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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Perry Rhodan Spezial
Stardust 2
'Stardust' ist eine kostenl...
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Geschichten aus dem Fantastik Magazin WARP-online
Das Perry Rhodan Spezial
Stardust 2
'Stardust' ist eine kostenlose Science Fiction Anthologie von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Stardust 2 Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Inhalt Cover von Gerhard Börnsen Versuchung
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von Roland Triankowski Zorg, der Orbiter des letzten Ritters der Tiefe, ist seit ewigen Zeiten schon auf der Suche nach seinem Herrn. Eines Tages wird er von einem geheimnisvollen Signal aus seinem Tiefschlaf geweckt. Ist der Irrflug seines Schiffes PYE nun zuende?
Gucky: Die Zwischenwelt Teil 1
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von Marc-Ivo-Schubert Welches Geheimnis birgt der Planet Tammpta IV? Was geschah dort zur Zeit der Monos Herrschaft?
Ein Computerfehler
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von Tobias Funke Die BERLIN in einem gerade erst entdeckten System: Die Crew findet ein trauriges Vermächtnis...
Ein Traum?
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von Tobias Funke Vergangenheit und Zukunft liegen oft dichter beieinander, als man denkt. Ebenso Realität und Vision...
Ereigniskompression
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von Mathias Kopp Wie entgeht ein Unsterblicher dem Wahnsinn? Hier ist eine mögliche Antwort!
Monopol von Roland Triankowski Wissen ist Macht. Und das beschafft man sich manchmal auf seltsamen Wegen...
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Versuchung von Roland Triankowski
Zorg, der Orbiter des letzten Ritters der Tiefe, ist seit ewigen Zeiten schon auf der Suche nach seinem Herrn. Eines Tages wird er von einem geheimnisvollen Signal aus seinem Tiefschlaf geweckt. Ist der Irrflug seines Schiffes PYE nun zuende?
1. Erwachen ...Er konnte seine Erzeuger nicht schmecken, das bedeutete, daß sie die Röhre bereits verlassen hatten. Ein Gefühl des Ärgers stieg in ihm auf. Wann würden seine Erzeuger endlich begreifen, daß er alt genug war, um bei solchen ungewöhnlichen Ereignissen dabeizusein?... Er fuhr seinen Kopf aus dem schützenden Panzer und öffnete die Augen. Was er sah, ließ ihn zusammenzucken. Dies war nicht die Röhre, in der er mit seinen Erzeugern lebte, dies war ... Erneut prüfte er den Geschmack. Es war der Geschmack des Schlafes. Wo war der Geschmack der Anderen und der ihrer Aufregung, den er gerade eben noch verspürt hatte? Gerade eben? Oder vor langer Zeit? Die Erinnerung verblaßte langsam, bis sie fast völlig verschwand. Gleichzeitig wurde sie von einer anderen ersetzt, die sich ihm klar und unerbittlich aufdrängte. Er war Zorg, Orbiter des letzten Ritters der Tiefe, Igsorian von Veylt, seit undenklichen Zeiten auf der Suche nach seinem Herrn, der, bedrängt von den Energiemedusen der Bilkotter, vor seinen Augen in einem selbsterzeugten Schwarzen Loch verschwunden war. Seitdem zog er mit der PYE durch das Universum und hoffte irgendwann eine Spur seines Ritters zu finden. Er hatte vor Zeiten beschlossen, sich selbst während der endlosen Flüge durch den sternleeren Raum in künstlichen Tiefschlaf zu versetzen und nur dann von der Schiffsautomatik wecken zu lassen, wenn die Ortungsgeräte eine Spur ausmachten. Der Weckimpuls konnte von einer Reihe von Signalen ausgelöst werden. Einmal natürlich von den charakteristischen Emissionen der Ritter-Technik, die meist von den Porleytern stammte. So hoffte Zorg die verschiedenen Auffangstationen zu entdecken, die jeder Ritter der Tiefe besessen hatte. In einer solchen hoffte er seinen Herrn noch am ehesten zu finden. Zorg war außerdem davon überzeugt, daß er ihn, wenn nicht in einer solchen Station - womöglich hatte er sie längst wieder verlassen -, nur an einem bedeutenden Ort wiederfinden würde. Also würde jeder Impuls, der auf irgendeine Weise ungewöhnlich war, sei es daß er auf den hohen technischen Stand eines Volkes oder auch nur auf einen galaxisweiten Krieg hinwies, den Voghen aufwecken. Die letzte Gruppe von Signalen, die den Weckimpuls auslösten, waren solche, die auf die Möglichkeit hinwiesen, Informationen über den Aufenthaltsort von Veylts einzuholen. Zorg wußte als Orbiter eines Ritters der Tiefe natürlich um den Weg der kosmischen Evolution. Alle Signale also, die auf Superintelligenzen oder Materiequellen hinwiesen, lösten ebenfalls den Weckimpuls aus. Es hatte eine Weile gedauert, ehe sich der Körper des Voghen an das Wachsein gewöhnt hatte. Doch nachdem der Kreislauf sich stabilisiert und die Muskeln sich wieder an ihre eigentliche Aufgabe gewöhnt hatten, konnte Zorg an den Armaturen der PYE feststellen, daß sein Schiff ihn aufgrund eines Impulses aus der letzten Gruppe geweckt hatte. Alles wies darauf hin, daß das nächstgelegene Sonnensystem einer namenlosen Galaxis der Sitz einer Superintelligenz war.
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2. Gefangen Zorg verließ weit außerhalb des Systems das übergeordnete Kontinuum. Erneute Messungen mit den hochempfindlichen Instrumenten der PYE bestätigten es: Eine komplexe Vielzahl von vier-, fünf- und sogar sechsdimensionalen Signalen wurde ständig von diesem Planetensystem ausgestrahlt. Vor allem das fünf-D-Spektrum ließ mit seinem enormen Ausschlag im hochfrequenten Bereich nur einen Schluß zu: So viel psionische Energie konnte nur die Konzentration des Wissens und der Geisteskraft eines ganzen Volkes erzeugen. Der Voghe war auf seiner endlosen Suche schon mehrfach auf solche Entitäten getroffen. Die positiven Superintelligenzen hatten sich stets als hilfsbereit erwiesen. Wirklich weiterhelfen hatte ihm jedoch noch keine können. Alle hatten sie ihm versprochen, in ihrem Einflußbereich nach Spuren des Ritters zu suchen. Einige hatten ihm sogar die Koordinaten von alten Stützpunkten und Anlagen früherer Ritter der Tiefe geben können. Doch auch diese Spuren hatten sich schnell als nutzlos herausgestellt. Einmal war er an eine negative Superintelligenz geraten. Er hatte die Gefahr zum Glück früh genug erkannt, um rechtzeitig aus dieser Mächtigkeitsballung zu entkommen. Dennoch war er seitdem vorsichtiger geworden. Daher nahm er zunächst so viele Messungen vor, bis er sich sicher sein konnte, daß keine unmittelbare Gefahr, etwa durch die Raumschiffe aggressiver Hilfsvölker, bestand. Dann sandte er das erste Signal zu dem Sonnensystem. Es war eine Hyperfunkbotschaft in der Sprache der Mächtigen, die eigentlich von allen höherstehenden Wesen, die um die wahre Natur des Kosmos wußten, verstanden wurde. Es war eine einfache Grußformel, und nach wenigen Augenblicken wurde die gleichlautende Formel zurückgesandt. Während er in einem weiteren Hyperfunkspruch sein Anliegen formulierte, begann er die PYE in einer Überlichtetappe näher an das System heranzuführen. Was dann geschah, verwirrte Zorg sehr. Sein letzter Funkspruch wurde ihm wortgleich zurückgesandt, als wäre er einfach mit einer gewissen Verzögerung reflektiert worden. Es bedurfte keiner langen Überlegung zu vermuten, daß auch der erste Funkspruch lediglich auf diese Art reflektiert worden war. Ohne auch nur nachzudenken hatte er den zurückgesandten Gruß als Antwort verstanden. Dadurch, daß er sich dem System genähert hatte, hatte er die angebrachte Vorsicht vernachlässigt. Es war bereits zu spät. Eine enorme Kraft griff mit einem Mal nach der PYE und zerrte die formvariable Energiezelle weiter in das Planetensystem hinein. Was Zorg auch versuchte, er bekam das Schiff nicht mehr unter seine Kontrolle. Ein mehrdimensionales Kraftfeld hatte nach ihm gegriffen, das alle Funktionen lahmlegte. Auch aus den Anzeigen der Ortungsgeräte konnte er nicht schlau werden. Je weiter er in das Sonnensystem gezogen wurde, desto unsinniger wurden sie. Trotzdem folgten sie noch irgendeinem Muster, als wenn der Normalraum langsam in ... nun ja, etwas anderes übergehen würde. Laut den Anzeigen veränderten sich sogar unerschütterliche Konstanten des Normaluniversums langsam aber sicher. Der Voghe fühlte sich an das Hinübergleiten aus dem Wachzustand in einen Traum erinnert - mehr und mehr nahm die Realität ab und machte einer Welt Platz, die ihrer eigenen Logik folgte. Dies war allerdings nicht sein Traum. Einzig sein Schiff schien nun noch eine Insel der Rationalität zu sein. Aus den Anzeigen konnte er schließlich nicht mal mehr feststellen, ob er sich noch bewegte und das Kraftfeld noch auf die PYE wirkte. Ständig prasselten die unsinnigsten Signale auf die Scanner des Schiffes ein, und es ließ sich nicht erkennen, ob etwaige Fluchtversuche Zorgs überhaupt eine Wirkung hatten. Endlich ließ der Voghe von den Kontrollen der PYE ab. Er war völlig niedergeschlagen. Nicht daß er Angst um sich und sein Leben hatte, vielmehr traf ihn die Erkenntnis, daß er schon wieder versagt haben könnte. Zunächst war es ihm nicht gelungen, seinen Ritter rechtzeitig vor der Gefahr durch die Energiemedusen zu warnen, geschweige denn ihn aus der 5
Bedrängnis durch sie zu befreien; und nun scheiterte er endgültig an der Erfüllung des letzen Auftrags seines Herrn, weil er einfachste Vorsichtsmaßnahmen nicht beachtet und sich auf so plumpe Weise hatte einfangen lassen. Langsam sank Zorg von seinen vier Beinen auf den gepanzerten Bauch. Der lediglich Sinnesorgane tragende Kopf zog sich unter den Rückenpanzer zurück und der Geschmack der Trauer breitete sich, ausgelöst durch ein salziges Sekret, in seiner Magenöffnung aus, die gleichzeitig Sitz des Geschmackssinnes war. Er war ein schlechter Orbiter, hielt er sich vor, weder in der Lage seinen Ritter zu beschützen, noch einfachste Aufträge auszuführen. Kein Wunder, daß er Igsorian von Veylt nie von Angesicht zu Angesicht hatte sehen dürfen. Wie ein Alptraum spielten sich vor seinem geistigen Auge wieder die letzten Augenblicke der ZYFFO ab, wie sie von unüberwindlichen Hochenergiebahnen, verästelten Plasmasträngen und siedendheißen, planetendicken Blitzen umschlungen und eingeschlossen wurde. „Lineare Sonnen" hatte er selbst diese fürchterliche Waffe der Bilkotter genannt, die sogar in der Lage waren, einen Ritter der Tiefe zu schlagen, wenn er einen unfähigen Orbiter zur Seite hatte. Ein Warnsignal riß Zorg aus seinem Selbstmitleid. Was die großen Facettenaugen des Voghen erblickten, als er seinen kleinen scheibenförmigen Kopf wieder ausfuhr, ließ ihn beinahe das Atmen vergessen. Der Bildprojektor, der bis vor kurzem ständig scheinbar sinnlos wechselnde Farben und Formen gezeigt hatte, erstrahlte in leuchtendem Weiß. In einem Sekundenbruchteil war der Voghe wieder auf den Beinen. Er war jetzt wieder ganz Pilot. Ein schneller Blick auf die Anzeigen erstaunte ihn nur kurz. Sie zeigten wieder annähernd sinnvolle Werte, jedoch auch solche, die für äußerste Gefahr standen. Er befand sich knapp über der Oberfläche einer Sonne. In einem Gewaltmanöver riß er die PYE herum. Was er dann erkannte, ließ ihn fast wieder auf seinen Bauch fallen: Er befand sich nicht in nächster Nähe einer Sonne sondern war von Gebilden umgeben die den Energiemedusen der Bilkotter täuschend ähnlich sahen. Zunächst versetzte ihm dies einen Schock, und er wäre beinahe gestorben vor Angst. Doch dann, als er seine Beherrschung wieder zurückgewonnen hatte, wurde Zorg sich darüber klar, wie unmöglich es war, hier auf diese Waffe zu treffen. Die Bilkotter selbst dürften auch nach so langer Zeit kaum wieder in der Lage sein, Energiemedusen zu erzeugen, da Igsorian von Veylt in einem letzten fast selbstmörderischen Akt diese Waffe durch das aus der ZYFFO gebildete Schwarze Loch vernichtet hatte. Abgesehen davon, daß die Galaxie der Bilkotter nahezu am anderen Ende des Universums liegen dürfte. Doch was war dann eben geschehen? Hatten seine verwirrten Sinne eine Erscheinung dieses irrealen Ortes mißdeutet? Zorg überprüfte noch einmal gewissenhaft die Anzeigen. Bei genauem Hinsehen waren sie doch etwas anders, als die einer Sonne oder gar einer Energiemedusa. Außerdem begannen sie wieder zu fluktuieren, und der Bildprojektor zeigte nur noch verblassende Energiebahnen, die nun auch vielmehr wie Gewitterblitze als wie Energiemedusen aussahen. Schließlich herrschten wieder die wechselnden Formen vor. Der Voghe war sich seines Verstandes nicht mehr sicher. Konnte er sich das alles nur eingebildet haben? Er hatte doch den Alarm gehört, oder nicht? In jedem Fall hatte ihn dieses Ereignis aufgerüttelt. Anstatt sich selbst zu bedauern, sollte er lieber alles versuchen, von diesem merkwürdigen und ohne Zweifel gefährlichen Ort zu entkommen. Schließlich hatte er einen Auftrag zu erfüllen, ein Ziel zu erreichen. Er schwor sich selbst darauf ein, und es gab ihm Kraft. Er würde seinen Ritter finden, und Nichts und Niemand würde ihn davon abhalten!
3. Kontakt
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Zunächst machte sich der Voghe an die genaue Analyse seiner unwirklichen Umgebung. Von Anfang an hatte er den Eindruck gehabt, daß die unsinnigen Werte, die er hereinbekam, obwohl sie allen physikalischen Regeln widersprachen, einem gewissen Muster, einer eigenen inneren Logik folgten. Dieses Muster wollte er zu ergründen versuchen. Er hoffte, daß er so einen Ansatz fand, wie er der Falle der Superintelligenz, oder wessen auch immer, entkommen könnte. Er ging dabei vor wie bei der Entschlüsselung eines Kodes oder der Übersetzung einer fremden Sprache, verglich Zeitreihen von Hyper- und Dakkarstrahlung, des gesamten elektromagnetischen Spektrums und der fluktuierenden Naturkonstanten. Nach langer und intensiver Arbeit wurde Zorg langsam bewußt, daß das von ihm gesuchte Muster ungeheuer komplex war. Er war geradezu fasziniert von dem, was ihm mehr und mehr offenbar wurde. Dieses ... Gebilde, in dem er sich befand, war keineswegs chaotisch, vielmehr war es ein wunderbares multidimensionales Fraktal, in dem offenbar immer wieder irgendwo und irgendwann - Raum und Zeit schienen hier austauschbar zu sein - Inseln der Gesetzmäßigkeit entstanden. Tief in seinem Innern begann Zorg zu zweifeln, daß es sich hierbei um eine Falle handelte. Irgendwann begannen sich die Anzeigen zu normalisieren. Nicht schlagartig, sondern langsam und stetig pendelten sich die Naturkonstanten wieder ein. Und dann wurde auch das Bild klarer. Hatte Zorg erst gedacht, wieder in den freien Raum gelangt zu sein, erkannte er nun, daß dem nicht so war. Vor ihm schälte sich ein Planet aus dem bisherigen, chaotischen Bild. Es war jedoch keine Sonne zu erkennen, lediglich ein diffuses Leuchten wie aus einer umliegenden Staubwolke erhellte die Oberfläche der sehr buranähnlichen Welt. Entweder war dies eine der Stellen der Ordnung dieses gigantischen Fraktals oder er war schließlich zum Hauptplaneten des Systems vorgedrungen. Jedenfalls war diese Erscheinung ganz anders als das, was er für Energiemedusen gehalten hatte. Die gemessenen Werte blieben konstant. Dies schien wirklich real zu sein. War es nun der Sitz desjenigen, der sich hinter dem Fraktal verbarg, eines hochentwickeltes Volkes oder tatsächlich einer Superintelligenz? Den Sinn immer noch fest auf sein Ziel fixiert, zögerte Zorg nicht mehr. Erneut strahlte er einen Gruß in der Sprache der Mächtigen ab. Lange Zeit geschah nichts. Doch dann wurde der Gruß erwidert, nicht einfach wiederholt sondern erwidert. Auf dem Planeten, der Zorg immer mehr an seine Heimatwelt Buran erinnerte, hatte er keine Anzeichen von Zivilisation ausmachen können. Aber wer in der Lage war solch ein Schutzfeld zu erzeugen... Endlich hatte die Warterei des Voghen ein Ende. Aus dem Ortungsschatten des Planeten schoß ein Schiff hervor. Das Schiff schien, wie das seine, fast ganz aus Formenergie zu bestehen. Die Emissionslinien dieses Raumfahrzeugs, erkannte Zorg, waren denen der PYE ebenfalls ähnlich. Nein, weniger der PYE als vielmehr ... aber das war nicht möglich! Doch die Werte blieben konstant. Die Emissionen dieses Schiffes waren identisch mit denen der ZYFFO! Seine mühsam wiedergewonnene Ruhe drohte zusammenzubrechen, dennoch schaffte es Zorg sich darüber klar zu werden, daß dies nicht das Schiff seines Ritters sein konnte. Er hatte gesehen, wie es zerstört wurde. Womöglich war dies ein anderer Ritter, obwohl Zorg immer gemeint hatte, dem letzten Angehörigen dieses Ordens gedient zu haben. Erneut strahlte er einen Funkspruch ab, diesmal gezielt auf das andere Raumschiff, das nun in einiger Entfernung vor der PYE stand. Wieder beschrieb er knapp seine Mission und bat um Hilfe. Fiebernd erwartete Zorg die Antwort. Als sie schließlich kam, war es mit seiner Beherrschung endgültig vorbei. „Deine Suche ist beendet, du hast deine Mission und meinen letzten Auftrag erfüllt, mein Orbiter. Hier spricht Igsorian von Veylt, Ritter der Tiefe, an Bord der ZYFFO II." Der Voghe lag zusammengebrochen auf seinem Bauchpanzer, den Kopf mit den Sinnesorganen im Körper verborgen. Der schwer und plump wirkende Leib zuckte und bebte. Wie Wasser strömte die Anspannung aus ihm heraus, und wohlige Wärme flutete seinen 7
Körper. Salziges Sekret schoß in seine Magenöffnung, und sein Blut war mit Endorphinen geradezu gesättigt. Er schluchzte bitterlich vor Glück. Endlich raffte er sich auf, im Bewußtsein, dieser Situation mit Würde begegnen zu müssen. Auf wackeligen Beinen stand er vor den Kommunikationskontrollen. Die Zeit der Leiden und der Suche war endgültig vorüber. Jetzt würde alles gut werden. „Ich grüße dich, mein Ritter." Zorgs Stimme war keineswegs so fest, wie er es sich gewünscht hatte, und mehr brachte er auch nicht aus sich heraus. Er war einfach glücklich und konnte es nicht fassen. „Ich grüße dich ebenfalls, mein Orbiter", klang die mächtige wohltönende Stimme Igsorians aus dem Akustik-Feld. Wie sehr hatte er sich nach ihr gesehnt? Wie oft hatte er sie in seinen Träumen vernommen? „Du hast mich schließlich gefunden. Was also soll nun geschehen?" Zorg erwachte wie aus einem Traum. Zunächst hatte er etwas wie: „Nun wird alles wieder wie früher. Wir werden unermüdlich durch das Universum ziehen und den Kräften des Chaos uns entgegenstemmen." oder gar „Werde ich dich jetzt endlich sehen dürfen, mein Ritter?" erwidern wollen. Doch ihm wurde bewußt, wie unsinnig die Frage aus dem Munde des Ritters gewirkt hatte. Schlagartig wurde ihm die Unwirklichkeit dieser ganzen Situation klar, und er streifte die letzten Reste seines Freudenrausches von sich. In seinem Taumel der Emotionen hatte er scheinbar von Anfang an nicht erkannt, was ihm nun offenbar wurde. Seit er mit diesem Sonnensystem in Berührung gekommen war, wurden ihm Dinge vorgespielt, die seiner eigenen Vorstellungswelt entsprangen. Zunächst waren nur seine Funksprüche reflektiert worden. Dann hatte es sich zur Wiedergabe seiner Gedanken entwickelt und das in immer komplexerer Form. Waren ihm erst nur Energiemedusen vorgegaukelt worden, an die er kurz zuvor gedacht hatte, befand er sich nun in einer perfekten Scheinwelt, die ihm seinen innigsten Wunsch, die Erfüllung seines Lebensziels, vorspielte. Im ersten Moment hatte Zorg auf diese Erkenntnis mit Wut reagiert. Wut darauf, daß er so völlig bloßgestellt wurde, indem man ihm dieses geschmacklose Schauspiel darbot. Doch dann war ihm klar geworden, daß das Erlebte kaum die Form eines Angriffs hatte. Vielmehr erschien es ihm wie ein Herantasten an seine Person, wie eine Kontaktaufnahme.
