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Stagmid an Bord Von Roy Chester Ein Zukunftsroman mit verblüffendem Ausgang Paran Ingor, ein Mann wie ein Baum – ist möglicherweise wirklich Prof. für interstellare Kulturgeschichte, der aber auch nicht weiß – was niemand wissen kann. Job Ingor, ist sein Sohn, vorerst ein Bäumchen, aber immerhin die Hauptperson Robert C, Job Ingors Roboter, weigerte sich nicht, als man seinem Gehirn einen anderen Platz gab Helmer, alter Weltraum-Fahrenskapitän. Auch er ist Stagmiden fachmann Ist das Sheila Keith die Journalistin? Oder ist es Ihre Robot-Zofe? Oder gar jemand anders? Zahlreiche Sonnensysteme wurden von der Menschheit koloni siert, aber noch immer nimmt Sol eine Vormachtstellung ein, denn bestimmte Maschinen, tüchtige Fachkräfte und einige Rohs toffe müssen von der alten Erde bezogen werden, die sich ihre Exportgüter teuer bezahlen läßt. Aber vielleicht sind die Solarier gar nicht so engstirnig, wie die Verschwörer einiger Kolonialsysteme annehmen. Ein ausgestorbenes Ungeheuer. „Ihrem Sohn -", murmelte der alte Kapitän Helmers mit einem mitleidigen Blick auf mich, „scheint die Fahrt auch nicht recht zu bekommen!" Nun hat es kein praktisch erwachsener Mensch gern, wenn an dere in seiner Gegenwart halblaute Bemerkungen über ihn aus tauschen - wie über einen Hund, einen Sterbenden oder ein klei nes Kind; und wenn ich mich augenblicklich auch hundeelend oder, wenn man will, sterbenskrank - fühlte: ich war jedenfalls kein kleines Kind mehr! „Aber nein, mir geht es glänzend -", behauptete ich also, um unter Dads forschendem Blick allerdings etwas wahrheitsgetreuer hinzuzusetzen: „- bis auf die Kopfschmerzen!"
„Kopfschmerzen, Junge? Seltsam, ich habe nämlich auch welche -" Ich sah Dad etwas verblüfft an. Dad ist ein Mann wie ein Baum. Bei den Ausgrabungen einen defekten Roboter von ein paar Zent nern allein aus dem Stollen zu schleppen, hatte ihm genausoviel Spaß gemacht, wie etwa eine neue Theorie seines Lieblingsge gners, Professor Glohun, über die Ureinwohner der Galaxis zu zerpflücken; Kopfschmerzen - oder gar Gespräche über Kopf schmerzen - paßten zu ihm genausogut wie etwa spitzenbesetzte Unterhosen. Aber - wenn ihm auch nur halb so elend war wie mir, konnte ich alles verstehen. Ich fühlte mich, als habe man mir den Schädel mit Watte vollgestopft - aber mit Watte, die weh tat; den ganzen berühmten Blauen Salon der OMEGA III mit all seinen eleganten Passagieren sah ich nur wie durch eine dicke Plastoglasplatte. Und Fieber schien ich auch zu haben! Ich trank' jetzt schon das zweite Glas Eiswasser - aber das half nicht viel. „Ich sage immer -", fuhr Kapitän Helmers fort, „Nullneunneun fünf c ist etwas für Frachtschiffe, aber nicht für Passagierlinien trotz der ganzen Akzelerationsschirme und Schutzinjektionen!" Ich konnte ihm im Augenblick nicht widersprechen. Wenn dieser jämmerliche Zustand wirklich davon herrührte, daß sich unser Schiff beim Start auf 298300 km/sec (nur fünf Promille unter Lichtgeschwindigkeit!) beschleunigt hatte - dann sollte man eine solche Viecherei wirklich auf Frachten beschränken und den Pas sagieren ersparen! Aber Dad schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht recht - gegen die Beschleunigung sollte ich all mählich abgehärtet sein. Sie, sehen ja, wieviel ich in der letzten Zeit unterwegs war!" In der Tat - wenn ein Mann mit einem erwachsenen Sohn noch immer aussieht, als sei, er Anfang Dreißig, dann muß er einen guten Teil seines Lebens auf den Fastlichtgeschwindigkeitsschiffen des interstellaren Verkehrs zugebracht haben; denn dort vergeht ja, wie schon der alte Einstein prophezeite, die Zeit entsprechend langsamer. Während ich Semester um Semester auf der Akade mie in Horos gebüffelt hatte, war Dad - immer unterwegs - nur um ein paar Wochen älter geworden; er konnte sich auch jetzt noch kaum daran gewöhnen, daß er nicht mehr einen kleinen Jungen, sondern einen ausgewachsenen Diplomanden zum Sohn hatte.
„- kann ich es vor Hitze kaum aushalten, und der Schädel brummt mir auch! Ich habe so etwas noch nie gehabt!" beendete Dad die Schilderung seines Zustands. „Verteufelt ja!" stimmte der Alte zu. „Warm ist es hier, als brenne einem ein mittlerer Kugelsternhaufen aufs Kreuz! Das erinnert mich an meine erste Fahrt mit der ,Leocadia', als mitten im Weltraum die Klimaanlage versagte und wir -"" Kapitäne im Ruhestand sind auch heute noch die gleiche Land plage wie in dem Zeitalter der Windjammer: Sie wissen zu diesem Ereignis eine alte Geschichte von ihren Fahrten, die sie so lan gatmig wie möglich erzählen. Immerhin war das noch besser, als wenn Helmers politisierte. Ich verstand nicht recht, wie Dad ihn die ganze Fahrt über als Tischgenossen ertragen wollte. „Hoffentlich -", warf Dad ein, als Helmers gerade eine Pause machte, „haben wir nicht wieder mal eine Seuche aufgelesen. In diesen alten Ruinen stecken manchmal noch Keime, die -" Ich habe nie erfahren, was mit den Keimen sein sollte. Die gan ze Zeit über schon hatte ich gedankenlos auf den kleinen Mann im zitronengelben Anzug gestarrt, der da drüben am Ende des Saales saß und ab und zu nach unserem Tisch herüberschielte. Jetzt wurde er auf einmal kreideweiß im Gesicht und schien nach Luft zu schnappen. Noch einer, dem es schlecht wird, dachte ich gerade, als er plötzlich aufsprang und entsetzt mit dem Arm zur Decke des Salons zeigte. „Raus hier! Dort oben sitzt ein Stagmid!" Sein Schrei gellte durch die vornehme Ruhe des Blauen Salons wie ein Alarmruf - und das war es ja schließlich auch. Wohl jeder Blick war seinem weisenden Arm gefolgt. Die Kuppel des Blauen Salons der OMEGA III war eine Art Sehenswürdigkeit. Durch raffinierte Lichteffekte schienen dort oben, genau in der richtigen Ordnung, all die Sonnensysteme zu schweben, die bis heute erschlossen waren - Alpha Centauri und Alpha Canis majo ris, das Sirius System - Prokyon und Krüger 60 - Wega und all die anderen. Aber jetzt achtete niemand auf die kunstvoll kreisenden Planeten, die umeinander schwingenden Doppelsonnen; diesmal starrten alle nur auf eine sonst sehr unwichtige Stelle halb zwi schen Sol und Sirius: denn dort schwebte - oder klebte - der Stagmid. Zuerst sah ich nur die schwarze Kugel in der Mitte; dann die beiden silberglänzenden Arme - jeder ungefähr einen Meter lang
die sich am Ende in unzählige Fühler verästelten. Kein Zweifel das war ein Stagmid; ich kannte das Bild aus alten Büchern. So hatten die Biester ausgesehen - oder genauer gesagt, so hatten die paar Leute sie aus dem Gedächtnis gezeichnet, die einen Stagmiden gesehen - und es überlebt hatten. Und jetzt wurde mir auch einiges klar. Die Kopfschmerzen, die Benommenheit, das Wärmegefühl - all das schilderten auch die alten Berichte von den Stagmiden. Nur - diese Berichte sagten auch, daß die Stagmiden seit einigen Jahrhunderten ausgestorben seien. Der hier war es offenbar nicht. „Verdammt, das ist einer! Ich - mein Urgroßvater hat selbst mal einen gesehen!" murmelte Kapitän Helmers. „Aber wie kommt -" Seine Worte gingen in dem Tumult unter, der jetzt losbrach. In den vergangenen Tagen waren die Besucher des Blauen Salons der OMEGA III eine höchst vornehme, elegante und steife Gesell schaft gewesen - die Damen in ihren silbernen, goldenen oder stahlblauen Perücken und den schimmernden Kelchkleidern, die Herren in ihren Uniformen oder bunten Anzügen nach der letzten Neu-Londoner Mode; und die Stewards der Maatschappij - der Raumfluggesellschaft - waren wenn möglich noch würdiger und steifer als ihre Gäste. Elegant war die Gesellschaft ja auch heute - aber daß sie au genblicklich besonders steif oder auch nur vornehm war, konnte man nicht behaupten. Einen Augenblick war es wohl totenstill gewesen - aber jetzt kreischten die Damen, die Herren sprangen von den Sesseln auf, ein Tisch kippte um und ließ Schalen und Kristallkelche zu Boden klirren; die Menschen begannen zu den Ausgängen zu drängen. Gerade weil die wenigsten recht wußten, was ein Stagmid war, verloren sie vollends den Kopf; es roch nach Panik. Der Alte packte meinen Vater am Arm. „Kommen Sie! Raus hier, ehe der Zauber wirklich losgeht!" Helmers kannte den Blauen Salon besser als wir. Zwar war er zeit seines Lebens nur mit einem alten Atomfrachter zwischen den Planeten des Systems Horos hin und her gegondelt; aber auf seine alten Tage hatte er es zum „Zinsenhüpfer" gebracht: Seine Ersparnisse lagen auf zwei Bankkonten, einem im System Sol, einem auf Horos - und jetzt pendelte er als Dauerpassagier der OMEGA III zwischen ihnen hin und her. Da während jeder Reise,
die für ihn nur Wochen dauerte, auf den Planeten von Sol und Horos Jahre vergingen, fand er bei jeder Ankunft genug Zinsen vor, um die nächste Passage zu bezahlen. Er führte uns zu einem Seitenausgang, den ich wirklich dort nie vermutet hätte doch gerade als ich hinter Dad durch die schmale Tür verschwinden wollte, fiel mir siedendheiß ein: Ich hatte ja Robert C vergessen! Während des ganzen Essens hatte er brav und still hinter mei nem Stuhl gestanden - jetzt, da wir aufgesprungen waren, kam auch er in Bewegung. Sein Kopf kreiste langsam, bis er uns im Blickfeld hatte, und dann klapperte er schnurstracks auf uns zu. Robotern macht es ja nichts aus, mal rückwärts zu gehen! Mit elefantenhafter Grazie wischte er mit dem Arm drei Männer beiseite, die ihm in den Weg liefen, zertrampelte einen umgefal lenen Plastiksessel, der auf seinem Pfad lag, und kam dann auf mich zugerast, schlagartig scharf vor mir abbremsend. „Wohin. Chef?" fragte er blechern und liebenswürdig. Das hätte ich nun selbst gern gewußt; denn ich hatte keine Ah nung, wohin der Gang führte. Deshalb sagte ich nur gebieterisch: „Mir nach!" und beeilte mich, den anderen zu folgen. Wir holten sie in einem der Küchenräume wieder ein, wo ein chinesischer Koch im weißen Kittel hilflos mit einer Pfanne umher fuchtelte: „Mistel - Sie sein Laumschiffahlel - Sie mil können sagen was sein Stagmitit?" „Wäre froh, wenn ich dir's sagen könnte -", knurrte Helmers, „aber jedenfalls nichts Gutes!" Er sah sich in dem weißblinkenden Raum um. „Wo kommt man denn hier mal wieder heraus? Wir müssen zum Kommandanten!" „Kommandant? Mistel dolt gehen, langel Gang, gloße Tül - dann immel links und dann lechts! Abel was sollen ich machen gegen Stagmitit?" „Beten!" sagte der Alte grimmig und ließ den Koch offenbar we nig getröstet zurück. Während unsere seltsame Karawane - von Robert C beschlossen - wieder aus der Küche verschwand, drang von weiter hinten Lärm zu uns herüber: die Räumung des Blauen Salons schien nicht gerade reibungslos abzulaufen. „Verdammter Haufen! Mit Ruhe und Besonnenheit wären schon längst alle draußen - so machen sie das Vieh" noch so verrückt, daß es die Wände schmilzt!" fluchte der Schiffer vor sich hin.
„Ich verstehe es noch immer nicht! Seit Jahrhunderten gibt es keine Stagmiden mehr - und jetzt sitzt einer plötzlich hier mitten im Schiff!" Dad wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Jetzt geht es Ihnen besser, was? Kleiner Anfall von Kurzwellen fieber", nickte Helmers. „Gott sei Dank sendet das Biest nur ganz schwach, sonst wären wir schon gebraten!" Dad hielt plötzlich inne. „Aber wenn die Leute es jetzt reizen? Oder gar angreifen?" „Beten!" Der Alte sagte es ingrimmig. „Das einzige, was wir tun können, ist beten, daß sie nicht so hirnverbrannt sind - sonst wird ihnen das Hirn wirklich verbrannt - und zwar sofort!" Er sah Dad scharf an. „Woher wissen Sie eigentlich über Stagmiden Be scheid?" Dad lächelte schwach. „Habe meine Doktorarbeit darüber geschrieben: ,Der Stagmid in Schiffersage und Dichtung..." Seine Worte riefen mir das grauenhaft Groteske der Lage wie der ins Bewußtsein. Es war tatsächlich so, als sei der Drache aus der Siegfriedsage feuerschnaubend mitten in eine Akademievorle sung über mittelhochdeutsche Dichtung hereingeplatzt - nur mit dem Unterschied, daß dieser Drache ein friedliches, harmloses Tierchen war gegen einen Stagmiden... „Verdammt - dieser Chinamann hat uns auch noch verquer ge schickt!" unterbrach der Alte meine Gedanken. „Weit und bleit keine sloße Tül!" äffte er die Aussprache des Kochs nach. Aber jetzt bewährte sich Robert C. „Instruktionsgemäß habe ich den Plan des Schiffes beim An bordgehen gespeichert -". meldete er blechern. „Ich kann Sie jederzeit zum Kommandanten führen!" „Dann tu es, Junge - es ist weiß Gott höchste Zeit!" Aber Robert C stand wie ein Klotz und starrte mich aus großen roten Augen an. Er nahm Befehle nur von mir entgegen. „Nun mach schon - los!" sagte ich, und endlich klapperte er vor uns her. „Dann sind Sie also eine Art Stagmiden-Spezialist!" nahm der Alte die vorherige Unterhaltung mit meinem Vater wieder auf. „Zumindest wissen Sie verdammt viel mehr darüber als der Kommandant dieses Kastens. Und ich verstehe auch ein bißchen von den Biestern. - Also los, klären wir ihn auf, bevor er mit Vib
ratoren zu schießen anfängt, weil er meint, das müsse er als Kommandant tun!" „Und woher kennen Sie die Stagmiden?" fragte Dad. „Alte Familientradition! Der erste, der einen Stagmiden aus der Nähe gesehen hat und es überlebte, war ein Helmers - Jan Hel mers aus Amsterdam; und mein Urahn ist noch mit seinem Schiff an einem Stagmiden verbrannt - so ziemlich der letzte Fall, wo das vorgekommen ist. Wir waren also von Anfang bis Ende da bei!" Robert C hatte uns indessen in einen Gang geführt, der ganz leer lag. Hier herrschte Ruhe - und es kam mir erst jetzt zum Be wußtsein, daß nur wenige Minuten seit dem Alarmruf im Blauen Salon verstrichen sein konnten. „Wo steckt denn jetzt der Kommandant? Hier anscheinend!" Helmers stieß eine Tür auf. Sie führte in ein leeres Vorzimmer; der Schiffer stürmte an den unbesetzten Plätzen der Umschreiber vorbei zur nächsten Tür und riß sie auf. Der Anblick, der sich uns bot, paßte zu der ganzen Situation nun, genausogut wie der Stagmid in den Blauen Salon. Hinter einem großen Schreibtisch saß eine Dame mit stahl blauem Haar und war gerade hingebungsvoll damit beschäftigt, sich die Lippen nachzuziehen. Sie ließ den Spiegel sinken und fragte sehr kühl: „Was suchen Sie hier? Passagieren ist der Zutritt zu diesen Räumen bekanntlich untersagt!" Zweifellos kann man es auch Kommandantinnen von Fastlich tgeschwindigkeits-Luxusschiffen nicht verwehren, ab und zu ein mal ihr make-up zu erneuern; und daß sie unwillig sind, wenn sie dabei eine hereinstürmende Horde von Männern überrascht, wird jedem objektiven Beobachter einleuchten. Aber Dad war augenblicklich alles andere als ein objektiver Be obachter. Ich spürte, wie er sich zur Ruhe zwang, als er ganz leichthin sagte: „Eigentlich wollten wir nur fragen, ob auch Stagmiden der Zu tritt untersagt ist. Im Blauen Salon sitzt nämlich einer an der De cke!" Die Kommandantin legte den Spiegel aus der Hand und bedach te Dad mit einem eiskalten Blick. „Das ist recht unwahrscheinlich. Der letzte Stagmid wurde vor ungefähr zweihundertfünfzig Jahren beobachtet; er war sehr ge
schwächt und verschwand spurlos. Seitdem gibt es keine Stagmi den mehr." „Vielleicht rufen Sie ihn an und sagen ihm das persönlich?" frag te Dad mühsam beherrscht. „Dann verschwindet er sicher auch spurlos!" „Zum Donnerwetter -", explodierte nun Helmers, „müssen wir erst zu Fuß herkommen und Ihnen erzählen, was auf Ihrem Schiff vorgeht?!" Der Kommandantin stieg eine leichte Röte in die Wangen; sie griff nach dem Schalter des Teleschirms und stutzte. „Störung!" sagte sie. „Allerdings, Störung! Weil nämlich sämtliche Elektronenröhren in der Nähe des Blauen Salons durchgebrannt sind!" Die Dame war schon aufgesprungen. „Jetzt berichten Sie mir mal im Zusammenhang!" Einer fliegt raus „Wer sind Sie eigentlich?" begann sie wie in einem Verhör. „Paran Ingor, Professor der interstellaren Kulturgeschichte", antwortete Dad knapp. „Komme mit meinem Sohn Job gerade von Ausgrabungen auf dem Planeten Horos II zurück -" „Danke -". unterbrach sie ihn. Dann hefteten sich ihre Augen auf mich. „Hat Ihr Sohn Dinge beobachtet, die Sie nicht sahen?" Dad schob die Unterlippe vor. „Nein -" „Dann darf ich ihn bitten, das Ende unserer Besprechung im Vorzimmer abzuwarten!" Ich spürte, daß ich rot anlief wie eine Tomate. Aber Dad sagte nichts, und so schob ich mich zähneknirschend aus der Tür. Ich möchte wissen, was man eigentlich tun muß, um endlich für voll genommen zu werden. Allerdings - im Grunde hatte die Kommandantin ja recht. Ich nützte bei der ganzen Besprechung da drinnen genausoviel, wie Robert C., der noch immer im Kom mandantenzimmer herumstand! Robert C! Das brachte mich auf eine andere Idee: Robert C war ein Modell UR 12 C - das hieß, was ich in den Sender sprach, er tönte aus Roberts Kopflautsprecher - und was er hörte, konnte ich am Empfänger auch mithören...
Ich holte das kleine Kästchen aus der Tasche, hatte es im Nu umgeschaltet (gut, daß Robert und sein Sender Transistormodelle waren - sonst wäre ihnen in der Nähe des Stagmiden auch die Röhren durchgebrannt!) und hörte gerade Dads Stimme schlie ßen: „- wir sofort hierher." In diesem Augenblick wurde mir gegenüber die Tür zum Gang aufgerissen, und ein Mann in der Uniform der Maatschappij stürz te herein. Atemlos und ohne mich überhaupt richtig zu sehen, verschwand er durch die Tür des Kommandantenraums. Ich hörte im Empfänger, wie er zu einer Meldung ansetzte: „Mündlicher Rapport wegen Ausfall des Kommunikationssys tems: Zwischenfall -" Kühl unterbrach ihn die Stimme der Kommandantin: „Im Blauen Salon wurde ein Stagmid gesichtet. Die Räumung des Raumes machte wegen der Aufregung der Passagiere Schwie rigkeiten. Der gereizte Stagmid sandte stärkere Strahlung aus und zerstörte die umliegenden Kommunikationsgeräte. Schäden an Personen dürften stärkere Verbrennungen und Panikverletzun gen nicht übersteigen. Der Saal ist jetzt geräumt, die Opfer wer den ärztlich versorgt. Es empfiehlt sich, die Räumung aller ang renzenden Räume im Umkreis von 20 Meter -" „50 bis 100 sind besser!" knurrte Helmers dazwischen. Die Kommandantin beachtete ihn kaum. „Weitere Räumungen sind vorzubereiten. Jede Reizung des Stagmiden ist zu vermei den. Ich konferiere augenblicklich mit zwei Experten für Stagmi denprobleme über die weiteren Maßnahmen. Über neue Entwick lungen bin ich auf dem laufenden zu halten. Noch etwas?" Ich hörte, wie der Melder schluckte, dann die Hacken zusam mennahm und offenbar wortlos kehrtmachte. Als er wieder ins Vorzimmer trat, sah er aus, als sei er drinnen nicht der Komman dantin, sondern einem Stagmiden mit grünen Hörnern begegnet. Im Empfänger hörte ich sie leise lachen. „Nichts ist in dieser Krise so beruhigend wie ein allwissender Kommandant! Ich hoffe, daß diese Theaterszene genügt, um weitere Kopflosigkeiten zu vermeiden -" Ich hätte gern weiter zugehört - denn allmählich begann ich Respekt vor dieser Dame zu bekommen. Aber da wandte sich der Melder ziemlich hilflos an mich. „Ich habe hier noch die Liste der Verletzten -"
„Geben Sie her -", sagte ich und bemühte mich, besonders barsch zu sprechen. Der arme Kerl war wirklich noch so verdat tert, daß er mir das Blatt in die Hand drückte, Haltung annahm und verschwand. Ein Offizier der Maatschappij steht stramm vor dir! dachte ich befriedigt; es half meinem etwas wackeligen Selbstbewußtsein wieder auf die Beine. Ich warf einen Blick auf die Liste: „Sheila Keith, 22 Jahre, Journalistin, Quetschungen am Brust korb, zwei Rippen gebrochen, keine Lebensgefahr. Torga Asius, 57 Jahre, Kaufmann, Verbrennungen durch metal lene Armreifen, keine Lebensgefahr. Jon Glas, 32 Jahre, Ingenieur, Verlust mehrerer Zähne durch Fußtritt, keine Lebensgefahr..." Und so weiter. Es schien recht hoch hergegangen zu sein im Blauen Salon! Aber ich frage mich heute noch, wie sich wohl die Dinge weiter entwickelt hätten, wenn man nicht zufällig die Jour nalistin Sheila Keith als erste auf der Liste erwähnt hätte... Doch davon später. Jetzt begann nämlich die Verhandlung drinnen erst richtig inter essant zu werden. Offenbar hatte man Dad gebeten, etwas Grundsätzliches über Stagmiden zu sagen - und was das bei ei nem Professor bedeutet, kann man sich leicht denken. „Stagmiden", hörte ich ihn in seinem schönsten Vorlesungston beginnen, „wurden im galaktischen Raum schon vor Beginn der Weltraumfahrt festgestellt. Man hielt sie damals für ,Radiosterne', also Weltkörper, die elektrische Wellen etwa im Rundfunkbereich aussenden. Diesen Irrtum hat erst die direkte Beobachtung korri giert: Die Radiosterne waren in Wirklichkeit gemeinsam schwin gende Gruppen von Stagmiden. Später haben sie sich aus unbe kannten Gründen zerstreut und tauchten einzeln an den verschie densten Stellen auf." Er machte eine Pause - wie ich Dad kannte, hatte er inzwischen bestimmt eine Zigarette angesteckt (als Vorgeschichteforscher schwärmte er für diese altmodischen Dinger - sie sollen früher weit verbreitet gewesen sein) und zog jetzt daran. „Der einzelne Stagmid besteht aus einer Kugel von etwa einem halben Meter Durchmesser mit zwei meterlangen, am Ende ver ästelten Fortsätzen. Das einzige, - was wir noch sicher von ihm wissen, ist, daß er eine Art riesigen Hertzschen Dipol darstellt also eine Antenne, die elektrische Wellen aussendet: die Dipol
achse liegt in Richtung der beiden Arme. Diese Wellen ergeben rings um ihn her ein hochfrequentes elektromagnetisches Feld. Wie stark das Feld ist, und wie es wirkt, das hängt wohl von sei ner ,Laune' ab. Ein Stagmid, der eben noch kaum merklich ge strahlt hat, kann - angegriffen - ein so starkes Feld erzeugen, daß Metall glatt zerschmolzen wird, wie in einem Induktionsschmelz ofen. Sie kennen das Prinzip: Das elektromagnetische Wechsel feld erzeugt Wirbelströme im Metall, die es erwärmen und zum Schmelzen bringen. Es gibt Berichte von ganzen Weltraumschif fen - allerdings kleineren Typs -, die ein einziger Stagmid zerstört hat." „Natürlich -", das war Helmers' Stimme, „hat er sie nicht ganz zerschmolzen; aber die Dinger hatten damals keine Schotts, und wenn sie an einer Stelle weich wurden, ging die ganze Luft drin nen zum Teufel!" „Die Wirkung", fuhr Dad fort, „war zum Beispiel auch so stark, daß irgendwelche Geschosse, noch bevor sie den Stagmiden überhaupt erreichten, im Raum zerschmolzen und verdampften." „Einen Augenblick!" unterbrach die Kommandantin. „Wenn der Stagmid wirklich wie ein Dipol strahlt - dann ist doch die Intensi tät der Wellen nicht überall gleich: theoretisch ist sie sogar in der Richtung seiner Achse gleich Null. Warum hat man ihn nicht aus dieser Richtung angegriffen?" Ich hörte die Pause und sah förmlich, wie Dad die Unterlippe vorschob. Helmers half ihm aus der Verlegenheit. „Dann fliegen Sie mal so lange um einen Stagmiden herum, bis Sie die richtige Richtung haben - ohne daß Ihnen was passiert!" „Jedenfalls könnte man aber um einen Stagmiden an Bord so lange herumgehen, bis man sie hat!" gab die Kornmandantin zu rück. „Ich muß -". schaltete Dad energisch ein „von jedem Angriffsversuch auf den Stagmiden abraten! Bisher hat das noch immer mit einem Unglück geendet, weil die ausgesandte Strahlung dann zu unerträglichen Werten anstieg. Schließlich hat man früher die Angriffe auf Stagmiden einfach verboten. Wer einen sichtete, machte, daß er davonkam. Später wurden die Berichte über sie immer seltener, und seit ein paar hundert Jahren wurde keiner mehr beobachtet. Irgendein kluger Mann kam dann auf den heh ren Gedanken, sie für ausgestorben zu erklären - wie weiland der Vogel Strauß seine Verfolger nicht mehr sah, weil er den Kopf in
den Sand steckte. Wir haben die zweifelhafte Ehre, diese Annah me aus eigener Erfahrung widerlegen zu können." „Die Wirkungen auf den menschlichen Organismus?" fragte die Kommandantin. „Eine Art Kurzwellenfieber, wie es schon vor Jahrhunderten in der Medizin verwendet wurde. Schon ein sehr friedlicher Stagmid hat etwa die Wirkung eines alten Kurzwellen-Therapiegerätes; ein auch nur leicht aufgeregter wirkt wie ein Hochfrequenz-Bratofen." „Da Ihre Schätzung des Schadens unwidersprochen blieb", wandte sich Helmers an die Kommandantin, „können wir damit rechnen, daß der Stagmid im Blauen Salon noch immer recht ru hig ist. Wie lange er das bleibt, weiß allerdings der Teufel!" „Bevor wir uns unserem Gast zuwenden", unterbrach sie ihn, „möchte ich Paran Ingor noch bitten, uns etwas über die mut maßliche Natur der Stagmiden zu berichten, Es gab da verschie dene Hvpothesen." „Allerdings." Jetzt war Dad wieder in seinem Element. „Voll kommen unerklärlich ist es noch heute, wie ein so kleines Wesen oder Objekt überhaupt eine derart ungeheure Energie erzeugen kann. Man nimmt an - was bleibt anderes übrig -, daß es atomare Energie direkt in elektrische Schwingungen umzusetzen versteht. Das würde heißen, es verbraucht seine eigene Substanz allmäh lich, und kann nicht ewig strahlen. Deswegen erschien auch die Hypothese vom Aussterben der Stagmiden bisher annehmbar; wenn man nämlich den Termin der ersten Beobachtungen von ,Radiosternen' mit dem der letzten Stagmidenbeobachtungen vergleicht, kommt man ungefähr auf eine vernünftige Größenord nung für die Energie, die so ein Stagmid in dieser Zeit abgestrahlt haben kann - vorausgesetzt natürlich, daß er nur seine eigene Substanz abbaut." „Das heißt also, man nahm an, alle Stagmiden seien ungefähr gleich alt?" „Ja, und zwar, weil niemand etwas über die Fortpflanzung der Stagmiden zu sagen wußte. Allerdings gab es da die Hypothese vor Oranez, die aussagte, die Stagmiden erzeugten ihre Strah lung nur, um über kosmische Entfernungen hinweg einen Partner anzulocken. Übrigens gab es auch die andere Annahme, sie be nutzen diese Strahlungen zur Verständigung untereinander. Man weiß eben bis heute noch nicht, ob die Stagmiden eine ganz pri mitive Lebensform sind, die sich nur dem Stoffwechsel auf der
