, war fremd in Korinth, und jeder ging, wenn er ein wenig gesagt oder zugehört hatte, seines Wegs aus Furcht, Rede und Antwort stehen zu müssen. (II) Deswegen, I sagte Diogenes, gleiche er den spartanischen Hunden: Wenn diese in der Öffentlichkeit vorgefuhrt würden, gebe es viele, die sie streichelten und mit ihnen spielten, kaufen aber wolk sie niemand gerne, weil er mit ihnen nichts anfangen könne.

8. 11-x6J

VON DER TUGEND

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Als ihn jemand fragte, ob er auch gekommen sei, um sich die Wettspiele anzusehen, sagte er: «Nein, sondern um an ihnen teilzunehmen.» Der aber lachte und fragte, wer denn seine Gegner seien. (I2) Diogenes, wie gewöhnlich ein Funkeln in den Augen, antwortete: «Sehrzähe, mit denen man nur schwer fertig wird und denen kein Grieche ins Auge zu sehen vermag; Ji'eilich keine Läufer, Ringer, Springer, Boxer, Speer- oder Diskuswerfer, sondern Gegner, die zur Vernunft bringen.» (13) «Wer denn nun eigentlich?» fragte der andere. «Die Widerwärtigkeiten », war die Antwort, «die sehr stark sind und sich nicht bewältigen lassen von aufgeblasenen Vielfraßen, die sich den lieben langen Tag den Bauch vollschlagen und nachts schnarchen, die sich auf den Rücken legen lassen \,on saft- und kraftlosen Männern, deren Taille noch mehr eingezogen ist als die einer Wespe. (14) Oder glaubst du, diese Fettwänste wären zu irgend etwas nü tze? Man sollte sie um die Stadt treiben, die Riten der Reinigung an ihnen vollziehen und sie über die Grenze jagen, ja mehr noch, sie töten und zum Mahl in Stücke schneiden I, wie man es mi t dem Fleisch großer Fische tut, wenn man klug ist; dann kocht man es in Salzwasser und schmilzt das Fett wie bei uns in Pontos das Fett der Delphine, um sich damit zu salben. Denn ich glaube, diese Leute haben noch weniger Seele als ein Schwein. (15) Der Mann aber, der etwas auf sich hält, glaubt, daß die Widerwärtigkeiten seine schwersten Gegner sind, und mit ihnen kämpft er gerne, immer, bei Tag und bei Nacht, nicht um Sellerieblätter wie die Ziegen, um einen ÖI- oder Fichtenzweig', sondern um Glück und Tüchtigkeit, und zwar sein ganzes Leben lang, nicht nur, wenn die Eleer ihre Spiele ausrufen oder die Korinther oder die Versammlung der Thessalier. Er fürchtet keinen seiner Gegner oder wünscht, das Los hätte ihm einen anderen bestimmt, (16) sondern der Reihe nach fordert er sie alle heraus, schlägt sich gerne mit Hunger und Kälte herum, erträgt Durst, hält, wenn

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DIOGENES

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nötig, Peitschen hiebe aus und bleibt hart, wenn er geschnitten und gebrannt wird. Armut, Verbannung, fehlendes Ansehen und dergleichen sind für ihn nichts Schlimmes, sondern unbe. deutende Kleinigkeiten, und häufig macht sich der echte Mann einen Sport aus ihnen wie Kinder aus ihrcn Würfeln oder bun. ten Bällen. (17) Selbstverständlich », fuhr Diogenes fort, «scheinen diese Gegner allen Feigen furchterregend und unwiderstehlich Zu sein. Wenn sie aber jemand verachtet und sie beherzt angeht, wird er sie feige finden und unfähig, starke Männer zu besiegen, den Hunden ganz ähnlich, die jeden, der vor ihnen ausreißt, verfolgen und beißen, manchmal auch, bekommen sie ihn zu packen, zerreißen; stellt man sich ihnen aber zum Kampfe, schleichen sie furchtsam beiseite und wedeln schließlich mit dem Schwanz, wenn sie zutraulich geworden sind. (18) Die große Menge aber ist voll Furcht vor diesen Gegnern, sie ent. zieht sich ihnen ständig durch die Flucht und sieht ihnen niemals in die Augen. In der Tat,es ist wie bei geschickten Boxern: Wenn sie dem Gegner zuvorkommen, werden sie selbst über. haupt nicht getroffen, oft beenden sie sogar den Kampf mit einem Niederschlag; wenn sie aber furchtsam zurückweichen, müssen sie harte Treffer einstecken. Genauso können auch die Widerwärtigkeiten uns nicht allzuviel anhaben, wenn wir uns ihnen voller Verachtung stellen und entschlossen an sie heran. gehen. Wenn wir uns aber ängstlich vor ihnen drücken, dann erscheinen sie in allem größer und ungestümer. (19) Dasselbe kannst du auch beim Feuer beobachten: Wenn du entschlossen gegen das Feuer vorgehst, kannst du es löschen, wenn aber zitternd vor Angst, verbrennst du mit Sicherheit; wie ja auch Kinder bisweilen sich einen Sport daraus machen, Feuer mit der Zunge zu löschen. Diese Gegner lassen sich gut mit All· kämpfern vergleichen,die schlagen, würgen,reißen und manch· mal auch töten.

8,~o-~41

VON DER TUGEND

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(20) Eine andere, noch gewaltigere Schlacht und ein Kampf, nicht klein, sondern noch viel größer und gefährlicher als der eben geschilderte, gilt der Lust. Er ist von ganz anderer Art, als Bomer ihn beschreibt:

Heiß entbrannte von neuem der wilde Kampf bei den Schiffen, scharf waren Beile und scharf die Äxte, mit dmen sie kämpften, groß die Schwerter. 3 (:u) Nicht so ist die Art des Kampfes, denn die Lust wendet keine offene Gewalt an, sondern verführt und bezaubert mit übermächtigen Mitteln, wie Kirke bei Homer die Gefahrten des Odysseus einschläfert und dann in Schweine, Wölfe und andere Tiere verwandelt. So sieht die Lust aus. Sie legt nicht nur Schlingen, jedes Mittel ist ihr recht, das Sehen und Hören, das Riechen, Schmecken und Tasten; mit Essen und Trinken und Künsten der Liebe such t sie Unheil anzurich ten im Wachen wie im Schlaf. (22) Dabei kann man nicht einmal wie gegen leibhaftige Feinde Wachen gegen sie ausstellen und sich schlafen legen, vielmehr greift sie gerade dann besonders gern an: Bald verzehrt sie die Seele und unterjocht sie sich durch den Schlafselbst, bald schickt sie ihr böse und verführerische Träume, die an sie erinnern. (23) Der zuerst geschilderte Kampf nun wird in der Regel nur durch Berührung ausgetragen und kommt in dieser Form auf einen zu, die Lust aber ergreift den Menschen durch alle Sinne, die er hat. Während er mit den Widerwärtigkeiten den Kampf aufnehmen und sich gleichsam in seinen Gegner verbeißen soll, muß er der Lust möglichst weit aus dem Wege gehen und darf sich nicht mehr als unbedingt nötig mit ihr einlassen. (24) Und erst bei dieser Gelegenheit kann der stärkste Mann seine Stärke beweisen, wenn es ihm gelingt, sich den Lockungen der Lust ganz zu versagen. Denn es ist unmöglich, sich der Lust zu ergeben oder auch nur für längere Zeit mit ihr zuspielen, ohne von ihr mit Haut und Haaren gefangen zu wer-

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DIOGENES

[8.24-28

den. Wenn sie nun mit ihren Zaubennittcln immer mehr Besitz von der Seele ergreift, dann erfüllt sich die zweite Hälfte der Kirkegeschich te: Mit einem leichten Schlag ihres Stabes treibt sie ihr Opfer in einen Schweinestall und schließt ihn ab. (25) Von nun an verbringt der Mensch den Rest seines Lebens als Schwein oder Wolf. Aber auch Schlangen entstehen infolgeder Lust, verderblich schillernde, und anderes Kriechgetier. Sie machen der Lust ihre Aufwartung und liegen ständig vor ihrer Tür, sie haben Verlangen nach ihr, dienen ihr und nehmen unzählige En tbehrungen aufsich, aber umsonst. (26) Denn sobald die Lust Herrin über sie geworden ist und von ihnen Besitz ergriffen hat, liefert sie sie den verhaßtesten und furchtbarsten Qgalen aus. Das ist mein Kampf, den ich bestehe und in dem ich mein Leben aufs Spiel setze gegen die Lust und die Mühsal, aber keiner der elenden Menschen ach tet aufmich, sie fesseln nur Springer, Läufer und Tänzer. (27) Sie wollten ja auch nicht sehen, wie Herakles kämpfte und sich abmühte. Daran lag ihnen nicht, und schon damals bestaunten sie vielleicht lieber Athleten wie Zetes, Kalais, Peleus und andere solche Läufer und Ringer. Den einen bewunderten sie wegen seiner Schönheit, den anderen wegen seines Reichtums, zum Beispiel Iason und Kinyras. (28) Von Pelops erzählte man sich gar, er habe eine Schulter aus Elfenbein gehabt. Wie wenn ein Mensch mit einer goldenen oder elfenbeinernen Hand oder mit Augen aus Diamant oder Smaragd irgend nütze wäre ! Was für eine Seele er aber hatte,das in teressiertc sie nich t. Die Mühsale und Kämpfe des Herakles erbarmten sie, und sie hielten ihn für den gequältesten Menschen. Deshalb nannten sie seine Mühen und Arbeiten auch ,qualvolle Kämpfe'4, wie wenn das arbeitsreiche Leben auch qualvoll sein müßte.Jetzt aber, nach seinem Tode, verehren sie ihn mehr als alle anderen, halten ihn für einen Gott und sagen, er wohne mit Hebe zusammen. Zu ihm beten sie alle, ihr Leben möge nicht so qualvoll sein - zu ihm, der die größten Qgalen ertrug.

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(29) Man glaubt, Ellrystheus, der doch allgemein als Taugenichts gilt, sei sein Herr gewesen und habe ihm zu befehlen gehabt, aber keine Menschenseele betet zu ihm oder bringt ihm Opfer. Herakles jedoch durchzog ganz Europa und Asien, ohne in irgendeinem Punkte diesen Athleten zu gleichen. (30) WeIches Ziel hätte er auch erreichen können, wenn er solche Körpermassen mit sich hätte herumschleppen müssen, ohne riesige Fleischportionen nicht hätte auskommen können und einen so tiefen Schlaf gehabt hätte? Nein, er war unermüdlich und schlank wie ein Löwe, hatte scharfe Augen und scharfe Ohren, scherte sich nicht um Kälte und Hitze, brauchte keine Betten, Mäntel und Decken, sondern, ein schmutziges Fell umgehängt und nach Elend riechend, half er den Guten und bestrafte die Schlechten. (31) Weil der Thraker Diomedes ein reichverziertes Gewand trug und aufeinem Thro~ saß und sein Leben dabei vertrank und verpraßte, weil er sich an Freunden und Untertanen vergriff und eine große Pferdezucht besaß,. zerschmetterte ihn Herakles mit seiner Keule wie ein altes Faß. Den Geryoneus mit seinen riesigen Rinderherden, den reichsten und überheblichsten Menschen auf der westlichen Halbkugel, tötete er mitsamt seinen Brüdern und trieb die Rinder weg. (32) Den Busiris fand er beim besonders sorgfältigen Training, den ganzen Tag dem Essen ergeben und furchtbar eingebildet auf seine Ringerkünste : Er schleuderte ihn auf die Erde wie einen prallen Sack und zerschmetterte ihm sämtliche Glieder. Er löste den Gürtel der Amazone, die sich vor ihm zierte und geglaubt hatte, ihn mit ihrer Schönheit kleinzukriegen; er schlief bei ihr und gab ihr zu verstehen, daß er ihrer Schönheit nie erliegen werde und um eines Weibes willen niemals seinem Besitztum fernbleiben wolle. (33) Den Prometheus, eine Art Sophist, wie mir scheint, traf er an, wie er von der öffentlichen MeinungS zugrunde gerichtet wurde: Sooft man ihn lobte, wurde seine Leber größer und wuchs, wenn man ihn aber ta-

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[8.3 3- 36

delte, schrumpfte sie wieder zusammen. Herakles erbarmte sich seiner, verscheuchte den Adler 6 und befreite ihn Von sei. nem aufgeblasenen Ehrgeiz. Nachdem er ihn gesund gemacht hatte, zog er weiter. Mit all dem nun erwies er dem Eurystheus keinen Gefallen. (34) Nur die goldenen Äpfel, die er mitgebracht hatte, die Hes. peridenäpfel, gab er ihm, dehn mit ihnen konnte er nichts an. fangen, und sagte ihm, er solle sie ruhig nehmen und glücklich damit werden; denn goldene Äpfel seien nutzlos fUr den Men. schen, und auch die Hesperiden hätten keine Verwendung fiil' sie gehabt. Endlich aber, als er langsamer und schwächer wurde und fUrchten mußte, nicht mehr im alten Stil weiterleben zu kön. nen - ich glaube, eine Krankheit hatte ihn auch noch befallen_, da traf er die beste Vorsorge, die der Mensch treffen kann. Im Vorhof seines Hauses schichtete er aus möglichst trockenem Reisig einen Scheiterhaufen auf und bewies so, daß ihn die Hitze des Feuers nichtim mindesten beunruhigte? (35) Damit aber nicht der Eindruck entstehe, als habe er nur große und erhabene Taten vollbracht, zog er vorher noch einmal aus und schleppte aus dem Stall des Augias den Mist, der sich im Lauf vieler Jahre dort aufgetürmt hatte, heraus und säuberte den Stall. Er war nämlich der Meinung, daß er ebenso entschlossen gegen falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit wie gegen wilde Tiere und Verbrecher anzugehen habe.» (36) Während Diogenes so sprach, umringte ihn eine große Menge und lauschte mit Vergnügen seinen Worten. In Gedan. ken vielleicht noch bei der letzten Tat des Herakles, brach Diogenes ab, hockte sich auf die Erde und tat etwas, was man sonst in der Öffentlichkeit nicht tut. Sofort empörte sich die Menge über ihn und sagte, er sei verrückt. Und von neuem erhoben die Sophisten ihr Geschrei wie Frösche in einem Sumpf, die die Wasserschlange nicht sehen.

DIE ISTHMISCHEN SPIELE

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1>. DIOGENES ODER DIE ISTHMISCHEN SPIELE (r)Zur Zeit der Isthmischen Spiele ging DiogeneszumIsthmos lVnab; wie es scheint, hielt er sich gerade in Korinth aue Er ging gern zu großen Veranstaltungen, aber aus einem anderen Grund als die Menge: Sie will die Wettkämpfer bestaunen und ihre Vergnügungssucht befriedigen, er aber wollte, wie ich glaube, die Menschen und ihren Unverstand beobachten. Er wußte nämlich, daß sie bei Festen und festlichen Versammlungen eher zeigen, wer sie sind, während sie im Krieg und im Feldlager aus Furcht vor der Gefahr weniger aus sich herausgehen. (2) Und mehr noch, er glaubte, sie seien bei solchen Gelegenheiten eher zu heilen. Denn auch körperliche Krankheiten könnten von den Ärzten leichter behandelt werden, wenn sie zum Ausbruch gekommen sind, als wenn sie verborgen bleiben; um wen man sich aber in einem solchen Zustand nicht kümmere, der gehe sehr bald zugrunde. Deshalb ging er gern zu großen Versammlungen. (3) Hielt man ihm aber sein bissiges Wesen vor, pflegte er scherzend zu sagen: «Nun, die Hunde folgen doch auch in die Versammlungen, ohne einem Teilnehmer etwas Böses zu tun; nur die Verbrecher und Räuber bellen sie an und balgen sich mit ihnen herum. Und wenn ihre Herren ihren Rausch ausschlafen, dann halten sie bei ihnen Wache.» (4) Zeigte er sich aber bei einer Veranstaltung, achtete kein Korinther auf ihn, weil sie ihn häufig in der Stadt und in der Gegend des Kraneion sahen. Um Menschen nämlich, die man bei jeder Gelegenheit sieht und glaubt jederzeit besuchen zu können, kümmert man sich nicht allzuviel; wen man aber nur von Zeit zu Zeit sieht oder noch nie gesehen hat, dem schenkt man seine Aufmerksamkeit. Deswegen profitierten die KOl·inther nur sehr wenig von Diogenes und machten es wie die

DrOGENES

Kranken, die nicht zum Arzt gehen, wenn er unter ihnen lebt, sondern sich damit begnügen, ihn in der Stadt zu sehen. (s) Die anderen aber kamen von weit her zu Diogenes, von Ionien Sizilien und Italien, ja manche sogar aus Libyen, Massilia und Borysthenes. Sie alle wollten ihn sehen und auch fur kurze Zeit reden hören, allerdings mehr, um anderen davon erzählen zu können als sich selbst zu ändern. (6) Denn er stand im Ruf, eine scharfe Zunge zu haben und aufjede Frage schlagfertig antwor_ ten zu können. Wie Leute in ihrerAhnungslosigkeit pontischen Honig kosten wollen und ihn nach dem ersten Tropfen voller Ekel ausspucken, weil er bitter und widerlich schmeckt, so wollten sie auch von Diogenes eine Kostprobe haben aus purer Neugier; sollten sie aber Rede und Antwort stehen, machten sie kehrt und brachten sich in Sicherheit. (7) Wenn andere zurechtgewiesen wurden, hörten sie es gern, ging es aber um sie selbst, hatten sie Angst und machten sich aus dem Staub. Wenn er nun spottete und scherzte, wie er ab und an zu tun beliebte, gerieten sie außer sich vor Vergnügen, ereiferte er sich aber und wurde ernst, waren ihnen seine freimütigen Worte zuviel. Dabei benahmen sie sich, denke ich, wie die kleinen Kinder. Auch sie spielen gerne mit einem artigen Hund; wenn er aber einmal wütend wird und etwas lauter bellt, erschrecken sie und vergehen vor Angst. Auch bei dieser Gelegenheit nun verhielt sich Diogenes wie gewöhnlich. Ohne sich auch nur im geringsten um Lob und Tadel des Publikums zu kümmern, un terhielt er sich mit einem reichen und prominenten Militär oder Politiker, der ihn aufsuchte, genauso wie mit dem ärmsten Bettler von der Straße. (8) Wenn solche Leute manchmal Unsinn redeten, verachtete er sie. Die sich aber wegen ihres Reichtums, ihrer Abstammung oder wegen eines sonstigen Vorzugs erhaben dünkten und allzu selbstbewußt auftraten, denen rückte er ganz gewaltig auf den Leib und setzte ihnen tüchtig den Kopfzurecht. Einige be-

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wunderten ihn deshalb als den weisesten aller Menschen, einige aber erklärten ihn für verrückt; viele sahen auf ihn als auf einen nichtswürdigen Bettler herab, manche schimpften über ihn, (9) wieder andere wollten ihn verächtlich machen, indem sie ihm Knochen vor die Füße warfen wie einem Hund; einige traten gar herzu und zupften an seinen Lumpen, viele aber konnten ihn nicht ertragen und waren erbost. Man trieb mit ihm sein Spiel wie bei Homer die Freier mit üdysseus. Auch er mußte, allerdings nur für wenige Tage, ihren ausgelassenen Übermut ertragen, und Diogenes glich ihm in jeder Beziehung, denn in Wahrheit war er wie ein König und Herr, wenn auch im Kleid eines Bettlers; auch er hielt sich unter seinen Sklaven und Knechten auf, die in Saus und Braus lebten und nicht wußten, wer er war, und ertrug die Menschen, die betrunken waren und vor lauter Dummheit den Kopf verloren hatten. (10) Dennoch wurden die Verantwortlichen bei den Isthmischen Spielen und alle, die Rang und Namen hatten, gewaltig aus dem Konzept gebracht und sahen zu Boden, sooft sie in seine Nähe kamen, und sie alle gingen schweigend an ihm vorüber, ohne mehr als ein verschämtes Blinzeln zu wagen. Als er aber sich selbst einen Fichtenkranz I auf.~etzte, ließen ihm die Korinther durch einige Diener sagen, er solle den Kranz absetzen und nichts gegen das Recht tun. (Il) Der aber fragte sie, warum es bei ihm gegen das Recht sei, wenn er sich einen Fichtenkranz aufsetze, bei anderen aber nicht. «Weil du keinen Sieg errungen hast, Diogenes», wardieAntwort. «0 doch», erwiderte er, «und zwar über viele gewaltige Gegner; nicht über Sklaven, wie sie zur Zeit hier ringen, Diskus werfen und laufen, (12) sondern Gegner, mit denen auf der ganzen Linie schwerer fertigzuwerden ist, wie Armut, Verbannung und fehlendes Ansehen, ferner Zorn, Trauer, Gier,

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DIOGENES

[9,12-16

Furcht und das un bezwingbarsteTier überhaupt, heimtückisch und feig: die Lust. Mit ihr zu kämpfen und mit starker Seele die Oberhand zu behalten, kann kein Grieche und kein Auslän_ der für sich in Anspruch nehmen, vielmehr erliegen und ver_ sagen sie alle in diesem Kampf, Perser, Meder, Syrer, Makedo_ nen, Athener, Spartaner - alle außer mir. (13) Glaubt ihr nun, daß ich den Kranz verdiene, oder wollt ihr ihn mir wegnehmen und dem geben, der das meiste Fleisch in sich hineingestopft hat'? Das meldet euren Herren und sagt ihnen, daß sie selbst gegen das Recht verstoßen, denn ohne in einem Kampf gesiegt zu haben, gehen sie mit Kränzen umher. Und fügt hinzu, daß ich den Isthmien zu größerem Ansehen verholfen habe, indem ich mir selbst den Kranz aufsetzte. Allerdings sollten Ziegen 3, nicht Menschen um ihn kämpfen.» (14) Als er später jemand die Rennbahn verlassen sah, umringt von viel Volk und nicht mehr auf der Erde gehend, sondern von der Menge auf den Schultern getragen - die einen folgten ihm jubelnd, während andere Freudensprünge machten und die Hände zum Himmel hoben und wieder andere ihn mit Girlanden und Bändern überschütteten -, fragte er ihn, als er sich endlich hatte durcharbeiten können, was denn der Trubel um ihn herum zu bedeuten habe und was geschehen sei. (15) Der junge Mann antwortete: «Ich habe den 200-m-Lauf der Männer gewonnen, Diogenes.» «Na, und?» erwiderte Diogenes. «Du bist dadurch, daß du deine Konkurrenten geschlagen hast, doch kein bißchen klüger geworden. Du bist auch jetzt nicht ausgeglichener als früher und weniger feige oder in Zukunft weniger schmerzempfindlich und anspruchsvoll, noch wirst du sorgenfreier leben.» (16) «Beileibe nicht», sagte er, «aber ich bin der schnellste von allen Griechen.» «Aber nicht schneller als die Hasen und Hirsche», wandte Diogenes ein. «Und doch sind diese Tiere bei all ihrer Schne!-

9,16-19l

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Jjgkeit außerordentlich feige: Sie ergreifen vor Menschen,Hunden und Adlern die Flucht und führen ein erbärmliches Leben. Weißt du nicht», fragte er weiter, «daß Schnelligkeit ein Zeichen von Feigheit ist? Es trifft doch zu, daß gerade die schnellsten Tiere auch die furchtsamsten sind. (17) Herakles jedenfalls, der langsamer war als viele andere und die Übeltäter nicht durch seine Schnelligkeit fangen konnte, trug deswegen Pfeil und Bogen, um sie gegen die Flüchtigen zu gebrauchen.» «Aber Achilleus», wurde eingewandt, «war doch, wie der Dichter sagt, schnell und zugleich sehr tapfer.» «Woher weißt du denn, daß Achilleus schnell war?» fragte Diogenes. «Den Hektor aufjeden Fall konnte er nichteinholen, obwohl er ihn einen ganzen Tag verfolgte 4 , (18) Schämst du dich nicht», fuhr Diogenes fort, «mit etwas zu prahlen, worin du dem schwächsten Tier unterlegen bist? Denn ich glaube nicht einmal, daß du schneller laufen könntest als ein Fuchs. Wie groß war eigentlich dein Vorsprung?» «Nur ganz klein, Diogenes», lautete die Antwort, «aber das ist ja gerade das Wunderbare an dem Sieg.» «So bist du also durch einen Schritt glücklich geworden», sagte Diogenes. «Das ganze Feld bestand doch nur aus erstklassigen Läufern!» «Wieviel schneller sind denn Haubenlerchen über 200 Meter?» «Ach, die haben doch Flügel!» rief er. (19) «Nun »,sagte Diogenes,« wenn Schnelligkeit der größte Vorzug ist, dann wäre es ja beinahe viel besser, eine Haubenlerche als ein Mensch zu sein. Dann dürfte man die Nachtigall und den Wiedehopf nicht bedauern, daß sie ursprünglich Menschen waren, wie die Sage erzählt s.» «Ach was!» rief er, «ich, ein Mensch, bin der Schnellste von Menschen.»

DIOGENES

[9. I9-IO.1

«Was!» ließ Diogenes nicht locker, «muß man nicht anneh_ men, daß auch bei den Ameisen die eine schneller ist als die andere? Bewundert man sie etwa deswegen? Oder schiene es dir nicht lächerlich, wenn jemand eine Ameise wegen ihrer Schnelligkeit bewundern wollte? (20) Und stell dir vor, alle Läufer wären lahm gewesen! Hättest du dir da etwas einbilden dürfen, daß du als Lahmer Lahme besiegt hast?» Durch diese Unterhaltung ließ Diogenes den Sieg für viele Zuhörer recht unbedeutend erscheinen, und der Sieger selbst ging traurig und niedergeschlagen fort. (21) Mit seinem Verhalten erwies Diogenes der Menschheit keinen geringen Dienst. Sooft er jemand sah, der ohne Grund großtat und aus einem völlig nichtigen Anlaß nicht mehr wuß. te, wie er sich auffuhren sollte, machte er ibn ein wenig kleiner und nahm ihm ein bißchen von seiner Dummheit, wie man auf. gedunsene, geschwollene Stellen durchsticht oder punktiert. (22) Währenddessen sah er zwei zusammengekoppelte Pferde, die miteinander kämpften und gegenseitig ausschlugen, und eine große gaffende Menge darum herum; bis schließlich das eine Pferd die Fessel zerriß und erschöpft davonrannte. Da trat Diogenes herzu und bekränzte das Pferd, das seinen Platz behauptet hatte, und riefes als Sieger bei den Isthmischen Spielen aus, weil es den «Sieg im Ausschlagen» errungen habe. All. gemeines Gelächter und Durcheinander waren die Folge. Viele gaben Diogenes lauten Beifall und lachten die Wettkämpfer aus. Einige sollen sogar fortgegangen sein, ohne sich die Wett· kämpfe anzusehen - solche, die nur ein schlechtes Qgartier ge· funden hatten oder gar keins. 10. DIOGENES ODER ÜBER DIE SKLAVEN

(I) Als Diogenes einst von Korinth nach Athen reiste, traf er unterwegs einen Bekannten und fragte ihn, was das Ziel seiner

ÜBER DIE SKLAVEN

Reise sei. Aber nich t, wie die meisten sich nach so etwas erkundigen, die wohl nach außen hin zeigen, daß es ihnen nicht gleichgültig ist zu erfahren, wie es den Freunden geht, dann aber, wenn sie es gerade gehört haben, weitergehen; vielmehr ,vieÄrzte die Kranken nach ihren Absichten befragen, umihnen ZU raten, und das eine gutheißen, das andere nicht, so fragte Diogenes den Mann, was er mache. (2) Der erwiderte: «Ich bin eigentlich un terwegs nach Delphi, Diogenes, um das Orakel zU befragen. Aber als ich durch Boiotien reisen wollte, lief mir mein Sklave, der mich beglei tete, davon, und jetzt will ich nach Karinth, denn vielleicht kann ich ihn dort ausfindig machen.» Da sagte Diogenes mit dem ihm eigentümlichen Eifer: «Das ist ja zum Lachen! Du willst mit einem Gott umgehen und kannst nicht einmal mit einem Sklaven umgehen I. Oder scheint dir für Leute, die mit nichts recht umgehen können, der Umgang mit einem Sklaven etwa nicht leichter und gefahrloser zu sein? Wozu übrigens, sag nur, suchst du den Sklaven? War er nicht schlecht?» (3) «Der schlechteste von allen, denn ich habe ihm nichts getan; und obendrein war er mein Leibdiener 2 .» «Vielleicht hielt er dich für schlecht, denn wenn er dich für gut gehalten hätte, hätte er dich niemals verlassen.» «Vielleicht tat er es, weil er selbst schlecht war, Diogenes.» «Dann wäre er », fuhr Diogenes fort, « weil er dich für sch lech t hielt, davongelaufen, um nicht von dir ausgenützt zu werden, du aber würdest ihn, von dessen Schlechtigkeit du überzeugt bist, aus keinem andern Grund suchen, als um dich von ihm ausnützen zu lassen? (4) Oder sind schlechte Menschen nicht schädlich für die, die sie besitzen und mit ihnen verkehren, gleich, ob Phryger oder Athener, Freie oder Sklaven? Nicht einmal einen Hund, den man für schlecht hält, sucht man, wenn er entlaufen ist, ja man wirft ihn sogar vor die Tür, falls er zurückkommt. Ist man aber einen schlechten Menschen los ge-

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DIOGENES

[Io'N

worden, gibt man sich nicht zufrieden, sondern tut alles mÖg. liehe, schreibt an seine Freunde, unternimmt selbst Reisen und scheut keine Kosten, um seiner wieder habhaft zu werden. (s) Was meinst du, richten schlechte Hunde oder schlechte Men. sehen mehr Schaden. an? Von nichtstaugenden Hunden ist, wie man erzählt, einzig und allein Aktaion zerrissen worden, und das auch nur, weil sie tollwütig waren. Wie viele aber Von schlechten Menschen zugrunde gerichtet worden sind, das läßt sich überhaupt nicht sagen: kleine Leute und Könige und ganze Städte, die einen von ihren Dienern, die anderen von Sol. daten und Leibwächtern, diese von Leuten, die sich Freunde nannten, jene von Söhnen, Brüdern und Frauen. (6) Bedeutet es da nicht großen Gewinn, einen schlechten Menschen glück. lieh los zu sein, sollte man ihn gar suchen und hinter ihm her. jagen? Das wäre ja genauso, wie wenn jemand hinter einer auskurierten Krankheit her wäre und sie wieder in seinen Körper zurückholen wollte.» Da sagte der Mann: «Richtig, Diogenes, aber es ist schwer, erlittenes Unrecht unbestraft zu lassen. Denn ich habe ihm nichts getan, wie du siehst, und trotzdem hat er es fertigge_ gebracht, mich zu verlassen. Dabei brauchte er bei mir nichts von gewöhnlicher Sklavenarbeit zu tun, saß untätig im Haus und bekam dafür sein Essen; seine einzige Aufgabe war, mich zu begleiten.» (7) «Hast du denn recht daran getan », wandte Dia genes ein, «ihn in deinem Hause zu halten, ohne daß er etwas tun oder lernen mußte, und ihn dadurch vollständig zu verderben? Denn gerade Untätigkeit lind allzuviel Zeit verderben unverständige Menschen. Also merkte er ganz richtig, daß ervon dir verdorben wurde, und mit vollem Rech t ist er dir weggelaufen, offensichtlich, umzu arbeiten,stattdurch Müßiggang, Schlafen und Essen immer noch schlechter zu werden. Aber du hältst es vielleicht ftir ein kleines Unrecht, einen Menschen schlecht zu machen.

Io.7-lI ]

ÜBER DIE SKLAVEN

Und doch, muß man nicht gerade einem solchen Menschen als dem gefährlichsten und hinterhältigsten Feind davonlaufen?» «Was soll ich denn nun tun?» fragte der Mann, «ich habe nämlich keinen anderen Diener.» (8) «Nun», gab Diogenes zur Antwort, «was würdest du tun, wenn du kein zweites Paar Sandalen hättest, die aber, die du trägst, dich drücken und dir in die Füße schneiden? Zögst du sie nich t möglichst schnell aus und gingst ohne Schuhe weiter? Und wenn sie sich von selbst lösten, würdest du sie wieder unterbinden und den Fuß hineinzwängen? Bisweilen geht man barfuß doch leichter als in drückenden Schuhen, und ebenso leben auch viele Menschen ohne Diener leichter und sorgenfreier als die, die viele Diener besitzen. (9) Siehst du nicht, wieviel Schwierigkeiten die Reichen haben? Die einen müssen ihre Diener, wenn sie krank sind, pflegen und sind dabei auf Ärzte und Krankenwärter angewiesen. Und wie es ihre Art ist, lassen sieh die Sklaven während ihrer Krankheit völlig gehen, teils aus mangelnder Selbstdisziplin, teils, weil sie glauben, ihre Herren, nicht sie selbst hätten den Schaden, falls ihnen etwas zustoße. Andere aber verprügeln ihre Sklaven tagaus, tagein, wieder andere legen sie in Fesseln und lassen sie verfolgen, wenn sie davongelaufen sind. Auch verreisen können sie nicht so ohne weiteres, wann sie gerne möchten; bleiben sie aber zu Hause, haben sie auch keine Ruhe. (10) Und das Allerlächerliehste: Manchmal stecken sie mehr in der Klemme als ihre armen Diener, die keinen Sklaven haben. Man könnte ihre Lage vergleichen mit den Tausendfüßlern - du kennst sie wohl: Obwohl sie unzählige Füße haben, sind sie doch langsamer als alle anderen kriechenden Tiere. Weißt du nicht, daß die Natur einem jeden einen Körper verliehen hat, der zum eigenen Unterhalt ausreicht? Füße zum Gehen, Hände zum Arbeiten und zur Pflege des Körpers, Augen zum Sehen und Ohren zum Hören?(rr) Außerdem schuf sie im rechten Verhältnis dazu auch

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den Bauch, und kein Mensch braucht mehr Nahrung, als er sich selbst verschaffen kann; das ist rur jeden das ausreichende, beste und gesündeste Maß. Die Hand, die mehr Finger hat als die natürlichen, ist schwächer, und ein solcher Mensch, bei dcm sich ein überzähliger Finger ausgebildet hat und der die übrigen nicht recht gebrauchen kann, gilt als eine Art Krüppel. So wäre auch der Mensch, wenn er viele Füße und viele Hände und viele Bäuche hätte, bei Gott, zu nichts tauglicher und erreichte, was er braucht, nicht besser, sondern viel schlechter und schwieriger. (12) Jetzt brauchst du », fuhr Diogenes fort, «nur rur einen Menschen den Unterhalt zu beschaffen, früher mußtest du es fur zwei; jetzt brauchst du nur dich selbst zu pflegen, wenn dich eine Krankheit befällt, vormals mußtest du auch ihn noch besorgen, war er krank. Wenn du jetzt allein im Haus bist, brauchst du dir keine Gedanken zu machen, der Sklave könnte etwas stehlen, oder, schläfst du, er könnte wachen und etwas anstellen. All das mußt du bedenken. Und dann, wenn du eine Frau hast - früher hätte sie es nicht für nötig ge_ halten, sich um dich zu kümmern, sie sah ja, daß ein Diener im Haus war; und wenn sie sich bald mit ihm herumzankte, bald vornehm tat, wäre sie dir damit allmählich auf die Nerven ge. gangen. Jetzt aber wird sie selbst weniger unzufrieden sein und besser für dich sorgen. (13) Glaube mir, sobald ein Sklave im Haus ist, entarten die Kinder, werden faul und überheblich, weil einer da ist, der sie bedient, und sie jemand haben, auf den sie herabsehen können. Wenn sie aber auf sich selbst angewiesen sind, werden sie viel tüchtiger und selbständiger und lernen von frühester Kindheit an, sich um dieEltern zukümmern.» «Aber, Diogenes, ich bin ein armer Mann. Wenn mir der Besitz des Sklaven nicht frommt, will ich ihn verkaufen.» «Aber schämst du dich denn nicht», antwortete Diogenes, «jemand zu betrügen, indem du ihm einen schlechten Sklaven verkaufst? Denn entweder sagst du nicht die Wahrheit, oder

ÜBER DIE SKLAVEN

du wirst deinen Sklaven nicht los. (14) Ferner: Wenn jemand ein zweifelhaftes Gewand oder Gerät oder ein krankes, unbrauchbares Stück Vieh verkauft, muß er es zurücknehmen. Genauso ginge es auch dir. Und selbst wenn es dir gelingen sollte, jemand zu täuschen, und der Betreffende die Untauglichkeit des Sklaven nicht bemerkt, fürchtest du da nicht das Geld? Denn vielleicht kaufst du einen noch schlechteren Sklaven, wenn du an einen Händler gerätst, dessen Schlauheit du nicht gewachsen bist. Oder vielleicht willst du das Geld, das du bekommst, zu etwas anderem verwenden, woraus dir Schaden erwächst. Denn längst nicht immer nützt das Geld seinen Besitzern, es hat den Menschen viel mehr Schaden und Unglück gebracht als die Armut, zumal wenn die Menschen unvernünftig waren. (15) Willst du dich nicht zuerst um das ernsthaft bemühen, womit du aus allem Nutzen ziehen und alle deine Angelegenheiten richtig ordnen kannst, bevor du, ohne die richtige Einsicht zu haben, dem Gelde, Ländereien, einem Sklaven, Gespann, Fahrzeug oder Haus nachjagst? Ihr Sklave wirst du sein und ihretwegen keine ruhige Minute mehr haben, dir viel vergebliche Mühe machen und mit Sorgen um sie dein ganzes Leben zubringen, Nutzen aber wirst du kein bißehen davon haben. (16) Sieh doch, wieviel sorgloser als die Menschen die Tiere und Vögel hier leben, wieviel glücklicher! Sie sind gesünder und kräftiger, und jedes lebt, solange es kann, und hat doch keine Hände und keinen menschlichen Verstand. Und dennoch haben sie als Ausgleich fur alle diese Mängel das beste Los: Eigentum ist ihnen unbekannt.» «Ich glaube, Diogenes, ich lasse den Sklaven laufen, es sei denn, er geriete mir zufallig wieder in die Hände.» «Beim Zeus», riefDiogenes, «das wäre ja, wie wenn du sagtest: Ein Pferd, das beißt oder ausschlägt, würde ich nicht suchen; wenn ich aber zufällig eins fande, wUrde ich zu ihm treten, daß es mich beißt oder tritt.»

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[10,17-19

(17) «Lassen wir das! Aber warum soll ich eigentlich nicht mit dem Gott verkehren?» «Verbiete ich dir denn, mit dem Gott zu verkehren, wenn du es kannst? Das sagte ich ja nicht, sondern nur, daß es schwer, ja beinahe unmöglich ist, mit einem Gott, einem Menschen oder mit sich selbst umzugehen, wenn man sich nicht darauf versteht. Etwas zu unternehmen, ohne sich darauf zu verste_ hen, bringt aber den größten Schaden. Oder scheint dir, Wer mit Pferden keine Erfahrung hat, mit Pferden umgehen zu dürfen?» «Nein.» «Und eher Schaden als Nutzen zu haben, wenn er dazu gezwungen würde?» «Ja.» (18) «Ein zweites Beispiel: Wer von Hunden nichts versteht, könnte der wohl mit ihnen umgehen? Oder heißt ,umgehen mit' nicht soviel wie ,Nutzen von etwas haben'?» «Ich glaube, ja.» «Wenn also jemand Schaden von etwas hat, dann ,geht er damit nicht um'?» «Wie sollte er!» «Wer versucht, mit Hunden umzugehen, ohne sich darauf zu verstehen, wird Schaden davon haben?» «Natürlich.» «Also geht er auch nicht mit ihnen um, weil von Umgang nicht die Rede sein kann, wenn Schaden damit verbunden ist. Das gilt nicht nur von Hunden und Pferden, sondern auch von Rindern und Maultieren, und - was dich noch mehr wundern wird - nicht einmal mit einem Esel oder Schaf können Leute ohne Erfahrung umgehen. (19) Oder weißt du nicht, daß die einen Nutzen, die anderen Schaden vom Vieh halten oder Eseltreiben haben?» «Doch.»

10,19-21 ]

ÜBER DIE SKLAVEN

«Doch nur deswegen, weil die Unkundigen zwangsläufig Nachteile, die Kundigen aber Vorteile haben von Eseln und Schweinen und Gänsen und von jedem anderen Tier.» «So scheint es.» «Und weiter, gilt dasselbe nicht auch von Sachen? Wenn ein Unmusikalischer eine Zither in die Hand nimmt, macht er sich bei dem Versuch nicht lächerlich, ganz abgesehen davon, daß er nichts ausrichtet, die Zither zerbricht und die Saiten zerreißt? (20) Und wenn ein Laie die Flöte blasen und damit öffentlich auftreten wollte, würde er nicht zur Strafe mit Steinen beworfen und obendrein noch seine Flöte zerbrechen? Wer sich, des Steuerns unkundig, ans Steuer setzt, bringt der nicht mit Sicherheit das Schiff bald zum Kentern, so daß er und die Mitreisenden ertrinken? Oder die Handhabung eines Speeres oder Schildes? Bringen sie den Feigen und Unerfahrenen Nutzen, oder verlieren sie nicht vielmehr bei dem Versuch, damit umzugehen, außer den Waffen auch noch ihr Leben?» «Zugegeben, Diogenes. Aber du läßt die Sonne untergehen über all deinen Fragen.» (21) «Was ist denn wichtiger», wandte jener ein, «zu hören, was not tut, und darüber die Sonne untergehen zu lassen, oder, ohne an ein Ziel gekommen zu sein, weiterzugehen? - So fällt fast in allen Dingen der Eifer schwer, wenn die praktische Erfahrung fehlt, und je wichtiger der Fall ist, desto mehr Schaden ist auch zu erwarten. Oder glaubst du etwa, der Umgang mit einem Esel sei dasselbe wie der Umgang mit einem Pferd?» «Natürlich nicht.» «Oder der Umgang mit einem Menschen dasselbe wie der mit einem Gott?» «Die Antwort erübrigt sich, Diogenes.» «Gibt es nun jemand, der mit sich selbst umgehen kann, ohne sich selbst zu kennen?» «Wie sollte es auch!»

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«Denn wer die Menschen nicht j<ennt, kann mit den Men_ schen auch nicht umgehen.» «Nein.» (22) «Wer aber sich selbst nicht kennt, wird auch kaum mit sich selbst umgehen können.» «Ich glaube nicht.» «Hast du schon von der delphischen Inschrift gehört: Rrkenne dich selbst?» « Natürlich.» «Ganz eindeutig stellt also der Gott diese Forderung an alle, doch wohl deswegen, weil sie sich selbst nicht kennen 7» «So scheint es.» «Einer von diesen allen wärest auch du?» «Selbstverständlich.» «Also auch du kennst dich nicht selbst?» «Ich bilde es mir nicht ein.» «Wenn du aber dich selbst nicht kennst, kennst du die Menschen nicht, wenn du die Menschen nicht kennst, kannst du mit Menschen auch nicht umgehen, und obwohl du mit Menschen nicht umgehen kannst, willst du trotzdem mit einem Gott umgehen? Das ist doch auf jeden Fall, wie wir festgestellt haben, größer und schwieriger. (23) Und weiter: Glaubst du, daß ApolIon attisch oder dorisch spricht? Daß Menschen und Götter dieselbe Sprache sprechen? Zumindest besteht doch der Unterschied, daß der Skamandros bei Troia bei den Göttern Xan thos 3, der Vogel Kymindis Chalkis 4 heißt und daß sie einen Ort vor der Stadt, zu dem die Troer Batieia sagen, Sema Myrines S nennen. Daher rührt übrigens auch die Unklarheit der Orakel sprüche, die schon viele auf die falsche Fährte gelockt hat. (24) Für Homer nun war es vielleicht ungefährlich, zu Apollon nach Delphi zu reisen, da er beide Sprachen beherrschte und auch die Dialekte verstand - wenn er sie wirklich verstand und nicht nur ein paar

10,24-27J

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Worte, wie Leute, die zwei oder drei persische, medische oder assyrische Brocken können, die Unwissenden bereits hinters Licht fUhren. Fürchtest du denn nicht, daß der Gott es anders meint, als du es verstehst? Was erzählt man sich doch von jenem Laios, dem Liebhaber des Chrysippos, der, nach Delphi gekommen, den Gott fragte, wie er Kinder bekommen könne. Es wurde ihm der Orakelspruch zuteil, er dürfe nicht zeugen oder, wenn er gezeugt habe, das Kind aussetzen 6. (25) Sodumm war Laios, daß er in beidem den Gott mißverstand. Denn er zeugte einen Sohn und zog ihn nicht auf. Da kam er mitsamt seinem ganzen Haus um, weil er sich an ApolIon gewandt hatte, ohne sich darauf zu verstehen. Hätte er den Spruch nicht gehört, hätte er Oidipus nicht ausgesetzt, und der, zu Hause großgeworden, hätte Laios nicht erschlagen, da er gewußt hätte, daß er sein Sohn war. (26) Du hast doch sicher auch von dem Schicksal des Lyders Kroisos gehört, der dem Spruch des Gottes um jeden Preis folgen zu müssen glaubte, den Halys überschritt, seine Herrschaft verlor, in Fesseln gelegt wurde und um ein Haar auch noch bei lebendigem Leibe verbrannt worden wäre 7 • Oder glaubst du, klüger zu sein als Kroisos, der so reich war und über so viele Menschen herrschte, der mit Solon verkehrte und mit zahllosen anderen Weisen? (27) Und den Orestes siehst du sogar auf der Bühne, sooft er vom Wahnsinn befallen wird, den Gott mit Vorwürfen überschütten, daß er ihn zum Muttermord angestiftet habeR. Glaube aber ja nicht, ApolIon gebe denen, die ihn befragen, einen schädlichen oder unmoralischen Auftrag. Vielmehr sind die Menschen, wie ich schon sagte, unfähig, mit dem Gott umzugehen, tun es aber trotzdem und suchen dann die Schuld bei ihm und nicht bei sich selbst. Und du, wenn du auf mich hören willst, paß auf und bemühe dich zunächst einmal, dich selbst zu erkennen. Dann erst, wenn du die rechte Einsicht hast und es dir noch notwendig scheint,

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[10,27"""3.

frage das Orakel. (28) Ich fiir meine Person allerdings bin der Meinung, daß du auf das Orakel überhaupt verzichten kannst, wenn du Verstand hast. Denn sieh, wenn der Gott dich auf. forderte, richtig zu schreiben und zu lesen, und du hättest keine Ahnung von Buchstaben, wärst du dazu nicht imstande; wenn du aber die Buchstaben kennst, wirst du auch ohne Aufforde. rung des Gottes richtig schreiben und lesen. Auch zu allem an. dern wirst du nicht in der Lage sein, wenn der Gott es dir rät und du keine Ahnung davon hast. Du kannst nicht richtig le. ben, wenn du nicht weißt wie, selbst wenn du täglich dem ApolIon zusetzt und ersieh nurfürdich Zeit nimmt. Gebrauchst du aber deinen Verstand, wirst du aus eigener Kraft erkennen, was du zu tun hast und wie du es zu tun hast. (29) Was ich vorhin bei Oidipus noch vergaß: Er ging nicht nach Delphi, um das Orakel zu befragen, sondern traf mit Tei. resias zusammen und erfuhr durch dessen Sehergabe großes Leid, 'was er aber seinem eigenen Unverstand zuzuschreiben hatte. Er bekam nämlich zu hören, daß er bei seiner eigenen Mutter geschlafen uhd Kinder von ihr habe. Das hätte man viel. leicht geheimhalten oder in Theben als gesetzlich erklären sol. len. Statt dessen machte eres spä tel' aller Wel t kund und rief, au. ßer sich, laut, er sei zugleich Vater und Bruder derselben Kinder, Gatte und Sohn derselben Frau. (30) Die Hähne regen sich über solche Beziehungen nicht auf, nicht die Hunde noch die Esel, nicht einmal die Perser, die doch als die Vornehmsten in Asien gelten. Zudem blendete er sich selbst und irrte blind durch das Land, wie wenn er nicht auch sehend hätte umher· ziehen können.» Da wandte jener ein: « Du, Diogenes, stellst Oidipus dar als den größten Dummkopf auf der Welt; die Griechen aber glauben, er habe nur kein Glück gehabt, an Verstand aber sei er allen überlegen gewesen, denn schließlich habe er allein das Rätsel der Sphinx gelöst.»

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(31) «Was?» riefDiogenes lachend, «das Rätsel der Sphinx hater gelöst? Du weißt doch,daß die Sphinx dieAufgabe gestell t hatte, die Lösung ,Mensch' herauszubekommen 9. Das Wesen des Menschen aber nannte Oidipus nicht, noch wußte er es. Indem er lediglich das Wort ,Mensch' sagte, glaubte er, die Frage beantwortet zu haben, wie wenn jemand auf die Frage, was Sokrates sei, nichts weiter sagte als den Namen, eben: Sokrates. Ich hörte jemand sagen, die Sphinx sei gleichbedeutend mit Dummheit. (32) Schon früher habe diese Dummheit die Boiotier ins Verderben gestürzt, und sie tue es noch, indem sie alles Lernen verhindere, wie die Boiotier ja in der Tat diedümmsten aller Menschen sind 10. Während nun die anderen etwas mehr von ihrem eigenen Unverstand erkannt hätten, sei Oidipus, der sich selbst fur sehr weise hielt, der Sphinx entronnen war und das die anderen Thebaner auch glauben machte, elend umgekommen. Denn wer dumm ist und sich einredet, weise zu sein, der ist noch viel erbärmlicher dran als die anderen Menschen. Dazu gehört auch die Sippschaft der Sophisten.» Ir. TROIA IST NICHT EROBERT WORDEN

(1) Ich weiß ziemlich genau, daß die Menschen sich im allgemeinen nur schwer belehren, aber leicht täuschen lassen. Wenn sie überhaupt etwas lernen, dann allenfalls noch von den wenigen, die Bescheid wissen j täuschen aber lassen sie sich sehr schnell von der Menge der Nichtwisser, und nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst. Denn die Wahrheit ist bitter und wenig angenehm für Leute ohne Verstand, die Lüge dagegen süß und einschmeichelnd. (2) Man könnte die Menschen mit Augenleidenden vergleichen: das Licht zu sehen bereitet ihnen Schmerzen, die Dunkelheit aber, die sie nichts sehen läßt, empfinden sie als wohltuend und angenehm. Oder wie

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TROIA IST NICHT

sonst könnte sich so häufig die Unwahrheit vor der Wahrheit durchsetzen, wenn ihr nicht das Reizvolle zum Sieg verhülfe? Aber wenn es schon, wie gesagt, schwer ist, die Menschen zu belehren, so ist es noch ungleich schwerer, sie eines anderen zu belehren, erst recht, wenn sie das Falsche schon lange Zeit gehört haben und nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Väter, Großväter und sozusagen alle Vorfahren falsch unterrichtet worden sind. (3) Denn es ist nicht leicht, sie von ihrer Meinung abzubringen, selbst wenn man sie eindeutig widerlegt. Es ist wie bei Eltern, die untergeschobene Kinder großgezogen ha. ben: Wenn man ihnen später die Wahrheit sagt, ist es schwer, ihnen die Kinder wegzunehmen, und doch hätten sie sie nie. mals angenommen, wenn man ihnen von Anfang an die Wahr. heit gesagt hätte. Ihre Ablehnung ist derartig stark, daß sie oft lieber die schlechten Kinder, von deren Rechtmäßigkeit sie bis dahin überzeugt waren, behalten wollen und zu ihrem Schaden ihr eigen nennen, als die guten, von denen sie erst später hören. (4) Deshalb sollte es mich nicht wundern, wenn auch ihr, Männer von Ilion, dem Homer, der die ärgsten Lügen gegen euch vorgebracht hat, mehr Glauben schenken wolltet als mir, der ich die Wahrheit sage, und in ihm einen göttlichen und weisen Mann sähet und eure Kinder schon in jun gen Jahren seine Werke, die nichts als Verwünschungen - dazu noch völlig uno begründete - gegen eure Stadt enthalten, auswendig lernen lie· ßet, mich aber, der ich sage, was wirklich geschehenist,nichtan. hören wolltet, weil ich viele Jahre nach Homer geboren bin. (s) Und doch sagen die meisten, die Zeit sei der beste Richter über das, was geschieht; hören sie aber etwas erst nach langer Zeit, halten sie es gerade deswegen fur unglaubwürdig. Wenn ich es nun wagen wollte, vor den Leuten von Argos I Homer zu wi· dersprechen und seine Dichtung als in den wichtigsten Fragen verfälscht zu erweisen, so wären sie vielleicht noch mit einem gewissen Recht empört über mich und wiesen mich aus der Stadt,

11,5-8]

EROBERT WORDEN

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wenn sic sähen, daß ich den Ruhm, den sie auf Grund dcr Ereignisse vor Troia erworben haben, schmälern und zerstören wollte. Ihr aber solltet mir dankbar sein und bereitwillig zuhören, denn um die Verteidigung eurer Vorfahren bin ich jetzt bemüht. (6) Ich möchte noch vorausschicken, daß die folgenden Ausführungen zwangsläufig auch bei anderen bekannt werden und viele Leute davon erfahren. Einige von ihnen werden sie überhaupt nicht verstehen, andere so tun, als hielten sie nichts davon, obwohl das gar nicht der Fall ist, wieder andere-in erster Linie vermutlich diese elenden Sophisten -sie zu widerlegen suchen. Auch bin ich mir im klaren, daß sie nich t einmal euch gefallen werden. Denn die meisten Menschen sind von der Ruhmsucht so sehr verdorben, daß sie lieber durch das äußerste Unglück in aller Welt bekannt werden als frei von jedem Mißgeschick und dafür unbekannt bleiben wollen. (7) So glaube ich zum Beispiel, die Argiver selbst möchten gar nicht, daß es mit Thyestes, Atreus und den Pelopiden anders gekommen wäre, vielmehr würden sie sich gewaltig aufregen, wenn jemand die Mythen der Tragiker widerlegte und nachwiese, daß weder Thyestes die Frau des Atreus verfUhrt noch jener die Kinder seines Bruders getötet, in Stücke gehauen und Thyestes zum Mahl vorgesetzt hat noch Orestes der Mörder seiner eigenen Mutter war. Wollte man das alles behaupten, wären sie aufgebracht und fühlten sich beleidigt. (8) Genauso ginge es vermutlich auch den Thebanern, wenn einer das Furchtbare, das sich bei ihnen zugetragen hat, als erdichtet hinstellen wollte: Oidipus habe weder den Vater erschlagen noch mit der Mutter geschlafen noch sich selbst geblendet, seine Söhne hätten sich vor der Stadtmauer nicht gegenseitig getötet noch sei die Sphinx gekommen und habe die Kinder der Bürger vers chi ungen. Ganz im Gegenteil, viellieber werden sie hören, daß der Groll der Hera ihnen die Sphinx ins Land schickte, daß Laios von seinem Sohn erschlagen wurde, daß Oidipus nach all seinem Tun und Lei-

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den blind umherzog (9) und daß in früheren Zeiten die Kinder des Amphion, eines anderen thebanischen Königs und Grün. ders der Stadt, von Apollons und Artemis' Pfeilen getroffen wurden, weil sie die schönsten unter den Menschen waren'. Das alles, mit Flöten und Gesang dargeboten, dulden sie bei sich im Theater und setzen Preise aus für diejenigen, die das alll rührendsten können. Sollte aber jemand behaupten, daß nichts von all dem geschehen ist, so werfen sie ihn vor die Stadt. (ro) So weit hat es die Menge in ihrem Wahnsinn gebracht, so sehr ist sie von der Einbildung besessen! Sie wollen nämlich nur, daß man möglichst viel über sie spricht, was, das kümmert sie nicht. Mit einem Wort: Die Menschen sind zu feige, das Leid auf sich zu nehmen, weil sie Angst haben vor dem Tod und VOr dem Schmerz; aber daß man von ihnen spricht, als hätten sie es erfahren, darauflegen sie großen Wert. (Il) Nicht, weil ich euch einen Gefallen erweisen oder mit Homer streiten wollte oder ihn um seinen Ruhm beneidete, will ich zu zeigen versuchen, was er meiner Meinung nach über die hiesigen Ereignisse falsch berichtet hat - wobei ich die Beweise ausschließlich aus seiner eigenen Dichtung nehmen werde -, sondern weil ich der Wahrheit dienen will. In erster Linie werde ich für Athene sprechen, damit man nicht den Ein. druck bekommt, sie habe ihre eigene Stadt ungerechterweise zerstört und sich gegen den Willen ihres Vaters durchgesetzt, genauso aber auch für Hera und Aphrodite. (12) Denn es wäre sonderbar, wenn die Göttin, die mit Zeus zusammenlebte, ihn nicht für den zuständigen Richter über ihre Schönheit gehal. ten hätte, wo das Urteil darüber sogar einem Rinderhirten auf dem Ida an heim gestellt wurde, ja daß sie überhaupt mit Aphrodite um den Preis der Schönheit gekämpft haben soll 3 sie, die beanspruchte, das älteste der Kronoskinder zu sein, wie Homer selbst vermeldet: Mich als das älteste Kind hat gezeugt der listige Kronos. 4

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(13) Außerdem ist es seltsam, daß sie auf Paris derartig erbost gewesen sein soll, wo sie ihm doch selbst das Urteil übertragen hatte. Auch bei den Menschen hält derjenige, der einem anderen eine Entscheidung überträgt, den Schiedsrichter nicht für seinen Feind, wenn er gegen ihn entscheidet. Und Aphrodite sollte Paris ein solch verderbliches, ungerechtes und verhängnisvolles Geschenks gegeben haben, ohne an Helena, die doch ihre Schwester 6 war, und an ihn selbst, der ihr den ersten Preis zuerkannte, zu denken? Sie sollte eine Hochzeit begünstigt haben, die Paris selbst, seinen Eltern und seiner Stadt den Untergang brachte? (14) Auch darf, wie ich glaube, das Schicksal der Helena nicht übersehen werden: Sie, die als Tochter des Zeus galt, ist jetzt infolge der nicht gerechtfertigten üblen Nachrede zum berüchtigten Schandfleck geworden, wegen der Macht ihrer Schönheit aber galt sie bei den Griechen als Göttin. Obwohl es nun um solch wichtige Fragen geht, werden einige Sophisten behaupten, ich täte nicht recht daran, Homer zu widersprechen, und mich bei ihren erbärmlichen Schülerehen anzuschwärzen versuchen. Aber um die schere ich mich weniger als um Affen. (15) Zunächst einmal heißt es von Homer, er sei, von Armut und Not gezwungen, in Griechenland betteln gegangen. Bei einem solchen Mann nun hält man es für unmöglich, daß er seinen Gönnern zuliebe Lügen auftischt und solche Geschichten erzählt, an denen sie voraussichtlich ihr Vergnügen haben werden. Nur von den Bettlern unserer Zeit glaubt man, sie sagten nichts Vernünftiges; kein Mensch würde einen von ihnen als Zeugen in irgendeiner Sache beiziehen oder ihr Lob als berechtigt annehmen. (16) Man weiß nämlich, daß sie von der Not dazu getrieben werden, nichts als Schmeicheleien zu sagen. Ferner wird behauptet, die einen hätten Homer ein Almosen gegeben, weil er ein Bettler, die anderen, weil er wahnsinnig gewesen sei, und es gilt als ausgemacht, daß seine Zeit-

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genossen ihn eher ftir wahnsinnig erklärten, weil er die Wahr. heit sagte, als weil er Lügen erzählte. Nun, in diesem Punkt kann ich Homer nichts vorwerfen, denn was sollte einen weisen Mann hindern, zu betteln und ftir wahnsinnig gehalten zu wer. den? Ich sage nur, daß nach der Meinung, die diese Leute VOn Homer und seinesgleichen hatten, aller Wahrscheinlichkeit nach nichts Vernünftiges an seinen Worten ist. (17) Übrigens ist man gar nicht der Ansicht, daß die Lüge dem Wesen Horners fremd gewesen sei und er von ihr nichts habe wissen wollen. Immerhin ist sein Odysseus, den er über die Maßen preist, ein ganz gewaltiger Lügner, und Autolykos leistet Meineide - eine Gabe, die er von Hermes bekommen ha t'. Daß Horner über die Götter kein wahres Wort gesagt hat, gibt praktisch jedermann zu, selbst seine größten Verehrer, die ihn allerdings damit zu entschuldigen suchen, daß er diese Dinge nicht klar verständlich, sondern in Rätseln und Bildern ausgedrückt habe 8 • (18) Warum sollte er nun über die Men. sehen nicht in derselben Form gesprochen haben? Denn wer über die Götter ganz eindeutig nicht die Wahrheit sagt, sondern sich im Gegenteil- ohne jeden Vorteil fur sich selbst - so ausdrückt, daß die Leser es eher falsch verstehen müssen, wie sollte der Bedenken haben, auch von Menschen etwas Falsches zu behaupten? Daß seine Götter leiden, stöhnen, verwundet werden und beinahe sterben 9 , dann ihre Ehebrüche 'o, Fesselungen IX und Bürgschaften - davon will ich gar nicht sprechen, es ist hinlänglich bekannt. Auch will ich Horner nicht anklagen, sondern nur zeigen, was wirklich geschehen ist. Denn auch zu seiner Verteidigung werde ich sagen, was ich für richtig halte. (19) Was ich behaupte, ist nur, daß er vor der Lüge keineswegs zurückschreckte und sie nicht für verwerflich hielt; ob mit Recht oder nicht, will ich jetzt nicht untersuchen. Alles nun, was er an Unerträglichem und Unpassendem über die Götter in seinen Werken berichtet, will ich übergehen. Nur

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soviel sei gesagt: Bedenkenlos gibt er Gespräche wieder, die die Götter miteinander geführt haben sollen, und zwar nicht nur solche, die öffentlich in der Gegenwart aller Götter stattgefunden haben, sondern auch private, (20) etwa das Gespräch des Zeus, als er mit Hera wegen ihrer Täuschung und der Niederlage der Troer zürnt", oder schon vorher die Unterredung, in der Hera Aphrodite drängt, ihren Vater einzuschläfern und ihr den Liebeszauber, den gestickten Gürtel, zu leihen 13 - eine Bitte, die sie natürlich nur im geheimen aussprechen konn te. Denn auch bei den Menschen ist es unwahrscheinlich, daß jemand vom gelegen tlichen Zank und Strei t zwischen Mann und Frau etwas erfährt. Deshalb läßt Homer den OdysseUS auch einen solchen Fall zurechtrücken: Um ja nicht den Eindruck eines Prahlers zu erwecken, behauptet Odysseus, als er von den Unterredungen, die die Götter seinetwegen hatten, erzählt, er habe es von Kalypso, diese aber von sonst wem gehört; von einem Gott persönlich will er nichts über sich erfahren haben 14. (2I) So gleichgü ltig waren Homer die Menschen, und es kümmerte ihn nicht, wenn man keins seiner Worte für wahr hielt. Denn er glaubte ja wohl selbst nicht, er könne jemand weismachen, daß ihm die Unterhaltungen der Götter bekannt seien. Er erzählt auch von dem Zusammensein des Zeus mit Hera auf dem Ida und die Worte, die Zeus vorher gesprochen hat, wie wenn er es selbst gesehen und gehört hätte, und die Wolke, in die Zeus sich hüllte, um nicht gesehen zu werden, war für ihn offenbar kein Hindernis ls . (22) Dem Ganzen setzt er aber noch die Krone auf: Damit wir ja nicht im Zweifel bleiben, daß er die Götter versteht, spricht er zu uns beinahe so, als sei ihm die Sprache der Götter vertraut, und macht uns klar, daß sie anders ist als unsere Sprache und andere Bezeichnungen fur die Dinge hat. Er zeigt das an einem Vogel, den nach seiner Behauptung die Götter Chalkis, die Menschen Kymindis nennen, und an einem Platz

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vor der Stadt, der bei den Menschen Batieia, bei den Göttern Sema M yrines heißt 16. (23) Und nachdem er uns mitgeteilt hat, daß der Fluß bei den Göttern nicht Skamandros, sondern Xan. thos genannt wird, nennt er ihn fortan in seinen Werken ebenso, wie wenn es ihm freistünde, nicht nur die griechischen Dialekte miteinander zu vermischen und bald aiolisch, bald dorisch, bald ionisch zu sprechen, sondern auch noch die Sprache der Götter zu verwenden. Wie schon gesagt, nicht um anzuklagen, führe ich das aa, sondern als Beweis dafür, daß Homer der kühnste Lügner unter den Menschen ist und, wenn er lügt, dieselbe Sicherheit und denselben Stolz zur Schau trägt, wie wenn er die Wahrheit sagt. (24) So betrachtet, erscheinen meine Ausführungen nicht mehr befremdlich und unglaubwürdig, sondern betreffen im Vergleich zu den großen Unwahrheiten über Götter nur kleine Unwahrheiten über Menschen. Homer unternimmt es, den Krieg zwischen den Achaiern und Troianern zu beschreiben, aber er beginnt nicht mit dem Ursprung, sondern an einer beliebigen Stelle. So machen es beinahe alle Lügner: Sie verflechten und verwickeln alles und wollen nichts der Reihe nach erzählen, denn so verraten sie sich weniger; sonst werden sie durch die Sache selbst überführt. (25) Diesel be Beobach tun g kann man bei den Gerich ten machen und bei anderen Gelegenheiten, bei denen mit Geschick ge· logen wird. Wer darlegen will, wie sich die Ereignisse im ein. zelnen zugetragen haben, teilt sie in der entsprechenden Rei· henfolge mit, das erste an erster, das zweite an zweiter Stelle und so fort. Dies ist der eine Grund, warum Homer sein Werk nicht auf die natürliche Weise beginnen läßt; der andere, daß er insgeheim Anfang und Ende möglichst im dunkeln lassen und bei beiden den gegenteiligen Eindruck erwecken will l7 • (26) Deswegen hat er es nicht gewagt, Anfang und Ende klar und deutlich zu nennen, auch verspricht er nirgends, sich darüber

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noch auszulassen; wenn er sie einmal erwähnt, dann nur nebenbei und in aller Kürzels. Offensichtlich ist ihm daran gelegen, Unklarheit zu stiften, denn er fühlt sich unbehaglich an diesen stellen und kann nicht drauflos erzählen. So geht es meist auch den Lügnern: Dies und das er2iählen sie von der Sache und verweilen bei Einzelheiten, was sie aber auf jeden Fall verbergen wollen, das drücken sie so unklar aus, daß selbst ein aufmerksamer Zuhörer es nicht vei'steht, und lassen es nicht an seinem Ort, sondern stecken es dorthin, wo es am ehesten verborgen bleibt. Der Grund hierfür ist neben dem eben erwähnten die Tatsache, daß die Lüge die Menschen veranlaßt, sich zu schämen und ihr nur zögernd zu nahen, vor allem dann, wenn es um die wichtigsten Fragen geht. (27) Deswegen sprechen Lügner auch mit leiser Stimme, wenn sie den entscheidenden Punkt berühren: Die einen stottern und sprechen undeutlich, die anderen tun so, als wüßten sie nichts und hätten es nur von anderen gehört. Wer aber die Wahrheit sagt, redet furcht- und rückhaltlos. Homer nun spricht weder vom Raub der Helena noch von der Einnahme Troias offen und unverhohlen. Bei all seiner Kühnheit, die ich ihm zugestehe, weicht er aus und gibt nach in dem Bewußtsein, daß er das Gegenteil von dem, was wirklich geschehen ist, sagt und gerade die Hauptsache verfalscht. (28) Womit hätte Homer eher einsetzen sollen als mit Paris' frecher Tat, um deretwillen der Krieg ausbrach? Dann hätten alle Leser seines Werkes mitgezürnt und wären auf den Ausgang gespannt gewesen, und niemand hätte die Troer wegen ihrer Leiden bedauert. So hätte er ein geneigteres und interessierteres Publikum gehabt. (29) Wenn er auf der anderen Seite die größten und schrecklichsten Dinge erzählen wollte, Leiden und Drangsale jeder Art, schließlich auch das, was jeder am sehnlichsten zu hören wünscht, was hätte er da Größeres und Furchtbareres erzählen können als die Eroberung Troias? Nie-

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mals sind mehr Menschen erbärmlicher ums Leben gekommen, die einen, als sie an den Altären der Götter Zuflucht suchten, die anderen, als sie Hir Frauen und Kinder kämpften. Niemals sind mehr Frauen und Mädchen von königlichem Blut so in die Fremde gefLihrt worden, in Knechtschaft und Schande, fort_ gezerrt von der Seite ihrer Männer, Väter und Brüder, ja sogar von den Götterbildern, nachdem sie hatten erleben müssen, wie der geliebte Gatte in seinem Blut lag und sie ihn nicht noch einmal umarmen und ihm die Augen zudrücken konnten, nach_ dem sie hatten zusehen müssen, wie die kleinen Kinder grausam auf die Erde geschmettert wurden. (30) Niemals sind mehr Heiligtümer zerstört, größere Schätze geraubt, niemals ist eine ganze Stadt so bis auf die Mauern niedergebrannt worden, niemals vernahm man lauteres Schreien, Klirren der Waffen und Tosen des Feuers, während die Menschen in den Flammen umkamen oder in sie hineingeworfen wurden. Diese schreck_ lichen Geschehnisse läßt Homer den Priamos als unmittelbar bevorstehend nennen 1 9 • Und doch hätte er sie sich genausogut ereignen lassen können, wie er ja auch sonst nach eigenem Gutdünken und mit der bei ihm üblichen Ungeheuerlichkeit das Unbedeutendste zum Erschrecken des Hörers aufbauscht. (31) Wenn Homer die Absicht hatte, vom Tod berühmter Männer zu berich ten, wie konn te er da den Tod des Achilleus, des Memnon, des Antilochos, des Aias und des Paris selbst auslassen? Wie konn te er den Zug der Amazonen und den Kampf zwischen Achilleus und der Amazone'O übergehen, der doch so großartig und merkwürdig gewesen sein soll? (J2) Und doch läßt Homer den Fluß mit Achilleus kämpfen", nur um ja etwas Ausgefallenes zu erzählen, und berichtet ferner von einem Kampf zwischen Hephaistos und dem Skamandros", von Flucht, Niederlagen und Verwundung der Götter untereinander'3. Weil er an wahren Ereignissen nichts zu bieten hat, spricht er mit Vorliebe von ausgefallenen Wunderlichkeiten,

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obwohl noch viel Wichtiges zu behandeln gewesen wäre. (33) N.Ian muß also wohl oder übel zugeben, daß Homer entweder unüberlegt und unzulänglich in der Beurteilung von Tatsachen war, so daß er unbedeutende Belanglosigkeiten auswählte und das Wichtigste und Schwerwiegendste anderen überließ, oder daß er, wie ich schon sagte, unfähig war, seine falschen Behauptungen mit dem nötigen Nachdruck zu vertreten und seine dichterische Begabung an dem zu beweisen, dessen wahre Natur er verhüllen wollte. (34) So berichtet Homer zum Beispiel in der Odyssee die Ereignisse auf Ithaka und den Freiermord 24 selbst, die stärksten Lügen aber wagt er nicht auszusprechen, sondern legt sie dem Odysseus in den Mund, der am Hofe des Alkinoos von der Skylla, dem Kyklopen, den Zaubermitteln der Kirke, schließlich auch von seinem Gang in die Unterwelt erzählt's. Und dort erwähnt auch Demodokos in seinem Lied kurz das hölzerne pferd und die Einnahme Troias 26 • (35) Das alles scheint mir Homer ursprünglich gar nicht eingeplant zu haben, da es nie geschehen war. Als er aber während der Arbeit an seinem Werk die Leichtgläubigkeit der Menschen sah, stieß er alles um und verkehrte die Tatsachen in ihr Gegenteil, weil er die Menschen verachtete und sich zugleich den Griechen und Atriden gefällig erweisen wollte. So beginnt er sein Werk: Singe vom Zorn, 0 Mure, des Peleussohnes Achilleus, der den Achaiern verderblich bereitete zahllose Schmerzen, viele tapfere Seelen der Helden zum Hades hinunter sandte; ihr Leichnam wurde dett Tieren allett zur Beute, Hunden und Vögeln, auf daß der Ratschluß des Zeus sich erfüllte. 27 (36) In diesen Versen sagt Homer, er wolle allein vom Zorn des Achilleus berichten, von Drangsal und Verderben der Achaier, wieviel Schreckliches sie durchzumachen hatten, wie viele umkamen und unbestattet blieben - offenbar, weil das die wichtigsten und der Dichtung angemessenen Ereignisse sind -

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und daß sich darin der Ratschluß des Zeus erfüllte, wie es dann ja auch eintraf. Aber den späteren Umschwung der Lage, den Tod Hektors und die Eroberung Troias - lauter Zugeständ. nisse an den Geschmack des Publikums - hatte er ursprüng. lich nicht eingeplant, ja vielleicht hatte er nicht einmal daran gedacht, alles auf den Kopfzu stellen. (37) Als er dann aber die Ursache der Leiden nennen will, läßt er Paris und Helena fallen und schwatzt statt dessen über Chryses und seine Toch. ter 28 • Ich will nun berichten, was ich bei den ägyptischen Prie. stern von einem hochbetagten Greis in Onuphis erfahren habe. Er machte sich unter vielem anderen darüber lustig, daß die Griechen in den meisten Dingen nicht Bescheid wüßten, und als schlagenden Beweis flihrte er an, daß sie davon überzeugt seien, Agamemnon habe Troia eingenommen und Helena habe sich noch als Gattin des Menelaos in Paris verliebt. Und davon seien sie, getäuscht durch einen einzigen Mann, so fest über. zeugt, daß sie einzeln darauf schwören würden. (38) Er erzählte mir, daß die ganze Vergangenheit bei ihnen aufgeschrieben sei, zum Teil in den Tempeln, zum Teil auf gewissen Säulen. Manches habe sich auch nur im Gedächtnis wen iger Leu te gehal ten, wenn die Säulen zerstört worden seien, und vieles von dem, was auf den Säulen verzeichnet sei, finde aus Unkenntnis und Gleichgültigkeit der Nachwelt keinen Glauben mehr. Unter den jüngsten Eintragungen befänden sich auch die Ereignisse um Troia. Menelaos sei nämlich zu ihnen gekommen und habe berichtet, wie sich alles zugetragen habe. (39) Auf meine Bitte, es mir zu erzählen, sträubte er sich anfangs und meinte nur, die Griechen seien Angeber und hielten sich trotz ihrer Unwissenheit fur allwissend. Es gebe aber keine gefährlichere Krankheit, weder im kleinen noch im großen, als daß jemand unwissend sei und sich für außerordentlich

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weise halte; denn diese Menschen könnten niemals von ihrer Unwissenheit loskommen. (40) «Und dadurch habt ihr euch so lächerlich gemacht», fuhr er fort, «daß ihr von einem anderen Dichter - ich glaube, es war Stesichoros -, der im Gefolge fIomers genau dasselbe von Helena berichtet, erzählt, Hclena habe ihn wegen seiner Lügen blenden lassen, später aber, nachdem er einen Widerruf gedichtet hatte, sei er wieder sehend geworden 29 • Und trotzdem soll die Dichtung Homers auf Wahrheit beruhen! (4I) Auch soll Stesichoros in seinem zweiten Gedicht abgestritten haben, daß Helena überhaupt irgendwohin gesegelt sei, während andere behaupten, daß Helena zwar von Paris entführt, dann aber hierher zu uns nach Ägypten gekommen sei. Obwohl nun die ganze Angelegenheit derartig undurchsichtig ist und große Unkenntnis verrät, bringt ihr es doch nicht fertig, den Trug zu durchschauen. (42) Die Ursache hierfUr liegt in eurer Freude am Vergnügen. Was ihr mit Vergnügen jemanden erzählen hört, das haltet ihr für wahr, und den Dichtern räumt ihr das Vorrecht ein, euch an Lügen aufzutischen, was sie wollen, und erklärt das rur ihr gutes Recht. Und trotzdem schenkt ihr ihnen Glauben, was immer sie auch sagen, und führt sie manchmal sogar in umstrittenen Fragen als Zeugen an. In Ägypten dagegen darf man nichts in Versen schreiben, ja es gibt hier überhaupt keine Dichtung. Man weiß nämlich, daß sie nur ein Mittel ist, um das Hören reizvoll zu machen. Wie nun die Durstigen keineswegs Wein nötig haben, sondern ihnen ein Schluck Wasser genügt, so brauchen auch Leute, die die Wahrheit wissen wollen, keine Verse, sondern sind mit dem Hören der einfachen Wahrheit zufrieden. (43) Die Dichtung hingegen verlockt sie, Unwahrem zuzuhören, wie Wein dazu verlockt, über den Durst zu trinken.» Wie ich es nun von dem Ägypter gehört habe, will ich es darzulegen versuchen und anfügen, aus welchen Gründen mir sein Bericht wahr zu sein scheint.

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«In Sparta lebte», so führte er aus, «Tyndareos, ein weiser Mann und mächtiger König, und Leda gebar ihm zwei Töch. ter, Klytaimnestra und Helena, wie auch wir sie nennen, und zwei schöne, prächtige Zwillingssöhne 30 , mit Abstand die besten unter den Griechen. (44) Wegen ihrer Schönheit War Helena in aller Munde und hatte schon als kleines Mädchen eine Menge Freier. Dann aber wurde sie von Theseus, dem König von Athen, entführt. Die Brüder der Helena fielen sofort in das Land des Theseus ein, zerstörten seine Stadt und brach. ten die Schwester wieder zurück. Alle anderen Frauen, die in ihre Hände gefallen waren, ließen sie wieder frei, nur die Mut. ter des Theseus führten sie als Kriegsgefangene mit, um sich an ihm zu rächen. Man meint sogar, sie hätten mit ganz Griechenland den Kampf aufnehmen lind es mit Leichtigkeit unter. werfen können, wenn sie gewollt hätten.» (45) Ich sagte ihm, daß man dasselbe auch bei uns erzähle und ich auch selbst in Olympia im Hinterraum des Heratem_ peis eine Darstellung dieser Entführung gesehen hätte auf der von Kypselos 31 gestifteten hölzernen Truhe: Die Dioskuren halten Helena, die auf dem Kopf der Aithra steht und sie an den Haaren zerrt; dabei steht eine Inschrift in alten Lettern. (46) «Danach »,fuhr er fort, «wollte Agamemnon aus Furcht vor den Tyndareossöhnen - denn er wußte genau, daß er nicht einheimisch war und als Zugewanderter über die Argiver herrschte 3' - sie durch Verschwägerung gewinnen und heiratete deshalb Klytaimnestra. Für seinen Bruder warb er um die Hand der Helena, aber kein Grieche wollte das zulassen. Sie meinten, jedem einzelnen von ihnen komme der Abstammung nach eine Heirat eher zu als Menelaos, einem Pelopiden. Auch von auswärts kamen viele Freier, vom Rufihrer Schönheit und der Macht der Brüder und des Vaters herbeigelockt.» (47) Auch damit schien er mir recht zu haben, wo doch ein Mann aus Italien um die Tochter des Kleisthenes, des Tyran-

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nen von Sikyon, geworben haben soll. Ferner heiratete Pelops, der aus Asien kam, Hippodameia, die Tochter des Oinomaos, und Theseus eine Amazone 33 von den Ufern des Thermodon. (48) Auch 10 kam, wie der Priester sagte, als Vermählte nach Ägypten, nicht als eine von der Bremse getriebene Kuh. «Da nun einmal bei den berühmtesten Geschlechtern der Brauch bestand», setzte er seinen Bericht fort, « trotz der größten Entfernungen gegenseitig Frauen zu geben und zu nehmen, erschien auch Paris als Freier im Vertrauen auf die Macht seines Vaters, der bald über ganz Asien herrschte. Außerdem lag Troia nicht weit entfernt, und vor allem waren die Pelopiden in Griechenland bereits an der Macht, und ein regel' Verkehr hatte sich zwischen beiden Ländern entwickelt. (49) Als er nun mit vielen Schätzen und mit allem Prunk, der sich flir eine Werbung schickt, in strahlender Schönheit angekommen war, hatte er eine Unterredung mit Tyndareos und Helenas Brüdern, und da erzählte er dann vom Reich des Priamos, von dessen unermeßlichen Schätzen und seiner sonstigen Macht, auch daß er selbst die Herrschaft übernehmen werde. Menelaos sei dagegen nur ein kleiner Mann, denn die Herrschaft komme den Söhnen des Agamemnon, nicht ihm zu. Ferner erwähnte er, wie sehr ihn die Götter liebten und daß Aphrodite ihm die schönste Hochzeit, die jemals bei den Menschen gefeiert wurde, versprochen habe. Seine Wahl sei nun auf des Tyndareos Tochter gefallen, obwohl er sich, wenn er gewollt hätte, auch aus Asien seine Frau hätte nehmen können, eine Tochter des ägyptischen oder indischen Königs. (so) Denn alle anderen Völker von Troia bis zu den Äthiopiern seien ihm untertan, und über die Äthiopier herrsche sein Vetter Memnon, der Sohn des Tithonos, eines Bruders des Priamos. Noch manch anderes Verheißungsvolle ließ er einfließen, und Leda und der übrigen Familie machte er Geschenke, wie sie alle Griechen zusammen nicht hätten aufbringen können. Auch

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[lI,5<>-53

wies er daraufhin, daß er mit Helena verwandt sei, denn Pria_ mos stamme von Zeus ab, und auch sie und ihre Brüder seien, wie er gehört habe, Kinder des Zeus. Agamemnon und Mene_ laos dürften ihm wegen seines Vaterlandes keine Vorhaltun_ gen machen, denn sie selbst seien ja Phryger vom Sipylosge_ birge 34 ; es sei weit besser, sich mit den Königen Asiens zu verschwägern als mit Leuten, die von dort ausgewandert seien. Denn auch Laomedon habe seine Tochter Hesione dem Telamon zur Frau gegeben, als dieser zusammen mit Herakles als Freier nach Troia gekommen sei; den Herakles habe er als alten Gastfreund des Laomedon mitgebracht. (5 I) Über diesen Antrag des Paris besprach sich nun Tynda_ reos mit seinen Söhnen, und bei genauerem Zusehen schien es ihnen genauso vorteilhaft zu sein, sich mit den Königen von Asien zu verbinden. Denn das Pelopidenhaus hätten sie bereits durch Klytaimnestra als Gattin des Agamemnon, und wenn man sich mit Priamos verschwägere, so gewinne man obendrein Einfluß auf die dortigen Verhältnisse und niemand hindere sie mehr daran, über ganz Asien und Europa zu herrschen. Agamemnon wollte sich der Heirat mit Paris zwar widersetzen, aber den berechtigten Argumenten mußte er sich beugen. (52) Tyndareos meinte nämlich, er habe an ihm als Schwiegersohn genug, und klärte ihn zugleich auf, daß es nicht ratsam sei, den Bruder in die gleiche Stellung aufrücken zu lassen, denn dann könne er ihm leichter Schwierigkeiten machen; auch Atreus und Thyestcs hätten sich nicht gut vertragen. Am überzeugendsten aber war der Einwand, daß sich die anderen griechischen Freier, Diomedes, Antilochos und Achilleus, eine Zurückweisung nicht gefallen lassen würden, sondern Krieg begännen, und so laufe er Gefahr, sich die Mächtigsten der Griechen zu Feinden zu machen. (53) Da sei es doch besser, überhaupt keinen Anlaß zu Krieg und Zwist unter den Griechen zu geben.

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Darüber war Agamemnon wohl verärgert, aber er sah keine den Tyndareos von seinem Vorhaben abzubrin~en, denn schließlich hatte er über seine Tochter zu verfügen; gleichzeitig fürchtete er auch dessen Söhne. So nahm Paris denn flelena als seine rechtmäßige Frau und führte sie, nachdem er ihre Eltern und Brüder für sich gewonnen hatte, beglückt und hocherfreut heim. Auch Priamos und Hektar und alle anderen rreuten sich über die Hochzeit und empfingen Helena mit opfern und Gebeten. (54) Überlege dir nun», forderte der Priester mich auf, «wie einfältig die entgegengesetzte Geschichte ist! Hältst du es erstens für möglich, daß man sich in eine Frau verliebt, die man noch nie gesehen hat? Dann, daß man sie überredet, den Mann, das Vaterland und alle Verwandten zu verlassen, wo sie doch vermutlich schon ein Töchterchen hatte, und daß sie einem Mann aus einem anderen Volknachgeh t?Wegen dieser U n wah rscheinlichkeit erfand man nämlich die noch viel albernere Geschichte mitAphrodite.(5 5) Und selbst wenn Paris aufdieseIdee verfallen wäre, wie hätteder Vater, der kein Dummkopfwarund als außerorden tlich vernünftiger Mann gal t, wie hätte die M utter das zulassen können? Und Hektar hätte anfangs nichts dagegen gehabt, später aber den Paris wegen der Entführung getadelt und geschmäht, wie Homer berich tet? Da heißt es nämlich: Unglücksparis, du Schönster, betörender, weibestoller Verfuhrer, wärst du doch nie gebor'n oder par deiner Hochzeit gestorben! Nichts werdett dir mehr nützen die Zither und Gaben del' Kypris, nichts mehr dein Haar, deine schÖlle Gestalt, wenn im Staube du daliegst. 35 (56) Wie hätte Helenos, der Seher, das alles nicht vorhersagen sollen, die gottbesessene Kassandra oder auch der wegen seiner Klugheit angesehene Antenor? Erst hinterher sollen sie empört gewesen sein und das Geschehene verworfen haben, obwohl sie Helenas Ankunft hätten verhindern können? ~öglichkeit,

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I II,56-s8

Damit du aber das ganze Ausmaß der Dummheit und die Wi. dersprüche in den Lügen siehst: Sie erzählen, Herakles habe wenige Jahre vorher die Stadt zerstört, und zwar aus einem geringfügigen Anlaß. Er sei nämlich darüber erzürnt gewesen, daß Laomedon ihm die versprochenen Pferde nicht habe geben wollen.» (57) Da fielen mir die Verse ein, in denen davon die Rede ist: Herakles kam eimt her, um Laomedom Rosse zu fordern, nur sechs Sch~ffe brachte er mit und wenige Miinner. Iliom Feste zerstörte er, öde lagen die Straßen. 36 «Aber auch diese Behauptung ist nicht wahr», fuhr er fort. «Denn wie hätte sich eine Stadt, die auf diese Weise erobert und verwüstet worden war, in kurzer Zeit wieder zur größten Stadt Asiens aufschwingen können? Wie hätte Herakles mit sechs Schiffen Troia erobern können, das seit langer Zeit nicht mehr zerstört worden war, während es die Griechen mit ihren 1200 Schiffen nicht einnehmen konnten? Oder wie hätte Hera. kies mit der Herrschaft des Priamoseinverstanden sein können, dessen Vater er als seinen verhaßtesten Feind getötet hatte, und nich t einen anderen König über das Land einsetzen sollen? (58) Und wenn es so war, wie man erzählt, wieso zitterten die Troer und Priamos nicht vor der Feindschaft mit den Griechen, da sie doch erlebt hatten, daß sie auch ohne ein solch schwerwiegen. des Vergehen vor geraumer Zeit vernichtet und vertrieben worden waren? Und die vielen, die sich an die Eroberung noch erinnern konnten? Keiner von ihnen hätte daran denken und dem Paris Einhalt gebieten sollen? Und wie hat man es sich vorzustellen, daß Paris nach seiner Ankunft in Griechenland mit Helena zusammenwar, mit ihr sprach und sie schließlich überredete, ohne daß sie an Eltern, Vaterland, Gatten und Tochter, auch nicht an ihren Rufbei den Griechen dachte, ja nicht einmal die Brüder fürchtete, die noch lebten und sie früher bereits dem Theseus entrissen hat-

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ten, weil sie ihre Entführung nicht duldeten? (59) Wie hätte das Ganze dem Menelaos, wenn er zu Hause war, verborgen bleiben können? War er aber nicht zu Hause, wie ist es dann denkbar, daß sich seine Frau mit einem fremden Mann einließ, ohne daß jemand die Liebschaft bemerkt und, wenn er sie bemerkte, nicht verraten hätte? Und weiter, daß Aithra, die Mutter des Theseus und eine Gefangene, mit ihr zusammen fortsegelte? Nicht genug damit, daß sie, die Tochter des Pittheus, in Sparta Sklavendienste verrichten mußte, hätte sie es auch noch vorgezogen, nach Troia zu folgen? (60) Und Paris setzte sein Vorhaben so unerschrocken und unbehindert ins Werk, daß er sich nicht mit der Entführung der Frau zufriedengab, sondern auch noch Hab und Gut mitnahm? Und keiner segelte ihnen nach, weder von den Leuten des Menelaos noch von denen des Tyndareos noch die Brüder der Helena, obwohl Schiffe in Lakonien vorhanden waren und die Fliehenden zunächst zu Fuß von Sparta bis zum Meer gehen mußten und die Entführung, wie zu erwarten, sofort überall bekannt geworden war? Unmöglich hätte Helena mit Paris auf diese Weise weggehen können, wohl aber, wenn sie ihm von der Familie freiwillig zur Frau gegeben worden war. (61) Nur so ist es auch denkbar, daß Aithra mit ihr zusammen eintraf und die Schätze mitgenommen wurden. Alle diese Zeichen deuten auf eine legitime Heirat, nicht auf Entführung. Als aber nun Paris, wie ich schon sagte, nach der Hochzeit mit seiner Frau abgesegelt war, ließ es dem Menelaos keine Ruhe, daß er mit seiner Werbung durchgefallen war, und so warfer dem Bruder vor, er habe ihn verraten. (62) Agamemnon aber kümmerte sich kaum um ihn. Viel mehr fürchtete er Paris, denn er hatte ihn im Verdacht, er könnte einmal in die Angelegenheiten Griechenlands eingreifen wollen, da er wegen seiner Heirat dazu berechtigt sei. Deshalb rief er alle, die um Helena gefreit hatten, zusammen und legte ihnen dar, daß sie alle

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zum Gespött geworden seien und man Griechenland verächt_ lich gemacht habe: die herrlichste Frau sei an Barbaren verhei_ ratet worden, wie wenn es bei ihnen keinen Mann gäbe, der ihrer wert gewesen wäre. (63) Mit solchen Worten versuchte er, Tyndareos zu entschuldigen, und bat um Verständnis fur ihn, der sich von den Geschenken habe verleiten lassen. Als Schuldige an dem ganzen Unglück stellte er Paris und Priamos hin und forderte die Griechen auf, mit ihm gegen Troia zu ziehen. Die Aussichten, die Stadt zu erobern, seien nicht gering, wenn sich alle an dem Unternehmen beteiligten. Wäre das der Fall, dann könnten sie reiche Schätze erbeuten und sich zu Herren des besten Landes machen. Denn die Stadt sei reicher als alle anderen, die Einwohner aber infolge ihrer üppigen Lebensweise verweichlicht. Außerdem habe er von Pelops her viele Verwandte in Asien, die aus Haß gegen Priamos gemeinsame Sache mit ihm machen würden. (64) Als sie das hörten, waren einige empört und hielten das Geschehene in der Tat für eine Schande fur Griechenland, andere aber machten sich Hoffnungen, sich bei dem Feldzug bereichern zu können, denn Asien standim Ruf gewaltiger Macht und unermeßlichen Reich turns. Wenn sie bei der Werbung um Helena von Menelaos ausgestochen worden wären, hätte sie das nicht weiter gestört, im Gegenteil, sie hätten sich über sein Glück gefreut. So aber haßten sie alle den Paris, weil jeder sich von ihm um die Heirat betrogen glaubte. Das Unternehmen wurde also durchgeführt, und Agamemnon ließ durch eine Gesandtschaft die Herausgabe der Helena fordern: sie sei Griechin und solle mit einem Griechen verheiratet werden. (65) Die Troer waren über diese Forderung aufgebracht, auch Priamos, ganz besonders aber Hektor. Wie es Brauch sei, habe Paris seine Frau aus der Hand des Vaters empfangen, und Helena sei bereit, mit ihm zusammenzuleben, die Griechen aber wagten es, eine derartig unverschämte Forderung zu stel-

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len. Sie hätten erkannt, daß es ihnen nur um einen Vorwand zum Kriege zu tun sei. Sie selbst wollten mit dem Krieg nicht beginnen, da sie die Stärkeren seien, wenn sie aber angegriffen würden, seien sie zur Verteidigung entschlossen. Aus diesem Grund nahmen die Troer den lange sich hinziehenden Krieg und die vielen Leiden auf sich - nicht so viel, wie Homer schildert, aber immerhin wurde ihr Land verwüstet, und viele Menschen kamen um -, denn sie waren sich bewußt, daß die Achaier im Unrecht waren und Paris nichts Ungehöriges getan hatte. (66) Wäre das nicht der Fall gewesen, wie hätten die Brüder oder der Vater es ertragen können, daß ihre Bürger ihr Leben ließen und die ganze Stadt bloß wegen der Übertretung des Paris in Gefahr war, zerstört zu werden, wo es ihnen doch möglich gewesen wäre, sich durch die Herausgabe der Helena zu retten? Wie man sagt, behielten sie auch später noch, nach Paris' Tod, Helena bei sich und vermählten sie mit Delphobos, wie wenn sie Helena als den wertvollsten Schatz in ihrer Stadt hätten und fürchteten, sie könnte sie verlassen. (67) Mag sie vorher aus Liebe zu Paris geblieben sein, wie aber konnte sie jetzt noch bleiben wollen, wenn sie nicht auch den Delphobos geliebt hätte, wie man hört? Denn sicher hätte sie die nicht widerstrebenden Troer überreden können, sie wieder zurückzugeben. Hatte sie aber Angst vor den Achaiern, hätte man vorher nur eine friedliche Lösung finden müssen. Die Griechen wären über das Ende des Krieges sicher heilfroh gewesen, da sie sehr viele ihrer tüchtigsten Leute verloren hatten. Aber die Geschichte vom Raub der Helena ist eben erfunden, und die Troer haben überhaupt keinen Anlaß zum Krieg gegeben. Deswegen waren sie auch so siegeszuversichtlich, denn Menschen, denen Unrecht geschehen ist, wehren sich standhaft bis zum äußersten. (68) Sei nun gewiß, daß alles genauso geschehen ist, wie ich sage. Es ist doch weit glaubwürdiger, daß sich Tyndareos von

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[II.68-7t

sich aus mit den Königen in Asien verschwägerte und Mene_ laos über seine fehlgeschlagene Werbung ungehalten war; daß Agamemnon fürchtete, die Söhne des Priamos könnten Grie_ chenland in ihre Gewalt bekommen, zumal er von seinem Vor_ fahren Pelops wußte, daß er, aus demselben Lande stammend, auf Grund seiner Verschwägerung mit Oinomaos sich die Peloponnes untertan gemacht hatte; daß die anderen Führer, weil sie daran dachten, wie jeder von ihnen um die Heirat geprellt worden war, am Krieg teilnahmen - das ist doch eher glaublich, sage ich, als daß Paris sich in eine Frau verliebte, die er nicht kannte; daß sein Vater ihm gestattete, zu solch einem Unternehmen auszufahren, obwohl, wie man erzählt, vor gar nicht langer Zei t Troia von den Griechen erobert und Priamos' Vater Laomedon dabei umgekommen war; (69) daß die Troianer trotz Krieg und zahlloser Leiden später nicht bereit waren, Helena herauszugeben, weder zu Lebzeiten des Paris noch nach seinem Tod, obwohl sie keine Hoffnung auf Rettung hatten; daß Helena sich in einen fremden Mann verliebte, mit dem zu verkehren höchst unnatürlich war, Vaterland, Familie und Gatten treulos verließ und zu Menschen ging, die sie haßten; daß keiner das alles verhinderte oder sie verfolgte, als sie - zu Fuß! -zum Meer ging oder dann aufhoherSee; daß die Mutter des Theseus, eine schon ältere Frau, die Helena offensichtlich haßte, die Fahrt mitmachte; (70) daß Helena später nach dem Tod des Paris, den sie doch geliebt haben soll, mit Dei"phobos zusammenlebte - wie ich glaube, auch ihm von Aphrodite versprochen - und weder sie selbst zu ihrem Mann zurückkehren wollte noch die Troer sie gegen ihren Willen auslieferten, bis dann ihre Stadt erobert wurde. Das alles ist höchst unwahrscheinlich und unmöglich. Dazu kommt aber noch folgendes. Nach Homer nahmen alle Griechen, denen doch recht wenig daran lag, am Feldzug teil, nur Kastor und Polydeukes zogen nicht mit, obwohl gerade sie beleidigt worden waren. (71) Aber

II.71-74]

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I95

diese Unsinnigkeit verschweigt Homer und läßt nur Helena sich darüber wundern, entschuldigt dann aber die Brüder mit dem Hinweis, sie seien um diese Zeit nicht mehr am Leben gewesen 37. Nun steht aber fest, daß sie noch lebten, als Helena geraubt wurde. Da sollen sie auf Agamemnon gewartet haben, der zehn Jahre benötigte, um ein Heer zu sammeln, statt sofort die Verfolgung aufzunehmen, um die Schwester womöglich noch unterwegs einzuholen oder andernfalls mit ihren eigenen Leuten den Krieg zu beginnen? (72) Sie waren doch auch unverzüglich gegen Theseus gezogen, einen Griechen, der alle anderen überragte, dazu über ein großes Volk herrschte, Herakies und Peirithoos zu Freunden, die Thessalier und Boiotier zu Verbündeten hatte. Gegen Paris aber wären sie nicht gezogen, sondern hätten zehn Jahre lang auf die Atriden gewartet, bis die endlich ihre Streitmacht zusammenhatten ? Man hätte wohl auch erwarten können, daß Tyndareos selbst mitgezogen wäre und sein Alter ihn nicht gehindert hätte. (73) Denn er war nicht älter als Nestor oder Phoinix, und er als der Vater hätte doch wohl mehr Grund gehabt, empört zu sein, als jene beiden. Aber weder er selbst noch seine Söhne zogen mit, und von dem ganzen Unternehmen wollten sie nichts wissen. Der Grund: Mit vollem Einverständnis hatten sie Helena aus dem Haus gegeben und Paris wegen der Größe seines Reiches und wegen seines männlichen Auftretens allen anderen Freiern vorgezogen, denn er war nicht schlechter als jeder andere. Weder sie selbst also noch irgendein Lakedaimonier zog in den Krieg, und auch das ist freie Erfindung, daß Menelaos die Spartaner befehligt und noch zu Lebzeiten des Tyndareos über Sparta geherrscht haben soll. (74) Denn es wäre doch sonderbar, wenn Nestor weder vorher noch nach seiner Rückkehr von Troia im Hinblick auf sein Alter den Söhnen Macht und Gewalt überlassen, Tyndareos aber dem Menelaos Platz gemacht hätte. Auch das stellt sich als große Unwahrscheinlichkeit heraus.

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[II,74-78

Als nun dieAchaierangekommen waren, wurden sie zunächst an der Landung gehindert, und Protesilaos, der sie erzwingen wollte, fand mit vielen anderen den Tod. Deshalb segelten sie zur Chersones hinüber, nachdem sie die Toten während eines Waffenstillstandes aufgenommen hatten, und bestatteten dort Protesilaos. Nach einigen Fahrten hin und her gelang ihnen dann eine Landung, und sie zerstörten einige kleinere Städte. (75) Paris aber brachte mit Hektors Unterstützung alles Volk vom Land in die Stadt, und nur die kleinen Städte an der Küste überließ er ihrem Schicksal, da er nicht überall helfen konnte. Dann segel ten die Feinde wieder zu ihrem Ankerplatz, landeten unbemerkt bei Nacht und zogen aus Furcht vor Hektor und seinen Troianern Wall und Graben um das Schiffslager. So trafen sie Vorbereitungen, als wenn sie selbst belagert werden sollten. (76) Während nun die Ägypter Homer in den anderen Punkten recht geben, streiten sie seine Behauptung von der Vollendun g der Mauer ab, und zwar deswegen, weil er später ApolIon und Poseidon die Flüsse über sie hereinbrechen und sie fortspülen läßt 38 • Die glaubwürdigste Erklärung dafür ist, daß die Fundamente der Mauer überflutet wurden, denn auch heute noch versumpfen die Flüsse die Gegend und haben weit bis ins Meer hinein Schlick abgelagert. (77) In der folgenden Zeit brachten die Griechen den Feinden Verluste bei und hatten auch selbst Verluste; zu offenen Feldschlachten aber kam es nur selten, weil sie sich der Menge und der Tapferkeit der Belagerten wegen der Stadt nicht zu nähern wagten. Plänkeleien und Raubzüge von seiten der Griechen waren an der Tagesordnung, und auf diese Weise fanden Troilos, noch ein Knabe, Mestor 39 und mehrere andere den Tod. Achilleus war nämlich ein Meister des Hinterhalts und nächtlichen Überfalls. (78) So hätte er auch den Aineias, den er auf dem Ida überraschte, beinah getötet wie manchen anderen im Flachland, und einige schlecht bewachte Kastelle konnte er

XI.78--81]

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einnehmen. Die Achaier waren nämlich keineswegs die Herren des Landes, sondern besaßen nur den platz Hir ihr Lager. Der Beweis: Troilos hätte niemals außerhalb der Mauern, und zwar weit vor der Stadt, seine Übungen machen können,noch hätten die Griechen auf der Chersones das Land bestellt 40, was alle einstimmig behaupten, oder sich aus Lemnos Wein geholt 41 , wenn sie die Troas innegehabt hätten. (79) Als es aber im Verlauf des Krieges schlecht um die Achaier bestellt war und sich keine ihrer Hoffnungen erfüllte, statt dessen aber immer mehr Verbündete den Troern zuströmten, da bedrängten sie auch noch Hunger und Pest, und unter den Führern brach Streit aus, was die Regel ist bei Leuten, die keinen Erfolg haben, nicht bei Überlegenen. (80) Das gibt auch Homer zu, denn er kann nicht in allem die Wahrheit verbergen. So erzählt er, wie Agamemnon eine Versammlung der Griechen einberief, um das Heer wieder heimzuführen, offenbar doch, weil es unzufrieden war und nach Hause wollte, und wie dann der Haufe zu den Schiffen stürmte 4'. Nestor und üdysseus konnten ihn nur mit Mühe zurückhalten, indem sie sich auf eine alte Prophezeiung beriefen und erklärten, man müsse nur noch eine kurze Zeit durchhalten 43. (81) Und doch hatte Agamemnon an einer früheren Stelle von dem Seher, von dem die Prophezeiung stammte, behauptet, er habe noch nie etwas Wahres vorhergesagt 44 • Bis hierher hat Homer im Gang der Ereignisse die Menschen offensichtlich kaum zum besten gehalten, sondern folgt noch in etwa den Begebenheiten mit Ausnahme des Helenaraubes, von dem er aber nicht selbst als einer Tatsache erzählt. Vielmehr läßt er Hektar dem Paris Vorhai tun gen machen 45, Helena vor Priamos klagen 46 und Paris selbst bei seinem Zusammensein mit Helena davon sprechen 47. Aber es hätte deu t1icher als alles andere und mit dem größten Nachdruck gesagt werden müssen.

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[II,81-85

Die zweite Ausnahme ist der Zweikampf. (82) Da Homer nicht gut sagen konnte, Menelaos habe den Paris getötet, er. weist er ihm eine nichtige Gunst und spricht ihm einen lächer. lichen Sieg zu, indem er das Schwert des Menelaos zerbrechen läßt. Konnte Menelaos denn nicht das Schwert des Paris neh. men, wo er doch stark genug war, den Lebenden mitsamt sei. ner Rüstung zu den Achaiern hinüberzuziehen? Hatte er es da nötig, ihn mit dem Helmriemen zu würgen 48 ? (83) Erfunden ist auch der Zweikampf zwischen Aias und Hektor mit seinem geradezu albernen Ende. Auch hier siegt Aias, aber es erfolgt nichts weiter, als daß man wie unter Freun. den Geschenke austauscht 49 • Danach endlich erzählt Homer, was wirklich geschehen ist: Niederlage und Flucht der Achaier, Hektors Heldentaten und die Unmenge der Gefallenen. Das zu erzählen hatte er ja auch versprochen, wenn auch gewissermaßen widerstrebend undim Blick auf die Genugtuung für Achilleus so • (84) Doch nennt er die Stadt «von den Göttern geliebt» und läßt Zeus unverhohlen sagen, er liebe I1ion von allen Städten unter der Sonne und Priamos und sein Volk am meisten SI. Als sich dann das Blatt gewendet hatte, wie man sagt, da sollte Zeus seinen Sinn so voll· kommen geändert haben, daß er die am meisten geliebte Stadt so elend untergehen ließ? Und das nur wegen des Vergehens eines einzigen Mannes, wenn es überhaupt ein Vergehen war? Trotzdem kann Homer die Taten Hektors nicht unerwähnt lassen: wie er siegt und die Feinde bis zu den Schiffen verfolgt und alle Helden vor ihm zittern. Da vergleicht er ihn mit Ares, da sagt er, seine Kraft sei wie die des Feuers, und keiner wagt es, ihm zu widerstehen, weil ApolIon ihm zur Seite steht und Zeus von oben mit Sturm und Donner Zeichen gibt 52 • (8S) Das alles will Homer nicht so eindeutig sagen, aber da er einmal angefangen hat, die Wahrheit zu berichten, läßt sie ihn nicht mehr los: Es folgt jene furchtbare Nacht und die Niederge.

11,85-88]

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schlagenheit im Lager 53, Agamemnons schreckliche Angst und sein Klagen 54, ferner die nächtliche Versammlung, in der man sich wegen der Flucht berät, und schließlich die inständigen Bitten an Achilleus, ob er nicht helfen könne 55. (86) Für den folgenden Tag gönnt Homer Agamemnon eine Reihe unergiebiger Heldentaten, ebenso dem Diomedes, OdysseuS und Eurypylos, und er erzählt, mit welchem Einsatz Aias kämpft. Unmittelbar danach aber läßt er die Troer die Oberhand gewinnen und Hektor die Feinde zu der Griechenmauer und den Schiffen drängen 56. Damit sagt er offensichtlich, was wirklich geschehen ist, von den Tatsachen selbst dazu genötigt. Sooft er aber die Achaier rühmt, ist er außerordentlich verlegen, und jedermann ist klar, daß er frei erfindet. So läßt er Aias zweimal den Hektor besiegen, einmal im Zweikampf5 7 , dann mit einem Stein 58, aber· beidemal ohne Erfolg. Ferner siegt Diomedes über Aineias 59 , aber auch er richtet nichts weiter aus, als daß er die Rosse einfängt, was niemand bestreiten wird. (87) Und da Homer nicht weiß, was er den Griechen gutschreiben soll, läßt er Ares und Aphrodite von Diomedes verwundet werden 60. Mit all dem beweist er eindeutig seine Vorliebe für die Griechen und die Absicht, sie herauszustreichen. Da er aber nichts hat, was er an Tatsachen bringen kann, verfällt er aus purer Verlegenheit auf unmögliche und gottlose Dinge - ein Schicksal, das er mit allen Widersachern der Wahrheit teilt. (88) Ganz anders dagegen bei Hektor. Da ist Homer nicht so verlegen, was er von ihm Großes und Rühmenswertes sagen könnte, eben weil er meiner Meinung nach Tatsachen schildert. Da fliehen alle Hals über Kopf, namentlich die Tapfersten, als weder Idomeneus noch Agamemnon noch die beiden Aias standhalten können. Nur Nestor tut es noch notgedrungen, aber auch er wird beinahe gefangengenommen 6I • Diomedes kommt ihm zu Hilfe und hält sich wacker für kurze Zeit, dann

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[II,88-g2

aber wendet er sich plötzlich zur Flucht, weil ihm angeblich Blitzschläge Einhalt gebieten 6%. (89) Schließlich wird der Graben überschritten, das Schiffslager eingeschlossen, die Tore werden von Hektor gesprengt und die Achaier bereits auf die Schiffe zurückgedrängt. Der ganze Kampf tobt um die Zelte, Aias kämpft oben von den Schiffen herab und zieht sich schließ_ lich, von Hektor verdrängt, zurück, einige Schiffe gehen in Flammen auf63 • (90) Da gibt es keinen Aineias, der von Aphro_ dite weggerafft 64, keinen Ares, der von einem Menschen verwundet wird 65, noch anderes derartig fan tastisches Zeug, Sondern nur Tatsachen mit dem Siegel der Echtheit. Nach dieser Niederlage war es den so hoffnungslos entmutig_ ten Feinden nicht mehr möglich, den Kampf wiederaufzuneh_ men oder auch nur von neuem Mut zu fassen, so daß ihnen weder Graben noch Wall etwas nützten und sie nicht einmal die Schiffe zu retten suchten. (91) Denn welche Streitmacht, welcher unbezwingliche Mann mit der Stärke eines Gottes hätte den bereits Verlorenen noch zur Rettung erscheinen können? Das Häuflein Myrmidonen, was war das schon im Vergleich zum ganzen Heer! Oder die Kraft des Achilleus! Sicher zog er damals nicht zum erstenmal in den Kampf, sondern war schon häufig in den vielen vorausgegangenen Jahren mit den Feinden aneinandergeraten. Aber er hatte weder Hektor getötet noch sonst eine große Tat vollbracht - außer daß er Troilos, der noch ein Kind war, erschlagen hatte 66 ! (92) Aber an diesem Punkt angekommen, kümmert sich Homer überhaupt nicht mehr um die Wahrheit, sondern geht in seiner Unverschämtheit bis zum äußersten, verdreht alle Tatsachen ins Gegenteil und stellt sie geradezu auf den Kopf, voller Verachtung für die Menschen, weil er sie in allen anderen und besonders auch in religiösen Dingen außerordentlich leichtgläubig fand. Außerdem gab es keine anderen Dichter oder Schriftsteller, bei denen man die Wahrheit hätte lesen

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können, vielmehr war er der erste, der über dieses Thema zu schreiben unternahm, und er schuf sein Werk viele Generationen später, als diejenigen, die Bescheid wußten, und ihre Nachkommen schon längst tot waren und sich nur noch, wie bei Ereignissen der frühesten Vorzeit nicht anders zu erwarten, eine dunkle, unsichere Kunde erhalten hatte. Dazu kam, daß sich Homer mit seinen Werken an die Menge des Volkes wenden wollte, und bei der Gelegenheit stellte er die Sache der Griechen in ein besseres Licht, damit auch orientierte Leute ihm nicht widersprächen. (93) So brachte er es denn fertig, das Gegenteil von dem, was wirklich geschehen war, zu erzählen. Als Achilleus beim Angriff auf die Schiffe, in erster Linie der Not gehorchend und um sich selbst zu retten, Hilfe brachte, wandten sich die Troer zur Flucht und zogen sich schleunigst von den Schiffen zurück. Und weil Achilleus so plötzlich über die Feinde hergefallen war, konnte auch das Feuer gelöscht werden. Die Troer wichen also, und auch Hektor zog sich aus dem engen Raum um das Lager hinter den Graben zurück, wenn auch bedachtsam Schritt für Schritt, wie Homer selbst versichert 67 • (94) Als sie dann wieder aneinandergerieten und der Kampf von neuem entbrannte, da zeichnete sich Achilleus mit seinen Mannen ganz besonders aus und tötete viele Troer und Verbündete, vor allem auch den Sarpedon 68 , der als Sohn des Zeus galt und König der Lykier war. An der Furt des Flusses gab es ein großes Gemetzel unter den weichend~n Feinden 69 , aber trotzdem flohen sie nicht kopflos, sondern leisteten immer wieder von nettem Widerstand. (95) Hektor währenddessen, außerordentlich erfahren, den günstigsten Augenblick im Kampf ausfindig zu machen, war auf der Hut und vermied einen Kampf mit Achilleus, solange der noch unverbraucht war und mit frischen Kräften focht; er beschränkte sich darauf, den anderen Mut zu machen. Dann aber beobachtete cr, daß Achilleus allmählich erschöpft war

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und einen großen Teil seines anfänglichen Ungestüms ver_ loren hatte, da er während des Kampfes mit seinen Kräften nicht haushielt; daß das unvorsichtige Durchwaten des ange_ schwollenen Flusses ihn entkräftet und Asteropaios, der Sohn des Paion, ihn verwundet hatte 70; daß Aineias mit ihm hand_ gemein geworden war und der Kampfsich eine Weile hinzog, bis Aineias sich ohne Risiko zurückzuziehen entschloß; daß Achilleus schließlich den Agenor bei der Ve~folgung nicht einholen konnte 71 , obwohl er, der als der Schnellste galt, sich gerade im Verfolgen besonders auszeichnete. (96) Da war ihm, dem erfahrenen Krieger, klar, daß AchilIeus aus alI diesen Gründen leicht zu besiegen sei. Deswegen ging er ihm mitten in der Ebene mutig entgegen. Zunächst wich er immer wieder aus, wie wenn er fliehen wollte, um Achilleus auf die Probe zu stellen und ihn gleichzeitig zu ermüden, bald verharrend, bald flüchtend. Als er aber merkte, daß sein Gegner langsamer wurde und der Abstand sich vergrößerte, da wandte er sich um und stürzte sich auf ihn, der nicht einmal mehr seine Waffen halten konnte, tötete ihn im Kampf und nahm ihm die Waffen ab. Auch das bestätigt Homer 7'. Ferner sagt er, daß Hektor die Pferde wohl verfolgt habe, aber nicht habe einholen können 73, obwohl auch sie eingefangen worden sind. (97) Den Leichnam nun retteten die beiden Aias mit knapper Not zu den Schiffen, denn die Troer, aufatmend und im Glauben, der Sieg sei ihnen nunmehr sicher, machten sich nur recht träge an die Verfolgung. Hektor aber, der sich die berühmte Rüstung Achills angelegt hatte, setzte Gemetzel und Verfolgung fort, bis er ans Meer gekommen war, gen au wie Homer berichtet. Und nur die hereinbrechende Nacht verhinderte, daß alle Schiffe in Flammen aufgingen. Angesichts dieser Tatsachen konnte Homer die Wahrheit nicht verheimlichen. So läßt er Patroklos in der Rüstung des Achilleus mit den Myrmidonen in den Kampfziehen und von

Il,97-ror)

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Hektor erschlagen werden und bringt auf diese Weise Hektor in Besitz von Achills Waffen. (98) Und doch, wo das Lager in so großer Gefahr war, die Schiffe bereits brannten und die Gefahr Achilleus unmittelbar auf den Leib gerückt war, wo er Hektor rufen hörte, keiner könne es mit ihm aufnehmen, Zeus stehe ihm bei und lasse ihm günstige Zeichen zuteil werden wie konnte in dieser Lage er, der beste Krieger, im Zelt bleiben, wenn er wirklich die Achaier retten wollte, und den ihm weit Unterlegenen schicken? Und dabei gibt er ihm noch den Auftrag, mit Macht auf die Troer einzudringen und sie zurückzuschlagen, aber ja nicht mit Hektor zu kämpfen 74. Wie wenn es noch in seiner Hand stünde, sich den Gegner auszusuchen, wenn er erst einmal zum Angriffübergegangen ist! (99) Wenn Achilleus eine so geringe Meinung von Patroklos hatte und ihm nichts zutraute 75 , wie konnte er ihm da seine Soldaten, seine Rüstung und seine Pferde anvertrauen? Nur wer es darauf angelegt hat, alles zu verlieren, kann so schlecht in seinen eigenen Angelegenheiten beraten sein. Dann betet Achilleus zu Zeus, er möge Patroklos mit allen Waffen und Gefahrten wieder zurückkehren lassen 76 , nachdem er dumm genug gewesen ist, ihn gegen einen stärkeren Mann auszuschicken, dessen Herausforderung an die besten Krieger keiner hatte annehmen wollen, (100) vor dem selbst Achilleus Angst hatte und einen Kampf mit ihm vermied, wie Agamemnon unmißverständlich erklärt7 7 • Durch einen solchen Entschluß also läßt Horner ihn seinen Freund und viele seiner Soldaten verlieren, dazu die Waffen und beinah auch noch die Pferde. Um so etwas zu tun, hätte Achilleus von Sinnen sein müssen, und selbst dann hätte Phoinix ihn gewiß daran gehindert. Aber, sagt Homer, Achilleus wollte nicht so schnell die Gefahr von den Achaiern abwenden, nicht bevor er seine Ehrengabe zurückbekommen habe 78 , und überdies war sein Zorn noch nicht verraucht. (101) Aber was hätte ihn daran gehin-

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[II,IOI- 103

dert, in den Kampf zu ziehen und dann nach ßeliebcn weiter zu zürnen? Diesen Widerspruch empfindet auch Homer; deshalb seine Andeutung, Achilleus sei wegen einer Prophezeiung im Zelt geblieben: er werde ganz gewiß sterben, wenn er ausziehe 79 • Ganz unverblümt wirft ihm Homer also Feigheit vor. Und doch hätte Achilleus auf Grund dieser Prophezeiung nach seiner Entzweiung mit Agamemnon nach Hause fahren können. Und hatte er nicht auch von seiner Mutter eine Warnung bezüglich des Patroklos 80 vernommen, der ihm nach seinen eigenen Worten teuer war wie sein eigenes Haupt und nach dessen Tod er nicht mehr leben woHte 81 ? (102) Als er sah, daß Patroklos zu schwach war, den Speer in die Höhe zu heben, da soll er ihm auch noch die anderen Waffen, die doch vermutlich ein ähnliches Gewicht hatten wie der Speer, gegeben und nicht gefurchtet haben, Patroklos könnte sie nicht tragen? Und gerade das geschieht dann auch nach Homers Bericht während des Kampfes 82 • Alle Unwahrscheinlichkeiten aufzudecken wäre eine gewaltige Aufgabe. Einem aufmerksamen Beobachter jedoch verrät sich die Lüge von selbst, so daß es jedermann bei etwas Überlegung klar wird, daß Patroklos von Homer sozusagen untergeschoben und mit Achilleus ausgetauscht worden ist, um die Wahrheit über diesen Helden zu verheimlichen. (103) Um nun der Gefahr vorzubeugcn, jemand könnte sich nach dem Grab des Patroklos erkundigen - denn die Gräber der anderen vor Troia gefallenen Helden sind zu sehen, glaube ich -, behauptet er, von Patroklos gebe es kein besonderes Grab, vielmehr sei er mit Achilleus zusammen bestattet worden 83 • Nestor, der die Gebeine des Antilochos mit nach Hause brachte 84, wollte nicht mit ihm zusammen begraben werden, obwohl Antilochos für ihn gefallen war 85 • Die sterblichen Überreste des Achilleus aber sollten mit denen des Patroklos vermischt worden sein?

EROBERT WORDEN 20 5 Homer war es also in erster Linie darum zu tun, den Tod des Achilleus zu verschleiern, als ob er überhaupt nicht vor Troia gefallen wäre. (104) Da er die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens aber einsah - die Tradition war zu mächtig, und außerdem zeigte man das Grab des Helden -, läßt er ihn wenigstens nicht von Hektar getötet werden, sondern umgekehrt, Achilleus tötet Hektar, der doch alle Menschen bei weitem übertraf; obendrein schändet er den Toten noch und schleppt ihn bis vor die Mauern 86. Da Homer andererseits genau weiß, daß es ein Grab Hektars gibt und er von den Bürgern geehrt wurde, behauptet er, auf Geheiß des Zeus sei der Leichnam gegen ein Lösegeld zurückgegeben worden (105) und in der Zwischenzeit hätten Aphrodite und ApolIon für seine Erhaltung gesorgt 87 • Weil Homer mit Achilleus nicht weiterkam und Achilleus nun einmal von der Hand eines Troers fallen mußte - denn Homer wollte nicht auch ihn wie den Aias durch Selbstmord sterben lassen, damit niemand den Ruhm, ihn getötet zu haben, in Anspruch nehmen könne -, behauptet er, Paris habe ihn getötet 88 • Ausgerechnet er, den Homer zum schlechtesten und feigsten Troer gestempelt hat, der von Menelaos beinah gefangengenommen worden wäre 89 , der bei jeder Gelegenheit von den Griechen als «kraftloser Lanzenschwinger» und Schandfleck beschimpft wird! (I06)AlIes nur, um Hektars Ruhm zu schmälern - und doch ist erwiesen, daß er den Achilleus erschlagen hat - und seinen Tod viel erbärmlicher und unrühmlicher zu machen. Schließlich führt Homer den Achilleus, der in Wahrheit schon längst tot ist 90 , wieder vor und läßt ihn kämpfen. Da Achilleus aber keine Waffen hat- Hektar trug sie ja, und in diesem Punkt hat Homer einmal unbewußt die Wahrheit gesagt-, bringt nach seiner Darstellung Thetis von Hephaistos angefertigte Waffen 91 vom Himmel herab 9'. Es ist geradezu lächerlich, wie Achilleus ganz allein die Troer vor sich hertreibt 93 • 11,10 3- 106]

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[II,106-IOg

Die anderen Achaier hat Homer, wie wenn keiner mehr vorhanden wäre, alle vergessen. Nachdem er aber einmal diese Entstellung der Tatsachen gewagt hat, wirft er alles über den Haufen. Da läßt er sogar die Götter miteinander kämpfen 94 _ ein klares Eingeständnis, daß ihm an der Wahrheit nichts gelegen ist. (107) Die Schilderung von Achills Heldentaten ist außerordentlich schwach und unglaubhaft: wie er mit dem Fluß kämpft 9S, wie er dem Apollon droht und ihm nachsetzt 96 • Aus dem allen ist Homers Verlegenheit ersichtlich, denn wenn er erzählt, was wirklich geschehen ist, wirkt er längst nicht so unglaubwürdig und langweilig. Und als sich dann die Troer mit knapper Not in die Stadt retten, da harrt Hektor zwar, den Bitten von Vater und Mutter verschlossen, mit äußerstem Mut vor der Mauer aus; dann aber flüchtet er rings um die Stadt, obwohl er doch hätte in sie hineinlaufen können, und Achilleus, von Homer stets als der schnellste von allen Menschen gerühmt, kann ihn nicht einholen 97. (108) Die Achaier aber sehen alle zu, wie wenn sie zu einem Schauspiel gekommen wären, und niemand hilft dem Achilleus, obwohl sie doch viel Leid von Hektor erfahren haben und ihn so sehr hassen, daß sie noch in den Toten ihre Speere bohren 98 • Dann kommt Dei'phobos, besser Athene in Gestalt des Delphobos, aus der Stadt und täuscht ihn und nimmt ihm während des Kampfes den Speer weg 99 , denn Homer weiß nicht, wie er Hektor anders sterben lassen soll, und in seinem eigenen Lügennetz gefangen, schildert er den Kampf wie einen Traum. Jedenfalls gleicht die ganze Schilderung dieses Zweikampfes genau solchen unsinnigen Traumgebilden. (109) An diesem Punkt nun gibt Homer auf, nicht wissend, was er aus seinem Werk machen soll, und mit seinen eigenen Erfindungen unzufrieden. Er fügt nur noch die Leichenspiele'·· an - ebenfalls eine außerordentlich lächerliche Angelegenheit -, die von keinem Achaier bemerkte Ankunft des Königs

1I,IOg-II3]

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Priamos bei Achilleus und die Lösung von Hektors Leichnam lOl • Weder die Hilfe Memnons noch die der Amazonen, solche großen und staunenswerten Ereignisse, wagt er zu erwähnen, weder den Tod Achills noch die Einnahme Troias. (no) Vermutlich riskiert er nicht, den schon längst gefallenen Achilleus noch einmal sterben, die Unterlegenen und bereits Fliehenden siegen und die siegreiche Stadt zerstört werden zu lassen. Die Späteren aber stellten es getrost so dar, da sie nicht richtig orientiert waren und die gefälschte Überlieferung sich allgemein durchgesetzt hatte. In Wirklichkeit jedoch ereignete sich das, was ich geschildert habe. (lU) Als nun Achilleus bei der Verteidigung der Schiffe von Hektor getötet worden war, lagerten die Troer wie früher in der Nähe der Flotte, um die Achaier beobachten zu können; sie hatten sie nämlich im Verdacht, sie könnten im Schutze der Nacht abfahren. Hektor aber ging voll Freude über die letzten Erfolge in die Stadt hinaufzu seinen Eltern und zu seiner Frau. Das Kommando über das Heer übertrug er Paris. (II2) Er selbst und das troianische Volk legten sich schlafen, denn natürlich waren sie erschöpft und dachten an keine Gefahr, da alles so gut stand. Währenddessen beriet sich Agamemnon mit Nestor, Odysseus und Diomedes, und in aller Stille zogen sie dann einen Großteil der Schiffe ins Wasser; denn sie hatten ja gesehen, wie die Schiffe am Tag zuvor beinahe zerstört worden wären und sie dann keine Möglichkeit zur Flucht mehr gehabt hätten. Auch war ein nicht geringer Teil der Flotte in Flammen aufgegangen, nicht nur das Schiff des Protesilaos. Nach diesen Vorbereitungen segelten sie zur Chersones hinüber, viele Gefangene und eine ganze Menge ihrer sonstigen Beute zurücklassend. (u3) Als man bei Tagesanbruch merkte, was geschehen war, war Hektor über die Maßen aufgebracht und schimpfte Paris aus, daß er die Feinde habe aus den Händen entrinnen

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[lI, 1I3-It6

lassen. Die Troer zündeten dann die Zelte an und plünderten, was zurückgelassen worden war. Die Griechen aber, die sich in aller Ruhe beraten konnten - die Leute des Hektor hatten nämlich keine Flotte zur Verfügung, mit der sie hätten zu ihnen hinübersegeln können -, waren alle für die Heimf:1hrt, da sie sehr viele Leute und gerade die besten Helden verloren hatten. Andrerseits aber bestand die Gefahr, daß die Troer nach dem Bau einer Flotte unverzüglich nach Griechenland fuhren. (114) Aus diesem Grund waren sie gezwungen, zu bleiben und wie anfangs auf Beutezüge auszugehen. Dabei hofften sie, wenn Paris es leid sei, mit ihm Frieden schließen und in Freundschaft abfahren zu können. Sie machten es nun wie beschlossen und blieben drüben auf der anderen Seite. Um diese Zeit kamen aus Äthiopien Memnon, die Amazonen von Pontos und eine Menge anderer Verbündeter zu Hilfe. Sie hatten von den Erfolgen des Priamos und Hektor gehört, auch davon, daß die Achaier alle am Rande des Verderbens standen. Ein Teil kam aus Freundschaft, ein anderer auch aus Furcht vor der Macht der Troer, denn nicht den Unterlegenen in der Not, sondern den Siegreichen, die mit allem fertigge_ worden sind, ist jedermann bereit zu helfen. (IIS) Auch die Achaier schickten nach Hause, ob sie irgendwelche Unterstützung bekommen könnten, denn draußen kümmerte sich keiner mehr um sie. So kamen Neoptolemos, der noch sehr junge Sohn des Achilleus, und Philoktet, den man vorher wegen seiner Krankheit unbeachtet hatte liegen lassen, und andere derartig schwache und unzulängliche Ersatzkräfte von zu Hause. Nach deren Ankunft bekamen die Griechen wieder etwas Luft und fuhren von neuem nach Troia hinüber. Sie bauten eine zweite, viel niedrigere Mauer, nicht an der alten Stelle entlang der Küste, sondern weiter oben, bis wohin sie das Gelände besetzt hatten. (rr6) Ein Teil der Schiffe lag in der Nähe dieser Mauer vor Anker, der Rest blieb drüben. Da die

U,u6--I1 9]

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Griechen sich keine Hoffnungen auf einen Sieg mehr mach tell, sondern nur eine friedliche Lösung wünschten, wie ich schon sagte, führten sie den Kampf nicht mit aller Kraft, sondern ziemlich unentschlossen und waren mehr auf ihre Heimkehr bedacht. Sie beschränkten sich daher meist auf kleine Überfälle und Streifzüge. Aber als einmal bei dem Versuch der Troer, dem Feind den befestigten Platz zu entreißen, ein heftiger Kampf entbrannte, fielen Aias von der Hand des Hektor und Antilochos, der seinen Vater verteidigte, durch Memnon. (II7) Allerdings war auch Memnon selbst von Antilochos verwundet worden und starb noch unterwegs auf dem Rücktransport. Überhaupt hatten die Achaier in dieser Zeit mehr Erfolg als je zuvor: Memnon, der großes Ansehen genoß, wurde tödlich verwundet, Neoptolemos tötete vom Verdeck aus mit einem Schiffsspeer die Amazone, als sie allzu draufgängerisch zu den Schiffen hinablief, um sie in Brand zu stecken, und Paris fiel, vom Pfeil Philoktets getroffen. (I I 8) Da bemächtigte sich auch der Troer große Mutlosigkeit, und sie fragten sich, ob denn der Krieg nie ein Ende habe und welchen Vorteil ihnen überhaupt ein Sieg bringe. Auch war Priamos nach Paris' Tod ein anderer geworden und ganz von Kummer und Furcht um Hektor erfüllt. Noch viel schlimmer allerdings stand es um die Achaier, nachdem Antilochos und Aias gefallen waren. Sie schickten deshalb Gesandte wegen eines Friedensschlusses: Sie verpflichteten sich, sobald der Friede zustande gekommen und eidlich bekräftigt sei, abzuziehen und niemals mehr gegen Asien Krieg zu führen. Ebenso soll ten die Troer sich verpflichten, keinen Zug gegen Argos zu unternehmen. (U9) Hektor widersprach: sie seien weit überlegen und könnten die Mauer in einem gewaltigen Ansturm nehmen. Vor allem aber hatte ihn der Tod des Paris schwer getroffen.

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[u. II9-12t

Als nun sein Vater in ihn drang, auf sein Alter und den Tod seiner Söhne hinwies, als auch das Volk den Krieg endlich los sein wollte, da willigte er in die Friedensverhandlungen ein. Von den Achaiern forderte er Rückerstattung der Kriegskosten und eine Wiedergutmachung, da sie, ohne ein Unrecht erlitten zu haben, den Krieg begonnen, viele Jahre lang das Land verwüstet und neben zahllosen anderen tüchtigen Männern auch Paris, der ihnen nichts zuleide getan habe, getötet hätten, nUr weil er bei der Freiung bevorzugt worden sei und mit dem Einverständnis der zuständigen Leute seine Frau aus Griechenland geholt habe. (I20) Dagegen verwahrte sich Odysseus, der die Verhand_ lungen leitete, und wies daraufhin, daß sich Erfolg und Mißerfolg bei ihnen die Waage hielten. Die Schuld am Krieg schob er den Troianern zu, denn Paris habe es keineswegs nötig gehabt, wo es soviel Frauen in Asien gab, zur Brautschau nach Griechenland zu kommen und dann zum Hohn der Besten im Lande wieder abzufahren, nachdem er sich mit Hilfe seines Reichtums durchgesetzt hatte. Es sei ihm auch nicht bloß um die Werbung gegangen; sie hätten wohl gemerkt, daß er damit einen Schlag gegen die Interessen Griechenlands habe führen wollen. So solle die Sache nach so vielen Verlusten aufbeiden Seiten schließlich ein Ende haben, wo doch die Atriden durch Heirat mit den Troern verbunden und über Pelops verwandt seien. (I2I) Für die Wiedergutmachung aber hatte er nur ein Lachen übrig: Die Griechen hätten kein Geld, und auch jetzt hätten die meisten gerade wegen der Armut daheim von sich aus am Feldzug teilgenommen. Das sagte er, um die Troianer von dem Gedanken, gegen Griechenland zu ziehen, abzubringen. Wenn aber um des Anstands willen eine Buße erlegt werden müsse, so habe er sie schon gefunden. Sie wollten ihnen ein sehr schönes und wertvolles Weihgeschenk für Athene zurücklassen mit der Aufschrift: «Zur Sühne die

11,121-124]

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Achaier der Athene von Ilion». Es werde ihnen großen Ruhm einbringen und enthalte zugleich von griechischer Seite das Eingeständnis ihrer Niederlage. (122) Auch Helena forderte er auf, sich für den Frieden einzusetzen, und sie war gerne bereit, denn es tat ihr leid, daß man glaubte, die Troer hätten um ihretwillen soviel Unglück erlitten. So schlossen sie denn Frieden, und ein Vertrag zwischen Troern und Achaiern wurde aufgesetzt. Auch das hat Homer wieder zum Falschen umgebogen, obwohl er die Tatsachen kennt. Er behauptet nämlich, die Troer hätten den Waffenstillstand gebrochen. Hektor, Agamemnon und die anderen Gewaltigen hatten einander geschworen, daß weder die Griechen, solange das Geschlecht des Priamos an der Regierung sei, jemals gegen Asien ziehen sollten noch die Nachkommen des Priamos gegen die Peloponnes, gegen Boiotien, Kreta, Ithaka, Phthia oder Euboia; nur diese Länder waren ausdrücklich genannt. (123) Für die anderen wollten die Troer keinen Eid leisten, auch bestanden die Atriden nicht darauf. Nach diesen Eiden vollendeten die Achaier das Pferd, ein gewaltiges Werk, und die Troer brachten es in ihre Stadt hinauf. Da es durch die Tore nicht hineinging, rissen sie sogar einen Teil der Mauer ein, und so entstand das lächerliche Gerede, die Stadt sei mit Hilfe des Pferdes erobert worden. Nachdem auf diese Weise Frieden geschlossen war, zog das Heer ab. Hektor aber gab Helena dem Deiphobos zur Frau, der nach ihm der tapferste Priamossohn war. (124) Sein Vater starb als der glücklichste der Menschen, nur über den Tod seiner Söhne war er nicht hinweggekommen. Auch Hektor starb im hohen Alter, nachdem er viele Jahre geherrscht und sich den größten Teil Asiens unterworfen hatte, und wurde vor der Stadt begraben. Die Herrschaft aber überließ er seinem Sohn Skamandrios lo,.»

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Daß sich das so verhält, wird mir keiner abnehmen, das weiß ich genau. Es sei falsch, werden alle außer den vernünfti_ gen Leuten sagen, nicht nur die Griechen, auch ihr selbst[03. Denn falsche Verdächtigungen und jahrhundertealte Irrtümer sind außerordentlich beharrlich. (125) Aber überlegt euch doch, wie lächerlich das Gegenteil ist, und macht euch einmal frei von vorgefaßten Meinungen! In dem Pferd soll sich ein ganzes Heer versteckt haben, kein Troer soll etwas gemerkt oder auch nur Verdacht geschöpft haben, obwohl eine unfehl_ bare Seherin in der Stadt war! Nein, mit eigenen Händen haben sie die Feinde in die Stadt gebracht! Vorher, als alles besiegt war, soll ein einzelner Mann in der Lage gewesen sein, allein durch sein Erscheinen ohne Waffen, nur mit seiner Stimme Tausende von Feinden in die Flucht zu schlagen [... Und als der Waffenlose später vom Himmel neue Waffen bekommen hatte, soll er die Troer, die Sieger des Vortages, besiegt und verfolgt haben, er allein alle übrigen 7(126) Dann soll ausgerechnet er, der alle anderen so weit überragte, von dem allergrößten Hasenherz, wie die Troer selbst zugeben, getötet worden sein 7 Während der eine fiel, sei der andere seiner Waffen beraubt worden, und ihm allein von den HeerfLihrern sei kein eigenes Grab zuteil geworden [OS? Ein anderer der tapfersten Helden, der so viele Jahre den Krieg überstanden hatte, ohne von einem Feind erschlagen zu werden, soll im Zorn sich selbst getötet haben, obwohl er sonst als der würdevollste und sanftmütigste unter den Verbündeten galt'°6? (127) Und schließlich soll der Dichter bei seinem Vorhaben, den Troianischen Krieg zu schildern, das bedeutendste und großartigste Ereignis ausgelassen und die Einnahme der Stadt nicht beschrieben haben [07 7 Das folgende findet sich in den Dichtungen und in dem, was man sich erzählt. Nach den vorhergegangenen Niederlagen der Griechen - es war nicht nur eine, und nicht nur die ande·

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21 3

ren, auch Achills eigene Leute waren davon betroffen - war Achilleus allein übriggeblieben und ftihrte einen solch gewaltigen Umschwung der Lage herbei: Er tötete den Hektor, wurde dann aber selbst von Paris, nach dem Urteil der Troer ihrem schwächsten Mann, getroffen, und nach Patroklos' Tod zog man Achills Leichnam aus und beraubte ihn der Waffen, während Patroklos unbestattet blieb. (128) Von Aias aber gibt es ein Grab, und jedermann wußte, daß er vor Troia umgekommen war: Er entleibte sich selbst, nur weil er keinem den Ruhm gönnte, ihn getötet zu haben. Die Achaier flohen heimlich aus Asien, nachdem sie ihre Zelte angezündet hatten und der Ankerplatz von Hektor verbrannt und ihre Mauer eingenommen war. Der Athene hatten sie ein Weihgeschenk mit einer Inschrift geweiht, wie es bei den Unterlegenen üblich ist - und trotzdem haben sie Troia erobert, trotzdem war in dem hölzernen Pferd ein ganzes Heer verborgen! Und die Troer, die Verdacht geschöpft hatten und sich überlegten, ob sie das Pferd nicht verbrennen oder auseinanderschlagen sollten, taten nichts von all dem, sondern tranken und schliefen trotz Kassandras Warnung! (129) Wahrhaftig, sieht das nicht aus wie ein Traum, ein unwirkliches Lügengespinst? In dem Buch des Horus über Träume sehen die Menschen solche Gesichte: Jetzt glauben sie zu sterben und ausgeraubt zu werden, dann wieder aufzustehen und ohne Waffen zu kämpfen, bald glauben sie sich auf der Verfolgung oder im Gespräch mit den Göttern, dann begehen sie Selbstmord ohne zwingenden Grund, und so bilden sie sich auch schon einmal ein, zu fliegen oder auf dem Meer zu gehen. Deshalb könnte man treffend die Dichtung Homers eine Art Traum nennen, obendrein einen unklaren und verworrenen. (130) Außerdem verdient auch folgendes Beachtung. Nach der allgemeinen Annahme sind die Achaier aus Asien abgesegelt, als die stürmische Jahreszeit bereits eingesetzt hatte,

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[II,130-133

und deshalb ging der größte Teil der Flotte bei Euboia unter. Außerdem nahmen nicht alle den gleichen Kurs, weil das Heer und die Atriden sich nicht einigen konnten. So schloß sich ein Teil Agamemnon an, ein anderer Menelaos, ein dritter, VOn dem auch Homer in der Odyssee spricht, fuhr auf eigene Faust. Wären sie die Sieger gewesen, hätte man erwarten können, daß sie sich in einmütigem Gehorsam dem König unterordneten und daß Menelaos sich nicht unmittelbar nach dem ihm erwiesenen Dienst mit seinem Bruder entzweit hätte; wohl aber gehören alle diese Erscheinungen zu Besiegten, die sich in Not befinden. (131) Ferner zieht ein Heer, das voll Furcht auf der Flucht ist, möglichst schnell aus dem feindlichen Land ab und wagt nicht, länger zu bleiben, während ein siegreiches Heer, das zusätzlich zu seiner eigenen Stärke noch eine derartige Menge von Gefangenen und Erbeutetem besitzt, den sicher_ sten Augenblick abwartet, denn es ist Herr über das Land und mit allem reichlich versehen - aber es wartet nicht zehn Jahre, um mit knapper Not noch dem Verderben zu entrinnen. Auch das Schicksal, das die Heimkehrenden zu Hause ereilte, liefert keinen geringen Beweis für ihre Niederlage und Schwäche. (132) Den glücklichen Sieger nämlich wagt man bestimmt nicht anzugreifen, er wird bewundert und gefurchtet. Den Gescheiterten aber verachtet der Außenstehende genauso wie ein Teil der Verwandtschaft. So ist es ganz klar, daß wegen dieser Niederlage Agamemnon von seiner Frau verachtet wurde, Aigisthos Hand an ihn legte und ihn mit Leichtigkeit überwältigte, die Einwohner von Argos aber ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen und Aigisthos zum König machten, was sie niemals getan hätten, wenn er in Agamemnon den ruhmbeladenen und mächtigen Heimkehrer, den Sieger über Asien erschlagen hätte. (133) Diomedes, auch er an Kriegsruhm keinem nachstehend, wurde aus seiner Heimat verbannt, ebenso Neoptolemos, ob nun von Griechen oder anderen Leu-

11,133-136]

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2I5

ten. Nach gar nicht langer Zeit waren sie alle aus der Peloponnes vertrieben, und infolge jener Katastrophe erlosch der Stamm der Pelopiden, und die Herakliden, vorher schwach und wenig angesehen, kamen zusammen mit den Dorern ins Land. (134) Odysseus zögerte absichtlich, teils aus Scham, teils weil er der Lage daheim nicht recht traute. Deswegen konnte sich die Jugend von Kephallonia auch daranmachen, um Penelope zu werben und sein Eigentum zu verprassen. Da half ihm keiner seiner Freunde, auch nicht Nestor, der doch so nahebei wohnte. So niedergeschlagen und übel dran waren alle, die an dem Feldzug teilgenommen hatten. Hätten sie gesiegt, wären sie notwendig von jedermann gefUrchtet worden, und niemand hätte sich an ihnen vergriffen. (135) Menelaos kehrte von vornherein nicht zur Peloponnes zurück, sondern blieb in Ägypten. Für seinen Aufenthalt dort gibt es eine ganze Anzahl Beweise, auch wurde eine Provinz nach ihm benannt, was sicher nicht geschehen wäre, wenn er dorthin verschlagen worden wäre und sich nur kurze Zeit dort aufgehalten hätte. Er heiratete die Tochter des Königs und berichtete den Priestern das ganze Unternehmen, ohne etwas zu verheimlichen. (136) So ungefähr weiß das auch Homer und läßt es durchblicken, wenn er sagt, Menelaos sei nach seinem Tod von den Göttern in das elysische Gefilde versetzt worden, wo es weder Schnee noch Unwetter gibt, sondern das ganze Jahr nur Sonnenschein und milde Luft 108. Genau so aber ist das Klima in Ägypten. Auch einige spätere Dichter scheinen mir eine richtige Ahnung von den Dingen gehabt zu haben. So sagt ein Tragiker, Orestes habe Helena sofort nach ihrer Heimkehr nach dem Leben getrachtet, durch die Dazwischenkunft ihrer Brüder sei sie aber entrückt worden I09. Niemals hätte der Dichter diese Darstellung gegeben, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, daß Helena nach dem Krieg als Gattin des Menelaos in Griechenland lebte.

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[I1,I3?-I39

(I37) In solches Unheil und solche Erniedrigung sank das Schicksal der Griechen nach dem Krieg, das Glück der Troer aber nahm gewaltig zu an Stärke und Ansehen. Aineias, VOn Hektor mit einer Flotte und gewaltiger Streitmacht nach Italien geschickt, nahm das gesegnetste Land Europas in Besitz, und Helenos, der ins Innere Griechenlands vorgedrungen war, wurde König über die Molosser und Epirus in der Nähe von Thessalien. Ist es nun wahrscheinlich, daß die Besiegten in das Land der Sieger fahren und bei ihnen ein Reich gründen, oder umgekehrt die Sieger in das Land der Besiegten? (I38) Wenn ferner nach der Eroberung Troias die Leute um Aineias) Antenor und Helenos geflohen wären, hätten sie sich da nicht besser überall anderswohin gewandt als ausgerechnet nach Griechenland und Europa? Wären sie nicht zufrieden gewesen, irgendeinen Pla tz in Asien in Besi tz zu nehmen, ansta tt schnur_ stracks in das Land derer zu fahren, von denen sie vertrieben worden waren? Wie kam es denn, daß sie alle die Herrschaft antraten über keineswegs kleine und unbekannte Länder und auch Griechenland hätten in Besitz nehmen können? Daran hinderte sie nur der geleistete Eid, obwohl Helenos einen beträchtlichen Teil von Griechenland, nämlich Epirus, fur sich abschnitt, während Antenor die Heneter und das beste Land an der Adria unterwarf, Aineias die Herrschaft über ganz Italien antrat und die größte aller Städte 110 gründete. (I39) Das hätten aber wohl kaum flüchtige, in der Heimat vom Unglück geschlagene Menschen fertiggebracht. Sie wären es zufrieden gewesen, wenn ihnen ein neuer Siedlungsraum angewiesen worden wäre, erst recht, wenn man bedenkt, mit wie geringen Reserven an Besitz und Soldaten sie hätten kommen müssen, mitten durch die Feinde flüchtend, die Stadt in Flammen, alles verloren; wo es selbst für junge und kräftige Leute schwer gewesen wäre, das nackte Leben zu retten, geschweige denn mit Kindern, Frauen, Eltern und Hab und Gut abzuziehen, zumal

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die Stadt vollkommen überraschend erobert worden war und die Bürger nicht, wie gewöhnlich bei einer Kapitulation, nach und nach die Stadt verlassen konnten. Was aber in Wirklichkeit geschehen ist, war ohne weiteres möglich 111 • (140) Man erzählt, daß Hektor, als nach der Abfahrt der Achaier eine große Menge Volks in der Stadt zusammengeströmt war und keiner der Verbündeten abziehen wollte, den Aineias mit so viel Kolonisten, wie er wollte, bereitwilligst fortgesandt und am Geld nicht gespart habe. Er sah nämlich, daß Aineias unbedingt an der Herrschaft teilhaben wollte, da Priamos es ihm versprochen hatte für den Fall, daß er den Krieg zu Ende führe und die Achaier vertreibe. (141) Hektor erklärte ihm, daß er es verdient habe, zu herrschen und ein Reich zu besitzen, das dem seinigen in nichts nachstehe, daß es aber besser für ihn sei, ein anderes Land zu erobern. Es sei durchaus möglich, sich zum Herren von ganz Europa zu machen. Wenn das geschehen sei, habe er die Hoffnung, daß ihre Nachkommen über beide Kontinente herrschen könnten, solange ihr Geschlecht bestehe. (142) Auf diesen Vorschlag Hektors ging Aineias ein, denn einmal wollte er ihm zu Gefallen sein, zum anderen machte er sich Hoffnungen, ein noch größeres Reich zu erwerben. So wurde die Kolonie dank der Stärke und vernünftiger Überlegung gegründet und gleich zu Beginn, aber auch später von erfolgreichen Männern zu Macht und Ansehen gebracht. Als Antenor Aineias' Vorbereitungen sah, wollte auch er ein Reich in Europa gründen, und so wurde eine zweite Expedition ausgerüstet. Außerdem beschwerte sich Helenos darüber, daß er Delphobos gegenüber benachteiligt werde, und bat den Vater, ihm Schiffe und Soldaten zu geben. Er bekam sie und fuhr nach Griechenland, als stehe es ihm offen. Dort nahm er das ganze Gebiet in Besitz, soweit es vertraglich nicht ausgenommen war.

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(143) So kam auch Diomedes, als er während seiner Verban_ nung aus Argos von dem Unternehmen des Aineias gehört hatte, zu ihm, da ja Friede und Freundschaft unter ihnen geschlossen war. Er erzählte ihm Agamemnons und sein eigenes trauriges Geschick und bat ihn um Hilfe. Aineias hieß ihn und seine kleine Flotte willkommen und übergab ihm, nachdem er das ganze Land in seine Gewalt gebracht hatte, einen Teil des Heeres. (144) Später kamen dann die von den Dorern aus dem Land vertriebenen Achaier, die nicht wußten, wohin sie sich in ihrer Hilflosigkeit wenden sollten, nach Asien zu den Nachfahren des Priamos und Hektor als zu Freunden und Verbündeten, und man überließ ihnen in aller Freundschaft Lesbos und andere nicht geringe Landstriche zum Siedeln. Wer das infolge der al therge brach ten Annahme nich t gl au bt, soll wissen, daß er unfähig ist, sich von einem Irrtum frei zu machen und wahr und falsch zu unterscheiden. (145) Denn daß etwas von törichten Menschen lange Zeit geglaubt wird und manches Unrichtige in früheren Zeiten behauptet worden ist, beweist noch gar nichts. Auch in vielen anderen Dingen sind sich die Menschen ja nicht einig und haben widersprechende Ansichten. So zum Beispiel schon bei den Perserkriegen : Die einen setzen die Seeschlacht von Salamis nach der Schlacht bei Plataiai an, die anderen behaupten, Plataiai sei das letzte Glied in der Kette der Ereignisse gewesen I12. Und dabei sind die Ereignisse unmittelbar, nachdem sie geschehen waren, aufgeschrieben worden! (146) Die meisten Menschen nämlich wissen nichts Genaues, sie hören nur davon reden, auch wenn sie zu der betreffenden Zeit gelebt haben. Die zweite und dritte Generation aber ist überhaupt nicht mehr unterrichtet und nimmt leichtgläubig an, was man ihr vorsagt. So reden die Leute von der «skiritischen Abteilung» bei den Spartanern, nach Thukydides aber hat es sie niemals gegeben 113. Oder die Athener erweisen Harmodios und Aristogeiton größere Ehren

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als jedem anderen, als wenn sie die Stadt befreit und den Tyrannen ermordet hätten 11 4 • (147) Aber warum von menschlichen Dingen reden, wenn man einen glauben machen will und die Behauptung wagt, Uran os sei von Kronos 115 und KronOS von Zeus ll6 entmannt worden. Aber so ist es nun einmal: Bat jemand erst eine unsinnige Meinung angenommen, hält er es rur unsinnig, nicht mehr an sie zu glauben. Aber zu Homers Verteidigung will ich anführen, daß man sich seine Erfindungen durchaus gefallen lassen kann. Denn erstens wiegen sie längst nicht so schwer wie all das Unrichtige, das man sich von den Göttern erzählt. Dann waren sie flir die Griechen der damaligen Zeit von einigem Nutzen: Sie sollten gefaßt sein, wenn es, wie allgemein angenommen wurde, zum Krieg zwischen ihnen und den Völkern Asiens komme. Man kann Homer nicht verübeln, daß er als Grieche seinen Landsleuten auf jegliche Weise einen Dienst erweisen wollte. (148) Auch ist das ja eine ganz gebräuchliche Taktik. So habe ich von einem Meder erfahren, die Perser gäben den Griechen in keiner ihrer Behauptungen recht, vielmehr gelte die Annahme, Dareios habe die Expedition unter Datis und Artaphernes gegen Naxos und Eretria 117 ausgesandt und beide seien nach der Einnahme der Städte zum Großkönig zurückgekehrt. Als sie bei Euboia vor Anker lagen, seien einige Schiffe - nicht mehr als zwanzig - nach Attika abgetrieben worden, und da sei es dann zu einer Auseinandersetzung zwischen den Besatzungen und den Einheimischen dieser Gegend gekommen. (149) Danach sei Xerxes gegen Griechenland gezogen, habe die Lakedaimonier bei den Thermopylen geschlagen und ihren König Leonidas getötet, dann die Stadt der Athene erobert und zerstört und alles, was sich nicht in Sicherheit gebracht hatte, in die Knechtschaft geführt. Daraufhabe er sich die Griechen tributpflichtig gemacht und sei wieder nach Asien zurückgekehrt. Daß das alles freie Erfindung ist,

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liegt klar zutage. Weil aber damit zu rechnen war, daß der Großkönig den Völkern im Innern des Landes den Befehl zu einem Feldzug geben werde" 8 , ist diese Version nicht ganz ausgeschlossen, denn man sollte sich nicht beunruhigen. Wenn nun Homer das gleiche tut, muß man ihm das zugute halten. (ISO) Vielleicht könnte ein Unkundiger einwenden, es sei nicht recht, die Griechen so herunterzumachen. Aber darum geht es gar nicht, auch steht nicht zu befürchten, einige Völker Asiens könnten einmal einen Feldzug gegen Griechenland unternehmen, denn Griechenland und Asien haben jetzt andere Herren 11 9 • Aber die Wahrheit ist nicht gering zu veranschla_ gen. Zudem, wenn ich wüßte, daß ich mit meinen Worten Glauben fände, würde ich mich vielleicht entschließen zu sprechen. Immerhin möchte ich behaupten, die Griechen vor schwereren und ernsteren Vorwürfen in Schutz genommen zu haben. (151) Denn daß man eine Stadt nicht erobert, ist nichts Besonderes, auch nicht, daß man gegen ein Land, das einen nichts angeht, in den Krieg zieht und dann nach Friedensschluß wieder abrückt; daß ein tüchtiger Mann von einem anderen tüchtigen Mann im Kampf getötet wird, auch das ist nicht anstößig, ja mancher wäre es zufrieden, wenn er an der Schwelle des Todes mit Achilleus sagen könnte: Hätte mich Hektor erschlagen, der hier der gewaltigste Held war. 1>. (152) Wenn aber der beste Grieche von der Hand des minderwertigsten Feindes fällt l2l , dann ist das in der Tat ein schwerer Anstoß. Oder wenn ein Mann, der als vernünftig und als der beherrschteste der Griechen gilt, zuerst Schafe und Rinder niedermetzel t, wo er doch die Könige ermorden will, und dann wegen ein paar Waffen Selbstmord begeht''', das ist wahrhaftig zum Schämen. (153) Wenn ferner Astyanax, der Sohn eines edlen Mannes, auf den einstimmigen Beschluß von

11,153-12,

xl

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Beer und Königen von der Mauer geworfen wird und ein so grausames Ende findet; wenn die jungfräuliche Polyxena auf einem Grab hingeschlachtet wird und man dem Sohn der Göttin solche Grabspenden bringt"3; wenn Kassandra, die unantastbare Priesterin ApolIons, im Heiligtum der Athene, an das Bild der Göttin geklammert, geschändet wird, und zwar nicht von einem gemeinen, niedrigen Soldaten, sondern von einem der angesehensten Helden 124; (154) wenn Priamos, der hochbetagte König Asiens, der am Altar des Zeus, seines Stammvaters, verwundet niedergesunken ist, auf dem Altar erschlagen wird, wiederum nicht von einem unbedeutenden Mann, sondern vom Sohn Achills, der doch bei einer früheren Gelegenheit Priamos gastlich bei sich aufgenommen und ihm das Leben gerettet hatte 125 ; wenn Hekabe, die unglückliche Mutter so vieler Kinder, zum Hohn Odysseus übergeben und im Übermaß ihrer Leiden - was für eine lächerliche Vorstellung! in einen Hund verwandelt wird 1'6; wenn schließlich der oberste König der Griechen das dem ApolIon geweihte Mädchen, das aus Ehrfurcht vor dem Gott keiner zu heiraten gewagt hatte, als seine Frau heimfUhrt 127 und so nach der allgemeinen Annahme seinen Tod vollaufverdient hat - wieviel besser ist es da fUr die Griechen, an diese Untaten nicht begangen als Troia erobert zu haben! 12. DIE OLYMPISCHE REDE ODER VOM URSPRUNG DER GOTTESVORSTELLUNG

(I) Wahrhaftig, ihr Männer, die gleiche Erfahrung, die ich schon öfters bei anderen gemacht habe, mache ich jetzt auch bei euch. Es geh t mir nämlich ebenso seltsam und merkwürdig, wie man es von der Eule erzählt: Keineswegs klüger als die andern Vögel und nicht schöner von Aussehen, sondern genau so, wie wir sie kennen, braucht sie nur ihren klagenden und

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OLYMPISCHE REDE

alles andere als lieblichen Ruf vernehmen zu lassen - und aUe Vögel scharen sich um sie. Wenn sie ihrer n ur ansichtig werden, lassen sie sich in ihrer Nähe nieder oder flattern im Kreis um sie herum, weil sie, wie ich vermute, ihre Unscheinbarkeit und Schwäche verachten; die Leute aber sagen, daß die Vögel die Eule bewundern I. (2) Sollten sie da nicht eher den Pfau bewundern, schön und bunt, wie er ist, erst recht, wenn er voll Stolz die Pracht seines Gefieders zeigt, um sich vor dem Weibchen in die Brust zu werfen, wenn er ein Rad schlägt und es rings über sich wölbt, wie ein schönes Theater oder ein gemalter bunter Sternen_ himmel, zusammen mit seinem Leib ein Wunder zu schauen, am ehesten mit dunkelblau durchsetztem Gold vergleichbar? Und an den Enden der Federn, sieht es da nicht ganz so aus, wie wenn dort Augen oder Ringe wären? (3) Oder wenn man die Leichtigkeit seines Gefieders betrachten will: Trotz seiner Größe ist es nicht lästig und leicht zu tragen. Inmitten diesel' Pracht zeigt er sich vollkommen ruhig und gelassen den Blikken des Publikums, wie bei einem festlichen Zug sich nach allen Seiten wendend. Will er es aber erschrecken, schüttelt er sein Gefieder und läßt einen nicht unangenehmen Laut hören, wie wenn ein leichter Wind einen dichten Wald erregt. Aber nicht den Pfau in a11 seiner Pracht wollen die Vögel sehen, noch fühlen sie sich zur Nachtigall hingezogen, wenn sie früh in der Dämmerung ihre Stimme vernehmen. (4) Ja nicht einmal der Schwan ist ihnen mit seinem Gesang willkommen, wenn er in hohem Alter sein Sterbelied singt, wenn er, die Mühsale des Lebens vergessend, voller Freude sich glücklich preist und frei von Leid sich selbst, wie es scheint, zu einem schmerzlosen Tod geleitet' - selbst dann kommen sie nicht, von seinen Tönen verlockt, in Scharen herbei, am Ufer eines Flusses, auf weiter Wiese, am hellen Seegestade oder auf einem grünen Flußinselchen.

12,5-8]

GOTTESVORSTELLUNG

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(5) So macht auch ihr es. Viel Ergötzliches gibt es hier zu sehen und zu hören, gewaltige Redner, Schreiber bezaubernder Verse und Prosa, eine Menge Sophisten, so schillernd wie pfaue, stolz auf ihren Ruhm und ihre Schüler wie jene auf ihr Gefieder, und doch kommt ihr zu mir und wollt mich hören, der ich doch nichts weiß und auch nicht vorgebe, etwas zu wissen. Habe ich da nicht recht, wenn ich euren Eifer vergleiche mit dem, was sicher nicht ohne göttliche Fügung mit der Eule geschieht? (6) So ist auch der Glaube zu erklären, Athene, die schönste und weiseste Göttin, habe diesen Vogel besonders geliebt. Und auch die Kunst des Pheidias nahm sich bei den Athenern der Eule an 3: Mit der Zustimmung des Volkes hielt er sie nicht für unwert, der Göttin als Attribut beigegeben zu werden, während er Perikles und sich selbst nur versteckt auf dem Schild darstellte, wie man sagt 4 • Allerdings denke ich nicht daran, das alles für Vorzüge der Eule zu halten, wenn sie nicht auch irgendwie mehr Klugheit besäße. (7) Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb Aisopos seine Fabel gedichtet hat: Die kluge Eule riet den Vögeln, als die erste Eiche zu wachsen begann, es nicht zu dulden, sondern sie auf jede mögliche Weise zu vernichten. Sie werde nämlich eine unentrinnbare Zauberpflanze hervorbringen, der sie zum Opfer fallen müßten, die Mistel 5 • Später dann, als die Menschen Flachs säten, forderte sie dazu auf, auch diesen Samen aufzupicken, denn er werde nicht zum Besten der Vögel aufgehen 6. (8) Und drittens schließlich prophezeite sie, als sie einen Mann mit einem Bogen sah: « Dieser Mann wird euch mit euren eigenen Federn einholen 7; wenn er selbst auch zu Fuß geht, wird er euch seine gefiederten Pfeile nachsenden.}) Aber die Vögel schenkten ihren Worten keinen Glauben, hielten sie fur eine Närrin und nannten sie verrückt. Später aber, als sie es am eigenen Leib erfahren hatten, bewunderten sie die Eule und hielten sie in Wahrheit für außerordentlich klug. Des-

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OLYMPISCHE REDE

[I2,B-u

wegen fliegen sie herbei, sooft sie sich zeigt, als wüßte sie alles. Sie aber gibt ihnen keinen Rat mehr, sondern trauert nur noch. (9) Vielleicht habt ihr nun irgendein wahres Wort und einen heilsamen Rat vernommen, den die Philosophie den alten Griechen gegeben hat. Aber sie verstanden ihn damals nicht und mißachteten ihn, die Heutigen jedoch erinnern sich an ihn und kommen zu mir wegen meiner äußeren Erschei_ nung 8 • So ehren sie die Philosophie, wie die Vögel die Eule ehren, die doch in Wirklichkeit nicht spricht und schweigsam ist. Denn ich bin mir nicht bewußt, früher etwas gesagt zu haben, was der Mühe wert gewesen wäre, noch jetzt mehr zu wissen als ihr. (10) Ja, andere Männer sind weise und wahrhaft zu preisen. Wenn ihr Wert darauf legt, will ich sie euch verraten und namentlich nennen. Denn das allein, beim Himmel, betrachte ich als nützlich, die weisen, fähigen und alles wissenden Männer kennenzulernen. Wenn ihr bereit seid, euch ihnen anzuschließen und alles andere aufzugeben, Eltern und Vaterland, die Heiligtümer der Götter, die Gräber der Vorfahren, und ihnen zu folgen, wohin auch immer sie euch fUhren, oder auch zu bleiben, wo immer sie sich niederlassen, im BabyIon 9 des Ninos und der Semiramis, in Baktra oder Susa, in Palibothra oder in einer anderen berühmten und reichen Stadt, und wenn ihr sie durch Geld oder auf andere Weise gewinnen könnt, so werdet ihr glücklicher sein als das Glück höchstpersönlich. (Il) Wenn ihr aber wegen eurer Veranlagung, eurer Armut, eures Alters oder eurer Hinfalligkeit selbst nicht wollt, dann enthaltet wenigstens euren Söhnen die größten Güter nicht vor und schließt sie davon nicht aus! Wenn sie wollen, laßt sie, wollen sie nicht, versucht, sie auf alle Art zu überreden oder zu zwingen, so daß sie, trefflich erzogen und weise geworden, fortan bei allen, Griechen und Nichtgriechen, berühmt sind, ausgezeichnet durch Tüchtigkeit, Ansehen, Reichtum und geradezu jegliche Macht. Denn nicht nur «be-

I~.II-I41

GOTTESVORSTELLUNG

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gleiten den Reichtum Tüchtigkeit und Ruhm»lo, wie man sagt,sondern notwendig folgt auch Reichtum der Tüchtigkeit. (12) Das sage und rate ich euch feierlich im Angesicht dieses Gottes I \ getrieben von freundschaftlichem Wohlwollen. Sicherlich würde ich zuerst mich selbst dazu auffordern und ermuntern, wenn es mir Gesundheit und Alter noch gestatteten 12. Hinfällig aber, wie ich bin, bin ich darauf angewiesen, wenn irgend möglich bei den Alten einen gleichsam weggeworfenen und bereits schalen Rest an Weisheit ausfindig zu machen, da uns bessere noch lebende Lehrer fehlen. Ich will euch aber noch etwas anderes nennen, was ich mit der Eule gemeinsam habe, selbst auf die Gefahr hin, daß ihr mich wegen meiner Worte verlachen solltet. (13) Wie die Eule selbst keinen Nutzen hat von den Vögeln, die zu ihr herfliegen, für den Vogelfänger aber mit Abstand der nützlichste Besitz ist- er braucht kein Futter zu streuen und keine Stimme nachzuahmen, sondern nur die Eule sehen zu lassen, und schon hat er eine große Menge Vögel-, so ist auch mir der Eifer der vielen Menschen zu nichts nütze. Ich nehme nämlich keine Schüler, da ich weiß, daß ich nichts zu lehren habe, denn ich verstehe mich nicht darauf 13 ; aber zu lügen und mit Versprechungen zu täuschen, daflir fehlt mir die Kühnheit. Täte ich mich mit einem Sophisten zusammen, könnte ich ihm von großem Nutzen sein, indem ich die Menschen scharenweise zu ihm schleppe; dann überließe ich es ihm, was er mit dem Fang machen will. Aber ich weiß selbst nicht - kein Sophist will mich haben und freut sich, wenn er mich sieht. (14) Nun bin ich mir zwar so gut wie sicher, daß ihr mir die Worte über meine Unerfahrenheit und Unkenntnis glaubt, schon allein auf Grund eurer eigenen Erfahrung und Einsicht, und ich denke, nicht nur mir, auch dem Sokrates werdet ihr wohl Glauben schenken, der in aller Öffentlichkeit dieselben Gründe fur sich geltend machte, daß er nämlich nichts wisse.

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OLYMPISCHE REDE

Den Hippias, Polos und Gorgias aber, von denen jeder sich selbst am meisten bestaunte und in Ehrfurcht vor sich erstarrte, würdet ihr wohl für weise und glücklich halten. (15) Trotzdem sage ich euch ganz offen, daß ihr, eine solch große Menge, voll Eifer seid, einen Mann anzuhören, der wedel' schön von Gestalt noch kräftig ist, dessen beste Jahre bereits vorbei sind, der keinen Schüler hat, der eigentlich kein Können oder Wissen verspricht, weder in den höheren noch in den niedrigeren Dingen, keine Seherkunst, keine Sophistenkunst, ja nicht einmal die Redekunst oder die Fertigkeit im Schmeicheln, der kein guter Schriftsteller ist und nichts aufzuweisen hat, was Lob und Einsatz verdiente - er hat nur langes Haar.

Scheint es euch aber geratener, so zu handeln, und besser,' 4 (16) so will ich mich danach richten und es versuchen, so gut es in meinen Kräften steht. Freilich werdet ihr keine Worte zu hören bekommen wie von einem anderen Mann unserer Tage, sondern viel schlechtere und merkwürdigere, wie ihr jetzt schon seht. Kurz und gut, ihr müßt mir gestatten, dem nachzugehen, was mir gerade in den Sinn kommt, und ihr dürft nicht unwillig werden, wenn ihr findet, daß ich in meinen Ausführungen ziellos umherstreife, geradeso wie ich auch die vergangene Zeit auf Wanderschaft verbracht habe. Vielmehr müßt ihr mit mir Nachsicht haben, denn ihr hört einen Laien, der eben gerne spricht's. Denn ich komme gerade von einer langen Reise, direkt von der Donau und dem Land der Geten oder Myser, wie Homer das Volk mit der heute noch üblichen Bezeichnung nennt l6 • (17) Aber ich machte diesen Weg nicht als Kaufmann mit Waren noch als einer vom Heerestroß, als Lastträger oder Viehtreiber; auch nahm ich nicht an einer Gesandtschaft zu Verbündeten teil oder an einer Gratulationscour, bei der die Teilnehmer nur mit dem Mund gemeinsam beten. Ich machte den Weg unbewaffnet und ohne Helm oder Schild oder Larne/ 7

..,'7-2']

GOTTESVORSTELLUNG

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auch trug ich keine andere Waffe. (I8) Darum wunderte ich mich, wie die Leute meinen Anblick ertrugen. Denn ich kann nicht reiten, bin weder ein brauchbarer Bogenschütze noch ein rechter Schwerbewaffneter, ja ich bin nicht einmal Speerwerfer oder Steinschleuderer bei den Leichtbewaffneten, die keine schweren Waffen mit sich führen; ich kann nicht Holz fällen, keinen Graben ausheben, nicht einmal Gras mähen auf der Wiese eines Feindes, «oft mich umwendend» 18, kein Zelt aufschlagen, keinen Wall aufschütten, wie es gewiß die zum Kampf nicht tauglichen Troßknechte können, die in einem Heer mitziehen. (I9) In all dem also unbewandert, kam ich zu Männern, die nicht dem Müßiggang huldigten und keine Zeit hatten, sich schöne Reden anzuhören, sondern in Spannung und Unruhe waren wie Rennpferde in den Schranken, wenn die Zeit ihnen zu lang wird und sie vor lauter Ungestüm und Erregung den Boden mit den Hufen schlagen. Da sah man überall Schwerter, überall Panzer, überall Speere, da wimmelte es von Pferden, von Waffen, von Bewaffneten 19. Mutterseelenallein erschien ich unter solchen Scharen, vollkommen unbekümmert, ein außerordentlich friedlicher Beobachter des Krieges. (20) Von schwacher Gesundheit und an Jahren schon vorgerückt, hatte ich nicht mit einem «goldenen Stab in der Hand» oder der heiligen Binde eines Gottes um den Kopf einen notwendigen Gangins Lager gemacht, um die Tochter freizubekommen 20, sondern mich hatte der Wunsch getrieben, Männer kämpfen zu sehen, auf der einen Seite um Herrschaft und Mach t, auf der anderen für Freiheit und Vaterland. Dann wandte ich mich hierher zu euch, nicht aus Angst vor der Gefahr das soll ja keiner denken! -, sondern eines alten Gelübdes eingedenk, denn das Göttliche hielt ich stets für gewaltiger und vordringlicher als das Menschliche, wie wichtig das auch sein mag. (2I ) Was gefallt euch nun besser, und was hai tet ihr für passender? Daß ich euch von dort erzähle, von der Größe des Flus-

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OLYMPISCHE REDE

[12,21- 2 5

ses und der Natur des Landes, von den Jahreszeiten und ihrem Klima, von dem Menschenschlag, dann auch wohl von der Zahl und Lebensweise der Bevölkerung? Oder soll ich mir lieber die ältere und bedeutendere Geschichte von diesem Gott hier, VOr dessen Tempel wir uns jetzt versammelt haben, vornehmen? (22) Denn er ist ja Menschen und Göttern gemeinsam König und Herrscher, Fürst und Vater, dazu Herr über Krieg und Frieden, wie schon die kundigen und weisen Dichter früherer Zeiten angenommen haben. Wenn nur meine Kräfte reichen, sein Wesen und seine Macht in einer kurzen Rede zu preisen! Aber sie vermag den bei einem solchen Thema geforderten Ansprüchen doch nicht zu genügen. (23) Soll ich nun wie Hesiod, der treffliche Freund der Musen, beginnen? Voller Bedachtsamkeit wagt er nicht, mit seinen eigenen Gedanken anzufangen, vielmehr ruft er die Musen an, von ihrem Vater zu erzählen. Jedenfalls steht ein solches Lied den Göttinnen besser an als die Aufzählung der zum größten Teil unbekannten Männer, die nach Ilion kamen, und der Schiffsruderbänke, alles der Reihe nach 2I • Weiser und besser ist der Dichter, der wie folgt Hilfe fur sein Werk erbittet: (24) Musen Pieriem, die ihr rühmet mit euren Gesängen, kommt zu mir und singet von Zeus und preist euren Vater! Durch ihn sind alle Memchen, gleich oh herühmt oder ruhmlos, unbekannt oder bekannt, nach des Zeus, des gewaltigen, Wille'l. Leicht nämlich macht er stark, doch leicht auch stürzt er das Starke, leicht läßt den Hohen er sinken, den Niedrigen aher erhebt er, leicht macht er grad das Krumme, und Mannesstoh läßt er dörren, Zeus, der donnert hoch drohen, der wohnt in den höchsten Palästen." (25) So antwortet nun, ihr Söhne von Elis, und sagt, ob Rede und Gesang zu unserer Versammlung passen. Denn ihr seid die

12,'5-28]

GOTTESVORSTELLUNG

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Herren und Leiter dieses Festes, die Aufseher und Wächter über alles, was hier getan und gesagt wird. Oder sollen, die hier zusammenkamen, nur Betrachter sein von all den wunderbaren, hochberühmten Sehenswürdigkeiten, ganz besonders aber von der Verehrung dieses Gottes und von seinem wahrhaft segensreichen Standbild, das eure Vorfahren mit einem Aufwand ohnegleichen und mit vollendeter Kunstfertigkeit geschaffen und geweiht haben, von allen Bildern, die es auf Erden gibt, das schönste und dem Gott liebste? Wie es heißt, hat sich pheidias dazu jene Stelle aus Homer zum Vorbild genommen, wo der Gott mit einem leichten Wink der Augenbrauen den ganzen Olymp erschüttert. (26) Homer hat es sehr plastisch und suggestiv in seinen Versen dargestellt: Sprach's, und es nickte mit dunklen Brauert der Sohn des Kronos, göttliche Locken wallten herab vom unsterblichen Haupt des Herrschers, und es erbebte darunter der große Olympos.'3 Oder sollten wir nicht, zumal ihr es im Augenblick mit einem Philosophen zu tun habt, gerade diese beiden Bereiche, die Dichtkunst und die sakrale bildende Kunst, noch sorgfältiger prüfen, natürlich auch die Frage, ob es etwas gibt, das die menschliche Vorstellung von einem göttlichen Wesen irgendwie formt und prägt? (27) Von dem Wesen der Götter im allgemeinen und von dem Wesen des Lenkers des Alls im besonderen hat ursprünglich und an erster Stelle das ganze Menschengeschlecht eine Vorstellung und einen Begriff, die Griechen genauso wie die Nichtgriechen. Notwendig sind sie jedem vernunftbegabten Wesen eingeboren, auf natürliche Weise ohne einen sterblichen Lehrer und ohne die Täuschung eines Mysterienpriesters entstanden auf Grund der Verwandtschaft von Mensch und Gott und der zahlreichen Beweise dieser Wahrheit, die schon in den allerersten Zeiten die Menschen nicht schläfrig und gleichgültig werden ließen. (28) Denn da diese Menschen nicht weit weg

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OLYMPISCHE REDE

[12,28-30

oder außerhalb des Göttlichen für sich allein wohnten, sondern mitten in ihm oder, besser, in der Gemeinschaft mit ihm aufwuchsen und auf jegliche Weise mit ihm in Berührung kamen, konnten sie auf die Dauer nicht ohne Einsicht bleiben, zumal sie das Vermögen, sich das Göttliche vorzustellen und zu begreifen, mitbekommen hatten. Allenthalben waren sie umstrahlt von den göttlichen und gewaltigen Erscheinungen des Himmels und der Sterne, von Sonne und Mond, die sich bei Tag und bei Nacht in immer neuen, mannigfaltigen Formen darboten. Sie sahen unbegreifliche Visionen, hörten die verschiedensten Stimmen von Winden und Wäldern, von Flüssen und Meeren, auch von zahmen und wilden Tieren. Sie selbst gaben einen sehr angenehmen, klaren Laut von sich und hatten ihre Freude an dem stolzen und verständigen Ton der menschlichen Stimme. Alle Gegenstände, die sie wahrnahmen, versahen sie mit einem Zeichen, so daß sie alles Wahrgenommene benennen und ausdrücken konnten und so mit Leichtigkeit von unendlich vielen Dingen eine Erinnerung und Vorstellung bekamen. (29) Wie hätten sie da unwissend bleiben können, ohne jede Ahnung von dem, der sie gesät und gepflanzt hatte, der sie am Leben erhielt und ernährte? Waren sie doch überall erfüllt von der göttlichen Natur, durch Augen und Ohren, überhaupt durch ihre ganzen Sinne. Sie wohn ten auf der Erde, sahen vom Himmel das Licht und hatten reichlich zu essen, weil der Gott, ihr Stammvater, in Hülle und Fülle für sie sorgte. (30) Die ersten Menschen, selbst der Erde entsprossen, bekamen zunächst ihre Nahrung aus der Erde, da die Erdkrume zu dieser Zeit noch weich und fett war; wie an der Mutterbrust saugten sie an der Erde, wie auch jetzt noch die Bäume die Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen. Die Nahrung der folgenden Generation waren wilde Früchte und zartes Gras, dazu süßer Tau und Qgellwasser der Nymphen. Sie lebten immer in der frischen Luft und nährten sich von ihrem unaufhörlichen

x~.3O-331

GOTTESVORSTELLUNG

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Zustrom, die feuchte Luft einsaugend wie kleine Kinder, und niemals ging ihnen die Milch aus, da sie sozusagen immer an der Brust lagen. (3 I) Vielleicht aber tun wir gut daran, diese Ernährungsweise als die ursprüngliche, der ersten und zweiten Generation gemeinsame anzunehmen. Denn wenn das Neugeborene, noch träge und schwach, den Mutterleib verlassen hat, nimmt es die Erde, seine wahre Mutter, wohl auf, die Luft aber weht es mit einem belebenden Hauch an und weckt es alsbald durch eine Nahrung, die noch flüssiger ist als Milch, und ermöglicht ihm den ersten Schrei. Mit gutem Recht könnte man also sagen, daß die Natur den Neugeborenen zuerst die Luft als Brust reicht. (32) Wenn die Menschen später begreifen, was ihnen widerfahren ist, können sie nicht umhin, die Gottheit zu bewundern und zu lieben. Dann nehmen sie wahr, wie die Jahreszeiten zu unserm Besten mit großer Genauigkeit eintreten und jede Überschreitung nach der einen oder anderen Seite vermeiden. Und schließlich haben ihnen die Götter vor den anderen Lebewesen den Vorzug gegeben, sich einen Begriff von ihnen machen und über sie nachdenken zu können. (33) Es ist ungefähr so, wie wenn jemand, ein Grieche oder ein Ausländer, zur Einweihung in den Mysterienkult an einen heimlichen, abgeschiedenen Ort von übernatürlicher Schönheit und Größe gebracht würde. Dort sieht er viele mystische Erscheinungen und hört viele mystische Stimmen. Abwechselnd wird es hell und dunkel umihn her' 4, und zahllose andere Dinge geschehen, bis die Weihepriester schließlich, wie es bei dem sogenannten Thronismos' 5 üblich ist, die Novizen auf einen Stuhl setzen und im Kreis um sie herumtanzen. Ist es da wahrscheinlich, daß dieser Mann vollkommen un gerührt bleibt und nicht ahnt, daß all diese Geschehnisse das Ergebnis klugen Vorbedachts und sorgfältiger Vorbereitung sind, selbst wenn er aus dem fernsten und unbekanntesten Ausland käme und niemand zur Hand wäre, der ihm die Zeichen deuten und er-

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OLYMPISCHE REDE

[I2.33-36

klären könnte - wenn er nur eine menschliche Seele hat? (34) Oder sollte das undenkbar sein, das ganze Menschengeschlecht insgesamt aber, das die vollkommene und wahrhaft höchste Weihe erhalten hat - nicht in einem kleinen Gebäude, das die Athener für eine geringe Anzahl errichtet haben 26, sondern in diesem Weltall, diesem kunstreich und klug ausgedachten Bau, in dem jeden Augenblick unzählige Wunder geschehen, Wo nicht Menschen, die mit den Einzuweihenden auf der gleichen Stufe stehen, sondern unsterbliche Götter Sterbliche einwei_ hen und, wenn ich so sagen darf, mit Tag und Nacht, mit dem Licht der Sonne und der Sterne in alle Ewigkeit geradezu umtanzen - das ganze Menschengeschlecht sollte für das alles kein Auge, kein Organ haben, zumal für den obersten Lenker des Alls, der den ganzen Himmel und die ganze Welt leitet, wie ein geschickter Steuermann sein vollkommen und tadellos ausgerüstetes Schiff steuert? (35) Daß bei den Menschen so etwas möglich ist, wäre noch nicht zu verwundern, viel eher, daß es bis zu den verstand- und vernunftlosen Tieren reicht: Auch sie erkennen und ehren den Gott und wollen nach seiner Satzung leben. Ja noch viel auffallender ist es bei den Pflanzen, die doch von überhaupt nichts eine Vorstellung haben, sondern ganz einfache Naturwesen ohne Seele und ohne Stimme sind; aber auch sie bringen die ihnen eigentümliche Frucht bereitwillig und gern. So vollkommen klar und eindeutig sind Wille und Macht dieses Gottes. (36) Nicht wahr, wir würden doch mit unseren Worten recht lächerlich und altmodisch erscheinen, wenn wir behaupten wollten, ein solches Vorstellungsvermögen liege den Tieren und Bäumen näher als uns Menschen mangelnde Erfahrung und Unwissenheit? So ist es aber, wenn gewisse Leute, weiser als alle Weisheit, sich nicht nur Wachs in die Ohren gießen, wie es die Seeleute von Ithaka taten, wenn ich mich recht erinnere, um den Gesan g der Sirenen nicht zu hören 27 , sondern so etwas

I2.36--38]

GOTTESVORSTELLUNG

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wie Blei, das zwar weich ist, aber keinen Laut durchläßt; wenn sie ferner, vermute ich, vor ihre Augen tiefe Finsternis und Nebel halten, die bei Homer den damit umgebenen Gott's nicht erkennen lassen, und wenn sie das Göttliche verachten und als einzige Göttin ein schlechtes und unbekümmertes Leben in Saus und Braus, ungestörte Bequemlichkeit und schrankenlose Willkür einsetzen. Sie selbst nennen diese Göttin Lust 29 , wahrhaftig eine weibische Gottheit; sie ehren sie an erster Stelle und feiern sie mit Zimbeln, lautem Lärm und nächtlichem Flötenspiel 30 • (37) Dieses Wohlleben würde ihnen niemand mißgönnen, wenn ihre Weisheit beim Singen haltmachte und sie nicht versuchten, uns unsere Götter wegzunehmen und in die Verbannung zu schicken, indem sie sie aus deren Stadt und Reich, aus diesem Weltall, in ganz merkwürdige Gegenden vertreiben, wie man unglückliche Menschen auf einsame Inseln verbannt. Diese ganze Welt, so behaupten sie, sei ohne Plan, ohne Vernunft, ohne Herren, sie habe keinen Lenker, keinen Verwalter, keinen Aufseher, sondern irre ziel- und planlos umher und fahre dahin, ohne daß jetzt einer fLir sie sorge oder früher das All geschaffen habe, ja es auch nur so halte wie die Kinder, die ihre Reifen wohl selbst in Bewegung setzen, sie dann aber aus eigener Kraft weiterlaufen lassen 3'. (38) So weit ist nun meine Rede ganz von selbst von ihrem Weg abgekommen, denn es ist gar nicht so leicht, die Gedanken und Worte eines Philosophen aufzuhalten, welche Richtung sie auch nehmen. Alles, was ihm in den Sinn kommt, stellt sich jedes mal als nützlich und notwendig für den Zuhörer heraus. Er kümmert sich nicht um die Wasseruhr 3 ' , um die Begrenzung der Redezeit bei Gericht, wie einer gesagt hat, sondern spricht in aller Freiheit und Ungezwungenheit. Daher ist es auch nicht schwer, wieder einzulenken, genausowenig wie ftir einen tüchtigen Steuermann, der unterwegs etwas vom Kurs abgekommen ist.

234

OLYMPISCHE REDE

(39) Um zusammenzufassen: Sozusagen als erste Qgelle der Gottesvorstellung und der Annahme eines göttlichen Wesens nannten wir die allen Menschen eingeborene Idee, eine Folge der realen Gegebenheiten. Sie ist nicht irrtümlich oder zufäl_ lig en tstanden, sondern von jeher außerorden dich mäch tig und beständig gewesen; bei allen Völkern ist sie aufgekommen und dauert fort, ja sie ist geradezu gemeinsames und allgemeines Gut der ganzen vernunftbegabten Welt. Als zweite Qgelle nennen wir die hinzuerworbenen und durch äußere Mittel in der Seele hervorgerufenen Vorstellun_ gen: durch Worte, alte Sagen oder Bräuche, die zum Teil ungeschrieben und auf keinen Gewährsmann zurückzuführen sind, zum Teil aber auch aufgeschrieben wurden und sehr bekannte Leute zu Verfassern haben. (40) Bei dieser zweiten Gruppe von Gottesvorstellungen wollen wir unterscheiden zwischen einer frei sich anbietenden, zuredenden und einer zwingenden, befehlenden Art. Unter der einen Art, die auf Freiwilligkeit und Zuspruch beruht, verstehe ich die Wirkung der Dichter, unter der anderen, die aufZwang und Befehl beruht, die der Gesetzgeber. Beide Arten könnten nicht wirksam werden, wenn nicht jenes ursprüngliche Vorstellungsvermögen vorhanden wäre, durch das guter Wille und in gewisser Weise ein Vorwissen dem Befehl und Zuspruch entgegenkämen. Dabei entwickelt ein Teil der Dichter und Gesetzgeber richtige Vorstellungen, die mit der Wahrheit und dem vom einzelnen Geahnten übereinstimmen, während ein anderer Teil in gewissen Dingen das Ziel verfehlt. (41) Welche von den bei-. den genannten Qgellen wir, zumindest bei uns in Griechenland, die ältere nennen sollen, die Dichtkunst oder die Gesetzgebung, wage ich im Augenblick nicht endgültig zu entscheiden, jedoch ist vielleicht eher anzunehmen, daß die Art, die ohne Strafe nur mit der Überredungskunst auskommt, älter ist als jene andere mit Strafe und Befehl.

xM.-43]

GOTTESVORSTELLUNG

235

(42) Ungefahr bis zu diesem Punkt nun entwickeln sich bei den Menschen die Empfindungen für den ersten, unsterblichen Erzeuger, den wir auch,soweit wir Griechen sind,«VaterZeus» nennen, übereinstimmend mit den Empfindungen für sterbliche und menschliche Erzeuger. Denn in der Tat, daß Kinder ihre Eltern lieben und ehren, steckt in ihnen als natürliche Veranlagung und 'Folge der empfangenen Liebe drin, auch ohne daß sie jemand belehrt hätte. Das Erzeugte erwidert die Liebe des Erzeugers und Ernährers sofort mit seiner Gegenliebe und seinem Gegendienst, soweit es dazu fähig ist. (43) Der zweite und dritte Anstoß aber geht von Dichtern und Gesetzgebern aus. Die einen ermahl1en uns, dem, was älter und von unserm Fleisch und Blut, dazu der Ursprung unseres Lebens und Seins ist, den Dank nicht vorzuenthalten, die andern zwingen uns dazu und drohen den Ungehorsamen mit Strafe, wobei sie allerdings nicht eindeutig angeben, welcher Art die Erzeuger sind und f1ir welche Wohltaten wir den schuldigen Dank abstatten sollen. In den Geschichten und Mythen von den Göttern aber kann man beides besser erkennen. Nun sehe ich, daß den meisten Menschen Genauigkeit, wie in allen anderen Dingen, so auch in ihren Worten zu mühselig ist. Ihnen liegt allein an der Menge, und ohne eine Vorbemerkung, ohne den Gegenstand ihrer Rede bestimmt zu haben oder auch nur an einer bestimmten Stelle ihre Ausführungen zu beginnen, verbreiten sie sich mit ungewaschenen Füßen, wie man sagt, über das Selbstverständlichste, das nackt zu tage liegt. Nun ist der Schaden von ungewaschenen Füßen nicht groß, wenn es auch durch Morast und tiefen Schlamm geht, wohl aber richtet eine unwissende Zunge beim Publikum großes Unheil an. Aber wir dürfen erwarten, daß die Gebildeten, auf die allein es ankommt, kräftig mit Hand anlegen, bis wir die Rede von ihrem Umweg durch schwieriges Gelände wieder auf den richtigen Weg gebracht haben.