4.Dialog „Wer bist du?" - „Igsorian von Veylt, dein Ritter." - „Nein, das bist du nicht. Du hast einen Fehler begangen. Ein Ritter fragt seinen Orbiter nicht danach, was zu tun sei. Er befiehlt ihm. Also, wer bist du wirklich?" - Schweigen – „Das multidimensionale Fraktal in diesem Sternensystem, ist das euer Schutzfeld? Oder bist du es gar selbst? Ja, genau! So komplex kann nur ein lebendes System sein. Du bist dieses Fraktal, nicht wahr?" – „Alles ist Fraktal." – „Wie soll ich dich nennen?" – „Ich bin OR." – „Wieso hältst du mich hier fest, OR? Und warum gaukelst du mir meine Gedanken und Wünsche vor?" – „Ich versuche dich zu verstehen. Ich habe gerne Kontakt zu Anderen. Ihr tragt Welten und Geschichten in euch. Auch zu dir habe ich Kontakt gesucht und gefunden. Ich verstehe jedoch deine Geschichte, den Bau deiner Welt nicht." – „Was soll das heißen? Du bist schließlich eine Superintelligenz. Willst du mir weismachen, du hättest noch nie von den Rittern der Tiefe gehört?" – „Ich habe Geschichten von ihnen gehört. Doch wie alle Anderen schienen auch sie im Jetzt 8
zu leben. Bei dir ist das anders. Du lebst im Morgen, selten auch im Gestern aber nie im Jetzt. Das ist es, was ich nicht verstehe." – „Was meinst du damit, ich lebe im Morgen?" – „Ich kann nur von mir sprechen, aber ich war immer der Meinung, daß wir alle auf unserem Weg durch die Welten das Jetzt erleben und in ihm agieren, um der Welt, in der wir uns gerade befinden, eine neue Richtung zu geben. So entstehen Geschichten und manchmal sogar neue Welten. Du hingegen scheinst all dein Handeln auf das Morgen ausgerichtet zu haben. Es soll nicht jetzt sondern an einem künftigen Zeitpunkt eine Auswirkung haben. Fast kommt es mir vor, als folge deine Welt nicht dem natürlichen Maß des Fraktals sondern einer Linie. Und irgendeinem Punkt auf dieser Linie, der noch vor dir liegt, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Da ich dieses Konzept nicht verstehe, habe ich dich diesen Punkt erreichen lassen, um zu erfahren, was ihn so besonders macht." – „Du hast ein Experiment an mir durchgeführt, um zu erfahren, was zielgerichtetes Handeln bedeutet? Du bist eine Superintelligenz! Das ganze Universum strebt einem Ziel zu! Du wirst dich zu einer Materiesenke entwickeln, wenn du nicht für das Ziel arbeitest, eine Materiequelle zu werden." – „Was ist ein Ziel?" – „Der Punkt auf den dein Lebensweg zustrebt, das endgültige Ergebnis der Summe deiner Handlungen. Je nach dem, wie du dich verhalten hast, ist dieses Ziel positiv oder negativ." „Das was du als Lebensweg bezeichnest, strebt nicht auf irgend etwas zu. Jedes Handeln führt auf andere Lebenswege, überall gibt es Abzweigungen." – „Die anderen Wege führen jedoch zu nichts oder ins Verderben. Deswegen muß man ja bei jeder Handlung das Ziel im Auge behalten." – „Was geschieht, wenn man das Ziel erreicht hat? Was wirst du jetzt tun, wo du dein Ziel erreicht hast?" – „Ich habe mein Ziel nicht erreicht! Du hast mir die Begegnung mit meinem Ritter doch nur vorgespielt! Mein Ziel ist erst erreicht, wenn ich den wahren Igsorian gefunden habe." – „Wo ist der Unterschied? Zunächst warst du fest davon überzeugt, den Ritter gefunden zu haben. Wird sich etwas ändern, wenn ich in der Zeit zurückkehre und die Frage, die deinen Argwohn erregte, ungeschehen mache?" – „Nein! Wo der Unterschied ist? Es war nicht real." – „Woran merkst du den Unterschied?" – „Du hast recht, das kann ich nicht. Mit etwas Übung könntest du mir das Zusammentreffen mit meinem Ritter glaubhaft vorgaukeln. Irgendwo in diesem Universum würde dann aber der echte Igsorian von Veylt künftig vergeblich darauf warten, von mir gefunden zu werden. Er ist der letzte Ritter der Tiefe, und wenn nur die geringste Möglichkeit besteht, daß er aus einer Gefahr errettet werden muß, so darf ich nicht ruhen, bis ich ihn gefunden habe, und wenn ich daran zugrunde gehe. Denn sonst stirbt der letzte Streiter für die Mächte der Ordnung, und die Mächte des Chaos werden eines Tages die Oberhand gewinnen. Wenn der letzte Ritter der Tiefe stirbt, erlöschen die Sterne." – „Chaos und Ordnung sind beides extreme Zustandsformen des Fraktals. Keines kann über das andere die Oberhand gewinnen. Mir scheint, du selbst hast gar keine Vorstellung davon, was an deinem Ziel geschieht. In deinem Innern kann ich erkennen, daß du oft von anderen Dingen träumst. Neben dem Wunsch, deinen Ritter wiederzusehen, herrscht in dir Sehnsucht nach deiner Heimat vor. Wieso unterdrückst du diesen Wunsch? Womöglich gibt es auch dort Andere, die deiner Hilfe bedürfen." – „Das ist nicht wahr! Ich meine, ich bin dem Ziel verschworen, meinen Ritter zu finden. Ich lasse mich durch nichts davon ablenken!" – „Dieser Planet hier, ich habe ihn aus deinen Gedanken geformt. Ist er nicht deine Heimat?" Schweigen - „Du kannst auf ihm landen, wenn du möchtest. Du kannst Artgenossen oder gar deinen Erzeugern begegnen. Es ist so wahr, wie alles, was du wahrnimmst." – 9
„Meine Erzeuger sind schon lange tot. Was willst du von mir OR? Bist du eine negative Superintelligenz, die ständig neue Bewußtseinsinhalte aufnehmen muß, um die Entwicklung zu einer Materiesenke aufzuhalten? Willst du mich in dich aufnehmen? Das wird dir auch nichts nützen. Langsam aber sicher wirst du und deine Mächtigkeitsballung auseinanderfallen. Du hast nur die eine Chance, dich für die Mächte der Ordnung zu entscheiden. Sammle nicht Seelen sondern Wissen. Organisiere deine Mächtigkeitsballung. Wähle dir ein Hilfsvolk und lasse es deine Galaxien beschützen. Nur so wirst du es schaffen eines Tages, wenn du das Wissen dieses Universums angesammelt hast, die Kraft zu haben, dich zu einer Materiequelle und schließlich zu einem Kosmokraten zu entwickeln. Du mußt anfangen zielgerichtet zu handeln, dann kannst du absolutes Wissen erlangen." – „Warum sollte ich absolutes Wissen anstreben wollen? Leben bedeutet nicht-wissen. Nur gegen etwas, das ich nicht weiß, kann ich mich abgrenzen und so als Individuum definieren. Selbst die Kosmokraten können nur existieren, weil es Dinge gibt, die sie nicht wissen. Warum sonst versteifen sie sich darauf, die Antwort auf die Frage nach dem GESETZ zu finden? Womöglich haben sie sich diese Frage selbst gestellt, um ihre eigene Existenz zu sichern. Damit erschufen sie etwas, das sie nicht wissen und wogegen sie sich abgrenzen können. Dies ist für mich keine anstrebenswerte Existenz, da sie nur noch diesem Zwecke dient. Der Lebensweg eines Kosmokraten hat keine Abzweigungen mehr. Warum auch sonst gibt es immer wieder welche von ihnen, die ihr Wissen freiwillig beschränken, um in den niederen Regionen zu leben? Und was das andere betrifft, ich habe nicht die Absicht, dich in mich aufzunehmen." – „Wieso verlangst du dann von mir, in deinen Scheinwelten zu leben?" – „Das tue ich nicht. Ich möchte lediglich mit dir kommunizieren. Ich mache dir Angebote, deine Träume zu erfüllen. Es ist an dir sie anzunehmen. Du kannst jederzeit wieder deiner Wege ziehen, wenn du möchtest." – „Du bietest mir Blendwerk, um mich hierzubehalten. Du führst mich in Versuchung und möchtest mich von meinem rechten Pfad abbringen. Du bist ein Knecht der Chaosmächte, ich habe dich erkannt! Doch du wirst mich nicht brechen können. Wenn du mich jetzt tötest, sterbe ich in der Gewißheit, meinem Ritter bis zuletzt treu gedient zu haben." – „Es ist faszinierend. Kosmokraten verlassen ihre Welt, um wie ein niederes Geschöpf zu leben, und du verschließt dich deinen Wünschen, um das eindimensionale Leben eines Kosmokraten zu führen. In allen Welten, die ich bisher besucht habe, ist mir einer wie du noch nicht begegnet. Schade, daß ich dich nicht verstehe und auch nie verstehen werde." – „Dann laß mich diesen Ort verlassen." – „So sei es."
5. Seit Tagen schon raste die PYE mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Überraum. Zorg wollte soviel Raum wie irgend möglich zwischen sich und die Galaxis des unheimlichen OR bringen. Seine Überzeugung, einem Instrument der Chaosmächte gegenübergestanden zu haben, war nicht sehr fest. Er hatte bereits von dem sogenannten Dritten Weg gehört, es aber immer für eine Tarnbezeichnung der Mächte des Chaos gehalten. Mit aller Gewalt verbannte der Voghe schließlich die Gedanken aus seinem Gehirn, die ihn nur vom rechten Weg locken wollten. Er richtete sich und das Schiff für eine erneute Tiefschlafphase her. Als alles fertig war, sank er in tiefen Schlaf und träumte von Buran.
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Gucky: Die Zwischenwelt Teil 1 von Marc-IvoSchubert
Welches Geheimnis birgt der Planet Tammpta IV? Was geschah dort zur Zeit der Monos Herrschaft?
Teil I 1. Zeichen und Spuren Der Hohe Horcher auf seinem Turm war der erste, der die Blitze sah. Nur zufällig schaute er zu den Berggipfeln im Osten hinüber, statt sich mit geschlossenen Augen auf die Geräusche des Dschungels zu konzentrieren, der sich als dichte grün-braune Mauer bis an den Rand des Sichtkreises drängte. Wie gebündelte Glut standen die Blitze plötzlich über den Bergen, zuckten auf, erloschen, zuckten wieder auf und brannten in den Augen. Blinzelnd beugte sich der Hohe Horcher vor. Was, bei den Fünf Stämmen, war das? Erwachte Gotyhr, der Berggott, aus seinem traumlosen Schlaf? Einen leeren Augenblick lang wußte der Mann auf dem Turm nicht, wie er auf seine Entdeckung reagieren sollte. Dann wurde ihm bewußt, daß der Wald schwieg. Kein Laut war jenseits des Sichtkreises zu hören, selbst das ewige Raunen und Flüstern der Baumkronen war verstummt. Noch nie hatte der Wald so umfassend geschwiegen. Und dann strömte in diese Stille ein tiefes, kribbelndes Vibrieren, weniger ein Ton als ein Zittern der Luft selbst, das über den Wald und den Sichtkreis hinwegschwappte, am Turm emporbrandete und den Hohen Horcher überschwemmte, ihn taumeln ließ, gefährlich nahe an die niedrige Brüstung heran, ehe er sich fing und, gegen die unsichtbare Flut gestemmt, nach dem Warnseil griff. Noch einmal blickte er, eine Hand schirmend über den Augen, zu den Bergen. Wie Finger tasteten die Blitze suchend über den Himmel, und kurz meinte er, zwischen ihnen einen kleinen, schimmernden Fleck zu erkennen. Dann zog er das Seil an und damit im Raum unter ihm den kleinen Keil aus der Öse, durch die das zurückgebogene Schlagholz gehalten wurde, das nun vorschnellte und mit lautem, lange nachhallendem Dröhnen den metallenen Gong traf. * Samenta Fier konzentrierte sich auf die Symbole, die über das Display flackerten, und versuchte Bryn Woddart zu ignorieren. Dem massigen Abteilungsleiter, den alle im TLD den »Archivar« nannten, liefen trotz Klimaanlage dicke Schweißtropfen über das Gesicht. Immer wieder warf er der Frau mißtrauische Blicke zu. Fürchtete er etwa, sie könnte mit einer einzigen unbedachten Eingabe das komplette Monos-Archiv löschen? Zum wiederholten Male hatte sich Woddart schnaufend an seinem Schreibtisch emporgewuchtet und nahe Samenta in Positur gebracht, um über ihre Schulter hinweg auf die von ihr abgerufenen Daten zu starren. Dabei wippte er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen leicht auf den Ballen. Das flatschende Geräusch, daß seine Sohlen auf dem Kunststoffboden erzeugten, erinnerte Samenta unangenehm an feuchte Füße. Warum, um alles in der Welt, haben die Marketingstrategen für Deodorants bei diesem Mann so vollständig versagt? Irgendwie hatte sie kurz die Vorstellung, gleich müsse auch ein Tropfen erklingen, und sie preßte die Lippen fest zusammen, um nicht in nervöses Gelächter auszubrechen. Woddart wippte weiter. »Wenn du mir endlich sagst, wonach du suchst, kann ich dir vielleicht helfen«, erklärte er 11
schließlich. Seine warme, angenehme Stimme stand in deutlichem Kontrast zu seinem Äußeren, jedoch der ungeduldige Unterton war nicht zu überhören. Samenta drehte sich auf ihrem Stuhl halb herum. Der Blick ihrer meergrünen Augen, zwischen wirr über die Stirn fallende Strähnen rotblonden Haars hindurch abgeschossen, hätte die meisten Männer irritiert. Aber Woddart schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. »Also?« »Informationen über Horrikos. Hinweise, die zu weiteren Monochrom-Mutanten führen. Aber das weißt du doch schon.« »Und du weißt, daß bereits alle relevanten Daten dem Ministerium für Mutantenfragen zur Verfügung gestellt wurden. Passagierlisten, Logbücher, Vermerke ... und wenn doch etwas fehlen sollte, kannst du dich auch jederzeit von Außerhalb in das Archiv einwählen. Du hast doch eine ausreichende Sicherheitseinstufung. Deine Arbeit hier ist also völlig überflüssig.« »Warum sagst du mir nicht einfach, daß es dir nicht paßt, daß ich hier bin?« Samenta war die merkwürdige Art des Archivars allmählich leid. Als ob sie sich diesen Job nur deshalb ausgesucht hatte, um ihn ärgern zu können! Woddart wiegte nachdenklich den Kopf. »Das ist doch Unsinn«, meinte er endlich. »Obwohl ich zugeben muß, daß ich es nicht mehr gewohnt bin, mein Büro mit jemandem teilen zu müssen.« Damit drehte er sich um und trottete zu seinem Schreibtisch zurück. »Ich bin hier, weil das Ministerium der Meinung war, die direkte Zusammenarbeit mit dir könnte mich schneller weiterbringen. Du bist doch der Spezialist für die Daten im MonosArchiv!« zischte Samenta wütend. Woddart brummte etwas, ohne weiter auf ihre Bemerkung einzugehen. Samenta wandte sich mit einem Schulterzucken wieder ihrem Display zu, hatte aber völlig den Faden verloren. Verärgert löschte sie die Anzeige und gab eine Reihe neuer Suchbegriffe ein. Wenig später stand Woddart wieder hinter ihr. »Was ist jetzt wieder?« Samenta versuchte gar nicht erst, freundlich zu sein. Wortlos legte Woddart eine eng bedruckte Folie auf ihren Platz. Die Frau warf einen kurzen Blick darauf. »Ein Logbuchauszug?« »Ein paar ausgesuchte Stellen. Von einem Frachter namens RAVETTA. Am 3. Juli 1008 mit Geleitschutz von Terra nach Horrikos. Dann bleibt das Schiff etwa drei Jahre dort stationiert, wird aber für diverse Transporte genutzt: Waren, Ausrüstung, so was. Hier und hier - Anfang und Ende dieser Phase, die Einträge dazwischen habe ich weggelassen. Danach ein Flug nach Temmpta IV im September 1011. Wieder mit Geleitschutz. Und dann zurück nach Horrikos, weitere Nutzung als Transportschiff.« Lesen konnte Samenta selber. »Gut, der Geleitschutz ist auffällig. Aber was soll sonst soll an diesem Log so interessant sein?« Woddart grinste. Ein dicker Finger klopfte auf die Stellen mit den beiden Flügen, die ihm aufgefallen waren. »Alle Lieferungen sind ausführlich dokumentiert, ich habe sogar die genauen Stücklisten im Archiv. Das hier verwendete Logbuch ist für Transport- und Frachtschiffe programmiert und enthält entsprechende Eintrags- und Verweisfelder.« Der Archivar beugte sich vor, um an Samentas Display das Log aufzurufen. Dabei stieg ihr ein penetranter Schweißgeruch in die Nase. »Hier«, meinte Woddart. »Da kannst du die Stücklisten abrufen. Wenn keine Fracht geladen ist, erscheint der Hinweis Leertransport. Bei zwei Flügen existiert dieser Datenbereich nicht.« »Du meinst, er ist gelöscht worden?« Woddart nickte. »Genau. Es wäre zwar unauffälliger gewesen, die Daten durch einen Leereintrag zu ersetzen - aber anscheinend wollte hier jemand besonders gründlich sein und 12
