Tina Gehlert Straßenbenutzungsgebühren in Städten
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Tina Gehlert Straßenbenutzungsgebühren in Städten
VS RESEARCH Verkehrspsychologie Herausgegeben von Prof. Dr. Bernhard Schlag, TU Dresden
Verkehrspsychologie ist ein wachsendes Gebiet der Psychologie, das starke öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Empirische Forschung in der Verkehrspsychologie umfasst neben der Diagnostik und Rehabilitation auffälliger Kraftfahrer eine Reihe innovativer Gebiete, deren gemeinsamer Erkenntnisgegenstand das Mobilitätsverhalten und Mobilitätserleben der Menschen ist. Verkehrspsychologische Forschung wird oft in enger Kooperation mit Ingenieuren, Wirtschaftswissenschaftlern und Medizinern betrieben und hat dabei teilweise eigenständige theoretische und methodische Ansätze entwickelt. Die Bände dieser Reihe befassen sich u. a. mit dem Mobilitätsverhalten und der Verkehrsmittelwahl, Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung für eine umweltgerechtere und sicherere Mobilität, psychologischen Aspekten der Verkehrsplanung und des Mobilitätsmanagements, Fragen der Unfallforschung und der Verbesserung der Verkehrssicherheit, der Fahrerassistenz sowie der Akzeptanz von und dem Umgang mit technischen und organisatorischen Innovationen. Die Reihe macht sowohl aktuelle Forschungen als auch Überblicksdarstellungen in diesen Bereichen zugänglich.
Tina Gehlert
Straßenbenutzungsgebühren in Städten Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Bernhard Schlag
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Dresden, 2008
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Christina M. Brian / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16333-8
Geleitwort
Mobilität ist die Basis unseres Alltags. Individuelle Mobilität lässt uns unsere alltäglichen Aktivitäten verknüpfen – sie macht Ziele erreichbar. Verwirklicht wird sie zu großen Teilen mit dem Pkw. In Europa ist das Auto in wenig mehr als zwei Generationen zu einem Kernbestandteil des Lebens geworden. Es spiegelt die Geschwindigkeit wider, mit der wir leben und den Lebensstil, mit dem wir uns darstellen wollen. Zugleich hat die Verkehrs- und Umweltbelastung insbesondere in Städten ein Ausmaß angenommen, das von der Gesellschaft nicht mehr toleriert wird. Eine zentrale Zukunftsaufgabe ist es daher, die Verkehrsbelastung vor allem in den Städten zu senken ohne die Mobilität zu verlieren. Dafür steht Verkehrspolitikern und Verkehrsplanern eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung. Hohe Akzeptanz finden gerade in Deutschland vor allem technische Lösungen, von effizienteren Motoren bis hin zu Rußpartikelfiltern und anderen Technologien, die in begrenztem Maße wirken können ohne dass Menschen ihr Verhalten ändern müssen. Dem gegenüber stehen innovative verhaltensbezogene Maßnahmen, die Anreize für eine nachhaltige und insofern effizientere Mobilität schaffen. Dazu gehören beispielsweise Preise für die Benutzung städtischer Straßen und Autobahnen mit dem Pkw. In Deutschland nur in Fachkreisen diskutiert, haben Städte im europäischen Ausland solche Preissysteme mit starken Wirkungen bereits eingeführt. Mit diesem Band der Reihe Verkehrspsychologie legt Frau Dr. Tina Gehlert eine Arbeit vor, die sich systematisch mit den Auswirkungen von städtischen Straßenbenutzungsgebühren auf die individuelle Pkw-Mobilität und mit Veränderungen der Akzeptanz bei Einführung von Straßenbenutzungsgebühren befasst. Damit behandelt sie zwei für die Umsetzung von Preissystemen in Städten wichtige Fragestellungen: die Frage nach der Effektivität eines solchen Systems: Wird damit also tatsächlich eine effizientere Mobilität erreicht? Und die Frage nach der Legitimität eines solchen Preissystems: Wie wird es von den Pkw-Nutzern akzeptiert? Frau Gehlert stellt wichtige psychologische Grundlagen des individuellen Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzforschung dar, die seit 1995 wesentlich durch die Dresdner Verkehrspsychologie in EU-Forschungsprojekten entwickelt wurden.
6
Geleitwort
Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung städtischer Preissysteme wird anhand von Praxisbeispielen aus europäischen Städten in einem ausgezeichneten Überblick beschrieben. Eine vertiefte Analyse von Verhaltens- und Akzeptanzdaten aus einem großen Modellversuch in Kopenhagen führt zu Befunden, die nicht nur wissenschaftlich einen wichtigen Erkenntnisgewinn darstellen, sondern zugleich interessante Ansatzpunkte für eine praktische Umsetzung in deutschen Städten bieten. Das Buch ist hervorragend geeignet, der Diskussion um innovative Preisinstrumente im Verkehrsbereich in Europa und in Deutschland neue Impulse zu geben.
Dresden, den 6. August 2008
Bernhard Schlag
Vorwort
An dieser Stelle möchte ich allen Personen und Organisationen danken, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonders herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Bernhard Schlag für seine fachliche Begleitung, stets konstruktive Unterstützung und stete Ermutigung. Prof. Otto Anker Nielsen vom Centre for Traffic and Transport der Technischen Universität Dänemark danke ich ausdrücklich für seine Bereitschaft, mir den AKTA Datensatz zur Verfügung zu stellen. Mein Aufenthalt am CTT in Kopenhagen und die sich anschließende, konstruktive Zusammenarbeit waren für mich nicht nur eine fachliche, sondern auch eine ganz persönliche Bereicherung. Finanziell gefördert wurde diese Arbeit durch ein Promotionsstipendium der Dr. Joachim und Hanna Schmidt Stiftung für Umwelt und Verkehr. Besonders bedanke ich mich bei meinem Betreuer Dieter Schüler, der für jede Eventualität des Doktorandenlebens eine erfrischend unkomplizierte Lösung bereit hielt. Ein Kurzzeitstipendium des Landes Sachsens ermöglichte es mir, die Arbeit zügig abzuschließen, auch dafür mein Dank. Darüber hinaus bedanke ich mich für Hinweise und Anregungen zu verschiedenen Aspekten dieser Arbeit bei: Angelika Schultz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die Hinweise zur Erstellung der Datendokumentation; Ulrike Püschmann für das Layout der Datendokumentation; Rico Wittwer und Frank Zimmermann vom Lehrstuhl für Verkehrsplanung der TU Dresden für Anregungen zur Aufbereitung der Wegedaten; meinem Mann Andreas für die praktische Hilfe bei der Umsetzung der Datenaufbereitung; Dr. Matthias Rudolf für die Diskussionen über die statistischen Eigenschaften meines Datensatzes; meinem Mann Andreas und Thomas Fischer für ihre hilfreichen Anmerkungen zur Rohfassung dieser Arbeit, Maria Brauer für die Unterstützung bei der korrekten Rechtschreibung und Grammatik, Dr. Susann Richter und Prof. Monika Scheidler für die vielfältigen Anregungen im Rahmen unseres privaten Mentorenprogramms und allen, die namentlich nicht genannt sind, aber dennoch zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben.
8
Vorwort
Starken Rückhalt habe ich während der gesamten Zeit in meiner Familie gefunden. Ihr danke ich besonders für ihren unerschütterlichen Glauben an das Gelingen meines Vorhabens, besonders in Zeiten, in den ich das nicht so gesehen habe.
Dresden, den 6. August 2008
Tina Gehlert
Zusammenfassung
Straßenbenutzungsgebühren zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme in Städten rücken immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses politischer Entscheidungsträger. Aufgrund der mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerung sind sie aber bisher nur selten implementiert worden. Derzeit wird versucht, die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren zu erhöhen, indem Straßenbenutzungsgebühren zeitlich befristet eingeführt und so dessen Potenzial zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme in Städten demonstriert wird. Allerdings gibt es derzeit nur sehr wenige empirische Studien, die sich systematisch mit der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren und den zugrundeliegenden Mechanismen beschäftigen. Daher ist der Erfolg dieser Strategie trotz des erheblichen finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwandes gegenwärtig noch offen. Aus psychologischer Sicht ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren interessant. Aus der Einstellungsforschung ist bekannt, dass Änderungen im eigenen Verhalten Rückwirkungen auf die Einstellung haben können. Insbesondere einstellungskonträres Verhalten kann laut Dissonanztheorie zu einer Einstellungsänderung führen (Bohner & Wänke, 2002). Das Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, die Akzeptanzänderung und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren in Städten systematisch zu untersuchen. Insbesondere die Rolle der Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung wird analysiert. Daraus leiten sich folgende Forschungsfragen ab: 1. Wie verändert sich die Akzeptanz mit der Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren? 2. Wie passen Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren an? 3. Welche Rolle spielt die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung?
