Alexander Schulze Sozioökonomische Konsequenzen der Fertilität
Alexander Schulze
Sozioökonomische Konsequenzen der F...
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Alexander Schulze Sozioökonomische Konsequenzen der Fertilität
Alexander Schulze
Sozioökonomische Konsequenzen der Fertilität Folgen der Geburt von Kindern für den Wohlstand von Paarhaushalten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2008 als Dissertatiom zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich/ Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16440-3
Geleitwort
Alexander Schulze untersucht im vorliegenden Buch die finanziellen Folgen der Geburt von Kindern. Wir alle haben hierzu mehr oder minder klare Vorstellungen. Je mehr Kinder in einem Haushalt leben, desto schlechter die wirtschaftliche Lage der Familien, darauf laufen unsere Meinungen meist hinaus. Wir stützen uns dabei auf viele öffentliche Berichte und auf wenige Daten aus Querschnittsuntersuchungen. Sie belegen in der Tat, dass im Allgemeinen Familien mit steigender Kinderzahl schlechter finanziell ausgestattet sind. Ob dies aber tatsächlich mit der Geburt von Kindern zusammen hängt – oder nicht etwa Familien in schlechterer Lage mehr Kinder bekommen oder vielleicht jahrelang zurück liegende schlechte Berufschancen der Eltern dafür verantwortlich sind – das können wir gar nicht wissen. Denn es lagen bisher keine Längsschnittstudien vor, die den direkten Einfluss von Geburten und Geburtenfolgen auf die finanzielle Ausstattung der Familien erforschten. Obwohl wir im Grunde im Dunkeln tappen, sind Annahmen hierüber Grundlage vieler familienpolitischer Maßnahmen zur Familienförderung. So beruht unter anderem die Kindergeldprogression auf der Vermutung, dass der Wohlstand von Familien besonders dann leidet, wenn mehr als zwei Kinder zur Welt kommen. Diese Annahme ist schlicht falsch, wie die empirische Längsschnittuntersuchung von Alexander Schulze zeigt. Vielmehr ist es die erste Geburt, die dramatische finanzielle Auswirkungen hat, nicht die dritte und weitere. Was die vorliegende Schrift also besonders auszeichnet, sind Ergebnisse, die für die heutige öffentliche und politische Diskussion um die Familie von eminenter Bedeutung sind. Sie korrigieren manch falsche, selbst von Ministerien verbreitete Vorstellungen. Als Ergebnisse der Arbeit können festgehalten werden: 1.
Vor allem die Geburt des ersten Kindes bringt ein überproportional hohes Wohlstandsrisiko mit sich. Die Geburt weiterer Kinder geht „nur“ noch mit moderaten bis marginalen Wohlstandsrisiken einher. Familien erleiden also die größten wirtschaftlichen Verluste bei der Familiengründung und nicht bei der Familienerweiterung.
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Geleitwort
Geburtsbedingte Einkommensverluste und damit verbundene, zum Teil extreme Wohlstandsverschlechterungen treten nur in Haushalten mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern auf. Dabei sind die finanziellen Einbußen durch die Geburt umso größer, je höher das Alter, die Bildung und die Berufserfahrung der Mutter zuvor waren. Die Bildung und der Beruf des Vaters spielen hingegen keine Rolle für die finanziellen Folgen der Geburt. Die Einkommensverluste nach der Geburt von Kindern sind in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich angewachsen. Weder die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau noch die mit der gestiegenen Bildung verbundenen höheren Erwerbslöhne während der letzten 20 Jahren haben sich in einer adäquaten Erhöhung der staatlichen Transferzahlungen niedergeschlagen. Die direkten und vor allem die indirekten (Opportunitäts-)Kosten einer Geburt steigen mit der sozialen Schichtzugehörigkeit. Verlierer einer Familiengründung sind die mittleren und vor allem die oberen sozialen Schichten, nicht die unteren.
Die Bedeutung der erarbeiteten Befunde, zum Beispiel der besonders großen Wohlstandsschädigung durch die Erstgeburt, wird vom Autor klar heraus gestellt. Er überlässt die familien- und gesellschaftspolitische Interpretation dieser Resultate nicht dem Leser, wie das in vielen wissenschaftlichen Arbeiten geschieht, sondern formuliert die Tragweite der Resultate sehr deutlich. Überdies stellt der Autor klar heraus, welche sozial- und familienpolitischen Maßnahmen aufgrund der empirischen Resultate folgerichtig und angebracht wären. Er macht hierzu exakte und wohl abgewogene Vorschläge. Sie sind weithin gegen den Strich vieler laufender Diskussionen gebürstet. Deswegen kann ich nur wünschen, dass diese soziologische Studie bei vielen Lesern und in der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit die große Aufmerksamkeit findet, die ihre Ergebnisse verdienen.
Mainz, im Oktober 2008 Stefan Hradil
Vorwort und Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Herbst 2008 vom Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angenommen wurde. Obwohl diese Arbeit nicht der erste Beitrag ist, der sich mit Prozessen und Strukturen der Fertilität, deren Ursachen und Konsequenzen auseinandersetzt, hoffe ich doch mit den vorgelegten Ergebnissen einen Beitrag zum Verständnis der monetären Folgen von Kindergeburten liefern zu können. Allerdings wäre dies ohne die zahlreichen persönlichen Kontakte, die zur Entstehung der Arbeit beigetragen haben, nicht möglich gewesen. Deshalb ist es mir eine angenehme Pflicht denjenigen zu danken, die auf verschiedene Weise zur Entstehung dieser Dissertation beigetragen haben. Zunächst gilt mein persönlicher Dank Professor Stefan Hradil und Professor Peter Preisendörfer, den Gutachtern dieser Arbeit. Beide haben mit ihren Anmerkungen und Kritiken diese Promotion vorangebracht und zu ihrem Gelingen beigetragen. Professor Thomas Klein gilt mein Dank für die Ermutigung dieses Thema zu beforschen. Einige der hier dargelegten Gedanken gehen bereits auf ein von ihm geleitetes Forschungspraktikum zurück, an dem ich während meines Studiums an der Universität Heidelberg teilgenommen habe. Für inhaltliche Begradigungen, sprachliche Korrekturen und Zuspruch in den schwierigen Phasen der Arbeit danke ich Friederike Tibor. Darüber hinaus möchte ich mich für das aufmerksame Durchsehen des Textes, zahlreiche Literaturhinweise, anregende Diskussionen und methodische Unterstützung bzw. für Soforthilfe bei Problemen aller Art besonders bei Dr. Ulf Liebe, Ute Mons, Felix Wolter, Christian Steuerwald, Dr. Rainer Unger, Dr. Jürgen Schiener, Holger Schmitt und Daniel Tibor bedanken. Meinen Eltern Danke zu sagen, die mir eine Universitätsausbildung so selbstverständlich erscheinen lassen haben und mich in jeder Hinsicht unterstützt haben, ist mir an dieser Stelle die größte Freude.
Mainz, im Oktober 2008 Alexander Schulze
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 11 Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 13 1
Einführung und Hintergrund....................................................................... 15 1.1 Gesellschaftliche Relevanz des Themas ............................................. 16 1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit.................................................. 17
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Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität ...................................... 21 2.1 Kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Geburtenentwicklung ........ 21 2.2 Differenzielle Fertilität und soziale Polarisierung .............................. 29
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Die sozioökonomische Lage deutscher Familien........................................ 35 3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten... 35 3.1.1 Familiäre Wohlstandsmessung und empirische Befunde.......... 35 3.1.2 Diskussion der Ergebnisse und Forschungsdefizite .................. 50 3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien........... 54 3.2.1 Arbeitsmarktpartizipation, Erwerbseinkommen und Familie ... 54 3.2.2 Entwicklung der familienpolitischen Rahmenbedingungen...... 66
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Theoretische Überlegungen und Hypothesen ............................................. 81 4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse ....... 82 4.1.1 Wohlstandstheorie und ökonomische Theorie der Fertilität ..... 82 4.1.2 Biografische Theorie der Fertilität ............................................ 86 4.1.3 Paarperspektive fertilitätsbezogener Entscheidungen ............... 87 4.2 Herleitung von Forschungshypothesen ............................................... 90 4.2.1 Einkommenseffekte durch die Geburt eines Kindes ................. 92 4.2.2 Bedarfseffekte durch die Geburt eines Kindes.......................... 99 4.2.3 Zusammenfassung der Forschungshypothesen ....................... 100
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Inhaltsverzeichnis
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Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern..................... 103 5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren ................. 104 5.1.1 Datenbasis und Untersuchungspopulation .............................. 104 5.1.2 Datenaufbereitung und statistische Verfahren ........................ 108 5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten......................................... 119 5.2.1 Wohlstandsänderungen und Ordnungszahl der Geburt........... 119 5.2.2 Wohlstandsänderungen und Erwerbsprofil der Eltern ............ 126 5.2.3 Folgen der Geburt in verschiedenen Einkommenslagen ......... 135 5.2.4 Multivariate Analyse geburtsbedingter Wohlstandsfolgen ..... 141 5.2.5 Elterngeld und geburtsbedingte Wohlstandsänderung ............ 148
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Resümee und Handlungsempfehlungen.................................................... 153 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................... 154 6.2 Familienpolitische Konsequenzen .................................................... 160
Literaturverzeichnis .......................................................................................... 165 Anhänge............................................................................................................ 179
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14:
Rohe Geburtenrate und Allgemeine Fruchtbarkeitsziffer im Zeitverlauf ........................................... 23 Zusammengefasste Geburtenziffer und Nettoreproduktionsrate im Zeitverlauf...................................... 25 Kumulierte altersspezifische Geburtenraten weiblicher Geburtsjahrgänge .......................................... 27 Anteile Kinderloser nach gewichtetem Jahreseinkommen................................................. 32 Hauhaltseinkommen ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf .................................................. 39 Äquivalenzeinkommen ausgewählter Haushalte im Zeitverlauf........................................................... 44 Wohlstandsposition ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf .................................................. 46 Armutsquoten ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf .................................................. 49 Anteil aktiv erwerbstätiger Personen mit und ohne Kind(er) ............................................... 56 Erwerbsbeteiligung von Frauen nach der Zahl der Kinder.......................................................... 58 Erwerbsbeteiligung von Frauen im Lebenslauf nach Kinderzahl................................................. 63 Erwerbsbeteiligung von Frauen rund um die Geburt des 1. Kindes............................................. 65 Entwicklung des Kindergeldes in Deutschland seit 1975........................................................... 70 Erklärungsansatz geburtsbedingter Wohlstandsveränderungen........................................................ 91
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 15: Querschnittliche Entwicklung der realisierten Interviews im SOEP............................................. 106 Abbildung 16: Geburtsbedingte Veränderung der wirtschaftlichen Lage von Paarhaushalten nach der Ordnungszahl der Geburt ....... 120 Abbildung 17: Kombinierte Erwerbsbeteiligung der Eltern vor und nach der Geburt des Kindes....................................... 129
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14:
Durchschnittlich realisierte Kinderzahl weiblicher Geburtsjahrgänge ....................................................... 34 Wohlstand und Armut ausgewählter Haushalte nach dem Kindesalter .................................................. 51 Erwerbsbeteiligung von Frauen nach dem Alter des jüngsten Kindes.............................................................. 60 Armutsquoten in Abhängigkeit von der Höhe des Kindergeldes ................................................................. 72 Wirkung des Elterngeldes auf die Nettoeinkommen der Haushalte .................................................... 75 Gewünschte und realisierte Nutzung von Kindertageseinrichtungen ...................................................... 79 Anzahl der Geburten in Paarhaushalten im SOEP 1985-2004 ................................................................... 108 Mittlere geburtsbedingte Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens nach der Ordnungszahl der Geburt ...... 122 Mittlere geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition nach der Ordnungszahl der Geburt............ 123 Geburtsbedingte Armutsprozesse nach der Ordnungszahl der Geburt ..................................................... 125 Erwerbsbeteiligung der Eltern vor und nach der Kindergeburt................................................... 127 Mittlere geburtsbedingte Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens nach dem Erwerbsprofil der Eltern ...... 130 Mittlere geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition nach dem Erwerbsprofil der Haushalte...... 132 Geburtsbedingte Armutsprozesse nach dem Erwerbsprofil der Eltern ............................................ 134
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 15: Mittlere Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens nach dem vorgeburtlichen Einkommensniveau ...... 137 Tabelle 16: Mittlere geburtsbedingte Veränderung der Wohlstandsposition nach dem Einkommensniveau vor der Geburt............... 139 Tabelle 17: Armutsprozesse nach dem Einkommensniveau vor der Geburt............................................. 140 Tabelle 18: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, logarithmierte Haushalts- und Äquivalenzeinkommen ............... 143 Tabelle 19: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, absolute Haushalts- und Äquivalenzeinkommen......................... 144 Tabelle 20: Einfluss von Alter, Bildung und Berufserfahrung der Mutter auf die Folgen der Fertilität, Haushaltseinkommen ................... 147 Tabelle 21: Mittlere geburtsbedingte Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens bei Beachtung des Elterngeldes............ 149 Tabelle 22: Definitionen, Kategorisierungen und Identifikationsmerkmale der abhängigen und unabhängigen Variablen ........... 180 Tabelle 23: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, logarithmiertes Haushalts- und Äquivalenzeinkommen.............. 181 Tabelle 24: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, absolutes Haushalts- und Äquivalenzeinkommen ....................... 182
1 Einführung und Hintergrund
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den sozioökonomischen Folgen der Geburt von Kindern. Während der Verlauf und die Ursachen des veränderten Geburtenniveaus in Deutschland und der Einfluss sozioökonomischer Determinanten auf das individuelle Fertilitätsverhalten in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden (vgl. für Übersichten Huinink & Konietzka, 2007; Klein, 2005; Hill & Kopp, 2004; Höpflinger, 1997), sind die unmittelbaren sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt für die betroffenen Haushalte bislang kaum beachtet worden. Zwar liegen mittlerweile mehrere Publikationen vor, die im kalenderjährlichen Querschnitt auf eine relativ schlechte Wohlstandsposition und hohe Armutsquoten von Familien aufmerksam machen (u. a. Becker & Hauser, 2003; Engstler & Menning, 2003; Eggen, 1998), jedoch ist die Interpretation dieser Daten mit Problemen verbunden, sofern sie als Beleg für die mit Kindern verbundenen „Kosten“ herangezogen werden. Einerseits wird ausschließlich die wirtschaftliche Lage von verschiedenen Haushalten zu einem Zeitpunkt irgendwann nach der Geburt der Kinder berücksichtigt. Andererseits fehlt zur Bestimmung der unmittelbaren und zurechenbaren ökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt der Kontrast zur wirtschaftlichen Situation der Haushalte vor dem Geburtsereignis. Ohne Kenntnisse über die sozioökonomische Ausgangslage der Familien sind Aussagen über die mit der Geburt verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen aber nicht möglich. Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt deshalb auf einer Analyse der Einkommen konkreter Haushalte im Längsschnitt. Hierbei werden die in den Familien beobachteten Geburten mit der Einkommens- und Bedarfssituation sowie mit den individuellen Erwerbsmustern der betroffenen Personen (bzw. Haushalte) unmittelbar vor und nach der Geburt in Verbindung gebracht. Ziel ist es, die geburtsbedingten Einkommens-, Wohlstands- und Armutsrisiken zu identifizieren und ihr Ausmaß gemäß der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge, dem Erwerbsprofil der Eltern und der Schichtzugehörigkeit der Haushalte zu quantifizieren. Grundlage der hierzu vorgenommenen Analysen sind die Daten des deutschen Sozioökonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1984 bis 2005.
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1 Einführung und Hintergrund
1.1 Gesellschaftliche Relevanz des Themas Von herausragender gesellschaftlicher Bedeutung sind die haushaltsökonomischen Konsequenzen der Geburt von Kindern vor dem Hintergrund der beobachteten sozioökonomischen Benachteiligung von Familien. So sind mit einer Geburt zahlreiche Prozesse verbunden, die einen starken Einfluss auf die Positionierung der betroffenen Familien im sozioökonomischen Gefüge der Gesellschaft haben. Einerseits müssen die Haushalte aufgrund der Geburt möglicherweise auf ein Erwerbseinkommen verzichten, andererseits entstehen Kosten durch Aufwendungen für Unterhalt des Kindes. Entsprechend belegen zahlreiche Arbeiten, dass in Deutschland Familien mit Kindern im Vergleich zu kinderlosen Haushalten hinsichtlich der haushaltsbezogenen Wohlstandspositionen deutlich benachteiligt sind (u. a. Sopp, 2005; Becker & Hauser, 2003; Eggen, 1999) und Haushalte mit steigender Kinderzahl zunehmend Gefahr laufen, in materiell prekäre Lagen zu geraten (Bundesregierung, 2005 und 2001). Als Konsequenz des mit Kindern verbundenen Ressourcenproblems sind jedoch nicht nur zahlreiche Familien vom ökonomischen Abstieg bedroht oder betroffen, sondern gleichfalls werden kinderlose Frauen und Männer zunehmend durch die drohende individuelle und familiäre Schlechterstellung von einer Elternschaft abgehalten. Vor allem vor dem Hintergrund der historisch gewachsenen Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen fallen die biografischen Entscheidungen zunehmend gegen Kinder und zugunsten einer (ununterbrochenen) Erwerbsarbeit aus. Hierfür verantwortlich ist aber nicht eine grundsätzliche Ablehnung von Kindern, sondern vielmehr „[…] die institutionell gut gesicherte Unmöglichkeit, Kinderbetreuung und berufliches Engagement zu vereinen“ (Beck & Beck-Gernsheim, 1990). Erst als Folge der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, der sich erwerbstätige Frauen in Deutschland gegenübersehen, geben bereits bis zu 50 Prozent der 20- bis 49-jährigen Bevölkerung an, aus beruflichen und/oder finanziellen Gründen kein (weiteres) Kind bekommen zu wollen (vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2006). Die haushaltsökonomischen Konsequenzen der Geburt von Kindern und das damit verbundene Ressourcenproblem der Familien sind also nicht nur unter allgemeinen Gesichtspunkten der Bedarfs- und Verteilungsgerechtigkeit von erheblichem Interesse, sondern angesichts der niedrigen Geburtenraten und der damit verbundenen demographischen Entwicklung ebenfalls von besonderer Aktualität. Bekanntermaßen wird die Bevölkerung in der Bundesrepublik nach den Prognosen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Bundesamtes (2006b) bis 2050 erheblich schrumpfen und weiter altern. Gemäß der mittleren Prognose der Vorausberechnung wird die Bevölkerungszahl von derzeit etwa 82 Millionen Einwohnern bis zum Jahr 2050 auf etwa 74 Millionen sinken. Das
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
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Durchschnittsalter der Deutschen wird nach dieser Prognose im Jahr 2050 bei ca. 50 Jahren liegen. Mehr als jeder vierte Bundesbürger ist dann 60 Jahre alt oder älter und weniger als die Hälfte der Bevölkerung befindet sich im erwerbsfähigen Alter von 20 bis 64 Jahren. Angesichts dieser existenziellen Bedeutung von Kindergeburten für die Gesellschaft und der gleichzeitig mit Kindern verbundenen erheblichen wirtschaftlichen Benachteiligung von Familien erscheint es deshalb dringend geboten, die bestehenden generativen Anreizstrukturen zu verbessern und zu ergänzen. Deshalb richtet sich das familienpolitische Hauptaugenmerk in aktuellen Diskussionen verstärkt auf die Rahmenbedingungen für eine „kinderfreundliche“ Gesellschaft. Neben staatlichen Investitionen in die soziale Infrastruktur für Familien (z. B. Kindergärten) spielt in diesem Zusammenhang die Verbesserung der familienbezogenen staatlichen Transferzahlungen (z. B. Kindergeld) eine herausragende Rolle. Für einen effektiven Einsatz der zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel für die Familien müssen allerdings die Determinanten der wirtschaftlichen Lage von Familienhaushalten bekannt sein und die mit der Geburt verbundenen haushaltsökonomischen Konsequenzen quantifiziert werden. Nur so wird es möglich sein wirkungsvolle familienpolitische Instrumente zu entwickeln, die einen Beitrag zur Verringerung der sozialen Ungleichheit zwischen Familien und kinderlosen Paaren leisten können und damit dem anhaltend niedrigen Geburtenniveau in der Bundesrepublik entgegenwirken. Die vorliegende Arbeit soll die hierzu notwendigen Daten zur Weiterentwicklung der familienpolitischen Instrumente vervollständigen und bestehende Wissenslücken im Hinblick auf die unmittelbaren (d. h. die kurzfristigen) sozioökonomischen Folgen der Geburt von Kindern für die betroffenen Familien aufzeigen und ausfüllen.
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit Aspekten der Fertilität in Deutschland. Im Unterschied zur Mehrheit der soziologischen Literatur steht die Fertilität jedoch nicht als von anderen Einflussfaktoren abhängige Variable im Blickpunkt, sondern sie wird selbst als Einflussfaktor auf die Wohlfahrtsbedingungen von Haushalten angesehen. Während der Einfluss individueller Determinanten sowie die Wichtigkeit der verschiedenen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen auf das jeweilige Fertilitätsniveau mittlerweile gut untersucht sind (vgl. Klein, 2005; Hill & Kopp, 2004; Kopp, 2002), sind die unmittelbaren insbesondere sozioökonomischen Konsequenzen der unter den genannten Bedingungen realisierten Geburten bislang nur unzureichend bekannt. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Ableitung der wirtschaftlichen
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1 Einführung und Hintergrund
Folgen des Fertilitätshandelns nach wie vor fast ausschließlich auf die kalenderjährliche Gegenüberstellung von Familien mit Kindern zu kinderlosen Haushalten begrenzt wird (einzige Ausnahmen sind ältere Arbeiten von Klein, 1992; Klein, 1990 und Berntsen, 1989 für Deutschland sowie international die Arbeiten von Kalwij, 2005; Smith, 1989; Smith & Ward, 1980). Die Gegenüberstellung der Wohlstands- und Armutsquoten verschiedener Haushaltsformen in der Querschnittsperspektive bezieht jedoch nur die wirtschaftliche Lage ungleicher Haushalte zu einem Zeitpunkt irgendwann nach der Geburt eines Kindes und damit in unterschiedlichen Familienphasen ein. Die unmittelbaren und zurechenbaren sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt auf der Mikroebene der betroffenen Haushalte sowie die Differenzierung dieser Konsequenzen gemäß der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge geraten damit nicht ins Blickfeld. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die sozioökonomischen Folgen der Fertilität im Hinblick auf die vor der Geburt bestehende Erwerbs- und Bedarfssituation der Haushalte sowie im Hinblick auf bereits vor der Geburt bestehende sozioökonomische Unterschiede zwischen den Familien. Die in der Querschnittsperspektive beobachteten Wohlfahrtsunterschiede zwischen verschiedenen Haushaltformen lassen damit die Frage offen, ob und in welchem Umfang die sozioökonomischen Differenzen tatsächlich auf die im Haushalt lebenden Kinder zurückzuführen sind. Erst durch den Vergleich der Wohlstandspositionen eines Haushaltes im Längsschnitt können Veränderungen der Erwerbsmuster, der Einkommenssituation und Bedarfssituation sowie der Armutsbetroffenheit des Haushaltes mit spezifischen Ereignissen wie Kindergeburten in Verbindung gebracht werden. Der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags liegt deshalb auf einer längsschnittlichen Analyse von Einkommensverläufen konkreter Haushalte. Dabei werden ausdrücklich die vor der Kindergeburt vorhandene Einkommens- und Bedarfslage der betroffenen Haushalte, aber auch die Erwerbsmuster der Eltern vor der Geburt in die Analyse einbezogen. Eine solche Vorgehensweise bietet erhebliche Vorteile. Zum einen kann über den Vergleich der Einkommenssituation vor und nach der Geburt eines Kindes der sich direkt (unter Einbeziehung aller anfallenden monetären Zu- und Abflüsse) ergebende Einkommensunterschied durch das Geburtsereignis ermittelt werden. Zum anderen wird es möglich zu entscheiden, ob die beobachteten Wohlstandsunterschiede auf potenzielle Einkommensveränderungen (z. B. Verlust eines Erwerbseinkommen) oder auf die mit der geburtsbedingten Haushaltsvergrößerung verbundenen zusätzlichen Bedarfslagen der Kinder zurückzuführen sind. Die Rekonstruktion der Wohlstandsentwicklung der Haushalte in längsschnittlicher Perspektive erlaubt zudem die Darstellung von bereits vor der Geburt bestehenden Wohlstandsdifferenzen zwischen verschiedenen Familienhaushalten, die möglicherweise auch für die nach der Geburt beobachteten Unterschiede mitver-
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
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antwortlich sind (Stichwort: „Arme machen Kinder“), d. h. es werden Aussagen darüber möglich, ob die beobachteten sozioökonomischen Unterschiede zwischen Haushalten mit einem, zwei oder mehr Kindern bzw. kinderlosen Paaren direkt auf die Kinder (Einkommensverlust & zusätzliche Bedarfslagen) oder indirekt auf einen mit dem Einkommen bzw. Bildung verbundenen Selektionseffekt der Fertilität zurückzuführen sind (Stichwort: kinderlose Akademikerinnen). Im Vordergrund der folgenden Diskussion um geburtsbedingte Veränderungen der wirtschaftlichen Situation von Familien stehen damit drei mögliche Erklärungsansätze: (1) Einkommenseffekte: Diese wichtige Argumentationsrichtung ist mit den sog. Opportunitätskosten der Kindererziehung verbunden, also unmittelbaren Einkommensverlusten, die aus der Unterbrechung oder Aufgabe der Erwerbstätigkeit mindestens eines Elternteils aufgrund von Erziehungsarbeit folgen (können). Andererseits ist die Geburt eines Kindes nicht ausschließlich mit negativen Einkommenseffekten verbunden. Gleichfalls fallen staatliche Transferzahlungen für die Haushalte an, die mögliche Verluste aus einem Erwerbseinkommen verringern oder sogar kompensieren können. (2) Bedarfseffekt: Unabhängig von den zu berücksichtigenden Einkommensänderungen spielen die Bedarfslagen der Kinder in Form von Aufwendungen für den Lebensunterhalt eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Lage der Familien. (3) Selektive Fertilität: Neben diesen direkten Einflussfaktoren ist die beobachtete Schlechterstellung der Familien möglicherweise auch auf einen Selektionseffekt zurückzuführen, denn die nach der Geburt beobachteten Wohlfahrtsunterschiede zwischen den verschiedenen Familienformen sind gegebenenfalls auch auf bereits vor der Geburt bestehende wirtschaftliche Unterschiede zurückzuführen, weil z. B. einkommensschwache Personen mit niedrigerer Bildung relativ häufiger und zahlreicher Kinder bekommen als andere. Die Bedeutung solcher Selektionseffekte wurde im Zusammenhang mit der vorhandenen schlechten sozioökonomischen Position von Familienhaushalten mit Kindern bislang überhaupt noch nicht inhaltlich berücksichtigt bzw. statistisch kontrolliert. Die vorliegende Arbeit geht damit über die bloße Darstellung der sozioökonomischen Lage von Familien in unserer Gesellschaft hinaus, denn sie zeigt erstmals, welchen Anteil Kinder an der vergleichsweise inakzeptablen wirtschaftlichen Lage der Haushalte, in denen sie leben, tatsächlich haben und ermöglicht es somit, den ökonomisch ausgerichteten familienpolitischen Handlungsbedarf aufzuzeigen. Dazu werden die unmittelbaren und zurechenbaren sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt eines Kindes ausdrücklich berücksichtigt und gemäß der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge sowie der sozialen Position der betroffenen Haushalte präzisiert. Insbesondere schichtspezifische Unterschiede der finanziellen Fertilitätskonsequenzen sind von erhöhtem Interesse, da sie möglicherweise einen Beitrag zur Erklärung der beobachteten
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1 Einführung und Hintergrund
sozialen Unterschiede der Fertilität leisten können (vgl. Scharein & Unger, 2005). Folgende Fragestellungen bilden zusammenfassend den „roten Faden“, dem in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit nachgegangen werden soll:
Welchen Einfluss hat die Geburt eins Kindes auf die sozioökonomische Situation der betroffenen Familienhaushalte in Deutschland? Präziser: Was sind die Folgen einer Kindergeburt in Bezug auf das Einkommens-, Wohlstands- und Armutsniveau der Familien(-mitglieder)? Inwieweit unterscheiden sich die sozioökonomischen Folgen der Fertilität gemäß der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge? Und: Welche Rolle spielen dabei die zusätzlichen Bedarfslagen der Kinder einerseits und die Erwerbssituation der Eltern andererseits? Unterscheiden sich die sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt zwischen verschiedenen Sozialschichten bzw. Einkommensschichten? Und: Inwieweit sind die bereits vor der Geburt bestehenden ökonomischen Unterschiede der Haushalte für die beobachteten wirtschaftlichen Differenzen nach der Geburt mitverantwortlich?
Um die genannten Fragestellungen beantworten und angemessen diskutieren zu können, wird nach einer allgemeinen Darstellung der Entwicklung und Differenzierung des Geburtenverhaltens in Deutschland (Kapitel 2) zunächst auf aktuelle empirische Befunde zur sozioökonomischen Lage von Haushalten mit Kindern sowie deren Rahmenbedingungen ausführlich eingegangen (Kapitel 3). Darauf aufbauend vermittelt die Arbeit Einblicke in verschiedene fertilitätsbezogene theoretische Ansätze aus der Soziologie und Ökonomie, die zur Erklärung der wirtschaftlichen Konsequenzen von Kindergeburten herangezogen werden können und aus denen letztlich relevante Forschungshypothesen hergeleitet werden (Kapitel 4). An die obligatorische Erläuterung der methodischen Konzepte und der angewandten statistischen Verfahren schließt sich dann die Darstellung der empirischen Ergebnisse zu den unmittelbaren sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt eines Kindes für die wirtschaftliche Lage von Paarhaushalten an (Kapitel 5). Hierzu werden Fixed-Effekt Panelregressionsmodelle auf Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) präsentiert. Abschließend werden Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen und mögliche Konsequenzen für die deutsche Familienpolitik diskutiert (Kapitel 6).
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
Im Folgenden wird die jüngere Geburtenentwicklung in Deutschland vorgestellt. Neben der Entwicklung der Geburtenzahlen (Quantum) wird dabei ebenfalls das Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder (Timing) sowie der zeitliche Abstand zwischen den Geburten verschiedener Ordnungszahl (Spacing) diskutiert. Ein Vergleich des Fertilitätsniveaus mit anderen Ländern wird nicht vorgenommen, jedoch sollte bekannt sein, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu den Nationen mit der niedrigsten Fertilität zählt (vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2004; U.S. Census Bureau, 2004). Ziel des Kapitels ist die genaue Erfassung und Beschreibung der aggregierten Geburtenentwicklung in Deutschland auf der gesellschaftlichen Makroebene und der ihr zugrunde liegenden Entwicklung individueller Geburtenmuster auf der Mikroebene. Hierzu werden vor allem innerhalb der Demographie entwickelte Kennzahlen der Fertilität vorgestellt und ihre Entwicklung im Zeitverlauf skizziert. Die methodische und inhaltliche Diskussion der zur Darstellung der Fertilität gebräuchlichen kalenderjahres- und lebenslaufbezogenen Maßzahlen bildet dabei den Ausgangspunkt zur Beschreibung der aggregierten Geburtenentwicklung (Abschnitt 2.1). Nach der Darstellung der Fertilitätsentwicklung im Zeitverlauf werden dann Befunde diskutiert, die auf eine zunehmende soziale Polarisierung bzw. Differenzierung des Geburtenverhaltens hinweisen (Abschnitt 2.2). Insbesondere die Geburtenneigung in Abhängigkeit von individuellen Bildungs- und Einkommensressourcen spielt für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit eine besondere Rolle.
2.1 Kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Geburtenentwicklung Zur Beschreibung der gesellschaftlichen Geburtenentwicklung liegen mittlerweile zahlreiche Maßzahlen vor (vgl. Klein, 2005; Kopp, 2002; Mueller, 2000), wobei die diversen Indikatoren recht unterschiedliche Aspekte und Dimensionen der Fertilität betonen. Deshalb ist es sinnvoll, bei der Beschreibung der Indikatoren gleichzeitig auch deren methodische Bedeutung herauszustellen. Als maßgebliches Unterscheidungskriterium für die verschiedenen Kennzahlen der Fertilität gilt dabei die Differenzierung in kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Maßzahlen. Die einfachsten kalenderjahresbezogenen Maßzahlen der Fertilität
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2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
beziehen dabei die in einem bestimmten Zeitraum (zumeist in einem Kalenderjahr) erfassten Geburten auf die in diesem Zeitraum lebende Bevölkerung. Die Rohe Geburtenrate (Crude Birth Rate) gibt zum Beispiel an, wie viele Lebendgeborene in einem Jahr auf 1.000 Einwohner entfallen. Die Allgemeine Fruchtbarkeitsziffer (General Fertility Rate) bezieht demgegenüber die Lebendgeburten eines Kalenderjahres nur auf die weibliche Bevölkerung und gibt an, wie viele Geburten auf 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter zwischen 15 und 44 Jahren entfallen (in Abhängigkeit von der Definition des „gebärfähigen Alters“ wird diese Altersgruppe auch bis zum 49. Lebensjahr erweitert). Abbildung 1 informiert über die Entwicklung beider Geburtenziffern in Deutschland im Zeitverlauf. Allgemein belegen die Daten einen Rückgang der kalenderjährlichen Fertilität in den letzten beiden Jahrhunderten. Innerhalb von 150 Jahren sinkt die Zahl der Geburten von etwa 36 auf unter neun Geburten pro 1.000 Einwohner und Jahr. Neben den sichtbaren kriegsbedingten Schwankungen (1.WK.) ist der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Geburtenrückgang deutlich zu erkennen. Nach einer kurzen Erholung der Geburtenziffern in der Nachkriegszeit sinkt ihr Niveau in den 1920er Jahren deutlich weiter. Erst in Folge der Machtergreifung der Nationalsozialisten steigt die Zahl der Geburten bis zum Kriegsausbruch (2.WK.) erneut an. Nach Kriegsende ist vor allem in den 1950er Jahren ein weiterer Anstieg der kalenderjährlichen Geburtenziffern sichtbar (sog. „Baby-Boom“). Seit Anfang der 1960er Jahre sinkt die Zahl der Geburten dann bis in die frühen 1980er Jahre auf einen historischen Tiefstand. Nach einigen altersstrukturbedingten Aufschwüngen fallen die Geburtenzahlen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts dann auf den mittlerweile erreichten Tiefpunkt. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sowohl die Rohe Geburtenrate als auch die Allgemeine Fruchtbarkeitsziffer nicht nur von der Fertilität, sondern auch von der Altersstruktur der Bevölkerung sowie von der zeitlichen Lagerung der Geburten im Lebensverlauf mitbestimmt sind. Mit den dargestellten Indikatoren sind deshalb zwar Aussagen zur kalenderjährlichen Geburtenentwicklung möglich, eine Verknüpfung der Maßzahlen mit individuellen Fertilitätsprozessen ist unter methodischen Gesichtspunkten aber schwierig. Größeren Informationsgehalt zur Abschätzung individueller Fertilitätsmuster haben dagegen sog. Reproduktionsindikatoren, die angeben, wie viele Kinder eine Frau durchschnittlich in ihrem Leben bekommt. Damit ermöglichen Maßzahlen dieser Kategorie Aussagen darüber, inwiefern die individuell attributierbaren Geburtsereignisse zur Bestandserhaltung der Bevölkerung ausreichen.1 1
Obwohl Geburtsereignisse grundsätzlich auf Männer und Frauen bezogen werden können, steht die weibliche Reproduktion im Mittelpunkt der Fertilitätsforschung. Erst in letzter Zeit werden für spezielle Fragestellungen auch männliche Fruchtbarkeitsmaße publiziert (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2005; Schmitt, 2004; Klein, 2003; Dinkel & Milenovic, 1992).
2.1 Kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Geburtenentwicklung
23
Abbildung 1: Geburtenrate und Allgemeine Fruchtbarkeitsziffer im Zeitverlauf 120
60
100
Allgemeine Fruchbarkeitsziffer*
80
40
30
60
Rohe Geburtenrate*
20
40
10
20
Allgemeine Fruchtbarkeitsziffer
Rohe Geburtenrate
50
* bis 1940 Reichsgebiet mit jeweiligem Gebietsstand, danach für das frühere Bundesgebiet 0
0 1840
1860
1880
1900
1920
1940
1960
1980
2000
Kalenderjahr
Quellen: Zusammenstellung aus verschiedenen Statistischen Jahrbüchern, Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes sowie Statistisches Bundesamt, 1972
Das Kennzeichen von Reproduktionsindikatoren ist die Lebensverlaufsperspektive. Hierbei muss jedoch abermals zwischen perioden- und längsschnittorientierten Reproduktionsziffern unterschieden werden. Periodenfixierte Reproduktionsziffern, die auf Querschnittsdaten beruhen, wie die Zusammengefasste Geburtenziffer sowie die Brutto- und Nettoreproduktionsrate betrachten ausschließlich Geburten, die sich innerhalb eines Kalenderjahres ereignen. Die Zusammengefasste Geburtenziffer (Total Fertility Rate) entspricht dabei der Summe der altersspezifischen Geburtenraten von Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren (manchmal auch zwischen 15 und 49 Jahren) innerhalb des Beobachtungszeitraumes. Sie wird (zumeist) pro Frau ausgegeben und informiert damit über die durchschnittliche Anzahl der Kinder, die eine Frau während ihres Lebens bekommt. Für die bestandserhaltende Reproduktion muss dieser Wert (aufgrund der biologisch erhöhten Häufigkeit von männlichen Geburten sowie der bis ins reproduktive Alter auftretenden Sterblichkeit) über 2,0 (bei etwa 2,1) liegen. Die Bruttoreproduktionsrate (Gross Reproduction Rate) basiert auf einem entsprechenden Konzept, berücksichtigt jedoch nur die für die weitere Reproduktion relevanten weiblichen Geburten. Die Nettoreproduktionsrate (Net Reproduction
24
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
Rate) setzt die weiblichen Geburten zusätzlich mit der bis zum Alter der Mutter bei Geburt zu erwartenden Sterblichkeit in Bezug. Die Nettoreproduktionsrate gibt damit Auskunft darüber, inwieweit eine Frauengeneration unter Berücksichtigung der (Kinder-)Sterblichkeit durch ihre Töchtergeneration ersetzt wird. Eine hundertprozentige Reproduktion entspricht in diesem Fall einem Wert von 1,0. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Zusammengefassten Geburtenziffer (obere Linie) und der Nettoreproduktionsrate (untere Linie) für Deutschland im Zeitverlauf ab dem Jahr 1950. Insgesamt ist die Entwicklung beider lebensverlaufsorientierter Fertilitätsmaße weniger Schwankungen unterworfen als die Entwicklung der Rohen Geburtenrate und der Allgemeinen Fruchtbarkeitsziffer im kalenderjährlichen Verlauf. Beide Reproduktionsziffern belegen aber ebenfalls den seit Mitte der 1960er Jahre bekannten Rückgang der Gesamtfertilität. Bereits seit Anfang der 1970er Jahre weisen beide Maßzahlen ein Geburtenniveau auf, das zur natürlichen Bestandserhaltung der Bevölkerung nicht mehr ausreicht. Während die Nettoreproduktionsrate im betrachteten Zeitraum ihr Maximum mit 1,19 (zur Bestandserhaltung nötig ist ein Betrag von 1,0) im Jahr 1966 erreicht, liegt ihr Wert aktuell bei etwa 0,65, d. h. die Elterngenerationen ersetzen sich nur noch zu etwa 65 Prozent. Bei der Interpretation sowohl der Zusammengefassten Geburtenziffer als auch der Brutto- und Nettoreproduktionsrate muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Maßzahlen (genau wie die Rohe Geburtenziffer und die Allgemeine Fruchbarkeitsziffer) jeweils auf Querschnittsdaten beruhen. Es werden also alle Geburten aus einem Zeitraum (meist ein Kalenderjahr) auf alle in dieser Periode lebenden Geburtsjahrgänge (in deren jeweiligem Alter) bezogen. Dieser Kohortenmix lässt eine Interpretation der Maßzahlen im Sinne einer Kohortenfertilität eigentlich nicht zu. Dennoch werden diese Maßzahlen auf den gesamten Zeitraum der weiblichen Reproduktionsphase übertragen und im Sinne individueller (bzw. kohortenspezifischer) Fertilität interpretiert. Diese Gleichsetzung beruht auf der Unterstellung gleich bleibender altersspezifischer Fertilitätswahrscheinlichkeiten über verschiedene Geburtskohorten hinweg. So wird z. B. für heute zwanzigjährige Frauen angenommen, dass sie in einem Jahr dieselbe altersspezifische Fertilität der heute einundzwanzigjährigen Frauen aufweisen werden, in zwei Jahren die der heute zweiundzwanzigjährigen und in zwanzig Jahren die der heute vierzigjährigen Frauen (Klein, 2005: 67ff.). Eine solche längsschnittliche Interpretation von Querschnittsdaten kann jedoch zu Fehlinterpretationen führen, wenn die altersspezifische Fertilität in der Kohortenabfolge variiert. Insbesondere so genannte Tempoeffekte (z. B. der Aufschub von Geburten in höhere Lebensalter in der Kohortenabfolge) können zu erheblichen Fehlinterpretationen dieser Kennzahlen führen (vgl. entsprechende Diskussionen unter anderem bei Kopp, 2002 und Bongaarts, 2002).
2.1 Kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Geburtenentwicklung
25
Abbildung 2: Geburtenziffer und Nettoreproduktionsrate im Zeitverlauf 3,00 2,75
Zusammengefasste Geburtenziffer und Nettoreproduktionsrate
2,50 2,25 2,00 1,75 Zusammengefasste Geburtenziffer (TFR49)
1,50 1,25 1,00
Nettoreproduktionsrate (NNR49)
0,75 0,50 0,25 0,00
* 1950-1989 Früheres Bundesgebiet * 1990-2004 Deutschland
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Kalenderjahr
Zusammengefasste Geburtenziffer = Summe der altersspezifischen Geburtenziffern je Frau (15 bis 49 Jahre); Nettoreproduktionsrate = mittlere Zahl der geborenen Mädchen pro Frau (15 bis 49 Jahre) unter Berücksichtigung der Sterblichkeit der Kinder. Quellen: Zusammenstellung aus verschiedenen Statistischen Jahrbüchern, Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes sowie Statistisches Bundesamt, 1972
Gegenüber querschnittlichen Reproduktionsziffern messen längsschnittliche Reproduktionsindikatoren die Fertilität auf der Grundlage zurechenbarer Geburtenmuster für den gesamten (bisherigen) Lebensverlauf einzelner Kohorten (vgl. Klein, 2005: 62ff. und Kopp, 2002: 30ff.). So werden z. B. bei der Kumulierten Altersspezifischen Geburtenrate (Cumulated Fertility Rate) einer Geburtskohorte nicht nur die altersspezifischen Fertilitätsraten verschiedener Altersgruppen eines Kalenderjahres addiert, sondern alle altersspezifischen Fertilitätsraten einer Kohorte (entweder mittels synthetischer oder realer Kohorten)2 bis zu einem be2
Synthetische Kohorten werden vor allem im Zusammenhang mit amtlichen Daten verwendet. Eine synthetische Kohorte bezieht sich auf die Mitglieder einer Geburtskohorte, jedoch wird der Altersverlauf der Kohorte nicht durch die gleichen Personen repräsentiert. Im Gegensatz hierzu basieren reale Kohorten auf der individuellen Zurechenbarkeit einzelner Ereignisse zu Personen einer Geburtskohorte über deren gesamten Lebensverlauf.
26
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
stimmten Höchstalter. Vergleicht man die bis zu einem konkreten Alter erreichten kumulierten Geburtenraten zwischen verschiedenen Kohorten, so erhält man bereits einen genauen Eindruck von lebenslaufbezogenen und altersspezifischen Unterschieden der Fertilität zwischen verschiedenen Geburtsjahrgängen. Für Geburtskohorten, die zum Zeitpunkt der Erhebung bereits älter als 45 Jahre (bzw. 49 Jahre) und damit am Ende ihrer reproduktiven Phase sind, vermittelt diese Maßzahl auch einen Eindruck von der endgültigen Anzahl der geborenen Kinder pro Frau eines Geburtsjahrgangs (Completed Fertility Rate). Die vorgestellten kohortenbasierten Reproduktionsmaße sind dabei insgesamt weniger Schwankungen unterworfen als die Periodenfertilität bzw. periodenorientierte Reproduktionsziffern; sie können jedoch erst rückwirkend bestimmt werden, wenn die reproduktive Phase eines (weiblichen) Geburtsjahrgangs abgeschlossen ist. Für die Betrachtung von demographischen Prozessen ist die Geburtskohorte aber die am sinnvollsten zu interpretierende Bezugseinheit (Kopp, 2002). Abbildung 3 informiert über die Entwicklung der kumulierten altersspezifischen Geburtenraten verschiedener Geburtskohorten. Die abgebildeten Daten zeigen eindrucksvoll, dass seit dem Geburtsjahrgang 1935 die endgültig realisierte Kinderzahl pro Frau bis zum 49. Lebensjahr (Completed Fertility Rate) in der Kohortenfolge deutlich gesunken ist. Während 1930 geborene Frauen in ihrem Leben ca. 2,2 Kinder realisiert haben, sind es bei den 1960 geborenen Frauen nur noch etwa 1,6 Kinder im Lebensverlauf. Ebenso wie bei den anderen lebenslaufbezogenen Maßzahlen der Fertilität wird also auch in dieser Perspektive das Absinken des Fertilitätsniveaus unter die bestandserhaltende Reproduktionsgrenze (die bei ca. 2,1 liegt) mehr als deutlich. Für jüngere Kohorten (Jahrgang 1960 und später) kann zwar noch keine endgültige Aussage getroffen werden, ein weiterer Rückgang der durchschnittlichen endgültigen Kinderzahl deutet sich aber auch in diesen jungen Jahrgängen an. Die bisher vorgestellten Kennziffern geben damit insgesamt bereits einen guten Überblick über die aggregierte Geburtenentwicklung und den damit verbundenen Rückgang der Geburtenzahlen in Deutschland. Neben der Verringerung des Fertilitätsniveaus fanden in den letzten Jahrzehnten aber auch erhebliche Wandlungsprozesse bei der zeitlichen Platzierung (Timing und Spacing) von Geburten im elterlichen Lebensverlauf statt. Der am weitesten verbreitete Indikator zur Messung solcher so genannten Tempoeffekte ist das Durchschnittsalter bei Geburt (Mean Age at Childbearing). Dabei wird zumeist nach den Geburten der einzelnen Rangfolgen, d. h. nach der Ordnungszahl gemäß der Geburtenfolge unterschieden. Wie die anderen Maßzahlen der Fertilität kann auch dieser Indikator sowohl als periodenbezogener (kalenderjährlicher) Altersdurchschnitt oder als kohortenbezogenes Maß für einen einzelnen Frauenjahrgang angegeben werden (vgl. auch Bongaarts & Feeney, 2005 und Bongaarts & Feeney, 1998).
2.1 Kalenderjahres- und lebenslaufbezogene Geburtenentwicklung
27
Abbildung 3: Kumulierte altersspezifische Geburtenraten weiblicher Jahrgänge 2500
kumulierte Geburtenrate (bezogen auf 1000 Frauen)
Completed Fertility
2250 2000 1750 1500 1250 1000 750 500 250 0 15
20
25
30
35
40
45
Alter Geburtskohorte 1930
Geburtskohorte 1935
Geburtskohorte 1940
Geburtskohorte 1945
Geburtskohorte 1950
Geburtskohorte 1955
Geburtskohorte 1960
Geburtskohorte 1965
Geburtskohorte 1970
Quellen: Statistisches Bundesamt, 2006c, Zusammenstellung aus einzelnen Statistischen Jahrbüchern; Angaben ausschließlich für Westdeutschland; bezogen auf 1000 Frauen
Insgesamt ist das Lebensalter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder sowohl im kalenderjährlichen Durchschnitt als auch im Lebenslauf aufeinander folgender Kohorten deutlich gestiegen (Pötzsch, 2005; Engstler & Menning, 2003; Kreyenfeld & Huinink, 2003; Kreyenfeld, 2002; Birg et al., 1990). Dabei ist jedoch nicht durchgängig für alle Kohorten eine Verlagerung der Geburten in immer höhere Lebensalter zu beobachten. Bei Frauen der Geburtskohorten 1945-50 findet z. B. eine erhebliche Vorverlagerung der Geburten im Lebenslauf statt.3 Während das Maximum der altersspezifischen Geburten bei den 1935 geborenen Frauen bei 26 Jahren liegt, wird dieses Maximum bei den 1940 geborenen bei 24 Jahren und bei den 1950 geborenen Frauen bereits im Alter von 21 Jahren er3
Mit der Vorverlagerung der (maximalen) Geburtenhäufigkeiten im Lebenslauf ist aber keineswegs eine Erhöhung der Gesamtfertilität in den betroffenen Kohorten verbunden gewesen. Im Gegenteil, trotz der Vorverlagerung sank die Gesamtfertilität der betroffenen Kohorten (vgl. hierzu Abbildung 3 oder Klein, 2003: 512 f.).
28
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
reicht. Erst in den folgenden Jahrgängen verschieben sich die Geburtenzahlen wieder in höhere Altersklassen. So erreicht der Geburtenberg der 1960er Kohorte sein Maximum vergleichsweise spät im 28. Lebensjahr (vgl. Klein, 2005: 71). Mit der angesprochenen Verlagerung der maximalen Geburtenhäufigkeiten in höhere Lebensalter ist vor allem die Erhöhung des Alters bei der Familiengründung verbunden (Timing der Erstgeburten). So steigt nach den Angaben der amtlichen Statistik das durchschnittliche Alter verheirateter Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes im kalenderjährlichen Durchschnitt zwischen 1960 und 2000 um ca. vier Jahre von durchschnittlich 25 auf 29 Jahre an (vgl. Engstler & Menning, 2003; Birg et al., 1990: 76ff. oder Kreyenfeld, 2002: 333). Die Geburt weiterer Kinder verlagert sich im gleichen Zeitraum ebenfalls, mit einem Aufschub von weniger als drei Jahren bei der Geburt des zweiten Kindes und einem Jahr bei der Geburt dritter und weiterer Kinder aber weniger dramatisch (vgl. Pötzsch, 2005). Differenziertere Angaben auf Grundlage der amtlichen Statistik sind leider nicht möglich, da die gesetzliche Regelung nur die Erfassung der Geburtenfolge bei verheirateten Müttern vorsieht und darüber hinaus nur die ledigen Kinder der bestehenden Ehe gezählt werden, so dass Neugeborene in zweiter Ehe beispielsweise auch dann als Erstgeborene bezeichnet werden, wenn aus einer früheren Verbindung bereits Kinder existieren (vgl. Duschek & Wirth, 2005 und Kreyenfeld & Huinink, 2003: 45ff.). Die in den amtlichen Daten aufgezeigte grundsätzliche Entwicklung – nämlich der Aufschub der Geburten in höhere Lebensphasen – bestätigt sich aber ebenfalls bei der Betrachtung kohortenspezifischer Angaben (Klein, 2005: 70ff.; Hullen, 2003; Huinink, 1987 sowie Kopp, 2002: 30ff.). Auch dabei wird deutlich, dass das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes zunächst auf unter 24 Jahre bei den bis zur Mitte der 1940er Jahre geborenen Frauen abfällt, sich dann aber in der Kohortenfolge, nämlich bereits wieder bei der 1950 geborenen Frauengeneration, auf über 24 Jahre erhöht. Frauen des Geburtsjahrganges 1960 brachten ihre ersten Kinder dann im Durchschnitt bereits zwischen dem 25. und 26. Lebensjahr zur Welt (vgl. hierzu zusammenfassend Kreyenfeld, 2002: 356; Birg et al., 1990). Gerade für Geburten höherer Parität ist das Timing der Erstgeburten von entscheidender Bedeutung, denn von der Verlagerung der Familiengründung in immer höhere Alter sind auch die Zeitpunkte und Zeitabstände bei der Familienerweiterung (Spacing zwischen sequenziellen Geburten) betroffen. So determiniert das Alter bei der Geburt des ersten Kindes die Zeit, die für die Realisierung weiterer Geburten verbleibt. Insgesamt beträgt der Abstand zwischen der Geburt des ersten und des zweiten Kindes im Kohortendurchschnitt zwischen zwei und drei Jahren (Kreyenfeld, 2002; Birg et al., 1990). Nach einer Zunahme des Geburtenabstandes zwischen dem ersten und dem zweiten Kind auf über drei Jahre bei der Anfang der 1950er Jahre geborenen Frauengeneration schrumpft der Ge-
2.2 Differenzielle Fertilität und soziale Polarisierung
29
burtenabstand in der Kohortenfolge wieder. Bei den 1960 geborenen Frauen liegt dieser Abstand bei unter 2½ Jahren und ist damit deutlich niedriger als in anderen seit 1935 geborenen weiblichen Jahrgängen. Entsprechende Entwicklungen zeigen sich für den Abstand zwischen zweiten und dritten Geburten. Dieser schrumpft (nach einem Anstieg) in den genannten Kohorten ebenfalls und erreicht mit 1½ Jahren wiederum bei den 1960 geborenen Frauen sein niedrigstes Niveau. Diese Daten korrespondieren mit dem bereits genannten Befund, dass die Erhöhung des Geburtenalters vor allem auf die Erhöhung des Alters der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes zurückzuführen ist und weniger auf eine Erhöhung des Alters bei der Geburt weiterer Kinder. Das bedeutet, dass die Familiengründung in jüngeren Kohorten zwar immer weiter aufgeschoben wird, jedoch weitere Geburten mittlerweile schneller aufeinander folgen (Kompressionseffekt), wenn sich Mütter und Väter für eine Familienerweiterung entscheiden. Die bisher angesprochenen Entwicklungen, sowohl der allgemeine Geburtenrückgang als auch die Verlagerung der Geburten in höhere Lebensalter, fallen aber für bestimmte Bevölkerungsgruppen recht unterschiedlich aus (Huinink, 2002; Huinink, 1989; Huinink, 1987). Von den bislang vorgestellten gesamtgesellschaftlichen Durchschnittswerten können das individuelle Fertilitätsniveau und die individuelle Terminierung der Geburten erheblich abweichen (differenzielle Fertilität). Während das politische, aber auch das demographische Hauptaugenmerk zumeist auf das gesamtgesellschaftliche Geburtenniveau in intergenerationaler Perspektive gerichtet ist, muss eine sozialwissenschaftlich geleitete Analyse auch die Möglichkeit differenzieller Fertilitätsmuster in intragenerationaler Perspektive klären. Mit den bisher vorgestellten Maßzahlen lässt sich jedoch nicht darstellen, inwieweit in Deutschland eine Polarisierung der Kinderzahl zwischen Haushalten und Lebensformen vorliegt und inwieweit sich mögliche Differenzen in der realisierten Zahl der Kinder mit sozialstrukturellen Merkmalen in Verbindung bringen lassen.
2.2 Differenzielle Fertilität und soziale Polarisierung Mittlerweile liegen einige Arbeiten vor, die in Deutschland eine Ausdifferenzierung des generativen Handelns in der Kohortenfolge und zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen innerhalb einzelner Jahrgänge nachweisen (u. a. Scharein & Unger, 2005; Schmitt & Winkelmann, 2005; Duschek & Wirth, 2005; Huinink, 1987). Demnach ist davon auszugehen, dass mit dem beschriebenen durchschnittlichen Geburtenrückgang in der Bundesrepublik kein allgemeiner Trend der Geburtenbeschränkung verbunden ist, sondern vielmehr eine zunehmende Polarisierung der Familiengründung und -entwicklung stattfindet
30
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
(Huinink, 2002; Huinink, 1989). Die Unterschiede der Fertilität äußern sich neben ethnischen Differenzen4 und einem durchschnittlich niedrigeren Geburtenniveau in den sozial besser gestellten Bevölkerungsgruppen vor allem in einem steigenden Anteil kinderloser Frauen und Männer in der Gesamtbevölkerung. Nach den Angaben des Mikrozensus ist beispielsweise der Anteil kinderloser Frauen im früheren Bundesgebiet über die verschiedenen Geburtskohorten und Kalenderjahre hinweg beständig gewachsen (Duschek & Wirth, 2005; Wirth & Dümmler, 2004; Huinink, 1987). Während im Kalenderjahr 1987 noch 27 Prozent der Frauen im Alter zwischen 37 und 40 Jahren (also der Geburtskohorten 1947-1950) kinderlos waren, stieg diese Zahl bei den Frauen derselben Altersgruppe im Kalenderjahr 2003 (also bei den Geburtskohorten 1963-1966) auf mehr als 30 Prozent an (vgl. Duschek & Wirth, 2005; Wirth & Dümmler, 2004). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass normalerweise von Kinderlosigkeit gesprochen wird, wenn eine Person (noch) nicht Vater oder Mutter eines leiblichen Kindes ist. Im Mikrozensus liegen jedoch nur Informationen darüber vor, ob zum jeweiligen Erhebungszeitpunkt Kinder im Haushalt leben (Koresidenzprinzip). Obwohl also von Kinderlosigkeit gesprochen wird, ist faktisch nur die Abwesenheit von Kindern unter 18 Jahren im Haushalt wiedergegeben. Zusätzlich werden die im Haushalt lebenden Kinder automatisch der im Haushalt lebenden Frau zugeordnet. Da jedoch keine Geburtsbiographien der Haushaltsmitglieder vorliegen, bleibt unklar, inwieweit es sich hierbei um leibliche Elternschaften handelt. Damit sind die im Mikrozensus vorgelegten Zahlen zur Kinderlosigkeit zum einen durch die Möglichkeit von Adoptiv-, Pflege- und Stiefkindern im Haushalt unterschätzt, zum anderen durch den möglichen Tod eines leiblichen Kindes vor dem Befragungszeitpunkt sowie vor allem durch den Auszug der Kinder aus dem elterlichen Haushalt bzw. durch den Verbleib der Kinder nach einer Scheidung beim Ex-Partner überschätzt. Kalenderjahresbezogene Analysen mit dem Sozioökonomischen Panel (SOEP), bei denen aufgrund der vorhandenen Geburtsbiographie die Zuordnung der Geburten präziser möglich ist, zeigen insgesamt geringere Anteile kinderloser Frauen. Demnach waren im Jahr 2001 in der Altersgruppe der 35 bis 40-jährigen Frauen ca. 20 Prozent kinderlos (vgl. Schmitt, 2004). Dieses Ergebnis deckt sich mit Daten des Familiensurvey aus dem Jahr 2000, wonach der Anteil kinderloser Frauen in den Geburtskohorten von 1960 bis 1969 ca. ein Fünftel beträgt (Klein, 2003). Dies entspricht einer Verdoppelung des Anteils kinderloser Frauen seit den Geburtsjahrgängen 1940 und 1949. 4
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes (2004a) liegt die Zusammengefasste Geburtenziffer ausländischer Frauen mit ca. 1,8 deutlich über dem Geburtenniveau deutscher Frauen. Allerdings verschwinden diese Unterschiede, je länger die betroffenen Gruppen in Deutschland leben (vgl. hierzu ausführlicher Nauck, 1993). Dies verweist als Ursache auf die kulturell geprägte Fertilität des Ursprungslandes.