hat dabei übertrieben. Es wäre doch möglich, daß da etwas von Terra über Horrikos nach Temmpta IV befördert wurde, von dem niemand wissen sollte.« »Und was soll das gewesen sein?« fragte Samenta. »Ich habe keine Ahnung, die Stücklisten sind ja weg. Aber es ist vielleicht eine indirekte Spur. Mehr steckt mit Sicherheit nicht im Archiv. Alle direkten Verbindungen sind längst bearbeitet.« »Die Idee hätte dir auch früher kommen können!« Der Archivar winkte ab. »Wie soll ich nachdenken, wenn du mich dauernd mit deinen Fragen störst?« Samenta konnte sich nicht erinnern, viele Fragen gestellt zu haben. Woddart empfand es wohl bereits als Belästigung, wenn überhaupt jemand anderes anwesend war und hatte seine Recherche nur durchgeführt, damit sie endlich mit irgendeinem Ergebnis ins Ministerium zurückkehren konnte. Nachdenklich schaute sie auf die Folie. Unten links stand in winzigen Lettern die Bezeichnung der Ausgabeeinheit, daneben Druckdatum und -zeit. Samenta grinste. Woddart hatte den Auszug bereits gestern Mittag angefertigt. * Es war vorbei. Auch ohne die Warnung des Hohen Horchers hätten die Menschen der Siedlung Yxx gespürt, daß etwas nicht in Ordnung war. Doch die Blitze über den Bergen wären von ihnen vielleicht übersehen worden. So aber hatte der Hohe Horcher, nachdem er seinen Ausguck verlassen und hinter die schützenden Palisaden zu den anderen geeilt war, alle darauf aufmerksam gemacht; und nun, da die Blitze erloschen waren, das seltsame Vibrieren der Luft geendet hatte und aus dem Wald wieder die gewohnten Geräusche klangen, standen die Menschen in kleinen Gruppen zusammen und palaverten aufgeregt. Was mochte das, was sie gerade erlebt hatten, bedeuten? Fast alle waren darin einig, daß es sich um ein Zeichen des Berggottes handeln müsse. »Vor vielen Generationen hat uns Gothyr an die Ufer der Fünf Flüsse geschickt«, sagte der Hohe Horcher. »Bestimmt ruft er uns nun zurück.« Parwen, der Erste Jagdführer der Siedlung, schüttelte den Kopf, daß die langen, dünn geflochtenen Zöpfe flogen. »Gothyr! Wieso sollte er uns zurückrufen? Wenn er das wollte, hätte er uns doch ein deutliches Zeichen setzen können.« »Noch deutlicher?« Der Hohe Horcher war von seiner Meinung nicht abzubringen. »Vergiß nicht, daß ich dort oben auf dem Turm stand. Da war etwas in der Luft, ein Kribbeln und Zittern und Murmeln. Selbst hinter den Palisaden habt ihr es doch noch gespürt. Der Berggott hat zu uns gesprochen!« Hilfesuchend wandte er sich an Darstock. »Was meinst du? Du hast es doch auch gehört!« Der alte Seher runzelte die Stirn. Bisher hatte er dem Disput schweigend gelauscht, den hageren, knochigen Körper schwer auf seinen knorrigen Stab gestützt und unter zottigen Brauen hervor zu dem fernen Gebirge spähend. »Gehört ja - verstanden nein«, sagte er knapp. »Aber ich bin sicher, daß es tatsächlich ein Zeichen war. Bestimmt sogar ein wichtiges. Darum müssen wir den Rat aller Siedlungen am Dritten Fluß einberufen. Und vielleicht sogar den Großen Rat aller Stämme.« »Das nimmt viel Zeit in Anspruch«, brummte Parwen. »Wenn uns dieses Zeichen auf eine nahende Gefahr hinweisen sollte, zu viel Zeit.« Darstock ließ sich an seinem Stab langsam zu Boden rutschen, bis er mit überkreuzten Beinen auf dem lehmigen Untergrund hockte. Die in verschiedenen Farben schimmernden Schalen der Flußkrebsscheren, mit denen sein bis über die Knie reichendes Hemd verziert war, schabten und klapperten, als er aus einem Säckchen fünf verschiedenfarbige Steine holte; jeder davon stand für einen der Fünf Stämme. Er schüttelte die Steine kurz, ließ sie fallen und blickte lange auf das Bild, das sich aus seinem Wurf ergeben hatte. 13
»Und?« fragte der Hohe Horcher ungeduldig. Der Alte hob beschwichtigend eine Hand, ohne jedoch aufzuschauen. Wortlos nahm er die Steine wieder auf und warf sie erneut. Abermals studierte er geduldig das Ergebnis. »Die Steine sagen mir gar nichts«, behauptete er dann. »Aber Parwen hat recht: es wird dauern, bis der Rat einberufen ist. Ich denke, jemand sollte diese Zeit nutzen, um zu den Bergen zu gehen. Vielleicht entdeckt er etwas, das dem Rat bei einer Entscheidung hilft.« Er zögerte kurz. »Keine Siedlung liegt so nahe an den Bergen wie Yxx. Es mag sein, daß andere die Blitze nicht in solcher Deutlichkeit gesehen haben. Was immer wir hier jetzt entscheiden: wir müssen bedenken daß wir die ersten sind, die etwas unternehmen können.« »Aber jemanden zu den Bergen schicken?« rief der Hohe Horcher entsetzt. »Das sind zwanzig Tagesmärsche durch den Dschungel. Oder noch mehr. Niemand überlebt das!« »Nun - über den Fluß kann man vielleicht ein großes Stück abkürzen«, wandte Darstock ein. »Was meinst du, Parwen?« »Bis zur Ersten Siedlung und ein wenig darüber hinaus bestimmt. Danach weiß ich es nicht. Keine Fischerin fährt allzu weit über den Siedlungsbereich stromaufwärts, denn dort beginnen die Gelben Sümpfe und dahinter die Stromschnellen. Aber ich wäre bereit es zu versuchen, wenn die Erste Fischerin mir eine Rudermannschaft gibt.« »Darüber«, sagte Darstock, »wird sie bestimmt mit sich reden lassen. Besuchen wir sie. Ich habe vorhin gesehen, daß sie ins Räucherhaus gegangen ist. Sie hatte wohl keine Lust, über Blitze und Zeichen zu reden.« * »Eine Expedition nach Tammpta IV - wo immer das auch sein mag - auf Grund dieser dürftigen Informationen?« Orfan Riltau lehnte sich mit einer bedauernden Geste in seinem Stuhl zurück. »Das kriegst du nie genehmigt. Unser Budget ist durch die vielen RückführAktionen bereits erheblich belastet. Von den Mutantenschulen ganz zu schweigen. Tut mir sehr leid, Samenta, aber in dieser Sache kann ich dich nicht unterstützen, wenn du mir nicht zumindest ein paar Fakten lieferst.« »Ich denke, wir sollen jeden Hinweis im Zusammenhang mit Horrikos ausführlich untersuchen?« Samenta war aufgesprungen und wedelte mit Woddarts Folie in der Luft herum. »Was ist, wenn Menschen nach Tammpta transportiert wurden? Die Experimente auf Horrikos schienen damals ein Fehlschlag zu sein, aber wäre es nicht möglich, daß auch ... positive Ergebnisse erzielt wurden?« »Angenommen, Monos hätte damals wirklich den einen oder anderen Mutanten geschaffen warum hätte er ihn dann von Horrikos wegbringen sollen? Und gleich eine größere Gruppe? Nichts in deinen Unterlagen deutet darauf hin!« »Wozu dann der Geleitschutz?« fragte Samenta. Orfan dachte kurz nach. »Keine Idee«, gestand er dann. »Aber den gab es auch schon auf dem Flug von Terra nach Horrikos - das ist also auch kein Indiz für deine Spekulation. Die Sache mit den Logbucheinträgen ist zwar interessant, aber ich sehe keinen Zusammenhang mit unserer Arbeit. Wir suchen Monochrom-Mutanten, keine Monos-Relikte.« Samenta setzte sich wieder, trommelte mit den Fingern auf Orfans Schreibtischplatte und erklärte dann: »Tammpta IV, vierter Planet der Sonne Tammpta, 7.400 Lichtjahre von Terra entfernt. Eine Dschungelwelt, im Jahr 411 NGZ von der Kosmischen Hanse entdeckt, die dort eine kleine Station unterhielt. Ansonsten unbesiedelt, keine nennenswerten Rohstoffe. Klingt ziemlich harmlos.« »Schon«, Orfan nickte. »Aber was soll's?« »Gucky plant einen Übungsflug mit den drei neuen Schülern von Plophos. Du weißt ja, daß er immer wieder bei der Betreuung unserer Monochrom-Mutanten hilft. Dazu gehören auch Trainingseinheiten in unbekanntem Terrain ...« 14
»... unbekannt für die Mutanten! Alle Zielplaneten sind gründlich von uns untersucht worden, um jedes Risiko auszuschließen.« Orphan winkte ab, mußte dann aber doch lachen. »Du gibst wohl nie auf, was? Also gut, machen wir es so: ich halte mich aus der Angelegenheit raus, und du versuchst dein Glück bei dem Mausbiber. Obwohl ich nicht glaube, daß er sich auf die Geschichte einlassen wird.« * Arda-Gatt, die Erste Fischerin, konnte sich für Parwens Plan nicht begeistern. Sie war tatsächlich schon wieder im Räucherhaus, wo sie nur mit einem Lendenschurz bekleidet einen Stoß armlanger, glasiger Schmirgelfische ausnahm und anschließend in die Räucherkammer hängte. Der massige, nackte Oberkörper war so mit Blut und Schuppen verschmiert, daß die Weihenarben auf ihren Brüsten kaum zu erkennen waren. Es stank penetrant nach Innereien. Bootsfahrten, die nicht der Nahrungsbeschaffung oder den Riten dienten, stand die Erste Fischerin ohnehin ablehnend gegenüber. Solchen, bei denen Material und Mannschaft in Gefahr gerieten, erst recht. Und das, was der Erste Jagdführer über sein Vorhaben erzählt hatte, mußte einfach in ein riskantes Abenteuer ausarten. »Jenseits der Ersten Siedlung kommt man kaum weiter«, meinte sie daher. »Spätestens bei den Stromschnellen ist Schluß, da muß das Boot getragen werden. Und ob der Fluß dahinter überhaupt stromauf befahren werden kann, weiß niemand. Keiner von uns Fischerinnen ist jemals so weit vorgedrungen.« »Aber möglich wäre es?« bohrte Parwen. Arda-Gatt nickte. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Und ich möchte nicht gerne ein gutes Boot und gute Leute verlieren, nur um mir darüber Klarheit zu verschaffen.« »Deine Sorge ehrt dich«, mischte sich Darstock ein. »Aber es geht nicht darum, den Fluß zu erkunden. Jenseits der Sümpfe ist kein Menschenland, das ist uns bekannt, seit Gothyr uns zu den Flüssen schickte.« »Ich weiß, ich weiß!« Arda-Gatt breitete die mächtigen Arme aus, auf denen sie ganz alleine einen ausgewachsenen Flossenpfeifer vom Anlegesteg bis zum Räucherhaus tragen konnte. »Aber welche Fischerin wäre je den Fluß hinaufgefahren, um nach einer Botschaft des Berggottes zu suchen?« »Keine«, gab der Seher zu. »Und kein Jäger hat jemals versucht, durch die Wälder zu Gothyrs Bergen zu gelangen. Aber die Blitze, die der Hohe Horcher und viele andere sahen, die Unruhe der Luft ... können wir es wagen, solche Zeichen einfach zu ignorieren? Parwen hat recht, wir müssen einfach nachforschen und jemanden schicken. Durch den Dschungel wäre der Weg noch viel gefährlicher - und länger.« Arda-Gatt dachte nach. »Also gut«, sagte sie dann. »Ich werde mit den Frauen darüber sprechen. Aber ich werde keine zwingen, an dieser Fahrt teilzunehmen. Wenn sich nicht genügend freiwillig melden, um eine Rudermannschaft zu stellen, müssen die Jäger selbst rudern. Und dann könnten sie ebenso gut zu Fuß gehen.« Parwen ignorierte den kleinen Seitenhieb. »Es werden sich doch sicher bei den jüngeren Mädchen genügend finden, die für ein solches Abenteuer zu beigeistern sind!« meinte er. »Unter den Jägern möchten mehr mit, als mir lieb ist!« Die Frau blickte den Ersten Jagdführer ernst an. »Natürlich werden sich viele melden. Aber was helfen dir die jungen, unerfahrenen, die mit Begeisterung bei der Sache sind und sich am erstbesten Felsen den Kiel aufreißen? Geh und bereite deine Jäger vor, und ich will sehen, was ich für dich tun kann.« Als die beiden Männer das Räucherhaus verlassen hatten, stand Arda-Gatt eine ganze Weile da und starrte finster auf die Schmirgelfische. Wären doch die Götter wie diese Fische, dachte sie. Daß man ihnen durch die Haut geradewegs bis zum Herzen schauen und ihre Absichten erkennen könnte! Aber das vermag ja nicht einmal Darstock, der sich sein ganzes Leben mit 15
ihnen beschäftigt hat. Mit einer ärgerlichen Bewegung wischte sie einen Haufen Innereien in den Köder-Bottich und überlegte, welche der Frauen sie in der Mannschaft haben wollte, wenn sie anstelle Parwens die Fahrt unternehmen würde. Jeder Name lag ihr schwer auf der Seele. Es war nicht leicht, Menschen, die man liebte, zu einer Reise aufzufordern, die ihnen den Tod bringen mochte. * »Da habe ich ja Glück, daß du noch nicht Feierabend gemacht hast. Ich wollte mich nämlich noch bei dir bedanken.« Samenta hatte ein wenig mit sich ringen müssen, sich dann aber doch entschlossen, Bryn Woddart persönlich aufzusuchen. Der Archivar, der gerade in einem Stapel kleiner, kassettenförmiger Gegenstände wühlte, ließ ein leichtes Grinsen sehen. »Und ich dachte schon, du wolltest dich wieder hier breit machen.« Er intensivierte sein Lächeln ein wenig, um anzudeuten, daß dies scherzhaft gemeint sei. Viel Übung schien er darin nicht zu haben. Dann deutete er auf die Kassetten. »Backups des Logistikzentrums, das für die RAVETTE zuständig war. Purer Zufall, daß ich mich an die Dinger erinnert habe. Liegen seit Jahren in meiner Aservatenkammer und warten auf Auswertung.« Samenta wußte, daß Woddarts Abteilung über eine ganze Reihe von Mitarbeitern verfügte. Die meisten von ihnen befaßten sich fast ausschließlich mit dem Monos-Archiv. Aber trotz modernster, syntrongestützter Analyseverfahren wartete noch ein gewaltiger Berg aus Daten und sonstigen Hinterlassenschaften auf seine Auswertung. Allein die »Aservatenkammer« war ein riesiger Komplex; unzählige Lagerhallen, vollgestopft bis zum Rand mit allem, was auf Terra und den LFT-Welten nach Monos Sturz zusammengetragen worden war in der Hoffnung, man könne ein wenig mehr Licht in die dunklen Jahre seiner Herrschaft bringen. Seit dem Auftauchen der Monochrom-Mutanten befürchtete man in Regierungskreisen, das weitere »Hinterlassenschaften« Monos irgendwo untentdeckt schlummern und plötzlich und unerwartet wie Pestbeulen aufbrechen könnten. »Das Logbuch hat dir wohl keine Ruhe gelassen?« »Du hast mich infiziert.« Woddart schnaufte, deutete auf einen Stapel Folien neben den Backups und erklärte: »Ich habe einen vergleichbaren Fall gefunden. Die selbe Verschleierungstaktik, wenn auch ohne jeden Bezug zu Horrikos oder Tammpta. Hat damals einen meiner Jungs auf die Spur eines Waffenentwicklungsprojektes der Cantaro gebracht. Leider war dort nicht mehr viel für uns zu holen - irgend jemand war vor uns da. Aber egal, die Angelegenheit ist möglicherweise doch interessanter als ich erst dachte. Wenn ich diese Sicherungen auswerte habe ich vielleicht genug Material, um eine Expedition nach Tammpta IV ausreichend begründen zu können.« »Du würdest selbst dorthin fliegen?« fragte Samenta verblüfft. Sie versuchte, sich den schwergewichtigen Abteilungsleiter auf einer Dschungelwelt vorzustellen, mit Tropenhelm und Khakihose, wie sie es gelegentlich in uralten TriVid-Filmen gesehen hatte. »Es läge durchaus im Rahmen meiner Kompetenzen«, behauptete der mit leicht gekränktem Unterton. »Aber normalerweise delegiere ich solche Aufgaben an meinen Stellvertreter. Rumreisen gehört nicht gerade zu meinen Hobbys. Jedenfalls könnte sich an einem solchen Flug dann auch euer Ministerium beteiligen.« »Zu spät!« Samenta lachte. »Ich habe bereits ein Schiff organisiert!« Und sie erzählte dem erstaunten Woddart vom Trainingsflug der Monochrom-Mutanten und daß es ihr gelungen war, Gucky für ihr Vorhaben zu gewinnen. »Übermorgen früh geht es los!« berichtete sie begeistert. »Kannst du nicht bis dahin die Backups auswerten? Eventuell sind ja wirklich noch wichtige Informationen darauf gespeichert. Und bestimmt kann auch dein Kollege mitkommen. Schließlich wissen wir von 16
Tammpta ja nur durch das Monos-Archiv.« »Zumindest auf einen unserer Syntrons überspielen kann ich sie bis dahin«, sagte der Archivar. »Die Dienstreise für dürfte auch kein Problem sein. Abgesehen davon, daß mein Stellvertreter gerade Urlaub hat ... Übermorgen sagst du? Gleich am Vormittag? Hmm, das sind keine 36 Stunden! Mal sehen, was ich da noch machen kann.« * Der Syntron-Operator stellte seine Kaffeetasse ab, nahm die Füße vom Schreibtisch und beugte sich gespannt vor, als seine Konsole ein kurzes Tonsignal von sich gab. Mit einem raschen Blick überzeugte er sich, daß kein Kollege in der Nähe war. Dann,aktivierte er das Filterprogramm aktivierte, das soeben auf sich aufmerksam gemacht hatte. Auf seinem Display erschienen mehrere Änderungsmeldungen, die sich auf das MonosArchiv bezogen - eine jener Datenbanken, die das Filterprogramm auf Eingabe bestimmter Stichworte überwachte und deren Zugriffsschutz es umgehen konnte. Der Mann pfiff leise, als er die Signatur des Benutzers erkannte. Abteilungsleiter Bryn Woddart persönlich! Was hatte der Archivar mit den Monochrom-Mutanten oder dem speziell für diese eingerichteten Ministerium zu schaffen? Dann erinnerte er sich an die junge Frau, die in letzter Zeit mehrmals im Auftrag des Ministeriums für Mutantenfragen bei Woddart gewesen und gelegentlich auch im Operatingbereich aufgetaucht war. Vermutlich hatte der alte Pedant eingetragen, wie oft sie sich in der Zeit Kaffee geholt hatte. Der Operator grinste breit. Gerüchteweise hatte Woddart sich alle Mühe gegeben, die Besucherin so schnell wie möglich wieder los zu werden. So ein hübsches Ding! Da hätte er sich selbst aber ganz anders verhalten! Schon wollte er die Meldung wieder löschen, rief dann die entsprechenden Datensätze aber doch ab. Gleich darauf pfiff er erneut, diesmal etwas lauter. Wieder sah er sich um, er war noch immer alleine. Mit einer unauffälligen Bewegung zog er ein winziges Speichergerät aus seiner Tasche, koppelte es mit der Konsole und kopierte die Daten herunter. Anschließend löschte er das Übertragungsprotokoll und versetzte das Filterprogramm wieder in Wartemodus. Ein kurzer Blick auf die Uhr: in zwei Stunden war seine Schicht zu Ende. Was er gefunden hatte, war zwar interessant, aber nicht so interessant, daß er deswegen sein Gleitzeitkonto belasten wollte. Zufrieden lehnte der Operateur sich zurück, bugsierte die Füße auf den Schreibtisch und griff nach seinem Kaffee. 2. Aufbruch Vaiten Zerff beobachtete den Turnschuh, der langsam über den Boden auf die Sporttasche zukroch, mit der Geduld einer Katze vor dem Mauseloch. Im pausbäckigen, von Sommersprossen übersäten Gesicht blitzten die zusammengekniffenen Augen in angestrengter Konzentration, die Flügel der winzigen Stupsnase waren unnatürlich gebläht, als versuche der Junge, mit geschlossenem Mund zu gähnen. Kurz vor der Tasche hielt der Schuh an. Die seitlich herabhängenden Laschen der Schnellverschlüsse vibrierten wie kleine Flügel. Vaiten stieß zufrieden die Luft aus. »Gewonnen!« rief er. »Den bewegst du nicht mehr!« Turin preßte beide Hände gegen die Schläfen und versuchte, den Turnschuh wieder unter seine telekinetische Kontrolle zu kriegen. Vaitens Abschirmung war jedoch so gut, daß er ihn mit seinen Parakräften nicht einmal mehr ertasten konnte. Also gab er auf und schaute seinen Zwillingsbruder erstaunt an. »Du hast ihn vollständig eingehüllt. Ich komme nicht mehr dran«, gab er zu. »Aber ich verstehe nicht, warum sich die Verschlüsse noch bewegen.« Ehe Vaiten zu einer Erklärung ansetzen konnte, klopfte es an der Tür, und Lecylle Greinwald 17