Grundlage atomarer Energie angepaßt hat - wie etwa die Schwe felbakterien dem Stoffwechsel auf der Grundlage von Schwefel und Schwefelwasserstoff - oder ob sie Intelligenz in irgendeinem Grad besitzen." „Hypothesen! Hypothesen!" knurrte Helmers. „Was hat man denn wirklich über die Biester herausbekommen?" Dad schien die Achseln zu zucken. „Vernünftiges nicht mehr! Natürlich gibt es einen Haufen verschrobene Phantasien: Ein Pro fessor Nebraxas hat sogar die Theorie verfochten, die Stagmiden seien gar keine Lebewesen, sondern Waffen aus einem früheren interstellaren Krieg, die heute noch im Raum umherschwirrten. Diese Erklärung hat nur den gleichen Schönheitsfehler wie das berühmte „Erste Galaktische Imperium" meines verehrten Kolle gen Glohun. Wie soll es interstellare Kriege oder Imperien gege ben haben, wenn wir bis heute trotz aller Ausgrabungen noch nicht einmal ein einziges simples Raumschiff der alten Galaktier entdecken konnten?" Dad mußte seinem wissenschaftlichen Erzfeind Glohun bei jeder Gelegenheit eins auswischen. Ich entsann mich, daß er ihm auf Horos eine Kiste mit Altertümern regelrecht gemaust hatte - nur um ihm falsche Radiokarbondatierungen nachzuweisen. Und jetzt benutzte er selbst diese Stagmidengeschichte zu einem Seiten hieb auf den „verehrten Kollegen". „Gut!" sagte die Kommandantin. „Oder vielmehr: Schlecht! Wir wissen also augenblicklich nicht einmal, was wir eigentlich vor uns haben: Eine Art Riesenbakterium, ein intelligentes Wesen oder eine Maschine. Wir wissen nur, daß wir nicht viel mehr ge gen einen Stagmiden unternehmen können, als ihn bei guter Laune zu halten, damit er uns nicht das ganze Schiff zerschmilzt. Das tun wir augenblicklich. - Aber hat man eigentlich beobachtet, daß so ein Stagmid ohne äußeren Anlaß seine Strahlung stei gert?" „Mir ist nichts davon bekannt. Ihnen, Helmers?" „Nicht, daß ich wüßte!" Der Schiffer machte eine kurze Pause, dann fuhr er etwas optimistischer fort: „Wir können also vorerst mit Ruhe rechnen, wenn Ihre Jungens sich auch ruhig verhalten!" Die Kommandantin lachte ärgerlich auf. „Meine Herren, da stimmt doch wieder etwas nicht! Wenn ein Stagmid mit seiner Strahlung andere Stagmiden anlocken oder ansprechen will, dann muß er sie doch aus freiem Willen erzeu
gen können, und nicht nur, wenn man ihn reizt! Und eine Waffe müßte ebenfalls von selbst zur Entladung kommen, wenn sie ihr vorgeschriebenes Ziel erreicht hat! Wieso hat dann niemand spontane Strahlungssteigerungen beobachtet?" „Wahrscheinlich hat überhaupt niemand einen Stagmiden lange ungestört beobachtet!" gab Dad zu bedenken. „Nun - jedenfalls können wir uns nicht darauf verlassen, daß der Stagmid ruhig bleibt Wir müssen jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß er stärker strahlt!" „Hm - lassen Sie doch Strahlungsmesser in allen Räumen rings um den Blauen Salon aufstellen", schlug Dad vor, „einfache Emp fangsantennen mit einem Gleichrichter und Amperemeter - viel leicht auch mit Rückmeldung der Stromstärken nach hier -" „Gut - dann wissen wir wenigstens, warum wir krepieren!" nick te Helmers zynisch. „Und mit diesem großen Erfolg wäre die Kon ferenz der Stagmiden-Experten beendet?" „O nein!" sagte Robert C. Oder vielmehr - das sagte ich, aber nur durch Roberts Kopf lautsprecher. Es war schade, daß ich nicht auch durch seine Au gen sehen konnte - Dad erzählte mir später, alle seien wie von einer Tarantel (oder, um bei der Sache zu bleiben, einem Stagmi den) gestochen herumgefahren. „Wir haben versäumt, den dritten Experten für Stagmiden zu befragen, der an Bord ist!" fuhr ich liebenswürdig fort. „Und das wäre?" fragte die Kommandantin scharf. „Der Mann", sagte ich freundlich, „der mitten zwischen den Or namenten der Kuppel im Blauen Salon einen Stagmiden entdeckt - und sofort ohne jedes Zögern weiß, daß es sich da um ein seit Jahrhunderten als ausgestorben gemeldetes Wesen handeln muß. Ich meine unseren kleinen Freund im zitronengelben Anzug, der Alarm gegeben hat!" Während ich die letzten Worte sprach, hatte ich die Tür zum Kommandantenzimmer wieder geöffnet - und sah mit großer Freude, wie Dad in der nun folgenden geisterhaften Stille unhör bar, aber mit einem merklichen Grinsen applaudierend die Finger spitzen gegeneinanderklopfte. Robert C bewährt sich
Die Kommandantin fand sich in guter Haltung mit meinem Ein dringen ab. „Sie waren im Irrtum, Paran Ingor". sagte sie trocken, „Ihr Sohn hat wesentliche Dinge beobachtet!" Dad nickte höflich zustimmend. Jetzt war er natürlich stolz auf seinen klugen Job. „Also - was war das für ein Mann im zitronengelben Anzug?" fuhr die Kommandantin fort. „Nicht gerade 'ne Wucht von einem Mann", sagte ich bedächtig, „ein kleiner Kerl, ziemlich häßlich, erinnerte an eine Ratte." „Und mehr wissen Sie nicht von ihm?" Das war schon wieder dieser kühle Verhörton, den ich nicht ausstehen konnte. „Vorgestellt hat er sich leider nicht!" sagte ich böse. „Es ging al les ein bißchen rasch vorhin!" „Offen gesagt - ich habe von dem Mann nicht einmal soviel ge sehen!" schaltete sich Dad rasch ein. „Natürlich haben alle weni ger auf ihn geschaut, als auf das. worauf er zeigte - auf den Stagmiden. Und in dem Durcheinander, das dann folgte -" „Und ich -", ergänzte Helmers, „habe mit dem Rücken zu dem Kerl gesessen und ihn selbst gar nicht gesehen." Die Kommandantin zuckte die Achseln. „Das sind alles sehr wertvolle Hinweise dafür, wie wir ihn finden können, nicht wahr?" Aber jetzt kam mein zweiter Trumpf. „Es wäre besser, wenn wir ein schönes Stereobild von ihm hät ten, ja?" fragte ich harmlos. Die dunklen Augen der Kommandan tin blitzten mich ärgerlich an, und auch Helmers schien die Frage ziemlich albern zu finden. Nur Dad wiederholte - fast unmerklich die Geste des Applauses mit den Fingerspitzen. Er schien mit mir zufrieden zu sein. „Darf ich einmal Ihren Stereobetrachter benutzen?" fragte ich höflich. „Wie mein Vater vielleicht erwähnte, stand während des ganzen Essens mein Roboter Robert C hinter meinem Stuhl", fuhr ich fort, während ich an den Anschlüssen hantierte. „Bekanntlich speichern die Modelle UR 12 C ihre Sinneseindrücke einige Stun den lang nach dem Magnettrommelverfahren." Ich wandte mich an Robert C, dem ich jetzt glücklich die Kabelkupplung in den Bauch gerammt hatte; „Reproduktion ab T minus dreißig - Start!" „Jawohl, Chef!" schnarrte der Gute, und ich grinste, als sich der durchscheinende Würfel des Stereos nach den anfänglichen Wol
ken klärte und das Bild des Blauen Salons auftauchte. Elementare Theorie der Kommunikationsgeräte hatten wir zwar auf der Aka demie redlich gebüffelt - aber ob das hier mit der Anpassung klappen würde, war mir doch nicht so ganz sicher erschienen. Immerhin halte es sich gelohnt, daß ich Robert C - Dads Ge schenk für die bestandene Diplomprüfung - in den ersten Wochen beinahe bis in seine Einzelteile zerlegt hatte; sonst wäre ich wahrscheinlich auf den ganzen Trick nicht gekommen. Es war nicht gerade eine hundertprozentige Super-Stereoschau, aber die Ereignisse im Blauen Salon rollten deutlich genug noch einmal vor uns ab. Jetzt wischte Dad sich den Schweiß von der Stirn - jetzt wandte er sich zu Helmers - und jetzt -. „Stop! Ausschnitt -", ich drehte an den Skalen des Stereowür fels, „x größer gleich null acht kleiner gleich null neun - v größer gleich null fünf kleiner gleich null sechs - z größer gleich null drei kleiner gleich null vier - maximale Auflösung!" „Jawohl, Chef!" Robert C funktionierte prächtig - genau der Aus schnitt mit dem kleinen Mann füllte jetzt fast den ganzen Stereo würfel. Er war aufgesprungen und gerade im Begriff, den Arm zu heben - das Gesicht kreideweiß und von Schreck verzerrt, der Mund halb geöffnet - ein gefrorenes Bild des Entsetzens. „Zur gefälligen Bedienung!" sagte ich abschließend. „Danach dürfte unser kleiner Freund unschwer zu finden sein!" Die Kommandantin nickte und lachte ein wenig. „Ausgezeichnet! Ich wollte, wir hätten für alle Probleme solche Patentlösungen aus Ihrer Hand, Job Ingor! Ich werde sofort unter den Passagieren nach dem Mann suchen lassen!" „Hm -", knurrte Helmers. „Versprechen Sie sich davon viel? Wenn ich mir den Knaben so ansehe -". er wies auf das erstarrte Bild im Stereowürfel, „dann sieht er kaum so aus, als werde er sich in Ruhe irgendwo hinsetzen und abwarten, was der Stagmid als nächstes tut. Er macht mehr den Eindruck, als würde er am liebsten ein paar Lichtjahre zwischen sich und das nette Tierchen bringen - und zwar so bald wie möglich!" Er grinste böse. „Was übrigens sehr vernünftig wäre - wenn er tatsächlich weiß, was so ein Stagmid alles fertigbringt!" „Wir werden ihn schon erwischen!" meinte die Kommandantin zuversichtlich und wandte sich zum Teleschirm. „Machen Sie, was Sie wollen!" sagte Helmers ärgerlich. „Ich su che jedenfalls nach dem kleinen Kerl in den Rettungsbooten!"
„In allen fünfzehn zugleich?" fragte die Kommandantin. „Ver ständigen Sie über eines der Geräte draußen den Ersten Offizier, daß er Ihnen Leute zur Verfügung stellt! Ich kümmere mich in zwischen um das übrige!" Helmers nickte und verschwand, während die Kommandantin weiter in das Sprechgerät murmelte. Aber ein paar Sekunden später steckte er den Kopf wieder ins Zimmer und fragte: „Wie zum Teufel sind denn die Boote nummeriert? Gibt es da keinen Plan?" Die Kommandantin griff, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen, nach einem zweiten Stereowürfel und knipste ihn an. In dem glä sernen Würfel leuchtete ein halbdurchscheinendes Bild der OME GA III auf - drei riesige, miteinander verbundene Kugeln. Die Ret tungsboote saßen jeweils gleichmäßig verteilt um den „Äquator" der Kugeln - pro Kugel fünf Stück. Aber wie man von hier aus zu den Booten gelangen sollte, war aus diesem Bild wahrscheinlich erst nach langen Studien zu entnehmen. Ich hatte eine bessere Idee. Während Helmers - den Würfel hin ter sich her zerrend - wieder verschwand, blockierte ich das Bild des kleinen Mannes im Stereowürfel und löste das Kabel von Ro bert C. „Hier -", rief ich durch die Tür zu Helmers hinaus, „mein Roboter hat uns doch vorhin schon geführt. Er kennt das ganze Schiff auswendig!" Der Schiffer sprach noch immer in das Gerät - es schien ihm großen Spaß zu machen, daß er einmal wieder eine Mannschaft kommandieren durfte! „... jawohl, in der Mittelkugel fange ich sofort selbst an. Schi cken Sie Ihre Leute los, wir treffen uns dann schon. Keine Zeit verlieren - der Kerl kann jeden Augenblick starten!" Er wandte sich mir zu. „Gute Idee mit dem Roboter. Also los, wo ist der nächste Weg zum nächsten Rettungsboot?" bellte er Robert C an. Roberts große rote Augen schimmerten - aber er rührte sich nicht. „Robert hört nur auf meine Kommandos", erklärte ich wie der. „Sie müssen mich schon mitnehmen!" „Also meinethalben - los!" Helmers setzte sich kopfschüttelnd in Bewegung. Robert C klapperte vor uns her, und ich folgte. Von jetzt an würde ich in keinem Vorzimmer mehr warten! „Paß auf, Robert!" sagte ich eindringlich. „Wir suchen in den Rettungsbooten den kleinen Mann, den du eben vergrößert in den
Stereowürfel projiziert hast. Der Mann kam aus dem Blauen Sa lon. Welches Boot wird er mit größter Wahrscheinlichkeit gewählt haben?" Robert C ist ein Modell UR 12 C und löst einfachere Probleme der Entscheidungstheorie im Handumdrehen; hier handelte es sich schließlich nur darum, die möglichen Ausgänge des Blauen Salons mit dem Plan des Schiffes und der Lage der Boote zu kombinieren, »B I oder B IV, Chef!" antwortete er prompt. „B I mit 70 Pro zent Wahrscheinlichkeit, B. IV mit 25 Prozent - und die restlichen 5 Prozent verteilen sich auf die übrigen Boote." „Der Blechknabe ist zuverlässig?" fragte Helmers mißtrauisch. „Nein - ein Gewohnheitslügner!" gab ich böse zurück. Der Alte grinste. „Also meinetwegen - irgendwo müssen wir ja anfangen: Gehen wir zu B I!" „B I, Robert! Schnellsten Weg!" sagte ich. Roberts Augen leuch teten auf. „Sind schon halb dort, Chef!" erwiderte er. Offenbar war es für ihn selbstverständlich gewesen, daß wir uns seinen Vorschlägen fügen würden. „So - und nun möchte ich nur wissen: Wie kam der Stagmid ei gentlich an Bord?" sagte ich, während wir den Gang entlanghas teten. „Er kann ja schließlich nicht unterwegs durch die Schiffswand hereinspaziert sein!" „Unwahrscheinlich!" stimmte Helmers zu. „War wohl schon seit dem Start an Bord!" So schlau war ich nun auch selbst. „Und wie ist er hereinge kommen? Mit einer Fahrkarte? Schließlich werden die Eingänge scharf kontrolliert!" Der Kapitän zuckte die Achseln. „Oder -", fuhr ich fort, „wenn er in einem Gepäckstück oder ei ner Kiste war. wer hat ihn da hineingepackt? Doch nur jemand, der sicher ist, daß der Stagmid dabei nicht plötzlich anfängt zu strahlen! Das wäre dann unser vierter Stagmiden-Experte. Ein Mann, der weiß, wie man Stagmiden ungefährdet herumtragen kann!" „Das wäre wohl der nützlichste von allen!" stimmte Helmers zu. „Aber hat Ihr Roboter von dem auch ein Stereobild?"
Darauf allerdings konnte ich nur meinerseits die Achseln zucken - aber glücklicherweise war ich der Antwort sowieso enthoben. Denn jetzt standen wir an der Einstiegschleuse des Rettungsboo tes B I. „Da hat jemand dran rumgemurkst", murmelte Helmers sach verständig, als er die Plomben der Schleusentür inspizierte. „Ich habe so das Gefühl, der sitzt hier drin." Er zerrte an dem schweren Hebel. Alle Rettungsbooteinrichtun gen sind für altertümlichen Handbetrieb eingerichtet, denn wenn man in so ein Boot steigen muß, ist wahrscheinlich kein Strom mehr da! Langsam schwang die schwere Tür auf. Vor uns lag - augenblicklich noch offen - die eigentliche Tür des Rettungsbootes, in die dem Schiff zugekehrte Bootswand einge lassen. Sie steht natürlich offen - weil sie in geschlossenem Zu stand von außen nicht geöffnet werden kann. Da ist ja dann nur der Weltraum... Robert C ließ einen grellen Scheinwerferstrahl in den dunklen Raum hinter der Tür fallen. Daß sie überhaupt noch offen war, besagte zumindest, daß unser kleiner Freund noch nicht gleich starten wollte. Aber er konnte, wenn er wirklich hier war, jeder zeit auf diese Idee kommen. Dann würde sich die Bootstür schlie ßen - und wir wären mit ihm eingesperrt. Vorläufig beurteilte ich die Chancen der OMEGA III noch nicht so schlecht, daß ich darauf Wert legte. „Such den kleinen Mann, Robert!" sagte ich, und der Treue marschierte allein in das Dunkel hinein. Kaum hatte er das Boot betreten, flammte auch dort überall Licht auf. Die OMEGA III war schließlich ein Luxusschiff - selbst was die Rettungsboote anging. Das Innere des Raumes sah ganz gemütlich aus - gute Psycholo gie, denn bei gelegentlichen Übungen sahen die Passagiere ja die Boote doch einmal, und wahrscheinlich beruhigte es sie, daß sie selbst im „Ernstfall" noch getäfelte Wände und Polstersessel um sich haben würden. Aber ein kahler Raum wäre erheblich günstiger gewesen, wenn man nach einem kleinen Mann suchte. Hier gab es eine Menge Möglichkeiten, sich zu verkrümeln - und das war nur ein Raum des Bootes, das, wenn ich mich recht erinnerte, mindestens drei Hauptabteile hatte. Doch Robert nahm die Sache mit robotischer Gründlichkeit auf.
„COs-Gehalt leicht erhöht, Chef!" meldete er, in die Luft schnüf felnd. „Anwesenheit organischen Lebens wahrscheinlich! Bitte zurücktreten - Prüfung des Temperaturgradienten!" Ein Mensch ist ein ganz hübscher Brocken Materie von rund 37 Grad C - und dieser Raum hatte höchstens 15 Grad C. Mit emp findlichen Instrumenten konnte man da ruhig auf die Suche nach einem warmen Körper gehen. Voraussetzung war allerdings, daß wir die Temperaturverteilung nicht störten. Ich drückte die Schleusentür wieder zu und erklärte Helmers, der nervös mit den Fingern gegen die Wand trommelte, was Ro bert C vorhatte. „Sie und Ihr blecherner Wunderknabe!" sagte er skeptisch. „In zwischen saust uns der Kleine womöglich noch ab!" Schwere Schritte polterten den Gang herunter, und drei unifor mierte Maatschappij-Leute tauchten auf. Offenbar das Suchkom mando. Sie waren in voller Rüstung und hatten sogar Lähmungs pistolen umgeschnallt. - Man schien die Sache ziemlich ernst zu nehmen. Noch während Helmers mit ihnen sprach, erfüllte sich seine Prophezeiung. Allerdings in der umgekehrten Richtung. Der kleine Mann sauste ab - aber nicht mit dem Boot, sondern er stieß mit Kräften der Verzweiflung die Tür so heftig auf, daß sie Helmers und die anderen zurückstolpern ließ, und schoß dann den Gang hinunter, während der massige Körper Roberts hinter ihm in der Türöffnung erschien. „Haltet ihn!" schrie Helmers und riß einem der Männer die Pisto le vom Gürtel. Aber da hatte er nicht mit Robert gerechnet. Kein Roboter darf zulassen, daß in seiner Gegenwart ein Mensch ver letzt wird. Sanft, aber unwiderstehlich wand er dem Schiffer die Pistole aus der Hand. Der führte fast einen Bullybog nach den Regeln des neuesten Tanzturniers auf, bis er sich losgemacht hat te und hinter dem Flüchtling herstürzen konnte - aber das war schon nicht mehr nötig. Der Kleine war dem vierten Mann, der jetzt zu dem Suchkom mando stieß, geradezu in die Arme gelaufen. Timothy berichtet große Dinge „... nein, versichern Sie seiner Exzellenz dem Herrn Minister, es handelte sich im Blauen Salon nicht um einen Attentatsversuch
der Panasiatischen Union! Lediglich ein Stagmid - ein ganz harm loses, seltenes Tier - ist dort aufgetaucht und stiftete anfangs ein wenig Verwirrung. Seine Exzellenz kann völlig beruhigt sein!" Der Mann, der diese kühnen Behauptungen in die Sprechanlage gemurmelt hatte, unterbrach sich, als unsere Kolonne in das Kommandantenzimmer einmarschierte. Er sah etwa so aus, wie ich mir in den Geschichtsvorlesungen einen mittelalterlichen Er zbischof von Canterbury vorgestellt hatte - nur daß der eine vio lette Robe und kein violettes Jackett trug. Wie ich später von Dad hörte, war es der „Manager" der OMEGA III - zuständig für alle Dinge, die das Wohlergehen der Passagiere betrafen. Während der Führer des Suchkommandos eine knappe Meldung abgab, guckte unser Gefangener verzweifelt im ganzen Raum umher, als suche er nach weiteren Stagmiden. Im übrigen aber schien er sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Nur weigerte er sich trotz aller Versuche Helmers', irgend etwas zu berichten, ehe wir bei der Kommandantin angekommen seien. Die konnte nun endlich einmal ihren Verhörston mit voller Be rechtigung anwenden. „Was suchten Sie in dem Rettungsboot?" Der kleine Mann hob die Hände. „Ich habe es satt! Ich habe alles gedacht, was sie mir sagten aber das mit dem Stagmiden war nicht fair! Ich packe jetzt aus ich erzähle alles!" Die Kommandantin nickte. „Tun Sie das! Beantworten Sie meine Frage!" Der Kleine ging gar nicht darauf ein. „Sie haben mir gesagt: Timothy - es ist ein Agent von Sol an Bord. Er ist uns auf der Spur, und der Chef wird sich selbst um ihn kümmern. Aber auf alle Fälle - flieg du auch mit und hab ein Auge auf alles. Der Chef wird an Bord sein und dir einen Tip ge ben. Dann könnt ihr zusammen den Agenten erledigen, und du hast fünftausend Kredite verdient. Aber daß sie einen Stagmiden an Bord schicken, um den Agenten zu killen, das haben sie mir nicht gesagt! Und ich weiß jetzt - die wollten mich bloß loswer den, weil ich zuviel wußte!" „Aha!" sagte die Kommandantin böse. „Jetzt verstehen wir al les! - Mann, berichten Sie mal im Zusammenhang, was Sie zu sagen haben!"
Der kleine Mann fuhr sich mit zittriger Hand über die Stirn. „Ja. das will ich ja!" Er stöhnte. „Aber - kann ich vorher einen Schuß Romba haben?" Ja - so sah er ungefähr aus - wie ein Rombatrinker. Die unge sunde Gesichtsfarbe, das Zucken der Hände und des Halses überhaupt seine ganze Kopflosigkeit waren typisch für diese Sucht. Der Manager nickte. „Wenn Sie einverstanden sind -", er warf einen Blick auf die Kommandantin, „dann lasse ich Romba holen!" Das war nun eine Sache, für die man offiziell mit etlichen Jahren Zwangsarbeit auf einem besonders unsympathischen Planeten bestraft werden kann. Aber schließlich hat der Manager eines Lu xusschiffes auf alles vorbereitet zu sein. Das Romba kam - übri gens eine ziemlich stinkige und unappetitliche Sache -, und der Kleine stürzte es auf einen Zug hinunter. Inzwischen hatte die Kommandantin ihre Leute wieder hinaus geschickt. Dad hingegen saß so gemütlich in seinem Sessel, als wolle er den Rest der Reise dort verbringen. Helmers betrachtete den kleinen Kerl, als müsse er jedes seiner Worte auswendig ler nen. - Und mich, den „Entdecker" unseres Gastes, konnte sie ja nun wirklich schlecht wieder ins Vorzimmer schicken. „Ihr wißt ja alle nicht, was gespielt wird!" sagte der Kleine jetzt befriedigt. Das Romba begann schon zu wirken. „Aber ich kann es euch ja ruhig erzählen. Jetzt ist es ja doch zu spät!" Er sah sich stolz im Kreis um; seine eigenen Sorgen schien er im Augenblick vergessen zu haben. „Wenn der Chef die Stagmiden losläßt, dann müssen sie alle pa rieren - denn er allein weiß, wie man mit ihnen fertig wird. Das stolze Sol wird zu Kreuze kriechen - Alpha Centauri und Sirius und Prokyon und alle - alle - alle! Die Trottel! Die Idioten! Haha hahihihihihihi!" Er brach in sinnloses Kichern aus. Der Manager erhob sich wortlos und schlug den Kleinen - mit würdig ernster Miene - ein paarmal mit dem Handrücken ins Ge sicht, daß er fast an die Wand flog. Vielleicht ist das die beste Methode, Rombatrinker zu ernüchtern - aber es machte mir den Manager noch unsympathischer als zuvor. „Weiter! Der Chef kann die Stagmiden loslassen, und er allein weiß, wie man mit ihnen fertig wird", wiederholte er ruhig. „Wer ist der Chef?"
„Das weiß ich nicht!" sagte der Rombatrinker kleinlaut. „Das weiß keiner von uns kleinen Leuten - ich habe ihn noch nie gese hen!" Der Manager zuckte die Achseln. „Nun gut. Was macht der Chef mit den Stagmiden?" Der Kleine blinzelte listig. „Er schickt sie überallhin - in alle Systeme, auf alle Planeten, und dann - eines Tages - läßt er sie los. Und dann kracht's!" Wieder schien ihm dieser Gedanke ungeheuren Spaß zu berei ten, und er kam erst nach einer neuen Lektion von der Hand des Managers wieder zu sich. „Wie schickt der Chef die Stagmiden los?" fragte der Manager weiter. Der Gefangene kicherte wieder. „Das ist ja der Spaß - er schickt sie als Geschenke! Und die Trottel freuen sich noch mächtig darüber und sagen danke schön! Und sie stellen die Stagmiden in ihre Museen und ihre Vorhallen und überallhin! Als Altertümer - als Antiquitäten!" Dad beugte sich mit einem Ruck vor. „Aus den Ruinen des Altars von Krra?" fragte er scharf. Der Kleine nickte zutraulich. „Ganz recht, ganz recht! Vom Altar in Krra! Hurra, hurra, hurra!" „Sagen Sie mal, mußten Sie dem Kerl Romba geben?" fragte die Kommandantin halblaut. „Ich mußte es!" sagte der Manager verweisend. „Also diese Sache mit dem Altar von Krra ist faul. Das fand ich schon immer!" sagte Dad. „Dieser Professor Glohun hatte die ganzen Ausgrabungen sowieso wie einen regelrechten Zirkus auf gezogen, und die Propaganda, die er für seine Funde machte, war schon kaum mehr wissenschaftlich zu nennen. Aber daß so etwas dahintersteckte -" „Ja, das habt ihr alle nicht gedacht!" strahlte der Kleine. „Der Chef hat herausgefunden, wie man die Stagmiden betäubt oder so. Er packt sie in alte Standbilder oder Krüge und schickt sie überallhin. - Da staunt ihr!" Plötzlich verzog sich sein Gesicht weinerlich. „Aber, daß er einen Stagmiden hier an Bord schickt, das ist schofel! Er weiß doch, daß der kleine Timothy hier ist, der arme kleine Timothy!" Von Mitleid mit sich selbst übermannt, brach er in Schluchzen aus. Der Manager legte ihm den Arm um die Schulter.