2.2 Differenzielle Fertilität und soziale Polarisierung
31
Besonders häufig von Kinderlosigkeit betroffen scheinen Frauen mit Fachhochschul- oder Universitätsausbildung zu sein. In diesem Zusammenhang wird häufig der mit den Daten des Mikrozensus ermittelte Anteil von mehr als 40 Prozent kinderlosen Frauen in dieser Bildungsgruppe in den jüngsten Jahrgängen (1963-1966) genannt (Duschek & Wirth, 2005). Dieser Prozentsatz wird teilweise als unzulässige Dramatisierung bezeichnet, da wie bereits angemerkt, methodische Einschränkungen bei der Ermittlung der Anteile Kinderloser mit den Daten des Mikrozensus bestehen. Weitergehende Schätzungen, die auf den Daten des SOEP beruhen, geben aber unter der Grenzziehung vergleichbarer Altersgruppen ähnliche Werte für die Kinderlosigkeit von Frauen mit Universitätsabschluss an (vgl. Scharein & Unger, 2005). Demnach beträgt der Kinderlosenanteil dieser Frauen in der Altersgruppe der 38- bis 43-jährigen fast 37 Prozent. Altersgleiche Frauen mit Fachhochschulreife bzw. Abitur weisen demgegenüber einen Kinderlosenanteil von „nur“ etwa 24 Prozent auf und der Anteil kinderloser Frauen mit Hauptschulabschluss ist mit ca. 16 Prozent noch einmal niedriger. Ebenfalls erhebliche Unterschiede zeigen sich bei der Betrachtung der Anteile kinderloser Männer und Frauen in Abhängigkeit von ihrem zurechenbaren Einkommen. Abbildung 4 macht deutlich, dass sich bei der Betrachtung von Einkommensklassen (hier auf Basis so genannter bedarfsgewichteter Nettoäquivalenzeinkommen) eine annäherungsweise u-förmige Verteilung der Anteile Kinderloser ergibt (vgl. im Folgenden Schmitt, 2004: 11). Sowohl für Männer als auch für Frauen im Alter von über 45 Jahren zeigt sich, dass bei sehr niedrigem aber auch sehr hohem bedarfsgewichteten Jahreseinkommen ein besonders hoher Anteil an Kinderlosen zu verzeichnen ist. Die niedrigsten Anteile Kinderloser und damit die höchsten Anteile von Personen mit Kindern weisen die mittleren Einkommensklassen auf: Nur 11 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen mit einem bedarfsgewichteten Jahreseinkommen zwischen 15.000 und 20.000 Euro sind kinderlos. Am ausgeprägtesten ist der Anteil der endgültig Kinderlosen in der hier gebildeten höchsten Einkommensklasse mit einem jährlichen Äquivalenzeinkommen von über 30.000 Euro im Jahr. Etwa ein Viertel der Männer und Frauen in dieser oberen Einkommensklasse bleiben dauerhaft kinderlos. Damit wird ebenso wie bei der Betrachtung des Bildungsniveaus deutlich, dass die Anteile Kinderloser in Abhängigkeit von sozialstrukturellen Merkmalen erheblich variieren. Freilich ist mit diesen Befunden noch keine Aussage über die Kausalität und die Wirkungsrichtung dieses Zusammenhangs möglich5, jedoch wird klar, dass bei der Betrachtung möglicher sozioökonomischer 5
So beeinflusst das Bildungsniveau der beteiligten Partner und die Einkommenssituation der betroffenen Haushalte die individuelle Fertilität (Klein, 2003; Kopp, 2002; Huinink, 2000b; Klein & Lauterbach, 1994), andererseits erscheint der umgekehrte Zusammenhang ebenso plausibel, d. h. die Fertilität beeinflusst das Bildungs- und Einkommensniveau.
32
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
Abbildung 4: Anteile Kinderloser nach gewichtetem Jahreseinkommen Männer ab 46 Jahre
Frauen ab 46 Jahre
50 45
Anteil Kinderloser (in Prozent)
40 35 30 25
26
25
20 19 15
20 16
10
16
14
17
16
13 11
11
5 0 5.001 bis 10.000 €
10.001 bis 15.000 €
15.001 bis 20.000 €
20.001 bis 25.000 €
25.001 bis 30.000 €
über 30.000 €
Einkommensklassen
Quelle: Schmitt, 2004; mit den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) 2001; Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) Berlin; Bedarfsgewichtet mit der neuen OECD-Äquivalenzkala; gewichtete Angaben. (vgl. zur Berechnung des Äquivalenzeinkommens Kapitel 3: Seite 40ff. der vorliegenden Arbeit).
Folgen der Fertilität auch Selektionseffekte des Geburtenverhaltens berücksichtigt werden müssen. Wenn, wie gezeigt, Personen mit hoher Bildung und hohem Einkommen am häufigsten kinderlos bleiben, darf es bei einem Einkommensvergleich nicht verwundern, wenn Kinderlose über deutlich höhere Einkommen verfügen als Personen, die in Haushalten leben, in denen Kinder zu versorgen sind. Die Frage, ob die beobachteten Einkommens- und Wohlstandsdifferenzen zwischen Haushalten mit unterschiedlicher Kinderzahl auch auf bereits vor der Geburt bestehende sozioökonomische Unterschiede zurückgeführt werden können und diese Unterschiede somit weniger die Folge direkter geburtsbedingter Konsequenzen sind, blieb bislang jedoch ungeklärt. Neben der, wie eben gezeigt, sozial differenzierten und insgesamt gesunkenen Wahrscheinlichkeit, im Kohortenverlauf überhaupt Kinder zu bekommen, wird ebenfalls ein bedeutsamer Rückgang von Familien mit Kindern höherer Parität beobachtet. So sanken parallel zum steigenden Anteil kinderloser Frauen die Anteile der Frauen, die im Lebensverlauf zwei und mehr Kinder geboren haben
2.2 Differenzielle Fertilität und soziale Polarisierung
33
(vgl. Tabelle 1a). Der Geburtenrückgang setzte dabei zuerst bei den Geburten höherer Ordnungszahl ein und breitete sich stufenweise auf die Geburten niedrigerer Ordnung aus (vgl. Birg et al., 1990: 28f.). Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass zwar die Anzahl und relative Häufigkeit der ersten, zweiten und dritten sowie weiteren Geburten im Zeitverlauf gesunken ist, die durchschnittliche Zahl der Kinder von Müttern, also von denjenigen Frauen, die mindestens ein Kind geboren haben, jedoch relativ konstant geblieben ist (vgl. Tabelle 1b). Zwar sank auch der Anteil von Müttern mit drei und mehr Kindern, gleichzeitig entschied sich aber in der Kohortenfolge ein steigender Anteil für mehr als nur ein einziges Kind. Während beispielsweise von den 1945 geborenen Frauen mit Kindern (also Müttern) rund 65 Prozent mehr als nur ein Kind geboren haben, wollten sich von den 1965 geborenen Müttern bereits 75 Prozent nicht mehr nur auf ein einziges Kind beschränken. Behauptungen dahingehend, dass in Deutschland die Ein-Kind Familie dominiert, entbehren daher einer empirischen Grundlage, denn nach wie vor ist der weitaus häufigste Familientyp die Zwei-Kinder Familie (vgl. Birg, 2005; Huinink, 1989). Bei den jüngeren Generationen mit abgeschlossener Fertilität ist also eine starke Polarisierung des Geburtenverhaltens beobachtbar (Huinink, 2002). Der entscheidende Punkt dabei ist die Tatsache, dass nicht das „Verschwinden“ kinderreicher Familien, sondern vor allem die steigende Kinderlosigkeit die wesentliche Steuerungsgröße der Geburtenentwicklung ist (vgl. Birg, 2005; Huinink, 2002 und Peuckert, 2002: 133). Am deutlichsten wird diese Entwicklung wiederum bei der Berücksichtigung des Bildungsniveaus. Einerseits weisen Frauen mit hoher Bildung die höchsten Anteile Kinderloser auf (vgl. Duschek & Wirth, 2005), andererseits konnte gezeigt werden, dass Frauen, wenn sie ein erstes Kind geboren haben, mit zunehmendem Bildungsniveau allerdings auch eher ein weiteres Kind realisieren (vgl. Huinink, 2000b; Huinink, 1987). Zwar sinkt die durchschnittliche Anzahl der geborenen Kinder mit der Höhe des Bildungsniveaus der Frauen, dies erklärt sich aber vor allem durch den größeren Anteil lebenslang kinderloser Frauen und eben nicht durch eine mangelnde Bereitschaft zur Familienerweiterung in höheren Bildungsgruppen (Timm, 2006; Köppen, 2006). Dass die Reproduktionsziffern insgesamt und bei Hochqualifizierten im Besonderen gesunken sind und mittlerweile unter dem für eine Bestandserhaltung notwendigen Geburtenniveau liegen, ist also vor allem auf den Anteil der lebenslang Kinderlosen zurückzuführen. Ist einmal ein Kind geboren, folgen im Durchschnitt weitere Kinder in beinahe demselben Ausmaß wie seit Jahrzehnten (vgl. Tabelle 1b; oder Huinink, 1991; Huinink, 1989; Klein, 1989). Das bedeutet, dass die relativ seltenere Geburt von zweiten und dritten Kindern weitgehend darauf beruht, dass die Familiengründung, also die Geburt erster Kinder (insbesondere in hohen Bildungsgruppen) seltener geworden ist (vgl. Klein, 2005; Kaufmann, 2005).
34
2 Geburtenentwicklung und differenzielle Fertilität
Tabelle 1: Durchschnittlich realisierte Kinderzahl weiblicher Geburtsjahrgänge a) Anteil von Frauen mit … Jahrgang
keinem Kind
Einem Kind
Zwei Kindern
Drei Kindern
Vier u.m. Kindern
Geburten pro Frau
1940
10,6 %
26,4 %
34,1 %
18,5 %
10,4 %
1,97
1945
13,0 %
30,4 %
34,6 %
14,0 %
8,0 %
1,78
1950
15,8 %
29,4 %
34,3 %
13,1 %
7,4 %
1,70
1955
21,9 %
24,9 %
33,5 %
12,5 %
7,3 %
1,61
1960
26,0 %
21,6 %
32,4 %
12,4 %
7,7 %
1,57
1965
32,1 %
17,6 %
31,2 %
11,1 %
8,1 %
1,48
b) Anteil von Müttern mit … Jahrgang
keinem Kind
Einem Kind
Zwei Kindern
Drei Kindern
Vier u.m. Kindern
Geburten pro Mutter
1940
-
29,5 %
38,1 %
20,7 %
11,6 %
2,20
1945
-
34,9 %
39,8 %
16,1 %
9,2 %
2,04
1950
-
34,9 %
40,7 %
15,5 %
8,8 %
2,03
1955
-
31,9 %
42,9 %
16,0 %
9,3 %
2,07
1960
-
29,1 %
43,7 %
16,8 %
10,4 %
2,14
1965
-
25,9 %
45,9 %
16,3 %
11,9 %
2,20
Quelle: Birg, 2005: 89 und Kaufmann, 2005: 125
Damit wird nochmals deutlich, dass das fertilitätsgeleitete Bevölkerungsproblem hauptsächlich durch massenhafte Entscheidungen von Eltern für oder gegen ein erstes Kind entsteht. Weniger von Bedeutung sind individuelle und paarbezogene Entscheidungen zur Gesamtzahl der Kinder, die im Lebensverlauf realisiert werden soll.
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Nachdem im einleitenden Kapitel das differenzierte Geburtenverhalten der deutschen Bevölkerung deutlich gemacht wurde, soll nun die sozioökonomische Lage derjenigen, die Kinder haben, genauer beleuchtet werden. Im ersten Teil des Kapitels wird deshalb die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage von Familien in Deutschland in ihren grundlegenden Aspekten nachvollzogen und mit der Situation von kinderlosen (Paar-)Haushalten kontrastiert (Abschnitt 3.1). Hierzu werden Maßzahlen vorgestellt, die eine differenzierte Unterscheidung in Einkommens- und Wohlstandssituation sowie die Darstellung der Armutsbetroffenheit der Familienhaushalte ermöglichen (Abschnitt 3.1.1). Da die Interpretation der relevanten Indikatoren auf zahlreichen normativen Vorentscheidungen beruht, werden bei der empirischen Darstellung gleichzeitig die methodischen und statistischen Konzepte diskutiert, die den präsentierten Maßzahlen zugrunde liegen. Die vorwiegend auf dem Prinzip kalenderjährlicher Vergleiche beruhenden Ergebnisse werden zudem im Hinblick auf ihre Aussagekraft zu den unmittelbaren Konsequenzen der Geburt beurteilt und die hiermit verbundenen Forschungsdefizite werden aufgezeigt (Abschnitt 3.1.2). In der zweiten Etappe des Kapitels finden dann die zentralen Rahmenbedingungen der sozioökonomischen Situation von Familienhaushalten besondere Beachtung (Abschnitt 3.2). Aspekte der Arbeitsmarktpartizipation vor allem von Frauen kommen dabei ebenso zur Sprache (Abschnitt 3.2.1) wie die Herausstellung der entscheidenden familienpolitischen Instrumente des deutschen Sozial- und Wohlfahrtsstaates im Hinblick auf die wirtschaftlichen Bedingungen der Familien (Abschnitt 3.2.2).
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten 3.1.1 Familiäre Wohlstandsmessung und empirische Befunde Die Einordnung der Familienhaushalte in das sozioökonomische Gefüge der Gesellschaft wird in der Soziologie vor dem Hintergrund verschiedener methodischer Ansätze diskutiert. Als allgemeine Unterscheidung gilt dabei die Differenzierung zwischen versorgungs- und ressourcenorientierten Wohlstandsdefinitionen. Die Versorgungsdefinition, die auch als Lebenslagenansatz bezeichnet wird,
36
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
zielt dabei auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ab (vgl. Voges, 2006; Voges et al., 2003). Wohlstand in diesem Sinne wird also über bestimmte Versorgungsstandards bzw. eine bestimmte Anzahl von Versorgungsgütern definiert. Zu den relevanten Versorgungsgütern zählen dabei je nach Ansatz ganz unterschiedliche Bereiche individueller Lebensgestaltung und -chancen wie z. B. die Arbeitsbedingungen bei der Einkommenserzielung, die Wohn- und Lebensqualität der Haushaltsmitglieder sowie die Versorgung der Haushalte mit Nahrungsmitteln, Bekleidung und Haushaltsgeräten, aber auch immaterielle Wohlfahrtskomponenten wie z. B. gesundheitliche Aspekte werden teilweise im Lebenslagenansatz berücksichtigt (vgl. u. a. Lampert & Ziese, 2005). Im Gegensatz dazu zielt der Ressourcenansatz ausschließlich auf die Existenz von monetären Mitteln, die eine adäquate Versorgung erst ermöglichen. Die damit verbundene indirekte Messung von Wohlstand ist nicht unumstritten, da unklar bleibt, wie die finanziellen Mittel tatsächlich verwendet werden (vgl. Krämer, 2000: 97ff.). Beispielsweise kann unter bestimmten Umständen (z. B. unvollständige Informationen oder Suchtverhalten) eine unangemessene Verausgabung der Ressourcen stattfinden (z. B. Verschwendung bzw. Fehlallokation). Andererseits besteht die Möglichkeit, dass durchaus vorhandene monetäre Ressourcen gar nicht eingesetzt werden (z. B. Vermögensauflösung bzw. Konsumverzicht zugunsten von Spareinlagen), um gewisse Versorgungsniveaus überhaupt zu erreichen. Trotz dieser Probleme kann und wird aber davon ausgegangen, dass monetärer Wohlstand das „Fundament“ bzw. die zentrale Determinante des verwirklichten Wohlstandes darstellt und damit als zentrale Dimension sozialer Ungleichheit in modernen Marktwirtschaften gelten kann (Hradil, 2001: 211ff. und Klein, 1987). Die Entscheidung für oder gegen einen Ansatz ist vor dem Hintergrund der zahlreichen normativen Grundlagen in beiden Ansätzen allerdings schwierig (vgl. hierzu Klein, 1987: 110ff.), weshalb die Eignung eines bestimmten Konzeptes letztendlich vom Zweck der Messung und den inhaltlichen Gesichtspunkten der Analysen abhängen muss. Da die in dieser Arbeit gestellte Frage nach den durch die Geburt von Kindern bedingten Wohlstandsveränderungen in erster Line auf die Einkommensveränderungen und die Neuverteilung der Einkommen innerhalb des Haushaltes abzielt, ist es für die folgenden Analysen zur sozioökonomischen Lage von Familien sinnvoll, diese im Rahmen des Ressourcenansatzes zu diskutieren. Wie die allermeisten diesbezüglichen empirischen Untersuchungen beschränken sich auch die hier dargelegten Berechnungen auf die Darstellung der verfügbaren monatlichen Geldeinkommen. Diverse Vermögenswerte wie z. B. Spareinlagen, Aktienpakete und Immobilien finden keine Berücksichtigung. Im Hinblick auf die kurzfristigen sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt von Kindern ist die Einengung auf Einkommensmaße jedoch akzeptabel, da Veränderungen der Vermögenssituation erst mit längerem Abstand zum Ge-
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
37
burtsereignis z. B. aufgrund einer anhaltenden Einkommensschwäche in Folge der kurzfristigen geburtsbedingten Einkommensveränderungen relevant werden (können). Das heißt, Vermögensanalysen werden erst bei einer längerfristigen Betrachtung der sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten wesentlich. Dies gilt im Übrigen auch für die zahlreichen Versorgungsstandards wie sie im Lebenslagenansatz berücksichtigt werden, denn insbesondere die Ausstattung der Haushalte mit (langlebigen) Konsumgütern, wie z. B. Mobiliar, Elektrogeräten und Fahrzeugen ist nicht unmittelbar durch das Geburtsereignis betroffen. Aus den genannten Gründen werden die folgenden Darstellungen zur sozioökonomischen Lage von kinderlosen Haushalten und derjenigen von Familienhaushalten im Allgemeinen auf den Ressourcenansatz und im Speziellen auf Einkommensmaße beschränkt. Einkommenssituation von Familien mit Kindern: Zur Darstellung der monetären Ressourcenausstattung eines Haushalts sowie der damit verbundenen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Haushaltsmitglieder liegen vielfältige Berechnungskonzepte und Maßzahlen vor (vgl. Canberra Group, 2001; Smeeding & Weinberg, 2001). Die wichtigsten Indikatoren unterscheiden sich dabei insofern, als dass bereits die Bestimmung des Begriffs „Einkommen“ erheblich variiert (Hoffmeyer-Zlotnik & Warner, 1998). Im Gegensatz zu Maßzahlen, die die Einkommenssituation einzelner Personen unabhängig von deren sozialer Eingebundenheit abbilden (z. B. persönliches Erwerbseinkommen), haben sich bei der Analyse und beim Vergleich der sozioökonomischen Situation von Familien analytische Konzepte durchgesetzt, die ausdrücklich die Haushaltsperspektive berücksichtigen. Grundlegend wird in dieser Perspektive davon ausgegangen, dass die in einem Haushalt zusammen lebenden Personen auch gemeinsam wirtschaften und daher ihre Einzeleinkommen gemeinsam nutzen. Es wird also angenommen, dass jedes Haushaltsmitglied sein gesamtes Einkommen in einen gemeinsamen „Einkommenspool“ einbringt (sog. Poolannahme).6 Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass z. B. die Ehefrau am Erwerbseinkommen ihres Ehemannes partizipiert und umgekehrt, ebenso wie die nicht erwerbstätigen Kinder oder andere Personen (vgl. Andreß & Lohmann, 2000). Als gebräuchlicher Indikator zur Darstellung der haushaltsbezogenen Einkommenssituation gilt das Haushaltsnettoeinkommen7 bzw. das verfügbare Haushaltseinkommen (Household Disposable Income), das sich aus der Summe 6
7
So genannte verschwiegene Einkommen, die bei Verteilungsfragen zu berücksichtigen sind, werden damit ausgeschlossen. Diese Annahme ist jedoch kaum empirisch überprüft und deshalb nicht ohne Widerspruch geblieben (Bäcker G., 2003; Eggen R.A., 1998; Lundberg et al., 1997). Der Begriff des Haushaltsnettoeinkommens wird v.a. im Rahmen der amtlichen Statistik verwendet und errechnet sich, indem vom Haushaltsbruttoeinkommen Steuern auf Einkommen sowie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung abgesetzt werden (Statistisches Bundesamt, 2005d).
38
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
der individuellen (Netto-)Einkommen aller Haushaltsmitglieder ergibt (vgl. Becker & Hauser, 2003; Hoffmeyer-Zlotnik & Warner, 1998). Der periodische Bezug für die Einkommensermittlung ist dabei in der Regel ein Monat oder ein Jahr, wobei die erfragten jährlichen Einkommen die Summe der entsprechenden monatlichen Einkünfte übersteigen können, wenn im verfügbaren Jahreseinkommen Zahlungen berücksichtigt werden, die nicht monatlich anfallen (z. B. 13. Monatsgehalt, Steuererstattungen etc.). Sowohl das monatlich als auch das jährlich verfügbare Haushaltseinkommen bieten insgesamt eine kompakte Angabe über die sekundäre Verteilung der Einkommen auf die Haushalte, d. h. über die nach diversen Einkommenszuflüssen (z. B. aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit, Vermögenseinkünften sowie Transferzahlungen des Staates) und Abflüssen (z. B. direkte Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und andere Abgaben) vorhandene monetäre Ressourcenausstattung, die für den Lebensunterhalt aller Haushaltsmitglieder zur Verfügung steht (Becker & Hauser, 2003). Angaben zum Haushaltsnettoeinkommen stellen unter anderem die seit 1963 im fünfjährigen Turnus durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) des Statistischen Bundesamtes bereit (Statistisches Bundesamt, 2005c). Abbildung 5 zeigt basierend auf diesen Daten die Entwicklung der inflationsbereinigten monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von Ehepaaren in Abhängigkeit von der zugehörigen Kinderzahl. Neben der allgemeinen Zunahme der verfügbaren Haushaltseinkommen im Zeitverlauf wird dabei deutlich, dass kinderreiche Haushalte über ein höheres Gesamteinkommen verfügen als entsprechende Haushalte mit weniger Kindern, solange die quantitativen und qualitativen Merkmale (Personenzahl und Altersstruktur) der Haushalte unberücksichtigt bleiben. Nach den Ergebnissen der aktuellsten Einkommens- und Verbraucherstichprobe aus dem Jahr 2003 stehen so z. B. (Ehe-)Paaren mit einem Kind 3.113 Euro im Monat zur Verfügung und damit 45 Prozent mehr Haushaltseinkommen als im Jahr 1969. Paare mit zwei Kindern können aktuell auf rund 3.651 Euro im Monat zurückgreifen (+57 Prozent gegenüber 1969), und Paaren mit drei Kindern stehen monatlich 4.012 Euro (+60 Prozent gegenüber 1969) für den Lebensunterhalt zur Verfügung. Die Haushaltseinkommen derjenigen Haushalte, in denen Kinder versorgt werden müssen, sind auch vor dem Hintergrund des mittleren Haushaltsnettoeinkommens aller deutschen Haushalte, das im Jahr 2003 ca. 2.545 Euro betragen hat (+41 Prozent gegenüber 1969), als überdurchschnittlich anzusehen. Den größten Einkommenszuwachs zwischen 1969 und 2003 können allerdings Paarhaushalte ohne Kinder verzeichnen. Mit einer Steigerung von 1.705 auf 2.884 Euro hat sich ihr Haushaltseinkommen zwischen 1969 und 2003 um 69 Prozent erhöht. Dennoch verfügen z. B. Familien mit drei Kindern im Jahr 2003 aber immer noch über 1.250 Euro mehr Einkommen pro Monat als die kinderlose Vergleichsgruppe (Statistisches Bundesamt, 2005d).
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
39
Abbildung 5: Hauhaltseinkommen ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf 4800
monatliches Haushaltsnettoeinkommen in Euro
alle Einkom m en zu Preisen des Jahres 1995 4400 4000 3600 3200 2800 2400 2000 1600 1200 800 400 Angaben bis 1993 für das frühere Bundesgebiet; Angaben seit 1998 für Gesamtdeutschland 0 1969
1973
1978
1983
1988
1993
1998
2003
Kalenderjahr Ehepaare ohne Kinder
Ehepaare mit einem Kind
Ehepaare mit zw ei Kindern
Ehepaare mit drei Kindern
Quelle: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der Jahre 1969 bis 2003; Inflationsbereinigung auf Basis des Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes ( 2006a).
Diese Befunde werden auch durch Daten des SOEP aus dem Jahr 2005 bestätigt, wonach Paarhaushalten ohne Kind monatlich 2.650 Euro zur Verfügung stehen und damit im Vergleich zu Paarhaushalten mit einem Kind ca. 215 Euro weniger, gegenüber Haushalten mit zwei Kindern etwa 500 Euro weniger und im Vergleich zu Paaren mit drei Kindern etwa 755 Euro weniger pro Monat (eigene Berechnung). Die präsentierten Ergebnisse weisen damit auf eine mit der Kinderanzahl wachsende Ressourcenausstattung von Haushalten hin. Das heißt, der Mittelzufluss bzw. die Allokation der Einkommen auf den Haushalt wird mit steigender Zahl der Kinder nicht wie z. T. vermutet schlechter, sondern im Gegenteil sogar besser (vgl. Eggen, 2005; Hesse & Thiel, 2002). Die Ursachen für diese mit steigender Kinderzahl haushaltsbezogene Besserstellung von Familien in der Querschnittsperspektive sind bislang kaum aufgearbeitet worden. Im Gegenteil wird eher angenommen, dass Kinder die Möglichkeiten der Eltern zur Einkommenserzielung negativ beeinflussen, da eine bestehende Erwerbstätigkeit eingeschränkt oder aufgegeben werden muss und daher die Haushaltseinkommen mit steigender Kinderzahl sinken. Noch zumal die-
40
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
ser negative Einkommenseffekt die staatlichen Kompensationen (Transfereinkommen) für die marktinduzierten Folgen einer Geburt zumeist erheblich überwiegt. Bei der Gegenüberstellung der Einkommenssituation der Haushalte in der Querschnittsperspektive ist aber zu berücksichtigen, dass die sozioökonomische Lage der beobachteten Haushalte nur zu einem Zeitpunkt (irgendwann) nach dem Geburtsereignis einbezogen wird. Erklärungsmuster, die in einem engen Zusammenhang mit den variablen Haushaltsstrukturen im Familienzyklus stehen, können somit nicht berücksichtigt werden (Klein, 1992). Eine Ursache für den beobachteten Anstieg des Haushaltseinkommens mit wachsender Kinderzahl könnte deshalb z. B. auch ein in kinderreichen Familien überproportionaler Anteil von Haushalten mit älteren Kindern sein, in denen bereits für beide Partner wieder die Möglichkeit zur (Voll-)Erwerbstätigkeit besteht. Daher würden zwar die positiven Konsequenzen der Kinder (z. B. Kindergeldzahlungen) berücksichtigt, nicht jedoch deren negative Auswirkungen, die in frühen Phasen des Familienzyklus auftreten (z. B. Ausfall eines Erwerbseinkommens). D. h. mit Periodendaten ist es zwar möglich, die Einkommenssituation der Haushalte darzustellen, die Ursachen und Gründe der Einkommensveränderungen einzelner Haushalte im Zeitverlauf bzw. der Einkommensunterschiede zwischen verschiedenen Haushaltsformen können damit jedoch nicht erschöpfend aufgeklärt werden (Brüderl, 1990). Hierfür ist eine Analyse der Haushaltseinkommen notwendig, die den Familienzyklus berücksichtigt und das Einkommen der Familien in zeitlicher Abhängigkeit von der Kindergeburt erklärt. Aufschlussreichere Analysen auf Grundlage längsschnittlicher Daten liegen für Deutschland bis dato jedoch nicht vor. Die Abschätzung des Ausmaßes der Veränderungen des Haushaltseinkommens beim Übergang von einer Familienphase (z. B. ohne Kind) zu einer anderen (dann mit Kind) ist daher nicht möglich. Wohlstandssituation von Haushalten mit Kindern: Bei komplexeren Einkommensvergleichen ist es von besonderer Bedeutung, neben dem absoluten Haushaltseinkommen auch die Personenzahl und damit die Bedarfssituation der Haushalte mit zu berücksichtigen. Bei haushaltsbezogenen Einkommensmaßen (v. o.) wird bekanntermaßen nicht bewertet, inwieweit in den einzelnen Haushalten eine unterschiedliche Zahl von Menschen zu versorgen ist. Damit bleibt also der den Einkommensressourcen gegenüberstehende Einkommensbedarf unberücksichtigt. Es ist jedoch unbestritten, dass die Personenanzahl das Resultat der haushaltsbezogenen Einkommensverteilung noch einmal erheblich modifiziert (Klein & Zimmermann, 1991). Trotz der wesentlichen Bedeutung des Haushaltskontextes für die Ermittlung der ökonomischen Situation von verschiedenen Lebensformen sollten deshalb für weiterführende Vergleiche nicht die Haushalte, sondern Personen die relevante Untersuchungseinheit sein (vgl. Becker & Hauser, 2003). Aussagekräftiger für die Beschreibung der ökonomi-
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
41
schen Lage der Haushaltsmitglieder sind deshalb personenbezogene Wohlstandsmaße, die neben dem verfügbaren Haushaltseinkommen auch die Zahl (den Bedarf) der im Haushalt lebenden Personen mit einbeziehen. Wohlstandsmaße berücksichtigen damit neben der „Entstehungsseite“ (Allokation) auch die „Ausgabenseite“ bzw. die Verteilung (Distribution) der monetären Mittel auf die Individuen des Haushaltes. Eine in diesem Zusammenhang häufig verwendete Maßzahl ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen eines Haushaltes (Household Disposable Income Per Head), das sich aus dem Quotienten des verfügbaren Haushaltseinkommens und der Anzahl der im Haushalt lebenden Mitglieder ergibt. Mit diesem Vorgehen wird jedem Haushaltsmitglied ein gleich großer Anteil des verfügbaren Haushaltseinkommens zugewiesen. Ob die damit verbundene Annahme proportionaler Ressourcenzuteilung in der Wirklichkeit tatsächlich zutrifft, wird jedoch kritisch diskutiert (Bäcker, 2006; Lise & Shannon, 2004). Denn neben innerfamiliären Machtkonstellationen, die bei Verteilungsfragen zu berücksichtigen sind, bleiben bei der Ermittlung des Pro-Kopf-Einkommens sowohl potenzielle Spareffekte aufgrund der gemeinsamen Haushaltsführung in Mehrpersonenhaushalten, als auch die Altersstruktur und die damit verbundenen unterschiedlichen Bedarfslagen der Haushaltsmitglieder unberücksichtigt. Beispielsweise variieren der altersspezifische Nahrungsmittelbedarf und ähnliche Aufwendungen für den täglichen Lebensunterhalt zwischen Kindern und Erwachsenen erheblich und dementsprechend auch die hierfür notwendigen Ausgaben. Folglich wird davon ausgegangen, dass nicht alle Haushaltsmitglieder in Abhängigkeit vom Lebensalter in gleichem Umfang am verfügbaren Einkommen des Haushaltes partizipieren (müssen), um schließlich das gleiche Niveau der Bedürfnisbefriedigung zu erreichen (Kohl, 1992). Diese sog. Wohlstandsgleichverteilungsannahme unterstellt also, dass in Abhängigkeit vom Lebensalter der Haushaltsmitglieder unterschiedliche mit dem Alter wachsende Bedarfslagen existieren. Zusätzlich zu diesen altersspezifischen Bedarfslagen entstehen in Haushalten mit mehreren Personen gleichzeitig Kostenvorteile durch die gemeinsame Haushaltsführung, z. B. durch die Verteilung von Fixkosten (Economies of Scale). Man benötigt beispielsweise nicht für jedes (weitere) Haushaltsmitglied einen eigenen Kühlschrank und auch Mengenrabatte und ähnliche Vorteile, z. B. bei Heiz- und Stromkosten, ergeben sich in Mehrpersonenhaushalten häufiger (Klein, 1994; Klein, 1987). Diese Spareffekte stellen wie die altersspezifischen Bedarfslagen relative Einsparungen dar, d. h. sie vermindern das Ausmaß der Mehrkosten, die einem Haushalt durch weitere Personen (z. B. Kinder) entstehen. Um die genannten Sachlagen bemessen zu können, werden bei komplexeren Maßzahlen die einzelnen Haushaltsmitglieder entsprechend gewichtet. Sowohl die Unterstellung altersspezifischer Bedarfslagen, als auch Annahmen über Kos-
42
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
tenvorteile und Spareffekte finden dabei ihren Ausdruck in sog. Bedarfsgewichten (Wohlfahrtsdeflatoren) von Äquivalenzskalen (vgl. u. a. Faik, 1997; Hauser, 1996; Klein, 1994). Dabei drückt das Bedarfsgewicht einer Person aus, ob diese (wie beim einfachen Pro-Kopf-Einkommen) als Vollperson (mit dem Wert von 1,0) gewertet wird oder ob man bei dieser Person von niedrigeren altersspezifischen Bedarfen und auftretenden Spareffekten ausgeht (bei kleineren Werten als 1,0). Um Unterschiede des Ausmaßes der altersspezifischen Bedarfslagen und der haushaltsbezogenen Spareffekte ausdrücken zu können, liegen verschiedene Äquivalenzskalen mit unterschiedlichen Bedarfskonzepten vor. Die an die Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angelehnte Äquivalenzskala bietet zum Beispiel eine differenzierte Untergliederung der Bedarfsgewichte für Erwachsene, Jugendliche und Kinder und unterscheidet hierfür insgesamt sechs verschiedene Bedarfslagen (§22, Abs.1, BSHG Regelsatzverordnung). Die BSHG-Skala findet heute jedoch kaum noch Verwendung. Am weitaus häufigsten werden mittlerweile die sog. OECD-Skalen genutzt, die insgesamt drei verschiedene (Bedarfs-)Gruppen unterscheiden (OECD, 2005). Die neue OECDSkala bewertet z. B. die erste erwachsene Person mit dem üblichen Faktor von 1,0; weitere Personen ab 15 Jahren mit einem Gewicht von 0,5 und Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren mit einem Wert von 0,3. Die entsprechenden Gewichte der alten OECD-Skala betragen für die erste Person 1,0, für Personen ab 15 Jahren 0,7 und für jüngere Haushaltsmitglieder 0,5. Zunehmend werden weitere Skalen entwickelt, die z. B. auf der sog. Quadratwurzelmethode beruhen, bei der die Summe der Bedarfsgewichte der Haushaltsmitglieder der Quadratwurzel der zugehörigen Personenzahl des Haushaltes entspricht (vgl. Sopp, 2005: 71). Das unterstellte Ausmaß der Bedarfseffekte in den einzelnen Skalen hat dabei eine große Bedeutung für die Attribution von Wohlstand (Becker, 2002: 128ff.; Schwarze, 2003), denn je nachdem wie die altersspezifischen Bedarfseffekte und die durch eine gemeinsame Haushaltsführung bewirkten Spareffekte bewertet werden, erfolgt die Verdichtung empirischer Daten hin zu Wohlstandsniveaus jeweils anders (vgl. hierzu Cowell & Mercader-Prats, 1999; Ebert, 1999; Burniaux et al., 1998).8 So bewirken z. B. höher angesetzte altersspezifische Bedarfslagen und geringe Spareffekte (und damit hohe Bedarfsgewichte nahe 1,0) eine Verminderung des Wohlstandsniveaus, während umgekehrte Annahmen zu einer Anhebung des Wohlstandsniveaus der Familienhaushalte führen. Entsprechend fallen die durch eine Kindergeburt verursachten Bedarfseffekte umso höher aus, je höhere Bedarfsgewichte Verwendung finden. Wie hoch die Aufwen8
Es ist z. B. darauf hinzuweisen, dass die auf europäischer Ebene erfolgte Festlegung auf die neue OECD-Skala eine stärkere Gewichtung der Armut in Ein-Personen-Haushalten zur Folge hat, während die Verwendung der alten OECD-Skala die Armut in Mehr-Personen-Haushalten (und damit die Belastung größerer Familien) stärker hervor hebt (Hauser R., 2002: 258).
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
43
dungen für Kinder allerdings tatsächlich sind, ist nach wie vor ein kontrovers diskutiertes Problem. Zwar sind die theoretischen Grundlagen der Skalen und damit deren empirische Notwendigkeit aus der mikroökonomischen Haushaltstheorie ableitbar; für die empirische Bestimmung gibt es aber (noch) kein richtig oder falsch (vgl. Schwarze, 2003: 26f.). Die praktische Anwendung einer konkreten Äquivalenzskala bleibt damit letztlich ein normatives Problem. Unter Berücksichtigung der Bedarfsgewichte einer Äquivalenzskala können nun aber neben der Personenzahl (entsprechend der Berechnung des Pro-KopfEinkommens) zumindest die individuellen Bedarfe der Haushaltsmitglieder und auftretende Spareffekte berücksichtigt werden. Hierzu wird das sog. Nettoäquivalenzeinkommen eines Haushaltes bzw. seiner Mitglieder (Household Equivalent Disposable Income) als Quotient aus dem verfügbaren Haushaltseinkommen und der Summe der individuellen Bedarfsgewichte (der zugrunde gelegten Äquivalenzskala) der im Haushalt lebenden Personen berechnet (vgl. StrengmannKuhn, 2000). Beispielsweise wird das Einkommen eines Haushaltes mit zwei erwachsenen Personen, unter Berücksichtigung der neuen OECD-Skala, nun nicht mehr wie beim einfachen Pro-Kopf-Einkommen durch 2,0 geteilt, sondern entsprechend der Summe der individuellen Bedarfsgewichte der neuen OECDSkala (erste erwachsene Person 1,0; zweite Person über 15 Jahre 0,5) durch 1,5 dividiert. Das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen einer Population mit einem gemeinsamen Merkmal (z. B. Paarhaushalte mit Kind) erhält man entsprechend, indem man das arithmetische Mittel oder den Median aller derart ermittelten Nettoäquivalenzeinkommen der zugehörigen Haushalte bildet. Abbildung 6 zeigt dazu die Entwicklung der realen monatlichen Nettoäquivalenzeinkommen im Zeitverlauf (1984-2005). Die präsentierten Angaben basieren auf der Verwendung der neuen OECD-Skala und der Mittelwertbildung mit dem Median. Die Abbildung verdeutlicht, dass alle berücksichtigten Haushaltstypen – dem allgemeinen Trend entsprechend – in den letzten Dekaden eine nennenswerte Steigerung der realen Einkommen verzeichnen konnten. Dabei liegt das mediane Äquivalenzeinkommen von kinderreichen Familien im betrachteten Zeitraum erwartungsgemäß unter dem von Haushalten mit weniger Kindern und nicht mehr wie bei der Betrachtung des „ungewichteten“ Haushaltsnettoeinkommens darüber. Die relativen Zugewinne des Nettoäquivalenzeinkommens im Zeitverlauf sind aber dennoch zugunsten von kinderreichen Haushalten ausgefallen. So erhöhte sich das Nettoäquivalenzeinkommen von Paarhaushalten mit einem Kind zwischen 1984 und 2005 von 967 auf 1.200 Euro (+24 Prozent), während das entsprechende Einkommen von Paarhaushalten mit zwei Kindern im gleichen Zeitraum von 829 auf 1.108 Euro angewachsen ist (+33 Prozent) und Paarhaushalte mit drei Kindern sogar eine Steigerung von 737 auf 994 Euro verzeichnen konnten (+35 Prozent). Die relativ geringsten Zugewinne (allerdings
44
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Abbildung 6: Äquivalenzeinkommen ausgewählter Haushalte im Zeitverlauf 1600 1500
neue OECD-Skala; Median; zu Preisen des Jahres 2000
1400
Äquivalenzeinkommen in Euro
1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0
bis 1990 früheres Bundesgebiet (Sample A+B); ab 1991 Deutschland (Sample A-F) 1984
1986
1988
1990
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Kalenderjahr Paare ohne Kind
Paare mit einem Kind
Paare mit zw ei Kindern
Paare mit drei Kindern
Die Äquivalenzeinkommen wurden mit den Bedarfsgewichten der neuen OECD-Skala berechnet. Durchschnittswerte der Äquivalenzeinkommen wurden mit dem Median ermittelt. Quelle: SOEP 1984-05; eig. Berechnungen; personenengewichtete Querschnitte; Inflationsbereinigung auf Basis des Verbraucherpreisindex (Statistischen Bundesamtes 2006a).
ausgehend von einem hohen absoluten Niveau) konnten Paarhaushalte ohne Kind realisieren, deren durchschnittliches Nettoäquivalenzeinkommen zwischen 1984 und 2005 um 22 Prozent von 1.106 auf 1.354 Euro angewachsen ist. Politisch interessanter als die absolute Höhe des Nettoäquivalenzeinkommens der Haushalte ist allerdings die hiermit verbundene relative Positionierung der Haushalte bzw. Haushaltsformen im Vergleich zu gesellschaftlichen Durchschnittswerten. Diese Relation wird zumeist mit der Berechnung der sog. relativen Wohlstandsposition ausgedrückt. Gesellschaftlicher Bezugspunkt für die Berechnung der relativen Wohlstandsposition ist dabei i. d. R. der Median der Nettoäquivalenzeinkommen aller deutschen Personen. Zwar kann auch das arithmetische Mittel der Einkommen als Bezugspunkt verwendet werden; allerdings eignet sich der Median bei den typischerweise rechtsschiefen Einkommensverteilungen besser, um den gesellschaftlichen Einkommensdurchschnitt abzubilden, da Überschätzungen aufgrund möglicher „Ausreißer“ im höheren Einkommens-
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
45
spektrum vermieden werden (vgl. Kohl, 1992). Die relative Wohlstandsposition einer Person erhält man also durch den Bezug des Nettoäquivalenzeinkommens der Person auf das mediane Nettoäquivalenzeinkommen der Bevölkerung. Die Wohlstandsposition einer Population mit einem gemeinsamen Merkmal erhält man entsprechend aus dem medianen Mittel des Äquivalenzeinkommens aller Personen (bzw. Haushalte) mit dem Merkmal in Relation zu dem Median des Nettoäquivalenzeinkommens der Gesamtpopulation. Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der relativen Wohlstandsposition von Paarhaushalten auf Grundlage der Daten der vorausgegangenen Abbildung zum absoluten Nettoäquivalenzeinkommen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die präsentierten Angaben auf Basis der neuen OECD-Skala und der Mittelwertsbildung mit dem Median die vergleichsweise höchsten Schätzungen der relativen Wohlstandsposition von Familienhaushalten widerspiegeln. Die Abbildung macht aber dennoch deutlich, dass Familienhaushalte mit steigender Kinderzahl hinsichtlich der wohlstandsbezogenen monetären Ressourcenausstattung gegenüber kinderlosen Paarhaushalten deutlich benachteiligt sind. Der Vergleich des Äquivalenzeinkommens von Familienhaushalten mit dem Durchschnittseinkommen der bundesdeutschen Bevölkerung zeigt, dass im Jahr 2005 eine EinKind Familie durchschnittlich über 104 Prozent, eine Zwei-Kind Familie noch über 96 Prozent und eine Drei-Kind Familie nur noch über 86 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der deutschen Bevölkerung verfügte. Demgegenüber weisen kinderlose Paare im Vergleich zum deutschen Durchschnitt eine relative Wohlstandsposition von 117 Prozent auf (Quelle: Sozioökonomisches Panel des Jahres 2005; querschnittsgewichteter Personendurchschnitt; eigene Berechnungen). Die Unterschiede der relativen Wohlstandsposition zwischen den Haushaltstypen sind dabei im Zeitverlauf recht stabil; sie betragen in sequenzieller Reihenfolge jeweils zehn Prozent. So beträgt der Abstand der Wohlstandsposition zwischen kinderlosen Paaren und Familien mit einem Kind im Durchschnitt der Jahre 1984 bis 2005 elf Prozentpunkte, zwischen kinderlosen Paaren und Zwei-Kind Familien ca. 20 Prozentpunkte, und gegenüber Paaren mit drei Kindern weisen kinderlose Paare eine 32 Prozentpunkte höhere Wohlstandsposition auf. Diese Abstände bleiben weitgehend auch bei Verwendung der Bedarfsgewichte anderer Äquivalenzskalen (z. B. der alten OECD-Skala) erhalten. Die im Querschnitt mit steigender Kinderzahl beobachtete wohlstandsbezogene Schlechterstellung von Haushalten mit Kindern wird im Allgemeinen auf zwei geburtsbedingte Effekte zurückgeführt. Zum einen kommen die bereits angesprochenen negativen Einkommenseffekte als Ursache in Frage, da Kinder die Möglichkeiten der Eltern zur Einkommenserzielung verschlechtern. Zum anderen verändern Kinder die Wohlstandssituation des Haushaltes und seiner Mitglieder durch die mit ihnen verbundenen zusätzlichen Bedarfslagen, denn diese
46
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Abbildung 7: Wohlstandsposition ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf 150
neue OECD-Skala; Median
140
relative Wohlstandsposition in Prozent
130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10
bis 1990 früheres Bundesgebiet (Sample A+B); ab 1991 Deutschland (Sample A-F)
0 1984
1986
1988
1990
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Kalenderjahr Paare ohne Kind
Paare mit einem Kind
Paare mit zw ei Kindern
Paare mit drei Kindern
Die Äquivalenzeinkommen wurden mit den Bedarfsgewichten der neuen OECD-Skala berechnet. Durchschnittswerte der Äquivalenzeinkommen wurden mit dem Median ermittelt. Quelle: SOEP 1984-2005; eigene Berechnungen, personenengewichtete Querschnitte.
müssen nach der Geburt mit monetären Mitteln befriedigt werden, die vor der Geburt den anderen Haushaltsmitgliedern zur Verfügung gestanden haben (Bedarfslageneffekt). Wiederum ist jedoch anzumerken, dass die genannten Indikatoren ausschließlich auf der Verwendung von Querschnittsdaten beruhen, d. h. es wird nur die Situation von verschiedenen Haushalten (irgendwann) nach der Geburt der Kinder und nur zu einem bestimmten Zeitpunkt einbezogen. So könnte das niedrigere Wohlstandniveau kinderreicher Haushalte möglicherweise auch auf eine bereits vor der Geburt bestehende niedrigere Wohlstandsposition der betroffenen Familien zurückzuführen sein. Zur Ermittlung der tatsächlichen Zusammenhänge muss deshalb inhaltlich auf die Längsschnittperspektive gewechselt und dabei explizit die vor der Geburt einzelner Kinder vorhandene sozioökonomische Lage der Haushalte einbezogen werden. Gegenüber den dargestellten Querschnittsbefunden ist die präzisere längsschnittliche Analyse der Wohlstandsindikatoren aber bislang unzureichend beachtet worden. Für die Bundesrepublik weisen nur wenige ältere, ausschließlich deskriptiv ausgearbeitete Studien
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
47
im Längsschnitt auf die komplexen Zusammenhänge zwischen Kindern und der ökonomischen Lage der Haushalte hin (vgl. Klein, 1992; Berntsen, 1989; Klein, 1987). Allerdings machen auch diese Arbeiten deutlich, dass mit der Geburt eines Kindes erhebliche Wohlstandsänderungen verbunden sind. So verschlechtert sich die familiäre Wohlstandsposition im Hinblick auf die Äquivalenzeinkommen durch die Geburt des ersten Kindes um 14 Prozent und bei der Geburt des zweiten Kindes sogar um 32 Prozent (Klein, 1992; Klein, 1990). Armutsbetroffenheit von Haushalten mit Kindern: Unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten ist nun weiterhin die mit einer schlechten Wohlstandsposition verbundene Armutsbetroffenheit der Familien von besonderem Interesse. Diese kann vergleichsweise einfach mit Hilfe der relativen Wohlstandposition der Haushalte ermittelt werden. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass neben den Annahmen, die der Einkommensmessung zugrunde liegen, das Ausmaß von Armut maßgeblich auch durch diejenigen Annahmen mitbestimmt wird, die in die Armutsdefinition einfließen (vgl. Becker, 2002: 128f. und Piachaud & Forester, 1992). Grundsätzlich unterscheidet man zur Messung von Armutsbetroffenheit zwei Ansatzpunkte: Während das Konzept der absoluten Armut (oder Existenznot) am physischen Existenzminimum orientiert ist, rückt mit dem Begriff der relativen Armut (Sozialnot) der Bezug zu gesellschaftlichen Mindeststandards in den Mittelpunkt (Krämer, 2000: 26ff.; Neumann, 1999;). Sowohl in der politischen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion besteht kein Konsens darüber, welche Methode zur Bestimmung von Armut vorzuziehen ist. Die Mehrheit der wissenschaftlichen Autoren geht jedoch für entwickelte Länder von einem relativen Armutsbegriff aus, d. h. Armut ist abhängig von den jeweiligen zu einem Zeitpunkt herrschenden zivilisatorischen Normen einer Gesellschaft, jenseits von (über-)lebensnotwendigen Gütern, die dem Einzelnen zur Verfügung stehen. Letztendlich hängt die Entscheidung für ein bestimmtes Konzept vom Zweck der Messung ab. Für ein Kontrastieren der Armutsbetroffenheit von gesellschaftlichen Teilgruppen ist es sinnvoll relativen Armutsgrenzen den Vorzug zu geben, da mit diesen die Schlechterstellung im Vergleich zu gesellschaftlichen Mittelwerten ausgedrückt werden kann. Die vorliegende Arbeit folgt dieser Betrachtungsweise und beschränkt sich dabei auf die Darstellung von Einkommensarmut, also auf monetär vermittelte Armutsgrenzen, da bereits an früherer Stelle die Festlegung auf das damit verbundene Ressourcenkonzept erfolgt ist (vgl. Seite 36ff.). Die Berechnung der relativen Einkommensarmut ist damit ein Spezialfall der Berechnung der relativen Wohlstandsposition, da als arm gilt, wer einen bestimmten Schwellenwert der Wohlstandsposition unterschreitet. Hiermit verbunden ist folglich die Frage nach sinnvollen Wohlstandsgrenzen, unterhalb denen Personen als arm angesehen werden können. Mittlerweile haben sich verschiedene Grenzen etabliert, wobei ebenfalls kein Konsens über eine „richtige“
48
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Grenzziehung vorliegt. Allgemein geht man aber davon aus, dass Personen bzw. Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des gesellschaftlichen Medianäquivalenzeinkommens verfügen, in milder Armut, und diejenigen, die über weniger als 50 Prozent verfügen, in relativer Armut leben (vgl. Hradil, 2001; Bäcker et al., 2000). Bei einem Einkommen von weniger als 40 Prozent des mittleren gesamtgesellschaftlichen Äquivalenzeinkommens spricht man von strenger Armut. Bei der Betrachtung der nach Kinderanzahl differenzierten Armutsquoten in Abbildung 8 wird deutlich, dass, bei Anlegung der Armutsgrenze bei 60 Prozent des medianen Äquivalenzeinkommens der Bevölkerung und bei der Verwendung der neuen OECD-Skala, im Kalenderjahr 2005 ca. neun Prozent der Paarhaushalte mit einem Kind arm sind, ebenfalls ca. neun Prozent mit zwei Kindern und ganze 18 Prozent mit drei und mehr minderjährigen Kindern. Demgegenüber beträgt die Armutsquote von Personen in kinderlosen Paarhaushalten nur etwa sieben Prozent. Bei der Betrachtung dieser Armutsquoten wird aber auch deutlich, dass kinderreiche Familien mit zwei und drei Kindern heute weniger häufig arm sind als je zuvor. Demgegenüber hat sich die Armutsbetroffenheit von kinderlosen Haushalten und von Familien mit einem Kind im Zeitverlauf vergleichsweise wenig verändert. Natürlich weisen diese Gruppen aber auch die dauerhaft niedrigsten Armutsquoten auf. Diese Befunde werden auch auf Grundlage der EVS bestätigt (Becker, 2002). Demgemäß verfügten im Jahr 1998 (alte OECD-Skala und Median) acht Prozent der Ehepaare ohne Kind, aber 19 Prozent der Ehepaare mit drei und mehr Kindern über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens und waren damit arm. Diese Ergebnisse zeigen, dass neben der schlechteren Wohlstandsposition mit steigender Kinderzahl auch der Anteil von Familien im Niedrigeinkommensbereich wächst. Allein aus der Tatsache, dass Familienhaushalte mit steigender Anzahl der Kinder eine schlechtere Wohlstandsposition einnehmen und (deshalb) häufiger arm sind, folgt jedoch nicht automatisch, dass hierfür die Kinder verantwortlich zu machen sind. Bei den präsentierten Periodendaten stellt sich abermals die Frage, ob die Unterschiede der Armutsbetroffenheit zwischen den Familienhaushalten durch das Geburtsereignis in Form von Einkommens- und Bedarfseffekten hervorgerufen werden oder ob der Haushalt bereits vor der Geburt arm war. Zur Beantwortung dieser Frage ist, wie bereits vermerkt, eine Armutsanalyse notwendig, die die Armutsbetroffenheit der Familien in zeitlicher Abhängigkeit von der Geburt erklärt. Für Deutschland liegen Ergebnisse in einer solchen Längsschnittperspektive einzig in den genannten ältern Arbeiten von Klein vor (Klein, 1992; Klein, 1987). Mit Daten des SOEP (1984-1988) zeigt er, dass 18 Prozent der Haushalte bei der Geburt des ersten Kindes und 34 Prozent bei der Geburt des zweiten Kindes in eine prekäre Einkommenssituation geraten (Verarmungsquote). Gleichfalls gelingt es aber 28 Prozent bei der Geburt des
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
49
Abbildung 8: Armutsquoten ausgewählter Haushaltstypen im Zeitverlauf 50 45
neue OECD-Skala; Median; 60-Prozent Arm utsschw elle bis 1990 früheres Bundesgebiet; ab 1991 Deutschland
Armutsquote in Prozent
40 35 30 25 20 15 10 5 0 1984
1986
1988
1990
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
Kalenderjahr Paare ohne Kind
Paare mit einem Kind
Paare mit zw ei Kindern
Paare mit drei Kindern
Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit der neuen OECD-Skala. Durchschnitt wurde mit dem Median ermittelt. Armutsgrenze liegt bei 60% des Bevölkerungsdurchschnitts. Quelle: SOEP 1984-2005; eigene Berechnungen, personenengewichtete Querschnitte
zweiten Kindes, einer bestehenden Armutslage zu entkommen (Entarmungsquote). Dieses Ergebnis deutet bereits an, dass mit der im kalenderjährlichen Durchschnitt nachgewiesenen Schlechterstellung der Familien keinesfalls nur Verschärfungen der ökonomischen Lage bei allen Familien verbunden sind. Wohlstand und Armut in Abhängigkeit vom Alter der Kinder: Bei der bislang vorgenommenen Analyse der wirtschaftlichen Situation von Familien nach der Zahl der Kinder ist noch nicht die Lage der Haushalte in Abhängigkeit von dem erreichten Stadium im Familienzyklus einbezogen worden. Die ökonomische Lage von Familien ist aber kein zeitpunktunabhängiges statisches Gebilde, sondern sie unterliegt einer erheblichen Dynamik im Familienzyklus (Eggen, 2004; Eggen, 1999; Dathe, 1998; Stutzer, 1994). Sowohl die Möglichkeit der Eltern, Erwerbseinkommen zu erzielen (Einkommenseffekt), als auch die Aufwendungen, die für den Lebensunterhalt der Kinder anfallen (Bedarfslageneffekt), variieren erheblich in Abhängigkeit vom Stadium des Familienzyklus. Während „in der Familiengründungs- und Aufbauphase die Geburt des ersten und weiterer
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3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Kinder mit der beruflichen Einstiegsphase zusammenfallen [und daraus ein hohes Erwerbs- und Einkommensrisiko resultiert], entspannt sich die Einkommenssituation der Haushalte am Ende der Berufsphase der Eltern, da neben den höheren Erwerbseinkommen gleichzeitig die Unterhaltspflichten für die Kinder durch den Auszug aus dem Elternhaus entfallen können“ (Stutzer, 2002; Stutzer, 1999). Es kann also davon ausgegangen werden, dass im Familienzyklus ökonomische Disparitäten zu Ungunsten früher Familienphasen existieren, während Familien mit erwachsenen Kindern durchaus über komfortable Einkommensressourcen verfügen und sich damit vorteilhaft im sozioökonomischen Gefüge der deutschen Gesellschaft positionieren können (Grabka & Krause, 2005; Eggen, 2005). Diese Annahme bestätigen die Daten des SOEP aus dem Jahr 2003 in Tabelle 2. Demnach variieren sowohl die Wohlstandssituation als auch die Armutsbetroffenheit der Familien erheblich in Abhängigkeit vom Alter des jüngsten Kindes im Haushalt. So verfügen Paare mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren über 84 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens der deutschen Bevölkerung, während vergleichbare Paare mit älteren Kindern im Alter von mehr als 15 Jahren durchschnittlich über 114 Prozent des deutschen Mittelwertes verfügen. Verbunden mit dem niedrigen Wohlstandsniveau junger Familien sind natürlich auch höhere Anteile im unteren Randbereich der Einkommensverteilung (Armutsbetroffenheit). Entsprechend ist die Armutsquote bei Paaren mit min. einem Kind unter drei Jahren mit 20 Prozent (bei Anlegung der 60-Prozent Armutsschwelle) und neun Prozent (bei Anlegung der 40-Prozent Armutsschwelle) deutlich höher als z. B. bei Paaren mit Kindern über 15 Jahren mit einer Armutsquote von sieben Prozent (bei Anlegung der 60-Prozent Armutsschwelle) und ein Prozent (bei Anlegung der 40-Prozent Armutsschwelle). Die familienphasenbezogene Analyse von Wohlstand und Armut macht also deutlich, dass die finanziellen Konsequenzen direkt nach der Geburt am relativ höchsten einzuschätzen sind und mit steigendem Alter der Kinder dann geringer werden. Querschnittliche Wohlstandsvergleiche von Familien die ausschließlich die ökonomische Lage (irgendwann) nach der Geburt berücksichtigen, lassen damit nicht nur die wirtschaftliche „Ausgangssituation“ der Haushalte vor der Geburt außer Acht, sondern gleichzeitig bleibt die erreichte Familienphase der Haushalte (bzw. das Alter der Kinder) nach der Geburt unberücksichtigt.