10
Zusammenfassung
4. Gibt es individuelle Unterschiede bei der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an städtische Straßenbenutzungsgebühren? Die Beantwortung dieser Forschungsfragen setzt eine zumindest teilweise Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren voraus. Aufgrund der mangelnden Implementierung solcher Preissysteme kam die Konzeption und Durchführung einer eigenen empirischen Untersuchung jedoch nicht in Betracht. Stattdessen wurde eine Sekundäranalyse eines bereits vorhandenen Datensatzes durchgeführt. Dafür wurden die Daten des AKTA (Afgifter i Københavns Trafik) road pricing Experimentes aus Kopenhagen (DEN) genutzt (vgl. Nielsen, 2004a, für einen Überblick). Ziel des AKTA Experimentes war es, die Wirkung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten von Pkw-Nutzern zu untersuchen. Dazu wurden drei verschiedene, räumlich und zeitlich differenzierte, Preissysteme simuliert: 1. ein kilometerbasiertes Hochpreissystem: e 0.67 (5 DKK) pro Kilometer in der Innenstadt, reduziert auf e 0.13 (1 DKK) in den Außenbezirken; außerhalb der Hauptverkehrszeiten wurde die Gebühr um jeweils die Hälfte reduziert. 2. ein kilometerbasiertes Niedrigpreissystems: e 0.33 (2.50 DKK) pro Kilometer in der Innenstadt, reduziert auf e 0.07 (0.50 DKK) in den Außenbezirken; die Gebühr wurde nur in den Hauptverkehrszeiten erhoben. 3. ein Kordonpreissystem: e 1.61 (12 DKK) pro Querung in der Innenstadt, reduziert auf e 0.26 (2 DKK) pro Kilometer in den Außenbezirken; außerhalb der Hauptverkehrszeiten wurde die Gebühr um jeweils die Hälfte reduziert. Die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren wurde vor und nach dem Experiment durch einen Fragebogen erhoben. Das Mobilitätsverhalten der Pkw-Nutzer wurde durch eine GPS-basierte On-Board Unit (OBU) erfasst, die vor dem Feldversuch in den Pkws installiert wurde. Die OBU erfasste und speicherte die Positionsdaten des Fahrzeuges. Im Anschluss an das Experiment wurden diese Daten heruntergeladen und weiterverarbeitet. Des Weiteren wurden die Probanden nach dem Experiment mittels eines Fragebogens zu ihren Strategien zur Verhaltensanpassung während des Experimentes befragt. 516 Probanden nahmen an dem AKTA Feldversuch teil. Im Ergebnis zeigt sich eine unerwartet hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment. Dem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren stimmen 72.3 % der Probanden zu. Im Gegensatz zu bisherigen Studien wurde
Zusammenfassung
11
eine Paketlösung, bestehend aus Straßenbenutzungsgebühren und der bevorzugten Einnahmenverwendung, den Straßenbenutzungsgebühren als Einzelmaßnahme nicht vorgezogen (vgl. z. B. Schade & Schlag, 2001; Jones, 2001; Lyons, Dudley, Slater & Parkhurst, 2004). Einer solchen Paketlösung stimmen lediglich 44.0 % der Probanden zu. Vergleichbare Ergebnisse zeigen sich bei einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, die parallel zur AKTA Vorbefragung stattfand. Das bedeutet, dass die vergleichsweise hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nicht ausschließlich auf eine Stichprobenverzerrung zurückzuführen ist. Angesichts der hohen Akzeptanz vor dem Experiment war es sehr wahrscheinlich, dass es, im Sinne eines Deckeneffektes, keine weitere Zunahme der Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren nach dem AKTA Feldexperiment geben würde. Allerdings zeigt ein anderes Feldexperiment, der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER), dass die Akzeptanz auch bei hohen Ausgangswerten ein hoch dynamisches psychologisches Konzept ist. Hier wurde eine negative Akzeptanzänderung nach dem Feldversuch beobachtet. Die Analyse der Akzeptanzänderung des AKTA Feldexperimentes zeigt jedoch keine signifikante Änderung als Reaktion auf den Feldversuch. Im Gegensatz dazu lassen sich beim Mobilitätsverhalten statistisch signifikante Reduktionen der Pkw-Nutzung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren nachweisen. So reduziert sich die durchschnittliche Anzahl der Wege pro Tag um 0.32 Wege, die Wegelänge um zweieinhalb Kilometer und die Wegedauer um knapp 5 Minuten. Die durchschnittlichen Wegekosten pro Tag sinken um e 0.45 (3.41 DKK) auf e 2.75 (2.41 DKK). Damit werden alle angestrebten Verhaltenseffekte von Straßenbenutzungsgebühren erreicht. Passend dazu gibt etwa die Hälfte der Probanden an, als Folge der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ihre Mobilitätsgewohnheiten zumindest teilweise geändert und Gebühren eingespart zu haben. Keine systematischen Zusammenhänge können für die Anpassung des Mobilitätsverhaltens und die Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren nachgewiesen werden. So zeigen sich in der Korrelationsanalyse keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen der Reduktion der GPSbasierten Wegeindikatoren und der Akzeptanzänderung. Zwischen den subjektiven Anpassungsstrategien und der Akzeptanzänderung zeigten sich nur einzelne, kleine statistisch signifikante Zusammenhänge. Allerdings lassen sich diese Zusammenhänge nicht in das Erklärungsmuster der Dissonanztheorie einordnen. Eine mögliche Erklärung für den fehlenden Zusammenhang zwischen Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens ist, dass die tatsächliche Einführung von städtischen Preissystemen in einem Feldexperiment wie AKTA nur bedingt simuliert werden kann. Das bedeutet, dass die Änderung der Le-
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Zusammenfassung
benssituation der Probanden im Feldexperiment im Vergleich zu einer stadtweiten Einführung wieder rückgängig zu machen und damit nicht tiefgreifend ist. Diese Tatsache ist den Probanden bewusst und führt möglicherweise dazu, dass selbst durch einstellungskonträres Verhalten keine kognitive Dissonanz entsteht, die es aufzulösen gilt. Oder aber die kognitive Dissonanz wurde auf andere Art als die Akzeptanzänderung reduziert. Beispielswiese bietet die Teilnahme an einem Feldversuch eine Rechtfertigung für das einstellungskonträre Mobilitätsverhalten. Alternativ muss in Betracht gezogen werden, dass andere Ursachen allein oder in Kombination mit der Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die positive Akzeptanzänderung in den Städten mit Preissystemen verantwortlich sind. Im Vergleich zu einer stadtweiten Einführung fehlten beim AKTA Feldversuch wichtige Komponenten, die auch als Gründe für eine Akzeptanzänderung in Frage kommen. Dazu gehören insbesondere die Netzeffekte, d. h. die sichtbaren Auswirkungen der individuellen Reduktionen auf das Gesamtsystem Verkehr. Des Weiteren ist die Einführung städtischer Preissysteme in der Regel von einer intensiven politischen Debatte und Medienberichterstattung begleitet, die hier ebenfalls fehlte. So zeigte sich beispielsweise in London und Stockholm eine der Akzeptanz vergleichbare positive Änderung in der Art und Weise sowie dem Ton der Medienberichterstattung (vgl. Gaber, 2004; Söderholm, 2006). Wenn diese Faktoren und nicht die Verhaltensanpassung der Probanden selbst für die Akzeptanzänderung ausschlaggebend sind, ist es plausibel, dass sich in einem Feldexperiment wie AKTA keine Akzeptanzänderung zeigt. Um diese Alternativerklärungen in zukünftigen Untersuchungen prüfen zu können, ist es notwendig, die Komplexität der Auswirkungen eines Preissystems auf die Bürger und das mögliche Zusammenwirken dieser Effekte zu berücksichtigen. Die gegenwärtige Evaluationspraxis städtischer Preissysteme ist jedoch durch eine separate Betrachtungsweise der Einzeleffekte gekennzeichnet (Gehlert & Nielsen, 2007). Daher ist es notwendig, dass die Evaluation städtischer Straßenbenutzungsgebühren zukünftig dem integrierten Ansatz dieser Arbeit folgt. Das bedeutet, dass sich die beteiligten Disziplinen, die die einzelnen Effekte bisher separat untersucht haben, methodisch besser abstimmen und koordinieren müssen, um die neu aufgeworfenen Fragen dieser Dissertation zu klären.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
5
Vorwort
7
Zusammenfassung
9
1 Einleitung
23
2 Begriffsdefinitionen 2.1 Verkehrsbezogene Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Psychologische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 29
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten 3.1 Norwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 London (UK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Edinburgh (UK) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Stockholm (SWE) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER) 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
33 36 43 49 52 59 62
4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren 4.1 Psychologische Akzeptanzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Mobilitätsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten . . . 4.4 Der Einfluss soziodemographischer Faktoren . . . . . . . . . . .
69 69 75 86 91
5 Fragestellungen und Hypothesen
95
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
6 Methoden 101 6.1 Die Sekundäranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 6.2 Das AKTA Feldexperiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
14
Inhaltsverzeichnis
6.3
Auswertung der Sekundäranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
7 Ergebnisse 7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . 7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Soziodemographische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . .
147 147 157 168 178
8 Diskussion 191 8.1 Akzeptanzänderung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren 192 8.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren 197 8.3 Die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Ursache für die Akzeptanzänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 8.4 Soziodemographische Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . 206 9 Resümee
211
Literaturverzeichnis
215
A Anhang
235
Tabellenverzeichnis
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 4.1 4.2
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11 6.12
Überblick über die ausgewählten Beispiele städtischer Preissysteme und ihr Bezug zu den Forschungsfragen der Dissertation . . . . . . . Beschreibung der Stadtmauten in Bergen, Oslo & Trondheim . . . . Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens in London . . . . . . Die Einschätzung der Erschwinglichkeit der Gebühren vor und nach der Einführung des städtischen Preissystems in London . . . . . . . Zeitplan der Konzeption städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Edinburgh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung des MobilPASS Feldversuches in Stuttgart . . . . . . Hierarchische Struktur des Mobilitätsverhaltens . . . . . . . . . . . Hierarchische Struktur der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungen innerhalb des AKTA Projektes . . . . . . . . . . . Charakterisierung der simulierten Preissysteme des AKTA Feldexperimentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitlicher Ablauf des AKTA Feldexperimentes . . . . . . . . . . . . Stichprobengröße des AKTA Feldexperimentes . . . . . . . . . . . Zuordnung der Probanden zu den Versuchsbedingungen des AKTA Feldexperimentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuordnung der Wegeindikatoren der Sekundäranalyse zu den Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . Stichprobengröße der Sekundäranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsplan der Sekundäranalyse . . . . . . . . . . . . . . . Versuchsplan zur Fragestellung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuchsplan zur Fragestellung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuchsplan zur Fragestellung 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antwortskalen der Vor- und Nachbefragung . . . . . . . . . . . . .