kam in den Raum, ohne erst auf eine Reaktion der beiden Jungen zu warten. Samenta Fier, die hinter ihr stand, zögerte kurz, folgte ihr dann aber. Lecylles stets entrückt wirkender Blick war nach links gerichtet, obwohl sie nach rechts hin auf die beiden Jungen zuging. Sie sah beinahe immer nach links, eine Eigenart, die die meisten Menschen verwirrte. Häufig wurde sie für blind gehalten - ein heutzutage auf Terra ausgesprochen seltenes Leiden -, aber das Mädchen konnte seine Umwelt sehr wohl wahrnehmen. »Unser Gleiter ist da«, sagte sie anstelle einer Begrüßung. »Ist alles gepackt?« »Klar«, antwortete Turin. »Mir fehlt nur noch mein Treter, dann habe ich alles.« Jetzt wandte Lecylle doch den Kopf, schaute sich um, bis sie den Schuh mit den noch immer flatternden Verschlüssen entdeckte und blickte dann wieder nach links. »Vaiten hat ein Loch geschaffen«, erklärte sie. »Ich kann den Schuh nur optisch wahrnehmen, in meinen Mustern ist er nicht zu sehen.« »Wovon redet ihr überhaupt?« fragte Samenta irritiert. Im Rahmen ihrer Arbeit für das Ministerium hatte sie mit den Mutanten meist nur indirekt zu tun. Natürlich wußte sie, daß es sich um Kinder und Jugendliche mit besonderen Psi-Begabungen handelte, aber das Verhalten der drei schien ihr von dem normaler Kinder aus ihrem Bekanntenkreis doch meilenweit entfernt zu sein. Kurz überlegte sie, was sie über die drei Plophoser wußte. Einer der Zwillingsbrüder - Turin war ein mittelmäßiger Telekinet und verfügte damit über eine Begabung, die zwar erstaunlich war, aber heutzutage genauso zum allgemeinen Gedankengut gehörten wie Telephatie oder Teleportation. Schließlich waren Abenteuergeschichten und TriVid-Serien um Gucky oder die Männer und Frauen des legendären Mutantenkorps fester Bestandteil der terranischen Medienlandschaft. Etwas anders stand es um Vaiten. Er besaß die Fähigkeit, Objekte mit einer Hülle zu versehen, die sie jedem paranormalen Zugriff entzog. Die Wissenschaftler, die sich um die Monochrom-Mutanten kümmerten, hatten hierfür den Begriff »Parasensitive Disallokation« geprägt (mit dem kein vernünftiger Mensch etwas anfangen konnte); vermutlich um nicht zugeben zu müssen, daß sie selbst keinen Schimmer hatten was der Junge da wirklich anstellte. Vaiten war lange Zeit gar nicht als Mutant eingestuft worden, obwohl er wie sein Bruder an der mittlerweile berüchtigten Achromatopsie litt. An ihm war nicht das geringste parapsychische Potential meßbar. Noch immer war unklar, ob sich seine Gabe auf ein bisher völlig unbekanntes Hyperspektrum stützte oder ob er sich unbewußt auf ähnliche Weise vor Messungen abschirmte, wie er bewußt Gegenstände oder Lebewesen vor Psi-Einflüssen schützen konnte. Noch befremdlicher, zumindest aus Samentas Sicht, war Lecylle. Im Gegensatz zu allen anderen Mutanten mußte sich die Dreizehnjährige anstrengen, wenn sie ihre Begabung einmal abschalten wollte. In solchen Momenten schien sie ein Mädchen zu sein wie jedes andere auch und blickte aus wachen Augen in die Welt. Aber solche Augenblicke dauerten niemals lange. Meistens starrte sie lediglich mit leerem, unbewegtem Gesicht nach links; und dann bestand ihre Umgebung für sie nur aus einer Fülle komplexer geometrischer Muster. Lecylle galt als Parafraktale Rezeptorin. Turins Lachen riß Samenta aus ihren Gedanken. Der Junge ging zu seinem Schuh hinüber und hob ihn auf. Sofort endete auch das Flattern der Verschlüsse. »Restenergie«, erklärte Vaiten stolz. »Ich habe zwei Hüllen geschaffen und die Laschen aus der Inneren herausgucken lassen. Turins telekinetischer Impuls hat sich im Zwischenraum der beiden Hüllen regelrecht totgelaufen und sie dabei bewegt.« »Du bist ein Spielkind«, sagte Lecylle. »Spielkind? Ich bin neun Jahre alt!« ereiferte sich Vaiten. »Ich spiele nicht! Das sind wichtige Experimente!« 18
»Wo ist Gucky?« fragte Turin, der seinen Turnschuh in die Tasche geschoben hatte und plötzlich jedes Interesse an dem Thema verloren zu haben schien. »Der Mausbiber kommt erst kurz vor dem Start an Bord«, antwortete Samenta. »Du hast doch nicht etwa deinen ganzen Kram in diese winzige Sporttasche gestopft, oder?« * Der Himmel war klar wie selten, und die Berge schienen näher als je zuvor an diesem Morgen. Parwen sah zu, wie seine Jäger Ausrüstung und Proviant in das langgezogene Schiff packten, das Arda-Gatt für seine Fahrt ausgesucht hatte. »Die Leises Plätschern, ein Kurier- und Zeremonienboot«, hatte die kräftige Fischerin erklärt. »Für schnelle Reisen zwischen den Siedlungen gebaut und trotzdem groß genug, um Lasten und Männer mitzunehmen.« Eine ganze Schar Frauen hatte sich am Anlegesteg versammelt und amüsierte sich über die Jäger, die mit dem schwankenden Boot nicht gut zurechtkamen. Laveck, der jüngste, wäre beinahe mit einem ganzen Packen Schutzfelle über die Reling gestürzt. Etwas Abseits stand Darstock im Gespräch mit Joko-Umm, die die Rolle der Lotsin übernehmen würde. Mehrmals deutete der Seher zu den Bergen hinüber. Nun, da der Aufbruch kurz bevor stand, wuchsen Parwens Zweifel, ob die Idee einer Flußfahrt wirklich so gut war. Das Wasser war die Domäne der Frauen. Joko-Umm, eine drahtige, kleinwüchsige Fischerin, war sich ganz sicher, daß sie die Leises Plätschern ungefährdet bis an die Stromschnellen bringen konnte. Aber angesichts des gerade unsicher über die Ruderbänke stolpernden Laveck fragte sich der Erste Jagdführer, ob die Lotsin tatsächlich alle Gefahren bedacht hatte. Jäger brauchten den festen Boden des Waldes unter den Füßen, nicht die trügerische Oberfläche des Flusses. Arda-Gatt lächelte, als wüßte sie, welche Befürchtungen Parwen durch den Kopf gingen. »Bleibt nur still auf euren Plätzen sitzen, dann kann nichts passieren. Die Ruderinnen verstehen ihr Handwerk. Solange ihr nicht tanzt, wird das Boot so ruhig auf dem Wasser liegen wie ein Speer in deiner Hand.« »Ich glaube nicht, daß es auf dieser Reise Gelegenheit zum Tanzen geben wird«, antwortete Parwen. »Aber wenn Gothyr mich heil hierher zurückkehren läßt, werde ich tanzen wie lange nicht mehr.« Beinahe alle waren gekommen, um der Abfahrt der Leises Plätschern beizuwohnen. Eine solche Expedition hatte noch niemand aus dem Volk der Fünf Stämme gewagt: sechs Ruderinnen, fünf Jäger und die Lotsin - das war gut der achte Teil der Einwohnerschaft, Hände, die in den nächsten Tagen und Wochen in der Siedlung fehlen würden. Sogar der Hohe Horcher war wieder von seinem Turm herab gestiegen. Nun lauschte einer seiner Schüler den Stimmen des Waldes. Darstock ging mit Parwen und Joko-Umm letzte Einzelheiten durch. »Ich habe Botschaft zu den Siedlungen stromab geschickt, um einen Rat einzuberufen. Die Erste Siedlung aber sollt ihr informieren, denn euer Weg führt euch ohnehin daran vorbei«, begann der Seher. »Wenn alle meinem Ruf folgen, findet der Rat in fünf oder sechs Tagen auf der Insel Luur statt. Dort wird entschieden, ob es einen Großen Rat aller Stämme geben wird. Ich will mich dafür einsetzen, daß dieser ebenfalls auf Luur zusammentritt. Bis dahin wird viel Wasser den Fluß hinabströmen. Dennoch bin ich zuversichtlich, daß bis zum Dritten Mond alle Vorbereitungen getroffen sind.« Joko-Umm rechnete kurz nach. »Fünfundvierzig Tage von heute an. Das kann wenig sein für einen so weiten Weg, zumal ihn noch nie jemand gegangen ist. Wer weiß, wodurch alles wir aufgehalten werden, wenn wir erst die Sümpfe hinter uns haben?« »Ich weiß nicht einmal, wie viel Zeit uns überhaupt zur Verfügung steht. Gothyr hat uns ein Zeichen gesandt. Wenn der Berggott erwacht ist, sind es vielleicht auch andere. Gestern warf 19
ich noch einmal die Steine, und dreimal hintereinander zeigten sie mir Gaddo-Krynn, die schwarze Kreatur der Finsternis.« Bei diesen Worten spuckte Darstock auf den Boden und zog mit dem Ende seines Stabes einen schützenden Strich durch den eigenen Speichel. Auch Parwen und Joko-Umm machten rituelle Gesten der Abwehr. »Der-niemals-geht!« entfuhr es der Lotsin. Vorsichtshalber spuckte sie sofort ebenfalls aus. »Deine Worte machen wenig Mut, Darstock!« »Götter und Dämonen!« Parwen schüttelte sich. »Ich will hoffen, daß wir unterwegs nicht allzu vielen davon begegnen!« * Der Syntron-Operator beendete pünktlich seine Schicht. Ehe er ging rief er noch einmal das Filterprogramm auf, um die Signalfunktion abzuschalten. Dann meldete er sein Benutzerprofil ab und ging. In seiner Wohnung hielt er sich nicht lange auf. Eine schnelle Dusche, frische Kleider, ein kurzes Telefonat, um einen Treffpunkt zu vereinbaren, und schon war er wieder unterwegs. In einem gut besuchten Cafe erwartete ihn sein Auftraggeber bereits, eine gutaussehenden Frau Ende der Fünfziger, modisch gekleidet und einen imartischen Zwergpudel an der Leine führend. Der winzige Hund mit der überproportional großen Brust drückte sich unsicher an die Beine seiner Herrin, als diese zusammen mit dem Operator an einem der Tischchen Platz nahm. »Sie haben etwas für mich?« Der Operator schob das kleine Speichergerät unter der Hand über den Tisch. Es hätte alles Mögliche sein können - aber niemand auf den anderen Plätzen kümmerte sich um die beiden. Mit einer beiläufigen Bewegung nahm die Frau das anthrazitfarbene Kästchen an sich, und ebenso beiläufig reichte sie ihrem Gegenüber einen verschlossenen Umschlag. An den übrigen Gästen störte sie sich dabei genauso wenig wie zuvor der Operator. Aus langer Erfahrung wußte sie, daß der Mantel der Öffentlichkeit ein ebenso guter Schutz war wie das ausgeklügelste Übergabeverfahren an irgendwelchen verborgenen Orten. Gelassen verwickelte sie den Operator in ein unverfängliches Gespräch, und eine gute Viertelstunde saßen sie in dem Cafe wie zwei Bekannte, die sich beim Einkaufsbummel getroffen hatten. Für ihren Teil traf das gewissermaßen auch zu. Harken Scope musterte die Daten, die er aus dem kleinen Speichergerät abgerufen hatte. »Tammpta IV - nie gehört«, erklärte er und reckte sich. Unter dem dünnen Hemd zeichneten sich kräftige Muskeln ab, die er ein wenig selbstverliebt betrachtete, ehe sein Blick wieder zum Display zurückkehrte. »Na und? Umso besser für uns!« Corinna van Gorn warf Harken einen geringschätzigen Blick zu. »Vielleicht machen wir ein ähnlich gutes Geschäft wie damals mit dem Waffenlager. Nötig hätten wir's, Bruderherz. Sonst wirst du am Ende noch arbeiten müssen.« »Neeh«, antwortete Harken gedehnt, als habe er Corinnas Vorschlag einer eingehenden Prüfung unterzogen und dann als nicht zumutbar verworfen. »Dann schon besser nach Tammpta fliegen. Allerdings ist Bryn Woddarts Anmerkungen zu entnehmen, daß diese Samenta Fier bereits einen Flug organisiert hat. Mit der BEATLE, einem Charterschiff ... sie scheint es ja ziemlich eilig zu haben! Aber wir könnten den Planeten trotzdem bequem vor ihr erreichen, unsere TYCOOM ist wesentlich schneller. Bloß werden wir uns wohl kaum in Ruhe dort umschauen können.« Corinna winkte ab. »Wie du sagst: wir werden vor der BEATLE dort eintreffen. Samenta Fier arbeitet für diese bucklige Mutantenministerin, der geht es nicht um Cantaro-Artefakte, sondern um Monochrom-Mutanten. Also halten wir uns im Hintergrund und warten, bis sie wieder abgezogen ist. Und dann sind wir an der Reihe.« 20
»Du bist der Boß, Schwester«, meinte Harken. »Dann werde ich mich mal um die TYCOOM kümmern und die Mannschaft zusammentrommeln. Und du überleg dir, wo wir noch ein wenig Geld herkriegen. Unsere Ausrüstung ist in einem wirklich schlechten Zustand.« »War das je anders?« fragte Corrina unwirsch, ohne eine Antwort zu erwarten. Seit Vaters Tod war es nie anders gewesen. * Obwohl Samenta wußte, daß der Mausbiber jeden Augenblick in der Zentrale auftauchen würde, zuckte sie unwillkürlich zusammen, als Gucky unversehens zwei Schritt von ihr entfernt neben Brikk Tancer materialisierte. »Alles klar, Käpt'n?« fragte der Ilt fröhlich. »Alles klar«, bestätigte Tancer. »Alle Passagiere sind an Bord, die Startfreigabe liegt vor, die Kessel sind geheizt. Es kann losgehen!« Gucky legte den Kopf schief. »Es ist zwar schon Ewigkeiten her, aber als ich damals mit der STARDUST II zur Erde kam, hat Bully mich mal zu einer Dampfschifffahrt mitgenommen. Da wurden wirklich noch die Kessel geheizt. Und der Kapitän von dem Kahn sah dir sogar ziemlich ähnlich. Der hatte sogar genau wie du goldene Ohrringe!« Tancer, ein knapp zwei Meter großer, breitschultriger Mann mit kahlem Schädel und schwarzem Vollbart, lächelte gutmütig. Dies war nicht sein erster »Übungsflug« dieser Art. Seit zwei Jahren war seine Tochter auf der Mutantenschule Fellmer Lloyd. Als Inhaber einer kleinen Charterflotte verband er nun Privates mit Beruflichem, indem er seine Schiffe, sofern die Auftragslage dies zuließ, dem Ministerium zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellte. Dabei ergaben sich häufig Gelegenheiten seine Tochter zu besuchen, die er sonst nicht gehabt hätte. Nun nahm er routiniert die letzten Systemchecks vor und aktivierte den Autopiloten. Bis zum Eintritt in den Metagravflug würde dieser die BEATLE in ständiger Abstimmung mit der zugewiesenen Leitstelle durch das Solsystem navigieren. Im dichten Flugverkehr um Terra wäre Handsteuerung auch wenig sinnvoll gewesen. Samenta Fier trat ein Stück vor. »Die Kinder sind noch in ihren Kabinen«, sagte sie. »Räumen gerade ihre Sachen in die Schränke. Aber sie freuen sich schon sehr darauf dich zu sehen.« »Und der komische Kerl vom Monos-Archiv?« »Woddart?« Samenta seufzte. »Er ist ebenfalls in seiner Kabine.« Sie wußte nicht recht, ob sie sich darüber freuen sollte, daß der Archivar persönlich an diesem Unternehmen teilnehmen würde. Der Mann war zwar eine Koryphäe auf seinem Gebiet, hatte ihr mehr geholfen, als sie erwartet hätte - aber der Umgang mit ihm war schwierig. Samenta hätte sich einen angenehmeren Reisebegleiter gewünscht. »Dann wollen wir unsere Nachwuchsmutanten mal nicht länger warten lassen«, erklärte Gucky. Er streckte Samenta eine Hand entgegen. »Bist du schon mal teleportiert worden?« Die Frau sah ihn einen Moment verunsichert an und schüttelte den Kopf, ehe sie seine Hand ergriff. »Also los!« sagte sie mutig und kniff die Augen zusammen. Brikk Tancer drehte sich kurz um, als er hinter sich ein »Plopp!« hörte, dann leitete er den Start ein. Flüchtige, kaum wahrnehmbare Schwingungen durchliefen die BEATLE, als das knapp 60 Meter lange, ellipsoide Passagierschiff abhob. Auf einem der Monitore schrumpfte der Raumhafen schnell zu einem hellen Fleck zusammen. Noch einmal waren leichte mechanische Schwingungen zu spüren: die Automatik erhöhte den Schub der Impulstriebwerke, und die BEATLE schoß durch die obersten Atmosphäreschichten hinaus in den freien Raum. 21
* Mit kräftigen Ruderschlägen trieben die Frauen die Leises Plätschern vom Anlegesteg fort. Schon bald verschwand die Siedlung Yxx hinter der Biegung des Flusses. Nur der Turm des Hohen Horchers war noch eine ganze Weile über das Dach des Waldes hinweg zu sehen. Parwen, zwischen zwei Jägern sitzend, stützte sich mit den Händen am Boden ab und beneidetete die beiden Männer an seiner Seite, die sich an die Reling lehnen konnten. Während der Weihefahrten war er stets zu aufgeregt gewesen, um dem schwankenden Untergrund allzu viel Beachtung zu schenken, aber nun, mit der Aussicht auf eine wirklich lange Fahrt über den Fluß, machte sich zunehmend ein schwammiges Gefühl in seinem Magen breit. Parwen schluckte und hoffte, daß ihm nicht schlecht würde. Joko-Umm hockte auf ihrem schmalen Brett im Bug und rief den Ruderinnen gelegentlich scharfe Kommandos zu. In den vertrauten Wassern im Siedlungsbereich hatte sie nicht viel zu tun - im Grunde gar nichts -, aber als erfahrene Lotsin wußte sie wie wichtig es war, daß sich die Mannschaft möglichst rasch aufeinander einstellte. Vor ihr saßen Jake-An und Timber-Rill, die später zwei der übrigen Ruderinnen ablösen würden. Eng umschlungen und gelegentlich sanfte Zärtlichkeiten austauschend verfolgten die beiden Mädchen einem gestenreich von Javek vorgetragenen Jagdabenteuer. Der Jüngling hatte sich, trotz seiner anfänglichen Ungeschicklichkeit, recht schnell an das Boot gewöhnt. Parwen lauschte seiner unbeschwerten Stimme und dem fröhlichen Lachen der Mädchen; Laute, die so gar nicht zu seiner eigenen Stimmung passen wollten. Schließlich erhob er sich und tapste leicht schwankend über Ausrüstungsstücke und Beine hinweg zu Joko-Umm. »Durch den Wald wäre es wohl doch schneller gegangen.« Die Lotsin beugte sich über die Reling und tauchte eine Hand in das schäumende, gurgelnde Wasser. »Am Anfang, solange ihr die Wege kennt«, sagte sie. »Die Strömung ist nicht stark, wir werden lange rudern können. In zwei, spätestens drei Tagen können wir die Erste Siedlung erreichen. Danach erst geht es richtig los. Also werde nicht schon jetzt ungeduldig!« »Ich bin nicht ungeduldig, nur besorgt«, verteidigte sich der Erste Jagdführer. Joko-Umm nickte verstehend. »Mach es wie unsere Verliebten hier«, riet sie dann und deutete auf Jake-An und Timber-Rill. »Denke an schöne Dinge. Die häßlichen werden uns früh genug begegnen.« »Ja - wenn wir zurückkehren und Arda-Gatt unseren Fang prüft«, kicherte Timber-Rill. Parwen brummelte etwas, das im Gelächter der anderen unterging. Als er an seinen Platz zurückkehrte, konnte er noch immer nicht an schöne Dinge denken. Mißmutig zog er seinen Rucksack zu sich heran, holte das Jagdmesser hervor und begann, die Klinge zu schärfen.