3.1.2 Diskussion der Ergebnisse und Forschungsdefizite Die bisher vorgelegten querschnittlichen Ergebnisse haben gezeigt, dass Kinder nach wie vor ein erhebliches wirtschaftliches Risiko für die Haushalte sind, in denen sie leben, und mit steigender Kinderzahl laufen vor allem junge Familien
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
51
Tabelle 2: Wohlstand und Armut ausgewählter Haushalte nach dem Kindesalter Armutsquote2 der Familien Wohlstandsposition1 der Familienhaushalte
60 ProzentArmutsschwelle
40 ProzentArmutsschwelle
Paare mit Kindern… jüngstes Kind bis 3 Jahre
83,6 %
19,7 %
9,1 %
jüngstes Kind 4 bis 7 Jahre
99,7 %
13,5 %
4,8 %
jüngstes Kind 8 bis 11 Jahre
102,1 %
9,7 %
2,3 %
jüngstes Kind 12 bis 15 Jahre
94,3 %
12,9 %
3,7 %
113,8 %
7,1 %
1,1 %
jüngstes Kind bis 3 Jahre
49,6 %
62,0 %
30,7 %
jüngstes Kind 4 bis 7 Jahre
53,7 %
56,1 %
21,7 %
jüngstes Kind 8 bis 11 Jahre
68,5 %
43,8 %
10,8 %
jüngstes Kind ab 16 Jahre Alleinerziehende mit Kindern…
jüngstes Kind 12 bis 15 Jahre
67,1 %
37,6 %
12,6 %
jüngstes Kind ab 16 Jahre
87,7 %
21,9 %
7,9 %
1
gemessen am Jahreseinkommen, gewichtet nach neuer OECD-Skala; Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 bzw. 40 Prozent des Bevölkerungsdurchschnitts entspricht. Quelle: Grabka & Krause, 2005 (mit Daten des SOEP 2003). 2
mit Kleinkindern Gefahr, in materiell prekäre Lagen zu geraten. Zwar verfügen Familien mit zunehmender Kinderzahl über steigende Haushaltseinkommen, bei gleichzeitiger Betrachtung der qualitativen und quantitativen Merkmale der Haushalte (Personenzahl und Altersstruktur) wird jedoch deutlich, dass Familien gegenüber kinderlosen Paaren im kalenderjährlichen Querschnitt sowohl hinsichtlich der eingenommenen Wohlstandspositionen als auch hinsichtlich der Armutsquoten benachteiligt sind. Die Schlechterstellung der Familien variiert dabei vor allem in Abhängigkeit von der Anzahl der zu versorgenden Kinder und deren Alter. Berücksichtigt man alle bisherigen empirischen Befunde, so deutet sich an, dass die Senkung des Wohlstandsniveaus sowie das damit verbundene Wachstum der Armutsbetroffenheit bei steigender Kinderzahl vor allem auf die geburtsbedingte Haushaltsvergrößerung und die damit verbundenen Bedarfslagen der Kinder zurückzuführen sind und nicht zwingend mit einer Verschlechterung der Einkommenssituation von Familien einhergehen (Andreß, 1996; Klein, 1992). Wie gezeigt, steigen die Haushaltseinkommen mit der Kinderzahl teilweise sogar an, dieser Anstieg reicht aber offensichtlich nicht aus, um die zusätzli-
52
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
chen, mit den Kindern verbundenen Bedarfslagen zu befriedigen, ohne gleichzeitig das Wohlstandsniveau der anderen Haushaltsmitglieder senken zu müssen. Bei der (Über-)Betonung des Bedarfslageneffektes ist jedoch zu beachten, dass die geburtsbedingten zusätzlichen Bedarfslagen automatisch und weitgehend uniform in jedem Haushalt bei jeder Geburt (gleicher Ordnungszahl) anfallen.9 Demgegenüber ist der Verlust eines Erwerbseinkommens ausschließlich auf Familien begrenzt, in denen mindestens eine Person (streng genommen beide Elternteile)10 vor der Geburt erwerbstätig waren. Wer vor der Geburt nicht erwerbstätig war, muss natürlich auch keine geburtsbedingten Einkommensverluste hinnehmen. Aus diesem Grund ist die Bedeutung des Einkommenseffektes im Durchschnitt aller Familien zwar geringer einzuschätzen als der Bedarfslageneffekt, jedoch dürfte die Bedeutung des Einkommenseffektes steigen, wenn die Betrachtung ausschließlich auf Haushalte gelenkt wird, die aufgrund einer Geburt tatsächlich auf Erwerbseinkommen verzichten mussten, d. h. in denen beide Eltern vor der Geburt tatsächlich erwerbstätig waren. Um die Bedeutung des Einkommenseffektes korrekt abschätzen zu können, ist also die Kenntnis über den Erwerbsstatus der Eltern vor der Geburt notwendig. Bei der Gegenüberstellung der bislang vorgestellten Wohlstandsmaße in der Querschnittsperspektive wird der Erwerbsstaus der Eltern und die wirtschaftliche Lage verschiedener Haushalte jedoch nur zu einem Zeitpunkt irgendwann nach dem Geburtsereignis einbezogen, d. h. es wird nur das Vorhandensein von Kindern sowie deren Anzahl berücksichtigt, nicht aber die ökonomische Situation bzw. der Erwerbsstatus der einzelnen Haushaltsmitglieder vor der Geburt der Kinder. Damit sind erhebliche Probleme verbunden, die bei der Interpretation der vorgestellten Periodendaten berücksichtigt werden müssen, insofern sie als Beleg für die „Kosten“ von Kindern herangezogen werden. Es stellt sich die Frage, ob die nach der Geburt der Kinder beobachteten Unterschiede des Wohlstandsniveaus und der Armutsbetroffenheit zwischen Haushalten mit verschiedener Kinderzahl unmittelbar durch das Geburtsereignis hervorgerufen werden oder ob die schlechter gestellten Familienhaushalte bereits vor der Geburt des Kindes schlechter positioniert waren. Diese Frage wird insbesondere dann relevant, wenn ein sozial differenziertes Geburtenverhalten der Bevölkerung unterstellt werden kann, also bereits pränatal bestehende sozioökonomische Unterschiede durch ein sozial differenAutomatisch tritt ein Bedarfslageneffekt auf, da jedes Kind zu versorgen ist. Uniform treten die Bedarfseffekte auf, da die Verwendung einer Äquivalenzskala automatisch die Zuordnung äquivalenter Bedarfswerte für jedes Kind gleicher Ordnungszahl in der Geburtenfolge impliziert. Das heißt, die behauptete Uniformität ist zunächst ein methodisches Artefakt. 10 Die Erwerbsarbeit eines Elternteils in einem Paarhaushalt wird wohl nur eingeschränkt oder aufgegeben werden, wenn beide Partner erwerbstätig sind. Ist nur ein Elternteil erwerbstätig, wird die Erziehungsarbeit sehr wahrscheinlich vom erwerbslosen Partner übernommen. 9
3.1 Die Entwicklung der Wohlstandssituation von Familienhaushalten
53
ziertes Geburtenverhalten noch deutlicher hervortreten, da Einkommensstarke, Erwerbstätige und Hochqualifizierte überproportional häufig in kinderlosen (bzw. kinderärmeren) Haushaltsformen verbleiben, während schlecht ausgebildete Personen, Einkommensschwache und Erwerbslose durch ihre relativ höhere Fertilität überproportional häufig in die Gruppe der Familien mit Kindern übertreten und deren niedriges Wohlstandsniveau begründen (Selektionseffekt). So wurde bereits im Abschnitt 2.2 dieser Arbeit gezeigt, dass Kinderlose (insbesondere Frauen) im gesellschaftlichen Vergleich ein höheres Ausbildungsniveau und damit potenziell höhere Erwerbseinkommen aufweisen als Personen, die Kinder aufziehen. Wenn aber, wie gezeigt, Personen mit hoher Bildung und hohem Einkommen am häufigsten kinderlos bleiben, darf es nicht verwundern, wenn umgekehrt Personen, die in Haushalten leben, in denen Kinder zu versorgen sind, über deutlich niedrigere Einkommen verfügen. Trotz dieses offensichtlichen Selektionsmechanismus wird aus den bislang vorgestellten querschnittlichen Daten immer wieder eine vollständig unmittelbare Ursächlichkeit von Kindergeburten (in Form von Einkommens- und Bedarfseffekten) für die Schlechterstellung von Familien abgeleitet. Die bloße Anwesenheit von Kindern in sozioökonomisch schlechter gestellten Haushalten ist aber kein hinreichender Indikator für einen Zusammenhang zwischen Kindern und der Wohlstandsposition bzw. der Armutsbetroffenheit der Familienhaushalte. Es bleibt also nach wie vor offen, inwieweit und in welchem Umfang die schlechtere wirtschaftliche Position der Familien tatsächlich auf die Kinder zurückzuführen ist. Zur Ermittlung der tatsächlichen Zusammenhänge muss (wie in den eigenen Analysen im fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit) inhaltlich auf die Längsschnittperspektive gewechselt und dabei explizit die vor der Geburt einzelner Kinder bestehende ökonomische Lage der Haushalte miteinbezogen werden (Kalwij, 2005). Insgesamt kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die in Abhängigkeit von der Kinderzahl beobachteten Wohlfahrtsunterschiede im Querschnitt auf drei potenzielle Mechanismen rückführbar sind. (i) Zum ersten beeinflusst die Geburt eines Kindes die Einkommenssituation der Haushalte, da einerseits eine bestehende Erwerbstätigkeit der erwerbstätigen Eltern eingeschränkt oder aufgegeben werden muss (negativer Einkommenseffekt) und andererseits für alle Eltern positive staatliche Transferzahlungen anfallen (positiver Einkommenseffekt). (ii) Zweitens verändern Kinder mit Gewissheit die Wohlstandssituation der bereits im Haushalt lebenden Personen durch die mit ihnen verbundenen zusätzlichen Bedarfslagen, denn diese müssen nach der Geburt notwendigerweise mit monetären Mitteln befriedigt werden, die bisher den anderen Haushaltsmitgliedern zur Verfügung gestanden haben (Bedarfslageneffekt). (iii) Drittens besteht die Möglichkeit, dass ein Teil der nach der Geburt beobachteten Unterschiede auf bereits vor der Geburt bestehende Wohlfahrtsunterschiede zurückzuführen ist
54
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
(Selektionseffekt). Während die automatisch und uniform auftretenden Bedarfseffekte soeben im Zusammenhang mit der Berechnung des Nettoäquivalenzeinkommens (vgl. Abschnitt 3.1) diskutiert wurden, ist das Ausmaß der möglichen Einkommens- und Selektionseffekte bislang kaum empirisch eingegrenzt worden. Deshalb wird im Folgenden zunächst die individuelle (Nicht-)Beteiligung der Eltern am Erwerbsprozess jeweils vor und nach der Geburt diskutiert (Abschnitt 3.2.1). Dabei wird gleichzeitig auch, das für den Selektionseffekt relevante differenzierte erwerbsbezogene Fertilitätsverhalten und dessen Bedeutung zur Bestimmung der sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt weiter ausgeleuchtet. Abschließend werden die monetären, gesetzlichen und infrastrukturellen Kompensationsmöglichkeiten des bundesdeutschen Sozialstaates für die ökonomischen Folgen einer Geburt vorgestellt (Abschnitt 3.2.2.).
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien 3.2.1 Arbeitsmarktpartizipation, Erwerbseinkommen und Familie Das dominierende Mittel zur materiellen Existenzsicherung in modernen Industriegesellschaften ist die Verwertung der eigenen Arbeitskraft, d. h. die Erzielung von Arbeitseinkommen. Die Integration respektive Nicht-Integration in das Beschäftigungssystem ist daher als zentrale Determinante sozialer Ungleichheit anzusehen (Hradil, 2004; Hradil, 2001: 211ff.). Im Hinblick auf den Wohlstand von Familien besteht jedoch in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften das Problem, dass einerseits der Bedarf der Familien keine Rolle für die Höhe des Arbeitseinkommens spielt und andererseits Arbeitszeit auf Aspekte der außerberuflichen Zeitallokation der Eltern keine „Rücksicht nimmt“ (vgl. Lampert, 1996: 55ff.). Vor allem die zeitlichen Anforderungen einer Elternschaft sind daher mit erheblichen beruflichen und ökonomischen Konsequenzen verbunden, sofern sie sich mit denen der Erwerbsarbeit überschneiden. Zum Einen muss die Erwerbstätigkeit eines Elternteils, bei einer zeitlichen Unvereinbarkeit von familiären und beruflichen Ansprüchen, kurz- bzw. mittelfristig eingeschränkt oder aufgegeben werden, womit ein direkter negativer Einkommenseffekt verbunden ist. Zum Anderen ergeben sich längerfristig erschwerte Wiedereinstiegs- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie damit verbundene geringere Zuwächse der Erwerbseinkommen im Anschluss an eine geburtsbedingte Unterbrechung (vgl. hierzu ausführlicher Strengmann-Kuhn & Seel, 2004; Kunze & Ejrnaes, 2004; Beblo & Wolf, 2002; Budig & England, 2001). Nicht zu verschweigen sind auch die geringeren Rentenzahlungen im hohen Alter aufgrund der mit der Kindererziehung verbundenen geringeren Lebensarbeitszeit (vgl. z. B. Stegmann, 2005).
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
55
Diese längerfristigen Effekte können durchaus erheblich sein, sie fallen jedoch erst mit einigem Abstand zum Geburtsereignis an. Damit sind sie für die Analyse der unmittelbaren sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt nicht direkt relevant. Indirekt können sie dennoch im Rahmen von Kosten-Nutzen-Kalkülen wichtig sein, wenn zum Beispiel die antizipierten längerfristigen Konsequenzen einen Einfluss auf die Fertilitätsentscheidung und damit auf ein (z. B. bildungsspezifisch oder einkommensspezifisch) selektives Geburtenverhalten haben. Wichtig für die Analyse der geburtsbedingten Konsequenzen sind aber zunächst die zeitnahen Veränderungen der Erwerbsmuster der Eltern im Anschluss an eine Geburt. Besonders der Einfluss der Fertilität auf den Erwerbsstatus der Frauen ist interessant, da eine Familiengründung bzw. -erweiterung vorrangig die Erwerbsbeteiligung der Mütter beeinflusst (Statistisches Bundesamt, 2005a). Die Stellung der Frauen im Berufsleben ist zwar auch unabhängig von Kindern schwächer als jene von Männern, insbesondere die Geburt eines Kindes beeinflusst aber die die geschlechtsspezifischen Differenzen der Erwerbsbeteiligung noch einmal erheblich. So sind es überwiegend die Mütter, die ihre Erwerbstätigkeit in Folge einer Geburt aufgeben oder einschränken, und nicht einmal in jeder zehnten Partnerschaft schränkt der Vater seine Erwerbstätigkeit ein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005d). Hieraus resultiert eine deutlich niedrigere Erwerbsbeteiligung von Müttern gegenüber kinderlosen Frauen, aber auch gegenüber Männern mit Kind(ern). Abbildung 9 zeigt auf Basis des Mikrozensus 2004, dass Mütter ihre Erwerbstätigkeit vor allem bis in die mittleren Familienphasen, also hier bis zum Alter von etwa 45 Jahren einschränken. Die präsentierten Daten beziehen sich dabei auf die aktive Erwerbsbeteiligung, d. h. den Anteil der Erwerbstätigen (ohne Beurlaubte) an allen Erwerbs- und Nichterwerbstätigen der entsprechenden Bevölkerungsgruppe. Die berechneten Erwerbstätigenquoten machen deutlich, dass mit der An- bzw. Abwesenheit von Kindern im Haushalt erhebliche Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung der Frauen einhergehen. Während kinderlose Frauen deutlich von ihren verbesserten Karrierechancen profitieren und ihre Erwerbsbiographien an die der Männer angeglichen haben, bleibt ein anderer Teil, nämlich jener der Frauen, die Kinder haben, offensichtlich weiterhin dem Familienzyklusmodell verhaftet. Insbesondere zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ist die Differenz der altersabhängigen Erwerbsbeteiligung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen groß und beträgt teilweise über 40 Prozentpunkte. Zudem erreichen kinderlose Frauen den Gipfel ihrer Erwerbsbeteiligung früher im Lebensverlauf und auf höherem Niveau. Während Frauen ohne Kind(er) um das 35. Lebensjahr am häufigsten erwerbstätig sind (mit ca. 85 Prozent), realisierten Frauen mit Kind(ern) die höchste Erwerbsbeteiligung erst um das 45. Lebensjahr (mit etwa 73 Prozent). Erst nach der aktiven Familienphase nähern sich die Er-
56
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Abbildung 9: Anteil aktiv erwerbstätiger Personen mit und ohne Kind(er) 100%
Anteil der aktiv erwerbstätigen Personen *
90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Alter Frauen ohne Kind(er) Männer ohne Kind(er)
Frauen mit Kind(ern)** Männer mit Kind(ern)**
* prozentualer Anteil der Erwerbstätigen, ohne vorübergehend Beurlaubte an der entsprechenden Bevölkerungsgruppe. ** nur ledige Kinder die im Elternhaushalt leben Quelle: Statistisches Bundesamt, 2005b (Mikrozensus 2004); eigene Darstellung
werbsquoten der Mütter und kinderloser Frauen einander an und sind ab dem 50. Lebensjahr weitestgehend deckungsgleich. Demgegenüber beeinflussen Kinder die Erwerbsbeteiligung der Väter kaum. Sowohl die altersspezifische Erwerbstätigenquote der Väter als auch die von Männern ohne Kinder verbleibt im Lebensverlauf (mit z. T. weit über 80 Prozent) auf vergleichsweise hohem Niveau. Im Folgenden soll es jedoch nicht vorrangig um die wichtige Frage gehen, warum vor allem Frauen die Kindererziehung übernehmen, während das Erwerbsleben der Männer weitgehend unbeeinflusst von Kindern bleibt. Untersuchungsinteresse der nachstehenden Ausführungen ist vielmehr die Frage, wie und in welcher Form Kinder die Erwerbsbeteiligung der Frauen beeinflussen. Das heißt, inwiefern der Erwerbsstatus (erwerbstätig vs. nicht-erwerbstätig) bzw. der zeitliche Umfang der Erwerbsbeteiligung (Vollzeit vs. Teilzeit) durch die Anzahl und das Alter der zu versorgenden Kinder bestimmt wird. Da diese Zusammenhänge sowohl im Querschnitt als auch im biographischen Längsschnitt untersucht werden können, gehen die Betrachtungen zuerst der Frage nach, wel-
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
57
che Arbeitsmarktpartizipation sich aus dem Vorhandensein von Kindern ergibt. Erst im Anschluss daran werden Befunde vorgestellt, die die Erwerbsdynamik in biographischer Hinsicht beleuchten und somit einen Vergleich der Erwerbsmuster vor und nach der Geburt ermöglichen. Querschnittliche Befunde zur Erwerbstätigkeit von Frauen: Grundlegende Angaben zum Zusammenhang von Erwerbstätigkeit und Elternschaft werden vom Statistischen Bundesamt bereitgestellt. Die Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2004 machen deutlich, dass sich mit steigender Kinderanzahl die Möglichkeit der Mütter, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, deutlich verschlechtert (vgl. Statistisches Bundesamt, 2005a). Dabei bestehen teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Abbildung 10 zeigt, dass im früheren Bundesgebiet ca. 61 Prozent der Mütter mit einem Kind oder zwei Kindern erwerbstätig sind, während von den Müttern mit drei und mehr Kindern 47 Prozent einem Beruf nachgehen. In den neuen Bundesländern sind 70 Prozent der Mütter mit einem bzw. zwei Kindern erwerbstätig und noch 52 Prozent der Mütter mit drei und mehr Kindern. Somit liegt die Erwerbsbeteiligung der Mütter in Ostdeutschland bei allen Kinderparitäten höher, und es sind insbesondere Frauen mit Kindern im alten Bundesgebiet, die ihre Erwerbstätigkeit einschränken. Auffällig ist jedoch, dass in beiden Teilen Deutschlands kein nennenswerter Unterschied zwischen der Erwerbsbeteiligung von Frauen mit einem Kind und Frauen mit zwei Kindern besteht. Ein Blick hinter diese Zahlen macht aber deutlich, dass die stabile Erwerbsbeteiligung in den alten Bundesländern mit einer zeitlichen Reduktion der Erwerbstätigkeit von Frauen mit zwei Kindern verknüpft ist. So sinkt der Anteil der vollzeitbeschäftigten Mütter beim „Übergang“ zum zweiten Kind von 25 auf 16 Prozent, der Anteil teilzeitbeschäftigter Mütter steigt hingegen von 37 auf 45 Prozent an. Demgegenüber bestehen in Ostdeutschland keine Unterschiede hinsichtlich der Arbeitszeit zwischen Frauen mit einem Kind und mit zwei Kindern. Hier geht der Anteil der ganztags Beschäftigten erst später, nämlich mit dem dritten Kind, deutlich zurück (von 49 auf 29 Prozent). Auch in den alten Bundesländern sinkt die gesamte Erwerbsbeteiligung beim dritten Kind deutlich. Allerdings ist dieser Rückgang hauptsächlich auf eine Reduktion des Anteils teilzeitbeschäftigter Frauen zurückzuführen, während sich der Rückgang in den neuen Bundesländern überwiegend in einer geringeren Vollzeitquote der Mütter ausdrückt. Gemeinsam ist beiden Teilen Deutschlands aber, dass nach der Familiengründung eine weitere größere Scheidelinie für Mütter, überhaupt erwerbstätig zu sein, beim dritten Kind liegt. 11 11 Aufgrund der querschnittlichen Datenstruktur des Mikrozensus bleibt allerdings unklar, ob dies auf einen hohen Anteil von Frauen zurückzuführen ist, die ihre Erwerbstätigkeit bei der Geburt des dritten Kindes einstellen (Ausstiegsverhalten), oder auf einen niedrigen Anteil der eine Erwerbstätigkeit zeitlich versetzt nach der Geburt wieder aufnimmt (Wiedereinstiegsverhalten).
58
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Abbildung 10: Erwerbsbeteiligung von Frauen nach der Kinderzahl Vollzeittätige
Teilzeittätige
1
Früheres Bundesgebiet 36,6
24,6
1 Kind
2 Kinder
44,5
16,4
12,4
3 und mehr Kinder
34,5
Neue Bundesländer und Berlin-Ost 1 Kind
49,3
20,1
2 Kinder
48,5
22,8
28,9
3 und mehr Kinder 0
10
23,0 20
30
40
50
60
70
80
90
100
aktiv Erw erbstätige (in Prozent)
Angaben beziehen sich auf Frauen zwischen 15 und 64 Jahren, die mit mindestens einem Kind im Haushalt leben. Angaben ohne vorübergehend Beurlaubte. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2005a (mit Daten des Mikrozensus 2004).
Diese Angaben zur Erwerbstätigkeit von Frauen im Mikrozensus werden auch durch Befunde aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 1998) bestätigt (Becker, 2002: 135f.). Demzufolge sind in westdeutschen Paarhaushalten ohne Kinder ca. 59 Prozent der 20- bis 64-jährigen Frauen erwerbstätig. In Paarhaushalten mit einem oder zwei Kind(ern) sind ca. 50 Prozent und in Paarhaushalten mit drei und mehr Kindern noch ca. 40 Prozent erwerbstätig. Die Quote der vollzeittätigen Frauen fällt dabei mit steigender Kinderzahl von insgesamt 34 Prozent (kinderlose Frauen) auf 10 Prozent (Frauen mit einem Kind) und schließlich auf unter 5 Prozent (Frauen mit zwei und mehr Kindern) zurück. Befinden sich zudem Kinder im Haushalt, die jünger als zehn Jahre alt sind, verringern sich die Anteile der vollzeiterwerbstätigen Frauen zusätzlich. Umgekehrt gewinnt Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung mit sinkendem Alter der Kinder relativ an Bedeutung. Dies macht deutlich, dass neben der Anzahl der Kinder auch deren Alter das Ausmaß der Erwerbstätigkeit von Frauen beeinflusst. Tabelle 3 zeigt auf Basis des Mikrozensus 2004 den Einfluss des Kindes-
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
59
alters auf die Erwerbsbeteiligung der Mütter (vgl. dazu Statistisches Bundesamt, 2005a). Ist das jüngste Kind im Haushalt im Krippenalter (jünger als drei Jahre), sind in Westdeutschland nur 29 Prozent und in Ostdeutschland 44 Prozent der Mütter erwerbstätig. Mit dem Heranwachsen des jüngsten Kindes nimmt dann die Erwerbsbeteiligung in beiden Teilen Deutschlands zu. Die höchste Erwerbstätigenquote erreichen schließlich Mütter, deren jüngstes Kind im Haushalt zwischen 15 und 18 Jahre alt ist (West: 73 Prozent; Ost: 78 Prozent). Zudem zeigt sich, dass die mit dem Alter der Kinder steigende Erwerbsbeteiligung der Mütter im früheren Bundesgebiet überwiegend auf steigende Teilzeitquoten zurückzuführen ist, während der Zuwachs in den neuen Bundesländern vor allem durch eine steigende Anzahl von Frauen zustande kommt, die (wieder) ganztags erwerbstätig sind. Die bisher vorgestellten querschnittlichen Maßzahlen belegen ganz klar, dass Mütter insgesamt seltener erwerbstätig sind als kinderlose Frauen. Unter den Frauen mit Kindern ist die Erwerbsbeteiligung insbesondere bei Müttern mit jungen Kindern und bei solchen mit mehr als zwei Kindern reduziert. Sie sind insgesamt seltener überhaupt erwerbstätig und falls sie doch erwerbstätig sind, arbeiten sie relativ häufig in einem Teilzeitverhältnis. Dieser empirische Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit von Frauen und deren Kinderanzahl sowie dem Alter des jüngsten Kindes ist sowohl politisch als auch wissenschaftlich unbestritten (vgl. Bundesregierung, 2005; Schröder, 2005; Bundesregierung, 2001). Dass aus dem fehlenden oder eingeschränkten Erwerbseinkommen der Mütter auch eine schlechtere Wohlstandssituation für die betroffenen Familienhaushalte resultiert, ist dabei kaum zu vermeiden, denn bereits der Ausfall nur eines Einkommensbeziehers erhöht die Armutsquoten der betroffenen Haushalte deutlich (vgl. zum Folgenden Grabka & Krause, 2005). So sind z. B. nicht einmal fünf Prozent der Paarhaushalte mit zwei Einkommensbeziehern und mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren im Haushalt als arm einzustufen, während die Armutsquote in den gleichen Haushalten mit nur einem Einkommensbezieher bereits bei fast 19 Prozent liegt (gemäß neuer OECD-Skala, Mittelwertsberechnung mit dem Median und Armutsgrenze bei 60 Prozent). Sollten sogar beide Partner nicht erwerbstätig sein, sind mehr als neun von zehn Haushalten als arm einzustufen. Dies ist selbstredend auch eine Ursache der hohen Armutsquoten von Alleinerziehenden, da hier ein potenzieller Einkommensbezieher per Definition entfällt. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass erwerbstätige Frauen in Paarhaushalten mit Kindern das Armutsrisiko für ihre Familien minimieren können. So berechnet Becker (2002: 137ff.), dass beispielsweise eine vollzeiterwerbstätige Mutter durchschnittlich zu einer Verbesserung der relativen Wohlstandsposition eines Familienhaushaltes mit einem Kind von über 30 Prozentpunkten beiträgt.
60
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Tabelle 3: Erwerbsbeteiligung von Frauen nach dem Alter des jüngsten Kindes Gebietszugehörigkeit und Alter des jüngsten Kindes
Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern Insgesamt
Vollzeittätig
Teilzeittätig
29,0 %
9,9 %
19,1 %
Westdeutschland unter drei Jahre 3 bis 6 Jahre
53,9 %
11,8 %
42,1 %
6 bis 10 Jahre
64,7 %
14,8 %
49,9 %
10 bis 15 Jahre
70,7 %
20,5 %
50,2 %
15 bis 18 Jahre
72,7 %
29,0 %
43,7 %
Ostdeutschland unter drei Jahre
44,4 %
27,3 %
17,1 %
3 bis 6 Jahre
66,0 %
38,3 %
27,7 %
6 bis 10 Jahre
68,8 %
41,2 %
27,6 %
10 bis 15 Jahre
73,8 %
51,4 %
22,4 %
15 bis 18 Jahre
78,4 %
57,5 %
20,9 %
Alle Angaben beziehen sich auf Frauen zwischen 15 bis 64 Jahren, die mit mindestens einem Kind im Haushalt leben. Als erwerbstätig wird gezählt, wer zum Zeitpunkt der Befragung tatsächlich gearbeitet hat. Vorübergehend Beurlaubte (z. B. wegen Elternzeit) werden nicht einbezogen. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2005a (mit Daten des Mikrozensus 2004).
Zusätzlich zu den Kosten für ihren Lebensunterhalt (Bedarfslagen), stellen Kinder also ein bemerkenswertes Erwerbsrisiko für die Mütter dar und sind deshalb als „doppeltes Wohlstandsrisiko“ für die Haushalte, in die sie geboren werden, anzusehen. Mit dieser Schlussfolgerung verbunden ist allerdings die immer wieder implizit oder explizit formulierte Annahme, dass die im Querschnitt beobachtete niedrige Erwerbsbeteiligung der Frauen nach der Geburt tatsächlich durch die Kindergeburt bedingt ist, die Mütter also vor der Geburt tatsächlich auch erwerbstätig waren. Ein kausaler Effekt liegt demnach nur vor, wenn es durch die Geburt eines Kindes zu einer Erwerbsunterbrechung kommt, die ohne die Geburt nicht eingetreten wäre (Schröder, 2005). Mit den bislang vorgestellten kalenderjährlichen Befunden ist eine Beurteilung der realisierten geburtsbedingten Änderungen des Erwerbsstatus jedoch kaum möglich. Da Querschnittsdaten keine Aussagen über die individuelle Veränderung der Erwerbssituation durch die Geburt eines Kindes erlauben, besteht die Möglichkeit, dass, neben dem unterstellten Kausaleffekt, auch eine bereits vor der Geburt bestehende Erwerbslosigkeit für die niedrige Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern und für die daraus resultierende schlechtere Wohlstandsposition der Familien ver-
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
61
antwortlich ist. Es stellt sich also die Frage, in welchem Umfang die Geburt eines Kindes die Erwerbsbeteiligung der Mutter tatsächlich bedingt. Und inwiefern weisen erwerbslose Frauen möglicherweise eine höhere Familienorientierung auf als erwerbstätige Frauen? Um diesen Fragen nachzugehen, werden Längsschnittdaten benötigt, die es ermöglichen, den Erwerbsstatus von Frauen zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Erwerbsbiographie zu messen und damit ihre Arbeitsmarktpartizipation zur Geburt eines Kindes in Bezug zu setzen. Längsschnittliche Befunde zur Erwerbstätigkeit von Frauen: Im Gegensatz zu querschnittlichen Daten ermöglichen längsschnittliche Informationen Aussagen (i) zum Einfluss einer bestehenden Erwerbstätigkeit, ein Kind zu realisieren, andererseits können (ii) die Auswirkungen eines Geburtsereignisses auf die Erwerbstätigkeit nach der Geburt in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus vor dem Geburtsereignis untersucht werden. Während zahlreiche Studien vorliegen, die mit Methoden der Ereignisanalyse den Einfluss der (Nicht-)Erwerbstätigkeit auf die Fertilität untersuchen (vgl. Schröder, 2005) und Übergangsraten von erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen in eine Mutterschaft ermitteln, sind Studien, die den Erwerbsstatus der Mütter nach dem Geburtsereignis mit demjenigen vor der Geburt vergleichen, selten (Kenjoh, 2005) beziehungsweise für Deutschland gar nicht vorhanden. Im Folgenden werden daher überwiegend Befunde vorgestellt, die deutlich machen, inwieweit der Erwerbsstatus die Fertilität der Frauen beeinflusst. Dabei besteht trotz methodischer Probleme einiger Studien (vgl. Cramer, 1980) ein fast universeller Befund darin, dass Frauen, die erwerbstätig sind, tatsächlich eine geringere Übergangsrate zu einem (weiteren) Kind haben. Neben mehreren internationalen Studien (z. B. Budig, 2003; Olah, 2003; Liefbroer & Corijn, 1999) belegen diesen Zusammenhang auch mehrere längsschnittliche Analysen für Deutschland (vgl. Bernhard & Kurz, 2007; Schröder, 2006; Kreyenfeld & Mika, 2006; Lauer & Weber, 2003). So zeigen z. B. Kreyenfeld & Mika (2006: 27ff.) mit Daten der gesetzlichen Rentenversicherung („Vollendetes Versichertenleben 2004“), dass es bei westdeutschen Frauen, die im Jahr 2004 verrentet wurden, einen positiven Effekt der Arbeitslosigkeit auf die Übergangsrate zum ersten Kind gibt. Frauen dieser „Kohorte“, die arbeitslos waren, hatten eine doppelt so hohe Neigung, ein erstes Kind zu bekommen, wie erwerbstätige Frauen. Auch Schröder (2006) belegt im Rahmen ihrer Analysen mit dem dritten Familiensurvey, dass der Übergang in die Mutterschaft weniger wahrscheinlich bei Frauen ist, die erwerbstätig sind. Unter zusätzlicher Einbeziehung von zwei indirekten Kausalitätstests, die einerseits die erwerbsbezogene Selektion und andererseits die antizipierte Fertilität (Kinderwunsch) berücksichtigen, kommt sie freilich zu dem Ergebnis, dass ein Teil dieses Zusammenhangs durch die niedrige Erwerbsbeteiligung von kinderlosen Frauen mit hoher Kinderorientierung bzw. einer geplanten Fertilitätsent-
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3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
scheidung begründet ist. Auch die Analysen von Bernhard & Kurz (2007) sowie von Lauer & Weber (2003) bestätigen auf Grundlage der Daten des SOEP einen signifikanten Effekt der Erwerbstätigkeit auf die Fertilität. Sie zeigen ebenfalls, dass erwerbslose Frauen eher als erwerbstätige Frauen geneigt sind, sich für ein (weiteres) Kind zu entscheiden. Allerdings wird die Stärke des Effektes der Nichterwerbstätigkeit geringer, wenn der Familienstand und die Bildung des Partners als unabhängige Variable in das statistische Modell mit aufgenommen werden. Dies deutet darauf hin, dass nicht allein der individuelle Erwerbsstatus entscheidend ist, sondern insbesondere auch der Erwerbssituation in paarbezogener Perspektive eine Bedeutung zukommt (Bernhard & Kurz, 2007). Die Tatsache, dass Fertilitätsentscheidungen nicht monadisch, sondern als Aushandlungsprozess zwischen Individuen in einer Partnerschaft getroffen werden, hat bislang aber erstaunlich wenig Beachtung in der Literatur gefunden (Andersson et al., 2004; Klein, 2003) und gesicherte Aussagen sind daher (noch) nicht möglich. Unisono wird aber in bisherigen Studien ein erwerbsbezogenes selektives Fertilitätsverhalten bestätigt – dem zu Folge erwerbstätige Frauen mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein (weiteres) Kind bekommen als erwerbslose Frauen. Inwieweit damit eine bestehende Erwerbstätigkeit tatsächlich ein Hemmnis für eine Geburt darstellt, bleibt jedoch weiter umstritten, denn es besteht die Möglichkeit, dass eine bereits vor der Geburt bestehende Erwerbslosigkeit Ausdruck der anstehenden Fertilitätsentscheidung ist (zur Antizipation zukünftiger Zustände vgl. Cramer, 1980) oder bereits durch vorangegangenen Kinder erzwungenen wurde und somit nicht primär das Ergebnis einer per se niedrigeren Erwerbsneigung von Frauen mit hoher Fertilität ist. Unabhängig davon ist der erbrachte Nachweis von höheren Übergangsraten zu einem (weiteren) Kind bei erwerbslosen Frauen aber ein Hinweis darauf, dass die erwerbsbezogene und ökonomische Benachteiligung von Familien nach der Geburt (wie im Querschnitt sichtbar), ein Stückweit auch auf eine erwerbsbezogene Selektion derjenigen zurückzuführen ist, die überhaupt Kinder bekommen (differenzielle Fertilität). Zusätzlich zu den bereits dargestellten Studien sind für die vorliegende Fragestellung auch die Analysen von Stegmann (2005) interessant, die mit Daten zur „Altersvorsorge in Deutschland“ (AVID 1996) der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt wurden. Hier wird nicht der Übergang zu einem Kind in Abhängigkeit vom Erwerbstatus untersucht, sondern die Erwerbsbeteiligung der Frauen im Lebensverlauf in Abhängigkeit von der endgültig realisierten Kinderzahl. In diesem Zusammenhang zeigt Abbildung 11 die Unterschiede der altersbezogenen Erwerbstätigenquoten von westdeutschen Frauen der Geburtsjahrgänge 1936-55. Dabei wird deutlich, dass die Erwerbsquote von lebenslang kinderlosen Frauen zunächst kontinuierlich bis zum 26. Lebensjahr ansteigt und dort ein Maximum von ca. 90 Prozent erreicht, wobei dieses Niveau bis zum 40. Le
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
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Abbildung 11: Erwerbsbeteiligung von Frauen im Lebenslauf nach Kinderzahl Frauen, alte Bundesländer (Jahrgänge 1936-1955) 1 0,9
ohne Kinder
Anteil erwerbstätiger Frauen
0,8 0,7 ein Kind 0,6 0,5 zw ei Kinder
0,4 0,3
drei u.m. Kinder
0,2 0,1 0 Lj14
Lj17
Lj20
Lj23
Lj26
Lj29
Lj32
Lj35
Lj38
Lj41
Lj44
Lj47
Lj50
Lj53
Lj56
Lj59
Lebensjahr (L)
Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes 6
Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des zw eiten Kindes
4
2
Durchschnittlicher Zeitpunkt der Geburt des dritten Kindes
0
1
2
Quelle: Stegmann, 2005 (mit Daten der GRV).
bensjahr gehalten wird und dann kontinuierlich bis zum Renteneintritt absinkt (Stegmann, 2005: 678ff.). Bei Frauen mit Kindern ergibt sich dagegen bereits früh ein Rückgang der Erwerbsquote, der in Abhängigkeit von der Gesamtzahl der realisierten Kinder im Lebensverlauf gravierender und nachhaltiger ausfällt. So sinkt die Erwerbsquote von Frauen mit Kindern bis auf ein Minimum von ca. 58 Prozent (endgültig ein Kind), 35 Prozent (endgültig zwei Kinder) und 28 Prozent (endgültig drei und mehr Kinder), wobei das Minimum bereits zu Beginn des 30. Lebensjahres erreicht wird. Ab dem Alter von Mitte bis Ende 30 beginnen die Erwerbsquoten der Mütter dann wieder anzusteigen und erreichen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr ein zweites Maximum von 68 Prozent bei Frauen mit einem Kind, von etwa 60 Prozent bei Frauen mit zwei Kindern und bei Frauen mit drei und mehr Kindern von nur noch 50 Prozent. Insoweit entspricht dies dem typischen Bild, welches bereits aus der vorangegangenen kalenderjährlichen Betrachtung bekannt ist.
64
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Die dargestellten Daten machen jedoch zusätzlich darauf aufmerksam, dass Mütter niemals in ihrem Leben die gleiche Erwerbsquote erreichen wie kinderlose Frauen – interessanterweise auch nicht bevor sie ihr(e) Kind(er) überhaupt zur Welt bringen. Allen Frauen, die jemals Kinder bekommen haben, ist gemeinsam, dass die Erwerbsquoten nach einem anfänglichen Anstieg bereits ab bzw. kurz nach dem 20. Lebensjahr wieder absinken, was jeweils vor dem im Durchschnitt realisierten Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes liegt. Dies deutet auf eine a priori geringere Erwerbsneigung von Frauen hin, die in ihrem Leben einmal Kinder bekommen werden. Dabei ist festzuhalten, dass das Maximum der Erwerbstätigenquoten umso niedriger ausfällt, je mehr Kinder die Frauen im Leben bekommen. So erreichen Frauen, die in ihrem Leben ein Kind realisiert haben, vor der Geburt des ersten Kindes eine maximale Erwerbsquote von 75 Prozent. Frauen mit jemals zwei Kindern erreichen noch ein Maximum von 68 Prozent vor der Geburt des ersten Kindes, während das Maximum von Frauen mit jemals drei und mehr Kindern bei 58 Prozent liegt. Dies zeigt deutlich, dass Frauen mit Kindern teilweise bereits vor der Geburt ihrer Kinder seltener arbeiten und die Erwerbstätigkeit derjenigen, die dennoch einem Beruf nachgegangen sind, maßgeblich an dessen Fortsetzung durch die Kinder gehindert werden. Was bedeutet diese Selektion von nichterwerbstätigen Frauen in die Mutterschaft nun aber für die ökonomische Benachteiligung von Familien? Kann die durchschnittlich schlechtere wirtschaftliche Stellung von Familien nach der Geburt eines Kindes also zum Teil auch auf eine erwerbsbezogene negative Selektion derjenigen, die überhaupt Kinder bekommen, zurückgeführt werden (Selektionseffekt) oder ist dennoch die geburtsbedingte Einschränkung der Erwerbstätigkeit (Kausaleffekt) hauptsächlich für die Schlechterstellung verantwortlich? Zur Beantwortung dieser Frage sind Angaben zum Anteil der tatsächlich vor der Geburt erwerbstätigen Frauen notwendig. Da allerdings die erwerbsbezogene Verteilung derjenigen, die ein Kind bekommen, nur zum Teil durch die Fertilitätswahrscheinlichkeit der Erwerbsgruppen bestimmt wird, sind die bislang getroffenen Aussagen hierzu nicht ausreichend: Denn trotz der höheren Fertilitätswahrscheinlichkeit von erwerbslosen Frauen können, aufgrund der absoluten Ausgangsverteilung von Erwerbs- und Nichterwerbstätigen, mehr erwerbstätige Frauen ein Kind bekommen. Dies ist geradezu zu erwarten, da der Anteil der Erwerbstätigen unter jungen und kinderlosen Frauen besonders hoch ist (teilweise mehr als 70 Prozent; vgl. dazu Statistisches Bundesamt, 2005b). Von besonderem Interesse für die vorliegende Fragestellung sind deshalb die Analysen von Kenjoh (2005), die mit den Daten des SOEP durchgeführt wurden. Diese machen auf die erwerbsbezogenen Veränderungen rund um das Geburtsereignis von westdeutschen Frauen aufmerksam, die in den 1990er Jahren ein erstes Kind bekommen haben. Abbildung 12 zeigt die Erwerbsbeteili-
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
65
Anteil der Mütter im jeweiligen Erwerbsstatus
Abbildung 12: Erwerbsbeteiligung von Frauen rund um die Geburt des 1. Kindes
Nichterwerbspersonen
arbeitslos
Mutterschaftsurlaub
teilzeittätig
vollzeittätig
Monate seit der Geburt des ersten Kindes*
Quelle: Kenjoh, 2005; *Erste Geburten in Westdeutschland in den 1990er Jahren.
gung der Mütter im Zeitraum von 12 Monaten vor der Geburt bis 60 Monate nach der Geburt des ersten Kindes. Die abgebildeten Daten belegen, dass zwölf Monate vor der Geburt mehr als 85 Prozent der werdenden Mütter beschäftigt waren. D. h., trotz einer nennenswerten Selektion nichterwerbstätiger Frauen in die Mutterschaft (nämlich 15 Prozent) ist das Gros der werdenden Mütter ein Jahr vor der Geburt des ersten Kindes erwerbstätig. Erst wenige Monate vor dieser Geburt setzt dann ein extrem starker Rückgang der Erwerbsbeteiligung ein, und der Anteil der erwerbstätigen Frauen sinkt auf unter 10 Prozent im Monat der Geburt ab. Damit wird deutlich, dass in der Tat ein erheblicher Einfluss der Kindergeburt auf den Erwerbsstatus der Frauen vorliegt (Kausaleffekt). Nur etwa 15 Prozent der Frauen waren zwölf Monate vor der Geburt nicht erwerbstätig und sind somit von den einkommensbezogenen Konsequenzen einer Kindergeburt nicht betroffen (Selektionseffekt). Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Gruppe bei der Geburt des zweiten oder eines weiteren Kindes insgesamt größer ist. Darauf deuten zumindest die Daten von Kenjoh hin, wonach 60 Monate nach der ersten Geburt, trotz eines nachgeburtlichen Anstiegs, gerade einmal etwa 40 Prozent der Mütter mit einem Kind erwerbstätig waren. Bei einem durchschnittlichen Abstand (Spacing) von zwei bis drei Jahren zwischen der Geburt des ersten und zweiten Kindes dürfte die Erwerbsbeteiligung der Mütter 12
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3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Monate vor der Geburt des zweiten Kindes daher einerseits sehr viel niedriger liegen als vor der Geburt des ersten Kindes, andererseits dürfte der Anteil jener Frauen, die doch arbeiten, häufiger mit einem Teilzeitverhältnis assoziiert sein. Weiterführende Angaben hierzu liegen bislang leider jedoch noch nicht vor. Kurzes Resümee: Die vorgelegten Daten haben deutlich gemacht, dass eine Analyse der sozioökonomischen Folgen von Kindergeburten notwendigerweise längsschnittlich angelegt sein muss, um die Geburt mit der möglichen Veränderung der Erwerbsbeteiligung der Eltern kausal verbinden zu können. Trotz der gesicherten Hinweise, die für eine erwerbsbezogene Selektion in eine Mutterschaft sprechen, haben die vorgestellten Ergebnisse vor allem gezeigt, dass der Einfluss der Fertilität, insbesondere der Familiengründung, auf die Erwerbsbeteiligung der Mütter unbestreitbar hoch ist. Demnach ist mit der Geburt und der anschließenden Erziehung und Pflege der Kinder eine zunehmende Zahl zeitintensiver Aktivitäten außerhalb des Marktes und damit außerhalb von bezahlter Erwerbsarbeit verbunden. Deshalb sind Mütter unmittelbar nach der Geburt kaum noch erwerbstätig. Der Anteil jener Frauen, die vor der Geburt des ersten Kindes nicht erwerbstätig sind, ist demgegenüber vergleichsweise niedrig. Jedoch dürfte diese Zahl mit steigender Kinderparität deutlich größer ausfallen. Von einer gewissen selektiven Verzerrung ist also bei den bislang querschnittlich errechneten sozioökonomischen Konsequenzen vor allem bei der Geburt des zweiten oder dritten Kindes auszugehen. Für den Großteil der Frauen stellt die Erziehung der Kinder allerdings ein Hemmnis für die Ausübung einer bestehenden Berufstätigkeit dar – so dass Kinder also direkt für die niedrige Erwerbsquote verantwortlich zu machen sind (Drobnic et al., 1999). Insbesondere in Ländern wie Deutschland mit ungünstigen familienpolitischen Rahmenbedingungen wirkt sich eine Geburt auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen und damit auf die ökonomische Lage der Familien aus (Kenjoh, 2005; Gustafsson et al., 1996).
3.2.2 Entwicklung der familienpolitischen Rahmenbedingungen Angesichts niedriger Geburtenraten unterhalb des Reproduktionsniveaus, einer im internationalen Vergleich niedrigen Erwerbsbeteiligung von Müttern sowie einer erheblichen sozioökonomischen Schlechterstellung von Familien wird derzeit in Deutschland allen Bereichen einer umfassenden Familienpolitik hohe Aufmerksamkeit zuteil (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005f). Während der Staat die Kindererziehung bislang vor allem finanziell alimentiert hat, um die ökonomischen Folgen von Kindern zu kompensieren, werden zunehmend Wege zu einer nachhaltigen Familienpolitik umgesetzt,
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
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die auf die Förderung der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern sowie auf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgerichtet sind. Bislang existieren in der Bundesrepublik ca. 150 familienbezogene Maßnahmen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend & Frauenhofer Institut, 2006), für die je nach inhaltlicher Abgrenzung pro Jahr zwischen 100 und 250 Milliarden Euro aufgewendet werden (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2006; Rosenschon, 2006; Deutsche Bundestag, 2006; Deutsche Bundesbank, 2002).12 Die Verteilung des familienpolitischen Budgets ist dabei noch immer durch eine Fixierung auf finanzielle Leistungen geprägt. Nahezu 70 Prozent des verfügbaren Etats werden für monetäre Leistungen verwendet und nur 30 Prozent für familiäre Dienstleistungen (vgl. Bertelsmann Stiftung, 2002). Vor diesem Hintergrund gilt die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor als Paradebeispiel für ein konservativ-korporatistisches Wohlfahrtsregime (vgl. hierzu Esping-Andersen, 1990), das maßgeblich durch seine Ausrichtung auf das männliche „Ernährermodell“ und seine Ehezentriertheit gekennzeichnet ist (vgl. Neyer et al., 2006; Sainsbury, 1999). Dieses sozialstaatliche Modell wird dem Bedürfnis der Eltern nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie allerdings nicht mehr gerecht und deshalb mittlerweile als gesellschaftspolitisch defizitär angesehen. Vor allem aus diesem Grund hat es sich die neuere Familien- und Sozialpolitik zur Aufgabe gemacht, die Bereitstellung institutioneller Angebote zu forcieren und eine familienorientierte Arbeitsmarktpolitik umzusetzen (vgl. Deutscher Bundestag, 2005; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002). Insbesondere die bedarfsgerechte Bereitstellung und damit der Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten wird deshalb als unverzichtbarer Bestandteil eines modernen familienpolitischen Arrangements angesehen (vgl. hierzu Schmitt, 2007; Kröhnert & Klingholz, 2005; Hank et al., 2003; Spieß, 2002). Trotz der bekannten Defizite im Bereich infrastruktureller und arbeitsmarktpolitischer Rahmenbedingungen für die Familien ist allerdings davon auszugehen, dass auch die bestehenden Geldleistungen des Staates weiterhin einen zentralen Grundpfeiler der deutschen Familienpolitik bilden werden. Dass die finanzielle Entlastung von Familien eine prioritäre Aufgabe des Staates ist, hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in mehreren Grundsatzurteilen klar herausgestellt. Im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik müssten die bestehenden finanziellen Zahlungen allerdings neu ausgestaltet werden, da trotz der erheblichen Aufwendungen, die gegenwärtig für Haushalte mit Kindern 12 Tatsächlich ist über den finanziellen Umfang der relevanten staatlichen Maßnahmen zugunsten von Familien wenig bekannt. Eine Bilanzierung erweist sich vor allem deshalb als problematisch, da zahlreiche Vorstellungen darüber existieren, welche Kriterien überhaupt in die Saldierung einfließen sollen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2006).
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3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
eingesetzt werden, eine Verbesserung der ökonomischen Situation von Familien bislang kaum verzeichnet werden kann (vgl. Abschnitt 3.1). Insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der sog. Kinderarmut ist die Bundesrepublik Deutschland nur mäßig erfolgreich (vgl. UNICEF, 2007). Es stellt sich in diesem Zusammenhang also die bislang selten aufgeworfene Frage, inwieweit die vorhandenen finanziellen Instrumente den Anforderungen einer modernen Lebensführung überhaupt genügen und inwieweit sie den direkten und indirekten Kosten von Kindern adäquat Rechnung tragen. Dieses Wissen ist insofern von Bedeutung, als hiermit möglicherweise widersprüchliche Anreize und ungünstige Verteilungen im Lebenslauf aufgedeckt werden können und damit Verbesserungsmöglichkeiten deutlich werden (Deutscher Bundestag, 2005). Sollen die monetären Transferleistungen z. B. kurz- oder langfristig bereitgestellt werden? Sollen sie für jedes Kind gleich hoch sein oder in Abhängigkeit von der Ordnungszahl oder dem Alter des Kindes variieren? Oder sollen sie universell bzw. einkommensabhängig für alle Haushalte bereitgestellt werden? Um diese Fragen in der vorliegenden Arbeit zumindest teilweise beantworten zu können, werden im Folgenden diejenigen familienpolitischen Förderbestände diskutiert, die eine besondere Bedeutung für die sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten haben. Den Schwerpunkt der vorgestellten Maßnahmen bilden dabei die unmittelbar im Anschluss an eine Geburt wichtigen Instrumente. Hierzu gehört neben (a) den Geldleistungen des Staates und (b) den gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit auch (c) die staatlich geschaffene Betreuungsinfrastruktur für Kinder. Familienleistungen, die für ältere Kinder und spätere Familienphasen relevant sind, wie z. B. BAföG-Leistungen oder Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung, werden nicht erörtert. Finanzielle Leistungen des Staates für Familien: Um eine familiengerechte Politik im Hinblick auf die finanzielle Situation von Familien zu gestalten, wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Instrumente geschaffen und weiterentwickelt, die auf eine Korrektur der marktvermittelten Einkommensverteilung abzielen und finanzielle Ausgleiche zwischen kinderlosen Haushalten und Familien schaffen sollen (vgl. für einen Überblick Gerlach, 1996; Wingen, 1993). Ziel dieser Maßnahmen ist es, (1) die direkten wirtschaftlichen Belastungen (Bedarfslagen), die durch die Erziehung von Kindern entstehen, wenigstens teilweise aufzufangen bzw. (2) die indirekten Kosten der Kindererziehung (v. a. Opportunitätskosten) zu kompensieren und abzumildern, welche aus der (vorübergehenden) Unterbrechung einer bestehenden Erwerbstätigkeit entstehen (können). Zu den im Anschluss an eine Geburt wichtigen finanziellen Familienleistungen gehören dabei vor allem das Kindergeld und der Kinderfreibetrag als ein Teil des Familienlastenausgleichs (FLA) sowie das Erziehungsgeld bzw. das im Januar 2007 neu eingeführte Elterngeld (vgl. einführend Hohnerlein, 2000).
