Stadt der Toten Western von U. H. Wilken Es ist ein Tag im November. Und es ist das Jahr 1873. Eisiger Wind treibt eine...
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Stadt der Toten Western von U. H. Wilken Es ist ein Tag im November. Und es ist das Jahr 1873. Eisiger Wind treibt einen Schneesturm von dem Bergmassiv des Pikes Peak bis zu der Stadt Colorado Springs. Zwei Männer verlassen an diesem Tag die Stadt, mit Packpferden und ausgerüstet für einen langen Ritt in die Berge. Joel Warner und Jacques Melville, den sie Frenchy nennen. Vor zehn Jahren waren sie Partner im Bürgerkrieg – heute sind sie Freunde auf einem Ritt, der sie in die Hölle führen kann. Ihre Väter sind 1860 im Bergmassiv des Pikes Peak spurlos verschwunden – damals, als der erste große Run auf das Gold in den Bergen Colorados begonnen hatte. Joel Warner hat eine alte Skizze von einer Fundstelle am Cripple Creek. Sie wollen wissen, was dort vor über zehn Jahren geschehen ist. Sie suchen nach dem Camp ihrer Väter – und nach Gold. Sie bahnen sich mühsam einen Weg durch die Schneewände, stumm und verbissen, mit all ihrer Kraft und Ausdauer, entschlossen, das Geheimnis um ihre verschollenen Väter zu ergründen. Weit spannt sich der Himmel, ohne Licht und Sonne. Manchmal tanzen hie und da Schneeflocken durch die Luft. Der Wind ist schneidend kalt und dringt durch ihre Lederjacken hindurch. Sie sind in Schweiß gebadet, keuchen und schnaufen. Weiter. Stunde um Stunde.
Schritt für Schritt. Dort drüben erheben sich die starren Massen ringförmig gelagerter Felsen. Hier ist das Flußbett, kaum erkennbar. Und dort ist die Krümmung des Creeks... Mehr als vier Stunden suchen sie nun schon. Sie haben ihre Pferde und die ganze Ausrüstung mitgenommen. Nichts ist beim Camp unter den Kiefern zurückgeblieben. Und jetzt, nach diesen vier langen Stunden harter Suche, stehen sie oben am verschneiten Hang, vielleicht auf jener Stelle, die auf der Karte mit einem Kreuz gekennzeichnet worden ist. Sie sehen sich stumm und fragend an. Und Joel Warner nickt auf einmal. »Hier ist es, Frenchy«, sagt er, unter Atemnot leidend, »hier muß es sein, das Camp unserer Väter.« Aber sie sehen nichts von einem Camp. Der meterhohe Schnee verbirgt alles. Der Tag neigt sich schon seinem Ende zu. Sie müssen einen Lagerplatz finden, ein geschütztes Nachtlager in dieser verdammten, gottverlassenen Einöde aus Fels und Schnee. Und Frenchy fragt: »Morgen, Joel? Morgen müssen wir den Schnee wegschaufeln, nicht wahr?« »Ja«, sagt Joel. Frenchy dreht sich um und will schon die wenigen Schritte zu seinem Pferd zurückgehen, als der Schnee plötzlich unter ihm nachgibt... Er schlägt nach hinten weg, rutscht – krallt die Hände haltsuchend in den Schnee – gleitet weg – und verschwindet vor Warners Augen in der Tiefe. Ein schmaler, dunkler Spalt gähnt wie eine klaffende Wunde im Schnee. Aus der Tiefe ertönt ein lauter Fluch.
Zuerst erschrickt Joel, bangt um den Freund, aber als er den Fluch hört, atmet er erleichtert auf. »Hol mich raus!« ruft Frenchy dumpf. »Das ist ein ganz verdammt muffiges Loch hier. Werf das Lasso runter, mach schon!« Warner antwortet nicht. Er zerrt die Karte hervor, kniet nieder und breitet sie im Schnee aus. Immer wieder vergleicht er die Eintragungen mit der Natur. Er streicht mit dem Handrücken erregt über den Mund, faltet die Karte zusammen, schiebt sie unter die Jacke und stapft zu seinem Pferd. Er hörte die dumpfe Stimme des Gefährten aus der Tiefe kommen. Frenchy flucht fürchterlich. Er muß sich unten gestoßen haben. Joel nimmt das Lasso vom Sattelhorn und läuft zurück. Er wirft das Lassoende in die Tiefe, rollte das Lasso aus und geht hinter einen Felsen, der ihm genug Halt gibt. Dann zieht er am Lasso. Er spannt sich. Wenig später kriecht Frenchy hervor. Das Lasso liegt im Schnee. »Beinahe hätte ich mir das Genick gebrochen!« schnauft Frenchy. »Da unten liegen ein paar Balken herum. Das Grundwasser ist gefroren. Mehr konnte ich nicht feststellen. Verdammt muffig da unten.« Joel Warner nickt. Er sieht den Freund seltsam an, und mit seltsam schleppender Stimme sagt er: »Du hast uns langes Suchen erspart, Frenchy. Du mußt auf jenen Brettern gestanden haben, die einen Stollen abstützen oder nach außen hin verdecken.« »Was?« Der Franzose starrt ihn verblüfft an. »Du meinst...?« »Ja. Es ist ein alter Stollen. Das Kreuz auf der Karte. Das Camp unserer Väter!« »Gerechter!« Joel blieb ruhig. »Ich werde mir den Stollen ansehen, Frenchy. Jetzt gleich. Geh hinter den Felsen dort und halte das Lasso.«
Er dreht sich um, ohne eine Antwort des Freundes abzuwarten, geht zu seinem Packpferd und löst die kleine Petroleumlampe. Damit schreitet er zum Loch. »Ja«, sagt Frenchy heiser und geht hinter den Felsen. Er ist etwas grau im Gesicht. Vielleicht haben sie das Grab ihrer Väter gefunden. Warner kniet nieder. Er umfaßt das Lasso, legt sich auf den Bauch und schiebt sich über den Rand. Die Füße stoßen ins Leere. Er hängt am Lasso und läßt sich langsam hinabgleiten. Dann berühren seine Füße festen Boden. Er läßt das Lasso los. Über ihm schimmert schwach das graue Tageslicht. Es riecht nach kalter Erde und etwas verfaultem Holz. Stockfinster ist es im alten Stollen. Der Mann stellt die Petroleumlampe auf den Boden und holt ein Schwefelholz hervor. Er reißt es an und zündet den Docht unter dem kleinen Zylinder an. Die Flamme flackert. Er setzt den Zylinder wieder auf. Sofort brennt die Lampe hell und gleichmäßig. Der Lichtkreis breitet sich aus. Joel nimmt die Lampe in die linke Hand. Das Licht geistert über die blanke Fläche des gefrorenen Grundwassers, über morsche Bretter und zerbrochene Stützbalken, die unter dem Gewicht des Erdreiches irgendwann nachgaben und von dem gewaltigen Druck geknickt wurden. Er steht am Anfang eines Stollens. Der Ausgang zum Cripple Creek hin ist eingebrochen. Ein Wirrwarr von Balken ragt aus der Felsmasse hervor. Zwischen den Balkenrissen schimmert Eis. Langsam geht er über das Eis. Die Eisfläche ist nicht verstaubt. Der Stollen muß also vor Einbruch der Kälte zusammengestürzt sein. Vielleicht erst in diesem Jahr, vielleicht aber auch schon vor zehn, zwölf Jahren. Und in jedem Winter wurde das Grundwasser dann zu Eis. Der Stollen muß mit dem Creek in gleicher Höhe liegen.
Rechts und links stehen Stützbalken.Tiefe Risse ziehen sich durch das Felsgestein. Ein Querbalken hängt geknickt und zersplittert herab. Joel muß sich tief hinabbeugen, um weitergehen zu können. Vor seinen Füßen liegen Felsbrocken. Er steigt darüber hinweg. Vor ihm gähnt das Dunkel des Stollens. Damals suchten die meisten Goldsucher in den Flüssen nach Gold, am Clear-Chicago- und Cripple-Creek. Nur wenige gruben richtig nach Gold – wie der Oldtimer Green Russell in der nach ihm benannten Russell Gulch. Auch in der French Gulch, am Boulder Creek und in der California-Gulch wurde Gold gefunden. Richtige Stollen waren selten. Manche Goldsucher trieben aber auch einen Stollen in die Felsen, um dort während des Winters zu hausen. Dieser Stollen mag vielleicht zu diesem Zweck in den Felsen getrieben worden sein. Von Joel Warners Vater und seinen Gefährten... Und Joel erblickt eine alte, verrostete Pfanne, ein zerfetztes Drahtsieb und mehrere Schaufeln und Hacken. Das Licht wandert weiter... Ein Bretterstoß. Ein alter Dreifuß, verbogen. Leere Blechkonserven. Ein zerfetztes Leinentuch, im Laufe der Jahre grau und weich geworden. Wieder eine Schaufel. Ein Haufen Holzasche, noch erkennbar die halbverkohlten Holzscheite, vom Eis umfaßt. Der Stollen steigt etwas an. Das Eis läuft aus. Harter Felsboden. Joel Warner verharrt... Seine grauen Augen verengen sich; sie funkeln und glitzern im Lichtschein der Lampe. Er stößt den Atem langsam aus, beugt sich hinab. Die rechte Hand faßt nach dem alten WalkerColt. Die Waffe ist verrostet, unbrauchbar. Er wirft sie achtlos weg.
Dreht sich um und sieht zurück. Sechs Schritte zurück schimmert das Tageslicht in den alten Stollen hinein. »Joel, hast du was entdeckt?« Frenchy muß dicht am Rande des Einsturzloches liegen. Seine Stimme klingt hohl und schallt etwas im Stollen. Und sie klingt auch ein wenig besorgt und ängstlich. Dabei ist Jacques Melville kein Angsthase. Aber vielleicht fürchtet er sich vor der Wahrheit der Vergangenheit. Denn dieser Stollen gab ihren Vätern einst Schutz und Sicherheit. Hier lebten sie. Und hier starben sie vielleicht.... »Nein«, ruft Joel zurück. »Beeil dich, es wird bald dunkel. Der Himmel ist bewölkt«, ruft Frenchy. Schnee fällt in den Stollen. Er kriecht sicherlich zurück. Und Joel geht weiter. Immer wieder spürt er den Druck einer dumpfen Ahnung im Nacken. Er riecht schon fast das Furchtbare. Vor ihm, in der Dunkelheit, wartet es auf ihn. Er hakt mit dem rechten Fuß hinter eine erhöhte Felsplatte und stolpert. Er will sich nicht an einem der Stützbalken festklammern, weil der Stollen dann zusammenstürzen würde. So fällt er auf die Seite und hält dabei die Lampe hoch, damit das Glas nicht zersplittert. Er wälzt sich fluchend herum, liegt auf dem Bauch und sieht dicht vor sich einen kaltglänzenden Totenschädel. Unwillkürlich erschrickt er. Starrt auf den Schädel und sieht an der Stirnplatte deutlich das brüchige Loch. Da springt er auf und starrt mit flackernden Augen auf das Skelett. Rechts und links davon liegt der kaum erkennbare Abfall einer Lederjacke. Der Ledergurt mit dem Colthalfter ist noch zu erkennen, und auch die Stiefel sind als solche noch erkennbar. Das Licht flackert, und das Skelett scheint sich zu bewegen. Aber es ist das Licht, das diese Täuschung hervorruft.
Es muß ein großer breitschultriger Mann gewesen sein, der hier im dunklen Stollen sein Grab gefunden hat. Joel zieht die Schultern fröstelnd an. Er verkrampft sich. Geht dann steif vorbei und erblickt den zweiten Toten. Das Skelett liegt direkt an der Stirnwand des Stollens. Der Mann muß an der Wand gestanden haben, als ihn die tödliche Kugel traf. Und er muß an der Wand heruntergerutscht und zusammengebrochen sein. Dieses Skelett ist zusammengefallen und hat sich schon aufgelöst. Zwei Tote! Zwei Männer, die vor vielen Jahren in diesem Stollen gestorben sind. Ein grauenvolles Zeugnis der Vergangenheit. »Gerechter«, flüstert Joel mit gefrorener Stimme. Er weiß noch, daß sein Vater einmal zwei Vorderzähne verlor, als er vom Pferd stürzte. Damals, als er ein Wildpferd einreiten wollte und es dann auch schaffte. Und das Gebiß jenes Toten weist eine Lücke auf. Zwei Zähne fehlen! Sein Vater... Er muß es sein! Und Joel stöhnt leise auf. Ein kalter Schauer kriecht über seinen Rücken. Er zieht die Unterlippe zwischen die Zähne und spürt die Übelkeit, die würgend in der Gurgel hochsteigt. Mit einem unterdrückten Keuchen wendet er sich ab. Das Licht wandert vor ihm her. Er kommt zum Stollenende und sieht wieder über sich das schwache Licht. »Frenchy, nimm das Lasso!« ruft er krächzend und stellt die Lampe ab. Dann umfaßt er das Lasso und wartet, bis es sich strafft. Mit einigen Klimmzügen ist er oben, schwingt sich hinaus und richtet sich auf. Der Freund kommt herangestapft. Er betrachtet Joels Gesichtsausdruck und erkennt das stille Grauen in den Augen des Gefährten. Langsam nickt Joel Warner.
»Die Lampe ist noch unten. Du mußt etwas in den Stollen hineingehen«, murmelt er und geht zum Felsen davon. Der Franzose steht zaudernd vor dem Loch. Er weiß nun, was ihn dort unten im dunklen Stollen erwartet. Ein Reich der Toten. Joel sieht vom Felsen hinüber. Er sieht auch die graue Wolkenwand am Pikes Peak. Der Wind ist schon mächtiger, wilder und eisiger. Und weil sie nicht mehr viel Zeit verlieren dürfen, brüllt er: »Willst du festfrieren, he? Los, laß dich hinunter!« Da reißt sich Frenchy zusammen, packt das Lasso und hangelt in die Tiefe. Warner wartet. Viele Minuten verrinnen. Noch immer ist Frenchy nicht zurück. Der Wind treibt Wolken von Pulverschnee über die Senke des Cripple Creek. Ein Wimmern ertönt. Die Pferde schnaufen. Sie wissen instinktiv, daß ein Unwetter heraufzieht. Die Luft wird schwer. Joel spürt es in der Lunge. Als Frenchy ins Freie kommt, herrscht schon ein heftiges Schneetreiben. Er sieht im wirbelnden Schnee den Gefährten zu den Pferden laufen, schüttelt die schweren Gedanken von sich und rennt mit der Lampe und dem Lasso los. »Hörst du das Jaulen?« ruft Joel. »Es gibt einen Sturm! Der Schneesturm wird vom Pikes Peak kommen! Wir müssen sofort weg von hier! Weiter nach Süden!« Sie nehmen ihre Pferde am Zügel und zerren sie hinter sich her durch den Schnee. Die Krempen ihrer Stetsons flattern im scharfen Wind. Der Schnee klatscht gegen ihren Rücken. Vor ihnen taumeln und tanzen weiße Flocken. Die Sicht wird immer schlechter. Zwischen den Felsen heult und wimmert der Wind. Sie sitzen auf, als sie die blankgefegte Fläche einer Ebene erreicht haben. Die Pferde drängen vorwärts. Immer wieder müssen die Männer die Pferde zurückreißen. Ein Spalt im Boden, ein Sturz – und es wäre aus. Sie dürfen nur langsam
reiten, auch wenn der Schneesturm heult, faucht und orgelt. Der Felsboden ist frei von Schnee, aber die Sicht ist so schlecht, daß sie es nicht wagen dürfen, die Pferde in einen Galopp fallen zu lassen. Eines der Pferde wiehert schrill und klagend. Die Hufe poltern über den Felsboden. Der Sturm erfaßt sie. Die Tiere schlittern und gleiten manchmal aus. Sie laufen immer schneller. Der Sturm drückt und treibt sie vor sich her über die Ebene. Und sie können schon gar nichts mehr sehen. Alles ist grau und weiß. Sie können sich selbst kaum sehen. Die Pferde sind graue, fleckige Schatten im Schneetreiben. Ein Lastgurt reißt. Das Packpferd bricht aus. Frenchy zerrt am Lasso. Joel springt ab. Schnee peitscht sein verzerrtes Gesicht. Er kämpft gegen den Sturm an, erreicht das Packpferd, sieht den zerfetzten Ledergurt und schnürt mit einem anderen Lasso die Last am Pferd fest. Frenchy kann die Pferde nur mit Mühe halten. Joel läuft zurück. Der Sturm drückt ihn zu Boden. Er zieht sich mühsam in den Sattel, auf dem schon der Schnee klebt, und schnappt mit der Rechten nach dem Zügel. Weiter, nur weiter! Es muß jetzt die Stunde des Sonnenuntergangs sein, aber von Sonne und Licht ist nichts zu sehen. Ein einziges Grau ist vor ihnen. Und hinter ihnen ist der Schneesturm, der vom Pikes Peak kommt. Sie keuchen und schwitzen. Es kostet ihre ganze Kraft, die Pferde immer wieder zurückzureißen. Sie möchten fluchen, furchtbar fluchen – aber sie können es schon gar nicht mehr; der Atem dazu fehlt ihnen. Dann verdichtet sich das Grau vor ihnen. Felsen! Weiße Schneeberge davor. Sie können die Tiere nicht halten. Sie jagen hinein in den Schnee. Die Pferde schlagen um, kippen zur Seite, kommen zuckend hoch. Und die Männer halten die Zügel. Sie halten sie krampfhaft und halb verzweifelt fest.
Alles ist auf den Pferden – die ganze Ausrüstung, Lebensmittel. Ohne Proviant und Pferde sind sie verloren! Die Pferde werden verrückt vor Angst. Sie richten sich auf, bahnen sich niederstürzend einen Weg durch den Schnee, zerren die Männer hinter sich her. Sie werden durch den Schnee gerissen, aber sie halten fest! Plötzlich ist der Sturm weg. Aber schon rutschen sie in die Tiefe, einen schrägen Abhang hinunter. Die Felsenkette fängt den Sturm auf. Sie rutschen mit den Pferden abwärts, überschlagen sich, landen in einer großen Schneewehe. Taumelnd kommen sie hoch, halb benommen. Die Pferde stehen plötzlich ruhig da. Über ihnen jault der Sturm. Und rechts von ihnen, vom Schnee halb begraben, erheben sich mehrere Häuser. Zwei sind kaum noch zu sehen. Eins ist zusammengebrochen. Ein verlassenes Goldgräber-Camp! Und hinter dem Camp, dicht am Hang, ducken sich über dreißig andere Häuser, aus Holzbrettern und Stämmen erbaut! Eine ganze Stadt... Verlassen, verödet, tot. Entstanden über Nacht, erbaut von Goldgräbern im Jahre 1859/60, schon ein Jahr später verlassen. Eine Geisterstadt! So nennt man diese Kistenholz-Städte, die nach dem Abklingen des Goldfiebers völlig verödet sind. Geisterstadt... Verdammt zum Zerfall, vergessen für alle Zeiten. Überbleibsel einer wilden Epoche, als die Gier nach dem Gold die Menschen verrückt machte, als Tausende ins Bergland des Pikes Peak strömten, von Habgier besessen, verrückt nach dem gleißenden Gold. Aber nicht nur nach Gold wurde gesucht. Auch nach Silber. Nach Kriegsende fand man Silber. Die Stadt Georgetown entstand. Sie steht noch heute. Und auch einige Goldgräber-
Camps konnten sich nach jener wilden Zeit behaupten und sind zu richtigen Städten geworden: Fairplay, Breckenridge, Gold Hall und manche andere. Diese Goldgräberstadt hier wird zerfallen. Und Joel Warner geht nun langsam auf diese Geisterstadt zu. Die Pferde folgen ihm willig. Und auch Frenchy besitzt noch soviel Kraft, um gehen zu können. Sie nähern sich langsam, völlig ausgepumpt und schwach, der toten Stadt. Noch immer tobt der Schneesturm, doch die Stadt liegt im Schutz der hohen Felsen. Nur der Schnee kommt über die Felsen. Sie erreichen das erste Haus. Schneewehen ziehen sich über die breite Straße. Zwischen den halbzerfallenen Häusern liegt mannshoch der Schnee. Irgendwo schlägt eine Luke oder Tür. Ein Schild hängt über der Eingangstür eines Hauses. Die Schrift ist nicht mehr zu lesen. Das Haus ist noch ziemlich gut erhalten geblieben. Joel bleibt stehen, bis Frenchy bei ihm ist. Er deutet müde auf das Haus. »Wir bleiben hier«, murmelt er. »Dies hier ist wohl das beste Haus. Die Pferde nehmen wir mit hinein. Wird wohl damals ein Saloon gewesen sein...« Frenchy nickt nur. Sie gehen auf das Haus zu. Davor gibt es keinen Gehsteig. Das Haus ist auch fensterlos. Warner rüttelt an der verklemmten Tür. Er muß sie aufreißen. Sie dringen in das Haus ein. Die Straße ist wieder öde und leer. Auf der Ebene wütet der Schneesturm. Das Land versinkt im Dunkel der Nacht. »Die Lampe«, sagt Joel rauh, »mach die Lampe an, Frenchy.« Frenchy geht mit schleppenden Schritten zu den Pferden. »Der Zylinder ist zerbrochen«, ertönt kurz darauf seine Stimme.
»Sie brennt auch so.« Ein Schwefelholz flammt auf. Frenchy überträgt die Flamme auf den Docht der Petroleumlampe. Es zieht von der Tür her; die Flamme flackert heftig. Im Raum wird es hell. *** Die Bretterwände sind dunkel vom eingefressenen Rauch. Die Theke ist zusammengebrochen. Die wenigen Tische und Hocker sind mit einer grauen Staubschicht überzogen. Leere und zerplatzte Flaschen liegen auf dem erdenen Boden. Überall liegt Schmutz und Abfall. Vor der Tür häuft sich feiner Flugsand, der während des Sommers vom heißen Wind hereingetragen wurde. In der Raummitte, in der Nähe des Holzbalkens, der mit das Dach abstützt, steht ein alter Ofen. Holzscheite liegen davor. »Ja, der Saloon«, sagt Frenchy mit schleppender Stimme. »Hier wurde das Geld und Gold versoffen und verspielt. Und bestimmt sind nicht die Goldsucher reich geworden, sondern diese Geschäftsleute, die so eine Bruchbude hatten.« Joel nickt. »Versuch den Ofen anzuheizen«, sagt er. »Ich kümmere mich um die Pferde.« Und er geht zu den Tieren, löst die Gurte, nimmt die Sättel und Lasten ab und trägt alles auf die eine Raumseite. »Im Ofen ist noch Holz«, sagt Frenchy. »Aber er ist versandet. Der Sand wird vom Dach heruntergekommen sein.« »Die Leute müssen damals überstürzt aufgebrochen sein; sie ließen fast alles stehen und liegen. Ja, nach den ersten Goldfunden entstand diese Goldgräberstadt. Dann gab es wohl kein Gold mehr. Die großen Funde blieben aus. Plötzlich hörten die Leute, daß in Fairplay oder sonstwo große
Goldvorkommen entdeckt worden wären, und über Nacht wurde diese Stadt tot. So war es doch wirklich überall.« Joel sagt es mit beinahe gleichgültiger Stimme, nimmt eine Decke und geht damit zur Tür. Er hängt die Decke vor der Tür auf, und die Flamme der Petroleumlampe flackert nicht mehr. Und Frenchy räumt den Ofen aus. Sand und Staub schlagen ihm entgegen. Er hustet. Schließlich legt er trockenes Holz in den Ofen und zündet es an. Die Flammen lecken empor. Langsam breitete sich die Wärme aus. Draußen wimmert der Wind. Wenig später brät Speck in der Pfanne auf dem Ofen, und in dem daneben stehenden Kessel summt Schneewasser. Die Freunde hocken auf ihrem Sattel nahe am Ofen. »Ich habe kein Gold im Stollen sehen können«, sagt Frenchy auf einmal. »Und du, Joel?« »Auch nicht.« »Wo könnte es dann sein, wenn nicht im Stollen?« Joel zuckt die Achseln. »Weiß nicht, Frenchy. Ich weiß nur, daß einer der Toten mein Vater war. Ich erkannte es an der Zahnlücke...« Frenchy zieht die Schultern fröstelnd nach vorn. »Furchtbar«, flüstert er. »Dann muß der andere mein Alter gewesen sein.« »Oder der Schwager meines Vaters«, murmelt Joel dumpf. Der Freund sieht ihn starr an. Er schluckt würgend. »Glaubst du, daß...« »Ich glaube gar nichts«, unterbricht Joel ihn, »und ich weiß auch nichts – nicht mehr als du. Ja, sie waren zu dritt hierhergezogen. Einer der Toten war mein Vater, das ist vollkommen klar für mich. Wer der andere ist, weiß ich nicht. Es kann dein Vater sein, Frenchy – oder mein mir nicht bekannter Onkel.« »Sie müssen richtig miteinander gekämpft haben, Joel«, sagt Frenchy unruhig. »Sie mußten sich gegenseitig erschossen
haben! Aber wo ist der dritte Mann, Joel – und wo ist das Gold?« »Vielleicht schoß der andere die Männer im Stollen nieder, um dann mit dem Gold das Weite zu suchen.« »Mein Alter war kein Mörder, Joel!« entgegnet Frenchy frostig. »Er war ein Draufgänger, er wollte auch reich werden – aber ein Mörder war er nicht! Er ging immer den sauberen, geraden Weg.« »Das Gold machte viele gute Männer verrückt, Frenchy...« »Aber nicht meinen Alten!« »Wie willst du das wissen? Über zwölf Jahre ist es her.« »Joel, glaubst du, daß mein Alter deinen Vater und Onkel niederschoß und mit dem Gold verschwand? Glaubst du das wirklich, Joel?« »Verdammt, verdammt – ich glaube gar nichts!« »Du hat es aber angedeutet!« »Du bist ein Narr, Frenchy, ein großer Narr. Ebensogut könnte mein Onkel unsere Väter erschossen haben. Oder, wie schon gesagt, sie erschossen sich bei einem Streit, und der dritte – mein Onkel oder dein Vater – blieb als einziger am Leben und verließ mit dem Gold das Land.« »Verdammt, ich verstehe bald gar nichts mehr!« »Mein Onkel kehrte nicht zurück. Meine Tante wartet schon dreizehn Jahre auf ihn...« »Auch mein Alter kam nie zurück!« »Ja.« Frenchy beugt sich vor. »Joel«, flüstert er heiser, »was auch immer im Stollen geschah, wer auch immer der Mörder gewesen ist – wir wollen daran nicht mit unserer Freundschaft zerbrechen, versprich mir das, Joel.« »Frenchy«, Warner lächelt ernst, »Frenchy – du hast mich damals vor dem Verbluten bewahrt, du hast mich herausgeholt. Glaubst du, ich kann das vergessen? Glaubst du, ich könnte
meinen Lebensretter verfluchen, nur weil sein Vater vielleicht meinen Vater erschoß?« Da atmet der Freund tief auf. »Danke, Joel.« »Hör auf damit, Frenchy. Wir haben es damals abgemacht: Keinen Dank, keine Verpflichtung. Das gilt auch heute.« »Trotzdem, Joel.« Sie sehen sich ernst und fest an. Sie sind Freunde. Gute Freunde. Der erbarmungslose, schreckliche Krieg hat sie zusammengeschweißt. Was auch immer in jenem Stollen vor vielen Jahren geschah, ihre Freundschaft wird daran nicht zugrunde gehen. Das wissen sie beide. Vielleicht werden sie das Geheimnis nie erfahren, vielleicht wird jener tragische Zusammenstoß im Stollen bis in alle Ewigkeit ein Geheimnis bleiben. »Und wenn es nun wirklich mein Alter war, der deinen Vater und dessen Schwager erschoß, um in den Besitz des ganzen Goldes zu kommen? Wo ist er dann geblieben, Joel?« »Er blieb hier in der Schneewüste, Frenchy. Es war Winter. Er erfror oder verhungerte. Mit dem Gold. Irgendwo im eisigen Schnee.« »Mein Alter...« Frenchy schüttelt immer wieder den Kopf. »Wir wissen es ja nicht«, murmelt Joel. »Was wissen wir schon, he? Nichts. Mein Vater kam im Stollen um. Das ist alles, was ich weiß. Und du weißt auch nicht, ob der andere Tote dein Vater ist. Aah, das Gold ist weg. Wenn das Unwetter weitergezogen ist und wir bis zum Stollen durchkommen können, dann begraben wir sie dort. Aber wir werden sicherlich warten müssen. Der Schnee wird so hoch sein, daß wir nicht hindurchkommen. Wir müssen hier in dieser Geisterstadt so lange warten, Frenchy. Der Ritt war nicht umsonst, auch wenn das Gold weg ist.«
»Joel, vielleicht liegt der dritte Mann unter dem Schnee? Vielleicht wurde auch er erschossen?« »Schon möglich. Aber ich glaube es nicht. In den vergangenen dreizehn Jahren kamen bestimmt schon mehrere Männer am Stollen vorbei, im Sommer, als der Cripple Creek frei war. Sie hätten ihn gefunden – und das Gold. So oder so – das Gold ist weg, Frenchy.« »Ja, du hast recht. Der Stollen muß von dem dritten Mann zum Einsturz gebracht worden sein. Er wollte alle Spuren verwischen. Es war Zufall, daß ich einbrach. »Yeah.« Joel erhebt sich und nimmt die Pfanne vom Ofen. Er wirft auch eine Handvoll Kaffee in den Kessel. Sie nehmen ihre Messer und fischen sich die Speckstücke aus dem flüssigen, heißen Fett. Dazu essen sie Zwieback. Nach dem Essen trinken sie den heißen Kaffee. Schließlich werden die Pferde gefüttert. Und dann legen sich die Gefährten in die Decken, nachdem Frenchy noch Feuerholz nachgeworfen hat. »Morgen werden wir weitersehen«, murmelt Joel, legt sich auf die Seite und schläft sofort ein. Und auch Frenchy schnarcht kurz darauf. Neben ihnen liegen griffbereit die Winchestergewehre... In der Geisterstadt ist es totenstill. Vor dreizehn Jahren war es anders. Ein gewaltiges Camp, eine Stadt voller Leben. Goldsucher auf der breiten Straße, Glücksritter und Spieler im Saloon und in den anderen Kneipen. Rauch, der über den Dächern emporsteigt. Grölende, lachende fluchende Männer. Nachrichten über neue Goldfunde. Das Fieber der Habgier glänzt in den Augen der Männer. Oder stumpfe Hoffnungslosigkeit nach Monaten vergeblicher Suche. Arme und schon reichgewordene Männer. Prahler, Enttäuschte und Hoffnungsvolle. Ein buntes, wildes Männerleben. Fäuste, die hart zupacken, zuschlagen. Schüsse, aus Freude oder Wut abgefeuert. Eine Stadt, die vor Leben überkocht.