„Paß auf, Timothy! Damit dem armen kleinen Timothy nichts geschieht, muß er jetzt ganz genau alles erzählen, was er über die Stagmiden und den Chef weiß. Dann können wir den Stagmi den auch betäuben, und er tut Timothy nichts!" „Ja?!" Der Kleine sah ihn ungläubig an. „Bestimmt, mein Junge!" knurrte Helmers. „Erzähl du nur schön alles, was du weißt!" Langsam schien der Einfluß des Romba nachzulassen, denn jetzt sprach Timothy ganz manierlich: „Irgendwann - vor langer Zeit schon hat der Chef den Trick mit den Stagmiden herausgefunden. Ich weiß aber nichts darüber. Nur, daß es etwas mit dem Altar von Krra zu tun hat. Da müssen wohl Stagmiden im Winterschlaf gelegen haben - oder so. Dann hat der Chef überlegt und sich gesagt: Sol beherrscht alle ande ren Systeme, weil die äußeren Welten dort alles kaufen müssen, was sie selbst nicht haben: Rohstoffe, Roboter, andere Maschi nen, Medikamente - alles mögliche. Kein System könnte ohne Sol existieren, aber Sol selbst ist ein altes System. Dort gibt es alles, was man braucht. Sol ist unabhängig. Wenn man jetzt etwas fin det, womit Sol auch von einem jungen System abhängig wird, dann sieht die Sache schon anders aus! Und wenn man Sol die Stagmiden auf den Hals schickt, dann muß Sol zu Kreuze krie chen! Und alle anderen Systeme auch, denen man Stagmiden geschickt hat! Ja!" Er nickte stolz, als sei das alles seine eigene Idee gewesen. „Und dann ist er auf den Trick mit den Altertümern gekommen. Das ist die richtige Masche, hat er sich gesagt, um meine Stagmi den überall hinzubringen. Und wir haben ihm dabei geholfen! Was meint ihr, wie hübsche Altertümer ich um die Stagmiden herum gebaut habe! Ich hatte schon immer eine künstlerische Ader, ja! Hab schon immer nebenher modelliert und gebildhauert, ehe die Agenten von Sol mich ruiniert haben!" Plötzlich schlug seine Stimmung wieder um. „Ja - ruiniert - den armen Timothy! Und jetzt hat mir auch noch der Chef den Stagmiden nachgeschickt! Alle haben mich verraten. Der Stagmid hat's nur auf mich abge sehen! - Hilfe - Hilfe!" Er war wieder aufgesprungen und beruhigte sich erst, als der Manager ihm wie einem Kind zuredete:
„Ruhig. Timothy, der Stagmid tut dir nichts. Du brauchst keine Angst zu haben. Du hast doch selbst so viele Stagmiden in die Altertümer gepackt." „Ja, aber die waren betäubt!" sagte Timothy wichtig. „Die hat ten auch keine solchen langen Arme - die waren ganz rund. Der hier ist anders. Der ist ja aktiv!" Dad sah sich unwillkürlich um, und seinem Blick folgend, sah ich ein roh montiertes Skalenfeld an der Wand. Strahlungsmessun gen aus den Räumen rings um den Blauen Salon. Soviel ich sehen konnte, war der Stagmid im Augenblick nicht sonderlich „aktiv". „Wie war das mit dem Agenten - und dem Chef an Bord?" fragte die Kommandantin. Timothy lächelte breit und gönnerhaft. „Sol hat einen Agenten geschickt. Sol schickt immer Agenten! Herausbekommen hat er ja nicht viel, und es ist ja auch viel zu spät. Wir haben schon so eine Menge von Stagmiden auf die Pla neten Sols geschickt, ja! Aber als der Chef erfuhr, daß der Agent zur Erde zurückwill, hat er mir sagen lassen: Timothy, geh an Bord der OMEGA. Ich werde auch kommen und mir diesen Agen ten vornehmen. Aber ich will noch einen Helfer in der Nähe ha ben. Ich werde mit dir Verbindung aufnehmen, und dann schnap pen wir uns den Kerl und fliegen nach Sol weiter. Da kommen wird gerade an, wenn das Feuerwerk losgeht, wenn die Stagmi den dort aufwachen! Aber was ist jetzt passiert?! Anstatt selbst zu kommen, schickt er einen von seinen Stagmiden an Bord, da mit der Agent draufgeht - und ich mit! Ist das fair, frage ich? Ist das etwa fair gegen den armen kleinen -" „- Timothy!" ergänzte Helmers grimmig. „Das ist aber auch nicht fair gegen uns alle hier auf der OMEGA III, nicht wahr, Ti mothy?" Der Rombatrinker wiegte überlegend den Kopf. „Nein - ist es auch nicht!" stimmte er schließlich zu. „Dann hilf uns also, mit dem Stagmiden fertigzuwerden!" fiel der Manager ein. „Sonst kannst du dem Chef nie mehr deine Meinung sagen!" „Das wäre ein Jammer! Chef, werde ich sagen, das war nicht fair, werde ich sagen - das mit dem Stagmiden, das war nicht fair, werde ich -", brabbelte er weiter vor sich hin und kippte plötzlich um. Wenn ihn Helmers nicht aufgefangen hätte, wäre er der Länge nach zu Boden geschlagen.
„Das ist das dritte Stadium des Rombarausches. Jetzt ist er für ein paar Stunden im Paradies!" erläuterte der Manager. Wir waren darüber zwar wenig erbaut - es gab schließlich noch genug Fragen an Timothy -, aber der Manager erklärte, ohne Romba wäre der Kleine wahrscheinlich nach all den Aufregungen sofort umgekippt. So habe er wenigstens noch das Wichtigste berichten können. Und das war ja nun auch völlig genug. Nicht allein, daß wir ei nen lebensgefährlichen Stagmiden an Bord hatten - offenbar schwirrte die ganze Milchstraße, soweit sie überhaupt erschlossen war, von solchen Biestern, die irgendein mysteriöser „Chef" ge schickt getarnt überallhin verschickt hatte, um sie eines Tages „loszulassen". Und speziell in Sol - dem guten alten Sonnensys tem - wartete eine Menge auf uns. wenn wir dort ankamen. Falls wir dort ankamen, hätte ich besser sagen sollen. Denn wenn Timothy mit seiner Vermutung recht hatte, daß der Chef die OMEGA III zum Teufel jagen wollte, nur damit irgendein „Agent von Sol" nicht mehr lebend nach Hause kam… „Damit", sagte die Kommandantin schweratmend, „haben wir unsere Sammlung von Stagmiden-Experten ja nun weiter vergrö ßert! Da ist erst einmal der große Chef, der weiß, wie man Stag miden betäubt, der aber wohlweislich nicht an Bord gekommen ist. Dann haben wir diesen Agenten von Sol, der auch soviel von Stagmiden weiß, daß der Chef ihn nicht entkommen lassen will! Wo steckt nun dieser Agent?" „Das", sagte Dad liebenswürdig und erhob sich aus seinem Ses sel, „ist nun schwerlich ein Problem der interstellaren Kulturge schichte. Ich persönlich zweifle überhaupt daran, ob wir diese letzten Faseleien des Rombatrinkers so ernst nehmen sollen, denn gerade diese Agentengeschichte klingt doch reichlich nach Verfolgungswahn. Viel wichtiger scheint mir der Gedanke, daß man einen Stagmiden durch irgendein Mittel betäuben könnte, oder daß die Stagmiden eine Art Winterschlaf durchmachen sol len. Das würde ihr Verschwinden vor ein paar hundert Jahren recht gut erklären. Ich möchte jetzt gar zu gern mal einige mei ner Aufzeichnungen in Ruhe durchsehen, um etwas Nützliches in dieser Richtung auszugraben - ich habe schließlich damals die Stagmiden nur vom Gesichtspunkt des Geschichtsforschers aus betrachtet und nicht von dem des Dompteurs! Leicht möglich, daß ich etwas Wertvolles übersehen habe!
Sorgen Sie inzwischen dafür, daß niemand in den Blauen Salon kommen kann, ehe wir mehr über den Stagmiden wissen! Sollte etwas Besonderes passieren, dann erreichen Sie mich in meiner Kabine! - Komm, Job, jetzt wühlen wir erst mal in den Mikrofilm spulen!" Er ergriff meinen Arm und steuerte zur Tür. „Zur Kabine, Robert!" sagte ich befehlend, und der Roboter übernahm die Führung. Ich hatte Verständnis dafür, daß Dad sich jetzt erst einmal die Dinge in Ruhe überlegen wollte, mehr Ver ständnis sogar, als er wahrscheinlich im Augenblick ahnte. * Man könnte sich fragen, warum wir alle die phantastischen Eröff nungen des kleinen Timothy mit solcher Gemütsruhe aufnahmen und nicht etwa in höchster Eile versuchten, Sol und die anderen bedrohten Systeme zu warnen. Das lag nicht etwa daran, daß wir ihm nicht glaubten - Rombatrinker erzählten zwar zuweilen tolle Geschichten, aber in diesem Fall wäre es bestimmt sicherer ge wesen, Alarm zu schlagen, selbst auf die Gefahr hin, daß es ein blinder Alarm war. Der Grund lag viel näher. Wir konnten nämlich niemanden warnen. Trotz aller Versuche gibt es bis heute noch kein Fernmeldever fahren, mit dem man die Distanz zwischen zwei Sonnensystemen - oder in unserem Fall zwischen einem Raumschiff und seinem Ziel - überbrücken kann. Freie Ausstrahlung ist sowieso aussichtslos. - Wieviel Energie entfällt schon auf so ein winziges Fleckchen wie etwa Sol von Alpha Centauri aus gesehen, wenn sie sich nach allen Seiten aus breitet! - Und einen Richtstrahler, der auf Distanzen von ein paar Lichtjahren noch genau zielen kann, gibt es auch nicht. Abgese hen davon würde jedes Signal unterwegs durch kosmische Stö rungen verunstaltet werden - und als letztes Argument wäre vor zubringen, daß so ein Signal ja höchstens mit Lichtgeschwindig keit durch den Raum sausen könnte. Also nur fünf Promille schneller als unser Schiff selbst. So konnten wir unsere Geschichte ebenso gleich selbst erzählen - sofern wir heil ankamen, und sofern man auf Sol nicht bereits
soviel mit Stagmiden zu tun hatte, daß man sich um uns gar nicht mehr kümmern konnte. Das Wichtigste war auf alle Fälle, erst einmal mit unserem eige nen Stagmiden fertigzuwerden, ehe wir anderen Warnungen oder gute Ratschläge geben wollten. So wühlte Dad kräftig in seinem Mikrofilmspulenarchiv, gelegentlich Notizen in den Umschreiber diktierend - während ich allerlei Gedanken sortierte, die mir in zwischen gekommen waren. Unsere Kabine lag in Kugel C, der hintersten, ziemlich weit von dem Stagmiden entfernt, der im Blauen Salon der Kugel B saß. Es traf sich überhaupt glücklich, daß alle Passagierkabinen in C la gen, und daß es dort auch genügend Aufenthaltsräume gab; so hatte man die Passagiere hier gut unterbringen können, ohne daß es zu sehr auffiel. Kugel B - mit den Mannschafts- und Kommandoräumen, dem Frachtraum und nur wenigen für Passagiere bestimmten Sälen, wie eben dem Blauen Salon, war jetzt durch eine Wache am Durchgang abgesperrt, die höflich aber bestimmt alle Passagiere abwies. „Ich habe", sagte Dad nachdenklich, „in meiner Doktorarbeit damals den Stagmiden mit einem alten Fabeltier verglichen: Mit dem Basilisken..." „Das war dieses Biest, dessen Blick die Menschen versteinerte?" warf ich, meine gute Allgemeinbildung beweisend, ein. Dad nickte. „Aus dem Ei eines Hahnes mit des Teufels Hilfe aus gebrütet, war der Basilisk unverwundbar. Denn was sein Blick traf, das wurde zu Stein - Tier oder Mensch. Und trotzdem gab es - der Sage nach - Männer, die einen Basilisken erlegt haben." Ich spielte mit dem Verschlußgitter des Ventilationsschachtes, das eine unangenehme Neigung hatte, aus der Wand zu fallen und mir jedesmal genau vor die Schienbeine zu kippen, eigentlich eine Schlamperei auf einem Luxusschiff! Ich hatte ganz andere Dinge im Kopf als Basilisken, aber ich fragte höflich: „Und wie machten sie das?" Dad grinste. „Sie trugen Kleider, die über und über mit Spiegeln besetzt waren. Wenn der Basilisk sie dann anschaute, sah er sein eigenes Bild und wurde prompt selbst zu Stein!" „Glaubst du eigentlich den Unsinn mit dem geheimnisvollen Agenten?" lenkte ich ab.
Dad sah mich nachdenklich an. „Warum sollte der Stagmid sonst an Bord sein?" Ich lehnte mich in den Plastiksessel zurück. „Weil er in unserem Gepäck war!" Dad beugte sich vor und kniff die Augen zusammen. Etwas un heimlich war mir jetzt schon zumute - aber ich konnte nicht mehr zurück. „Du erinnerst dich", fuhr ich entschlossen fort, „daß bei den Ausgrabungen Kisten der Krra-Expedition im gleichen Schuppen lagerten wie unsere. Und du wirst dich auch erinnern, daß du ei nes Nachts mit zwei Robotern eine solche Kiste zu unseren herü bergeholt und dafür eine von uns zu den Krra-Leuten geschoben hast; mit vertauschten Anschriften natürlich!" Dad war aufgesprungen und ging ein paar Schritte in der Kabine auf und ab. „Woher willst du das wissen?" fragte er leichthin. „Die Roboter haben es Robert C erzählst. Du hattest ihnen ein geschärft, es dürfe kein Mensch erfahren. Aber Robert C ist ja kein Mensch!" Dad blieb vor mir stehen. Er ist immerhin fast zwei Meter groß, und ich fühlte mich etwas unbehaglich unter seinem Blick. „Gut! Angenommen, ich habe also die Kiste der Krra-Expedition gestohlen. Das würde erklären, wie ein in ihr verborgener Stag mid an Bord gekommen ist. Aber wie willst du erklären, warum ich eine Kiste gestohlen und mit an Bord gebracht habe?" Ich mußte einmal schlucken, bevor ich weitersprach, versuchte das aber als Kunstpause zu tarnen und brachte dann, so beiläufig wie möglich, hervor: „Weil du der Agent von Sol bist - natürlich!" Wieder schob Dad die Unterlippe vor, wollte etwas antworten, überlegte es sich aber anders und nahm seine Wanderung durch die Kabine wieder auf. Schließlich blieb er mit dem Rücken zu mir stehen und fragte, während er an dem Mikrofilmgerät herums pielte: „Das ist ein recht weitgehender Schluß aus diesem einen Indiz, nicht wahr?" Wieder holte ich tief Atem. „Das ist nicht mein einziges Indiz, Dad. Ich gebe zu, es könnte ein Zufall sein, daß ausgerechnet du diese Kiste gestohlen hast. Es könnte ein Zufall sein, daß ausgerechnet ein Mann, der seine
Doktorarbeit über Stagmiden gemacht hat, erst auf einem Plane ten und dann auf einem Schiff auftaucht, wo die Stagmiden eine so große Rolle spielen. - Es könnte ein Zufall sein, daß in einer Affäre, in der es um gefälschte Altertümer geht, ein Vorge schichtsforscher auftaucht. - Aber wenn das immer wieder der gleiche Mann ist, dann wird ein Zufall schon reichlich unwahr scheinlich. Und wenn ich mir überlege, daß du in den letzten Jah ren Ausgrabungen auf Prokyon IV gemacht hast, wo anschließend eine Deportiertenrevolte niedergeschlagen wurde; und auf Sigma, wo die große Bestechungsaffäre aufgedeckt wurde, und auf Loren III, wo der Gouverneur am Tage deiner Abreise Selbstmord be ging, dann häufen sich die ,Zufälle' derart, daß es einfacher ist, eine andere Erklärung zu suchen!" Dad nickte, aber er drehte sich noch immer nicht um. „Ein Vorgeschichtsforscher ist zudem ein Mann, der sehr viele Möglichkeiten hat. Er kann überall herumkriechen, ohne daß es allzu verdächtig ist, er kann die Leute mit prächtigen Vorwänden ausfragen, er kann Roboter mitbringen, so viele er will, und sein Gepäck kann die seltsamsten Dinge enthalten, ohne daß man stutzig wird." Er nickte wieder und wandte sich dann langsam um. „Ausgezeichnet und logisch geschlossen, Job. Du könntest noch hinzufügen: Warum lasse ich dich ausgerechnet auf Horos studie ren, anstatt in Sol, was doch viel näher läge? Antwort: Damit du nicht durch Zufall etwas über meine wirklichen Aufgaben im Dienst der Zentralregierung erfahren solltest!" Er ließ sich wieder mir gegenüber in den Sessel fallen. „Das ist ja nun prächtig miß lungen. Aber - nachdem die Katze einmal aus dem Sack ist - was folgt daraus?" Ich atmete auf. Es schien so, als habe sich Dad mit der Sache abgefunden und wollte mich jetzt auf die Probe stellen. „Als Wichtigstes", begann ich, „folgt daraus, daß Timothys Theorie falsch ist. Nicht der große Chef hat den Stagmiden an Bord gebracht - sondern du. Wahrscheinlich ganz ohne besondere Absicht, ohne zu wissen, daß in der Kiste ein Stagmid steckte oder?" Dad nickte. „Eigentlich ging es bei der ganzen Sache ursprüng lich um eine Untersuchung von Fälschungen. Die Radiokarbonda ten der Altertümer, die Glohun da so freigiebig in alle Welt ver schickte, stimmten zuweilen nicht recht, und ich sollte ihm auf die
Finger sehen. Allerdings gab es auch Gerüchte über eine Ver schwörung und ein paar zunächst unverständliche Andeutungen über Stagmiden. Wie das alles zusammenhing, habe ich leider erst jetzt herausbekommen. Wie Timothy sehr richtig sagte, et was zu spät!" Ich beugte mich eifrig vor. „Wieso denn zu spät?" widersprach ich. „Wenn Timothy nicht recht hat mit seiner Annahme, daß der Chef den Stagmiden an Bord gebracht hat, dann ist der Chef selbst an Bord, um dir nach zuspionieren. Und wenn er selbst an Bord ist, dann bedroht ihn dieser ,unprogrammäßige' Stagmid genauso wie uns. Er muß ver suchen, ihn außer Gefecht zu setzen, wenn er nicht in seine eige ne Grube fallen will!" Dad applaudierte wieder mit den Fingerspitzen. „Du hast vollkommen recht, Job. Wir haben jetzt noch eine Chance, so ziemlich die letzte in dieser Partie! Ich habe der Kommandantin nicht umsonst eingeschärft, daß man den Stagmi den nicht reizen darf, und daß ihm alles und jeder an Bord fern gehalten werden muß. Ich will nämlich vermeiden, daß der Chef sich leise und heimlich in den Blauen Salon schleicht, dem Stag miden seine Schlaftabletten verabreicht und fröhlich nach Sol weiterfährt, ohne daß wir auch nur einen Deut klüger geworden sind! Der Stagmid im Blauen Salon ist eine Art Köder, auf den der Chef anbeißen muß - wenn er nicht riskieren will, daß das Schiff unterwegs zerschmilzt. Und da er nur über die Kommandantin den Blauen Salon kom men kann, muß er sich ganz offiziell als Stagmidenjäger anmel den, und darauf warte ich jetzt!" Er lehnte sich zurück und streckte sich. „Aber was folgt aus dieser Lage nun für uns beide?" fragte er. „Nun -", sagte ich, „die erste Frage ist: Weiß der Chef, daß du der Agent bist - oder weiß er nur, daß irgendein Agent an Bord ist?" Dad beugte sich vor und drückte seine Zigarette aus. „Es war mein Fehler, dich in die ganze Sache überhaupt hinein zuziehen. Es sah damals aus wie eine gute Idee, weil du ja im selben System studiertest und meine Visite dadurch einen netten privaten Anstrich bekam. Aber ich hatte deine Fähigkeit zu kom binieren unterschätzt."
Er stand auf und trat zu einem der eingebauten Wandschränke. Mir den Rücken zuwendend, fuhr er fort: „Woraus du ersiehst, daß selbst ein erfahrener Agent einmal Fehler macht. Aber der Unterschied zwischen einem erfahrenen Agenten und einem sträflichen Narren ist, daß er solche Fehler nur einmal begeht und dann seine Mitwisser ausschaltet." Er drehte sich um und sah mich scharf an. In seiner Hand blink te eine Injektionsspritze. „Es tut mir leid, Junge", sagte er, „aber für die nächsten vie rundzwanzig Stunden bist du in deiner Koje am besten aufgeho ben. Du mußt immerhin bedenken, hier geht es nicht um ein Ge sellschaftsspiel, sondern um eine Verschwörung gegen ein Dut zend Planeten. Und so intelligent du bist, Job, dafür hast du in deinen Jahren noch nicht das Format. Davon läßt du die Finger, verstanden!" Meine anfängliche Bestürzung begann einer eiskalten Wut zu weichen. O ja, ich verstand. Es ging zwar unter anderem auch darum, ob ich diese Fahrt auf der OMEGA III lebend überstehen und ob ich anschließend in einer von Sol beherrschten Galaxis leben würde oder unter der Diktatur eines unbekannten „Chefs". Aber „in meinen Jahren" mußte ich solche Dinge natürlich ande ren überlassen. Ich hatte ja schließlich auch den Stagmiden nicht an Bord gebracht, und auch nicht versäumt, das Spiel des „Chefs" rechtzeitig zu durchschauen. Das alles war ja das Werk des gro ßen Paran Ingor, und es genügte völlig, wenn ich später die Sup pe auslöffelte, die er eingebrockt hatte! Dad sah mir wohl etwas von meinen Gefühlen an, denn er sagte nun mit etwas weicherer Stimme: „Mach dir jetzt nichts vor, Job, weil du ein paar gute Ideen ge habt hast. Ideen genügen für so etwas nicht. Kannst du die Ver antwortung für das Schicksal der OMEGA III übernehmen? Könn test du eine Gehirnwäsche überstehen? Könntest du auf einen Menschen schießen, wenn es nötig ist? Erzähl mir nicht, daß du das kannst, Job. Ich habe dein Gesicht gesehen, als der Manager den kleinen Timothy schlug. Übrigens nehme ich dir das gar nicht übel. Ich selbst hatte für solche Dinge in deinem Alter auch nicht die Nerven. Aber siehst du nicht auch ein, daß sich jeder meiner Gegner begeistert gerade auf diese schwache Stelle stürzen wür de? Das kann ich nicht riskieren, Job. das geht einfach nicht!" Ich sprang auf und sah Dad mit weit aufgerissenen Augen an.
