SOS Ozean-Werke Utopischer Zukunftsroman von Axel Nord
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SOS Ozean-Werke Utopischer Zukunftsroman von Axel Nord
Die Hand faßt zu … Sie zieht eine Karte aus dem Karteikasten, auf der ein Name und verschiedene Personalien stehen. „Birger Vonhoge“ lautet der Name. Die Hand legt die Karte um, dann ist ein eleganter Druckblei da, der in eines der leeren, schmalen Fächer ein längliches Kreuz zeichnet. Viele leere Fächer hat diese Karte aber nicht. Dann faßt die Hand wieder zu und schiebt die Karte in den Karteikasten zurück, der gleich darauf in den Safe zurückgleitet. Die Safetür schiebt sich vor. Der Mann, dem diese Hand gehört und der nun auf die rote, von matt aufleuchtenden Taströhren durchzogene Safetür sieht, ist der Chef des westeuropäischen Geheimdienstes. Auf einem Kalender steht die Jahreszahl: 2507 Und darunter: 13. Juli. * Es ist ein böser Tag. Nicht viel später soll das Mitglied des westeuropäischen Geheimdienstes Birger Vonhoge unter dem leiden, was am Nachmittag fast fünftausend Meilen von Paris entfernt in der zentralen afrikanischen Hauptstadt Arra geschieht. Generaldirektor Sannam landet auf seinem Dachgarten. 3
Er hat eine fünfstündige Sitzung hinter sich, und wer die größte afrikanische Industriecompany „Universal“ kennt und die vielfältigen Interessen, die in ihrem Direktorium und den anderen Spitzenorganen zusammenschlagen, der kann verstehen, daß er ziemlich fertig ist. Er nickt seinem Privatflieger zu und wischt sich den Schweiß aus dem gelbbraunen Gesicht. Dann betritt er das Dachgeschoß seiner Villa im vornehmen Arkola-Viertel, geht an dem Spielzimmer vorbei zur Rolltreppe und läßt sich nach unten gleiten. Ein Sekretär und sein Diener warten bereits auf ihn. „Kapitän Nol hat angerufen, Herr.“ „Nol? Aus Rio?“ „Montevideo“, geht der andere auf den knappen Ton ein. „Er wird D III in vier Tagen übernehmen.“ Der Generaldirektor reicht ihm die Aktenmappe, ohne noch etwas zu sagen. Der Sekretär weiß aber, daß der Chef zufrieden ist, nun allerdings nur den Wunsch hat, sich zu entspannen. Sannam geht dann auch gleich in den Baderaum, macht ein paar leichte Übungen und gießt sich eiskaltes Wasser in scharfen Strahlen über den Körper, daß er meint, es müsse ihn zerreißen. Doch es erfrischt ihn und macht den Kopf und das Denken wieder klarer. Nol kommt!* * Das ist gut – er muß den Marinekommandanten Mork im unterseeischen Bezirk D III unterstützen. Es geht um sehr viel. Für Afrika und alle anderen Völkerblöcke, sofern sie sich den Weltbehörden unterstellt haben, und – was für Generaldirektor Sannam ausschlaggebend ist – für sein Unternehmen. Nol, der seit zwei Jahren als Tiefseekapitän in Diensten der Zentralregierung 4
steht, wird diese neue Aufgabe so anfassen, wie es seiner geraden und offenen Wesensart entspricht. Für Kapitän Nol gibt es immer nur ein Geradeaus. Es gibt Leute in der „Universal“, die das bedauern und gern mit Angeboten an den Kapitän herantreten möchten, über die man nur unter vier Augen zu sprechen pflegt. Sannam hat sie bereits vor solchen Dummheiten gewarnt. Er hat jetzt Hunger. Er ißt gut, läßt sich im schattigen, wohltemperierten Wohnraum auf seinem Bildempfänger eine Direktübertragung vom Mars vorzaubern und geht dann in sein Arbeitszimmer. Nach zwanzig Minuten hören der Sekretär und der Diener ihn gellend aufschreien. Als sie gemeinsam durch die braune Mattentür stürzen, sehen sie ihn gerade unter den unerträglich weißen und harten Schüssen von handlichen Strahlern zusammenbrechen. Die Strahler werden von zwei Burschen gehalten, die sich wie auf Kommando herumwerfen und durch das offenstehende, niedrige Fenster in den Garten springen. Dabei hat der eine von ihnen das Pech, seinen linken Fuß nicht mit hinüberzubekommen – er stolpert fluchend und fällt vornüber in den roten Sand. Der andere verschwindet in langen Sätzen. Der Sekretär federt heran und wirft sich einfach auf den Revolverhelden, der sich wieder aufrappeln will. Irgendwo rennt einer zum Alarmgeber. * Nach vier Minuten ist die Polizei da. Kommissar Tenko braucht nicht erst den Befund des Polizeiarztes abzuwarten, um festzustellen, daß Generaldirektor Sannam nicht mehr zu helfen ist. 5
Sie tragen den Toten zu einem Ruhelager, und dann führt der vor Erregung grau und faltig aussehende Sekretär den gestellten Mörder vor den Kommissar. „Am liebsten würde ich ihm alle Knochen brechen“, sagt er zitternd, „und das nicht auf einmal …“ Kommissar Tenko pfeift leise – ein Weißer – ein Westeuropäer anscheinend. „Nehmen Sie doch dem Henker nicht die Arbeit ab“, sagt er kalt und fordert den zerschrammten und vor sich niederblickenden Verbrecher nicht auf, sich zu setzen, obwohl er eine schlimme Beinverletzung davongetragen hat. Ein Polizist drängt den Sekretär sanft beiseite und stellt sich neben den Mörder. Mit aufgezogener Waffentasche. Tenko schätzt ihn mit einem langen und ruhigen Blick ab. Brutal und gefühllos, stellt er fest, reiner Gangstertyp, der wahrscheinlich auf Bestellung gehandelt hat. Aber das bringt ihn noch nicht weiter. Auch nicht die erste scharfe Vernehmung, die darauf folgt. Name? Achselzucken. Auftraggeber? Achselzucken. Nationalität? Achselzucken. Kommissar Tenko empfindet nun selber das Bedürfnis, diesem Burschen mit einigen Fausthieben zu sagen, was er von ihm hält, doch er unterläßt es. Er springt nur auf und brüllt los, daß sogar der Polizist zusammenzuckt. „Haltung annehmen, Mensch! Kopf hoch! Wie können Sie so vor mir stehen! Sehen Sie mir gefälligst in die Augen! Los – wird es bald?“ Nein, es wird nichts daraus, Kommissar! Der Verbrecher denkt nicht daran, einen Laut von sich zu geben und den Kopf zu heben. Ah, verdammt! Lassen Sie die Fäuste unten, Kommissar, es gibt Disziplinarverfahren … Tenko hat genug. Er geht in den Arbeitsraum, in dem noch immer der arme Sannam liegt, der sich jetzt keine Gedanken mehr über Zwischenbilanzen und die Pläne der Konkurrenz 6
mehr zu machen braucht. Tenko nickt ihm zu, als wolle er sagen: Du hast es gut, mein Lieber! Dann steckt er sich eine Zigarette zwischen die wulstigen Lippen, ohne sie anzuzünden, und läßt sich mit der zentralen afrikanischen Abwehr verbinden. „Seht euch den Killer mal an! Ich glaube, es ist ein Westeuropäer!“ „Die Westeuropäer sind in der letzten Zeit ziemlich nervös“, antwortete der von der zentralen Abwehr. „Dabei vergessen die Leute ganz, daß sie uns ihre Existenz verdanken! Ich schicke einen von meinem Dezernat ins Präsidium.“ „In Ordnung! Ich lasse ihn gleich hinbringen.“ * In Paris trifft Birger Vonhoge ein. Er sieht sehr braun, gesund und sportlich aus, als er das kleine, bescheidene Gebäude betritt, in dem der Geheimdienst des „Westeuropäischen Bundes“ seinen Sitz hat. Er lächelt dem wachhabenden Soldaten zu. Aber das Lächeln trügt. Er ist erst vor vier Wochen aus Südamerika zurückgekehrt, wo er einem internationalen Abenteurer einen Mikrofilm abzujagen hatte, der mehr über die projektierten westeuropäischen Besiedlungszentren enthielt als es der Regierung in Paris lieb sein konnte. Es ist ihm gelungen, doch er ist dabei ziemlich nahe an einem sicheren Genickbruch vorbeigerutscht. Immerhin hat es ihm vier Wochen Sonderurlaub eingebracht, und diese hat er in der Heimat seiner Vorfahren, im Siedlungsdistrikt 18, das sich vom Unterrhein bis nach Jütland hinauf erstreckt, verbringen wollen – am Strand der Nordsee … Aus diesen Sommerträumen hat man ihn herausgeholt. Es ist verständlich – der westeuropäische Geheimdienst ist 7
miniaturhaft klein gegenüber denen der anderen Staaten, und zur sogenannten „Ersten Klasse“ zählen nur zwölf Mann. Einer von ihnen heißt nun einmal Birger Vonhoge. Westeuropa hat überhaupt schwer zu kämpfen. Seit es am 1. Oktober 2503 von den paar Tausend „Atlantinern“ neugegründet wurde, hat man – vor allem aus dem übervölkerten Australien und aus dem panamerikanischen Siedlungsgebiet in Finnland – noch nicht elf Millionen Siedler ins Land geholt, und die verlieren sich in einem Gebiet, das von Irland über Großbritannien, Frankreich und Deutschland bis an das frühere Staatsgebiet der Polen reicht. Es ist nichts als eine riesige Öde, in der in den letzten hundert Jahren aus den Verwüstungen und den elementaren Umwandlungen eines Atomkrieges heraus Urwälder aufgewachsen sind, die weite Flächen Westeuropas bedecken und einsame, von radioaktiven Einwirkungen zu skurrilen Wucherungen getriebene Felder, durch die wilde Tiere herrisch und angriffslustig streifen. Nur die Flüsse und die Gebirgszüge verleihen diesem Westeuropa noch sein vertrautes geophysisches Bild – sonst ist nichts außer zerstörten und verfallenden Städten und verlassenen Dörfern, die trostlos und morsch unter dem Himmel stehen. Es ist eine Öde – doch sie wird seit einigen Jahren wieder mit Hilfe der modernsten technischen Mittel unter ständiger Kontrolle gehalten. Von Paris, Berlin und London aus, denn diese drei Weltstädte sollen in den nächsten zwanzig Jahren möglichst wieder zu ihrer alten Bedeutung gebracht werden, während zehn andere Städte – von Lissabon bis Oslo – „Distriktszentren“ wurden, von denen aus die neuen Siedlungsräume verwaltet werden. Der Mensch wird sich Westeuropa zurückerobern. Doch es wird lange dauern – auf gut 200 Jahre schätzt man diesen Prozeß, der nun mit ungeheurer Energie angekurbelt wird. Schon 8
ist ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Entstehen, auch unter den Siedlern, die aus Australien und dem amerikanischen Siedlungsgebiet Finnland gekommen sind, schon ist die erste von ihnen gewählte Versammlung an der Arbeit, schon haben sich die neuen Westeuropäer eine Flagge und eine Hymne gegeben und schon steht eine kleine, aber in ihrer Ausrüstung hochgezüchtete Truppe. Westeuropa hat einen Vertreter im Weltrat in Mexiko-City. Seine Hauptstadt für die ersten zehn Jahre ist Paris. * Birger Vonhoge schüttelt die ihm dargebotene Hand. Es ist dieselbe Hand, die einige Stunden vorher auf einer Karte hinter seinem Namen ein längliches Kreuz zeichnete. Das weiß Birger Vonhoge nicht, aber er kann sich denken, daß sie ihn nicht hierhergeholt haben, um ihm schöne Worte zu sagen. Schöne Worte sagt Dr. Anderson grundsätzlich nicht. Dr. Anderson ist der Chef des westeuropäischen Geheimdienstes. „Tut mir leid, Vonhoge“, beginnt er und grinst dabei. „Besonders glücklich sehen Sie ja nicht aus.“ „Als der Befehl eintraf, baute ich gerade an meiner neuen Jolle.“ „Ausgezeichnet“, nickt Dr. Anderson trocken, zeigt auf einen Sessel und nimmt selber seine Karte und Zigaretten mit hinüber. Dann drückt er einen roten Knopf ein, worauf die Tür zu diesem Zimmer automatisch blockiert wird, und breitet die Karte vor dem bereits sitzenden Vonhoge aus. „Sie haben recht, Vonhoge – das Wasser ist bei dieser Jahreszeit der angenehmste Aufenthaltsort.“ „Kommt ganz darauf an, unter welchen Umständen man sich 9
darin aufzuhalten hat“, wehrt Birger Vonhoge mißmutig ab. Dr. Anderson lacht. „Gut gegeben, Vonhoge! Ich will Ihnen nichts vormachen! Sie müssen raus! Zigarette?“ „Und einen roten Feuerstern, bitte!“ Wie in einer Bar bekommt er das scharfe Zeug ohne weiteres, und dann wird er sachlich und ist nicht mehr der maulende Junge. „Wohin?“ „Haben Sie mal was von dem unterseeischen Bezirk D III gehört?“ „Dort wird Beatom gewonnen, wie?“ „Soll gewonnen werden! Sie sind noch nicht soweit. D III liegt dreißig Seemeilen südlich von Sankt Helena in einigend Tausend Metern Tiefe auf dem Meeresgrund und soll abgebaut werden! Kapitän Nol fand es vor zwei Jahren, als er seinen verrückten Tiefseespaziergang unternahm. Was Beatom ist, wissen wir alle und wie knapp es ist, auch! Es ist ganz einfach wie ein himmlisches Geschenk für den, der es abbauen darf. Praktisch ist es nun so, daß jeder Beatomfund unter der Kontrolle des Weltrates abgebaut und aufgeteilt wird – das bedeutet, daß auch wir unseren Anteil erhalten werden.“ „Ich verstehe.“ „Zum vorläufigen Treuhänder über den Bezirk, in dem gegenwärtig die Anlagen zur Gewinnung des Beatoms und zur Unterbringung der künftigen Belegschaft von afrikanischen Arbeitern errichtet werden, haben sie Nol gemacht. Später soll das Ganze den Namen ‚Ozean-Werke’ erhalten.“ „Haben wir bereits Leute dort?“ „Ein paar. Hansen als Beatomspezialist, seine Schwester, einen Physiker Schall und zwei oder drei mehr …“ „Die Afrikaner dominieren also.“ 10
„Das ergibt sich aus dem Umstand, daß Sankt Helena afrikanisches Hoheitsgebiet ist. Als Beauftragter des Weltrates befindet sich der panamerikanische Oberst Gerwin unten.“ „So wie ich die Afrikaner kenne, werden sie die Treuhandschaft korrekt ausüben.“ „Davon bin ich überzeugt“, zwinkert Dr. Anderson, „jedoch noch nicht hundertprozentig.“ Vonhoge blickt rasch auf. „Warum nicht, Doktor?“ „Sehen Sie, Vonhoge, ich bin ein sehr empfindsamer Mensch“, grinst der westeuropäische Geheimdienstchef etwas trübe. „Wahrscheinlich hätte ich lieber Geistlicher oder Psychiater oder so was werden sollen! Aber es kann nicht schaden, wenn auch ein Mann in meiner Stellung an Ahnungen leidet.“ Birger Vonhoge schenkt sich selber einen neuen roten Feuerstern ein – er ist sehr ernst dabei, obwohl ein anderer vielleicht feixen würde. „Und Sie leiden auch jetzt darunter, Doktor?“ „Leider“, seufzte Dr. Anderson. „Ich will zu Fuß zum Nordpol gehen, wenn sich in D 3 alles so entwickelt, wie die Weisen in Mexiko es geplant haben! Irgend etwas stimmt nicht! Ich weiß nicht, was – aber das muß ich wissen, ob unsere Interessen darunter leiden könnten.“ Birger Vonhoge nickt, pfeift ganz leise und kurz und blickt auf die Karte, in der südlich von Sankt Helena ein Quadrat rot eingezeichnet ist. „Verstehe schon, Doktor – ich möchte aber gern wissen, wie ich dort rankommen soll.“ „Trauen Sie sich einen kleinen Marsch über den Meeresboden zu?“ Birger Vonhoge sieht dem Geheimdienstchef gerade in die Augen, und er grinst nun ebenfalls ein wenig. „Die nette Gegend, in der ich mich umsehen soll, liegt nur 4130 Meter unter 11
dem Wasserspiegel! Das ist Tiefsee, Doktor! Versuchen könnte ich es – nur: wenn man mich erwischt?“ Dr. Anderson hebt die Schultern. „Das ist weiter nicht schlimm und kostet nicht Ihren Kopf. Wahrscheinlich wird man Sie dort unten zunächst festhalten und dann nach Arra oder Mexiko-City abschieben, um Sie nach einigem Hin und Her wieder auszuliefern. Ich kriege natürlich von oben eins aufs Dach! Vor einigen Wochen ist es dem australischen Geheimdienst mit seinem besten Mann so ergangen – wahrscheinlich leiden sie in Canberra auch an Ahnungen.“ Vielleicht ist es Selbstironie, vielleicht … Birger Vonhoge denkt nicht weiter darüber nach. Natürlich, man kann anmarschieren! Mit einem A-Magnet-Feld im Helm des Druckanzuges, das den netten kleinen Druck von gut 40 000 Tonnen Wasser von sich aus aufhebt. „Die Marine wird Sie soweit ranbringen wie möglich. Dann müssen Sie allein mit einem Tiefseeschlitten weiter. Verpflegungsstoffe für zwei Wochen haben Sie bei sich. Der Tiefseetaucher der Marine wartet an der Stelle, an der Sie aussteigen und zwar so lange, bis von Ihnen zwei verabredete Zeichen durchkommen.“ „Diese Zeichen bedeuten?“ „Eines, daß Sie zu dem Taucher zurückkehren und bereits in seiner Nähe find.“ „Das andere?“ „Daß Sie Ihrer Festnahme nicht entgehen können! Es ist unbedingt erforderlich, daß Sie auch dann das Zeichen geben, damit es nicht etwa zu einem Zwischenfall kommt.“ „Ihre Umsicht ist bemerkenswert, Doktor!“ Das ist nun allerdings offene Ironie.