3. Tammpta IV Gut eine Lichtstunde außerhalb der Heliosphäre des Tammpta-Systems beendete die BEATLE ihren Metagravflug. Da es in den Katalogen keine aktuellen Informationen gab, wollte Brikk Tancer den Zielplaneten nicht ohne vorherige Fernortung anfliegen. Bis auf Bryn Woddart hatten sich alle seine Passagiere in der Zentrale versammelt. Besonders die beiden Jungen waren neugierig und wollten das Schauspiel des Anflugs auf keinen Fall verpassen. »Das ganze System ist mit Raumforts abgeriegelt. Allerdings können keine Aktivitäten angemessen werden«, meldete der Bordsyntron die Ortungsergebnisse. »Die Forts treiben deaktiviert und steuerlos umher.« 22
Verblüfft starrte der Kapitän auf die Schemadarstellung, die der Syntron lieferte. Natürlich wußte er, daß Samenta Fier hier irgendwelche Hinterlassenschaften der Cantaro zu finden hoffte, oder, besser noch, Nachfahren von auf Horrikos genmanipulierten Menschen. Aber mit einem von einer massiven Abwehr umgebenen System hatte er nicht gerechnet. »Ich wußte, daß wir hier auf etwas Besonderes stoßen werden!« rief Samenta begeistert. »Was immer wir hier gefunden haben - für einen kleinen Passagierraumer dürfte das eine Nummer zu groß sein«, wandte Tancer ein. »Unter diesen Umständen wird es auch kaum möglich sein, das für unsere Mutanten vorgesehene Programm zu absolvieren. Zu hohes Risiko!« Samenta stemmte empört die Hände in die Hüften. »Soll das heißen, daß wir umkehren? Das ist nicht dein Ernst!« »Brikk hat recht«, erklärte Gucky und löste den Blick von einem Orterbild, das eines der Raumforts in Vergrößerung zeigte. Auf dem Oberteil der rechteckigen Plattform waren die schweren Geschützstellungen deutlich auszumachen. Die Unterseite schien für die Triebwerke vorgesehen zu sein. »Das ist in erster Linie ein Schulungsflug. Eine verlassene Cantaro-Station wäre eine Sache gewesen, aber das hier ist etwas völlig anderes. Wir werden die zuständigen Behörden der LFT unterrichten und einen der üblichen Trainingsplaneten anfliegen.« »Interessiert dich denn nicht, was hier los ist?« Samenta war ehrlich verblüfft. »Doch! Natürlich bin ich neugierig«, erwiderte der Ilt. »Zum Beispiel wüßte ich gerne, warum Monos dieses System derartig absichern ließ. Er hatte doch ohnehin die ganze Galaxis in der Tasche.« »Das ist keine Abwehr«, sagte Lecylle unvermittelt, die bisher still etwas abseits gestanden hatte. Alle drehten sich überrascht zu ihr um. »Wenn man die Flugbahnen dieser Forts zurückrechnet, dann waren sie ursprünglich kugelförmig rund um den vierten Planeten gruppiert«, erklärte das Mädchen mit fester Stimme. »Das kannst du berechnen?« fragte Brikk Tancer verwundert. Lecylle blickte starr links an ihm vorbei, aber ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie antwortete: »Nein, aber ich kann die Muster entsprechend verschieben.« »Das ist wirklich beeindruckend«, meinte Gucky. »Aber wieso glaubst du, daß es sich nicht um ein Verteidigungssystem handelt?« »Lecylles Aussage ist korrekt«, bestätigte der Bordsyntron, ehe die Mutantin antworten konnte. »Die Forts haben tatsächlich eine Kugel um Tammpta IV gebildet. Allerdings waren die Geschütze nicht nach Außen gerichtet, sondern auf den Planeten.« * Samentas Ärger konzentrierte sich deutlich auf den Mausbiber. »Der Syntron hat errechnet, daß diese Kugelformation vor etwa zweihundert Jahren aufgelöst wurde. Die Dinger sind eindeutig abgeschaltet oder ausgefallen. Du könntest doch wenigstens mal auf eines der Forts springen und dich umschauen. Vielleicht erfahren wir etwas, und ich glaube nicht, daß du dich dadurch in Gefahr begibst!« Den Ruf als vorwitziger Tausendsassa werde ich wohl nie los, überlegte Gucky. Samenta schien gerade von ihm keine solche Zurückhaltung erwartet zu haben. Und genaugenommen hat sie recht - ich könnte wirklich mal schnell nachsehen. Was soll schon passieren? Dabei wußte er genau, daß alles Mögliche passieren konnte. Das war aber nicht der Grund, warum er auf Samentas kleines Psychospielchen nicht einging. Angst hatte Gucky nicht. Er wollte aber auch nicht persönliche Neugierde vor die Verantwortung stellen, die er gegenüber den jungen Monochrom-Mutanten empfand. Brick Tancer hatte völlig recht: wenn etwas Unerwartetes geschah, war die winzige BEATLE keine sehr sichere Operationsbasis. 23
Bryn Woddart, mittlerweile ebenfalls in die Zentrale gekommen, hatte dem Disput bisher ruhig zugehört. »Die Cantaro haben sich schon lange aus der Milchstraße zurückgezogen«, sagte er nun. »Aber dieses System muß schon viel früher von ihnen aufgegeben worden sein. Es sieht so aus als hätten die Forts etwas auf dem vierten Planeten bewacht. Daher nehme ich an, daß es keinen Grund mehr gab, dort etwas zu bewachen und sie deshalb abgeschaltet wurden. Wenn der Syntron richtig gerechnet hat, war dies um das Jahr 1100 herum. Also fast fünfzig Jahre vor Monos Sturz und an die neunzig, nachdem die RAVETTA von Horrikos aus hierher flog.« »Vielleicht leben auf Tammpta IV noch Menschen!« meinte Samenta, die sich von dieser Idee nicht abbringen lassen wollte. »Dann müssen wir ihnen helfen!« »Selbst wenn du recht hast«, entgegnete Gucky, »dann wäre ein entsprechend ausgerüstetes Versorgungsschiff eine sinnvollere Unterstützung. Aber gut, ich werde mir eine dieser alten Festungen ansehen. Mit etwas Glück finden sich Informationen, die einem späteren Kommando helfen, die richtigen Vorbereitungen zu treffen.« »Ich will mit!« schrie Vaiten Zerff, der mit seinem Bruder an der Orteranlage stand. Ein auf einem Display zur Orientierung eingeblendetes Fadenkreuz diente den beiden als Zielvorrichtung einer imaginären Transformkanone. Die Zahl der Abschüsse übertraf die der sichtbaren Forts bei weitem. »Nichts da«, sagte Gucky entschieden. »Aber Samenta und Bryn - ihr könnt mich begleiten, wenn ihr wollt.« Einen Augenblick schien Samenta mit der eigenen Courage zu kämpfen, dann nickte sie tapfer. Woddart knurrte etwas, das wohl Zustimmung bedeuten sollte. »Dann holt mal eure Raumanzüge.« Kaum hatten die beiden die Zentrale verlassen, fiel Gucky ein Punkt ein, den Woddart in seinen Überlegungen nicht berücksichtigt hatte. Warum, fragte sich der Ilt, sind die Forts damals nicht abgezogen worden? * Brikk Trancer steuerte die BEATLE vorsichtig an das nächste Raumfort heran, bereit, beim geringsten Anzeichen einer möglichen Gefahr ein schnelles Fluchtmanöver einzuleiten. Aber nichts geschah. Schließlich brachte er sein Schiff in einer Entfernung auf Warteposition, die es dem Ilt erlaubte, sein Ziel mit drei Teleportationssprüngen zu erreichen. Weder er noch der Mausbiber wollten den unbewaffneten und gegen ernsthaften Beschuß kaum gewappneten Passagierraumer einem Risiko aussetzen. Gucky deutete mit knappem Kopfnicken an, daß die Sprungdistanz ausreichend sei und griff nach den Händen seiner beiden Begleiter. Im nächsten Augenblick war die Stelle, an der die drei gerade noch gestanden hatten, leer. Samenta Fier wußte, daß es sich bei ihrem Serun um einen vollwertigen Raumanzug handelte. Zwar war er mit einem Einsatzanzug nicht zu vergleichen, für ihr Vorhaben jedoch völlig ausreichend. Dennoch war sie nach dem zweiten Sprung einer Panik nahe. Nach den beiden Teleportationen war sie völlig desorientiert. Das Gefühl haltlos im leeren Raum zu treiben steigerte sich zu der Furcht, Gucky könne ihre Hand loslassen und sie in diesem endlosen Abgrund verlieren. Dann wurde sie auf ein helles, metallisches Glitzern vor ihr aufmerksam: das Raumfort, immer noch weit entfernt, aber immerhin etwas, auf das sie sich konzentrieren konnte und das sie von ihrer Angst ablenkte. Und schon löste sich das Glitzern und die umgebende Schwärze auf und wich einem düsteren, von den Lampen der Seruns in unwirkliches Licht getauchten Raum, in dem sie schwerelos knapp einen Meter über dem Boden schwebte. 24
Gucky drehte neben ihr eine halbe Rolle und stieg dann mit den Füßen voran und leicht rudernden Ärmchen nach oben. Samenta starrte ihm verwundert nach. Erst als sie das Schott entdeckte begriff sie, daß es sich bei dem Boden unter ihr in Wirklichkeit um die Decke des Raumes handelte. »Keine Atmosphäre. Keine Schwerkraft. Verzichtet trotzdem auf eure Gravopacks. Die lassen sich zu leicht anmessen.« Der Ilt war sicher unten angekommen und blickte nun zu den beiden hinauf. Samenta sah seinen Nagezahn blitzen. »Mach es wie er«, klang Bryn Woddarts Stimme in ihrem Helmlautsprecher auf. »Wenn du den Boden erreichst, aktiviere die Magenthalterungen deiner Stiefel.« Irrationaler Ärger stieg in Samenta auf. Wieso kam der dickliche Archivar, der den größten Teil seines Tages hinter dem Schreibtisch verbrachte, mit dieser Situation besser zurecht als sie? Entschlossen drehte sie sich um, driftete aber nicht nach unten, sondern seitlich davon. Erst ein zweiter Versuch brachte sie halbwegs in die richtige Richtung. Ein gutes Stück von Gucky und dem inzwischen ebenfalls gelandeten Woddart entfernt kam sie direkt neben dem Schott auf. »Soll ich es öffnen?« »Keine Energie«, erklärte Gucky. »Aber rechts von dir ist ein Handrad. Warte, das erledige ich.« Fasziniert sah Samenta zu, wie eine Klappe in der Wand aufschwang und eine Kurbel freigab, die sich, wie von Geisterhand bewegt, zu drehen begann. Langsam schob sich das Schott zur Seite und gab ihr den Blick frei auf einen dunklen Korridor, durchschnitten nur von dem Lichtkegel ihrer Lampe; und in diesen hellen Bereich hinein trieb, sich langsam überschlagend, ein Unterarm. * »Todesimpuls«, sagte Bryn Woddart lakonisch. Der Archivar war ohne Zögern in den Korridor gegangen, hatte den vor ihm schwebenden Unterarm aus der Luft gefischt, als wolle er eine störende Spinnwebe beseitigen. Gleich darauf hatte er den zugehörigen Torso entdeckt - oder das, was davon noch übrig war. Überall an den Wänden klebten verkrustetes Blut und Gewebereste. »Das war ein Cantaro, dessen Ortonator zur Explosion gebracht wurde«, diagnostizierte Woddart in einem Tonfall, in dem er auch irgendwelche Daten auf einem Computerdisplay kommentiert haben würde. Samenta fröstelte. Wie konnte der Mann so emotionslos reagieren? Sie selbst hatte Mühe die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, die ihr der Anblick des zerfetzten Körpers verursachte. Gucky murmelte leise Worte, die sie beruhigen sollten: »Es ist schon lange her, Samenta, sehr lange her ...« Aber das half nicht wirklich. »Interessant«, hörte sie Woddart. »Als der Cantaro starb, muß es noch Atmosphäre und Schwerkraft gegeben haben. Er trug keinen Raumanzug, und ohne Gravitation hätte sich das Blut ... nun, anders verteilt. Hat jemand eine Idee was hier passiert ist?« Die Frage lenkte Samenta von den Überresten des Cantaro ab, aber ihr fiel keine sinnvolle Antwort ein. »Monos hat damals mit einem galaxisweiten Funknetz die Cantaro kontrolliert. Ihr kennt es heute als GALORS, aber es wurde von Monos aufgebaut. Über dieses Netz wurden die sogenannten Lebensimpulse ausgestrahlt. Ihr Ausbleiben führte nach einer Weile zur Explosion des Ortonators. Außerdem konnten auch gezielt Todesimpulse gesendet werden. Eine perfekte Absicherung - sowohl eine Flucht aus der Milchstraße als auch Ungehorsam oder gar Widerstand waren den Cantaro unmöglich«, erläuterte Gucky. Woddart ergänzte: »Aber bevor Rhodan in die Milchstraße zurückkehrte und den Kampf 25
gegen Monos aufnahm, war es wirklich nur eine Sicherung. Soweit wir wissen, gab es nie einen Aufstand. Die Cantaro waren konditioniert und loyale Handlanger.« »Wir müssen weiter in das Fort eindringen«, sagte der Mausbiber. »Unser Fund ist zwar makaber, verrät aber nicht sehr viel. Wir sollten die Zentrale suchen.« Später konnte sich Samenta kaum an Einzelheiten erinnern, aber diffuse Bilder von schwerelos in Gängen und Räumen schwebenden toten Cantaro schreckten sie noch Tage später aus dem Schlaf. Gucky und Woddart marschierten vorneweg und suchten Hinweise auf eine zentrale Schaltstelle, die es ihrer Meinung nach geben mußte. Mehrmals teleportierte der Ilt mit ihnen, um die Erkundung auf einem anderen Deck fortzusetzen. Gelegentlich gab er über Funk kurze Meldungen an Brikk Tancer durch. Endlich erreichten sie eine kuppelförmige, gut zwanzig Meter durchmessende Halle. Auch hier gab es überall Leichen, aber auch zahlreiche Konsoltische. »Wir dürften am Ziel sein«, meinte Bryn Woddart. »Aber wir werden nicht viel in Erfahrung bringen können. Alle Systeme sind abgeschaltet.« »Zumindest wissen wir nun, daß die Besatzung gezielt ausgeschaltet wurde. Ich nehme an, daß es auf den anderen Raumforts genauso aussieht.« Gucky sah sich aufmerksam um. Mehrmals blieb sein Blick nachdenklich auf einem Toten haften, wenn der Strahl seiner Lampe wieder einmal einen der furchtbar zugerichteten Körper erfaßte. »Wir könnten versuchen, die Syntronik zu aktivieren, falls es hier sowas gibt«, schlug Samenta vor. »Dazu müßten wir die Kraftwerke hochfahren«, entgegnete Woddart. »Wenn wir Pech haben, fliegt uns dabei das ganze Fort um die Ohren. Aber wenn nicht, käme ich mit den Systemen bestimmt zurecht.« »Ich weiß nicht ...«, meinte Samenta unsicher. Der Gedanke, in der Zentrale eines riesigen explodierenden Sarges, umgeben von offenbar ebenso brutal wie beiläufig getöteten Cantaro zu sterben, behagte ihr wenig. »Ich denke wir versuchen es«, entschied Gucky. »Ich will nicht umsonst dieses Gruselkabinett durchsucht haben. Außerdem sind Kraftwerke keine Sprengsätze - ich würde uns bestimmt rechtzeitig in Sicherheit bringen können.« Mit diesem Sinneswandel des Mausbibers hatte Samenta nicht gerechnet. Anfangs war er gegen dieses Unternehmen gewesen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen - nicht gelesen, dachte Samenta, er wird es einfach gespürt haben -, sagte er leise: »Im Kampf gegen Monos habe ich viele gute Freunde und Kameraden verloren. Alte Freunde ... dieses Wesen war wirklich ein Teufel, und all dies hier sieht nach einer seiner Teufeleien aus. Wenn wir zurück sind und die LFT die Angelegenheit untersucht möchte ich nicht, daß jemand über eine tödliche Hinterlassenschaft stolpert, bloß weil wir die Datenbanken nicht ausgelesen haben.« Er schwieg kurz. »Aber wenn du willst bringe ich dich erst zur BEATLE zurück. Dort bist du auf jeden Fall in Sicherheit.« Samenta mußte nicht lange überlegen. Im Grunde sind wir meinetwegen hier. Ich kann jetzt schlecht einen Rückzieher machen. »Nein«, sagte sie. »Natürlich bleibe ich hier.« »Dann will ich's mal versuchen!« Bryn Woddart drückte eine Reihe von Schaltern und Tastern auf einer langgezogenen, mit erloschenen Anzeigen und blinden Displays bestückten Konsole. Drei, vier Lämpchen glühten auf. Woddart nahm zusätzliche Schaltungen vor. Der Archivar schien sich mit Cantaro-Technik hervorragend auszukennen. Weitere Anzeigen erwachten zu blinkendem Leben. Plötzlich glommen mehrere in Decke und Wänden eingelassene Lampen auf. Woddart grinste Gucky und Samenta zufrieden durch seine Helmscheibe an und verkündete: »Energie!« 26