Und dann – über Nacht, von einer Stunde zur anderen – das Ende. Neue Goldvorkommen im Norden! Hier ist alles ausgebeutet, aber im Norden – dort kann ein Mann reich werden! Lügen, die als Wahrheit hingenommen werden. Maßlos übertriebene Berichte. Und sie ist wieder da – die Gier! Sie macht blind. Gold! Reiter verlassen die Stadt. Wagen folgen. Viel bleibt stehen und liegen. Nur keine Zeit verlieren. Als erster am Ziel sein. Und in wenigen Stunden ist es eine tote Stadt. Die Nacht bleibt ruhig. Als sie erwachen, ist es kalt im Raum. Der Ofen ist schon seit einigen Stunden nicht mehr warm. Sie rollen sich aus den Decken. Der Franzose macht Feuer, während Joel Warner die Pferde füttert und etwas Proviant auspackt. Nach dem Frühstück verlassen sie das Haus. Die Tür geht kaum auf; sie müssen den Schnee der frühen Morgenstunden zur Seite drücken. Kalt und scharf ist die Luft. Schnee stiebt vom Dach. Windstöße kommen über die verschneite Straße. Dort drüben, im Norden, wuchtet der Pikes Peak eisig blau und drohend empor, und die ersten Sonnenstrahlen, schwach und ohne Wärme, lassen seinen Gipfel kalt schimmern. Wir kommen mit den Pferden noch nicht durch, denkt Frenchy. Die Tiere sind noch zu kraftlos. Ja, morgen vielleicht... Er geht über die Straße und hört den Schnee unter seinen Schritten knirschen und reiben. Jetzt, zur Stunde des Sonnenaufgangs, herrscht klirrende Kälte. Aber er spürt die Kälte nicht so sehr, weil der heiße Kaffee ihn wärmte, weil er ausgeschlafen und gesättigt ist. Der Franzose nähert sich langsam einem Haus. Es ist noch recht gut erhalten. Die Tür ist zu. Neben der Tür bewegt sich die Luke eines kleinen Fensters.
Frenchy zerrt an der Tür, aber sie läßt sich nicht öffnen. Sie muß verklemmt sein. Er schlägt die Luke auf und blickt durch das Fensterloch ins Innere, kann aber kaum was erkennen. Da schlägt er die Luke zu, verriegelt sie und wendet sich ab. Er durchstreift die tote Stadt. Immer wieder muß er sich durch mannshohe Schneewehen arbeiten. Sein Blick fällt auf eine längliche Baracke. Sie steht etwas abseits. Die rechte Seite ist vom Schnee begraben. Über dem Eingang dieser Baracke hängt eine kleine Glocke... Die Neugierde treibt den Franzosen voran. Vor der Baracke verharrt er. Er betrachtet die Tür, die nur noch aus losen, verschobenen Brettern besteht. Ein kleines, einfaches Gotteshaus, damals von gläubigen Goldsuchern erbaut. Das ist schon eine Seltenheit in den wilden Goldgräbercamps... Und Frenchy blickt auch irgendwie ehrfurchtsvoll empor zur Glocke, die im kleinen, überdachten Turm hängt. Der Klöppel liegt am Glockenrand und wird sicherlich festgefroren sein. Mit wenigen Griffen hat der Mann die losen Bretter beiseite geräumt und betritt dann diese Kirche. Drinnen herrscht fahles Zwielicht. Die Bankreihen sind noch zu sehen, auch der Altar und die Kanzel. Auf dem schmalen Mittelgang liegt Sand und hereingewehter Schnee. Vor dreizehn Jahren suchte mancher verzweifelte Mann in dieser einfachen Kirche Trost und Zuversicht – und fand beides. Frenchy geht hinaus und wandert weiter durch die Stadt. Er blickt in die Hütten und Häuser, betrachtet sich alles und geht dann auf der Straße zurück. Wieder kommt ein Windstoß, fegt Schnee von den Dächern. Frenchy wendet sich ab, um den Schnee nicht ins Gesicht zu bekommen.
In diesem Moment sieht er rechts von sich Fußstapfen – große, runde Fußstapfen! Er erstarrt. Sind sie doch nicht die einzige Lebenden in der Geisterstadt? Es sind Fußstapfen, deutlich erkennbar. Aber sie sind ungewöhnlich groß und plump. Auch fehlt der Abdruck der Stiefel... »Gerechter«, flüsterte der Franzose, »wer kann das sein! Es könnten Bärenstapfen sein, aber es sind die Schritte eines Menschen!« Er spürt ein dumpfes Unbehagen, einen leisen Schauer. Bei Gott, er ist nicht ängstlich! Und doch überkommt ihn ein gewisses Grauen bei dem Gedanken, daß in dieser toten Stadt noch ein Mensch lebt. Und er kniet nieder und tastet mit der rechten Hand über den Abdruck. Der Schnee ist nicht festgetreten; er ist noch weich, und die Ränder sind etwas eingefallen und verwischt. »Verdammt«, murmelt er dumpf und richtet sich wieder auf. Sein Blick folgt der Spur. Sie läuft über die Straße und verschwindet hinter, einem Haus... Unwillkürlich tastet Frenchy nach seinem Colt. Er spürt das kalte Metall und fühlt sich auf einmal wieder sicher. Langsam folgt er der Spur, kommt hinter das Haus und sieht seine eigene Spur wieder! Ja, vor zehn, fünfzehn Minuten befand er sich hier am Haus, aber zu jenem Zeitpunkt gab es hier keine andere Spur. Er folgt seiner eigenen Spur, und plötzlich sieht er wieder die geheimnisvollen Fußstapfen. Der Unbekannte ist auf seiner Spur gegangen! »I’m blowed!« flüstert Frenchy. »Hol mich der Teufel! Ich muß...« Er spricht nicht weiter, läuft los, folgt der Spur, die kreuz und quer durch die Geisterstadt führt, und steht dann wieder in
der Kirche. Hier lösen sich die geheimnisvollen Fußstapfen auf. Er durchsucht die Kirche, forscht überall, am Altar, zwischen den Bankreihen und an der Kanzel. Sie Spur ist weg... Er stößt einen Fluch aus, geht hinaus und strebt dem Saloon zu. Joel Warner steht am Ofen und reibt sich die Hände, als er hereingestürzt kommt. Er keucht vom schnellen Lauf. Der Gefährte sieht ihn aufmerksam und prüfend an. »Du siehst aus, als wenn du dem Teufel begegnet seist. Du scheinst ja ganz durcheinander zu sein, alter Junge.« »Das bin ich auch«, nickt Frenchy, verzerrt lächelnd. »Und du wirst es auch gleich sein!« »Schieß los, Partner.« Frenchy atmet tief ein, und dann berichtet er dem Freund. »Und wenn du das alles siehst, dann setzt bei dir auch der Verstand aus«, schließt er seinen Bericht ab. Joel bleibt ruhig. »Vielleicht irrst du dich, Frenchy«, sagt er mit einem sanften Lächeln. »Du hattest Schnee unter den Stiefeln und hast selbst diese Spuren hinterlassen.« »Glaubst du, ich bin ein Esel, he? Ich bin doch nicht zweimal den gleichen Weg gegangen! Dann wäre es mir bestimmt aufgefallen. Nein, es lebt hier noch ein anderer Mensch. Einer mit Klumpfüßen.« »Ein Geist vielleicht?« »Aah, du glaubst mir nicht. Dann geh doch raus, sieh es dir an!« sagt Frenchy entrüstet und ärgerlich über das kühle Lächeln des Gefährten. »Komm schon.« »Na, schön«, lächelt Joel müde. »Hier lebt ein Geist mit Klumpfüßen, macht ›Buuh‹ und löst sich in der Kirche auf.« »Dieser verdammte Geist ist erstens kein Geist, und zweitens macht er nicht ›Buuh‹!« entgegnet Frenchy beleidigt.
»Also gut – es gibt keinen Geist. Aber wie erklärst du dir das, daß die Spur in der Kirche endet und sich auflöst? Das ist zweifellos die Art von Geistern...« »Weiß der Teufel, Joel! Ich habe den Boden abgeklopft, die Bänke zur Seite gerückt, keinen Yard ausgelassen. Es gibt auch keinen anderen Ausgang, durch den dieser Klumpfuß hätte entweichen können.« Joel ist auf einmal ernst. Er starrt nachdenklich zur Seite, nickt dann und murmelt: »Wenn es so ist, wie du sagst, Frenchy, dann muß tatsächlich ein Mensch in dieser Geisterstadt leben. Wir haben Zeit genug, um die ganze Stadt durchsuchen zu können. Irgend etwas steckt schon dahinter, denke ich. Wer allein in einer Totenstadt lebt, muß schon irgend etwas zu verbergen haben – oder wahnsinnig sein...« Er zieht den Waffengurt zurecht, zieht den Kinnriemen des Stetsons fest und verläßt den Saloon. Frenchy geht voraus. *** Sie stoßen wieder auf die geheimnisvolle Spur und folgen ihr bis in das alte Gotteshaus. Die Sonne steht als schwachleuchtender, randscharfer Ball über den Bergen im Westen, umhüllt von häßlich grauen Schneewolken. Die Dämmerung schleicht heran, legt sich über das zerklüftete Bergland. Durch die Wolkenlücken sickert das kalte Sternenlicht. Die Temperatur sinkt. Es klirrt vor Kälte. Über der Geisterstadt liegt das tiefe Schweigen einer tödlichen Einsamkeit. Im Saloon glüht der Ofen, knackt das Holz. Feiner Rauch steigt empor und wird vom grauen Licht der Dämmerung verschluckt. Die Männer löffeln die Bohnensuppe mit Speck. Im Hintergrund stehen die Pferde und fressen Hafer.
»Er muß in der Kirche ein geheimes Versteck besitzen«, murmelt Joel Warner nachdenklich, »ein Versteck, das sehr gut getarnt ist.« »Suchen wir morgen weiter?« fragt Frenchy leise. »Für die Pferde ist eine längere Ruhepause nur gut...« »Ja, ich will wissen, warum dieser Bursche so geheimnisvoll tut.« »Vielleicht ist es doch ein Irrer«, meint Frenchy. »Es könnte doch gut möglich sein, daß er seit dreizehn Jahren in dieser verdammten Geisterstadt lebt, nicht wahr?« »Sicher. Als die Stadt damals überstürzt verlassen wurde, blieb bestimmt sehr viel Proviant zurück -- Konserven, Bohnen und Mais. Wenn dieser Unbekannte seit damals hier haust, ist er ein Irrer, daran gibt es keinen Zweifel. Im Sommer jagt er Wild in den Bergen, und im Winter ernährt er sich von den damals liegengebliebenen Konserven. Er kennt hier jeden Winkel. Es wird schwer sein, ihn zu erwischen.« Frenchy nickt. Er will gerade etwas sagen, als Joel ihn am Arm packt. »Hör mal!« zischt er. Sie horchen. »Bimm – bimm – bimm...« Ein heller, leiser Klang, ein Läuten, das irgendwo ertönt. »Die Kirchenglocke!« flüstert Frenchy. Joel springt auf. Mit einem grimmigen Lächeln ist er an der Tür. Frenchy folgt ihm sofort. Sie verlassen den Saloon, schlagen die Tür zu und rennen durch den Schnee zur Kirche. »Bimm-bimm...« Das Läuten verstummt. Der Platz vor der Baracke ist leer, verlassen. Warner zieht den Peacemaker-Colt aus dem Halfter und springt in die Kirche hinein. Der Glockenstrang neben dem Eingang bewegt sich noch... Die Kirche ist leer.
Joel verharrt und horcht angespannt. Auch Frenchy steht ganz steif am Eingang. Kein Geräusch ertönt. Joel hebt den Colt und feuert drei Schüsse über die Bankreihen hinweg. Dumpf schlagen die Geschosse ein. Aber nirgendwo hastende Schritte, nirgendwo ein erstickter Aufschrei der Angst... Es ist schon unheimlich. Frenchy kommt herein. Sie durchsuchen nun die Kirche. Aber sie finden wieder nichts. »Komm«, sagt Joel gepreßt. Sie gehen ins Freie. »Dort auf der Straße!« brüllt Frenchy in diesem Augenblick. Ein grauer Schatten huscht lautlos über die verschneite Straße, ganz in der Nähe des alten Saloons. Sie laufen los. Während des Laufens lädt Joel den Colt nach. Sie kommen zum halbzerfallenen Haus, in dem der Unbekannte verschwunden ist, und schwärmen sofort aus. Frenchy läuft hinter das Haus, während Joel mit einem gewaltigen Satz durch die dunkel gähnende Türöffnung springt. Er läßt sich sofort fallen, gleitet geschmeidig zur Seite und richtet sich mit dem Oberkörper halb auf. Hinter dem Haus schreit Frenchy auf. Dann kracht ein Schuß. Winchester! – durchzuckt es Joel. Er kommt fluchend hoch, verläßt das Haus und stürmt nach hinten. »Dieser Hundesohn!« stöhnt Frenchy wild und preßt die Hand auf den linken Oberarm. »Ist es schlimm, Frenchy?« keucht Joel. »Nein, nein – nur ein Kratzer! Er schoß sofort auf mich. Ich war gerade hier, als er hinten aus dem Haus kam. Ich sah nur seine Umrisse, dann flammte es auch schon auf. Ich warf mich sofort hin, und als ich aufsah, war er schon verschwunden. Dieser verdammte Bastard!« Joel stößt einen Fluch aus und läuft los. Er folgt der Spur, die im grauen Dämmerlicht kaum zu erkennen ist. Dann steht
er wieder vor der Kirche. Er preßt die Lippen zusammen; hart treten die Kiefermuskeln unter der Haut hervor. Mit dem Colt in der Faust, gleitet er in die Kirche – und nach wenigen Sekunden muß er erkennen, daß der Unheimliche wieder einmal entwischt und spurlos verschwunden ist. Er läuft zum Freund zurück. Frenchy steht vor dem Haus auf der Straße. Joel schiebt den Peacemaker-Colt zurück. Sie gehen in den Saloon. Die Tür steht auf. »Dieser Halunke!« schnappt Frenchy wütend. »Er hat sich meine Winchester geholt! Und etwas Proviant!« »Als ein Geist muß er verdammt gerissen sein«, murmelt Joel. »Er lockte uns aus dem Saloon, indem er die Glocke läutete. Als wir die Kirche durchsuchten, lief er hierher, griff blindlings nach deiner Winchester 66, nicht nach meiner, die doch bedeutend besser ist, nahm sich ein paar Konserven und lief über die Straße. Yeah, du bist mit deinem eigenen Gewehr angeschossen worden, Frenchy!« Stumm und nachdenklich sitzen sie auf ihrem Sattel, nachdem Frenchys Streifschußwunde versorgt worden ist, starren ins Licht der Lampe und hören den Wind draußen fauchen. Manchmal kommt ein heftiger Windstoß durch die Stadt. Dann ächzt das Holz des Hauses. »Es wird wieder Schnee geben«, sagt Frenchy nach einiger Zeit. »Der Wind nimmt zu. Vielleicht gibt es wieder einen Schneesturm...« »Ja.« Warner erhebt sich und wirft einige Holzscheite in den Ofen. »Ich leg mich jetzt aufs Ohr.« »Und während wir pennen, kommt dieser Halunke wieder herein und holt sich noch ein paar Konserven.« »Wir können die Tür mit dem Querbalken gut verschließen. Eine Nachtwache ist nicht erforderlich.« »Na schön, soll mir nur recht sein«, sagt Frenchy und unterdrückt ein Gähnen.
Warner geht zur Tür und schiebt den schweren Balken in die Halterung. Dann rollen sie ihre Decken aus... Durch die Stadt geistert ein Schatten. Immer wieder verharrt er. Der Wind peitscht den Schnee durch die Luft. Zwischen den Häusern wimmert es. Lautlos gleitet der Mann weiter. Der Wind verschluckt das leise Geräusch seiner Schritte. Dann steht er vor dem alten Saloon. Er duckt sich und starrt lange auf die Tür. In seinen Augen flackern die Lichter des Wahnsinns. Er lacht lautlos, schluchzt dann wie ein kleines Kind und läuft über die verschneite Straße davon. Irgendwann ertönt ein schrilles Lachen. Der fallende Schnee und der wimmernde Wind verschlucken dieses unmenschliche Gelächter... In der Nacht bricht ein Schneesturm los. Der Schnee deckt alle Spuren zu. Die Geisterstadt scheint verlassen zu sein... Der Hufschlag mehrerer Pferde ist nicht zu hören. Die Reiter kommen langsam in die Stadt. Sie können kaum die Häuser im Schneetreiben erkennen. Sie stoßen auf die Kirchenbaracke, zerren die Pferde hinein und entfachen kurz darauf ein kleines Feuer im Mittelgang. Im flackernden Feuerschein versuchen sie, den Eingang so gut es geht abzudichten. Das gelingt ihnen auch verhältnismäßig gut. Sie wärmen sich am Feuer. Die züngelnden Flammen beleuchten ihre hohlwangigen Gesichter. Scharf treten die Wangenknochen hervor. Die unmenschlichen Strapazen eines langen Rittes durch die verschneite Bergwelt haben ihre Gesichter geprägt. Sie sind müde, ausgepumpt und kraftlos. Ihre Hände zittern. Sie sprechen kaum ein Wort miteinander. Beinahe stumpfsinnig starren sie ins Feuer. Vier Männer. Unrasiert, schlank, hager und abgezehrt. In warmen Hosen und Pelzjacken.
Jedes Pferd trägt ein großes Bündel mit Proviant. Winchestergewehre – Modell 66 und 73 – stecken in den Scabbards. Die Männer tragen unter der Pelzjacke einen Waffengurt mit zwei Halftern. In den Halftern ruhen Peacemaker-Colts... Reed Hughes ist der Anführer dieses kleinen Rudels – ein Mann mit himmelblauen, scharfen Augen, einer scharfgekrümmten, schmalrückigen Nase und lackschwarzem Haar. Hoke Dixon hockt neben ihm am Feuer. Seine dunklen Augen liegen tief in den Höhlen. Dünnes, glanzlos blondes Haar lugt unter dem alten Stetson hervor. Eine kleine Narbe zieht sich senkrecht über sein Kinn und gleicht einer Kerbe. Sash Dunn und Mike Dunn sind Brüder. Sash Dunn ist zwei Jahre älter, neunundzwanzig. Sie sehen wie Zwillinge aus. Nur ist Sash Dunn einen halben Kopf größer. Sie sind beide schlank und schmal, braunäugig, dunkelhaarig und besitzen die gleichen scharfgeschnittenen Gesichtszüge, den zynisch verzogenen Mund und den starren Augenausdruck. Vier Männer, die in Colorado Springs auf eine Chance warteten. Die dann nacheinander die Stadt verließen, jeder in eine andere Richtung, wieder zusammentrafen und gemeinsam in die Berge ritten. Sie überstanden den ersten Schneesturm in einem Fichtenwald. Als der zweite Schneesturm losbrach, befanden sie sich knapp eine Meile vor der Geisterstadt. Nun sind sie in der alten Kirche dieser Totenstadt. Sie trinken Whisky, um sich zu wärmen. Und sie wissen und ahnen nicht, daß sie nicht allein in der Stadt sind. Schon beim ersten Schneetreiben verloren sie die Spur, der sie folgten. Sie satteln die Pferde ab, nehmen ihre Decken und strecken sich am Feuer aus.
Langsam fällt das Feuer in sich zusammen. Die Männer schlafen tief und fest. Einmal schnauben die Pferde laut. Die Schlafenden hören es nicht. Auch nicht das leise Klappern... Über der Geisterstadt tobt der strenge Winter Colorados. Und die Zeit steht still... *** Joel Warner richtet den Oberkörper auf und blickt zur Seite, auf Frenchy, der noch schläft. Im Raum ist es halbdunkel; der Ofen glüht längst nicht mehr. Die Pferde rumoren im Hintergrund. Er streift die Decke ab und erhebt sich. Das Geräusch seiner scharrenden Stiefel weckt den Freund. »Heute hol ich mir diesen Burschen vor den Colt«, brummt Frenchy sofort. »Der Arm schmerzt noch immer.« Er flucht leise und kommt ächzend hoch. Joel steht schon am Ofen und räumt die Holzasche heraus. »Einer von uns muß hierbleiben«, sagt er ruhig. »Die Tür läßt sich von außen nicht gut verschließen. Wir müssen auf den Proviant achten; wer weiß, wie lange wir hier noch bleiben müssen. Wenn wir beide nach ihm suchen, schleicht er sich vielleicht hierher und stürzt sich auf unseren Proviant.« »Stimmt. Ich gehe.« »Du bist verrückt, Frenchy. Unterschätze diesen Burschen nicht!« »Hör auf damit, Joel!« Ein Schwefelholz zischt. Die Petroleumlampe erhellt nur schwach den großen Raum. Warner zieht zwei Schwefelhölzer hervor und kürzt eines. Dann hält er die geballten Hände hinterm Rücken und streckt sie schließlich wieder aus. »Rechts oder links, Frenchy.« »Links, von mir aus gesehen.«
Joel lächelt. Er öffnet die Hand. Auf dem Handteller liegt das gekürzte Holz. »Du hast verloren, Frenchy«, lächelt er. »Du bleibst hier.« »Und du hast gemogelt, Freund«, sagt Frenchy gallig. »Du hast vorher nicht gesagt, welches Holz gewinnt. Na schön – geh also. Wir lösen uns sowieso ab.« »Nach dem Frühstück gehe ich«, sagt Warner grinsend. Der kalte Morgenwind faßt hinter die Tür und zerrt daran, als Joel das Haus verläßt. Frenchy steht an der Tür, hält sie fest und sieht dem Gefährten nach. »In einer Stunde also«, ruft er ihm nach. Joel nickt und geht durch den hohen Schnee zur Kirche. In der rechten Hand hält er die Winchester 73. Vom Wind aufgewirbelte Schneewolken ziehen über die Straße, hüllen ihn ein. Der Neuschnee klebt an seinen Stiefeln. Sein scharfer, suchender Blick gleitet über die Straße, über die verlassenen Häuser, tastet den Weg vor sich ab, sucht nach Spuren. Aber der Neuschnee hat alle Spuren verdeckt... Vor der Kirche verharrt er. Er sieht sofort, daß der Eingang der Baracke versperrt und abgedichtet worden ist. Schnee haftet an den Brettern. Er horcht. Kein verdächtiges Geräusch ertönt. Irgend etwas warnt ihn. Er weiß nicht, was es ist, aber dieses seltsame Gefühl ist ganz plötzlich da, ein gewisser Druck im Nacken, eine kalte Berührung. Er gräbt die Zähne in die Unterlippe, starrt auf die Bretter und hebt die Winchester. Es klirrt, als er durchlädt. Mit schußbereiter Winchester nähert er sich dem Eingang. Er denkt nur immer an jenen unheimlichen Bewohner der Geisterstadt, und er glaubt auch, daß dieser Unbekannte die Bretter am Eingang aufgeschichtet hat. Dennoch ist er wachsam. Der Unbekannte ist gefährlich. Nur fünf Schritte...