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
69
Kindergeld und Kinderfreibetrag: Bis ins Jahr 1996 konnten Familien zur Minderung der mit dem Unterhalt der Kinder einhergehenden finanziellen Belastungen sowohl Kindergeld beziehen als auch einen Kinderfreibetrag im Rahmen des Steuerrechts in Anspruch nehmen. Mittlerweile können beide Maßnahmen nur noch alternativ beansprucht werden. Ob die Eltern das Kindergeld oder den Kinderfreibetrag in Anspruch nehmen, entscheidet das Finanzamt jährlich im Rahmen des Steuerausgleichs nach dem Prinzip der Günstigkeit. Dabei überprüft das Finanzamt, ob durch die Zahlung des Kindergeldes die steuerliche Erleichterung auf Grund der gesetzlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes tatsächlich erreicht wird. In der Steuer wird hierfür aktuell ein Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes (3.648 € p. a.) plus ein Freibetrag für Betreuung und Ausbildung (2.160 € p. a) gewährt. Nur wenn die Zahlungen des Kindergeldes die aus diesen Freibeträgen resultierende Steuererleichterung nicht vollständig herbeiführen, werden die Steuerfreibeträge anstatt des Kindergeldes wirksam. Für die allermeisten Eltern liegt die steuerliche Entlastung des Kindergeldes jedoch über den durch den Kinderfreibetrag erreichbaren Einsparungen, weshalb etwa 90 Prozent das Kindergeld beziehen. Erstmals Kindergeld erhalten haben Familienhaushalte mit drei und mehr Kindern im Jahr 1955. Im Zeitverlauf wurden dann auch zweite Kinder (1961) und schließlich erste Kinder (1975) berücksichtigt, so dass mittlerweile für jedes Kind ein Kindergeld ausgezahlt wird.13 Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben im Jahr 2005 insgesamt 9,2 Millionen bezugsberechtigte Eltern Kindergeld für zusammen 15,3 Millionen Kinder erhalten (Bundesagentur für Arbeit, 2005). Hierfür wurden 29,2 Milliarden Euro an die Familien ausgezahlt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2007). Der Bezug von Kindergeld orientiert sich dabei am Lebensalter der Kinder (vgl. Bundeszentralamt für Steuern, 2007). Grundsätzlich kann das Kindergeld bis zum 18. Lebensjahr des Kindes bezogen werden. Ab dieser Altersgrenze entfällt die Leistung bei einem eigenen Einkommen des Kindes von mehr als 7.680 Euro im Jahr. Unterhalb dieser Einkommensgrenze wird weiterhin für arbeitslose Kinder bis zum 21. Lebensjahr und für Kinder, die sich in Ausbildung befinden, bis zum 25. Lebensjahr Kindergeld gezahlt. Die Höhe des Kindergeldes ist ausschließlich abhängig von der Ordnungszahl des Kindes, d. h. das Kindergeld ist eine allgemeine, gleich hohe und nur nach der Kinderzahl gestaffelte (in ihrer Höhe einkommensund altersunabhängige) Auszahlung an die Haushalte mit Kindern (Hohnerlein, 2000). Nach mehrmaligen Erhöhungen seit der Einführung beträgt das Kinder13 Seit Januar 2005 erhalten Eltern mit niedrigem Einkommen zusätzlich zum Kindergeld einen Kinderzuschlag in Höhe von bis zu 140 € je Kind und Monat (Bundesagentur für Arbeit, 2005). Der Zuschlag wird gezahlt, wenn wegen des Kindes ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II für den Haushalt entsteht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005f).
70
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Abbildung 13: Entwicklung des Kindergeldes in Deutschland seit 1975 700 €
1. Kind
2. Kind
3. Kind
4. Kind
600 € 179 179 179
179
400 €
154 154
300 € 123 102
200 €
102
123
154
154
51
66
26
26
26
26
26
26
36
112
128
138
154
102
1/02 - heute
61
1/00 – 12/01
51
112
1/99 – 12/99
41
102
138
1/97 – 12/98
41
66
36 26
1/92 – 12/95
112
7/90 – 12/91
112
1/82 – 06/90
112
2/81 – 12/81
123
7/79 – 01/81
102
1/79 – 06/79
77
102
1/78 – 12/78
61
154
128
1/75 – 12/77
0€
123
77 61
100 €
123
154
1/96 – 12/96
Kindergeld in Euro
500 €
179
Quelle: Zusammenstellung aus verschiedenen Jahrgängen des Statistisches Taschenbuch des Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2007.
geld aktuell für das erste, zweite und dritte Kind monatlich 154 Euro und für das vierte und jedes weitere Kind monatlich 179 Euro. Damit ist das Kindergeld aktuell für das vierte Kind im Haushalt etwa dreimal so hoch und für das erste Kind im Haushalt sogar sechsmal so hoch wie im Jahr 1975 (vgl. Abbildung 13). Trotz der überproportionalen Verbesserung der Kindergeldzahlungen für erste und zweite Kinder zeigt der Rückblick auf die Entwicklung des Kindergeldes, dass stets kinderreiche Familien im Mittelpunkt des politischen Interesses standen, d. h. für erste Kinder wurde absolut das Wenigste gezahlt, für jedes weitere Kind mehr. Diese Diskrepanz zu Ungunsten von Familien mit wenigen Kindern hat sich mittlerweile zwar vermindert, dennoch werden nach wie vor beispielsweise vierte Kinder höher prämiert als das dritte oder auch erstgeborene Kind. Obwohl das Kindergeld also explizit als Kompensation für die individuellen Bedarfslagen der Kinder ausgezahlt wird, orientiert sich die Zahlungspraxis bislang nicht ausdrücklich an diesem Kriterium. Die gängige Zahlungspraxis fußt eher auf einer Logik steigender Gesamtbelastungen mit steigender Anzahl
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
71
der Kinder im Haushalt und nicht auf dem Wissen, dass die auftretenden Bedarfskosten der einzelnen Kinder – die das Kindergeld abdecken soll – mit steigender Kinderzahl tatsächlich größer oder zumindest nicht kleiner werden. D. h. nur weil Haushalte mit vier Kindern einen höheren Gesamtaufwand haben als Haushalte mit nur drei Kindern, werden vierte Kinder höher prämiert. Gegen diese Zahlungspraxis lässt sich einwenden, dass – neben der Altersabhängigkeit der Bedarfslagen – erste Kinder wahrscheinlich sogar höhere Kosten verursachen als zweite Kinder und zweitgeborene mehr „kosten“ als drittgeborene Kinder usw.. Insbesondere die bereits angesprochenen Spareffekte aufgrund einer gemeinsamen Haushaltsführung können hierfür verantwortlich sein; wenn z. B. als Folge der Weiternutzung von Kleidung und Einrichtung des ersten Kindes für die nachfolgenden Kinder Kosten gespart oder Nahrungsmittel in kostengünstigeren Großpackungen erworben werden können. Dieser wichtige Aspekt der Zahlungsmodalität im Zusammenhang mit den Auszahlungen des Kindergeldes wurde bislang in der Forschung noch nicht oder nur am Rande beachtet und soll deshalb in dieser Arbeit weiter verfolgt werden. Unabhängig von der Höhe oder der Staffelung der Zahlungen hat das Kindergeld allerdings immer einen einkommenssteigernden Effekt. Da das Kindergeld einkommensunabhängig gezahlt wird, sind die Kindergeldzahlungen umso bedeutender, je geringer das Haushaltseinkommen ist und je mehr Kinder in der Familie leben. Tabelle 4 zeigt, dass die Kindergelderhöhungen seit 1995 für das Gesamteinkommen der Familien bedeutsam waren und deswegen auch zur Reduktion von Armut beigetragen haben. Nach den Ergebnissen der zugrunde liegenden Modellrechnung (vgl. Grabka & Krause, 2005) haben z. B. die im Jahr 2003 geltenden Kindergeldbeträge im Vergleich zu denen der Jahre 1995 bzw. 1998 die Armutsquote der Haushalte mit Kindergeldbezug um ca. 20 bzw. 9 Prozent senken können. Die Gruppe, die von den Kindergelderhöhungen im Hinblick auf Armutsvermeidung besonders profitieren konnte, waren Paare mit Kindern, deren Einkommen oft nur knapp unterhalb der Armutsgrenze liegt. Bereits eine geringfügige Steigerung des Haushaltseinkommens, wie sie durch eine Kindergelderhöhung erreicht wird, hebt deshalb viele dieser Haushalte über die statistische Armutsschwelle. Damit wird deutlich, dass die Erhöhung des Kindergeldes einen einkommens- und wohlstandssteigernden Effekt für die Familien hat, die Bedarfslagen der Kinder also wie erwartet umso besser kompensiert werden, je höher das Kindergeld ausfällt. Dass die (aktuelle) Höhe der Kindergeldzahlungen allerdings eine vollständige Kompensation der auftretenden Unterhaltskosten der Kinder herbeiführt, ist jedoch zu bezweifeln. Auf Grundlage der zuvor dargestellten Wohlstandsberechnung (Abschnitt 3.1.1) und der hierbei vergebenen Bedarfsgewichte für Kinder von 0,3 (neue OECD-Skala) bzw. 0,5 (alte OECD-Skala), lässt sich zeigen, dass die Kindergeldzahlungen bereits bei
72
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Tabelle 4: Armutsquoten in Abhängigkeit von der Höhe des Kindergeldes Armutsquote im Jahr 2003 bei Kindergeldbeträgen des Jahres ... 2003
Personen mit Kindergeldbezug
1998
1995
Armutsquote1 (%)
Haushaltstyp
Effekt des Kindergeldes im Jahr 2003 gegenüber… 1998
1995
relative Veränderung (%)
17,1
18,7
21,3
- 8,6
- 19,7
Alleinerziehende2
48,3
52,3
59,0
0-7,6
-18,1
Zwei Erwachsene mit Kindern2
13,9
15,2
17,2
0-8,6
-19,2
mit einem Kind
13,6
13,7
15,1
0-0,7
0-9,9
mit zwei Kindern
10,1
12,0
13,7
-15,8
-26,3
mit drei und mehr Kindern
24,4
26,4
30,7
0-7,6
-20,5
darunter
darunter:
1
Armutsgrenze: weniger als 60% des Medians der Gesamtbevölkerung; Angaben für 2003 bei gegebenem Kindergeld der Jahre 1995, 1998 und 2003 2 Als Kinder gelten alle Personen unter 16 Jahren sowie Personen von 16 bis 24 Jahren, sofern sie nicht erwerbstätig sind und mindestens ein Elternteil im Haushalt lebt. Quelle: Grabka & Krause, 2005: 162 (mit Daten des SOEP 2003).
der Geburt des ersten Kindes und ab einem vor dieser Geburt bestehendem verfügbaren Haushaltseinkommen von 750 Euro (neue OECD-Skala) bzw. 510 Euro (alte OECD-Skala) nicht mehr ausreichen, um die induzierten Bedarfslagen des Kindes abzudecken (eigene Berechnungen). Dabei dürfte sich das Problem im Familienzyklus verschärfen, da die Bedarfslagen der Kinder mit dem Alter wachsen, das Kindergeld jedoch konstant bleibt. Der Anteil, der durch die Zahlungen nicht ausgeglichen wird, nimmt also mit dem Alter der Kinder zu. Da das Kindergeld aber auch dann weiter bezahlt wird, wenn für einen oder beide Erziehende(n) wieder die Möglichkeit zur (ganztägigen) Erwerbstätigkeit besteht, kann die Wohlstandsposition im späteren Familienzyklus dennoch ansteigen. Auf empirischer Grundlage liegen hierzu bislang m. W. aber keine Befunde vor. Erziehungs- und Elterngeld: Im Unterschied zum Kindergeld sind das Erziehungs- bzw. das Elterngeld einkommensabhängige Familienleistungen für erwerbstätige oder nicht erwerbstätige Eltern, die es erleichtern sollen, sich um das Kind oder die Kinder in den ersten Lebensmonaten und -jahren besonders kümmern zu können. Obwohl das Bundeserziehungsgeld formal keine Lohnersatzleistung darstellt(e), ist es bis zur Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 das zentrale Instrument des Bundes für die Kompensation der erwerbsbezogenen Konsequenzen von Kindern gewesen, denn „in der Praxis wirkt das Erziehungs-
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
73
geld wie eine zeitlich begrenzte einkommensabhängige Aufstockung des Kindergeldes.“ (vgl. Bäcker et al., 2000). Bemerkenswert ist, dass, obwohl das Erziehungsgeld sowohl von Müttern als auch Vätern bezogen werden kann, diese Leistung fast ausschließlich von Frauen in Anspruch genommen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Erziehungsgeld für die Mutter mit dem Mutterschaftsgeld verrechnet wird, sodass das Erziehungsgeld während der Mutterschutzfrist nach der Geburt meistens entfällt.14 Rechtsgrundlage des Erziehungsgeldes ist das im Jahr 1986 in Kraft getretene und inzwischen wiederholt geänderte Bundeserziehungsgeldgesetz. Demzufolge kann Erziehungsgeld beziehen, wer nicht vollerwerbstätig ist, d. h. nicht mehr als 30 Stunden pro Woche einer Erwerbsarbeit nachgeht. Die Bezugsdauer des Erziehungsgeldes ist dabei von ursprünglich 10 Monaten auf zuletzt 24 Monate verlängert worden.15 Demgegenüber sind die Höhe des Erziehungsgeldes und die zu berücksichtigenden Einkommensgrenzen seit der Einführung nicht angehoben worden. Die Einkommensgrenzen wurden im Jahr 2004 sogar reduziert. Aktuell beträgt die Einkommensgrenze des Haushaltes für den Bezug des Regelsatzes 30.000 Euro bei Paaren mit einem Kind und 23.000 Euro bei Alleinerziehenden mit einem Kind. Die genannten Einkommensgrenzen erhöhen sich für jedes weitere Kind um 3.140 Euro. Liegt das Einkommen für die ersten sechs Lebensmonate über den genannten Grenzen, besteht kein Anspruch auf den Bezug von Erziehungsgeld, liegt es ab dem siebten Monat über der Einkommensgrenze, wird das Erziehungsgeld gemindert. Ohne Minderung beträgt die Höhe des Erziehungsgeldes für jedes Kind monatlich 300 Euro bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Seit dem Jahr 2001 bestand zudem die Möglichkeit, eine „Budgetvariante“ zu wählen. Wenn sich die Eltern hierfür entscheiden, beträgt das Erziehungsgeld monatlich maximal 450 Euro, der Anspruch auf Erziehungsgeld endet dann aber mit der Vollendung des zwölften Lebensmonats des Kindes. Zusätzlich sind die Einkommensgrenzen der Budgetvariante niedriger als die für den Regelbetrag. Sie betragen 22.086 Euro für Paare mit einem Kind und 19.086 Euro für allein erziehende Eltern. Für jedes weitere Kind erhöht sich diese Grenze um jeweils 3.140 Euro. Da das Erziehungsgeld mit seiner relativ geringen Höhe keinen echten Lohnersatz darstellt, wurde im Januar 2007 das sog. Elterngeld eingeführt, welches realisierte Einkommensverluste besser kompensieren soll und die bestehenden Zahlungen des Erziehungsgeldes ablöst (vgl. Deutscher Bundestag, 2006). 14 Mütter erhalten während der Schutzfristen (6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt) Mutterschaftsgeld, wenn sie Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung sind und in einem Arbeitsverhältnis stehen. Die Höhe des Mutterschaftsgeldes richtet sich nach dem Arbeitsentgelt der letzten 3 Monate (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005e). 15 Zusätzlich war es in einigen Bundesländern möglich, im Anschluss an die Zahlungen des Bundeserziehungsgeldes weiterhin Landeserziehungsgeld für weitere 12 Monaten zu beanspruchen.
74
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
Das Elterngeld beträgt grundsätzlich 67 Prozent des früheren Nettogehalts, jedoch maximal 1.800 Euro pro Monat. Bei Geringverdienern (weniger als 1.000 Euro netto pro Monat) erhöht sich die Ersatzrate ausgehend von 67 Prozent aber sogar schrittweise auf bis zu 100 Prozent. Ein Mindestbetrag von 300 Euro (Regelsatz des Erziehungsgeldes) wird unabhängig von einer vorherigen Erwerbstätigkeit gezahlt. Bei Mehrlingsgeburten steigt das Elterngeld ebenfalls um 300 Euro je weiterem Kind an. Familien mit mehreren Kindern erhalten zudem einen Geschwisterbonus von 10 Prozent oder mindestens 75 Euro, wenn min. ein Geschwisterkind unter drei Jahre oder zwei Geschwister unter sechs Jahre alt sind. Sind beide Elternteile berufstätig, kann ein Partner bis zu zwölf Monate lang Elterngeld erhalten. Zwei weitere Monate kommen hinzu, wenn auch der andere Elternteil eine Auszeit vom Beruf nimmt. Bei Familien mit nur einem Einkommensbezieher erhält der nicht erwerbstätige Elternteil den Mindestbetrag. Zwei Bonusmonate gibt es, wenn der verdienende Partner eine Babypause einlegt. Auch Alleinerziehende können zwei zusätzliche Monatsbeträge erhalten, wenn bei ihnen durch die Kindererziehung ein Erwerbseinkommen entfallen würde. Erste Simulationen und Bewertungen der Einkommenswirkung des Elterngeldes haben ergeben, dass diese familienpolitische Maßnahme im Vergleich zum Erziehungsgeld einen erheblichen einkommenssteigernden Effekt und damit eine große Bedeutung für den Wohlstand von Familien hat (vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2006). Tabelle 5 zeigt dazu die Nettoeinkommen der Haushalte mit einem Kind im Alter von bis zu 12 Monaten vor der Einführung des Elterngeldes, also in der Höhe, die sie unter Gültigkeit des Erziehungsgeldgesetzes erreichten. Diesen gegenübergestellt sind die Nettoeinkommen der Haushalte, in der Höhe, die sie nach der Einführung des Elterngeldes erreicht hätten. Paare mit min. einem Kind im Alter von bis zu 12 Monaten können demnach unter Berücksichtigung des Elterngeldes im Durchschnitt über 3.428 Euro verfügen und damit über 246 Euro mehr Haushaltseinkommen als bei der Zahlung des Erziehungsgeldes. Die Transferleistung ist in diesem Zusammenhang also von durchschnittlich 167 Euro (Erziehungsgeld) auf 464 Euro (Elterngeld) angewachsen. Die Einführung des Elterngeldes führt also unabhängig von der bestehenden Einkommenslage der Haushalte grundsätzlich zu einer Erhöhung des Haushaltseinkommens. Allerdings wird deutlich, dass einkommensstarke Haushalte am deutlichsten vom Elterngeld profitieren. Dies liegt zum einen an der relativen Kopplung des Elterngeldes an das vor der Geburt bestehende Erwerbseinkommen. Zum anderen werden einkommensstarke Haushalte nun erstmals überhaupt berücksichtigt, da bestimmte Einkommensgrenzen zur Bezugsberechtigung nicht mehr vorgesehen sind. Dies führt dazu, dass Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 3.510 Euro pro Monat nun aufgrund der Regelungen zum Elterngeld statt 48 Euro insgesamt 571 Euro vom Staat erhalten.
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
75
Tabelle 5: Wirkung des Elterngeldes auf die Nettoeinkommen der Haushalte Haushaltsnettoeinkommen von Familienhaushalten mit einem Kind bis zum 12 Lebensmonat2 Mit Erziehungsgeld
Mit Elterngeld
Mit Erziehungsgeld
Mit Elterngeld
Alleinerziehende
1767 €
1929 €
258 €
413 €
Paare
3182 €
3428 €
167 €
464 €
Familien im 1. Einkommensquartil1
1732 €
1849 €
261 €
390 €
Familien im 2. Einkommensquartil1
2479 €
2603 €
235 €
402 €
1
3173 €
3429 €
159 €
472 €
Familien im 4. Einkommensquartil1
4799 €
5254 €
048 €
571 €
Familien im 3. Einkommensquartil
1
2
Transferleistung in Euro pro Monat
1. Einkommensquartil < 2.120 Euro monatlich; 2. Einkommensquartil = 2.121 bis 2.780 Euro monatlich; 3. Einkommensquartil = 2.780 bis 3.510 Euro monatlich; 4. Einkommensquartil = 3.510 Euro und mehr pro Monat. Bei der Variante „mit Erziehungsgeld“ handelt es sich um die tatsächlich realisierten Haushaltseinkommen in den Jahren 2001-2003. Bei der Variante „mit Elterngeld“ handelt es sich um simulierte Einkommen, die die gesetzlichen Regelungen zum Elterngeld als Ersatz für das Erziehungsgeld berücksichtigen. Bei der Variante „mit Erziehungsgeld“ wird angenommen, dass alle Haushalte den Regelbetrag und nicht die „Budget-Variante“ wählen. Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2006 (Simulationen mit SOEP 2001-2003).
Gesetzliche Regelungen zur Elternzeit: Überall in Europa gibt es Regelungen, die es den Eltern erleichtern sollen, sich ihrem Kind in den ersten Lebensjahren zu widmen und dabei gleichzeitig ihr bestehendes Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten (vgl. hierzu Bertelsmann Stiftung, 2002: 33ff.). Neben den in Deutschland obligatorischen Mutterschutzfristen16 sind in diesem Zusammenhang insbesondere die gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit von Bedeutung. Einen Anspruch auf Elternzeit haben dabei Mütter und Väter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005c: 47ff.). Sind beide Eltern erwerbstätig, steht es ihnen frei, wer die Elterzeit in Anspruch nimmt, und für welchen Zeitraum. Insgesamt steht jedem Elternteil die volle Elternzeit zu – unabhängig davon, wie der Partner die Elternzeit nutzt. Es besteht also prinzipiell die Möglichkeit, dass beide Eltern gleichzeitig die vollständige Elternzeit gemeinsam in Anspruch nehmen. Die Dauer der Elternzeit 16 Eine Mutterschutzfrist von sechs Wochen vor und nach der Geburt wurde bereits 1952 eingeführt. 1955 wurde dann die Mutterschutzfrist nach der Geburt auf acht Wochen verlängert. Ab 1979 konnten erwerbstätige Frauen für sechs Monate nach Geburt eine bezahlte Freistellung beanspruchen (vgl. Kreyenfeld et al., 2007).
76
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
wurde dabei in den vergangenen Jahren in Deutschland, wie in Europa insgesamt, systematisch erhöht, so dass die Elternzeitregelungen der meisten OECDLänder heute mindestens eine Dauer von einem Jahr vorsehen (vgl. hierzu u. a. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005d: 322ff.; Bertelsmann Stiftung, 2002: 33ff.). Die Gesamtdauer der Elternzeit in der Bundesrepublik ist allerdings deutlich höher als in den meisten anderen Ländern. Aufbauend auf einem 1979 eingeführten sechsmonatigen Mutterschaftsurlaub wurde in Deutschland im Jahr 1986 ein 10-monatiger Elternurlaub eingeführt, der mittlerweile auf eine maximal dreijährige Elternzeit erweitert worden ist (vgl. Kreyenfeld et al., 2007). Insgesamt wurde der Anspruch auf Elternzeit im Zeitverlauf immer wieder umgestaltet und flexibilisiert. Im Jahr 1992 wurde z. B. die dreijährige Elternzeit mit einem Kündigungsschutz verknüpft, und zusammen mit der Neuregelung des Bundeserziehungsgeldgesetzes zum Januar 2001 wurde dann ein gesetzlicher Anspruch auf Teilzeitarbeit in der Elterzeit (maximal 30 Arbeitsstunden in der Woche) eingeführt (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001: 72ff.). Weitere Flexibilität bei der Inanspruchnahme der Elternzeit erhielten die Eltern durch die Option, das dritte Jahr der Elternzeit auch noch bis zum achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch nehmen zu können (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005d: 322ff.). Insgesamt ermöglichen die gegenwärtigen Regelungen zur Elternzeit in der Bundesrepublik damit eine im internationalen Vergleich relativ lange Erziehungspause im Anschluss an die Geburt des Kindes, die mit einer rechtlich garantierten Rückkehrgarantie in die letzte Beschäftigung ausgestattet ist und eine Teilzeitbeschäftigung von bis zu 30 Wochenstunden während der Elternzeit zulassen. Neben den hiermit verbundenen Vorteilen für die Eltern wird in der Literatur allerdings auch diskutiert, dass diese Regelungen einen negativen Anreiz für eine zeitnahe Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Geburt darstellen können (Kreyenfeld et al., 2007) und damit möglicherweise auch für die ökonomischen Folgen der Geburt relevant sind. Regelungen, welche die Nichterwerbstätigkeit von Haushaltsmitgliedern unterstützen, verringern demnach insbesondere bei Frauen mit geringen Einkommenschancen die „work incentives“ (vgl. Gustafsson & Kalwij, 2006). Die geringere Wahrscheinlichkeit (wieder) eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen verhindert damit auch die kurz- und mittelfristige Konsolidierung des Haushaltseinkommens und kann somit beispielsweise einen nennenswerten Einfluss auf die schichtspezifischen Unterschiede der sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt eines Kindes haben.17 17 Damit ist jedoch über die schichtspezifischen Unterschiede im Hinblick auf die sozioöko-
nomischen Konsequenzen von Kindergeburten noch nichts ausgesagt, denn hierfür ist abermals nicht nur die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Geburt, sondern auch der Erwerbsstatus der Eltern vor der Geburt ausschlaggebend.
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
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Inwieweit die Möglichkeit der Eltern, eine Elternzeit in Anspruch zu nehmen, auch tatsächlich ausgeschöpft wird, zeigen die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung des Familienministeriums zur Inanspruchnahme der Elternzeit im Jahr 2003 (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005d: 312f). Insgesamt 86 Prozent der Haushalte, die seit Januar 2001 ein Kind bekommen haben, haben nach dieser Erhebung Anspruch auf Elternzeit, d. h. in diesen Haushalten stand mindestens eine Person im Haushalt vor der Geburt in einem Arbeitsverhältnis im Sinne der Regelungen zur Elternzeit. In Ostdeutschland hat allerdings ein Viertel der Haushalte nach der Geburt eines Kindes keinen Anspruch auf Elternzeit. Ein Grund dafür ist die angespannte Arbeitsmarktsituation im Osten, die dazu führt, dass oft beide Elternteile zum Zeitpunkt der Geburt nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen. Von denjenigen ostdeutschen Haushalten, die einen Anspruch auf Elternzeit haben, verzichten allerdings nur drei Prozent auf eine Inanspruchnahme. In Ostdeutschland nehmen also fast alle berechtigten Haushalte ihren Anspruch auch wahr, während im Westen 16 Prozent der Haushalte auf die Elternzeit verzichten. Hierbei muss aber ergänzt werden, dass Mütter im Osten dagegen seltener als Mütter im Westen die dreijährige Elternzeit ausschöpfen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005d: 312). Die angesprochene Möglichkeit, während der Elternzeit erwerbstätig zu sein (max. 30 Stunden pro Woche), wurde zudem in Ostdeutschland von 41 Prozent und in den westdeutschen Ländern nur von 29 Prozent der Mütter genutzt. Bemerkenswert ist außerdem, dass nur in etwa fünf Prozent aller Fälle die Väter zumindest einen Teil der Elternzeit innerhalb der ersten Lebensjahre ihres Kindes in Anspruch nehmen. Infrastrukturelle Angebote des Staates für Familien: Neben den monetären Leistungen des Staates sowie den gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit hat die von staatlicher Seite bereitgestellte Betreuungsinfrastruktur eine erhebliche Bedeutung für das Fertilitätsverhalten und die (ökonomische) Eigenständigkeit der Eltern (Hank et al., 2004; Büchel & Spieß, 2002b). Aus diesem Grund ist die öffentliche Aufmerksamkeit für Kindertageseinrichtungen ungebrochen groß, wobei die Notwendigkeit, Familien durch vor- und außerschulische Betreuungsangebote für ihre Kinder zu unterstützen, mittlerweile quer durch alle Parteien anerkannt wird. Dennoch ist die Betreuungssituation in (West-)Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor als unzureichend anzusehen (Spieß & Wrohlich, 2005; Bertelsmann Stiftung, 2002). Zwar werden jährlich mehr als 10 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand für Tageseinrichtungen aufgewendet (Deutsches Jugendinstitut, 2005) und für Kinder zwischen drei Jahren und Schuleintritt besteht ein Anrecht auf einen Halbtagsbetreuungsplatz (Prott, 2006), aber vor allem für Kinder unter drei Jahren ist das Angebot an Betreuungsplätzen nur ungenügend ausgebaut. Deshalb wurde beginnend im Jahr 2005 mit dem Tages-
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3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
betreuungsausbaugesetz der bedarfsgerechte Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren beschlossen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005a). Gleichwohl standen im Jahr 2005/06 in den alten Bundesländern – trotz einer Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren – nur für etwas mehr als 10 Prozent der unter 3-jährigen Kinder Betreuungsplätze bereit (Deutsches Jugendinstitut, 2005). Um diesen Misstand zu beseitigen, verständigten sich Bund, Länder und Kommunen im Jahr 2007 darauf, die Betreuungskapazität für Kinder unter drei Jahren bis 2013 auf 750.000 Plätze zu erhöhen. Sollte dieses engagierte Ziel erreicht werden, würde dies für etwa ein Drittel der jüngsten Kinder ein verfügbares Betreuungsangebot bedeuten. Für einen ersten Überblick zur aktuellen Situation zeigt Tabelle 6 die von den Eltern gewünschte und schließlich realisierte Nutzung von Kindertageseinrichtungen für Gesamtdeutschland, jeweils in Abhängigkeit vom Alter der Kinder. Dabei wird deutlich, dass nur wenige Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes eine Betreuung außerhalb der Familie in Betracht ziehen (ca. 13 Prozent). Ab dem zweiten Lebensjahr (also im Alter von einem Jahr) nehmen die Betreuungswünsche jedoch schnell zu. Insgesamt 31 Prozent der Eltern würden gerne einen Betreuungsplatz für ihr einjähriges Kind in Anspruch nehmen, bei zweijährigen Kindern sogar 60 Prozent (vgl. Bien et al., 2007). Betrachtet man gegenüber diesen Wünschen die Häufigkeit, mit der Kinder tatsächlich eine Einrichtung besuchen, lässt sich ermessen, wie viele Eltern derzeit mit ihren Betreuungswünschen an einem fehlenden Betreuungsangebot scheitern. Insbesondere bei Eltern von unter dreijährigen Kindern lässt sich gerade einmal jeder dritte Betreuungswunsch aus Platzgründen auch erfüllen. Zu einem bedarfsgerechten Angebot für diese jüngste Altersgruppe fehlen deshalb aktuell noch etwa 230.000 Betreuungsplätze (vgl. Spieß & Wrohlich, 2005). Die Betreuungsinfrastruktur als eine Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Kind und Beruf ist in Deutschland aber nicht überall gleich gut bzw. gleich schlecht ausgebaut. Insbesondere zwischen den alten und den neuen Bundesländern, aber auch im Hinblick auf kleinräumigere Bezugsgrößen (z. B. Stadt-LandUnterschiede), werden Differenzen im Ausbau der Kinderbetreuung sichtbar (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2006; Konietzka & Kreyenfeld, 2005; Hank et al., 2004; Statistisches Bundesamt, 2004b). So liegt z. B. die Platz-Kind-Relation für unter 3-Jährige in den westlichen Flächenländern immer noch unter drei Prozent, in den östlichen Flächenländern demgegenüber bei etwa 37 Prozent (Deutsches Jugendinstitut, 2005: 110ff.; Spieß & Wrohlich, 2005). In den deutschen Stadtstaaten werden durchschnittlich für ein Viertel der Kinder Betreuungsplätze bereitgestellt, wobei das Angebot in Berlin demjenigen der östlichen Flächenländer entspricht und Hamburg sowie Bremen eine wesentlich niedrigere Versorgungsquote aufweisen, nämlich 13 Prozent
3.2 Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Lage von Familien
79
Tabelle 6: Gewünschte und realisierte Nutzung von Kindertageseinrichtungen Gewünscht (DJI-Kinderstudie1)
Realisiert (DJI-Kinderstudie1)
Realisiert (Mikrozensus2)
5 Jahre
97 %
80 %
87 %
4 Jahre
98 %
82 %
84 %
3 Jahre
96 %
67 %
61 %
unter 3 Jahren
36 %
12 %
11 %
2 Jahre
60 %
20 %
-
1 Jahre
31 %
6%
-
>1 Jahr
13 %
1%
-
Alter der Kinder
darunter:
1
DJI-Kinderbetreuungsstudie aus dem Jahr 2005. Dabei handelt es sich um eine repräsentative Stichprobe von mehr als 8.000 Haushalten, in denen mindestens ein Kind unter 7 Jahren lebt, welches noch nicht zur Schule geht; .2Gemäß den Angaben des Mikrozensus aus dem Jahr 2004. Quelle: Bien et al., 2007 (mit Daten der DJI-Kinderbetreuungsstudie 2005).
bzw. 10 Prozent. In der Zusammenschau ist das Angebot an öffentlichen Betreuungsplätzen im Krippenbereich in Westdeutschland seit den 1970er Jahren unverändert niedrig geblieben. In Ostdeutschland ist die Versorgung mit Betreuungsplätzen im Krippenbereich demgegenüber – trotz eines erheblichen Rückgangs seit den frühen 1990er Jahren von über 50 Prozent auf unter 40 Prozent – nach wie vor sehr hoch (vgl. Kreyenfeld, 2003). Die unterschiedlichen Erziehungskulturen in beiden Teilen Deutschlands bestehen damit bis dato fort. Auch aufgrund der unterschiedlichen Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur für die Kinderbetreuung setzt deshalb die Betreuung von Kleinkindern außerhalb der Familie in den neuen Bundesländern durchweg früher ein. Während in Westdeutschland nur etwa 19 Prozent der Kinder vor ihrem dritten Geburtstag in einer Kindertageseinrichtung oder öffentlichen Kindertagespflege betreut werden, liegt der entsprechende Anteil in Ostdeutschland bei 81 Prozent. Für mehr als ein Drittel der Kinder (38 Prozent) setzt die öffentliche Betreuung sogar bereits nach dem ersten Lebensjahr ein. Während es in den neuen Bundesländern also nach wie vor üblich ist, bereits nach dem ersten Lebensjahr mit der öffentlichen Erziehung zu beginnen, stellt es im früheren Bundesgebiet nach wie vor eine Ausnahme dar, Kinder unter 3 Jahren in Tageseinrichtungen betreuen zu lassen (vgl. Deutsches Jugendinstitut, 2005; Deutsches Jugendinstitut, 2002). Gegenüber der eher schlechten Betreuungssituation für Kinder im Alter von unter drei Jahren stehen mittlerweile für ältere Kinder (3 Jahre) bundesweit umfassendere Betreuungsangebote zur Verfügung. Bereits für das Jahr 2002 weist
80
3 Die sozioökonomische Lage deutscher Familien
die Statistik der Kinder- und Jugendhilfe 2,55 Millionen Kindergartenplätze in Deutschland aus, womit für insgesamt über 90 Prozent der drei bis unter 6½jährigen Kinder Plätze zur Verfügung stehen. Wesentlich zu dieser hohen Versorgungsquote beigetragen hat der im Jahr 1996 in Kraft getretene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der vor allem in den alten Bundesländern eine erhebliche Forcierung des Platzangebotes eingeleitet hat (vgl. Deutsches Jugendinstitut, 2005 und 2002). Allerdings ist zu bemerken, dass trotz der gleich guten quantitativen Versorgung im Kindergartenbereich nach wie vor gravierende qualitative Ost-West-Unterschiede fortbestehen, da es sich bei einem Großteil der Betreuungsplätze in Westdeutschland um Halbtagsplätze handelt, während in Ostdeutschland fast ausschließlich Ganztagsbetreuungsplätze bereitgestellt werden (Deutsches Jugendinstitut, 2005; Büchel & Spieß, 2002a). Kurzes Resümee: Die deutsche Familien- und Sozialpolitik bemüht sich in zunehmenden Maße, Geburten zu fördern und eine bessere ökonomische Absicherung der Familien zu gewährleisten. Dabei werden gegenwärtig vor allem Maßnahmen berücksichtigt, die eine geschlechtsneutrale Förderung forcieren bzw. eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Diese Maßnahmen beeinflussen jedoch nicht nur individuelle Entscheidungen und intrafamiliäre Beziehungsmuster, sondern gleichfalls ganz erheblich auch das Ausmaß sozialer Ungleichheit (Konietzka & Kreyenfeld, 2005). Dabei ist zu beachten, dass hinter den besprochenen Maßnahmen verschiedene Grundideen im Hinblick auf die sozioökonomischen Konsequenzen von Kindern stehen. Zum einen offeriert der Staat familiäre Leistungen, die die Kosten von Kindern kompensieren sollen. Zum anderen stehen Maßnahmen zur Verfügung, die die kinderbedingten Folgekosten grundlegend vermeiden sollen. Während z. B. das Kindergeld explizit die auftretenden Bedarfslagen der Kinder kompensieren soll beziehungsweise das Erziehungs-/Elterngeld kinderbedingte Einkommensverluste mindern soll, zielen die Investitionen in eine umfassendere Kinderbetreuung darauf ab, solche Einkommensverluste gar nicht erst entstehen zu lassen. Trotz wegweisender Verbesserungen im Hinblick auf beide o. g. Funktionen in den letzten Jahren weist Deutschland noch immer beträchtliche familienpolitische Schwachstellen auf. So werden in Deutschland im internationalen Vergleich längerfristige Transferzahlungen geleistet und langfristige Arbeitsplatzgarantien gewährt, womit die frühzeitige Rückkehr der Frauen in das Erwerbsleben und die damit verbundene kurz- und mittelfristige Verbesserung der ökonomischen Lage des Haushaltes eher erschwert als erleichtert wird (Veil, 2003). Durch die Begünstigung langer Phasen von Erwerbslosigkeit wird zudem das sog. bürgerliche Familienmodell unterstützt. Und durch ein nur rudimentär ausgebautes Angebot institutioneller Kinderbetreuung wird überdies faktisch das Modell einer geschlechtsspezifischen Rollendifferenzierung in der Familie durchgesetzt.
4 Theoretische Überlegungen und Hypothesen
Vor dem bisher aufgearbeiteten empirischen Hintergrund zur wirtschaftlichen Lage von Haushalten mit Kindern und zu den relevanten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geht es nunmehr um die theoretische Konzeption der sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten und um die Ableitung prüfbarer Hypothesen. Die folgenden Überlegungen werden dabei durch den Umstand erleichtert, dass mittlerweile bewährte Fertilitätstheorien vorliegen (vgl. für einen Überblick Hill & Kopp, 2004; Kopp, 2002; Höpflinger, 1997; van de Kaa, 1997; Klein & White, 1996), die unter bestimmten Voraussetzungen für eine Analyse der kurzfristigen finanziellen Fertilitätskonsequenzen fruchtbar gemacht werden können (Abschnitt 4.1). Bedeutsam sind neben den Grundlagen der Wohlstandstheorie und der ökonomischen Theorie der Fertilität (Abschnitt 4.1.1) auch Elemente der biographischen Theorie (Abschnitt 4.1.2) sowie sozialpsychologische und austauschtheoretische Ansätze, die den paarbezogenen Charakter generativer Entscheidungen betonen (Abschnitt 4.1.3). Auf der Basis dieser theoretischen Konzepte werden dann im zweiten Teil des Kapitels konkrete Annahmen über geburtsbedingte Wohlstandskonsequenzen hergeleitet (Abschnitt 4.2). Im Vordergrund der Hypothesengenerierung stehen dabei einerseits Einkommenseffekte, die mit der geburtsbedingten Veränderung des Haushaltsnettoeinkommens assoziiert sind (Abschnitt 4.2.1) und andererseits Bedarfslageneffekte, die aufgrund der geburtsbedingten quantitativen Veränderung der Haushaltsstruktur eine Veränderung des Wohlstandsniveaus der Familien bewirken (Abschnitt 4.2.2). In beiden Teilabschnitten stehen ferner Genderaspekte, die Paarperspektive und das Humankapital der Eltern im Blickfeld. Aber auch die Ordnungszahl des Kindes, das Kalenderjahr der Geburt und das sozioökonomische Ausgangsniveau vor der Geburt, d. h. die Zugehörigkeit des Haushaltes zu einer Einkommensschicht, als bislang kaum beachtete Faktoren sind bedeutsam und werden deshalb theoretisch beleuchtet. Das Kapitel endet mit der Synthese der Einzelaspekte, die in die Formulierung der zentralen Hypothesen für die empirische Analyse der kurzfristigen sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten mündet (Abschnitt 4.2.3).
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4 Theoretische Überlegungen und Hypothesen
4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse Ausgangspunkt der allgemeinen theoretischen Diskussionen um den Fertilitätsprozess sind im Kern zwei einfache Fragestellungen: Zum einen wird versucht, die langfristige Geburtenentwicklung, d. h. den beobachteten Geburtenrückgang zu erklären (intergenerationale Perspektive); zum anderen wird eine Begründung für die bestehenden Unterschiede der Fertilität zwischen einzelnen Sozialgruppen gesucht (intragenerationale Perspektive). Während zur Beantwortung der ersten Frage mit dem gestiegenen Wohlstandsniveau und der veränderten Kosten-Nutzen-Relation von Kindern argumentiert wird, stehen bei der zweiten Frage nach den sozial differenziellen Geburtenmustern vor allem die schichtspezifischen Unterschiede der antizipierten Kinderkosten im Mittelpunkt. Die anschließend in ihren Grundzügen vorgestellten Theorien sind für die vorliegende Arbeit aufgrund beider Aspekte wichtig, weil die jeweils in Bezug auf die (differenziellen) Fertilitätsmuster formulierten theoretischen Kostenargumente und die hier betrachteten sozioökonomischen Konsequenzen von realisierten Kindergeburten letztlich zwei Seiten derselben Problemstellung widerspiegeln. Einziger Unterschied ist die Tatsache, dass im Folgenden nicht die mit den antizipierten Kinderkosten verbundenen (sozial differenzierten) Fertilitätswahrscheinlichkeiten erklärt werden sollen, sondern ausschließlich die tatsächlich resultierenden sozioökonomischen Konsequenzen einer bereits realisierten Geburt.
4.1.1 Wohlstandstheorie und ökonomische Theorie der Fertilität Wohlstandstheorie: Viel diskutierte theoretische Grundlage zahlreicher Fertilitätsansätze ist die von Paul Mombert (1907) verfasste Variante der Wohlstandstheorie, nach der die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Wohlstandsverbesserung im Zuge des Industrialisierungsprozesses gleichzeitig mit der beobachteten Abnahme der Geburtenzahl verbunden ist. Zentral bei der Argumentation Momberts ist neben dem bloßen materiellen Aspekt des höheren Wohlstandsniveaus, vor allem die damit verbundene Ökonomisierung des Denkens und der Lebensplanung (vgl. auch Weber, 1972), d. h. die mit der Wohlstandsmehrung zunehmende Verhaltensrationalisierung im Sinne einer Anpassung an die veränderten ökonomischen Lebensumstände. Grundgedanke dieses Ansatzes ist damit die Betrachtung der Fertilität als Wahlakt und somit bewusste individuelle Entscheidung, welche ganz im Gegensatz zu früheren Annahmen steht, die den Kinderwunsch als gegeben und nur von äußeren (Nahrungs-)Ressourcen begrenzt sahen (vgl. Malthus, 1826). Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist insbesondere die von Mombert formulierte These eines reduzierten Geschlechts-
4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse
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triebs beim modernen Menschen, nach der „[m]it steigendem Wohlstand und steigender Kultur andere Genüsse mit dem Geschlechtsgenusse in Konkurrenz [treten] und dieser an Bedeutung zurück[tritt]“ (Mombert, 1907: 164). Beide von Mombert vorgebrachten Argumente – Verhaltensrationalisierung einerseits und Proliferation relevanter Betätigungsmöglichkeiten andererseits – übernimmt Ludwig Josef Brentano (1909) für seine sog. Theorie der konkurrierenden Genüsse. Ergänzend zu Mombert überträgt Brentano aber zusätzlich das zweite Gossensche Gesetz vom Ausgleich der Grenznutzen18 auf den Entscheidungsprozess der Kinderzeugung (Brentano, 1924; Brentano, 1910), nach dem: „mit zunehmendem Wohlstand und zunehmender Kultur […] der nach der größten Summe des Wohlgefühls strebende Mensch mit der Befriedigung eines Bedürfnisses da abbricht, wo ein Fortfahren in seiner Befriedigung ihm geringeren Genuß bereiten würde als die Befriedigung eines anderen Bedürfnisses, auf die er sonst verzichten müsste. Der Mensch bricht mit der Kinderzeugung [also] da ab, wo die Mehrung der Kinderzahl ihm geringere Befriedigung schafft als andere Genüsse des Lebens“ (Brentano, 1924: 297). Zentraler Moment zur Erklärung der abnehmenden Geburtenneigung ist für Brentano mithin die zunehmende „Konkurrenz der Genüsse“ oder anders gesprochen die Zunahme von wohlstandsspezifischen Konsumofferten und alternativen Verwendungsmöglichkeiten der individuellen (Zeit-)Ressourcen. Neben den konkurrierenden Möglichkeiten nennt Brentano mit der „Verfeinerung im Gefühl der Kinderliebe“ zudem einen weiteren wichtigen Punkt, der heute unter dem Schlagwort „Qualität der Kinder“ diskutiert wird. Hierbei handelt es sich um Aspekte des psychosozialen und emotionalen „Kindernutzens“. Zusätzlich verweist dieser Gesichtspunkt aber auch auf die Zunahme der Sozialisationsinvestitionen aufgrund der gestiegenen Erwartungen an Kinder (z. B. in Form bildungsbezogener Aspirationen). Die „Verfeinerung der Kinderliebe“ ist demnach bei gleichzeitig starker Emotionalisierung der Elternschaft mit einer Steigerung der direkten Kinderkosten verbunden. Brentano vermerkt hierzu, dass sich die Eltern „bewusst werden, dass sie dafür verantwortlich sind, wie viele [...] Kinder sie in die Welt setzen“ und sie gleichzeitig zunehmend bestrebt sind, „die vorhandenen Kinder bestmöglich […] für den Kampf ums Dasein auszurüsten“ (Brentano, 1924: 292). Betrachtet man die vorgebrachten Argumente zusammenfassend, kann festgehalten werden, dass Brentano und Mombert mehrere zentrale Elemente der mikrotheoretisch fundierteren Familienökonomik vorweg 18 Hermann H. Gossen geht davon aus, dass jeder Mensch das Maximum an individueller Bedürfnisbefriedigung anstrebt. Danach werden alle verfügbaren Mittel unter Auswahl verschiedener Bedürfnisarten so verwendet, dass die Grenznutzen des Mitteleinsatzes im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse gleich sind bzw. dass kein Bedürfnis mit höherem Grenznutzen unbefriedigt bleibt (vgl. Gossen, 1854).
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4 Theoretische Überlegungen und Hypothesen
nehmen, indem sie (1) rational kalkulierende Individuen mit dem Ziel der Nutzenmaximierung unterstellen, (2) die im Kontext der strukturellen Rücksichtslosigkeiten wichtigen Zeitkosten des Kinderaufziehens berücksichtigen und (3) die zunehmende „Qualität der Kinder“ in die Diskussion eingeführt haben. Ökonomische Theorie der Fertilität: Wirtschaftswissenschaftliche Versuche, menschliches Verhalten auch außerhalb der Wirtschaftssphäre mit Hilfe des ökonomischen Instrumentariums zu erklären, sind, wie eben gezeigt wurde, bereits relativ früh unternommen worden. Der Ursprung der modernen ökonomischen Theorie der Fertilität liegt allerdings erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wobei als Begründer die amerikanischen Ökonomen Harvey Leibenstein (1957) und Gary S. Becker (1960) gelten. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist die Annahme, dass die Entscheidung über Kinder ebenso wie die Entscheidung über den Kauf von Konsumgütern anhand eines rationalen Kosten-Nutzenkalküls abgewogen wird. Dabei wird auf der individuellen Mikroebene argumentiert, wobei angenommen wird, dass die Entscheidungsträger versuchen, unter den gegebenen Umständen (Restriktionen) und durch den Einsatz verfügbarer Ressourcen den aus ihrer Sicht günstigsten Zustand zu erreichen (vgl. Braun, 2000: 300f.). Das heißt, dass sich fertilitätsbezogenes Handeln allein nach den vorliegenden Informationen richtet und Entscheidungen nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung getroffen werden (vgl. zu diesem Menschenbild und den verbundenen Annahmen Schimank, 2000; Biervert & Held, 1991; McKenzie & Tullock, 1984). Letztendlich werden also die erwarteten Kosten des erwünschten Kindes den hiermit verbundenen Nutzenaspekten gegenübergestellt. Übersteigt dabei der Nutzen eines Kindes dessen Kosten, wird der Kinderwunsch realisiert. Sind die Kosten zu hoch, d. h. höher als der erwartete Nutzen, entsteht Kinderlosigkeit. Hinsichtlich des Nutzens von Kindern werden bis heute drei Aspekte unterschieden, die bereits auf eine Kategorisierung von Leibenstein (1957) zurückgehen. Erstens stiften Kinder einen Nutzen als „Konsumgut“ (consumption utility), d. h. durch ihre bloße Anwesenheit tragen sie zur Freude und persönlichen Erfüllung der Eltern bei. Dieser Aspekt thematisiert damit den emotionalen Wert von Kindern, der bei Brentano unter dem Stichwort „Kinderliebe“ von Bedeutung war. Darüber hinaus können Kinder zweitens durch ihre Arbeitskraft einen Nutzen bewirken (work utility), insoweit sie fähig sind, selbst einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten. Insbesondere dieser Nutzenaspekt hat allerdings in modernen Gesellschaften (aufgrund des Verbotes von Kinderarbeit) erheblich an Bedeutung verloren. Aktuell bedeutsamer ist deshalb drittens die Tatsache, dass Kinder ihre Eltern bei Krankheit oder im Alter versorgen können. In Leibensteins Terminologie weisen Kinder dementsprechend einen Versicherungsnutzen auf (security utility). Diesen drei Nutzenkomponenten stehen insgesamt zwei zentrale Kostenkategorien von Kindern gegenüber. Erstens fallen direkte
4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse
85
Kosten für Kleidung, Nahrung und Ausbildung der Kinder an und zweitens bestehen indirekte Kosten der Kindererziehung aufgrund von entgangenen Erwerbund Berufschancen, Freizeitverlust und anderen persönlichen Einschränkungen (Leibenstein, 1974). Die indirekten Kosten werden auch als Opportunitätskosten der Kindererziehung bezeichnet und sind vor allem Zeitkosten, da die Erziehungszeit für andere Aktivitäten nicht mehr zur Verfügung steht (Esser, 1999). Insbesondere familienökonomische Ansätze im Rahmen der Neuen Haushaltsökonomie (New Home Economics), die eng mit den Arbeiten von Gary S. Becker (u. a 1981; 1960) verbunden sind, haben diesen zeitlichen Aspekt im Hinblick auf das Geburtenverhalten betont. Becker (1982: 97ff. und 1965) modelliert dabei in seiner Theorie „die Zeit“ als knappe, nützliche und damit ökonomisch kalkulierbare Ressource, deren Wert sich allgemein aus den Opportunitätskosten alternativer Verwendungen ergibt. Beziehen demnach nutzenmaximierende Individuen die Kosten der Zeit ausdrücklich in ihr Entscheidungskalkül ein, beeinflusst dies ihren Umgang mit der Zeit ebenso wie den Verbrauch materieller Güter (Kuhn & Maurer, 1995). Entscheidungen über die Allokation der Zeit auf verschiedene Verwendungszwecke betonen deshalb zwangsläufig jeweils spezifische Wohlfahrtsaspekte (vgl. Schwarze, 2003). Man kann seine zeitlichen Ressourcen z. B. beim Konsum von Gütern und Dienstleistungen verbrauchen oder sie in Erwerbsarbeit und Bildung „investieren“, aber auch direkt zur Produktion sog. commodities verwenden, d. h. zur Produktion von Haushaltsgütern, die direkte Befriedigung oder Nutzen erzeugen (z. B. Hausarbeit und Kindererziehung). Dabei besitzen die commodities zwar keinen Marktpreis, dafür aber einen Schattenpreis, der ihren Produktionskosten entspricht. Unter die Rubrik der Produktionskosten fällt neben den eingesetzten Marktgütern und den wichtigen indirekten Investitionskosten in Form spezifischer Aspekte des notwendigen Humankapitals vor allem die benötigte Produktionszeit. Die für die Produktion der commodities aufgewendete Zeit (z. B. während der Kindererziehung) wird dabei hauptsächlich mit dem Gegenwert einer entlohnten Erwerbstätigkeit veranschlagt, da diese in modernen Gesellschaften in der Regel als die beste alternative Zeitverwendung gilt. Der bedeutsame Vorteil dieser ökonomischen Sichtweise ist also die Tatsache, dass insbesondere informelle Arbeitszeit außerhalb formaler (d. h. monetär entlohnter) Erwerbstätigkeit in die Theorie und damit in die Betrachtung möglicher Determinanten der Fertilität integriert werden kann. Zudem erlaubt der Ansatz die explizite Berücksichtigung des individuellen Humankapitals, wodurch im Hinblick auf das Geburtenverhalten Vorhersagen über die Fertilitätswahrscheinlichkeiten verschiedener Sozialgruppen bzw. die unterschiedlichen Kosten von Kindern in diesen Sozialgruppen getroffen werden können. Trotz dieser Vorteile ist die Interpretation der Opportunitätskostenhypothese mit Blick auf die
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4 Theoretische Überlegungen und Hypothesen
fertilitätsbezogenen Konsequenzen der Theorie nicht unwidersprochen geblieben (vgl. u. a Pollak, 2003). Instruktiv für die vorliegenden Analysen ist insbesondere eine ältere Kritik Leibensteins, der zu Folge es bei den Opportunitätskosten weniger auf den Verdienstausfall der Mutter durch die Kindererziehung ankommt, sondern vielmehr darauf, welche Kosten durch substitutive Dienste für die Kinderbetreuung während der Erwerbsbeteiligung der Eltern entstehen würden (Leibenstein, 1974: 467). Für die (Opportunitäts-)Kosten der Kindererziehung sind also nicht (nur) das Humankapital und die Erwerbschancen der Eltern, sondern vielmehr auch die anfallenden Kosten für eine Tagesmutter (marktwirtschaftliche Lösung), die Kosten für öffentliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten (staatliche Lösung) und die Verfügbarkeit dauerhafter privater Betreuungsnetzwerke, z. B. in Form der Großeltern (private Lösung) entscheidend. Alle drei Lösungen kommen als Substitut für die zeitaufwendige eigene Kindererziehungsarbeit in Frage, sie helfen also Zeit zu sparen, die weiterhin von den Eltern in eine Erwerbstätigkeit investiert werden kann und somit erwerbsbezogene Einkommensverluste vermieden werden.
4.1.2 Biografische Theorie der Fertilität Die biografische Theorie der Fertilität von Herwig Birg (1992) stellt den individuellen Lebensverlauf, sowohl dessen bisherigen Verlauf als auch dessen mutmaßliche künftige Entwicklung, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Fertilitätsbezogenes Handeln muss demnach als Handeln im Lebensverlauf verstanden werden, wobei eine Abfolge von Statuspassagen beobachtet werden kann, die jeweils mit einer umfassenden Neustrukturierung der Lebensumstände verbunden sind (Huinink, 2000a). Dabei fasst Birg alle bislang getroffenen Entscheidungen (faktischer Lebensweg) und alle noch möglichen Lebensverläufe, besonders wenn sie dem Einzelnen bewusst sind und als relevant erachtet werden, als virtuelle Biographie zusammen (Birg et al., 1991: 14). Diese virtuelle Biografie beinhaltet „[…] Abschnitte, Phasen und Zustände, in die der Lebenslauf […] untergliedert werden kann“ (Birg, 1992: 201). Die angesprochenen Komponenten werden als „biographische Elemente“ bezeichnet und können z. B. in Form von Ausbildung, Partnerbindung, Haushalts- und Familiengründung in einer biografischen Sequenz angeordnet werden. Dabei ergeben sich bereits bei nur vier biografischen Elementen insgesamt 24 mögliche Sequenzen (nämlich 4! Möglichkeiten), womit einerseits die Komplexität diesbezüglicher Entscheidungen über die Reihung der biografischen Elemente deutlich wird und andererseits die Gebundenheit von zukünftigen Entscheidungen an bereits entschiedene Tatsachen sichtbar wird. Die Entscheidung zur Elternschaft ist also eine zentrale biografi-
4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse
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sche Entscheidung, die im Unterschied zu „einfachen“ Alltagsentscheidungen den Verlauf des Lebens verändert und zudem irreversibel ist (Burkart, 1994). Geht man nun davon aus, dass ein Individuum alle oder auch nur den größten Teil der biografischen Sequenzen kennt und aus diesen wählen muss, dann ist das Risiko sich „falsch“ zu entscheiden am Anfang einer Sequenz, also im jungen Alter, besonders groß, da noch zahlreiche biographische Elemente ein- und anzuordnen sind. Mit steigendem Alter, d. h. mit bereits zahlreichen getroffenen biografischen Entscheidungen, wird dieses Risiko dann zunehmend kleiner. Vor diesem Hintergrund werden Fertilitätsentscheidungen in der biographischen Theorie entsprechend im Lichte der langfristigen irreversiblen biografischen Festlegung getroffen. Birg spricht von biografischen Opportunitätskosten, die umso größer sind, je größer das biografische Universum ist. Dabei werden die biografischen Freiheitsgrade in Hinblick auf Partnerwahl, Wohnortswahl und Karrieremöglichkeiten gerade durch die Familiengründung drastisch eingeschränkt. Vor allem bei der Geburt des ersten Kindes sind also hohe „biographische Opportunitätskosten“ zu erwarten, da insbesondere diese Entscheidung den zukünftigen Lebensweg strukturiert. Wurde einmal ein Kind geboren, fällt die Entscheidung ein weiteres Kind zu bekommen leichter, da zusätzliche Festlegungen im Hinblick auf Erwerbstätigkeit und Partnerschaft immer geringer werden. Diesem Ansatz zufolge sind also die Rahmenbedingungen der Fertilität für verschiedene Ordnungszahlen der Geburt verschieden und vor allem die Familiengründung, d. h. die Geburt des ersten Kindes ist im Gegensatz zur Familienerweiterung (erwerbs-)biografisch riskant.