35 37 47 47 50 60 81 83 108 110 112 114 115 128 129 132 134 135 136 138
16
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9
7.10
7.11
7.12
7.13 7.14
7.15 7.16 7.17
Tabellenverzeichnis
Akzeptanz vor der Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Häufigkeit in %) . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede in der Akzeptanzänderung zwischen den drei Preissystemen (Rangvarianzanalyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung der wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der univariaten Varianzanalyse der GPS-basierten Wegeindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren für den Reihenfolgefaktor im Vergleich (M(SD)) . . . . . . . . . Kostenreduktion während des Experimentes (relative Häufigkeit der Zustimmung in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Fahrtroute (relative Häufigkeit in %) . . . . . . . . . . . . Zusammenhang zwischen der Reduktion der GPS-basierten Wegeindikatoren und den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung (Spearman’s ρ ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bivariate Korrelation zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorhersage der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment durch die Akzeptanz vor dem Experiment, die Reduktion in der Anzahl der Wege sowie deren Interaktionsterm . . . . Vorhersage der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment durch die Akzeptanz vor dem Experiment, die Reduktion der Wegedauer sowie deren Interaktionsterm . . . . . . . . . Stichprobengröße der Teilstichproben zur Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von dissonantem und konsonantem Mobilitätsverhalten . Zusammenfassung der Ergebnisse der Signifikanztests auf Zusammenhänge zwischen der Akzeptanzänderung und den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristik der Personengruppen gleicher Lebenslage . . . . . . . Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 154 154 156 160 161 162 164
165
169
171
172 173
175 180 182 183
Tabellenverzeichnis
7.18
7.19 7.20 7.21
7.22 A.1 A.2
A.3
A.4
Soziodemographische Unterschiede der Änderung der wahrgenommenen Effektivität und der Einnahmenverwendung von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korrelation zwischen der Akzeptanzänderung und dem Haushaltseinkommen (Spearman’s ρ ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziodemographische Unterschiede in der Reduktion der GPSbasierten Wegeindikatoren (N = 139) . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziodemographische Unterschiede in den subjektiven Strategien der Anpassung des Mobilitätsverhaltens (Relative Häufigkeit (%) der Zustimmung („Ja“ und „teils Ja“)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziodemographische Unterschiede in der Wahl der Fahrtroute . . . Erhobene Variablen zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren Bivariate Korrelationsanalyse der Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz vor der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bivariate Korrelationsanalyse der Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der GPS-basierten Wegeindikatoren der Kontroll- und Preisbedingung (M(SD)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
184 185 186
187 187 236
237
238 239
Abbildungsverzeichnis
1.1
Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Kurzfristiger Akzeptanzverlauf der norwegischen Stadtmauten . . . Langfristiger Akzeptanzverlauf in Trondheim . . . . . . . . . . . . Langfristiger Akzeptanzverlauf in Oslo . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gebührenzone in London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akzeptanzverlauf des städtischen Preissystems in London . . . . . . Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl nach Einführung des Preissystems in Abhängigkeit vom Wohnort . . . . . . . . . . . . . . . . Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Edinburgh . . Der Kordon um die Innenstadt Stockholms . . . . . . . . . . . . . . Akzeptanz des zeitlich befristeten städtischen Preissystems in Stockholm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akzeptanz der permanenten Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Stockholm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Verkehrsaufkommens in Stockholm . . . . . . . . Die Akzeptanz des MobilPASS Feldversuches in Stuttgart . . . . . . Die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren im Zeitverlauf
39 40 41 44 45
3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 6.1 6.2 6.3 7.1 7.2 7.3 7.4
Aufteilung des AKTA Demonstrationsgebietes in Tarifzonen sektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . On-Board Unit (OBU) des AKTA Feldversuches . . . . . . . Ablauf der Datenerhebung des AKTA Feldexperimentes . . .
48 51 53 54 55 58 61 65
und . . . . 109 . . . . 111 . . . . 116
Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren im Vergleich . . . . . . Unterschiede in der Akzeptanzänderung nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren zwischen den drei Preissystemen . . . . . . Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens . . . . . . . . . . . . Aufteilung der Gesamtstichprobe in drei Personengruppen gleicher Lebenslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149 155 163 179
20
7.5
Abbildungsverzeichnis
Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanzänderung vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . 183
Abkürzungsverzeichnis
AKTA CTT CUPID DDI DLR DKK ELM GPS HOT HOV HSM KI MIV MobilPASS NOK OBU ÖPNV PRoGReSS Psychdata Rs SEK SGB SPSS ZPID
Afgifter i Københavns Trafik (Alternative driving and congestion charging) Centre for Traffic and Transport, Technische Universität Dänemark Co-ordinating Urban Pricing Integrated Demonstrations Data Documentation Initiative Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Dänische Krone Elaborationswahrscheinlichkeitsmodell Globales Positionsbestimmungssystem High Occupancy Toll High Occupancy Vehicle Heuristisch-systematische Modell Konfidenzintervall motorisierter Individualverkehr Mobility Pricing by Automatic Systems Norwegische Krone On-Board Unit Öffentlicher Personennahverkehr Pricing Road use for Greater Responsibility, Efficiency and Sustainability in Cities Psychologisches Datenarchiv standardisierte Residuen Schwedische Krone Straßenbenutzungsgebühren Statistical Package for the Social Sciences Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation
1 Einleitung
Die Verkehrsentwicklung ist durch eine starke Zunahme des motorisierten Individualverkehrs (MIV), insbesondere des Pkw, gekennzeichnet. Beispielsweise hat sich der Pkw-Bestand in Deutschland von 1960 bis 2006 von 4.4 Mio. Fahrzeugen auf 46 Mio. Fahrzeugen mehr als verzehnfacht (Schlag & Schade, 2007). Im Jahr 2006 kamen in Deutschland 541 Pkw auf 1 000 Einwohner (European Commission, 2006). Dies entspricht einer Quote von 1.85 % Pkw pro Einwohner. Die negativen Folgen dieses Verkehrswachstums sind besonders in Städten sehr deutlich zu beobachten (Bratzel, 1999). Verkehrsstaus, Lärm- und Luftverschmutzung und damit verbunden eine sinkende Lebensqualität sind nur einige der negativen Konsequenzen, die der Anstieg des MIV nach sich zieht (Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2005). So sind Pkws mittlerweile zur Hauptquelle der Luftverschmutzung in Städten geworden (European Environment Agency, 1996). Zur Lösung dieser Probleme rücken Straßenbenutzungsgebühren immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses der politischen Entscheidungsträger. Besonders in Ballungsräumen und innerstädtischen Gebieten, in denen es vor allem auf eine effizientere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur ankommt, werden Straßenbenutzungsgebühren als vielversprechende Alternative zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme betrachtet (Mock-Hecker & Würtenberger, 1998; Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2005). Die Vorteile von Straßenbenutzungsgebühren im Vergleich zu anderen verkehrspolitischen Maßnahmen fasst Schade (2005) wie folgt zusammen: • Straßenbenutzungsgebühren haben sich als effektives Instrument zur Steuerung des Mobilitätsverhaltens erwiesen. • Sie können hinsichtlich des zeitlichen und finanziellen Aufwandes sehr flexibel ausgestaltet und ebenso schnell an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden. • Sie generieren zusätzliche Einnahmen mit denen ergänzende Verkehrsangebote finanziert werden können, die aufgrund der angespannten Haushaltslage der Kommunen sonst nicht realisierbar wären.
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1 Einleitung
Trotzdem sind Straßenbenutzungsgebühren in Städten bisher nur selten implementiert worden. Entscheidendes Hemmnis ist die mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung, d. h. die mangelnde positive Einstellung gegenüber Straßenbenutzungsgebühren (Seidel, Schade & Schlag, 2004; Gärling & Loukoloulos, 2007). Derzeit wird versucht, die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren zu erhöhen, indem Straßenbenutzungsgebühren zeitlich befristet eingeführt werden, um das Potenzial zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme in Städten zu zeigen. So führte die Stadt Stockholm (Schweden) im Jahr 2006 ein städtisches Preissystem versuchsweise für einen Zeitraum von sieben Monaten ein. Ein anderes Beispiel ist das von der Europäischen Kommission initiierte Projekt PRoGReSS. In acht europäischen Städten wurden städtische Straßenbenutzungsgebühren eingeführt oder in Feldversuchen demonstriert (PRoGReSS, 2004a). Allerdings ist der Erfolg dieser Strategie trotz des erheblichen finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwandes offen. Derzeit gibt es nur sehr wenige empirische Studien, die sich systematisch mit der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren und den zugrundeliegenden Mechanismen beschäftigen. Aus psychologischer Sicht ist in diesem Zusammenhang vor allem die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren interessant. Aus der Einstellungsforschung ist bekannt, dass Veränderungen im eigenen Verhalten Rückwirkungen auf die Einstellung haben können. Insbesondere einstellungskonträres Verhalten kann zu einer Einstellungsänderung führen (Bohner & Wänke, 2002). Das Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, die Akzeptanzänderung und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren in Städten systematisch zu untersuchen. Insbesondere die Rolle der Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung wird analysiert werden. Somit lassen sich für diese Arbeit folgende Forschungsfragen ableiten: 1. Wie verändert sich die Akzeptanz mit der Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren? 2. Wie passen Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren an? 3. Welche Rolle spielt die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung? 4. Gibt es individuelle Unterschiede in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens? Die Beantwortung dieser Forschungsfragen setzt zumindest teilweise die Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren voraus. Aufgrund der man-
1 Einleitung
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gelnden Implementierung solcher Preissysteme kam eine eigene empirische Untersuchung nicht in Betracht. Stattdessen wurde eine Sekundäranalyse eines bereits vorhandenen Datensatzes durchgeführt. Dazu wurden die Daten des AKTA road pricing Experimentes in Kopenhagen (Dänemark) genutzt. Nur so sind die aufgeworfenen Forschungsfragen gegenwärtig zu untersuchen und damit eine Weiterentwicklung des Gegenstandsbereiches möglich. Der Aufbau dieser Arbeit ist in Abbildung 1.1 dargestellt. Dieser Einleitung folgt ein Begriffskapitel, das alle wichtigen Begriffe und deren Verwendung kurz beschreibt. Straßenbenutzungsgebühren sind ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand. Daher beinhaltet diese Arbeit nicht nur psychologische Fachbegriffe, sondern auch Begriffe anderer Disziplinen. Auch wenn hier eine primär psychologische Perspektive eingenommen wird, ist für das Verständnis der Arbeit die Kenntnis aller zentralen Begriffe erforderlich. Anschließend wird im Kapitel 3 ein Überblick über die Erfahrungen von Städten hinsichtlich der Akzeptanz und des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren gegeben. Im Kapitel 4 werden die psychologischen Ansätze zur Erklärung der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren vorgestellt. Des Weiteren werden die theoretischen Ansätze zur Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten und zu den soziodemographischen Unterschieden in der Akzeptanz und dem Mobilitätsverhalten beleuchtet. Aus den praktischen Erfahrungen aus Kapitel 3 und den theoretischen Grundlagen aus Kapitel 4 werden schließlich im Kapitel 5 die Hypothesen zu den vier Forschungsfragen dieser Arbeit abgeleitet. Im Kapitel 6 werden die Methoden zur Überprüfung der Hypothesen dargestellt. Da die Sekundäranalyse eines bereits vorhandenen Datensatzes ein bisher wenig genutzter Ansatz zur Hypothesenprüfung ist, beginnt der Methodenteil mit einer Beschreibung dieses Forschungsansatzes. Anschließend wird die Primäruntersuchung, das AKTA road pricing Experiment in Kopenhagen (Dänemark), vorgestellt. Das Kapitel endet mit einer Beschreibung der Auswertung des Datensatzes im Rahmen der Sekundäranalyse. Im Kapitel 7 werden die Ergebnisse dargestellt. Zunächst werden die Ergebnisse zur Akzeptanzänderung und zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren separat beschrieben. Danach werden die Ergebnisse zur Beziehung zwischen beiden Konstrukten präsentiert. Den Abschluss dieses Kapitels bilden die Ergebnisse zu den soziodemographischen Unterschieden in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Im Kapitel 8 werden die Ergebnisse unter Rückgriff auf die theoretischen Ansätze interpretiert, diskutiert und einer methodenkritischen Bewertung unterzogen.