Er will schon zur Seite gleiten, will sich von der Seite her dem Eingang nähern, als er das Schnauben eines Pferdes hört. Er zuckt zusammen, duckt sich und will sich fallen lassen. In dieser Sekunde ertönt ein scharfer, heiserer Ruf – ein Befehl. »Stop! Laß sie fallen! Keine Bewegung!« Die Stimme, kalt und drohend, verrät grenzenlose Unduldsamkeit und Entschlossenheit. Sie trifft Joel Warner wie ein Peitschenhieb und läßt ihn augenblicklich erstarren. Und er läßt die Winchester fallen, weil er keine Chance hat, weil er auch schon die beiden dunklen Winchestermündungen zwischen den Brettern erkannt hat. Sein Gewehr schlägt tief in den Schnee. Er steht davor und sieht, wie die Bretter beiseite geräumt werden. Die eine Gewehrmündung verschwindet, die andere bleibt auf ihn gerichtet. Dann kommt ein großer, hagerer Mann ins Freie – ein unrasiertes, hohlwangiges Gesicht mit himmelblauen Augen, die ihn scharf mustern. Der Blick dieses Mannes ist seelenlos kalt. Reed Hughes... Und hinter ihm, im grauen Zwielicht des Einganges, stehen noch drei Männer, lauernd und wachsam. Und Reed Hughes fragt kalt: »Ist er das?« Seine Frage ist an einen seiner Begleiter gerichtet. »Ja, Reed«, antwortete Hoke Dixon heiser, »das ist er. Aber er kann nicht allein sein. Der Franzose folgte ihm.« Hughes läßt kein Auge von Joel Warner. Sein starrer Blick scheint ihn durchbohren zu wollen. »Wo ist der Franzose?« fragt er mit klirrender Stimme. Drei Waffen sind auf Joel Warner gerichtet. Nur Hughes hat beide Hände frei. Keine Chance, Joel Warner... Und er strafft die Schultern, atmet scharf ein und schüttelt langsam den Kopf.
»Er ist nicht hier«, sagt er ruhig. Hoke Dixon stößt ein schlimmes Lachen aus. »Hörst du es, Reed? – Er lügt, dieser große Mister; Sash und ich haben es genau gesehen; der Franzose folgte ihm nach drei Stunden. Sie trafen sich draußen auf den Plains von Colorado Springs, bei den Manitu-Rocks. Und sie ritten auch gemeinsam weiter. Er lügt, Reed!« Hughes lächelt dünn. Es ist kein gutes Lächeln, und es erinnert an das Zähnefletschen einer Hyäne. »Du lügst, Mister«, sagt er lauernd. »Das kann ich nicht vertragen, Mister. Der Franzose ist hier in dieser verdammten Geisterstadt!« »Nein«, sagt Joel Warner kalt. »Ich bin allein. Mein Freund kam im Schneesturm um. Er erfror.« »Glaub es ihm nicht, Reed!« ruft Sash Dunn wütend. »Halt das Maul, Sash!« knurrt Hughes verstimmt. »Ich weiß schon, daß er lügt.« Joel Warner steht steif vor ihnen. In seinen grauen Augen schwelt die Glut einer beherrschten Wut. Seine Kiefer mahlen einen Atemzug lang, und seine Lippen sind schmal wie eine Messerklinge. Sie starren ihn alle feindselig und triumphierend zugleich an. »Ihr seid uns gefolgt?« sagt Joel ruhig, wenn die Wut in ihm auch immer größer und wilder wird. »Genau«, grinst Reed Hughes dünn. »Und wir wissen so ziemlich alles über euch. Du heißt Joel Warner, dein Gefährte, der Franzose, Jacques Melville. Du hast ihn in Colorado Springs erwartet. Ihr wißt, wo Gold ist!« »Aah, so ist das also?« fragt Warner und verändert nicht im geringsten seine Haltung. Auch sein Gesichtsausdruck bleibt gleich kühl, abweisend und beherrscht. Sein Blick frißt sich in die blauen Augen Reed Hughes’.
Der kann auf einmal diesen gletscherkalten, starren grauen Augen nicht mehr standhalten; er blickt schnell über die Schulter zurück. »Sash und Mike – folgt seiner Spur! Seid aber verdammt vorsichtig! Der Franzose muß hier sein!« Sie nicken stumm, kommen und gehen in einem Bogen an Hughes und Warner vorbei. Hoke Dixon bleibt im Kircheneingang stehen. Und Hughes sieht Warner wieder an. Seine Augen sind ein wenig gerötet. »Hoke, du legst ihn sofort flach, wenn er es versuchen sollte«, sagt er drohend. »Verlaß dich darauf, Reed...« Hughes setzt sich langsam in Bewegung. Seine Schritte mahlen durch den Schnee. Es knirscht laut. Er geht an Warner vorbei und steht dann hinter ihm. Mit schnellem Griff zieht er Joels Colt aus dem Halfter. Er stößt ihm die eigene Waffe in den Rücken. »Vorwärts, ins Haus«, zischt er. Und Joel Warner muß gehorchen. Er geht vor Hughes her ins Innere. Hughes zerrt ihm den Waffengurt herunter. Die Dunn-Brüder entfernen sich immer weiter von der Baracke. Joel hat Angst um Frenchy, aber er kann nichts tun, er kann den Freund nicht warnen. Das ist das schlimmste für ihn. »Hoke, hol sein Gewehr herein!« befiehlt Hughes und stößt Warner mit dem Coltlauf weiter in die Kirche hinein. »Bleib hier zwischen den Bankreihen, oder es knallt, Warner!« »Was wollen Sie von uns?« murmelt Joel bitter. »Das Gold«, grinst Hughes. »Wir haben kein Gold, wir suchen auch kein Gold – und wir wissen auch nicht, wo Gold liegt«, sagt Joel kühl. »Ihr seid umsonst in die Berge geritten.«
»Abwarten. Wir bekommen das schon noch aus euch heraus, Warner! Warum reiten zwei Männer im strengsten Winter zum Pikes Peak, he? Zum Vergnügen, he?« »Nein.« »Aha! Also stimmt’s, Ihr wißt, wo Gold ist! Oder?« Er lacht laut und tückisch auf. »Wir leben schon ’ne ganz Weile in Colorado Springs, Warner. Wir haben immer auf diese Chance gewartet. Damals haben wir mächtig viel verdient, als es hier nur so wimmelte von verrückten Goldsuchern. Die armen Jungens konnten das Gold nicht allein durch die Berge schleppen. Sie waren uns dankbar, daß wir sie davon befreit hatten. Und sie hatten dann auch keine Sorgen mehr. Und wir auch nicht. Wir machten unsere Geschäfte in Colorado Springs und warteten auf die neue Chance. Vor ein paar Tagen war es soweit. Nun sind wir hier.« »Sie erzählen mir manche Dinge, die Sie so sehr belasten, daß man Sie aufknüpfen wird.« Wieder lacht Reed Hughes. »Der Winter am Pikes Peak hat schon so manchen Mann unter seinem Schnee begraben, erst im Sommer fand man diese armen Kerle...« Hoke Dixon kommt mit der Winchester herein. »Ich behalte sie, Reed, wenn du nichts dagegen hast«, sagt er. »Es ist eine von diesem Jahr. Ich habe noch die Winchester 66.« »Well, behalt sie.« Hughes wirkt sehr gönnerhaft. »Ich habe ja schon eine.« Dixon grinst niederträchtig. »Er braucht sie ja nicht mehr, Reed...« Joel steht zwischen den Bankreihen und sieht hinaus. Draußen funkelt der Schnee im ersten Sonnenschein. »Ihr seid blutige Narren«, sagt Hughes in diesem Moment. »Warum habt ihr die Stadt nicht in der Nacht verlassen, he? Ihr wußtet doch, daß wir hier sind, nicht wahr?«
»Nein.« »Er lügt schon wieder«, sagt Hoke Dixon fauchend. »In der Nacht wurde uns ein ganzer Packen Proviant gestohlen«, murmelt Reed Hughes. »Wie ist das damit, Warner?« »Wir wußten es nicht. Auch wenn wir es gewußt hätten, wären wir nicht in diese Kirche hineingekommen. Der Eingang war ja mit den Brettern verbarrikadiert worden.« Joel sagt es ruhig und sachlich. »Das stimmt«, nickt Hughes, »ja, das stimmt. Wer war es dann? Er muß doch dann in der Kirche gewesen sein!« Warner zuckt die Achseln. »Es ist eine Geisterstadt!« ruft Hoke Dixon mit höhnischem Grinsen. »Oder er will uns hier was vormachen.« »Wir werden es sehen«, knurrt Hughes. »Wir erkennen schon unsere Packen.« In der Stadt peitscht ein Schuß auf. Der Knall stößt gegen die Schneehügel und zerflattert zwischen den Häusern. »Sie haben ihn!« frohlockt Dixon. »Den Franzosen haben sie!« Joel stöhnt leise auf. Seine Hände pressen sich um das Holz der Bänke. Weiß treten die Knöchel hervor. Sein Blick geht wieder nach draußen, aber er sieht nur den Schnee und das zusammengestürzte Haus auf der anderen Straßenseite, Hughes geht hinaus und verharrt vor der Baracke. Wenig später sagt er voll böser Zufriedenheit, mit einem häßlichen, abstoßenden Grinsen auf dem hageren Gesicht: »Ja, sie haben ihn, den Franzosen! Er geht brav wie ein Hund vor ihnen her.« Er dreht sich um und kommt wieder herein. Das Tageslicht läßt seine Augen funkeln. Joel sieht sein scharfgeschnittenes Profil. Etwas Raubvogelhaftes ist in diesem Gesicht.
»Nun ist es aus mit euch, Warner!« lacht er kratzend. »Und wenn unsere Gäule wieder bei Kräften sind, führst du uns zum Gold!« Joels Mund bleibt stumm. Nur seine Augen sprechen. Sie sehen Reed Hughes feindselig an. Er bleibt ruhig und beherrscht. Dann hört er näherkommende Schritte. »Wer hat geschossen?« ruft Hughes. »Dieser Franzose«, ertönt draußen die Stimme Sash Dunns. »Er saß am Ofen, als wir die Tür öffneten. Er glaubte, Warner wäre es. Dann waren wir auch schon bei ihm. Er zog seinen Colt, und Mike schlug ihm das Eisen weg. Dabei fiel der Schuß.« Die Brüder stehen im Eingang, flankieren Jacques Melville. Alle drei sind vor dem Tageslicht graue Silhouetten. »Joel«, krächzt Frenchy, »ich dachte...« Er verstummt und läßt den Kopf nach vorn fallen. »Es sollte wohl alles so sein, Frenchy«, murmelt Warner bitter. »Bestimmt«, lacht Reed Hughes mit bösem Spott. Er gibt seinen Leuten einen Wink, und sie stoßen Frenchy auf die andere Seite des Mittelganges. »Sie haben sich in einem alten Saloon eingenistet«, knurrt Sash Dunn. »Der Raum ist noch gut erhalten und groß. Ihre Pferde sind ebenfalls dort, auch der Proviant.« Hughes nickt. Er sieht sich um, starrt Joel Warner einen Atemzug lang kalt und herzlos an und sagt: »Bringt sie in den Saloon – Sash und du, Hoke! Mike, bring die Pferde und den Proviant nach. Los, kommt!« Er geht voraus. Coltmündungen richten sich auf Warner und Melville. Unter dem Druck der Gewalt müssen sie gehorchen. Sie folgen Hughes. Sash Dunn und Hoke Dixon gehen hinterher. Mike Dunn bleibt zurück. Sie erreichen den Saloon und gehen hinein.
»Dort in die Ecke mit ihnen!« befiehlt Hughes. »Schnürt sie zusammen! Aber fest genug.« Und wieder müssen sie alles still und wehrlos über sich ergehen lassen. Sie werden an Händen und Füßen gefesselt und dann zu Boden gestoßen. Der Boden ist kalt und hart. »Seht nach, ob unser Proviant hier ist!« »Ich kann nichts finden, Reed«, antwortet Hoke Dixon schnaufend. »Ja, hier ist nichts«, sagt Sash Dunn, aus dem Hintergrund kommend. Hughes stößt einen Fluch aus. »Ein Gespenst, wie?« faucht er und sieht Joel Warner wütend an. »Ein Gespenst geistert durch diese Totenstadt und raubt Proviant? Ohne Spuren zu hinterlassen, wie?« Joel gibt keine Antwort. Und auch Frenchy sagt kein Wort. »Soll ich sie kitzeln?« grinst Sash Dunn und faßt schon nach seinem Bowiemesser. »Vielleicht sagen sie es uns dann?« »Nein, laß es. Sie hungern dafür. Wir haben ja ihren Proviant, nicht wahr?« »Sie haben Schaufeln und Hacken mitgenommen, Reed«, ruft Dixon halblaut. Er durchsucht die Bündel und Satteltaschen und richtet sich nun auf. »Was sagst du dazu? Sie wissen wo Gold ist! Ihre ganze Ausrüstung besagt das!« Da beugt Hughes sich lauernd vor und starrt auf sie hinab. Mit drohender, flackernder Stimme fragt er leise: »Also – wo liegt das Gold? Ihr wißt es! Heraus mit der Sprache!« Ein grimmiges Lächeln huscht über Joels Antlitz. »Suchen Sie es!« sagt er hart. »Sie können uns totschlagen – nicht ein Wort davon hören Sie! Weil es gar kein Gold gibt!« Draußen stampfen und schnauben Pferde. Reed Hughes grinst giftig. Er streichelt sich mit der Hand über die Bartstoppeln und schüttelt den Kopf.
Dann wendet er sich ab. Dixon und Sash Dunn starren ihn an. Er fährt sich mit der Rechten über die schweißglänzende Stirn. »Irgendwann werden sie schon sprechen«, flüstert er. »Durchsucht ihre Taschen! Vielleicht finden wir etwas!« Mike Dunn kommt herein. »Ich habe alles hier, Reed«, sagt er. »Soll ich die Gäule reinbringen?« »Ja.« Mike Dunn nickt, geht hinaus und läßt die Tür offen. Kalte Luft dringt herein. Ein breiter Streifen Tageslicht sticht in den Raum. »Sie haben nur zehn Dollar bei sich«, knurrt Hoke Dixon. »Bestimmt haben sie das ganze Geld für Ausrüstung und Proviant ausgegeben.« »Hier«, schreit Sash Dunn in diesem Moment auf, »hier ist ein Wisch!« Er reißt den zusammengefalteten Zettel aus der Innentasche von Joel Warners Jacke, richtet sich auf und geht mit dem Zettel ins Licht. Seine Hände zittern etwas. Er faltet den Zettel auseinander. »Eine Karte, Reed!« keucht er. »Gib her!« brüllt Reed Hughes heiser. »Gib schon her, verflucht!« Seine Hand schnappt nach dem Zettel, voller Gier und Ungeduld. »Da liegt bestimmt das Gold!« flüstert Sash Dunn erregt. »Siehst du die Linie? Das ist der Cripple Creek. Und dort ist der Pikes Peak eingezeichnet! Das kann gar nicht so weit von hier sein! Nur ein paar Meilen, Reed!« »Ja, ja«, keucht Hughes. »Laß mich in Ruhe! Ich muß mir das in Ruhe ansehen, verdammt! Geh aus dem Licht!« Und nach mehreren hastigen, geräuschvollen Atemzügen: »Ja – das ist die Fundstelle! Dort liegt das Gold! Hinter einer scharfen Krümmung des Cripple Creek. Das finden wir schon. Und Warner wird dabei sein...«
Er geht mit der Karte zur Seite, in den halbdunklen Raum hinein, denn Mike Dunn bringt die beladenen Pferde am Zügel herein und führt sie zu den anderen. »Hast du es gehört, Mike?« ruft Sash Dunn. »Ich fand eine Karte bei Warner. Eine Skizze von der Fundstelle! Oh, wir wissen, wo das Gold liegt, Mike!« Der läßt sofort die Pferde stehen und stürzt heran. »Wo?« schnappt er hitzig. »Am Cripple Creek«, ruft Sash Dunn frohlockend. »Bruderherz, wir sind bald reich, hörst du? Reich...« »Schrei nicht so laut«, brüllt Hughes. »Werdet nur nicht verrückt! Ja, das Gold ist schon so gut wie in unseren Taschen. Aber die paar Meilen sind ein Höllenweg.« »Wann reiten wir, Reed?« will Hoke Dixon wissen. »Es wird bald wieder Neuschnee geben, und dann kommen wir gar nicht mehr durch.« Hughes schüttelt den Kopf. »Du Narr, verrückter! Wir müssen noch zurück nach Colorado Springs. Aber erst holen wir das Gold hierher. Von hier aus reiten wir dann zurück, verstanden?« »Und was geschieht mit dem Franzosen?« »Er bleibt hier.« »Allein?« »Du Dummkopf. Du bleibst mit Mike hier und bewachst ihn. Ich reite mit Sash und Warner zum Creek.« Hoke Dixon sieht ihn einen Atemzug lang lauernd an. »Warum wir beide? Ich kann mitreiten.« »Ich weiß, woran du denkst, Hoke«, grinst Reed Hughes breit. »Deshalb kommt auch nur Sash mit mir. Sash und Mike könnten sich niemals betrügen, der eine würde den anderen niemals sitzenlassen. Deshalb, Hoke Dixon. Das ist ein guter Plan, nicht wahr?« Dixon bejaht es nicht. Er schluckt trocken, rückt an seinem Waffengurt und zeigt ein ausdrucksloses Gesicht.
»Wir reiten noch heute!« sagt Hughes plötzlich. »Nach dem Frühstück brechen wir auf, Sash!« »Die Pferde sind noch nicht ausgeruht und –« »Und wenn sie halb zusammenbrechen«, unterbricht Hughes ihn rauh, »wir reiten trotzdem! Hoke, mach uns Kaffee. Mike, kümmere dich um die Gäule!« Er wartet keine Antwort ab, geht hinaus und schlägt die Tür hinter sich zu. Draußen starrt er immer wieder auf die Karte. Als er wieder hereinkommt, ist der Kaffee fertig. Die Komplizen sitzen schon am Ofen und trinken. Er läßt sich auf der zusammengerollten Decke nieder und nimmt den Becher entgegen. Joel Warner beobachtet die Männer. Schon allein an ihren Bewegungen erkennt er, daß es Revolvermänner sind – üble, verschlagene Burschen, die ein Gewissen nicht kennen. Das sind Raubwölfe, erbarmungslos und grausam. Hier in den verschneiten Bergen, abseits jeder menschlichen Behausung, zeigen sie ihre wahren Gesichter, hier werden sie wieder zu Wölfen, die nur angreifen, wenn sie im Rudel sind. In Colorado Springs aber gehen sie sonntäglich als brave Bürger in die Kirche... Joel weiß höllisch genau, wie bitter ihre Lage ist. Sie kann gar nicht schlimmer werden. Diese zweibeinigen Wölfe wollen auch weiterhin ein ruhiges Leben in Colorado Springs führen. Wenn ihr teuflisches Vorhaben bekannt wird, hängt man sie. Das wissen sie. So sollen nur diese einsamen Berge Zeugen ihrer unmenschlichen Tat werden. Als Gehetzte nützt ihnen alles Gold der Welt nichts. Deshalb sollen diese Berge schon bald ein weiteres schreckliches Geheimnis hüten, und kein Mensch wird jemals erfahren, welch furchtbares Schicksal zwei Männer ereilte... In einer öden Geisterstadt am Pikes Peak sollen die mörderischen Schüsse fallen.
Sie haben nur noch wenig Zeit. Aber sie geben die Hoffnung nicht auf – diese glühende Hoffnung, lebend zurück nach Colorado Springs zu kommen. Irgendwann wird sich eine Chance bieten. Irgendwann werden sie kämpfen können. Vielleicht... »Sind die Pferde gesattelt?« Die harte Stimme Reed Hughes’ zerreißt die Stille, in der nur ab und zu das leise Schlürfen zu hören war. »Ja«, sagt Mike Dunn. »Proviant ist in den Satteltaschen – für zwei Tage.« »Bringt Warner hinaus! Schnürt ihn auf dem Pferd fest!« Es geschieht. Hughes und Sash Dunn sitzen auf. »Laßt ihn noch leben«, sagt Hughes vom Sattel aus und sieht Hoke Dixon und Mike Dunn, die vor dem Saloon stehen, scharf an. »Er wird noch leben«, antwortet Dixon spröde. »Wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann kommt ihr nicht mehr lebend aus den Bergen heraus!« flüstert Joel warnend, und er weiß selbst nicht, warum er es sagt, haben sie doch nicht die kleinste Chance. Aber er mußte es sagen, wie unter einem inneren Zwang. Dann reiten sie aus der Geisterstadt. *** Draußen jammert der Wind. Graue Wolken wandern über den nächtlichen Himmel. Wolfsrudel durchstreifen die Berge. Mit einem erstickten Stöhnen krümmt Frenchy sich zusammen. Der Fußtritt gegen seine Oberarmwunde bringt ihn fast ums Bewußtsein. Und wieder beugt sich Hoke Dixon hinab und schlägt ihm die Faust ans rechte Ohr.
»Hör doch auf, Dixon!« ruft Mike Dunn etwas schrill. »Er sagt es dir doch nicht, wer auf ihn geschossen und wer unseren Proviant aus der Baracke geraubt hat. Hör doch endlich damit auf!« Hoke Dixon steht breitbeinig vor dem Franzosen. Er richtet sich auf und wippt auf den Fußspitzen. Mit einen Fluch nimmt er den Stetson ab, streicht durch sein aschblondes verschmutztes Haar und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Eine glatte Haarsträhne fällt ihm in die Stirn. Er starrt Frenchy mit funkelnden, tiefliegenden Augen an. »Du versuchst es schon seit einer Stunde, Hoke«, sagt Dunn mit belegter Stimme, »aber er sagt kein Wort. Du kriegst es nicht aus ihm heraus, Hoke.« Dixon wedelt mit der rechten Hand. Wieder perlt Schweiß auf seiner Stirn, und die Kinnarbe glüht rot. Er kann nicht begreifen, warum der Franzose schweigt, wie er diese Marter stumm und ohne Klagen überstehen konnte. »Ja, er wird leben«, flüstert er plötzlich, »leben – und doch halbtot sein.« »Laß es sein, Hoke!« ruft Mike Dunn und kommt langsam näher. »Reed will es nicht, das weißt du.« »Ich bring ihn schon so weit, daß er spricht«, sagt Dixon fauchend. »Hoke, tut mir leid, aber...« Mike Dunn spricht nicht weiter. Dafür knackt es hart. Und Dixon dreht sich langsam um und sieht in die Coltmündung. Sein Gesicht strafft sich. Leise und frostig ist seine Stimme. »Du drohst mir, Mike?« »Ich drohe niemandem, Hoke!« sagt Dunn gepreßt. »Aber ich will nicht, daß du den Franzosen noch weiter schlägst und quälst, Hoke. Am Anfang war ich dafür, aber jetzt nicht mehr, Hoke, das mußt du verstehen. Ich will nicht, daß Reed einen Toten vorfindet!«
»Warum das, Mike?« dehnt Hoke lauernd. »Diese Narren bleiben sowieso für alle Zeiten hier. Vielleicht hast du Angst vor Reed, Mike. Nimm den Colt zurück, Junge, sei vernünftig. Warum schweigt dieser Bursche denn, he? Weil er noch immer seinen Mannesmut besitzt. Ich werde ihm Furcht einjagen, Mike, hörst du?« »Warum willst du das wissen, Hoke?« fragt Mike Dunn leise. »Er wird sich selbst angeschossen haben. Beim Waffenreinigen. Es ist auch egal, Hoke. Ja, ich steck den Colt weg, aber sei vernünftig, Hoke«. Dixon nickt langsam. »Sicher«, murmelt er. Mike Dunn schiebt den Colt zurück und atmet auf. Er ist nicht bösartiger, gemeiner und schlimmer als Hoke Dixon. Er ist aber auch nicht besser, anständiger, fairer. Er denkt nur eben... »Das hättest du nicht tun sollen, Mike«, sagt Dixon schleppend. »Versprich mir, daß du nie wieder den Colt auf mich richten wirst.« »Ja.« »Gib die Hand darauf.« Dunn ist nicht argwöhnisch. Er streckt die rechte Hand aus, dem Komplizen entgegen. Hoke Dixon erfaßt seine Hand mit der linken, zieht ihn mit einem Ruck zu sich heran und schlägt ihm die rechte Faust in den Magen. »Damit du es dir auch merkst!« zischt er dabei. Mike Dunn krümmt sich und stöhnt. Dixon stößt ihn zurück, und er taumelt durch den Raum. Seine Hand fährt zum Colt, aber dann sieht er, daß Dixon nur darauf wartet. Sofort zieht er die Hand zurück und bleibt neben der Petroleumlampe stehen. »Das war verdammt unfair, Hoke!« keucht er, und seine Augen sich noch starrer als sonst. »Du mußt nicht denken, daß du Hoke Dixon Befehle geben kannst«, schnappt Dixon. »Wenn ich diesen Franzosen zu einer Antwort bringen will, dann halt dich gefälligst da heraus,
savvy? Du glaubst, daß es nicht wichtig ist, wer auf ihn schoß. Er wird doch wohl noch mit seinem Eisen gut umgehen können! Und sein Partner wird ihn auch nicht angeschossen haben. Wer ist es also dann gewesen, he?« Mike Dunn schüttelt den Kopf, als sei er benommen. Er kommt langsam näher und hat beide Hände weitab von den Colts. »Du glaubst, daß hier noch andere hinter dem Gold her sind?« »Möglich ist es doch.« »Aah, verdammt – warum sagst du es erst jetzt?« flüstert Mike Dunn. »Wenn sie nun Reed und meinen Bruder abfangen?« »Endlich begreifst du«, knurrt Dixon. »Nun frag ihn, diesen Franzosen! Frag ihn selbst. Wenn er nicht antwortet, dann weißt du, was du zu tun hast.« Und Mike Dunn nickt, schluckt trocken und kommt auf Frenchy zu. Es wird wieder sehr bitter für ihn. Doch kein Wort kommt über seine zusammengepreßten Lippen. Er stöhnt nur manchmal, wenn der Schmerz zu gewaltig ist. Der Schmerz treibt ihm das Wasser in die Augen. Er zittert, kann den Schlägen nicht ausweichen und muß alles erdulden, weil er wehrlos ist. Nun sag es doch, hämmert es in seinem Hirn. Sag es, und du hast Ruhe. Ruhe! Nein, nein, nein! Sie dürfen es nicht wissen! Joel will es. Dieser unheimliche Bewohner, der Geisterstadt kann vielleicht ihre letzte Chance sein! Er ist gefährlich. Die Banditen dürfen nicht wissen, daß der Unheimliche eine Waffe besitzt, daß er höllisch gut schießt und trifft und daß er unauffindbare Schlupfwinkel überall in der Stadt hat. Sag kein Wort! Ja, beiß die Zähne zusammen! Ertrage alles. Es ist die letzte Chance... Und irgendwann wendet sich Mike Dunn schweißnaß ab.