4.1.3 Paarperspektive fertilitätsbezogener Entscheidungen In den bislang vorgestellten soziologischen und ökonomischen Theorien wurde insbesondere der individuelle Charakter der Fertilitätsentscheidung betont. Ausgangspunkt dieser Ansätze ist damit die Sichtweise, dass nur ein Partner alleine über die Elternschaft entscheidet (vgl. z. B. das „Rotten Kid Theorem“ bei Becker, 1974). Verhaltensintentionen anderer Personen werden weitgehend vernachlässigt, da davon ausgegangen wird, dass den individuellen Entscheidungen ein Konsens auf der Haushaltsebene zugrunde liegt oder andere Haushaltsmitglieder nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen bzw. aufgrund von innerpartnerschaftlichen Machtgefällen (z. B. principle of least interest) vollständig vom Partner dominiert werden (u. a. Ott, 1989). Derartige entscheidungsbezogene Konstellationen sind sicher möglich und nicht einmal selten, dennoch ist davon auszugehen, dass Entscheidungen zu einer Elternschaft nicht monadisch (d. h. alleine), sondern nur innerhalb einer Paarbeziehung getroffen werden kön-
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4 Theoretische Überlegungen und Hypothesen
nen (vgl. Braun, 2000; Samuelson, 1956). Entsprechend sind „Paarmodelle des generativen Verhaltens eigentlich als adäquater Ausgangspunkt diesbezüglicher Analysen“ anzusehen (vgl. Rosenstiel et al., 1986: 62). Sozial-psychologische Zugänge: Ansätze, die explizit den dyadischen Charakter der Fertilitätsentscheidung betonen, sind bislang selten und neben austauschtheoretischen Modellen nur in einigen sozial-psychologischen Erklärungsansätzen zur Geburtenentwicklung ausgearbeitet worden. Teilweise interessant für die Analyse der realisierten sozioökonomischen Konsequenzen ist dabei das von Lutz v. Rosenstiel und Mitarbeitern (1986) entwickelte Fertilitätskonzept. Hierin werden zur Erklärung der Fertilität insgesamt fünf verschiedene Einflussbereiche unterschieden und theoretisch ausgeleuchtet. Dabei entsprechen drei Bereiche im Kern einem bereits von Gerhard Mackenroth (1953: 330) vorgeschlagenen Klassifikationsschema: Hierzu gehören (1) das (physische) Können, (2) das (soziale) Dürfen und (3) das (persönliche) Wollen. Mit dem „Können“ sind vor allem die physiologischen und biologischen Rahmenbedingungen der Fertilität angesprochen, während sich die Bedeutung des „Dürfens“ vor allem aus juristischen (Recht), sozialen (Normen), politischen (Staat) und weitergehenden kulturellen Sanktionen (z. B. Religion) ableitet. Das „Wollen“ schließlich bestimmt Rosenstiel rein psychologisch als die individuelle Motivation des Kinderwollens, d. h. beispielsweise als alle auf den Kinderwunsch gerichteten inund extrinsischen Wertorientierungen. Zu diesen drei Dimensionen fügt Rosenstiel (1986: 84ff.) zwei weitere, für die vorliegende Arbeit wichtige Aspekte hinzu, nämlich (4) die (situative) Ermöglichung und (5) die Paarinteraktion. Im Zusammenhang mit der „situativen Ermöglichung“ werden die Rahmenbedingungen eines Haushaltes als entscheidende Faktoren genannt, die eine Kindergeburt überhaupt erst möglich oder mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Hierzu zählen beispielsweise das Haushaltseinkommen, die soziale Schicht, der Erwerbsstatus, die Wohnsituation und Ähnliches. Die „Paarinteraktion“ andererseits benennt den Interaktionsprozess zwischen den Partnern als bedeutende Determinante der Fertilitätsentscheidung. Dessen konkrete Ausgestaltung lässt Rosenstiel aber weitgehend offen und verweist auf noch ausstehende empirische Analysen. Im Zusammenspiel der „Paarinteraktion“ und der „situativen Ermöglichung“ wird aber einsichtig, dass sich potenzielle individuelle Unvereinbarkeiten der Partner unter Berücksichtigung der Paarperspektive in haushaltsbezogene Vereinbarkeiten überführen lassen. So ist z. B. eine bestehende individuelle Erwerbstätigkeit eines Elternteils nicht grundsätzlich als Fertilitätshindernis bzw. als Kostenfaktor von Bedeutung, sondern nur dann, wenn beide Partner erwerbstätig sind. Sollte in einem Paarhaushalt nur die Frau oder nur der Mann erwerbstätig sein, dann ist die paarbezogene Entscheidung zur Geburt einfacher, da keine haushaltsbezogenen Opportunitätskosten durch die Geburt drohen.
4.1 Theoretische Grundlagen geburtsbedingter Wohlstandsprozesse
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Austauschtheorie: In eine ähnliche Richtung – allerdings theoretisch stringenter – weisen austauschtheoretische Ansätze. Entsprechende Modelle wurden vor allem in Abgrenzung zur „Neuen Haushaltsökonomie“ entwickelt, um Interessenkonflikte zwischen den Haushaltspartnern besser berücksichtigen zu können (u. a. Lundberg & Pollak, 1996; Ott, 1989). Ausgangspunkt dieser Ansätze ist die These, dass Mann und Frau über die Aufgaben- und Ressourcenverteilung innerhalb der Beziehung „verhandeln“ und die Akteure dabei ökonomisch rational sowohl die eigene Verhandlungsposition als auch die des Partners antizipieren (Ott, 2001). Im Kern wird also davon ausgegangen, dass partnerschaftlichen Entscheidungen a priori kein Konsens zugrunde liegt, sondern Verhandlungsprozesse auf Basis individueller Interessen stattfinden (Ott, 1989). Das Ergebnis der Verhandlungen bzw. das Verhalten der Akteure lässt sich dabei durch deren relative Verhandlungsmacht erklären (England & Folbre, 2005). Diese resultiert zumeist aus dem Bestreben der Partner, eine Hausarbeit zu vermeiden, weshalb der verhandlungsrelevante „Drohpunkt“ maßgeblich durch den Nutzen der besten Alternative zur Hausarbeit definiert ist. Das konkrete Arrangement der partnerschaftlichen Arbeitsteilung ist damit das Ergebnis mehr oder weniger permanenter machtgesteuerter Aushandlungsprozesse, „wobei sich die Verhandlungsmacht eines Partners zumeist aus seinen marktvermittelten Einkommenschancen (d. h. aus seinen Humankapitalressourcen) ergibt“ (Schulz & Blossfeld, 2006). Hieraus resultieren im Hinblick auf die geburtsbedingte Veränderung der innerfamiliären Arbeitsteilung interessante Schlussfolgerungen. Zunächst wird verständlich, dass aufgrund der gewachsenen Bildungsbeteiligung der Frauen und der damit verbundenen homogeneren Berufschancen von Mann und Frau heute insgesamt konfliktträchtigere innerpartnerschaftliche Verhandlungsarrangements existieren. Als Folge der höheren Bildung und Erwerbschancen der Frauen bestehen zunehmend symmetrische Verhandlungspositionen zwischen den Geschlechtern, die eine vorgeburtliche Einigung über die innerfamiliäre Arbeitsteilung nach der Geburt des Kindes erheblich erschweren. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Verhandlungsmacht desjenigen Partners nennenswert sinkt, der aufgrund der Kindererziehung auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Diese individuelle Schlechterstellung versuchen die Individuen zu vermeiden, um bei zukünftigen Entscheidungen nicht an Drohpotenzial einzubüßen. Dies wiederum führt insbesondere in Partnerschaften, in denen beide Partner einer relativ gleichwertigen Erwerbstätigkeit nachgehen, häufiger zu Kinderlosigkeit. Allerdings besteht die Möglichkeit, eine einseitige erwerbsbezogene Schlechterstellung zu kompensieren, wenn bereits vor der Geburt eines Kindes ein Vertrag zwischen den Partnern geschlossen werden kann, der eine Verteilung der partnerschaftlichen Güter nach der Geburt auf der Basis der Verhandlungsstärke vor der Geburt garantieren kann. Neben expliziten Verträgen mit formalen Sankti-
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onsmöglichkeiten spielen hierbei vor allem implizite Verträge eine große Rolle (vgl. Ott, 1997), bei denen Aspekte von Vertrauen in den Partner und Zuversicht in die Stabilität der Beziehung bedeutsam sind (Stauder, 2002). Unter der Voraussetzung, dass ein solcher Vertrag möglich ist, lässt sich die familiäre Arbeitsteilung nach der Geburt dann aus der relativen Verhandlungsmacht (d. h. aus den Erwerbschancen) der Partner vor der Geburt erklären. Die Entscheidung darüber, wer sich auf die außerhäusliche Erwerbstätigkeit und wer sich auf die innerhäusliche Reproduktionsarbeit konzentriert, hängt damit theoretisch nicht in erster Linie vom Geschlecht ab – wie es beispielsweise im Rollenkonzept, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Normen und Erwartungen an die Frau der Fall ist – sondern ausschließlich von den Erwerbsbedingungen der Eltern vor der Geburt (Schulz & Blossfeld, 2006). Insofern sich die Partner also für ein Kind entscheiden, d. h. eine verbindliche innerfamiliäre Arbeitsteilung ausgehandelt werden konnte, dann ist bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit der Eltern jeweils der Partner mit den geringeren Erwerbschancen zur Aufgabe seiner Erwerbstätigkeit gezwungen. Das impliziert aber auch, dass keine haushaltsbezogenen Erwerbskosten durch eine erzwungene Aufgabe der Tätigkeit eines arbeitenden Partners entstehen, falls ein Elternteil bereits vor der Geburt nicht erwerbstätig war.
4.2 Herleitung von Forschungshypothesen Eine Veränderung des Wohlstandsniveaus eines Haushalts kann prinzipiell durch verschiedenste Verursachungszusammenhänge hervorgerufen werden (Berntsen, 1989). Die Mehrzahl der Ursachen von wohlstandsbezogenen Auf- und Abstiegen lässt sich aber i. d. R. einem von insgesamt vier Ursachenmustern zuordnen. Bei diesen vier Verursachungskomplexen handelt es sich um Lebensereignisse, die (1) zu einer Veränderung der Erwerbsbeteiligung (z. B. durch Verrentung) oder (2) zu einer Veränderung der Höhe des Erwerbseinkommens (z. B. durch Weiterbildung) führen bzw. (3) einen rechtlich gesicherten Anspruch auf staatliche Transferleistungen begründen (z. B. durch Arbeitslosigkeit) und (4) aufgrund einer veränderten Haushaltsgröße (bzw. Bedarfssituation) eine Neu- und Umverteilung der vorhandenen monetären Ressourcen auf die Haushaltsmitglieder nötig machen (z. B. durch die Scheidung der Eltern). Betrachtet man diese vier Kategorien in Bezug auf die Fertilität, dann wird deutlich, dass die Geburt eines Kindes in jeder der aufgeführten Beziehungen von Bedeutung ist. Erstens haben Kinder einen bedeutsamen Einfluss auf die Möglichkeit der Eltern erwerbstätig zu sein. Zweitens ist eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit häufig mit Einbußen in der Lohnhöhe nach der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit verbunden. Drittens initiiert die Kindergeburt einen rechtlich gesicherten Anspruch auf eine
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Abbildung 14: Erklärungsansatz geburtsbedingter Wohlstandsveränderungen
Quelle: Eigene Darstellung
staatliche Familienförderung und viertens bedingt die Geburt eine Haushaltsvergrößerung und damit eine Steigerung der Bedarfslage des Haushaltes. Die finanziellen Folgen einer Geburt müssen also sowohl mit der veränderten Höhe und Zusammensetzung der den Haushalten zufließenden Einkommen begründet werden (Allokation der Einkommen auf die Haushalte) als auch mit den Kosten für den Lebensunterhalt des Kindes (Distribution des Einkommens innerhalb der Haushalte). Erst die Verknüpfung der Einkommens- und Bedarfslageneffekte, jeweils unter Bezug auf die Haushaltssituation vor der Geburt, ermöglicht letztlich die Ermittlung des fertilitätsbezogenen, d. h. geburtsverursachten Wohlstandsrisikos (Abbildung 14). Aus diesem Grund werden nachfolgend unter Beachtung der in vorangegangen Abschnitt aufgezeigten theoretischen Zugänge zunächst Einkommenseffekte (Abschnitt 4.2.1) und Bedarfslageneffekte (Abschnitt 4.2.2) herausgearbeitet, um abschließend durch die Kombination der Einzelaspekte die Ableitung relevanter Hypothesen zu ermöglichen (Abschnitt 4.2.3).
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4.2.1 Einkommenseffekte durch die Geburt eines Kindes Obwohl geburtsbedingte Einkommenseffekte in der Regel mit Einkommensverlusten assoziiert werden, ist dies selbstverständlich nicht zwingend der Fall, denn neben dem möglichen monetären Verlust aufgrund einer geburtsbedingten Einschränkung der Erwerbsarbeitszeit (negativer Einkommenseffekt) fallen gleichzeitig finanzielle Zugewinne an (positive Einkommenseffekte), wenn monetäre Transferzahlungen vom Wohlfahrtsstaat für die Familien bereitgestellt werden. Der insgesamt aus einer Geburt resultierende Einkommenseffekt ergibt sich damit aus dem Saldo der genannten Einkommensveränderungen, der je nach Höhe der entfallenen Erwerbseinkommen und abhängig von der Höhe der zufließenden staatlichen Transferleistungen negativ oder auch positiv sein kann. Wichtig für die Ableitung geburtsbedingter Einkommenseffekte ist deshalb notwendigerweise die gemeinsame Betrachtung der beiden relevanten Einkommensquellen: Markt und Staat. Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Sowohl wohlstandstheoretische Ansätze als auch neuere ökonomische Theorien der Fertilität betonen vor allem die Bedeutung der zeitlichen Anforderungen der Elternschaft für die finanziellen Konsequenzen einer Geburt. Argumentativer Ausgangspunkt ist wie gezeigt die Tatsache, dass die Realisierung des Kinderwunsches und die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in signifikantem Umfang Lebenszeit in Anspruch nehmen und daher beide Lebensbereiche stark um die zeitlichen Ressourcen der Haushaltsmitglieder konkurrieren. Erst aufgrund dieses Vereinbarkeitsproblems muss ein Haushalt zugunsten der Kindererziehung auf ein Erwerbseinkommen verzichten. Im Kehrschluss bedeutet dies aber auch, dass sich die geburtsbedingten Einkommensverluste in solchen Gesellschaften verringern, in denen Beruf und Familie vereinbar sind. Hierfür ausschlaggebend ist die adäquate Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsmöglichkeiten, mit der teilweise erklärt werden kann, dass Länder mit einer hohen Erwerbsbeteiligung von Müttern auch eine hohe Fertilität aufweisen, während in Ländern mit einer geringen Erwerbsbeteiligung von Müttern eine geringere Fertilität zu beobachteten ist (Seyda, 2003; Bertelsmann Stiftung, 2002). Da in Deutschland aber nur wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder unter einem Jahr vorhanden sind bzw. für Neugeborene nur selten (1%) überhaupt eine außerfamiliäre Betreuung von den Eltern gewünscht wird (vgl. Kapitel 3: 77ff.), sind kurzfristige Einkommensverluste aus einer Erwerbstätigkeit kaum zu vermeiden. Zwar fallen mit den Einkommensverlusten gleichzeitig geburtsbedingte Einkommenszugewinne in Form von staatlichen Transferzahlungen an. Deren Höhe reicht allerdings selten aus, um die aus der Einschränkung der Erwerbstätigkeit resultierenden Verluste zu kompensieren (vgl. Kapitel 3: 69ff.). Entscheidend für die vorliegende Arbeit ist also letztlich
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die Tatsache, dass Kindererziehung und Erwerbsarbeit in einem vergleichsweise kurzen, zugleich aber wichtigen und Weichen stellenden Lebensabschnitt um die knappen zeitlichen Ressourcen der Eltern konkurrieren, weswegen mit einer Kindergeburt kurzfristige Einkommensverluste verbunden sind. Bedeutung der Paarperspektive: Insbesondere sozialpsychologische und austauschtheoretische Ansätze geben allerdings zahlreiche Hinweise darauf, dass geburtsbedingte Einkommensverluste, trotz der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Deutschland, nicht quasi zwangsläufig auftreten (müssen). Nur wenn ein Haushalt aufgrund einer Erziehungsarbeit tatsächlich auf ein Erwerbseinkommen verzichten muss, kann dieser Verlust der Geburt des Kindes zugeschrieben werden. Wenn (mindestens) ein Elternteil bereits vor der Geburt arbeitslos war oder aus anderen Gründen kein reguläres Erwerbseinkommen bezogen hat, muss der Haushalt nicht auf ein Erwerbseinkommen verzichten. Folglich wäre eine potenzielle schlechte ökonomische Lage nach der Geburt nicht auf das Kind, sondern auf die bereits vor der Geburt vorhandenen geringen Arbeitsmarktchancen eines Elternteils bzw. eine schlechte konjunkturelle Lage19 zurückzuführen. Der geburtsbedingte Verlust eines Erwerbseinkommens ist demzufolge auf Paarhaushalte begrenzt, in denen beide Elternteile vor der Geburt erwerbstätig waren. Ist ein Elternteil nicht erwerbstätig, so ist bei rational agierenden Akteuren nicht zu erwarten, dass der erwerbstätige Partner sein Arbeitsverhältnis zugunsten der Kindererziehung einstellt, obwohl bereits ein Elternteil erwerbslos ist und somit kein haushaltsbezogener Zeitkonflikt zwischen der Erwerbsarbeit und der Kindererziehung besteht. Geburtsbedingte Einkommensund damit verbundene Wohlstandseinbußen sind also nur erwartbar, wenn beide Eltern vor der Geburt gleichzeitig erwerbstätig waren. Kalenderjahr der Geburt und Einkommenseffekte: Beachtet man das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern, dann muss auf makrosoziologischer Ebene allerdings auch berücksichtigt werden, dass in der Folge des sozialen Wandels und der Modernisierung der Gesellschaft heute tatsächlich häufiger beide Partner gleichzeitig vor der Geburt erwerbstätig sind. Insbesondere im jungen und mittleren Erwachsenenalter, das traditionell mit der Familiengründung verbunden ist, gehen aufgrund der bildungsbedingten gestiegenen weiblichen Erwerbsbeteiligung und der konstant hohen männlichen Erwerbsquote regelmäßig beide Partner einer Erwerbstätigkeit nach (sog. DINKS: „Double Income No Kids“). Für die durchschnittlichen sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten 19 Insbesondere die Bedeutung der konjunkturellen Lage, d. h. der allgemeinen und speziellen Nachfrage nach Arbeitskräften ist ein Schwachpunkt der vorgestellten ökonomischer Theorien der Fertilität, da im Rahmen der Opportunitätskostenanalyse angenommen wird, dass Mütter grundsätzlich erwerbstätig sein könnten, also auch eine stetige Nachfrage nach Arbeitskraft seitens der Arbeitgeber besteht.
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ist also insbesondere die Bildungsexpansion von Bedeutung, da sie die starke Erwerbsbeteiligung der Frauen in modernen Gesellschaften überhaupt erst ermöglicht hat (vgl. Hradil, 2001). Überdies hat die Bildungsexpansion die durchschnittlichen Kosten der Kindergeburt erhöht, da aufgrund des gestiegenen Humankapitals ebenfalls die durchschnittlichen Erwerbseinkommen der Frauen gewachsen sind. Das Vereinbarkeitsproblem zwischen Familie und Karriere hat sich damit im Zeitverlauf einerseits auf immer mehr Haushalte ausgeweitet und andererseits durch die Steigerung der Löhne nochmals verstärkt. Ferner ist mit Blick auf die mit dem Kalenderjahr gestiegenen geburtsbedingten Einkommensrisiken wichtig, dass dieses Risiko zusätzlich immer schlechter durch staatliche Transferzahlungen abgesichert wurde, insofern die finanziellen Leistungen des Staates in keiner Weise den beschriebenen gesellschaftlichen und insbesondere sozioökonomischen Trends gefolgt sind und die staatlichen Leistungen keine auch nur annährende Anpassung an die allgemeine Einkommens- und Preisentwicklung erfahren haben (vgl. Kapitel 3: 69ff.). Aufgrund der gestiegenen Erwerbsbeteiligung und -löhne der Frauen sowie der relativ stagnierenden Transferleistungen im Zeitverlauf, ist deshalb davon auszugehen, dass die sozioökonomischen Folgen der Fertilität mit dem Kalenderjahr der Geburt gestiegen sind. Bedeutung des Genderaspektes: Warum aber ist bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit von Mutter und Vater die Erwerbstätigkeit der Frau von übergeordneter Bedeutung für die wirtschaftlichen Folgen der Geburt? Diese Frage wird in den Sozialwissenschaften vor dem Hintergrund vom mindestens zwei Ansätzen diskutiert (Grunow et al., 2007). Die Mehrzahl der Autoren verweist dabei auf die ausgeprägten Rollenbilder in der Bundesrepublik, die letztendlich für die Schlechterstellung der Mütter gegenüber den Vätern verantwortlich gemacht werden (vgl. Walther & Schaeffer-Hegel, 2007; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2005b; Clement & Rudolph, 2003). Allerdings gerät dieses rollentheoretische Konzept zunehmend an seine Grenzen, da eine strikt geschlechtsspezifische Rollenverteilung in vielen Partnerschaften nicht mehr durchsetzbar ist. Aus diesem Grund werden neben dem Rollenansatz zunehmend rationale Kalküle der Eltern bezüglich der innerfamiliären Arbeitsteilung zur Erklärung der Benachteiligung der Frau herangezogen. Nach dem austauschtheoretischen Ansatz gibt z. B. jeweils der Partner mit den geringeren Erwerbschancen und -einkommen seine Erwerbstätigkeit auf. Falls also die Erwerbs- und Einkommenschancen des Mannes größer sind als die der Frau, wird er erwerbstätig bleiben, während sie sich auf die Hausarbeit konzentriert. Falls die Frau bessere Einkommenschancen hat, ist es genau umgekehrt. Da Frauen empirisch besehen zumeist jünger als ihre Partner (Klein, 1996) und damit weniger in ihrer Seniorität fortgeschritten sind, haben sie aber auch in dieser Perspektive die „schlechteren Karten“ und müssen – wenn ein Kind geboren wird – bei gleichzeitiger Er-
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werbstätigkeit „zurückstecken“ und ihr Arbeitsverhältnis einstellen. Die Realisierung einer (politisch mittlerweile häufiger geforderten) paritätischen Aufteilung der Erziehungsaufgaben zwischen Müttern und Vätern stößt also nicht nur auf Hindernisse auf der Einstellungsseite (traditionelle Rollenbilder), sondern würde auch beträchtliche (Opportunitäts-)Kosten verursachen (vgl. hierzu ausführlicher Hufnagel, 2002). Alter und Humankapital der Eltern zum Geburtszeitpunkt: Vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung der Erwerbstätigkeit der Mutter für die Folgekosten der Geburt muss ergänzend berücksichtigt werden, dass in den letzten Jahrzehnten ein nennenswerter Aufschub der Kindergeburten hin zu höheren „Mütteraltern“ stattgefunden hat (vgl. Kapitel 2: 15ff.). Neben der gestiegenen Dauer, die Frauen heute im Bildungssystem verbringen, hat hierzu maßgeblich die Tatsache beigetragen, dass die weibliche Erwerbsphase aufgrund der besseren Arbeitsmarktchancen in zunehmendem Maße unmittelbar an die Ausbildungsphase angeschlossen wird. Begründbar ist dies z. B. laut der biografischen Theorie, mit der höheren Unverbindlichkeit der Berufstätigkeit für den gewünschten individuellen Lebensplan, während eine (frühzeitige) Festlegung auf Kinder alternative Lebenswege oftmals verstellt (Birg, 1992). Eine vorgeburtliche Erwerbstätigkeit reduziert demnach das Risiko biografischer Fehlentscheidungen, andererseits äußert sie sich damit aber gleichzeitig auch in höheren Opportunitätskosten aufgrund der höheren einkommensrelevanten Berufserfahrung vor der Geburt. Insofern der Aufschub der Geburt in höhere Lebensalter also das Resultat der längeren Ausbildungsphasen (Institutionseffekt) und der hierdurch verbesserten Erwerbsbeteiligung und Einkommenschancen ist (Niveaueffekt), dann steigen mit dem Lebensalter der Mutter bei der Geburt des Kindes die Opportunitätskosten der Kindererziehung. Damit werden Geburten zunehmend verhindert und es entsteht Kinderlosigkeit oder im Fall einer Geburt sind die Folgekosten der Geburt vergrößert. Diese mit dem Lebensalter bei der Geburt steigenden Erwerbskosten sind selbstredend mit denjenigen Faktoren verbunden, die einen (z. T. altersabhängigen) Einfluss auf die Lohnhöhe der Frauen haben. Im Rahmen ökonomischer Theorien handelt es sich dabei klassischerweise um Merkmale der individuellen Humankapitalausstattung, also um ökonomisch nutzbare Aspekte von Bildung, Ausbildung und Leistungsmotivation (vgl. Schultz, 1986). Im Hinblick auf die erwerbsbezogene Entlohnung sind dabei nach wirtschaftswissenschaftlicher Auffassung insbesondere formal erworbene Bildungszertifikate und die Berufserfahrung der Individuen von Bedeutung, da mit deren Niveau die Chance auf eine lohnende Erwerbsmöglichkeit steigt und folglich das akkumulierte Humankapital genutzt werden kann, um hohe Erwerbseinkommen zu generieren. Dementsprechend steigen mit wachsender Humankapitalausstattung die Opportunitätskosten
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der Kindererziehung an, weshalb bei höherer Bildung und steigender Seniorität der Frau konsequenterweise mit höheren erwerbsbezogenen Einkommenskonsequenzen im Geburtsfall zu rechnen ist. Ordnungszahl der Geburt und Einkommenseffekte: Neben den bisher angesprochenen Zusammenhängen ist eine weitere zentrale These dieser Arbeit die Abnahme der geburtsverursachten Erwerbsverluste mit steigender Ordnungszahl der Geburt. Dabei ist klar, dass die Ordnungszahl der Geburt nicht unmittelbar einen Einkommenseffekt zur Folge hat. Allerdings ist über die Ordnungszahl der Geburt das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern vor der Geburt des Kindes vermittelt und damit ein Stückweit auch der resultierende Einkommenseffekte der Geburt. Anknüpfungspunkt diesbezüglicher Überlegungen ist die aus der biographischen Theorie der Fertilität abgeleitete Vermutung, dass insbesondere erste Kinder eine langfristige biografische Festlegung bedeuten, welche die Handlungsalternativen zukünftiger (erwerbsbezogener) Entscheidungen bedeutsam einschränkt. Neben dem biografischen Ansatz verweist auch die Austauschtheorie darauf, dass insbesondere die Entscheidung zum ersten Kind konfliktträchtig ist, da vor allem hier eine zum Teil langfristig bindende familiäre Arbeitsteilung ausgehandelt wird, in deren Rahmen ein Partner seine Erwerbstätigkeit einstellt. Die Geburt weiterer Kinder ist demgegenüber „kostengünstiger“, da weitere Einschränkungen der Erwerbsarbeitszeit und Karrierebeschränkungen immer kleiner werden und der Umfang der Erwerbseinschränkung sowie die zeitliche Dauer der zusätzlich erzwungenen Erwerbseinschränkung sinken. Nachdem einmal eine Festlegung der Eltern auf ein erstes Kind und damit zumeist gegen eine (ununterbrochene) Erwerbstätigkeit eines Elternteils erfolgt ist, hat sich die virtuelle Erwerbsbiografie bereits soweit reduziert, dass der zusätzliche Verzicht auf ein Erwerbseinkommen durch die Entscheidung für ein weiteres Kind nur noch wenig relevant ist. Die Tatsache, dass in den meisten Haushalten mit einem Kind mindestens ein Elternteil bereits vor der Geburt des zweiten Kindes nicht (mehr) erwerbstätig ist, kann allerdings auch damit begründet werden, dass die Entscheidung, eine Erwerbstätigkeit nach der Geburt des ersten Kindes (wieder) aufzunehmen, maßgeblich von der angestrebten Gesamtfertilität abhängt. Wird von den Eltern mehr als ein Kind gewünscht, ist unter rationalen Gesichtspunkten zu erwarten, dass die Geburt weiterer Kinder weitgehend gezielt in die bereits durch das erste Kind initiierte Phase der Erwerbslosigkeit eingepasst wird, um den Konflikt zwischen Erwerbs- und Familienrolle nicht erneut durch den Verlust beruflicher Optionen „anzuheizen“ (vgl. Schmitt, 2007). Für diese These spricht der Befund, dass die Familienerweiterung ein sequenzieller Prozess ist, bei dem die Geburten in relativ kurzen Abständen (1-3 Jahre) aufeinander folgen (vgl. Kapitel 2: 27ff.). Der sog. Kompressionseffekt, also die immer schnellere Abfolge der Geburten inner-
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halb eines engen Zeitfensters, ist somit Ausdruck der zeitlichen Passung der Geburten in den Lebensverlauf. De facto ist die Erwerbsbeteiligung der Mutter vor der Geburt eines Kindes damit umso niedriger, je höher die Ordnungszahl der Geburt ist. Die im Durchschnitt in Rechnung zu stellenden Verluste aus entgangenem Arbeitseinkommen sind deshalb bei der Geburt des ersten Kindes am höchsten, da hier eine Einschränkung der Erwerbstätigkeit erzwungen wird und die zeitliche Dauer bzw. der Umfang einer weiteren Einschränkung mit jeder weiteren Geburt abnimmt. Zusätzlich zu diesen erwerbsbezogenen Prozessen muss im Hinblick auf die Ordnungszahl des Kindes aber auch berücksichtigt werden, dass einige staatliche Transferleistungen in Abhängigkeit von der Rangfolge der Kinder gezahlt werden. Insbesondere das Kindergeld ist mit steigender Ordnungszahl der Kinder mit steigenden Zahlungen verbunden (vgl. Kapitel 3: 69ff.). Berücksichtigt man diese Tatsache zusätzlich dazu, dass bei der Familienerweiterung nur selten Erwerbseinkommensverluste auftreten, dann besteht sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das verfügbare Haushaltseinkommen (nicht die Wohlstandsposition!) sogar wieder ansteigt. Auf jeden Fall aber werden mögliche geburtsbedingte Einkommensverluste mit steigender Ordnungszahl der Geburt kleiner, da die zweite und mehr noch die dritte Geburt weniger indirekte Kosten nach sich ziehen als Erstgeburten. Die Differenzen der Einkommenseffekte bezüglich der Ordnungszahl der Geburten sind damit in erster Line die Folge erwerbsbezogener Fertilitätskonsequenzen. Ordnungszahl der Geburt und Armutsbetroffenheit: Bei der Ermittlung des geburtsbedingten Armutsrisikos ist neben der Einkommensveränderung in Folge des Geburtsereignisses der Bezug zum Ausgangsniveau des Haushaltseinkommens vor der Geburt bedeutsam. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt die Armutsgrenzen durch ein Ereignis unterschreitet, ist dabei allgemein gesprochen umso höher, je niedriger das verfügbare Haushaltseinkommen vor dem Ereignis war. Da mit steigender Kinderzahl bekanntermaßen das Wohlstandsniveau der Haushalte sinkt (vgl. Kapitel 3: 29ff.), muss also mit der Anzahl der bereits vor der Geburt in einem Haushalt lebenden Kinder das Armutsrisiko steigen. Selbst wenn die Einkommenseinbußen bei der Geburt des ersten Kindes am höchsten sind, kann aufgrund des hohen Ausgangsniveaus von kinderlosen Paarhaushalten vor der Geburt des Kindes davon ausgegangen werden, dass ein geburtsbedingter Verarmungsprozess mit steigender Ordnungszahl der Geburt wahrscheinlicher wird. Das geburtsbedingte Armutsrisiko eines Familienhaushaltes steht also nicht – wie häufig vermutet – in einem positiv korrelierten Zusammenhang mit den geburtsbedingten Einkommensrisiken: denn während die Einkommensrisiken mit der Ordnungszahl des Kindes sinken, sollte das Verarmungsrisiko aufgrund der niedrigeren finanziellen Ausgangslage kinderreicher Familien mit der Ordnungszahl der Geburt ansteigen.
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Einkommensschicht, Opportunitätskosten und Einkommenseffekte: Die bisherigen Einschätzungen der ökonomischen Folgen von Kindergeburten geben einen guten Eindruck von den im Bevölkerungsdurchschnitt erwartbaren Einkommenseffekten, jeweils in Abhängigkeit von Erwerbsstatus, Alter und Humankapital der Eltern sowie von der Ordnungszahl und dem Kalenderjahr der Geburt. Neben diesen wichtigen Bestimmungsfaktoren sind die sozioökonomischen Verhältnisse nach der Geburt aber nicht zuletzt von den Haushaltsressourcen vor der Geburt abhängig, d. h. es wird vermutet, dass sich die geburtsbedingten Einkommenseffekte in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einer Einkommensschicht unterscheiden. Dabei liegt es nahe anzunehmen, dass die Einkommensverluste umso höher sind, je höher das Ausgangsniveau ist. Ein Grund hierfür können die in höheren Einkommenslagen vorhandenen höheren Erwerbslöhne sein, die während der Kinderbetreuung nicht verdient werden. Die Einkommensverluste würden demnach mit steigendem Ausgangsniveau wachsen, da es mehr zu verlieren gibt. Allerdings besteht auch Anlass zu der Vermutung, dass der Zusammenhang von Einkommensniveau und geburtsbedingten Einkommensverlusten nicht linear verläuft, sondern unter Umständen einen umgekehrt u-förmigen Verlauf aufweist, d. h. dass die Einkommenseinbußen zunächst mit dem Haushaltseinkommen vor der Geburt zunehmen, dieser Verlust dann aber in den höchsten Einkommensschichten wieder abnimmt. Ausgangspunkt einer solchen Überlegung ist die bereits angesprochene Hypothese von Leibenstein, nach der es bei den Opportunitätskosten weniger auf den Verdienstausfall der Mutter durch die Kindererziehung ankommt, sondern vielmehr darauf, welche Kosten durch substitutive Dienste für die Kinderbetreuung während der Erwerbstätigkeit der Mutter entstehen (vgl. Leibenstein, 1974). Kombiniert man dieses Argument mit der gegebenen höheren Wahrscheinlichkeit, dass bei geringem Haushaltseinkommen vor der Geburt seltener beide Eltern gleichzeitig erwerbstätig sind, dann ist davon auszugehen, dass in den unteren Einkommensschichten seltener Opportunitätskosten anfallen, da häufiger mindestens ein Partner z. B. aufgrund der konjunkturellen Arbeitsmarktlage, eines niedrigen Bildsniveaus oder aus beiden Gründen nicht erwerbstätig ist und deshalb geburtsbedingte Einkommensverluste unwahrscheinlich sind. Dennoch mögliche geburtsbedingte Einkommensverluste werden in niedrigen Einkommensschichten zudem dadurch gedämpft, dass die Grundsicherungssysteme des Sozialstaates einen gewissen Mindestwohlstand garantieren, der die (armen) Familien wieder auf ihr bereits vor der Geburt bestehendes niedriges Ausgangsniveau hebt. In den mittleren Einkommensschichten sind dagegen die Einkommen bereits zu hoch um solche zusätzlichen Sozialtransfers zu ermöglichen und aufgrund der höheren Erwerbschancen sind häufiger beide Eltern erwerbstätig, weshalb Opportunitätskosten vorhanden sind, die im Fall einer Geburt auch in Kauf genommen werden
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müssen. Dies gilt prinzipiell verstärkt auch für die höchsten Einkommensschichten. Allerdings besteht in den höchsten Einkommensgruppen die Möglichkeit, die potenziellen Verluste aus einer Erwerbsarbeit gerade aufgrund des hohen Erwerbseinkommens, z. B. durch die Anstellung einer Tagesmutter zu externalisieren. Aus ökonomischer Sicht wäre dies sinnvoll, sobald die Differenz aus dem vakanten Erwerbseinkommen und dem Lohn für eine Tagesmutter größer ist als die Summe der kompensierenden staatlichen Transferzahlung. Das heißt, bevor ein hohes Erwerbseinkommen aufgegeben wird, wird möglicherweise ein gewisser Anteil dieses Erwerbseinkommens nach der Geburt darauf verwendet, eigene Zeitressourcen für die Erwerbstätigkeit durch den Zukauf von Kinderpflegeleistungen z. B. seitens einer Tagesmutter freizusetzen (vgl. Huinink & Konietzka, 2007). Gemäß dieser Annahme wären dann die Verluste in den mittleren Einkommensschichten am höchsten, da diese (im Gegensatz zur Unterschicht) Opportunitätskosten haben und sie gleichzeitig (im Gegensatz zur Oberschicht) nicht dazu in der Lage sind, d. h. nicht über genügend Einkommen verfügen, diese Opportunitätskosten zu externalisieren. Deshalb ist davon auszugehen, dass geburtsbedingte Einkommensverluste mit dem Ausgangsniveau des Wohlstandes steigen und dieser Betrag in den hohen Einkommensschichten wieder abnimmt.
4.2.2 Bedarfseffekte durch die Geburt eines Kindes Neben den behandelten geburtsbedingten Einkommenseffekten fallen durch eine Geburt ebenfalls direkte Kosten für den angemessen Lebensunterhalt des Kindes an. Die hierfür aufgewendeten monetären Mittel stehen den anderen Haushaltsmitgliedern entsprechend nicht mehr zur Verfügung, weshalb die geburtsbedingte familieninterne Neuverteilung der Haushaltsressourcen mit einer Wohlstandsreduktion der bisherigen Haushaltsmitglieder verbunden ist. Im Gegensatz zu den allokativen Faktoren, d. h. den beschriebenen Einkommenseffekten, zeichnet sich der angesprochene Bedarfslageneffekt dadurch aus, dass er automatisch bei jeder Geburt auftritt. Während Einkommenseffekte, wie gezeigt, nur unter bestimmten Voraussetzungen erwartbar sind (beide Eltern müssen vor der Geburt erwerbstätig sein), fallen die Lebensunterhaltskosten universell an, da jedes Kind bereits von Rechts wegen zu versorgen ist. Ordnungszahl der Geburt und Bedarfseffekte: Ebenso wie die Analyse der Einkommenseffekte ist die Betrachtung der Bedarfslageneffekte nur unter Beachtung der Ordnungszahl der Geburt sinnvoll. Dabei ist anzunehmen, dass erste Kinder höhere Kosten verursachen als zweite Kinder und zweitgeborene mehr „kosten“ als drittgeborene Kinder. Zur Begründung dieses Zusammenhanges können vor allem haushaltstheoretische Überlegungen herangezogen werden, die
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von Spareffekten bei der Geburt zweiter und weiterer Kinder ausgehen. Die direkten Kosten des ersten Kindes sind demnach höher, weil mit steigender Kinderzahl im Haushalt die Konsumausgaben je Kind abnehmen. Diese Einsparungen werden z. B. durch die Weiternutzung von Wohnfläche, Mobiliar, Kleidung und Spielsachen seitens der jüngeren Geschwister hervorgerufen, die bereits für das erste Kind angeschafft worden sind. Zusätzlich lassen sich bei den Ausgaben für Nahrungsmittel oder Hygieneartikel sog. Skaleneffekte, d. h. Kostenvorteile aufgrund von Mengenrabatten (z. B. durch Großpackungen) realisieren. Zusätzlich kann durch die Erziehung und Pflege des ersten Kindes bereits wertvolles Handlungswissen gesammelt werden, das möglicherweise Einsparungen bei sich wiederholenden Anschaffungen ermöglicht. In der Summe jedenfalls werden die Mehrkosten, die durch die Unterhaltskosten der Kinder auf die Haushalte zukommen, ebenso wie das Risiko auf ein Erwerbseinkommen verzichten zu müssen, mit steigender Kinderzahl kleiner. Sozialschicht und Lebensunterhalt der Kinder: In der Wohlstands- und Haushaltstheorie wurde unter dem Stichwort „Qualität der Kinder“ die Möglichkeit angesprochenen, dass die direkten Kinderkosten, z. B. in Form von ausreichenden Mahlzeiten, adäquater Kleidung und bildungsbezogenen Anforderungen im Zeitverlauf gestiegen sind. Grund hierfür sind die im Zuge der Modernisierung gestiegenen Erwartungen an die Sozialisation eines Kindes (vgl. Becker, 1960). Indirekt gibt diese Annahme aber auch Anlass zu der Vermutung, dass sich die Unterhaltskosten nicht nur allgemein erhöht haben sondern insbesondere im Hinblick auf die Schichtzugehörigkeit unterschiedlich ausgeprägt sind. Schichtspezifische Unterschiede dürften daraus resultieren, dass in Folge der höheren Sozialisationsstandards und -erwartungen in den oberen Schichten der Gesellschaft, dort auch mehr in die „Qualität“ der Kinder investiert wird. Das bedeutet, dass absolut (nicht unbedingt relativ) mehr für den Kindesunterhalt aufgewendet wird. Die Kosten für den Lebensunterhalt der Kinder steigen insofern mit dem Ausgangsniveau des Haushaltswohlstandes an, da die „Investitionen“ in die Kinder mit der Schichtzugehörigkeit steigen. Erst mit dieser These rechtfertig sich übrigens die Anwendung der relativen Bedarfsgewichte der OECD-Skalen.
4.2.3 Zusammenfassung der Forschungshypothesen Fasst man die bisher angestellten Überlegungen zusammen, dann sind für die geburtsbedingten Einkommens- und Wohlstandsveränderungen folgende Faktoren bedeutsam: (1) die Ordnungszahl der Geburt bzw. die damit verbundenen Lebensunterhaltskosten der Kinder, (2) die paarbezogene Erwerbssituation, (3) das Alter und das Humankapital der Mutter bei der Geburt des Kindes, (4) das
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Wohlstandsniveau des Haushaltes vor der Geburt sowie (5) das Kalenderjahr der Geburt. Folgende Annahmen lassen sich dabei aus der Kombination der bisher formulierten einkommens- und bedarflagenbezogenen Einzelannahmen ableiten: (H1a) Sowohl die indirekten Kosten (Einkommenseffekte) als auch die direkten Kosten (Bedarfseffekte) sinken in der Geburtenfolge, da vor der Erstgeburt häufiger beide Eltern überhaupt erwerbstätig und dann auch vollzeittätig sind sowie andererseits die Konsumausgaben je Kind, aufgrund von Spareffekten mit steigender Ordnungszahl der Kinder sinken. Der aus einer Geburt resultierende Einkommens- und Wohlstandsverlust ist also umso niedriger desto höher die Ordnungszahl der Geburt ist. (H1b) Das Armutsrisiko von Haushalten mit Kindern steigt hingegen mit jeder weiteren Geburt an. Denn je höher die Ordnungszahl der Geburt ist umso niedriger ist das wohlstandsbezogene Ausgangsniveau des Haushaltes vor der Geburt, weshalb bereits relativ geringere geburtsbedingte Wohlstandseinbußen ausreichen, um die relevante Armutsschwelle zu unterschreiten. (H2a) Geburtsbedingte Erwerbseinkommensverluste treten nur in Paarhaushalte auf, in denen beide Partner vor der Geburt erwerbstätig waren. (H2b) Ist dies der Fall, dann sind die Einkommensverluste umso höher, je höher das Alter der Mutter bzw. je höher ihre Bildung und Berufserfahrung war. (H2c) Aufgrund der im Zeitverlauf gestiegenen Bildung und Erwerbslöhne von Frauen sowie aufgrund des gestiegenen Alters bei der Geburt des Kindes und der relativ stagnierenden staatlichen Transferzahlungen sind die geburtsbedingten Einkommenseinbußen umso höher je höher das Kalenderjahr der Geburt ist. (H3) Letztlich steigen die Kosten für den Kindesunterhalt und die potenziellen Einkommensverluste mit dem Einkommensniveau vor der Geburt an. Allerdings besteht in den obersten Einkommensschichten die Möglichkeit Erwerbseinkommensverluste zu externalisieren und in den unteren Einkommensbereichen besteht die Möglichkeit diese Verluste durch sozialstaatliche Maßnahmen kompensieren zu können, während in den mittleren Einkommensschichten dieses Risiko weder ausreichend kompensiert noch externalisiert werden kann. Die Folgen der Geburt sind daher in den mittleren Einkommensschichten am höchsten.
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
In den vorausgegangenen Kapiteln sind die empirischen Fakten und theoretischen Aspekte betrachtet worden, die bisher zur Einschätzung der sozioökonomischen Lage von Familien vorliegen. Diese Ausführungen haben deutlich gemacht, dass ein großer Teil des aktuellen „Wissens“ über die sozioökonomischen Folgen der Geburt eines Kindes darauf beruht, dass die wirtschaftliche Lage der Familienhaushalte nach dem Eintritt eines Geburtsereignisses mit der wirtschaftlichen Lage der Haushalte verglichen wird, die dieses Ereignis nicht erfahren haben. Da jedoch gezeigt werden konnte, dass nicht alle Frauen und Männer mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein (weiteres) Kind realisieren, besteht ein Nachteil solcher Ex-post-facto-Vergleiche darin, dass Selektionseffekte nicht berücksichtigt werden können. Beispielsweise ist es nicht ausgeschlossen, dass die bisher im Querschnitt gemessene schlechtere sozioökonomische Lage von Familien auch dadurch zustande kommt, dass (weitere) Geburten eher von Paaren realisiert werden, die sich ohnehin in ökonomisch prekären Verhältnissen befinden. Um diesen potenziellen Fehlschluss zu vermeiden, liegt es nahe, statt eines Querschnittsvergleiches ein sog. Vorher-Nachher-Design zu wählen, bei dem die wirtschaftliche Lage der Familienhaushalte rund um das Geburtsereignis, also vor und nach der Geburt betrachtet wird. Erst damit lassen sich diejenigen (kurzfristigen) Veränderungen des Wohlstandsniveaus beobachten, die tatsächlich auf das Geburtsereignis zurückzuführen sind (vgl. Wooldridge, 2002; Allison, 1994). Im Vordergrund der nachfolgenden Analysen steht deshalb die längsschnittliche Untersuchung der sozioökonomischen Folgen von Kindergeburten. Dazu werden zunächst die methodischen und statistischen Grundlagen der Analysen vorgestellt (Abschnitt 5.1), wobei sowohl die Datenbasis und die Untersuchungspopulation erläutert (Abschnitt 5.1.1) als auch die verwendeten Messkonzepte und statistischen Verfahren beschrieben werden (Abschnitt 5.1.2). Im Anschluss an die Darstellung des datentechnischen Hintergrunds erfolgt im empirischen Hauptteil die Präsentation der gemessenen Wohlstandsveränderungen im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes (Abschnitt 5.2). Dabei werden zuerst Ergebnisse vorgestellt, die den Fragen nachgehen, inwieweit sich die wirtschaftlichen Folgen in Abhängigkeit von der Ordnungszahl der Geburt unter
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5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
scheiden (Abschnitt 5.2.1) und inwieweit das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern für die Wohlstandsveränderung von Bedeutung ist (Abschnitt 5.2.2). Daran anschließend geht es um die sozialpolitisch wichtige Frage, in welcher Weise sich die wirtschaftlichen Folgen einer Geburt bezüglich der ökonomischen Ausgangslage der Haushalte unterscheiden (Abschnitt 5.2.3). In allen drei Teilabschnitten werden jeweils Einkommens-, Wohlstands- und Armutsaspekte deskriptiv beleuchtet. Danach folgt die ausführliche Darstellung der multivariaten Fixed-Effekt-Panelregressionsmodelle (Abschnitt 5.2.4). Die eigenen Analysen enden mit einem Exkurs, der die Frage beantworten soll, inwieweit das im Jahr 2007 neu eingeführte Elterngeld die aufgedeckten sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt, innerhalb der aktuellsten in dieser Arbeit analysierten Kalenderjahre 2000 bis 2004, beeinflusst hätte (Abschnitt 5.2.5). Es wird also simuliert, welchen Einfluss das Elterngeld auf die dargestellten wirtschaftlichen Folgen der Geburten gehabt hätte, wenn es bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingeführt worden wäre.
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren 5.1.1 Datenbasis und Untersuchungspopulation Datenbasis: Empirische Grundlage der folgenden Analysen ist das Sozioökonomische Panel (SOEP), das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereitgestellt wird (vgl. Wagner et al., 2007; SOEP Group, 2001). Beim SOEP handelt es sich um eine Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland, die im jährlichen Rhythmus seit 1984 durchgeführt wird und kontinuierlich Mikrodaten für die wissenschaftliche Forschung bereitstellt. Neben konkreten Informationen zu den Erwerbs- und Familienbiographien der befragten Personen werden schwerpunktmäßig zahlreiche Daten zu Einkommensverläufen und zur Haushaltszusammensetzung erfasst. Von besonderem Vorteil für die vorliegende Fragestellung ist dabei das Paneldesign des SOEP. Im Unterschied zu Querschnittsuntersuchungen wie z. B. dem Allbus, bei denen sich die Befragungen im Zeitverlauf an wechselnde Personen richten, werden im SOEP die einmal erfassten Personen in jährlichen Intervallen wiederholt befragt. Das heißt, alle 16-jährigen und älteren Mitglieder der ausgewählten Haushalte werden im Kontext ihres Ursprungshaushaltes, oder nach Umzügen in andere Privathaushalte zusammen mit den Personen im neuen Haushalt weiterbefragt. Der Rückgriff auf die Daten des SOEP bietet damit die Möglichkeit, der Frage nach den wirtschaftlichen Folgen von Kindergeburten in geeigneter Form nachzugehen, da jeweils dieselben Personen bzw. Haushalte über einen längeren Zeitraum
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
105
hinweg beobachtet und somit relevante Entwicklungen der Haushalte im Vorlauf des Geburtsereignisses und im Anschluss daran verfolgt werden können. In der Urstichprobe des Kalenderjahres 1984 beteiligten sich am SOEP insgesamt 5.921 Haushalte mit 12.290 Personen. Nach 22 Befragungswellen im Jahr 2005 sind hiervon noch 3.635 Haushalte mit 6.572 Personen verblieben (Kroh & Spieß, 2006). Die Startstichprobe umfasst eine repräsentative Haushaltsstichprobe für die westdeutsche Bevölkerung des Jahres 1984 (Sample A) sowie eine disproportional geschichtete Stichprobe für Haushalte mit einem jugoslawischen, italienischen, griechischen, türkischen und spanischen Haushaltsvorstand (Sample B). Seit 1990 wird die Panelerhebung zudem um die fünf neuen Bundesländer ergänzt (Sample C). Hierzu wurden ursprünglich 4.453 Personen aus 2.179 Haushalten in Ostdeutschland befragt. Im Jahr 2005 gaben hiervon noch 3.304 Personen in 1.771 Haushalten Auskunft über ihre Lebenssituation. Seitdem wurde das SOEP im Jahr 1995 mit einer Teilstichprobe von Zuwanderern (Sample D) und im Jahr 1998 mit einer Ergänzungsstichprobe (Sample E) aktualisiert. Die Funktion der Ergänzungsstichprobe liegt hauptsächlich in der Stabilisierung der Fallzahl der Gesamtstichprobe. Hierzu wurden im Jahr 1998 insgesamt 1.056 Haushalte mit 1.910 Personen neu in die Befragung aufgenommen. Seit dem Jahr 2000 wird zudem eine Innovationsstichprobe (Sample F) gezogen, um auf Basis einer größeren Fallzahl bessere Analysen kleiner Teilgruppen der Bevölkerung zu ermöglichen. Mit demselben Ziel konnte im Jahr 2002 eine Haushaltsstichprobe mit Hocheinkommensbeziehern (Sample G) realisiert werden (vgl. für die Entwicklung der Fallzahlen der Stichproben Abbildung 15). Untersuchungspopulation: Ausgangspunkt für die Analysen sind alle Stichproben (Samples A-G) der Erhebungsjahre 1984-2005. Dabei wurden die Variablen KIDGEB01/03 aus dem BIOBIRTH-File des SOEP gewählt, um die relevanten Geburtsereignisse für die statistischen Analysen zu identifizieren. Diese Variablen enthalten alle ersten, zweiten und dritten Geburten der befragten Frauen, d. h. auch solche, die vor dem Beginn der Befragung des SOEP im Jahr 1984 realisiert worden sind. Da bei den folgenden Berechnungen allerdings die Einkommen im Jahr vor der Geburt mit denjenigen im Jahr nach der Geburt verglichen werden sollen, beschränkt sich die untersuchte Population auf Haushalte, in denen zwischen 1985 und 2004 Geburten aufgetreten sind, denn nur dann liegen die benötigten Einkommensangaben im SOEP vor. Damit werden in dieser Untersuchung Geburten und deren wirtschaftliche Konsequenzen für die Haushalte über einen Zeitraum von genau zwei Jahrzehnten verfolgt. Im Mittelpunkt der empirischen Analysen stehen Paarhaushalte mit Kindern, d. h. Haushalte, in denen Mutter und Vater zusammenleben. Die Folgen von Geburten in Alleinerziehendenhaushalten werden nicht analysiert, wohl wissend, dass die ökonomische Situation alleinerziehender Eltern von besonderer
106
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Abbildung 15: Querschnittliche Entwicklung der Interviews im SOEP 27500 Sample G 25000
Sample F Sample E
22500
Sample D Sample C
20000
Sample B Fallzahl (N)
17500
Sample A
15000 12500 10000 7500 5000 2500
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
1984
0
Kalenderjahr
Bei den Fallzahlen handelt es sich um die erfolgreich durchgeführten Interviews im jeweiligen Kalenderjahr (Nettostichprobe). Quelle: Kroh & Spieß, 2006. In dieser Quelle finden sich auch Angaben über die nicht erreichten Personen (Bruttostichprobe).
Problematik ist. Für valide Analysen der Gruppe der Alleinerziehenden sind jedoch zu wenige Geburtsereignisse im SOEP vorhanden. Die geringe Häufigkeit von Alleinerziehendenhaushalten mit einem Geburtsereignis ist dabei allerdings auch auf den Umstand zurückzuführen, dass häufig zum Zeitpunkt der Geburt der Partner noch im Haushalt lebte. Dies macht eine Analyse der geburtsbedingten ökonomischen Konsequenzen bei Alleinerziehenden schwierig, da unklar bleibt, inwieweit eine veränderte Wohlstandsposition nach der Geburt auf die Kindergeburt selbst oder auf die im Anschluss an die Geburt vollzogene Trennung der Eltern zurückzuführen ist (zu den Folgen von Trennung und Scheidung vgl. Andreß et al., 2003). Zugunsten der eindeutigen Identifizierbarkeit von Bedarfs- und Einkommenseffekten konnten weiterhin nur Haushalte mit Geburtsereignissen berücksichtigt werden, in denen sich die Haushaltsgröße zwischen dem Jahr vor und nach der Geburt nur dem Geburtsereignis entsprechend verändert hat (z. B. bei der Geburt des ersten Kindes in einem Paarhaushalt von zwei auf drei Personen). Dies trifft z. B. nicht auf Haushalte zu, in denen mehrere Paare
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
107
leben (Mehrgenerationenhaushalte) bzw. in denen nur ein Elternteil lebt (getrennt lebende Paare). Gleichfalls betroffen sind Haushalte, in denen mehr als ein Kind geboren wurde (Zwillingsgeburten) bzw. in denen aufeinander folgende Geburten im Jahresabstand realisiert worden sind, da hier die wirtschaftliche Situation im Geburtsjahr des n-ten Kindes mit der vorgeburtlichen Situation des n+1 Kindes vermischt ist. Die genannten Konstellationen bedingen eine Veränderung der Bedarfslage des Haushaltes, die untypisch für eine Kindergeburt ist, weshalb keine Identifikation der „idealtypischen“ Geburtseffekte möglich ist und diese Fälle daher ausgeschlossen werden. Unter Berücksichtigung der angesprochenen Restriktionen ist es letztendlich möglich gewesen, insgesamt 2.225 Geburtsereignisse zu identifizieren, d. h. Geburten, für die Angaben zum verfügbaren Haushaltseinkommen für das Jahr vor der Geburt und für das Jahr nach der Geburt vorhanden waren und bei denen die Eltern zu beiden analysierten Zeitpunkten, nämlich im Jahr vor und im Jahr nach der Geburt, gemeinsam in einem Haushalt lebten. Bei 890 der insgesamt 2.225 Geburtsereignisse handelt es sich um die Geburt des ersten Kindes, bei 982 Fällen um die Geburt des zweiten Kindes, und bei 353 Ereignissen um die Geburt des dritten Kindes (vgl. Tabelle 7). Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass bei einer längsschnittlichen Analyse der Daten des SOEP Selektionsprobleme im Zusammenhang mit der so genannten Panelmortalität auftreten können. Dabei handelt es sich um Personen, die frühzeitig aus dem Panel ausscheiden. Mögliche Gründe hierfür können beispielsweise der Tod der Befragungsperson, ein Umzug ohne Angaben zur neuen Adresse oder eine Interviewverweigerung sein (vgl. ausführlicher HaiskenDeNew & Frick, 2000). Diese Ausfallmöglichkeiten können bezüglich der Qualität und Repräsentativität der Daten ein Problem darstellen, insbesondere wenn im Hinblick auf den gewählten Untersuchungsgegenstand bestimmte Selektivitätsmuster vorherrschen, also relevante Personengruppen eher aus dem Panel ausscheiden als andere. In der vorliegenden Studie ist diese Problematik allerdings von nachgeordneter Bedeutung, da in der untersuchten Gruppe überwiegend relativ junge Personen enthalten sind (durchschnittliches Alter zum Zeitpunkt der Geburt bei Frauen 29,1 Jahre und bei Männern 32,0 Jahre), bei denen das Mortalitätsrisiko niedrig ist und bei denen bedingt durch das Geburtsereignis vergleichsweise stabile Familienverhältnisse und eine geringe räumliche Mobilität vorzufinden sind. Problematisch sind allein fertilitätsunspezifische Ausfälle die bereits im Vorlauf einer Schwangerschaft aufgetreten sind. Insofern diese Ausfälle einkommensbezogen sind, also z. B. gut situierte Personen/Haushalte eher aus dem Panel ausscheiden als andere, dann sind die Ergebnisse der Analysen zur Höhe der sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität wahrscheinlich noch unterschätzt.