OLYMPISCHE REDE

(44) Drei Arten der menschlichen Gottesvorstellung liegen jetzt vor: die erste ist eingeboren, die zweite auf die Dichter, die dritte aufdieGesetzgeber zurückzuführen. Als vierte Qgelle wollen wir die Bildhauerkunst und die Fähigkeit, Statuen und Bilder von Göttern anzufertigen, nennen. Ich meine die Maler, Bildhauer und Steinmetzen, kurz jeden, der für sich in Anspruch nimmt, mit seiner Kunst das Wesen des Göttlichen darzustellen: ob mit einer nur ganz schwachen Umrißzeichnung, die das Auge täuscht 33 ; mit dem Mischen von Farben und der Umgrenzung mit einer Linie, die das Dargestellte wohl am genauesten umreißt; ob durch das Behauen von Steinen oder durch die Bearbeitung von Holz, wobei die Geschicklichkeit des Künstlers allmählich alles Überfi üssige entfern t, bis schließlich die Gestalt übrigbleibt, wie wir sie sehen; ob durch das Gießen von Erz oder eines anderen Edelmetalls, das, im Feuer erhitzt, geschmiedet oder in Tiegel gegossen wird; ob durch das Formen von Wachs, das der Hand des Künstlers am leichtesten folgt und am ehesten eine Umformung zuläßt. (45) In diese Gruppe gehören Pheidias, Alkamenes und Polykleitos, ferner Aglaophon, Polygnotos, Zeuxis und, älter als sie alle, Daidalos. Denn ihnen genügte es nicht, ihr Können und ihre Geschicklichkeit an gewöhnlichen Dingen zu beweisen - sie schufen die Bilder von Göttern in den verschiedensten Formen und Anordnungen und bekamen von Privatleuten und von ganzen Städten Aufträge. So entwickelten sie eine bunte Fülle von Gottesvorstellungen; wobei sie sich allerdings an die Dichter und Gesetzgeber anlehnten. Einmal wollten sie nicht als Gesetzesübertreter dastehen und sich den dafür vorgesehenen Strafen aussetzen, zum andern sahen sie, daß die Dichter das Volk bereits gewonnen hatten und ihre Darstellungen die älteren waren. (46) Vor der großen Menge aber wollten sie nicht unglaubwürdig erscheinen und sich durch Neuerungen ihre Sympathien verscherzen. Deswegen folgten sie in der Regel

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den alten Sagen und schufen ihre Werke in Übereinstimmung mit ihnen, manches aber trugen sie auch von sich selbst hinein und wurden so in gewisser Weise zu Rivalen und Mitarbeitern der Dichter: Wie jene mit ihren Werken das Ohr ansprechen, SO fUhren sie einem größeren und ungebildeteren Publikum die Götter vor Augen. All diese Bestrebungen aber werden von jenem Urquell gespeist und sind aus dem Bemühen hervorgegangen,die Gottheit zu ehren und ihr einen Dienst zu erweisen. (47) Doch abgesehen von jener einfachen und ältesten Kenn tnis von den Göttern, die sich gemeinsam in allen Menschen zugleich mit der Vernunft entwickelt, müssen wir zusätzlich zu diesen drei Dolmetschern und Lehrern, den Dichtern, Gesetzgebern und Künstlern, noch einen vierten hinzunehmen. Er nimmt seine Sache keineswegs leicht und hält sich in theologischen Fragen nicht für unbeschlagen. Ich meine den Philosophen, der mit seinem Verstand vielleicht am wahrsten und vollkommensten das Wesen des Göttlichen erklärt und verkündet. (48) Den Gesetzgeber nun wollen wir für jetzt nicht in die Schranken fordern, diesen strengen Mann, der sonst seinerseits uns zur Rechenschaft zieht; es ist wohl besser, wenn er sich selbst und euch schont, die ihr wenig Zeit habt 34. Von den andem aber wollen wir uns den wichtigsten Vertreter einer jeden Gruppe vornehmen 35 und untersuchen, ob sie mit ihren Werken oder Worten der Frömmigkeit genützt oder geschadet haben, ferner, wie es mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei ihnen steht, und schließlich, wer von ihnen im Einklang mit jener ersten untrüglichen Kenntnis der Wahrheit am meisten folgt. Sie alle stimmen nun insofern überein, als sie einer einzigen Spur folgen und sie festhalten, die einen deutlicher, die andern mehr im verborgenen. Sollte da der wahre Philosoph vielleicht nicht des Zuspruchs bedürfen, wenn er sich vergleichen lassen

OLYMPISCHE REDE

muß mit den Schöpfern von Statuen und Versen, und das noch vor einer riesigen Festversammlung, wo die Schiedsrichter VOreingenommen sind? (49) Stellt euch vor, Pheiclias, der weise und göttliche Schöp_ fer dieses erhabenen, herrlichen Kunstwerks, müßte sich als erster vor den Griechen verantworten! Man hätte als Richter die Männer eingesetzt, die diese Spiele zu Ehren des Gottes ausrichten, oder besser, ein Gremium von allen Peloponnesiern zusammen, dazu von den Boiotiern, Ioniern und allen anderen Griechen in ganz Europa und Asien, und forderte nun Rechen_ schaft von ihm: nicht über die Gelder und Ausgaben für das Götterbild - für wieviel Talente er Gold und Elfenbein, Zypressen- und Thyonholz, das feste und dauerhafte Material fur die Innenverarbeitung, eingekauft hat -, nicht über die Beschaffung von Unterhalt und Lohn der zahlreichen Arbeiter und hervorragenden Künstler fiir einen großen Zeitraum, erst recht nicht über den höchsten Lohn, nämlich den für sein großes Können. (50) Das alles durchzurechnen wäre Sache der Eleer 36 , die ihr Geld so reichlich und großzügig zur Verftigung gestellt haben. Wir aber wollen einmal annehmen, daß Pheidias wegen einer andern Angelegenheit verhört werde. Da würde nun jemand die Frage an ihn stellen: «Tüchtigster und bester Künstler, daß du eine entzückend anzuschauende Kostbarkeit, eine unvorstellbar ergötzliche Augenweide rur alle Griechen und Nichtgriechen, die schon bei zahlreichen Gelegenheiten zahlreich hier zusammenkamen, geschaffen hast, wird niemand bestreiten. (SI) Denn wahrhaftig, auch die unvernünftige Kreatur würde starr vor Staunen sein, wenn sie nur einen Blick erhaschen könnte. Die Stiere 37 , die regelmäßig zu diesem Altar geführt werden, würden ihren Nacken willig dem Opferbeil beugen, ob sie so vielleicht dem Gott noch einen Gefallen erweisen könnten; und Adler, Pferde und Löwen würden ihr unbändiges, wildes Temperament ab-

u.5 1 - 53]

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legen und ganz ruhig sein, überrascht von dem Anblick. Auch die Menschen, mögen sie noch so beladen sein, viel Unglück und Leid aus ihrem Leben geschöpft und nie erquickenden schlaf gefunden haben - wenn sie nur vor diesem Bild stehen, dünkt mich, ist alles Furchtbare und Schmerzliche, das einem im Leben begegnet, vergessen. (52) So hast du ein Werk erdacht und geschaffen, dessen Anblick wahrhaftig schmerzen lindert und Ärger, vergessen macht jegliches Unheil. 38 Ein solcher Glanz, eine solche Anmut ruht aufihm dank deiner Kunst. Selbst Hephaistos hätte wahrscheinlich an diesem Werk nichts auszusetzen, wenn er es nach dem Reiz und Vergnügen frlr das menschliche Auge beurteilte. ob du aber auf der anderen Seite das passende Aussehen und die dem Wesen eines Gottes angemessene Gestalt getroffen hast, indem du aus reizvollem Material die Gestalt eines Menschen von überwältigender Schönheit und Größe schufest und auch alles andere so, wie du es geschaffen hast, das wollen wir jetzt prüfen. Wenn du dich in diesem Punkt vor den Leuten hier ausreichend verteidigen und sie davon überzeugen kannst, daß du die entsprechende und zu dem höchsten und größten Gott passende Haltung und Gestalt gefunden hast, dann wirst du noch eine andere Belohnung, größer und vollkommener als die der Eleer, erhalten. (53) Denn du siehst, daß es nicht um Kleinigkeiten geht und daß rur uns viel auf dem Spiel steht. Früher nämlich, da wir nichts Genaues wußten, bildete sich jeder seine eigene Vorstell ung, wie ihm, je nach Fähigkeit und Veranlagun g, das Göttliche vorsch webte und er es sich träum te. Und wenn wir einige kleine, unbedeutende Werke älterer Meister sammelten, trauten wir ihnen nicht allzusehr und legten ihnen keine große Bedeutung bei. Du aber hast dich kraft deines Könnens durchgesetzt und zunächst die Griechen, dann aber auch alle anderen um dieses Bild geschart, dein herrliches Wunderwerk, und keiner, der es einmal gesehen hat, wird sich

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mehr so leicht eine andere Vorstellung machen können. (54) Glaubst du nun, Iphitos 39 , Lykurgos und die Eleer der damaligen Zeit hätten zwar den Wettkampf und das Opfer in Zeus angemessener Weise eingerichtet, der Geldmangel aber habe sie daran gehindert, ein Bild mit dem Namen und der Darstel_ lung des Gottes zu schaffen - sie, die vielleicht noch mächtiger waren als ihre Nachkommen? Oder ftirchteten sie wohl eher, sie könnten mit ihren menschlichen Mitteln das höchste und vollkommenste Wesen niemals in angemessener Weise darstel_ len?» (55) Darauf gäbe Pheidias, der ja keineswegs mundfaul war, auch nicht aus einer mundfaulen Stadt stammte und obendrein der vertraute Freund des Perikles war, vielleicht folgende Antwort: «Ihr Griechen, es geht jetzt um die wichtigste Frage überhaupt. Denn nicht für die Leitung oder die Feldherrenstelle einer einzdnen Stadt, nicht für die richtige oder falsche Verwaltung einer Flotte oder eines Heeres habe ich mich jetzt zu verantworten, sondern für den über alles herrschenden Gott und meine Darstellung von ihm: ob sie richtig und dem Gott angemessen ist und nichts Menschenmögliches bei der Darstellung des Göttlichen versäumt wurde, oder ob sie unan gemessen und unpassend ist. (56) Bedenkt aber, daß ich nicht der erste bin, der euch die Wahrheit zu erklären und zu lehren versucht. Denn ich bin nicht in den frühesten Zeiten geboren, als Griechenland noch keine klaren und festen Vorstellungen von den Göttern hatte, sondern als es gewissermaßen schon älter war und bereits feste Überzeugungen und Glaubensgrundsätze bezüglich der Götter besaß. Alle Bildwerke und Gemälde, die älter sind als meine Arbeiten und die mit dem Wesen des Göttlichen in Einklang stehen, abgesehen natürlich von der Vollendung in der Ausführung, will ich nicht erwähnen. (57)Jedoch fand ich bei euch

12,57-59]

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althergebrachte Ansichten vor, an denen nicht gerüttelt werden durfte und denen man sich unmöglich hätte entgegenstellen können, dazu auch andere Künstler, die sich mit dem Göttlichen beschäftigten und die, älter als ich, auch viel mehr Weisheit für sich beanspruchten - die Dichter. Während nun jene mit ihrer Dichtkunst jede Art von Vorstellung hervorrufen können, haben unsere Werke nur dieses eine ihrem Wesen entsprechende Ausdrucksvermögen. (58) Denn die Erscheinungen des Göttlichen - ich meine Sonne und Mond, den ganzen Himmel und die Sterne - sind gewiß so, wie sie sind, wunderbar. Wollte aber jemand die Phasen des Mondes oder das Rad der Sonne abbilden, so wäre seine Darstellung plump und primitiv. Außerdem beweisen jene Himmelskörper an sich ein ausgeprägtes Wesen und einen tiefen Sinn, in ihren Abbildungen aber zeigt sich nichts dergleichen mehr. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb die Griechen sie von Anfang an fur Götter gehalten haben. (59) Geist und Vernunft an sich kann nämlich kein Bildhauer und kein Maler darstellen, denn jeder ist schlechterdings unfähig, dergleichen zu sehen oder zu erkunden. Da wir aber ein Wesen, in dem sich beides verwirklicht, nicht nur ahnen, sondern kennen, nehmen wir zu ihm unsere Zuflucht und geben dem Gott einen menschlichen Körper gleichsam als Gefäß für Vernunft und Verstand und suchen so aus vollständigem Mangel an einem geeigneten Beispiel, mit dem Sichtbaren, das sich darstellen läßt, das Unsichtbare, das sich nicht darstellen läßt, wiederzugeben. Dabei bedienen wir uns der Möglichkeiten des Sinnbildes, und zwar besser, als man sich von einem Teil der Barbaren erzählt, die das Göttliche in Tiergestalt darstellen, weil sie von primitiven und abwegigen Vorstellungen ausgehen. Derjenige Mensch aber, der an Schönheit, Würde und Erhabenheit alle weit übertrifft, der dürfte wohl mit Abstand der beste Schöpfer von Götterbildern sem.

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(60) Denn niemand wird sagen wollen, es wäre besser gewe_ sen, überhaupt kein Bild oder Gemälde von Göttern unter die Menschen zu hringen, weil sie nur die Erscheinungen am Him_ mel betrachten sollten. Diese alle verehrt ja auch ein mit Vernunft begabter Mensch und hält sie rur glückselige Götter, auch wenn er sie nur aus der Ferne sieht. Aber auf Grund ihrer Ausrichtung auf das Göttliche hin treibt alle Menschen das heftige Verlangen, den Gott aus der Nähe zu verehren und ihm seinen Dienst zu erweisen, zu ihm hertreten, ihn mit voller Überzeugung berühren, ihm opfern und ihn bekränzen zu können. (61) Denn genau wie von Vater und Mutter getrennte kleine Kinder eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihren Eltern haben und voller Verlangen im Traum oft die Hände nach ihnen, die doch gar nicht zugegen sind, ausstrecken, so machen es auch die Menschen mit deR Göttern, denn sie lieben die Götter ganz zu Recht wegen der empfangenen Wohltaten und der Verwandtschaft mit ihnen und wollen aufjede Weise mit ihnen zusammensein und verkehren. Deshalb legen auch viele fremde Völker aus Armut und Mangel an Kunstfertigkeit Bergen, unbeschnittenen Bäumen und ungestalten Steinen, die in ihrem Aussehen keineswegs den Göttern mehr entsprechen als die menschliche Gestalt, den Namen von Göttern bei. (62) Wenn ihr mir nun die menschliche Gestalt meines Bildes vorwerfen wollt, so müßtet ihr zuvor eigentlich über Homer ungehalten sein. Nicht nur, daß er ein Bild von Zeus entwirft, das der mensch lichen Darstell un g eines bildenden Künstlers sehr nahekommt, wenn er von den Locken des Gottes spricht 40 oder gleich zu Beginn seines Werkes, als er Thetis den Gott bitten läßt, die Ehre ihres Sohnes wiederherzustellen 41 , das Kinn des Gottes erwähnt. Auch Besuche, Versammlungen und Ansprachen gibt es bei den Göttern, Reisen vom Ida zum Himmel und Olymp, Schlaf und Gelage und Umarmungen. Selbst wenn Homerdas alles in einer hohen, dichterischen Spra-

%2,6.-651

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ehe ausdrückt, bleibt es doch immer in der Nähe von menschlichen Vorstellungen. So wagt er sogar einmal, Agamemnon in seinen hervorstechendsten Zügen mit dem Gott zu vergleichen: Gleich an Augen und Haupt dem Zeur, der rich freut an den Blitz.en. 4' (63) Mein Werk dagegen wird nicht einmal ein Wahnsinniger mit irgendeinem Sterblichen vergleichen, wenn er es hinsichtlich der Schönheit und Größe eines Gottes prüft. Ja, wenn nicht ich mit meinem Werk als der viel bessere Künstler mit der richtigeren Vorstellung dastehe, sondern Homer, den ihr an Weisheit Hir gottgleich haltet, bin ich bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen, die ihr verhängt. Ich spreche natürlich nur von dem, was meiner Kunst möglich ist. (64) Denn die Dichtung ist reich und hat in jeder Hinsicht viele Mittel, sie ist selbständig und mit Hilfe der Sprache und einer Fülle von Wörtern in der Lage, von sich aus alle Regun gen der Seele kundzutun. Welche Haltung, welche Tat, welche Leidenschaft und welche Größe auch immer der Dichter ausdrücken will, nie wird er um einen Boten in Verlegenheit sein, da die Stimme jede Einzelheit vollkommen klar mitteilt. Wendig ist ja die Zunge der Menschen, und viel sind der but/ten Reden, und weit ist das Feld der Worte hierhin und dorthin, sagt Homer selbst 43 • (65) In der Tat, dem menschlichen Geschlecht scheint alles andere eher auszugehen als Stimme und Sprache, und allein hierin besitzt es einen geradezu bewundernswerten Schatz. Jedenfalls hat es nichts, was seinen Sinnen begegnet, unausgesprochen und unbezeichnet gelassen, vielmehr drückt es allem, was es wahrni mm t, das eindeu tige Siegel eines Namens auf. Oft hat es auch zwei Bezeichnungen Hir einen einzigen Gegenstand, und wenn jemand auch nur eine von ihnen ausspricht, ruft er eine Vorstellung hervor, die der Wirklichkeit nicht viel nachsteht. Unerschöpflich für den

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OLYMPISCHE REDE

[12,65-68

Menschen also sind Reichtum und Möglichkeiten, alles, Was ihm in den Sinn kommt, durch das Wort auszudrücken. (66) Die Kunst der Dichter ist sehr eigenmächtig, und man kann ihr kaum beikommen, zumal einem Homer, der sich sehr viel Freiheiten herausnimmt und sich nicht auf eine bestimmte Sprechweise festlegt, sondern die ganze bis dahin geteilte griechische Sprache durcheinandermischt, die der Dorer, Ionier und auch der Athener: Er vermengt sie noch viel mehr mitein_ ander als der Färber seine Farben, nicht nur die Sprachen seiner Zeit, auch die älteren. Ein aus der Mode gekommenes Wort sucht er aus lauter Freude an der Sprache wieder hervor wie eine alte Münze irgendwoher aus einem herrenlosen Schatz. (67) Auch viele Fremdwörter benutzt er und spart keins aus, wenn es ihm nur reiz- und ausdrucksvoll zu sein scheint. Außerdem überträgt er Wörter nicht nur aus verwandten und nahe beieinanderliegenden Bereichen, sondern auch aus weit entfernten, um sein Publikum zu bezaubern und durch Überraschung zu fesseln; selbst die Metaphern läßt er nicht, wie sie sind, sondern verlängert sie bald, bald verkürzt er sie oder ändert sie auf sonst eine Weise. (68) Schließlich erweist sich Homer nicht nur als Schöpfer von Versen, sondern auch von Worten, indem er nach eigener Erfindung formuliert. Bald gibt er den Dingen einfach eigene Namen, bald fügt er den geläufigen Bezeichnungen neue hinzu und drückt so dem alten Siegel gleichsam ein neues, deutliches und noch bezeichnenderes auf. Dabei läßt er keinen Laut aus, sondern ahmt, kurz und gut, die Stimmen von Flüssen nach, vom Wald, von Winden, Feuer und Meer, auch die von Erz und Stein, schlechterdings von allen Lebewesen und Instrumenten, von wilden Tieren und Vögeln genauso wie von Flöten und Schalmeien. Die Bezeichnungen ,Geräusch'44, ,Dröhnen'45, ,Krachen'46, ,Getöse'47 und ,Geklapper,4B hat er erfunden, er spricht von ,rauschenden Flüssen'49, ,zischenden Geschos-

1",68-71]

GOTTESVORSTELLUNG

245

sen's., ,brüllenden Wogend', ,tobenden Winden's. und von anderen derartigen fürchterlichen und wahrhaft unheimlichen Erscheinungen, die den Sinn mit gewaltiger Verwirrung und Unruhe erfüllen. (69) Daher fehlt es ihm nie an furchterregenden oder lieblichen, sanften oder schroffen Wörtern und solchen, die unzählige andere Schattierungen in Klang und Bedeutung haben. Mit Hilfe dieser wortschöpferischen Kraft ist er in der Lage, jeden beliebigen Eindruck in der Seele hervorzurufen. Unsere Kunst dagegen, die auf Handarbeit und plastischer Schöpfungskraft beruht, erreicht auf keinen Fall ein solches Maß an Freiheit. Zunächst einmal sind wir auf ein Material angewiesen, das, um dauern zu können, fest sein muß, das mühsam zu bearbeiten und recht schwer zu beschaffen ist und obendrein eine ganze Anzahl Gehilfen erfordert. (70) Zudem muß sich der bildende Künstler zu jedem Werk ein Modell angefertigt haben, unabänderlich festgelegt, damit es Wesen und Fülle des Gottes ganz in sich fassen kann. Dem Dichter dagegen ist es ein leichtes, mit seiner Kunst ziemlich viele Gestalten und die verschiedensten Erscheinungsweisen zu erfassen. Je nach Gutdünken kann er seine Gestalten sich bewegen oder ruhen, etwas tun oder reden lassen, und ferner kommen ihm, möchte ich annehmen, die Kraft der Einbildung und der Vorteil der Zeit entgegen. Von einer einzigen Vorstellung, von einem einzigen Schwung seiner Seele beflügelt, schöpft der Dichter eine gewaltige Menge von Worten gleichsam aus einer übersprudelnden Qgelle, bevor ihn das vorschwebende Bild, der gefaßte Gedanke verläßt und zerfließt. Unsere Kunst aber ist mühselig und langsam und kommt nur schwer Schritt für Schritt vorwärts, sicher deswegen, weil sie es mit steinhartem und sprödem Material zu tun hat. (71) Was aber die größte Schwierigkeit ist: Der bildende Künstler muß ein und dasselbe Bild stets in seiner Seele fest10

OLYMPISCHE REDE

halten, bis er sein Werk vollendet hat, unter Umständen also viele Jahre. Und wenn man sagt, das Auge sei zuverlässiger als das Ohr 53, so mag das wohl stimmen; aufjeden Fall aber ist das Auge auch schwerer zu überzeugen und bedarf größerer Klarheit. Denn das Auge trifft mit dem Geschauten unmittelbar zusammen, das Ohr aber läßt sich wohl schon einmal erregen und betören, wenn man es mit Reizen von verführerischern Rhythmus und Klang anspricht. (72) Unserer Kunst sind die Mengen- und Größen maße notwendig vorgeschrieben, die Dichter aber können auch sie noch beliebig steigern. So kann Homer leich t von der Größe der Eris sagen: In den Himmel ragte ihr Haupt, sie ging auf der Erde. 54 Ich hingegen muß doch wohl zufrieden sein, wenn ich den von den Eleern oder Athenern mir zugewiesenen Raum ausfülle. (73) Du wirst nun sagen, Homer, weisester der Dichter, der du durch die Macht deiner Dichtung und durch dein Alter vieles voraushast, du habest sozusagen als erster den Griechen viele schöne Bilder von all den anderen Göttern und zumal dern größten unter ihnen vor Augen gestellt, einige sanft, andere furchterregend und schrecklich. (74) Unser Gott aber ist friedlich und in allen Zügen freundlich, ganz der Schirmherr eines von keinem Aufruhr bedrohten, einmütigen Griechenlands. Ich schuf ihn, nachdem ich mit meinem künstlerischen Gewissen und mit der klugen, guten Stadt der Eleer zu Rate gegangen war, mild und majestätisch, mit heiterer Geste als Spender des Lebens und Gedeihens und aller Güter, als den Vater, Retter und Beschützer der Menschen in einem - so gut es menschli. eher Vorstellungskraft gegeben ist, das unnachahmliche göttliche Wesen darzustellen. (75) Sieh nun, ob nicht alle Namen des Gottes zu unserem Standbild passen. Denn von allen Göttern wird Zeus allein ,Vater' und ,König' genannt, ,Polieus', ,Philios' und ,Hetaireios', ferner ,Hikesios', ,Xenios' und ,Epikarpios', und er

12,75-78]

GOTTESVORSTELLUNG

247

hat noch unzählig viele andere Namen, die alle etwas Gutes bedeuten: ,König' heißt er auf Grund seiner Herrschaft und :Macht, ,Vater', denke ich, wegen seiner fürsorgenden Milde, ,polieus', weil er Recht und Gemeinwohl schützt, ,Homognios' wegen der Verwandtschaft von Gott und Mensch, (76) ,philios' und ,Hetaireios', weil er alle Menschen zusammenfuhrt und will, daß sie einander freund sind und nicht einer des anderen Feind, ,Hikesios', weil er die Flehenden erhört und ihnen gnädig ist, ,Phyxios', weil er Zuflucht vor dem Übel gewährt, ,Xenios', weil man sich der Fremden annehmen und keinem Menschen gegenüber gleichgültig sein soll, ,Ktesios' und ,Epikarpios', weil er alle Früchte werden läßt und der Geber von Reichtum und Macht ist 55 • (77) Wer es nun fertigbrachte, das alles ohne Hilfe von Worten auszudrücken, sollte der nicht ein wirklich großer Künstler sein? Herrschaft und Königtum will die wuchtige Majestät der Gestalt offenbaren, den Vater und seine Fürsorge die milde Freundlichkeit, den Schirmer von Stadt und Recht die strenge Erhabenheit, die Verwandtschaft von Gott und Mensch sinnbildhaft die menschliche Gestalt, den Gott der Freunde, der Schutzflehenden, der Fremden, der Fliehenden, kurz, aller Menschen dieser Art die Freundlichkeit und der sanfte und gütige Ausdruck. Der Gott des Erwerbs und der Fruchtbarkeit drückt sich in der Schlichtheit und Großherzigkeit aus, denn er gleicht genau einem Mann, der großzügig seine Güter austeilt. (78) Das habe ich, soweit es in meinen Kräften stand, dargestellt, denn ich konnte es nicht in Worte fassen. Wie der Gott aber unaufhörlich Blitze schleudert zum Zeichen von Krieg und großem Verderben 56 oder von Regen, Hagel und Schnee im Übermaß 51; wie er den dunkelblauen Regenbogen spannt, das Zeichen zum Kampf5 8 ; oder einen Stern sendet, der immerfort Funken sprüht, ein unheilverkündendes Zeichen rur See-

248

OLYMPISCHE REDE

[12.78-81

f.1hrer und Heer wie er ,schmerzlichen Streit' unter Grie_ chen und Barbaren schickt, so daß die ermüdeten, matten Soldaten ein unersättlicher Kampfeseifer befällt 60 ; wie er das Los von Halbgöttern oder ganzen Heeren auf die Waage legt, Um nach ihrem freien Ausschlag die En tscheidung zu fällen 61 - dies alles konnte ich mit meiner Kunst nicht darstellen, und selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich es doch niemals tun wollen. (79) Denn wie würde sich wohl eine stumme Abbil_ dung von Donner oder eine Darstellung von Blitz oder Blitzschlag mit den auf unserer Erde vorkommenden Metallen ohne funkelnde Helle ausnehmen! Dann die bebende Erde 60 , der durch ein leichtes Nicken der Augenbrauen erschütterte Olymp 63, der Wolkenkranz um das Haupt 64 - rur Homer war es leicht, davon zu sprechen, und groß war seine Freiheit in all diesen Dingen. Für unsere Kunst aber ist das einfach unmög_ lich, da sie schnell und klar vom Auge überprüft wird. (80) Doch sollte jemand das Material für zu unbedeutend halten, als daß es dem Gott angemessen sein könnte, so hat er damit vollkommen recht. Aber weder die Leute, die es mir gegeben haben, noch mich selbst, der ich mich nach sorgfältiger Prüfung dafür entschieden habe, kann er deswegen mit Recht tadeln, denn es gibt kein besseres und für das Auge prächtigeres Material, das in die Hände der Menschen kommen und von ihnen verarbeitet werden könnte. (8 I) Luft und Feuer und die ,unversiegliche Qyelle des Wassers,6 5 zu bilden, und zwar in dem Material, das von Menschen bearbeitet wird, wie auch in dem, das dem Ganzen fest zugrunde liegt 66 - ich meine nicht Gold und Stein, denn die sind gering und unbedeutend, sondern die ganze starke und schwere Ursubstanz -, und alle Elemente dabei zu sondern und dann miteinander zu mischen, daß Lebewesen und Pflanzen entstehen - das ist nicht einmal allen Göttern möglich, sondern, man kann sagen, nur dem einen, den ein anderer Dichter vollkommen richtig angeredet hat mit 59 ;

GOTTESVORSTELLUNG 249 IIerr 1)0// Dodotltl, mächtiger Vater, groß ist dein Kö"nnen. 67 (82) Denn er ist in der Tat der erste und vollkommenste Schöpfer, und er hat die Mittel für seine Kunst nicht von der Stadt der Eleer, sondern von dem ganzen Weltall bekommen. Von pheidias oder Polykletos aber könnt ihr billigerweise nicht mehr verlangen, schon das hier ist eigentlich zu groß und erhaben für unser handwerkliches Vermögen. (83) Denn nicht einmal den Hephaistos läßt Homer an einem anderen Material seine Geschicklichkeit zeigen: Wohl bringt der Dichter für die Fertigung des Schildes einen Gott bei, ein besonderes Material aber konnte er nicht finden. Es heißt nämlich: Unverwüstliches Erz dann legt er ins Feuer und Zinn und wertvolles Gold und Silber. 68 Von den Menschen also möchte ich keinem einräumen, daß er ein größerer Künstler ist als ich, mit Zeus selbst aber, dem schöpfer des gesamten Weltalls, darf man keinen Sterblichen vergleichen.» (84) Hätte Pheidias diese Gedanken zu seiner Verteidigung angeführt, hätten ihn die Griechen, wie mir scheint, zu Recht bekränzt. Vielleicht hat ein großer Teil der Hörer das Thema meiner Rede gar nicht begriffen, obwohl sie meiner Meinung nach für das Volk genausogut geeignet war wie für Philosophen. Sie handel te davon, wie man bei der Errichtungvon Götterbildern verfahren solle, von den Dichtern und ihren mehr oder weniger richtigen Vorstellungen vom Göttlichen, schließlich von der ersten Gottesvorstellung überhaupt, welcher Art sie ist und wie sie bei den Menschen entstand. Viel auch ist, glaube ich, von der Mach t des Zeus und seinen Beinamen gesprochen worden. Geschah es zugleich mit einem Preis dieses Standbildes und derer, die es weihten, dann um so besser. (85) Denn wirklich, so schein t der Gott uns jetzt anzusehen, voller Wohlwollen

12,81-851

250

IN ATHEN

[12,85-13,2

und Fürsorge, als wollte er sagen: « Das alles, ihr Eleer und ihr Griechen überhaupt, habt ihr so ausgerichtet, wie es gut ist und wie es sich gehört. Ihr bringt im Verhältnis zu euren Möglich_ keiten großartige Opfer, und so habt ihr auch den von Anfang an ruhmreichsten Wettkampf in Gewandtheit, Stärke und Schnelligkeit veranstaltet und bewahrt die überkommenen Bräuche von Festen und geheimen Feiern. Aber das eine sehe ich mit Kummer: Keine gute Pflege verrätst du, dein Alter ist kläglich; elend starrst du vor Schmutz, gehüllt in erbärmliche Kleider. 69 » 13. IN ATHEN. VON DER VERBANNUNG

(I) Weil ich, wie man sagte, mi t einem Mann I befreundet war, dem man in moralischer Hinsicht keinen Vorwurf machen konnte, der aber den damals begüterten und mächtigen Leuten sehr nahestand, schickte man mich in die Verbannung. Dieser Mann mußte gerade deswegen sterben, weswegen er vielen, fast möchte ich sagen allen Menschen als glücklich galt, nämlich wegen seiner engen Verbindung und seiner Verwandtschaft mit jenen Leuten. Gegen mich aber wurde der Vorwurf erhoben, ich sei sein Freund und Ratgeber. Denn wie es bei den Skythen Brauch ist, zusammen mit den Königen auch ihre Mundschenken, Köche und Nebenfrauen zu bestatten, so bei den Despoten, den von ihnen zum Tode Verurteilten ohne jeden Grund noch einige Leidensgefährten beizugeselle,n. (2) Zu jener Zeit also, als meine Verbannung beschlossen war, überlegte ich mir, ob das Schicksal des Verbannten tatsächlich, wie man allgemein annimmt, ein gewaltiges Unglück ist oder ob es damit nicht ganz anders steht, etwa so, wie man sich von der Prophezeiung erzählt, die den Frauen an heiligen Stätten zuteil wird. Sie heben nämlich einen Erdklumpen oder Stein auf und versuchen so, in der Sache, über die sie Bescheid wissen

13,2-6]

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251

möchten, eine Antwort zu bekommen: Den einen soll, was sie aufheben, leicht werden, den andern schwer, so daß sie es nur mit Mühe von der Stelle schaffen können. (3) Erscheint nun nicht auch Verbannung, Armut, Alter, Krankheit und dergleichen den einen schwer und lästig, den andern leicht und erträglich? Bei jenen Frauen macht die Gottheit vielleicht das Schwere leicht, je nach Lage des Falles, hier, glaube ich, je nach Fähigkeit und Einsicht des Betroffenen. (4) Da erinnerte ich mich an Odysseus, der bei Homer oft sein Schicksal bejammert, obwohl er doch ein Held und an Entbehrungen gewöhnt ist. Trotzdem sagt er viel, was seiner unwürdig ist, und klagt immer wieder am Meer vor lauter Sehnsucht nach der Heimat'. Schließlich will er nur noch, wie der Dichter sagt, «den Rauch von der heimischen Erde aufsteigen sehen», wenn er auch sofort sterben müßte 3 , und weder seine früheren Heldentaten noch die wunderschöne und freundliche Göttin, die ihn so sehr liebt, daß sie ihm die Unsterblichkeit verspricht, vermögen ihn t.u trösten. Stärker als all das ist die verlangende Sehnsucht nach dem Vaterland. (5) Dann dachte ich auch an Elektra, die sich bei einem der späteren Dich ter traurig nach ihrem Bruder erkundigt und ihn wegen seiner Verbannung bejammert. Da fragt sie: Wo ist der Unglückliche unglücklich verbannt? Und er 4 antwortet nicht weniger jammervoll: Nicht nur in einer Stadt hat er 'Zu leiden viel. Dann ihre zweite Frage: Gewiß hat er 'Zu essert kaum sein täglich Brot? Und seine Antwort: Er hat's, doch wC1lig nur, da er verbannt. s (6) Zudem schwebte mir vor, was Verbannte, nur um wieder in ihr Vaterland heimkehren zu können, an zahllosen Wagnissen gewagt und an Kriegen, auch über ihre Kräfte hinaus, gegen die Völker und die Tyrannen, von denen sie vertrieben

252

IN ATHEN

[13.6-9

worden waren, geftilwt hatten; und sie nahmen es sehr ernst, selbst auf die Gefahr hin, im Kampf auf heimischem Boden zu fallen. Das alles erschreckte mich und brachte mich zwangsläufig dazu, mein Geschick fur furchtbar schwer zu erachten. Dann aber mußte ich daran denken, daß ApolIon dem Lyderkönig Kroisos nach einem Schicksalsschlag geraten hatte, sein Reich zu verlassen und freiwillig in die Verbannung zu gehen, ohne sich deswegen zu schämen, wenn die Menschen ihn als Feigling betrachteten. Sein Spruch lautete: (7) Wenn eimt ein Maultier als König herrscherl wird über die Meder, dann, zartfüßiger Lyder, fliehe zum steinigen Hermos, ohne zu weilm, und scheue dich flicht, ein Feigling zu werden!6 Natürlich meinte der Gott hier nach Art der Dichter mit «Scheu», «Schande» und «ein Feigling werden» «der großen Menge als Feigling gelten ». (8) Infolgedessen dachte ich mir, daß die Verbannung nicht nur Schaden und Unglück und das Bleiben nicht nur einen wertvollen Vorteil bedeuten könne. Denn sonst hätte Apollon die Flucht nicht dringend empfohlen, das Bleiben aber strikt untersagt, zumal er den Spruch einem Mann gab, deres der Gottheit gegenüber an nichts hatte fehlen lassen, die meisten Opfer dargebracht und größere Weihgeschenke nach Delphi gesandt hatte, als jemals zuvor dort aufgestellt worden waren. (9) Als ich mir das überlegte, beschloß ich, nach der alten Gewohnheit der Griechen selbst zum Gott zu gehen und ihn als den zuständigen Ratgeber zu befragen 7. Denn wenn e'r über Krankheit, Kinderlosigkeit und Fruchtbarkeit ausreichend Auskunft erteilt, warum sollte er es in meiner Angelegenheit weniger vermögen? Auf meine Frage gab mir der Gott dann merkwürdige und schwer zu deutende Antwort, Er hieß mich nämlich, mit großem Eifer, bis ich ans Ende der Erde käme, genau das zu tun, womit ich gerade beschäftigt sei, denn es sei

13,9-13]

IN ATHEN

253

gut und nützlich. Nun ist das Lügen doch schon rur Menschen eine schlimme Sache, erst recht für einen Gott. (10) Ich überlegte nun, daß sich Odysseus nach so vielen Irrfahrten, ohne sich zu bedenken, mit einem Ruder wieder auf Wanderschaft begeben hatte, wo doch nur Teiresias, der schon tot war, ihm geraten hatte, so zu tun, bis er auf Menschen träfe, denen das Meer nicht einmal vom Hörensagen bekannt sei ß • Und ich hätte das nicht tun sollen, wo doch ein Gott mich dazu aufgefordert ha tte? So machte ich mir selbst Mut, mich weder zu fürchten noch deswegen zu schämen. Ich zog ein ärmliches Kleid an, nahm alle Entbehrungen auf mich und zog durch die Welt. (Il) Wer mich unterwegs sah, nannte mich einen Landstreicher oder Bettler, der eine oder andere auch einen Philosophen. So kam es, daß ich allmählich diesen Titel erhielt 9, gegen meinen Willen und ohne mir etwas darauf einzubilden. Die meisten sogenannten Philosophen nämlich sind ihre eigenen Ausrufer, wie in Olympia die Herolde Ausrufer der Sieger sind. Ich aber vermochte mich nicht immer und nicht gegen alle zu wehren, wenn sie mich so nannten. (12) Vielleicht hatte ich sogar einigen Nutzen von diesem Ruf. Denn viele kamen zu mir und fragten mich nach meiner Ansicht von gut und böse. So war ich gezwungen, mir darüber Gedanken zu machen, damit ich ihnen aufihre Fragen antworten konnte. Später luden sie mich dann auch ein, in der Öffentlichkeit zu sprechen, und auch das nötigte mich, über die Pflichten der Menschen und über die Dinge, von denen sie meiner Meinung nach Nutzen hätten, zu reden. (13) Da hatte ich nun den Eindruck, daß sozusagen alle Menschen unvernünftig sind, daß keiner tut, was er tun sollte, und daraufsieht, wie er von seinen derzeitigen Fehlern, von seiner großen Unwissenheit und seiner geistigen Verwirrung loskommen und ein angemesseneres und besseres Leben beginnen

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könne - alle voll Unrast umhergetrieben an derselben Stelle und sozusagen auch immer um dasseI be, um Geld und Ansehen und Sinnenlust, alle außerstande, davon loszukommen und ihre Seele frei zu machen. Ich glaube, es geht ihnen ebenso wie in einen Strudel geratenen Sachen: Sie werden von ihm herum. getrieben und im Kreis herumgewirbelt und können aus dem Strudel nicht wieder herauskommen. (I4) Solche und ähnliche Vorhaltungen machte ich allen Menschen, ganz besonders und an erster Stelle aber mir selbst. Und in meiner Not ging ich manches Mal auf eine alte Rede eines gewissen Sokrates 10 zurück, die zu wiederholen er nicht müde wurde, an allen Orten und vor allen Menschen, laut und nachdrücklich ", in den Ringerschulen, im Lykeion, in den Werkstätten und auf dem Markt - wie ein Gott, der von der Theatermaschine auf die Bühne geschleudert wird, so hat jemand einmal gesagt". (15) Auf jeden Fall gab ich die Rede nicht als mein Eigentum aus, sondern ließ sie ihrem Urheber und bat um Nachsicht, wenn ich mich nicht mehr genau an den Wortlaut und an den ganzen Gedankengang erinnern könne, sondern hier mehr, dort weniger sage. Sie sollten nicht deswegen, weil ich viele Jahre zuvor Gesagtes wiederholte, weniger aufmerksam zuhören. «Denn vielleicht », sagte ich, «habt ihr auf diese Weise den größten Nutzen, denn es ist doch nicht wahrscheinlich, daß die alten Reden wie Heilmittel verdunstet sind und ihre Wirksamkeit verloren haben.» , (r6) Sooft Sokrates nun mehrere Menschen an einem Ort sah, fuhr er sie erbost und vorwurfsvoll an, mit großem Mut und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: «Wohin, ihr Menschen? Wißt ihr nicht, daß ihr nicht tut, was ihr tun solltet, wenn ihr euch um das Geld kümmert und euch jedes Mittel recht ist, zu Geld zu kommen, damit ihr es im Überfluß habt und euren Kindern noch mehr hinterlaßt? Aber für die Kinder selbst und, vorher noch, für euch, ihre Väter, habt ihr nicht

13,16-19]

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255

gesorgt, alle ohne Ausnahme. Denn ihr habt keine Erziehung und keine Lebensweise gefunden, die für den Menschen ausreichte oder auch nur nützlich wäre, die euch befähigte, mit dem Geld richtig und gerecht anstatt zum Schaden und ungerecht umzugehen -- zum Schaden vor allem für euch selbst und, was man fur noch wichtiger halten sollte als das Geld, mit euren Söhnen, Töchtern, Frauen, Brüdern und Freunden richtig zu verkehren wie auch jene mit euch. (17) Aber sagt, glaubt ihr, ordentlichere und bessere Bürger der Stadt zu sein, wenn ihr von euren Eltern Zither spielen, ringen, lesen und schreiben lernt und dasselbe euren Söhnen beibringt? Wenn jemand die Zitherspieler, die Sportlehrer und Schulmeister, und zwar jeweils die besten ihres Fachs, zusammenbrächte und mit ihnen eine Stadt oder ein Land bevölkerte, so wie ihr es in früheren Zeiten in Ionien gemacht habt, was für eine Stadt käme wohl dabei heraus, und wie würde man in ihr leben? Nicht noch viel schlimmer und elender als in der Stadt der Krämer in Ägypten, wo ausschließlich Krämer wohnen, gleich ob Mann oder Frau '3 ? Wäre diese Bevölkerung nicht noch viel lächerlicher ?Ich meine die Lehrer eurer Kinder, die Sportlehrer und Zitherspieler und Schulmeister, und auch die Rhapsoden und Schauspieler sollte man noch dazunehmen. (18) So ist es doch: Alles, was einer lernt, lernt er dafür, daß er, wenn man seine Kenntnisse braucht, tut, was er gelernt hat. So lenkt der Steuermann, wenn er an Bord gegangen ist, das Schiff mit dem Ruder, denn dazu hat er das Steuern gelernt. Und wenn der Arzt einen Kranken übernimmt, dann heilt er ihn mit Medikamenten und Verhaltensregeln, denn zu diesem Zweck hat er seine Kunst erworben. (19) So wäre es dann auch bei euch? Wenn ihr über eure Stadt beraten müßt und euch versammelt habt, dann stehen die einen von euch auf und spielen Zither, etliche andere ringen miteinander, und wieder andere nehmen sich den Homer oder Hesiod vor und rezitieren

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[I3, '9-2'

daraus? Denn das versteht ihr besser als die andern, und damit glaubt ihr, gute Männer zu werden und eure öffentlichen wie privaten Angelegenheiten richtig führen zu können. Mit diesen Erwartungen verwaltet ihr jetzt die Stadt, und ihr bildet eure Söhne aus in der Hoffnung, sie könnten ihre eigenen und die öffentlichen Interessen wahrnehmen, wenn sie nur imstande sind, ,Pallas, gewaltige Stad tzerstörerin' 14 zufriedenstellend ZU spielen oder nach der Leier zu tanzen. Wie ihr aber das für euch selbst und für eure Vaterstadt Zuträgliche erkennt, wie ihr recht und gesetzlich in Eintracht eure Stadt verwaltet und miteinander lebt, ohne daß einer dem anderen Unrecht tut und ihn bedroht, das habt ihr niemals gelernt noch lag euch jemals daran; und auch jetzt kümmert ihr euch nicht darum. (20) Und doch seht ihrjedesmal an den Dionysien die Schauspieler in den Tragödien, und das Unglück der tragischen Helden erbarmt euch. Trotzdem habt ihr noch niemals daran gedacht, daß dieses Unglück nicht Leute trifft, die des Lesens und Schreibens unkundig sind, falsch singen oder nicht ringen können. Und noch keiner hat nur deswegen, weil einer arm war, eine Tragödie über ihn herausgebracht. Ganz im Gegenteil, wie man sehen kann, sind Männer wie Atreus, Agamemnon und Oidipus die Helden der Tragödie, also Leute, die Gold und Silber, Land und Vieh im Überfluß besaßen; und gerade der unglücklichste von ihnen soll sogar ein Schaf aus Gold gehabt haben 15. (2I) Thamyris, der wunderbar Zither spielen konnte und mit den Musen selbst um den Preis in der Musik kämpfte, wurde deswegen blind und verlern te obendrein· noch seine Kunst 16. Auch den Palamedes bewahrte die Erfind un g der Buchstaben nicht davor, gegen jedes Recht von den Achaiern, seinen eigenen Schülern, gesteinigt zu werden 17. Solange sie noch keine Buchstaben kannten und von dieser Wissenschaft keine Ahnung hatten, ließen sie ihn leben. Als er aber allen andern und an erster Stelle natürlich den Atriden die Buchsta-

13.~1-'41

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ben gezeigt hatte und mit den Buchstaben zugleich auch, wie man Feuerzeichen gibt und sein Kriegsvolk zählt - vorher konnten sie ja nicht einmal ihren Heerhaufen so gut abzählen wie Hirten ihre Schafe -, da töteten sie ihn, durch den sie schlauer und geschickter geworden waren. (22) Wenn ihr aber glaubt», fuhr Sokrates fort, «die Redner seien geeignet, euch gute Ratschläge zu geben, und ihre Kunst mache tüchtige Männer, wundere ich mich, daß ihr ihnen nich t auch die Entscheidung in politischen Fragen überlaßt, sondern euch selbst damit befaßt, daß ihr ihnen nicht, wenn ihr sie schon für die gerechtesten und besten Menschen haltet, auch die Verwaltung eurer Finanzen anvertraut. Allerdings würdet ihr dann genauso handeln, wie wenn ihr Ruderer oder Rudermeister zu Steuerleuten und Kapitänen eurer Dreiruderer machen wolltet.» (23) Dann machte wohl einer der Politiker oder Redner Sokrates gegenüber geltend, daß es immerhin diese Erziehung war, mit der die Athener, als die Perser mit ihrem Millionenheer zweimal nacheinander gegen Athen und das übrige Griechenland zogen - das erste Mal schickte der Groß könig eine Streitmacht unter seinen Feldherren, später erschien Xerxes selbst mit dem gesam ten Kriegsvolk aus Asien -,alle diese Massen besiegten und ihnen in jeder Beziehung überlegen waren, im Planen so gut wie im Kämpfen. Wie hätten sie über eine solche Zurüstung und eine solche Masse die Oberhand gewinnen können, wenn sie nicht besonders tüchtig gewesen wären? Und wie hätten sie so tüchtig sein können, wenn sie nicht die beste, sondern eine schlechte und nutzlose Erziehung genossen hätten? (24) Auf einen solchen Einwand pflegte Sokrates zu sagen: «Auch jene kamen nicht ohne jede Erziehung und ohne die Fähigkeit, sich über ihre Angelegenheiten zu beraten. Sie waren geübte Bogenschiitzen, Reiter und Jäger, und sich zu entblö-

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ßen oder auf der Straße auszuspucken galt ihnen als die größte Schande '8 • Aber das sollte ihnen nicht viel helfen. Denn da War kein Feldherr oder König über ihnen, es gab nur Myriaden Von Menschen, alle ohne Einsicht, zum Untergang verurteilt. Nur einer unter ihnen trug die Tiara aufrecht 19 und saß auf einem goldnen Thron. Von ihm wurden sie alle wie von einem bösen Geist gewaltsam gejagt, die einen ins Meer, die andern von den Bergen herab, und sie waren gezwungen, mit Peitschen hieben vorangetrieben und zitternd vor Angst zu sterben. (25) Wie wenn zwei miteinander ringen, die vom Ringen nichts verste_ hen, der eine den andern wohl auch einmal niederwirft, aber nicht durch sein Können, sondern ganz zufallig, häufig sogar zweimal hintereinander, so waren auch in den Kämpfen zwischen den Athenern und Persern bald die Athener siegreich, bald die Perser, zum Beispiel später, als sie auf seiten der Spartaner Athens Mauern niederreißen ließen '0. (26) Kannst du mir nun sagen, ob die Athener zu dieser Zeit weniger musisch waren, ob sie schlechter lesen und schreiben konnten? Und später dann, zur Zeit des Konon, als sie die Seeschlacht bei Knidos 21 gewannen, da waren sie wieder bessere Ringer und Sänger?» So bewies ihnen Sokrates, daß sie keine brauchbare Erziehungbesaßen.Aber das gilt nicht nur für die Athener, sondern geradezu fur alle Menschen in Vergangenheit und Gegenwart. (27) Keine Erziehung zu haben, nicht zu wissen, worauf es ankommt, nicht einmal hinreichend fur das Leben vorbereitet zu sein, zu leben und derartig große Dinge unternehmen zn wollen - das könne nicht einmal ihnen selbst gefallen, denn sie tadelten doch ihrerseits Leute ohne Wissen und Erziehung, weil sie nicht in der Lage seien, ein richtiges Leben zu fUhren. Unwissend sei aber nicht, wer nicht weben, schustern oder tanzen könne, sondern wer nicht wisse, was man wissen muß, um ein rechtschaffener Mensch zu sein.

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(28) Auf solche Weise forderte er dazu auf, mi t großer Sorgfalt auf sich selbst achtzuhaben und sich mit Philosophie zu befassen, denn es war ihm klar, daß diese Sorge nichts anderes bedeute als Beschäftigung mit der Philosophie: Zu trachten und seinen Ehrgeiz dareinzusetzen, ein rechtschaffener Mensch zu werden, heißt ja, sich philosophischen Fragen zu widmen. Allerdings gebrauchte Sokrates diesen Begriff nur selten; in der Regel forderte er dazu auf, danach zu trachten, daß man ein guter Mensch werde. (29) Gewöhnlich äußerte ich also vor meinen Hörern solche altmodischen, schlichten Gedanken. Als ich dann in Rom lebte und man mir keine Ruhe ließ, wagte ich kein eigenes Wort zu sagen aus Furcht, man könne mich auslachen und für töricht halten; denn ich war mir wohl bewußt, wie altmodisch und unwissend ich war. Da dachte ich bei mir: Wie wär's, wenn du in der Art des Sokrates über das sprächest, was sie über alles schätzen, ihren zügellosen Luxus, ihnen sagtest, daß nichts Gutes daran ist und daß sie einer gründlichen, guten Erziehung bedürfen? Vielleicht werden sie dich dann wegen deiner Worte nicht verlachen und einen Tor nennen. (30) Und wenn sie es doch tun, wirst du sagen können, daß dies die Gedanken eines Mannes sind, den die Griechen alle wegen seiner Weisheit bewunderten, den selbst ApolIon für weise hielt". Und Archelaos, König von Makedonien, der selbst eine ganze Menge wußte und mit vielen weisen Männern verkehrte, lud ihn gegen Lohn und Geschenke ein, um diese Gedanken aus seinem Mund zu hören. (31) So versuchte auch ich, zu den Römern zu sprechen, als sie mich gerufen und zu Vorträgen eingeladen hatten; allerdings nahm ich sie mir nicht zu zweit oder dritt in Ringschulen und Wandelhallen vor, denn sich auf diese Weise zu treffen ist in jener Stadt unmöglich. Vielmehr waren es große Versammlungen, vor denen ich von der Notwendigkeit einer besseren

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und sorgfältigeren Erziehung sprach, wenn sie wirklich und in Wahrheit und nicht nur, wie es jetzt der Fall sei, nach dem Glauben der großen Menge glücklich sein wollten. «Wenn euch jemand zu dieser Ansicht bekehren und flir sie gewinnen kann, daß nichts von dem, worum ihr euch jetzt bemüht, ein wirkliches Gut ist, nichts, was ihr mit allem Eifer zu gewinnen trachtet im Glauben, je mehr ihr davon besäßet, desto besser und glücklicher leben zu können, Wert hat; (32) wenn ihr Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit übt und in eure Seelen aufnehmt; wenn ihr dafür und fUr alles andere Lehrer ausfindig macht, unbekümmert darum, ob es Griechen oder Römer sind oder gar ein Skythe oder Inder auf diesem Gebiet Erfahrung hat - es gibt ja sicher Lehrer fürs Bogenschießen und Reiten oder, beim Himmel, Ärzte, die die Krankheiten des Körpers heilen können, und so müßte dieser Mann in der Lage sein, die Krankheiten der Seele zu heilen -, wenn ihr also einen Mann findet, der die von Maßlosigkeit, Habsucht und ähnlichen Krankheiten Befallenen davon befreien kann; (33) wenn ihr ihn durch Vernunftgründe oder durch Freundschaft - denn mit Geld oder anderen Geschenken läßt sich ein solcher Mann nicht gewinnen - überreden könnt mitzukommen und ihn mit Beschlag belegt; wenn ihr ihm auf eurer Burg einen platz anweist und durch ein Gesetz allen jungen Leuten ebenso wie den Erwachsenen zur Pflicht macht, regelmäßig zu ihm zu kommen und mit ihm zusammenzusein, bis ihr alle weise geworden seid und die Gerechtigkeit liebgewonnen habt, bis ihr Gold, Silber, Elfenbein, Leckereien, ParfUm und Liebeslust verachten gelernt habt und ein glückliches Leben fUhrt, Herren an erster und wichtigster Stelle über euch selbst und danach über die andern - (34) dann erst», schloß ich, «ist eure Stadt groß und mächtig und in Wahrheit eine Herrscherin, denn ihre jetzige Größe ist verdächtig und keineswegs festgegründet. Je mehr nämlich Tapferkeit, Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung bei

IN ATHEN

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euch gelten, desto weniger Silber und Gold wird es geben, desto weniger Geräte aus Elfenbein und Bernstein, Kristall, Thyonund Ebenholz, Schmuck und Putz und Schminke der Frauen, kurz: Alles, was jetzt in der Stadt hoch im Kurs steht und heftig umworben wird, werdet ihr dann weniger brauchen, (35) und wenn ihr den Gipfel der Tüchtigkeit erreicht habt, überhaupt nicht mehr. Ihr werdet in kleineren und zweckmäßigeren Häusern wohnen und nicht mehr solche Scharen von faulen, unnützen Sklaven halten. Und das Allermerkwürdigste : Je frommer und gottesfurchtiger ihr werdet, desto weniger Weihrauch, Räucherwerk und Kränze wird es bei euch geben, und ihr werdet weniger und nicht so kostspielige Opfer darbringen. Überhaupt wird die ganze Menschenmenge, die ihr jetzt in eurer Stadt unterhaltet, viel geringer sein, und die gesamte Stadt wird wie ein Schiff, das man entlädt, sich höher heben und viel wendiger und sicherer werden. (36) Dasselbe haben euch auch, wie ihr finden werdet, die Sibylle und Bakis vorhergesagt, wenn sie wirklich gute Propheten und Seher waren. Der gegenwärtige Zustand aber, daß wegen der Unmenge von Schätzen, die aus aller Welt alle hier an diesem einen Ort aufgehäuft worden sind, Verschwendung und Habsucht regieren, erinnert daran, wie Achilleus den Scheiterhaufen für Patroklos prunkvoll mit viel Holz, vielen Toten und reichlich Kleidern, dazu auch mit Fett und Öl errichtet und dann, indem er den Spenden trank ausschüttet und Opfer verspricht, die Winde anruft, sie möchten kommen und den Scheiterhaufen anzünden und verbrennen'3. (37) Denn ein Besitz wie der eure ist nicht weniger dazu geschaffen, Ausschweifung und Maßlosigkeit zu entfachen.» Allerdings sagte ich ihnen nicht, daß diese Erziehung ihnen schwerfallen werde: «Ihr, die ihr fi'üher nicht besser wart als die übrigen, habt ja auch alles andere, was ihr wolltet, schnell gelernt - ich meine reiten, schießen und in schweren Waffen kämpfen '4.»

262

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (I)

14. KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT

(I)

(I) Lieber als alles andere wollen die Menschen frei sein, und in der Freiheit sehen sie das höchste Gut, in der Knechtschaft aber das schimpflichste und unglücklichste Los. Was Freisein und Knechtsein aber eigentlich ist, das wissen sie nicht. Und so tun sie auch so gut wie nichts, um dem Schimpflichen und Beschwerlichen, der Knech tschaft, zu en tgehen und, was ihnen so wertvoll scheint, die Freiheit, zu erringen, vielmehr machen sie genau das, was alle, die sich darauf einlassen, notwendig in ewige Knechtschaft fUhrt und niemals die Freiheit erlangen läßt. (2) Indes darf man sich vielleicht nicht einmal darüber wundern, daß diese Leute weder erreichen noch vermeiden können, was sie nicht kennen. Wenn sie zum Beispiel nicht wüßten, was Schaf und Wolf sind, trotzdem aber glaubten, das eine sei nützlich und seine Anschaffung gut, das andere schädlich und abträglich, so wäre es doch keineswegs verwunderlich, wenn sie das SchaffUrchteten und gegebenenfalls vor ihm flö. hen, als wäre es ein Wolf, den Wolf aber im Glauben, er sei ein Schaf, an sich herankommen ließen und nicht fortliefen. Denn so macht es die Unwissenheit mit den Unwissenden: Sie zwingt sie, jeweils das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigen und was ihnen nützlich ist, zu fliehen oder zu verfolgen. (3) Wir wollen nun sehen, ob die große Menge eine gen aue Kenntnis von Freiheit und Knechtschaft hat. Denn vielleicht sind unsere Vorwürfe unberechtigt und versteht sie reeht viel davon. Wenn jemand sie fragte, was Freisein eigentlich ist, würde sie vielleicht aritworten: von niemand abhängig sein, sondern einfach tun, was einem gefäll t. (4) Wenn man aufdiese An twort hin weiterfragte, ob es wohl schön sei und einem freien Mann anstehe, als Sänger in einem Chor nicht auf den Dirigenten zu

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (I)

achten und sich ihm unterzuordnen, sondern richtig oder falsch zu singen, wie es einem gerade in den Sinn komme; ob das Gegenteil aber, auf den Chorleiter zu achten und ihm zu folgen und dann mit dem Singen anzufangen und aufzuhören, wenn er das Zeichen gibt, schimpflich und sklavenhaft sei, so wäre der Betreffende damit wohl kaum einverstanden. (5) Und auch nicht, wenn man ihn fragte, ob es seiner Meinung nach den freien Mann verrate, sich auf See nicht um den Steuermann zu kümmern und nicht zu tun, was er sagt, daß man also zum Beispiel auf seinen Befehl, sich zu setzen, im Boot steht, wenn es einem nicht paßt, oder auf den Befehl, Wasser zu schöpfen oder beim Hissen der Segel behilflich zu sein, kein Wasser schöpft und kein Tau anrührt; auch diesen Mann wird er nicht für frei und nachahmenswert halten, da er tut, was ihm gerade einfällt. (6) Gewiß wird er auch die Soldaten nicht deswegen Sklaven heißen, weil sie ihrem Führer gehorsam sind und dann aufstehen, wenn er es befiehlt, Proviant fassen, die Waffen aufnehmen, sich in Reih und Güed stellen, angreifen und zurückgehen genau nach dem Befehl ihres Führers. Auch wird man die Kranken nicht Sklaven nennen, weil sie den Anweisungen der Ärzte folgen. (7) Und doch sind es keine kleinen und leichten Dinge, in denen sie sich nach ihnen richten, vielmehr müssen sie manchmal Hunger und Durst ertragen. Befindet es der Arzt einmal für gut, den Kranken zu binden, zu schneiden oder zu brennen, so wird er auf der Stelle gebunden, gebrannt und geschnitten, solange es jener fur gut hält. Und wenn sich der Kranke sträubt, springen alle im Haus dem Arzt bei, und nicht nur die Freien, auch die Diener des Kranken binden oftmals ihren Herrn, bringen Feuer, damit er gebrannt werden kann, und leisten sonstige Dienste. (8) Du wirst nun doch nicht behaupten wollen, dieser Mann sei nicht frei, weil er auf Geheiß eines anderen viele Unannehmlichkeiten über sich ergehen läßt? Den Perserkönig Dareios zum Beispiel würdest du wohl

264

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (I)

['4,8-11

kaum unfrei nennen, weil er, als er sich auf der Jagd bei einem Sturz vom Pferd den Knöchel verrenkt hatte, sich den Ärzten fügte, die seinen Fuß zerrten und renkten, um das Gelenk wieder einzurichten, und obendrein noch Ägypter waren. Oder den Xerxes, der auf dem Rückzug von Griechenland in einen Sturm geraten war und an Bord des Schilfes allen Anweisungen des Steuermanns folgte und sich nicht einmal erlaubte, gegen dessen Meinung sich zu bücken oder sich von der Stelle zu bewegen. - Man wird also nicht mehr sagen können, Freiheit bestehe darin, von keinem Menschen abhängig zu sein und zu tun, was man wolle. (9) Aber vielleich t wird man ein wenden, daß diese Leu te sich zu ihrem eigenen Vorteil unterordnen, wie die Passagiere dem Steuermann, die Soldaten dem Führer, die Kranken dem Arzt gerade aus diesem Grund gehorchen, denn sie würden doch nichts anderes anordnen, als was den von ihnen Abhängigen nütze; die Herren aber trügen ihren Dienern nicht auf, was jenen nütze, sondern was sie für sich selbst für vorteilhaft hielten. (10) Wie steht es damit? Ist es für den Herrn ein Vorteil, wenn sein Diener stirbt oder krank oder ein Nichtsnutz ist? Das wird niemand behaupten wollen, vielmehr, glaube ich, das Gegen teil: wenn er am Leben bleibt und gesund und tüchtig ist. Und genau das stellt sich auch für den Diener als vorteilhaft heraus. Daher trägt der Herr, wenn er vernünftig ist, seinem Diener nur auf, was diesem genauso zuträglich ist, denn das erweist sich auch für ihn selbst als Vorteil. (II) «Aber für wen Geld bezahlt worden ist, der ist doch unbedingt ein Sklave.» Nun, haben nicht schon viele Menschen für viele Freie Geld aufgebracht und Feinden oder Räubern Lösegeld gezahlt? Haben nicht andere ihren Herren den für sie gezahlten Kaufpreis erstattee? Deswegen sind sie doch wohl nicht ihre eigenen Sklaven geworden!

14,12-14]

KNECHTSCHAFT UND FREIHElT (1)

265

(12) «Wen aber ein anderer peitschen, binden, töten und behandeln kann, wie er will, der ist doch gewiß des andern Sklave.» Wie steht es damit? Können das nicht auch Räuber mit ihren Gefangenen tun? Deswegen sind diese doch noch nicht Sklaven. Und ferner: Können nicht Richter viele der Angeklagten zu Gefangnis, zum Tode oder zu allem anderen, was sie wollen, verurteilen? Und doch ist der Angeklagte kein Sklave. Wenn er es aber für den einen Tag, an dem er vor Gericht steht, sein sollte, so hat das nichts zu sagen. Denn hat man schon einmal gehört, daß jemand für einen einzigen Tag Sklave gewesen ist? (13) «Aber will man es in einem Satz zusammenfassen, muß man eben doch sagen: Wer tun kann, was er will, ist frei; wer das nicht kann, ist ein Sklave.» Von den Passagieren, den Kranken, den Soldaten und denen, die lesen und schreiben, Zither spielen, ringen oder eine andere Fertigkeit lernen, wirst du das gewiß nicht behaupten wollen; denn sie können nicht machen, was ihnen gefällt, sondern müssen tun, was ihnen der Steuermann, der Arzt und der Lehrer vorschreibt. Und so können auch alle anderen nicht einfach tun, was sie wollen, vielmehr wird jeder, der gegen die bestehenden Gesetze verstößt, bestraft. (14) «Nun gut, wer in allem, was von den Gesetzen weder verboten noch geboten ist, handeln kann, wie er will, der ist frei, und wer dazu nicht in der Lage ist, ein Sklave.» Wie, glaubst du alles tun zu dürfen, was von den Gesetzen nicht ausdrücklich verboten ist, im übrigen aber den Menschen als häßlich und verkehrt gilt? Ich meine etwa, Zoll einzunehmen,ein Bordell zu halten oder sonst etwas dergleichen zu tun. «Nein, keineswegs möchte ich behaupten, die Freien dürften so etwas tun. Denn auch das wird bestraft, mit dem Haß und dem Unwillen der Leute.»

266

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (1)

[14,15-18

(15) Also gut, was unbeherrschte Menschen in ihrer Unbe_ herrschtheit, unverständige in ihrem Unverstand tun - ob sie nun ihr Vermögen oder ihren Leib vernachlässigen oder sich ungerecht und rücksichtslos gegeneinander betragen -, das alles ist doch schon eine Strafe für die, die es tun, denn sie leiden Schaden an ihrem Leib, ihrem Vermögen oder, was das Wichtigste ist, an ihrer Seele. «Da hast du recht.» Also auch diese Dinge darf man nicht tun. «Nein.» (16) Kurz, was schlecht, verkehrt und schädlich ist, darf man nicht tun, vom Rechten, Nützlichen und Guten aber muß man sagen, daß es sich empfiehlt und erlaubt ist? «Ich glaube, ja.» Niemand tut also ungestraft etwas Schlechtes oder Schädliches, weder ein Grieche noch ein Ausländer noch jemand, fur den man Geld bezahlt hat. «Nein.» Die entgegengesetzten Dinge aber sind allen gleich gestattet, und wer das Erlaubte tut, bleibt von Strafe verschont, wer aber das Verbotene tut, wird bestraft. (17) Glaubst du nun, daß jemand anders das Erlaubte tut als der, der es kennt, und jemand anders das Verbotene tut als der, der es nicht kennt? «Aufkeinen Fall.» Also dürfen auch die vernünftigen Leute alles tun, was sie wollen, die unvernünftigen aber nicht. Daher sind die Vernünftigen notwendig auch frei und dürfen handeln, wie sie wollen, die Unvernünftigen aber Sklaven, die tun, was sie nicht dürfen. «Vielleicht.» (18) Demnach müssen wir die Freiheit als Kenn tnis von dem, was erlaubt und verboten ist, bestimmen, die Unfi'eiheit als Unkenntnis von beidem. Nach dieser Definition würde den

14,18-21]

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (I)

267

Großkönig nichts hindern, auch wenn er eine noch so große Tiara auf dem Kopf trüge, ein Sklave zu sein und lauter Dinge ZU tun, die er nicht tun dürfte; denn mit allem, was er tu t, wird er sich selbst strafen und schädigen. Jemand anders aber, der aussieht wie ein Sklave und auch so genannt wird, der nicht nur einmal, sondern, wenn es sich trifft, vielmals verkauft worden ist, ja sogar, wenn es der Zufall will, ganz dicke Fesseln trägt, ist vielleicht eher frei als der Großkönig. (19) «Mir kommt es höchst merkwürdig vor, daß einer, der in Fesseln geht, dem ein Zeichen eingebrannt ist oder der in einer Mühle arbeiten muß, eher frei sein soll als der Großkönig.» Nun, warst du schon einmal in Thrakien? «Ja.» Hast du da nicht gesehen, daß die freigeborenen Frauen dort voller Tätowierungen sind, daß diese Tätowierungen um so zahlreicher und bunter sind, je größeres Ansehen die Trägerinnen und ihre Familien genießen 2? «Was willst du damit sagen?» (20) Daß eine Königin, wie es scheint, nichts daran hindert, tätowiert zu sein. Glaubst du, bei einem König sei das anders? Du hast wohl nie von jenem Volk gehört, bei dem der König aufeinem sehr hohen Turm bewach t wird und nicht vom Turm herabsteigen darf3? Hättest du davon gehört, so wüßtest du, daß ein König sehr wohl eingeschlossen sein kann. Und vielleicht hättest du, wenn du ihnen vom Großkönig erzählt hättest, die Verwunderun g dieser Leu te bemerken können und ihr Mißtrauen, daß es da einen König gibt, der auf einem Wagen durch die Gegend fährt und geht, wohin er will. «Aber ein Beispiel für einen König in Fesseln wirst du nicht nennen können.» (21) Vielleicht nicht gerade bei den Menschen. Aber wenn wir Hesiod, Homer und anderen weisen Männern, die diese Geschichte von Kronos erzählen, glauben dürfen, ist der erste

268

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2) [14,2'-'5,1

und älteste König der Götter 4 gefesselt worden, lind das ist ihm, beim Himmel, nicht von einem Feind und zu Unrecht widerfahren, sondern von dem gerechtesten und ihm liebsten Gott, der offensichtlich glaubte, königlich und ihm zum Nutzen zu handeln, (22) Die Leute wissen das aber nicht, und sie würden niemals glauben, daß ein Bettler, ein Gefangener oder namenloser Mann König sein konnte, und doch hören sie, daß Odysseus, obwohl er ein Bettler war und bei den Freiern betteln ging, trotzdem König und Herr des Hauses war. Antinoos und Eurymachos aber, die Homer Könige nennt, waren armselige und unglückliche Menschen. Aber wie gesagt, das wissen die Leute nicht, und damit man sie ja als Könige erkennt, legen sie sich als Zeichen ihrer Würde Tiara, Zepter und Diadem zu wie Eigentümer ihr Vieh mit Zeichen versehen, um es leichter erkennen zu können. (23) So war auch der Perser könig daraufbedacht, daß er allein eine aufrecht stehendeTiara habes. Wagte das jemand anders, mußte er sofort sterben, da es nicht richtig und ratsam schien, daß unter solch zahllosen Menschen zwei eine aufrechte Tiara trügen. Daß er aber eine aufrechte Gesinnung und niemand klügere Gedanken habe als er, darauf achtete er überhaupt nicht. (24) Daher fürchte ich, daß wir, wie es damals fur die Königswürde Zeichen gab, jetzt solche Zeichen für die Freiheit brauchen und mit einem Filzhut 6 auf dem Kopf einhergehen müssen; sonst werden wir den Freien vom Sklaven nicht unterscheiden können. IS. KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

(I) Kürzlich war ich Zeuge, als einige Leute eine Auseinandersetzung über Knechtschaft und Freiheit hatten, nicht vor Gericht oder auf dem Marktplatz, sondern nur so zu Hause, und zwar ziemlich lange. Jeder der beiden Männer hatte eine ganze Anzahl Parteigänger auf seiner Seite. Sie schienen sich vorher

15. 1- 4]

KNECHTSCHAPT UND FREIHEIT (2)

269

über etwas anderes gestritten zu haben. Der eine nun, der bei dem Wortwechsel den kürzeren gezogen hatte, wußte keinen anderen Ausweg mehr, als sich aufs Schimpfen zu verlegen, wie das so zu sein pflegt, und warf dem anderen vor, er sei kein freier Mann. Der aber lächelte nur freundlich und sagte: (2) «Woher weißt du das? Kann man überhaupt wissen, mein Lieber, wer ein Sklave und wer frei ist?» «Ja, natürlich », an twortete der andere. «Auf jeden Fall weiß ich, daß ich frei bin und alle diese Leute hier auch, daß du aber mit Freiheit überhaupt nichts zu tun hast.» Da lachten einige der Anwesenden. Der Mann aber wurde keineswegs verlegen, sondern wie tapfere Hähne sich nach einem Schlag aufraffen und Mut fassen, so raffte auch er sich nach dieser Beschimpfung auf und faßte Mut. Er fragte seinen Partner, woher er über sie beide Bescheid wisse. (3) «Weil ich weiß», sagte jener, «daß mein Vater so gut wie jeder andere Athener ist, dein Vater aber Sklave bei dem und dem» - und er nannte den Namen. «Was hinderte mich demnach», fragte der erste weiter, «mich im Kynosarges l zusammen mit den Söhnen eines unfreien Vaters zu salben, wenn ich der Sohn einer freigeborenen Mutter, die vielleicht sogar aus der Stadt stammt, und des von dir genannten Vaters bin? Oder haben nicht schon oft Frauen auS der Stadt in ihrer Verlassenheit und Not von Fremden oder Sklaven Kinder bekommen, ob sie es nun wußten oder nicht? Und doch ist keins dieser Kinder ein Sklave, sondern lediglich kein Athener'.» (4) «Aber ich weiß», entgegnete der andere, «daß deine Mutter im selben Haus wie dein Vater Sklave war.» «Das mag sein », sagte der erste. «Aber weißt du denn, wer deine Mutter ist?» «Gewiß, sie ist in der Stadt geboren wie ihre Eltern und brachte eine beträchtliche Aussteuer in die Ehe mit.»

270

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

«Kannst du denn auch beschwören, daß du von dem Vater stammst, den sie als deinen Vater ausgibt? Telemachos Zum Beispiel wagte nicht, von Penelope, der Tochter des lkarios, die doch in einem sehr guten Ruf stand, mit Sicherheit zu behaupten, daß sie mit ihrer Erklärung, Odysseus sei sein Vater, die Wahrheit sage 3 • Du aber würdest das, wie es scheint, nicht nur für dich selbst und für deine Mutter beschwören, falls man dich dazu aufforderte, sondern auch für jede beliebige Sklavin, die von irgendwem einmal ein Kind bekommen hat, wie du es von meiner Mutter behauptest. (s) Hältst du es denn für unmöglich, daß sie von einem anderen, einem Freigeborenen oder gar von ihrem eigenen Herrn, ein Kind bekommen hat? Schlafen nicht viele Athener mit ihren Dienerinnen, die einen heimlich, die anderen ganz unverhohlen? Sie alle werden doch wohl nicht besser sein als Herakles, der es nicht für unter seiner Würde hielt, sich mit der Sklavin des Iardanos einzulassen, die dann die Stammutter der Könige von Sardes wurde 4 • (6) Ferner wirst du nicht annehmen wollen, Klytaimnestra, die Tochter des Tyndareos und Gattin Agamemnons, habe nur mit Agamemnon, ihrem Mann, zusammengelebt. Du bist doch auch der Meinung, daß sie während seiner Abwesenheit mit Aigisthos zusammen war, daß Aerope, die Frau des Atreus, Beziehungen zu Thyestes hatte und daß viele andere Frauen von angesehenen und reichen Männern in früheren wie in heutigen Zeiten Verkehr mit anderen Männern gehabt und manchmal auch Kinder von ihnen bekommen haben. Und nur die Dienerin, von der du sprichst, soll so peinlich auf die Bin'dung an ihren Mann geachtet haben, daß sie sich mit keinem anderen einließ? (7) Ferner behauptest du von dir wie von mir steif und fest, daß jeder von uns beiden der Sohn derjenigen Mutter ist, die es zu sein scheint und dafür gehalten wird. Und doch könntest du eine ganze Anzahl auch sehr vornehmer Athener nennen, die, wie sich später herausstellte, nicht von dem Vater,

15.7-10]

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

271

ja nicht einmal von der Mutter, als deren Kinder sie galten, stammten, sondern als untergeschobene Kinder aufgezogen worden waren. Solche Dinge findest du immer in Komödien und Tragödien gesagt und dargestellt, und trotzdem machst du mit aller Sicherheit über dich und mich Aussagen, als wüßtest du genau, unter welchen Umständen wir geboren sind und von welchen Eltern wir stammen. (8) Weißt du nicht, daß es nach dem Gesetz erlaubt ist, denjenigen wegen übler Nachrede zu verklagen, der einen anderen schlechtmacht, ohne klare Beweise für seine An ga ben beibrin gen zu kön nen ?» «Ich weiß», erwiderte der andere, «daß sich die freigeborenen Frauen infolge ihrer Kinderlosigkeit häufig Kinder unterschieben lassen, wenn sie selbst unfruchtbar sind, Mann und Haus aber nicht verlieren wollen; sie sind jedoch in der Lage, die Kinder zu ernähren. Die Sklavinnen dagegen bringen ihr Kind zum Teil vor der Geburt, zum Teil, wenn sie es unbemerkt tun können, nach der Geburt um, mitunter sogar mit dem Einverständnis des Mannes, damit sie sich nicht neben ihrer Sklaven arbeit auch noch mit der Aufzucht von Kindern abplagen müssen.» (9) «Gewiß », entgegnete der erste, «die Sklavin des Oineus, des unehelichen Sohnes des Pandion, ausgenommen. Dessen Hirte nämlich und seine Frau, die in Eleutherai lebten, dachten nicht daran, ihre eigenen Kinder auszusetzen, sondern nahmen sogar fremde, die sie am Wege gefunden hatten und deren Eltern sie nicht kannten, bei sich auf und zogen sie groß wie ihre eigenen. Und auch später wollten sie niemals von sich aus zugeben, daß es fremde Kinder seien. Du aber hättest vielleicht auch Zethos und Amphion beschimpft, bevor herauskam, wer sie waren, und beschworen, sie seien Sklaven, sie, die Söhne des Zeus.» (ro) «Du rufst ja die TragikerS als Zeugen an!)} rief der andere mit spöttischem Lachen.

272

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

[I5.I<>-I2

«Denen die Griechen Glauben schenken», war die Antwort. «Wen nämlich die Dichter als Halbgott dargestellt haben, dem bringen die Gricchen offensichtlich als Halbgott auch Opfer dar, und die ihm erbauten Heroenheiligtümer kann man mit eigenen Augen sehen. Oder denke auch, wenn du willst, an die phrygische Sklavin des Priamos: Auf dem Ida zog sie Paris, den ihr Mann, ein Hirte, mitgebracht hatte, als ihren eigenen Sohn auf, ohne daß ihr die Arbeit zuviel geworden wäre. Telephos, der Sohn der Auge und des Herakles, soll sogar nicht von einer Frau, sondern von einer Hirschkuh gesäugt worden sein. Glaubst du denn, daß eine Hirschkuh mehr Mitleid mit ihren Jungen hat und mehr danach verlangt, es zu säugen, als eine menschliche Mutter, mag sie auch Sklavin sein? (II) Und wenn ich dir nun in Gottes Namen zugäbe, daß die von dir Genann_ ten meine Eltern sind, woher weißt du dann, daß sie Sklaven sind? Kanntest du etwa auch ihre Eltern so gen au und bist du bereit, auch bei ihnen zu beschwören, daß sie beide Kinder zweier Sklaven sind, sie und ihre Vorfahren und Stammväter ohne Ausnahme? Denn das ist doch klar: Wenn einer aus dem Geschlecht frei ist, kann man seine Nachkommen nicht mehr gut als Sklaven bezeichnen. Das aber ist nicht möglich, mein Bester, daß von Ewigkeit her, wie man sagt, ein Geschlecht unter den Menschen gewesen sei, in dem es nur unendlich viel Freie und nicht auch ebenso viele Sklaven gegeben hätte. Beim Himmel, Tyrannen und Könige, Gefangene und Gebrandmarkte, Krämer, Schuster und alles andere, was es bei den Menschen gibt - alle Berufe, alle Lebensformen, alles Glück und Unglück ist bei ihnen vertreten. (12) Oder weißt du nicht, daß die Dichter aus diesem Grund die Geschlechter der sogenannten Heroen gradlinig auf Götter zurückfUhren, damit man ihre Person nicht näher untersucht? Und die Mehrzahl von ihnen lassen die Dichter von Zeus abstammen, damit ihnen ihre Könige, Städtegründer und Namengeber nicht in etwas

15,12-14]

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

273

hineingeraten, was bei den Menschen als tadelnswert gilt. Wenn es nun so um das Menschengeschlecht bestellt ist, wie wir und andere, die weiser sind als wir, sagen, so dürftest du deiner Abstammun g nach nicht mehr an der Freiheit teilhaben als irgendein anderer, der rur den niedrigsten Sklaven gehalten wird - es sei denn, du führtest deinen Stammbaum schleunigst auf Zeus, Poseidon oder Apollon zurück. Dasselbe gilt auch von meiner Unfreiheit.» (13) «Nun », meinte der andere,« lassen wir das mit der Abstammung und den Vorfahren, da es dir so unsicher vorkommt. Mag sein, daß sich auch bei dir noch eine Abstammung wie bei Amphion und Zethos oder dem Priamossohn Paris herausstellt 6 • Aber daß du selbst Sklaven dienste verrichtest, das wissen wir alle.» «Wie», fragte der erste, «hältst du alle, die Sklavendienste verrichten, für Sklaven? Sind nicht viele von ihnen freigeboren und dienen zu Unrecht? Einige von ihnen sind ja schon vor Gericht gegangen und haben bewiesen, daß sie freigeboren waren; andere aber halten bis zum Ende durch, weil sie den eindeutigen Nachweis ihrer Freiheit nicht erbringen können oder weil sie es bei denen, die als ihre Herren gelten, nicht schlecht haben. (14) Denke doch nur an Eumaios, den Sohn des Ktesias und Enkel des Ormenos! War er nicht der Sohn eines freien und steinreichen Mannes? Und trotzdem diente er auf Ithaka bei Odysseus und Laertes. Obwohl er bei vielen Geb genheiten nach Hause hätte zuri.ickfahren können, wenn er gewollt hätte, dachte er doch niemals daran. Und dann die vielen Athener, die auf Sizilien gefangengenommen worden waren 7. Mußten sie nicht auf Sizilien und der Peloponnes Sklavendienste verrichten, obwohl sie freigeborene Männer waren? Und ausden vielen anderen Kriegen all die Gefangenen, mußten nicht auch sie dienen, die einen für eine bestimmte Zeit, bis sich jemand fand, der sie freikaufte, die anderen bis an

274

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

[X5.14-x8

ihr Ende? (15) Dann war auch der Sohn des Kallias, wie ange_ nommen wurde, lange Zeit in Thrakien Sklave, nachdem die Athener die Schlacht bei Akanthos 8 verloren hatten. Später entkam er dann und erhob nach seiner Rückkehr Anspruch auf das Erbe des Vaters, wobei er den Verwandten gewaltig zusetzte. Allerdings halte ich ihn für einen Betrüger: Er war nicht der Sohn, sondern der Pferdeknecht des Kallias und sah nur so aus wie der im Kampf gefallene junge Sohn; zudem sprach er fließend Griechisch und konnte lesen und schreiben. Aber unzählige andere ereilte das gleiche Schicksal, (16) und auch unter den jetzigen Sklaven hier gibt es viele Freigeborene, wie ich keinen Augenblick bezweifle. Denn wenn ein im Krieg gefangener Athener nach Persien gebracht oder gar nach Thrakien oder Sizilien geschleppt und verkauft wird, geben wir ihn doch nicht für einen Sklaven aus, falls er freigeboren ist. Wenn aber ein Thraker oder ein Perser, mag er dort nicht nur von freien Eltern geboren, sondern sogar der Sohn eines Fürsten oder Königs sein, hierher gebracht wird, billigen wir ihm nicht zu, ein freier Mensch zu sein. (17) Weißt du nicht», fragte er, «daß es in Athen, aber auch in vielen anderen Städten ein Gesetz gibt, das nur einen geborenen Sklaven vom Bürgerrecht ausschließt? Dem Sohn des Kallias aber - wenn er sich wirklich der Gefangenschaft entzog - nach seiner Heimkehr aus Thrakien das Bürgerrecht abzuerkennen, das hätte niemand fur recht gehalten, auch wenn jener viele Jahre in der Fremde war und oft ausgepeitscht wurde. So ist auch ab und zu im Gesetz bestimmt, daß nicht Sklave wird, wer zu Unrecht in Knechtschaft gerät. (18) Was denn, beim Himmel, habe ich nach deinem Wissen getan, oder was ist mir geschehen, daß du behaup. ten kannst, ich sei ein Sklave?» «Ich weiß, daß du von deinem Herrn unterhalten wirst, ihn begleitest und tust, was jener befiehlt, und daß du andernfalls geschlagen wirst.»

15,18-21]

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

275

«So bezeichnest du auch die Söhne als Sklaven ihrer Väter», wandte der andere ein, «denn bei armen Leuten ist es Brauch, daß die Söhne ihre Väter begleiten 9, wenn diese ins Gymnasion oder zum Essen gehen, und sie alle werden von ihren Vätern unterhalten und oft auch geschlagen, und sie folgen ihren Vätern in allem, was sie ihnen befehlen. (19) So könntest du auch wegen ihres Gehorsams und der Schläge, die sie bekommen, diejenigen, die bei einem Schulmeister Unterricht nehmen, seine Sklaven nennen und die Sportlehrer und sonstigen Lehrer die Herren ihrer Schüler, denn auch sie geben ihnen Befehle und schlagen sie, wenn sie n~cht gehorchen.» «Gewiß », erwiderte der Mann, «aber weder die Sportlehrer noch die anderen Lehrer dürfen ihre Schüler binden, verkaufen oder in der Mühle arbeiten lassen. Den Herren von Sklaven aber ist das alles erlaubt.» (20) «Vielleicht weißt du nicht, daß in vielen Städten, und zwar auch in solchen mit außerordentlich guten Gesetzen, die Väter alles von dir eben Erwähnte mit ihren Söhnen tun dürfen. Sie können sie sogar, wenn sie wollen, verkaufen, oder, was I)och schlimmer ist, ohne Prozeß und ohne jede Anklage töten 10. Und trotzdem sind sie Söhne, nicht Sklaven ihrer Väter. Wenn ich nun wirklich die niedrigste Sklavenarbeit verrichtet hätte und von meiner Geburt an dem Recht nach Sklave gewesen wäre, was hinderte mich denn, jetzt so gut wie jeder andere frei, und dich, auch wenn deine Eltern noch so freie Leute waren, der niedrigste Sklave zu sein?» (21) «Ich sehe nicht ein», entgegnete der andere, «wie ich als Freigeborener ein Sklave werden sollte. Bei dir allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß du die Freiheit erlangt hast, wenn dein Herr dich hat laufen lassen.» «Was denn, mein Besten>, fragte er, «kann man nur frei werden, wenn der Herr einen laufen läßt?» «Wie denn sonst?»

276

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

[15.21-24

«Wie - gemäß dem Beschluß der Athener nach der Schlacht von Chaironeia, alle Sklaven, die an ihrer Seite mitkämpfen wollten, freizulassen - viele, ja fust alle Sklaven in Athen frei geworden wären, wenn der Krieg fortgedauert und Philipp nicht so schnell Frieden mit Athen geschlossen hätte. Und doch wäre nicht jeder einzeln von seinem Herrn freigelassen worden.» «So mag auch das gelten, daß dir die Stadt auf allgemeinen Beschluß die Freiheit gibt.» (22) «Aber ich selbst kann mich nach deiner Meinung nicht frei machen 7» «Nur wenn du dir Geld beschaffst und dich von deinem Herrn loskaufst.» «Aber so meine ich das nicht, sondern wie Kyros sich selbst und alle Perser, eine solch große Menge, frei machte, ohne jemandem Geld zu geben oder von seinem Herrn freigelassen worden zu sein. Oder weißt du nicht, daß Kyros der Lampenmacher des Astyages gewesen ist und, als er dazu in der Lage war und ihm die Zeit gekommen schien, frei und zugleich König von ganz Asien wurde 11 7» «Von mir aus. Aber wie meinst du, daß ich ein Sklave werden könnte?» (23) «Weil doch unzählige Freie sich selbst verkaufen", so daß sie durch einen Vertrag Sklaven sind, gelegentlich sogar unter keineswegs annehmbaren, sondern außerordentlich harten Bedingungen.» Bis zu diesem Punkt nun hörten sich die Anwesenden das Gespräch unter dem Eindruck, daß die beiden sich weniger im Ernst als im Scherz unterhielten, ruhig an. Dann aber ereiferte man sich und hielt es fur sonderbar, daß man kein Zeichen an· geben könne, durch das der Sklave ganz eindeutig vom Freien zu unterscheiden sei, und daß sich in jedem Einzelfall leicht Zweifel und Widerspruch erheben könnten. (24) So ließen sie

15,24-26]

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

277

die Erörterungen über jenen Mann, ob er nun ein Sklave sei oder nicht, fallen und fragten, wer denn überhaupt ein Sklave sei. Und man einigte sich, daß der zu Rech t ein Sklave genann t werde und Sklave seines Besitzers sei, den sein Herr wie ein anderes Stück seines Eigen turns oder Viehs rechtmäßig erworben habe, so daß er mit ihm machen könne, was er wolle. Wiederum erhob da der Mann, der sich gewehrt hatte, als Sklave ausgegeben zu werden, Einspruch und fragte, worin denn eigentlich die Rechtmäßigkeit des Eigentums bestehe. (25) Denn bei Häusern, Grundstücken, Pferden und Rindern habe es sich schon oft herausgestellt, daß ihre Eigentümer sie lange Zeit zu Unrecht besaßen, gelegentlich sogar auch, wenn sie das Betreffende vom Vater geerbt hatten. So könne man doch auch einen Menschen zu Unrecht besitzen. Ein Teil der Herren bekomme seine Sklaven wie auch den ganzen übrigen Besitz von anderen durch Schenkung, Erbschaft oder Kauf, andere besäßen ihre Sklaven von Anfang an, da sie im Haus geboren seien - die sogenannten Haussklaven. Die dritte und wohl älteste Art überhaupt, zu einem Sklaven zu kommen, sei die, daß man im Krieg oder auf einem Streifzug einen Gefangenen mache und ihn dann als Sklaven halte. Denn es sei nicht anzunehmen, daß die ersten Sklaven ursprünglich von Sklaven geboren seien, vielmehr seien sie wohl auf einem Streifzug oder im Krieg·überwältigt und gezwungen worden, ihren Besiegern zu dienen. (26) Das sei also die älteste Art, von der alle übrigen ausgegangen seien - eine außerordentlich schwache und unsichere Methode, denn wenn diesen Sklaven einmal die Flucht gelinge, hindere sie nichts daran, wieder frei zu sein, da sie zu Unrecht hätten dienen müssen und folglich auch zu jener Zeit keine Sklaven gewesen seien. Es könne sogar vorkommen, daß sie nicht nur der Knechtschaft entrännen, sondern ihre Herren zu Sklaven machten, und dann, wenn sich das Blättchen gewendet habe, sei alles genau umgekehrt wie früher. II

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KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

[I5.2()...2g

Da wandte einer der Anwesenden ein, daß diese Leute selbst vielleicht noch nicht Sklaven genannt werden könnten, ihre Nachkommen aber im zweiten und dritten Glied vollkommen zu Recht diese Bezeichnung verdienten. (27) «Wie kann das sein? Wenn die Gefangennahme den Sklaven macht, verdienen die Gefangenen selbst diese Bezeich. nung eher als ihre Nachkommen; wenn aber die Abstammung von Sklaven, so wären die Nachkommen von freigeborenen Gefangenen doch offensichtlich keine Sklaven. Denn wir sehen ja, daß jene Messenier, wenn auch erst nach vielen Jahren, nicht nur die Freiheit, sondern auch ihr Land wiederbekommen ha. ben. (28) Als nämlich die Thebaner bei Leuktra über die Spar. taner gesiegt hatten, zogen sie zusammen mit ihren Verbün_ deten in die Peloponnes und zwangen die Spartaner, Messenien wieder zurückzugeben, und siedelten alle Nachkommen der Messenier, die in Sparta bis dahin als Sklaven hatten dienen müssen - die sogenannten Heloten - wieder in Messenien an. Niemand wird behaupten wollen, die Thebaner hätten damit ein Unrecht begangen. Was sie taten, war durchaus gut und recht. Wenn also diese Art Sklaven zu machen, aus der sich alle übrigen ableiten, nicht gerecht ist, so sind es wahrscheinlich auch alle übrigen nicht, und in der Tat, niemand dürfte dann mit Recht Sklave genannt werden. (29) Ursprünglich wurde der Begriff Sklave wohl nicht, wie die Menge glaubt, in dieser Bedeutung gebraucht, ftir jemand, dessen Körper ein Herr käuflich erworben hat oder der von sogenannten Sklaven abstammt, viel eher ftir einen Menschen mit dem Wesen eines Unfreien und Sklaven. Denn wir werden zugeben mUssen, daß ein großer Teil der sogenannten Sklaven wie freie Menschen, ein großer Teil der Freigeborenen ganz wie Sklaven gesinnt ist. Es ist ähnlich wie bei den ,Edlen' und ,Edelgeborenen': Ursprünglich hießen so die Leute, die zum Guten und Edlen geboren waren, und man fragte nicht lange

15,29-3']

KNECHTSCHAFT UND FREIHEIT (2)

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nach ihrer Herkunft; erst später wurden dann die aus alten, begüterten und angesehenen Häusern Stammenden von einigen so genannt. (30) Der klarste Beweis für meine Behauptung: Bei Hähnen, Pferden und Hunden hat sich die alte Bedeutung, die das Wort ursprünglich auch bei den Menschen hatte, erhalten. Sieht jemand ein temperamentvolles und feuriges Pferd, einen guten Renner, so fragt er nicht, ob es aus Arkadien, Medien oder Thessalien stammt, er beurteilt nur das Pferd selbst und nennt es ,von edler Rasse'. Ähnlich auch der Hundekenner: Wenn er einen flinken, scharfen Hund sieht, der eine Spur verfolgen kann, erkundigt er sich nicht, ob die Rasse aus Karien oder Sparta oder sonstwoher kommt, sondern er nenn t den Hund ,edel'. Und genauso ist es auch bei den Hähnen und allen anderen Tieren. (31) Also ist doch wohl klar, daß es sich auch bei den Menschen so verhalten dürfte. Ist jemand im Hinblick auf die Tüchtigkeit ,hochgeboren', so muß er ,edel' genannt werden, auch wenn niemand seine Eltern und Vorfahren kennt. Es kann gar nicht anders sein: Wer ,edel' ist, ist auch ,edelgeboren', und wer ,edelgeboren' ist, ist auch ,frei'. Der Unedle ist daher notwendig auch Sklave. Denn wenn es üblich wäre, die Bezeichnungen Freiheit und Knechtschaft auch auf Pferde, Hähne und Hunde anzuwenden, so würden wir bei ihnen keinen Unterschied machen zwischen ,edel' und ,frei' auf der einen und ,Sklave' und, von niederer Abkunft' auf der anderen Seite. (32) Genauso dürfen wir auch bei den Menschen nicht zwischen ,edel' oder ,edelgeboren' und ,frei' trennen - beides bezeichnet dieselben Menschen - und genausowenig zwischen ,von niederer Abkunft' oder ,unedel' und ,Sklave'. So zeigt unsere Erörterung, daß nicht die Philosophen, sondern die zahllosen dummen Menschen, die von der Sache nichts verstehen, die Bezeichnungen falsch anwenden.»

280

ÜBER DIE TRAUER

16. ÜBER DIE TRAUER

(1) Daß die meisten Menschen sich von der Freude überwälti_ gen lassen, hat vielleicht seinen Grund; denn verlockt und verzaubert von der Freude, bleiben sie in ihr. Daß man sich aber zum Sklaven der Trauer macht, ist vollkommen unsinnig und unverständlich. Unter Qgalen von der allerschlimmsten Marter heimgesucht, verharren wir in der Trauer und sperren uns vor der Vernunft, die uns frei machen und vom Schmerz erlösen könnte. Und doch, was ist erniedrigender als ein Mann, der sich der Trauer hingibt? Was sonst böte einen derartig häßlichen Anblick? Denn dieser erbärmliche Zustand scheint mir auch den Körper in Mitleidenschaft zu ziehen: Er läßt ihn zusammenschrumpfen und gibt ihm ein trübseliges, unschönes Aussehen. (2) Sich nicht nur der Wallung des Gemüts hinzugeben, sondern auch noch äußere Zeichen der Trauer auszudenken - schwarze Kleidung, Händeringen, erniedrigendes Sichhinkauern, so daß das Herz schließlich überhaupt nicht mehr von der Trauer lassen kann, sondern fortwährend an sie denkt und sich quält, selbst wenn man erkannt hat, daß Befreiung möglich wäre und es nicht immer einen Grund fur Kummer und Sorge geben wird -, ist das nicht außerordentlich töricht? (3) Der Tod eines uns nahestehenden Menschen, die Krankheit eines Freundes oder unsere eigene, dazu mangelndes Ansehen, Verlust des Vermögens, das Scheitern oder die nur unvollkommene Ausführung unserer Pläne, Zeitdruck;Gefahr und die zahllosen anderen schmerzlichen Erfahrungen unseres Lebens - ist nicht notwendig beinah immer etwas davon vorhanden? (4) Und wenn schließlich einmal eine Zeit kommt, in der dem Menschen nichts Schlimmes widerfährt, wird sich doch das Warten darauf und das Bewußtsein, daß es jederzeit eintreffen kann, solcher Gemüter bemächtigen. Deshalb darf man

ÜBER DIE TRAUER

28r

nicht für jede einzelne dieser Widerwärtigkeiten einen Trost suchen - das wäre ein unmögliches Unterfangen, denn das Leben ist voller schmerzlicher Dinge -, sondern muß diese Regungen ganz aus der Seele verbannen und sich zum festen Grundsatz machen, daß der vernünftige Mensch über nichts Trauer empfinden darf. Dann wird man in Zukunft ein freier Mensch sein und vor keinen Schwierigkeiten mehr Furcht haben. Nichts nämlich ist an und für sich zufürchten,erst unsere falsche Vorstellung und unsere Schwäche machen es furchterregend. (s) Wenn nun etwas geschieht, was allgemein für mißlich gehalten wird, rufen es sich die meisten Menschen immer wieder ins Gedächtnis, obwohl die Erinnerung schmerzlich ist, und dabei geht es ihnen ähnlich wie kleinen Kindern: Sie wollen gern ins Feuer fassen, obwohl es ihnen weh tut, und läßt man sie gewähren, tun sie es von neuem. (6) Wenn man in den Krieg zieht, nützt es einem nichts, ohne Waffen auszurücken und jedem einzelnen der heransausenden Geschosse ausweichen zu wollen; man kann sich ja gar nicht vor allen schützen. Man braucht einen festen Panzer und die ganze sonstige Rüstung, damit, selbst wenn ein Geschoß trifft, es nicht durchdringen kann. Genausowenig ist es möglich, wenn man ins Leben hinauszieht, immer auszuweichen und sich zu schützen, daß man von keinem Schicksalsschlag, die zu Tausenden auf jeden einzelnen herein brechen, getroffen wird. Vielmehr braucht man ein festes Herz, das am besten unverwundbar ist und vorn ich ts zurückweich t, zumindest aber nich t so ohne weiteres vom ersten besten Schlag verwundet werden kann, denn sonst muß man sich häufig Hiebe versetzen lassen und zahllose Wunden hinnehmen. (7) Wenn jemand mitzarten, überhaupt nicht abgehärteten Füßen barfuß geht, wird er niemals einen Weg finden, der ihn nich t sch merzlich stäche, sondern die kleinste Unebenheit macht ihm zu schaffen; dem Abgehärteten dagegen fällt auch der rauheste Weg nicht schwer.

ÜBER DIE TRAUER

[16,7-10

Da es nun, bei den Leiden des Körpers angefangen, so viele unangenehme Dinge gibt, was soll man da anders erwarten? Wie könn te es anders sein, als daß derjenige, der aufjede Widerwärtigkeit achtet und sich ihr willenlos überläßt, der unglücklichste aller Menschen ist und vor den Göttern auf den Knien liegt, daß dies und jenes nicht geschehen möge? (8) Das ist genauso, wie wenn jemand ohne jeden Schutz im Regen ginge und nur darum beten würde, jedem Tropfen einzeln zu entgehen - und dabei fallen die Schicksalsschläge viel dichter als Regentropfen -, oder, beim Himmel, wie wenn ein Schiffer, anstatt auf das Steuerruder zu achten und die heranrollende Woge geschickt zu nehmen, darum beten wollte, es möge überhaupt keine Woge das Schiff treffen. Bedenk doch, du Tor, auch wenn alles andere nach deinen Wünschen verliefe, woher nimmst du denn deine Zuversicht, daß du den nächsten Tag noch erlebst und nich t mitten aus all deinen schein baren Schätzen plötzlich weggerafft wirst? Also mußt du doch zunächst einmal darüber betrübt und voller Furcht sein, über die Dngewißheit deiner Lage. (9) Wenn du bedenkst, daß schlechterdings niemand sein Leben in der Hand hat, sondern alle, die als glücklich und überglücklich galten, gestorben sind und auch dir das Ende schon nahe ist, magst du ein noch so hohes Alter erreichen, so wirst du es für lauter Albernheit und große Torheit halten anzunehmen, daß überhaupt etwas geschieht, was furchtbar oder gewaltig oder staunenswert wäre - außer dem einen, auch nur einen Tag lang frei von Kummer, Angst und ähnlichen Empfindungen zu leben. (10) Von Iason erzählt man, Medea habe ihm eine Wundersalbe geschenkt, die ihn, wenn ich mich recht erinnere, gegen den Drachen und die feuerspeienden Stiere gefeit habe. Eine solche Salbe nun muß man sich von Medea, das heißt von der Vernunft geben lassen und hinfort alles verachten. Sonst ist alles Feuer fur uns und alles ein schlafloser Drache.

x6, II-X7, 3]

VON DER HABSUCHT

(I I) Freilich behauptet jeder, der Kummer hat, sein Unglück sei am schwersten und verdiene am meisten, betrauert zu werden. Auch jeder Lastträger hält seine Last fur die schwerste. Das ist aber nur ein Beweis für die Schwäche und Untauglichkeit seines Körpers; denn nimmt ein anderer, der stärker ist, die Last auf, trägt er sie ohne Mühe davon. 17. VON DER HABSUCHT

(I) Die meisten Menschen sind der Ansicht, man solle nur darüber sprechen, wovon der einzelne eine falsche Vorstellung habe, damit er durch Hören lerne, was er nicht weiß; über bekannte und fur alle gleicherweise zutage liegende Dinge sei eine Belehrung überflüssig. Wenn ich nun sähe, daß wir bei dem, was wir als richtig erkannt haben, blieben und bei der Ausfuhrung nicht von dem einmal gefaßten Grundsatz abwichen, hielte auch ich es nicht für notwendig, auf selbstverständliche Dinge mit Nachdruck hinzuweisen. (2) Da ich aber beobachte, daß uns weniger die Unwissenheit über gut und schlecht zu schaffen macht als die Tatsache, daß wir nicht aus den Erwägungen darüber die Konsequenzen ziehen und unserer persönlichen Überzeugung folgen, halte ich es fur außerordentlich nützlich, immer wieder daran zu erinnern und mit Worten dazu aufzufordern, in seinem Tun das Gute und Rechte zu befolgen und zu beachten. Wie wir zum Beispiel Ärzte und Steuerleute denselben Befehl häufig wiederholen hören, wenn sie merken, daß die Betreffenden nicht daran denken, den Befehl auszuführen, obwohl sie ihn schon beim ersten Mal gehört haben, so ist es auch im Leben von Nutzen, immer wieder über dieselben Themen zu sprechen, wenn die meisten zwar wissen, was man tun sollte, es aber nicht tun. (3) Denn auch für den Kranken ist es nicht die Hauptsache zu wissen, was ihm heilsam ist, sondern, denke

VON DER HABSUCHT

ich, sich danach zu richten; nur so wird er wieder gesund. Und für die andern nicht, daß sie lernen, was für das Leben nützlich und schädlich ist, sondern daß sie die richtige Wahl zwischen beidem treffen. Man kann es bei den Augenleidenden sehen: Sie wissen, daß das Reiben der Augen mit den Händen weh tut, und trotzdem können sie es nicht lassen. So wissen auch in allen anderen Dingen die meisten nur zu genau, daß es nicht gut ist, dies oder jenes zu tun, und trotzdem lassen sie sich dazu verleiten. (4) Wer wüßte zum Beispiel nicht, ein wie großes Unglück die Unbeherrschtheit für den ihr Verhafteten ist? Und trotzdem kann man zu Tausenden unbeherrschte Menschen finden. Und beim Himmel, es ist allgemein bekannt, daß Faulheit nicht nur außerstande. ist, das Lebensnotwendige herbeizuschaffen, sondern daß sie auch noch verliert, was vorhanden ist. Und trotzdem findet man in der Wirklichkeit mehr Faule als Arbeitswillige. (5) Daher ist es nach meiner Meinung Aufgabe der einsichtigeren Leute, immer wieder bei jeder Gelegenheit über diese Dinge zu sprechen, ob es vielleicht nicht doch möglich ist, die Menschen, notfalls mit Gewalt, zum Besseren zu bekehren. Denn wie bei den Mysterien der einführende Priester den Novizen nicht nur einmal jede notwendige Einzelheit bekanntgibt, so ist es auch von Vorteil, wenn die Worte über das, was gut für einen ist, gleichsam als heilige Ermahnung häufig, ja besser noch in einem fort wiederholt werden. (6) Auch Entzündungen am Körper gehen nicht gleich bei der ersten Behandlung zurück; wiederholt man die Behandlung aber immer von neuern, lassen sie nach, und Erleichterung tritt ein. So muß man auch zufrieden sein, wenn es gelingt, die Entzündung in der Seele der meisten Menschen durch fortwährenden Zuspruch zu mildern. So behaupte ich auch von der Habsucht, daß jedermann sie als schädlich und verderblich kenn t, als die Ursache der größten Übel, und daß doch keiner von ihr frei ist und sich damit be-

17,6-10]

VON DER HABSUCHT

gnügt, soviel wie sein Nachbar zu haben. (7) Faulheit, Unbeherrschtheit, kurz, alle anderen Laster wird man fur die schädlich finden, die damit behaftet sind, und zu Recht, wie ich glaube, ruft man die von einem dieser Laster Befallenen zur Ordnung und verurteilt sie; jedoch wird niemand sie hassen und fur den gemeinsamen Feind aller halten. Die Habsucht dagegen ist nicht nur das größte Übel für den Betreffenden selbst, sie zieht auch die Nächsten in Mitleidenschaft. Für einen habgierigen Menschen wird niemand Mitleid empfinden oder ihn einer Belehrung fur wert erachten; jedermann schützt sich vor ihm und sieht in ihm seinen Feind. (8)Jeder nun, der die Größe dieses gewaltigen Lasters begreifen will, überlege sich, wie er selbst sich einem Mann gegenüber, der ihn übervorteilen will, verhielte. So wird er leicht erraten, wie sich die andern ihm gegenüber verhalten müssen, wenn er so ist. Euripides, der keinem Dichter an Ruhm nachsteht, zeigt lokaste im Gespräch mit Eteokles: Sie fordert ihn auf, nicht mehr haben zu wollen als der Bruder. Es heißt da: (9) ,ras 'Zieht, mein Sohn, dich 'Zu dem schlimmsten Geiste hin, 'Zur Habgier? Hüte dich, der Gott ist fern vom Recht! In viele Häuser, reiche Städte tritt er ein, doch seinen Freunden 'Zum Verderb tritt er heraus. Von ihm bist du besessen. Menschen aber Jrommt's, 'Zu ehren Gleichheit und dem Freunde Freund 'Zu sein, 'Zu bindert Stadt mit Stadt, Genosset/ mit Gmoss'. Denn Gleichheit gab Natur den Menschen als Geset'Z, dem Mehr jedoch' steht stets das Weniger als Feind entgegen, Jührt sogleich herauJder Feindschaft Tag. 1 (10) Ich habe die Verse vollständig angeftihrt, denn der vernünftige Mann hält sich an den Wortlaut, wenn er treffend ist'. In diesen Versen sind alle Folgen der Habsucht angeftihrt: Weder ftir den einzelnen noch für das Ganze ist sie von Nutzen, im Gegenteil, sie stürzt und zerstört das Glück von Familien

286

VON DER HABSUCHT

[17,10-12

und ganzen Städten. Ferner steht da, daß den Menschen bestimmt ist, die Gleichheit zu achten, daß sie feste Freundschaft schließt und alle Menschen in Frieden miteinander leben läßt, daß Streit, innere Zwistigkeiten und Kriege mit auswärtigen Feinden keine andere Ursache haben als die Gier nach mehr, mit dem Ergebnis, daß schließlich keiner mehr ausreichend hat. (Il) Was ist nötiger als das Leben, was schätzen die Menschen mehr? Aber um des Geldes willen setzt man selbst das Leben dran oder verwüstet das eigene Vaterland. Im folgenden sagt dann derselbe Dichter, daß es unter den Göttern keine Habsucht gebe. Deswegen seien sie ewig und ohne Alter, da jeder seinen ihm zukommenden Platz behalte, bei Tag und bei Nacht und zu jeder Jahreszeit; denn verhielten sie sich anders, könnten sie nicht ewig sein. Wenn nun sogar den Göttern Habsucht den Untergang brächte, welch schlimme Folgen müssen wir dann erst für die Menschheit von dieser Krankheit erwarten! Treffend erwähnt Euripides auch Maße und Gewichte als Erfindungen im Interesse des Rechts, damit keiner den anderen übervorteile 3 • (12) Hesiod sagt sogar, die Hälfte sei mehr als das Ganze4, und denkt dabei wohl an die schädlichen und nachteiligen Folgen der Habgier. Denn welcher König, welcher Herrscher oder welches Volk hätte es jemals unternommen, das Recht zu überschreiten und die Hand nach zu Großem auszustrecken, ohne seinen ganzen bisherigen Wohlstand einzubüßen, ausweglos in gewaltiges Unglück zu geraten und der ganzen Nachwelt ein unmißverständliches Beispiel von Torheit und Schlechtigkeit zu hinterlassen? Und wer hätte nicht schon einmal dadurch, daß er mit dem kleineren Teil zufrieden war und eine scheinbare Niederlage gelassen hinnahm, vielfältig mehr bekommen als die anderen - es fiel ihm sogar ohne Anstrengung in den Schoß - und sich dann für lange Zeit einen guten Tag gemacht und die Gaben des Glücks in aller Sicherheit genossen?

17,13-16]

VON DER HABSUCHT

(13) Dafür gleich ein Beispiel: Waren die Söhne der Iokaste nicht Brüder und haben sich trotzdem gegenseitig umgebracht, nachdem sie sich entzweit hatten, weil jeder" mehr haben wollte? Der eine wollte allein herrschen, der andere suchte sich um jeden Preis seinen An teil an der Herrschaft zu sichern. Und war das nicht der Anfang des unermeßlichen Unglücks, das über ihre Mitkämpfer hereinbrach? Die Angreifer kamen auf der Stelle um, die Verteidiger wurden kurze Zeit später geschlagen, da sie die Bestattung der Gefallenen nicht zugelassen hatten s. (14) Und ein zweites Beispiel: Durch die Habsucht eines einzigen Mannes, der Helena und die Schätze des Menelaos geraubt hatte, kamen die Einwohner der größten Stadt in Asien samt Weib und Kind um und büßten damit schwer rur die Aufnahme dieser einen Frau und ihrer geringftigigen Habe. Oder Xerxes, der Herr über den anderen Kontinent! Als er, um sich auch Griechenland einzuverleiben, eine solch mächtige Flotte und so viele tausend Soldaten zusammengebracht hatte, da verlor er mit Schimpf und Schande seine ganze Streitmacht und rettete mit knapper Not sein eigenes Leben; später mußte er dann zusehen, wie sein Land und die an der Küste gelegenen Städte verwüstet wurden. (15) Von Polykrates schließlich erzählt man, er sei der glücklichste von allen Menschen gewesen, solange er nur über Samos herrschte. Als er sich dann aber auf dem Festland gegenüber zu schaffen machte und zu Oroitas hinüberfuhr, um Geld von ihm zu bekommen, da habe es ein Ende mit ihm gehabt, und zwar sei er nicht eines leichten Todes gestorben, sondern von dem Barbarenkönig auf einen Pfahl gespießt worden 6. Diese Beispiele ha be ich, dami t sie euch zur Warn un g dienen, aus ganz alten und aus späteren Zeiten, aus Dichtungen und einf.'lchen Erzählungen angeftihrt. (16) Wir müssen aber noch betrachten, wie es auch die Art des Gottes ist, Habgier zu bestrafen. Als die Spartaner ihn nämlich befragten, ob er ihnen

288

VON DER HABSUCHT

[17,16-18

Arkadien gebe, lehnte er ihr Ansinnen ab und schalt ihre Unersättlichkeit mit den Worten: Willst Arkadien von mir? Viel willst du, doch werd' ich's nicht geben. Obendrein strafte er sie noch, indem er ihnen die Zukunft voraussagte, aber so, daß sie ihn nicht verstanden und gegen Tegea zogen, wo sie das allgemein bekannte Unglück ereilte'. So verweigerte ihnen der Gott ganz oftensichtlich Arkadien, und selbst Tegea gab er ihnen nicht, denn es war der mächtigste und größte Ort in Arkadien. Die meisten Menschen haben eben vor lauter Habgier keine Ohren mehr, mit denen sie vernehmen könnten, was man ihnen sagt. (17) Ein andermal, als die Athener den Gott wegen der Insel Sizilien befragten, gab er ihnen zur Antwort, sie sollten «Sizilien» mit ihrer Stadt vereinigen. So hieß ein in der Nähe Athens gelegener Hügels. Die Athener aber dachten nicht an das Nächstliegende, was ihnen vor Augen war, die Gier nach mehr raubte ihnen den Verstand, so daß sie glaubten, der Gott habe ihnen gesagt, sie sollten Athen und die doch unzählige Meilen entfernte Insel mit einer einzigen Mauer umschließen. So machten sie sich dorthin auf den Weg, bekamen aber nicht nur Sizilien nicht, sondern verloren auch noch Attika und mußten mit eigenen Augen sehen, wie ihre Stadt in der Hand der Feinde war 9 • (18) Wollte jemand lauter solche Beispiele aufzählen, würde er gewiß nicht einmal in einem Jahr damit fertig. Bedenkt sodann, daß die meisten Körperkraft zu den Gütern dieses Lebens rechnen. Aber meiner Meinung nach täte man gut daran, wenn man den Gipfelpunkt seiner Kraft erreicht hat und in fast zu blendender körperlicher Verfassung ist, einen Teil seiner Kraft dranzugeben; was über ein bestimmtes Maß hinausgeht, ist nach meinem Dafürhalten außerordentlich gefährlich. Genauso ist auch der Reichtum von einem gewissen Nutzen, solange

VON DER HABSUCHT

er sich in Grenzen hält; er fällt seinem Besitzer nicht zur Last, sondern macht das Leben leichter und ganz gewiß auch sorgenfrei. Übersteigt er aber ein gesundes Maß, bringt er mehr Sorgen und Kummer als Genuß - der übrigens auch nur scheinbar ist -, und schon mancher hat seinen großen Reichtum bereut oder gar wegen seines Reichtums auf das letzte bißchen verzichten müssen. (19) Genug! Wenn sich in uns selbst ein Teil vordrängen wollte, könnten wir dann noch einen Augenblick leben? Wenn jemand zum Beispiel mehr Blut hat, als gut ist, oder, was gewiß vorkommt, irgend etwas in uns die Wärme des Atems übermäßig in die Höhe treibt, können daraus, wie ihr wißt, schwere, langwierige Krankheiten entstehen. Wenn im Zusammenspiel dieser Instrumente ein Ton zu laut hervortritt, ist dann nicht notwendig die ganze Harmonie gestört? (20) Liebend gerne wüßte ich, was wir täten, wenn uns von den Göttern mehr als eine solch kurze Lebensspanne zugemessen wäre. Als ob wir uns für die Ewigkeit einzurichten hätten, brennt jeder darauf, mehr zu haben als der andere. Wenn jemand genau weiß, daß seine Fahrt höchstens zwei oder drei Tage dauern wird, und er trotzdem Vorräte für ein Jahr an Bord nimmt, hält man ihn für einen Dummkopf. Wenn nun jemand weiß, daß er nicht mehr als siebzig Jahre zu leben hat, trotzdem aber einen Vorrat für tausend Jahre anschafft, sollte der etwa weniger verrückt sein? Manche horten ja so gewaltige Vorräte, daß das Schiff unterginge, sobald sie in See stächen. Aber beim Himmel, so geht es unzähligen! (21) Damit genug. Wenn jemand zehn oder fünfzehn Gäste eingeladen hat, so muß er eben diese Leute beköstigen. Stellt er aber Essen fur fünfhundert oder tausend Leute bereit, würde man dann nicht annehmen, er habe restlos den Verstand verloren? So wissen auch wir, daß unser Körper nur wenige Bedürfnisse hat - Nahrung, Obdach und Kleidung wären wohl

290

ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN ['7,2'-'8"

nennen. Trotzdem machen wir Anstrengungen, als gelte es, ein ganzes Heer mit Proviant zu versorgen. Und bei Gott, nich t ohne Grund! Denn die meisten fUttern in sich ein ganzes Heer von Begierden. Ein zu großes Kleid will niemand tragen, da es lästig ist. Ein Vermögen aber, das die Bedürfnisse bei weitem übersteigt, möchte jeder gerne haben und bedenkt dabei nicht, daß das noch viel schlimmer ist als ein zu langes Kleid. (22) Ich glaube, der Gedanke des Lyderkönigs Kroisos, einige Leute in seine Schatzkammern zu fUhren mit der Erlaubnis, soviel Gold mit herauszunehmen, wie jeder bei sich tragen könne'·, war nicht schlecht, wenn der König damit die Unersättlichkeit der Menschen beweisen wollte. Die meisten nämlich füllten nicht nur den Bausch ihres Gewandes, sondern trugen die Goldkörner auch noch auf dem Kopf und im Mund heraus, so daß sie kaum noch gehen konnten und mit ihren Verrenkungen außerordentlich lächerlich wirkten. So gehen manche auch durchs Leben, bis zur Lächerlichkeit entstellt von der Habgier. ZU

18.

DIE ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN

(I) Wenn ich dich' auch schon oft wegen deines Charakters gelobt habe als einen tremichen Mann, der verdient, unter den Besten der Erste zu sein, so hat mich doch niemals zuvor Bewunderung so stark ergriffen wie zur Zeit. Denn in der Blüte seiner Jahre zu stehen, keinem an Einfluß unterlegen zu sein, reichen Besitz erworben zu haben und trotz der zahlreich gebotenen Möglichkeiten zu einem behaglichen Leben bei Tag und Nacht noch nach Bildung zu streben, auf eine gute Übung im öffentlichen Reden bedacht zu sein und keine Mühe zu scheuen, das scheint mir der Beweis fUr eine wahrhaft edle Seele, die nicht nur den Ehrgeiz,sondern tatsächlich die Weisheit liebt.

ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN

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j\.uch bei den Alten sagten ja schon die Besten von sich, sie lernten nicht nur in der Vollkraft ihrer Jahre, sondern auch noch im Alter'. (2) Du scheinst mir sehr vernünftig zu sein, wenn du bei einem Mann des öffentlichen Lebens Erfahrung und Fähigkeit im Reden für unerläßlich hältst. üb man nämlich an die Beliebtheit beim Volk, an den eigenen Einfluß oder an Ehre und Achtung denkt, stets sind sie von größtem Nutzen. Wodurch würden ängstliche Menschen eher ermutigt, überhebliche und aufgeblasene von ihrer Höhe heruntergeholt und zurechtgewiesen als durch das Wort? Wodurch ließen sie sich eher von ihren Begierden abhalten? Von wem ertrügen sie Mahnungen leichter als von dem, über dessen Wort sie sich freuen? (3) In den Städten kann man oft die Beobachtung machen, daß die einen es sich etwas kosten lassen, wohltätig zu sein und die Stadt mit Geschenken zu schmücken, während es die Redner sind, die das Lob davontragen, als hätte man das alles ihnen zu verdanken. Deswegen sagten auch die ältesten Dichter, die noch von den Göttern ihre Dichtergabe verliehen bekommen hatten, nicht die Starken und Schönen seien wie Götter zu schauen, sondern die Redner. Und gerade deshalb, weil du das alles eingesehen hast und dich danach richten willst, lobe und bewundere ich dich. (4) Besonders dankbar aber bin ich dir in meinem eigenen Interesse, daß du mich für wert befunden hast, dir bei deinem Entschluß und Vorhaben behilflich zu sein. Wie ein Mann in alten Zeiten gesagt hat, er sei für sich selbst ein hinreichender Seher 3, so war auch ich bis jetzt der Ansicht, für meinen eigenen Bedarf - freilich auch das nur schlecht und recht - mit Worten umgehen zu können. Du aber machst mich froh und gibst mir Mut mit der Aussicht, einem Mann, der einen so hohen Grad von Bildung hat und in einem solchen Alter steht, behilflich sein zu können. Vielleicht bin ich dazu auch in der Lage, so wie manchmal ein Kind oder ein alter Hirte einem

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ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN

[18.4-7

rüstigen Wanderer in den besten Jahren einen kürzeren oder begangeneren Weg zeigt, der jenem unbekannt war. (5) Aber nicht viele Worte vor der Tat! Deshalb will ich nUn mit der Aufgabe, die du mir gestellt hast, beginnen. Ist ein Heranwachsender oder ein junger Mann entschlos_ sen, sich aus dem tätigen Leben zurückzuziehen und sich sei_ ner Ausbildung zu widmen, um sich eine Fertigkeit im öffent_ lichen Reden anzueignen, so bedeutet das für ihn einen neuen Aufgabenbereich und ein neues Tätigkeitsfeld. Du aber bist nicht unerfahren im praktischen Leben und kannst deine öffentliche Tätigkeit nicht unterbrechen; auch hast du kein Verlangen nach Fertigkeit und Gewandtheit in der Gerichts_ rede, sondern in der dem Politiker ebenso angemessenen wie ausreichenden Redeform. (6) So wisse denn zuallererst, daß es bei dir keine Anstrengung und Mühe braucht. Denn beides fördert den gewaltig, der sich lange Zeit damit befaßt. Bei einer nur vorübergehenden Beschäftigung aber macht es verkrampft und hemmt den Schwung, wie man Leute, die an ein körperliches Training nicht gewöhnt sind, durch zu schwere Übungen überanstrengt und schwächt. Ist man Strapazen nicht gewohnt, kommt es mehr darauf an, den Körper zu salben und sich gleichmäßig zu bewegen als hart zu trainieren. So ist auch bei dir eine mit Behagen gemischte Beschäftigung wichtiger als anstrengende Übung. Was nun die Dichter betrifft, möchte ich dir bei den Komödienschreibern zu einem" gründlichen Studium des Menander, bei den Tragikern zu dem des Euripides raten, und zwar würde ich sie nicht selbst lesen, sondern mir vorlesen lassen von Leuten, die gut und angenehm, zumindest aber ohne die Ohren zu beleidigen, deklamieren können; man vermag nämlich besser aufzupassen, wenn man selbst der Mühe des Lesens enthoben ist. (7) Keiner der Neunmalklugen werfe mir vor, ich stellte Menander über die alte Komödie 4 und Euripides über

i8,7-9]

ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN

293

die älteren TragikerS! Auch der Arzt verordnet seinen Patienten nicht die kostspieligste, sondern die bekömmlichste Nahrung. Eine gewaltige Arbeit wäre es, jeden Gewinn aus der Lektüre dieser beiden Dichter aufzuzählen. Menanders Darstellung der verschiedensten Charaktere und die Anmut seiner Gestalten stellen das gesamte Können der alten Komödiendichter in den Schatten. Euripides erreicht zwar mit seiner gefälligen, plausiblen Art vielleicht nicht ganz die tragische Größe und Würde seiner Vorgänger, ist aber für einen Mann des öffentlichen Lebens außerordentlich gewinnbringend. Ferner bietet er eine Fülle von Charakteren und Schicksalen, und da er sich auch in der Philosophie auskennt, streut er nützliche Sinnsprüche für alle Gelegenheiten in seine Werke ein. (8) Homer aber sei Anfang, Mitte und Ende, denn er gibt jedem Jugendlichen, jedem Mann und jedem Greis soviel, wie jeder fassen kann. Lyrik jedoch - Lieder, Elegien, Iamben und Dithyramben 6 -lohnen sich nur, wenn man Zeit hat. Will man aber tätig sein und Wort und Tat zugleich fördern, bleibt dazu kein Raum. (9) Mit den Geschichtsschreibern dagegen sollte sich der Mann des öffentlichen Lebens aus vielen Gründen sorgfältig beschäftigen, denn auch ganz abgesehen von seiner Tätigkeit als Redner muß der Staatsmann oder, wer sich für die Politik entscheidet, über die Ereignisse, über Glück und Unglück, die erwartet oder auch unerwartet Menschen und Städte getroffen haben, unbedingt im Bilde sein. Denn wer über die Schicksale der anderen am genauesten Bescheid weiß, wird seine eigenen Pläne am besten und, soweit es in seiner Hand steht, sicher zu Ende führen, wird sich im Glück nicht über die Maßen erheben und jeden Mißerfolg mit Anstand tragen, weil er auch in den Zeiten des Glücks stets an einen möglichen Umschlag gedacht hat.

294

e

ÜBUNG IM ÖFFENTLICHEN REDEN

[18,10--12

10) Den Herodot wirst du dir in aller Behaglichkeit vornehmen, wenn du dich einmal erheitern mußt; denn die ungezwungene, unterhaltende Art seiner Darstellung macht den Eindruck, als handele es sich eher um ein Geschichtenbuch als um ein Geschichtsbuch. Zu den Historikern ersten Ranges rechne ich Thukydides, zu denen zweiten Ranges Theopom_ pos, denn in seiner Darstellung hat er ein durchaus rhetori_ sches Element, auch ist er nicht ungewandt oder langweilig im Ausdruck, während seine Nachlässigkeit im Stil nicht derart schlimm ist, daß man Anstoß daran nehmen müßte. Ephoros dagegen bietet zwar eine Menge Material, seine Bequemlichkeit und Nachlässigkeit im Ausdruck aber ist für deine Zwecke nicht geeignet. eIl) Und die Redner? Wer kennte nicht die besten von ihnen! Demosthenes, der durch die Kraft der Darstellung, die Wucht der Gedanken und die Fülle des Ausdrucks alle Redner übertrifft, und Lysias mit seiner Kürze und Schlichtheit, mit seiner strengen Gedankenfuhrung und seiner geheimen Kraft! Jedoch möchte ich dir nicht raten, dich vorwiegend mit diesen beiden zu befassen, sondern mehr noch mit Hypereides und Aischines, denn ihre Fähigkeiten sind einfacher, ihre rhetorischen Mittel leichter zu fassen, ohne daß die beiden an Schönheit des Ausdrucks jenen nachstünden. Aber auch zu einer Beschäftigung mit Lykurgos möchte ich raten, da er wendiger als die andern ist und in seinen Reden eine schlichte, vornehme Gesinnung offen bart. e12) An dieser Stelle weise ich darauf hin, selbst auf die Gefahr, daß diese Rich tlinien einem Pedan ten in die Fin ger geraten und er mit ihnen nicht einverstanden ist, daß man auch die neueren Redner, die kurz vor uns gelebt haben, kennen sollte. Ich meine An tipa tros, Theodoros, PI u tion, Konon und ähn liche. Deren Leistungen könnten für uns schon insofern nützlich sein, als unser Urteil bei ihrer Lektüre nicht wie bei der der

18,1.-15]

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alten Redner streng gebunden ist. Denn gerade weil wir an ihren Worten etwas auszusetzen haben, wagen wir es eher, das gleiche zu versuchen, (13) und man vergleicht sich lieber mit einem anderen, wenn man davon überzeugt ist, daß der Vergleich nicht schlechter, vielleicht sogar besser ausfällt. Ich wende mich nun den Sokratikern 7 zu, die nach meiner Meinung für jeden, der sich um die Kunst der Rede bemüht, unentbehrlich sind. Denn wie kein Gericht ohne Salz schmeckt, sO ist auch, wie ich glaube, keine Form der Rede für das Ohr gefal\ig ohne die sokratische Grazie. Alle die anderen zu loben und sie nicht nur oberflächlich zu behandeln wäre eine gewaltige Aufgabe. (14) Aber ich bin der Ansicht, daß es für die Bedürfnisse des öffentlichen Lebens ausreicht, sich bei den alten Autoren aufXenophon zu beschränken. ob man im Krieg an der Spitze eines Heeres steht, die Geschäfte einer Stadt zu leiten hat, ob man vor dem Volk oder vor der Ratsversammlung redet oder vor Gericht nicht nur wie ein Berufsredner sprechen, sondern wie ein Mann, der sich rur Stadt und Reich verantwortlich weiß, das Richtige sagen will- immer ist Xenophon, wie ich glaube, außerordentlich gut und nützlich zu lesen. Denn seine Gedanken sind klar, einfach und jedem verständlich, die Art seiner Darstellung gef:illig, angenehm und überzeugend, da sie sehr echt, sehr anmutig und schmuckvoll ist; daher wirkt seine Kunst nicht nur durch die Gewalt der Worte, sondern auch durch ihre Zauberkraft. (15) Wenn du dich zum Beispiel entschlössest, seine Anabasis 8 sehr eingehend zu lesen, wirst du unter allen Reden, die du selbst vielleicht einmal halten möchtest, keine einzige finden, die von ihm nicht schon gestaltet wäre und eine Art Richtschnur böte für jeden, der sich an Xenophon orientieren und ihn zum Vorbild nehmen will. Soll te es für den Staatsmann ratsam sein, völlig niedergeschlagenen Menschen wieder Mut zu machen, zeigt Xenophon an vielen Stellen, wie das zu ma-

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[18,15-X8

chen ist; tun Aufmunterung und Ansporn not, gibt es wohl keinen, soweit er Griechisch versteht, der sich durch Xeno_ phons Mahnreden nicht aufgerichtet fühlte. (16) Ich selbst jedenfalls bin zutiefst bewegt, ja manchmal kommen mir sogar die Tränen, wenn ich inmitten der vielen Ereignisse, die er berichtet, auf seine Reden stoße. Gilt es, mit stolzen, eingebil_ deten Menschen vernünftig zu verkehren, ohne unter ihren Launen zu leiden, sich ihrer Gesinnung schmählich zu unter_ werfen und ihren Wünschen in allem zu willfahren, so findet man auch dafür Hinweise. Wie man geheime Unterredungen mit Offizieren ohne die Mannschaft und mit der Mannschaft ohne die Offiziere zu fuhren hat; wie man sich mit fürstlichen Personen unterhält; wie man Feinde zum Schaden, Freunde zum Nutzen täuscht; wie man grundlos beunruhigten Menschen überzeugend und doch, ohne sie zu beleidigen, die Wahrheit sagt; daß man den Überlegenen nicht leichtfertig Glauben schenkt; die Mittel, mit denen die Überlegenen die anderen hinters Licht führen, mit denen die Menschen überlisten und sich überlisten lassen - das alles enthält diese Schrift in reichem Maße. (17) Da Xenophon die Reden in die historischen Ereignisse einstreut und sie nicht nur vom Hörensagen kennt und mehr oder weniger frei wiedergibt, sondern in eigener Person zugleich handelt und redet, deshalb erreicht er, wie ich glaube, in allen seinen Werken, besonders aber in dem eben angeführten diese überzeugende Echtheit. Sei gewiß, aufkeinen Fall wird es dich gereuen, und wenn du ihn gern und sorgfältig liest, wird es dir im Rat oder vor dem Volke sein, als reiche dir dieser Mann die Hand. (18) Selbst zu schreiben jedoch rate ich dir nicht, oder höchstens in seltenen Ausnahmen, eher zu diktieren. Denn erstens ist das Diktieren dem Reden verwandter als das Schreiben, und dann macht es weniger Mühe. Ist es auch in der Wirkung weniger ergiebig als das Schreiben, so für die geistige Verfas-

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sung um so mehr. Und wenn du schon schreibst, dann bitte nicht die schulmäßigen Künsteleien, sondern eine Rede - am besten von Xenophon -, deren Lektüre dir Freude gemacht hat. Dabei kannst du dann entweder den Ausführungen widersprechen oder denselben Inhalt mit anderen Worten wiedergeben. (19) Freilich ist es besser, wenn es deinem Gedächtnis nicht zu große Schwierigkeiten macht, den Wortlaut des Originals zu rekapitulieren, denn auf diese Weise macht man sich mit der Eigentümlichkeit des Ausdrucks und der Genauigkeit der Gedanken am besten vertraut. Ich meine damit nicht, daß du wie ein Schuljunge ein ganzes Werk Zeile für Zeile aneinanderreihen sollst, sondern daß du festhältst, was dir besonders gut gefallen hat. - Für einen jungen Menschen hätte ich über diesen Punkt ausführlicher gehandelt, dir aber genügt es so. Gibst du auch nur das kleinste Stück im Wortlaut wieder, wirst du großen Nutzen davon haben. Fällt es dir aber schwer und tust du es widerwillig, kannst du auch darauf verzichten. (20) Nun, ich habe den Eindruck, meine Ratschläge reichlich ausgedehnt zu haben. Der Grund dafür aber liegt bei dir, denn du hast mich dazu bestimmt und ermuntert. Wie sich bisweilen beim Ringkampf die Überlegenen den Schwächeren geschlagen geben und sie glauben machen, daß sie die Stärkeren seien, so scheinst auch du, der du vielleicht mehr von den Dingen verstehst, mich, den weniger Wissenden, zum Schreiben veranlaßt zu haben. Wenn du damit einverstanden bist, käme ich gerne einmal mit dir zusammen, damit wir die alten Schriftsteller lesen, uns darüber unterhalten und uns gegenseitig fördern könnten. (21) Bei Malern und Bildhauern genügt es nicht, wenn sie einem sagen, die Farben und die Linien müßten so und so sein; am besten ist es, wenn man ihnen beim Malen oder Modellieren zusieht. Der Turnlehrer tut zu wenig, wenn er die verschiedenen Griffe nur nennt; er muß sie seinem

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Schüler vormachen. So wäre auch bei Ratschlägen wie diesen hier der Nutzen größer, wenn man sie den Ratgeber persön. lich ausführen sähe. Deswegen würde ich mich um deines Besten willen nicht bedenken, wenn es dein Wunsch sein sollte, daß ich dir vorlese und du zuhörst. Denn ich liebe und be. wundere dich nicht nur wegen deines eifrigen Strebens, ich bin dir auch dankbar für die Ehre, die du mir erwiesen hast. 19. DIONS FREUDE AM ZUHÖREN

(1) Schon lange hatten einige meiner Angehörigen den Wunsch geäußert, mich wieder einmal zu treffen, und auch von meinen Mitbürgern wollten mich, wie es hieß, viele wiedersehen. Sie glaubten nämlich, ich hätte anderen eine ganze Menge voraus, weil ich weit in der Welt herumgekommen sei, vielerlei erlebt und offenbar einiges durchgemacht hätte; schließlich wollten sie mir wohl auch VorwÜrfe machen, weil sie sich beleidigt ftihlten. Ich aber konnte mich nicht dazu entschließen, unmit. telbar an die Grenze' zu gehen. Das hätte eher jemand tun können, der über seine Verbannung todunglücklich ist und gerne in seine Heimat zurückkehren möchte, denn wer nichts im Becher läßt, hat offensichtlich gewaltigen Durst. (2) Ich reiste also nach Kyzikos und war dort während meines Auf. enthaltes für jeden meiner Bekannten, der mich treffen wollte, zu sprechen. Da rettete mich dann der Sänger aus dem Sprich. wort" dadurch, daß er ihnen ein Lied vorsang. Es kam nämlich der beste Sänger seiner Zeit, der auch den Sängern früherer Zeiten, ja selbst Arion, der aus dem Meer gerettet wurde 3 , nicht nachgestanden haben soll, so behaupteten wenigstens einige Leute. Offensichtlich hatte sie der Gott erleuchtet, denn wie hätten sie sonst so genau Bescheid wissen können, da sie den Sänger doch nie gehört hatten! So· bald man also von der Ankunft dieses Mannes erfahren hatte,

19.....5]

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kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr, und alles strömte zum Rathaus. (3) Auch ich machte mich getrost auf, denn ich war der Meinung, daß ich genausogut zuhören und an einem solch erlesenen Genuß in einer Menge von dreitausend und !Ilehr Menschen teilnehmen dürfe, und ich fand mich als einer der ersten ein. Wenn auch nicht allzu musikalisch, höre ich doch gerne Musik und liebe sie. Hätte ich zur seI ben Zeit wie orpheus gelebt, ich glaube, ich wäre ihm bedenkenlos als erster nachgefolgt, notfalls auch in einer Schar von Hirschkälbern und anderen jungen Tieren 4. Denn auch jetzt noch geht es mir häufig so, wenn ich mit einem Sophisten zusammentreffe, weil ich unersättlich bin im Zuhören, und ich mische mich unter diese hübsche und schöne Brut, wenn sie sonst auch nur lärmt und große Sprünge machen will. (4) So ist es mir also mit den Sophisten und fast mit allen Rednern ergangen. Wie Bettler wegen ihrer eigenen Armut auch mäßig Begüterte glücklich preisen, so bewundere und achte auch ich jeden, der nur einigermaßen reden kann, eben weil ich selbst dazu nicht imstande bin. Allerdings scheinen mir die Sänger und erst recht die Schauspieler noch ein weit größeres Vergnügen zu bereiten. Denn ihre Stimmen sind lauter und klingen ohne Zweifel schöner, und ihre Texte sind nicht aus dem Augenblick geboren wie die der Redner, die meist aus dem Stegreif zu sprechen versuchen, sondern von Dichtern sorgfältig und in Ruhe verfaßt. (s) Außerdem sind ihre Texte meistens alt und stammen von viel weiseren Männern als heutzutage. Bei der Komödie hat alles Bestand gehabt, während sich bei der Tragödie, wie es scheint, nur die starken Partien durchgesetzt haben. Ich meine die iambischen, die zum Teil noch in unseren Theatern dargeboten werden, während die weicheren, lyrischen Teile weggefallen sind s. Es ist vielleicht wie beim Körper eines alten Menschen: Was fest an ihm ist, .Knochen und Muskeln, überdauert die Jahre, das

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[I9,5-20,

übrige wird schlaff. Daher kommt es, daß die Körper hochbe tagter Greise matt und eingefallen aussehen. Alte Leute aber die infolge ihres Reichtums und ihrer üppigen LebensweiSl dick sind, scheinen wohlgenährt und jünger als die vielen an. deren, obwohl auch sie keine Kraft mehr haben, sondern nUI Fett statt Fleisch 6 • 20. VON DER ZURÜCKGEZOGENHEIT

(I) Was bedeutet eigentlich Zurückgezogenheit, und wen hat man als zurückgezogen zu bezeichnen? Soll man von Leuten, die den ihnen zukommenden Aufgaben- und Tätigkeitsbe. reich verlassen, sagen, sie zögen sich zurück? Wenn zum Bej. spiel ein Athener, dessen Pflicht es gewesen wäre, beim Einfall der Spartaner in Attika oder beim Angriff des Philipp oder an. derer Feinde für sein Vaterland ins Feld zu ziehen, nach Me. gara oder Aigina entwich, um nicht in den Krieg zu müssen und sich der Gefahr auszusetzen, soll man von ihm sagen, er habe sich zurückgezogen? Oder wenn ein Mann, der sich ein riesiges Vermögen erworben hat, seine Stadt verläßt, um den Steuern zu en tgehen? (2) Oder nehmen wir den Fall, jemand sei im. stande, Kranke zu heilen, und Freunde und Verwandte von ihm seien krank. Damit er sich nicht ansteckt und sich nicht mit ihrer Pflege herumplagen muß, läßt er sie im Stich und geht an einen anderen Ort. Oder ein anderer, der rur Aufgaben in der Stadt zur Verfügung stehen sollte, weigert sich, ein Amt zu übernehmen, den Behörden behilflich zu sein oder seinen Schlaf für irgendwelche Wachdienste zu opfern, und zieht fort, irgendwohin, damit er frei von all diesen Verpflich. tungen ist und ja niemand ihn zur Rede stellen oder ihn am Trinken, Schlafen und Herumbummeln hindern kann - soll man das etwa «sich zurückziehen» nennen? Nein, denn diese Leute fliehen doch ganz offensichtlich und laufen fort, und in

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ihrem Fall gibt es wohl keine Entschuldigung und Verzeihung für ein derartiges Sich-Dispensieren und Flüchten. (3) Vielleicht paßte die Bezeichnung auf Leute, die unnütze Beschäftigungen und Arbeiten, zu denen sie nicht verpflichtet sind, aufgeben und sich Erleichterung verschaffen von einer sinnlosen Bürde. Aber wäre das richtig, so könnte es von jemand, der eine Stadt mit der anderen, einen Ort mit dem anderen vertauscht, nicht heißen, er ziehe sich zurück. Denn wohin er auch kommen mag, überall werden sich ihm Hindernisse in den Weg stellen, die ihn von seinen Pflichten abhalten. Lange in Gesellschaft herumzusitzen, seine Zeit mit Trinken, Würfelspiel oder anderen schädlichen und verlustreichen Beschäftigungen zuzubringen, das ist überall etwa dasselbe, und an jeder Ecke kann man stehen bleiben, um ein Schwätzchen zu halten und sich dummes Gerede anzuhören, was der König treibt oder Herr Soundso macht, wie einmal jemand gesagt hat. (4) Denn der Unverständige ist nicht Herr über sich selbst, sondern läßt sich wie ein Spielball beim geringsten Anlaß und vom ersten besten Kumpanen leicht hierhin und dorthin treiben. Wie Verschwender über ihre einzelnen Ausgaben keine Rechenschaft geben können, obwohl zweifellos gewaltige Summen ausgegeben worden sind, so können wohl auch die meisten Menschen keine Rechenschaft ablegen über die Zeit und ihr Leben, wozu sie jeden Tag, jeden Monat und jedes Jahr verwendet haben. Und doch geht, wie man sieht, das Leben vorüber, und die Zeit, die für den Menschen so kostbar ist und nicht weniger wertvoll, will mir scheinen, als das Geld, wird vertan. (s) Und trotzdem, verliert man auch nur eine Drachme, so kann es gar nicht anders sein, als daß der Verlust bemerkt wird und irgendwie schmerzt; verliert man gar mehrere, wird kaum noch jemand dabei gleichgültig bleiben. Damit meine ich nicht, daß Sorglosigkei t und U nach tsamkei t die Menschen betrüben und wurmen - das wäre wenigstens noch ein Grund,

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der einen wurmen könnte -, sondern die verlorenen Drach_ men. Wenn aber ein Tag vorbei und verloren ist, oder aUch zwei oder drei, dann kümmert das niemand. (6) In dem einen Fall kann man soweit rechnen, daß sich das gesamte Vermögen unversehens in nichts auflöst, wenn man sich nicht darum kümmert und sorgt; im andern Fall aber kann man nicht soweit rechnen, daß sich das ganze Leben unversehens in nichts auflöst, wenn man nicht auf jeden Tag achtet und sich hütet, ihn ungenutzt vorübergehen zu lassen. (7) Soviel ist klar: Weder ein Ort noch eine Reise noch ein Umzug nach Karinth oder Theben können verhindern, daß man etwas Unnützes tut, sondern nur das Beisichsein. Denn in Theben und in Megara und beinah überall, wo man hinkommen kann in Griechenland und Italien, gibt es die Mög_ lichkeit, sich ein faules und leichtes Leben zu machen, und an einem Vorwand wird es nicht "fehlen, wo man auch sei, seine Tage mit Nichtstun oder auch mit Arbeit auszuftillen, wenn es sich so trifft, auch für sehr lange Zeit. (8) Die beste und nützlichste Art der Zurückgezogenheit ist daher wohl, sich auf sich selbst zurückzuziehen und auf seine eigenen Angelegenheiten zu achten, ob man nun in Babyion oder in Athen ist, im Feldlager oder einsam auf einer kleinen Insel. Denn alle anderen Arten des Sich-Zurückziehens und Verweilens haben nur ganz wenig Einfluß darauf, ob man es sich bequem macht oder seinen Verpflichtungen nachkommt. So bringt es Kranken bisweilen zwar ein wenig Linderung, sich von einem Bett ins andere zu legen, aber sie ist nur geringftigig und reicht zur Heilung nicht aus. (9) Man kann es auch an den Menschen sehen, die sich im lautesten Lärm und im dichtesten Gedränge von ihrer Beschäftigung nicht abbringen lassen. Der Flötenspieler oder -lehrer, der oft unmittelbar an der Straße unterrichtet, geht seiner Beschäftigung nach, und nichts bringt ihn draus, weder das Getümmel um ihn her noch der Lärm der

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vorübergehenden. Auch der Tänzer oder Tanzlehrer ist ganz bei der Sache, ohne auf die streitende, feilschende und dies und jenes treibende Menge zu achten, genauso auch der Zitherspieler und der Maler. Und das Erstaunlichste: Selbst die Lehrer sitzen mit ihren Kindern am Rand der Straße, und nichts kann sie hindern, inmitten der großen Menschenmenge zu lehren und zu lernen. (ro) Ich selbst habe schon gesehen, wenn ich durch die Rennbahn ging, wie an ein und demselben Ort viele Menschen ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen: der eine spielte Flöte, der andere tanzte, der dritte zeigte Zauberstücke, der vierte las eine Dichtung vor, während ein anderer sang und wieder ein anderer eine Geschichte oder ein Märchen erzählte. Und keiner von ihnen störte den andern oder hielt ihn von seinem Vorhaben ab. u ) Und doch ist unter diesen Beschäftigungen keine, die die Seele sich sammeln, zur Ruhe kommen und alles andere verachten ließe. Bildung und Philosophie aber, die das am ehesten erreichen können, bedürfen, wie es scheint, großer Einsamkeit und Zurückgezogenheit. Wie der Kranke keinen Schlaffinden kann, wenn es ringsum nicht ganz still ist, so ist es auch mit dem Freund der Wissenschaft: Nurwennalleumihn schweigen und nichts mehr zu sehen und zu hören ist, ist seine Seele in der Lage, auf ihre eigenen Belange zu achten und sich darauf zu besinnen. (12) Indes habe ich schon die Beobachtung gemacht, daß Leute, die unmittelbar am Meer wohnen, darunter nicht leiden, sondern an alles denken können, woran sie denken wollen, daß sie reden und hören und schlafen, wann immer die Zeit dazu gekommen ist, weil sie sich in der Meinung, das Rauschen gehe sie nichts an, überhaupt nicht darum kümmern. Wenn sie aber darauf achten wollten, wann das Brausen lauter wird und wann es abnimmt, wenn sie die heran rollenden Wogen zählen oder den Möwen und anderen Vögeln zu-

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sehen wollten, wie sie auf die Wellen herabstoßen und leicht auf ihnen schwimmen, bliebe ihnen keine Zeit mehr, noch et. was anderes zu tun. (13) Wer sich n~n darüber klarwerden könnte, daß sich die Menschenmenge mit ihrem Lärmen und Treiben in nichts von den Vorgängen am Meer unterscheidet, würde sich VOn all dem nicht mehr stören lassen. Das ist also, wie es scheint, der Gegenstand, der verdient, gelehrt und gelernt zu werden: die Seele daran zu gewöhnen, daß sie der Vernunft folgt und sich nichts anderem zuwendet als der gestellten Aufgabe und dem, was sie für richtig hält. (14) Und wenn wir die Seele so an die Vernunft gewöhnt haben, wird sie in der Lage sein, alle ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Seele aber, die wie ein Spielball hierhin und dorthin geworfen wird und ziellos vom einen zum andern geht, wo immer sie ein Vergnügen oder Nichtstun reizt - wie Wasser in unebenem Gelände fließt, wohin es will-, wird auch mit der größten Ruhe und Einsamkeit nichts anfangen können. (15) Ich weiß, daß der gut gezogene und an Anstrengung gewöhnte Hund, sobald er losgelassen ist, die Fährte auf. nimmt und sie nicht mehr verläßt, selbst wenn alle ihn zu. rückriefen. Mögen ringsumher auch noch so viele Stimmen ertönen, die Düfte von noch so vielen Früchten und Blumen sich mischen und zahllose Menschen und andere Lebewesen sich zeigen, dazu Spuren von Pferden, Rindern und Schafener sieht und hört nichts davon, sondern, das alles außer acht lassend, folgt er immer nur seiner Fährte und geht ihr nach, bis er den Hasen aufgespürt und aufgescheucht hat~ dann verfolgt er ihn durch dick und dünn und läßt nicht locker, keine Ebene, kein Weg, kein Geröll, keine Schlucht und kein Bach vermögen ihn aufzuhalten, wie viele Haken der Hase auch schlägt und wie er ihn auch zu täuschen versucht. (16) Die dummen und ungeübten Hunde dagegen finden nur langsam die Spur und versagen schnell. Es braucht nur irgendwo-

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her ein Laut an ihr Ohr zu dringen, Hundegebell oder Stimmen von Menschen, etwa von einem Wanderer oder Hirten - sofort verlassen sie die Spur und laufen dorthin. Grund rur all das ist, wie schon gesagt, die Gewöhnung. Ähnlich muß man nun auch die Seele daran gewöhnen, sich niemals abbringen zu lassen und sich nie zurückzuziehen von dem, was sie als ihre Aufgabe erkannt hat. Gelingt das nicht, ist es nicht leicht, die Aufgabe zu meistern und überhaupt etwas zufriedenstellend zuwege zu bringen. (17) Oder sind nicht gerade in der Einsamkeit und Stille Menschen ohne Verstand, um nicht an ihre eigentlichen Aufgaben denken zu müssen, auf reichlich merkwürdige Gedanken - ihre Lieblingsideen - verfallen und haben sich absolute Macht, Reichtum und andere wunderbare Dinge eingebildet? Sie graben Schätze aus und besitzen plötzlich eine Unmenge von Gold und Silber; sie machen sich zu Königen und Alleinherrschern von Städten und Völkern und tun dann der Reihe nach alles, was ein Tyrann tut. Sie lassen die einen töten, die andern schicken sie in die Verbannung, machen sich je nach Belieben an Mädchen, Knaben und Frauen heran und nehmen an den üppigsten Gelagen und Festen teil. (18) Andere verleihen Geld oder denken sich sonstige Unternehmungen aus, als träumten sie wachend und mit offenen Augen in den buntesten Farben. Bisweilen kommen sie dann sogar, wenn sie wach sind, auf Grund dieser Träumereien zu den schlechtesten und verkehrtesten Handlungen, denn der Tyrann ist aus anderem Schrot und Korn. Seine Herrschaft läßt sich nicht mit Trägheit und gleichsam immer schlafendem Bewußtsein erjagen, sondern im Gegenteil, nur mit wachem Verstand und rastloser Sorge. Kostspielige Unternehmen dagegen, Liebschaften und ähnliche Abenteuer sind schon manchem Menschen öfters gelungen. (19) So kam vermutlich auch Paris, der auf dem Ida beim Hüten seiner Herde genügend Zeit hatte, auf einen solchen

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begehrlichen Gedanken, daß es nämlich Glück und Seligkeit bedeuten müsse, die schönste aller Frauen zu besitzen, und daß kein Thron, kein Reichtum, keine im Kampf gewonnene Herrschaft über die ganze Welt damit zu vergleichen sei. Dann überlegte er sich, wer da in Frage komme, wo es eine solche Frau geben könne und womit eine solche Heirat zu bewerkstel_ ligen sei. (20) Die Mädchen und Jungfi-auen von Troia waren ihm zu wenig und unter seiner Würde, denn schließlich war er ja ein Königssohn, und ebenso verachtete er die Frauen aus Lydien und Phrygien, aus Lesbos und Mysien. Da hörte er, daß in Sparta eine Frau lebe, die als Tochter des Zeus gelte, mit Menelaos, einem König und Bruder des Königs von ganz Griechenland " verheiratet sei und um die die besten und vornehmsten Griechen mit reichen Brautgeschenken und Gaben geworben und sich um ihre Hand bemüht hätten; auch sollte sie zwei ausgezeichnete Brüder haben, Polydeukes und Kastor, beide Söhne des Zeus. Und so begehrte Paris sie zum Weib. (21) Aufnatürliche Weise nun, glaubte er, sei das Ziel unmög_ lich zu erreichen. Wenn aber ein Gott ihm die Frau verspreche und gebe, dann könne so etwas leicht geschehen. Und von welcher Gottheit sei eine solche Gefälligkeit eher zu erwarten als von jener, die bei Heirat und Liebe stets die erste Rolle spielt? Wenn sie ihm die Frau gebe, dachte er, sei eine Heirat keineswegs ausgeschlossen. Wie sonst aber könne er die Göttin zu dieser Gunst überreden, als daß er selbst sich ihr auf irgendeine Weise gefällig erweise, mit einem Geschenk oder sonst einer Aufmerksamkeit? Aber aufGeld wird sie nicht angewiesen sein, da sie selbst golden ist' und schlechterdings alle Schätze besitzt, und auch nicht auf Opfer, denn überall in der welt bringt man ihr Opfer dar. Auch einer anderen Ansprache und Bitte wird sie nicht leicht zugänglich sein, aber wenn man ihr beilegte, was sie am meisten begehrt und rur das Allerwertvollste hält, und ihr bezeugte, daß sie die Schönste ist, dann

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müßte sie doch eigen dich bald zufrieden gestell t sein. (22) Wen würde sie demnach wohl lieber besiegen und auf den zweiten platz verweisen wollen als die ersten und größten Göttinnen, Athene und Hera? Und mehr noch, wenn jene, um den ersten Preis zu erringen, mit großen und prächtigen Gaben erschienen? So ging Paris alles in Gedanken durch und bildete sich seine eigene Meinung und Vorstellung, wie die Seele im Schlaf ihren Phantasien und Einbildungen nachgeht und sich einen langen, zusammenhängenden Traum ausspinnt. Dann wurde er von Zeus zum Schiedsrichter über die Göttinnen gemacht. Die beiden nun übersah er mitsamt ihren Geschenken, der dritten aber gab er den Vorzug um den Preis, daß er jene Frau zur Gattin bekomme, um die all seine Gedanken und Wünsche kreisten. (23) Wäre er nun wirklich nichts anderes als ein Hirte und einfacher Mann gewesen, wäre bei einern solchen Traum nichts Bedeutendes herausgekommen. Jetzt aber war er ja Herr und Herrscher, reich an Schätzen, an Macht über die größte Stadt jener Zeiten, an Sympathien seiner Eltern, und so setzte er, was noch fehlte, ins Werk, als wäre die erste Hälfte tatsächlich geschehen: Er ließ Schiffe bauen, sammelte Gefährten und segelte dann nach Griechenland und Sparta. Im Hause von Menelaos und Helena angekommen, wurde er als Gast aufgenommen und überredete Helena dann, ihren Mann und Griechenland zu verlassen. So kehrte er nach Troia zurück und setzte den Anfang vieler schwerer Auseinandersetzungen und unglückseliger Ereignisse. (24) So sind die Gedanken und Wünsche in der Seele eines kleinen, unbedeutenden Mannes windig und unwirksam, und bei ihnen kommt nichts Schlimmes heraus; wie vielmehr die wirklichen Träume sofort verfliegen, wenn man aufsteht, und keiner von ihnen, wie es heißt, die Sonne und den Morgen erlebt, so geht es auch den Wünschen und Hoffnungen dieser

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Art. Bei mächtigen Herrschern, Reichen oder mit einem san. stigen Vorzug ausgestatteten Menschen aber kommen sie oft zu einem schlimmen, furchtbaren Ende. (25) Es ist ganz ähn. lieh, glaube ich, wie mit den Windgeburten. Es soll ja Eier ge. ben, die ohne Begattung und männliche Befruchtung entstan. den sind, die sogenannten Windeier, die gleichsam ein Wind. stoß befruchtet hat. Deshalb, scheint mir, hält es auch Horner nicht ftir unmöglich und unglaubwürdig, daß den Menschen eine windgezeugte pferderasse zu Gesicht gekommen sei. Ba. reas sei, so erzählt er, zu ein paar troischen Stuten in Liebe ent. brannt und habe sie mit seinem Samen befruchtet; daraus sei dann eine Pferderasse en tstanden 3. So wird oft aus einem trüge. rischen und unmöglichen Einfall etwas Wirkliches. (26) Alles, was ich gesagt habe, geht auf jene Abschweifung zu Beginn zurück, daß man die Seele daran gewöhnen müsse, zu tun und zu denken, was sie soll, und zwar in allen Lagen, im größten Lärm genauso wie in der größten Stille. Sonst bietet alle Einsamkeit und Ruhe - bei Menschen ohne Verstand_ keinen Vorteil und keine Gewähr daftir, daß sie nicht auf eine Menge sonderbarer Gedanken kommen und auf Abwege ge. raten. 21.

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(I) DION: Wie schlank und anmutig der Jüngling ist! Eine Er· scheinung aus vergangenen Zeiten, wie ich sie unter den heutigen Menschen noch nicht gesehen habe, höchstens bei den ganz alten Weihestatuen in Olympia. Die Darstellungen späterer Zeiten werden immer häßlicher und unedler, was zum Teil an den Künstlern liegen mag, in erster Linie aber doch wohl aufdie dargestellten Menschen selbst zurückzuftihren ist, die eben nicht mehr so schön sind. PARTNER: Das wäre schlimm, wenn die Schönen mit der Zeit ausstürben wie eine Pflanze oder ein Tier. Dieses Schick-

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sal soll ja die Löwen in Europa ereilt haben; jetzt gibt es dort keine mehr, während sie früher in Makedonien und auch in anderen Gegenden vorkamen. Schlimm, wenn so die Schönheit bei den Menschen verschwindet. (2) DION: Wenigstens die männliche, mein Bester, die weibliche ist vielleicht sogar im Wachsen. Ein schöner Mann ist heutzutage eine Seltenheit, und gibt es ihn einmal, dann merken es die meisten noch viel weniger, als Maultiertreiber auf schöne pferde aufmerksam werden. Und wenn die Leute mit schönen Menschen in Berührung kommen, geschieht das auf lüsterne Weise, und etwas Gutes kommt dabei nicht heraus. Deshalb ist es meines Erachtens mit der Schönheit, selbst wenn sie sich einmal zeigt, bald aus und vorbei; denn nicht nur die Tugend wächst durch Anerkennung, auch die Schönheit möchte geachtet und verehrt werden. Wird sie vernachlässigt und von niemand oder nur von den SchIech ten beachtet, verlöscht sie wie ein Bild im Spiegel. PARTNER: Müßten wir dann nicht, wie es die Athener häufig getan haben, unsere Zeit als Interregnum I eintragen, da es keinen schönen Mann mehr gibt? (3) DION: Ganz gewiß - nach persischen Begriffen, nicht nach griechischen, es sei denn, es handle sich um einen der Dreißig'. Oder weißt du nicht, daß Kritias, der doch zu den Dreißig gehörte, behauptet hat, die schönste Gestalt bei den Männern sei die weibliche, bei den Frauen die männliche? Mit Recht wählten also die Athener gerade ihn zum Gesetzgeber, damit er den alten Gesetzen eine neue Fassung gebe, wie er denn ja auch nicht ein Gesetz bestehen ließ. PARTNER: Von mir aus. Aber was verstehst du unter «persischen Begriffen»? (4) DION: Ist das nicht klar? Die Perser machten doch die schönen Männer zu Eunuchen, um sie so schön wie möglich zu haben. Für soviel besser hielten sie die weibliche Schönheit. 12

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Und so machten es fast alle Barbaren - wie sie übrigens auch ihre Tiere kastrierten -, weil sie eben ausschließlich an den Liebesgenuß dachten. Wie man nun von Daidalos erzählt, er habe, um den Stier zu täuschen, über die hölzerne Nachbildung 3 eine Rindshaut gespannt, so hüllen auch jene, weil sie sonst nicht lieben können, die Männer in eine weibliche Gestalt. (5) Bei den Persern ist dafür vielleicht auch die Erziehung verantwort_ lich zu machen. Sie werden ziemlich lange von Frauen und älteren Eunuchen erzogen, aber Knaben mit Knaben und Heran_ wachsende mit Heranwachsenden sind kaum zusammen, und sie entkleiden sich nicht in Ringschulen und Gymnasien. Auf diese Tatsache fUhre ich es zurück, daß sie unter Umständen sogar ihren eigenen Müttern beischlafen, wie Fohlen, die wohl schon etwas größer geworden sind, aber ihren Müttern noch folgen, sie zu bespringen versuchen. (6) Auch an diesem Beispiel zeigt sich der Einfluß der Erziehung. Gewiß ist ein Pferd ein weit schöneres Tier als ein Esel, aber kein Esel fUhlt sich zu einem Pferd hingezogen, wenn er nicht gerade mitPferdemilch aufgezogen worden ist; dasselbe gilt auch von einem Pferd, das ein Esel gesäugt hat. Bei den Menschen ist schrankenlose Willkür wider Sitte und Gesetz. Wir alle kennen Nero, der noch in unseren Tagen nicht nur seinen Liebling entmannen ließ, sondern obendrein dessen Namen in einen weiblichen umänderte, nämlich in den seiner Geliebten und späteren Frau 4, die er aus leidenschaftlicher Liebe heiratete, nachdem er seine erste Frau S, mit der er verheiratet war, als er die Herrschaft übernahm, öffentlich verstoßen hatte. (7) PARTNER: Wie hieß diese Frau, nach der er den Eunuchen nannte? DION: Was hättest du von ihrem Namen? Auf jeden Fall nicht Rhodogune 6 • Jener Liebling aber trug sein Haar gescheitelt, junge Mädchen begleiteten ihn bei jedem Gang, er hatte

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weibliche Kleidung und mußte sich auch im übrigen wie eine Frau benehmen. Schließlich wurden große Ehren und unermeßlich viel Geld als Preis ausgesetzt für den, der ihn zu seiner Frau nehme 7 • PARTNER: Fand sich denn jemand dazu bereit? (8) DION: Warum nicht? Bei solch einem Preis! Du weißt doch, wie mächtig der Geber ist. Wo und wann auch immer ein König gewählt werden muß, man wählt den Reichsten, von dem man sich am meisten Geld verspricht. Um alles andere, etwa was für ein Mann er ist, kümmert man sich nicht, sel~st wenn er sie alle, die Empfänger seiner Gaben genauso wie jeden anderen, nach seinem Regierungsantritt verstümmeln und ihnen obendrein noch alles, was sie besitzen, nehmen sollte. (9) Gerade darin zeichnete sich Nero besonders aus, und niemand wagte ihm zu widersprechen, wenn er etwas gesagt hatte, oder ihm zu bedeuten, sein Wunsch sei unerfüllbar. Wurde einer aufgefordert zu fliegen, versprach er ihm auch das, und lange Zeit lebte der Betreffende bei Nero drinnen im Palast, damit er fliege. Denn Nero war der einzige, der mit seinem Geld nicht im geringsten geizte, weder im Geben noch im Nehmen. Nur wegen der Art und Weise, wie er den Eunuchen behandelte, verlor er sein Leben. Empört nämlich über diese Behandlung, verriet der Eunuch Neros Pläne an sein Gefolge. So wurde es ihm untreu und zwang ihn zu einem Ende, das bis heute noch ungeklärt ist. (10) Denn soweit es von allem übrigen abhing, hätte Nero nichts gehindert, bis in alle Ewigkeit zu herrschen, wünscht sich doch bis zum heutigen Tag jedermann, Nero wäre noch am Leben 8. Die meisten glauben sogar, daß er noch lebt, obwohl er nicht nur einmal, sondern in gewisser Weise viele Male gestorben ist gleich denen, die fest daran glaubten, daß er noch lebe 9 • PARTNER: Immer findest du Worte, um die Menschen lächerlich zu machen, und auch jetzt wieder bist du auf diese

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Dinge zu sprechen gekommen, man könnte sagen, ohne jeden Grund. Zu der Frage aber, die ich stellen wollte, hast du mir keine Gelegenheit gegeben. (Il) DION: Das ist richtig, und vielleicht denkst du jetzt schlecht von mir und glaubst, ich redete dummes Zeug, weil ich nicht, wie die gebildeten Leute noch heutzutage tun, über Kyros und Alkibiades spreche, sondern über Nero und ähnliche Themen aus der jüngsten Vergangenheit, die zwar wenig ruhmvoll sind, an die ich mich aber erinnern kann. Ich tue das deshalb, weil ich die Tragiker nicht so sehr liebe und es ihnen nicht nachmachen will, denn ich weiß, daß es gegen den guten Ton verstößt, in einer Tragödie Menschen unserer Tage zu nennen; die Tragödie braucht einen Stoff aus alten Zeiten, der nicht einmal ganz glaubwürdig sein darf. Die Alten hatten keine Bedenken, in Wort und Schrift ihre Zeitgenossen zu nennen, heutzutage dagegen will man um jeden Preis jene alten Namen zitieren. (12) In welcher weisen Absicht man das tut, will ich dir sagen - und behaupte nicht, ich redete nur Unsinn! Vielleicht, das heißt ganz gewiß hast du schon einmal auf die Praktiken eines Buchhändlers geachtet? PARTNER: Weshalb fragst du mich danach? DION: Sie wissen ganz genau, daß die alten Bücher gefragter sind, weil sie besser und auf haltbarerem Papier geschrieben sind. Deshalb legen sie die minderwertigsten Exemplare aus unserer Zeit in Mehl, damit sie dieselbe Farbe wie die alten Bücher bekommen, verderben sie so auch noch obendrein und verkaufen sie als alt. - Aber was war es, wonach du mich schon lange fragen wolltest? (13) PARTNER: Nach diesem Jungen hier, wer er ist und wem er gehört. Denn noch nie war ich von einem Menschen so unmittelbar betroffen. Dem Alter nach scheint er ein Knabe von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren zu sein, und doch ist er so groß wie ein Mann. Seine verhaltene Bescheidenheit

21,13-15]

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ist so, daß sich ein GefUhl der Scheu regt, sobald man sich ihm nähert. Unmöglich kann man ihm längere Zeit ins Gesicht sehen, wenn er selbst nicht gerade wegsieht. Denn niemand ist SO unverschämt und bar jeglichen Geftihls, daß er es fertigbrächte, sich gaffend ihm gegenüber aufzubauen - sofort ist [Jlan gezwungen, sich abzuwenden und in eine andere Richtung zu sehen. Und gerade diese Wirkung überrascht mich besonders, daß Schönheit, wen n sie mi t Zurückhai tun g gepaart ist, auch Leute, die diese Feinftihligkeit nicht besitzen, wegsehen läßt und ihnen ein Geftihl ehrfurch tsvoller Scheu aufzwin gt. (14) DION: Vielleicht hast du noch nie beobachtet, was im Wasser geschieht? PARTNER: Was meinst du denn? DION: Daß die Reflexion am stärksten ist, wenn die Sonne direkt hineinscheint. Vielleicht hast du schon einmal an einer Wand dieses unruhig hin und her tanzende Licht gesehen, kein wirkliches Licht, sondern die Reflexe der auf das Wasser treffenden Sonnenstrahlen an der gegenüberliegenden Fläche. Ein solcher Widerschein nun geh t auch von ech ter Schamhafti gkei t auS und ruft den Eindruck hervor, als ob die Leute, die sie sehen, selbst beschämt seien. Aber sobald sie weggegangen sind, ist von Scham nichts mehr zu finden. PARTNER: Auch der Turnlehrer schien mir von Begeisterung hingerissen. (IS) DION: Du wirst noch mehr staunen, wenn du erfährst, daß dieser junge Mensch keinem gehört. PARTNER: Wie meinst du das: keinem gehört? DION: So, wie du es mit deiner Frage, wem er gehöre, meintest. Du wolltest doch wohl wissen, wessen Sohn er ist? PARTNER: Dann ist er etwa einer der Sparten [O? DION: Das würde zu seiner Größe und Männlichkeit wohl passen, wenn diese Leute nur das gesi ttete und freundliche Wesen des jungen Mannes gehabt hätten und nich t so ganz und gar

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[21,15-17

rauh und wild, eben Kinder der Erde gewesen wären. Denn seinem Körperbau nach - daß er typisch griechisch ist, darüber kann ja wohl kein Zweifel bestehen-könntestduihnehermitei_ nem Boiotier als mit einem Spartaner oder Athener vergleichen. (16) PARTNER: Wie? Hat denn die Abstammung etwas mit der Schönheit zu tun? Oder glaubst du gar, bei fremden Völkern gebe es keine schönen Menschen? DION: Nun, glaubst du de_nn nicht, daß es genauso wie bei der äußeren Erscheinung auch bei der Schönheit einen auslän_ dischen und einen griechischen Typ gibt, wie doch auch in Sprache und Kleidung Unterschiede vorhanden sind? Oder bist du der Meinung, Achilleus habe die gleiche Schönheit besessen wie Hektor? PARTNER: Spricht denn der Dichter nicht nur von der Tapferkeit Hektors? DraN: Ja, an der Stelle, wo Hektor die Schiffe anzündet", denn hier wäre eine Erwähnung seiner Schönheit fehl am Platze gewesen. Als er aber tot und seiner Waffen beraubt ist, da läßt Homer die Achaier beim Anblick seiner Schönheit staunen: Da bestaunten sie die Gestalt und den prächtigen Wuchs des Hektor," (17) Denn frLiher, möchte ich meinen, hatten sie kaum Muße, sich Hektor so gen au anzusehen. Auch die Einzelheiten beschreibt der Dichter beinah noch deutlicher,als eres bei irgendeinem der anderen auffallend schönen Helden getan hat. Den Kopf nennt er «anmutig»13, das Haar «tiefschwarz»l., den Körper «nicht hart» 15. Über das Aussehen Achills aagegen teilt er keine Einzelheiten mit, außer daß er blondes Haar hatte. Auch bei Euphorbos 16 und Patroklos, die in der Blüte ihrer Jahre starben, erwähnt er nur das Haar, wie er sich überhaupt bei all den anderen schönen Männern und Frauen kurz faßt. Trotzdem wird niemand behaupten wollen, daß sie alle auf dieselbe Weise schön gewesen seien, daß Paris, Euphorbos oder

KRIEG UND FRIEDEN 31 5 1'roilos dem Menelaos, Patroklos und Nireus 17 in einem Punkt geglichen hätte oder unter den Ausländern der Ägypter Sesostris, der Äthiopier Memnon, Ninyas, Eurypylos 18 oder Pelops einander ähnlich gewesen seien.

22. KRIEG UND FRIEDEN

(I) Man wird finden, daß neben manchem anderem geradezu alle Fragen, die sich auf das praktische Leben beziehen, den philosophen genauso angehen wie den Redner, soweit er seinen Beruf nicht ausschließlich aufdem Markt und gegen Bezahlung ausübt und, statt nur aufGeld und persönliche Streitereien um Kontrakte und dergleichen zu sehen, dem ganzen Volk Ratschläge und Anweisungen geben will. Ich denke zum Beispiel an Perikles und Thukydides 1 in Athen und vor ihnen an Themistokles und Kleisthenes, auch an Peisistratos, solange er sich noch «Redner» und «Führer des Volkes» nennen ließ. (2) Denn Männer wie Aristeides, Lykurgos, Solon, Epameinondas unter anderen sind als Philosophen im politischen Leben oder als Redner im echten und wahren Sinn des Wortes anzusehen. «Philosoph» nenne ich zum Beispiel jemand, der, wie Lykurgos in Sparta, Ratschläge erteilt oder Bestimmungen erläßt über Jugenderziehung, über Liebesverkehr und Gelderwerb - wieweit und auf welche Art man sich damit abgeben darf -, über Eheschließung,menschliches Zusammenleben und Geldwesen, über die bürgerlichen Rechte und deren Verlust, über die Einrichtung des Hauswesens und die Frage, ob mqn in einer befestigten Stadt oder, wie es der Gott den Spartanern riet, in einer Stadt ohne Mauern leben solle, über Kriegsübung und Kampfordnung nicht nur der Schwerbewaffneten,sondern auch jener Art, die Epameinondas erfunden haben soll. Er stellte die Liebhaber mit ihren Geliebten zusammen,damit sie sich gegenseitig retten und Zeugen ihrer Tapferkeit und Feigheit sein

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KRIEG UND FRIEDEN

könnten. Wie berichtet wird, hat diese Schar, die «heilige» genannt, in der Schlacht bei Leuktra die Spartaner geschlagen, obwohl ganz Griechenland ihnen folgte. (3) Das Wichtigste schließlich ist eine Aufgabe, die schon vielen bei zahlreichen Gelegenheiten zugefallen ist: über Krieg und Frieden zu raten_ die Frage, die uns jetzt beschäftigen soll. Alle Fragen dieser Art fallen bei den Philosophen unter die Rubrik «richtiges Verhalten», etwa ob man heiraten oder sich der Politik zuwenden soll, ob die Königsherrschaft, die Demo_ kratie oder eine andere Regierungsform zu bevorzugen ist. Hierher gehört auch, wie mir scheint, die Frage, ob man Krieg führen soll. Die Philosophen stellen nämlich nicht nur ganz allgemeine Untersuchungen über diese Themen an, sondern fragen auch, wann, gegen wen und unter welchen eingetretenen und nicht eingetretenen Voraussetzungen jede einzelne Aktion durchzu_ führen ist. Allerdings gibt es hier einen Unterschied. Die Redner nehmen sich eine ganz bestimmte Frage vor, ob es etwa fur die Athener gut ist, die Peloponnesier zu bekriegen oder den Kerkyraiern gegen Korinth beizustehen, für Philipp, auf seiten der Thebaner gegen die Phoker zu kämpfen,oder fürAlexander, nach Asien überzusetzen. (4) Bei all diesen Überlegungen kommt die Frage, ob es recht ist, gegen Leute, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, Krieg zu beginnen, keinerlei Bedeutung zu, auch nicht der Frage - wenn jene, gegen die man zu Felde ziehen will, wirklich ein Unrecht begangen haben -, wie schwer dieses Unrecht ist. Der philosoph aber sieht die Dinge aus einer gewissen Entfernung und prüft ihre eigent. liehe Bedeutung. Denn es ist sehr viel besser, alles von weiter Sicht her überlegt zu haben und, wenn die Zeit zum Handeln gekommen ist, entschlossen und genau orientiert selbst eingreifen und anderen Anweisungen geben zu können, als sich gleichsam durch eine plötzliche Überrumpelung aus der Fas·

DER WEISE IST GLUCKLICH

31 7

sung bringen zu lassen und in Dingen, von denen man keine A.hnung hat, zu improvisieren. (s) Denn wenn ein Redner etwas prüfen soll, muß er in gewisser Weise gleichzeitig mit sich selbst zu Rate gehen und den anderen einen Rat geben, da er nicht mehr weiß als die anderen und sich die Frage vorher nicht hat durch den Kopf gehen lassen. Der Philosoph dagegen weiß im voraus über den Lauf der Dinge Bescheid und hat es sich lange überlegt. Wenn ihn daher eine Stadt, ein Volk oder ein König um Rat angeht, wird er sich besser und zuverlässiger äußern können und nicht, wie es ihm gerade in den Sinn kommt, bald so, bald anders, im Zorn, aus Streitsucht oder vom Geld geblendet, indem er wie das Zünglein an der Waage je nach dem Gewinn sich hier hin oder dorthin neigt. So hat es, wenn ich mich recht erinnere, einer von diesen Rednern' selbst ausgedrückt. Damit will ich die Redekunst und die guten Redner keineswegs tadeln, sondern nur die schlechten und diejenigen, die unberechtigt auf diesen Titel A.nspruch erheben 3. 23. DER WEISE IST GLÜCKLICH

(I) DION: Glaubst du, daß der Mensch glücklich ist, zumindest

einmal glücklich gewesen ist oder es werden kann, oder hältst du bei einem Menschen diesen Zustand fur so ausgeschlossen, wie wenn jemand behaupten wollte, der Mensch sei unsterblich? Denn vielleicht bist du derselben Meinung wie Homer und viele andere Dichter. PARTNER: An welcher Stelle sprich t denn Homer davon? DION: Dort, wo er Zeus selbst und nicht etwa irgendeinen anderen Gott sagen läßt, es gebe unter allen Lebewesen, die auf der Erde lehen und wehen, I nichts Armseligeres als den Menschen. Glaubst du nicht, daß er mit «armselig» eben so etwas wie (
PARTNER: Doch.

(2) DION: Ein anderer Dichter - und das ist keine private Äußerung mehr, sondern eine öffentliche vor dem Publikum beim tragischen Wettkampf-gibt den Rat, man solle beklagen den Geborenen, in welches Leid er geht. 'JeiWch dem Toten, der befreit von Not; müsse man, so glaubt er, froh das Geleit geben und sich mitfreuen. PARTNER: So ist es. DION: Aber seine Mahnung ist nicht richtig. Denn wenn wir schon die Menschen wegen ihres Unglücks beweinen müssen, dann wäre es richtig, sie bei der Geburt zu beklagen wegen all der Leiden, die ihrer harren, beim Tod, weil sie viel Schwe_ res durchgemacht haben, und schließlich auch im Leben, weil sie mitten im Unglück stehen. (3) Folglich käme nach der Meinung des Dichters niemals die Zeit, mit den Klagen aufzuhören, ja man müßte noch viel mehr klagen als die Nachtigall. Denn sie beklagt den Itys nur im Frühling, wie es heißt 3 ; die Menschen aber müßten im Sommer wie im Winter klagen. Wieviel besser wäre es da, sie sofort nach der Geburt an ihren Leiden zugrunde gehen zu lassen, anstatt sie in Windeln zu wickeln, zu baden, an die Brust zu legen und sich soviel Mühe mit ihnen zu geben, nur damit sie unglücklich werden. So handeln Feinde, aber nicht treu besorgte Freunde. Oder, beim Himmel, sollten sie sich nicht selbst sofort das Leben nehmen? (4) Demnach wären die Männer, die in Kolchis aus den von Iason gesäten Drachenzähnen en tsprossen, die einzig Vern ünftigen gewesen: Sobald sie merkten, daß sie geboren waren, töteten sie sich ge· genseitig, bis keiner mehr am Leben war, und leisteten sich offensichtlich damit einen großen Dienst, indem sie aus Freundschaft, nicht aus Feindschaft handelten 4 • (5) PARTNER: Ach was, dieser Dichter scheint mir dummes Zeug zu reden. Aber was Homer sagt, beunruhigt mich. Wie

'3,5-6]

DER WEISE IST GLÜCKLICH

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kann dieser weise Mann ein solches Urteil über die Menschen abgeben? DION: Hat er denn etwas Unsinniges behauptet? Er sagt ja nicht, daß alle Menschen unglücklich sind, sondern nur, daß kein Lebewesen elender ist als der Mensch, wenn er elend ist, was wir doch getrost zugeben können. Denn vielleicht ist der Mensch ganz allein unglücklich, wie er auch ganz allein glücklich ist, denn auch vernünftig oder unvernünftig ist nur der Mensch; ein Pferd, Schwein oder Löwe kann genausowenig ungerecht und ausschweifend sein wie unkünstlerisch und ungebildet. (6) PARTNER: Ich glaube, du hast Homers Satz richtig verbessert, und ich antworte, daß auch nach meiner Meinung nur der Mensch glücklich sein kann. DION: Wenn nun jemand einen guten Daimon hat, nennst du ihn glücklich, wenn einen schlechten, unglücklich 5? PARTNER: Ja. DION: Nennst du dabei den Daimon in einem besonderen Sinne gut? PARTNER: Wie meinst du das? DION: Wie etwa bei einem Menschen oder, mehr noch, bei einem Gott. Wenn du die Götter für gut hältst, hältst du sie doch auch für gerecht, vernünftig, maßvoll und im Besitz all der anderen Tugenden und nicht für ungerecht, unvernünftig und maßlos? PARTNER: Aufkeinen Fall. DION: So auch beim Daimon: Wenn du ihn für gut hältst, hältst du ihn offensichtlich auch für gerecht, nützlich und vernünftig? PARTNER: Natürlich. DION: Und wenn du einen Daimon für böse hältst, dann glaubst du doch auch, daß er verdorben, ungerecht und unvernünftig ist?

PARTNER: Unbedingt. (7) DraN: Und weiter, glaubst du nicht, daß jeder Mensch im Leben seinem Daimon folgt, wie er auch sein mag, und nicht einem anderen? PARTNER: Nein, keinem anderen. DION: Dann meinst du also auch, daß der Mensch mit einem guten Daimon gerecht, vernünftig und maßvoll lebt? Denn das ist ja das Wesen seines Daimons, wie du zugegeben hast. PARTNER: Ganz gewiß. DION: Hat er aber einen bösen Daimon, dann führt er ein unsittliches und maßloses Leben ohne Sinn und Verstand? PARTNER: Nach dem, was wir gesagt haben, ergibt sich das eindeutig. DION: Wer nun vernünftig, gerecht und maßvoll ist, der ist auch glücklich, weil er sich in der Gesellschaft eines guten Daimons befindet. Wer aber ausschweifend, unvernünftig und verbrecherisch ist, den muß man auf alle Fälle unglücklich nennen, da er einem schlechten Daimon unterjocht und dienstbar ist. PARTNER: Richtig. (8) DraN: Nennst du aber jemand anders weise als den Vernünftigen, Gerechten, Frommen und Tapferen, jemand anders schlecht als den Ungerechten, Unfrommen und Feigen? PARTNER: Nein. DION: Wundere dich also nicht mehr, wenn jemand sagt, daß jeder Weise glücklich ist und nur er allein, daß es aber unter den Schlechten keinen gibt, der nicht unglücklich wäre. Das ist ja auch deine Meinung. (9) PARTNER: Alles, was du gesagt hast, finde ich begreif.. lieh. Nur daß wir ein göttliches Wesen annehmen sollen, das böse, ungerecht und unvernünftig ist, will mir nicht in den Kopf. Abgesehen davon ist es auch nicht die Art von euch philosophen, etwas derartiges anzunehmen, wenn ihr den Daimon tatsächlich ftir etwas Göttliches hai tet.

113,g-12]

DER WEISE IST GLÜCKLICH

pI

DION: Nun, ich habe im Augenblick gar nicht einmal so sehr meine eigene Überzeugung vorgebracht, abgesehen von dem einen, daß meiner Ansicht nach jeder Weise und nur er allein glücklich ist. Im übrigen habe ich mich der Meinung der meisten Menschen angeschlossen, um ihnen nicht meine eigenen Gedanken aufzuzwingen. (IO) Aber sage, wenn ihr den Daimon fur etwas Göttliches haltet, das gut und für keinen die Ursache von Schlechtem ist, wie wird dann nach eurer Ansicht ein Mensch unglücklich? Vielleicht dadurch, daß er auf seinen guten Daimon nicht achtet und ihm nicht folgt? Das wäre etwa der Annahme vergleichbar, daß alle Ärzte in ihrem Berufetwas leisteten, daß es keinen schlechten Arzt gäbe und keiner Schaden anrichtete. Zugleich aber sähen wir bei den Patienten, daß es um einen Teil von ihnen schlecht bestellt ist und es mit ihnen bergab geht. Natürlich würden wir sagen, sie weigerten sich zu tun, was man ihnen vorschreibt, während die Folgsamen bald geheilt sein müßten. Und wenn es so käme, sollte es uns nicht wundern. PARTNER: Das ist richtig. en) DION: Glaubst du nun, daß die Selbstbeherrschten, Besonnenen und Verständigen den erfahrenen und nur zu ihrem eigenen Besten ratenden Ärzten ungehorsam sind? Oder sind es nicht gerade die Unverständigen und Unbeherrschten? PARTNER: Natürlich die Unbeherrschten. DION: Und weiter, dem Daimon, der gut ist, zu gehorchen und nach seinen Anweisungen zu leben, hältst du das für die Sache der Besonnenen und Vernünftigen oder für die der Schlechten und Unvernünftigen? PARTNER: Für die Sache der Besonnenen. (12) DION: Und nicht zu gehorchen und nicht daraufzu achten, sondern dem Göttlichen und dem Daimon zuwiderzuhandeln, für die Sache der Schlechten und Uneinsichtigen? PARTNER: Was sollten wir sonst sagen?

VOM GLUCK 322 DION: Die ihrem Daimon, dessen Wesen wir bestimmt haben, folgen, sind also glücklich, die ihm nicht folgen, unglück_ lich? PARTNER: Unbedingt! DWN: Auch daraus folgt also, daß der Weise und Verstän_ dige auf jeden Fall glücklich ist, der Schlechte dagegen unglücklich, nicht etwa weil sein Daimon schlecht wäre, sondern weil er selbst auf ihn, der gut ist, nicht achtet.

24. VOM GLÜCK

(r) Die meisten Menschen haben sich noch nie die grundsätz_ liche Frage gestellt, wie man sein soll und was fur den Menschen das Beste ist, um dessen twillen man alles übrige tun muß. Im einzelnen dagegen sind sie vollauf beschäftigt, mit Reiten und militärischen Unternehmungen, mit Sport und Musik, mit Landbau und Redekunst. Welchen Nutzen sie aber von a1l dem haben oder welcher Vorteil ihnen daraus erwachsen könnte, das wissen sie nicht und fragen auch nicht danach. (2) So werden sie gute Reiter, wenn sie ein anstrengendes Training nicht scheuen, sind im Ringkampf, im Boxen, im Laufen oder in sonst einer Sportart den anderen überlegen, verfehlen nicht den rechten Zeitpunkt für die Saat, segeln, ohne das Schiff kentern zu lassen, und verstehen von Musik mehr als mancher andere. Ein tüchtiger und vernünftiger Mann aber, der vor allem andern weiß, was man un ter einem rechtschaffenen, verständigen Menschen zu verstehen hat, ist unter ihnen nicht zu finden .. (3) Nimm nur etwa die Re.dekunst! Viele, die als edel und ehrgeizig gelten, haben sich eifrig mit ihr befaßt, die einen, um vor Gericht oder vor der Volksversammlung als kampflustige Redner aufzutreten, dadurch mehr Einfluß als ihre Rivalen zu gewinnen und fur ihre Pläne freie Hand zu bekommen; die andern um des Ruhmes willen, der dabei herausspringt, um den

VOM GENIUS DES MENSCHEN 323 Namen eines gewaltigen Redners zu haben. Einige behaupten auch, es gehe ihnen nur um die praktische Erfahrung - nur ein Teil von ihnen ist Redner, die anderen sind Schriftsteller, und von ihnen hat jemand I vor Zeiten gesagt, sie siedelten im Grenzland zwischen Philosophie und Politik. Welcher Nutzen aber bei ihrem Tun herauskommt oder welchen Vorteil ihnen ihr Ansehen verschafft oder welchen Gewinn sie von ihrer Erfahrung haben, darauf achten sie nicht. (4) Ich dagegen behaupte, daß das alles wenig wert ist, wenn man nicht jene entscheidende Frage stellt, und daß nur demjenigen, der diese Frage bedacht und verstanden hat, Redekunst, Befehlsgewalt und alles andere zum Nutzen und Besten gereichen können. Denn von törichten Menschen - und töricht ist die große Menge - gelobt zu werden, bei solchen Menschen etwas zu gelten oder sich ein bequemes Leben zu machen, das ist an sich, was das Glück betrifft, um keinen Deut besser, als getadelt zu werden, nichts zu gelten und ein mühevolles Leben zu haben. 25. VOM GENIUS DES MENSCHEN

(r) PARTNER: Man sagt, die Philosophen behaupten, daß nur der Weise glücklich sei I. DION: Das behaupten sie. PARTNER: Glaubst du, daß sie damit recht haben? DION: Ja. PARTNER: Warum hast du mir dann nicht ihre Ansicht schon einmal mitgeteilt? DION: Ich will es tun, wenn du mir zunächst einmal sagst, was du unter einem Genius' verstehst. PARTNER: Das, was Macht über einen hat und dem jeder Mensch in seinem Leben folgt, gleich, ob frei oder unfrei, reich oder arm, König oder Bürger, und nach dem er sich richtet, er mag tun, was er will.

324

VOM GENIUS DES MENSCHEN

DION: Glaubst du nun, daß das, was Macht über jeden einzelnen hat und was du Genius nennst, im Menschen oder außer_ halb des Menschen ist, als Herr und Meister über ihn? PARTNER: Außerhalb, würde ich sagen. (2) DION: Du meinst also, es sei eine andere Person? Denn eine Person ist es ja wohl, nur daß sie nicht über viele, sondern über einen einzigen herrscht und ihn führt, wohin und wie sie will, mit guten Worten, mit Zwang oder auch mit beidem. Damit sage ich nichts Unbekanntes. Ich denke etwa an die Volks_ führer: In allem folgen ihnen die Städte und richten sich nach ihren Ausführungen und Ratschlägen, ob es nun darum geht, sich zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden, Mauern zu bauen, Kriegsschiffe auszurüsten, Opfer darzubringen, einen Bürger aus ihrer Mitte zu verbannen und sein Vermögen zu beschlagnahmen oder auch ihn zu töten. Das gilt von Königen und Gewaltherrschern genauso wie von allen Sklavenhaltern, die sich durch Kauf oder auf sonst eine Weise einen Sklaven erworben haben. (3) So könntest du auch Lykurgos den «Genius der Lakedaimonier» nennen, denn nach seinen Vorschriften werden die Spartaner auch heute noch gegeißelt, leben unter freiem Himmel, gehen nur leicht bekleidet und halten viele Strapazen aus, die den andern zu schwer vorkämen. Oder du könntest, ein zweites Beispiel aus früheren Zeiten, Peisistratos den «Genius der Athener» heißen. Dir ist doch wohl bekannt, daß unter der Leitung und Herrschaft dieses Mannes die Leute nicht in die Stadt zogen, sondern auf dem Land als Landarbeiter lebten 3. In Attika, einer zuvor öden und baumlosen Gegend, pflanzten sie auf sein Geheiß Ölbäume, und auch alles andere machten sie, wie er es wollte. (4) Aus späteren Zeiten könnte man unter anderen Themistokles und Perikles nennen. Sicher hast du von beiden Männern schon gehört. Der erste zwang die Athener, die vorher nur ein Landheer kann ten, zur See zu kämpfen, Land und Stadt,

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32 5

Heiligtümer der Götter und Gräber der Ahnen den Feinden preiszugeben und alles allein auf ihre Flotte zu setzen. Später wies er sie dann an, den Piräus in einem Umfang von mehr als sechzehn Kilometern zu befestigen und noch mehr dergleichen zu tun; einen Teil davon ftihrten sie aus, solange er noch bei ihnen war, den Rest während seiner Verbannung und nach seinem Tod. Danach, könnte man sagen, seien noch andere zum «Genius der Athener» geworden, Alkibiades, der Sohn des Kleinias, Nikias, Kleon und Hyperbolos - einige wenige waren vielleicht brauchbare Leute, die andern aber außerordentlich schlecht und verderblich für Athen. (5) Ferner könnte man Kyros in seiner königlichen und großzügigen Art von einem bestimmten Zeitpunkt an «Genius der Perser» nennen: Sie, die bis dahin in der Knechtschaft der Meder gelebt hatten, ftihrte er in die Freiheit und machte sie zu Herren von ganz Asien. Dann auch Kambyses, Dareios und a11 die andern der Reihe nach: Kambyses, der ihr Geld verschleuderte, sie niederschoß4, ihnen ununterbrochen schwere Feldzüge auferlegte und sie niemals daheim bleiben ließ; Dareios, der wohl gewaltige Summen Geldes zusammenbrachte und die Bebauung des Landes veranlaßte, aber wie sein Vorgänger das Volk zu schweren und gefährlichen Kriegen zwang, etwa mit den Skythen oder mit den Athenern. (6) So könnten vielleicht auch die Römer Numa als ihren Genius bezeichnen, die Karthager Hanno und Hannibal, die Makedonen Alexander oder Philipp, der sie aus einem unbedeutenden und schwachen Volk - sein VaterS hatte sogar einen Teil seines Reiches den Olyn thiern abtreten müssen - zu starken und strei tbaren Herren beinahe von ganz Europa 6 machte. Sein Nachfolger Alexander ftihrte sie später nach Asien und ließ sie so gleichzeitig zu den reichsten und ärmsten von allen Menschen werden, mächtig und schwach zugleich, zu Verbannten und Königen in eins, weil er Ägypten, Babyion, Susa und

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VOM GENIUS DES MENSCHEN

[25.6-g

Ekbatana hinzugewann, Aigai, Pella und Dion aber ihnen nahm 7 • (7) Die Karthager machte Hanno aus Tyrern zu Libyern8, ließ sie in Libyen statt in Phönikien wohnen, verhalf ihnen zu großem Reichtum, zu zahlreichen Handelsplätzen, Häfen und Kriegsschiffen und machte sie zu Herren über viel Land und viel Meer. Hanniballieß sie für siebzehn Jahre außer über Libyen auch noch über Italien herrschen. Allerdings ist er auch dafür verantwortlich zu machen, daß die Römer sie vertrieben und ihre Stadt verlegten, nachdem er selbst zuvor viele Römer geschlagen hatte, ja beinahe sogar Rom eingenommen hätte; allerdings soll das wegen der Parteigegner in Karthago nicht in seiner Absicht gelegen haben. Indes würden gerade ihn Karthager und Römer vielleicht besser nicht ihren guten Genius nennen. (8) NlIma hingegen übernahm Rom als kleine und noch namenlose Stadt, in fremdem Land von zusammen gespültem Gesindel bewohnt, dazu mit allen Grenznachbarn verfeindet, arm und wild, wegen der Gewalttätigkeit des Romllius ein Leben voller Gefahren lebend. Er nun ermöglichte es den Römern, ihr Land in Sicherheit und in Freundschaft mit den Nachbarn zu bewohnen, gab ihnen Gesetze, Götter und Verfassung und wurde so zum Urheber ihres späteren Glücks, von dem die ganze Welt spricht. (9) Ich könnte noch eine ganze Reihe anderer Städte, Völker und Menschen anführen, die auf die gleiche Weise glücklich oder unglücklich geworden sind, je nachdem sie gute oder schlechte Herrscher und Führer bekamen. Aber ich glaube, was ich sagen wollte, ist deutlich geworden. Wenn du nun sie alle als Genius derer, die unter ihrer Macht standen und durch sie glücklich oder unglücklich geworden sind, bezeichnest, will ich das gerne gelten lassen.