»Morgen«, murmelt Hoke Dixon kalt. Frenchy hört die Stimme wie aus weiter Ferne. In seinem Kopf dröhnt, hämmert und sticht es. Der Schmerz tobt in seinem zerschlagenen Körper. Doch kein Klagen, kein Wehlaut kann diesem Körper entweichen. Dafür ist dieser Mann zu hart, zu willensfest und zu stolz. »Ja, morgen«, keucht Mike Dunn und läßt sich auf dem einzigen heilen Hocker nieder. Sie schweigen. »Ist da drüben nicht was?« flüstert Dunn plötzlich und neigt seinen Oberkörper vor. »Was soll das schon sein? Es wird der Wind sein. Es schneit wohl auch wieder.« »Es ist an der Tür!« raunt Mike Dunn. »Hörst du es nicht?« »Nein...« »Jetzt nicht mehr. Was war das? Es kratzte...« Dunn richtet sich langsam auf. Er zieht schon den Colt aus dem Halfter. Im Lampenlicht wirkt sein Gesicht bleich und verzerrt. Das Feuer bullert im Ofen. »Du hast dich zu sehr angestrengt«, sagt Dixon spöttisch. »Bestimmt, es kratzt an der Tür! Vielleicht ein Wolf? Jetzt im Winter kommen die Wölfe ja schon bis auf ein paar Meilen an Colorado Springs heran!« »Die Pferde sind nicht unruhig«, murmelt Hoke Dixon gelassen. »Es können keine Wölfe sein.« Mike Dunn bewegt sich lautlos zur Tür. Er schiebt die Windfangdecke beiseite und horcht wieder. »Sieh doch nach«, meint Dixon, dünn lächelnd. »Die Pferde würden Wölfe sofort wittern, auch durch die Holzwand. Und eine Konkurrenz von uns kann es auch nicht sein, weil sie nicht an der Tür kratzen, sondern hereinkommen und schießen würden.« Dunn nickt. Er zieht den Querbalken aus der Halterung und stößt die Tür mit dem Fuß auf. Sie schlägt sofort auf, und
Windstöße kommen herein. Wild flackert das Licht. Die Decke fliegt hoch. Krachend schlägt die Tür an die Hauswand. Es schneit. Die Schneeflocken tanzen und wirbeln. Die Straße vor dem ehemaligen Saloon ist leer und weiß. Mike Dunn starrt umher. Er sieht nicht die Spuren an der Tür, denn das Schneetreiben verwischt alles. Nervenzerrüttend still ist es in der Geisterstadt. Der Bandit zerrt die Tür wieder zu. Die Petroleumlampe brennt wieder ruhig und gleichmäßig. »Ja, ich muß mich geirrt haben«, sagt Mike Dunn. »Du hast mich schon ganz verrückt gemacht mit deinem Gerede von der Konkurrenz.« Hoke Dixon lacht nur. Sie haben ihre Auseinandersetzung bereits vergessen. Sie sind sich wieder einig. Und sie rollen ihre Decken aus und liegen wenig später einträchtig nebeneinander. *** »Hier ist es«, sagt Joel Warner keuchend. Reed Hughes und Sash Dunn sehen sich nach allen Seiten um. »Ich kann nichts sehen, Reed«, ruft Sash Dunn durch das Schneetreiben. Der Wind zerfetzt seine Stimme, reißt ihm die Worte von den Lippen. Die Pferde keuchen und zittern. »Wo ist der Stollen?« brüllt jetzt Hughes. Joel schluckt hart. »Hier, genau unter uns!« »Sash – sieh nach!« Der rutscht steif und verfroren vom Pferd und sackt im Schnee ein. Fluchend kommt er hoch, stampft umher. Joel sagt kein Wort mehr. Er muß es erdulden, daß diese zwei Halunken das Grab seines Vaters schänden, daß sie es durchsuchen wollen. Düstere, bittere Gedanken quälen ihn.
Mit einem Aufschrei rutscht Sash Dunn plötzlich in die Tiefe. Er schlägt unten auf dem Eis des Stollens hart auf, flucht furchtbar und bekommt noch eine Ladung nachrutschenden Schnees in den Nacken. »Sash!« brüllt Hughes. »Sash, was siehst du?« »Es ist wirklich ein Stollen«, ertönt die Stimme Dunns dumpf aus derTiefe. Sie ist kaum zu verstehen. »Ich suche jetzt.« Hughes sieht Joel voll böser Genugtuung an. An seinen Bartstoppeln haftet der Schnee wie Rauhreif. Joel erkennt das niederträchtige Grinsen im schwachen Zwielicht der Nacht; nur wenig Licht kommt durch die Schneewolken, aber der Schnee erhellt die Nacht. Die Minuten verrinnen. Dicke Schneeflocken kleben an den Reitern. Reed Hughes ist unruhig. Er kann es wohl gar nicht abwarten, ein reicher Mann zu werden. Unten im Stollen wandert Sash Dunn langsam voran. Immer wieder muß er ein neues Schwefelholz anzünden. Seine braunen, fiebrig glänzenden und vor Gier sprühenden Augen verraten, welch verkommene Seele er besitzt. Dann steht er vor den kahlen dumpfen und kaltschimmernden Skeletten. Kein Gold. Nur Skelette, die ihn anzustarren scheinen. Leere Augenhöhlen... Er zittert. Nicht aus Furcht oder Angst. Wut und Enttäuschung lassen ihn zittern. Die Flamme des Schwefelholzes berührt seinen Zeigefinger. Er schlackert heftig mit der Hand, flucht. Es riecht nach verbrannter Hornhaut. Im Stollen ist es wieder dunkel. Er macht kehrt, stolpert zurück, stößt überall an und brüllt dann heiser empor: »Reed – kein Gold, Reed! Nicht ein einziges Korn! Nur zwei Gerippe. Er hat uns belogen, dieser Hundesohn!«
Seine Stimme überschlägt sich vor Wut. »Du lügst!« brüllt Hughes heiser zurück. »Da muß Gold sein, hörst du!? Die Karte stimmt doch! Das Gold ist bestimmt verscharrt!« »Sieh es dir doch selbst an!« schreit Sash Dunn schrill. »Ja«, keucht Hughes, »das werde ich auch, das muß ich sehen!« Er zerrt das Lasso los, wirft das Ende vom Sattel aus in den Stollen und befestigt das andere Ende am Sattelknauf. Dunn arbeitet sich am Lasso empor. Als er neben den Pferden steht, schreit er wild: »Dieser Hund! Belogen hat er uns!« Joel verzieht keinen Muskel. Sein Gesicht bleibt hart und ausdruckslos. Langsam schüttelt der den Kopf. »Nichts habe ich gesagt«, erwidert er kalt, »nicht ein Wort über Gold. Ihr habt die Karte gefunden und sofort an Gold gedacht.« Er sieht Reed Hughes an. »Der Ritt war umsonst.« Hughes sackt richtig im Sattel zusammen. Einen Atemzug lang starrt er Joel leer und verschwommen an. »Diese Karte«, krächzt er, »was ist mit dieser Karte?« »Im Stollen liegen zwei Skelette – unsere Väter, die damals hier nach Gold gruben. Auch wir dachten, daß in diesem Stollen Gold wäre. Wir fanden kein Gold, aber unsere damals verschollenen Väter.« Reed Hughes stöhnt laut auf. »Kein Gold also?« »Nein.« »Er lügt, Reed!« schnappt Sash Dunn. »Sie waren schon hier. Sie haben das Gold mitgenommen, Reed! Es ist woanders.« Hughes’ Augen blitzen auf. Er starrt Sash Dunn an und fragt spröde: »In der Geisterstadt, Sash?« »Bestimmt, Reed! Nur dort kann es sein! Wir müssen die Stadt durchsuchen! Irgendwo dort liegt es, Reed!« »Warner«, Hughes blickt ihn mit flackernden Augen an, »liegt das Gold in der Geisterstadt?«
»Nein. Es gibt überhaupt gar kein Gold.« Sie reiten durch die weiße, kalte und leblose Welt zurück. Das Schneetreiben läßt nicht nach. Eisige Windstöße fauchen über die Bergkuppen hinweg. Fichten schwanken wie Kornhalme im Wind. Die Pferde schnauben, wollen ausbrechen. Das Zaumzeug klirrt laut. Schnee knirscht unter den stampfenden Hufen. Rechts von ihnen, auf einer Anhöhe, lauert ein Rudel struppiger Wölfe. Ihre Lichter schimmern grün. Sie sind abgemagert und wild vor Hunger. Eine graue Masse im weißen Schnee. Hughes und Dunn zerren die Gewehre hervor. Laut peitschen die Schüsse auf. Die Kugeln fauchen in den Schnee, zwischen das Wolfsrudel. Schon bei den ersten Schüssen fallen vier Wölfe aufzuckend in den Schnee. Die anderen ergreifen die Flucht. Knurrend und jaulend laufen sie davon und tauchen irgendwo unter. Die Pferde beruhigen sich. »Sie sind weg«, knurrt Hughes zufrieden. Sie schieben die Gewehre in die Scabbards und reiten weiter. Joel kann ihnen nicht entkommen. Seine Hände sind am Sattelhorn festgebunden. Die Kälte läßt die Hände gefühllos werden. Er ist wehrlos. Er würde allein und gefesselt in dieser grausamen Bergwelt umkommen, ein Opfer der Kälte werden. Er muß mit den Banditen zurückreiten. Und kann nur hoffen, daß sich irgendwann eine Chance ergibt – eine kleine, gute Chance. Dann wird er kämpfen. Er muß Zeit gewinnen. Die Banditen müssen glauben, daß das Gold in der Geisterstadt verscharrt worden sei. Sie werden Frenchy und ihn quälen, um den Ort des Goldes zu erfahren – und dabei Zeit verlieren. Ihre einzige Chance ist die Zeit – und jener Unheimliche in der Totenstadt. Die Banditen sind blind vor Gier. Sie glauben ihnen nicht. Das ist die Chance!
Und er denkt auch immer wieder an Frenchy, der in der Geisterstadt zurückbleiben mußte, während er durch die Schneenacht reitet. Viele Meilen liegen noch vor ihnen. Im Morgengrauen erreichen sie vielleicht die Geisterstadt. In dieser Nacht schleicht der Unheimliche wieder durch die Stadt. Und der Sturm faucht und der Schnee fällt. *** Die lange Nacht weicht dem Tag, der grau und ohne Sonnenschein heraufzieht. Es stürmt nicht mehr, und der Schnee fällt weich und flockig vom Himmel. Die Banditen rücken an den Ofen heran und wärmen sich, während Frenchy frierend auf dem kalten Boden liegt, gefesselt und bewegungslos. Die eisige Kälte dringt in seinen Körper und erhöht seine höllischen Qualen. Kein Wimmern kommt über seine zusammengepreßten Lippen. Die Prellungen im Gesicht tragen einen bläulichen Schimmer; das Ohr ist stark geschwollen. Dunn leert den Becher mit heißem Kaffee, erhebt sich und geht zur Tür. »Ich seh mich mal etwas um«, sagt er. Sein Blick fällt auf den Franzosen. Er grinst gemein und teuflisch, schiebt dann den Riegel zur Seite und drückt die Tür auf. Die Tür schlägt zu. Mike Dunn geht an diesem grauen Morgen ins Verderben. Die Schneeflocken tanzen. Die fernen Bergkuppen sind von Schneewolken umhüllt. Das Land liegt unter Eis und Schnee. In der Ferne streicht der Bergwind mit weißen Schleiern über die Hänge. Ein Tag des Todes. Und die Geisterstadt liegt im Schnee begraben. Ein großes weißes Grab, das auf Opfer wartet. Mike Dunn zieht den Kinnriemen seines Stetsons fest, schlägt den breiten Kragen seiner Pelzjacke hoch und stapft über die Straße. Sein Atem ist als Dampf sichtbar. Klirrende
Kälte läßt seine Augen tränen. Er überquert die Straße und bewegt sich langsam durch die Totenstadt. Sein Blick sucht die Häuserfronten ab, schweift die Straße hinauf und ruht sekundenlang auf den weißen Fichten drüben am Hang. Seine Stiefel drücken den Schnee knirschend nieder. Langsam entfernt er sich vom einstigen Saloon. Nur seine Schritte sind zu hören. Er ist allein auf der Straße. Und dort drüben steht die alte Kirche, eine einfache Baracke mit einer kleinen Glocke und einem türfreien Eingang. Dorthin lenkt Mike Dunn seine Schritte. Im Saloon schlägt Hoke Dixon die Ofenklappe zu, erhebt sich und wandert im Raum auf und ab. Er holt die Petroleumflasche und füllt die Lampe nach. Dann kümmert er sich um die Pferde. Frenchy hört ihn im Hintergrund des großen Raumes hantieren. Mühsam dreht er den Kopf und starrt ins Halbdunkel. Er erkennt nur den Schatten Hoke Dixons zwischen den Pferden. Und er denkt wieder an diese kleine Chance, die noch irgendwann kommen muß. Aber die Fesseln sind stark, sie liegen scharf und fest um seine Handgelenke und Fußknöchel. Im Saloon wacht Dixon, und Mike Dunn ist draußen. Er kann, selbst wenn er frei sein würde, nicht entkommen. Sie würden ihn einholen – zu Pferde oder mit ihren Kugeln. Es ist aussichtslos. Und Joel? Auch er hat keine Chance, seinen Gegnern entkommen zu können. Auch er ist gefesselt. Zwei gute Männer sind in brutalen Händen. Sie haben Gegner, die vor nichts zurückschrecken. Frenchy kann sich kaum mehr rühren; die eisige Kälte kriecht immer tiefer in seinen Körper hinein und breitet sich dort aus, lähmt ihn. Es ist warm im Raum, aber der Boden ist kalt. Fünf, sechs Schritte von ihm entfernt, glüht der Ofen. Er sieht die Glut und friert dennoch. Er will aufschreien, will
Hoke Dixon verfluchen, ihn und seine Komplizen, aber er läßt es sein, wird irgendwie träge und gleichgültig und hört auch gar nicht, wie Hughes zum Ofen zurückgeht und sich dort auf den Hocker setzt. Es ist still im Raum, und nur die Pferde schnauben und klirren mit dem Zaumzeug. Und auch draußen ist es totenstill... Mike Dunn steht in der Kirche. Er betrachtet die Kanzel. Er sieht die Asche ihres Nachtfeuers. Die Bankreihen, den Altar und den von Pferdehufen niedergestampften Schnee im Mittelgang. Krach! Eines der Bretter am Eingang ist zur Seite gefallen. Mike Dunn entspannt sich wieder. Er nimmt die Hand vom Colt und geht langsam zur Kanzel. Ein kalter Luftzug kommt durch die Baracke. Vielleicht ist irgendwo ein zweiter Ausgang. Er hält sich mit der rechten Hand an der Rückenlehne der vorderen Bank fest und versucht, mit scharfen Augen das ewige Halbdunkel zu durchdringen. Ein dumpfes, ungewisses Gefühl ist in seinem Nacken. Er atmet leise, horcht und hört nichts – nur das leise Winseln des schwachen Windes. Langsam setzt er die Füße voran – der Schnee und Flugsand knirscht und reibt. Zu seinen Füßen klappert es hohl und blechern. Er beugt sich hinab, seine Rechte tastet suchend über den Boden, macht kleine Kreise, stößt gegen irgend etwas. Eine leere Konservenbüchse. Er holt sie hoch und riecht daran. Es riecht nach gar nichts; das Eis beseitigt jeden Geruch. Und doch kann diese Konservendose noch nicht lange hier liegen. Sie ist auch nicht sauber aufgeschnitten, sondern richtig aufgehackt worden. Mike Dunn grübelt darüber nach. Er und seine Komplizen haben keine Konserven geöffnet, als sie hier übernachtet haben... Schon tastet seine linke Hand zum Colt.
Wachsam starrt er umher. Plötzlich wirft er die Büchse durch den Raum. Es scheppert laut. Stille. Der Colt liegt in seiner Hand. Er geht langsam weiter. Steht an der Kanzel. Ist es der Wind, der diese Atemgeräusche verursacht? Ist es sein eigener Atem? Er hält den Atem an, und das Geräusch ist weg. »Du wirst noch verrückt«, murmelt er, dreht sich um und schiebt die Waffe in die Halfter zurück. Im Saloon wird Hoke Dixon schon etwas unruhig. Seit dem Weggang des Komplizen ist fast eine Stunde verstrichen. Er flucht leise, erhebt sich und geht zur Tür. Er blickt hinaus, sieht die Fußstapfen Mike Dunns und folgt ihnen mit den Augen. Hinter einer Schneewehe verschwinden sie. »Verdammte Stadt«, flucht er und geht in den Saloon zurück. Er schlägt die Tür hinter sich zu und hört nicht den Aufschrei in der Baracke. Wieder vergeht eine gute Stunde, und Mike Dunn kommt noch immer nicht zurück. Hoke Dixon beugt sich über den Gefangenen. Er prüft die Fesseln. Er zerrt roh daran und richtet sich wieder auf. »Versuch es nur nicht!« sagt er drohend, wendet sich ab, nimmt die Winchester, die Joel Warner gehört, und verläßt den Saloon. Frenchy ist zum erstenmal allein. Er hört, wie Hoke Dixon davongeht. Stöhnend richtet er sich auf, hockt am Boden und zwingt die aufkommende Schwäche mannhaft nieder. Du mußt zu den Pferden! Du mußt deine Satteltasche, die bei den Pferden liegt, öffnen! In der Satteltasche ist ein Messer! Er wälzt sich herum, rollt sich langsam, qualvoll langsam, über den Boden, stößt mit den Stiefeln gegen den Ofen, zieht sie mühselig an und rollt sich am Ofen vorbei... Hoke Dixon folgt der Spur des Komplizen. Sie führt ihn in die Baracke. Er verharrt neben dem Eingang im Halbdunkel.
»Mike!« ruft er halblaut. Keine Antwort. Er repetiert schnell. Gleitet weiter, durch den Mittelgang. Etwas Helles schimmert vor ihm. Er stößt mit dem Fuß dagegen. Die leere Konservenbüchse... Der große Raum ist verlassen – leer. Mike Dunn ist spurlos verschwunden! Dixon rennt hinaus. Er starrt wieder auf die Spur. Ja, sie läuft hier hinein, kommt aber nicht wieder hervor. Dunn müßte noch in der Baracke sein. »Mike Dunn!« brüllt er laut. »Antworte, verdammt!« Tiefe Stille. Und im Saloon kniet Frenchy neben der Satteltasche. Die Hände sind hinter dem Rücken festgebunden worden. Er kann nur die Finger bewegen. Und er versucht, die Satteltaschen zu öffnen. Ein Fingernagel bricht ab. Die Tasche ist offen. Er legt sich auf die Seite, seine aneinandergefesselten Hände suchen fieberhaft in der Tasche nach dem Messer. Er stößt gegen einen harten Gegenstand... Das Bowiemesser! Dumpf und wie in weiter Ferne hört er Hoke Dixon nach dem Komplizen rufen. Die Stimme kommt näher. Diese verdammte, heisere Stimme, die er haßt und verflucht. Das Messer liegt auf dem Boden. Er packt es am Griff und drückt es ganz langsam in den Boden, so daß es aufgerichtet steckt, mit dem Griff nach oben. Er rückt näher heran – schweißnaß und zitternd. Schon reibt er die Fesseln an der Schneide, als er die Schritte hört. Zu spät! Er wälzt sich herum und rollt sich über den Boden zurück. Die Tür wird aufgerissen. Hoke Dixon kommt herein. Frenchy liegt still in seiner Ecke. Dixon späht zu ihm hinüber, schließt die Tür und geht wieder zum Ofen. Im Licht der leuchtenden Petroleumlampe holt er sein Rauchzeug hervor.
Das Messer, das im Boden steckt, sieht er nicht, aber er wird es sehen, wenn er zu den Pferden geht. Diese Sekunden und Minuten sind furchtbar für den Franzosen. Das Messer dort drüben bedeutet vielleicht Freiheit und – Kampf. Hoke Dixon raucht hastig, horcht öfters nach draußen und glaubt wohl noch, daß Mike Dunn irgendwann zurückkommt. Plötzlich packt er die Winchester und gleitet zur Tür. Er drückt sie auf, und nun hört auch Frenchy das Stampfen der Pferde. Dixon bleibt vor der Tür stehen. Er mustert Reed Hughes und Sash Dunn schnell und sorgfältig und begreift sofort, daß der Ritt zum Cripple Creek erfolglos gewesen ist. »Nichts«, krächzt Hughes und rutscht aus dem Sattel. »Ein alter Stollen und zwei Gerippe, nicht mehr.« »Wo ist es dann?« flüstert Dixon spröde. »Wo liegt dann das verdammte Gold, Reed?« »Hier in der Stadt muß es liegen!« ruft Sash Dunn wütend. »Dieser Hundesohn sagt kein Wort. Er will uns glauben machen, daß es auch hier kein Gold gibt! Aber ich glaube ihm nicht! Er lügt, und auch der andere lügt!« »Hier in der Totenstadt?« dehnt Dixon. Sein Blick fliegt zur Kirche, sucht die Straße ab. Er denkt an Mike Dunn, der verschwunden ist. Vielleicht hat Dunn das Gold entdeckt. Vielleicht kann er sich von dem Gold nicht mehr trennen, ist schon verrückt. »Mike!« ruft Reed Hughes. »Hol die Pferde in den Saloon!« »Er ist nicht hier«, sagt Dixon fauchend. »Er verließ den Saloon vor drei Stunden. Ich habe schon die Stadt nach ihm durchsucht, aber er ist spurlos verschwunden! In der Kirche ist die Spur plötzlich weg!« »Dunn ist verschwunden?« fragt Hughes scharf. »Was soll das heißen, Hoke?«
»Sucht doch selbst nach diesem verrückten Kerl, wenn ihr es nicht glaubt!« entgegnet Dixon. Sash Dunn springt vom Pferd. Mit wenigen Schritten ist er bei Hoke Dixon und starrt ihn irgendwie feindselig an. »Er ist mein Bruder«, zischt er. »Wenn du ihn aus dem Weg geräumt hast, um nicht auch mit ihm zu teilen, dann schieße ich dir eine Kugel in den Kopf!« »Versuch es«, lächelt Dixon kalt und drohend. »Hört auf damit!« befiehlt Hughes scharf. »Fangt hier nur keinen Streit an! Das fehlt noch. Sash, dein Bruder wird vielleicht schon das Gold gefunden haben!« »Das denke ich auch«, nickt Hoke Dixon sofort. »Warum antwortet er nicht, wenn ich ihn rufe? Das Gold wird ihn verrückt gemacht haben.« »Bringt die Pferde hinein«, sagt Hughes frostig. »Wir werden ihn schon finden, diesen Verrückten!« *** Die Pferde stampfen über den harten Boden des Saloons. Der scharfe Schweißgeruch der Tiere breitet sich sofort aus. Reed Hughes hat eine Waffe in der Faust, als Sash Dunn Joel Warner wieder fesselt. Dann liegt der große Joel Warner wieder neben seinem Gefährten – stumm und verbissen. Und auch Frenchy sagt noch kein Wort. Er spürt das Messer flach unter seinem Körper liegen. Während Hoke Dixon hinausging und mit den anderen Banditen sprach, rollte Frenchy sich blitzschnell über den Boden, riß das Messer aus dem harten Erdreich und rollte zurück. Das alles geschah in wenigen Sekunden; Frenchy setzte alles auf eine Karte – und gewann. Dixon sattelt die Pferde ab. Sash Dunn wärmt sich am Ofen und sieht zu Reed Hughes hin, der vor den Gefangenen steht.