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* Dr. Anderson nimmt sie ihm nicht übel. Seine Ahnungen sind im ganzen westeuropäischen Geheimdienst bekannt, und sie sind mindestens ebenso zuverlässig wie irgendeine Prognose der exakten Wissenschaft. Birger Vonhoge geht in dem kleinen, noch sehr primitiven Marinestützpunkt Calais an Bord eines Tiefseetauchers der westeuropäischen Kriegsmarine. Sie tauchen gleich weg, als sie die Biskaya hinter sich haben, und der träge rollende Ozean brütet wie flüssiges Blei über ihnen. Birger steht neben dem Kommandanten und sieht auf den viergeteilten Leuchtkreis, in dem ein winziger Punkt auf dem schwarzen Grund geistert. D III. Die überempfindlichen Zellen in den optischen Außenkammern des Tauchers nehmen die durch die verschiedenen Meeresströmungen geleiteten Strahlen bereits aus dieser riesigen Distanz auf und leiten sie weiter. „Wir kommen höchstens bis auf 150 Meilen heran“, stellt Vonhoge sachlich fest, als er zwei kleine Hebel am Leuchtkreis umlegt und sich um den leuchtenden Punkt D III ein Kranz von kaum wahrnehmbaren und unruhig schimmernden Strichen ausbreitet. „Die Abschirmung – die sehen sich verdammt vor, was?“ Der Kommandant nimmt eine genaue Messung vor. „140 Meilen genau, wenn man die letzten selbständigen Ausstrahlungen mit berücksichtigt. Auf 180 kann ich ran, Vonhoge! Tut mir leid, aber dann müssen Sie raus!“ Birger hat ein Gefühl in der Magengegend, das gar nicht angenehm ist. Er hatte es auch, bevor er in Buenos Aires den abenteuern13
den Señor auf einem Hochhaus stellte und dabei fast abgekippt wäre. „180! Aber bei einer so intensiven Abschirmung komme ich kaum mit dem Schlitten durch.“ „Verrückter Einfall von Anderson!“ „Sie haben gut schimpfen!“ * 140 Meilen! Die Abschirmung ist wie ein fester Gürtel, der jeden größeren Gegenstand meldet, sobald er ihn berührt. Sein Mittelpunkt bildet ein flaches, kreisförmiges Gebäude, das weiß und kaum fünf Meter hoch wiederum in der Mitte einer Ansammlung ähnlicher Gebilde liegt. Vier sind es, und untereinander sind sie durch Verbindungsgänge verbunden, die wie knallrote Schlangen eben aus dem Tiefseeboden ragen, der hier sandig und tückisch ist. 4130 Meter tief. Weiter zurück, vielleicht drei oder vier Meilen von dieser gespenstischen und scheinbar unbewohnten Kolonie entfernt steigt der Strahlenpilz des Beatoms aus den Bodenrinnen. Steil und hart und klar wirft er sich hoch, bis er in zweitausend Meter Höhe auf eine intensive Meeresströmung trifft, die ihn bricht und über das weite, unterseeische Land ergießt. In dem mittleren Gebäude sitzen zwei Männer. Sie haben ebenfalls einen Leuchtkreis vor sich – nur ist dieser wesentlich größer als der im westeuropäischen Taucher, und er zeigt das weite Gebiet innerhalb der Abschirmung. Ein Summton läßt die beiden auffahren. Einer drückt eine Taste ein, und eine scharfe Stimme dringt zu ihnen. „Kapitän Nol ist eben im inneren Bezirk eingetroffen! Bitte, die Zeit!“ 14
Der Überwacher stellt die Zeit fest und raucht dabei eine Zigarette, als befände er sich einige Tausend Meter höher und ließ sich die afrikanische Sonne auf den kraushaarigen Schädel brennen – er wirft sie aber rasch weg, als sein Kamerad ihn anstößt. „Bei allen Göttern – da ist was!“ „Wo?“ „118/B 17 …“ „Du bist reif für den Augenarzt“, grinst der andere anzüglich und prüft genau. „Alles ruhig – vielleicht ein Kamar?“ „Mach keine Witze, Mann!“ * Birger Vonhoge liegt lang ausgestreckt. Unter ihm befindet sich eine schmale Platte, kaum breiter als sein schlanker, elastischer Körper, um ihn ist ein glasartiger Torpedo. Dieses Gebilde rutscht mit ihm durch den schmutzigroten Tiefseeschlamm auf D III zu. Er trägt einen besonderen Schutzstreifen vor den Augen, der aus gläsernen Rundfiltern zusammengefügt ist, und doch beginnen sie unter einem dumpfen Druck zu schmerzen. Birger Vonhoge kann nicht sagen, ob das nur von dem sturen Geradeausstarren und dem zittrig magischen Leuchten kommt, das die Tiefsee vor ihm verzaubert. Er findet sie allerdings nicht zauberhaft. Der ganze Auftrag paßt ihm nicht. Er verflucht die Ahnungen seines Chefs in allen unfeinen Tönen und versucht sich unwillkürlich in eine abenteuerlustige Stimmung hineinzupeitschen, die ihn vorwärtstreiben soll. Noch 120 Meilen. Der Tiefseeschlitten, den die westeuropäische Marine nach dem Prinzip des Nolschen „Benthos-Torpedo“ entwickelt hat, 15
kann allerhand leisten, doch es ist gut, daß sich vor ihm nur die Unendlichkeit einer Ebene dehnt. Bei 108 packt es ihn. Er kann nicht mehr. Sie haben mich schon, denkt er, sie haben mich schon in ihrer verdammten Abschirmung. Es hat so keinen Zweck mehr. Er stoppt und macht etwas ganz Verrücktes. Er steigt aus. * Geht zu Fuß weiter. Das A-Magnet-Feld in seinem Helm arbeitet und hebt den ungeheuren Wasserdruck auf, der ihn sonst wie ein Staubkörnchen so ganz nebenbei etwas zusammenquetschen würde. Birger Vonhoge schaltet den Brustscheinwerfer nicht ein. Es ist auch ziemlich gleich, ob er in dem unwirklichen Schein des fernen Phantoms ins Unbekannte marschiert oder einen schmalen, hellen Pfad vor sich hat. Was um ihn ist, ist fremd und lauert und kann jeden Augenblick schleimig und mit glosenden Dämmeraugen nach ihm langen. Er flucht laut und noch unfeiner, um nicht vor Grauen in die Knie zu gehen. Aber er hält durch. Die ersten tausend Meter, und noch einige dazu. Sie sind nicht schön. Bei jedem Schritt muß er das scheußliche Gefühl überwinden, ins Bodenlose zu sinken. Unter ihm ist es weich und nachgiebig. Was sich ab und zu fast kniehoch um ihn legt, sind weiße Schlingpflanzen, die so anschmiegsam sind, daß er sich gewaltsam von ihnen losreißen muß. Rechts von ihm gurgeln Trichter schräg hoch, und an seinen Beinen steigen giftgrün schillernde Blasen auf, die irgendwo über ihm zerspringen. 16
Das Geistern des Beatoms bleibt so fern wie es vorhin war. Birger Vonhoge bleibt stehen und sieht sich um. Irgendwo weit hinter ihm liegt sein Tiefseeschlitten. Sehen kann er ihn nicht mehr. Aber er hat ihn noch in seiner Gewalt, er kann ihn herandirigieren, wenn er will. An seinem rechten Handgelenk trägt er eine Skala, mit der er ihm Impulse übermitteln kann. Er wartet noch und blickt angestrengt nach Süden. Wenn sie kommen, hat er nur noch eine Chance, und die ist so winzig, daß er nicht daran zu denken wagt. Nach zehn Minuten stampft er weiter. Den Schlitten läßt er vorsichtig folgen. * Sally Sannam lächelt nicht … Seit drei Tagen nicht mehr. Sie zeigt nicht, wie nahe ihr der Tod ihres Onkels geht, aber jeder, der in die erstarrten Züge des zarthäutigen Mädchens sieht, muß erschrecken. In Sally Sannams Augen glüht der Haß. Ihre Bewegungen sind so katzenhaft geschmeidig wie immer, und wenn sie schön und schlank und sehr rassig durch die Räume von D III geht, drehen sich stets die Techniker und Tiefseemänner nach ihr um. Nur, sie wenden sich rasch wieder ab und sind beschämt und verwirrt, ohne zu wissen, warum eigentlich … Auch Kapitän Nol ergeht es so. Als sie in den großen Rundraum tritt, von dem aus er den Bau der Ozean-Werke überwachen soll, drückt er rasch seine Zigarette aus und erhebt sich. Er will etwas sagen, aber der Glanz ihrer großen Augen ist so kühl, daß er sich nur leicht verneigt und auf ihre schmalen Hände sieht, die einen länglichen Behälter mit Gesteinsproben auf die Tischplatte legen. Sally Sannam ist Geologin und besitzt den Doktorgrad. 17
„Wir haben die Steine bereits im Labor untersucht.“ „Aus dem Tunnel?“ fragt er knapp und nimmt einen kleinen, gelblichen Stein vorsichtig hoch. „Wird es gehen?“ „Der Tunnel kann in zehn Tagen bis auf weitere dreihundert Meter vorgetrieben werden“, erwidert sie ruhig, und doch ist da ein Schwingen in ihrer Stimme, das ihm nicht behagt. „Ich muß Sie aber bitten, mich in eine andere Abteilung zu versetzen.“ „Warum?“ „Ich bin gezwungen, im Tunnel mit dem Ingenieur Hansen zusammenzuarbeiten – und das lehne ich ab, weil er Westeuropäer ist.“ „Sie hassen die Westeuropäer?“ „Ich bedauere, daß Sie vor vier Jahren die Reste dieses Volkes aus dem Atlantis-Tief gerettet haben – ich hätte es nicht getan.“ Sein Blick hebt sich von dem Stein und geht prüfend über ihren schönen Körper, bis er wieder die abgrundtiefe Kälte in ihren Augen bemerkt und zum zweitenmal davor erschrickt. Aber Kapitän Nol hat wenig Verständnis für die Haßgefühle eines jungen Mädchens. „Sie werden von morgen an in der Auswertung arbeiten“, erwidert er scharf und leise. „Da mich die Vorschriften des Weltrates binden, nach denen keiner, der in der Station arbeitet, diese vor Aufhebung der Sperre verlassen darf, bin ich leider gezwungen, Sie hier unten zu behalten. Ich bitte Sie aber, hübsch sachlich zu bleiben, meine Dame! Sie wissen wohl, daß es in IV auch einige Räume gibt, in denen man scharf bewacht wird, wenn man einmal drinnen sitzt.“ Sie weicht seinem Blick nicht aus, und er spürt, daß er von dieser Minute an eine Feindin hat. „Sie können gehen, Fräulein Sannam!“ Sally will nicht gehen; in ihr bricht etwas los, was in einem 18
wilden Aufschrei über ihn herfahren will – aber sie dreht sieh dann doch um und verläßt den Raum. Die Schottür gleitet hinter ihr automatisch zu. „Verdammte Katze“, sagt er vor sich hin und knallt den kleinen Stein auf die Tischplatte. In diesem Augenblick lacht einer hinter ihm auf. Ein Hüne von einem schwarzen Kerl tritt aus dem Nebenraum, in dem einige verantwortliche Ingenieure über Karten gebeugt stehen. Free Horrang heißt er und ist der technische Chef von D III. Nol wendet sich ihm ohne Begeisterung zu. „Ich werde nachher mit Arra sprechen, damit wir von Fräulein Sannam befreit werden.“ Dr. Horrang wehrt mit beiden Händen ab. „Tun Sie das nicht, Kapitän! Ich liebe Sally, und ich weiß auch, sie ist nicht so, wie sie sich in diesen Minuten gab! Sie müssen es verstehen! Ihr Lieblingsonkel wurde von einem Westeuropäer ermordet.“ „Das berechtigt eine Frau von ihrem Niveau nicht zu unsachlichen Entgleisungen“, sagt Nol kalt. „Wenn Sie Fräulein Sannam lieben, so werden Sie vielleicht auch bemüht sein, uns vor weiteren Ausbrüchen ihrer Haßgefühle zu bewahren.“ „Ich werde schon mit ihr fertig werden.“ Der Hüne fletscht die Zähne und bleibt neben Nol, als der Alarmgeber aufbrummt. Nol stellt auf Empfang. „Überwachung!“ meldet sich eine blecherne Stimme. „Im Dreieck 118/B 17 beobachten wir seit einer halben Stunde eine Störung, die sich in Richtung auf B 21 fortbewegt.“ Nol ruft über die Schulter zu Fregattenkapitän Mork hin. „Mork – komm mal her!“ * Drei Minuten später rückt die 2. Staffel aus. Ingenieur Holm Hansen kehrt gerade aus dem Tunnel zu19
rück, der vom Stationsgebäude III aus zu der Beatomquelle im felsigen Meeresboden vorgetrieben wird. Er bleibt in einem der Verbindungsgänge stehen und sieht, wie die vier Tauchboote aus ihrem Hafenbunker gleiten. Sie fahren in Kiellinie dicht an ihm vorbei. Im dritten Boot erkennt er Mike Schall und winkt ihm zu, was der andere aber nicht sieht. Mike Schall hat vorhin noch neben ihm gearbeitet, und er fährt nur mit, weil es ihm Spaß macht und er sich mit den Jungen von den afrikanischen Tauchbooten gut versteht. Holm Hansen sieht das alles. Dann geht er weiter. Richtig in sich aufgenommen hat er es allerdings nicht, und als ein afrikanischer Marineoffizier an ihm vorbeirennt und ihn fragt, was denn bei allen Teufeln und Meerjungfrauen los sei, gibt er irgendeine dumme Antwort, die den anderen veranlaßt, ihm kopfschüttelnd nachzusehen. Holm Hansen geht weiter, durch das Stationsgebäude IV zu V, wo die Wohnräume der technischen Abteilung liegen. Er sieht gut aus – er hat nur etwas verträumte Augen und träumt gern vor sich hin. Auch heute wieder. Er geht in den Baderaum, wo er sich abduschen und frisch machen kann von den Anstrengungen der gefährlichen Schicht und läßt sich dann in der Kombüse sein Essen geben. Dabei beschäftigt ihn nur eine Frage: Was ist mit Sally los? Weshalb hat sie mir vorhin den Rücken zugekehrt? Holm Hansen schmeckt das Essen gar nicht. * Mike Schall sitzt neben Marka. Marka ist Sudanese und einer der verwegensten Tauchboot20
führer der Station In der engen Kanzel des kleinen bulligen Bootes, das von zwei Düsen vorwärtsgetrieben wird, ballt sich die Spannung, die sie bei jedem ernsten Einsatz erfaßt. Viel zu tun haben die Staffeln von D III allerdings noch nicht gehabt. Vor einigen Wochen haben sie den wahnsinnigen Australier gefaßt, der mit einem Miniaturtaucher zur Station vordringen wollte. Er sitzt jetzt in einem der Gefangenenräume, wird scharf bewacht, raucht vierzig Zigaretten am Tag und legt sich Patiencen mit geliehenen Karten. „Vielleicht ist das wieder so ein Idiot.“ „Den fischen wir uns so nebenbei raus …“ „Die Jungen tun ja auch nur, was sie für ihre Pflicht halten“, sagt Mike Schall mit großen Worten und richtet den Bugscheinwerfer etwas aus. „Aber daß die Leute immer schnüffeln müssen.“ Der gute Mike ahnt nicht, was ihm noch bevorsteht. Markas Ebenholzgesicht ist schweigsam unter der enganliegenden Haube. Sie jagen in aufgelockerter Kette voran und kämmen das ganze Gebiet ab, das um 118/B 17 liegt. Marka nickt. Seine mächtige Faust hält die Steuersäule, während er mit der anderen eine pendelnde Bewegung macht. „Wir müssen vertikal staffeln – frag mal an …“ Da kommt schon der Befehl: „Boot 8 auf 95 gehen!“ * Birger Vonhoge sieht die Scheinwerfer. Wie heranbrausende Gespenster sind sie, als sie an der Kim der Tiefseewüste auftauchen. Er stoppt gleich wieder seinen Schlitten, der ihm roboterhaft und fügsam wie ein treuer Hund folgt. Er selber stampft weiter. 21