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26. VOM

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BERATEN'

(1) DION: Schon lange sitze ich hier und höre euch zu, wie ihr bei einem Mann des öffentlichen Lebens viele Stunden lang so manche Frage beratet. Da werde ich nun selbst nachdenklich und frage mich, was ihr denn eigentlich «sich beraten»2 nennt oder was dieses «Beraten» genau ist. Berät man sich denn über etwas, was man weiß und worauf man sich versteht? PARTNER: Ich glaube nicht, daß man berät, worüber man Bescheid weiß - man weiß es ja schon. DION: Gut, über das also, was man nicht weiß und worauf man sich nicht versteht. Tut man es nun, indem man gleichsam ein Orakel befragt und zu erfahren sucht, was man nicht weiß? PARTNER: Auch das scheint mir nicht möglich, daß man sich iiber etwas berät, wovon man überhaupt keine Kenntnis hat. (2) DION: Dann ist Beraten vielleicht folgendes: Einiges weiß man, anderes nicht, und das ist es, worüber sich die Menschen beraten. Um dem Gedanken besser folgen zu können, wollen wir es durch ein Bild verdeutlichen. Nehmen wir an, wir kennten Charikles und Charixenos, wüßten aber nicht, wo sie wohnen, und versuchten nun, ihre Wohnung herauszubekommen. (3) Heißt das nicht gerade Beraten: aus dem, was wir wissen, zu schließen auf das, was wir noch nicht wissen? Die «Gerad und Ungerad» spielen, wissen, daß diejenigen, die sie raten lassen, etwas in der Hand haben, aber nicht wievieI, und trotzdem raten sie manchmal richtig und gehen so als die Gewinner hervor. Ist es nicht auch ganz ähnlich mit dem Beraten? Einiges wissen wir, und was wir nicht wissen, versuchen wir herauszubekommen und treffen es manchmal sogar ganz von selbst, auch ohne jede Kenntnis. (4) Sehen wir zu, wie es damit steht! Das Seiende ist und ist geworden und besteht, das Nichtseiende ist nicht, ist nicht ge-

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VOM

BERATEN

[26,4-7

worden und besteht auch nicht. Nun braucht man das, Was bereits ist, nicht zu beraten, denn bei den Beratungen über das Gewordene und Bestehende kommt nichts heraus. Was sollte man auch dabei beraten? Daß das Geschehene nicht geschehe? Es kann nicht ungeschehen gemacht werden. Daß das Seiende nicht sei? Wie können wir denn verhindern, daß es so ist, wie es geworden ist? Daß es nicht bestehe? Alles, was ist, besteht auch. Was aber könnte man beraten bei dem, was ist? (5) Worüber beraten wir dann? Über das, was sein wird, wie der Gedankengang nahelegt: Das, was sein wird, ist nicht, noch istes geworden, noch besteht es.Weraber könnte über das, was nicht ist und nicht besteht, beraten? Denn was nicht ist, ist nichts, und über das, was nicht ist, kann kein Mensch beraten. Also kann auch keiner beraten über das, was sein wird, denn Gegenstand der Beratung ist etwas ganz Bestimmtes; das, was sein wird, ist aber nicht. Also kann sich das Beraten auch kaum beziehen auf das, was sein wird 3. (6) Wie nun weiter? Der Unmusikalische, der nichts von Harmonie, Melodie und Rhythmus, nichts von deren Zuordnung und Bewegung versteht, kann der wohl gute Ratschläge geben über Musik und alles, was mit ihr zu tun hat? PARTNER: Aufkeinen Fall. DraN: Und wenn, wer von Geometrie keine Ahnung hat, sich bei einem Körper über Länge, Breite und Höhe Gedanken macht, käme der wohl zu guten Ratschlägen? PARTNER: Nein, auch der nicht. DraN: Und wenn, wer ein Schiff nicht leiten kann, sicn über das Kommando eines Schiffes und die Pflichten eines Steuermannes ausließe, gäbe der wohl maßgebliche Ratschläge? PARTNER: Auch der nicht. (7) DraN: Wer also über eine Sache nicht ausreichend unterrichtet ist und Bescheid weiß, der ist auch nicht imstande, darüber zu raten. Man muß daher in erster Linie um Einsicht und

BEIM SYMPOSION

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Bildung bemüht sein, damit man in allen Fragen leichter raten kann und, statt einen Fehler zu machen, weiß, was jedem Entschluß forderlich ist. Wie die Fachleute der Musik, Geometrie und Steuerkunst, überhaupt alle in einer bestimmten Kunst Bewanderten für ihr spezielles Fach den sachkundigen Blick haben und in der Lage sind, ihre Sache zu verstehen, so müssen auch wir in der Lage sein, auf unserem speziellen Gebiet zu beraten und zu sprechen. (8) Denn es wäre doch merkwürdig, wenn die Menschen beim Ratespiel Verstand bewiesen, obwohl sie auf Vermutungen angewiesen sind und nicht sehen, worüber sie sich äußern, daß sie aber, wenn es um öffentliche Angelegenheiten geht, weder Verstand noch Kenntnis noch Erfahrung bewiesen, obwohl manchmal sehr wichtige Fragen zur Debatte stehen wie Eintracht und Freundschaft zwischen Familien und Städten, Krieg und Frieden, die Organisation oder Gründung einer Kolonie, Weib und Kind. 27. BEIM SYMPOSION

(I) Was für eine Gesinnung die Menschen haben, verraten sie bei festlichen Versammlungen nicht weniger als bei Symposien, nur daß das Treiben auf den Festen bunter ist und länger dauert. Zum Symposion kommt mancher doch wohl nur, um zu trinken, und er hält es nicht anders als ein durstiger Wanderer: Gelangt er an eine Qgelle, bückt er sich und trinkt. Wenn er dann aber getrunken und seinen Durst gelöscht hat, geht er ruhig seines Wegs, ohne etwas Ungewöhnliches zu tun oder zu reden, während die Gäste eines Symposions vielerlei reden und tun, was manchmal sogar unangenehme Folgen für sie hat. (2) Denn es ist ein Unterschied, ob die Nymphen oder Dionysos die um ihre Gabe Bittenden bewirten '. Aber da Dionysos den Rausch liebt und unter Blitz und Donner geboren wurde',

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BEIM SYMPOSION

[27,2-6

wie die Dichter erzählen, füllt er jeden, der sich ihm allzu unwissend nähert, buchstäblich mit Feuer und macht ihn oft tatsächlich «verdonnert». Beinah wie wahnsinnig, richten diese Leute großes Unheil an wie bei Homer der betrunkene Kentaur im Hause des Peirithoos 3• (3) Die geborenen Schwätzer glauben, sie hätten in den Zechgenossen ihr Publikum gefunden, und tischen ihnen stumpfsinnige, endlose Reden auf. Andere singen richtig oder singen falsch, vollkommen unmusika_ lisch, wie sie sind, und fallen beinah noch lästiger als die Streit_ hähne und Lästermäuler. Wieder andere, die sich streng und gesittet geben, wirken quälend in ihrer Unausstehlichkeit und halten es für unter ihrer Würde, auch nur mit Maßen zu trinken und sich an der Unterhaltung zu beteiligen. (4) Aber dem Mann mit freundlichem Gemüt und einigermaßen gefestigtem Charakter kann das unleidliche Wesen der anderen nicht viel anhaben. So gut wie möglich versucht er, durch den richtigen Rhythmus und eine passende Melodie Ordnung in den unge_ schickten Chor zu bringen, schlägt geeignete Gesprächsthe_ men vor und veranlaßt die Gäste mit Geschick und guten Worten, netter und freundlicher zueinander zu sein. (5) Soviel zu den Symposien. Aber auch auf Feste geht man, um sich all die Sehenswürdigkeiten und besonders die Wettkämpfe anzusehen, und wer sich dafür besonders interessiert, tut von morgens bis abends nichts andres. Viele bringen aber auch ihre bun ten Waren mi t - das Krämervolk -, andere zeigen ihre Kunststückehen und Fertigkeiten, (6) glänzen mit ihrem Wissen, viele tragen Dichtung vor, Tragödien und Epen", viele auch Prosawerke, und stören damit den, der zum Zeitvertreib und zur Erholung zum Fest gekommen ist. Diese Leute gleichen genau denen, die beim Symposion jaulen und singen, und man muß sie anhören, ob man will oder nicht. Wer nun in ihrer Mitte nutzbringende, heilsame Worte sagen und die ganze Versammlung gesitteter und besser machen könnte, der sitzt

BEIM SYMPOSION

33 r im lärmenden Gewühl der anderen untätig da und zieht sich in sich selbst zurück. (7) Denn vermutlich geht es der großen Menge mit den Worten der Philosophie ebenso wie mit der vom Arzt verschriebenen Medizin: Man gebt nicht sofort zum Arzt und kauft die Medizin erst, wenn sich die Krankheit nicht mehr verheimlichen läßt und man irgendwo am Körper Schmerzen hat. So will man auch in der Regel Worte dieser Art nicht hören, wenn einen nich tein Ungemach oder etwas, das als schmerzlich em pfunden wird, getroffen hat. (8) Ein Beispiel: Bei dem Erfolgreichen - was man so allgemein unter erfolgreich versteht: einen Mann, der sich, meist aus Darlehen, ein Vermögen oder eine Menge Land erworben hat, der gesund ist, dessen Frau und Kinder noch leben,der großen Einfluß und einen wichtigen posten hat, ohne daß Krieg, Unruhen und offene Gefahren drohen -, bei ihm wird man wohl kaum erleben, daß er mit philosophen verkehrt und sich mit philosophischen Vorträgen befaßt. (9) Trifft einen aber im Leben ein Mißgeschick - wird etwa der Reiche arm, der Mächtige schwach und machtlos oder hat man sonst einen Kummer -, so ist man schon eher dafür zu haben. Man läßt sich sozusagen die Worte der Philosophen gefallen und gibt in gewisser Weise seine Trostbedürftigkeit zu. Und wenn das Unglück es will, daß jemand eines seiner Lieben, Weib, Kind oder Bruder, verliert, dann läßt er zu seiner Tröstung den Philosophen kommen, da man zusehen müsse, wie man das Schicksal mit Fassung tragen und der Zukunft entgegensehen könne. Vorher allerdings kommt es nicht soweit. (ro) Fast ebenso machen es die Unvernünftigen mit ihrem Körper. Im allgemeinen kümmern sie sich nicht um ihre Gesundheit, sondern sind dem Essen und dem Wein, der Liebe und einem möglichst sorg- und zügellosen Lebensgenuß zugetan. Befällt sie aber infolge des Klimawechsels Mattigkeit und Fieber, dann plötzlich wollen sie wieder gesund gemacht

332

MELANKOMAS (r)

['7. I<>-.8. 4

werden, wo doch, was bei Leuten dieser Art fast nicht ausbleiben kann, ihr ganzer Körper in Unordnung ist und sie von schweren Krankheiten heimgesucht werden. Daß sie aber gar nicht erst zum Arzt gehen müssen, darauf achten sie nicht. 28. MELANKOMAS'

(r)

(r) Vom Hafen heraufgekommen, machten wir uns sofort auf, um die Wettkämpfer zu sehen, als hätten wir die ganze Reise nur unternommen, um bei den sportlichen Spielen zuzuschauen. Als wir in die Nähe des Gymnasions gekommen waren, sahen wir ein paar Läufer draußen aufder Bahn und hörten die anfeuernden Rufe der Menge, während andere Kämpfer mit anderen Übungen beschäftigt waren. Aber wir hatten keine Lust, länger bei ihnen zu verweilen j wo wir die größten Massen bemerkten, dahin lenkten wir unsere Schritte. (2) Dicht gedrängt sahen wir sie an der Halle des Herakles stehen. Immer neue Leute strömten herbei, während andere, die nichts sehen konnten, weggingen. Zunächst versuchten wir, über die anderen hinwegzusehen, und mit knapper Mühe und Not konnten wir den Kopf eines Mannes ausmachen, der mit erhobenen Händen trainierte. Dann arbeiteten wir uns langsam vor. Es war ein sehr großer und sehr schöner junger Mann, und ganz natürlich erschien sein Körper durch das Training noch größer und schöner. Dabei war der Athlet glänzend in Form und wirkte derartig konzentriert, daß man hätte meinen können, er befinde sich in einem richtigen Kampf. (3) Als er sein Training beendet hatte und die Menge sich verlief, betrachteten wir ihn uns genauer. Er sah aus wie eine sorgfältig gearbeitete Statue, und auch seine Haut glich legierter Bronze. (4) Nachdem er sich entfernt hatte, erkundigten wir uns nach ihm bei einem alten Mann, der unter den Zuschauern stand. Mit finsterem Blick sagte der:

MELANKOMAS (I)

333

«Das ist Iatrokles, der Gegner des Melankomas, der einzige, der ihm nicht weichen wollte - wenigstens soweit es von ihm abhing. Und doch hat er nichts erreicht: Immer war er der Unterlegene, auch wenn er bisweilen den ganzen Tag über gekämpft hatte. Schließlich verlor er den Mut, so daß ihn Melankomas beim letzten Kampf hier in Neapel schneller als jeden anderen Gegner geschlagen hat. Seht nur, wie selbstbewußt er trotzdem noch ist, wie viele ihm beim Training zuschauen! Ich glaube fast, er freut sich gar über den anderen. Nur zu verständlich, denn nicht nur dieser Kranz, auch alle anderen gehören ihm, wie er genau weiß.» (5) «Was», riefich, «ist Melankomas denn tot?» Natürlich kannten auch wir seinen Namen, obwohl wir ihn selbst nie gesehen hatten. «Noch nicht lange», antwortete der Alte. «Vor zwei Tagen wohl ist er begraben worden.» «Was war es denn», fragte ich, «worin er diesem hier und allen anderen überlegen war? Seine Größe? Sein Mut?» «Mein Bester», gab er Auskunft, «von allen Menschen, nicht nur von allen Wettkämpfern war er der mutigste und größte, dazu auch der schönste. Und selbst wenn er ein unbedeutender Mann geblieben wäre und überhaupt nichts getan hätte, wäre er doch wohl eben wegen seiner Schönheit berühmt geworden. Denn er zog aller Augen auf sich, wo immer er sich sehen ließ, auch wenn man nicht wußte, wer er war. (6) Und doch fiel er nicht durch seine Kleidung auf und wollte auch sonst lieber im verborgenen bleiben als bekannt werden. Legte er aber seine Kleider ab, hatte alles nur noch Augen Hil' ihn, so viele Knaben, so viele Männer sich auch sonst üben mochten. Gewöhnlich artet Schönheit in Weichlichkeit aus, selbst bei Leuten, die nur mäßig schön sind;.enl.lier zeigte bei all seiner Schönheit nur um so mehr Selbstzucht. Und;obwohl er sich aus seiner Schönheit nicht viel mathlle, verstand' er es

334

MELANKOMAS (r)

[.8,6-ro

doch, sie sich trotz seines harten Berufes zu erhalten. (7) Als Faustkämpfer hatte er die Gesundheit eines Läufers, und er war so durchtrainiert und durch seine Abhärtung so widerstands_ fähig, daß er zwei Tage hintereinander durchhalten konnte, ohne die Hände sinken zu lassen, und niemals hat man ihn die Fäuste herab nehmen oder sich eine Erholungspause gönnen sehen, wie das sonst üblich ist. Vorher zwang er seine Gegner zur Aufgabe - nicht nur, bevor er selber hatte einen Treffer einstecken müssen, sondern bevor der andere überhaupt einen Schlag anbringen konnte. Denn er war der Meinung, daß Schlagen und Sich-verletzen-Lassen nicht Mut, sondern die Unfähigkeit durchzuhalten und den Willen zur Beendigung des Kampfes verrate. (8) Die Runden zu überstehen, vom Gewicht der Hän~e sich nicht niederdrücken zu lassen, immer genügend Luft zu haben, ohne daß die Hitze einem etwas anhaben könne, das beweise den echten Kämpfer.» «Vollkommen richtig», unterbrach ich den Alten. «Denn auch im Krieg werfen gerade die Feigsten die Waffen weg und bedenken nicht, daß sie ohne Waffen noch leichter verwundet werden können. So erliegen sie eher ihrer Erschöpfung als ihren Wunden.» (9) «Und so blieb er denn », fuhr jener fort, «seit er zum ersten Mal bei den Pythischen Spielen als Wettkämpfer auftrat, unbesiegt - als erster, soviel wir wissen - und errang die meisten und größten Kränze, obwohl er es mit tüchtigen und nicht wenigen Gegnern zu tun bekam. Auch lief er seinem Vater, jenem berühmten Melankomas aus Karien, der neben anderen Wettkämpfen auch bei den Olympischen Spielen gesiegt hatte, noch bevor er ganz zum Manne geworden war, den Rang ab; sein Vater nämlich war nicht unbesiegt geblieben. (ro) Das war Melankomas, und trotzdem raffte ihn ein unglückseliges Schicksal dahin, ihn, der die Entbehrungen des Wettkämpferdaseins bis zum letzten durchgestanden, aber von den Freuden des

MELANKOMAS (I)

335 Lebens noch nichts gekostet hatte. Und von einem derartigen Ehrgeiz war er beseel t, daß er noch in der Stunde seines Todes den Allkämpfer 2 Athenodoros, der von Jugend auf sein Freund gewesen war, fragte, wieviel Tage die Wettspiele noch dauerten.» Bei diesen Worten kamen dem alten Mann die Tränen. (Il) «Deine übergroße Trauer ist verzeihlich», sagte ich, «denn sicher stand er dir sehr nahe.» «Bei den Göttern, das nicht», entgegnete er, «er war nicht mit mir verwandt, noch war ich sein Trainer; ich trainiere nämlich einen der jungen Allkämpfer. Aber es war eben solch ein Mensch, daß jeder, der ihn gekannt hat, um ihn trauert.» (12) «Dann darf man ihn aber nicht unglückselig nennen», wandte ich ein. «Ganz im Gegen teil, wenn er wirklich so war, wie du ihn schilderst, müßte er der glückseligste und gepriesenste Mensch sein, denn er stammte aus einer berühmten Familie und besaß Schönheit, dazu auch Mut, Stärke und Selbstdisziplin, also gerade die besten Güter. Und was die größte Bewunderung an einem Menschen verdient: Er blieb unbezwungen, nicht nur von seinen Gegnern, sondern auch von Strapazen und Hitze, von den Genüssen des Magens und der Liebe. Denn wer keinem seiner Gegner unterlegen sein will, muß zunächst einmal in diesen Dingen unbesiegt sein. (13) Wann aber könnte man sich mehr freuen, als wenn einen der Ehrgeiz stets Sieger bleiben läßt und man merkt, daß man bewundert wird? Auch die Götter scheinen mir ihn sehr geliebt und gerade durch sein Ende besonders ausgezeichnet zu haben; sie wollten ihm nämlich alles Schwere ersparen. Denn mit zunehmendem Alter hätte er unvermeidlich einen großen Teil seiner Schönheit und seiner Stärke eingebüßt und wäre vielleicht auch einmal besiegt worden. Wer aber, wenn er das Herrlichste vollbracht hat, mitten im größten Glück dahingeht, der hat das glücklichste Ende. Auch bei den AI ten könn te man Beispiele daftir finden, daß die Lieblinge der Götter nur ein kurzes Leben haben.»

MELANKOMAS (2)

[28,13-29,2

«An wen denkst du da?» fragte er. «An Achilleus », gab ich zur Antwort,« an Patroklos, Hektor, Memnon und Sarpedon.» Als ich noch weitere Namen nannte, meinte der Alte: «Das hast du schön gesagt, um die Menschen zu trösten, und gern würde ich dir noch länger zuhören. Aber es ist höchste Zeit, daß ich mit dem Jungen trainiere, und so will ich gehen.»

29.

MELANKOMAS

(2)

(r) Mir fehlen die Worte, ihr Männer, vor Schmerz und zugleich vor Bestürzung über diesen plötzlichen Verlust. Nicht nur wegen des Amtes, das ich bekleide, trifft mich dieser Schlag unmittelbarer als einen anderen der Bürger, auch persönlich war mir Melankomas enger verbunden als jedem sonst, wie die meisten von euch wissen. Und mir zumindest scheint es ein merkwürdiger Brauch zu sein, daß in Trauerfällen gerade diejenigen, die am meisten vom Schmerz ergriffen sind, zu Ehren des Toten sprechen sollen; denn, am schmerzlichsten betroffen, sind sie gerade deswegen unfähig zu reden. (2) Außerdem stehe ich in einem Alter, in dem einem die Fertigkeit der Rede im allgemeinen noch nicht so zu Gebote steht, Freud und Leid dagegen sich besonders mächtig regen. Da aber die Lobrede auf den Tod eines braven Soldaten aus dem Munde seines Vorgesetzten ehrenvoller ist, überhaupt jedes Lob einer höherstehenden Person mehr ehrt als das eines privaten Bürgers, will auch ich im Blick auf mein Amt reden, so gut ich es vermag. Man möge allerdings mit Rücksicht auf den Wert des Toten und auf meine Jugend keine lange, ausgefeilte Lobrede erwarten - wenn sie nur von Herzen kommt. Zunächst erwähne ich seine wahrhaft edle Abkunft. Stammte er von reichen Vorfahren, ja selbst von Königen, die außer ihrem Reichtum nichts aufzuweisen hätten, wäre er nicht «edel-

~9.~-61

MELANKOMAS (2)

337

geboren»; das ist nur, wer wie dieser der Sohn tüchtiger Eltern ist l • (3) Denn sein Vater zeichnete sich vor seinen Zeitgenossen durch die schönsten Gaben aus, durch Mut und Stärke. Das beweisen die Siege, die er in Olympia und bei anderen Wettkämpfen errungen hat. Ihn selbst hatte die Natur zum schönsten der Menschen gemacht, nicht nur von denen, die jetzt leben, sondern auch, wie man auf Grund seiner überragenden Schönheit schließen darf, geradezu von allen Sterblichen seit Menschengedenken, die wegen ihrer Schönheit berühmt waren. (4) Denn die meisten, die für schön gehalten werden, gelten als schön, weil Teile ihres Körpers ein wohlgefälliges Aussehen haben. Das Auge will nämlich jeweils nur das Anmutigste sehen, alles, was weniger schön ist, übersieht es. Anderen, denen die Natur eine schöne Körperbildung versagt hat, kommt die Blüte ihrer Jugend zu Hilfe. Wer ihnen begegnet, erliegt dieser Jugend und nennt sie Schönheit, zumal eine solche aufblühende Jugendfrische überall vorkommt, bei Tieren und Pflanzen. (s) Menschen dieser Art nun könnte man zu Tausenden finden: Sie erscheinen bald schön, bald häßlich und erregen bei den einen starkes Wohlgefallen, während sie von andern überhaupt nicht beachtet werden. Es sollte mich aber wundern, wenn die vollkommene und wahre Schönheit noch ein anderer in dem Maß wie dieser hier besessen hätte. Denn er war am ganzen Körper und in jedem Alter gleichermaßen schön, vor dem Eintritt in das Mannesalter und auch danach. Und selbst wenn er in ein hohes Greisenalter gekommen wäre, hätte er doch niemals so alt werden können, daß seine Schönheit erloschen wäre. (6) Ein Beweis für das Übermaß seiner Schönheit: Nich t bei einem prüfenden Vergleich mit unbedeutenden Leuten stach er hervor, und er wurde nicht nur bewundert von den wenigen, die ihm zuschauten, sondern er war, da er sich bei den Athleten aufhielt, stets im Kreise der wohl schönsten Men-

MELANKOMAS (2)

[29.6-8

sehen zu sehen, denn die Athleten sind doch gewiß die größten und best gebauten Menschen, die auf ihren Körper die meiste Sorgfalt verwenden. Man kann beinah sagen, die ganze Mensch_ heit habe ihn gesehen. Denn es gibt keine bekannte Stadt, kein Volk, wohin er nicht gekommen wäre. Und überall War man derselben Meinung, daß man noch keinen schöneren Menschen gesehen habe. Daß er von so vielen bewundert wurde, daß er allein un tel' den schönsten Menschen den Ruhm der Schönheit genoß, beweist, daß seine Gestalt geradezu göttlich war. (7) Das erste also, worin ich ihn glücklich preise, ist seine Schönheit, unter den Gaben, die Menschen zuteil werden, sicher diejenige, die am stärksten ins Auge fällt, Göttern und Menschen am angenehmsten ist, die dem Besitzer keinen Kummer macht und am leichtesten zu erkennen ist. Der Besitz von anderen Gütern, von Tapferkeit und Einsicht, könnte unerkannt bleiben, wenn diese Tugenden nicht gerade durch eine Tat in Erscheinung treten. Die Schönheit aber kann nicht verborgen bleiben, denn sie erscheint gleichzeitig mit dem, der sie besitzt, ja man könnte sagen, noch vor ihm: Sounmitteibar nimmt man sie wahr. Und während ferner die anderen Güter bei den meisten Menschen Neid erregen und Feinde schaffen, macht sich die Schönheit jeden, der sie wahrnimmt, zum Freund und läßt keine Feindschaft aufkommen. (8) Wollte nun jemand behaupten, ich sänge ein Preislied auf die Schönheit, nicht auf den Menschen, so wäre dieser Vorwurf kaum berechtigt. Denn vom Lob des Menschen . wird gleich die Rede sein, wenn wir auf seinen Mut zu sprechen kommen. Wo nämlich eine solche Eigenschaft noch in Frage steht, da muß man den Beweis für sie erbringen; ist sie aber vorhanden, darf man ruhig das Wesen der den Menschen auszeichnenden Eigenschaft preisen, denn dann bedeutet der Preis der Eigenschaft zugleich auch den Preis des Besitzers.

~9,8-IIl

MELANKOMAS (2)

339

Am meisten wird man sich wohl darüber wundern, daß Melankomas bei all seiner Schönheit auch in hervorragendem Maße Mut besaß. (9) Ich habe den Eindruck, als ob seine Seele mit dem Körper um die Wette geeifert habe und er bestrebt gewesen sei, mit seiner Seele noch größeren Ruhm zu erlangen als mit seinem Körper. Da er nun erkannte, daß von allen Tätigkeiten, die Mut erfordern, der Wettkampf die schönste und zugleich auch die mühsamste ist, wählte er ihn. Denn zum soldatwerden bot sich keine Gelegenheit, auch wäre der Dienst leichter gewesen. Ich möchte sogar behaupten, daß das Leben eines Soldaten an Wert dem eines Wettkämpfers insofern nachsteht, als das eine nur ein beherztes Wesen erfordert, das andere aber Mut, Kraft und Selbstbeherrschung zugleich schafft. (IO) Und innerhalb der Athletik wählte er sich nicht die leichteste, sondern die schwerste Sportart, denn er übte sich als Faustkämpfer. Wenn es schon bei der geringsten Aufgabe schwer ist, es bis zur Vollkommenheit zu bringen, wie schwer muß es dann erst bei der größten und schwierigsten Aufgabe sein, es wie dieser allen zuvorzutun! Alle Siegeskränze, die er errungen hat, alle Kämpfe, in denen er gesiegt hat, einzeln durchzugehen scheint mir überflüssig, zumal ihr im Bilde seid und man die gleichen Erfolge auch von anderen berichten könnte. (I1) Was aber keinem andern gelang, das wißt ihr zwar ebenfalls, aber eben deswegen kann ich es sagen. Denn wer es nicht weiß, wird es auch nur schwer glauben: Mit wie vielen und ausgezeichneten Gegnern er es auch zu tun bekam, keinem unterlag er, sondern war stets selbst der Sieger. In der ganzen Weltgeschichte wird man keinen Feldherrn finden, der nicht einmal besiegt worden wäre, keinen Kriegshelden, der nicht auch schon einmal aus der Schlacht geflohen wäre. Man wird auch nicht sagen können, daß er nur infolge seines frühen Todes unbesiegt geblieben sei, denn außerordentlich viele Kämpfe hat er bestanden, und die

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MELANKOMAS (2)

[29.II- X4

Möglichkeit, besiegt zu werden, hängt nicht von der Länge der Zeit ab, sondern von den Bewährungsproben, die man gegeben hat. Auch darüber wird man verblüfft sein, daß er Sieger blieb, ohne selbst einen Schlag empfangen oder einen entscheidenden Schlag ausgeteilt zu haben; so sehr war er an Kraft und Durchstehvermögen überlegen. (12) Oft kämpfte er in der heißesten Jahreszeit den ganzen Tag über, und obwohl er den Kampf durch einen Schlag schneller hätte beenden können, lehnte er es doch ab, weil er der Meinung war, daß, wenn es sich so träfe, auch der Schlechteste einmal durch einen Schlag den Besten besiegen könne, es aber den wahrhaften Sieg bedeute, wenn man den Gegner, auch ohne ihn verletzt zu haben, zur Aufgabe zwinge; denn dann sei er nicht seiner Verletzung, sondern sich selbst erlegen. Wenn der Gegner nicht, weil er an einer bestimmten Stelle getroffen, sondern weil er am ganzen Körper ermattet sei, aufgebe, dann sei das eine herrliche Sache. Wer aber durch Schlagen und Clinchen auf einen möglichst schnellen Sieg dränge, sei selbst von der Hitze und der Zeit besiegt'. (13) Sollte jemand damit nicht einverstanden sein, so möge er bedenken, daß auch Eber und Hirsche, solange sie noch bei Kräften sind, weder Menschen noch Hunde angehen und daß sie erst, wenn sie vor Erschöpfung aufgeben, den Kampf suchen, nunmehr bereit, sich lieber verwunden und töten zu lassen als die Anstrengungen der Flucht noch länger zu ertragen. So machen es die Menschen au<;h im Krieg: Obwohl sie wissen, daß sie eher getroffen werden, wenn sie fliehen als wenn sie standhalten, machen sie kehrt, weil sie sich länger nicht mehr plagen wollen, und geben so dem Feind in ihrem Rücken Gelegenheit, sie zu treffen. Daher ist die Geringschätzung von Verwundungen kein Beweis fur Tapferkei t, sondern das Gegenteil. (14) Ich glaube nun, alles in einem gesagt zu haben über Mut und Beherztheit, über Selbstbeherrschung und Maßhalten.

29,14-16]

MELANKOMAS (2)

341

Denn wer nicht selbstbeherrscht und maßvoll ist, wäre vermutlich auch nicht so sehr an Stärke überlegen gewesen, selbst wenn ihn die Natur zum stärksten Menschen gemacht hätte. Ich stehe auch nicht an zu behaupten, daß Melankomas selbst den alten Helden, die jedermann preist, an Tüchtigkeit nicht unterlegen war, weder den Kämpfern vor Troia noch den Männern, die in späteren Zeiten Griechenland gegen die Perser verteidigten. Hätte er zu ihrer Zeit gelebt, hätte er auch die gleichen Taten wie sie vollbracht. (15) Ganz allgemein aber stelle ich die Bewährung als Athlet über die Bewährung im Krieg. Denn erstens werden sich die besten Athleten auch dort auszeichnen: Wer mehr Körperkräfte besitzt und längere Zeit durchhalten kann, der wird vermutlich mit Waffen wie ohne sie der Überlegene sein. Dann ist es nicht dasselbe, ob man mit unbedeutenden Leuten kämpft, die in jeder Beziehung unterlegen sind, oder die Stärksten aus aller Herren Länder zu Gegnern hat. Ist man im Krieg der Stärkere, tötet man seinen Gegner einfach, so daß man es mit demselben Feind nicht ein zweites Mal zu tun bekommt. Beim Wettkämpfer aber dauert der Sieg nur einen Tag, dann hat der Sieger dieselben Unterlegenen wieder zu Gegnern und dazu noch jeden beliebigen anderen. (16) Auch ist hier der Bessere dem Schlechteren überlegen, denn mit nichts anderem als mit Mut und Kraft muß er siegen. Im Krieg dagegen läßt die Stärke des Eisens, die der menschlichen Natur weit überlegen ist, eine Prüfung der körperlichen Tüchtigkeit nicht zu und steht oft auf der Seite der Schlechteren. Alles nun, was ich über den Wettkampf gesagt habe, gilt auch für den Wettkämpfer, erst recht, wenn sich gezeigt hat, daß er der Beste seines Faches war. Und vielleicht ist meine Art zu sprechen fur mich und für die Anwesenden die richtige, so daß es das Beste ist, diese Form der Darstellung 3 zu wählen. 13

342

MELANKOMAS (2)

Da er nun einen schönen Körper hatte, mutig, beherzt und selbstbeherrscht und dazu unbesiegt war, wen könnte man da wohl glücklicher preisen als ihn! (17) Und doch paaren sich Mut und Selbstzucht außerordentlich schwer mit Schönheit. Denn in der Regel macht Schönheit die Menschen aufgeblasen und verfUhrt sie zu einem bequemen Leben, weil sie glauben, eines anderen Ruhmes nicht mehr zu bedürfen, wenn ihre Schönheit in aller Munde ist, und weil das bequeme Leben auch angenehmer ist. Zählt man die schönsten Menschen aus früheren Zeiten von Anfang an auf, wird man finden, daß der größte Teil von ihnen keine tapfere und besonders tüchtige Tat vollbracht hat. Ganymedes wird kaum etwas Bedeutendes geleistet haben, da er schon als Knabe aus den Augen der Menschen verschwand 4. (IS) Von Adonis, lasion und all den anderen, die wegen ihrer Schönheit über alle Maßen berühmt waren, hören wir nichts alseben, daß sie schön waren. Lediglich bei Theseus undAchilleus könnte man sagen,daß sie sehr schön und zugleich tapfer waren, aber ihnen fehlte weitgehend die Selbstbeherrschung. Sonst hätte nicht der eine von ihnen Helena gewaltsam en tführt 5, der andere sich vor Troia gestritten, worum er sich gestritten hat 6• Und Hippolytos hatte sich zwar selbst in der Gewalt, ob er aber auch tapfer war, ist nicht bekannt, denn seine Vorliebe fiir die Jagd reicht als Beweis nicht aus 7• (19) Wer aber alle Vorzüge, die es bei den Menschen gibt, besaß, verdient, daß man ihn auch wegen seines Todes glücklich preist. Wäre es für den Menschen das Beste, möglichst lange zu leben, dann hätte man Melankomas deswegen beklagen können. Nun aber ist den Menschen sowieso nur eine kurze Lebenszeit gewährt, und man könnte eine große Zahl von Leuten finden, für die es weit besser gewesen wäre, in früheren Jahren zu sterben, weil soviel Unglück über sie hereinbrach. (20) Auch hören wir von keinem der hervorragenden Helden alter Zeiten, daß er ein hohes Alter erreicht habe: weder Pa-

CHARIDEMOS

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troklos und Antilochos noch Sarpedon, Memnon, Achilleus und Hippolytos, weder die Boiotier Otos und Ephialtes, die Bomer als die größten und schönsten Menschen nach Orion bezeichnet 8, noch Orion selbst. Die zuletzt Genannten kamen durch ihren Unverstand um 9, alle andern galten als Söhne und Nachfahren von Göttern. Sicher nun hätten die Götter ihre eigenen Söhne und ihre größten Lieblinge nicht eines frühen Todes sterben lassen, wenn sie darin nicht ein Glück für die Menschen gesehen hätten. (21) Wenn ihr dies bedenkt, ihr Leute, müßtihrjenen glückselig schätzen und aus diesem Grund Anstrengung und Ehrgeiz lieben, wie er es getan hat. Denn sonst seid ihr nicht in den Genuß eines dieser Güter gekommen, falls euch ein früher Tod ereilen sollte. Wer nämlich glänzenden Ruhm erlangt hat, scheidet dahin, umgeben von Herrlichkeiten. Deshalb übt euch energisch und härtet euch ab! Ihr Jüngeren im Glauben, er habe euch das Feld geräumt, ihr Älteren so, wie es euren eigenen Leistungen angemessen ist. Und seid stolz darauf, soweit es Männer, die in ihrem Leben auf Anerkennung und einen guteri Namen erpicht sind und sich der Tüchtigkeit verschrieben haben, sein sollen. (22) Den Abgeschiedenen ehrt durch euer Gedenken, nicht durch Tränen! Denn diese Art von Ehrung für einen edlen Menschen von edlen Menschen ist wohl kaum passend, und ich kann Homer nicht loben, daß er Sand und Waffen von den Tränen der Achaier feucht werden läßt'·; indes erlag er bei seiner Darstellung solch überschwenglicher Totenklagen wohl eher dem Reiz dichterischer Gestaltung. Ihr aber tragt es festen Herzens! 30. CHARIDEMOS

(r)DION: Schon lange, bevor ich euch' sah, hatte ich vom Tod des Charidemos gehört. Denn unmittelbar nach meiner Lan-

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CHARIDEMOS

dung hier erkundigte ich mich nach einigen Bekannten und ganz besonders auch nach den beiden Brüdern, wo sie sich aufhielten und wie es ihnen gehe. Da geriet ich an jemand, der sie nicht näher kannte, wohl aber schon die Namen gehört hatte, und er fragte mich, ob ich die Söhne des Timarchos meine. Als ich bejahte, eröffnete er mir, daß der eine - er meinte den jüngeren - mit dir zusammen noch in Messenien sei aus Trauer über seinen Bruder, denn der ältere der beiden sei gestorben. (2) Da war mir klar, daß er mir den Tod des Charidemos berichtete. Zwar schien es damals noch gewisse Zweifel zu geben, obwohl der Mann deutlich genug gesprochen hatte; später erfuhr ich dann Genaueres. Ich glaube, ich selbst war kaum weniger vom Schmerz ergriffen als ihr - wollte ich sagen: mehr, wäre es weder recht noch billig für mich, denn dann hä tte ihn jemand mehr gelie bt als ihr,sein Va ter und sein Bruder. (3) Und doch schein t die Mach t der Na tur bei den gewöhnlichen Menschen nicht allzu stark zu sein. So höre ich von unserem Opuntier', daß er bei dem Verlust seines jungen, hübschen und begabten Sohnes - auch er war ein Freund von mir - nicht betrübter gewesen sei, als wenn er jemand vom Gesinde verloren hätte. Euch beiden aber scheint das Unglück schwer zu schaffen zu machen. Kein Wunder, denn eurer Stadt und ganz Griechenland wäre ein Mann, wie Charidemos einer zu werden versprach, zum Segen geworden, wenn er am Leben geblieben wäre. Denn ich für meinen Teil habe niemand gekannt, der schon in jungen Jahren so großen Mut und so gute Anlagen verraten hätte. (4) TIMARCHOS: Und kenntest du seine Einstellung dir gegenüber, würdest du ihn noch viel mehr preisen. Denn ich hatte den Eindruck, daß er dich nicht nur allen anderen Menschen, sondern selbst mir, dem Vater, vorzog. Noch während seiner Krankheit, als er dem Tod schon sehr nahe war, nannte er deinen Namen, obwohl wir und andere Verwandte, Mitbürger und Bekannte im Zimmer waren. Kaum noch fähig,

30,4-6]

CHARIDEMOS

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überhaupt ein Wort hervorzubringen, bat er uns, wenn wir dich träfen, dir zu sagen, daß er im Gedanken an dich gestorben sei. Denn bis zum letzten Augenblick war er bei Bewußtsein und hatte die Sprache nicht verloren. Ja, als er noch lebte, hielt er es so, daß er dein Schweigen, deinen Gang und alle deine anderen Besonderheiten nachahmte, wie diejenigen sagen, die euch beide gekannt haben. (5) DION: Nein, er ahmte keinen nach, weder mich noch einen anderen, es war seine natürliche Art. Früher ist es euch vielleicht verborgen geblieben, solange er noch ein Kind war. später aber, mit zunehmendem Alter, trat es stärker hervor, denn ihm stand der männliche Ernst in seiner Haltung viel besser als jedem anderen. Aber daran nahmt ihr doch wohl keinen Anstoß, oder kam er euch gar finster vor? TIMARCHOS: Ganz im Gegenteil, er scheint mir heiterer als mancher andere und zu Scherzen stets aufgelegt gewesen zu sein - zu Scherzen, wie sie anständige Kinder machen -, und einen Bekannten lächelt er immer an. Ein lautes Lachen dagegen sah man an ihm nur selten. Nie hat er uns Kummer gemacht, ja er wurde von vielen gelobt, und vor ihm - er war erst 22Jahre alt, als er starb! - hatten die Bürger mehr Achtung als vor den älteren angesehenen Leuten. (6) DION: Hat er euch noch etwas anderes hinterlassen oder sonst etwas mit euch besprochen, bevor er starb? T'IMARCHOS: Viel Wunderbares, wie mir als seinem Vater scheinen will. Obwohl er in so jungen Jahren aus dem Leben scheiden mußte, beklagte er nicht sein Schicksal und sah nicht nach einem hadernden Menschen aus, sondern versuchte noch, uns zu trösten. Schließlich rief er dann den Sklaven und diktierte ihm wie auf höhere Eingebung eine Trostrede für uns, so daß ich schon beflirchtete, er tue das, weil er angesichts des Todes nicht mehr ganz bei sich sei. Aber alle, die im Zimmer waren, hießen es vollkommen gut.

CHARIDEMOS

[30,6--'0

DION: Hast du die Aufzeichnungen?

(7) TIMARCHOS: Natürlich. DION: Willst du sie mir wohl zeigen? TIMARCHOS: Nur schäme ich mich, daß vielleicht nicht alles richtig ist, da es von einem ziemlich jungen Menschen und dazu noch in solch einem Augenblick gesagt worden ist. Denn in deiner Gegenwart schien er mir jedes seiner Worte mehr zu bedenken, als wenn sonst alle möglichen Leute zugegen waren. DION: Aber, mein Lieber, es ist ja doch kein Fremder, dem du es vorliest. Auch kommt es mir weniger darauf an, seinen Stil kennenzulernen als vielmehr die Gesinnung, in der er gesprochen hat, ob er tatsächlich wohlgemut und getrost gestorben ist. (8) TIMARCHOS: So höre denn! «Mein Schicksal ha t sich so erfüll t, wie es dem Gott gefallen hat, und wir dürfen nichts, was nach seinem Willen geschieht, für hart halten und unwillig darüber sein. Das empfiehlt neben anderen weisen Männern vor allem auch Homer, wenn er sagt, die Menschen dürften die Gaben der Götter aufkeinen Fall von sich weisen, und ganz richtig nennt er die Werke der Götter ,Gaben'3, denn sie sind alle gut und dienen zu unserm Besten. (9) Das ist meine Ansicht, und ich nehme mein Schicksal gelassen an. Diese Worte sage ich nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt, sondern da sich mein Schicksal schon erfüllt hat und ich den Tod so nah vor Augen sehe. Ihr aber sollt mir Glauben schenken, zumal ich mich mehr als um euch um die Wahrheit bemüht habe. Soweit ihr es vermögt, gebt euch nicht dem Schmerz hin, denn mir ist nichts Schlimmes widerfahren, auch wenn euch jemand das Unangenehmste über den Tod sagen sollte. (IO) Ich will euch selbst eine Erklärung geben, mag sie auch alles andere als erfreulich und gefällig sein jdenn ich glaube nicht, daß sie euch gefallen wird. Aber vielleicht hat sie auch etwas Wunderbares.

CHARIDEMOS 347 Wir Menschen sind alle vom Blut der Titanen. Und weil sie mit den Göttern verfeindet waren und sie bekriegten, sind auch wir keine Lieblin ge der Götter, sondern werden von ihnen gezüchtigt und sind zur Bestrafung geboren: Unser ganzes Leben lang, so alt wir werden, hausen wir in einem Gefängnis. Und wenn wir sterben, werden wir, nunmehr hinreichend bestraft, in die Freiheit entlassen. en) Dieser Ort hier, heißt es, den wir das Weltall nennen, ist ein von den Göttern eingerichtetes hartes und stickiges Gefängnis\ dessen Temperatur und Klima nie gleich bleiben: Bald ist es kalt und frostig und wird heimgesucht von Sturm und Moder, Schnee und Wasser, bald aber ist es auch zum Ersticken heiß, und nur eine verschwindend kleine Zeit im Jahr ist es erträglich. Ferner fahren Blitzstrahle darauf herab, Wirbelstürme erheben sich, und oft erbeben die Grundfesten. Das alles sind furchtbare Strafen, (12) denn jedesmal, wenn so etwas geschieht, erschrecken die Menschen und sind voll Furcht. Dazu können sie die schlechte Luft und die Temperaturstürze nicht ertragen und denken sich deshalb kleine Gefängnisse aus - ihre Häuser und Städte, die sie aus Holz und Stein erbauen, wie wenn man in einem großen Gehege kleinere Pferche anlegt. Die Pflanzen hier und die Früchte der Erde wachsen, damit wir am Leben bleiben, vergleichbar der schlechten und wenig schmackhaften Kost, die man Gefangenen gibt. Wir aber sind damit zufrieden, weil wir aufsie angewiesen sind und sonst keine Möglichkeit haben. (13) Auch den von uns Bestraften kommt vor lauter Hunger und aus Gewöhnung alles, was man ihnen vorsetzt, schmackhaft vor. In Wirklichkeit aber sind diese Nahrungsmittel schlecht und verdorben, wie die Hinfälligkeit unseres Körpers beweist. Außerdem sind sie nicht leicht zu beschaffen und auch nicht fur jedermann reichlich vorhanden, sondern mit unsäglicher Mühe und Arbeit verbunden.

348

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[30,13-17

Wir selbst sind gerade aus dem zusammengesetzt, was Uns quält, aus Seele und Körper. (14) Die Seele nämlich ist voll Von Trieben, Schmerzen, Leidenschaften, Ängsten, Sorgen und unzähligen anderen Regungen dieser Art, und Tag und Nacht wird sie von ihnen in einem fort auf die Folter gespannt. Und auch, wer zu mehr taugt, ist letzten Endes nicht frei davon, nur hat er sie wie wilde Tiere drinnen eingeschlossen und zwingt sie gleicherweise mit Gewalt und mit guten Worten zur Ruhe. Läßt er aber auch nur einen Augenblick ab, sie zu beschwichtigen und im Auge zu behalten, regen sie sich sofort wieder stürmisch. (15) Unser Körper wird von Schwindelan_ fällen, Krämpfen, Epilepsie und all den anderen Krankheiten geplagt - unmöglich, sie auch nur im Geist aufzuzählen -, denn er ist angefüllt mit Blut und Luft und besteht zudem aus Fleisch, Muskeln und Knochen, aus Weichem und Hartem, Feuchtem und Trockenem, also aus den größten Gegensätzen. Die Nahrungsmittel, die, wie ich schon sagte, schlecht sind, und dazu das ungleichmäßige Klima lassen die Krankheiten zum Teil schwerer werden, zum Teil rufen sie sie erst hervor, denn auch wenn sie vorher nicht in Erscheinung getreten sind, gehören sie doch zur Natur unseres Körpers. (16) Diese Übel nun liegen in uns selbst, während die anderen Strafen von außen kommen und im Vergleich zu den Übeln in uns leichter erscheinen. Denn die Wirkung von Feuer, Eisen, Schlägen und so weiter ist rasch und wird bald nicht mehr empfunden, auch wenn es jemand einmal ein bißehen übertreibt. Von Krankheiten dagegen muß man sich gelegentlich recht lange quälen lassen. (17) Von so großen und zahlreichen Prüfungen heimgesucht, bleiben wir Menschen in Haft und Gefängnis, ein jeder die ihm bestimmte Zeit, und die meisten verlassen es nicht, bis sie einen Nachfolger hervorgebracht haben - zum Teil nur einen einzigen, zum Teil auch mehrere -, der für sie die Strafe über-

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nimmt. Sie bleiben aber nicht freiwillig, sondern sind alle mit Leib und Seele an eine einzige Kette geschmiedet, wie man auch bei uns viele Gefangene in einer langen Reihe an eine einzige Kette gefesselt sehen kann, kleine und große, häßliche und wohlgestaltete - aber alle unter der gleichen Bedingung an die gleiche Notwendigkeit gekettet. (18) Ganz ähnlich wie bei den körperlichen Unterschieden hat auch der eine an Glücksgütern, an Ehre und Ansehen mehr als der andere. Denn der eine ist König, der andere nur ein kleiner Bürger, der eine ist reich, der andere mittellos. Und trotzdem sind die sogenannten Glücklichen dem Unglück genauso ausgesetzt und an die gleiche Kette geschmiedet wie die Armen und Unbedeutenden, ja noch mehr als sie. (19) Da die Armen nämlich schmächtiger sind, sitzt die Kette lockerer und schließt nicht so eng, während sie Königen und Tyrannen mit ihrer aufgeblasenen Seele und ihrer Wohlbeleibtheit schwerer aufliegt und sie mehr reibt. So werden ja auch, wenn der Körper gefesselt ist, die Dicken und Beleibten von der Fessel mehr geplagt als die Dünnen und Mageren. Einigen wenige'n allerdings ist eine gewisse Erleichterung von den Göttern bewilligt worden: Sie sind zwar auch in Ketten, aber die Ketten sind ganz leicht, weil die Betreffenden sich ordentlich geführt haben. Von ihnen wird gleich noch die Rede sein. (20) Zunächst aber muß ich noch sagen, was ich als Kind von einem herumziehenden Bettler über die Beschaffenheit der Kette gehört habe. Sie sei nicht wie die gewöhnlichen Ketten aus Eisen und Erz, sondern viel stärker, in Form und Konstruktion allerdings ganz ähnlich. Denn wie unsere Ketten aus ineinandergreifenden Gliedern geschmiedet seien, und zwar von Anfang bis Ende, so sei es auch jene andere, mit der, wie ich sagte, die Menschen von den Göttern gefesselt sind. (21) Sie sei ganz gefügt aus Freud und Leid, so daß das Angenehme und das Unangenehme immer ineinandergreife und eins not-

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wendig auf das andere ohne Unterbrechung folge, genauso, denke ich mir, wie bei den Gliedern einer Kette. Großen Freu_ den folge großes Leid, kleinen Freuden kleineres Leid, und die größte Freude sei schließlich der Tod. Deshalb stelle sich auch vor ihm der größte Schmerz ein, denn es sei ja klar, daß es für den Menschen keine größeren Leiden und Schmerzen gebe als diejenigen, die zum Tode fUhren. (22) Er sagte auch, daß es fUr jeden Menschen wieder andere Ketten gebe, die einen leichter, die anderen schwerer, und es sei mit ihnen wie mit Fußfesseln. Die Menschen nennten sie Hoffnungen. Wie nun die Fußfesseln am untersten Teil unseres Körpers hingen und um die äußersten Glieder gelegt würden, so seien auch die Hoffnungen das Unterste und stellten sich im letzten Lebensabschnitt ein. Sie beherrschten die Menschen vollständig und zwängen sie, auch das Äußerste zu ertragen. Bei den dummen Toren seien die Fesseln überaus massig und stark, bei den Gescheiteren säßen sie lockerer und leichter. (23) Und dann gebrauchte er auch den Vergleich mit der Feile und führte ihn sehr energisch durch. Allerdings, meinte er, kämen darauf n ur geschei te und scharfsinnige Leu te, denn die Sache sei mit äußerster Sorgfalt verborgen, wie wenn man in einem Gefängnis eine Feile versteckte, damit keiner der Gefangenen sie finde und sich damit befreie. Die Ehrgeizigen nun, die keine Anstrengung scheuten, könnten sie, wenn auch nur mühsam, finden. Sie nennten sie Vernunft. Sobald sie die Feile gefunden hätten, setzten sie sie an und feilten an den Fesseln, bis sie ihren Teil der Kette möglichst dün"n und schwach gemacht, das heißt Freude und Schmerz abgetan hätten, soweit das möglich ist. (24) Aber das gehe nur langsam. Denn da die Ketten stahlhart seien, komme die Vernunft nur mit Mühe voran und könne sie nur Millimeter für Millimeter zernagen; sie ganz zu erledigen und zu sprengen sei unmöglich. Wer aber dieses Mittel besitze und es energisch

3°,'4-.6]

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einsetze bei Tag und bei Nacht, soviel er nur immer könne, der ertrage fortan seine Haft leicht und verkehre mit seinen Nlitgefangenen, als wäre er frei. Und nahe seine letzte Stunde, gehe er unbeschwert davon, da er jetzt nicht mehr gewaltsam geknechtet und eingeschnürt werde. Wegen seiner Tüchtigkeit und Weisheit würden die Götter auch zuweilen diesen oder jenen von ihnen zu ihrem Beisitzer machen, wenn sie ihn von der Strafe völlig freigesprochen hätten. (25) Dies sagte mir ein Mann, der, wie ich vermute, unzufrieden war, weil er viel Schweres in seinem Leben durchgemacht hatte, und der mit der echten Bildung erst spät in Berührung gekommen war. Aber seine Erklärung ist nicht wahr und außerdem eine Beleidigung für die Götter. Eine andere Darstellung ist besser, und sie möchte ich viellieber erzählen. Ich hörte sie von einem Bauern in ziemlich ländlichem Dialekt und Tonfall. Beides brauche ich vielleicht nicht nachzuahmen, die wichtigsten Gedanken jedoch möchte ich versuchen wiederzugeben. (26) Er pries Zeus und die anderen Götter und sprach davon, wie gütig sie seien und wie sehr sie uns als ihre Verwandten liebten. Denn das Menschengeschlecht stammt von den GötternS, so flihrte er aus, nicht von den Titanen oder Giganten. Nachdem sie nämlich das Weltall in Besitz genommen hatten, siedelten sie die Menschen gleichsam als eine Kolonie von ihnen auf der noch öden Erde an, zwar mit geringeren Vorrechten und Gütern, aber mit denselben Gesetzen und Bräuchen, ganz ähnlich, wie wenn große und wohlhabende Städte kleine Kolonien gründen. Er dachte wohl daran, auch wenn er selbst keine Namen nannte, daß einst die Athener etwa Kythnos und Seriphos, die Spartaner Kythera gegründet hatten mit denselben Gesetzen, die zu Hause galten. Bei ihnen allen kann man Abbilder von den Sitten und von der Verfassung der Gründer sehen, nur ist eben alles schwach und

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schlechter. Allerdings ist der Unterschied in beiden Fällen nich t gleich groß, (27) denn die einen sind als Menschen Menschen überlegen, während die Überlegenheit der Götter uns gegenüber geradezu unendlich ist. Solange nun das Leben noch neu gegründet war, besuchten uns die Götter in eigener Person und sandten aus ihrer Mitte Führer, eine Art Statthal_ ter, die sich um uns kümmern sollten, zum Beispiel Herakles, Dionysos, Perseus und all die anderen, die, wie man erzählt, als Söhne oder Nachfahren von Göttern unter uns weilten 6• Später ließen sie uns dann selber schalten und walten, so gut wir es vermochten. Und um diese Zeit begannen dann die Fehler und Ungerechtigkeiten. (28) Er wußte aber auch noch einen anderen Gesang 7 : Das Weltall ist ein wunderschönes, göttliches und von Göttern eingerichtetes Haus. Wie wir die Häuser der sogenannten Begüterten und Reichen mit Pfeilern und Säulen, Decken, Wände und Türen mit Gold und Malereien ausgestattet sehen, so ist auch das Weltall zur Unterhaltung und Freude der Menschen geschaffen, wunderschön und reich ausgestattet mit Sternen, Sonne und Mond, mit Land, Meer und Pflanzen lauter Beweise für Reichtum und Kunst der Götter. (29) Auf diese Welt kommen die Menschen, um zu feiern, vom König der Götter zu prunkvollem Fest und Schmaus geladen, um alle Güter zu genießen.Wie beim Mahl lassen sie sich nieder, der eine hier, der andere dort, der eine bekommt einen besseren Platz, der andere einen schlechteren. Im ganzen geht es genauso zu wie bei unseren Festlichkeiten, nur d~ß ich Göttliches und Großes mit Kleinem und Niedrigem vergleiche. Licht spenden uns die Götter auf zweifache Weise durch eine Art Leuchter, bald mehr, bald weniger, das eine bei Nacht, das andere bei Tag. (30) Vor uns stehen Tische, vollbeladen mit Brot und Obst, das zum Teil wild gewachsen, zum Teil künstlich gezogen ist, ferner mit Fleisch von Haustieren und

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Wild, auch mit Fischen aus dem Meer. Diese Tische, ftihrte der Landmann aus und bediente sich dabei einer sehr bäurischen Ausdrucksweise, sind die Wiesen, Ebenen, Wälder und Küsten, wo alles wächst, wo geweidet und gejagt wird. Der eine hat mehr hiervon, der andere davon, je nachdem, an welchem Tisch er sich niedergelassen hat, denn die einen wohnen am Meer, die andern in der Ebene und wieder andere im Gebirge. (F) Die Bedienung übernehmen die Horen s, da sie die jüngsten unter den Göttern sind, schön angetan und eine Freude zu schauen, aber wohl kaum mit Gold, sondern mit bunten Blumenkränzen geschmückt. Von diesen Blumen streuen sie auch unter die Gäste und besorgen die Aufwartung, indem sie alles zur rechten Zeit auf- und abtragen. Auch gibt es Tänze und all die anderen Lustbarkeiten. (32) Und die Mühe, die wir bei der Bestellung des Landes, beim Jagen und Pflanzen zu haben meinen, ist nur eben so groß wie die der Gäste, wenn sie beim Mahl die Hand nach etwas ausstrecken, um es sich zu nehmen. Und wenn ich sagte, daß sie an verschiedenen Plätzen lägen, so ist das auf die unterschiedlichen Temperaturen zurückzuführen. Denn die ersten und letzten an der Tafel sind mehr als die anderen ausgesetzt, die einen der Kälte, die andern der Hitze, je nachdem sie näher am Licht oder weiter von ihm entfernt sind. (33) Nun genießen aber nicht alle das Vergnügen und die Festlichkeiten auf dieselbe Weise, sondern jeder nach seiner Veranlagung. Die einen, in ihrer Maßlosigkeit nicht mehr zu retten, sehen und hören nichts, sondern essen in sich hinein, wie Schweine über den Trog gebeugt, und nicken dann ein. Anderen reicht nicht, was vor ihnen steht; deshalb strecken sie die Hand nach Entfernterem aus - wenn etwa Leute vom Binnenland Fische haben wollen und sich darum bemühen. (34) Wieder andere, die Unersättlichen, die der Gedanke, sie könnten einmal nicht mehr genug zu essen haben, unglücklich

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[30.34-38

macht, raffen alles an sich und stopfen sich die Taschen, so vol! es nur geht. Und wenn dann die Stunde zum Aufbruch gekom_ men ist, gehen sie vollständig leer aus, ohne etwas davon gehabt zu haben, und lassen es den anderen, denn sie dürfen nichts mitnehmen. Das sind die Leute, die nur Spott und Schande ernten. (35) Dann spielen welche mit Steinen auf einem Brett, andere mit Würfeln. Steine lind Würfel sind aber nicht so, wie wir sie kennen, sondern teils aus Gold, teils aus Silber - wir nennen sie Münzen. Darüber geraten sie aneinan_ der, und jeder sucht den andern zu übervorteilen. Sie machen den größten Lärm und die größte Unordnung, diese Würfel_ spieler, und gelten als die unangenehmsten Gäste. Mitunter geraten sie sogar in Streit, werden handgreiflich lind verwun_ den sich gegenseitig. (36) Vor allem machen das die Betrunke_ nen, wobei sie allerdings nicht wie bei uns vom Wein, sondern von der Lust betrunken sind. Denn Lust reichen die Götter beim allgemeinen Mahl zum Trank, um jeden auf die Probe zu stellen. Zwei Mundschenken stehen ihnen zur Seite, ein männlicher und ein weiblicher; der eine heißt Vernunft, der andere Unmaß. Die Vernünftigen nun haben den Mann als Mundschenken, und nur von ihm lassen sie sich einschenken, nur selten und in kleinen Bechern und so gemischt, daß nichts passieren kann. (37) Da steht ein einziger Mischkrug, der der Nüchternheit. In der Mitte aber gibt es viele Krüge mit verschiedenem Geschmack, wie wenn sie mit vielen verschiedenen Weinen gefüllt wären. Sie sind aus Silber und Gold, dazu tragen sie in Ringen außen herum Tiere, Ranken und Ziselierungen. Der Krug der Nüchternheit dagegen ist glatt und nicht groß, seinem Aussehen nach zu schließen aus Bronze. Aus ihm nun muß man ein reiches Maß schöpfen, nur ein klein wenig Lust beimischen und dann trinken. (38) Wo nun die Vernunft Mundschenk ist, da achtet sie beim Einschenken ängstlich darauf, daß sie in der Mischung keinen Fehler macht, womit

CHARIDEMOS 355 sie den Gast zu Fall bringen und unter den Tisch befordern könnte. Die Maßlosigkeit aber schenkt den meisten Gästen reine Lust ein, ohne den geringsten Zusatz von Nüchternheit, und nur - pro forma - einigen wenigen mit einer ganz kleinen Beimischung. Aber das bißchen verschwindet sofort und tritt überhaupt nicht in Erscheinung. Die Zecher gönnen sich keine Pause, sondern drängen sie zur Eile und heißen sie schneller bedienen, und jeder reißt ihr sein Teil vor dem andern aus der Band. Sie aber hastet und läuft umher, ganz außer Atem und in Schweiß gebadet. (39) Die von ihr bedienten Zecher tanzen, lassen sich vor aller Augen fallen und wälzen sich am Boden, streiten und schreien, wie es weinselige Menschen machen, nur daß es bei ihnen vorübergehend und erträglich ist; denn um wieder zu sich zu kommen, genügt ein kleiner Schlaf, da der Rausch nur leicht ist. Die von der Lust Betäubten aber sind es ihr ganzes Leben lang, da sie von einem stärkeren Trank überwältigt worden sind, und fur sie gibt es keine Befreiung, solange sie leben, sondern erst im Tod. Er ist fur diese Art von Rausch der Schlaf, und er allein kann da helfen. (40) Viele haben sich auch so übernommen, daß sie brechen müssen; das Ausspeien der Lust aber ist mit Krämpfen und stechenden Schmerzen verbunden. Wer sich trotzdem dazu überwindet, fühlt sich fortan erleichtert und wohler. Allerdings kommt es nur selten vor, daß jemand sich übergeben will. Viel häufiger wollen sie weitertrinken, denn ihr Durst läßt nicht nach, sondern wird immer stärker wie bei denen, die den Wein ungemischt trinken. (41) So steht es mit diesen Zechern, die mit der Güte der Götter Schindluder treiben. Die Mäßigen und Vernünftigen dagegen genießen die Lust nur äußerst vorsichtig in kleinen Portionen und mit Unterbrechungen. Wie ein freier Mann bei einer Einladung im Hause eines Mächtigen, etwa eines Königs oder Befehlshabers, nicht mehr als unbedingt nötig an Essen

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und Trinken denkt, sondern auf alles im Haus achtet und daran seine Freude hat, so denken auch jene Gäste nicht an maßloses Trinken, an Steine und Würfel, sondern betrachten, wie es drinnen aussieht, bewundern den Saal, in dem sie sich nieder_ gelassen haben, überlegen sich, wie er wohl entstanden ist, und sehen sich alles in ihm an wie auf einem wunderschönen Gemälde, die ganze Einrichtung und Ordnung, mit der die Horen gut und gekonnt alles verrichten. Darauf achten sie, und sie allein haben ein Organ für das Schöne. (42) Aufkeinen Fall wollen sie den Eindruck erwecken, als hätten sie mit geschlossenen Augen und Ohren an den Festlichkeiten teilgenommen, vielmehr haben sie nach ihrer Rückkehr, wenn sie einer danach fragen sollte, eine ganze Menge zu berichten, was sie alles gesehen und kennengelernt haben. Und während des ganzen Festes sind sie darum bemüht und genießen die Lust nur mit Maßen und klarem Kopf, einer mit dem andern ins Gespräch vertieft oder auch in Gruppen von zwei oder drei Gleichgesinnten. Wenn dann mitunter lautes Geschrei und Gelärm sich erhebt auf der Seite der Betrunkenen, werfen sie wohl einen Blick in jene Richtung, kehren aber sofort wieder zu ihrer eigenen Beschäftigung zurück. (43) Ist dann die Stunde zum Aufbruch gekommen, werden die heillosen Schlemmer von ihren Begleitern unter Mühen und Leiden fortgeschleppt und weggezerrt. Währenddessen schreien sie laut und jammern und wissen überhaupt nichts mehr, weder wo sie waren noch wie sie bewirtet worden sind, und wären sie noch so lange geblieben. Die andern Gäste"aber gehen aufrech t und auf ihren eigenen Füßen fort, verabschieden sich von ihren Freunden und sind heiter und fröhlich, da sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen, was gegen den guten Ton verstieße. (44) Der Gott nun, der ganz genau beobachtet, wie jeder sich bei Tisch benimmt - es geschieht ja in seinem eigenen

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Baus -, ruft jeweils die Besten zu sich, und wenn er besonders großen Gefallen an einem findet, lädt er ihn ein zu bleiben und macht ihn zu seinem Tischgenossen und Freund. Fortan wird er mit Nektar bewirtet, der dem Trank der Nüchternheit ähnelt, aber viel klarer und reiner ist, vermutlich, weil er der 'frank göttlicher und wahrer Nüchternheit ist.» (45) DION: Ach, mein Charidemos, wen haben wir an dir -verloren! Wie sehr hättest du es deinen Mitmenschen zuvorgetan, wie stehst du jetzt vor deinem Vater und deinen Mitbürgern, nicht, bei Gott, wegen deiner Worte, sondern wegen deiner großen, echten Männlichkeit! Bei einem solchen Verlust sehe ich mich außerstande, euch zu trösten und euch aufzufordern, es mit Gleichmut zu tragen, bin ich doch im Augenblick nicht einmal in der Lage, mich selbst recht zu trösten. (46) Du allein, Timarchos, kannst deinem Vater hier beistehen und ihm sein Unglück tragen helfen, wenn dir darum zu tun ist zu beweisen, daß du nicht viel schlechter als dein Bruder bist. Denn es wäre ja merkwürdig, wenn du das Vermögen deines Bruders, so groß es war, zum Teil schon übernommen hättest und den Rest nach dem Tode deines Vaters bekämst, auf seine Sittenstrenge aber, seinen Mut und seine Liebe zu allem Schönen verzichten wolltest, als wärest du in dieser Beziehung nicht mit ihm verwandt. 31. AN DIE RHODIER

(I) Männer von Rhodos! Wie nicht anders zu erwarten, werden die meisten von euch annehmen, ich sei hierhergekommen, um mit euch über ein persönliches Anliegen zu sprechen. Wenn ihr nun merkt, daß ich in einer Sache, die euch alle angeht, Abhilfe schaffen möchte, seid ihr mir vielleicht böse, daß ich, der ich weder euer Mitbürger noch von euch dazu aufgefordert bin, mich unterfange, euch Ratschläge zu erteilen, und zwar in

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einer Angelegenheit, die zu prüfen ihr keineswegs hier zusam_ mengekommen seid. (2) Sollte sich herausstellen, daß ich eure Geduld mit Unwichtigem und nicht dringend Notwen_ digem beanspruche, so will ich mir gerne nachsagen lassen, ebenso töricht wie vorwitzig zu sein; wenn aber mit denkbar Wichtigem, das bei euch sehr im argen liegt, so daß ganz allgemein der Ruf der Stadt darunter gelitten hat und ihr alle, die ihr sonst in der ganzen Welt ein gutes Ansehen genießt, euch in diesem einen Punkt einen zweifelhaften Namen macht, dann werdet ihr mir wohl billigerweise dankbar sein und in mir euern wohlwollenden Freund sehen. Denn es ist ja klar, daß nur einem Menschen, der euch sehr schätzt, nichts gleichgültig ist, was euch Schande und Schaden bringt. (3) Es wäre doch seltsam, wenn ihr einen Mann, der euch Geld-von sich anböte_ einen Fremden oder Zugezogenen -, nicht für vorwitzig hieltet, weil er sich, obwohl er scheinbar nichts mit euch zu tun hat und ihr ihn auch nicht gebeten habt, so großzügig gegen euch beträgt, den Mann aber, der euch einen nützlichen Rat gibt, ziemlich ungehalten anhörtet, nur weil er nicht von euch aufgefordert wurde oder nicht euer Mitbürger ist. Und doch ist es im Augenblick vielleicht nicht einmal so sehr das Geld, das ihr braucht, im Gegenteil, man könnte unzählige finden, für die es besser wäre, einen Teil ihres Besitzes abzugeben. Einen guten Rat aber braucht jedermann, bei jeder Gelegenheit und rur jcde Lebenslage, auch der scheinbar Glücklichste. (4) Wollte ich nun über eins der anliegenden Themen sprechen, hättet ihr keinen allzu großen Nutzen von mir; denn wahrscheinlich fändet ihr auch selbst die rich tige Lösung, wenn ihr euch die Sache erst einmal durch den Kopf gehen ließet. Da ich aber über einen Punkt sprechen möchte, den ihr überhaupt nicht näher untersucht, und euch den Nachweis, wie schlecht es darum bestellt ist, verspreche, wie soll te ich euch damit nicht einen überaus förderlichen Dienst erweisen, jedenfalls wenn ich

31,4-7]

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mich nicht als Betrüger herausstelle? Ich bin der Ansicht, von Leuten, die einen wohlgemeinten Rat geben, sollte man alles annehmen und keinen von ihnen als lästig empfinden, am wenigsten ihr, Männer von Rhodos. Denn offensichtlich kommt ihr aus keinem anderen Grund täglich und nicht widerwillig wie die andern zur Beratung zusammen, auch nicht nur von Zeit zu Zeit und nur mit den wenigen, die als freigesinnt gdten:Ihrwollt alles in Ruheanhören und nichts ungeprüftlassen. (5) Diese Vorbemerkung war erforderlich, um euch erst einmal auf die Spur zu bringen. Jetzt komme ich zur Sache selbst. Nur soviel sei noch angemerkt, daß man meiner Meinung nach alles im Leben richtig und gut machen muß, zumal wenn es sich um eine Angelegenheit des öffentlichen Lebens handelt. Denn zum einen tritt alles, was in der Öffentlichkeit geschieht, deutlicher zutage als clas Versäumnis eines einzelnen in seinem Privatleben. Zum andern lassen die Fehler eines einzelnen nicht gleich die ganze Stadt als schlecht erscheinen, während zweifelhafte Geschehnisse in der Öffentlichkeit auch den einzelnen in Mißkredit bringen. (6) In einer Demokratie richtet sich der Gesamtcharakter ja nach der Mehrheit, denn man darf doch wohl annehmen, daß sich die Meinung der Mehrheit und nichts anderes durchsetzt. Ich würde nun sagen, daß es das Beste ist, sich sorgsam an das Schönste und Ehrwürdigste zu halten; denn wo es an Geltung verliert, ist das ein Beweis für den Verfall der Stadt, und auch sonst kann nichts mehr gelingen. (7) Fürwahr, daß es - die Pflichten den Göttern gegenüber ausgenommen, denn sie müssen an die erste Stelle gesetzt werden im übrigen nichts Schöneres und Gerechteres gibt, als die tüchtigen Männer in Ehren zu halten und die Wohltäter nicht aus dem Gedächtnis schwinden zu lassen, darüber glaube ich kein Wort verlieren zu müssen. Und doch könnte man in diesem Grundsatz auch einen nicht geringen Nutzen erblicken. Wer nämlich um seine Wohltäter bemüht ist und ihnen um ihrer

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Liebesdienste willen Gerechtigkeit widerfahren läßt, den hält jeder seiner Gunst für wert, und wohl jeder möchte ihm nach Kräften helfen. Sind aber viele Freunde und Helfer in der Not vorhanden, so lebt die ganze Stadt und auch der einzelne Bür_ ger in größerer Sicherheit. (8) Aber gerade in dieser Sache, glaubt mir, Männer VOn Rhodos, ist es bei euch besonders schlecht bestellt, eurer Stadt ganz unwürdig. Ich meine die Pflichten gegen eure Wohltäter und die Ehrung tüchtiger Männer. Da habt ihr es früher durch_ aus anders gehalten. Wie kommt das? Man könnte doch eine ganze Menge von euren öffentlichen Einrichtungen mit Bewunderung gutheißen, und auch für die Ehrungen scheint ihr mir vorzüglich Sorge getragen zu haben -ein Blick aufdie Fülle eurer Standbilder ist Beweis genug. Seit einer gewissen Zeit aber hat sich eine auch sonst verwerfliche Unsitte bei euch eingebürgert, und wenn ihr die Wahrheit wissen wollt: In Bälde wird überhaupt keiner mehl' bei euch geehrt werden, und die verdienten und fur die Stadt einsatzbereiten Männer früherer Zeiten, Bürger, Könige und sogar ganze Völker, werden verhöhnt und ihrer Ehren beraubt sein. (9) Denn wenn ihr beschließt, für jemand ein Standbild aufzustellen - und zur Zeit kommt ihr schnell auf einen solchen Gedanken, wie wenn euch eine Fülle von Bildern zur Verfügung stände -, so kann ich euch kaum vorwerfen, daß es einige Zeit braucht und Verzögerungen eintreten. Denn ganz im Gegenteil, sofort steht der Betreffende fertig da, ja noch ehe ihr den Beschluß gefußt habt. Aber da geschieht etwas Merkwürdiges: Der oberste Beamte bezeichnet aus der Zahl der schon geweihten Statuen eine, die ihm gut dünkt, läßt die alte Inschrift beseitigen, den neuen Namen einmeißeln - und fertig ist das Ehrenmal. Der von euch fur würdig Befundene hat in Zukunft sein Standbild, ohne großen Kraftaufwand, möchte ich meinen, und durchaus rentabel, wenn man die Sache von dieser Seite betrachtet. Da kann man

3I ,g-I1]

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sich nur wundern, wie leicht und erwünscht das alles geht, wenn es allein bei euch steht, ohne Kosten und ohne daß einer von euch oder von den Geehrten einen Pfennig dafür ausgibt, jeden, den ihr wollt, in Erz aufzustellen. (10) Wer müßte die stadt da nicht wegen ihrer Klugheit bewundern? Aber ich glaube, vieles im Leben, was mit beträchtlicher Mühe und mit erheblichen Kosten verbunden ist, läßt sich auch ohne einen pfennig Geld und außerordentlich leicht tun, wenn man sich um Verantwortung und Wahrheit im Handeln nicht kümmert. Nehmen wir zum Beispiel die Opfer, die wir regelmäßig den Göttern versprechen. Man kann sehr wohl, auch wenn man nicht geopfert hat, behaupten, man habe geopfert, wenn man sich etwa nur bekränzt und dem Altar genähert, wenn man die Opfergabe berührt und die sonstigen Opferriten vollzogen hat. Wie? Kann man nicht auch mit Leichtigkeit ein und dasselbe opfertier ringsum zu allen Götterbildern fuhren, zu dem des Zeus, des Helios und der Athene, überall das Trankopfer ausschütten und sich einbilden, man habe allen Göttern geopfert? (I1) Wer könnte einem das verbieten? Gesetzt den Fall, wir wollten jetzt einem Gott einen Altar oder Tempel weihen auch wenn bei euch jeder Gott seinen Tempel hat, so wäre es ja denkbar, daß man einen größeren als den bisherigen bauen oder denselben Gott mit mehreren Tempeln ehren wollte. Liegt es da nicht auf der Hand, einen der anderen Götter auszusiedeln, einen bereits geweihten Altar zu versetzen oder auch nur die Inschrift zu ändern, wie wir es jetzt bei den Statuen machen? Gibt es doch Leute, die behaupten, ApolIon, Helios und Dionysos seien derselbe Gott, und auch ihr seid dieses Glaubens; ja viele ziehen sogar einfach alle Götter in einer Macht und Gewalt zusammen, so daß es gleichgültig ist, ob man diesen oder jenen Gott ehrt. Bei den Menschen ist so etwas aber nicht möglich. Wer, was diesem gehört, einem andern gibt, nimmt ihm das Seinige.

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(12) «Aber beim Himmel, es ist doch nicht dasselbe, ob man seine Pflichten den Göttern oder den Menschen gegenüber ver_ säumt!» Das behaupte ich auch nicht. Aber man kann auch Menschen gegenüber seine Pflichten versäumen, wenn man mit ihnen nicht aufrichtig ist und den Besitzenden nicht läßt, was sie ehrlich erworben haben, denen aber, die dasselbe verdient zu haben scheinen, dieses zwar gibt, wie man behauptet, in Wahr_ heit aber den einen ihre Gabe wegnimmt und die anderen gleichsam durch eine List zu fangen und zu täuschen sucht. (13) Der Charakter der Tat ist derselbe. In beiden Fällen handelt es sich um einen Akt der Täuschung und äußersten Kleinlichkeit in betrügerischer Absicht. Der einzige Unterschied ist, daß man Vergehen gegen die Götter Sünde, solche der Men_ schen untereinander Ungerechtigkeit nennt. Wir wollen gelten lassen, daß die Sünde mit der Frage, die im Augenblick zur Debatte steht, nichts zu tun hat, und wenn es euch der Beachtung nicht wert scheint, wollen wir sie fortan unberücksichtigt lassen. (14) Allerdings wird man finden, daß ein solches Verhalten vielleicht doch etwas mit Sünde zu tun hat. Ich denke dabei nicht an euch und eure Stadt, denn niemals habt ihr etwas derartiges beschlossen oder öffentlich getan; aber die Sache an sich interessiert mich. Was mit Verstorbenen an Ungehörigem geschieht, heißt Sünde und wird gesetzlich auch so bezeichnet, gegen wen auch immer es sich richtet. Aber auch an trefflichen Männern und Wohltätern der Stadt sich zu vergehen, ihre Ehrungen aufzuheben und das Gedächtnis an sie zu tilgen'- ich sehe keine Möglichkeit, wie man das anders nennen sollte, denn auch diejenigen, die sich gegen noch lebende Wohltäter vergehen, wird man mit gutem Grund von diesem Vorwurf nicht freisprechen können. (15) Wer sich gegen seine Eltern, die ersten und größten Wohltäter, ungebührlich beträgt, gilt mit gutem Recht als gottlos. Und was die Götter betrifft, wißt ihr

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doch wohl, daß jeder, der ihnen ein Trankopfer darbringt oder ihnen auch nur räuchert oder sie berührt, kein schlechteres opfer bringt, vorausgesetzt, daß er es mit der richtigen Gesinnung tut. Denn der Gott ist auf Weih bilder, Opfer unddergleiehen vielleicht überhaupt nicht angewiesen. Im übrigen haben diese Dinge natürlich auch ihren Wert, da sie unsere Bereitwilligkeit und unsere Einstellung zu den Göttern zeigen. (16) Die Menschen aber brauchen Kränze, Bilder, Ehrenplätze im Theater und ehrendes Gedenken, sind doch viele schon deswegen in den Tod gegangen, um ein Standbild zu bekommen, öffentlich ausgerufen zu werden oder sonst eine Ehrung zu erhalten und der Nachwelt einen herrlichen Namen und die Erinnerung an sich zu hin terlassen. Sollte euch nun jemand fragen, ob ihr glaubt, daß es im Fall einer Beseitigung aller Ehren dieser Art - es gibt kein ehrendes Gedenken der Nachwelt mehr, kein Lob fur gute Taten - auch nur einen kleinen Teil der in aller Welt bewunderten Männer gegeben hätte, die einst mit letztem Einsatzim Krieg gekämpft, Tyrannen gestürzt, um des gemeinsamen Wohles willen sich selbst oder ihre Kinder geopfert oder um der Tugend willen große Entbehrungen auf sich genommen haben, wie man sich von Herakles, Theseus und all den anderen Halbgöttern früherer Zeiten erzählt - ich glaube, nicht einen einzigen könntet ihr nennen. (17) Denn bei der Mehrzahl.der Menschen wird man kaum einen anderen Anreiz finden, Gefahren zu verachten, Strapazen durchzustehen und auf ein vergnügtes und bequemes Leben zu verzichten. Das ist der Grund, weshalb man in den Schlachte>1 bei brauchbaren Männern die Wunden auf der Brust findet und sie sich nicht zur Flucht wenden, mag ihnen die Hoffnung auf Rettung auch noch so häufig winken. Aus diesem Grunde wollte Achilleus nicht als alter Mann zu Hause sterben, wie der Dichter sagt, blieb Hektor allein vor der Stadt<, um, wenn es sein sollte, mit allen den Kampf aufzuneh-

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men. (18) Das war es, was einige wenige Lakedaimonier im Engpaß z dem Millionenheer der Perser Widerstand leisten ließ, was eure Vorfahren antrieb, alles Land und Meer mit ihren Siegeszeichen zu bedecken und zu einer Zeit, da das übrige Griechenland gewissermaßen ausgelöscht war, ganz allein die Würde der Griechen bis auf den heutigen Tag zu wahren. Daher scheint ihr mir auch mehr als alle jene andcrn ein Recht auf euer großes Selbstbewußtsein zu haben. (19) Denn die anfangs so erfolgreich gegen die Perser gekämpft hatten und in so heilem Licht dastanden, verpaßten später ihre Chance, als sie mehr Neid, Unverstand und Ehrgeiz als Tüchtigkeit bewiesen, bis sie, von keinem äußeren Feind mehr belästigt, selbst erschlafften und schließlich jeden, der Lust dazu hatte, zu ihrem Herren beriefen. Ihr aber, die ihr so viele Kriege glücklich überstanden habt, habt sie alle ebenso ruhmvoll begonnen wie wacker durchgeführt. (20) Doch das eine ist offensichtlich, daß ihr genauso wie andere, die als bedeutend gelten, Griechen oder N ich tgriechen, nur dad urch zu Ansehen und Mach t gekommen seid, daß ihr Männer hattet, von denen jeder einzelne Ehrgeiz besaß und den Nachruhm über das Leben stellte. Denn eine Säule, eine Inschrift und ein Standbild aus Bronze erscheinen den Edlen als etwas Großes, und dies ist der verdiente Lohn für ihre Leistungen, daß ihr Name nicht zugleich mit ihrem Körper untergeht und sie mit den Ungeborenen auf eine Stufe geraten, sondern daß eine Spur zurückbleibt, ein Zeichen, so könnte man sagen, ihrer Vortrefflichkeit. (21) Ihr seht ja auch bei den Wettkämpfern, was sie in Kauf nehmen und was sie sich ihr Training kosten lassen, und schließlich wählen sie sogar häufig den Tod im Wettkampfselbst. Wie nun, wenn ihnen jemand den Kranz, den Preis für ihr ehrgeiziges Streben, und die Inschrift, die in Olympia oder Delphi von ihrem Sieg künden soll, nähme? Glaubt ihr, daß sie sich auch nur noch einen Tag der Sonne aussetzten, geschweige denn alle anderen Un-

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annehmlichkeiten und Entbehrungen ihres Wettkämpferdaseins auf sich nähmen? Wie wäre es, wenn bekannt würde, daß das Bild, das man ihnen aufstellte, sich ein anderer aneignete, indem er den Namen des Stifters durch seinen eigenen ersetzt? Glaubt ihr, es käme noch ein einziger Zuschauer oder gar Wettkämpfer dorthin? Aus diesem Grund, meine ich, legen auch Könige Wert auf ein derartiges Zeugnis, (22) denn allen ist es um die Zeichen ihrer Tüchtigkeit zu tun, und im allgemeinen gibt sich keiner damit zufrieden, lediglich getan zu haben, was er fur gut hält, wenn niemand davon erfährt. Bei Gott, wißt ihr denn nicht, daß dieses Vorgehen nicht nur dem einzelnen seine Ehre voren thäl t, sondern auch die Män ner, die bereit wären, sich tatkräftig für die Stadt einzusetzen, aus der Stadt treibt? Und denke ja keiner von euch, daß, selbst wenn eine Art von Ehrung, nämlich die durch Standbilder, aufgehoben sei, damit die übrigen noch nicht beseitigt seien! Denn erstens, wer die größte Ehre, nach der jeder am meisten trachtet, abschafft, gibt doch wohl zu, daß er der Stadt mehr schadet als nützt, zumindest wenn er der Ansicht ist, daß die Abschaffung aller Ehrungen verhängnisvoll wäre. (23) Dazu kommt, daß dort, wo eins ins Wanken gerät, alles ohne Unterschied wankt und auch in verwandten Bereichen nichts mehr feststeht. Denn wer sich über einen Grundsatz, der vermutlich alle Zwischenfalle ausgeschaltet hätte, hinwegsetzt und ihn für null und nichtig erklärt, hat alles aufgelöst, was auf dem gleichen Grundsatz beruht. Wenn man zum Beispiel nur eine einzige Strafe aufhebt, gilt auch von den andern keine mehr unumstößlich. (24) Hebt man die schwerste auf, Verbannung oder Tod, ist die notwendige Folge, daß die weniger schweren überhaupt nicht mehr zu existieren scheinen. Wie die Falschmünzer, auch wenn sie nur begrenzten Schaden angerichtet haben, doch schuldig geworden sind und als Zerstörer des Ganzen betrachtet werden, so vernichten auch diejenigen, die

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[31.24-2,

einen Teil der Ehren oder Strafen aufheben, das Ganze und er. weisen es als wertlos. (25) Beides bringt also den größten Scha. den, wenn man sich auf eine Auszeichnung nicht mehr verlas. sen kann und wenn die Strafen nachlässig gehandhabt werden. Wäre es nun unmöglich, auf bei des zu achten, und fragte man mich, welche Maßnahme ich für die angemessenere und recht. lich gesinnten Menschen entsprechcndere halte, würde ich, ohne mich zu bedenken, die Lockerung der Strafen nennen. Sie kann man wenigstens auf Menschenliebe, Mitleid und andere derartige Regungen, wie sieden guten Menschen innewohnen, zurückführen. Daß man aber die Besten vergißt und sie um den Lohn ihrer Tüchtigkeit bringt, das kann niemals eine gültige Entschuldigung finden, sondern nur mit Undank, Mißgunst, Knauserei und allen niedrigsten Gefühlen in Zusammenhang gebracht werden. Ferner lassen die einen, indem sie die Strafen lockern, den Schlechten mehr Bewegungsfreiheit, die andern aber begehen in eigener Person das größte Unrecht an verdien. ten Männern. Soviel ist das eine schlimmer als das andere, wie es schlimmer ist, selbst Unrecht zu tun als einen andern nicht mit aller Gewalt daran zu hindern. (26) Man kann auch nicht sagen, es sei nicht das Höchste, was man diesen Männern geschenkt habe. Denn abgesehen davon, daß die Wahrheit aUen klar ist, befinden sich die Leute, die das behaupten, mit sich selbst im Widerspruch. Sie sagen nämlich, zur Zeit müsse man viele der führenden Männer ehren und es käme sie teuer zu stehen, wenn sie allen ein Standbild setzen wollten; alle anderen Ehrungen aber seien nicht angemessen, auch würden die Betreffenden sie als viel zu gering nicht annehmen. (27) Wie es mit den Kosten bestellt ist, werdet ihr gleich sehen. Daß die Ehre aber, die sie den zuvor ausgezeichneten Männern nehmen wollen, die größte ist, haben sie damit zugegeben. Wenn es aber schon verfehlt ist, jemand, der eine Auszeichnung verdient hat, zu übergehen und ihm seine Verdienste

3J.27-29]

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nicht zu vergelten - wie vor allem die zugeben müssen, die bereits eine Auszeichnung, die dem Verdienst nicht ganz entspricht, für etwas Schlimmes halten -, welch Übermaß an Unrecht muß es dann erst sein, Männer zu ehren und ihnen spiiter, ohne daß sie sich etwas haben zuschulden kommen lassen, zu nehmen, was man ihnen gegeben hat! Denn das eine ist Undankbarkeit gegen die Wohltäter, das andere Spott und Hohn für sie; das eine heißt, die verdienten Männer nicht ehren, das andre, sie entehren. (28) Einmal leistet man nicht, was man angesehenen Männcrn allgemein schuldig ist, im andern Fall behandelt man sie, wie man Schwerverbrecher zu behandeln pflegt. Wenn nun jemand, der früher einmal als ordentlicher Mann galt, später einen schweren, nicht wiedergutzumachenden Fehltritt tut, wenn er etwa auf Verrat oder Gewaltherrschaft sinnt, dann ist es üblich, ihm seine Auszeichnungen abzusprechen, auch wenn ihm in früheren Zeiten eine Inschrift zuteil geworden ist. Ist es da nicht eine Schande, wenn ihr für Männer, die anerkanntermaßen die besten sind, dasselbe fordert, was nach dem Gesetz die fluchwürdigen Verbrecher erwartet, die nicht einmal bestattet werden dürfen? (29) Daher muß ich vermuten, daß mindestens in dem Maße, wie in anderen Städten Auszeichnungen erstrebt werden, bei euch der Wunsch besteht, niemals etwas dergleichen zu bekommen. Denn jeder wird die Beleidigung und Entehrung für ein um so größeres Übel erachten, als er die Ehre für ein Gut gehalten hat. Wenn ihr nun jemand auf einen Ehrensitz einladet oder einem das Bürgerrecht erteilt, um ihm später den Sitz wieder zu nehmen oder ihm das Bürgerrecht abzusprechen, wird er euch inständig bitten, ihn in Ruhe zu lassen. Auch Gewaltherrscher und Könige, so möchte ich mit aller Bestimmtheit sagen, deren Standbilder später von den mit Gewalt und Unrecht beherrschten Untertanen entfernt und deren Namen getilgt worden sind - was auch, glaube ich, in eurer Zeit geschehen ist -, hät-

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ten keine Bilder von sich aufstellen und ihre Namen nicht einmeißeln lassen, wenn sie das vorausgeahnt hätten, (30) Doch beweist diese Überlegung nicht nur, daß jenen Männern gewaltiges Unrecht widerfahren ist, sondern auch, daß der Grund, der vielleicht einige von euch zu diesem Ver_ fahren verleitet hat, nicht stichhaltig ist, ja mehr noch, daß er gegen das Verfahren spricht. Wollten sie nämlich behaupten, es sei notwendig und zugleich nützlich, die anderen zu ehren, wie verträgt sich damit, daß sie Leute, die früher in so hohen Ehren standen, jetzt so entehrend behandeln? Was ein Mann in früheren Zeiten lieber nicht angenommen hätte, wenn er das hier geahnt hätte, wie sollte das heutzutage jemand gern annehmen, da er sieht, welcher Unfug damit getrieben wird? Daher wäre es nicht mehr als recht, wenn schon nicht um der früheren Wohltäter, so doch wenigstens um deretwillen, die wir jetzt auszeichnen, sich vor einem solchen Verfahren in acht zu nehmen. (31) Denn jedermann wird mißtrauisch sein gegen Gaben, von deren Gebern er weiß, daß ihnen Männer, die einst als ihre hoch gepriesenen Freunde galten, so gleichgültig sind, und erst recht werden es diejenigen sein, die dieselben Auszeichnungen erhalten sollen, deren sie die früheren Besitzer beraubt sehen. Sollten sie sie aber trotzdem bekommen oder vielmehr bekommen zu haben glauben, halten sie jetzt die Sache ganz gewiß für Spott und Hohn. Da wäre es besser, denen, die sich auszeichnen lassen wollen, zu sagen, ihr kümmertet euch nur wenig um die früher Geehrten, weil ein Bedürfnis, jemanden zu ehren, überhaupt nicht mehr bestehe, als umgekehrt mit dem sein Spiel zu treiben, was nach der allgemeinen Ansicht das größte Anliegen euerer Stadt ist und sogar noch in einem größeren Umfang als bisher betrieben wird. (32) Ja, bei Zeus und den Göttern, nicht einmal wenn die Männer, die heutzutage ein Standbild zu bekommen glauben, euch äußerst dankbar sein und das Volk in den höchsten Tönen preisen soll-

31,3'-34]

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ten, dürfte das geschehen. Denn nur darauf auszugehen, womit man sich bei jemand lieb Kind machen und ihn für sich gewinnen kann, ohne danach zu fragen, ob das zu Unrecht auf Kosten eines andern geschieht, oder ob man überhaupt etwas tut, das man nicht tun sollte - bei den Göttern, das ist nicht die Handlungsweise von freien und rechtlichen Leuten! Denn auch der verdorbenste Mensch en tscheidet sich nicht für etwas Schlechtes, wenn er sich nicht für den Augenblick einen Nutzen davon verspricht, und gerade darin besteht ja die Schlechtigkeit, daß man sich um des Gewinns und Vorteils willen an Schande und Unrecht nicht kehrt und nicht nach dem Wie einer Tat, sondern nur nach ihrem Nutzen fragt. (33) Wer nun den früheren Freund vergißt und nur den lebenden ehrt, wer an die früheren Verdienste nicht denkt und den zu erwartenden Nutzen über alles stellt, wißt ihr nicht, was für einen Namen der verdient? Heißt er nicht bei allen Schmeichler, gilt er nicht als gemein und unzuverlässig? Wie die Dinge hier liegen, kann man allerdings nicht einmal das von der Stadt sagen, daß sich dieser oder jener Bürger von ihr geachtet fühle und eine Auszeichnung darin sähe, wenn sein Name irgendwo eingehauen wird. Ganz im Gegenteil, sie murren im stillen und sind unzufrieden, auch wenn sie nichts laut werden lassen, um keinen Anstoß zu erregen. Gäbt ihr jemandem Falschgeld, nähme es wohl niemand mit Freuden, sondern sähe darin eher eine Beleidigung als ein Geschenk. Glaubt ihr denn, eine zweideutige Ehre, an der nichts Echtes ist, werde ein vernünftiger Mann annehmen? (34) Wenn jemand einen fremden Sklaven oder einen Gegenstand, der ihm nicht gehört, verkauft und dabei so tut, als sei er der Besitzer, wird jeder Betrogene empört sein, und es sollte mich wundern, wenn ihr den Betreffenden nicht mit dem Tode bestraftet. Wenn aber jemand ein fremdes Standbild, mit dem er überhaupt nichts zu tun hat, geschenkt bekommt von Leuten, die darüber nicht verfügen können - was ich einem andern

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geschenkt habe, darüber verfüge ich nicht mehr, um es einem Dritten zu geben -, und auf diese Weise hintergangen wird, glaubt ihr, daß der den Betrügern Dank wisse? (35) Sollten meine Worte allzu hart klingen, bitte ich, mir deswegen nicht böse zu sein. Ich behaupte ja nicht, daß ihr das so ~acht, sondern daß es in gewisser Weise gegen den Willen der Stadt geschieht. Verhält es sich aber so, daß das Verfahren bei näherem Zusehen außerordentlich schimpflich erscheint, müßt ihr um so bereitwilliger dem Redner lauschen, damit ihr in Zukunft von dieser Schande frei seid. Auch körperliche Gebrechen kann man nicht ohne Schmerzen heilen, ja oft ist gerade besonders heftiger Schmerz in dem behandelten Glied ein Zeichen für besonders schnelle Heilung. (36) Was ich anfangs schon sagte, möchte ich jetzt, ohne mich zu bedenken, wiederholen: Rechtschaffenen Männern ist es eigen, sich bei jeder Gelegenheit ehrlich zu zeigen und nichts Falsches und Heimtückisches an sich zu haben, sondern gerade von Falschheit und Schlechtigkeit frei zu sein. Ich meine Leutt', wie ihr seid, und ich glaube, daß dieser Grundsatz ganz besonders auch bei Ehrungen und Geschenken gilt. Denn das Ehrenvolle mit dem Unehrenhaften verbinden und das Allergerechteste ungerecht handhaben können nur Menschen, die für die Eigenart von beidem kein Gespür haben. Wie nun die Tempelräuber verworfener sind als sonst irgendein Verbrecher, so offensichtlich auch die Menschen, die in diesen Dingen ungerecht und schlecht sind. (37) Denn was ist heiliger als Ehre und Dankbarkeit? Wißt ihr nicht, daß die meisten Menschen in den Charitinnen 3 Göttinnen sehen? Wenn nun jemand ihr Standbild zerstört oder ihren Altar umstürzt, haltet ihr ihn für einen Gotteslästerer. Wenn aber jemand die Ursache selbst, die den Göttinnen erst den Namen gegeben hat, beleidigt und zunichte macht, indem er nicht dankbar ist, wie er es sein sollte, sondern sich auf niedrige und gemeine Art mit Lug und Trug

3, ,37-39]

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gegen die verdienten Männer undankbar erweist, sollen wir den noch vernünftig und einsichtiger als die andern nennen? pie Händler, die mit falschen Gewichten arbeiten und von diesem unredlichen Gewinn leben, haßt und bestraft ihr. Wenn sich aber die Stadt, wie man den Eindruck hat, an den Lorbeeren verdienter Männer vergreift und mit Geschenken schachert, dann schämt ihr euch nicht, das Heiligste auszutauschen und wieder zu verkaufen? (38) Nicht einmal daran denkt ihr, daß man zu einem Händler, dessen Maße nicht stimmen, nicht mehr so schnell hingeht? Paß aber die Zustände bei euch in Wirklichkeit so sind und nicht nur meine Darstellung sie schlecht macht, mögt ihr aus folgendem ersehen. Wenn euch jemand fragte, ob es euch lieber wäre, wenn die von euch Geehrten, denen ihr ein Standbild zu weihen gewillt seid, die Wahrheit, wie es damit bestellt ist, wüßten oder wenn sie ihnen verborgen bliebe, so ist ganz klar, was ihr vernünftigerweise antworten würdet. Denn wenn ihr wolltet, daß es auch der Empfänger weiß, was hinderte euch, sogleich bei der Beschlußfassung neben all dem andern auch das schriftlich festzuhalten, daß das Bild rur den Betreffenden eins der bereits geweihten von diesem oder jenem sein soll? Aber das werdet ihr vermutlich nie in eure Urkunden setzen. (39) Soviel ist also klar, daß niemand verschleiert, was zu Recht und ohne etwas Anstößiges geschieht. Noch klarer scheint mir, daß man sehrwenig darauf achten wird, ob die Geehrten wissen, auf welchem Wege ihnen die Ehre und alles, was mit der Auszeichnung zusammenhängt, zuteil wird, wenn man nur ehrlich und richtig dabei verfährt. Euer Verfahren ist also zwangsläufig von Grund auf verkehrt und niemandem, auch keinem Privatmann, angemessen. Denn wer in dem, was er anderen Gutes erweistob er nun Gutes mit Gutem vergilt oder tatsächlich selbst damit den Anfang macht und zur Freundschaft auffordert -, mit Lug und Trug vorgeht, was machte der wohl anderes?

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[3'.39-4'

Ihr wißt nun, daß, was hier geschieht, niemandem verborgen bleibt, sondern in aller Munde ist und zu den Dingen gehört, die überall ausposaunt werden, nicht nur weil einige Städte diese Praxis allzu unmäßig und schrankenlos angewandt haben, sondern weil sie ausgerechnet bei euch üblich ist. (40) Denn Größe und Ansehen der Stadt lassen nichts, was in ihr ge. schieht, unerkannt, und die Tatsache, daß ihr euch in den an. deren Dingen als über alle erhaben aufführt und es euch oben. drein wahrscheinlich am besten von den Griechen geht, Ver. ursacht Neid und Eifersucht, so daß die Zahl der Beckmesser groß ist, wenn man glaubt, ihr machtet etwas falsch. Wer es vorzieht, daß unbekannt bleibt, was er tut, verrät damit seine Schlechtigkeit; seine Torheit, wer glaubt, es bleibe verborgen, was jedermann weiß. Ihr werdet es am liebsten sehen, wenn eure Stadt mit beidem nichts zu tun hat. (41) «Bei Gott», werdet ihr sagen, «das wird uns aber teuer zu stehen kommen, wenn wir nicht die bereits vorhandenen Standbilder verwenden. Und welcher Ausgaben wird es be. dürfen, wenn wir allen, nir die wir es beschließen, ein neues Bild anfertigen lassen!» Aber wieviel besser ist es, nur wenigen diese Ehrengabe zu. zusprechen als viele zu betrügen, zumal wenn zu erwarten ist, daß ihr von diesen vielen verurteilt und gehaßt werdet, da sie gen au wissen, was ihr mit ihnen vorhabt. Denn bedenkt, was geschehen wird, wenn es sich bei den Leuten, denen ihr wahllos Standbilder setzt, nicht um ganz untadelige Männer handeltund das werdet ihr bei klarem Verstand wohl kaum behaupten wollen. Um der Schlechten willen tut ihr den Tüchtigen Uno recht, denn daß eure Vorfahren nicht blindlings und unver· dientermaßen jemandem ihre Achtung schenkten, dessen kann ich euch versichern. Ehrt ihr aber die Guten, ist damit zu rechnen, daß sie über euer Vorgehen verärgert sind. (42) Denn welcher rechtschaffene Mensch wollte wohl, daß ein anderer um

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seinetwillen Schaden hat und daß man dem andern fortnimmt, \Vas man ihm zu Recht gegeben hat? Und wird er über ein solches Vorgehen nicht eher erbost als dafür dankbar sein? Kein anständiger Mann wird es fertigbringen, eine Frau um den Preis des Ehebruchs zu heiraten, da er dem ersten Mann Unrecht täte, ja mehr noch, er wird überhaupt keine Frau von einem andern Mann nehmen, auch wenn das häufig aus keinem schlechten Grund geschieht. Glaubt ihr denn, auf eine Ehre, die man nur auf unrech tem Wege und nicht ohne Kränkung dem andern wegnehmen kann, werde noch jemand Wert legen, zumal wenn er damit rechnen muß, daß es ihm ähnlich ergeht? Schon beim Kaufeines Sklaven erkundigt man sich, ob er nicht schon einmal weggelaufen und nicht bei seinem ersten Herrn geblieben ist. Eine Gabe und Gunst aber, die einem unsicher vorkommt und die, wie man genau weiß, überhaupt keinen festen Bestand hat, sollte man gern annehmen? (43) «Die meisten von ihnen sind ja Römer, und wer wird sich schon an ihnen vergreifen! Aber die neben ihnen stehen, sind Makedonen, und die hier Spartaner, und die sind es, die wir nehmen.» Und doch werdet ihr sagen müssen, daß bei den früher aufgestellten Statuen alle oder zumindest die meisten Männer die Auszeichnung durch ihre Leistungen verdient haben, daß aber bei den heute Ausgezeichneten viele ihre Achtung nur ihrer Macht verdanken. Die Frage, welche von beiden Gruppen die größere Wertschätzung verdient, brauche ich nicht zu stellen. Wenn aber schon nicht alle ihre Auszeichnung zu Recht besitzen, welche Gruppe sie dann mit größerer Wahrscheinlichkeit aus zweifelhaften Gründen bekommt, das ist sogar den Betreffenden selbst klar, denn jedermann weiß, wieviel beständiger das Verdienst als die Macht ist. Es gibt keine Macht, die die Zeit nicht auslöschte, ein Verdienst löscht sie nicht aus. (44) Um nun jene übertriebene, in gewisser Weise aber doch den

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Tatsachen entsprechende Behauptung fallenzulassen, daß diejenigen, die auf diesem Wege geehrt zu werden suchen, nUr um so schlechter auf die Stadt zu sprechen seien und die Ehrung bekämen, damit man später sein schändliches Spiel mit ihnen treiben könne - soviel behaupte ich sicher zu wissen, daß sie euch dafür nicht im geringsten dankbar sind noch irgend etwas bekommen zu haben glauben,da sie wissen, mit welcher Leicht_ fertigkeit das Ganze gehandhabt wird. Sollen wir dann, beim Himmel, was wir den früheren Empfängern nicht nehmen dürften, auch wenn es diese jetzt bekommen, jenen wegnehmen, ohne es den andern eigen tlich zu «geben»? (45) Wenn wir in allem, was die Stadt zu bedürfen scheint, nur aufdie Kosten und auf ein möglichst bequemes Durchkom_ men sehen, ohne nach etwas anderem zu fragen, was könnte euch da hindern, nicht nur diese Auszeichnung, sondern auch jede andere Gunst bereitzuhalten: wenn ihr einem etwa Land, Geld oder ein Haus schenken wollt, es dem, der es hat, wegzunehmen? Wozu soll man erst, wenn es Zeit ist, eine Mauer oder eine Flotte zu bauen, Qgellen erschließen und öffentliche Mittel aufbringen und nicht gleich das Vermögen von diesem oder jenem, mag er nun Bürger sein oder nur bei euch wohnen, dazu nehmen? «Aber beim Zeus, sie werden ein Geschrei erheben und sagen, es geschehe ihnen bitteres Unrecht.» (46) Nun, darüber könn te man sich wohl hinwegsetzen. Denn wenn es jetzt auch eine Instanz 4 gibt, die man anrufen kann, wenn ihr so etwas tut, so hatte in früheren Zeiten keiner größere Verfügungsgewalt als das Volk. «In dieser Weise hat man damals den einzelnen behandelt?» Ach, woher denn! Gerade das hiel t man für dasAllerschlimmste, und man fiehte die Götter an, es möge niemals eine Zeit kommen, in der der einzelne aus seinem Privatvermögen beisteuern müsse. So etwas soll ja auch bei euch trotz aller eurer

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zeine aufgeteilt ist. (49) Und wenn nicht jeder der Geehrten sein Standbild auf dieselbe Weise « besitzt» wie irgendein anderes Stück von seinem Hab und Gut, kann man deswegen noch lange nicht sagen, es gehöre ihm in gerin gerem Maße oder ihm geschehe kein Unrecht, wenn ihr, was ihm gehört, einern andern gebt. Denn ihr werdet zahllose und sehr unterschied_ liche Arten finden, ein Besitzverhältnis auszudrücken, etwa beim Priesteramt, bei einem öffentlichen Amt, bei der Ehe und beim Bürgerrecht - nichts davon kann der Besitzer einfach verkaufen oder damit machen, was er will. (50) Bei allem aber gilt als all gemeiner Rech tsgrundsatz, daß man alles, was man recht_ mäßig bekommen hat - gleich, ob ein für allemal oder, wie etwa ein Amt, nur auf Zeit -, in seinem festen Besitz hat und niemand es einem wegnehmen darf. Kann es nun etwas Gerechteres geben, als wenn ein Mann, der sich ausgezeichnet und Dank verdient hat, als Belohnung für seine vielen guten Taten eine Ehrung bekommt? Und von wem könnte er sie bekommen, der dazu mehr Berechtigung hätte und größer wäre als das Volk von Rhodos und eure Stadt? Denn auch das ist nicht gleichgültig, daß nicht die Kalymnier oder gar diese übelberatenen Kaunier S die Geber waren. Auch in privaten Angelegenheiten ist es so: Je besser und glaubwürdiger sich derjenige zeigt, von dem man etwas erworben hat, desto stärker ist der Anspruch darauf, und niemand wird ihn streitig machen können. Und doch ist jede Stadt, die man nennen könnte, in allen Beziehungen glaubwürdiger und besser als der untadeligste einzelne, und was öffentlich geschieht, hat mehr bindende Gewalt als eine private Abmachung. (SI) Bedenkt, daß jedermann öffentlich und auf Grund staatlicher Urkunden abgeschlossenen Verträgen mehr Gültigkeit beilegt. Und von diesen Abmachungen ist nicht eine rückgängig zu machen, ob nun jemand einem anderen ein Stück Land, ein Schiffoder einen Sklaven abkauft, ob er ihm Geld leiht, einen Sklaven fi'eiläßt

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oder eine Schenkung macht. Wie kommt es eigentlich, daß diese Verein barun gen bindender sind als die anderen? Wer auf diese Weise eine seiner Angelegenheiten regelt, hat die Stadt ZU seinem Zeugen gemacht. (52) Und jetzt, bei Gott, wo ihm unmöglich etwas fortgenommen werden kann, was er von einem einzelnen unter der Bürgschaft der Stadt bekommen hat, sollte keinen Bestand haben, was er nicht nur in aller Öffentlichkeit, sondern vom Volke selbst bekommen hat? Was andere auf diese Weise vornehmen, soll unumstößlich sein, weil die Stadt dabei mitgewirkt hat, was die Stadt aber selbst getan hat, sollte sie so leicht wieder umstoßen können? Und dabei soll sie es nicht so, wie sie es gegeben hat, nämlich auf allgemeinen Beschluß, wieder fortnehmen, sondern ein einzelner, der gerade das höchste Amt bekleidet, soll dazu die Vollmacht haben? (53) Über die Fragen, die ich hier bespreche, gibt es ja auch staatliche Aufzeichnungen, denn die Beschlüsse über Ehrungen sind doch wohl schriftlich festgehalten worden und bleiben für alle Zeit im Archiv. Mit der Abstattung des Dankes nehmt ihr es nämlich so genau, während euch der Entzug einer Ehre außerordentlich leichtfällt. Das eine kann nur auf öffentlichen Beschluß geschehen, und ihr alle müßt dafür sein, bei dem andern aber folgt man einer Gewohnheit, auch wenn nur ein einziger dafür ist. Und trotzdem ist, wie ich schon sagte, alles urkundlich festgehalten, nicht nur in den Protokollen, sondern auch auf den Standbildern selbst - der Name des Geehrten und daß das Volk die Ehrung verliehen hat. Und obendrein stehen die Statuen im Licht der Öffentlichkeit. (54) Daß also weder die Ein tra gun g in die öffen tlichen Listen noch die Tatsache, daß die Bilder auf öffentlichem Grund und Boden stehen, mit der Absprechung des Besi tzrechtes etwas zu tun hat, ist vielleicht schon lange klargeworden. Um aber auch den letzten Versuch, Einspruch zu erheben, zunichte zu machen, will ich euch noch folgendes sagen. Ihr wißt ja wohl, daß

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die Epheser große Summen Geldes in ihrer Stadt bergen. Es wird im Artemistempel aufgehoben. Zum Teil gehört es ein_ zelnen Bürgern, aber nicht nur Ephesern, sondern auch Frem_ den und Leuten aus aller Welt, zum Teil Völkern und Königen, und alle lassen es dort aufbewahren um der Sicherheit willen. Noch niemals hat sich einer an dem Ort zu vergreifen gewagt, obwohl die Stadt schon unzählige Kriege erlebt hat und schon oft erobert worden ist. Daß nun diese Gelder bei der Stadt deponiert sind, versteht sich, aber ebenso, wie aus den Verzeich_ nissen hervorgeht, daß die Epheser die Gelder auch in öffent_ liche Listen einzutragen pflegen. (55) Heißt das nun, daß sie von den deponierten Geldern nehmen, sooft Not am Mann ist, oder wenigstens, was vielleicht nicht einmal so schlimm schei_ nen mag, Anleihen machen? Ich glaube, eher nähmen sie noch den Schmuck der Göttin, bevor sie diese Gelder anrührten. Dabei kann man nicht einmal sagen, daß die Epheser reicher sind als ihr, im Gegenteil, ihr wart schon früher die reichsten unter den Griechen und seid heute noch reicher, während die Epheser offensichtlich ärmer dran sind als mancher andere. (56) Wenn nun in dem einen Fall sich jeder sein deponiertes Geld wiederholen kann, in dem andern aber keiner auf dieselbe Weise über sein Standbild verfügt, so glaubt deswegen nicht, beides habe nichts miteinander zu tun. Denn um euch klarzumachen, daß nicht alles, was auf öffentlichem Boden steht und in die staatlichen Listen eingetragen ist, deswegen schon Eigentum der Stadt ist, habe ich diesen Vergleich gebraucht. Ja, die Tatsache, daß keiner sein Standbild zu einem andern Zweck hat, als um in eurer Mitte zu stehen - das ist der einzige Unterschied zwischen diesen Leuten und jenen anderen, die in Ephesos ihr Geld aufbewahren lassen -, spricht sogar noch mehr fur sie. Denn wenn es schon dem Empfänger nicht zusteht, ein Geschenk für ungültig zu erklären, so sollte das der Geber tun dürfen?

31,57-59]

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(57) Aufs ganze gesehen aber brauche ich die Behauptung, aUe Standbilder seien Eigen turn der Stad t, nich t zu widerlegen, denn durch sie ist noch nicht bewiesen, daß euer Verf:1hren nicht verwerflich ist. Zum Beispiel wird niemand bestreiten, daß an heiligen Orten die Weihgeschenke, die die Stadt auf eigene Kosten hat anfertigen und weihen lassen, ihr gehören. Wäre es nicht schlimm, wenn wir sie jetzt zu einem andern zweck entweihen wollten? «Ganz gewiß, es sind ja auch Weihgeschenke, die Statuen aber sind Ehrengeschenke; jene hat man Göttern, diese verdienten Männern aufgestellt, die den Göttern nur sehr nahestehen.» (58) Und doch nennt man alle Tüchtigen «Lieblinge der Götter», und sie sind es auch. Wenn uns ganz gewiß nicht derjenige ein größeres Unrecht tut, der uns etwas von unserem Besitz fortnimmt, sondern der unsere Freunde schädigt, soll ten wir da, wie es den Anschein hat, von den Göttern sagen, sie seien weniger um ihre Lieblinge als um ihren Besitz besorgt? Nein, jeder Besitz muß sicher sein, in einer Demokratie genauso wie bei euch, die ihr auf die rechtliche und gesetzliche Verwaltung eurer Stadt und in erster Linie, würde ich meinen, auf die Ehrun gen und Beweise eurer Gunst so besonders stolz seid. Denn alles andere, Geld, Häuser, Sklaven, Ländereien, kann auch ein Schlechter besitzen, diese Auszeichnungen aber gibt es nur für den Tüchtigen. Ferner kann man alles übrige auch auf andere Weise erwerben, durch Erbschaft oder Kauf; Güter dieser Art aber erwirbt man einzig und allein durch seine Tüchtigkeit. (59) Sodann wird doch wohl niemand bestrei ten, daß es recht und billig ist, einem das zu belassen, wofür er dem Eigen tümer den Kaufpreis bezahl t hat, und zwar um so sicherer, je mehr er dafür gegeben hat. Sie alle nun haben ihren Preis gezahl t, jeder für sein Standbild, und er war nicht ganz gering: die einen mit

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erfolgreichen kriegerischen Unternehmungen zur Rettung der Stadt, die andern mit Gesandtschaften oder Siegeszeichen, die sie den Feinden abnahmen, einige vielleicht auch mit Geld_ aber bei Gott, nicht nur mit tausend oder fünfhundert Drach. men, von denen man ein Standbild errichten kann! (60) Was nun weiter? Gilt nicht als gesetzlich, wofern man nicht jenseits jedes Rechtes steht, daß derjenige, dem man etwas von seinem Besitz wegnimmt, von dem neuen Besitzer mindestens den Preis bekommt, den er selbst dafür bezahlt hatl Wäret ihr bereit, ihnen ihre Verdienste zurückzuerstatten, für die ihr ihnen die Standbilder zugesprochen habt? Jedenfalls wäre es für euch vorteilhaft zu zahlen - da ja einige der Meinung sind, man müsse bei allem aufseinen Vorteil sehen. (61) Wenn nun einer von ihnen einen Krieg erfolgreich zu Ende geführt hat - wäre es ihm damals nicht gelungen, lebten wir heute viel. leicht nicht in dieser Stadt -, wenn einer uns die Freiheit gebracht hat oder zur Zahl der Erneuerer unserer Stadt gehörtwir können ja nicht gen au sagen, wem dieses Glück schon zu. teil geworden ist und wem es noch zuteil werden wird, da es blindlings nur irgendeiner Gewohnheit folgt"':' es mag hart klingen, was daraus folgt: Wenn ihr recht handeln wolltet, müßtet ihr ihnen die Stadt selbst zurückerstatten. Hat aber einer gegeben, was man ihm beim besten Willen nicht zurück. erstatten kann - und es sind unzählige, die ihr Leben für die Stadt gelassen und mit ihrem Blut den Preis für Standbild und Inschrift gezahlt haben -,geschieht ihm nicht bitteres Unrecht, wie ich schon früher bemerkt habe? (62) Auch das läßt sich nicht behaupten, daß nicht wir es sind, die das alles empfangen haben. Denn erstens haften für alles, was die Vorfahren erreicht haben, nicht nur diese selbst, sondern genauso auch alle, die von ihnen abstammen; von ihrer Geschlechterfolge werdet ihr euch ja wohl nicht distanzieren! wollen. Ferner gehärt jetzt alles euch, was an Segensreichem.

3,,62-64]

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und Großem durch die euren Vorfahren erwiesenen Wohltaten und die Bereitschaft, durch Tun und Leiden dafür einzustehen, aufgehäuft worden ist: das Ansehen eurer Stadt, ihre Größe, ihre - mit einer Ausnahme 6 - alle anderen Städte überragende Stellung. (63) Wenn ihr nun glaubt, deswegen, weil die Betreflenden ihre Auszeichnung nicht von euch selbst bekommen haben, sei euer Unrecht geringfügiger, als wenn ihr jemand etwas wegnähmet, das auf andere Wcise in seinen Besitz gekommen ist, seid ihr in einer nur allzu klaren Sache nicht im Bilde. Zunächst einmal vergeht sich jeder, der einem andern etwas wegnimmt, nicht weniger auch an jenem, von dem der erste es früher einmal bekommen hat. Zerstört jemand zum Beispiel ein äffen tliches Gebäude, das ein einzelner euch zu Gefallen hat errichten lassen, vergeht er sich nach dem allgemeinen Urteil doch wohl mehr an dem Stifter als an der Stadt. Dasselbe gilt nun auch, wenn die Stadt einem einzelnen etwas gegeben hat und jemand es wegnimmt. Folglich vergeht ihr euch nicht nur an den Männern, denen ihr die Bilder aufgestellt habt, sondern, wie ich glaube, auch an der Stadt, die sie gestiftet hat, das heißt an euch selbst. (64) Wer sich nun an einem andern vergreift, um sel bst einen Vorteil zu haben, mach t sich in den Augen der Menge der Schlechtigkeit schuldig; wer sich dagegen an sich selbst vergeht, indem er sich an einem andern vergreift, beweist ein Übermaß an Verkommenheit und gilt zu allem Überfluß auch noch als Dummkopf. Außerdem mäge man noch folgendes berücksichtigen. Wer etwas einfach an sich nimmt, was einem andern zu Recht gehört, er mag es bekommen haben, wie er will, handelt nur in diesem einen Punkte falsch, indem er eben etwas tut, was von Natur nicht richtig ist. Wer aber einem fortnimmt, was er ihm selbst gegeben hat als ehrenvollen Beweis seiner Gunst, verstößt nicht nur gegen diesen allgemeinen Grundsatz, daß man niemandem Schaden zuftigen soll, sondern tut obendrein einem

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rechtschaffenen Manne Unrecht, einem Menschen, dem er es am wenigsten tun sollte. Denn aufkeinen Fall wird man sehen, daß schlechte Menschen oder Leute, die keine Verdienste auf. zuweisen haben, Ehren zuteil werden. (65) Wieviel verwerf. licher es aber ist, verdiente Männer ihrer Ehren zu berauben als all die andern, wieviel verwerflicher, sich an seinen Wohl. tätern zu vergreifen als jedem beliebigen Unrecht zu tun, ist jedem einsichtig. Im Fall der Epheser nun würde man sagen, daß sie auch ab. gesehen von allen religiösen Bedenken nicht richtig handelten, wenn sie etwas von dem ihnen anvertrauten Geld genommen hätten, in eurem Fall aber, daß ihr, wenn ihr so mit den Statuen umspringt, nicht nur aus den eben erwähnten Gründen Uno rech t tu t - daß ihr euch nämlich an Menschen vergreift, die es nicht verdient haben und von denen ihr die meisten nicht ein. mal kennt -, sondern auch wegen des Rufes, den euch diese Handlungsweise einbringen wird. Denn Leuten, die auf depo. niertes Geld nicht aufgepaßt haben, wird in Zukunft niemand mehr etwas von seinem Vermögen anvertrauen; die aber ihre Wohltäter beleidigen, wird niemand mehr einer Gunst für wert erachten. Daher besteht für euch die Gefahr darin, daß keiner mehr etwas für euch tut, für die Epheser lediglich darin, daß sie kein fremdes Gut mehr zu bewahren haben. (66) Ich möchte an dieser Stelle eine Tat von euch erwähnen, die noch nicht lange zurückliegt, aber in aller Welt gerühmt wird, als wäre sie aus längst vergangenen Zeiten, damit ihr aus dem Vergleich erseht, ob es für Leute wie euch über· haupt angemessen ist, so zu handeln. Nach jenem langwierigen und nicht enden wollenden römischen Bürgerkrieg, in dem euch eure Sympathien für die Demokratie ins Unglück fUhr· ten 7, als die Schrecken vorbei waren und sich alles endlich in Sicherheit glaubte, da schienen die Verhältnisse nach einer ähnlichen Kur zu verlangen, wie schwere Krankheiten häufig

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eine Gewaltkur nötig machen: Damals wurden allen Provinzen ihre Schulden erlassen 8. (67) Während die andern das gern annahmen und ein Geschenk darin erblickten, wieset ihr allein es zurück, obwohl, wie ich schon sagte, eure Stadt soeben erst erobert worden war und die Feinde euch in der Stadt nichts als eure Häuser gelassen hatten. Trotzdem hieltet ihr es für verwerflich, selbst in der verzweifeltsten Lage den Standpunkt des Rechtes aufzugeben und wegen des über euch hereingebrochenen Unglücks nun auch noch eure Vertrauenswürdigkeit aufs Spiel zu setzen. In allem andern habt ihr euch damals den Römern gefügt, in diesem einen Punkt ihnen nachzugeben und um des Gewinnes willen etwas Unehrenhaftes zu tun, hieltet ihr für un ter eurer Würde. (68) Woran ihr die Stadt der Römer dank ihrer Tüchtigkeit und zugleich ihres Glücks keinen Mangel leiden saht, das fehlte auch eurer Stadt nicht allein durch eure Tüchtigkeit. Das habt ihr bewiesen, wie ich glaube. Sicher werdet ihr nicht behaupten, Männer von Rhodos, daß man Wohltätern weniger Dank schulde als denen, die euch die geschuldete Summe beisteuern wollten. Demnach war es euch unerträglich, nicht bereitwillig die Schulden zu zahlen. Aber wegzunehmen, was ihr selbst gegeben habt, findet ihr in Ordnung? Ihr habt doch wohl nicht angenommen, sich zusammen mit allen andern nicht richtig zu verhalten sei schimpflicher, als wenn man es allein tue. Trotz des gewaltigen Umschwungs und des vollständigen Zusammenbruchs zu jener Zeit, von der ich sprach, blieb der Besitz doch fest in der Hand des bisherigen Besitzers, und auch von denen, die sich bereits wieder etwas erworben hatten, wagte niemand etwas einzufordern. Aber jetzt laßt ihr nicht einmal das unangetastet, was ihr euren Wohltätern schon längst gezahlt habt. Nein, damals, in der äußersten Not, habt ihr nicht geduldet, was die andern taten, jetzt aber, im Glück, tut ihr, was damals nicht ein einziger fertiggebracht hätte.

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(69) Allerdings findet man eine Schulden tilgung auch sonst in der Geschichte, und auch Solon soll sie bei den Athenern durchgeführt haben. Abgesehen davon, daß sie sich wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oft nicht vermeiden läßt, ist sie mitunter wegen der Höhe der Zinsen auch durchaus berechtigt, wenn nämlich der Gläubiger durch die Zinsen schon ein Mehrfaches der ursprünglichen Summe hereinbe_ kommen hat. Aber die Belohnung für geleistete Dienste den damit Ausgezeichneten wegzunehmen kann nie und nimmer eine vernünftige Entschuldigung finden, noch ist dieses Verfahren irgend wo jemals eingeführt worden. Das ist vielleicht sogar das einzige, wozu sich niemals eine Gelegenheit geboten hat. (70) Zwei Dinge sind in unserer Gesetzgebung sorgfältig beachtet und werden mit Fluch und schwersten Strafen belegt: der Antrag auf Tilgung der Schulden und auf Landver_ teilung. Das eine hat es nie bei euch gegeben, das andere, bei dem wir nicht einmal genau wissen, ob es überhaupt je vorge_ kommen ist, betrachtet bitte im Blick auf die soeben untersuchte Praxis. Bei einer neuen Landverteilung wäre es wohl das Schlimmste, wenn der frühere Grundbesitzer mit dem, der kein Land hatte, auf eine Stufe gestellt würde. Wird aber ein Standbild einem andern gegeben, steht der Beraubte aufkeinen Fall mit dem Empfänger auf der gleichen Stufe, denn der eine hat die Ehre gewonnen, wenn man überhaupt so sagen kann, der andere - hat nichts mehr. (71) Was wäre denn, wenn jemand den Beamten, der an eurer Spitze steht und den Auftrag gegeben hat, die Inschrift abzukratzen und einen neuen Namen einzumeißeln, fragte, was das zu bedeuten habe? Ob sich denn etwa nach so vielen Jahren herausgestellt habe, daß der Mann an der Stadt irgendwie schuldig geworden sei? Bei Gott, glaubt ihr nicht, daß er sich schämen müßte, wenn er noch etwas Anstand hat? Ich

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vermute, sogar der Steinmetz würde erröten. Und wenn Kinder oder Verwandte des Betreffenden dazu kämen, wieviel Tränen werden sie wohl vergießen, wenn man den Namen auszulöschen beginnt? Und nicht nur das. (72) Alle, die vorübergehen, werden euch, dem Volk, gegenüber mit lauten Worten eine drohende Haltung einnehmen. Wollt ihr nun nicht, wenn es soweit kommen sollte, Einhalt gebieten und euch der Sache annehmen? Ich möchte auf keinen Fall eine solch schlechte Meinung von euch haben, und auch jetzt noch behaupte ich, daß es euch nur entgangen ist, daß ihr aber Abhilfe schafft, sobald ihr es erkannt habt. Nunmehr wißt ihr ja wohl über die ganze Angelegenheit Bescheid, und so ist es eure Pflicht, ein ftir allemal mit dem Unfug Schluß zu machen. «Aber beim Himmel, da gibt es doch Unterschiede! Viele von ihnen haben keine Verwandte mehr, und von dem Verfahren ist keine der bekannten Persönlichkeiten betroffen.» (73) Daß die entehrende Behandlung der Vorfahren einige Leute weniger trifft, weil sie, was wahrscheinlich ist, nicht wissen, daß dieser oder jener der Geschädigten ihr Verwandter ist, will ich übergehen. Aber wie mir scheint, ist das Verfahren auf der andern Seite um so verletzender denen gegenüber, die überhaupt keine Verwandten mehr haben. Denn auch bei den Lebenden gilt es als schwereres Vergehen, sich an denen zu vergreifen, die niemanden mehr haben, der ihnen helfenkönn te. Nach eurer Handlungsweise aber müßte man sagen, völlig alleinstehenden Waisen, die weder sich selbst helfen können noch jemand haben, der sich um sie kümmert, Unrecht zu tun sei nicht schlimm. Und doch seid ihr gerade darüber besonders empört und setzt von Staats wegen Vormunde ein, damit den Waisen kein Unrecht geschieht. (74) Und wenn schlechterdings keiner der Gründe, die man vorbringen könnte, stichhaltig ist, so ist der am fadenscheinigsten, daß man sich nicht an dem Standbild eines berühmten

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Mannes, bei dem jedermann weiß, um wen es sich handelt, vergreife, sondern nur sehr alte Bilder von Unbekannten nehme. Das wäre genauso, wie wenn man sagte, von den angesehenen Bürgern tue man keinem Unrecht, sondern nUr einem Mann aus dem Volk, den niemand kennt. Und doch, beim Himmel, ist es auch wieder nicht dasselbe! Denn bei den Lebenden genießt einer durch Geburt oder Tüchtigkeit mehr Ansehen als ein anderer; auch Reichtum oder sonstige gewichtige Gründe können dazu führen. Bei Standbildern dagegen kann man unmöglich sagen, sie gehörten « besseren» Männern, denn nicht niedere Geburt oder Minderwertigkeit, sondern die Länge der Zeit ist dafür haftbar zu machen, wenn wir die Menschen, die die gleichen Ehren wie die berühmte_ sten Persönlichkeiten erhalten haben, nicht mehr kennen. (75) Wenn nun nach der allgemeinen Annahme die früheren Generationen besser waren als die späteren und in vergangenen Zeiten eine solche Auszeichnung seltener war, wird man auch zugeben müssen, daß die Männer, an denen man sich vergreift, um so besser und um so verdienter waren. Daß beide Feststellungen der Wahrheit entsprechen, ist klar. Denn wir wissen, daß die Helden der Vorzeit Halbgötter waren und ihre Nachfahren ihnen nicht viel nachstanden, daß die folgenden Generationen aber im Laufe der Zeit immer schlechter wurden und unsere Zeitgenossen schließlich nicht besser sind als wir selbst. Früher wurde nicht einmal jedem, der für das Vaterland sein Leben gelassen hatte, ein Standbild aus Bronze gesetzt; er mußte schon überragende Wundertaten vollbracht haben. Heute ehren wir jeden, der bei uns landet. Daher sollte man, wenn es schon nicht anders sein kann, lieber die späteren und in letzter Zeit aufgestellten Standbilder umarbeiten. (76) Denn das wißt ihr doch wohl, daß alle Vernünftigen ihre alten Freunde mehr lieben und daß sie ihnen mehr gelten als die erst kürzlich gewonnenen, daß die alten Familienfreunde auf

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jeden Fall höher im Kurs stehen als diejenigen, deren Bekanntschaft man selbst gemacht hat. Wer nämlich die Freundschaft mit einem selbst gewonnenen Freund verletzt, tut ihm allein lJnrecht, wer aber seine Pflicht gegen einen Familienfreund versäumt, verachtet auch diejenigen, die ihn als Freund erworben haben. (77) Wie ihr euch auch sonst, wenn sich euch jemand, den ihr kaum oder überhaupt nicht kennt, zur Prüfung stellt, nach denen richtet, die ihn kennen, und euer Urteil abgebt nach der Meinung der Zeugen, vor allem wenn sie etwas taugen, so haltet es auch jetzt! Denn auch in unserm Fall handelt es sich um Männer, die keiner der Lebenden kennt, wie ihr sagt. Also lernt von denen, die sie gekannt haben! Ihre Zeitgenossen nun,die sie am besten kannten,sahen in ihnen um die Stadt verdiente Männer und hielten sie der größten Auszeichnungen für wert. Ihr habt kein Recht, ihnen nicht zu glauben, denn schließlich sind sie eure Vorfahren, und ihr dürft sie nich t für schlecht erklären. (78) Auch das Argument könnt ihr nicht geltend machen, die geehrten Männer seien lange Zeit im Besitz ihrer Ehren geblieben. Denn es läßt sich unmöglich beweisen, daß sie länger von der Stadt geehrt worden sind, als die Stadt im Genuß ihrer Verdienste war. Wie nun jemand, der eine alte Schuld längst bezahlt hat, damit nicht mehr getan hat als jemand, der jetzt zurückerstattet, was er bekommen hat, so ist es auch bei jemand, der vor sehr langer Zeit damals empfangene Wohltaten vergolten hat. (79) Anders läge der Fall, wenn ihr einem Steuerfreiheit, Geld, Land oder dergleichen geschenkt hättet und es ihm jetzt wieder fortnährnt; dann wäre das Unrecht an denen, die eine solche Auszeichnung erst später bekommen haben, vielleicht größer, denn wer eine Sonderstellung dieser Art für einige Zeit einnimmt, hat bereits Vorteil davon und ist den andern voraus. Mit der Ehre aber verhält es sich anders. Den einen geht es nämlich auch in. Zukunft besser, denn was sie

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damals erworben haben, ist der Grundstein für ihren jetzigen Besitz. Bei den andern aber ist es umgekehrt, sie haben an Ehre eingebüßt. Im einen Fall ist der Verlust geringer, denn die Leute haben lange Zeit die Nutznießung gehabt, im andern Fall wiegt die Einbuße schwerer, weil man den Betreffenden eine sehr alte Ehre genommen hat. (80) Daß euer Verfahren, besonders in der Art, wie diese Leute es schildern, auch ein Verstoß gegen das göttliche Recht ist, will ich beweisen, auch wenn ich bei einigen den Eindruck erwecken sollte, als redete ich aus Lust an der Übertreibung. Nicht nur, daß, wie ich bereits sagte, schlechterdings alles, Was mit den Toten geschieht, schon eine Verletzung der Ehrfurcht ist - die Männer der Vorzeit gelten allgemein als Halbgötter, auch wenn sie nichts Besonderes an sich hatten, eben nur, wie ich vermute, infolge des zeitlichen Abstandes. Diese ehrwür_ digen Gestalten, die der größten Auszeichnungen für wert befunden, ja zum Teil sogar als Heroen verehrt worden sind, die so viele Jahre schon unter der Erde ruhen, daß sogar die Erinnerung an sie ausgelöscht ist - wie kann man sie auf dieselbe Stufe stellen mit den in unsern Tagen oder erst kürzlich Verstorbenen, zumal wenn sie keine besonderen Taten aufzuweisen haben? (8r) Niemand wird bestreiten, daß die Vergehen an Heroen mit Vergehen an den Göttern auf dieselbe Stufe zu stellen sind. Wie, ist es etwa kein Unrecht, die Erinnerung an sie zu tilgen? Sie ihrer Ehre zu berauben? Ihren Namen auszuhauen? Eine unerträgliche Beleidigung ist das, bei Gott! Wenn jemand einen Kranz wegnimmt, der vielleicht ein oder zwei Tage frisch geblieben wäre, oder wenn jemand einen Flecken auf ein Standbild macht, dann ist das in euren Augen ein unfrommer Akt. Wer aber den Ruhm eines Menschen ganz verschwinden läßt, auf einen andern überträgt und in nichts auflöst, der sollte nichts Außergewöhnliches begehen? (82) Wenn jemand einer Statue den Speer aus der Hand

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nimmt, den Busch vom Helm oder den Schild vom Arm oder den Zügel vom Pferd bricht, übergebt ihr ihn auf der Stelle dem Henker, und ihn erwartet dieselbe Strafe wie den Tempelräuber; gewiß sind schon viele wegen eines solchen Vergehens hingerichtet worden. Da nützen ihnen ihre Beteuerungen nichts, sie hätten sich nur an einer uralten Statue von einem ganz unbedeutenden Mann vergriflen. Die Stadt aber sollte öffentlich beweisen, daß sie ihre Helden in jeder Weise schlechter und verächtlicher behandelt? (83) Wenn nun jemand hereinkäme und meldete, ein Fremder oder auch ein Bürger sei dabei ertappt worden, wie er von einem Standbild eine Hand oder einen Finger abnahm, erhöbt ihr ein Geschrei und ließet ihn sofort aufs Rad spannen. Und doch, selbst wenn der Statue die Hand, der Speer oder die Schale, falls sie eine trug, weggenommen wurde, bleibt die Ehre, und der Geehrte behält das Zeichen seiner Vortrefflichkeit; nur die Bronze ist etwas weniger geworden. Entfernt man aber die Inschrift, ist doch wohl auch das Zeugnis und der Glaube an die Berechtigung der Auszeichnung verschwunden. (84) Ich möchte euch an dieser Stelle von einem Verfahren berichten, das, wie ich weiß, in Athen, vermutlich aber auch hier bei euch in Übereinstimmung mit einem vortrefflichen Gesetz angewandt wird. Wenn in Athen von Staats wegen ein Bürger rur ein Verbrechen sterben muß, wird zuvor sein Name aus der BürgerIiste ges triehen .Wes haI b ?Ein mal, da mi t er nich t mehr als Bürger gilt, wenn er eine solche Strafe erleidet, sondern, soweit das irgend möglich ist, ein Fremder geworden ist. (85) Zum andern aber sieht man darin auch, wie ich glaube, einen beträchtlichen Teil der Strafe selbst, daß nicht einmal der Name mehr von einem Mann, der einen solchen Grad von Verworfenheit erreicht hat, zu sehen, sondern spurlos verschwunden ist. Aus diesem Grunde begräbt man ja wohl auch die Verräter nicht: Von einem schlechten Menschen soll kein Zeichen

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übrigbleiben. Wie nun, wenn euch jemand vorhielte, daß ihr mit euren Wohltätern macht, was andernorts mit den Verbre_ chern zu geschehen pflegt? Müßteeuch das nicht sehr schmerz_ lich berühren? Seid deshalb nicht aufgebracht über den Mann, der euch das jetzt klargemacht zu haben meint, denn ihm ist es vielleicht zuzuschreiben, wenn so etwas nicht mehr und nicht für immer von euch gesagt wird. (86) Wenn jcmand auch nur ein Wort von einer Gesetzes_ säule kratzt, werdet ihr ihn zum Tode verurteilen, ohne lange zu fragen, welches Wort es war und worauf es sich bezog. Und wenn jemand in das Gebäude eindringt, in dem ihr eure öffentlichen Urkunden aufbewahrt, und ein Tüpfelchen von einem Gesetz oder auch nur eine Silbe aus einem Volksbeschluß streicht, werdet ihr euch gebärden, als hätte jemand ein Stück von eurem Wagen 9 geraubt. Wer nun bei einem Standbild die Inschrift beseitigt, begeht der denn ein weniger schweres Verbrechen als jener andere, der von der Säule etwas abkratzt? Dabei streicht dieser Mann doch sogar den ganzen Beschluß, auf Grund dessen der Betreffende seine Auszeichnung bekommen hat, ja mehr noch, er macht die Aufzeichnung ungültig. Ist jemand wegen irgendeines Vergehens zu einer Strafe verurteilt und entfernt seinen Namen, ob er es nun heimlich tut oder sonstwie zum Ziel komm t, betrachtet ihr ihn als Zerstörer der Verfassung. Also nehmt ihr es schwerer, wenn jemand sich selbst der Strafe entzieht, als wenn man einem andern seine Ehre raubt. (87) Aber auch einen weiteren Punkt kann ich nicht übergehen, zumal meine Ausführungen auf der Annahme beruhen, daß es sich um einen Verstoß gegen die Pietät handelt. Ihr wißt nämlich genau, daß die ganze Stadt geweiht ist, und trotzdem werdet ihr sogar in den Heiligtümern eine ganze Menge Statuen finden, die dieses traurige Schicksal ereilt hat. Auch sind es gerade die ältesten Standbilder, und wann immer einer

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eurer Beamten einem Mann, der bei euch in Ehren steht, eine Aufmerksamkeit erweisen will, setzt er seinen Ehrgeiz darein, daß das Bild an eine möglichst bevorzugte Stelle zu stehen kommt. Was braucht es da viele Worte? Ich glaube, niemand wird bestreiten wollen, daß die Mehrzahl der auf diese Weise errichteten Standbilder eine andere Inschrift bekommen hatwenn auch vielleicht in einem etwas anderen als dem eben angeflihrten Sinn 10 - und daß vermutlich darunter auch einige sind, die ganz in der Nähe von Götterbildern XI standen. (88) Ist es nicht entsetzlich, wenn wir uns in aller Öffentlichkeit an unsern Wohltätern vergreifen, ausgerechnet an dem Ort, wo man gewöhnlich nicht einmal einen Verbrecher, der dort Zuflucht gesucht hat, antastet? Und die Unverletzlichkeit, die solche Stätten dem Schlechten gewähren, sollten sie, wie es scheint, allein dem Guten nicht gewähren können? Rückt man auch nur ein Räucherfaß oder eine Schale im Tempel von der Stelle, gilt man genauso als Tempelschänder, wie wenn man sie gestohlen hätte. Stellt man aber ein Bild an einen andem Platz und überträgt eine Auszeichnung auf einen andern Menschen, dann sollte man nichts Verwerfliches tun? (89) Dabei könnte man die Statuen genausogut als Weihgeschenke ftir die Götter bezeichnen wie die Standbilder in den Heiligtümern. An vielen kann man Inschriften sehen wie: Der und der weihte dem und dem Gott ein Standbild von sich selbst oder von seinem Vater oder von seinem Sohn. Wenn nun jemand bei einem sonstigen U Weihgeschenk den Namen des Stifters entfernt und einen andern einsetzt, sollen wir nur ihn nicht freisprechen vom Vorwurf der Gottlosigkeit? Und doch gestattete ApolIon dem Mann aus Kyme nicht einmal, die jungen Vögel aus seinem heiligen Bezirk fortzunehmen, und erklärte sie fur seine Schutzbefohlenen'3. (90) Sollten nun einige versuchen, die Sache in rosigerem Lichte darzustellen, machen sie das Ganze dadurch nur noch

AN DIE RHODIER 392 schlimmer. So könnten sie zum Beispiel. sagen, sie nähmen nur ganz alte Statuen, die teilweise nicht einmal Inschriften trügen. Wollte man das gelten lassen, würde ich nicht den naheliegen_ den Einwand machen, ich spräche im Augenblick von den Statuen mit Inschrift, sondern sagen, auch an ihnen dürfe man sich nicht vergreifen. Denn, ihr Männer von Rhodos, überlegt euch, aus welchem Grund die Inschrift wahrscheinlich fehlt! Der Stifter wird sie wohl kaum vergessen, Bedenken gehabt oder die Kosten gescheut haben, denn es hätte ihn nichts gekostet. (91) Zwei Möglichkeiten bleiben übrig: Entweder hielt man bei den überragenden Männern und wahrhaften Heroen, da sie in aller Welt bekannt waren, eine Inschrift für entbehrlich und war der Meinung, der Name werde wegen des alle Vorstellungen der damaligen Zeit übersteigenden Ruhms in alle Zukunft dauern j oder aber man wußte im Laufe der Zeit nicht mehr, daß die Statuen Halbgöttern oder sogar Göttern gehörten, denn es ist nicht üblich, Götterbilder mit einer Inschrift zu versehen. Daher bin ich mir nicht ganz sicher, ob nicht auch einige der andern Statuen Götterbilder sind. (92) So steht in Theben ein gewisser Alkaios, der ein Herakles sein und früher auch so geheißen haben soll. Und in Athen gibt es das inschriftlose Bild eines in die Eleusinischen Mysterien eingeweihten jungen Mannes, und auch dieses Bild soll Herakles darstellen. Auch woanders kenne ich viele Standbilder von Halbgöttern und Heroen, etwa von AchilJeus, Sarpedon oder Theseus, die aus diesem Grund von Anfang an keine Inschrift gehabt haben. Dasselbe erzählt man auch von der Kolossalstatue des Memnon in Ägypten. Bei einem Teil blieb der Ruhm erhalten, und die Zeit rettete die Kunde von ihnen. Aber das war, aus welchen Gründen auch immer, nicht bei allen der Fall. (93) Daher ist es keineswegs ausgeschlossen, daß es auch bei euch Statuen dieser Art gibt. So wäre es durchaus möglich, daß ihr ein Standbild des Herakles etwa, oder nehmen wir

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Tlepolemos oder einen der Heliossöhne, diesem oder jenem verdienten und einer Auszeichnung würdigen Manne gebt. Mögen alle, die von der Stadt hochgeachtet werden, solch hervorragende Männer sein - und das ist von allen, besonders von Leuten in führenden Stellungen zu wünschen -, gleich sind sie jenen andern nicht. Warum? Sie selbst würden niemals sagen, sie stünden jenen n ur wenig nach, sondern vor einer derartigen Behauptung zurückschrecken. Seid ihr nach meinen Worten nun immer noch der Meinung, man müsse mit diesen Standbildern - ich meine die ohne Inschrift - den Anfang machen und dann das Verfahren aufalle anderen übertragen, oder glaubt ihr nicht, daß man besser von allen Statuen die Hände läßt? (94) Die Entschuldigung mit dem Unbekanntsein und dem Alter ähnelt der Behauptung, auch die Schänder von uralten Gräbern begingen kein Unrecht, weil keiner der Toten sie etwas angehe und wir nicht wüßten, wer sie waren. Dabei ist das Grab kein Zeichen von Tüchtigkeit, sondern von Wohlhabenheit, und ob die Bestatteten gute Menschen waren, können wir nicht sagen, es sei denn, sie hätten ganz offensichtlich ein Staatsbegräbnis bekommen, was man von diesen Männern hier in gewisser Weise wohl sagen kann. Ein Standbild aber wird nur wegen besonderer Tüchtigkeit und wegen des Ansehens, das der Betreffende zu seiner Zeit genoß, verliehen. Denn daß ein Mann, der als Dieb oder Ehebrecher ertappt wurde, kein Standbild bekommt, versteht sich von selbst, und ebenso, daß nicht durchschnittliche Leistungen, sondern möglichst große Taten daZLI Voraussetzung sind. (95) Daß solche Männer sogar an göttlicher Macht lind Fürsorge, wenn man so sagen will, Anteil haben, möchte ich euch an dem klarmachen, was einmal mit einem Standbild geschehen ist. Theagenes 14 war ein Wettkämpfer aus Thasos. Er gal t als der Stärkste seiner Zeit und hatte neben vielen anderen

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Siegen auch in Olympia dreimal einen Siegerkranz gewonnen. Als er seine Laufbahn beendet hatte und in die Vaterstadt heimgekehrt war, stand er, auch wenn seine körperliche Leistungsfahigkeit den Höhepunkt überschritten hatte, im öffent_ lichen Leben keinem nach, sondern war, so gut er es vermochte, ein ausgezeichneter Bürger. Das zog ihm, wie das so geht, die Feindschaft eines der führenden Männer zu. (96) Solange er noch lebte, beneidete ihn der andere nur, als er aber tot war, ließ sich der andere zu einer ebenso dummen wie gottlosen Tat hinreißen: Er wollte bei Nacht das Standbild des Toten, das mitten in der Stadt stand, auspeitschen. Ob nun zufällig oder weil eine Gottheit ihm zürnte, auf jeden Fall kam die Statue von ihrem Sockel herab, verfolgte ihn mit der Peitsche und erschlug ihn. Weil es nun ein Gesetz gab, daß ein lebloser Gegenstand, der auf jemand herabgefallen war und ihn getötet hatte, daHir belangt und dann im Meer versenkt werden müsse, hielten die Angehörigen des Toten Gericht über die Statue und versenkten sie im Meer. (97) Da soll eine furchtbare Pest hereingebrochen sein, und als die Thasier über die Krankheit gar nicht Herr werden konnten, wandten sie sich schließlich an das Orakel. Der Gott hieß sie, die Verbannten wieder zurückzurufen. Als aber alle zurückgekehrt waren, ohne daß es etwas geholfen hatte, fragten sie noch einmal an, und folgende Antwort der Pythia wird berichtet: Theagenes ist vergessetl, der sank auf sandigen Meergrund; noch liegt dort, der zuvor siegte im Kampf ohne Zahl. Daraus geht hervor, daß der Spruch nicht in erster Linie der Verbannten wegen gegeben worden und das Unglück nur aus diesem Grund über die Thasier gekommen war. (98) Und niemand halte mir entgegen: «Was soll das? Lassen wir denn die Statuen verschwinden oder werfen sie fort?» Das nicht, aber ihr verunehrt die, denen sie gehören, und nehmt sie ihrem rechtmäßigen Besitzer. Dieser Meinung war

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auch der Gott, denn man wird kaum annehmen wollen, daß ihm um die Bronze zu tun gewesen sei. Glaubt nur nicht, die Gottheit sei nur über die Mißhandlung des Thasiers derartig empört gewesen, von den Männern aber, die ihr geehrt habt, sei keiner den Göttern lieb, nicht einmal ein Heroe! (99) Indes kann man auch nicht behaupten, daß so etwas manchmal aus Haß geschehe, wenn etwa eins der Staatsoberhäupter gegen einen seiner Vorgänger Groll hegt. Ihr habt gehört, was aus politischer Mißgunst und Eifersucht mit Theagenes geschah. Denn wenn sie jetzt auch beteuern, sie verfUhren auf diese Weise nur mit den alten Standbildern, so breitet sich diese Unsi tte im La ufe der Zeit, wie es mit allen schlechten Gewohnheiten zu gehen pflegt, zwangsläufig weiter aus. Denn man kann den Schuldigen 1S auch nicht zur Rechenschaft ziehen, da er die ganze Sache in seiner Hand hat. «Aber die Verwandten werden doch gewiß Einspruch erheben.» Und wenn sie nun verreist sind oder nichts von der Sache wissen? Was sollen wir tun, wenn sie davon erfahren? Sollen wir etwa den Namen, den zuvor jemand voreilig eingesetzt hat, wieder abkratzen? (roo) Wenn nun euer Vorgehen verfehlt, ja mehl' noch, ein Verstoß gegen die Ehrfurcht ist, so wäre es noch eher tragbar, wenn es nicht damit entschuldigt würde, womit es einige entschuldigen, offenbar, um die Stadt in Schutz zu nehmen. Ganz allgemein gilt nämlich, was sonst schon verwerflich ist, als noch verwerflicher, wenn es um des Geldes willen und nicht aus einem anderen Grund geschieht. Wenn sie also mit dem Hinweis auf den Aufwand und die mit einer Neuanfertigungder Statuen notwendig verbundenen Kosten ihr Vorgehen entschuldigen wollen, trifft sie eindeutig ein noch schärferer Vorwurf: Man muß annehmen, daß sie um des Geldes willen Unrecht tun, und das, wo ihr doch reicher seid als alle anderen Griechen.

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[31.101-104

(101) Habt ihr euch schon einmal gcfragt, warum zur Zeit eurer Vorfahren nichts dergleichen geschah, obwohl sie nicht mehr besaßen als ihr heute? Denn glaubt mir, jedermann weiß, daß eure Insel nicht ärmer geworden ist, daß ihr Karien und einen Teil von Lykien ausbeutet, daß ihr steuerpflichtige Städte habt, daß in euren Kassen ununterbrochen eine Menge Geld von vielen Leuten aufbewahrt wird und keiner, der früher einmal etwas bei euch deponiert hat, seinen Anteil zurückge_ nommen hat. (102) Ihr werdet ja wohl nich t behaupten wollen, ihr hättet größere Ausgaben als die Leute damals. Denn damals gab man Geld aus für alles, wofür es auch heute ausgegeben wird, fur festliche Versammlungen, feierliche Umzüge und Opfer, für Befestigungen, für die Richter und den Rat. Aber die Hauptkosten früherer Zeiten gibt es heute gar nicht mehr. Denn da eure Vorfahren so gut wie immer Krieg führten und, wenn überhaupt einmal, nur selten Ruhe hatten, kann man, glaube ich, ihre Aufwendungen für den Krieg mit den im Frieden anfallenden Kosten nicht vergleichen. (103) Es ist doch ein Unterschied, ob man eine Flotte von hundert und mehr Schiffen aussendet, später eine von siebzig und dann wieder eine von dreißig, zumal wenn man mitunter drei oder vier Jahre unterwegs ist; ob man beständig mit Kriegsschiffen nicht nur nach Zypern und Kilikien, sondern bald nach Ägypten, bald zum Schwarzen Meer, schließlich auf den Ozean selbst fährt; ob man ein Söldner heer hält zur Bewachung der Festungen und des Landes - oder, was man heutzutage zu sehen bekommt, ob man jedes Jahr mit ein oder zwei Schiffen in Korinth erscheint. (104) Damit will ich euch nich t etwa beleidigen oder schlechter als eure Vorfahren machen, denn wenn ihr beständig im Frieden lebt, dann nicht deswegen, weil ihr nicht imstande wäret, dasselbe wie eure Vorfahren zu leisten, sondern weil die Gelegenheit zu solchen Taten fehlt. Denn sicher hätten auch sie auf

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die Gefahren lieber verzichtet, und nur deswegen machten sie so viele Anstrengungen, damit sich die Lage einmal festige. Ich wi1l nur sagen, daß ihre Ausgaben die eurigen überstiegen. Um das andere zu übergehen - die Kosten für Werften, Waffen und Kriegsmaschinen -, schon die Unterhaltung der Mauern, wovon ich gerade sprach, ist beim heutigen Zustand weniger kostspielig. Selbst wenn man annehmen wollte, daß auf die Mauern noch dieselbe Sorgfalt verwandt wird, so arbeitet man doch lässig, stückweise und wenn es einem gerade einfällt; damals aber mußten die Mauern unbedingt stehen. Jetzt sind sie gebaut, um von euch geprüft zu werden, damals waren sie es, um vom Feind geprüft zu werden. (105) Soviel zu diesem Punkt. Weiter läßt sich nicht behaupten, ihr ehrtet mehr Männer. Das beweist allein schon die Menge der aus jener Zeit stammenden Statuen. Und ganz abgesehen davon, wer wollte behaupten, daß die Zahl derer, die sich um das Gemeinwesen verdient machen, heutzutage größer ist? «Das nicht, aber wir müssen auch alle Gouverneure ehren.» Wie, erweisen nicht auch Athener und Spartaner, Byzantiner und Mytilinaier eben diesen Gouverneuren ihre Aufmerksamkeit? Und trotzdem stellen sie ein Standbild auf, wenn man den Beschluß gefaßt hat, und finden Mittel und Wege, die dazu notwendigen Kosten aufzutreiben. (r06) Ich habe auch schon einen Rhodier sagen hören, die Lage der anderen sei mit eurer nicht zu vergleichen, denn die anderen besäßen nichts als ihre Freiheit, die Athener ausgenommen, aber auch deren Macht sei nicht groß; die Stadt der Rhodier aber werde allgemein beneidet, weil sie so wohlhabend sei. Aus diesem Grund sei sie auch mehr auf wohlwollende Freunde angewiesen. Außerdem lege kein Römer Wert darauf, bei den anderen ein Standbild zu bekommen, eine Ehrung durch die Rhodier aber sei ihm nicht gleichgiil tig.

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[3', '07-'og

(r07) Das ist richtig, aber gerade deswegen müßt ihr eUre Handlungsweise aufgeben. Denn die Leute, die Wert darauf legen, von euch ausgezeichnet zu 'werden, sehen doch wahrscheinlich über die Art, wie sie geehrt werden, nicht hinweg, sondern achten zugleich auch aufeure Gesinnung. Und wer zugibt, daß der Wohlstand der Stadt Neid erregt, sollte den Kostenpunkt nicht so sehr betonen, denn sicher ehrt ihr aus diesem Grunde nicht in demselben Verhältnis, wie ihr reicher seid als die anderen, auch entsprechend mehr MänneI" Auch jetzt laßt ihr ja für Kaiser und all die andern Würden_ träger Standbilder neu anfertigen, denn es ist euch nicht entgangen, daß das übliche Verfahren unhaltbar ist. Wen wollt ihr nun in Zukunft noch ehren, wenn ihr etwas so Schimpfliches und eurer Unwürdiges ins Werk setzt? (r08) Wenn ihr nämlich mit Ausnahme der Kaiser bei allen gleich verführet, würdet ihr euch nicht auf diese Weise verraten. Jetzt aber gibt es auch sonst noch Leute, denen ihr ein eigenes Standbild setzt, so daß die anderen daraus schließen müssen, daß ihr sie nicht ehrt. Gehören sie zur großen Menge derer, von denen niemand etwas hat, was liegt euch daran, euch so verkehrt zu verhalten? In welcher Absicht macht ihr ihnen den Hof, zumal ihr ihnen auch in anderer Weise zu Diensten sein könnt? Die meisten sind ja mit größeren Geschenken und einer großzügigen Aufnahme schon zufrieden, und handelt es sich um eine höhergestellte Persönlichkeit, so genügt zusätzlich der einfache Beschluß, ihn ins Rathaus oder ins Theater auf einen der Ehrensitze zu laden. Denn jetzt sieht es so aus, als würfet ihr wie ein Schilfseigentümer, der zu schwer geladen hat und deswegen Gefahr läuft zu sinken, eure Standbilder über Bord. (r09) Überlegt einmal! Wenn euch jemand riete, den größten Teil der Bilder zu verkaufen, um zu Geld zu kommen, so würdet ihr diesen Mann ohne Zweifel für eine Sklavenseele halten. Und doch macht ihr jetzt gen au das gleiche. Denn was

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eine neue Statue kosten würde, das verdient ihr an jeder; nur verkauft ihr sie an euch selbst und nicht auf dem Exportwege, wie man, denke ich, die schlechtesten Sklaven verkaufen würde. Überhaupt wißt ihr sehr wohl, daß an derartigen Gaben sonst nichts Großes und Ehrenvolles ist; es kommt auf die entsprechende Gesinnung des Gebers an. Wer aber von seiner Habe dem ersten besten leichten Herzens gibt, was er gerade haben will, dessen Gabe wird sich bald als wertlos herausstellen. (110) Deshalb ist es eine größere Ehre, von euch einmal auf einen Ehrensitz geladen worden zu sein als bei anderen in Erz zu stehen. Wenn ihr im Sitzen Beifall gebt, ist das eine herrliche Auszeichnung; andere schreien sich die Stimme aus dem Hals, und doch scheint ihre Ehrung noch zu schwach. Sicher wißt ihr, daß der Siegerkranz in Olympia aus einem Olivenzweig besteht, und ihn haben schon viele höhergestellt als das Leben, nicht etwa, weil die dort wachsende Olive etwas Besonderes wäre, sondern weil der Kranz nich t leich tfertig und für geringe Leistungen vergeben wird. Noch kürzlich, in unsern Tagen, war ein Kaiser 16, wie ihr wißt, von diesem Gedanken derartig besessen und trachtete so sehr nach einem Sieg in Olympia, daß er bei den Spielen in Elis mitkämpfte und darin das höchste Glück erblickte. Bekränzte man aber alle Machthaber, die zu den Spielen kommen, wie könnte der Kranz dann noch erstrebenswert sein, welchen Ruhm könnte er dann noch bringen? (I II) Nein, man sagt den Eleern nach, sie würden keinen Brief, den man ihnen zur Empfehlung eines Athleten geschrieben hat, öffnen, bevor der Kampf zu Ende sei. Und diese Hai tun g brach te sie niemals in Gefahr, sondern tru g ihnen Ehre und Anerkennung ein, weil man sie für würdige Kampfrichter hielt. Glaubt ja nicht, die Römer seien so beschränkt und dumm, daß sie sich keinen ihrer Untertanen frei und vortrefflich wünschten, sondern lieber über Sklaven herrschen wollten!

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(I I2) Die Eleer bilden sich etwas auf ihre Stellung ein, obwohl sie im übrigen nicht besser sind als die anderen Pelopon_ nesier. Ihr aber habt Angst vor jedem Besucher und glaubt gleich eure Freiheit zu verlieren, wenn ihr einmal einem kein Standbild setzt? Wenn eure Freiheit auf so wackligen Füßen steht, daß sie euch mit dem ersten besten Vorwand genommen werden kann, wäre es auf jeden Fall besser fur euch, fortan als Sklaven zu leben. Denn auch, wer so gefährlich erkrankt ist, daß er nicht mehr aufkommen kann, täte besser daran, zu sterben als zu leben. (U3) Wenn die langjährige Treue und Zuneigung zum römischen Volk und die Gemeinsamkeit in Glück und Unglück euch den Staat nicht sichern kann, nicht die Unterwerfung des Mithridates und des Antiochos, nicht die Herrschaft zur See, die ihr den Römern unter so vielen Gefahren und Entbehrungen übergeben habt, nicht die vor vielen Jahren gegebenen Beteuerungen eurer Freundschaft, nicht die Säulen,die bis auf den heutigen Tag unmittelbar neben dem Bild des Zeus stehen 1', nicht die Flotte, die bis zum Ozean alle Gefahren mit den Römern geteilt hat,ja schließlich nicht einmal die Einnahmeeurer Stadt 18 in ihremIn teresse- wenn es um das alles geschehen ist, falls ihr nicht diesen und jenen auf erniedrigende Weise umschmeichelt, und wenn ihr ununterbrochen Zorn und Haß befürchten müßt, so ist es außerordentlich schlecht um eure Sache bestellt, und ihr habt auf keinen festen Grund gebaut. Ich möchte sogar behaupten, auch wenn ihr es nicht gerne hören werdet, daß dann die Sklaven im innersten Phrygien oder auch die in Ägypten und Libyen noch besser weggekommen sind.(u4) Denn die Schande ist kleiner, wenn man als ein Unbekann ter, der nich ts gilt, etwas tut. Schrecklich aber ist es, wenn Leute, die in aller Welt so bekann t und bewundert sind, jeden, der vorübergeht, wie gemeine Hunde umwedeln müssen. Sagt mir, wenn man alle auf diese Weise ehren müßte und wir einmal annehmen wollten, daß sich die Stadt in der äußer-

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sten Notlage befände, wäre es da nicht weit besser, den Beschluß über die Setzung eines Standbildes dem Betreffenden einfach zuzuschicken, damit er es, wenn er Lust hat, aufeigene Kosten errichten läßt? (II 5) «Beim Himmel, das wäre eine Schande, wenn wir zugeben wollten, derartig in der Klemme zu sein - unter der Würde eines Rhodiers!» Und doch, welcher vernünftige Mensch möchte nicht lieber für arm als fUr schlecht gehalten werden? Oder scheint euch der jetzige Zustand weniger schimpflich zu sein als irgendein anderer? Ich meine, daß man bei euren Standbildern genau wie bei Häusern angeben kann, daß es einst dem und dem gehörte, jetzt aber im Besitz von dem und dem ist, daß es, wenn dieser stirbt, an einen Erben oder Käufer übergehen wird. Kein rechtlich denkender Mensch kann eine Statue einfach wie ein Haus einem andern übereignen. (II6) Nun hörte ich schon einmal jemand so obenhin sagen, auch in andern Städten könne man dieses Verfahren beobachten. Und ein anderer erzählte, daß selbst bei den Athenern heutzutage manches vorkomme, was man nicht zu Unrecht tadle, und zwar nicht nur auf anderen Gebieten, sondern gerade in dem Punkt der öffentlichen Ehrung. So gaben sie dem Soundso den Titel «Olympier» 19. Dabei war er nicht einmal ein geborener Athener, sondern ein Phöniker, aber auch nicht aus Tyros oder Sidon, sondern aus einem Dorf oder aus dem Innern des Landes; obendrein hatte er die Haare an den Armen abrasiert und trug Binden. Einen andern, einen allzu seichten Dichter, der sich auch hier bei euch einmal produziert hat, stellten sie nicht nur in Erz auf, sondern ausgerechnet auch noch neben Menander. Und wer sich über die Stadt lustig machen will, pflegt die Inschrift auf der Statue des Nikanol"o anzuführen, der sogar Salamis für Athen gekauft habe. (II7) Wenn jemand diese Beispiele nennt, um den Athenern Vorwürfe zu machen

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und um zu zeigen, daß die jetzigen Einwohner ihrer Stadt und des Ruhmes, den ihnen die Vorfahren hinterlassen haben, nicht würdig sind, oder auch, um ganz allgemein sein Mitgefühl mit Griechenland zu bekunden, wie tief es gesunken sein muß, wenn die Stadt, die lange Zeit als die Zierde Griechenlands galt, so etwas tut, so hat er meiner Meinung nach recht. Sollte er damit aber sagen wollen, daß ihr nicht stolzer als sie zu sein braucht und nicht besser als sie denken solltet, habe ich für ein solches Übermaß an Geschmacklosigkeit keine Worte mehr. (II8) Denn man kann nicht, wie man gewöhnlich lobt, was bei andern gut ist, um alle zur Nacheiferung aufzumuntern, ebenso auch das erwähnen, was sie schlecht machen, und es zur Nach_ ahmung empfehlen j im Gegenteil, man kann höchstens zu verhüten suchen, daß man nicht unversehens selbst auf derartige Dinge verfällt. Wenn jemand solche Beispiele vorbrächte, indem er diese Leute lobte und zu beweisen versuchte, daß sie trotzdem keinen schlechteren Ruhm erlangt hätten, wäre er doch töricht oder, besser gesagt, unverschämt. Außerdem gäbe er mit seiner Meinung denen eine Handhabe, die entschlossen sind, Unrecht zu tun. Wenn aber jedermann diese Dinge als häßlich und tadelnswert darstellt und keiner, der die Stadt preist, derartiges erwähnt, sondern nur derjenige, der sie beschimpfen oder sonstwie schmähen und beleidigen will, so ist der ein großer Tor, der glaubt, mit solchen Mitteln euch davon abhalten zu können, euch um eure Angelegenheiten zu kümmern. (II9) Das wäre ja genauso, wie wenn man einen Wettkämpfer überreden wollte, vom Kampf abzustehen und auf den Kranz gegen Geld zu verzichten, und zu ihm spräche: «Siehst du nicht, wie jener dort vor deinen Augen ausgepeitscht wird, weil er gegen die Kampfregeln verstoßen hat?» Oder, beim Himmel, wenn man vor einem Schauspieler auf die durchgefallenen und ausgepfiffenen Kollegen hinwiese und ihm etwa auf folgende Weise Mut machte: «Daß du mir ja nicht acht

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gibst, sondern genauso spielst!» So etwa sprechen auch jene Leute jetzt zu euch: «Seht ihr nicht, wie verkehrt es die Athener machen, in welch schlechtem Ruf sie stehen, was für ein Beispiel sie aller Welt geben von ihrer Schande und Schmach, die sie über die Vaterstadt bringen?» (120) Soll man nun die Athener fur eure Rivalen halten, wie sie es selbst beanspruchen - das heißt, man würde auf alle Fälle besser und richtiger sagen, sie und die Spartaner und alle andern, die in eurer Lage sind -, oder soll man euch fur ihre Rivalen halten? Aber es ist unvernünftig, es dem Rivalen gleichzutun, wenn er einen Fehler macht, im Gegenteil, ihr solltet es selbst um so besser machen, damit ihr vor aller Welt als die Überlegenen dasteht und nicht nur wegen der Untüchtigkeit der andern, sondern wegen eurer eigenen Tüchtigkeit zu Ansehen kommt. Ihr sollt ja auch nicht in die gleichen Fehler verfallen wie eure Freunde und Verwandten, sondern das Beste wäre, die Fehler zu verhindern, und wenn schon welche vorkommen, zu versuchen, die Fehler der andern durch eigene Leistungen auszugleichen. (121) Wenn ihr ferner in allen anderen Belangen den Athenern nichts voraushättet, brauchtet ihr vielleicht nicht gerade in diesen einen Punkt eure Ehre zu setzen und auf einen besseren Ruf bedacht zu sein. Jetzt aber gibt es bei ihnen nichts, worüber man sich nicht schämen müßte. Um gleich ein Beispiel zu nennen: Mit ihren Gladiatorenkämpfen haben sie es den Korinthern nachgemacht,ja mehr noch, sie und alle andern mit diesem Wahnsinn übertrumpft. Während die Korinther die Kämpfe außerhalb der Stadt in einer Schlucht veranstalten, an einem Ort, der zwar eine große Zuschauermenge aufnehmen kann, im übrigen aber so schmutzig ist, daß man keinen Freigeborenen dort begraben möchte, betrachten sich die Athener dieses ausgesuchte Schauspiel im Theater am Fuße der Akropolis, wo sie den Dionysos auf der Orchestra aufstel-

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len. So ist es keine Seltenheit, daß jemand auf den Sesseln, Wo eigentlich der oberste Priester und all die andern Priester sitzen sollten, abgeschlachtet wird. (122) Und als ein Philosoph 11 über dieses Thema sprach und ihnen Vorhaltungen machte, nahmen sie es ihm nicht ab und zollten keinen Beifall, sondern waren derartig empört, daß er, der an Geburt keinem Römer nach. stand, der ein Ansehen genoß wie schon seit langem keiner mehr, der, wie aHgemein zugegeben wird, als einziger nach den alten Philosophen in strenger Übereinstimmung mit seinen philosophischen Grundsätzen lebte - daß dieser Mann die Stadt verließ und lieber anderswo in Griechenland leben woHte. Ihr aber, Männer von Rhodos, würdet so etwas nicht dulden, zumal bei euch das Gesetz gilt, daß der Scharfrichter die Stadt niemals betreten darf. (123) Warum habe ich das nun erwähnt? Gewiß nicht, um die Athener schlechtzumachen ; im Gegenteil, jeden anständi. gen Menschen kommt das Mitleid mit ihnen an. Ich tat es, damit ihr wißt, daß ihr von jetzt an nicht mehr mit ihnen, son. dern nur mit euch selbst und den anderen vernünftig Denken. den zu rechnen habt. Und aHe Vorwürfe, die man den Athe. nern, den Spartanern und sonstigen Städten, in denen es um manches andere außerordentlich schlecht und liederlich besteHt ist, machen könnte, sprechen nur für mich, denn was die Statuen betrifft, kann man einen derartigen Mißbrauch bei ihnen nicht feststeHen. Was also nicht einmal in jenen ganz heruntergekommenen Städten falsch gemacht wird, wie sollte das bei euch nicht über alle Maßen verkehrt sein? (124) Noch deutlicher wird das durch einen Vergleich der Umstände, unter denen man solche Ehrungen vornimmt. Wollte man das Standbild eines Mannes unserer Tage neben ein altes Bild steHen, gälte das schon als schlimm. Wieviel schlimmer aber muß es sein, einem der Alten seine Ehre zu rauben, wie ihr es tut, und sie an einen andern weiterzuschen-

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ken? Und wenn schon das Überschreiben eines Namens mit einem anderen, viel geringeren verurteilt wird, in welchem Lichte, glaubt ihr wohl, erscheint dann erst im gegebenen Fall die restlose Auslöschung eines besseren Namens? Wenn jemand von euch sagen wollte, ihr gleicht den Kauniern oder Myndiern, wäret ihr bitterböse und hieltet ihn für einen Lästerer eurer Stadt. Wie könnte nun, was bei ihnen geschieht, euch als Entschuldigung dienen in einer eurer eigenen Angelegenheiten? (125) Das wäre ja so, wie wenn ihr glaubtet, eure Mauern einreißen oder einfallen lassen zu sollen, weil sie auch bei anderen, ja fast bei allen anderen eingefallen sind. Nun läßt man aber die Mauern bei den anderen liegen, weil man in Frieden und Abhängigkeit lebt - das eine, den Frieden, wünschen sich alle, das andere ist kein Beweis für Untauglichkeit. Wenn man sich aber auf dieselbe Weise seinen alten Wohltätern gegenüber verhält, so ist das nichts als Undankbarkeit. Übrigens möchte ich behaupten, daß bei euren Nachbarn keine Vergehen an verdienten Männern vorkommen. Denn welchen edlen Mann hätte es bei den Kauniern schon gegeben! Oder wer hätte ihnen jemals etwas Gutes erwiesen! Sie sind nicht nur von euch abhängig, sondern auch von den Römern, und diese doppelte Abhängigkeit haben ihnen ihre grenzenlose Dummheit und Nichtsnutzigkeit eingebracht. Dasselbe könnte man auch von allen anderen sagen, die in demselben Rufstehen. (126) Überhaupt bin ich der Meinung, daß Leute, die so selbstbewußt sind, wie ihr es zu Recht seid, bei ihren Unternehmungen nicht auf andere sehen sollten, zumal wenn sie soviel schlechter sind, sondern nur aufihren eigenen Ruf und das Ansehen ihrer Stadt. Denn es wäre lächerlich, hätte einer eurer Bürger, etwa der berühmte Dorieus" oder Leonidas' 3 , die so viele Siege in Olympia errungen haben sollen, beim Training aufeinen anderen achten wollen, erst recht, wenn dieser andere 15

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noch niemals einen Kranz bekommen hat. Wenn ihr euch mit den Spartanern oder Athenern messen wollt, dann bitte nUr mit denen aus alten Zeiten, als Leute euresgleichen sich noch mit ihnen vergleichen durften. (127) Es ist nicht mehr als recht und billig, daß ein Wettkämpfer, der etwas auf sich hält und noch im Vollbesitz seiner Kräfte ist, nicht die Kranken und Toten unter seinen berühmten Zeitgenossen herausfordert, sondern mit denen, die gesund und kräftig sind, um den Sieg kämpft. Ist das nicht möglich, sucht er etwas zu leisten, das beweist, daß er keinem Kämpfer aus früheren Zeiten unterlegen ist. Das ist eine gesunde Auffassung in solchen Dingen. Muß man aber Abstriche vornehmen, dann untersucht die Frage nicht, indem ihr euch mit den Besten von damals vergleicht, auch nicht mit den Heutigen, die sich von den Schlechtesten in nichts unterscheiden, sondern mit denen, die die Mitte zwischen beiden halten oder auch etwas darunter liegen. (128) Bei den Athenern beantragte zur Zeit Philipps - die Vorherrschaft hatten sie soeben verloren, aber noch klammerten sie sich an die Freiheit allein - ein gewisser Leptines 24 ein neues Gesetz: Man solle allen, mit Ausnahme der Nachkommen des Harmodios und Aristogeiton, die Steuerfreiheit, die sie vom Volk verliehen bekommen hatten, nehmen und dieses Vorrecht in Zukunft niemand mehr einräumen. Was machten die Athener? Nahmen sie den Vorschlag etwa an? Nein, sondern Leptines wurde gerichtlich belangt. (129) Nun vergleicht bitte euer Verfahren mit jenem Gesetz! Scheint es euch in irgendeinem Punkt besser, haltet daran fest und wendet es in Zukunft noch strenger an - was sowieso die notwendige Folge sein dürfte, wenn ihr euer Verfahren nicht aufgebt. Wenn ihr es aber bei einer gründlichen Prüfung schlechter findet, macht es den Athenern von damals nach und schafft endlich ab, was noch viel verwerflicher ist als das seinerzeit von den Athenern Verworfene.

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(130) Daß sich die Stadt als unaufrichtig und in ihren Geschenken als unzuverlässig erweist, daß sie sich an ihren Wohltätern vergeht, indem sie sie um ihre Belohnung prellt, das und dergleichen mehr ist beiden Fällen in gleicher Weise gemeinsam. Aber im ersten Fall war es nicht gut möglich, den aus der Steuerfreiheit gezogenen Nutzen den Betreffenden wieder wegzunehmen, denn was sie von ihrer Abgabenfreiheit profitiert hatten, blieb ihnen auf alle Fälle auch in Zukunft, so daß sie dadurch voraussichtlich wohlhabender wurden. Nimmt man jemandem aber sein Standbild weg, hat er von seiner früheren Ehre nichts als Schande und Schmach. (I3 I) Dazu kommt, daß der Antragsteller von damals einen Teil der Leute, die von Abgaben befreit waren, beschuldigte und die Mehrzahl von ihnen nicht nur als des Vorzugs unwürdig, sondern ganz allgemein als schlecht hinzustellen suchte, so daß das Übel darin bestand, daß er nicht gegen alle Anklage erhob, aber allen ihr Vorrecht nehmen wollte. In eurem Fall jedoch ist es unmöglich, den Beraubten etwas Schlechtes nachzusagen, denn wie könnte man jemand beschuldigen, den man nach eigenem Zugeständnis nicht einmal kennt? (132) Außerdem sah das Gesetz eine Ausnahme vor fur die Nachkommen des Harmodios und Aristogeiton, die als die größten Wohltäter der Stadt galten. Hier aber gibt es keine Ausnahme. Denn da sich das Ganze ohne Urkunde weder nach einem Gesetz noch auf Grund eines Volksentscheids vollzieht, ist überhaupt keiner geschützt, und jedem kann es so gehen, ganz nach dem Belieben des obersten Beamten. (133) Bei jenem Gesetz war man der Meinung, es sei schlimm, das Volk in seiner Freiheit zu beschränken, so daß es in Zukunft die Verleihung dieses Vorrechtes nicht mehr beschließen könne. Wieviel besser ist es da, dem Volk überhaupt zu verbieten, eine solche Ehre zu verleihen, wenn es nicht zum Besten der Stadt dient, als ihm die Möglichkeit dazu zu belassen und cs in die Willkür eines einzigen Mannes zu stellen, die

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Ehrung wieder rückgängig zu machen. Wenn es schon häßlich ist, einem fortzunehmen, was er bekommen hat - niemand wird das bestreiten wollen -, so geschah es bei jenem Gesetzes_ antrag wenigstens nur einmal, bei eurem Verfahren aber geschieh t es immer wieder. ( 134) Schein t es bereits mißlich, wenn der Stadt in einem Punkt ihre Freiheit genommen wird - in diesem Fall seid ihr es selbst, die sich einer Freiheit begeben: der Freiheit, dem Empfänger die Sicherheit seines Eigentums zu garantieren. Denn habt ihr jemandem eine Ehre zuteil Werden lassen, so liegt es nicht mehr in eurer Hand, ob er auch im Besitz dieser Ehre bleibt, sondern darüber entscheidet immer nur ein Mann, der oberste Beamte. Und doch ist es schlimmer, wenn ihr nur auf Grund einer Gewohnheit dieses Recht nicht habt, als wenn es euch gesetzlich verboten wäre. Denn in diesem Fall ist einem in gewisser Weise die Freiheit gar nicht genommen worden in dem, was zu tun man sich selbst gesetzlich verboten hat, sondern man hat aus Gründen der Nützlichkeit freiwillig darauf verzieh tet. (135) Bei der Gewohnheit dagegen kann man nicht einmal mehr sagen, daß man sich selbst etwas genommen habe - wenn man überhaupt etwas hergegeben hat -, da man sich über die Sache weder ein Urteil gebildet noch sich beraten hat. Ferner konnte man sich in Athen damit trösten, daß es jeden gleich getroffen hätte, da alle ohne Unterschied ihre Steuerfreiheit verloren hätten; bei euch aber wird nur derjenige, der ein Standbild bekommen hat, beraubt, und oft ist gerade er der bessere Mann. Außerdem wollte dort das Gesetz dem Eigentümer nicht etwas wegnehmen, um es einem anderen zu geben; bei euch aber geschieht es aus diesem Grunde, und das ist gewiß noch viel betrüblicher, als wenn man einem nur etwas wegnimmt. (136) Und jedermann weiß doch wohl genau, für wieviel schwerer man es hält, sich um eines anderen willen etwas gefallen zu lassen als um seiner selbst willen. Absicht des Gesetzes war es, auch den übrigen ihr Vor-

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recht zu nehmen, damit nicht einige wenige, die nach dem Gesetz dieses Vorrecht nicht verdienten, abgabenfrei seien; eure Gewohnheit aber zielt darauf, den Eigentümern etwas zu nehmen, damit andere es bekommen, (137) und das ist für die davon Betroffenen doch auf alle Fälle schwerer. Will nun jemand bei den Leuten, bei denen es am meisten geboten ist, prüfen, wer von eurer Gewohnheit nachteilig betroffen ist und wen voraussichtlich jenes Gesetz der Athener geschädigt hätte, möge er diejenigen, die nicht nur frei von Abgaben waren,sondern auch ein Standbild bekommen hatten, beiseite lassen und nur diejenigen betrachten, die dann noch übrigbleiben. Denn den ersten ist in gewisser Weise überhaupt nichts geschehen: Nur was sie nebenbei bekommen hatten, haben sie verloren, das größere Geschenk blieb ihnen erhalten 25 • Die andern aber sollten wir vielleicht ins Auge fassen. Schon folgende Überlegung wird die Sache klarer machen, glaube ich. Wieviel mehr die Bewilligung eines Standbildes als die Bewilligung von Steuerfreiheit wiegt, soviel besser sind auch alle die, die das erste bekommen. Noch deutlicher wird das Ganze, wenn wir folgendes bedenken. (138) Die Vergünstigung der Steuerfreiheit schafft größeren Wohlstand, und deshalb bemühen sich um sie in erster Linie solche Leute, denen es ums Geld zu tun ist; ein Standbild dagegen bringt nur Ansehen und Ehre. Nun würden wir aber sa gen, daß alle, die sich en tschließen, unentgeltlich und mehr aus Liebe zum Ruhm anderen Gutes zu tun, besser sind als diejenigen, die es um des Geldes und des Gewinnes'willen tun: Um denselben Grad, möchte ich behaupten, sind auch die Mcnschen besser, denen durch eure Gewohnheit Unrecht geschieht, und obendrein entzieht ihr euch dadurch bessere Wohltäter, als den Athenern ihr Gesetz entzogen hätte. (139) Ich kann nicht einsehen, warum ihr in dieser Frage eigentlich kein Gesetz erlaßt, an das ihr euch in Zukunft halten könnt, wenn ihr damit einverstanden seid.

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«Bei Gott, ein solches Gesetz in der Stadt brächte keine gerin ge Schande!» Glaubt ihr denn, was Schande bringt, wenn man es schreibt, brächte keine Schande, wenn man es tut? Und doch, wieviel besser ist es, von schlechten Vorschriften keinen Gebrauch zu machen als Schlechtes zu tun! Wen würdet ihr denn den Besseren nennen: der es mit Dingen, die sich nicht gehören, so hält, daß er sich von ihnen fernhält, auch wenn sie gestattet sind, oder der sie tut, obwohl sie nicht gestattet sind? (140) Zugegeben, man darf überhaupt kein Unrecht begehen oder etwas Unziemliches tun. Trotzdem aber würde ich sagen, daß so etwas noch eher en tschuldbar ist, wenn es auf Grund eines Gesetzes als infolge einer Gewohnheit geschieht. Denn erstens ist das Gesetz festgelegt und kann niemals schlechter werden; bei Geschriebenem kann man nämlich weder etwas streichen noch etwas hinzufLigen. Die Gewohnheit aber, wenn sie schlecht ist, wird zwangsläufig immer noch schlechter, weil sie nicht fest umrissen und umgrenzt ist. (141) Nehmen wir gleich ein Beispiel: Man sagt, der Mißbrauch mit den Statuen habe begonnen mit den beschädigten, die nicht mehr aufihren Sockeln standen. Diese hätten die Beamten überarbeiten und in gewisser Weise vollkommen neu herstellen lassen und dann wieder verwendet. Der nächste Schritt sei dann gewesen, unversehrte Statuen ohne Inschriften mit Inschriften zu versehen, der nächste bereits, Standbilder mit Inschriften, aber von hohem Alter zu nehmen. Das mag seine Richtigkeit haben,aber in Zukunftdas muß so kommen - wird überhaupt kein Unterschied mehr gemacht werden. Denn mit anderen Übeln ist es genauso, mit Verschwendung, Unordentlichkeit und Üppigkeit: (142) Niemals werdet ihr finden, daß eine schlechte Gewohnheit stillsteht und verharrt, bevor sie nicht ganz unterdrückt ist. Weil sie nämlich ununterbrochen Zuwachs erhält, das allmähliche Fortschreiten sich aber nicht ohne weiteres nachweisen und

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wahrnehmen läßt, wird sie von Mal zu Mal schlechter und wächst schließlich bis zum Äußersten, wie etwa ein Geschwür oder eine Krankheit, die ihrer Natur nach immer weiter um sich greifen. Dazu kommt noch folgendes: Wer etwas Schiech tes tut, weil das Gesetz es will, tut das Schlechte nicht im Bewußtsein, er handle schlecht, sondern weil er irregeführt ist. Von denen aber, die das Schlechte aus Gewohnheit tun, wird jedermann sagen, sie verfehlten sich wissentlich in dem, was ihnen selbst nicht einmal für eine schriftliche Fixierung geeignet scheine. (143) Wenn nun eure Gewohnheit in vergangenen Zeiten ihren Ursprung hat und schon länger währt, glaubt nicht, es sei aus diesem Grund weni ger dringlich geboten, mi t ihr Schluß zu machen. Denn das Festhalten an einer schlechten Praxis ist genauso verderblich wie ihre Übernahme, ja man setzt sich nur noch mehr böswilligen Kritikern aus. Es ist sogar möglich, daß der Mißbrauch damals, als er aufkam, den Leuten entgangen ist, zumal sich die Betreffenden noch äußerst vorsichtig ans Werk machten. Was aber seit langem geschieht, muß jedermann bekannt sein, und gerade bei euch entfällt diese Entschuldigung vollständig, da ihr hier sitzt, um euch eben über diese Frage ein Urteil zu bilden. Wie es für euch kein Grund zum Zögern wäre, wenn ihr mit etwas Gutem den Anfang machen müßtet, ebenso angebracht ist es, nicht zu zögern, wenn es gilt, einen Mißstand zu beheben. (144) Aufkeinen Fall darf die Zeit eurer Gewohnheit Vorschub leisten, wenn sie, wie ich schon lange klargemacht zu haben glaube, wirklich schlecht ist. Denn ich glaube nicht, daß man sie nur deswegen auch weiterhin Schaden anrichten lassen darf, weil sie euch schon seit langem Schaden gebracht hat. Auch einen langjährigen Verbrecher, den ihr gefaßt habt, laßt ihr nicht frei, nur weil er schon so lange Zeit Verbrecher ist. Und wenn jemand von einer Krankheit, die ihn seit langem quält, genesen könnte, bedächte

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er sich keinen Augen blick, wieder gesund zu werden. (145) Ihr selbst würdet vermutlich ein Unglück, das ein Gott eurer Stadt für die Zukunft prophezeit, um jeden Preis zu verhüten suchen, wenn es in eurer Macht läge. Demnach kümmert ihr euch sehr wohl um das, was - da es erst in Zukunft eintritt - anderen schaden wird. Was euch selbst aber den größten Nachteil bringt, wollt ihr ruhig geschehen lassen, nur weil es in früheren Zeiten begonnen hat? Es ist aber doch vollkommen töricht zu glauben, man brauche, was aus Gewohnheit geschieht, nie zu unterbinden, auch wenn es verkehrt ist. (146) Mehr noch bitte ich euch zu bedenken, daß es in eurer Stadt viele Dinge gibt, auf die stolz zu sein ihr alles Recht habt: zunächst die Gesetze und die Ordnung in eurem Staatsweseneuer ganzer Stolz -, dann, würde ich meinen, auch Tempel, Theater, Werften, Befestigungen, Häfen und dergleichen, die ebenso Zeugnis ablegen von eurem Reichtum, eurem Selbstbewußtsein und der Größe vergangener Macht wie von eurer Frömmigkeit den Göttern gegenüber. Und genauso natürlich ist es, wenn ihr an der Fülle der Standbilder eure Freude habt. (147) Ein solcher Vorzug nämlich gereicht euch nicht nur zur Zierde wie dies oder jenes Weihgeschenk sonst, sondern beweist nicht zuletzt die Stärke und die Gesinnung eurer Stadt. Denn nicht jede beliebige Stadt wird von so vielen Männern gefördert, und nicht jede ist bereit oder vielleicht auch in der Lage, so viele zu ehren. Und dann ist da noch ein anderer Punkt: Die gewaltige Menge der bei euch vorhandenen Statuen 26 ist nicht nur aus den angeführten Gründen zu erklären, sondern vermutlich auch durch die Tatsache, daß die Römer, die doch in der Regel den Schmuck für Tempel und Paläste aus aller Welt zusammenhoien, bei euch niemals etwas angerührt haben. (148) Nero war so besessen, daß er weder von den Schätzen in Olympia noch von denen in Delphi die Hände ließ, obwohl er gerade

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diese Heiligtümer ganz besonders ehrte, und die meisten Kunstwerke von der Akropolis in Athen und viele von Pergamon, obwohl dessen Tempel ihm doch persönlich gehörte, ließ er abtransportieren, von den vielen Kunstschätzen anderswo ganz zu schweigen. Eure Schätze allein hat er verschont und euch so viel Sympathie und Ehre zugleich erwiesen, daß ihm eure ganze Stadt heiliger war als die berühmtesten Heiligtümer. (149) Ihr kennt ja wohl noch den gefürchteten Akratos, der in Neros Auftrag beinah die ganze bewohnte Erde durchzog und kein Dorf ausließ'7. So kam er auch zu euch. Als ihr ganz natürlich in Sorge darüber wart, sagte er, er sei nur zum Sehen gekommen und dürfe hier nichts antasten. So bringt euch also die Fülle der Statuen, abgesehen von dem herrlichen Anblick für jedermann, auch noch einen anderen Ruhm: Sie stehen da als Beweis eures freundschaftlichen Verhältnisses zu den Machthabern und ihrer Achtung euch gegenüber. (ISO) Und jetzt, wo die Römer und Nero euren Besitz so peinlich beachteten und für unantastbar hielten, wollt ihr selbst ihn nicht bewahren? Nero, der gewalttätigste Kaiser, der sich die größten Freiheiten herausnahm und seiner schrankenlosen Willkür alles unterwarf, nahm keinem einzigen Mann, auch wenn er nur von den Rhodiern geehrt worden war, sein Standbild. Ihr selbst aber wollt sie ihnen nehmen? Wieviel besser wäre es da gewesen, wenn auch hier das gleiche geschehen wäre! Denn bei den andern Völkern bleiben die Namen der Geehrten, und niemand würde eine Inschrift entfernen. Ihr aber kratzt sie ab, als hätten euch die Leute etwas angetan. (151) Und doch könnte man sagen, selbst wenn die Kaiserdie Statuen weggeführt hätten, wäre das Unrecht an den Männern kleiner. Denn sie ließen sie nicht fortschaffen, um sie einem anderen zu geben, sondern weil sie etwas Schönes haben wollten. Daher hätte keiner von ihnen jemals daran gedacht, einen Namen zu beseitigen, und die Betreffenden sind nicht schlech-

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ter weggekommen, wenn sie statt in Megara und Epidauros, statt auf dem Marktplatz von Andros oder Mykonos in den Tempeln der Römer aufgestellt wurden. Aber auch wenn man das nicht berücksichtigt, wäre es, was euch angeht, besser, wenn die Zeichen eurer Ehrungen auf diese Weise verschwun_ den wären. Denn dann träfe euch keine Schuld, noch wäret ihr es, die an ihren eigenen Wohltätern und Heroen ein Unrecht begehen, höchstens geschähe euch mit ihnen zusammen Unrecht. (152) Wenn euch jemand fragte, mag es auch reichlich lächerlich scheinen, warum ihr eigentlich die Standbilder der dieser Auszeichnung für würdig befundenen Männer nicht aus Ton macht, obwohl das doch leichter wäre und nichts oder so gut wie nichts kosten würde, wäre eure Antwort vermutlich: damit sie sich nicht beleidigt fühlen und die Ehrungen tüchtiger Männer, wenn möglich, für immer Bestand haben. Wie die Dinge jetzt aber liegen, wißt ihr wohl, daß die Standbilder samt und sonders weniger beständig sind, als wenn sie aus Wachs wären; denn nicht darauf kommt es an, ob man sie in die Sonne stellen kann. Weil man anderen schmeicheln will, gehen sie zu grunde, und wenn es diesem oder jenem so beliebtder Grund mag sein, wer er will-, dann sind die Männer früherer Zeiten einfach nicht mehr. (153) Diese Art des Untergangs aber ist viel schlimmer. In dem einen Fall könn te man der mangelnden Widerstandskraft des Materials die Schuld geben, in eurem Fall aber scheint sich die Nichtswürdigkeit der Stadt dadurch zu verraten. Und so verleiht ihr die Standbilder ganz ähnlich, wie Eltern ihren Kindern diese bekannten Puppen kaufen: Auch bei ihrem Geschenk ist die Freude nur von kurzer Dauer, weil die Puppe nämlich bald entzwei ist. Wißt ihr denn nicht, welche Schande euch euer Treiben bringt und wie lächerlich ihr euch macht durch den Staatsbetrug, der dazu noch in aller Öffentlichkcit geschieht? (154)

AN DIE RHODIER 41 5 In euren Beschlüssen schlagt ihr vor, dem und dem ein Standbild zu setzen. «Wie, ihr Männer von Rhodos», könnte euch da jemand fragen, «ihr beschließt, ein Standbild zu setzen, das vielleicht schon seit fünfhundert Jahren steht?» Eine Frau, die sich ein Kind unterschieben läßt, erklärt ihr rur schlecht und haltet ihre Täuschung ftir eine verwerfliche Tat. Ihr selbst aber schämt euch nicht, dasselbe mit euren Statuen zu machen und zu behaupten, sie gehörten dem, dem sie doch gar nicht gehören. Und dabei wißt ihr genau, wie man eure Stadt verspottet. (155) So behauptet mancher zum Beispiel, die Statuen der Rhodier seien wie Schauspieler: Wie jeder von ihnen bald in dieser, bald in jener Rolle auftrete, so erhielten auch eure Standbilder bald diese, bald jene Maske und stünden beinah wie Schauspieler da. Derselbe Mann sci heute Grieche, morgen Römer und übermorgen, wenn es sein müßte, Makedone oder Perser. Bei einigen Statuen sei der Betrug sogar so deutlich, daß er sich auf den ersten Blick verrate. Denn Kleidung, Schuhwerk und dergleichen bringen natürlich die Täuschung ans Licht. (156) Zahllose Beispiele rur eure Praxis will ich übergehen, daß ihr zum Beispiel die Statue eines uralten Mannes mit dem Namen eines jungen verseht - wirklich ein großartiges Geschenk, möchte ich meinen, das ihr da erfunden habt, wenn ihr zugleich mit der Ehre auch Jugend verleiht! Dann steht da das Bild eines Athleten, das aber einen außerordentlichen Schwächling von mittlerer Statur darstellt. Daß man bei euch den Soundso reiten, im Handgemenge mit einem Feind oder als Ordner eines Heeres sehen kann, obwohl er noch niemals den Boden mit seinen Füßen berührt hat oder von den Schultern seiner Träger herabgestiegen ist, das ist vielleicht noch nicht einmal etwas Besonderes. Aber was soll man sagen, wenn der Soundso als Boxer in eurer Stadt steht? (157) Das sage ich beileibe nicht, um mir eure Feindschaft zuzuziehen oder um mich über eure Stadt lustig zu machen,

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sondern damit sie nicht vor aller Augen tut, was ihrer unwür_ dig ist und der vortrefflichen Ordnung in anderen Dingen und ihrer sonstigen politischen Haltung widerspricht. Und ich glaube, es ist richtig, wenn sich jemand dazu bewegen läßt, euch mit klaren Worten zu sagen, was hier nicht in Ordnung ist - nicht nur aus Liebe zu euch, sondern zu allen Griechen. In früheren Zeiten trug vielerlei zum Ansehen des Ganzen bei, und viele Städte machten Griechenland groß, ihr, die Athener, Spartaner und Thebaner, eine Zeitlang auch die Korinther und in früheren Jahrhunderten die Argiver. (158) Jetzt ist es mit allen übrigen vorbei: Ein Teil von ihnen ist restlos vernichtet, andere benehmen sich derartig, daß sie solche Dinge tun, wie ihr hört, und ihnen jedes Mittel recht ist, den alten Ruf zunichte zu machen. Sie glauben, herrlich und in Freuden zu leben, die Toren, und rechnen es sich als Gewinn an, daß niemand sie an ihrem verkehrten Treiben hindert. Ihr seid übriggeblieben, denn von euch allein glaubt man noch, daß ihr wirklich etwas darstellt und nicht vollkommen verachtet seid. Denn da die Griechen mit ihren Vaterstädten so umsprangen, wie hier und da der Wahrheit gemäß berichtet wird, war es unvermeidlich, daß sie insgesamt schon längst in ihrem Ansehen unter die Phryger und Thraker gesunken sind. (159) Wenn eine begüterte Familie mit einem großen Namen ausgestorben und nur noch ein Nachkomme am Leben ist, ruht alles auf seinen Schul tern, und mach t er etwas falsch und steht in einem schlechten Ruf, dann verdunkelt er den ganzen Ruhm des Hauses und macht allen Vorfahren Schande. Genauso steht auch ihr jetzt Griechenland gegenüber da. Glaubt nur nicht, Männer von Rhodos, ihr wäret die Ersten in Griechenland, glaubt es ja nicht! Denn nur, wer noch lebt und ein Gespür fiir Ehre und Unehre hat, kann der Erste sein. Mit Griechenlands Herrlichkeit aber ist es aus und vorbei, schmählich und erbärmlich in jeder Weise ist sie untergegangen. Man kann sich

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keine Vorstellung mehr machen von der überragenden Stellung und Pracht der Städte, zumindest nicht, wenn man die Menschen ins Auge faßt. (160) Eher zeugen noch die Steine von Glanz und Größe Griechenlands, die Trümmer der Gebäude, denn die Leute, die sie bewohnen und verwalten, möchte man nicht einmal als Nachfahren der Myser 28 gelten lassen. Deshalb scheint mir den bis auf die Mauern zerstörten Städten noch ein besseres Los zuteil geworden zu sein als den Städten, die auf diese Weise bewohn t werden. Denn unversehrt lebt ihr Gedächtnis fort, und nichts entstellt das Ansehen der tüchtigen Männer früherer Zeiten. Wie es, glaube ich, aufjeden Fall auch besser ist, daß die Leichname der Toten beiseite geschafft werden und niemand sie mit eigenen Augen verwesen sehen muß. (161) Vielleicht hat sich mir das alles über Gebühr aufgedrängt, als ich die gesamte Lage betrachtete. Aber ich wollte euch damit nur klarmachen, daß ihr die einzigen Griechen seid, denen man noch Ratschläge erteilen und über die man noch traurig sein kann, wenn sie offensichtlich etwas falsch machen. Vernünftigerweise werdet ihr also auf euch selbst achtgeben und alle diese Fragen sorgfältiger prüfen als eure Vorfahren. Denn ihnen war es noch möglich, ihre Tüchtigkeit auf vielen anderen Gebieten zu beweisen: Sie konnten eine fLihrende Stellung unter den andern einnehmen, den Bedrängten helfen, Bundesgenossen erwerben, Städte gründen, Kriege gewinnen. Ihr aber könnt nichts mehr von all dem tun. (162) Nach meiner Meinung bleibt euch nur übrig, euch selbst zu leiten, eure Stadt zu verwalten, diesen oder jenen zu ehren und ihm Beifall zu klatschen - aber nicht nach Art der großen Menge -, im Rat zu sitzen, das Recht zu pflegen, den Göttern zu opfern und Feste zu feiern. In dem allen könnt ihr euch den andern überlegen zeigen. Daher kommt cs auch, daß solche Dinge - und alle Welt achtet sie nicht gering - Anerkennung finden: euer Gang und

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euer Haarschnitt, die Tatsache, daß niemand aufgeputzt dureh die Stadt stolziert, daß auch die bei euch weilenden Fremden sich eurer Sitte anpassen müssen und gesetzt einhergehen, wie man wohl auch bei Leuten vom Land beobachten kann, daß sie sich weniger ungelenk bewegen, wenn sie eine Ringschule oder ein Gymnasion betreten. (I63) Dazu kommt die Art der Kleidung und, was einem vielleicht lächerlich vorkommt, die Breite des Purpurstreifens; dann, schon wichtiger, die Ruhe beim Zuschauen und der Beifall mit einem Zungenschnalzen. Alle diese Besonderheiten tragen zum Ansehen der Stadt bei, in ihnen allen hält man euch für anders als die übrigen, ihretwegen werdet ihr bewundert und geachtet. Mehr als Häfen, Befestigungen und Werften gereicht euch das altgriechische Wesen in euren Sitten zum Ruhm, so daß jeder, der sich bei euch aufhält, und käme er aus dem fernsten Ausland, sofort nach der Landung begreift, daß er hier nicht in irgendeine syrische oder kilikische Stadt gekommen ist. Bei anderen Städten dagegen merkt man keinen Unterschied, es sei denn, man hätte den Namen eines Platzes, sagen wir «Lykeion» oder «Akademeia»2 9 , gehört. (I64) Warum nun sage ich euch das, wo ich jetzt zum Schluß komme, und was will ich euch klar machen ? Ich sage es deswegen, weil ihr um so größeren Eifer zeigen müßt und nichts, was hier geschieht, unbeachtet lassen dürft. Und wenn ihr diese Haltung bei allem, was ihr tut, beweist, wird man euch vielleicht in keinem Punkt als euren Vorfahren unterlegen bett·achten. Denn unter solchen Umständen sich selbst zu bewahren und in der Haltung vollkommener Tüchtigkeit zu beharren scheint mir bewundernswert. (165) Ich glaube, man kann das schon bei Leuten auf hoher See beobachten: Sobald ein Sturm oder eine gewaltige Böe über das Schiff herfällt, tun selbst die Ausgelassensten nichts Unrechtes mehr, sondern widmen ihre ganze Aufmerksamkeit dem Segeln; bei ruhiger See dagegen

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gewinnt bei Mannschaft und Passagieren der Übermut wieder Oberhand, auch wenn sie sich gewöhnlich nicht über alle Grenzen hinwegsetzen. Genauso, will mir scheinen, pflegt auch der Krieg sogar die Schlechteren wachzurütteln und sie in seinen Griff zu nehmen, während es in so friedlichen und sorglosen Zeiten Aufgabe der Besten ist, sich zu keiner verwerflichen und unkontrollierten Tat verleiten zu lassen. 32. AN DIE ALEXANDRINER

(I) Würdet ihr wohl für eine kurze Zeit ernst werden, ihr Männer, und mir Gehör schenken? Denn in einem fort seid ihr lustig und zerstreut, um einen Scherz, einen Spaß und ein Lachen so gut wie nie verlegen; ihr selbst lacht und spaßt gern, und viele Helfer stehen euch dafür zur Verfügung. An Ernst dagegen fehlt euch auch der letzte Rest, wie ich sehe. (2) Und doch preisen euch einige Leute als schlau und gescheit, daß ihr, eine solch zahllose Menge, zugleich das Notwendige begreift und, wenn ihr es begriffen habt, schnell in Worte faßt. Ich aber würde euch noch mehr loben, wenn ihr bedächtig im Reden, beherrscht im Schweigen und zuverlässig im Urteilen wäret. So haltet es jetzt, damit ihr zu jenem Lob ein neues, größeres und kostbareres, hinzuerwerbt : daß ihr alle, so groß auch eure Zahl ist, verstummtet, als nützliche Worte vorgebracht wurden, und ihr zudem bewiesen habt, daß ihr nicht nur denken und dann sprechen, sondern auch hören und dann denken könnt. Für einen Chor bedeutet es das größte Lob, wenn alle zusammensprechen - das heißt, nicht einmal für ihn gilt das, denn was geschieht, wenn alle gemeinsam den Ton verfehlen? -, für das versammelte Volk, wenn es gut zuhört. (3) Jetzt indes macht ihr den alten Fehler der Athener. AufApollons Rat, das Schönste in die Ohren der Kinder zu legen, wenn sie rechtschaffene Männer in der Stadt haben wollten, durchbohrten

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[32,3-5

sie jeweils ein Ohr und befestigten ein Stückehen Gold daran. Sie hatten den Gott mißverstanden, denn so etwas hätte sich eher für Mädchen und Lyder- oder Phrygerkinder geschickt. Für die Söhne der Griechen, zumal ein Gott es geheißen hatte, paßte nichts anderes als Erziehung und Vernunft: Wer beides hat, wird natürlich ein brauchbarer Mann und Bewahrer der Stadt werden. (4) Die Athener nun machten von den Ohren ihrer Kinder einen schlechten Gebrauch, ihr aber macht von euren eigenen einen noch schlechteren. Denn das Theater ist das Gehör des Volkes. Dahinein kommt aber nie oder höchst selten etwas Schönes und Wertvolles. Statt dessen hall t es immer wider VOm Schall der Instrumente, von Lärm, Possen und Witzen - Dinge, die alles andere sind als Gold. Deshalb sagte ich mit gutem Grund, es fehle euch der Ernst. Denn weder ihr selbst seid ernst noch sind es eure guten Bekannten, die häufig bei euch auftreten als Gaukler und Tänzer, die besten, den Boden mit Füßen zu schlagen, Männer, die springen aufschnellhuf'ge Pferde und alsbald erwecken unter der Menge der tölpligen Gaffer gewaltigen Hader, unter den Toren, und vielen gemeinsam nur Unheil bringen. I (5) Denn das ist es, was ihr immer seht und womit ihr euch beschäftigt. Aber dabei kommt weder Verstand noch Einsicht heraus, weder richtige Haltung noch Frömmigkeit den Göttern gegenüber, sondern nur törichter Streit, maßloser Ehrgeiz, eitle Trauer, närrische Freude, Schmäh- und Verschwendungssucht. Das sage ich nicht, weil ich euch von solchen Volksvergnügungen und Ergötzlichkeiten abraten oder sie euch verbieten wollte - ich müßte rasend sein. Ich will euch vielmehr auffordern, mit derselben Bereitschaft und Ausdauer, mit der ihr euch jenen Zerstreuungen widmet, auch eimal eine nützliche Rede anzuhören und ein offenes Wort zu euerm Besten zu

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Berzen zu nehmen. (6) Auch die Athener nämlich, die ich kurz zuvor erwähnte, haben nicht alles falsch gemacht, wie wir sehen werden. So taten sie vollkommen recht daran, den Dichtern zu gestatten, nicht nur einzelne Leute, sondern auch die ganze Stadt zusammen, wenn sie etwas nicht richtig machte, aufs Korn zu nehmen. So kann man neben vielen anderen Stellen in den Komödien etwa auch folgende lesen: Du Volk der Pnyx, verdrießlich kleines Greislein du, halbtaub' und Was gibt' s, das eirl Athetler nicht abschwören könnt'?3 Und so etwas hörten sie sich bei festlichen Gelegenheiten und trotz ihrer demokratischen Verfassung an, zu einer Zeit, da sie nicht nur über die eigenen Bürger volle Verftigungsgewalt hatten - für den Fall, daß sie jemanden, der solche Äußerungen tat, im Zorn verderben wollten -, sondern auch Berren über die andern Griechen waren und, wenn sie gewollt hätten, es nicht nötig gehabt hätten, sich derartige Beleidigungen anzuhören. (7) Ihr aber habt nicht einen solchen Chor oder Dichter oder sonst jemanden, der euch in aller Freundschaft zurechtweisen und die Mängel eurer Stadt aufdecken könnte. Daher müßt ihr, wenn es einmal soweit kommt, das Ereignis freudig begrüßen und meinen, ihr beginget ein Fest, aber ihr dürft nicht ungehalten sein. Und wenn ihr es schon seid, dann schämt euch wenigstens auszurufen: «Wann ist er endlich fertig?», «Wann tritt der Zauberkünstler auf?», «Geschwätz!» und ähnliches. Denn wie ich schon sagte, dazu ist immer Gelegenheit, und es ist nicht zu fürchten, sie könnte einmal fehlen. Solche Worte aber, durch die die Menschen glücklicher, besser und maßvoller werden, mit deren Hilfe sie ihre Städte besser verwalten können, habt ihr noch nicht oft, um nicht zu sagen noch nie, vernommen.