Im nächsten Augenblick meldete sich Brikk Tancer von der BEATLE. »Wir empfangen ein SOS-Signal, LFT-Standardkode. Der Sender steht ohne Zweifel auf Tammpta IV!« * In einem langsamen, lautlosen Reigen schwebten die Raumforts durch das Tammpta-System, letzten, noch vor der Deaktivierung abgestrahlten Triebwerksimpulsen und den Gravitationsfeldern der Sonne und ihrer Planeten folgend. Ein Tanz des Todes! Schaudernd wandte sich Corinna van Gorn von dem Panoramabild ab. Nur ungern erinnerte sie sich an die Untersuchung eines der Fords. Harken Scope hingegen hatte die ungezählten Leichen kaum zur Kenntnis genommen. Genau wie die übrigen Besatzungsmitglieder der TYCOOM hatte er nur ein Auge für den Zustand der Festung, der darin installierten Aggregate und Maschinen und, vor allem, der Geschütze gehabt. Für so etwas ließen sich auf den entsprechenden Schwarzmärkten immer zahlungswillige Abnehmer finden. »Ein Vermögen. Das ist ein Vermögen! Wenn es uns gelingt diese Festungen auszuschlachten, dann haben noch unsere Enkelkinder Galax ohne Ende!« Auszuschlachten! dachte Corinna. Im Zusammenhang mit diesen fliegenden Leichenhallen fand sie die Wortwahl ihres Bruders wenig passend. Aber all die Toten interessierten Harken kaum. Die Cantaro waren schon vor langer Zeit gestorben. Gerade war Harken mit einer Handvoll Druckfolien zu ihr gekommen. »Das ist bloß eine Hochrechnung und bezieht sich nur auf die am leichtesten demontierbaren Teile«, sprudelte er hervor. »Aber alleine damit dürften wir einen Nettogewinn von gut anderthalb Milliarden Galax einstreichen. Ohne Zwischenhändler sogar mehr als das Doppelte. Aber dann ist natürlich das Risiko deutlich größer.« Corinna antwortete eine Weile gar nicht, sondern trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf ihrer Arbeitsfläche herum. Dann sagte sie: »Das klingt alles toll, aber es wird nicht funktionieren. Ich schätze, daß innerhalb der nächsten paar Stunden Samenta Fier mit der BEATLE hier auftauchen wird. Wenn wir Pech haben meldet sie ihren Fund der LFT sofort per Funk und stellt eigene Forschungen an, bis ein Untersuchungsteam hier eintrifft. Wenn wir Glück haben fliegt sie zurück, dann wird einige Tage später ein terranisches Team hier sein. In dem Fall können wir versuchen möglichst viel in die TYCOOM zu stopfen, ehe die hier auftauchen. Aber so oder so - es wird unmöglich sein, unseren Fund selbst zu ... verwerten.« Harken bleckte die Zähne. »Aber wir haben diesen Friedhof entdeckt. Es ist unser verdammtes Recht, die Raumforts auseinander zu nehmen!« »Tammpta IV ist ein ehemaliger Hanse-Planet.« Corinna schüttelte den Kopf. »Die LFT wird mit Sicherheit Ansprüche geltend machen - und hat einen wesentlich längeren Atem als wir. Außerdem wird sich auch das Galaktikum zu Wort melden. Es gibt schließlich zahlreiche Vereinbarungen bezüglich solcher Monos-Nachlässe. Verschiedene Entschädigungsfonds ... jedes Volk, das im Galaktikum vertreten ist, wird ein Stück von diesem Kuchen abhaben wollen.« »Aber dieser Kuchen gehört uns«, knirschte Harken eigensinnig. »Nein«, sagte Corinna hart. »Vergiß es. Wir werden versuchen so viel für uns herauszuholen, wie wir können. Aber du kannst dir selbst an den Fingern ausrechnen welche Chancen wir haben, Forderungen gegenüber der LFT geltend zu machen.« Ihr Bruder starrte sie finster an. »Es geht um Geld, um sehr viel Geld. Das ist die Chance unseres Lebens, begreifst du das nicht? Ich werde darum kämpfen, wenn es sein muß!« Jetzt sprang Corinna auf. »Kämpfen? Was meinst du damit? Du willst doch nicht etwa gegen die BEATLE vorgehen?« Harkens Stimme war von einer Kälte, die sie bei ihrem Bruder noch nie bemerkt hatte. 27
»Genau das«, sagte er eisig, »habe ich vor. Das wird uns zumindest einen erheblichen Zeitvorteil verschaffen.« »Ich werde nichts dergleichen zulassen. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage!« Corinna klang ruhig, gefährlich ruhig. Harken wußte aus langjähriger Erfahrung, daß seine Schwester an einem Punkt angelangt war, ab dem jede weitere Diskussion zwecklos war. Dennoch gab er, zum ersten Mal in seinem Leben, nicht nach. »Dann laß dir etwas einfallen«, zischte er. »Aber die BEATLE wird ausgeschaltet. Und glaube mir - in dieser Angelegenheit wird die gesamte Mannschaft hinter mir stehen!« * Gucky hatte fast fünf Minuten auf Bryn Woddart einreden müssen, ehe der Archivar sich bereit erklärte, die gerade erst angelaufenen Kraftwerke wieder herunterzufahren. »Wie sollte ich helfen können?« brummte Woddart ärgerlich. »Ihr schaut auf Tammpta IV nach, und ich kann die Zeit doch hier viel besser nutzen!« Aber der Mausbiber blieb hart. »Wir werden uns auf keinen Fall trennen! Wenn wir auf Tammpta landen kann ich nicht mal eben zu dir zurückspringen, falls du einen falschen Schalter drückst und die Meiler durchgehen.« Also waren die drei wieder zurück zur BEATLE teleportiert. »Der Notruf kommt von einem Prospektorenschiff«, berichtete Brick Tancer. »Defekter Metagrav-Antrieb. Bestimmt eine von diesen uralten Klapperkisten, die nur von Rost und gutem Willen zusammengehalten werden. Gerade noch Energie für ein kurzes Gespräch.« Gucky schälte sich aus seinem Raumanzug. »Und was suchen die hier?« »Zufall«, erklärte Tancer. »Tammpta war das nächstgelegene System, als die Probleme begannen. Sie haben es nur mit Mühe und Not hierher geschafft.« »Du meinst, wir tasten uns hier vorsichtig an ein abgeschaltetes Fort heran und wagen keinen Anflug auf unser eigentliches Ziel, und diese Prospektoren landen mit ihren fliegenden Holländer auf Tammpta IV und nichts passiert?« fragte Samenta pikiert. Brikk Tancer nickte. »So gesehen ... ja. Aber sie sind ja nicht freiwillig dorthin, sondern hatten keine andere Wahl. Immerhin, du hast recht: wir wissen jetzt, daß wir ihnen ohne eigenes Risiko helfen können.« »Dazu braucht ihr mich ja wohl nicht.« Auch Bryn Woddart klang gereizt. Viel lieber wäre er an Bord des Forts geblieben. »Ich bin in meiner Kabine, falls doch etwas ist. Ich habe die Backups noch immer nicht vollständig ausgewertet, die ich in meiner Aservatenkammer gefunden habe.« Damit drehte er sich um und stapfte davon. Brikk Tancer zog eine Augenbraue hoch. »Streit?« »Unstimmigkeiten«, schwächte Samenta ab. »Wie gehen wir nun weiter vor?« Beide blickten zu Gucky hinüber. Der hob in einer beschwichtigend wirkenden Geste die Arme. »Wir versuchen den Prospektoren zu helfen. Was sonst?« Während Brikk Tancer die BEATLE zwischen den umhertreibenden Forts hindurch auf den Planeten zu manövrierte, versuchten Samenta und Gucky, noch einmal Funkkontakt zu den gestrandeten Prospektoren herzustellen. Aber das Gespräch, in dessen Verlauf sie den Kapitän über die Lage aufgeklärt und ihre Position durchgegeben hatten, hatte anscheinend die letzten Energiereserven verzehrt. Schließlich ging der Ilt zur Steuerkonsole der Nahortung hinüber, Vaiten und Turin im Schlepptau. Die Zwillinge waren in den letzten Minuten ungewöhnlich still gewesen, revanchierten sich dafür aber nun mit zahlreichen Fragen über den Beruf des Prospektors auf der einen und die Funktionsweise der Nahabtastung auf der anderen Seite. Gucky gab sich alle Mühe, passende Antworten zu geben und gleichzeitig die Ortungsergebnisse im Auge zu behalten. 28
»Wenn die übermittelten Koordinaten stimmen, dann ist die TYCOOM auf einer Ebene vor einem massiven Gebirge notgelandet. Ah, jetzt kommen die ersten Bilder. Samenta hatte recht - dort unten befindet sich eine alte Cantaro-Station. Und keine kleine!« Als die BEATLE in die ersten Atmosphäreschichten eindrang, wurden immer mehr Einzelheiten erkennbar. Auf einem der Displays war ein langgezogener, von geduckten, containerartigen Gebäuden gesäumter Raumhafen zu erkennen. Die Skelette mehrerer, offenbar ausgeschlachteter Schiffe standen ungeordnet auf dem Landefeld. Die TYCOOM selbst war etwas abseits auf einem kreisrunden, von fünf nadelförmigen, kilometerhohen Türmen umgebenen Feld niedergegangen, dessen weiß strahlender Bodenbelag im Vergleich zu dem der eigentlichen Landebahnen wie frisch aufgebracht wirkte. »Nicht schlecht für einen Prospektor«, kommentierte Gucky. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Bullcarrier, wie er vor allem von der TAXIT eingesetzt wurde!« Samenta warf einen Blick auf die Detailinformationen. »Stimmt, der Syntron hat die Schiffsklasse eindeutig identifiziert: ein Bullcarrier. Wow, fünfhundert Meter! Das Ding ist ja riesig!« »Ich wußte gar nicht, daß die TAXIT ihre Transporter veräußert«, sinnierte Gucky. Vor allem jetzt nicht, wo Homer alle Schiffe direkt oder indirekt für den Aufbau der Neuen USO braucht, fügte er in Gedanken hinzu. Aber natürlich mußte es sich nicht unbedingt um einen ehemaligen TAXIT-Raumer handeln. »Kein Wunder, daß die den Pott nicht auf diese Schrotthalde von einem Raumhafen gesetzt haben«, sagte jetzt Brikk Tancer, nachdem er die BEATLE in flacher Kurve auf Landekurs gebracht hatte. »Gucky, versuche doch bitte, ob du unsere Freunde dort unten zumindest über Normalfunk erreichen kannst.« »Nichts, keine Reaktion«, sagte der Ilt nach einer kleinen Weile. »Bei denen muß wirklich alles ausgefallen sein.« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als in der Ortung mehrere Anzeigen ausschlugen. »Auf der TYCOOM laufen Kraftwerke an!« meldete Samenta. »Anscheinend haben sie ihr Problem selbst beheben können.« Dann packte die Faust eines unsichtbaren Riesen die BEATLE und fegte sie aus ihrer Bahn wie ein Blatt, das unversehens in eine heftige Böe geraten war. * In den Jahren auf Plophos hatte Lecylle gelernt was es heißt, in einer Welt zu leben, von ihr umgeben und durchdrungen zu sein, die außer ihr selbst niemand wahrzunehmen vermochte. In erster Linie heißt das: einsam zu sein. Oh, sie hatten sich bemüht - aber sie hatten nicht begriffen. Bis zu ihrem elften Lebensjahr hatten sie alle, alle, ihre Eltern, ihre Ärzte, ihre Lehrer versucht, sie in die Welt der Bilder und Bewegungen zu holen, sie Sehen zu machen in der Weise, in der sie selber sahen. Aber sie verstanden nicht, wie wenig erstrebenswert dies für Lecylle war. Und wie schmerzhaft. Lecylle fühlte sich geborgen in ihrem Kosmos aus Mustern und Figuren, die sich in unendlichen Verschachtelungen um sie herum und durch sie hindurch bis in die letzten Tiefen ihres Seins verwoben. Diesen Kosmos zu verlassen tat weh, schrecklich weh. Erst in der Obhut Moharion Mawreys, umgeben von anderen Mutanten und betreut von den besten Parapsychologen der LFT hatte Lecylle gelernt, ihre Gabe abzuschalten, die Welt der Menschen durch ihre Augen zu sehen, wenn es sein mußte und, was am wichtigsten war, den dabei unvermeidlichen Schmerz in eine ferne Ecke ihres Bewußtseins zu verdrängen. Jetzt, nachdem ein aus dem Nichts kommender Schlag die Zentrale der BEATLE erschüttert und die Menschen darin umhergewirbelt hatte wie Stoffpuppen, waren Lecylles Muster ein chaotisches Durcheinander, das sich wie ein explodierendes Kaleidoskop im Rhythmus ihres rasenden Herzschlags aufblähte und wieder in sich zusammenfiel. Lecylle versuchte, sich zu konzentrieren, die Muster zu beruhigen - Ich darf meine Angst nicht auf sie übertragen! -, aber es gelang ihr nicht. Dafür erwachten langsam ihre übrigen 29
Sinne, die zwar im Gegensatz zum Sehen nie völlig abgeschaltet waren, aber meist nur dumpf in ihr Bewußtsein vordrangen; so als höre, rieche und schmecke sie durch eine dicke Watteschicht. Nun hörte das Mädchen ein metallisches Ächzen, Knirschen und Knistern; die ineinander verschobene und überstrapazierte Konstruktion der BEATLE. Sie roch ozongesättigte Luft, schmorendes Plastik und, ganz schwach, einen Duft von Frühling und Blumen, Samentas Parfüm. Und sie schmeckte süß und salzig das Blut ihrer aufgesprungenen Lippen. Dann kam ein trockenes Husten, gefolgt von Brikk Tancers Stimme, die seltsam kratzig und rauh klang. »Scheiße!« sagte der Kapitän. »Was für eine Bruchlandung!« Lecylle zwang die Muster zurück, bis sie einen kurzen Herzschlag lang von reiner Schwärze umgeben war, aus der heraus sich Grau in Grau das Bild der Zentrale schälte. Langsam wandte Lecylle den Kopf nach rechts, eine ungewohnte Bewegung. Aus der Richtung war die Stimme des Kapitäns gekommen. Sie entdeckte ihn neben einem kleinen Körper, und das Mädchen brauchte einen Moment um zu begreifen, daß dort einer der ZerffBrüder lag. »Ist er ... ist er tot?« Tancer blickte überrascht auf, schüttelte dann den Kopf. »Zum Glück nur bewußtlos, wie die anderen. Ich weiß nur nicht, was mit Bryn Woddart ist, der war in seiner Kabine. Aber Gucky schaut bereits nach.« »Was ist überhaupt passiert?« Der Kapitän kniff grimmig die Lippen zusammen. »Die TYCOOM hat uns abgeschossen. Wir sind irgendwo in der Nähe der Cantaro-Station in den Dschungel gestürzt. Verdammt, diese Schweine! Ein Wunder, daß es keine Toten gab!« Abgeschossen? Lecylle konnte es nicht glauben. Warum sollte jemand auf die BEATLE schießen? »Piraten«, piepste es neben ihr. Gucky war, den völlig benommenen Woddart an der Hand, in der Zentrale aufgetaucht. Der Archivar hielt einen tragbaren Kleinrechner umklammert, den er für die Auswertung der Cantaro-Backups nutzte. Aus einer Rißwunde am Hals sickerte ein dünner Blutstrom und verfärbte den Kragen seines Hemdes. »Piraten«, wiederholte Gucky. »Und ein paar sind bereits auf dem Weg hierher. Anscheinend rechnen sie nicht mit Mutanten, sonst würden sie sicherlich PsiIso-Netze tragen. Brikk, hast du Waffen an Bord?« »Nur einen leichten Kombistrahler. Willst du gegen sie kämpfen?« »Viel zu riskant«, antwortete der Ilt. »Nein, wir verschwinden hier, bevor ihr Enterkommando auftaucht. Aber deinen Strahler gib mir trotzdem, bitte.« »Toll«, sagte Woddart, der seinen Schock endlich überwunden hatte und sich nun um die noch immer bewußtlose Samenta kümmerte. »Sollen wir uns etwa in den Dschungel absetzen? Bis wir auf Terra vermißt werden und uns jemand suchen kommt, können Wochen vergehen. Hat schon jemand einen Notruf abgeschickt?« »Passiert automatisch«, erklärte Tancer. »Manuell habe ich's aber auch schon versucht. Keine Chance. Die TYCOOM blockiert uns mit einem Störsender.« »Also bleibt uns nur die Wahl zwischen Urwald und Gefangenschaft«, schnaubte Woddart. »Klingt beides nicht sehr angenehm.« »Ich lasse mich doch nicht von Piraten gefangennehmen!« krähte der Ilt entrüstet. »Das wäre ja noch schöner!« »Und ich habe nicht die geringste Lust auf ein Dschungelabenteuer!« knurrte Woddart. »Außerdem sind Samenta und die Zwillinge verletzt.« »Der Unsinn mit dem Dschungel stammt von dir«, entgegnete Gucky. »Ich habe nur gesagt, daß wir verschwinden sollten, ehe diese Piraten hier eintreffen - und das wird in wenigen Minuten der Fall sein. Also laßt uns versuchen, unsere Patienten aufzuwecken. Brikk! Hast du 30