»Warner«, flüstert er leise und beugt seinen drahtigen Oberkörper ein wenig vor. »Warner – du wirst uns wohl nie die Wahrheit sagen. Du bist wohl zu stolz dazu, zu stur und hart. Das habe ich schon erkannt, ja – und ich weiß, daß wir dich halbtot schlagen könnten, du würdest nicht ein Wort über das Gold sagen... Aber du weißt auch, daß du und der Franzose für immer in der Geisterstadt bleiben werdet. Ihr könnt uns nicht entkommen. Auch wenn wir das Gold nicht finden sollten, Warner... Es gibt keine Rückkehr für euch. Du glaubst, irgendwann noch eine Chance zu bekommen. Du willst Zeit gewinnen, nicht wahr?« Die Frage hängt im Raum, diese leise, drohende Frage. Joel antwortet nicht. Und Reed Hughes sprich langsam und mit kalter Stimme weiter: »Ja, du bist so stolz, großer Warner. Ich weiß, daß du Zeit gewinnen willst und deshalb kein Wort über das Gold sagst. Vielleicht wirst du irgendwann sprechen, wieder lügen und uns am falschen Platz suchen lassen, um wieder Zeit zu gewinnen. Das Gold ist nicht im Stollen. Es wird hier in der Stadt sein. Ihr beide habt es versteckt. Wir finden es schon. Vielleicht ist es sogar schon gefunden worden! Ja, wir brauchen euch gar nicht mehr, Joel Warner! Hörst du, wir brauchen euch nicht mehr –« Er sagt es höhnisch, herzlos kalt und grausam. Und seine Komplizen sehen kaltäugig herüber und warten sicherlich auf seinen Befehl, auf diesen unmenschlichen Befehl. »Aber ich weiß, daß ihr noch immer glaubt, wir fänden das Gold nicht. Aah, ihr sollt es selbst noch erleben! Wir werden euch das Gold zeigen, und dieser Anblick wird der letzte für euch sein!« Diese Worte kommen einem Todesurteil gleich. Und diese Worte spricht Reed Hughes, mit einer fast schon gleichgültig klingenden Stimme, lässig und schleppend aus.
Dann wendet er sich ab, lacht unterdrückt und geht zum Ofen. Dort sagt er zu Hoke Dixon: »Ihr habt den Franzosen ganz schön zugerichtet, du und Mike, wie?« »Er lebt noch«, erwidert Dixon. »Aber er sagt kein Wort, nicht wahr?« »Nein. Ich wollte wissen, wer ihm die Kugel in den Arm gejagt hat. Ich dachte an eine Konkurrenz von uns, Hughes. Aber er wird sich die Kugel selbst verpaßt haben, irgendwie, denn ich habe keine Spuren gefunden, keinen Rauch im Tal und auf der Ebene entdeckt.« Hughes knurrt leise. »Das ist richtig«, sagt er dann. »Wir können gar nicht mißtrauisch genug sein. Habt ihr den Proviant gefunden?« »Nein. Aber ich kann sie zum Sprechen bringen, wenn du es willst, Hughes. Im Fieber werden sie dann sprechen.« »Laß es sein. Wir haben ja ihren Proviant. Ich glaube auch nicht, daß noch andere hinter dem Gold her sind. Wir waren viele Stunden im Sattel und sahen nichts von einer Spur.« Sash Dunn kommt nun zum Ofen und reibt sich die Hände. »Ich muß wissen, wo Mike ist«, sagt er langsam und starrt Hoke Dixon durchdringend an. »Fangt keinen Streit an«, murmelt Hughes. »Geh, Sash – such ihn!« Sash Dunn nickt. Er sieht Hughes noch einmal seltsam an und wendet sich ab. Mit der Winchester in der rechten Hand geht er hinaus. »Geh zur Baracke!« ruft Dixon ihm noch nach, dann schlägt die Tür zu. »Sein Bruder wollte mich anfangs daran hindern, diesen Frenchy zum Sprechen zu bringen«, sagt Dixon kühl. »Er zog den Colt. Ich mußte ihn zur Vernunft bringen. Dann nahm er sich selbst den Franzosen vor.« »Ihr hattet Streit miteinander?« forscht Hughes wachsam.
»Ja, er wurde dann vernünftig...« »Sag kein Wort davon zu Sash! Mike soll es ihm selbst sagen, wenn er es will.« »Ja.« Sash Dunn geht zur Baracke. Lauernd blickt er umher. Er ruft nicht nach seinem Bruder. Er geht schweigend durch die Geisterstadt, horcht und starrt umher. Sein Gang ist gleitend, voller Kraft. Man sieht ihm den harten Ritt zum Cripple Creek nicht an. Er verharrt in dem großen Raum und horcht wieder. Die Stille zerrt etwas an seinen Nerven. Durch einen schmalen Spalt im schadhaften Dach sackt ein Klumpen Schnee und platscht auf eine Bank. Manchmal knackt das Holz der Baracke. »Mike?« fragt er leise und scharf in die Stille hinein. »Mike – antworte!« Als er keine Antwort bekommt, durchsucht er den Raum, jeden Yard und jede Nische. Nirgends eine Spur. Er verläßt die Baracke, bleibt davor stehen und betrachtet die Fußstapfen. Drei Spuren laufen hinein, zwei kommen heraus. Die dritte Spur, die aus der Kirche kommt, ist seine eigene... In seinen braunen Augen flammt es sekundenlang auf. Er atmet auf einmal schnell und scharf. »Dixon lügt!« flüstert er heiser. »Mein Bruder verließ die Baracke wieder! Und Dixon sagt, daß die Spur hier endet! Dieser Bastard! Zum Teufel mit ihm!« Er folgt den Spuren. Die eine läuft auf die Straße und zurück zum Saloon. Die andere aber zeigt nach rechts an. Diese Spur ist noch ziemlich frisch; sie ist deutlich sichtbar im Schnee, tief und fest. Der niedergetretene Schnee ist hart, als wenn sein Bruder irgend etwas Schweres getragen hätte. Sash Dunns Mund wird ein wenig zynischer. Mit einem leisen Fluch auf den schmalen Lippen folgt er der Spur. Sie führt über die Straße, zwischen zwei zusammengefallenen
Häusern hindurch, an einem alten, radlosen Wagen vorbei und nach den Fichten am Hang. Dunn merkt gar nicht, daß es auf einmal wieder schneit. Er starrt auf die tiefen Fußstapfen und läuft schon voran. Er gleitet aus, fällt und richtet sich fluchend auf. Schnee haftet an der Winchester. Er achtet nicht darauf. Weiter! Wohin führt die Spur seines Bruders? Was sucht er dort drüben bei den Fichten? Und was trug er mit sich? Seine Stiefel zogen Streifen von einem Fußstapfen zum anderen. Er muß etwas mit sich geschleppt haben. Sash Dunn sieht deutlich den Abdruck der Sporenrädchen. Hier muß sein Bruder verharrt haben. Ein Platz, an dem der Schnee kreisförmig niedergetreten ist, als wenn sich sein Bruder umgesehen hätte. Der fallende Schnee wird immer dichter. Ein Schneetreiben. Nur der starke Wind fehlt. Die Spur wird schon ein wenig undeutlich. Sash Dunn rennt. Er erreicht die Fichten. Unter den Bäumen liegt nur wenig Schnee. Er sieht die Schneeklumpen, die sich unter den Stiefeln lösten. Die Spur führt in Zickzacklinie durch den kleinen Wald und biegt wieder scharf nach rechts ab, zum Hang hinüber. Die Fichten bleiben zurück. Vor Sash Dunn breitet sich eine tiefe Mulde aus. Die Schneeflocken wirbeln. Die Spur endet hier. Sie kommt nicht mehr am anderen Rand der Mulde hervor. Vielleicht hat der Neuschnee die Spur auch schon zugedeckt... In der Stille ertönt ein schlimmer Fluch. Und Sash Dunn geht hinunter in die Mulde. Aufgewühlter Schnee in der Mulde läßt ihn stehenbleiben. Er beugt sich hinab, hält die Winchester in der rechten Hand, während die Linke in den Schnee fährt. Er weiß gar nicht, warum er mit der Linken durch den Schnee sticht. Dabei macht er noch einen
Schritt vorwärts – und stößt gegen einen Widerstand. Er erstarrt. Selbst diesem seelenlosen kalten Banditen kriecht ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er läßt die Winchester fallen, kniet nieder, beginnt zu scharren, räumt mit beiden Händen den Schnee zur Seite. Niemand hört seinen heiseren Aufschrei. Er ist plötzlich aschgrau im Gesicht. Ein Stöhnen kommt über seine Lippen. Er erschauert und starrt entsetzt auf seinen Bruder. Mike Dunn ist tot. Er liegt erstarrt im Schnee – wie erfroren. Und Sash Dunn gräbt nicht mehr. Er sieht nur immer auf den freigescharrten Oberkörper seines Bruders, sieht die starren, leblosen Augen und das vereiste Gesicht. »Er hat ihn umgebracht!« flüstert er tonlos. »Oh, er hat Mike umgebracht!« Seine Nerven gehen ihm durch; er brüllt heiser auf, packt das Gewehr und taumelt aus der Mulde. Und rennt dann zurück zum Saloon. Joel Warner und der Gefährte liegen noch immer in der Ecke. Reed Hughes sitzt auf dem einzigen Hocker und ißt aus einer Konservenbüchse. Hoke Dixon raucht. Sie sprechen dabei über das Gold, nur immer über das Gold. Da reißt Sash Dunn die Tür auf und stürzt hinein. Die Winchester richtet sich auf Hoke Dixon. Die Tür kracht gegen die Hauswand. Die Windfangdecke bewegt sich unter dem kalten Luftzug. »Dixon du verdammter Verräter!« schreit Dunn schrill. »Glaubst du, ich fände meinen Bruder nicht, he? Du hast ihn verscharrt, in der Mulde hinter dem Wald! Nur, um nicht auch noch mit ihm teilen zu müssen! Ich durchschaue dich, Dixon!« Er lacht gellend auf. »Du wirst ganz verzichten müssen, Hoke Dixon! Ich hab’ was für dich, Dixon – eine Kugel!« Die Winchester zeigt auf Dixons Unterleib.
»Er ist verrückt!« brüllt Dixon heiser. »Verrückt ist er! Was heißt das, was heißt das nur? Reed, sieh ihn dir an! Er ist verrückt!« Die Konservenbüchse fällt auf den Boden. Reed Hughes kommt langsam und steif hoch, dreht sich seltsam schwerfällig um und blickt Sash Dunn an. »Was ist das, Sash?« ruft er peitschend. »Mike ist...« »Ja!« schreit Dunn wild. »Ja, Mike ist tot! Und Dixon hat ihn umgebracht!« »Nein!« brüllt Dixon und starrt immer wieder auf die dunkle Mündung. »Er bildet sich das nur ein! Ich kann doch Mike nicht umgebracht haben, das ist doch Wahnsinn!« »Wer soll es denn getan haben?« faucht Sash Dunn voller Haß. »Wer?« »Sash – sei vernünftig!« keucht Reed Hughes. »Du mußt dich zusammenreißen, Sash! Sag uns, wie du ihn gefunden hast, sag es!« »Ja«, flüstert Dunn, »ja, du sollst es wissen. Ich suchte in der Baracke. Die Spur meines Bruders kam aus der Baracke. Dixon hat gelogen! Mein Bruder verließ die Stadt, er ging zum Fichtenwald. Er liegt in einer Mulde hinter dem Wald – erstarrt, im Schnee begraben!« »Du bist wirklich verrückt!« stößt Dixon heiser hervor. »Mike kam nicht aus der Baracke. Und ich ging sofort wieder zurück zum Saloon! Du mußt meine Spur doch gesehen haben! Mike war auch nicht in der Baracke zu finden.« »Seine Spur war ganz frisch«, flüstert Sash stockheiser. »Oder es war deine, Dixon! Du hast ihn in der Baracke umgebracht, kurz bevor wir zurückkamen. Und du hast ihn nach der Mulde getragen und ihn dort verscharrt!« »Glaubst du diesem Verrückten, Reed?« keucht Hoke Dixon.
Hughes sieht die Komplizen abschätzend an. Plötzlich drehte er sich um und fragt dumpf: »Franzose, du wirst mir sagen, ob er den Saloon verließ.« »Ja«, sagt Frenchy ruhig. »Ich ging zur Baracke, um ihn zu suchen!« brüllt Dixon. »Das ist wahr«, sagt Frenchy aus dem Halbdunkel. »Er kam sehr schnell zurück und ging auch nicht wieder hinaus.« »Da hörst du es, Sash Dunn!« schnappt Dixon wütend. »Dein Bruder ist in die Mulde gefallen und erfroren.« »So nicht, Dixon«, flüstert Sash Dunn, »so nicht! Das ist zu einfach, um wahr zu sein! Du konntest Mike schon immer nicht leiden. Und als wir zum Cripple Creek ritten, hast du ihn beseitigt!« »Du hast doch nur eine Spur gesehen!« entgegnet Dixon etwas beherrschter. »Ja – und diese Spur war tief und fest, weil du ihn dorthin getragen hast!« »Ich habe den Saloon nur einmal verlassen, du hast es ja gehört!« »Vielleicht hast du dich mit dem Franzosen so abgesprochen?« fragt Sash Dunn drohend. »Vielleicht hast du ihm irgend etwas zugesichert, he? Du bist doch zu allem fähig, Dixon!« »Aufhören!« sagt Hughes kalt und fest. »Dieses Gequatsche bringt uns nicht weiter. Ich glaube Dixon. Ich werde mit ihm zur Mulde gehen, Sash, und mir alles genau ansehen. Komm, Hoke!« »Halt!« faucht Dunn. »Er kommt hier nicht raus! Geh allein, Reed!« »Ihr seid beide große Narren«, murmelt Hughes. »Bleibt vernünftig! Vergeßt euren Haß, hört ihr? Ich gehe jetzt hinaus. Bleibt hier. Aber versucht nicht, wer schneller ist! Stell die Knarre weg, Sash!«
Seine Stimme wird metallisch hart, sie klirrt richtig. Und Sash Dunn kommt wieder zu sich. Er stellt die Winchester tatsächlich an die Wand neben der Tür, er gehorcht. »Gut so, Sash«, knurrt Hughes. »Wir müssen die Nerven behalten. Wir alle wollen das Gold. Was mit deinem Bruder geschah, werde ich jetzt feststellen. Beginnt nicht wieder, wenn ich draußen bin. Wir brauchen uns alle gegenseitig...« Dann geht er. Und Dixon und Sash sind mit den Gefangenen allein. Sie verteilen sich im Raum, lassen kein Auge vom anderen, belauern sich, voller Argwohn. Mißtrauen und Wachsamkeit. Joel betrachtet sich Sash Dunn. Der Bandit ist noch immer erregt. Und er sieht auch zu Dixon hinüber. Dixon knetet die Hände über dem Ofen. Und Joel weiß plötzlich, daß Hoke Dixon nicht den Banditenbruder umgebracht hat. Er hat einen sicheren Blick dafür. Die wenigen Minuten werden zu einer Ewigkeit. Endlich kommt Reed Hughes zurück. Er schließt die Tür und geht zu Hoke Dixon. »Wo sind die Stiefel, Hoke?« fragt er ruhig, beinahe sanft. Dixon sieht ihn verblüfft und verständnislos an. Hughes nickt zufrieden. Er dreht sich um und sagt zu Sash Dunn: »Du bist ein Narr, Sash!« »Er war es nicht?« flüstert Dunn spröde. »Nein.« »Was ist mit den Stiefeln, Reed?« fragt Dixon leise. »Ich habe Mike aus dem Schnee gegraben«, murmelt Hughes. »Er ist ohne Stiefel! Hier in der Geisterstadt gibt es ein Wesen, das ihm die, Stiefel auszog und ihn umbrachte. Ja, ihr seht mich an, als sei ich ein Verrückter – aber es stimmt. Und dieses Wesen nahm auch unseren Proviant und schoß auf den Franzosen!« »Ein Geist?« flüstert Sash Dunn.
Reed Hughes lächelt überlegen. »Ja. Frag doch den Franzosen!« »Stimmt das?« Dunn kommt steif und verkrampft zu den Freunden. »Sag’s ihm, Frenchy«, murmelt Joel. »Sie werden uns töten, wenn sie das Gold haben – aber sag’s ihm!« »Joel, ich...« »Ich weiß, Frenchy«, murmelt er bitter. »Irgendwann hätten sie es sowieso erfahren. Sag ihm alles, und vergiß das Gold nicht, Frenchy, das Gold!« In dieser Sekunde begreift der Freund, was Joel Warner erreichen will. Er will die Chance! Und er sagt es. *** Die Pferde fressen Hafer. Nur das Mahlen ihrer Kiefer ist zu hören. Nach den Worten des Franzosen herrscht eine beklemmende Stille, die erst nach sehr langer Zeit von Reed Hughes unterbrochen wird: »Zum erstenmal sagt er die Wahrheit. Als unser Proviantbündel spurlos verschwand, hatte ich sie sofort in Verdacht. Die Verletzung am Arm des Franzosen ist mir gar nicht aufgefallen. Hoke hatte schon Grund genug, diesen schweigsamen Burschen durchzukneten. Es war also dieser Unbekannte, der ihn anschoß. Und er überfiel auch deinen Bruder, Sash. Er schleppte ihn, nachdem er ihm die Stiefel ausgezogen hatte, nach der Mulde hinter den Fichten und verscharrte ihn dort. Als du bei der Mulde warst, schneite es schon eine Weile. Du konntest die Spur gar nicht mehr sehen.« Er schweigt einen Atemzug lang und blickt umher. Frenchy ansehend, sagt er: »Ja, du sprichst die Wahrheit, Frenchman. Aber ist es nicht eine Lüge, was du über das Gold sagtest?«
»Nein«, sagt Frenchy gefaßt. Joel sieht zu Boden. Er spürt, daß Reed Hughes ihn mustert, und als er das Kinn anhebt, sieht er in die Augen des Banditen. »Ihr habt das Gold also doch aus dem Stollen geborgen, nicht wahr?« »Ja«, murmelt Warner. »Wir brachten es hierher, in diesen alten Saloon. Am nächsten Tag sahen wir uns hier in der Stadt etwas um. Indessen schlich sich dieser Unbekannte in den Saloon. Mein Freund sah ihn. Er schoß, traf aber nicht. Der Unbekannte schoß zurück – mit der Winchester, die er aus dem Saloon mitgenommen hatte. Und er konnte entkommen – mit dem Gold!« »Wer ist dieser Unbekannte? Wie sieht er aus, Mann?« »Es schneite; wir konnten ihn kaum erkennen im Schneetreiben. Es war auch schon etwas dunkel.« »Hoke – Mike ging ohne Gewehr hinaus?« »Ja, er hatte nur seine Colts.« »Er liegt ohne Waffengurt und Stiefel in der Mulde. Der Unbekannte besitzt also ein Gewehr und zwei Colts mit Munition.« »Wieviel Gold ist es?« fragt Hoke Dixon lauernd. »Drei kleine Säcke«, antwortet Joel ruhig. »Gold aus dem Creek.« »Drei Säcke, habt ihr das gehört?« ruft Dixon mit einem wilden Aufflackern in den Augen. »Das sind doch bestimmt tausend Unzen Gold und mehr. Zwanzig Dollar gibt es für eine Unze Gold!« »Schnapp bloß nicht über«, knurrt Hughes. »Bis jetzt haben wir es noch nicht.« »Aber wir jagen es ihm schon noch ab.« »Ich will ihn für mich haben!« zischt Sash Dunn. »Ich allein mach’ ihn fertig, verstanden?« Hughes lächelt dünn.
»Du hast ein Recht dazu, Sash. Einer von uns wird bei den Gefangenen bleiben müssen. Du wirst es sein, Sash.Wir bringen ihn dir!« »Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich hier herumhocke, während ihr den Mörder meines Bruders sucht, Reed!« »Hoke, wie ist es mit dir?« Dixon wirft einen häßlichen Blick auf Warner und Frenchy. Irgend etwas Böses reift in seinem Hirn. Er sieht Hughes wieder an und nickt. »Well, soll Sash mit dir gehen!« Hughes nickt zufrieden. Er gibt Sash Dunn einen Wink, ihm zu folgen, und verläßt den Saloon. Dunn nimmt die Winchester und geht hinter ihm her. Und Hoke Dixon folgt ihm bis vor die Tür. Er bleibt dort stehen und sieht ihnen nach, wie sie davongehen. Sie werden alle Häuser durchsuchen, jeden Winkel und jede Nische in dieser verlassenen Geisterstadt. Dixon bleibt noch lange vor dem Saloon stehen. Er hört nicht die leisen Stimmen der Gefährten im Haus, sieht nicht, wie Frenchy das Bowiemesser dem Freund zuschiebt, wie Joel das Messer hinter sich in den harten Boden drückt. Drüben, auf der anderen Straßenseite, verschwinden Hughes und Dunn in einem Haus. Das planmäßige Suchen beginnt. Wenn dieses Suchen erfolgreich für die Banditen ist, werden mehrere Schüsse aufpeitschen. Joel Warner glaubt nicht daran, daß die Banditen auch nur ein einziges Korn Gold finden werden. Und er glaubt auch nicht, daß sie den Umheimlichen stellen werden. Doch weiß er mit grausamer Sicherheit, daß sie nur noch wenig Zeit haben – vielleicht eine Stunde – mehr nicht. Sie warten auf Hoke Dixon. Das Messer schabt an der Lassoschnur. Einige Fasern reißen. Das Lasso ist fest, und durch die Schneenässe zieht es
sich noch fester zusammen. Und es wird immer fester, wird sich immer mehr zusammenziehen, je trockener es wird. Der Schweiß bricht ihm aus. Er atmet hastig. Die Schneide fährt in seinen Daumen. Immer wieder verfehlt er das Lasso oder Messer. Und Frenchy starrt zur Tür hin. »Er kommt!« zischt er plötzlich. Sofort legt Joel sich zurück. Das Messer ragt mit dem Griff zwischen Körper und Oberarm empor. Er darf es jetzt nicht umstoßen oder aus dem Boden zerren. Es muß fest im Boden bleiben. Der aschblonde Bandit kommt herein, zieht die Tür zu und setzt sich an den Ofen. Wie unabsichtlich holt er einen seiner Colts aus dem Halfter. Er spielt damit. Wie aus Langeweile. Dabei zeigt die Mündung auf die Gefährten... Joel stößt den Gefährten an. Und Frenchy lacht leise auf. Er lacht – immer lauter, höhnischer und herausfordernder. Hoke Dixon erhebt sich mit einem Ruck. Er kommt heran, mit dem Colt in der Faust. »Oh, es gibt gar kein Gold!« lacht Frenchy höhnisch. »Du verdammter Dummkopf! Du wartest umsonst auf das Gold! Alles Lüge. Ouuh, was seid ihr nur für blutige Anfänger!« »Hör auf!« faucht Dixon giftig. Er verliert die Beherrschung. Er will quälen. Er beugt sich hinab und schlägt ein paarmal zu, aber der mutige Franzose lacht weiter! Sein Lachen wird gepreßt, er stöhnt und lacht abwechselnd. Joel Warner richtet sich auf. Er rückt unruhig hin und her. Dixon achtet gar nicht auf ihn. Er packt Frenchy und zerrt ihn in die Raummitte. Die Freunde wissen, was auf dem Spiele steht. Der Bandit muß abgelenkt werden. Joel muß unbeobachtet sein. Und Frenchy sorgt dafür. Er wächst über sich selbst hinaus, dieser Mann. Er läßt sich schlagen, und wenn auch die Schmerzen unerträglich werden – er lacht! Das ist Mut. Eine gewaltige Beherrschung und ein starker, unbeugsamer Wille gehören dazu.
Und Joel spürt schon, wie der Druck der Fesseln ein wenig nachläßt. Er versucht, das Lasso auseinanderzureißen, aber es gelingt noch nicht. Und wieder schabt er verzweifelt, wie verrückt, beißt die Zähne hart zusammen, spürt die Schmerzen an den Händen, das scharfe Messer im Fleisch. Wann endlich ist es soweit? Wann kann er endlich dem Freund helfen? Es gibt doch keine andere Chance mehr. Frenchy muß höllische Schläge einstecken. Er steckt sie ein, verdaut sie, wird aber bald verrückt vor Schmerz. Er lacht nicht mehr höhnisch; er lacht aus Wut und Haß. Und Hoke Dixon schlägt immer wieder zu. Reed Hughes und Sash Dunn wissen nicht, was im Saloon geschieht. Sie hören das furchtbare Lachen und die klatschenden Schläge nicht. Sie sind schon einige Häuser weiter. Das Haus, vor dem sie stehen, ist jenes, das eine Luke neben der Tür besitzt und den Stürmen langer Winter trotzen konnte; jenes Haus, vor dem auch Frenchy stand und dann die Luke zuschlug. »Kannst du die Tür aufbrechen, Sash?« fragt Hughes. »Sie muß verklemmt sein.« »Wir brechen sie auf. Dort drüben, zwischen den Haustrümmern, liegt ein starker Balken. Den nehmen wir.« Sie gehen hinüber, zerren den Balken hervor und kommen damit zurück. Dann donnern sie den Balken gegen die Tür. Holz bricht. Sie schieben den Balken durch das Türloch und drücken ihn zur Seite, sprengen die Tür auf. Sash Dunn öffnet noch die Luke. Hughes geht als erster ins Haus. Gerumpel liegt umher. Konservenbüchsen; alte Strohsäcke, ein Hocker und Tisch, eine zerfetzte Decke und mehrere Talglichter. Im alten Kamin türmt sich ein Haufen Holzasche... Die Banditen wechseln einen schnellen Blick. Es gibt keinen Zweifel – hier hauste vor gar nicht langer Zeit ein Mensch.
»Sieh dir das an«, keucht Reed Hughes. »Neben der Luke ist ein Türriegel.Wir mußten ihn durchbrechen. Aber wenn man weiß, wo der Riegel ist, dann kann man durch die Luke hindurch den Riegel beiseite ziehen!« Sash Dunn nickt stumm. Er reißt ein Schwefelholz an und leuchtet den Raum ab. Plötzlich schreit er überrascht auf. Hughes zuckt zusammen und stürzt zu ihm. Das Licht erlischt. Ein zweites Holz brennt flackernd. Das schwache Licht tanzt über den Boden. Es schimmert und funkelt zurück. »Verdammt«, flüstert Hughes spröde, »was ist das?« Er kniet nieder. Seine Hand gleitet über den Boden. Körnchen haften an seinem Handteller, als er die Hand zurückzieht. Wieder ist das Schwefelholz abgebrannt. Hughes stürzt zur Tür. Er starrt auf seine Hand. In seinem Gesicht zuckt es. Er zittert sogar etwas. »Das ist Gold!« schreit Sash Dunn auf. »Reed – das ist Gold!« »Ja, ja«, keucht Hughes, »das ist Gold! Aber nicht genug, noch nicht einmal eine Unze! Er war hier im Haus. Er hatte die Goldsäcke auf den Boden gestellt. Er hat das Haus aber längst verlassen! Und das Gold mitgenommen! Er muß in einem anderen Haus sein, irgendwo! Hier war er schon seit längerer Zeit nicht mehr. Wir müssen weitersuchen, aber wie finden ihn schon noch, ja – wir finden ihn!« Und sie suchen weiter. Getrieben von der grenzenlosen Gier nach dem gleißenden Gold. Und sie vergessen dabei ihren Komplizen und alles andere. Und Sash Dunn denkt auf einmal gar nicht mehr an seinen Bruder Mike... Gold. Bei diesem Gedanken ist alles andere unwichtig geworden, so weit zurückgedrängt und belanglos. Nur das Gold ist wichtig! Vielleicht sogar wichtiger als das Leben...