Ich habe jetzt nur noch die Chance, sie zu überlisten – ich muß mit einem ihrer eigenen Tauchboote ran. Der Schlitten steht jetzt ungefähr vierhundert Meter von ihm ab, und er hofft, daß sie auf den Dreh hereinfallen. Zu seinem Glück sind sie aber mißtrauischer als er annimmt. Die Kette der heranpreschenden Scheinwerferaugen zieht sich noch mehr auseinander. Sie halten verschiedene Höhen. Birger Vonhoge sieht einen direkt auf sich zukommen. Er ist noch sehr hoch, aber sein mächtiger Scheinwerferstrahl haut vor ihm schräg auf den Meeresboden und wischt über ihn hin. Birger Vonhoge schlägt einen Haken, um aus der Bahn des Tauchbootes zu kommen, aber dabei trifft er auf eine Stelle im sandigen, grasüberwachsenen Boden, die gleich nachgibt – er zieht den Fuß mit angehaltenem Atem und hämmerndem Herzen wieder zurück. Dann steht er und kann sich nicht mehr rühren – – Vor ihm steigt aus dem Sand eine gallerartige Masse, die bläulich schimmert und doch von einer ekelerregenden Durchsichtigkeit ist. Sie ist erst zehn oder fünfzehn Zentimeter stark, aber sie breitet sich rasend schnell aus und wächst ihm entgegen – und mit ihr ein weißes Polypauge, das sich im Aufquellen der Masse öffnet und starr und unsagbar bösartig auf ihn gerichtet ist – – Auch Nol hat einmal vor einer solchen Bestie gestanden, aber er handelte richtig – Birger Vonhoge kennt dieses Tiefseegebiet nicht – – Er reagiert falsch. Mit einem Gurgellaut des Abscheus stößt er den rechten Fuß wieder vor, haut wütend in diese kalte Schwammigkeit, die sich gleich saugend um ihn schließt, und als er ihn abermals zurückziehen will, verliert er das Gleichgewicht und fällt vornüber … 22
Auf das Polypenauge zu. In die gallertartige Masse hinein, die immer höher wächst und sich ausbreitet … Er schließt die Augen, als es dumpf an ihm aufprallt. * „Noch nichts gefunden?“ Kapitän Nol tritt zu dem Marinkommandanten, der vor seiner Projektionswand steht und den Schwarmflug der Staffel verfolgt. Fregattenkapitän Mork schüttelt den Kopf. Irgendwo tickt es aufreizend und gleichmäßig. „Noch nicht – aber da ist was – –“ „Gib es mir dann gleich durch“, bittet er seinen alten Kameraden und geht wieder zurück in seinen Arbeitsraum. Er läßt hinter sich die Schottür zusummen, denn Oberst Gerwin und Dr. Horring warten auf ihn. Der Oberst ist vorhin vorn im Tunnel gewesen. „Ich glaube, Sie haben recht, Nol“, sagt er ernst. Nol lädt sie nicht erst zum Sitzen ein. Er geht schweigend an den beiden vorbei zu der großen Sichtscheibe, die den Blick freigibt auf die tollste Landschaft, die man sich denken kann: weit vor ihm bricht aus der Erde der massige Strahl des Beatoms und wirft die Kraft seines magischen Leuchtens über alles, was in weitem Umkreis die Tiefsee belebt … Bis an die westafrikanische Küste heran ist sie zu spüren. Oberst Gerwin hat eine Tabelle mitgebracht, in die er vorhin Zahlen eingetragen hat. Dr. Horring liest sie interessiert ab und zieht dann sein Zigarettenetui. Nol sieht zu dem Beatompilz hin, als werde er sich noch einmal mit dem Riesen messen müssen. Er fürchtet ihn nicht – aber er weiß, daß sie bald auf eine Energiequelle stoßen wer23
den, von der aus tausend und mehr Höllen über die Weiten des Atlantiks hereinbrechen können. „Mein lieber Freund Horrang wollte es mir nicht glauben“, sagt er dann, „aber Professor Sen-Al und Hansen machten mich darauf aufmerksam: Das Beatom pulsiert in einem Rhythmus, der über Jahrzehnte geht, und wir sind gerade in eine Aufwärtsentwicklung hineingeraten …“ „Ich nehme an, daß in schätzungsweise zehn Monaten eine gewisse vorläufige Spitze in der Energieausstrahlung erreicht sein wird, von der aus dann die Entwicklung in steigendem Maße zunehmen wird.“ Dr. Free Horrang steckt sich eine Zigarette an. „Ich gebe mich geschlagen! Wahrscheinlich bin ich von einem falschen Ausgangspunkt an das Problem herangegangen.“ „Das ist nicht schlimm“, beruhigt ihn Nol, wendet sich von dem strahlenden Biest ab und kommt zu ihnen zurück. „Schlimmer ist es unter diesen Umständen allerdings, daß es auf der Erde irgendeinen Mann oder eine Mächtegruppe zu geben scheint, die gegen uns arbeitet.“ Oberst Gerwin sieht ihn nachdenklich an. „Wenn wir an die Quelle heran sind und uns pfuscht einer dazwischen …“ „Das wäre nicht auszudenken“, fährt Dr. Horrang hart und impulsiv dazwischen und wirft sein Feuerzeug auf die Tischplatte, daß es darüber rutscht. „Es geht mich ja nichts an, aber …“ „Wir sind von der zentralen Abwehr in Arra darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich seit einigen Wochen unbekannte Schiffe und Flugboote in unserer Nähe – das heißt, immerhin noch mehr als 200 Meilen entfernt – herumtreiben, die bei der Annäherung afrikanischer Seestreitkräfte spurlos verschwinden“, gibt ihm der panamerikanische Oberst sofort Auskunft. „Ob der Mord an Generaldirektor Sannam, der ja einer der Be24
fürworter einer Aufteilung des Beatomvorkommens war, damit zusammenhängt, wissen wir noch nicht …“ „Also nichts Greifbares.“ „Noch nicht! Weder was das Motiv dieser Unbekannten noch ihre Herkunft anbelangt – gewisse Verdachtsmomente lassen allerdings auf eine Beteiligung von Westeuropäern schließen …“ Dr. Horrang muß lachen. „Das lassen Sie nur nicht Sally hören.“ „Schweigen Sie darüber, Doktor!“ * Mike Schall stößt Marka gegen den Oberarm. „Damned! Eine Höllenqualle – und sie hat einen eingefangen – –“ Der Afrikaner sagt kein Wort – er weiß, was es bedeutet, von einem dieser unterirdischen, tierhaften Gallertscheusale angefallen zu werden. Er wird etwas grau im Gesicht, beim Gedanken an das Ungetüm. Sie gehen nieder, während Mike Schall dem nächsten Tauchboot über Sprechfunk seine Entdeckung zuruft. Dann greift er schon in die Ausstiegshebel und springt als erster durch die schmale Schleuse. Birger Vonhoge ist fast nicht mehr zu sehen. Nur noch sein Unterkörper ragt aus der schwammigen Massigkeit hervor, die immer noch weiter aufquillt und schon fünf oder sechs Meter hoch ist – das weiße Polypenauge ist wie ein höhnischer Anruf aus unbekannten Tiefen. Sie rennen nebeneinander darauf zu. Marka schluckt, als müsse er sich gleich übergeben. „Den holen wir nicht mehr raus!“ „Doch!“ sagt Mike Schall entschlossen. „Nicht weiter! Bleib stehen! Laß mich erst!“ 25
Er reißt seinen Hotstrahler hoch und zielt so, daß der Strahl einen halben Meter über dem Körper Vonhoges in die lebende Scheußlichkeit dringt und sie regelrecht zerschneidet. Das Polypenauge bleibt unbeweglich, aber es sieht sie mit einer sturen Feindseligkeit an, daß Marka unwillkürlich zu allen seinen Göttern betet. Weiter zurück landet ein zweites Tauchboot. Wenn das gleich auf uns zurutscht, schießt es Marka durch den Kopf, daß ihn das kalte Grausen packt, aber er weicht nicht zurück – er geht nur etwas beiseite und hebt ebenfalls seinen Rotstrahler, um Mike Schall helfen zu können. Aber Mike schafft es. Die Höllenqualle wächst nicht mehr. Der messerscharfe Strahl des Rotstrahlers zerlegt sie. Und dann auf einmal geschieht, was der Afrikaner befürchtet hat – der obere, meterhohe, abgeschnittene Teil mit dem Polypenauge beginnt auf sie zuzurutschen. Er bewegt das grünleuchtende Wasser, daß eine große Welle entsteht, und dahinter kommt die blaßblaue Gallertmasse heran. Marka sieht nur das Polypenauge und rennt weg. Rennt weg, faßt sich aber wieder und rennt noch vor Mike Schall und den von dem eben gelandeten, herüberkommenden Tiefseemännern in die Lücke, die zwischen dem noch immer stur und widerwärtig weiterrutschenden Oberteil und dem schon wieder nachwachsenden Scheusal klafft. Es gehört verdammt viel Mut dazu, hier ruhig zu bleiben. Mike Schall ist schon wieder neben ihm. Sie wissen, sie müssen schnell handeln – gleich wird ein neues Polypenauge hervorquellen. Birger Vonhoge rührt sich nicht mehr. Auch nicht, als sie ihm ein Seil so gegen das linke Bein werfen, daß es am Kniegelenk einhakt und ihn aus der Gallertmasse 26
herausziehen – das mag für einen ziemlich komisch aussehen, der nicht um das nackte Entsetzen weiß, daß eine Höllenqualle immer noch unter allen Tiefseemännern hervorruft. Endlich haben sie ihn vor sich. Was noch schleimig von der Masse an ihm haftet, rutscht in kleinen und größeren Stücken von seinem Druckanzug ab. Er scheint tot oder bewußtlos zu sein. Sie heben ihn auf und tragen ihn zurück zum Tauchboot. Die von dem Nachbarboot rudern schon aus der Ferne mit den Armen und sind viel aufgeregter als sie selber. „Zum Teufel! Hoffentlich lebt er noch!“ „Er atmet!“ stellt Mike Schall zufrieden fest. Als sie in der Schleuse sind, sieht er noch einmal zu der abgetrennten Gallertmasse hin, die sich nun ebenfalls langsam auflöst. Das Polypenauge ist erloschen. * Birger Vonhoge weiß das nicht. Er macht nur unbewußt eine Reflexbewegung, als sie ihn weiter in die Kanzel schleppen und Mike Schall bereits über Sprechfunk die anderen benachrichtigt. Diese Reflexbewegung löst über die Skala einen Impuls aus, und gleich darauf schießt einige hundert Meter von ihnen eine Stichflamme hoch, die sofort wieder erlischt – und dann ist nichts mehr – kein Tiefseeschlitten – nichts. Birger Vonhoge hat sich selber die letzte Rückzugsmöglichkeit abgeschnitten. „Wahrscheinlich hätte ihm der Schlitten auch nicht mehr viel genützt. Er rührt sich nur ab und zu, als sie mit ihm zur Station zurückrasen. Er rührt sich nur, wenn er noch spürt, wie er immer tiefer in der schwammigen Masse versinkt.“ 27
„Der wird noch schreien, verlaß’ dich drauf!“ „Wenn er zu sich kommt, ja“, nickt Marka. „Dann kommt erst der Schock. Das ist aber kein Afrikaner, mein Lieber!“ Mike Schall sieht es schon; er erkennt das fahle, farblose Gesicht unter der Kunstglasscheibe, das von dem unaufhörlichen Zucken der geschlossenen Augen verzerrt ist – das ist ein Weißer – und Mike hat ein komisches Gefühl dabei. Das ist ein Landsmann von mir! Ich muß nachher mit Holm Hansen darüber reden, überlegt er. Er sagt es aber nicht. * Der Doktor hebt ab. Daß ihm der hohe Marineoffizier in Calais nichts Günstiges mitzuteilen hat, ist ihm gleich klar. Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung ist denn auch nicht sehr freundlich. „Das Unternehmen ist mißglückt, Dr. Anderson! Was mit Vonhoge geschehen ist, konnten wir noch nicht erfahren. Er hat aber seinen Schlitten gesprengt, und das dürfte wohl das Zeichen dafür sein, daß sie ihn hochgenommen haben.“ „Ihr Tiefseetaucher …?“ „Hat sich inzwischen wieder in Marsch gesetzt – wir können Vonhoge nicht helfen ohne nicht einen bösen Krach zu riskieren.“ Der Geheimdienstchef schluckt den versteckten Vorwurf. „Natürlich nicht! Ich muß sehen, was ich für ihn tun kann! Ihnen danke ich einstweilen für das Entgegenkommen der Marine, Kommodore!“ Dr. Anderson legt auf und drückt wieder auf den roten Knopf, wodurch die Zimmertür blockiert wird. Drei Stunden bleibt er allein in seinem Arbeitszimmer. 28
Eine ganze Stunde geht er auf und ab und raucht endlos Zigaretten. Die helle Nachmittagssonne wirft schräg das Filigranmuster der Gartenbäume auf den Teppich, über den er immer wieder hin und her geht. Sie haben Birger Vonhoge geschnappt – das hätte nicht geschehen dürfen. Er führt zwei geheime Ferngespräche. * „Ein Westeuropäer?“ Oberst Gerwin nickt. Er hat eben gesehen, wie sie Birger Vonhoge in die Krankenstation gebracht haben. Er trinkt einen großen Schnaps und dann noch einen und schüttelt sich. „Ich nehme es an! Aber das ist – äh – stellen Sie sich vor: sie haben ihn aus einer Höllenqualle herausgeschnitten.“ Nols Gesicht ist hart. „Keine Papiere? Nichts?“ „Nichts!“ Der junge Kapitän sieht auf seine Armbanduhr und steht auf. Er kann sich jetzt nicht darum kümmern. „Ich muß in den Tunnel, Gerwin! Wenn das aber einer vom westeuropäischen Geheimdienst ist, ist was los – das kann ich Ihnen schon jetzt sagen.“ Gerwin lächelt. „Warum?“ „Mir ist nichts widerwärtiger als Mißtrauen!“ „Mir auch! Aber unseren schönen Augen allein traut so leicht keiner“, winkt der Panamerikaner mit der ganzen Erfahrung des älteren ab. „Das gegenseitige Mißtrauen ist das traurigste Erbe, das wir aus dem 2. Jahrtausend übernommen haben – offengestanden, Nol: Mir ist immer noch ein anständiger Kerl eines Geheimdienstes lieber als einer, der ganz im Trüben fischt.“ 29
Nol ist wütend. Er verabschiedet sich von dem Oberst und verläßt das Stationsgebäude I durch einen Verbindungsgang. Es ist am 17. Juli gegen 12 Uhr mittags. Im Tunnel warten sie schon auf ihn. Holm Hansen ist da und Mike Schall, Dr. Horrang und auch Sally Sannam, die als Geologin bei dem dritten Vortrieb auf das Beatom zu unentbehrlich ist. Dann noch ein Haufen anderer, bis auf einen alles Afrikaner. Sally Sannam wendet sich schroff ab, als er zu ihnen tritt. Auch sonst scheint hier etwas nicht zu stimmen. Nol bleibt wie angewurzelt stehen und sieht seine Leute an. „Horrang, verflucht – was ist das hier für eine Trauergemeinde?“ Der technische Chef zwinkert ihm verstohlen zu und grinst harmlos. „Na, ein Vortrieb ist schließlich nicht wie Eiscreme mit Schokolade! Wir sind wohl alle etwas aufgeregt, Kapitän!“ „Ich hoffe, es legt sich wieder“, sagt Nol scharf. Er geht an ihnen vorbei. Holm Hansen und Mike Schall folgen ihm zuerst. Erst in einem größeren Abstand die anderen. Sally neben Dr. Horrang. Nol wendet sich an Holm Hansen. „Zum Teufel! Was bedeutet das?“ zischt er leise. Holm Hansen ist sehr blaß und zittert, obwohl er ruhig erscheinen möchte. „Sie schneiden Schall und mich – ich weiß nicht, warum.“ Mike Schall nickt bekümmert. Er hat vorhin mit Marka gesprochen, mit seinem Marka, und sogar der hat nicht mehr so kameradschaftlich aus den Augen geguckt wie sonst. Nol schnippt mit den Fingern – er kann sich denken, warum das so ist. Und er ertappt sich im Dahinmarschieren bei dem wahnwitzigen Gedanken, daß er am liebsten alle Westeuropäer aus D III verbannen würde. Er verwirft ihn gleich wieder und schämt sich, ihn überhaupt gefaßt zu haben. 30