108
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 7: Anzahl der Geburten in Paarhaushalten im SOEP 1985-2004 Anzahl der Geburtsereignisse Sample A
Sample B
Sample C
Sample D
Sample E
Sample F
Sample G
SOEP gesamt
Erstes Kind
134
26
-
-
-
-
-
160
Zweites Kind
135
50
-
-
-
-
-
185
Drittes Kind
56
34
-
-
-
-
-
90
Erstes Kind
152
44
13
-
-
-
-
209
Zweites Kind
154
60
22
-
-
-
-
236
Drittes Kind
44
18
9
-
-
-
-
71
Erstes Kind
130
39
51
12
1
-
-
233
Zweites Kind
133
67
49
23
3
-
-
275
Drittes Kind
30
28
13
11
1
-
-
83
Erstes Kind
104
35
61
17
16
54
1
288
Zweites Kind
113
37
40
14
9
64
9
286
Drittes Kind
32
19
16
10
3
27
2
109
Erstes Kind
520
144
125
29
17
54
1
890
Zweites Kind
535
214
111
37
12
64
9
982
Drittes Kind
162
99
38
21
4
27
2
353
Gesamt
1267
468
281
89
36
150
13
2225
Kalenderjahr und Geburt-Nr. 1985-1989
1990-1994
1995-1999
2000-2004
Alle Jahrgänge
Quelle: SOEP 1985 bis 2004 (Sample A-G)
5.1.2 Datenaufbereitung und statistische Verfahren Analytische Vorgehensweise: Für die Auswertungen war eine Aufbereitung der Daten des SOEP hin zu einem längsschnittlichen und geburtsereignisbezogenen Haushaltsdatensatz nötig. Dabei wurde der Datensatz für die deskriptiven Analysen in eine sog. „weite“ Form gebracht (alle Angaben in einer Haushaltszeile), während die Daten für die multivariaten Analysen in eine sog. „lange“ Form
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
109
umgearbeitet wurden (Angaben eines Kalenderjahres eines Haushaltes in einer Zeile). D. h. bei insgesamt zwei betrachteten Zeitpunkten pro Haushalt verdoppelt sich in den multivariaten Analysen die Fallzahl aufgrund des Splittings auf 4.450 Episoden. Für beide inhaltlich identische Datenstrukturen wurden die benötigten und relevanten Variablen zunächst über insgesamt 22 Befragungsjahre angeglichen, umkodiert und umstrukturiert. Zudem wurden die wichtigen Wohlstandsindikatoren auf Grund von Sensitivitätserwägungen immer für zwei Äquivalenzskalen (nämlich die neue und alte OECD-Skala) berechnet und zusätzlich wurde die hieraus resultierende Armutsbetroffenheit der Haushalte teilweise für die drei gängigen Armutsgrenzen (40, 50 und 60 Prozent) nachvollzogen. Um eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Folgen von Kindergeburten zu ermöglichen, ist dabei wie bereits angesprochen ein Vorher-Nacher Design vorgesehen (vgl. hierzu u. a. Kalwij, 2005; DiPrete & McManus, 2000; Andreß & Lohmann, 2000), bei dem die wirtschaftliche Situation konkreter Haushalte sowohl vor als auch nach dem jeweiligen Geburtsereignis erfasst wird, um so die gewünschten Längsschnittinformationen zu den sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt zu erhalten. Der Grund für diese Vorgehensweise liegt in der Tatsache, dass es wenig sinnvoll ist, sich allein auf das Jahr der Geburt zu beziehen, da im Geburtsjahr eine „Einkommensmelange“ aus Vorund Nach-Geburtssituation bezüglich der Haushaltseinkommen und Transferzahlungen besteht. Demgegenüber ist im Jahr vor der Geburt wohl noch kein Einfluss der Geburt auf die Einkommenssituation und die Erwerbsbeteiligung der (werdenden) Eltern zu erwarten, während im Jahr nach der Geburt bereits sämtliche geburtsbedingten Kosten und Zugewinne des Haushaltes berücksichtigt werden können. Das Vorher-Nacher Design gewährleistet damit, dass die wirtschaftliche Ausgangssituation der betroffenen Haushalte adäquat in die Analysen einbezogen werden kann. Nur durch einen solchen Zeitvergleich – so die Annahme – lässt sich das geburtsbedingte Wohlstandsrisiko präzise ermitteln. Darüber hinaus können durch einen solchen Vergleich all jene Haushalte/Eltern identifizieren und kontrolliert werden, die bereits vor der Geburt eines Kindes arm/erwerbslos waren und somit nicht durch die Geburt des Kindes in eine Armutslage/Arbeitslosigkeit geraten sind. Der Vorher-Nacher Vergleich erstreckt sich in der vorliegenden Arbeit über einen Zeitraum von drei Befragungsjahren (d. h. nur die kurzfristigen Konsequenzen der Geburt werden untersucht). Das Kalenderjahr, in dem die Geburt realisiert wurde, wird als Zeitpunkt t bezeichnet, das Jahr vor der Geburt mit t-1 und entsprechend das Jahr nach der Geburt mit t+1. Das bedeutet, dass die unterschiedlichen Geburtsereignisse, die in den verschiedenen Befragungswellen zwischen 1985 und 2004 stattgefunden haben, auf den Ereigniszeitpunkt t standardisiert werden, unabhängig davon, ob die Geburt z. B. im Kalenderjahr 1990 oder
110
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
2000 erfolgt ist. Eine Kontrolle von möglichen Periodeneffekten ist dennoch leicht durch den Einbezug des Kalenderjahres der Geburt in die Analysen möglich. Allerdings ist zu beachten, dass die Geburtsereignisse im Ereignisjahr nicht alle an einem Tag erfolgt sind. Mit der vorgenommenen Standardisierung werden also Geburten gemeinsam betrachtet, die im Extremfall fast ein ganzes Jahr auseinander liegen, wenn Geburten am 1. Januar eines Jahres und andere am 31. Dezember erfolgt sind. Dieser Sachverhalt ist selbstverständlich kritisch zu sehen, da der unterschiedliche zeitliche Abstand der Geburt zu den Einkommensmessungen im Jahr vor und nach der Geburt entscheidend für das Ausmaß der beobachteten ökonomischen Konsequenzen der Geburt sein kann. Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse sind deshalb möglicherweise unterschätzt, sofern zahlreiche Geburten bereits sehr früh im Jahresverlauf erfolgt sind, da die Ereignisse näher an der Einkommensmessung des Vorjahres liegen und deshalb eventuell die Resultate relevanter Verhaltensänderungen der Elternteile im Vorlauf des Geburtsereignis (z. B. eine Erwerbseinschränkung wenige Monate vor der Geburt) bereits enthalten sind und nicht als Effekt im Modell abgebildet werden können. Zusätzlich bedingt eine im Jahresverlauf zeitlich frühe Geburt eine Vergrößerung des Abstandes zur Einkommensmessung im Jahr nach der Geburt, weshalb die Chance steigt, dass eine mögliche Erwerbsbeschränkung bereits wieder rückgängig gemacht werden konnte und Einkommensverluste deshalb gar nicht beobachtet werden. Findet die Geburt umgekehrt nicht relativ früh, sondern relativ spät im Jahresverlauf statt, ergeben sich entgegengesetzte Zusammenhänge, die damit zu einer Überschätzung der Ergebnisse führen können. Bei annährender Gleichverteilung der Geburten über das Jahr hinweg ist in der vorliegenden Untersuchung davon auszugehen, dass die Einkommensmessungen nicht ein Jahr, sondern im Durchschnitt sechs Monate vor der Geburt (bei t-1) und achtzehn Monate nach der Geburt (bei t+1) zu verorten sind. Ausgehend von diesen durchschnittlichen zeitlichen Abständen der Datenmessungen vom Geburtsereignis kann man annehmen, dass Erwerbsbeschränkungen, die unmittelbar vor der Geburt eingetreten sind, in der Regel auch beobachtet wurden, da eine geburtsbedingte Einschränkung der Erwerbstätigkeit zumeist zwei bis drei Monate vor der Geburt geschieht (vgl. Kapitel 3: 64f.). In einigen Fällen ist aber eventuell die Erfassung unmittelbar vor der Geburt realisierter Erwerbsbeschränkungen nicht möglich gewesen, weshalb es zu einer Unterschätzung der ökonomischen Konsequenzen kommen kann. Zusätzlich lässt der durchschnittliche Zeitraum zwischen dem Geburtsereignis und der Einkommensmessung nach der Geburt auch eine unbeobachtete Wiederaufnahme einer geburtsbedingt eingeschränkten Erwerbstätigkeit zu, was ebenfalls zu einer Unterschätzung der Konsequenzen führt. Die folgenden Analysen zu den wirtschaftlichen Folgen von Kindergeburten sind daher insgesamt als eher konservativ einzuschätzen.
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
111
Nachdem die bis hierher ausgeführten Erläuterungen die Auswertungsstrategie der vorliegenden Arbeit verdeutlicht haben, sollen nachfolgend diejenigen statistischen Indikatoren vorgestellt und diskutiert werden, mit deren Hilfe die im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen empirisch überprüft werden können. Dazu werden zunächst die Zielvariablen der deskriptiven Analysen beschrieben. Im Anschluss daran werden die abhängigen und unabhängigen Variablen der multivariaten Analysen und das verwendete statistische Verfahren vorgestellt. Wohlstandsindikatoren: Ausgangspunkt der Untersuchung zur Bestimmung der sozioökonomischen Folgen der Geburt eines Kindes ist das zur Verfügung stehende monatliche Einkommen Y eines Haushaltes j. Eine separate Berechnung des Haushaltsnettoeinkommens (Yj) aus den Einzeleinkommen der Haushaltsmitglieder ist im SOEP nicht notwendig, da die Höhe des monatlich verfügbaren Haushaltseinkommens in jährlichen Intervallen direkt auf Grundlage der sog. Screener-Frage ermittelt wird: „Wenn man alles zusammennimmt: Wie hoch ist das monatliche Haushaltseinkommen aller Haushaltsmitglieder heute? Bitte geben Sie den monatlichen Nettobetrag an, also nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben. Regelmäßige Zahlungen wie Wohngeld, Kindergeld und BAföG, Unterhaltszahlungen usw. rechnen Sie bitte dazu! (Falls nicht genau bekannt: Bitte schätzen Sie den monatlichen Betrag.)“. Da, wie bereits angesprochen, alle Geburtsereignisse unabhängig vom Kalenderjahr des Ereignisses auf den Zeitpunkt t standardisiert und damit kumuliert werden, besteht allerdings ein Problem bei der Vergleichbarkeit der Haushaltsnettoeinkommen der verschiedenen Haushalte. Denn es werden mit der vorgenommenen Standardisierung Nominaleinkommen aus verschiedenen Jahren zusammengeführt, die aufgrund der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung eigentlich nicht vergleichbar sind. Deshalb werden die Haushaltseinkommen (Yj) auf Grundlage des Preisindex des Statistischen Bundesamtes (2006a) inflationsbereinigt. Vergleicht man nun dieses inflationsbereinigte Haushaltsnettoeinkommen Yj im Jahr vor der Geburt (t-1) mit dem Haushaltsnettoeinkommen Yj nach der Geburt (t+1), erhält man als resultierende Differenz bereits die geburtsbedingte Veränderung des Haushaltseinkommens (Yj). Dieser Indikator beschreibt die jeweils aus den potenziellen Verlusten eines elterlichen Erwerbseinkommens und den Zuflüssen von staatlichen Transferzahlungen resultierende Einkommensveränderung zwischen dem Jahr vor und dem Jahr nach der Geburt. Damit eignet sich dieser Messwert in den deskriptiven Analysen der Arbeit als Zielvariable, um den Einfluss verschiedener Faktoren auf den durchschnittlichen geburtsbedingten Einkommenseffekt einschätzen zu können.
'Y j
Y jt 1 Y jt 1
[1]
112
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Mittels geeigneter Annahmen über den Einkommensbedarf der einzelnen Haushaltsmitglieder und über Effizienzgewinne gemeinsamen Wirtschaftens im Haushalt kann aus dem berichteten Haushaltseinkommen Yj das Nettoäquivalenzeinkommen yj der Haushalte und seiner Mitglieder berechnet und damit der Bedarfslageneffekt der Geburt berücksichtigt werden. Grundlage der Berechnung des Äquivalenzeinkommens sind dabei die Bedarfsgewichte der neuen und alten OECD-Skala. Diese beiden Skalen wurden gewählt, weil sie die Berechnung einer Obergrenze (alte OECD-Skala) und einer Untergrenze (neue OECD-Skala) der sozioökonomischen Konsequenzen einer Geburt ermöglichen und somit das ganze Spektrum sinnvoller Ergebnisse deutlich machen (Münnich & Krebs, 2002). Beide Bedarfsskalen erzeugen vergleichsweise bessere Schätzwerte der tatsächlich auftretenden Ausgaben für Kinder als dies z. B. mit der BSHG-Skala oder mit der sog. Quadratwurzelmethode möglich ist. Die neue OECD-Skala bewertet die erste erwachsene Person mit dem Faktor von 1,0, weitere Personen ab 15 Jahren mit einem Gewicht von 0,5 und Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren mit einem Wert von 0,3. Die entsprechenden Gewichte der alten OECDSkala betragen für die erste Person 1,0, für Personen ab 15 Jahren 0,7 und für jüngere Haushaltsmitglieder 0,5 (OECD, 2005). Das bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen yj ist letztendlich eine Funktion des verfügbaren Haushaltseinkommens Y des entsprechenden Haushaltes j und der Summe der individuellen Bedarfsgewichte b der im Haushalt j lebenden Personen i, wobei die Höhe der Bedarfsgewichte bi von der zugrunde gelegten Äquivalenzskala abhängt. yj
Yj
[2]
n
¦b
ji
i 1
Die geburtsbedingte Veränderung des Äquivalenzeinkommens eines Haushaltes (yj), welche gleichzeitig die zweite Zielvariable der deskriptiven Analysen darstellt, ergibt sich entsprechend aus der Veränderung des Äquivalenzeinkommens zwischen dem Jahr nach der Geburt (t+1) und dem Jahr vor der Geburt (t-1). Im Gegensatz zur Veränderung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens (Yj) ist mit der Veränderung des Äquivalenzeinkommens (yj) zusätzlich zum fertilitätsbedingten Einkommenseffekt auch die Einschätzung der Bedeutung des Bedarfseffektes der Geburt möglich, weshalb dieser Indikator ein umfassendes Gesamtbild der geburtsbedingten sozioökonomischen Folgen erzeugt.
'y j
y tj1 y tj1
[3]
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
113
Um die geburtsbedingte Veränderung der wirtschaftlichen Lage der betroffenen Haushalte mit der sozioökonomischen Lage der Gesamtbevölkerung vergleichen zu können, wird ergänzend zu den bisher vorgestellten Indikatoren auch die relative Wohlstandsposition der Familienhaushalte gemessen. Die relative Wohlstandsposition w eines Haushalten j erhält man durch den Bezug des bedarfsgewichteten Nettoäquivalenzeinkommen y des Haushaltes j auf das durchschnittliche bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen aller deutschen Haushalte. Die Berechnung des durchschnittlichen gesamtdeutschen Nettoäquivalenzeinkommens erfolgt dabei in der vorliegenden Arbeit ausschließlich mit dem Median. So kann gewährleistet werden, dass die Extremwerte im oberen Bereich der Einkommensverteilung nicht so stark in die Mittelwertsbildung einfließen. Die Berechnung mit dem Median wird damit einem gesellschaftlich als „normal“ wahrgenommenen Einkommens- und Wohlstandsdurchschnitt eher gerecht (vgl. Kohl, 1992). Die relative Wohlstandsposition als Prozentsatz ergibt sich demnach wie folgt: wj
§ yj ¨ ~ ¨ y ©
· ¸ u 100 ¸ ¹
[4]
Die geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition eines Paarhaushaltes wj (die dritte Zielgröße der deskriptiven Analysen), kann nun als Prozentpunktdifferenz der relativen Wohlstandsposition zwischen dem Jahr nach der Geburt (t+1) und dem Jahr vor der Geburt (t-1) gemessen werden.
'w j
wtj1 wtj1
[5]
Als weiterer und ergänzender Indikator der wirtschaftlichen Lage wird zusätzlich die geburtsbedingte Armutsbetroffenheit der Familienhaushalte untersucht. Die hier berechnete relative Armut eines Haushaltes ist dabei durch das Unterschreiten bestimmter Fixpunkte der Wohlstandsverteilung charakterisiert. In dieser Arbeit werden alle drei gängigen relativen Armutsgrenzen, d. h. die 40-, 50- und 60-Prozentgrenze zur Analyse geburtsbedingter Armutsprozesse herangezogen. Das heißt, dass Haushalte als arm klassifiziert werden, deren Äquivalenzeinkommen zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich im Jahr vor der Geburt bzw. im Jahr nach der Geburt, unterhalb der oben genannten Anteilen des durchschnittlichen gesamtgesellschaftlichen Äquivalenzeinkommens liegt. Das vorrangige Ziel der Untersuchung besteht allerdings nicht darin, die zeitpunktbezogene Armutsbetroffenheit der Familienhaushalte zu ermitteln (wie es in Querschnittsuntersuchungen der Fall ist), sondern vor allem darin, den geburtsbeding-
114
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
ten Armutsprozess zwischen den beiden Zeitpunkten t-1 und t+1 zu analysieren. Die geburtsbedingte Verarmung eines Haushaltes lässt sich dabei als eine Wohlstandsreduktion zwischen diesen beiden Zeitpunkten verstehen, die mit einem sozialen Abstieg unter die genannten Armutsschwellen verbunden ist. Demgegenüber ist ein „Entarmungsprozess“ durch das geburtsbedingte Überschreiten dieser Armutsgrenzen charakterisiert. Die globale Verarmungsquote einer spezifischen Population ergibt sich damit als Anteil derjenigen Haushalte, die zum Zeitpunkt t-1 (gemäß der jeweils angelegten Armutsgrenze) nicht arm, jedoch zum Zeitpunkt t+1 von Armut betroffen waren, bezogen auf alle Haushalte der Population. Die Entarmungsquote errechnet sich entsprechend diametral zur Berechnung der Verarmungsquote. Unabhängige Variablen: Zur Erklärung der geburtsbedingten sozioökonomischen Konsequenzen werden mehrere personenbezogene und familiäre Merkmale aus dem SOEP betrachtet. Die Informationen zur Ordnungszahl der Geburt (erste bis dritte Geburt) und zum Kalenderjahr der Geburt konnten dabei direkt aus den im SOEP vorliegenden Variablen abgeleitet werden. Unter Berücksichtigung des Kalenderjahres der Geburt konnten zudem jeweils für die Zeitpunkte t-1 und t+1 das Alter der Eltern (in Jahren), der Erwerbstatus (erwerbstätig vs. nicht erwerbstätig) und der Umfang der Erwerbstätigkeit der Eltern (Teilzeit vs. Vollzeit) abgeleitet werden. Als erwerbstätig gilt dabei wer mindestens eine Stunde pro Woche einer Erwerbsarbeit nachgegangen ist. Als Teilzeitbeschäftigt gilt, wer mindestens 20 Stunden arbeitet. Vollzeittätig ist, wer mehr als 20 Stunden in der Woche erwerbstätig war. Zusätzlich zum Erwerbsprofil der Eltern wurde ein Indikator zur Berufserfahrung der Eltern konstruiert, d. h. zur Dauer der Betriebszugehörigkeit (in Jahren) sowie zur Bildung der Eltern mit den gängigen Bildungszertifikaten. Alle bildungsbezogenen Analysen wurden letztendlich mit den Ausprägungen „maximal Realschule“ und „mindestens Abitur“ durchgeführt. Neben den genannten unabhängigen Variablen wird als Unterscheidungskriterium auch das Ausgangsniveau des Haushaltseinkommens, d. h. das verfügbare Haushaltseinkommen vor der Geburt analysiert, um vor allem die Abhängigkeit der geburtsbedingten Einkommensveränderungen von den wirtschaftlichen Ressourcen, die ein Haushalt vor der Geburt hatte, deutlich zu machen. Um eine deskriptive Darstellung der Zusammenhänge zwischen dem Einkommensniveau vor der Geburt und den realisierten sozioökonomischen Konsequenzen durch die Geburt zu ermöglichen, wurden sog. Einkommensquartile gebildet, um die Haushalte den entsprechenden Einkommensniveaus zuordnen zu können. Eine Liste der verwendeten Daten mit der zugehörigen SOEP-Identifikation findet sich im Anhang in Tabelle 22. Statistische Verfahren: Zur Überprüfung der hergeleiteten Hypothesen werden sowohl einfache deskriptive Analysen als auch multivariate Modelle ver-
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
115
wendet. Bei den deskriptiven Analysen werden bivariate Zusammenhänge (teilweise kontrolliert für eine Drittvariable) in Form von Kreuztabellen präsentiert. Zielvariablen sind dabei die Veränderung des Haushaltseinkommens (Yj), die Veränderung des Nettoäquivalenzeinkommens (yj) und die Veränderung der relativen Wohlstandsposition (wj) sowie die Verarmungs- und Entarmungsquote. Zur Ermittlung der sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität in den multivariaten Analysen werden Fixed-Effects-Panelregressionsmodelle benutzt (Wooldridge, 2006; Halaby, 2004; Allison, 1994). Als abhängige Variablen dienen dabei (a) das absolute und das logarithmierte Haushaltseinkommen sowie (b) das absolute und das logarithmierte Nettoäquivalenzeinkommen. Die Logarithmierung der beiden Einkommensvarianten wurde –abgesehen von den bekannten methodischen Vorzügen – vorgenommen, um die Interpretation relativer Einkommensveränderungen zu ermöglichen. Das Fixed-Effects-Modell (FE-Modell) kommt zur Anwendung, da davon auszugehen ist, dass bei der Analyse der sozioökonomischen Effekte der Fertilität unbeobachtete Variablen (modelliert als Komponenten des Fehlerterms) mit der abhängigen und den unabhängigen Variablen des Regressionsmodells korreliert sind (Endogenitätsproblem). Mit einfacheren Modellen (z. B. Pooled-OLS) wird also die sog. Exogenitätsannahme verletzt (vgl. Greene, 2007; Wooldridge, 2006). Bei der Umsetzung in statistische Modelle „begegnen“ wir dem Endogenitätsproblem vor allem aufgrund von Selbstselektionseffekten. Ein „normales“ Regressionsmodell mit KleinstemQuadrate-Schätzer (KQ-Schätzer) bildet die sozioökonomischen Folgen der Fertilität also nur dann korrekt ab, wenn erstens keine Selektionseffekte bezüglich der Haushalte in eine Elternschaft vorliegen (Between-Person-Selection) und zweitens keine Heterogenität der relevanten Merkmale in intrapersoneller Perspektive über alle betrachteten Zeitintervalle besteht (Within-Person-Selection). „Between-Person-Selection“ steht für beobachtete und v. a. unbeobachtete Selektionseffekte, die zwischen Personen entstehen. Gemeint ist damit im vorliegenden Fall der Selektionseffekt von Personen in eine Elternschaft, d. h., dass sich Eltern vor allem hinsichtlich nicht beobachteter Variablen signifikant von Nicht-Eltern unterscheiden können (unbeobachtete Heterogenität). Beispielsweise hat das Vertrauen in die Stabilität einer Partnerschaft maßgeblichen Einfluss auf die Realisierung eines Kinderwunsches, wobei dieses Vertrauen stark mit den sozioökonomischen Merkmalen des Partners und des Haushaltes korreliert sein dürfte (vgl. Stauder, 2002). Zudem wird die Fertilitätswahrscheinlichkeit möglicherweise auch über das unbeobachtete Vermögen bzw. über die monetären Rücklagen der Familie gesteuert, welche nach einer Geburt sukzessive zugunsten von Einkommen aufgelöst werden. Andererseits hat sich zudem auch gezeigt, dass Personen, die im Jugendalter verstärkt materialistische Wertvorstellungen entwickeln, im späteren Lebensalter sowohl mehr verdienen als auch häu-
116
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
figer heiraten und eine Familie gründen als andere Personen (Johnson, 2005). Im Gegensatz zu diesen interpersonellen Selektionseffekten steht die „WithinPerson-Selection“ für Endogenitätsprobleme bei der intrapersonellen Betrachtung. Gemeint ist damit v. a ein Selektionsbias durch unbeobachtete Heterogenität, dergestalt, dass sich die Ausprägung eines unbeobachteten Merkmals ein und derselben Person systematisch hinsichtlich Vorgeburts- und Nachgeburtssituation unterscheidet und diese unbeobachtete zeitveränderliche Variable über die Jahre sowohl das (Haushalts-)Einkommen als auch die Fertilitätswahrscheinlichkeit beeinflusst. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn eine Heirat aufgrund von Steuervorteilen eine Erhöhung des Einkommens mit sich bringt und die Heirat gleichzeitig mit einer höheren Realisierungsquote von Kinderwünschen verbunden ist. Da beide genannten Selektionsunterschiede (between & within) mindestens im Hinblick auf die unbeobachtete Heterogenität in „normalen“ Modellen nicht durch entsprechende Variablen kontrolliert werden können, resultieren dabei systematisch verzerrte Schätzergebnisse (vgl. Heckman & Hotz, 1989). Mit einem Fixed-Effects-Modell kann dieses Endogenitätsproblem weitgehend behoben werden, da unbeobachtete zeitkonstante unabhängige Faktoren durch Differenzbildung herausgerechnet werden. Hierzu wird in Fixed-EffectsModellen als Ausgangspunkt angenommen, dass die Störkomponente keine Zufallsvariable ist, sondern systematische Komponenten enthält, die sowohl mit den unabhängigen als auch mit der abhängigen Variablen korrelieren. Ein Weg der Kontrolle ist deren Elimination aus dem Modell. Zu diesem Zweck bildet man ausgehend von Gleichung [6] für jede(n) Person/Haushalt i den intrapersonellen Mittelwert von y und x über die t Perioden und erhält Gleichung [7]: yit
D E1 xit E 2 z i Q i H it
[6]
D Exit Q i H it
[7]
y it
Da i ein personen-/haushaltsspezifischer Störterm ist, der über die t Perioden konstant ist, kann i nun eliminiert werden, indem die Gleichung [7] von der Gleichung [6] subtrahiert wird. Die Fixed-Effects-Spezifikation lautet somit:
y it
y it
x it
x it E H it H it
[8]
Da nun alle zeitkonstanten interpersonellen Effekte durch Elimination in dem Modell kontrolliert sind, besteht allerdings der Nachteil der FE-Methode darin, dass Effekte von zeitkonstanten Merkmalen nicht geschätzt werden können und Unterschiede der sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität be-
5.1 Datenstruktur, Messkonzepte und statistische Verfahren
117
züglich zeitkonstanter Variablen bzw. bezüglich Merkmalen vor der Geburt des Kindes nur in separaten Modellen (mit entsprechenden Subpopulationen) ermittelt werden können. Alternativ zum Fixed-Effects-Modell werden deshalb häufig sog. Random-Effects-Modelle (RE-Modelle) angewendet, bei denen auch die Effekte zeitkonstanter Merkmale geschätzt werden können. RE-Modelle können allerdings nur unter der Annahme angewendet werden, dass i unabhängig sowohl von it, als auch von allen unabhängigen Variablen xit ist. Sobald diese Annahmen über i verletzt sind, liefern die Schätzungen der RE-Modelle verzerrte und inkonsistente Ergebnisse. Welche Spezifikation ist nun aber im vorliegenden Fall vorzuziehen? Dass inhaltlich davon auszugehen ist, dass im Hinblick auf die sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität die Fixed-Effects-Spezifikation die adäquate Modellierungsstrategie ist, wurde bereits gezeigt (siehe Endogenitätsproblem). Daneben werden in der Literatur statistische Entscheidungshilfen bei der Wahl zwischen FE- und RE-Modell diskutiert. Hausman (1978) schlägt z. B. einen Test vor, um für die Signifikanz der Unterschiede zwischen RE- und FE-Schätzern zu testen. Der Hausman-Test stellt im Grunde genommen einen Test auf Fehlspezifikation des RE-Modells dar: Denn da die FE-Schätzer immer konsistent sind, dürfen die RE-Schätzer nicht signifikant von ihnen abweichen. Der Hausman-Test gibt also Auskunft darüber, ob die Differenzen zwischen den geschätzten Koeffizienten des FE- und des RE-Modells systematisch sind oder eben nicht. Das Ergebnis der vorliegenden Teststatistik ergab bei höchsten Signifikanzwerten, dass in diesem Fall systematische Unterschiede vorliegen: Die Schätzung des Fixed-Effects-Modells ist also am besten geeignet, um die sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt zu „diagnostizieren“. Problematisch bleibt damit aber die Tatsache, dass zeitkonstante Merkmale nicht geschätzt und daher nur in ihren jeweiligen Ausprägungen in verschiedenen Modellen gegenübergestellt werden können. Weiterhin verbleiben nach der Fixed-Effects-Spezifikation noch folgende methodische Probleme: Ein relativ geringes Problem sind Periodeneffekte, d. h. die abhängige Variable ändert sich (auch ohne Ereignis) in Abhängigkeit von der Erhebungsperiode (z. B. reale Einkommenssteigerungen). Zur Kontrolle von Periodeneffekten können jedoch Periodendummies in das Modell integriert werden (vgl. Brüderl, 2005; Wolf, 2005). Ein weiteres Problem besteht bei Unkenntnis über die zeitliche Abfolge von unabhängiger und abhängiger Variable und somit über die Kausalitätsrichtung eines Zusammenhangs (Simultanität). Bei den vorliegenden Berechnungen ist dieses Problem jedoch von nachgeordneter Bedeutung, da die Wahrscheinlichkeit einer relevanten intrapersonellen Einstellungsänderung innerhalb von nur drei Kalenderjahren gering ist. Ein weiteres Endogenitätsproblem ergibt sich zudem, wenn Messfehler aufgetreten sind. Zur Einschätzung der angesprochenen Probleme sei jedoch nochmals darauf hingewie-
118
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
sen, dass das Hauptproblem die unbeobachtete Heterogenität zwischen Personen ist, die ja durch die Fixed-Effects-Spezifikation gelöst wird. Es verbleiben somit lediglich drei deutlich niedriger zu bewertende Probleme, nämlich unbeobachtete intrapersonelle Heterogenität, Simultanität und Messfehler. Alle Berechnungen wurden mit S A S (Version 8.1) durchgeführt. Die gewählte Prozedur zur Schätzung des Fixed-Effects-Modells ist P R O C G L M . Eine gute und ausführliche Darstellung der hier gewählten formalen und technischen Vorgehensweise findet sich bei Greene (2007), Wooldridge (2002), Brüderl (2005) und mit Blick auf die Spezifikation des Fixed-Effects-Modells mit S A S bei Allison (2005). Simulation der Elterngeldbezüge: Zur Einschätzung der Effekte des Elterngeldes auf die sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt wird der Status quo der Haushalte mit Geburten zwischen den Jahren 2000 und 2004 den nunmehr geltenden Regelungen des Elterngeldes gegenübergestellt. Das heißt, dass die tatsächlich realisierten Einkommensdifferenzen (Yj) und Wohlstandsdifferenzen (yj) dieser Haushalte abzüglich des Erziehungsgeldes um den potenziellen Zufluss der Elterngeldzahlungen ergänzt werden (vgl. für ein ähnliches Vorgehen Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2006). Im Hinblick auf die Abzüge des Erziehungsgeldes wird zur Vereinfachung angenommen, dass alle betroffenen Haushalte den Regelbetrag von 300 Euro und nicht die „BudgetVariante“ von 450 Euro gewählt haben. Die simulierten Elterngeldbezüge ergeben sich entsprechend den Vorgaben des Elterngeldgesetzes (vgl. Deutscher Bundestag, 2006). Demnach erhält der betreuende Elternteil in der Regel Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des durch die Geburt wegfallenden Erwerbseinkommens, höchstens jedoch 1.800 Euro. Liegt die geburtsbedingte Einkommenseinbuße des betreuenden Elternteils unter 1.000 Euro im Monat, wird die Ersatzrate in kleinen Schritten von 67 Prozent auf bis zu 100 Prozent erhöht. Für je zwei Euro, die das entfallene Einkommen unter 1.000 Euro liegt, erhöht sich die Ersatzrate um 0,1 Prozentpunkte. Bei einem Erwerbseinkommensverlust von 700 Euro beträgt die Ersatzrate also statt 67 Prozent insgesamt 82 Prozent.20 Neben diesen einkommensabhängigen Komponenten enthält das Elterngeld aber auch einkommensunabhängige Leistungen. So erhalten auch nicht erwerbstätige Elternteile ein Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich (wie beim Erziehungsgeld). Familien mit mehr als einem Kind erhalten zudem einen Geschwisterbonus von 10 Prozent, mindestens aber 75 Euro im Monat. Bei zwei Kindern im Haushalt besteht Anspruch auf den erhöhten Betrag, bis das ältere Geschwisterkind drei Jahre alt ist. Bei drei u. m. Kindern genügt es, wenn zwei Geschwisterkinder das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben. § § 1000 700 · · ¸ u 0,1¸¸ 67 2 ¹ ©© ¹
20 ¨ ¨ ¨
82
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
119
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung stehen die empirischen Befunde zu den wirtschaftlichen Konsequenzen einer Kindergeburt. Dabei geht es zuerst um deskriptive Ergebnisse im Hinblick auf: (a) die absolute Veränderung des monatlich verfügbaren Haushalts- und Nettoäquivalenzeinkommens, (b) die Veränderung des relativen Wohlstandsniveaus und (c) das fertilitätsbedingte Armutsrisiko der Familien, wobei diese drei Gesichtspunkte jeweils mit Blick auf die Ordnungszahl der Geburt (Abschnitt 5.2.1), das paarbezogene Erwerbsverhalten der Eltern (Abschnitt 5.2.2) sowie das Ausgangsniveau der Einkommensressourcen vor der Geburt des Kindes (Abschnitt 5.2.3) diskutiert werden. Im Anschluss an die Präsentation der deskriptiven Befunde folgt die Darstellung der multivariaten Analysen. Hierbei werden FE-Regressionsmodelle vorgestellt, die den Einfluss möglicher Determinanten auf die geburtsbedingte Veränderung des verfügbaren Haushaltseinkommens sowie des Nettoäquivalenzeinkommens untersuchen und so eine Überprüfung der im vorangegangenen Theoriekapitel aufgestellten Hypothesen ermöglichen (Abschnitt 5.2.4). Der empirische Teil schließt mit der bereits angekündigten Simulation der Auswirkungen des Elterngeldes auf die sozioökonomischen Konsequenzen von Kindergeburten (Abschnitt 5.2.5).
5.2.1 Wohlstandsänderungen und Ordnungszahl der Geburt Bevor die durchschnittlichen Einkommens- und Wohlstandsveränderungen in Abhängigkeit von der Reihenfolge der Kinder in der Geburtenordnung beziffert werden, informiert Abbildung 16 zunächst darüber, welcher Anteil der Familien sich überhaupt durch eine Geburt schlechter stellt bzw. für wie viele Haushalte sich zwischen dem Jahr vor der Geburt und dem Jahr nach der Geburt keinerlei Veränderung oder sogar eine Verbesserung der sozioökonomischen Situation ergeben hat. Im Hinblick auf das verfügbare Haushaltseinkommen (Yj) zeigt sich, dass etwa 56 Prozent der Haushalte durch die Geburt des ersten Kindes eine Schlechterstellung ihrer Einkommenslage erfahren, während bei der zweiten und dritten Geburt noch etwa jeder vierte Familienhaushalt (26 Prozent bei der zweiten bzw. 22 Prozent bei der dritten Geburt) Einkommensverluste hinnehmen musste. Während also aus der Familiengründung mehrheitlich Einkommensverschlechterungen resultieren, entstehen bei der Familienerweiterung häufiger keine Einkommensveränderungen bzw. sogar Einkommenszugewinne. So ist im Jahr nach der Geburt des zweiten und des dritten Kindes, in mindestens 60 Prozent der Haushalte, und damit doppelt so häufig wie nach der Erstgeburt, das Haushaltsnettoeinkommen höher als im Jahr vor der Geburt.
120
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Abbildung 16: Geburtsbedingte Veränderung der sozioökonomischen Lage von Paarhaushalten nach der Ordnungszahl der Geburt 110% Verbesserung
keine Veränderung
Verschlechterung
100% 90%
26%
22%
Anteil der Haushalte
80% 70%
40% 56%
57%
14% 79%
60%
82% 18%
50% 40%
44%
50%
13%
24%
16% 14%
30%
60%
19%
65%
20%
6%
31% 10%
34%
42% 6%
16%
24%
32%
12%
0% Kind 1
Kind 2
Kind 3
Einkommensveränderung
Kind 1
Kind 2
Kind 3
Wohlstand - neue OECD-Skala
Kind 1
Kind 2
Kind 3
Wohlstand - alte OECD-Skala
Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
Betrachtet man demgegenüber die Wohlstandsveränderungen, d. h. sowohl die geburtsbedingten Einkommenseffekte als auch die zusätzlich auftretenden Bedarfslageneffekte der Kinder, die sich zusammen in der Veränderung des bedarfsgewichteten Nettoäquivalenzeinkommens (yj) ausdrücken, folgt aus allen Geburten in der Fertilitätsreihenfolge häufiger eine Verschlechterung der sozioökonomischen Lage der Familien. So sind nach den Berechnungen auf Grundlage der Bedarfsgewichte der neuen OECD-Skala etwa 79 Prozent der Haushalte durch die Geburt des ersten Kindes, 50 Prozent durch die Geburt des zweiten Kindes und immer noch 40 Prozent der Haushalte durch die Geburt des dritten Kindes von einer Verminderung des Nettoäquivalenzeinkommens betroffen. Trotz dieses hohen Anteils von Familien, die durch die Geburt eine wohlstandsbezogene Schlechterstellung erfahren haben, zeigt die Abbildung aber wiederum auch einen – mit steigender Ordnungszahl der Geburt – wachsenden Anteil von Familien, deren bedarfsgewichtetes Äquivalenzeinkommen sich durch die Geburt sogar verbessert hat. So hat sich bei 16 Prozent der betroffenen Haushalte durch die Geburt des ersten Kindes, bei 34 Prozent durch die Geburt des zweiten Kindes und bei 42 Prozent der Haushalte durch die dritte Geburt nicht nur das Haushaltseinkommen sondern auch das Äquivalenzeinkommen verbessert. Es ist also keinesfalls so – wie häufig implizit angenommen – dass nahezu jede Geburt
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
121
mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der betroffenen Haushalte verbunden ist. Den vorliegenden Daten zufolge kann nicht einmal davon ausgegangen werden, dass Einkommens- und Wohlstandsverluste der Regelfall sind. Haushalts- und Äquivalenzeinkommen & Ordnungszahl der Geburt: Welche absoluten Einkommens- und Wohlstandsveränderungen ergeben sich nun aber genau für die verschiedenen Geburtsereignisse? Die allesamt inflationsbereinigten Ergebnisse in Tabelle 8 zeigen, dass bezüglich der Veränderung des Haushaltseinkommens (Yj) nur die Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt mit einer Verschlechterung der ökonomischen Situation der betroffenen Familien einhergeht. Im Mittel aller betrachteten Jahrgänge (1985-2004) haben die Familien durch die Erstgeburt 168 Euro eingebüßt. Bei der Geburt zweiter und dritter Kinder im gleichem Zeitraum ist das Haushaltseinkommen dagegen nicht mehr gesunken, sondern sogar angestiegen: bei der zweiten Geburt im Durchschnitt um 177 Euro und bei der Geburt des dritten Kindes um 282 Euro. Bereits diese einfachen deskriptiven Daten verweisen damit auf die Abhängigkeit der geburtsbedingten Einkommensrisiken von der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge und plausibilisieren die angestellte Vermutung, dass die kurzfristigen geburtsbedingten Einkommensverluste mit steigender Ordnungszahl der Geburt sinken. Diese Vermutung wird insofern sogar übertroffen, da den durchschnittlichen Einkommensverlusten durch die Erstgeburt sogar steigende Einkommenszugewinne bei den nachfolgenden Kindergeburten gegenüberstehen. Berücksichtigt man zusätzlich zu diesen Einkommenseffekten die geburtsinduzierten Bedarfseffekte für den Lebensunterhalt des Kindes, ändert sich zwar das Niveau der geburtsbedingten Konsequenzen in nennenswerter Weise, jedoch verändert sich nichts an dem Zusammenhang zwischen Ordnungszahl der Geburt und sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität. Tabelle 8 zeigt hierzu die durchschnittliche Differenz des Nettoäquivalenzeinkommens (yj) zwischen dem Jahr vor der Geburt und dem Jahr nach der Geburt, jeweils auf Basis der Bedarfsgewichte der neuen und der alten OECD-Skala. Dabei gilt als Faustregel (für alle folgenden Betrachtungen), dass die geburtsbedingte Veränderung des Nettoäquivalenzeinkommens basierend auf der neuen OECD-Skala eher unterschätzt wird, da hier von niedrigen Bedarfslagen der Kinder ausgegangen wird, während die präsentierten Angaben für die alte OECD-Skala aufgrund der höheren Bedarfsgewichte eher eine Obergrenze der möglichen geburtsbedingten Veränderungen darstellen. Die empirische Anwendung beider Skalen führt aber, im Gegensatz zur Darstellung der ungewichteten Veränderungen des verfügbaren Haushaltseinkommens, dazu, dass nun alle Geburten von der ersten bis zur dritten Geburt im Durchschnitt mit einer Wohlstandsverschlechterung verbunden sind. So verringert sich das Nettoäquivalenzeinkommen gemäß der neuen OECD-Skala im Durchschnitt aller Jahrgänge um 349 Euro durch die Geburt des
122
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 8: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung des Haushaltsund Äquivalenzeinkommens nach der Ordnungszahl der Geburt Ordnungszahl der Geburt
Mittlere Veränderung des Haushaltseinkommens1) 2)
Yj (STD)
Mittlere Veränderung des Äquivalenzeinkommens1) 2) Nach neuer OECD-Skala
Nach alter OECD-Skala
yj (STD)
yj (STD)
Alle Jahrgänge Geburt 1. Kind
-168 €
(671,60)
-349 €
(436,85)
-384 €
(385,54)
Geburt 2. Kind
+177 €
(641,33)
-73 €
(335,91)
-103 €
(271,69)
Geburt 3. Kind
+282 €
(721,04)
-7 €
(307,78)
-33 €
(233,06)
1)
Inflationsbereinigt nach Preisindex des Statistischen Bundesamtes (2006a) zu Preisen 2000. Mittlere Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
ersten Kindes, um 73 Euro durch die Geburt des zweiten Kindes und noch um durchschnittlich sieben Euro durch die dritte Geburt. Dies impliziert, dass auch die aufgezeigten Einkommenszugewinne, die z. T. bei zweiten und dritten Geburten auftreten, nicht (ganz) ausreichen, um die neu entstandene Bedarfslage des Kindes auszugleichen. Letztlich wird aber auch in dieser Perspektive deutlich, dass die Geburt des ersten Kindes mit den höchsten Verlusten verbunden ist, während weitere Kinder mit steigender Ordnungszahl zunehmend geringere Wohlstandseinbußen verursachen. Relative Wohlstandsposition und Ordnungszahl der Geburt: Neben der Veränderung des absoluten Haushaltsnettoeinkommens bzw. des Nettoäquivalenzeinkommens der Haushalte ist die Betrachtung der geburtsbedingten Veränderung der relativen Wohlstandsposition interessant, denn dieser Indikator erlaubt durch den Bezug des Haushaltswohlstandes zum gesamtgesellschaftlichen Mittelwert zusätzlich die Einordnung der geburtsbedingten sozioökonomischen Veränderungen im Hinblick auf die Entwicklung aller bundesdeutschen Haushalte. Tabelle 9 zeigt hierzu differenziert nach der Ordnungszahl der Geburt jeweils die durchschnittliche relative Wohlstandsposition der Familien zum Zeitpunkt vor der Geburt (t-1) sowie nach der Geburt (t+1) und die innerhalb dieses Zeitraums erfolgte geburtsbedingte Prozentpunktveränderung der relativen Wohlstandsposition (wj). Die dargestellten Befunde bestätigen dabei den bereits aufgezeigten Zusammenhang zwischen der Ordnungszahl der Geburt und den Wohlstandskonsequenzen der Fertilität. Sowohl auf Grundlage der Berechnungen mit der neuen OECD-Skala als auch auf Basis der Berechnungen mit der
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
123
Tabelle 9: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition nach der Ordnungszahl der Geburt Ordnungszahl der Geburt
Relative Wohlstandsposition nach neuer OECD-Skala
Relative Wohlstandsposition nach alter OECD-Skala
wj (t-1)
wj (t+1)
wj 1)
wj (t-1)
wj (t+1)
wj 1)
Geburt 1. Kind
142%
104%
-38%
157%
105%
-52%
Geburt 2. Kind
105%
93%
-12%
108%
89%
-19%
Geburt 3. Kind
92%
87%
-5%
90%
80%
-10%
Alle Jahrgänge
1)
Mittlere Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
alten OECD-Skala ist die geburtsbedingte Verschlechterung der relativen Wohlstandsposition am deutlichsten bei der Geburt des ersten Kindes ausgeprägt, während die Geburt weiterer Kinder mit geringer werdenden Wohlstandspositionsverlusten einhergeht. Im Durchschnitt aller betrachteten Geburtsjahrgänge (1985-2004) verringert sich die relative Wohlstandsposition – gemäß den vorsichtigen Schätzungen auf Grundlage der neuen OECD-Skala – durch die Erstgeburt um 38 Prozentpunkte. Bei der zweiten Geburt reduziert sich die Wohlstandsposition um 12 Prozentpunkte und bei der dritten Geburt um fünf Prozentpunkte. Die berechneten Wohlstandsverminderrungen auf Grundlage der alten OECD-Skala fallen mit 52 Prozentpunkten für die Erstgeburt sowie 19 bzw. 10 Prozentpunkten für die zweite und dritte Geburt – aufgrund der größeren Bedarfslageneffekte – höher aus. Zusätzlich zu den geburtsbedingten Wohlstandspositionsverlusten gemäß der Ordnungszahl der Kinder ist allerdings auch der bereits vor der Geburt eines Kindes bestehende Wohlstandsunterschied der Haushalte interessant: Denn die realisierten Wohlstandspositionsverluste sinken zwar im Durchschnitt mit steigender Ordnungszahl der Geburt, diese geringer werdenden Verluste werden allerdings gleichzeitig mit steigender Ordnungszahl der Geburt von einem immer geringeren Ausgangsniveau aus realisiert. So beträgt die relative Wohlstandsposition der Haushalte vor der Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt 142 Prozent des gesamtgesellschaftlichen wohlstandsbezogenen Mittelwertes, während den Familienhaushalten vor der Geburt des zweiten Kindes im Durchschnitt noch 105 Prozent dieses mittleren Wertes zur Verfügung stehen und vor der Geburt des dritten Kindes noch 92 Prozent (gemäß den Berechnungen mit der neuen OECD-Skala). Dieser Befund eines sinkenden vorgeburtlichen Wohlstandsniveaus mit steigender Ordnungszahl der Geburt ist insofern von Bedeutung, da für
124
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
den fertilitätsbezogenen Armutsprozess nicht nur das Ausmaß des geburtsbedingten Wohlstandsverlustes entscheidend ist. Denn bei einem geringen Wohlstandsniveau der Familien vor der Geburt reichen möglicherweise auch nur äußerst geringe sozioökonomische Fertilitätskonsequenzen aus, um eine Armutsbetroffenheit zu erzeugen. Welche geburtsbedingten Armutsprozesse sich letztlich aus dem empirischen Zusammenspiel beider Bedingungsfaktoren – Wohlstandsverluste durch die Geburt und Wohlstandsniveau vor der Geburt – im Hinblick auf die Ordnungszahl des Kindes ergeben, sollen die folgenden Analysen klären. Geburtsbedingte Armutsprozesse & Ordnungszahl der Geburt: Um die Abhängigkeit des Ausmaßes der geburtsbedingten Armutsprozesse von der Geburtenordnung verdeutlichen zu können, wurden die relevanten Armutsmaße jeweils für drei gängige Armutsgrenzen berechnet. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Armutsbetroffenheit umso niedriger ist, je niedriger die relative Armutsgrenze angesetzt wurde. Beispielsweise beträgt die Armutsquote nach der Geburt des ersten Kindes – unter Bezugnahme auf die Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit der neuen OECD-Skala – rund sieben Prozent bei Anlegung der 60 %Armutsgrenze, ca. drei Prozent bei Anlegung der 50%-Armutsgrenze und noch ein Prozent bei Anlegung der 40%-Armutsgrenze. Im Hinblick auf die Interpretation des geburtsbedingten Armutsprozesses im Zusammenhang mit der Ordnungszahl der Geburt ist das Niveau der Armutsbetroffenheit je nach angelegter Armutsgrenze jedoch irrelevant, da sowohl die Richtung als auch das quantitative Ausmaß der beobachteten Unterschiede in Bezug auf die Ordnungszahl der Geburt bei jeder Grenzziehung relativ ähnlich ausgeprägt sind. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird deshalb im Folgenden nur noch der Armutsprozess gemäß der 50%-Armutsgrenze diskutiert. In welchem Zusammenhang stehen aber nun genau das fertilitätsinduzierte Armutsrisiko und die Ordnungszahl der Geburt? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die geburtsspezifischen Verarmungsquoten herangezogen werden, da nur sie die Zurechnung der geburtsbedingten Armutsbetroffenheit der Haushalte zu konkreten Geburten ermöglichen. Interpretiert man nur die Armutsquote nach der Geburt (wie es in Querschnittsstudien der Regelfall ist), überschätzt man möglicherweise das geburtsbedingte Verarmungsrisiko, da einige Haushalte bereits vor der Geburt arm gewesen sein können. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, mit der zeitpunktbezogenen Armutsquote das eigentliche Risiko zu unterschätzen, wenn z. B. der geburtsverursachte Verarmungsprozess durch Haushalte relativiert wird, die aufgrund der Geburt einer bestehenden Armutslage entkommen sind. Zur präzisen Beschreibung der geburtsverursachten Armutsprozesse gehört auf der Aggregatebene also die Darstellung sowohl der Verarmungs- als auch der Entarmungsquote. Die hierzu in Tabelle 10 abgebildeten Daten verdeutlichen, dass – trotz der im vorausgehenden Abschnitt aufgezeigten
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
125
Tabelle 10: Geburtsbedingte Armutsprozesse nach der Ordnungszahl der Geburt Armutsgrenze und Ordnungszahl
Nach neuer OECD-Skala Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote1) Entarmungsquote1)
40%-Armutsgrenze2) Geburt 1. Kind
0,9 %
1,1 %
0,9 %
0,7 %
Geburt 2. Kind
1,3 %
1,3 %
1,0 %
1,0 %
Geburt 3. Kind
1,4 %
4,0 %
4,0 %
1,4 %
Geburt 1. Kind
2,0 %
2,7 %
2,4 %
1,7 %
Geburt 2. Kind
3,0 %
4,6 %
3,6 %
2,0 %
Geburt 3. Kind
6,0 %
7,7 %
5,7 %
4,0 %
3,3 %
7,2 %
5,6 %
1,7 %
Geburt 2. Kind
7,2 %
11,1 %
7,4 %
3,5 %
Geburt 3. Kind
15,6 %
21,0 %
11,9 %
6,5 %
50%-Armutsgrenze2)
60%-Armutsgrenze2) Geburt 1. Kind
Armutsgrenze und Ordnungszahl
Nach alter OECD-Skala Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote1) Entarmungsquote1)
40%-Armutsgrenze2) Geburt 1. Kind
0,7 %
1,0 %
0,9 %
0,6 %
Geburt 2. Kind
1,1 %
1,6 %
1,3 %
0,8 %
Geburt 3. Kind
2,0 %
4,8 %
4,2 %
1,4 %
Geburt 1. Kind
1,2 %
2,6 %
2,3 %
0,9 %
Geburt 2. Kind
2,7 %
5,1 %
4,0 %
1,6 %
Geburt 3. Kind
6,5 %
12,2 %
8,8 %
3,1 %
50%-Armutsgrenze2)
60%-Armutsgrenze2) Geburt 1. Kind
2,3 %
7,3 %
6,4 %
1,4 %
Geburt 2. Kind
6,2 %
12,6 %
9,1%
2,7 %
Geburt 3. Kind
15,3 %
26,6 %
16,4 %
5,1 %
1)
Alle Angaben beziehen sich auf die Gesamtpopulation und nicht auf die Risikopopulationen.. Die angegebenen Armutsgrenzen beziehen sich auf das mediane Nettoäquivalenzeinkommen der deutschen Gesamtbevölkerung in den jeweiligen Kalenderjahren der Geburtsereignisse. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
126
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Verminderung der Wohlstandskonsequenzen in der Geburtenfolge – die Verarmungsquote mit steigender Ordnungszahl der Geburt ansteigt. So verarmen 2,4 Prozent der Haushalte durch die Geburt des ersten Kindes, 3,6 Prozent der Haushalte durch die Geburt des zweiten Kindes und 5,7 Prozent der Haushalte durch die dritte Geburt (Berechnung mit der neuen OECD-Skala und der Armutsschwelle bei 50 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens). Während also aufgrund des hohen Wohlstandsniveaus vor der Geburt des ersten Kindes die erheblichen Wohlstandsveränderungen durch die Geburt dieses Kindes nur selten zu Armut führen, verursachen die vergleichsweise marginalen Wohlstandsverluste bei der dritten Geburt aufgrund eines bereits vorgeburtlich häufig nur knapp über der Armutsgrenze liegenden Wohlstandsniveaus deutlich häufiger eine Armutsbetroffenheit. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass auch die Entarmungsquote, d. h. der Anteil der Haushalte die einer Armutslage entkommen konnten, mit der Ordnungszahl ansteigt. So konnte bei Zugrundelegung der Armutsgrenze bei 50 Prozent des gesellschaftlichen Durchschnittswertes insgesamt 1,7 Prozent aller Haushalte bei der Erstgeburt, 2,0 Prozent aller Haushalte bei der zweiten Geburt und 4,0 Prozent bei der Drittgeburt einer Armutslage entkommen, d. h. die Wohlstandsposition dieser Haushalte hat sich durch die Geburt auf ein Niveau oberhalb der Armutsschwelle verbessert. Auch dieser Befund verdeutlicht jedoch nichts anderes als die Bedeutung des vorgeburtlichen Wohlstandsniveaus für den fertilitätsbedingten Armutsprozess: Denn wenn mit sinkendem Wohlstandsniveau die Wahrscheinlichkeit steigt, die relevante Armutsgrenze aufgrund einer Geburt zu unterschreiten, dann ermöglichen andererseits auch geringe Wohlstandszugewinne manchen Haushalten, die bereits vor der Geburt knapp unterhalb der Armutsgrenzen lagen, das geburtsbedingte Entkommen aus der prekären Situation. Dass solche Haushalte auch existieren, die geburtsbedingte Einkommenszugewinne realisieren, wurde ja bereits gezeigt. Letztendlich sei jedoch angemerkt, dass die Entarmungsquote nie größer als die Verarmungsquote ist, Kindergeburten also häufiger zu Armut führen als umgekehrt aus einer Armutssituation herausführen.