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1 Einleitung
Der Aufbau dieses Kapitel folgt im Wesentlichen dem Aufbau des Ergebnisteils. Die Arbeit endet mit einem Resümee. 0
Einleitung
1
Begriffsdefinitionen 1.1 Verkehrsbezogene Begriffe 1.2
2
Psychologische Begriffe
Straßenbenutzungsgebühren in Städten
3
2.2
Psychologische Grundlagen Psychologische 3.1 Akzeptanzmodelle
2.1 Norwegen
2.3 Edinburgh
2.6 Zusammenfassung
3.3
Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
3.4
Soziodemographische Unterschiede
2.4 Stockholm 2.5
3.2 Mobilitätsverhalten
London
Stuttgart
4
Fragestellungen und Hypothesen
5
Methoden 5.1
Sekundäranalyse
5.2
Akta Feldexperiment
5.3 Auswertung der Sekundäranalyse
6
Ergebnisse 6.1 6.3
Akzeptanz
6.2 Mobilitätsverhalten
Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
6.4 Soziodemographische Unterschiede
7
Diskussion 7.1 7.3
Akzeptanz
7.2 Mobilitätsverhalten
Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
7.4 Soziodemographische Unterschiede
8
Resümee
Abbildung 1.1: Aufbau der Arbeit
2 Begriffsdefinitionen
Straßenbenutzungsgebühren sind ein interdisziplinärer Forschungsgegenstand. Daher beinhaltet diese Arbeit nicht nur psychologische Fachbegriffe, sondern auch Begriffe anderer Disziplinen. Auch wenn hier eine primär psychologische Perspektive eingenommen wird, ist für das Verständnis der Arbeit die Kenntnis aller zentralen Begriffe erforderlich. Daher wird den inhaltlichen Teilen der Arbeit dieses Begriffskapitel vorangestellt, das alle wichtigen Begriffe und deren Verwendung beschreibt. Im Wesentlichen wird auf gut eingeführte Fachbegriffe zurückgegriffen. Daher wird auf eine umfangreiche Begriffsklärung verzichtet. Stattdessen beschränkt sich dieses Kapitel auf eine kurze Definition der Begriffe wie sie in dieser Arbeit verwendet werden. Im Folgenden werden zuerst die verkehrsbezogenen und anschließend die psychologischen Begriffe definiert.
2.1 Verkehrsbezogene Begriffe Städtische Straßenbenutzungsgebühren (SGB) sind Gebühren, die vom fließenden, motorisierten Individualverkehr für die Nutzung der innerstädtischen Straßen erhoben werden. Straßenbenutzungsgebühren werden als Instrument zur Lenkung der Verkehrsnachfrage oder zur Finanzierung neuer Verkehrsinfrastruktur eingesetzt. Bei der Lenkungsfunktion werden die Verkehrsteilnehmer durch die Gebühren motiviert, ihre Pkw-Nutzung zu reduzieren und/oder effizienter zu gestalten. In der Folge reduziert sich das Verkehrsaufkommen in dem bepreisten Gebiet und/oder die vorhandene Infrastruktur wird effizienter genutzt. Das Verkehrsaufkommen wird definiert als die Zahl der Fahrzeuge in einem bestimmten räumlichen Gebiet und zeitlichen Intervall (Ammoser & Hoppe, 2006, S. 23). Relevante Bereiche für die Bestimmung der Lenkungswirkung von Straßenbenutzungsgebühren in Städten sind das bepreiste Gebiet, die Gebietsgrenzen aber
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2 Begriffsdefinitionen
auch angrenzende Straßen außerhalb des bepreisten Gebietes. Relevante Zeiträume sind die Wochentage und die Hauptverkehrszeiten. Bei der Finanzierungsfunktion steht die Finanzierung der Straßeninfrastruktur im Mittelpunkt. Durch Straßenbenutzungsgebühren werden zusätzliche Finanzmittel eingenommen und für Infrastrukturprojekte verwendet. Aufgrund der Preisgestaltung, die sich aus der Lenkungs- bzw. Finanzierungsfunktion ergibt, schließen sich diese beiden Ziele teilweise aus. Um eine Lenkung der Verkehrsnachfrage zu erreichen, müssen hohe Anreize bzw. Gebühren festgesetzt werden. Bei Straßenbenutzungsgebühren mit Finanzierungsfunktion wird dagegen die Höhe der Gebühr niedriger angesetzt, um keine oder nur eine geringe Verhaltensänderung der Verkehrsteilnehmer zu erzeugen und sie so als Gebührenzahler zu erhalten (vgl. Hölzer, 2004). Beide Zielsetzungen sind als Endpunkte eines Kontinuums zu verstehen. Das heißt, dass auch Systeme mit Finanzierungsfunktion Lenkungswirkungen erzielen und umgekehrt. Daraus folgt, dass bei der Implementierung eines städtischen Preissystems immer eine Zielpriorisierung vorgenommen werden muss. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Wirkung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten. Das bedeutet, dass die Straßenbenutzungsgebühren untersucht werden, die primär zur Verhaltensänderung und damit zur Lenkung der Verkehrsnachfrage konzipiert und eingeführt worden sind. Im deutschsprachigen Raum werden die Begriffe City-Maut oder Innenstadtmaut synonym für städtische Straßenbenutzungsgebühren verwendet. 1 Die Verwendung des Begriffes Maut ist jedoch traditionell mit der Finanzierungsfunktion von Straßenbenutzungsgebühren assoziiert (Aberle, 2003). Daher wird der Begriff der Stadtmaut bzw. Innenstadtmaut in dieser Arbeit auch nur für die Straßenbenutzungsgebühren mit einer expliziten Finanzierungsfunktion verwendet. Für Straßenbenutzungsgebühren mit Lenkungsfunktion dagegen werden die Begriffe städtische Straßenbenutzungsgebühren oder städtische Preissysteme synonym genutzt. Durch Straßenbenutzungsgebühren werden Gelder vereinnahmt, die zuerst einmal für die Installation und den Betrieb eines solchen Preissystems verwendet werden. Die übrigen Gelder stehen der öffentlichen Hand für andere Aufgaben zur Verfügung. Die Verwendung dieser Gelder wird in der Literatur unter dem Begriff der Einnahmenverwendung diskutiert. Die Einnahmenverwendung hat sich als zentraler Ansatzpunkt für die Sicherstellung der Akzeptanz eines städtischen Preissystems erwiesen. Es hat sich gezeigt, dass Straßenbenutzungsgebühren besser akzeptiert werden, wenn die Einnahmen zurück in den Verkehrsbereich und nicht in den allgemeinen Haushalt 1
Im englischsprachigen Raum werden für Straßenbenutzungsgebühren die Begriffe road pricing, road user charging, congestion charging oder value pricing weitestgehend synonym verwendet.
2.2 Psychologische Begriffe
29
fließen (vgl. z. B. Schade & Schlag, 2000; Schuitema & Steg, 2005). Des Weiteren werden Investitionen in alternative Verkehrsmittel, z. B. den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), der Investition in die Straßeninfrastruktur vorgezogen (vgl. z. B. Schlag & Schade, 2000; Jones, 2001; Jakobsson, Fujii & Gärling, 2000). Aus diesem Grund werden städtische Preissysteme als Maßnahmenpaket konzipiert, bestehend aus städtischen Straßenbenutzungsgebühren und der Investition der Einnahmen in alternative Verkehrsmittel (vgl. dazu auch Goodwin, 1989). Eine solche Paketlösung erhält in etwa doppelt so hohe Zustimmungsraten im Vergleich zu städtischen Straßenbenutzungsgebühren als Einzelmaßnahme (vgl. z. B. Schade & Schlag, 2001; Jones, 2001; Lyons et al., 2004). Städtische Preissysteme können sehr flexibel konzipiert und umgesetzt werden (für einen Überblick vgl. Schade, 2005, S. 29ff). Eine wesentliche Komponente dieser Umsetzung ist die räumliche Gestaltung des Preissystems. Städte, die bisher Preissysteme eingeführt haben, entschieden sich entweder für ein Kordonsystem oder ein Gebietssystem. 1. Kordonsystem: Beim Kordonsystem wird ein Ring (der sogenannte Kordon) um ein bestimmtes Gebiet, beispielsweise die Innenstadt, gezogen. Für die Querung dieses Kordons wird eine Gebühr erhoben. Das kann sowohl stadteinwärts als auch stadtauswärts oder in beide Richtungen geschehen. Zur stärkeren räumlichen Differenzierung des Systems kann das Gebiet auch in mehrere Kordons eingeteilt werden (multiples Kordonsystem). Beispiele für ein einfaches Kordonsystem sind die norwegischen Städte Oslo und Bergen (vgl. Kapitel 3.1), Stockholm (SWE, vgl. Kapitel 3.4) und der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER, vgl. Kapitel 3.5). Beispiele für ein multiples Kordonsystem sind die Städte Trondheim (NOR, vgl. Kapitel 3.1) und Edinburgh (UK, vgl. Kapitel 3.3). 2. Gebietssystem: Auch beim Gebietssystem wird ein bestimmter Bereich der Stadt bepreist. Anders als beim Kordonsystem, bei dem nur für die Einbzw. Ausfahrt in den Kordon bezahlt werden muss, ist beim Gebietssystem auch jede Fahrt innerhalb des Gebietes kostenpflichtig. Ein Beispiel für ein Gebietssystem ist London (UK, vgl. Kapitel 3.2).