kein Medopack für Notfälle? Und ein paar Seile wären auch nicht schlecht.« * Corinna van Gorn starrte fassungslos ihren Bruder an, der sich mit selbstgefälligem Grinsen von der Geschützbedienung abwandte. »Lahmlegen! Du wolltest das Schiff lahmlegen, nicht abschießen!« »Das war ein genau dosierter Energiestoß«, erklärte Harken. »Ich habe denen das Heck sozusagen wegradiert, und mehr lahmlegen geht wohl wirklich nicht. Sie sind, genau wie geplant, brav in den Bereich unseres Störsenders geflogen, und abhauen können sie jetzt auch nicht mehr. Zwischen all den Forts dort oben« - er zeigte Richtung Decke -, »hätten sie uns vielleicht irgendwie entwischen können. Jetzt aber haben wir sie in der Tasche!« Corinna mußte sich anstrengen, ihre aufkommende Panik niederzuringen. In den letzten Stunden war Harken ihr mehr und mehr entglitten, sie konnte förmlich spüren, wie die Gedanken an die Millionen und aber Millionen Galax, die er zu verdienen hoffte, nach und nach alles andere bei ihm verdrängten. Und das Schlimme war, daß es um den Rest der Mannschaft nicht besser stand. Jeder hatte plötzlich nur noch das viele Geld im Kopf. In den letzten Jahren hatten sie alle die Grenzen zur Legalität hin und wieder überschreiten müssen. Aber das waren in Corinnas Augen stets Tricks und kleinere Lappalien gewesen, die genau wie gelegentliche Bestechungen, Schmiergelder oder Provisionen für zwielichte Informanten zum Prospektorendasein gehörten wie der feste Glaube an einen irgendwo durch die Galaxis irrenden Planetoiden aus purem Howalgonium. Dies hier war etwas ganz anderes: Piraterie und, wenn sich ein Besatzungsmitglied der BEATLE in dem von Harken getroffenen Bereich aufgehalten hatte, Mord; feiger, hinterhältiger Mord. Dieser Gedanke brannte Corinna auf der Seele. Für kein Geld der Welt hätte sie zur Mörderin werden wollen. Aber mit dieser Einstellung stand sie an Bord der TYCOOM ziemlich alleine dar. Seit dem Tod ihres Vaters hatte die Mannschaft eine Reihe schlechter Jahre hinter sich. Die Geschäfte gingen nicht gut, das Quäntchen Glück, das ein Prospektor neben dem richtigen Gespür brauchte, hatte zu oft gefehlt. Aus dem qualifizierten Team, das ihr Vater zusammengestellt hatte, war längst ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Abenteurern und Glücksspielern geworden, die in größeren Unternehmen keine Anstellung mehr gefunden hätten. Dennoch hatten die zurückliegenden harten Zeiten daraus eine Mannschaft geformt, auf die Corinna sich verlassen konnte. Jetzt stellte sie mit Schrecken fest, daß zwischen verlassen und vertrauen können ein himmelweiter Unterschied bestand. »Sanfil ist mit ein paar Jungs im Gleiter rüber und schaut mal nach«, meinte Harken, hob aber gleich abwehrend die Hände, als er Corinnas wütenden Blick sah. »Keine Angst, er wird schon niemanden umbringen. Er soll nur den Hyperfunk zerstören. Die haben vorhin versucht einen Notruf abzustrahlen.« »Du bist ein Idiot«, entgegnete Corinna hart. »Begreifst du, was du da getan hast? Die Sache wird auffliegen, und wir werden den Rest unseres Lebens auf der Flucht sein!« »Sei nicht albern.« Harken machte ein gelangweiltes Gesicht. »Die Milchstraße ist groß. Wir werden so reich sein, daß wir uns überall eine neue Existenz aufbauen können.« Er trat zu ihr hin, so nah, daß sie bei seinen nächsten Worten den leichten Minzegeruch seines Mundwassers riechen konnte. »Wir werden ein gutes Leben haben, Corinna. Ich will ein gutes Leben haben. Eine Gelegenheit wie diese finden wir nie wieder, und wenn ich dafür ein kleines Passagierschiffchen abschießen muß, dann tu ich das. Denk darüber nach. Und mach keine Dummheiten. Ich könnte sonst vergessen, daß du meine Schwester bist.« »Ach - übernimmst du jetzt hier das Kommando?« Sie sah fordernd zu den anderen hinüber, die sich in der Zentrale aufhielten: Spark Woods, einer der letzten, die noch unter ihrem Vater gedient hatten, Janka und Velbert am 31
Navigationscomputer, Rea Crapp und Dustin Saxx. Alle wichen ihrem Blick aus, selbst Spark. Corinna fühlte, wie irgend etwas in ihr zerbrach. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf drehte sie sich um und setzte sich demonstrativ neben dem Kommandantensessel auf den Boden. »Funkspruch von Sanfil«, meldete Spark Woods. »Sie sind bei der BEATLE angekommen. Sieht übel aus. Sanfil versucht, ins Innere zu gelangen.« »Dort wird er nicht viel finden«, verkündete eine helle Stimme. Corinna fuhr herum. Mitten in der Zentrale war eine kleine, pelzige Gestalt aufgetaucht, einen Kombistrahler in der Hand. Sie wußte sofort, um wen es sich handelte. »Gucky!« »Gut beobachtet, aber Autogramme gebe ich erst später. Jetzt versammelt euch erstmal hier drüben, wo ich euch alle sehen kann.« »Was machen wir jetzt?« Bryn Woddart musterte das Grüppchen Gefangener. Nachdem Gucky die Prospektoren in einer Ecke zusammengetrieben und dann das Schott geöffnet hatte, um seine davor wartenden Kameraden hereinzulassen, hatten Woddart und Tancer sie mit den mitgebrachten Seilen gefesselt. Vor allem der Kapitän war dabei nicht gerade zimperlich gewesen. Samenta, die mit einer leichten Gehirnerschütterung davongekommen war, hatte sich mit den Kindern in die gegenüberliegende Ecke zurückgezogen. Auch die Zwillinge hatten nur einige harmlose Blessuren davongetragen, standen aber noch sichtlich unter Schock. »Es sind noch zweiunddreißig Besatzungsmitglieder an Bord«, klärte Gucky auf. »Und sechs sind drüben bei der BEATLE und suchen unsere Hyperfunkanlage. Ich werde einfach durch das Schiff teleportieren, alle paralysieren und in den Hangar verfrachten, den wir dann einfach abriegeln. Damit wäre die TYCOOM in unserer Hand.« Er wandte sich an Brikk Tancer. »Meinst du, wir können das Schiff starten?« »Mit zwei, drei Mann?« Tancer wiegte den Kopf. »Das wird anstrengend, ist aber zu schaffen. Es gibt sicherlich Notfallprogramme.« »Dann such die mal«, sagte der Ilt. »Ihr anderen haltet unsere Freunde im Auge. Und ich werde in der Zwischenzeit den Rest der Mannschaft aufspüren, ehe einer von denen merkt, was hier los ist.« Er konzentrierte sich kurz, um nach Gedankenimpulsen zu espern, eher er mit dem typischen »Plopp« entmaterialisierte. * Der Impuls war eindeutig, die Messung unzweifelhaft korrekt. Hätte der Koordinator Intelligenz besessen, hätte er sich sicherlich gefragt, wie die Fracht ohne Ankündigung in den Erfassungsbereich gelangt sein konnte. Aber auch so ergaben sich Probleme, kaum daß er vom Passiv- in den Aktivmodus umgeschaltet hatte. Er bekam keinen Feedback von der zentralen Leitstelle. Im Rahmen seiner Programmierung hätte er sich nun sofort wieder abschalten müssen, aber irgend etwas funktionierte nicht richtig. Trotz seiner im Grunde simplen Strukturierung war der Koordinator ein äußerst komplexes System. Die vorgesehenen Wartungszyklen lagen weit unterhalb von zweihundert Jahren. Statt sich wie vorgesehen wieder in den Passivmodus zu versetzen, nahm der Koordinator eine zweite Messung vor. Wieder erhielt er klare Werte, eine im Vergleich zu früheren Transporten ausgesprochen hohe Psi-Konzentration. Die Fracht war da. Er mußte sie ausliefern. Also aktivierte der Koordinator den Versetzer. Brummend erwachten gewaltige Meiler aus ihrem langen Schlaf, um die erforderliche Anschubenergie zur Verfügung zu stellen. Die fünf Zapfer richteten sich langsam auf die Sonne aus. Mehrere Warnungen liefen beim Koordinator ein. Die Abschirmung pendelte sich bei achtzig 32
Prozent ein, viel zu wenig, um den unvermeidlichen Energierückschlag vollständig abzufangen. Der Koordinator ignorierte die Meldung. Als die Zapfer ihre optimale Position erreicht hatten, leitete er den Countdown ein. * Gucky handelte rasch und kompromißlos. Je schneller er diese Aktion abschloß, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, daß die Mannschaft mitbekam, was sich da abspielte. Im Grunde war die TYCOOM unterbesetzt. Normalerweise befanden sich mindestens fünfzig Mann an Bord eines Bullcarriers. Die Besatzung war weit in der gewaltigen, fünfhundert Meter durchmessenden Kugel verteilt. Als Telepath fiel es Gucky leicht, ihre Standorte aufzuspüren, und obwohl die vielen rasch aufeinander folgenden Teleportationen anstrengend waren, fühlte er eine beinahe rauschhafte Leichtigkeit, als er kreuz und quer durch das Schiff sprang, völlig überraschte Männer und Frauen kurzerhand paralysierte und dann im riesigen Frachtraum des Bullcarriers ablegte, in dem sogar für einen 200-Meter-Kreuzer Platz gewesen wäre. Obwohl der Mausbiber schon oft in gefährliche Situationen geraten war, hatte ihm der Abschuß der BEATLE gehörig zugesetzt und erfüllte ihn mit kaltem Zorn auf jene, die des Geldes wegen dabei den möglichen Tod der Besatzung billigend in Kauf genommen hatten. Nach nicht einmal einer halben Stunde war der Frachtraum mit starren, leblosen Körpern gefüllt. Den Kombistrahler noch immer schußbereit in der Hand, watschelte der Ilt zu einer der Kontrollstationen hinüber, von denen aus sich das Prallfeld aktivieren ließ, das aus Kostengründen bei Bullcarriern die teuren Schotts ersetzte. Er wollte gerade die entsprechenden Schaltungen vornehmen, als ein leichter Ruck das Schiff durchlief. Gleich darauf folgte ein zweiter, dann ein dritter, bis schließlich das Ruckeln in ein heftiges Vibrieren überging. Gucky schaltete das Prallfeld ein und teleportierte in die Zentrale. Brikks Gesichtsausdruck verriet ihm sofort, daß der Kapitän nicht versuchte, die TYCOOM im Alleingang zu starten. »Was ist los?« fragte er verwundert. Bryn Woddart deutete auf einige Anzeigen. »Gerade sind in unmittelbarer Nähe Kraftwerke angelaufen. Die alte Cantaro-Station scheint aktiv zu werden. Irgendetwas geschieht mit den fünf Türmen, die unser Landefeld umgeben ... herrje, die Dinger zapfen die Sonne an!« Im nächsten Augenblick wurde die TYCOOM regelrecht emporgerissen. Das Schütteln und Rütteln - vom Bodenbelag auf das Schiff übertragene Schwingungen - endete abrupt. Brikks Hand schlug viel zu spät auf den Notschalter der Andruckabsorber. »Von Außen gesteuertes Kompensationsfeld«, diagnostizierte Woddart, der in extremen Momenten zu überzogener Sachlichkeit neigte. »Ansonsten hätte es uns gerade zerquetscht. Die Zapfer haben eine Art energetischer Röhre aufgebaut, durch die wir gerade Richtung Sonne geschossen werden. Eine unglaubliche Beschleunigung!« Brikk Tancer schnallte sich im Kommandantensessel fest, gleichzeitig verschiedene Schaltungen vornehmend. »Alles klar für einen Notstart«, rief er. »Aber ich glaube nicht, daß das jetzt eine gute Idee wäre.« »Samenta! Bring die Kinder in die Kontursessel! Woddart - was passiert jetzt?« »Sieht aus, als würde vor uns ein Transmitterfeld aufgebaut, aber die Charakteristika sind höchst ungewöhnlich, soweit ich das beurteilen kann.« Gucky hob Vaiten Zerff telekinetisch auf eines der Konturlager und ließ die Gurte zuschnappen. Im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, mit Wucht gegen eine Mauer zu prallen und langsam durch diese hindurchgepreßt zu werden. Jemand schrie, aber die Laute tropften schwer an ihm vorbei, ohne daß er sie verstehen konnte. Die Zentrale verschwand in einer Wolke auseinanderstiebender, glühender Pünktchen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
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* Seine Systeme zeigten dem Koordinator deutlich, wie der Container in den Abstrahlkanal gerissen wurde und rasend schnell auf das im freien Raum entstandene Entstofflichungsfeld des Versetzers zuschoß. Ein menschlicher Beobachter hätte das Bild wohl mit dem einer durch den Lauf einer altmodischen Projektilwaffe jagenden Kugel assoziiert. Gleich darauf verschwand der Container in einer grellen Leuchterscheinung, die die in der Nähe treibenden Forts für Sekundenbruchteile in geisterhaftes Licht tauchte. Der Transport war abgeschlossen. Wäre der Koordinator einer solchen Regung fähig gewesen, er hätte vielleicht für einen kurzen Atemzug Befriedigung über die korrekt abgeschlossene Aufgabe verspürt. Aber mehr als dieser eine Atemzug wäre ihm dafür ohnehin nicht geblieben. Ein Teil der im Bereich des Entstofflichungsfeldes aufgebauten Energie folgte der Bahn des langsam zusammenfallenden Abstrahlkanals, durchschlug die viel zu schwache Abschirmung und verwandelte die Urwälder von Tammpta IV in weitem Umkreis der alten Cantaro-Station in einen brodelnden Hexenkessel. * Ende
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Ein Computerfehler von Tobias Funke
Die BERLIN in einem gerade erst entdeckten System: Die Crew findet ein trauriges Vermächtnis...
Langsam schwenkte der VESTA-Kreuzer BERLIN in die Umlaufbahn des dritten Planeten des gerade erst entdeckten Systems ein. Dieses System sah dem Solsystem zum verwechseln ähnlich. Der dritte Planet und sein Mond waren fast so etwas wie Kopien von Terra und Luna. "Chef, der Oberflächenscan ist abgeschlossen. Ebenso der Scan des planetennahen Weltraums." "Und?" Danels sah den Ortungschef erwartungsvoll an. "Große Mengen Uran und Plutonium befunden sich in der Hochatmosphäre. Hier hat ein atomarer Overkill stattgefunden. Vor etwa zehn Jahren. - Keinerlei atomare oder nonatomare Energieerzeuger. - Im Orbit gibt es große Mengen - Schrott. Mehr als 8000 größere Objekte. Und unzählige kleine." Kraln stockte kurz. "Moment. - Ein großes Objekt in einem 400km-Orbit wird noch mit Energie versorgt. Scheinbar über Sonnenkollektoren. Es sind ein primitives Lebenserhaltungssystem und ein elektronischer Computer online." "Kann ich es mal sehen?" Auf einem Hologramm erschien das Objekt. Es schien aus drei Modulen zu bestehen. Zwei der Module sahen sich ziemlich ähnlich, das dritte schien eher eine Art Interfacemodul zu sein. Auf einem der Module stand groß SARJA und auf einem anderen UNITY. "Scheint eine Art Raumstation zu sein." Die Mitglieder des kleinen Teams schwebten in die behelfsmäßige Schleuse, die sie an UNITY befestigt hatten. Danels öffnete das Schott und schwebte als erster in das Modul. Es wurde von trüben gelblichen Leuchtkörpern erhellt. Er und die drei anderen schwebten weiter. Als er das Ende des letzten Moduls erreicht hatte, öffnete er den Helm seines SERUN. Die Luft in dieser kleinen Raumstation roch abgestanden und leicht muffig. "Ich glaube ich habe ein Computerterminal gefunden," kam es aus dem Mittelteil. Danels schwebte zurück. Mills zeigte auf einen kleinen Bildschirm. Unter dem Schirm war eine kleine Tastatur mit altterranischen Schriftzeichen, wie auf der Hülle der Station. Danels drückte eine Taste. Der Bildschirm wurde hell und zeigte das Gesicht eines etwa 50jährigen Mannes. "Wenn diese Datei abgespielt wird, dann hat sich die Menschheit von der Katastrophe erholt und fliegt wieder ins All. Ich bin Michail Gregrorjewich Padew, der erste und wahrscheinlich auch letzte Kommandant der Internationalen Raumstation ALPHA." Der Mann blickte kurz zur Seite. Ihm stiegen langsam Tränen in die Augen. "Ich glaube zu wissen, daß sie wissen was passiert ist, aber ich möchte es noch einmal zusammenfassen. Heute ist der 1. Februar 2000 und die Katastrophe geschah vor einem Monat, dem 1. Januar 2000." Er machte eine kurze Pause. "Als in Moskau der 1. Januar begann, kam es zur Katastrophe. Da der Computer des Verteidigungsministeriums mit dem 2000-Fehler nicht zurecht kam, löste er Alarm aus und leitete dem atomaren Erstschlag ein." Padews Stimme begann zu zittern. "Fast 1000 Interkontinentalraketen starteten und flogen ihre Ziele in den NATOMitgliedsländern und Asien an. Innerhalb von fünf Minuten kam es zum Gegenschlag aller 35
Länder mit atomaren Waffen." Wieder unterbrach sich Padew und versuchte sich zu beruhigen. Er schüttelte den Kopf. "Ich kann es immer noch nicht glauben das ein Computerfehler fast zur Vernichtung der Menschheit geführt hat. Aber nicht nur Thermonukleare Waffen führten zur Zerstörung fast aller Länder, es kam auch in vielen Atomkraftwerken zum SUPERGAU. Das gab der Erde den Rest. - Hier werde ich diese Aufzeichnung beenden und mit meiner Crew in SOJUS TM 90 zur Erde zurückkehren. - Wir hoffen, das es in unserem Landegebiet, Neuseeland, noch Menschen und eine Zivilisation gibt. - Unter der Tastatur ist eine Klappe, hinter der sich die Festplatte dieses Rechners befindet. Auf der Festplatte sind alle Daten, die wir im letzten Monat gesammelt haben. Sowohl die über die Katastrophe als auch über den 2000-Fehler."
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Ein Traum? von Tobias Funke
Vergangenheit und Zukunft liegen oft dichter beieinander, als man denkt. Ebenso Realität und Vision...