„Du meinst, sie könnten mich entführen? Und foltern - oder -" Er nickte ernst. „Wenn ich der Chef wäre, würde ich das für eine recht gute Idee halten. Und allein deshalb darf ich dich jetzt eine Weile nicht frei und jedem Angriff ausgesetzt herumlaufen lassen." „Aber betäubt und hilflos ins Bett packen willst du mich?!" Die Frage hatte einen hysterischen Unterton. „Unsinn!" sagte Dad irritiert. „Robert C wird auf dich aufpas sen!" „Und du?" Meine Stimme wurde schrill. „Du läßt mich allein hier liegen? Das kannst du nicht - das will ich nicht! Ich will ja gern die ganze Zeit über in der Kabine bleiben, be stimmt! Aber tu doch die Spritze weg - ich -" Während ich sprach, war ich bis in die äußerste Ecke der Kabine zurückgewichen. Man sah Dad an, daß ihm die ganze Szene wi derlich war. Natürlich hatte er mir einen Schrecken einjagen wol len, damit ich auf seine Pläne einging. Aber daß ich jetzt gleich „durchzudrehen" begann, gefiel ihm gar nicht. „Reiß dich zusammen, Job!" sagte er scharf. „Rühr mich nicht an!" kreischte ich. „Rühr mich nicht an - ich will nicht - du -" Und damit verdrehte ich die Augen und kippte um. Dad sah ei nen Augenblick auf mich herab, dann wandte er sich achselzu ckend um und hob die Injektionsspritze gegen das Licht, um sie aus der Ampulle zu füllen. Woraus man ersieht, daß selbst die erfahrensten Agenten zu weilen auf die dümmsten Tricks hereinfallen. In Gedanken machte ich eine dankbare Reverenz vor dem alten Signor Biruccio, der auf der Akademie Literatur und Rhetorik gab. Seine These, Schauspiele selbst aufzuführen, sei für unsere Bil dung genauso wichtig, wie die Kenntnis der Werke der Weltlitera tur, war mir nie recht eingegangen - und daß er mir bei dieser Theaterspielerei wegen meiner etwas zierlichen Figur dauernd Frauenrollen verpaßte, hatte ich ihm sogar übelgenommen. Aber jedenfalls hatte ich bei ihm gelernt, wie man in Ohnmacht fällt. Daß es eine Glanzleistung war, plötzlich einen hysterischen Angstanfall zu mimen, will ich nicht behaupten, aber ich hatte Dad von der ganzen Schauspielerei nie etwas erzählt, weil es mir einfach zu albern war: und so kam er gar nicht auf die Idee, ich könnte ihm eine Komödie vorspielen. Ich benahm mich ja genau
so, wie es wohl der kleine Junge getan hätte, als den er mich noch immer ansah. Natürlich waren es nur Sekunden, die ich gewonnen hatte, wäh rend er jetzt die Spritze füllte, aber sie genügten. Nicht umsonst war ich gerade in diese Ecke der Kabine zurückgewichen. Denn jetzt lagen meine Füße genau vor dem Ventilationsschacht der Klimaanlage. Über das lose Gitter hatte ich mich ja schon ein paarmal geär gert, aber jetzt kam es mir sehr zustatten. Ich richtete mich blitzschnell halb auf, riß das Gitter aus der Wand und rutschte mit der gleichen Bewegung mit den Beinen in den Schacht hinein. Als Dad auf das Geräusch hin herumfuhr, sah er nur noch meinen Kopf durch das viereckige Loch verschwin den. Und dann sauste ich durch den engen Schacht nach unten. Ich hatte einmal hineingeschaut und erinnerte mich an ein Drahtgit ter, das ein paar Meter tiefer die Röhre unterbrach und über dem zwei Seitenkanäle mündeten, in denen ich hätte verschwinden können. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, daß dieses Gitter unter der Wucht meines Falles nachgeben würde. Hört denn dieser Schacht nie auf? fuhr es mir durch den Kopf, während ich fiel. Genau als ich bei diesem Gedanken angekommen war, hörte der Schacht auf - und zwar mit einem Staubsack. Das hatte den Vorteil, daß ich aus meinem Fall sehr sanft und schmerzlos abgebremst wurde, aber den Nachteil, daß mir der Staub von einigen Dutzend Kabinen gesammelt in Augen, Nase und Mund geriet, so daß ich vor Tränen kaum mehr sehen, vor Husten kaum mehr atmen und vor Niesen auch kaum mehr den ken konnte. Erst nach geraumer Zeit kam ich einigermaßen wie der zu mir und warf einen vorsichtigen Blick nach oben. Ein paar Meter über mir drang ein schwacher Lichtschein in den Schacht, wahrscheinlich aus dem Ventilationsgitter einer anderen Kabine. Aber wie da hinaufkommen? Mit einiger Mühe löste ich meine Beine aus dem Filtergewebe des Staubsacks und versuchte, mich wie ein Kaminkletterer ge gen die Schachtwandungen abzustemmen. Erstaunlicherweise hatte ich damit sogar Erfolg. Wahrscheinlich, weil ich eine knapp sitzende Jacke aus einem glänzenden Plastißzeug trug, das sich an den glattpolierten Wänden gleichsam festsaugte. Ich kam mir
zwar vor wie der berühmte Wurm in dem Rechenexempel, der immer einen Meter hochkriecht und dann einen halben Meter wieder hinunterrutscht, aber schließlich guckte ich doch durch die Maschen des Gitters in eine Kabine. Ein recht erfreulicher Fortschritt war, daß sich dieses Gitter mit meinem Tronium-Messer unschwer losmachen ließ. Aber was würden die Inhaber dieser Kabine sagen, wenn plötzlich ein staubbedeckter junger Mann aus dem Lüftungsschacht zu ihnen hereingeklettert kam? Ich beschloß, das Risiko auf mich zu nehmen. Im Notfall konnte ich mich immer für einen Monteur ausgeben, der Reparaturarbei ten an der Klimaanlage auszuführen hatte. Ich setzte das Messer an und hatte das Gitter unerwartet rasch soweit gelockert, daß es ganz ohne mein Zutun in die Kabine fiel. Es machte einen erheblichen Lärm, aber sonst blieb alles ruhig. Entweder waren die Anwesenden vor Schreck gelähmt, oder ich hatte unheimliches Glück gehabt und eine leere Kabine erwischt. Ich packte den Rahmen, der das Ventilationsloch einfaßte, und schwang mich in den Raum. Wenn ich geglaubt hatte, daß unsere Kabine recht nobel einge richtet war, dann mußte ich das jetzt korrigieren. Gegenüber die ser hier war sie eine kärglich ausgestattete Mönchszelle. Ich ver sank geradezu in einem weißen weichen Teppich, als ich auf den Knien in den Raum krabbelte, und hinterließ eine dunkle Staub spur. Als ich mich umsah, fiel mein Blick auf echte Holzmöbel, wie man sie fast nur noch aus alten Büchern kennt, auf mit weißer Seide bespannte Wände und kostbare Miniaturen. Ich fühlte mich - von oben bis unten mit Staub beschmiert - hier ziemlich fehl am Platz. Auf Zehenspitzen schlich ich zur nächsten Tür. „Gnä' Frau wünschen?" erkundigte sich eine süße Stimme, als ich die Tür leise und vorsichtig öffnete. Ich fuhr zurück - aber dann sah ich, daß es nur eine Robotzofe war, die diensteifrig her beiglitt. Offenbar war ich in das Ankleidezimmer der „gnä' Frau" geraten, die diese Luxussuite benutzte. Robotzofen müssen - gemessen an meinem braven Robert C unermeßlich blöde Geschöpfe sein. Obgleich es doch nun wahr haftig ziemlich augenscheinlich sein mußte, daß die staubverkrus tete abenteuerliche Gestalt vor ihr nicht die „gnä' Frau" sein konnte, marschierte sie zu dem eingebauten Kleiderschrank und
präsentierte eine schimmernde Robe, wobei sie mit einem Knix meldete: „Zum Tee empfiehlt sich heute dieses Kleid - Modell Ynial, Kelchform, mit aparten Glanzeffekten -", und der Himmel weiß, was mir noch vorgekaut worden wäre, wenn ich sie nicht unterb rochen hätte. „Wo kann man sich hier brausen?" Sie blinkte ein paarmal mit großen bläulichen Augen, als sei es ihr ganz unverständlich, daß ich das nicht wußte, und hauchte dann: „Hier, gnä' Frau!", indem sie eine zweite Tür zu einer Brau sekabine öffnete. Ich verzichtete darauf, der Guten klarzumachen, daß ich weder gnädige, noch eine Frau sei, und streifte erst einmal die dreckigen Sachen ab. So konnte ich ja schließlich nicht weiter herumlaufen, wenn mir nicht jeder ansehen sollte, daß ich aus einem Ventilati onsschacht kam! Der Schacht mußte eine leichte Biegung haben, denn ich hatte hochblickend das obere Ende nicht mehr sehen können. Dennoch konnte ich mir ziemlich gut vorstellen, was ich dort entdeckt hät te. Dads Gesicht starrte seinem so unerwartet entschwundenen Sohn, wahrscheinlich nicht allzu geistreich, nach. Aber ich kannte Dad gut genug, um zu wissen, daß es nicht lange beim Starren bleiben würde. Großalarm konnte er nicht geben. Aber auch ohne das gab es für ihn genug Möglichkeiten. Er würde sich wohl zunächst einmal einen Plan der Kugel C beschaffen und nachsehen, wohin der Schacht führte. Ein Stereo dieses Planes konnte er sich in Minuten von der Kommandantin auf den Stereowürfel in unserer Kabine übertragen lassen, ohne daß man dabei etwas Ungewöhnliches finden würde. Wenn in diesem Plan auch der Staubsack eingetragen war, konnte er sich ganz nett ausrechnen, wo meine Reise ihr Ende gefunden hatte. Während ich mir das warme, scheußlich parfümierte Wasser über den Leib rinnen ließ und mich vom „Staub der Reise" befrei te, kam mir plötzlich sehr unangenehm zum Bewußtsein, daß ich Dads Visite in dieser Kabinenflucht in Kürze erwarten konnte. Und gerade als ich soweit gekommen war, klopfte es an die Tür. Ich sah mich suchend um, aber es gab im Augenblick für mich, der ich splitternackt und triefend unter der Brause stand, kein
vernünftiges Versteck. Ich konnte nur die Tür der Brausekabine hinter mir zuziehen und abwarten, was nun kommen würde. Vielleicht wären meine Chancen noch etwas besser gewesen, wenn nicht diese idiotische Robotzofe zur Tür geschwänzelt wäre, sie weit aufgerissen und mit schmelzender Stimme erklärt hätte: „Wir bedauern unendlich, aber Miß Sheila Keith ist augenblick lich nicht in der Lage, Besucher zu empfangen!" Ich hörte - vor Wut zitternd - wie sich jemand durch die Tür schob und ungeachtet der flehentlichen Proteste der Zofe immer näher auf die Brausekabine zukam. Das hatte ich mir ja prächtig eingebrockt - mich von Dad hier nackt unter der Dusche einfan gen zu lassen, wo ich noch nicht einmal die Chance hatte, wieder davonzulaufen. Jetzt waren die Schritte vor der Tür - schwere Schritte, fast zu schwer selbst für einen Mann wie Dad - und jetzt riß der An kömmling die Tür der Kabine auf! „Sie waren in Gefahr, Chef?!" schepperte Robert C. „Ihr Sender registrierte einen Fall von mindestens 15 Metern und gab Alarm signale!" Erleichtert brach ich in lautes Gelächter aus. Der treue Robert! Natürlich war dieser Sturz durch den Schacht von meinem Robot sender, den ich in der Tasche trug, weitergemeldet worden. Und da kein Roboter untätig zusehen kann, wenn ein Mensch in Ge fahr gerät, hatte sich Robert C aufgemacht; um mich zu suchen, geleitet von den Alarmsignalen des Senders, der jetzt mit meinen schmutzigen Kleidern auf dem Boden lag! Ein Glück, daß nur Ro bert sie auffangen konnte - sonst hätte Dad den schönsten Leit strahl zu mir gehabt. Wieder fuhr mir ein Schreck in die Glieder. Wenn Dad nun auf die Idee gekommen war, dem Roboter zu folgen? „Wo ist mein Vater, Robert?" fragte ich schnell. Robert Augen leuchteten auf. „Ich weiß es nicht sicher, Chef, aber wahrscheinlich bei der Kommandantin - es wurde in allen Rundsprechanlagen nach ihm gerufen!" Das war ja nun ein Himmelsgeschenk. Etwas war geschehen, das Dad augenblicklich von mir ablenkte. Nicht, daß er die Suche aufgeben würde! Aber ich hatte wertvolle Zeit gewonnen. Und daß der treue Robert bei mir war, beruhigte mich auch merklich.
Im Vergleich zu der geistesschwachen Robotzofe erschien er mir fast so gut wie ein Mensch. Die Zofe hatte inzwischen die Tür zum Gang wieder geschlos sen; ihre drei Gehirnwindungen brüteten anscheinend noch im mer über dem Problem, wieso ihre „gnä' Frau" während des Ba dens Besucher empfangen konnte. Aber was für einen Namen hatte sie da nur gesagt? Irgendwo her kannte ich den doch? „Robert, wer ist Sheila Keith?" fragte ich. Der Roboter blickte hilflos mit den Augen. „Nie gehört, Chef!" Aber ich hatte den Namen doch gehört - oder gelesen; und das müßte demnach zu einer Zeit gewesen sein, als Robert es nicht mitbekommen konnte - ach ja, im Vorzimmer der Kommandantin! Jetzt fiel es mir wieder ein. Sheila Keith war die Journalistin mit den zwei gebrochenen Rippen, die auf der Liste den Reigen der Verletzten eröffnet hatte. Und so bedauerlich dieses Schicksal der gnädigen Frau an sich sein mochte, so erfreulich war es für uns. Denn es hieß ja, daß Miß Keith ihre Kabine in der nächsten Zeit schwerlich benutzen würde - und daß wir hier Ruhe hatten, über weiteres nachzuden ken. Was hatte ich nun eigentlich vor? Zunächst einmal wollte ich von Dad nicht erwischt werden. Aber genügte das? Wenn ich weiter nichts vorgehabt hätte - dann wäre es ja das einfachste gewesen, ich hätte mir seine Spritze verab folgen lassen! Nein - ich wollte ihm ja beweisen, daß ich durchaus „das For mat" hatte, mit der ganzen Sache hier fertigzuwerden. Und das erreichte ich schwerlich dadurch, daß ich mich in irgendeiner Ka bine versteckte. Ich mußte wieder hinaus und aktiv werden, wenn ich etwas erreichen wollte. Und zwar was? Natürlich den großen Chef finden und ihm das Geheimnis der Stagmiden entlocken. Also: Endziel - den Chef finden. Voraussetzung dazu - Bewe gungsfreiheit. Voraussetzung dazu - von Dad nicht erwischt wer den. „Gnä' Frau, wünschen gnä' Frau Massage?" erkundigte sich die Robotzofe ergeben, als ich aus der Badekabine trat. Ich hätte sie ohrfeigen können, wenn das nicht bei einem Metall-Plastik-Wesen für mich schmerzhaft gewesen wäre.
„Ich wünsche gar nichts!" sagte ich wütend. „Wünschen gnä' Frau auch nicht das Kleid zum Tee?!" fragte die Zofe zutiefst verwirrt. Ich war gerade im Begriff, ihr mit unmißverständlichen Worten klarzumachen, daß ich. weder Kleider noch sonstige Spezialeffek te wünschte - als mich plötzlich die Erkenntnis überkam, daß mir diese Robotzofe schon die ganze Zeit über die Lösung für mein Problem präsentierte. Eine Lösung, die Dad bestimmt nicht vermuten würde, eine Lö sung, die im Gegenteil geradezu nach Maß auf alle psychologi schen Schwächen paßte, die er überhaupt besaß, die mir Bewe gungsfreiheit gab, soviel ich wollte - und die mich überdies nur eine Handbewegung kostete. „Stop - Kommando zurück, meine Beste!" sagte ich. „Ich wün sche das Kleid zum Tee - und die ganze übrige Kriegsbemalung einer gnädigen Frau!" Die Journalistin „Sehr wohl, gnä' Frau!" erwiderte die Robotzofe erleichtert. Ihr Weltbild, das durch die vorangegangenen Ereignisse schon arg ins Schwanken geraten war. begann sich wieder zu festigen. „Also fang an!" sagte ich ungeduldig, aber die Zofe klapperte nur hilflos mit den Augendeckeln, die - was ich höchst ge schmackvoll fand - mit langen bronzenen Wimpern besetzt war en. Ich wandte mich an Robert C. „Wie macht man dieser geistig minderbemittelten Robotessa klar, daß sie mich als Frau anziehen soll?" Roberts Augen leuchteten auf. „Chef, Sie dürfen nicht zuviel verlangen! Sie ist ein Modell CV HD und kann nur ganz bestimm te, einfache Informationen aufnehmen. Aber die wird sie zu Ihrer größten Zufriedenheit ausführen. Sie haben sie jetzt ganz ver wirrt!" Wenn ein Roboter überhaupt Gefühle zeigen kann, dann war Robert C jetzt gekränkt - offenbar hatten ihm seine Erbauer ir gendein Analogon zu den üblichen Kavalierspflichten eingebaut. Aber nachdem ich ihm noch einmal deutlich gesagt hatte, was ich wollte, begann er ihr in Worten von höchstens zwei Silben ausei
nanderzusetzen, was sie tun sollte, und ihre bläulichen Augen richteten sich nur noch auf ihn. Inzwischen kontrollierte ich noch einmal alle Konsequenzen meiner großen Idee. Wenn ich mich als Dame kostümierte, würde mich niemand auf den ersten Blick wiedererkennen, der mich vorher nur als Stereo bild gesehen hatte. Damit waren eventuelle Suchkommandos Raumschiffer oder Stewards - zunächst einmal ausgeschaltet. Dank Signor Biruccios Theaterleidenschaft wußte ich einigerma ßen, wie man sich als Frau zu bewegen und zu benehmen hat. Ich traute es mir durchaus zu, ein argloses Publikum zu täuschen schließlich hatte ich an die zwanzigmal erfolgreich die „Diva" ge spielt. Der einzige, dem ich genug Scharfblick zugetraut hätte, die Maskerade zu durchschauen - nämlich Dad -, wußte von meinen schauspielerischen Fähigkeiten nichts. Und wenn es etwas gibt, was ein Vater einfach instinktiv nicht von seinem hoffnungsvollen Sohn erwartet, dann, daß er plötzlich in Röcken herumläuft. Aber die Sache hatte noch weitere positive Seiten: Diese Sheila Keith war - von allen denkbaren Beschäftigungen für eine elegan te Dame - ausgerechnet Journalistin, gehörte also jener Zunft von Menschen an, bei denen man Neugierde nicht nur versteht, son dern geradezu erwartet. Wenn ich in aller Öffentlichkeit Nachforschungen anstellen woll te, um dem „großen Chef" auf die Sprünge zu kommen - dann konnte ich mir gar keine bessere Tarnung wünschen. Und darüber hinaus lag die wirkliche Sheila Keith mit ge quetschten Rippen irgendwo in einem Lazarett des Schiffes, war also vorerst „außer Zirkulation" - wobei, wie mir jetzt erst klar wurde, die einzige Meldung darüber in meiner Tasche steckte: ich hatte nämlich in dem ganzen Durcheinander völlig vergessen, sie weiterzugeben. „Sag mal -", wandte ich mich an die Zofe, „hat deine goldige gnä' Frau einen Presseausweis?'' Sie versank in tiefes Sinnen, glitt schließlich von dannen und kehrte mit einem Kärtchen zurück, das sie mir mit tiefem Knix überreichte. Ich hätte ihr beinahe auf die Schulter geklopft, denn dieses Kärtchen versicherte nicht nur, die hier konterfeite Miß Sheila Keith sei Sonderkorrespondentin des „New Horos Herald", sondern das Konterfei war auch so schlecht, daß man kaum je
manden danach erkennen konnte. Ich hatte jetzt also sogar einen amtlichen Nachweis, daß ich keineswegs der verlorene Sohn Job Ingor, sondern die Reporterin Sheila Keith war! „Welche Haarfarbe wünschen gnä' Frau heute?" fragte die Zofe, nachdem sie mein Gesicht so hingebungsvoll bemalt hatte, daß ich mich selber nicht mehr erkannte. „Silber!" entschied, ich. Mein Haar ist dunkel, und ich wollte ei nen möglichst starken Kontrast zu meinem üblichen Aussehen erreichen. Als ich allerdings - nach einer weiteren unendlich er scheinenden Zeit des Schminkens und Puderns - schließlich einen Blick in den Spiegel werfen konnte, war mir der erreichte Kontrast regelrecht peinlich. Ich bin der Überzeugung, daß ich - wenn auch etwas grazil gebaut - doch ein normaler und einigermaßen mann haft aussehender Kerl bin; und es war mir beinahe widerlich, daß mir der Spiegel jetzt ein ausgesprochen süßes Mädchen zeigte mit langen silberbronzierten Wimpern, verführerisch geschwun genen Lippen und silberflirrenden Wangen. Nun, jedenfalls würde selbst Dad mich in einer solchen Aufma chung nicht wiedererkennen, dachte ich schließlich achselzuckend - und beschloß in dieser Stunde, daß ich das Gesicht meiner künf tigen Frau mit einem nassen Schwamm bearbeiten würde, ehe ich ihr irgendwelche bindende Zusagen machte. Wenn Kosmetik und Kelchkleid selbst aus Job Ingor ein Glamour-Girl zaubern konn ten, dann war es besser, „auf Sicher" zu gehen. Vorerst allerdings stand ich vor ganz anderen Problemen. Was passierte eigentlich so auf der OMEGA III, während ich hier he rumsaß? Ich knipste das Stereo der Kabine an und stellte es auf Bordfunk ein. Die Wolken des durchscheinenden Würfels klärten sich - und Dad starrte mich an. Ich fuhr zurück und wäre beinahe über die hohen Hacken mei ner Silbersandaletten gestolpert - bis mir klar, wurde, daß es ja eine Einwegübertragung war und Dad mich nicht sehen konnte. Schon die ersten Worte, die aus dem Lautsprecher drangen, be ruhigten mich völlig: Dad hielt einen Vortrag über Stagmiden. Sie seien - erklärte er auf die naiven Fragen des Managers, der zuweilen mit im Bild erschien - liebenswerte harmlose Tierchen, heute leider selten geworden; um so größer sei seine Freude ,-. verkündete er mit scheinheiligem Augenaufschlag - daß sich eines der wenigen noch lebenden Exemplare ausgerechnet auf der OMEGA III eingefunden habe.
Die Sendung war ein perfektes Beispiel dafür, was zwei ausge kochte Psychologen zusammenlügen können, um eine Panik zu verhindern. Die Zofe wollte mir zu silberbronzierten Fingernägeln aus dün nem Plastoglas und einer silbernen Spinne auf der linken Schläfe, noch immer weitere „Spezialeffekte" aufdrängen. Aber ich mußte mich jetzt um eine ganz andere „Verkleidung" kümmern. „Stop - Kontrolle!" sagte ich scharf. Die Zofe und Robert C sanken beide in die Knie und beugten ihr Haupt. Mit ein paar Handgriffen löste ich die Schädelplatten und legte die Robotgehirne frei. - Dann hob ich Roberts Hirn vorsichtig aus seiner Lagerung und setzte es auf den Frisiertisch. Das Hirn der Zofe folgte - und ich stellte befriedigt fest, daß die Kontakt anordnungen übereinstimmten. Ich konnte also Roberts Gehirn ruhig in den Körper der Zofe einbauen. „Verstehst du denn nicht, daß das der einzige Weg ist, dich unauffällig mitzunehmen?" fragte ich eindringlich. Die Zofe - oder vielmehr Robert - klapperte mit den Augende ckeln. „Es ist sehr verwirrend für uns -", erwiderte er zurückhaltend, „besonders aber für sie, daß ich jetzt in ihrem Körper stecke und sie in meinem!" „Jawohl, gnä' Frau!" plapperte die Zofe aus Roberts Kopflauts precher. „Robert - das ist doch nur vorübergehend! Aber ich brauche deinen Schutz und deine Hilfe." Ich appellierte jetzt absichtlich an die Grundgesetze der Robotik. „Ich sehe keinen anderen Weg." „Ja, Chef!" intonierte Robert feierlich. „Nein!" sagte ich gelinde verzweifelt. „Du mußt jetzt ,gnä' Frau' sagen!" „Jawohl, gnä' Frau!" erklärten beide im Chor. „Nun paß auf", wandte ich mich an die Zofe in Roberts Körper. „Du weißt, was ein Rettungsboot ist?" „Jawohl, gnä' Chef!" Offenbar war bei ihr jetzt alles durcheinan der. „Du gehst jetzt zu jedem Rettungsboot in dieser Kugel, öffnest die Tür und legst eines von diesen Kleidungsstücken hinein. Ver standen?" „Jawohl, gnä' Frau! Wünschen gnä' Frau die Kleider zum Tee?"
„Sehen Sie, Chef - gnä' Frau, sie ist völlig verwirrt!" sagte Ro bert verweisend und ließ die sanftblauen Augen seines neuen Kopfes flackern. „Ich bin es auch, Robert!" stöhnte ich. „Robert dürfen Sie aber zu einer Zofe auch nicht sagen, gnä' Frau", gab Robert nicht unrichtig zu bedenken. „Dann meinetwegen, Roberta! Los, Roberta, jetzt erklär du dem Zofengehirn, was zu tun ist!" „Jawohl, gnä' Frau!" antwortete der unerschütterliche Robert und begann mit etlichen Wiederholungen seinem anderen Ich klarzumachen, was es tun sollte. Indessen erzeugte ich in Sheilas Salon noch ein wenig Durcheinander - umgeworfene Sessel und dergleichen - und riß die Tür zum Gang auf. Zusammen mit den verstreuten Kleidungsstücken und einem Roboter, der äußerlich offenbar Robert C war, mußten diese Indi zien genügen, um zu beweisen, daß Job Ingor auf seiner Flucht zwar die Räume der Journalistin Sheila Keith passiert, sich dort aber keineswegs aufgehalten hatte. „Hat sie es jetzt kapiert?" fragte ich Robert. „Jawohl, gnä' Frau!" erklärten beide einträchtig. Ich nickte. „Und nur, damit sie auch bei einer späteren Untersu chung nicht verraten kann, was sie hier mit angesehen hat -" „Sie wollen ihr doch nichts tun, Chef?" fragte Robert, sogar sein „gnä' Frau" vergessend. „Aber nein", beruhigte ich ihn. „Nur ©ine ganz kleine Denkauf gabe will ich ihr stellen, mit der sie die nächste Zeit zu tun hat!" Die Zofe ließ Roberts Augen erwartungsvoll aufleuchten. „Paß auf", sagte ich mit honigsüßer Stimme, „an dem, was ich jetzt sage, ist kein wahres Wort! Verstanden?" „Jawohl, gnä' Frau!" stimmte sie ergeben zu. „So - und nun sag mir: War dieser letzte Satz gelogen - oder die Wahrheit?" „Der Satz ,Verstanden'?" fragte sie harmlos. „Nein - der vorhergehende natürlich!" Ich begann nervös zu werden. Ich hatte hier allmählich genug Zeit vertrödelt! „Ja, das war gelogen!" gab sie rasch zurück. „Aber nein - Sie haben ja gesagt, es ist kein wahres Wort daran - dann war es also gelogen, daß Sie gelogen haben, nicht wahr? Und deshalb ist es also wahr! Aber nein - wenn es wahr ist, dann stimmt es ja -
und dann haben Sie also nicht gelogen - und wenn es gelogen war - dann ist es wahr - oder vielmehr gelogen - oder wahr - oder gelogen -" Ich wandte mich zu Roberts neuem Zofenkörper. „Komm, Roberta - wir gehen!" Ich wünschte mir jetzt geradezu, daß Dad versuchen würde, Roberts Ebenbild zu verhören - er würde seine Freude daran haben! „Hast du noch immer den Plan des Schiffes im Kopf. Roberta?" fragte ich, während wir den Gang entlangschritten. „Jawohl, gnä' Frau! Aber - war es denn nun gelogen, oder nicht?" Ich holte tief Atem. „Roberta", sagte ich schrill, „das kann dir egal sein! Überlaß das dem braven Mädchen da hinten!" Ich legte keinen Wert darauf, daß mir auch noch Robert über diesem Problem einen Kurzschluß baute. „Führ' mich jetzt zum größten Salon der Kugel C!" „Jawohl, gnä' Frau!" sagte Robert und schob den zierlichen Zo fenkörper an mir vorbei, um die Führung zu übernehmen. „- dann ist es wahr - oder vielmehr gelogen - oder wahr -", leierte hinter uns in eintönigem Singsang sein zweites Ich. Aber wenigstens hatte es seinen Auftrag nicht vergessen und mar schierte jetzt zu den Rettungsbooten ab, um meine falschen Spu ren zu legen. Und damit wäre Problem eins - Dad an der Nase herumführen und Problem zwei - Bewegungsfreiheit gewinnen - gelöst, konsta tierte ich befriedigt, während ich auf silbernen Sandalen und schimmernd wie ein kleiner Andromedanebel den Gang entlang schritt: womit wir an die Lösung von Problem drei - den großen Chef finden - herangehen könnten. Wie das allerdings geschehen sollte - davon hatte ich jetzt noch keine Ahnung. Die Täuschung gelingt Die verhältnismäßig unbelebten Gänge entlangzuwandeln, war keine Leistung - den Salon zu betreten, kostete schon mehr Überwindung. Wer es für unlogisch hält, daß ich zwar vorhatte, mich mit Chefs, Agenten und Stagmiden zu messen, aber an der Schwelle
des Salons mit einer üblen Attacke von Lampenfieber stockte der hat nie einen ordensgeschmückten Helden im Vorzimmer des Zahnarztes gesehen. Der Gedanke, daß ich jetzt in meiner vollen Kriegsbemalung vor den Augen von über Hundert Menschen quer durch den ganzen Saal trippeln sollte, wirkte lähmend auf meine Beinmuskulatur. „Du hast eine Rolle!" stauchte ich mich zusammen. „Du bist die Sonderkorrespondentin Sheila Keith des ,New Horos Herald' - und du hältst Ausschau nach allem, was eine interessante Story abge ben könnte. Du musterst also die Anwesenden und -" Klick, da war es - wie das Relais eines Roboters rastete etwas in mir ein, und in der nächsten Sekunde spürte ich, wie ich mit hüftwiegenden Mannequinschritten - Signor Biruccios Training! über die offene Tanzfläche glitt, die mich von dem Tisch trennte, der mir mein „Stichwort" geliefert hatte. „Sheila Keith - von ,New Horos Herald'", stellte ich mich mit ei nem - überraschenderweise sogar fehlerlos gelingenden - großen Hofkompliment vor. „Darf ich Ihnen einige Fragen stellen, Herr Minister?" Meine Stimme gehorchte mir tadellos. Sopran, Alt, Tenor, Bari ton, Baß - die menschlichen Stimmbänder liefern alles; daß wir uns auf eine bestimmte Tonlage einstellen, ist rein psychologisch bedingt - diese Weisheit soll schon ein gewisser Wolfsohn in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts verkündet haben. Auf der Akademie gehörte die „Wahl der psychologisch richtigen Tonlage" zu den wesentlichen Punkten bei der Beurteilung jedes Sprechers - und Signor Biruccio trainierte seine „Komödianten" unerbittlich in dieser Kunst. Außenminister Honved blickte auf wie ein dicker verschlafener Löwe, den man beim Dösen in der Sonne gestört hat. „Wie lange arbeiten Sie schon für den ,Herald'?" grollte er. „Dies ist", sagte ich etwas verwirrt, aber wahrheitsgetreu, „mein erster Auftrag als Sonderkorrespondentin." „So!" Honved nickte bedächtig und fuhr dann mit unheildrohen dem Unterton, halb zu seinem Begleiter gewendet, fort: „Sonst wüßten Sie, - was ich mit Journalisten mache, die mich unange meldet überfallen!" Sein Begleiter - ein dürrer Herr mit dem unverkennbaren Geha be des Protokollchefs - schien Mitleid mit mir zu haben.