2.2 Psychologische Begriffe In Anlehnung an Schade (2005) wird Akzeptanz in dieser Arbeit als positive Einstellung gegenüber Straßenbenutzungsgebühren definiert, die sich in der verbalen
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2 Begriffsdefinitionen
Zustimmung und in der Bereitschaft zu entsprechendem Verhalten ausdrückt (für eine ausführliche Begriffsklärung vgl. Schade, 2005, S. 41ff). Die Akzeptanz ist ein subjektgebundener Begriff. Das bedeutet, dass sie an Personen gebunden ist, die eine positive Einstellung entwickeln und entsprechend handeln. Da das Ziel städtischer Preissysteme die Lenkung und Reduktion der Pkw-Nutzung ist, sind die relevanten Personen in diesem Kontext die Pkw-Nutzer. Nur wenn sie städtische Straßenbenutzungsgebühren akzeptieren und bereit sind, ihre Pkw-Nutzung zu ändern, können die intendierten Lenkungswirkungen erzielt werden. Daher stehen sie im Mittelpunkt dieser Arbeit. Die Definition von Akzeptanz beinhaltet die Bereitschaft zu entsprechendem Verhalten. Das wirft die Frage auf, welches Verhalten hier im Mittelpunkt stehen soll. Das Ziel städtischer Preissysteme ist die Lenkung und Reduktion der PkwNutzung. Deshalb liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Pkw-Nutzung. Dies ist jedoch nur ein kleiner Ausschnitt des gesamten Mobilitätsverhaltens einer Person. Das Mobilitätsverhalten wird in dieser Arbeit definiert als die realisierte Fortbewegung bzw. die Ortsveränderung einer Person im öffentlichen Raum. Eine solche Ortsveränderung kann: • • • • •
zu einem bestimmten Anlass, mit einer bestimmten Häufigkeit, mit einem bestimmten Ziel, zu einer bestimmten Zeit und mit einem bestimmten Verkehrsmittel
durchgeführt werden. Diese Dimensionen stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. So geht z. B. der Weg zum Arbeitsplatz in der Regel mit einem festen Ziel, einer bestimmten Zeit und einer Regelmäßigkeit einher. Im Gegensatz dazu werden Wege in der Freizeit unregelmäßig, zu verschiedenen Zeiten und manchmal sogar ohne ein bestimmtes Ziel zurückgelegt. Wie in der Einleitung bereits dargelegt wurde, ist in Städten insbesondere die stark gestiegene Nutzung des Pkw problematisch. Städtische Straßenbenutzungsgebühren zielen demnach auf die Reduktion des Pkw als Verkehrsmittel. Die Anpassung bzw. Veränderung des Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf städtische Preissysteme beschränkt sich jedoch nicht auf die Wahl eines anderen Verkehrsmittels. Genauso können Fahrten mit dem Pkw ganz unterlassen oder zu anderen (unbepreisten) Zeiten durchgeführt werden. Im Kapitel 3 werden die Veränderungen des Mobilitätsverhaltens beschrieben, die in den Städten mit Preissystemen beobachtet wurden. Im Kapitel 4.2.3 und Kapitel 4.2.4 werden die theoretischen Ansätze zur Erklärung der Anpassung des Mobilitätsverhaltens vorgestellt.
2.2 Psychologische Begriffe
31
Das Mobilitätsverhalten ist in hohem Maße durch Gewohnheiten geprägt. Eine Gewohnheit ist die Tendenz, das gleiche Verhalten unter stabilen, unterstützenden Bedingungen zu wiederholen (Schlag & Schade, 2007, S. 30). Dieser Begriff wird im Kapitel 4.2.2 weiter spezifiziert und der Einfluss von Gewohnheiten auf die Anpassung des Mobilitätsverhaltens an städtische Preissysteme untersucht. Kapitel 3 wird zeigen, dass das Mobilitätsverhaltens und die Akzeptanz nicht immer in Einklang stehen. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Pkw-Nutzer städtische Straßenbenutzungsgebühren in der Regel nicht akzeptiert, ihr Mobilitätsverhalten aber sehr wohl an die neuen finanziellen Rahmenbedingungen anpasst. Mit dem Begriff der kognitiven Dissonanz werden die Konsequenzen einer solchen Konstellation beschrieben. Kognitive Dissonanz ist ein aversives Gefühl, dass entsteht, wenn zwei relevante Kognitionen einer Person miteinander unvereinbar sind. Kognitive Dissonanz motiviert Menschen, diese zu beseitigen und die Konsistenz der Kognitionen wiederherzustellen (Aronson, Wilson & Akert, 2004, S. 188). Die Theorie der kognitiven Dissonanz und ihre Anwendung auf den Gegenstandbereich städtischer Straßenbenutzungsgebühren werden im Kapitel 4.3 beschrieben.
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Im Jahr 1975 führte Singapur erstmals städtische Straßenbenutzungsgebühren ein. Im Jahr 1998 wurde dieses System sogar erweitert und auf elektronische Gebührenerhebung umgestellt (vgl. z. B. May, 2004; Santos, 2005). Auf lange Zeit blieb dieses System das einzige städtische Preissystem weltweit. Ende der 1980er Jahre wurden dann in Norwegen eine Reihe städtischer Preissysteme implementiert, beispielsweise in Bergen, Oslo und Trondheim. Allerdings sind diese Stadtmauten mit dem Ziel der Finanzierung neuer Infrastruktur und nicht zur Verkehrslenkung eingeführt worden. Bereits seit den 1960er Jahren wird in Großbritannien die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren intensiv diskutiert (vgl. dazu May, 1992; May & Sumalee, 2003). Aber erst im Jahr 2000 wurden die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen (Richards, 2006). Die Stadt Durham nutzte als erste Stadt in Großbritannien diese Möglichkeit und führte im Oktober 2002 ein räumlich sehr begrenztes Preissystem ein (Elphick, 2003). Im Februar 2003 führte London (UK) als erste europäische Metropole städtische Straßenbenutzungsgebühren als Teil eines Verkehrsnachfragemanagements ein (vgl. Richards, 2006). Im Februar 2007 wurde das Gebiet, in dem Straßenbenutzungsgebühren erhoben werden, wesentlich erweitert. Der Erfolg dieses Preissystems gab der Entwicklung städtischer Preissysteme weltweit neuen Auftrieb. In der Folge führte Stockholm (SWE), nach einem gescheiterten Versuch in den 1990er Jahren, im Jahr 2006 ein zeitlich befristetes städtisches Preissystem ein (vgl. Hårsman, 2003; Armelius & Hultkrantz, 2006). Das Preissystem war vom 3. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2006 in Betrieb. In einem anschließenden Referendum votierten 51.3% der Einwohner Stockholms für die permanente Einführung des städtischen Preissystems (City of Stockholm, 2006b). Am 1. August 2007 wurde dieses Preissystem endgültig eingeführt. In Italien wurde der Pkw-Verkehr in den historischen Altstädten bereits durch Fahrverbotszonen reguliert (z. B. in Rom). Seit 2001 überführt Rom diese Fahrverbote schrittweise in ein städtisches Preissystem (Ieromonachou, Potter & Warren, 2006a).