Das kommt nur von diesem verdammten Schnüffler, der wahrscheinlich Westeuropäer ist. Vor ihnen weitet sich der Verbindungsgang zu einer roh aus dem felsigen Meeresgrund gehauenen Halle. Eine eigentümlich graue und verschwommene Helligkeit hüllt hier alles ein. Auch die Gespenster, die aufrecht und in weiten weißen Schutzanzügen hier herumlaufen. Sie tragen Nummern, die rot und groß auf der Brust leuchten. Hinter schmalen Sichtstreifen starren die Augen groß und unnatürlich glänzend. Weiter zurück recken sich Scheinwerfer hinter einem roten Geländer, und dort beginnt auch der Fördertunnel, der in scharfer Schräge dem Beatom entgegenführt. Eines der weißen Gespenster tritt auf Nol zu. „Es ist alles klar, Kapitän“, meldet es mit einer Stimme, die sachlich und uninteressiert zugleich klingt. „Die letzte Meldung ergab bei 458 87,6 …“ „Horrang“, sagt Nol über seine Schulter zu dem technischen Chef, der neben ihn tritt. „87,6 – nicht schlecht, was?“ „Nicht schlecht?“ grunzt der schwarze Hüne und in seinen Augen funkelt es. „Mit solchen Werten habe ich allerdings nicht gerechnet. Wenn wir schon bei 458 87,6 von dem Grundwert haben, den wir ansetzten – wie wird es dann weiter unten sein?“ „Wir müssen uns auf was gefaßt machen“, nickt Nol. Er winkt Horrang und Hansen. Sie gehen an das Geländer und sehen in den Tunnel hinein, der ganz harmlos vor ihnen wegläuft. Ein schmaler, verhältnismäßig hoher Schlauch im dunklen rissigen Gestein der Tiefsee, der von den beiden Scheinwerfern mit weiß flutendem Licht übergossen wird und doch weit vor ihnen im Dunkeln endet. Ganz harmlos sieht das aus. Man darf eben nicht daran denken, daß einige hundert Meter dahinter ein Fegefeuer auf die wartet, die so vermessen sind … 31
Nol und die beiden anderen legen Schutzanzüge an. Sie sind aber blau und tragen keine Nummern. * Nur der Anführer der Gespenster begleitet sie. Wer diese Männer in den weißen Schutzanzügen sind, weiß eigentlich keiner recht. Es sind immer zehn, und sie werden in einem Turnus von zwei Wochen von einem afrikanischen Marinetaucher abgelöst. Es sollen Strafgefangene sein, oder arme Teufel, die nichts mehr zu verlieren haben, weil sie schon früher einmal radioaktiven Strahlungen erlegen sind und nun den Rest ihres verlorenen Lebens freiwillig diesem großen Werk hingeben. Sie wohnen und leben für sich. Sie sind die Männer, die in D III am schwersten gesundheitlich gefährdet sind, da sie immer im Vortrieb arbeiten. Sie schweigen. Nur ihr Anführer spricht mit Nol, Gerwin, Horrang und Hansen. Diese vier sind auch die einzigen, die um ihr Geheimnis wissen, – und dar elegante, geschmeidige Herr, der wenige Minuten nach zwölf in Arra einen Funkspruch erhält. Es ist der afrikanische Wirtschaftsminister Alraso. Der Funkspruch ist von D III und teilt ihm in dürftigen Worten mit, daß sie heute mit dem dritten Abschnitt im Vortrieb beginnen werden. Der Wirtschaftsminister reicht den Streifen seinem Sekretär, der ihn einordnet und geht dann durch eine kostbare Mattentür in sein Arbeitszimmer, in dem zwei Herren auf ihn warten. Einer von ihnen ist der Chef der zentralen afrikanischen Abwehr, der aussieht wie eine gereizte Bulldogge, die sich gleich auf den Minister stürzen will. Alraso triumphiert. „Sie wagen es doch, nicht wahr – sie treiben heute den Tunnel weiter vor?“ 32
„Haben sie Werte durchgegeben?“ „87,6 bei 458.“ „Das ist nicht mehr zu verantworten“, sagt der Abwehrchef gepreßt. „Unter diesen Umständen nicht mehr.“ Alraso hebt die Schultern. „Darüber hat der Weltrat zu entscheiden, und im übrigen wird weder unsere Wirtschaft noch die der anderen Völkerblocks warten wollen, bis es der Abwehr gelungen ist, ihre Phantomgangster zu entlarven.“ „Sie scheinen es nicht ernst zu nehmen.“ „Das liegt ja an Ihnen, nicht an mir“, lächelt der Minister ironisch. „Bisher habe ich immer nur gehört, daß es Leute gibt, die den Beatomabbau in D III aus irgendwelchen Gründen stören wollen – mehr nicht.“ „Ich will Ihnen mal was sagen, Alraso.“ Der Abwehrchef beugt sich vor und sieht ihn von unten her an. „Wir sind keine Phantasten! Wenn wir Sie warnen, können Sie ruhig darauf verzichten, Ihren bekannten Sarkasmus spielen zu lassen. Die Marine jagt schließlich auch nicht zum Spaß die unbekannten Schiffe, die sich im Umkreis um D III herumtreiben! Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum Sannam sterben mußte? Denken Sie auch daran, daß die Geheimdienste von Australien und Westeuropa querschießen? Man sagt: aus Mißtrauen! Ist das wirklich nur Mißtrauen? He – Alraso?“ Der Blick, der von unten her den Minister gefaßt hat, läßt ihn nicht los. Alraso hebt wieder die Schultern. „Sie stellen mir Fragen, auf die Sie mir lieber fertige Antworten servieren sollten! Heute nachmittag werden unten in Halle D III die Großwerfer weiter in den Fels fressen – der Bau der Ozean-Werke läuft nächste Woche mit vollen Touren – wenn wir das Tempo durchhalten, werden wir im nächsten Jahr das Beatom haben! – zweifeln Sie daran?“ 33
„Allerdings!“ „Nun, es liegt ja an Ihnen, daß alles reibungslos verläuft.“ „Alraso, ich sehe, wir kommen gemeinsam nicht weiter.“ Der Abwehrchef steht auf. Er verneigt sich. Aber es ist klar, daß er es nur tut, weil es sich unter gebildeten Menschen so gehört. Es ist eine ganz verdammte Situation, und er hofft nur inbrünstig, daß es bald richtig knallen wird. Die Verneigung Alrasos ist von ebenso gemessener Höflichkeit. Auch der dritte Mann, der bisher geschwiegen hat, steht nun auf, um sich von dem Abwehrchef zu verabschieden. Als sie allein sind, wiegt der dritte Mann sein kahles Haupt hin und her und sagt sehr leise: „Das war unvernünftig, Alraso – wir können die Abwehr nicht einfach übergehen.“ „Ist Ihnen was aufgefallen?“ lächelt der Minister schwach. „Nein!“ „Er traut Dr. Anderson nicht.“ * „Doktor! – Doktor Anderson!“ Birger Vonhoge fährt hoch, er taucht gewissermaßen noch einmal auf aus der kalten und glitschigen Umarmung der Gallertmasse; er sitzt sehr steil, und seine weitaufgerissenen Augen erfassen erschreckt, was um ihn ist: Die ganze peinlich saubere Sachlichkeit eines Krankenraumes. Dann läßt er sich wieder zurückfallen. „Verdammt! Das hat mir noch gefehlt! Doktor, da haben wir die Schweinerei!“ „Sie können ganz zufrieden sein“, wird auf westeuropäisch neben ihm gesagt. Es klingt sehr freundlich und doch mit einer kleinen Zurechtweisung. Birger Vonhoge wendet den Kopf etwas und liegt dann ganz still. 34
Er blickt in ein Frauenantlitz. Vielmehr – er nimmt nur den Glanz der klaren Augen in sich auf und das Lächeln des leicht geöffneten Mundes, und er denkt, er hat schweres Fieber, denn wie kommt eine junge schlanke Frau in diese schauerliche Tiefe von 4 130 Metern? „Wer sind Sie?“ fragt er zögernd. „Glee Hansen! Ich bin Ärztin.“ Birger Vonhoge gibt sich fürs erste damit zufrieden; er schließt wieder die Augen und döst dann vor sich hin, aber es ist ein Horchen in ihm, das alles erfassen will – alles, was fremd ist und gefährlich sein könnte. Das ferne gleichmäßige Summen – – – Es kommt von den Luftverteilern, und es klingt etwas höher als sonst, da sie während eines neuen Vortriebs vorsichtshalber auf halbe Kraft zurückschalten … Es ist so vieles um ihn, was er von hier aus nicht sehen kann. Aber das Horchen ist stärker als seine Sinne – es entspringt der ganzen Überempfindlichkeit eines Mannes, der weiß, daß er hilflos und gefangen ist. Im Tunnel schlagen die Großwerfer zu. Der Anführer der weißen Gespenster ist neben ihnen, und Nol, Horrang und Holm Hansen. Sally Sannam steht etwas weiter zurück an einem Bohrer, den sie unter der messerscharf stehenden Flut des Werferstrahles in das Gestein hinein dem Beatom entgegentreiben. Sally spürt, daß Holm Hansen auch in der Anspannung dieser entscheidenden Minuten zu ihr hinsieht, doch in ihren Augen ist nur noch Haß. Birger Vonhoge weiß davon nichts – er spürt nur dumpf sein eigenes Herz schlagen und sieht einmal Glee Hansen an seinem Bett vorbeigehen. Dann richtet er sich plötzlich wieder auf – so unvermittelt, daß die Ärztin sich erschreckt nach ihm umdreht. 35
„Da ist doch was!“ bricht es aus ihm heraus. „Merken die es denn nicht? Das sind doch große rote …“ Ihre festen Hände sind schon an seinen Schultern und zwingen ihn zur Ruhe. „Was ist denn – Sie haben hier nichts zu fürchten.“ „Merken die es denn nicht?“ Seine Schultern biegen sich vor, und er reckt den Kopf, als müsse er etwas genau beobachten. Er sieht nicht schön aus. Wie ein Verrückter. Aber in dem Hämmern seines Blutes, das sie unter ihren Händen spürt, ist etwas Zwingendes – er hat Fieber, gewiß, seine Stirn ist geschwollen und naß – und doch, er reißt sie mit. „Die müssen es doch sehen! Das fällt doch in das Beatomfeuer!“ „Was?“ „Ich weiß es nicht, verflucht nochmal“, knurrt er schroff, „aber es sind rote, scheibenartige Dinger.“ Glee Hansen möchte den Kopf schütteln. Sie kann es nicht. Sie muß auf diese rauhe und zerrissene Männerstimme hören, die die Abgeschlossenheit der weißen Wände vor ihnen niederreißt. Sie glaubt ihm sogar, obwohl sie sich sagt, daß er phantasiert. Sein Atem geht schwer. * Im Tunnel sind sie jetzt soweit. Der Fels vor ihnen zerfällt zu einem schneeweißen Staub, der milchig und dampfend aufsteigt und dann über ihnen wegzieht auf den Tunneleingang zu. Nol und Holm Hansen gehen ganz nach vorn. Bis zur Spitze der großen Mitteldüse. 36
Das ist immer der gefährlichste Augenblick bei einem neuen Vortrieb. Wenn es jetzt zu einer minimalen Druckverschiebung kommt, wird man vom Tunneleingang her eine gelbliche Stichflamme beobachten können, und von dem Augenblick an wird man dann genau acht Minuten Zeit haben, um sich vor dem ausbrechenden Chaos an die Meeresoberfläche zu retten. Acht Minuten reichen kaum aus zum Einbooten. Sie müssen die tobenden Vulkane der Großwerfer und das Vorwärtswühlen des tief brummenden Bohrers aufeinander abstimmen. Holm Hansen ruft über sein Kehlkopfmikrofon Sally an. „Optimaldruck durchgeben!“ „336“, antwortet sie monoton, und doch so, als würde sie ihm am liebsten überhaupt nicht antworten. „Plusvergleich bitte!“ „36,1!“ „36,1, Kapitän!“ Nol geht in die Kniebeuge. Er starrt unverwandt den Fels vor sich an, gegen den unaufhörlich die Wut der mächtigen Batterien knallt. Aus dem Fels kann das Verderben hervorbrechen. * Es geht gut. Nol ist mit allen guten Geistern im Spiel, als er auf ein kurzes Stichwort von Holm Hansen hin vollschaltet. Der Fels weicht vor ihnen, er gibt nach, er beginnt unter der tosenden Gewalt der doppelten Einwirkung zu verfallen. Der Staub füllt den ganzen Tunnel. „Das ist gut gegangen!“ schreit der schwarze Horrang hinter ihnen. Nol verzieht den Mund zu einem breiten, jungenhaften 37
Grinsen. Nur Holm Hansens Gesicht bleibt starr – er horcht immer noch dem scharfen, abweisenden Klang von Sallys Stimme nach. In dem Toben dieser Sekunden erkennt er ihren Haß – und das erschüttert ihn unsagbar. Und in diesen Sekunden kommt auch der zweite Alarm. Die flachen roten Dinger leben nicht nur in Vonhoges Phantasie. Sie fallen aus der Weite des Ozeans herab. * Nol hört es. An seinen Ohren brummt es im Rhythmus der höchsten Alarmstufe – er geht ganz vorsichtig wieder aus der Beuge hoch und spricht Horrang an. „Ich muß zurück, Doktor! Mag der Teufel wissen, was los ist.“ „Fragen Sie ihn!“ Nol flucht nicht mal über diese alberne Antwort. Er rennt den Tunnel zurück. Irgendwer hilft ihm aus dem blauen Schutzanzug. Im Vortrieb vernichten sie weiter den Fels. Nol hört noch immer den Alarm. Er stoppt ihn mit einem Hebelgriff und reißt sich auch die Haube herunter. Wenige Minuten später rast er durch die Schottür, die sich pfeifend vor ihm öffnet, in Morks Befehlsraum. „Mork …“ Der Fregattenkapitän zeigt schweigend auf die Projektionswand, die das Phantom des Beatomfeuers groß und scharf wiedergibt. Um ihn herum stehen vier oder fünf Marineoffiziere. Auch sie schweigen. Nur einer gibt Befehle an die Tauchboote durch. 38
Die Tauchboote sind auf der Wand zu sehen. Sie kurven in gefährlicher Nähe des Strahlenpilzes, und manövrieren nach den flachen runden Dingern, die rot sind und in der grellen Helle des Feuers fremd und gespenstisch niedergehen. – In das Beatomfeuer hinein. Mork wendet sich scharf an den Kapitän, der noch benommen ist von der weißen Hölle des Vortriebs und einfach noch nichts begreifen kann. „Wir wissen nicht, was das für Dinger sind, und woher sie kommen.“ Nol tritt zwischen ihn und den Offizier, der pausenlos und heiser mit einem der Tauchbootführer spricht und ihn auffordert, zu schießen, soviel er nur rausbekommen kann. Endlich schießt er. Sie sehen, wie aus dem Bug des Tauchbootes ein scharfer gelblich zerfließender Feuerstrahl hervorbricht. Er trifft eines der roten Dinger. Es ist gut hundert Meter vor dem Boot. Er trifft es genau in seinem Mittelpunkt. Stoppt es. Das rote Ding steht sekundenlang regungslos und beginnt dann, in eigenartigen tänzelnden Zuckungen vor dem Tauchboot zurückzuweichen. Diese Zuckungen sind scheußlich und lassen Nol und die anderen ziemlich grau im Gesicht werden. „Verdammt – das sind ja Tiere …“ Nol hat sich bereits wieder in der Gewalt. „Wir müssen raus“, sagt er knapp, „ich will mir das ansehen!“ Doch sie kommen nicht dazu. So gespenstisch wie sie aus dem Nichts aufgetaucht sind, verschwinden die roten Scheiben wieder. Sie schwimmen in einer geschlossenen Formation am Beatomfeuer vorbei und verschwinden dahinter. Die Tiefsee liegt vor ihnen, wie sie immer ist. Nol wendet sich ab und winkt Mork.