„Grundsätzlich gesehen, Exzellenz, hat sich Miß Keith angemel det - wenn auch nicht für diese Stunde!" warf er ein. Nun ja, es wäre unwahrscheinlich gewesen, wenn sich die liebe Sheila einen so fetten Brocken - immerhin den Außenminister des ganzen Sys tems! - hätte entgehen lassen; nur gebrochene Rippen hatten sie wohl daran gehindert, diesem Prominenten näher auf den Leib zu rücken. Honved hob sein Löwenhaupt und würdigte mich einer einge henden Betrachtung. Offenbar schien er mit dem Ergebnis seiner Prüfung nicht unzufrieden, denn er nickte wieder und knurrte ver söhnlicher: „Also - dann lieber gleich! Ich entgehe Ihnen ja doch nicht! Nehmen Sie Platz, Miß -", er machte eine einladende Handbewe gung, und der Protokollchef ergänzte diensteifrig: „Keith, Sheila Keith!" Ich warf meinem Helfer einen dankbaren Blick unter silberbron zierten Wimpern zu, über den er wahrscheinlich noch vor dem Einschlafen nachdachte, sammelte meine Röcke um mich und ließ mich nieder. „Roberta" bezog seinen Posten zu meiner Linken. „Verbatim?" fragte ich geschäftsmäßig. Der Minister nickte, und ich drückte den Knopf „R" („Recording") an Robertas Gürtel. Dann holte ich tief Luft und konstatierte, daß ich keine Ahnung hatte, was ich den Minister fragen sollte. Politik im üblichen Sinne interessiert mich herzlich wenig. Von Minister Honved wußte ich nur, daß die Einwanderung von Asia ten ein rotes Tuch für ihn war. Asiaten - das war das Stichwort! „Stimmt es", begann ich erleichtert, „daß Agenten der Panasia tischen Union ein Attentat auf Sie verübt haben?" Honved ließ das berühmte dröhnende Lachen hören, das ihm den Ruf eines jovialen Mannes eingebracht hatte. „Hoho - säße ich dann wohl hier, Miß Keith?" „Oh -", sagte ich demütig, „es gibt Helden, Exzellenz!" Offenbar können rotgeschminkte Lippen die handgreiflichsten, schmalztriefendsten und durchsichtigsten Schmeicheleien vortra gen, ohne daß das faszinierte Gegenüber die Absicht dabei merkt (worauf ich übrigens später im Umgang mit Damen zu achten beschloß!) - denn der Minister wuchs sichtlich um einige Zentime ter und röhrte wohlwollend:
„Nun, nun. Miß Keith - ich möchte sagen, Sie überschätzen mich. In der Tat handelt es sich dabei nur um ein Mißverständnis, dem mein Mitarbeiter", er machte eine wegwerfende Handbewe gung, „zum Opfer fiel, als die ersten Berichte über das Auftau chen dieses Dingsda -" „Stagmiden", half der Protokollchef. „- natürlich, dieses Stagmiden hörte. Ich war nicht einmal im Blauen Salon, als dieses Tier gesichtet wurde." „Aber glauben Sie grundsätzlich", klammerte ich mich weiter an das einzige Thema, das ich kannte, „daß die Panasiatische Union zu einem Attentat gegen Sie - äh, greifen könnte?" Honved wiegte nachdenklich sein charaktervolles Haupt. „Das würde ihre Ziele schwerlich fördern, nicht wahr - hohoho!" meinte er. „Im Gegenteil würde es meine Pläne für die asiatische Einwanderung erheblich stören!" Jetzt war ich wirklich aufrichtig verblüfft. „Darf man erfahren, was für Pläne Sie für die asiatische Ein wanderung haben?" Der Minister beugte sich vor, als müsse er mir ein wichtiges Staatsgeheimnis anvertrauen. „Meine Einstellung. Miß Keith, zur Frage der Einwanderung ist oft mißverstanden worden. Ich habe nicht das Geringste gegen die Asiaten." Er legte sein Gesicht in abgeklärt weise Falten. „Aber die Frage der asiatischen Einwanderung ist eine der ganz wenigen, in denen Sol auf uns angewiesen ist. Die ständig wach sende Zahl der Asiaten macht den Herren in Sol Sorgen, und nur wir können ihnen diese Sorgen abnehmen. Aber glauben Sie, daß wir das ohne Gegenleistung tun?" Ich versuchte mir gerade auszumalen, was er wohl tun würde, wenn er wüßte, daß Sol - und alle anderen Systeme - in einer viel böseren Klemme steckten; einer Klemme, gegenüber der das ganze asiatische Problem eine Art Stadtverwaltungsangelegenheit war - als es mir plötzlich eiskalt den Rücken hinunterlief. Vielleicht wußte dieser dicke, joviale, phrasendreschende Ober löwe das sehr gut? Hatte er vielleicht eine viel wirkungsvollere Daumenschraube, als die armen Asiaten? War er, kurz gesagt, der „Chef"? Es wäre die ideale Tarnung gewesen. Wer nimmt schon an, daß ein wohlbestallter Minister, der tagaus, tagein um winzige politi sche Vorteile und Formfragen schachtert, in Wirklichkeit mit ei
nem einzigen Gewaltstreich die Macht in der ganzen Galaxis an sich reißen will? Wer vermutet hinter dem populären Löwenschä del eines solchen Parlamentariers Gedanken an eine Diktatur? Und wer ahnt, daß ein offizieller Staatsbesuch in Wirklichkeit der Auftakt zu einer „Machtübernahme" sein soll? Mich überkam eine fast unwiderstehliche Lust, meine Perücke abzureißen und zu rufen: „Ihr seid durchschaut, Chef!" Genau in diesem Augenblick sagte eine diskrete Stimme hinter uns: „Eine reine Formsache, Herr Minister. Dürften wir bitte Ihren Ausweis sehen?" Aufblickend gewahrte ich nicht nur den Sprecher - einen jungen und etwas verlegenen Offizier der Maatschappij - sondern an sei ner Seite, genau anderthalb Meter von mir entfernt, Dad. In einer Anwandlung von Übermut ging ich auf ihn zu „Sie", sagte ich strahlend zu Dad, „sind Professor Ingor! Darf ich Ihnen im Namen der Leser des ,New Horos Herald' einige Fragen stel len?" Dad sah mich nur etwas geistesabwesend an, lächelte mecha nisch und murmelte: „Im Augenblick nicht - vielleicht später!" Damit wandte er sich ab und schritt gedankenversunken zum nächsten Tisch weiter. Das war also die dramatische Begegnung, der ich mit soviel Herzklopfen entgegengesehen hatte. Ich fühlte mich jetzt wirklich in der Lage, einen Stagmiden mit bloßen Händen zu erwürgen! „Sie wollten doch die Ausweise sehen?!" wandte ich mich an den jungen Offizier, der etwas befangen die Dokumente der Diploma ten geprüft hatte. „Ich bin Sheila Keith vom ,New Horos Herald'!" erklärte ich ihm mit kokettem Augenaufschlag. „Sehr erfreut, Miß Keith!" erwiderte er und errötete leicht; mei nen Ausweis schien er gar nicht zu sehen. „Nun - das wäre es für heute, meine Liebe!" intonierte Honved mit etwas formeller Kühle; ich spürte, daß er mir mein Interesse für andere Personen in seiner überwältigenden Gegenwart stark verübelte und den Eindruck wahren wollte, er habe das Interview abgebrochen. „Sollten Sie später noch Fragen haben, so melden Sie sich getrost bei meinem Mitarbeiter an!" fügte er etwas milder hinzu und erhob sich, um den Salon zu verlassen.
„Sagen Sie, Kommodore", fragte ich vertraulich den jungen Of fizier, wobei ich seinen Rang vorsichtshalber um drei Stufen er höhte, „darf man erfahren, was diese Kontrolle bedeutet?" Den Offizier schien mein seelenvoller Blick stark zu beeindru cken; man sah ihm an, wie Pflichtgefühl und der Wunsch, mir gefällig zu sein, in ihm kämpften. Schließlich - da Dad mit dem übrigen Kommando sowieso schon außer Hörweite war - über wand er sich und sagte: „Oh - nichts Besonderes: Es wird nur im ganzen Schiff nach ei nem Mann gesucht, der plötzlich verschwunden ist!" „Verschwunden - wie interessant!" hauchte ich und gönnte ihm einen weiteren Augenaufschlag. „Und wie soll er nun gefunden werden?" „Augenblicklich gehen überall Suchkommandos umher - es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir ihn entdecken: schließlich kann er ja unterwegs nicht aussteigen!" „Aber wie wollen Sie ihn denn finden, wenn Sie ihn gar nicht kennen?" bohrte ich weiter. „Stereobilder - und normale Bilder natürlich auch; jeder von uns hat eines bei sich", verriet er mir. Ich rüstete mich zur letzten Attacke. „Zeigen Sie mir das Bild einmal?" fragte ich lockend. „Ich würde Ihnen so gern helfen, den Mann zu finden - und Sie wissen ja, als Journalistin hat man einen Blick für Menschen." Der Offizier zögerte. „Also - nun ja - warum nicht!" entschloß er sich endlich und griff in die Tasche. Und dann erlebte ich wieder einmal eine Überraschung, wenn auch noch lange nicht die letzte: denn das Photo, das er mir ver stohlen hinhielt, zeigte nicht mich, sondern - Kapitän Anderson Helmers. Eine Pechsträhne Mit geradezu hörbarem Krachen brachen meine sämtlichen bishe rigen Hypothesengebäude - von den finsteren Plänen Minister Honveds bis zu den Motiven der jetzigen Suchaktion - in sich zu sammen; aber aus den Trümmern formte sich sofort ein neues Bild: Natürlich!
Wer hatte sich unter den windigsten Vorwänden an Dad heran gemacht und war ihm seit dem Auftauchen des Stagmiden nicht von den Fersen gewichen? Helmers! Wer hatte den kleinen Timothy erschießen wollen, als er aus dem Rettungsboot kam - und wer hatte dann versucht, ihm un terwegs geheime Winke zu geben? Helmers! Wer offerierte praktisch von Anfang an seine Dienste als Stagmiden-Jäger, obgleich er daneben ständig über die Unangreifbar keit der Stagmiden unkte? Helmers und immer wieder Helmers! Ich hätte mich vor den Kopf schlagen können, daß mir diese Er kenntnis nicht früher gekommen war - aber wenigstens war Dad auch nicht klüger gewesen als ich, sonst würde er jetzt nicht überall nach seinem vorher so treuen Begleiter suchen müssen. „Schade", sagte ich mit bedauerndem Lächeln und schüttelte den Kopf, „aber den Mann habe ich heute überhaupt noch nicht gesehen. Wenn er mir über den Weg laufen sollte, werde ich es sofort melden!" Damit warf ich dem Offizier noch einen netten Blick zum Ab schied zu und schlenderte zur Bar hinüber. Dort bestellte ich mit blasierter Miene ein Glas Tri-Vit, das scharfe Getränk möbelte mich auf, und bald fühlte ich mich wieder wie neugeboren, ener giegeladen und kristallklar im Denken. Warum war Helmers verschwunden? Dafür gab es zwei Möglich keiten: Entweder war er untergetaucht, um heimlich dem Stag miden seinen Schlaftrunk zu verabreichen. Da aber Dad genau auf dieses Ereignis wartete, wäre er ihm dabei doch bestimmt in die Hände gelaufen? Also die andere Möglichkeit: Helmers hatte keineswegs die Ab sicht, etwas gegen den Stagmiden zu unternehmen, sondern wollte sich - wie der kleine Timothy - heimlich davonmachen. Auch das hatte eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich, wenn man bedachte, daß Helmers, auch wenn er der „Chef" war, ja genausowenig wie Timothy wußte, woher der Stagmid eigentlich kam. Er konnte annehmen, das sei ein übler Trick seiner Mitver schwörer, um ihn mitsamt der ganzen OMEGA III zu vernichten. Aber warum hatte er dann nicht gleich die Gelegenheit benutzt, die sich ihm bot, als wir Timothy aus dem Rettungsboot holten? Da hatte er doch praktisch bereits im Boot gestanden - und mich und Robert C hätte er leicht zurücklassen, oder ebenso leicht ent führen können! Außerdem paßte es nicht zu dem ganzen Ein
druck, den ich von Helmers hatte, sich feige irgendwo zu verdrü cken. Blieb also nur eine Konsequenz: Helmers war zwar verschwun den, hatte aber seine Attacke auf den Stagmiden noch nicht be gonnen. Vielleicht bedurfte es dazu zeitraubender Vorbereitun gen. Oder mußte er einen besonders günstigen Moment abwar ten? Aber dieser günstige Moment war jetzt - in genau dieser Zeit, da Dad, sein Hauptgegner, suchend in der Kugel C herummar schierte! Ich war fest überzeugt, daß Helmers in der Kugel B zu finden war. Und vielleicht suchte Dad hier - unter dem Deckman tel einer Streife nach Helmers - doch nach seinem Sohn Job? Ein Grund mehr, sich in die Kugel B zu begeben. „Los, Roberta, wir müssen weiter!" rief ich fröhlich. An der Kontrolle beim Übergang zu Kugel B fand ich ausgerech net meinen Freund von eben, den jungen Offizier. „Hallo!" begrüßte ich ihn. „Haben die kühnen Späher den bösen Feind schon gefunden?" „Pssst". machte er verlegen und wies auf die anderen Kontrol leure; aber gerade diese Verlegenheit kam mir zustatten. „Pssst!" sagte auch ich geheimnisvoll. „Sie müssen mir helfen.'" Er wurde noch verlegener. Gewinnend lächelte ich ihn an. „Ich muß nur dringend einmal etwas in der Bibliothek nachschlagen - über Stagmiden! Und jetzt erst fällt mir ein, daß die Bibliothek ja in Kugel B ist! Kann ich da nun überhaupt nicht hin? Ich störe den Professor bestimmt nicht die Bibliothek ist doch meilenweit vom Blauen Salon entfernt, ja?" „Es tut mir wirklich leid", begann er. „Nun gut!" Ich wurde eisig. „Dann muß ich mich über Minister Honved eben an die Kommandantin selbst wenden. Sie sollen durch mich keine Schwierigkeiten haben!" Es gibt für eine Dame ein todsicheres Mittel, einen Mann zu den unsinnigsten Bravourtaten anzuspornen: Sie braucht nur anzu deuten, man könne ihm so etwas ja nicht zumuten. Obgleich ich selbst auf diesen Trick nicht hereinfallen würde, wirkte er hier prompt. „Es tut mir leid, daß Sie durch diese Kontrolle aufgehalten wur den, meine ich!" erklärte der junge Offizier mit einer eleganten Verdrehung seiner ursprünglichen Rede. „Selbstverständlich wer de ich Sie in die Bibliothek bringen!"
Ich bedachte ihn wieder mit einem süßen Lächeln und reichte ihm sogar den Arm, um mich von ihm sicher durch die Kontrolle geleiten zu lassen. Die Bibliothek war tatsächlich nur ein paar Schritte vom Durchgang entfernt - aber soviel ich wußte, hatte sie noch einen zweiten Ausgang, durch den ich mich eilends wie der entfernen wollte. Doch hier endete meine bisherige Glückssträhne. „Sie nehmen es mir nicht übel, Miß Keith. aber ich muß Sie hier einschließen. Wenn Sie jemand sehen würde, hätten sie nur Unannehmlichkeiten", erklärte mein Begleiter, als wir vor der Tür der Bibliothek angekommen waren. „Wenn Sie fertig sind, rufen Sie mich einfach über die Sprechanlage, und ich lasse Sie wieder heraus!" Mit „Roberta", die mir nicht von den Fersen wich, mußte ich durch die Tür marschieren, die sich sogleich wieder hinter mir schloß. Ein paar Schritte brachten mich zum zweiten Ausgang - er war natürlich ebenso verriegelt wie der erste. Aber noch bevor ich weiter nachdenken konnte, bemerkte ich, daß ich in der Biblio thek nicht allein war. „Nein, hier sind wir sicher eingesperrt!" sagte die junge Dame, die vor einem der Mikrofilmschirme saß. „Niemand wird uns stö ren!" Na ja, so konnte man es auch auffassen, dachte ich und be trachtete meine Gefährtin näher. Selbst bei allem Mißtrauen ge gen weibliche Toilettenkünste mußte ich zugeben, daß sie sehr nett aussah. „Wie sind Sie denn hierhergekommen? An sich ist die Kugel B doch gesperrt!" erkundigte ich mich. Sie lachte. „Oh, ein junger Offizier war so nett, mich trotzdem hereinzulassen - er will mich nachher wieder abholen, damit mir nichts passiert!" Das schien die allgemein übliche Methode zur Bibliotheksbenutzung zu sein! „Und Sie?" „Ich bin Sheila Keith, die Sonderkorrespondentin des ,New Ho ros Herald'", begann ich nun schon mit einiger Routine. Aber dann stockte ich. Das Mädchen war aufgesprungen und betrach tete mich mit umwölkter Stirn. „Das ist ja sehr interessant!" sagte sie mit unheildrohender Stimme. „Bis jetzt war ich nämlich Sheila Keith!"
Das war natürlich Unsinn. Sheila Keith lag mit gequetschten Rippen im Hospital. Aber dieses Argument konnte ich ja schlecht vorbringen. „Das ist wohl ein schlechter Scherz", begann ich, aber die ande re falsche Sheila unterbrach mich einfach: „Das ist schon mehr als ein Scherz! Sie haben meine Zofe ge stohlen!" Sie wies auf „Roberta", die der Diskussion mit undurchdringli cher Miene zuhörte. „Roberta, diese Dame behauptet -" „Rosa, was hat man mit dir gemacht?!" fiel die Dame ein. „So fort kommst du zu mir!" Und der Körper der Robotzofe setzte sich treulich zu ihr in Be wegung.. Erst jetzt wurde mir klar, daß der Exklusivstromkreis. der Robert nur meinen Befehlen gehorchen ließ, nicht zu seinem Hirn gehörte - er wanderte jetzt irgendwo mit seinem Körper durch die Kugel C: als Zofe gehorchte Robert jedem, der ihm et was sagte! „Roberta, du kommst zu mir!" protestierte ich, und der Robot machte brav kehrt. „Das geht zu weit! Rosa - du kommst -" „Einen Augenblick, gnädiges Fräulein!" unterbrach ich. „Schließ lich gibt es mehr als ein Modell CV 11 D, nicht wahr? Wir können es noch eine Weile hin und her schicken, aber das ändert nichts daran, daß dies meine Zofa Roberta ist. Wie heißt du?" „Roberta, gnä' Frau!" bestätigte Robert mit freundlichem Au gendeckelklappern. Meine Gegnerin schien etwas verwirrt. „Also gut - aber deshalb sind Sie immer noch nicht Sheila Keith!" „Wollen Sie meinen Ausweis sehen? Oder fragen Sie Außenmi nister Honved, den ich eben interviewt habe!" gab ich kühl zu rück. „Sie haben...?!" „Sheila" schien nach Luft zu schnappen. „Sie haben mir dieses Interview gestohlen, das ich seit Wochen vorbe reitet habe?!" „Sie können das Interview jederzeit anhören - Roberta hat es gespeichert!" räumte ich freundlich ein. Zeit gewonnen - alles gewonnen, dachte ich und drückte auf den „Knopf".
„Sheila" wühlte nervös mit der Fußspitze im Teppich, während die Stimmen - etwas verzerrt - aus dem Kopflautsprecher der Zofe erklangen; als wir an der Stelle ankamen, wo Honved seine Pläne für die Einwanderung der Chinesen erläuterte, fuhr sie är gerlich auf und stieß den Knopf an Robertas Gürtel zurück. „Das ist eine alberne Fälschung - genau wie Sie eine sind!" rief sie temperamentvoll. „Ehe Sie weiter sinnlose Verdächtigungen aussprechen, möchte ich Sie doch bitten, erst mal zu beweisen, daß Sie Sheila Keith sind! Haben Sie etwa einen Ausweis?" fragte ich eisig. Das Mädchen wurde rot. „Nein -", sagte sie, „so lächerlich das klingt, meinen Ausweis habe ich bei dem Tumult im Blauen Salon verloren. Zusammen mit meiner ganzen Tasche." Aber ich hörte nicht recht, was sie weiter sagte. Mein ganzer Plan beruhte dar auf, daß Sheila Keith mit gequetschten Rippen im Hospital lag aber das tat sie nicht! Irgendein Trottel hatte ihre Tasche aufge lesen und sie einer anderen Verletzten zugeschrieben... „ - wie heißt der Feuilletonredakteur des ,New Horos Herald'? Und wie hoch ist unsere tägliche Auflage? Beantworten Sie mir diese Fra gen, Sie ,Sonderkorrespondentin'! Dann werden wir sehen, wer von uns Sheila Keith ist! Ich rufe jetzt sofort den Offizier." Ich packte sie ziemlich unsanft am Arm. „Das lassen Sie bleiben. Wenn Sie jetzt einem Offizier sagen, daß Sie hier in der Bibliothek jemanden gefunden haben, der sich zu Unrecht als Sheila Keith ausgibt, wird ein finsterer Mann na mens Paran Ingor hier auftauchen und -" „Paran Ingor?" Sheila sah mich mit neuem Interesse an. „Ist das ein Kerl, der aussieht wie ein glatzköpfiger Transportarbeiter und sich nicht interviewen läßt?" Ich fand diese Beschreibung Dads nicht gerade schmeichelhaft, aber zutreffend. „Sie kennen ihn! Und er wird sich auch diesmal nicht interviewen lassen, sondern mich unter den Arm klemmen und sofort verschwinden. Zusammen, wohlgemerkt, mit der ers taunlichsten und exklusivsten Story, die je ein Journalist verpaßt hat!" „Was für eine Story?" fragte sie; ihre Augen begannen zu fun keln. „Die Stagmiden-Story!" sagte ich freundlich - und wußte, daß ich gewonnen hatte. In knappen Worten umriß ich ihr die Geschichte vom Altar in Krra, vom großen Chef und vom kleinen Timothy und von dem
unglückseligen Experiment des großen Paran Ingor. Sheila Keith schien jedes meiner Worte einzusaugen wie eine Biene den Ho nig. „Und warum verfolgt Paran Ingor Sie?" warf sie plötzlich ein. Diese Frage hatte ich erwartet, und ich beschloß, halbwegs reinen Tisch zu machen. „Weil er mein Vater ist und ich ihm davongelaufen bin, als er mir eine Betäubungsspritze geben wollte, um mich mundtot zu machen!" sagte ich kurz. Sheilas Augen blitzten entrüstet auf. „Das sieht diesem Wüterich ähnlich!" sagte sie mit tiefer Empö rung. „Die eigene Tochter -" Ich glaubte nicht recht gehört zu haben. Einen Augenblick schwankte ich, blieb aber dann doch tapfer bei der Unwahrheit. Ich konnte ihr noch nicht alles anvertrauen. „Seien Sie beruhigt, Fräulein Ingor", sagte Sheila warm und leg te ihre Hand auf meinen Arm. „Wir werden Ihrem Vater zeigen, was zwei mutige Mädchen vollbringen können." Ich beschloß, ein mutiges Mädchen zu bleiben. „Es geht jetzt vor allem darum", sagte ich, „Anderson Helmers zu finden -" „- und ihn vor Paran Ingor zu warnen!" stimmte sie zu. „Horos darf diese Chance nicht verlieren!" Das war nun ein ganz neuartiger Gesichtspunkt. Aber was sollte ich machen? Augenblicklich hatte Sheila unbedingt das Überge wicht in unserer Partnerschaft. „Aber wie kommen wir hier heraus? Wenn wir jemanden rufen, dann werden wir lediglich wieder zum Durchgang eskortiert!" Sie sah mich ratlos an. „Das ist kein Problem - auf der Flucht vor meinem Vater bin ich durch einen Ventilationsschacht entkommen. Ich geriet dann in Ihre Kabine, fand dort ein Kleid und den Ausweis, mit dem ich -" Sheila legte mir wieder die Hand auf den Arm, was ich an sich nicht als unangenehm empfand. „Machen Sie sich darüber noch keine Gedanken. Ihre Situation rechtfertigte solche Dinge! Aber wie ist das mit dem Ventilationsschacht? Meinen Sie -" Ich trat zur Wand und versuchte das Gitter zu lösen. Aber hier mußte ich Roberta zu Hilfe rufen, denn ich wollte nicht durch Bä renkräfte Mißtrauen erwecken. Dann lag die Öffnung vor uns.
„Warten Sie, ich werde vorankriechen!" sagte Sheila. „Sie kön nen doch mit dem weiten Kleid nicht -" „Auf keinen Fall!" sagte ich knapp. Es wäre ja noch schöner ge wesen, wenn ein Mädchen ein Risiko übernehmen sollte, das sie mir nicht zumuten wollte. „In diesen Schächten kenne ich mich besser aus als Sie!" „Und Ihre Roberta?" „Kommt nach. Sie folgen, wenn alles sicher ist!" entschied ich, raffte meine Röcke und verschwand in der Öffnung. Diesmal fiel der Schacht erfreulicherweise nicht steil ab, son dern gestattete ein bequemes Kriechen - bis zu der Stelle, wo ich plötzlich über eine Kante rutschte und in gewohnter Weise eine Schußfahrt nach unten antrat. Diese Schächte sind die reinen Menschenfallen! Aber wenigstens landete ich nicht in einem Staubsack, sondern direkt hinter einem neuen Gitter, das sich - nach einiger Mühe glatt lösen ließ. Ich stieg in den Raum, der menschenleer und nur notdürftig beleuchtet war und vergewisserte mich als erstes, daß Perücke und Kleid noch richtig saßen. Wenn ich jetzt einmal „Paran Ingors Tochter" war, durfte ich auch nicht aus der Rolle fal len. Dann steckte ich den Kopf in den Schacht und rief: „Alles klar. Vorsicht! Schacht fällt plötzlich ab. Kommen!" „Wir - kommen -", hörte ich Sheilas Stimme und wandte mich befriedigt um. in der Absicht, den weiteren Weg zu erkunden. Aber dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Genau an der Wand, aus der ich eben gekrochen war, stand in großen, eilig hingeschmierten Buchstaben: Sperrgebiet Operation Basilisk - Lebensgefahr! Darunter hing ein Kästchen mit zwei Antennendrähten, auf des sen Meßgerät der Zeiger hin und her zuckte, während eine dünne Drahtleitung irgendwo in die Ferne führte. Das war ein Strah lungsmesser - und irgendwo hinter dieser Wand saß der Stagmid! Der Ahnungslose Es gibt eine alte Geschichte von einer Dame, die in einem Spukhaus übernachten muß. Nach endlosen Passagen über knarrende Wendeltreppen und unheimliche Galerien erreicht sie schließlich ihr Zimmer und dreht aufatmend zweimal den Schlüssel hinter
sich um - da sagt eine hohle Stimme hinter den Bettvorhängen hervor: „Jetzt sind wir zwei für die Nacht zusammen eingeschlos sen!" Ganz ähnlich wie diese Dame fühlte ich mich augenblicklich und daß mit hörbarem Plumpsen erst Roberta und dann Sheila neben mir in dieser Patsche landeten, machte die Sache nicht einfacher. „Hören Sie, Sheila", sagte ich betreten, als ich ihr auf die Beine half. „Ich fürchte, ich habe uns hier aus dem Regen in die Traufe geführt. Wir stecken irgendwo im Sperrgebiet, direkt im Wir kungsbereich des Stagmiden!" Sie wurde blaß - aber sie lächelte mir aufmunternd zu. „Sie brauchen nicht zu denken, daß ich mich fürchte!" behaup tete sie mit erzwungener Forschheit. „Schließlich haben Sie noch ganz andere Gefahren auf sich genommen - im Kampf für die Freiheit!" Ich spürte, daß ich rot wurde. Aus irgendeinem Grunde hielt mich Sheila für eine hochherzige Idealistin, die selbst dem eige nen Vater zum Trotz gegen die weltumspannende Diktatur Sols kämpfte. Und dabei war ich ausgezogen, um den „Chef", der in ihren Augen eine Art Freiheitskämpfer war, ans Messer zu liefern! Ich trat noch einmal zu dem Strahlungsmesser und versuchte herauszubekommen, auf was für Einheiten seine Skala eigentlich geeicht war - aber ich wurde nicht recht schlau daraus. Allzu intensiv schien die Strahlung hier jedenfalls nicht zu sein sonst hätte ich körperlich etwas gespürt; aber das konnte sich bei der Unberechenbarkeit des Stagmiden jeden Augenblick ändern. „Wir müssen versuchen, aus dem Kern des Feldes herauszu kommen", erläuterte ich Sheila. „Nehmen wir an, der Stagmid sitzt direkt hinter dieser Wand - das heißt, dort liegt der Blaue Salon - dann müßten wir in der Richtung senkrecht zur Wand ge hen." Leider hatte die gegenüberliegende Wand keine Türen. Nur an den Schmalseiten des Raumes sah ich Ausgänge. Aber jetzt trat ein neues Problem auf. Hatte man nicht vielleicht in größerer Entfernung von dem Stagmiden menschliche Wachen aufgestellt? Es wäre bestimmt nicht sinnvoll gewesen, denen in die Hände zu laufen! Ich schickte Roberta vor. Nach kurzer Zeit kehrte sie zurück und sagte: „Alles klar, gnä' Frau!"