5.2.2 Wohlstandsänderungen und Erwerbsprofil der Eltern Nachdem mit den bisher präsentierten Befunden deutlich wurde, welche finanziellen Folgen der Fertilität im Bevölkerungsdurchschnitt mit der Ordnungszahl der Geburt verbunden sind, stehen nun die geburtsbedingten Konsequenzen unter besonderer Beachtung des paarbezogenen Erwerbsprofils der Eltern im Vordergrund. Bevor aber die Ergebnisse zum Einfluss der Erwerbstätigkeit der Eltern auf die geburtsbedingten Einkommens- und Wohlstandsveränderungen sowie auf
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
127
Tabelle 11: Erwerbsbeteiligung der Eltern vor und nach der Kindergeburt a) Erwerbsstatus der Mütter Ordnungszahl der Geburt
Vollzeit erwerbstätig t-1
t+1
Teilzeit erwerbstätig t-1
t+1
Nicht erwerbstätig 1) t-1
t+1
Alle Jahrgänge Geburt 1. Kind
75,6%
6,0%
7,7%
8,9%
16,7%
85,1%
Geburt 2. Kind
12,7%
4,3%
22,8%
7,0%
64,5%
88,7%
Geburt 3. Kind
9,4%
4,3%
16,3%
5,4%
74,3%
90,3%
b) Erwerbsstatus der Väter Ordnungszahl der Geburt
Vollzeit erwerbstätig
Teilzeit erwerbstätig
Nicht erwerbstätig 1)
t-1
t+1
t-1
t+1
t-1
t+1
Geburt 1. Kind
88,0%
89,9%
1,4%
1,7%
10,6%
8,4%
Geburt 2. Kind
90,2%
90,6%
1,6%
1,1%
8,2%
8,3%
Geburt 3. Kind
88,8%
87,6%
1,5%
2,4%
9,8%
10,0%
Alle Jahrgänge
1) Unregelmäßig und geringfügig Beschäftigte werden zu den Nicht-Erwerbstätigen gezählt. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
die geburtsbedingten Armutsprozesse präsentiert werden, soll wiederum in einem ersten Schritt geklärt werden, wie hoch eigentlich der Anteil derjenigen Eltern bzw. Haushalte ist, in denen tatsächlich eine Verschlechterung der Erwerbssituation zwischen dem Jahr vor der Geburt und dem Jahr nach der Geburt stattgefunden hat bzw. in denen keine Veränderung der Erwerbstätigkeit erzwungen wurde. Hierzu enthält Tabelle 11 zunächst Informationen über den individuellen Erwerbsstatus der Mütter und Väter jeweils vor der Geburt eines Kindes (t-1) sowie im Anschluss an das Geburtsereignis (t+1). Diesen Daten zufolge verändert sich die Erwerbsbeteiligung der Väter zwischen dem Jahr vor und dem Jahr nach der Geburt kaum und liegt stabil bei etwa 90 Prozent. Frauen stellen hingegen vor allem nach der Geburt des ersten Kindes ihre Erwerbstätigkeit ein. So sinkt der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Folge der ersten Geburt von 83 Prozent auf 15 Prozent um insgesamt 68 Prozentpunkte, in Folge der zweiten Geburt von 36 Prozent auf 11 Prozent um 25 Prozentpunkte und im Anschluss an die Geburt des dritten Kindes von 26 auf 10 Prozent um 16 Prozentpunkte. D. h. mit steigender Ordnungszahl der Geburt vermindert sich erstens die Erwerbsquote der Frauen vor der Geburt des Kindes, weshalb zweitens die fertilitätsbeding-
128
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
ten Erwerbsveränderungen der Frauen mit steigender Ordnungszahl der Geburt geringer werden. Zusätzlich sind die mit steigender Ordnungszahl der Geburt immer seltener erwerbstätigen Frauen immer häufiger nur noch teilzeiterwerbstätig, während die erwerbstätigen Männer fast ausschließlich vollzeittätig sind. Bereits diese ersten einfachen Befunde legen daher die Vermutung nahe, dass einerseits die Erwerbstätigkeit und die Erwerbslöhne der Frauen maßgeblich entscheidend für die geburtsbezogenen Einkommenskonsequenzen sind und dass andererseits negative geburtsbedingte Einkommenseffekte in der Regel bei der Erstgeburt auftreten. Um diese Annahmen präziser eingrenzen zu können, muss zusätzlich zur individuellen Erwerbstätigkeit der Mütter und Väter vor allem das paarbezogene Erwerbsprofil der Haushalte betrachtet werden. Die Bedeutung des paarbezogenen Erwerbsprofils ergibt sich dabei aus der Annahme, dass erwerbsbezogene Einkommensverluste nur in Haushalten mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern auftreten sollten. Ist mindestens ein Elternteil bereits vor der Geburt nicht erwerbstätig, dann sind keinerlei Einkommensverluste zu erwarten. Um zunächst klären zu können, wie viele Haushalte als Doppelverdienerhaushalte einzustufen sind, zeigt Abbildung 17 die Anteile der verschiedenen Erwerbskombinationen der Eltern im Jahr jeweils vor und nach der Geburt des ersten, zweiten und dritten Kindes. Betrachtet man das paarbezogene Erwerbsprofil vor der Geburt, zeigt sich, dass in 75 Prozent der betroffenen Haushalte beide Eltern vor der Familiengründung erwerbstätig gewesen sind. Vor der Geburt des zweiten bzw. dritten Kindes gehen demgegenüber nur noch in 32 bzw. in 22 Prozent der Haushalte beide Eltern einer Beschäftigung nach. Das bedeutet im Kehrschluss, dass in 68 Prozent der Haushalte durch die Geburt des zweiten Kindes bzw. in 78 Prozent der Familien durch die Geburt des dritten Kindes keine erwerbsbezogenen Konsequenzen zu erwarten sind, da ja bereits ein Partner erwerbslos ist und dieser Elternteil daher die Kindererziehung aus rein zeitlichen Gründen problemlos übernehmen kann. Konzentriert man die Betrachtung zusätzlich auf das paarbezogene Erwerbsprofil nach der Geburt eines Kindes, fällt aber auch der beachtenswerte Umstand auf, dass unabhängig von der Ordnungszahl der Kindergeburt in jeweils etwa 10 Prozent der Haushalte auch noch ein Jahr nach der Geburt beide Eltern erwerbstätig sind. Es existieren in Deutschland demnach sehr wohl Haushalte, die eine erwerbsbezogene Schlechterstellung durch eine Kindergeburt vermeiden können. Abseits dieser positiv zu vermeldenden Zahl ist allerdings unmittelbar nach der Geburt des ersten, zweiten und dritten Kindes in acht von zehn Haushalten nur noch ein Elternteil erwerbstätig. Dabei handelt es sich, den bereits in Tabelle 11 gezeigten Ergebnissen zufolge fast ausschließlich um Haushalte mit einem vollzeittätigen Vater und einer nicht erwerbstätigen Mutter. Diese als traditionelle Arbeitsteilung bezeichnete Erwerbskonstellation ist nach
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
129
Abbildung 17: Kombinierte Erwerbsbeteiligung der Eltern vor und nach der Geburt des Kindes 110% Beide erw erbstätig
Einer erw erbstätig
Keiner erw erbstätig
100%
Anteil der Haushalte (in %)
90%
22%
80% 70% 63%
60%
71% 81%
50% 40%
83%
83%
75%
30% 20%
32% 22%
10%
12%
10%
8%
0% vor Geburt
nach Geburt
erstes Kind
vor Geburt
nach Geburt
zw eites Kind
vor Geburt
nach Geburt
drittes Kind
Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
der Erstgeburt jedoch vor allem auf die Aufgabe einer vorgeburtlich bestehenden mütterlichen Erwerbstätigkeit zurückzuführen, während die Mütter bei der zweiten und dritten Geburt i. d. R. bereits vor der Geburt nicht mehr erwerbstätig waren. In weniger als 10 Prozent der Haushalte ist nach einer Geburt überhaupt kein Elternteil erwerbstätig gewesen, was möglicherweise auf die schlechten Erwerbschancen der Eltern zurückzuführen ist. Aufgrund der Kindergeburt selbst besteht jedenfalls nur selten Anlass, dass beide Eltern eine Erwerbstätigkeit aufgeben und der Kindererziehung wegen zu Hause bleiben. Haushalts- und Äquivalenzeinkommen & paarbezogenes Erwerbsprofil: Welche geburtsbedingten Einkommens- und Wohlstandskonsequenzen ergeben sich nun im Hinblick auf das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern? Die dazu in Tabelle 12 präsentierten Ergebnisse machen deutlich, dass im Hinblick auf die Veränderung des Haushaltseinkommen der Familien (Yj) Einkommensverluste im Durchschnitt tatsächlich nur in Familienhaushalten anfallen, in denen beide Eltern vor der Geburt erwerbstätig waren. Dieses Ergebnis bedeutet damit eine weitere Präzisierung des bereits aufgezeigten Zusammenhangs zwischen der Ordnungszahl der Geburt und den sozioökonomischen Konsequenzen. So verursacht die Geburt des ersten Kindes eben nicht im Allgemeinen Einkommensverluste, sondern nur dann, wenn beide Eltern in den betroffenen Haushalten vor
130
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 12: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens nach dem Erwerbsprofil der Haushalte Erwerbsprofil und Ordnungszahl
Mittlere Veränderung des Haushaltseinkommens1) 2)
Yj (STD) Beide Eltern erwerbstätig
Mittlere Veränderung des Äquivalenzeinkommens1) 2) Nach neuer OECD-Skala
Nach alter OECD-Skala
yj (STD)
yj (STD)
3)
Geburt 1. Kind
-310 €
(627,70)
-455 €
(397,96)
-481 €
(348,28)
Geburt 2. Kind
-95 €
(691,78)
-238 €
(370,28)
-242 €
(300,78)
Geburt 3. Kind
+132 €
(966,05)
-104 €
(434,28)
-110 €
(325,41)
Ein Elternteil erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
+263 €
(605,30)
-35 €
(369,58)
-99 €
(317,80)
Geburt 2. Kind
+305 €
(588,56)
+1 €
(293,20)
-41 €
(232,91)
Geburt 3. Kind
+326 €
(595,85)
+18 €
(259,66)
-14 €
(197,44)
Kein Elternteil erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
+332 €
(582,62)
+48 €
(357,62)
-14 €
(308,30)
Geburt 2. Kind
+472 €
(455,20)
+134 €
(229,83)
+77 €
(184,96)
Geburt 3. Kind
+373 €
(488,16)
+86 €
(206,70)
+48 €
(157,64)
1)
Inflationsbereinigt nach dem Preisindex des Statistischen Bundesamtes (2006a) zu Preisen 2000. Mittlere Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). 3) Im Jahr vor der Geburt mindestens eine Stunde pro Woche erwerbstätig gewesen. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
der Geburt erwerbstätig waren. Entsprechendes trifft mit umgekehrten Vorzeichen auf die Geburt des zweiten Kindes zu; demnach fallen bei der zweiten Geburt nicht grundsätzlich Einkommenszugewinne an, sondern nur dann, wenn höchstens ein Elternteil oder gar kein Elternteil vor der Geburt erwerbstätig war. Die detaillierten Ergebnisse zeigen, dass in Doppelverdienerhaushalten durch die Geburt des ersten Kindes durchschnittlich Einkommensverluste in Höhe von 310 Euro anfallen, durch die Geburt des zweiten Kindes Verluste von 95 Euro, während bei der Geburt des dritten Kindes sogar Einkommenszugewinne in Höhe von 132 Euro anfallen (vgl. 1. Spalte v. Tabelle 12). Im Gegensatz hierzu entstehen in Haushalten mit höchstens einem vor der Geburt erwerbstätigen Elternteil immer Zugewinne durch eine Geburt. In Haushalten mit einem arbeitenden Elternteil bewirkt die Geburt des ersten Kindes ein Einkommensplus von 263 Euro, die Geburt des zweiten Kindes geht mit einem Zugewinn von 305 Euro und die Geburt des dritten Kindes von 326 Euro einher. Ist kein Elternteil er-
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
131
werbstätig, sind die Einkommenszugewinne noch einmal höher und betragen 332 Euro bei der ersten Geburt, 472 Euro bei der zweiten Geburt und 373 Euro bei der Geburt des dritten Kindes. Wie man sieht, ist also auch bei der Berücksichtigung des paarbezogenen Erwerbsprofils die Ordnungszahl der Geburt von erheblicher Bedeutung. Dieser Umstand ist in Paarhaushalten mit zwei erwerbstätigen Eltern wahrscheinlich auf den mit steigender Kinderzahl zunehmend eingeschränkten Umfang der Erwerbsarbeitszeit der immer noch erwerbstätigen Mütter vor der Geburt zurückzuführen, während die mit der Ordnungszahl der Geburt steigenden Einkommenszugewinne in Haushalten mit höchstens einem erwerbstätigen Elternteil demgegenüber wohl auf den Bezug kindesunabhängiger Sozialtransfers (z. B. Wohngeld) zurückzuführen sind. Denn wie bereits erläutert, wächst mit steigender Geburtenordnung die Armutsbetroffenheit, weshalb die einkommensschwachen Familien durch die Geburt zusätzlich eine Bezugsberechtigung für andere Sozialleistungen erwerben. Insgesamt bestätigen die vorliegenden Daten jedenfalls die Annahme, dass in Haushalten, in denen nicht beide Eltern vor der Geburt erwerbstätig waren, auch keine einkommensbezogenen Verluste durch die Geburt entstehen bzw. doch auftretende Einkommenseinbußen im Durchschnitt geringer sind als die realisierten Zugewinne aus Kinderund Erziehungsgeld (oder Steuerfreibeträgen für das Kind) sowie anderen geburtsinduzierten staatlichen Leistungen. Betrachtet man zusätzlich die Bedarfslageneffekte des Kindes, die sich zusammen mit den oben genannten Einkommenseffekten in der Veränderung des Nettoäquivalenzeinkommens (yj) ausdrücken, bestätigt sich abermals, dass die Lebensunterhaltskosten der Kinder die aufgezeigten Einkommensverluste zusätzlich dramatisieren bzw. die auftretende Einkommenszugewinne relativieren. Die immer wieder öffentlich formulierte Aussage, dass Kindergeburten in Deutschland grundsätzlich ein Einkommens- und Wohlstandsrisiko darstellen, ist dennoch nicht zutreffend: Im Ganzen trifft dies eigentlich nur auf Haushalte mit zwei erwerbstätigen Eltern zu. Am stärksten sind dementsprechend Haushalte bei der Familiengründung betroffen, da hier häufiger als sonst beide Eltern vor der Geburt erwerbs- und vollzeittätig sind. Relative Wohlstandsposition & paarbezogenes Erwerbsprofil: Die eben präsentierten Ergebnisse bestätigen sich auch, wenn die geburtsbedingte Veränderung des Äquivalenzeinkommens im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung in Deutschland betrachtet wird. Hierzu zeigt Tabelle 13 die zwischen dem Jahr vor und nach der Geburt resultierende Veränderung der relativen Wohlstandsposition (wj) gemäß den Berechnungen mit der alten und der neuen OECD-Skala. Auch in dieser Perspektive ergeben sich sehr hohe geburtsbedingte Wohlstandsverluste in Haushalten mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern, moderate Wohlstandsverluste in Haushalten mit einem erwerbstätigen
132
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 13: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition nach dem Erwerbsprofil der Haushalte Erwerbsprofil und Ordnungszahl
Relative Wohlstandsposition nach neuer OECD-Skala wj (t-1)
Relative Wohlstandsposition nach alter OECD-Skala
wj (t+1)
wj 1)
wj (t-1)
wj (t+1)
wj 1)
Beide Eltern erwerbstätig2) Geburt 1. Kind
157%
109%
-48%
173%
110%
-63%
Geburt 2. Kind
129%
101%
-28%
132%
97%
-35%
Geburt 3. Kind
110%
95%
-15%
107%
88%
-19%
Ein Elternteil erwerbstätig2) Geburt 1. Kind
101%
92%
-9%
113%
94%
-19%
Geburt 2. Kind
96%
91%
-5%
99%
88%
-11%
Geburt 3. Kind
91%
87%
-4%
89%
81%
-8%
Kein Elternteil erwerbstätig2) Geburt 1. Kind
75%
76%
+1%
82%
76%
-5%
Geburt 2. Kind
61%
69%
+8%
62%
67%
+5%
Geburt 3. Kind
53%
58%
+5%
51%
53%
+2%
1)
Mittlere Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). Im Jahr vor der Geburt mindestens eine Stunde pro Woche erwerbstätig gewesen. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
Elternteil und sogar marginale Wohlstandspositionszuwächse in Haushalten, in denen bereits vor der Geburt kein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Gemäß den Berechnungen mit der neuen OECD-Skala verringert sich die Wohlstandsposition in Doppelverdienerhaushalten um 48 Prozentpunkte bei der Geburt des ersten Kindes, um 28 Prozentpunkte bei der zweiten Geburt und um 15 Prozentpunkte bei der Geburt des dritten Kindes. Die entsprechenden Wohlstandsverschlechterungen in Haushalten mit einem erwerbstätigen Elternteil betragen neun, fünf und vier Prozentpunkte in der Geburtenreihenfolge vom ersten bis zum dritten Kind. Die Wohlstandsposition von Haushalten ohne erwerbstätige Erwachsene verbessert sich wie bereits gesagt und steigt um einen Prozentpunkt bei der Erstgeburt, um acht Prozentpunkte bei der zweiten und um fünf Prozentpunkte bei der dritten Geburt. Dieses Ergebnis zeigt deutlich, dass die staatlichen Leistungen nicht ausreichen, um geburtsbedingte Wohlstandsverluste in Haushalten mit erwerbstätigen Eltern zu vermeiden. Demgegenüber garantieren die Rahmenbedingungen für Geburten in Haushalten, in denen beide Eltern bereits vor der Geburt keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, bereits jetzt eine ausreichende Absicherung des fertilitätsbezogenen Wohlstandsrisikos.
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
133
Wiederum interessant für die Betrachtung der mit dem elterlichen Erwerbsprofil verbundenen geburtsbedingten Armutsprozesse ist das ebenfalls in Tabelle 13 dargestellte durchschnittliche Wohlstandsniveau der Haushalte vor der Geburt. Dabei wird unter Berücksichtigung der paarbezogenen Erwerbstätigkeit mehr noch als bei der einfachen Berücksichtigung der Ordnungszahl deutlich, dass einige Familien bereits vor der Kindergeburt extrem prekäre Wohlstandspositionen einnehmen. So beträgt die Wohlstandsposition der Haushalte, in denen beide Eltern bereits vor der Geburt nicht erwerbstätig waren, durchschnittlich 75 Prozent vor der Geburt des ersten Kindes, 61 Prozent vor der Geburt des zweiten Kindes und im Durchschnitt 53 Prozent vor der dritten Geburt (Berechnungen auf Grundlage der Bedarfsgewichte der neuen OECD-Skala). Demgegenüber nehmen Haushalte mit zwei erwerbstätigen Eltern im Jahr vor der Geburt grundsätzlich überdurchschnittliche Wohlstandspositionen ein, nämlich 157 Prozent vor der ersten Geburt, 129 Prozent vor der zweiten Geburt und 110 Prozent vor der dritten Geburt. Daher ist trotz der größten Wohlstandsverluste in Doppelverdienerhaushalten ein geburtsbedingtes Absinken in eine Armutslage aufgrund des hohen Wohlstandsniveaus vor der Geburt eher unwahrscheinlich. Während in den Haushalten, die sich bereits vor der Geburt nahe der Armutsgrenze bewegt haben, nur kleine Einkommensveränderungen ausreichen können, um entweder eine Armutsbetroffenheit herbeizuführen (Verarmung) oder aber einer bereits vorgeburtlich bestehenden Armutslage wieder zu entkommen (Entarmung). Geburtsbedingte Armutsprozesse & paarbezogenes Erwerbsprofil: Ein differenziertes Bild der Armutsbetroffenheit der Haushalte vor und nach der Geburt eines Kindes sowie der Verarmungsprozesse zwischen diesen beiden Zeitpunkten in Abhängigkeit vom paarbezogenen Erwerbsprofil der Eltern und der Ordnungszahl der Geburt zeigt Tabelle 14. Aus Zwecken der Übersichtlichkeit sind die Armutsprozesse ausschließlich bezüglich der relativen Armutsgrenze bei 50 Prozent des gesamtgesellschaftlichen Medianeinkommens dargestellt. Allerdings ändert sich an den hieraus abgeleiteten zentralen Befunden auch bei einer anderen Grenzziehung der Armutsschwelle nichts. Einzig das Niveau der Armutsbetroffenheit sinkt bei niedrigeren bzw. steigt bei höheren Armutsgrenzen. Insgesamt zeigen die hier dargestellten Daten, dass die Armutsquote im Jahr nach der Geburt umso höher ausfällt, je weniger Eltern vor der Geburt erwerbstätig waren und je größer die Ordnungszahl der Geburt ist. So beträgt die Armutsquote auf Grundlage der Berechnungen mit der neuen OECD-Skala zum Zeitpunkt t+1 in Doppelverdienerhaushalten ein Prozent nach der Geburt des ersten Kindes, vier Prozent nach der Geburt des zweiten und neun Prozent nach der Geburt des dritten Kindes. Die entsprechenden Zahlen z. B. in Haushalten mit zwei nicht erwerbstätigen Eltern betragen in der Reihenfolge der Geburten vom ersten bis zum dritten Kind 10 Prozent, 18 Prozent und 30 Prozent.
134
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 14: Geburtsbedingte Armutsprozesse nach dem Erwerbsprofil der Eltern Erwerbsprofil und Ordnungszahl
Nach neuer OECD-Skala (50%-Armutsgrenze)1) Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote2) Entarmungsquote2)
Beide Eltern erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
0,3 %
1,2 %
1,0 %
0,1 %
Geburt 2. Kind
0,0 %
3,8 %
3,8 %
0,0 %
Geburt 3. Kind
1,3 %
9,2 %
9,2 %
1,3 %
Ein Elternteil erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
4,0 %
5,1 %
5,1 %
4,0 %
Geburt 2. Kind
1,4 %
4,3 %
3,9 %
1,0 %
Geburt 3. Kind
4,6 %
5,4 %
3,8 %
2,9 %
Kein Elternteil erwerbstätig
3)
Geburt 1. Kind
20,0 %
10,0 %
10,0 %
20,0 %
Geburt 2. Kind
37,8 %
17,8 %
4,4 %
24,4 %
Geburt 3. Kind
39,1 %
30,4 %
17,4 %
26,1 %
Erwerbsprofil und Ordnungszahl
Nach alter OECD-Skala (50%-Armutsgrenze) 1) Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote2) Entarmungsquote2)
Beide Eltern erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
0,2 %
1,0 %
0,8 %
0,0 %
Geburt 2. Kind
0,0 %
4,0 %
4,0 %
0,0 %
Geburt 3. Kind
1,3 %
11,8 %
11,8 %
1,3 %
Ein Elternteil erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
1,7 %
5,1 %
5,1 %
1,7 %
Geburt 2. Kind
1,4 %
4,8 %
4,4 %
1,0 %
Geburt 3. Kind
4,6 %
9,6 %
7,5 %
2,5 %
10,0 %
15,0 %
Kein Elternteil erwerbstätig3) Geburt 1. Kind
15,0 %
10,0 %
Geburt 2. Kind
31,1 %
20,0 %
4,4 %
15,6 %
Geburt 3. Kind
43,5 %
47,8 %
17,4 %
13,0 %
1)
Die Armutsgrenze bezieht sich auf das mediane Nettoäquivalenzeinkommen der deutschen Gesamtbevölkerung im jeweiligen Kalenderjahr der Geburtsereignisse Alle Angaben beziehen sich auf die Gesamtpopulation und nicht auf die Risikopopulationen. 3) Im Jahr vor der Geburt mindestens eine Stunde pro Woche erwerbstätig gewesen. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
135
Wie bereits mehrmals vermerkt, kann mit diesen Armutsquoten allerdings nur bedingt etwas über den geburtsinduzierten Armutsprozess ausgesagt werden, denn die Armutsquote nach der Geburt hängt sowohl von der Armutsbetroffenheit der Haushalte vor der Geburt ab als auch davon, wie viele Haushalte tatsächlich durch die Geburt verarmt sind bzw. durch die Geburt einer Armutslage entkommen sind. Bei der Betrachtung der prozessorientierten Indikatoren, zeigt sich erwartungsgemäß, dass hohe Verarmungsquoten vor allem in Haushalten ohne erwerbstätige Eltern auftreten. D. h. abermals, dass die geburtsbedingte Armutsbetroffenheit nicht in den Haushalten mit den höchsten geburtsbedingten Wohlstandsverlusten am größten ist, sondern in den Haushalten, die bereits vor der Geburt in prekären ökonomischen Verhältnissen gelebt haben. Hierbei ist aber auch zu berücksichtigen, dass Geburten in den bereits vorgeburtlich einkommensschwachen Haushalten häufig sogar zu einer Reduktion der querschnittsbezogenen Armutsquote führen, da mehr Familien durch die Geburt einer Armutslage entkommen als in Armut geraten sind. Während z. B. durch die Geburt des ersten Kindes ca. 10 Prozent aller Haushalte ohne erwerbstätige Eltern verarmt sind, konnten gleichzeitig 20 Prozent dieser Haushalte durch die Geburt einer Armutslage entkommen. Bei der zweiten Geburt in solchen Haushalten beträgt die Verarmungsquote sogar nur etwa vier Prozent, während sich die globale Entarmungsquote auf rund 24 Prozent beläuft. Die bisherigen Befunde verdeutlichen also neben der Abhängigkeit der wirtschaftlichen Konsequenzen der Fertilität von der Ordnungszahl der Geburt und dem paarbezogenen Erwerbsprofil der Eltern immer wieder auch die immense Bedeutung des Einkommensniveaus der Haushalte vor der Geburt. Deshalb soll dieser Einflussfaktor im Folgenden noch genauer beleuchtet werden.
5.2.3 Folgen der Geburt in verschiedenen Einkommenslagen Um eine Darstellung der kurzfristigen wirtschaftlichen Folgen der Fertilität entsprechend des Einkommensniveaus der Haushalte zu ermöglichen, wurden sog. Quartile der Einkommensverteilung der Haushalte gebildet. Dabei wurden die Haushalte den Einkommensquartilen gemäß ihrem verfügbaren Haushaltseinkommen (Yj) zum Zeitpunkt (t-1) zugeordnet. Das 1. Quartil umfasst dabei die 25 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Haushaltseinkommen, während die Zugehörigkeit zum 4. Quartil entsprechend die 25 Prozent der Haushalte mit dem höchsten verfügbaren Haushaltseinkommen markiert. Da das Einkommensniveau ganz maßgeblich von der Anzahl der bereits im Haushalt lebenden Kinder bestimmt ist, wird die Ordnungszahl der Geburt in den Analysen wiederum mitberücksichtigt.
136
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Haushalts- und Äquivalenzeinkommen & Einkommensniveau der Familien: Zunächst steht wie in den vorangegangenen Abschnitten die durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung des verfügbaren Haushaltseinkommens sowie des Nettoäquivalenzeinkommens gemäß der Bedarfsgewichte der neuen und alten OECD-Skala im Vordergrund der Betrachtung. Dabei konnten für Familien im höchsten Einkommensquartil für die Geburt des dritten Kindes aufgrund geringer Fallzahlen keine Angaben gemacht werden. Für alle anderen Teilgruppen zeigt Tabelle 15, zunächst mit Blick auf die Veränderung des Haushaltseinkommens, dass ausgehend von erheblichen geburtsbedingten Einkommenszugewinnen im ersten Einkommensquartil ein mit steigendem Einkommensniveau stetig abnehmendes geburtsbedingtes Einkommensplus bzw. ein zunehmendes Einkommensminus zu beobachten ist. Während z. B. die Geburt des ersten Kindes im niedrigsten Einkommensquartil (1. Quartil) mit einer Verbesserung des Haushaltseinkommens von 429 Euro verbunden ist, geht die Erstgeburt im 2. Einkommensquartil bereits mit geringen Verlusten in Höhe von durchschnittlich zwei Euro bzw. im 3. Einkommensquartil mit Verlusten von 305 Euro einher. Im vierten und damit höchsten Einkommensquartil verursacht die erste Geburt einen Einkommensverlust von durchschnittlich 592 Euro. Diese Tendenz bestätigt sich auch bei der zusätzlichen Betrachtung der Lebensunterhaltskosten der Kinder. Auf Basis beider OECD-Skalen sinken die Wohlstandszugewinne bzw. steigen die geburtsbedingten Wohlstandsverluste in Folge der Geburt mit steigendem Einkommensniveau der Haushalte vor der Geburt an. So gewinnen gemäß der Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit der neuen OECD-Skala die Haushalte im 1. Einkommensquartil 108 Euro bei der Geburt des ersten Kindes hinzu. Im 2. Einkommensquartil fällt bei der Erstgeburt bereits ein Wohlstandsverlust von 204 Euro an, im 3. Einkommensquartil beträgt dieser Verlust 438 Euro und im vierten Quartil beachtenswerte 715 Euro! Bereits anhand dieser realisierten Verluste ist sicherlich einsehbar, warum sich mittlerweile so viele Haushalte, die der höchsten Einkommensschicht angehören, regelmäßig gegen eine Erstgeburt und damit gegen eine Familiengründung entscheiden. Innerhalb jedes Einkommensquartils zeigt sich zudem der bekannte Zusammenhang zwischen der Ordnungszahl und den sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt. Die höchsten Einbußen sind immer mit der ersten Geburt, die höchsten Zugewinne hingegen immer mit der dritten Geburt verbunden. Nur im 1. Einkommensquartil besteht dieser Zusammenhang nicht, hier gehen alle Geburten vom ersten bis zum dritten Kind mit Einkommenszugewinnen von mehr als 400 Euro zum Haushaltseinkommen bzw. ca. 100 Euro zum Äquivalenzeinkommen einher. Dass in der niedrigsten Einkommensschicht im Durchschnitt mit keiner Geburt Einkommens- und Wohlstandsverluste verbunden sind, ist wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass in diesen Haushalte zumeist nur
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
137
Tabelle 15: Durchschnittliche Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens nach dem vorgeburtlichen Einkommensniveau 1)
Ek-quartil und Ordnungszahl
Mittlere Veränderung des Haushaltseinkommens2) 3)
Yj (STD)
Mittlere Veränderung des Äquivalenzeinkommens2) 3) Nach neuer OECD-Skala
Nach alter OECD-Skala
yj (STD)
yj (STD)
1. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind
+429 €
(524,57)
+108 €
(299,14)
+38 €
(248,40)
Geburt 2. Kind
+415 €
(406,37)
+105 €
(179,79)
+53 €
(155,20)
Geburt 3. Kind
+405 €
(550,94)
+97 €
(229,83)
+57 €
(172,92)
Geburt 1. Kind
-2 €
(513,69)
-204 €
(291,48)
-245 €
(241,23)
Geburt 2. Kind
+239 €
(443,99)
-26 €
(215,44)
-61 €
(168,25)
Geburt 3. Kind
+288 €
(446,56)
+12 €
(185,54)
-15 €
(139,82)
Geburt 1. Kind
-305 €
(498,55)
-438 €
(284,01)
-462 €
(235,76)
Geburt 2. Kind
+111 €
(638,23)
-128 €
(306,54)
-153 €
(238,83)
Geburt 3. Kind
+152 €
(500,65)
-71 €
(222,87)
-84 €
(165,96)
Geburt 1. Kind
-592 €
(741,06)
-715 €
(457,50)
-734 €
(393,49)
Geburt 2. Kind
-312 €
(997,21)
-431 €
(536,34)
-419 €
(425,26)
Geburt 3. Kind
k.A.
2. Quartil (t-1)
3. Quartil (t-1)
4. Quartil (t-1)
-
k.A.
-
k.A.
-
1)
Die Quartile bzw. Quartilsgrenzen beziehen sich auf alle deutschen Haushalte. Die Familien sind den Gruppen entsprechend der Einkommenssituation ein Jahr vor der Geburt zugeordnet. 2) Inflationsbereinigt nach dem Preisindex des Statistischen Bundesamtes (2006a) zu Preisen 2000. 3) Durchschnittliche Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
ein bzw. gar kein Elternteil vor der Geburt erwerbstätig gewesen ist und somit für diese Haushalte durch die Geburt des Kindes keine Verluste sondern nur Einkommenszugewinne (durch die resultierenden staatliche Transferleistungen für die Familien) entstehen. Relative Wohlstandsposition & Einkommensniveau der Familien: Inwieweit mit den eben benannten monetären Veränderungen des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens zwischen dem Jahr vor der Geburt und dem Jahr nach der Geburt eine Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsposition (wj)
138
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
der betroffenen Haushalte verbunden ist, zeigt Tabelle 16. Interessant sind in diesem Zusammenhang abermals zwei Sachverhalte: einerseits die Veränderung der Wohlstandsposition durch die Geburt (wj) und andererseits das Wohlstandsniveau, von dem aus diese Veränderung realisiert wurde (wj [t-1]). Dabei zeigt sich entsprechend der Ergebnisse zu den absoluten monetären Veränderungen auch hier, dass die geburtsbedingten Wohlstandspositionsverluste mit steigendem vorgeburtlichem Einkommensniveau anwachsen. Während im ersten Einkommensquartil durchschnittlich aus der ersten, zweiten und dritten Geburt eine Wohlstandspositionsverbesserung von fünf Prozentpunkten resultiert, erwachsen im zweiten Einkommensquartil aus der Geburt des ersten Kindes Einbußen in Höhe von 23 Prozentpunkten, aus der Zweitgeburt von sieben Prozentpunkten und aus der dritten Geburt von drei Prozentpunkten (Berechnungen auf Grundlage der Bedarfsgewichte der neuen OECD-Skala). In den beiden höchsten Einkommensquartilen betragen die Wohlstandspositionsverluste von der ersten bis zur dritten Geburt 46 Prozentpunkte, 18 Prozentpunkte und 12 Prozentpunkte (3. Einkommensquartil) bzw. 73 Prozentpunkte, 48 Prozentpunkte und 18 Prozentpunkte (4. Einkommensquartil). Im Gegensatz zu diesen mit dem vorgeburtlichen Einkommensniveau steigenden geburtsbedingten Wohlstandspositionsverlusten besteht aber mit steigendem Einkommensniveau gleichzeitig der Vorteil, dass die Wohlstandsverschlechterungen von hohen Wohlstandsplateaus aus erfolgen. So betrug die relative Wohlstandsposition gemäß den Berechnungen auf Grundlage der neuen OECD-Skala im 1. Einkommensquartil 72 Prozent vor der Erstgeburt, 64 Prozent vor der zweiten Geburt und gerade einmal 55 Prozent vor der Geburt des dritten Kindes. Im vierten und damit höchsten Einkommensquartil betrug die Wohlstandsposition demgegenüber vor der Geburt des ersten Kindes 213 Prozent, vor der zweiten Geburt 188 Prozent und vor der Geburt des dritten Kindes immer noch 166 Prozent. Die berechneten vorgeburtlichen Wohlstandspositionen auf Grundlage der alten OECD-Skala, sind aufgrund der höheren Bedarfsgewichte für Erwachsene und Kinder zwar insgesamt höher, aber auch hier deutet sich die bereits prekäre Ausgangslage von Familien im 1. Einkommensquartil und die exponierte Wohlstandsposition der Familien im vierten Einkommensquartil an. Aufgrund des hohen Ausgangsniveaus lagen trotz der nachgewiesenermaßen höchsten geburtsbedingten Einkommensverluste im 4. Einkommensquartil auch nach der Geburt noch alle hierzu zählenden Haushalte über dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnittswert. Das heißt, dass das Absinken in eine Armutslage als Folge irgendeiner Kindergeburt im vierten Einkommensquartil nahezu ausgeschlossen ist, während aufgrund des niedrigen durchschnittlichen Ausgangsniveaus im 1. Einkommensquartil auch einige der entsprechenden Haushalte schon bereits vor der Geburt von Armut betroffen waren.
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
139
Tabelle 16: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung der relativen Wohlstandsposition nach dem Einkommensniveau vor der Geburt Relative Wohlstandsposition nach neuer OECD-Skala Einkommensquartil1) und Ordnungszahl
Relative Wohlstandsposition nach alter OECD-Skala
wj (t-1)
wj (t+1)
wj 1)
wj (t-1)
wj (t+1)
wj 1)
Geburt 1. Kind
72%
78%
+6%
80%
79%
-1%
Geburt 2. Kind
64%
69%
+5%
66%
68%
+2%
Geburt 3. Kind
55%
60%
+5%
54%
57%
+3%
Geburt 1. Kind
112%
89%
-23%
124%
90%
-34%
Geburt 2. Kind
92%
85%
-7%
94%
82%
-12%
Geburt 3. Kind
78%
75%
-3%
77%
70%
-7%
Geburt 1. Kind
149%
103%
-46%
165%
104%
-61%
Geburt 2. Kind
121%
103%
-18%
124%
98%
-26%
Geburt 3. Kind
102%
90%
-12%
100%
83%
-17%
Geburt 1. Kind
213%
140%
-73%
236%
140%
-96%
Geburt 2. Kind
188%
140%
-48%
191%
134%
-57%
Geburt 3. Kind
166%
148%
-18%
161%
136%
-25%
1. Quartil (t-1)
2. Quartil (t-1)
3. Quartil (t-1)
4. Quartil (t-1)
1)
Die Quartile bzw. Quartilsgrenzen beziehen sich auf alle deutschen Haushalte. Die Haushalte sind den Gruppen entsprechend der Einkommenssituation ein Jahr vor der Geburt zugeordnet. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen
Geburtsbedingte Armutsprozesse & Einkommensniveau der Familien: Zur deskriptiven Einschätzung der fertilitätsbedingten Armutsprozesse im Zusammenhang mit dem Einkommensniveau vor der Geburt zeigt Tabelle 17 die einfachen Armutsquoten zum Zeitpunkt vor der Geburt und nach der Geburt sowie die durch die geburtsbedingten Veränderungen der Armutsbetroffenheit innerhalb dieses Zeitraum entstandene Verarmungs- und Entarmungsquote. Die Daten bestätigen wiederholt, dass für das fertilitätsbedingte Verarmungsrisiko weniger die wohlstandsbezogenen Konsequenzen der Geburt als in erster Linie das bereits vor der Geburt bestehende Wohlstandsniveau der Familienhaushalte entscheidend ist. Während beispielsweise im höchsten Einkommensquartil kein einziger Haushalt die 50 %-Grenze des durchschnittlichen medianen Äquivalenzeinkommens in Folge einer Geburt unterschreiten muss, ist dies für Haushalte im
140
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 17: Armutsprozesse nach dem Einkommensniveau vor der Geburt Ek-Quartil 1) und Ordnungszahl 1. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 2. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 3. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 4. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind Ek-Quartil 1) und Ordnungszahl 1. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 2. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 3. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 4. Quartil (t-1) Geburt 1. Kind Geburt 2. Kind Geburt 3. Kind 1)
Nach neuer OECD-Skala (50 %-Armutsgrenze)2) Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote3) Entarmungsquote3) 11,4 % 12,5 % 26,9 %
9,5 % 12,9 % 20,5 %
7,6 % 9,0 % 11,6 %
9,5 % 8,6 % 18,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
3,2 % 2,4 % 7,6 %
3,2 % 2,6 % 7,6 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,7 % 1,6 % 1,1 %
0,7 % 1,6 % 1,1 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
Nach alter OECD-Skala (50 %-Armutsgrenze)2) Armutsquote (t-1) Armutsquote (t+1) Verarmungsquote3) Entarmungsquote3) 7,0 % 11,2 % 29,5 %
9,5 % 14,7 % 29,5 %
7,6 % 10,4 % 14,5 %
5,1 % 6,9 % 14,5 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
3,2 % 2,7 % 12,1 %
3,2 % 2,7 % 12,1 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,3 % 1,6 % 4,5 %
0,3 % 1,6 % 4,5 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
0,0 % 0,0 % 0,0 %
Die Quartile bzw. Quartilsgrenzen beziehen sich auf alle deutschen Haushalte. Die Haushalte sind den Gruppen entsprechend der Einkommenssituation ein Jahr vor der Geburt zugeordnet. Die Armutsgrenze bezieht sich auf das mediane Äquivalenzeinkommen der Gesamtbevölkerung. 3) Alle Angaben beziehen sich auf die Gesamtpopulation und nicht auf die Risikopopulationen. Quelle: SOEP (1984-2005), eigene Berechnungen 2)
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
141
ersten und im zweiten Einkommensquartil keine Ausnahme. So geraten ca. acht Prozent der vor der Familiengründung zum ersten Einkommensquartil gehörenden Haushalte durch die Geburt des ersten Kindes in eine Armutssituation. Bei der Geburt des zweiten und dritten Kindes betragen die Verarmungsquoten in diesem niedrigsten Einkommensquartil neun bzw. zwölf Prozent. Die Verarmungsquoten für die Geburten im zweiten Einkommensquartil belaufen sich beim ersten und zweiten Kind jeweils auf ca. drei Prozent und beim dritten Kind beträgt die Verarmungsquote acht Prozent. Insgesamt zeigen diese Befunde zum geburtsbedingten Verarmungsrisiko also, dass Geburten vor allem im niedrigsten Einkommensquartil arm machen. Ein Blick auf die Entarmungsquote macht aber wiederum gleichzeitig deutlich, dass Geburten in diesem niedrigsten Einkommensbereich häufig(er) auch das Entkommen aus einer prekären Einkommenslage ermöglichen. Insbesondere die dritte Geburt führt in Haushalten, die dem ersten Einkommensquartil zugehören zu einer Entarmungsquote von 18 Prozent. Das sind knapp sechs Prozent mehr als die entsprechende Verarmungsquote. In dieser Gruppe entkommen also mehr Haushalte durch die Geburt einer Armutslage als in eine solche Lage hineingeraten. Bereits Geburten im zweiten Einkommensquartil führen aber ungeachtet der Ordnungszahl des Kindes ausschließlich zu Armut und nicht mehr aus einer solchen prekären Lage heraus.
5.2.4 Multivariate Analyse geburtsbedingter Wohlstandsfolgen Obwohl die bisher gezeigten deskriptiven Ergebnisse zu den sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität bereits genaue Einsichten ermöglicht haben, soll der Einkommens- und Wohlstandseffekt einer Geburt nun noch weiter präzisiert werden. Dazu werden im Folgenden Ergebnisse der Fixed-Effects-Regressionen vorgestellt, die als abhängige Variable das absolute und das logarithmierte Haushaltseinkommen sowie das absolute bzw. das logarithmierte Nettoäquivalenzeinkommen enthalten. Damit können sowohl absolute als auch relative Veränderungen interpretiert werden, die, ergänzend zu den deskriptiven Daten, für die Kalenderjahre der Vorgeburts- und Nachgeburtssituation kontrolliert sind. Somit haben weder inflationsbedingte Einkommensanstiege noch reale Einkommenssteigerungen innerhalb der hier betrachteten 20 Kalenderjahre einen Einfluss auf die Höhe der im Folgenden präsentierten Ergebnisse. Dabei sei darauf hingewiesen, dass nachfolgend ausschließlich Wohlstandsveränderungen wiedergegeben werden, die auf der Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit den sparsamen Bedarfsgewichten der neuen OECD-Skala beruhen. Zum Vergleich hierzu sind im Anhang in Tabelle 23 und 24 die entsprechenden Ergebnisse auf Basis der höheren Bedarfsgewichte der alten OECD-Skala wiedergegeben.
142
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge: Zuerst zeigt Tabelle 18 den durchschnittlichen Gesamteffekt der Fertilität auf die sozioökonomische Situation der Haushalte gemäß der Ordnungszahl der Geburt. Dabei zeigt die linke Seite der Tabelle die relativen Einkommenseffekte log(Yj) und die rechte Seite die relativen Wohlstandseffekte log(yj), d. h. die um die Bedarfslageneffekte der Geburt ergänzten Einkommenseffekte. Demgemäß ist die Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt mit einem höchst signifikanten Einkommensverlust von 6,6 Prozent verbunden. Die Geburt des zweiten Kindes geht mit einer signifikanten Zunahme des verfügbaren Haushaltseinkommens von 8,8 Prozent einher und die Geburt des dritten Kindes mit einer ebenfalls signifikanten Zunahme von 10,8 Prozent. Berücksichtigt man zusätzlich die Bedarfslageneffekte der Kinder, dann sinkt das Wohlstandsniveau der Haushalte allerdings bei jeder Kindergeburt, und zwar durch die erste Geburt durchschnittlich um 25,1 Prozent, durch die zweite Geburt um 6,5 Prozent und durch die Geburt des dritten Kindes um 2,7 Prozent, wobei die relativ geringe negative Wohlstandsveränderung bei der dritten Geburt nicht mehr das Niveau statistischer Signifikanz erreicht. Diese Ergebnisse bestätigen sich auch aufgrund der absoluten Einkommens- und Wohlstandsveränderungen die in Tabelle 19 wiedergegeben sind. Demnach bedeuten die eben genannten relativen Veränderungen absolute Veränderungen des verfügbaren monatlichen Haushaltseinkommens von durchschnittlich -189 Euro durch die erste Geburt, +157 Euro durch die zweite Geburt und +260 Euro durch die Drittgeburt. Die Veränderungen des Äquivalenzeinkommens betragen ausgehend von der ersten bis hin zur dritten Geburt im Durchschnitt -359 Euro, -84 Euro und -21 Euro. D. h. trotz der konservativen Schätzung mit der neuen OECD-Skala und dem erheblichen Zufluss durch Transferzahlungen sind bei der Familiengründung hohe Wohlstandsverluste zu beobachten, die mit jeder weiteren Geburt sukzessive sinken. Bereits bei der dritten Geburt reichen dann die Einkommenszugewinne aber sogar aus, um den Bedarfslageneffekt der Kinder weitestgehend zu kompensieren, d. h. es fallen keine Wohlstandsverluste an. Diese Ergebnisse belegen damit die in Hypothese 1a angestellte Vermutung, dass der aus einer Geburt resultierende Einkommens- und Wohlstandsverlust umso niedriger ausfällt, je höher die Ordnungszahl der Geburt ist. Kalenderjahr der Geburt: Im Hinblick auf das verfügbare Haushaltseinkommen und das Kalenderjahr der Geburt wird deutlich, dass die Einkommensverluste einer Geburt im Durchschnitt und im Zeitverlauf angewachsen sind. Während z. B. die Geburt des ersten Kindes zwischen den Jahren 1985 und 1989 mit einem nicht signifikanten Einkommensverlust von 2,9 Prozent verbunden war, ist die Geburt des ersten Kindes zwischen 2000 und 2004 mit einem statistisch höchst signifikanten Einkommensverlust von 14,8 Prozent assoziiert. Absolut gesprochen haben sich die wirtschaftlichen Folgen der Geburt des ersten Kin-
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
143
Tabelle 18: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, logarithmierte Haushalts- und Äquivalenzeinkommen (Fixed-Effects) Log Haushaltsnettoeinkommen (Yj)
Log Nettoäquivalenzeinkommen (yj)
G e s a m t 1) ,2) 1. Kind 2. Kind 3. Kind
-0.066*** 0.088*** 0.108***
-0.251*** -0.065*** -0.027***
N2) R2
4450 0.157
4450 0.138
K a l e n d e r j a h r d e s G e b u r t s e r e i g n i s s e s 1) ,2) 1985-89
1990-94
1995-99
2000-04
1985-89
1990-94
1995-99
2000-04
1. Kind 2. Kind 3. Kind
-0.029*** 0.131*** 0.145***
-0.044*** 0.102*** 0.086+**
-0.071*** 0.103*** 0.102***
-0.148*** -0.010*** 0.058***
-0.197*** 0.010*** 0.046***
-0.228*** -0.253*** -0.052*** -0.050+** -0.051*** -0.034***
-0.329*** -0.163*** -0.083***
N2) R2
870 0.146
1032 0.206
1182 0.155
1366 0.145
870 0.126
1032 0.180
1366 0.132
1182 0.135
E i n k o m m e n s n i v e a u d e s H a u s h a l t e s v o r d e r G e b u r t 1) ,2) 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1. Kind 2. Kind 3. Kind
0.289*** 0.279*** 0.241***
-0.058*** 0.084*** 0.107***
-0.148*** 0.026*** 0.046+**
-0.241*** -0.148*** -
0.103*** 0.127*** 0.110***
-0.242*** -0.069*** -0.031***
-0.332*** -0.127*** -0.090***
-0.425*** -0.299*** -
N2) R2
936 0.252
1446 0.361
1284 0.330
784 0.198
936 0.270
1446 0.294
1284 0.220
784 0.164
P a a r b e z o g e n e s E r w e r b s p r o f i l d e r E l t e r n v o r d e r G e b u r t 1) ,2) Keiner ***
Einer ***
Beidea) ***
Beideb) ***
Keiner ***
Einer ***
Beidea) ***
Beideb)
1. Kind 2. Kind 3. Kind
0.218 0.342*** 0.239***
0.155 0.147*** 0.137***
-0.030 -0.022*** -0.012***
-0.155 -0.113*** -
0.049 0.201*** 0.122***
-0.033 -0.007*** -0.003***
-0.212 -0.174*** -0.159***
-0.339*** -0.262*** -
N2) R2
176 0.179
2000 0.152
616 0.124
1332 0.152
176 0.194
2000 0.164
616 0.118
1332 0.119
***p<0,001; **p<0,01; *p<0,05; +p<0,1; 1) kursiv gestellte Angaben basieren auf einer geringen Fallzahl; 2) kontrolliert für Kalenderjahr der Geburt (Jahresdummies 1985-2004); 3) doppelte Zahl der „echten Fälle“ aufgrund des Episodensplittings; a) ein Elternteil vor der Geburt vollzeittätig und der andere teilzeittätig; b) beide Eltern vor der Geburt vollzeittätig; Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit der neuen OECD-Skala; Quelle: SOEP (1984-2005)
144
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Tabelle 19: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, absolute Haushalts- und Äquivalenzeinkommen (Fixed-Effects) Haushaltsnettoeinkommen (Yj) in €
Nettoäquivalenzeinkommen (yj) in €
G e s a m t 1) ,2) 1. Kind 2. Kind 3. Kind
-188.7*** 157.3*** 260.0***
-358.7*** -84.1*** -20.6***
N2) R2
4450 0.134
4450 0.126
K a l e n d e r j a h r d e s G e b u r t s e r e i g n i s s e s 1) ,2) 1985-89 ***
1990-94 ***
1995-99 ***
2000-04 ***
1985-89 ***
1990-94 ***
1995-99 ***
2000-04
1. Kind 2. Kind 3. Kind
-80.3 223.7*** 281.3***
-172.2 181.2*** 173.8+**
-161.6 239.2*** 266.4***
-381.5 -68.4*** 212.9***
-266.5 -5.4*** 40.8***
-333.3 -60.9*** -41.7***
-351.6 -43.8+** -21.8***
-495.8*** -242.2*** -98.4***
N3) R2
870 0.125
1032 0.200
1182 0.142
1366 0.123
870 0.115
1032 0.177
1182 0.126
1366 0.119
E i n k o m m e n s n i v e a u d e s H a u s h a l t e s v o r d e r G e b u r t 1) ,2) 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1. Kind 2. Kind 3. Kind
434.3*** 426.6*** 424.7***
-47.4*** 200.2*** 256.6***
-282.6*** 130.7*** 158.4***
-709.1*** -400.0*** -
110.1*** 108.4*** 104.0***
-226.5*** -47.3*** -4.5+**
-425.8*** -118.5*** -72.5***
-770.7*** -464.9*** -
N3) R2
936 0.276
1446 0.364
1284 0.337
784 0.160
936 0.270
1446 0.295
1284 0.207
784 0.135
P a a r b e z o g e n e s E r w e r b s p r o f i l d e r E l t e r n v o r d e r G e b u r t 1) ,2) Keiner
Einer
1. Kind 2. Kind 3. Kind
272.7+** 422.9*** 352.9***
244.7*** 290.9*** 316.5***
N3) R2
176 0.163
2000 0.138
Beidea) -68.3+** -74.2*** 57.5+** 616 0.099
Beideb)
Keiner
Einer
Beidea)
Beideb)
-353.3*** -265.7*** -
30.5*** 132.0*** 118.3+**
-46.1*** 7.7*** 8.1+**
-269.6*** -225.0*** -141.6***
-481.7*** -311.9*** -
1332 0.145
176 0.165
616 0.100
1332 0.126
2000 0.164
***p<0,001; **p<0,01; *p<0,05; +p<0,1 ; 1) kursiv gestellte Angaben basieren auf einer geringen Fallzahl; 2) kontrolliert für Kalenderjahr der Geburt (Jahresdummies 1985-2004); 3) doppelte Zahl der „echten Fälle“ aufgrund des Episodensplittings; a) ein Elternteil vor der Geburt vollzeittätig und der andere teilzeittätig; b) beide Eltern vor der Geburt vollzeittätig; Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit der neuen OECD-Skala; Quelle: SOEP (1984-2005)
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
145
des damit von durchschnittlich -80 Euro (1985-89) auf -382 Euro erhöht (200004). D. h., trotz einer Steigerung der staatlichen Transferzahlungen, z. B. im Hinblick auf das Kindergeld, sind die finanziellen Folgen der ersten Geburt heute fast 5-mal so hoch wie vor fünfzehn bis zwanzig Jahren. In ähnlicher, jedoch nicht so dramatischer Weise haben sich die positiven Einkommensveränderungen durch die Geburt des zweiten und dritten Kindes im Zeitverlauf verringert. Innerhalb der beiden o. g. Zeiträume verminderte sich der Einkommenszugewinn bei der zweiten Geburt von +13,1 Prozent (1985-1989) auf -1,0 Prozent (20002004) und bei der dritten Geburt von +14,5 Prozent (1985-1989) auf +5,8 Prozent (2000-2004). Ein entsprechendes Bild zeigt sich auch bei der Betrachtung der geburtsbedingten Veränderungen des Äquivalenzeinkommens. So waren beispielsweise zweite und dritte Geburten am Ende der 1980er Jahre im Durchschnitt ohne Folgen für den Wohlstand der betroffenen Haushalte. Bei den entsprechenden Geburten zwischen 2000 und 2004 hat sich das Äquivalenzeinkommen höchst signifikant um -16,3 Prozent durch die zweite und um -8,3 Prozent durch die dritte Geburt verändert. In ähnlicher Weise haben sich die ohnehin hohen Wohlstandsverluste durch die Geburt des ersten Kindes von -19,7 Prozent (1985-1989) auf -32,9 Prozent erhöht (2000-2004). Damit hat sich der Verlust des Nettoäquivalenzeinkommens durch die Erstgeburt innerhalb von 20 Jahren von -267 Euro auf -496 Euro vergrößert. Diese Befunde bestätigen damit den in Hypothese 2c formulierten Zusammenhang zwischen geburtsbedingten Einkommens-/Wohlstandseinbußen und dem Kalenderjahr des Geburtsereignisses, denn in der Tat sind die sozioökonomischen Konsequenzen einer Geburt im Durchschnitt mit dem Geburtsjahr des Kindes größer geworden. Einkommensniveau vor der Geburt: Eine weitere zentrale These der Arbeit ist mit der Abhängigkeit der ökonomischen Konsequenzen der Fertilität vom Ausgangsniveau des Wohlstandes der Haushalte verbunden. Diesbezüglich zeigen die Ergebnisse der multivariaten Analysen ebenso wie bereits die deskriptiven Befunde, dass Haushalte umso stärker durch die Kindergeburt belastet werden, je höher ihr Haushaltseinkommen vor der Geburt war (gemessen an der Zugehörigkeit zu einem Einkommensquartil). So geht die Geburt des ersten Kindes im ersten Einkommensquartil durchschnittlich mit einer höchst signifikanten Steigerung des Haushaltseinkommens von 28,9 Prozent einher. Bereits im zweiten Einkommensquartil verursacht die Geburt des ersten Kindes hingegen einen Einkommensverlust von 5,8 Prozent, im dritten Einkommensquartil von 14,8 Prozent und im vierten und höchsten Einkommensquartil von 24,1 Prozent. Die entsprechenden Veränderungen bei der Geburt des zweiten Kindes belaufen sich auf +27,9 Prozent (1.Quartil), +8,4 Prozent (2. Quartil), +2,6 Prozent (3. Quartil) und -14,8 Prozent (4. Quartil). Die Einkommensänderungen durch die Geburt des dritten Kindes lauten vom ersten bis zum dritten Einkommensquartil: +24,1
146
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
Prozent, +10,7 Prozent und +4,6 Prozent. Aufgrund zu geringer Fallzahlen liegen hier für das 4. Einkommensquartil keine Ergebnisse vor. Entsprechende Veränderungen zeigen sich auch bei der geburtsbedingten Veränderung des Nettoäquivalenzeinkommens. Um nur eine besonders markante Zahl herauszugreifen, sei auf die Wohlstandsverluste durch die Erstgeburt im vierten Einkommensquartil hingewiesen. Haushalte, die vor der Geburt des ersten Kindes dieser höchsten Einkommenslage zugehören, verloren im Durchschnitt 42,5 Prozent ihres Nettoäquivalenzeinkommens! Insgesamt untermauern die vorgelegten Daten damit allerdings nur einen Teil der in Hypothese 3 abgeleiteten These, nämlich dass die Kosten für den Kindesunterhalt und die potenziellen Einkommensverluste mit dem Einkommensniveau der Haushalte vor der Geburt anfänglich ansteigen. Nicht bestätigt wurde dagegen die Vermutung, dass die geburtsbedingten Einkommensverluste in der höchsten Einkommensschicht, aufgrund von Externalisierungsmöglichkeiten (Stichwort: Tagesmutter), wieder sinken. Tatsächlich fallen die Einkommens- und Wohlstandsverluste im höchsten Einkommensquartil am höchsten aus. D. h. auch in „reichen“ Doppelverdienerhaushalten besteht die Notwendigkeit (oder Neigung), dass ein Partner seine Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung einstellt. Paarbezogenes Erwerbsprofil der Eltern: In einem weiteren Schritt soll nun das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern vor der Geburt betrachtet werden. Die Ergebnisse der FE-Modelle zeigen dabei, dass geburtsbedingte Einkommensverluste nur in Haushalten mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern auftreten. War dabei ein Elternteil vollzeit- und einer teilzeitbeschäftigt, betragen die Einkommensverluste durch die erste Geburt 3,0 Prozent, durch die zweite Geburt 2,2 Prozent und durch die dritte Geburt 1,2 Prozent. Waren beide Eltern vollzeittätig, sind die Einkommensverluste mit 15,5 Prozent durch die Erstgeburt und 11,3 Prozent durch die Zweitgeburt noch einmal deutlich erhöht. Ist demgegenüber höchstens ein Elternteil erwerbstätig gewesen, fallen grundsätzlich Einkommenszugewinne an. In Haushalten mit einem vor der Geburt erwerbstätigen Elternteil sind dies 15,5 Prozent in Folge der Erstgeburt, 14,7 Prozent durch die Zweitgeburt und 13,7 Prozent durch die Drittgeburt. Waren beide Eltern bereits vor der Geburt nicht erwerbstätig, sind diese Werte noch einmal erhöht. Allerdings können für diese letztgenannte Gruppe (kein Elternteil vor der Geburt erwerbstätig) nur bedingt Aussagen gemacht werden, da nur sehr wenige Fälle vorliegen. Insgesamt plausibilisieren die vorgelegten Ergebnisse jedoch Hypothese 2a, der zufolge Einkommensverluste nur in Paarhaushalten auftreten, in denen beide Partner vor der Geburt erwerbstätig waren. Neben diesem Zusammenhang wurde insbesondere in Hypothese 2b zusätzlich zum paarbezogenen Erwerbsprofil der Eltern danach gefragt, ob die Einkommenskonsequenzen der Geburt, zumindest in den Haushalten, in denen beide
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
147
Tabelle 20: Einfluss von Alter, Bildung und Berufserfahrung der Mutter auf die finanziellen Folgen der Fertilität, Haushaltseinkommen (Fixed-Eff.) Log Haushaltsnettoeinkommen (Yj) Beide Eltern vor der Geburt erwerbstätig1) Alter der Mutter
Bildung der Mutter
Betriebszugehörigkeit
<30J.