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[3 2,8-10

(8) Jedoch ist das vielleicht nicht einmal eure Schuld - ihr könnt es beweisen, wenn ihr heute bei mir aushaltet-, sondern eher auf die sogenannten Philosophen zurückzuführen. Denn ein Teil von ihnen wagt sich überhaupt nicht unter die Menge und ist nicht bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, vielleicht, weil er die Hoffnung, die Massen besser zu machen, bereits aufgegeben hat. Die anderen i.iben in dem, was man Audito_ rium nennt, ihre Stimme und haben als Publikum Leute, die im Bund mit ihnen stehen und ganz an sie gewöhnt sind. (9) Dann gibt es in der Stadt eine nicht unbedeutende Zahl Von sogenannten Kynikern, und wie bei allem anderen ist auch bei ihnen der Zulauf gewaltig - ein gemeines Bastardgeschlecht von Menschen, die sozusagen nichts wissen und nichts Zum Leben haben. An Kreuzungen, engen Winkeln und Tempel_ türen sammeln sie Straßenjungen, Seeleute und dergleichen Volk um sich und machen ihnen etwas vor, reißen eine Posse und einen Witz nach dem anderen und tischen ihnen die bekannten Antworten auf, die auf dem Markt zu haben sind. Etwas Gutes kommt dabei natürlich nicht heraus, nur das größtmögliche Übel: Sie gewöhnen die urteilslose Menge daran, über dic Philosophen,zu lachen, wie wenn jemand die Kinder daran gewöhnen wollte, ihre Lehrer zu verachten, und statt der Menge ihre Einbildung zu nehmen, wird sie von ihnen darin noch bestärkt, (10) Die Leute jedoch, die bei euch als Gebildete auftreten, halten geistlose Prunkreden oder rezitieren aus selbstgefertigten Werken, als hätten sie bei euch eine Leidenschaft für Dich tun gen tdeckt. Sind sie Dich tel' oder Redner, mag das noch angehen j wenn sie es aber als Philosophen machen um des Gewinns und ihres eigenen Ansehens willen, nicht fur euer Bestes, darf das nicht mehr geduldet werden. Denn es wäre genauso, wie wenn ein Arzt Kranke besuchte und, anstatt sich um ihre Behandlung und Heilung zu kümmern, ihnen Kränze, Dirnen und Parfüm mitbrächte.

3·,II- 13]

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(Il) Nur einige wenige sind es, die freimütig zu euch gesprochen haben, knapp und nicht derart, daß sie euch die Ohren angefüllt oder eine lange Rede gehalten hätten. Aber in den ein oder zwei Sätzen, die sie sprachen, beschimpften sie euch mehr, als daß sie euch belehrten, und traten dann schleunigst ab, um durch euer Lärmen nicht unterbrochen und vor die Tür gesetzt zu werden, kurz, sie machten es wie Leute, die im Winter nur eine kleine, bescheidene Fahrt aufs Meer hinaus wagen. Aber einen Mann zu finden, der in aller Offenheit klar und ohne Hintergedanken spricht, der nicht um des Ruhmes und Gewinns willen nur so tut, sondern aus wohlwollen und Fürsorge für die anderen bereit ist, sich notfalls auch auslachen zu lassen und das lärmende Durcheinander der Menge zu ertragen, ist nicht leicht; es wird nur einer außerordentlich glücklichen Stadt zuteil: So selten sind edle, freigesonnene Menschen, so häufig Schmeichler, Schwindler und Sophisten. (12) Ich selbst nun bilde mir nicht ein, aus eigener Kraft diese Entscheidung getroffen zu haben, vielmehr ist da eine göttliche Absicht im Spiel, denn rur wen die Götter sorgen, dem schicken sie gute Ratgeber, die man nicht zu drängen braucht, und treffende, nützliche Worte. Daran solltet gerade ihr am wenigsten zweifeln, bei denen die Gottheit 4 so sehr verehrt wird, so sehr beinah jeden Tag ihre Mach t beweist durch Orakelsprüche und Träume. Glaubt nun nicht, der Gott wache nur über die Schlafenden, indem er jedem einzelnen bedeutet, was für ihn zweckmäßig ist, die Wachenden aber seien ihm gleichgültig und euch allen gemeinsam offenbare er nichts Förderliches; denn schon oft hat er Menschen, wenn sie wach waren, geholfen und am hellichten Tag die Zukunft deutlich verkündet. (13) Sicher sind euch auch die Sprüche des Apis hier im euch benachbarten Memphis bekannt, daß da Knaben beim Spiel den Willen des Gottes verkünden, der sich dann als unfehlbar erweist. Euer Gott aber ist, wie ich glaube, noch

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vollkommener: Mit Hilfe von Männern und auf ernstem Wege will er euch helfen, nicht mit wenigen Worten, sondern mit kräftigem, vollem Anrufund deutlicher Rede, die euch, wenn ihr es auf euch nehmt, mit Einsicht und Überzeugungskraft über das Notwendigste aufklärt. (14) Um nun, wie es sich gehört, mit dem Nächstliegenden zu beginnen: Glaubt zuallererst fest daran, daß alles, was den Menschen zum Besten geschieht, ohne Ausnahme göttlichen Ursprungs ist: ob man bei einer Seefahrt an einen erfahrenen Steuermann gerät, ob ein Volk oder eine Stadt tüchtige Füh_ rer bekommt, ob ein Arzt noch zur rechten Zeit am-Kranken_ lager eintrifft - auch bei ihm muß man annehmen, er komme als Helfer von Gott - oder ob man vernünftige Worte hörtauch sie sind von ihm gesandt. (15) Denn es gibt schlechter_ dings nichts Segensreiches und Heilsames, das nicht auf Grund des Willens und der Macht der Götter zu uns käme. Überall verfUgen sie über alles Gute und teilen es reichlich aus an jeden, der es anzunehmen bereit ist. Das Schlechte aber hat einen anderen Ursprung, als stammte es aus einer anderen Qgelle, einer in unserer Nähe. Es ist wie mit dem Wasser hier in Alexandreia. Das eine hält uns am Leben, nährt uns und ist tatsächlich die Grundlage unseres Seins; es kommt irgendwoher von oben herab, aus einer göttlichen Qgelle s. Die schlammigen, übel· riechenden Kanäle aber sind unser eigenes Werk, und es gibt sie nur durch unser Tun. Denn durch die Dummheit der Menschen, durch ihren Luxus und ihren Ehrgeiz wird das Leben quälend und voll von Betrug, Schlechtigkeit, Jammer und al· len anderen Übeln. (16) Dagegen haben die Götter ein einziges wirksames Mittel geschaffen, Erziehung und Vernunft: Wer sie in seinem Leben beharrlich anwendet, kommt schließlich an ein gutes und glückliches Ende. Alle aber, die nur selten und in großen Ab· ständen zu diesem Mittel greifen,

3•• 16- 18]

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leben nur einen Tag um den anderen, aber dazwischen sind sie tot. 6 schweben jedoch außergewöhnliche Gefahren über ihnen, machen sie wohl auch einmal kehrt. Wer aber mit diesem Mitte! überhaupt nicht in Berührung gekommen ist und sein Ohr niemals einem vernünftigen Wort geöffnet hat, der ist bis ins Letzte unglückselig, ohne Schutz und Schild vor dem, was ihm widerfahrt, im ungedeckten, mühevollen Leben vom Sturm geschüttelt 7 wie in einem morschen und restlos abgetakelten Schiff, allein in seinem Sinnen ohne Sinn und Elend. (n) So kommt es, daß gerade die schlechtesten und unglücklichsten Menschen am weitesten vor der Vernunft fliehen und nicht hören wollen, selbst wenn man sie dazu zwingt, wie man auch bei der Berührung allzu böser Wunden zurückschreckt und eben das der Beweis flir ihren außerordentlich gefahrlichen Zustand ist. Derart erkrankte Menschen müssen zu anderen Ärzten gehen, da sie keine besseren haben. Denn wie bei den übrigen Krankheiten gibt es auch bei der Schlechtigkeit zwei Arten der Heilung und Vorbeugung. Die eine arbeitet mit einer diäten Lebensweise und Medikamenten, die andere mit Brennen und Schneiden j sie gehört eher in die Hand von Herrschern, Gesetzen und Richtern, die Auswüchse und unheilbar Erkranktes entfernen. Besser jedoch sind diejenigen,die nicht schnell zu diesem Mittel greifen. (18) Die andere Behandlung, behaupte ich, ist Sache derer, die mit Überredungskunst und Vernunft die Seelen besänftigen und gefligig machen können. Sie sind die Retter und Beschützer aller, die noch zu retten sind, indem sie ihre Schlechtigkei teindämmen und un ter Kontrolle bringen, bevor sie den äußersten Grad erreicht hat. Aufbeide Arten von Helfern ist eine Stadt angewiesen, die Leute in führenden Stellungen jedoch sollten die milderen

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Ärzte sein. Denn mit Strafen soll man sparen, mit Belehrungen nicht. Den tUchtigen Herrscher beweist Nachsicht, den schlechten Philosophen fehlende Schärfe. Die Härte der Strafe verdirbt, die Schärfe des Wortes ist zum Retten gesehaffen. (19) Freilich scheint bei euch ein großer Mangel zu bestehen an Leuten, die sich in der zweiten Heilmethode auskennen. Denn mit ihr gewinnt man weder Reichtum noch Macht, eher zieht man sich Feindschaft, Scheltworte und Verachtung zuworum man sich vielleicht gar nicht mehr kUmmern SOllte. Wenn sie sich infolgedessen zurUckziehen und schweigen, erheben sich unter euch Streitereien ohne Ende, es gibt Prozesse, wüstes Geschrei, gefährliche und ungezügelte Zungen, Ankläger, Denunziationen, Klageschriften, einen Haufen Redner. So braucht man auch mehr Totengräber,. denke ich, wenn nicht genügend Ärzte vorhanden sind oder die Ärzte nichts taugen. (20) Schon zu Beginn habe ich mich gegen die Philosophen ausgesprochen, die nicht unter das Volk gehen und mit euch zu sprechen wagen, sondern darüber erhaben sein wollen, in Wirklichkeit aber als Nichtsnutze dastehen, den feigen Wettkämpfern gleich, die die Ringschulen und Übungsplätze bevölkern und dort zum Schein boxen und ringen, aber nicht bereit sind, ins Stadion zu gehen, weil sie Angst haben vor der Sonne und richtigen Schlägen. Allerdings ist die Sache wirklich nicht so einfach, und zwar seid ihr die Schuldigen. Denn es ist nicht leicht, den Lärm einer so großen Menge auszuhalten und Tausenden und aber Tausenden von Menschen unter die Augen zu treten ohne Gesang und Leier - gegen eure Massen das einzige Schutzmittel, bestimmten Tierfetten vergleichbar, die gegen eine gewisse Art von Leiden helfen sollen. (21) Verstünde ich nun etwas von Musik, wäre ich jedenfalls nicht ohne eine Melodie oder ein Lied hier vor euch aufge-

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treten. Nun aber steht mir dieses Mittel nicht zu Gebote, jedoch hat mir, wie ich schon sagte, ein Gott Mut gemacht, ein Gott, der auch den streitbaren Helden 'Zur Flucht treibt, mit leichter Hand ihm raubt den Sieg und dann wieder mahnend dränget 'Zum Kampfe.8 Wenn ich euch jetzt noch die Worte des Hermes zitiere, mit denen er sich in der Odyssee bei Kalypso wegen der unangenehmen Botschaft, die er bringt, entschuldigt, werdet ihr sicher sagen, ich redete dummes Zeug, und trotzdem will ich sie anfUhren: Zeus befahl mir, obwohl ich mich sträubte, hierher 'Zu kommen. Wer wohl möchte von sich aus die endlose Sahflut durchqueren, unsagbar, keine menschliche Stadt in der Nähe?9 (22) Obwohl er ein Gott ist und Flügel hat, beklagt sich Hermes also über die Wogen, über das Meer und das Fehlen von Städten und Menschen unterwegs. Ich aber, ein Mensch, ein Nichts von nirgendwoher, in einen schäbigen Mantel gehüllt, weder mit einer schönen Singstimme noch überhaupt mit einer übergewöhnlich lauten Stimme begabt, ich sollte mich nicht fürchten vor eurem Lärm, eurem Gelächter, Zorn, Gezisch und Gespött, womit ihr jedermann Schrecken einjagt und in allen Lagen stets allen überlegen seid, Bürgern wie Königen? Dazu noch höre ich Homer und die andern Dichter immer die Masse als schwierig, widerspenstig und zur Gewalttat geneigt besingen. So sagt er: (23) Stürmisch wogte das Volk, wie gewaltige fVogen des Meeres in der [karischen See, -von Winden gepeitscht aus Ost und Süd, die der Vater Zeus unter Tosen aus fVolken entsandte. 'o Bei einem anderen Dich ter heißt es: Ein unstet Vbel ist das Volk, gleicht dem Meer in jeder Weis', denn schnell wird's angefacht vom Sturm.

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Doch herrscht dann einmal TFindesstille, schwillt es an beim kleinsten Hauch; zeigt sich irgend nur ein Grund, verschlingt es selbst den Bürger sein. II (24) So verschlingt vielleicht auch ihr mich mit eurem Lärm und Tumult, der ich euch helfen will. Wenn ihr aber bleibt und mich bis zum Ende anhört, werdet ihr von aller Welt bewun_ dert werden und den Beweis liefern, daß ihr euch nicht nur auf das Schlagen der Sai ten und aufs Tanzen, sondern auch auf vernünftige Worte versteht. Dann kann ich mich gegen alle, die mir mein Auftreten hier zum Vorwurf machen und es verUr_ teilen, mit guten Gründen verteidigen. Denn sie werden mir Vorwürfe machen, davon dürft ihr überzeugt sein, und behaupten, die Sucht nach Popularität habe mich verrückt gemacht, daß ich mich einer lärmenden Menge ausgesetzt hätte. Dann möchte ich sagen können, daß nicht jede Menge zügellos ist und nicht hören will und daß der Gebildete nicht vor jeder Menge die Flucht ergreifen muß. (25) Ich will euch das Wesen des Volkes, also euer eigenes, noch genauer erklären, wenn ihr damit einverstanden seid. Auch das gehört nämlich zu den nützlichen Dingen und bringt euch vielleicht weiter, als wenn ich etwas über Himmel und Erde erzählte. Ich behaupte, daß das Volk am ehesten einem außerordentlich mächtigen Herrscher gleicht, der viel Befugnis und Gewalt besitzt, der um so mächtiger und dessen Reich um so größer ist, je zahlreicher das Volk und je stolzer die Stadt ist. (26) Von diesen Herrschern nun sind die einen Könige, Götter zum Wohl der Gemeinschaft, wahre Fürsorger und tüchtige und gerechte Leiter, die gerne von den Gütern austeilen, es aber nur selten und notgedrungen zu Härten kommen lassen und an dem geordneten Zustand der Städte ihre Freude haben. Die andern dagegen sind harte, wilde Tyrannen, mit verschlossenen Ohren und schwer zugänglich. Ihr

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Zorn flammt bei jeder Gelegenheit auf wie bei wilden Tieren, die ohren sind verstopft, und wohlgemeinte Worte haben dort keinen Zutritt, nur Schmeichelei und Täuschung gelten bei ihnen. (27) Genauso ist es auch mit dem Volk. Das eine ist vernünftig, maßvoll und wahrhaft sanft, läßt sich ein offenes Wort gern gefallen und will nicht immer nur ein bequemes Leben haben, es ist ordentlich und hält auf sich, achtet treffliche Männer und Worte und ist dankbar fur Kritik und Belehrung. Diese Art setze ich als von göttlicher und königlicher Natur, und an dieses Volk sollte man sich nach meiner Meinung wenden und mit ihm sprechen, wie man ein edles pferd mit leichter Hand einfach am Zügel fuhrt und einen Zaum nicht nötig hat. (28) Vorherrschend aber ist jene andere Art: frech und überheblich, mit allem unzufrieden, wählerisch, den Tyrannen vergleichbar und noch viel schlechter als sie, denn beim Volk ist der Fehler nicht nur vereinzelt und einfach, sondern vielfach und zusammengesetzt. Daher ist solch ein Volk ein vielgestaltiges, furchtbares Ungeheuer, wie Dichter lind Künstler etwa die Kentauren, Sphinxe und Chimären darstellen, indem sie aus verschiedenen Wesen eine einzige unnatürliche Gestalt bilden. Sich mit einem solchen Ungeheuer einzulassen und in seine Nähe zu gehen ist in der Tat das Werk eines Verrücktenoder eines außerordentlich tapferen, wie Perseus oder Bellerophontes mit Flügeln ausgestatteten Helden. (29) Zu welcher Klasse sollen wir nun das Volk von Alexandreia, das «zahllose », wie es heißt, rechnen? Ich habe mich euch zur Verfügung gestellt in der Annahme, daß ihr zur besseren Art gehört, und vielleicht würde sich auch ein Mächtigerer" als ich so entscheiden. Wirklich, ihr könntet keinen schöneren und überraschenderen Anblick haben, als euch selbst ernsthaft und aufmerksam dasitzen zu sehen. Denn es ist etwas Göttliches, etwas wahrhaft Erhabenes und Großartiges, der Anblick

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eines ruhigen und gesetzten Volkes, das nicht in lautem, unbeherrschtem Gelächter aufbraust, nicht ununterbrochen außer Rand und Band durcheinanderlärmt, sondern, so groß es auch sein mag, ganz Ohr ist. (30) Betrachtet euch selbst, wie ihr im Augenblick seid und wie ihr euch bei den gewöhnlichen Schauspielen zu verhalten pflegt! Denn jetzt, glaube ich, könnt ihr euch sehen lassen vor einfachen Bürgern wie vor Königen, und jedermann, der hereinträte, wäre überrascht und voll der Anerkennung. So hat euch meine Rede, wenn schon nichts anderes, wenigstens diesen einen nicht zu unterschätzenden Dienst geleistet, daß ihr euch eine Stunde zusammengenommen habt. Auch für die Kranken bedeutet ja schon ein wenig genossene Ruhe einen großen Schritt zur Besserung. Bei euren sonstigen Beschäfti_ gungen aber, wenn der Geist der Unordnung in euch fährt, ist es, wie wenn ein heftiger Sturm die schlammige, schmutzige See aufwühlt. Da sieht man wahrscheinlich, um mit Homer zu sprechen, nichts als Schaum und Gischt und eine Unmenge ausgeworfenen Tang 13 - das heißt bei euch: Spöttereien, Fausthiebe, Gelächter. (3I) Wer könnte wohl ein Volk in einer derartigen Verfassung loben? Sinkt ihr aus diesem Grund nicht auch in der Achtung der Herrscher? Früher soll einmal jemand geäußert ha ben: «Was kan n man schon vom Vo lk von Alexandreia sagen! Man braucht ihm nur viel Brot vorzusetzen und ein Pferderennen, alles andere ist ihm gleichgültig.» Wenn sich eine der höhergestellten Persönlichkeiten vor aller Augen schlecht benimmt, werdet ihr sie verachten und für unwürdig erklären, mag sie auch tausendmal mehr Gewalt haben als ihr. Geradesowenig könnt ihr selbst für ehrenwerte und ernsthafte Menschen genommen werden, wenn ihr so etwas tut. (32) Wißt ihr nicht, daß ein Führer oder König, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigt, am genauesten beobachtet wird und deshalb

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nichts Niedriges und Gemeines tun darf? Daß dasselbe auch 'Von einem Volk gilt, wenn es sich öfrentlich versammelt? Auch sonst, denke ich, solltet ihr euch ordentlich benehmen; jedoch ist, was ein einzelner für sich tut, noch nicht gemeinsame Sache der Stadt. Im Theater aber erkennt man das Wesen eines Volkes, und gerade dort laßt ihr alle Zügel schießen und wollt den guten Ruf der Stadt aufs Spiel setzen. Ihr macht es wie die gemeinen Weiber: Wenn sie sich schon zu Hause nicht ordentlich auffuhren, sollten sie sich wenigstens draußen gesittet zeigen; statt dessen benehmen sie sich ausgerechnet auf der Straße vollkommen daneben. (33) «Was denn», wird vielleicht jemand fragen, «ist das unser einziger Fehler, das schlechte Benehmen im Theater? Hast du uns nur darüber etwas zu sagen und sonst nichts?» Ich habe Angst, alles zugleich zur Sprache zu bringen. Und doch mag mancher behaupten, daß ich euch trotz vieler Worte noch nicht einen einzigen Rat gegeben und genau gesagt hätte, was ich euch in erster Linie vorwerfe; gerade das aber sei die Aufgabe eines Mannes, der belehren wolle. Schon jetzt glaube ich viel Nützliches gesagt zu haben fur den, der aufmerksam zugehört hat, über die Gottheit, über das Wesen des Volkes, über die Notwendigkeit, auf vernünftige Worte zu hören, auch wenn ihr davon nicht überzeugt seid. Denn das war meiner Meinung nach die dringlichste Aufgabe, euch zunächst einmal dazu zu bringen, geduldig zuzuhören. Wenn euch daher meine Rede keinen großen Dienst geleistet hat, so doch wenigstens den, daß ihr solange anständig dagesessen habt. Denn auch fur die Kranken bedeutet es einen großen Schritt auf dem Wege der Besserung, wenn sie etwas geruht haben 14. (34) Alle anderen Fragen sich vorzunehmen, und zwar an einem einzigen Tag, und euch zu zwingen, daß ihr alle eure Fehler lind Unzulänglichkeiten scharf verurteilt, ist unmöglich,

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selbst wenn ich hätte der Zungen zehn, dazu noch zehn Münder, unermüdlich wär meine Stimme und ehern das Herz mirWer/tl nicht die Musen, die Töcbter des aigisbaltenden lS Zeus vom Himmel mir künf.leten, welcb eine Schlechtigkeit berrscht unter allen,'6 nicht nur unter euch. (35) Nun seht, wie es mit der Frage, die ich angeschnitten habe, bestellt ist! Die Art, wie ein jeder bei euch zu Hause ißt, schläft oder seinen Hausstand führt, ist nicht ohne weiteres erkenntlich. Wie ihr euch aber als Zuschauer hier im Theater benehmt, das weiß jeder Grieche und jeder Ausländer. Denn eure Stadt ist durch ihre Größe und Lage ganz besonders ausgezeichnet, und von allen Städten unter der Sonne nimmt sie ganz eindeutig den zweiten Rang ein 17. (36) Ägypten, ein so gewaltiges Gebiet, ist das Gerippe oder besser ein Anhängsel eurer Stadt; die eigentümliche Natur des Flusses ist, verglichen mit allen anderen Flüssen, in ihrer wunderbaren und segensreichen Art über jede Beschreibung erhaben; im ganzen Mittelmeer habt ihr wegen der Schönheit eurer Häfen und der Größe eurer Flotte auf Grund des Überflusses und des Handels mit den Erzeugnissen aus aller Herren Ländern die Vorherrschaft angetreten; und selbst die Gewässer darüberhinaus habt ihr in eurer Gewalt, das Rote Meer und den Indischen Ozean, von dem man früher kaum den Namen hörte. So kommt es, daß der Handel nicht nur mit einzelnen Inseln und Häfen, mit Städten an Meer- und Landengen, sondern beinah mit der ganzen bewohnten Welt in eurer Hand ist. Denn eure Stadt liegt an einem Knotenpunkt der gesam ten Erde und selbst der entferntesten Völker, und, wie wenn sie der Markt einer einzigen Stadt wäre, bringt sie alle an einem Ort zusammen, macht sie einander bekann t und, soweit das möglich ist, zu einem Volk. (37) Vielleicht fi:eut ihr euch nun über meine Worte und denkt, ich hätte euch damit loben wollen wie die andern, die

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euch fortwährend Schmeicheleien sagen. Ich aber habe mehr als euch das Wasser gelobt, das Land, die Häfen, Plätze und sonst alles mögliche. An welcher Stelle hätte ich denn gesagt, daß ihr vernünftig, bedächtig und gerecht seid? War nicht das Gegenteil der Fall? An Menschen lobt man ihre zuchtvolle und ruhige Art, ihre Eintracht, ihre politische Ordnung, daß sie auf gute Ratschläge hören und nicht ununterbrochen dem Vergnügen nachjagen. Das Ein- und Auslaufen von Schiffen dagegen, die überwältigende Menge von Menschen, Waren und Schiffen gehören in ein Preislied auf eine festliche Versammlung, auf einen Hafen oder Marktplatz, nicht auf eine Stadt. (38) Lobt jemand das Wasser, ist das kein Lob aufMenschen, sondern auf Brunnen; spricht jemand von einem guten Klima, will er damit nicht sagen, daß die Bevölkerung gut ist, sondern die Gegend; spricht er von Fischen, meint er nicht die Stadt - wie sollte er auch -, sondern das Meer, einen See oder Fluß. Ihr aber bildet euch etwas ein, wenn jemand den Nil preist, als wäret ihr selbst es, die von Äthiopien herabgeflossen kämen! Auch bei den andern Menschen haben in der Regel die meisten an solchen Dingen ihre Freude: die einen schätzen sich glücklich, wenn sie, um mit Homer zu sprechen, auf einer «haumreichen» oder «tiefbuchtigen» Insel wohnen, auf dem Festland «mit guten Weiden» oder «mit vielen Herden», im «schattigen Gebirge» oder an «durchsichtigen Qgellen»'8; aber nichts davon gehört eigentlich zu ihnen, und an die Tugend denken sie nicht im Schlaf. (39) Ich habe das nicht erwähnt, um euch stolz zu machen oder um mich mit den Leuten, die diese Dinge zu preisen pflegen, mit den Rednern und Dichtern, auf eine Stufe zu stellen, denn sie sind große, mächtige Sophisten und Zauberer. Was ich zu sagen habe, ist den Worten nach bescheiden und gering, allerdings nicht dem Inhalt nach. Die Worte an sich sind nicht bedeutend, aber sie haben es mit sehr Bedeutendem zu tun. So

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wollte ich euch mit dem, was ich jetzt über die Stadt gesagt habe, klarmachen, daß nicht unbemerkt und nicht nur VOr einigen wenigen, sondern vor aller Welt geschieht, was ihr falsch macht. (40) Ich sehe nämlich nicht nur Griechen und Italer unter euch, Leute aus Syrien, Libyen und Kilikien, nicht nur Besucher aus dem fernen Äthiopien und Arabien, sondern auch Baktrer, Skythen, Perser und sogar einige Inder; sie alle sind Zuschauer wie ihr und erscheinen hier bei jeder Gelegen_ heit. Während ihr also, sagen wir einem einzigen Sänger zuhört, den ihr zudem schon gut kennt, hören euch unzählige Völker zu, die euch nicht kennen, und während ihr drei oder vier Wagenlenkern zuseht, sehen euch zahllose Griechen und zahllose Ausländer zu. (41) Was, glaubt ihr wohl, werden diese Leute, an die Enden der Welt zurückgekehrt, berichten? Etwa: «Wir haben eine in so vielem wunderbare Stadt gesehen, ein Schauspiel, herrlicher als alle menschlichen Schauspiele durch den Prunk der Tempel, die Menge der Bürger und die Flille von allem, was man zum Leben braucht.» Möglichst genau werden sie ihren Landsleuten alles erzählen, wovon ich kurz zuvor gesprochen habe, vom Nil und dem Land, vom Meer und, was das Größte ist, von der Erscheinung des Gottes. Dann werden sie allerdings auch sagen: «Auf Gesang und Pferderennen ist die Stadt versessen und benimmt sich dabei auf eine ihrer unwürdige Weise. Wenn die Einwohner opfern, für sich alleine gehen oder sonst etwas machen, sind sie ganz normal. Sobald sie aber ins Theater oder ins Stadion kommen, ist es so, als lägen fiir sie dort Zauberpflanzen vergraben: Alles ist vergessen, und man schämt sich nicht, zu sagen und zu tun, was einem gerade in den Sinn kommt. (42) Aber das Allerärgste : Ganz aufs Sehen aus, sehen sie nicht, und obwohl sie hören wollen, hören sie nicht. Ganz offensichtlich sind sie außer sich und von Sinnen, nicht nur Männer, auch Kinder und Frauen. Ist dann das furchtbare

AN DIE ALEXANDRINER 435 schauspiel zu Ende und sind sie auseinandergegangen, hat sich der größte Sturm gelegt. Aber bei Zusammenkünften und auf den Gassen rings in der Stadt hält er noch manchen Tag an, wie nach einem gewaltigen Brand noch lange Zeit Rauch und schwelende Trümmer zu sehen sind.» (43) Von den Persern oder Baktrern wird der eine oder andere vielleicht sagen, daß sie selbst wohl zu reiten verstünden und so etwa als die besten Reiter gälten, denn sie betrieben diesen Sport für ihre Herrschaft und Freiheit, daß so etwas bei ihnen jedoch noch nicht vorgekommen sei. Ihr selbst aber, die ihr noch nie ein Pferd angerührt oder bestiegen habt, könnt euch nicht zusammenreißen, sondern gebärdet euch wie Lahme, die sich über einen Wettlauf ereifern. Auf diese Weise habt ihr trotz eurer Feigheit und kriegerischen Untauglichkeit schon manches Reitergefecht gewonnen 19 • (44) Seht nur zu, daß diese Leute über euch nicht wahrer sprechen, als der Skythe Anacharsis' o von den Griechen erzählt haben soll. Er galt als einer der Weisen und kam nach Griechenland, um, wie ich vermute, Sitten und Menschen kennenzulernen. Er erzählte nun, in jeder griechischen Stadt gebe es einen bestimmten Ort - er meinte das Gymnasion -, an dem sich die Menschen Tag für Tag wie verrückt gebärdeten. Wenn sie gekommen seien, zögen sie sich aus und salbten sich mit einer Salbe, und sie sei es, die den Wahnsinn in ihnen errege. Denn sofort begännen sie zu laufen, würfen sich gegenseitig auf den Boden, kämpften mit erhobenen Händen gegen Luftgespinste und ließen sich verprügeln. Dann schabten sie die Salbe ab und seien auf der Stelle wieder normal, seien freundlich zueinander und gingen mit gesenktem Kopf weg, weil sie sich über das Getane schämten. (45) Anacharsis sagte das zum Scherz und machte sich, wie ich glaube, über eine an sich nicht schlechte Sache lustig. Aber was soll man von euch sagen? Mit was für einer Salbe salbt ihr euch denn, wenn ihr zusammenkommt, euch mit Fäusten be-

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arbeitet, schreit, euch auf den Boden werft und herumtanzt? Offensichtlich mit einer Narrensalbe. Wie wenn ihr euch die Vorführung nicht auch manierlich ansehen könntet! Glaubt nun ja nicht, ich sei der Meinung, daß es so etwas in den Städ_ ten überhaupt nicht zu geben brauche! Man wird kaum darauf verzichten können mit Rücksicht auf die Schwachheit und Untätigkeit der Masse, und vielleicht brauchen auch die Besseren einmal etwas Erholung und Abwechslung im Leben. Aber Leute, die etwas auf sich geben, bewahren dabei ordentliche Haltung. (46) Denn deswegen, weil ihr euch anständig benehmt, wird kein Pferd langsamer laufen und kein Sänger schlechter singen. Aber jetzt? Fällt nur ein Wagenlenker Vom Wagen, ist es schrecklich fur euch und bedeutet den allergröß_ ten Unfall; ob ihr selbst aber aus der richtigen Ordnung fallt und eure Selbstachtung vergeßt, ist euch gleichgültig. Ein Sänger braucht bloß einmal drauszukommen und den Ton nicht zu treffen, so merkt ihr es; wenn ihr selbst aber vollstän_ dig aus der natürlichen Harmonie kommt und euch äußerst mißtönend verhaltet, macht euch das nichts. (47) Und doch, wie viele von euch sind darüber schon zugrunde gegangen! Ihren guten Ruf zumindest haben alle eingebüßt. Machten die Sirenen denn nach dem, was die Sage erzählt, etwas anderes? Ließen sie nicht alle umkommen, die zu begeistert von ihnen waren? Aber die Sirenen hausten wenigstens im weiten Meer fern von den Menschen fur sich auf einem Felsen, wo so schnell keiner ihnen begegnete; und selbst dort konnte sich ein Mann 21 mit Verstand noch retten und ihnen in Ruhe zuhören. Diese Schausteller in Alexandreia jedoch treiben ihr Geschäft sozusagen im Herzen der bewohn ten Erde, in der volkreichsten aller Städte, aber nicht, beim Himmel, zu ihrem eigenen Vergnügen oder aus eigenem Vermögen, sondern um eurer Torheit willen. Wie kommt es, daß man andernorts diesen Leuten zuhört wie jedem übrigen auch und sie häufig sogar unange-

AN DIE ALEXANDRINER 437 nehm findet? Haben sich die Leute dort etwa die Ohren zugeklebt? (48) Nun, was beweist das? Ganz gewiß nicht die Gewalt der Musik oder einen hohen Grad an Können, sondern die Oberflächlichkeit der Zuhörer und die Schwäche eurer Stadt. Von einigen, die aus diesem Grund den Untergang fanden, heißt es ja sogar, sie hätten in einem Anfall jugendlichen Übermuts nicht versucht, dem Tod zu entrinnen, sondern ihn geradezu heraufbeschworen, um sich ein längeres Nachleben zu sichern. Aber das ist doch eine merkwürdige Sache, die Schande und Gelächter über die Stadt bringt, wenn anderswo Helden und Tyrannenmörder, die ihr Leben für die Rettung des Vaterlandes geopfert haben, im Gedächtnis fortleben, während man bei euch diesen Lohn bekommt für das Saitenspiel, um einer kleinen Freude, besser, um eitlen Ruhmes willen. (49) Denn nicht Freude, sondern leerer Wahn ist es, der sie ihr Leben aufs Spiel setzen läßt. Ja, so groß ist das Mißgeschick dieser Ungliickliehen, daß sie das Allerunmännlichste für männlich, das Niedrigste flir erhaben halten. Ich für meine Person möchte lieber als Räuber sterben als aus einem solchen Grund. Das eine ist der Tod eines heruntergekommenen Mannes, das andere der eines armseligen Sklaven. Mit dem einen ist es vielleicht soweit gekommen, weil ihm Unrecht geschehen war und er jenseits der Gesetze zu seinem Recht zu gelangen suchte; hätte ihn ein solches Verhängnis nicht ereilt, hätte er vielleicht sogar eine edle Tat vollbringen können. Der andere aber findet ein ruhmloses Ende nur wegen des sinnlosen Geschreis über einen mißglückten Ton, eine schlechte Modulation oder unmelodisehe Schnörkel, durch Geschwätz, Gemeinheit und Zerstörungswut. So aber stirbt eine Fliege, denn auch die Fliegen müssen sterben an allem, was zu kosten ihnen süß schein t. (so) Was ist nun so Großartiges daran, ihr vom Unheil Besessenen? Für Gerechtigkeit und Tugend, flir ererbte Rechte und Ge16

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setze und, wenn es sein muß, auch für einen vortrefflichen König seine Kraft und sein Leben einzusetzen, das beweist die edle Seele, die nicht am Leben hängt. Sich aber um einer Saiten_ spieleI-in willen aufhängen, das macht nur der gemeine Auswurf, der nicht zu leben verdient. Welche Schande! Aber lassen wir diese Leute! Doch euer Verhalten beim Zuschauen, ist es nicht erbärmlich und voller Mutwillen? Dieses Sich recken und Hinstarren, das Herz beinah auf den Lippen zu haben - man könnte meinen, ihr nähmt durch die Ohren die Glückseligkeit in euch auf -, einen erbärmlichen Menschen Retter und Gott zu nennen! Welch lautes Gelächter, denkt ihr wohl, werden die Götter über euch anstimmen, wenn ihr dann wieder vor ihnen niederfallt, auf dieselbe Weise mit ihnen verkehrt und die Gottheit mit denselben Worten zu verehren gezwungen seid? Aber der Gott ist wohl nachsichtig, weil er Gott ist, und nimmt die Torheit der großen Menge nicht schwer. (SI) Deshalb hat er euch auch wie Kindern Männer, die vernünftiger als die Stadt sind, als Erzieher beigegeben", mit deren Hilfe ihr eure Sache im Theater und auch sonst besser macht. Wie brächtet ihr es sonst fertig, die Hände voneinander zu lassen? Und doch, könnt ihr euch Menschen vorstellen, fur die die Freiheit nicht vorteilhaft ist? «Beim Zeus», höre ich euch sagen, «selbstverständlich ist sie das. Aber singt man denn nicht auch in anderen Städten, spielt Flöte, läuft um die Wette und macht alles, was auch bei uns und sonstwo gemacht wird?» Natürlich, aber nirgends findet man eine derartig leidenschaftliche Besessenheit für diese Dinge. (52) Ihr wißt, daß die Rhodier, eure nahen Nachbarn, in Freiheit und aller Sicherheit leben. Bei ihnen gilt sogar schon das Laufen in der Stadt als ungehörig, und selbst den Fremden macht man ihr nachlässiges Gehen zum Vorwurf. So ist es nur ganz natürlich, wenn die

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Rhodier einen guten Ruf genießen und ihnen lauter Ehren zuteil werden 2 3 • Denn weil sie in erster Linie Achtung vor sich selbst haben und nichts Unüberlegtes tun, werden sie selbstverständlich, wie ich glaube, auch von den andern und von den Machthabern geachtet. Auch sonst wird man finden, daß die Vernünftigen in der Regel das gleiche tun wie die Unvernünftigen, sie essen, lustwandeln, spielen und gehen ins Theater, (53) denn naturgemäß hat man viele gleiche Bedürfnisse. Und doch ist in dem allen ein Unterschied. Schon beim Essen benehmen sich die einen nicht unfein und rüpelhaft, sondern gesittet und höflich, da sie mit einem Mahl, nich t mi t einem Saufgelage beginnen, und sind zu ihren Gästen freundlich, nicht hochfahrend. Die andern dagegen betragen sich roh und unbeherrscht, lärmen und werfen alles durcheinander, wenn sie zornig werden oder lachen, reißen sich die Speisen vom Mund weg, statt sie einander anzubieten, und räumen schließlich das Feld, nicht ohne ihren Zechkumpanen einen Streich gespielt oder auch von ihnen etwas eingesteckt zu haben, wie man sich etwa vom Gelage der Kentauren 24 erzählt. (54) Wozu aber soll ich alles einzeln aufzählen? Das Gehen zum Beispiel, das doch allen Menschen gemeinsam und gewiß ganz einfach ist, verrät bei dem einen sein ruhiges Wesen und seine Achtsamkeit auf sich selbst, bei dem andern Fahrigkeit und Unverschämtheit: Er kommt hastig auf einen zu, spricht im Gehen, rempelt im Fallen jemand an und rauft sich mit dem Nächsten. Genauso sind auch beim Zuschauen die einen unersättlich und stürzen sich gierig auf alles ohne Unterschied, während die andern gesetzt und ruhig der Vorstellung beiwohnen. (55) Bei euch ist es nicht so. Voller Aufregung sitzt ihr da, springt schneller als ein Tänzer auf, seid gebannt von den Gesängen. Die andern Menschen treibt die Trunkenheit zum Singen und Tanzen, bei euch ist es umgekehrt: Der Gesang macht euch berauscht und verrückt. Die Wirkung des Weines

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ist, daß man nicht mehr klar denken kann, sondern zu allerlei Ungereimtheiten gezwungen wird, wenn man sinnlos und unmäßig getrunken hat. Leute aber, die vom Gesang berauscht und noch viel erbärmlicher dran sind als die vom Wein Berauschten - weil sie sich gleich von Anfang an in diesem Zustand befinden und nicht wie beim Gelage erst Schritt fur Schritt hineingeraten -, solche Leute sind nur hier zu sehen. (s6) Von einigen ausländischen Völkern wird erzählt, daß man sich dort durch den Dampfirgendwelchen Räucherwerks sanft umnebeln läßt; dann sind diese Menschen heiter, stehen lachend auf und benehmen sich in allem wie Betrunkene, nUr etwas Schlechtes tun sie einander nicht an. Unter den Griechen aber seid ihr die einzigen, bei denen Ohren und Stimme diesen Zustand hervorrufen, nur daß ihr noch lächerlicher daherredet, noch erbärmlicher torkelt und noch mehr den richtig Betrunkenen gleicht. Dabei sind die Gaben der Musen und des ApolIon doch sanft und gefallig. Ihn nennt man nämlich auch den «Heilenden» und «Unheilabwehrer», da er das Unheil abwendet und in Leib und Seele Gesundheit, nicht Krankheit und Wahnsinn schafft; die Musen aber bezeichnet man als jungfräuliche Wesen wegen ihrer zurückhaltenden und maßvollen Art. (S7) Dann glaubt man, die Musik sei erfunden, um die Menschen von ihren Leidenschaften zu heilen und vor allem rohe, wilde Gemüter zu besänftigen. Aus diesem Grund stimmen sich auch einige Philosophen in der Morgenfrühe nach der Leier ein und legen dabei ihre Erregung durch die nächtlichen Träume ab. Ferner opfern wir den Göttern mit Musik, um in einer guten, ruhigen Verfassung zu sein. Daneben gibt es freilich noch eine andere Art von Flötenspiel und Gesang, nämlich bei der Trauer. Dabei will man, glaube ich, das Harte und Unerbittliche des Schmerzes heilen, den Kummer mit Gesang, der kaum merklich mit Klagen gemischt ist, lindern, wie der Arzt eine

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entzündete Wunde anfeuchtet und aufweicht, um sie schmerzlos zu machen. (58) Nicht minder hält man die Musik mit ihrer Wirkung auch bei Geselligkeiten für angebracht, da sie ganz von selbst Gleichgewicht und Ordnung in die Seele bringt und das Verführerische des Wein genusses durch eine verwandte Macht besänftigt, indem sie sich gleichsam mit ihm vermischt und ihn in maßvollen Grenzen hält. Das alles ist jetzt auf den Kopf gestellt und ins Gegenteil umgeschlagen. Nicht von Musen, von Korybanten seid ihr besessen, und ihr macht aus den Fabeln der Dichter Wahrheit. Bei ihnen treten von der Musik rasend gemachte Bacchantinnen und Satyrn auf. Bei euch fehlen zwar die Felle von Hirschkälbern und die Thyrsosstäbe 2 S, auch tragt ihr keine Löwen auf den Armen 26, in allem andern aber kommt ihr mir genau wie Nymphen und Satyrn vor. (59) Immer seid ihr ausgelassen und habt eure Freude an Lachen und Tanzen. Nur sprudelt bei euch, wenn ihr durstig seid, kein Wein von selbst irgendwo aus einem Felsen oder Wiesengrund hervor, und auch Milch und Honig könnt ihr nicht so leicht bekommen, indem ihr einfach «mit den Fingerspitzen die Erde aufkratzt» 27 , ja nicht einmal das Wasser kommt von selbst zu euch nach Alexandreia; auch über das Brot könnt ihr wohl kaum selbst verfügen, sondern empfangt es aus der Hand von Mächtigeren. Deshalb wäre es vielleicht an der Zeit, mit dem bacchantischen Unfug Schluß zu machen und mehr auf euch selbst achtzugeben. Wenn ihr jetzt nur den Ton einer Saite hört, könnt ihr nicht mehr friedlich bleiben. Als hättet ihr Trompetenschall vernommen! (60) Ihr wollt doch wohl nicht die Spartaner nachahmen? Es heißt ja, daß sie in alten Zeiten unter Flötenspiel in den Kampf gezogen seien. Ihr tut es zum Klang der Zither. Oder wollt ihr, da ich schon einmal das Volk mit einem König verglichen habe, von dem gleichen Übel wie Nero befallen sein? Aber auch der hatte nichts von seinem allzu großen Kunsteifer und

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seiner Begeisterung für die Musik. Wieviel besser wäre es da, sich den jetzigen Kaiser'8 , der auf Erziehung und Vernunft etwas hält, zum Vorbild zu nehmen! Wollt ihr nicht diese häßliche und unbändige Leidenschaft ablegen? Wollt ihr euch nicht hüten, euch über andere lustig zu machen, und das VOr Leuten, die, wenn ich so sagen darf, nichts Bedeutendes und der Bewunderung Wertes zu bieten haben'9 ? (61) Wenn Ismenias bei euch die Flöte bliese, der alte Timotheos bei euch sänge oder Arion, der, wie die Sage erzählt, mit seinem Gesang die Delphine im Meer zum Schiff lockte und dann, als er durch eine unglückliche Fügung ins Meer geworfen worden war, von ihnen auf den Rücken genommen und gerettet wurde 30 - wenn einer dieser Künstler vor euch aufträte, was geschähe dann erst mit euch? Unter den Leuten hier aber gibt es keinen Amphion und keinen Orpheus. Denn Orpheus war der Sohn einer Muse, diese aber sind von der Unmuse selbst geboren! Sie haben das ehrwürdige Reich der Töne entstellt und zerstört und auf jede erdenkliche Weise die alte Musik verschandelt. (62) Wer von ihnen ist denn noch imstande, einen vollendeten Gesang oder einen edlen Rhythmus darzubieten? Wie schlechte, nichtsnutzige Köche mixen sie ein Potpourri aus Weibergeplärr, Tanzgeleier und trunkenem Geträller, und nur auf ein piebeisches und verzogenes Publikum machen sie mit ihren Weisen Eindruck. Deshalb hat auch ihr vergessenes Treiben bei euch nicht von Schwan und Nachtigall seinen Namen bekommen, sondern ihr vergleicht es, wie es scheint, mit dem Gewinsel und Gebell von Hunden. Ich wußte wohl, daß Philosophen 31 nach Hunden genannt werden, kynische Sänger aber gibt es allein bei euch. Amphion umgab, wie die Sage erzählt, eine Stadt unter den Klängen seiner Musik mit Mauern und Türmen, diese Leute aber bringen die Stadt ins Wanken und zerstören sie. Orpheus zähmte die wilden Tiere durch seinen Gesang und machte sie für Musik empfänglich, diese Männer

AN DIE ALEXANDRINER 32,62-65] 443 aber haben euch, die ihr doch Menschen seid, wild und bar jeglicher Kultur gemacht. (63) Ich kann euch noch eine andere Geschichte erzählen, die ich von einem Phryger, einem Verwandten des Aisopas, gehört habe, als er sich einmal hier aufhielt. Sie handelt von Orpheus und euch selbst und ist noch merkwürdiger und länger als eure Scherze. Gebt nun acht, wenn ihr sie hören wollt, und seid mir nicht böse! Er erzählte also, daß Orpheus in Thrakien und Makedonien seine Lieder gesungen habe, wie es heißt, und daß die Tiere dort zu ihm gekommen seien, eine große Menge, denke ich mir, von allem möglichen Getier, vor allem aber befanden sich Vögel und Schafe darunter. (64) «Löwen und ähnliche Tiere», so erzählte er, «waren wegen ihrer Stärke und Wildheit mißtrauischer und kamen entweder überhaupt nicht näher oder gingen sofort wieder weg, da sie an dem Gesang keinen Gefallen fanden. Um so mehr aber waren es die Vögel und Schafe, die zu ihm kamen und sich nicht mehr von ihm trennten, die Schafe, wie sich denken läßt, wegen ihrer gutmütigen und zutraulichen Art, die Vögel, weil sie an sich schon ein musikalisches und sangesfreudiges Völkchen sind. Solange nun Orpheus lebte, folgten sie ihm von allen Seiten und hörten ihm, während sie weideten, zu, denn meistens hielt er sich im Gebirge oder in Wald tälern auf. Nach seinem Tod aber jammerten sie über ihre Verlassenheit und konnten sich nicht fassen. Da bat Kalliope, die Mutter des Orpheus, den Zeus aus Liebe und Freundschaft zu ihrem Sohn, er möchte doch ihre Körper in menschliche Leiber verwandeln, die Seelen jedoch könnten bleiben, was sie seien.» (65) Der Rest der Geschichte nun wird schwierig, und ich habe Bedenken, ihn euch in aller Klarheit zu erzählen. Der Phryger sagte nämlich, aus diesen Tieren sei ein Stamm der Makedonen hervorgegangen und dieser Stamm sei später unter Alexander herübergekommen und habe sich hier angesie-

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delt. Das sei der Grund, weshalb das Volk von Alexandreia stärker als jedes andere vom Gesang so hingerissen sei und, wenn es nur den Ton einer Zither höre, außer sich gerate und in Erinnerung an Orpheus erschauere. Es sei auch von leicht_ fertigem und unverständigem Wesen, da es eben einen solchen Ursprung habe, während die übrigen Makedonen mannhaft, kriegerisch und von entschlossenem Charakter seien. (66) Er sprach auch von den Sängern in eurer Stadt und erzählte, daß alle übrigen Tiere im Zusammensein mit Orpheus sich über seine Lieder ausschließlich gefreut hätten und VOn ihnen gefesselt gewesen seien, ohne es ihm jedoch nachmachen zu wollen. Nur einige Hunde, ein freches und neugieriges Gesindel, hätten sich in der Musik versucht und gleich beim Weggehen für sich geübt. Als sie dann zu Menschen geworden seien, hätten sie an der Ausübung der Musik festgehalten, und eben das sei die Sippe der Sänger. Weil sie nun schlechterdings aus ihrer Natur nicht herauskönnten, hätten sie einen kleinen Teil vom Unterricht des Orpheus wohl behalten, im großen und ganzen aber sei ihrem Gesang der Hundecharakter geblieben. (67) So sprach der Phryger im Scherz. Ich aber will euch erzählen, was die Spartaner gemacht und wie sie sich einem damals unter den Griechen viel bewunderten Sänger gegenüber verhalten haben. Weil er ihnen nämlich zu süßlich und übertrieben vorkam, nahmen sie ihm, anstatt ihn zu ehren, die Zither weg, schnitten die Saiten heraus 3' und verwiesen ihn der Stadt. So argwöhnisch betrachteten sie diese Beschäftigung und schützten ihre Ohren, damit das Gehör nicht verdorben und unnötig schwelgerisch werde. Ihr aber seid auf so erniedrigende Weise Sklaven einer derartigen Lust. (68) Euch ist es auch zuzuschreiben, wenn mir selbst Redner und Philosophen zum Teil davon betroffen zu sein scheinen. Allerdings kann man nur schwer sagen, wer ein Redner

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ist, denn da sie eure leidenschaftliche Begeisterung fUr die Musik sehen, singen auch sie ohne Ausnahme, Redner wie Sophisten, und alles wird mit Gesang gemacht. Kommt man daher an einem Gericht vorbei, läßt sich nicht so leicht erkennen, ob da drinnen getrunken oder Recht gesprochen wird. Steht das flaus eines Sophisten in der Nähe, wird man von seinem Unterricht nichts bemerken. Wenn das so weitergeht, wird man vermutlich bald auch im Gymnasion seine Übungen nach Musik machen und mit Musik die Kranken heilen, denn über ihre Kunst unterhalten sich die Ärzte jetzt schon singend mit uns. (69) Insgesamt scheint das Leben beinah zu einem einzigen Gelage geworden zu sein, freilich nicht erfreulich und gemütlich, sondern wild und ausgelassen, zu einem kunterbunten Gelage von Tänzern, Pfeifern und Mördern. Jedenfalls ist zwischen den Spartanern und euch ein himmelweiter Unterschied, denn sie waren, wie ich schon sagte, in diesem Punkt auf der Hut. Zum Herrschen befähigt, standen sie viele Jahre an der Spitze Griechenlands und blieben stets Sieger über alle Barbaren. Ihr aber seid nicht einmal imstande, euch richtig beherrschen zu lassen. Und so wäret ihr, hättet ihr mit euren Herren nicht Glück gehabt, vermutlich kaum noch am Leben. (70) Als Beweis fUhre ich die letzten Ereignisse eurer Geschichte an. Als ihr noch unabhängig wart, gab sich da nicht euer König 33 mit dem Flötenspiel ab und widmete ihm allein seine Aufmerksamkeit?Wart ihr selbst nicht empört über ihn und in Parteien gespalten, wobei jede für sich auf den Untergang des Staates hinarbeitete - die Simaristen und wie die Parteien alle hießen? Zwangt ihr deshalb nicht den König zu fliehen und dann als Feind mit Hilfe der Römer wiederzukehren? Kurz: Wie er mit seinem Flöten, habt ihr mit eurem Tanzen die Stadt zugrunde gerichtet. (71) Und heute? Obwohl ihr so großzügige Statthalter habt, habt ihr sie selbst argwöhnisch gegen euch gemacht,

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so daß sie eine sorgfältigere Überwachung als bisher fur angebracht hielten. Soweit habt ihr es gebracht, durch eure Überheblichkeit, nicht etwa durch eine Verschwörung! Würdet ihr denn überhaupteinenAbfall wagen? Würdet ihr auch nur einen Tag kämpfen? Reichte bei den vergangenen Unruhen der Mut der Menge nicht nur zum Spotten? Waren es nicht verschwin_ dend wenige, die in ein oder zwei Fällen, wie man etwa auf Vorübergehende etwas herabschüttet, warfen, was gerade zur Hand war, um sich dann sofort singend zu Tisch zu legen? Gingen nicht andere zu den Häfen hinaus, um dort wie auf einem Fest zu zechen? (72) Und sicher erinnert ihr euch noch an den komischen Zwischenfall mit jenem vortrefflichen Konon 34 und was er mit euch machte. Er ging an eine Stelle, an der ihr in besonders dichten Haufen zusammenstandet, grenzte eine ziemlich kleine Fläche ab und erklärte, wenn er selbst dorthin gelangen könne, sei er der Sieger und ihr müßtet das Feld räumen und in eure Häuser zurückkehren; wenn ihr aber mit vier oder ftinfSchritten siegen könntet, versprach er zu gehen. Diesen Vorschlag machte er, um euch zu schonen, und spielte lächelnd mit euch wie mit kleinen Kindern. Denn die Truppen standen bereit, er aber ließ keinen Soldaten Hand an euch legen, da er euch alle wehrlos und dem Untergang verfallen sah. Was geschah? Voreilige Hi tzköpfe, die um jeden Preis aufeinen völligen Umsturz aus waren, griffen später zur Gewalt und ließen nicht locker, bis ihr den Krieg zu kosten und das Furchtbare am eigenen Leib zu spüren bekamt. (73) Warum erwähne ich das eigentlich? Damit ihr die natürlichen Folgen einer solch verrückten Lebensweise erkennt. Denn wer so versessen auf wertlose Kleinigkeiten ist, so gedankenlos und unbeherrscht in den Dingen des täglichen Lebens, der kann sich auch sonst nicht zusammennehmen und über wichtigere Dinge vernünftig beraten. Leichtfertigkeit und Gedankenlosigkeit nämlich bleiben nicht bei Kleinem stehen,

AN DIE ALEXANDRINER 447 noch kennt der Unverstand eine Grenze für seine Fehler, vielmehr macht er sich an alles ohne Unterschied heran und nimmt alles mit der gleichen Unbeschwertheit in Angriff. (74) Glaubt nur nicht, es gehe um Kleinigkeiten, wenn jemand mit euch über das Durcheinander im Theater spricht! Schrittweise Einbußen fuhren schnell zur Armut, aber nicht so schnell, wie eure einzelnen Fehler die Verderbnis fortschreiten lassen,die schließlich, immer mehr angewachsen, in die restlose Vernichtung fUhrt. Soviel zu eurem Theaterunwesen. Geht ihr aber ins Stadion, wer könnte da noch das Geschrei und den Lärm und die verzweifelten Anstrengungen schildern, die Verrenkungen und Verfärbungen und zahllosen schweren Flüche, die ihr ausstoßt! Wenn ihr nich t den Pferden, die doch ans Laufen gewöhn t sind, beim Wettrennen zusähet, sondern selbst wie in der Tragödie von Peitschen 3S getrieben würdet, könnte es mit euch nicht schlimmer stehen. (75) Selbst den lxion, glaube ich, laßt ihr noch zum Gespött werden, der, wie es bei den Dichtern heißt, auf ein Rad gebunden und für ein solch schweres Verbrechen wie das eure gestraft wurde. Stellt euch doch einmal vor, ein Gott träte in eure Mitte und riefe mit lauter Stimme: «Umelige ihr, ihr rast und herget nicht mehr im Innern Speise und Trank. 36 Warum seid ihr so erregt? Was für eine Leidenschaft ist das? Was ftir ein Kampf? Der Verfolger ist doch nicht Pelops, auch nicht Oinomaos oder Myrtilos 37 , und es geht nicht um ein Königreich, nicht um eine Frau, nicht um Leben und Tod, nein, es ist ein Kampf zwischen Sklaven um ein bißehen Silber. Bald unterliegen sie, bald siegen sie, aber immer sind sie Sklaven.» (76) Wenn er so spräche, was woll tet ihr an tworten ? Oder würdet ihr ihn in einem solchen Augenblick womöglich überhaupt nicht hören, selbst wenn der Ahnheno38 des Pelops in eigener Person mit euch spräche?

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Wo kann man da Hilfe finden? Welche Gottheit muß man versöhnen? In Olympia steht mitten in der Rennbahn ein Altar des Poseidon Taraxippos 39, dort, wo früher die Pferde sehr häufig scheuten und ein großer Teil der Wagen zerbrach. Da wohl eine Gottheit ihre Hand im Spiel hatte, beschlossen die Eleer, einen Al tar zu setzen. Fortan soll diese Stelle nich t mehr gefähr_ lich gewesen sein. (77) Noch viel mehr rate ich euch, diesen Gott zu versöhnen und ihm einen derartigen Altar zu setzen, aber beim Himmel, nich t um der Pferde, sondern um euer selbst willen, damit sich eure Sinne nicht verwirren und ihr nicht aus der Ordnung fallt. Denn es mag sein, daß das ganze Unglück das Werk einer Gottheit ist und ziemlich gründlicher Abhilfe bedarf. Man erzählt, daß sich in alten Zeiten auf Kreta eine Königin, eine Tochter des Sonnengotts, in einen Stier verliebt und nach ihrer Vereinigung mit ihm ein wildes, mächtiges Ungeheuer geboren habe 40. Ebenso, fürchte ich,könnte die Pferdeliebhaberei in eurer Stadt auch euch mit der Zeit ein außerge_ wöhnliches Unglück bringen. (78) Auch in Athen soll einmal dasselbe Tier, das bei euch so hoch im Kurs steht, geliebt worden sein, und noch heute gibt es in der Stadt eine Stelle, die «Heiligtum des pferdes und des Mädchens» genannt wird. Der Vater ließ nämlich seine Tochter zusammen mit dem Pferd einschließen, und auf diese Weise soll das Mädchen umgekommen sein. (79) Seht nur zu, daß nicht auch ihr infolge einer solchen Leidenschaft zugrunde geht! Welcher Homer, welcher Mensch könnte beschreiben, was hier geschieht? Denn bei Homer eilen die Wagen beim Rennen nicht so tief am Boden hin und springen dann in die Höhe, wie man eure Seelen fallen und in die Höhe springen sehen kann. Ich zitiere ihn, um euch wenigstens eine kleine Freude zu machen: Bald nun streiften die Tragen die pielernä'hrende Erde, bald aber sprangen sie hoch in die Luft. Die Wagenlenker

standen irl ihren Ko·rben, und jedem, des Sieges begierig, schlug das Herz in der Brust, und jeder rief seinen Rossen mahnend. 41 (80) In diesen Versen stellt Homer die Wagen lenker als ehrgeizige Wettkämpfer dar, das Publikum aber sieht in aller Ruhe zu, wie es sich gehört. Nur gegen Schluß42 läßt er Aias den Lokrer als Zuschauer sich einigermaßen schlecht benehmen und den Idomeneus wegen der Pferde des Eumelos beschimpfen. Er ist es aber auch, der sich später bei der Eroberung Troias an Athene vergeht, deswegen vom Blitz getroffen und so fur alle andern der Schuldige wird an Sturm und Schiffbruch 43 . Denn wer in diesen Dingen dreist und vorschnell ist, kann sich auch sonst nicht zusammennehmen, wie ich schon sagte. (8r) Da habt ihr also ein solches Beispiel von Schlechtigkeit und Unverstand in einem, von Menschen, die es auch bei euch gibt, allerdings mit dem einen Unterschied, daß hier niemand in der Lage ist, wie jener zu kämpfen, Heldentaten zu vollbringen und Städte zu erobern. Bei euch bleibt keiner beim Zuschauen auf seinem Platz, sondern noch viel schneller als die Pferde und Wagenlenker fliegt ihr dahin, und es ist lächerlich, wie ihr die Pferde anfeuert, die Zügel haltet, die Verfolgung aufnehmt, an der Spitze liegt und stürzt 44 . Nicht übel hat das einer dieser nichtsnutzigen Dichter 4S parodiert: (82) Bald nun streiften die Wagen die vielernährende Erde, bald aber sprangen sie hoch in die Luft. Die Zuschauer aber standen weder auf ihren Sitzen noch saßen sie ruhig, bleich von Furcht und Entsetzen und voll von KampJeseifer riefen einander sie zu, erhoben die Hände zu allen Göttern empor, und jeder gelobte große Geschenke. TFie das Geschrei ertont von Kranichen oder von Dohlen, wenn sie vom Gerstensaft oder vom TFeine die Fülle genossen, unter lautem Gekreisch zu des Stadions Bahn sie fliegen; wie eine TFolke von Staren oder von Krähen daherfliegt

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(83) lauthaI.' schreiend, wenn sie pon ferne sehen ein Pferd nur, das den Menschen, weil keinen Verstarld sie haben, den Tod bringt, so aufeinarider stürzen sie los mit lautem Schreien. Wie der Wind pon geweihter Tenne die Spreu fegt oder wie ein verheerendes Feuer die tiefe Talscblucht durchwütet, überall trägt es der wirbelnde Wind hin, die Büsche sinken samt ihren TFurzeln dahin, bedrängt pom wütenden Feuer, also kämpften auch sie nach der Art des Feuers. Kaum hätte jemand gewußt, ob Sonne und Mond noch heile geblieben. (84) Wie das Geschlecht der Blätter, so auch das Geschlecht der Menschen: leichtsinnig, nur dem Gesang ergeben und stolzen Sinnes. Auf stieg pon beiden der Laut zur Halle des Zeus gen Himmel. So sprach einer zum andern da wohl und sah ihm ins Auge: «Weinberauschter, mit Augen des Hunds und dem Herzen der Hirschkuh, was denn zauderst du, was gaffst nach dem Wagen im Kampfdu? Auf denn, persuche es selbst, damit du zerschmettert es büßesth> Ihm gab's drauf Hippokoon zurück, und antwortend sprach er: «Alter, bleib sitzen und halte den Mund und füg meinem Wort dich! Schwach ist dein Lenker des Wagens und piel zu langsam die Pferde.» (85) Ihm erwiderte da das stürmische Pferd unterm 10ch por: «Siehst du denn nicht, ein wie schönes Pferd ich bin und wie stattlich? Trotzdem droht auch mir der Tod und das mächtige Schicksal. Hätte doch nur euch allen, wie ihr hier sitzt, die Göttin Hera mit ihren weißen Armen Hufe gegeben! Dann nämlich säßet ihr hier nicht herum und redetet Unsinn.» Sprach's, und sie flehten zu Zeus, dem Kroniden und mächtigen Herrscher.

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(86) Das ist eine kleine Auswahl alls einer großen Zahl erbärmlicher Verse, damit ihr nicht allein so lächerlich dasteht. Aber es ist doch eine Schande, Männer von Alexandreia, daß Leute, die sich nach der Stadt erkundigen, in allem anderen wunderbare Dinge zu hören bekommen, daß man über euch selbst aber nichts Rühmliches, das nachgemacht zu werden verdiente, berichten kann, im Gegenteil, daß ihr als nichtsnutzige Leute geltet, als Schauspieler und Possenreißer eher denn als handfeste Männer, genau wie ein Komödienschreiber über solcherlei Volk gesagt hat: Gesindel ohne Zucht, wüstes Matrosenvolk. 46 (87) Es ist, als wenn man ein wunderschönes Haus sähe, dessen Besitzer ein Sklave ist, zu gering, um Portier zu sein. In jedem Fall wäre es besser, einen einsamen Ort mit fünfzehn Begüterten als eine zahllose Men ge von unglückseligen und dem Wahnsinn verfallenen Menschen vor sich zu haben - ein hoher Misthaufen, aus allem möglichen Unrat zusammen gespült. So etwas kann man mit gutem Gewissen gar nicht als Stadt bezeichnen, genausowenig wie ein zusammengewürfelter Haufe noch keinen Chor, jedes Menschengewühl noch kein Heer gibt. (88) Auch das Heer des Xerxes war nichts Besonderes, wenn es nicht eben galt, einen Wall zu durchstoßen, einen Graben zu ziehen oder etwas dergleichen zu tun. Selbst die Stadt der Troer war nicht vom Glück gesegnet, da ihre Bürgerschaft heruntergekommen war und nicht Maß halten konnte; und doch war Troia groß und berühmt. Trotzdem zerstörte sie, die weit ausgedehnte Stadt, ein Mann von einer kleinen und höchst unbedeutenden Insel, Odysseus von Ithaka. Ich fürchte in der Tat, daß auch ihr wie jene Troianer den Untergang findet, denn, selbst wenn es einigermaßen grausig klingt, auch Troia soll von einem Pferd vernichtet worden sein. Der einzige Unterschied wäre vielleich t,daß Troias U n tergan g durch ein einzi ges Pferd, der eurige durch mehrere Pferde eingeleitet worden ist.

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(89) Denn glaubt nicht, eine Stadt sei immer dann gefallen, wenn die Mauern eingerissen, die Männer erschlagen, die Frauen verschleppt und die Häuser niedergebrannt sind. Das ist vielleicht die letzte Stufe, die sich in kurzer Zeit vollzieht und bei der die davon Betroffenen eher Mitleid als Spott verdienen. Wo man sich um das Gute überhaupt nicht kümmert, wo es Leidenschaft nur fur ein einziges primitives Vergnügen gibt und man ausschließlich darauferpicht ist, damit seine Zeit verbringt, wo man herumspringt, sich wie verrückt gebärdet und sich gegenseitig schlägt, schlimme Flüche ausstößt und oft sogar die Götter schmäht, wo man alles, was man am Leibe trägt, von sich wirft und mitunter nackt den Schauplatz verläßt - das ist der schimpfliche und schmachvolle Fall einer Stadt. (90) Denn auch die Menschen werden, wie wir sagen, nicht nur von Räubern gefangen genommen, sondern auch von einer Dirne, von der Genußsucht oder von sonst einer verderblichen Leidenschaft. Treffend könnte man also von Menschen oder Städten sagen, sie seien Gefangene, wenn sie von ihren guten Bestrebungen ablassen und nichts mehr sehen und hören, was ihnen zum Heil gereichen könnte, sondern, von Wein, Weibergesang und Wagenrennen überwältigt, hingerissen werden und dahinstürzen und darüber vollkommen Sinn und Verstand verlieren. Beim Himmel, von einem solchen Gefangenen kann man wirklich sagen, er sei gewaltsam gefangengenommen und gefesselt worden. Denn man darf nicht, wenn dem Leib Gewalt geschieht, er mit Fesseln bedeckt oder eingekerkert wird, darin harte Gefangenschaft, Knechtschaft und Verschleppung sehen, wenn aber die Seele geknechtet und zugrunde gerichtet ist, das unterschätzen und seine Witze darüber machen. (91) Es ist schon schlimm genug, wenn ein einzelner davon betroffen ist; geschieht es aber einem ganzen Volk, ist es in jeder Weise noch schimpflicher. Auch eine Krankheit, soweit sie nur den einzelnen befällt, bekommt noch

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keinen großen, furchterregenden Namen; ergreift sie aber das ganze Volk, dann nennt man sie Pest. Allgemein gesprochen: Überall wird man alle Laster finden, Trunksucht, Unzucht und Weibertollheit gibt es in allen Städten; aber das ist noch nichts über die Maßen Gefährliches. Nimmt das Leiden jedoch überhand, wird es zum öffentlichen Schauspiel, dann erheben sich ernste Bedenken, und es gewinnt allgemeine Bedeutung. (9 2) Welche Stadt gäbe es, die ganz dünn besiedelten und kleinen ausgenommen, in der nicht täglich jemand an Fieber schwer erkrankte? Aber die Kaunier 47 allein hat es beständig gepackt, und ihnen sagt man nach, daß sie alle daran leiden. Andere Völker sind durch bessere Eigenschaften zu Ruhm und Ansehen gekommen. Wieviel Athener, Megarer oder KOl·inther, glaubt ihr wohl, haben ihren Körper abgehärtet und ein entbehrungsreiches Leben gefuhrt? Selbstverständlich waren es viele, zumal in Zeiten, da sie für das Vaterland ihren Mann stehen mußten. (93) Warum aber haben die Lakedaimonier allein diesen Ruhm für sich bekommen und stehen auch heute noch in diesem Ruf? Weil bei ihnen ehrgeiziger Einsatz das ganze Volk auszeichnete. Die Athener beschäftigten sich lieber mit der Rede- und Dichtkunst und mit Chorgesängen, und diese Dinge waren es, die ihnen aus demselben Grund allgemeine Bewunderung einbrachten. Seht zu, daß der Name, den ihr euch macht, dem der Athener und Spartaner, nicht dem von anderen Leuten, die ich nicht nennen will, gleiche! Denn wie ich schon oft betont habe: Das Schimpfliche ist noch schimpflicher und lächerlicher, wenn es eine ganze Stadt betrifft. (94) Wie nämlich in Komödien und Schaustellungen ein Karion oder ein Davos 48 kein allzu großes Gelächter hervorruft, wenn er betrunken die Bühne betritt, Herakles aber, wenn er in dieser Verfassung und dazu noch wie üblich in einem gelben Gewand herumtorkelt, dem Publikum lächerlich vorkommt, so wirkt auch ein Volk, das so groß ist wie ihr und

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trotzdem durchs Leben trällert und dann wieder den Wagenlenker ohne Pferde spielt, abstoßend und lächerlich. Genau so läßt es Euripides dem rasenden Herakles ergehen: Dann ging er zu dem Wagen, tat, als stünd' er da, bestieg des Wagens Sitz sodann, und peitschend hieb er ein, als hätt' die Peitsche er in seiner Hand.4 9 (95) Ihr wollt doch wohl nicht dem Alexander nacheifern, der behauptete, wie Herakles ein Sohn des Zeus zu sein. Allerdings gleicht euer Volk nicht so sehr dem Herakles als vielleicht einem Kentauren oder dem Liebe und Wein verfallenen Kyklopen: von Statur stark und gewaltig, aber schwach an Verstand. Bei Gott, seht ihr denn nicht, welche Fürsorge der Kaiser eurer Stadt hat angedeihen lassen 50? Deshalb müßt auch ihr jetzt von eurer Seite Anstrengungen machen und die Vaterstadt in einen besseren Zustand bringen, aber, beim Himmel, nicht mit Springbrunnen und Festtoren - dazu reichen eure Mittel nicht aus, und seine Großzügigkeit werdet ihr vermutlich kaum je übertreffen können -, sondern durch Zucht und Ordnung, dadurch, daß ihr euch vernünftig und beständig zeigt. Denn so wird ihn niemals reuen, was er getan hat, und er wird euch noch größere Gefälligkeiten erweisen. Vielleicht weckt ihr in ihm sogar das Verlangen, einmal hierherzukommen. (96) Denn nicht die Schönheit der Bauwerke ist es, die ihn dazu verlocken könnte - das alles hat er ja besser und kostbarer als sonst jemand auf der welt. Wohl aber mag das geschehen, wenn er hört, daß das Volk, das ihn empfangen wird, seine Gunst und sein Vertrauen verdient, und wenn jeder seiner Gesandten und Beamten euch hochschätzt. Denn glaubt nicht, nur ihr zöget über alle, die bei euch landen, Erkundigungen ein, wer sie sind, und bildetet euch je nach der Auskunft sofort euer Urteil, die Beamten des Kaisers aber interessiere nicht, was für ein Volk die Alexandriner seien. Hören sie nun,

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daß ihr verständig seid und nicht, wie es jetzt heißt, flatterhaft, leichtsinnig, von Belanglosigkeiten gefesselt, jedem Zufall ausgeliefert, leidenschaftlich verliebt in Wagenlenker und Zitherspieler, so kann es über ihre Einstellung keinen Zweifel geben. (97) Wie man erzählt, gab es einst bei euch einen weisen Mann, Theophilos s" der sich euch gegenüber schweigend verhielt und nicht mit euch sprechen wollte. In welcher Meinung tat er das wohl? Hielt er euch ftir weise und eine Belehrung fur überflüssig? Oder war er an eurer Heilung bereits verzweifelt? Ein ähnlicher Fall: Ein Kaufmann landet mit vielen wertvollen Waren in einer Stadt, wird dort von widrigen Winden oder sonst einem Zufall festgehalten und bleibt lange Zeit, ohne etwas von seinen Waren auszustellen und sie jemals zu zeigen. Offensichtlich will er die Leute nicht vergebens belästigen, da er ihre verzweifelte Armut oder ihre Unwissenheit erkannt hat und genau weiß, daß keiner dieser Menschen etwas kaufen, ja vielleicht nicht einmal zu ihm kommen würde. (98) Auch Theophilos nun hatte eine große Menge Waren in seinem Innern, aber er hiel t sie zuri.ick, denn er kann te eure ganze Armut, nicht an Geld, wohl aber an Verstand und Einsicht. So starb er denn, nachdem er durch sein Schweigen das Urteil über eure Stadt gefällt hatte. Den Soundso habt ihr oft gehört und seine Witze behalten, auch die Lieder des XY - ob ihr jemals den Theophilos gehört habt, bin ich mir nicht sicher. Es geht euch so, wie jemand einmal von den Käfern in Attika gesagt hat: Obwohl es dort den reinsten Honig gibt, rühren sie ihn niemals an, selbst wenn man ihnen den Honig vorschüttet, sondern halten sich lieber an ihre gewöhnliche NahrungS'. (99) Aber lustig, das seid ihr, und die besten Spaßmacher der Welt. Nur ist das nicht die geeignete Beschäftigung ftir ein Volk - woher auch! - oder ftir eine Stadt, sondern ftir einen Thersites. Ihn läßt Homer als einzigen Spaßmacher unter den

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Griechen nach Troia kommen. Er sagte nicht, was angebracht gewesen wäre, sondern womit er glaubte, die Griechen zum Lachen zu bringen. 53 Aber nicht, was zum Lachen reizt, ist gut und wertvoll, sondern die Freude. Da die Menschen jedoch überhaupt keine Ahnung von der Freude haben, suchen sie das Gelächter. Sicher habt ihr schon von der Pflanze gehärt, die Sardonion genannt wird: Sie reizt zum Lachen, aber dieses Lachen ist gefährlich und tödlich. (roo) Haltet euch deswegen nicht so fest an das Gelächter und macht die Chariten nicht unmusisch, schwer_ fällig und plump, sondern nehmt euch lieber Euripides Zum Vorbild, wenn er sagt: Nie lass' ab ich, Chariten, euch beizugesellen den Musen. TFelch ein liebliches Gespann!54 Daß nur nicht euer Museion 55 als ein solch gewöhnlicher Ortin der Stadt gilt, wie vermutlich noch andere Plätzeeinfach so ihren Namen haben, ohne daß er durch die Sache gerechtfertigt wäre! (1Or) Indes fUrchte ich, auch mir könnte es gehen wie jenem ägyptischen Musiker in alten Zeiten. Ihm soll nämlich im Traum eine göttliche Stimme prophezeit haben, daß er einmal einem Esel ins Ohr singen werde. Nun achtete er nicht weiter darauf und kümmerte sich nicht um den Traum, da er ihn für sinnlos hielt. Als aber der Syrerkönig nach Memphis kam, ließ er den Musiker holen, weil die Ägypter ganz begei~tert von ihm waren. Da bewies er mit großem Eifer sein ganzes Können und gab auch eine feinere Probe seiner Kunst. Der König aber, der nichts von Musik verstand, hieß ihn verächtlich schwei· gen. Da erinnerte sich jener an den Traum und sagte: «Das be· deutete also: einem Esel ins Ohr singen.» Als die Dolmetscher dem König die Worte des Ägypters erklärt hatten, ließ er ihn binden lind auspeitschen. Das soll sogar der Anlaß zu einem Krieg gewesen sein 56.

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33.

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(I) Verwundert frage ich mich, was eigentlich eure Absicht, was eure Erwartung und euer Wunsch ist, daß ihr Wert darauf legt, Leute wie mich zu euch sprechen zu lassen. Glaubt ihr, wir hätten eine schöne Stimme und eine angenehmere Aussprache als die andern? Dann hättet ihr das Bedürfnis, unseren melodischen Weisen wie Vögeln zu lauschen. Oder denkt ihr, wir hätten in Worten und Gedanken eine besonders durchschlagende, wahrhaft gewaltige Überzeugungskraft?Ihr nennt sie Rhetorik, und auf Marktplätzen und Tribünen feiert sie Triumphe. Oder rechnet ihr gar damit, ein Lob auf euch selbst, ein allgemeines Preislied auf die Stadt zu hören zu bekommen, auf Perseus, Herakles und den Dreizack I ApoHons, auf die Orakelsprüehe, die euch zuteil geworden sind, aufdieTatsache, daß ihr Griechen und Argiver oder gar noch etwas Besseres seid, daß ihr Heroen und Halbgötter, noch genauer, Titanen zu Ahnherren habt? (2) Vielleicht auch auf das Land mit seinen Bergen und den Kydnos hier? Daß er der segensreichste und schönste unter allen Flüssen ist, daß, die aus ihm trinken, reich und glücklich sind, wie Homer sagt'? Das alles ist wahr, und ihr hört es fortwährend in den Versen der Dichter und von anderen Leuten, die eben diese Vorzüge zu preisen sich zur Aufgabe gesetzt haben. Aber dazu bedarf es gründlicher Vorbereitung und einer großen Rednergabe. (3) Doch was erwartet ihr dann von uns? Was wollt ihr so unbedingt hören von Männern, die alles andere als redegewandt sind, die weder schönzutun noch zu schmeicheln verstehen, die nicht aus Lust und Laune die Rednerbühne besteigen? Denn daß ihr von uns kein Geld noch sonst ein Geschenk zu erwarten habt, dessen bin ich mir sicher. Nun, ich will euch meine Vermutung sagen. (4) Ich habe den Eindruck, daß ihr schon oft göttliche Männer gehört habt, die

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behaupten, alles zu wissen und bei jedem Ding über Ordnung und Wesen Auskunft geben zu können: über Menschen, überirdische Mächte und Götter, ferner über Erde, Himmel und Meer, über Sonne, Mond und Sterne, über das gesamte Weltall, über Werden und Vergehen und unzählige andere Dinge. Dann, so stelle ich mir vor, kommen sie zu euch und fragen euch, was und über welches Thema ihr sie gerne reden hört, wie schon Pindar gesagt hat, über Ismet/os, mit goldener Spindel Melia, Kadmos auch. 3 Und wo immer ihr wollt, da hebt der Redner an und läßt die Rede wortreich und lang dahinströmen, und wie ein Schwall sprudelt hervor, was gleichsam in ihm eingeschlossen war. (5) Wenn ihr ihm nun lauscht, haltet ihr es für ungehörig und verfehl t, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und einem weisen Mann keinen Glauben zu schenken, im Gegenteil, von der Kraft und der Schnelligkeit seiner Worte seid ihr hingerissen und begeistert, wenn er, ohne Atem zu holen, unaufhörlich Satz an Satz reiht. Dabei geht es euch dann wie Leuten, die Pferden beim Lauf mit verhängten Zügeln zusehen: Obwohl ihr keinen Nutzen davon habt, seid ihr voller Bewunderung und seht darin einen unschätzbaren Besitz. Und doch sind es bei den Pferden häufig gerade nicht die Herren, sondern die niedrigen Sklaven, die den Zügel halten. (6) Ein solcher Vortrag ist eine Art Schauspiel oder Revue und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Kunststückehen der Leute, die sich als Ärzte ausgeben und sich in aller Öffentlichkeit niederlassen, über das Ineinandergreifen der Gelenke, die Ineinander- und Nebeneinanderlage der Knochen und dergleichen mehr daherreden, über Poren, Atmung und Absonderungen; und das Volk sperrt noch schlimmer als Kinder Mund und Ohren auf. Der richtige Arzt dagegen verhält sich ganz anders und verkehrt nicht auf diese Weise mit den Patienten.

ERSTE TARSISCHE REDE 33,6-IO] 459 die seiner wirklich bedürfen. Wie wäre das auch denkbar! Er gibt Anweisungen, was zu tun ist, und wenn jemand essen oder trinken will, hält er ihn davon ab, oder er nimmt ihn und schneidet heraus, was am Körper nicht mehr mitmachen wil l. (7) Wenn sich nun die Kranken versammelten, schwärmend zum Arzt zögen und ein Trinkgelage forderten, könn tees leicht sein, daß das ganze Unternehmen nicht nach Wunsch ausginge, sondern das Fest ihnen vielleicht Beschwerden machte. So scheint es mir auch der großen Menge zu gehen, die zu einem solchen Redner strömt und ihn zu sprechen auffordert. Selbstverständlich hat sie noch nie ein Wort der Wahrhei t zu kosten bekommen und erwartet deshalb nur unterhaltsame Gefälligkeiten. Aber beim Himmel, wäret ihr nicht empört, wenn jemand nicht mit aller Offenheit zu euch spräche und nicht auf alle eure Belange einginge, sondern nur das eine oder andere zur Sprache brächte? (8) Seht nur zu, daß es euch nicht wie jenen Troianern geht, die einem Schauspieler, der bei ihnen weilte, zusetzten, er möchte ihnen doch etwas vorspielen. Er aber bat sie, ihn in Ruhe zu lassen und nicht mehr zu belästigen, denn je besserer spiele, so meinte er, desto größer werde ihr Unglück sein 4. So ist es auch beim Philosophen: Die große Menge tut besser daran, ihn schweigen zu lassen. (9) Überlegt euch doch, wie die Dinge stehen! Die Athener, daran gewöhnt, Schlechtes über sich zu hören, gingen, bei Gott, eben in dieser Absicht, sich beschimpfen zu lassen, ins Theater, veranstalteten einen Wettkampf und setzten einen Preis aus fur den, der dieses Geschäft am besten besorge. Freilich waren sie nicht selbst auf diese Idee gekommen, sondern der Gott hatte sie ihnen eingegeben. Und so hörten sie sich Aristophanes, Kratinos und PlatonS an, ohne ihnen etwas zuleide zu tun. Als dann aber Sokrates ohne Bühne und Zuschauer bänke den Auftrag des Gottes ausführte, wobei er allerdings auf ordinäre Tänze und dummes Gepfeife verzichtete, da wollten sie nicht hören. (10) Jene Ko-

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mödiendichter, mißtrauisch und ängstlich, schmeichelten dem Volk wie einem Herren und milderten deshalb ihre Sticheleien durch Gelächter, wie die Ammen kleinen Kindern, wenn sie etwas Unangenehmes zu trinken bekommen, den Rand des Bechers rriit Honig bestreichen und ihn dann erst darreichen. So kam es, daß sich Nutzen und Schaden bei den Athenern die Waage hielten, als die Komödienschreiber die Stadt mit ihren Frechheiten, Witzen und Possen erfüllten. Der Philosoph dagegen mahnte und wies zurecht. (r r) Wieviel besser das Anprangern ist, das die Torheit und Schlechtigkeit jedes einzelnen ans Licht bringt, als Schönred_ nerei, die das Publikum mit Lobeshymnen verzärtelt, könnt ihr besonders schön an folgendem Beispiel erkennen. In der ganzen Geschichte hat es zwei Dichter gegeben, mit denen man keinen anderen Dichter vergleichen kann: Homer und Archilochos. Von diesen beiden hat Homer beinah alles gepriesen, Tiere, Pflanzen, Wasser, Erde, Waffen, Pferde- man könnte sagen, daß er schlechterdings an nichts vorübergegangen ist, ohne es lobend und anerkennend zu erwähnen. Nur einem einzigen Mann unter all seinen Helden sagt er Schlechtes nach, Thersites, aber selbst ihn nennt er noch einen «helltönenden Redner»6. (12) Archilochos dagegen griff zum anderen Extrem, zum Tadel, vermutlich deswegen, weil er sah, daß die Menschen den Tadel nötiger haben, und an erster Stelle übte er Kritik an sich selbst. Daher wurde auch ihm allein nach seinem Tod - wie übrigens auch schon vor seiner Geburt - das wichtigste Zeugnis von seiten der Gottheit zuteil: Den Mann, der ihn erschlagen hatte, vertrieb ApolIon aus seinem Tempel mi t der Erklärun g, daß er einen Diener der Musen getötet habe. Als der andere zu seiner Rechtfertigung anführte, er habe Archilochos im Kampf erschlagen, wiederholte ApolIon nur wieder, Archilochos sei ein Diener der Musen gewesen. Und als der Vater des Archilochos sich vor der Geburt seines Sohnes

33,12-15]

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an das Orakel wandte, sagte ihm der Gott voraus, daß er einen unsterblichen Sohn bekommen werde. (13) Daraus folgt, daß der Mann, der es fertigbringt, die Menschen zu schelten, sie hart anzufassen und durch seine Worte ihre Fehler ans Licht zu bringen, eindeutig besser ist und ihm der Preis gebührt vor dem Lobredner. Wenn ihr also lieber gelobt sein wollt, müßt ihr zu einem anderen Redner gehen. Seht ihr nun bei jemand, daß er in allem, was er tut, zunächst sich selbst den Hof macht, daß er selbstgefällig ist in Essen und Kleidung und aufgeblasen einherstolziert, so seid davon überzeugt, daß er auch euch den Hof machen wird. Von ihm dürft ihr eine gefällige Rede erwarten. Ihr nennt es Preis, in Wirklichkeit sind es Schwelgereien aus dem Munde eines Schwel gers. (14) Wenn ihr aber einen verwahrlosten Mann, der seine Kleider eng um den Leib geschlungen hat, für sich allein daherkommen seht, einen Mann, der an erster Stelle sich selbst prüft und schilt - bei ihm sucht keine Schmeicheleien und Verftihrungskünste, nicht jene gewandte, einschmeichelnde Sprache, wie sie vorzüglich in Versammlungen und in der Umgebung von Statthaltern und Tyrannen zu hören ist. Nicht von solcher Art rind die Männer, die ihnen dienen; jung rind rie, gekleidet in schöne Mäntel und Röcke, rtett ist glänzend ihr Haar und immer rtrahlend ihr Antlitz. 7 Diese Leute nämlich sind auf die Welt gekommen, als zögen sie unter Flötenspiel und Gesang berauscht zu einem Gelage in der Annahme, sie seien in eine festliche Versammlung von Trunkenbolden geraten. (15) Wer aber gesehen hat, wieviel Furchtbares und Schrecldiches es in der Welt gibt, daß es überall, wo Vergnügungssucht und Falschheit herrschen, im privaten wie im politischen Bereich von Feinden wimmelt, der geißelt relbrt den eigenen Leib mit entehrenden Schlägen, wirft um die Schultern zerrirrene Lumpen ganz wie ein Sklave, rehleicht in der rchwelgenden Männer Stadt mit den breiten Straßen. 8

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[33,15-17

Nicht zum Verderben der Nächsten kommt ein Mann in dieser Gestalt, wie Odysseus zum Verderben der Freier kam, sondern im Gegenteil, um im verborgenen womöglich noch etwas Gutes zu wirken. Warum nun drängt ihr einen solchen Mann, warum fordert ihr einen Redner auf, der euch mürrisch und ungehobelt vorkommen wird? Denn eure Ohren sind nicht darauf vorbereitet, harte und strenge Worte zu vernehmen. Wie die zarten Hufe von Vieh, das auf weichem, glattem Boden aufwächst, so sind auch eure Ohren, die mit Schmeicheleien und trügerischen Worten gefüttert worden sind, empfindlich. (r6) Warum gelüstet es euch zu hören, was ihr doch nicht werdet ertragen können? Es muß euch etwas Ähnliches widerfahren sein wie den Augen bei Aisopos. Sie hielten sich fur das Wertvol1ste, sahen dann aber, wie der Mund neben al1 dem andern auch das Süßeste, das es gibt, Honig, genoß. Da waren sie empört und machten dem Menschen Vorwürfe. Als er ihnen aber ein bißchen Honig einträufelte, da biß er sie, so daß sie weinen mußten und ihnen der Honig scharf und widerlich vorkam. Deswegen versucht auch ihr nicht, wie die Augen vom Honig von den Worten der Philosophie zu naschen! Denn ich könnte mir denken, daß ihr ungehalten seid, wenn sie euch beißen, und ihr vielleicht sagen werdet, das sei ja gar keine Philosophie, sondern beleidigendes Geschimpfe. (r7) Ihr haltet euch ja fiir wohlhabend und glücklich, Leute, da ihr in einer großen Stadt wohn t, gutes Land euer eigen nennt und alles zum Leben Notwendige in Hül1e und Fülle bei euch vorhanden seht; da dieser Fluß hier mitten durch eure Stadt fließt und Tarsos obendrein die Hauptstadt von ganz Kilikien ist 9 • Archilochos aber - ich erwähnte, welchen Gefal1en ApolIon an ihm fand - äußert seine Meinung über einen Feldherrn wie folgt:

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Nicht gefällt der lange Feldherr mir, der dasteht weit gespreizt, nicht, der stoh auf seine Locken ist, das Beinhaar abrasiert. l • Von ihm aus, fährt er fort, möge der Feldherr säbelbeinig sein, prall auf seinen Füßen stehen und an den Waden Haare haben. (r8) Wenn nun Archilochos den von ihm geschilderten Feldherrn nicht liebt und nicht nach Körpergröße und Haarschnitt seinen Wert bemißt, glaubt ja nicht, er werde jemals eine Stadt loben im Blick auf solche Dinge wie Flüsse, Bäder, Qgellen, Wandelhallen, Fülle und Größe der Häuser; denn das gleicht nur allzusehr Haar und Locken. Ich glaube, solchen Städten würde er eine kleine und unbedeutende Stadt, selbst wenn sie auf einem Felsen läge, vorziehen - nur müßten ihre Einwohner vernünftig sein ". (r9) Archilochos haben wir nun gehört, aber was meint Homer dazu? Stammte Odysseus nicht von einer Insel, die man nicht einmal zu den mittelgroßen rechnen kann - wie sollte man auch! - noch zu den fruchtbaren? Will Homer die Insel auszeichnen, so nennt er sie lediglich «ziegenweidend» 12. Und trotzdem läßt er durch den Rat und den Plan dieses Mannes Troia einnehmen, eine solch große Stadt, die herrschte über alles, was Lesbos, der Sitz der Glückseligen, einschließt zum Meer hin, Phrygien landwärts mitsamt dem unendlichen Hellespontos.'3 Und Troia ist bei Homer eine in aller Augen «goldreiche, erzreiche Stadt»14. (20) Hat ihm die Fülle des Reichtums, die Menge an Untertanen und Bundesgenossen etwas genützt, die Schönheit der Ebenen, des Ida, des Simoeis oder des wirbelnden Xanthos, von Zeus, dem Unsterblichen, selber geboren?IS Dabei erwähnt Homer einige wunderschöne Qgellen in der Vorstadt, die eine mit warmem und außerordentlich angenehmem Wasser, so daß Dampf aus ihr aufstieg, die andere auch im Sommer so kalt wie Eis, so daß die schönen Töchter der

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[33,20-23

Troer sommers wie winters leicht ihre Wäsche waschen konnten l6 . (2I) Auch nahmen die Troianer nicht nur wegen ihres Reichtums, der Vortrefflichkeit ihres Landes und ihrer großen Zahl eine Sonderstellung ein, vielmehr gab es bei ihnen auch die schönsten Menschen, Männer wie Frauen, auch die schnellsten Pferde, und sie galten als Lieblinge der Götter. Ihre Stadt war von einer außerordentlich festen Mauer umgeben, ein Werk Poseidons und ApolIons. Und Zeus hatte gesagt, er liebe diese Stadt von allen Städten unter der Sonne am meisten 17 • Die Rosse waren so schnell, daß sie im Lauf die Spitzen der Ähren streiften 18, und wegen seiner Schönheit machte Zeus den Ganymedes zu seinem Mundschenken. Dem Paris folgte aus Griechenland die vornehmste der Frauen weit und breit, und Kassandra läßt Homer an Schönheit der Gestalt Aphrodite nicht nachstehen 1 9 • (22) Aber trotz allem, als sich Verschwendungssucht und Übermut bei ihnen eingenistet hatten, als sie auf Erziehung und Selbstdisziplin glaubten verzichten zu können,da wurden sie mit Abstand die unglücklichsten Menschen. Ist nicht die ganze Erde voll von der Geschichte ihres Elends? Da half ihnen die Schnelligkeit ihrer Pferde nichts, nichts Zeus oder Ganymedes. Sie kamen um von der Hand eines Mannes aus einer so armseligen und unbedeutenden Stadt, und der Mann aus Ithaka war stark genug, ganz Troia zu überwältigen und die gesamte Stadt mit ihren breiten Straßen dem Erdboden gleichzumachen. (23) Lie ben doch auch die Götter nich t län ger mehr zügellose Schwel ger und Toren, die zu Übermut, Leichtsinn und Üppigkeit neigen. Deshalb traut diesen Leuten nicht, hütet euch vor ihren Worten der Mitfreude und Bewunderung und vor allen, die so gewaltige Preislieder singen können. Denn sie meinen es niG:ht ehrlich mit euch und machen euch wie dumme Jungen ohne Grund stolz. Hört lieber aufden, der euch auf diesen oder jenen Fehler aufmerksam macht und euch vor allem anderen, wenn

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möglich, zu der Einsicht bringt, daß ihr, wie ich schon sagte, nicht aus den erwähnten Gründen glücklich seid, selbst wenn der Nil noch klarer als der Kastalische Qgell durch eure Stadt flösse, selbst wenn der Paktolos sein Bett hierher verlegte und euch nicht nur körnchen weise, wie er es in früheren Zeiten bei den Lydern getan haben soll, sondern gleich in ganzen Haufen wie Schlamm das Gold brächte, selbst wenn ihr Ägypten oder Babyion an Prunk eurer Bauten überträfet. (24) Denn wäre es ein Fluß, der die Menschen glücklich machen könnte, das Klima, die Lage des Landes, Seehäfen, Tempel oder Befestigungen, so wäre es unmöglich, die Städte aufzuzählen, hinter denen ihr zurückbliebet. Ihr habt wohl schon gehört, daß bei den Byzantinern, die unmittelbar am Schwarzen Meer ein wenig unterhalb seines Ausflusses wohnen, gelegentlich ganz von selbst Fische ans Land geworfen werden. Trotzdem wird es niemand einfallen, die Byzantiner wegen ihrer Fische glücklich zu preisen - es sei denn, er sagte von den Möwen das gleiche - noch auch die Ägypter wegen des Nils oder die BabyIonier wegen ihrer Mauer. (25) Fließt nicht der Peneios durch ein ödes Thessalien? Der Ladon nicht durch Arkadien, das von seinen Einwohnern verlassen ist? Ist nicht der Kydnos selbst in seinem oberlauf noch klarer? Wollt ihr behaupten, deswegen seien die Menschen dort besser als ihr selbst? Vielleicht hättet ihr sogar recht, aber ihr werdet es gar nicht behaupten. Denn wer nichts von Luxus und Verderbtheit weiß, ist meiner Meinung nach besser dran. Was aber sollen wir erst von Italien sagen? Ist nicht Sybaris um so schneller untergegangen, je mehr es sich der Schwelgerei ergab? Und Kroton, Thurioi, Metapont und Tarent, Städte, die einst zu solch einer blühenden Machtentf.'lltung gekommen waren 20 - welche Stadt könnte man sich verödeter denken? (26) Ein gewaltiges Unternehmen wäre es, wollte man alle Völker aufzählen, die durch ihre üppige Lebensweise untergegangen sind: die Lyder in alten Zeiten, die

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Meder, vor ihnen die Assyrer und schließlich die Makedonen. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren diese noch mit Lumpen angetan, galten als ein Volk von Hirten und kämpften mit den Thrakern um ihre Hirsefelder. Dann aber gewannen sie die Oberhand über die Griechen, kamen nach Asien herüber und dehnten ihre Herrschaft bis zu den Indern aus. Kaum jedoch hatten sie die Bequemlichkeiten der Perser übernommen, da folgte ihnen schon das Unglück. (27) So war es denn zugleich mit dem Zepter, dem Purpur und der medischen Küche auch um das Volk geschehen. Kommt m:m heute durch Pella, sieht man außer einem großen Trümmerh~ufen von Ziegeln an Ort und Stelle kein Zeichen mehr der alten Stadt. Und doch ist die Gegend, in der die genannten Städte lagen und die Völker wohnten, geblieben, wie sie vorher war, niemand hat die Flüsse in eine andere Richtung gelenkt, noch ist sonst etwas anders geworden. Nur die Menschen, bei denen sich Verschwendungs_ sucht und Luxus breitgemacht hatten, konnten sich nicht länger halten. (28) Glaubt nur nicht, Sturmböcke, Mauerbrecher und die übrigen Kriegsmaschinen leisteten geringere Zerstörungsarbeit als die Verschwendungssucht, mag man nun an den Fall eines Menschen oder an den einer Stadt denken. Nicht ein Fluß, eine Ebene oder ein Hafen ist es, der eine Stadt reich macht, nicht die Fülle an Besitz und Häusern, nicht die Tempelschätze - daran ist der Gottheit nichts gelegen. Selbst wenn man unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen und mit einem Kosten-. aufwand ohnegleichen ganze Berge und Felsen in die Städte schaffte - Maß und Vernunft allein bringen Rettung. Sie machen jeden, der sich an sie hält, glücklich und Gott wohlgefallig, nicht Weihrauch und Myrrhe - bewahre! -, nicht Wurzeln, Harz von Bäumen oder Reiser aus Indien und Arabien. (29) Wenn der Fluß durch einen Zufall seinen Laufänderte und trüber daherflösse, wärt ihr verärgert darüber und erklärtet es

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jedem, der zum ersten mal nach Tarsos kommt. Seht ihr aber die Sitten der Stadt sich zum Schlechten hin ändern und immer mehr durcheinandergeraten, schert ihr euch nicht darum. Das Wasser wollt ihr sauber halten, nicht nur zum Trinken, sondern auch zum Anschauen; eine saubere und gesittete Lebenshaltung jedoch ist euch nicht erstrebenswert. (30) Da bekommt man oft zu hören, ihr wäret nicht die einzigen, fast alle hätten sich verändert. Aber das wäre ja genauso, wie wenn jeman bei einer Pest um seine eigene Gesundheit überhaupt nicht besorgt sein wollte, nur weil alle anderen oder die meisten von der Krankheit befallen sind, oder, beim Himmel, wenn jemand in einen Sees turm geraten wäre und sich nicht um seine Rettung kümmern wollte, weil er alle Mann an Bord in Gefahr sieht. Wie, wenn eine ganze Flotte untergeht, ist das Unglück deswegen etwa weniger ungeheuer? (31) Was macht ihr nun falsch? Alles übrige will ich übergehen, denn es wäre lächerlich, wollte man einem Mann, der vom Zitherspiel überhaupt keine Ahnung hat und einfach drauflosschlägt, klarmachen, was er falsch macht oder bei welchem Ton er sich vergriffen hat. Nur soviel soll gesagt sein, und keiner wird es abstreiten können. Ich behaupte also, daß vielen Leuten in der Stadt etwas Merkwürdiges widerfahren ist; es soll, wie ich gehört habe, bislang bei anderen häufiger vorgekommen sein als gerade bei euch. (32) Wenn ich nicht genau angeben kann, was es eigentlich ist, versucht ihr wenigstens, es zu erraten. Glaubt nicht, ich wollte euch ein Geheim~is verraten oder etwas sagen, das die Betreffenden verbergen möchten, auch wenn es höchst verwunderlich erscheinen wird: Mitten im Aufrechtgehen oder beim Sprechen schlafen die meisten von euch. Und selbst wenn sie vielen wach zu sein scheinen, hat das nichts zu bedeuten, denn auch bei einem Hasen wird jemand, der nichts von der Sache versteht und ihn schlafen sieht, behaupten, er sei wach. Woher weiß man das? Nun,

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[33.32-3;

aus anderen Dingen, die für den Schlaf kennzeichnend sind, denn die Augen des Hasen stehen ja offen. (33) Was machen nun diese Leute, das andere nur im Schlaf machen? Gar mancherlei, denn fast alles, was sie tun, tun sie wie im Traum: Sie freuen sich und sind traurig ohne wirklichen Grund; sie haben Mut und Angst, ohne daß ein Anlaß vorhan_ den wäre; sie sind eifi'ig bei der Sache und begehren Unmög_ liches; was nicht ist, halten sie für seiend, was ist, nehmen sie nicht wahr. Indes, soweit ist das vielleicht uns allen gemein. Was meiner Mein ung nach aber der eindeutige Beweis für ihren Schlafzustand ist: sie schnarchen. Bei Gott, ich habe keinen milderen Ausdruck dafür. Und bei den Schlafenden sind es sogar nur wenige, die damit zu tun haben, denn im Normalfall kommt das nur vor, wenn man zuviel getrunken oder gegessen hat oder nicht gut liegt. (34) Ein solches Benehmen aber, behaupte ich, bringt die Stadt in Schande und öffentlichen Verruf, und diese Tagschläfer, die man gerechterweise aus seiner Mitte und überhaupt von allem ausschließen sollte, vergehen sich an ihrer Vaterstadt auf die schlimmste Weise. Denn es kommt nicht in maßvollen Grenzen hier und da einmal vor, sondern ununterbrochen an jeder Stelle der Stadt trotz aller Drohungen, Scherze und Spöttereien. Übrigens ist es auch schon bei ganz kleinen Kindern zur Gewohnheit geworden, und auch die Erwachsenen, die noch etwas Schamgefühl zu besitzen scheinen, lassen sich oft dazu verleiten, wie wenn es sich um einen guten Brauch in der Stadt handelte. Ja selbst wenn sie achtgeben und sich schämen, klingt zumindest ihr Luftholen wie Schnarchen. (35) Gäbe es eine Stadt, in der man fortwährend nur Jammern hörte und niemand auch nur einen Schritt tun könnte, ohne auf diese mißtönenden Laute zu stoßen, beim Himmel, wird man in ihr gern verweilen? Dabei ist das Jammern, wie man sagen könnte, ein Zeichen von Unglück, während die

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Töne, die man hier vernimmt, Unverschämtheit und ein äußerstes Maß, sich gehen zu lassen, verraten. Sicher aber wird man lieber unter unglücklichen Menschen leben als unter Menschen, die sich nicht zusammennehmen können. Ich fur meinen Teil möchte nicht einmal fortgesetzt Flötenmusik hören, und wenn es irgendwo einen solchen Ort gibt, der ununterbrochen widerhallt vom Klang der Flöte, des Gesangs oder der Zitherder Fels der Sirenen soll ja in einem fort so getönt haben -, könnte ich mich nicht überwinden, dorthin zu gehen und da zu bleiben. (3 6) Und nun erst dieses barbarische, widerwärtige Geräusch - welcher orden diche Mensch soll das aushalten können! Geht jemand an einem Haus vorbei und hört solche Töne, muß er zu der Ansicht kommen, es sei ein Bordell. Was soll man da erst von einer Stadt sagen, in der beinah überall nur dieser eine Laut sich breitrnacht, in der keine Gelegenheit, kein Tag, kein Ort davon ausgenommen ist, sondern das Unwesen auf der Straße, im Haus, auf dem Marktplatz, im Theater und im Gymnasion herrscht? Bis jetzt habe ich in der Stadt noch niemand morgens früh Flöte spielen hören, diese merkwürdige Melodie aber hebt gleich bei Tagesanbruch an. (37) Es ist mir indessen nicht entgangen, daß dieser oder jener es vielleicht für Unsinn hält, solchen Dingen nachzugehen, und in ihnen nur eine Belanglosigkeit sieht - Hauptsache, die Wagen bringen Gemüse in die Stadt, in den Geschäften ist Brot reichlich zu haben und ebenso Eingepökeltes, Fisch und Fleisch. Jedoch sollten diese Leute die Sache auch von der folgenden Seite betrachten. Wie wäre es, wenn sie in eine Stadt kämen, in der alle Menschen mit dem Mittelfinger zeigten, was sie zeigen wollen? Gibt jemand die Rechte, tut er es auf diese Weise, ebenso, wenn er die Hand ganz ausstreckt, zum Beispiel wenn das Volk durch Handaufheben abstimmt oder die Richter ihre Stimme abgeben. Was soll man von einer solchen Stadt halten? Oder wenn alles geschürzt ginge, wie man '7

47 0

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etwa im Wasser watet? (38) Merkt ihr nicht, daß das eine Handhabe ist, euch schlechtzumachen, so daß alle, die nicht gu t auf euch zu sprechen sind, Material bekommen gegen eure ganze Stadt? Warum schimpft man euch «Weberschiffchen»"? Doch meinen manche, es komme weder für euch noch für sonst jemand darauf an, was die andern sagen, sondern darauf, Was ihr tut. Stellt euch einmal vor, ein ganzes Volk würde von dem Mißgeschick befallen, daß alle Männer die Stimmen Von Frauen bekämen und weder jung noch alt in seiner männlichen Tonlage sprechen könnte. Würde man das nicht für ein furcht_ bares Unglück halten, vielleicht noch schlimmer als jede Pest, so daß man zum Gott schickte und die Gottheit mit vielen Gaben zu versöhnen suchte? Und doch ist die Frauenstimme immer noch die Stimme eines Menschen, und niemand wird sich daran stören, die Stimme einer Frau zu hören. (39) Aber dieser Laut? Stammt er nicht von den Zwittern? Nicht Von solchen, denen das Geschlech t abgeschnitten worden ist? Aber nicht einmal die sprechen immer und zu jedem mit dieser Stimme, sondern es ist gleichsam eine Art Erkennungszeichen für sie. Sagt, wenn ihr alle gegürtet oder mit Pauken einherginget, käme euch das nicht unerträglich vor? Wenn eure Stadt wie andere Städte von einer hohen Burg oder gar von einem GebÜ'ge überragt wäre - man könnte dort oben zwar nicht jeden Laut deutlich unterscheiden, aber doch das allgemeine Geräusch vernehmen -, welcher Ton würde wohl nach eurer Meinung dorthin emporgetragen werden? Doch wohl der Ton, den die meisten von sich geben, wie der Grundton in einem Akkord. (40) Wenn man nun von dem, was man hört, auf die Menschen schließen sollte? Bei Homer braucht Odysseus, als er sich seinem Palast nähert, nicht zu warten, bis er die Freier beim Gelage gesehen hat, sondern sagt sofort, als der Klangder Leier an sein Ohr drin gt, zu Eumaios:

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47 1 Wohl erkenn ich, daß viele beim Mahl i/l der Halle versammelt; >2 oder ein anderes Beispiel: Als er von der Insel der Kyklopen das Geblöke der Schafe und die Stimmen der Kyklopen hört - sie waren wohl, denke ich, auf der Weide -, da begreift er, daß das Land irgend welchen Hirten gehört. (41) Wenn also auch in eurem Fall jemand aus den Lauten, die von fern an sein Ohr dringen, seine Schlüsse ziehen sollte, was für Menschen würdc er wohl in euch vermuten, an welche Beschäftigung würde er denken? Denn Rinder und Schafe zu weiden, daftir fehlen hier die Voraussetzungen. Würde er euch für Kolonisten aus Argos, die ihr zu sein behauptet, oder eher für solche aus dem zur Genüge bekannten Arados halten? Für Griechen oder ftir die ausschweifendsten Phöniker? Ich jedenfalls bin der Meinung, daß es für einen anständigen Menschen in einer solchen Stadt dringlich ist, sich Wachs in die Ohren zu stopfen, noch dringlicher, als wenn er bei den Sirenen hätte vorbeisegeln müssen. Denn dort bestand Lebensgefahr, bei euch aber drohen Ausschweifung, Unverschämtheit und restlose Verderbnis, und von Vergnügen und Abenteuerlust ist doch wohl nichts dabei zu bemerken. (42) In früheren Zeiten galt der Rat der Besseren, jetzt gilt, wie es scheint, der Rat der Schlechteren. Verwundert wird man sich fragen, aus welchem Grund die Mehrzahl hier in Tarsos so begeistert von dem Unfug ist, warum er sich im Lauf der Zeit immer mehr einbürgert. Wie sich die ionische und dorische, dann die phrygische und lydische Tonart durchgesetzt hat, so ist jetzt die Weise der Aradier tonangebend: Zur Zeit findet die phönikische Musik euer Gefallen, und in diesen Rhythmus seid ihr über alle Maßen verliebt wie andere in den spondeischen. (43) Oder ist gar ein neues Menschengeschlecht auf die Erde gekommen, das mit der Nase Musik macht, wie ja die Schwäne mit ihren Flügeln Musik machen sollen? Da erfreuen sie sich gegenseitig nach Art der hellstimmigen Vögel auf der Straße und beim Gelage und brauchen

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[33.43-4S

keine Leier und keine Flöte mehr. Diese Instrumente sind veraltet, sie taugen nur zu einer herben, bäurischen Musik. Jetzt floriert eine andere Mode, besser und angenehmer als die herkömmliche Leier. So wollen wir denn mit der Zeit auch Chöre von Jungen und Mädchen nach dieser Musik aufstellen und sorgfältig einstudieren! (44) Daß ihr über meine Worte verärgert seid, verstehe ich nur zu gut, und ich sagte euch schon im voraus, daß ihr sie mir nicht gern abnehmen werdet. Vielleicht wart ihr der Meinung, ich spräche über Astronomie und Geologie zu euch. Einige werden mir zornentbrann t vorwerfen, ich beleidigte die Stadtdie das in Wirklichkeit tun, belangen sie nicht. Andere wieder werden vielleicht lachen, daß ich mir nichts Besseres hätte einfallen lassen. Aber auch die Ärzte sehe ich gelegentlich Stellen am Körper berühren, die sie lieber nicht berühren würden - es sind nicht gerade die schönsten -, und ich weiß, daß viele Patienten sich wehren, wenn der Arzt die kranke Stelle befühlt. Er aber ritzt und schneidet sie häufig trotz ihres Geschreis. Ich werde also von meinem Thema nicht ablassen, bevor es euch nicht gebissen hat. Dabei ist es noch eine außerordentlich milde Medizin, die ich euch mit meiner Rede verabreiche, viel schwächer, als sie eigentlich sein müßte. (45) Wohlan, bei Herakles, Perseus, ApolIon, Athene und den anderen Göttern, die ihr verehrt, gebt mir bereitwillig Antwort! Möchte jemand unter euch eine solche Frau haben -ich meine, wie man von einer Zitherspielet'in oder von mir aus auch, je nach ihrer Beschäftigung, von einer Flötenbläserin oder Dichterin und so weiter spricht -, also eine Frau, die auf herkömmlicheWeise nach dieser Tä tigkei t, von der ich spreche, genannt wird 23 ? Seid mir deswegen bitte nicht böse und verärgert! Denn diese Worte bieten sich jedem, der zu diesem Thema Stellung nimmt, von selbst an und sind nicht irgendeine Erfindung von mir. Mit einer solchen Frau zusammenzu-

33,45-48)

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wohnen, wäre keiner von euch bereit, selbst nicht für fünfhundert Talente, glaube ich, und niemand möchte so eine Tochter haben. Oder, bei Gott, wie furchtbar müßte es erst sein, eine solche Frau zur Mutter zu haben und rur sie in ihrem Alter aufzukommen! Und doch ist das eine ehrenvolle Aufgabe und Pflicht, vor allem für die Älteren. (46) Genug, wenn es sich um Frau und Tochter handelt, wird euch das Zuhören zuviel, wenn ihr aber in einer solchen Stadt und in einem solchen Vaterland wohnt, scheint es euch nicht besonders schlimm zu sein. Dabei war Tarsos, was in jeder Hinsicht schwerer wiegt, nicht von Anfang an so verdorben, sondern ihr habt die Stadt erst soweit gebracht. Und doch ist sie Hauptstadt, so daß sie auch Würde und Ansehen einer Hauptstadt hat. Trotzdem aber nehmt ihr weder aufihren Namen noch auf ihr Alter noch auf ihre besondere Stellung Rücksicht. (47) Man sagt ja, die Gründer von Städten, Heroen oder Götter, besuchten oft bei Opfern und gewissen öffentlichen Festen, für alle anderen unsichtbar, ihre Städte. Wenn nun, was durchaus denkbar wäre, euer Ahnherr Herakles hier erschiene, nehmen wir an, wegen des Scheiterhaufens, den ihr ihm zu Ehren so wunderbar errichtet habt'4, glaubt ihr wohl, er werde begeistert sein, wenn er solche Laute vernimmt? Wird er nicht lieber nach Thrakien oder Libyen gehen und am Opfer der Nachfahren des Busiris oder des Diomedes teilnehmen 2S ? Und Perseus 26 , Würde er nicht ganz bestimmt über eure Stadt hinwegfliegen ? (48) Aber wir brauchen gar nicht an die Götter zu denken. Glaubt ihr etwa, Athenodoros 27 , der vor gar nicht allzu langer Zeit gelebt hat und bei Augustus in großem Ansehen stand, hätte den Aufenthalt in eurer Stadt dem Zusammensein mit Augustus vorgezogen, wenn er gewußt hätte, wie es heute in der Stadt zugeht? Früher war eure Stadt berühmt wegen ihrer guten Ordnung und ihrer maßvollen Haltung, und auch die Männer, die sie hervorbrachte, waren von dieser Art. Jetzt aber fürchte ich,

ERSTE TARSISCHE REDE 474 daß aus ihr das Gegenteil wird, so daß man sie mit gewissen anderen Städten zusammen nennt. Und doch verraten auch heute noch viele der bestehenden Sitten irgendwie die nüchterne und strenge Lebensweise alter Zeiten. Dazu gehört zum Beispiel die weibliche Kleidung: Tracht und Gang sind derart, daß niemand auch nur ein kleines Stückehen von Gesicht und Körper sieht und auch die Frauen selbst außer dem Weg nichts sehen· 8 • (49) Und doch, was könn ten sie schon Schlimmeres sehen, als sie hören müssen! Mit den Ohren also hat das Übel begonnen, und heute sind die Frauen zum größten Teil verdorben. Denn die Vergnügungssucht schleicht sich von allen Seiten durch Ohren und Augen ein. So gehen die Frauen zwar mit verhüllten Gesichtern, aber mit unverhüllter, weitgeölfneter Seele. Die Folge ist, daß sie wie die Landvermesser mit einem Auge schärfer sehen als mit zweien. (50) Die Sache mit den Nasen ist also klar, und zwangsläufig richtet sich auch alles andere nach dieser Regel. Denn glaubt nicht, wie bei anderen Leiden gewöhnlich nur einzelne Körperteile, etwa Hände, Füße oder Gesicht, befallen werden, so sei bei euch eine Epidemie an den Nasen ausgebrochen! Oder wie die erzürnte Aphrodite den Frauen von Lemnos die Achselhöhlen verunstaltet haben sol1'9,so seien auch hier durch den Zorn der Gottheit den meisten die Nasen verunstaltet und deswegen stießen sie einen so häßlichen Laut aus. Unsinn! Es ist ein Symptom der äußersten Ausschweifung und Verrücktheit, der Verachtung alles Guten, die nichts mehr für verwerflich hält. (SI) Genauso ist die Redeweise der Frauen, ihr Gang und ihr Blick, behaupte ich. Und wenn sie auch mit ihren Augen nichts derartig Auffallendes tun können, daß sich jedermann nach ihnen umdreht, oder wenn sie es in dieser Kunst noch nicht soweit gebracht haben, so sind sie im übrigen trotzdem um nichts ordentlicher. Über die Leute von Aigai und Adana 30 regt ihr euch auf, wenn sie über euch herziehen, eure eigenen

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475 Bürger aber, die beweisen, daß die anderen recht haben, wollt ihr nicht aus der Stadt werfen. (52) Wißt ihr nicht, daß es bei verbotenen und widernatürlichen Taten in den meisten Fällen beim Verdacht bleibt und keiner aus der Menge etwas wirklich gesehen hat, sondern die Unseligen unbeobachtet im Dunkeln und Verborgenen ihre Untaten begehen? Ihr wahrer Charakter, ihre eigentliche Gesinnung verrät sich in Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung wie etwa in Stimme, Blick und Haltung, auch in solch scheinbar bedeutungslosen Kleinigkeiten wie Haarschnitt und Gang, Drehen der Augen, Biegen des Nackens, Gestikulieren beim Sprechen. Glaubt nicht, daß nur beim Flöten- und Saitenspiel oder beim Gesang sich zeige, was männliches, was weibisches Wesen ist, daß aber Bewegungen und Handlungen nichts damit zu tun hätten und keine Schlüsse zuließen. (53) Ich will euch eine Geschichte erzählen, die ihr vielleicht auch sonst schon einmal gehört habt. Einer eurer bedeutenden Männer 31 kam einmal, wie es heißt, in eine bestimmte Stadt. Er hatte sich zur Aufgabe gemacht, das Wesen eines jeden Menschen sofort zu erkennen und seine Charaktereigenschaften zu erklären, und bei jedem traf er genau ins Schwarze. Wie wir bei Tieren auf den ersten Blick erkennen, daß dies, sagen wir ein Schaf, jenes ein Hund, ein Pferd oder eine Kuh ist, so erkannte er die Menschen auf den ersten Blick und konnte angeben, daß dieser tapfer, jener feige, dieser ein Angeber und jener ein Lüstling, unzüchtig oder ein Ehebrecher ist. (54) Da er nun wegen seiner Fähigkeiten berühmt war und sich in seinem Urteil niemals täuschte, brachten sie auch einmal einen Menschen von ungepflegtem Äußeren zu ihm, mit zusammengewachsenen Augenbrauen, starrend vor Schmutz und in einem erbärmlichen Zustand, mit Schwielen an den Händen, in einen grauen, groben Mantel gehüllt, bis an die Knöchel behaart und auf dem Kopfverwahrlost. Von diesem Mann nun sollte er sagen, wer

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[33.54-57

er sei. Als er ihn sich lange Zeit betrachtet hatte und, wie ich glaube, nicht sagen wollte, was er dachte, meinte er schließlich, er sei sich noch nicht ganz sicher, der andere solle doch einmal ein paar Schritte machen. Als jener gerade weggehen wollte, mußte er niesen, und sofort rief der andere, der Mann treibe Unzucht 3z • (55) Ihr seht, bei einem Menschen verrät das Niesen sein Wesen und kann auch alles andere aufdecken. Eine Stadt aber sollte eine solche Einzelheit nicht in Verruf bringen und ihr einen schlechten Namen anheften, zumal es nicht viel Scharfsinn erfordert zu begreifen, was dieser häßliche Zug verrät? Ich würde übrigens gern von einem Fachmann hören, womit dieser Laut zu vergleichen ist - es ist kein Schnalzen, kein Schmatzen, kein Pfeifen -, was er zu bedeuten hat, zu welcher Tätigkeit er gehört und wann er vorwiegend hervorgebracht wird - weder beim Weiden noch beim Pflügen noch beim Jagen gibt es diesen Laut, und selbst von Seeleuten hat man ihn noch nicht vernommen. (56) Entsteht er vielleicht, wenn man sich begrüßt, sich etwas zuruft oder sich liebkost? Nein, sondern wie der Hymenaios ein altertümlicher Hochzeitsgesang von eigener Prägung ist, so muß dieser Rhythmus in neuerer Zeit für irgendein anderes Fest erfunden sein. Ihr werdet jetzt unwillig weggehen und sagen, ich hätte lauter Unsinn geredet, weil ich so viele Worte über höchst nutzlose Dinge verloren hätte; denn es sei euch noch kein Schaden daraus erwachsen und die Stadt werde deswegen nicht schlechter verwaltet. (57) Nun, bei den alten Griechen galt es als eirte Art Verbrechen, Änderungen in der Musik vorzunehmen, und jeder, der einen neuen Rhythmus einfuhren oder die Stimmen abwechslungsreicher gestalten wollte, wurde einhellig abgelehnt, da man der Meinung war, der Untergang Griechenlands vollziehe sich im Theater. So sorgfaltig achteten sie auf ihre Ohren; und allem, was zu hören war, schrieben sie

33.57-60]

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eine solche Macht zu, daß die Gesinnung aufgeweicht und die Selbstzucht erschüttert werde, sobald man auch nur ein wenig von den alten Grundsätzen der Harmonie abgehe. Deswegen nahmen auch die Spartaner dem Timotheos, einer bereits allgemein anerkannten Größe auf dem Gebiet der Musik, bei seinem Besuch in ihrer Stadt die Leier aus der Hand und schnitten die überflüssigen Saiten heraus 33. Macht es den Spartanern nach, Leute von Tarsos, schneidet den überflüssigen Laut ab! (58) Die alte Sage erzählt, Kirke habe mit ihren Zaubermitteln Menschen in Schweine und Wölfe verwandelt. Aber wir schenken Homer keinen Glauben, wenn er sagt: Sie aber hatten von Schweinen den Kopf, die Stimme und Haare, auch die Gestalt. 34 Jedoch blieb der Verstand bei ihnen klar, wie Homersagt, währenddie Leute hier ihn als erstes restlos verloren haben. (59) Es ist nicht so furchtbar, wenn Menschen zwischendurch einmal die Stimme von Schafen oder Rindern annehmen, wenn sie wiehern oder bellen. Das tun bei den Dichtern die Erinyen der Hekabe zu ihrem ganzen übrigen Leid schließlich auch noch an: und mit wildem Blick stieß aus grauem Rachert die Hündin da aus ehernert Schrei. Es horchte der [da, Tenedos, ringsumjlossen, Thrakiem Felsen, vom Winde gepeitscht. 3s (60) Wie gesagt, diese Ungeheuerlichkeit halte ich nicht für so furchtbar und abscheulich, als wenn ein Mann, der die charakteristischen Kennzeichen des Mannes und seine Stimme behält - die natürlichen Merkmale kann er nämlich nicht auslöschen, mag er auch alles tun, sie zu verbergen, wie ein Dieb gestohlenes Gut versteckt -, von irgendwelchen Erinyen gepeitscht, in sein Gegenteil verkehrt und aufjede Art und Weise zum Weib wird und bereit ist, alles mögliche zu tun, nur nicht, was seiner Natur entspricht. Dann, ein zweiter Proteus 36 , ändert und wandelt er sich und verfällt darauf, mit einer Stimme

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[33.60-63

ZU sprechen, mit der weder Mann noch Frau noch sonst ein Lebewesen spricht. Nicht einmal der Hure, wenn sie einen anspricht, macht eres nach, sondern gibt einen Ton von sich, wie wenn er sich gerade mit der gemeinsten Beschäftigung und dem ausschweifendsten Treiben abgäbe, und zwar mitten am Tag im hellsten Sonnenlicht vor den Augen einer großen Menge. Da war es nicht so ungeheuerlich, als die Rindshäutezu kriechen und das Fleisch zu brüllen anfing 37 • (6r) Welcher Homer, welcher Archilochos vermöchte solches Unheil durch seinen Gesang zu verjagen? Beim Herakles, ich glaube, das Treiben dieser Menschen bedarf eines wahrhaft großen Tragikers, der in der Lage sein müßte, einer solchen Leidenschaft Einhalt zu gebieten und sie einzudämmen. Was hier nämlich geschieht, gleicht bereits einem gräßlichen, schamlosen Wahnsinn. (62) Denn diese Seuche der äußersten Unziemlichkeit, die bei euch die Runde macht, verleitet euch schließlich zu a\1en nur denkbaren Taten, Schreien und Haltungen und zieht jeden Teil in furchtbare Mitleidenschaft, Füße, Hände, Augen, Zunge. Daher kann ich euch auch nichts nützen, noch vermag es meine drucklose, schwache Mahnrede. Die eherne oder eiserne Stimme des Stentor 38 wäre da vonnöten, der lauter und deutlicher rufen könnte als ich. Betrachtet doch nur, wohin das alles fuhrt! (63) Zuerst kam man auf den Gedanken, den Bart zu scheren, und es galt als angemessen, ihn nicht zu lang und voll herabwallen zu lassen, sondern die Natur gelinde zu verbessern. Nun, das fanden viele noch recht geschmackvoll. Dann scherte man den Bart bis zu den Backen, und auch das war noch nicht schlimm. Später jedoch forderte der Komödienschreiber, auch diesen Rest noch wegzusengen auf sechzehn Phalluspjläcken frisch aus Feigenhoh. Aber man hatte ja noch ein schönes, jugendliches Gesicht über die Jahre hinaus, wenn diese Wolle abgeschnitten war. Dann aber - das fehlte noch - ging es auch an Brust und Beine, damit

33.63-3'1.2]

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man auch im übrigen den Knaben gleichsehe. Schließlich machte man sich an die Arme, dann an die Genitalien, wo die Schamhaare überflüssig schienen. Verspottet und verlacht wird die weise Einrichtung der Natur von den schlauen jungen Leuten, als sei sie veraltet und absolut töricht! Solch nutzlose und überflüssige Dinge dem Körper anzuhängen! (64) Wozu braucht ihr Nägel, wozu Haare? Vielleicht nicht einmal Hände und Füße! N ur die Schamteile und den Magen mußte euch die Natur machen und dann Nahrung samt allem übrigen, was man genießen kann, bereitstellen. Das istes also, warum wir uns ringsum verstümmeln und Bart- und Schamhaare abrasieren, die doch das Kennzeichen der Männer sind. Wäre es möglich, von den Frauen alles Fehlende dazuzubekommen, dann wären wirolfensichtlich ganz glücklich, nichtwie jetzt bedürftige Wesen,sondernvollkommeneGeschöpfe, von Natur- Mannweiber. 34. ZWEITE TARSISCHE REDE

(I) Wie mir wohl bekannt ist, Männer von Tarsos, ist es bei euch wie anderswo üblich, daß die Bürger ans Rednerpult treten und Ratschläge erteilen j natürlich nicht jeder beliebige, sondern die angesehenen und wohlhabenden, dann auch die Bürger, die ihren Verpflichtungen dem Staat gegenüber besonders gut nachgekommen sind. Denn es wäre doch wohl recht unvernünftig, wenn ihr vom Besitz der Reichen euern Anteil bekämt, von ihrer Einsicht aber, wie immer sie geartet sein mag, keinen Vorteil haben solltet. Wenn ihr freilich Sänger und Flötenspieler hören oder Wettkämpfer sehen wollt, dann ruft ihr selbstverständlich nicht die Reichen und nicht eure Mitbürger, sondern die Fachleute und Könner. So machen es alle Leute in eurer Lage, nicht ihr allein. (2) Natürlich ist mir auch nicht entgangen, daß Leute in meiner Aufmachung vom Volk gewöhnlich Kyniker genannt werden. Sie hätten einem selbst nichts voraus, glaubt man, und

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könnten in praktischen Fragen nicht mitreden, ja man spricht ihnen sogar jeden gesunden Menschenverstand ab und hält sie für eine Art armer Verrückter. Zum Teil ist man nur zu bereit, diese Männer zu verspotten und zu verlachen; häufig läßt man sie nicht einmal schweigen und erträgt doch erst recht nicht, wenn sie reden. (3) Dann hört man auch, ihr wäret gegen die Philosophen zur Zeit ganz besonders gereizt und verwünschtet sie, freilich nicht alle, aber einen Teil von ihnen. Und diese vorsichtige, gemäßigte Haltung ist durchaus angebracht. Ich meine, daß ihr nicht in Bausch und Bogen alle Philosophen verwünscht, wenn die hier in Tarsos etwas nicht richtig machen. Das allerdings wißt ihr vielleicht nicht, daß ihr mit euren Verwünschungen einen Philosophen überhaupt nicht trefft, denn niemand aus der Zahl der ungerechten und schlechten Menschen ist ein Philosoph, selbst wenn er nackter' als ein Standbild einherginge. Vielmehr scheinen mir alle, die dem Vaterland schaden und sich gegen ihre Mitbürger zusammenrotten, von dieser Bezeichnung weit entfernt zu sein. (4)Was also war meine Erwartung, was mein Wunsch, daß ich in dieser Aufmachung und zu diesem Zeitpunkt vor euch auftrete? Ist das nicht der reine Wahnsinn? Nun, ich selbst möchte nichts von euch haben, vielmehr ist mir darum zu tun, euch einen Dienst zu erweisen. Solltet ihr mich also nicht anhören wollen, so seid eindeutig ihr es, die den Schaden haben, nicht ich. Meint ihr aber wirklich, ich sei verrückt, so solltet ihr mich gerade deswegen anhören'. Ihr dürft nämlich nicht glauben, Adler und Falken gäben den Menschen ein Zeichen, was sie tun sollen, und auf den Wink dieser Tiere sei Verlaß, weil er ohne menschliches Zutun von einem Gott komme, ein Mensch aber, der auf diese Weise zu euch gelangt und eigentlich gar nichts mit euch zu tun hat, komme ohne göttlichen Wink, um sich an euch zu wenden und euch zu raten. (s) Dabei seid ihr bei den Vögeln auf Vermutungen angewiesen, meine

34.5-7]

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48r

Worte aber könnt ihr gleich beim Hören verstehen und dann prüfen, ob wirklich etwas Brauchbares an ihnen ist. Da ich diese Dinge schon einmal erwähne, will ich euch eine Geschichte erzählen, die sich in Phrygien zugetragen hat, damit ihr schon jetzt mich auslachen könnt. Ein Phryger machte auf seinem Tier eine Reise. Da erblickte er eine Krähe und hief t sie Hir ein schlechtes Vorzeichen - die Phryger verstehen sich nämlich auf derlei Dinge -, warf einen Stein nach ihr und traf sie wohl auch. Nun freute er sich mächtig, denn er glaubte, auf sie das Unheil abgelenkt zu haben, hob sie auf, bestieg sein Tier und ritt weiter. Nach einer kurzen Weile aber hatte sich die Krähe wieder erholt. Das Tier scheute und warf den Reiter ab. Der brach sich beim Sturz das Bein, und so nahm es mit ihm ein böses Ende, weil er für das Zeichen nicht dankbar gewesen war. (6) Ich jedoch bilde mir ein, entschieden besseren Rat als die Krähe zu wissen und zu einsichtigeren Männern, als der Phryger es war, gekommen zu sein. Wenn ich euch Unsinn zu reden scheine, werdet ihr nämlich nicht gleich mit Steinen nach mir werfen, sondern nur ein Geschrei erheben. Gut, da ihr schweigt und bleibt, will ich euch zunächst zeigen, falls ihr euch nicht ganz sicher sein solltet, daß ihr im gegenwärtigen Augenblick einen klaren Kopf braucht, daß eure Lage guten Rat und viel Weitsicht erfordert; ferner, daß keiner hier so leicht das Notwendige euch wird raten können, der eine aus Unkenntnis eures wahren Vorteils, der andere aus Feigheit vor euch oder vor anderen, der dritte, weil er vielleicht mehr aufseinen eigenen Vorteil bedacht ist. (7) Schließlich will ich euch meine persönliche Ansicht in dieser Frage darlegen und zeigen, was ihr meiner Meinung nach im Augenblick zu tun und wie ihr überhaupt die Stadt zu verwalten habt, um in alle Zukunft Nutzen davon zu haben. Euch, Männer von Tarsos, ist das Glück beschieden gewesen, die Ersten des Volkes zu sein, nicht nur, weil eure Stadt die

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r34.7-10

größte in Kilikien ist und von An[1ng an eine führende Rolle gespielt hat, sondern auch, weil ihr mehr als alle anderen die Zuneigung des zweiten Caesars 3 gewonnen habt. Denn das Unglück\ das um seinetwillen über die Stadt hereingebrochen war, hatte natürlich zur Folge, daß er rur euch eingenommen und darauf bedacht war, euch die Bezeugungen seiner Gunst größer erscheinen zu lassen als die um seinetwillen erlittene Unbill. (8) Deshalb gewährte er euch auch, was man wahren Freunden, Verbündeten und zu jedem Dienst bereiten Männern gewährt: Land, Verfassung, Ansehen, Hoheitsrechte über den Fluß und das Meer in eurem Bereich. Daher wuchs die Stadt schnell, war doch auch seit ihrer Einnahme nicht viel Zeit vergangen. Es ging ihr wie einem Menschen, der nach schwerer Krankheit schnell wieder genesen ist: Bekommt er in der Folgezeit hinreichend Pflege, geht es ihm häufig besser als zuvor. (9) Was allerdin gs die nachfolgenden Ereignisse betrifft, so war es rur eure Stadt nicht, wie man bisweilen annimmt, von Nutzen, daß einige der leitenden Beamten gewalttätig waren und ihr gegen sie vorgingt. Daß ihr wieder einiges darstelltet, daß ihr nicht nur euch selbst, sondern auch anderen zu helfen wußtet, daß die Nachfolger ganz gewiß mit ihren Übergriffen vorsichtiger waren, dazu kam es allerdings nur dadurch, daß jene zur Rechenschaft gezogen wurden. Im übrigen aber machte dieses Vorgehen eure Stadt verhaßt und brachte euch den Rufein, ihr wäret unzufrieden und mit Beschuldigungen schnell zur Hand. Denn schon früher galten häufige Anklagen als Beweis rur Denunzierungssucht, zumal wenn es sich um Beamte vor Beamten handelte. Denn als Grund für das feindselige Verhältnis vermutet man nicht, daß ihr zu streng behandelt werdet, sondern daß ihr euch der Herrschaft nicht fügen wollt. (10) Dann ist da noch etwas anderes, das euch betrifft und mit dem eben Erwähnten eine gewisse Ähnlichkeit hat. Die Leute von Aigai haben sich aus unüberlegtem Rivalitätsstre-

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ben euch gegenüber bei der Eintragung in die öftentlichen Listen einiges zuschulden kommen lassen s. Zwar zogen sie dabei den kürzeren, aber doch haben sie die feindselige Stimmung vergrößert und eure Stadt allmählich in den Rufeiner schweren Bedrückerin der anderen Städte gebracht. (11) Das war früher. Heutzutage sind es die Leute von Mallos, die sich mit euch streiten. Vor keinem frechen Übergriff scheuen sie zurück; weil sie aber schwach und euch weit unterlegen sind, spielen sie immer die Rolle des Unrecht Leidenden. Denn nicht, was man tut, ist bei einigen ausschlaggebend, sondern was man ist, und häufig sind sie gar nicht bereit zu untersuchen, wer der Übeltäter und Gewalttätige ist, sondern fragen nur, bei wem seiner größeren Macht wegen die Anwendung von Gewalt wahrscheinlich ist. Auf jeden Fall, hättet ihr etwas getan von dem, was sich jetzt die Malloten herausnehmen, würde man euch als Städtezerstörer, als Unruhestifter und Kriegshetzer betrachten und es für notwendig halten, ein Heer gegen euch zu schicken. (12) «Aber man spielt uns doch übel mit», wird mancher sagen, «wenn diese Leute tun dürfen, was sie wollen, und aus ihrer Hilflosigkeit noch Kapital schlagen, wir aber eine Gefahr heraufbeschwören, sobald wir uns nur regen.» Zugegeben, das ist ein gewaltiges Unrecht. Aber wenn dabei wiederum nur Unrecht herauskommen kann, darf man sich nicht in übertriebenem Eifer selbst in eine ausweglose Lage bringen. Eher braucht es da Weitblick und Vorsicht. Eine ähnliche Situation entsteht etwa, wenn ein schwacher Kämpfer gegen einen weit überlegenen Gegner antritt. (13) Dem einen gestattet man keine Regelwidrigkeit, und selbst wenn er nur aus Versehen gegen eine Bestimmung verstößt, wird er ausgepeitscht; bei dem andern aber sieht es niemand, wenn ihm jedes Mittel recht ist. Hier wird der in Wahrheit Überlegene, der etwas aufsieh hält, durch seine Stärke gewinnen und diese kleinen Vorteile zurückweisen. So werdet auch ihr nun, wenn ihr

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vernünftig seid, mit gerechten Mitteln und durch die Größe eurer Stadt die Neider aus dem Felde schlagen, aber nichts in Zorn und Empörung tun. Doch davon später noch mehr, wie ich, soviel ich weiß, schon in Aussicht gestellt habe. (14) Jetzt will ich die übrigen Punkte durchgehen mit der Gründlichkeit, die ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für erforderlich halte. Die feindliche, aufsässige Haltung der Malloten braucht euch wohl noch nicht allzusehr zu beunruhigen. Daß aber auch eure Nachbarn, das Volk von Soloi und Adana, und vielleicht noch einige andere dieselben und keineswegs freundlichere Gefuhle hegen, daß auch sie unzufi'ieden sind und schimpfen und lieber von jedem sonst abhängig sein wollen, läßt die Vermutung aufkommen, daß auch der Unwille der Aigaier und Malloten vielleicht nicht so ganz unberechtigt ist und sie sich nicht aus Neid und Rivalität von euch zurückgezogen haben, sondern weil eure Stadt womöglich doch etwas an sich hat, das die Schwächeren kränkt und sie vor den Kopf stößt. (15) Das entspricht nicht den Tatsachen, aber es bringt euch denselben Schaden, als wenn es ihnen entspräche. Überlegt doch einmal, in welchem Verhältnis ihr zu eurem Statthalter steht! Früher konnte man nur vermuten, daß ihr nicht gerade gut aufihn zu sprechen wart; trotzdem verhandelte er mit euch in städtischen Angelegenheiten und ihr mit ihm, ohne daß man etwas Besonderes gemerkt hätte. In jüngster Zeit aber ließet ihr, über die vermeintliche Zurücksetzung aufgebracht, einiges laut werden, worauf er sich zu einem zornigen Schreiben und zu einer früher undenkbaren Handlungsweise veranlaßt sah. (16) «Aber die Stadt selbst wie auch unser gegenseitiges Verhältnis machen doch die wünschenswerten Fortschritte!» Standen nicht wie erst kürzlich das Volk für sich und der Ra t fur sich, stehen nicht noch heu tzu ta ge die Äl testen für sich, wobei klar ist, daß jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht

34. ,6-'9]

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ist? Wie wenn auf See die Matrosen, der Steuermann und der Schiffsherr jeweils für sich ihr Bestes suchten! Wenn auch häufig die Rede davon ist, darf man es deswegen nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn nicht, was zum ersten Mal gesagt wird, auch nicht, was man noch nie zuvor gehört hat, muß man bereitwillig aufgreifen, sondern was der Sache angemessen ist und einigen Nutzen verspricht. (17) «Ganz gewiß», werdet ihr sagen, «aber jetzt haben wir uns geeinigt und beraten gemeinsam.» Wer aber wird eine solche Übereinkunft, die unter heftiger Erregung erst vor drei oder vier Tagen zustande gekommen ist, rur zuverlässig und fest erachten? Auch die Gesundheit eines Menschen, der eben noch im Fieber lag, wird man nicht als fest bezeichnen wollen. Sagt also auch ihr nicht, ihr wäret eines Sinnes, bevor nicht ein Vielfaches an Zeit verstrichen ist, mindestens aber soviel, wie eure Zwietracht gedauert hat. Wenn ihr einmal dasselbe zum Ausdruck bringt oder denselben Antrieb spürt, dann glaubt nicht, die Krankheit sei aus der Stadt bereits vertrieben. (r8) Denn auch bei verstimmten Instrumenten kommt es wohl einmal vor, daß die Töne für einen Augenblick zusammenklingen, dann aber"gibt es sofort wieder eine Dissonanz. Wie das Verwunden und Zerstückeln schnell und ganz ohne Schwierigkeit vor sich geht, das Zusammenwachsenlassen und Vereinigen aber viel Zeit und Sorgfalt erfordert, so ist es auch bei einer Stadt: Zwietracht und Parteiung sind leicht zu bewerkstelligen und entstehen häufig um Kleinigkeiten; Ruhe, Ordnung und Vertrauen aber sind, beim Himmel, nicht schon damitzu haben, daß man sagt, man sei anderen Sinnes geworden, oder dadurch, daß man es geworden zu sein scheint. (19) Nicht nur bei euch, auch bei allen anderen ist nämlich vielleicht gerade in diesem Punkt eine besonders aufmerksame Behandlung, mehr noch, das Gebet angebracht. Nur wenn man von den Übeln, die Unruhe und Verwirrung stiften,

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loskommt, von Neid, Habgier, Streitsucht und Egoismus, und sich um das Vaterland und das Gemeinwohl kümmert, kann es einmal feste Eintracht und eine gemeinsame Entscheidung geben. Wo aber diese und ähnliche Fehler herrschen, da sind ständige Unsicherheit, Auseinandersetzungen und Unruhen aus geringfügigen Anlässen die notwendige Folge, wie wenn auf dem Meer Stürme aus entgegengesetzten Richtungen toben. (20) Deswegen glaubt nur nicht, im Rat oder in der Volksversammlung herrsche Einmütigkeit! Wollte jemand alle Männer der Reihe nach durchgehen, fande er in der Stadt vermutlich nicht einmal zwei, die dasselbe dächten. Wie es einige unheilbare, schreckliche Krankheiten gibt, die gewöhnlich den ganzen Körper ergreifen und keinen Teil verschonen, so hat auch diese Unverträglichkeit und beinah überall zn beobachtende gegenseitige Abneigung die Stadt durchdrungen. (21) Aber umden Rat und das Volk, diejungen und die Alten zu lassen - neben ihnen, gleichsam außerhalb der Bürgerschaft, gibt es eine nicht geringe Zahl von Leuten, die man gewöhnlich « Leineweber» 6 nenn t. Zuzeiten empfindet man sie als Last, schimpft sie überflüssiges Volk und schiebt ihnen die Ursache für jede Unruhe lind Unordnung zu; dann aber hält man sie wieder für einen Teil der Bürgerschaft und läßt ihnen ihr Recht. Haltet ihr sie für schädlich und für die Ursache von Rebellion und Ruhestörung, müßtet ihr sie unbedingt vertreiben, statt sie in euren Versammlungen zuzulassen. Betrachtet ihr sie aber in gewisser Weise als Bürger, nicht nur weil sie hier ansässig sind, sondern auch weil die Mehrzahl von ihnen hier geboren ist und noch keine andere Stadt gesehen hat, so solltet ihr sie auf keinen Fall vor den Kopf stoßen und von euch trennen. (22) Jetzt, da sie geschmäht und als Eindringlinge angesehen werden, sind sie zwangsläufig in ihrer Gesinnung dem Gemeinwohl entfremdet. Aber gerade das bedeutet für eine Stadt höchste Gefahr, und nichts beschwört eher Rebellion und Uneinig-

34. 22- 2 4]

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keit herauf. Auch beim Körper läßt sich ähnliches beobachten: Die Wohl beleibtheit, die sich im Lauf der Jahre einstellt, ist die Ursache von Wohlergehen und verhilft zu einer stattlichen Erscheinung, wenn sie auf natürliche Weise mit der restlichen Entwicklung übereinstimmt; wo nicht, ruft sie Krankheit und Verfall hervor. (23) «Nun gut, was schlägst du uns vor?» Sie alle als gleichberechtigte Bürger in eure Bürgerlisten einzutragen, jawohl, sie nicht mehr zu beschimpfen und von euch zu stoßen, sondern, was sie tatsächlich ja auch sind, als einen Teil von euch zu betrachten. Denn es ist unhaltbar, daß ein Mann, der fünfhundert Drachmen stiftet, euch deswegen schon liebt und sofort für wert befunden wird, das Bürgerrecht zu bekommen, ein Armer aber oder jemand, dem der Aufseher über die Listen die Eintragung verweigert hat, die Stadt nicht sollte lieben und für sein Vaterland halten können, obwohl nichtnurer selbst hier bei euch geboren ist, sondern auch sein Vater und seine Vorfahren. Und wenn er Leinen herstellt, ist er deswegen schlechter als jemand anders, darf man ihm daraus einen kränkenden Vorwurf machen? Wäre er Färber, Schuster oder Zimmermann,dürfte man ihm auch nicht seinen Berufvorhalten. (24) Grundsätzlich war es allerdings nicht meine vornehmliehe Absicht, über diesen kritischen Punkt in der Verwaltung der Stadt zu sprechen und zu zeigen, wie es damit bestellt ist. Vielleicht bin ich nur soweit gegangen, um euch klarzumaehen, in welchem Verhältnis ihr zueinander steht, und zu fragen, ob ihr dem gegenwärtigen Zustand trauen und glauben dürft, daß ihr zur Zeit wirklich ein Herz und eine Seele seid. Ein Haus,ein Schiffund dergleichen soll te man nach meinemDaftirhalten nicht nur auf seinen gegenwärtigen Zustand prüfen, obes im Augenblick Schutz bietet und kein Wasser durch läßt, sondern ganz allgemein dabei berücksichtigen, wie es gebaut und gefügt ist und ob es keine Risse und morsche Stellen gibt.

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(25) Was indes, wie schon erwähnt, früher die Stadt wachsen ließ, diese außerordentliche Dienstbereitschaft und Dankbarkeit dem Kaiser gegenüber, kann ich zur Zeit bei euch nicht mehr feststellen. Natürlich fehlen sie deshalb, weil er auf nichts dergleichen mehr angewiesen ist. Trotzdem bleibt es dabei, daß ihr im Vergleich mit den anderen bei ihm nichts voraushabt. Deswegen solltet ihr daraufbedacht sein, was ihr damals durch das freundliche Entgegenkommen des Kaisers erhalten habt, durch ein entsprechendes Verhalten, das keinen Anlaß zum Tadel gibt, für die Zukunft zu bewahren. (26) Glaube ja keiner, ich wollte euch damit auffordern, euch schlechterdings mit allem abzufinden und alles über euch ergehen zu lassen. Nein, ihr sollt eure eigene Lage verstehen lernen, damit ihr jetzt einen besseren Entschluß faßt und in Zukunft von jedem, der vor euch sprechen will, verlangt, daß er nicht leichtfertig und, was ihm gerade einfallt, daherredet, sondern alles zuvor überlegt hat und als Wissender spricht. Denn auch der Arzt, der den Patienten so genau untersucht hat, daß ihm nichts entgangen ist, wird ihn wohl am besten wieder gesund machen. (27) Daß die gegenwärtige Lage Aufmerksamkeit und bessere Ratgeber erfordert, als die es sind, die der Zufall, das Geld oder ihre Herkunft auf die Rednerbühne treibt, könnt ihr etwa an folgendem sehen. Wenn ihr selbst nicht ganz fest und einig seid; wenn die meisten Städte in eurer Umgebung nicht gut auf euch zu sprechen sind, sondern die einen aus langjähriger Rivali tä t euch beneiden, die andern wegen Gebietsstrei tigkei ten sich mit euch verfeindet haben, die dritten ich weiß nicht was für Behauptungen aufstellen, sie fühlten sich von euch bedrängt; wenn der Statthalter glaubt, die Beziehungen zwischen ihm und euch hätten sich gebessert, ihr aber trotzdem erst kürzlich einen Zusammenstoß mit ihm nicht vermeiden konntet; wenn ihr schließlich wegen der Größe eurer Stadt und der Möglich-

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keit, viel Besitz an euch zu bringen, mit neidischen Blicken betrachtet werdet - wie solltet ihr euch da nicht ein sorgfältig überlegtes Urteil bilden müssen? (28) «Nun gut, aber können das die Bürger nicht selbst erkennen und Rat schaffen?» Woher denn? Wären die Führer und Staatsmänner in den Städten fähig, das Richtige zu finden, so ginge es allen Menschen fortwährend gut, und sie blieben vor Rückschlägen verschont, wenn nicht gerade völlig unvorhergesehen ein Unglück diese oder jene Stadt heimsucht. Aber in fi'üheren und in heutigen Zeiten, glaube ich, kann man mehr Unheil finden, das durch die Unkenntnis des wahren Besten und durch die Fehler der führenden Männer als durch göttliche Fügung und durch Zufall über die Städte gekommen ist. (29) Denn es gibt Leute, die ohne den rechten Blick fur das Erforderliche und ohne die nötige Ausbildung, nur gestützt auf Geld und Herkunft, sich der Politik zuwenden und dabei nicht einmal in der Lage sind, ein Dorf richtig zu verwalten. Andere glauben, sie nähmen ihre Pflichten wahr, wenn sie Sätze zusammenstoppeln und sie womöglich schneller als die meisten anderen herunterrasseln - das ist aber auch das einzige, was sie können. Und die Hauptsache: Nicht um des allgemeinen Wohls und des Vaterlandes willen, sondern nur, um Ansehen und Ehre zu erlangen, um mehr zu gelten als der andere, weil sie Kränzen und Ehrenplätzen und Purpur nachjagen, deswegen handeln und reden sie; was ihnen den Anschein gibt, als wären sie etwas, darauf sehen sie, daran hängen sie. (30) Die Folge davon ist, daß man in jeder Stadt eine Menge bekränzter Leute sehen kann, die in der Öffentlichkeit opfern und in Purpur einhergehen. Ein edler und vern iinftiger Mann aber, der um seine Vaterstadt ehrlich besorgt ist, der nachdenkt und die Wahrheit sagt, durch den die Stadt, die auf ihn hört, besser verwaltet und auf diese oder jene Weise gefordert wird, ein solcher Mann ist nur selten zu finden. (3 I)

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Und das kann eigentlich gar nicht anders sein. Denn wenn man der Meinung ist, daß jeder, der öffentliche Abgaben geleistet hat oder leisten will, einem Ratschläge geben darf, daß nur dem Leiter eines Gymnasions oder einem Vorsteher Redeerlaubnis erteilt wird oder gar diesen sogenannten Berufsrednern, dann kann man doch gleich Ausrufer, Sänger oder Geldwechsler ums Wort bitten. Deswegen treten bei euch auch nur ehrsüchtige Dummköpfe ans Rednerpult, Leute, die nach dem Beifall der Menge gieren, aber nichts auf Grund sicherer Kenntnis und Einsicht zu sagen haben. Wie wenn sie im Finstern tappten, werden sie in einem fort von Beifall und Zurufen dahingetrieben. (32) Wollte man jedoch einem Steuermann raten, er solle um jeden Preis auf den Beifall der Passagiere bedacht sein und, wenn sie nur klatschen, das Schiff nach ihrem Willen steuern, so brauchte es wohl keinen mächtigen Sturm, um das Schiff zum Kentern zu bringen. Es kommt ja oft vor, daß eine seekranke Landratte oder ein altes Weiblein, sobald es ein Riff erblickt hat, Land und Hafen gesehen zu haben glaubt und daraufloszusteuern bittet. (33) Ich dagegen behaupte, daß der gute Ratgeber, der es verdient, das Oberhaupt einer Stadt zu sein, grundsätzlich gegen alles, was als beschwerlich gilt, gewappnet zu sein hat, ganz besonders aber gegen die Schmähungen und Zornausbrüche der Menge. Er muß dem Vorgebirge gleichen, das einen Hafen bildet: Die ganze Wucht des Meeres fängt es auf, drinnen aber hält es das Wasser in bewegungsloser Stille. So muß auch er sich gegen die Menge anstemmen; ob es ihr einfallt, zornig zu werden, ihn zu schmähen oder sonst etwas zu tun, all ihr Toben darf ihn nicht berühren. Wird er gelobt, darf er deswegen nicht stolz werden, fühlt er sich beleidigt, darf er deswegen nicht niedergeschlagen sein. (34) Bei euch ist es allerdings anders, und wie ich höre, sieht keiner eurer Politiker seine Aufgabe in einer derartigen Führung, noch gehört sie zu den allgemeinen Pflichten.Im Gegenteil,

34.34-37]

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die einen stehen ganz abseits, die anderen machen sich nur so nebenbei an die Politik und rühren sie nur leicht an, wie man etwa ein Trankopfer mit den Lippen berührt; sie entschuldigen sich damit, daß es höchst unsicher sei, sich der Politik zu verschreiben. Kein SchifIseigentümer, kein Geldleiher, kein Landmann kann seine Arbeit zufriedenstellend verrichten, wenn er sie als Nebensache betrachtet; nur in der Politik versucht man sich zum Zeitvertreib und hält alles andere für wichtiger. (35) Und wenn man schon einmal ein Amt übernimmt, sucht man sich dabei eine Beschäftigung aus, mit der man sich am ehesten einen Namen machen kann. Deswegen beweist man seine Kräfte auch nur Hir sechs Monate, oft nicht einmal zum Besten der Stadt. Die Folge davon: Heute ist dieser euer Sprecher, morgen folgt ihm schnell ein zweiter, dann ein dritter. Wer noch vor dreißig Tagen der große Mann war und behauptete, er allein sei um die Stadt besorgt, ist heute nicht einmal mehr in der Volksversammlung zu sehen. (36) Das erinnert mich an einen Festzug. Jeder will gern gesehen sein und gibt sich dementsprechend alle Mühe, bis er vorbeigezogen ist. Etwas abseits aber legt er seine feierliche Haltung ab, ist wieder einer von den übrigen und geht seines Weges, wie er will. Der Prytan 7 freilich sollte die gesetzlich vorgeschriebenen sechs Monate als Grenze seiner Amtszeit anerkennen. Wer sich aber sonst mit Politik befaßt, darf doch, bei Gott, für seine Zuneigung zu euch und seine pfiichtbewußte Einsatzbereitschaft ruf das Gemeinwohl keine besonderen Termine haben, erst recht nicht solch einen kurzen, vielmehr muß er sich, seiner Verantwortung bewußt, immer bereithalten. (37)Jetzt aber segelt ihr dahin, Männer von Tarsos, wie Seeleute bei Winden, die vom Land her oder aus dunklen Wolken wehen: Weder ihre Fahrt noch eure Politik ist in irgendeiner Hinsicht sicher und zuverlässig. Denn solche Winde können euch unmöglich bis ans Ziel bringen oder ohne Unterbrechung wehen, ja häufig brachten

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[34,37-39

sie schon das Schiff zum Sinken, wenn sie mit unverminderter Wucht darüber herfielen. Eine solch große, herrliche Stadt müßte Männer haben, die aufrichtig um das gemeinsame Wohl besorgt sind. Wie die Dinge jetzt allerdings liegen, ist von diesen kurzlebigen Eintagsdemagogen kaum etwas Gutes zu erwarten. (38) Darüber und über unzählige andere Dinge wäre noch eine Menge zu sagen. Aber da auch ich selbst seit dem ersten Tage meines Aufenthaltes hier bei euch den Demagogen gespielt habe, obwohl ich mit dieser Art Leute streng ins Gericht gehe, muß ich mein Versprechen einlösen und euch meine Meinung zur gegenwärtigen Lage sagen. Zunächst euer Verhältnis zu eurem Statthai ter - jedoch gilt, was ich zu sagen habe, fUr alle. In den politischen Verhältnissen, wie sie heutzutage überall bestehen 8, sollte man es so halten, daß man weder sich alles gefallen läßt und den Machthabern gestattet, mit einem zu machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt, wie weit sie auch in ihrem Übermut und ihrer Überheblichkeit gehen mögen, noch daß man überhaupt nichts ertragen zu dürfen meint und erwartet, Minos oder Perseus 9 müsse jetzt erscheinen, um sich eurer Sache anzunehmen. (39) Denn aufjede Selbsthilfe verzichtet nur der Sklave, und es sähe übel aus, wenn nicht ein Rest an Vorbehalten und Bedenken denen gegenüber, die ihre Macht mißbrauchen, geblieben wäre. Auf der andern Seite aber ist es auch nicht vorteilhaft für euch, wenn sich das Volk über alles empört und alles kritisiert. Denn sollte sich herausstellen, daß eure Beschwerde einmal nicht berechtigt ist und ihr damit nicht durchkommt - das aber kann aus vielen Gründen geschehen -, fUrchte ich, daß es um die Freiheit, seine Meinung zu äußern, bald geschehen ist. Denkt bitte daran, was die Ionier getan haben: Sie beschlossen, gegen niemand mehr Klage zu erheben. Alle diese Möglichkeiten sollte ein vernünftiger Mensch im voraus bedenken und

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nicht wie ein Kampfesunerfahrener leichten Herzens wegwerfen, was er zu seinem Schutz hat, um dann ohne Waffen dazustehen und sich nicht mehr wehren zu können, wenn ihn der Gegner erschlägt. (40) Soviel jedoch möchte ich grundsätzlich sagen: Eine solch starre Haltung, mit der ihr, fest entschlossen, überhaupt nichts mehr zu tun, eure Vorgesetzten nur gegen euch mißtrauisch macht, nützt euch aufkeinen Fall. Wenn ihr zu dem Ergebnis kommt, ihr könntet einen Mann, der sich offensichtlich derartige Übergriffe leistet, daß man sie nur zu seinem eigenen Nachteil übersehen kann, entfernen, dann trefft alle Vorbereitungen, um ihn zu überführen, und betrachtet ihn sofort als euren Feind, der gegen euch etwas im Schilde führt. Wenn ihr aber mit einem anderen Ausgang rechnet, wenn ihr etwa der Meinung seid, der Betreffende habe sich nichts oder nicht viel zuschulden kommen lassen, oder aus sonst einem Grund es nicht für zweckmäßig haltet, gegen ihn vorzugehen, dann reizt diesen Mann nicht und hütet euch davor, ihn zornig auf die Stadt zu machen. (41) Ich denke, es verhält sich da wie mit einer Last. Drückt sie allzusehr und können wir sie nicht mehr tragen, suchen wir sie so schnell wir möglich abzuwerfen; ist sie aber nur mäßig schwer und sehen wir, daß wir sie oder eine noch schwerere Last tragen müssen, sehen wir zu, wie wir sie uns so bequem wie möglich machen. So hält es einevernünftige Bürgerschaft. Auf diese Art werden euch die meisten gerne haben, und niemand wird es wagen, sich an euch zu vergreifen. Man wird euch auch nicht für eine gesetzlose Masse oder für uneinsichtigen Pöbel halten, der sich von wilder Leidenschaft fortreißen läßt. (42) Denn was der Prytan zur Zeit macht, wäre selbst dann vollkommen verkehrt, wenn ihr entschlossen wäret zu klagen. Allerdings ist die Zeit noch nicht da, es zum offenen Bruch kommen zu lassen und die Beschwerde öffentlich vorzubringen. Da aber einmal ein Mitbürger von euch unter dem Druck der Verhältnisse für die Stadt eingetreten ist und sich

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[34.42-44

dadurch, daß er zwei hohe Beamte nacheinander anklagte, einen Namen gemacht hat, glauben jetzt die meisten, auch sie müßten eine solche Tat vollbringen. Das wäre genauso, wie wenn jemand einen Arzt unter eine heilsame Medizin auch ein kleines Tröpfchen tödliches Gift mischen sähe, sonst aber nichts von der Sache verstünde, weder wie die Medizin zusam_ mengesetzt ist noch wieviel man von ihr einnehmen soll, und es ihm trotzdem nachmachen wollte. Von diesem Mann ist nicht weit entfernt, wer in den wichtigsten Angelegenheiten improvisiert und glaubt, jeder, der sich eine Chance ausrech_ net, könne die Geschicke einer Stadt leiten. (43) Wenn ich nun noch einige Worte über euer Verhältnis zu den Leuten von Mallos und den übrigen Städten gesagt habe, will ich schließen, denn ich glaube, eure Geduld schon lange genug in Anspruch genommen zu haben. Wenn sich diese Leute, ich meine die Malloten, etwas haben zuschulden kommen lassen - und es entspricht ja den Tatsachen -, so schluckt euern Zorn herunter und erlaßt ihnen die Strafe, die sie nach eurer Meinung verdient haben. Versucht statt dessen lieber, in der strittigen Frage'· zu einer Einigung zu kommen. Sich damit abzufinden und seine Eifersucht zu begraben, darin seht, was es ja auch in Wirklichkeit ist, etwas Großes und die dem Überlegenen einzig anstehende Haltung, zumal es sich um einen soviel schwächeren Gegner handelt. (44) Denn es besteht keine Gefuhr, daß man es euch als Schlappe auslegt, wenn sich Mallos behauptet. Fallt auch nicht auf die Leute herein, die euch scharfmachen wollen, sondern macht euch selbst zu Richtern, prüft den Fall sorgfältig ohne jede Gehässigkeit und Parteilichkeit und legt den Streit bei, indem ihr nicht nur ihm und eurem unbedingten Machtstreben absagt, sondern dem Partner entgegenkommt und ihm einen annehmbaren Komprorniß vorschlagt. Denn auch im privaten Leben lobt ihr Leute, clie vernünftig sind und lieber einen Schaden

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hinnehmen als sich herumzanken. Genauso findet auch im politischen Bereich ein solches Verhalten einer Stadt allgemein Beifall. (45) Dünen und sumpfige Gebiete sind nichts wert. Worin sollte auch ihr Ertrag und Nutzen liegen! Aber im Ruf einer ehrenwerten und großzügigen Stadt zu stehen gilt mit Recht als kaum zu überschätzender Vorzug. Denn mit der ganzen Welt an Gerechtigkeit und Tüchtigkeit zu wetteifern, mit dem Beispiel einträchtiger Freundschaft voranzugehen und darin den anderen überlegen zu sein und damit sie zu schlagen, das ist der allerschönste und sicherste Sieg. Will man aber in einer Auseinandersetzung um jeden Preis der Überlegene sein, so paßt das eher zu stolzen Streithähnen als zu Männern. (46) Müßte man nun damit rechnen, daß Mallos durch die Dünen und das sandige Weidegebiet größer als Tarsos wird, wäre euer gewaltiger Eifer vielleicht gerechtfertigt. So aber ist es eine schändliche Lächerlichkeit, um die ihr streitet. «Warum haben dann nicht die andern auf diese Gebiete verzichtet?» werdet ihr fragen. Weil sie nicht besser sind als ihr. Ihr aber, beim Himmel, ihr wollt besser sein als sie! Deswegen war ich der Meinung, ihr solltet eine Gesandtschaft dorthin schicken und protestieren. Das wäre ein Beweis eurer Überlegenheit und Klugheit gewesen. Mehr als nötig sich aufzuregen, sofort auf seine Stärke zu pochen und sich angegriffen zu fühlen verrät eher ein kleinstädtisches Benehmen. (47) Ebenso solltet ihr euch auch gegen die anderen Städte großzügig, eifrig bemüht und frei von Haß zeigen. Dann nämlich werden sie euch alle von selbst folgen aus Bewunderung und Achtung, und das ist mehr, als wenn Mallos in Tarsos opfert und hier seine Prozesse führt 11. Denn es ist ohne jeden Nutzen, ob die Leute von Adana oder Aigai hierherkommen zum Opfern - nur Einbildung, Selbsttäuschung und sinnlose Eifersucht. (48) Sympathie dagegen und der Ruf, von ganz

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besonderer Fähigkeit und Menschenfi'eundlichkeit zu sein, das ist ein wahres Gut, das verdient Nachahmung und Einsatz. Darauf solltet ihr achten, denn euer jetziges Benehmen ist lächerlich. Ob nun die Aigaier mit euch, die Apameer mit den Antiochiern oder, weiter entfernt, die Leute von Smyrna mit den Ephesern streiten - immer streiten sie um des Esels Schatten, wie man sagt. Denn Herrschen und Gebieten, das besorgen andere. (49) Schon aus alter Zeit gibt es ein Beispiel fur solch ein eifersüchtiges Ringen, Athen und Sparta. Zunächst lagen die Spartaner vorne, dann aber, nach den Perserkriegen, neigten die Griechen mehr und mehr den Athenern zu. Was machte Sparta da? Es verzichtete auf die Inseln, aufIonien und den Hellespont und hielt in weiser Selbstbeschränkung nur noch die eigenen Belange im Auge, da es wohl wußte, daß nichts über Gesetz und Ordnung gehen dar( So kam es, daß Sparta gerade zu jener Zeit seine glücklichste Epoche erlebte. (so) Den Athenern aber stand das Glück nur zur Seite, solange die Städte zu ihnen hielten und sie ein mildes Regiment fuhrten. Später jedoch, als Beschwerden laut wurden und sich der Neid gegen sie regte, als sie die Herrschaft noch in Anspruch nahmen, während die anderen nicht mehr wollten, da erlebten sie viele Enttäuschungen. Zuallererst verloren sie ihren guten Namen und Ruf, dann Macht und Besitz, und schließlich mußten sie sich dem Feind beugen. Den Spartanern ging es später genauso, als sie ihrer alten Überzeugung untreu geworden waren und wieder die Vormachtstellung behaupteten.(s I ) Freilich kann man bei diesen beiden Städten noch von wirklicher Macht und großen Vorteilen sprechen - wenn man ihren Egoismus so nennen dar( Wer aber heutzutage die Zänkereien und Anlässe zur Feindschaft sieht, wird sich meiner Meinung nach schämen, denn es sind die Streitereien von Sklaven, die sich mit ihresgleichen um Ansehen und erste Plätze zanken.

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Wie, sollte es denn in unseren Tagen überhaupt nichts Gutes mehr geben, das den Einsatz lohnt? Doch, das Größte, das allein den Einsatz verdient und das früher genauso galt, wie es heute gilt und in Zukunft gelten wird. Und merkwürdig, niemand hat die Möglichkeit, es einem anderen zu geben oder, wenn es jemand hat, ihm wegzunehmen; immer hat man es selbst in der Hand, ob es sich nun um einen einzelnen oder um eine Stadt handelt. Aber auch noch darüber mit euch zu sprechen, würde vielleicht zu weit führen. (52) Freilich bin ich mir bewußt, daß viele glauben, gerade die Philosophen seien es, die alles auflösen und tatkräftige Einsatzbereitschaft im Keime ersticken, so daß sie mehr Schaden als Nutzen stiften. Das wäre aber doch genauso, wie wenn man einen Musiker, der beim Stimmen einen Teil der Saiten herauf-, einen anderen herunterspannt, auslachen wollte, weil er beides tut. (53) Ähnlich steht es nämlich auch mit euren politischen Angelegenheiten. Die schlechten, zu keinem Nutzen führenden Neigungen und ehrgeizigen Bestrebungen sind höher gespannt als gestattet, und so zerreißen, wie man sagen könnte, die Menschen ganz von selbst, während die Bestrebungen zu den wertvollsten Dingen vollständig schlaff sind. Denkt doch nur etwa daran, wie die Habgier oder, wenn ihr wollt, die ausschweifende Gen ußsuch t euch anspann t ! Doch ich glaube, ich habe mich zu weit abbringen lassen, so daß ich wie ein Schwimmer, der sich bei ruhiger See zu weit hinausgewagt hat, nicht mehr sehe, was vor mir liegt. 35. IN KELAINAI IN PHRYGIEN

(r) Nicht, um eine Probe meines Könnens zu geben, stehe ich vor euch, Bürger, noch möchte ich euch um Geld bitten, noch erwarte ich Lob. Denn ich bin mir bewußt, daß ich nicht hinlänglich vorbereitet bin, um mit meinen Worten euern Beifall

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zu finden, und daß ihr unter den gegenwärtigen Umständen auf meine Worte nicht angewiesen seid. Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was ihr hören wollt, und dem, was ich zu bieten habe. Denn meine Art ist es, schlicht und einfach zu reden, nicht besser als jeder andere, ihr aber wollt nur Außerordentliches, das gewöhnliche Maß Sprengendes hören und gebt euch nur mit ganz ausgezeich_ neten Rednern zufrieden. (2) Also nicht deswegen bin ich hier, um mich von euch bewundern zulassen. Wie wäre es auch denkbar, daß ihr mich bewundert, selbst wenn ich euch noch größere Wahrheiten als die der Sibylle oder des Bakis' sagte! Ich möchte nur, daß man mir nicht mit Argwohn begegnet und nicht einer den andern fragt, wer ich sei und woher ich komme. Sonst könnte man vielleicht vermuten, ich sei einer der klugen Alleswisser', und mein langes Haar 3 als Beweis dafür nehmen. Wie lächerlich und abwegig! Hingen Tüchtigkeit und Verstand von langem Haar ab, dann hätten die Menschen wahrhaftig keine große Kraftanstrengung dazu nötig. (3) Indessen fürchte ich, daß den Dummen auch langes Haar nichts nützt, selbst wenn sogar ihr Herz behaart wäre, wie man es sich von dem Messcnier Aristomenes erzählt, der den Spartanern soviel zu schaffen machte. Sooft sie ihn gefangen hatten, immer wieder entkam er ihnen. Als er dann endlich tot war, stellte man fest, daß sein Herz Haare hatte4. Ich sage also, daß diesen halbnackten Philosophen, und würden sie Peltasten S, ihre lange Mähne nichts nützt hinsichtlich einer gerechten, wahrhaft überlegten und vernünftigen Lebenseinstellung. Und zögen sie noch mehr aus und liefen im Winter nackt herum oder legten sie sich die Tracht der Meder und Araber an, so erreichten sie genausowenig, wie sie flöten könnten, wenn sie sich wie Flötenspieler kleideten. Auch aus Eseln können keine Pferde werden. Da mag man ihnen ruhig die Nüstern weiter aufschlitzen, zum Einlegen des Zaumes die Backen durchbohren

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und den Packsattel abnehmen - sie werden weiter draußen vor den Mauern laut schreien und alles tun, was ein Esel tut. (4-) Deshalb glaube niemand, auf Grund meines Äußeren unterschiede ich mich von jedem anderen und das gäbe mir den Mut zu sprechen. Betrachtet es lieber von der anderen Seite! Wenn ich mich grundsätzlich zurückziehe und mit keinem spreche, wird man mich viel eher im Verdacht haben, daß ich etwa eingebildet sei oder ernstlich etwas zu verbergen hätte, wie in der Tat schon viele Leute deswegen bewundert worden sind, weil sie schwiegen. Wenn ich mich aber in eurer Mitte sehen lasse und ihr merkt, daß meine Sprache nicht besser ist als die eines Händlers oder Maultiertreibers, werdet ihr euch beruhigen, da ihr genau gesehen habt, wes Geistes Kind ich bin. (s) Auch in anderen Fällen läßt sich, was ich sagen will, leicht beobachten. Wenn ihr zum Beispiel jemand verdächtigt, er habe das, was ihr gerade sucht, so geht ihr zu ihm und fragt nach. Macht er nun Ausflüchte und sperrt sich, wird der Verdacht nur stärker; kehrt er aber bedenkenlos seine Taschen um und stellt sich heraus, daß er wirklich nichts hat, so geht ihr wieder und denkt, daß ihr euch wohl getäuscht haben müßt. Noch viel besser ist es für jemand, der keinen Ruhm begehrt, vor dem Volk seine Taschen umzukehren und sich denen, die ein Gespür für das Wesen eines Menschen haben, zu entdecken. Ich glaube nämlich nach dem, wie ich jetzt behandel t worden bin, daß man nur Verachtung für mich haben wird und daß wir uns einander nicht verstehen werden, weder ich das Publikum noch das Publikum den Redner, wobei ich allerdings die Schuld eher bei mir als bei euch suchen möchte. (6) Das wäre also ein Grund, weshalb ich mich hier in der Öffentlichkeit zeige. Der andere Grund ist meine Beftirchtung, ich könnte durch eure Vermutung verdorben werden und tatsächlich zu der Ansicht kommen, daß ich etwas Besonderes sei. Wird man näm lich als einzelner von vielen bewundert und

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für besser als die anderen gehalten, so scheint es großer Klug_ heit und Charakterstärke zu bedürfen, wenn man klaren Kopf behalten will, um sich nicht zu etwas Unüberlegtem hinreißen und durch das Gerede der Menge wie auf Flügeln emportragen zu lassen. So wird bei Homer Achilleus, der mit seinen Waffen gewaltig prahlt, in die Höhe gerissen:

Flügel wuchsen ihm gleichsam und hohen den Hirten der Völker. 6 (7) Wie groß aber die Macht der Masse ist, einem einzureden, was immer sie will, kann man besonders gut an den Kindern sehen, wenn die Flegel einem Mann mit gesundem Menschenverstand nachlaufen und ihn verrückt nennen. Zunächst behält er seinen Unwillen rur sich und geht weiter, dann aber bewahrheitet sich infolge der ständigen Zusammenstöße, Schimpfereien und Verfolgungsjagden genau das, was die Kinder gerufen hatten: Der Mann wird schließlich tatsächlich verrückt und versteht das Gerede nicht nur der Erwachsenen, sondern auch der Kinder so, daß er ein Gott seF. (8) Hier scheint mir auch der Grund zu liegen, weshalb die Sippschaft der Sophisten so zunimmt. Wenn viele junge Leute, die nichts anderes zu tun haben, um einen einzigen Mann herumtanzen wie die Bacchantinnen um Dionysos und ihn bestaunen, dann muß er ja nach nicht allzu langer Zeit zu der Ansicht kommen, er habe auch vielen anderen etwas Bedeutendes zu sagen. Es ist fast wie bei Eltern, die ihren Kindern das Sprechen beibringen. Sie sind entzückt über alles, was die Kleinen sagen. Dadurch wird das Kind ermutigt, macht immer größere Fortschritte und spricht immer verständlicher, bis es schließlich, ob Grieche oder Ausländer, die Sprache seiner Umgebung gelernt hat. Auch bei den Sophisten kann es gar nicht anders sein, als daß sie sich die Gedankenwelt ihrer Zuhörer zu eigen machen, indem sie so reden und denken wie ihre Zuhörer, von denen die meisten freilich armselige Toren sind.

35.9-Il]

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(9) Nun wäre es vielleicht noch nicht besonders gefährlich, wenn jemand sich selbst und den andern als etwas ganz Außergewöhnliches vorkäme und einen Haufen von Dummköpfen an der Nase herumftihrte, wie Orpheus nach der Sage Eichen, Felsen und Steine mitgezogen hat. Wenn der Mann nun aber, dumm, feige, unbeherrscht und in nichts vom Vieh unterschieden, glaubt, er habe auch Anspruch auf besondere Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit, dann geht das entschieden zu weit und beweist nur ein äußerstes Maß an Dummheit und Wahnwitz. Entsteht ein solches Gerücht um jemand und beginnt ein solches Gerede heimlich aufzuflackern, muß er sich die Kleider vom Leibe reißen und nackt auf die Straße rennen, um allen zu beweisen, daß er nicht besser ist als jeder andere. (10) Und wenn sich ihm jemand an seine Fersen heftet und behauptet, sein Schüler zu sein, muß er ihn mit Schlägen fortjagen und mit Erdklumpen und Steinen nach ihm werfen, da er entweder ein Dummkopf oder ein Schuft ist. Damit meine ich nicht alle, denn es gibt unter ihnen durchaus auch solche, die ihre Aufgabe befriedigend und zu aller Nutzen meistern; ihnen sollte man ein Trankopfer darbringen und Räucherwerk anzünden. Nein, ich meine die drei oder vier, die man euch als weise Leute vorstellt, die wie eure Priester langes Haar tragen. Die Glücklichen! Sie herrschen über alle Priester und heißen nach einem ganzen Kontinent, nach einem von zweien 8! Denn auch diese Leute verdanken ihr Glück Kränzen, Purpur und langhaarigen Knaben, die Räucherwerk tragen. Wie dem auch sein mag, das Gesagte soll genügen. (I I) Auf keinen Fall aber darf man in langem Haar den Beweis für besondere Tüchtigkeit sehen. Denn viele Menschen tragen einem Gott zu Ehren langes Haar; Bauern tragen es lang, ohne jemals etwas von Philosophie gehört zu haben, und nicht zuletzt die meisten Barbaren, die einen zum Schutz, die andern, weil sie meinen, es stehe ihnen gut. Und keiner von ihnen wird 18

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deshalb beneidet oder ausgelacht, (12) denn vielleicht ist ihr Verhalten sogar richtig. Ihr seht ja, daß die Hasen, diese schwachen Tiere, durch ihr dickes Fell geschützt werden und daß bei den Vögeln sogar die schwächsten Wind und Wetter mit ihrem Gefieder hinreichend abhalten können, weshalb ihnen auch die Natur hat Federn wachsen lassen. Wir Menschen aber schneiden uns das Haar kurz, wie Hirten den Stuten, die sie mit Eseln zusammenbringen wollen, die Mähne scheren 9, rasieren uns den Bart ab - und bedecken dann den Kopf. Dabei sehen wir doch, daß die Hähne nichts dergleichen benötigen, wir Menschen aber nähen uns Röcke, Filzkappen und ähnliches zusammen. Und doch, welcher Hut aus Arkadien oder Lakonien könnte einem besser stehen als das eigene Haar? «Wozu braucht man überhaupt sein Haar, wo es doch so viele schützende Hüllen gibt?» höre ich fi·agen. Man braucht es nicht, zumindest nicht, wenn man reich ist, denn dann braucht man ja nicht einmal Hände und Füße 10! (13) Nun sehe ich, daß auch diese Stadt keiner der erstrangigen Städte nachsteht. Dazu beglückwünsche ich euch und habe meine Freude daran. Ihr besitzt das beste und fruchtbarste Gebiet des Festlandes, wohnt mitten zwischen den schönsten Ebenen und Bergen, habt die wasserreichsten Qyellen und den ergiebigsten Ackerboden, der unzähligen Reichtum hervorbringt, Tf/eizerJ und Dinkel und weiße Gerste mit breiten Ähren, 11 und viele Rinderherden, viele Schafherden weiden auf euren Fluren. Die größten und nutzbringendsten Flüsse entspringen hier bei euch, der Marsyas da, der mitten durch eure Stadt fließt, der Orgas und der weitaus göttlichste und weiseste von allen Flüssen, der Mäander, der in zahllosen Windungen, man darf sagen den besten Teil Asiens durchströmt. (14) Ihr seid das Tor nach Phrygien, Lydien und auch Karien, andere sehr volkreiche Stämme wohnen in eurer Nachbarschaft, die Kapa·

IN KELAINAI IN PHRYGIEN 35.14- 1 7] 5°3 doker, Pamphyler und Pisider, und für sie alle ist eure Stadt Markt und Versammlungsplatz. Zudem habt ihr viele unbekannte Städte, viele wohlhabende Dörfer unter eurer Gewalt. Der sicherste Beweis aber für eure Macht ist die Höhe der geleisteten Abgaben. Denn wie man bei Zugtieren annimmt, daß die stärksten wohl auch die schwerste Last ziehen können, so ist es auch bei den Städten wahrscheinlich, daß die angesehensten die größten Abgaben entrichten. (15) Ferner finden bei euch jedes zweite Jahr die Gerichtsverhandlungen statt und locken eine unübersehbare Menschenmenge herbei, Prozessierende, Richter, Redner, leitende Beamte, Diener, Sklaven, Kuppler, Maultiertreiber, Händler, Dirnen, Handwerker. So können die Besitzer ihre Waren um einen recht hohen Preis an den Mann bringen, und nichts in der Stadt ist unbeschäftigt, weder die Zugtiere noch die Häuser noch die Frauen - und das ist kein geringer Beitrag zum allgemeinen Wohlstand. (16) Wo nämlich die größte Menschenmenge zusammenkommt, da muß auch das meiste Geld zusammenfließen, und man kann erwarten, daß der Ort gedeiht. Man sagt ja auch, glaube ich, daß das Feld, auf dem die meisten Schafe eingepfercht sind, durch den Mist ftir den Landmann am fruchtbarsten werde, weshalb auch viele Bauern die Hirten bitten, doch aufihrem Land die Schafe einzupferchen. (17) Daher kommt es, daß man hinsichtlich der Geltung einer Stadt der Einrichtung eines Gerichtshofes so große Bedeutung beilegt, daß man sich allgemein darum mehr bemüht als um alles andere. In den Genuß dieses Vorrechts kommen die angesehensten Städte jedes zweite Jahr. Allerdings heißt es, der Zeitraum solle jetzt vergrößert werden, weil sich die Leute nicht länger fortgesetzt herumjagen lassen wollen, bald hierhin, bald dorthin. Und schließlich seid ihr an den Heiligtümern in Asien und an den Aufwendungen für sie beteiligt, nicht weniger als die Städte . selbst, in denen die Heiligtümer liegen.

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Ich muß gestehen, keine vom Glück mehr begünstigte Stadt zu kennen als die eure, keine Menschen, die ein besseres Leben hätten, die Inder ausgenommen 12. 18) Dort nämlich führen, wie man sagt, die Flüsse nicht wie bei uns Wasser, sondern Milch, klaren Wein, Honig und Öl; sie entspringen auf nahen Hügeln gleichsam aus den Brüsten der Erde. Alles, was dort wächst, ist an Wohlgeschmack und Kraft unendlich viel besser als die Erzeugnisse bei uns. Wir gewinnen das zum Leben Notwendige kärglich und mühselig von Tieren und Pflanzen, indem wir die Früchte von Bäumen pressen und, was uns die Tiere zum Leben geben, Milch und Honig, melken und zeideln. Dort aber ist alles viel reiner und wird, wie ich glaube, ohne Kraftanstrengung und schlaue List gewonnen. Die Ströme fließen einen Monat für den König, und das sind seine Einnahmen, den Rest des Jahres für das Volk. 19) Jeden Tag treffen sie sich mit Weib und Kind an den Qgellen und Flußufern zu Spiel und Scherz, als gingen sie auf ein Fest. An den Ufern wächst die kräftige Lotospflanze, von allen Nahrungsmitteln vielleicht das wohlschmeckendste und nicht wie bei uns Futter für die Vierfüßler, dann auch Sesam und Eppich in großer Fülle - so könnte man diese Pflanzen vielleicht wegen ihrer Ähnlichkeit im Aussehen nennen, obwohl ihre Güte einen Vergleich nicht zuläßt. Es gedeiht dort auch noch eine andere Pflanze, eine nahrhaftere und bekömmlichere Kost als Weizen und Gerste; sie wächst in großen Kelchen, etwa wie die der Rosen, aber noch duftender und gräßer. Davon essen sie Wurzel und Frucht und brauchen nichts daftir zu tun. 20) Viele Kanäle gibt es dort, die von den Flüssen abgeleitet sind, teils größer, teils kleiner und miteinander verbunden, nach Gutdünken von den Indern angelegt. So kann das Wasser wie bei uns in den Gärten leicht umgeleitet werden. Dann sind da Bäder, die einen mit warmem Wasser, weißer als Silber, die andern mit dunkelblauem, wegen der Tiefe und

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Kälte. Da schwimmen Frauen und Kinder, alle zusammen und alle schön. Nach dem Bad lassen sie sich, wie ich mir denke, auf dem Rasen nieder und singen und trällern vor sich hin. (21) Herrliche Auen breiten sich dort aus mit einer bunten Fülle von Blumen und Bäumen, die von oben her Schatten gewähren, aber auch, indem sie ihre Äste herabneigen, jedem, der Lust dazu verspürt, eine Frucht an bieten, er braucht nur danach zu greifen. Dazu singen die Vögel. Sie haben sich oben auf den Bergen niedergelassen, eine gewaltige Schar, und auf den spitzen der Zweige, und ihre Stimmen haben einen schöneren Klang als unsere Instrumente. Immer weht ein sanfter Wind, und das Klima, am ehesten unserm Sommeranfang vergleichbar, bleibt sich das ganze Jahr über gleich. Dazu ist der Himmel dort klarer, die Sterne sind zahlreicher und leuchtender. Die Menschen leben länger als vierhundert Jahre und sind doch während dieser ganzen Zeit von blühenderjugendfrische; Alter, Krankheit und Armut gibt es nicht bei ihnen. (22) Aber bei all diesen reichen und vielfältigen Segnungen gibt es doch Männer, man nennt sie Brahmanen 13, die jenen Flüssen und den Menschen, die sich an ihren Ufern niedergelassen haben, den Rücken kehren und zurückgezogen für sich selbst beschauliche Betrachtungen anstellen, wobei sie ihre Körper, ohne daß sie jemand dazu zwänge, einer unerhörten Askese unterziehen und die schlimmsten Entbehrungen auf sich nehmen. Es heißt, sie hätten eine ganz besondere Qgelle, die Qgelle der Wahrheit, von allen die beste und göttlichste. Wer aus ihr einmal getrunken habe, dessen Durst könne nie mehr gestillt werden. Die Berichte aus diesem Land nun entsprechen der Wahrheit, denn einige Leute, die schon dort gewesen sind, haben sie bestätigt. Allerdings sind es nicht viele, die ihr Beruf als Kaufmann dorthin fuhrt, und diese wenigen verkehren nur mit den Küstenbewohnern, also mit dem Teil der indischen"

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Bevölkerung, der verachtet ist und allgemein schlecht gemacht wird 14. (23) Ihr müßt also zugeben, daß die Inder noch glücklicher sind als ihr. Ihr aber seid glücklicher als alle übrigen - abgesehen noch von einem Menschenstamm : dem goldreichsten. Das Gold bekommt er von Ameisen, die größer als Füchse, im übrigen aber unseren Ameisen gleich sind. Wie die gewöhnlichen Ameisen bohren auch sie Gänge in die Erde. Was sie dabei auswerfen, ist purstes Gold, glänzender als alles andere Gold. Es liegt dann nah beieinander, gleichsam kleine Hügel von Goldkörnchen, und die ganze Ebene erstrahlt in goldenem Glanz. Dorthin zu sehen ist bei Sonnenlicht gefahrlieh, und schon viele, die es versuchten, haben ihr Augenlicht verloren. (24) Die Menschen aus der Umgebung aber kommen, wenn sie das dazwischenliegende öde und nicht eben große Gebiet auf Wagen mit den schnellsten Rossen durchquert haben, gegen Mittag dorthin, wenn die Ameisen sich in die Erde verkrochen haben. Dann raffen sie den Goldstaub an sich und machen sich wieder davon. Die Ameisen aber, sobald sie es merken, nehmen die Verfolgung auf, holen die Feinde ein und kämpfen mit ihnen, bis sieentweder selbst getötet werden oder ihren Gegner getötet haben; sie sind nämlich die streitbarsten Tiere überhaupt. So genau kennen sie den großen Wert des Goldes und wollen eher sterben als ihren Schatz preisgeben 15. (25) Aber wer sonst von unsern Zeitgenossen könnte noch zu den Glücklichen gerechnet werden'1 Die Byzan tiner, denn sie sind im Besitz eines sehr fruchtbaren Landes und eines außerordentlich ertragreichen Meeres. Aber infolge der hervorragenden Eigenschaften des Meeres haben sie das Land vernachlässigt. Denn das Land bringt ihnen erst nach geraumer Zeit Frucht und muß vor der Ernte bestellt werden, während das Meer seine Schätze austeilt, ohne daß sie dafLir schwitzen müssen 16.