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3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Im Mai 2006 startete das U.S. Department of Transportation unter dem Namen Urban Partnership Agreements eine Initiative zur Verbesserung der Verkehrssituation in Städten. Ziel ist es, ausgewählte Städte bei der Einführung von Preissystemen zur Lenkung und Reduktion der Verkehrsnachfrage durch zusätzliche finanzielle Mittel zu unterstützen. Im August 2007 wurde die erfolgreiche Bewerbung der fünf Städte Seattle, San Francisco, Minneapolis, Miami und New York City für das Programm bekanntgegeben. 1 Neben den Beispielen einer erfolgreichen Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren gibt es eine Reihe von gescheiterten Versuchen, z. B. in Edinburgh (UK, Saunders, 2005), in Hongkong (Hau, 1990) und in den Niederlanden (Boot, Boot & Verhoef, 1999). Andere Städte kamen bisher nicht über das Stadium umfangreicher Feldversuche hinaus. Beispiele sind Cambridge (UK, Ison, 1996, 1998), Stuttgart (GER, FAW, 1995) und Kopenhagen (DEN, Nielsen, 2004a). Dieses Kapitel soll nun einen Überblick über die Erfahrungen der Städte hinsichtlich der Akzeptanz und des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung ihrer Preissysteme geben. Dazu wird eine Auswahl getroffen, da sich nicht alle Städte gleichermaßen dafür eignen. Zuerst erfolgt eine Einschränkung auf europäische Städte, da sich diese Städte in ihrer Raumstruktur und der Verkehrsentwicklung ähneln, jedoch von Städten anderer Kontinente z. B. Nordamerika oder Asien unterscheiden. Von den europäischen Städten wiederum werden nur die einbezogen, bei denen es substanzielle Ergebnisse zu den vier Forschungsfragen dieser Arbeit gibt. Am Ende dieses Auswahlprozesses stehen vier Beispiele städtischer Straßenbenutzungsgebühren, die in dieser Arbeit herangezogen werden: die norwegischen Städte Bergen, Oslo und Trondheim, die englischen Städte London und Edinburgh, die schwedische Hauptstadt Stockholm sowie der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (vgl. Tabelle 3.1). Die norwegischen Stadtmauten wurden primär als Finanzierungsinstrument einführt und entsprechen damit eigentlich nicht dem Rahmen dieser Arbeit. Aus zwei Gründen wurden sie trotzdem ausgewählt. Zum einen wurde die Akzeptanz der Stadtmauten während der Laufzeit kontinuierlich erhoben, so dass hier die einzigen Ergebnisse über den langfristigen Verlauf der Akzeptanz nach der Einführung eines solchen Systems vorliegen. Zum anderen entwickeln sich die norwegischen Stadtmauten inzwischen vom reinen Finanzierungsinstrument weg und schließen Elemente des Verkehrsnachfragemanagements mit ein. In London wurde im Jahr 2003 ein unbefristetes städtisches Preissystem zum Verkehrsnachfragemanagement eingeführt. Diese Einführung wurde von einer um1
vgl. http://www.fightgridlocknow.gov [24.09.2007]
3 Straßenbenutzungsgebühen in Städten
35
Tabelle 3.1: Überblick über die ausgewählten Beispiele städtischer Preissysteme und ihr Bezug zu den Forschungsfragen der Dissertation
Bergen, Oslo, Trondheim (NOR) London (UK) Edinburgh (UK) Stockholm (SWE) Stuttgart (GER)
Kapitel 3.1 Kapitel 3.2 Kapitel 3.3 Kapitel 3.4 Kapitel 3.5
Frage 1
Frage 2
Frage 3
Frage 4
x x (x) x x
(x) x – x x
– – – – –
x x x x x
x = vollständiger Bezug, (x) = teilweiser Bezug , – = kein Bezug Frage 1: Akzeptanzänderung nach der Einführung von SBG Frage 2: Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von SBG Frage 3: Die Rolle der Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung nach der Einführung von SGB Frage 4: Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von SGB
fangreichen Evaluation der Reaktionen der Bürger auf das Preissystem begleitet. Unter anderem wurden die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten erfasst. In Edinburgh wurde die Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren im Jahr 2005 in einem Referendum abgelehnt. Eine wesentliche Komponente bei der Entwicklung des Preissystems war jedoch eine umfassende Bürgerbeteiligung. Beginnend im Jahr 1999 wurde die Bevölkerung in fünf aufeinander folgenden Entwicklungsphasen hinsichtlich ihrer Akzeptanz befragt, so dass hier detaillierte Ergebnisse über den Verlauf der Akzeptanz während der Konzeption und vor der eigentlichen Einführung eines solchen Preissystems vorliegen. Stockholm führte im Jahr 2006 im Rahmen eines sieben Monate währenden Großversuches städtische Straßenbenutzungsgebühren ein. Hier wurden, ähnlich wie in London, ebenfalls umfangreiche Evaluationsstudien zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten durchgeführt. Darüber hinaus lässt sich beobachten, wie sich das Verkehrsaufkommen nach dem Ende des Preissystems entwickelt hat. In Stuttgart wurde bereits in den Jahren 1993 bis 1995 der MobilPASS Feldversuch durchgeführt, in dem die Wirksamkeit städtischer Straßenbenutzungsgebühren getestet werden sollte. Im Mittelpunkt stand die Untersuchung der Akzeptanz und des Mobilitätsverhaltens. Auch hier wurde das Mobilitätsverhalten über die Gebührenerhebung hinaus beobachtet. Darüber hinaus ist dieser Versuch in methodischer Hinsicht interessant, da es sich hier um ein Feldexperiment handelt, bei dem unter kontrollierten Bedingungen die Wirkung auf Akzeptanz und Mobilitätsverhalten untersucht wurde. Die Ergebnisse können die Erkenntnisse der anderen
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3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Städte, die nicht nur Straßenbenutzungsgebühren, sondern komplexe Paketlösungen eingeführt haben, ergänzen. Die Darstellung der einzelnen Beispiele ist wie folgt strukturiert. Zuerst wird das städtische Preissystem kurz charakterisiert. Danach werden die Wirkung auf die Akzeptanz und die soziodemographischen Unterschiede beschrieben. Im Anschluss werden die Anpassung des Mobilitätsverhaltens und die soziodemographischen Unterschiede dargestellt. Ob und wie detailliert diese Struktur für jedes Beispiel ausgefüllt werden kann, ist abhängig von der jeweiligen Datenlage (vgl. Tabelle 3.1). Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung ab. Dort wird der Versuch unternommen, aus den Ergebnissen der Beispielstädte allgemeine Aussagen über die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren in Städten abzuleiten.
3.1 Norwegen 3.1.1 Systembeschreibung Gegenwärtig werden in mehreren norwegischen Städten Straßenbenutzungsgebühren erhoben. Für diese Arbeit wurden die drei umfangreichsten städtischen Preissysteme Norwegens, Bergen, Trondheim und Oslo, ausgewählt. Alle drei Preissysteme entsprechen einem Kordonsystem. Tabelle 3.2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Merkmale dieser Stadtmauten. Bergen führte 1986 als erste norwegische Stadt ein solches Preissystem ein. Im Jahr 2001, nach dem Auslaufen des ersten Investitionspaketes, beschloss Bergen ein zweites Paket. Die Einnahmen werden diesmal sowohl in die Straßeninfrastruktur als auch in den Ausbau alternativer Verkehrsmittel und Verkehrssicherheitsmaßnahmen investiert (Ieromonachou, Potter & Warren, 2006b). Oslos Preissystem startete 1990 und läuft bis Ende 2007. Die Einnahmen werden sowohl in die Straßeninfrastruktur als auch in den Ausbau des ÖPNV investiert. Beispielsweise wurde zeitgleich mit der Einführung der Gebühr ein so finanzierter Tunnel eröffnet, der den Verkehr aus der Innenstadt aufnahm und kurzfristig zu einer spürbaren Senkung des Verkehrsaufkommens beitrug (Tretvik, 2003). Im Jahr 2001 wurde auch hier ein zweites Investitionspaket verabschiedet (Langmyhr, 2003). Einige wichtige Infrastrukturprojekte können aber auch mit diesen Einnahmen nicht finanziert werden. Des Weiteren wird nach dem Auslaufen des zweites Paketes ein erheblicher Anstieg des Verkehrsaufkommen von kurzfristig 8 % bis 10 % und langfristig bis zu 30 % prognostiziert. Deshalb wird
3.1 Norwegen
37
Tabelle 3.2: Beschreibung der Stadtmauten in Bergen, Oslo & Trondheim (in Anlehnung an Tretvik, 2003 und Ieromonachou et al., 2006)
Einwohner Bepreistes Gebiet (km2 ) Einwohner im Kordon Räumliche Differenzierung Laufzeit
Betriebszeit
Gebührenhöheb zeitliche Differenzierung Mautstationen Technologie Einnahmenverwendung
a (x)
Bergen
Oslo
Trondheim
235 000 18
515 000 64
10 %
60 %
150 000 (1)a 24 (2) 50 40 %
nein
nein
ja
(1) 1986 – 2001 (2) 2002 – 2011
(1) 1990 – (2) 2001 – 2007
(1) 1991 – 2005 (2) 1998 & 2003 Erweiterungen des Systems um 8 & 6 zusätzliche Zonen
(1) wochentags 6:00 – 22:00 Uhr (2) werktags 24h (1) 10 NOK (e 1.20) (2) 15 NOK (e 1.80) nein
(1) 7 (2) 9 (1) manuell (2) eletronisch (1) Straße (100 %) (2) Straße (45 %); alternative Verkehrsmittel & Verkehrssicherheit (55 %)
(3) evtl. 2008 täglich 24h
(1) 15 NOK (e 1.20) (2) 20 NOK (e 2.40) nein
wochentags 6:00 – 18:00 Uhr
15 NOK (e 1.80)c
19
Hauptverkehrszeiten: 6:00 – 10:00 & 15:00 – 18:00 12, später 24
elektronischd
elektronisch
(1) Straße (80 %), ÖPNV (20 %) (2) ÖPNV (100 %)
Straße (82 %); Verkehrssicherheit, Umweltschutz & ÖPNV (18 %)
= Nummer des Investitionspaketes. Die Tabelle beschreibt die jeweils letzte bzw. aktuelle Konfiguration (Stand: 1. Juni 2007). b einfache Fahrt für einen Pkw c außerhalb der Hauptverkehrszeiten war die Gebühr geringfügig niedriger d Das System startete mit einer manuellen Gebührenerhebung, aber bereits ein Jahr nach der Einführung stellte Oslo auf eine elektronische Gebührenerhebung um.
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3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
gegenwärtig ein drittes Investitionspaket für den Zeitraum nach 2008 diskutiert (Wærsted, 2005). Trondheim führte sein städtisches Preissystem 1991 ein. Es unterschied sich von den anderen Stadtmauten dahingehend, dass die Höhe der Gebühr zeitlich differenziert wurde. In der Hauptverkehrszeit morgens und abends wurde eine höhere Gebühr erhoben als zur restlichen Tageszeit. Des Weiteren gab es weniger Gebührenermäßigungen als in Oslo und Bergen, so dass die Lenkungsfunktion von Straßenbenutzungsgebühren ansatzweise realisiert wurde (Tretvik, 2003). Im Jahr 1993 wurde diese Stadtmaut evaluiert und festgestellt, dass die Einnahmen nicht den Erwartungen entsprachen. Empfohlen wurden daher ein stärkere räumliche Differenzierung und eine Ausweitung der Betriebszeit, um so die Anzahl der bepreisten Fahrten und damit die Einnahmen zu erhöhen. Diese Änderungen wurden 1995 beschlossen und ab 1998 schrittweise umgesetzt. Im Jahr 2003 wurde das Preissystem erneut erweitert. Diesmal wurde ein zusätzlicher Kordon um die Innenstadt gelegt (Langmyhr, 2001). Vor dem Auslaufen des Preissystems im Jahr 2005 wurde auch in Trondheim über eine Weiterführung des Preissystems diskutiert. Die politischen Entscheidungsträger entschieden sich jedoch dagegen. Ausschlaggebend dafür war die Überlegung, das politische Versprechen, eine solche Stadtmaut nicht länger als 15 Jahre zu betreiben, einzuhalten und damit das Vertrauen der Bürger in politische Entscheidungen auch zukünftig zu erhalten (Ieromonachou et al., 2006b).