30J.
Abitur
Kein Abitur
<5J.
5J.
1. Kind
-0.141***
-0.165***
-0.172***
-0.137***
-0.138***
-0.161***
2. Kind
-0.036***
-0.065***
-0.052***
-0.026***
-0.060***
-0.014***
3. Kind 2)
N R2
-
-
-
-
-
-
1046 0.154
918 0.097
448 0.133
1334 0.182
1166 0.140
798 0.159
Haushaltsnettoeinkommen (Yj) in € Beide Eltern vor der Geburt erwerbstätig1) Alter der Mutter
Bildung der Mutter
Betriebszugehörigkeit
<30J.
30J.
Abitur
Kein Abitur
<5J.
5J.
1. Kind
-296.1***
-450.6***
-477.0***
-287.1***
-319.5***
-375.1***
2. Kind
-69.0***
-196.3***
-129.1***
-71.5***
-156.2***
-47.6***
3. Kind 2)
N R2
1046 0.122
918 0.088
448 0.120
1334 0.177
1166 0.115
798 0.150
***p<0,001; **p<0,01; *p<0,05; +p<0,1 (kursiv gestellte Angaben basieren auf einer geringen Fallzahl); 1) kontrolliert für Kalenderjahr der Geburt (Jahresdummies 1985-2004). ; 2) Doppelte Zahl der „echten Fälle“ aufgrund des Episodensplittings; Quelle: SOEP (1984-2005)
Eltern vor der Geburt erwerbstätig waren, mit dem Alter bzw. mit Merkmalen des Humankapitals der Mutter variieren. Hierzu zeigt Tabelle 20 den Effekt der Fertilität auf das verfügbare Haushaltseinkommen, jeweils in Abhängigkeit vom Alter, der Bildung und der Berufserfahrung der Mutter zum Zeitpunkt vor der Geburt. Es interessieren im Folgenden also nur Einkommenseffekte. Da vor der dritten Geburt nur noch sehr selten beide Eltern erwerbstätig waren, können aufgrund des Fallzahlproblems für diese Ordnungszahl der Geburt keine Ergebnisse ausgewiesen werden. Bezüglich des Alters der Mutter zeigt sich, dass in Doppelverdienerhaushalten der Einkommensverlust bei über 30 Jahre alten Müttern zwar höher ist als bei unter 30-jährigen Müttern, mit nur zwei bis drei Prozentpunkten Unterschied allerdings nicht sehr groß. So betragen die Einkommens-
148
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
verluste bei Frauen bis zum 29. Lebensjahr 14,1 Prozent bei der Erstgeburt und 3,6 Prozent bei der Zweitgeburt. Sind die Frauen bei den entsprechenden Geburten mindestens 30 Jahre alt und älter, betragen die Einkommensverluste 16,5 Prozent bei der Erstgeburt und 6,5 Prozent bei der zweiten Geburt. Deutlicher fallen dagegen die Unterschiede der sozioökonomischen Konsequenzen gemäß der Bildung der Mutter aus. Verfügt die erwerbstätige Mutter in einem Doppelverdienerhaushalt höchstens über einen Realschulabschluss, büßt der Haushalt durch die Geburt des ersten Kindes 13,7 Prozent ein und durch die zweite Geburt 2,6 Prozent. Verfügt die Mutter in entsprechenden Haushalten dagegen mindestens über Abitur dann sind die Einkommensverluste mit 17,2 Prozent beim ersten Kind und 5,2 Prozent beim zweiten Kind nennenswert höher. Neben Alter und Bildung der Mütter sind auch mit der Berufserfahrung der Mütter Unterschiede der sozioökonomischen Konsequenzen der Fertilität verbunden. Für die hier gewählte Differenz zeigt sich ein Einkommensverlust von 13,8 Prozent bei der Geburt des ersten Kindes und 6,0 Prozent beim zweiten Kind wenn die Mutter im Doppelverdienerhaushalt weniger als fünf Jahre Betriebszugehörigkeit hat. Beträgt die Zugehörigkeit der Mutter fünf Jahre und mehr, sind die Verluste mit 16,1 Prozent beim ersten Kind größer. Mit 1,4 Prozent beim zweiten Kind aber kleiner. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Berufserfahrung und sozioökonomischen Konsequenzen lässt sich somit (zumindest) bei der hier vorgenommenen einfachen dichotomen Differenzierung nicht nachweisen.
5.2.5 Elterngeld und geburtsbedingte Wohlstandsänderung Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten der differenzierte Einfluss verschiedener individueller und haushaltsbezogener Merkmale auf das Ausmaß der wirtschaftlichen Konsequenzen der Fertilität deutlich wurde, soll nunmehr in einem letzten Schritt geprüft werden, welche Auswirkungen von dem seit Anfang 2007 gezahlten Elterngeld auf die haushaltsökonomischen Geburtskonsequenzen zu erwarten sind. Zur Überprüfung der Wirkung des Elterngeldes werden die tatsächlich aufgetretenen Einkommens- und Wohlstandsveränderungen den mit Elterngelddaten simulierten Veränderungen des verfügbaren Haushaltseinkommens sowie des Äquivalenzeinkommens gegenübergestellt. Ziel der Analyse ist es also den zusätzlichen Effekt des Elterngeldes auf der Grundlage bereits realisierter Geburtsereignisse einzuschätzen. Dabei beschränken sich die folgenden Analysen auf Haushalte mit einem Geburtsereignis zwischen den Jahren 2000 und 2004, um eine Annährung an die seit 2007 resultierenden aktuellen sozioökonomischen Fertilitätskonsequenzen zu ermöglichen. Als wichtigstes Ergebnis zeigen die Daten in Tabelle 21, dass die Zahlungen des Elterngeldes im Vergleich
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
149
Tabelle 21: Durchschnittliche geburtsbedingte Veränderung des Haushalts- und Äquivalenzeinkommens unter Berücksichtigung des Elterngeldes Mittlere Veränderung des Erwerbsprofil und Ordnungszahl Haushaltseinkommens1) 2) regulär +Elterngeld
Mittlere Veränderung des Äquivalenzeinkommens 1) 2) Nach neuer OECD-Skala
Nach alter OECD-Skala
regulär +Elterngeld
regulär +Elterngeld
Alle Haushalte (2000-04) Geburt 1. Kind
-218 €
-131 €
-392 €
-348 €
-425 €
-389 €
Geburt 2. Kind
+90 €
+229 €
-141 €
-74 €
-163 €
-110 €
Geburt 3. Kind
+383 €
+517 €
+12 €
+85 €
-21 €
+31 €
-398 €
-320 €
Erwerbsprofil der Eltern (2000-04) Beide Eltern3)
-231 €
-73 €
-415 €
-354 €
Ein Elternteil3)
+264 €
+351 €
-41 €
+4 €
-81 €
-46 €
Kein Elternteil3)
+269 €
+284 €
+29 €
+42 €
-9 €
±0 €
Einkommensquartil (2000-04) 1. Quartil4)
+435 €
+453 €
+100 €
+117 €
+40 €
+53 €
2. Quartil4)
+146 €
+195 €
-96 €
-68 €
-128 €
-107 €
3. Quartil4)
-97 €
+34 €
-290 €
-225 €
-309 €
-259 €
4. Quartil4)
-390 €
-115 €
-573 €
-443 €
-583 €
-480 €
1)
Inflationsbereinigt nach dem Preisindex des Statistischen Bundesamtes (2006a) zu Preisen 2000. Durchschnittliche Veränderung zwischen dem Jahr vor (t-1) und dem Jahr nach der Geburt (t+1). Im Jahr vor der Geburt mindestens eine Stunde pro Woche erwerbstätig gewesen. 4) Die Quartile bzw. Quartilsgrenzen beziehen sich auf alle deutschen Haushalte. Die Haushalte sind entsprechend der Einkommenssituation ein Jahr vor der Geburt den Gruppen zugeordnet. Quelle: SOEP (1999-2005), eigene Berechnungen 2) 3)
zum Erziehungsgeld immer zu einer Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Familienhaushalte führen. Dies gilt zumindest für die hier betrachteten Gruppen gemäß: (a) der Ordnungszahl der Geburt, (b) des paarbezogenen Erwerbsprofils der Eltern vor der Geburt und (c) des Einkommensniveaus der Haushalte vor der Geburt. So hätte sich beispielsweise mit den Elterngeldzahlungen im Gegensatz zu den Regelungen beim Erziehungsgeld das verfügbare Haushaltseinkommen durch die Geburt des ersten Kindes nicht wie tatsächlich um durchschnittlich -218 Euro verschlechtert sondern „nur“ um -131 Euro. Aber auch bei zweiten und dritten Geburten hätte das Elterngeld deutliche Verbesserungen zur Folge, nämlich statt einem Zugewinn von 90 Euro ein Plus von 229 Euro bei der zweiten Geburt und anstelle von 383 Euro ein Plus von 517 Euro bei der dritten Geburt. Wichtiger als diese Ergebnisse zur Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge ist allerdings die Wirkung des Elterngeldes im Hin-
150
5 Sozioökonomische Konsequenzen der Geburt von Kindern
blick auf das paarbezogene Erwerbsprofil der Eltern, denn das Elterngeld wurde ja speziell für Haushalte mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern eingeführt. Und wie die Ergebnisse deutlich machen, bewirken die Elterngeldzahlungen in den Doppelverdienerhaushalten tatsächlich die höchsten Einkommensund Wohlstandszugewinne. So vermindert sich der durchschnittliche Einkommensverlust von 231 Euro (ohne Elterngeld) auf 73 Euro (mit Elterngeld). Im Hinblick auf die Veränderung des Nettoäquivalenzeinkommens (auf Grundlage der neuen OECD-Skala) bedeutet dies in den Doppelverdienerhaushalten eine Reduktion der Verluste von 398 Euro (ohne Elterngeld) auf 320 Euro (mit Elterngeld). Zwar sind die elterngeldbezogenen Einkommensverbesserungen in Haushalten mit einem bzw. keinem erwerbstätigen Elternteil geringer, dennoch erhöht das Elterngeld auch in diesen Haushalten die ohnehin positiven geburtsinduzierten Einkommensveränderungen. Vor dem Hintergrund, dass in diesen Haushalten i. d. R. keine Personen ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Geburt einstellen, zeigt dieses Ergebnis folglich, dass auch die einkommensunabhängigen Zusatzregelungen zum Elterngeld (wie z. B. der Geschwisterbonus und der Wegfall der Einkommensgrenzen zur Bezugsberechtigung) die geburtsbedingten sozioökonomischen Konsequenzen verändern. Haushalte ohne Erwerbseinkommensverluste realisieren durch das Elterngeld sogar Einkommenszugewinne, die sie in die Lage versetzen, wohlstandsbezogene Konsequenzen der Geburt zu vermeiden. D. h., dass die geburtsverursachten Einkommenszugewinne sogar ausreichen, um die neu auftretenden Lebensunterhaltskosten des Kindes zu kompensieren. Obwohl das Elterngeld ursprünglich nur als Kompensation für die erwerbsbezogenen Konsequenzen gedacht war, zeigt sich an den beiden eben genannten Haushaltsformen, dass die einkommensunabhängigen Elemente des Elterngeldes auch den Haushalten ohne erwerbsbezogene Einkommensverluste den ohnehin positiven Folgen der Geburt weitere Zugewinne hinzufügen. Nur in Haushalten mit Doppelverdienern, also vor allem bei der Familiengründung, reichen die Elterngeldzahlungen (zusammen mit den anderen staatlichen Leistungen) trotz der absolut höchsten Verbesserung nach wie vor nicht aus, um Einkommens- und Wohlstandsverluste zu vermeiden. Ein ähnliches Bild ergibt sich im Hinblick auf das Einkommensniveau vor der Geburt. So fallen die elterngeldbedingten Verbesserungen im höchsten Einkommensquartil am ausgeprägtesten aus. Diese höchste Steigerung reicht im Gegensatz zu den geringeren Verbesserungen in den niedrigeren Einkommensquartilen aber nicht aus, um Einkommensverschlechterungen und Wohlstandeinbußen durch das Geburtsereignis vermeiden zu können. Allerdings wird auch deutlich, inwieweit vor allem einkommensstarke Haushalte erstmals ausdrücklich von der staatlichen Familienpolitik profitieren, da ihre hohen Einkommen nunmehr berücksichtigt werden und Einkommensgrenzen zur Bezugsberechti-
5.2 Wohlstandsbrüche durch Kindergeburten
151
gung, wie sie beim Erziehungsgeld existierten, abgeschafft worden sind. Diese Daten zu elterngeldbezogenen Gewinnen im Hinblick auf das Einkommensniveau decken sich weitgehend mit den Ergebnissen einer bereits vorliegenden Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (2006), die ebenfalls auf der Grundlage von SOEP-Daten berechnet wurden, und der zufolge das Elterngeld ebenfalls am deutlichsten in den oberen Einkommensbereichen wirkt.
6 Resümee und Handlungsempfehlungen
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, deutlich zu machen, welchen Einfluss Kindergeburten auf die sozioökonomische Lage von Paarhaushalten in Deutschland innerhalb der Jahre 1985 bis 2004 gehabt haben. Dabei war insbesondere die Differenzierung der finanziellen Fertilitätskonsequenzen gemäß der Einkommens-, Wohlstands- und Armutsrisiken sowie die Quantifizierung der geburtsbedingten Folgen gemäß der Ordnungszahl der Kinder, dem Erwerbsprofil der Eltern und der Schichtzugehörigkeit der Haushalte von besonderem Interesse. Das Hauptaugenmerk in zeitlicher Perspektive lag auf den unmittelbaren Konsequenzen der Fertilität im direkten Anschluss an die Geburt. Vor diesem Hintergrund wurde in einem ersten Schritt der Stand der Forschung aufgearbeitet. Hierbei zeigte sich, dass die bislang vorliegenden Ergebnisse aus methodischer Sicht unzureichend sind, da bisherige Befunde fast ausschließlich auf der Analyse von Querschnittsdaten beruhen. Die ökonomischen Folgen einer Geburt werden also bis dato fast ausschließlich auf der Grundlage kalenderjährlicher Analysen der wirtschaftlichen Situation verschiedener Haushalte zu einem bestimmten Zeitpunkt (irgendwann) nach der Geburt der Kinder ermittelt. Ohne Kenntnisse über die sozioökonomische Lage der Familien vor der Geburt ist die Zurechnung der ökonomischen Konsequenzen zu einer Geburt aber nicht möglich. Somit lassen die bisherigen Ergebnisse offen, ob die bestehenden wirtschaftlichen Nachteile von Familien nach der Geburt direkt durch das Geburtsereignis hervorgerufen wurden oder ob die schlechter gestellten Familienhaushalte bereits vor der Geburt des Kindes schlechter positioniert waren. Neben diesem methodischen Defizit hat die Aufarbeitung des Forschungsstandes zudem ergeben, dass die relevanten inhaltlichen Dimensionen der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität nur unzureichend erfasst sind. So wurde in bisher vorliegenden Analysen zwar der Einfluss der Fertilität im Hinblick auf die individuelle Erwerbstätigkeit der Eltern untersucht, vor allem das paarbezogene Erwerbsprofil und das finanzielle Ausgangsniveau des Haushaltswohlstandes als wichtige Determinanten der ökonomischen Konsequenzen der Fertilität blieben bislang aber nahezu unberücksichtigt. Angesichts dieser inhaltlichen und methodischen Defizite strebte die vorliegende Arbeit die Schließung der bestehenden Forschungslücken auf einer soliden theoretischen und empirischen Basis an. Die theoretische Fundierung erfolgte dabei auf der Grundlage der neuen Hauhaltsökonomie, der Austauschtheorie und
154
6 Resümee und Handlungsempfehlungen
der biographischen Theorie der Fertilität. Im Fokus der Hypothesenherleitung standen folglich rational agierende Akteure. Auf empirischer Seite fokussierte die vorliegende Studie grundsätzlich auf die Längsschnittperspektive, um den Prozesscharakter der Wohlstandsveränderungen berücksichtigen und die sozioökonomische Lage der Familien sowie den Erwerbsstatus der Eltern vor der Geburt mit in die Analyse einbeziehen zu können. Grundlage der eigenen Analysen waren die Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1984 bis 2005. Auf dieser Datengrundlage konnten die geburtsbedingten Wohlfahrtsrisiken zwischen dem Jahr vor und dem Jahr nach der Geburt über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinweg nachvollzogen und in Abhängigkeit von verschiedenen unabhängigen Faktoren quantifiziert werden. Die dabei gewonnenen Ergebnisse sollen nun noch einmal im Hinblick auf die eingangs der Arbeit beschriebenen Fragestellungen zusammengefasst werden (Abschnitt 6.1). Im Anschluss hieran wird auf die praktische familienpolitische Relevanz der Ergebnisse in Form von Handlungsempfehlungen hingewiesen (Abschnitt 6.2). Insbesondere in Bezug auf die Bereitstellung der monetären staatlichen Transferleistungen decken die vorgelegten Ergebnisse einen erheblichen Modifikationsbedarf, gleichzeitig aber auch einen großen familienpolitischen Handlungsspielraum auf.
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Zu Beginn dieser Arbeit wurde ganz allgemein danach gefragt, welchen Einfluss die Geburt eines Kindes auf die sozioökonomische Positionierung der betroffenen Haushalte in Deutschland hat. Was sind also die kurzfristigen Folgen einer Kindergeburt in Bezug auf das Einkommens-, Wohlstands- und Armutsniveau der jeweiligen Familienhaushalte? Die hierzu vorgenommenen Analysen belegen – nun auch in längsschnittlicher Perspektive – den bekannten Zusammenhang, dass Familien durch die Geburt eines Kindes hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten deutlich benachteiligt werden und Gefahr laufen, in materiell prekäre Lagen zu geraten. Unter Berücksichtigung geburtsbedingter Einkommensund Bedarfslageneffekte ist die Geburt eines Kindes im Durchschnitt mit einer Verschlechterung der Wohlstandssituation der betroffenen Haushalte verbunden. Da bei den vorgelegten Analysen mögliche Selektionseffekte kontrolliert werden konnten, ist dieses Ergebnis auch tatsächlich den Geburtsereignissen zuzurechnen. Kinder mögen demnach zwar der viel beschworene „Reichtum einer Gesellschaft“ sein, die Geburt eines Kindes bedeutet jedoch in finanzieller Hinsicht für die meisten Eltern vor allem eines, nämlich eine erhebliche wohlstandsbezogene Schlechterstellung. Ungeachtet der weit über 100 Milliarden Euro, die pro Jahr vom Staat für Familien aufgewendet werden, sowie der seit langem wissen-
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
155
schaftlich belegten und juristisch durch mehrere Grundsatzurteile eingeforderten Notwendigkeit zur Umgestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen Kinder damit unverändert ein bedeutsames sozioökonomisches Risiko dar. Dieses Ergebnis betont somit die Notwendigkeit der Bereitstellung adäquater finanzieller und infrastruktureller Leistungen des Staates für die Familien. Allerdings ist dieser erste allgemeine Befund noch recht undifferenziert und trifft nicht auf alle Geburten in allen Haushalten zu. Im Hinblick auf konkrete familienpolitische Korrekturmöglichkeiten ist dieses Ergebnis daher nur wenig brauchbar. Aus praktischer Sicht ist es deshalb sinnvoll, der zweiten eingangs formulierten zentralen Fragestellung nachzugehen: Inwieweit lassen sich die sozioökonomischen Folgen der Fertilität gemäß der Ordnungszahl der Kinder in der Geburtenfolge abgrenzen? Unterscheiden sich also die kurzfristigen sozioökonomischen Konsequenzen der Erstgeburt von denen der zweiten und dritten Geburt? Den vorgelegten Ergebnissen zufolge muss diese Frage eindeutig bejaht werden. Es konnte deutlich gemacht werden, dass die Geburt eines Kindes im Endergebnis umso höhere geburtsbedingte Einkommens- und Wohlstandseinbußen verursacht, je niedriger die Ordnungszahl des Kindes ist. Das heißt, dass das erste Kind die größten negativen wirtschaftlichen Veränderungen verursacht, während die geringsten Veränderungen entsprechend durch das letztgeborene Kind bedingt sind. Im Hinblick auf die Einkommenssituation, d. h. auf das verfügbare monatliche Haushaltseinkommen der Familien, wurde sogar deutlich, dass Einkommenseinbußen (nicht Wohlstandsverluste!) durchschnittlich nur bei Erstgeburten auftreten. Als Grund hierfür konnte die in 75 Prozent der Fälle vor der Erstgeburt bestehende Erwerbstätigkeit beider Elternteile identifiziert werden. Da vor der Geburt weiterer Kinder i. d. R. nur noch ein Elternteil (der Vater) erwerbstätig ist, fallen hier nur noch selten Einkommensverluste in Folge einer Aufgabe oder Einschränkung der Erwerbsarbeit an, weshalb die durch die Geburt induzierten staatlichen Transferzahlungen ausreichen, um das verfügbare Haushaltseinkommen zu erhöhen. Eine solche geburtsbedingte Erhöhung des verfügbaren Haushaltseinkommens ist in immerhin 60 Prozent der Haushalte bei der Geburt des zweiten und dritten Kindes zu beobachten. Dieser einkommensund erwerbsbezogene Zusammenhang zwischen Ordnungszahl und wirtschaftlichen Folgen der Fertilität verfestigt sich bei der Berücksichtigung der notwendigen Neuverteilung des verfügbaren Haushaltseinkommens auf die Familienmitglieder nach der Geburt. Dabei relativieren bzw. dramatisieren die Bedarfslageneffekte der Kinder zusätzlich die beobachteten Einkommenskonsequenzen. Das bedeutet, dass Einkommensverluste sich unter Berücksichtigung der Lebensunterhaltskosten für die Neugeborenen in noch größere Wohlstandsverluste übersetzen bzw. mögliche geburtsbedingte Einkommenszugewinne hierdurch zu einem Großteil aufgezehrt werden. Dabei sind die Unterschiede der geburtsbeding-
156
6 Resümee und Handlungsempfehlungen
ten Wohlstandsverluste im Hinblick auf die Ordnungszahl der Geburt letztendlich immer noch größer als die aus der Aufgabe einer Erwerbstätigkeit resultierenden Einkommenskonsequenzen. Dies deutet darauf hin, dass sich auch die Bedarfslageneffekte, respektive die Kosten für den Lebensunterhalt eines Kindes, mit steigender Ordnungszahl der Geburt vermindern. Hierfür sind vor allem die sogenannten Economies of Scale verantwortlich, d. h. Spareffekte aufgrund der gemeinsamen Haushaltsführung. Betrachtet man also Einkommens- und Bedarfslageneffekte einer Geburt gemeinsam, kommt man zu dem Ergebnis, dass vor allem die Geburt des ersten Kindes ein überproportional hohes Wohlstandsrisiko bedeutet, während die Geburt weiterer Kinder „nur“ noch mit moderaten bis marginalen Wohlstandsrisiken einhergeht. Familien erleiden also die größten monetären Verluste bei der Familiengründung und nicht bei der Familienerweiterung. Im Gegensatz zu dem mit steigender Ordnungszahl der Kinder abnehmenden Einkommens- und Wohlstandsrisiko steigt allerdings die Armutsquote bzw. die geburtsbedingte Verarmungsquote mit der Ordnungszahl der Geburt an. Dieser gängige Befund legt oberflächlich besehen – entgegen den eben gemachten Ausführungen – die Vermutung nahe, dass die sozioökonomischen Folgen der Geburt von Kindern mit steigender Ordnungszahl gravierender ausfallen. Diese Interpretation liegt zumindest den aktuellen Verbesserungsvorschlägen der Familienministerin zur Umgestaltung der Kindergeldbezüge zugrunde, denen zufolge Kinder höherer Ordnungszahl verstärkt bezuschusst werden sollen: „Je mehr Kinder da sind, desto höher sollten die Beträge sein, damit die kinderreichen Familien profitieren, wo es für die vielen Köpfe oft nicht reicht“ (Ursula von der Leyen in der Sächsischen Zeitung vom 22. Dezember 2007). Die vorliegende Arbeit hat jedoch eindeutig gezeigt, dass die hohen Armutsquoten von kinderreichen Familien nicht auf die hohen Wohlstandsverluste durch die Geburt des letzten Kindes, sondern auf das niedrigere Wohlstandsniveau der Haushalte vor der Geburt dieses Kindes zurückzuführen sind und damit auf die vergleichsweise überproportionalen Wohlstandsverluste in Folge der vorausgegangenen Geburt(en). Obwohl also die Wohlstandskonsequenzen mit der Geburtenordnung sinken, führen die geringeren negativen Wohlstandsveränderungen in Folge der zweiten und weiteren Geburten dennoch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, die relevanten Armutsgrenzen zu unterschreiten. Hauptursache dieses Umstandes, im Sinne kumulativer Armutsrisiken, ist aber die Geburt des ersten Kindes und nicht die des zweiten oder dritten. Der größere familienpolitische Interventionsbedarf für Erstgeburten äußert sich darüber hinaus auch in dem nachgewiesenen Umstand, dass bei steigender Ordnungszahl der Geburt immer mehr Familien aus einer vorgeburtlich bestehenden Armutslage herausfinden, was als nochmaliger Beleg dafür gelten kann, dass in vielen Haushalten insbesondere bei
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
157
zweiten und dritten Geburten sogar Einkommenszugewinne durch die Geburt und deshalb häufig keine oder sogar positive Wohlstandsveränderungen auftreten. Obwohl also die Geburt des ersten Kindes nur selten zu einer Armutsbetroffenheit führt, ist der Beitrag der Erstgeburt zum Armutsrisiko von Familien mit mehreren Kindern am größten. Zusätzlich zur Bedeutung der Ordnungszahl der Geburt lag ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit auf dem paarbezogenen Erwerbsprofil der Eltern und den damit verbundenen Erwerbskonsequenzen. Die paarbezogene Betrachtung ist insofern interessant, da sich bisherige Untersuchungen ausschließlich auf die individuellen Folgen der Geburt (z. B. mit Fokus auf das persönliche Erwerbseinkommen) unter alleiniger Berücksichtigung der individuellen Erwerbstätigkeit der Mütter und Väter konzentriert haben (vgl. z. B. Pollmann-Schult & Diewald 2007). Dass diese Individualperspektive der Erwerbstätigkeit für die Ermittlung der haushaltsbezogenen Konsequenzen der Fertilität unzureichend ist, konnte theoretisch damit begründet werden, dass eine Reduktion der Arbeitszeit eines Elternteils in der Folge einer Geburt ganz maßgeblich vom Erwerbsstatus des Partners determiniert ist. Insofern andere Aspekte vernachlässigt werden können, ist eine Aufgabe einer Erwerbstätigkeit bei rational agierenden Akteuren nur in Haushalten mit zwei vor der Geburt gleichzeitig erwerbstätigen Eltern aufgrund des Zeitvereinbarkeitsproblems zu erwarten. Diese Vermutung hat sich bei den vorgelegten Ergebnissen insofern bestätigt, da Verluste beim verfügbaren Haushaltseinkommen in der Tat nur bei zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern aufgetreten sind. Diese Verluste waren umso höher, je zeitlich umfangreicher die Mutter vor der Geburt gearbeitet hat. War nur ein Elternteil oder gar kein Elternteil im Jahr vor der Geburt erwerbstätig, fiel das Haushaltseinkommen im Jahr nach der Geburt höher aus als zuvor. Dabei reichte diese durch staatliche Transferzahlungen induzierte Einkommenssteigerung teilweise sogar aus, um die neu entstandenen Lebensunterhaltskosten des Kindes zu kompensieren, d. h. auch das Äquivalenzeinkommen ist nicht gesunken. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die aktuellen Rahmenbedingungen für diejenigen Haushalte günstig sind, in denen traditionelle Arrangements familiärer Arbeitsteilung schon vor der Geburt bestanden haben. Sind allerdings beide Eltern vor der Geburt erwerbstätig, was vor allem unmittelbar vor der Familiengründung der Fall ist, reichen die staatlichen Zahlungen nicht aus, um den negativen Einkommenseffekt der Geburt zu kompensieren. Geburtsbedingte Einkommensverluste und damit massive Wohlstandsverschlechterungen sind nur in Haushalten mit zwei vor der Geburt erwerbstätigen Eltern zu beobachten. Der dritte zentrale Punkt dieser Arbeit war schließlich die Frage nach möglichen Unterschieden der sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt zwischen verschiedenen Einkommensschichten: Inwieweit ist also die vor der
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6 Resümee und Handlungsempfehlungen
Geburt bestehende ökonomischen Lage der Haushalte für das Ausmaß der geburtsbedingten Konsequenzen verantwortlich? Vermutet wurde, dass die erwerbstätige Mittelschicht, am stärksten von den sozioökonomischen Folgen einer Geburt betroffen ist. Dies wurde einerseits damit begründet, dass gegenüber der Mittelschicht in den unteren Einkommensbereichen nur selten beide Eltern erwerbstätig sind und deshalb selten ein Erwerbseinkommen durch die Geburt entfällt bzw. dennoch auftretende geburtsbedingte Einkommensverluste in den ärmsten Familien dadurch gedämpft werden, dass die Grundsicherungssysteme des Sozialstaates die (armen) Familien wieder auf ihr bereits vor der Geburt bestehendes niedriges Ausgangsniveau heben. Andererseits wurde vermutet, dass in den höchsten Einkommensbereichen im Gegensatz zur Mittelschicht die Möglichkeit besteht, geburtsbedingte Erwerbskonsequenzen durch die Externalisierung der Kosten (z. B. Inanspruchnahme einer Tagesmutter) kompensieren zu können. Die sich aus diesen Annahmen ergebende Vermutung eines umgekehrt u-förmigen Zusammenhangs zwischen Einkommensniveau und geburtsbedingten Konsequenzen hat sich allerdings nicht bestätigt. Während zwar im niedrigsten Einkommensbereich geburtsbedingte Einkommens- und Wohlstandszugewinne beobachtet werden konnten, büßten Haushalte, die der Oberschicht zugehören am meisten, nämlich teilweise mehr als 40 Prozent ihres Wohlstandes ein. Dass dieses Ergebnis nicht mit der hergeleiteten Hypothese in Einklang steht, kann mehrere Ursachen haben: (1) ein umgekehrt u-förmiger Zusammenhang ist tatsächlich nicht vorhanden, (2) die Auflösung der Daten in Einkommensquartile war zu grob, um den im allerhöchsten Einkommensspektrum erwarteten Kompensationseffekt abbilden zu können, und (3) in Deutschland sind kaum semifamiliäre Möglichkeiten für eine zeitweise Übernahme der Kinderpflege (durch eine Tagesmutter oder familiäre Angehörige) für unter einjährige Kinder vorhanden. Die vorgelegten Analysen haben insgesamt deutlich gemacht, dass sich die geburtsbedingten Wohlstandskonsequenzen mit steigendem vorgeburtlichem Einkommensniveau sukzessive verschlechtern. Neben den eben genannten zentralen Befunden, die die Hauptinteressen dieser Arbeit widerspiegeln, belegen die Ergebnisse darüber hinaus, dass die ökonomischen Konsequenzen der Fertilität mit dem Kalenderjahr der Geburt gewachsen sind. So fielen die wirtschaftlichen Folgen einer Geburt, unabhängig von der Ordnungszahl des Kindes, in den 1990er Jahren einschneidender aus als Ende der 1980er Jahre, und sie sind mit Beginn des Jahres 2000 nochmals gestiegen. D. h., dass die Einkommensverluste durch die Geburt des ersten Kindes immer größer geworden sind, während die Einkommenszugewinne bei zweiten und dritten Geburten immer weiter geschrumpft sind. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass die staatlichen Transferzahlungen nicht ausreichend an die veränderten Rahmenbedingungen der Fertilität angepasst worden sind. Weder die zu-
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
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nehmende Erwerbstätigkeit der Frau noch die mit der gestiegenen Bildung verbundenen höheren Erwerbslöhne haben sich in einer adäquaten Erhöhung der staatlichen Transferzahlungen niedergeschlagen, weshalb die ökonomischen Konsequenzen in den letzten 2 Jahrzehnten deutlich angewachsen sind. Bei einer gleichzeitigen Erwerbstätigkeit beider Eltern vor der Geburt hat sich zudem gezeigt, dass das Ausmaß der geburtsbedingten Folgen maßgeblich vom Humankapital der Mütter abhängt, da vor allem sie ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung einschränken, während die Erwerbstätigkeit der Väter praktisch unverändert fortbesteht. Die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Geburt in einem Doppelverdienerhaushalt waren daher umso größer, je höher die Bildung der Mutter vor der Geburt war. Diese bildungsbezogenen Unterschiede sind dabei auf die mit der Bildung verbundenen höheren Einkommen und den mit höherer Bildung steigenden Anteil erwerbstätiger Frauen zurückzuführen. Die „Geburtskosten“ erhöhen sich darüber hinaus zusätzlich bei einem höheren Alter der Mutter. Dieser Alterseffekt ist sowohl auf die mit höherem Alter verbundene höhere Bildung im individuellen Lebenslauf als auch mit der im Zuge der Bildungsexpansion zunehmenden Verlagerung der Geburten in höhere Lebensalter verbunden. Insgesamt steigen also die geburtsbedingten Konsequenzen in Doppelverdienerhaushalten mit dem Bildungsniveau und dem Alter der Mütter zum Zeitpunkt der Geburt an. Überdies hat die vorgenommene Simulation der Wirkung des Elterngeldes auf die sozioökonomischen Konsequenzen der Geburt den Nutzen der Zahlungen des Familienlastenausgleichs unterstrichen, der sich in Form erhöhter Haushaltseinkommen nach der Geburt niederschlägt. Insgesamt reichen die staatlichen Zuwendungen vor allem bei der ersten, aber auch bei der zweiten Geburt noch immer nicht aus, um die finanziellen Lasten der Geburt in Form von Einkommens- und Bedarfseffekten zu kompensieren. Für Drittgeburten ist allerdings kein familienpolitischer Interventionsbedarf angezeigt, da hier im Durchschnitt bereits keine Wohlstandsverluste auftreten. Insgesamt folgt aus der Simulation der Wirkung des Elterngeldes, dass die Entscheidung zur Familienerweiterung, d. h. zur Geburt des zweiten und dritten Kindes, heute weitgehend einkommensund wohlstandsneutral getroffen werden kann. Nur die Familiengründung, d. h. die Geburt des ersten Kindes, ist auch nach der Einführung des Elterngeldes mit Einkommens- und Wohlstandseinbußen verbunden. Die eben kursorisch zusammengefassten Ergebnisse dieser Arbeit bestätigen somit teilweise „altes“ Wissen, liefern aber durchaus auch neue Einsichten. Dennoch bleiben im Hinblick auf die sozioökonomischen Konsequenzen einer Kindergeburt weiterhin Fragen offen. Insbesondere die Frage nach der Nachhaltigkeit der aufgezeigten Wohlstandskonsequenzen, also danach, ob sich die aufgezeigten sozioökonomischen Konsequenzen im Zeitverlauf verfestigen oder mit
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zunehmendem Abstand vom Geburtsereignis kleiner werden, kann erst geklärt werden, wenn weitere Familienjahre im Anschluss an das Geburtsereignis untersucht werden. Darüber hinaus liegt eine Aufgabe weiterführender Forschung in der Analyse der geburtsbedingten wirtschaftlichen Folgen in Bezug auf andere familiäre Rahmenbedingungen (z. B. im Hinblick auf die Paarstabilität) sowie in der Untersuchung anderer Folgen der Geburt (z. B. der gesundheitlichen Folgen geburtsbedingter ökonomischer Knappheit), die einen Einfluss auf die Wohlstandsposition der Familien haben können. Weiterhin mangelt es an Analysen bezüglich der sozioökonomischen Folgen der Geburt in Alleinerziehendenhaushalten und bei Mehrlingsgeburten. Außerdem bedarf es eines VorherNachher-Designs, das den Vergleich mit einer Kontrollgruppe (z. B. mit Haushalten ohne Geburtsereignisse) ermöglicht. Zwar wurde in der vorliegenden Analyse die allgemeine Einkommensentwicklung mit berücksichtigt, eine Gegenüberstellung mit einer echten Kontrollgruppe konnte allerdings nicht realisiert werden, da unklar war, welche Kalenderjahre für die Wohlstandsveränderung in den Haushalten ohne Geburtsereignis herangezogen werden sollten (z. B. die Veränderung zwischen den Jahren 1984-86 oder die zwischen 2003-05) bzw. ob nur kinderlose Haushalte ohne Geburtsereignis zwischen 1985 und 2004 in die Kontrollgruppe integriert werden sollten oder auch Familien mit einem, zwei oder mehreren Kindern, die aber zwischen 1985 und 2004 kein Geburtsereignis aufweisen. Darüber hinaus sind die vorgelegten Ergebnisse auf Grundlage monatlich verfügbarer Haushaltsnettoeinkommen mit anderen Einkommensvariablen zu wiederholen (z. B. Jahresnettoeinkommen), da einige relevante Einkommenskomponenten (z. B. Rückzahlungen oder Forderungen am Ende des Jahres nach der Einkommenssteuererklärung) möglicherweise nicht enthalten sind. Trotz der angesprochenen offenen Fragen und methodischen Einschränkungen zeigen die vorliegenden Ergebnisse zu den realisierten sozioökonomischen Folgen einer Geburt deutlich die Notwendigkeit gezielter staatlicher Maßnahmen zur Familienförderung auf. Darüber hinaus machen die nachgewiesenen Fertilitätseffekte auch auf diejenigen monetären Hindernisse aufmerksam, die mittlerweile eine Vielzahl von Akteuren an der Geburt eines Kindes hindern. Damit leisten die vorliegenden Ergebnisse auch einen Beitrag zur Erklärung des hohen Anteils kinderloser Personen und Haushalte.
6.2 Familienpolitische Konsequenzen In Deutschland existiert ein parteienübergreifender Konsens darüber, dass Familien mit Rücksicht auf ihre unterhaltsabhängigen Kinder die lebensnotwendige materielle Basis gesichert werden muss. Neben dem wirtschaftlichen Grundsi-
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cherungsgedanken strebt eine moderne Familienpolitik aber mindestens zwei weitere Ziele an: erstens die Erhöhung der Geburtenrate und zweitens die Verminderung sozialer Ungleichheit zwischen kinderlosen Personen und Familien. Im Hinblick auf alle genannten Aspekte ist die Kenntnis der sozioökonomischen Konsequenzen von Geburten von herausragender Bedeutung. Zwar sind die finanziellen Aspekte einer Kindergeburt keineswegs alleiniger Grund für die (Nicht-)Realisierung eines Kinderwunsches, jedoch ist unbestritten, dass eine Vielzahl von Paaren auch bei sonst guten Vorraussetzungen aus monetären Gründen keine Kinder bekommen will, d. h. dass die sozioökonomischen Auswirkungen einer Kindergeburt durchaus eine zentrale und notwendige Bedingung generativen Handelns darstellen. Andererseits führt die geburtsbedingte Veränderung der Wohlstandsposition der betroffenen Haushalte in denjenigen Haushalten, die sich dennoch für Kinder entscheiden, zu teilweise erheblichen sozioökonomischen Nachteilen und ist deshalb der Hauptgrund für die beobachtete soziale Ungleichheit zwischen Familien und kinderlosen Haushalten bzw. zwischen Familienhaushalten mit einer unterschiedlich hohen Kinderzahl. Familienpolitisch sind deshalb Instrumente gefragt, die sowohl Anreize zu Kindergeburten geben (Anreizfunktion) als auch gleichzeitig eine Verteilung der staatlichen Mittel implizieren, die den sozioökonomischen Nachteilen einer Elternschaft entgegenwirken (Verteilungsfunktion). Es ist leicht einsehbar, dass beide formulierten Ziele Hand in Hand gehen. Wie aber sehen diesbezügliche Lösungsansätze in der gesellschaftlichen Realität bislang aus? Die bisherige und wohl auch zukünftige finanzpolitische Ausrichtung der deutschen Familienpolitik, im Hinblick auf die Kompensation der geburtsbedingten Einkommens- und Wohlstandskonsequenzen, spiegelt sich in der nachstehenden Empfehlung von Richard Hauser sehr gut wider: „ […] in den unteren Einkommensschichten [sollte] ein höherer Anteil [der „Kinderkosten“] übernommen werden als in den oberen Einkommensschichten; und schließlich müsste der vom Staat übernommene Anteil mit zunehmender Kinderzahl ansteigen, da eine Familie mit jedem zusätzlichen Kind in eine niedrigere Wohlstandsklasse absinkt“ (Hauser, 1995: 149). Vor dem Hintergrund der präsentierten Ergebnisse ist diese Position allerdings kaum aufrecht zu erhalten. Entscheidungskriterium für eine notwendige Modifikation der staatlichen monetären Transferleistungen sollte wie gezeigt, nicht das niedrige Wohlstandsniveau der Familien nach der Geburt eines Kindes sein, sondern die sozioökonomischen Konsequenzen durch die Geburt. Letztere fallen jedoch zum einen beim ersten und nicht beim letztgeborenen Kind und zum anderen nicht in der Unterschicht, sondern in der Oberschicht am gravierendsten aus. Im Hinblick sowohl auf die Anreizfunktion als auch auf die Verteilungsfunktion legt dieser Befund eine Fokussierung auf das erste Kind nahe. Denn eine
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6 Resümee und Handlungsempfehlungen
bessere Kompensation der sozioökonomischen Konsequenzen der Erstgeburt erhöht zunächst den Anreiz zur Familiengründung. Dieser ist insofern wichtiger als die Förderung zur Familienerweiterung, da, wie bereits die Ergebnisse im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit deutlich gezeigt haben, nicht das „Verschwinden“ kinderreicher Familien, sondern die zunehmende Kinderlosigkeit, d. h. das Ausbleiben erster Geburten, die wesentliche Steuerungsgröße der Geburtenentwicklung ist (vgl. hierzu auch Birg, 2005; Huinink, 2002; Peuckert, 2002). Haben sich Paare hierzulande erst einmal für ein erstes Kind entschieden, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein zweites bekommen und zwar auch deshalb, weil die geburtsbedingten Folgekosten des zweiten und dritten Kindes wesentlich niedriger sind als die des ersten Kindes. Eine durch monetäre Transferzahlungen gewährleistete Besserstellung der Erstgeburten fördert also die Fertilitätswahrscheinlichkeiten von Geburten jedweder Ordnungszahl. Eine monetäre Besserstellung anlässlich der Familiengründung ist daneben aber auch effektiver (im Vergleich zur verstärkten Bezuschussung weiterer Geburten), um sozialen Unterschieden zwischen Familien und kinderlosen Haushalten vorzubeugen. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass einerseits die geburtsbedingten sozioökonomischen Konsequenzen bei der Familiengründung am höchsten sind und dass andererseits auch kinderreiche Familien von hohen Transferzahlungen für das erste Kind profitieren, während Haushalte mit einem oder zwei Kindern keinen Nutzen aus höheren Leistungen für dritte Kinder ziehen können. Ein Schwerpunkt der deutschen Familienpolitik muss daher stärker als bisher darin liegen, diejenigen Schranken, die der Familiengründung entgegenstehen, zu beseitigen (vgl. Gruescu & Rürup, 2005). Dass dieses Ziel zumindest im Hinblick auf die kurzfristigen Hindernisse am ehesten mit monetären Anreizen gelingen kann, liegt auf der Hand. Denn da die meisten Eltern ihr Kind während den ersten zwölf Lebensmonate selber betreuen wollen, läuft eine auch noch so gut gemeinte Verbesserung der infrastrukturellen Möglichkeiten, z. B. in Form von Kinderkrippen für unter einjährige Kinder, möglicherweise ins Leere. Allerdings zeigen die Betreuungswünsche der Eltern für über einjährige Kinder einen deutlichen Nachholbedarf. Fasst man diese Argumente zusammen, dann folgt daraus, dass die finanzielle Unterstützung des Staates für Familien überwiegend auf die ersten Lebensjahre der Kinder konzentriert werden sollte, insofern eine Kompensation der erwerbsbezogenen Konsequenzen der Geburt angestrebt wird. Dieses Ziel ist mit der Einführung des Elterngeldes weitgehend erreicht worden, auch wenn die Höhe des Elterngeldes in vielen Paarhaushalten noch keine vollständige Kompensation der Fertilitätskonsequenzen ermöglicht. Für ältere (über einjährige) Kinder sollte der Staat hingegen die Möglichkeit der Nutzung von infrastrukturellen Angeboten als zentrales Mittel zur Externalisierung der Erwerbseinkommensverluste gewährleisten.
6.2 Familienpolitische Konsequenzen
163
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Kinderbetreuungsmöglichkeiten keinen Einfluss auf die Bedarfslageneffekte der Geburt hat. Etwaige Diskussionen über die Abschaffung des Kindergeldes sind vor diesem Hintergrund schwer nachzuvollziehen. Das Kindergeld als zentrale staatliche Maßnahme zur Kompensation der Bedarfslageneffekte der Geburt, d. h. der Lebensunterhaltskosten des Kindes, muss folglich weiterhin ein elementarer Bestandteil der deutschen Familienpolitik sein, will man ein weiteres Anwachsen negativer Fertilitätsanreize vermeiden. Auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen lassen sich abschließend folgende familienpolitische Hinweise geben: 1.
2.
3.
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Die erwerbsbezogenen Transferzahlungen für Doppelverdienerhaushalte (Elterngeld) sollten erhöht werden, um eine Kompensation der geburtsbedingten Einkommenseffekte zu erreichen. Ein Ersatz dieser Leistung durch die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Kinderbetreuungsmöglichkeiten ist zumindest im ersten Lebensjahr, aufgrund mangelnder Nachfrage, wenig sinnvoll und daher nicht zu empfehlen. Denn auch ein noch so gut gemeinter Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Kinder im ersten Lebensjahr wird die allermeisten Eltern nicht davon abhalten, am Lebensanfang der Kinder zu Hause zu bleiben. Während also infrastrukturelle Maßnahmen für den weiteren Familienzyklus besonders wichtig sind, muss den Eltern unmittelbar nach der Geburt ein kurzfristiges finanzielles Polster gewährt werden, das die erwerbsbezogenen Folgen der Geburt kompensiert. Um dennoch eine noch frühzeitigere Externalisierung der erwerbsbezogenen Konsequenzen der Fertilität (zumindest) ermöglichen zu können und damit eine frühzeitige Rückkehr der Eltern in die Berufstätigkeit zu fördern, sollten semi-familiäre Netzwerke (z. B. Nachbarschaftshilfe, Großeltern, Tagesmütter) zur Kinderbetreuung gestärkt werden, die möglicherweise im ersten Lebensjahr des Kindes von den Eltern eher in Anspruch genommen werden als eine öffentliche Kinderbetreuung in staatlichen Einrichtungen. Eine Koppelung der erwerbsabhängigen Transferzahlungen (Elterngeld) an die Einkommenssituation vor der Geburt ist sinnvoll, da die kurzfristigen Folgen der Geburt mit dem Wohlstandsniveau vor der Geburt steigen. Einkommensgrenzen der Bezugsberechtigung und eine Deckelung der Ausschüttung sind im Sinne einer Anreizfunktion nicht zu empfehlen. Die Auszahlungen zur Kompensation der geburtsbedingten Bedarfslageneffekte (Kindergeld) sollten im Vergleich zur gegenwärtigen Praxis asymmetrisch verteilt und insgesamt erhöht werden. Aufgrund der höheren Bedarfslagen erster Kinder im Vergleich zu jeder weiteren Geburt ist die gegenwärtige Verteilung des Kindergeldes wenig sinnvoll. Besser wären, den hier
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vorgestellten Ergebnissen entsprechend, deutlich höhere Kindergeldzahlungen für das erste Kind als für das zweite und jedes weitere Kind. Damit ließen sich zumindest die unterschiedlichen geburtsbedingten Wohlstandsverluste zwischen den einzelnen Ordnungszahlen der Geburt nivellieren, wodurch gleichsam die „Hemmschwelle“ für die Geburt des ersten Kindes und damit auch für die Geburt weiterer Kinder gesenkt werden könnte. Generell lässt sich festhalten, dass familienpolitische Maßnahmen noch stärker als bisher der Dynamik der Lebensverläufe und des Familienzyklus wie auch an die Familiensituation angepasst werden müssen, um eine wirkungsvolle Entfaltung zu gewährleisten. Insofern eine Umsetzung der angesprochenen Veränderungen möglich ist, erscheint auch die Hoffnung berechtigt, die relative monetäre Benachteiligung von Familien gegenüber kinderlosen Haushalten abbauen und gleichzeitig noch unentschiedene Paare zur Familiengründung und -erweiterung bewegen zu können.
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Anhänge
180
Anhänge
Tabelle 22: Definitionen, Kategorisierungen und Identifikationsmerkmale der abhängigen und unabhängigen Variablen der Untersuchung Variable
Definition/Kategorien
SOEPDatensatz
SOEPVariable
Abhängige Variablen Haushaltseinkommen
haushaltsbezogenes Nettoeinkommen im Berichtsmonat
$h
AH46VH5101
log(Haushaltseinkommen)
logarithmiertes Nettoeinkommen im Berichtsmonat
$h
AH46VH5101
Äquivalenzeinkommen
haushaltsbezogenes Äquivalenzeinkommen im Berichtsmonat
-
-
log(Äquivalenzeinkommen)
logarithmiertes Äquivalenzeinkommen im Berichtsmonat
-
-
Unabhängige Variablen Ordnungszahl der Geburt
Zahl des Kindes in der Geburtenfolge
BIOBIRTH
KIDGEB$$
Kalenderjahr der Geburt
Geburtsjahr des Kindes
BIOBIRTH
KIDGEB$$
Periodendummies
Je ein Dummy für jede Befragungswelle
$p
welle
Erwerbsstatus der Eltern
Erwerbsstatus der Eltern im Berichtsmonat
$p
AP08-WP07
Erwerbsumfang der Eltern
Erwerbsumfang der Eltern im Berichtsmonat
$p
AP08-WP07
Berufserfahrung der Eltern
Betriebszugehörigkeit der Eltern im Berichtsmonat
$pgen
$erwzeit
Bildung der Eltern
Bildung der Eltern im Berichtsmonat
$pgen
$psbil
Alter der Eltern
Alter der Eltern im Berichtsmonat
ppfad
gebjahr
ppfad
hhnr$
Variablen zur Konstruktion des Äquivalenzeinkommens Haushaltsnummer
Nummer des Haushaltes
Bedarfsgewicht
Stellung zum Haushaltsvorstand
Haushaltseinkommen
haushaltsbezogenes Nettoeinkommen im Berichtsmonat
Quelle: SOEP (1984-2004)
$brutto
$stell
$h
AH46VH5101
Anhänge
181
Tabelle 23: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, logarithmiertes Haushalts- und Äquivalenzeinkommen (Fixed-Effects) Log Haushaltsnettoeinkommen (Yj)
Log Nettoäquivalenzeinkommen (yj)
G e s a m t 1) 1. Kind 2. Kind 3. Kind
-0.066*** 0.088*** 0.108***
-0.326*** -0.115*** -0.063***
4450 0.157
4450 0.138
N2) R2
K a l e n d e r j a h r d e s G e b u r t s e r e i g n i s s e s 1) 1985-89
1990-94
1995-99
2000-04
1985-89
1990-94
1995-99
2000-04
1. Kind 2. Kind 3. Kind
-0.029*** -0.044*** -0.071*** -0.148*** -0.276*** -0.303*** -0.328*** -0.405*** 0.131*** 0.102*** 0.103*** -0.010*** 0.047+** -0.102*** -0.101*** -0.214*** 0.145*** 0.086+** 0.102*** 0.058*** 0.002*** -0.087+** -0.070+** -0.117***
N2) R2
870 0.146
1032 0.206
1182 0.155
1366 0.145
870 0.114
1032 0.162
1182 0.122
1366 0.121
E i n k o m m e n s n i v e a u d e s H a u s h a l t e s v o r d e r G e b u r t 1) 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1. Kind 2. Kind 3. Kind
0.289*** -0.058*** -0.148*** -0.241*** 0.279*** 0.084*** 0.026*** -0.148*** 0.241*** 0.107*** 0.046+** -
0.028*** -0.317*** -0.407*** -0.500*** 0.076*** -0.120*** -0.177*** -0.350*** 0.074+** -0.066*** -0.126*** -
N2) R2
936 0.252
936 0.254
1446 0.361
1284 0.330
784 0.198
1446 0.237
1284 0.171
784 0.142
P a a r b e z o g e n e s E r w e r b s p r o f i l d e r E l t e r n v o r d e r G e b u r t 1)
Beidea)
Beideb)
1. Kind 2. Kind 3. Kind
0.218*** 0.342*** 0.239***
0.155*** -0.030*** -0.155*** -0.028*** -0.107*** -0.288*** -0.414*** 0.147*** -0.022*** -0.113*** 0.148+** -0.058*** -0.225*** -0.313*** 0.137*** -0.012*** 0.082*** -0.033+** -0.192*** -
N2) R2
176 0.179
2000 0.152
1332 0.152
176 0.194
Einer
Beideb)
Einer
616 0.124
Keiner
Beidea)
Keiner
2000 0.155
616 0.123
1332 0.105
***p<0,001; **p<0,01; *p<0,05; +p<0,1; 1) kursiv gestellte Angaben basieren auf einer geringen Fallzahl; 2) kontrolliert für Kalenderjahr der Geburt (Jahresdummies 1985-2004); 3) doppelte Zahl der „echten Fälle“ aufgrund des Episodensplittings; a) ein Elternteil vor der Geburt vollzeittätig und der andere teilzeittätig; b) beide Eltern vor der Geburt vollzeittätig; Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit alter OECD-Skala; Quelle: SOEP (1984-2005)
182
Anhänge
Tabelle 24: Determinanten der wirtschaftlichen Folgen der Fertilität, absolutes Haushalts- und Äquivalenzeinkommen (Fixed-Effects) Haushaltsnettoeinkommen (Yj) in €
Nettoäquivalenzeinkommen (yj) in €
G e s a m t 1) 1. Kind 2. Kind 3. Kind
-188.7*** 157.3*** 260.0***
-390.6*** -110.9*** -43.3***
N2) R2
4450 0.134
4450 0.123
K a l e n d e r j a h r d e s G e b u r t s e r e i g n i s s e s 1) 1985-89
1990-94
***
1995-99
***
2000-04
1985-89
870 0.125
870 0.108
***
2000-04
N2) R2
1366 0.113
***
1995-99
-80.3 -172.2 -161.6 -381.5 -310.0 -364.5 -389.6 -514.8*** 223.7*** 181.2*** 239.2*** -68.4*** -47.5*** -88.8*** -79.9*** -249.6*** 281.3*** 173.8+** 266.4*** 212.9*** 5.0*** -54.7*** -45.9*** -117.0*** 1182 0.142
***
1990-94
1. Kind 2. Kind 3. Kind
1032 0.200
***
1032 0.165
***
1182 0.117
1366 0.117
E i n k o m m e n s n i v e a u d e s H a u s h a l t e s v o r d e r G e b u r t 1) 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1.Quartil 2.Quartil 3.Quartil 4.Quartil 1. Kind 2. Kind 3. Kind
434.3*** 426.6*** 424.7***
-47.4*** -282.6*** -709.1*** 200.2*** 130.7*** -400.0*** 256.6*** 158.4*** -
N2) R2
936 0.276
1446 0.364
1284 0.337
784 0.160
40.8*** -262.3*** -450.8*** -776.7*** 57.1*** -77.2*** -144.0*** -442.0*** 62.5*** -27.0+** -83.4*** 936 0.270
1446 0.226
1284 0.150
784 0.117
P a a r b e z o g e n e s E r w e r b s p r o f i l d e r E l t e r n v o r d e r G e b u r t 1) Keiner
Einer
Beidea)
1. Kind 2. Kind 3. Kind
272.7+** 422.9*** 352.9***
244.7*** 290.9*** 316.5***
-68.3+** -353.3*** -74.2*** -265.7*** 57.5+** -
N2) R2
176 0.163
2000 0.138
616 0.099
Beideb)
1332 0.145
Keiner
Einer
Beidea)
Beideb)
-36.1*** -105.7*** -311.8*** -503.8*** 69.1*** -47.3*** -229.8*** -298.3*** 49.4+** 21.7+** -137.2*** 176 0.160
2000 0.141
616 0.098
1332 0.126
***p<0,001; **p<0,01; *p<0,05; +p<0,1; 1) kursiv gestellte Angaben basieren auf einer geringen Fallzahl; 2) kontrolliert für Kalenderjahr der Geburt (Jahresdummies 1985-2004); 3) doppelte Zahl der „echten Fälle“ aufgrund des Episodensplittings; a) ein Elternteil vor der Geburt vollzeittätig und der andere teilzeittätig; b) beide Eltern vor der Geburt vollzeittätig; Berechnung des Äquivalenzeinkommens mit alter OECD-Skala; Quelle: SOEP (1984-2005)