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vorgelesen in der Heimat

(I) Den Sommer über weilte ich in Borysthenes. Es war die Zeit nach meiner Verbannung, und ich war dorthin gefahren, um, wenn möglich, durch das Land der Skythen zu den Geten ZU gelangen, wo ich die Verhältnisse etwas genauer kennenlernen wollte. Eines Tages schlenderte ich gegen Mittag am Ufer des Hypanis entlang. Zwar hat die Stadt ihren Namen, wegen der Schönheit und Größe des Flusses, vom Borysthenes [, sie liegt aber am Hypanis, und nicht nur sie, auch ihre Vorgän gerin lag an ihm, ein wenig oberhai b der Hippolaoshöhe auf der anderen Seite des Flusses. (2) Dieser Teil des Landes läuft, wo die beiden Flüsse sich treffen, einem Schiffsschnabel vergleichbar, in eine spitze Zunge aus. Von hier aus bilden dann die Flüsse über eine Strecke von annähernd zweihundert Stadien bis zum Meer hin einen Sumpf und weisen an dieser Stelle auch etwa die gleiche Breite auf. Der größte Teil dieses Gebietes ist seicht, und bei schönem Wetter liegt der Spiegel glatt da wie bei einem See. Auf der rechten Seite aber ist das Flußbett noch bemerkbar, und die einfahrenden Schiffer schließen von der Strömung auf die Tiefe. Die Stärke der Strömung ist auch der Grund dafür, daß der Fluß überhaupt noch ins Meer hinaustritt; wäre die Strömung nicht so stark, würde sich das Wasser stauen, sobald ein heftiger Südwind über dem Mündungsgebiet weht. (3) Im übrigen ist der Küstenstreifen morastig und dicht mit Schilfund Bäumen bestanden. Viele Bäume sind auch mitten im sumpfigen Wasser sichtbar, so daß man sie leicht mit Schiffsmasten verwechseln kann. So haben sich schon mit den Verhältnissen nicht vertraute Seeleute täuschen lassen und sind in der Annahme, es seien Schiffe, auf sie zugesegelt. In diesem Gebiet gibt es auch Salz die Men ge. Hier kau-

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fen es die meisten Barbaren ein, auch Griechen und Skythen, soweit sie auf der taurischen Chersones wohnen. In der Nähe des Kastells Alektor, das der Gemahlin des Sauromatenkönigs gehören soll, münden beide Flüsse ins Meer. (4) Infolge der wiederholten Eroberungen und Kriege ist die Stadt Borysthenes, gemessen an ihrem früheren Ansehen, unbedeutend. Da die Stadt schon so lange Zeit mitten im Gebiet der Barbaren liegt - und man darf wohl sagen, daß es gerade die kriegerischsten sind -, ist sie immer in Kriege verwickelt und schon häufig eingenommen worden. Die letzte und schwer_ wiegendste Eroberung der Stadt liegt kaum hundertfunfzig Jahre zurück. Wie die übrigen Städte am rechten Pontosufer bis hin nach Apollonia wurde auch Borysthenes ein Opfer der Geten. (s) So stand es denn um die Griechen in diesem Gebiet außerordentlich schlecht, die Städte wurden überhaupt nicht mehr oder nur noch spärlich besiedelt, während Barbaren in Hülle und Fülle in ihnen zusammenströmten. Denn in der Tat, da das griechische Gebiet in viele Teile zerrissen war, wurden viele seiner Städte in vielen Gegenden erobert. Die Einwohner von Borysthenes jedoch zogen nach dem Fall ihrer Stadt wieder zusammen, wie ich vermute, auf Wunsch der Skythen, die auf den Handel mit den Griechen angewiesen waren und fur sie einen Hafen benötigten. Seit die Stadt nämlich verlassen war, hatten die Griechen dort nicht mehr angelegt, da sie niemand mehr hatten, der ihre Sprache hätte verstehen und sie in Empfang nehmen können, auch die Skythen selbst keinen Wert darauflegten und es nicht verstanden, einen eigenen Handelsplatz nach griechischem Muster anzulegen. (6) Zeichen der Zerstörung sind noch der schlechte Zustand der Bauwerke und die Zusammenziehung der Stadt auf klei· nem Raum. Sie ist nämlich an einen Teil der alten Ringmauer angebaut, wo einige wenige Türme die Zeiten überdauert haben - verschwindend wenig im Vergleich zur alten Größe und

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Stärke der Stadt. In diesem Zwischenraum drängen sich die fIäuser dicht bei dicht ohne den geringsten freien Platz. Eine kleine Mauer, außerordentlich niedrig und baufällig, hat man an ihnen entlanggezogen. Einige Türme stehen noch in beträchtlicher Entfernung von der jetzt bebauten Fläche, so daß niemand auf die Vermutung käme, daß sie einst zu einer einzigen Stadt gehörten. Daneben gibt es noch andere eindeutige Spuren der Eroberun g: In den Tempeln ist kein einziges Standbild unversehrt geblieben, alle sind sie, wie auch die Grabdenkmäler, beschädigt. (7) Ich war also, wie ich schon sagte, auf einem Spaziergang draußen vor der Stadt, als sich wie auch sonst einige Leute aus der Stad t zu mir gesell ten. Da kam Kallistratos auf seinem Pferd von außerhalb zurück. Zunächst ritt er an uns vorbei. Kaum aber hatte er uns überholt, stieg er ab, gab das Pferd seinem Begleiter und kam mit Anstand auf uns zu, die Hand unterm Mantel verborgen. Vom Gürtel hing ihm ein langer Reitersäbel herab, er trug Beinkleider und auch im übrigen skythische Tracht, über die Schultern hatte er einen kleinen schwarzen Mantel aus feinem Stoff geworfen, wie ihn die Leute von Borysthenes zu tragen pflegen. Auch sonst bevorzugen sie schwarze Kleidung, nach dem Beispiel eines Skythenstammes, der «Schwarzmäntel », die ihren Namen von den Griechen vermutlich wegen dieser Eigenart bekommen haben. (8) Kallistratos war etwa achtzehn Jahre alt, außerordentlich schön und schlank, und seine Erscheinung hatte viel Ionisches an sich. Es hieß, auch sein Kriegshandwerk verstehe er sehr gut und habe schon viele Sauromaten getötet oder gefangen genommen. Auch mit Rhetorik und Philosophie hatte er sich eingehend befaßt, so daß er am liebsten gleich mit mir abgereist wäre. Aus all diesen Gründen, nicht zuletzt aber wegen seiner Schönheit genoß er bei seinen Mitbürgern großes Ansehen und hatte viele Liebhaber; die Liebe unter Männern nämlich war ihnen

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als Erbe ihrer Mutterstadt' geblieben. So scheinen sie auch einige Barbaren dazu überredet zu haben - wohl kaum zu einem guten Ende, denn jene nehmen es nach ihrer Weise auf, eben nach Barbarenweise und nicht ohne Ausschweifungen. (9) Da ich nun seine Homerbegeisterung kannte, fi'agte ich sofort nach diesem Dichter. Fast alle Borystheniten haben eine Vorliebe für Homer, vielleicht, weil sie auch heute noch ein kriegerisches Volk sind, vielleicht aber auch wegen ihrer Sympathie für Achilleus. Ihn nämlich ehren sie über alle Maßen und haben ihm einen Tempel aufder nach ihm benannten Insel, einen andern in der Stadt gebaut. Daher wollen sie auch über niemand anders hören als nur über Homer. Und während sie sonst, da sie mitten unter Barbaren wohnen, kein reines Griechisch mehr sprechen - die Ilias können sie fast alle auswendig. (10) Scherzend fragte ich ihn also: «Lieber Kallistratos, welcher Dichter scheint dir besser zu sein, Homer oder Phokylides?» Da lachte er und sprach: «Von dem einen Dich ter kenne ich nicht einmal den Namen, und ich glaube, auch keiner von den Leuten hier. Denn ausschließlich Homer lassen wir als Dichter gelten. Er ist wohl auch sonst überall bestens bekannt, denn nur er wird von den Dichtern in ihren Werken zitiert und bei jeder Gelegenheit vorgelesen, mit seinen Versen feuert man die in den Kampf ziehenden Truppen an, wozu in Sparta die Lieder des Tyrtaios gedient haben sollen. Aber alle diese Dichter sind blind und halten es für ausgeschlossen, daß man auch auf andere Weise 3 Dichter werden könne.» (Il) «Das haben ihre Dichter also von Hornen>, erwiderte ich, «als wären sie von einer Augenkrankheit angesteckt! Aber den Phokylides kennt ihr wirklich nicht, sagst du? Dabei gehört er doch zu den wahrhaft berühmten Dichtern. Wenn ein Händler zu euch kommt, der noch nie hier gewesen ist, werdet

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ihr auch nicht gleich ausfallig gegen ihn, sondern kostet zuerst von seinem Wein oder nehmt, wenn er eine andere Ware mit sich fUhrt, eine Probe davon; gefallt sie euch, kauft ihr, wenn nicht, laßt ihr es bleiben. So kannst du jetzt auch von der Dichtung des Phokylides geschwind eine Probe bekommen. (12) Er gehört ja nicht zu den Dichtern, die ein langes Werk unaufhörlich weiterspinnen, so wie euer Homer etwa fUnftausend und mehr Verse benötigt, um die einzelnen Etappen eines einzigen Kampfes darzustellen, nein, bei ihm liegen Anfang und Ende in zwei oder drei Versen beschlossen. Und so fügt er auch jedem Sinnspruch seinen Namen bei - soviel Gewicht und Wert mißt er ihm zu - und macht es nicht wie Homer, der an keiner Stelle seiner Dichtung sich selbst nennt. (13) Oder glaubst du nicht, daß Phokylides etwa bei folgendem bedeutsamen Spruch mit Recht seinen Namen dazugesetzt hat: Das auch sagt phok)'/ides: Besser die winzige Stadt auf ragendem Fels, doc/; geordnet, als das verdorbene Ninos. 4 Wiegen diese Verse nicht die ganze Ilias und Odyssee auf, wenn man nur richtig hinhört? Oder hattet ihr mehr davon, wenn ihr von den Sprüngen und Sätzen Achills hörtet und von seiner Stimme, mit der allein er die Troer in die Flucht geschlagen hat S? Solche Geschichten auswendig zu lernen, ist das fUr euch nützlicher, als wenn ihr lern t, daß ein kleines, auf rauhem Fels gelegenes Städtchen besser und glücklicher ist, wenn es nur richtig verwaltet wird, als eine große Stadt in einer breiten, weiten Ebene, wenn Menschen ohne Ordnung, ohne Gesetz und Vernunft in ihr wohnen?» (14) Kallistratos war von meinen Worten nicht gerade begeistert. «Mein lieber Freund», sagte er, «wir achten und schätzen dich sehr, sonst hätte es wohl kein Borysthenite geduldet, daß du in dieser Weise von Homer und Achilleus sprichst. Denn Achilleus ist fUr uns ein Gott, wie du siehst, und Homer kommt in unserer Verehrung gleich nach den Göttern.»

BORYSTHENITISCHE REDE 512 Um ihn zu beschwichtigen und gleichzeitig auch auf etwas Nützliches hinzulenken, antwortete ich: «Bitte verzeih mir, wenn etwas Böses wurde gesagt jetzt, 6 um eine Wendung Homers zu gebrauchen. Bei einer späteren Gelegenheit laßt uns dann Achilleus und Homer preisen, wo immer er uns recht zu haben scheint. (15) Für jetzt wollen wir den Spruch des Phokylides prüfen, denn ich glaube, er hat außerordentlich Treffendes über die Stadt gesagt.» «Bitte tu das», bat er, «du siehst ja, daß auch diese Leute alle dich hören wollen und deswegen so zahlreich hier am Fluß zusammengekommen sind, obwohl sie nicht gerade in der ru. higsten Verfassung sind. Du hast doch wohl vernommen, daß die Skythen gestern gegen Mittag bei einem Überfall die Po. sten, soweit sie nicht aufpaßten, getötet, den Rest vielleicht gefangengenommen haben. Genaueres wissen wir noch nicht, denn ihr Fluchtweg ist ziemlich lang, weil sie nicht auf die Stadt zu fliehen.» (16) So war es in der Tat, die Tore waren fest verschlossen, und auf der Stadtmauer hatte man die Kriegsflagge gehißt. Aber trotzdem waren sie als echte Griechen so hörbegierig, daß fast die ganze Stadt in Waffen zugegen war und hören wollte. Voller Bewunderun g fur ihren Eifer fragte ich sie: «Sollen wir nicht lieber an einen Ort in der Stadt gehen, wo wir uns setzen können? Denn hier draußen beim Gehen hören möglicherweise nicht alle gleich gut, die weiter hinten stehen, werden Schwierigkeiten haben und ihre Vorderleute stören, wenn sie näher herankommen wollen.» (17) Da stürzte alles sofort zum Zeustempel, in dem sie gewöhnlich ihre Versammlungen abhalten. Die ältesten und angesehensten Männer, dazu die Beamten saßen ringsum auf den Stufen, das übrige Volk stand; es lag nämlich ein großer fi·eier Platz vor dem Tempel. Jedem Philosophen hätte bei die-

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sem Anblick das Herz höher geschlagen: Alle trugen sie nach lIral ter Sitte langes Haar und einen wallenden Bart, wie Homer die Griechen beschreibt. Nur einer unter ihnen war rasiert, von allen beschimpft und verachtet. Es hieß, er mache das nicht zu seinem persönlichen Vergnügen, sondern um den Römern zu schmeicheln und seine Sympathie fur sie zu bekunden. So konnte jedermann an ihm sehen, wie schimpflich und alles andere als einem Manne angemessen eine solche Haltung ist. (18) Als es still geworden war, begann ich damit, daß sie meines Erachtens recht daran täten, als Bewohner einer alten griechischen Stadt über das Wesen der Stadt hören zu wollen. «Zunächst», legte ich dar, «gilt es, den Gegenstand unserer Untersuchung genau zu erfassen, denn damit dürftet ihr zugleich auch den Kern begriffen haben. Die meisten Menschen », führte ich aus, «kennen und gebrauchen nämlich nur den Namen von jedem Ding, von der Sache selbst haben sie keine Ahnung. (19) Die Gebildeten jedoch sind darum bemüht, auch die Bedeutung von allem, worüber sie sprechen, zu erkennen. Das Wort ,anthropos' zum Beispiel gebrauchen alle Menschen, die Griechisch sprechen. Fragt man aber einen von ihnen, was das eigentlich ist - ich meine seinem Wesen und dem besonderen Unterscheidungsmerkmal nach -, so kann er es nicht sagen und zeigt nur auf sich selbst oder auf einen anderen, wie es auch die Barbaren machen. Der Wissende aber antwortet auf die Frage, was der Mensch ist: ein mit Vernunft begabtes sterbliches Wesen. Denn dieses Prädikat kommt einzig und allein dem Menschen zu. (20) So wird auch die Stad t als eine gesetzlich verwaltete Anzahl von Menschen, die an derselben Stelle wohnen, definiert. Damit ist bereits klar, daß eine Stadt ohne Vernunft und Recht diese Bezeichnung nicht verdient _. man nennt sie nur so. Auch Ninive also hätte der Dichter nicht ,Stadt' nennen können, da es sich der Tollheit ergeben hatte. Denn wie es keinen Menschen ohne Vernunft gibt, so keine

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Stadt ohne Gesetz; eine Stadt ohne Vernunft und Ordnung aber kann niemals gesetzlich sein. (21) Mancher wird sich nun fragen, ob ein Gemeinwesen vernünftig und gesetzlich und eine wahre Stadt genannt werden kann nach denen, die es verwalten: wenn nämlich die leitenden Beamten vernünftige und kluge Männer sind und das Volk nach ihrem Willen gesetzlich und vernünftig gelenkt wird. Wie man etwa einen Chor wird musikalisch nennen können, wenn der Chorleiter musikalisch ist, die übrigen seinen Absichten folgen und keine falschen Töne singen - oder nur leise und unhörbar. (22) Von einer guten Stadt, die nur aus Guten besteht, hat im menschlichen Bereich noch niemand etwas vernommen, und auch für die Zukunft darf man sie niemals erwarten, es sei denn, man dächte an die Stadt der glückseligen Götter im Himmel, die niemals ruhig und träge, sondern stets in emsiger Bewegung begriffen ist1. Ihre Führer und Leiter sind Götter, ohne Streit und Niederlage, denn die Götter dürfen nicht miteinander streiten und besiegt werden, weder von ihresgleichen, da sie befreundet sind, noch von anderen, mächtigeren Wesen. Frei und in gegenseitiger Zuneigung, die alle unaufhörlich verbindet, verrichten sie ihre Werke. Die Erhabensten von ihnen wandeln ihre Bahn für sich allein, sie irren nicht ohne Ziel und Plan umher, sondern tanzen den Reigen der Glücklichen mit Weisheit und höchster Einsicht. Die übrige Schar wird von der allgemeinen Bewegung mit fortgerissen, der ganze Himmel ist von einem Denken, von einem Fühlen beseelt. (23) Das ist die einzige Gemeinschaft oder auch Stadt, die man guten Gewissens glücklich nennen kann, die Gemeinschaft zwischen Göttern - auch wenn man alles Vernunftbegabte noch miteinbeziehen und die Menschen mit zu den Göttern rechnen wollte, wie man etwa von Knaben sagt, sie hätten zusammen mit den Männern teil an der Stadt insofern, als sie von Geburt Bürger seien, nicht aber deswegen, weil

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sie schon die nötige Einsicht hätten, politische Verantwortung übernehmen und am Gesetz, von dem sie noch nichts verstehen, beteiligt sein könnten. Aus all den verschiedenartigsten und, so könnte man sagen, verfehlten Gemeinschaften, die, an der letzten Gültigkeit des göttlichen, überirdischen Rechtes und der richtigen Ordnung gemessen, mangelhaft sind, wollen wir uns für heute mit Beispielen begnügen, die im Vergleich zu den völlig heruntergekommenen Staatswesen einen noch einigermaßen erträglichen Zustand erkennen lassen. So vergleicht man ja auch unter lauter Kranken den leichten Fall mit dem schwersten.» (24) Solche Gedanken etwa wollte ich in meinen AusfUhrungen weiterentwickeln, als mich jemand aus dem Publikum unterbrach. Es war der Älteste, der außerordentlich großes Ansehen genoß. Mit auffallender Bescheidenheit sagte er: «Halte es bitte nicht für die Rohheit eines Barbaren, Fremder, daß ich dich mitten im Wort unterbreche. Bei euch freilich ist ein solches Verhalten nicht üblich, weil es auf dem Gebiet der philosophie ein Überangebot an Vorträgen gibt und man über jedes Thema, das einen reizt, bei vielen Leuten hören kann. Bei uns dagegen ist es fast wie ein Wunder, daß du zu uns gekommen bist. (25) Sonst besuchen uns fast nur Leute, die lediglich dem Namen nach Griechen, in Wahrheit aber noch primitiver als wir sind, Kaufleute und Händler, die schlechte Lumpen und verdorbenen Wein bei uns einfUhren und von uns nichts Besseres wieder mitnehmen. Dich aber scheint Achilleus selbst von seiner Insel hierher zu uns gesandt zu haben, und wir sind sehr erfreut, dich zu sehen, sehr erfreut, dich zu hören, was du uns auch sagen wirst. Freilich glauben wir nicht, daß dein Aufenthalt von langer Dauer sein wird, und wir sähen es nicht einmal gerne, sondern wünschen dir so bald wie möglich eine glückliche Heimreise. (26) Jetzt aber, wo du schon einmal auf die göttliche Form der Ordnung zu sprechen gekommen bist,

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bin ich auf unbegreifliche Weise erregt, und auch die Leute hier sehe ich alle deinen Gedanken zu diesem Thema en tgegenfiebern. Denn wir sind der Meinung, daß alles, was du gesagt hast, großartig und dem Gegenstand angemessen war und auch unseren Erwartungen genau entsprach. Von der feineren Philosophie nämlich verstehen wir nichts, aber wie du weißt, lieben wir Homer, einige wenige auch Platon. Zu diesen kannst du auch mich rechnen, denn ich beschäftige mich immer wieder mit seinen Schriften, so gut ich es vermag. Freilich, es mag seltsam erscheinen, daß ausgerechnet der Mann, der von der Bürgerschaft das schlechteste Griechisch spricht, an dem griechischsten und weisesten Autor seine Freude hat und sich so eingehend mit ihm befaßt - beinah, wie wenn sich jemand, der nahezu blind ist, von jedem anderen Licht abwendete, in die Sonne selbst aber sehen wollte. (27) So steht es also bei uns. Du aber, wenn du uns allen einen Gefallen tun willst, schiebe deine Ausführungen über die Stadt der Sterblichen auf. Vielleicht lassen uns unsere Nachbarn bis morgen in Ruhe, so daß wir nicht, wie es seit langem üblich ist, unsere Kräfte im Kampf mit ihnen messen müssen. Sprich lieber über die göttliche Stadt oder, wenn du es so nennen willst, über die göttliche Ordnung, wo und von welcher Art sie ist, und halte dich im Ausdruck möglichst eng an die edle Ausdrucksweise Platons, wie du es nach unserer Meinung eben bereits getan hast. Denn wenn schon nichts anderes, so verstehen wir doch wenigstens seine Sprache, weil wir mit ihr vertraut sind, denn sie ist erhaben und von der Sprache Homers nicht weit entfernt.» (28) Ich war von der ehrlichen Einfalt des Al ten freudig überrascht und sagte lachend: « Mein lieber Hieroson, hättest du mich gestern beim Einfall der Feinde aufgefordert, zu den Waffen zu greifen und wie Achilleus zu kämpfen, so wäre ich dir in dem einen gefolgt und hätte versucht, euch, die ihr meine Freunde seid, zu helfen; das andere aber, glaube ich, hätte ich

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nicht vermocht, so sehr ich es mir auch gewünscht hätte, nämlich wie Achilleus zu kämpfen. So will ich auch jetzt deinen ersten Wunsch erfüllen und meine Aufgabe bereitwillig lösen, so gut ich es auf meine Weise kann; doch mit den Helden der Vorzeit zu streiten will nimmer ich wagen, 8 weder mit Platon noch mit Homer. Denn, so erzählt Homer, auch dem Eurytos bekam es schlecht, daß er sich mit Stärkeren einließ 9. Jedoch», fUgte ich hinzu, «am guten Willen soll es nicht fehlen.» (29) So lautete meine Antwort an Hieroson. Trotzdem aber ftihlte ich mich bei der Erwähnung Platolls und Homers merkwürdig bewegt und erhoben. «In dem angegebenen Sinn also», fuhr ich fort, «muß man den Begriff Stadt verstehen, da unsere Schule'o das Weltall nicht direkt als Stadt bezeichnet. Denn dieseAuffassung stünde im Widerspruch zu obiger Definition der Stadt als einer Vereinigung von Menschen. Zudem wäre es auch nicht gerade passend und überzeugend, den Kosmos als Stadt zu bezeichnen, nachdem man zuvor mit Entschiedenheit behauptet hat, er sei ein Lebewesen. (30) Denn dasselbe sich als Stadt und als Lebewesen vorzustellen, wird vermutlich niemand so schnell tun wollen. So aber, wie die Ordnung des Weltalls jetzt verstanden wird, wo das All zwar in eine große Zahl verschiedener Formen zerteilt und gegliedert ist, in Pflanzen und sterbliche und unsterbliche Lebewesen, ferner in Luft, Land, Wasser und Feuer, trotzdem aber nur eine Kraft in dem allen ist und eine Seele und ein Wille alles durchwaltet - diese Ordnung vergleichen die Stoiker in gewissem Sinne doch wieder mit einer Stad t wegen der Menge in ihr entstehender und vergehender Wesen, ferner wegen der wohlüberlegten und geordneten Einrichtung. (31) So zielt diese Lehre, um es kurz zu sagen, darauf ab, das Menschengeschlecht mit der Gottheit harmonisch in Verbin-

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dung zu bringen und in einem Begriff alles Vernunftbegabte zusammenzufassen; denn in der Vernunft sieht sie die einzige sichere und unauflösliche Grundlage von Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Demnach käme die Bezeichnung Stadt keinesfalls einem Gemeinwesen zu, an dessen Spitze schlechte und unbedeutende Führer stehen, das von Tyrannen, Pöbelherrschaften, Dekarchien, Oligarchien und ähnlichen Krankheitserscheinungen zerfleischt und in ewigen Streit geworfen wird, sondern nur einem Gemeinwesen, das mit der maßvollsten und besten Form der Königsherrschaft geschmückt ist und wirklich nach dem Recht in aller Freundschaft und Eintracht geleitet wird. (32) Das ist es, was der weiseste und älteste Herrscher und Gesetzgeber allen, Sterblichen wie Unsterblichen, aufgetragen hat, der Lenker des gesamten Himmels und Herr über alles, was ist, er, der auf diese Weise selbst den Weg zeigt und uns sein eigenes Walten als Beispiel einer glücklichen und gesegneten Ordnung vor Augen stellt. Ihn preisen unsere göttlichen Sänger, von den Musen belehrt, und nennen ihn,Vater der Götter und Menschen'. (33) Dem Volk der Dichter nämlich scheint die Einsicht in die heiligen Wahrheiten nicht ganz verschlossen zu sein, und oft treffen sie mit solchen Äußerungen das Richtige. Freilich sind auch sie nicht nach Brauch und Ritus der echten Mysten richtig in die Mysterien eingeweiht, und vom wahren ·Wesen des Weltalls wissen sie, wenn man so sagen darf, nichts Bestimmtes. Vielmehr scheinen sie mir ziemlich genau den Mysteriendienern draußen vor der Tür zu gleiehen: Sie schmücken den Vorraum, die allen sichtbaren Altäre und verrichten ähnliche Dienste, das Innere aber betreten sie niemals. Daher nennen sich die Dichter selbst ja auch nur ,Dienerder Musen''', nicht ,Eingeweihte' oder sonstwie mit einem erhabenen Namen. (34) Es ist also, wie ich schon sagte, durchaus denkbar, daß auch diejenigen, die sich bei einem feierlichen Ritus in der Nähe des Eingangs aufhalten, etwas von den Vor-

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gängen drinnen mitbekommen, etwa den lauten Ausruf eines einzelnen Mysten oder den Schein des Feuers. So drang auch manchmal zu den Dichtern - ich spreche von den ganz alten ftir einen kurzen Augenblick die Stimme der Musen, ein Hauch göttlichen Wesens und göttlicher Wahrheit, wie aus dem Dunkel ein Strahl des Feuers bricht. Das geschah mit Homer und Hesiod, wenn sie von den Musen ergriffen waren 12. (35) Ihre Nachfolger aber brachten später ihre eigene Weisheit vor das publikum auf die Bretter und boten häufig, Uneingeweihte vor Uneingeweihten, unvollkommene Bilder der heiligen Weihen. Von der Menge bestaunt, machten sie sich selbst daran, das Volk zu weihen, und'hämmerten an gewissen tragischen Kreuzwegen tatsächlich in' aller Öffen t1ichkei tB ühnen für bacchische Riten zusammen I3 • Alle diese Dichter also nennen übereinstimmend den ersten und größten Gott Vater und König aller vernunftbegabten Wesen. (36) Im Vertrauen auf diese Dichter errichten die Menschen Altäre für den Zeus-König und scheuen sich nicht, ihn bisweilen in ihren Gebeten Vater zu nennen, da sie glauben, daß es eine solche Herrschaft und Ordnung des weltalls gibt. Insofern, will mir scheinen, hätten sie auch keine Bedenken, den ganzen Kosmos als Wohnung des Zeus zu bezeichnen, wenn er wirklich der Vater von allem darin ist, oder auch, kein Zweifel, als Stadt. Mit ihr vergleichen wir das All wegen des größeren Herrschaftsbereichs, (37) denn der Titel ,König' paßt wohl besser zu einer Stadt als zu einem Haus. Wenn man aber den Herrscher des Alls König nennt, muß man auch zugeben, daß das All königlich regiert wird, und nur unter dieser Voraussetzung kann von einer königlichen Verfassung und einer königlichen Verwal tung die Rede sein. Andrerseits, wenn man diese Zugeständnisse macht, kann man nicht umhin, ebenfalls einzuräumen, daß das verwaltete Gemeinwesen eine Stadt oder etwas Ähnliches ist.

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(38) Das ist also die Lehre der Philosophen. Sie zeigt die gute und den Menschen zugetane Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, indem sie nicht allen beliebigen Lebewesen, sondern nur den mit Vernunft und Einsicht begabten an Gesetz und Bürgerschaft teil gibt und eine weit bessere und gerechtere Gesetzgebung als die spartanische einführt; denn nach ihr hatten die Heloten keine Möglichkeit, Spartaner zu werden, weshalb sie ständig eine Gefahr für Sparta bedeuteten. (39) Daneben gibt es eine wunderbare Geschichte, die von den Magiern bei ihren geheimen Kulten vorgetragen wird. Sie preisen diesen Gott als den ersten und vollkommenen Lenker des vollkommensten Wagens. Der Sonnenwagen nämlich, so sagen sie, sei verhältnismäßig jung im Vergleich zum Wagen des Zeus, aber, da sein Laufvon allen verfolgt werden könne, der großen Menge bekannt. So sei es zu erklären, daß alle vom Sonnenwagen sprächen in der Weise, mit der, wie es scheint, schon die ältesten Dichter den Anfang gemacht haben, indem sie völlig übereinstimmend jeden Sonnenaufgang und -untergang so darstellten, als ob die Rosse angespannt würden und Helios selbst den Wagen besteige. (40) Den mächtigen, vollkommenen Wagen des Zeus jedoch hat noch keiner von unseren Dichtern in angemessener Weise gepriesen, weder Homer noch Hesiod. Wohl aber singen Zoroaster von ihm und die Kinder der Magier, die es von ihm gelern t haben. Wie die Perser erzählen, habe er sich aus Liebe zur Weisheit und Gerechtigkeit von den Menschen zurückgezogen und auf einem Berge rur sich allein gelebt. Da sei viel Feuer vom Himmel gefallen und habe den Berg in Flammen gesetzt, und unaufhörlich habe er gebrannt. Der König mit den vornehmsten Persern habe sich nun genähert, um zu dem Gott zu beten. Da sei Zoroaster unversehrt aus dem Feuer zu ihnen getreten, habe sich ihnen gnädig gezeigt und ihnen geboten, getrost zu sein und Opfer darzubringen, da der Gott an dieser Stätte erschienen sei. (41)

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521 In der Folgezeit habe Zoroaster mit ihnen verkehrt, nicht mit allen, sondern nur mit denen, die für die Wahrheit am empfänglichsten waren und den Gott verstehen konnten. Bei den Persern heißen sie Magier, weil sie wissen, wie man die Gottheit zu behandeln hat, während die Griechen aus Unkenntnis der wahren Bedeutung dieses Wortes Zauberer darunter verstehen. Nach heiliger Überlieferung pflegen die Magier unter anderem auch für Zeus das Gespann der Nisäischen Pferde l4 • Es sind die schönsten und stattlichsten in ganz Asien. Für Helios aber pflegen sie nur ein einziges Pferd. (42) Die Magier erzählen ihren Mythos aber nicht in der Art, wie es bei uns die Propheten der Musen tun, indem sie außerordentlich einleuchtend jede Einzelheit darstellen, sondern auf recht eigenwillige Weise. Sie behaupten nämlich, es gebe nur eine einzige Führung und Lenkung des Weltalls durch die höchste und geschickteste Macht, ewig, endlos, in Umläufen ohne Ende. Die Bahnen von Sonne und Mond seien, wie ich schon sagte, Bewegungen von Teilen des Alls, weshalb sie von den Menschen auch deutlicher wahrgenommen werden könnten. Bewegung und Umschwung des gesamten Weltalls dagegen begreife die Menge nicht und sei sich der Größe dieses Wettkampfes nicht bewußt. (43) Was nun von den Pferden und ihrer Lenkung folgt, wage ich kaum auszusprechen in der Weise, wie die Magier es erzählen und deuten, einigermaßen unbekümmert darum, ob das Bild in allen seinen Teilen stimmt. Leicht nämlich könnte es befremdlich erscheinen, wenn ich jetzt im Gegensatz zur Anmut der griechischen Gesänge einen barbarischen Gesang anstimme. Trotzdem sei es gewagt. Das erste Pferd, so erzählen sie, das am höchsten steht, ist durch unermeßliche Schönheit, Größe und Schnelligkeit ausgezeichnet. Es hat, da es außen läuft, den längsten Weg zurückzulegen und ist Zeus selbst heilig 15. Es ist geflügelt und hat

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ewe 1m reinsten Glanz erstrahlende Oberfläche. Sonne und Mond sind auf ihr zu sehen als weithin erkennbare Zeichen) wie auch unsere Pferde mondförmige oder sonstige Blessen haben. (44) Unser Auge sieht sie dicht zusammengedrängt, wie wenn mächtige Funken im hellen Schein des Feuers sprühen, aber doch haben sie ihre eigene Bewegung. Alle anderen Sterne, die erst durch dieses Pferd sichtbar werden und ebenfalls ohne Ausnahme natürliche Teile von ihm sind, ziehen ihre Bahn zum Teil mit ihm zusammen in derselben Bewegung, zum Teil folgen sie aber auch anderen Bahnen. Diese Sterne haben bei den Menschen alle ihre eigenen Namen, die restlichen aber, zusammengefaßt in verschiedene Gruppen und Figuren, nur einen gemeinsam ftir eine größere Menge '6 . (45) Das glänzendste und am reichsten geschmückte Pferd, Zeus' eigener Liebling - so ungefähr wird es von den Magiern gepriesen -, bekommt selbstverständlich die ersten Opfer und Ehren, da es an erster Stelle steht. Nach ihm, aufs engste mit ihm verbunden, kommt als zweites Pferd das nach Hera genannte.Es ist wohl gut zu lenken und sanft, an Kraft und Schnelligkeit aber weit unterlegen. An und ftir sich ist es schwarz, aber der jeweils von der Sonne beschienene Teil leuchtet hell auf, während alles, was beim Umlauf in den Schatten kommt, wieder seine ursprüngliche Farbe annimmt. (46) Das dritte Pferd, dem Poseidon heilig, ist noch langsamer als das zweite. Von ihm soll es, wie die Dichter erzählen, ein Abbild bei den Menschen gegeben haben - sie nennen es, glaube ich, Pegasos -, und eine Qgelle soll in Korinth hervorgesprudelt sein an der Stelle, wo es mit dem Huf gescharrt habe. Das vierte Pferd kann man sich am wenigsten von allen vorstellen. Es ist steif und unbeweglich, geschweige denn, daß es geflügelt wäre, und hat seinen Namen von Hestia. Trotzdem halten die Magier an ihrem Bild fest und behaupten, auch dieses Pferd sei vor den Wagen gespannt, bleibe allerdings auf der Stelle stehen und beiße in den

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Zaum aus Stahl. (47) Es stemme sich mit seinen Gliedern nach allen Seiten, und die beiden Pferde in seiner Nähe neigten sich ihrerseits ihm zu, wobei sie geradezu über es herfielen und es stießen. Das erste Pferd aber, das ganz außen, laufe immer um das stehende herum wie um die Wendemarke in der Rennbahn. In der Regel nun geht es friedlich und freundlich bei ihnen zu, ohne daß eins dem anderen etwas tut. Dann aber, bei der Länge der Zeit und der Vielzahl von Umläufen, trifft einmal ein gewaltiger Atemstoß des ersten Pferdes von oben herab auf die anderen und erhitzt, wie man bei einem so feurigen Pferde nicht anders erwarten wird, die übrigen Pferde, in ganz besonderem Maße aber das letzte. Das Feuer erfaßt nicht nur die Mähne - sein ganzer Stolz -, sondern auch den gesamten Schmuck '7. (48) Die Magier behaupten, die Griechen erwähnten wohl dieses Ereignis, das sie ein einziges Mal erlebt hätten, brächten es aber mit phaeton in Verbindung, da sie an der Lenkung des Zeus nichts hätten aussetzen können, am Lauf des Helios nichts aussetzen wollen. So habe ein jüngerer Wagenlenker, ein sterblicher Sohn des Helios, weil ihn das gefährliche und fiir das ganze Menschengeschlecht verhängnisvolle Spiel reizte, den Vater um Erlaubnis gebeten, den Wagen besteigen zu dürfen, sei dann ohne jede Ordnung dahingestürmt und habe alles in Brand gesetzt, Tiere und Pflanzen, bis er schließlich, von einer noch mächtigeren Flamme getroffen, umgekommen sei. (49) Andrerseits, wenn im Abstand von mehreren Jahren das Poseidon und den Nymphen heilige junge Pferd sich in einer ungewohnten Unruhe und Erregung aufbäumt, übersprüht es das unterste Pferd, das ja sein Jochgenosse ist, mit einer Menge Schweiß. Dann wird dieses Pferd von einem dem früheren entgegengesetzten Schicksal heimgesucht: Es wird von einer großen Wasserflut überschwemmt. Infolge ihres geringen Alters und ihres schlechten Gedächtnisses, so meinen die Magier,

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würden die Griechen nur von dieser einen Sintflut erzählen, bei der sie der König Deukalion vor der endgültigen Vernichtung bewahrt habe. (50) Die Menschen seien nun der Ansicht, diese seltenen Ereignisse zielten auf ihre eigene Vernichtung ab, wider Sinn und Vernunft und nicht in Übereinstimmung mit der Ordnung des Alls. Es bleibe ihnen verborgen, daß es damit durchaus seine Richtigkeit habe und diese Katastrophen nach dem willen des welterhalters und Welten lenkers einträten. Es sei genauso, wie wenn ein Wagenlenker eines seiner Pferde zur Ordnung rufe, indem er den Zügel straff anziehe oder es mit der Peitsche schlage: Das Pferd bäume sich auf und werde wild, falle dann aber sofort in seinen normalen Gang zurück. Das nun ist die eine Art, den Wagen mit fester Hand zu lenken, ohne daß das ganze Weltall dabei vernichtet wird. (SI) Daneben kennen die Magier aber auch noch eine andere Form der Bewegun g und Veränderun g der vier Pferde: Sie wechseln und tauschen ihre Gestalt untereinander, bis sie, dem stärkeren unterlegen, alle zu einem Wesen geworden sind. Aber selbst diese Form der Bewegung vergleichen die Magier noch, kühn genug, mit dem Lenken und Fahren eines Wagens, wobei sie zur Erklärung ein noch merkwürdigeres Bild heranziehen. Es sei, wie wenn ein Zauberkünstler Pferde aus Wachs forme, bald hier etwas wegnehme und abschabe, bald dort etwas zufüge, bis er schließlich aus dem ganzen Material eine einzige Figur geformt und aus vier Pferden eins gemacht habe. (52) Nur vollziehe sich dieser Vorgang bei den Pferden nicht wie bei leblosen Gegenständen, indem der Künstler von außen Hand anlege und das Material forme, sondern unter ihnen selbst, wie wenn sie in einem großen und wirklichen Rennen um den Sieg kämpften. Der Siegeskranz falle zwangsläufig dem ersten, an Schnelligkeit, Kraft und Leistungsvermögen überlegenen Pferd zu, als das wir zu Beginn das auserwählte Pferd des Zeus be-

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nannt haben. (53) Denn dieses Pferd, da es von allen das streitbarste und von durch und durch feuriger Natur sei, werde mit den anderen leicht fertig, als wären sie, so könnte man meinen, wirklich aus Wachs, und zwar in kurzer Zeit, die uns nur nach unserer eigenen Zeitrechnung unendlich lang vorkomme. Habe es dann das ganze Wesen der anderen in sich aufgenommen, sehe es noch viel stärker und glänzender aus als zuvor, nicht mit Hilfe eines Sterblichen oder Unsterblichen, sondern ganz aus eigener Kraft als Sieger aus dem größten Wettkampf hervorgegangen. Stolz und mit erhobenem Kopf stehe es da, voller Siegesfreude. Es nehme dann einen denkbar großen Raum ein und wolle im Gefühl seiner Kraft u,nd Stärke einen noch größeren haben. (54) An diesem Punkt ihrer Erzählung angekommen, haben die Magier Bedenken, die Natur dieses Wesens noch mit demselben Namen zu nennen. Denn nunmehr, auf dieser Stufe, seies gleichzusetzen mit der Seele des Wagenlenkers und Herrschers, oder genauer: mit der Vernunft und dem leitenden Prinzip der Seele 18. Dieselben Ausdrücke verwenden ja auch wir selbst, sooft wir den höchsten Gott mit guten Werken und frommen Worten andächtig verehren. (55) Wenn nämlich der Geist allein zurückgeblieben ist und den unendlichen Raum mit sich angefüllt hat - denn jetzt, ohne das geringste Feste an sich zu haben und ganz durchsichtig geworden, ergießt er sich gleichmäßig überallhin, jetzt ist er am schönsten, hat er doch die reinste Natur lauteren Glanzes angenommen -, dann sehnt er sich sogleich nach dem Sein, das ihm ursprünglich eignete. Es ergreift ihn das Verlangen, jenen Wagen zu lenken und wieder der Erste zu sein, das Verlangen nach Übereinstimmung mit den drei Naturen 19, mit Sonne, Mond und Sternen, mit allen Tieren und Pflanzen ohne Ausnahme. Es drängt ihn zu zeugen, alles zu ordnen und die jetzige Welt zu erneuern und sie so von Grund auf noch viel besser und herrlicher zu machen. (56) Er

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sendet dann einen vollen Blitz, aber nicht einen solch regello_ sen und unsauberen, wie er bei stürmischem Wetter aus den mit ungewöhnlicher Wucht dahin treibenden Wolken bricht, sondern einen reinen Blitz ohne die geringste dunkle Stelle, und in Gedankenschnelle wechselt er leicht seine Gestalt. Im Gedanken an Aphrodite und an die Zeugung aber bezähmt er sich und legt sich Zurückhaltung auf Nachdem er einen großen Teil des Lichtes gelöscht hat, wandelt er sich in feurige Luft von milder Glut. Dann verbindet er sich mit Hera, und im vollkommensten Liebesgenuß entläßt er ruhend den ganzen Samen für das neue Weltall. Das ist die glückselige Hochzeit von Hera und Zeus, von der die Söhne der Weisen bei ihren geheimen Weihen singen. (57) Wenn er sein ganzes Wesen flüssig, zu einem Samen fiir das weltall gemacht hat, durchwaltet er das All in dieser Gestalt wie ein Lufthauch, der bei der Zeugung formt und schafft. Jetzt gleicht er in seiner Zusammensetzung am ehesten den anderen Lebewesen, wofern man überhaupt sagen darf, er bestehe aus Leib und Seele. Leicht bildet und formt er dann alles übrige, indem er seinen glatten, weichen und sich allem leicht anschmiegenden Stoff um sich her gießt. (58) Als er sein Werk vollendet hatte, stellte sich die geschaffene Welt ursprünglich, in unendlicher Schönheit und Herrlichkeit dar, noch weit prächtiger, als sie heutzutage aussieht. Auch die Kunstwerke erscheinen ja noch besser und glänzender, wenn sie frisch aus der Hand des Künstlers kommen, ebenso sind die jungen Pflanzen und alles Knospende von frischerem Grün als die alten. Neugeborene Tiere sind ein anmutiger, freundlicher Anblick, nicht nur die schönsten unter ihnen, die Fohlen, Kälber und jungen Hunde, sondern sogar die Jungen der größten Raubtiere. (59) Und der Mensch ist wohl ein hilfloses und schwaches Wesen gleich der jungen Saat der Demeter; erreicht er aber das Maß jugendlicher Reife, wird er

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einem stärkeren und ansehnlicheren Geschöpf als jede pflanze. Der gesamte Himmel dagegen und das Weltall, von der weisesten und höchsten Kunst eingerichtet, vom ersten Augenblick seiner Vollendung an, als es eben aus der Hand des Schöpfers kam, glänzend, strahlend und hell leuchtend in allen seinen Teilen, war keinen Augenblick hilflos und schwach nach Art der sterblichen Menschennatur, sondern vom allerersten Anfang an frisch und blühend. (60) Als dann der Schöpfer und Vater sein Werk sah, war er keineswegs nur erfreut, denn das ist eine unbedeutende Regung in unbedeutenden Wesen, nein, beglückt und hochentzückt war er, thronend im hohen Olymp, und es lachte das Herz. ihm vor Freude, als er die Götter erblickte,20 die nunmehr alle geboren waren und ihn umgaben. Die damalige Gestalt des Weltalls - ich meine die Blüte und Schönheit dessen, was immer unendlich schön ist - könnte wohl kein Mensch sich vorstellen und angemessen ausdrücken, keiner der Gegenwart und keiner der Vergangenheit; nur die Musen und ApolIon vermögen es in ihrem göttlichen Gesang von reiner, vollkommener Harmonie». (61) Deshalb wollen auch wir es fLir heute gut sein lassen, nachdem wir keine Bedenken hatten, soweit es in unseren Kräften stand, die Rede höherzustimmen. Sollte sich aber die Gestalt der Rede so hoch emporgeschwungen haben, daß sie unserem Gesichtskreis geradezu entschwunden ist - wie ja auch die Auguren sagen, ein Vogel, der in die höchsten Höhen entfliege und sich in den Wolken verberge, mache eine gültige Vorhersage unmöglich -, kann man nicht mich daftirverantwortlich machen, sondern nur die Leute von Borysthenes, die mich damals baten, zu ihnen zu sprechen.

ZU

AN DIE KORINTHER

37.

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(I) Als ich zum ersten Mal in eurer Stadt weilte, es ist jetzt fast zehn Jahre her, und vor dem Volk und euren Beamten eine Probe meines Könnens gab, da hatte ich das Gefühl, mit euch so eng befi-eundet zu sein, wie es nicht einmal Arion' aus Methymne gewesen ist; zumindest habt ihr von Arion kein Standbild anfertigen lassen. Wenn ich «ihr» sage, meine ich natürlich eure Vorfahren und Periander, den Weisen und Sohn des Kypselos, zu dessen Zeiten Arion lebte, der als erster nicht nur einen Dithyrambos dichtete und ihm diesen Namen gab, sondern ihn auch in Korinth aufftihrte. (2) Als dieser Liebling der Götter mit all seinem Reichtum, den er in Tarent und bei den Griechen der Umgebung erworben hatte, auf der Heimfahrt hierher war, wollten ihn die Matrosen, ohne Zweifel wegen seiner großen Schätze, ins Meer werfen. Da bat er sie, vorher noch einmal singen zu dürfen, wie man von den sterbenden Schwänen erzählt, daß sie im Angesicht des Todes ihre Seele gleichsam in ihren Gesang legen, als wäre er ein Nachen. (3) So sang er also, denn das Meer war ruhig und unbewegt. Und Delphine hörten sein Lied und versammelten sich schnell um das Schiff. Als Arion geendet hatte, ohne die Matrosen von ihl'em Vorhaben abbringen zu können, warf er sich ins Meer. Ein Delphin aber nahm ihn auf seinen Rücken und brachte den Sänger samt allem, was er am Leibe trug, so wie er war, nach Tainaron. Auf diese Weise nun kam Arion wohlbehalten noch vor den Matrosen in Korinth an und erzählte dem Periander alles, was er erlebt hatte. (4) Als dann auch die Seeleute gelandet waren und man der Sache auf den Grund ging, mußten sie sterben, Arion aber - nicht Periander, sondern Arion 3 - ließ von sich ein kleines Bild aus Bronze anfertigen, wie er auf dem Rücken seines Retters sitzt, und in Tainm'on aufstellen.

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Zu eben dieser Zeit kam auch Solon nach Korinth. Er war auf der Flucht vor der Tyrannis des Peisistratos - vor der des Periander floh er nicht, (s) denn beides bedeutete nicht dasselbe. Der eine herrschte über die Athener, nachdem er die Demokratie aufgelöst hatte, während der andere die Herrschaft von seinem Vater, den die Griechen Tyrann 4, die Götter aber König nannten, i.ibernahm. Oder lautet der Orakelspruch nicht folgendermaßen: Glücklich der Mann, der kommt in meinen heiligen Tempel, Kypselos, Sohn des Eetion, König des prächt'gen Korinthos, er samt den Kindern?5 (6) Eines von ihnen war Periander, der seinen Vater in der Herrschaft ablöste. So hieß Periander also bei den Göttern König, von den Griechen aber wurde er der Weise genannt. Niemals hat ein König oder Tyrann einen größeren Namen bekommen, nicht einmal Antiochos 6, der den Beinamen der Göttliche, nicht einmal Mithridates 7 , der den Beinamen Dionysos trug. Auch Pittakos von Mytilene mag sich gerühmt haben, beide Namen zugleich zu besitzen, den des Alleinherrschers und den des Weisen. Aber so, wie die Dinge standen, sagte er der Herrschaft ab, als er sich den zweiten Namen zulegte 8 • Periander jedoch, der sich den Titel des Weisen mit wenigen, den des Alleinherrschers mit vielen teilte, war als einziger Alleinherrscher und Weiser zugleich. (7) Zu ihm also war Solon gekommen und in die Hausgemeinschaft aufgenommen worden, denn gemeinsam ist das Eigentum von Freunden. Indes, ein Standbild wurde ihm nicht gesetzt, und zwar wohl kaum deswegen, weil er keinen Wert darauf gelegt hätte. Wie stolz war er doch auf seine Statue in Salamis! Warum sollte nicht auch in Korin th, der Promenade von Hellas, eine stehen? Auch der Historiker Herodot kam hierher, um euch über Griechenland und besonders über Korinth noch nicht gefälschte Berichte vorzulegen, wofür er eine Belohnung von der

AN DIE KORINTHER 53 0 Stadt erwartete. Als er aber in diesem Punkt nicht zum Ziel kam, denn eure Vorfahren hielten es rur unter ihrer Würde, Ruhm käuflich zu erwerben, änderte er die allgemein bekannten Berichte über Salamis und Adeimantos ab 9 • (8) Mich aber saht ihr bei beiden Besuchen so gerne, daß ihr mich am liebsten gleich hierbehalten hättet. Doch da ihr die Unmöglichkeit einsaht, ließet ihr wenigstens ein Abbild von mir anfertigen, es in die Bibliothek bringen und an vorderster Stelle aufrichten im Glauben, das werde für die Jugend der beste Anreiz sein, sich denselben Studien zu widmen, wie ich es getan habe. Damit habt ihr mir eine Ehre erwiesen, die ihr nicht jedem der unzähligen, die Jahr für Jahr in Kenchreai anlegen, nicht jedem Kaufmann, Festgast, Gesandten oder Reisenden erweist, sondern nur einem lieben Freund, der sich nach langer Zeit endlich wieder einmal sehen läßt. (9) Doch Ehre, dem Traume vergleichhar, sie schwehet davon wie auf F/üge/no I. Daher bin ich ratlos, nicht nur mir selbst, auch, bei Gott; jedem anderen gegenüber, und frage mich, ob ich nicht richtig gesehen und das alles nur im Traum, nicht im Wachen erlebt habe oder ob das ganze - die Begeisterung des Volkes und der Beschluß des Rates - mit allen Einzelheiten so geschehen ist und das Standbild nur ein Werk des Daidalos war, das uns unbemerkt entlaufen ist I l • (10) Aber seit dem Tod des Daidalos hat es bis zum heutigen Tag kein Künstler fertiggebracht, dem Erz die Fähigkeit des Fortlaufens mitzuteilen. Wohl schreiten die Statuen kräftig aus, oder die Betreffenden reiten sogar auf Pferden, aber sie alle bleiben in dieser Haltung an Ort und Stelle. Wenn man sie nicht verrückt - die Bronze von sich aus kann nicht weglaufen, selbst wenn sie wie der Perseus des Pythagoras U geflügelt wäre. (Il) Aber nehmen wir einmal an, es sei ein altes Werk des Daidalos. Was muß in es gefahren sein, daß es eure Stadt ver-

AN DIE KORINTHER 37. 11- 1 4] 53 1 lassen hat, um die sich doch, wie man hört, sogar zwei Götter gestritten haben, Poseidon und Helios, der eine Herr über das Feuer, der andere Herr über das Wasser? Beide riefen zum Schiedsrichter in ihrem Streit einen dritten, älteren Gott an, welchem eigneten zahllose Köpft und zahllose Hiinde. '3 Diesem Gott also überließen sie die Entscheidung und bekamen beide diese Stadt und dieses Land zugesprochen - sicher kein geringer und zweifelhafter Beweis für die Sonderstellung unter den anderen Städten. (12) Denn jene übrigen Städte gehören als Anteil und Besitz jeweils nur einem Gott, Argos etwa der Bera, Athen der Athene. Und die Götter, von denen ich gerade sprach: Helios besitzt Rhodos, Poseidon Onchestos, Korinth aber gehört beiden. Nach den Andeutungen, die der Mythos macht, kann man wohl vermuten, daß aufPoseidons Wunsch der zwischen zwei Meeren gelegene Landstrich von Helios besonders ausgezeichnet wurde. (13) Mythos und Geschichte nun, die in diesem Punkte etwa übereinstimmen, berufen als dritten die prophetische Sibylle in ihr huldreiches Trio. Da sie als besondere Auszeichnung die Stimme eines Gottes bekommen hat, singt sie laut und vernehmlich: Glücklicher Isthmos, wie ruhmvoll gesegnet hist du, Ephyra, Ozeans Tochter, Land, allwo meiner Mutter Lamia Vater, Poseidon, als erster die Spiele vereint mit He/ios richtete aus, doch allein die Ehren davontrug. (14) Wie man erzählt, sind hier auch von den beiden Göttern die ersten Wettspiele veranstaltet worden, wobei Kastor über 200 Meter, Kal:üs über 400 Meter gesiegt habe; auch Kalals soll nämlich am Lauf teilgenommen haben, ohne Zuhilfenahme seiner Flügel 14 • Und da ich schon einmal davon angefangen habe, muß ich auch die anderen Kämpfer und Sieger nennen: Orpheus im Zitherspiel, Herakles im Allkampf, im Faustkampf Polydeukes, im RingkampfPeieus, im Diskuswerfen Telamon,

AN DIE KORINTHER [37. '4.-17 53 2 im Waffen tanz Theseus. Auch ein Pferderennen war ausgeschrieben: Mit dem Rennpferd siegte Phaeton, mit dem Viergespann Neleus. (15) Ferner fand eine Regatta statt, aus der die «Argo» als Siegerin hervorging; nach ihrem Sieg fuhr sie nicht mehr zur See, sondern Iason weihte sie an Ort und Stelle dem Poseidon und trug eine Inschrift ein, die auf Orpheus zurückgehen soll: Argo bin ich, das Schiff, das Iason dem Gotte geweiht hat, Sieger im Isthmischen Kampf,jichtenbekrän'Zt das Haupt. Wo aber Götter Wettspiele veranstalten, Halbgötter siegen und besiegt werden, Argo ihren Ruheplatz gefunden hat - welchen schöneren Ort hätte Daidalos in eigener Person auf seinen Schwingen ausfindig machen können, und gar erst sein Werk! (16) Nein, mein Standbild ist nicht weggelaufen, noch hat es den Versuch gemacht oder überhaupt daran gedacht. Es bleibt also nur übrig, daß die Korinther selbst es vertrieben haben, ohne gerichtliche Untersuchung und ohne ihm überhaupt etwas vorwerfen zu können. Aber hätte das jemals einer von den Korinthern geglaubt, deren Vorfahren mehr als alle übrigen Griechen die Gerechtigkeit pflegten? Oder waren nicht sie es, die in den Städten die Tyrannis stürzten und die Demokratie einsetzten, die auch Athen von seinen Tyrannen befreiten, ( 17) zunächst von Hippias, später von Kleomenes I S ? Und dann, als die Athener selbst die Rolle des Hippias und Isagoras übernahmen und die Tyrannis über Griechenland errichten woll ten, waren die Korinther da nicht die ersten, die begriffen, was vor sich gin g, und besonders schmerzlich davon betroffen waren; die die übrigen den Weg in die Freiheit führten und nicht nur gegen die Athener, sondern auch gegen die Spartaner diese Gesinnung bewahrten? So traten sie im Interesse der gemeinsamen Rechte Griechenlands zusammen mit der Bürgerschaft von Theben und Elis den Spartanern entgegen' 6 und bewiesen damit, daß sie nicht nur das Gute, sondern die Griechen insge-

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samt, Recht und Freiheit liebten, daß sie das Schlechte und die Tyrannis haßten. (18) Und die Perser haßten sie sogar so sehr, daß sie vierhundert von ihren eigenen Soldaten zu den Thermopylen schickten, als die Spartaner dreihundert Mann dorthin entsandten. Dann zeichneten sie sich bei Salamis aus und waren am Sieg entscheidend beteiligt. Ich halte mich dabei nicht an Herodot, sondern an das Grabmal und an Simonides, der folgende Inschrift Hjr die auf Salamis bestatteten korinthischen Gefallenen verfaßt hat: Fremdling, wir wohnten einst in Korinth, dem wasserreichen; Salamis hält uns jetzt, das einst den Aias gebar. Leicht bezwangen wir die phönikischen Schiffe und schlugen Perser und Meder zurück, heiligem Hellas zum Schutz. '7 (19) Noch ein anderes Epigramm, das sich besonders auf den Befehlshaber bezieht, stammt von Simonides: Dies ist das Grab des berühmter! Adeimarltos, dank dessen ,reisung Hellas der Freiheit Kranz setzte sich auf sein Haupt. '8 Schließlich waren es ebenfalls die Korinther, die Sizilien von der Fremdherrschaft, Syrakus von seinen Tyrannen befreiten 19 • Da konn te man - welch herrlicher An blick! - Dionysios in Korinth sehen, Herr über nichts mehr. Trotzdem aber vergriff sich niemand an ihm, niemand dachte daran, ihn zu verbannen oder ihm seinen aus Sizilien mitgebrachten Besitz zu rauben. (20) Wer aber hat das von der Stadt gestiftete Denkmal umgestürzt? Gewiß war es nicht ein Wirbelwind, ein Unwetter oder ein Blitzstrahl, der darüber herfiel und es mit einem Donnerkeil erschütterte. Wenn es wegen des Standbildes einen Entscheid gegeben hat, wie es in Syrakus der Fall gewesen·sein soll -aufweiche Weise, will ich ohne Bedenken schnelldazwischen c schieben: Den Syrakusanern, euern Siedlern, waren während der vielen Kriege gegen die Karthager und die anderen Fretnclvölker, die in Sizilien und Italien wohnten, Erz und. Gdd.aus'9

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gegangen. (2I) Da beschlossen sie, die Statuen ihrer Tyrannen - sie waren bei ihnen zum größten Teil aus Erz - zu zerschlagen, wenn sich das Volk darüber einig geworden sei, welche der Statuen es verdiene, eingeschmolzen zu werden, und welche nicht. Bei diesem Entscheid blieb, damit ihr auch das wißt, Gelon, der Sohn des Deinomenes, verschont. Alle anderen Standbilder wurden zerschlagen, die des älteren Dionysios ausgenommen, die ihn als Dionysos darstellen. (22) Wenn also auch bei euch ein derartiger Entscheid zustande kommen und jede Statue einer Prüfung unterzogen werden soll, oder besser, wenn ihr annehmen wollt, die Sache sei gewissermaßen schon beschlossen und es laufe jetzt die Verhandlung, so gestattet mir, bitte, gestattet mir, in dieser Angelegenheit vor euch die Verteidigung zu übernehmen, als wären wir vor Gericht. Hohes Gericht! Man sagt, im Laufe der Zeit müsse man mit allem rechnen. Der Mann aber, der vor euch steht, scheint in einer kurzen Spanne als bester der Griechen in Bronze aufgestellt und als deren schlechtester wieder gestürzt worden zu sein. (23) Daß ich hier mit gutem Recht eurer Stadt und allen Griechen zum Besten aufgestellt wurde, daftir könnte ich viele Gründe anführen. Statt dessen will ich euch nur erzählen, was sich in eben jenem Syrakus zugetragen hat. Denn das Beispiel stammt aus einem verwandten Bereich, und vielleicht solltet ihr, wie jene ihre Mutterstadt in Ehren halten, euch eurerseits die guten Leistungen eurer Kolonie zum Vorbild nehmen. (24) Es war also in jenen alten Zeiten, als ein geborener Lukanier seinen Auftrag vor der Volksversammlung auf dorisch ausrichtete. Dariiber erfreut, ließ man ihn nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen, sondern gab ihm ein Talent und stellte eine Statue von ihm auf. So erwarben sich die Syrakusaner bei ihren Nachbarn und bei den Dorern dieser Gegend, besonders aber bei den in Italien ansässigen großes Lob, daß sie den Mann so gut und großzügig belohnt hätten im Namen des dorischen

AN DIE KORINTHER 535 Stammes, dessen Sprache er sich so weit angeeignet hatte, daß er sie sprechen konnte. (25) Ist man nun kein Lukanier, sondern ein Römer, nicht ein Mann aus dem Volk, sondern aus dem Ritterstand, hat man sich nicht nur die Sprache, sondern auch die Denkart, Lebensweise und Aufmachung der Griechen angeeignet, und zwar so gekonnt und ausgezeichnet wie kein Römer vor einem und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch kein Grieche der Gegenwart - denn die besten der Griechen passen sich, wie man sehen kann, den dortigen römischen Verhältnissen an, während man selbst für die Griechen eingenommen ist und dafür Hab und Gut, seine politische Stellung, kurz, alles aufs Spiel setzt, um für all das nur eines zu haben: als Grieche zu gelten und Grieche zu sein - ausgerechnet von diesem Mann sollte kein Standbild bei euch stehen? (26) Eigentlich müßte es in jeder Stadt eins von ihm geben: bei euch, weil er als Römer ganz griechisch geworden ist, so griechisch wie eure Stadt; bei den Athenern, weil er Attisch spricht; bei den Spartanern, weil er mit Hingabe Sport treibt; in allen Städten schließlich, weil er sich der Philosophie verschrieben und schon viele Griechen zum gemeinsamen Studium mit ihm angeregt, ja sogar eine nicht kleine Zahl von Ausländern an sich gezogen hat. (27) Eigens zu diesem Zweck scheint er nämlich von den Göttern ausgeschickt worden zu sein, für die Griechen, daß die Einwohner Griechenlands dafür ein Beispiel hätten, wie gering hinsichtlich eines guten Namens der Unterschied zwischen Erziehung und Geburt ist; für die Römer, damit sie nicht vor lauter Selbstbewußtsein über die Bildung hinwegsehen; für die Kelten, damit im Hinblick auf diesen Mann kein Barbare daran verzweifelt, daß auch für ihn die griechische Bildung erreichbar sei. Aus solchen Gründen etwa - mehr will ich nicht aufzählen, um mich nicht selbst unbeliebt zu machen - hat man meine Statue aufgestellt. (28) Aber es ist nicht dasselbe, ob man über

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die Setzung eines Standbildes oder über seinen Sturz berät. Warum nicht? Weil jeder, der von euch ein Standbild bekommen hat, er mag besser oder schlechter sein, damit bereits das Gewand der Unantastbarkeit angelegt hat und die Stadt ihn schützen muß wie ein Weihgeschenk. So ließen sich zum Beispiel viele Gründe finden, daß der Sophist Gorgias, dazu noch aufeinem hohen Sockel und in Gold gearbeitet, in Delphi nichts zu suchen hat. Aber was spreche ich von Gorgias, wo doch sogar die Thespierin Phryne "dort zu sehen ist, auch sie auf einer Säule wie Gorgias! (29) Meldet man nun seinen Protest sofort an, mag das rechtens und im Sinne des Allgemeininteresses sein. Geht man aber später her und versucht, den Beschluß, jemand ein Standbild zu setzen, wieder rückgängig zu machen, bedeutet das, bei Apollon, ein schweres Unrecht, und keiner der Amphiktyonen hätte dazu geschwiegen. Ist eine Statue un berechtigterweise aufgestellt worden, muß sie, da sie dieses Vorrecht einmal bekommen hat, stehen bleiben, und zwar von dem Augenblick an, da sie ihr Vorrecht bekommen hat. Auch der für ein Jahr gewählte Beamte bleibt, selbst wenn er sein Amt nicht verdient haben sollte, wenigstens das gewählte Jahr im Amt; ebenso muß furein Standbild der Zeitraum gelten, fur den es aufgestellt wurde, das ist die ganze folgende Zeit. (30) Worin unterschiedet ihr euch sonst von Leuten, die ihre Bilder aus Ton machen? Wie könntet ihr euch stichhaltig verteidigen, wenn man von euch Rechenschaft verlangte, warum die Ehrungen bei euch sterblich, die Entehrungen unsterblich seien? Aber nehmen wir einmal an, es sei nichts Schimpfliches dabei, obwohl es unerhört ist. Wie durch und durch närrisch muß eine Stadt sein, deren Statuen wie Früchte jedes Jahr neu kommen! Nicht, damit sie euch sofort wieder verlassen, sondern möglichst lange bei euch bleiben, macht ihr die Standbilder aus Erz, und doch laßt ihr sie noch vergänglicher als Wachsbilder erscheinen. (3 I) Oder, bei Gott, ist es etwa deswegen, weil sich

37.3 1 -33]

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die Geehrten später als Schurken entpuppten? Sind siees später erst geworden, spricht das die Stadt nicht frei, denn ihr verleiht eure Auszeichnungen nicht ftir künftige, sondern ftir geleistete Verdienste. Wenn sie es aber vorher bereits waren und nur später entdeckt worden sind - auf welche Weise glaubt ihr euch bei den Griechen eher einen Namen zu machen und den Eifer derer, die euch ihre Dienste leihen wollen, anzustacheln: indem ihr einen Beschluß rückgängig macht oder bei der einmal gefällten Entscheidung bleibt? Ich meine, durch das zweite, denn es verrät den charakterfesten Menschen, während das erste auf Mißerfolge schließen läßt. (32) Noch aber habe ich das Wichtigste gar nicht erwähnt. Wenn es schon sein muß, darf man nicht wegen übler Nachrede, sondern nur mit einem Gerichtsentscheid, und nicht aus dem ersten besten, sondern nur aus dem schwerwiegendsten Grund eine solch große Auszeichnung ftir ungültig erklären. Denn Verleumdung hat selbst aus einem Mann wie Sokrates einen Verderber der Jugend und einen Zerstörer von allem, was, bei den Göttern angefangen, unter Menschen gilt, gemacht. Denn wen hätten die Lästermäuler mit ihren Schmähungen verschont? Sokrates etwa, Pythagoras oder Platon? Haben sie nicht Zeus selbst, Poseidon, ApolIon und die anderen Götter angegriffen? (33) Sogar die Göttinnen, die man noch ehrfürchtiger als die Götter scheuen sollte, nehmen sie aufs Korn. Ihr hört ja, was sie jetzt von Demeter, von Aphrodite und Eos behaupten, und nicht einmal Athene und Artemis lassen sie unangetastet: Die eine zeigen sie nackt vor Aktaion, die andere lassen sie mit Hephaistos schlafen und aus einem Mädchen fast zur Mutter werden. Das wißt ihr alles, und trotzdem wundert ihr euch, daß sich auch gegen diesen Mann hier gehässige Kritik breitrnachte. Ihr vermochte noch keiner, der es im Leben zu etwas gebracht hat, zu entfliehen. Bei ihm nahm sie ihren Ausgangspunkt in dem seinen Reden eigenen Charme

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- oder wie man es sonst nennen soll, was ihr selbst samt Weib und Kind beifällig aufgenommen habt. (34) Wollt ihr euch das nicht überlegen? Wollt ihr euer Gedächtnis nicht fragen, ob er sich bei euch so etwas hat zuschulden kommen lassen? Ihr wohnt doch in einer Stadt, die mehr als alle Städte in Gegenwart und Vergangenheit von Aphrodite 2l begünstigt ist, und trotzdem habt ihr nichts dergleichen gehört, und ich darf wohl getrost sagen, auch kein anderer Grieche. Der Mann, der in Griechenland in einer Atmosphäre beträchtlicher Freiheit und Nachsicht ein anständiges Leben geführt hat, ausgerechnet der sollte sich unter den Augen des Kaisers und der Gesetze" so völlig gewandelt haben? Das wäre ja genauso, wie wenn man behaupten wollte, ein Wettkämpfer nehme sich zusammen, wenn er für sich allein sei, im Stadion aber und dem Kampfrichter gegenüber gestatte er sich alles. (35) Meiner Meinung nach gibt es zwei Arten von Freimut, einmal die des sich seiner Schuld Bewußten, zum anderen die des Richters. War er von der Schuld überzeugt, konnte er volle Genugtuung vom Delinquen ten bekommen; hatte er nur davon gehört, Anzeige erstatten, was er auch tat. Ihr aber habt auf Leute gehört - doch ich will nichts über sie zu meiner Verteidigung sagen, nur: Es wäre richtiger gewesen, sie wären euch gefolgt als umgekehrt. (36) Denn ihr seid zur Zeit, wie das Sprichwort geht, Bug und Heck von Griechenland genannt. Und schon früher, als auch noch einige andere Städte reich und mächtig waren, hießet ihr bei Dichtern und Göttern gesegnet, begütert und was der Namen mehr sind. Jetzt aber, wo der Wohlstand Orchomenos und Delphi verlassen hat, können diese Städte wohl mehr Mitleid, keinesfalls aber mehr Eifersucht als ihr erregen. (37) Soviel über die Stadt. Sie sollte sich bei den Griechen nicht den Vorwurf der Schande zuziehen, wenn man nämlich den von euch Verbannten überall gerne aufnimmt, ja ihn einlädt, Gesandtschaften nach ihm schickt und ihn neben vielem

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anderen auch noch durch die Setzung von Standbildern ehrt. Für mich selbst aber und für meine eigene Statue will ich jetzt den Satz anfuhren, den Anaxagoras beim Verlust eines Sohnes gesagt hat: «Ich wußte, daß ich einen Sterblichen gezeugt habe.» Ich wußte ja, daß jede Statue zwar für die Ewigkeit errichtet wird, aber, so oder so, irgendeinem Schicksal zum Opfer fällt, vor allem dem allgemeinsten und gerechtesten, das alle Dinge erwartet: der Zeit. (38) Der Dichter aber, der das folgende Epigramm schrieb, war ein eitler Prahler - es soll auf dem Grabmal des Midas stehen: Eherne 1ungfrau bin ich und steh auf dem Grabe des Midas. Hier will ich bleiben, solange das Wasser fließt und die Bäume wachsen empor, an diesem Ort auf dem tränenbenetxterl Grab und künden dem TYandrer: Midas liegt hier begraben.'3 (39) Aber, Mädchen, das du von dir selbst bindest, den Dichter vernehmen wir, dich aber und das Grab des Midas suchten wir und fanden euch nicht. Jene Wasser fließen noch, noch blühen die Bäume, aber mit der Zeit werden auch sie wohl wie alles andere vergehen, wie Midas, wie das Mädchen. Hippaimon war der Name des Mannes, das Pferd war Podargos, Lethargos war der Hund, Babes der Diener genannt. 24 Welcher Grieche weiß noch etwas von Hippaimon, von dem Pferd ganz zu schweigen? Ich glaube, nicht einmal in Magnesia, woher Hippaimon stammte, kennt man ihn noch. Verschwunden ist er aus dem Gedächtnis der Menschen mitsamt Babes und Podargos. (40) Andere Standbilder sind stehen geblieben, und man kennt sie noch, ihre Inschrift aber bezieht sich auf eine andere Person. Es ist fast so wie beim Antispast'5 in der Dichtung, und die Künstler, könnte man sagen, stellen Widersprüchliches dar: das Wesen eines Griechen, das Schicksal eines Römers. So sah ich einmal den schönen Alkibiades, den Sohn des Kleinias ich weiß nicht mehr wo, aber es war an einem schönen Ort in

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Griechenland: Er trug die Inschrift « Chalkopogon»'6. Einer anderen Statue von ihm, sie galt als Werk des Polykies, waren beide Hände abgehauen - bei Erde und Sonne, ein en tsetzlicher Anblick, dieser verstümmelte Alkibiades! (4I) Ferner ist mir bekannt, daß Harmodios und Aristogeiton'7 nach Persien verschleppt wurden, daß I500 Statuen des Demetrios von Phaleron·8 an einem einzigen Tage von den Athenern alle ohne Ausnahme umgestürzt worden sind. Ja die Athener waren sogar frech genug, ihre Nachttöpfe über König Philipp auszuleeren! Sie überschütteten sein Standbild mit Urin, wie er ihre Stadt mit Blut, Asche und Staub überschi.ittet hatte'9 • In der Tat war es empörend, ein und denselben Mann bald unter die Götter, bald nicht einmal mehr unter die Menschen gerechnet zu sehen. (42) Wo ich also wußte, daß die Menschen nicht einmal Götter verschonen, hätte ich da erwarten sollen, daß ihr euch aus der Statue eines Menschen etwas macht? Von den anderen will ich lieber nicht sprechen, aber den Isthmier 3°,den Herrn über eure eigenen Wettspiele, hat Mummius von seinem Sockel gezerrt und dem Zeus geweiht. Welche Geschmacklosigkeit, den eigenen Bruder als Weihgeschenk fur Zeus! Wahrhaftig, ein Mensch ohne jede Bildung und Kultur! Philipp, den Sohn des Amyntas, den er sich aus Thespiai besorgte, schrieb er aufZeus um, die Jünglingsgestalten aus Pheneos auf Nestor und Priamos. Das römische Volk aber-und das ist es ja gerade-glaubte, diese Heroen in eigener Person vor sich zu haben, und sah doch nur Arkader aus Pheneos. (43) Über so etwas kann man nur lachen. Allen Ernstes aber, das fällt mir gerade ein, muß ich Agesilaos, den König der Spartaner, wegen der von ihm vertretenen Meinung glücklich preisen. Er weigerte sich standhaft, eine Plastik oder eine sonstige Darstellung von sich machen zu lassen, nicht etwa weil er lahm war, wie es heißt, und von kleiner Figur - das Standbild

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541 31 hätte trotzdem groß sein und wie der Hephaistos des Euphranor gesunde Füße haben können. Nein, Agesilaos wußte nur zu gut, daß man das Schicksal eines Menschen nicht verlängern und den Körper nicht in Stein oder Erz den Gefahren der Zukunft aussetzen soll. Wäre es doch möglich, auch vom Körper noch befreit zu sein! (44) Fort mit Daidalos und seinen kunstreichen Nachbildungen! Wir haben genug an Prometheus, genug am Ton 32 ! Heißt es doch, auch der Körper sei den edlen Seelen etwas Fremdes, da viel noch dazwischenliege 33 zwischen Seele und Leib. Denn wer nicht ist, den kümmert auch nicht der leidende Körper. Kambyses war von Sinnen, als er den Leichnam des Ägypterkönigs Amasis durchstechen und geißeln ließ34. Denn nach der Behauptung der Ägypter hatte Amasis die Grausamkeit des Kambyses schon seit längerem mit Argwohn betrachtet und deshalb seinen eigenen Leichnam verbergen und dafür einen anderen unterschieben lassen, und dieser soll es gewesen sein, an dem Kambyses seine Wut ausließ. (45) Aber, ihr Ägypter und Kambyses, ob es nun ein anderer war, der dieses Schicksal erlitt, oder Amasis selbst - es war ein Gebilde ohne Blut, ohne Fleisch, ohne Seele. Das magst du, wenn du Lust hast, zerren, reißen und stechen, Amasis hast du nicht bekommen. Ein anderer, der noch lebte, atmete und bei Bewußtsein war, rief: «Zerstampf, zerstampf nur den Balg des Anaxarchos, denn den Anaxarchos zerstampfst du nicht!» Dieser Mann war in einen Mörser geworfen worden, und als man mit den Keulen auf ihn einhieb, sagte er, nicht er werde zermalmt, sondern nur das an ihm, was er um sich herum habe 3s . So heißt es ja auch von den vornehmsten Persern, nicht ihr Körper, sondern ihr Gewand werde geschlagen 36 • (46) So wenig also macht es den Persern aus, und ein Grieche ließ seinen Körper schlagen, als wäre er ein Gewand. Ich aber sollte

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mein Standbild nicht zum Einschmelzen hergeben, selbst wenn es etwas davon spüren könnte? Nun ist es zwar über jede Empfindung erhaben, jedoch - mit der Laodameia des Euripides: Ich gebe den Geliebten, auch den toten, niemals preis. 31 Also will ich ihn trösten, wie wenn er das spüren könnte. « DustummesAbbild meiner Reden, bist du nicht mehr sichtbar? Auch Aristeas ist es nicht mehr, der vor dir lebte. Denn ihn, der mir gleich war, ereilte dasselbe Schicksal. Das Volk von Prokonnesos stellte ihn auf, seine Gegner ließen ihn verschwinden. Auch von Aristeas verbreiteten eben diese Gegner das Gerücht, es sci nirgends zu finden, weder lebend noch tot 38 • Aber damals, heute undin alle Ewigkeit lebt Aristeas. (47) Später, denk' ich, wird mancher unser gedenken,39 hat Sappho wunderschön gesagt. Und noch viel schöner sagt Hesiod: Keinerlei Kunde geht völlig verloren, die zahllose Völker streuten in alle Lande. Ist sie doch selbst eine Göttin. 40 Ich will dich wieder aufstellen in der Nähe dieser Göttin, von wo dich niemand mehr herunterstürzen wird, kein Erdbeben, kein Sturm, kein Schnee, kein Unwetter, kein Neid, kein Feind - schon sehe ich dich vor mir stehen. Vergessenheit hat schon manchen getäuscht und betrogen, die Gesinnung der Guten aber noch niemand, und deshalb stehst du aufrecht wie ein Mensch vor mir.» 38.

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ÜBER DIE EINTRACHT MIT NIKAIA

(I) Männer von Nikomedia! Wenn ich die Gründe durchgehe, die euch veranlaßt haben könnten, mir das Bürgerrecht zu verleihen - ich sehe nicht, daß ich besonders reich wäre, und so kann ich nicht glauben, daß ihr euch aus finanziellen Gründen

EINTRACHT MIT NIKAIA

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um mich bemüht habt. Auch wüßte ich nicht, die Gabe, das Volk zu umschmeicheln, zu besitzen, so daß ihr auch nicht zu diesem Zweck auf mich als auf einen bereitwilligen Diener aller eurer Launen Wert zu legen scheint. Und schon gar nicht bin ich ein Zechgenosse und Kumpan bei derartigen Zusammenkünften, um damit die Massen unterhalten zu können. Wenn ich mich in der Meinung, weshalb eure Wahl auf mich gefallen ist, nicht irre und ich eine richtige Vorstellung habe von dem, was ich fur euch leisten kann, so bleibt für die Verleihung des Bürgerrechtes nur der eine Grund, daß ich vielleicht mehr als andere zur Beratung in Fragen des öffentlichen Interesses bereit und befähigt bin. (2) Sollte das nicht der Fall sein, seid ihr in euren Bemühungen um mich fehlgegangen, mich aber hätte die Hoffnung, eurer Stadt einen Dienst zu erweisen, offensichtlich umsonst verleitet, euren Ruf anzunehmen, da ihr mich nicht zu dem verwendet hättet, wozu ich einzig tauge. Wenn alle Städte, ganz besonders aber die großen reiche Leute brauchen, die die öffentlichen Feierlichkeiten finanzieren und in diese herkömmlichen Spenden ihren Ehrgeiz setzen; wenn sie Schmeichler brauchen, um sich an deren Redekünsten zu ergötzen; wenn sie schließlich auch Ratgeber brauchen, um durch eine richtige Politik in Sicherheit zu leben, so will auch ich mich nicht bedenken, durch meinen Rat der Stadt in den wichtigsten Angelegenheiten nach Kräften zu nützen. (3) Nun gibt es bei euch unter anderem eine ganze Anzahl Erscheinungen, die abgestellt werden müßten. Ich will sie der Reihe nach behandeln, vorausgesetzt, daß ich, wenn ich die Wahrheit sage, wenigstens in den wichtigeren Fragen euer Vertrauen finde. Wie kommt es aber, was ist meine Absicht, daß ich nicht mit dem weniger Wichtigen beginne und darin die Bereitschaft des Volkes, auf mich zu hören, auf die Probe stelle, sondern es vorziehe, sofort aufs Ganze zu gehen, indem

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ich euch in der wichtigsten Frage einen Rat gebe? Weil es mir viel leichter zu sein scheint, jemand in den dringendsten Angelegenheiten als in unbedeutenderen Nebensächlichkeiten zu überzeugen. Im einen Fall kann man sich über den daraus entstehenden Schaden hinwegsetzen. Wer aber nicht bereit ist, sich in Dingen, ohne die er gar nicht leben kann, überzeugen zu lassen, der wird doch erst recht nicht zuhören wollen, wenn es um weniger Wichtiges geht. (4) Daß ihr mir nun, wenn ihr meinen Rat ruhig anhört, recht gebt in dem Punkt, zu dessen Beratung ich hier stehe, da bin ich ganz zuversichtlich. Die Schwierigkeit besteht nur darin, ihr könntet meine Ausführungen zu diesem Thema für lästig, überflüssig oder unangebracht halten. Damit ihr mir nun nicht mit solchen Einwänden kommt: «Was gibst du uns Ratschläge in einer Sache, die wir überhaupt nicht beraten ?», «Was fällt dir ein, das Wort, das wir dir nicht erteilt haben, eigenmächtig zu ergreifen?», «Wo wir so viele Männer haben, die sich mit Politik befassen, Einheimische und Eingebürgerte, Redner und Philosophen, Alte und Junge, warum hat es noch niemand gewagt, uns diesen Rat zu geben?» - (5) um also diesen Einwänden zuvorzukommen, möchte ich euch bitten, Männer von Nikomedia, mir den Gefallen zu tun und eine überflüssige, unangebrachte und euch keineswegs überzeugende Rede in Ruhe anzuhören. Ich glaube, diese Gunst ist nicht einmal besonders groß. Wenn ihr euch überzeugen laßt, verdient es der Mann, der nur zu eurem Besten spricht, gehört zu werden; woll t ihr aber auf keinen Fall hören, was ist dann schon dabei, einem Freund das Wort erteilt zu haben, der willens ist, auch zu tauben Ohren zu sprechen? Was ist es denn nun aber, worin ich euch raten möchte und das zu nennen ich Bedenken habe? Das Wort bedeutet nichts Unangenehmes, ihr Nikomeder, weder im Hausstand noch in der Verwandtschaft, in der Freundschaft, unter Städten und

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Völkern. (6) Über die Eintracht will ich sprechen - ein schönes Wort und eine schöne Sache. Sobald ich aber hinzufuge, auf wen sich die Eintracht bezieht, muß ich fürchten, daß ihr zwar fest daran glaubt, an sich sei sie etwas Schönes, daß ihr sie aber mit jenen Menschen, mit denen ihr meines Erachtens in Eintracht leben solltet, für unmöglich haltet. Denn gerade das ist es ja, was die gegenseitige Feindschaft heraufbeschworen hat und bis zum heutigen Tag keine Freundschaft hat aufkommen lassen, diese unbegründete Überzeugung, zwischen euren Städten könne keine Eintracht bestehen. Bitte, geratet nicht außer euch, wenn ich von neuem beginne, und hört mich ruhig an! (7) Männer von Nikomedia, ich bin der Meinung, ihr solltet mit den Leuten von Nikaia in Eintracht leben. Hört mich an und seid nicht schon empört, bevor ich gesagt habe, weshalb! Auch der Kranke wird nicht zornig auf den Arzt, wenn er ihm eine Behandlung verordnet; wohl macht es ihm kein Vergnügen, vom Arzt zu hören, daß er geschnitten und gebrannt werden muß, trotzdem fugt er sich, da es um Leben und Tod geht. Aber wozu erwähne ich dieses Beispiel! Mein Heilmittel, das ich den Städten anbiete, ist das angenehmste Mittel, ohne das ein Mann mit gesundem Menschenverstand überhaupt nicht leben möchte. (8) Ich will meine Rede unterteilen und zunächst ganz allgemein darüber sprechen, worauf Eintracht beruht und welche Folgen sie hat, dann, wenn ich der Freundschaft Zwietracht und Feindschaft vergleichend gegenübergestellt habe, darlegen, daß in eurem Fall die Eintracht zwischen diesen beiden Städten für euch ebenso notwendig wie nützlich ist; sobald nämlich nachgewiesen ist, daß Eintracht für alle Menschen förderlich ist, ergibt sich das zweite aus dem ersten ganz von selbst. Ich werde auch. nicht unterlassen darzulegen, wie sie Bestand haben kann, wenn sie einmal vorhanden ist; denn ich

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sehe, daß sich viele auch über dieses Problem Gedanken machen. (9) Ich bitte alle Götter, eure und ihre, wenn ich jetzt allein aus Sympathie für euch rede, ohne persönlichen Ruhm oder Vorteil aus eurer gegenseitigen Versöhnung zu erhaschen, und vor allem, wenn es der Stadt zum Besten gereichen sollte, mich die richtigen Worte finden zu lassen und eure Ohren zu öffnen für meine heilsamen Ratschläge. (ro) Die Eintracht haben aUe Menschen zu jeder Zeit in Wort und Schrift gepriesen, die Werke der Dichter und Philosophen sind voll von Preisliedern auf sie, alle, die ihre Geschichtsstudien veröffentlicht haben, um ein Beispiel fUr die Praxis zu geben, haben sie als das größte Gut der Menschen hingestellt, und selbst die Sophisten, von denen viele schon merkwürdige Behauptungen aufzustellen wagten, haben das eine sich noch nicht beifallen lassen, zu verkünden, daß Eintracht nichts Schönes und Heilbringendes sei. Ob man sich nun heute oder wann immer sonst anschickt, sie zu preisen, stets hat man eine Fülle Material zur Verfugung und kann jedesmal noch mehr und besser darüber sprechen. (Il) Will jemand sich mit ihrer Herkunft befassen, muß er ihren Ursprung auf die größten göttlichen Dinge zurückfUhren. Denn sie ist Freundschaft, Versöhnung, Verwandtschaft in einem und schließt das alles in sich. Was verbindet die Elemente untereinander anders als Eintracht? Sie ist es, wodurch alles Große besteht, ihr Gegenteil, wodurch alles vergeht. Wären wir Menschen nun nicht ein sterbliches Geschlecht und mUßten nicht viele Mächte sein, die uns den Untergang bringen, dann gäbe es bei den Menschen keine Zwietracht, genausowenig wie sie es bei den Göttern gibt. Worin allein wir hin ter der göttlichen Glückseligkeit und dem unzerstörbaren Sein der Götter zurückbleiben, das ist eben die Tatsache, daß wir nicht alle ein Organ fUr die Eintracht haben, sondern zum Teil ihre Umkehrung, die Zwietracht, lieben, deren Bestandteile

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und Werkzeuge Kriege und Kämpfe sind; und diese wühlen unter Gemeinden und Völkern wie Krankheiten im Körper. (IZ) Obwohl wir genau wissen, daß die Gesundheit zu den kostbarsten menschlichen Gütern gehört, untergraben wir sie selbst nur allzuoft zu unserem eigenen Nachteil, indem wir der Genußsucht erliegen oder uns vor einer gesunden Anstrengung und einer vernünftigen Lebensweise scheuen. Wenn nicht den größten Übeln dieses Lockmittel, die Lust des Augenblicks, zu Gebote stünde, hätten sie überhaupt keine Macht, uns zu schaden; nun aber hat die Natur ihnen dieses Mittel gegeben, so daß sie ihre Opfer durch das Vergnügen verfuhren können. (13) Und was man besonders ungern dabei sieht: Alle Übel machen den Menschen zu schaffen, obwohl die Menschen über das Übel Bescheid wissen. Fragte man einen einzelnen oder eine ganze Menge, unter welchen Begriff solche Dinge wie Krieg, Zwietracht, Krankheit und dergleichen zu rechnen seien, käme ohne Zögern die An twort: zu den Übeln. Und sie sind es nicht nur, sie werden auch dafür gehalten und so genannt. (14) Und bei ihrem Gegenteil, bei Frieden, Eintracht und Gesundheit, würde niemand bestreiten wollen, daß sie Güter sind und auch so heißen. Aber trotz dieses so offenkundigen Kampfes zwischen Gut und Schlecht gibt es einige oder, besser, viele unter uns, die sich an den Übeln freuen, obwohl sie sie als Übel erkannt haben. Wie ist es etwa bei einem Schiff? Alle Mitf.lhrenden wissen genau, daß es nur eine Rettung für sie gibt, die Eintracht der Matrosen und der Gehorsam dem Steuermann gegenüber, daß aber, sobald Streit und Meuterei sich an Bord erheben, häufig auch die günstigen Winde für das Schiff ins Gegen teil umschlagen und der schon ganz in der Nähe befindliche Hafen verfehlt wird. Trotzdem aber kommt es vor, daß der Unverstand die Matrosen zur Meuterei treibt. Das bedeutet dann den Untergang. Dabei hätten die Matrosen seine Ursache genau angeben können!

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(15) Im Hausstand hängt das Wohl und Wehe von der Einträchtigkeit der Herren und dem Gehorsam der Diener ab; trotzdem aber haben die Uneinigkeit der Herren und die Schlechtigkeit der Dienerschaft schon manches Haus zugrunde gerichtet. Welche Rettung gibt es fUr einen Wagen, wenn die Pferde nicht mehr nebeneinander laufen wollen? Haben sie erst einmal begonnen, uneins nach verschiedenen Seiten zu zerren, muß der Wagenlenker zwangsläufig in Gefahr kommen. Die gute Ehe - was ist sie anders als Einmütigkeit zwischen Mann und Frau? Die schlechte Ehe - was anders als Uneinigkeit zwischen beiden ? Welchen Nutzen haben Eltern von ihren Kindern, wenn sich die Kinder in ihrem Unverstand gegen sie aufzulehnen beginnen? Was ist Brüderlichkeit anders als die Einmütigkeit von Brüdern? Die Freundschaft anders als die Einmütigkeit von Freunden? (16) Das alles aber ist nicht nur gut und schön, es bereitet auch das größte Vergnügen. Das Gegenteil davon ist nicht nur ein Übel, es bringt auch Unannehmlichkeiten, und trotzdem ziehen wir es häufig dem besten Vergnügen vor. So hat man zum Beispiel schon trotz der gewaltigen Unterschiede Krieg statt Frieden gewählt, nicht etwa weil das Kriegführen besser, angenehmer oder gerechter wäre, als Frieden zu halten, sondern um der Macht oder der Freiheit willen, um Land zu erwerben, wenn man keins hatte, oder um sich die Herrschaft zur See zu verschaffen. Obwohl nun so große Kampfpreise winkten, haben doch viele schon auf einen Krieg verzichtet, da sie ihn fur ein Übel hielten und er nicht verdiene, den größten Gütern vorgezogen zu werden. (17) Aber ohne Grund Krieg zu führen und zu kämpfen, ist das nicht der helle Wahnsinn, der einen ins Verderben rennen läßt? Wir Menschen hassen die Raubtiere vorwiegend deshalb, weil wir in einem ewigen, unversöhnlichen Krieg mit ihnen liegen. Viele aberund auch unter uns sind einige - behandeln die Menschen wie

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wilde Tiere und finden Vergnügen an dem Kampf gegen ihr eigenes Geschlecht. Ja nicht einmal die Zeichen der Götter nehmen wir wahr, mit denen sie uns belehren und kundtun, daß wir in Eintracht miteinander leben sollen. (18) Manche Herolde, sagt man, kämen von den Göttern, weshalb bei uns der Friede auch durch Herolde verkündet wird, während Kriege in der Regel nicht von Herolden ausgerufen werden. Unbewaffnet verhandeln sie mit Bewaffneten über den Frieden, und niemand darf sich an ihnen vergreifen, weil alle, die in einem freundschaftlichen Auftrag kommen, Boten der Götter sind. Rücken zwei Heere zum Kampf gegeneinander an und erscheint plötzlich ein Zeichen am Himmel oder bebt die Erde, so machen die Soldaten auf der Stelle kehrt und ziehen sich zurück, da die Götter ihren Kampf nicht billigen. (19) Ein göttliches Zeichen zum Kampf dagegen nimmt man allgemein nicht an. Ferner tun wir, sobald Frieden geworden ist, alles, was dem Menschen Freude macht und ein Zeichen seines Glückes ist: Wir schmücken uns mit Kränzen, bringen Opfer dar und feiern Feste. Genau umgekehrt ist es im Kriege - wie in Zeiten der Trauer: Wir schließen uns hinter den Türen ein, haben vor allem Angst und überlassen uns der Verzweiflung. Dann weinen die Frauen über ihre Männer, die Kinder über ihre Väter, als weinten sie über das größte Unglück. (20) Werden wir von einer Pest oder von einem Erdbeben heimgesucht, überhäufen wir die Götter mit Vorwürfen, weil sie die Urheber des Elends seien, das über die Menschen kommt, und behaupten, sie seien weder gerecht noch liebten sie die Menschen, selbst wenn sie uns vollkommen zu Recht für die schwersten Vergehen bestrafen. So groß ist unser Haß auf jedes Unglück, das uns ohne unser Zutun trifft. Den Krieg aber, dessen vernichtende Wirkung nicht geringer ist als die eines Erdbebens, wählen wir selbst und machen den Menschen, die ihn vom Zaun gebrochen, keine Vorwürfe, wie wir sie im

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[38,20-22

anderen Fall den Göttern machen j vielmehr halten wir sie für Freunde des Volkes, hören sehr gern aufihre Worte und befolgen ihre Ratschläge. Statt ihnen zu vergelten, was sie uns angetan haben - Vergeltung wäre aber Auge um Auge, Zahn um Zahn -, überschütten wir sie mit Dank, Ehre und Lob. Deshalb müßten sie schon gewaltige Dummköpfe sein, wenn sie diejenigen schonten, die ihnen für ihr Unglück noch dankbar sind. (2I) Zunächst, Männer von Nikomedia, wollen wir nun die Ursachen eurer Uneinigkeit ins Auge fassen. Sind sie so gewichtig, daß es sich lohnt, Krieg zu führen - aber nicht solch einen kurzen, der mit Waffen geführt wird und als Trost die Aussicht auf eine schnelle Entscheidung hat, sondern einen langen Krieg ohne Ende, so daß er noch auf Kinder und Kindeskinder übergeht, ohne jemals auf Aussöhnung hoffen zu lassen -, dann laßt uns kämpfen und streiten und uns g.egenseitig drangsalieren, so gut wir können, und uns darüber ärgern, daß unsere Mittel nicht größer sind. Wenn aber der Preis für solche Mühsal ein reines Nichts und das, was dafür gilt, so gering und unbedeutend ist, daß es sich nicht einmal für einen einzelnen, geschweige denn für solch mächtige Städte lohnt, darum zu streiten, wollen wir lieber auf der Hut sein, daß es uns nicht geht wie törichten Kindern, die sich nur sclnver mit Vater oder Mutter aussöhnen, weil sie nicht den Eindruck erwecken wollen, ihre Wut sei unbegründet gewesen. (22) Nun, um Land oder Meer kämpfen wir gewiß nicht, zumal euch die Leute von Nikaia das Meer nicht streitig machen und der Fall zu aller Zufriedenheit geregelt ist, so daß kein Grund für eine kriegerische Auseinandersetzung vorliegt. Auch über die Einnahmen brauchen wir nicht zu streiten, denn jedem genügt, was er sein eigen nennt. Auch diese Frage ist also, genau wie jede andere, entschieden - in Frieden und Freundschaft, möchte ich sagen. Ferner gibt es einen Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Ehen werden ge-

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schlossen zwischen beiden Städten und haben so schon zahlreiche Familienbande zwischen ihnen geknüpft, wir genießen das staatliche Gastrecht' und haben persönliche Freunde. Ihr glaubt an dieselben Götter und feiert den größten Teil der Feste wie sie, in Sitten und Gebräuchen gibt es ebenfalls keinen Streit. Das alles ist also nicht Grund zur Feindschaft, sondern im Gegenteil zur Freundschaft und Eintracht - trotzdem aber kämpfen wir. (23) Träte nun jemand vor euch hin und fragte: «Was haben euch denn die Leute von Nikaia getan?», so wüßtet ihr nichts zu sagen. Fragte er umgekehrt die Nikaier: «Was haben euch die Nikomeder getan ?», so hätten auch sie nicht das geringste zu antworten. Aber da ist ein Preis ausgesetzt, um den ihr streitet. Was fur ein Preis ist das? Er gehört nicht zu den Dingen, die zu nennen und anzuerkennen sich lohnte, für deren Verfechter man Verständnis hätte. Nein, was es wirklich ist, darf man weder sagen noch anerkennen. So sieht es damit aus, so unerheblich, so alltäglich ist es, daß sich vielleicht Dummköpfe darüber ereifern könnten, aber niemals Männer mit gesundem Verstand. (24) Die Leute nämlich, die euch zum Streit aufrufen - aus welchen Gründen, das auseinanderzusetzen ist wohl kaum meine Aufgabe -, die also daran ihre Freude haben, kommen immer nur mit dem einen Gerede: «Wir kämpfen um den Vorrang.» Genau diesen Leuten will ich nun die Gegenfrage stellen: «Um welchen Vorrang? Bringt er euch wirklich einen praktischen Vorteil, oder geht der Kampflediglich um einen Namen?» Auch schon in früheren Zeiten, höre ich sagen, sei eben dies Anlaß für die Uneinigkeit der Griechen gewesen. So hätten Athener und Spartaner um die Vorherrschaft gekämpft. (25) Daß aber auch ihnen Streit und Krieg nichts nützte, sondern heide im Kampf um die Vorherrschaft diese einbüßten, das wißt ihr alle selbst, und vielleicht werde ich auch noch gleich darauf zu sprechen kommen. Aber was soll das? Sind denn

AN DIE NIKOMEDER 55 2 beide Fälle vergleichbar, daß man sich daraufberufen könnte? Die Athener führten Krieg, um den Tribut von den Inselbewohnern zu bekommen, sie kämpften, damit in ihrer Stadt die Prozesse von allen Griechen geschlichtet würden, oder allgemein ausgedrückt: Zwischen jenen Städten ging der Kampf um die Herrschaft. (26) Wenn wir aber die Vormachtstellung kampflos bekommen, weil Nikaia sie uns überläßt, wollen wir die Steuern, die zur Zeit jene einziehen, etwa selbst verlangen? Werden wir die Städte, die ihrer Gerichtsbarkeit unterstehen, hierher vor Gericht zitieren? Ihnen Kontrolleure schicken? Wollen wir ihnen die von den Bithyniern entrichteten Abgaben beschneiden? Oder was soll geschehen? Was soll unser Vorteil dabei sein? Ich jedenfalls bin der Meinung, daß sich die Menschen bei all ihren Unternehmungen nicht umsonst und aufs geratewohl abmühen, sondern ihr Kampf stets einen Zweck hat. (27) Wer Krieg führt, kämpft um seine Freiheit, wenn andere ihn unterwerfen wollen, oder für seine Herrschaft, wenn er selbst andere unterwerfen will. Wer zur See fährt, unternimmt nicht eine planlose Irrfahrt, sondern begibt sich in Gefahr um einer Besorgung oder eines Geschäftes willen. Um nicht alle Beispiele zu nennen - kurz, wir Menschen tun alles um eines guten Endes willen und vermeiden die entgegengesetzten Handlungen wegen ihres schlechten Ausgangs. Sich ohne Grund einzusetzen und abzumühen, das ist allein Sache der Toren. (28) Wollte ein kleiner Bürger, der über sich selbst genau Bescheid weiß, seinen Ehrgeiz dareinsetzen, König genannt zu werden, würde er, ganz entgegen seinen Vorstellungen, ausgelacht, weil er sich einen falschen Titel ohne die nötigen Voraussetzungen zugelegt hat. Und bei allen anderen Dingen ist es genauso: wenn jemand als Flötenspieler gelten will, ohne die Flöte spielen zu können, als Musiker, ohne etwas von Musik zu verstehen, als Zitherspieler, wenn er nicht einmal das Instrument richtig anfassen kann. Nichts hindert uns

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daran, diese Leute für verrückt zu erklären. Wir selbst aber glauben, wenn wir irgendwo als die Ersten angeschrieben sind, auch die Ersten zu sein? (29) Was ist das denn für ein erster Platz, Nikomeder? Ich frage euch zum zweiten und zum dritten Male: Was fur einen Nutzen bringt er, was für einen praktischen Vorteil? Werden wir durch ihn reicher, größer oder mächtiger? Im Wahn zu leben gilt als Dummheit schon bei gewöhnlichen Leuten, und darüber lachen wir am meisten. Wir verachten diese Menschen und haben schließlich nur noch Mitleid für sie übrig, weil sie den Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit nicht kennen. Kein Mensch, der etwas auf sich hält, läßt sich so weit auf den Wahn ein, daß er etwas Dummes begehrte. Von einer ganzen Stadt jedoch soll man sagen, sie dürfe tun, was nicht einmal ein einzelner, wenn er Stolz und Achtung vor sich selbst hat, tut? (30) Mit einem Wort: Wenn euch jemand fragte: «Männer von Nikomedia, was wollt ihr? Wirklich die Ersten sein oder nur so genannt werden, ohne es zu sein ?», so würdet ihr doch einstimmig antworten: «Lieber es sein als ohne Grund so heißen.» Denn Namen haben nicht die Macht von Fakten; wie aber etwas in Wirklichkeit ist, so wird es zwangsläufig auch genannt. (3 r) Versucht also, unter den Städten an erster Stelle zu stehen, zunächst dank der Fürsorge, die ihr ihnen angedeihen laßt, denn das ist eure ganz besondere Aufgabe als Mutterstadt; dann auch dadurch, daß ihr selbst euch gegen alle gerecht und maßvoll zeigt, in nichts mehr haben wollt als sie und keine Gewalt anwendet. Sonst nämlich beschwört ihr notwendig Haß und Feindschaft herauf, zumal die von Natur Schwächeren die Stärkeren in Verdacht haben, sie wollten sie um jeden Preis übervorteilen. Ist das dann wirklich der Fall, wird ihre Feindseligkeit nur um so berechtigter angestachelt. (32) Ihr könnt den Städten in weit größerem Umfang helfen als sie euch, vor allem und am tatkräftigsten wegen des Meeres.

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An allen seinen Erträgen haben sie teil, das eine gewährt ihnen euer Entgegenkommen - aber nicht nur einige wenige, die ganze Stadt sollte öffentlich dieses Entgegenkommen zeigen-, das andere schmuggeln sie selbst ein, und wieder anderes erbitten sie sich jedes mal von neuern. Zwar schlagt ihr niemals ihre Bitten ab, aber allein schon die Tatsache, auf Bitten angewiesen zu sein, ist bedrückend. Wenn ihr den Gemeinden, die Tag für Tag um das Allernotwendigste bitten, auch an diesen ganzen Rechten teil gebt, ist dann nicht mit Sicherheit zu erwarten, daß ihr als ihre Gönner noch höher in ihrer Achtung steht? Zugleich werdet ihr damit auch die Eintracht, die überall hindringen wird, festigen. (33) Versucht ferner, den Verwaltern der Provinz Respekt einzuflößen, indem ihr stets deutlich zu erkennen gebt, daß es euch nicht genügt, wenn ihr allein gut verwaltet werdet, sondern daß euch das ganze Volk der Bithynier etwas angeht und ihr über Übergriffe an anderen nicht weniger empört seid als über solche an euch selbst. Sucht man bei euch hilfeflehend Zuflucht, helft bereitwillig und ohne Unterschied! Das wird euch den wahren Vorrang verschaffen, nicht der Streit mit den Nikaiern um leere Worte. (34) Natürlich möchte ich, daß sich auch die Leute von Nikaia danach richten - sie werden es tun, wenn ihr euch erst einmal geeinigt habt - und eure Macht durch diese Verbindung noch größer wird. Ist die Eintracht hergestellt, werdet ihr an der Spitze aller Städte stehen, und die Statthalter werden es sich etwas genauer überlegen, ob sie sich an euch vergreifen wollen. So aber, wie die Dinge jetzt liegen, triumphieren die anderen Städte wegen eurer Uneinigkeit. Sie glauben nämlich, ihr wäret auf ihre Hilfe angewiesen - und ihr seid es ja auch wegen der gegenseitigen Auseinandersetzungen. Es geht euch wie zwei gleich angesehenen Männern, die auf der politischen Bühne ihre Kräfte messen. Sie müssen allen schmei-

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cheln, auch wenn diese noch so weit unter ihnen stehen. (35) Die Folge davon: Während ihr um die Vorherrschaft kämpft, ist die Vorherrschaft womöglich in der Hand derer, die von euch hofiert werden. Denn es ist doch undenkbar, daß die Betreffenden nicht haben sollten, was ihr von ihnen zu bekommen gedenkt. Daher ist es unbedingt notwendig, daß die Städte ihre Stellung wieder einnehmen, wie es andererseits recht und billig ist, daß sie euch brauchen, nicht ihr sie. Dementsprechend möchte ich euch auffordern, euch ihnen gegenüber nicht tyrannisch, sondern, wie ich eben schon andeutete, milde und maßvoll zu betragen, damit eure Vormachtstellung nicht als Last empfunden wird, trotzdem aber Vormachtstellung ist und gern gesehen wird. (36) Wie es mit den Statthaltern heutzutage bestellt ist- was soll ich darüber vor Wissenden sprechen! Oder merkt ihr tatsächlich nicht die drUckende Übermacht, die eure Uneinigkeit den Machthabern in die Hände spielt? Um gleich ein Beispiel anzuführen: Jeder, der sich an eurem Volk vergreifen will, erscheint hier, weil er genau weiß, wie er es anfangen muß, um der Strafe zu entgehen. Entweder verbUndet er sich mit der Partei der Nikaier, dann hat er ihre Gruppe als Helfershelfer oder er wählt die Partei der Nikomeder, dann wird er von euch gedeckt. Keine der beiden Seiten liebt er, die eine scheint er zu lieben, an allen aber begeht er ein Unrecht. Damit kommt er durch, weil die Betreffenden glauben, sie allein würden von ihm geliebt. (37) Sie' haben euch aber vor aller welt zu Dummköpfen gestempelt und behandeln euch wie kleine Kinder, denen man nicht selten Minderwertiges als das Kostbarste anbietet: Weil sie den wahren Wert nich t kennen und auch am Kleinsten ihre Freude haben, sind sie entzückt von einem Nichts. So machen sie es auch mit euch. Statt Gerechtigkeit zu üben, statt eure Städte zu schonen und den Bürgern Hab und Gut zu lassen, statt euch vor Übergriffen und Mißhandlungen zu

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schützen, bieten sie euch Titel an und nennen euch mündlich oder schriftlich « Erste» - um euch fortan ohne Risiko als die Letzten zu behandeln. (38) Denn derlei Dinge, auf die ihr euch etwas einbildet, werden bei allen vernünftigen Menschen verachtet. Zumal bei den Römern rufen sie Gelächter hervor, man tu t sie - ein noch größerer Hohn - als « griechische Dummheiten» ab. In der Tat, ihr Männer von Nikomedia, es sind Dummheiten, aber keine griechischen, es sei denn, man wollte sie gerade in dem Sinn griechisch nennen, wie jene Athener und Spartaner sich damals den Ruhm streitig machten. Aber ich sagte wohl schon an früherer Stelle, daß ihre Auseinandersetzungen nicht leerer Wahn waren, sondern daß es bei ihnen wirklich um Macht ging. Ihr werdet doch heutzutage nicht annehmen wollen, sie hätten um die Frage, wer den Festzug anführen dürfe, so wacker gestritten, wie man bei einer bestimmten Art von Mysterien zum Schein mit etwas, das einen nichts angeht, kämpft. (39) Wenn der Titel « Mutterstadt» euer besonderes Vorrecht ist, ihr aber die erste Rolle mit andern teilt, was verliert ihr dabei? Ich möchte sogar die Behauptung wagen, daß ihr, selbst wenn ihr alle Titel verlört, in Wirklichkeit nichts verloren hättet. Was würdet ihr denn erwarten? Daß sich dann das Meer von eurer Stad t zurückzieh t, daß euer Land kleiner wird, daß eure Einnahmen zurückgehen? Wart ihr schon einmal im Theater? Aber was frage ich! Fast jeden Tag seht ihr Schauspieler in tragischen Rollen und all die andern, die nur zum Vergnügen und Ergötzen aufdie Bühne zu kommen scheinen, den Zuschauern aber, die der Handlung folgen, Gewinn bringen. Glaubt ihr nun, dort gebe es einen wirküchen König, Tyrannen oder Gott? (40) Und doch haben sie alle diese Titel und heißen Menelaos und Agamemnon, und nicht nur die. Namen haben sie von Göttern und Helden, auch deren Masken und Kostüme, und sie geben wie ihre Vorbilder eine Menge Befehle. Ist das Spiel aber vorbei, gehen sie weg als ein Nichts.

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Will jemand der Erste heißen - nun, er heiße! Ist jemand der Erste, so ist er der Erste, mag auch jemand anders so heißen. Denn Titel bürgen nicht nir Tatsachen, wohl aber Tatsachen fur Titel. (41) Ferner denkt bitte auch an folgenden Ertrag eurer Eintracht. Jetzt hat jede Stadt nur ihre eigenen Einwohner; seid ihr aber ausgesöhnt, werden auch die Einwohner der anderen Stadt die euren sein und umgekehrt. Ferner könnt ihr Einsatzwillen und Dienstbereitschaft - denn auch darauf ist eine Stadt angewiesen - doppelt rechnen. Habt ihr einen gewaltigen Redner - er wird auch jenen von Nutzen sein. Gibt es dort einen reichen Mann - er wird auch hier eine Menge finanzieren. Ganz allgemein wird niemand, der eine führende Stellung in der Stadt nicht verdient, deswegen bei euch zu Ansehen kommen, weil er gegen Nikaia spricht, noch umgekehrt in Nikaia, weil er gegen euch spricht. Auch wird niemand mehr, der sich als Schurke entpuppt und Strafe verdient, sich ihr entziehen können, indem er sich von hierher dorthin flüchtet oder von dort hierher. (42) Wie es aber zur Zeit aussieht, liegen eure beiden Städte gleichsam auf der Lauer, und die eine gewährt jedem, der gegen die andere etwas unternommen hat, Asyl. Käme dagegen die Eintracht zustande, müßten die Bürger entweder tüchtige und rechtliche Leute sein oder Bithynien verlassen. Ihr seid stolz auf eure unverhältnismäßig große Bevölkerung - ihr werdet noch zahlreicher sein. Ihr glaubt, genügend Land zu haben - ihr werdet mehr als genug haben. Mit einem Wort: Wenn alles zusammengelegt wird, die Bodenerträge und eure Gelder, Verdienst und Einfluß der Männer, verdoppelt sich alles aufbeiden Seiten. (43) Das Ziel, aufdas alle menschlichen Handlungen ausgerichtet sind, die Freude, wird unbeschreiblich groß sein. Beseitigt ihr alles, was euch schwer zu schaffen macht, Neid und Eifersucht und als ihre Folgen Uneinigkeit, eure gegenseitigen böswilligen Pläne, eure Freude

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[38,43-47

am Unglück des Nachbarn, euren Verdruß über seine Erfolge; laßt ihr dafUr das Gegenteil in die Städte einziehen, gemeinsame Nutznießung der Güter, Eintracht und die Freude beider Städte über dieselben Dinge,wäre das alles nicht wie ein großes Volksfest? (44) Bedenkt es auch von dieser Seite! Wenn euch Nikomeder ein Gott vor die Wahl gestellt hätte, ob ihr nur eure eigene Stadt oder auch die der Nikaier besitzen wolltet, wäre euch das nicht als ein geradezu unwahrscheinlich großes Glück vorgekommen? Hättet ihr nicht alle möglichen Gelübde abgelegt, um seiner habhaft zu werden? Aber gerade das, was so unwahrscheinlich aussieht, kann jetzt Wirklichkeit, Nikaia euer und das Eurige das Ihrige werden. (4S) Wir bewundern Brüder, die vollkommen gemeinsam ihren Haushalt fUhren und das väterliche Erbe nicht kleinlich geteilt haben. Noch mehr freilich wird ihr Reichtum bewundert, der gerade deswegen größer ist, weil er nicht geteilt wurde und weil nicht jeder die Hälfte vom ganzen Vermögen bekommen hat, sondern das Ganze offensichtlich beiden gehört. Überdies sieht jedermann in ihnen treffliche und rechtliche Menschen, eben wahre Brüder. Wenn nun dieser Geist der Brüderlichkeit auch in den Städten herrscht, sollte das nicht ein noch größerer, schönerer und reicherer Segen sein? (46) Diese Brüderlichkeit sollte schon deswegen erreicht werden, weil beide Städte gemeinsame Ahnen und gemeinsame Götter haben, die dort wie hier auf die gleiche Weise verehrt werden. Das ist es nämlich, worüber man eigentlich am meisten betrübt sein müßte: daß wir alles gemeinsam haben, Ahnen und Götter, Bräuche und Feste, daß zwischen den meisten sogar noch persönliche Verwandtschaften und Freundschaften bestehen und daß wir trotzdem wie Griechen gegen Perser streiten oder, was zu eurem Verhalten noch besser paßt, wie Menschen gegen wilde Tiere. (47) Wollt ihr euch keines Blickes würdigen? Wollt ihr euch nicht anhören? Sollen sich

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eure Städte nicht die Hand reichen, wobei ihr den Anfang macht? Wollt ihr nicht Frieden schließen und dann das Gut von beiden gemeinsam besitzen? Möchtet ihr nicht gern davon Gebrauch machen? Wenn man doch auch das Volk der Epheser zu euren Brüdern machen könnte! Wenn doch auch Smyrna sich euch anschlösse! (48) Aber alle diese segensreichen Güter gebt ihr preis um eines einzigen Wortes willen. Welch großen Vorteil! Was für einen erfreulichen Gewinn! Doch daß die Aussöhnung der Städte von Nutzen wäre und daß die Zwietracht euch bis jetzt keinen Vorteil gebracht hat; welchen Segen man sich von der Eintracht versprechen darf und welche Übel euch die Feindschaft einbringt, das ist deutlich genug von mir gesagt worden. (49) Indes bleibt die Feststellung noch übrig, daß nach eurer Aussöhnung das alles auch Bestand haben wird. Denn schon jetzt gibt es Leu te, die an diesem Punkt Bedenken haben, und ich nehme ihnen den Grund ihrer Befürchtung sogar ab, wenn sie so sprechen, weil sie sich wirklich nach der Eintracht sehnen und nur fürchten, sie könnte wieder zerstört werden, nicht aber, wenn sie diese Ausrede benutzen, um im Gegenteil eine Aussöhnung von vornherein zu vereiteln. Das größte und sicherste Pfand für den Fortbestand eurer Eintracht sei ihr Nutzen. Schon allein der theoretische Nachweis ihres Nutzens scheint euch zu überzeugen. Wie sollte da die Praxis nicht eine noch festere Überzeugungskraft haben? (50) Außerdem verlasse ich mich auf euer zähes Festhalten an der Tradition. Wenn nämlich schon die Uneinigkeit, ein solch gewaltiges Übel, allein durch die Macht der Gewohnheit sich so lange hat bei euch halten können, warum sollte man nicht auch damit rechnen können, daß eure Aussöhnung, die doch soviel angenehmer und gerechtfertigter ist, durch die Gewohnheit noch stärker wird? Natürlich wird man auch auf die kleinen Dinge ein Auge haben müssen, vor allem auf jene verrufe-

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EINTRACHT IN NIKAIA

nen Leute, falls sie euch wieder gegeneinander ausspielen sollten. Hört nicht auf sie, denn sie verfolgen nur ihre eigenen Ziele und wollen sich selbst wieder einmal ein Vergnügen machen. Und laßt euch durch Kleinigkeiten nicht aufbringen! (SI) Schließlich dürfen wir erwarten, daß auch die Götter mehr als auf alles andere auf die Erhaltung der Eintracht bedacht sind. Ich habe nämlich den Eindruck, als ob auch dieser Anfang bereits ihr Werk sei und daß ich ohne sie nicht dcn Mut aufgebracht hätte, über ein solch heikles Thema vor euch zu sprechen, über das zuvor noch keiner, weder jung noch alt, gesprochen hat. So ist es angebracht, jetzt noch einmal zu ihnen zu beten. Anfangs bat ich sie, sie möchten eure Ohren ftir mein Anliegen öffnen; jetzt, da mein Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein scheint, bleibt mir die Bitte übrig, sie möchten stets über eure guten Beschlüsse wachen. 39. DIE EINTRACHT IN NIKAIA. NACH DER BEILEGUNG DES BÜRGERZWISTS

(I) Gern sehe ich mich von euch geehrt, denn es ist ganz natürlich, daß sich ein gesund empfindender Mensch freut, wenn er von einer guten und bedeutenden Stadt wie der eurigen geehrt wird. An Macht und Größe steht sie keiner Stadt nach, die durch den Adel ihrer Herkunft und durch die Größe ihrer Bevölkerung in aller welt einen Namen hat; denn die angesehensten Familien kamen nicht in kleinen, unbekannten Gruppen von da und dort hierher, sondern waren die Ersten unter Griechen und Makedonen. Was aber die Hauptsache ist: Heroen und Götter sind die Gründer eurer Stadt. (2) Hat man nun Götter zu Gründern, ist Friede, Eintracht und Freundschaft untereinander erstes Gebot. Denn einer Stadt, die beweisen will, daß die Geschichte ihrer Abstammung wahr und nicht eitle Erfindung ist, bringt es keine Ehre, wenn

39. 2 -5]

NACH DEM BÜRGERZWIST

sie nicht mit großen Gütern gesegnet und den Göttern lieb ist, wenn sie den anderen an Erfolg nicht ein gutes Stück voraushat. Die göttlichen Gründer, Stammesverwandten und Ahnherren wünschen sich bei den Ihrigen nämlich weder Schönheit des Landes noch Reichtum der Ernte noch Überschuß der Bevölkerung so sehr wie Maß, Tüchtigkeit, gesetzliche Verwaltung, Ehrung der guten und Verachtung der schlechten Bürger. (3) Auch ich freue mich in diesem Augenblick, da ich sehe, daß ihr eine Kleidung tragt, eine Sprache sprecht, die gleichen Ziele habt. Welcher Anblick wäre denn schöner als der einer einträchtigen Stadt? Wovon könnte man Erhabeneres hören? Welche Stadt könnte bessere Beschlüsse fassen als die, die sie gemeinsam faßt? Welche käme leichter zum Ziel als die, die gemeinsam handelt? Welche hätte weniger Mißerfolg als die, die gleiche Ziele verfolgt? Wem wären Hab und Gut köstlicher als den Einträchtigen? Für wen wäre das Leid leichter zu tragen als für die, die es wie eine Last gemeinsam tragen? Wer gerät seltener in Schwierigkeiten als Menschen, die aufeinander achthaben ? (4) Welche Stadt könnte ihren Bürgern lieber sein? Welche unter den Fremden geachteter? Welche den Freunden nützlicher? Welche von den Feinden mehr gefUrchtet? Wessen Lob gilt als glaubwürdiger, wessen Tadel als verdienter? Wer steht den Machthabern an Ehre näher? Vor wem haben sie mehr Achtung? Wen schätzen die guten Herrscher so sehr? Wen verachten die schlechten weniger? Liegt es nicht auf der Hand, daß nicht nur die Machthaber, sondern auch die Götter den einträchtig Gesinnten Gehör schenken, während die Uneinigen nicht einmal sich selbst hören? Auch bei Chören, die nicht zusammenstimmen, versteht man kaum ein Wort, genausowenig wie bei Städten, die sich nicht einig sind. (s) Welche Schönheit der Gebäude, welche Ausdehnung des Landes, welche Höhe der Einwohnerzahl könnten die Macht eines Volkes mehr ausweisen als die Eintracht untereinander?

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EINTRACHT IN NIKAIA

[39,5-7

Denn wie viele Bürger in einer einträchtigen Stadt leben, so viele Augen sehen auf ihr Bestes, so viele Ohren hören auf sie, so viele Zungen raten ihr, so viele Gedanken kümmern sich um sie. Es ist genauso, wie wenn ein Gott einer so großen und menschen reichen Stadt eine einzige Seele gegeben hätte. Umgekehrt nützen weder Überfluß an Reichtum oder an Menschen noch eine andere Macht etwas, wenn man in Uneinigkeit lebt, im Gegenteil, das alles gereicht eher zum Schaden: je größer der Überfluß, desto größer und verhängnisvoller der Verlust. Es ist, denke ich, wie beim Körper. Der gesunde zieht Vorteil aus seiner Größe und Leibesfülle, während rur den kranken und leidenden eine solche Konstitution äußerst bedenklich ist und die akuteste Gefahr hervorruft. (6) Ähnlich ist es bei einem Schiff auf See. Herrscht zwischen Steuermann und Mannschaft Eintracht, ist es sicher und bringt auch die Passagiere sicher ans Ziel; wenn nicht, wird sich der Sturm zwangsläufig um so verhängnisvoller auswirken und eine um so größere Panik hervorrufen, je mehr Segel gesetzt sind. Dieselbe Beobachtung läßt sich auch bei einem Wagen machen. Kann der Wagenlenker die Zügel richtig halten und sind die Pferde verträglich und gehorsam, besteht die Hoffnung, daß ein solches Gespann bei einem Wettkampf siegt, im Krieg heil durchkommt; sind die Pferde aber störrisch und wild, ist die Gefahr um so größer, je stärker und schneller die Pferde sind '. (7) So dienen auch einer einträchtigen Stadt alle diese Dinge zum Besten, Überfluß an Hab und Gut, die große Zahl der Bevölkerung, Ehre, Ansehen und Macht; ist sie aber uneins, ist das alles unnütz und vom Übel - wie wenn man auf einem Fleck, in ein einziges Gehege eingezwängt, eine große Zahl von wilden Tieren oder Vieh hielte und sie sich gegenseitig stießen, träten und eins auf das andere spränge. Wäre ich nun gesund, würde ich nicht schließen, bevor ich nicht mein Thema, so gut ich es vermöchte, zufriedenstellend

39.7-40.2]

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zu Ende geführt hätte. Jetzt aber interessieren euch vielleicht andere Dinge mehr, und ich selbst bin der Größe meiner Aufgabe längst nicht gewachsen. (8) Das Kürzeste und Nützlichste bleibt mir da nur noch zu sagen, ein Wort an die Götter, die wohl wissen, was der mit leiser Stimme Redende sagen will. Denn auch das beweist vielleicht eine äußerst wohlwollende Gesinnung, wenn ein guter Vater seine Kinder mahnt, soweit er es vermag, wo aber seine Überredungskunst nicht ausreicht, die Götter fLir sie bittet. So fiehe ich denn zu Dionysos, dem Ahnherren dieser Stadt, zu Herakles, der diese Stadt gegründet hat, zu Zeus, dem Schirmer der Städte, zu Athene, zu Aphrodite, der Stifterin der Freundschaft, zu Eintracht, Nemesis und all den anderen Göttern, sie möchten vom heutigen Tag an dieser Stadt liebende Zuneigung zu sich selbst, eine Überzeugung, ein Wollen und Denken einhauchen, Zwietracht, Streit und Eifersucht aber verbannen, damit sie fortan zu den gesegnetsten und besten gerechnet werden möge.

40. REDE ÜBER DIE EINTRACHT MIT DEN APAMEERN, gehalten in der HeimatJtadt

(I) Bürger! Ich hatte gedacht, wenn schon nicht früher, so doch jetzt wenigstens, nach meiner Heimkehr, mich ganz der Muße hingeben zu können und weder mit noch gegen meinen Willen eine öffentliche Aufgabe zu übernehmen. Zum einen sehe ich nämlich unterjüngeren und Älteren nicht wenige, die bereit und fähig sind, mit Hilfe der Götter stets für die Stadt zu sorgen und eure Interessen gebührend wahrzunehmen; denn weder an Worten noch an Taten lassen sie es fehlen und haben außerdem Erfahrung in eurem Verwaltungsbetrieb, während sie mich, um der Wahrheit willen muß es gesagt werden, mit Argwohn betrachten: ich könnte als Fremder, der hier nichts zu suchen hat, einigen Unwillen erregen. (2) Zum

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andern, denke ich, sollte ich auch auf meinen durch die zahllosen Entbehrungen stark angegriffenen Körper und auf die völlig zerrütteten häuslichen Verhältnisse, die, seit langem heruntergekommen, immer noch keine Besserung erfahren haben, Rücksicht nehmen. Denn wenn schon die sich hinziehende Abwesenheit des Hausherrn ausreicht, um auch das größte Hauswesen zu ruinieren, was muß man da erst bei so vielen Jahren der Verbannung erwarten! Deshalb hätte auch keiner damit gerechnet, daß ich heil wieder zurückkäme euch ausgenommen, weil ihr eine übergroße Sympathie für mich hegt. Freilich, solange mir nur Armut drohte, war noch nichts zu befürchten. Denn mit ihr hatte ich schon ganz gute Bekanntschaft geschlossen auf meinen langjährigen Irrfahrten ohne Dach und Herd, ohne jeden Begleiter. Auch von meinem Sohn habe ich nicht erwartet, daß ihm Armut etwas ausmachen werde, denn er ist nicht von schlechterem Schrot und Korn als ich. (3) Aber es geht zwischen uns jetzt darum, die Vaterstadt nich t zu betrügen und das Versprechen I, das ich ganz aus freien Stücken gegeben habe, nicht zu brechen - es ist allerdings nicht leicht einzulösen und mit recht großen finanziellen Opfern verbunden -, LInd das ist in meinen Augen eine schwierige Sache, die sorgfältige Überlegung erfordert. Denn nichts bedrückt einen mehr als solch eine Verpflichtung, fur keine Schuld zahlt man höhere Zinsen als für ein solches Anerbieten. Gerade das ist jene häßliche und bittere Art des Darlehens, glaube ich, wenn das Anerbieten durch verzögerte Zahlung zur Schuld wird, die in jedem Fall diejenigen, die schweigen, noch dringlicher einfordern als die lauten Schreier. (4) Denn nichts kann euern Schuldnern derartige Schulden nachdrücklicher ins Gedächtnis zurückrufen, als daß ihr sie vollkommen vergessen habt. Aus diesem Grund hiel t ich es für meine dringlichste Aufgabe, mich meinen häuslichen Angelegenheiten zu widmen und jede politische Tätigkeit sein zu lassen, ja nicht

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einmal eine Rede zu halten, bis ich, wie der Dichter sagt, festgestell t hätte, was mir in meinem Hause schlecht und was besser bestellt ist. (s) Bis jetzt nämlich hatte ich infolge meiner außerordentlich starken Beanspruchung ftir diese Dinge kaum einen Augenblick Zeit. Ich hätte deshalb nur mit euch zusammenkommen, euch begrüßen, den Göttern opfern und natürlich auch, was unbedingt notwendig war, den Brief des Kaisers' vorlesen, dann aber mich sofort zurückziehen und mich meinen eigenen Angelegenheiten zuwenden sollen. Statt dessen sprach ich über ein bestimmtes Vorhaben - nicht nur ich selbst, auch die Prokonsuln zeigten großes Interesse, vielleicht weil sie euch, vielleicht auch weil sie mir einen Gefallen erweisen und die Stadt in einen besseren Zustand bringen, überhaupt ihr mehr Ansehen geben wollten. Ihr wißt ja wohl, wie wir bis dahin gerade in diesen Dingen noch hinter unseren Nachbarn zurückgeblieben waren. (6) Meine Rede fand damals die begeisterte Zustimmung des Volkes, denn ihr seid nicht spießbürgerlich und für so etwas durchaus empfänglich, und viele Bürger machten meinen Plan zu ihrer Ehrensache. Später dann, als ich euch den Plan wiederholt im Rathaus und im Theater 3 vorlegte, um ja keinen Anstoß zu erregen, falls ihr das Vorhaben nicht gutheißen oder dagegen sein solltet - mir ahnte bereits, wieviel Zeit es mich kosten würde -, wurde er immer wieder ohne den geringsten Einspruch von euch so gut wie von den Prokonsuln gebilligt. (7) Und dann, als das Werk begonnen war: Alle Arbeit, die ich selbst hatte mit Messen und Einteilen und Berechnen, damit das Vorhaben nicht häßlich und unpraktisch werde - in andern Städten verfallen zahlreiche Gebäude wieder, weil sie nicht richtig geplant sind; wie ich schließlich zu meinem Unglück auch noch in die Berge ging4, obwohl ich in diesen Dingen keine Erfahrung besaß und an sonstiger Arbeit 20

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keinen Mangel hatte, im Gegenteil, anderes, vielleicht noch Wichtigeres hätte tun können, womit ich mir nicht nur bei euch einen Namen gemacht hätte - all das will ich jetzt nicht einzeln erzählen, denn nichts ist mir schwer geworden, was ich flir euch auf mich genommen habe. (8) Aber da wurden häufig Bemerkungen laut, zwar nicht bei vielen, aber doch recht unangenehme, daß ich die Stadt untergrübe, daß ich sie geradezu veröden ließe, indem ich die Bürger vertriebe, daß alles zerstört, auf den Kopf gestellt und nichts mehr übrig sei. Einige jammerten laut über die Schmiede des Soundsos und zeigten sich untröstlich, wenn diese Erinnerung an die gute alte Zeit eingerissen werde, wie wenn die Propyläen oder der Parthenon in Athen hätten eingerissen, das Heraion von Samos, das Didymeion von Milet oder der Artemistempel von Ephesos hätte umgelegt werden sollen, (9) nicht eine häßliche, lächerliche Ruine, noch viel niedriger als die Hütten, in denen wohl Schafe Unterschlupffinden, die aber kein Hirte und kein besserer Hund betreten möchte. Ihr selbst wurdet schamrot darüber und wandtet euch ab, als die Prokonsuln hineinzugehen versuchten 6, während jeder, der schlecht auf euch zu sprechen war, darüber triumphierte und lachte - wo kaum die Schmiede aufrecht stehen konnten, sondern in gebückter Haltung arbeiten mußten. Die Hütte konnte nur durch Stützen am Einfallen gehindert werden, unter jedem Hammerschlag erzitterte sie und zeigte Risse. Trotzdem aber gab es Leute, die nur ungern die Zeichen der alten Armut und Bedeutungslosigkeit schwinden sahen. Nicht etwa, daß sie an die zu errichtenden Säulen 7 oder an das Dachgesims oder an die Verlegung der Werkstätten in eine andere Straße gedacht hätten, sie wollten nur nicht, daß ihr euch jemals über sie erhaben dünkt. (ro) Ihr wißt ja wohl, daß Gebäude, Feste, eigene Gerichtsbarkeit, der fehlende Zwang, sich in anderen Städten verhören zu lassen oder mit anderen zusammen seine Abgaben

4°,10-13]

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zu entrichten, als handle es sich etwa um ein Dorf, daß dieses alles dazu angetan ist, das Selbstbewußtsein einer Stadt zu heben, Geltung und Ansehen der Bürgerschaft bei den sich dort aufhaltenden Fremden und bei den Prokonsuln zu steigern. Alle, die ihre Vaterstadt lieben und nicht befürchten, persönlich durch den Ruf der Stadt jemals in den Schatten gestellt zu werden, haben ihre reine Freude daran. Wer aber die entgegengesetzte Einstellung hat, unter Schwachen etwas gelten will undin der Bedeutung der Stadt nur seine eigene Unbedeutendheit sieht, bei dem ruft es notwendig Verärgerung und Neid hervor. (I I) Einen Schuh muß man wohl sich selbst und seinem Fuß anpassen und, wenn er zu groß zu sein scheint, ringsum kleiner machen. Eine Stadt aber darf man niemals kleiner machen, seinem eigenen Maß anpassen oder nach seinem eigenen Geist messen, wenn er klein und niedrig ist, zumal es gute Vorbilder gibt: Smyrna, Ephesos, Tarsos und Antiocheia. Ich weiß nur zu gut, daß auch früher schon Leute, die das hörten, vor Wut barsten, wenn ihr euch daran gewöhntet, auf derlei Worte zu hören, und es jemand wagte, eure Stadt in einem Atemzug mit solch berühmten Städten zu nennen. (12) Durch solche Reden der Entrüstung, durch Versuche, die Leute von Spenden abzuhalten und die Arbeit zu hemmen, brachte man mich soweit, daß ich mich bald selbst zu freiwilliger Verbannung verurteilt hätte. Denn es war geradezu lächerlich: Nach einer so langen Verbannung, nach so großen Schwierigkeiten, nach der Feindschaft eines Tyrannen 8 war ich hierhergekommen, um auszuruhen und fortan nicht mehr an die überstandenen Strapazen zu denken, gleichsam wider Erwarten durch die freundliche Hilfe eines Gottes dem gefährlich tobenden Meer und Sturm mit knapper Not entgangen. Und hier, bereits im Hafen sozusagen, sollte ich Schiffbruch erleiden! (13) Vor allem aber muß ich mich wundern über die- Schlechtigkeit oder, besser, Dummheit einiger Leute, wenn ich mir

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[40,13-16

vergegenwärtige, was sie, zunächst von eurer Gratulationsgesandtschaft, gefabelt haben. Er 9 habe die Gesandten nicht freundlich empfangen, sondern sei eher verärgert gewesen als ob er ihnen zur Tür hätte entgegenkommen müssen, die Ankömmlinge hätte umarmen, die Namen derer, die noch nicht eingetroffen waren, nennen oder nach diesem und jenem fragen müssen, was sie machten und warum sie nicht alle gekommen seien! (I4) Andere erzählen, er habe die Leute aus Smyrna überreich beschenkt und ihnen unsagbare Reichtümer mit den Bildern der Nemesis 10 geschickt, und beim Himmel, sie meinen, wenn ein anderer mit ihm gesprochen hätte, hätte er ihm zehntausend Ratsherren 11 bewiIIigt, einen Strom von Gold in die Stadt leiten lassen und ihr unzählige Myriaden Geld geschenkt. Aber nichts davon ist wahr, auch wenn ich nichts dagegen hätte. (IS) Zu sehen, wie Menschen in großer Zahl Glück und Erfolg haben, wird einem vernünftigen Mann niemals etwas ausmachen, erst recht nicht, wenn er der erste war, der zum Ziel gekommen ist, und vielleicht sogar den Anstoß dazu gegeben hat 12 • Das wäre ja genauso, wie wenn ich fordern wollte, die Sonne scheine nur für mich allein, nur für mich lasse Zeus es regnen, wehten die Winde und kein anderer dürfe aus den Qgellen trinken. Der Kaiser in seiner Menschenfreundlichkeit und Weisheit ohnegleichen hat mir gewährt, worum ich gebeten hatte, und anderen, worum sie gebeten hatten. (I6) Wozu habe ich das alles angefLihrt, wo ihr euch doch über andere Dinge beratet?'Weil ich der erste gewesen bin, der die Sprache auch aufdieses Thema gebracht und an dieser Stelle schon viele Worte über die Eintracht gesagt hat, überzeugt, daß es fLir die Stadt von unschätzbarem Vorteil ist, mit keinem Menschen in Streit zu leben, am wenigsten aber mit denen, die einem so nahestehen und unsere Nachbarn sind 13. Freilich, ich bin nicht zu ihnen hingegangen und habe kein einziges freund-

4o,16-18J

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liches Wort zu ihnen gesagt, und ich will es nicht tun, bis sich die Stadt nicht offiziell mit ihnen ausgesöhnt hat und ihr wieder Freunde geworden seid. Und doch ließen sie mir gleich zu Beginn einen Entschluß zukommen, in dem sie mich herzlich begrüßten und zu sich einluden. Außerdem gibt es für mich wie für jeden anderen hiesigen Bürger zahlreiche Verbindlichkeiten ihnen gegenüber. Trotzdem aber wollte ich ihnen meinen guten Willen nicht auf eigene Faust bekunden, sondern mit euch gemeinsam ihnen Freund werden. (17) Daher ihr Mißtrauen und ihre Verstimmung. Nun habe ich von euren gegenwärtigen Bemühungen um einen Ausgleich und der sich anbahnenden Freundschaft gehört, und möglicherweise habt ihr euch auch zu diesem Zweck dazu entschlossen, mich einzuladen, in der Erwartung, daß durch meine Mitarbeit alles viel leichter und sicherer zu erreichen sein werde. Auch die Leute von Apameia, die neuerdings nicht nur die sich bei ihnen aufhaltenden Bürger eurer Stadt, sondern unter a11 den anderen auch mich ehren, weil sie auch in mir einen eurer Bürger erblicken, sind vielleicht schon besser auf euch zu sprechen. Trotzdem aber hatte ich keine besondere Eile, denn ich wollte nicht, daß meine Einschaltung zum Stein des Anstoßes werde - nicht für die Apameer, wohl aber ftir gewisse Leute hier. Denn in der Regel richtet sich der Haß nicht gegen die Tat, sondern gegen den Täter. (18) Schon vor Jahren hatte mir die Regierung von Apameia diesen Vorschlag gemacht, und schon damals hätten die Schwierigkeiten behoben werden können. Aber ich befürchtete, einige Leute hier könnten daran Anstoß nehmen und über meine Einmischung ungehalten sein. Auch jetzt habe ich mir, sozusagen absichtlich, Zeit gelassen. Was für die Stadt von mir so gut wie von jedem anderen getan werden kann, das möchte ich lieber ihnen überlassen, damit mir niemand en tgegen treten kann und, auf mich eifersüchtig, sich beleidigt fühlt. Was aber nicht

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[40,,8-2'

leicht von einem der Hiesigen bewerkstelligt werden kann und vielleicht auch zu schwer ist, darauf werde ich immer, solange ich atme, mein Augenmerk richten. Davon dürft ihr überzeugt sein. (I9) Wahrhaftig, jeder, der sich für die Stadt einsetzt und in der Lage ist, euch einen Dienst zu erweisen, wird mich als ersten Zeugen und Mitkämpfer haben, und dieselbe Tat, wenn sie nur recht ist, werde ich noch viellieber und bereitwilliger preisen, wenn jemand anders sie getan hat, als wenn ich den Anstoß dazu gegeben habe. Denn nicht aus Geltungsbedürfnis, aus Mangel an Bewunderern oder aus Ruhmsucht, sondern aus Liebe zu euch möchte ich, daß etwas Rechtes geschehe, und ich fiehe zu allen Göttern, daß ich auf meine alten Tage möglichst viele sehen möge, die der Stadt einen besseren Dienst erweisen können als ich. (20) Was nun euer derzeitiges Vorhaben betrifft, so lobe ich den Vorstand der Stadt und den Initiator des Planes. Denn man kann sagen, jede Art von Feindschaft und Streit, gegen wen sie sich auch immer richten mögen, ist sowohl für die Stadt wie für den einzelnen unter allen Umständen eine mühselige und beschwerliche Sache. Sie sind nämlich dazu angetan, die Schwachen zu der schon vorhandenen Not auch noch bloßzustellen und zu demütigen, die Wohlsituierten aber zu beunruhigen und ihren Geist zu verwirren. Deswegen nehmen vernünftige Menschen lieber eine Niederlage in unbedeutenden Dingen hin und beharren nicht kleinlich auf ihrem Recht, als daß sie sich um jede Kleinigkeit streiten, keinem in irgendeinem Punk t nachgeben und immer n ur Leu te ha ben, die gegen sie sind und sie anfeinden, die ihnen ihre Erfolge übelnehmen und sich ihnen nach Kräften in den Weg stellen, wenn aber ein Rückschlag kommt - und das kann bei uns Menschen schnell der Fall sein -, sich freuen und zum Angriff übergehen. (2I) Denn niemand ist von Natur so schwach und unvermögend, als Mensch gegenüber einem Menschen, daß nicht auch einmal

4o,2I-2-1]

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57!

für ihn die Zeit käme, allein oder mit anderen zusammen seine feindliche, gehässige Gesinnung zu zeigen, etwas zu sagen, womit er den anderen ganz gewiß verletzt, oder etwas auszuhecken, das dem anderen schadet. Denn es gibt auch keine Krankheit, die der von ihr Heimgesuchte nicht spürte, die ihn niemals beeinträchtigte oder bei einem Vorhaben hinderlich wäre; wenn sie schon nicht im Wachen beim Hin- und Hergehen den Kräften des Körpers gewaltig zusetzt, so stellt sie sich doch spätestens beim Zubettgehen ein, macht 1hm zu schaffen und vertreibt den Schlaf. (22) So, behaupte ich, ist es selbst rur die größte Stadt niemals von Vorteil, auch nur mit dem kleinsten Dorf in Feindschaft und Hader zu leben, geschweige denn mit Leuten, die eine nicht unbedeutende Stadt bewohnen, eine ausgezeichnete Verfassung haben und, wenn sie vernünftig sind, bei den Prokonsuln beträchtliches Ansehen genießen und etwas gelten. Ihr müßt die Wahrheit hören und dürft nicht ungehalten sein, wenn jemand, um euch zu nützen, andere lobt. Zu allem übrigen sind sie auch noch eure Grenzund Stad tnachbarn, die nich t nur Tag für Tag bei euch ein- und ausgehen, sondern zum größten Teil durch Familienbande mit euch verbunden sind und bei denen einige eurer Mitbürger, und zwar gerade die einflußreichsten, das Bürgerrecht bekommen haben. Wie könnten wir da annehmen, daß diese Feindschaft kein Leid und keinen Schaden anrichtet! (23) Doch glaube keiner, ich wollte damit sagen, daß man sich ihnen geradezu vor die Füße werfen und sie bitten und betteln solle, wenn sie keine gerechte und annehmbare Entscheidung treffen. Tun sie es aber und zeigen sie sich der Freundschaft aufgeschlossen, so ist es weit schöner, wenn wir uns noch bereitwilliger zeigen und den Ehrgeiz aus den Zeiten der Rivalität auf dieses Ziel übertragen, damit wir als die Leute mit der noch größeren Einsicht dastehen, die Reichtum und eigenen Vorteil noch mehr verachten. (24) Denn es ist nicht

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SO schlimm, in

[40,24-26

den Werken des Hasses, die, bei Gott, nur Feindschaft hervorrufen, dem anderen nachzustehen als in den Werken einer maßvollen und menschenfreundlichen Gesinnung. Im ersten Fall nämlich zieht man sich wahrscheinlich den Ruf eines Schwächlings, im zweiten den eines groben, streitsüchtigen Menschen zu. Wie aber der Ruf der Schwäche besser ist als der der Schlechtigkeit, so ist es auch besser, zum Kampf als zur Versöhnung zu spät zu kommen. (25) Wenn ihr auf mich wahrscheinlich eher hört als auf jemand anders, mag das verschiedene Gründe haben. Aber ihr seht auch, daß ich nicht meine eigenen Interessen verfolge und keine Mühe, kein persönliches Opfer scheuen würde, um für das euch Ersprießliche einzutreten. Denn daß ihr mir gegen meinen Willen keine Last aufbürdet und mir nicht eine Reise auftragt, als wäre ich schon lange Zeit wieder bei euch 14, weiß ich sicher. Überdies glaube ich nicht, euch durch meine Tätigkeit oder durch eine Reise dieser Art lS einen Dienst erweisen zu können. Nein, wie ich schon sagte, ftir alle Menschen, nicht für euch allein ist es meiner Meinung nach besser, nicht leichten Herzens eine Feindschaft, die nicht unbedingt nötig ist, zu beginnen, von früher her noch bestehende Zerwürfnisse aber auf jede Weise, wenn irgend möglich, beizulegen, weil der Schaden, der aus der Zwietracht erwächst, höher einzuschätzen ist als die mi t der Aussöhnung verbundene Ein buße. (26) Denn jeder Friede ist besser als Krieg, wie es heißt, jede Freundschaft fur den Vernünftigen weit zuträglicher und nützlicher als Feindschaft, privat fur eine Familie genauso wie allgemein fur eine Stadt. Frieden und Eintracht nämlich haben ihren Anhängern noch niemals geschadet, dagegen wäre es ein Wunder, wenn Feindschaft und Streitsucht nichtschan unübersehbaren, nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet hätten. Schon das Wort Eintracht hat eine gute Bedeutung, und mit ihr auch nur einen Versuch Zu machen ist schon für alle der

4°,26-30]

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beste Nutzen. Zwietracht und Streit dagegen sind finstere, häßliche Wörter, noch viel schlechter und finsterer sind ihre Werke. Denn da gibt es viele Dinge zu sagen und zu hören, von denen man lieber nichts wissen möchte, und doch tut und erleidet man sie. (27) Streit und Haß unter so engen Nachbarn aber bedeutet nichts anderes als Spaltung ein und derselben Stadt, wo es zahlreiche Familienbande und Geschäftsverbindungen gibt, wo der eine den anderen fast täglich besucht, wo man verwandt, bekannt und in gewisser Weise einer des anderen Gastfreund ist. Eine benachbarte Stadt, die gehässig und feindselig ist, macht auf alle Fälle Sorgen, und man kann mit ihr nur schlecht auskommen, wie umgekehrt eine wohlgesonnene, befreundete Stadt etwas Vorteilhaftes und Liebenswertes ist. (28) Bedenkt doch, wieviel angenehmer es ist, zu Nachbarn zu kommen, die mit einem auf gutem und nicht auf schlechtem Fuße stehen, wieviel besser, den Gast ohne Mißtrauen empfangen zu können, wieviel vorteilhafter und vernünftiger, bei Volksfesten, kultischen Feierlichkeiten und Schauspielen sich untereinanderzumischen und miteinander zu opfern und zu beten, statt umgekehrt sich zu beschimpfen und zu verfluchen. (29) Dann dieZurufeder beiden Stadtparteien im Stadion und im Theaterwas für ein Unterschied, ob sie Beifall und herzlichen Glückwunsch oder Haß und Schmäh un g bedeu ten ! Das ist doch nich ts rur ordentliche Menschen und vernünftige Städte, eher für freche Dirnen, die aus ihren Zimmern, ohne sich im geringsten zu schämen, unzüchtige Worte rufen, wie es bei Homer heißt: Wütend rannten sie da auf dem Markte mitten 'Zusammen, scheltend eine die andre, der Grimm hieß also 'Zu tun sie. I6 (30) Wieviel ist es wert, davor verschont zu bleiben, wieviel mehrwert, so etwas nicht zu tun! Welche Summe Geldes, welche Fläche Landes könnte es geben, daß vernünftige Menschen ihre alltäglichen freundlichen Worte, ihr gesittetes Benehmen

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im Theater, ihre Reiselust dafür eintauschen sollten? Die geographischen Verhältnisse, Land, Meer und Berge, fUhren euch in jeder Weise zusammen und zwingen euch, ob ihr wollt oder nicht, miteinander zu verkehren. So brauchen sie neben manchem anderen unser Holz, während wir keinen anderen Hafen haben, weder fUr die Einfuhr der fremden noch fUr die Ausfuhr unserer eigenen Erzeugnisse. (3 I) Wäre es nicht äußerst trübselig, bei Menschen einzukaufen, die einen nicht gern sehen, zu verkaufen an Leute, die einen hassen, in einen Hafen einzulaufen, wo man davon nicht erbaut ist, Leute aufzunehmen, die auf einen schimpfen, unter Umständen sogar mit Menschen zusammen zu speisen, die nich ts als Abneigung empfinden, ein Schiff zu besteigen und genau zu wissen, daß der Steuermann und die ganze Besatzung einen verwünschen? Ob man nun Zur See fährt oder zu Fuß geht, immer hat man das Widerwärtigste vor Augen: Feinde. Ihnen begegnet man un terwegs auf Schritt und Tritt - ein übles, unheilvolles Zeichen, denn ganz gewiß sagt oder hört man im Vorübergehen ein feindseliges Wort. (32) Daher mußte ich schon oft denken, daß die Menschen in ihrer Dummheit und Verderbnis im Herzen noch schlechter sind als die verachtetsten und niedrigsten Tiere. DieMenschen nämlich geraten häufig aneinander, um zu kämpfen, und ziehen dann mit Schimpf und Schande wieder ab. Die Ameisen dagegen, obwohl sie doch in solchen Scharen daherkommen, belästigen einander niemals, sondern begegnen sich in aller Freundlichkeit, weichen einander aus und helfen sich gegenseitig. (33) Was jetzt eurer Stadt zuteil geworden ist, das geht in der Tat viele an und wurmt alle anderen. Ihr habt eure eigene Gerichtsbarkeit'7 bekommen, und sie müssen sich bei euch Recht sprechen lassen. Aber gerade deswegen solltet ihr um so freundlicher gegen sie sein und nicht noch künstlich ihren Neid erregen. Gleich als erstes: Von wo sollen die für dieses Unternehmen ,8 bestimmten Männer abfahren? Nicht von Apameia?

40,33-36]

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Werden sie nicht vom Land ihrer erbittertsten Feinde aus in See stechen, nicht den Hafen der feindlichen Stadt benutzen? Oder sollen sie einen großen Umweg machen, wie wenn das Meer hier in der Gegend gefährlich und unzugänglich wäre? Das wäre in meinen Augen fur diejenigen, die schon vorher mit ihren Nachbarn in Streit lagen, noch bedrückender und schwerer zu ertragen, als wenn man bewaffnet in ihr Land einfiele, ihre Mauern bestürm te, die Bäume abhiebe oder die Ernte in Flammen aufgehen ließe. (34.) So ernst das alles sein mag, noch viel ernster, glaube ich, sind die Wurzeln von all dem, Feindschaft und Haß, denn daraus kann niemals Nützliches und Brauchbares werden. Die Frucht der Feindschaft ist von allen die bitterste und schärfste, wie umgekehrt die Frucht des guten Willens, glau be ich, die lieblichste und heilsamste. Wenn man niemals nachgibt oder dem Nachbarn Zugeständnisse macht - natürlich ohne sich selbst etwas zu vergeben - oder, wo man selbst etwas bekommt, nicht auch dem anderen etwas zukommen läßt, so ist das nicht, wie einige glauben, männlich und stolz gehandelt, sondern dumm und uneinsichtig. (35) Seht ihr nicht am Himmelszelt '9 und in den göttlichen, segensreichen Zeichen an ihm eine ewige Ordnung, Eintracht und Selbstbescheidung, wie man sie sich schöner und erhabener gar nicht vorstellen kann? Seht ihr ferner nicht bei den Elementen, wie man sie nennt, bei Luft, Erde, Wasser und Feuer, die beständige, rechte, immerwährende Harmonie, die Verständigkeit und Mäßigung, mit der sie von Natur aus beharren und so selbst erhalten bleiben, aber auch den gesamten Kosmos erhalten? (36) Bedenkt auch, selbst wenn einigen die Rede zu hochgegriffen und ohne jeden Bezug auf euch selbst vorkommen sollte, daß diese Wesenheiten, von Natur unvergänglich, göttlich und durch den mächtigen Willen des ersten und größten Gottes geleitet, durch ihre gegenseitige Freundschaft und Eintracht in alle Ewigkeit erhalten bleiben, die stärkeren und

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EINTRACHT MIT DEN APAMEERN

[40,36-39

größeren genausogut wie die scheinbar schwächeren. Wird diese Gemeinschaft aber zerstört und erhebt sich Streit, ist die Natur dieser Wesen nicht so unvergänglich und unzerstörbar, daß sie nicht in Unordnung geraten und, wie man sagt, den undenkbaren, unglaublichen Sturz vom Sein zum Nichtsein erleiden könnten. (37) Denn die bei den Weisen erwähnte Vorherrschaft der Luft, in der die herrschende und entscheidende Kraft der Weltseele wohnt - häufig von ihnen ohne Bedenken auch Feuer genannt -, scheint in aller Freundschaft und Eintracht vor sich zu gehen, da sie sich ohne gewaltsame Übergänge in bestimmten Grenzen und festgesetzten Zeiträumen vollzieht. Egoismus und Streit zwischen den anderen Elementen aber beschwören die äußerste Gefahr des Untergangs herauf, da sie gegen das Gesetz erfolgen. Das ganzeAll freilich kann vom Untergang nie erfaßt werden, weil im Kosmos vollkommener Friede und Gerechtigkeit herrschen und alles allenthalben dem Gesetz der Vernunft in gehorsamer Unterordnung sich unterwirft und Folge leistet. (38) Seht ihr nicht, daß die Sonne bei Nacht das Feld räumt und so den weniger hellen Sternen den Aufgang ermöglicht, aber auch dem Mond gestattet, solange das hellere Licht nicht da ist, die ganze Erde zu bescheinen? Daß die Sterne dann der Sonne wieder weichen, ohne das Gefühl zu haben, sie würden durch die Macht jenes Gottes mißhandelt und erdrückt? Ja, daß die Sonne selbst sich sogar mitten am Tag ab und zu verfinstert, wenn der Mond, dem sie doch erst das Licht gibt, über sie hinwegzieht? Daß sie häufig durch die leichtesten Wolken oder durch einen zarten Dunstschleier, wie er aus Sümpfen und Flüssen aufsteigt, verdeckt wird, so daß sie zeitweise ganz verschwindet oder nur einen schwachen, matten Strahl hindurchsendet? (39) Seht ihr nicht den unendlichen Reigen der Planeten, deren Bahnen sich niemals überschneiden? Auch die Erde, die den un tersten Platz zugewiesen bekommen hat, bleibt an Ort und Stelle wie die

AN DIE APAMEER

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Stütze eines Schiffs, ebenso das Wasser, das über die Erde geschüttet wird, über beiden die weiche, sanft wehende Luft und ganz oben der Äther, der alles umschließt, während das göttliche Feuer rings darum herumläuft. Diese Wesen, so mächtig und groß, ertragen die Gemeinschaft miteinander und verharren ohne Feindschaft. Solch winzige Städtchen aber mit ganz gewöhnlichen Menschen, solch schwache Völkchen,die irgendwo in einem Winkel der Erde hausen,sollten keine Ruhe halten und nicht als Nachbarn friedlich nebeneinander wohnen können? (40) Die Vögel, die so nah beieinander ihre Nester bauen, machen sich nicht gegenseitig das Leben schwer und zanken sich nicht um Nahrung und Reisig; die Ameisen in ihren dicht bei dicht liegenden Gängen holen oft von derselben Tenne ihr Korn, aber sie machen einander Platz und weichen aus und arbeiten häufig sogar zusammen; mehrere Bienenschwärme, die ein und dieselbe Wiese absuchen, lassen nicht ihre Arbeit im Stich, um sich um den Nektar der Blüten zu streiten. (41) Auch weiden oft Herden von Rindern und Pferden friedlich und still zusammen,sodaß man eine Herde statt zweien zu sehen glaubt; auch Ziegen- und Schafherden, die den Tag über zusammen geweidet haben, lassen sich leicht und ohne Schwierigkeiten von den Hirten wieder trennen. Die Menschen aber sind, wie es scheint, was Freundschaft und Gemeinschaft untereinander betrifft, schlechter als Weide- und Raubtiere. Denn was die Natur um der gegenseitigen Zuneigung willen geschaffen hat, das kann man zum Anlaß von Feindschaft und Haß werden sehen. So besteht zum Beispiel gleich die erste und größte Liebe zwischen Eltern und Kindern 20. 41. AN DIE APAMEER: ÜBER DIE EINTRACHT

(I) Hoher Rat, wohlmeinende Anwesende! Daß ihr mir freundlich und gewogen seid, dessen glaube ich mir sicher zu sein.

AN DIE APAMEER

Denn von mir selbst weiß ich, daß mir an euer m Wohlwollen viel gelegen ist und ich mich niemals in Wort oder Tat gegen euch gewandt habe. Und ihr habt mich sofort nach meiner Ankunft' öffentlich geehrt mit einem Beschluß, der eurer Mitfreude über meine Heimkehr Ausdruck gab und eine Einladung zu euch enthielt. (2) Vielleicht war an eurem Verhalten nicht einmal etwas Besonderes, denn nicht nur die zurückgebliebenen, sondern man kann sagen, gerade diejenigen Städte, die das gleiche Ansehen wie ihr genießen, verliehen mir in großer Zahl, wo immer ich mich sehen ließ, Bürgerrecht, Mitgliedschaft im Rat und die höchsten Ehren,ohne daß ich darum gebeten hatte. Mich geehrt zu sehen, hielten sie für ihren eigenen Vorteil und ihre Pflicht. Euer Tun dagegen ist nicht das von Fremden, sondern gleichsam so, wie wenn die Vaterstadt ihren eigenen Sohn in Liebe und Dankbarkeit ehrt. Wenn es hier nun Leute gibtund in einer Demokratie kann es gar nicht anders sein -, die von mir nicht gerade begeistert sind, so nimmt mich das wegen der Rivalität zwischen beiden Städten· keineswegs wunder. Weiß ich doch nur zu gut, daß ich nicht einmal bei allen Bürgern von Prusa Beifall finden kann, sondern einige sich gerade darüber aufregen, daß ich mich allzu patriotisch und begeistert gebe 3 • (3) Aber auch diese Freiheit muß ein ordentlicher und rechtlich gesonnener Mann seinen Mitbürgern einräumen. Denn daß sich in einer Stadt überhaupt kein Widerspruch erhebt und kein Vorwurflaut wird, selbst wenn man sich in allen seinen Taten als ein brauchbarer Mann erweist, entspricht nicht dem Wesen der Demokratie und wäre auch nicht richtig. So etwas könnte man sich eher bei einem Tyrannen als bei einem verdienten Mann vorstellen. Wenn also einige gegen mich aufgebracht sind, setze ich gerade in sie mein größtes Vertrauen. Denn es ist klar, daß sie nur deswegen diese Einstellung haben, weil sie glauben, ich liebte nur meine Vaterstadt und wollte sie auf jede Weise fördern. Wenn sie mir nun abneh-

ÜBER DIE EINTRACHT

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men, daß ich auch diese Stadt hier für meine Vaterstadt halte und gewillt bin, mich nach Kräften für sie einzusetzen, so werden sie sich leicht eines Besseren besinnen und mich genauso wie die anderen liebgewinnen. (4) Nun bin ich der letzte, der das Recht der Vaterlandsliebe bestreiten wollte. Aber ich frage diese Leute, ob sie mein VerhaI ten für das eines un gerech ten und sch lech ten Menschen halten und einen Bürger wie mich nicht gerne unter sich sehen. Ihr könntet dann ohne jeden Argwohn mich und die besten Männer von Prusa zu Bürgern haben, und gerade aus diesem Grund solltet ihr mir also noch mehr vertrauen. Wer nämlich seinen natürlichen Eltern gegenüber undankbar ist, der wird auch gegen die Pflegeeltern pflichtvergessen sein j (5) wer aber die Menschen, denen er sein Leben verdankt, liebt, wird auch niemals diejenigen vergessen, die ihn aus Freundlichkeit an Eltern Statt angenommen haben. Die natürlichen Regungen nämlich kommen von selbst, die der Freundlichkeit dagegen unterliegen unserem eigenen Willen. Ich bin nun Bürger von beiden Städten, aber während ich dem Volk von Prusa gegenüber in diesem Punkt nicht dankbar zu sein brauche, habt ihr als meine Wohltäter ein Recht auf meine Dankbarkeit, denn es ist das Geschenk eures Entgegenkommens, daß ich Bürger eurer Stadt bin. Alle nun, die das Bürgerrecht verliehen bekommen haben, kennen lediglich die freundlichen Gefühle, die man bei einem Geschenk empfindet, es fehlt aber die zwingende Macht der Natur. (6) Ich hingegen habe an beidem teil: Mein Großvater erwarb zusammen mit meiner Mutter von dem damaligen Kaiser\ mit dem er befreundet war, das römische und zugleich euer Bürgerrecht, mein Vater das Bürgerrech t hier in Apameia. Folglich bin ich euer Bürger durch freundliches Entgegenkommen genauso wie von Geburt, denn es ist aufkeinen Fall angebracht, die Herkunft über mehr als zwei Generationen zuriick-

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AN DIE APAMEER

zuverfolgen, da sich bei diesem Verfahren herausstellen würde, daß schließlich überhaupt niemand mehr aus irgendeiner Stadt stammt. Und für meine Kinder ist Apameia noch mehr Vaterstadt als Prusa 5 • Wenn es notwendig ist, daß die Kinder dem Vater folgen, so ist es weit erfi-eulicher, wenn der Vater den Kindern folgt. (7) Aus diesen Gründen also bin ich euer wohlmeinender Freund mit der Gesinnung eines Bürgers. Ich habe das auch schon in aller Öffentlichkeit bewiesen. Als nämlich der Streit zwischen den beiden Städten ausgebrochen war und meine Vaterstadt mir aus lauter Rücksicht keine Last ohne mein Einverständnis aufbürden 6 , andrerseits aber das Problem unbedingt angefaßt sehen wollte, ging ich, wie sehr man mich auch durch Auszeichnungen dazu herausfordern wollte, aufdiesen Wunsch allein nicht ein. Ich hätte keine Bedenken gehabt, im Auftrag der Stadt etwas zu unternehmen, ich hätte vielleicht sogar besser als jeder andere handeln können, da es mir an einflußreichen Freunden' nicht fehlte - aber ich will nichts sagen, was Haß erregen und einige Leute beleidigen könnte -, und schließlich schreckte ich auch nicht vor der Reise zuri.ick, da ich mich sowieso auf Reisen begeben mußte. (8) Trotz dieser Überlegun gen also versagte ich mich dem Plan 8, nich t weil ich Prusa verraten wollte, sondern aus Rücksicht auf euch, denn ich glaubte, ihnen und euch einen besseren Dienst erweisen zu können, wenn es mir gelänge, die beiden Städte zu befreunden, indem ich sie von den alten Streitfragen abbrächte und sie in Zukunft zu einträchtiger Freundschaft hinführte. Denn das ist das Allerbeste und Zweckmäßigste, nicht nur zwischen gleich und gleich, sondern auch zwischen stark und schwach. (9) Natürlich weiß ich, wie schwer es ist, Streit zwischen Menschen zu schlichten, zumal wenn er seit längerer Zeit groß geworden ist, wie es auch nicht leicht fallt, eine Krankheit, die schon lange im Körper sitzt, aus ihm herauszutreiben, erst

4 1 .9- II ]

ÜBER DIE EINTRACHT

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recht nicht, wenn man sie gerne schmerzlos heilen möchte. Trotzdem vertraue ich auf den Charakter der Stadt. Ich halte sie nich t fur starr und uneinsich tig, sondern glaube, daß sie den wahren und echten Charakter jener Männer und jener glückhaften Stadt besitzt, die euch hierhergeschickt hat, auf daß ihr als Freunde neben Freunden wohnt 9 • Diese Stadt, die an Erfolg und Macht aller welt so sehr überlegen ist, hat sich als weit überlegener gezeigt durch ihre Milde und Freundlichkeit: Davon ausgehend, daß jeder Mann von Wert sie etwas angehe, gewährte sie in reichem Maße Bürgerrecht, Rechte und Ämter und ließ für alle in gleicher Weise Recht walten. (10) Diese Stadt solltet ihr euch zum Vorbild nehmen, euch mild und großzügig zeigen gegen Leute, die so in der Nähe wohnen, ja fast eure Mitbewohner sind, keinesfalls aber gefährliche und überhebliche Nachbarn. Euch verbinden doch eheliche Bande, Kinder, staatliche Einrichtungen, Opfer fur die Götter, Volksfeste und Schauspiele; ihr werdet einzeln mit ihnen zusammen erzogen, ihr eßt miteinander und gewährt euch gegenseitig Herberge, ihr verbringt den größten Teil der Zeit miteinander und seid geradezu ein Volk und eine Stadt in einer geringen Entfernung. So habt ihr auch mehrere Leute von Prusa zu euern Bürgern gemacht und ihnen einen Sitz im Rat gewährt; ihr hattet nichts dagegen, daß sie Beamte bei euch würden, und gabt ihnen teil an den großartigen Vorrechten einer römischen Stadt. (Il) Wie ist es nun denkbar, daß man jeden einzelnen fur seinen Freund hält und ihn ehrt, in der ganzen Stadt aber seinen Feind erblickt, ihr in Prusa und Prusa in euch? Denn wenn man die Menschen einer Stadt gern hat, mit ihnen verkehrt und sie zur Bürgerschaft einlädt, was bleibt da noch zu hassen übrig als das Klima und die Gegend oder - aber es ist ein Frevel, so etwas auch nur zu sagen - die Götter? Jede Feindschaft aber, gegen wen sie sich auch richten mag, ist eine lästige und beschwerliche Sache, denn kein Feind ist so schwach,

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daß er bei Gelegenheit nicht auch den in seiner allzu großen Stärke dastehenden Mann verletzen und mit einem verletzenden Wort oder einer abträglichen Tat seinen Haß zeigen könnte. (12) Denn niemals, kann man sagen, ist die Frucht des Hasses angenehm oder nützlich, sondern im Gegenteil unangenehmer und bitterer als alles andere, und keine Last ist jemals so schwer und mühselig zu tragen wie Feindschaft. In Zeiten des Glückes ist sie stets heimlich am Werk, Unglück vermehrt sie, dem Leidtragenden verdoppelt sie das Leid, die Glücklichen läßt sie das Glück nicht nach Gebühr genießen 10. Ich halte es nämlich für unausbleiblich, daß die Massen sich gegenseitig schädigen, bei den anderen verachtet sind und nichts gelten, einmal, weil sie Gegner haben, zum andern, weil sie selbst dumm und streitsüchtig sind. (13) Dagegen kann es etwas Schöneres und Göttlicheres als Freundschaft und Eintracht zwischen Mann und Mann und Stadt und Stadt überhaupt nicht geben. Wer könnte sich zum Beispiel Hab und Gut auf anständigere Weise erwerben als der, dem die Freunde dabei behilflich sind'? Wer könnte den Widerwärtigkeiten leichter entgehen als der, auf dessen Seite Freunde mitkämpfen'? Wann befällt einen der Kummer weniger, als wenn man jemand hat, der mit einem den Schmerz teilt und ihn tragen hilft? Wem macht sein Glück mehr Freude als dem, der damit nicht nur sich selbst, sondern auch andere erfreut'? Ich zumindest könnte jenen Mann nicht glücklich nennen, der niemand hat, der sich mitfreut. (14) Welchen Helfer, welchen Ratgeber sähe man lieber als einen Freund, den man trifft? Denn man kann sagen, daß er nicht nur der am meisten Glück verheißende, sondern auch der nützlichste Prophet JJ ist, ein aufrichtiger Freund von jedem, dem er begegnet. Die Werke von Haß und Feindschaft dagegen machen allenthalben Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten. Die Gegenwart eines Feindes ist lästig bei einer ernsten, lästig bei einer heiteren Beschäftigung; es ist un-

41,14-42,3]

ANSPRACHE IN DER VATERSTADT

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angenehm, ihn zu sehen, unangenehm, an ihn zu denken, und bekommt man mit ihm zu tun, ist er über alle Maßen schädlich. 42. EINE ANSPRACHE IN DER VATERSTADT

(I) Was ihr mit mir und meiner Weisheit - oder auch Unwissenheit - vorhabt, kann ich mir nicht denken. Wollt ihr wirklich eine Rede von mir, um etwas Außergewöhnliches zu hören, was kein anderer Zeitgenosse sonst bieten könnte, oder wollt ihr umgekehrt mich nur bloßstellen und mir beweisen, daß ich nichts Bedeutendes von Gewicht zu sagen habe? (2) Ist das erste der Fall, biete ich mich euch getrost an, damit ihr euer Gelüst befriedigen könnt; wo nicht, fUrchte ich die entgegengesetzte Meinung, daß ihr nämlich, wenn ihr mich gehört habt, ein nich t verdien tes Urteil über mich fallt, weil ihr eine falsche Vorstellung von mir habt. Denn niemals habe ich vorgegeben, ein großer Redner oder Denker zu sein oder mehr zu verstehen als die große Menge, vielmehr habe ich gerade auf diesem Punkt bei jeder Gelegenheit bestanden und erst, wenn ich die falschen Erwartungen widerlegt hatte, mit meiner Rede begonnen. Aber viele haben diese Widerlegung für ein ZurSchau-Stellen gehalten. (3) Dennoch schlage ich selbst bald diesen, bald jenen Weg ein. Blicke ich nämlich auf mich selbst und auf meine Unerfahrenheit - praktisch in allen Dingen, ganz besonders aber in der Redekunst -, komme ich mir wie ein Laie vor und will in Zukunft das Leben eines Privatmannes führen. Sehe ich aber auf die anderen, die sich um mich bemühen und mich als Redner einladen, muß ich wohl oder übel vermuten, daß irgend etwas an mir Beachtung verdient und es mir, ohne daß ich es merke, ähnlich geht wie einigen Tieren, die fUr die Menschheit nützlich sind, weil sie, ohne es zu wissen, ein Mittel zur Heilung von Krankheiten in sich tragen, sei es in der Galle, im Blut, im

POLITISCHE ANSPRACHE

Fett oder in den Haaren. Die Menschen, die das wissen, machen Jagd auf diese Tiere und versuchen, sie auf jede Weise zu fangen, nicht wegen des Fleisches, sondern eben wegen dieses Mittels. (4) So ist es vielleicht auch bei mir. Man nötigt mich, bei jeder Gelegenheit eine Rede zu halten, aber nicht, weil man meine Worte brauchte - man sucht etwas anderes. Denn ich kann doch unmöglich annehmen, daß man derartig um mich bemüht ist, ohne mich zu kennen und gehört zu haben, wie es ohne Zweifel viele Menschen gibt, die mancherlei begehren aus lauter Unwissenheit. Man darfja wohl sagen, daß alle meine Reden kennen und sie in alle Welt getragen haben wie leichte Lieder, die Kinder in den Städten singen, wenn es Abend wird. Ja meine Reden werden sozusagen von einem zum andern weitergereicht, nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern, je nach Begabung, sogar noch verbessert. Die einen verbessern sie absichtlich und bringen - (5) offensichtlich beschämt über die Zumutung, sich solchen Unsinn zu merken - zahlreiche Änderungen und Umstellungen an, während andere es vielleicht ohne Absicht tun, weil ihr Gedächtnis mangelhaft ist. Und so braucht man meine Weisheit nicht mehr auf dem Markt für einen Obolos zu kaufen,wie jemand I einmal gesagt hat, sondern sich nur zu bücken, um sie vom Boden aufzuheben. Man könnte geradezu sagen, meinen Reden sei es ähnlich ergangen wie den Tonwaren von Tenedos. Jeder, der dort vorbeikommt, belädt sein Schiff damit, niemand aber bringt sie so leicht wohlbehalten ans Ziel. Vielmehr lassen die meisten sie zerbrechen und zersplittern und haben, ohne daß sie es merken, nur noch Scherben. 43.

EINE POLITISCHE ANSPRACHE IN DER VATERSTADT

(I) Ein Lyder, so erzählt man sich, hatte keine Not. Da zog er aus und kaufte sich welche. Gut, der Lyder hatte zu Recht seine

43,'-4]

IN DER VATERSTADT

Not, denn er wollte sie selbst, ich aber will sie nicht und habe sie trotzdem - wegen unfähiger, habsüchtiger Menschen und aus keinem anderen Grund, als weil ich, wie es den Anschein hat, euch liebe und meiner Vaterstadt, indem ich sie an Ansehen den fLihrenden Städten gleichmachte', schon einiges zugute getan habe und noch, so Gott will, zugute tun werde. (2) Das erwähne ich nicht aus eitler Angeberei, denn ihr wißt selbst, daß ich diese Dinge in den unzähligen Reden, die ich vor euch gehalten habe, nie berührte. Ich tue es, um mich gegen die Leute, die mich und euch schlecht machen, zu verteidigen, damit sie womöglich vor Wut bersten - das wäre das Beste fLir die ganze Stadt - oder zumindest spürbar getroffen sind. Daß eben diese Leute weder mich noch die Stadt leiden mögen, das könnt ihr selbst bezeugen, wenn ihr euch nur ins Gedächtnis zurückrufen wollt, wer euch liebt und wer euch haßt. Dabei gehen sie mit mir noch glimpflicher um als mit euch, denn mich klagen sie hier' an, euch aber vor dem Richterstuhl. (3) Wenn sich nun zeigt, daß ich nach meiner Gewohnheit Beispiele alls der griechischen Geschichte anführe, lacht mich deswegen nicht aus. Es geschieht nämlich nicht, weil ich von meiner Vaterstadt gering dächte, euch fLir unfähig hielte, solche Dinge von selbst zu verstehen, oder Volksversammlung und Rat als ungebildet betrachtete. Ich möchte eben am liebsten, daß ihr eurem Wesen nach Griechen seid, nicht undankbar und nicht unverständi g. Sollte das aber zuviel verlangt sein, ist es auch kein Schaden, auf solche Worte zu hören, die, wie ich glaube, euren Charakter bessern können. (4) Was ist das nun für ein Beispiel? Es lebte ein Mensch in Theben mit Namen Epameinondas. Der liebte seine Vaterstadt mehr als alles andere. Möglichkeiten, wie sie sich zu seiner Zei t boten, nahm er wahr und leistete so seiner Stadt manchen bedeutenden Dienst. Aus einem Volk von feigen, hilflosen Sklaven machte er sie zum ersten Volk unter den Griechen, zu den

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POLITISCHE ANSPRACHE

ersten Anwärtern auf die Vormachtstellung. Damals war so etwas noch möglich, heute haben sich die Chancen geändertnur guter Wille und Einsatzbereitschaft, die sind immer gleichgeblieben. Denn Verräter, Denunzianten und Leute, die ihren Mitbürgern gegenüber zu allem fähig sind, gab es in den Städten damals genausogut wie heute, während die Patrioten, die ihre Mitbürger vor allem Unheil verschonen wollen und ihren Ehrgeiz in die Förderung der Vaterstadt setzen, damals zahlreich und zu großen Taten imstande waren, heutzutage aber abgenommen haben und seltener gute Taten vollbringen können. (5) Jener Epameinondas nun wurde von Leuten, die nicht wie er gesonnen waren, gehaßt, und es fehlte auch nicht an Verleumdern seiner Person. Das Volk, wie nun einmal gewöhnliches Volk ist, wußte nicht Bescheid und ließ sich auf den falschen Weg bringen. So beschimpfte einmal jemand Epameinondas in der Volksversammlung - es war einer von den Verzweifelten und Entrechteten, der, als die Stadt noch unfrei und von einem Tyrannen beherrscht war, alles mögliche gegen sie unternommen hatte - und ließ viele harte Worte fallen. Denn kein Lügner fragt danach, was er an Wahrem vorbringen könne, er hat ja nichts Wahres zu sagen, sondern nur, ob etwas Beleidigendes. Da erhob sich Epameinondas. Zu all den anderen Punkten nahm er nicht Stellung und verteidigte sich gegen keinen der Vorwürfe, er sagte zu dem Ankläger in seinem boiotischen Dialekt nur: «Möge Demeter auf dich erzürnt sein.» Als die Thebaner das hörten, waren sie begeistert und brachen in Lachen aus - mit gutem Grund, denn ihnen fiel ein, wie ich glaube, was Epameinondas für das Volk getan und wie gemein sich jenes Lästermaul gegen ihn betragen hatte. (6) Sollte nun jemand gegen mich etwas sagen, das ich nicht verdient habesei es mir frech ins Angesicht oder in wohlgesetzter Form, um sich den Anschein eines Redners zu geben, obwohl er selbst

43,6-8]

IN DER VATERSTADT

alles andere als wohlgeformt ist -, werde ich ihm die Antwort des Epameinondas geben. Ihr dürft mir glauben, daß diese Leute so handeln und reden, weil sie über meine Gegenwart hier in Prusa verstimmt sind, aus keinem anderen Grund. Denn ich verfolge mit keinem der Bürger schlechte Absichten, ich nehme von niemand Geld, ich lehne es ab, Steuern in eurem Land einzuziehen, aufdem Markt mache ich mich keinem lästig, denn ich bin kein Redner. Auch habe ich niemand vor Gericht verteidigt, nur einmal einen armen Wicht, den ich davor bewahrte, von seinen Verwandten und Aufsehern in Stücke gerissen zu werden: Zuerst hatten sie seine Papiere entwendet und einen Großteil seines Vermögens an sich gebracht, dann wollten sie ihn durch falsche Aussagen ruinieren. (7) Sonst aber habe ich nie vor Gericht gesprochen, so daß niemand an mir irgendwie Anstoß nehmen kann. Nein, sie reden so, damit ich nicht, falls sich wieder einmal eine günstige Gelegenheit ähnlich der ersten bieten sollte - gewisse Leute sehnen sie herbei, aber sie wird nicht kommen; nur, sollte es doch der Fall sein -, damit ich dann nicht dem Volk durch meine Gegenwart helfen kann und die Opfer einer falschen Anklage nicht jemand hätten, der fur sie ein tritt oder mit ihnen leidet. Deswegen ist ein gewisser 3 über meinen Aufenthalt hier verärgert. Auch wenn mehrere meinesgleichen hier wären - und sie sind es -, keiner würde den Mund mehr aufmachen als ich, und ich kann freier zu euch sprechen als jeder andere. Denn mein persönliches Glück habe ich euch geopfert, an eurem Mißgeschick habe ich mitgetragen. (8) Auch jetzt wieder muß ich auf Reisen gehen, nicht wie das erste Mal\ als alles mich liebte und bewunderte, frei von Sorgen, sondern unter dem Haß gewisser Leute. Mir selbst freilich ist nichts Böses widerfahren 5, denn niemals trieben sie mir die Rinder fort oder die Pferde. 6 Allerdings bin ich über die Schwierigkeiten, die man mll'

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POLITISCHE i\NSPRACHE

[43,8-II

macht, nicht verwundert. Auch der berühmte Sokrates, den ich so oft erwähnt habe, tat unter der Gewaltherrschaft der Dreißig alles für sein Volk und hielt sich fern von jedem Verbrechen. Von der Regierung einmal zu dem Salaminier Leon geschickt, verweigerte er den Gehorsam 7 und sagte den Tyrannen harte Worte ins Gesicht: sie trieben es wie schlechte Rinderhirten, die große, stattliche Herden übernommen hätten und sie dann zusammenschrumpfen und verwahrlosen ließen 8. (9) Trotzdem wurde Sokrates von diesem Volk, fur das er sein Leben gewagt hatte, später, als es dem Volk wieder gut ging, zum Tode verurteilt, fälschlich angeklagt von einigen Denunzianten. Der Ankläger war Meletos, ein widerwärtiger, schikanöser Mensch. «Sokra tes tu tU nrech t», sagte er, «indem er die Jugend verdirbt und nicht die Götter ehrt, die die Stadt ehrt, sondern andere, neue Gottheiten einführt» 9 - man kann wohl sagen, genau das Gegenteil von dem, was Sokrates tat. (10) Er ehrte nämlich die Götter mehr als jeder andere und hat sogar eine Hymne auf ApolIon und Artemis gedichtet, die ich noch heute singe. Und nicht nur die Jugend, auch die Älteren suchte er zu retten. Immer von neuem machte er ihnen Vorhaltungen, wenn einer ein Vielfraß oder Lüstling war, wenn er Politik um des Gewinns willen trieb, indem er einen Freispruch gegen Bestechung erwirkte, andere ohne Grund anklagte, die armseligen Inselbewohnerio unter dem Vorwand, es handle sich um Tributzahlungen, ausnahm oder wenn es um die Aushebung von Soldaten ging - ähnliche Praktiken gibt es ja auch bei uns. Deswegen haßten sie den Sokrates und behaupteten, er verderbe die Jugend. (n) Die Anklageschrift gegen mich dagegen ist länger und, man könn te sagen, vornehmer - wie es schein t, eine Art heimliche Anklage: Dion tut Unrecht. Er ehrt die Götter weder mit Opfern noch mit Preisliedern und schafft die althergebrachten Feste ab. Er verleitet einen schlechten Prokonsuln IJ dazu, das

FREUNDLICHE ENTGEGNUNG

Volk zu martern, möglichst viele zu verbannen und einige sogar zum Tode zu verurteilen, indem er sie zum Freitod zwingt, denn infolge ihres Alters können sie nicht mehr in die Verbannung gehen und würden das Verlassen der Heimat auch nicht überstehen. Er paktiert in allem auch jetzt noch mit dem Mann, der unser Volk tyrannisiert, und richtet es, soweit es an ihm liegt, so ein, daß dieser Mann bei seinem Kampf Erfolg hat und die Städte und Demokratien mit Gewalt in seine Hand bekommt. (12) Er verdirbt auch das Volk, indem er selbst als dessen Ankläger auftritt und mit seinen eigenen Worten, mit seiner eigenen Zunge gegen die Bürger, seine Volksgenossen, vorgeht und viele andere Dinge tu t, die einzeln aufzuzählen die Scham verbietet. Er gibt jung und alt ein schlechtes Beispiel durch seine Arbeitsscheu, Verschwendungssucht und Treulosigkeit. Er besticht die Massen, damit ihm niemand die Geschehnisse vergangener Tage vorhält, sondern seine Gehässigkeit und Verräterei in Vergessenheit geraten mögen. Also gut, Männer von Prusa, gegen diese Beschuldigungen werde ich mich verteidigen, und wenn ihr mich gehört habt und es euch gut dünkt, verurteilt mich. Denn auch die Atllener verurteilten Sokrates erst, nachdem sie ihn gehört hatten IZ. 44. EINE FREUNDLICHE ENTGEGNUNG AN DIE VATERSTADT AUF IHREN VORSCHLAG, DrON ZU EHREN

(r) Meine Mitbürger! Für mich gibt es keinen erfreulicheren Anblick als euch, keine liebere Stimme als die eurige, keine größeren Ehren als die hier in eurer Stadt, kein herrlicheres Lob als das aus eurem Munde. Wenn auch die gesamte griechische Welt und dazu noch das römische Volk mich bewundern und preisen, kann das mein Herz doch nicht so erfreuen. Denn in der Tat, Homer, von dem viele weise und göttliche Worte

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FREUNDLICHE ENTGEGNUNG

stammen, hat kein weiseres und wahreres Wort gesprochen als dies: Nichts ist so süß wie das Vaterland.' (2) Ihr dürft mir glauben, daß alle Ehrungen für mich, die ihr jetzt vorschlagt und die es sonst noch geben mag, in eurem Wohlwollen und in eurer Freundschaft beschlossen sind und daß ich nichts weiter brauche. Denn das ist fur einen rechtschaffenen Mann vollkommen ausreichend: von seinen Mitbürgern geliebt zu werden. Und wenn er diese Liebe hat, was braucht er dann noch Standbilder, öffentliche Belohnungen und Ehrenplätze? Nicht einmal, wenn sein Bild, aus purem Gold getrieben, in den berühmtesten Heiligtümern stünde! Denn ein Wort, aus Wohlwollen und Freundschaft gesprochen, wiegt alles Gold der Welt, alle Kronen und was sonst noch herrlich scheint, auf. Deshalb nehmt meinen Rat an und befolgt ihn! (3) Aber wenn ich wirklich solche anderen Ehren bekommen soll- ich genieße ihrer doch schon eine ganze Anzahl bei euch. Da sind zunächst die Ehren, die ihr meinem Vater als einem trefflichen Mann verliehen habt, weil er zeit seines Lebens die Stadt gerecht verwaltete; dann die Ehren meiner Mutter, der ihr ein Standbild und einen Altar gesetzt habt; ferner die Ehren meiner Großväter und sonstigen Vorfahren und schließlich die meiner Brüder und der übrigen Verwandten. (4) Auch viele Statuen, Staatsbegräbnisse, Leichenspiele und zahlreiche andere Auszeichnungen sind ihnen von seiten der Stadt zuteil geworden - nichts davon habe ich vergessen, und ich weiß sie alle, so gut es möglich ist. Deswegen fühle ich mich auch tiefin eurer Schuld und bitte die Götter, sie möchten mich in den Stand setzen, diese Schuld abzutragen. Auch wenn ich weiß, daß sie es durchaus wert waren und alle ihre Auszeichnungen verdient bekommen haben, so hat die Stadt an allen doch noch großzügiger gehandelt, denn das Vaterland dankte ihnen für

AN DIE VATERSTADT

59 1 all das, was sie zuwege bringen wollten, aber infolge irgendwelcher Umstände nicht ausführen konnten. (5) Hätte mein Großvater' zum Beispiel die Freundschaft des damaligen Kaisers für längere Zeit genossen und wäre die Spanne nicht allzu kurz gewesen, hätte er ganz gewiß, wie man erzählt, der Stadt die Unabhängigkeit verschafft, denn er hatte die feste Absicht und den Vorschlag dafur bereits fertig. Aber man braucht daran nicht zu verzweifeln, solan ge es noch so wie jetzt redliche Männer mit gesundem Ehrgeiz in der Stadt gibt. Ich zumindest, der ich doch viele Städte kenne, wUßte keine besseren Männer als die eurer Stad t. Ich würde mich über jeden einzelnen noch weiter auslassen, wenn ich nicht Bedenken hätte, alle zu preisen, da sozusagen alle mit mir verwandt sind und ich eigen dich ihnen allen gleichsam eine Gegengabe für die mir erwiesenen Ehren machen müßte. (6) Denn ich habe in der Tat auch diesen Männern 3 zugehört, von Ehrfurcht ergriffen, wenn sie sprachen, voll Bewunderung für ihre Großzügigkeit, ihren Eifer und mehr noch für ihre Kunst der Rede. So ist es kein Wunder, wenn ich eine solche Va terstad t so sehr liebgewonnen habe, daß ich ihr weder Athen noch Argos oder Sparta als Heimat jemals vorziehen könnte, obwohl dies doch die ersten und berühmtesten Städte Griechenlands sind. Das habe ich auch durch die Tat bewiesen. Nicht nur jetzt, auch früher schon, zur Zeit meiner Verbannung, luden mich viele Städte in manchen Ländern ein, bei ihnen zu bleiben und ihre Verwaltung in die Hand zu nehmen j ja einige schickten sogar Resolutionen an den Kaiser 4 und dankten ihm für die mir erwiesene Ehre. Trotzdem bin ich niemals auch nur mit einem Wort auf einen solchen Vorschlag eingegangen und habe nicht einmal ein Haus oder ein Grundstück im Ausland erworben, damit ich nirgends als bei euch ein Zeichen meiner Heimat hätte. (7) Ja wirklich, es wäre übel bestellt, wenn die Menschen ungerechter sein wollten als die

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FREUNDLICHE ENTGEGNUNG

[44.7-9

Bienen. Denn niemals verläßt auch nur eine Biene ihren Stock, um zu einem anderen, größeren und besser gedeihenden überzusiedeln. Nur den eigenen Stock rüllt sie auf und fördert ihn, mag auch die Gegend kälter sein, die Wiesen weniger ergiebig, der Nektar knapper, die Arbeit mit den Waben schwieriger, der Imker nachlässiger. Es heißt sogar, sie liebten sich gegenseitig und ihren eigenen Schwarm so sehr, daß sie zur Winterszeit, wenn sie draußen von einem Sturm überrascht werden, ein Steinchen als Ballast zwischen die Füße klemmen und auf diese Weise fliegen, damit sie vom Sturm nicht davongetragen werden und zu ihrem Stock zurückfinden. (8) Hat nun jemand eine derartig bereitwillige und treffliche Vaterstadt, wie sollte er da nicht alles andere ihr hintanstellen? In Anbetracht von dem allen bin ich froh, wenn ich an meinem Sohn, an meinem Neffen und den anderen jungen Leuten - und ich sehe deren eine große Zahl, Gott sei Dank, die ohne Ausnahme von tüchtigen Eltern abstammeri und nach brauchbaren Menschen aussehen - diese Gesinnung beobachte: daß sie frei von Neid und Scheelsucht miteinander und mit allen anderen Menschen an Tüchtigkeit und Ansehen, ihrem eigenen so gut wie dem der Vaterstadt, wetteifern, daß jeder bemüht ist, an Gerechtigkeit und Patriotismus der erste in der Stadt zu sein, wohl imstande, ihr einen Dienst zu erweisen und sie zu fördern. (9) Denn seid überzeugt, auch wenn Prusa nicht die größte Stadt und nicht als eine der ältesten gegründet worden ist, so steht es selbst im Ausland in größerem Ansehen als manche andere Stadt, und im Wettstreit mit allen Griechen nehmen seine Bürger seit langem keineswegs den letzten, auch nicht nur den dritten oder zweiten Rang ein. Dabei denke ich weniger an mich als an all die anderen, die durch ihre Reisen vielerorts bekannt geworden sind und sich einen bedeutenden Namen gemacht haben, aber auch an diejenigen, die hiergeblieben und ihren bürgerlichen Pflichten nach-

AN DIE VATERSTADT 593 gekommen sind; denn sie sind nicht schlechter als die anderen, weder in Worten noch in Taten. (10) Ich sehe aber, daß nicht nur durch die Redekunst, sondern auch durch die Philosophie tüchtige und bedeutende Männer der Stadt erwachsen. Ich werde immer bereit sein, die jungen Leute für sie zu interessieren, privat genauso wie in der Öffentlichkeit, sooft sich die Gelegenheit dazu bietet. Und euch, das Volk, fordere ich auf, fest mit dem zu rechnen, was man von den Machthabern bekommen kann, und daflir zu beten, daß sich Ehre, Ansehen und Wohlstand in irgendeiner Form einstellen; was aber von euch selbst kommt, dadurch zu besitzen, daß ihr euch vor allen übrigen Gemeinden auszeichnet durch Ordnung, Rücksichtnahme, Gehorsam tüchtigen Männern gegenüber, durch Arbeitsamkeit, Maßhalten im täglichen Leben, Pflege von Leib und Seele, soweit die Umstände es einem jeden gestatten, durch selbstlose Erziehung und Ausbildung der Kinder, durch einen wahrhaft griechischen Zustand eurer Stadt, frei von Unruhen und Durcheinander, durch die Hinwendung eures angeborenen Scharfsinns, eurer Mannhaftigkeit und Begabung zu Höherem und Schönerem, durch die Absage an Zwietracht, Unruhe und persönliche Zusammenstöße, soweit das irgend möglich ist. (II) Denn, ihr Männer, es gibt auch bei einem Volk eine Erziehung, auch bei einer Stadt einen Charakter, die beide auf Wissen und Ordnung beruhen. Und nicht nur in alten Zeiten gelang es Spartanern, Athenern und noch einigen anderen, durch eine geordnete Politik aus absolut unbedeutenden und kleinen Anfängen zu großen, berühmten Städten zu werden, auch heute noch ist so etwas möglich, wenn man nur will. Denn wenn ihr euch an diese Richtlinien haltet, wird euch das mehr nützen als eine große Menge von Ratsherren, eine eigene Gerichtsbarkeit, irgendwelche Einnahmen auswärtiger Gelder oder sogar die Unabhängigkeit, falls ihr sie einmal bekommen

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DIONS RECHTFER TIGUNG

solltet s. (12) Denn glaubt mir, was man Unabhängigkeit nennt und was Machthaber und Gewaltige unter diesem Namen verleihen, ist unter Umständen überhaupt nicht zu erwerben. Die wahre Unabhängigkeit dagegen, die den Menschen wirklich zuteil wird, die bekommt man, gleich, ob es sich um einen einzelnen oder um eine Stadt handelt, nur von sich selbst: wenn man seine Sache großherzig und nicht sklavisch und lässig angeht. Damit ihr aber meine Einstellung auch noch von einer andern Seite kennenlernt, will ich euch einen Brief vorlesen, den ich dem Kaiser auf seine Einladung hin geschrieben habeweil ich in ihm darum bitte, er möchte mich doch in eurem Interesse entschuldigen -, und auch sein Antwortschreiben 6. 45. DIONS RECHTFERTIGUNG SEINES VERHÄLTNISSES ZUR VATERSTADT

(r) Meine Bürger! Ich will euch einen Rechenschaftsbericht geben über meinen Aufenthalt bei euch, da ich glaube, daß die Zeit, die mir noch verbleibt, kurz sein wird. Wie ich meine Verbannung durchgestanden habe, ohne dem Mangel an Freunden, der materiellen Not und körperlichen Hinfälligkeit zu erliegen; wie ich zu dem allen ausgeharrt habe unter einem Feind', der nicht der erste beste von Leuten meines Standes oder, wie sie manchmal genannt werden, von Gleichberechtigten war, sondern der mächtigste und grimmigste, von allen Griechen und Nichtgriechen Herr und Gott genannt, in Wirklichkeit aber ein böser Dämon; wie ich ihm obendrein nicht schmeichelte oder seinen Haß durch Bitten aussöhnen wollte, sondern ihn ins Angesicht herausgefordert habe; von all den Leiden, die damit verbunden waren - davon, bei Gott, will ich jetzt nicht sprechen oder schreiben, denn das habe ich in Reden und Schriften vor aller Welt bereits getan, nicht von Wahnsinn und Tollheit dazu verfuhrt, sondern im Vertrauen auf eine

VERHÄLTNIS ZUR VATERSTADT

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stärkere Macht und Hilfe, die von den Göttern kommt, von der großen Menge aber verachtet und ftir nutzlos gehalten wird. (2) über diese Dinge im einzelnen zu sprechen erübrigt sich meines Erachtens, denn sie sind anderswo bekannter und finden auch die verdiente Anerkennung und Würdigung. Wenn ich dagegen bei euch von der Zeit meiner Verbannung erzählen wollte, würde man kaum sagen, daß ich jammerte, viel eher, daß ich angäbe. Nach dem Tod dieses Mannes und dem folgenden Umschwung wollte ich zu dem trefflichen Nerva zurückkehren. Aber von einer schweren Krankheit festgehalten, verpaßte ich diese Chance restlos und verlor einen milden Herrscher, der mich liebte und seit langem mit mir befreundet war'. Und ich schwöre euch bei allen Göttern, daß es nicht die Vorteile waren, die ich für mich oder einen meiner Leute hätte bekommen können, die mir den Verlust so schmerzlich machten, vielmehr sehe ich den unersetzlichen Schaden in dem, was ich für euch und die Stadt insgesamt hätte erreichen können. (3) Denn was wir jetzt bekommen haben, hätten wir damals bereits haben und die jetzige Chance für andere Vergünstigungen nutzen können 3. Nun sind mir aber auch von seiten des gegenwärtigen Kaisers Entgegenkommen und Interesse in reichem Maße sicher, wie diejenigen, die mit dabeigewesen sind, wissen 4. Wenn ich es an dieser Stelle wiederhole, werde ich gewisse Leute S gewaltig ärgern. Vielleicht sieht die Sache auch nicht besonders glaubwürdig aus, daß jemand,dem eine solche Ehre, Vertrautheit und Freundschaft geschenkt worden ist, das alles großzügig fahren läßt und statt dessen, um es nicht schärfer zu formulieren, nach dem unruhigen Treiben hier verlangt. Wie dem auch sei, auf jeden Fall habe ich jene Chance und das freundliche Entgegenkommen des Kaisers auch nicht teilweise für meine eigenen Absichten ausgenutzt, um etwa meine stark zerrütteten finanziellen Verhältnisse aufzubessern oder um ein

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DIONS RECHTFERTIGUNG

[45.3-5

Amt oder einen einflußreichen Posten zu erlangen, nein, alles, was nur möglich war, habe ich an euch gewandt und ausschließlich das Interesse der Stadt im Auge gehabt. (4) Ob diese Dinge nun nützlich und von Bedeutung, ob sie nicht vielen anderen, sondern nur einer einzigen Stadt zuteil geworden sind, und zwar einer Stadt, die wohl mit zu den bekanntesten in Asien gehört und ein so großes Anrecht auf den Kaiser besitzt insofern, als der Gott dieser Stadt dem Kaiser seine Herrschaft prophezeit und vorausgesagt und ihn als allererster öffentlich zum Herrn der Welt ausgerufen hat 6 - über solche Fragen möchte ich nicht sprechen. Daß ihr aber nach diesen Vergünstigungen das größte Verlangen hattet und euch lange Zeit Hoffnungen machtet, um euch dann doch betrogen zu sehen, daß ihr auf pure Versprechungen hin privaten Personen - denn von den Prokonsuln hatte gewiß keiner solche Vergünstigungen jemals erwartet oder versprochel) - überschwengliche Ehren gabt, ihnen mit dem ganzen Volk weit vor die Stadt entgegengingt und in anderen Städten auf sie wartetet - das verdien t vielleich t Beach tun g. (5) Damals, als nich ts Bedeutendes und der Rede Wertes dabei herauskam, hätte ein aufrichtiger Mann, der frei von Neid und bösen Absichten war, sagen müssen: «Ihr rast und seid nicht mehr bei Sinnen, daß ihr euch so hartnäckig an solche Leute hängt und so niedrigen Menschen den Hofmacht, und das wegen Dingen, die weder nötig noch wichtig, ja nicht einmal sicher sind, so daß ihr obendrein nichts Festes in Händen habt.» Aber ich glaube, wie immer man es auch angefaßt hätte, man hätte schwerlich etwas dagegen unternehmen können. Und gewiß war es schmerzlicher zu sehen, daß dieser oder jener Prokonsul und nicht einer unserer Bürger es war, der diese Vergünstigungen durchsetzte und euch präsentierte. Zudem machte man sich heimlich Hoffnungen auf etwas, das niemals eintreten sollte, und ließ sich dadurch verzaubern.