Gold! Und sie suchen fieberhaft. Und im Saloon richtet sich Hoke Dixon keuchend auf. Er hat die Beherrschung verloren; nun wird er um so beherrschter. Seine Komplizen suchen das Gold. Er will bei ihnen sein. Aber die Gefangenen müssen bewacht werden. Tote nicht... Er geht zwei, drei Schritte zurück. Sein Gesicht ist eine starre Maske. Der Colt in seiner Rechten zeigt auf den Franzosen. »Wir reiten mit dem Gold zurück nach Colorado Springs«, sagt er bellend. »Wir wollen dort wieder in Ruhe leben und vielleicht auf eine neue Chance warten. Wir haben ja Zeit genug. Für euch Dummköpfe gibt es kein Zurück. Wir müssen an uns selbst denken, versteht ihr? Sonst wird man uns eines Tages hängen.« Joel Warner strafft sich. Seine Hände sind frei. Die rechte Hand hält das Messer am Griff. Noch sind seine Hände hinterm Rücken... »Sie wollen uns töten, Dixon?« fragt er mit gefrorener Stimme. Die Augen des Banditen verraten alles. »Das ist Mord, Dixon«, murmelt Joel Warner hart und rauh. »Eine teuflische Tat, die Sie nie zur Ruhe kommen läßt. Tun Sie es nicht, Dixon! Überall auf der Welt gibt es ein Gesetz, eine Gerechtigkeit, eine Strafe – auch hier am Pikes Peak! Sie können dieser Strafe nicht entkommen.« Er sagt es mit unheimlicher Ruhe. Seine Hand saugt sich am Messer fest. Er wird es benutzen, wenn der Freund in Gefahr ist. Frenchy zittert vor Schmerzen. Es ging aber nicht anders. Er weiß es selbst. Er wußte es, bevor es begann. Und er nahm das Opfer auf sich.
Hoke Dixon grinst teuflisch. Er will etwas erwidern, er lebt im flüchtigen Rausch eines schlimmen Triumphes, er kennt kein Erbarmen, kein Gefühl, kein Mitleid. Und er atmet schon tief ein, will ihnen seinen bösen Haß ins Gesicht schleudern, als ein Geräusch an der Tür ihn ablenkt. »Reed, bist du es?« Keine Antwort. Die Pferde rumoren im Hintergrund. Ihr Stampfen und Schnauben übertönt das Geräusch vor der Tür. Dixon geht zur Tür. Der Colt liegt schußbereit in der Faust. Er drückt die Tür auf und springt hinaus. Die Straße ist leer. Der Himmel ist grau. Es schneit noch etwas. Der Bandit entfernt sich vom Saloon. Er geht auf die Straße und sieht zur Baracke hinüber. Dort hinten kommt gerade Sash Dunn aus einem Haus. Sie sehen sich. Dunn schreit irgend etwas und winkt heftig. Dixon begreift nicht, was er meint. Er sieht, wie Dunn die Winchester hochreißt... Im Saloon springt Joel Warner auf. Mit wenigen schnellen Schritten ist er bei Frenchy, zerschneidet die Fesseln. Da peitscht draußen ein Schuß auf. Und auf der Straße stöhnt ein Mann auf. Und fällt dann in den Schnee. *** Die Fesseln sind gefallen. Ächzend kommt Frenchy hoch, steht schwankend auf den Füßen, die abgestorben scheinen, so gefühllos sind sie. Noch toben die Schmerzen in seinem mißhandelten Körper, noch ist alles erstarrt und verkrampft. Und doch wankt er zur offenen Tür. Joel Warner packt seine Winchester, die Hoke Dixon nicht mit hinausgenommen hat, und stürzt zur Tür.
Wieder krach ein Schuß. Die Kugel kommt fauchend die Straße herauf. Und irgendwo hinten auf der Straße brüllen heisere Männerstimmen. Auf der Straße vor dem Saloon liegt Hoke Dixon. Er richtet sich gerade mühsam auf, bringt aber nur den Oberkörper hoch. Er muß angeschossen worden sein... »Joel«, flüstert Frenchy plötzlich mit zersprungener Stimme, »Joel – da drüben steht er, zwischen den beiden Häusern!« Der Unheimliche... Reed Hughes und Sash Dunn kommen herangelaufen. Hughes brüllt irgend etwas und Sash Dunn verläßt die Straße. Er will sich im Schutze der Häuser vorarbeiten. In diesem Moment hetzt der Unheimliche aus der Deckung hervor. Seine Sprünge sind weit, schnell und federnd. Eine gewaltige Kraft muß in diesem Mann stecken. Der wilde, lange Bart flattert richtig. Er trägt eine zerfetzte Lederhose und eine alte Lederjacke. Darunter ragen die Colthalfter Mike Dunns hervor. Und er trägt jetzt auch die Stiefel des Banditen, nicht mehr die Fußlappen, mit den er jene geheimnisvollen Fußstapfen hinterließ. In der Rechten hält er die Winchester des Franzosen. Hughes schießt sofort auf ihn, trifft aber nicht. In wilden Zickzacksprüngen jagt der Unheimliche über die Straße. Seine Augen sind so wild wie die eines Raubtieres... Hoke Dixon sieht ihn. Er hebt die Faust mit dem Colt, ganz langsam, weil er nicht bei Kräften ist, und will auf den Unheimlichen schießen. Da hört er einen Schrei hinter sich. Und auch Reed Hughes vernimmt den heiseren Schrei des Franzosen. Alles geschieht so rasend schnell. Wenige Sekunden sind es nur. Der Schrei lenkt Hoke Dixon ab. Auch Hughes blickt zum Saloon. Sie sehen den Franzosen in der Tür. Er will hinaus, aber Warner zerrt ihn zurück. Eine Kugel platscht ins Holz
neben der Tür – eine Kugel aus Hughes’ Winchester. Nun schießt Hoke Dixon. Aber er kann keinen sicheren Schuß abgeben. Er trifft den Unheimlichen nicht. Ein grelles, unmenschliches Lachen ertönt, schon mehr ein tierischer Schrei. Und dann ist der Unheimliche zwischen den Häusern auf der anderen Straßenseite untergetaucht. Reed Hughes schießt wie verrückt in den Saloon hinein. Querschläger jaulen. Die Pferde drängen durcheinander. »Frenchy, nimm das Gewehr – schieß zurück!« ruft Joel scharf. Mit einem grimmigen Fluch wirft er die Winchester dem Gefährten zu, und Frenchy fängt die Waffe unbeholfen auf. Hughes preßt sich tief in den Schnee, als die Kugeln aus dem Saloon kommen. Sash Dunn kommt erst gar nicht hinter dem Haus hervor, und Hoke Dixon liegt halb ohnmächtig auf der Straße. Plötzlich wird es still. Die Banditen sehen zum Saloon hinüber. Dort ist die Tür zugezogen. »Sash!« brüllt Hughes heiser. »Sie sind nicht mehr gefesselt! Diese verdammten Hunde! Hol Hoke von der Straße, los, beeil dich, verdammt! Nun mach schon, du mußt dich beeilen!« Sash Dunn hastet über die Straße. Hughes liegt rücklings im Schnee. Sein Atem flattert. Er ist grau im Gesicht. Sash Dunn lächelt dünn, irgendwie grausam und mitleidlos. Dann beugt er sich hinunter und zerrt Hoke Dixon hoch. Der stöhnt laut auf. Der Kumpan geht nicht behutsam mit ihm um. Er packt ihn roh und schleift ihn schon beinahe über die Straße. Ein Blutfleck bleibt im Schnee zurück. Reed Hughes behält die Saloontür im Auge und wird sofort schießen, sollte die Tür aufgestoßen werden.
Doch nichts geschieht, und Sash Dunn kann den verwundeten Komplizen sicher in das Haus bringen, in dem vor nicht langer Zeit der Unheimliche dieser Geisterstadt hauste. Schließlich verläßt auch Reed Hughes seinen Platz und folgt den anderen ins Haus. Für Joel Warner und Jacques Melville wird es noch sehr schlimm werden. Die Banditen werden nicht aufgeben. Sie müssen kämpfen, wollen sie nicht verhungern. Und ohne Pferde können sie diese Eiswelt nicht verlassen. Die Freunde wissen es. Frenchy lehnt rücklings an der Wand und starrt vor sich hin. In seinem Gesicht arbeitet es. Verkniffen ist der Mund, und die Schwellungen glänzen im Lichtschein. Joel kommt mit einer Schachtel Munition zurück, legt sie auf den alten Tisch und lädt die Winchester nach. Er kehrt Frenchy dabei den Rücken zu. »Warum hast du geschrien, Frenchy?« murmelt er sanft, ohne sich umzudrehen. »Die Banditen hatten genug mit diesem Unbekannten zu tun. Erst durch dein Schreien sind sie auf uns aufmerksam geworden. Ich wollte sie hier im Saloon abfangen und erledigen – nacheinander. Jetzt sind wir frei und doch gefangen. Nur ein Mann kann uns in Schach halten.« Der Gefährte nickt geistesabwesend. Er starrt noch immer auf den Boden vor sich. Plötzlich fragt er spröde: »Joel – kann ein Mensch dreizehn Jahre lang in einer toten Stadt leben?« Warner dreht sich um und sieht den Freund aufmerksam an. »Ja«, sagt er. »Und kann ein Mann normal bleiben, wenn er hier über zehn Jahre lang haust? Kann er das – oder wird er verrückt?« Joel lächelt freudlos. »Er muß verrückt werden, Frenchy. Oder er wurde damals, als hier Gold gefunden wurde, verrückt.« »Dann ist es also doch möglich?« flüstert Frenchy dumpf.
»Was ist möglich?« murmelt Joel und legt die Winchester auf den Tisch. Frenchy hebt den Blick. Sein Gesicht strafft sich: hart treten die Kiefermuskeln hervor. »Warum ich geschrien habe? Du hättest es auch getan, Joel – wenn du plötzlich deinen Vater lebend gesehen hättest!« Joel stößt den Atem scharf aus und kommt langsam heran. »Dein Vater, Frenchy? Irrst du dich auch nicht? Dreizehn Jahre und mehr, Frenchy!« »Und wenn es zwanzig wären, Joel, ich würde ihn immer wieder erkennen!« stöhnt der Franzose. »Ich sah seine Augen, ich sah ihn über die Straße laufen – und ich erkannte ihn.« »Dieser Unbekannte soll dein Vater sein?« Joel Warner schüttelt den Kopf. »Ich glaub’s nicht!« »Dann glaubst du es eben nicht!« ruft Frenchy rauhkehlig. »Aber ich irre mich nicht! Er ist mein Vater, bei Gott, er ist es!« Er senkt das Kinn und starrt wieder zu Boden. »Und er ist ein Mörder, ein verrückter Mörder!« Warner zuckt nur die Achseln und sagt nichts dazu. Still wendet er sich ab, setzt sich auf den Hocker und hört Frenchy leise sagen: »Ja, sie kamen zu dritt damals hierher. Sie fanden bestimmt Gold. Im Pikes Peak. Auf einmal waren sie reich, sehr reich, aber auch mißtrauisch zueinander, alle drei. Vielleicht begannen sie sich sogar zu hassen. Jeder mißtraute dem anderen. Dann kam es zum Kampf im Stollen. Sie waren schon vollkommen verrückt von dem Gold. Mein Vater überlebte den Kampf. Vielleicht schoß er deinen Vater nieder, Joel, vielleicht auch deinen Onkel. Was damals wirklich im Stollen geschah, werden wir niemals erfahren. Aber mein Vater lebt. Er muß also das Gold haben. Er war schon verrückt, sah in jedem seinen Feind und verkroch sich in dieser Totenstadt. Die Stadt muß schon verlassen gewesen sein. Er besaß wohl auch kein Pferd mehr. Und er hatte wohl Angst, mit dem Gold nach Denver, Colorado Springs oder Pueblo zurückzukehren.
Angst vor den Banditen in diesem Gebiet. So blieb er hier und wurde der einzige Bewohner einer Totenstadt.« Er stößt sich von der Wand ab und geht langsam zum Ofen, läßt sich auf einem Sattel nieder und schluckt würgend. »Mein richtiger Vater, so wie ich ihn in Erinnerung habe, ist tot«, flüstert er tonlos. »Dieser Mann ist ein Mörder, ein Irrer. Ja, ich werde auf ihn schießen, wenn ich es tun muß...« Die Stille des Todes liegt über der Geisterstadt. Und vor dem Saloon leuchtet roter Schnee... Im Saloon bleibt es lange still. Die Tür ist verriegelt, der Ofen glüht und knackt, die Pferde schnauben. »Hughes und Sash Dunn werden alles daransetzen, in den Saloon zu kommen«, murmelt Joel. »Wir haben den ganzen Proviant und die Pferde.« »Warum greifen wir sie nicht an?« fragt Frenchy ruhig. »Warum sollen wir hier auf ihren Angriff warten?« Joel verzieht den Mund zu einem bitteren Lächeln. »Versuche, aus dem Saloon zu kommen, Frenchy. Mach nur die Tür etwas auf.« »Glaubst du, daß irgendeiner von diesen Halunken draußen auf der Straße ist?« »Hughes wird keinen Fehler machen, Frenchy. Er wartet doch nur darauf, daß wir hinausgehen!« Frenchy erhebt sich und geht zur Tür. »Das muß ich wissen, jetzt gleich«, sagt er. Geräuschlos schiebt er den Querbalken zur Seite. Joel nimmt die Winchester und stellt sich neben der Tür auf. Dann stößt Frenchy die Tür ganz langsam auf. Knarrend dreht sie sich nach draußen. Das Lasso, das am klobigen Türriegel befestigt ist, gleitet durch Frenchys Hand. Die Tür ist offen. Tageslicht fällt herein. Die Freunde stehen rechts und links an der Türwand. Nichts geschieht. Kein Schuß fällt. Draußen bleibt es still.
»Hoke Dixon ist verletzt«, flüstert Frenchy. »Sie werden ihn gerade verbinden...« »Möglich. Verlaß dich aber nicht darauf. Wir könnten hier warten, bis der Hunger sie fertiggemacht hat.« Es ist nicht Angst, die Joel Warner diese Worte sprechen läßt. Es ist die Vernunft eines Mannes, der im grausamen Bürgerkrieg dem Tod gegenüberstand und im Grunde seines Herzens den Kampf verabscheut. Joel Warner hat bewiesen, daß er mutig ist. Und will nicht, daß sich der Freund sinnlos opfert. Sie können hier im Saloon lange ausharren. Wenn bohrender Hunger und grimmige Kälte die Banditen ermüdet und gelähmt haben, wird er seinen Kampf beginnen und dabei die besten Chancen haben. »Mach die Tür wieder zu, Frenchy«, murmelt er ruhig. »Ein Kampf ist nicht zu vermeiden, aber wir wollen den Zeitpunkt dazu bestimmen, nicht die Banditen.« »Ich denke noch an den verdammten Krieg, Joel«, flüstert Frenchy. »Da kämpften wir auch gegen eine ganze Hölle an. Wir überlegten nicht lange. Wir rannten auf den Feind los und zwangen ihn nieder.« »Damals war Krieg, überall im Land. Es gab kein sicheres Haus, keine sichere Stellung. Die Erde war verbrannt. Wir mußten immer kämpfen, immer auf dem Marsch sein. Ich bekam einen Granatsplitter, Frenchy, und wäre fast draufgegangen. Ja, wir siegten – aber mit welch großen Verlusten, Frenchy! Sei vernünftig. Dies wird ein Straßenkampf. Willst du dir eine Kugel in den Schädel jagen lassen, he?« »Ich sagte dir doch, daß sie nicht hier sind!« brummt der Gefährte. Und dann geht er auch schon aus der Deckung und steht sekundenlang in der offenen Tür. »Zurück, du Narr!« sagt Joel warnend. »Seit wann hast du Angst?« grinst Frenchy. »Nichts geschieht! Komm, wir nehmen sie uns vor, und dann...« Krach!
Die Kugel kommt über die Straße und stößt Frenchy zurück. Er hält noch das Lasso, und als er zurückgestoßen wird, reißt er die Tür zu. Mit einem Satz ist Joel an der Tür. Krachend fällt der Querbalken in die Halterung. Kugeln platschen ins Holz der Tür. Schüsse peitschen durch die Stadt, und das Echo verebbt schnell in der Ferne. Reed Hughes stürzt aus dem Haus und blickt die Straße hinauf. Hoke Dixon liegt stöhnend im Haus. Er zittert vor Kälte. Schwerfällig richtet er sich auf und horcht. Hughes kommt wieder herein. Er zerrt die Tür zu. Durch die offene Luke fällt genügend Licht herein. »Hat er sie erwischt?« keucht Hoke Dixon. »Den Franzosen«, grinst Reed Hughes, »gleich mit dem ersten Schuß. Er fiel zurück und riß die Tür zu. Vielleicht geht er dabei drauf. Dann ist nur noch dieser Warner da, und den erwischen wir schon noch. Kannst du die Schulter bewegen?« »Ja, etwas.« »Dem Saloon gegenüber steht ein Haus. Dort hockt Sash jetzt. Du wirst ihn ablösen, noch heute. Ich habe dich gut verbunden, du wirst es überstehen. Nur schlappmachen darfst du nicht. Du mußt immer wachsam sein, immer sofort schießen können!« »Was habt ihr vor?« »Ich werde mit Sash nach dem Gold suchen. Wirst du es schaffen?« Hoke Dixon lächelt dünn, verkrampft. »Sucht das Gold und diesen Hundesohn! Ich muß es schaffen. Ich werde diesem verdammten Warner eine Kugel geben, sollte er aus dem Saloon kommen.« Ein wilder Haß ist in seiner krächzenden Stimme. Dieser Haß ist es auch, der ihn aufrichtet, die Schmerzen und Schwäche vergessen läßt, der ihn antreibt.
Sie wollen die Zeit nützen. Und wenn es Nacht wird, werden sie den Saloon beschießen. Frenchy liegt ganz still auf der ausgerollten Decke. Ein flüchtiges Lächeln, schwach und müde, huscht über sein hohlwangiges Gesicht. »Ist es schlimm, Freund?« flüstert er mit flackernder Stimme. Joel zieht die Hand zurück. Sie ist blutig. Seine Mundwinkel zucken seltsam. »Diesmal ist es kein Kratzer, Frenchy«, sagt er bitter. »Du wolltest es ja wohl so haben, nicht wahr? Die Kugel ist im Bein.« »Mach dir keine Sorgen um mich, Partner«, sagt Frenchy stöhnend. »Hol die Kugel heraus.« »Sorgen?« Joel lacht ohne Freude. »Sorgen? Wenn du nicht ein kranker Mann wärst, würde ich dir eine runterhauen, Freund! Du wolltest es ja nicht anders. Soll ich dich noch bedauern, he?« »Tu es nicht!« lächelt Frenchy mühsam. »Ich bin ein Dummkopf, ich weiß es.« »Gut, daß du es endlich einsiehst!« knurrt Joel bissig. »Es ist beinahe wie im Krieg, nicht wahr? Jetzt bin ich dran. Mach schon, mein Freund, hol das verdammte Ding heraus. Glaubst du, ich lasse dich allein kämpfen, he?« »Das wirst du wohl tun müssen. Und du wirst auch tagelang nicht mehr gehen können, vielleicht noch nicht einmal reiten.« Joel erhebt sich und holt das Messer und einige saubere Lappen aus seiner Satteltasche. Frenchy schließt die Augen, als er mit dem durchgeglühten, nun schon kalten Messer zurückkommt. Er kniet nieder. Schweiß perlt auf seiner Stirn. Das Gesicht des Freundes wird immer verzerrter. Dann setzt er das Messer an.
Der Franzose stöhnt leise und zittert am ganzen Körper. Er schreit nicht. Wie aus weiter Ferne hört er die Stimme des Freundes. »Vorbei, Frenchy. Sie ist raus. Hier, nimm etwas Whisky. Die Banditen haben diese Flasche übersehen...« *** Augen, in denen die unruhigen Lichter des Wahnsinns flackern, starren durch die graue Wand der Dämmerung. Augen, die sich weiten und wieder verengen, die tierisch wachsam und doch wieder seelenlos kalt und ausdruckslos sind... Stimmen ertönen irgendwo. Schritte kommen näher. Schnee knirscht. Stiefel reiben. Der Irre hat längst seinen Namen vergessen. Das Gold hat ihm vor vielen Jahren den Verstand geraubt. Er weiß nur, daß er Gold hat, viel Gold, und daß die Fremden in der Stadt nach dem Gold suchen. Er liebt sein Gold. Er wühlt darin herum, erfreut sich wie ein kleines Kind am Glanz des Goldes und lebt nur für sein Gold. Ein Mann, der mehr Tier als Mensch ist, ein Irrer, der ein menschenunwürdiges, nur vom Instinkt geleitetes Leben führt. Und er steht an diesem Abend, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, im Schutze der Trümmer eines Hauses und sieht zwei Männer, die das letzte Haus durchsuchen. Nach Gold... Ein dumpfes Knurren kommt über seine Lippen. Lautlos gleitet er davon, schleicht hinter den Häusern entlang. Es gibt fast keine Stelle in der Geisterstadt, wo nicht Spuren im Schnee sind. Und es ist unmöglich, der Spur des Unheimlichen zu folgen. Er verharrt. Drüben liegt der Saloon. Und hier steht ein Haus. Er muß auf die Straße, wenn er in dieses Haus eindringen will.
Der Unheimliche horcht und wittert. Er hält eine Winchester in der rechten Hand. Langsam gleitet er an der Hauswand entlang. Plötzlich hört er Atemgeräusche. Hoke Dixon stöhnt leise. Immer wieder fallen ihm die Augenlider zu. Eine bleierne Müdigkeit macht ihn stumpfsinnig, gleichgültig. Er hebt schwach das Kinn, sieht hinüber zum Saloon und läßt das Kinn wieder nach vorn fallen. Die Tür steht auf. Davor breitet sich eine Straße aus. Im Dämmerlicht sieht der Schnee grau und häßlich aus. Die Luft ist kalt und schmerzt in der Lunge. Und das Gewehr wird schwerer und schwerer. Er legt sich mit dem Oberkörper vorsichtig zurück, lehnt sich an die Wand und atmet flach. Er hat die Augen geschlossen. Die Wunde sticht und schmerzt. Es ist gut, daß sie pocht und schmerzt. Der Schmerz hält ihn wach. Die Augenlider sind bleischwer. Er muß sich anstrengen, die Augen zu öffnen. Und er starrt hinaus, sieht den Schnee und sonst nichts. Ja, er sieht gar nicht mehr den Saloon, weil die Schatten tiefer Müdigkeit immer grauer und dunkler vor seinen Augen werden. Polternd fällt die Winchester hinunter. Sofort ist er wieder hellwach. Draußen knirscht Schnee. Das leise Geräusch davonhastender Schritte verliert sich. Es ist wieder totenstill. Hoke Dixon wird sich darüber klar, daß er sein Leben dem heruntergefallenen Gewehr zu verdanken hat. Das plötzliche Geräusch schreckte den Unheimlichen davon. Dann hört er seine Kumpane herankommen. Wenig später kommen sie zu ihm ins Haus. »Hältst du es durch, Hoke?« murmelt Reed Hughes. »Ja. Wo ist das Gold, Reed?« »Wir haben es noch nicht. Weiß der Teufel, wo dieser verdammte Hundesohn steckt!« flucht Hughes giftig. »Jedes Haus durchsuchen wir! Keine Spur von dem Gold. Nichts!«
»Er war eben hier«, flüstert Hoke Dixon schwach. »Er muß am Haus gestanden haben. Ich hörte ihn davonlaufen – gerade eben.« Sash Dunn zischt wie eine gereizte Schlange. Er will hinauslaufen, aber Reed Hughes hält ihn zurück. »Nicht jetzt, Sash! Wir müssen in den Saloon. Sie werden bestimmt am Ofen hocken. Komm!« Noch glauben sie, ihre Lage ändern zu können. Noch denken sie nicht an das Ende, an bohrenden Hunger, an die Einsamkeit und Trostlosigkeit in dieser toten Stadt, an die Kälte. Joel Warner hört ihre Schritte vor dem Saloon. Er sieht zu Frenchy hinüber, der ein Zigarillo raucht, und will ihn schon warnen, als vor der Tür die Colts aufbrüllen und Kugeln ins Holz der Tür hacken. Doch das Holz hält und läßt keine Kugel hindurch. Schlagartig wird es still. Frenchy grinst zufrieden. »Wolltest du was sagen, Joel?« Der antwortet nicht sofort. Er blickt zur Decke empor; sie ist längst nicht so fest und sicher wie die Tür. Vielfach ist es ja nur Kistenholz, das geteert wurde. »Weg vom Ofen!« sagt er rauh. »Kriech in die Ecke!« Und während Frenchy wortlos über den Boden rutscht, das verbundene Bein nachziehend, geht Joel zu den Pferden und bindet sie mittels eines Lassos aneinander fest. »Was soll das alles?« forscht Frenchy aufmerksam. »Sie werden jetzt auf die Häuser kriechen, die rechts und links vom Saloon stehen«, sagt Warner ruhig, »und durch das Dach zu schießen versuchen. Sie wollen uns mit Kugeln überschütten und bestimmt denken sie, daß wir am Ofen sitzen und uns wärmen. Dahin gehen also auch ihre Kugeln. Ich hoffe nur, daß die Pferde nicht verrückt werden.« Frenchy schluckt trocken und starrt hinauf. »Vielleicht hält der Schnee die Kugeln etwas ab?«
»Ich hoffe es.« Es dröhnt, kracht, faucht und platscht. Draußen brüllen die Waffen. Holz zersplittert. Zwei, drei Kugeln schlagen gegen den Ofen. Ein Geschoß durchschlägt das Ofenrohr. Die Pferde keilen aus, richten sich auf, zerren am Lasso. Mit eiserner Faust hält Joel Warner die Tiere zurück. Dann schweigen die Waffen. »Warner!« brüllt Reed Hughes schrill. »Warner, gib es auf! Du kannst uns nicht entkommen! Der Franzose ist fertig. Du kommst allein nicht durch – und schon gar nicht mit dem Franzosen! Sei vernünftig, mach die Tür auf. Ich verspreche dir, daß du freien Abzug hast!« »Dieser Halunke!« schnappt Frenchy. »Glaubt er wirklich, daß wir so große Dummköpfe sind?« »Warner! Komm raus! Oder wir schießen so lange durch das Dach, bis sich nichts mehr rührt!« Joel lächelt furchtlos. Seine Augen beginnen höhnisch zu glitzern. »Schießt!« ruft er hart. »Schießt, bis ihr keine Munition mehr habt! Dann komme ich hinaus. Nun schießt doch, ihr Halunken!« Ein Wutschrei ist die Antwort. Kein Schuß fällt. Die Pferde beruhigen sich. Warner geht langsam zur Tür und horcht. Er hört wenig später leise Stimmen auf der Straße. Schritte, die sich entfernen. Wind kommt auf, winselt um die verschneiten Häuser, treibt Schnee vor sich her. Es wird Nacht in der Geisterstadt. Sash Dunn liegt auf der Lauer. Reed Hughes und der schwerverletzte Hoke Dixon sind im Haus. Vor ihnen auf dem erdenen Boden liegen leere Konservenbüchsen. Sie sitzen auf den alten Strohsäcken. Im Kamin brennt ein Feuer.