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* Im Tunnel arbeiten sie weiter. Sie bringen die entscheidenden Augenblicke gut hinter sich, und genau 11 Minuten, nachdem Nol vollgeschaltet hat, können sie den Vortrieb wieder den weißen Gespenstern überlassen. Holm Hansen ist innerlich garnicht dabei. Er will mit Sally sprechen. Bei allen guten und bösen Geistern der Tiefsee, das will er. Sie haben sich einmal geküßt, und das ist noch garnicht so lange her. Sally haßt ihn also, aber das ist so sinnlos, daß er es ihr ausreden muß. Sally Sannam reagiert nicht, als er sie auf dem Rückmarsch durch den Tunnel über seinen Sprechfunk anredet. „Sally“, hört sie seine beschwörende Stimme. „Nun mach doch keine Dummheiten“, fleht Holm Hansen weiter, wie es nur einer kann, der dem erlegen ist, was die Menschen Liebe nennen. „Ich weiß nicht, was du gegen mich hast, aber wir können doch darüber reden.“ Keine Antwort, Holm! Die schöne Afrikanerin, deren schmales, kluges Gesicht jetzt allerdings von der Anstrengung ebenso geschwollen ist wie das der anderen, lächelt, als sie diese Worte hört – aber es ist kein gutes Lächeln. „Sally …“ Holm Hansen geht an Horrang vorbei, der mit dem Anführer der weißen Gespenster noch die nächsten Strahlungsstärken bespricht – er eilt Sally nach, die vor ihm der Halle entgegengeht. Bevor er sie erreicht hat, antwortet sie. „Ich wünsche nicht, von Ihnen angesprochen zu werden, Hansen“, sagt sie, und ihre Stimme ist durchaus nicht besser also vorhin, „außerdem wissen Sie so gut wie ich, daß private Gespräche im Tunnel nicht erwünscht sind.“ 40
Er könnte jetzt auf sie zugehen und sie einfach festhalten, und würde es am liebsten auch tun, aber die Kälte ihrer Worte legt sich wie eine unsichtbare Mauer um ihn. Irgendetwas bricht in ihm zusammen und läßt ihn sein eigenes Herz nicht mehr spüren. Er überholt sie, ohne sie anzusehen. Sally läßt sich Zeit. Sie sieht ihn über die Schranke an den Scheinwerfern klettern und dann vorn in der Höhle aus dem Schutzanzug steigen. Sally läßt sich heute viel Zeit, obwohl ihr das Atmen unter der Haube immer schwerer fällt. Sie seilt sich schweigend gegen die Felswand der Höhle und wartet, bis Holm Hansen das schlenkernde blaue Gebilde über das Gerüst gehängt hat, von dem es nachher zur Entgiftung geholt wird. Das dunkelblonde Haar klebt ihm an der Stirn – er streicht es sich mit der linken Hand hoch, als er langsam und schwerfällig zum Verbindungsgang hinübergeht. Dann erst öffnet auch sie die kleinen Hebel, die den Schutzanzug von ihr lösen. Einer der afrikanischen Techniker hilft ihr beim Aussteigen. Aus dem Tunnel kommt nun auch Free Horrang heran. „Der ist ziemlich fertig“, grinst der Techniker. „Wenn wir so weitermachen, wird bald kein Westeuropäer sich hier noch wohlfühlen.“ „Ich will, daß sie D III verlassen“, sagt sie leise. „Dein Haß ist uns ein guter Helfer.“ * Dr. Free Horrang hört es nicht. „Dein Haß ist uns ein guter Helfer“, das hört er nicht. Er sieht nur Sally aus dem Anzug steigen und nimmt sich 41
schon selber die Haube ab. „Geh gleich in deinen Wohnraum, Sally“, sagt er leise und gepreßt. „Oben stimmt etwas nicht.“ „Was denn?“ „Ich weiß es nicht!“ Er reißt sich mit drei, vier Handgriffen den eigenen Schutzanzug herunter und federt gleich darauf und ohne noch etwas zu sagen in langen Sätzen in den nächsten Verbindungsgang. Schon an der Abzweigung zum Hafenbunker sieht er, daß alle Tauchboote unterwegs sind. Eines läuft gerade aus. Fregattenkapitän Mork ist da und noch ein paar Marineoffiziere. „Sie müssen vorn abbremsen“, stößt der Fregattenkapitän aschgrau hervor. „Ich glaube, wir müssen alles stoppen – der Teufel füttert das Beatombiest.“ Durch eine große Sichtscheibe neben der Schleuse kann Horrang zum Beatomfeuer hinübersehen. Die Tauchboote kurven davor – doch sonst ist da nichts. Der Fregattenkapitän berichtet in kurzen Worten. * Sie finden keine Spur von den roten Dingern. Auch Nol nicht. Er geht selbst mit seinem Tauchboot im Beatomfeuer nieder, obwohl das so ziemlich das Verrückteste ist, was man auf dieser Welt wagen kann. Die Scheiben sind verschwunden. Nol nimmt mitten im Beatomfeuer von Bord aus eine Messung vor, die aber nichts ergibt, als die normale Stärke der Strahlung. Nach seiner Rückkehr ruft er Arra an. „Suchaktion ergebnislos abgebrochen. Brauchen aber sofort Verstärkung durch die Marine! Müssen unbedingt wissen, was hier los ist!“ 42
„Können Sie unter diesen Umständen den Vortrieb planmäßig fortsetzen?“ fragt der Marineminister über Funk zurück. Nol überlegt – dann antwortet er: „Ich setze ihn fort, solange es möglich ist.“ „Danke!“ * Wieder fallen sie. Diesmal gut achtzig Meilen nördlich vom Beatomfeuer. Sie kommen aus einer Strömung, die nur dreihundert Meter unter der Meeresoberfläche verläuft – und sie kommen in Scharen. Rot und fremd und bösartig. Die Überwachung nimmt sie nicht wahr! – * Glee Hansen geht an den Apparat. „Ich bin in einer Stunde dienstfrei, Holm“, sagt sie auf die Frage ihres Bruders, und nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu: „Ist etwas geschehen, Holm? – du bist ja ganz niedergeschlagen.“ „Ach wo – ich bin nur müde.“ „Ist vorn alles klar gegangen?“ „Vorn? Ach so – im Vortrieb – gewiß, es ist alles in Ordnung.“ Glee Hansen kennt ihren Bruder genau, und sie weiß bereits, daß nicht alle»in Ordnung ist. Jedenfalls nicht bei ihm. Sie möchte ihm jetzt Verschiedenes sagen und auch Sally Sannam dabei haben, die ihr seit einigen Tagen nicht mehr gefällt, aber sie sagt nur: „Ich komme dann rüber, Holm“, und legt auf. Sie geht in den Krankenraum zurück, in dem der Unbekannte liegt. 43
Birger Vonhoge sitzt noch immer aufrecht, und er grübelt angestrengt darüber nach, wie es möglich ist, daß er unter Halluzinationen leidet, seit sie ihn gerettet und gefangengenommen haben. Gefangengenommen? Bisher hat er nur diese nette junge Ärztin kennengelernt, die seine Muttersprache spricht und nicht so tut, als wäre er ihr Feind. „Sie sollten sich lieber zurücklegen“, sagt sie mit der ganzen Freundlichkeit einer Ärztin. „Es ist besser für Sie.“ Er sieht ihr regungslos ins Gesicht. „Lieber nicht! Wenn ich die Augen schließe und alles um mich still wird, sehe ich wieder diese verdammten roten Dinger, die von oben auf uns herabkommen. Wahrscheinlich bin ich geistesgestört oder so, wie?“ „Sie sehen nicht danach aus“, lächelt sie. „Haben Sie Hunger?“ „Sagen Sie mir doch noch mal Ihren Namen.“ „Glee Hansen“, antwortet sie geduldig, aber es klingt nicht mehr ganz so sachlich wie vorhin. „Warum?“ „Glee?“ Sein Blick weicht nicht von ihr. „Der Name paßt zu Ihnen. Er paßt sogar sehr gut zu Ihnen. Sie sind doch Westeuropäerin?“ „Natürlich“, nickt sie. „Sie auch?“ „Ich hoffe, ich bereite Ihnen keine Scherereien, wenn die es nachher herausbekommen, daß ich auch einer bin.“ Und dann unvermittelt: „Wann holen sie mich denn nun?“ „Wer?“ „Na irgendwer! Zum Verhör! Nol wird sich wundern!“ * Nol hat noch ganz andere Sorgen. Er tritt wieder mit Fregattenkapitän Mork vor die Projekti44
onswand und übersieht das Gebiet um den Pilz des Beatomfeuers. Ein Funker kommt mit der Meldung, daß das 3. afrikanische Tiefseegeschwader mit größter Geschwindigkeit die Station anläuft. Nol ruft die Überwachung an. Sie arbeitet mit Verstärkung, aber sie kann nur durchgeben, daß wieder alles in Ordnung sei. Die roten fremden Dinger nimmt sie nicht mehr wahr. Auch den dritten Schwarm nicht, der gegen 18 Uhr nur noch 60 Meilen von D III entfernt niedergeht. Es sind ungefähr vierzig. Sie legen sich flach auf den Tiefseeboden, der von einem dunklen Blau und von grünen Moosen bedeckt ist – sie sehen aus wie harmlose rote Blumen. Eine ganze Sippschaft von Florfischen zieht darüber hin. Dann ein großer dicker Bursche, der weit vor seinen zuckenden Glotzaugen einen riesigen Schnauzbart trägt. Er ist sicher nicht so arglos wie die kleinen Florfische. Als er noch einige Meter vor der ersten leuchtenden Scheibe ist, die regungslos im Moos liegt, stutzt er, wirft seinen dicken Walzenkörper herum und haut ab. Dann kommen wieder acht Scheiben. * In weitem Umkreis legen sie sich um D III. In Arra wird Industrieminister Alraso an das TV-Telefon gerufen. Auf der kleinen Bildscheibe erkennt er den Stellvertreter des Abwehrchefs. Es ist ein uniformierter Offizier, der genau über die Spannungen zwischen seinem Chef und dem Industrieminister unterrichtet ist, und das auch in seiner ganzen Haltung zeigt. „Was wünschen Sie, Oberst?“ fragt Alraso knapp. 45
„Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen, die D III betrifft.“ „Bitte!“ „Wir erhalten eben von unbekannter Seite eine Information, deren Stichhaltigkeit wir allerdings noch nachprüfen müssen – sie besagt, daß eine private, aber einflußreiche westeuropäische Organisation in den nächsten Tagen des Beatomfeuer besetzen wird.“ „Besetzen wird?“ „… und daß wir mit einem Kampf um D III zu rechnen haben! Die Konsequenzen zu ziehen überlassen wir Ihnen, Exzellenz!“ Alraso verzichtet diesmal auf eine sarkastische Antwort. Es scheint sogar für einen Augenblick, als würde er sich am liebsten auf den Oberst stürzen, wenn er ihn vor sich hätte – er macht aber nur einen sachlichen Einwand. „Wer garantiert uns, daß es sich nicht um eine irreführende Information oder um einen schlechten Scherz handelt? Sind Sie sich der Quelle sicher, aus der sie stammt?“ „Zu achtzig Prozent!“ Der Industrieminister bedankt sich. Seine Stimme schwankt etwas, als er es tut. Dann schaltet er hastig Bild und Ton ab und beginnt hin und her zu gehen. Stundenlang. Die Sonne wandert weiter auf den Ozean hinaus und senkt sich langsam tiefer, als er endlich wieder ruhig vor seinem Schreibtisch steht und ein Ferngespräch führt. Von ihm hängt jetzt sehr viel ab. Er scheint aber zu zögern. Er zögert tatsächlich und alarmiert die Marine noch nicht. Glaubt er der Abwehr nicht? Er könnte ihr glauben. Das unterseeische Gebiet, das von den roten flachen Scheiben einge46
grenzt wird und an dem auch das Beatomfeuer liegt, wird bereits von sechs großen Tauchbooten angelaufen, die von Europa her kommen. Das 3. afrikanische Tiefseegeschwader weiß davon nichts – es kommt, wie vorgesehen, von Arra her und läuft hohe Geschwindigkeit. Die unbekannten Geisterschiffe auch, die lautlos und mit tierhafter Sicherheit in dreitausend Meter Tiefe heranschießen. Die Überwachung von D III stellt sie ebenso wenig fest wie die roten Dinger. Der Weg zum Beatom ist frei. * In der Station holen sie den Westeuropäer. Birger Vonhoge macht sich zurecht. Er grinst dabei, als könnte ihn nichts erschüttern, aber es ist durchaus nicht angenehm, als Agent eines Geheimdienstes von diesen schwarzen Marinern abgeholt zu werden. Glee Hansen spricht mit ihm. Sie sehen neugierig auf ihn, als er fertig ist und auf sie zukommt. „Sie sollen zu Nol“, sagt die Ärztin. Er bleibt stehen und drückt ihr die Hand. „Ich danke Ihnen für alles, Glee!“ „Sie haben wahrscheinlich nicht viel zu befürchten.“ Ihm fällt ein, daß sie noch nicht einmal seinen Namen weiß. * „Nichts zu befürchten, Glee?“ Der Haß gegen die Westeuropäer ist nicht zu beseitigen. 47
Sally Sannam schürt ihn. Und der Mann auch, der sich in diesen Minuten in der Auswertung von ihr trennt, in der sie bereits den vierten Vortrieb vorbereiten. Es ist ein Afrikaner. Er geht zu den Wohnräumen. Dabei muß er durch den Verbindungsgang, der an dem Hafenbunker vorbeiführt. Er sieht, daß bei den Marinern mehr los ist als sonst, und obwohl er klug genug ist, nicht an der Sichtscheibe stehenzubleiben – was die von der Navy nicht gern haben – stellt er fest, daß sie an den Kais das Einlaufen von Tiefseetauchern vorbereiten. Der Techniker pfeift leise vor sich und geht weiter. Sie kennen ihn alle. Die ihm begegnen, grüßen ihn – zu einigen sagt er das Wort „Ka“, und sie wissen, was das soll. Auch Dr. Free Horrang begegnet ihm. Zu ihm sagt er das Wort aber nicht. Er betritt dann das Stationsgebäude V und geht zu dem Flügel hinüber, in dem auch der Wohnraum von Holm Hansen liegt. Weit hinter ihm kommt Glee heran. Sie ist ahnungslos. Birger Vonhoge bleibt stehen. Drei Meter vor dem Mann, der das hier alles beherrscht, diese ganze künstliche Treibhauswelt in den Tiefen des Ozeans. Nol blickt auf. Durch eine seitliche Schottür treten gerade Oberst Gerwin, Fregattenkapitän Mork und Dr. Horrang ein. Sie erleben noch mit, wie der junge Kapitän mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlägt. Birger Vonhoge hebt die Schultern. „Tut mir leid, so vor Ihnen stehen zu müssen, Nol! Ich werde Ihnen aber keine Schwierigkeiten mehr bereiten.“ „Vonhoge – Mensch!“ „Sie können sich wohl denken, daß ich nicht zu meinem Spaß runtergekommen bin!“ 48
„Aber zu unserem Vergnügen, wie?“ sagt Nol leise. Es hört sich verdammt unfreundlich an. Dann fährt er hoch und flucht los. Wenn Sally und ihre Gesinnungsgenossen es hören könnten, hätten sie ihre helle Freude daran. Die Westeuropäer seien das undankbarste Volk, das überhaupt jemals auf dieser zehnmal verdammten Erde gelebt habe. Aus Europa sei seit über tausend Jahren nichts als Dekadenz und faule Ideen gekommen! Er wolle – – – Und dann stockte er plötzlich, sieht vor sich nieder und schämt sich. Oberst Gerwin winkt ab. „Was soll das, Nol? Der Mann hat doch schließlich nur seine Pflicht getan, auch wenn Dr. Anderson ihn geschickt hat.“ Birger Vonhoge blickt starr geradeaus. „Das ist es ja eben“, flucht der Kapitän wieder los. „Da sitzt in Paris so ein Sicherheitsexperte, der das berufsmäßige Mißtrauen zu einer Wissenschaft gemacht hat und tut so, als wollten wir mit dem Beatom sein Land vernichten.“ Vonhoge schüttelt den Kopf. „Das hat Dr. Anderson nicht angenommen, Nol! Er wollte sich nur vergewissern, ob die westeuropäischen Interessen auch gewahrt bleiben! Er weiß – und andere wissen es auch! – daß es eine südamerikanische Interessengruppe gibt, die versucht, die gleichmäßige Aufteilung des Beatoms mit allen Mitteln zu verhindern.“ „Wahrscheinlich hat er noch nie etwas von einem Nol gehört“, sagt der junge Kapitän bitter. „Nol – es tut mir leid, das können Sie mir glauben“, antwortet Vonhoge gepreßt. Oberst Gerwin tritt neben ihn und legt ihm die Hand auf die Schulter. „Wir wollen uns erst einmal setzen! Kennt ihr beide euch?“ „Natürlich“, sagt Nol. „Von Atlanta her!“ 49
* Noch immer merkt die Überwachung nichts. Doch die Geisterschiffe, die von Europa her kommen, rücken immer näher an D III heran. Es geht auf 19 Uhr westafrikanischer Zeit. Während sie sich im Arbeitsraum des Kapitäns um den niedrigen runden Tisch setzen, geschieht folgendes: Im Tunnel knallt die weiße Hölle des Vortriebs erbarmungslos auf den Fels, der immer weiter zerfällt. Glee Hansen betritt den Wohnraum Ihres Bruders – sie beachtet nicht den afrikanischen Techniker, der sich von ihr in einem Gang von V überholen läßt und noch freundlich grinst. Das geheimnisvolle Wort „Ka“ wird von anderen Afrikanern von Mund zu Mund weitergegeben. Das 3. afrikanische Tiefseegeschwader rast mit voller Kraft heran. In Arra empfängt Industrieminister Alraso einen Mann, mit dem er Dinge bespricht, die nicht zu seinem Aufgabenbereich gehören. Er ist sehr aufgeregt – die Hand mit der rauchenden Zigarette zittert. * Glee Hansen tritt ein. „Ich habe nicht lange Zeit, Holm“, sagt sie zu ihrem Bruder, der an der Sichtscheibe seines Wohnraums steht und das muntere Spiel von schlanken Flügelrennern beobachtet, die ruhelos herumschwirren und im Schein des Beatomfeuers sehr hübsch und bunt aussehen. Er wendet sich ihr zu. 50