45,6-8]

VERHÄLTNIS ZUR VATERSTADT

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(6) Und auch das Folgende habe ich schon von vielen Leuten gehört: Hätte einer der Prokonsuln in Sachen unseres Staatshaushaltes früher geantwortet und wäre das Vorhaben gescheitert, hätten sich viele über die Stadt lustig gemacht - ich meine nicht von den Nachbarn, das wäre noch eher zu ertragen gewesen, sondern von unseren eigenen Bürgern -, daß die Stadt nämlich fur sie Unerreichbares begehrt habe und sich in ihrer Torheit keineswegs von Königskindern unterscheide. Dabei schämten sich diese Leute nicht einmal, ihre eigene Vaterstadt zu verhöhnen und sich selbst init ihren Worten auf so erbärmliche Weise zu erniedrigen. Denn gehören sie zu den angesehenen und führenden Männern der Stadt, machen sie sich selbst gering als die Vorsteher einer schwachen und unbedeutenden Stadt; gehören sie aber zum niedrigsten Auswurf, machen sie ihr Verachtetsein noch größer und unerträglicher, wenn sie die Geringsten der geringsten Stadt sind. (7) Um mich aber durch diese Gedanken, die mir gerade einfallen, nicht von meinem Thema abbringen zu lassen - diese Vergünstigungen mögen, auf welchem Wege sie wollen, erlangt worden und hierhergekommen sein. Aber überlegt doch einmal: Bin ich einem der Bürger zu nahe getreten, indem ich persönlich fur meine eigenen Interessen geredet, öffentlich Vergünstigungen getadelt und euch zum Vorwurf gemacht und nach eigenem Gutdünken Leute protegiert habe? Oder waren es nicht vielmehr die anderen, die - es wurden ja nicht weniger als hundert Mitglieder in den Rat gewählt - ihre eigenen Freunde hineinbrachten und es einzurichten wußten, daß sie bei allen ihren Vorhaben Parteigänger und Helfershelfer hatten? Ich dagegen habe dergleichen weder getan noch besprochen in der Annahme, daß man sich mir, wenn ich nur wollte, eher als einem anderen anschlösse. (8) Denn ich war unbedingt dafur, daß auch niemand anders eine solche Praxis einftihre, daß die Politik nicht von politischen Klubs gemacht

DIONS RECHTFER TIGUNG

und die Stadt in Parteien zerrissen werde. Wenn es aber schon nicht anders sein konnte, wollte ich zumindest von solchen Vorwürfen frei sein selbst auf die Gefahr hin, weniger als jeder andere zu gelten und keines Wortes gewürdigt zu werden. Was für Fehler habe ich nun dabei gemacht? Was habe ich versäumt? Ich fuhle mich euch gegenüber zu dem Eingeständnis verpflichtet, daß ich selbst nichts Unrechtes und Gesetzwidriges getan, aber auch die anderen nicht daran gehindert habe. Und doch hätte ich das miteinemeinzigen Wort tun, vor euch hin treten und euch und die Prokonsuln auf das, was sich anbahnte, aufmerksam machen können, obwohl ihr Bescheid wußtet. Wenn ihr euch dann der Sache nicht angenommen hättet und sich auch die Prokonsuln davon ungerührt gezeigt hätten, wäre es ein leichtes gewesen, an den Kaiser zu schreiben. (9) Dieser Umstand also war es, der mich zur Zurückhaltung veranlaßte. Ich wollte nicht den Anschein erwecken, als ob ich gewisse Leute anklage und die Stadt schlechtmache, überhaupt, keinem der hiesigen Biirger allzusehr auf die Nerven fallen. Die Sache mit dem Rat wurde also auf diese Weise gehandhabt, im großen und ganzen richtig, denn ihr habt weder schlechte noch unverdiente Männer gewählt. Nur bekamen sie alle den gleichen Rang - auch das zu Recht und durch eigenes Verdienst, und doch hätten sie wie Leute, die in die Mysterien eingeftihrt werden, Mystagogen 7 gebraucht. Ich hielt es nicht einmal fur richtig, ich allein, irgendeinem Kandidaten meine Stimme zu geben, um damit nicht vielleicht ein Zeugnis von ausschlaggebender Bedeutung zu liefern und die anderen daran zu hindern, ohne Bedenken einen Gegenantrag zu stellen und sich gegen mich zu äußern. (IO) Was geschah nun? Als die Abstimmung zwei oder drei Tage gedauert hatte, verließ ich Prusa, um nicht durch meine Gegenwart bei den Vorgängen jemand als meinen Schuldner, Parteigänger oder mir wegen dieser Sache zu Dank Verpflichteten zu haben.

45. 10-

1.]

VERHALTNIS ZUR VATERSTADT

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Denn für euch, nicht für mich hatte ich um die Ratsmitglieder gebeten. Und als man dann zum ersten Mal auf den Staatshaushalt zu sprechen kam, erwähnte ich nirgends auch nur mit einem Wort, was für ein großes Unrecht mir von vielen Seiten geschehen war- kehrt man nach so vielen Jahren aus der Verbannung heim, kann es kaum anders sein. Dabei hätte ich gegen einige nicht einmal zu prozessieren, sondern sie nur anzusprechen und an das, was in ihrem Besitz war, zu erinnern brauchen. So viele Sklaven waren mir davongelaufen, so viele Menschen hatten mir Hab und Gut genommen, so viele besaßen Land von mir, da sie niemand daran gehindert hatte. (II) Auch odysseus, der seinen Vater, seine vortreffliche Frau und seine Freunde zu Hause zurückgelassen hatte, mußte sich wegen seiner Abwesenheit große Verachtung gefallen lassen: Einige Leute nahmen sein Haus in Besitz und schmausten und tranken Tag für Tag; dabei schöpften sie von seinem Wein und schlachteten seine Herden. Schließlich vergriffen sie sich sogar an seinerGattin und wollten sie gegen ihren Willen zwingen,zu heiraten und Mann und Haus zu verlassen. Mußte man da nicht erwarten, daß auch ich von vielen viel derartiges Unrecht zu erleiden haben würde, zumal ich bereits von allen aufgegeben war und niemand mehr damit rechnete, daß ich noch am Leben sei? (12) Aber in diesen Dingen bin ich vielleicht nicht so wie die anderen, ich meine, daß ich nicht nur mehr Zurückhaltung übe als der normale Bürger, sondern auch als viele der sogenannten Philosophen. Aber in punkto Verschönerung der Stadt 8 habe ich euch Ärger gemacht. Wie es dazu kam, habt ihr oft gehört, aber vielleicht ist es gut, es euch noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen. Daß ich die Stadt verschönern und, wenn möglich, nicht nur mit Säulenhallen und Wasserspiclen, sondern auch mit Mauern, Häfen und Schiffswerften ausstatten wollte,

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DIONS RECHTFERTIGUNG

[45, I2- I5

gebe ich zu, ihr Leute. (13) Auch jene andere Leidenschaft von mir, man mag sie kindisch oder unüberlegt nennen, streite ich nicht ab: meinen Wunsch, die Stadt zu zentralisieren, möglichst viele Einwohner in ihr zusammenzuziehen und die Leute nicht nur aus dieser Gegend, sondern womöglich auch aus den anderen Städten zu veranlassen, hierher zu kommen, so etwa wie Epameinondas einst Boiotien mit Theben oder Theseus Attika mit Athen verband, wie die Mytilenaier einst, wie es heißt, nachdem sie Aiolien und die Gegend am Hellespont und um die Troas in ihre Gewalt gebracht hatten, ganz Lesbos in ihrer einen Stadt zusammenzogen. (14) Indes ist mir die Gesinnung einiger Leute hier aus dem Volk wohl bekannt, und ich kenne die Grenzen meiner Kraft, meine Verpflichtungen und die Kürze meines Aufenthaltes bei euch. Trotzdem habe ich kein zu hohes Ziel angestrebt und meine Erwartungen nicht zu hoch geschraubt. Ich konnte nur meine eigenen Gedanken nicht zügeln, sondern wie Verliebte immer wieder auf den Gegenstand ihrer Liebe zu sprechen kommen, so erwähnte auch ich immer wieder, was ich hinsichtlich der Verschönerung und Zentralisierung, der Einkünfte und ungezählter anderer Dinge fUr die Stadt als vorteilhaft ansah. (IS) Sollte jemals die Zeit kommen und einer der Götter diese Wünsche in ErfUllung gehen lassen, dann werdet ihr das Unmaß an Feindseligkeit und Haß gewisser Leute gegen mich, um nicht zu sagen, gegen euch sehen. Denn dann werden sie nicht mehr in versteckten Anspielungen, sondern offen und ohne Umschweife sprechen und kritisieren, und wenn sie die Arbeiten nicht verhindern können, sich lieber erhängen als eine solche Stadt sehen zu müssen, wie es Prusa, falls die Götter wollen, durchaus werden kann. Damals auf jeden Fall, als der Prokonsul, sei es auf eure, vielleicht aber auch auf meine Veranlassung hin, den Vorschlag aufnahm 9 und eine Volksversammlung einberief, ohne daß ich es vorher wußte, und eine

45,16-46,2]

REDE DIONS IN DER VATERSTADT

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Stellungnahme zu diesen Fragen vorlas, da konnte ich nicht mehr an mich halten, sondern stand auf, gab meine Ratschläge und erklärte die Sache denen, die keine Ahnung davon hatten. (16) Danach dann war es nicht etwa so, daß ihr, das Volk, diese Unternehmungen gewollt hättet, einer der Beamten aber widersprochen hätte, oder daß zwar niemand widersprochen, sich jedoch kein begeisterter Mitarbeiter gefunden hätte. Nein, alle waren bereit, nicht nur mit Worten den Plan zu unterstützen und selbst tatkräftig dazu beizusteuern, denn sie hielten ihn rur gut und nützlich. So wurde denn der Vorschlag als schön, herrlich und fur die Stadt vorteilhaft angenommen. 46.

EINE REDE, DIE DION IN DER VATERSTADT

GEHALTEN HA T, BEVOR ER PHILOSOPH WURDE

(I) Ich bin nicht so sehr üher euer Benehmen erstaunt, ihr Leute, obwohl auch das einigermaßen empörend ist, vielmehr ist es die Tatsache, daß ich keinen Grund fur euren Zorn gegen mich sehen kann, was mich so verlegen macht. Denn berechtigter Zorn läßt sich durch Verhandlungen besänftigen, wer aber könnte ungerechtfertigten Haß heilen? Trotzdem möchte ich euch bitten, mir Gehör zu schenken, denn ich spreche weniger um meiner selbst als um euretwillen. Habe ich nämlich nichts falsch gemacht, werdet ihr doch nicht grundlos einen eurer Bürger hassen wollen j bin ich aber schuldig, sprechen meine Worte gegen mich, nicht für mich, und so wird das Gericht, das ich über mich halte, strenger sein, als ihr selbst es wünscht. Denn der Schlechtigkeit überfuhrt zu werden ist in jedem Fall schlimmer als Steinigung oder Verbrennung. (2) Zuerst müßt ihr begreifen, daß Dinge, die euch furchtbar scheinen, Steine und Feuer, nicht für jeden furchtbar sind, ferner, daß ihr mit diesen Dingen nicht mächtig, sondern schwächer als jeder andere seid, es sei denn, man dächte an die Stärke von Räubern

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REDE DIONS IN DER VATERSTADT

und Rasenden '. Die Stärke einer Stadt und Demokratie aber beruht auf anderen Grundlagen, in erster Linie auf vernünftigem Denken und rechtem Handeln. Über die Vortrefrlichkeit meines Vaters brauche ich kein Wort zu verlieren, denn sooft ihr ihn erwähnt, preist ihr ihn, in der Öffentlichkeit so gut wie privat, als einen überdurchschnittlichen Bürger. (3) Allerdings müßt ihr wissen, daß er mit diesen Lobsprüchen nichts mehr anfangen kann; wenn ihr jedoch seine Nachkommen anerkennt, werdet ihr auch sein Gedächtnis bewahren. Auch von meinem Großvater hat noch niemand gesagt, daß er der Stadt Schande gemacht oder nichts von seinem Vermögen für sie gestiftet habe. Denn sein ganzes Vermögen, das er vom Vater und Großvater hatte, gab er großzügig dahin, so daß ihm nichts mehr übrigblieb; ein neues aber erwarb er sich durch seine Ausbildung und durch kaiserliche Gunst. (4) Dabei forderte er trotz einer solchen Freundschaft und Wertschätzung offensichtlich keinen Dank für sich selbst, sondern pflegte und hütete die Sympathien des Kaisers nur fur euch'. Sollte es aber jemand albern vorkommen, euch an den guten Willen und die Leistungen eurer eigenen Bürger zu erinnern, so verstehe ich nicht ganz, wie ein solcher Mann überhaupt wünschen kann, selbst von irgend jemand gut behandelt zu werden. Von vortrefrtichen Männern stamme ich ab, und selbst wenn ich vollkommen schlecht sein sollte, habe ich um meiner Vorfahren willen eine gewisse Beach tun g verdien t, aber nicht, von euch gesteinigt oder verbrannt zu werden. (s) Seid aber auch so freundlich und werft einen Blick auf meine Verhältnisse, ihr Leute! Mein Vater hinterließ uns ein Vermögen, das zwar groß aussah, aber nur wenig wert und viel kleiner war als das Vermögen anderer, denn nicht weniger als 400000 Drachmen waren Schuld briefe und die Geschäfte draußen derart, daß sie noch viel mehr Kummer machten als die Schuldbriefe. Es gab sozusagen überhaupt keine Garantie rur

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unsere Gelder, denn mein Vater hatte sein ganzes Vermögen im Vertrauen aufseine eigene Gel tung erworben und geglaubt, niemand werde es ihm streitig machen. (6) In solch einer Lage zurückgelassen, habe ich bis heute noch nicht den mir zugefallenen Teil der Darlehen zurückgezahlt bekommen, euch aber die größten zuschüsse gezahlt, mehr als jeder andere Bürger der Stadt. Und doch wißt ihr selbst, daß es viele reichere Leute gibt als mich. Was ist es also, weswegen ihr mir zürnt, mich und den Soundso von allen Bürgern ehrlos ausschließt und uns mit Steinen und Feuer droht? Sage ja keiner, ich spräche fur jenen Mann! Gegen niemand, nicht einmal gegen einen Verbrecher sollte man sich vielleicht derart aufbringen lassen. Abgesehen davon habe ich mit mir selbst genug zu tun. (7) Überlegt euch doch einmal, was für ein Bürger ich in anderen Dingen bin, und vergleicht mich mit wem ihr wollt von denen, die ihr nicht den Flammen übergebt. Ich habe Ländereien, und zwar alle auf eurem Grund und Boden. Von meinen Nachbarn - und deren gibt es eine ganze Menge, arme und reiche - hat noch niemals einer mich beschuldigt, weder zu Recht noch zu Unrecht, daß ich ihm etwas fortgenommen oder ihn aus seinem Eigentum vertrieben hätte. Ferner bin ich kein Starredner, aber auch nicht gerade der armseligste Vertreter dieser Klasse. (8) Gibt es nun jemand, den ich mit meinen Worten beleidigt habe, indem ich einem, der die Ruhe liebt, eine Aufgabe zudiktierte oder ihm aus Mißgunst Schaden zufügte? Oder brachte ich jemand hinsichtlich seines Vermögens in Gefahr, indem ich behauptete, es gehöre dem Kaiser, oder habe ich als Verteidiger vor Gerich t jemand im Stich gelassen? Dann ist an der gegenwärtigen Knappheit niemand schuldloser als ich. Habe ich etwa das allermeiste Getreide angebaut, halte es unter Verschluß und treibe damit die Preise hinauf? Ihr selbst kennt ja den Ertrag meiner Ländereien und wißt, daß ich, wenn überhaupt, nur spärlich Getreide verkauft habe und

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nur, wenn die Ernte über Erwarten reich ausgefallen war; daß ich aber in solchen Jahren wie dem jetzigen nicht einmal für mich selbst gcnug habe, sondern meine gesamten Einnahmen von Wein und Vieh beziehe. Aber vielleicht meint ihr, ich wolle mein Geld, obwohl ich es sonst verborge, nicht zum Ankauf von Getreide hergeben. Auch darüber brauche ich kein Wort zu verlieren, denn ihr wißt selbst, wer in der Stadt Geld ausleiht und wer es borgt. (9) Was ist es dann, was ich tun könnte, um eure Not zu lindern, und nicht tun will, oder weshalb ihr gegen mich so aufgebracht seid? Beim Himmel, daß ich die Säulenhallen und Werkstätten in der Nähe der heißen Qgellen gebaut habe, das sei mein Unrecht, so sagen einige, das ich der Stadt angetan hätte. Aber wem hättet ihr oder jemand anders schon deswegen Vorwürfe gemacht, weil er auf seinem eigenen Grundstück ein Haus baut? Oder ist deswegen etwa das Getreide teurer geworden? Dabei habe ich das Grundstück für fünfzigtausend Drachmen gekauft, das ist ein Preis, der aufjeden Fall über dem Wert liegt. Nein, bei Zeus und allen Göttern, ich schäme mich, wenn einer der Bürger - denn natürlich ist es nicht die ganze Stadt - so schlecht ist, daß er Anstoß daran nimmt und eifersüchtig wird, wenn er sieht, daß jemand eine Säulenhalle oder eine Werkstatt gebaut hat. (10) Natürlich muß die Sache, über die ihr so empört seid, wirklich überlegt werden, aber sie ist noch nicht unheilbar, daß sie ein derartiges Benehmen rechtfertigte. Zwar ist der Getreidepreis höher als bei uns üblich, aber nicht so hoch, daß man daran verzweifeln müßte. Es gibt noch Städte, in denen das Getreide immer, selbst unter den besten Bedingungen, soviel kostet. Nun macht nur wieder Lärm, als wenn ich sagen wollte, daß auch in Prusa dieser Preis gelten solle und kein niedrigerer. Ich aber sage: Allerdings muß man darauf bedacht sein, ihn niedriger zu halten, aber man sollte nicht der-

60S art erbittert sein über das, was geschehen ist, und darüber den Verstand verlieren. Euer jetziges Verhalten nämlich ist durch eine solche Lage keineswegs gerechtfertigt. Wenn ich eure Kinder und Frauen umgebracht hätte, könntet ihr euch nicht wilder gebärden. (Il) Denn den eigenen Bürgern zu zürnenob zu Recht oder zu Unrecht, lasse ich dahingestellt, aber Bürger sind es in jedem Fall, mit bürgerlichen Rechten und so gut wie jeder andere - und sie, ohne eine Erklärung abzugeben oder anzunehmen, sofort steinigen und ihre Häuser anzünden zu wollen, um womöglich sie selbst mitsamt ihren Kindern und Frauen zu verbrennen -zu was für Menschen paßt ein solches Wesen? Mir scheint, bei Zeus und allen Göttern, auch wenn ihr es nicht gerne hören werdet, nicht zu Leuten, die in Not sind und Mangel am Notwendigsten haben, denn Not lehrt Besonnenheit. Wenn ihr nun glaubt, ich hätte das nicht in eurem eigenen Interesse gesagt, begeht ihr einen sehr großen Fehler. (12) Denn wenn ihr ein solches Wesen an den Tag legt und, falls ihr zornig auf jemand seid - natürlich geschieht vielerlei in einer Stadt, Recht und Unrecht -, wenn ihr also eine derart harte Strafe für angebracht haltet, daß ihr den Betreffenden auf der Stelle mitsamt seinen Kindern verbrennt und einige Frauen, freie Menschen, zwingt, in zerrissenen Kleidern vor euch zu erscheinen und euch kniefällig anzuflehen, als wäre Krieg welcher Mensch wäre so dumm und von allen guten Geistern verlassen, daß er auch nur einen Tag in einer solchen Stadt leben wollte? Da wäre es noch weit besser, verbannt zu sein, ohne Bürgerrecht in der Fremde zu leben oder ein ähnliches Schicksal zu haben. Und seht doch, wie fadenscheinig auch in meinem Fall die vorgebrachte Ausrede ist, weshalb ihr vor meinem Haus kehrtgemacht haben wollt: die tiefgelegene Gasse habe euch Zweifel kommen lassen 3 ! (I3) Denn war es dieser Umstand, der mich gerettet hat, so wäre es höchste Zeit, sich fortBEVOR ER PHILOSOPH WURDE

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an auf die schwer zugänglichen, hochgelegenen oder steilen Stellen in der Stadt, als wäre sie ein Heerlager, zurückzuziehen. Aber beim Himmel, selbst in einem Lager sucht nicht jeder sein Zelt an einer geschützteren Stelle aufzuschlagen als der andere, vielmehr gilt die ganze Aufmerksamkeit dem Feind. Aber was auch immer euch bedenklich gemacht hat - dem Glück, das euch kehrtmachen ließ, sage ich Dank, obwohl eure Bedenken nicht zu Recht bestanden. Denn ich hätte euch keinen Widerstand entgegengesetzt, nein, in diesem Punkt dürft ihr ganz sicher sein: Ihr könnt mein Haus anzünden, wann ihr wollt. Ich bin's zufrieden, wenn ich Weib und Kind nehmen und fortziehen kann. 14) Glaube nur niemand, ich hätte das aus Unwillen über meine eigene Lage gesagt und nicht, weil ich fürchte, ihr könntet in den Ruf von gewalttätigen und gesetzlosen Leuten kommen. Denn nichts, was in den Städten vorgeht, bleibt den Prokonsuln - ich meine die mächtigeren in anderen Gegenden verborgen. Wie die Angehörigen Kinder, die zu Hause allzu ungezogen sind, den Lehrern melden, so werden auch die Fehler der Gemeinden diesen Prokonsuln hinterbracht. Euer Benehmen ist jedenfalls weder gut noch bringt es euch Vorteile. Die Forderung aber, sich der Marktlage anzunehmen und Leute zu wählen, die dazu finanziell imstande sind und noch keine Abgaben geleistet haben, oder, sollte das nicht möglich sein, dafür zu bestimmen, wen ihr wollt: das heißt vernünftig handeln, und in diesem Punkt wird euch keiner widersprechen.

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(1) Wenn ich mich erhebe, ihr Leute, erwartet zunächst einmal bitte nicht, außergewöhnliche und bedeutende Worte von mir zu hören, ich meine Worte, die auf ein bestimmtes Vergnügen,

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auf Schönheit oder Weisheit abzielen. Denn es könnte sein, daß ich auch sonst zu einer solchen Rede überhaupt nicht imstande gewesen bin, sondern nur durch einen besonderen Glücksfall das Volk und alle Städte getäuscht habe. Wie dem auch sei, jetzt jedenfalls ist es für mich angebracht, Worte dieser Art nicht zur Verfügung zu haben und sie zu vergessen, denn die Worte miissen den Taten und der Lage jeweils angepaßt sein. Ich aber habe es schon lange mit kleinen und nicht gerade rühmlichen Dingen zu tun. (2) Nun, das muß vielleicht so sein. Früher wunderte ich mich nämlich über die Philosophen, die ohne jede äußere Notwendigkeit ihr Vaterland verließen und lieber bei anderen Menschen leben wollten, obwohl sie selbst immer wieder darauf hinwiesen, daß man sein Vaterland ehren und über alles schätzen müsse, daß es der menschlichen Natur entspreche, sich mit dem öffentlichen Leben zu befassen und sich politisch zu betätigen. Ich denke da an Zenon, Chrysippos, Kleanthes. Keiner von ihnen blieb in der Heimat trotz solcher Worte. Dachten sie etwa anders, als sie redeten? Das am allerwenigsten, meine ich. (3) Die Sorge um die eigene Stadt betrachteten sie als eine schöne, wirklich segensreiche und weisen Männern angemessene Aufgabe, aber die Schwierigkeiten und Hindernisse dabei machten sie mißtrauisch: die Dummheit der einen, die Scheelsucht der anderen, die Rücksichtslosigkeit der dritten - es sei denn, ein weiser Mann hätte zugleich auch die Stärke und Macht eines Herakles; das aber hielten sie für ausgeschlossen. (4) Und doch hören wir selbst von Herakles, er habe sich zwar zum Herren von Ägypten und Libyen, ferner von den Völkern am Schwarzen Meer, von Thrakern und Skythen, gemacht; wohl habe er Ilion, nachdem er nur mit einem kleinen Heer übergesetzt sei, genommen I, die Herrschaft über alle diese Völker angetreten und sich selbst als König eingesetzt. Dann aber, als er nach Argos gekommen sei, habe er den

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Auftrag bekommen, den Mist aus dem Stall des Augias zu räumen, Jagd auf Schlangen und Vögel zu machen, damit sie die Bauern in Stymphalos nicht belästigten, und andere gemeine und erniedrigende Arbeiten dieser Art zu verrichten. Zu guter Letzt soll er sogar in den Hades geschickt worden sein - mit so ausgesuchtem Anstand habe ihn sein Landsmann 2 behandelt. Die Argiver und Thebaner 3 aber würden Herakles preisen und lieben, die erniedrigende Art seiner Behandlung jedoch übersähen sie. (5) Solche Gedanken mögen auch Homer, der nicht nur ein guter Dichter, sondern auf seine Art auch ein Philosoph war, veranlaßt haben, Zeit seines Lebens im Ausland zu weilen, so daß man nicht einmal seinen Geburtsort kennt, und, wie es scheint, lieber fünfundzwanzig Drachmen zu erbetteln und obendrein als Verrückter zu gelten, statt in der Heimat zu leben. So kam es, daß sich in späterer Zeit alle um ihn als ihren Landsmann stritten. Und während sein Name in aller Welt, bei Griechen und Nichtgriechen, bekannt ist, haben die meisten von los - wenn er wirklich dort geboren ist - kaum je etwas gehört, und auch von Chios und Kolophon spricht man nicht viel, obwohl Kolophon einen Dichter, der nicht schlechter ist als Homer, aufzuweisen hat, Apollon 4 • Und Pythagoras floh freiwillig aus Samos, als es von einem Tyrannen 5 regiert wurde, in aller Welt aber und ganz besonders in Italien, glaube ich, wurde er wie ein Gott geehrt. (6) Aber da sitzt schon lange einer und fragt: «Was soll das? Warum vergleichst du dich mit Homer, Pythagoras und Zenon?» Das tue ich nicht, bei Gott, nur waren eben alle Philosophen der Meinung, es sei schwer, in seiner Heimat zu leben. Was denkt ihr euch eigentlich? Daß sie ihre Heimat nicht geliebt hätten? Daß Homer in Odysseus jammert und ihn sagen läßt, er wolle nur noch einmal den Rauch von Ithaka aufsteigen sehen und dann sterben 6, daß der Dichter selbst aber seine eigene Stadt nicht geliebt und in der Gestalt des Odysseus

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nicht seine eigene überstarke Sehnsucht nach dem Vaterland ausgedrückt habe? (7) Dagegen kann ich nicht sagen, ob der Mann 7, der Zeit seines Lebens in der Vaterstadt geblieben ist und getan hat, was Bürger und Gesetze von ihm verlangten, den Athenern einen bedeutenden Nutzen gebracht hat; den Schaden jedoch, der ihnen daraus erwuchs, den kenne ich. Denn noch heute müssen sie sich bezüglich des Sokrates nachsagen lassen, sie hätten den Mann nicht gerecht und ehrfürchtig behandelt, und es heißt, gerade hierin sei die Ursache ihres ganzen späteren Unglücks zu suchen. (8) Das sind schlicht die Worte eines «Vagabunden» und «Schwätzers»8. Aber was ich schon sagte, ich bitte euch, im Augen blick keine großartige und weise Rede von mir zu erwarten, sondern nur eine gewöhnliche und schlichte, dem Thema angemessene. Ihr wißt genau, daß ich mir gleich bei meiner Ankunft vorgenommen hatte zu schweigen, und ich hätte das Wort nicht ergriffen, wenn sich nicht ein dringender Notfall ergeben hätte. Denn ich habe ein Problem in Angriff genommen, das mir wirklich viele Probleme aufgibt und eine ganz merkwürdige Unlust in mir aufkommen läßt. Früher wußte ich nicht, was es eigentlich bedeuten solle,daß die thessalischen Hexen den Mond zu sich herabziehen - jetzt weiß ich es zur Genüge 9 • (9) Und den Aristoteles hatte ich ab und zu glücklich gepriesen, daß er als Stageirite - Stageira ist ein DOlfin der Gegend von Olynthos 'O - nach der Einnahme von Olynthos mit Alexander und Philipp bekannt wurde und den Wiederaufbau des Örtchens durchsetzte; ihm allein, so hieß es, sei das Glück zuteil geworden, der Gründer seiner Vaterstadt zu werden. Indessen kam mir aber erst neulich ein Briefin die Hände, in dem er mit Bedauern und Jammern bekenn t, daß einige Siedler den König und die Satrapen, die dorthin kämen, zu bestechen suchten, so daß nichts Gutes dabei herauskommen könne und die Neugründung als Stadt ausgeschlossen sei.

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(10) Wo es nun schon Leute verdrießt, wenn sie, vertrieben und heimatlos, die Aussicht haben, eine neue Heimat zu bekommen und unter rechtlichen Verhältnissen als freie Bürger zu leben, und sie es vorziehen, statt Form und Namen einer Stadt zu haben, nach Art der Barbaren in Dörfern verstreut zu wohnen, soll man da überrascht sein, daß auch manches andere gewisse Leute verärgert? Aristoteles hat in seinem Brief geschrieben, daß er den Kampf aufgebe; er sagt nämlich, er zeige mit den Fingern nach oben ". Aber glaubt mir, auch ich zeige mit meinen eigenen und sonst noch verfügbaren Fingern nach oben. (II) Der böse Geist jener Menschen war stärker als die Bemühungen des Aristoteles, und so ließen sie das Dörfchen nicht zum Rang einer Stadt emporklettern - auch heute noch ist es unbewohnt. Aber werft mir jetzt bitte nicht auch noch vor, ich nennte eure Stadt hier «Stageira» und «Dorf»! Denn ich kann euch beschwören, daß mir keine Stadt besser vorgekommen ist als Prusa, auch wenn es nur die Schmiede des Soundso" besäße, die ich, der «Städte- und Burgenzerstörer», habe einreißen lassen_ (12) Damit ich nun aber nicht vergesse, weswegen ich mich erhoben habe: Vielleicht habe ich einen menschlichen Irrtum begangen. Gut, welche Strafe also soll ich erleiden für diesen Irrtum, oder was wollt ihr mit mir machen? Ich möchte gerne euren Rat wissen_ Soll ich auf eigene Kosten das so weit g~die hene Werk wieder einreißen und den früheren Zustand wiederherstellen? Aber vielleicht hin ich dazu nicht in der Lage. (13) Oder was, um Gottes willen, soll ich tun? Sagt es mir! Ich sah den Ehrgeiz anderer Städte in diesen Dingen, wobei ich nicht nur an die Städte in Asien, Syrien und Kilikien denke, sondern auch an die in eurer unmittelbaren Nachbarschaft, an Nikomedia, Nikaia und Kaisareia - auch das Menschen von edler Abstammung und gute Griechen, die in einer viel kleineren Stadt als wir wohnen_ Dann sah ich, daß die maß-

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UI!

geblichen Leute in allen diesen Städten, auch wenn sie in anderen Dingen verschiedene Meinungen hatten, in diesem punkte einig waren, daß ferner der Kaiser durch eine günstige Fügung in einem Briefl3 diesbezügliche Anweisungen gab, weil er eure Stadt auf jede Weise sich entwickeln lassen wollte. Gestattet mir, euch den Brief vorzulesen, da der Brief des Aristoteles zu lang und auch nicht unbedingt nötig ist. (14) So war ich der Meinung, daß es auch bei euch so sein werde und niemand am Ausbau der Stadt Anstoß nehmen könne. Und soweit ging es auch ganz gut, denn ihr wart damit einverstanden und habt persönlich bei vielen Gelegenheiten voll Begeisterung große Beiträge geleistet. Was wollt ihr also? Ich schwöre euch bei allen Göttern, wenn ich euch oder einige von euch verletze oder euch lästig vorkomme, möchte ich um diesen Preis ganz gewiß niemals den Palast des Dareios oder den des Kroisos mein eigen nennen oder wünschen, mein väterliches Haus wäre wirklich aus Gold und würde nicht nur wie das des Nero so genannt. (IS) Denn ein goldenes Haus ist zu nichts nutze, so wenig wie ein goldener Topf oder die goldene Platane bei den Persern 14. Dagegen ist es von Vorteil, wenn eineStadt prächtig ausgebaut wird, mehr Luft und mehr Raum bekommt, im Sommer Schatten, im Winter Sonne unter dem Schutz eines Daches 15 und statt erbärmlicher und primitiver Trümmer hohe Gebäude, wie sie in eine große Stadt gehören. Wie es bei rassigen Fohlen und Hunden ist, so sollte es auch bei unserer Stadt sein: Wenn die Beine hoch und kräftig sind, schließen die Beobachter daraus auf die künftige Größe des Tieres; sind sie aber kurz und unentwickelt, sagt man, sie blieben immer so. (16) Aber was rede ich jetzt von diesen Dingen! Jener Sophist hatte recht, als er mich eine Nachtigall nannte, allerdings nur, um mich zu beleidigen; er tat es deshalb, wie mir scheint, weil auch die Dichter die Nachtigall eine Schwätzerin nennen.

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Aber vielleicht bin ich wie die Zikaden: Von der Sonne ausgedurstet, singen sie vor lauter Dummheit, ohne damit etwas zu erreichen. Nur soviel sollte hinsichtlich der Grabmäler und Heiligtümer vielleicht nicht unerwähnt bleiben: Die Leute von An tiocheia haben aller Wahrscheinlichkeit nach Dinge dieser Art '6 nicht unberührt gelassen, denn sie nahmen eine weit größere Strecke als wir - ihre Stadt mißt 36 Stadien in der Länge -, und sie haben aufbeiden Seiten Säulenhallen errichtet. Auch die Tarser und neuerdings die Nikomeder, die beschlossen haben, die Grabmäler zu verlegen, werden ähnliches unternehmen. (17) Und Makrinos, den ihr als Wohltäter der Stadt eingetragen habt, ließ Grabmal und Statue des Königs Prusias vom Marktplatz verlegen. Denn in jenen Städten gibt es ja keinen, der seine Stadt liebte und sich um die Götter kümmerte, bei uns aber gibt es deren eine ganze Zahl! Aber macht nur, was ihr wollt, denn wozu brauche ich hier in Prusa eine Säulenhalle? Wie wenn ich nicht sonstwo spazierengehen könnte, wo ich wollte, in der Bunten Halle '7 von Athen, in der Persischen 18 von Sparta, in den goldenen Hallen von Rom, in den Hallen von Antiocheia und Tarsos, wo man mir mit mehr Achtung begegnet! Wie wenn ich allein mich aufmachen und spazieren gehen wollte und kein Bürger sonst! Nein, niemand hat in einer Stadt ein Gymnasion für sich allein zum Üben, eine Säulenhalle, ein Bad oder eine andere öffentliche Einrichtung. Ich müßte ja verrückt und schwachsinnig sein! (r8) Aber worum ich euch bereits bat: Gebt mir einen Rat! Denn obwohl ich euch auf jede erdenkliche Weise zu Gefallen sein möchte, bin ich ratlos. Mache ich mich nämlich ans Werk und treibe die Arbeit voran, sagen einige, so wie die Dinge jetzt liegen, ich sei ein Tyrann und risse die Stadt samt allen Heiligtümern ein. Natürlich war ich es, der den Zeustempel in Brand gesteckt hat! Dabei habe ich die Statuen vorm Unter-

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gang gerettet, und heutzutage stehen sie am sichtbarsten Punkte der Stadt. Verhalte ich mich aber ruhig, weil ich niemand stöhnen lassen und bei keinem Anstoß erregen will, schreit ihr: «Das Werk soll vollendet oder, was schon steht, eingerissen werden.» Wie wenn ihr mir das zum Vorwurf machen und mich darin tadeln könntet! (19) Was also soll ich tun? Was immer ihr sagt, ich werde mich danach richten, auch in allem anderen. Mag einer ruhig eine Arbeit ausgeführt haben, ohne die Abrechnung vorzulegen, oder noch mit ihr beschäftigt sein und regelmäßig von den Jahr für Jahr gewählten Beamten Geld bekommen, wie wenn er damit einen Topf ohne Boden füllen wollte, oder mag sonst etwas geschehen - was geht das mich an! Denn ich werde nicht durch die Säulenhalle gehen, das dürft ihr mir glauben. Oder soll ich weitermachen, zum Prokonsuln gehen und ihn bitten, daß er mit sanftem Druck je nach Zahlungsfähigkeit die Gelder eintreibt von denen, die sie versprochen haben? Nicht nur dazu bin ich bereit, ich will auch selbst einen Teil der versprochen Summe zahlen, um die anderen zu entlasten. (20) Nur, gebt mir irgendeinen Auftrag! Andernfalls werde ich mich zurückziehen, auch wenn ihr noch so laut schreit, oder besser, ich werde weggehen. Denn mir wird es nich t wie dem Fuchs, der das Fleisch fraß und dann wegen seines vollen Bauches nicht mehr aus der Eiche herauskonnte, schwerfallen, hier wegzukommen; ich bin nämlich viel dünner als zu der Zeit, da ich hereinkam. Beim Himmel, glaubt nur nicht, ihr tätet mir mit eurem Geschrei über die Säulenhalle einen Gefallen! Denn es gibt, wie ich höre, sozusagen nur einen Mann in der Stadt, der mir einen Gefallen tut und peinlich auf mein Wohlergehen achtet; kein Freund und kein Verwandter könnte so um mich besorgt sein. Seht selbst, ob er euch nicht gut auf mich bedacht zu sein und mich zu lieben scheint! (21) Zunächst einmal ist er der Meinung, ich solle nach so vielen Gefahren und Entbehrungen hier

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in Prusa der Ruhe pflegen und mich meinen privaten Angelegenheiten widmen, nicht aber mich um die Prokonsuln bemühen oder eine andere Aufgabe übernehmen. Sodann, da ich nur einen winzigen Teil meines Vermögens wiedergefunden und zusätzlich zu den früheren Verlusten beim Tod meiner Schwester nichts gewonnen, sondern alles, was sie von dem Meinigen besaß, auch noch verloren hätte und zum Erwerb meines Grundstückes hätte Geld aufnehmen müssen, gibt er mir den Rat, diese und die früheren Schulden zurückzuzahlen, statt eine Säulenhalle zu bauen und über meine Kräfte Geld auszugeben. (22) Da ich ferner in einem guten, wenn nicht sogar freundschaftlichen Verhältnis zum Kaiser und zu vielen andern, man darf wohl sagen zu den einflußreichsten Römern stünde, solle ich doch als angesehener und geschätzter Freund mit ihnen zusammen leben, statt mich bei euch von jedem beliebigen zur Rechenschaft ziehen zu lassen. Wenn ich aber reiselustig sei, so rät er mir, die größten Städte zu besuchen, von viel Begeisterung und ehrgeizigem Aufwand begleitet; wohin auch immer ich käme, man werde es mir zu danken wissen, mich bitten, zu sprechen und zu raten, und vom frühen Morgen an an meine Tür kommen, ohne daß ich daftir etwas auszugeben oder zu stiften hätte. So würde mich alle Welt bewundern und hier und da jemand sagen: Meine Güte, was ist der geliebt und geehrt pan alletl Menschm, in welche Stadt, ur/ter welches Volk er mag kommen. '9 (23) Ich solle aber auf keinen Fall von kleinen Rücklagen große Ausgaben machen, nutzlosen Beschäftigungen nachgehen, den Körper, der der Pflege und größter Aufmerksamkeit bedürfe, durch meine Gleichgültigkeit zerrütten, die Seele so lange Zeit von der Kost der Philosophie und ähnlichen geistigen Beschäftigungen fernhalten und mich nicht von diesem und jenem zur Rechenschaft ziehen, manchmal sogar beschimpfen und beleidigen lassen.

POLITISCHE ANSPRACHE

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Bei den Göttern, ist der Mann, der so für mich sorgt und spricht, mir nicht am besten von allen Menschen gesonnen, hat er es nicht verdient, am meisten von mir geliebt zu werden? Wenn ich dagegen jemand von mir als einem Tyrannen sprechen höre, kommt mir das sonderbar und lächcrlich vor. (24) Denn ich verstehe unter den Taten eines Tyrannen, verheiratete Frauen zu verführen, Knaben zu verderben, freie Menschen vor aller Augen zu schlagen und zu mißhandeln oder sie auch zu martern, indem man sie zum Beispiel in einen Kessel mit siedendem Wasser taucht oder mit Pech bestreicht. Nichts dergleichen tue ich. Ferner weiß ich von einem weiblichen Tyrannen, von Semiramis, daß sie, in fortgeschrittenen Jahren immer noch verbuhlt, Männer zwang, mit ihr zu schlafen. Auch unter den männlichen Tyrannen soll es einen gegeben haben, der dasselbe getan hat, ein alter Lustgreis'o. (25) Aber was habe ich damit zu schaffen? Ist es etwa der Umstand, daß ich mein Haus in großem Stil wiederaufbaue, statt es verfallen zu lassen? Daß ich ein Purpurkleid und nicht einen zerrissenen Kittel trage"? Daß ich langes Haar und einen Bart habe? Das jedoch paßt vielleicht weniger zu einem Tyrannen als zu einem König. Auf jeden Fall hat jemand gesagt, daß es mit zum König gehöre, sich trotz seiner guten Taten beschimpfen zu lassen. 48.

EINE POLITISCHE ANSPRACHE

IN DER VOLKSVERSAMMLUNG

(I) An erster Stelle, ihr Leute, ist es unsere Pflicht, dem edlen Varenus I dankbar zu sein, einmal wegen der Gunst, die er der Stadt im allgemeinen erwiesen hat, aber auch deswegen, weil er unserem Wunsch, wieder eine Volksversammlung abzuhalten, bereitwillig, ja sogar mit Freuden stattgegeben hat. So handelt nur jemand, der euch Vertrauen schenkt und weiß,

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POLITISCHE ANSPRACHE

daß ihr dieses Recht zu keinem verkehrten Zweck mißbrauchen werdet. Denn wohl niemand schichtet grünes Holz aufeinander, um ein Feuer zu machen - er weiß im voraus, daß das bestimmt viel lästigen Rauch gibt. So läßt auch kein vernünftiger Prokonsul ein Volk, das im Aufruhr begriffen ist, sich versammeln, es sei denn, ein ganz besonderer Notstand zwänge ihn dazu. (2) In dieser Stunde ist es also eure Aufgabe, seine Meinung nicht Lügen zu strafen, sondern euch in der Versammlung diszipliniert und ordentlich aufzuführen: zunächst einmal, denke ich, gegenseitig Freundschaft und Eintracht zu üben und, wenn er auf eure Einladung hin hier erscheint, die anderen Fragen, über die ihr euch so lautstark ereifert, zu vertagen. Denn er wird sich schon von sich aus eure öffentlichen Probleme vornehmen, selbst wenn ihr ihn daran hindern wolltet. Für jetzt aber heißt ihn dankbar willkommen und empfangt ihn mit Glückwünschen und Ehren, damit er euch nicht besucht wie ein Arzt, der bedenklich und ohne rechte Lust Kranke um ihrer Heilung willen visitiert, sondern wie jemand, der gern und mit Freuden zu Gesunden kommt. (3) Denn diesmal wird er vielleicht schon morgen wieder aufbrechen, aber bald kommt er zurück. Dann werdet ihr die Möglichkeit haben - vorausgesetzt, daß wir selbst' euch in der Zwischenzeit nicht eines Besseren belehrt haben -, euch gegenseitig zu Richtern und Schiedsleuten anzurufen und das Wort zu ergreifen, wenn jemand wirklich eine Frage von allgemeinem Interesse auf dem Herzen hat, und euch niederzuschreien. Aber vor der Zeit sich zu empören ist wohl in jedem Falle außerordentlich unklug. Denn wo hättet ihr schon einen Versuch gemacht, wann etwas von ihnen 3 verlangt? Oder wer hätte nicht auf euch gehört? Und was die Glückwünsche fur mich betrifft, so bitte ich euch, sie auf alle zu übertragen. Denn wie es sich bei einem Festmahl nicht schickt, wenn nur einer in der Runde trinkt,

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und wir deswegen nich t nur dem Mundschenken, sondern auch dem Zecher böse sind, so auch bei öffentlichen Auszeichnungen. (4) Wenn ihr meinem Rat folgt, werdet ihr euch selbst auszeichnen, denn es gibt keinen größeren Schmuck für eine Stadt als das Lob, das die Bürger bekommen. Denn worauf sonst könntet ihr stolz sein? Sind euch andere Städte nicht überlegen an Größe und erst recht an Reichtum, Überfluß und öffentlichen Gebäuden 7 In dem einen Punkt aber nehmen wir es beinah mit aller Welt auf, daß wir Männer haben, die handeln und reden können und, was das Wichtigste ist, die ihr Vaterland lieben. Nimmt euch jemand diesen Vorzug, welcher noch so unbedeutenden Stadt könntet ihr euch dann noch überlegen fühlen? Denn wenn ihr jetzt mit einer Stadt Streit bekommt, was die Götter verhüten mögen, und ihre Bürger die unsrigen dann wortbrüchige Räuber schimpfen, wie werdet ihr das aufnehmen? Werdet ihr nicht empört sein? Nicht sofort ein Geschrei erheben, schimpfen, vielleicht sogar, wie es in früheren Zeiten oft der Fall war, handgemein werden? (s) Wollt ihr denn, was ihr aus dem Munde anderer nicht ertragen könnt, selbst von euch sagen müssen? Müßt ihr euch nicht schämen, wenn es einmal zum Bürgerzwist kommt und jene euch vorwerfen, ihr wäret eine schlechte und uneinige Bürgerschaft? Ich jedenfalls schwöre euch bei allen Göttern, daß ich mich gewaltig geärgert habe, als jemand zu mir sagte: «Stelle die Einigkeit der Stadt wieder her! », und böse auf ihn war. Denn niemals möchte ich den Tag erleben, an dem ihr eine Aussöhnung braucht. Möge solches auf die Häupter unserer Feinde kommen, wie man sagt, das heißt, auf die verwünschten Geten, nicht aber auf einen von unserem Volk. (6) Denn wozu wäre mein Aufenthalt nütze, wenn ich euch nicht zu einer solchen Politik bekehren könnte, der ich euch stets, soweit es in meinen Kräften lag, mit Eintracht und

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POLITISCHE ANSPRACHE

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Freundschaft stiftenden Worten zur Seite stand, Haß, Zwietracht und Streitsucht aber auf jede Weise als etwas vollkom_ men Unvernünftiges zu tilgen versuchte? Denn wirklich schön und allen gleichermaßen zuträglich ist es, wenn sich eine Stadt einmütig, mit sich selbst befreundet und mitfühlend zeigt, wenn sie gemeinsam Lob und Tadel austeilt, wenn sie für beide, für die Guten wie für die Schlechten, zuverlässi_ ges Zeugnis ablegt. (7) Es ist eine schöne Sache, wenn die Bürgerschaft wie ein disziplinierter Chor ein und dieselbe Melodie singt und nicht nach Art eines schlechten Instrumentes mißtönt, indem sie infolge der zwei{;1chen und verschiedenen Wesensart zwei verschiedene Laute und Töne erschallen läßt. Darin zeigen sich, so darf man wohl sagen, verhängnisvolle Mißachtung und vollkommenes Unvermögen im Umgang mit den eigenen Leuten und mit den Prokonsuln. Denn von einem nicht zusammenstimmenden Chor versteht man genausowenig wie von uneinigen Städten. Wie nämlich, so möchte ich meinen, von den Passagieren eines Schiffes unmöglich jeder für sich, sondern nur alle zusammen sich retten können, so auch bei den Bürgern einer Stadt. (8) Da ihr euch nun durch Bildung und natürliche Veranlagung auszeichnet und in Wahrheit echte Griechen seid, steht es euch wohl an, gerade in diesem Punkt euren Adel zu beweisen. Noch vielerlei, denke ich, und der Bedeutung des Themas Angemessenes könnte ich dazu sagen, wenn es mir körperlich nicht derart schlecht ginge 4 und ich euch nicht, wie schon gesagt, so wenig beharrlich sähe. Denn nichts ist passiert, und dieses übel gedeiht auch nicht bei euch, sondern vielleicht ist es nur ein leiser Verdacht, den wir uns wie eine Augenkrankheit von unsern Nachbarn zugezogen haben 5. Aber das pflegt auch beim Meer häufig so zu sein: Wenn die Tiefe mächtig aufgewühlt ist und ein Sturm auf dem Meer tobt, merkt man schwache Anzeichen davon oft auch in den Häfen.

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(9) Glaubt ihr, daß Leuten, die uneins sind, Marktplatz, Theater, Gymnasien, Hallen und Gelder etwas nützen? Nicht das ist es, was eine Stadt schön macht, sondern Selbstzucht, Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen. Tadelt ihr aber den Rat, die führenden Männer, die gewählten Beamten, tadeltihrdamit nicht euch selbst? Denn wenn schon die Besseren unter euch schlecht sind, was soll man da erst von den anderen denken? «Sollen wir also verloren geben, was unser ist?» Das verlan gt keiner. Aber ihr wißt genau, daß es in allen Städten öffentliche Gelder gibt und daß einige wenige sie in Besitz haben, die einen, ohne es zu wissen, die anderen auf sonst eine Weise. Natürlich muß man auf diese Gelder sorgfältig aufpassen, aber nicht mit Haß und Streit 6 • (ro) Diese Männer sind großzügig, oft haben sie euch aus ihrem eigenen Vermögen gestiftet. Versucht, sie zu überzeugen, redet ihnen zu, und sollten sie sich sperren, weist sie auf eure Rechte hin, wenn ihr allein seid und kein Fremder zugegen ist. Seid nicht ihr es, die uns oft ganze Tage lang preisen, bald Fürsten, bald Olympier, bald Retter, bald Pflegeeltern nennen? Bei Zeus und den Göttern, wollt ihr euch denn vor euch selbst bei einem falschen Zeugnis ertappen lassen? Sagt ihr das jetzt im Zorn, oder tatet ihr eure damaligen Äußerungen, um zu schmeicheln? Seid ihr eher jetzt Betrogene als damals Betrüger? Wollt ihr dieser Unordnung kein Ende machen und begreifen, daß ihr durchaus liebenswerte Bürger habt und eine Stadt, die glücklich sein kann? Ich vermag mit Hilfe der Götter noch viel Gutes zu tun, wenn ich diese Männer hier zu Helfern habe, wobei ich es mit dem Sprichwort halte: Ein Mann ist kein Mann. (n) Aber vielleicht wart ihr darüber ungehalten, daß das Werk nicht voranging. Es geht voran und wird sehr bald vollendet sein, erst recht, wenn diese Leute mit Begeisterung dabeisind und freiwillig spenden, denn freiwillig haben sie euch

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POLITISCHE ANSPRACHE

auch ihr Versprechen gegeben. Aber warum fordert ihr von ihnen das Geld und nicht von mir? Weil man annimmt, ich hätte es euch bereits gegeben? Dann seid ihr also der Meinung, es sei mein Verdienst, wenn ich das Ansehen der Stadt vergrößert habe durch ein bestimmtes Kapital, das ich ihr etwa durch die Ratsgelder oder, beim Himmel, durch die infolge der Finanzreform gestiegenen Einnahmen verschaffte? Das wäre ja das gleiche, wie wenn ich für euch gebetet, die Götter aber für euch die Arbeit getan hätten. (I2) Und doch, wenn ich wieder Gelegenheit dazu habe, werde ich es wieder tun. Und ich rechne fest damit, daß sich mir wieder eine Gelegenheit bietet, wofern ich nur das Volk vonPrusazum Freund habe, undflir solche Bemühungen 7werde ich euch gewiß nichts berechnen. Denn auch Eltern rechnen ihren Kindern nicht die Gebete für sie als Ausgaben an. Glaubt ihr denn, ich spräche über eine Säulenhalle oder etwas anderes, wenn ich euch uneins sähe? Das wäre ja genauso, wie wenn man einen an Gehirnfieber Erkrankten, den man, denke ich, ins Bett stecken und mit Umschlägen behandeln sollte, mit Myrrhe salbte und ihm einen Kranz brächte. Das kann zum Überfluß mit einem Gesunden geschehen, der kein Leiden hat. Glaubt ihr nicht, daß die Athener, als sie durch ihre Uneinigkeit die Feinde herbeilockten und sich gegenseitig verrieten die Unglückseligen! -, die Propyläen, den Parthenon, die Säulenhallen und den Piräus ihr eigen nannten? Aber Propyläen, Werften und Piräus ließen die Wehklagen der Athener nur noch lauter widerhallen. (I3) Nun kann eine große, bevölkerte Stadt, wenn sie im Bürgerkrieg liegt und schlecht beraten ist, dem Unheil zwar eine Weile trotzen. Aber ihr seht, wie schlecht es auch dann um sie bestellt ist. Klagt nicht einer den andern an, schicken sie sich nicht in die Verbannung, bringen sie nicht die eine Partei in den Rat und vertreiben die andere? Ist nicht wie bei einem Erdbeben alles in Aufruhr,

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alles unbeständig, nichts mehr fest? Sie bringen es so weit, daß sie mit ihren eigenen Führern nicht mehr zufrieden sind, sondern wie bei unheilbaren Krankheiten Ärzte aus dem Ausland nötig haben. Dann geschieht aber, was bei störrischen Pferden geschieht: Wenn der Zügel sie nicht mehr bändigt, wird ihnen von außen ein Zaum angelegt. (14) Mein Interesse gilt zum Teil euch, zum Teil aber auch mir selbst. Denn wenn ein Philosoph sich an die Politik macht und nicht in der Lage ist, die Eintracht in der Stadt herzustellen, ist das bereits eine schlimme und ausweglose Sache, etwa so, wie wenn ein Schiffsbauer zur See fahren will und sein Schiff nicht seetüchtig gemacht hat; jemand, der vorgibt, ein Steuermann zu sein, gerade auf die Woge zuhält; ein Baumeister, der ein Haus bekommen hat und sieht, daß es einzufallen droht, nicht darauf achtet und meint, mit Mörtel und Tünche etwas ausrichten zu können. Hätte ich mir vorgenommen, bei dieser Gelegenheit über die Eintracht zu sprechen, könnte ich noch eine Menge sagen über die Ereignisse in der Mcnschenwelt und am Himmel. Auch diese göttlichen und großen Erscheinungen bedürfen der Eintracht und Freundschaft; sonst besteht die Gefahr, daß diese herrliche Schöpfung, das Weltall, restlos zugrunde geht 8 • (15) Aber vielleicht rede ich schon zu lange, wo ich mich auf den Weg machen und den Prokonsuln rufen sollte. Nur soviel will ich noch sagen. Ist es nicht eine Schande, daß Bienen einträchtig sind und man noch niemals einen Bienenschwarm gesehen hat, der uneinig mit sich selbst im Krieg gelegen hätte, daß sie vielmehr miteinander arbeiten und leben, sich Nahrung besorgen und sie verbrauchen? «Wie, wird man einwenden, gibt es nicht auch dort die sogenannten Drohnen, faule Tiere, die den Honig auffressen?» Gewiß, die gibt es. Trotzdem aberlassen die Bauern sie in der Regel dabei, um den Stock nichtin Unruhe zu bringen, und hal-

ABLEHNUNG DES

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ten es rur besser, daß ein Teil des Honigs verlorengeht als daß alle Bienen aufgestört werden. (16) Freilich, bei uns gibt es vielleicht keine faule Drohne, die träge summt und vom Honig schleckt. Es macht auch großes Vergnügen, Ameisen zu beobachten: wie friedlich sie zusammenwohnen, wie sie ausziehen, wie sie gemeinsamihrelasten schleppen, wiesiesich gegenseitig aus dem Wege gehen. Istes da nicht eine Schande, daß menschliche Wesen dümmer sind als so kleine und dumme Tiere? Das alles nun ist in gewisser Weise vielleicht umsonst gesagt. Das Wort Zwietracht sollte man bei euch nicht einmal nennen, und niemand spreche davon! (17) Jedoch schlage ich vor, wenn wir die Stadt gereinigt haben - nicht mit Meerzwiebel und Wasser, sondern mit etwas viel Reinerem, mit Vernunft -, den Rest gemeinsam zu erledigen, uns um die Marktaufseher und die übrigen Fragen zu kümmern und auch den Rat darauf aufmerksam zu machen, damit er, wie es seine Gewohnheit ist, die Interessen der Stadt wahrnimmt; das wird für euch ein Kinderspiel sein. Dieser Punkt aber verdient eure besondere Aufmerksamkeit, schon allein wegen des Archonten 9, den ihr gewählt habt, damit ihr nicht, solltet ihr einen unerfahrenen Mann bekommen haben, ihn länger in den Wogen herumschlingern laßt. 49.

ABLEHNUNG DES ARCHONTENAMTES VOR DEM RAT

(I) Für vernünftige, mit den Dingen vertraute Menschen bedeutet es nichts Unangenehmes und Beschwerliches, ein Amt zu übernehmen; denn an nichts haben sie mehr Freude als daran, das Gute zu tun. Der Herrscher über eine Stadt, über ein Volk oder über eine größere Anzahl von Menschen hat nicht nur die reichsten Möglichkeiten, Gutes zu tun - er ist gleichsam dazu gezwungen; andernfalls wird er, da er nur

49.1-4]

ARCHONTEN AMTES VOR DEM RAT

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Schaden anrichtet, unerträglich, nicht nur den Menscht>:n, die als die schlauesten Wesen gelten, sondern selbst den dümmsten Tieren. (2) Weder Rinder lassen sich die Vernachlässigung durch ihre Hirten ohne weiteres gefallen noch Ziegen und Schafe, die ihre Hirten verkommen lassen. Die einen laulen weg und gehorchen nich t mehr, die anderen werden bockig gegen ihre schlechten Hüter. Und Pferde werfen unfähige Kutscher ab - eine viel härtere Strafe, als wenn jene sie mit der Peitsche schlagen. Aber von all diesen Wesen ist der Mensch das mächtigste und intelligenteste. Deshalb haßt er den schlechten Führer am meisten, wie er den guten am mcisten liebt. Und so ist ein Amt etwas Schönes, wenn man nur versteht, es zu verwalten. Für den, der sich von Anfang an darin geübt und darauf vorbereitet hat, gibt es wohl keine unlösbare Aufgabe. (3) Der wahre Philosoph nun wird sich, wenn ihm dieses Amt angetragen wird, um nichts anderes bemüht zeigen als um die Frage, wie er ein guter Herrscher werden kann, über sich selbst, über sein Haus, über die größte Stadt oder die Menschheit insgesamt, und wie er, der selbst keinen anderen Herrscher als Gott und die Vernunft braucht, fähig wird, für die anderen Menschen zu sorgen und verantwortlich zu sein. Das ist auch den Königen selbst und allen Männern in hohen Stellungen nicht verborgen, soweit es sich nicht um ausgemachte Dummköpfe handelt. Denn für die wichtigsten Aufgaben brauchen sie durchgebildete Ratgeber, und während sie anderen Weisungen geben, lassen sie sich selbst von ihren Ratgebern weisen, was zu tun und was zu unterlassen sei. (4) So ist zum Beispiel bei Homer Agamemnon stets auf die Meinung Nestors angewiesen - sooft er seinem Rat nicht folgt, bereut er es auf der Stelle unter Tränen. Und Philipp, der als der mächtigste König gilt, gab seinem Sohn Alexander Aristoteles zum Lehrer und Meister, da er sich selbst in Fragen kö-

624.

ABLEHNUNG DES

[49.4-7

niglicher Erziehung nicht ftirzuständig hielt. Über alle forderte er die Herrschaft, über Makedonen und Thraker, Illyrer und Griechen, den Sohn aber übergab er einem anderen, damit er über ihn herrsche; während er den Befehl über so unzählige Menschen hatte, wollte er diesem einen nicht befehlen. Denn er war der Meinung, es sei fur ihn nicht dasselbe Risiko, ob er bei den andern einen Fehler mache oder bei seinem eigenen Sohn. (5) Dabei hatte er selbst früher, als er in Theben als Geisei lebte, mit Pelopidas, einem gebildeten Mann, verkehrt _ man sagt sogar, Pelopidas sei sein Liebhaber gewesen -, hatte die Taten des Epameinondas gesehen und seinen Worten gelauscht, jenes Epameinondas, der nicht zufallig zu solcher Macht unter den Griechen emporgestiegen war und einen so gewaltigen Umschwung herbeigefuhrt hatte, daß er die Spartaner, ungeachtet ihrer langen Vorherrschaft, stürzte - er konnte das nur tun, weil er mit Lysis, einem Schüler des Py_ thagoras, Umgang gehabt hatte. Aus diesen Gründen, glaube ich, war philipp seinen makedonischen Vorgängern wohl haushoch überlegen. Trotz einer solchen Erziehung aber wagte er nicht, Alexander selbst zu unterrichten. (6) Nur selten aber wird man finden, daß Philosophen ein hohes Amt unter den Menschen bekleidet haben - ich meine das, was man Amt nennt, daß sie also die Stelle eines Feldherrn, eines Statthalters oder Königs innehatten -, daß aber andererseits die Leute, die einmal von ihnen regiert worden sind, die meisten und größten Vorteile von ihnen gehabt haben: die Athener von Solon, Aristeides und Perikles, einem Schüler des Anaxagoras; die Thebaner von Epameinondas; die Römer von Numa, der nach einigen der Lehre des Pythagoras angehangen haben soll '; die Griechen in Italien insgesamt von den Pythagoräern,denn diese Griechen hatten so lange Erfolg und lebten in tiefstem Frieden und tiefster Eintracht, wie die Pythagoräer ihre Städte verwalteten. (7) Da die mächtigsten

49.7-10]

ARCHONTEN AMTES VOR DEM RAT

625

Völker nun aber nicht fortwährend von Philosophen regiert werden können, gaben sie im allgemeinen Interesse den Königen Philosophen als Aufseher und Leiter zur Seite: die Perser, glaube ich, die Männer, die bei ihnen Magier' hießen, weil sie der Natur kundig waren und wußten, wie man die Götter verehren müsse; die Ägypter die Priester, die das gleiche Wissen wie die Magier besaßen, fur die Götter sorgten und von allem das Wie und Wozu wußten; die Inder die Brahmanen 3, durch ihre Askese, Rechtlichkeit und Liebe zur Gottheit besonders ausgezeichnete Männer, die aus diesem Grund die Zukunft besser wissen als die anderen Menschen ihre Gegenwart; (8) die Kelten die bei ihnen Druiden 4 genannten Männer, auch sie der Seherkunst und der übrigen Weisheit mächtig. Ohne diese Leute durfte kein König etwas unternehmen oder beschließen, so daß in Wahrheit sie regierten und die Könige nur ihre Diener und ausführenden Organe waren, die auf goldenen Thronen saßen, in großen Palästen wohnten und kostspielige Gelage hielten. Denn man darf doch wohl annehmen, daß jegliches Amt derjenige am besten verwaltet, dem es gelingt, sich bei der ununterbrochenen Verwaltung des schwierigsten Amtes als untadelig zu erweisen: (9) Der Philosoph ist stets Herr über sich selbst, und das ist eine unvergleichlich schwierigere Aufgabe, als König über alle Griechen oder alle Barbaren zu sein. Denn welches Volk wäre so wild wie Zorn, Neid und Streitsucht, Regungen, über die der Philosoph erhaben sein muß? welches so böse, hinterhältig und verräterisch wie Vergnügen und Begierden, denen der Philosoph niemals erliegen darf? Welches so gewalttätig, furchterregend und die Seele erniedrigend wie Angst und Kummer? Niemals darfman ihn dabei ertappen, daß er ihnen nachgibt. (ro) Welche Waffen, welche Bollwerke, wie sie Könige und Feldherrn einer Stadt gegen die Feinde verwenden, könnte er diesen Gefahren entgegenhalten? Welche Mit-

ABLEHNUNG DES

[49, '0-'3

kämpfer oder Leibwächter könnte er gegen diese Mächte aufbieten, wenn nicht kluge und verständige Worte? Wen sonst könnte er als Wache ausstellen, wem einen Posten anvertrauen, wen als Helfer einsetzen? Muß nicht er selbst bei Tag und Nacht mit Sorgfalt und Wachsamkeit auf dem Posten sein, damit er nicht unversehens von Lüsten erschüttert, von Ängsten außer sich gebracht, von der Begierde überlistet oder vom Kummer gedemütigt und so, vom guten und rechten Weg abgekommen, zum Verräter an sich selbst wird? (u) Wer diese Meisterschaft aber konsequent und selbst beherrscht ausübt, fur den ist es fortan ein leichtes, auch der ganzen welt überlegen zu sein. Niemand aber soll glauben, ich dächte bei diesen Überlegungen über das Wesen des Philosophen an das Äußere oder an den Namen. Der Kenner urteilt über den Wein auch nicht nach dem Weinkrug, denn nur zu oft wird man in einem kostbaren Krug verdorbenen Wein aus den Spelunken finden. Genausowenig erkennt man den gebildeten Mann an seinem Äußeren. (12) Freilich wundere ich mich nicht, daß die große Menge sich von derlei täuschen läßt. So vergleichen zum Beispiel die Freier Odysseus mit 1ros, da die beiden sich äußerlich in nichts unterscheiden. Und ein Philosoph, der vor nicht allzulanger Zeit gelebt hat, sagte nicht übel, 1smenias habe sich vor allem darüber aufgeregt, daß die Bläser, die bei Begräbnissen spielen, Flötisten genannt würden - nicht genau das gleiche, wie mir scheint. Aber die Bläser bei Begräbnissen fügen den Toten keinen Schaden zu und fallen ihnen auch nicht lästig, während von denen, die sich als Philosophen ausgeben, manche viele unsinnige Dinge tun. (13) Die Aufgabe des wahren Philosophen jedoch ist nichts anderes, als über Menschen zu herrschen. Wer zögert, wenn seine Stadt ihn ruft und für einen leitenden Posten bestimmt, und sagt, er sei dazu nich t imstande, der handel t genauso, wie wenn jemand seinen eigenen Körper nicht kurieren woll-

49,13-15]

ARCHONTEN AMTES VOR DEM RAT

627

te, obwohl er beansprucht, ein Arzt zu sein, andere Menschen aber für Geld und gute Worte bereitwillig behandelte. Als ob seineGesundhei tein gerin gerer Lohn wäre als irgendein anderes Entgelt! Oder wie wenn jemand sich als fähiger Erzieher oder Lehrer ausgäbe und fremde Kinder unterrichten wollte, seine eigenen aber zu einem schlechten Lehrmeister schickte. Oder wie wenn man seine eigenen Eltern vernachlässigen und andere vorziehen wollte, weil man sie reicher oder berühmter als die eigenen findet; (14) denn es ist weder gerechter noch, beim Himmel, an genehmer, über die Verwand ten hin wegzusehen und denen zu Diensten zu stehen, die nich ts miteinem zu tun haben. Also gut, aus diesen Bemerkungen muß sich die Schlußfolgerungergeben, daß der Philosoph ein Amt übernimmt, wenn ihr es wollt. Aber ihr dürft mir glauben, wenn es nicht ein unüberwindliches Hinderniss gäbe, würde ich gar nicht warten, bis ihr mich bittet, sondern ich selbst würde euch bitten und dazu ermuntern. Denn auch das gehört zu einem tüchtigen und vernünftig denkenden Menschen, daß er sich selbst als Kandidat anbietet und dankbar ist für die Wahl, die ihn zum Regenten über seine Mitbürger macht, nich t aber, daß er die Wahl herabzieht und entwertet. (15) Was ist es nun, das mich im Augenblick daran hindert? Ich glaube, auch in allen anderen Fragen, über die ich spreche, euer Vertrauen zu verdienen, denn meines Wissens habe ich euch niemals betrogen und auch früher niemals etwas anderes gesagt als gedacht. Aber ich hatte stets zu viele Verpflichtungen, die ich bis zum heutigen Tag - gegen meinen Willen - nicht habe aufgeben können. Und jetzt ist es praktisch überhaupt nicht mehr möglich, denn weder für mich noch vielleicht auch für euch wäre es besser, wenn ich noch länger hierbliebe. Deswegen bitte ich, von meiner Wahl abzusehen. Denn ich weiß, daß ich eine Prüfung nicht nötig gehabt hätte, sondern ihr jetzt genauso verfahren wäret, wie ihr vorher, als ihr mit meinem Einverständnis glaubtet rechnen zu

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RECHTFERTIGUNG VOR DEM RAT

[49,15-50,3

können, alle in der Öffentlichkeit eure Stimme für mich abgegeben habt 6 • Freilich, so denke ich gar nicht, aber wie ich weiß, daß ich bei euch nicht erst hätte vorstellig werden müssen, um das Amt zu bekommen, so schäme ich mich auch nicht, euch zu bitten, mich davon zu dispensieren. 50. EINE RECHTFERTIGUNG VOR DEM RAT

(I) Auch früher schon habe ich euch geschätzt, ihr Männer, wie man ja auch von einem rechtlich gesonnenen und vernünftigen Menschen nichts anderes erwarten wird, als daß er die weiseste und zuverlässigste Einrichtung seiner Vaterstadt in Ehren hält. Wollte ich dagegen andere euch vorziehen, so wäre das genauso, wie wenn man behauptete, seine Stadt zu lieben, und an den Häusern und Werkstätten in der Stadt seine Freude hätte, den Markt aber, das Prytaneion, das Rathaus und die Heiligtümer mit weniger Interesse betrachtete; oder, beim Himmel, wenn man das Volk von Sparta liebte, die Könige, Ephoren und Geronten aber, die an Klugheit den anderen überlegen sind und denen die ganze Stadt ihre Existenz verdankt, gering achten wollte. (2) Wo doch selbst bei den Athenern, die die demokratischste Verfassung der Welt hatten und dem einzelnen wie dem Volk die meisten Rechte einräumten, kein Demagoge, weder der berüchtigte Hyperbolos noch Kleon, jemals dreist genug war, dem Areopag oder dem Rat der Sechshundert' mit weniger Achtung zu begegnen als dem Volk! Wenn ich aber fortwährend die Spartaner und Athener zitiere, mögen die allzu empfindlichen Leute mir verzeihen, daß ich euch solcher Vergleiche für wert halte und der Meinung bindenn ich spreche doch vor Griechen, denke ich -, daß nur die besten Griechen zu zitieren angebracht ist. (3) Für den guten Willen und das Vertrauen nun, das ich euch entgegenbringe, mögt ihr die Tatsache als Beweis neh-

RECHTFERTIGUNG VOR DEM RAT

62 9

men, daß ich getrost vor euch erscheine, ohne mich auf eine Partei stützen zu können oder persönliche Freunde unter euch zu haben. Allerdings glaube ich, nicht schlechter dran zu sein als jeder andere, selbstverständlich deswegen, weil ich mich auf mein freundschaftliches Verhältnis und mein gutes Einvernehmen mit allen stütze und nicht als mächtiger oder furchterregender Mann gelten möchte, der sich deswegen den Hof machen lassen will. Wenn ich aber mit dem Volk Mitleid hatte, als es wirklich zu bemitleiden war, und seine Bürde nach Kräften zu erleichtern suchte', so beweist das noch lange nicht, daß ich ihm mehr zugetan bin als euch. Denn auch beim Körper pflegen wir jeweils das kranke Glied und achten auf die Füße mehr als auf die Augen, wenn die Füße schmerzen und weh tun, die Augen aber gesund sind. (4) Wenn ich sagte,das Volk sei zu bemitleiden gewesen, komme ja niemand auf die Vermutung, ich wolle damit andeuten, ihm sei schreiendes Unrecht widerfahren! Wir haben ja auch Mitleid mit Leuten, die vom Arzt geschnitten oder gebrannt werden, obwohl das zu ihrem Heil geschieht, und Vater und Mutter weinen darüber, obgleich sie wissen, daß die Behandlung zum Besten ihrer Kinder ist. Wenn ich aber vorhin sagte, daß ich euch auch früher schon, als ich eure Einstellung noch nicht ausreichend kannte, geschätzt habe, so schwöre ich euch jetzt bei allen Göttern, daß ich fürwahr den Rat nicht nur aller Ehren undFreundschaft für wert erach te, sondern ebenso eure Mach t, eure Wahr haftigkei t und Unabhängigkeit bewundere. (s) Und ich halte daftir, daß ich dem Volk zwar meine Schuldigkei t als Bürger nach Kräften getan habe, bei euch aber noch in Schulden stehe und wohl niemals in die Lage kommen werde, euer Wohlwollen zu übertreffen. Das wohl ein wenig zu schmeichelhafte Wort eines alten Redners: « Natürlich möch tc ich das Volk in den Augen mi t mir herumtragen» könnte ich mit einer gewissen Berechtigung auf euch übertragen. Und mein Sohn 3 hier, denke ich, wird euch, 2.

RECHTFERTIGUNG VOR DEM RAT

[50.5-8

wenn er vernünftig und klug ist, sein ganzes Leben widmen und auf euer Heil nicht weniger bedacht sein als ich. (6) «Was ist geschehen », wird man fragen, « was fur eine Erfahrung hast du mit den Männern hier gemacht, daß du derartig über das Ziel hinausschießt?» Vielleicht war es ein Anflug von Begeisterung, der mich von ungefähr traf, ein überschwengliches Hingezogensein zueuch. Aber das eine solltet ihr doch wissen, daß ich es nicht fertigbringe, das Volk, den Rat oder einen Menschen, sei es ein Statthalter, ein Fürst oder ein Tyrann, zu lieben oder mit meinen Worten zu beehren, wenn ich ihn nicht zuvor bei mir selbst gutgeheißen habe und sein Charakter meinen Beifall gefunden hat. Sooft ich aber eine Probe eurer Gesinnung bekam - [1st niemals habe ich gesehen, daß ihr eine ungerechte, zweideutige, niedrige, inkonsequen te oder geschmacklose Tat getan, daß ihr euch Tumulten oder Schwierigkeiten gebeugt hättet. (7) Deshalb darf ich getrost sagen: Ihr habt tüchtige Männer an der Spitze, aber keiner ist so, wie ihr es verdient hättet. Das gilt auch von den Früheren, etwa von meinem Vater oder Großvater und all den anderen, obwohl sie ohne Ausnahme tüch tigund aller Eh ren wert waren. Glaube ja niemand, ich wolle mir mit meinen Worten den Ratsvorsitz erschleichen! Denn ich muß Prusa verlassen aus mancherlei Gründen 4 - und ihr müßt mir abnehmen, daß ich diesmal zumindest die Wahrheit sage -, und vielleicht nicht einmal um persönlicher Vorteile willen oder zum Vergnügen. Auch habe ich ja meinen Entschluß nicht verheimlichen können. (8) Ferner besteht kein Anlaß anzunehmen, ich könnte euch jemals schmeicheln wollen. Nicht einmal den verhaßten Tyrannen 5 habe ich umschmeichelt oder auch nur ein einziges unmännliches und erniedrigendes Wort gesagt, als viele ihr Leben so sehr liebten, daß sie dafür alles taten und sagten. Aber was bei euch geschieht, scheint mir groß und göttlich.

50,8-10]

RECHTFERTIGUNG VOR DEM RAT

Zwar weiß .ich nicht ganz genau, wie ihr im Privatleben seidich verm u te, besser als die meisten. Daß ihr aber im öffen tlichen Leben, sooft ihr hier oder bei sonstiger Gelegenheit in der Volksversammlung zusammengekommen seid, niemals etwas Gemeines und Niedriges gesagt oder gedacht habt, das weiß ich; daß eine Bitte, ein Versprechen, eine Drohung, falls einer damit glaubt zum Ziel kommen zu können, bei euch nichts gilt. Warum eigentlich soll ich meine Meinung nicht sagen? Wie wenn der Philosoph nur das Schlechte aufzuzeigen hätte, das Bessere aber verbergen müßte, oder die Wahrheit nur bei schlechten Taten, nicht aber auch bei guten von Nutzen wäre, weil sie Lob bedeutet! (9) «Hast du dich eigentlich erhoben », wird man fragen, «um ein Preislied auf den Rat anzustimmen?» Nun, was wäre schon dabei, wenn es der Wahrheit entspricht! Sollte sich jedoch herausstellen, daß meine Worte nicht auf euch passen, so ist das Preislied nicht ein Lob auf euch, sondern eine Anklage gegen den Redner. Trotzdem hätte ich eine solche Rede niemals gehalten, wenn es mich nicht wie schon bei einer früheren Gelegenheit schmerzlich berührt hätte, hören zu müssen, daß ich eure Sache verriete. Deswegen habe ich mich verteidigt und mich darüber nicht erhaben gedünkt. Warum auch?Ich kann darin nichts Demütigendes für mich sehen. Vor einem schläfrigen Richter, wie man sagt, oder, beim Himmel, vor einem bösartigen und schurkigen Tyrannen sich zu verteidigen, das ist demütigend; vor Mitbürgern aber, Verwandten und Freunden, die man für rechtlich gesonnene Menschen hält, ist es nich t dem ü tigend, sondern vern ünfti g und an gebrach t. So tat ich bereits damals 6 rechtdaran und tue es jetzt, daich euch genauer kenne, noch viel mehr. (10) Denn ich habe erfahren, daß einige der Meinung waren - und ein solches Gerede kursierte tatsächlich -, ich hätte ein Zusammentreten des Rates zu verhindern gesucht. Ja, auch das ist mir zu Ohren gekom-

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ERWIDERUNG AN DIODOROS

[5 0 ,10-51, :r

men, daß man glaubt, schlechterdings alles in der Politik richte sich nach meinen Wünschen. Was nun meincn Sohn 7 betrifft, so streite ich nicht ab, daß er in seinen persönlichen Dingen wohl nichts gegen meinen Willen oder ohne Rücksichtnahme auch auf meine Wünsche tut. Ich schwöre aber, daß ich ihm niemals etwas befohlen habe - und jetzt spreche ich von politischen Dingen. Nur hat eben der bessere Rat des Vaters den Charakter eines Befehls. Und weil ich das beHirchtete, habe ich seit einiger Zeit an den Sitzungen des Rates nicht mehr teilge_ nommen. Denn auf der einen Seite den Sohn einer politischen Betätigung flir wert zu erachten, da er bereits reif genug ist, Ratsherr zu sein und das Gemeinwesen zu verwalten, faktisch ihn dann aber zu einem normalen Bürger zu machen und ihm seine gesetzlich zustehende Autorität zu nehmen 8, das wäre aus andern Gründen und auch wohl wegen meines Al ters un vernünftig. 51. EINE ERWIDERUNG AN DIODOROS'

(I) Gewaltig überrascht bin ich, ihr Männer, wenn jemand einen anderen Menschen weder billigt noch gern hat und sich dann erhebt, umihn in einer Rede zu loben und unter Umständen sogar ein langes, außerordentlich sorgfältig ausgearbeitetes Preislied auf ihn anzustimmen. Denn ein solcher Mensch hat alles, was es an Häßlichem gibt, in seinem Herzen: Neid, Kleinlichkeit und, das Alb'niedrigste, Unterwürfigkeit. Nicht untreffend heißt es schon bei den Alten: Du sagtest eines Sklaven Trort.· Wie denn, muß der nicht ein Sklave sein,der vor so vielen ver· sammelten Menschen anders handelt, als er denkt, und zwar nicht, wie es ihm gerade einfällt, sondern überlegt und vor· sätzlich, der einen Menschen, den er gar nich t liebt, immer wieder umschmeichelt und bestaunt? Und das ist noch milde ausgedrückt.

ERWIDERUNG AN DIODOROS

(2) In der Tat, daß bei euch jeder jeden preist, das wißt ihr doch wohl. Deshalb freue ich mich auch mit euch und schätze euch glücklich, daß wir alle allen so zugetan sind; denn das ist die natürliche Folge. Nur würde ich wünschen, daß, wie in den Sitzungen von Rat und Volk, so auch aufdem Marktplatz und bei sonstigen Zusammenkünften viele Preis lieder zu hören wären. Jetzt dagegen wird je nach dem Ort so oder anders gesprochen, und wie die Leute beim Training in den Schulen gehen auch wir die Sache von zwei verschiedenen Seiten an. Käme ein Fremder in die Volksversammlung, würde er deshalb vermuten, es handle sich um eine Stadt von Heroen und Weisen. Geriete er aber zufällig auf den Marktplatz - ich brauche das nicht weiter auszuführen, ihr wißt es selbst. (3) «Was denn», wird man fragen, «hast du dich erhoben, um denen, die jemand loben, Vorwürfe zu machen?» Bei Gott, deswegen nicht, sondern damit wir, wenn irgend möglich, nicht nur hier, sondern ohne Unterschied an jedem Ort und bei jeder Gelegenheit unsere Freundlichkeit und edle Gesinnung unter Beweis stellen. Nun sehe ich, daß ihr beim Lob dieses Mannes das Maß vollgemacht habt, so daß eine Steigerung nicht mehr möglich ist. Aber auch ihr selbst habt Lob verdient, denn ihr scheint mir allen anderen Gemeinden weit überlegen zu sein. Ich würde das nicht sagen, wenn ich nicht auch so dächte. Die anderen nämlich sind nur auf ihren Vorteil bedacht und loben diejenigen, die ihnen etwas geben oder geben können. Ihr dagegen wißt auch den guten Willen zu schätzen. (4) Damit will ich nicht sagen, daß dieser Mann nicht große Verdienste hätte - er hat sie -, sondern nur, daß auch sein guter Wille euch genug gewesen wäre. Ferner nehmen die anderen mit Beifall auf, was am wenigsten wichtig ist - ich meine alles, was mit finanziellen Aufwendungen verbunden ist. Ihr dagegen achtet auf die wichtigsten Dinge, wie sie es verdienen. Und auf jeden Fall ist

ERWIDERUNG AN DIODOROS

es wertvoller, wenn jemand für die Stadt Sorge trägt und euch seinen guten Willen zeigt, als wenn er nur Geld ausgibt. Überdies hassen die meisten Menschen jeden, der sie ermahnt, sei es auch nur mit Worten, und nur, wer im Schmeicheln ein Vergnügen sieht, ist ihnen herzlich willkommen. Bei euch ist es umgekehrt: Wer mit dem größten Freimu t den Menschen VOrhält, was sie falsch machen, und sie zur Vernunft bringt, der ist am meisten geachtet. (5) Wer nun müßte eine solche Stadt und Regierung nicht liebgewinnen, bei der die Ehren größer sind als der Ehrgeiz, Wo der mit wohlwollen Mahnende mehr geliebt wird als der Schmeichler, das Volk es lieber sieht, wenn es zur Vernunft gerufen und auf den rechten Weg gebracht wird, als wenn man ihm den Hof macht und es die Zügel schießen lassen kann. Wer könnte da anders, als euch bestaunen und diesen Mann hier glücklich preisen, der von Leuten wie euch eines solchen Amtes für wert befunden worden ist. (6) Freilich sehe ich auch, daß seine Aufgabe an euch nicht leicht sein wird. Wem sich nämlich eine ganze Stadt und ein Volk aus freiem Entschluß zur Erziehung anvertraut, wen es zum Aufseher über die allgemeine Moral gewählt und wem es die höchste Befugnis in Fragen einer maßvollen, geordneten und richtigen Lebensführung des einzelnen eingeräumt hatwie sollte dieser Mann nicht eine gewaltige Aufgabe vor sich haben, nämlich eure hohe Meinung von ihm nicht zu enttäusehen? Bedenke doch, damit du recht begreifst, daß auch in alten Zeiten keiner, selbst wenn er noch so sehr bewundert wurde, eine solche Ehre für alle Zeit von seinen Mitbürgern erwiesen bekommen hat. (7) Der berühmte Perikles zum Beispiel, der, wie wir hören, in Athen lebte, als die Stadt florierte, bekam das Amt des Strategen, aber man hielt es nicht für angebracht, daß er es die ganze Zeit innehabe 3• Sokrates dagegen 4 verwaltete keine Gelder und kümmerte sich nich t um Bauten 5,

51 • 7- 9]

ERWIDERUNG AN DIODOROS

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sondern war darum bemüht, daß seine Mitbürger gute Menschen seien, und wollte jeden, der einen Fehler machte, ermahnen und, soweit es an ihm lag, bessern. Freilich konnten ihn seine Zeitgenossen wegen ihrer eigenen mangelhaften Lebensfuhrung nicht ertragen. (8) Ihr dagegen laßt euch erziehen, ja fordert sogar selbst dazu auf. Wie weit seid ihr denen überlegen, die ungehalten waren, als sich jemand aus eigenem Antrieb bereit erklärte, diese Aufgabe zu übernehmen, und den Mann, der sich ihrer annehmen wollte, töteten, statt ihn zu ehren. So machten es nämlich die Athener mit Sokrates. Gibt es nun ein noch schöneres Preislied, das man auf diesen Mann oder auf euch anstimmen könnte? Als ihr merktet, daß er die heranwachsende Jugend tüchtiger gemacht hatte, da wart ihr sofort der Meinung, daß er auch euch besser machen könne. Und bei Gott, es ist nicht wahr, daß nur die Heranwachsenden Erziehung und Moral nötig hätten, die Erwachsenen aber und die ganze Stadt darauf verzichten könnten. Das wäre ja genauso, wie wenn ein Arzt glaubte, Kinder und Heranwachsende brauchten seine Pflege, die Älteren dagegen nicht mehr. (9) Und dann die Großzügigkeit der Stadt hinsichtlich der Ehrungen, ist sie nicht wahrhaft erstaunlich? Denn welche Art von höchsten Ehren hättet ihr nicht mit Freuden verliehen? Bilder, Statuen, Gesandtschaften an Städte und an den Kaiser, öffentliche Ehrungen, private Empfänge - wer hätte an solchen Auszeichnungen nicht seine Freude? Wer würde nicht sein Letztes hergeben, um euch einen Dienst zu erweisen? So glaube ich denn, auch das Lob dieses Mannes, so gut ich es vermochte, gesungen zu haben. Denn das Lob aufdiejenigen, die einem anderen Beifall und Ehre geben, ist doch sicher auch das schönste Lob für den Mann selbst.

DER BOGEN DES PHILOKTET

52. AISCHYLOS, SOPHOKLES UND EURIPIDES ODER DER BOGEN DES PHILOKTET

(I) Nachdem ich mich wegen meines schlechten Gesundheits_ zustandes und der Luft, die infolge der Morgenfrühe noch recht kühl war - eher wie im Herbst, obwohl wir mitten im Sommer waren -, gegen die erste Stunde des Tages erhoben hatte, machte ich mich fertig und verrichtete mein Gebet. Dann stieg ich auf den Wagen und fuhr in der Rennbahn einige Runden, wobei mich das Gespann so sanft und leicht wie möglich zog. Darauf ging ich ein Stück zu Fuß und ruhte eine Weile aus. Als ich mich dann gesalbt und gebadet hatte, machte ich mich nach einem kleinen Imbiß an die Lektüre von drei Tragödien. (2) Es waren Werke von, man darf wohl sagen hervorragenden Dichtern, von Aischylos, Sophokles und Euripides, und sie behandelten alle dasselbe Thema. Es ging nämlich um den Diebstahl- oder sollte man es besser Raub nennen? - von Philoktets Bogen. Auf jeden Fall werden Philoktet die Waffen von Odysseus fortgenommen und er selbst nach Troia gebracht. Er folgt vorwiegend aus freiem Entschluß, zum Teil aber auch der Not gehorchend, hatte er doch seine Waffen nicht mehr, die ihm das Leben auf der Insel ermöglichten, zugleich aber auch Trost in einer so schweren Krankheit und Ruhm bedeuteten '. (3) So labte ich mich an dem Schauspiel und dachte bei mir, daß ich, selbst wenn ich damals in Athen gewesen wäre, einen Wettstreit dieser drei Männer nicht hätte erleben können. Nur wie Sophokles gegen Aischylos, der Junge gegen den Alten, oder gegen Euripides, der Ältere gegen den Jüngeren, stritt, hatten einige gesehen, Euripides aber war viel jünger als Aischylos. Außerdem wurden wohl nur ganz selten, wenn überhaupt, bei einem Wettbewerb Stücke mi t dem gleichen Thema aufgeführt. Ich dagegen glaubte einen ganz außerordentlichen

52 .3-7]

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637

Genuß und einen neuen Trost in meiner Krankheit gefunden haben. (4) Für mich selbst besorgte ich also eine ungewöhnlich prächtige Auffuhrung und versuchte, genau aufzupassen, wie wenn ich ein Urteil über die besten tragischen Chöre abzugeben hätte. Doch ich schwöre, ich hätte überhaupt nicht erklären können, weshalb einer dieser drei Dichter der unterlegene sein sollte. Denn die hohe Gesinnung und die altertümliche Art des Aischylos, dazu seine Eigenwilligkeit in Gedanken und Darstellung schienen der Tragödie und dem urtümlichen Wesen seiner Helden angemessen zu sein; da gab es nichts Falsches, Geschwätziges und Niedriges. (s) So bringt er zum Beispiel, dem Zuge seiner Zeit folgend, auch Odysseus als schlauen Fuchs, aber ohne jede Spur seiner heutzutage üblichen Schuftigkeit auf die Bühne, so daß er im Vergleich mit den modernen Autoren, die auf Einfachheit und große GesinnungWert legen, wahrhaft urtümlich erscheinen mag. Auch braucht er keine Athene, die Odysseus verwandelt, damit Philoktet ihn nicht erkennt; so stellen es Homer und, in seiner Nachfolge, Euripides dar. Deshalb mag jemand, der Aischylos nicht gern hat, ihm vorwerfen, er habe sich nicht darum bemüht, die Szene, in der Odysseus von Philoktet unerkannt bleibt, glaubwürdig zu gestalten. (6) Gegen einen solchen Vorwurf könnte sich der Dichter jedoch, wie ich glaube, verteidigen. Der dazwischenliegende Zeitraum freilich wäre kaum groß gen ug, um zu erklären, daß sich Philoktet an das Äußere des Odysseus nicht mehr erinnert - seither waren nur zehn Jahre vergangen. Aber die Krankheit des Philoktet, sein Elend und das Leben in der Einsamkeit während dieser Jahre lassen es nicht unmöglich erscheinen. Denn schon viele Leute haben infolge einer Krankheit oder eines Unglücksfalles diese Erfahrung gemacht. Ferner hat es der Chor bei Aischylos im Gegensatz zum Chor des Euripides nicht nötig, um Verzeihung zu bitten. (7) Bei

ZU

638

DER BOGEN DES PHILOKTET

[52,7-9

beiden besteht der Chor aus Lemniern. Während Euripides ihn aber gleich zu Beginn sich fur seine bisherige Gleichgültigkeit entschuldigen läßt - daß er so viele Jahre Philoktet nicht besucht und ihm nicht geholfen habe -, läßt Aischylos den Chor ohne weitere Erklärungen auftreten - auf jeden Fall die der Tragödie angemessenere und einfachere Weise, wogegen die Art des Euripides eher bürgerlichem Verhalten entspricht und genauer ist. Könnte man alle Unwahrscheinlichkeiten in einer Tragödie vermeiden, wäre es vielleicht berechtigt, diese Unwahrscheinlichkeit bei Aischylos nicht durchgehen zu lassen. Nun aber legen die Herolde der Tragödie häufig an einem einzigen Tag Märsche von mehreren Tagen zurück. (8) Ferner ist es überhaupt undenkbar, daß kein Lemnier ihn besucht oder sich um ihn gekümmert haben sollte, ja ich glaube, er hätte die zehn Jahre ohne jede Hilfe gar nicht überlebt. Es ist doch anzunehmen, daß er Hilfe bekommen hat, wenn auch nur selten und in bescheidenem Maße; nur war eben wegen der Widerwärtig_ keit seiner Krankheit niemand bereit, ihn bei sich aufzunehmen und zu pflegen. Euripides jedenfalls führt Aktor ein, einen Lemnier, der zu Philoktet kommt, als wäre er ihm bekannt und schon oft mit ihm zusammen gewesen. (9) Auch jener Vorwurf scheint mir nicht berechtigt zu sein, daß der Philoktet des Aischylos dem Chor, als wüßte der nichts davon, die Geschichte seiner Aussetzung durch die Achaier und überhaupt seine Erlebnisse erzählt. Unglückliche Menschen rufen sich doch oft ihr Mißgeschick ins Gedächtnis zurück und fallen mit ihren nicht enden wollenden Erzählungen den Leuten, die längst Bescheid wissen und nichts mehr zu hören brauchen, lästig. Auch Philoktets Täuschung durch Odysseus und die Argumente, mit denen er ihn zu gewinnen sucht, sind nicht nur passender und einem Helden angemessener, sondern auch, wir mir schein t, überzeugender - wenn audl nicht in dem Maße wie die Worte eines Eurybates oder Patai-

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kion. (ro) Denn was braucht es listige Künste und Tricks bei einem Kranken, dazu bei einem Bogenschützen, dem sein ganzeS Können nichts nützt, sobald man nah an ihn herangetreten ist? Und wenn Odysseus vom Unglück der Achaier und vom Tod Agamemnons erzählt, davon, daß Odysseus einer außerordentlich niederträchtigen Tat beschuldigt werde und überhaupt das ganze Unternehmen gescheitert sei" so dient das nicht nur dazu, Philoktet aufzuheitern und ihm die Gegenwart des Odysseus angenehmer zu machen, sondern ist in gewisser Hinsicht nicht einmal unglaubwürdig - wegen der Dauer des Feldzuges und der noch nicht lange zurückliegenden Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zorn Achills, als Hektor das Schiffslager beinah hätte in Flammen aufgehen lassen. (u) Der Scharfsinn des Euripides, seine Sorgfalt in jedem Detail - nichts darf unwahrscheinlich sein, nichts übersehen werden; nicht in aller Einfachheit, sondern mit der ganzen Kunst seiner Worte stellt er den Stoff dar und ist so der Antipode des Aischylos - erweisen den Dichter in erster Linie als Bürger 3 und Redner, und jeder, der sich mit ihm beschäftigt, kann den größten Gewinn daraus ziehen. Sofort zu Beginn wird Odysseus als Sprecher des Prologs eingeführt. Er macht sich Gedanken über die Aufgaben eines Bürgers und ist sich vor allem über sich selbst nicht im klaren: Er soll dem Publikum nicht besonders schlau und scharfsinnig vorkommen, sondern als das Gegenteil davon. (r2) Obwohl er ein Dasein frei von Sorgen und Mühen hätte haben können, lebe er doch ständig - nach seinem eigenen Wunsch - in Mühen und Gefahren. Als Grund dafür nennt er den Ehrgeiz der tüchtigen und wackeren Männer. Denn weil sie nach edlem Ruhm strebten undin aller Welt berühmt sein wollten, nähmen sie die größten und schwierigsten Abenteuer freiwillig auf sich: Natur hat Stolzeres nicht geschaffen als den Mann. 4 Dann erklärt cr leicllt verständlich und genau die Handlung

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des Dramas und den Grund, weshalb er nach Lemnos gekom_ men ist. (13) Er sagt, er sei von Athene verwandelt worden, damit Philoktet ihn nicht erkenne, wenn er ihn trifft. In diesem Punkt hält sich Euripides an Homer, denn auch Homer läßt Odysseus in den Begegnungen mit Eumaios, Penelope.und den übrigen durch Athene eine andere Gestalt annehmen. Odys_ seus führt aus, daß bald eine Gesandtschaft der Troer zu Philoktet kommen werde, um ihn zu bitten, sich selbst und seine Waffen ihnen zur Verfügung zu stellen; dafür wollten sie ihm die Herrschaft über Troia anbieten. So macht Euripides die Handlung noch reicher und scharrt die Voraussetzung für seine Reden, in denen er sich nie verlegen und außerordentlich geschickt zeigt, wenn es darum geh t, die Argumen te des Gegners zu entkräften. Hier braucht er keinen Vergleich zu scheuen. (14) Dann läßt Euripides, auch hierin Homer folgend, Odysseus nicht allein auftreten, sondern in Begleitung des Diomedes s. So beweist er überall, wie ich schon sagte, im Verlauf des ganzen Dramas äußersten Scharfblick und größte Glaubwürdigkeit im Stofflichen und eine unerschöpfliche, geradezu bewundernswerte Kunst im Sprachlichen. Die Dialogpartien sind klar, natürlich und dem einfachen Bürger angemessen, die lyrischen Partien dienen nicht nur der Ergötzung, sondern enthalten eine unüberhörbare Aufforderung zu einem moralisch einwandfreien Verhalten. (15) Sophokles scheint die Mitte zwischen beiden zu halten. Er hat weder die eigenwillige und dabei einfache Art des Aischylos noch die Genauigkeir,dic Schärfe und das urbane Wesen des Euripides. Seine Dichtung ist erhaben und prächtig, von außerordentlich tragischer Wirkung und von höchstem Wohlklang, so daß sie den größten Reiz mit Erhabenheit und Würde paart. In der Anordnung des Stofles ist er unübertrefflich und vollkommen überzeugend. So läßt er Odysseus zusammen mit Neoptolemos auftreten, denn es war ja vom Schicksal

52,15-17]

DER

no GEN

DES PHILOKTET

64r

bestimmt, daß Troia von Neoptolemos und Philoktet zusammen mit Hilfe von Herakles' Bogen 6 erobert werden sollte. odysseus selbst versteckt sich dann und schickt Neoptolemos zU philoktet, nachdem er ihm noch unterbreitet hat, was er zu tun habe. Ferner besteht der Chor bei Sophokles nicht aus Einheimischen wie bei Aischylos und Euripides, sondern aus den Leuten, die zusammen mit Odysseus und Neoptolemos zu Schiff mit hergekommen waren. (r6) Die Charaktere sind auffallend groß und adlig gezeichnet, sein Odysseus ist viel umgänglicher und mit der Sprache freier heraus als der des Euripides, sein Neoptolemos von geradezu verblüffender Ehrlichkeit und Geradheit. Erstens will er nicht mit List und Trug, sondern durch seine Stärke und ohne Verstellung die Oberhand über Philoktet gewinnen. Nachdem er dann, von Odysseus überredet, Philoktet getäuscht und den Bogen in seine Gewalt bekommen hat, will er ihn nicht behalten, als Philoktet den Betrug merkt und jammernd die Waffen zurückfordert. Er ist gewillt, sie ihm zurückzugeben, obwohl odysseus erscheint und es zu verhindern sucht, und tut es schließlich auch. Dan n versuch t er, ih n mit vern ünftigen Gründen zu überreden, von sich aus mit nach Troia zu kommen. (17) Als Philoktet aber um keinen Preis nachgeben und sich fUgen will, sondern Neoptolemos bittet, sein Versprechen einzulösen und ihn nach Griechenland heimzubringen, gibt Neoptolemos sein Wort und ist bereit, es auszuftihren. Da erscheint Herakles und überredet Philoktet, freiwillig nach Troia zu t:1hren. Die lyrischen Partien enthalten nicht so viele Sentenzen und Ermahnungen zu einem moralischen Verhalten wie bei Euripides, aber sie üben einen wunderbaren, großartigen Reiz aus, so daß Aristophanes nicht ohne Grund von Sophokles gesagt hat: Er leckte Sophokles, als wiire der ein Top}; die Lippen, dick beschmiert mit Honig, ringsum ab.?

HOMER

53. HOMER

(I) Demokrit sagt von Homer, er habe mit seiner göttlichen Begabung eine ganze Welt aus den verschiedensten Versen gebaut'. Denn ohne göttliche und übernatürliche Begabung, So glaubt er, sei es unmöglich, Verse von solcher Schönheit und Weisheit zu schreiben. Auch viele andere haben über dieses Problem geschrieben: die einen haben den Dichter unverhoh_ len gepriesen und gleichzei tig einige Zi ta te von ihm als Beweis angeführt, die anderen den Gedanken selbst erklärt. Zu dieser Gruppe gehören nicht nur Aristarch, Krates und mehrere andere, die später Grammatiker, früher jedoch Kritiker genannt wurden, auch Aristoteles, aufden die literarische Kritik und die Kunst der Erklärung zurückgeführt werden, behandelt den Dichter in vielen Dialogen, wobei er ihn im allgemeinen bewundert und schätzt. Schließlich wäre auch noch Herakleides von Pontos zu nennen. (2) Vor ihnen jedoch erwähnt bereits Platon den Dichter bei jeder Gelegenheit, voller Begeisterung über den Reiz und die Anmut seiner Verse2 , oft aber auch mit einem Tadel seiner Göttermythen und -geschichten: Was Homer erzählt habe, sei keineswegs zum Besten der Menschheit gewesen, diese Geschichten von Habgier, gegenseitigen Ränken, Ehebrüchen, Streitereien und Gezänk der Götter 3 • Dann schließt Platon den· Dichter auch von seiner idealen Stadt und Verfassung ausnach seiner Meinung sollte sie klug ausgedacht sein. Er wollte nicht, daß die Leute, die er zu Wächtern und Führern der Stadt bestimmte, in ihrer Jugend solche Dinge von den Göttern zu hören bekämen und daß über die Verhältnisse im Hades etwas Trauriges erzählt werde, damit sie nicht weich würden, wenn es zu kämpfen und zu sterben gelte4, und nicht wie schlecht zugerittene junge Pferde von Anfang an auch gegen das, was man nicht zu fürchten habe, mißtrauisch seien s.

53,3-6]

HOMER

643

(3) Darüber gibt es freilich noch eine andere, umfassendere und ausführlichere, komplizierte Theorie, nämlich über die Frage, ob Homer sich mit seinen Geschichten geirrt oder ob er nach dem Brauch seiner Zei t den Menschen naturwissenschaftliehe Erkenntnisse in der Gestalt von Mythen weitergegeben hat. Eine solche Frage ist freilich nicht leicht zu entscheiden, wie es, denke ich, auch nicht leicht ist, bei zwei Freunden beides ehrbare Männer- gegen den einen zu entscheiden, wenn einer gegen den anderen Klage erhebt. (4) Ferner hat der Philosoph Zenon etwas zur Ilias und Odyssee geschrieben, übrigens auch über den Margites 6 ; er ist nämlich der Meinung, daß auch dieses Werk von Homer stammt, aus einer ziemlich frühen Periode, in der er sein dichterisches Genie noch erproben wollte. (s) Zenon hat an Homer nichts auszusetzen und versucht, die Widersprüche an einigen Stellen in Homers Werk durch den Nachweis zu erklären, daß er teils nach der Phantasie, teils nach der Wirklichkeit geschrieben habe. Die Theorie, daß der Dichter in seinem Werk zum Teil seiner Phantasie, zum Teil aber auch der Wirklichkeit folge, findet sich vor Zenon bereits bei Antisthenes. Während sie bei ihm aber noch ganz allgemein ist, hat Zenon sie in allen Teilen ausgearbeitet. Außerdem hat auch Persaios, Zenons Schüler, neben mehreren anderen diese Theorie verfochten. Aber zurück zu Platon. Wie ich schon sagte, hat er manches an Homer auszusetzen, gleichzeitig aber weist er auf die wunderbare Macht seiner Dichtung hin: Homer habe alles gekonnt und geradezu alle Laute nachgeahmt, sogar die von Flüssen, Winden und Wellen 7. Und sehr scherzhaft fordert er dazu auf, den Dichter mit einer Kopfbinde aus Wolle zu schm iicken, duftendes Öl auf sein Haupt zu gießen und ihn - in die Fremde zu sehicken 8 • (6) Trotz der kritischen Musterung von Homers Werk hat Platon aber für den Dichter selbst wegen seiner göttlichen Be-

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HOMER

[53,6-9

gnadung eine ganze Menge übrig. Eine solch erhabene, präch. tige und doch reizvolle Dichtung sei ohne göttliche Fügung, ohne Inspiration durch die Musen und Apol1on schlechterdings undenkbar. Sonst hätte sie nicht schon so lange neben den völ· kern gleicher Zunge und Sprache sogar die Barbaren zu einem großen Teil in ihren Bann schlagen können. Auch Leute, die zwei Sprachen sprechen, und Mischlinge kennen die Werke Homers genau, obwohl sie im übrigen nicht viel Ahnung von den Griechen haben. Zum Teil sind es auch Menschen, die sehr weit entfernt wohnen. Zum Beispiel sollen die homerischen Werke bei den Indern, in ihre Ausdrucksweise und Sprache übersetzt, vorgetragen werden. (7) So kommt es, daß den In. dem, während sie viele Sterne von unserem Himmel noch nie gesehen haben - die Bären, sagt man, scheinen bei ihnen nicht -, die Leiden des Priamos, die Klagen und Seufzer der An· dromache und der Hekabe, die Tapferkeit Achills und Hektors wohl bekannt sind. So viel vermochte das Genie eines einzigen Mannes !Ja mir scheint sogar, mit dieser Macht hätte er selbst die Sirenen und Orpheus übertroffen. (8) Denn Steine, Pflanzen und Tiere zu bezaubern und an sich zu locken, ist das ein grö. ßeres Kunststück, als fremde Menschen, die die griechische Sprache nicht verstehen, so vollständig unter seine Gewalt zu bringen? Menschen, die weder von der Sprache noch von den Ereignissen, von denen die Rede ist, etwas wissen, sondern sich einfach, wie ich glaube, von der Zither verzaubern lassen? Ja ich bilde mir ein, daß selbst von den noch ungebildeteren Barbaren viele den Namen Homers gehört haben, ohne freilich genau zu wissen, ob damit ein Tier, eine Pflanze oder sonst etwas gemeint ist. (9) Indessen könnte man noch viel mehr als die Dichtung das Leben dieses Mannes preisen. Denn in Armutzu leben, immer auf Wanderschaft zu sein und mit seiner Dichtung gerade so viel zu verdienen, daß es zum Leben reicht, das beweist doch

53.9-'2]

HOMER

wohl beachtlichen Mut und hohe Gesinnung. Obendrein hat er nirgends seinen Namen angebracht, ja er erwähnt sich nicht einmal in seiner Dichtung, während sonst jeder, der als Dichter oder Prosaiker einen Namen zu haben glaubt, an Anfang und Ende seinen Namen setzt. Viele tun es sogar auch noch in ihren Abhandlungen und Dichtungen, zum Beispiel Hekataios, Herodot und Thukydides, (10) wobei der zuletzt Genannte nicht nur einmal, zu Beginn seines Geschichtswerkes, sondern immer wieder, bei jedem Winter und Sommer 9, bezeugt: «Das hat Thukydides geschrieben.» Homer dagegen war so frei und großmütig, daß er an keiner Stelle seiner Dichtung persönlich in Erscheinung tritt, sondern in der Tat wie die göttlichen Propheten von irgendwoher aus dem Unsichtbaren und Verborgenen spricht. (Il) Da alles, was Homer geschrieben hat, nützlich und brauchbar ist, wäre es ein gewaltiges Unternehmen, wollte man jeden Ausspruch von ihm iiber Tugend und Laster durchgehen. Über seine Vorstellung von einem guten König jedoch ist noch in Kürze zu handeln. Wo immer er einen König lobt, nennt er ihn «dem Zeus an Weisheit vergleichbar», und «von Zeus genährt» sind bei ihm alle guten Könige. So auch Minos, der bei den Griechen wegen seiner Gerech tigkeit den höchsten Ruhm genoß und den HomerGefährte und Schüler desZeus'o nennt, wohl deswegen, weil er der erste und größte aller Könige gewesen ist und als einziger die Kunst, König zu sein, verstanden und weitergegeben hat, alle guten Könige aber im Blick auf ihn ihr Regiment fUhren müssen, indem sie, soweit es Menschen möglich ist, in ihrer Gesinnung dem Gott gleich zu werden trachten. (r2) Das Wesen des Zeus und die Art seiner Herrschaft läßt Homer an vielen Stellen deutlich werden, wenn er aber in aller Kürze Macht und Gesinnung des Zeus umreißen will, tut er das häufig mit der immer wiederkehrenden Wendung «Vater von Menschen und Göttern». Damit will er sa-

SOKRATES

gen, daß die Sorge der Könige wie die eines besorgten Vaters sein müsse, also getragen von Liebe und Freundlichkeit, und daß man Menschen niemals anders leiten und regieren dürfe als mit liebevoller Sorge, da auch Zeus sich nicht zu gut sei, Vater der Menschen genannt zu werden. 54. SOKRATES

(r) Die Sophisten, Hippias von Elis, Gorgias von Leontinoi, Polos und Prodikos, florierten einige Zeit in Griechenland und gelangten zu erstaunlichem Ansehen, nicht nur in den übrigen Städten, sondern sogar in Sparta und Athen. Dabei machten sie eine ganze Menge Geld, öffentlich bei den Städten und auch, je nach Vermögen, bei Fürsten, Königen und Privatleuten. Sie hielten viele Reden, aber ohne Sinn und Verstand - solche, denke ich, mit denen man Geld verdienen und bei Dummköpfen Beifall finden kann. (2) Dann war da ein Mann aus Abdera, der, weit davon entfernt, von anderen Geld zu nehmen, sein eigenes beträchtliches Vermögen verwahrlosen ließ und es durch seine philosophischen Studien verlor I - selbstverständlich ein törichtes Unterfan gen, den n er such te, was für ihn nicht von Vorteil war. (3) Aber auch Sokrates lebte in Athen, ein armer Mann aus dem Volk, der sich auch nicht durch seine Armut zwingen ließ, etwas zu nehmen. Und doch hatte er eine Frau, die das Geld nicht verachtete, hatte Söhne, die ernährt sein wollten. Man sagt, er habe mit den jungen Leuten aus den reichsten Familien verkehrt, von denen einige, wie es heißt, es ihm buchstäblich an nichts hatten fehlen lassen. Im übrigen war er aber von umgänglichem und freundlichem Wesen und ftir jeden, der zu ihm kommen wollte, zu sprechen. Meistens hielt er sich auf dem Marktplatz auf, besuchte die Palästren oder ließ sich an den Tischen der Geldwechsler nieder - genau wie die Leute,

54.3-55.1J

HOMER UND SOKRATES

647

die ihre billige Ware auf dem Markt feilbieten oder sie von Tür zu Tür tragen - für den Fall, daß jemand, jung oder alt, ihn etwas fragen und seine Antwort hören wollte. Die meisten hochgestellten Persönlichkeiten und Redner nun taten so, als sähen sie ihn nicht. Er aber trat auf sie zu, wie wenn er gestolpert wäre, machte eine bissige Bemerkung und ging schnell weiter. (4) Während nun die Reden jener bewunderten Sophisten verloren sind und außer ihren Namen nichts übrig ist, sind die Worte des Sokrates - wie, kann ich selbst nicht erklären - geblieben und werden in alle Ewigkeit bleiben, obwohl er selbst weder eine Abhandlung noch ein Testament geschrieben oder hinterlassen hat. Sokrates starb nämlich ohne eine Verfügung hinsichtlich seiner Weisheit und seines Vermögens. Ein Vermögen, das man, wie es bei Verurteilten üblich ist, von Staats wegen hätte einziehen können, besaß er nicht, seine Worte jedoch sind wahrhaftig Eigentum des Volkes geworden, aber bei Gott, nicht durch seine Feinde, sondern durch seine Freunde. Trotzdem werden sie auch heute, wo sie allgemein bekannt und geschätzt sind, nur von wenigen verstanden, und nur wenige haben etwas von ihrer Weisheit mitbekommen. 55. HOMER UND SOKRATES

(I) PARTNER: Da du dich als ein enthusiastischer Verehrer des Sokrates und seiner Worte zeigst, kannst du mir sicher auch sagen, bei welchem Weisen er in die Schule gegangen ist. Der Bildhauer Pheidias zum Beispiel war ein Schüler des Hegias, der Maler Polygnotos und sein Bruder waren beide Schüler ihres Vaters Aglaophon, lind Pherekydes soll der Lehrer des Pythagoras, Pythagoras wieder der Lehrer des Empedokles und anderer gewesen sein. Bei den meisten berühmten Männern können wir die Lehrer, durch die sie bedeutend geworden sind, nennen, nur nicht bei Heraklit aus Ephesos und Hesiod aus

HOMER UND SOKRATES Askra. Der eine behauptet nämlich, er habe als Hirte auf dem Helikon in einem Lorbeerzweig die Dichtkunst von den Musen verliehen bekommen I; damit will er uns die Mühe ersparen, einen Lehrer für ihn zu suchen. (2) Heraklit dagegen sagt mit noch größerem Stolz, er selbst habe die Natur des Alls entdeckt, ohne daß es ihm jemand beigebracht habe, und durch sich selbst sei er weise geworden. Bei Homer freilich ist diese Frage, wie auch alles andere bei ihm, für die Griechen ungeklärt. Und von Sokrates hören wir, daß er in seiner Jugend den Beruf des Vaters erlernt habe. Du aber sei so gut und sage uns unmißverständlich, wer sein Lehrer in der so nützlichen und vortrefflichen Weisheit gewesen ist. (3) DION: Für viele ist diese Frage geklärt, denke ich, wenn man beide Männer kennt: Sokrates war in Wahrheit ein Schüler Homers, nicht, wie einige behaupten, ein Schüler des Archelaos. PARTNER: Wie kann man einen Mann, der Homer nie begegnet ist und ihn niemals gesehen hat, sondern so viele Jahre nach ihm lebte, einen Schi.iler Homers nennen? DION: Was denn, können wir von einem Menschen, der zwar zu Homers Zeiten gelebt hat, aber die Werke Homers nie gehört und, wenn schon, dabei auf nichts achtgegeben hat, sagen, er sei ein Schüler Homers? PARTNER: Aufkeinen Fall. (4) DION: Dann ist es aber auch nicht abwegig, jemand, der Homer nie begegnet ist und ihn nie gesehen hat, wohl aber die Dichtung Homers kennt und mit seiner ganzen Gedankenwelt vertraut ist, einen Schüler Homers zu nennen. Oder willst du gar behaupten, man könne einem Menschen, mit dem man niemals zusammenwar, nicht mit Eifer nachfolgen? PARTNER: Nein, das will ich nicht. DION: Wenn er nun sein Nachfolger ist, muß er wohl auch sein Schüler sein. Denn wer jemand mit Eifer nachfolgt, weiß

55,4-8]

HOMER UND SOKRATES

64-9

doch wohl genau, was für ein Mensch der andere war, und indem er sich dessen Taten und Worte zum Vorbild nimmt, versucht er, ihm möglichst gleichzukommen. (5) Genau das aber scheint auch der Schüler zu machen: Indem er es dem Lehrer nachmacht und aufihn achtet,erlernt er die Kunst. Auf der andern Seite hat Sehen und Zusammensein noch nichts mit Lernen zu tun. So sehen zum Beispiel viele Menschen Flötenbläser, sind mit ihnen zusammen und hören sie tagaus, tagein, und doch könnten sie nicht einmal in die Flöte hineinblasen, wenn sie nicht zu den Flötenspielern gehen, um das Flöten zu lernen und es ihnen abzugucken. Wenn du aber Bedenken hast und Sokrates nicht einen Schüler, sondern nur einen Nachfolger Homers nennen willst, habe ich nichts dagegen. (6) PARTNER: Das eine schein t mir genauso abwegig wie das andere. Homer war ein Dichter, wie es seinesgleichen nicht wieder gegeben hat, Sokrates ein Philosoph. DION: Gut, aber auf diese Weise kannst du auch Archilochos nicht gut einen Nachfolger Homers nennen, denn er hat nicht wie Homer sein ganzes Werk im gleichen Versmaß geschrieben, sondern meistens andere Metren verwandt; auch nicht Stesichoros, denn jener schrieb Epen, Stesichoros aber war Lyriker. (7) PARTNER: Doch, das würde ich tun. Zumindest sagen alle Griechen, Stesichoros sei ein Anhänger Homers gewesen und komme ihm in seiner Dichtung sehr nahe. Worin aber scheint dir Sokrates mit Homer vergleichbar zu sein? DION: An erster und wichtigster Stelle in seinem Charakter. Keiner von beiden war ein aufgeblasener Prahlhans, wie es die Dümmsten unter den Sophisten sind. Homer hielt es nicht einmal für erwähnenswert, woher er stammte, wer seine Eltern waren und wie er selbst hieß. Wären wir auf ihn allein angewiesen, wüßten wir selbst den Namen des Mannes nicht, der Ilias und Odyssee geschrieben hat. (8) Sokrates dagegen konnte

650

HOMER UND SOKRATES

[55,8-lI

s eine Va terstad t nich t verheimlichen, weil Athen zu bedeu tend und berühmt war und zu jener Zeit an der Spitze Griechenlands stand. Trotzdem hat Sokrates niemals große Worte über sich gemacht oder irgendein Wissen für sich in Anspruch genommen, obwohl ApolIon in einem Orakelspruch verkündet hatte, daß er der weiseste von Griechen und Nichtgriechen sei'. Schließlich hat er seine Worte nicht selbst aufgeschrieben und sie der Nachwelt hinterlassen - darin tat er es sogar Homer noch zuvor. Wie wir nämlich Homers Namen nur durch andere kennen, so auch die Worte des Sokrates, weil andere sie überliefert haben. So äußerst zurückhaltend und bescheiden waren beide Männer. (9) Dann verachteten beide, Sokrates wie Homer, den Erwerb von Hab und Gut. Außerdem behandelten und besprachen sie dieselben Probleme, der eine in seiner Dichtung, der andere in Prosa: Tugend und Laster der Menschen, ihre Fehler und ihre guten Seiten, Wahrheit und Trug, die Meinungen der großen Menge und das Wissen der Vernünftigen. Schließlich verstanden es beide ausgezeichnet, in Gleichnissen und Bildern zu sprechen. PARTNER: Es wäre doch recht merkwürdig, wenn du mit den Gleichnissen Homers, mit Feuer, Wind, Meer, Adler, Stier, Löwe und so fort, womit er seine Werke geschmückt hat, die Töpfer und Schuhmacher des Sokrates vergleichen wolltest! (10) DION: In der Tat, mein Bester, denn auch den Fuchs des Archilochos 3 vergleichen wir mit den Löwen und Pan thern des Homer und behaupten, er stünde ihnen nichts oder nicht viel nach. Aber vielleicht hältst du auch nichts von Gleichnissen, in denen Homer von Staren, Dohlen, Heuschrecken, von Fackeln und Asche, von Bohnen und Kichererbsen oder von Männern, die das Getreide von der Spreu säubern, spricht; das scheint dir wohl das Schlechteste im Homer zu sein. (Il) Du bewunderst nur die Löwen und Adler, die Skylla und die Kyklopen, womit Homer die Leute mit primitivem Geschmack

55, U-I4]

HOMER UND SOKRATES

65I

fangen wollte, so wie etwa die Ammen den Kindern Geschichten von der Lamia erzählen. Nein, wie Homer die Menschen außerordentlich mühselig zu erziehende Wesen - mit Mythen und Geschichten erziehen wollte, so griff auch Sokrates häufig ZU dieser Methode, bald im Ernst, wie er zugab, bald im gespielten Scherz, nur um den Menschen einen Dienst zu erweisen. Dabei mag es dann auch einmal einen Zusammenstoß mit den Mythendichtern und Schriftstellern gegeben haben. (12) Dann geschieht es auch nicht ohne Absicht, daß er Gorgias, Polos, Thrasymachos, Prodikos, Menon, Euthyphron, Anytos, Alkibiades oder Laches als Gesprächspartner einführt, obwohl er ihre Namen hätte weglassen können. Vielmehr wußte er, daß er damit seinen Hörern den größten Dienst erwies, wenn sie ihn dadurch besser verstehen könnten. Denn an den Worten die Menschen und an den Menschen die Worte zu erkennen ist nicht einfach, wenn man nicht Philosoph ist und eine gute Ausbildung hinter sich hat. Die meisten Menschen dagegen glauben, solche Dinge hätten nichts zu bedeuten, und tun sie einfach als lästiges Geschwätz ab. (I3) Sokrates aber hielt es fur angebracht, wenn er einen Prahler als Gesprächspartner einführte, über Prahlerei, wenn einen unverschämten und schamlosen Menschen, über Unverschämtheit und Schamlosigkeit zu sprechen, wenn einen unvernünftigen und jähzornigen, vor Unvernunft und Jähzorn zu warnen. So konnte er auch in den anderen Fällen die Leidenschaften und Krankheiten an den Menschen selbst, die davon befallen waren, klarer zeigen, als wenn er nackte Worte gesprochen hätte. (I4) Aber auch diese Eigentümlichkeit scheint er mir von Homer zu haben. Wenn Homer zum Beispiel von Dolon 4 erzählt, wie er die Pferde des Achilleus haben wollte; wie er, obwohl er vor den Feinden hätte fliehen können, stehenbleibt, den Speer nahe in den Bod~n gesteckt, und ihm seine Schnelligkeit nichts nützt; wie er vor Furcht schlottert und mit den

HOMER UND SOKRATES

[55,14-18

Zähnen klappert; wie er den Feinden nicht nur sagt, wonach er gefragt ist, sondern auch das, was niemand von ihm wissen wollte - so verrät er die thrakischen Pferde und Rhesos, von dessen Ankunft niemand etwas wußte - wenn Homer das alles so plastisch erzählt, hast du da nicht den Eindruck, er spreche über Feigheit und Ruhmsucht? (15) Wenn er von Pandaross berichtet, wie er den Waffenstillstand bricht in der Hoffnung, von Paris, dem Sohn des Priamos, dafür belohn t zu werden; wie er Menelaos mit seinem Schuß nicht tötet, obwohl er als brauchbarer Bogenschütze gilt; wie er durch seinen Vertragsbruch den Troern den rechten Mut zum Kampf nimmt, weil sie immer an die nicht gehaltenen Eide denken müssen jetzt müssen wir kiimpfen ah Miint/er, die das gegebene 1170rt nicht gehalten, doch ist das nicht besser 6; (16) wie ihm dann kurz danach die Zunge abgeschnitten wird und er auf diese Weise sterben muß7, bevor Paris ihm überhaupt mit einem Wort sagen kann, daß er ihm dankbar istwenn Homer das alles mit einer solchen Gründlichkeit erzählt, scheint er da von etwas anderem zu sprechen als von Bestechlichkeit, Frevelmut und, ganz allgemein, von Torheit? Verflucht doch Pandaros seinen Bogen und droht, er wolle ihn zerbrechen und ins Feuer werfen 8. Als wenn der Bogen Angst vor ihm hätte! (r7) Dann erzählt Homer von Asios, dem Sohn des Hyrtakos, daß er trotz des Befehls seines Führers, die Pferde außer halb des Grabens zu lassen, als einziger nicht gehorcht, sondern mitsamt dem Gespann - der Tor! - sich nähert den schnellen Schiffen. Er sollte der bösen Gewalt des Tods nicht entrinrlen, sollte nicht prunkend mit Pferden und Wagen zurück von den Schiffen heimwärtskehren nach Troia, das ausgesetzt ist den Winden. 9 (r8) Dann fährt er zwischen Graben, Wall und Schiffslager in ein solch unwegsames Gelände, daß es nicht einmal Fußsolda-

55. 18- 20]

HOMER UND SOKRATES

ten gut bekam, als sie dort von den Feinden angetroffen wurden, sondern die Mehrzahl umkam, weil nur eine schwache Rückzugsmöglichkeit bestand. Er dagegen, von den Pferden und der Schönheit des Wagens ermutigt, glaubt über den Wall hinwegsetzen zu können und ist entschlossen, selbst wenn er ins Meer fallen sollte, noch vom Wagen aus zu kämpfen. Spricht Homer hier nicht ganz oflensichtlich über Ungehorsam und Prahlerei? (19) Diesen Leuten stellt er nun Polydamas gegenüber, der den Befehl gibt, vorsichtig zu sein und den Graben nicht zu überschreiten. Das eine Mal lo weist er die Griechen auf die Gefahrlichkeit des Unternehmens hin, das andere Mal l l auf das Vogelzeichen, das ihnen zuteil geworden ist. Denn er dachte, daß sonst niemand auf seine Worte hören werde, daß er aber mit dem Hinweis auf das Vogelzeichen Hektor leicht überzeugen könne. Oder auch Nestor, der, als Agamemnon und Achilleus sich gegenseitig beschimpfen, ihren Zorn besänftigt und ihnen eindeutig vorhersagt, was für Folgen ihr Streit haben werde"; der dann später dem Agamemnon Vorwürfe macht, daß er sich nicht richtig verhalten habe, und ihn zwingt, einen Bittgang zu Achilleus zu machen 13. Schließlich auch Odysseus, der versucht, den Fehler Agamemnons wiedergutzumachen, wobei er allerdings die Griechen fast zur Flucht veranlaßt hätte, obwohl er das Heer nur auf die Probe stellen und wissen wollte, wie es sich mit dem sich in die Länge ziehenden Krieg abfinde 14 • Scheint Homer hier nicht für kluges Verhalten, StrategieundSeherkunst, darüber hinaus auch für die Wahl des günstigen und ungünstigen Augenblicks Ratschläge zu erteilen? (20) Was die Odyssee betrifft, will ich alles andere beiseite lassen und nur einen Mann erwähnen, Antinoos, weil Homer ihn zum größten Prahlhans und Lüstling unter den Freiern gemacht hat. Zunächst einmal verachtet er Odysseus, weil jener in Lumpen geht, er selbst aber, mit einem kostbaren Gewand

AGAMEMNON

angetan, aus goldenen Gefäßen trinkt - dabei gehören sie ihm nicht einmal - und verschwenderisch tafelt - nicht von den Vorräten seines Vaters, sondern als Schmarotzer in einem herrenlosen Haus 'S • Und während er behauptet, Penelope zu lieben, schläft er mit den Mägden des Odysseus und hat auch sonst vor nichts Hemmungen. (2r) Schließlich versucht er, den Bogen zu spannen, obwohl er davon keine Ahnung hat und seine Hände durch das bequeme Leben so verweichlicht sind, daß er die Sehne nicht anfassen kann, wenn man sie nicht mit Talg bestreicht - und das vor den Augen des Odysseus und in Gegenwart seiner Geliebten, vor einer solchen Menschenmenge! 16 Aber er kann den Bogen nicht spannen und versteht nicht, wie Telemachos die Äxte aufstellen will. Dementsprechend läßt Homer ihn nicht ohne Absicht durch einen Schlag in die Gurgel und nicht durch einen beliebigen Schlag sterben, und bei Pandaros war es, sicher auch nicht ohne Absicht, die Zunge, die getroffen wurde. Bisweilen mag so etwas Zufall sein, trotzdem aber kann man in vielen Fällen sagen, daß dieser Mensch durch einen Schlag in den Bauch, dieser durch einen Schlag in die Scham und dieser durch einen Schlag in den Mund sterben müßte. (22) Glaubst du nun noch, daß Homer etwas ohne Absicht gesagt ha t? Ebensowenig ge bra uch te Sokra tes seine Worte und Beispiele aufs Geratewohl. Wenn er mit Anytos spricht, erwähnt er Gerber und Schuster, wenn mit Lysikles, Schafe und Felle, wenn mit Lykon, Prozesse und falsche Anklagen, wenn mit dem Thessalier Menon, Liebhaber und Geliebte. 56. AGAMEM NON ODER VON DER KÖNIGSHERRSCHAFT

(r) DION: Willst du über Agamemnon einige gute Gedanken hören, die dich zum Nachdenken anregen können, oder stört

56,1-3]

VON DER KÖNIGSHERRSCHAFT

655

eS dich, wenn Agamemnon, der Sohn des Atreus, in unserer Unterredung genannt wird? PARTNER: selbst wenn du über Adrastos, den Sohn des Talaos, über Tantalos oder Pelops sprechen wolltest, wäre ich nicht empört, wenn ich nur Gewinn davon habe. DION: Also gut. Mir sind kürzlich einige Gedanken gekommen, die ich dir mitteilen möchte, wenn du bereit bist, auf meine Fragen zu antworten. PARTNER: So sprich, denn ich bin bereit. (2) DION: Gibt es Leute, die über Menschen herrschen wie andere über Ziegen, Schweine, Pferde und Kühe, eben wie alle jene, die gemeinhin als Hirten bezeichnet werden? Oder hast du den Vers des Kratinos: Hirte ist mein Beruf, ich hüte Ziegen und Rinder 1 noch nicht gelesen? PARTNER: Ich könnte dir nicht sagen, ob es richtig ist, alle Menschen, die Tiere hüten, Hirten zu nennen. DION: Nicht nur diejenigen, mein Lieber, die unvernünftige Tiere hüten, sondern auch Menschen, wenn man Homer in diesem Punkte Glauben schenken darf". Aber warum hast du meine erste Frage nicht beantwortet? PARTNER: Welche Frage? DION: Ob es Leute gibt, die über Menschen herrschen. PARTNER: Natürlich gibt es die. (3) DION: Wer sind sie? Wie nennst du sie? Ich meine nicht die Männer, die im Krieg Soldaten befehligen, denn die Führer des gesamten Heeres nennen wir ja gewöhnlich Generäle, wie auch bei den kleineren Einheiten der Befehlshaber einer Kompanie Kompanieftihrer, einer Gruppe Gruppenftihrer, einer Flotte Flottenbefehlshaber, einer einzelnen Triere Trierenkapitän heißt. Auf diese Weise hat noch mancher andere, der im Krieg eine kleine Einheit befehligt, seine Bezeichnung, weil die Menschen im Krieg einer ganz besonders sorglichen Führung

AGAMEMNON

[56,3-7

bedürfen. (4) Ich frage auch nicht, wie die Leiter von Chören heißen, die den Takt schlagen und den Sängern den Ton angeben, nicht nach den Vorsitzenden bei Gelagen, nicht nach sonstigen Leuten, die für eine bestimmte Aufgabe und ftir eine festgesetzte Zeit über eine Gruppe von Menschen Verfügun gsgewalt oder eine gewisse Verantwortung bekommen haben. Ich frage vielmehr nach denen, die zu jeder Zeit über die Menschen herrschen, ob diese Menschen nun politisch tätig sind, ihr Land bestellen, wenn es sich gerade so trifft, oder einfach ihr Leben leben - so, wie Kyros zum Beispiel über die Perser geherrscht hat, Delokes über die Meder, Hellen über die nach ihm Genannten, Aiolos über die Aioler, Doros über die Dorer, Numa über die Römer und Dardanos über die Phryger. (S)PARTNER: Deine Frage ist nicht schwer, denn alle, die du eben genannt hast, hießen Könige und waren es auch. Und die Herrschaft, von der du sprichst, bei der man in allen Belangen über Menschen herrsch t und Menschen Befehle gibt, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen, wird Königtum genannt. DION: Demnach hältst du die Herrschaft der Herakliden, die so lange in Sparta regierten, nicht für eine Königsherrschaft? Denn sie machten nicht alles nach eigenem Gutdünken, sondern hörten in vielen Dingen auf die Ephoren, (6) die, nachdem diese Instanz unter der Regierung des Theopompos erst einmal in Sparta eingerichtet war, n.ir ihr Amtsjahr nicht weniger Macht besaßen als die Könige. So wollten sie Pausanias, den Sohn des Kleombrotos und Sieger von Plataiai, ins Gefangnis werfen, und als er im Heiligtum der Athene Zuflucht gesucht hatte, ließen sie ihn dort umkommen. Da nützte es ihm nichts, daß er ein geborener Heraklide und Vormund eines Knaben 3 war, daß er Führer nicht nur von Sparta, sondern von ganz Griechenland gewesen war. (7) Und in späteren Zeiten, als Agesilaos mit dem Groß könig Krieg führte und nach seinem Sieg in der Nähe von Sardes Herr über das ganze untere Asien

56,7-10]

VON

DER

KÖNIGSHERRSCHAFT

657

geworden war, ließen sie ihn durch einen Dienstmann nach Sparta rufen. Er aber schob die Reise nicht einen einzigen Tag auf, obwohl er Herr i.iber so viele Griechen lind so viele Barbaren geworden war 4 • War Agesilaos deswegen etwa nicht mehr König von Sparta, weil er sich der Macht anderer gefUgt hatte? PARTNER: Wie könnten solche Leute im strengen Sinn des Wortes König sein? (8) DION: Willst du denn auch behaupten, Agamemnon sei vor Troia nicht König über Argeier und Achaier gewesen, weil er einen älteren Mann, den Pylier Nestor, als Aufseher über seine Herrschaft hatte? Auf dessen RatS baute man die Mauer um die Schiffe, zog zum Schutz des 'Schiftslagers rings den Graben, teilte Agamemnon das Heer, das bis dahin, wie es scheint, ohne geplanten Einsatz von Fußvolk und Reiterei - Pylier, Argiver, Arkader, Boiotier: alles durcheinander- gekämpft hatte, in verschiedene Gruppen.' Später gibt Nestor ihm die Anweisung, das Heer nach Stämmen zu ordnen, damit Sippe der Sippe und Stamm dem Stamme zur Seite stehe. 6 (9) Auf diese Weise, meint er, könne Agamemnon die Tapferen und die Feigen unter seinen Führern erkennen - wenn unter den Führern, natürlich auch unter den Soldaten. Und gleichzeitig erklärt er ihm, was für einen gewaltigen Vorteil das mit sich bringe. PARTNER: Und was will Nestor dami t erreichen? DION: Daß Agamemnon auch nach Nestors Tod die Feldherrnkunst beherrscht. Und der hört so gen au auf Nestor, daß er nicht nur bereitwillig tut, was ihm jener persönlich aufträgt, sondern sich auch an das hält, was er glaubt, von ihm im Traum vernommen zu haben. So läßt er sich zum Beispiel durch den Traum eines Kampfes täuschen, nur weil die Erscheinung wie Nestor aussiehe. (10) Aber nicht nur dem Nestor, der als der weiseste unter den Achaiern gilt, gehorcht er, er unternimmt überhaupt nichts ohne die Äl testen. Als er, dem Traum-

AGAMEMNON

[56, '0-'3

bild folgend, das Heer in den Kampfführen will, tut er es nicht, bevor nicht der Rat der Alten bei Nestors Schiff zusammen getreten ist 8 • Und auch die Probe, auf die er das Heer zu stellen wünscht - ob es noch entschlossen sei, zu bleiben und trotz Achills Groll den Kampf bis zum Ende durchzustehen -, macht er nicht anders, als daß er sich zuvor mit dem Rat bespricht. Die meisten Demagogen dagegen haben keine Beden_ ken, auch nicht vom Rat gebilligte Beschlüsse vor die Volksversammlung zu bringen. Agamemnon aber berichtet vor dem Heer über die Kriegslage erst, nachdem er sich mit den Äl testen besprochen hat. (I I) PARTNER: Das ist nichts Besonderes, wenn er als König auch die anderen zu Worte kommen läßt und einen wegen seines Alters zuverlässigen Mann zum Ratgeber hat, obwohl die Verftigungsgewalt über alle Angelegenheiten in seinen Händen liegt. Indes, warum benimmt er sich in der Geschichte mit Brisels auf eine solche Weise, ohne auf Nestor, einen so ausgezeichneten Mann, zu hören 97 DION: Es ist wie bei vielen gewöhnlichen Menschen, die, ihren Führern und den Gesetzen ungehorsam, viel Gesetzwidriges tun, woftir sie sich verantworten müssen. Sie werden dann vorGerich t gezogen und bekommen ihre verdien te Strafe. PARTNER: Ganz gewiß. (12) DION: Nun gut. Glaubst du nicht, daß Agamemnon für seinen damaligen Ungehorsam später von Nestor zur Rechenschaft gezogen wird, in jener Szene nämlich, in der er ihm in Gegenwart der klügsten Verbündeten sein Verhalten vorwirft und vorschlägt, was zur Strafe mit ihm geschehen solle oder was er zu zahlen habe - eine sehr schwere Anklage, denn Nestor ist ein gewaltiger Redner. Da sagt er, daß ihm diese Dinge schon lange Kummer gemacht hätten, ( 13) seitjenem Tag, als du, Göttlicher, hingingst, dasMidchen Briseis trotz des Zorns des Achill aus dem Zelte zu rauben. Doch wal' es

VON DER KÖNIGSHERRSCHAFT

gar nicht in unserem Sinn, denn heftig und immer wieder riet ich dir ab. Doch du, deinem stolzen Herzen dich fügend, nahmest dem besten Mann, den selbst die Unsterblichen ehrten, Ehre und Ruf Die geraubte Ehrengabe - du hast sie. Aber auch jetzt noch laßt um beraten. 10 (14) Und bei Gott, er zieht ihn nicht nur mit Worten zur Rechenschaft, sondern legt ihm die allerschwerste Strafe fur sein falsches Verhalten auf: Er heißt ihn, Achilleus persönlich zu bitten und alles zu tun, um den Mann zu überreden. Zunächst schlägt Agamemnon wie die vor Gericht Verurteilten eine Summe vor, die er als Strafe fur sein beleidigendes Benehmen meint aufbringen zu können. Dann nimmt er es unter anderem auf sich, eidlich zu versichern - dabei wird sogar geopfert -, daß er Briseis seit dem Raub nicht angetastet habe. (15) Und statt sie einfach von dem einen Zelt ins andere zu fUhren, verspricht er eine Menge Gold, Pferde, Dreifuße, Schalen, Frauen und Städte. Zu guter Letzt, als wenn es noch nicht genug wäre, soll Achilleus sogar eine von seinen drei Töchtern, welche er möchte, zur Frau bekommen 11. Zu einer solchen Strafe ist noch niemals jemand verurteilt worden: fUr eine Dienerin, dazu noch eine Kriegsgefangene, der nichts geschehen war, seine eigene Tochter mit einer riesigen Mitgift ohne Brautgeschenke hergeben zu müssen. In der Tat kennen wir im bürgerlichen Bereich kein bittereres Urteil als dies. (16) Glaubst du nun noch, beim Himmel, daß Agamemnon über die Griechen geherrscht habe, ohne rechenschaftspflichtig zu sein, und sich nicht fur alle seine Taten ganz genau zu verantworten hatte? Aber dieses Thema wollen wir hier abbrechen, denn gestern ist genug darüber gesagt worden, und uns einer andern Frage zuwenden. PARTNER: Nein, beim Himmel, versuche lieber, alles, was du zu diesem Gegenstand zu sagen hast, klarzumachen, da ich gerade erst den Sinn deiner Ausführungen so etwa begreife.

660

NESTOR

[56, ,6-57,2

Ich glaube, du willst über Herrschaft, Königtum oder etwas Ähnliches sprechen. 57. NESTOR

(I) Aus welchem Grund eigentlich, glaubst du, läßt Horner Nestor folgende Worte sprechen - ich meine jene Szene, in der Nestor Agamemnon und Achilleus gut zuredet und sie warnt, miteinander zu streiten: Früher schon habe ich nämlich mit Helden verkehrt, die waren besser als ihr, und niemals verachteten sie meinen Ratschlag. Solche Männer hatte noch llie ich gesehen, noch werd' ich jemals sie sehm: Peirithoos, Dryas, den Hirten der Völker, Kaineus, Exadios samt Polyphem, der den GötterrJ gleichkam, Theseus, der Sohn des Aigeus, auch er den Unsterblichen ähnlich. TJ?ahrlich,jene warm die stärkstell der Menschm auf Erden, waren die Stiirksten, und mit den Stärksten kämpften sie auch, mit wilden Tieren der Berge, durch furchtbare Schläge sie tötend. Doch sie ver.standen, was ich ihnen riet, und gehorchten den Trortel/. Also gehorchet auch ihr, dmn besser ist's zu gehorchen.' (2) Hat Homer aus Nestor etwa einen Prahlhans gemacht, wenn er ihn von Peirithoos, Dryas und all den anderen sagen läßt, daß sie auf seine Meinung Wert legten, so außergewöhnlich und jenen beiden Griechen überlegen sie auch waren, ja daß sie ihn sogar aus Pylos nach Thessalien riefen., weil sie mit ihm zusammensein und sich mit ihm besprechen wollten? Und weiter: Scheint Nestor diesen Helden nach dem Hinweis aufihre außergewöhnliche Stärke ein besonderes Zeugnis auszustellen, wenn er sagt, sie hätten seine Meinung verstanden und seinen Worten gehorcht? Oder nehmen wir an, er habe damit sagen wollen, daß jeder Mensch von gesundem Begriffsvermögen auf berechtigte Worte höre und Ungehorsam dasselbe wie Nichtverstehen seil?

57,3-5]

NESTO R

66r

(3) Aber wir wollen auch in anderer Hinsicht prüfen, ob Nestor recht hat oder prahlt. Alle dummen Menschen verachten doch Leute, die keinen Namen haben, und geben nichts auf sie, selbst wenn sie das Beste raten. Sehen sie aber, daß jemand von der großen Menge oder von mächtigen Persönlichkeiten geehrt wird, halten sie es nicht für unter ihrer Würde, ihnen zu folgen. Das ist also der eine Grund für Nestors Selbstempfehlung: daß er früher schon viele mächtige Männer hat überreden können und daß Achilleus und Agamemnon für den Fall, daß sie nicht gehorchen, es nur ihrem eigenen Unverstand und ihrem mangelnden Begriffsvermögen zuzuschreiben haben, nicht aber der Unfähigkeit Nestors, in den wichtigsten Dingen einen Rat zu geben. (4) Nestor hätte auch nicht gezögert, sich selbst verächtlich zu machen, wenn er auf diesem Weg - durch die Behauptung, daß es noch niemals jemand für wert befunden habe, ihn in einer Sache um Rat zu fragen Agamemnon und Achilleus voraussichtlich hätte dazu bringen können, seinen Worten zu folgen. Deswegen ist aber auch sein Selbstlob gerechtfertigt, wenn er damit zum Ziel zu kommen glaubt. Oder ist es nicht töricht, vor dem Selbstlob zurückzuschrecken, wenn man mit ihm wahrscheinlich den größten Nutzen stiften kann? Gilt das gleiche nicht vermutlich auch vom Gegenteil, zu prahlen und immer wieder von sich reden zu machen, wenn damit Gefahr und Schaden verbunden sind? (s) Wenn zum Beispiel ein Patient sich bereit erklären soll, sich schneiden oder brennen zu lassen oder eine widerliche Medizin einzunehmen, und der Arzt weiß, daß der Patient feige und uneinsichtig ist, und ihm deswegen Leute nennt, die er retten konnte, weil sie sich von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugen ließen, wird niemand behaupten wollen, dieser Arzt sei ein Prahler. Genausowenig, scheint mir, darf man Nestor den Vorwurf der Prahlerei machen. 23

662

NESTOR

(6) Das ist also der eine Nutzen, den Nestors Worte leisten. Der andere: Nestor weiß genau, daß sowohl Agamemnon als auch Achilleus einzig und allein aus Überheblichkeit sich ver_ gessen haben, und er denkt, daß die Menschen im allgemeinen dann ganz besonders überheblich sind, wenn sie, durch Ruhm oder Macht aufgeblasen, auf die anderen herabsehen und sie als tief unter sich stehend betrachten. Er hat erkannt, daß Achilleus und Agamemnon aus diesem Grund aufgeblasen sind und nur aus Prahlsucht der eine mit dem andern streitet. Der eine glaubt, als Sohn von Peleus und Thetis und als bester Krieger seiner Zeit dürfe er schlechterdings auf niemand hören und niemand, der über ihm steht, anerkennen; fur Agamemnons Überheblichkeit dagegen ist seine Stellung als König und alleiniger Herrscher über alle Griechen ausschlag_ gebend. (7) Da Nestor also sieht, daß die beiden aus diesen Gründen verdorben sind und nicht mehr friedlich miteinander auskommen können, sondern ihre Herzen anschwellen, wie Achilleus später sagt: Aber es schwillt mir mein Herz 'Por Groll,4 will er sie von ihrer Höhe herunterholen und womöglich ihren Stolz brechen, wie man eine Geschwulst durch Stechen und Qgetschen beseitigt. Deswegen erwähnt er berühmte und mächtige Helden und deswegen auch vermutlich Helden, die in früheren Zeiten gelebt haben, denn er weiß, daß ihnen der Ruhm eher nachfolgt. (8) Freilich überläßt er es nicht seinen Hörern, welche Meinung sie von diesen Männern haben wollen, sondern erklärt selbst unverblümt, wieviel besser als Agamemnon und Achilleus jene Helden waren, in der Hoffnung, die beiden könnten ein wenig von ihrem dünkelhaften Wahn ablassen. Glaubst du also, Homer habe diese Worte Nestor umsonst in den Mund gelegt, jenem Mann, von dem er sagt, er sei der gewaltigste Redner unter den Menschen, und dessen Rede-

NESTOR

gabe er der Süße des Honigs vergleicht S ? Den Gesunden ist aonig das Liebste und Süßeste von allem, den Kranken und Fiebrigen aber, wie es heißt, das Unangenehmste, und doch reinigt und ätzt er mit seiner natürlichen Kraft eiternde und kranke Stellen. (9) So kommt auch Nestors Rede den anderen süß, Achilleus und Agamemnon aber bitter vor, da sie krank und durch ihren Zornesmut verdorben sind, so daß sie in ihrem Unverstand nicht aufihn hören. Auch das also sagt Homer nicht wahllos oder, wie einige annehmen, von ungefähr. (ro) Wir wollen hier abbrechen. Aber etwas anderes verdient nach dem Gesagten noch Beachtung. Wenn jemand, der mit Menschen umgeht, erzählt, er habe früher mit anderen, weit besseren Menschen Umgang gehabt, sei es nun mit Völkern, Königen oder Tyrannen, und habe seine Absicht dabei nicht verfehlt, vielmehr sei das publikum ihm willig und aufmerksam gefolgt - ha t ein solcher Mann den Ruf eines Prahlers verdient, weil er das alles nur erwähnt, um bewundert zu werden und als glücklich zu gelten, oder tut er es vielleicht eher deswegen, weil er nach dem Vorbild von Nestors Belehrung ein publikum haben möchte, das auf ihn hört? (II) Sokrates ging nur wenige Schritte, um die Worte, die er eben im Lykeion gesagt hatte, in der Akademie zu wiederholen, und, ins Lykeion zurückgekehrt, brachte er dort wieder bedenkenlos die in der Akademie gesprochenen Worte vor 6, und seit langer Zeit werden immer wieder die gleichen Tragödien und Komödien aufgeführt. Da wäre es doch sonderbar, wenn man mein Unternehmen als etwas ganz Außergewöhnliches hinstellen wollte: wenn ich euch jetzt, da ihr etwas zu hören wünscht, mein Gespräch mit dem Kaiser mitteile 7 • Wie wenn es ohne Bedeutung wäre zu wissen, ob diese Worte euch und aller Welt zu Nutz und Frommen sind oder wert- und nutzlos. (r2) Ihr dürft mir nämlich glauben, daß Worte, wenn sie an gewöhnliche Bürger gerichtet sind, nur diese Bürger selbst

ACHILLEUS

[57.12-58.2

und noch wenige andere betreffen, wenn aber an Könige, mit öffentlichen Gebeten und Anrufungen zu vergleichen sind. Deshalb halte ich den Perserkönig, abgesehen von allen ande_ ren Gründen, auch deswegen für unklug, weil er ganz gewöhn_ liche Menschen, die sogenannten «Ohren des Königs»8, in alle Himmelsrichtungen schickte mit dem Auftrag, alles zu hören. Dabei hätte man lieber die Ohren des Königs noch sorg_ faltiger als die goldene Platane 9 behüten sollen, daß sie ja nichts Unangenehmes und Schädliches zu hören bekommen! 58.

ACHILLEUS

(r) Achilleus fragte Cheiron: «Warum bringst du mir das Bogenschießen bei?» «Weil auch das zur Ausbildung eines Kriegers gehört.» «Es ist Sache von Feiglingen gegen Feiglinge.» «Wieso?» «Es läßt den Feind nicht nahe herankommen.» «Es läßt den Feind nicht weit genug entkommen.» «Fliehende brauchen diese Waffe.» «Nein, sondern sie richtet sich gegen Fliehende.» «Man selbst muß die Fliehenden einholen.» «Lan gsam oder schnell?» «So schnell wie möglich.» «Holt man sie nun schneller ein, wenn man läuft oder wenn man fliegt?» «Du meinst also, man holt sie nicht selbst ein?» «Wer denn sonst?» «Das Geschoß.» (2) «Wenn du aber einen Speer wirfst, wer holt sie dann ein?» «Das weiß ich nicht.» «Wann holst du selbst sie denn ein und tötest sie? Etwa wenn du sie packst und in Stücke reißt, wie es die Raubtiere

58,'-4l

ACHILLEUS

665

tun? Dann hältst du wohl auch die Frauen ftir tapferer, weil sie übereinander herfallen und ganz aus der Nähe kämpfen?» Als Achilleus das hörte, kamen ihm vor lauter Wut die Tränen. Er beschimpfte Cheiron und sagte, er wolle nicht länger mehr bei ihm bleiben, sondern nach Phthia zu seinem Vater gehen und sich dort erziehen lassen. Denn Peleus sei viel besser als Cheiron und kein Sophist wie er. Nun, Achilleus war noch ein Knabe, der die Schwelle zum Jünglingsalter noch nicht überschritten hatte. (3) «Wenn dein Vater wirklich besser ist», fragte Cheiron, «warum erzieht er dich dann nicht selbst?» «Weil er keine Zeit hat.» «Weshalb nicht?» «Weil er regieren muß.» «Gibt es denn einen Unterschied zwischen Regieren und Erziehen?» «Einen großen. Du aber gibst mir ein Stück Horn, eine Sehne und kleine Eisenstückehen auf dünnen Röhrchen, als wenn ich Vögel jagen und nicht mit Männern und wilden Tieren kämpfen wollte! Die Erbärmlichkeit dieser Waffen wird man erkennen, sobald man gezwungen ist, sie im Nahkampf Mann gegen Mann zu gebrauchen. Mit ihnen muß man kämpfen, wenn man davonläuft voller Angst und Furcht, daß einen ja niemand sieht - wie ein feiger Sklave. Und selbst wenn man einen Gegner getötet hat, kann man ihm nicht die Rüstung abnehmen, und niemals kann man gesehen werden, wie man mit dem Blut des Feindes bespritzt ist. So etwas bringst du mir bei, Bogenschießen und Zitherspielen, ja bis vor kurzem sogar noch Wurzeln auszugraben I wie die Hexen.» (4)« Gefall t dir denn auch das Rei ten nich t ?» fra gte Cheiron. «Nein, und auch du gefal1st mir nicht, wenn du so bist. Denn ich glaube, du bist eher bereit, zu fliehen als die Stellung zu halten.»

666

ACHILLEUS

[58,4-6

Da packte Cheiron die Wut, vor Zorn sträubten sich die Haare, und er warfihm einen Blick zu, furchtbar wie der BUtz. Beinahe hätte er ihn sogar geschlagen, wenn er ihm nicht So liebevoll zugetan gewesen wäre. (s) «Du elende, freche Ausgeburt eines Meerweibs 2 », rief er, «deine Mutter hat dich vollkommen verdorben, denn sie hat dich auf deine Geburt eingebildet gemacht. Und noch viel mehr als sie tat es dein Vater, der dir erzählte, wie die Götter bei seiner Hochzeit gesungen hätten. Du aber hast weder mit dem Meer noch mit dem Himmel etwas zu tun. Ich sage dir, daß du niemals ein guter Krieger werden wirst - nur den Dum_ men wird es so vorkommen - und daß du, wo du auch kämpfen magst, niemals der Anführer sein wirst, wenn du auch der Sohn der Thetis und des Peleus bist. Freilich werden dich die Schmeichler wegen deiner Kühnheit, deiner Schnelligkeit und Stärke den besten der Männer 3 nennen. Trotzdem aber werden sie sich lieber von anderen beherrschen lassen und dich mit Geschenken und nichtigen Lobsprüchen dazu bringen, fur sie zu kämpfen und Gefahren zu bestehen, bis du dann fällst. (6) Ich glaube sogar, daß du dich auch an den Toten vergreifen, ja sie durchbohren und schleifen wirst\ wie wenn du damit eine große Tat vollbrächtest, genau wie dumme Jungen, die alles, was sie töten, im Kreis herumzerren. So einer wirst du sein, und deswegen wirst du auch nicht von einem edlen Mann getötet werden, wie du wohl annimmst. Leute wie deinesgleichen wirst du mit Leichtigkeit täten, nämlich die Tapferen und dabei Dummen, aber du selbst wirst von einem klugen Mann, der sein Kriegshandwerk verstehtS, getätet werden, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben.»

PHILOKTET

59. PHILOKTET'

(r) OnYSSEUS: Ich fürchte, die Meinung, die die Verbündeten von mir haben, daß ich nämlich der beste und klügste unter den Griechen sei, könnte sich einmal als unbegründet herausstellen. Und doch, was für eine Klugheit und Gesinnung muß das sein, die einen dazu bringt, sich mehr als die anderen für aeH und Sieg der Allgemeinheit einzusetzen. Dabei könnte man als einer aus der großen Menge gelten und an diesen Gütern den gleichen Anteil wie die Besten haben'! Doch läßt sich wohl schwerlich etwas so Stolzes und Ehrgeiziges finden wie die Natur des Mannes. Denn im allgemeinen bewundern wir alle die hervorragenden Männer, die größere Aufgaben als die übrigen anzufassen wagen, und sie halten wir für echte Männer 3• (2) Dieser Ehrgeiz hat auch mich getrieben, die schwierigsten Abenteuer zu unternehmen und, im Vergleich zu jedem anderen, ein Leben voller Mühsal zu wählen, stets in Erwartung einer neuen Gefahr, stets in Furcht, den durch frühere Taten erworbenen Ruhm zu verlieren 4. So bin ich jetzt zu einem vollkommen ungewissen und schwierigen Abenteuer hierher nach Lemnos gekommen, um Philoktet und den Bogen des Herakles zu den Verbündeten zu bringen. Denn der weiseste Seher un ter den Phrygern, der Priamossohn Helenos, verriet nach seiner Gefangennahme, daß ohne diese Waffe Troia niemals erobert werden könne. (3) Den Königen gegenüber hatte ich mich zu diesem Unternehmen nicht bereit erklärt, denn ich kannte den Haß des Mannes 5 , dessen Aussetzung ich selbst veranlaßt hatte, damals, als eine giftige Natter ihn unheilbar gebissen hatte. Ich konnte mir nicht denken, mit welcher Überredungskunst es mir gelingen sollte, ihn jemals versöhnlich gegen mich zu stimmen; eher konnte ich mir vor-

668

PHILOKTET

[59.3-6

stellen, daß er mich auf der Stelle umbringen werde. Später aber gebot mir Athene im Traum, wie es ihre Gewohnheit ist, nur getrost zu dem Mann hinzugehen; sie selbst nämlich werde meine Gestalt und Stimme verwandeln, so daß ich, ohne erkannt zu werden, mit ihm zusammenkommen könne. So faßte ich Mut und bin nun hier. (4) Aber ich habe gehört, daß auch die Phryger heimlich Gesandte geschickt haben, ob es ihnen vielleicht gelinge, Philoktet mit Geschenken und zugleich auch wegen seines Hasses auf mich zu gewinnen und ihn samt dem Bogen in die Stadt zu holen. Einen solchen Preis vor Augen, wie sollte da nicht jeder Mann tatendurstig werden? Denn schlägt dieses Unternehmen fehl, waren alle früheren Taten, wie es scheint, umsonst. (s) Ha! Da kommt der Mann. Er ist es selbst, der Sohn des Poias, leicht erkennbar an seinem Leiden, nur mühsam und beschwerlich kommt er vorwärts. Ach, was für ein unerträg_ licher, furchtbarer Anblick! Sein Äußeres ist von der Krankheit entstellt, auch seine Kleidung ungewohnt: Felle von wilden Tieren umhüllen ihn. Jetzt hilfdu, Herrin Athene, und beweise, daß du mir nicht vergebens Rettung versprochen hast! (6) PHILOKTETES: Was willst du, wer bist du, welche Kühnheit hat dich getrieben, hierher zu kommen unter dieses armselige Dach? Ist es, um zu rauben, oder willst du mein Unglück ausspionieren? ODYSSEUS: Du siehst keinen gewalttätigen Menschen vor dir. PHILOKTETES: Früher zumindest war es nicht deine Gewohnheit, hierher zu kommen. ODYSSEUS: Das nicht, aber auch jetzt noch mag es sein, daß ich zur rechten Zeit gekommen bin. PHILOKTETES: Ich glaube, dein Weg hierher verrät große Unvernunft.

59,6-8]

PHILOKTET

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ODYSSEUS: So sei versichert, daß ich nicht ohne Grund gekommen bin. Es wird sich,zeigen, daß ich nicht ein Fremder bin. (7)PHILOKTETES: Woher bist du? Das muß ich vor allem wissen. ODYSSEUS: Ich bin ein Argeier, einer von denen, die nach 'Troia fuhren. PHILOKTETES: Woher? Sag es noch einmal, damit ich es ganz genau weiß! ODYSSEUS: So hörst du es zum zweiten Mal: Ich sage, daß ich einer jener Achaier 6 bin, die gegen Troia zu Felde zogen. paILOKTETES: Dann tatst du allerdings recht daran, dich meinen Freund zu nennen, hast du dich doch als einer der Argeier, meiner größten Feinde, zu erkennen gegeben. Für ihr Verbrechen empfange auf der Stelle diesen Lohn! ODYSSEUS: Nein, bei den Göttern, halte den Pfeil zurück! PaILoKTETES: Das kann nicht sein. Bist du ein Grieche, mußt du diesen Tag noch sterben. (8) ODYSSEUS: Aber sie haben so an mir gehandelt, daß ich zu Recht dein Freund und ihr Feind sein könnte. PaILOKTETES: Und was ist dieses Schreckliche, das dir widerfahren is t? ODYSSEUS: Odysseus stieß mich aus dem Heer in die Verbannung. PHILOKTETES: Was hast du getan, um diese Strafe zu verdienen? ODYSSEUS: Ich denke, du kennst den Sohn des Nauplios, Palamedes. PHILOKTETES: Er war nicht einer der ersten besten, die mitfuhren, und galt bei Heer und Führern nicht wenig. ODYSSEUS: Solch einen Mann stürzte der Verderber aller Griechen in den Abgrund. PHILOKTETEs:BesiegteeribnimoffenenKampfodermitList?

PHILOKTET

[59,8-1 1

OOYSSEUS: Er warfihm vor, er habe das Heer an die Söhne des Priamos verraten wollen. PHILOKTETES: War es wirklich so, oder wurde er das Opfer einer Intrige? OOYSSEUS: Wie könnte etwas recht sein, das Odysseus tut! (9) PHILOKTETES: Der du vor der größten Untat nicht zurückschreckst, in Wort und Tat der größte Verbrecher der Menschheit, Odysseus, wie hast du auch diesen Mann wieder zu Fall gebracht! Er war den Verbündeten nicht weniger wert_ voll als du, glaube ich, wenn er die besten und klügsten Pläne ausfindig machte und schmiedete. Ebenso warst du es sicher auch, der mich hier ausgesetzt hat, mich, den für aller Heil und Sieg dieses Unglück 7 traf, als ich den Altar aufChryse zeigte: Nur wenn die Griechen auf ihm geopfert hätten, sollten sie die Feinde besiegen; andernfalls sei das ganze Unternehmen umsonst. - Aber was hast du eigentlich mit dem Schicksal des Palamedes zu tun? (ro) OOYSSEUS: So wisse denn, daß das Unheil auch alle seine Freunde ereilte und sie alle tot sind, soweit sie sich nicht in Sicherheit bringen konnten. Auch ich segelte in der vergangenen Nacht ganz allein hier herüber und rettete mich auf diese Insel. So bin ich also etwa in der gleichen Not wie du. Weißt du nun einen Rat und sinnst mit mir zusammen auf meine Heimkehr, dann tust du mir damit einen großen Gefallen und schickst gleichzeitig deinen Leuten zu Hause einen Boten deiner Leiden hier. (Il) PHILOKTETES: Das kann nicht sein, Unglücklicher, denn du bist zu einem Mann gekommen, der dir genausowenig helfen kann wie du selbst, der, mittellos und ohne Freunde an diese Küste geworfen, sich nur spärlich und mühsam mit diesem Bogen hier Nahrung und Kleidung verschafft, wie du siehst. Denn was ich zuvor an Kleidern besaß, ist im Laufe der Zeit verschlissen. Wenn du aber das Leben hier mit mir teilen

59, Il-60, 2]

NESSOS

willst, bis sich dir eine andere Rettungsmöglichkeit bietet, will ich dir nichts vorenthalten. Allerdings ist traurig, was es da drinnen zu sehen gibt, mein Freund 8 - mit Eiter angefüllte :Binden und sonstige Zeichen meiner Krankheit. Auch das Zusammenleben mit mir ist nicht angenehm, wenn mich der Schmerz überfällt. Doch hat das Schlimmste der Krankheit mit der Zeit nachgelassen, denn am Anfang war es einfach unerträglich. 60. NESSOS ODER DEIANEIRA

(I) PARTNER: Kannst du mir folgendes Problem lösen: Sind die Vorwürfe, die man teils dem Archilochos, teils dem Sophokies hinsichtlich ihrer Darstellung der Geschichte von Nessos und Deianeira macht, berechtigt oder nich t? Die einen nämlich behaupten, Archilochos rede Unsinn, wenn er Deianeira einen langen Gesang auf Herakles anstimmen lasse, während der Kentaur sie belästigt; sie denkt dabei an die Werbung des Acheloos und an die damaligen Ereignisse zurück, so daß Nessos reichlich Zeit gehabt hätte, bei ihr zu erreichen, was er wollte. Die anderen sagen das gleiche von Sophokles: Er setze den Pfeilschuß zu früh an, nämlich als beide den Fluß noch durchschreiten - auf diese Weise hätte ja auch Deianeira umkommen müssen, als der Kentaur sie fallen ließ'. Aber sage nun nicht wie üblich genau das Gegenteil von dem, was man erwartet, und nicht eher alles andere, als was man glauben kann. (2) DION: Soll ich dir denn Dinge sagen, die jemand glaubt, der richtig glaubt, oder auch Dinge, die jemand glaubt, der nicht richtig glaubt? PARTNER: Jemand, der richtig glaubt. DION: Was glaubt denn nun die große Menge? Muß nicht derjenige, der auf eine richtige Erklärung Wert legt, gegen die Meinung der Menge sprechen? PARTNER: Er muß es.

67 2

NESSOS

[60,2-4

DION: So verfolge also, ohne mißmutig zu werden, den Ge. danken weiter, ob die von dir genannten Vorwürfe nicht auch dieser Art sind. Überlege dir doch einmal, ob sie wahrschein. lich sind. PARTNER: So sprich und erkläre, wie sich dir die Sache dar. stell t. DION: Gut, ich sage dir also: Die ganze Geschich te, daß der Kentaur Deianeira vergewaltigen will, ist ein Irrtum. PA RTNER : So ha t er nich t den Versuch dazu gemach t? (3) DION: Nein. Oder scheint es dir glaubhaft, daß Nessos vor den Augen des Herakles, der doch seinen Bogen bei sich trug, versuch t hätte, sich an dessen Frau zu vergreifen? Zudem hatte er die Tüchtigkeit des Herakles schon bei einer früheren Gelegenheit zu spüren bekommen, als er nämlich als einziger von den Kentauren aus der Höhle des pholos entkam; dabei war sein damaliges Unrecht an Herakles nicht entfernt SQ schwer'. PARTNER: Das ist eine gewisse Schwierigkeit. Aber wenn wir sie beseitigen, zerstören wir womöglich die ganze Ge. schichte. DION: Keineswegs, wenn wir uns überlegen, wie das Ganze verlaufen und welches der wahrscheinliche Ablauf ist. PARTNER: So sprich also! (4) DION: Gleich zu Beginn und während der Durchquerung des Flusses hat Nessos versucht, Deianeira zu verfUhren, und zwar auffolgende Weise: nicht mit Gewalt, wie es allgemein heißt, sondern mit Worten, die bei ihr Anklang finden mußten. So erklärte er ihr, wie sie die Oberhand über Herakles gewinnen könne. Jetzt sei er unbändig und schwierig und werde nur kurze Zeit bei ihr bleiben, und auch das nur widerwillig wegen der Aben teuer in der Fremde und der Le bensform, für die er sich entschieden habe. Wenn sie ihn aber teils durch Fürsorge, teils mit vernünftigen Gründen dazu bringe, den Strapazen und

60,4-8]

DEIANEIRA

673

Mühsalen Lebewohl zu sagen und ein bequemes, angenehmes Leben zu fuhren, werde er viel freundlicher zu ihr sein, ein besseres Leben beginnen und in Zukunft beiihrzu Hause bleiben. (5) Das war die Erklärung des Kentauren, mit der er HerakIes treffen wollte: vielleicht gelänge es ihm, Herakles zu Luxus und Bequemlichkeit zu verfuhren. Denn er wußte, daß flerakles in dem Augenblick, in dem er seine Lebensweise und Tätigkeit aufgab, schwach und leicht zu überwältigen sein werde. Deianeira aber hörte nicht nur mit einem Ohr zu, sonsern dachte, wie nicht anders zu erwarten, daß der Kentaur eigentlich recht habe, denn sie wollte ihren Mann unter ihren Augen haben. Herakles jedoch vermutete nichts Gutes, weil der Kentaur so angelegentlich mit Deianeira sprach und sie ihm aufmerksam zuhörte, und so schoß er mit seinem Bogen. (6) Der Kentaur aber bat noch im Sterben Deianeira, an seine Worte zu denken und zu tun, was er ihr geraten hatte. Später aber, als Deianeira immer noch an die Worte des Kentauren dachte und Herakles zudem in nichts nachgegeben hatte, sondern noch länger von zu Hause fort war - das letzte Mal, als er Oichalia eroberte - und das Gerücht umging, er habe sich in lole verliebt, hielt sie es rur besser, den Rat des Kentauren in die Tat umzusetzen. (7) So machte sie sich ans Werk, listig und zu allem [;;hig, wie Frauen nun einmal sind, und ließ nicht eher locker, als bis sie ihn herumgebracht hatte. Sie redete ihm zu und sagte, sie mache sich Sorgen um ihn, daß ihm etwas zustoßen könne, wenn er win ters wie sommers ohne Kleider nur mit dem Löwenfell gehe. Schließlich brachte sie ihn so weit, daß er das Fell ablegte und ein gewöhnliches Gewand anzog. Und das ist das sogenannte Kleid der Deianeira, das Herakles anlegte 3 • (8) Zugleich mit dem Gewand ließ sie Herakles aber auch seine Lebensgewohnheiten ändern. Jetzt schlief er aufDecken und meist nicht mehr im Freien, wie es bis dahin seine Gewohn-

NESSOS

[60,8-10

heit war, jetzt arbeitete er nicht mehr mit seinen eigenen Händen und aß nicht mehr dasselbe wie früher, sondern fein zube_ reitete Mehlspeisen, Fisch, lieblichen Wein und was sonst noch dazu gehört. Infolge dieser Umstellung aber befiel ihn, Was wohl kaum ausbleiben konnte, körperliche Schwäche und Schlaffheit, und weil er glaubte, diese bequeme Lebensweise nicht mehr ohne weiteres aufgeben zu können, nachdem er sie erst einmal angenommen habe, verbrannte er sich selbst. Zum einen hielt er es rür besser, von einem solchen Leben befreit zu sein, zum andern war er ärgerlich, daß er es fertiggebracht hatte, sich dem Luxus hinzugeben. Da hast du meine Gedanken zu dieser Geschichte, so gut ich sie auszudrücken vermochte. (9) PARTNER: Bei Gott, ich finde sie sehr gut und überzeu_ gend. Und ich weiß nicht, irgendwie habe ich den Eindruck, als ob die Art und Weise, in der einige Philosophen ihre Worte gebrauchen, der Arbeitsweise von Leuten, die Tonfi"guren machen, gliche. Sie nehmen nämlich eine Form, und was auch immer sie an Ton hineinfüllen, immer bekommt er dasselbe Aussehen wie die Form. Auch unter den Philosophen hat es schon Leute dieser Art gegeben: Welche Geschichte, welchen Gedanken sie sich auch vornehmen, sie drehen und wenden ihn solange nach ihren eigenen Vorstellungen, bis sie ihn zweckentsprechend und philosophisch angemessen gemacht haben. Vor allem Sokrates soll zu dieser Gruppe von Philosophen gehört haben. (10) Denn er ließ sich auf jede Art von Gesprächen und Untersuchungen ein, mit Rednern, Sophisten, Geometern, Musikern, Lehrern und den Handwerkern überhaupt, und um keinen Preis war er davon abzubringen, in den Ringschulen, beim Gelage oder auf dem Marktplatz zu philosophieren und die Gesprächspartner zu einem sittlichen Leben aufzufordern. Dabei brachte er nie ein eigenes Thema oder ein bereits durchdach tes Problem mit, sondern ließ sich das Thema stets von der

60,10-61,2]

CHRYSEIS

augenblicklichen Situation eingeben und wertete es dann philosophisch aus. 61. CHRYSEIS

(I) DION: Da du Homer nicht übel preist und nicht wie die meisten, dich nur auf seine allgemeine Geltung verlassend, so tust, als ob du ihn bewundertest, sondern die stärkste Seite des Dichters, nämlich sein Wissen um die menschlichen Leidenschaften, erkannt hast, wollen wir für jetzt, wenn du damit einverstanden bist, alle übrigen Fragen - die Schicksale der Könige und Feldherren - beiseite lassen und nur eine Gestalt unter den kriegsgefangenen Frauen näher betrachten: Wie hat der Dichter die Tochter des Priesters, die er gleich zu Beginn seiner Dichtung erwähnt, charakterisiert? Denn Agamemnon scheint nicht nur die Schönheit, sondern auch den Charakter des Mädchens zu loben, wenn er sagt, es sei seiner eigenen Gattin geistig nicht unterlegen '; offenbar nimmt er doch an, daß seine Gattin Verstand hat. (2) PARTNER: Was, sagt Agamemnon diese Worte nicht ohne klare Überlegung, weil die Liebe ihn blind macht? DION: Die Frage verdient, geprüft zu werden. Auf jeden Fall ist es außerordentlich schwer, Verliebte zu überzeugen, denn sie sind meist argwöhnisch und geraten leicht in Zorn. Dann behaupten sie, von ihrem Geliebten niemals in dem Maß geliebt zu werden, wie sie es verdienen, erst recht nicht, wenn sie eine soviel höhere Stellung haben und auf Grund ihrer unumschränkten Macht mit ihnen verkehren. PARTNER: So geht es schlechten Liebhabern, behaupte ich. DION: Nun, gehört Agamemnon zu den guten, ist sein Urteil über Chrysels richtig. Ist er aber mit der großen Menge auf eine Stufe zu stellen, war es für ein Mädchen von gerin ger Stellung gewiß keine Kleinigkeit, das Wohlgefallen eines so mäch-

CHRYSEIS

tigen Mannes, der ihr sogar noch ein gutes Urteil ausstellt, zu finden. Wir wollen aber auch die andern Punkte prüfen. (3) PARTNER: Welchen anderen Hinweis auf den Charakter des Mädchens findest du denn bei Homer? Er läßt es doch weder etwas tun noch sagen, es wird nur schweigend dem Vater übergeben. DION: Was, kann man denn nicht aus den Vorgängen um sie herum aufihre Gesinnung schließen, wenn man die Sache nicht ganz primitiv und einfältig anfaßt? PARTNER: Vielleicht. DION: Nun gut. Was müssen wir annehmen? Daß Chryses ohne den Willen der Tochter ins Lager gekommen ist, zugleich mit dem Lösegeld auch die Binden des Gottes mitbrachte und die Menge samt den Königen anflehte, ihm seine Tochter freizugeben" oder umgekehrt, daß die Tochter den Vater gebeten hatte, ihr, wenn irgend möglich, zu helfen? (4) Wenn Chryseis mit ihrem Los zufrieden gewesen wäre und mit Agamemnon zusammen hätte leben wollen, hätte Chryses sich nie dazu entschieden, seiner Tochter Kummer zu machen und sich gleichzeitig die Feindschaft des Königs zuzuziehen, da er wohl wußte, wie Agamemnon zu seiner Tochter stand. Und wenn Chryseis es zufrieden war, mit dem König gemeinsam zu leben, hatte das genauso auch für Chryses Vorteile, denn sein Land, sein Heiligtum und auch er selbst waren unter die Botmäßigkeit der Achaier gekommen, und Agamemnon war ihr Herr. (s) Warum kam er ferner nicht sofort nach ihrer Gefangennahme und erwähnte das Lösegeld nicht zu einer Zeit, da sie wahrscheinlich noch schwerer an ihrem Los trug, sondern erst später, als der Schmerz nachgelassen hatte und ihr Umgang mit Agamemnon vertrauter geworden war? Nach der Darstellung des Dichters nämlich fallen diese Ereignisse _. die Ankunft des Priesters und die Beischaffung des Lösegeldes - ins zehnte Jahr der Belagerung. Dagegen muß man annehmen, daß die umliegenden

61.5-7]

CHRYSEIS

kleineren Städte, zu denen auch Chryse mit seinem Heiligtum gehörte, zu Beginn des Krieges eingenommen worden sind. PARTNER: Diese Erklärung beweist aber ein recht merkwürdiges Verhalten der Chryseis: Zunächst, als sie Vater und Vaterland eben erst verloren hat, findet sie sich mit ihrem Schicksal als Gefangene ab, dann aber, nach zehn Jahren, hält sie es für unerträglich. (6) DION: So höre auch den Rest! Es ist nicht angenehmftir freie Frauen, auch nur einen gewöhnlichen Mann zu verlassen, wenn er sie erst einmalliebgewonnen hat, geschweige denn den berühmtesten und reichsten Mann, König von aUen Griechen insgesamt, der unter seinen Zeitgenossen die größte Macht besaß, der nicht nur Herr der Chryseis, sondern auch ihres Vaters und ihrer Heimat war, der sich Hoffnungen machte, in kurzem auch die Herrschaft über Asien zu gewinnen; denn mit Ilion stand es seit langem schlecht, kaum vermochten sie die Stadt selbst noch zu halten, zum Kampf rückte niemand mehr aus. Außerdem beschäftigte sich der König nicht nur so nebenbei mit Chryseis, sondern hatte öffentlich zu verstehen gegeben, daß er, sie seiner eigenen Gattin vorziehe. Daß sie so viele gewaltige Vorteile verschmähte, ferner - und das zählt am meisten - einen Liebhaber, der nicht nur ein großer König war und an Tapferkeit wenig seinesgleichen hatte, sondern dazu jung und schön, wie Homer zu erkennen gibt, wenn er ihn mit Zeus vergleicht 3 ; daß sie in ihr Vaterland, das in der Hand der Feinde war, zurückkehtte und mit einem von Agamemnons Sklaven zusammenlebte, zumindest für den FaU, daß sie sich mit einem Einheimischen verheiraten wollte - wie sollte das nicht merkwürdig sein? (7) Denn der Hinweis, daß sie Kriegsgefangene war und aus diesem Grund den Mann, der sie genommen hatte, nicht geliebt hätte, ist keine stichhaltige Erklärung. Brisels wenigstens scheint Achilleus geliebt zu haben, obwohl er, wie er selbst sagt, ihren Mann und ihre Brüder

eHR YSEIS

[6r,7-ro

erschlagen hatte Agamemnon aber hatte Chryseis nichts dergleichen getan. PARTNER: Schön. Demnach wollte sich Chryseis nicht Von Agamemnon trennen, und Chryses hätte aus eigener Initiative gehandelt. Oder wenn sie es wollte, war sie einigermaßen töricht, was aber deiner eigenen Erklärung widerspricht. (8) DION: Fälle kein Urteil, bevor du nicht beide Parteien gehört hast, sagt man. Du meinst doch wohl auch, daß Homer ein weiser Mann gewesen ist? PARTNER: Vielleicht. DION: Dann mußt du auch annehmen, daß er das eine selbst ausspricht, das andere aber dem Scharfsinn seiner Leser überläßt. Unsere Frage jedoch gehört nicht zu den gänzlich unklaren. Anfangs, wie es scheint, war Chryseis aus den genannten Gründen damit einverstanden, bei Agamemnon zu bleiben, und den Göttern dankbar, daß sie nicht einem der weniger bedeutenden Männer, sondern dem König über alle gegeben worden und ihm nicht gleichgültig war. Deswegen unternahm sie auch nichts für ihren Loskauf. (9) Als ihr aber zu Ohren kam, wie unerfreulich die Verhältnisse bei Agamemnon zu Hause waren, wie grausam und kühn Klytaimnestra, da hatte sie Angst, nach Argos zu gehen. Bis dahin war sie bei Agamemnon geblieben, vielleichr liebte sie ihn sogar. Als sich aber der Krieg dem Ende zuneigte und sich die Kunde verbreitete, daß die Troer sich nicht länger mehr halten könnten, wartete sie die Eroberung Troias nicht ab. Denn sie wußte, daß im allgemeinen die Sieger überheblich werden, während, solange noch Krieg herrscht, die Furcht vor den Göttern stärker ist. (ro) Deswegen rief sie zu diesem Zeitpunkt den Vater und bat ihn, sich fur sie bei den Achaiern zu verwenden. Den n wie es scheint, hatte sie in Erfahrung gebracht, daß die Atriden von ihren Frauen beherrscht werden und die Frauen noch stolzer dachten als die Männer, nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch 4•

61,10-12]

CHRYSEIS

deswegen, weil sie glaubten, daß ihnen die Herrschaft eher zustehe. Die Männer nämlich seien Pelopiden und erst nach Griechenland eingewandert, sie selbst aber als Töchter von Tyndareos und Leda Achaierinnen. Nun war Tyndareos ein berühmter Mann und König von Sparta, so daß die besten unter den Griechen deswegen um Helenas Hand anhielten und fIilfe schworen. (II) Obendrein waren die beiden Frauen Schwestern von Kastor und Polydeukes, die als Söhne des Zeus galten und bis heute wegen der Macht, die sie sich damals erwarben, von allen als Götter angesehen werden. Auf der Peloponnes nämlich waren sie die Mächtigsten j außerhalb der Peloponnes hatte zwar Athen die größte Macht, aber auf einem Feldzug eroberten sie die von Theseus beherrschte Stadt s. Schließlich war noch Meleagros, der vornehmste unter den Griechen, ihr Vetter. Das wußte Chryseis natürlich nicht, aber der Stolz der Frauen war ihr zu Ohren gekommen, und sie hatte erfahren, wie hoch Helena über ihrem Mann stand: Nachdem Helena gehört hatte, wie bedeutend Asien war infolge der Fruchtbarkeit des Bodens, der großen Bevölkerungszahl und seines Reichtums, verzichtete sie nicht nur auf Menelaos, sondern auch auf Agamemnon und ganz Griechenland und wählte an ihrer statt Asien. (12) Menelaos nun hatte frUher schon in allem Helena nachgegeben, aber auch später, als er sie als Gefangene wiederbekommen hatte, war er ihr trotz allem zu Diensten. Agamemnon dagegen, durch seine Macht aufgeblasen, hatte Klytaimnestra beleidigt, so daß vorauszusehen war, daß sie nicht miteinander würden leben können, sondern ungefähr das geschehen müsse, was dann auch geschah 6• Auch war es Chryseis gar nicht recht, daß Agamemnon, und zwar öffentlich in der Versammlung der Achaier, erklärt hatte, er ziehe sie seinereigenen Frau vor und halte sie in keinem Punkt für schlechterjdenn sie wußte, daß solche Worte Neid und Eifersucht her-

680

CHRYSEIS

[61,12-15

vorrufen. (13) Und bei Gott, sie sah auch den Charakter Agamemnons, wie wenig beständig, wie überheblich und eingebil_ det der Mann war, und sie malte sich aus, was er mit ihr, einer Gefangenen, wohl tun werde, wenn die Leidenschaft einmal verraucht sei - wo er doch von seiner eigenen Gattin, einer Königin, von der er Kinder hatte, so abfällig sprach. Denn nUr die unverständigen Frauen fi·euen sich über Liebhaber, die in der Öffentlichkeit alle anderen Frauen schlechtmachen; verständige Frauen dagegen erkennen daran das wahre Wesen des Mannes, der so etwas tut oder sagt. (14) Zugleich merkte Chryseis auch, wie beleidigend sich Agamemnon ihr gegen_ über verhielt, und zwar gerade zu der Zeit, da er sie am meisten liebte. Den Vater der Geliebten auf so rohe Weise wegzujagen und ihn nicht um ihretwillen zu schonen, ganz zu schweigen davon, daß Agamemnon dem Alten nicht gut zuredete und ihm sagte, seine Tochter habe nichts von ihm zu fürchten, sondern im Gegenteil ihm auch noch drohte und obendrein Chryseis beleidigte, indem er sagte: Sie aber gebe ich nicht heraus, bis daß sie das Alter fern der Heimat in meinem Palaste in Argos ereilet. Dort mag am T.f'ebstuhl sie gehen und mit mir teilen das Lager'welch maßlose Überheblichkeit! Was hätte er später erst getan, wenn er auf diese Weise von ihr spricht, wo er sie noch liebt! Vor solch einem Schicksal sich zu hüten und es vorauszusehen, das verrät doch wohl keine schlechte Frau. (15) Die Geschehnisse in Argos um Kassandra und Agamemnon selbst beweisen in meinen Augen, daß Chryseis klug daran tat, sich vor diesem Unheil zu bewahren. Daß sie sich trotz ihrer Jugend weder durch die Liebe noch durch eine königliche Stellung und durch den Schein von Ruhm und Reichtum betören ließ und sich von ungewissen Abenteuern, zerrütteten häuslichen Verhältnissen, von Neid und Eifersucht fernhielt, das sind die Kennzeichen einer klugen Frau, die, im Haus des Gottes groß-

61,15-17]

eHR YSEIS

681

geworden, tatsächlich verdient, Tochter emes Priesters zu sein. PARTNER: Was denn, willst du damit sagen, aus diesen Gründen habe Agamemnon sie für verständig gehalten? (16) DION: Keineswegs, denn es ist nicht anzunehmen, daß sie Agamemnon so etwas gesagt hat, wohl aber, daß er auf Grund anderer Beobachtungen zu dieser Einsicht gekommenist. PARTNER: Warum läßt der Dichter sie dann nicht fröhlich scheiden, wie er Briseis traurig scheiden läßt 8 ? DION: Weil sie auch darin klug handelte: Sie wollte Agamemnon nicht reizen und ihn nicht zum Streit herausfordern. Trotzdem aber läßt uns Homer nicht im unklaren. Ich denke an die Szene, in der Odysseus die Toch ter dem Vater neben dem Altar zurückgibt: Sprach' s und legte sie ihm in die Arme, und freudig empfing er wieder sein liebes Kind. 9 Wäre sie traurig gewesen, hätte ihr Vater sie vermutlich nicht «fi'eudig» empfangen; auch hätte Homer kaum «lieb» gesagt, wenn sie den Vater nicht wegen der letzten Ereignisse sehr liebgehabt hätte. (17) PARTNER: Meinetwegen. Aber warum macht sich Chryseis diese Gedanken, von denen du sprichst, und nicht Chryses? DION: Weil alles, was mit Klytaimnestra zusammenhängt, sie natürlich mehr beschäftigt. Aber auch wenn der Vater sich diese Gedanken gemacht und sie sich ihm gehorsam gefügt hätte, wäre auch das nicht übel gehandelt. Wenigstens lieben die meisten Frauen in ihrem Unverstand die Liebhaber mehr als die Eltern. PARTNER: Gut, aber wenn sie nun wirklich so vernünftig wal', warum hielt sie Chryses dann nicht davon ab, Agamemnon vor aller Augen zu bitten? So hätte sie verhindern können, daß er derart zornig wurde.