Sheila ließ sich am Arm hinter mir herziehen, als wir, unwillkür lich auf Zehenspitzen schleichend, den Nachbarraum betraten. Auch hier war die Wand mit einer Warnung versehen, und der Strahlungsmesser zeigte etwa das gleiche an wie im ersten Raum. Aber hier gab es eine Tür, die in die gewünschte Richtung führte. Wieder ließ ich Roberta zur Erkundung vorangehen. Wieder war die Luft rein. Doch der Raum, den wir jetzt betraten, sah höchst eigenartig aus. Quer durch den Raum zogen sich, unter seltsamen Winkeln an geordnet, mehrere Lagen eines metallschimmernden Drahtnet zes, die den Durchgang versperrten. Sollten diese Netze vielleicht verhindern, daß der Stagmid aus dem Blauen Salon ausbrach? Aber dazu hätten die Drähte schwerlich ausgereicht. Sie könnten allenfalls eine Art Alarmsys tem darstellen, das bei einer Berührung irgendwelche - uns unbe kannte - Effekte auslöste. Ich hatte wenig Lust, diese Effekte ex perimentell zu studieren. Bei den Sympathien, die der Stagmid bei den Erbauern dieses Netzsystems genoß, war nicht viel Gutes zu erwarten. Aber damit schien sich nun tatsächlich zu bestätigen, daß wir „für die Nacht zusammen eingeschlossen" waren. Auf der einen Seite die Fangnetze, auf der anderen der Stagmid und dazwi schen die wackeren, wenn auch zum Teil nicht ganz echten Frei heitskämpferinnen! „Zurück! Wir müssen feststellen, ob diese Sperre rund um den Stagmiden herumläuft, oder ob wir eine Lücke finden können! Zur Not bleiben uns immer noch die Ventilationsschächte", meinte ich tröstend, obgleich ich nicht darauf brannte, in einer fröhlichen Schußfahrt etwa mitten im Blauen Salon zu landen. Die nächsten Räume durchschritten wir etwas rascher, denn es war unwahrscheinlich, daß man innerhalb dieses Netzsystems auch noch Wachen aufgestellt hatte. Weiter brachte uns allerdings unser Rundgang auch nicht. Im mer wieder stießen wir, wenn wir die Richtung vom Stagmiden weg - einschlugen, auf die seltsamen Netze, die tatsächlich das ganze Sperrgebiet zu umgeben schienen. Da wir überdies noch immer Rücksicht auf die manchmal unre gelmäßig angeordneten Türen zu nehmen hatten, begann ich all mählich die Orientierung zu verlieren. Waren wir nun zu einem
Viertel, zur Hälfte oder schon fast ganz um den Stagmiden he rumgewandert? Ich versuchte gerade, diese Frage mit dem Roboter zu klären, dessen unfehlbares Ortsgedächtnis allerdings durch den unvor hergesehenen Weg über den Ventilationsschacht auch etwas überbeansprucht war, als ich plötzlich Sheilas überraschte Stim me hörte: „Jo!" - diesen Namen hatte sie mir dank eines Hörfehlers gege ben, „Jo, die Tür vor uns ist verschlossen!" Tatsächlich! Während wir bisher überall freie Bahn und sogar of fene Türen gefunden hatten, war diese hier versperrt: allerdings, wie ich gleich darauf feststellte, von unserer Seite aus. Ich hielt es für besser, vorsichtig zu sein, und ließ „Roberta" vorangehen, während ich mit Sheila in einem Winkel Deckung nahm. „Lebloser Körper liegt im Nebenraum, sonst alles klar!" meldete die Stimme des Roboters durch die halboffene Tür. Wir sprangen beide auf und stürzten zu ihm. Ja - mitten in dem halbdunklen Raum, gerade unter der Warnungsschrift, lag ein zusammengekrümmtes Bündel: ein Mensch! Mit Sheilas Hilfe drehte ich den schlaffen Körper auf den Rücken - und sah ziemlich fassungslos in das Gesicht von - Kapitän An derson Helmers. „Das - das ist er!" sagte ich erregt. „Das ist Helmers - der Chef!" „Aber wie -", begann Sheila und brach dann kopfschüttelnd ab. Das war mir nun genauso rätselhaft wie ihr. Gleichviel! Wie Helmers auch hierhergeraten sein mochte - Tatsache war. daß ich, Job Ingor, den Chef gefunden hatte, nach dem Dad und die ganze Besatzung der OMEGA III vergeblich suchten! Und das war zugleich die Rettung aus unserer augenblicklichen bösen Situati on. Denn Helmers war der einzige Mensch, der wußte, wie man einen Stagmiden unschädlich machte, und er würde das nun so gar vor meinen Augen tun müssen! Ich würde die Partie trotz allem noch gewinnen! „Wo gibt es hier Wasser, Roberta?" „Zwei Räume weiter, gnä' Frau!" meldete der Unentbehrliche und verschwand auf meinen Befehl. Ich wandte mich an Sheila: „Er lebt - ist anscheinend nur ohn mächtig oder betäubt: wir müssen ihn so schnell wie möglich aufwecken!"
Ich öffnete Helmers Kragen und untersuchte ihn näher. Er at mete schwer, schien aber sonst nicht verletzt; nur am linken Arm fand ich eine winzige Wunde - wie von einer Infektion. „Oooooh - ah - aaaah!" stöhnte der Ohnmächtige, als er den ersten Guß kalten Wassers über den Kopf bekam, und blinzelte mit den Augen. Aber es dauerte eine Weile, bis er seine Umge bung zu erkennen schien. „Wer - was -", murmelte er schwach. „Ruhig, nur ruhig! Sie sind unter Freunden!" sagte Sheila warm. „Freunde? - Verrat - betäubt -", stöhnte Helmers. Ich rüttelte ihn an den Schultern. „Kommen Sie zu sich, Chef! Wir brauchen Sie!" Er schüttelte mit sichtlicher Anstrengung den Kopf. „Nicht - Chef - mich nicht - zwingen - verdammt - verraten -" Ich verabfolgte ihm einen neuen Guß eiskalten Wassers. „Hören Sie, Chef!" sagte ich eindringlich. „Paran Ingor sucht das ganze Schiff nach Ihnen ab. Aber wir wollen Ihnen helfen, wenn Sie uns helfen! Wie betäubt man den Stagmiden?" Helmers schüttelte sich prustend. „Sie fragen...", er wischte sich die Nässe aus dem Gesicht und sah uns scharf an......„aber nein, das fragte jemand anders! Wer war das nur?" „Der Sie betäubt hat?" fiel Sheila ein. „Wir wissen es nicht. Wir haben Sie hier gefunden, im Sperrgebiet, Chef!" fügte sie ein dringlich hinzu. Helmers - oder wie er heißen mochte - richtete sich halb auf. Er schien jetzt wieder voll bei Bewußtsein. „Ich bin kein Chef -", sagte er energisch. „Ich heiße Anderson Helmers. Und wer sind Sie?" Ich spürte eine gelinde Verzweiflung. Wenn er sich jetzt auf die Rolle des biederen alten Raumschiffers versteifte, würde ich mich nicht mehr lange wie eine Dame benehmen. „Wir sind", sagte ich rasch, um irgendwelchen dramatischen Enthüllungen Sheilas vorzubeugen, „Journalistinnen vom ,New Horos Herald' und gute Patriotinnen. Wir haben Sie hier gefun den, und gleich nebenan", ich wies auf die Warnschrift an der Wand, „sitzt der Stagmid und kann uns jeden Augenblick töten, wenn Sie nicht schleunigst Ihr Betäubungsmittel anwenden." „Ich kenne kein Betäubungsmittel!" Er setzte sich vollends auf und musterte seine Umgebung. Dann lächelte er spöttisch. „Das ist ein sehr eindrucksvolles Bild, aber ich falle nicht drauf rein. Wenn
es etwas im Sperrgebiet um den Stagmiden nicht gibt - dann hübsche patriotische Journalistinnen. Was soll der Unsinn?" Ich griff mit spitzen Fingern nach „Helmers" struppigem Schnurrbart - und riß ihn mit einem Ruck ab. „Chef", sagte ich, „der Bart ist ab. In jeder Beziehung. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Paran Ingor hier auftaucht und uns alle erwischt - falls es nicht der Stagmid vorher tut." Unser Gegenüber - jetzt erheblich jugendlicher aussehend grinste wieder. „Eins zu null für Sie, liebe Patriotin. Sie kommen von Glohun, was? Der Stagmid schien ihm wohl nicht ausreichend, um mich schachmatt zu setzen?" Ich hätte am liebsten einen kleinen Verzweiflungstanz aufge führt. Natürlich vermutete der „Chef" jetzt einen Verrat seiner Mitverschwörer! Und die Zeit verrann. „Hören Sie zu, Chef. Nicht Glohun oder sonst einer Ihrer Freun de hat den Stagmiden an Bord gebracht, sondern Paran Ingor..." „Sehr wahrscheinlich!" warf er .knurrend ein. Doch ich sprach weiter: „... ohne zu wissen, daß es einer war! Sie haben die Biester ja selbst als Altertümer getarnt, und er hat eine Kiste ausgetauscht. Und Glohun hat uns auch nicht ge schickt. Meinen Sie, wir wären an Bord eines Schiffes gegangen, auf dem ein Stagmid sein Wesen treibt?" Der „Chef" lächelte wieder ironisch. „Aber das würde Ihnen ja Glohun nicht vorher verraten haben, meine Damen, Genausowe nig wie dem Trottel Timothy! Und jetzt haben Sie kalte Füße be kommen und versuchen, mich mit einer an die Wand gemalten Warnschrift ins Bockshorn zu jagen? Denken Sie sich etwas Bes seres aus!" „Einen Augenblick!" schaltete sich jetzt Sheila ein. „Sie meinen, wir wollen von Ihnen durch einen Trick das Mittel gegen die Stagmiden erfahren, nicht wahr? Ich gebe zu. daß uns Paran Ingor, die Kommandantin oder sonst wer dazu einen ganzen Raum zur Verfügung stellen würde; aber es hat Sie doch noch jemand gefragt, eben, als Sie betäubt waren, sagten Sie es doch! Dann muß Ihnen also jemand eine Pentothalspritze gegeben haben, um Sie in willenlosem Zustand zu verhören, nicht wahr? Und wenn wir das getan hätten, wäre doch jetzt ein Trick überflüssig!" Der „Chef" runzelte die Stirn.
„Wieder eins zu null für Sie, meine Damen. Aber wenn Sie es nicht waren, wer soll mich dann betäubt haben? Soviel ich weiß, nimmt jeder an Bord an, der Chef habe sich von der Fahrt ge drückt. Sie sind die einzigen, die plötzlich wissen, daß ich es bin!" Ich schluckte. Es gab eine Antwort auf diese Frage, aber sie ge fiel mir nicht. Sheila fuhr sich mit der Hand über die Augen und sagte dann verwirrt: „Es gibt noch jemand, der weiß, daß Sie an Bord sind - ich mei ne, daß der Chef an Bord ist. Der Mann, der den Stagmiden in Wirklichkeit auf die OMEGA III gebracht hat, Paran Ingor!" Der Chef schüttelte den Kopf. „Eben erklären Sie mir, Paran Ingor durchsucht das ganze Schiff nach mir, und jetzt wollen Sie mir weismachen, daß er mich schon vorher mit einer Wahrheitsspritze betäubt hat! Denken Sie sich etwas Besseres aus!" Aber Sheila ließ sich nicht entmutigen. „Vergessen Sie nicht, daß Paran Ingor es geheimhalten muß, wer der Agent von Sol ist! Wer wird ihn mit Ihrem Verschwinden in Verbindung bringen, wenn er selbst in aller Öffentlichkeit nach Ihnen sucht? Und wo konnte er Sie besser verstecken, als im Sperrgebiet um den Stagmiden? Gibt es eine bessere Möglichkeit, Sie ungestört auszufragen?" Sie unterbrach sich plötzlich, und ihre Augen wurden weit. „Jo". schluchzte sie dann niedergeschmettert, „wir sind zu spät gekommen! Ingor kennt das Geheimnis der Stagmiden! Wahr scheinlich hat er schon..." Auch ich fühlte mich plötzlich schlaff und zerschlagen, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Nicht ich hatte den Chef gefun den, sondern Dad. Seltsamerweise war es gerade unsere Verzweiflung, die den „Chef" nachdenklicher zu machen schien als vorher unsere Logik. Er sah uns beide lange an und sagte dann, mehr zu sich selbst als zu uns sprechend, langsam: „Dies mag ein besonders raffinierter Trick von Ingor, Glohun oder meinetwegen des Teufels Großmutter selbst sein, aber ich will verdammt sein, wenn ich ihn verstehe!" Er erhob sich langsam. „Liebe Patriotinnen", sagte er, noch immer mit einem Unterton von Spott, „ich kann nicht behaupten, daß ich euch über den Weg traue. Aber Tatsache ist, daß mich jemand betäubt und ausgef
ragt hat. Und eine zweite Tatsache ist, daß ihr es logischerweise nicht gewesen sein könnt. Und drittens klingt eure Geschichte von Paran Ingor ganz logisch - bis auf den Schluß. Den will ich euch erzählen. Nachdem mich der wackere Paran verhört hatte, stellte er fest, daß ich nicht gerade von großem Nutzen für ihn war. Und um sich alle Unannehmlichkeiten zu ersparen, die er hinterher gehabt hätte, beschloß er, mich hier zu deponieren - damit man mich später bei seiner großen Suchaktion auffinden würde. Sehr ihr, liebe Patriotinnen, ich habe nämlich Paran Ingor nicht verraten, wie man Stagmiden betäubt oder sonstwie unschädlich macht." Er reckte sich und holte tief Atem. „Weil ich es nämlich selbst nicht weiß!" Demaskierung Mein Verstand weigerte sich einfach, zu glauben, was meine Oh ren hörten. Ich sprang ebenfalls auf. „Hören Sie, Chef! Sie konnten die Stagmiden ja nur verschi cken, weil sie betäubt waren, nicht wahr?" Der Chef lachte trocken auf. „Die Stagmiden, die wir losge schickt haben, waren nicht eingeschlafen oder betäubt - sondern ausgeschaltet. Und die Schalter, mit denen man sie ausschalten kann, befinden sich auf dem Planeten Horos unter dem großen Altar von Krra - etwa anderthalb Lichtjahre von hier!" Er nickte. „Ja. Patriotinnen - ihr habt ganz richtig gehört. Professor Nebra xas hatte völlig recht. Stagmiden sind weder Tiere noch Pflanzen, sondern Maschinen. Waffen aus einem früheren interstellaren Krieg. Und der Altar von Krra ist eine Kombination von Arsenal und Kommandostation der alten Galaktier. Da hat jeder einzelne Stagmid seinen Kontrollschalter, und wenn wir jetzt auf Horos wären, könnte ich auch diesen hier mit einem Handgriff abschal ten." Wieder hatte ich das hilflose Gefühl, daß sich die scheinbar fest gefügten Fundamente meiner Hypothesen plötzlich in krabbelnde Ameisen verwandelt hatten. „Die Stagmiden werden von Horos aus kontrolliert?" fragte ich noch einmal. „Eingeschaltet!" betonte der Chef. „Sobald sie einmal aktiviert sind, funktionieren sie ziemlich vollautomatisch - wie es sich für
Waffen empfiehlt, die man über kosmische Entfernungen hinweg einsetzen will. Sie tun praktisch, was sie wollen." „Sie werden es für einen großartigen Witz halten", sagte ich mich zusammenreißend, „aber diese Warnschrift und der Strah lungsmesser darunter sind keine Attrappen. Wir sitzen hier wirk lich im Sperrgebiet. Und da Ihre Stagmiden ja machen können, was sie wollen…" Der Chef sah mich scharf an und ging dann mit schnellen Schritten durch die offene Tür in den Nebenraum. Sheila, „Rober ta" und ich folgten ihm auf dem Fuß. Er warf einen scharfen Blick auf den Strahlungsmesser im Nebenraum und sagte dann knapp: „Kompliment, Patriotinnen. Ihr habt starke Nerven, hier herum zulaufen!" Er betrachtete uns abschätzend. „Wahrscheinlich schützen euch eure metallisierten Kleider und drahtdurchwirkten Schleier etwas - die wirken praktisch als Reflektoren auf die elektrischen Wellen, solange sie nicht zu heiß werden! Dann aller dings -" Ich unterdrückte den Gedanken, mir den Effekt glühender Me talldrähte auf unsere Haut auszumalen, sehr rasch. Reflektoren! Das erinnerte mich doch an etwas - an ein Kleid aus Spiegeln damit fing man Basilisken - „Operation Basilisk" -. „Ruhig, Sheila!" sagte ich und hoffte, daß sie meiner Stimme nichts anmerkte. „Ganz ruhig, wir kommen hier heil wieder he raus! Aber ich habe eben entdeckt, was diese Drahtnetze bedeu ten." „Drahtnetze?!" fragte der Chef scharf. Ich nickte. „Rings um den Stagmiden in allen Räumen hat man Drahtnetze gespannt, ziemlich engmaschige sogar. Sie sollen si cher die Wellen, die von dem Stagmiden als Zentrum ausgehen, reflektieren. Und wenn wir mal annehmen, daß die Netze insge samt ein Kugel bilden, in deren Zentrum der Stagmid sitzt - dann folgt..." „Daß die Strahlung wie von einem Hohlspiegel gesammelt und genau wieder auf den Stagmiden zurückgeworfen wird!" schloß der Chef. Sein Gesicht wurde hart. „Und wir", sagte ich kleinlaut, „sitzen mitten in diesem Spiegel kabinett!" Eine ungekannte Wut auf meinen Vater packte mich. Wie konn te er einen hilflosen Menschen in dieses Hochfrequenzfeld legen! Das war kaltblütiger Mord!
„Kopf hoch, Patrotin!" Der Chef hatte mein Mienenspiel falsch gedeutet. „Wir werden dieses Spiegelkabinett schon zerschlagen", sagte er zwischen den Zähnen. „Und anschließend habe ich ein Wort mit einem gewissen Paran Ingor zu reden!" Sheila sah mit entsetztem Gesicht erst ihn und dann mich an. Ich machte eine hastige Gebärde - es fehlte jetzt gerade noch, daß sie ihre Wahnvorstellung von „Paran Ingors Tochter" anb rachte! „Wo ist das nächste Netz?" fragte der Chef. „Kommt schon, Pat riotinnen!" Er stürmte voran - und wir hinterher: es würde jetzt wirklich höchste Zeit, hier herauszukommen. „Vorsichtig - die Netze könnten -", rief ich, als er mit beiden Händen in das Gewebe griff. Aber er schien von einer eiskalten Wut gepackt und zerrte, daß die scharfen Drähte ihm tief ins Fleisch schnitten. „Verdammt - ich kriege sie nicht los!" sagte er schweratmend. „Los - Roberta!" befahl ich. „Die Netze müssen weg!" „Roberta" nickte. „Sehr wohl, gnä' Frau!" Mit einem Anlauf von ein paar Metern sprang der Roboter hoch in das vorderste Netz hinein - es zitterte, gab nach und klatschte mit ihm zu Boden. Wir befreiten ihn rasch aus dem Gewebe, und er sprang zum zweiten Mal. „Auch eine gute Patriotin!" sagte der Chef anerkennend, als „Roberta" das letzte Netz heruntergerissen hatte. „Und nun wei ter!" Wir stolperten ihm über die am Boden liegenden Drahtgeflechte nach und erreichten wieder einen Strahlungsmesser. „Gehen wir der Leitung nach - sie muß ja irgendwo herausfüh ren!" sagte er hastig und folgte der dünnen Litze. Wir kamen durch ein paar weitere Räume. Dann verschwand der Draht durch eine Tür. „Abgeschlossen!" murmelte der Chef. „Ich möchte wetten, daß da draußen eine Wache steht. Na schön!" Sheila faßte ihn bei der Schulter und sagte mit unterdrückter Stimme: „Was haben Sie vor?" Er grinste böse. „Ich werde hier Lärm machen - und wenn die Wache nachschaut, bekommt sie eins über den Schädel!" „Nicht, solange Roberta hier ist!" Er biß sich auf die Lippe. „Erstes Grundgesetz, richtig! Verdammt, was machen wir?"
Sheila winkte den Roboter heran. „Paß auf, Roberta! Du mußt nachschauen, ob noch in anderen Räumen des Sperrgebietes Menschen sind; ihnen droht Lebensgefahr!" Robert klapperte mit den Augendeckeln der Zofe. „Sehr wohl, gnä' Frau!" Er verschwand durch die nächste Tür. „Und letzt los!" sagte der Chef und stürzte sich mit voller Wucht gegen die Tür. Es gab einen dumpfen Lärm - und dann, für ihn selbst wohl überraschend, sprang der Türflügel auf. Es stand tatsächlich eine Wache draußen - oder vielmehr, sie lag bereits am Boden, als wir dem Chef auf den Gang folgten. Er war schon dabei, dem Ohnmächtigen die Uniformjacke auszuzie hen. „Das beste Kostüm, um jetzt unauffällig weiterzukommen!" er klärte er grinsend. „Ein Raumschiffer, der zwei Journalistinnen herumführt!" Sheila warf ihm einen mitleidigen Blick zu. Dann sagte sie schnell: „Wie weit, meinen Sie, werden Sie denn in diesem Auf zug kommen - wenn man Sie überall sucht? Und dann hat Paran Ingor Sie wieder in Händen, und diesmal entkommen Sie ihm bestimmt nicht!" „Und was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?" Sheila lächelte wieder überlegen. „Sie sind ein Staatsbürger von Horos, nicht wahr? Wer nimmt die Interessen eines Bürgers auf einem Raumschiff wahr? Der höchste jeweils anwesende Würden träger seines Planeten! Und wer ist das in Ihrem Falle? Außenmi nister Honved!" „Der verschlafene Löwe?" fragte der Chef zweifelnd. „Oh - er wird aufwachen, das verspreche ich Ihnen! Schließlich haben Sie inzwischen Horos zum mächtigsten Planeten der Gala xis gemacht, nicht wahr? Und Sie - ein Mann mit höchsten Ver diensten - werden hier durch einen Agenten von Sol überfallen und beinahe umgebracht! Es ist der perfekte Anlaß, diplomatische Schritte einzuleiten - und mit voller Zustimmung aller übrigen Planeten gegen Sol vorzugehen!" Sie zwinkerte ihm zu. „Wenn es darum geht, das alles höchst legal und würdig vorzutragen, ist Honved der richtige Mann! Er wird vor allem erst einmal die Kommandantin überzeugen, und dann -" „Eins zu null für Sie, Patriotin!" sagte der Chef anerkennend. „Das ist eine gute Idee. Aber wie erwischen wir Honved?" „Ich werde zum nächsten Sprechgerät gehen."
Was Sheila vorhatte, war ein schwerer Schlag gegen die Inter essen Sols, das durch die Stagmiden ohnehin schon in bedrängter Lage war. Ich wäre verpflichtet gewesen, sie zu hindern. Aber ich hatte das Gefühl, daß es ihr nur zur Hälfte um Horos und Honved ging - daß in Wirklichkeit unausgesprochen hinter ihrer Beredsamkeit auch der Wunsch stand, einen offenen Kampf zwischen dem Chef und Paran Ingor zu vermeiden: In meinem Interesse. Daß sie mich dabei für seine Tochter hielt, änderte nichts daran, daß ich ihr für diese Hilfe dankbar war. „Einen Augenblick. Sheila". bat ich. „Melde dich bei Honved nicht als ,Sheila Keith'. Er denkt nämlich, ich sei das!" Sie sah mich verblüfft an. „Du hast tatsächlich mit ihm gespro chen, ja? Ich dachte, das wäre nur Schwindel gewesen!" Ihre Stirn furchte sich. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß Honved so über die Asiaten gesprochen haben soll, denn er haßt sie!" Sheilas Worte riefen mir plötzlich wieder eine Bemerkung ins Gedächtnis, die sie bei unserer Debatte in der Bibliothek gemacht hatte. „Stimmt es", fragte ich, „bist du ganz sicher, daß Honved die Bedingung gestellt hat, es dürfe während seiner Reise kein Asiate an Bord sein?" Sie nickte befremdet. „Ich habe die Meldung selbst überarbeitet, sie mußte noch gekürzt werden!" Ich holte tief Atem. Hier tauchte ein neuer rätselhafter Ge sichtspunkt auf: „Und wie kommt es dann, daß uns auf dem Weg aus dem Blauen Salon in der Küche ein chinesischer Koch begeg net ist?" Sheila wollte etwas sagen, aber dann schüttelte sie den Kopf. „Nachher, Jo. Erst muß ich Honved erreichen! Das ist jetzt das Wichtigste!" Ich sah ihr nach, bis sie um die Biegung des Ganges ver schwunden war. Ich hätte ihr das Risiko dieses Weges gern abge nommen: aber es schien mir wichtiger, sie nicht mit dem Chef allein zu lassen, sondern ihn wenigstens im Auge zu behalten. Mit diesem Gedanken drehte ich mich um - und sah in die Läh mungspistole des Raumschiffers. „Sagen Sie mal, Patriotin", der Chef sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an, „diesen chinesischen Koch haben genau drei Menschen gesehen. Der eine war ich - Paran Ingor können
Sie schlecht sein - aber -", er machte eine aufmunternde Bewe gung mit der Pistole, „sind Sie vielleicht Job Ingor?" Es trifft den Falschen Möglicherweise hätte es irgendeine halbwegs einleuchtende Aus rede gegeben - aber im Augenblick war ich durch diese unvorher gesehene Wendung einfach zu erschlagen, um überhaupt etwas zu sagen. Da hatte ich Minister, Offiziere und scharfäugige Jour nalistinnen, ja selbst den großen Paran Ingor überlistet, und jetzt verplapperte ich mich im ungeeignetsten Moment wie ein Schul junge! „Nun, Patriotin?" fragte der Chef noch einmal. „Wer ist übrigens Ihre hilfsbereite Kollegin? Auch ein verkleideter Mann?" Die Erwähnung Sheilas riß mich aus meiner Erstarrung. „Nein", sagte ich hastig, „lassen Sie Sheila in Frieden! Sie weiß von nichts. Sie hält mich wirklich für eine Patriotin. Und sie meint es ehrlich!" „Ich hoffe es", sagte der Chef trocken, „in unser beider Interes se!" Er musterte mich interessiert. „Das ist eine ganz prächtige Maske. Ich bin glatt drauf reingefallen. Was halten Sie davon, wenn Sie mir jetzt einmal offen erzählen, wie Sie hierhergekom men sind?" Ich nickte und erzählte ihm, was ich seit meiner Flucht vor Dad erlebt hatte. Der Chef hörte mir nachdenklich zu; er unterbrach mich nicht. Im Lauf der Erzählung ließ er die Pistole sinken, und als ich geen det hatte, steckte er sie kurz entschlossen ein. „Vielleicht mache ich jetzt einen kapitalen Fehler, Job", sagte er, „aber ich glaube Ihnen diese ganze tolle Geschichte. Vielleicht weil ich an Ihrer Stelle etwas ganz Ähnliches angestellt hätte." Er wurde wieder ernst. „Aber jetzt möchte ich gern wissen: Auf wel cher Seite stehen Sie eigentlich?" Ich schüttelte den Kopf. „Das", sagte ich ehrlich, „weiß ich selbst nicht." Der Chef nickte. „Ich kann Sie gut verstehen, Job. Ihr Kinderglaube an das große und gütige Sol hat einen kräftigen Knacks bekommen, aber die Opposition ist Ihnen genauso unsympathisch." Er zuckte die Achseln.
„Ich gebe zu, Job, die Sache mit den Stagmiden ist ein übler Trick. Wenn ich etwas Besseres wüßte, würde ich es versucht haben. Aber es ist die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Ich brauche Ihnen nicht zu erzäh len, daß Horos an allen Ecken und Enden von Sol abhängt. Sie haben selbst dort studiert. Aber Sie wissen vielleicht nicht, daß Sol systematisch jeden Versuch, diese Abhängigkeit zu verrin gern, sabotiert hat. Nehmen wir ein Beispiel, das ich selbst sehr genau kenne." Seine Stimme hatte einen bitteren Klang. „Sie wissen vielleicht, daß Horos gar nicht arm an Titan ist. Trotzdem importierten wir Unmengen davon aus der ganzen Ga laxis - weil es für unsere Vorkommen keinen vernünftigen Aufbe reitungsprozeß gab. Dann kam ein junger Ingenieur und klemmte sich hinter das Problem. Ein paar Jahre lang, Job, und schließlich hatte er die Lösung. Einen perfekten Aufbereitungsprozeß - wirtschaftlich, einfach durchzuführen und sicher. Das einzige, was man dazu brauchte, waren entsprechende Kontrollgeräte für den vollauto matischen Ablauf - Geräte, wie sie die kybernetischen Fabriken auf Sol schon lange benutzen. Und produzieren. Alles ließ sich sehr schön an - nur das Schiff, das die Kontrollge räte bringen sollte, brachte statt dessen nur die Herren unserer Wirtschaftsdelegation wieder. Sie hatten keine Exporterlaubnis für die Kontrollgeräte bekommen. Aus sogenannten grundsätzlichen Erwägungen heraus. Ich", er unterbrach sich und grinste dann böse, „Sie werden inzwischen schon erraten haben, wer der Inge nieur war, gab die Sache nicht auf. Schließlich war die Regierung selbst an meinem Projekt interessiert. Wenn wir die Geräte nicht bekamen, dann konnte man vielleicht selbst welche bauen - vor ausgesetzt, daß man die Leute mit den nötigen Kenntnissen dazu hatte. Wir forderten die Leute an. Es vergingen einige Jahre - Schiff hin. Schiff zurück - die Leute kamen nicht. ,Momentane Engpaßsituation in der Ausbildung -' und so weiter. Aber irgend etwas von der ganzen Sache schien in Sol ruchbar geworden zu sein: ein paar Männer - anscheinend Idealisten - versuchten, mit gefälschten Papieren nach Horos zu kommen: Es waren erstklassige Spezialisten, Job, sie hätten uns das Problem in ein paar Wochen gelöst.