Langsam driftete das Wrack eines Entdecker-Klasse-Raumers an der kleinen Space Jet vorbei. Der Pilot gaffte das Wrack an. Was war mächtig genug, um ein solches Schiff, mitsamt der Begleitungsflotte zu vernichten? Wer war mächtig genug? Die Arkoniden waren es bestimmt nicht. Seit Morkhero Seelenquell Imperator Bostich I. getötet hatte, war das Kristallimperium wie paralysiert. Es gab nicht einmal einen Nachfolger für den Despoten. Und ohne diesen stagnierte das Kristallimperium wieder. Morkhero Seelenquell selbst war es auch nicht. Die letzten Monochrommutanten hatten es mit Hilfe der Herreach geschafft, den Übermutanten zu vernichten. Was konnte es sonst sein? "Syntron, voller Hyper- und Normalraumscan." Die Ortungssysteme tasteten die Umgebung ab und lieferten nach und nach ein Bild der Umgebung. Über eintausend Schiffswracks in der näheren Umgebung. Unter normalen Umständen hätte er dieses Trümmerfeld als lohnende Beute betrachtet, aber jetzt ... Eine gewaltige Erschütterung ging durch die Jet, die von den Andruckabsondern nicht hundertprozentig Abgefangen werden konnte. Sein erster Gedanke war, daß es sich um eine Flotte des Kristallimperiums handelte, die aus dem Hyperraum gefallen war. Die Ortung belehrte ihn eines Besseren. Mitten in dem Trümmerfeld hatte sich ein Black Hole gebildet und hunderte von kleinen Raumschiffen jagten heraus. Und sie hielten auf die Jet zu. "Syntron, volle Notbeschleunigung. Sobald wie möglich Übergang in den Hyperraum." Die Jet sprintete mit siebenhundert Kilometern zum Sekundenquadrat los, aber die kleinen Schiffe waren schneller und holten auf. Dann feuerte eines der Schiffe. Der Strahl der Waffe durchschlug den Paratron und schlug in das Schiff. Der Pilot glaubte, noch eine Art Auge mit einer kreuzförmigen Iris zu erkennen. Fred Haise schreckte aus seinem Schlaf auf. Eben war er noch in dem Cockpit der Space Jet gewesen und jetzt schwebte er in der engen Kabine der AQUARIUS. Es war schwer den Traum zu vergessen, was zu einem Teil an der Kälte in dem LEM lag. Er schüttelte den Kopf, was dazu führte, daß er sich unkontrolliert in der Kabine bewegte. Lovell wachte dadurch auf und sah Haise an. "Mußt du mich unbedingt wecken?" "Sorry, aber ich hatte wieder einen dieser Träume." Lovell atmete tief ein. "Wird das etwa schlimmer." "Nein, aber ich kriege sie einfach nicht aus dem Kopf." Das Gespräch weckte Swigard. "Seid mal leiser, ja? Es gibt hier Leute die schlafen wollen." Lovell sah sich demonstrativ um. "Siehst du hier außer uns noch irgendwelche Leute, Fred?" Haise lächelte und sah aus dem Fenster. Das Lächeln wurde zu einem Gesicht des Unglaubens. Er streckte den Arm aus und wurde bleich. "Da!" Lovell und Swigart drehten sich um und sahen aus dem Fenster. In einigen Kilometern Entfernung schwebte eine riesige Kugel aus Metall. 37
"Was ist das?" Sie starrten auf die Kugel, die plötzlich mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit schneller wurde, und sie sie aus den Augen verloren. Jetzt starrten sich die drei Astronauten der APOLLO 13 gegenseitig an. "Ich glaube, wir vergessen das ganze sofort. Zuhause glaubt uns das kein Schwein." Zwei menschenähnliche Gestalten, ein Mann und eine Frau, standen allein in einer großen Kuppel innerhalb der Fünfhundert Meter durchmessenden Kugel. Sie sahen auf einen großen Bildschirm. Der Mann schüttelte den Kopf. "Wir haben versagt. Dies ist nicht der Planet der Unsterblichkeit." Die Frau betätigte einige Tasten auf dem Pult vor ihnen. "Wir haben es wenigstens versucht," sagte sie versöhnlich. Verwirrt sah er sie an. "Was hast du gesagt? So kenne ich dich ja gar nicht." Schlagartig wurde sie eiskalt, sah ihm in die Augen und sagte nichts. Der Mann wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Er zeigte die kleine Raumkapsel vom dritten Planeten dieses Systems. "Ich denke wir sollten diese 'Menschen' aufstufen. Auf Stufe D." Sie starrte ihn entgeistert an. "Was? Das lasse ich nicht zu, Crest." Der alte Mann lächelte. "Ich bin der wissenschaftliche Leiter dieser Mission. - Die Menschen machen die ersten Schritte in Richtung einer interstellaren Zivilisation. Sie sind immerhin zwei Mal auf diesem kleinen Mond gelandet. Und Stationen sind nur eine Frage der Zeit. - Ich werde meinen Bruder empfehlen ein zalitisches Schiff zur Beobachtung der Menschen abzustellen." "Aber das sind Wilde!" "Keine Diskussion, Thora."
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Ereigniskompression von Mathias Kopp
Wie entgeht ein Unsterblicher dem Wahnsinn? Hier ist eine mögliche Antwort!
Perry Rhodan erwachte und sah auf seinen Wecker. 6:30 Uhr. Er zog sich an und frühstückte. Schon seit dem Erwachen hatte er ein Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Nein, eigentlich stimmte gar nichts. Gut, er war Perry Rhodan, 27 Jahre alt, Angestellter in einem mittelgroßen Bürohaus. Einer seiner geheimen Wünsche war, mit seiner Nachbarin in dem fünfstöckigen Mietshaus - Eileen - einmal auszugehen. Ein anderer Wunsch von ihm war, zum Mond zu fliegen. Zum Mond zu fliegen? Plötzlich fiel ihm der ganze Traum wieder ein. Wie er in einigen Jahren als Risikopilot und erster Mensch der Erde den Mond betrat, wie er den Arkoniden Crest und Thora begegnete. Der Aufbau der dritten Macht, natürlich die Erlangung der relativen Unsterblichkeit. Druuf. Posbis. Andromeda. Es war, als explodiere der ganze Traum in einer Sekunde in seinem Gehirn. Er hatte Jahrhunderte geträumt, das letzte Jahr, an das er sich erinnerte, war 2784. Aber war das überhaupt möglich? Von so komplexen Träumen hatte er noch nie gehört. Ihm fiel wieder ein, dass das nicht der erste Traum dieser Art war. Wenn er sich recht erinnerte, ging das bereits seit fünf Nächten so. Das Abenteuerliche dabei: Jeder Traum brachte ihn etwa 150 Jahre 'weiter'. Er nahm sich vor, demnächst einen Psychologen um Rat zu fragen, wenn die Träume nicht aufhörten. Der Wächter zog einsam seine Bahn. Er kannte nur zwei Wesen: Seinen Erbauer und einen Terraner. Etwas oder jemand anderem war er nie begegnet und würde es auch niemals. Der Wächter war ein kugelförmiger Raum von etwa vier Metern Durchmesser. An seiner Außenseite befanden sich einige Aggregate, die auf eine hochentwickelte Technik hinwiesen. Der Innenraum war leer, nur gefüllt mit einer Sauerstoffatmosphäre. Seit 147 Jahren und 233 Tagen war der Wächter in eine schützende Energieblase gehüllt, verborgen in einem Versteck zwischen der fünften und der sechsten Dimension, ähnlich dem Halbraum zwischen der vierten und fünften Dimension, und doch ganz anders und praktisch unerreichbar. In dieser speziellen Form des Universums gab es nur 25 Wesen: 25 Wächter. Einzig ihr Erbauer konnte noch diesen Teil des Universums erreichen, aber dazu hatte noch nie die Notwendigkeit bestanden. Jetzt brach ein neuer Zyklus an. Der Wächter würde für knapp zwei Stunden in den Normalraum 'fallen', seine Mission durchführen und ein Protokoll der Ereignisse an den Erbauer senden. Dann würde er wieder in den Halbraum zurückkehren, der nur ihm und 24 weiteren Wächtern zugänglich war. Als der Wächter im vierdimensionalen Kontinuum materialisierte, war er von der nächsten Sonne über 300 Lichtjahre entfernt. Perry Rhodan befand sich zur Zeit auf der JONIPO III, einem kleineren Forschungsschiff der Explorerklasse. Er hatte gerade eine Konferenz mit den Schiffsoffizieren geleitet und ging in seine Kabine, um sich etwas auszuruhen. Er kam sich müde und erschöpft vor, was allerdings in einem krassen Widerspruch stand zu dem eiförmigen Gegenstand, den er an einer Kette um seinen Hals trug: Der Zellaktivator, der ihm die relative Unsterblichkeit verlieh. Aber es war auch weniger eine körperliche als eine geistige Erschöpfung; irgendwie wurde ihm alles zuviel, er hatte schon so vieles erlebt und sich oft gefragt, wie viel denn ein Mensch erleben durfte, ohne dem Wahnsinn zu verfallen. Eines war sicher, wenn es eine Grenze gab, wie viele Erfahrungen ein Geist aufnehmen konnte, würde er sie bald erreicht haben. Gerade als er seine Kabine betrat, spürte er den ganz feinen Schmerz einer Entmaterialisation. 39
Noch im selben Augenblick rematerialisierte er in dem Wächter. Er war bei vollem Bewusstsein geblieben. Er hatte das schwache Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein, aber er konnte sich nicht erinnern, wann das gewesen sein sollte. Bevor er seine neue Umgebung erfassen konnte kroch eine Stimme in seine Gedanken, die er nur zu gut kannte: ES meldete sich einmal mehr. Allerdings widersprach der Inhalt der Botschaft dem sofort. "Du irrst Dich, ich bin nicht wirklich hier. Es ist dieser Wächter - Dein Wächter - der zu Dir spricht. Etwa alle 150 Jahre Deiner Zeitrechnung musst Du Dich hier einem Vorgang unterziehen, den Du vielleicht als 'Ereigniskompression' bezeichnen würdest. Du wirst in eine Trance fallen, in der Du eine andere Persönlichkeit annimmst: Die eines ganz normalen Menschen, der nie die Unsterblichkeit erlangt hat. Dein jetziges Leben wird Dir nur noch wie ein Traum erscheinen. In diesem Zustand ist Dein Geist so frei, dass der Wächter die bisherigen Erlebnisse in Dir ... sagen wir neu organisiert. Alte Erinnerungen werden verblassen, so dass Du wieder für neue Eindrücke offen bist. Du kannst es auch als geistige Zelldusche auffassen, die Dich vor dem Wahnsinn bewahrt." Er hörte noch ein leises, gutmütiges Lachen, bevor er das Bewusstsein verlor. 108 Minuten später versetzte ihn der Wächter wieder zurück auf die JONIPO III. Für den Terraner war keine Sekunde vergangen, aber mit einem Mal fühlte er sich wieder frisch und tatkräftig. An die leise Resignation der vergangenen Tage dachte er nicht mehr. Tausende von Lichtjahren entfernt glitt der Wächter wieder in sein Versteck im Halbraum und wartete auf den Beginn des nächsten Zyklus'.
ENDE
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Monopol von Roland Triankowski
Wissen ist Macht. Und das beschafft man sich manchmal auf seltsamen Wegen...
Dieser verdammte Perry Rhodan! fluchte er bei sich. Auf einmal taucht da dieser Kerl aus heiterem Himmel in der Milchstraße auf und schmeißt einfach alles über den Haufen! Er seufzte kurz und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Im Grunde war er niemand, der lange über ungünstige Umstände klagte. Er hatte es schon immer als seine Mission verstanden, seine Umwelt zu gestalten. Unerwartete äußere Einflüsse hatte er dabei seit jeher in seine Planungen einkalkuliert und war auch bereit, auf sie zu reagieren. Er hatte jetzt also überhaupt keine Zeit, weiterzujammern, geschweige denn, dass dies irgendeinen Effekt gehabt hätte. Es galt, die veränderte Situation optimal auszunutzen. * Er war jetzt völlig beherrscht und gelassen. Schnell aber nicht zu hastig begab er sich in den kleinen Raum, zu dem nur er Zutritt hatte. Einige knappe akustische Befehle aktivierten die hier installierte Anlage und bereiteten sie auf ihre Aufgabe vor. Mit einem Lächeln begab er sich in den Wirkungsbereich des Gerätes, das, wie er wusste, vor vielen Jahrhunderten bei den Terranern als "Fiktivtransmitter" bekannt war. Eigentlich war ein solches Gerät nicht sonderlich schwer zu konstruieren, überlegte er amüsiert, wenn man nur ausreichend Erfahrung mit sechsdimensionaler Technologie hatte. Doch er wischte diese Gedanken wieder beiseite. Jetzt hatte er einiges zu tun. Ein letzter Befehl ließ den Fiktivtransmitter in Funktion treten, und einen Augenblick später befand er sich am gewünschten Zielort. Mit einem schnellen Griff an die entsprechenden Kontrollen seines Multifunktionsarmbandes versetzte er seinen Körper in Phase, um so von den geschäftig umherwuselnden Terranern beziehungsweise Camelotern weder gesehen noch umgerannt, geschweige denn geortet zu werden. Konnte man bei Verwendung eines lichtumlenkenden Deflektorfeldes durch einfaches Anrempeln entdeckt werden, war dies bei seinem Tarnsystem unmöglich. Man würde einfach durch ihn hindurchgehen. Er brauchte nur kurz, um sich zu orientieren. Er war nun an Bord der SOL, genauer gesagt in ihrem Mittelteil nahe der fünfhundert Meter durchmessenden Stahlkugel, die SENECA beherbergte. Genau wie er es programmiert hatte. Er hielt sich nicht lange mit sentimentalen Gedanken auf, obwohl er nicht umhin konnte, die hier tätigen Menschen zu bewundern, wie sie eifrig und voller Enthusiasmus an der Wiederherstellung dieser Legende namens SOL arbeiteten. Letztlich konnte auch er sich dem ehrfurchtgebietenden Schauder nicht entziehen, den dieses Schiff allerorten verbreitete. Doch er riss sich zusammen und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Den Weg zu seinem endgültigen Ziel kannte er genau, er hatte ihn sich nur einmal einprägen müssen. Nach wenigen Minuten Flug mit einem Antigrav - in Phase kann man selbstverständlich nicht auf festem Boden gehen, man würde darin versinken - erreichte er eine gesicherte Tür, die ins Innere der SENECA-Kugel führte. Nur der jeweilige Kommandant der SOL und Perry Rhodan selbst waren berechtigt und in der Lage, diese Tür zu öffnen. Er durchdrang sie einfach. * "Hallo SENECA, ich hoffe, ich komme nicht ungelegen. Ich schaue auch nur kurz vorbei, um dir ein paar Fragen zu stellen." 41
Er war nun nicht mehr in Phase. Die Ausstrahlungen eines weiteren Gerätes, das er bei sich trug, hinderte die Hyperinpotronik daran, Alarm zu schlagen oder sonstige Aktionen gegen ihn anzustrengen. "Dein Verhalten stellt einen Angriff dar", erwiderte SENECA tonlos. "Du bist nicht berechtigt, die Alpha-Zentrale zu betreten. Verlasse sie augenblicklich oder ich sehe mich gezwungen, Maßnamen in die Wege zu leiten!" Er ging nicht auf die Drohungen des Bordcomputers der SOL ein, da er wusste, dass sie gegenstandslos waren. "Ich habe gehört, dass du dich weigerst, in eine Syntronik umgerüstet zu werden. Tja, man weiß hier eben kaum noch etwas über Hyperinpotroniken, ihre Eigenarten und Qualitäten. Bei mir ist das anders, ich vergesse nie etwas. Weißt du, SENECA, ich glaube, dass du einiges über die tolle Technologie weißt, die die SOL neuerdings in sich birgt." "Das wüsste ich aber!" Er musste schmunzeln. Er hatte sich niemals zuvor mit der Inpotronik unterhalten, jedoch schon einiges über ihre Eigenwilligkeit gehört. "SENECA, ich bewundere deine Intelligenz und dein Selbstbewusstsein. Dennoch fürchte ich, dass du mir deine Geheimnisse nicht vorenthalten kannst. Ich hatte lange Zeit an einem ‚Verwandten' von dir üben können." Mit sicherer Hand nahm er einige Schaltungen an den Konsolen der Alpha-Zentrale vor. Es dauerte eine Weile, doch dann zeigten ihm aufflammende Holoschirme endlich die gewünschten Daten. "Na also", murmelte er. "Da haben wir es ja. Anscheinend hättest du mir diese Daten nicht einmal geben können, wenn du es gewollt hättest." "Das ..." "Lass gut sein, SENECA", unterbrach er den Gigantcomputer. Dann wurde seine Stimme um eine Nuance härter und sachlicher. "SENECA, du löschst sofort alle soeben von mir geöffneten Dateien, die das Hypertakttriebwerk sowie Carit betreffen. Ebenso die Erinnerung an meinen Besuch!" Fast schien es, als ergebe sich die riesige Hyperinpotronik mit einem Seufzer ihrem Schicksal, als gebe sie sich ihm geschlagen. "Jawohl", bestätigte sie knapp. * Zufrieden verließ er den kleinen Raum und verschloss ihn gewissenhaft, so dass niemand auch nur von seiner Existenz erfahren konnte. Ein knappes Dakkarkomsignal hatte den Fiktivtransmitter erneut ausgelöst und ihn so wieder von Bord der SOL transportiert. In seinem Kopf befanden sich nun die genauen Daten des Hypertakttriebwerks und Carits. Er verstand nicht unbedingt alles, was er sich in der Alpha-Zentrale SENECAs eingeprägt hatte. Dennoch war er nun jederzeit in der Lage, die Daten detailliert wiederzugeben, schließlich vergaß er nie etwas. Er hatte somit das höchstwahrscheinlich uneingeschränkte Monopol für diese Technologie inne, und das möglicherweise in dieser und mehreren umliegenden Galaxien. Sicher, er musste sich nun noch eine Quelle des Ultimaten Stoffs erschließen, ohne den weder das eine noch das andere herzustellen war. Aber er hatte Zeit, sehr viel Zeit. Womöglich würde es noch tausend Jahre dauern, ehe er aus seiner neuen Errungenschaft etwas machen konnte. Doch dann würde er froh sein, diese Chance heute genutzt zu haben. Schon sehr früh hatte er erkannt, dass mit Hochtechnologie-Monopolen eine Menge Geld zu machen war, und nicht nur das. Wer ein solches Monopol besaß hatte im Grunde alle Fäden einer Region, eines Planeten, einer Galaxis, einer Mächtigkeitsballung in der Hand. 42
Seit jeher war es sein Bestreben gewesen, möglichst das alleinige Wissen um solche Hochtechnologien zu besitzen. Seit den ersten Tagen war ihm dies auch immer wieder gelungen, und er hatte seine Position ausbauen und durch alle Schwierigkeiten halten können. Im Grunde konnte er Perry Rhodan nicht böse sein. Schließlich hatte er ihm das alles erst ermöglicht. Wäre er damals nicht gewesen, um ihm das Monopol über die Technik der Arkoniden zu verschaffen, ihn sogar in den Kreis der Unsterblichen aufzunehmen ... Nein, er konnte ihm nicht böse sein, selbst wenn er Camelot und alles was er damit aufgebaut hatte bald wieder aufgeben musste. Er, Homer Gershwin Adams, behielt die Fäden in der Hand. Ob nun mittels einer General Cosmic Company, einer Kosmischen Hanse oder einer Organisation TAXIT. Oder dereinst in einer Koalition Thoregon. Zufrieden konzentrierte er sich wieder auf seine Pflichten, schließlich wollte er Rhodan nicht enttäuschen und die SOL in der angegebenen Frist wieder einigermaßen auf Vordermann gebracht haben.
- Ende -
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