682

KÖNIGTUM UND TYRANNIS

[61,18-62,1

(r8) DION: Weil sie wußte, daß Verliebte, wenn sie fur sich sind, ihrer Leidenschaft jeden Gefallen zu tun wünschen, daß sie aber vor der Menge manchmal noch gewisse Bedenken haben. Ferner glaubte sie, daß jemand, der die Binden des Gottes in den Händen halte, auf das Volk Eindruck mache, was sich dann ja auch als richtig herausstellrIo. PARTNER: Aber ich überlege noch etwas anderes. Wie konnte es geschehen, daß Agamemnon damals die Tochter des Priesters und später dann Kassandra, ein gottbegeistertes, geweihtes Mädchen, liebte? DION: Auch das ist ein Beweis für seine Überheblichkeit und Zügellosigkeit, daß er lieber das Ungesetzliche und Ausgefal_ lene begehrte als das Alltägliche. PARTNER: Ich widerspreche nicht mehr, daß Chryseis ein verständiges Mädchen war, wenn die Dinge so liegen. DION: Willst du denn lieber hören, wie es mit Sicherheit ge_ schehen ist oder wie es gut ausgegangen wäre? 62. KÖNIGTUM UND TYRANNIS

(r) Wahrhaftig, wenn jemand nicht imstande ist, über einen einzigen Menschen, der zudem in seiner nächsten Nähe ist und mit dem er en g zusammenlebt 1, zu herrschen und eine einzige Seele, nämlich seine eigene, zu lenken, wie sollte der König sein können, wie du 2 es bist, über ungezählte Tausende, die in alle Himmelsrichtungen zerstreut sind, die zum großen Teil am Ende der Welt wohnen, von denen er die meisten nicht einmal gesehen hat und niemals wird sehen können, deren Sprache er nicht versteht? Das wäre ja genauso, wie wenn man von einem Menschen, dessen Sehvermögen so schwach ist, daß er nicht einmal sieht, was vor seinen Füßen liegt, und der einen Führer braucht, sagen wollte, er könne mit seinen Augen auch sehr weit entfernte Gegenstände ausmachen gleich denen, die

62,1-3]

KÖNIGTUM UND TYRANNIS

auf dem Meer aus großer Entfernung Gebirge und Inseln erkennen; oder wie wenn man von einem Menschen, der sich nicht einmal den neben ihm Stehenden verständlich machen kann, sagen wollte, er sei in der Lage, von ganzen Völkern und Beeren gehört zu werden. (2) In der Tatist das Denkvermögen in gewisser Weise dem Sehvermögen vergleichbar: Sind die Augen verdorben, sehen sie auch das Nächstliegende nicht, sind sie in Ordnung, reichen sie bis zum Himmel und zu den Sternen. Genauso ist auch der Geist eines vernünftigen Menschen imstande, alle Menschen ZLI regieren, während der des Unvernünftigen nicht einmal einen einzigen Körper - seinen eigenen - oder ein einziges Haus schützen kann. Nimm zum Beispiel den größten Teil der Machthaber! Weil sie alles bekommen können, wollen sie alles haben; weil das Recht in ihrer Hand liegt, sind sie ungerecht; weil sie die Gesetze nicht fürchten, glauben sie, es gebe sie nicht; weil sie zur Arbeit nicht gezwungen sind, lassen sie niemals von ihrer üppigen Lebensweise; weil sich niemand wehrt, wenn es ihm schlecht ergeht, hören sie niemals auf, Schlechtes zu tun; weil sie an keinem Vergnügen Mangel haben, bekommen sie niemals genug davon; weil sie niemand offen tadelt, versäumen sie keine Gelegenheit zu ungerechten Worten; weil niemand ihnen zu nahe kommen will, deswegen gehen sie mit allen hart um; weil sie im Zorn alles tun können, deswegen sind sie in einem fort zornig. (3) Der gute Herrscher dagegen, so einer wie du, tut das Gegenteil: Er will nichts haben, weil er alles zu haben glaubt; er vergnügt sich selten, weil er es jederzeit könnte, wenn er Lust dazu verspürt; er ist gerechter als alle anderen, weil er allen Gerechtigkeit verschafft; er hat seine Freude an der Arbeit, weil er von sich aus arbeitet; er liebt die Gesetze, weil er sie nicht fürchtet. Und es ist recht, daß er so denkt. Denn wer hätte Klugheit dringender nötig als der, der sich über so viel Gedanken macht?

KÖNIGTUM UND TYRANNIS

[62.3-6

Wer brauchte strengere Gerechtigkeit als der, der mächtiger ist als die Gesetze? Wer mehr Selbstbeherrschung als der, dem alles gestattet ist? Wer mehr Mut als der, der alles behütet? (4) Wer über viele andere herrschen will, hat gewaltigen Aufwand nötig, Heere von Fußsoldaten und Reitern, dazu Befesti_ gungen, Schiffe und Kriegsmaschinen, wenn er die Untertanen in Zaum halten, sich gegen Feinde schützen und, falls jemand sich seiner Gewalt zu entziehen versucht, ihn sich botmäßig machen will. Sich selbst zu beherrschen dagegen ist die am wenigsten aufwendige, geschäftige und gefährliche Sache von der Welt, denn das Leben des Selbstbeherrschten ist weder aufwendig noch mühselig noch unsicher; trotzdem aber ist es schwerer als alles andere. (s) Jener Sardanapal zum Beispiel, der in aller Munde ist, hatte Ninive, hatte Babyion, die größten Städte, die es jemals gab; es waren ihm untertänig alle Völker, die den anderen Kontinent 3 bewohnen, bis hin zu den Gegenden der Erde, von denen man sagt, sie seien unbewohnt. Mit einem König aber hatte er nichts zu tun, genausowenig wie ein verfaulender Leichnam. Denn Rat abhalten, Recht sprechen und einen Feldzug leiten, das wollte er nicht noch konnte er es. (6) Lieber schlüpfte er in das Frauengemach in seinem Palast und saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem goldgetriebenen Sofa hinter purpurnen Vorhängen wie der von den Frauen beweinte Adonis, mit einer Stimme höher als die der Eunuchen, den Nacken zurückgelehnt, bleich und zuckend infolge des untätigen Lebens im Haus, am Körper bläulich-fahl, die Augen nach oben gedreht, als würde er erdrosselt - nicht zu unterscheiden von seinen Kebsweibern. Trotzdem schein t er für eine gewisse Zeit seine ziellos dahin stürzende Herrschaft behauptet zu haben, wie ein Schiff ohne Steuermann, auch wenn es niemand mehr in seiner Gewalt hat, oft auf dem Meer nach der Laune des Zufalls umhertreibt, solan ge das schöne Wetter an häl t; es braucht

VOM GLÜCK (r)

685

aber nur leichter Seegang zu kommen, und eine Woge genügt, es zum Kentern zu bringen. (7) Sokann man auch einen Wagen beim Wettrennen im Kreis herumwirbeln sehen, ohne daß jemand die Zügel hält; den Sieg wird dieser Wagen niemals erringen, wohl aber stiftet er Verwirrung und reißt die nahe stehende Zuschauermenge ins Verderben. Nein, niemals kann es einen unvernünftigen König geben, genausowenig wie einen blinden Wegfuhrer; einen ungerechten König so wenig wie eine krumme, unebene Meßlatte, die eine zweite zur Korrektur braucht; einen feigen König so wenig wie einen Löwen mit dem Herzen einer Hirschkuh oder wie Eisen, das weicher ist als Wachs und Blei. Im Gegenteil, wem käme strengere Selbstdisziplin zu als dem Mann, der inmitten zahlloser Verlockungen lebt, die meisten Geschäfte zu erledigen hat, am wenigsten Zeit für sich selbst erübrigt und sich um die meisten und größten Aufgaben kümmert? 63. VOM GL ÜCK (r)

(r) Den Menschen scheint es mit dem Glück so zu gehen wie den Leuten auf dem Meer mit den günstigen Winden: Erfreut halten die Seefahrer an ihrem Kurs fest, und wem der Wind treu bleibt, der kommt ans Ziel, wen er aber auf ho her See im Stich läßt, jammert vergebens. So auch die Menschen: Ist das Glück zugegen, freuen sie sich und sind vergnügt; ist es nicht zugegen, sind sie in Jammer und Not. Denn alles ist das Werk dieser Gottheit, das Unmögliche erscheint möglich, das Schwache stark, das Häßliche schön, aus arm wird reich. (2) Zeigt sich das Glück zum Beispiel auf dem Meer, hat das Schiff gute Fahrt, erscheint es in der Luft, hat der Bauer eine gute Ernte. Die Seele ist freudig und froh, wenn das Glück sie emporhebt; verläßt es sie, liegt sie in ihrem Körper wie in einem Grab. Niemand erntet Beifall mit seinen Worten, nie-

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VOM GLÜCK (:1)

[63,2-5

mand hat Erfolg bei seinen Taten, keine Begabung ist zu etwas nütze, wenn das Glück fehlt. Ist es nämlich nicht zugegen, stellt sich weder Bildung noch sonst ein Gut ein. Selbst die Tugend wird um ihrer Erfolge willen nur dann bewundert, wenn ihr das Glück zur Seite steht; bleibt sie allein, ist sie ein Wort, zu keiner schönen Tat fähig. Im Krieg bedeutet Glück Sieg, im Frieden Eintracht; bei der Hochzeit Zuneigung, in der Liebe Lust - kurz, Erfolg bei jeglichem Tun. (3) Wenn das Glück ein Land verläßt, dann wird es erschüt_ tert und bebt, und alles Schöne in ihm zerfällt; das ist die Krankheit eines Landes, wenn das Glück nicht anwesend ist. Wie ein Schiff ohne Steuermann ziellos dahin treibt und bald in die Tiefe sinkt; wie Mauern zusammenstürzen, wenn die Grundfesten angeschlagen sind, so stürzt auch eine Stadt ganz und gar ins Verderben, wenn das Glück fehlt. Athen vergriff sich einst an seinen Rednern, und Demosthenes wurde festge_ nommen I, als das Glück nicht mehr über der Stadt wachte. Mir scheint auch der Himmel Glück zu haben, wenn er heiter und nicht verhangen ist. (4) Man muß aber auch den Erfindungsreichturn des Glücks sehen. So ist es zum Beispiel schon vorgekommen, daß jemand auf See von Bord fiel und trotzdem mit dem Leben davonkam, weil das Glück ihm zu Hilfe eilte. Auch verdient Erwähnung, wie es dem Maler Apelles durch eine glückliche Fügung erging. Wie man sich erzählt, malte er gerade ein Pferd, keinen Ackergaul, sondern ein Kriegsroß : den Hals stolz in die Höhe gereckt, die Ohren aufgerichtet, mit feurigen Augen, wie wenn es eben aus dem Kampfzuriickkehre, vom Lauf her noch Mut im Blick, die Hufe in der Luft schwebend, nur ganz leicht hier und da den Boden berührend; der Wagenlenker häl t den Zügel fest in der Hand, mi t dem Riemen den kampfeslustigen Galopp des Rosses drosselnd. (s) Obwohl nun alles auf dem Bild wie in Wirklichkeit aussah, fehlte die Farbe für den Schaum, wie

VOM GLÜCK (r)

er entsteht, wenn Blut und Speichel sich fest miteinander misehen: Der Atem treibt die Feuchtigkeit von den Lippen vor sich her und wird infolge der keuchenden Atemstöße schaumig, während der grausame Zaum Blut darüber rinnen läßt. J\pelles also war ratlos, wie er den Schaum eines kampfesmüden Rosses malen sollte. Immer mehr geriet er in Verlegenhei t, und schließlich schleuderte er in einem Anfall von Verzweiflung den Schwamm gegen das Gemälde und traf es dort, wo der Zaum war. Der Schwamm aber, der mit vielen Farben, die wie mit Blut durchsetzter Schaum aussahen, vollgesaugt war, teilte dem Bild seine Farbe mit. Als Apelles das sah, wurde er erfreut über das, was das Glück getan hatte, während er bereits alle Hoffnung hatte fahren lassen, und vollendete das Gemälde, nicht durch seine eigene Kunst, sondern durch die Hilfe des Glücks. (6) Oder was sonst hätte Herakles so groß gemacht? Er würgte und erdrosselte einen Löwen, er verfolgte geflügelte Tiere der Luft, trieb die Schlange aus dem Sumpf und zerschmetterte ihr die Köpfe, und auch der Erymanthische Eber jagte ihm keine Furcht ein; er zog sogar in den Westen und brachte die Frucht, die dort an einem Baume hing. Dann trieb er die schönen Rinder des Geryoneus weg, wies den Thraker Diomedes an, den Pferden Korn statt Menschen als Futter vorzuwerfen, und bewies, daß die Amazonen Frauen sind. Das alles konnte er erreichen, weil ihm das Glück folgte. (7) Auch die rätselhaften Symbole, die die Alten dem Glück gegeben haben, sind nicht schlecht. Die einen setzten es auf die Schneide eines Messers', andere auf eine Kugel, wieder andere gaben ihm ein Steuerruder zum Lenken in die Hand, während diejenigen, die seine besseren Seiten darstellen wollten, ihm das schwer mit Früchten des Jahres gefüllte Horn der Amaltheia zulegten, das Herakles im Kampf dem Acheloos ausgebrochen hatte 3 • Des Messers Schneide bedeutet natürlich das Abschüs-

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VOM GLÜCK (2)

sige des Glücks; die Kugel, daß leicht eine Veränderung mit ihm eintritt, denn das Göttliche ist stets in Bewegung; das Steuerruder soll sagen, daß das Glück das menschliche Leben leitet; das Horn der Amaltheia bedeutet das Austeilen von Besitz und Wohlstand. Aufkeinen Fall also wollen wir irgendein Glück schlecht nennen, denn auch von der Tugend sagt niemand, sie sei schlecht, noch nennt jemand das Gute schlecht.

(I) Die Vorwürfe, die die Menschen gegen das Glück erheben, möchte ich für meine Person als die größten Lobsprüche auf das Glück deuten. Die unerklärlichen Wechsel in den mensch_ lichen Verhältnissen zum Beispiel führen sie auf das Glück zurück, und wenn sie in ihren Unternehmungen infolge mangeln_ der Einsicht gescheitert sind, sehen sie darin einen Raub des Glückes, da es ihrer Meinung nach alles ermöglichen kann, wenn es nur will. Man kann Bauern, Kaufleute und Reiche wegen ihres Vermögens dem Glück Vorhaltungen machen hören, Schöne wegen ihres Körpers, Pantheia wegen ihres Mannes', Kroisos wegen seines Sohnes 3 , Astyages wegen seiner Niederlage\ Polykrates wegen seiner Gefangennahmes. Die Perser schal ten das Glück nach der Erschlagun g des Kyros 6, die Makedonen nach dem Tod Alexanders. (2) Aber auch für einen Teil ihrer persönlichen Regungen machen die Menschen das Glück verantwortlich: Medea für ihre Leidenschaft, Midas für seinen Wunsch 7, Phaidra für ihre falsche Bezichtigung 8, Alkmaion für seine Irrfahrt 9 , Orestes für seinen Wahnsinn. Wenn ihr wollt, will ich euch auch eine Geschichte aus Zypern erzählen. In alten Zeiten brachte das Leben auch bedeutende Frauen hervor, die kriegerischeRhodogyne, die Königin Semiramis, die Dichterin Sappho, die Schönheit Timandra. So lebte auf Zypern Demonassa, eine

64,.-5J

VOM GLÜCK (2)

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Frau, die zugleich in der Regierung und in der Gesetzgebung tätig war. (3) Drei Gesetze gab sie den Zyprioten: Die Ehebrecherin sollte geschoren und zur Dirne gemacht werden ihre Tochter brach die Ehe, wurde nach dem Gesetz geschoren und zur Dirne gemacht. Dann sollte der Selbstmörder vor die Stadt geworfen werden und unbegraben bleiben, so lautete das zweite Gesetz der Demonassa. Und das dritte: Ein Pflugochse durfte nicht getötet werden. Sie hatte zwei Söhne: Der eine mußte sterben, weil er einen Ochsen getötet hatte, der andere beging Selbstmord und wurde VOn ihr nicht bestattet. (4) Eine Weile nun ertrug sie den Verlust ihrer Kinder und gab auch weiterhin Gesetze. Als sie aber einmal eine Kuh über ihrem sterbenden Kälbchen brüllen sah und im Schicksal eines fremden Wesens ihr eigenes erkann te, da schmolz sie Eisen und sprang hinein. An der Stelle stand später dann ein al terTurm mit einem in Erz ein gelassenen ehernen Bild, das dem Ba u werk Hai t geben und zugleich diese Geschichte erzählen sollte. Und nahebei war auf einer Säule folgende Inschrift zu lesen: Ich war wohl weise, doch in allem ohne GlÜck.'o (5) Nun wollen wir das Glück nicht ungehört verurteilen und auch das Geschrei der Ankläger nicht fürchten. Vielleicht hilft es uns selbst sogar, Gutes von ihm zu reden. Zunächst einmal scheinen die Künstler durch die Art ihrer Darstellung die Macht des Glücks verdeutlicht zu haben. Denn erstens steht es da bereit zu Taten, dann hält es in der Rechten ein Steuerruder" und segelt dahin, wie man sagen könnte. Warum aber diese Darstellung? Etwa weil die Seefahrer ganz besonders auf das Glück angewiesen sind oder weil es unser Leben wie ein großes Schiff steuert und alle Passagiere wohlbehalten durchbringt - die Assyrer bis zu den Ausschweifungen Sardanapals", die Meder bis zum Großwerden des Kyros 13, die Perser bis zur Überquerung des Meeres 14, die Athener bis zu ihrem Fall, Kroisos bis zum Besuch des Solon IS?

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[64.6-9

(6) Zunächst war Oidipus ein Mann, vom Glück gefolgt. '6 Denn um ihn vor allem Leid zu bewahren, hatte das Glück ihm Unwissenheit geschenkt, was gleichbedeutend war mit Bewah_ rung vor Leid. Im gleichen Augenblick aber, als die Erkenntnis einsetzte, war sein Glück vorbei. Ich für meine Person nenne auch seine Selbstblendung Glück. Mögen Tellos' 7, Kydippe '8, Aiolos' 9 und alle übrigen glücklichen Eltern ihre Kinder sehen - Oidipus wird sich durch die Blendung ersparen einen Anblick fürchterlich.'· (7) In der andern Hand h~lt die Göttin gesammelte reife Früchte und deutet damit auf die FUlle der Güter hin, die sie selbst austeilt. Das war also das goldene Zeitalter,dieInseln der Glückseligen mit den von selbst wachsenden Früchten, das Horn des Herakles Zi und das Leben der Kyklopen", weil sich für die, die sich ihr Leben lang geplagt haben, später ganz von selbst die Fülle der Güter einstellt. Tantalos dagegen war bis in sein Alter untätig. Deswegen war er auch nur bis zu den Lippen glücklich, und nur mit den Augen ginges ihm gut, denn alles, wonach er langen wollte, der See, die Früchte, Speise und Trank, wichen zurück, vom Glück wie vom Wind fortgerissen. (8) Das Glück hat bei den Menschen viele Namen: Seine Unparteilichkeit heißt Nemesis, seine Ungewißheit Hoffnung, seine Unabdingbarkeit Moira, seine Rechtlichkeit Themis wahrhaftig, eine Göttin mit vielen Namen und Erscheinungsformen. Bauern haben ihr den Namen Demeter zugelegt, Hirten nennen sie Pan, Seeleute Leukothea, Steuermänner Dioskuren '3. Leichthändig stürzt er das Große und hebt empor das Geringe, leichthändig macht er das Krumme gerad und das Stolze verschrum-

pelt.'4 (9) Diese Verse beziehen sich aufZeus, der in der Rechten seine Waffe' 5 , in der Linken sein Zepter hält, weil er den Streitbaren unter den Menschen auch die Herrschaft verleiht.

64,9-13]

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Und weiter: Euripides tadelt den Seemann, daß er zur Unzeit quert die breiten Meereswogen. 26 j\uch der folgende Vers en thäl t einen Tadel: Der kleinsten Hoffnung werfen sie sich in den Arm. (10) Sohn des Mnesarchides, ein Dichter warst du wohl, keinesfalls aber ein Weiser! Denn die Seeleute vertrauen ihr Leben weder Pech noch Stricken an, noch rettet sie eine drei Finger dicke Planke aus Tannenholz, sondern sie bauen auf eine zuverlässige und mächtige Sache, auf das Glück. Ein schwaches Ding ist der Reich turn, wenn das Glück fehl t, etwas U nzu verlässi ges die Freundschaft, wenn das Glück nicht mit Hand anlegt. Das Glück rettet den Kranken in der äußersten Not, den Schwimmer mitten im Meer, Agamemnon auf seinen tausend Schiffen, den auf dem Floß umhertreibenden Odysseus. (I I) Wovor hast du Angst, du Feigling? Fürchtest du die Weite des Meeres? poseidon mag dich erblicken, die Winde herbeirufen, den Dreizack ergreifen und alle Stürme loslassen - umkommen lassen wird er dich nicht, denn das Glück will es nicht. So nun irre umher auf dem Meer und erleide piel Unglück, solange bis du zu Met/sehen kommst, die pon Göttern entstammen 27 das Wort eines Gottes, der vom Glück besiegt war 28 • (12) Das Gli.ick war es auch, das das alte Geschlecht eurer Vorfahren, jener Ureinwohner des Landes und ersten Athener, die sich der Erde als ihrer Mutter, Demeter als ihrer Amme, Athene als ihrer Namenspatronin und Helferin rühmten, zunächst von Athen nach Euboia ftihrte. Aber da das Meer sie, wenn sie dort geblieben wären, nicht hätte erfreuen und der Boden sie nicht hätte ernähren können und sie auch nicht das Mißliche ihres Loses, das Dasein auf dem Festland mit dem von Inselbewohnern vertauscht zu haben, ertragen hätten, faßte das Glück einen zweiten, besseren Plan. (13) Gewiß ist Euboia eine ehrwürdige Insel, aber wer von euch hätte es in einem rauhen Land an einem engen Meeresarm 29 ausgehalten, wer die

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zahlreichen Umschwünge ertragen können, die häufiger eintraten, als die Strömung ihre Richtung ändert? Bald hättet ihr die Boiotier und die Stumpfsinnigkeit der Thebaner erdulden müssen, dann die Athener, die euch nicht mehr als ihre Kinder, sondern als ihre Sklaven behandelt hätten. Deswegen führte euch das Glück hierher und siedelte euch hier an; mit der einen Hand lenkte und leitete es die Fahrt, mit der anderen teilte es reichlich Früchte aus als sein Geschenk. Nun ist der Sinn von dem, was noch bleibt, nicht leicht darzustellen. (14) Jedoch, was mich betrifft, 0 Glück - an dich nämlich wenden sich meine Worte vielleicht mit gutem Recht-, wenn mich jemand hochhöbe und mich auf dem Rücken eines Pegasos oder dem Flügelwagen des Pelops durch die Lüfte trüge und die ganze Erde und alle Städte unter mir ausbreitete, ich würde nicht den Luxus der Lyder wählen, nicht· die Einfachheit Attikas, nicht die Armut Spartas, nicht Kroton und Sybaris, weil man dort nicht arbeitet 30, nicht die Skythen, weil sie ihr Land nicht bestellen 3[, nicht die Ägypter, weil sie fur andere das Land bestellen 3\ (I s)Libyen nicht, wo die Schafe geboren werden mit Hörnern 33 das Paradies der Hirten! Nicht das ägyptische Theben, das hunderttorige, 'Zweihundert Männer können durch jedes Tor mitsamt ihren Pferden und '-Vagen die Stadt verlassen 34 ein Leben für Stallknechte und Torwächter! Solch einen Baum sah ich einst am Altar des Apollon auf Delos 35 ein Altar genügt mir nicht, denn ich habe nichts zu opfern, Bäume sind mir zu wenig, wenn sie mich nicht ernähren können. Rauh ist es, aber der Boden ist gut für die 1ugend36doch dieses Land ist nicht rauh, sein Boden nicht gut fur die Jugend. (16) Erhahne Herrin ihrer aller, Stadt Athen 37 sage das nicht, mein Lieber! Sie sind keine Herren mehr.

64. 16- 18]

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,rie schön ist deine Sch!ffswerft anzuschauen doch nach dem Hellespont und Lysandros aber war sie häßlich 3B• ... doch schön ist der Piräus nur weil du ihn dir noch mit seinen Maucrn vorstellst 39 • 'Feich andre Stadt hält' solche schöne Haine sonst?sie hatte sie, aber die Stadt wurde verwüstet und hat wie eine Frau über ihrem Unglück das Haar geschoren. Das Klima sei zumindest, heißt es, gerade rechtwie denn, leiden sie nicht an der Pest 40 und sind krank, kom· men nich t wegen des Klimas mehr von ihnen um als im Kriege? (r7) Nun ärgere sich ja keiner, daß ich auf diese Weise von euren Vätern gesprochen habe! Den ersten Preis erringen wir nur im Wettkampf mit den Ersten. Wie sich in alten Zeiten ein Soldat 41 damit brüstete, daß er es seinem Vater zuvorgetan habe, so ist es auch fiir die Athener, eure Stammväter, keine Schande, von den Söhnen übertroffen zu werden. Denn sie werden an euren Leistungen teilhaben, auch wenn sie in ihren eigenen die Unterlegenen sind. Wie solltet ihr fiir all diese Vorzüge dem Glück nicht dankbar sein: für eure Abstammung, daß ihr Griechen seid, für den Umschwung, daß ihr aus Armut zu Wohlstand gekommen seid? Sokrates wenigstens schätzte sich aus vielen Gründen glücklich, daß er ein vernunftbegabtes Wesen und Athener war. (r8) Der Kyniker Diogenes dagegen machte sich auf grobe und außerordentlich ungezogene Weise über das Glück lustig: es sende wohl viele Pfeile gegen ihn als Zielscheibe, aber es könne ihn nicht treffen. Ich mag einen solch frechen Philosophen nicht. Sage über das Glück nichts Unwahres! Wenn es dich nicht trifft, dann deswegen, weil es nicht will; wenn es aber will, trifft es dich mit leichter Hand, wo du auch bist. Ich will nicht kurze Lakonismen 4' anfuhren die Knechtschaft unter den Persern, Dionysios in Korinth 43, die Verurteilung des Sokrates, Xenophons Verbannung, den Tod des Pherekydes 44, das Glück des Anaxarchos 4s - , aber mit

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[64. 18-21

wie vielen Pfeilen hat es selbst dieses schwierige Ziel 46 getroffen? Es machte dich zum Verbannten und brachte dich nach Athen, es führte dich bei Antisthenes 47 ein und verkaufte dich nach Kreta. Wenn dir aber Wanderstab und Ranzen und das ärmliche,' einfache Leben diesen Dünkel eingeben, so wisse auch dafür dem Glück Dank, denn ihm verdankst du dein philosophieren. (19) Dann gab es einen Feldherrn in Athen, Timotheos, der mit allem Erfolg hatte, nur keinen Spott ertragen konnte. Eines Tages aber beleidigte er irgendwie das Glück, und damit begann sein Unglück 48 • Wer hätte jemals gedacht, daß ein Barbier über die Inder herrschen 49 , ein Hirte König der Lyder sein 5., eine Frau Asien regieren werde 51 ; daß den Herakles ein Rock und eine Frau töte S" den Alexander ein Sklave und ein Becher 53 ? Aber das Glück hat eben stets sehr viel'von einem König an sich, und wer sich über seine Natur erhebt, den stürzt es hinab. So beging Alexander zum Beispiel allerhand dreiste Taten: (20) Er konnte es nicht haben, wenn man ihn den Sohn des Philipp nannte; von Zeus behauptete er falsche Dinge; die Dioskuren verachtete er; Dionysos beschimpfte er, obwohl er von dessen Gaben so reichlich Gebrauch machte. Er ermordete den weisen Kleitos, den schönen Phiiotas, den betagten Parmenion, seinen Lehrer Kallisthenes; Aristoteles zu töten war er drauf und dran, und die Ermordung des Antipatros war bereits geplan t. Deshalb zwang ihn das Glück noch zu seinen Lebzeiten zu dem Eingeständnis, daß er auch nur ein Mensch sei. (21) Nach seiner Verwundung sagte er zu den Freunden: «Das ist ja gar nicht das Blut von Göttern, was da fließt, sondern wirkliches Blut 54.» Und bei seinem Tod kam dann das volle Eingeständnis, daß das Glück mächtig und in Wahrheit unbesiegbar ist. Den thebanischen Schwerbewaffneten war er entkommen, ebenso der thessalischen Reiterei, den aitolischen Speel'werfern, den Thrakern mit ihren Messern, den streitbaren Persern

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und dem Volk der unwiderstehlichen Meder, hohen Gebirgen, unüberquerbaren Flüssen, unerklimmbaren Steilhängen, Dareios und Poros und wie die Völker und Könige alle heißen - in Babyion, ohne Kampf und Verwundung, starb der Streiter! (22) Was soll man erst über seine Nachfolger in der Herrschaft und über deren Nachfolger mit ihren großsprecherischen Namen sagen - Donnerschläge, Städtebclagerer, Adler und Götter! 55 Den einen von ihnen widerlegte der Tod 56, der zweite fand, daß das Glück doch noch höher stehe als er selbst 57, obwohl er es nur fur einen Fußgänger gehalten hatte; der Städtebelagerer Demetrios kam als Gefangener im Weinrausch erbärmlich um, vom Glück belagert. Was sind also die Tyrannen stolz auf ihre Befestigungen? Wozu singt Amphion 58 , wozu müht sich Dei"okes ab, wozu baut Semiramis, warum verdingt sich Apollon 59, warum umschreitet Meles mit dem Löwen die Mauer 60 ? Denn Kyros wird über die Meder die Oberhand gewinnen, über die Babyionier Zopyros, über Sardes ein Marder, über Troia - das Pferd. (23) Das Glück sei von ausschlaggebender Bedeutung, ja mehr noch, es sei das Ganze, hat jemand gesagt 61. Es fand Pindar in Boiotien ausgesetzt, Telephos 6z in Arkadien, die Könige von Rom 63 in Italien; dem ersten schickte es Bienen 64, den Königen Hirten, Telephos eine Hirschkuh, Kyros eine~ Hund oder eine Frau 65. Eumenes war der Sohn eines Fuhrmanns, aber trotzdem wurde er König. Herakles war der Sohn Alexanders, aber er wurde nicht König: Ohne die Totenehren bekommen zu haben, wurde sein Leichnam zu Olympias gebracht, und nachdem sie ihn bejammert hatte, starb sie selbst, die Mutter eines Gottes! (24) Die Mutter des Dareios machte vor Alexander einen Kniefall, ebenso vor Hephaistion - eine noch größere Entehrung. Und was ist mit dem Libyerkönig? Zerstörte er nicht fünfhundert römische Städte? Hob er nicht seinen Leibrock in die Höhe und zeigte ihn den Bürgern ange-

696

VOM GLÜCK (2)

[64,24-2,

füllt mit römischen Siegelringen, die er alle als Beute seinen erschlagenen Feinden abgezogen hatte? Trotz all dieser Taten starb er eines elenden Todes, denn er hatte oft mit dem Glück gewetteifert - aber umsonst 66 • (25) Aus diesem Grund scheinen mir auch die Menschen alle bedeutenden Entscheidungen dem Glück zu überlassen, indem sie Ämter und militärische Posten verlosen; auch BrÜ. der teilen das Erbe auf diese Weise. Deshalb hätte auch Poly. neikes, wäre er gut beraten gewesen, mit seinem Bruder Um die Herrschaft losen sollen; so aber kam er selbst um und er. schlug zudem seinen Bruder, weil er die Entscheidung Vom Alter, nicht vom Glück abhängig machte. (26) Schüttelt jetzt gründlich die Lose, damit wir sehen, wen es treffe! Dieser Mann wird den schö'ngeschienten Achaiern nützen. 67 Und es nützte ihnen, der das Los gezogen hatte. Hektoraber unterlag, weil er seinem eigenen Urteil, nicht dem Glück ge. glaubt hatte. Zweierlei Urnen stehn im Palaste des Zeus auf der Scbwelle. 68 Das sind die Vorratsbehälter für die Menschen in der Hand der Götter. Das Glück aber ist es, das diese Behälter hinsicht. lich der zufallenden Lose verwaltet, für den Redner und Feld. herrn, für arm und reich, für jung und alt. (27) Kroisos gibt es Gold, Kandaules ein Weib 69, Peleus ein Schwert16, Nestor einen Schild 7 ', Pterelas goldenes Haar 7', Nisos eine rote Locken, Alkibiades Schönheit, Sokrates Weisheit, Aristeides Gerechtigkeit, den Spartanern Land, den Athenern Meer. Dann nimmt es ihnen das alles der Reihe nach wieder und gibt es anderen. In nichts scheint sich mir das menschliche Leben mit seinen täglichen Wechselfällen von einem Festzug zu uno terscheiden.

65. 1- 3]

VOM GLÜCK (3)

65.

VOM GLÜCK

(3)

(I) Die Menschen, die sich fest auf das Glück verlassen und sich durch seine Gegenwart emporgehoben fühlen, scheinen mir seine besten Anwälte zu sein, denn sie verhindern, daß jemand auf das Glück schimpft, wenn es umschlägt. Andererseits heißen es alle, die unter der Unausstehlichkeit der Glücklichen zu leiden haben und voll Haß auf ihren Übermut sind, gut, wenn das Glück einen von diesen verläßt, und sagen, sie hätten den Wechsel verdient. Vernünftige Menschen aber sollten mit den ihnen in den Schoß gefallenen Glücksgütern so umgehen, daß niemand Anstoß daran nimmt, wenn sie vorhanden sind, und niemand sich darüber freut, wenn es einmal mit ihnen ein Ende hat. (2) Denn auf alle Fälle ist es besser, in ärmlichen Verhältnissen zu leben, dafür aber geliebt zu werden und im Ruf zu stehen, schlechter als verdient weggekommen zu sein, als umgekehrt in guten Verhältnissen zu leben, dafür aber gehaßtzuwerden und obendrein noch zur Lästerung des Glücks, daß es lieber die Schlechten als die Guten fördere, den Anstoß zu geben. Die meisten Menschen nun behaupten, daß alle, die mit den Gaben des Glücks Ärgernis erregen, schlecht seien und sie nicht verdient hätten - daß jene unglücklich sind, sagen sie im allgemeinen nicht. Mir jedoch kommen diese Menschen als die unglücklichsten der Welt vor. (3) Denn wenn man aus den Dingen, die gemeinhin für Güter gehalten werden, nichts Erfreuliches, sondern nur Schmähworte und Haß erntet, ganz abgesehen davon, daß man seine Schlechtigkeit allen nur noch offenkundiger macht, sollte das nicht ein großes, eindeutiges Unglück sein? Deshalb, glaube ich, ist es ftirdie Dummen auf jeden Fall vorteilhafter, in ärmlichen Verhältnissen zu leben und weder zu Macht und Reichtum noch zu sonst etwas dergleichen zu kommen. I31eiben sie im Dunkel,

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werden die meisten ihr wahres Wesen nicht erkennen; werden sie aber vom Glück in die Höhe getragen, ist ihre Schlechtig_ keit offenbar. (4) Wie es nämlich für gebrechliche Menschen besser ist, wenn sie zurückgezogen leben und sich nie in der Öffentlichkeit sehen lassen, um keinen Zeugen ihrer Scham zu haben, so ist es, denke ich, für Menschen mit einer niedrigen und verdorbenen Seele geraten, im Dunkel auf der Schatten_ seite des Glücks zu leben. Denn zu Unrecht scheinen mir die meisten Menschen dem Glück Vorwürfe zu machen, daß es nichts von Stetigkeit und Zuverlässigkeit habe, sondern jeden, bei dem es sich einsteHe, blitzschnell wieder verlasse und zu andern überwechsle. (s) Könnten wir nämlich beobachten, daß die Beschenkten im allgemeinen von den Gaben des Glücks einen guten Gebrauch machen, statt sofort vor Übermut, Verachtung und Überheb_ lichkeit zu platzen, täte das Glück schlecht daran, nicht bei denselben Menschen zu bleiben. Aber wie die Dinge liegen, zieht das Glück es, glaube ich, vor, jedem Gutes zu tun, da es jeden für brauchbar und seiner Gaben für wert erachtet. Muß es aber sehen, daß er nichtswürdig und gemein ist und der Begünstigung nur Schande macht, verläßt es ihn natürlich und sucht sich einen anderen in der Hoffnung, einen ordentlichen Menschen zu finden. (6) Da die meisten nun aber schlecht sind und die Natur nur selten einen Menschen hervorbringt, der für das Glück tauglich ist, wechselt es zwangsläufig von einem zum an dem - aber in erster Linie wegen unserer, nicht wegen seiner Natur. Es ist doch merkwürdig, daß unsereins manche glückliche Menschen nicht ertragen kann, sondern nach kurzer Zeit den Verkehr mit ihnen abbricht und lieber seine Armut, so gut er kann, erträgt, um nur nicht dieses lästige und törichte Wesen aushalten zu müssen. Vom Glück aber, einer Göttin, verlangen wir, mit genau demselben Menschen auf immer zusammenzuleben und, oft den schwersten Beleidigungen ausge-

65,6-9]

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setzt, bei einem nichtswürdigen Sklaven auszuharren. (7) Die unverschämtheit der Reichen gegenüber den Menschen, die nUt ihnen leben, besteht im Schimpfen, Treten und Verlachen, oft auch in Schlägen; dem Glück gegenüber in Überheblichkeit, Unaustehlichkeit und Rechthaberei. Die Vorwürfe der großen Menge gegen das Glück kommen mir äußerst ungerecht vor. Denn sie beschuldigt es, unzuverlässig zu sein und keinen Bestand zu haben. Bliebe es aber stets bei denselben, müßte es sich unweigerlich eine noch schwerere und gerechtfertigtere Anklage gefallen lassen. Denn wo ihr jetzt schon seht, daß die Leute, denen es gut geht, so schlecht und unangenehm sind, obwohl die Zukunft ungewiß ist, mit wieviel Überheblichkeit und Grobheit, glaubt ihr wohl, müßten sie erst erfullt sein, wenn sie überhaupt nicht mehr mit einem Umschwung zu rechnen hätten? (8) Viele sagen, das Glück sei willkürlich und bleibe bei den Schlechten, um die Guten aber kümmere es sich nicht; sie sehen dann, daß die mit Glücksgütern Gesegneten unausstehlich, schwierig im Umgang und gemein sind. Diesen Leuten scheint mir das Glück zu Recht zu erwidern, daß es von Natur aus die Menschen liebe und immer bei einem von uns zu finden sei, ohne auf gut oder schlecht zu achten, daß sich dabei aber stets der wahre Charakter der Menschen, zu denen es komme, herausstelle. Deswegen müßten sie ihre eigene Natur, nicht das Glück beschuldigen, daß sie so seien: (9) Wem es mäßig gehe, der scheine sofort ein besseres Los verdient zu haben, wem dagegen die Glücksgüter zur Verfugung stünden, habe sich als verdorben herausgestellt. Folgendes wäre damit vergleichbar: Es sind viele Gefäße vorhanden, aber keins ist heil. Nun will jemand sie vollmachen, und ich schelte ihn, weil ich sehe, daß jedes Gefäß, das er füllen will, undicht ist. Der Mann könnte nämlich sagen: «Dann sind sie alle undicht; aber solange sie leer sind, merkt man es nicht.»

700

VOM GLÜCK (3)

[65,10-'3

(IO) Verwundert frage ich mich, wie die meisten Menschen überhaupt sagen können, das Glück sei gefährlich und seine Gaben ohne jeden Bestand. Denn wenn es jemand seine Gaben schenkt, das heißt also: Geld, Macht, Ruhm und Ehre, verbie. tet es keinem, den rech ten Gebrauch von ihnen zu machen und, beim Himmel, sie für sich in Sicherheit zu bringen - ich meine nicht ins Haus hinein, in die Vorratskammer oder hinter Schloß und Riegel, denn nichts dergleichen kann die Gaben des Glücks schützen. Ich meine, man sollte sie in menschlichem Entgegen. kommen, im Dienst am Vaterland, in der Freundeshilfe spei. ehern. (Il) Von den auf diese Weise aufbewahrten Gütern nimmt das Gli.ick denen, die sie erst einmal bekommen haben, gewiß niemals etwas weg. Denn das sind sichere und ftir alle sichtbare Speicher, um das, was einem ohne eigenen Verdienst zufällt, aufzubewahren. Verschleudert man aber die anvertrau. ten Glücksgüter oder verwahrt sie schlecht, indem man sich auf Türen, Siegel und Schlösser verläßt, bei Gott, so darf man ihren Verlust, so glaube ich, nicht mehr dem Glück zuschrei. ben. (12) Reichlich merkwürdig ist auch folgendes. Nich t genug, daß man viel mit Worten auf das Glück schimpft - auch Bild. hauer und Maler schelten es, indem siees bald rasend und seine Gaben verschleudernd, bald auf einer Kugel stehend darstel. len, als wenn sie damit sagen wollten, es habe keinen festen, sicheren Stand. Dabei sollten wir, anstatt dem Glück unbegründete Vorhaltungen zu machen, uns selbst in dieser Haltung meißeln und malen, die wir so unsinnig und verkehrt mit allem umgehen, aber, beim Himmel, nicht auf einer Kugel-auf der Torheit stehend! (13) Von allen Dingen, kann man wohl sagen, haben diemeisten Menschen f..''1lsche Vorstellungen, am verkehrtesten und irrigsten aber ist ihre Meinung vom Glück. Denn sie behaupten, das Glück gebe den Menschen die Güter und nehme sie

65,13-66, I]

VON DER RUHMSUCHT

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ihnen leichten Herzens wieder weg, und deswegen schelten sie das Glück unzuverlässig und mißgünstig. Ich dagegen behaupte: Das Glück gibt nichts von dem, was die große Menge glaubt. (14) Wodurch nämlich jeder einzelne Herr über seine Güter ist und womit allein er seinen Besitz sicher hat, das verleiht ihm das Glück nicht zusammen mit Geld, Ruhm und Macht. Dies eine aber ist es, ohne das man auch nichts anderes besitzen kann, höchstens meinen, man besäße es, und sich dabei täuschen. Wenn wir jemand in unser Haus bringen, ihm ein Stück Land oder irgendwelche Gegenstände anbieten, haben wir ihn damit noch nicht zum Herren von alledem gemacht, es sei denn, es läge eine schriftliche Garantie vor. So macht auch das Glück niemand zum Herren über seine Gaben, wenn nicht die Gewähr dafür gegeben ist, daß der Betreffende sie mit Verstand und Einsicht empfängt. (15) In der Regel schätzen die meisten Menschen jemand glücklich, sobald sie die Gaben des Glücks bei ihm erkennen, wie man sich mit den Passagieren unterwegs freut, wenn man sieht, daß ein Wind bläst, aber nicht weiß, ob er günstig für sie ist und ob sie einen erfahrenen Steuermann haben. Ich dagegen bin der Meinung, man sollte die Menschen, die im Glück schwimmen, dann erst als glücklich erachten, wenn sie zugleich auch vernünftig sind. Denn die Gaben an sich, falls sie unvernünftigen Menschen zuteil werden, bringen natürlich Gefahr und Unglück. 66. VON DER RUHMSUCHT

(I) Es gibt Leute, die alles, was für Geld, Leckereien oder Wein eine Schwäche hat oder in Frauen und Knaben vernarrt ist, als unrettbar verloren abschreiben und jeden dieser Fehler für die größte Schmach halten, andrerseits aber Männer, die auf Ehre und Ansehen erpicht sind, als etwas Herrliches preisen. Des-

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[66"-4

halb schämt sich auch jeder von sich aus, ein Feinschmecker Trinker oder Liebhaber zu sein, und versucht, seine Leiden: schaft zu verbergen; Ruhmsuch t und Ehrgeiz jedoch will kein Mensch verstecken, sondern man zeigt sie in aller Öffentlich. keit. (2) Denn von der großen Menge heißt jeder diese Art Krankheit gut, weil er sich einen Vorteil davon verspricht. Und ganz offiziell haben sich beinah alle Städte die verschie. densten Köder für diese Toren ausgedacht: Kränze, Ehren. plätze und öffentliche Ausrufungen. So ist schon mancher, den diese Verlockungen reizten, unglücklich und arm geworden, obwohl man ihm keineswegs wunder was für Herrlichkeiten vorhielt, sondern ihn manchmal wie ein Schaf mit einem Zweig an der Nase herumführte oder ihm einen Kranz oder ein Band umlegte. Ein solcher Dummkopf nun verkauft häufig, obwohl er, wenn er wollte, jede Menge Kränze umsonst haben könnte, nicht nur von Ölbaum und Eiche, sondern auch von Efeu und Myrte, sein Haus und seine Ländereien und zieht dann hungrig in einem schäbigen Kitteillmher. Aber, sagt er, er sei von den Bürgern öffentlich ausgerufen worden - wie ein verlorenge. gangener Sklave. (3) Deswegen verwendet man also bei den Abstimmungen ganz mit Recht den Ölzweig: wegen seiner natürlichen Bitterkeit. Denn die Ruhmsüchtigen vertreibt das Volk schreiend und lärmend von ihren Besitzungen, wie es, denke ich, Bauern mit den Staren machen. Die Stare aber ver. schwinden nur für kurze Zeit, während es für diese Menschen keine Rückkehr gibt zu dem, was ihnen einmal gehörte. Viel· mehr gehen sie bald als Bettler umher, und keiner von denen, die sich früher für sie die Zunge aus dem Halse schrien, begrüßt sie mehr, wenn er sie sieht. (4) Ja,so groß ist die Macht der Verblendung, daß man fur einen schönen Purpurmantel, den man beim Färber für zwei oder drei Minen haben könnte, sehr viel Talente bezahlt, wenn man ihn von der Stadt kauft. Und die Bänder, die auf eiern Markt für wenig Drachmen zu

66,4-6]

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haben sind, kosten in der Volksversammlung oft das gesamte Vermögen. Wird man auf dem Marktplatz' ausgerufen, hält einen jedermann fiir eine armselige Kreatur, geschieht es aber im Theater', gilt man als glücklicher Mensch. Von dem letzten heißt es, er werde ausgerufen, von dem ersten, er werde ausgeboten - zwei ganze Silben machen offenbar den Unterschied. (5) So sehr verachtete man in früheren Zeiten die Menschen und durchschaute ihre Albernheit, daß man als Preis ftir die härtesten Anstrengungen und Schläge Blätter aussetzte. Trotzdem fehlt es nicht an Leuten, die um diesen Preis den Tod wählen. Keine Ziege würde sich wegen eines wilden Ölbaums 3 den Abhang hinunterstürzen, erst recht nicht, wenn sie auch woanders Futter findet; und dabei schmeckt der Ölbaum den Ziegen nicht übel, während der Mensch ihn nicht gut essen könnte. Oder die Fichte vom Isthmos 4 : Sie ist nicht grüner als eine Fichte anderswo, aber mit viel Schweiß und Mühsal kämpft man um sie und gibt dafür oft noch eine Menge Geld aus. Dabei hat die Pflanze keinerlei Nutzen: Sie kann keinen Schatten spenden und keine Frucht tragen, ihr Blatt ist scharf und rauchfarben. Eine Fichte von Megara aber sieht keiner an. Trägt jemand eine Binde, ohne daß er sich eine Kopfverletzung zugezogen hat, wird er ausgelacht; den Königen jedoch scheint dieser Kopfschmuck anzustehen, und schon viele Tausende sind ftir solch einen Fetzen in den Tod gegangen. 6) Die Tragiker wissen davon zu erzählen, daß wegen eines goldenen Schafes s ein so mächtiges Haus wie das des Pelops untergegangen ist. Die Kinder des Thyestes wurden erschlagen, und mit Pelopia begattete sich ihr Vater und zeugte den Aigisthos. Dieser tötete mit Klytaimnestras Hilfe Agamemnon, den Hirten der Achaier, und jene wieder tötete Orestes, ihr Sohn, der unmittelbar nach der Tat wahnsinnig wurde. Diese Geschichten verdienen Glauben, denn sie sind nicht von den ersten besten, sondern von Euripides und Sophokles geschrie-

e

VON DER RUHMSUCHT

[66,6-9

ben worden und werden auch jetzt noch in den Theatern rezi_ tiert. Abgesehen davon kann man auch ein anderes Haus sehen, das noch reicher war als das des Pelops und wegen einer Zunge untergegangen ist, und, bei Gott, noch ein drittes, das in Gefahr ist unterzugehen 6. (7) Bei solchen und einer Unmenge anderer, noch verrück_ terer Begleiterscheinungen des Ruhms fragt man sich, wieso der Mensch, der darauf versessen ist, keineswegs leichter zu befriedigen ist als jemand, der sonst eine Leidenschaft hat. Das Leckermaul stellt ein einziger Fisch zufrieden, und kein Feind wird ihn in seinem Genuß stören. Ähnlich verehrt der von einer unglückseligen Knabenleidenschaft Befallene den einen schönen Knaben, den er getroffen hat, und macht ihn sich oft für wenig Geld gefugig. Eine Flasche thasischen Weins reicht dem Liebhaber eines guten Tropfens vollauf, und wenn er sie geleert hat, schlummert er süßer als Endymion. Der Ehrgeizling dagegen ist wohl kaum mitdem Lob eines einzelnen,ja oft nicht einmal mit dem von tausend Menschen zufriedenzustellen. (8) Wer gäbe nun nicht zu, daß der schwierigste Knabe leichter zu behandeln ist als selbst die maßvollste Gemeinde1 Und je weiter die Ruhmsucht fortschreitet, desto unmöglicher ist es, den nötigen Schlaf zu finden; wie ein Fieberkranker wird man stets bei Tag und Nacht aufgescheucht. «Gewiß», wirst du einwenden, «aber jene kann man beim Wein, bei ihren Freundinnen und in der Küche sehen.» Muß aber nicht auch der Ruhmsüchtige eine Menge Zukost und Wein kaufen? Dann muß er Flötenspieler, Schauspieler, Zitherspieler und Zauberkünstler herbeischleppen, dazu Boxer, Allkämpfer 7 , Ringkämpfer, Läufer und dergleichen Volk, wenn erdie Menge nicht ärmlich und kärglich unterhalten will. (9) Unter den Feinschmeckern nämlich hates noch nie einen Menschen gegeben, den es nach einem wilden Löwen oder nach hundert Stieren gelüstet hätte. Die aber der großen

66,9- 12]

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Nfenge gefallen wollen, die gelüstet nicht nur danach, sondern nach so vielen anderen Dingen, daß man sie gar nicht alle nennen kann. Denn nicht mit wenigen Netzen, wie man sagt, nicht mit zwei oder drei Freudenmädchen und auch nicht mit zehn Lesbierinnen läßt sich Popularität eljagen, geschweige denn eine ganze Gemeinde zu überzeugten Freunden machen, da unzählige auf dieses Ziel aus sind. Nein, der Mann, der popularität sucht, muß die Leidenschaften einer ganzen Stadt in sich vereinigen: Er muß dem Gesang, dem Tanz, dem feinen Essen und Trinken und allem derartigen ergeben sein, aber nicht nur in dem Maße wie ein einzelner, sondern wie zehntausend, zwanzigtausend oder hunderttausend, je nachdem, wie groß die Stadt ist, deren Gunst er begehrt. (10) Bei einem solchen Menschen wird man immer schallen von Flöten und Pfeifen, dazu ein Getümmel von Menrchen 8 antreffen; da sind die Tische beladen mit Brot und Fleisch, und Wein bringen die Mundschenken aus Mischkrügen 9 • Rauchig war der Palast, aus dem Hofe tönte es wider tagsüber, während bei Nacht sie neben den ehrbaren Frauen '0niemals schlafen, ohne eine Unmenge von Decken unter sich gebreitet zu haben. (Il) Daher werden sich die Knabenliebhaber, denke ich, im Vergleich mit den Liebhabern des Ruhms über alle Maßen glücklich schätzen. Während sie selbst nur Wachteln, einen Hahn oder eine kleine Nachtigall" suchen, beobachten sie jene, wie sie nach einem Amoibeus oder Polos jagen müssen oder einen Preisträger von Olympia fur funfTalente mieten. Ferner brauchen sie selbst nur den Magen des Erziehers oder des begleitenden Dieners zu füllen; wenn die andern dagegen nich t mindestens für hundert Personen täglich ein kostspieliges Gelage geben, springt nichts für sieheraus. Bei Kranken sorgen die Diener für Ruhe, damit sie schlafen können; die Geltungsbedürftigen dagegen sucht der Schlaf gerade dann am wenigsten auf, wenn sie Ruhe haben. (12) Kön-

706

VON DER RUHMSUCHT

[66,X2-X4

nen sie nun Besitz, Abstammung oder dergleichen, körperliche oder geistige Vorzüge aufweisen oder haben sie sich wenigstens eine gewisse Zungenfertigkeit angeeignet, werden sie, als hätten sie Flügel, fast bis zu den Sternen emporgetragen, werden Volks- und Söldnerführer und Sophisten genannt und gehen aufdie Jagd nach Gemeinden, Satrapen und Schülern. Die übri_ gen aber, denen diese Mittel nicht zur Verfügung stehen, die jedoch von derselben Krankheit befallen sind, gehen umher und richten ihr Leben ganz nach den andern ein, nur daraufbe_ dacht, was jene von ihnen sagen. Spricht jemand Gutes über sie - zumindest glauben sie es -, strahlen sie vor Glück, wenn nicht, sind sie bedrückt und niedergeschlagen und halten sich für den, als den man sie ausgibt. Hat solch ein Mensch mit jemand einen Rech tsstrei t oder Prozeß, ist er nich teinverstanden, daß der Schlichter oder Richter auf die ersten besten Zeugen hört; handelt es sich aber um sein eigenes Interesse, dann hält cl' jedermann für glaubwürdig. (13) Was könnte es aber Unglückseligeres geben als Menschen, die von andern abhängig sind und jeden, der ihnen begegnet, zu ihrem Herrn haben, stets gezwungen, nach ihm zu sehen und sein Gesicht, wie ein Sklave die Miene seines Herren, zu beobachten? Gewiß, jede Knechtschaft ist hart. Wessen Schicksal es aber ist, in einem Haus Sklave zu sein, in dem es zwei oder drei, und zwar nach Alter und Veranlagung verschiedene Herren gibt - ich meine den knauserigen Alten und dessen junge Söhne, die trinken und schlemmen wollen - wer gäbe nicht zu, daß dieser Mann noch unglücklicher ist als die anderen Sklaven, da er so vielen Herren dienen muß und jeder von ihnen wieder etwas anderes will und befiehlt? (14) Ist man nun gar der Sklave einer ganzen Stadt, von jung und alt, arm und reich, von Taugenichtsen und Geizhälsen, wie muß es dann erst um einen bestellt sein! Zwänge man einen wohlhabenden Mann, in einer solchen Stadt zu leben, in der jeder seinen Nächsten ausrauben dürfte und kein

66, 14-I6]

VON DER RUHMSUCHT

707

Gesetz ihn daran hinderte, würde er, glaube ich, auf der Stelle aufseinen Reichtum verzichten, auch wenn er zuvor alle Welt an Habgier übertroffen hätte. So geht es heutzutage mit der öffentlichen Geltung. Gleich, ob Bürger, Fremder oder Zugezogener - um etwas zu gelten, darf jeder, der will, den andern schädigen. (15) Den Entrechteten kommt das Leben aus gutem Grund nicht mehr lebenswert vor, und viele ziehen nach dem Verlust der bürgerlichen Rechte den Tod dem Leben vor, weil jeder sie schlagen darf und es keine besondere Strafe fUr den Beleidiger gibt. Auch den Geltungssüchtigen dürfen alle schlagen, aber unvergleichlich viel härter, als wenn nur der Körper geschlagen würde. Freilich wird man bei den Entrechteten nicht so schnell jemand finden, dem dieser Schimpf angetan wird, denn die Menge vermeidet berechtigte Empörung und Mißgunst, und schließlich hat sie von den Schwächeren nichts zu fürchten. Mit Schimpfworten dagegen hält keiner zurück, erst recht nicht, wenn es um Leute von anerkannter Geltung geht, und niemand ist so schwach, daß er nicht in der Lage wäre, ein Wort zu sagen. (16) So mein te denn auch ein ganz vern ünftiger Mann aus alten Zeiten zu einem, der ihm fortwährend mit solchen Angriffen kam: «Wenn du nicht aufhörst, Schlechtes über mich zu hören, werde ich auch über dich Schlechtes hören.» Allerdings wäre es vielleicht noch besser, wenn jemand einen angreift, so zu tun, als merkte man es gar nicht. Oft läßt es der Herr seinen Sklaven, den er bei ausgelassenem Spiel antrifft, mit Tränen büßen; der dem Geltungsdrang Erlegene aber kann 'Ion jedermann mit einem einzigen Wort gedemütigt werden. Wenn jemand von Medea oder den Thessaliern Zaubersprüche gelernt hätte, mit denen er jeden beliebigen Menschen zum Weinen und Klagen bringen könnte, auch wenn ihm nichts Schlimmes widerfahren ist, würde seine Macht nicht als Tyrannei angesehen werden? Nun, über einen vom

708

VON DER RUHMSUCHT

[66,16-19

Ruhm aufgeblasenen Menschen hat jeder diese Macht. (17) Denn er braucht nur zwei oder drei Worte zu sagen, um den andern in Elend und Kummer zu stürzen. Wäre jemand durch höhere Gewalt physisch so veranlagt, daß er, sobald ihn jemand verflucht, Fieber oder Kopfschmerzen bekommt, wäre er mehr als todunglücklich. Wenn jemand aber so schwachsinnig ist, daß er sofort außer sich gerät, wenn er nur beschimpft wird, wie sollte ein solcher Mensch das Leben nicht fliehen mÜssen? Stell dir vor, tagaus, tagein stünde einer, gleich in welcher Sache, vor Gericht, ob es nun um sein Leben oder um Hab und Gut geht. Scheint es da nicht in jedem Fall geratener, darauf zu verzichten und in Zukunft nicht mehr in Gefahr zu sein - wenn es um das Eigentum geht, wegen des Eigentums, wenn um das Leben, wegen des Lebens? (IS) Was folgt daraus für den Prozeß wegen Ruhmsucht? Stehen diese Toren nicht immer vor Gericht, nicht nur einmal am Tag, sondern mehrmals, und nicht vor einer ganz bestimmten Zahl von Richtern, sondern schlechterdings vor allen Menschen, die obendrein nicht vereidigt sind und sich weder an Zeugen noch an Indizien halten? Denn ohne den Fall zu kennen, ohne Zeugen zu vernehmen und ohne durchs Los dazu bestimmt zu sein, sitzen sie zu Gericht, und es ist ihnen völlig gleichgültig, ob sie beim Umtrunk oder beim Bad ihre Stimme abgeben. Und was das Schlimmste von dem allen ist: Wen sie heute freigesprochen haben, vertuteilen sie morgen. (19) Wer von dieser Krankheit befallen ist, muß sich also verantworten, wo er sich blicken läßt, auf jedermann achtgeben und damit rechnen, daß er - willentlich oder unwillentlich - bei jemand Anstoß erregt, vor allem bei denen, die mit ihrer Zunge und ihrem Witz schnell bei der Hand sind. Denn sollte er auch nur ein wenig den andern beleidigt habenund das ist schnell der Fall-, läßt der Beleidigte sofort ein hartes Wort fallen. Verfehlt das Wort irgendwie sein Ziel, ruft es zumindest Bestürzung hervor; trifft es ins Schwarze, tötet es

66,19-22]

VON DER RUHMSUCHT

70':)

aufder Stelle. Denn viele Menschen lassen sich durch jede Kleinigkeit von ihrem Vorsatz abbringen und unsicher machen. (zo) Indessen übt bald dieses, bald jenes bei dem einzelnen eine größere Wirkung aus, wie auch von Kindern, denke ich, jedes sein ganz besonderes Schreckgespenst fürchtet und sich gewöhnlichdurch dieses Gespensterschrecken läßt. Denn von NaturfurchtsameKinder schreien bei allem, was man ihnen zeigt, als sei es ein Grund, sich zu furchten; nur bei den schon etwas Größeren fUrchtet nicht mehr jeder jedes. Den großmäuligen Bettler, der wie ein Kroisos auftreten will, brin gt Iros außer sich, und sicher liest dieser Mann die Odyssee nich t wegen der Verse: Eintrat der Bettler, der stadthekannte, der in den Straßen pflegte 'Zu hetteln von Ithaka. I2 (ZI) Den Mann von niederer Abkunft setzt Kekrops 13 in Staunen, 'Thersites 14 den Mann von bescheidenem Äußeren, der aber schön sein will. Wenn du nämlich einen Menschen, der mit seiner Sel bst beherrschun g prah It und sich der Tu gend verschrieben hat, als Wollüstling oder Geizkragen, als unzüchtigen oder überhaupt als verkommenen Menschen verspottest, hast du ihn vollständig vernichtet. Perseus machte seine Feinde zu Stein, indem er das Haupt der Gorgo herumtrug und es den Feinden vorhielt; die meisten Menschen aber müssen nur ein einziges Wort hören, um zu Stein zu werden, und dieses Wort braucht man nicht herumzutragen und in einem Ranzen aufzubewahren. (zz) Und sage nur, wenn wir die Stimmen der Vögel verstünden, der Raben und Dohlen, und auch die der anderen Tiere, zum Beispiel der Frösche lind Zikaden, würden wir natürlich auch darauf achten, was etwa die Dohle, die vorbeifliegt, von uns sagt oder was der Häher zu uns meint und welcher Ansicht er ist. Ein Glück, daß wir es nicht verstehen! Aber wie viele Menschen sind dümmer als Frösche und Dohlen! Trotzdem beunruhigen uns ihre Worte und machen uns

7IO

VON DER RUHMSUCHT

[66,22-26

todunglücklich. (23) Wer sich jedoch unabhängig gemacht hat, kehrt sich nicht an das Geschwätz der Menge, sondern lacht über ihre Klatschsucht, denn schon längst hat er ihnen allen gean twortet : Gleichgültig ist's mir, als träf' eine [<,au mich, ein törichter Knabe. Stumpf nämlich ist das Geschoß des erbärmlichen, nichtmutzen Schwächlings. ls Wie viel Schimpfnamen, denkst du, hat sich wohl Herakles, der Sohn des Zeus, gefallen lassen müssen? Die einen nannten ihn Dieb, die andern einen Gewaltmenschen, die dritten sogar Ehebrecher oder Kindsmörder. Trotzdem kümmerte er sich nicht darum. Aber vielleicht wagte auch niemand, es offen zu sagen, da ihn die Strafe auf der Stelle ereilt hätte. (24) Wenn du dich nicht dazu bringst, gleichgültig gegen die andern zu sein, wirst du aus deinem Elend nie herauskommen, sondern ftir immer ein un glückliches und schweres Leben haben, allen ausgeliefert, die dich kränken wollen. Wie ein Hase wirst du leben, so sagt das Sprichwort. Aber jene fürchten nur die Hunde, Netze und Adler - du wirst geduckt und zitternd vor den Worten der Menschen umhergehen, ohne den geringsten Schutz finden zu können, was du auch tun, wie du auch leben magst. (25) Stürzt du fortgesetzt auf den Markt, wirst du zu hören bekommen, du seist ein Müßiggänger und Herumspionierer; hütest du dich aber vor einem solchen Leben und bleibst lieber zu Hause und bei deinen Aufgaben, wirst du ein Feigling, ein Eigenbrötler und eine Null heißen; wenn du dich der Bildung befleißigst, ein einfältiger Weichling; wenn du einer Arbeit nachgehst, ein primitiver Handwerker; wenn du gemütlich spazieren gehst, ein Faulenzer; wenn du zu weiche Kleider anziehst, ein verwöhnter Aufschneider; gehst du ohne Schuhe in einem abgetragenen Kittel, wird man sagen, du seist verrückt. (26) Sokrates verderbe die Jugend, sagten sie, er vergehe sich gegen die Gottheit. Und das sagten sie nicht

66,26-28]

VON DER RUHMSUCHT

7II

nur-das wäre noch nicht so schlimm gewesen -, sie töteten ihn auch und bestraften ihn dafür, daß er barfuß gegangen war. Den Aristeides verbannten die Athener durchs Scherbengericht, und doch waren sie ohne Zweifel von seiner Gerechtigkeit überzeugt. Was soll man also nach Ruhm streben, der oft, selbst wenn man ihn erreicht, nicht zum Besten ausschlägt? Bion 16 hielt es für ausgeschlossen, der großen Menge zu gefallen, es sei denn, man hätte sich in einen Kuchen oder in thasisehen Wein verwandelt - ein törichter Gedanke, scheint mir. Denn oft findet auch bei einem Gastmahl von nur zehn Menschen der Kuchen nicht bei allen Gefallen: der eine findet ihn altbacken, der nächste warm, der dritte zu süß. Oder, beim Bimmel, Bion hätte gemeint, man müsse ein warmer, altbackener und kalter Kuchen werden. Aber so einfach ist das nicht. Woher auch! (27) Man müßte sich vielmehr auch in duftende Salbe verwandeln, in eine Flötenspielerin, in einen lieblichen Knaben und in Philipp, den Clown [7. Eins bleibt vielleicht noch, was derjenige, der der Masse zu gefallen trachtet, werden müßte: Silbergeld. Aber selbst dann würde man nicht sofort Gefallen erregen, man müßte sich erst noch schlagen und stoßen lassen [8. Warum jagst du Unglückseliger dann noch einem unerreichbaren Ziele nach? Niemals wirst du eine duftende Salbe, ein Kranz, Wein oder Silber werden können. (28) Und selbst wenn man Silber würde - Gold ist wertvoller, und wenn schon Gold, müßte man geläutert werden. Denn in dem, was jeden Reichen auszeichnet, gleicht er dem Geld: Niemand preist es, jeder aber geht im Alltag damit um. Dann wird es vom Gebrauch abgeschliffen und schließlich zum ungültigen Geld geworfen. So wird auch der Reiche unter die Armen und nichts geltenden Leute eingereiht, und niemand läßt ihn mehr in seine Nähe kommen, mag er früher auch noch so viel Bewunderung für ihn übrig gehabt haben. Ohne ihn auch nur umgedreht zu haben, wirft er ihn beiseite.

712

DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG

[66,29-67,2

(29) Der Ruhm gleicht den Erinyen der Tragödie: Sein leuchtender Glanz entspricht der Fackel, mit der Peitsche, denke ich, könnte man das Beifallklatschen und Lärmen der Menge vergleichen, mit den Schlangen das gelegentliche Zischen_ So packt die Ruhmsucht häufig einen Menschen, der ein geruhsames Leben führt, frei von allem Leid, und treibt ihn unter Peitschengeknall hinaus in eine Versammlung oder ins Theater. 67- DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG'

(I) PARTNER: Worin scheint dir der Hauptunterschied zwischen dem Mann mit Vernunft, dem Philosophen, und uns, der großen, haltlosen Menge, zu liegen? DION: Der Unterschied nicht nur zur großen Menge, sondern auch zu den ganz wenigen, die als vom Glück begünstigt gelten, scheint mir, wenn ich es ganz schlicht und einfach sagen soll, in der Wahrheit und im Wissen zu liegen. PARTNER: Wahrhaftig, ein schlichtes und einfaches Wort. DION: Aber bei den Göttern, sage mir auch folgendes. Du meinst doch, daß der philosoph sich durch die Wahrheit von den übrigen unterscheidet, das heißt dadurch, daß er an alles den Maßstab der Wahrheit, nicht der bloßen Meinung anlegt? (2) PARTNER: Dann, mein Bester, mäße er die Dinge mit einer schlechten und vollständig verbogenen Meßlatte, die, bei Gott, nicht nur eine Krümmung, sondern unzählige,ja alle einander entgegenlaufenden Krümmungen aufwiese, wenn er die Dinge mit Hilfe der Meinung ins Lot zu bringen suchte. DION: Gut, alles andere mißt er also an der Wahrheit und legt niemals den Maßstab der Meinung an, da er sie in der Tat für trügerisch und unzuverlässig hält, eben für so eine Meßlatte, wie du sie gerade beschrieben hast. Aber darfer sich nicht selbst mit diesem Maßstab messen, an sich selbst diese Richtschnur anlegen?

67,2-5]

DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG

71 3

PARTNER: Bei Gott, das darf er auf keinen Fall. DION: Es ist doch wohl klar, daß er auf diesem Wege sich selbst niemals erkennen könnte. PARTNER: Allerdings. (3) DION: Daher wäre er auch nicht länger mehr dem delphischen Spruch gehorsam, der dazu auffordert, an erster Stelle sich selbst zu erkennen. PARTNER: Wie könnte er ihm noch gehorsam sein? DION: Und auch von allen anderen Dingen würde er demnach nichts wissen, wenn er sich selbst nicht kennt, und sie auch nicht an der Wahrheit prüfen können, da er versäumt hat, bei sich selbst anzufangen? PARTNER: Ganz gewiß. DION: Er wird also dem Gewinn und Verlust von Ehren, dem Lob und Tadel der Toren Lebewohl sagen, ob es nun eine große Menge oder eine kleine Zahl Mächtiger und Reicher ist. Die sogenannte öffentliche Meinung wird er für nichts besser als einen Schatten erachten, da er sieht, daß sie von Großem gering, von Geringem groß denkt, oft aber auch von ein und derselben Sache bald groß, bald klein. PARTNER: Der Vergleich scheint mir ausgezeichnet. (4) DION: Stelle dir vor, es gäbe einen Menschen, der nach seinem eigenen Schatten lebte: Wird der Schatten größer, fühlt er sich erhoben, prahlt, bringt den Göttern Opfer und fordert auch seine Freunde dazu auf; wird der Schatten aber kleiner, ist er betrübt und armselig anzuschauen, und zwar um so armseliger, je kleiner der Schatten wird - als nähme er selbst ab. Das wäre doch ein merkwürdiger Zeitvertreib, denke ich! PARTNER: Und er wäre ein noch viel größerer Tölpel als Margites',der nicht wußte, was er mit der Frau, die er geheiratet hatte, anfangen sollte. (5) DION: Ja, denn an demselben Tag wäre er bald betrübt, bald fröhlich. Morgens, wenn er in der Frühe seinen Schatten

714

DIE OFFENTLICHE MEINUNG

[67.5-7

ganz lang sähe, beinah noch größer als die Zypressen und die Türme auf der Stadtmauer, würde er sich natürlich freuen, weil er plötzlich so groß wie die Söhne des Aloeus 3 geworden ist. Dann würde erauf den Markt gehen, in die Theater und in jeden Winkel der Stadt, um sich vor allen sehen zu lassen. Im Laufe des Vormittags aber würde er allmählich trauriger Wer_ den und nach Hause zurückkehren, am Mittag sich schämen, einem Menschen unter die Augen zu kommen, im Hause bleiben und sich einschließen, wenn er den Schatten zu seinen Füßen sieht. Am Nachmittag dann würde er sich wieder fangen und sich bis zum Abend immer ausgelassener zeigen. (6) PARTNER: Eine recht merkwürdige Verfassung und einen einfältigen Menschen scheinst du mir da zu entwerfen. DION: Gewiß, aber der Mensch, der sich nach der öffent_ lichen Meinung richtet, ist keinen Deut besser, sondern noch viel armseliger dran. Denn an einem Tag müßte er oft mehrere Verwandlungen durchmachen, freilich nicht wie jener geschil_ derte Mann zu ganz bestimmten Zeiten. Ob es Nachmittag ist oder früher Morgen, nichts vermag ihn davon abzuhalten, der unglücklichste Mensch zu sein: wenn man ihn mit Lob bedacht hat, im Fluge hoch über die Wolken getragen, dann wieder in sich zusammen gekrochen und am Boden. Ja er schein t mir noch viel mehr zunehmende und abnehmende Phasen durchzumachen als der Mond. (7) Hat er nicht ein beklagenswertes Schicksal und ein viel unglücklicheres Los bekommen, als die Sage von Meleagros, dem Sohn der Althaia und des Oineus,erzähltl Ihm soll eine Fackel die Lebenszeit zugemessen haben: Solange sie schien und die Flamme an ihr brannte, lebte und blühte Meleagros. Als aber die Fackel trüb wurde, siechte auch Meleagros vor Kummer und Unmut dahin, und als sieverlöschte, war es um ihn geschehen.

68, ,- 2]

VOM MEINEN

715

68. VOM MEINEN'

(I) Die meisten Menschen betreiben alles, womit sie sich beschäftigen und was sie interessiert, ohne überhaupt zu wissen, wie es darum bestellt ist und welchen Nutzen es hat; vielmehr lassen sie sich von Meinungen, von Lust und Gewohnheit dazu treiben. So ist es andrerseits aber auch mit allem, wovon sie sich fernhalten und wovor sie sich hüten. Nicht, weil sie wüßten, was schädlich ist oder was für einen Schaden etwas bringt, halten sie sich davon fern, sondern auch hier richten sie sich nach den andern. Sie sind im allgemeinen mißtrauisch gegen alles, wovor sie die andern sich hüten sehen oder wobei sie selbst gewöhnlich äußerste Vorsicht walten lassen, mißtrauisch aber auch gegen alles, was ihnen ihrer Meinung nach kein Vergnügen und voraussichtlich nur Arbeit macht. (2) Während nun die Regungen von Lust und Pein allen Menschen gemeinsam sind - nur sind ihnen die einen mehr, die andern weniger unterworfen -, ist es bei der Meinung unterschiedlich und nicht bei allen das gleiche. Daher lobt und tadelt der eine dies, der andere jenes, und häufig kommt es zu Widersprüchen. So empfindet zum Beispiel der Inder und der Spartaner genauso Schmerz, wenn er verwundet oder gebrannt wird, wie der Phryger und Lyder; aber die einen bleiben hart, weil sie darin geübt sind, die andern nicht, weil sie schwach und ungeübt sind~ Andrerseits haben an den Freuden der Liebe, an leckeren Speisen und Getränken die Ionier, Thessalier und italischen Griechen natürlich genauso ihr Vergnügen wie die Geten, Inder und Spartaner; aber die einen legen auf diese Genüsse keinen besonderen Wert, ja sie versuchen sie erst gar nicht, während die andern Hir ein klein wenig mehr Vergnügen ihr Leben lassen würden.

716

VOM MEINEN

[68,3-5

(3) Mit der Beurteilung ist es also offensichtlich überall wie. der anders, und hier gibt es die meisten und größten Unter. schiede. Aus diesem Grund wird man keine andere Art Von Lebewesen finden - du magst die Pferde, Hunde, Löwen, Rin. der oder Hirsche nehmen -, die in solch großer Uneinigkeit oder gar mit sich selbst derart im Widerstreit leben. Alle diese Tiere werden auf die gleiche Weise aufgezogen, vermehren sich und ziehen wieder ihre Jungen auf, sie werden zum gleichen hingetrieben und halten sich ebenso vom gleichen fern. Denn in der Regel folgen sie der Lust und meiden den Schmerz. (4) Der Mensch aber, der von Natur an der Vernunft teilbekom_ men hat, infolgc seiner Unwissenheit und Gleichgültigkeit aber hinter ihr zurückgeblieben ist, steckt in seinem Innern voll von Meinungen und Täuschungen. In allem unterscheiden sich die Menschen voneinander, in Kleidung und Gewandung, in Nahrung und Freuden der Liebe, in den Ansichten über Ehre und Unehre, je nach Volk und Stadt. Genauso hat auch in der Stadt jeder seine privaten Interessen. Der eine will möglichst viel Land erwerben, der andere Geld, dieser Sklaven, jener dies alles zusammen; da will einer wegen seiner Rednergabe bewun. dert werden und deswegen mehr gelten als die andern, dort setzt einer seinen Ehrgeiz darein, nur etwas Außerordentliches zu leisten und Fachmann in politischen Dingen zu sein, der nächste, aus einem anderen Grund Einfluß zu haben, der dritte, in Saus und Braus zu leben. (s) Von diesen Menschen nun kann natürlich, wie ich schon sagte, keiner etwas Rechtes zuwege bringen, mag er auch als der Beste in seinem Fach gelten. Denn da er nicht weiß, was besser, was schlechter und was zuträglich ist, trifft er überhaupt keine Wahl. Wer dagegen nach klarer Einsicht strebt und sich Gedanken macht, wie er für sich selbst zu sorgen habe und durch welche Erziehung er ein tüchtiger Mann und der großen Menge überlegen werden könne, der, behaupte icll, hat eine

68,5-7]

VOM MEINEN

717

gute Anlage mitbekommen und steht unter einem günstigen Stern. Denn wenn er sucht und die richtige Erziehung bekommt, besteht die Hoffnung, daß er findet, worauf es ankommt, worauf er achten und was er wollen muß, um alles andere tun und regeln zu können. (6) Hat das jemand begriffen, wird ihm fortan alles gut von der Hand gehen, ob es nun für wichtig oder weniger wichtig gehalten wird. Ob er Pferderennen veranstaltet, sich auf Musik oder Landbau verlegt, ob er den Posten eines hohen Offiziers, andere Ämter übernehmen oder sich sonstwie in der Stadt politisch betätigen will- alles wird er gut machen und in nichts einen Fehler begehen. Ohne diese Einsicht mag er bei einzelnen Unternehmungen in seinen eigenen Augen und in denen der anderen bisweilen Erfolg haben. Als Bauer etwa mag er eine gute Ernte haben, im Umgang mit Pferden eine beträchtliche Erfahrung besitzen, sich in der Musik einigermaßen auskennen, oder es mag ihm gelingen, im Wettkampf den Gegner zu besiegen - aufs Ganze gesehen wird er scheitern, da er das alles nicht zu seinem Nutz und Frommen macht. (7) So kann er auch niemals glücklich sein, genausowenig wie man eine gute Fahrt haben kann, wenn man nicht weiß, wohin sie geht, sondern ziellos auf dem Meer umhertreibt und das Schiff bald einen geraden Kurs steuert, wenn der Zufall es so will, bald aber auch vom Kurs abweicht und der Wind jetzt von achtern und dann wieder von vorne weht. Wie man bei einer Leier zuerst die mittlere Saite stimmt und dann die restlichen auf sie einstimm t - andernfalls wird es niemals einen reinen Klang geben -, muß man auch im Leben begreifen, was das Beste ist, und, wenn man sich das zum Ziel gesetzt hat, alles andere darauf abstimmen. Sonst ist das Leben wahrscheinlich ohne jede Harmonie und aus den Fugen.

718

VON DER TUGEND

69.

VON DER TUGEND

(I) Schwer verständlich scheint mir die Tatsache, daß die Men_ schen andere Dinge loben und bewundern, als sie selbst mit letztem Einsatz erstreben. Denn man kann wohl sagen, alle loben und preisen Tapferkeit, Gerechtigkeit und Weisheit, kurz, jede Tugend als göttlich und erhaben. Und jeden, der nach ihrer Meinung dieses Ziel erreicht oder erreicht hat oder ihm nahe gekommen ist, bewundern und verherrlichen sie; einen Teil machen sie zu Göttern, einen anderen zu Heroen, wie Herakles, die Dioskuren, Theseus, Achilleus und alle soge_ nann ten Halbgötter. Wen auch immer sie in diesen Ran g erhoben, sie gehorchen ihm alle bereitwillig und stehen ihm zu Diensten, was er auch befiehlt, machen ihn zu ihrem König und Herrscher und legen ihr Schicksal in seine Hände; sie müssen nur glauben können, daß er wahrhaft besonnen, gerecht und weise ist, eben ein guter Mensch. (2) In diesem Punkt also könnte man den Menschen nicht vorwerfen, daß sie nicht merkten, ein wie hohes, wertvolles und alles andere aufwiegendes Gut die Tugend ist. Aber sie trachten nach allem mehr als danach, gut zu werden, und mit allem beschäftigen sie sich eher als mit der Frage, wie sie selbstbeherrschte, kluge, gerechte und ehrenwerte Männer werden könnten, die in der Lage sind, sich selbst richtig zu leiten, richtig ein Haus zu verwalten, richtig eine Stadt zu beherrschen, Reichtum und Armut gut zu ertragen, gut zu den Freunden, gut zu den Verwandten zu sein, für die Eltern angemessen zu sorgen, die Götter fromm zu verehren. (3) Statt dessen beschäftigen sich die einen mit Ackerbau, die andern mit Handel, die nächsten verlegen sich auf die Kriegskunst oder aufdie Medizin, dieser lern t Bau- oder Schilfsbaukunst, jener Zither oder Flöte spielen, der dritte Schuhe machen oder ringen; hier setzt man seine ganze Kraft ein, um

69.3-5]

VON DER TUGEND

719

als gewaltiger Redner in der Volksversammlung oder vor Gericht zu gelten, dort, um körperlich stark zu werden. Und doch wird man diese Händler, Bauern, Soldaten, Ärzte, Architekten, Zither- und Flötenspieler und Sportlehrer, dazu die Redner was man so nennt - und die Muskelmänner zum großen Teil, fast wäre ich versucht zu sagen: alle armselig und unglücklich finden. (4) Haben sie aber eine verständige Seele und einen vernünftigen Sinn, sind sie in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten und die der andern richtig zu besorgen, dann müssen diese Menschen auch ein glückliches Leben haben, da sie rechtschaffen sind, einen guten Genius bekamen und von den Göttern geliebt werden. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß die einen verständig sind, andere aber die Erfahrung in menschlichen Dingen haben; daß die einen sich auf die menschlichen, andere aber auf die göttlichen Dinge verstehen; daß die einen die göttlichen Dinge verstehen, andere aber fromm sind; die 'einen fromm sind, andere aber von den Göttern geliebt werden. So werden auch nicht andere von den Göttern geliebt und andere vom Glück gesegnet sein. Umgekehrt sind es auch nicht verschiedene Menschen, die dumm sind und von ihren eigenen Angelegenheiten nichts verstehen; die von ihren eigenen Angelegenheiten nichts verstehen und die göttlichen Dinge nicht begreifen; die falsche Vorstellungen vom Göttlichen haben und nicht fromm sind. Wer aber nicht fromm ist, kann auch den Göttern nicht freund sein, und wer den Göttern nicht freund ist, kann auch nicht glücklich sein. (5) Warum eigentlich ist dann nicht jeder, der glücklich zu werden trachtet, darum bemüht, sich selbst glücklich zu machen, und legt statt dessen seine ganze Sorgfalt auf solche Dinge, die ihn vor einem elenden und erbärmlichen Leben nicht bewahren können? Ohne Flöten- und Zitherspie1er, Schuster und Sportlehrer, Redner und Ärzte kann der Mensch ein durchaus gutes und geordnetes Leben führen, und ich persön-

720

VON DER TUGEND

[69.5-,

lich kann mir sogar ein Leben ohne Bauern und Architekten vorstellen. (6) Die Skythen wenigstens hält ihr Nomadenda_ sein - sie haben keine Häuser, säen und pflanzen nicht - keines_ wegs davon ab, nach Recht und Gesetz ihren bürgerlichen Pflichten nachzukommen. Ohne Gesetz und Recht jedoch kann es gar nicht anders sein, als daß die Menschen ein elendes und noch viel primitiveres Leben führen als die Tiere. Wo ferner Schuhmacher, Bauern und Architekten nichts taugen, da gibt es deswegen keine besonderen Schwierigkeiten; die Schuhe sind eben schlechter und Weizen und Gerste spärlicher. Wo aber Herrscher, Richter und Gesetze wenig taugen, da ist es auch um die Menschen einigermaßen schlecht bestellt, ihr Leben ist wenig glücklich, und Zwietracht, Ungerechtigkeit, Übermut und Gottlosigkeit gibt es bei ihnen die Hülle lind Fülle. (7) Ist man ferner selbst kein Schuhmacher, empfiehlt es sich, Schuhe bei jemand anders zu kaufen; kann man selbst keine Häuser bauen, jemand anders für diese Aufgabe zu gewinnen; und ist man selbst kein Bauer, Korn und Bohnen zu kaufen. Ist man selbst aber ungerecht, hat es keinen Zweck, Recht von jemand anders zu bekommen; weiß man vor lauter Dummheit nicht, was man zu tun und was man zu lassen hat, alles einzeln zu bereuen und sich an jemand anders zu wenden. Denn in allen andern Fällen, wenn man zum Beispiel kein Geld hat, keine Kleider, keine Häuser oder einem sonst etwas fehlt, weiß man es und sucht es von denen zu bekommen, die es haben. Wer aber keinen Verstand hat, weiß auch das nicht, eben daß er keinen Verstand hat. Statt dessen behauptet er, ein fähiger Kopf zu sein und beharrt in seinem Unverstand, auch wenn er jede Torheit sagt und begeht. Er weist es weit von sich, ein ungerechter, dummer und unbeherrschter Mensch zu seinnein, er hält sich fur ausgesprochen fähig in diesen Dingen, um die er sich doch niemals gekümmert und um deretwillen er nie

69.7-9]

VON DER TUGEND

721

etwas gelernt hat. (8) Ja, diese Menschen glauben sogar nicht einmal, daß es ein Wissen gebe, durch das sie erfahren könnten, was sie zu tun und was sie nicht zu tun haben und wie sie richtig leben sollen; dafür seien ihnen die geschriebenen Gesetze ausreichend. TJ?ie sie aber den Gesetzen gehorchen und deren Sinn von sich aus erfüllen könnten, danach fragen sie nicht. Und doch, ist derjenige, der aus Furcht das Stehlen läßt und nicht deswegen, weil er diese Handl un gsweise verabscheut und sie verurteilt, etwa weniger ein Dieb als der, der etwas stiehlt? Es sei denn, wir wollten auch den Mann, der nicht bei Tag, sondern nur nach Einbruch der Nacht stiehlt, bei Tag nicht einen Dieb, sondern einen rechtlichen Menschen nennen! Dann erfordern solche Personen eine Menge von Leuten, die ihnen drohen und sie bestrafen, da sie allein nicht in der Lage sind, dem Unrecht abzusagen, sondern auch zu Hause noch Diebe bleiben. Trotzdem aber wählen sie die Gesetzgeber und schelten die Gesetze - als wenn Un musikalische die M usikan ten und Leute, die vom Vermessen keine Ahnung haben, die Landvermesser wählen woll ten ! (9) Und der Beweis für die Schlechtigkeit der Menschen: Höbe man die Gesetze auf und könn te man, ohne dafür bestraft zu werden, einander schlagen und töten, den Besitz des Nachbarn rauben, ein Ehebrecher und Wegelagerer sein, wer würde sich dann wohl noch davon fernhalten und nicht ohne jede Hemmung jedes Verbrechen begehen? Denn sogar unter den gegenwärtigen Umständen leben wir, ohne es zu wissen, unter Dieben, Menschenräubern und Ehebrechern und sind deren Mitbürger. Und in diesem Punkt sind wir um nichts besser als die wilden Tiere, denn auch sie lassen das Rauben nur, wenn sie Angst bekommen vor Menschen oder Wachhunden.

7 22

VON DER PHILOSOPHIE 70. VON DER PHILOSOPHIE

(r) DraN: Sage mir, wenn du jemand davon reden hörst, daß er Bauer werden will, aber nicht siehst, daß er Anstalten dazu macht - er kauft kein Vieh und zieht es nicht groß, er stellt weder Pflüge noch sonstige landwirtschaftliche Geräte bereit, er wohnt nicht auf dem Lande, besitzt keins und pachtet es auch nicht von jemand anders, sondern verbringt den größten Teil der Zeit in der Stadt auf dem Marktplatz und im Gymna_ sion und ist mit Gelagen, Dirnen und dergleichen Lustbarkei_ ten beschäftigt -, wirst du da mehr achten auf das, was er sagt, oder auf das, was er tut? Und wirst du sagen, er sei ein arbeit_ samer Bauer oder ein leichtlebiger Faulenzer? PARTNER: Natürlich ein Faulenzer. (2) DION: Gut, und wenn jemand behauptet, er seijäger und übertreffe selbst den Hippolytos oder Meleagros an Mut und Eifer, sich aber herausstellt, daß er nichts dergleichen tut - er hat weder Hunde noch Netz noch Pferd und geht überhaupt nicht aufdiejagd, ist weder von der Sonne verbrannt noch imstande, Kälte zu ertragen, da er im Schatten groß geworden ist und in seiner Zartheit am ehesten mit Frauen zu vergleichen wäre -, könntest du da auch nur entfernt annehmen, dieser Mann sage die Wahrheit und habe mit dem Jagen etwas zu tun? PARTNER: Nein. (3) DraN: Denn es wäre verkehrt, mehr aus den Worten, die er sagt, als aus seinen Taten Rückschlüsse auf sein Leben zu ziehen und darauf sein Wissen zu stützen. Und wenn jemand seine gewaltigen Kenntnisse in Musik anpreist, als ob er nur damit seine Zeit verbrächte, aber keiner ihn jemals hat Zither spielen hören, ja man ihn nicht einmal mit einer Zither oder Leier gesehen hat; und wenn er außer seinen Selbstanpreisun-

70,3-6J

VON DER PHILOSOPHIE

723

gen und der Behauptung, er verstehe mehr von Musik als Orpheus und Thamyras, noch kein Wort über Musik verloren hat; wenn man ihn aber Hähne oder Wachteln halten und aufziehen und in der Regel unter Leuten mit derartigen Interessen sieht, soll man da glauben, er gehöre zu den Musikern oder zu den Menschen, mit denen er zusammen ist und deren IntereSsen er teil t ? PARTNER: Natürlich ZLJ den letzteren. (4) DION: Und wenn jemand vorgibt, ein Astronom zu sein und die Umläufe, Bahnen und gegenseitigen Entfernungen von Sonne, Mond und anderen Himmelskörpern und die Vorgänge am Himmel genauestens zu kennen, zuvor aber niemals Vorliebe und Interesse fur diese Dinge gezeigt hat, sondern sich lieber mit Würfelspielern traf, mit ihnen zusammen lebte und immer wieder in ihrer Gesellschaft gesehen wurde, wirst du von diesem Mann sagen, er sei ein Astronom oder ein Würfelspieler? PARTNER: Bei Gott, ich würde nicht annehmen, daß er irgend etwas mit Astronomie zu tun hat, viel eher mit dem Würfelspiel. (s) DION: Dann stelle dir zwei Menschen vor! Der eine sagt, er werde mit seinem Schiff unverzüglich abfuhren und durch seine Geschäfte zu großem Reichtum kommen; Schiff und Schifter allerdings sind weit und breit nicht zu sehen, Ware zum Verladen ist auch nicht da, ja der Mann kommt überhaupt nicht zum Hafen oder ans Meer. Der andere dagegen beschäftigt sich mit diesen Dingen, unterzieht das Schiff einer sorgfaltigen Prüfung und bringt Steuermann und Ware an Bord." Von welchem der beiden wirst du sagen, daß er sich mit Handel befasse, von dem, der es sagt, oder von dem, der es tut und Vorbereitungen trifft für Fahrt und Handelsgeschäfte? PARTNER: Vom letzteren, würde ich sagen. (6) DION: In allem also hältst du das Wort, wenn es nur ge-

724

VON DER PHILOSOPHIE

[70.6-8

sprochen wird, ohne von einer Tat begleitet zu sein, fur un_ gültig und unglaubwürdig? Aber die Tat allein, auch wenn ihr kein Wort vorausgeht, fur glaubwürdig und wahr? PARTNER: Ja. DION: Wenn es nun für den Landbau oder die Schiffahrt bestimmte Tätigkeiten und Geräte gibt, wenn der Jäger, der Astronom und jeder andere Beruf seine besonderen Kennzei_ chen hat, sollte es da für die Philosophie nicht auch eine ihr eigentümliche Tätigkeit, Aufgabe und Ausrüstung geben? PARTNER: Ganz gewiß. (7) DION: Sind denn diese Dinge, die den Philosophen und die Philosophie auszeichnen, verborgen, während die Kennzei_ chen der Handelsleute, der Bauern, Musiker, Astronomen und wovon ich sonst eben gesprochen habe, klar zutage liegen? PARTNER: Ich glaube nicht, daß sie verborgen sind. DION: Dann gibt es sicher auch Worte, die jeder, der sich mit Philosophie befaßt, hören muß, Kenntnisse, die er sich erwerben, eine Lebensweise, an die er sich gewöhnen mußkurz, das Leben eines Philosophen unterscheidet sich grundsätzlich von dem der meisten Menschen. Er strebt nach Wahrheit und Erkenntnis, nach tiefer Ehrfurcht vor den Göttern, nach Einfachheit und Beherrschtheit der eigenen Seele, weit en tfern t von Prahlerei, Lug und Trug und einem ausgelassenen Leben. (8) Auch die Kleidung des Philosophen ist nicht die des gewöhnlichen Bürgers, und dasselbe gilt für die Tischsitten, den Verkehr in den Gymnasien, für das Baden und alle anderen Lebensbereiche. Wer sich an diese Unterschiede hält und sie befolgt, muß als Jünger der Philosophie betrachtet werden. Wer sich dagegen in diesen Dingen nicht unterscheidet und nicht vollständig anders ist als die große Menge, der ist nicht den Philosophen zuzurechnen, auch wenn er es tausendmal behauptet und vor dem Volk von Athen oder Megara oder vor den Königen von Sparta beteuert, er sei ein Philosoph. Nein, ,

1",6-71,1]

VOM PHILOSOPHEN

725

diesen Menschen muß man ausstoßen zu den Prahlern, Dummköpfen und Schweigern. (9) Jedoch kann man durchaus musikalisch sein, auch ohne Musik auszuüben; denn die Musik nimmt einen nicht restlos in Beschlag und läßt auch noch etwas anderes neben sich gelten. Als Astronomen braucht einen nichts davon abzuhalten, lIähne zu züchten oder mit Würfeln zu spielen; denn die Astronomie hindert keineswegs daran zu tun, was nötig ist. Oder beim Himmel, ist jemand ein guter Reiter, Steuermann, LandI'Crmesser oder Wissenschaftler, überrascht es gewiß nicht, wenn er bei Straßenmädchen oder Flötenspielerinnen zu sehen ist; denn die Kenntnis dieser Dinge macht die menschliche Seele nicht besser und bewahrt sie nicht vor Irrtum. (IO) Wer sich aber der Philosophie ergeben und an ihrem Wissen teilbekommen hat, wird niemals von seinen Idealen abweichen, sie verraten und etwas Häßliches und Gemeines vorziehen, niemals ein Faulenzer, Leckermaul und Trunkenbold sein. Denn diese Dinge nicht bewundern, das Verlangen nach ihnen aus der Seele verbannen und statt dessen die Seele dazu bringen, daß sie das alles haßt und verurteilt, das ist Philosophie. Allerdings gibt es wohl kaum ein Mittel zu verhindern, daß jemand sich als Philosoph ausgibt, damit prahlt und sich und die andem hinters Licht führt. 71. VOM PHILOSOPHEN

(1) Es gibt Menschen, die behaupten, daß der Philosoph in allem und unter allen etwas Besonderes darstellen müsse; auch auf den Umgang mit Menschen müsse er sich genauestens verstehen, dürfe niemals schweigen und vor seinem Publikum nie um ein Wort, das es ergötzen könne, verlegen sein. Andernfalls, wenn erdaftir nicht ausgerüstet sei, sei er ein Stümper und wenig wert. Ich aber behaupte, daß diese Leute zum Teil recht 2;

72 6

VOM PHILOSOPHEN

[71,1-4

haben und die Wahrheit treffen, zum Teil aber auch nicht. (2) Die Forderung, daß der Philosoph sich in jeder Lage Von der Menge zu unterscheiden habe, scheinen sie mir zu Recht Zu stellen, es sei denn, sie meinten, daß der Philosoph auch alle praktischen Fähigkei ten besitzen und auch in technischer Bin. sicht alles besser machen müsse als die Handwerker, ob er nUn ein Haus oder ein Schiff baut, ob er schmiedet, webt oder das Land bestellt. Hippias aus Elis zum Beispiel nahm für sich in Anspruch, der weiseste unter den Griechen zu sein, denn er trug nicht nur bei den Olympischen Spielen und bei anderen festlichen Versammlungen der Griechen Gedichte jeglicher Art und seine eigenen kunstvollen Reden vor, sondern zeigte auch andere Werke von sich - einen Fingerring, ein Ölfläsch. ehen, einen Striegel, sein Gewand mitsamt dem Gürtel: alles habe er selbst angefertigt I. Als zeige er den Griechen die Erst. lingsfrüchte der Weisheit! (3) So etwa hat auch Homer Odysseus dargestellt als einen Mann, der sich nicht nur durch seine Urteilskraft und durch seine Fähigkeit, praktische Ratschläge zu erteilen, auszeichnet und nicht nur ein ganz gewaltiger Redner ist -ober nun vor der Menge, vor wenigen oder auch nur zu einem spricht; inder Volksversammlung, bei Gott, genausogut wie beim Umtrunk oder wenn er mit jemand einen Weg zu machen hat; zu einem König so gut wie zu einem gemeinen Soldaten, zu einem Freien oder Sklaven, gleich, ob der Betreffende berühmt und ein König oder auch unbekannt und ein Bettler ist; zu Mann, Frau und Mädchen ohne Unterschied. Der Odysseus des Homerversteht auch zu kämpfen und ist obendrein ein guter Zimmermann, Architekt und Schiffsbaumeister. (4) Wie hätte er sonst sein Bett anfertigen können, indem er den Stamm eines Ölbaums abhieb, wenn er sich nicht auf die Zimmermannskunst ver· standen hätte? Wie hätte er sein Schlafgemach darum herum· bauen können, wenn er nicht auch von der Baukunst etw3s

11,4-6]

VOM PHILOSOPHEN

727

verstanden hätte'? Wie hätte er sein Floß zimmern können, wenn er nicht ein erfahrener Schiffsbauer gewesen wäre 3 ? Und flirs Anpflanzen und Ackern hat er sich offenbar schon als kleinerJunge interessiert, denn er bittet den Vater um Bäume und Weinstöcke 4. Da sein Vater ein außerorden tlich sorgsamer und erfahrener Landmann war, konnte man von vornherein annehmen, daß auch er in diesen Dingen nicht unkundig sein werde; fordert er doch Eurymachos zu einem Wettkampf im Mähen und pflügen heraus s. Aber er behauptet auch, in der Kochkunst, im Servieren und in allen anderen derartigen Dingen, worin, wie er sagt, die Niederen die Hohen bedienen, Erfahrung zu haben 6. (s) Nun, in diesen Dingen mögen Hippias und Odysseus Erstaunliches geleistet haben. Ich aber behaupte, daß ein philosoph nicht jedes Handwerk beherrschen kann - denn auch nur ein Handwerk gut zu verstehen ist schon schwer -, daß er aber alles, gleich, was er macht, besser als die andern Menschen zu tun versteht. Da mag er ruhig bei praktischen Dingen, sollte er einmal gezwungen sein, auch an so etwas Hand anzulegen, in seinem technischen Können nicht überlegen sein. Denn unmöglich kann der Laie es in der Baukunst besser machen als der Baumeister, kann der Mann, der keine Ahnung vom Landbau hat, als der dem Bauern in landwirtschaftlichen Fragen Überlegene dastehen. (6) Worin liegt dann aber wohl die Überlegenheit des philosophen? Darin, daß er etwas zum Vorteil tut oder nicht tut, daß er besser als der Handwerker das Wann und Wo, den richtigen Augenblick und das Mögliche weiß. So scheint mir Daidalos zum Beispiel das Labyrinth auf Kreta, in dem seine Mitbürger und Mitbürgerinnen 7 umkamen, nachdem sie erst einmal eingetreten waren, nicht gut gebaut zu haben, denn er baute es nicht zu einem gerechten Zweck. Auch insofern, als Cl' Pasiphaes krankhafter LeidenschaftS en tgegenkam, war sein

728

VOM PHILOSOPHEN

Werk verkehrt. Denn es brachte weder Vorteil, noch war es gut und richtig, bei so etwas behilflich zu sein und die Mittel für ein schändliches und frevelhaftes Tun zu erfinden. Auch daß er dem Ikaros Flügel machte - wenn man der Geschichte Glau_ ben schenken darf-, war kein gu ter Einfall, möchte ich behaup_ ten. Denn einem Menschen Flügel anlegen heißt Unmögliches erstreben. Deshalb schickte er seinen Sohn auch in den Tod. (7) Auch Homer schein t einen troischen Baumeister zu schel_ ten, daß er nicht gut daran getan habe, die Schiffe, mit denen Paris nach Griechenland fuhr, zu bauen, obwohl er ihm in tech_ nischer Hinsicht nichts vorwerfen kann. Er sagt:

welcher für Paris baute die ausbalancierten Schiffe, Anfang des Unheils,9 ohne ihn wegen des Baus der Schiffe zu loben. Ja,er tadelt ihn noch viel mehr, als wenn er an der technischen Seite des Schiffs_ baus etwas ausgesetzt hätte, etwa daß die Schiffe langsam sind oder sonst einen Fehler haben. Ebenso rügt er auch einen Jäger und macht sich über sein Können lustig, weil er es zu keinem vernünftigen Zweck besitze: Tiere könne er zwar erlegen, aber im Krieg treffe er keinen Gegner, sondern sei vor lauter Feigheit unbrauchbar, und Homer fügt hinzu, daß Artemis ihm bei dieser Gelegenheit nicht geholfen habe 10. (8) Daraus ergibt sich nun ganz klar, daß es der Einsicht und der Tugend bedarf sowohl in dem, was die Menschen können, als auch in dem, was sie nicht können. Und auf diese Weise unterscheidet sich der vern ünftige Mann -und der Philosoph sollte ein solcher sein - in allem von allen, ob er nun derartiges tut oder nicht und wie auch immer er in technischer Hinsichtetwas macht. Daß er aber besser als die Maler malt, wenn er kein Maler ist; besser als die Ärzte mit medizinischen Mitteln heilt, wenn er kein Arzt ist; schöner als die Musiker singt, wenn er keine oder nur geringe Ahnung von Musik hat; daß er in Zahlen eher als Fachmann gilt als die Arithmetiker,

71,8-72,2]

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

729

in Landvermessung eher als die Landvermesser, im Anpflanzen eher als die Bauern, im Steuern eher als die Steuerleutej daß er schneller als die Köche ein Tier schlachtet oder, wenn es nötig sein sollte, das Tier schneller zerlegt als die Leute, die das von Berufs wegen machen - an so etwas darf man natürlich nicht denken. (9) Allerdings wollte ein Kaiser unserer Tage 11 auch in derlei Kunst etwas können, da er ein gewaltiges Repertoire zu haben glaubte, natürlich nicht in solchen Dingen, die keine Bewunderung bei den Menschen finden, sondern für die man bekränzt werden kann: als Herold agieren, zur Zither singen, als tragischer Schauspieler auftreten, ringen und im Allkampf lZ mitmachen. Es heißt, er habe auch malen, modellieren und Flöte spielen können, und zwar mit dem Mund und auch mit einem unter die Achseln geklemmten Schlauch 13, um zu vermeiden, nicht wie Athene entstellt zu sein 14 • War er deswegen etwa weise? 72. VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

(r) Warum eigentlich nehmen die Leute, wenn sie jemand nur mit einem Leibrock bekleidet sehen, keine Notiz davon und lachen ihn nicht aus? Wohl deswegen, weil sie denken, er sei ein Seemann und das sei kein Grund, ihn auszulachen. Genausowenig regen sie sich auf, wenn sie einen Mann in der Tracht eines Bauern oder Hirten sehen - vielleicht trägt er ein Gewand, das die eine Schulter frei läßt I, vielleicht hat er sich ein Fell umgelegt oder sich in einen Kittel gehülltj aber dabei finden sie überhaupt nichts, weil sie denken, die Kleidung passe zu dem betreffenden Beruf. (2) Auch die Schankwirte sehen sie Tag ftir Tag mit aufgeschürzten Kleidern vor ihren Schenken, ohne sich jemals über sie lustig zu machen, im Gegenteil, sie wiirden ihren Spott mit ihnen treiben, wenn sie nicht so aufge-

730

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

[72,2-5

macht wären, da man ihre Aufmachung für die Arbeit, der sie nachgehen, als zweckmäßig erachtet. Erblicken sie aber je. mand ohne Leibrock nur im Übergewand, mit langem Baar und Bart, ist es ihnen unmöglich, in Gegenwart eines solchen Mannes ruhig zu bleiben und still vorbeizugehen. Nein, man tritt auf ihn zu, reizt ihn, macht sich über ihn lustig oder be. schimpft ihn, ja manchmal vergreift man sich sogar an ihm und versucht, ihn wegzuschleppen, wenn man sieht, daß er nicht gerade stark und niemand sonst in der Nähe ist, der ihm zu Hilfe kommen könnte. Dabei wissen sie doch genau, daß dies die den sogenannten Philosophen eigentümliche und gewisser. maßen sogar vorgeschriebene Kleidung ist. (3) Was aber noch merkwürdiger ist: Man sieht hier' bisweilen Menschen mit Filzhüten auf dem Kopf - heutzutage trägt sie ein Teil der Thraker, die Geten genannt werden, in früheren Zeiten trugen sie Spartaner und Makedonen - oder andere mit einem Turban und weiten Hosen - ich nehme an, Perser, Baktrer, Parther und noch viele andere fremde Völker. Ja,noch auffälligere Leute pflegen sich hier aufzuhalten; sie tragen aufrechte Federn auf dem Kopf wie die Nasamanen. Aber auch ihnen wagt niemand irgendwelche Schwierigkeiten zu machen oder sich ihnen zu nähern und sie zu belästigen. Dabei sind Geten, Perser und Nasamanen nur in kleinen Gruppen und nur selten bei euch zu sehen, (4) während es heutzutage in aller Welt geradezu wim. melt von den erwähnten Philosophen und es ihrer beinah mehr gibt als Schuster, Walker, Narren oder welche Beschäftigung man sonst nennen will. Deshalb könnte man vielleicht auch in unserer Zeit noch mit gutem Recht sagen, daß ohne Unterschied jeder Nachen zur See fahre und jede Kuh einen Pflug ziehe 3. (s) Aber nicht nur aus diesem Grund ist den Leuten der Anblick vertraut. Sie sehen doch auch in den Tempeln Statuen in dieser Aufmachung4, zum Beispiel die Bilder von Zeus,Po· .

7a,S-8]

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

731

seidon und vielen sonstigen Göttern. Denn bei den Ägyptern, phönikern und einigen anderen fremden Völkern ist die Art der ]3ilder nicht die gleiche wie bei den Griechen, denke ich, sondern grundsätzlich verschieden; hier aber ist sie die gleiche. Dann kann man auf dem Marktplatz und in den Tempeln auch Standbilder von Menschen sehen, von Bürgern der Stadt, von Feldherren und Königen - sie alle stehen da mit wallenden Bärten. Aber wozu erzähle ich das alles, (6) wo doch selbst von den Griechen die meisten genauso empfinden und auch sie der gewohnte An blick eines solchenMenschen keineswegs an Spott und Beleidigung hindert. Natürlich spreche ich nur von den gewöhnlichen philosophen ohne Namen, bei denen man keine Gegenwehr zu befürchten hat; denn für die andern fühlt man in der Regel Scheu und Bewunderung. Aber vielleicht verhält es sich damit wie folgt. Bei den Matrosen, Bauern und Hirten, ferner bei den Persern und Nasamonen nimmt das Volk nicht an, daß sie es verachten oder etwas mit ihm zu tun haben, und deshalb kümmert es sich auch nicht um sie. (7) Die Philosophen aber hat es im Verdacht, daß sie es verachten und ihm viel Dummheit und Unglück zuschreiben. Sie würden sich öffentlich zwar nicht darüber lustig machen, wohl aber seien sie für sich der Meinung, daß, angefangen bei den Reichen und für glücklich Eingeschätzten, also bei den Leuten, die das Volk selbst beneidet und wegen ihres Glücks beinah den Göttern gleichstellt, alle Menschen ohne die nötige Bildung armselige Kreaturen seien. Ferner vermutet das Volk, daß die Philosophen es verächtlich und lächerlich machen, da es für Essen und Trinken viel Geld ausgibt und Wert darauflegt, in einem weichen Bett zu schlafen, jedesmal mit jungen Frauen und Knaben zu ruhen, viel Geld zu haben und von der großen Menge gesehen und bewundert zu werden; das sei das Größte und Schönste, was es für das Volk gebe. (8) Dieser Verdacht ist es, der die Menschen auf alle Leute, die

732

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

[72,8-xo

nicht dasselbe bewundern und schätzen wie sie und in der Frage, was am wichtigsten ist, eine andere Meinung haben , böse sein läßt. Deshalb machen sie lieber selbst den Anfang verspotten die Philosophen und schelten sie armselig und tö: richt, denn sie wissen, daß sie im selben Augenblick, in dem sie jene als unverständig und verrückt er::eisen, selbst als kluge und vernünftige Menschen dastehen. Uberlassen sie aber den andern das Feld im Glauben, jene wüßten, was notwendig ist und seien wertvolle Menschen, geben sie zugleich zu, daß si~ selbst arme, stumpfsinnige Schlucker sind, die schlechterdings nichts von dem wissen, was freie Menschen wissen sollten. (9) Sodann, wenn sie jemand als Seemann ausstaffiert sehen, wissen sie, daß er gleich in See stechen, wenn als Bauer, daß er gleich sein Land bestellen wird j und von dem Mann im Hirten. kittel wissen sie, daß er zu seinen Schafen geht, um seine Zeit auf sie zu verwenden. Folglich lassen sie diese alle gehen, weil keiner ihnen etwas tut. Sehen sie aber jemand, der wie ein Phi. losoph aussieht, überlegen sie sich, daß er gewiß nicht ftir die See, furs Feld oder um der Herde willen auf diese Weise aufgemacht ist, sondern sich für Menschen fertig gemacht hat, Um sie zurechtzuweisen und ins Verhör zu nehmen, nicht aber, Um einem von ihnen Sch meicheleien zu sagen oder jemand zu schonen, im Gegenteil, um sie nach Kräften vor allem mit Worten zu tadeln und ihnen zu zeigen, wer sie sind. (10) Deshalb ist es ihnen unmöglich, die Philosophen gerne zu sehen, sondern sic geraten aneinander und kämpfen mit ihnen, wie auch Kinder jemand, der wie ein Erzieher aussieht und schon den Fingcr erhoben hat, um sie zu tadeln und ihnen jeden übermütigen Seitensprung zu verbieten, unmöglich mit Freuden sehen kön· nen. Wäre es ihnen gestattet, diese Leute auszulachen und zu verspotten - sie täten nichts lieber als das. Freilich kommen nicht alle in dieser Absicht, und nichtal~ fallen lästig. Es gibt da eine Art Menschen, die in dieser Hin·

7.,10-13]

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

733

sicht neugierig sind, und das sind nicht einmal die schlechtesten. (Il) Sie gehen zu den Philosophen - man erkennt sie ja an der Kleidung -, um von ihnen ein weises Wort zu hören, das sie sonst von niemand hören könn ten. Denn ihnen ist zu Ohren gekommen, daß auch Sokrates ein weiser Mann war und mit den Menschen, die zu ihm kamen, vernünftige Worte wechselte, daß auch Diogenes auf alles Rede und An tWOl't zu stehen wußte. Und an seine Aussprüche-ein Teil mag von ihm selbst stammen, der Rest von andern verfaßt sein - erinnern sich die meisten noch. (1Z) Dann haben sie davon gehört, daß in früheren Zeiten die Sprüche der Sieben Weisen gleichsam als ErstJjngsfrüchte ihrer Weisheit und zugleich zum Nutzen der Menschheit in Delphi an geweihter Stätte aufgeschrieben worden sind, da man sie für wahrhaft göttlich hielt, ja vielleicht für noch göttlicher als die An tworten, die Pythia, auf dem Dreifuß sitzend und mit göttlichem Geist erfüllt, zu geben pflegte. Denn die Antwort, die ein einzelner für sich selbst bekommt, hört er sich an und geh t dann fort, ohne sie geweih t und dami t aller Welt bekanntgemacht zu haben. Die Sprüche der Weisen dagegen sind jedem Besucher des Gottes zugänglich gemacht worden, da es für alle Menschen gleich nützlich schien, sie kennenzulernen und sich danach zu richten. (13) Es gibt auch Leute, die Aisopos für einen solch weisen und klugen Mann halten; obendrein sei er noch geschickt gewesen und habe es verstanden, Fabeln zu dich ten, die sie selbst am liebsten hörten. Und vielleicht haben sie damit nicht einmal so unrecht, denn Aisopos versuchte in der Tat, auf diesem Wege die Menschen zurechtzuweisen und ihnen zu zeigen, was sie falsch machen. Er dachte sich, daß sie ihm wohl am ehesten zuhören würden, wenn sie an seinem Humor und seinen Fabeln ihr Vergniigen fänden, wie auch kleine Kinder den Ammen, die ihnen Märchen erzählen, mit Vergnügen zuhören. Weil sie nun erwarten, auch von uns so etwas, wie Aisopos, Sokrates oder

734

VON DER ÄUSSEREN ERSCHEINUNG

[72,13-16

Diogenes gesagt hat, zu hören, kommen sie näher, werden zudringlich und können sich von keinem, den sie in dieser Auf_ machung erblicken, fernhalten - genausowenig wie Vögel, wenn sie eine Eule sehen s. (14) Darüber hat Aisopos folgende Fabel gedichtet. Die Vö. gel kamen bei der Eule zusammen und forderten sie auf, den Schu tz der menschlichen Behausungen zu verlassen und wie sie selbst ein Nest in den Bäumen und Zweigen zu bauen. Von da aus könne man auch heller singen, und so solle sie sich bereit erklären, wenn die Eiche, die dort soeben heranwachse, die volle Höhe erreicht habe, dorthin überzusiedeln und sich an dem grünen Laub zu erfreuen. Aber die Eule riet den Vögeln davon ab, sich an einer jungen Pflanze zu freuen, die eine Mi. stel, das Verderben der Vögel, tragen könne. (15) Die Vögel aber hörten nicht auf den Rat der Eule, sondern im Gegenteil, sie hatten ihre Freude am Wachsen der Eiche, und als sie groß genug war, ließen sie sich auf ihr nieder und sangen. Da nun aber auch die Mistel hervorgesprossen war, war es für die Men. sehen ein leichtes, die Vögel zu fangen. Da bereuten sie ihr Verhalten und bewunderten die Eule wegen ihres Rates. Auch jetzt noch behandeln sie die Eule so, als ob sie ein kluger und weiser Vogel wäre, und deswegen wollen sie in ihrer Nähe sein, denn sie glauben, einen Vorteil von dem Umgang mit ihrzlI haben. Aber wenn sie sich ihr dann nähern, ist es, glaube ich, umsonst und nur zu ihrem Schaden. Denn in alten Zeiten war die Eule wirklich klug und verstand zu raten, doch heutzutage hat sie nur noch die Flügel der alten Eule, die Augen und den Schnabel, im übrigen aber ist sie noch dümmer als die andern Vögel. (16) Deshalb können die Eulen auch nicht einmal sich selbst helfen, denn sonst ließen sie sich nicht von den Vogel. fängern in Käfige eingesperrt halten. So trägt auch jeder von uns das Gewand eines Sokrates und Diogenes. An Gedanken aber, an einem Leben, wie sie es leb·

1t ,I6-73.3]

VOM VER TRA UEN

735

ten, an Worten, wie sie sie sprachen, diesen Männern gleich zu sein, davon sind wir weit entfernt. Deswegen brauchen wir uns nur blicken zu lassen, um wie die Eulen gleich einen ganzen Schwarm - in der Tat, von Vögeln! - herbeizulocken: Wir selbst sind Narren, und die uns belästigen, sind ebensolche Narren. 73. VOM VERTRAUEN

(I) Ist Vertrauen für diejenigen, denen man es schenkt, ein Gut, wie etwa Reichtum, Gesundheit oder Ehre für die Geehrten, Gesunden und Reichen ein Gut ist, da es ihnen selbst Vorteil bringt? Ich meine zum Beispiel, wenn jemand von seiner eigenen oder von einer anderen Stadt, wie es schon oft der Fall gewesen ist, ein Heer, Geld oder die Befestigungen anvertraut bekommt oder sogar die Stadt selbst mit Kindern und Frauen, im Frieden, manchmal aber auch bei Ausbruch eines Krieges. (2) Bei Gott, wenn einem von einem König oder Tyrannen Gold, Silber, Schiffe, Waffen, die Burg oder gar das ganze Reich anvertraut werden, wie zum Beispiel Leptines oft für seinen Bruder' und Philistos' für den jüngeren Dionysios die Herrschaft in Syrakus übernahmen; Kambyses den Magiern den Palast der Perser anvertraute, als er nach Ägypten zog3; Dareios dem Mithranes die Burg von Sardes, Antigonos dem Persaios Akrokorinth übergab; in längst vergangenen Zeiten Eurystheus, als er gegen Athen zog, da die Athener die Söhne des Herakles 4 nicht herausgeben wollten, dem Atreus Argos iiberließ; oder Agamemnon, Atreus' Sohn, Gattin und Palast einem Musiker zu treuen Händen übergab, als er nach Troia segeite S - (3) sollen wir annehmen, daß sie alle, denen etwas anvertraut worden war, auch ihrerseits Vorteil von dem Vertrauen hatten? Dann auch alle die Menschen, denen von Privatpersonen Frauen, Kinder oder Hab und Gut anvertraut werden:Viele, denke ich, setzen Vormünder oder Sachwalter ein,

736

VOM VER TRAUEN

(73.3-5

wenn sie auf Reisen sind oder sterben, andere deponieren Geld ohne Zeugen und furchten nicht, es zu verlieren; ja wenn die Gesetze nicht zulassen, den als Erben einzusetzen, den man selbst möchte, setzt man andere zu Erben ein mit der Auflage. das Vermögen den eigenen Freunden auszuhändigen. (4) Sol: len wir von ihnen allen sagen, daß sie von dem Vorgang und der hohen Meinung, die denjenigen, der ihnen sein Hab und Gut anvertraut, zu diesem Verhalten treibt, Nutzen haben, VOr allem die zuletzt Genann ten, denen gegen das Gesetz etwas an. vertraut zu werden scheint? Oder müssen wir nicht vielmehr annehmen, daß eine solche Verantwortung schwer ist und viel Sorge und Unruhe macht, ja unter Umständen sogar die größten Gefahren mit sich bringt? Man kann den Fall sofort prüfen an den Männern, die als die größten gelten. Zwangsläufig vernachlässigen sie ihre privaten Interessen, ihren Besitz und ihre Kinder und widmen sich ausschließlich den Fragen des öffentlichen Lebens. Und nicht selten werden sie das Opfer von Leuten, die gegen die Stadt etwas im Schilde führen, von Feinden oder auch von Bürgern, ja oft sogar von den Städten selbst auf Grund falscher Anklagen. Die einen büßten dabei ihren Besitz ein, andere fielen, wegen Unterschlagung verurteilt, in Schimpf und Schmach, wieder andere mußten das Vaterland verlassen oder verloren sogar ihr Leben. (s) So heißt es zum Beispiel, Perikles, dieser hervorragende und ausgezeichnete Lenker der Stadt, sei bei den Athenem der Unterschlagung überführt worden. Themistokles soll wegen Verrats verbannt worden sein - der Mann, der die Herrschaft über die Athener antrat zu einer Zeit, da sie den heimatlichen Boden nicht mehr halten konnten, sondern den Feinden die Stad t selbst und ihre Heiligtümer überlassen mußten; nicht nur, daß er ihnen das alles zurückgab, er machte sie auch zu Führern Griechenlands, nachdem er die Vormacht den Spartanern, in deren Händen sie ursprünglich lag, entrissen hatte.

73,6-8]

737

VOM VER TRA UEN

(6) Miltiades, der den ersten Sieg über die Perser nur mit seinen eigenen Bürgern errungen und den Stolz der Perser, von dem sie bis dahin besessen waren, als seien sie aller Welt überlegen, gedemütigt hatte, dieser Mann wurde nicht viel später "on den Athenern ins Gefängnis geworfen. Und seinem Sohn {{imon wären obendrein noch für den Rest seines Lebens die bürgerlichen Rechte aberkannt worden, wenn er seine Schwester Elpinike nicht einem niedrigen, aber reichen Mann gegeben hätte, der fLir ihn die Summe von fünfzig Talenten 7 zahlte. Freilich gewann Kimon später noch Zypern für die Athener und schlug die Perser gleichzeitig zu Wasser und zu Land in Pamphylien. Trotz solcher Leistungen aber und trotz eines solchen Vaters hätten ihn die Athener ohne Bürgerrecht in der Stadt leben lassen, wenn er nicht genügend Geld aufgebracht hätte. (7) Dann in späteren Zeiten Phokion, ein Mann von über achtzig Jahren - mehr als die Hälfte von ihnen hatte er als Offizier gedient und die Stadt in den schwierigsten Lagen gerettet, weswegen er von den Athenern auch «der Tüchtige» genannt worden war. Bei ihm begnügten sich eben diese Athener nicht nur damit, ihn zum Tode zu verurteilen, nein, sie ließen nicht einmal seinen Leichnam in Attika, sondern warfen ihn über die Grenze. Oder denke an Nikias, den Sohn des Nikeratos! Obwohl er durch eine göttliche Warnung und auf Grund seiner eigenen Überlegungen über den Ausgang des sizilischen Unternehmens Bescheid wußte, wurde er doch trotz seiner Krankheit, nur weil die Bürger ihm vertrauten, gezwun gen, den Feldzug zu unternehmen. Wäre er nach dem Verlust seines Heeres oder auch nureinesTeils mit dem Leben davon gekommen, hätte man den Heimgekehrten sicher zum Tode verurteilt. Da er das wußte, hielt er das Schicksal auf jede Art und Weise hin, bis ihn als Gefangenen aus der Hand der Feinde das gleiche Los ereil te. (8) Diese Feststellungen betreffen eine einzige Stadt und die Staatsmänner einer einzigen Stadt, aber nicht einmal alle. 6

738

VOM VER TRA UEK

[73.8- 10

Wollte ich auch die Schicksale all derer darstellen, die bei den Tyrannen als vertrauenswürdige Männer galten, würde ich wohl eine ganze Anzahl von Tagen dazu benötigen. Es ist geradezu ausgeschlossen, daß diese Männer ihres Lebens froh werden. Geben sie selbst wegen eines Unrechts Anlaß ZUr Klage, werden sie aus diesem Grund umgebracht, und Verzeihung gibtes nicht rur sie. Wer sich aber als brauch bar erweist und das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht, bekommt dafur sofort irgendeine Auszeichnung, und nicht viel später wird er das Opfer von Mißgunst und Verdächtigung. (9) Denn fur Allein_ herrscher scheint es nicht geraten, einen tüchtigen Menschen der beim Volk in Ansehen steht, in ihrer Umgebung zu haben: Demgegenüber bringt von Privatpersonen geschenktes Ver_ trauen vielleicht weniger Gefahren mit sich, weil auch die Anläs_ se weniger bedeutend sind; aber unendliche Unruhe und Arbeit, oft ohne den geringsten Dank, sind auch hier die Folge. HäUfig kommt es sogar vor, daß man von den Leuten, denen man einen Diensterwiesen hat, sich nachsagen lassen muß, man habe nicht alles, wie es sein sollte, mit sauberen Händen zurückgegeben. (10) Zu welchem Zweck nun habe ich das alles vorgebracht? Nicht, um dich 8 in diesem Sinn zu ermahnen oder dich davor zu warnen, vertrauenswürdig zu sein. Denn mit solch einem Tadel würde ich noch viel schlechter handeln als Zethos, der seinen Bruder zurechtwies. Er hielt es nämlich nicht fUr richtig, daß der Bruder sich mi t Philosophie und Musik beschäftigteund da bei seine ei genen Angelegen hei ten vernachlässigte; sein Bruder fUhre da eine merkwürdige, wenig einträgliche Muse ein, sagte er 9 • Es ist vielleicht so, wie wenn jemand behauptet, auch du hättest eine solche Beschäftigung gewählt, gewiß keine bequeme und weinselige, aber vielleicht doch eine Beschäftigung, die dich deine eigenen Angelegenheiten versäumen läßt. Bei Gott, er könnte auch das folgende Wort zitieren:

Deswegen wirst du sein in einem leeren Haus. 10

VOM MISSTRAUEN

739

74. VOM MISSTRAUEN

(1) DION: Weißt du, daß schon etliche Menschen von ihren Feinden geschädigt worden sind? PARTNER: Natürlich. PION: Gut. Auch von sogenannten Freunden, guten Bekannten und Verwandten, zum Teil sogar von den engsten Verwandten, von Brüdern, Söhnen und Vätern? PARTNER: Ja, ich kenne eine ganze Menge. DION: Was ist nun der Grund, daß nicht nur Feinde Feinden Unrecht zufügen, sondern auch die sogenannten Freunde untereinander Unrecht tun, ja beim Himmel, sogar die nächsten Verwandten? PARTNER: Offensichtlich die Schlechtigkeit der Menschen, die meines Erach tens jeden dazu treibt, sogar sich selbst Schaden zuzufügen. DION: Man muß also vor allen Menschen gleich auf der Hut sein und darf niemand auch nur etwas mehr Vertrauen schenken, selbst wenn er als Freund, guter Bekann tel' oder Verwandter gilt? PARTNER: Vor allen Menschen, wie diesel' Satz beweist. DION: Dann hat der Schreiber des folgenden Verses recht:

Niicbterrt sei und denk dran,' Mißtrau ! Das sind Glieder für den Geist. ! (z)PARTNER: Da mag er das Richtige treffen. DION: Und offensichtlich gibt der Dichter diesen Rat nicht hinsichtlich der Feinde, sondern hinsichtlich der Menschen, die man für seine Freunde häl t. Denn von wem man weiß, daß er einen haßt, dem wird man keine Gewalt über sich geben. Wie könnte der Dichter zum Mißtrauen auffordern einem Menschen gegenüber, dem man überhaupt nicht traut? Aber laß uns auch folgendes betrachten. Wer hat schon mehr Menschen ins Verderben gestürzt, diejenigen, die aus ihrer

740

VOM MISSTRAUEN

7<1.2-5

Feindschaft keinen Hehl machten, oder diejenigen, die sich als Freunde ausgaben? Ich jedenfalls stelle fest, daß auch bei den eroberten Städten die Mehrzahl Verrätern zum Opfer gefalien und nicht gewaltsam vom Feind erobert worden ist und daß aufalle Fälle die Menschen mehr ihren Freunden und Bekannten Vorwürfe machen als die Schuld an ihrem Unglück ihren Fein_ den zuschreiben. (3) Und ferner, daß von allen gegen die Feinde Mauern und Befestigungen errichtet worden sind, die unter Umständen sogar viele Jahre überhaupt nicht benötigt werden , daß aber gegen die Mitbürger, die durch dieselben Tempel, Opfer und ehelichen Bande zusammengeschlossen und einan_ der Stammesbrüder, Volksgenossen und Verwandte sind, Gerichte, Gesetze und Behörden eingesetzt sind. Und diese Einrichtungen sind niemals arbeitslos. Jedenfalls wimmelt es in den Städ ten fortwährend von Anklägern und Verteidigern, VOn Recht Sprechenden und Recht Suchenden, und nicht einmal zu Festzeiten oder während des Waffenstillstandes bringen sie es fertig, die Hände voneinander zu lassen. Zumindest haben sie eigens für die Verbrechen, die an Festen begangen werden, Gesetze erlassen; sie nennen sie «Heilige Gesetze». Als wenn der Name zu etwas nütze wäre! Denn der Kampf der Schlechtigkeit wird pausenlos von allen gegen alle geführt, ohne Waffenstillstand und ohne Herold; (4) am heftigsten aber tobt er zwischen denen, die sich am nächsten stehen. Wer also in Frieden und einigermaßen sicher leben will, hüte sich vor der Gemeinschaft der Menschen und lerne die Natur der Menge kennen, die dazu neigt, andere ins Unglück zu stoßen. Und wenn jemand auch hundertmal beteuert, er sei dein Freund, so glaube ihm nicht! Denn bei den Menschen gibt es nichts Beständiges, nichts Wahres. Wen sie jetzt noch über alles andere, ja wenn es sein muß, über ihr eigenes Leben stellen, den halten sie in kurzem für ihren bittersten Feind und vergreifen sich oft sogar an seinem Leben. (5) Dann bringt der

74. 5- 7]

VOM MISSTRAUEN

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Liebhaber den Geliebten um - aus allzu großer Liebe, wie er glaubt, in Wahrheit aber, weil er aus dem ersten besten Grund aufgebracht ist. Andere töten sich selbst, die einen, ohne es recht zu wollen, aus lauter Unbeherrschtheit, die andern mit voller Absicht, da es in ihrem Leben nichts Bemerkenswertes gibt als eben ihre Schlechtigkeit. All die andern Schäden aber, die jeder sich selbst zufügt, durchzugehen ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Welches Vertrauen also könnte man in solche Leute setzen, welche Sicherheit bei ihnen haben? Wie könnte mich jemand lieben, der sich selbst nicht liebt? Denn die Antwort, die man den Athenern gab, als sie, selbst in der äußersten Bedrängnis, wegen Samos noch Forderungen stellen wollten, gilt, glaube ich, genauso von den schlechten Menschen, die sich jemandes Freundschaft zu erschleichen suchen: « Wer sich selbst nicht liebt, wie könnte der einen andern lieben, es sei Gastfreund, Kind oder Bruder?» (6) Was aber, wenn jemand Beweise seiner Freundschaft gibt, bei allem Heiligen schwört und geradezu bereit ist, sich in Stücke zu schneiden? Sicher, anhören muß man ihn schon und, bei Gott, ihm vielleicht sogar seinen Wunsch gewähren. Und doch sollte man sich ganz klarmachen, daß aufkeine seiner Beteuerungen Verlaß ist. Als Elektra merkt, daß Orestes sie unterTränen an sich zieht, erblickt sie darin wohl ein Nachlassen seiner Krankheit, aber sie ist weit davon entfernt, sich endgültig darauf zu verlassen. Deswegen sagt sie auch, als sie wenig später ihren Bruder wieder im Wahnsinn sieht: Weh mir, mein Bruder, wie verwirrt ist jetzt dein Blick, wie schnell verändert hast du dich.' (7) Oft liegt das Meer so ruhig da, daß selbst der größte Feigling, glaube ich, keinen Respekt mehr vor ihm hat. Darf man deswegen etwa dem Meer trauen und auch einmal ohne Anker, Steuerruder und all die anderen zur Sicherheit dienenden Ge-

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VOM MISSTRA UEN

[74.7-xo

räte auf die hohe See fahren? Wenn es der Zufall will, bricht bald ein Sturm los, und du siehst einen gewaltigen Seegang,

miichtige Wogen, den ungeheuren Gebirgen gleichend, weißlich schäumend, gekrümmt. 3 So wirst du auch den Mann, der sich jetzt dir freundlich zeigt und viele Beweise seines Wohlwollens und seines Eifers fur dich gibt, beim ersten besten Anlaß wild empört, hart und zu jeder schlechten Tat bereit finden. (8) Wieviel mag Medea wohl fur ihre Kinder zu den Göttern gebetet, wie oft um sie gekämpft haben, wenn sie krank waren, wie oft hätte sie bereitwillig ihr eigenes Leben flir sie hergegeben! Und trotzdem hat Medea sie mit eigener Hand getötet. Bei Gott, wirst du sagen, sie War rasend und eifersüchtig. Aber glaubst du nicht, daß die meisten Menschen eifersüchtig und neidisch sind und sich Hoffnungen machen? Fast immer und ohne Un terbrechung werden sie doch von solchen Regungen beherrscht. Deshalb traue keinem, der dir beteuert, er wolle dir wohl und werde die Freundschaft mit dir niemals verraten. Denn wie die Windfahnen jeweils nach der Richtung des Windes flattern, bald in dieser, bald in jener, genauso reagiert auch der Sinn der gewöhnlichen Menschen auf jede Bewegung. (9) Den Sklaven glaubt niemand, wenn er etwas mit ihnen vereinbart, weil sie nicht ihre eigenen Herren sind. Aber noch viel weniger sollte man Übereinkünfte mit den beschriebenen Leuten ernst nehmen, denn bei den Menschen kann auf alle Fälle wegen ihrer Schlechtigkeit noch weniger von Freiheit die Rede sein. Jugendlichen unter einer bestimm. ten Altersgrenze verbietet das Gesetz, einen Vertrag zu schlie. ßen, da sie noch nicht glaubwürdig sind, und in Athen darfeine Frau nur bis zu einem Scheffel Gerste handeln, da sie ein leicht bestimmbares Wesen ist. Gewöhnliche Menschen unterschei· den sich aber von sehr jungen Menschen oder, besser, von Kin· dern nur durch ihre Stärke und Schlechtigkeit. Deswegen darf man ihnen noch weniger glauben als Kindern. (ro) Ein Segen

14,10-12]

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wäre es, wenn die Zeit den Menschen, wie sie ihn zum Kind, zum Knaben, zum jungen Mann und zum Greis macht, auch vernünftig, gerecht und glaubwürdig machen könnte. Aber dieschlechten Männer sind kein bißchen besser als die gewöhnlichen Frauen; körperlich unterscheiden sie sich wohl, nicht aber in ihrer Gesinnung. Wie nun das Gesetz die Frauen bei Geschäften, die eine bestimmte Summe überschreiten, nicht zuläßt, sondern die Höhe, bis zu der sie handeln dürfen, festgesetit ist, genauso, denke ich, sollte man sich mit den gewöhnlichen Menschen nur in Dinge von ganz untergeordneter Bedeutung ein lassen, niemals aber in wichtigeren Fragen, bei notwendigen Erörterungen oder gar, wenn es um die eigene Sicherheit geht. (I I) Und selbst wenn sie sich einmal aus irgendeinem Grunde von Untaten fernhalten - auch wilde Tiere geben oft Ruhe, wenn sie schlafen oder satt sind, ohne deswegen ihre Natur abgelegt zu haben. So richten auch jene Menschen fLireine gewisse Zeit keinen Schaden an; bietet sich dann aber ein Vorwand, lösen sie, wie man sagt, das Kapital ihrer Schlechtigkeit mitsamt den Zinsen ein. Als einige Leute mit einem Spartaner bei Unterredungen einen Vertrag schließen wollten und ihm vorschlugen, was auch immer er wolle, als Pfand für ihre Freundschaft zu nehmen, gab er zur Antwort: «Es gibt nur ein Pfand: wenn man Unrecht tun will, es nicht zu können. Alle übrigen sind töricht und absolut nichtssagend.» (I2) Das ist das einzige Pfand, das man von durchschnittlichen Menschen nehmen darf, sonst keins. Denn die Sicherheit, die Worte, Bekanntschaft, Eide und Verwandtschaft bieten, ist lächerlich. Atreus war der Bruder des Thyestes und der Onkels der kleinen Kinder, die er schlachtete. Eteokles und Polyneikes waren nicht nur dem Gesetz nach Brüder, sondern die Kinder von Sohn und Mutter4, also der engsten Verwandten. Wenn nun die Familie etwas ausmachte, hätten sie sich am allermeisten lieben müs-

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[7.(.,12- 5 '

sen; statt dessen vertrieb zunächst der, dem geglaubt worden war, den, der geglaubt hatte, und beraubte ihn des Vaterlands, dann erschlugen sie sich gegenseitig. (13) Theseus hörte auf Verleumdungen und schickte Hippolytos durch seinen Fluch in den Tod S, obwohl er sein Vater und Poseidons Sohn war. Priamos, der zuvor an Glück alle überragte und über so viele Völker und ein so großes Reich herrschtealles, was Lesbos, des Makar Sitz, zum Meere hin einschloß, Phrygien landwärts, dazu der unendliche Hellespontos 6 -, wurde durch seinen Sohn 7 und dessen Unbeherrschtheit der unglücklichste Mensch auf der Welt. Und das waren noch Leute von Rang und Namen. Wie groß aber, glaubst du, ist wohl die Menge, die es in jeder Stadt an unbedeutenden und ganz gewöhnlichen Atreusen und Thyesten gibt, die heimlich einen Mord begehen oder andere Untaten im Schilde fuhren? (14) Und erst von Aeropen, Klytaimnestren und Stheneboien 8 - das ist gar nicht zu sagen! So ist es also um Verwandtschaft und Freundschaft bestellt. Und wie sieht es mit den Eiden aus? Pandaros leistete, wie auch die übrigen Troer, dem Menelaos einen Eid, trotzdem aber verwundete er ihn 9. Und hatte nicht auch Tissaphernes Klearchos und seinen Leuten einen Eid geleistet? Wie, hatte nicht sogar der Großkönig die königlichen Götter geschickt und sein Treuwort gegeben 'O? GriffPhilipp von Makedonien nicht fortwährend zum Meineid wie zu einer anderen im Kriege nützlichen Waffe, hat er nicht mit diesen beiden Waffen, mit Vertragsbruch und Gewinnung von Verrätern, die Städte erobert? Natürlich lag ihm die erste Methode besser, denn Verrätern mußte er Geld geben, während er den Göttern fur die Eide nichts gab. (15) Der Spartaner Lysandros soll der Mei· nung Ausdruck gegeben haben, Kinder müsse man mit Würfeln und Bällen täuschen, Erwachsene mit Eiden und Worten ". Was hätte der schlaue Fuchs 12 des Archilochos anderes zu be-

74,'5-'8]

VOM MISSTRAUEN

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deuten? Und glaubst du nicht, daß den Orakelspruch, den Glaukos bekam, die meisten Menschen schon früher gegeben haben, nämlich ruhig zu schwören, denn der Tod ereilt auch den Mann, der immer sein Trort hält?'3 Die eben genannten und auch andere Männer dieser Art sind durch die besonderen Umstände berühmt geworden; von weniger bedeutenden Glaukonen und Pandaren aber «sind voll die Märkte der Menschen und voll die Straßen »14. Deswegen IS zieht man auch weder ApolIon noch Athene beim Meineid zu Rate. (16) Aber vertrauter Umgang, Verträge und Gastfreundschaft seien doch gewiß ein großer Schutz gegen das Unrecht, meinst du. Den Eurytos tötete der Mann, der ihn in seinem Haus aufgenommen hatte, fürchtete nicht die Strafe der Götter, der Frevler, den Tisch nicht, den er ihm vorgestellt hatte: Später erschlug er den Gastfreund. '6 Und doch galt dann als Gott, der die Strafe der Götter und die Gastfreundschaft nicht gefürchtet hatte, der sichergöt'Zte beim Mahl mit der Gattin, der schönfüß' gen Hebe. I? Dem Archilochos nützte weder Salz noch Tisch etwas zur Einlösung des Heiratsversprechens, wie er selbst sagt'B. (17) Und Lykaon, dumm, wie er war, fiel Achilleus zum zweiten Mal in die Hände, wo er entweder entschlossen hätte kämpfen oder in aller Eile hätte fliehen sollen. Er sagt: Denn du warst der erste, mit dem ich Derneters Brot aß.'9 Früher also, als er noch nicht Achills Tischgenosse war und nach Lemnos verkauft wurde'o, blieb er am Leben; dann aber, als er gefangen genommen wurde, mußte er sterben. Das hatte Cl' von Demeter! Enten und Rebhühner fangen wir nicht eher, als bis sie von uns zu fressen bekommen haben.( 18) Aigisthos aber erschlug Agamemnon nach dem Mahle, wie man einen Ochsen erschliigt atl der Krippe." Die Troer hatten ihm während der zehn Kriegsjahre nichts

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anhaben können, und niemals war er ihr Tischgenosse gewe_ sen. Als er aber nach so langer Zeit nach Hause zurückgekehrt war, den Göttern geopfert und den eigenen Tisch vor sich hatte hinstellen lassen, da wurde er von dereigenen Frau auf so grausame Weise umgebracht. (I9) Wie er dann später in derUn_ terwelt Odysseus trifft, wirft er Klytaimnestra vor, daß sie ihm nach seinem Tod nicht einmal die Augen zugedrückt habe " ,. zudem legt er Odysseus nahe, niemals einem Weibe zu trauen noch ein vernünftiges Wort ihr zu sagen!3 Und doch tat ihm Klytaimnestradas nicht an, weil sie eine Frau, sondern weil sie eine schlechte Frau war. Und es gibt keinen Grund, weshalb man zu einer Frau freundlicher sein SOllte als zu einem Mann. (20) Aber ich glaube, jeder, der schlechte Erfahrungen gemacht hat, ist ganz besonders argwöhnisch gegen das, was der Grund seines Unglücks war, und warnt alle übrigen davor: Wer von einer Natter gebissen worden ist, warnt vor der Schlange, wer von einem Skorpion, vor dem Skorpion; und wen ein Hund gebissen hat, den wird man stets mit einem Stock bewaffnet sehen. Genauso ergeht es den meisten auch mit den Menschen. Der eine hat mit einer Frau schlechte Erfahrungen gemacht, und schon schreit er: o Zeus, welch doppeldeut' ges übel hast du da der Memchheit in der Frau tim Sonnenlicht gebracht !'4 Einem andern hat ein Gast, den er bei sich aufnahm, Kummer gemacht, wie zum Beispiel Paris dem Menelaos Besitz und Gattin entführte. Ein solcher Mann ist schlecht zu sprechen auf Gäste, ein zweiter auf den Bruder, ein dritter auf den Sohn. (21) Aber so einfach geht es nicht. Denn nicht der Bruder, der Verwandte, der Gast ist von Natur aufs Unrechttun angelegt, sondern der schlechte Mensch; der aber steckt fast in jedem. Bist du also ein kluger Kopf, sei vorsichtig mit allen. Ein Fremder? Vorsicht! Er behauptet, ein braver Mensch zu sein? Noch größere Vorsicht! Dieser Grundsatz stehe unver-

74,.1-'4]

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rückbar! Bei Gott, aber er legt doch die wohlwollende Gesinnung eines rechtschaffenen Menschen an den Tag. Nun gut, nimm ihn an und sei den Göttern dankbar, wenn du willst, auch ihm. In der Folgezeit aber mußt du trotzdem vor ihm auf der Hut sein. Was jemand nämlich einmal vom Glück gesagt hat, ließe sich noch weit besser von den Menschen sagen: «Niemand weiß vom andern, ob er bis morgen so bleiben wird.» (22) Deshalb brechen sie Verträge, die man mit ihnen geschlossen hat, geben einander andere Ratschläge und tun etwas anderes, als sie für angebracht halten. Wenn daher jemand in seiner Gutmütigkeit an einen solchen unangenehmen Menschen gerät, ist es lächerlich, diesem die Schuld zu geben, wo er sich selbst beschuldigen muß, oder unter Umständen sogar laut die Götter anzurufen, wenn er von einem guten Freund betrogen worden ist. Die Götter lachen über ihn, denn sie wissen, daß er sich selbst betrogen hat, als er sich von jemand anders abhängig machte. Wer auf der Straße stolpert oder, beim Himmel, in den Schmutz oder in eine Grube fällt, ist auch nicht zornig auf Steine und Schmutz. Er müßte ja vollkommen verrückt sein, denn er hat sich selbst und seiner Unachtsamkeit die Schuld zuzuschreiben. (23) «Wie», wird man einwenden, «sollen wir denn das Leben eines Tieres wählen und in der Einsamkeit leben?» Nicht das Leben eines Tieres, wohl aber das eines vernünftigen Menschen, der weiß, wie man in Sicherheit lebt. Denn die Einsamkeit ist viel sicherer und besser als das Zusammenleben mit Menschen, wenn sie frei von Angst und Sorge um allgemeine Fragen ist. Macht man zum Beispiel eine Seereise, so ist das hohe Meer, denke ich, empfehlenswerter als die Küste, wenn man nicht bei schönem Wetter fährt und die Gegend genau kennt. Denn auf dem offenen Meer geht, wenn überhaupt, nur selten ein Schifl' unter, an Küsten und Vorgebirgen aber kann man die Wracks sehen. (24) Bricht daher ein

748

VOM MISSTRA UEN

[74,24-26

Sturm los, will jeder, der nicht Bescheid weiß, an Land, der Steuermann aber flieht vom Land, soweit er kann. Natürlich könnte man Häfen finden, in denen es keine Wogen gibt und denen man sich ruhig anvertrauen darf, um dort sicher Zu ankern, wie heftig der Sturm auch toben mag. Aber die brav_ sten unter den Menschen gleichen den Ankerplätzen für den Sommer, die nur im Augenblick Schutz bieten. Denn von diesen Menschen ist jeder in einer bestimmten Lebensfrage wohl ein ordentlicher Mensch, nicht aber auch in allen übrigen. Um des Geldes willen wird er sich vielleicht nicht an dir vergrei_ fen - wenn wir einmal annehmen, daß es einen solchen Menschen überhaupt gibt. Aber es braucht ihn nur die Wut oder derEhrgeizzu packen, und du wirst ihn nicht mehr unerschüt_ terlich und zuverlässi g, das heißt von keiner Leidenschaft erregt, finden, so daß man sich fest auf ihn verlassen könn te. (25) Mit solchen Menschen also sollte man sich nur möglichst wenig, eben soweit es unumgänglich ist, einlassen, und dabei - noch wichtiger - selbst wach und vorsichtig sein, wie Hektor bei Homer vor den Achaiern auf der Hu t ist: Der aber, kundig des Kampfes, barg seine breiten Schultern hinter dem Schilde aus Stierhaut, achtete auf das Schwirren der Pfeile und Dröhnen der Speere!S Genauso müssen auch wir uns im Leben Vernunft und Wissen als Schild vorhalten und, von ihm gedeckt, vor der Schlechtigkeit der Menschen und den hinterhältigen Machenschaften, mit denen sie in der Regel arbeiten, fliehen und uns schützen. (26) Ganz allgemein wäre es doch sonderbar, wenn das Essen vom selben Tisch, beim Himmel, das Trinken aus demselben Krug und der Anblick desselben Leuchters ein Hindernis gegen die Schlechtigkeit sein sollte. Daß man dieselbe Sonne sieht und von derselben Erde ernährt wird, daran hat noch kein Schlechter gedacht. Ein Wirtshaus oder, bei Gott,

74 •• 6-28]

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jedes andere Haus, das aus Stein und Holz gebaut ist, würfelt die Menschen durcheinander und kann sie in Freundschaft zusammenfUhren, wie auch Odysseus es fordert: Achte dein Haus! Unter deinem Dache sind wir versammelt. 26 Er ist also der Meinung, daß die Hütte- nur aus Holz, das dazu noch auf feindlichem Boden gewachsen ist - mehr Achtung verdient als die Menschen selbst. Der ganze Himmel aber, unter dem wir alle von Anfang an leben, trägt genausowenig zur Eintracht bei wie unsere Gemeinschaft mit dem All, also mit etwas Göttlichem und Erhabenem, im Gegenteil, nur unsere Gemeinschaft in kleinen, wertlosen Dingen kann die Eintracht fördern. (27) Und der eigene Vater, nicht selten ein nichtsnutziger Alter, ist eine starke Macht, um zu verhindern, daß sich Leute aus derselben Familie gegenseitig bekriegen. Doch der gemeinsame Vater von allen, Menschen und Göttern, von dem wir alle ausgegangen sind und der nicht irgend jemand wie Laches und Simon 21 ist, kann die Ungerechtigkeit der Menschen nicht eindämmen oder verhindern. Daß man natürlich bloßen Worten von Freundschaft nicht trauen kann - diese Feststellung bleibt noch übrig -, ist ja wohl klar. (28) Denn auch wenn man dem Nachbarn Geld leiht, verläßt man sich nicht leichtsinnig auf sein Wort, sondern fordert Zeugen und schriftliche Abmachungen. Alles andere wäre lächerlich! Allerdings werden sie auch dann noch häufig nicht eingehal ten. «Wie», wird man sagen, «hat es denn nicht schon in früheren Zeiten Freunde gegeben? Was meinst du zum Beispiel zu den Halbgöttern, die in aller Munde sind, zu Orestes und Pylades, zu Theseus und Peirithoos, zu Achilleus und Pa troklos?» Nun, selbst wenn man annehmen wollte, daß die allgemeine Auffassung richtig ist, ist doch wohl deutlich, daß es lediglich drei Freundschaften gegeben hat in einem so langen Zeitraum, in dem es sogar mehr Sonnenfinsternisse zu verzeichnen gäbe.

75°

VOM GESETZ

75. VOM GESETZ

(I) Das Gesetz ist [urs Leben ein Führer, für die Städte ein Unparteiischer Aufseher, ftir das Handeln eine gute Richtschnur, nach der jeder sein Betragen ausrichten muß; tut er es nicht, wird er schief und schlecht. Wer sich also an das Gesetz hält, behauptet sich; wer es aber überschreitet, stürzt zunächst sich selbst, dann auch die andern ins Verderben und gibt ihnen ein warnendes Beispiel von Gesetzlosigkeit und Gewalt. Wie die Seefahrer, die das Leuchtfeuer nicht verfehlen, sich am ehesten retten und den Hafen finden, so gehen auch diejenigen, die nach dem Gesetz leben, am sichersten ihren Lebensweg und finden die richtige Herberge. (2) Einen Menschen zu Rate gezogen zu haben mag schon manchen gereut haben, nicht, ein Gesetz. Für die Städte ist es so viel wertvoller als Mauern, daß viele un befestigt geblieben sind; ohne Gesetz jedoch kann keine Stad t existieren. Aber nicht nur den Sterblichen, auch den Göttern ist das Gesetz zum Segen. So hält das Weltall stets unverrückbar an dem gleichen Gesetz fest, und nichts, was ewig ist, wird es überschreiten. Deswegen heißt es ja auch, meiner Meinung nach zu Recht, «König von Menschen und Göttern»': Gewalt bricht es, Hochmut bringt es zu Fall, Torheit führt es zur Vernunft, Schlechtigkeit bestraft es, es fördert alle, die in Not sind, den einzelnen wie die Gemeinschaft, es hilft den Unrecht Leidenden und zeigt Ratlosen den Weg. (3) Wenn jemand zum Beispiel in einer schwierigen Lage nach der besten Lösung sucht, braucht er, glaube ich, keine Freunde oder Verwandte anzurufen, sondern sich nur an das Gesetz zu wenden und dieses zu fragen. Denn es wird ihm nicht schlechter raten, weil es etwa auf seinen persönlichen Vorteil bedacht wäre oder nicht wUßte, was für ihn besser ist. Es wird sich auch bei dem Frager

75.3-6]

VOM GESETZ

751

nich t dafür en tsch uldigen, daß es keine Zei t ha be oder das alles eS nichts angehe. Im Gegenteil, das Gesetz ist für alle gleich da und hat für die Fragen der andern Zeit, ohne irgendwelche Vorbehalte oder Ausnahmen zu machen. (4) Und insofern ist das Gesetz sogar besser als ein Götterspruch, als es schon Leute gegeben hat, die das Orakel nicht "erstanden und glaubten, in ÜbereinstimmungmitdemSpruch ZU handeln, aber das Gegenteil taten und aus diesem Grund, denke ich mir, ins Unglück gerieten. Vom Gesetz aber kommt nichts Gewundenes und Zweideutiges, sondern klar tut es alles, was die Anfragenden betrifft, kund. Als allmächtiger Herrscher und Herr regiert es nicht mit Waffen und Gewaltim Gegenteil, es bricht die Gewalt ja selbst -, sondern mit der Kraft der Überzeugung, und es herrscht über Willige. Denn erst dadurch, daß das Gesetz überzeugt und Anerkennung findet, wird es zu dem, was es ist, und von hier aus empfängt es seine Gültigkeit. (5) Und seine Macht ist so groß, daß es sogar den Göttern behilflich ist. Es straft nämlich die Tempelräuber und diejenigen, die die Ehrfurcht vor den Göttern verletzen. Dem Gesetz aber etwas anzutun, ist niemand imstande, denn jeder, der es überschreitet, schadet nicht dem Gesetz, sondern sich selbst. (6) So voller Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft ist das Gesetz, daß es den Unglücklichen größeren Nutzen bringt als die Blutsverwandten, den Opfern des Unrechts mehr Macht verleiht, als es ihre eigene Stärke tun könnte. Vätern ist es besser gesonnen als ihre Söhne, Kindern als ihre Eltern, Geschwistern als ihre Geschwister. Zumindest haben schon viele, die von ihren besten Freunden ungerecht behandelt worden sind, bei ihm Zuflucht gefunden. Ferner stattet das Gesetz, auch wenn ihm von keiner Seite Gutes widerf:1hren ist, allen fur ihre Verdienste an anderen den gebührenden Dank ab: den Eltern bringt es den entsprechenden Dank von seiten der Kinder, denen, die im privaten Kreis ein

75 2

VOM GESETZ

[75,6-l 0

gutes Werk getan haben, von den dadurch Geförderten, denen die ihre Kräfte in den Dienst der Öffentlichkeit stellten, vo~ seiten der Stadt. (7) Und die schönsten Preise hat es für gute Taten ausgesetzt, indem es sich Kränze, öffentliche Ausrufun_ gen und Ehrenplätze ausdachte, Dinge, die denen, die sie Verleihen, keine Kosten verursachen,dcn damit Ausgezeichneten aber über alles wertvoll sind. Was das Gesetz auch immer will, es mag noch so billig sein, macht es sofort groß und kostbar. Das Gesetz ist es, das dem wilden Ölbaum diese Bedeutung gegeben und ihn eines so gewaltigen Einsatzes wert gemacht hat, und ebenso den Eppich, die Fichte und den Olivenkranz z• Das Gesetz hat die drei Worte, mit denen jeder treffliche Bürger ausgerufen wird 3, für viele noch wertvoller gemacht als ihr Leben. (8) Das Gesetz ist es, das die Festversammlungen zusammenfuhrt, die Götter ehrt, die Tugend mehrt; das Gesetz, das das Meer säubert\ die Erdefruchtbar macht in seiner unbesiegbaren und unübertrefflichen Macht- der wahrhaftige Sohn des Zeus. So weit ist es allen an Maß und Zuverlässigkeit überlegen,daßwir alle die Gemeinschaft mit Frauen,dieBlüte derMädchen und die Reife der Knaben ihm anvertraut haben. Ferner kann allein das Gesetz wegen seiner Enthaltsamkeit mitder Gerechtigkeit, obwohl sie eine Jungfrau ist, zusammenleben. (9) Das Gesetz ist ein Beschützer des Alters, ein Lehrer der Jugend, der Armut ein Helfer, ein Wächter des Reichtums, dem Frieden ein Verbündeter, dem Krieg ein Feind. Aber selbst im Krieg vermag es noch mehr: Auch den Herold, der von den verhaßtesten Feinden geschickt ist, schützt und bewahrt das Gesetz, denn es gibt ihm den Heroldstab, eine Waffe, die stärker ist als jeder Panzer und jeder Schild - ein Symbol des Gesetzes. Wegen des Gesetzes sieht auch niemand mehr im Toten seinen Feind oder läßt Haß und Übermut an dem Leichnam aus. (10) Dann ist das Gesetz für die Städte viel nützlicher als die Steuerruder für ein Schiff. Während das Schiff nach dem Ver-

7;,10-76,2]

VON DER SITTE

753

lust seiner Ruder nicht unbedingt verloren ist, wenn sich nicht gerade ein Sturm erhebt, gibt es für eine Stadt nach der .Auflösung des Gesetzes keine Rettung mehr, selbst wenn keine Gefahr von außen droht. Wie jeder Mensch von dem Geist, der in ihm ist, geleitet und geschützt wird, die Zerstörungdes Geistes aber Raserei und Wahnsinn bedeutet, so wird er auch, wenn er das Gesetz aus seinem Leben streicht - das kommt mir vor, als hätte er den Verstand verloren -, in einen zustand völliger Raserei und Verwirrung geraten. 76.

VON DER SITTE

(1) Sitte ist die allgemeine Ansicht derer, die sich an sie halten, das ungeschriebene Gesetz eines Volkes oder einer Stadt, ein Recht, das auf Freiwilligkeit beruht und von allen für dieselben Dinge angenommen ist, nicht das Werk eines Menschen, sondern des Lebens und der Zeit. Während nun im allgemeinen jedes Gesetz rechtskräftig wird, wenn es einmal gebilligt worden ist, wird die Si tte immer gebilligt. Ferner wird ein Gesetz nur schwerlich von allen gutgeheißen, denn es wird durch den Beschluß einer Mehrheit gültig; die Sitte dagegen hätte überhaupt nicht entstehen können, wenn sie nicht von allen angenommen worden wäre. Und das Gesetz behauptet sich mit Drohung und Gewalt, aber nur, wenn wir uns durch die Gewohnheit dazu bringen lassen, sehen wir darin etwas Gutes und Nützliches. (2) Deswegen könnte man gut, wie mir scheint, das geschriebene Gesetz mit der Macht der Tyrannis vergleichen, denn sie bewerkstelligt alles mit den Mitteln der Angst urid des Befehls; die Sitte dagegen mit dem freundlichen Charakter der Königsherrschaft, denn ihr folgen alle freiwillig und ohne Zwang. Schon viele Gesetze sind, wie wir wissen, von denen, die sie gegeben haben, als mangelhaft wieder aufgehoben wor-

754

VON DER SITTE

[76,2-5

den; eine Sitte, mit der man gebrochen hätte, wird sich nicht so leicht vorweisen lassen. In der Tat ist es entschieden leichter ein geschriebenes Gesetz nach Belieben aufzuheben als ein; Sitte. (3) Denn das eine ist an einem einzigen Tag verschwun_ den, wenn man es erst einmal ausradiert hat, die Gewohnheit einer Stadt aber ist auch in einem sehr großen Zeitraum nicht auszulöschen. Die Gesetze werden zudem auf Tafeln oder Säu_ len festgehalten, jede Sitte jedoch in unserem eigenen Herzen_ eine sicherere und bessere Art des Festhaltens. Dann ist das geschriebene Gesetz hart und streng, dagegen gibt es nichts Freundlicheres als die Sitte. Und schließlich lernen wir die Gesetze von andern, die Sitten aber kennen wir alle. (4) Auch ist ein Teil der Gesetze nicht eindeutig abgefaßt und wird von der Geschicklichkeit der Redner oft hin und her gedreht; an den Sitten aber gibt es nichts Zweideutiges und Krummes, und mit ihnen kann die Redekunst nicht machen, was sie will. Ferner müssen uns die Gesetze immer gegenwärtig sein, wenn wir bei ihnen bleiben wollen, die Sitte dagegen können wir gar nicht vergessen, selbst wenn wir wollten; denn es ist ihre Eigenart, uns stets an sich zu erinnern. Ganz allgemein könnte man sagen, daß die Gesetze einen Staat von Sklaven, die Sitten dagegen einen Staat von Freien schaffen. Denn die Gesetze belegen den Körper mit Strafen; wird aber eine Sitte verletzt, folgt als Strafe die Schande. So ist das eine Norm für die Schlechten, das andere Norm fur die Guten, denn wenn wir alle gut wären, brauchten wir doch offensichtlich keine geschriebenen Gesetze. Ferner stehen die Könige über den Gesetzen und verletzen sie mit vielen ihrer Taten, den Sitten aber folgen auch sie. (5) Sodann gilt in Kriegszeiten keins der geschriebenen Gesetze mehr, die Sitten aber werden bei allen gewahrt, mögen sie sich auch noch so bitter hassen. Daß man die Bestattung der Toten nicht verhindern solle, steht nirgends geschrieben -

76,5-77178,2]

VOM NEID

755

wie könnte auch der Sieger auf die Vorschriften der Besiegten hören! Nein, die Sitte ist es, die den Toten diese Tat der Menschlichkeit zukommen läßt. Genauso ist es auch mit der Regel, an Herolde nicht Hand anzulegen und ihnen allein auf ihren Gängen Sicherheit zu garantieren. Man könnte wohl kaum einen Gesetzesübertreter nennen, glaube ich, der eindeutig von den Göttern bestraft worden wäre. Die Spartaner dagegen, die die Unantastbarkeit des Herolds verletzt hattensie brachten die Gesandten des Großkönigs um -, wurden von der Gottheit selbst gestraft'. 77.78. VOM NEID 1

(1) DION: Dann erlangte Hesiod also aus diesen und ähnlichen Gründen bei den Griechen den Ruf eines Weisen und wurde dieses Namens durchaus für wert befunden, weil man glaubte, er habe seine Werke nicht mit menschlicher Kunst geschaffen und gesungen, sondern im Umgang mit den Musen und als deren Schüler 2 • Daraus folgt notwendig, daß er alles, was ihm in den Sinn kam, in wohlklingende, weise Worte faßte und nichts bei ihm ohne Sinn ist, wie auch dieser Vers hier beweist. PARTNER: Welcher Vers? DION: Zornig rind beide, der Töpfer dem Töpfer, der Tischler dem

Tischler. 3

(2) PARTNER: Noch viele andere Verse Hesiods über Mensch und Gott und vielleicht auch über noch wichtigere Dinge als die eben genann ten werden sich als richtig erweisen. Aber auch an dieser Stelle hat er als Kenner der menschlichen Natur die Wahrheit genau getroffen. DION: Bist du nun damit einverstanden, daß wir die Frage noch genauer prüfen? PARTNER: Wie wird eine solche Menschenmenge dulden, daß wir uns über so etwas unterhalten?

756

VOM NEID

~77178.2-4

DION: Was denn, sind sie nich t da, um weise Worte und über weise Worte zu hören? PARTNER: So etwa würden sie wohl sagen, denke ich. DION: Und Hesiod werden sie doch nich t für eine belanglose Nich tigkeit halten? PARTNER: Aufkeinen Fall. DION: Und sollte es für sie nicht nützlich sein, von Neid und Mißgunst zu hören und zu erf:1hren, was fUr Menschen das sind, die diese Gefühle gegenseitig haben, und aus welchen Gründen sie so sind? PARTNER: Natürlich, nützlicher als alles andere. (3) DION: Dann ist es auch nützlich, die Geduld der Menschen unverzüglich auf die Probe zu stellen. Also gut, aus welchem anderen Grunde nennt Hesiod die Menschen neidisch und einander übelgesinnt als deswegen, weil jeder, was auch immer sein Beruf ist, weniger mi t seiner Arbeit verdien t, wenn es viele mit diesem Beruf gibt? PARTNER: Welchen anderen Grund könnte er haben? DION: Wenn es nun für den Töpfer vorteilhaft ist, keinen anderen Töpfer in derselben Stadt oder im selben Dorf zu haben, sollte es für den Metzger nicht vorteilhaft sein, damit er seinen Kunden verkaufen kann, was er gerade an Fleisch da hat, mag er auch ein noch so mageres oder schon älteres Stück Vieh gekauft haben? PARTNER: Natürlich ist es auch für den Metzger vorteilhaft. (4) DION: Und weiter, ist es nicht auch für den Färber besser, sein Gewerbe allein auszuüben statt in Konkurrenz mit anderen Färbern, damit er den Frauen alle möglichen Farben verkaufen kann? Denn sie werden mit ihrem Kauf zufrieden sein, wenn die Farbe nur ein wenig besser ist als die gewöhnlichen Farben, mit denen sie, ohne wählerisch zu sein, auf dem Land färben, und sie werden keine haltbaren Farben und echten Purpur verlangen.

11/78,4-6]

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PARTNER: Wie sollten sie auch? DION: Und wie istes bei dem Bordellwirt?Ist es flirihn nicht einträglicher und besser hinsichtlich seines Gewinns, allein und nicht im Verband mit anderen dieses Schand gewerbe zu betreiben und allein in einem solch schlechten Ruf zu stehen, ob er nun seine Brut in der Stadt unterhält und beschäftigt oder ob ersieh auf den Weg macht und sie nach Thermopylai 4 und auf die anderen Festversammlungen treibt? PARTNER: Ganz sicher, glaube ich, wird der Bordellwirt sich wünschen, möglichst wenige seines Gewerbes neben sich zu haben. (s) DION: Dann hat sich Hesiod also schlechterdings über alle, die derselben Beschäftigung nachgehen, auf diese Weise ausgesprochen: daß einer dem anderen schädlich ist und sie sich beim Erwerb ihres Lebensunterhaltes im Wege stehen? PARTNER: Über alle wahrscheinlich. DION: Es hätte sich eben nicht flir ihn geschickt, nehme ich an, alle einzeln durchzugehen. Denn auch sonst ist es seine Gewohnheit, an hand von ein oder zwei Beispielen das Ganze zu erörtern. Wenn er zum Beispiel sagt, niemandem gehe ein Ochse verloren ohne die Schlechtigkeit seines Nachbarn 5, so meint er damit doch nicht, daß ein schlechter Nachbar wohl einen Ochsen töten oder dieses Vergehen bei anderen akzeptieren, ein Schafaber nicht stehlen würde, wenn er die Gelegenheit hätte, es unbemerkt zu tun, oder auch eine Ziege von denen, die viel Milch geben und Zwillinge zur Welt bringen. Vielmehr ist selbstverständlich, daß er zu seinen Lesern als zu vernünftigen Menschen spricht. (6) Müssen wir also nicht annehmen, daß der Dichter, in einen Satz zusammengefaßt, alle Leute mit demselben Berufmeint und sagen will, daß sie sich weder gegenseitig lieben noch der eine dem andern förderlich ist? PARTNER: Ganz gewiß. DION: Also gut. Ist nun, beim Himmel, Matrose ein Beruf,

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oder verdient der Matrose diese Bezeichnung in einem gerin_ geren Maße als der Töpfer und der Metzger? PARTNER: Wohl kaum. DION: Könnte nun aufeinem großen Schiff mit vielen Segeln einer schweren Ladung und einer Menge Passagiere ein einzi~ ger Matrose etwas ausrichten? Könnte es für ihn von Vorteil sein, wenn kein anderer Matrose auf dem Schiff mitfährt, mögen dessen nautische Kenntnisse nun größer oder kleiner sein als die eigenen? Und wenn es viele gäbe, wäre es dann zu ihrem gegenseitigen Nachteil und Schaden, und würden sich deswe_ gen mehrere Matrosen auf einem Schiff gegenseitig hassen? (7) PARTNER: Bei den Matrosen ist das etwas anderes. Ein Steuermann allerdings, glaube ich, würde nicht gern einen anderen Steuermann mitfahren sehen. DION: Wenn aberein mächtiger Sturm tobt und erinfolge seinesAI ters oder wegen des kräftigen Seegan gs seine beiden Ruder nicht mehr in der Gewal t hat, sähe er auch dann noch ungern einen zwei ten Steuermann und wünsch te sich nich t die Ablösung herbei? Oder wenn er viele Tage und Näch te hin tereinander gewacht hat und der Ruhe bedarf, würde er auch dann nochdensel_ ben Haß verspüren und es als Beein trächtigung seiner selbst ansehen, wenn es einen zweiten Steuermann auf dem Schiff gäbe? PARTNER: Un ter solchen Umständen würde er ihn vielleicht nicht hassen. Warum sollte er auch? Aber wir sprechen jetzt nicht von Seefahrt und Seeabenteuern. (8) DION: Schön, aber der Arzt übt seine Kunst auf dem Land aus, und sie ist nicht weniger wert als die der Tischler. PARTNER: Was soll das nun wieder? DrON: Glaubst du, daßer in einer so großen Stadt der einzige sein will, der diese Kunst versteht, vor allem, wenn viele Leute krank sind? PARTNER: Was sollte ihn daran hindern, der einzige sein zu wollen? Für die andern wäre das vielleich t schlechter, da sie

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nicht alle von einem Arzt behandelt werden können. Seine Arbeit aber steht auf diese Weise höher im Kurs. Denn es läßt sich nicht ausdenken, was er alles an Lohn bekommt, wenn er allein unter so vielen Kranken imstande ist, sie zu behandeln. DWN: Ich spreche aber nicht von einem verrückten Arzt. (9) PARTNER: Was, der Wunsch, in hohem Ansehen zu stehen und viel zu verdienen, scheint dir verrückt? DION: Ja, zumindest wenn der Arzt selbst von der Schlafsucht oder vom Gehirnfieber befallen ist und sich freut, daß er niemand hat, der ihn behandeln und ihm Alraun oder ein anderes heilendes Mittel zu trinken geben kann. Nur damit er allein in der Stadt Lohn und Ehren bekommt! Und wenn dann außer ihm auch noch seine Kinder krank wären, seine Frau und alle seine Freunde, und zwar gefährlich, würde er sich auch dann noch wünschen, daß sich kein anderer Arzt finden läßt, derihnen helfen könnte? Und wenn er dann käme, würde er Ihm, wie Hesiod meint, zürnen und einen Feind in ihm sehenin seinem eigenen Retter und dem seiner Liebsten? (10) Stell dir vor, es träte ein Ereignis ein, wie es früher einmal bei den ägyptischen Ärzten eingetreten ist. Als sie nämlich Dareios, den Perser, heilen wollten - bei einem Sturz vom Pferde hatte er sich den Knöchel ausgerenkt -, waren sie mit ihrer eigenen Kunst dazu nicht imstande, sondern verursachten ihm durch das Zerren und Drücken des Gliedes furch tbare Schlaflosigkei t und Schmerzen. Da ließ er sie ins Gefängnis werfen, damit sie zu Tode gefoltert würden. Als er dann aber erfahren hatte, daß unter den Kriegsgefangenen ein Grieche sei, der sich um die Behandlung der Kranken kümmere, ließ er ihn in seiner Ratlosigkeit rufen und forderte ihn auf, ihm zu helfen, wenn er könne. eIl) Es war Demokedes aus Kroton, der als der beste griechische Arzt seiner Zeit galt. Der schläferte ihn nun sofort ein und machte ihn mit Verbänden, Packungen und dergleichen in wenigen Tagen wieder gesund. Als Dareios ihm dann

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einen Wunsch freistellte, bat er ihn um die Freilassung de Ärzte, und auf seine Bitte hin wurden sie freigelassen 6. Habe r diese Ärzte nun damals Demokedes beneidet und in ihm einen Feind gesehen, wie es Hesiod von den Töpfern und Tischler~ sagt, weil sie es für ihren Vorteil hielten, wenn kein anderer Arzt komme und den König heile, oder waren sie ihm nicht vielmehr äußerst zugetan und dankbar? PARTNER: Natürlich waren sie ihm dankbar. e1 2) DION: Dann gibt es in den Städten Waffenschmiede, die Panzer und Helme anfertigen, Mauerbauer, Speerglätter und dergleichen mehr. Nun möchte ich gerne wissen, ob es fUr sie vorteilhafter ist, wenn sich in jeder Stadt nur ein einziger Vertreter jedes Berufes findet oder deren eine ganze Zahl. Natür_ lich wären sie, wenn der Feind angreifen sollte zu einer Zeit da die Mauern noch nicht stehen und noch nicht für alle Waffe~ vorhanden sind, gezwungen, ohne Waffen und ohne Mauern die Gefahr zu bestehen. 13) Würde daher die Stadt eingenom_ men, kämen diese Leute vielleicht mit dem Leben davon; aber sie würden gefangengenommen und müßten in Ketten für ihre Feinde arbeiten, ohne etwas dafür zu bekommen. Das hätten sie dann von ihrer Zimperlichkeit, daß sie früher Panzer, Helme und Speere nur für teures Geld verkauften, und sie würden begreifen, daß es nicht richtig und nicht zu ihrem Besten war, daß der Schmied dem Schmied und der Baumeister dem Baumeister nichts gönnte und ihn wegen seines Könnens haßte und daß es keineswegs zweckmäßiger und besser für sie war, allein statt mit einigen anderen gemeinsam ihre Kunst auszuüben. 14) Für die andern ist es also in der Regel nicht besser zu wünschen, was sie nach Hesiod wünschen, sondern lediglich für die Töpfer, Metzger, Färber und Bordellwirte. Demnach stehen Eifersucht, Neid und der Wunsch, daß kein anderer die gleiche Beschäftigung habe, ob nun die des Metzgers, des Färbers oder des Töpfers, noch viel eher dem Bordellwirt an als

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dem Arzt, dem Steuermann oder dem Vertreter eines anderen ernst zu nehmenden Berufes. Gut. Wenn es aber für Steuerleute, Ärzte und von wem wir sonst noch eben gesprochen haben nicht besser ist, ohne eine gewisse Zahl von Kollegen zU leben, wird es da für vernünftige und kluge Leute zweckmäßiger und besser sein alleinzustehen ? PA.RTNER: Aufkeinen Fall. (15) DraN: Ganz abgesehen von seiner Großzügigkeit und llarmlosigkeit, von dem Wissen, daß die Rechtschaffenheit seine eigene und die der Nachbarn - ihm selbst zugute kommt und daß keiner, mag er auch zu den kleinen Leuten gehören, den andern jemals um Güter beneidet, die allen gemeinsam zur Verfügung stehen - abgesehen von dem allen also wird der Vernünftige und Wohlwollende auch das übrige, weswegen der eine den andern beneidet und scheel ansieht, überhaupt nicht bewundern noch es seines Einsatzes fur wert erachten, wie wir gestern bereits vom Reichtum gesagt haben. (r6) Deshalb wird er auch niemanden beneiden wegen seines Goldes oder Silbers, wegen seines Viehs, seines Hauses oder etwas anderem dergleichen, wovon wir gesprochen haben. So sagt ein anderer Dichter, wobei er allerdings nicht seine eigene Ansicht wiedergibt, sondern die Meinung der Menschen darlegt: Dillg;e, durch die man im Wohlstand le bt und begütert genannt wird. 7 Er will damit sagen, daß diese Menschen nur begütert heißen, ohne es in Wahrheit zu sein. (17) Gut, über materielle Dinge also scheint uns der edle und vollkommene Mann erhaben zu sein. Aber um Ruhm wird er vielleicht streiten und jemand beneiden, den er beim Volk höher geehrt und mehr gelobt sieht. Oder sollen wir annehmen, er sei sich nich t im klaren darü ber, daß Ruhm gleich bedeu tend ist mit dem Lob, das die Menge zollt? Wenn aber die Menge, heißt das nicht: die Nich twissenden? PARTNER: Höchstwahrscheinlich weiß er das.

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(18) DION: Also gut. Glaubst du nun, daß ein guter Flöten. spieler Freude an seinem Können hat und stolz ist, wenn eryo Unmusikalischen, die nichts von der Sache verstehen, gelobn wird? Daß er, wenn ihn junge Schweine hirten und Hütejunge t umringen, ihn bewundern und ihm Beifall klatschen, a1iei~ durch diese Tatsache sich erhoben ftihlt und ihm das Lob diese~ Leute über alles geht? .Der Flötensp~eler aus Theben gab deutlIch zu verstehen, daß Ihm das Pubhkum und die Preis. richter, die nicht Flote spielen konnten, vollkommen gleich. gültig waren, obwohl er um Preis und Sieg kämpfte; trotzdem aber wagte er nicht, auch nur um Haaresbreite vom angemes. senen Rhythmus abzuweichen, und erklärte, er spiele fur sich und die Musen. (19) Was denn? Glaubst du, Orpheus, der Sohn der Muse, habe - wenn seine Geschichte wirklich wahr ist - sich mehr gefreut, wenn die Vögel auf seinen Gesang her. beiflogen, die wilden Tiere von seiner Stimme bezaubert WUr. den und sich sanft und ruhig neben ihm niederließen, sobald er zu singen begann, und auch die Bäume mitsamt ihren Früch. ten und ihrer Blüte herbeikamen, die Steine sich bewegten und zusammenrückten, so daß sich in seiner Umgebung große Stein haufen auftürmten- glaubst du, sage ich, daß er beim An. blick dieses ganzen Treibens im Glauben, das Höchste in der Musik erreicht zu haben, sich mehr gefreut habe und stolzer darauf gewesen sei, als wenn die Mutter Kalliope sein Zither. spiel lobte und ihm sagte, indem sie seinen Kopf streichelte, daß er von Musik etwas verstehe und der größte Könner auf seinem Gebiet sei? (20) Ich glaube nämlich, er hätte seine Mu. sik lieber von Philammon oder einem anderen zeitgenössischen Meister der Zither als von allen Tieren und Vögeln zusammen loben lassen. Und selbst wenn die Schwäne dazu sangen und mitmusizierten, wird er sich darum nicht gekümmert haben, da sie weder praktisch noch theoretisch etwas von der Kunst des Singens verstanden.

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schön. Und wie verhält es sich hinsichtlich der Gesundheit? IVird der vernünftige Mann das Urteil und den Rat eines ein~igen haben wollen, eben des Arztes, der in der Behandlung des Körpers Erfahrung hat, oder den Rat von vielen tausend Men,ehen, die nichts von der Sache verstehen und dem Mann, uren n sie ihn vielleicht von Krankheit aufgedunsen, geschwollen und schwärig sehen, wie dem Thessalier Polydamas oder dem Karystier Glaukos 8 zu seiner blendenden Gesundheit gratulieren? (21) Also ist beim Flötenspielen und Singen zur Zither genauso wie bei der Überlegenheit im Ringen oder Boxen das Lob aus dem Munde der Fachleute für den Kenner willkommener als das von allen anderen und verdient gri,ißte Aufmerksamkeit. In Fragen der Vernunft aber, der Gerechtigkeit und der Tugend überhaupt sollte das Lob der ersten besten Toren einem vernünftigen Menschen Freude machen und seinen Verstand befriedigen können? PARTNER: Aufkeinen Fall. (22) DION: Und wenn jemand, der von der Zimmermannskunstetwas versteht, ein Stück gerade machen will, glau bst du, daß er glücklicher und von der Geradheit seines Werkes überzeugterist, wenn er nur ein Lineal angelegt und nur mit einer Richtschnur gemessen hat oder wenn er das Stück mit Hilfe von "ielen verschiedenen Hölzern gerade gemacht und nachgemessen hat? !leim Himmel, hast du nicht schon von jenem witzigen Maler gehört, der ein Gemälde, ein wunderbares, ganz realistisches Werk, öffentlich ausgestellt hatte? (23) Er soll einem Dicner den Auftrag gegeben haben, das publikum zu beobachten, ob es das Werk tadle oder lobe, und ihm seine Beobachtungen zu hinterbringen. Da habe jeder etwas anderes gesagt und an dem Gemälde auszusetzen gehabt, der eine am Kopf, glaube ich, der andere an den Flanken, der dritte an den Beinen: wenn erdas so und so gemacht hätte, wäre das Werk wesentlich bes-

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ser. Als der Maler die Kritik von seinem Diener hörte, habe er ein zweites Gen:älde nach der Meinung und Vorstellung der Menge angefertIgt und neben dem ersten aufstellen lassen. Der Unterschied sei gewaltig gewesen, heißt es: das eine Bild sei ganz wirklichkeitsnah gewesen, das andere aber außerordent. lich häßlich und lächerlich und habe allem anderen eher ähnlich gesehen als einem Pferd. (24) Soviel ist also klar: Wenn jemand nur nach dem Lob der Menge schielt und ihrem Tadel und ihrem Lob mehr Bedeu. tung beimißt als seinem eigenen Urteil, wird er alles genau so tun und sich so zu zeigen bestrebt sein, wie es die Menge Von ihm verlangt. Und natürlich wird er statt jenes ersten Pferdes das einfach und nach der Vorstellung des einen Künstlers au~ gefuhrt war, sehr schnell dem wunderlichen und kunstreichen Machwerk gleichen, das nicht einmal seinen Schöpfern selbst gefall t, da es nach der Vorstell un g und dem Kunstverstand aller zusammengesetzt ist. (25) So erzählt auch der Mythos von Pandora, sie sei nicht von einem einzigen Gott geschaffen wor. den, sondern von allen gemeinsam, wobei jeder ihr etwas an. deres geschenkt und zugelegt habe - ein Werk, das alles andere als weise war, zu keinem guten Zweck bestimmt, sondern in bunten Farben schillernd, ein Unglück fur jeden, der mit ihm zu tun bekam 9 • Wenn nun schon das Volk der Götter-eine ganze Gemeinde von Künstlern - nicht in der Lage war, bei seinen Bemühungen ein schönes, untadeliges Werk zustande zu bringen, was soll man da erst von dem Leben oder dem Menschen sagen, die nach menschlicher Vorstellung geformt und geschaffen sind? Also ist klar, daß der von Natur aus ver· nünftige Mensch auf das Gerede der Menge überhaupt nicht achtet, nicht um jeden Preis um ihr Lob buhlt und infolgedes. sen niemals etwas Großes, Ehrenvolles und, wie ich sagen möchte, Gutes darin sehen wird. Wenn er es aber nichtflirein Gut hält, kann er auch nicht andere, die es besitzen, darum !Je.

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neiden. (26) Demnach wird unser Mann, der etwas auf sich hält, einen gesunden Verstand und sich selber in der Gewalt hat, nicht Reichtümern und Ehrungen, olympischen und pythischen Kränzen, Inschriften auf Säulen und schriftlichen Zeugnissen von Gemeinden und Königen nachjagen, um überall gesehen und berühmt zu werden, sondern möglichst anständig und bescheiden durch das Leben gehen, ohne Überheblichkeit und von sich selbst und dem eigenen Bewußtsein in Zucht gehalten. Er bedarf keiner äußeren Zier, keiner fremden Ehre, keines Kopfschmuckes und keiner Federn wie die schlechten Söldner, die zu Federn, Helmbüschen und Gorgonen auf ihren schildern Zuflucht nehmen und mit ihren Speerehen Lärm maehen 10 - um das Weite zu suchen, sobald eine winzige Gef:1hr im Verzug ist. (27) Solche Leute kann man in großen Mengen unter den Gernegroßen sehen, Söldnerführer, Demagogen und Sophisten, die im Theater, vor ihren Schülern oder bei den Zeltenim Heerlager, wenn sie am Mittag bereits angeheitert sind, prahlen:

leder werde für hundert, ja gar für zweihundert Troer stehen. 11 Es braucht aber nur ein einziges menschliches Wesen gegen sie anzurennen und sie zu verfolgen, dann laufen eben diese HasenfUßeHals über Kopfdavon und beweisen damit, daß sie es nicht einmal alle zusammen mit jenem einen aufnehmen können. (28) Und selbst wenn jener Mann auf einige Genüsse versessen wäre, auf Essen und Trinken, auf Liebeslust, auf die schönheit eines Weibes oder die blühende Jugend eines Knaben, selbst wenn ihn danach lüstete und er diesen Dingen großen Wert beilegte, könnte er diejenigen, die sich diesen Geniissen hingeben, doch nicht glücklich preisen: Satrapen und Machthaber, aber ganz gewiß auch gewöhnliche Menschen und reich gewordene Speichellecker - die einen sind es geworden, weil sie geschickt sind, die andern, weil sie ihre Herren

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bestehlen. Auch dann würde er nicht wegen seiner Armut Und dem Mangel an diesen Gütern sich selbst bemitleiden und sich den Unglücklichen zurechnen, jene aber darum beneiden, aUe mögliche gegen sie unternehmen und fLir ihren Untergang be: ten. (29) Oder sollen wir zugeben, daß es unserm edlen, hoch. gesinnten Mann so geht wie Hunden, Pferden und anderen Tieren, die sich nicht mehr beherrschen können, wenn die an. dern ihren Hunger stillen und sich bespringen? Sie geraten dann außer sich, sind aufgebracht und wütend auf die, die ihre Begierde befriedigen können, und bereit, aufeinander loszu. springen, zu beißen, zu stoßen und auf jede erdenkliche Weise um die Befriedigung ihrer Gelüste miteinander zu kämpfen. Sollen wir sagen, daß auch er in dieser Lage ist, als ob er irgend. einem dieser Vergnügen Bedeutung beimäße und Sardanapal fur beneidenswert hielte, der sagte, er habe sein Leben in Prasserei und Wollust mit Eunuchen und Weibern verbracht? Daß er deswegen Böcke und Esel um ihr Glück beneide? (30) PARTNER: Vielleicht wäre es nicht einmal fromm, von einem ordentlichen und gebildeten Menschen jemals so zu denken. DrON: Wenn ihn also weder Ruhm noch Geld noch der Genuß von Speise und Trank oder Liebeslust dazu verleiten kann, sich selbst oder einen andern fLir glücklich zu halten und in diesen Dingen überhaupt etwas Erstrebenswertes und Kost. bares zu sehen, wird er nicht um sie kämpfen oder sie jemand mißgönnen, genausowenig wie er die Küstenbewohner um den Sand am Strand oder um das Tosen und den Widerhall der Wogen beneidet. (31) Auch nicht, wenn ganz von selbst Gold vom Himmel herabfiele und einem den Bausch seines Gewandes füllte, wie einst über Danae, die in einem ehernen Raum gefangengehalten wurde, plötzlich - eine Folge ihrer Schön· heit - Gold von oben herabströmte I2. Auch nich t, wenn irgend. woher ein Sturzbach herbeieilte und ihm massenweise Gold

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",ieSchlamm brächte, wie in vergangenen Zeiten dem Kroisos, glaube ich, der Paktolos, als er seinen Lauf mitten durch Sardes nahm, handgreiflichen Reichtum gebracht haben soll, mehr Abgaben und Steuern, als ganz Phrygien und Lydien, Maionen und Myser und alle, die diesseits des Halys wohnen, ihm einbrachten l3 • (32) Und auch den Mann, der von Kroisos jenes berühmte Geschenk bekam, Alkmeon - der Lyder soll ihm gestattet haben, seine Schatzkammern zu öffnen und so viel Gold mitzunehmen, wie er tragen könne -, hat weder Solon noch ein anderer Weiser der damaligen Zeit beneidet. Dieser Mann ging nämlich in die Kammer und belud sich, herzhaft entschlossen, mit den Geschenken des Königs. Nachdem er sich mit einem bis zu den Füßen reichenden Gewand umgürtet hatte, flillte er den nach Weiberart tief fallenden Bausch und die großen, geräumigen Schuhe, die er eigens zu diesem Zwecke angezogen hatte. Und als er schließlich auch noch Haar und Bart mit Goldstaub bestreut und Mund und beide Backen vollgestopft hatte, war er kaum noch in der Lage, wieder herauszugehen 14: Er sah aus, wie wenn er die Geburtswehen der SemeIe auf der Flöte darstellen müßte'S, und bot Kroisos und den Lydern ein Bild zum Lachen. (33) Dabei war Alkmeon, wie er so dastand, in diesem Augenblick keine Drachme wert. Also nicht darum wird unser Mann, wie ich schon sagte, neidisch werden, noch wenn er jemand sieht, der von zehnoder zwanzigtausend Menschen bewundert und gerühmt, ja von mir aus auch mit tosendem Beifall empfangen und mit Bändern geschmückt wird; der wie ein Roß, das auf seinen Sieg stolz ist, mit erhobenem Haupt einherstolziert und von einer größeren Menge geleitet wird, als sie sich bei einem Brautzug einfindet. Unser Mann mag noch weniger Ansehen haben als die Bettler, noch verlassener sein als die auf die Straßen Ausgestoßenen, von niemand eines Wortes gewürdigt

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werden, wie es einst bei den Megarern gewesen sein soll 16 _ einfach deswegen, weil er es nicht versteht, jemand den Bof zu machen und zu Gefallen zu sein, denn er ist von Natur herb und ein Freund der Wahrheit, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berge hält. Aber selbst unter solchen Bedingungen wird es ihm nicht gehen wie den Töpfern, Zimmerleuten und Sängern, niemals werden Not und Verachtung ihn unterkrie. gen, niemals wird er sein Wesen ändern und als betörender Schmeichler statt als edler und wahrhaftiger Mann dastehen. (34) Und doch, warum eigentlich wollen einige vom Glück begünstigte Menschen von Leuten hofiert werden, die sich als Freie ausgeben, warum wollen sie, daß man vor ihren Türen die sogenannten Philosophen sieht, klein und verachtet, bei Gott - geradeso wie Kirke ihre Wohnung von feige sichduk. kenden Löwen bewacht wissen wollte? Nun, es waren keine Löwen, die sie bewachten, sondern unglückliche, törichte Menschen, die durch Schwelgerei und Nichtstun verdorben waren 17. (35) Wenn immer man also einen von diesen soge. nannten Philosophen um die Höfe und Eingänge streichen und jene Leute umschmeicheln sieht, ist es gut, sich an die LöWen zu erinnern, die wie hungrige, feige Hunde sind und, durch Zaubermittel verhext, ganz fürchterlich brüllen. Aber was [ur eine Leidenschaft das ist, kann ich nicht sagen. Denn es gibt Tausende, die von Herzen gern reichen und mächtigen Leuten den Hof machen, und überall wimmelt es von Schmeichlern, die ihr Handwerk mit Erfahrung und Geschick ausüben. (36) Daher suchen sie nicht, wenn ihnen dieses Gut 18 abgeht, bei Menschen mit ordentlicher Veranlagung nach, sondern ihr Verhalten gleicht den grenzenlosen Ausschweifungen jener Menschen, die, obwohl Frauen im Überfluß vorhanden sind, in lauter Unzucht lind Gesetzwidrigkeit aus Männern Frauen machen möchten: Sie nehmen sich Knaben und entmannen sie. So ist eine noch viel elendere und erbärmlichere Sorte

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~ensch entstanden, noch schwächer und weibischer als die Frauen. (37) Aber der echte Mann, der etwas auf sich gibt, wird nieJ1\als solchen Verlockungen erliegen noch seine Freiheit und Geradheit verraten um einer Ehre willen, die keine Ehre ist, oder um der Macht und des Geldes willen, noch wird er diejenigen beneiden, die ihr Wesen und ihre Kleidung wegen solcher Geschenke ändern. Er wird diese Leute vielmehr mit jenen Menschen vergleichen, die Schlangen oder sonstige 'fiere geworden sind, und sie nicht wegen ihres üppigen Lebens beneiden oder gar böse auf sie sein, sondern im Gegenteil sie bedauern und Mitleid mit ihnen haben, wenn sie um der Geschenke willen ihr Haar, das dazu schon grau ist, wie die Knaben kurz schneiden 1 9 • (38) Er selbst wird versuchen, sein Wesen ordentlich und standhaft zu behaupten, ohne jemals seinen posten zu verlassen, wird Tugend und Mäßigkeit stets in Ehren halten, sie fördern und alle für sie zu gewinnen suchen, teils mit guten Worten und Ermahnungen, teils mit Scheltworten und Tadel. Vielleicht gelingt es ihm, diesen oder jenen von seinem Unverstand, von seinen niedrigen Leidenschaften, von seiner Maßlosigkeit und Genußsucht zu befreien, indem er sie einzeln zur Seite nimmt oder sie auch in Gruppen ermahnt, sooft sich eine Gelegenheit bietet, diesen mit freundlichen Worten und jenen mit strengem Tadel.'" (39)SO bringt er sein Leben bis ans Ende zu;denkeich, in der SorgeumMenschen, nicht um Rinder undPferde, Kamele und Häuser, gesund in seinen Worten, gesund in seinen Taten, fur jeden ein ungefährlicher Reisebegleiter auf dem Land und zur See, ein Glück ver heißendes Zeichen denen, die opfern . Weder Zwietracht, Eifersucht oder Streit noch Mißgunst oder häßliche Gewinnsucht ruft er hervor, sondern appelliert an Maß und Gerechtigkeit und stärkt die Eintracht, während er Unersättlichkeit, Schamlosigkeit und Verweichlichung nach Kräf-

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ten vertreibt - kurz, er ist ein viel heiligerer Mann, als die Leute es sind, die den Waffenstillstand bringen, oder als die Herolde die im Krieg die Einstellung der Feindseligkeiten anbieten: (40) Er brennt geradezu darauf, nach Möglichkeit allen Men_ schen zu helfen. Natürlich unterliegt er dabei bisweilen ande_ ren Leuten und Bestrebungen und hat überhaupt keine oder nur sehr wenig Macht. Im übrigen aber reinigt er seinen eigenen Geist mit Hilfe der Vernunft und versucht, ihn unab. hängig zu halten. Nur mit wenigen Freiwilligen verbündet liefert er Trieben, Meinungen und den Menschen insgesam~ eine weit härtere Schlacht, als es die Spartaner seinerzeit taten als sie den Engpaß besetzt hielten und trotz zahlenmäßige; Unterlegenheit gegen alle Völker Asiens ununterbrochen drei Tage und Nächte kämpften, bis sie, durch den Verrat eines Mannes 2' umgangen, auf ihrem Posten, den sie nicht verlas. sen wollten, niedergemacht wurden. (41) Er übt seinen Körper und gewöhnt ihn daran, ftir ihn tragbare Strapazen auszuhal. ten, statt ihn durch Bäder, Salben und Parfüms schlapp werden zu lassen, bis er untauglicher und verrosteter ist als ein schiech. tes Gerät. Mancher, der das sieht, meint, er mache das aus lauter Torheit und Unverstand, weil er die Chance, reich und geehrt zu werden und es in allem bequem zu haben, verpaßt habe; und deshalb verachtet er ihn, hält ihn für verrückt und läßt ihn nicht gelten. (42) Er jedoch ist nicht zornig und unge. halten über diese Leute, sondern noch freundlicher zu ihnen, möchte man annehmen, als Vater, Bruder oder Freund. So hat er denn auch Achtung vor seinen Mitbürgern, Freunden und Verwandten, aber aus seiner eigenen Meinung macht er kein Hehl, um so weniger, als sie ihm nach seiner Überzeugung näherstehen und enger zu ihm gehören als alle übrigen, und er spricht mit möglichst großem Nachdruck und verschärft seine Mahnung und Aufmunterung für sich selbst und ftir sie. (43) Denn auch ein Arzt, der Vater oder Mutter oder seine Kinder,

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wenn sie krank sind, behandeln muß - oder auch sich selbst, weil weit und breit kein anderer Arzt vorhanden ist -, wird nicht, wenn es ans Schneiden und Brennen geht, weil er seine Kinder liebt und Vater und Mutter ehrt, mit einem stumpfe{en Messer schneiden und einem milderen FeLler brennen, sondern ganz im Gegen teil, er wird das wirksamste LInd kräftigste Mittel nehmen. (44) So erzählt man sich zum Beispiel von Berakles, er habe, als er seinen Körper, der von einer furchtbaren Krankheit befallen war, nicht heilen konnte", zuerst seine Söhne gerufen und ihnen befohlen, ihn in helllodernder Flamme zu verbrennen. Als sie sich aber weigerten und davor zurückschreckten, habe er sie Memmen geschimpft, die seiner nicht würdig seien und eher der Mutter glichen. Wie der Dichter sagt, habe er gerufen: Wohin wendet ihr euch, Feiglinge ihr? Ur/wert seid ihr meines Geschlechts, eurer Mutter aus Aitolim Ebenbild.· 3 (45) Deswegen also muß man zunächst sich selbst, aber auch den besten Freunden und Nächsten gegenüber die äußerste Freimütigkeit und Unabhängigkeit walten lassen, und man darf bei seinen Worten nicht zögern oder nachgiebig sein. Denn viel schlechter als ein verdorbener und kranker Körper ist eine verdorbene Seele, verdorben, bei Gott, nicht durch Salben, Getränke oder irgendein fressendes Gift, sondern von Unverstand, Schlechtigkeit, Ausschweifung, Neid, Kummer und zahllosen Begierden. Diese Krankheit, dieser Übelstand ist noch schlimmer als jenes Schicksal des Herakles und erfordert ein noch viel größeres und helleres Feuer. Zu ihrer Heilung und Beseitigung muß man vorbehaltlos auffordern, Vater, Sohn und Verwandte, den Fremden, Bürger und Gast.