3.1.2 Akzeptanz Die Akzeptanz der norwegischen Stadtmauten wurde in mehreren Studien dokumentiert (vgl. z. B. Larsen, 1988; Odeck & Bråthen, 1997, 2002 oder Tretvik, 2003). Daraus lassen sich kurzfristige und langfristige Verläufe der Akzeptanz nach der Einführung der städtischen Preissysteme in Norwegen ablesen. Abbildung 3.1 stellt die kurzfristige Entwicklung der Akzeptanz vor und nach der Einführung der Stadtmauten in Bergen, Oslo und Trondheim gegenüber. 2 Daraus wird ersichtlich, dass in allen drei Städten die Akzeptanz vor der Einführung sehr gering war, aber danach deutlich zugenommen hat. Allerdings ist das Ausmaß der Akzeptanz und der Akzeptanzänderung lokal sehr verschieden. Während Oslo bereits zur Einführung eine Zustimmungsrate von 28 % aufwies, waren es in Bergen und Trondheim nur 13.6 % bzw. 7.4 %. Die positive Akzeptanzänderung ist in diesen beiden Städten auch wesentlich stärker ausgeprägt als in Oslo. Die 2
Bergen: 1 Monat davor & 1 Jahr danach; Oslo: 1 Jahr davor & 1 Monat danach; Trondheim: 5 Monate davor; & 8 Monate danach.
3.1 Norwegen
39
Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung von 50 % erreichte allerdings nur das Preissystem in Bergen. Oslo und Trondheim weisen nach der Einführung Zustimmungsraten von 34.0 % und 37. 3% auf. 60% Vorher Nachher
50.0%
50% 40%
37.3% 34.0% 28.0%
30% % 20% 13.6% 10%
7.4%
0% Bergen
Oslo
Trondheim
Abbildung 3.1: Kurzfristiger Akzeptanzverlauf der norwegischen Stadtmauten (in Anlehnung an Larsen, 1988; Odeck & Bråthen, 1997 und Tretvik, 2003).
Als Erklärung für diesen Meinungsumschwung verweist Tretvik (2003) darauf, dass die Gebühren in der öffentlichen Wahrnehmung mit konkreten Infrastrukturprojekten in Beziehung gesetzt wurden, die schon vor oder kurz nach der Gebührenerhebung sichtbare Entlastungen und Verbesserungen des Verkehrsflusses brachten. Des Weiteren gab es im Vorfeld der Einführung starke Bedenken, dass die Tollstationen Engstellen werden und so den Verkehrsfluss behindern könnten. Dass sich diese Befürchtungen als unbegründet erwiesen, trug wesentlich zum Anstieg der Zustimmung bei (Larsen & Østmoe, 2001). In den Städten Oslo und Trondheim wurde darüber hinaus die Akzeptanz der Bevölkerung während der gesamten Laufzeit der Stadtmauten erhoben. Diese Daten erlauben es, die langfristige Entwicklung der Akzeptanz von städtischen Straßenbenutzungsgebühren zu beschreiben. Abbildung 3.2 stellt die Entwicklung der Akzeptanz in Trondheim dar. Die Stadtmaut in Trondheim startete im Oktober 1991. Fünf Monate vor der Einführung waren nur 7.4 % der Bürger positiv eingestellt. Doch schon zwei Monate nach der Einführung im Dezember 1991 stieg dieser Anteil auf 19.2 %. In den folgenden beiden Jahren stieg die Akzeptanz bis auf 37.3 % im Juni 1992. Allerdings hielt dieser Trend nicht an. 1994 sank die Zustimmungsrate auf 28.8 %. Im Jahr
40
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
2003 und 2005 äußerten sich schließlich nur noch 14.2 % der Befragten positiv gegenüber der Stadtmaut. 50% 37.3%
40%
32.1% 28.8%
30% 19.2%
20% 10%
14.2%
14.2%
7.4%
0% April 1991 Dez 1991 Juni 1992 Juni 1993 Sept 1994 Okt 2003 Nov 2005 Vorher
Nachher
Vorher (EW 1)
Vorher (EW 2)
Nachher (EW 2)
Abbildung 3.2: Langfristiger Akzeptanzverlauf in Trondheim (PRoGReSS , 2004; (EW x) = Erweiterung des Preissystems, vgl. auch Tabelle 3.2, Kapitel 3.1.1)
Die Gründe für die Zunahme der Akzeptanz nach der Einführung der Stadtmaut sieht Tretvik (2003) erstens, in der Sichtbarkeit der Investitionen und Verbesserungen im Verkehrssystem. Zweitens, sei es möglich, dass die Pkw-Nutzer durch die elektronische Gebührenerhebung das Preissystem kaum mehr bemerkt haben. Drittens, haben die Bürger vorher möglicherweise geglaubt, durch ihren Widerstand die Stadtmaut verhindern zu können. Nach der Einführung sei es ihnen möglicherweise leichter gefallen, das System zu akzeptieren. Die ab 1993 diskutierte und ab 1998 umgesetzte räumliche Erweiterung und Differenzierung der Stadtmaut fand dagegen nicht die Zustimmung der Bevölkerung (Langmyhr, 2001). Ebenfalls negativ bewertete die Bevölkerung die zweite Erweiterung im Jahr 2003 um weitere sechs Mautstationen um die Innenstadt. Seit 1993 sank die Akzeptanz kontinuierlich bis auf 14.2 %, ein Wert der beinahe der Akzeptanz vor der Einführung des Preissystems im April 1992 entspricht. Abbildung 3.3 stellt die Entwicklung der Akzeptanz in Oslo dar. Hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Trondheim. Vor der Einführung 1989 waren nur 30 % der Befragten für die Stadtmaut. Danach stieg die Akzeptanz kontinuierlich bis auf 48 % im Jahr 1997 an. Bis 2000 blieb die Akzeptanz auf diesem Niveau. 2001 sank die Zustimmungsrate sehr deutlich auf nur noch 36 %. Damit unterschied sich die Akzeptanz im Jahr 2001 nur wenig von der Zustimmungsrate vor der Einführung im Jahr 1989 (Kjerkreit & Odeck, 2005). Zwar stieg in den folgenden Jahren die
3.1 Norwegen
41
Akzeptanz wieder, allerdings dauerte es bis 2006 bis das Niveau aus dem Jahr 2000 wieder erreicht bzw. mit einer Zustimmungsrate von 49 % übertroffen wurde. 60%
48% 46% 46% 45% 44% 43% 42% 41% 41%
50%
38% 36%
40%
49% 45% 44% 43% 40%
36%
30% 30%
20% 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Vorher (1)
Nachher (1)
Vorher (2)
Nachher (2)
Abbildung 3.3: Langfristiger Akzeptanzverlauf in Oslo (PROSAM, 2006; (1,2) = Nummer des Investitionspaketes, vgl. auch Tabelle 3.2, Kapitel 3.1.1)
Der Anstieg der Akzeptanz nach der Einführung in Oslo wird auch hier auf die positiven Effekte der Infrastrukturmaßnahmen auf das Verkehrsgeschehen zurückgeführt. Der deutliche Rückgang der Akzeptanz in 2001 wird dagegen mit der Gebührenerhöhung von 15 auf 20 NOK im Rahmen des zweiten Investitionspaketes begründet (Kjerkreit & Odeck, 2005). Zusammenfassend lässt sich aus den Erfahrungen der norwegischen Städte schlussfolgern, dass die Akzeptanz städtischer Preissysteme keineswegs statisch ist, sondern stark variiert. Besonders unmittelbar nach der Einführung eines städtischen Preissystems und bei Veränderungen an einem bestehenden Preissystem sind Veränderungen in der Akzeptanz nachweisbar. Unmittelbar nach der Einführung der Preissysteme wurde in allen drei Städten eine positive Akzeptanzänderung beobachtet. Langfristig zeigt sich allerdings, dass sich dieser positive Trend auch wieder umkehren kann. In Trondheim und Oslo wurde eine negative Akzeptanzänderung als Reaktion auf die Diskussion und Implementierung von Veränderungen bzw. Erweiterungen der bestehenden Systeme registriert. Das bedeutet, dass städtische Preissysteme auch nach ihrer Einführung Gegenstand öffentlicher Kontroversen bleiben. Basierend auf der Zeitreihe für Oslo untersuchten Odeck und Bråthen (1997) sowie Kjerkreit und Odeck (2005) den Einfluss soziodemographischer Merkmale auf
42
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
die Akzeptanz der Stadtmaut. Beide Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Pkw-Nutzung (im Vergleich zu alternativen Verkehrsmitteln), die Häufigkeit der Nutzung sowie die Häufigkeit der Querung des Kordons auf dem Arbeitsweg negativ auf die Akzeptanz auswirken. Die Autoren schlussfolgern, dass die Personen, die am häufigsten Gebühren zahlen, die Stadtmaut am wenigsten akzeptieren. Das Einkommen, der am häufigsten untersuchte Einflussfaktor auf die Akzeptanz (vgl. Kapitel 4.4), hatte in der Studie von Odeck und Bråthen (1997) keinen signifikanten Einfluss. In der Untersuchung von Kjerkreit und Odeck (2005) leistet es zwar einen signifikanten, aber nur sehr geringen Erklärungsbeitrag. Personen mit höherem Einkommen waren demnach der Stadtmaut etwas positiver eingestellt als Personen mit niedrigerem Einkommen. Weitere Einflussfaktoren auf die Akzeptanz waren das Alter, das Geschlecht und der Bildungsabschluss. Junge Personen, Männer und Personen mit Universitätsabschluss waren der Stadtmaut gegenüber positiver eingestellt.