Nur, als sie ankamen, waren sie alle rombasüchtig. Sie haben einen von ihnen gesehen, den kleinen Timothy; und das war ein mal ein hochgeschätzter Fachmann für Kybernetik!" Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Während der Fahrt hatte sich eine Agentin von Sol an sie he rangemacht und hatte es geschafft, aus diesen Männern jämmer liche Wracks zu machen. Man gewöhnt sich rasch an Romba und entwöhnt sich nie wieder." Er nickte grimmig. „Ich war ziemlich viel auf Horos herumgekrochen - Lagerstät tensuche und so weiter. Und dabei stieß ich auf die Ruinen von Krra - und ihr Geheimnis. Ich will nicht sagen, daß ich dieses Geheimnis voll aufgeklärt habe. Wie gesagt - wenn ich mehr von Kybernetik und derglei chen verstünde, dann wäre das alles nicht nötig gewesen. Aber man kann schließlich fertige Geräte auch in Gang setzen, ohne ihre Funktion zu kennen; wenigstens so weit, daß man einen Be griff davon bekommt, wozu sie dienen. Und einen Begriff davon, was man mit ihnen erreichen kann." Wieder grinste er böse. „Trotzdem war es erst Glohun, der mich auf die Idee mit den Al tertümern brachte. Und Glohun hat den ,Altar von Krra' populär gemacht. Ich dagegen habe die übrige Organisation aufgebaut. Und jetzt ist es so weit, daß wir losschlagen können, im letzten Moment sozusagen. Denn schon hatte uns das große, weise Sol wieder einen Agenten auf den Hals geschickt. Ihren Vater, Job!" Ich sah ihn scharf an. Diese Geschichte klang wahrscheinlich und sie packte mich an einer Stelle, an der ich nun einmal beson ders empfindlich bin: Ausgesperrt zu werden - gegen eine unsich tbare Wand anzurennen - von irgendwelchen „klugen Leuten" im Hintergrund gegängelt zu werden - das waren die Dinge, die auch ich auf den Tod haßte. „Aber - Chef -", sagte ich kritisch, „wenn dies eine Aktion gegen Sol sein soll: Warum dann auch Stagmiden auf alle anderen Pla neten schicken? Das sieht doch verdammt nach -" Er nickte. „Nach Weltherrschaftsplänen und so weiter aus. Voll kommen richtig. Job. Und daß Glohun darauf bestanden hat - das ist der Grund, weshalb ich ihn vorhin im Verdacht hatte, hinter dieser Stagmidengeschichte hier auf dem Schiff zu stecken. Er sagte, es sei besser, für alle Fälle gerüstet zu sein. Wenn wir nur
Sol mit Stagmiden überschwemmen würden, könnte sich die Zentralregierung auf einen anderen Planeten absetzen. Und was sollte ich dagegen sagen, Job? Ich brauchte Glohun genauso nötig wie er mich." Er zuckte die Achseln. „Verschwörungen sind immer ein etwas riskantes Geschäft. Job. Man kann sich seine Partner nicht aussuchen!" Er sagte nichts mehr und schaute mich an. Das Schweigen dehnte sich bedrückend lange. Und mitten in die Stille hinein hörten wir plötzlich Schritte. Es waren nicht die Schritte Sheilas, sondern schwere, männli che. Ich sah mich schnell um. Der Chef stand - in der Uniform der Wache - neben der Tür bei den Meßgeräten, die die Strahlung im Inneren des Sperrgebietes kontrollierten: den ohnmächtigen Raumschiffer hatte er hinter die Tür geschoben. Auf den ersten Blick sah das ganz unverdächtig aus. Die Schritte kamen näher, bogen um die Ecke... „Professor!" zwitscherte ich. „Wie schön. Sie hier zu treffen! Sa gen Sie - darf ich Sie jetzt interviewen?" „Was machen Sie denn hier!" fuhr mich Dad an. Ich zwang mich zu einem koketten Lächeln, etwa so, wie ein Clown seine Spaße macht, während es hinter der Bühne brennt. „Nein, Professor Ingor, diesmal werden Sie mich nicht los. Sa gen Sie - ist dieser Stagmid ein Männchen oder ein Weibchen oder sind es -" „Zum Teufel, wie kommen Sie ins Sperrgebiet?! Paßt denn die Wache -" Er brach ab und faßte den Uniformierten näher ins Auge. Einen Augenblick lang verwirrte ihn wohl der fehlende Schnurrbart lange genug jedenfalls, um den Chef die Pistole ziehen zu lassen. „Paran Ingor", sagte er heiser, und sein Gesicht verriet nichts Gutes. Und das war der Augenblick, in dem die Alarmklingel schrillte. Ich wußte im ersten Moment nicht, woher der Ton kam - doch dann fiel mein Blick auf die Meßgeräte: Die Zeiger der Strah lungsmesser schlugen aus wie verrückt. Der Stagmid schien aktiv zu werden. Dad hatte blitzschnell reagiert: Das Stutzen des Chefs ausnut zend, hatte er den Arm mit der Pistole gepackt. Aber wenn der Chef auch einen halben Kopf kleiner war als Dad - er war kein
Schwächling. Nur zentimeterweise gelang es Dad, seinen Arm nach oben zu drücken. Und deshalb stand ich genau in der Schußlinie, als die Pistole sich endlud. Das Erwachen Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht ist der Schuß einer Läh mungs-Pistole nicht schmerzhaft. Die gleiche paralysierende Strahlenwirkung, die das motorische Nervensystem zeitweise au ßer Betrieb setzt, trifft auch die sensiblen Nerven und betäubt sie - man spürt also gar nichts. Aber das holt man dafür mit Zins und Zinseszins nach, wenn man wieder aufwacht. Man kann das Gefühl etwa mit dem vergleichen, das man in ei nem „eingeschlafenen" Glied spürt, wenn es wieder unter Kontrol le kommt - allerdings nur so, wie man etwa eine Atomexplosion mit dem Funken eines elektrischen Feuerzeugs vergleichen kann. „Bewegen Sie sich! So", jemand packte meine Arme und zerrte mich von meinem Lager hoch. Ich taumelte. „Los! In die Knie, und hoch!" Ich mußte mich festklammern. Feuerströme schossen mir durch alle Glieder. Aber es half. Langsam begann ich zu begreifen, wo ich war und was um mich vorging. Wir befanden uns in einem kleinen, kärglich eingerichteten Raum, und der Mann, der mich bei meinen augenblicklich noch recht kläglichen Turnübungen unterstützte, war der Chef. „Und runter, und hoch!" kommandierte er. „Und jetzt die Arme kreisen!" Es dauerte noch eine Weile, bis ich - wenn auch schwankend - auf eigenen Füßen stehen konnte. „Tja - nun habe ich mich also doch mit einer Lähmungspistole revanchiert!" sagte der Chef mit entschuldigendem Grinsen. „Set zen Sie sich jetzt, aber bewegen Sie sich immer noch, um so schneller sind Sie wieder in Form!" Er ließ mich auf die Kante des Lagers sinken. „Was ist passiert? Wo sind wir hier?" fragte ich mit einiger Ans trengung. Meine Zunge gehorchte mir noch nicht recht. „Was passiert ist, ist schnell erzählt. Nachdem Sie umgekippt waren und der Stagmid anfing, uns einzuheizen, haben Ingor und ich sehr schnell einen befristeten Waffenstillstand geschlossen wir hatten beide keine Lust, Bratfleisch zu werden. Er hat den
Wachtposten aufgeladen - und ich Sie - und wir haben uns erst einmal aus dem Sperrgebiet herausgemacht Dann kamen viele aufgeregte Maatschappij-Leute, denen uns Ihr Vater übergab, und da anscheinend Honved schon irgend etwas eingeleitet hatte, wurden wir ziemlich respektvoll hier eingesperrt. Man wollte sogar einen Arzt für Sie schicken, aber ich habe es abgelehnt, Patrio tin." Erst jetzt kam es mir zum Bewußtsein, daß ich ja noch immer als „Sheila Keith" kostümiert war, wenn ich auch ziemlich mitge nommen aussah. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ein Offizier der Maatschappij die Tür unseres „Gefängnisses" öffnete und uns wachsam, aber nicht ohne Respekt - durch die Gänge der Kugel B führte. Vor einer großen Tür machte er halt und ließ uns eintre ten. „Junger Freund!" dröhnte Minister Honved. „Und liebe Miß Keith!" Er schüttelte uns die Hände, als seien wir seine eigenen, aus Todesgefahr zurückgekehrten Kinder. Und mit seinem Geha be füllte er den ganzen Raum so nachhaltig aus, daß ich erst jetzt sah, daß er nicht allein war. An der anderen Seite des langen Konferenztisches saßen der Manager, die Kommandantin und Dad. Was diese Gruppierung zu bedeuten hatte, war mir nicht recht klar. Aber Honved schien sich so wohl zu fühlen, daß es wohl kei ne unmittelbare Gefahr bedeuten konnte - oder? Als ich den Blick sah, mit dem der Chef Dad bedachte, spürte ich ein unangeneh mes Gefühl in der Magengrube; Dad dagegen war zwar blaß, aber merkwürdig gefaßt. „Es handelt sich, junger Freund", fuhr Honved fort, „nur noch um einige Mißverständnisse, die aus der Welt geschafft werden müssen und", sein Gesicht legte sich in ernste Falten, „um eine allerdings sehr ernste Frage." Er sah vielsagend auf Dad. „Aber der Reihe nach. Die Kommandantin der OMEGA III", er machte eine leichte Verneigung vor ihr, „hat die Behauptung auf gestellt, Sie - und noch eine dritte Person, die sich bereits unter meinen Schutz gestellt hat seien verantwortlich für die Reizung des Stagmiden und die daraus folgenden Zerstörungen auf die sem Schiff. Sie sollen irgendwelche Schutznetze oder dergleichen beseitigt haben." Er sah den Chef fragend an.
„Ja. natürlich mußten wir einige Netze entfernen, nachdem man uns gegen unseren Willen ins Sperrgebiet gebracht hatte!" sagte der Chef kühl. „Wäre die Kommandantin etwa an unserer Stelle dort geblieben?" Sie schüttelte den Kopf. „Es handelt sich nicht um ,einige Netze', Kapitän Helmers!" Ihre Augen funkelten zornig. „Gut die Hälfte aller Schutznetze muß zerstört worden sein, sonst wären die schweren Schäden an le benswichtigen Einrichtungen des Schiffes nicht zu erklären!" Der Chef zuckte die Achseln. „Wir hatten keinen Grund, mehr Netze zu entfernen, als für unser Entkommen nötig war." Ich spürte plötzlich wieder ein ungutes Gefühl. Was war eigent lich mit Robert C geschehen? Sheila hatte ihn weggeschickt - und dann hatte ich ihn total vergessen. Wenn er jetzt - mit dem un gewohnten Zofenkörper gekoppelt - da drinnen irgendwie durch gedreht hatte? Vielleicht auf die Idee gekommen war, er müsse noch weitere Netze demontieren? „Und gereizt haben wir den Stagmiden auch nicht. - das wäre ebenfalls wenig in unserem Interesse gewesen!" schloß der Chef. Die Kommandantin wollte scharf erwidern, aber der Manager hob die Hand. „Bitte - keine vorschnellen Behauptungen. Diese Argumente scheinen mir sehr stichhaltig. Wir werden die Prüfung dieser Fra ge zurückstellen müssen, bis das Sperrgebiet wieder zugänglich ist." Honved nickte. „Aber nun zur ernsteren Frage: Dort drüben sitzt ein Mann, der angeblich ein Professor der interstellaren Kulturgeschichte sein soll. Ich bin im Besitze von Informationen. die es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß er in Wahrheit ein Terroragent des Sys tems Sol ist und Bürger von Horas überfallen und nur durch einen glücklichen Zufall nicht umgebracht hat. Ich stelle den Antrag auf Auslieferung dieses Mannes, um ihn einer Aburteilung vor den Gerichten von Horos zuzuführen!" Ich sah Dad an. Er schien nicht überrascht, aber sein Gesicht wurde hart. „Beruhen diese Informationen etwa auf den Aussagen eines Mannes, der angeblich ein Frachterkapitän sein soll, in Wahrheit aber eine Verschwörung gegen die ganze Galaxis angezettelt hat?" fragte er zurück.
Honved hob beschwörend die Hand. „Ich muß bitten, keine Behauptungen aufzustellen!" Der Chef lächelte böse und wandte sich an Dad. „Und woher wenn ich fragen darf - kommen Sie eigentlich auf die Idee, daß ich ein Verschwörer bin? Gehört das mit zur interstellaren Kultur geschichte? Oder wissen Sie es vielleicht aus Ihrer nebenberufli chen Tätigkeit als Agent, Herr Professor?" Das war wieder ein böser Hieb. Aber Dad blieb ruhig. „Also gut!" Er erhob sich in voller Länge. „Sie wollen Ihren ge heimnisvollen Agenten haben - gleichviel, ob mit Logik oder ohne - und Sie sollen ihn haben!" Er wandte sich an Honved. „Exzellenz, damit ich nicht plötzlich eine neue Tücke ersinne, nehmen Sie die Lähmungspistole der Kommandantin." Der Minister sah ihn verblüfft an. „Bitte. Exzellenz! Ich bin doch ein gefährlicher, mörderischer Agent!" drängte Dad. „Wenn Sie mich jetzt mitnehmen, müssen Sie gut auf mich aufpassen!" Er wartete, bis die befremdete Kommandantin Honved die Pistole übergeben hatte, die der Mi nister ziemlich ungeschickt auf Dad richtete. »So!" Dad nickte befriedigt. „Sie müssen nur noch die Sicherung lösen - so!" Er lehnte sich lässig an die Wand und musterte die ganze Versammlung: den löwenköpfigen Minister, den Chef, der mißtrauisch dieser neuen Entwicklung zusah, mich - und ich hatte das Gefühl, daß sein eines Auge dabei unmerklich zuckte, die Kommandantin und das undurchdringliche Antlitz des Managers. „Aber bevor Sie mich abführen, Exzellenz - bevor Sie die Misse taten tückischer Agenten von Sol an meiner Person exemplarisch bestrafen - möchte ich wie jeder arme Sünder noch ein letztes Wörtlein sagen." Er lächelte. Irgendeinen Trumpf hatte er jetzt noch im Ärmel. Aber was? Langsam wanderte sein Blick zu Honved zurück. „Was halten Sie eigentlich von den Asiaten. Exzellenz?" fragte er plötzlich scharf. Honved blinzelte. „Sie sind", antwortete er befremdet, „eine arbeitsame, fruchtba re und friedliebende Rasse mit einer langen Tradition staatsmän nischer Klugheit und gesunden Familiensinns." Dad nickte. „Können Sie das eigentlich auch von hinten aufsa gen?"
Honved räusperte sich entrüstet. Aber Dad ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Sie haben früher an den Asiaten kein gutes Haar gelassen. Sie haben sie in allen Tonarten verdammt. Sie haben sogar verlangt, daß kein einziger Asiate an Bord des Schiffes gehen dürfe, wenn Sie fahren. Stimmt das?" fragte er scharf. Der Chef nickte befremdet. „Und jetzt singen Sie ein Loblied auf die Asiaten, Exzellenz? Wie kommt das?" Honved blinzelte wieder. „Das war alles nur ein Teil meines großen Planes, den ich -" „Den Sie nie selbst gefaßt haben, sondern den Ihnen jemand suggeriert hat, als Sie in einer Hypnose lagen!" Dad sprach schnell weiter. „Genau die gleichen Worte über die Asiaten haben Sie wie ein dressierter Papagei jetzt während dieser Reise schon ein paarmal aufgesagt, ohne zu merken, daß man sie Ihnen ir gendwann eingeredet hat!" Honved sah uns verwirrt an. Es war ihm in seiner ganzen Lauf bahn noch nicht passiert, daß man ihn mit einem dressierten Pa pageien verglich. „So ungern ich diesem Mann recht gebe", sagte der Chef lang sam, „diesmal sagt er ausnahmsweise etwas Wahres. Es ist un möglich, daß Sie Ihre Meinung über die Asiaten von selbst so ge ändert haben. Sie müssen unter dem Einfluß einer Hypnose ste hen!" Asiaten - Hypnose - ein chinesischer Koch - wieder einmal quirl ten meine Gedanken in buntem Wirbel durcheinander. „Aber -", stammelte Honved, und er sah jetzt nicht mehr wie ein Löwe aus, sondern eher wie ein nach Luft schnappender Frosch, „das wäre ja furchtbar! Das hätte ja - unausdenkbare politische Konsequenzen! Das -" „Das hat bereits furchtbare Konsequenzen gehabt, Honved!" sprach Dad unerbittlich weiter. „Und wollen Sie sich das gefallen lassen? Wollen Sie, der Außenminister von Horos, die Marionette irgendeines Hypnotiseurs sein? Wenn Sie diesen Mann - diesen unbekannten Drahtzieher - jetzt vor sich hätten, wäre er nicht ein besonderes Ziel für diese Pistole?" Jetzt verstand ich Dads Trick. Er hatte Honved die einzige Läh mungspistole in die Hand gespielt, die überhaupt im Raum war. Und zwar, damit sie kein anderer erreichen konnte...
„Aber - die Einwanderung liegt im Interesse Sols!" protestierte Honved schwach. „Wenn jemand einen Vorteil davon hatte, meine Ansichten zu ändern, dann doch nur ein Agent Sols - also Sie!" „Meinen Sie, ich würde Ihnen dann mit viel Mühe wieder die Au gen öffnen? Nun hören Sie doch endlich auf, die Agenten Sols für Idioten zu halten!" „Aber - wer sonst?" stöhnte Honved. „Dieser Herr dort!" sagte Dad freundlich - und wies auf den Ma nager. * „Schwenken Sie die Pistole schnell!" kommandierte Dad, „Denn da finden Sie auch den Mann, den Sie die ganze Zeit über suchen. Den Mann, der Ihren Kapitän Helmers überfallen und betäubt hat! Natürlich wußte er, daß Helmers der Chef war, genau wie er wuß te, daß ich ein Agent bin, wie er überhaupt jede wichtige Infor mation aus jedem einzelnen Passagier herausgefragt hat - wäh rend der Zeit, da wir in der Betäubung seiner ,Schutzinjektionen' lagen!" Dad mußte eine Pause machen, um Luft zu holen. Und diese Pause hatten wir wohl alle nötig. „Das werden Sie näher erklären müssen, Paran Ingor!" Der Chef war aufgesprungen. „Sie geben also zu, der Agent zu sein?" „Zum Teufel, natürlich gebe ich es zu!" rief Dad. „Begreifen Sie doch, Mann, daß es hier nicht mehr um meine Rolle oder um Ihre Verschwörung geht, sondern um eine Verschwörung gegen uns alle! Um eine Verschwörung, an die niemand gedacht hat, gerade weil sie so naheliegend war! Und wenn jemand einen Verdacht hatte, sobald er wieder in diese Teufelsmaschine geriet, hat man ihm diesen Verdacht schleunigst genommen, während er hilflos im Narkoseschlaf auf irgendeinem Schiff der Maatschappij lag! Denn wir haben es ja hier nicht mit einem einzelnen Manager zu tun - sondern mit dem heimlichen Diktator der ganzen Galaxis: Mit der Maatschappij!" Ich hatte eigentlich gedacht, es könne keine Steigerung der Überraschungen mehr geben. Aber ich hatte mich wieder mal getäuscht.
„Sie sind doch ein Revolutionär, Chef", fuhr Dad ruhiger fort. „Wenn Sie die Macht an sich bringen wollten, was würden Sie zuerst in Ihre Hand bringen?" „Was würde ich -?" Der Chef zögerte. „Den Sitz der Regierung? Aber das genügt nicht - die Nachrichtenstationen!" sagte er plötz lich begreifend. Dad nickte. „Und was entspricht dem Nachrichtenwesen in der Galaxis, da es keine interstellare Funkverbindung gibt? Die Raumschifflinien! Und wer die interstellare Raumschiffahrt kont rolliert - der kontrolliert die Galaxis! Natürlich glaubt Sol, es habe die Zentralregierung. Aber wie gibt es seine Befehle? Durch Ge sandte, die mit den Schiffen der Maatschappij fliegen! Und wie bekommt es seine Informationen? Durch Berichte von Leuten, die auf Schiffen der Maatschappij nach Sol kommen! Und kein Mensch denkt daran, daß alle diese Passagiere zweimal während der Fahrt unkontrolliert in einem Betäubungsschlaf liegen, näm lich bei der Startbeschleunigung und bei der Landeverzögerung, und daß man in dieser Zeit alles aus ihnen herausfragen kann, was man wissen will - und daß man ihnen alles einreden kann, was man will!" Er trat an die Wand und riß ein Ventilationsgitter los. „Warum - meinen Sie wohl - sind alle Lüftungsschächte der OMEGA III so dick, daß ein Mann in ihnen entlangkriechen kann? Weil die Herren der Maatschappij Wege brauchen, um auch in verschlossene Kabinen einzudringen! Weil sie dort ihre Regie rungsgeschäfte im stillen erledigen! Weil sie dort aus einem Asia tenfresser einen Asiatenfreund machen, einer Delegation von Ko ros einreden, sie habe statt eines Erfolges einen Mißerfolg gehabt, einen heimlich an Bord gekommenen Flüchtling zum Rombatrin ker machen und die Schuld gleich bequemerweise auf Sol schie ben!'' „Und warum", fragte der Manager plötzlich sanft, „sollten wir das nicht tun?" Er lächelte mit schmalen Lippen und fuhr dann kühl fort: „Wis sen Sie, wann ich meinen Dienst in der Maatschappij begonnen habe? Vor dreihundert Ihrer Planetenjahre! Das sind für uns auf dem Schiff ebenso viele Wochen - ich habe fast zehn Generationen kommen und gehen sehen in dieser Zeit. Nehmen Sie es mir allzu übel, wenn ich Ihre ganzen hochwichti
gen Staatsaktionen ein wenig so ansehe, wie Sie einen Ameisen haufen? Und wenn ich ab und zu einmal mit dem Stock ein wenig in dem Haufen stochere, um zu sehen, wie die Ameisen wohl reagieren?" Er nickte der Kommandantin, die ihn fassungslos anstarrte, be ruhigend zu. „Auch Sie, meine Liebe, werden so denken, wenn Sie die ersten hundert Fahrten hinter sich haben. Sie erfahren das Geheimnis jetzt etwas verfrüht. Später werden Sie auch erkennen, warum das Stochern in den Ameisenhaufen zuweilen nötig ist. Raumfahrt ist eine kostspielige Sache, meine Liebe. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wäre es viel einfacher, jeden Planeten selbst alles erzeugen zu lassen, was er braucht. Und die Tendenz dazu tritt ja auch immer wieder hervor. Nur - das wäre das Ende der Raumfahrt. Wozu sollte man eigentlich den ganzen teuren Apparat aufrech terhalten? Der Maatschappij zuliebe? Uns zuliebe? O nein, meine Liebe, da ist es schon sicherer, immer wieder dafür zu sorgen, daß Raumschiffahrt nötig ist. Solange Horos sein Tantal importie ren muß, wird es jedes unserer Schiffe mit Jubel empfangen. Wenn es sich selbst versorgen könnte, sähe das anders aus. So lange Sol glaubt, die Galaxis zu beherrschen, wird es Schiffe für seine Gesandten brauchen - solange es jede der äußeren Welten mit Mißtrauen ansieht, wird es Schiffe für seine Agenten brauchen - solange es Monopole für entscheidende Rohstoffe und techni sche Errungenschaften hält, solange wird es Frachtschiffe für den Export brauchen. Und das ist doch so leicht zu erreichen. Hier eine Ameise auf einen anderen Pfad gesetzt - dort eine zertreten - da ein Dokument umschreiben lassen, dort ein paar Kisten mit wichtigem Material über Bord werfen, schon ist die Gefahr wieder für ein paar Jahrzehnte gebannt. Sie werden Spaß daran haben. Es ist wie ein Schachspiel." Wir hatten ihm atemlos zugehört. „Sie werden keinen Spaß mehr daran haben!" sagte Dad jetzt mit tiefer Verbitterung. „Ab heute nicht mehr! Sie haben einen Trick zuviel versucht, als es Ihnen bei Ihrer eigenen Gottähnlich keit bange wurde, als Sie Helmers bei der ersten Gelegenheit be täubten und noch einmal ausfragten, ob er denn kein Mittel gegen den Stagmiden wisse - und dann mir die Schuld in die Schuhe schieben wollten." Der Manager lächelte wieder.