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(I) Bei den Göttern, sage mir, weswegen eine Stadt, die die größte und mächtigste von allen ist, am meisten bewundert zu werden verdient, worauf sie ganz besonders stolz sein darf., weswegen sie glücklich zu preisen ist. Wegen der Vorzüglich. keit ihrer Gesetze, der Rechtschaffenheit ihrer Bürger und der maßvollen Haltung der Regierung? Oder sind das belanglose Nebensächlichkeiten, die für jedermann leicht zu haben sind und muß man die Stadt wegen der Größe ihrer Bevölkerung; wegen der Fülle ihrer Erzeugnisse, der verschwenderischen Kostbarkeit ihrer Bauten, der Gewebe aus Syrien und Baby. lonien glücklich preisen, weil man die Häuser mit Gold deckt und alles von Silber, Bernstein und Elfenbein strotzt - weil also, wie Homer etwa die Paläste des Alkinoos und des Mene. laos' in einer Übersteigerung der Wirklichkeit und wohl des Möglichen überhaupt beschrieben hat, auf diese Weise die ganze Stadt eingerichtet ist? Oder, beim Himmel, vielleicht wegen der Gemälde und Standbilder, von denen keins seinem früheren Besitzer genützt hat? Im Gegenteil, die Leute, von denen man sie geholt hat, kann man jetzt als Sklaven in Nied. rigkeit und Armut sehen. (2) Denn käme es auf Bronze in der richtigen Zusammensetzung, aufkunstvoll gearbeitete Mischgefäße, Altäre und Räucherschalen an, hätte die Stadt der Korinther blühen und lange Zeit bestehen müssen, ohne ihre Einwohner und Bürger zu verlieren'; wären schönfarbige, bunte Steine das Entscheidende, dann Teos und Karystos neben einigen ägyptischen und phrygischen Städten, in deren Umgebung das Gestein bunt ist 3 • Zumindest habe ich gehärt, daß die ganz alten unter den Sarkophagen aus eben diesem Stein gearbeitet sind. Trotzdem aber sind diese Städte um nichts besser oder glücklicher als die niedrigsten und armselig·

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iten. (3) Wenn der Besitz von Gold etwas nützte, würde einen lichts daran hindern, die östlichen Äthiopier als die glückichsten Menschen zu betrachten, denn Gold gilt bei ihnen weniger als bei uns Blei, und man sagt, die Verbrecher seien dort mit schweren Ketten aus Gold gefesselt 4 - weswegen sie aber nicht weniger Gefangene, Bösewichter und Übeltäter sind. Wollte man die Reichen, die zwar großen Besitz haben, sich im übrigen aber von ganz gewöhnlichem Volk keineswegs unterscheiden, glücklich preisen, wäre das genauso, wie wenn man dort die Gefangenen aus dem Gefängnis hervorkommen sähe und sie beneiden wollte, den fur den glücklichsten von allen erachtend, der die schwersten Ketten trägt. (4) Wenn aber Elfenbein ein wunderbarer und erstrebenswerter Besitz wäre, dann müßten die Inder mit Abstand das gesegnetste und ausgezeichnetste Volk sein, denn bei ihnen werden die Elefantenknochen weggeworfen wie bei uns die Knochen von Kühen und Eseln, und niemand rührt sie an; ja vielfach sollen sogar die Schädel der Elefanten mitsamt den Zähnen in die Mauern eingebaut sein. Und was soll man erst von den Kelten sagen, bei denen, wie es heißt, ein Fluß Bernstein führt und überall an den Ufern Bernstein haufenweise herumliegt, an Land gespült wie bei uns die Kieselsteine an den Küsten! Früher warfen ihn die Kinder beim Spiel hin und her; jetzt sammeln auch sie ihn und hüten ihn, weil sie von uns gelernt haben, daß sie dann «wohlhabend» sind. (s) Bedenkt ihr nun, daß alle diese Völker - ich meine die Kelten, Inder, Iberers, Araber und Babyionier - Tribut von uns bekommen? Nicht vo'n unserem Land oder Vieh, aber von unserer Torheit. Denn wenn der eine den andern mit Waffengewalt besiegt und den Unterlegenen zwingt, ihm Geld zu zahlen, so nennt man das doch Tribut, und anderen tributpHiehtig zu sein ist nicht gerade ein Beweis von besonderem Glüek oder besonderer Tapferkeit. Wenn aber gewisse Leute

774

VON DER FREIHEIT

[79.5-80,r

von sich aus, ohne daß jemand gegen sie zu Felde gezogen wäre und sie dazu gezwungen hätte; aus lauter Einfalt und Ver_ schwendungssucht, die sie über alles schätzen, übers Meer in weite Ferne Geld schicken an Menschen, für die es gar nicht so leicht wäre, unser Land zu betreten, ist solch ein Verhalten doch wohl auf jeden Fall noch feiger und schimpflicher. (6) Der Unterschied besteht nur darin, daß sie 6 für kleine, zerbrechliche Steine 7 und, bei Gott, für Knochen von wilden Tieren Silber und Gold bekommen und so Unbrauchbares gegen Brauchbares eintauschen. Am meisten aber muß ich mich immer wieder wundern, wenn ich mir überlege, daß die Meder es zufrieden waren und sich darüber freuten, die Schätze der Syrer 8 bekommen zu haben, die Perser die der Meder, die Makedonen die der Perser, und glaubten, glücklich geworden zu sein und ein besseres Leben zu haben, nachdem sieden Besitz von unglückseligen, vom Schicksal geschlagenen Menschen in ihre Gewalt bekommen hatten. Das habe ich nicht unüberlegt ins Blaue hinein gesagt, sondern deswegen, weil die Dinge, aufdie die Menschen ihre ganze Aufmerksamkeit richten und um deretwillen die Besitzenden im allgemeinen bewundert werden, gar nichts nützen, sondern, alles in allem, keine einzige Drachme wert sind. Niemals können Menschen ohne Sinn und Verstand glücklich werden, und wohnten sie in den Gärten von Susa, die, wie man erzählt, ganz in der Luft hingen 9 • 80. VON DER FREIHEIT

(r) Vielleicht wundert ihr euch und haltet es für die Unart eines Menschen, der vollkommen den Verstand verloren hat, daß da jemand alles, worum sich die Menge bemüht, aufgibt, Geld, Ansehen und Vergnügen gewissermaßen den Bach hinunterschwimmen läßt und durch die Welt zieht, ohne Bauer,

VON DER FREIHEIT

775

Scbiffsherr, Soldat oder Feldherr, Schuster, Zimmermann, j\rzt oder Redner zu sein oder einen anderen gängigen Beruf ZU haben, sondern in dieser merkwürdigen Aufmachung kommt und geht und sich einstellt, wo er nichts zu suchen hat, wohin Zufall und Laune ihn treiben. (2) Auf Rathäuser, Theater und Versammlungen legt er keinen Wert, er allein aber genügt, um eine Volksversammlung einzuberufen'. Er sieht sich nicht 'fänzer und Sänger, Boxer und Ringer an, sondern Käufer und Fußgänger, Redende und Streitende. Bald erfordern sie alle seine ganze Aufmerksamkeit, und er bat an ihnen eine weit größere Freude als Kinder bei Wettkämpfen und im Theaternur muß er seinen Platz nicht rechtzeitig eingenommen haben und braucht nicht auf den Schlaf zu verzichten und sich von der Menge erdrücken zu lassen. Dann wieder mag er nichts davon sehen und hören und glaubt, das alles existiere überhaupt nicht, wenn er nämlich einen Gedanken, der ihn beschäftigt, verfolgt und ohne furch tsame Bedenken handeln will. (3) Ich halte es für einen herrlichen und beneidenswerten Zustand, wenn jemand es fertigbringt, inmitten seines Gesindes frei, inmitten seiner Untertanen unabhängig zu sein. Um dieses Zieles willen haben die Lyder mit den Phrygern, die Phryger mit den Lydern schon viele Kriege geführt, auch die Ionier mit den Dorern und alle Völker insgesamt - die Toren, die einem Trugbild der Unabhängigkeit nachjagten! Keiner aber hat den Versuch gemacht, seinen eigenen Gesetzen zu folgen. Sie alle streiten sich um die Gesetze des Solon und Drakon, des Numa und Zaleukos, nur um diesem lind nicht jenem zu folgen, obwohl doch selbst von diesen Gesetzgebern keiner die Gesetze so gegeben hat, wie es nötig gewesen wäre. Solon selbst soll ja gesagt haben, daß er den Athenern nicht vorschlage, was ihm gefalle, sondern was sie seiner Schätzung nach annehmen würden'. (4) Also gab er eindeutig schlechte Gesetze, da er sie so verfaßte, daß sie Schlechten gefallen soll-

VON DER FREIHEIT

[80.4-6

ten. Trotzdem aber richtete auch er selbst sich nach diesen Gesetzen, obwohl sie schlecht waren und er nicht mit ihnen einverstanden war. So viel ist demnach klar, daß bei diesen Gesetzgebern von Unabhängigkeit nicht die Rede sein kann und daß sie sich auch nicht dafür eingesetzt und gekämpft haben, unabhängig zu sein. Nachdem sie vielmehr grenzen. lose Knechtschaft in ihren Mauern reichlich eingeschlossen hatten, schützten sie sich mit Zinnen, Türmen und Geschossen, damit die Unfreiheit nur ja nicht von außen zu ihnen ein. dringe, wie wenn man bei einem leck gewordenen Schiff, in das die Wasserrnassen bereits eingedrungen sind, darauf achten und Vorkehrungen treffen wollte, daß die See nicht von oben hereinschlägt. Von den Troianern erzählt man sich, sie hätten sich wegen Helena belagern lassen und seien fur sie in den Tod gegangen, obwohl sie gar nicht in Troia, sondern in Ägypten gewesen sei 3. Genauso ging es auch diesen Gesetzgebern: Sie kämpften fur die Freiheit und mühten sich für sie ab, obwohl sie gar nicht bei ihnen war. (s) Aber trotzdem behaupteten jene Leute, sie nähmen fur die Gesetze alles auf sich, und auch heute noch sagen die Gesetzgeber, das Recht sei in den Gesetzen verankert - gleichgültig, was diese erbärmlichen Kreatu. ren zusammenschreiben oder von ihresgleichen übernehmen. Das wahre, gültige und klar zutage liegende Gesetz aber sehen sie nicht noch nehmen sie es zum Führer für ihr Leben. So gehen sie gleichsam am hellichten Mittag mit in die Höhe gehaltenen Fackeln und Feuerbränden umher, und anstatt auf das göttliche Licht zu achten, folgen sie dem Rauch, wenn er auch nur einen winzigen Feuerfunken erkennen läßt. So habt ihr euch vom Gesetz der Natur abgekehrt, und es ist aus eurer Mitte verschwunden, ihr Unglückseligen. Statt dessen hütet ihr Gesetzestafeln und -bücher und Säulen mit ihren nutzlosen Eintragungen. (6) Dabei habt ihr die Satzung des Zeus schon längst übertreten; daß aber die Satzung dieses oder jenes nicht

VON DER FREIHEIT 777 übertreten werde, darauf achtet ihr. Und ihr wißt nicht, daß der Fluch, mit dem die Athener den belegten, der die solonischen Gesetze zu stürzen versuchte, noch mehr Gültigkeit hat fur die Gesetze des Zeus. Denn es besteht die unabdingbare Notwendigkeit, daß jeder, der diese Satzung umstößt, von dem Fluch getroffen wird. Der einzige Unterschied liegt ledigHch darin, daß der Fluch nicht wie dort auch Kinder und das ganze Geschlecht der Gesetzesbrecher trifft, sondern jeder selbst die Schuld an seinem Unglück trägt. Wer also versucht, diese Satzung nach Kräften zu retten und sie für sich selbst zu beachten, von dem möchte ich niemals behaupten, er sei unvernünftig. (7) Nein, viel mehr wundere ich mich über euch4, und es erbarmt mich eure harte, gesetzlose Unfreiheit, unter deren Joch ihr euch selbst gespannt habt, indem ihr euch nicht nur eine Fessel umlegtet oder zwei, sondern unzählige. Von ihnen werdet ihr noch viel mehr gewürgt und gequält als Gefangene, die sich in Ketten, Halseisen und Fesseln fortschleppen. Denn sie haben noch die Möglichkeit, freizukommen und zu fliehen, wenn sie ihre Fesseln gesprengt haben, ihr aber zieht sie immer enger zu und macht sie noch zahlreicher und fester. Und glaubt nur nich t, deswegen, weil ihr die Ketten nich t seh t, seien meine Worte falsch und unglaubhaft. Schaut euch Homer an, den ihr fLir den weisesten Dichter haltet! In was für Fesseln läßt er Ares, der wohl der schnellste der Gölter, die den Olympos bewohnen, sich fangen: fein wie Spinnengewebe, nicht einmal siebtbar dem Auge. s (8) Denkt also nicht, Ares, ein mächtiger Gott, sei mit so feinen und unsichtbaren Fesseln gefangen worden, ihr aber, die schwächsten von allen Kreaturen, könntet niemals in unsichtbare Fesseln gelegt werden, sondern nur in solche, die aus Eisen und Messing fest gefügt sind. Gewiß, eure Körper, da

80,6-8]

VON DER FREIHEIT

[80.8-xo

sie fest sind und zum größten Teil aus Erde bestehen, brauchen diese Art von Fessel, um überwältigt zu werden. Die Seele aber, die unsichtbar und von feiner Natur ist, warum sollte sie nicht in solche feinen Fesseln geraten können? Ihr habt euch sogar feste, stahlharte Fesseln gemacht und sie euch aufjede erdenk_ liche Weise umgeschlungen. Selbst Daidalos habt ihr an Geschicklichkeit und Eifer, jeden Teil eurer Seele zu binden und kein Stück von ihr frei und unabhängig zu lassen, übertroffen. (9) Denn was sind das Verlies von Knossos und die krummen Gänge des Labyrinths im Vergleich zur Krummheit und Unzugänglichkeit der Dummheit? Was das Gefängnis der athe_ nischen Gefangenen auf Sizilien, die man in eine Art Felsen geworfen hatte 6 ? Was der Keadas 7 der Spartaner und der mit Asche gefull te Raum bei den Persern 8 oder, bei Gott, die grausamen Väter, die, wie die Dichter erzählen, gewisse Mädchen «in Kerkern mi t ehernen Mauern» 9 gefan gen hiel ten ? Aber ich selbst, dünkt mir, bin in meinen Worten nicht mehr nüchtern, da ich auf die menschlichen Geschicke ausführlicher eingehe als auf eure schimpfliche, mißliche Knechtschaft, in der ihr alle gefangen seid. Von ihr kann man nicht mit feinen Fäden durch die Hilfe eines törichten Mädchens xo glücklich loskommen, wie man sich von dem berühm ten Theseus erzählt, er sei heil aus Kreta entkommen. Da müßte schon Athene höchst persönlich, denke ich, dazu treten und bei der Rettung behilflich sein. (ro) Denn wollte ich alle Kerker und Fesseln aufzählen, in die ihr törichten und unglückseligen Menschen euch selbst gelegt habt, wi.irdet ihr mich womöglich für einen außerordentlich harten und minderwertigen Dichter eurer privaten Tragödien halten. Denn nicht nur mit Fesseln, in die ihr Menschen legt, die in euren Augen Verbrecher sind - um Nacken, Hände und Füße -, sondern mit einer ganz besonderen Fessel um Bauch und jeden anderen Körperteil sind sie gefangen, von einer vielgestaltigen Gewalt mit vielen Möglichkei-

80,10-13]

VON DER FREIHEIT

779

ten. Und jeder, der mit seinen eigenen Augen das Schauspiel gesehen hat, wird meines Erachtens sein Vergnügen daran haben und den Einfall II außerordentlich bewundern. (I I) Zuerst, denke ich, tritt an jeden eine Herrin heran, die im übrigen hart, feindselig und hinterhältig ist, aber freundlich aussieht und für jedermann ein Lächeln <
780

LOB DES HAARES

[80,14

köpfen geben. (14) Außerdem gibt es in diesem Halsband auch die verschiedenen Laute und Geräusche von Beifallklatschen und Zungenschnalzen 15• Dieses Band nun legt sie Demagogen und Königen um den Hals. Aber daß wir uns selbst nur nicht von unserem Bild zu weit fortreißen lassen, wie wenn wir tatsächlich dem phantom eines Wortes nachjagten, wie bei Homel' Achilleus auf der Verfol_ gung von Agenors Trugbild weit vom Ziele abkommt '6 ! Das mag genügen. LOB DES HAARES I

Als ich mich am Morgen erhoben und nach meiner Gewohn_ heit die Götter angerufen hatte, wollte ich mein Haar in Ordnung bringen. Denn um meine Gesundheit war es nicht allzu gut bestellt, und schon seit längerem hatte ich das Haar vernachlässigt. Jedenfalls war es zum größten Teil wirr und verknotet, wie bei Schafen die Wollknäuel, die ihnen um die Eeine hängen; nur sind diese viel fester, weil sie aus dünneren Haaren zusammen gewunden sind. Meine Haare boten also einen wilden, unerfreulichen Anblick. Nur mit Mühe ließen sie sich entwirren, und die meisten drohten auszufallen und widersetzten sich meinen Anstrengungen.Da kam mir in den Sinn, die Leute, die ihr Haar lieben, zu preisen, denn sie sind Freunde der Schönheit und pflegen ihr Haar, ihren ganzen Stolz, nicht nur so beiläufig, sondern tragen im Haar sogar stets eine Art Rohr, mit dem sie sich kämmen, sobald sie einen Augenblick Zeit haben. Und das Beschwerlichste: Wenn sie sich auf die Erde legen, achten sie darauf, daß sie mit den Haaren den Boden nicht berühren. Sie legen sich ein kleines Stück Holz unter den Kopf, um ihn möglichst vom Boden fernzuhalten, und es kommt ihnen mehr darauf an, das Haar nicht schmutzig zu machen als bequem zu

LOB DES HAARES

schlafen. Denn das Haar macht sie offenbar schön und ängstlich zugleich, während der Schlaf, so angenehm er auch sein mag, sie träge und unvorsichtig werden läßt. Auch die Spartaner scheinen mir diesen Punkt nicht vernachlässigt zu haben. Nachdem sie damals vor jener gewaltigen und furchtbaren Schlacht, als sie allein von den Griechen den Großkönig aufhalten wollten - ganze dreihundert Mann !-, an Ort und Stelle angekommen waren, ließen sie sich nieder und machten ihr Haar zurecht'. Ferner mißt auch Homer, glaube ich, diesem Gegenstand größte Bedeutung bei. Nur selten lobt er die Schönen wegen ihrer Augen, und er glaubt nicht, an ihnen die Schönheit am besten zeigen zu können. Bei keinem Helden also preist er die Augen, mit Ausnahme des Agamemnon, aber an dieser Stelle preist er seinen ganzen Körper 3. Und er nennt nicht nur die Griechen insgesamt «dunkeläugig»4, sondern wendet diese allgemeine Bezeichnung für die Griechen auch aufAgamemnon an. Wegen ihres Haares aber preist er alle Helden. Zunächst Achilleus: Sie ergriff den Peliden am blonden Haarschopj: 5 Dann nennt er Menelaos wegen seines Haares « blond»6. Auch Hektors Haare werden erwähn t : und es flatterten um ihn schwiirzlich schillernd die Haare. 7 Beim Tod des Euphorbos, des schönsten Troianers, faßt er seine Klage in den Worten zusammen: Blut benetzte das Haar ihm, das Grazien gleichende, samt den Locken; sie waren zusammengehalten von Gold und Silber. 8 Von Odysseus sagt er, als er zeigen will, wie schön ihn Athene gemacht hat: Dunkel waren die Locken geworden, 9 und ebenfalls von Odysseus an einer anderen Stelle: Herab vom Haupte ließ sie die dichten Locken wie Hyazinthen fallen. JO

LOß DES HAARES

Ja, folgt man Homer, so scheint der Haarschmuck den Män_ nern eher anzustehen als den Frauen. Zumindest wird man finden, daß er, wenn er von weiblicher Schönheit spricht, längst nicht immer das Haar erwähnt. So preist er auch die weiblichen Gottheiten auf andere Weise - Aphrodite ist «golden», Hera «kuhäugig», Thetis «silberftißig» -, während er bei Zeus vor allem die Locken hervorhebt: Und vom Haupte der Herrschers wallten unsterblich die Locken. 11

ANHANG

NACHWORT Dieser Übersetzung liegt die Textausgabe der Loeb Classical Library von J.W. Cohoon und H. L. Crosby (1932151 mit englischer Übersetzung) zugrunde, jedoch wurden auch die älteren Ausgaben von G. de Bude (Leipzig 1916/19)und H. von Arnim (Berlin 1893/96) eingesehen. Obwohl man von ArnimsEinstellung zurTextgeschichte heute kaum noch wird teilen können, da er als anstößig empfand und für fremde Niederschriften oder spätere Überarbeitungen hielt, was Eigentümlichkeiten von Dions Denk- und Schreibweise sind ,ist seine Textausgabe, die das gesamte Handschriftenmaterial vereinigt, heute immer noch unentbehrlich und bildet auch nil' die neueren Ausgaben die Grundlage. Bude, der die Neuausgabe bei Teubner besorgte, übernahm trotz seiner im ganzen kritischen Haltung noch weitgehend die Athetesen von Arnims (Budes «Liste d 'interpolations du texte de Dion Chrysostome », die knapp hundert teils größere, teils kleinere von ihm angenommene Einschübe fremder Hand enthält, erschien 1920 in Genf). Dieser «Athetesenepedemie» trat Ernst Wenkebach mit Recht entgegen, nur wurde er dabei das Opfer einer neuen Krankheit. Wo von Arnim und Bude amputiert hatten, suchte er zu heilen durch zum Teil recht tiefgreifende und nicht selten gewagte Konjekturen (<
NACHWORT

rechtfertigen pflegt, sondern möglichst enge Anlehnung an das Original, auch in Wortstellung, Sprachduktus und Syntax. Das heißt, daß dem Leser hier und da eine ganze Menge zugemutet wird an Einfühlungsver_ mögen und Spannkraft, wenn er zum Beispiel den Schwung einer weit_ gespannten dionischen Periode nachvollziehen muß. Was Dion in kurzen Sätzen sagt, steht so auch in der Übersetzung, der große, wenn auch ab und zu etwas schwergehende Atem seiner Perioden ist in der Regel beibehalten und nicht in asthmatische Stöße aufgelöst. Nur so war es möglich, das gewaltige Gefälle innerhalb des Redenkorpus, etwa zwischen dem Forte der Städtereden und dem Piano der ungezwungen_ intimen Unterhaltungen oder der sachlichen Erörterung eines Problems und der lyrisch gestimmten Episode, einigermaßen zur Geltung zu brin_ gen. Es wurde nicht geglättet und gestrafft, wo es bei Dion etwas holprig zugeht und der Gedankengang nicht geradlinig ist, nicht gekü.·zt und beschnitten, was aus Freude am gesprochenen Wort breit und ausladend gegeben wird. Kurz, es ist nicht der Ehrgeiz dieser Übersetzung, besser als das Original sein zu wollen, wohl aber, nicht wesentlich schlechter. Meine Vorstellung von einer guten Übersetzung entspricht etwa der Vorstellung eines Weinkenners von einem guten Wein: Ihm wird es weniger auf absolute Qualität ankommen als darauf, Ort, Lage und Jahrgang herausschmecken zu können. Zugleich war die gewählte Methode die einzige Möglichkeit, der doppelten Verpflichtung gegenüber dem Original und gegenüber dem Leser, ob er nun die Übersetzung mit oder ohne griechischen Text liest, einigermaßen gerecht zu werden.

ANMERKUNGEN Die Fragmente sind, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach den Sammlungen von Nauck (N) für die Tragödie, von Kock (K) für die Komödie, von Diehl (0) für die Lyrik. EinJeituna

I In der Übersetzung von Kurt Treu, Darmstadt 1959 . • Die wichtigsten Zeugnisse über Dions Familie finden sich 41,6; 44,3-5; 4 6,2-7; 47,2 r. 3 Als Beweis dafür darf das bei Plinius in einem Brief an Traian (X 8 I)

überlieferte cognomen Cocceianus angesehen werden. Vgl. dazu die Ratschläge, die Dion in der 18. Rede einer der Rhetorik beflissenen Standesperson gibt. 5 Vgl. dazu die Charakteristik 12, 19. 6 Fronto (ep. ad ver.imp.I p. 115 ed. Naber) nennt ihn Dions «Lehren>. Dieser Mann, den Dion zunächst in einer nicht erhaltenen Schrift (<
ANHANG (6, 8, 9, 10) und die Königsreden (1-4) eine Sonderform und jeweils

eine Gruppe für sich (s. u.). In der Reihe «Lebendige Antike» des Artemis Verlags, Zürich 19>9. 16 Einige Belege: 3,26f.; 7,128,132; 12,16;38,43; 17,2. 17 In diesen Zusammenhang gehört auch die S. Rede als Beispiel einer allegorischen Märchendeutung mit stark moralisierender Tendenz. 18 Ein weiterer Beleg findet sich 43,8 ff. Vgl. auch die - sokratische_ Geringschätzung der allgemeinen Meinung in Rede 67 und die Rangordnung der Werte in der Sokrates nahestehenden 69. Rede. In Thema und Technik ganz von Sokrates her empfunden sind schließ_ lich die Reden 23 und 14. 19 Die Erklärung der Götternamen z. B. (1.39 f. u. 12, Hf.) findet sich ganz ähnlich in der Schrift «Vom Weltall» (401 b), einer Darstellung des stoisch-peripatetischen Weltbildes, wie es Poseidonios geprägt hat. 20 Einige Belege: 10,]2; 1l,6.14; 19.3; H,8. 21 Wobei freilich zu bemerken wäre, daß die stoischen und kynischen ethischen Ideale nahe beieinanderliegen und sich in Dions Zeit häufig nur durch Nuancen unterschieden. 22 In den Sophistenviten des Philostrat (17), wo noch weitere interes_ sante, aber nicht immer glaubwiirdige Angaben über Dions Leben und Werk zu finden sind (u.a. werden hier Demosthenes und Platon als Stilvorbilder genannt). 23 Daß die beiden letztgenannten Schriften nicht von Platon stammen, ist in diesem Zusammenhang gleichgiiltig. 24 Die in den meisten neueren Ausgaben eingehaltene Reihenfolge stimmt mit der des Photios, des Patriarchen von Konstantinopel (9. ]h.), dem wir neben seinem Schüler Arethas die Erhaltung eines großen Teils der griechischen Prosaliteratur verdanken, nicht überein. Die verschiedenen Anordnungen gehen im wesentlichen auf die beiden Hauptstränge der Überlieferung zurück. (Eine dritte Gruppe von Handschriften enthält nur einige Reden.) Die Überschriften, die großenteils nur schlecht oder teilweise zum Inhalt der Reden passen, stammen nicht von Dion, sondern sind spätere Zutaten. 25 2,18 heißt Homer «Herold der Tüchtigkeit». 26 Die ganze Fabel ist von Dion für seine Zwecke umstilisiert: Nicht zwischen Königtum und Tyrannis, sondern zwischen Tugend und Schlechtigkeit hatte sich Herakles ursprünglich zu entscheiden. Zum Inhalt der Rede vgl. auch den etwa gleichzeitigen PanegyJ'icus des jüngeren Plinius auf Traian. 15

ANMERKUNGEN Das libysche Märchen der,. Rede ist sicher das Märchen, das Diagenes 4-,73 f. erzählt . • 8 Streng genommen haben nur die Reden 2 und 4- Dialogform, aber auch hier gibt es längere monologische wie umgekehrt in 1 und 3 dialogische Partien . • 9 Der «Erlebnischarakter» des Ganzen darf nicht wörtlich genommen werden. Schiffbruch, Wiedererkennung, die Insel als utopisches Reich sind gängige literarische Motive. Wie schon 1,50 ff. dient auch hier die Einkleidung in ein Erlebnis zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit. 30 Geradezu raffiniert, nämlich auf indirektem Wege, wird das Stadtvolk charakterisiert, wenn der erste Sprecher seine eigene Habgier und Schlechtigkeit auf den Mann vom Lande projiziert (§ 27 ff.). 31 Zu Rede 10 vg!. etwa den von Diogenes überlieferten Ausspruch: «Das wäre ja lächerlich, wenn Manes ohne Diogenes, aber nicht Diogenes ohne Manes leben könnte» (Manes hieß der entlaufene Sklave). 3' Besonders deutlich 8, 27ff. 33 An eine Stegreifrede ist trotz § 16 u. 38 nicht zu denken, obwohl Dion ein Meister der Stegreifrede gewesen ist (s. Philostl'. Vit. ApoI!. V 37, wo auch die Grazie seiner Reden gerühmt wird). 34 Die jedem verunftbegabten Wesen «eingeborene» und die durch Dichtung und Gesetzgebung «erworbene». 35 Vgl. vor allem 31,15 tl. 33,28. 36 Zu Einzelheiten dieses Problemkreises s. W.Schmid, Die Rede des Apostels Paulus vor den Philosophen und Areopagiten in Athen, Philologus 9,,194-,,79-120. 37 Auf die Eigenständigkeit der Rede und die Unterschiede zu persischen Quellen hat G. Modemann (s. Literaturverzeichnis) hingewiesen.

.7

1 Spielte auf Alexanders Hochzeit . • Dion wendet sich, wie auch in der 3. Rede, an Traian. 3 Vgl. 4-, 19 : Alexander als der Sohn eines nicht sterblichen Vaters. 4 Vgl. Theognis 4-32. 5 Il. 2, 20,f. 6 Platon, der den echten Hirten einen «Zechgenossen» (Pol. 34-5C) und den guten Wächtern der Stadt «wohlhabende Gastgeber» (Pol. 421 ab) gegenüberstellt. 7 Anspielung auf JI. 2, 24-f. 27

790

ANHANG

8 H. 2,196 u.a. 9 n. 2,169 u. 407 u.a. 10 Od. 19, 178f. II Eine ganz ähnliche Aufzählung auch 12,75 f. 12

Ode 19,329ff.

13 14 IS 16

Anspielung auf Domitian, der Dion verbannte. Od. 17,222. Traian. Linos, ein schöner Hirtenjunge, der auch bei Vergil (Ekl. 4, n f .) und Apollodoros (Bibl.I 3, 2) neben Orpheus genannt wird. I7 Zeus. 18 Andere Fassungen der Geschichte von Herakles am Scheidewege Xen.Mem.II 1,21 ff. und Cic. de off. I 118.

1 Makedonische Küstenlandschaft, wo nach dem Vorbild von Olympia sportliche Spiele abgehalten wurden. 2 Archilochos, der durch seine Spott- und Schimpfgedichte berühmt geworden ist. 3U.I,288. 4 Hes.Erg.368, 424, 606ff. u.a. 5 Hes. Erg. 383 f. 6 Gemeint ist der beriihmte Schild des Achilleus (s. Il. 18,541 ff.). 7 11. 11,67 ff. 8 Ausgehend von einer Stelle in den «Werken und Tagen» - Hesiod fährt nach Euboia und gewinnt in einem musischen Wettkampf einen Preis (6,0 ff.)-, bildete sich die Sage vom Sängerstreit zwischen Hesiod und Homer, den Hesiod für sich entscheiden konnte. 9 2,542; vgl. auch Rede 7,4. 10 Er verlor sein Augenlicht und wurde erst wieder sehend, nachdem er seine Schmähungen zurückgenommen hatte (s. Plat. Phaidr. 243a). II In diesem nur in einigen Fragmenten erhaltenen Werk handelt Hesiod von den Frauen, die durch Götter zu Stammlittern großer Geschlechter geworden sind. 12 Der Olymp an der Grenze Makedoniens, der Pelion im thessalischen Phthia, der Heimat Achills. 13 Attische Kolonie in Thrakien und wichtigster Stiitzpunkt Athens im Norden. Im Jahre 'P4 v. ChI'. von den Spartanern erobert, geht die Stadt H8 endgiiltig an Philipp verloren. 14 Il. 9,443.

n.

ANMERKUNGEN

79 I

1511. 1,249. 16 Thersites; zum Ganzen vgl. II. 2, 1H ff. 17 Hes. Theog. 80 ff. 18 Thebe in Mysien; s. 11. 6,41, ff. 19 11. 9,189. 20 König von Makedonien. Obwohl von Xerxes zur Heeresfolge gegen die Griechen gezwungen, stand er trotzdem auf ihrer Seite. 21 Pind. fr. 120 . •• Vgl. Arrian Anab.I 9,10. Z3 11. 7,83. U Pausanias (I 27) hat das angebliche Schwert des bei Plataiai gefallenen persischen Feldherrn noch als Weihgeschenk im Parthenon gesehen. '5 424 im Peloponnesischen Krieg (s. Thuk. IV 38). z6 Od. 7, 84ff. 27 Od. 4,4.\"f. u. 73 . •8 Il. 17, ,88. Z9 Od. ',Hff. 30 Or. 349 ff. 31 Od. 17,266ff. 3' 11. 10, I,off. 3311.7,314 u.a. 3411.703 2If. 3S Pol. 404b. 36 Vgl. Od. 20,2,of. 37 Die Etymologie ist falsch: (..le:VOe:Lxi)C; bedeutet wörtlich «dem Verlangen nachgebend» oder «entsprechend», d. h. «reichlich» (auch wenn die Bedeutung «Kraft» für ll.evoC; nicht selten ist). 38 11. 8,221. 39 Gd. 19,22,. 40 11. 2,872 ff. 41 11.4,431. .. 11. 3, I ff. 43 11. 24, I ff. 44 11. 10,13. 45 11.3,179. 46 11. 20,.1"2. 4711. 18,228 ff. 48 11. 22,391 ff. 49 (Wohl fälschlich) Tyrtaios zugeschrieben. so 11. 16,617f.

79 2

ANHANG

51 Meriones stammte aus Kreta. 5'

Er.

2, I.

53 Scolia anonyma 17. 18 D (s. auch Athen. 695 c). H Il. 2,412ff. 55 11. 2,480 ff. 56 Der ältere Kyros, Gründer des persischen Reiches. 57 Stageira war von Philipp zerstört worden und wurde auf Veranlas_ sung des Aristoteles wieder aufgebaut, nachdem er 342 Alexanders Erzieher geworden war. I Trajan ist angeredet wie schon in der ersten Rede. • Dareios Nothos (424-40s). 3 Vgl. Plat. Gorg. 470de. 4 Gewöhnlich wird übersetzt: «es gedeihen» o. ä. Dion denkt aber an die eigentliche Bedeutung des Verbs &.pe:"iiv (vgl. &.pe:,,~, &p~a"o~). 5 Od. 19,114. Unter Domitian. 7 Vgl. zum Folgenden Xen.Mem.IV 4,Sf. Polos in Platons Gorgias; s. Anm. 3. 9 Zum Ganzen s. Her. VII 22-2S;33ff. 10 Kleisthenes (s. Her. V 67). 11 Platon und vor allem Aristoteles.

12

Il.

2, 204f.

Eine Art Inspektor, der die Untertanen zu beobachten hatte (vgl. Xen. Kyr. VIII 2,10 ff.). 14 Die Stelle ist verderbt. IS Am persischen Hof wurden mit Vorliebe Pferde aus der Nisäischen Ebene (südlich vom Kaspischen Meer; s. Her. VII 40) und Hunde aus Indien (s. Her.I 192; VII 187) gehalten. 16 Nero. 17 Ptolemaios XI. mit dem Beinamen Auletes (<
13

4 Eine von Philipp von Makedonien besonders entwickelte Kampfformation : dicht geschlossene Reihen von Schwerbewaffneten im länglichen Karree. • Od. 17,222. 3 Dareios III., letzter König der Perser, von Alexander bei Gaugamela besiegt. 4 Sparten (<
ANMERKUNGEN

793

bens, gesäten Drachenzähnen entstanden) nannte sich die thebanische Aristokratie. s Homer nennt die Könige oft «zeusentsprossen». 6 Im Text: 7tIXLlltci (<<Spiel»), das ebenso wie 7tIXL3e:!1X (<<Erziehung») von 7tlXiC; (<
'0 Eine Verwechslung mit den Drohnen. 11

12 13

14

[S

[6 17

[8

19 20

21

22 23

24

Archelaos soll, indem er nach dem Orakel ApolIons (s. u.) einer Ziege folgte, an den Ort in Makedonien gekommen sein, an dem er die Stadt Aigai (<
n.

1 Vgl. 4,73f. • Platon, der den einleitenden Teil seiner «Gesetze» mit der Bemerkung abschließt: «Alles bisher Gesagte war nur Vorspiel für unsere Gesetze» (722 d). 3 s. Anm. I.

794 4

ANHANG

Die Taten des Herakles werden hier als Selbstüberwindung des HeIden gedeutet. 6

Der Name Attika wird hier als Adjektiv zum gl"iechischen Wort «Küste» (&.><:"&"1) erklärt. 2 I Stadie etwa 18o m; der Umfang Athens einschließlich Häfen und Verbindungsmauern betrug also ungefähr 36 km. 3 Von Megara aus konnte man entweder auf dem Landweg über Eleusis oder zu Schiff über Salamis und Piräus nach Athen gelangen. 4 D. h. Feuer im Winter als Vorwegnahme des Sommers, Schatten im Sommer als Vorwegnahme des Winters. 5 Häufiges Attribut deI· Aphrodite. Diogenes denkt allerdings an das Geld, das für die Liebe ausgegeben wird. Der bild liehe Ausdruck meint zugleich die Befriedigung des Geschlechtstriebes und ihre Kostspieligkeit. 7 Die am Beispiel der Fische geschilderte Selbstbefriedigung. 8 Od. 4,8°5; 11. 6,!J8 u.a. 9 Dareios bekam von dem steinreichen Lyder Pythios eine goldene Platane geschenkt (s. Her. VII 27 und Xen. Hell. VII 1,38). 10 Das Wort heißt eigentlich «Lanzenträgen>. So erklärt sich der Gegensatz von «bewaffneten> Leibwache und «unbewaffneten» Eunuchen. II «Tyrann» ist im Griechischen ursprünglich frei von jeder negativen Wertung. Sicher hat Diogenes nicht ausschließlich an den entarteten Alleinherrscher gedacht. 12 Nach Zenobios heißt das Sprichwort: Einem älteren Pferd die kleineren Strecken zuweisen. 13 Eur.Or.6. 14 Od. 10,241 ff. I

7

I So heißt der stark zerklüftete südliche Teil der euboiischen Ostküste (vgl. Her. VIll(4). 2 Sie fingen Purpurschnecken, aus denen der rote Farbstoff gewonnen wurde. 3 11. 2,542 (vgl. auch Rede 2,12). 4 Natiirlich sind die Türme gemeint, für die der einfache Mann aber keinen Namen hat. 5 Die Theater dienten in Griechenland auch für öffentliche Versammlungen. 6 König von Euboia, der aus Rache für den Tod seines Sohnes Pala-

ANMERKUNGEN

795

medes Fackeln am Vorgebirge entziindete und so die von Troia heimkehrende Griechenflotte in die Irre leitete. 7 Der Beamte meint Pfund als Geldsumme, der Mann vom Land, der kein Geld kennt, versteht darunter das Gewicht. Dion denkt vielleicht an eine Stelle wie Eur. EI. 424ff., wo der arme Landmann, der Orestes und Pylades bei sich aufnehmen soll, von den Vorzügen des Reichtums gerade im Hinblick auf die Gastfreundschaft spricht. 9 Od. 17,4Hff., wo allerdings der letzte Vers ganz anders lautet. 10 Od. 17, .\"49f. u. 19d06ff. JI Od.2I, 28 Sff. JZ Od. 17, loff. 13 Odysseus soll unerkannt bleiben; deswegen wird er als Bettler fortgeschickt. 14 Telemachos kam auf der Suche nach seinem verschollenen Vater auch zu Menelaos nach Sparta. 15 Agamemnons Tochter Iphigenie. 16 Vgl. Anm. 8. 17 An wen Dion denkt, wissen wir nicht. Zu Sophokles s. etwa fr. 8SN. 18 Also sich wegen der Kostspieligkeit des Materials kurz fassen mußte. 19 Vgl. 2S Anm. 3 . • 0 Aus dem schon früh, aber sicher zu Unrecht dem Homer zugeschriebenen komischen Epos Margites . .. NachOd.2I,ls°f. .. Beide erhoben den Anspruch, Homers Heimatstadt zu sein. 23 S. I I, Anm. I. 24 Gemeint sind die Schauspieler. '5 Platon in seinem «Staat». 26 Anspielung auf Danae, der sich Zeus in ihrem Gefängnis als Goldregen näherte. 27 11. 16, 180, wo aber Polymele genannt wird (Polydora V. 17.\"). 28 D. h. «Jungfrauensöhne» : So hießen die während des I.Messenisehen Krieges in Sparta geborenen Söhne. 29 Vgl. Anm.26. 8

Opferrituale, die man in Athen lind anderen griechischen Städten am Thargelionfest (24.Mai) an zwei für das Reinigungsopfer auserlesenen Tieren vornahm. • Die Sieger bei den Isthmischen Spielen (bei Korinth) bekamen einen Kranz aus Sellerieblättern oder einen Fichtenzweig, die Sieger bei 1

ANHANG

den Olympischen Spielen (in der Landschaft Elis) einen Ölzweig. Für die Pythischen Spiele (in Delphi) waren in erster Linie die Thes_ salier zuständig. 311.1,,696 u. 711f. 4 Dions Wortspiel ist im Deutschen kaum nachzuahmen. Das Adjektiv c!.ll-A.LOC; heißt «mühevoll» und «unglücklich», das Substantiv il'&AOC; (Wett-)« Kampf», wobei das Sich-unglücklich-Fiihlenaber noch mitgehört werden soll: Weil Herakles' Leben mit Mühe und Arbeit angefüllt war, hält man ihn selbst für unglücklich und nennt seine «Arbeitem> il'&AOL. 5 Rationale Deutung des Mythos: Der Adler des Prometheus wird hier als «öffentliche Meinung» verstanden. 6 «Adler» ergänzt. 7 Anspielung auf die Selbstverbrennung des Herakles (mit «Krank_ heit» ist wohl die Wirkung des Nessos-Gewandes gemeint, s. 60 Anm.3). 9 I 2

3 4

5

Vgl. 8 Anm. 2. Hieb gegen die Fleischkost der Athleten. VgI.8,I,. 11. 22,13 I ff. Prokne, die Gattin des Thrakerkönigs Tereus, wurde in eine Nachti_ gall, Tereus selbst in einen Wiedehopf verwandelt (s. Ov.Met. 6, 4 2 4 ff.). 10

I

2

Auf dem )(P~O".&()('~ und seinen verschiedenen Verwendungsmöglich_ keiten beruht das ganze Gespräch. Das Wort wird im Verlauf des Dialogs in Verbindung mit Sachen, Menschen und Göttern gebraucht, könnte also je nachdem mit «etwas gebrauchen», «mit einem Menschen verkehren» oder «den Gott um Rat fragen» übersetzt werden. Wegen des großen Anwendungsbereiches wurde in der Regel die Übersetzung «umgehen mit» bevorzugt. «Leibdiener» ist aus dem Folgenden (s. §6) in die möglicherweise noch größere Textlücke eingesetzt.

3 11. 20,74.

411. 14,291. 5 «Grab der Myrina», 11. 2,813f. Zum Ganzen s. auch Rede 1I,22f. 6 Die von Diogenes in das Orakel hineinkonstruierte Doppeldeutig· keit ergibt sich aus der Möglichkeit, die Negation entweder nur auf den ersten Infinitiv oder auch auf den zweiten zu beziehen, wobei

ANMERKUNGEN

7

9

10

797

dann aus der Aufforderung, das Kind auszusetzen, ein Verbot wird, das Laios übertritt. Vgl. Her.! .off. Z.B. Eur.Or. 28,ff., I.T. 77ff. Das Rätsel lautete : Was geht am Morgen auf vier Beinen, am Mittag auf zwei, am Abend auf drei? Die Schwerfälligkeit und geistige Stumpfheit der Boiotier waren sprichwörtlich. 11

Agamemnon, der das gesamte Unternehmen gegen Troia leitete, warnach späteren Berichten - König von Argos (sonst von Mykene) . • Die Söhne und Töchter der Niobe. 3 Die Szene ist als « Parisurtei\,> bekannt. 4 Il.4,S9. 5 Sie versprach Paris, falls er ihr den Preis der Schönheit zuerkenne, die schönste Frau (Helena). 6 Aphrodite und Helena waren Töchter des Zeus. 7 Er war der Sohn des Hermes und Großvater des Odysseus und bekannt wegen seiner Diebereien lind Meineide (vgl. Gd. '9, 394ff.). 8 Gemeint sind die allegorischen Deutungsversuche des Homer. 9 Das bekannteste Beispiel 11. ff., wo Aphrodite von Diomedes verwundet wird. 10 Z.B. Ares und Aphrodite (Gd. 8, 266ff.). 11 Z. B. des Zeus (Il. '0399 ff.). " 11. ",, ff. 13 Il. '4, '.off. '4 Zeus hat den Götterbeschluß durch Hermes an Kalypso überbringen lassen, Odysseus selbst aber weiß nicht genau Bescheid (s. Gd. 7, 262 f.). 15 11. '4,34' ff. 16 Vgl. 10,23. 17 D. h., daß man den Anfang für das Ende und das Ende für den Anfang hält (s. u. über die absichtliche Veränderung der Chronologie in der Darstellung Homers). 18 Gemeint sind wohl Stellen, in denen Homer den Anlaß zum Krieg erwähnt oder den Fall Troias andeutet (z. B. 11. 6,448 f.). 19 11. 24,239 ff. '0 Penthesilea, die Königin der Amazonen, die in diesem Kampf fallt • •, 11. 2 1,211 ff• .. 11. 21, 342ff. 1

,,33,

ANHANG 23

24

2S

11. 2[d8,ff. (s. auch Anm.9). Od. Buch [3-24. Od. Buch 9-[ 2.

26

Od. 8,499 ff.

27

Il.

28

29 30 3[

32 33 34

35

1, I

ff.

Briseis, die der Anlaß wird zum Streit zwischen Achilleus und Agamemnon (11. [, [ [ ff.). Vgl. 2,13. Kastor und Polydeukes. EI' wal' in einer hölzernen Truhe (xuljlek/l, daher sein Name) ausgesetzt worden und weihte später als Dank für sein Rettung eine außerordentlich wertvolle Truhe in Olympia (vgl. Paus. V [7" ff.). Sein Vorfahre Pelops stammte aus Asien (s. u.). Die Amazonenkönigin Antiope. In Lydien. Tantalos, der Vater des Pelops und Urgroßvater von Agamemnon und MeneJaos, wal' König der Lyder.

11. 3d9f. u. Hf.

36 11. ,,640ff. 37 11.3, 236ff. 38 11. [2, [7ff. 39 Vgl. 11. 24,257. 40 Vgl. Thuk. I [[. 4[ 1I.7,467 f . 42 11. 2, [ff. Agamemnon hatte den Vorschlag aber nur gemacht, um das Heer auf die Probe zu stellen. 43

11.

44

Kalchas (s. II. [, [06ff.).

2, 299f.

45 II. 3,39ff. 11.3, [7 [ff. 47 II. 3,438. 46

50

II. 3d69ff. II. 7,3°3 ff. 1I. [, [ ff.

5[

11. 4, «ff.

48 49

11. 53 11. 5411. 55 11. 52

56 57

[,,23 6ff. 9, [ ff.

[o,[ff. Buch 9.

11. [[,[ff. 11. 7, 206 ff.

ANMERKUNGEN

799

58 11. 14,409ff. 59 11. ,,297 ff. 60 II. ,,846ff. u. 33off. 61 Il. 8,78 ff. 6. 11. 8, 170f. 63 11. 16, 114ff. 6411. ,,]12ff. 65 Il. "8,,ff. 66 Vergil bringt den Tod des Troilos mit Achilleus in Verbindung (Aen. I, 474f.), während bei Homer nur einmal sein Name genannt ist (Il. 24,2.\"7). 67 11. 16,)03 ff. 68 Il. 16,462ff. Allerdings fällt Sarpedon von der Hand des Patroklos. 69 Il. 21, I ff. 70 II. 21,161 ff. 71 Il. 21,,9>ff. ,. Hektor tötet lediglich Patroklos, den aber Homer an die Stelle des Achilleus gesetzt haben soll (s. § 102). 73 Il. 17,7.\"ff. 7411.18,13f. 75 Fehldeutung Dions (vgl.ll. 18,]14ff.; 19,]0,ff.). 76 Il. 16,233ff. 77 11.7, 113f. 7811.16,pff. 79 11. 16,]6f. wird dieser Gedanke als Vermutung von Patroklos ausgesprochen, ,0 f. aber von Achilleus energisch zurückgewiesen. 80 Davon ist in der !lias nirgends die Rede. 81 II. 18,81f. 8z Wieder eine falsche Behauptung. 83 11.23, 243f. 84 Dem widerspricht Od. 24,76 ff., wonach Antilochos neben AchiIleus und Patroklos bestattet zu sein scheint. 85 Vgl. § 116 u. Pind. Pyth. 6,28 ff. 86 Il. 22,39.\"ff. 87 II. 23, 18,ff. 88 11. 22,3.\"9f. in der Vorhersage des sterbenden Hektor. 89 11. 3,]69ff. 90 Nach Dions Meinung hat Hektor Achilleus, nicht Patroklos getötet (vgl. §96 u. 102). 91 Il. 18,478 ff.

800

9' 93 94 9S 96 97 98 99 100 laI 10' 10] 104 lOS 106 107 [08 109 IIO III "' II]

II4 IIS II6 II7 II8 II9 120 121

12'

ANHANG

H. 19,1ff. 11. 20,49off.; 2[, I ff. H. 2[,J8,ff. H. 2 [,2 [ [ ff. JI. 2I,'99ff. JI. 22,1 ff. H. 22,J75. H. 22,226ff. H. 23,257 ff. H. 24, 141 ff. Meist Astyanax genannt (vgl. Il. 6,402 f.). Hier schließt der Bericht des ägyptischen Priesters. Dion wendet sich an die Bevölkerung Troias (5. auch §4). Achilleus (Il. I8,2I7ff.). Vgl. § [03 u. Od. 24,76f. Der Telamonier Aias, auf den Dions Charakteristik allerdings über_ haupt nicht paßt. Gerade das hatte Homer nicht vor (5. H. [,1 ff. u. § Hf.). Od. 4,,6 I ff. Eur.Or. 162,ff. Rom. D. h., wenn die Troianer die Sieger waren. An wen Dion denkt, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall liegt Salamis (480) vor Plataiai (479). Dion verwechselt die Skiriten, eine besondere Abteilung im spartanischen Heer, mit der «pitanatischen Abteilung» (Pitana hieß ein Stadtteil von Sparta), die es nach Thukydides (I 20) nicht gegeben hat. H. und A. erschlugen nicht Hippias, den Tyrannen von Athen, sondern seinen Bruder Hipparchos (vgl. Thuk.1 20). Hes. Theog. 176 ff. Davon ist sonst nichts bekannt. Und nicht nach Griechenland, dem das Unternehmen vom Jahre 490 tatsächlich galt. Die Stelle ist wahrscheinlich verderbt. Griechenland und Kleinasien waren zur Zeit Dions römische Provinzen. H. 21,279. Achilleus durch Paris. Aias, der sich an den Atriden rächen wollte, weil er von Odysseus um die Waffen Achills gebracht worden war.

ANMERKUNGEN

801

1Z3 Der Schatten Achills hatte Polyxena als Sühne für seinen Tod gefordert (s. Eur.Hek. 40ff.). 1Z4 Von Aias dem Lokrer. IZS 11. 24,468 ff. 1Z6 Vgl. Ov.Met. 13d-69ff. 127 Agamemnon nahm Kassandra mit nach Argos. 12 1

•

3

4

5

6 7

8

9 10 11

.. 13 14 15

16

11

Die Einleitung ist zunächst Ausdruck von Dions Staunen über die große Menge, die sich vor dem berühmten Zeustempel in Olympia eingefunden hat, um ihn, die äußerlich keineswegs anziehende Eule, zu hören (s. auch § I S) • Zum «Schwanengesang» vgl. auch Plat. Phaid. 84eff. Wie Dion sich selbst unter dem Bild der Eule und die Sophisten unter dem des Pfaus sieht, so ist bei Nachtigall und Schwan wohl an die Dichter zu denken (s. § S). Gemeint ist das berühmte Standbild der Athene, das Pheidias für den Parthenon schuf. Nach Plutarch (Vit. Per. 169 c) hat Pheidias auf dem Schild der Athene sich selbst als «kahlen, alten Mann» dargestellt, «der mit beiden Händen einen Stein hebt», und Perikles als einen mit einer Amazone kämpfenden Krieger. Von der Mistel, die als Schmarot7er auf Eichen wuchs, wurde der Vogelleim gewonnen. Gedacht ist an die Vogelnetze. Ein ähnlicher Gedanke auch Aischylos fr. 231 (Mette). Ärmliche Kleidung, langer Bart und langes Haar: der Vergleich mit der Eule zielt sicher auch auf das Aussehen. Verwechslung mit Ninive. Hes.Erg. 313. Dion bezieht sich auf das Götterstandbild des Pheidias im Zeustempel. Anspielung auf die Entbehrungen während der Verbannung. Dasselbe sagt Sokrates von sich (s. Plat. Apol. 20 c). Od. 10376; 2,141. Vgl. auch 7, I. Die My.er, römisch Moesi, werden 11. 13,S als thrakischer Volksstamm erwähnt. - Dion selbst hat eine nicht erhaltene Geschichte der Geten geschrieben.

11.

2I,SO.

ANHANG 18 Xen. Anab. VI 1,8. 19 Gemeint sind Traians Vorbereitungen zum Dakerkrieg. 20 Vgl. Il. 1,12 ff., wo der Priester Chryses ins Lager der Griechen kommt, um seine Tochter loszubitten. 21 11. 2,484ff. ruft Homer vor dem großen Schiffskatalog die Musen an, ihm bei seinem übermenschlichen Vorhaben zu helfen. 22 Hes. Erg. I ff. 23

11.

I,S28ff.

24 «Hell und dunkel» (ähnlich in § 34 «Tag und Nacht», «Licht der Sonne und der Sterne») bezieht sich auf die polaren Verhaltenswei_ sen der Persephone : I m Herbst, wenn die Großen Eleusinien gefeiert wurden, ging sie in die Unterwelt hinab, um sich mit Hades zu vermählen; im Frühjahr (Kleine Eleusinien) kehrte sie zur Oberwelt zurück und feierte ihre Vermählung mit Dionysos. Zugleich spiegeln sich darin der Kreislauf der Natur und die Hoffnungen, die sich die Anhänger des Kultes vom Jenseits machten. 2S Eine Art Inthronisation (vgl. auch Plat. Euthyd. 277 d). 26 Gemeint ist das sogenannte Telesterion in Eleusis, das Gebäude, in dem die Weihen stattfanden. 27 Die Leute des Odysseus auf der Heimfahrt nach Ithaka (Od. 12,

16,ff.). 28 Zeus mit Hera (II. 14,341 ff. ; s. auch Rede 1 1,2 I) .. 29 Ein Grundprinzip der Epikureer, gegen deren Lehre (Genuß des Lebens durch Freiheit von Furcht und Leidenschaft) der ganze Abschnitt gerichtet ist. 30 Typische Instrumente asiatischer und orientalischer Kulte, die in Griechenland immer mehr Verbreitung fanden. 31 Gottesvorstellung des Deismus: Wohl hat ein (unpersönlicher) Gott die Welt geschaffen, sie dann aber ihrem Schicksal überlassen. 32 Die Wasseruhr diente zur Begrenzung der Redezeit vor Gericht (Plat. Theait. 172 d: «Mich drängt das rinnende Wasser»). 33 Eine Art Illusionsmalerei, die vor allem bei der Bühnendekoration Verwendung fand. 34 Dion darf bei dem Überangebot an Veranstaltungen die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht allzulange in Anspruch nehmen. 35 Allerdings wird nur von Pheidias, dem Vp.rtreter der bildenden Kunst, gesprochen. 36 Weil Olympia in Elis liegt. 37 Sie wurden vor dem Tempel geopfert, konnten also das Standbild im Innern nicht sehen.

ANMERKUNGEN 38 Od. 4,22 I.

Er solI zusammen mit dem Gesetzgeber Spartas die Olympischen Spiele nach längerer Unterbrechung wiedereingesetzt haben. 40 Il. I, S29 in der § 26 zitierten Stelle. 41 11. I, SO 0 ff.

39

4' Il. 2,478. 4311.20,248 f.

4B

XIX.VlX.x1) Il. 16, lOS u. 794 vom Helm, Od. 19, 36S vom Knirschen der Zähne. Nur als Verb ßOfloße:iv gebraucht, meist in der Verbindung ß6floß'!)0'e: 1t'EO'OUO'IX. (11. 13, BO; 16,118; Od. 18,397). XTll1t'O';; vom Hufschlag der Pferde 11. 10, B 2 u. 535; 17, 17!i; vom Kampfgetöse 11. 12,338; 20,66. 8oUTto,;; für jedes laute Geräusch: der Geschosse 11. 9, 573; der Holzhauer 11. 16,635; von Fußtritten Od. 16, 10; vom Meer Od. 5,4°1 usw. ilifllX.ßo.;; nur Il. 10,37> (<<mit den Zähnen klappern»).

49

Il. S,599; H,FS·

44

45 46 47

sO 11. 1,46 von elen Pfeilen im Köcher.

51 11.140394. 11.14,399; Od. S,485. 53 Vgl. Her.1 8. 54 Il. 4,443. 55 Dieselben Titel und Erklärungen auch 1,39 f. 56 Z.B. Il. 2,352f. 57 11.10, sff. 58 Il. I7,S47ff. (statt «dunkelblau» «purpurfarben»). S9 Il. 4,7> ff. 60 Il. IIdf. 61 11. 22,209ff. mit den Losen von Hektar und Achilleus, Il. 8,69ff.

S'

mit denen der Griechen und Troianer. 60 63 64 65

Z.B. Il. 14,285.

Il. I,S28ff. Il. IS, IB. Gemeint ist das Meer, das Wasser als drittes Element (Herkunft des Zitates unbekannt). 66 Die Oberlieferung des Satzes macht Schwierigkeiten, aber alle vorgeschlagenen Konjekturen können nicht befriedigen_ 67 Pind.fr. >7. 68 Il. 18, 474f.

804

ANHANG

69 Od. 24,249 f. - Dion kann es sich nicht verkneifen, dieser für seine Verhältnisse geradezu feierlichen Rede wenigstens einen ironischen Schluß zu geben. In den Versen redet er sich selbst an. 13 Wahrscheinlich T. Flavius Sabinus, der im Jahre 82 hingerichtet wurde (s. Einleitung S. XIII). • Bei Kalypso (Od. 5,82ff.). JOd.I,5 8L 4 Orestes, der heimgekehrt ist, sich aber noch nicht zu erkennen ge. geben hat. S Eur. E!. 233 ff. 6 Her. I 55. Kroisos legte die Trauer um den Tod seines Sohnes ab, als er gehört hatte, daß Kyros, der mit dem Maulesel gemeint ist und später das Reich des Kroisos eroberte, die Herrschaft über die Per. ser übernommen habe. 7 Vgl. Plat. Apo!. 20e. Schon hier wird deutlich, daß sich Dion in Parallele zu Sokrates sieht. 8 Beim Besuch des Odysseus in der Unterwelt (Od. I 1,121 ff.). 9 Vgl. Plat. Apo!. 20 d: Wie Sokrates, ohne daß er es will, den Titel eines Weisen bekommen hat, so Dion den eines Philosophen. 10 Die folgende Rede (bis § 27) ist der Sokratesrede im pseudoplatoni. sehen Kleitophon (407 ff.) nachgebildet. 11 Vgl. Plat. Apol. 29 deo " Derselbe Vergleich Kleit. 407 a. IJ Naukratis, eine wichtige Handelsstadt im Nildelta. 14 Zitiert in Aristoph. Wolken 967. IS Atreus gelobte Artemis das schönste Lamm seiner Herde; als aber ein goldenes Lamm geboren wurde, enthielt er es der Göttin vor. 16 Vg!. H. 2, 594f. 17 Palamedes, wegen seiner geistigen Überlegenheit von Odysseus und den Atridengehaßt, wurde vor Troia des Verrats bezichtigt und gestei. nigt. Zum Erfinder wurde er erst später, vor allem in der Sophistik. I

18

VgI.Xen,Kyr.I2,16.

19 Vg!. 14,23. '" Am Ende des Peloponnesischen Krieges. Zl Konon befreite im Jahre 394 die kleinasiatischen Städte und Inseln von den spartanischen Statthaltern. zz Vgl. Plat. Apo!. 2 lau. 23 ab. 23

Il.

23,161

ff.

ANMERKUNGEN

80 5

Vielleicht ist die Rede nicht vollständig erhalten. Jedoch kann der :lInerwartete Abbruch mit der ironischen Schlußwendung auch beabsichtigt sein: Der Römer gibt zwar einen guten Soldaten, aber nur einen mäßigen Philosophen ab. 14

In Athen lInd Rom konnten sich Sklaven selbst loskaufen. 1 Vgl. Hel'. V 6. I GemeintsinddieMossynoiken(<
IS

Ein dem Herakles geweihtes Gymnasion außerhalb Athens, das für die nicht alls Athen gebürtigen Kinder bestimmt war. I Seit der Mitte des S. Jh. konnten nur Kinder aus rechtmäßigen Ehen zwischen Athenern die Staatsbürgerschaft erlangen.

I

IOd.

I,

21S.

Vgl. Her. I 7. I Euripides hat eine Tragödie «Antiope» (Mutter der Zwillingsbrüder) geschrieben. e Sie wurden erst etliche Jahre nach ihrer Geburt als Göttersöhne erkannt. I 413 während des Peloponnesischen Krieges. I Von einer Niederlage der Athener bei Akanthos ist nichts bekannt. Kallias ist ein in einem der reichsten Geschlechter Athens häufig wiederkehrender Name. 9 Im Gegensatz zu den Reichen, die sich von Sklaven begleiten ließen. 10 Im frühen Rom war das gesetzlich möglich. 11 Davon ist sonst nichts bekannt. Kyros war der Schwiegersolm des Astyages. 11 Gebildete Griechen verdingten sich häufig als Art Gesellschafter in reichen Häusern. I

I Eur. Phoin. BI ff. 'Trotzdem hat Dion den Wortlaut an vier Stellen geändert (z. B. V.

2:

806

J

4

5

7

9

10

ANHANG

«Habgier» statt «Ehrgeiz»), um das Zitat für seine Zwecke gebrau_ chen zu können. Sehr freie Interpretation der an das Zitat anschließenden Verse (541 ff.), in denen lokaste von der «Gleichheit» als dem Grundprin_ zip des Weltalls spricht. Erg. 40. Zehn Jahre später unternahmen die Söhne der Gefallenen einen Rachefeldzug gegen Theben und eroberten die Stadt. Vgl. Her. lI! 120-125. Von den Tegeaten besiegt, mußten sie in den Ketten, die sie selbst mitgebracht hatten, das Land der Sieger bestellen (s. Hel'. I 66). Vgl. Paus. VIII 11, 12. Am Ende des Peloponnesischen Krieges. Vgl. Her. VI 125 u. Rede 78,32. 18

1

2

3 4

5

7

8

I

2

Den Adressaten kennen wir nicht. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß Nero oder Vespasian gemeint ist. Z. B. Solon: «Ich werde alt und lerne immer noch viel» (s. Plut. Vit. Sol. 3' ,6). Plat. Phaidr. 242 c. Man unterscheidet die «Alte Komödie», deren Hauptvertreter Aristophanes ist, und die «Neue Komödie», die, etwa 100 Jahre später, in erster Linie durch Menander repräsentiert wird. Aischylos und Sophokles_ Es sind die vier wichtigsten Formen griechischer Lyrik genannt: Lyrik im engeren Sinn, Elegie, Spott- und Schmähgedicht (im jambischen Versmaß, deshalb «Iamben») und Dithyrambos (chorisches Preislied zu Ehren eines Gottes). Gemeint sind hier ganz allgemein Schriftsteller, die mit Sokrates in Verbindung standen, wie Platon und Xenophon. In diesel' Schrift schildert Xenophon seine Erlebnisse auf dem «Zug der Zehntausend» gegen den Perserkönig Artaxerxes. '9 Gemeint ist die Grenze von Bithynien im Nordwesten Kleinasiens, wo Dions Geburtsstadt Prusa liegt. Das Land selbst darf er als VerbalUlter nicht betreten, aber auch die Grenze meidet er. Kyzikos (s. u.) liegt weiter westlich, ein gutes Stück von Bithynien entfernt. Das Sprichwort ist unbekannt.

ANMERKUNGEN Vgl. Her. I 23f. t Orpheus folgten, von seinem Gesang bezaubert, die Tiere des WaIdes nach. Hier sind unter diesem Bild die Sophisten und ihr Anhang gesehen. 5 Die griechische Tragödie und Komödie bestand im wesentlichen aus den lyrischen Chorpartien und den in jambischen Trimetern geschriebenen Sprechpartien der einzelnen Schauspieler. Während nun die (sowieso schon selteneren) Chorlieder der Komödie bei späteren Aufführungen beibehalten wurden, paßte man die alten Tragödien der modernen AufführungspraxiS an und strich die lyrischen Partien und damit auch den Chor. 6 Die Rede ist wahrscheinlich Fragment geblieben.

!

20 Agamemnon, der das gesamte griechische Heer vor Troia befehligte . • Vgl. 6, Anm.,. 3 JI. 20, 223ff.

1

21

Die Athener nalUlten ein Jahr, in dem sie ihre höchsten Beamten (&PXOV,€t;) nicht hatten wählen können, &vapx(a «(Zeit ohne Archonten»; s. Xen. Hell." 3, I) . • Ein am Ende des Peloponnesischen Krieges von den Spartanern in Athen eingesetztes oligarchisches Regime. 3 In der sich Pasiphae mit Minotauros vereinigte (vgl. auch 71,6). 4 Nero gab nach dem Tod seiner zweiten Frau Poppaea Sabina seinem Lieblingsknaben Sporus, der ihr sehr ähnlich sah, den Namen Sabina (s. Suet. Vit.Ner. 28). 5 Octavia, Tochter des Kaisers Claudius und der Messalina. 6 Den Namen gab es in Persien häufiger. Jedoch wird Dion kaum an eine bestimmte Person denken, sondern die neugierige Frage abbiegen wollen. 7 Bekannt ist, daß Nero selbst nach einer feierlichen Hochzeitszeremonie ihn als seine Frau heimführte. 8 D. h. dann regierte nicht Domitian, der Dion verbannte. So erbittert war Dion gegen diesen Kaiser, daß er ihm selbst Nero noch vorgezogen hätte. 9 Anspielung auf die falschen Neronen, die nach dem Tod des Kaisers immer wieder mit dem Anspruch, Nero zu sein, auftraten. 10 Vgl. 4 Anm. 4. 11 JI. Buch I,. 1

808

ANHANG

Il. 22.370f. 13 Il. 22,4-°3. 14 JI. 22,4-°2. IS 11.22, 373f. sagen die Griechen, Hektors Körper sei «weicher» zu berühren als zu der Zeit, da Hektor Feuer in die Schiffe warf. 16 11. 17,~If. 17 Drei Troianer werden drei Griechen gegenübergestellt. 18 Zur Schönheit des Eurypylos und Memnon vgl. Od. 11, ~22. 12

22 Nicht der Geschichtsschreiber, sondern der Führer der Aristokraten und Gegner des Perikles. 2 Demosthenes (de cor. 298). 3 Die Rede ist offensichtlich nicht vollendet. I

23 Il. 17,4-47. 2 Eur.Kresph.fr. 449.3f.N. 3 Prokne, die ihren Sohn Itys dem Gatten zum Mahle vorgesetzt hatte, wurde in eine Nachtigall verwandelt. 4 Um das Goldene Vlies zu bekommen, mußte lason mit feuerschnau. benden Stieren mit dem Kolcherkönig um die Wette pflügen, die Zähne des getöteten Drachen und Vliesbewachers aussäen und die daraus entsprießenden wilden Krieger töten. Aber lason wirft nur einen Stein in ihre Mitte, worauf sie sich gegenseitig umbringen. S Vgl. dazu 4-, 80, wo die Vernunft als Daimon des Menschen genannt wird. Die volkstümliche Vorstellung eines bösen Daimon wird in § 9 zurückgewiesen: Nach der stoischen Lehre ist jeder Daimon gut. Ist der Mensch unglücklich, liegt das daran, daß er seinem Daimon nicht folgt. I

I

Platon (Euthyd. 3o,c).

I

Vgl. Rede 23 u. 24.

2 «Glücklich» (I. Satz) heißt wörtlich übersetzt «mit gutem Genius».

3 Peisistratos siedelte die mittellosen Athener auf dem Land an, um ihnen durch die Landwirtschaft eine Verdienstmöglichkeit zu geben (vgl. Aristot. Staat d.Ath. Kap. 16 und Rede 7,1°7). 4 Vgl. Her. III 3S. S Amyntas 11. (s. Xen.Hell. V 2, 12f.).

ANMERKUNGEN

7

8

Eine gewaltige Übertreibung, denn der Sieg bei Chaironeia brachte ihm nur die Herrschaft über Griechenland ein. Indem er sie als Kolonisten aus ihren Vaterstädten wegführte. Tyros, eine alte Handelsstadt der Phöniker, war die Mutterstadt von Karthago. Der karthagische Seefahrer Hanno erscheint hier als Gründer Karthagos. 26

Die zahlreichen Parallelen zwischen diesel' Rede und dem pseudoplatonischen «Sisyphos» weisen darauf hin, daß Dion entweder die Schrift selbst oder eine beiden gemeinsame Quelle als Vorlage benutzt hat . • Im doppelten Sinn gemeint: «sich mit andern beraten» und «mit sich selbst zu Rate gehen». 3 Diese Behauptung überrascht, denn natürlich bezieht sich jedes Beraten auf die Zukunft. Verständlicher wird Dions Gedankengang, wenn man von seiner Voraussetzung ausgeht: Jeder Beratung liegt etwas ganz Bestimmtes zugrunde. Das Zukünftige existiert - primitiv ausgedrückt - faktisch noch nicht, das Faktische selbst aber bedarfin seiner Endgiiltigkeit nicht mehr der Beratung. Also hat weder das «Seiende» noch das «Nichtseiende» etwas mit dem Beraten zu tun. 27 J

I D. h., ob man Wasser oder Wein trinkt. • Dionysos war ein Sohn des Zeus, der sich Semeie in der Gestalt von Blitz und Donner näherte. 3 Zur Hochzeit des Peirithoos waren auch die Kentauren geladen. Vom Wein berauscht, vergriffen sie sich an der Braut und den anderen Frauen und wurden erschlagen. 28 I Wohl keine historische Person, sondern ideale Erfindung Dions. • Der Allkampf (Pankration) war eine Verbindung von Box- und Ringkampf. I Vgl. IS,29ff. • Vgl. 28,7f. 3 Nämlich zugleich mit der Sache den Menschen zu treffen, etwa durch einen Preis der Schönheit den schönen Melankomas zu preisen. 4 Er wurde von Zeus geraubt und zum Mundschenken der Götter gemacht.

810

ANHANG

Vgl. Her.IX 73 und Plut.Vit. Thes. 31 ff. Um Brise!s, eine schöne Kriegsgefangene des Achilleus, die Aga_ memnon ihm abforderte (s. H. I, 182 ff.). 7 Hippolytos widerstand als Verehrer der jungfräulichen Artemis dem Werben seiner Stiefmutter Phaidra. 8 Od. "dIa. 9 Otos und Ephialtes, die den Ossa auf den Olymp setzen Wollten, um den Himm.eJ zu stürmen, wurden von ApolIon getötet, während Orion den Pfeilen der Artemis erlag, als er sich an einer ihrer Ge_ fährtinnen vergriff. 10 Il. 23, I,r. 5

3°

I Die Rede gibt ein Gespräch wieder zwischen Dion, Timarchos und dessen jüngerem Sohn Timarchos; der ältere Sohn, Charidemos, ist vor kurzem gestorben. 2 Also ein (nicht näher bestimmter) Mann alls Opus. 3 Il. 3,6,. 4 Zu der Vorstellung von der Welt oder vom Körper als Gefängnis der Seele vgl. Plat. Phaid. 62 b, Gorg. 493 a, Kratyl. 400 c. 5 Vgl. Kleanthes, Zeushymnus V.4; Arat,Phain.V.,; Apostelgesch. 17,28. Vgl. Plat.Nom. 7I3d u. Cic.Tusc.I 28 u.a. 7 «Gesang» wegen des hymnischen Tons der ganzen Stelle. 8 Die als Göttinnen vorgestellten Jahreszeiten, die alles werden und vergehen lassen (s. u. «auf- und abtragen»). 31

I H. 22,sff. 2 Leonidas an den Thermopylen. 3 Die X&.pL'l'ec; (Jat. Gratiae) sind die Göttinnen aller erfreulichen Gaben, besonders der Anmut und Schönheit. Auf dem doppelten Aspekt von X&.PLC; als «Anmut» und «Dankbarkeit» beruhen Dions Ausführungen. 4 Dion denkt wahrscheinlich an die Römer. S Vgl. § I24f. Rom. 7 Im Jahre 42 wurde Rhodos von Cassius, einem der Caesarmörder, erobert, weil es auf der Seite Caesars gestanden hatte. Vielleicht ist an Augustus gedacht, der den Provinzen große Erleichterungen bewilligte.

ANMERKUNGEN

Srr

9 Wahrscheinlich eine Anspielung auf den von den Rhodiern hochverehrten Sonnengott, den Lysippos auf einem Viergespann stehend dargestellt hatte. Dieses Werk war der Stolz der Rhodier (vgl. auch §93 u. Dio Cassius XLVII 33,4). 10 Dion denkt vielleicht an die Statuen ohne Inschrift (s. u.). 11 D. h. also an besonders ausgezeichneter Stelle. I~ Gemeint ist wohl: privaten. 13 Vgl. Her.I 15"9. 14 Zur ganzen Geschichte vgl. Paus. VI I I. 15 Nämlich den obersten Beamten. 16 Nero (vgl. Suet. Vit. Ner. 24). 17 Auf ihnen war der Wortlaut des Vertrages zwischen Rom und Rhodos festgehalten. Sie standen auf dem Kapitol in Rom (mit «Zeus» ist der Iupiter Capitolinus gemeint). 18 s. Anm.7. 19 Vgl. Philostr. Vit. ApolI. VIII 7 . •0 Wahrscheinlich Verwechslung mit Aratos von Sikyon. Als Führer des Achäischen Bundes bestach er nach Paus. II 8,6 den makedonisehen Kommandanten von Piräus und Salamis, die beiden Plätze auszuliefern. " Vielleicht Musonius Rufus (s. Einleitung S. XIV) . .. Vgl. Thuk. III 8. J3 Zwölfmaliger Sieger im Wettlauf (s. Paus. VI 13,4). Z4 Vgl. dazu die Rede des Demosthenes gegen Leptines, die Dion auch sonst benutzt zu haben scheint (Demosthenes' Hauptargument bei Dion § 133). '5 Das kleinere Geschenk ist die Steuerfreiheit, das größere die Ehrung durch ein Standbild. ~ Nach Plin.Nat. Hist. XXXIV 36 waren es 3000 . •7 Vgl. Tac.Ann.XV 4); XVI 23. z8 Wegen ihrer geistigen Beschränktheit verachtet (s. Plat. Theait. 209 b). Z9 Zwei berühmte Gymnasien in Athen. Indem einen lehrte Aristoteles, in dem andern Platon. 32

1 Frei nachII. 24,261; Od. 18,263f.; 11.16,262. • Aristoph. Ritter 42 f. 3 Eupolis fr. 217 K. 4 Serapis, der in Alexandreia seinen Haupttempel, das Serapeion,. besaß. 5 Gemeint ist der Nil.

812

ANHANG

Od. 11, 303f. 7 Menander fr. 404,6f. K. 8 Il. 17, 177 f. (leicht geändert). 90d·',99 ff. 10 Il. 2, I44ff. 11 Autor unbekannt; fr. 1324 K. lZ Vielleicht denkt Dion an Traian, zumal er §9,f. einen Besuch des Kaisers in Aussicht stellt. 13 Ähnlich Il. 9,6 f. 14 Fast wörtliche Wiederholung zweier Sätze aus § 30, wohin sie wohl allein gehören. 15 Aigis heißt der Schild des Zeus, den er Athene schenkte. 16 II. 2,489ff. mit Abänderung des letzten Halbverses. 17 An erster Stelle steht natürlich Rom. 18 Nicht alles sind homerische Wendungen (s. Od. 1,,1; 1',406). 19 Nicht im Kampf, sondern bei Wettspielen. 20 Vgl. Her. IV 76f. u. Diog.Laert.I 104. 21 Odysseus (s. Ode [2, 142 ff.). 22 Wohl eine Anspielung auf die in der Stadt stationierten römischen Besatzungstruppen (s. auch §7I). 23Vg1.3 1,162. '4 s. 27 Anm. 3. '5 Attribute der Bacchantinnen . 26 Vg1. Eur. Bak. 699f. 27 s. Eur. Bak. 7°9 . • 8 Traian. '9 Nämlich die Gesangsvirtuosen von Alexandreia. 30 Vgl. Her.I 24. 31 Die Kyniker, mit denen Dion hier die alexandrinischen Künstler wegen ihrer «hündischen» Musik auf eine Stufe stellt (s. §66). J1 Timotheos hatte den sieben gewöhnlichen Saiten vier weitere hinzugefügt, die er in Sparta auf Befehl der Ephoren wieder entfernen mußte (vgl. auch 33,57). 33 s. 3 Anm. 17. 34 Wahrscheinlich der Befehlshaber der römischen Besatzungstruppen. 35 Wohl von den Peitschen der Furien. 36 Od. 18, 406f. 37 Wagenlenker des Königs Oinomaos. Von Pelops bestochen, verhalf er ihm zum Sieg im Wagenrennen, indem er in den Wagen des Königs wächserne Naben einsetzte.

ANMERKUNGEN

813

Zeus. 19 «Pferdeverwirrer» (vgl. Paus. VI 20, "ff.). 40 Pasiphae, die Gattin des Minos und Mutter des Minotauros. 4' II. 23,J68ff. ' 42 II. 23,473 ff. 43 Vgl. dazu Od. 4, 499 ff. 44 D. h., vor lauter Begeisterung versetzt sich das Publikum in die Rolle des Wagenlenkers. 45 Der Dichter ist wohl Dion selbst. Die folgende Parodie besteht fast ausschließlich aus Iliaszitaten, wobei der komische Effekt durch überraschende Verknüpfungen und Beziehungen erzielt wird. 46 Eur. Hek. 607 (leicht abgewandelt). 47 Kaunos war wegen seines Sumpfklimas berüchtigt. 4B Typische Sklavennamen der griechischen Komödie, in der auch Herakles, meist als Vielfraß und Trinker, eine große Rolle spielte. 49 Eur. Herakles 947 ff. 50 Traian hatte wahrscheinlich eine größere Summe für öffentliche Bauten bewilligt. 51 Unbekannt. 5' Nämlich Mist (vgl. Aristoph. Frieden I ff.). 38

5311. 2, 21'f. Eur. Herakles 673 ff. (leicht verändert). Kultureller Mittelpunkt von Alexandreia. Der Name ist natürlich von den Musen abgeleitet. 56 Die Geschichte dürfte eine Erfindung Dions sein. 54 55

B

Sonst das Attribut Poseidons. • Vielleicht denkt Dion an 11. ",Hf. 3 Als Beispiel einer Themenauswahl zitiert (fr. 29,If.Snell). 4 Wahrscheinlich hätte er den Fall Troias gespielt. 5 Der Komödienschreiber Platon, nicht der Philosoph. 6 11. 2,246. 7 Od. '"Boff. 8 Od. 4, 244ff. Die Verse beziehen sich auf einen heimlichen Besuch des Odysseus in Troia (V. 246 «der feindlichen Männer»), während Dion sie auf die Heimkehr nach Ithaka lind die Freier (s. u.) umdeutet. 9 Tarsos wurde zur Hauptstadt erhoben, als Kilikien römische Provinz wurde. I

814

ANHANG

10 fr. 60, I f. D. 11 Vgl. 36. 13. u Od. 4,606. 13 Il. 24.5Hf. 14 ]1. 18.289. IS Il. 14.434. 16 Il. 22. 147ff. 17 ]1. 4. Hff. 18 Il. 20,227. 19 Il. 24,699. 20 Diese vier Städte Unteritaliens verloren ihre Bedeutung, nachdern sie im Zweiten Punischen Krieg von den Römern in Besitz genorn_ men worden waren. Jedoch übertreibt Dion auch hier wieder. 21 Wohl wegen der Ähnlichkeit mit dem getadelten Geräusch; jedoch ist die Stelle möglicherweise verderbt. 22. Od. 17,269. 23 Also eine Schnarcherin. Um die Tarser zu schonen. hiitet sich Dion • deutlich zu werden. 2' In Erinnerung an dieSelbstverbrennungdes HeraIdesauf dem BergOita. 2S Der Thraker Diomedes und der ägyptische König Busiris waren beide von Herakles erschlagen worden. 26 Angeblich der Gründer der Stadt. 27 Der Stoiker und Ratgeber des Augustus kehrte später nach Tarsos zuriick und reformierte die Verfassung der Stadt. 28 In Tarsos mischten sich griechische Elemente mit orientalischen. 29 Die Frauen von Lenmos ehrten Aphrodite nicht und wurden dafür bestraft (s. ApolIod. Bibl.! 9. 17)' 30 Mit Tarsos rivalisierende Handelsst.'idte (s. auch 34,10 u. 14). 31 Diogenes Laertios (VI] 173) erzählt diese Geschichte von dem Stoiker Kleanthes. der aber nicht aus Tarsos stammt. 32 Was bei des miteinander zu tun hat, bleibt unklar. 33 Vgl. 32.67. J4 Od. IO,239f. 3S Dichter unbekannt (fr. 965Page). 36 Ein Meergreis. der sich in Tiere und Pflanzen verwandeln konnte (vgl. Od. 4d64ff.). 37 Als die Gefährten des Odysseus die Rinder des Sonnengottes verzehrten (Od. 12, 394ff.). 38 Vgl. Il. 5,785f.

ANMERKUNGEN

81 5

34I Vgl. H,3 . • Wahnsinn galt unter Umständen als besondere göttliche Erleuchtung. 3 AugustuS. 4 Das kaisertreue Tarsos wurde im Jahr 4-2 von Cassius, einem der Caesarmörder, eingenommen. 5 Worum es sich im einzelnen handelt, ist unbekannt, jedoch ist der Fall sicher symptomatisch für das Verhältnis zwischen Tarsos und den Nachbarstädten (vgl. auch §4-5f.). 6 Wahrscheinlich eine Art Zunftbezeichnung Ciir die ärmste und rechtlose Schicht der Bevölkerung. 7 In vielen griechischen Städten die höchste Obrigkeit. S Gemeint ist wohl die Abhängigkeit von Rom und seinen I
I Vgl. '3,36 . • Gemeint sind die Kyniker. 3 Vgl. 12,1, u. 72,2. + Vgl. Plin. Nat. Hist.XI 18,. S YU[L\l6C;, das hier mit «halbnackt» wiedergegeben ist, heißt auch «leichtbewaffnet», deckt sich also etwa mit «Peltast» (<
816

ANHANG

15 Ähnlich steht die Geschichte Her.I1I 102-lo.\". 16

Vgl. 33,24.

So heißt also die Stadt (früher Olbia) und der Fluß (heute Dnjepr). Vgl. auch die Schilderung bei Her.IV .\"3. 2 Milet. 3 D. h., als durch die Begeisterung für Homer. 4 fr. 4 D (Ninos = Ninive). 5 H. 18, 228f. I

6

11. 4,362 f.

Hier und im Folgenden wird das Reich der Götter als das Reich der Sterne verstanden. Zum «Reigen der Sterne» vgl. auch etwa Plat, Tim. 40C. 8 Od. 8,223. 9 Er forderte ApolIon zum Bogenwettkampf heraus und wurde von ihm getötet (Od. 8, 224ff.). 10 Die Stoiker. II Hes. Theog. 100. !2 Vgl. etwa Hes. Theog. 22 ff. 13 Dion denkt an die Profanierung der Mysterien durch das Zurschau_ stellen in der Öffentlichkeit (<
ANMERKUNGEN

81 7

37 Aus inhaltlichen und stilistischen Gründen kann die Rede nicht gut von Dion sein: Der Autor bezeichnet sich selbst als Römer, der Griechisch erst gelernt hat (§ f.). Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Rede Favorinus zuzuschreiben, der unter Hadrian zu einigem Ansehen gelangte, dann aber wegen eines Fehltritts die Gunst verscherzte. Seine Begeisterung für die Griechen war ebenso groß wie seine Geschäftigkeit auf popularphilosophischem Gebiet. Die Aufnahme in Dions Werk hat die Rede vielleicht ihrer thematischen Verwandtschaft mit Rede 3 I (Beseitigung und Umbenennung von Statuen) zu verdanken . • Zur folgenden Ariongeschichte vgl. Her. I 23 f. Periander war Herrscher von Korinth und galt als einer der Sieben Weisen. 3 Diese Feststellung ist wichtig als Beweis für die Behauptung, daß die Korinther selbst Arion kein Standbild gesetzt hätten. 4 Heißt im Griechischen zunächst nur «Alleinherrscher». 5 Her. V 92. 6 Antiochos 11. 7 Mithridates VI. Eupator. B Pittakos, der ebenfalls zu den Sieben Weisen gerechnet wurde, entsagte freiwillig der Herrschaft, als er sein politisches Werk vollendet sah. o Herodot (VIII 94-) berichtet, daß Adeimantos, der Oberbefehlshaber des korinthischen Aufgebots, vor der Schlacht bei Salamis geflohen und erst nach dem Sieg der Athener wieder zurückgekehrt sei; dieser Version widersprächen allerdings u. a. die Korinther (vgl. Plut. de Her. malig. 39). 10 Od. 11,222 (hier «Seele» statt «Ehre»). 11 Den Werken des Daidalos sagte man diese Fähigkeit nach (s. auch Plat. Euthyphr. 11 c). 12 Bildhauer des,. Jh. 13 Briareus, der Poseidon den Isthmos, Helios Akrokorinth zusprach (s. Paus. II 1,6). 14 Als Sohn des Nordwindes Boreas war er geflügelt. 15 Davon ist sonst nichts bekannt. Hippias wurde durch den Spartaner Kleomenes zugunsten des Isagoras aus Athen vertrieben, Kleomenes selbst konnte sich als Gegner der Demokratie in Sparta nicht halten. 16 Diese Gebiete widersetzten sich eine Zeitlang dem Nikiasfrieden (s. Thuk. V '7 f.). I

2,

818

ANHANG

Plut. de Her. malig. 3ge. 18 ebd. 39f. 19 Timoleon vertrieb die Karthager aus Sizilien und befreite Syrakus von der Hen'schaft des Dionysios 11. '0 Dieses Standbild der berühmten Hetäre schreibt Pausanias sogar Praxiteles zu. " Anspielung auf den berühmten Aphroditekult in Korinth, der hier im Zusammenhang mit dem Vergehen des Redners gesehen wird. Favorinus soll die Frau eines Konsuln zum Ehebruch verleitet haben . .. Also in Rom (wahrscheinlich unter Hadrian). '3 Zitiert auch Plat. Phaidr. 264d. 24 Anthol. Pal. VII 304, 1 f. 'S Ein gleichsam in verschiedene Richtungen tendierendes Metrum (-uu-). So stellt auch der Dichter der Inschrift eine andere Person dar als der Bildhauer, der die Statue geschaffen hat . • 6 Lat. Aenobarbus (<<Erzbart») : Beiname in der gens Domitia. '7 Ihre Statuen standen auf der Agora von Athen, bis sie 480 bei der Zerstörung der Stadt von den Persern mitgenommen wurden . • 8 318-3° 8 im Auftrage eines makedonischen Diadochen Statthalter von Athen. Die hier angegebene Zahl seiner Statuen ist sichel' Über. treibung; nach der allgemeinen Überlieferung waren es 360. '9 Auch das ist eine grobe Entstellung: Philipps Haltung Athen gegen. übel' war außerordentlich milde und nachsichtig. 30 Poseidon. Der Konsul Mummius ließ nach der Einnahme von Korinth eine Menge Kunstschätze nach Italien bringen. 31 Der stets hinkend dargestellt wird. 3' Prometheus bildete den Leib des Menschen aus Ton und blies ihm dann das göttliche Feuer als Seele ein. 33 Il. I, 156 (hier allerdings zwischen Phthia und Troia). 34 Vgl. Her.I1I 16. 3S Anaxarchos, ein Philosoph am Hofe Alexanders, hatte den Herrscher von Kypros, Nikokreon, beleidigt (s. Diog. Laert. IX 58 ff.). 36 Weil sie dabei nicht ausgezogen wurden. 37 fr. 655 N. 38 Vgl. Her. IV 13 ff. 39 fr. 59 D. 40 Erg. ]63 f. 17

1

2

Also eine Art diplomatischer Beziehungen. Offensichtlich die Prokonsuln von Bithynien.

ANMERKUNGEN

819

39 1 Beide Bilder finden sich schon 38, 15 f. und beweisen die enge Zu-

sammengehörigkeit beider Reden (vgl. auch das Gebet am Schluß). 40 1

2 3 4

5

6 7

8 9

10 11

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13 14 15

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20

Es handelt sich offensichtlich um ein größeres Bauvorhaben in Prusa, für das Dion finanzielle Unterstützung zugesagt hat (s. auch § 5 ff. u. 45,12 ff.). Ein Brief Nervas (s. 44,12) oder - wahrscheinlich - Traians (s. Anm·9)· Wo die Volksversammlung tagte. Wohl um das Baumaterial an Ort und Stelle zu prüfen und auszusuchen. Vgl. auch 47,11. Wahrscheinlich bei einer Inspektion der ihnen untergebenen Städte. Bei dem vom Redner projektierten Bau handelt es sich um eine Säulenhalle, die an der Stelle der alten Schmiede zur Zierde der Stadt errichtet werden soll (s. auch 47,19). Domitian. Traian, dem bei der Thronbesteigung auch von Prusa gehuldigt worden war. In Smyrna wurden zwei Göttinnen dieses Namens, die auch auf Miinzen abgebildet waren, verehrt. Dion, der Sprecher der Gesandtschaft, bekam einen Rat von 100 Mitgliedern bewilligt (s. 45,7). Gedacht ist wohl an Dions gute Beziehungen zu Nerva und Traian. Apameia (vgl. Rede 41). Dion ist eben erst aus Rom zurückgekehrt. Also durch eine weitere Gesandtschaft, wahrscheinlich nach Rom. Frei nach Il. 20,252-255. Das war wohl der I-Iauptanlaß für die Gesandtschaft nach Rom. Eigene Gerichtsbarkeit bedeutete einen gewissen Grad von Unabhängigkeit (s. § 10) und brachte auch matericiJe Vorteile mit sich (s. 35,15 ff.). Offenbar ist eine neue Gesandtschaft nach Rom geplant, eben jene, an der Dion nicht teilnehmen will (s. § 25). Zu den im Folgenden vorgetragenen stoischen Gedanken vgl. 36, 39 ff. Die Rede ist offensichtlich unvollendet.

820

ANHANG

41 Gemeint ist die Heimkehr aus der Verbannung (vgl. 40,16). • Die andere Stadt ist Prusa. 3 Vgl.40 ,8f. 4 Am ehesten ist wohl an Claudius zu denken. S Vielleicht sind sie in Apameia geboren, wo sich die Familie mögli_ cherweise während Dions Verbannung aufhielt. Vgl. 40,25. 7 Wahrscheinlich Traian. Vgl. 40, 17f. 9 Apameia ist als römische Kolonie gegründet worden. 10 Zur ganzen Stelle vgl. 40, 2of. u. 27. II Zufällige Begegnungen galten als gutes oder schlechtes Vorzeichen (s. auch 4°,3 I). 1

1

Plat.Apol. 26d. 43

Zu Dions Bemühungen um eine eigene Gerichtsbarkeit und zur Verschönerung der Stadt vgl. Rede 40. • Vor der Volksversammlung. 3 Die ganze Stelle zielt wahrscheinlich auf Bassus, den Prokonsuln von Bithynien, oder auf einen anderen höheren Verwaltungsbeamten, gegen dessen Übergriffe Dion die Stadt in Schutz genommen hat. 4 Wahrscheinlich ist die Reise nach Rom zur Beglückwünschung Traians gemeint (s. 40, 13 ff.). Auch die jetzt geplante Reise gilt wohl Rom, um dort etwas wegen Bassus zu unternehmen. S D. h. also, daß Dion nicht aus persönlichen Gründen die Reise uno ternimmt (s. Anm.4). 6 H. 1,1~"47 Vgl. Plat. Apo!. J2 cd. 8 Vgl. Xen.Mem.I 2>32. 9 Fast wörtlich nach Plat. Apol. 24b. 10 So hießen im 5. Jh. ganz allgemein die mit Athen verbündeten Städte. II Wahrscheinlich Bassus. IZ Das Ganze ist offenbar gedacht als Einleitung zu einer großangelegten politischen Rede. 44 1 Od. 9,34. • Zu Dions Großvater s. 41,6; 44,5; 46,3 f.; 5°,7. 1

ANMERKUNGEN

82I

Offensichtlich Leute, die den Vorschlag, Dion zu ehren, unterstützten. + Vielleicht Nerva, der Dion aus der Verbannung zuruckholte und nach Rom einlud. 5 Vgl. 40033 u. 45,7. 6 Aus 4,,2 ff. geht hervor, daß der Adressat wohl Nerva war. - Auch diese Rede ist lediglich eine Einleitung für einen größeren Zusammenhang. 3

4, Domitian . • Nerva, der Nachfolger Domitians, starb 98 nach nur zweijähriger Regierungszeit. 3 Gedacht ist an den Rat der Hundert, eigene Gerichtsbarkeit usw. (s. 40, [3 ff.). + Bei der Gesandtschaft zu Ehren Traians. 5 Dion hatte eine Menge Neider (s. u.); auch waren nicht alle mit dem in Rom Erreichten zufrieden (s. 40, [3 ff.). 6 Wahrscheinlich ist Smyrna gemeint (s. 40, [4). 7 So hießen die Leute, die die Einweihungen in die Mysterien vornahmen. Wie manches andere in der Rede bleibt auch diese Stelle unklar. Vermutlich fand eine Art Vorwahl der Ratsmitglieder statt, aus der sich Dion heraushielt. Vgl. 40,8ff. u. Rede 47. 9 Vgl. 40,6. I

[ Das wegen einer Teuerung aufgebrachte Volk von Prusa hatte versucht, Dions Haus anzuzUnden; offenbar richtete sich der Haß gegen ihn, obwohl er mit der Sache nichts zu tun hatte. • Vgl. 44". Dadurch muß das Legen eines Brandes unmöglich gewesen oder zumindest stark erschwert worden sein.

3

47 Vgl. 11. ,,638ff. • Eurystheus, König von Mykene. der ihm die zwölf Taten auferlegte. 3 Theben ist die Geburtsstadt des Herakles. + ApolIon hatte in Klaros bei Kolophon eine berühmte Orakelstätte. 5 Polykrates. 6 Od. 1.57 ff. 7 Sokrates (vgl. Plat. Krit. ,2 a-d). I

28

ANHANG

822

So war Dion von seinen Gegnern offenbar betitelt worden. 9 Thessalien war bekalmt wegen seiner Zauberei. Hier ist wohl an das Erstreben von Unmöglichem gedacht. 10 Beide Orte waren 348 von Philipp zerstört worden. \! Bei den Griechen Zeichen zur Aufgabe des Kampfes. 12 Vg1.4 o ,Sf. 13 Auch 40,5 wird ein Brief erwähnt; er ist wohl identisch mit dem hier vorgelesenen (s. 40 Anm. 2). 8

14

Vgl. 6,3711. S7,

15

Nämlich der von Dion geplanten Säulenhalle. Es handelt sich offenbar um die Verlegung v.on Grabstätten beim Ausbau der Stadt. So genannt wegen ihrer Wandgemälde. Treffpunkt der Stoiker, denen sie den Namen gab (Stoa = Halle). Nach Pausanias (III ",6) war sie aus der Kriegsbeute der Perser_ kriege errichtet worden. Od. 10,38f. Vielleicht ist an Tiberius zu denken. Wohl ironisch zu verstehen.

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18

IQ

20 21

J 2.

48 1

2

3 4

5

6

7

8 9

Der neue Prokonsul der Provinz Bithynien und Nachfolger des Iunius Bassus hielt sich gerade in Prusa auf und war zur Volksver_ sammlung geladen. Gemeint sind die Leute mit staatlichem Besitz (s. §9f.). Vgl. Anm.2. Vgl. auch 39,7 u. 40,2. Dion meint, die Uneinigkeit der Nachbarstädte könne auf Prus. übergegriffen haben. Dion vel·teidigt die Männer, denen, wahrscheinlich il11 Zusammenhang mit den verschiedenen Bauvorhaben in Prusa, öffentliche Mittel anvertraut worden waren. Wie die Erleichtemngen, die Dion bei Traian für Prusa erreicht hat (Rat der Hundert, Finanzreform). Vgl. 36,22 ff. Höchster Beamter in der Regierung der Stadt. 49

1 2

Diese antike Tradition ist chronologisch nicht gut möglich. Vgl. 36,41.

ANMERKUNGEN

82 3

Vgl. 35,22. 4 Vgl. Caes. Bell. GaU. VI 13 f. s Die unmittelbar bevorstehende Reise, wahrscheinlich nach Rom. Dion ist offensichtlich vom Rat als Kandidat aufgestellt worden. Vor der endgültigen Wahl konnte vermutlich eine «Prüfung» stattfinden, auf die man aber in Dions Fall verzichtet hätte. 3

50 1 Der Rat, der ursprünglich 500 Mitglieder hatte, wurde, als Athen wuchs, auf 600 erhöht. z Vgl. 43,7. 3 Aus dem Schluß der Rede muß man schließen, daß er sich anschickt, das Amt des Archonten zu übernehmen (vielleicht, nachdem Dion selbst es ausgeschlagen hatte; s. Rede 49). 4 Vgl. 49, 14f. s Domitian (vgl. 45, I). Bei welcher Gelegenheit, ist unbekannt. 7 Er muß wohl eine wichtige Funktion im Rat gehabt haben, so daß man vermuten konnte, er sei das Werkzeug seines Vaters. 8 Durch Bevormundung des erwachsenen Sohnes. 51 1 Diodoros, von dem wir sonst nichts wissen, scheint soeben einen wegen seiner Verdienste um die Epheben (§ 8) mit dem Amt eines Vo I kserziehers betrauten Bürger (§ 6) gepriesen zu haben. z Eur. Phoin. 392. 3 PerU
ANHANG

fr. 2 I D. Vor allem Pol. 595b u. 607a. J Pol. 378bff. 4 Pol. 386a-387c. s Pol. 4' 3'1. 6 5.7 Anm. 20. 7 Pol. 396 b. 8 Pol. 398a. 9 Nach ihnen teilte Thukydides sein Werk ein. 10 Od. '9, 178f. (vgl. auch 4,40). I

2

54

I Protagoras, auf den das Gesagte aber nicht zutrifft. Plat. Hipp. Maio\" 283 a findet sich fast der gleiche Satz, aber auf Anaxagoras bezogen. 55

Theog. 22 f. 2 Vgl. Plat. Apol. 2 I a. 3 Archilochos hat auch Tierfabeln geschrieben (5. auch 74, 15). 411. 10,299ff. s 11. 4,86 ff. 6 11. 7,35' f. 7 11. 5,290ff. 8 11. 5,209ff. 911.12,II2ff. 101l.12,60ff. II 11. 12, 21Off. 12 11. I, 247 ff. IJ 11. 9,96ff. 14 11. 2, 182 ff. 'S Od. 17,445ff. 16 Od. 2 I, 17 S ff. I

'fr.28IK. Eine Anspielung auf die homerische Wendung «Völkerhirte». J Von Pleistarchos, dem Sohn des Leonidas. 4 Vgl. Xen.Hell.IV 2, I ff. S 11. 7, 325 ff. 2

ANMERKUNGEN 611. 2,363. 7 JI. 2, 16ff. s IJ. 2,Bf. 9 Er forderte Brise!s, die schöne Kriegsgefangene des Achilleus, als Ersatz für Chryseis, die er hatte hergeben müssen (s. 11. Buch I). 10 JI. 9, I06ff. JI JI. 9, 114ff. 57 1

JI. 1,260-268 u. 273f.

• 11. I, 269f. 3 Nach der stoischen Lehre besteht (wie schon bei Sokrates) ein enger Zusammenhang zwischen sittlichem Verhalten und Wissen (Vernunft). 4 H. 9,646. 5 H. I, 247ff. 6 Nicht ganz verständlich, denn die Akademie und das Lykeion, die Schulen von Platon und Aristoteles, lagen an den entgegengesetzten Enden der Stadt; zudem hielt sich Sokrates mit Vorliebe im Lykeion auf. 7 Gemeint ist wohl Traian. - Auch diese Rede ist wie die vorhergehende als Auftakt zu einem größeren Vorhaben zu verstehen. Gleichzeitig ist die Verteidigung Nestors gegen den Vorwurf der Prahlerei Dions eigene Verteidigung gegen einen - zumindest möglichen ähnlichen Vorwurf. S VgJ. Her.! 114. 9 VgJ. 6 Anm.9. 58

1 Eine Anspielung auf Cheirons Kenntnisse in der Heilkunde . • Achills Mutter war eine Nereide. 3 So heißt Achilleus in der lIias. 4 Anspielung auf die Mißhandlung der Leiche Hektors. 5 Paris, der Achilleus durch einen Pfeilschuß (s. Eingang der Rede) tötet. 59 1 Das Ganze ist eine mit starken metrischen Anklängen durchsetzte Prosawiedergabe des Prologs von Euripides' Philoktet (vgl. auch Rede 52). • Vgl. Fr. 787 N. 3 Vgl. Fr. 788 N.

826

ANHANG

Vgl. rr. 789 N. 5 Philoktet. 6 «Argeier» und «Achaier» werden hier wie bei Homer gleichbedeu_ tend gebraucht. 7 Nach dieser Version wurde Philoktet von der Schlange, die den Altar Apollons bewachte, gebissen. 8 Vgl. rr. 790 N. 4

60

1

2

3

Herakles hatte im Zweikampf mit Acheloos Deianeira als Gattin errungen. Als sich Nessos an ihr vergreifen wollte, erschoß ihn HerakIes. Sterbend gab er ihr den Rat, sein Blut aufzufangen, da sie sich mit diesem Mittel Herakles' Liebe werde versichern können. Als Herakles mit der jungen lole von einem Kriegszug zurückkehrte schickte sie ihm ein mit dem Blut des Nessos bestrichenes Gewand, d~ sich sofort brennend in seinen Körper fraß. Um der Qual ein Ende zu machen, ließ sich Herakles auf dem Oita verbrennen. - ZUlU Ganzen vgl. Sophokles' «Trachinierinnen», für die Werbung des Flußgottes Acheloos V. 9 ff., für die Nessosgeschichte V. S H ff. Der Kentaur Pholos bewirtete Herakles bei dessen viertem Abenteuer, der Jagd auf den Erymanthischen Eber, in seiner Höhle, als sich ein Kampf mit anderen Kentauren entspann. Wie auch das Folgende eine freie Erfindung Dions im Zuge seiner Rationalisierung und Moralisierung des alten Mythos.

2

11. 11.

3

H. 2,477f.

1

I, 113 I,

ff.

12 ff.

411. 19,291 ff. Nach dem Raub der Helena durch Theseus und Peirithoos. Klytaimnestra erschlägt Agamemnon (und Kassandra, s. § I S) bei seiner Heimkehr. 7 H. 1,29ff. 811. 10348. 9 11. 1,446 f. 10Il.I,22f. 5

62 1

2 3

Nämlich er selbst. Wahrscheinlich ist Traian angeredet (vgl. Rede Asien.

1

u. 3).

ANMERKUNGEN 63 I

2

3

Wohl im Zusammenhang mit der Harpalosaffäre. Dieser hatte als Schatzmeister Alexanders des Großen Gelder veruntreut und war nach Athen geflohen, wo er mehrere Beamte, darunter auch Demosthenes, bestach. Vgl.ll. 10,173. I-!erakles kämpfte mit dem stiergestaltigen Flußgott bei der Werbung um Deianeira (vgl. 60, I). Im Tausch für das abgebrochene Horn bekam er das Füllhorn der Amaltheia, das stets mit guten Gaben angefiill t war. 64

Aus stilistischen und sachlichen GI·iinden (Monotonie, zahllose mythologische und historische Anspielungen 1I. a.) ist die Rede kaum Dion zuzuschreiben (vgl. Einleitung S. XVII). Sie stammt eher von Favorinus (s. Anm.1 zu Rede37). !hreAufnahme unter Dions Reden erklärt sich wohl durch ihren Gegenstand, den sie mit den Reden 63 und 6S gemein hat. An wen sie gerichtet ist, läßt sich trotz § 12 f. nicht feststellen. 2 Pantheia beging Selbstmord, als ihr Mann, ehemals König von Susa, gefallen war. J Atys wurde bei der Jagd aus Versehen vom Speer eines Gastfreunds des Kyros getroffen (vgl. Her.! 34ff.). 4 Astyages wurde von Kyros, seinem eigenen Enkel, entthront (vgl. Her.! 107ff.). 5 Er wurde von dem Perser Oroites gefangengenommen und geh·euzigt (vgl. Her.III 120ff.). Kyros fiel im Kampf mit der Massagetenkönigin Tomyris (vgl. Her. I 20Sff.). 7 Sein Wunsch, daß alles, was er berühre, zu Gold werden möge, ging in Erfüllung: Midas konnte nichts mehr essen und trinken. Phaidra, in Liebe zu ihrem Stiefsohn Hippolytos entbrannt, bezichtigte ihn der Leidenschaft zu ihr. 9 Alkmaion hatte wie Orestes seine Mutter erschlagen und wurde deswegen von den Erinyen verfolgt. 10 adesp. fr. 124 N. 11 Vgl. 63,7. 12 Vgl. 62, sf. 13 Kyros d. Ä., der Gründer des Perserreiches, besiegte den Mederkönig Astyages. I

ANHANG 14 Um in Griechenland einzufallen. Die Perserkriege endeten mit einer Niederlage der AngreifeL·. IS Sardes, die Hauptstadt des Lyderreichs, wurde 547 (wohl erst etliche Jahre nach Solons Besuch) von Kyros erobert. 16 Eur.fr. 157 N. 17 Tellos bekam von Solon ll. a. deswegen, weil er rechtschaffene Kinder hatte, den ersten Preis der Gllickseligkeit zugesprochen (vgl, Her. I 30). 18 Herapriesterin von Argos, die in Ermangelung von Zugtieren von ihren Söhnen Kleobis und Biton zum Heiligtum gezogen wurde (vgl, Her.I3 1). 19 Aiolos hatte sechs Söhne lind ebenso viele Töchter, die glücklich miteinander verheiratet waren (vgl. Od. 10.5 ff.). 20 adesp.fr. 125 N. 21 Vgl. 63,7. 22 Zum sorgenfreien Leben der Kyklopen vgl. Od. 9. 108ft·. 23 Jeweils die Patrone der genannten Berufe. 24 Hes. Erg. 6 f. 2S Den Blitz. 26 fr. 92 I N wie all eh das folgende Zitat. 27 Sagt Poseidon, nachdem das Floß des Odysseus zerschellt ist (Od. 5, 377f.)· 28 Weil Poseidons Zorn Odysseus letzten Endes nichts anhaben konnte. 29 Der Euripos war wegen seiner unberechenbaren Strömungen gefürchtet. 30 Beide Städte galten als Inbegriff des Wohlstands. 3[ Die Skythen waren ein Nomadenvolk. 32 Ägypten war die Kornkammer des Mittelmeerrallmes. 330d·4,85. 34 Il. 9,383f. 35 Od. 6,162 von der ApolIon heiligen Palme. 36 Od. 9.27 von Ithaka. 37 adesp.fr. 340 K wie auch die vier folgenden Zitate. 38 Lysandros besiegte 405 die athen ische Flotte bei Aigospotamoi am Hellespont. 39 Am Ende des Peloponnesischen Krieges wurden sie geschleift. 40 Die Zitate beziehen sich wahrscheinlich auf Athen. Zum Schluß wird allf die große Pest von 430 angespielt sein. 41 Sthenelos (5. 11. 4,405 ff.) . .. Als Beispiele für die betrügerische Seite des Glücks.

ANMERKUNGEN

829

Vgl. 37, '9. 44 Er wurde einem Orakel gemäß von den Spartanern erschlagen (vgl. Plut. Vit. Pelop. 2'). 45 Ein Günstling Alexanders; zu seinem Ende s. 37,4,. 46 Diogenes. 47 Gründer der Kynischen Schule und Lehrer des Diogcnes. 4B Er wurde verleumdet und floh nach Euboia, wo er umkam. 49 Angrammes, den Quintus Curtius «Sohn eines Barbiers» nennt (IX 2,6f.) SO Gyges (vgl. Plat. Pol. H9Cff.). 5' Semiramis. S' Deianeira (vgl. Rede 60). 53 Das bedeutet wohl, daß Alexander vergiftet worden ist, was aber mit der Tradition nicht übereinstimmt. 54 Vgl. Plut. Vit.Alex. 28,2. 55 Beinamen verschiedener Diadochenkönige. 56 Er war also kein Gott. 57 Er war also kein Adler. sB Amphion spielte so schön auf seiner Leier, daß sich die Steine von selbst zur Mauer von Theben fügten. 59 Er baute zusammen mit Poseidon im Dienste des Laomedon die Mauern von Troia. 60 Nach Her. I 84 war Sardes überall da uneinnehmbar, wo der König den Löwen herumgeführt hatte. 61 Demosth.Olynth. 2,22. 62 Sohn des Herakles und der Athenepriesterin Auge; zur Strafe wurde sie mit ihrem Kind ausgesetzt. 63 Romulus und Remus. 64 Pindars Aussetzung ist natürlich Legende. Dem Schlafenden soll eine Biene Honig auf die Lippen geträufelt haben. 65 Die Frau des Retters hieß Spako, nach Her. I I 10 die medische Form für das griechische Wort «Hund». 66 Sicher ist an Hannibal gedacht. Nach Liv. XXIII 12 war es sein Bruder, der nach der Schlacht von Cannae die Ringe in Karthago vorzeigte. - Als er den Römern ausgeliefert werden sollte, vergiftete sich Hannibal. 67 H. 7,171 f., als der Gegner für den Zweikampf mit Hektor bestimmt werden soll. Aias, den das Los trifft, bleibt Sieger. 43

6B

H. 2405.27.

69 Die Schönheit seiner Frau brachte Kandau les den Tod (vgl. Her .17 ff.).

ANHANG Dem wegen der Erschlagung seines Bruders flüchtigen Peleus brachte Hephaistos ein Schwert, damit er sich gegen die wilden liere wehren könne. 7I Nur 11.8, I92f. erwähnt. 7Z Eine goldene Locke machte ihn U11besiegbar. 73 An ihr hing sein Leben. 70

66

Nämlich als Sklave. 2 Wo auch öffentliche Akte vorgenommen wurden. 3 Eine Anspielung auf den Olivenkranz, den der Sieger im Wettkampf bekam. + Bei den Isthmischen Spielen war der Preis ein Fichtenzweig. S s. 13 Anm. 6 Vielleicht ist an Nero (<
I,.

8

11.

10, 13.

Nach Od. 9,8 ff. 10 Od. 10, Iof. von den Söhnen des Aiolos, die bei ihren Gattinnen schlafen. 11 Als Geschenk für den Geliebten. 12 Od. 18, I f. Der Bettler heißt Iros. 13 Er galt als erdgeboren. 1+ Der häßlichste und zugleich prahlerischste Gdeche vor Troia. IS Sagt Diomedes 11. I 1,389 f., als Paris ihn mit einem Pfeil verwundet hat. 16 Der kynische Wanderprediger war wegen seines derben Humors berühmt. [7 Vgl. Xen. Symp. I I, I 1 ff. 18 Zur ErproblUlg der Echtheit. 9

67

I Im Griechischen lautet die Überschrift der Reden 66-68 gleich. Für die Übersetzung wurde von den verschiedenen Bedeutungen von 86~1X jeweils die dem Inhalt am ehesten entsprechende gewählt. 2 S.7 Anm. 20. 3 Die Riesen Otos und Ephialtes. 68

I Vgl. 67 Anm.

I.

Meinen ist hier der Gegensatz zu Wiss.!n.

ANMERKUNGEN

71

1 Vgl. Plat. Hipp.Min. 368 b-d. 2 Od. 23, 184ff. 3 Od. S, 234ff. 4 Od. 24d36ff. 5 Od. 18d6,ff. 6 Od. l,dl9ff. 7 Die athenischen Jungen und Mädchen, die regelmäßig nach Kreta geschickt werden mußten, um dem Minotauros als Fraß vorgeworfen zu werden. Die Gattin des Minos entbrannte in Liebe zu einem Stier und gebar den Minotauros (vgl. 21,4). 911. ,,62f. 10 Skamandrios 11. ,,49 ff. II Nero. lZ s. 28 Anm. 2. IJ Wohl eine Art Dudelsack. 14 Athene wurde von Aphrodite verspottet, weil die beim Flöten aufgeblasenen Backen ihrer Schönheit abträglich seien. 72 I

2

3 4 5

I

2

3

4

5

6 7

S

Damit man besser arbeiten kann. Wie aus dem Folgenden hervorgeht, scheint die Rede in Rom gehalten zu sein. Wohl ein Sprichwort. D. h. also mit Bart und einem locker herabfallenden Obergewand. Vgl. 12,7f. 73 Dionysios I. Von Dionysios I. verbannt, von dem jüngeren Dionysios aber nach Syrakus zurückgerufen. Vgl. Her.llI 61ff. Nach Herakles' Tod suchten sie Zuflucht in Athen aus Furcht vor Eurystheus. Vgl. Od. 3, 267f. In der Schlacht von Marathon. Diese Staatsschuld des Vaters libertrug sich bei dessen Tode automatisch auf den Sohn. Der Adressat ist unbekannt.

832

ANHANG

Nach Eur. fr. 184 N. In der«Antiope» stellt Euripides den Gegensatz zwischen dem praktischen Zethos und dem musischen Amphion dar. 10 Eur.fr. 188,6 N. 9

74

Epicharm fr. 250 (Kaibel). «Glieder»: das, was den «Geist» gleich_ sam zusammenhält. • Eur.Or. 253 f. 3 Aus Od. 3,290 u. H. 13,799 zusammengesetzt. 4 Oidipus und lokaste. 5 Vgl. 64 Anm. 8. 6 H. 24,544f. (vgl. auch Rede 33,19). 7 Paris. 8 Drei berühmte Ehebrecherinnen. 9 Il. 3, 24,\"ff. u. 4, 86ff. 10 Xen.Anab.II 3,26ff. «Königliche GötteI'», weil beim Vertragsschluß geopfert wurde. 11 Vgl. Plut. Vita Lysand. 8,4. I. Aus einer Fabel des Archilochos (vgl. 55 Anm. 3). 13 Vgl. Her. VI 86. 14 Frei nach Arat, Phain. 2 f. 15 Weil der bei Athene und ApolIon geleistete Eid Glaukon und Pandaros nichts nützte. 16 Od. 2 1, 28 f. Allerdings wurde nicht EUl'ytos, sondern sein Sohn Iphitos von Herakles erschlagen. 17 Od. 11,6°3_ .8 Lykambes, der Archilochos seine Tochter versprochen, aber nicht gegeben hatte, wurde ein wichtiges Ziel des angriffslustigen Dichters. '9 H. 2 1,76 • • 0 Il. 21,78f. • 1 Od. 4,535 u. 11,411. .. Od. 11,42Sf. '3 Sehr frei nach Od. 11,441-443. '4 Eur.Hipp. 616f. I

25

11. 16,359ff.

• 6 H. 9,64°. Aias, nicht Odysseus spricht diese Worte in Achills Zelt. '7 Wohl unser «Hinz und Kunz».

I Aus Pind.fr. 169 (SneIl). • Als Preise für einen Sieg bei den Olympischen «<Ölbaum»), Ne-

ANMERKUNGEN me ischen «(Eppich») und Isthmischen «(Fichte») Spielen oder für öffentliche Verdienste «(Olivenkranz»). 3 Vielleicht: &.v1jp &.y<x.&61; eat'tv «(der Mann ist gut»), eine bei öffentlichen Ehrungen häufige Wendung. 4 Von Seeräubern.

1 Vgl. Her. VII 131 ff. 77.7 8

1 In manchen Handschriften beginnt bei § I r; eine neue Rede mit demselben Titel, während andere nur § 1-14 überliefern. Auch Photios (s. Einleitung Anm. 24) zählt zwei Reden. 2 Vgl. Hes. Theog. 22 ff. 3 Hes.Erg. 2r;. 4 Wo die griechischen Stämme regelmäßig zusammenkamen. Hes.Erg. H8. Vgl. Her.III 12r; u. 129ff. , Od. 17,423. Griechische Athleten, deren Statuen in Olympia standen (vgl. Paus. VI r; u. 10, I). 9 Vgl. Hes. Theog. t;7off. u. Erg. Hff. 10 Um den Feind einzuschüchtern. II n.8,2Hf. 12 s. 7 Anm. 26. 13 Vgl. 31.23 u. Her. V 101. 14 Zum Ganzen s. Her. VI 12r;. 15 Wohl als Art Pantomime. SemeIe starb bei der Geburt des Dionysos. 16 Ähnlich wie die Boiotier galten auch die Megarer als beschränkt und dumm. I7 Od. 10,212 ff. ist lediglich von Menschen die Rede, die Kirke in Löwen verwandelt hat. Die moralische Interpretation ist Dions eigenes Werk. 18 Die Vernunft. 19 Im Gegensatz zum freien Philosophen, der sein Haar lang trug. 20 JI. 12,267. 21 Ephialtes, der die Perser bei den Thermopylen durchs Gebirge in den Rücken der Spartaner führte. 22 Vgl. 60 Anm.1 u. Soph. Tl'ach. 1046ff. 23 adesp.fr. 126 N. 29

ANHANG 79 2

3

4

5

7

8 9

Korinth wurde 146 v. Chr. von den Römern zerstört. Vor allem der mit grünen Streifen durchzogene karystische Marmor von Euboia wurde in der römischen Kaiserzeit gern verwendet. Vgl. Her. III 23. Im heutigen Georgien. Die Völker, deren exotische Produkte eingefiihrt werden. Bernstein. Nach Her. VII 63 die griechische Bezeichnung für «Assyrer». Susa war die wichtigste Residenz der persischen Könige. Wahrscheinlich denkt Dion aber an die «Hängenden Gärten» der Semiramis in Babyion. 80

1 Wenn das Volk zusammenströmt, um Dion zu hören. 2 Vgl. Plut. Vit. So!. 1,,2. 3 Vgl. Stesichoros bei Plat. Phaidr. 243a. 4 Im Gegensatz zu § 1. 5 Od. 8,331 u. 280. 6 Nach dem Zusammenbmch der Sizilisehen Expedition wurden die gefangenen Athener in die Steinbrüche von Syrakus geworfen (vgl. Thuk. VII 86f.). 7 Eine Schlucht nahe bei Sparta, in die Verbrecher hinabgestürzt wurden (vgl. Thuk. I 134)' Auch bei Ktesias, dem Leibarzt Artaxerxes' 11. und Verfasser der «Persika», erwähnt. 9 Wahrscheinlich aus einer Danae-Tragödie (vgl. 77.7803 I). 10 Ariadne. 11 Gemeint sind wohl die folgenden allegorischen Szenen im Anschluß an die Wendung «Dichter eurer privaten Tragödien», der von den betreffenden Akteuren abgelehnt, von den Zuschauern aber gelobt wird. 12 Od. 20,3°2. 13 Hes. Erg. 39 u. 264 heißen die Könige «Geschenke fressend» (Ausdruck ihrer Bestechlichkeit). 14 Astyages, der letzte König der Meder, wurde von Kyros - nach Her. I 107 ff. seinem Enkel - entthront. IS Als Zeichen des Beifalls. 16 11. 2 t, S9 S ff.

ANMERKUNGEN Loh des Haares Dieses Enkomion findet sich im «Lob der Glatze», einem rhetorischen Scherz des Neuplatonikers Synesios (s. Einleitung S. VII), als vollständiges Zitat. «Es ist ausgefeilt, und seine Schönheit bleibt im Gedächtnis haften», so daß Synesios es auswendig zitieren kann. • Vgl. Her. VII 208. 3 Il. 2,478 f. 4 Die Bedeutung des Wortes EALl<wlj! ist unsicher (nach den Alten «dunkeläugig»). 5 H. I, 197 (Athene, um Achills Zorn zu mäßigen). 6 Häufiges Epitheton des Menelaos (z.B. H. 17,5]8). 7 H. 22,40If. 1

8

11. 17, SI f.

9

Od. 16, 176; allerdings ist hier vom Bart die Rede. Od. 6,2 3of. H. I, S29.

10

11

LITERATUR Das folgende Verzeichnis stellt nur eine Auswahl aus dem Schrifttum zu Dion dar. Über weitere Literatur aus den Jahren 1889-1938 orientieren die Fachberichte über Dion und die Zweite Sophistik in Burisans «Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft» Bd_ 96 (K. Praechter), 108 (W. Schmid), 129 (ders.), 149 (K.Münscher), 170 (ders.), 211 (E_Richtsteig), 238 (ders.), 272 (K.Gerth).

Ausgaben Dionysius Paravisinus, Mailand 1476 (editio princeps, verloren). Franciscus Turrisanus, Venedig I H I (1). F.Morel, Paris 1604. J.Reiske, Leipzig 1784. A. Emperius, Braunschweig 18«. L. Dindorf, Leipzig 1857 (Teubner). H.v.Arnim, 2 Bde., Berlin 1893/96 (Neudruck 1962). G. de Bude, 2 Bde., Berlin 1916/19 (Teubner). J. W. Cohoon-H. L. Crosby, 5 Bde. mit englischer Übersetzung, London 1932-1951 (The Loeb Classical Library).

Übersetzungen T.Naogeorgius (Kirchmaier) , lateinisch, Basel 15H, Venedig 1585. K.Kraut, deutsch, Ulm 1901 (Rede 1-40). G. de Bude, französisch, Corbeil 1927. J. W.Cohoon-H.L. Crosby, englisch, London 1932-1951. H. Hommel, Euböische Idylle, Zürich 1959.

Allgemeines W. Kroll, Artikel Rhetorik, RE (Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft von Pauly-Wissowa-Kroll) Suppl.-Bd. VII. M. Pohlenz, Die Stoa, 2 Bde., Göttingen 3 1964. M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, 3 Bde., Berlin 1938. Zu Leben und Werk H.v.Arnim, Leben und Werk des Dion von Prusa, Berlin 1898. K. Gerth, Artikel Zweite Sophistik, RE Suppl.-Bd. VIII.

LITERATUR P.Geigenmüller, Harmonien und Dissonanzen bei Dio, Plutarch und Favorin, Neue Jahrb.f.d.klass.Altertum 47,1921,251 ff. P. Hagen, Quaestiones Dioneae, Diss. Kiel 1887. R.Hirzel, Der Dialog, Leipzig 1895, Bd. 2, 84-119. L. Lemarchand, Dion de Pruse. Les reuvres davant I'exile, Paris 1926. C.Martha, Les moralistes sous I'empire Romain, Paris 1900, 235-254. J.Moling, Dion von Prusa und die klassischen Dichter, Diss. Innsbruck 1959·

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ANHANG

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Bithynische Reden: W. Clausen, De Dionis Chrysostomi Bithynicis quae vocantur orationibus quaestiones, Diss. Kiel 189,. C. Vielmetti, I discorsi bitinici di Dione Crisostomo, Stud.It. di Fil. Class_ 18, 1941,89-108.

Philoktet-Reden: J.S. Kieffer, Philoktetesand Arete, Classical Philology 37,1942,38-,0.

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN Häufiger vorkommende Redewendungen wie «Griechen und Nichtgriechen» sind nicht beriicksichtigt. HauptsteIlen sind kursiv gedruckt, Klammern bedeuten, daß die betreffende Stadt oder Person nicht namentlich genannt ist. Bei seltener vorkommenden Namen wird zwischen Stadt (Land) und ihren (seinen) Bewohnern nicht unterschieden, also z. B. Megarer siehe Megara. ABDERA, Hafenstadt in Thrakien, 646 ACHA[ER, Name der Griechen in der !lias, 28f. 33ff. [01. [12. 18o.JJ. 218. 256. 314. 343. 638 f. 657. 669. 676. 678f. 696.7°3. 748 ACHELOOS, griech. Flußgott, 687. ACHILLEUS, größter griech. Held vor Troia, 24.JJ. 34. 75. 102. [61. 182f. 188. [96. 198.JJ. 220.261. 314. 336. 342f. 363. 392.5°0. 5 10ff. 5 15 ff. 639. 644. 651. 653. 658 ff. 664 f. 677· 7 18 . 745. 749· 78of. ADANA, Stadt in Kilikien, 474. 4 8 4. 495 ADE[MANTOS, korinthischer F1ottenbefehlshaber, 53 0. 53 3 ADON[S, wegen seiner Schönheit berühmter Jiingling, 342. 684 ADRASTOS, König von Argos, 655 ADR[A,216 AEROPE, Gattin des Atreus, 270. 744 ÄGYPTEN, 185. 187. 215. 255. 3 25. 39 2. 396 .4°0. 43 2.465. 607· 735. 77 6

ÄGYPTER,74. 196.263.456.465. 62 5. 69 2. 73 1 ÄTH[OP[EN, Land am oberen Nil, 187.208. 433 f. 773 AGAMEMNON , König von Mykene, Oberbefehlshaber der Griechen vor Troia, 24. 26. 32. (36).37.14°.184. I86ff. 214. 218. (22 I). 243. 256. 270. 556. 623. 639. 653· 654.JJ. 660ff. 675ff. 691. 703. 735. 745. 7 81 AGENOR, troianischer Held, 202. 780 AGESILAOS, spartanischer König, HOf. 656f. AGLAOPHON, beriihmter Maler aus Thasos, 236, 647 AIAS, Sohn des Telamon, griech. Held, 26. 32.182. 198ff. 202. 205· 209. 213. (220). 533 ArAS, genannt der Lokrer, griechischer Held, 199. 202. (221). 449 AIGAI, alte Hauptstadt Makedoniens, 326 AIGAI, Hafenstadt in Kilikien,474. 4 82 . 4 84. 495 f.

840

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

AIGEUS, Vater des Theseus, 660 AIGINA, Insel nahe Athen, 300 AIGISTHOS, Mörder Agamemnolls, 2 [4. 270. 703. 74.1" AINEIAS, troianischer Held, 196. 199f. 202. 216ff. AIOLER, griech. Stamm, 6,6 AIOLlEN, Landschaft in Kleinasien, 600 AIOLOS, Gründer der Aioler, 6,6 AIOLOS, Windgott, 690 AISCHINES, athenischer Redner, 294 AISCHINES, Schüler des Sokrates, [48 Aischylos, griech. Tragiker,

636.ff. AlSOPOS, griech. Fabeldichter , 223· 443. 462 . 733 f. A[THRA, Mutter des Theseus, 186. [91. ([94) AlTOLlEN , Landschaft in Mittelgriechenland, 77[ AKADEMIE, Schule Platons in Athen, 4[8.663 AKANTHOS, Stadt auf der Chalkidike, 274 AKRATOS, Freigelassener Neros, 4[3 AKROKORINTH, Burgberg von Korinth, 98. 7H AKROPOLIS, Burgberg von Athen, 29. 98. 403. 4'3 AKTAION, boiotischer Jäger, [64. .\"37 AKTOR, Name eines Lemniers in Euripides' Philoktet, 638 ALEKTOR, Festung an der Dnjeprmündung, ,08 ALEXANDER der Große, König

von Makedonien, 3 f. 20ff. 65.ff. 3[6.32,.443.6°9. 623f. 688. 694 f. ALEXANDER Philhellen, König von Makedonien, 28 ALEXANDREIA, Stadt in Ägypten,

4 19ff. ALKAlOS, griech. Lyriker, 392 ALKAMENES, Bildhauer, Schüler des Pheidias, 236 ALKIBIADES, athenischer Politiker, 312.32, . .\"39f. 6,1. 696 ALKINOOS, König der Phaiaken, 29· 183. 77 2 ALKMAION, Sohn des Amphiaraos, 688 ALKMENE, Gattin des Amphitryon, Mutter des Herakles, 97 ALKMEON, Stammvater der Alkmeoniden, eines berühmten athenischen Adelsgeschlechtes,

I,.

76 7

ALOEUS, Vater des Otos und Ephialtes, 7 [4 ALPHEIOS, fluß in Elis, [3 ALTHAIA, Mutter des Meleagros, 7[4 AMALTHEIA, Name der Ziege, die den jungen Zeus nährte, 687 f. AMASIS, ägyptischer König, .\"4[ AMAZONEN, mythisches Volk kriegerischer Frauen in Kleinasien, 79. [82. 207f. 687 AMMON, ägyptischer Gott, 69 . 97 AMOIBEUS, sagenhafter Sänger, 70, AMPHIKTYONEN, Umwohner eines Heiligtums, .\"36

AIGEUS - ARGOS

AMP[-ITON, GrÜllder Thebens, 176.271.273.4-4-2.695 AMPHIPOLlS, Stadt in Thrakien,

2,

AMYNTAS, makedonischer König, Vater Philipps, HO AMYNTOR, Vater des Phoinix, 24ANACliARS[S, reisender Skythe, 4-35 ANAKREON, griech. Lyriker, 27. 36 ANAXAGORAS, griech. Philosoph, >39. 62 4ANAXARCHOS, Philosoph am Hof Alexanders d. Gr., ,4-'. 693 ANDROMACHE, Gattin Hektors 64-4ANDROS, nördlichste Kykladeninsel,4-[4ANTENOR, weiser Troianel·, 189. 216f. ANTIGONOS GONATAS, König von Makedonien, 735 ANT[LOCHOS, Sohn Nestors, 182. 188. 204-. 209. 34-3 ANTINOOS, einer der Freier der Penelope, '31. 268.6>3 ANTIOCHE[A, Hauptstadt des syrischen Reiches, 4-96. ,67. 612 ANTlOCHOS, Königsname der Seleukiden in Syrien, 4-°°. ,29 ANTIPATROS, General Alexanders d.Gr.694ANT[PATROS, später Rhetor, 294ANTISTHENES, kynischer Philosoph, 14-8 f. 64-3. 694ANYTOS, einer der Ankläger des Sokrates, 6,1. 6,4APAMEIA, Hafenstadt in Bithynien, ,69· >74-. 577Jf.

APAMEIA, Stadt in Syrien, 4-96 APELLES, Hofmaler Alexanders d. Gr., 686f. APHRODlTE, Göttin der Liebe und Schönheit, 36.101. '4-4-. 176f. '79· 18 7. 189. '94-. 199f. 205· 4-64-.4-74-. 5"2 6 • ,37f. 563. 7 82 APIS, heiliger Stier von Memphis, 4- 2 3 ApOLLON, Heil- und Sühnegott sowie Gott der Künste lind Wissenschaften, ,. 29. 4-8. 76. IJoff. '76. 196. 198. 205f. 221. 2,2. 2,9. 273.361. 391. 4-'9.4-4-°.4->7. 4- 60 • 4-62 . 4-64-. 4-72. 5"27· >37· ,88. 608. 64-4-. 6,0. 69 2. 695· 74-> ApOLLODOROS, Tyrann von Kassandreia (Poteidaia) allf der Chalkidike, 39 ApOLLON[A, thrakische Stadt am Schwarzen Meer, ,08 ARABER, 74-. 4-98. 773 ARABIEN, 4-34-. 4-66 ARADOS, phönikische Stadt, 4-71 ARCHELAOS, König von Makedonien, 79. 2>9 ARCHELAOS, SchUler des Anaxagoras, 64-8 ARCH[LOCHOS, griech. Lyriker, (21). 4-60. 4-62f. 4-78. 64-9f. 67 1. 74-4-f. AREOPAG, athenischer Gerichtshof, 628 ARES, Kriegsgott, 34-. '98 ff. 777 ARGIVER, Einwohner von Argos, 1H. ,86.4-,6.4->7.608.6>7. ARGO, Schiff [asons, 88. >32 ARGOS, Stadt allf der Peloponnes, 14-0. 174-. 209. 214-. 218.

I,.

842

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

47 I. BI. 59 I. 6°7. 678. 680. 735 ARION, griech. Dichter und Sänger, 298.442. 528 ARISTARCH, alexandrinischer Phi· lologe, 642 ARISTEAS, unternahm Reisen im Gehiet des Schwarzen Meeres, )4-2

ARISTEIDES, athenischer Politiker, Rivale des Themistokles, 3 I 5, 62 4. 69 6 . 7 11 ARISTIPPOS, SchiileI' des Sohates, 148 ARISTOGEITON, einer der heiden athenischen Tyrannenmörder, 218, 406f. 540 ARISTOMENES, Nationalheld der Messenier, 498 ARISTOPHANES, größter athenischer Komödiendichter, 459. 64 1 ARISTOTELES, griech. Philosoph, Gründer der peripatetischen Schule, 24. 40. 609 ff. 623. 642. 694ARKADIEN, Landschaft inmitten der Peloponnes, 13. 279. 288. 465. 502 . 6)7. 69) ARTAPHERNES, persischer Feldherr, 219 ARTEMIS, Göttin der Jagd, Beschützerin der Jungfräulichkeit, 14-4-. 176. B7. 588. 7 28 ASKLEPIOS, Gott der Heilkunst, 4. 1°3 ASIEN, 47. 7)f. 98 f. 17 2. 187f. 190. 209ff. 216. 218ff. 276. 287.316. 325.

134· IH. 192. 194. 238. 2)7. 466. 502 f.

52 I. 596. 6. 0. 656. 677. 679. 694· 770 ASIOS, troianischer Wagen lenker , 65 2 ASKRA, Ort in Boiotien, 648 ASSYRER, semitisches Volk im nördlichen Mesopotamien, 466. 68 9 ASTEROPAlOS, ein Troianer, 202 ASTYAGES, letzter König der Meder, 276. 688. 779 ASTYANAX, Sohn Hektors, 220 ATHEN, 40. 84. 90. 98f. 148. 162.219. 2)7f. 2]4-. 276. 288. 3°2.315.325. 389. 39 2.401 . 408.413.4-4-8.496. BIf. 591. 600.6.2. 635f. 646. 650. 679. 686.69 1f. 694-. 7 24.735. 742 ATHENE, Göttin des Handwerks und der Künste, auch des Krieges, 3. 176. 206. Hof. 213. 221. 223. 307. 361. 4-4-9· 472. BI. 537· 563. 637· 640. 656. 668.691. 729. 74-5. 778. 781 ATHENER, 25. 29. 84. 136. 140. 160.163.218.223.244.246. 2)7f. 270. 273f. 276. 288. 309. 314. 3 16 . 324f. 351. (3 64). 384. 397· 40!, 40 3f. 4°6.4°9.416.419.421. 453· 459.496.529.532. 540. 551f. H6. 589. 593. 609· 620. 624. 628. 689. 691ff. 696. 711. 73 6f· ]4-1. 775· 777 ATHENODOROS, Allkämpfer, 335 ATHENODOROS, stoischer Philosoph,473 ATHOS, thl'akisches Vorgebirge, 46 ATLAS, Bruder des Prometheus,

ARION - CHIOS

843

Träger des Himmelsgewölbes, 23 ATREUS, Sohn des Pelops, I H. 188. 2S6. 270. 6H. 678. 735. 743 ATRIDEN, Söhne des Atreus (Agamemnon und Menelaos), 183. 195. 2Iof. 214. 2S6 ATTIKA, Halbinsel, auf der Athen liegt, 98. III. 136. 219. 288. 300. 324. 4H. 600. 69 2. 737 AUGE, Mutter des Telephos, 272 AUGIAS, König von Elis, I S6. 608 AUGUSTUS, römischer Kaiser, 473. (482 ) AULlS, Stadt in Boiotien, 134 AUTOLYKOS, Großvater des Odysseus, 178

BOIOTIEN, Landschaft in Mittelgriechenland, I I I. 163. 2 I I. 600 BOIOTIER, 173. 195". 238. 314. 651. 69 2. 695" BOREAS, Nordwind, 88. 308 BORYSTHENES, Stadt in Thrakien, IS8. S07 ff. 5"27 BORYSTHENES, heute Dnjepr, S07 BRAHMANEN, indische Priesterkaste, 62S BRlsEIs, Geliebte des Achilleus, 28. 6S8f. 677. 681 BUSIRIS, mythischer Ägypterkönig, IH· 473 BYZANTINER, Einwohner von Byzantion, dem späteren Konstantinopel, 397. 46S. s06

BADES, Diener des Hippaimon,

CHAIRONEIA, Stadt in Boiotien, 2 I. 276 CHALKIS, Stadt auf Euboia, 23 CHALKOPOGON, «Erzbart» (Aenobarbus), HO CHARIDEMOS, Dions Ideal eines jungen Philosophiebeflissenen,

5"39

BABYLON; am Euphrat gelegene Hauptstadt des babylonischen Reiches, Hf. 84. 98f. 106. 224· 302. 32S. 46S. 684. 695· 77 2 f. BACCHANTINNEN , Begleiterinnen des Dionysos, 44 I. 5°° BAI
343 ff.

CHARITINNEN (Chariten), Göttinnen der Anmut, 370. 4S6 CHEIRON, Kentaur, Erzieher des Achilleus, 103. 664ff. CHERSONES, taurische, die heutige Krim, s08 CHERSONES, thrakische, die heutige Dardanellenhalbinsel, 196f. 207 CHIMÄRE, ungestaltes Fabeltier, 4 29 CHIOS, wegen ihres Weins berühmte Insel vor der kleinasia-

844

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

tischen Westkiiste, 101. 111. 140. 608 CHRYSE, Stadt in der Troas, 670. 677

CHRYSElS, Tochter des Chryses, (184). 675 ff. CHRYSES, Priester des ApolIontempels von Chryse, 184. (227). 676. 678. 681 CHRYSIPPOS, Sohn des Pe!eus, 171 CHRYSIPPOS, stoischer Philosoph, 607 DAIDALOS, mythischer Künstler, Erbauer des Labyrinths, 88. 236.310.5"30.5"32.5"41. 727. 77 8

DANAE, argivische Königstochter,

7 66 DARDANos,Stammvater der Troianer, 29. 656 DAREIOS I., Perserkönig, 30. 74. 84.219. (257). 263. 325. 610. 735·759 DAREIOS 11. (Nothos), (40) DAREIOS 111. (Kodomannos), letzter Perserkönig, 68. 74ff. 695" DATlS, Feldherr Dareios' 1., 219 DAVOS, Sklavenname der Komödie,453 DEIANEIRA, Gattin des Herakles, 671 ff. (694) DEINOMENES, Vater des Gelon, 5"34 DEloKEs, Gründer des Mederreichs, 40. 656. 695 DEIPHoBos, Bruder Hektors, 193f. 206. 211. 217 DELOS, Kykladeninsel, 692

DELPHI, wichtigstes griechisches Orakel, in Phokis, 163. 170ff. 252· 364. 4 12 . 53 6. 53 8. 733 DEMETER, Erdmlltter, 526. 537. 588 . 690f. 745 DEMETRIOS VON PHALERON, Gouverneur von Athen, 540 DEMETRIOS POLIORKETES, Diadochenkönig, 695 DEMODOKOS, homerischer Sänger, 183 DEMOKEDES, Leibarzt Dareios' l., 759 f. DEMOKRIT, griech. Philosoph, 64 2 DEMONASSA, zyprische Adlige, 688f. DEMOSTHENES, athenischer Redner, 25. 294. 686 DEUKALlON, Noah der Griechen, 524 DIDYMEION, Apollontempel bei Milet, 566 DIODOROS, ein Prusaner, 632 ff. DIOGENES, kynischer Philosoph,

6sff. 98ff· 148ff. IS7ff. 162ff. 693. 733 f. DIOMEDES, gewaltiger griech. Held vor Troia, 26. 31. 188. 199.2°7. 214. 218.473. 640 DIOMEDES, Thrakerkönig, 155. 68 7 DION, Stadt in Makedonien, 2 J. 3 26 DIONYSIEN, Fest des Gottes Dionysos, 256 DIONYSIOS I., Tyrann von SyrakllS, 5"34DIONYSIOS 11., Sohn von Dionysios 1., 533. 693· 735

CHRYSE - EUBOIA

DIONYSOS, Gott des Weines und des Rausches, 36. 329. 352. 36 '.403. 500. 534· 563. 694 DIONYSOS, Beiname des Mithridates Eupator, Königs von Pontos, 529 DIOSKUREN, Kastor und Polydeukes, 186. 690. 694. 718 DODONA, Zeusheiligtum in Epirus, 249 DOLON, troischer Späher, 651. DONAU, 226 DORER, griech. Stamm, 2 '5. 2,8. 244· 534. 656. 775 DORIEUS, rhodischer Allkämpfer, 4°5 DOROS, Stammvater der Dorer, 656 DRAKON, athenischer Gesetzgeber, 775 DROMON, athenischer Krämer, 84 DRUIDEN, keltische Priester, 625 DRYAS, Lapithe, 660 ECHO, Waldnymphe, '02 EETION, Vater der Andromache, 28 EETION, Vater des Kypselos, 529 EILEITHYIEN, Geburtsgöttinnen, '44

EKBATANA, Sommerresidenz der Perserkönige, 75. 98. 32 6 ELEER, Bewohner der nordwestI. Peloponnes, '51. 238ff. 246. 249 f. 399 f. 448 ELEKTRA, Schwester des Orestes, 25', 74' ELEUSIS, Stadt zwischen Athen und Korinth, 99 ELEUTHERAI, Stadt in Attika, 271

ELlS, Landschaft der nordwest!. Peloponnes, 13.45.228.399. 53 2 • 64 6

ELPINIKE, Schwester des Kimon, 737 ELYSIUM, Gefilde der Seligen, 215 EMPEDOKLES, griech. Philosoph, 647 ENDYMION, schöner Jüngling, Geliebter deI· Mondgöttin, 704 Eos, Göttin der Morgenröte, 537 EPAMEINONDAS, thebanischer Staatsmann, 3' 5. 585 ff. 600. 624 EPHESER, 378. 382 EPHESOS, Stadt an der kleinasiatischen Westküste, 378. 496. 559. 566f. 647 EPHIALTES, Gigant, Bruder des Otos, 343 EPHOROS, griech. Historiker, 294 EPHYRA, alter Name von Korinth, 53 1

EPIDAUROS, berühmte Heilstätte in der Argolis, 414 EPIKUREER, griech. Philosophenschule, (232f.) EPIRUS, Landschaft im nordwestI. Griechenland, 216 ERETRIA, Hafenstadt auf Euboia, 21 9 ERINYEN, Rachegöttinnen, 477. 7'2 ERIS, Göttin der Zwietracht, 246 Eros, Liebesgott, 36. 59 ERYMANTHOS, Gebirge in Arkadien, 687 ETEOKLES, Sohn des Oidipus, 285. 743 EUBO/A, Insel vor der Ostküste

846

VERZ EICHNIS DER EIGENNAMEN

Griechenlands, 111 ff. 12o. 21!. 214. 219.691 EUBOIER, 23. 112 EUDOROS, einer der Myrmidonenführer vor Troia, '47 EUKLEIDES, Schüler des Sokrates, 148 EUMAIOS, Schweinehirte des Odysseus, '31. 273.47°. 640 EUMELOS, homerischer Held, 449 EUMENES, Privatsekretär Philipps und Alexanders d. Gr., 695 EUPHORBÖS, schöner Troianel', 3'4. 7 81 EUPHRANOR, korinthischer Bildhauer und Maler, 54' EURIPlDES, griech. Tragiker, '35. (25 1). 285f. 29 2J. 454. 456. 54 2 • 6361f. 691. 703 Elektra, 25' Hekabe,451 Herakies, 454. 456 Hippolytos, 746 Orestes, 31. 81. '09· 74' Phoinissen, 285. 632 EUROPA, 47. 75. '55. 188. 216f. 23 8. 300. 325 Eurybates, sprichwörtlicher Schuft, 638 EURYMACHOS, einer der Freier der Penelope, 268. 727 EURYPYLOS, griech. Held vor Troia, '99. 3'5 EURYSTHEUS, König VOll Mykene, '5. IHf. (608). 735 EURYTOS, König von Oichalia,

GANYMEDES, wegen seiner Schönheit von Zeus geraubt, 342.464 GELON, Tyrann von Syrakus, 534 GERYONEUS, König mit drei Leibern, '55. 687 GETEN, thrakischer Volksstamm, 226. 507f. 617. 7'5. 730 GIGANTEN, frevelhaftes Riesengeschlecht, 35' GLAUI
'32· 5 ' 7. 745 EUTHYPHRON, Priester und Gesprächspartner des Sokrates, 651 EXADIOS, Lapithe, 660

HANNIBAL, Feldherr der Karthager, 325f. HANNO, karthagischer Seefahrer, 3 2 5 f.

7 63

GORGlAS, Sophist, 226. 536. 646~ 65 ' GORGO, Ungeheuer, 709. 765 GRIECHEN, 23. 26. 32. 66f. 75. 79. '40. '49· '7 2 . '77· 183f. 219f. 224. 235. 239ff. 252. 259f. 272. 306. 364. 37 2. 378. 395. 4 16 f. 43 of. 434f. 456. 466 . 47 1 • 476. 50 8f. 515. 52!. 523f. 52 8 r. 535· 53 8. 560.624.67°.677.715.731. 7 81 GRIECHENLAND, '3. '5· 31. 47. 74· 76. 98. 111. 134. '40. '49· 177.187. 191f. 194.208.210. 216f. 219f. 234. 240. 246. 257.263.287.3°2. 306f. 316. 34 ' .344. 364.4°2. 404· 4 16J. 435. 53 2f. 646. 65 6. 679 GYGES, lydischer König, (694) HADES, Unterwelt, 73. 1°9. 183. 608. 642 HALYS, Fluß in Kleinasien, '71. 76 7

EUBOIER - HESTIA

HARMODlOS, einer der heiden athenischen Tyrannenmörder, 218. 406f. HO I-lEBE, Göttin der Jugend, I H. 745 HEGIAS, Bildhauer und Lehrer des Pheidias, 647 HEKABE, Gattin des Priamos, 221. 477· 644 HEKATAIOS, bedeutendster Logograph, 645 HEKATE, Zaubergöttin, 83 HEKTOR, Hauptheld der Troianer, 28f. Hff. 161. 184. 189. 192. 196jJ. 217f. 220. 314. 336. 363. 639. 644. 653. 696. 748 . 7 81 HELENA, Gattin des Menelaos, 23. 133.177.181. 184jJ. 211. 21,. 287. 307. H2. 679. 77 6 HELENOS, troischer Seher, 189. 216f. 667 HELIKON, Musenberg in Boiotien, 23. 648 HELIOS, Sonnengott, 36 1. 393. ,2of. >13. BI HELLAS, S. Griechenland HELLEN, Stammvater der HeIlenen, 6,6 HELLENEN, S. Griechen HELLESPONT, Meerenge zwischen Ägäischem und Marmarameer, 32. 4 6 3. 496. 600. 693· 744 HELOTEN, Ureinwohner Lakoniens, S20 HENETER (Veneter), thrakischer Stamm, 216 HEPHAISTlON, General und Freund Alexanders d. Gr., 6% HEPHAISTOS, Gott des Feuers und

des Handwerks, 182. 20,. 239. 249· 537 HERA, Gemahlin des Zeus, 17. 9 I . 144. IHf. 179.3°7.45°. >2 2. ,26. 531. 782 HERAIA, Stadt in Arkadien, 13 HERAION, Heraheiligtum, ,66 HERAKLEIDES, Schüler des Platon und Aristoteles, 642 HERAKLES, Nationalheld der Dorer, UjJ. 40. 71. 77· 79. 96f. IS4jJ. 161. 188. 19°.1%.270. 27 2.33 2.3>2. 36 3. 39 2. 4Bf. 457. 47 2 f. 531. ,63. 607· 641. 667. 671 ff. 687. 690. 694. 710.718.73>. 77 1 HERAKLES, Sohn Alexanders d.Gr.,6% HERAKLIDEN, Nachfahren des Herakles, 2 1,. 6,6 HERAKLlT, griech. Philosoph, 647 f. HERMES, Götterbote, 16ff. 102. 147. 178.427 HERMOS, Fluß im west!. Kleinasien, lS2 HERODOT, griech. Historiker, 294· >19· 533· 645 HESIOD, griech. Dichter, (14). 22jJ. 26f. 137. 139. 228. 2H. 267. 286. '19f. 542. 647.

7SSjJ. 779 Theogonie 26 Erga 23. 228. 542. 690' 7H HESIONE, Tochter des Troerkönigs Laomedon, 188 HESPERIDEN, Töchter des A tIas, 156

HESTIA, Göttin des Herdfeuers,

5 22

848

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

HIEROSON, Borysthenite, , I 6 f. HIPPAIMON, Name eines Kriegers in einem Epigramm des Peisandros von Rhodos, n9 HIPPIAS, Tyrann von Athen, ,32 HIPPIAS AUS ELlS, Sophist, 4,. 226. 646. 726f. HIPPODAMEIA, Gattin des Pelops, 18 7 HIPPOKOON, ein Grieche, 4,0 HIPPOLAOS, Berg bei Borysthenes, ,07 HIPPOLYTOS, Sohn des Theseus, 342f. 7 22 . 744 HOMER, griech. Epiker, ,. 10. 12. 20jJ. 42. 46. 49.69. 73ff. 82. 104. I I I f. 131. 136. 140. 147. In. 1)9. 170. 174jJ. 226. 229· 233. 242jJ. 2,1. 2". 267f. 293. 308. 3 14. 3 17 ff. 330. 343. 346 . 4 27. 430. 433. 44 8f. 4,,· 4>7. 460. 4 63 f. 470. 477f. ,00. 51OjJ. ,16f. ,I9f. >73. ,89.608.623.637. 640. 64BjJ. 660. 67)ff. 681. 748.77 2. 777. 7 80ff. Ilias: 73. ,10f. 643. 649 A 26. 183.229. )41.,87.660. 68of. 781f. B ,. 33. 36f. 49. 243. 4 27. 43 2 .4,6.6>7 34. 18 9 ß 33. 176. 246 E 190 H 29.6)2.696 07 6, I 2,.28. 6,8f. 662. 692. 749 K 31. 33. 70, A 23. 710 M 6,2.769

r

N 742 Oln 11 H. 147· 748

P 30. 317. 427. 781 ~ 249 T ,00 1 34. 243· >73 (]) 220. 226. ,27. 74> X H. 314. 781 'I" 448 f. 463.696.744 Odyssee: 73. 183. 21 4. 427. ,11.643. 649. 6n· 709 IX 226

n

Y 74 2

a 3°.239.461. ,02.69 2. 74> e 427.691 ~692·781

.& ,17· 777 L )90. 692 )( 477. 6 14. 70, A H. 4 2 ,. n o • 74, o 461 7t 78 I P 13.31.68.13'.47'.761 Cf 447. 709 T 12.42.73 u 779 CP74> W

2,0

HOREN, Göttinnen der Jahreszeiten, 3n. H6 HOlms, ägyptischer Gott, 2 I 3 HYPANIS, skythischer Fluß, ,07 HYPERBOLOS, athenischer Volksredner, 628 HYPEREIDES, athenischer Redner,

J1,.

294 HYRTAKOS, Vater des Asios, 6,2

HIEROSON - KANDAULES IARDANOS, unbekannt, 270 lASION, Liebling der Demeter, 342 lAsoN, Führer der Argonauten, [H· 282. 3 [8. B2 IATROKLES, Athlet, 333 IBERER, Volk im heutigen Georgien, 773 IDA, Gebirge in der Troas, [76. [79. [9 6. 242• 27 2. 30,.463. 477 IDANTHYRSOS, skyth. König, 40 IDOMENEUS, König der Kreter, [99· 449 IKARIOS, Vater der Penelope, 270 IKAR[SCHE SEE, südöstl. Teil des Ägäischen Meeres, 427 IKAROS, Sohn des Daidalos, 88 f. 7 28 ILloN, s. Troia ILLYRER, Volk in Dalmatien, 22. 62 4 INDER,47· 66. 7,. 260.434.466. 50 4J[. 62,. 644. 694· 7 [,. 773 INDIEN, 64. 466 INDISCHER OZEAN, 432 10, argivische Königstochter, [87 10KASTE, Gattin des Oidipus, 28,. 28 7 IOLE, Geliebte des Herakles, 673 ION[EN, Landschaft an der kleinasiatischen Westküste, ·3 [ f. [,8. 2H. 496 10N[ER, griech. Stamm, 238. 244. 49 2.7[4. 77, los, Insel der Ägäis, 608 IpH[Tos, Erneuerer der Olympischen Spiele, 240 IROS, Bettler aufIthaka, 626. 709 ISAGORAS, athenischer Aristokrat, Rivale des Kleisthenes, B 2

ISMEN[AS, berühmter Flötenbläser, 442. 626 ISMENOS, Fluß in Boiotien, 4,8 ISTHMos, Landenge bei Korinth, [49· [n· BI. 7 0 3 ITALER,434 ITAL[EN, ]2,47. [,8. [86. 2[6 302.326.46,. ,33 f. 608. 624. 69> ITHAKA, HeimatdesOdysseus, 32. [83. 21 1. 232. 273·HI.(463)· 464. 608 ITYs, Sohn des Thrakerkönigs Tereus, 318 lXIoN, König der Lapithen, 89. 9 I. 447 KADMEIA, Burg von Theben, 140 KADMOS, Ahnherr der Thebaner, H8 KAINEUS, Lapithe, 660 KAISARElA, nicht lokalisierte Stadt, 6[ KALAIS, Sohn des Boreas, [H.

°

B[ KALLlAS, Name von Angehörigen einer der reichsten athenischen Familien, 274 KALLlOPE, Muse der Dichtung, 26. 443. 762 KALLlSTHENES, Jugendfreund Alexanders d. Gr., 694KALLlSTRATOS, junger Borysthenite, ,09 ff. KALYMNE, Insel bei Rhodos, 376 KALYPso, Nymphe, 30, [79. (2,1). 427 KAMBYSES, Perserkönig, 32,. ,41. 735

KANDAULES, Lyderkönig, 696

850

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

KAPHAREUS, Kap von Euboia, 118.120. 124 KAPPADOKIEN, kleinasiatisches Land, S02 KARIEN, Land im südwest!. Klein· asien, 31. 279· 396. s02 KARION , Trunkenbold der Komödie, H3 KARPATHos, Insel bei Rhodos, 37 S KARTHAGO, Stadt in Nordafrika, 3 2 Sf. 3 26 . B3 KARYSTOS, Stadt auf Euboia, 772 KASSANDRA, troische Seherin, 189. 213. 221. 464. 680. 682 KASTALISCHE QUELLE, in Delphi, 46S

KASTOR, einer der beiden Dioskuren, (186). I 94f. 306. B J. 679 KAUNOS, Stadt in Karien, 376. 4 0 S· H3 KEADAS, Schlucht bei Sparta, 77 8 KEKROPS, erster König Athens,

7°9 KELAINAI, Stadt in Phrygien, (497 ff.) KELTEN, indogermanischer Volksstamm, BS. 62S· 773 KENCHREAI, Hafen von Korinth,

BO KENTAUREN, Fabel wesen mit Roßleib, 91. 33°.429.439. 4H KEPHALLONIA, Insel vor der Westküste Griechenlands, 2 I S KERKYRA, Insel vor der Westküste Griechenlands (heute Korfu), 316 KIL!l
KIMON, athenischer Staatsmann, 737 KINYRAS, König von Zypern, I S 4 KIRKE, Zauberin, " I . I B. 183. 477. 768 KLEANTHES, Stoiker, 607 KLEARCHOS, spartanischer Söldnerfühl·er, 744 KLElNIAS, Vater des Alkibiades, 3 2 S· B9 KLEISTHENES, athenischer Staatsmann,3 l S KLEISTHENES, Tyrann von Sikyon, (48). 186 KLEITOS, Feldherr Alexanders des Gr., 694 KLEODULOS, Name eines von Anakreon geliebten Knaben, 36 KLEOMBROTOS, Name mehrerer Spartaner königlichen Geschlechts, 6S6 KLEOMENES, spartanischer König, B2 KLEON, athenischer Politiker lind Demagoge, 31S. 628 KLYTAIMNESTRA, Gattin Agamemnons, 186. 188. 270. 678f. 68 J. 703. 744· 746 KNlDOS, Halbinsel im südwest!. Kleinasien, 2S8 KNOSSOS, Stadt auf Kreta, 77 8 KOLCHIS, Land am öst!. Ufer des Schwarzen Meeres, 3 I 8 KOLOPHON, Stadt an der kleinasiatischen Westküste, 608 KONON, athenischer Admiral, 2S8

KONON, Grammatiker in Rom, 294 KORINTH, Stadt auf der Pelo-

KAPHAREUS - LEONTINOI

ponnes, 67. 98. I49f. 157. I62f. 302. 316. 396. 522. 528.Jf. 693. 772 KORINTHER, 150f. 157.159.4°3. 4 16 • 53 2J. KORYBANTEN, Priester und Begleiter der kleinasiatischen Göttermutter, 441 KRANEION, Platz mit Gymnasion in Korinth, 67. 98. 149. 157 KRATES VON MALLos, größter Gelehrter der Pergarnenischen Schule, 642 KRATINOS, griech. Komödiendichter, 459. 6H KRETA, 31. H. 2II. 448. 694. 727· 778 KRITIAS, athenischer Politiker, 3°9 KROISOS, König der Lyder, 171, 252.29°.610. 688f. 696. 709. 767

KRONOS, Vater des Zeus, 5· 49. 219.225.267 KROTON, griech. Kolonie in Süditalien, 465. 692. 759 KTESIAS, Vater des Schweinehirten Eumaios, 273 KYDIPPE, Herapriesterin von Argos, 690 KYDNos,Flußin IGlikien, 457. 4.65 KYKLOPEN, bei Homer ein Volk von Riesen, 183, 454, 471, 650. 690 KYME, Stadt an der Westküste Kleinasiens, 391 KYNIKER, Philosophenschule, 4 22 . (442). 479 KYNOSARGES, Gymnasion in Athen, 269

8SI

KYPSELOS, Tyrann von Korinth, 186, 528f. KYROS d. Ä., Perserkönig, 40. 76. 276. 312. 325. 656. 688f. 695· 779 KYROS d.]., Satrap im west!. Kleinasien, 148 KYTHERA, Insel vor der Südspitze der Peloponnes, HI KYTHNOS, Kykladeninsel, HI KYZIKOS, Stadt an der Propontis, 29 8 LACHES, athenischer Offizier, 651 LADON, Fluß in Arkadien, 465 LAERTES, Vater des Odysseus, 273 LAIOS, Vater des Oidipus, 171. 175 LAKONIEN, Gebiet von Sparta, 5 02 LAMIA, mythisches Ungeheuer, 65' LAODAMEIA, Gattin des Protesilaos, 542 LAOMEDON, troianischer König, 188. 190. 194 LECHAION, Hafen von Korinth, 98 LEDA, Mutter der Helena und der Dioskuren, 186f. 679 LEMNOS, Insel vor der troianisehen Küste, 197. 474. 638. 640 . 66 7. 74-5 LEON VON SALAMIS, Demokrat, 5 88

LEONIDAS, Spartanerkönig, 2 19 LEONIDAS, Olympionike aus Rhodos, 405 LEONTINOI, Stadt auf Sizilien, 64h

852

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

LEPTINES, athenischer Politiker, 406 LEPTINES, Bruder Dionios' 1., 735 LESBOS, Insel vor der kleinasiatischen Westküste, 10 r. 2 I 8. 3°6 .463. 600. 744 LETHARGOS, Hund des Hippaimon, 539 LEUKON, König vom (kimmerischen 7) Bosporos, 40 LEUKOTHEA. rettende Meergottheit, 690 LEUKTRA, Ort in Boiotien, 278. 3 16 LIBYEN, 47. 75· 93· 158. 3 26 • 4-34. 473. 607. 69 2 LIBYER, 96. 326 LUKANIEN, Landschaft in Unteritalien, 534 LYDER, Volk an der mittleren Westküste Kleinasiens, 420. 4 65. 69 2. 694. 7 14. 775 LYDlEN, 306. 400. 502. 767 LYKAON, Sohn des Priamos, 745 LYKEION, Gymnasion in Athen, 254.4 18.663 LYKIEN, Gebirgsland im Südwesten Kleinasiens, 20 I, 396 LYKON, einer der Ankläger des Sohates, 654 LYKURGOS, spartanischer Gesetzgeber, 31 f. 35. 240. 3 15. 324 LYKURGOS, athenischer Redner, 294 LYSANDROS, spartanischer Admiral, 693. 744 LYSIAS, athenischer Redner, 294 LYSIKLES, zweiter Gatte der Aspasia, urspriinglich Viehhändler, 65]

LYSIS, Schüler des Pythagoras, 62 4 MÄANDER, Fluß in Lydien, 502 MAGNESIA, Name zweier Städte im westl. Kleinasien, 539 MAIONEN, älteste Bezeichnung der Lyder, ,67 MAKAR, Sohn des Aiolos, 744 MAKEDONEN, Volk nördl. von Griechenland, 22. 65. 67· 75. 79· 160. 325. 373. 443f. 466. 560. 624. 688. 730. 774 MAKEDONIEN, 24. 47. 7 6. 79. 259· 309· 443 MAKRINOS, ein Prusaner, 6 I 2 MALLOS, Stadt in Kilikien, 483f. 494 f. MARDER, kriegerisches Volk in Medien, 695 MARDONIOS, persischer Feldherr, 29 MARGITES, Hauptheld des gleichnamigen, Homer zugeschriebenen komischen Epos, 643. 7 I 3 MARSYAS, Fluß in Phrygien, 502 MARSYAS, Flöte spielender Satyr, 3 MASSILlA, heute Marseille, 158. MEDEA, Tochter des Kolcherkönigs Aietes, 282, 688. 707. 74 2 MEDER, Volk im iranischen Hochland, 67. 74. 160. 252. 325. 466.498. 533.656.689.695. 774 MEGARA, Stadt bei Korinth, 98. 148. 300. 3°2.414. 703. 724.

7 68 MELANKOMAS, Olympionike, 332ff. 33 6ff.

LEPTINES - NEMESIS

MELEAGROS, Sohn des Aitolerkönigs Oineus, 679. 714. 722 MELES, König von Sardes, 695 MELETOS, einer der Ankläger des Sokl'ates, .\"88 MELlA, Nymphe, Mutter des Ismenos,4.\"8 MEMNON, König der Äthiopier, 182.187. 207 ff. 31.\".33 6.343 MEMNON, griechische Bezeichnung für die heiden Kolossalstatuen Amenophis' 111., 392 MEMPHIS, Stadt in Ägypten, 423. 4.\"6

MENANDER, Hauptvel'tl'eter der Neuen Komödie, 292f 4-01 MENELAOS, Bruder des Agamemnon, 29f. l33f. 184-. I 86ff. 214-f. 287. 306f. 3 I.\". H6. 6p. 679. 74-4. 74-6. 772. 781 MENON, thessalischer Söldnerführer, 6.\"1. 6.\"4MERIONES, kretischer Held aus der lIias, 3.\" MESSENIEN, südwest!. Teil der Peloponnes, 278f. 344 MESTOR, Sohn des Priamos, 196 METAPONT, Griechenstadt an der Siidkiiste Italiens, 46.\" METHVMNE, Stadtallf Lesbos, p8 MIDAS, mythischer Phrygerkönig, .\"39. 688 MILET, Stadt an der kleinasiatischen Westküste, .\"66 MILTIADES, Siegel' von Marathon, 737 MINOS, König von Kreta, 10. 73. 49 2. 64.\" MITHRANES, Gouverneur von Sal'des, 73.\"

MITHRIDATES EUPAToR, König von Pontos, 400, .\"29 MNESARCHIDES, Vater des Euripides, 691 MOIREN, Schicksalsgöttinnen, 92. IH MOLOS, Vater des Meriones, 3.\" MOLOSSER, Volk in Epirus, 2 I 6 MOSSYNOIKEN, thrakischerStamm, (26 7) MUMMIUS, römischer General, Eroberer Korinths, .\"40 MUSElON, kultureller Mittelpunkt von Alexandreia, 4.\"6 MUSEN, Göttinnen des Gesangs, .\". 14. 21J. 34. 228. 2.\"6.4-32. 44-of. 4.\"6 . .\"18r. .\"27. 644. 7E. 7 62 MYKONOS, Kykladeninsel, 414MYNDOS, Hafenstadt an der Südwestspitze Kleinasiens , 40.\" MVRMIDONEN, Mannen des AchiIleus, 200. 202 MYRTILOS, Wagenlenker eies Oinomaos, 447 MVSER, Volk im nordwest!. Kleinasien, 226. 306. 417. 767 MYTILENE, Hauptstadt von Lesbos, 397 . .\"29, 600 NASAMONEN, Volk in Nordafrika, 730 f. NAUKRATIS, Stadt in Unterägypten, 2.\".\" NAUPLlOS, König von Ellboia, 118. 669 NAxos, größte Kykladeninsel, 219 NELEus, Vater des Nestor, .\"32 NEMESIS, Unheilsgöttin, .\"63 . .\"66. 690

854

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

NEOPTOLEMOS, Sohn des Achilleus, 208f. 214. (221). 640f. NEREiDEN, Meernymphen, 24 NERO, römischer Kaiser, (64f.) 309.ff. (399). 4 12 f. 441. 610 NERVA, römischer Kaiser, S9S NESSOS, Kentaur, 671 ff. NESTOR, König von Pylos, 26. 19S. 197· 199· 204· 207· 21S· S40· 623. 6S3· 6S7f. 66oJT69 6 NIKAIA, Stadt in Bithynien, HS. 550JT- 56o.ff. 61o NIKANOR, Admiral Alexandel's d.Gr., 401 NIKERATOS, Vater des Nikias, 737 NIKIAS, athenischer Staatsmann, 3 2 S· 737 NII
ODYSSEUS, wegen seiner Schlauheit berühmter griech. Held, 26. 31f. 73· 111. 131ff. IB.

159· 178f. 18 3. 197· 199.2°7. 210. 21S. 221. 2SI. 2B. 268. 270.273· 451. 462 f. 470. S99. 608. 626. 636.fJ. 6Bf. 667.ff. 68 I. 69 I. 726J. 746. 749. 781 OICHALlA, Stadt auf Euboia, 673 OIDlPUS, König von Theben, 171ff. 115. 2S6. 690 OINEUS, König der Aitoler, 271. 7 14 OINOMAOS, König von Elis, 187. 194· 447 OLYMP, Gebirgszug in Nordgriechenland, 24. 229. 242. 248• S27· 777

OLYMPlA, Ort in Elis, 2S. 186. 2B· 308. 337. 36 4. 394· 399· 40S· 4 12 . 44 8 . 70 S OLYMPlAS, Mutter Alexanders d. Gr., 24. 69f. 695 OLYMPIEION, Zeustempel in Athen, 29 OLYMPOS, mythischer Sänger, OLYNTHOS, Hauptstadt der Chalkidike, 40. PS. 609 ONCHESTOS, Stadt in Boiotien, BI ONUPHIS, Stadt in Ägypten, 184 OPUNTIER, Einwohner von Opus in Lokris, 344 ORCHOMENOS, Stadt in Boiotien, B8 ORESTES, Sohn Agamemnons, 171. 115· 21S· 488. 703· 741. 749 ORGAS, Fluß in Phrygien, s02 ORlON, mythischer Jäger aus Boiotien, 343 ORMENOS, Großvater des Schweinehirten Eumaios, 273

NEOPTOLEMOS - PERlANDER OROITES, persischer Satrap, 287 ORPHEUS, mythischer thrakischer Sänger, 14. 299. 442 ff. 50 I. BI f. 644. 723. 762 OTOS, Gigant, Bruder des Ephialtes, 343 OZEAN, 751'. 396.4°0. BI. PAION, Vater des Asteropaios, 202 PAIONIER, Stamm in Makedonien, 67 PAKTOLOS, Fluß in Lydien, 465.

767 PALAMEDES, wegen seiner Weisheit berühmter Held, 256. 669f. PALIBOTHRA, Stadt am untel'en Ganges, 224 PAMPHYLIEN, Küstengebiet im süd!. Kleinasien, 503. 737 PAN, Gott der Hirten, 102. 690 PANDAROS, troianischer Bogenschütze, 6.1'2. 6H. 744 PANDION, König von Athen, 271 PANDORA, das erste Weib, 764 PANTHEIA, Gattin des persischen Fürsten Abradatus, 688 PARIS, Sohn des Pl'iamos, 177. 181.lf. 205. 207ff. 272f. 30S.lf. 314.464.652.728.746 PARMENION, Feldherr Alexanders d. Gr., 694 PARTHENIER, Gruppe der spartanischen Jugend, 147 PARTHF.NON, Athenatempel auf der Akropolis, 566. 620 PARTHER, Reitervolk aus dem Iran, 730 PASIPHAE, Königin von Kreta, (448). 727

855

PATAIKION, Typ der Komödie, 63 8 PATROKLOS, Freund des Achilleus, 203f. 213. 261. 314f. 336. ]42. 749 PAUSANlAS, spartanischer König, 65 6 PEGASOS, Flügelroß, 522. 692 PEIRITHOOS, Freund des Theseus, I95· 330. 660. 749 PEISISTRATOS, Tyrann von Athen, 13 6.3 15.324.5 29 PEITHO, Göttin der Überredung, 5 PELEUS, Vater des Achillells, 24. IH. 5]1. 662. 665f. 696 PELION, Gebirge in Thessalien, 24 PELLA, makedonische Residenzstadt, 326. 466 PELOPIA, Tochter des Thyestes,

7°3 PELOPIDAS, thebanischer Staatsmann, 624 PELOPIDEN, Nachfahren des Pelops, 175. 186f. 215. 679 PELOPONNES, süd!. Halbinsel Griechenlands, 13. 98. 11 I. 194.21 I. 215. 273. 278. 679 PELOPONNESIER, 238. 316. 400 PELOPS, Sohn des Tantalos, 3 I. 154· 187. 192. 194· 210. 315. 447.655. 69 2. 7°3f. PENELOPE, Gattin des Odysseus, 131f. 215. 270. 640' 654 PENEIOS, Fluß in Thessalien, 465 PERGAMON, Stadt im Nordwesten Kleinasiens , 4 I 3 PERlANDER, Tyrann von Korinth,

p8r.

856

VERZEIC.HNIS DER EIGENNAMEN

PERIl
636ff. 667ff.

PHILOTAS, Feldherr Alexande,·s d.Gr., 694 PHÖNIKER, Volk in Syrien, 326. 471. 73' PHOINIX, Erzieher des Achilleus, 24f. 19,\".2°3 PHOKER, Stamm in MitteIgriechenland, 3 I 6 PHOI(ION, athenischer Feldherr, 737 PHOKYLIDES, Dichter von Lehrspriichen, 2 I. 510ff. PHOLOS, Kentaur, 672 PHRYGER, Volk im mittleren und nOl·döst\. Kleinasien, 101, 163. 188. 416. 420. 6,6. 668. 7 r 1. 77, PHRYGIEN, 306. 400. 463. 481. ,02. 744. 767 PHRYNE, berühmte Hetäre, B6 PHTHIA, Heimat des Achillells (in Thessalien), 24. 2 I I. 66, PIERIEN, Landschaft in Makedonien, 21. 228 PINDAR, griech. Chorlyriker , 27 f. 4,\"8. 69,\" PIRÄUS, Hafen von Athen, 98. 32,. 620. 693 PISA, Stadt in Elis, 13 PISIDER, Volk im süd\. Kleinasien, ,03 PITTAKOS, Tyrann von Mytilene, ,29 P'TTHElIS, Vater der Aithra, 19 1 PLATAIAI, Stadt in Boiotien, 2 I 8. 6,6 PLATON, griech. Philosoph, 32. (93). (142).148. (23»· (29 1). (J23). ,16f. B7. (,84). 642].

PERIKLES - ROM PLATON, Komödiendichter, 4,9 PLUTION, griech. Rhetoriker,

294 PNYX, Versammlungsplatz des athenischen Volks, 42 I PODARGOS, Pferd des Hippaimon, B9 POIAS, Vater des Phlloktet, 668 POLOS, Sophist, 226. 646. 6, I POLOS, athenischer Schauspieler, 70, POLYDAMAS, troischer Held, 6B POLYDAMAS, berühmter Athlet, 76 3 POLYDEUKES, einer der bei den Dioskuren, (186). 194f. 306. BI. 679 POLYDORA, Tochter des Peleus, 147 POLYGNOTOS, griech. Maler, 236. 647 POLYKLEITOS, griech. Bildhauer, 23 6 . 249 POLYKLES, athenischer Bildhauer, 54° POLYKRATES, Tyrann von Samos, 287. (608). 688 POLYNElKES, Sohn des Oidipus, 69 6 . 743 POLYPHEM, Lapithe, 660 POLYXENA, Tochter des Priamos, 102. 221 PONTOS, Königreich süd!. des Schwarzen Meers, I,.. 208 POROS, indischer Fürst, 69, POSEIDON, Gott des Meeres, 46. 196. 273. 448. 464. ,22f. B[f. B7· 691. 730. 744 PRIAMOS, König von Troia, 36. [01. [34. [82. 187ff. 207ff.

2[7f. 221. 272. 540. 644. 652. 670. 74·4 PROKONNESOS, Insel in der Propontis, 542 PROD!KOS, Sophist, 646. 65[ PROMETHEUS, Titan, 103f. 155. 54[ PROTAGORAS, Sophist, (646) PROTESILAOS, griech. Held vor Troia, 196. 207 PROTEUS, wandlungsfähiger Meergreis, 477 PRUSA, Stadt in Bithynien, (563jJ.). 5]8 ff. 5 87. 589. 592.598.600.6°4. 610.612. 614. 620. 630 PRUS[AS, mythischer Gründer von Prusa, 612 PTERELAS, Held der griech. Sage, 69 6 PTOLEMA[OS AULETEs, ägyptischer König, (6,) PYLADES, Freund des Orestes, 749 PYLOS, Stadt auf der südwest!. Peloponnes, 29. 65]. 660 PYTHAGORAS, griech. Philosoph, B7. 608. 6 24. 647 PYTHAGOllAS, griech. Bildhauer,

BO PYTHIA, delphische Orakelpriesterin, 394. 733 RHEA, Göttermutter , 144 RHESOS, thrakischer König, 652 RHODOGUNE, Tochter Mithridates' 1., 688 RHODOS, 357.JJ. 438 f. BI ROM, (216). 259jJ. 326. 373. 581. 612. 695

858

VERZEICHNIS DER EIGENN AMEN

RÖMER, 2.\"9f. 32.\"f. 383. 397. 399f. 4-0.\". 4- 12 ff. 4-H . .\"13· .1"3.\". H6. 624-. 6.\"6 ROMULUS, Gründer Roms, 326 ROTES MEER, 4-32 SAKEN, skythisches Nomadenvolk, 74SALAMIS, Insel bei Athen, 99. 218. 4-01. .l"29 f . .1"33 SAMOS, Insel VOl" der kleinasiatischen Westkliste, 287, .\"66. 608. 74-1 SAPPHO, griech. Lyrikerin, 27. .\"4-2.688 SARAMBOS, athenischer Krämer, 84SARDANAPAL, letzter König von Assyrien, 3. 29 • .\"4-. (87). 9 2. 684-. 689. 766 SARDES, Hauptstadt von Lydien, 270. 6.\"6. 69.\". 7H. 767 SARPEDON, König der Lykier, 201. 336. H3. 392 SATYRN, llisterne Dämonen im Gefolge des Dionysos, 4-4-1 SAUROMATEN, Reitervolk in der heutigen Ukraine, .\"09 SCHWARZES MEER, 396. 4-6.\". 607 SEMA MYRINES, «Mal der Myrina», Örtlichkeit bei Troia, 170. 180 SEMELE, Mutter des Dionysos, 767 SEMIRAMIS, assyrische Königin, 3°,106.224-. 61.\". 688. (694-). 69.\" SERAPIS, ägyptischer Gott, (4-23 f.) (4-H) SERIPHOS, Kykladeninsel, ].I" I SESOSTRIS, ägyptischer König, 3 I.\"

SIBYLLEN, prophetische Frauen, 261.4-9 8 . .1"3 1 SIDON, Stadt in Phönikien, 4-01 SIKYON, Stadt bei Korinth, 4-8 18 7 SIMA RISTEN , Partei in Alexalldreia,4-4-.\" SIMOEIS, Fluß in der Troas, 4-63 SIMONIDES, griech. Lyriker, .1"33 SINOPE, Stadt am Schwarzen Meer, 6.\".98. 14-8 SIPYLOS, Gebirge in Lydien, 188 SIRENEN, Mädchen mit Vogelleib, Seelen der Toten, 232. 4-36. 4-69. 4-71. 64-4SIZILIEN, 1.\"8. 273f. 288 . .1"33. 77 8 SKAMANDRIOS, Sohn Hektors, 211 SKAMANDROS, Fluß in der Troas, 82. 170. 180. 182 SKIRITEN ,leichtbewaffnete Abteilung der Spartaner, 218 SKYLLA, bellendes Ungeheuer, 183. 6.\"0 SKYTHEN, Völkergruppe zwischen Donall und Don, 66. 2.\"0. 260. 32.\". 4-H • .\"07f. .\"12. 607. 692. 720 SMYRNA, Stadt an der kleinasiatischen Westküste, 14-0. 4-96. H9 . .\"67 f. SOKRATES, griech. Philosoph, 4-of. 45jf. 14-8• 173. 22.\".254jJ.H9· .1"37. 588J. 609· 6Hf. 64 6ff· 663. 674-f. 693 .. 696. 710. 733f. SOKRATIKER, Schüler des Sokrates, 29.\" SOLOI, Stadt in Kilikien. 4-84SOLON, einer der Sieben Weisen,

RÖMER 171. 3 I.\". 384. 529. 624. 689. 767. 77.\" SOPHOKLES, griech. Tragiker, 13.\".63 6 • 640J. 671. 703 SPARTA, Stadt auf der Peloponnes, 3.\". 110. 134. 186. 191. 19.\". 278f. 306. 31.\".496 . .\"10. 520. .\"91. 612. 628. 646. 6.\"6f. 679. 69 2 . 7 24. 73° SPARTANER, 28. 3.\". 147. 160. 19.\". 218f. 278. 287. 300. 3 14ff. 324. 3.\"1. 364. 373. 397. 403 f. 406. 4 16 . 441. 444f. 4'\"]. 477. 496. 49 8• .\"]2f. HI. H6. 593.624.628. 69 6 • i 1 4· 73 6. 7H. 770. 77 8. 78 1

SPHINX, würgendes Fabelwesen, 9.\". 17 2f. 17.\".429 STAGEIRA, Ort auf der Chalkidike, 40. 609f. STENTOR, stimmgewaltiger Held der Ilias, 478 STESICHOROS, griech. Chorlyriker, 23. 27f. 185. 649 SUIENEBOIA, argivische Königin, 744 STHENELOS, einer der Sieben gegen Theben, (693) STOIKER, Philosophenschule, .\" 17 STYMPHALOS, Landschaft in Arkadien, 608 SUNION, Kap in Attika, 98 SUSA, Residenz der Perserkönige, 74 ff. 84. 98. 224· ]2.\". 774 SYBARIS, griech. Kolonie in Unteritalien, 46.\". 692 SYRAKUS, Stadt auf Sizilien, .\"33 f. 7H

THEBEN SYRER, Volk an der Ostküste des Mittelmeeres, 32. 160. 774 SYRIEN, 434. 610. 772 SYRTE, Küstengebiet in Nordafrika, 93 f. 96 TAINARON, Kap auf der süd!. Peloponnes, .\"28 TAI_AOS, Vater des Adrastos, 6H TANTALOS, Vater des Pelops, 3 I 109· 6H. 690 TARENT, Stadt an der Südküste Italiens, 46.\". 52 8 TARSOS, Hauptstadt Kilikiens, 4 62 .467.471. 473. 479.ff. .\"67 • 612 TEGEA, Stadt in Arkadien, 288 TEIRESIAS, thebanischer Seher, 17 2 • 2 .\"] TELAMON, Vater des Aias, 188. .\"]1

TELEMAcHos, Sohn des Odysseus, 132f. 270. 6.\"4TELEPHOS, Sohn des Herakles, 272. 69.\" TELLOS, ein Athener, 690 TENEDOS, Insel bei der Troas , 477. .\"84 TEOS, Stadt an der kleinasiatischen Küste, 772 THAMYRAS, mythischer Sänger, 2.\"6. 723 THASOS, Insel vor der thrakischen Küste, 101. 393f. THEAGENES, Athlet aus Thasos, 393 ff. THEBANER, 140. 173. 17.\". 2]8. 316.416.608.624.692 THEBE, Stadt in Mysien, 28 THEBEN, Hauptstadt von Boio-

860

VERZEICHNIS DER EIGENNAMEN

tien, 16.27.29.69.14°.172. 302. 392. 532. 585. 600. 624. 7 62 THEBEN, Stadt in Ägypten, 692 THEMIS, Göttin des Rechts, 690

athenischer Staatsmann, 315. 324. 736 THEODOROS VON GADARA, Lehrer der Rhetorik, 294 THEOGNIS, gl"iech. Dichter, (4). 22 THEOPHILOS, besuchte Alexandreia, 266. 4H THEOPOMPOS, griech. Historiker, THEMISTOKLES,

spartanischer

athenischer Politiker, 315 THURIOI, gl"iech. Kolonie an der Stelle des alten Sybaris, 465 THYESTES, Sohn des Pelops, 140.

'15. 188. 270. 703. 743 TIMANDRA,

korinthische Hetäre,

688 TIMARCHOS,

Vater des Charide-

mos, 344 TIMARCHOS,

Bruder des Charide-

fluß in Pontos,

18 7

Paß in Mittelgriechenland, 219. 533. 751 THERSITES, Lästermaul aus der !lias, 4H. 709 THESEUS, Nationalheld der attischen Sage, 186 f. 190f. 194f. THERMOPYLEN,

342.363. 392. 532. 600.660. 679.7 18 .744.749.77 8

279. 465. 660 151. 195. 707. 715 THETIS, Mutter des Achilleus, 24. 205. 242. 662. 666. 782 THESSALlER,

Völkergruppe zwischen Makedonien und Schwarzem Meer, 67. 416. 466. 607.

THRAKER,

62 4. 694· 730 14. 47.

443· 473· 477

267.

744

ältestes Göttergeschlecht, 347. EI. 473 TITHONOS, Gatte der Eos, 187 TLEPOLEMOS, Sohn des Herakles, TITANEN,

393

Stadt in Boiotien, 540 THESSALIEN, Landschaft in Nordgriechenland, 98. 111. 216. THESPIAI,

THRAKIEN,

athenischer Staatsmann, 694 TIMOTHEOS, Musiker und Dithyrambendichter, 44 2. 477 TIMOTHEOS, Flötenspieler , 3 f. TISSAPHERNES, persischer Satrap, TIMOTHEOS,

König, 656 THERMODON,

218. 294. 64,S" THUKYDlDES,

mos, 357

294 THEOPOMPOS,

Sophist, 651 griech. Historiker,

THRASYMACHOS, THUKYDlDES,

274·

thrakischer Stamm, 22 nordwest!. Halbinsel Kleinasiens, 197. 600 TROIA, Stadt an der Nordwestecke Kleinasiens, 26. 28. 101. 112. 134. 17Ö. 174.ff. 228. TRIBALLER, TROAS,

(287). 30 6 f. 34 1 f. 449. 4,S"1. 463.607.636. 64of. 62 5. 657. 667. 669. 677f. 695. 735 TROIANER, 23. 33 ff. 179jJ. 4,S"1. 459. 4 64. 678. 77 6 TROlLOS, Sohn des Priamos, 196 f. 200.3 15

THEBEN - ZYPERN TYNDAREOS, König von Sparta, Gemahl der Leda, I 86ff. 270. 679 TYPHON, Ungeheuer der Urzeit, I 6 TYROS, phönikische Handelsstadt, 326. 4°1 TYRTAIOS, spartanischer Elegiendichter , 28. , I ° URANOS, Vater des Kronos, 219 VARENUS Rupus, Prokonsul Bithynien, 6

I,

VOll

XANTHOS, Beiname des Skamandros, 170. 180.463 XENOPHON, griech. Schriftsteller, 148. 29Sff. 693 XERXES, Pel'sel'könig, 30. 46 f. 74. 21 9. 2>7. 263. 287, 4>' ZALEUKOS, lokrischer Gesetzgeber,7H

86r

ZENON, Gründer der stoischen Schule, 607 f. 643 ZETES, Windgott, Sohn des Boreas, IH ZETHOS, Bruder des Amphion, 271. 273. 738 ZEUS, Göttervater, IOff. I,f. 20. 36. 39 f. 69.ff. H. 97. 10 1. 103· IH. 148. 176f. 179. 183f. 188.198.201. 203. 20,. 219. 221.228. 23,. 240. 242. 246ff. 27 1ff. 306 f. 317. HI. 361. 4°°. 4 27. 43 2f. 4,0. 4H. 463f. S 19ff. >37. ,40. ,63. ,68. 64,f. 677.679. 690' 694. 696. 710.73°.746. H2. 176f. 782 ZEUXIS, berühmter Maler, 236 ZOPYROS, vornehmer Perser, 69, ZOROASTER, Stifter der persischen Religion, pof. ZYPERN, 396. 688. 737

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung ..

v

I. Von der Herrschaft (I) 2. Von der Herrschaft (2)

3 " " .. " " " "..

3. Von der Herrschaft (3) " " .. .. .. 4. Von der Herrschaft (4) .. .. .. .. .. .. .. .... 5. Ein libysches Märchen ........................ 6. Diogenes oder Über die Gewaltherrschaft.. 7. Die Euboiische Rede oder Der Jäger .. .. .. .. .. 8. Diogenes oder Von der Tugend.. .. .. .. .. 9. Diogenes oder Die Isthmischen Spiele .. 10. Diogenes oder Über die Sklaven ...... II. Troia ist nicht erobert worden .. .. .. 12. Die Olympische Rede oder Vom Ursprung der Gottes.. ...... vorstellung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 13. In Athen. Von der Verbannung.. .. 14. Knechtschaft und Freiheit (I) ........ 15. Knechtschaft und Freiheit (2) ........ .. .... .. ........ 16. Über die Trauer.. .. .. .. .. .. .. .. .. 17. Von der Habsucht .. .. .. .. .. .. .. 18. Die Übung im öffentlichen Reden.. .. .. ...... 19. Dions Freude am Zuhören.. .. .. .. 20. Von der Zurückgezogenheit .............. 21. Von der Schönheit .. .. .. .. .......... 22. Krieg und Frieden .. .. .. .. .. .. .. 23. Der Weise ist glücklich .... 24. Vom Glück .......... .. .. 25. Vom Genius des Menschen .... 26. Vom Beraten .......... .. .. ..

20 40 65 92 98 I II

148 157 162 173

221 250 262 268 280 283 290 298 300

308

31 5 317 322

323 32 7

INHALTSVERZEICHNIS

863

27· Beim Symposion ........................ 329 28. Melankomas (I) .. .. .. 33 2 29· Melankomas (2) .. .. .. .. .. .. 336 30. Charidemos .................................. 343 31. An die Rhodier .. .. 357 32. An die Alexandriner 419 33. Erste Tarsische Rede .. .. ............ 457 .. 479 34. Zweite Tarsische Rede .... 497 35. In Kelainai in Phrygien 36. Borysthenitische Rede, vorgelesen in der Heimat .... 507 37. An die Korinther .............................. 528 38. An die Nikomeder: Über die Eintracht mit Nikaia .. 542 39. Die Eintracht in Nikaia. Nach der Beilegung des Bürgerzwists .................................... 560 40. Rede über die Eintracht mit den Apameern, gehalten .. 563 in der Heimatstadt.. .. .. .. .. .. .. .. .. 41. An die Apameer: Über die Eintracht ............ ,. 577 583 42. Eine Ansprache in der Vaterstadt .. .. .. .. .. .. 43. Eine politische Ansprache in der Vaterstadt .. .. 584 44. Eine freundliche Entgegnung an die Vaterstadt auf ihren Vorschlag, Dion zu ehren .................. 589 45. Dions Rechtfertigung seines Verhältnisses zur Vaterstadt ...................................... 594 46. Eine Rede, die Dion in der Vaterstadt gehalten hat, bevor er Philosoph wurde .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 601 47. Rede vor der Volksversammlung in der Vaterstadt .. 606 48. Eine politische Ansprache in der Volksversammlung 6I5 49. Ablehnung des Archontenamtes vor dem Rat .. 622 50. Eine Rechtfertigung vor dem Rat ................ 628 SI. Eine Erwiderung an Diodoros .................. 632

52. Aischylos, Sophokles und Euripides oder Der Bogen des Philoktet .. .. .. .. .. .. 636 53· Homer ...................................... 642

INJ-IALTSVERZEICHNIS

Sokrates .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Homer und Sokrates .......................... Agamemnon oder Von der Königsherrschaft ........ Nestor.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Achilleus .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Philoktet.. .. .. .. .. .. .. Nessos oder Deianeira .. .. .. .. .. Chryseis . .. .. .. .. .. .. .. ...... Königtum und Tyrannis.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Vom Glück (I) .............. Vom Glück (2) .... .. .. Vom Glück (3) ...... .. .. .. .. .. .. Von der Ruhmsucht .......... Die öffentliche Meinung ...... .. .. Vom Meinen ........ Von der Tugend.. .. .. .. .. .. .. .. .. Von der Philosophie .. .. .. .. .. .. .. .. .... Vom Philosophen .......... .. .. Von der äußeren Erscheinung .... .. .. .. .. .. .. .. Vom Vertrauen ........ .. .. .. Vom Mißtrauen .. .. ..... . .. .. Vom Gesetz.. .. .. .. .. .. ...... .. .. Von der Sitte .. .. .. .. 77.78. Vom Neid ............ .. ........ 79. Vom Reichtum .. .. .. .. .. 80. Von der Freiheit .... .. .. .. .. .. .. Lob des Haares .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. Anhang .................... .. .. Nachwort ..... . .. ............ Anmerkungen ............ .. .. ............ Literatur .................. .. .. .. .. .. .. .. Verzeichnis der Eigennamen .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.

646 647 654 660 664 667 67I 675 682 685 688 697 701 712 71 5 718 722 72 5 72 9 735 739 75°

753 755 772 774

780 783 785 787

836 839