„Gegessen habe ich schon.“ „Das ist nicht viel geworden“, stellt sie mißbilligend fest, als sie zum Tisch vor der Koje hinübersieht. „Alles nur wegen dieser Sally.“ Holm Hansen geht schwerfällig durch den Raum. Er ist sehr fahl, und Glee rechnet besorgt nach, daß noch vier Wochen bis zu seinem nächsten routinemäßigen Urlaub fehlen. „Sally? Na ja! Wegen ihr auch!“ „Sei doch nicht so kindisch, Holm“, sagt sie ruhig. „Wenn dir der Betrieb hier nicht mehr paßt, kehren wir bei der nächsten Gelegenheit nach Berlin zurück und …“ „Es ist nicht nur Sally“, unterbricht Holm Hansen sie und bleibt neben ihr stehen. „Mir gefällt hier verschiedenes nicht mehr.“ „Was denn?“ „Sie hetzen gegen uns Westeuropäer.“ „Wer?“ „Wenn ich das wüßte!“ * „Und nun tauchen Sie hier auch noch auf!“ Birger Vonhoge zieht gierig den Rauch der schweren Zigarette ein, die Nol ihm angeboten hat und sieht ziemlich verlegen vor sich nieder. Die anderen scheinen auf eine Antwort zu warten. „Das habe ich natürlich nicht gewußt“, sagt er endlich. „Wie ist es denn zum Haß gegen die Westeuropäer gekommen?“ „Irgendeiner hat anscheinend die Parole ausgegeben, daß uns – also D III – Gefahr von westeuropäischer Seite drohe.“ „Aber das ist doch Unsinn!“ „Natürlich!“ nickt Dr. Free Horrang und schenkt Vonhoge 51
noch einen roten Feuerstern ein, der ihm guttut. „Ich glaube auch nicht daran, aber andererseits ist es eine Tatsache, daß gegen uns gearbeitet wird.“ Vonhoge sieht Nol an – der nickt. „Sie haben uns wirklich einen schlechten Dienst erwiesen, Vonhoge – so gern, wie ich Sie wiedersehe!“ „Ich bin bereit, es wieder gutzumachen“, sagt Birger Vonhoge impulsiv. „Wenn Sie wollen, bleibe ich freiwillig hier unten und werde immer …“ Ein harter Stoß geht kurz durch die Station und läßt sie zusammenfahren. Als wenn eine Titanenfaust zustößt. Die Flasche mit dem guten roten Feuerstern kippt um, und von der Überwachung her hallt eine Männerstimme über ein Sprechgerät. „Starker Schwarm roter Scheibengebilde geht nieder!“ Nol ist schon hoch. Die anderen auch. Der Stoß war nur kurz, aber so stark, daß er noch in ihren Schädeln nachdröhnt. Sie sehen sich verstört an. Nur Nol federt bereits auf die Schottür zu. „Mork, komm!“ Der Oberst schließt sich ihnen an. Birger Vonhoge und Dr. Horrang bleiben allein zurück. * Glee geht wieder. Als sie an der Schottür ist, kommt der Stoß – sie taumelt gegen Holm, und dann sehen auch diese beiden sich ziemlich atemlos an. Um sie ist nichts als endlose Meerwüste. Wenn – man darf nicht so denken. Glee lächelt schon wieder. Eine Reaktion der Zentrale bleibt aus. Kein offener Alarm. „Ich muß zurück, Holm! Mach’ keine Dummheiten, hörst du? Ich werde noch einmal mit Nol sprechen!“ 52
„Tue das, Glee! Und grüß’ den Neuen!“ Er sieht ihr nach. Mit einem Blick, in dem es wie von Abschiednehmen dunkelt. Dann tritt er zurück und läßt die Schottür zusummen. Verschließt sie mit dem Elektroriegler. * Nol rast los. Er führt selber eines der Tauchboote. Vor ihm geistert es herab, aber es ist doch mehr seitwärts vom Beatomfeuer – von der Station aus gesehen. Acht Tauchboote folgen ihm. Sie feuern bereits aus großer Entfernung und sie erreichen immerhin damit, daß die roten Dinger vom Beatomfeuer zurückweichen. Nol feuert noch nicht – er überlegt fieberhaft – – – „Was war das für ein Stoß?“ fragt einer neben ihm im Vorwärtspreschen der tobenden Fahrt. Nol sieht starr geradeaus. Er antwortet nicht. Er hat nur einen Gedanken: „Ich will eines der roten Dinger haben.“ * In Ana verläßt Alraso sein Ministerium. Er setzt in einem Flugteller nach dem Arkola-Viertel über und fährt von einem Parkviadukt aus mit seinem weißen Wagen weiter. Die ersten Schatten fallen auf die Perle von Afrika – die Palmen wiegen sich weicher, und wie eine sorglos perlende Melodie geht das Aufatmen über die große Stadt, das immer einem heißen Arbeitstag folgt. Alraso steuert den Wagen selber. 53
Er überfährt die Stadtdurchführung der Afrikastraße III und gleitet dann weiter die 43. Straße dieses Luxusviertels hinunter. Am Il-Nao-Park erwischt es ihn. Über den Bäumen des Parks, die linkerhand von ihm sind, steht plötzlich ein gelbblauer Flugteller, den er nicht beachtet, weil es schließlich unendlich viele davon gibt, – er beachtet ihn auch nicht, als er ihm langsam folgt und schließlich etwa dreißig Meter über ihm bleibt. Daß der Flugteller dann auf ihn herabfällt, wird ihm nicht mehr recht bewußt. Er sieht auch die grellweißen Flammen nicht mehr, die aus dem schrammenden und sich überschlagenden Krachen der zusammenrasselnden Fahrzeuge und dem Aufschrei der Passanten aufsteigen, die es miterleben müssen. Industrieminister Alraso ist gleich tot. Nach der Leiche des Tellerlenkers sucht die Polizei vergeblich. * Alraso ist das zweite Opfer in diesem unfairen Spiel. Die Gespensterschiffe stehen noch gut 90 Meilen ab. Noch immer bemerkt D III sie nicht. * Dr. Free Horrang schenkt wieder ein. „Wir müssen hier warten, Vonhoge“, sagt er kameradschaftlich, obwohl der schweigende Posten der Marine noch immer neben der Schottür steht. Horrang fletscht wieder sein wahres Raubtiergebiß zwischen den aufgeworfenen Lippen. Birger Vonhoge muß an die flachen roten Dinger denken, die er vorhin vor sich gesehen hat. Bei geschlossenen Augen und mit dröhnendem Schädel. Er sagt aber nichts davon. 54
Dr. Horrang seht auf, tritt an ein Sprechgerät und unterhält sich mit einem, der in einem anderen Raum ist. Dann kommt er wieder zu Vonhoge zurück. „Sie müssen Nols Entrüstung verstehen, Vonhoge.“ „Das schon“, nickt der Westeuropäer und trinkt aus. Sein schmales Gesicht ist im Schatten, während die Sporthose und der Pulli, die er unter dem Tauchpanzer getragen hat, von den Leuchtröhren scharf gezeichnet werden. Wieder ist das Horchen da, das untergründige Wissen darum, daß draußen etwas Außergewöhnliches geschieht, das auch ihn angeht. Bevor er fortfahren kann, sagt Horrang: „Sie gefallen mir, Vonhoge! Schade, daß wir uns so quasi als Gegner gegenüberstehen – klingt auch ziemlich theatralisch, wie?“ Birger Vonhoge hält dem Blick des Afrikaners ruhig stand. „Sie dürfen das nicht überschätzen, Herr! Ich hatte wohl den Auftrag, mich hier einmal umzusehen – nicht den, D III Schaden zuzufügen.“ „Wie stehen Sie innerlich zu dem Werk?“ „Ich bin davon überzeugt, daß es so gut ist, wie ihr es hier aufbaut.“ „Wenn ich Ihnen nun verrate, daß dieses Werk bedroht ist“, sagt der technische Chef etwas verhaltener. Vonhoge erkennt, daß er voller Unruhe ist. „Ich könnte Sie jetzt wieder abführen lassen – aber soll das wirklich so sein?“ Birger Vonhoge weiß, was der andere will. Dr. Free Horrang scheint ein feiner Kerl zu sein – er reckt ihm die Hand hin. *
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„Wir haben von Minister Alraso keine Meldung erhalten.“ Der Chef der zentralen Abwehr atmet tief, als er um 19.20 Uhr dem Marineminister Dr. Turanga gegenübersteht. „Sie Werden auch keine mehr erhalten, denn Alraso wurde vorhin das Opfer eines Unfalls“, sagt er hart. „Ich bin allerdings erstaunt, daß er es bisher unterlassen hat, unsere Information weiterzugeben.“ Marineminister Dr. Turanga bleibt vor dem Schreibtisch stehen. Sein faltiges Gesicht ist voller Aufmerksamkeit. Neben ihm steht Vizeadmiral Valdasa, ein alter Kamerad Nols. „Ihre Information?“ „Es wäre seine Aufgabe gewesen“, nickte General TemmEnko eisig. „Aber er hatte seit jeher eine eigenartige Auffassung von unserer Arbeit! Ich empfehle Ihnen, unverzüglich Großalarm für D III zu geben und alles nach dort zu werfen, was Sie an Tiefseestreitkräften und Luftgeschwadern verfügbar haben.“ Dr. Turanga rührt sich nicht. „Wir wissen jetzt zuverlässig, daß ein unbekanntes Tiefseegeschwader, das von Europa her auf D III mit großer Geschwindigkeit zuhält, keine freundlichen Absichten hat.“ Vizeadmiral Valdasa geht schweigend ans Fenster und läßt es mit einem Hebelgriff eine schwarze Färbung annehmen, die sie nach draußen hin abschirmt. Dann leuchtet eine große plastische Seekarte auf. Dr. Turanga ruft über ein Sprechgerät den Chef der Tiefseestreitkräfte herbei. „Von Europa her, sagen Sie?“ wendet sich Valdasa an den Abwehrchef. Der tritt vor die Karte. Sein Zeigefinger zeichnet eine Linie. „Dies ungefähr ist ihr Kurs.“
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* General Temm-Enko zeichnet ihn richtig. Sie sind bis auf 60 Meilen heran – sie sind im Sperrgebiet, und das Unheimliche ist, daß die Überwachung sonst alles wahrnimmt, selbst größere Fische – nur diese Gegner nicht – auch diese Gespensterschiffe nicht – – – Ihr Befehlshaber ist ein Mann, der eine Maske trägt, und wenn Nol oder einer seiner engsten Mitarbeiter seine Augen sehen könnten, würden sie erschaudern. Der Anführer der weißen Gespenster hat solche Augen. Leer sind sie – entsetzlich leer. * „Ich mache hier mit, Horrang!“ „Free heiße ich“, fletscht wieder das Raubtiergebiß. Dr. Horrang schlägt ein. „Können Sie das Ihrem Chef gegenüber verantworten?“ „Dr. Anderson muß einsehen, daß er einen Fehler begangen hat.“ „Ich nehme an“, sagt der afrikanische Ingenieur einfach. „Nol hätte es auch getan! Das verfluchte Mißtrauen, das immer die besten gegeneinander treibt – na, kommen Sie.“ „Wohin?“ „Hafenbunker! Wir wollen mal sehen, was eigentlich los ist.“ Sie gehen zur Schottür. Horrang sagt zu dem Posten etwas, was ihn Haltung annehmen und beiseitetreten läßt. Dann sind sie im Verbindungsgang, der weit und niedrig vor ihnen herläuft Irgendwo stehen afrikanische Techniker herum. Als sie vorbeikommen, sehen sie auf Birger Vonhoge – nicht sehr freundlich – alles andere als freundlich. 57
Dr. Horrang bleibt ruckartig stehen und sagt drei Worte, die Vonhoge nicht versteht, die aber knallen wie scharfe Schüsse. Die Afrikaner werden verlegen und folgen ihnen in weitem Abstand. „Verdammter Hetzer!“ flucht Dr. Horrang los. „Ich möchte mal wissen, wer dahinter steckt.“ Während er das sagt, ist es Vonhoge, als stocke seine Stimme. Er faßt sich aber gleich wieder und nimmt sich vor, ihm ein paar passende Worte zu sagen – so geht es doch nicht, meine … „Achtung! Achtung!“ brüllt der Lautsprecher los, der an der nächsten Gangabzweigung maulartig aus der Felswand gähnt. Alle Lautsprecher brüllen los. „Dr. Horrang bitte sofort zum Wohnraum Ingenieur Hansen – bitte sofort.“ „Auch das noch“, sagt Horrang hastig und packt Vonhoges Oberarm. „Dann müssen wir hier hinunter.“ Sie schlagen einen anderen Weg ein. * Das Brüllen der Lautsprecher bleibt. Die Durchsage geht in eine andere über, die viel schlimmer ist, die den Großalarm für die Station auslöst. „Alle Mann auf Kampfstation – alle Mann – –“ Alle Mann! Sie setzen sich in Bewegung. Vorn im Tunnel löschen sie die weißstrahlende Kraft der Großwerfer. Der Anführer der weißen Gespenster spricht noch ein paar Worte mit Mike Schall und winkt dann seinen Männern. Schweigend und fast lautlos verteilen sie sich in der leeren Halle. In den Verbindungsgängen aber wird ein Wort weitergegeben: „Ka!“ 58
* „Ka!“ Sie hören es, als sie in den Flügel der Techniker einbiegen. Sie achten nicht darauf. Von irgendwoher ist plötzlich Glee neben ihnen. Als sie von einem vor Erregung erstarrten amerikanischen Verwaltungsmann zur Schottür hereingelassen werden, sehen sie gleich Holm Hansen – er sieht nicht schön aus. Er liegt regungslos am Boden. Glee stürzt sich aufschreiend über ihn. Sie kümmert sich nicht darum, daß Horrang und Vonhoge sie verstört zurückhalten wollen – sie taucht erst wieder auf aus der Woge ihres grenzenlosen Entsetzens, als sie leise und röchelnd seinen Atem hört. Seine Augen sind weitgeöffnet, aber nur das Weiße ist zu sehen – sie erkennen sie nicht. Holm Hansen hat Gift geschluckt. Der Amerikaner zieht Horrang und Vonhoge verstohlen beiseite und reckt ihnen einen kleinen engbeschriebenen Bogen hin. „Ich verstehe das nicht“, sagt er in einem abgehackten rauhen Slang. „Das hätte ich Hansen nicht zugetraut – aber lesen Sie selber.“ Glee tastet dem blassen stillen Jungen über die Stirn, – und Horrang liest halblaut vor, daß er sich schuldig bekennt. „Ich stehe mit der westeuropäischen Energie-Company in Verbindung – ich habe ihren Tauchschiffen den Weg nach D III gezeigt – sie werden uns angreifen –“ Birger Vonhoge sieht aus, als würde er zusammengehauen. „Horrang – das – –“ *
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Ein Afrikaner rennt los. Er hat vor der Schottür gestanden und die halblauten Worte Horrangs gehört – nun eilt er davon. Sein Gesicht ist von Haß verzerrt. „Ka! Ka!“ – Der Tunnel liegt still. Wie eine tote Ader, nur – die Haut zwischen ihr und der brodelnden Beatomtiefe ist so dünn geworden, daß sie brechen kann – die geringste ruckartige Verschiebung im Innern der Erde genügt jetzt. Ein zweiter Stoß vielleicht. Nur wenige in D III wissen, wie es um sie steht. Die flachen, weißen Stationsgebäude liegen so still da wie immer – weit draußen am Beatomfeuer kurven und feuern Tauchboote. In den Gängen verteilen sich haßerfüllte Afrikaner. „Ka!“ ruft es heiser und fanatisch. „Das reinste Wettrennen!“ Vizeadmiral Valdasa würde jetzt, in diesen Minuten, was darum geben, bei seinem alten Kameraden oder wenigstens in der Station sein zu können – er steht aber nur mit seinem Chef, mit General Temm-Enko und einigen anderen hohen Offizieren vor der größten Seekarte der Welt und verfolgt mit fieberndem Herzen, wie sich die Schlacht entwickelt. Sie haben jetzt wenigstens einen ungefähren Anhaltspunkt für die Luftgeschwader, die in weiten Ketten über der von dem General gezeichneten Linie fliegen und rücksichtslos mit ihren Strahlenwaffen das abenddunkelnde Wasser aufwühlen. „Sie treffen ja nicht“, drängt ein Admiral ungeduldig, und kaut wütend auf seiner kalten Pfeife. „Diese Burschen sollen alle Teufel holen – diese verdammten Flieger.“ Dr. Turanga winkt ab und geht an ein Sprechgerät, das eben aufsummt. 60
„Das 3. Tiefseegeschwader hat D III in einer halben Stunde erreicht.“ „Danke!“ * Die Geisterschiffe liegen etwas zurück. Ungefähr zehn Seemeilen in diesem seltsamsten aller unterseeischen Rennen. Aber mit der gefährlichen Sturheit von Raubtieren, die instinktiv fühlen, es wird ihnen nichts geschehen, preschen sie heran. Der Chef dieses unheimlichen Geschwaders weiß, daß sie angegriffen werden. Über ihnen wird pausenlos die See aufgewühlt. Die Augen des Mannes sind leer – – – – entsetzlich leer – – * „Danke!“ Der stellvertretende Marinekommandant von D III nickt seinem Zweiten zu und’ überfliegt die Meldung aus dem Marineministerium. Noch ist alles ruhig um D III – ruhig verstrahlt das Beatomfeuer seinen magischen Glanz und verzaubert damit die Urlandschaft der Meerestiefe, die weit ist und eben und nur fern im Süden von einem hohen Gebirgszug begrenzt – die Florfische, die hier heimisch sind, spielen im grünlichen Zwielicht und fühlen sich dabei wohl. Aber der Tod wartet auch auf sie. *