Hughes nimmt eine Konservenbüchse. Er wiegt sie in der Hand. Mit rissiger Stimme sagt er in die Stille hinein: »Wir müssen sein Versteck finden. Dort liegt Proviant – und Gold. Hölle, warum hast du den Saloon verlassen, Dixon?!« Hoke Dixon antwortet nicht. Er starrt auf den Goldstaub und ist plötzlich eingeschlafen. Die Luke klappert. Hughes erhebt sich und schließt die Luke. Die Kirchenglocke läutet... »Er ist immer wieder in der Kirche«, krächzt Hughes, »immer endet dort die Spur! Wir haben doch alles abgesucht, immer wieder. Aber er muß dort sein Versteck haben! Wir müssen ihm eine Falle stellen, in der Baracke!« Er geht zurück, setzt sich vor den Kamin und starrt in die Flammen. Sein Gesicht ist von der Gier nach Gold gezeichnet. Ein mageres, unruhiges und ständig den Ausdruck wechselndes Gesicht. Um Mitternacht wird er hinausgehen, um Sash Dunn abzulösen. Im Saloon füttert Joel Warner die Pferde. Frenchy liegt, in Decken gerollt, mit offenen Augen in der Nähe des Ofens. Kein Wort spricht er über seinen Vater, den er wiedererkannt zu haben glaubt. Seine Gedanken schweifen weit in die Vergangenheit. Er sieht seinen Vater vor sich, die tiefen Falten in seinem Gesicht, die scharfen Augen. Er hört ihn sprechen, seine rauhe Stimme, den harten Klang. Und er sieht seine Mutter, die ihn anflehte, zu bleiben. Doch sein Vater wollte sein Leben, sein armes, erbärmliches Leben, nicht weiterleben, ohne es anders versucht zu haben. Die Kunde vom Gold am Pikes Peak ging durch das Land. Und er ritt davon, und die Mutter war noch einsamer als zuvor. Sie starb einsam, sie nahm sich das Leben. Und er, Jacques Melville, konnte dann nach dem Krieg nur an ihrem Grab stehen. Er preßt die Lippen zusammen. Das Bein schmerzt. Und er schließt die Augen und denkt wieder an seinen Vater.
Jener Irre ist sein Vater. Er kann ihn nicht lieben, verehren. Die Jahre der Einsamkeit haben seinen Vater halbwild und wahnsinnig gemacht. Dieser Mann ähnelt seinem Vater nur äußerlich. Innerlich ist er ein anderer Mensch, und auch das noch nicht einmal. Er hielt seinen Vater für tot. So soll es für ihn bleiben. Sein wirklicher Vater starb schon vor vielen Jahren am Pikes Peak. Er stöhnt leise und liegt still unter der Decke. »Schmerzen, Frenchy?« Joel steht vor ihm und sagt es sanft. Er zwingt sich zu einem flüchtigen Lächeln. »Es geht schon wieder, Joel. Wirklich, ich kann sicherlich bald wieder gehen.« Joel sieht ihn ernst und prüfend an und nickt langsam. »Wir müssen schon einige Tage hierbleiben, Frenchy. Wir bleiben hier im Saloon. Wenn die Zeit gekommen ist, gehe ich hinaus und kämpfe uns den Weg frei.« »Du wirst es schaffen. Du hast bis jetzt alles geschafft und erreicht, was du wolltest. Auch diesmal wird es so sein.« »Sicher, Frenchy.« Und Joel Warner breitet die Decken neben dem Gefährten aus und legt sich nieder. Drüben im Haus hockt Sash Dunn in der Kälte und starrt hinüber. Um Mitternacht geht er die Straße hinauf und weckt Reed Hughes. Die Stunden schleichen dahin. Endlich zeichnet sich am Himmel im Osten der Morgen ab, und Hughes geht steif und durchgefroren zurück. Ein Tag des Bösen nimmt seinen Anfang.
Und wieder muß Hoke Dixon vor dem Saloon wachen. Es ist seine letzte Wache. *** Die Banditen sind gereizt wie ein Rudel halbverhungerter Bergwölfe. Wieder beginnen sie ihre Suche nach dem Gold, nach dem Versteck des Unheimlichen. Sie gehen mit gezogenen Waffen zur Kirche. Windstöße treiben Wolken über die Geisterstadt hinweg. Wenn der Wind besonders heftig wird, beginnt die Glocke zu bimmeln. Ein unheimlicher Klang in der Stille der Totenstadt... Hughes und Sash Dunn erreichen die Kirche. Zwei hagere Männer, die von ihrer Gier getrieben werden – und vom Hungergefühl. Nacheinander verschwinden sie im dunklen Eingang. Und Hoke Dixon wacht. Die Kälte kriecht von den Füßen herauf, umklammert seinen geschwächten Körper, läßt die Schulterwunde schmerzen, macht die Hände klamm und steif, läßt die Augen tränen, sticht in der Lunge. Eine unerbittliche Kälte, die da draußen in den wilden weiten Bergen alles tötet, was schwach und hilflos ist. Und der Morgen dieses Tages ist wolkenverhangen, grau und ohne Sonne. Schneewolken ziehen langsam am Himmel dahin. Nur ab und zu kommen einzelne Schneeflocken taumelnd hernieder. Dixon zittert vor Kälte. Aber er besitzt nicht die Kraft, um sich bewegen zu können, um sich warm zu halten. Vor ihm liegt der verfluchte Saloon. Die Tür ist verschlossen, das Haus hält jeder Kugel stand. Sie müssen warten und immer sofort schießen können. Irgendwann wird dieser Warner herauskommen. Dann wird ihn eine Kugel treffen...
Warner und der Franzose dürfen nicht aus den Bergen hinauskommen. Sie müssen hierbleiben, sie dürfen nicht mehr leben. Und später wird es heißen, sie seien im eisigen Winter umgekommen, erfroren. Dixon stöhnt laut auf. Immer wieder zieht es kalt durch das Haus. Er wird sich eine Lungenentzündung zuziehen, aber er weiß es nicht. Und er muß immer die Winchester Sash Dunns halten, darf sie nicht wegstellen, muß zu jeder Sekunde bereit sein. Die Kumpane suchen. Er muß warten und lauern. Plötzlich horcht er auf. Ein leises Klingeln ertönt. Sporen. Sash Dunn hat an seinen Stiefeln Radsporen. Ja, es muß Sash Dunn sein, der die Straße hinaufkommt. Vielleicht wird er ihn ablösen. Hoke Dixon schließt sekundenlang die Augen. Der Schwächeanfall geht schnell vorüber. Das Sporengeläute kommt näher. Tag des Bösen... Hoke Dixon horcht immer wieder. Schritte kommen heran. Schnee, während der Nacht hartgefroren, knirscht und bricht unter den Schritten. Plötzliche Stille, dann schnelle, hastende Schritte. In Dixons Schädel hämmert und klopft das Blut. Gelbe Schleier ziehen vor seinen flackernden Augen entlang, umhüllen den Saloon dort drüben, verwischen alles. Eine Welle von Übelkeit steigt würgend in der Gurgel hoch, eine Welle von tiefer Kraftlosigkeit, bleischwer und dumpf, breitet sich in seinem abgezehrten Körper aus. Er hält die Winchester in den starren Händen und spürt sie gar nicht mehr. Was ist das – dieser graue, dunkle Schatten vor ihm? Er bewegt sich doch! Aber er erkennt diesen Schatten nicht – noch nicht. »Sash«, flüstert er müde, »Sash, kommst du endlich?« Keine Antwort – und der dunkle Schatten steht vor dem Haus, vor dem Eingang, und bewegt sich nicht mehr.
»Sash...« Die Nebel zerreißen, treten zurück, weichen. Das Hämmern im Kopf läßt nach. Das Würgen ist weg. Kristallscharf liegt die Straße vor ihm. Und er sieht die Gestalt ganz deutlich vor sich! Der Unheimliche der Geisterstadt! Funkelnde Augen starren ihn an. Der Geistesgestörte rührt sich nicht. Das Gewehr zeigt auf Hoke Dixon. Nur drei Meter trennen sie voneinander – drei Meter nur! Und Dixon sieht den gefrorenen Schnee im Bart des Wahnsinnigen, seine flackernden Augen – und hört seinen Atem. Er will die Winchester heben. Der Unheimliche bewegt sich noch immer nicht. Heb das Gewehr! Warum kannst du es nicht? Wo ist das Gewehr? Du hast es in den Händen. Heb es an, schieß endlich! Er hebt es an, ganz langsam – und als er es bis zur Hüfte hochgezogen hat, fällt es ihm aus den Händen, klirrt auf den harten Boden. »Reed! Sash!« schreit er krächzend. Da flammt es vor ihm auf. Er hört den scharfen Knall wie aus weiter, weiter Ferne. Ein schwerer Fall ertönt. Und der Unheimliche hetzt wild davon, taucht zwischen den Häuserruinen unter. Als der Schuß fällt, zucken Hughes und Dunn zusammen. Hughes wirbelt herum und rennt hinaus, gefolgt von Dunn. Sie jagen die Straße hinauf zum Saloon. Schneewehen versperren ihnen den Weg. Sie keuchen, fluchen und kämpfen sich durch den Schnee. Hinter einem Haus lauert der Irre. Sie sehen ihn nicht. Und als sie auf der Straße vor dem Saloon verharren, verschwindet der Irre gerade in der Kirche... »Hoke!« brüllt Reed Hughes heiser.
Sash Dunn rennt schon zum Haus, stürzt hinein und sieht Dixon am Boden liegen. Hoke Dixon lebt noch. Und Sash Dunn kniet bei ihm nieder. Reed Hughes bleibt wie gelähmt an der Tür stehen. »Hoke«, krächzt Dunn, »Hoke – war es Warner? Hat er den Saloon verlassen, Hoke?« »Nein«, haucht Dixon schwach, »nein – er nicht. Der Unheimliche war es, Sash, hörst du – der Unheimliche.« Sie spüren einen kalten Schauer, der ihnen über den Rücken kriecht – wie die Berührung einer kalten Totenhand. »Ihr müßt ihn erwischen«, flüstert Hoke Dixon mit verwehender Stimme. »Sash, denk immer an Mike, ja? Und an mich, hört ihr? An mich. Und holt das Gold. Sagt – Lilly in der Stadt, daß ich hier – hier...« Sash Dunn richtet sich langsam auf. Schwerfällig dreht er den Kopf herum und starrt Reed Hughes an. »Erst mein Bruder, dann Hoke«, sagt er tonlos. »Reed, ich bleibe so lange in dieser verfluchten Stadt, bis ich ihn vor meinem Eisen habe!« »Ja«, krächzt Hughes, »ja, er wird uns noch kennenlernen, dieser Irre. Er muß vorher die Kirche verlassen haben. Er schoß auf Hoke, um uns von der Kirche wegzulocken.« »Ja...« »Einer muß hierbleiben, Sash.« Dunns Augen sprühen ein kaltes Licht. Langsam schüttelt er den Kopf. Sein Blick frißt sich am Schnee draußen fest. »Nicht ich, Reed! Nicht ich. Ich suche diesen Hundesohn. Ich kann hier nicht ruhig sitzen und immer zum Saloon starren. Ich denke an Mike. Ich suche ihn.« Und er setzt sich in Bewegung, wartet die Antwort des Komplizen gar nicht erst ab, geht hinaus und schreitet davon – voller Haß, Wut und beseelt von einem grenzenlosen Vernichtungswillen.
Und Reed Hughes sieht ihm starräugig nach und stöhnt leise. »Ja, such ihn«, kommt es frostig über seine Lippen, »such ihn und denk an deinen Bruder.« Dann fällt sein Blick auf Hoke Dixon. Und zum erstenmal empfindet Reed Hughes Angst. Angst vor dem Unheimlichen, der so plötzlich auftaucht und wieder spurlos verschwindet. Und er muß sich zusammenreißen, starrt hinaus, sieht die öde Straße und den Schnee überall. Eine tote Stadt und ein totes Land. Noch niemals zuvor empfand dieser eiskalte, skrupellose Mann Furcht. Er kannte nur seine Gier. Seine Taten quälten ihn niemals im Traum. Er brachte immer nur Tod und Tränen. Seine Fährte ist die eines Mörders. Ein Weg ohne Mitleid und Erbarmen. Diese Geisterstadt am Pikes Peak aber jagt ihm Angst und Schrecken ein. Hier empfindet er zum erstenmal, wie es ist, Angst zu haben. Sie schnürt ihm die Kehle zu, würgt ihn. Schweiß bricht ihm aus. Er zittert. Und er ist allein im Haus – allein mit einem Toten. Sein Blick geht nicht zu Boden, saugt sich an der Tür des Saloons fest. Frenchy liegt auf der Decke. Sein Gesicht ist blaß. Er starrt zu Joel Warner hin, der an der Tür steht. Mit einem bitteren Lächeln in den Mundwinkeln wendet Joel sich von der Tür ab. Langsam geht er zum Ofen, legt das Feuer an und blickt in die hochzüngelnden Flammen. »Sie bewachen noch immer den Saloon«, murmelt er rauh. »Sie glauben noch immer, daß wir hinausgehen werden.« »Der Schuß, Joel – was bedeutet der Schuß«, flüstert Frenchy mit gefrorener Stimme. »Der Irre erschoß Hoke Dixon«, antwortet Joel ruhig. »Hörte Hughes nach ihm schreien.« »Der Irre – mein Vater«, sagt Frenchy dumpf. »Ich kann nichts für ihn empfinden, Joel, nichts. Es ist so, als sei er schon lange tot.«
»Er ist es«, spricht Joel rauh, »und du darfst in ihm nicht mehr den Vater sehen. Das ist vorbei, Frenchy.« »Ja. Ich möchte nicht da draußen sein.« »Die Banditen verdienen kein Mitleid. Sie folgten uns von Colorado Springs aus. Sie wollen das Gold – und unser Leben. Kein Mitleid, Frenchy. Die Kälte wird sie fertigmachen, der Hunger – und der Irre. Und wenn sie das Gold wirklich finden, werden sie verrückt. Oh, ich kenne diese Sorte Männer. Es sind alles Teufel. Sie haben das alles verdient. Sie werden für immer in der Geisterstadt bleiben, Frenchy. Nein, ich gehe nicht hinaus. Der Winter macht sie fertig.« Seine Worte sind hart. Als er den Stern eines Sheriffs in wilden Städten getragen hat, ist er mutig und tapfer seinen Weg für die Gerechtigkeit, für das Gesetz gegangen. Er hat gekämpft. Hier in der Geisterstadt will er nicht mehr kämpfen. Er sucht nicht den Kampf. Wenn er aber kämpfen muß, wird er kämpfen. Hart und sauber. »Joel – wenn das alles hier vorbei ist, was wirst du dann tun?« fragt Frenchy auf einmal. Warner sieht ihn versonnen an. Sein Gesicht wird weich. Für eine kurze Zeit vergißt er, daß sie in einer Geisterstadt sind. »Ich bleibe in Colorado, Frenchy. In Denver. Das ist eine schöne Stadt. Ich kann dort arbeiten. Als Frachtwagenboß. Ein prächtiger Job. Ich fahre dann zwischen Fort Greeley, Boulder und Denver hin und her. Die Rancher, Farmer und Heimstättensiedler brauchen immer Lebensmittel und Futter für die Tiere. Ja, das wird eine gute Zeit. Ich werde dort neu anfangen.« Frenchy nickt nachdenklich. »Ich will auch einen neuen Anfang finden, irgendwo, nicht in Kansas City, auch nicht in Kansas oder Oklahoma. Ganz von
vorn will ich beginnen – wie du, Joel. Es gibt überall gute Frauen, nicht allein in Kansas.« »Wolltest du dir nicht einen prächtigen Saloon kaufen? Daneben einen Speiseraum?« »Es war ein Traum, Joel, nur ein Traum. Ich will auch das Gold nicht, falls es überhaupt Gold in dieser Stadt gibt. Ich will nur raus aus den Bergen, irgendwo arbeiten und seßhaft werden.« »Vielleicht brauchen sie in Denver noch einen Wagenführer?« murmelt Joel. »Es ist gerade die richtige Zeit, um ins Frachtfuhrgeschäft einzusteigen. Im Norden gibt es immer mehr Farmer. Die Zeit der Cowboys ist bald vorbei. Die Grange-Organisation, eine Hilfsorganisation der Farmer und Heimstättensiedler, die sich immer mehr ausbreitet und Macht gewinnt, wird die großen Rancher irgendwann niederzwingen.« Er sieht den Gefährten mit einem kargen Lächeln an. »Wär’ bestimmt auch etwas für dich, Frenchy. Vergiß deinen Traum...« »Gerechter! Du bringst mich auf eine gute Idee, Joel!« »Also Wagenführer?« »Ja, genau. Wir arbeiten zusammen! Wir arbeiten uns hoch, Alter! Unsere Wagen rollen nur so durch Colorado, voll beladen, immer unterwegs! Hoo, das ist ein guter Anfang, Joel!« Er ist Feuer und Flamme, vergißt den Schmerz im Oberschenkel, sieht weit in die Zukunft, sieht seinen Prärieschoner rollen. Joel lächelt nach langer Zeit breit und frei. »Ja, das ist ein guter Beginn, Frenchy. Wir arbeiten auf dem größten Wagenhof in Denver. Leute werden immer gesucht. Und wir machen uns irgendwann selbständig und schnappen dem Boß die Kunden weg! Das dauert natürlich ein paar Jahre – aber was sind schon ein paar Jahre, he?« Sie lachen laut.
Für einen flüchtigen Augenblick ist alles um sie herum vergessen. Ja, sie bleiben zusammen und beginnen gemeinsam zu arbeiten. Und sie haben sich noch ziemlich viel zu sagen, planen schon und wissen, daß es gut ist, was sie wollen. Der Krieg ließ sie Freunde werden, das Gold und der Pikes Peak brachten sie wieder zusammen – und in einer Totenstadt werden sie zu Partnern einer guten Zukunft. Und Reed Hughes hört ihr Lachen leise und dumpf im Saloon und wird mißtrauisch. Er weiß nicht, warum sie lachen. Er empfindet Argwohn. Und er wird noch um einige Grade wachsamer und starrt hinüber, bis die Augen vor Anstrengung und Kälte tränen. Sash Dunn sucht in der Baracke. Zum zigsten Male. Überall sieht er die Abdrücke von hochhackigen Stiefeln, niedergestampften Schnee und aufgewühlten Sand. Haß lodert in ihm, verzehrender, unlöschbarer Haß, und ein schlimmes Jagdfieber, das ihn nicht müde werden läßt. Es ist erst Vormittag. Er räumt den Sand und Schnee beiseite, klopft den Boden mit dem Coltkolben ab und nähert sich langsam der hölzernen Kanzel. Auch dort suchten sie schon mehr als einmal. Eine schmale Treppe führt zur Kanzel. Auf den vier Stufen liegt Staub. Lauernd blickt Sash Dunn umher. Einer plötzlichen Eingebung folgend, steigt er die Stufen empor und erreicht die Kanzel. Er schaut über Bankreihen hinweg, sieht den Schnee im Eingang. Nichts Verdächtiges. Den Colt in der Faust, geht er die Treppe hinunter. Es klingt hohl... Unter den Stufen ist ein Hohlraum. Das ist selbstverständlich. Nicht für Sash Dunn. Sein Blick tastet die Treppe ab. Langsam geht er um die Treppe herum. Neben der Treppe ist der Flugsand nur dünn, als sei er während des Sommers immer wieder geglättet worden.
»Warte!« flüstert Dunn. »Diesmal kommst du nicht mehr hier hinaus!« Er geht wieder auf die andere Seite der Treppe und holt mit dem rechten Fuß kräftig aus. Mit aller Kraft knallt er den Stiefel gegen die Treppe. Sie bewegt sich etwas zur Seite, nur wenige Millimeter. Ein dünner Spalt ist sichtbar. Vielleicht ist es nur der Hohlraum? Sash Dunn hat plötzlich auch den anderen Colt gezogen. Er richtet die Läufe auf die untere Stufe, dorthin, wo sie mit dem Boden abschließt. Dann jagt er mehrere Kugeln durch das Holz. Es zersplittert. Wieder stößt er mit dem Fuß gegen die Treppe – und diesmal schlägt sie zur Seite, wie eine Tür. Die verrosteten Angeln knarren laut. Und ein schmaler Treppengang nach unten liegt vor dem Banditen, der bedenkenlos und sofort mehrere Kugeln hinunterjagt. Stille. Es klickt laut, als er die Colts blitzschnell nachlädt. Der geheime Schlupfwinkel des Unheimlichen ist gefunden! Sash Dunn verspürt einen wilden Triumph. Er feuert drei Schüsse hinunter und springt sofort nach, knallt auf die Treppe, rutscht hart hinunter, über die Treppenabsätze, schießt wieder, kommt die Treppe heil hinunter und wirft sich unten sofort flach auf den Boden. Pulverdampf wallt empor. Irgendwo ertönt ein leises Knarren. Vor ihm liegt ein schmaler Gang. Die Decke ist mit Balken abgestützt. Der Gang ähnelt einem Stollen. Muffige Luft schlägt ihm entgegen. Irgendwo vor ihm flackert Licht. Wieder ist dieses Knarren zu hören – dann ist der kühle Luftzug weg, und das Licht da vorn brennt ruhig. Reed Hughes stürzt aus dem Haus, als die Schüsse aufdröhnen. Er blickt zur Baracke. Plötzlich kommt eine wilde Gestalt aus dem Haus gelaufen. Sie hält irgend etwas in den Händen. Hughes reißt die Winchester hoch. Zu spät. Der Unheimliche ist schon hinter einem Haus verschwunden. Hughes kann ihm nicht folgen. Er muß hierbleiben und den Saloon bewachen. Er schäumt schon fast vor Wut und brüllt: »Sash! – Sash Dunn!«
Der Komplize hört ihn nicht. Er richtet sich gerade auf und schleicht vorwärts. Der Gang macht einen scharfen Bogen, breitet sich zu einer Höhle aus. Auf einem alten Tisch brennt ein Talglicht. Ein Strohlager nimmt die eine Seite der Höhle ein. In der Ecke steht ein Ofen. Davor liegt Holz. Unter dem erhöhten Schlaflager liegen geschlossene und auch geleerte Konservenbüchsen. Die Wände der Höhle, die schon außerhalb der Baracke liegen muß, sind mit Brettern verkleidet. Es ist warm hier unten, auch wenn der Ofen kalt ist. In einer Kiste liegen kleine Säcke, gefüllt mit Trockenfrüchten, Bohnen, Linsen und Mais. Alte Lampen hängen an der Wand. Unter dem Tisch liegt Gerumpel – Pfannen, Töpfe, Schaufeln, Hacken, ein verrostetes Gewehr, unbrauchbares Pulver, alte Fußlappen, ein aufgeplatzter Stiefel, ein Sattel. Sash Dunn tastet mit der Rechten über das Schlaflager. Das Stroh ist warm... Er geht an die zerschlissene Decke heran, die in der Raumecke hängt, reißt sie ab und sieht vor sich einen Ausgang. Sofort gleitet er lautlos hinein, folgt dem Gang. Er steht vor einer Gabelung. Er entschließt sich für rechts und kommt an eine Treppe. Oben schimmert schwaches Licht. Er steigt hinauf, denkt, daß es eine Klappe ist und will sie hochdrücken. Sie bewegt sich nicht. Er findet einen Griff und zerrt daran. Als er mit der Schulter nachhilft, öffnet sich der Ausgang. Er richtet sich vorsichtig auf und blickt hinaus. Über ihm ist das Dach der Baracke und neben der Öffnung ist der drehbare altarähnliche Aufbau. Deshalb der Luftzug und das Knarren. Er geht wieder hinunter, in die Höhle. Von dort aus geht er zurück in den Gang und folgt dem anderen. Er muß zu einem Nebenhaus führen. Im Gang ist es stockfinster. Er reißt ein Schwefelholz an und leuchtet. Vor ihm ragen Bretter und Balken in den Gang. Das Haus muß zusammengestürzt sein und dabei den Gang zugeschüttet haben.
Wieder steht Sash Dunn in der Höhle. Er sieht die Konservenbüchsen und verspürt den bohrenden Hunger. Mit der Hacke schlägt er eine Büchse auf. Gierig ißt er die stark gesüßten kalten Bohnen. Dabei durchsucht er die Höhle. Plötzlich stellt er die Büchse weg und nimmt das Talglicht in die Hand. Auf dem Boden funkelt Goldstaub! Gold! Aber es ist wieder nur ein Rest davon, noch nicht einmal zehn Dollar wert. Der Unheimliche hat das Gold mitgenommen, das Gold und die Waffen. Mit einem Fluch verläßt Sash Dunn die Höhle. Reed Hughes blickt ihm entgegen, als er über die Straße geht, sich immer wieder nach allen Seiten hin umsehend. Der Unheimliche ist nirgendwo zu sehen. *** Joel Warners Antlitz gleicht im trüben Schein der Lampe einer knochigen Maske, von Wind und Wetter gegerbt, braungebrannt, hager und faltig. Ein bitterer Ausdruck frißt sich in diesem kantigen Gesicht ein. Und die rauchgrauen Augen sehen den Gefährten ernst an. »Sie haben das Versteck entdeckt«, murmelt er. »Sie werden ihren Hunger stillen und...« Er verstummt, strafft die Schultern und geht zum Ofen, setzt sich auf den Hocker. »Ich hörte es auch«, meint Frenchy leise, »dieser Sash Dunn schrie ja laut genug. Sie werden weiter nach dem Gold suchen.« »Sicher.« »Willst du doch hinaus, Joel? Aah, ich kann mich an die Tür legen und dir sofort öffnen, wenn du zurückkommst.« Joel nickt langsam.