„Es war ein unerwarteter Zwischenfall - das gebe ich zu. Ich konnte aus allem, was Sie mir zuerst in der Narkose erzählt hat ten, nicht entnehmen, daß ein Stagmid an Bord sein würde, und ich war ziemlich verblüfft, als er auftauchte. Nun ja - das gehört zu den Reizen des Spiels mit lebendigen Figuren: sie überraschen einen doch immer wieder. Unangenehmer war es, daß sich der Stagmid als ernstliche Bedrohung für das Schiff erwies - und daß auch Helmers keinen Rat wußte. Aber inzwischen hatten Sie, Herr Professor, ja Ihr unschätzbares Spiegelprojekt ersonnen, das zweifellos den gewünschten Schutz geboten hätte - wenn da nicht ein kleiner Zwischenfall durch die Aktionen von Miß Keith einget reten wäre. Doch selbst das hatte gewisse Vorteile..." „Aber nicht für Sie!" fuhr der Chef erbittert auf. „Wenn ich das bedenke - ,wie ein Schachspiel' - verdammt! Aber Sie werden es nicht mehr spielen! Diese Landung wird ohne Ihre verdammten ,Schutzinjektionen' stattfinden! Und diesmal werden wir berich ten, was wir hier erlebt haben!" Der Manager hob die Augenbrauen. „Meinen Sie?" Er lächelte wieder mit schmalen Lippen. „Im übri gen", er wandte sich an Honved, „wäre es jetzt recht nett, wenn Sie diese Pistole fortlegen würden. Sie könnte unversehens los gehen!" Der Minister umklammerte grimmig die Waffe. „Ich werde Sie nicht aus dem Visier lassen, bis ich Sie vor einem interstellaren Gerichtshof habe. Sie und Ihre Komplizen!" donnerte er. „Und wie, Herr Minister", fragte der Manager verbindlich, „wol len Sie mit mir dorthin gelangen? Vorhin wurde von Beschädigun gen verschiedener Schiffsanlagen gesprochen. Eine davon ist die völlige Funktionsunfähigkeit unseres Akzelerationsschirms!" Er lehnte sich befriedigt in seinen Sessel zurück. „Ist das wahr?" fragte Dad die Kommandantin scharf. Sie zuckte resigniert die Achseln. „Leider ja. Die Strahlung des Stagmiden ist - durch den Rest der Reflektionsschirme - geradezu auf die Anlagen konzentriert worden. Wir können sie mit unseren Mitteln nicht reparieren." „Das bedeutet", schaltete der Manager in gemächlichem Plau derton ein, „die OMEGA III kann zwar weiterfliegen, aber nicht landen. Das ist an sich gar nicht so schlimm. In der Nähe Sols können wir ein anderes Fastlichtgeschwindigkeitsschiff herbeisig nalisieren, das unsere Passagiere aufnimmt und sicher zur Erde
bringt. Sie allerdings, meine Herrschaften, haben nur die Wahl, auf der OMEGA III zurückzubleiben - oder in der Schleuse des zweiten Schiffes eine kleine Injektion anzunehmen, damit wir alles wieder in die rechte Ordnung bringen können!" „Sie sind in unserer Gewalt!" sagte Honved drohend. Der Manager nickte. „Aber ich bin kein Akzelerationsschirm. Selbst wenn Sie mich umbringen, ändert es nichts daran, daß Sie, um überhaupt wieder auf einen Planeten zurückzukommen, ein weiteres Schiff der Maatschappij brauchen. Und daß Sie auf die sem Schiff eine Injektion bekommen werden. Oder wollen Sie versuchen, eine enge Übergangsschleuse mit Gewalt zu stür men?" Honved starrte ihn an. Die Waffe in seiner Hand zitterte. „Natürlich", fuhr der Manager fort, „können Sie jetzt noch aller hand Unheil stiften. Sie können mich und die Kommandantin und noch einige Leute hier auf dem Schiff mit Lähmungspistolen an schießen. Aber das ändert nichts am Ausgang der Sache." Er machte eine kleine Pause. „Höchstens insofern, als dieser Aus gang für Sie unangenehmer sein würde. Meinen Sie, es würde auf Sol einen guten Eindruck machen, wenn Sie etwa - unter einem posthypnotischen Befehl - in der Sitzung des interstellaren Rats plötzlich Schuhe, Hose und Strümpfe ausziehen würden„ um auf den Stuhl zu steigen und ,vom Himmel hoch, da komm ich her' zu singen? Und das ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Ihnen Unannehmlichkeiten zu machen..." Honveds Augen schienen aus dem Schädel zu treten. Der Chef starrte den Manager mit zusammengebissenen Zähnen an. Dad ließ kein Auge von Honveds Pistole. Und ich zermarterte mir den Kopf, ob es nicht noch einen Ausweg aus dieser Lage gab - ob uns wirklich in letzter Sekunde dieser Zwischenfall mit dem Schirm den fast sicheren Sieg aus der Hand geschlagen hatte! „Umgekehrt", sagte der Manager träumerisch, „können wir na türlich in Fällen guter Zusammenarbeit auch durchaus unseren Dank beweisen. Es wäre möglich, die Ergebnisse der nächsten interstellaren Wahlen etwas zu korrigieren..." „Und was nützen diese Wahlergebnisse, Honved, solange meine Stagmiden -". sagte der Chef eindringlich. „Ihre Stagmiden?" unterbrach ihn der Manager spöttisch. „Sie vergessen, Herr Revolutionär, daß ich inzwischen über diese Stagmiden genausoviel weiß wie Sie! Beim nächsten Besuch am
Altar von Krra werden wir diese neue Kontrollmöglichkeit der Ga laxis in die Dienste der Maatschappij nehmen. Wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch eine leitende Position dabei erhalten ebenso wie Sie, Herr Professor, oder unsere liebe Miß Keith. Wir sind keineswegs abgeneigt, intelligente Menschen in unsere Or ganisation aufzunehmen." Honved holte tief Luft, Er ließ die Pistole halb sinken. „Wie sind Ihre Bedingungen?" fragte er leise. Der Chef sprang von seinem Stuhl, aber Dad legte ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück. Honved hatte schließlich die einzige Waffe im Raum. „Oh - eine Kleinigkeit: Geben Sie mir diese Pistole, Herr Minis ter. Das ist die Präsidentschaft des interstellaren Rats doch wert, nicht wahr?" Der Manager lächelte. „Glauben Sie ihm denn, Honved?" knirschte der Chef. „Er wird Sie hinterher genauso prellen, wie vorher!" Der Minister zuckte die Achseln. „Sehen Sie denn nicht, daß ich in einer Zwangslage bin!" sagte er weinerlich. „Sehr richtig - eine Zwangslage. Und dennoch biete ich Ihnen allen hier sehr lohnenswerte Aussichten, wenn Sie meine kleinen Wünsche erfüllen. Aus purer persönlicher Sympathie für Sie. Sie können wirklich nur gewinnen!" sagte der Manager überredend. „Glauben Sie mir, wenn ich eine Chance für den Schirm sähe, wäre ich auf Ihrer Seite!" sagte die Kommandantin impulsiv. „Aber so - er kann jeden von uns einfach auf dem Schiff zurück lassen und den anderen einreden, wir seien tot!" Dad nickte bedächtig. Honved sah den Manager an - dann die Pistole. „Nun, Herr Präsident?" fragte der Manager. Der Minister zitterte. Sein Löwengesicht sah bleich und schlaff aus. „Verstehen Sie mich, eine Zwangslage", murmelte er fast un hörbar und legte die Waffe auf den Tisch. „Honved. Sie sind ein Trottel!" sagte Dad grimmig. Und ohne Pause fuhr er fort: „Ich fürchte, Miß Keith wird ohnmächtig!" Es hätte der einladenden Geste zum Ventilationsschacht nicht bedurft. Meine Reaktion war fast instinktiv. Schon als ich das „o" hörte, machte ich zwei taumelnde Schritte auf die Öffnung zu, die Dad vorhin aufgerissen hatte - und noch ehe er seinen Satz vol
lendete, sank ich wie ein sterbender Schwan zu Boden - genau in der richtigen Stellung. Hätte Honved dem Manager die Pistole in die Hand gedrückt so hätten wir keine Chance gehabt Aber die eingefleischte Ge wohnheit des alten Politikers, immer nur das Minimum zu tun, wenn eine Entscheidung gefordert wird, hatte ihn die Waffe nur auf den Tisch niederlegen lassen. In den Sekundenbruchteilen, die der Manager brauchte, um die Waffe zu ergreifen, war ich zum drittenmal während dieser Fahrt mit den Füßen voran in den dunklen Schacht geglitten. * Eigentlich hätte ich jetzt zufrieden sein müssen. Endlich gab es klare Fronten: Der Feind waren weder Sol und Dad, noch Horos und der „Chef". Der Kampf ging jetzt gegen den wirklichen Draht zieher aller Zeiten, gegen die Maatschappij, und mein unmittelba rer Gegner war ein Mann, der mir von allem Anfang an zuwider gewesen war: der Manager. Und niemand sprach mehr davon, daß ich etwa nicht „das For mat" dazu habe oder zu jung sei, diesen Kampf aufzunehmen. Im Gegenteil - es schien so, als sei ich so ziemlich die einzige und letzte Hoffnung der Galaxis. Konnte ich versuchen, mit einem Rettungsboot zu entkommen? Vielleicht - aber selbst wenn es mir gelang, konnte ich mit einem Boot genausowenig landen wie mit der OMEGA III. Und wenn mich ein Schiff der Maatschappij aufnahm... So kam ich nicht weiter. Während ich verbissen weiter durch den dunklen Schacht kroch - er lief jetzt waagerecht - suchte ich nach anderen Chancen. Gab es eine Möglichkeit, ungesehen auf ein anderes Schiff zu kommen? Augenscheinlich nicht - man muß te durch die Schleusen, die streng kontrolliert wurden. Niemand konnte ein Schiff der Maatschappij betreten, ohne... Niemand? Und der chinesische Koch? Wenn die Maatschappij sich an Honveds Wunsch gehalten hatte, keinen Asiaten an Bord zu lassen (wenn sie sich daran gehalten hatte!) dann mußte dieser Koch…
Gerade als ich soweit gekommen war, machte der Schacht eine seiner berüchtigten Biegungen nach unten. Ich verlor den Halt und rutschte - mit immer steigender Geschwindigkeit - die steil abfallende Röhre hinab; aber diesmal endete die Fahrt nicht in einem Staubsack, sondern ich sauste mit voller Wucht gegen ein Schutzgitter, das sich unter der Wucht des Anpralls löste. Und es stürzte mit mir aus schätzungsweise zehn Meter Höhe von der Decke auf den Boden. Es war wirklich ein Wunder, daß ich ohne Schädelbruch und Ge hirnerschütterung davonkam; ich verlor nicht einmal das Bewußt sein. Aber der Schädel schien auch - wie ich nach dem ersten Schock konstatierte - ziemlich das einzige zu sein, das ich nicht gebrochen hatte. Mein linkes Bein ragte unter einem völlig un wahrscheinlichen Winkel aus dem Rock des Kelchkleides hervor, das inzwischen mehr wie ein alter Putzlappen aussah, und schmerzte bei jedem Versuch, es zu bewegen, höllisch. Der linke Arm war genauso unbrauchbar, und allmählich meldeten sich von den Rippen her weitere unheilverkündende Schmerzen. Ich konnte mir nichts vormachen: hatte ich bisher schon ver zweifelt wenig Aussichten gehabt, irgendwie davonzukommen jetzt war es eine Unmöglichkeit. Ich biß die Zähne zusammen. Nun, wo es wirklich einmal darauf ankam, - war ich nach kaum ein paar Minuten „freier Aktion" hoffnungslos aus der Partie ausgeschieden! Mühsam drehte ich den Kopf, um wenigstens festzustellen, wohin ich auf dieser unse ligen Schußfahrt geraten war, und bereute es gleich darauf. Über mir wölbte sich eine dämmrige blaue Kuppel, in der ich noch die gähnende Öffnung des Ventilationsschachtes erkennen konnte - um mich her standen oder lagen, zum Teil umgeworfen, Plastiksessel und Tische - und als ich den Kopf noch weiter wand te, sah ich fast direkt über mir an der Decke eine schwarzschim mernde Kugel mit zwei silbrig verästelten Ausläufern. Ich war im Blauen Salon - und da oben klebte der Stagmid. Als ich das sah, muß ich zum erstenmal im Verlauf dieses Aben teuers vollkommen ohne Schwindel und ohne fremdes Zutun in Ohnmacht gefallen sein. Denn ich erinnere mich erst wieder dar an, daß ich nach unbestimmter Zeit mit einem merkwürdig schwimmenden Gefühl im Kopf die Augen aufschlug und langsam meine Umgebung zu mustern begann, wobei ich dachte: Entwe der träumst du jetzt, oder es ist alles nicht so schlimm, wie es
aussieht. Denn soviel Pech auf einmal kann ja ein Mensch gar nicht haben! Ich versuchte mich auf dem unverletzten Arm aufzurichten, aber das trug mir nur eine neue Welle von Schmerzen, rote Krei se und Nebel vor den Augen und ein unheimliches Dröhnen und Klappern im Kopf ein. Ich ließ mich wieder zurücksinken und hör te auf das Klappern. Es kam immer näher, und als ich die Augen aufschlug, sah ich zwischen den Sesseln und Stühlen des Blauen Salons eine Gestalt auftauchen. Und dann hörte ich mit unendli cher Erleichterung eine blecherne, vertraute Stimme: „Sind Sie verletzt, Meister?!" Der Roboter hielt inne und fügte dann instruktionsgetreu hinzu: „Oder vielmehr: gnä' Frau!" Ich mußte trotz allem grinsen. „Kommando zurück!" murmelte ich. „Es hat sich ausgefraut!" „Meister! Ich hätte Sie nicht allein lassen dürfen!" sagte Robert anklagend. „Aber es gab so dringende Arbeit -" Trotz der roten Nebel funktionierte mein Verstand noch erstau lich gut. „Arbeit?" fragte ich mühsam. Was hatte Robert nur die ganze Zeit hier gemacht? „Warst du etwa an den Netzen?!" Robertas bronzener Zofenkopf nickte. „Ja, Meister, wir haben über die Hälfte noch rechtzeitig entfer nen können!" meldete er stolz. Es gab mir einen Ruck, der mich sogar endlich auf den rechten Arm - wenn auch nicht auf die Beine brachte. „Also dir verdanken wir diesen Schlamassel?!" fragte ich grim mig. „Du hast die Netze weggerissen?! Und du bist schuld, daß der Stagmid den Akzelerationsschirm zerstört hat?! Welcher Un geist hat dir das bloß eingegeben?!" „Ich!" sagte eine andere Stimme hinter mir. Es ist ohnehin ein eigentümliches Gefühl, wenn man auf eine Frage, auf die man bestimmt keine Antwort erwartet, plötzlich doch eine bekommt. Und wenn man dann den Sprecher nicht mal sehen kann, fühlt man sich noch dümmer. Mein Versuch, den Kopf in seine Richtung zu wenden, ließ mich die mühsam erreichte Balance wieder verlieren, und ich sank zu rück - überzeugt, daß ich jetzt tatsächlich unter Halluzinationen litt, denn was ich gesehen hatte, das war - der chinesische Koch in seinem weißen Kittel.
„Ich hoffe", fuhr die neue Stimme fort, „Sie werden es mir ver zeihen, gnädige Frau - oder", ein kleines Zögern, „ist die Anrede ,mein Herr' angebrachter? Ich hoffe, Sie werden verzeihen, daß ich diesem Roboter, der offenbar Ihr persönlicher Besitz ist, den Auftrag gab, die Schutznetze zu entfernen." „Ich verzeihe es nicht!" knurrte ich wütend. „Warum haben Sie das denn, zum Teufel, getan?!" „Weil die Reflexion der Netze den Stagmiden zerstört hätte!" erwiderte die Stimme höflich. War das wirklich der Koch? Die Sprache war klar und kultiviert - keine Spur von dem lächerlichen Akzent des Chinesen. Aber Unsinn war das Ganze so oder so! „Natürlich! Der arme Stagmid!" ächzte ich. „Der war wichtiger als der Akzelerationsschirm, was?!" „Auf jeden Fall!" bestätigte mein Partner ernst. „Der Stagmid ist die Rettung der OMEGA III - und der ganzen Galaxis!" Also träume ich tatsächlich, dachte ich. Aber dann sollte ich we nigstens schmerzlos träumen! „Ich bin Ihnen", fuhr der andere fort, „einige Aufklärungen schuldig. Aber wie ich sehe, sind Sie verletzt, und ich sollte viel leicht besser -" „Sie geben mir erst Ihre Aufklärungen!" sagte ich grimmig. Der Chinese neigte höflich das Haupt. Er hielt noch immer eine Bratpfanne in der Hand. „Wie Sie wünschen, mein Herr. Zunächst darf ich mich vorstel len: Mein Name ist Sikang Dse - ich bin Dozent für interstellare Kulturgeschichte." „Sehr angenehm!" murmelte ich. „Job Ingor!" „Oh, der Sohn des hochehrenwerten Herrn Professor Ingor?" Si kang Dse verneigte sich erneut. „Wie sind Sie an Bord gekommen?" fragte ich scharf. „Ich bin im Begriff, es Ihnen zu erklären, mein Herr!" Der Chi nese neigte wieder den Kopf. „Vorher aber möchte ich Sie noch um Entschuldigung dafür bitten, daß ich Ihrem hochverehrten Herrn Vater, als sein Begleiter mich nach dem Weg fragte, eine falsche Auskunft geben mußte - jedoch -" „Die Verzeihung ist gewährt!" sagte ich eindringlich. „Wie sind Sie an Bord gekommen?" Er lächelte. „Gewissermaßen auf dem Wege der alten Galaktier." Er hob die Hand, wie um einer Unterbrechung vorzubeugen. „Ich muß etwas
weiter ausholen... Unser galaktisches Reich ist nicht das erste. Es gab vor ihm - Jahrmillionen früher - ein anderes: Das Reich der alten Galaktier - oder wie Sie es nennen wollen. Wir finden ihre Spuren auf vielen Planeten verschiedener Systeme. Aber wir fin den keine Spur ihrer Raumschiffe. Warum?" Weil es keine gab, dachte ich zornig. Und die Wachen der Maat schappij werden bald hier sein, während du da redest! „Die Antwort ist einfach: Sie haben gesehen, wohin ein galakti sches Imperium gerät, wenn es auf Fastlichtgeschwindigkeits schiffe angewiesen ist wie das unsere. Es gerät unter die heimli che oder offene Diktatur der Raumschiffer. Möglicherweise haben die alten Galaktier das gleiche erlebt und dann einen Ausweg ge sucht. Oder sie haben von Anfang an den besseren Weg benutzt: den Weg über den Pararaum." „Pararaum?" wiederholte ich verblüfft. „Sie kennen diesen Begriff", fuhr der Chinese unbeirrt fort, „aus der Theorie. Wenn unser gewöhnlicher, dreidimensionaler Raum gekrümmt ist, kann man sich ihn eingebettet in einen Raum von mehreren Dimensionen denken - genau wie etwa ein Stück Seide, eigentlich mit nur zwei Ausdehnungen, Länge und Breite, mit Fal ten und Bauschungen eben den dreidimensionalen Raum braucht. Nun können bei einem gefalteten Stück Seide aber zwei Stellen, die eigentlich - auf dem Tuch - weit auseinanderliegen, sich in Wirklichkeit fast berühren, nur durch ein kleines Stück im dreidi mensionalen Raum getrennt. Und genauso können zwei weitent fernte Sterne unseres Raumes in Wirklichkeit ganz nahe beiei nanderliegen - im Pararaum, durch den sich unser Raum in Falten und Krümmungen hindurchwindet -" „Ich kenne diese Theorie!" unterbrach ich ungeduldig. „Die alten Galaktier kannten auch ihre praktische Anwendung. Durch den Pararaum gelangten sie in Bruchteilen von Sekunden von einem Teil ihres Imperiums zum anderen, ohne Raumschiffe oder andere ungefüge Transportmittel zu benötigen. Durch eine Eintrittspforte traten sie in den Pararaum über und am Ziel ver ließen sie ihn durch eine andere solche Pforte. Und auf die gleiche Weise kam ich hierher." „Aber was wollten Sie denn hier eigentlich?" Chinese lächelte wieder, „Nicht das geringste!" Ich war geneigt, es aufzugeben. Das konnte nur ein besonders alberner Traum sein. Aber mein Gegenüber fuhr fort:
„Ich hatte erwartet, auf einem Planeten des Systems Prokyon anzukommen, als ich den Pararaum wieder verließ. Statt dessen fand ich mich zu meiner größten Verblüffung mitten in einem Raumschiff der Maatschappij wieder - die ja auf keinen Fall etwas von den Wegen des Pararaums erfahren durfte! Glücklicherweise hatte ich einen weißen Laborkittel an und war in der Nähe der Küche gelandet; als jetzt plötzlich eine ganze Gruppe von Men schen - Ihr verehrter Herr Vater mit seinen Begleitern - herein kam, wußte ich keinen anderen Ausweg, als von der Tatsache Gebrauch zu machen, daß nicht nur Wissenschaftler weiße Kittel tragen, sondern auch -" „Chinesische Köche mit großen Bratpfannen'", ergänzte ich aber mit den Gedanken war ich schon wieder ganz woanders: Woher wußten dieser Doktor Sikang Dse eigentlich von den Ma chenschaften der Maatschappij? „Hören Sie -", sagte ich auffahrend, „der Stagmid -" „Ja, ja", nickte Doktor Sikang Dse gleichmütig, „natürlich be fand sich der Stagmid nicht auf dem Planeten, sondern hier auf dem Schiff, und deswegen mußte meine Reise durch den Pararaum auch hier enden. Wieso er allerdings -" „Was hat denn der Stagmid mit dem Pararaum zu tun?!" un terbrach ich ihn erregt. Wieder lächelte der Chinese. „Oh. verzeihen Sie, das sagte ich Ihnen ja noch gar nicht. Die Ein- und Austrittspforten in den Pararaum müssen natürlich mar kiert werden, damit man sie findet. Durch eine Art kosmischer Positionslaternen, die elektrische Wellen aussenden, damit man sie schon von weither anpeilen kann. Diese Positionslaternen sind die Stagmiden." „Wieso? Sind sie denn keine interstellaren Waffen?" „Nun ja, als Waffen kann man sie auch benutzen. Man kann schließlich auch jemandem mit dem Schild eines Verkehrszei chens über den Schädel schlagen, nicht wahr? Aber die alten Ga laktier kannten keinen Krieg." „Aber der Chef -", protestierte ich mühsam. „Der Chef", fuhr Sikang Dse fort, „hat zwar die alte Leitstation unter dem Altar von Krra entdeckt - aber nicht verstanden, was sie bedeutete. Glücklicherweise nicht! Denn sonst wüßte es jetzt auch die Maatschappij! Und Professor Glohun hat ihn absichtlich bei seinem Irrtum gelassen, um die Maatschappij irrezuführen."
„Glohun?!" „Professor Glohun, mein verehrter Lehrer!" Der Chinese ver neigte sich ehrfürchtig. „Der Mann, der die alten Inschriften des Altars von Krra entzifferte; der aus seinen Studien der altgalakti schen Geschichte die Gefahren erkannte, die einem interstellaren Imperium von den Raumschiffern drohen. Der Mann, der ihre Macht jetzt gebrochen hat!" Er lächelte stolz. „Warum, glauben Sie. haben wir Stagmiden auf alle Planeten geschickt? Um sie zu erobern? Nein! Um jedem Planeten Zugänge zum Pararaum zu öffnen! In dem Augenblick, als wir in Krra die Stagmiden wieder einschalteten - indem sie auf allen Planeten der Galaxis den Kontakt mit dem Pararaum auf nahmen - in diesem Augenblick waren alle Raumschiffe der Maat schappij altes Eisen: So überholt und unnötig wie Pferdekutschen im Zeitalter der Automobile, oder Flüssigkeitsraketen durch den Photonenantrieb!" Ich brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. „Dann könnten wir also durch diesen Stagmiden hier die OMEGA III jederzeit verlassen?" „Selbstverständlich. Deshalb sagte ich ja, er sei wichtiger als der Akzelerationsschirm!" Wenn ich gekonnt hätte, ich wäre aufgesprungen und hätte ei nen wilden Freudentanz aufgeführt. Wir hatten gewonnen! „Aber", fragte ich, plötzlich ernüchtert, „warum sind Sie dann nicht selbst schon längst wieder fort?" Sikang Dse lächelte wieder einmal. „Auf einem bewegten Schiff hat der Stagmid nicht ständig Kontakt mit dem Pararaum, son dern nur, wenn wir bestimmte Bereiche passieren. Solange mußte ich warten. In einem Kühlraum versteckt, falls der Stagmid unter den anomalen Verhältnissen zu stark strahlen sollte. Dann mar schierte plötzlich Ihr Roboter herein und wollte mich unbedingt ,retten'. Dabei erfuhr ich, daß jemand einen Reflektor aufgebaut hatte, der die Strahlung des Stagmiden auf ihn selbst zurückwer fen sollte. Das hätte ihn zerstört! Deshalb befahl ich dem Robo ter, soviel Netze wie möglich abzureißen, und glücklicherweise hörte er auf mich. Im letzten Moment waren wir so weit! Jetzt strahlt der Stagmid nicht mehr so stark." „Wir können ihn jeder zeit benutzen." „Achtung!" tönte irgendwoher eine Stimme. „Dort vorne im Blauen Salon! Lähmungspistolen entsichern!"
„Ich glaube, wir müssen sogar!" sagte ich grimmig. Es wäre zu dumm gewesen, wenn uns die Maatschappij jetzt noch erwischt hätte. „Wie kommt man in den Pararaum?" „Man springt in der richtigen Richtung auf den Stagmiden zu - in der Richtung seiner Achse, in der die Strahlung des Dipols am geringsten ist. Sie brauchen nur..." Sikang Dse unterbrach sich und sah etwas verwirrt auf mich herunter. „Aber Sie können nicht!", schloß er etwas lahm. „Hierher! Vorsicht, der Stagmid darf nicht gereizt werden. Lang sam!" mahnte der unsichtbare Kommandeur seine Leute. „Nun los, Doktor", zischte ich, „springen wenigstens Sie!" „Aber - ich kann Sie doch nicht - und - Sie können in Ihrem Zu stand keinesfalls -", stotterte der Chinese, zum erstenmal ernstlich verwirrt. „Da vorne sind sie - der Roboter und - Halt, stehenbleiben!" Ein bläulicher Strahl aus einer Lähmungspistole schoß an uns vorü ber. „Ich werde Sie tragen", sagte eine blecherne Stimme, „gnä' Frau!" Robert machte einen tiefen Knix. Ein paar Sekunden später segelte ich - zum erstenmal in mei nem Leben - auf seinen Armen durch den Pararaum. * „Und du hättest das Gesicht unseres lieben Freundes, des Mana gers, sehen sollen, als plötzlich eine Rakete der solaren Polizei truppen neben uns hing und das Öffnen der Schleusen anordnete. Blitzschnell wurden die Verschwörer gefesselt und in die Zellen des Polizeiraumers gebracht. Wir Passagiere fanden in der Rie senzigarre auch noch genügend Platz, und als wir im Raumhafen landeten, standen die Düsenkreuzer schon bereit, mit denen die Bande in Untersuchungshaft gebracht wurde. Zu schade, daß du nicht dabei warst!" Dad grinste über das ganze Gesicht. Ich drehte mich stöhnend, soweit das meine Verbände zuließen. „Meinst du wirklich, ich wäre dazu nicht vielleicht zu jung gewe sen - ich meine, in meinen Jahren sollte man die interstellare Po litik..."
Dad sprang auf. „Nun werde bloß nicht größenwahnsinnig, Jun ge! Im Grunde genommen haben wir alle nichts geleistet - der Mann, der die Galaxis befreit hat, war Glohun." „Glohun, der Nichtskönner, hat keine Ahnung von interstellarer Kulturgeschichte, macht aus ernsten Ausgrabungen eine Zirkus vorstellung!" sagte ich trocken. „Die beste Tarnung, die ich je gesehen habe!" nickte Dad. „Es tröstet mich nur, daß die allmächtige Maatschappij auf seine Tricks genauso hereingefallen ist wie ich!" „Was macht eigentlich die Maatschappij?" „Oh, die Schiffe werden, wie sie landen, einkassiert, und die Herren Manager mit ihren Helfershelfern festgesetzt. Es wird na türlich noch ein paar Jahre dauern, bis wir sie alle haben, aber passieren kann dabei nichts mehr: Sie laufen uns ja gewisserma ßen in die Arme!" „Und die OMEGA III?" Dad grinste wieder. „Die landet freilich nicht mehr - der Schirm ist ja endgültig hin. Aber wir haben für sie jetzt einen anderen Zweck: Sie fliegt immer weiter in den Weltraum hinaus - als transportable Stagmidenstation sozusagen. Alle zehn oder hun dert Jahre kann mal jemand hinüberspringen und nachschauen, wo sie inzwischen angekommen ist -" Ich richtete mich auf, meine Schmerzen waren vergessen. „Das heißt ja, Dad, sie kann bis in andere Milchstraßen kom men? Intergalaktischer Verkehr?" Er nickte. „Wahrscheinlich werden wir die meisten Maatschap pijschiffe so losschicken - in den entsprechenden Richtungen. Ein Unternehmen auf lange Sicht, aber es lohnt sich -" „Donnerwetter! Und der interstellare Verkehr?" „Läuft bereits prächtig an. Die Regierungen haben alle Hände voll zu tun, die ganzen Verdrehungen und Fälschungen der Maat schappij zu beseitigen und aufzuklären - Minister Honved -" „Der alte Windbeutel?" „Oh. Minister Honved schildert in Interviews, wie geschickt er doch den Manager überlistet hat, indem er die Pistole auf den Tisch legte und ihn so ablenkte, um dir die Flucht zu ermöglichen! Wahrscheinlich wird er einen großen Orden bekommen - genauso wie der Chef, der die Stagmiden so hübsch überallhin geschmug gelt hat. Mir soll es gleich sein. Für dich haben sie übrigens auch
Worte höchsten Lobs gefunden - besonders deine kleine Freundin Sheila schreibt sich die Finger wund über Ingors tapfere Tochter." Wieder fuhr ich auf. „Ja, hast du ihr denn noch nicht..." Dad rieb sich die Hände. „O nein, Fräulein Jo - das erklär' ihr mal schön selber! War ja deine Idee, dich bei ihr in Kleidern einzuführen!" Er stellte sich in graziöser Pose auf und flötete: „Herr Professor, sind die Stagmiden eigentlich Männchen oder Weibchen? Dabei weiß er selber kaum, ob er Männchen oder Weibchen ist!" „Das weiß ich sehr genau, Herr Professor!" knurrte ich und wur de rot. „Jedenfalls mach dich jetzt auf einiges gefaßt!" Er wandte sich zur Tür. „Miß Keith, wenn Sie zu meiner Tochter kommen wollen?" rief er, „Sie freut sich schon sehr auf Ihren Besuch!" ENDE Lesen Sie nächste Woche UTOPIA-Zukunftsroman 216 Geheimexperiment A-13 Zahlreiche Geheimpläne lagern in den Panzerschränken der UTO, einer Forschungsgruppe des Westens, die „Aktion 13", den Start zum roten Planeten, in aller Stille vorbereitet. Obgleich die se Tresore durch modernste Sicherungsanlagen geschützt sind, verschwinden Zeichnungen für wenige Stunden und tauchen dann wieder auf. Damit fängt es an. Und dann sinkt ein entlarvter Agent im Flugzeug tot zusammen, verschwindet ein Detektiv, der die Spur eines zweiten Werkspions fand, wird ein Industrieller mit Gewalt entführt, explodiert ein Wagen, den eine schöne Frau steuern wollte. Und wenn die Zeitzünder-Bombe in der startenden Marsrakete ihrer Explosion entgegentickt, werden auch Sie wissen, wer Akti on 13 verhindern wollte.