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Der stellvertretende Marinekommandant weiß das. „In einer halben Stunde können sie hier sein“, sagt er und blickt den Zweiten an. „Steht die Sperre?“ „Ich habe vier Boote nördlich vom Feuer.“ „Die anderen jagen die roten Dinger. Ich wollte, Nol und der Chef wären erst zurück!“ „Nol hat es sich in den Kopf gesetzt, eine der Scheiben einzufangen – aber – –“ „Was – aber – –?“ „Die Stimmung hier unten ist nicht gut!“ * Es wäre gut, wenn sie Nol in der Station hatten. Aber über den Draufgänger Nol kommt der wilde Rausch, der auch ihn zu einem Raubtier macht. Die roten Biester weichen zurück. Wenn die kurzen harten Stöße der Strahlenwaffen sie richtig treffen, bleiben sie einen halben Herzschlag lang stehen und beginnen dann mit zuckenden Bewegungen vor ihnen herzutänzeln. Neben Nol steht ein Funker, der die Verbindung zur Station aufrecht hält. Er berichtet dem Kapitän, aber der winkt ab. „Sollen sehen, wie sie das klarkriegen“, keucht er. „Den dort vorn holen wir uns.“ Er zeigt auf eine Scheibe, die wie ein böser roter Vollmond vor ihnen und etwa fünfzig Meter höher steht als sie. Er reißt die Steuersäule zu sich hin. Das Tauchboot stellt sich steil. Die Schüsse der Strahlenkanone treffen den roten schwimmenden Vollmond in seinem Mittelpunkt. Wieder geht das verrückte Getanze los und das Ausweichen zur Seite. 62
Mork beobachtet die Steuerbewegungen Nols und schließt die Haube, die sie hier alle tragen. „Runter mit ihm, Nol – dann gehe ich raus.“ „Nicht vor mir, mein Lieber!“ „Runter mit ihm!“ Nol kriegt ihn schon – er jagt ihm wieder eine Serie gegen den Bauch – dann noch eine – das rote Ding geht tiefer. Läßt sich fallen. Glee Hansen schreit auf. Sie bremst ihren Lauf und streckt beide Arme vor sich aus, als die beiden Afrikaner aus einer Nische in der Wand des Verbindungsgangs hervortreten. Sie tragen um die Stirn ein weißes Band mit einem uralten Zeichen, das gegen die Mächte des Bösen schützen soll. Glee starrt nur auf dieses Zeichen – in wahnsinniger Angst und unfähig, sich zu rühren. Die beiden packen sie. „Die Zauberin! Wir sollen sie töten!“ „Sie muß in den Tunnel! Los!“ „Sie sollen uns einlotsen!“ Der Adjutant des Geschwaderchefs nickt und ruft die Station an. Die Antwort kommt umgehend. „Die Gespensterschiffe haben sie noch nicht gesichtet, Kommodore!“ „Die können noch nicht heran sein“, sagt der Geschwaderchef knapp und sieht in den Sichtkreis neben der Bugscheibe, in dem bereits das Gebiet um das Beatomfeuer sichtbar ist und immer klarer hervortritt. Das Bild vibriert leicht unter dem gleichmäßigen Rhythmus des jagenden Antriebes. „Dort vorn tummeln sich Tauchboote!“ „Die jagen die roten Dinger!“ Der Vollmond sinkt. 63
Er legt sich so platt auf den Tiefseeboden, der hier felsig und nackt ist, wie diese Dinger es zu tun pflegen. Nol wirft sich mit der Steuersäule vor, daß er fast gegen die Bugscheibe knallt. Das Tauchboot pfeift wie ein Pfeil hinab. Fregattenkapitän Mork leckt sich mit der Zunge über die Unterlippe. Seine Augen sind bewegungslos vor Entschlossenheit. „Den werde ich mir mal ansehen!“ „Wir beide, Mork!“ * Horrang packt Birger Vonhoge. „Mensch, dort vorn – die Schweinehunde!“ Sie sehen weit vor sich die beiden afrikanischen Techniker und die Frau, die sich in ihren Armen windet und schreit, daß es die ganze Treibhauswelt D III erschüttern müßte. Birger Vonhoge wird es kalt ums Herz. Er stockt nicht, er wirft sich geradezu vorwärts, aber die Entfernung ist zu groß, und zwei schwarze Gesichter mit weißen Stirnbinden sind plötzlich vor ihnen. „Horrang – –“ Horrang hilft schon mit. Seine Faust fährt in das aufgedunsene Antlitz des Aufgehetzten und läßt es hintenüber kippen. Körper knallen vor ihnen auf. Zweimal. Glee schreit – – Sie schleppen sie zu der Abzweigung, die zur Tunnelhöhle führt, sie heben sie jetzt einfach hoch und tragen sie weiter. Horrang und Vonhoge sehen die Gangwände nicht mehr, die an ihnen vorbeigerissen werden. „Sie wollen sie in den Tunnel werfen“, keucht Horrang entsetzt. „Da kommt sie um ohne Schutzanzug!“ Das Zeichen! hämmert Vonhogens Hirn im Dahinjagen. Was 64
ist das für ein Zeichen? Das ist ja der finsterste Urwald, der hier losbricht. „Ka! Ka!“ Von allen Seiten kommen sie nun. Aus allen Verbindungsgängen. Noch schaffen es Horrang und der Westeuropäer und irgendwann ist auch Mike Schall da. Klein und zähe springt er die Krausköpfe an, die irgendein böses Zauberwort verrückt gemacht hat. Vorn schreit Glee – sie will leben – sie will nicht in den Tunnel. Birger Vonhoge hört nur noch ihr gellendes Schreien und sieht die schwarzen Burschen, die ihn daran hindern wollen, ihr zu helfen – er weiß nicht mehr, was er tut – er boxt eine Gasse in die Flut, die sich heiß und gierig heranschiebt, mit flachen, tierischen Atemzügen, mit vorschießenden Fäusten – sie stemmen die Flut für Sekunden zurück, aber dann ist es aus – zwei packen ihn und werfen ihn zu Boden. Vorn tragen sie Glee in die Höhle. * Das Tauchboot setzt auf. Fregattenkapitän Mork kann sich nicht mehr halten. Er legt schon den Schleusenhebel herum, als Nol den Antrieb noch nicht zurückgeschaltet hat. Er ist auch der erste draußen. Gut hundert Meter vor ihnen leuchtet es rot und rund auf dem braunen Felsen. Mork balanciert sich vorsichtig aus. Hinter ihm taucht der Panzer Nols in der Schleuse auf. Sie tragen in beiden Griffklauen Strahlenwaffen. Die zwei, die zurückbleiben, pressen ihre Gesichter gegen die Sichtscheiben. Ein großer, schlanker Bursche kommt auf sie zu und streicht mit spielenden Leuchtflossen an ihnen vorbei. Sie 65
bleiben einen Augenblick abwartend stehen, dann geht Mork plötzlich vor – mit großen Schritten und ohne sich darum zu kümmern, daß Nol ihm nachruft, er solle solche Scherze lassen. Was dann kommt, ist alles andere als Scherz. Mork ist bis auf wenige Meter heran, als das Biest plötzlich wieder beweglich wird und flach und pfeifend auf ihn zuschießt. Es stößt schräg von unten gegen seine Brust. Mark stolpert, kann sich nicht mehr fangen und schlägt lang hin. Der rote Vollmond legt sich flach über ihn und preßt ihn erbarmungslos gegen den Felsboden. Mark wehrt sich. Will seinen Oberkörper aufrichten. Kann es nicht. Versucht es noch einmal … Das scheußliche Ding ist stärker. Nol schiebt im Heranrennen seine Strahlenwaffe in die Ärmeltasche und packt entschlossen zu. In diesen Sekunden, da seine Griffklauen sich dem roten Vollmond entgegenbewegen, erkennt er, daß es doch nicht ein Lebewesen ist. Diese Feststellung beruhigt ihn durchaus nicht. Das verdammte Ding liegt so teuflisch auf dem wild um sich schlagenden Fregattenkapitän, als ob es lebe – als ob es ihn töten wolle. Die Griffklauen berühren es. Packen eine glatte Kunststoffhaut, die über ein Rundskelett gespannt ist, und heben an. Das Ding muß doch federleicht sein! Verdammt noch mal, Mork, warum tobst du so? Das Ding muß doch – ah … Es ist auch leicht, aber in ihm steckt eine große Kraft, und es hat sich mit starkem Vibrieren an Morks Panzer festgesaugt. Wie ein wütendes Insekt. Bleib doch einmal ruhig liegen, Mork! Mork kann es nicht. Er brüllt und flucht unter dem Hitzestrom, der ihm messerscharf die Brust versengt … 66
Nols Griffklauen drücken die rote Haut ein und fassen unter das Skelett. Heben das Ding endlich hoch. Der rasende Hitzestrom versiegt schlagartig. Mork denkt aber, er wird verrückt, als er hochtaumelt und sieht, wie aus dem Ding eine rote, sprühende Wolke bricht, in der es verpufft und vergeht. „Du Idiot!“ schreit ihm der Kapitän über Sprechfunk zu. „Das wollte ich nicht“, knirscht Mork kleinlaut und zieht keuchend den Sauerstoff in die gequälte Brust. „Nun sind wir wieder so weit wie vorhin, was?“ „Nicht ganz“, sagt Nol hart und sieht auf seine rechte Griffklaue. Sie hält ein längliches Stück blauschimmernden Leichtmetalls … * Der Geschwaderkommandant sieht es. Er erlebt von seinem Sichtkreis aus alles mit. Als er das Tauchboot Nols draußen anrufen will, das blaßgrün und wie plattgedrückt vor ihnen in der Wasserwüste liegt, winkt sein Nachrichtenmann ab. Das 3. afrikanische Tiefseegeschwader stürmt in geschlossener Formation zur Station herein. Der Nachrichtenmann steht pausenlos in Verbindung mit den Überwachern von D III. Die Worte kommen flüchtig und abgehackt in die Kanzel. Sie lotsen sie ein. „Sperre ohne Feindberührung“, melden sie. „Sperre ohne Feindberührung!“ wiederholt der Nachrichtenmann monoton und zum Kommandanten gewandt. Der wendet sich an den dritten Geschwaderoffizier. „Die A S XI soll einlaufen“ – und an den Nachrichtenmann: „Sie sollen uns sagen, wie es bei ihnen aussieht.“ 67
Das Geschwader verhält über den Stationsgebäuden und geht tiefer. „Aufstand der afrikanischen Techniker“, keucht der Nachrichtenmann ziemlich erschüttert, als er den Zweihörer wieder hinlegt. „Sie können sie nicht halten – sie hauen die Westeuropäer zusammen.“ „Die A S VI soll ebenfalls einlaufen!“ Die A S VI schert aus. Sie ist noch nicht bei der A S XI, als ein neuer Funkspruch von unten kommt: „Unbekannte Tauchschiffe im Rücken der Sperre in das Beatomfeuer eingedrungen …“ „Das ist doch nicht möglich!“ * Sie schießen darauf zu. Der Flaggtaucher nimmt Nol an Bord. Die A S XI und die A S VI trennen sich endgültig von dem mit heulenden Düsen herabschießenden Verband und laufen den Hafenbunker an. Der Oberleutnant, der das Kommando führt, ist jung und ehrgeizig und dankt allen Göttern für diese Chance. Er nutzt sie mit großem Getöse. Die abgetrennten Kugeln der beiden Taucher rasen in den Hafenbunker, daß den Kaimannschaften die Luft wegbleibt. Bevor sie noch dahinterkommen, springen schwerbewaffnete Mariner auf die drei Kais und rennen auf die Schleusen zu. Dann geht alles sehr schnell. Die heulenden Schakale, die reißen wollen, was wehrlos in ihren Armen liegt, wehrlos und angstgepeitscht – die aufgebrachten Burschen, die einmal ganz anständig und vernünftig waren, werden mit einem Schlage wieder nüchtern, als sie hinter sich die Schritte der eigenen Marineelite dröhnen hören. 68
Glee Hansen lassen sie einfach fallen … Sie fällt hart zu Boden, dicht vor dem roten Geländer, das die Höhle von dem radioaktiv verseuchten Tunnel trennt. Die Welt droht für sie unterzugehen, aber dann ist wieder alles um sie. In ihrer Benommenheit sieht sie von dem harten, schmutzigen Höhlenboden aus, wie die Mariner die Meuterer mit den weißen Stirnbinden zusammentreiben, wie sie zusammenschlagen, was sich nicht gleich ergeben will – sie sieht in der wogenden Menge die blutenden Gesichter von Vonhoge, Horrang und Mike Schall auftauchen wie verzerrte Flecke in dem schwarzen, keuchenden, schlagenden Wirbel, aus dem die Mariner sie buchstäblich heraustrennen müssen – sie hört aber auch die überschnappende Stimme des eifrigen Oberleutnants. „Die Westeuropäer werden festgenommen!“ „Ich protestiere!“ ruft Horrang. „Ich …“ „Bedaure, Herr! Sie werden nach Arra gebracht!“ * Die anderen Marinetaucher greifen an. Der Flaggtaucher, in dem jetzt auch Nol in seinem triefenden Panzer steht, rast als erster in das Beatomfeuer hinein. Die Welt wandelt sich abermals. Wer von der Oberfläche herabsteigt in die Meerestiefe, macht es zum erstenmal durch, wie es sich fremd und atemnehmend um ihn legt, wie er sich gegen eine schreckliche Furcht wehren muß, eine untergründige, urtierhafte. Wer aber von der Meerestiefe in das Beatomfeuer kommt, muß gegen alle bösen Kräfte einer eisigen Hölle gewappnet sein. Die Augen der Mariner sind groß und starr. Sie zucken nicht, als vor ihnen die helle, harte Strahlenwand 69
aufsteigt, dann sich um sie schließt, alles durchflutet und in ihren eigenen Blutstrom überzugehen scheint. Der Kommandant setzt tollkühn ihr Leben aufs Spiel. Es lohnt sich, es wendet wohl die Gefahr ab von D III und von weiten Gebieten des Atlantiks, doch es schafft noch keine endgültige Klärung. Nol ist noch halbbetäubt von der roten Wolke, die der zergehende Vollmond vor ihm ausgebreitet hat; er gibt dem Kommandanten mechanisch die Werte, die er verwendete, als er vor einigen Stunden selber hier tauchte. Knapp 1000 Meter über dem Tiefseeboden sind sie noch. Sie gehen rasch hinunter im Kelch der weißen Beatomblume. Wieder sind die Bugkanzeln voller Worte, die kurz und hart über den Sprechfunk kommen. Die Antriebe pfeifen hoch und fremd. Nol nimmt seine Haube mit dem lästigen A-Magnet-Feld ab und schüttelt sich. „Wissen Sie, was das ist, mein Lieber? Ein Stück Leichtmetall, wie? Na, Sie können es nicht riechen. Aber den Erfinder dieser Herrlichkeit werde ich noch mal höchstpersönlich übers Knie legen …“ Der Offizier neben ihm nickt verständnislos und grinst. Dann ist Schweigen. Nur die Worte aus den Sprechgeräten sind da. Sie lenken den Abstieg. Nol wischt sich sein Gesicht ab und reibt es mit einer scharfen Essenz. Er fühlt sich frischer und zeigt auf das Peilkreuz im Sichtkreis, der nichts als die unerträglich weiße Helligkeit wiedergibt. Es ist scheußlich, daß sie nicht sehen können, was unter ihnen ist. „Die Sperren verlegt nach Osten“, meldet ein Nachrichtenmann. „Sie sollen bleiben, verdammt“, fährt Nol auf. „Wenn sie zur Station durchbrechen, können unsere Batterien sie halten – sie sind nur hier gefährlich.“ 70
„Da!“ Ein Schatten geistert durch den Sichtkreis. Dann zwei. Ein dritter scheint höher zu liegen als die beiden, deren Bahn er kreuzt. „Feuern mit Grünstrahlern!“ gibt der Leitoffizier weiter und richtet die Strahlenbatterien kurz aus. Es ist ein waghalsiges Spiel mit der Hölle – aber sie gewinnen es. Die Taucher werfen grünleuchtende Strahlstöße auf den Schatten, während sie wie die Wilden auf ihn hinabstoßen. Zwei Schatten gleiten aus dem Sichtkreis. Entkommen. Der dritte wird gnadenlos zerrissen. Sie sehen ihn auf sich zukommen, größer werden und dann in seine Bestandteile zerspringen. „Von denen lebt keiner mehr“, sagt einer leise. Sie gehen im Regen der Trümmerstücke, der um sie losbricht, nieder und setzen zwischen den drei Bodenspalten auf, aus denen das Beatomfeuer dringt. Schiffstrümmer sehen sie nachkommen. Große und kleinere. Auch menschliche Gestalten. Zwei fallen in die Spalten und verschwinden irgendwo in dem Grauen der Beatomhölle. Helfen kann man ihnen nicht. Nur eine dritte Gestalt sinkt dicht vor ihnen auf den radioaktiv verseuchten Boden. Nol steigt abermals aus. Er wagt es. Holt ihn in die Schleuse. Er hat einen Toten geholt – aber sie untersuchen ihn genau. Sie finden keinerlei Anhaltspunkte. Nur sein leeres Gesicht fesselt Nol so, daß er lange und ernst darauf sieht – hier mitten auf dem Boden des schrecklichsten Feuers der Welt. Es könnte das Gesicht eines der weißen Gespenster nein. * Die anderen Boote verschwinden. Keiner kann sagen, wieviele im Stationsgebiet gewesen sind. 71
Die afrikanische Marine kämmt tagelang den halben Atlantik ab – sie gibt sich vergebens die größte Mühe. Die Westeuropäer werden nach Arra gebracht – Vonhoge und die anderen. Nol sieht sich einem Haufen gefangener und ernüchterter Burschen gegenüber, die sich selbst die weißen Stirnbinden mit dem bösen Zeichen abgerissen haben – er stößt aber auf neue Geheimnisse. Sally Sannam ist verschwunden. In einem Tauchboot wahrscheinlich. Mit ihr die zehn weißen Gespenster. * General Temm-Enko hebt die Schultern. „Sie können ruhig einen Schluck mit mir trinken“, lächelt er kameradschaftlich, als er in Arra drei Tage später Birger Vonhoge verhört. „Ich habe weiß Gott nichts gegen Sie.“ „Dann lassen Sie mich und die anderen frei.“ „Ihr Landsmann Hansen liegt in einem unserer Spitäler. Er ist gesundheitlich noch ziemlich erschüttert. Fräulein Hansen, Herr Schall und einige andere Herren werden mit Ihnen gemeinsam zur Verfügung unserer Untersuchungsbehörden bleiben.“ „Was liegt gegen uns vor?“ „Herr Vonhoge, Sie sind mir als der fähigste G-Mann Westeuropas bekannt – wie ist es, wollen Sie wirklich nicht die Einladung eines alten Mannes annehmen?“ Birger Vonhoge blickt an ihm vorbei, nimmt aber das Glas entgegen, das Temm-Enko ihm vollschenkt. Dann wird der Chef der afrikanischen Abwehr wieder sachlicher. „Was gegen Sie vorliegt? Nun, wenn Sie sich einmal vor Augen halten, wie 72