»Der Irre wird sie vielleicht umbringen. Ich will Reed Hughes lebend haben, Frenchy. Ich will ihn nach Colorado Springs bringen. Dort soll er vor einem Gericht stehen. Er und seine Komplizen haben viele brave Männer auf dem Gewissen. Niemand in der Stadt weiß es. Bestimmt wartet noch mancher Angehörige auf die Rückkehr des Mannes, Freundes, Sohnes oder Bruders. Das Warten ist sinnlos, und doch werden jene Menschen immer noch hoffen. Ja, Hughes soll alle seine Schandtaten vor einem Gericht bekennen. Deshalb werde ich hinausgehen, Frenchy. Ich will ihn zurückbringen. Und er soll hängen!« Seine Augen sind so kalt wie Gletschereis, scharf geht sein Atem, hart sind seine Worte. Er wird doch hinausgehen. Er hatte Zeit, über alles nachzudenken, und er dachte an jene Menschen, die immer hoffen und auf die Verschollenen warten. Viele Jahre sind vergangen. Die Angehörigen sollen wissen, was sich damals am Pikes Peak zugetragen hatte. Die Wahrheit wird sehr schlimm und hart sein, aber die Ungewißheit ist schlimmer. Frenchy senkt den Blick und starrt auf sein verbundenes Bein. Er denkt an die Banditen da draußen und an Joels Vorhaben. Nie zweifelte er am Mut seines großen Freundes. Sie kennen sich zu gut. Sie fürchten beide nicht den Kampf. Und er fragt etwas gepreßt: »Wann, Joel – wann gehst du?« »Wenn es draußen dämmert, Frenchy«, murmelt Warner. »Ich muß die Dämmerung ausnutzen. Der Saloon wird immer bewacht sein. Die Banditen hoffen doch, mich zu erwischen, wenn ich den Saloon verlasse.« Er holt sein Rauchzeug hervor und reicht dem Gefährten ein Zigarillo hinüber. Sie rauchen und warten.
Und Sash Dunn hockt drüben im Haus und wartet, während Reed Hughes mit schußbereitem Colt schon durch die öde Stadt geht. Die kalten Bohnen, die er gierig verschlungen hat, liegen ihm schwer im Magen. Er verspürt etwas Übelkeit, und er wird auch etwas müde. Manchmal fallen ihm die Augen zu. Er legt die Winchester auf die Schenkel, holt Tabak hervor, zerkrümelt etwas und reibt sich den feinen Staub in die Augen. Sofort beginnen sie zu brennen; der Schmerz hält ihn wach. Eine alte, bewährte Methode der Cowboys, sich durch Schmerz wachzuhalten, wenn sie auf Herdenwache sind. Irgendwo in der Stadt kracht ein Schuß. Er zuckt zusammen, nimmt die Winchester und läuft auf die Straße. Hinten am Straßenende kommt Reed Hughes hervor. Er winkt ab und taucht zwischen den verschneiten Ruinen unter. Sash Dunn flucht leise und geht unruhig hin und her, hält sich durch Bewegung warm und wach. Am Nachmittag kommt Sturm auf. Drüben vom Hang her ziehen Schneewolken über die Geisterstadt. Der Sturm bringt eiskalte Luft vom Pikes Peak heran. Heftig klappert die Luke. Die Glocke bimmelt unregelmäßig. Der Bandit geht von der Straße. Das Haus gibt ihm Schutz. Er blickt schnell über den toten Komplizen hinweg und setzt sich dann auf das Gerümpel. Auf der Straße tobt der Sturm. Es schneit wieder. Wirbelnder Schnee beeinträchtigt die Sicht. Wieder ist diese lähmende Müdigkeit da. Seine Augen sind stark gerötet, tränen. Die ätzende Wirkung des zerriebenen Tabaks ist vorbei; nun fallen ihm immer wieder die Augen zu, und jedesmal kostet es ihn große Mühe, sie wieder zu öffnen. »Mike«, flüstert er, »Mike...« Die Winchester gleitet langsam hinunter, fällt zu Boden. Er hört es kaum. Er träumt.
Und der Winter ist tückisch, kalt – tödlich kalt. Scharfe Eiskristalle schlagen gegen die Häuser. Schnee wirbelt. Der Pikes Peak ragt in den grauen Himmel hinein. Die hohen Gipfel sind vom Schnee umweht und eingehüllt. Der weiße Tod schleicht durch das erstarrte Land der tausend Hügel und Berge. Und der Schneesturm faucht, tobt und heult. Irgendein Tag im Dezember des Jahres 1873. Und Reed Hughes steht in einem Haus, starrt umher, sieht die Bretter und geknickten Balken, das eingestürzte Dach, den Schnee vor der Tür. Seine Hand scheint schon am Colt festgefroren zu sein. Mit der linken Hand räumt er die Bretter beiseite, blickt dahinter, flucht und verläßt die Ruine. Er läuft durch das Schneetreiben, überquert die Straße, ist in einem anderen Haus. Er wird nicht müde, zu suchen. Er denkt nur an das Gold. Er sucht schon stundenlang. Und jetzt stößt er auf die Spur, die er sucht! Der Abdruck von Stiefeln im Schnee! Schritte, die nach hinten aus dem Haus führen! Die Spur des Unheimlichen... Später Nachmittag. Schon bald wird es dämmern. Die Wintertage sind nur kurz. Durch die graue, dichte Wolkendecke dringt kein Sonnenlicht. Reed Hughes hebt die Hand mit dem Colt. Er beugt den Oberkörper nach vorn, horcht und späht durch den schmalen Hinterausgang hinaus. Die Spur führt zum Nebenhaus. Der wirbelnde Schnee wird die Spur in kurzer Zeit verwischt haben. Der hagere Bandit geht ins Freie. Langsam, immer das andere Haus beobachtend, schleicht er hinüber, duckt sich an der Wand, befindet sich im Windschatten. Vor ihm sind die Stiefelabdrücke. Seine Kiefermuskeln verkrampfen sich. Das Kinn ist vorgestreckt. Die Augen flackern. Er schluckt würgend, richtet
sich auf, schleicht weiter, entlang der Hauswand, steht steif und wachsam an der Hausecke und blickt um die Ecke. Die Straße ist verlassen. Die Spur läuft ins Haus, kommt wieder hervor und löst sich hinter einer weichgeformten Schneewehe auf. Die himmelblauen Augen des goldgierigen Banditen verengen sich. Der Sturm peitscht ihm Schnee ins Gesicht. Mit schnellen, gleitenden Bewegungen ist er um die Hausecke herum und im Haus. Verharrt neben dem Eingang, blickt wachsam umher. Langsam gewöhnen sich seine Augen an das Dämmerlicht im Haus. Und er erblickt den alten Tresen und die Regale, einige Schubladen und eine verrostete Waage. Der Store. Er ist schon mehrmals in diesem alten Store gewesen, er kennt hier jeden Winkel. Er stößt sich von der Wand ab und geht langsam durch den Raum, hinter den Tresen. Dahinter liegt ein anderer Raum, kleiner und mit einem Fenster, durch das der Schnee hereinkommt. Früher mag dieser Raum ein Wohnzimmer gewesen sein. Zwischen den Brettern liegen eine Tischplatte und mehrere Hocker, auch ein Schlaflager. Sand und Schnee bedecken das Gerümpel. Der Bandit sieht wieder Stiefelabdrücke. Er starrt auf den Platz, an dem der Schnee niedergetreten ist. Einige Bretter, die sich von der Decke lösten und herunterfielen, müssen vor gar nicht langer Zeit zur Seite gedrückt worden sein; der Schnee liegt nicht mehr auf diesen Brettern. Reed Hughes zögert nicht. Er reißt die Bretter weg, räumt das Gerümpel zur Seite und berührt mit der Hand etwas Schweres das etwas nachgibt. Während dieser Sekunden vergißt Hughes die Umwelt. Er schiebt den Colt zurück, reißt ein Schwefelholz an und leuchtet. Und er sieht zwei Leinensäcke, schadhafte Leinensäcke, mit einer Lederschnur zugebunden...
Er verbrennt sich die Finger am Schwefelholz, schlackert heftig die Hand, zerrt einen dieser Säcke hervor, kniet nieder, löst die Lederschnur, fährt mit der Hand hinein. Feine und grobe Körner... Er zieht die Hand hervor, starrt auf die Körner, stöhnt wild und triumphierend auf. »Ja, Gold!« flüstert er. »Gold! Ich hab’s! Gold! Ich bin reich!« Immer wieder starrt er auf das schwachglänzende Flußgold in seiner Hand. Und er wird immer erregter, wilder und gieriger. Reed Hughes ist schon immer ein Lump gewesen, ein richtiger falscher Hundesohn, eine zweibeinige Hyäne. »Sash Dunn wird davon nichts bekommen!« flüstert er tückisch. »Ich werde zu ihm gehen, jetzt gleich, und ihm sagen, daß nirgendwo Gold ist. Und wenn wir Warner und diesen Franzosen in die Hölle gejagt haben, folgt Sash Dunn nach! Ich will es allein haben. Nein, nicht teilen! Das sind über fünfhundert Unzen Gold! Ich wär’ verrückt, wenn ich auch noch teilen würde. Nur Verrückte tun das...!« Eine schlimme Freude steigt in ihm hoch, beherrscht ihn. Er erhebt sich, geht hinaus, vor das Haus, starrt auf die Goldkörner in seiner Hand. Ja, es ist Gold! Gutes Gold... Endlich löst sich sein Blick vom Gold. Er sieht über die Straße. Der Schnee hat die Spur des Unheimlichen schon verwischt, zugedeckt. Es dämmert. Und der Schneesturm hält weiter an. Die Häuser versinken im Schnee. Totenstill ist es in der Geisterstadt, und nur der Sturm tobt und orgelt. Hughes macht kehrt und läuft zurück ins Haus. Er wirft das Gold in den Sack zurück, öffnet den anderen und sieht wieder Gold – Goldstaub. Und er wühlt darin herum und freut sich wie ein Kind, aber er ist kein Kind. Reed Hughes ist ein von einer teuflischen Habgier getriebener Mensch – ein Unmensch. Er will sogar den Komplizen betrügen – und nicht nur das!
Er kann sich gar nicht von dem Gold trennen. Graue Schatten kriechen über das weiße Land. Die Nacht kommt. Der Sturm läßt nach, doch der Schnee fällt ununterbrochen weiter. Die Kirchenglocke verstummt. Joel Warner nimmt die Winchester, sieht den Gefährten ernst an und nickt langsam. Hart treten die Muskelstränge im Gesicht hervor. »Es ist soweit, Frenchy.« »Ja...« Der Franzose nickt und schluckt den Kloß hinunter. Joel geht zu ihm und hilft ihm beim Aufstehen. Er nimmt die Decken und geleitet den Freund zur Tür. Dort setzt sich Frenchy mit dem Rücken an die Wand. Er sitzt auf den Decken, und Warner steht neben ihm an der Tür. »Bleib im Haus, Frenchy«, murmelt Joel Warner rauh, »was auch geschieht, hörst du? Du kommst mit deiner Beinverletzung nicht weit. Hier bist du sicher, draußen nicht. Sie würden dich sofort erwischen. Geh nicht hinaus!« Frenchy schüttelt langsam den Kopf. »Ich kann es nicht versprechen, Joel«, erwidert er dumpf. »Es sind zwei gefährliche Gegner, die nichts zu verlieren haben. Die Pferde sind ihre Rettung. Sie werden kein Risiko scheuen. Sei nur richtig wachsam, Joel!« »Sicher«, murmelt Warner. Hart schlägt der Querbalken zur Seite. »Bestimmt lauert irgendeiner von diesen Höllenburschen da drüben«, sagt Frenchy gepreßt. »Es schneit heftig«, entgegnet Joel ruhig, »und dämmert auch. Wenn Sash Dunn oder Hughes drüben auf der Lauer liegt, so sieht er nicht viel. Er muß schon dicht vor dem Saloon stehen, will er mich sehen. Und wenn er auf mich schießt, wird er mich nicht so schnell treffen. Das Schneetreiben läßt keinen sicheren Schuß zu. Ich komme schon durch, Frenchy.« Der Franzose schluckt würgend.
»Viel Glück, Joel«, sagt er mit etwas gepreßter Stimme. »Erwisch Reed Hughes richtig, sonst ist es aus.« Joel nickt ruhig. »Wird schon werden, Frenchy. Wenn ich dich nachher rufe, öffnest du sofort die Tür, okay?« »Ja...« Mehr sagt Joel Warner nicht – nur dieses einzige Wort. Und dann drückt er die Tür auch schon auf, gleitet geduckt hinaus und legt sich flach in den Schnee, liegt dicht neben dem Haus. Frenchy zieht am Lasso, zieht die Tür lautlos zu. Mit stoischer Ruhe und Gelassenheit liegt Joel Warner im Schnee. Vor ihm liegt die Winchester. Er hebt den Kopf und starrt über die Schneedecke hinweg zum gegenüberliegenden Haus. Dort rührt sich nichts. Schnee hüllt die Straße ein. Der Schnee vor Warner schmilzt durch seinen Atem. Er lächelt verzerrt, späht umher und springt dann auf. Ein grauer Schatten, der blitzschnell um den Saloon läuft und in wenigen Sekunden verschwunden ist. Die Straße liegt verlassen im Schneetreiben. Noch immer wühlt Reed Hughes im Gold. Dabei vergißt er den irren Bewohner dieser Geisterstadt. Joel Warner arbeitet sich im Schutze des Saloons durch den Schnee voran, Meter um Meter. Viel Zeit ist vergangen, als er endlich zwei Häuser weiter die Straße erreicht. Er blickt nach rechts hinüber zum Haus, das dem Saloon gegenüberliegt. Die Kälte beißt in seine Augen. Er setzt sich in Bewegung, geht langsam über die Straße, immer das Haus beobachtend, immer bereit zum schnellen Schuß. Nichts geschieht. Ein harter Mann, der den Kampf nicht fürchtet. Und er geht auf der linken Straßenseite voran, nähert sich dem Haus, in dem ein Gegner auf ihn wartet. Sash Dunn.
Die Winchester in Joels Händen ist kalt, klebt an seinen bloßen Händen. Fünfzehn Schuß warten im Magazin. Schritt für Schritt voran. Damals war es immer so. Als er den Stern des Sheriffs trug. Immer offen und ohne Deckung auf freier Straße. Immer wachsam und bereit. Dann die Schüsse. Und ein toter Mann lag dann auf der Straße. Aus der Kampf. Viele rauhe, schlimme Kämpfe liegen hinter ihm. Er hat immer daraus lernen müssen. Aber er ist seiner Art, offen zu kämpfen, treu geblieben. Und wieder geht er in einen neuen Kampf – hier in der Geisterstadt am Pikes Peak! Das Haus liegt vor ihm – nur wenige Schritte vor ihm. Das Haus ist offen. Kein Laut ertönt. Jetzt gleitet er ans Haus heran, verharrt daneben, steht an der Wand und starrt umher. Weiter. Nur noch vier Schritt bis zum Eingang. Der Schnee knirscht leise. Warum hört sein Gegner dieses Geräusch nicht? Zum Teufel, warum nicht? Zwei Schritte... Nacht in der Geisterstadt. Der Wind ist gestorben. Es schneit weiter. Weich und flockig. Der Eingang des Hauses – ein dunkelgähnendes Loch. Das Licht reicht aus, um hineinsehen zu können. Und Joel Warner steht nun dicht neben dem Eingang. Ein kalter Schauer jagt ihm über den Rücken. Er sieht die Umrisse eines Mannes, der am Boden liegt. Hoke Dixon... Er hebt die Winchester. Der Lauf zeigt auf den Eingang. Die Kugel wird den Lauf in einer Zehntelsekunde verlassen können. Joel Warner wagt es. Mit einem wilden Satz stürmt er ins Haus, sieht nicht viel, wirft sich hin, schlägt hart auf, rollte zur Seite, die Winchester zuckt hoch. Vor ihm fällt es schwer.
Er richtet sich auf, geht zu dem Mann, dreht ihn auf den Rücken. »Sash Dunn.« Erfroren. Von einem erbarmungslosen, kälteklirrenden Winter getötet. In der Geisterstadt am Pikes Peak. *** Das leise Geräusch von scharrenden Stiefeln im Schnee – oder Schnee, der vom schadhaften Dach gerutscht ist? Reed Hughes horcht angespannt. Das Geräusch ist weg. Er atmet auf, schnürt die Leinenbeutel schnell zu und zieht beide Colts hervor. Lautlos erhebt er sich, schleicht aus dem kleinen Raum in den Store zurück und duckt sich hinter dem Tresen, horcht wieder angespannt. Plötzlich wird er noch kleiner, noch wachsamer. Irgendwo – ganz in seiner Nähe – ertönt ein Atmen, kaum hörbar. Hughes sieht über den Rand des Tresens hinweg nach draußen. Die Straße liegt weiß und verlassen vor ihm. Du irrst dich, du bist verrückt, denkt er. Geh hinaus, geh zu Sash Dunn. Und das Gold nimmst du mit, bringst es in ein anderes Haus, versteckst es dort, damit dieser Irre es nicht findet. Er richtet sich auf, holt das Gold, schleppt die Beutel auf dem linken Arm, während die rechte Faust den Colt hält. Er kommt nicht weit. Als er aus dem Haus tritt, lauernd und wachsam, springt ihn von der Seite her ein schwerer, geschmeidiger Mann an. Er schreit auf, die Leinenbeutel fallen, zu Boden, zerplatzen. Zwei Arme legen sich um seinen Oberkörper, eine gewaltige Kraft droht ihm den Brustkorb einzudrücken. Und langsam wird ihm die Luft aus der Lunge gepreßt. Er stöhnt, tritt aus, krümmt sich und kommt frei. Wirbelt herum, erkennt den Irren, will den Colt hochreißen und erhält
einen wilden Schlag, der ihn umwirft, richtig zu Boden fegt. Er stürzt in den tiefen Schnee, der Colt liegt irgendwo. Mit einem tiefen Knurrlaut springt ihn der Unheimliche wieder an. Er hat keine Zeit mehr, den anderen Colt aus dem Halfter zu reißen. Sie rollen eng umschlungen durch den Schnee, und Reed Hughes wehrt sich verzweifelt gegen die wilde Kraft des Irren. Vielleicht gelingt es ihm doch noch, die Waffe aus dem Halfter zu bekommen. Es muß ihm gelingen, sonst ist er verloren. Der heiße, üble Atem des Irren schlägt ihm ins Gesicht. Keuchend wälzen sie sich vor dem Haus herum. Hughes kämpft um sein Leben. Er muß diesem Würgegriff entrinnen. Schnee stiebt hoch. Sie fauchen und keuchen. Sie wollen beide das Gold. Dieses verdammte Gold, das schon so manchem Mann Unglück und Verderben gebracht hat. Gold, an dem Blut haftet. Krach! Die Kugel geht vorbei. Der Irre läßt los, springt zur Seite, läuft in wilden Zickzacksprüngen von der Straße. Weder schießt Reed Hughes. Trifft nicht. Und dann ist der Irre verschwunden. Keuchend kommt Hughes hoch, sein Atem flattert. Taumelnd geht er zum Haus, blickt immer umher, kniet nieder, sieht das Gold im Schnee und flucht laut und heiser. Sash Dunn muß die Schüsse gehört haben. Warum kommt er nicht? Und warum schoß der Verrückte nicht sofort auf ihn, als er aus dem Haus kam? Wollte er sich nicht verraten, wollte er nicht, daß Sash Dunn gewarnt wird? Da drüben – ein grauer, undeutlicher Schatten, eine Gestalt! Ja, Sash Dunn kommt schon.
Hughes starrt wieder auf das Gold. Die Leinenbeutel sind geplatzt. Das Gold liegt im Schnee. Er kann es nicht mehr verstecken. Sash Dunn wird das Gold sehen... Wo ist dieser Irre? »Sash!« brüllt er laut über die Straße. »Sash – komm her, verdammt!« Der Mann dort drüben auf der anderen Straßenseite winkt kurz. Ein schrilles Gelächter zerreißt die Stille in der Geisterstadt. Der Bandit verkrampft sich. »Sash«, krächzt er. Die graue Gestalt ist verschwunden... »Dieser dämliche Narr!« faucht Reed Hughes giftig. Schritte. Schnelle Schritte! Ein Haus weiter, dort, wo noch der Pfosten eines Vordaches verloren emporragt, steht der Irre. Wieder dieses furchtbare Gelächter. Der Irre hält ein Gewehr. Hughes reißt die Hand hoch und schießt sofort. Und auch der Irre schießt. Sekundenlang brüllen die Waffen. Stille. Kein Echo. Nur der Schnee fällt und legt sich auf das weite Land. Reed Hughes steht vor dem Haus, hält den Colt und sieht hinüber. Der Irre umklammert den Pfosten. Die Winchester liegt im Schnee. Und er rutscht am Pfosten hinunter, fällt tief in den Schnee und ist nicht mehr zu sehen. Der Bandit murmelt irgend etwas vor sich hin. Mühsam dreht er den Kopf. Über die Straße kommt ein Mann, nicht erkennbar im Schneetreiben. »Sash!« kommt es wie gequält über Reed Hughes’ Lippen. »Sash – das Gold, Sash...« Der Schnee wird dünner. Der Mann kommt näher, immer näher. Er hält eine Winchester. Ein großer, hagerer Mann. »Sash...« Hughes geht steif an das Haus heran, lehnt sich mit dem Rücken dagegen.
Nun verharrt der Mann auf der Straße. Hart und kalt kommen die Worte herüber: »Hughes – werfen Sie den Colt weg! Sie haben keine Chance mehr! Es ist aus. Und Sash Dunn ist tot, erfroren! Weg mit dem Eisen, Hughes!« Eine furchtbare Stimme, so klirrend kalt und peitschend... Joel Warners Stimme. Der Bandit krümmt sich, die Hand mit dem Colt geht langsam hoch. »Warner, du...« Seine Stimme erstickt. Er zittert. Die Hand zittert. Der Coltlauf bewegt sich hin und her. Der Daumen drückt den Hahn hinunter, die Trommel dreht sich, es klickt. Der Schlagbolzen steht oben. Der Finger legt sich um den Abzug, langsam, zögernd. Joel Warner sieht es. In seinen grauen Augen sprüht es kalt. Bitter verzieht sich sein Mund, die vielen Falten im Gesicht vertiefen sich. Das Antlitz ist hart und kantig. »Laß es sein, Hughes!« sagt er warnend. »Es ist sinnlos!« Der Bandit will es versuchen. Da reißt Warner sein Gewehr hoch. Blitzschnell und doch so lässig geschmeidig. Und das Gewehr ist gerade oben, als auch schon der Schuß laut kracht. Die Kugel schlägt Reed Hughes den Colt aus der Hand. Die Hand ist zerschlagen. Und der Bandit schreit auf, stöhnt wild und starrt den großen Mann voller plötzlicher Furcht an. Warner kommt heran. Der Lauf der Winchester zeigt nach unten, zieht einen schmalen Streifen durch den Schnee. »Hughes, ich bringe Sie zurück nach Colorado Springs«, murmelt Warner rauh. »Ohne Gold, ohne Komplizen. Sie sind der letzte Mann. Sie sollen sprechen. Die Leute sollen wissen, welch großer Lump Sie sind. Was Sie und Ihre Komplizen vor vielen Jahren für Verbrechen begingen, soll kein Geheimnis
bleiben. Es gibt Menschen, die durch Sie einsam geworden sind, Reed Hughes. Ja, alle sollen es wissen, Hughes.« Hughes läßt das Kinn nach vorn fallen. »Nie, Warner, nie«, flüstert er schwach. »Nichts werden sie wissen, gar nichts. Ein Geheimnis, ja...« Mühsam bringt er den Kopf wieder hoch, legt ihn gegen die Hauswand. »Ja, es ist aus, Warner«, keucht er, »aus, alles ist aus...« Er ist aschgrau im Gesicht. Vielleicht sind es die Schmerzen der zerschossenen Hand, die dieses Gesicht verzerren. »Hörst du, Warner – niemals. Und du bringst mich auch nicht zurück, du schaffst es einfach nicht, Warner. Das nicht, nein, das nicht. Siehst du das Gold hier, Warner? Ja, sieh hin. Du kannst es nehmen. Nimm es. Der Irre hatte wirklich Gold, Warner. Du... hast uns immer was vorgemacht, nicht wahr? Immer gelogen. Jetzt kannst du es nehmen, Warner...« Joel sieht plötzlich, wie es auf der Brust des Banditen rot wird. Und der Blutfleck wird immer größer, breitet sich aus. Er begreift nun, daß Reed Hughes für immer hierbleiben wird. Und als er den Banditen wanken sieht, springt er hinzu und fängt ihn auf, läßt ihn ganz langsam zu Boden gleiten. »Der Irre – der Irre war es«, flüstert Hughes schwach. Es sind seine letzten Worte... Lange steht Joel Warner vor diesem Banditen, stumm und mit bitteren Gedanken. Schwerfällig wendet er sich ab und stapft mit dem Gewehr davon, die Straße hinauf, zurück zum Saloon, ohne Gold. Frenchy steht in der Tür, hält sich fest und sieht ihn kommen. Der Schnee hüllt Warner ein. Ein letzter Windstoß fegt über die Geisterstadt hinweg. Leise bimmelt die Glocke. Sie sehen sich an, und Joel nickt langsam.
»Vorbei, Frenchy«, murmelt er spröde, »der Kampf ist aus. Es gibt keine Banditen mehr. Und es gibt auch keinen Irren mehr.« »Das ist gut so«, flüstert Frenchy schwer. – ENDE –