die Dinge liegen, werden Sie verstehen, daß ich Sie festnehmen lassen mußte. Wir wurden von einer zuverlässigen Seite informiert, daß europäische Tauchboote unterwegs sind, um D III anzugreifen. Unsere Nachforschungen ergaben, daß diese Informationen stichhaltig waren. Wenige Stunden darauf wurde D III tatsächlich von unbekannten Tauchbooten angefahren, nachdem kurz zuvor der westeuropäische Ingenieur Hansen ein Geständnis abgelegt und einen Selbstmordversuch unternommen hat. Sie selber behaupten, von Ihrem Chef Dr. Anderson beauftragt worden zu sein, sich in der Station einmal umzusehen und dann zurückzukehren.“ „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es so ist.“ „Ich glaube Ihnen, Herr Vonhoge! Was sagen Sie aber dazu, daß wir ebenfalls im Besitz von Informationen sind, nach denen Dr. Anderson der Chef einer privaten westeuropäischen Organisation ist, die sich gegen D III richtet?“ „Was ich dazu sage?“ preßt Vonhoge überrascht hervor und stellt sein Glas zurück. „Daß das so ziemlich der größte Unsinn ist, den ich bisher gehört habe.“ „Ich bin gern bereit, mich davon überzeugen zu lassen.“ „Dann geben Sie mir dazu Gelegenheit.“ „Lieber nicht“, lacht der afrikanische Abwehrchef und läßt Birger Vonhoge abführen. Sie führen ihn einen Korridor entlang und dann in einem Lift in den zweiten Stock des großen, weißen Steinkastens. Birger Vonhoge gefällt das gar nicht. Er fiebert, er kommt innerlich nicht los von diesen Anschuldigungen, die sie gegen Dr. Anderson und die Westeuropäer erheben. Er denkt an das Zauberzeichen auf den weißen Stirnbinden der aufgeputschten Afrikaner und möchte gern den Mann bloßstellen, der sie aufgeputscht hat. Sally ist aus D III verschwunden. Wo sie ist, will er auch herausfinden, unter allen Umständen. 73
Was sie kann, bringt er schon lange fertig. Am nächsten Morgen ist auch er verschwunden. General Temm-Enko bleibt verhältnismäßig ruhig, als er davon erfährt. * „Über Sally, Nol!“ Dr. Free Horrang sieht wütend auf den Bildschirm, der das Bild der Halle und des Tunneleingangs in den Arbeitsraum Nols wirft – es ist ein leeres Bild, ein düsteres. Der Tunnel ist tot. Sie arbeiten noch nicht wieder. Die Marine ist noch immer damit beschäftigt, die Meuterer abzutransportieren. Ihre ersten Verhöre bringen ebensowenig ein, wie die Unterhaltung zwischen General Temm-Enko und Birger Vonhoge – einer muß hinter allem stehen. Einer … Dr. Free Horrang drückt einen weißen Knopf, der das trostlose Bild vom Schirm nimmt, und wendet sich Nol zu, der weiter zurück mit Oberst Gerwin und Mork an der Rundwand steht. „Ich glaube nicht an die Schuld der Westeuropäer.“ „Aber“, setzt Nol an, bricht gleich wieder ab und geht auf Horrang zu. „Fräulein Sannam ist anscheinend freiwillig aus D III verschwunden! Vielleicht führt dahin die Spur?“ „Ich liebe sie nach wie vor“, erwidert der technische Chef so leise, daß nur Nol es verstehen soll. „Ich glaube nicht an ihre Schuld – sie kann auch entführt worden sein –“ „Von den weißen Gespenstern, wie?“ fährt Gerwin scharf dazwischen. „Das glauben Sie doch wohl selber nicht!“ „Was sind diese weißen Gespenster überhaupt für Leute?“ fragt der Fregattenkapitän und sieht Nol gespannt an. Draußen gleiten große, breite Schatten am Stationsgebäude vorbei. Die 74
Tauchboote kreuzen noch immer pausenlos alles ab. Nol geht nicht darauf ein. „Später mal, Mork! Vor drei Tagen ist Vonhoge den Abwehrleuten durchgegangen! Er wird sich aber noch in Afrika aufhalten! Vielleicht hilft er uns irgendwie weiter.“ „Ich hoffe sogar, er wird Sally befreien können“, sagt Dr. Free Horrang. „Der Junge weiß schon, was er will – glauben Sie es mir?“ Fregattenkapitän Mork sieht nicht sehr freundlich aus, als er das sagt. Nol und Horrang gehen auf den Verbindungsgang hinaus. Sie wollen nach vorn. Zwanzig Mann hat noch die technische Abteilung und keine weißen Gespenster. In zwei Tagen soll der Vortrieb wieder aufflammen – in zwei Tagen muß Nachschub heran sein. „Haben Sie sich den Metallstreifen mal angesehen, Horrang?“ „Ja – ich möchte davon nicht einen Haufen im Beatomfeuer haben“, sagt Dr. Horrang ernst und sieht durch eine Sichtscheibe hinaus in die vertraute Landschaft, die wieder so ruhig daliegt wie vorher. „Das ist B T 37. Wenn sie damit das Beatomfeuer gefüttert hätten, wäre der halbe Atlantik eine brühendheiße Badewanne geworden.“ Nol nickt und blickt finster vor sich nieder. Irgend etwas stimmt noch nicht. * Sie warten. Sie wissen selber nicht, worauf, aber keiner hier unten in dieser Treibhauswelt der singenden Luftverteiler fühlt sich sicher. Das Beatomfeuer zeigt die normale vorausberechnete Steigerung. 75
Und doch bricht an diesem Nachmittag die Katastrophe herein. Nol ist mit Horrang im Tunnel. Es ist still hier. Nur weiter hinten in der Höhle überholen zwei Techniker die Scheinwerfer. Metall hämmert auf. Horrang wendet sich ruckartig um und gibt mit seinem Handscheinwerfer aufgeregt Blinkzeichen. Das Hämmern klingt noch zweimal und dann nicht mehr. Nol erkennt durch die Haube seines Schutzanzuges Horrangs Augen – sie sind matt und voller Sorge. „Was ist, Mensch?“ „Ich weiß nicht“, kommt Horrangs tiefe Stimme aus den Muscheln. „Da drüben stimmt was nicht!“ Er zeigt auf die Wand, die den Tunnel zur Beatomhölle abtrennt. Sie gehen heran. Dicht heran, obwohl das alles andere als ungefährlich ist. Dann halten sie den Atem an, und in der gleichen Sekunde erkennen sie, daß sie nicht mehr lange leben werden. In der Tiefe brodelt es auf, wie sie es noch nie gehört haben. „Wir müssen wenigstens noch die anderen warnen!“ Sie rennen zurück. * Die Haut … Diese mehrere hundert Meter starke Felsstrecke vor dem Tunnel, die aber nichts ist, wenn es jenseits von ihr losbrechen sollte –, sie wird reißen. Es kann nicht mehr lange dauern. D III gibt SOS. Sie blicken hinaus auf den Ozean, von dem aus der Alarmruf über alle Sender und in alle Himmelsrichtungen geht: „SOS! Beatomfund D III vor gewaltigen Ausbrüchen! Größte Gefahr für den Südatlantik!“ Nur für den Südatlantik? 76
In Arra gibt es nur wenige, die wissen, daß die Hölle auch über sie und weite Küstengebiete hereinbrechen wird, denn der Mensch hat einen Tunnel zu ihr vorgetrieben. „SOS! Größte Gefahr für …“ Die herausgeforderte Natur wird sich wehren. „SOS! Größte Gefahr für …“ Der Tunnel hat ihr den Weg nach oben gebahnt! * Die Haut … Sie wird rissig! Von Nols Arbeitsraum aus sehen sie es deutlich auf dem Schirm, sie sehen, wie sie an drei Stellen um einen halben Zentimeter auseinanderklafft. Sie wissen, was das bedeutet. Nol geht durch den Arbeitsraum. Er trägt einen Panzer. Draußen liegt sein Tauchboot klar. Sein Weg wird aber nicht nach oben führen. In der Lähmung dieser Minuten sagt keiner etwas. Nur eine Lautsprecherstimme. „Tauchboot 2 und 8 mit je sieben Mann zum Einsatz im Hafenbunker!“ Oberst Gerwin und Mork sehen auf den jungen Kapitän. Von ihm hängt jetzt alles ab. Aber Nol weiß nicht, was er tun soll. Er kann nichts tun! Er kann nur D III räumen lassen, aber er will es noch nicht. Wo sind die BT-37-Streifen geblieben, die als rote Scheiben herunterkamen? Sind sie etwa …? Ein wahnwitziger Gedanke packt Nol. * „SOS! Größte Gefahr für den Südatlantik!“ Birger Vonhoge steht zwischen Palmen, die die untere Ter77
rasse des pompösen Nachtlokals „Südstern“ in einer Kette anderer zur breiten 17. Straße hin abschirmt. Vor ihm tanzen sie auf einer der feenhaft erleuchteten Tanzflächen. Arra tanzt. Der Warnung ihrer Götter zum Trotz. Der Tod kann aus dem Meer aufsteigen und den Himmel mit seiner silbernen Mondsichel verdunkeln, kann mit einer Druckwelle den ganzen Zauber hier umlegen – dann wird eine radioaktiv verseuchte Wolkendecke vom Westen heraufziehen, und sie wird schneller sein als alle Fliehenden. Aber sie tanzen. Birger Vonhoge sieht auf seine Armbanduhr. Es geht auf neun. Er raucht eine Zigarette, grinst dem Polizisten zu, der den Seitenpfad entlangschlendert, und ist entschlossen, alles niederzuboxen, was sich ihm jetzt noch in den Weg stellen sollte. Endlich gibt der rasende Kapellmeister mit seinem Leuchtstab ein Zeichen. Der moderne Steppentanz bricht ab. Ein Paar kommt auf ihn zu. Bevor es ihn erreicht hat, verneigt sich der Herr vor der jungen, weißgekleideten Dame und verschwindet. Die Dame kommt über den Seitenpfad heran. Es ist Sally Sannam. Ihr schönes, dunkles Gesicht verbirgt sich hinter einer eleganten Sonnenbrille, die sie auch jetzt trägt … „Er hat mir alles gesagt“, berichtet sie mit einer Stimme, die müde und ihr selber fremd ist. „Es war nicht leicht, es während des Tanzes zu verstehen.“ „Ich hoffe in Ihrem Interesse, Sie haben alles behalten“, sagt er ernst und nimmt ihren Arm. „Kommen Sie – das wird mal wieder von Minuten abhängen.“ „Ich habe alles behalten.“ *
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Ein vierter Riß klafft auf. Kaum einen Zentimeter stark, aber was bedeutet das schon. Die Haut reißt, die den künstlichen Organismus D III schützt – und nicht nur ihn … Mork steht vor dem Schirm und sieht es sich an. Er, flucht schrecklich, obwohl es besser wäre, zu beten. Nol winkt ab, als er ihn darauf aufmerksam macht. „Das ist nicht der letzte! Horrang – Horrang soll kommen!“ Dr. Free Horrang tritt gleich darauf ein. „Wir sollten räumen, Nol! Der Leute wegen sollten wir räumen! Ich bleibe hier, ich will das miterleben, wenn wir …“ „Was soll Sally sagen?“ fragt Nol leise und wundert sich, daß er jetzt noch auf so etwas kommt. Horrang antwortet nicht. „Wenn wir wenigstens noch eine Chance hätten“, sagt Gerwin bleich. „Und wenn sie noch so klein wäre. Nicht für uns, aber die dort oben …“ „Die haben auch keine Chance mehr! Ich nehme an, in 30 bis 40 Minuten bricht der Felsen vor dem Tunnel, und dann …“ „Horrang, wir wollen raus!“ sagt Nol entschlossen. „Ob wir hier umkommen oder im Beatomfeuer ist gleich! Was meinen Sie, ob …“ Horrang schüttelt den Kopf. Er will nicht, soll das wohl heißen. Doch dann sagt er, er wolle schon zum Hafen laufen. Nol solle nachkommen. In diesem Augenblick ereignet sich etwas, was sein eigenes Schicksal rundet. Ein Funker kommt aus einem Nebenraum mit zwei Depeschen gestürzt. Nol überfliegt sie. Tritt zwei Schritte zurück, starrt Dr. Free Horrang an wie eine Erscheinung. Horrang will auf die Schottür zugehen, aber Nol ist schneller – er handelt rein automatisch, aber er packt entschlossen zu. „Bleiben Sie, Horrang“, sagt er mit einer Stimme, die wie 79
gesprungen klingt. „Ich habe den Befehl erhalten, Sie zu verhaften.“ Er packt den schwarzen Hünen und schleudert ihn hinter sich. * Drei Tauchboote schießen nach fünf Minuten los. Nol führt sie. Noch kann er es nicht glauben, daß Dr, Free Horrang der Mann sein soll, der der größte Feind des Werkes war, das er selber mit errichten half. Wie grausam er aber war, wie grausam und kaltblütig, sehen sie, als sie an der Stelle im Beatomfeuer niedergehen, die der Funkspruch Birger Vonhoges genau beschrieben hat. Sie finden B T 37 vor. Einen Kranz von Metallstreifen, der sich um die größte Spalte im Tiefseeboden breitet. Nol muß hart sein. In dieser Situation muß einer eine ungeheure Härte aufbringen, um dem Unerklärlichen nicht zu erliegen. Da waren rote Scheiben … Sie enthielten einen Streifen BT 37, und diese Streifen liegen hier wie von magischen Kräften zu einem Kreis des Satans geformt. Wie ist das möglich? Sie sind jetzt unter den hinabgehenden Tauchbooten, die wieder zwischen den Spalten aufsetzen. Nol liest die Skala ab, die die Mächtigkeit der Hölle wiedergibt, die um sie tobt. Aussteigen können sie nicht. Sie legen aber über die BT-37Streifen einen Schirm von dreigefilterten BA-Strahlen, die sich aus kleinen, bulligen Werfern ergießen, Sie treiben den Satan mit seinesgleichen aus. Es ist Nols verzweifeltstets Experiment. Doch es gelingt. *
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Der vierte Riß klafft weiter. Noch um vierzehn Millimeter nach der Vernichtung der BT37-Streifen. Dann nicht mehr. Das Brodeln in der Tiefe läßt nach. Der bisher größte wirtschaftliche Anschlag des dritten Jahrtausends ist mißlungen. Nol ist abgekämpft, aber ebenso glücklich wie seine Jungen, als er nach vier Stunden aus dem Beatomfeuer zurückkehrt. Er stößt gleich auf Birger Vonhoge und General Temm-Enko, die mit einem Marinetaucher heruntergekommen sind. „Wie sind Sie bloß auf Horrang verfallen, Vonhoge?“ „Horrang verriet sich, als er sich mit uns gemeinsam gegen die Meuterer zur Wehr zu setzen schien. Es war Theater. Horrang war ein großer Schauspieler, aber er vergaß, daß ich Afrikanisch gut beherrsche und die Worte verstand, die er beim Handgemenge seinen Leuten zuzischelte; er war auch der einzige von uns, der kaum eine blutende Wunde davontrug.“ „Wer war Horrang?“ „Der Chef einer internationalen Untergrundorganisation, die nichts wollte, als die alleinige Ausbeute von D III und zwar von einer weit nördlicher gelegenen Tiefseestelle aus. Sie wollten Ihren Laden vernichten, Nol, die darauf folgende Verwirrung durch ihre Beziehungen geschickt ausnutzen und nach einigen Jahren vom Norden her vorstoßen – geheim natürlich! Dazu war ihnen jedes Mittel recht, auch die Aufhetzung von Afrikanern gegen die Westeuropäer, die Entführung Ihrer armen weißen Gespenster und die Ermordung von Leuten, die ihnen unbequem waren, auch der Mordanschlag auf Holm Hansen – es war kein Selbstmordversuch! – gehört hierher und die Fälschung eines Geständnisses, das nicht von ihm stammte. Auch die roten Scheiben kamen auf sein Konto. Sie waren nichts als raffiniert ausgeklügelte Geräte, die einmal ein gewisses Gebiet 81
gegen die Überwachung der Station abschirmen sollten, aber auch nach ihrer Selbstvernichtung das Beatomfeuer mit dem verhängnisvollen BT 37 füttern sollten. Es war gut, Nol, daß Sie ihn noch hereinriefen – er wollte gerade fliehen.“ „Woher wissen Sie das?“ „Von Sally Sannam. Sie liebte Free Horrang, und sie war skrupellos genug, ihm zu folgen, als sie erfuhr, wer er in Wirklichkeit war. Sie wußte, daß ihr Onkel und auch Industrieminister Alraso – gegen den Ihre Abwehr noch eine genaue Untersuchung einleiten muß; er war nämlich selbst an einer privaten Ausbeutung von D III interessiert – im Auftrag von Horrangs Organisation ermordet worden waren. Sie wußte auch, daß die weißen Gespenster hoffnungslos erkrankte Spezialisten für superatomare Versuche waren und daß auch Horrang solche in seinen Diensten hatte. Mit Horrangs engsten Vertrauten – ihre Namen hat der General – floh sie mit einem Tauchboot und entführte dabei die weißen Vortriebsmänner. Erst als sie in Arra erfahren mußte, daß Horrang ihren Onkel aus reinpersönlichen Gründen ermorden ließ, wandelte sich seltsamerweise ihr echter Haß gegen alle Nichtafrikaner in einen Haß gegen den Mann, den sie bisher geliebt hatte. Ich traf Sally in Arra und …“ „Sie ist eine unheimliche Frau“, unterbricht ihn der General. „Wahrscheinlich ist sie schwer gemütskrank durch erbliche Veranlagung.“ „Sie hat mir immerhin noch geholfen, das größte Unglück abzuwenden“, sagt Vonhoge ernst, „und sich dann freiwillig der Abwehr gestellt.“ „Eben darum.“ *
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Das Brodeln in der Tiefe erstirbt. Die Scheinwerfer flammen wieder auf, als Birger Vonhoge nach drei Tagen D III wieder verläßt, um Glee und Holm und Mike Schall abzuholen. Auf Glees glückliche Augen freut er sich besonders. In D III beginnen sie mit dem vierten Vortrieb. Sie werden das Beatom zwingen … – Ende –
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