3.1.3 Mobilitätsverhalten Larsen (1988, 1995) untersuchte die Auswirkungen der drei Stadtmauten auf das Mobilitätsverhalten in einem Zeitraum von bis zu 12 Monaten nach der Einführung. Obwohl die Stadtmauten explizit nicht auf die Lenkung der Verkehrsnachfrage abzielten, zeigte sich eine, wenn auch geringfügige, Reduktion des Verkehrsaufkommens (6 % bis 7 % in Bergen; 8 % in Oslo; 10 % in Trondheim). Die stärkere Reduktion in Trondheim führt Larsen auf die verkehrslenkenden Preissystemkomponenten, z. B. das Fehlen von ermäßigten Zeitkarten, zurück. Die Strategien, welche die Pkw-Nutzer wählten, um sich den Preissystemen anzupassen, waren in den drei Städten sehr verschieden. In Bergen beispielsweise verschoben die Pkw-Nutzer vor allem den Zeitpunkt ihrer Fahrt. Des Weiteren wurden in Haushalten mit mehr als einem Pkw die Fahrzeuge stärker genutzt, welche über eine ermäßigte Zeitkarte verfügten. In Oslo dagegen wählten die PkwNutzer vor allem andere Fahrtziele. Darüber hinaus unterließen sie abends und am Wochenende Fahrten mit dem Pkw. Nur in Trondheim ließ sich ein Umstieg auf alternative Verkehrsmittel nachweisen. Des Weiteren wurden dort ebenfalls Fahrten zeitlich verlagert. Insbesondere Einkaufsfahrten wurden abends auf die gebührenfreie Zeit verschoben. Das wurde möglich, da die Geschäfte in Trondheim ihre abendlichen Öffnungszeiten mit der Einführung des Preissystems verlängerten (Larsen, 1995; Tretvik, 2003). Die Ergebnisse zu den langfristigen Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten sind nicht eindeutig. Ieromonachou et al. (2006b) schlussfolgern aus der Tatsache, dass sich in Bergen die Pkw-Verfügbarkeit vom niedrigsten Stand in Norwegen
3.2 London (UK)
43
vor 1986 inzwischen an das nationale Niveau angeglichen hat, dass die Stadtmaut keine langfristigen Verhaltensänderungen bewirkt hat, die sich beispielsweise in einer geringeren Pkw-Verfügbarkeit zeigen sollte. In Trondheim dagegen nahm das Verkehrsaufkommen im Zeitraum von 1992 bis 1997 weniger stark zu als im gesamten Landkreis. Das heißt, dass durch das Preissystem in Trondheim mit seinen verkehrslenkenden Komponenten der Anstieg des Verkehrsaufkommens zumindest reduziert werden konnte. Allerdings ist der Zuwachs in Trondheim selbst in den Betriebszeiten der Stadtmaut größer, als zu Zeiten ohne Gebühr. Das heißt, ein bestimmter Anteil des Verkehrs, der kurzfristig verlagert oder unterlassen wurde, nahm langfristig wieder zu (Tretvik, 2003). Odeck und Bråthen (1997) untersuchten den Einfluss soziodemographischer Merkmale auf die subjektive Einschätzung der Reduktion der Pkw-Nutzung. Es zeigen sich durchaus Parallelen zum Einfluss soziodemographischer Faktoren auf die Akzeptanz. Personen, die häufiger den Pkw für den Weg zur Arbeit nutzten und häufiger den Kordon querten, gaben auch häufiger an, ihre Pkw-Fahrten wegen der Stadtmaut eingeschränkt zu haben. Des Weiteren gaben Männer und Befragte mit hohem Einkommen häufiger an, ihre Fahrten reduziert zu haben.
3.2 London (UK) 3.2.1 Systembeschreibung London führte im Februar 2003 städtische Straßenbenutzungsgebühren zur Lenkung und Reduktion der Verkehrsnachfrage ein. 3 Implementiert wurde ein Gebietssystem (vgl. Kapitel 2.1). Die Gebührenzone umfasst den zentralen Teil der Londoner Innenstadt (City of London) auf einer Fläche von 22 km 2 . Im Februar 2007 wurde diese Gebührenzone westwärts um die Stadtteile Westminster, Kensington und Chelsea auf etwa die doppelte Fläche erweitert (vgl. Abbildung 3.4). Für den Aufenthalt mit dem Pkw in dem bepreisten Gebiet wurde eine Gebühr von £ 5 (e 7.50) pro Tag erhoben. Im Juli 2005 wurde die Gebühr auf £ 8 (e 12) pro Tag angehoben. Zahlreiche Fahrzeuge sind von der Gebühr befreit, z. B. der ÖPNV, Taxis, Feuerwehr und Krankenwagen, aber auch schadstoffarme Fahrzeuge. Anwohner erhalten eine Ermäßigung von 90 %. Des Weiteren ist der Verkehr auf zwei zentralen Durchgangsstraßen durch die erweiterte Gebührenzone von der Gebührenerhebung ausgenommen (Transport for London, 2005b). 3
Transport for London hat eine umfangreiche Webseite zum städtischen Preissystem entwickelt, die sowohl für das operative Geschäft als auch für das Marketing und die Kommunikation mit Interessensgruppen genutzt wird. http://www.cclondon.com.
44
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Abbildung 3.4: Die Gebührenzone in London (Transport for London, 2006)
Die Einnahmen werden zu 100 % in den ÖPNV investiert. Beispielsweise wurden mit dem Beginn des Preissystems neue Busrouten eingeführt, mehr und größere Busse eingesetzt, dynamische Echtzeitanzeigen an Haltestellen installiert und die Fahrpreise gesenkt (Richards, 2006).
3.2.2 Akzeptanz Abbildung 3.5 stellt den Verlauf der Akzeptanz des städtischen Preissystems in London dar. Ungewöhnlich ist die hohe Akzeptanz von 41 % während der Diskussion im Jahr 1999 (Government Office for London, 2000). Die Akzeptanz blieb auch in den folgenden Jahren bis unmittelbar vor der Einführung mit Zustimmungsraten von 40 %, 43 % und 41 % konstant auf vergleichsweise hohem Niveau (Transport for London, 2004). Als Grund für diese hohe Akzeptanz vor der Einführung des Preissystems wird das hohe Problembewusstsein der Londoner für das Ausmaß der Verkehrsprobleme der Stadt angesehen (Government Office for London, 2000). Gefragt nach den Verkehrsverhältnissen gaben beispielsweise über 90 % der Befragten an, dass es zu viel Verkehr gäbe. Darüber hinaus gaben 60 % der Befragten an, dass daraus Pro-
3.2 London (UK)
45
70% 59%
57%
60%
50% 50% 41% 40%
40%
38%
48%
39%
30% 20% 10% 0% 1999
Dez 2002 Jan 2003 Feb 2003 Mrz 2003 Apr 2003 Juli 2003 Okt 2003 Vorher
Nachher
Abbildung 3.5: Akzeptanzverlauf des städtischen Preissystems in London (in Anlehnung an Government Office for London, 2000; Transport for London, 2004a)
bleme für die Stadt entstünden. Am häufigsten wurden die niedrigen Reisezeiten sowie die Umweltverschmutzung genannt. Diese subjektive Einschätzung stimmt mit der Verkehrssituation Londons vor der Einführung des städtischen Preissystems überein. Beispielsweise sank die Reisezeit in der Innenstadt seit den 1960er Jahren kontinuierlich auf nur noch 14.1 km/h im Jahr 2000 (Transport for London, 2003a). Nach der Einführung des städtischen Preissystems ist auch in London eine Zunahme der Akzeptanz zu verzeichnen. Die Akzeptanz stieg demnach von ca. 40 % vor der Einführung auf über 50 % danach und erreichte im Juli 2003 mit 59 % den vorläufigen Höhepunkt (Transport for London, 2004). Die Frage, ob sich dieser Trend langfristig fortgesetzt hat, kann aufgrund der fehlenden Daten für den Zeitraum nach 2003 nicht beantwortet werden. Die Erhöhung der Gebühr auf £ 8 (e 12) im Jahr 2005 oder die Westerweiterung im Jahr 2007 könnten sich, ähnlich wie in Norwegen, beispielsweise negativ auf die Akzeptanz ausgewirkt haben.
3.2.3 Mobilitätsverhalten Im Vorfeld der Einführung des städtischen Preissystems wurde ein Rückgang der Anzahl der Fahrten in die Gebührenzone um 10 % bis 15 % prognostiziert. Der Verkehrsstau, definiert als Reisezeitverlust in Minuten pro Kilometer, sollte sich um 20 % bis 30 % reduzieren. Im Gegensatz dazu wurde ein Anstieg der Fahr-
46
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
gastzahlen des ÖPNV um 1 % bis 2 % erwartet, wobei der Bus den größten Anteil tragen sollte (Transport for London, 2003a). Eine Befragung vor der Einführung des Preissystems von regelmäßigen PkwNutzern in der Gebührenzone ergab, dass 25 % ihre Pkw-Nutzung ändern wollten. Bei den Anwohnern der Gebührenzone, die einen Anspruch auf eine Ermäßigung von 90% haben, war dieser Anteil mit 15 % geringer ausgeprägt (vgl. noch einmal Transport for London, 2003a). Die erwarteten Ergebnisse wurden nach der Einführung des Preissystems erreicht oder sogar übertroffen. Bereits drei Monate nach der Einführung sank das Verkehrsaufkommen in der Gebührenzone um 16 %. Die Anzahl der Fahrten in die Gebührenzone sank um 18 %. Den größten Rückgang verzeichneten dabei private Pkw und Lkw. Das Aufkommen an Bussen, Taxis und Motorräder stieg leicht an. Des Weiteren reduzierte sich der Verkehrsstau um 30 %. Die durchschnittliche Reisezeit pro Weg stieg um 14 %. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV stiegen um 7 %. Allerdings nahm auch der Verkehr auf den Umgehungsstraßen der Gebührenzone zu (Transport for London, 2003b, 2004). Diese Veränderungen blieben bisher weitgehend konstant (Transport for London, 2005a, 2006). Des Weiteren wurde untersucht, welche Strategien die Bürger wählten, um ihr Mobilitätsverhalten den neuen Rahmenbedingungen anzupassen (vgl. Tabelle 3.3). Insgesamt wurde eine Reduktion der Anzahl der Fahrten in die Gebührenzone um bis zu 70 000 Fahrten beobachtet. Davon nahm der Durchgangsverkehr um 25 % ab, d. h. diese Pkw-Nutzer änderten ihre Route, um die Gebührenzone zu umfahren. Der Zielverkehr nahm um 75 % ab. Zielverkehr bedeutet, dass diese Fahrten in der Gebührenzone endeten. Solche Fahrten wurden am häufigsten auf andere Verkehrsmittel verlagert. Der ÖPNV hatte daran mit 50 % bis 60 % den größten Anteil. Ein geringerer Teil der Fahrten von 10 % bis 15 % wurde auf Rad, Taxi oder Car sharing verlagert oder zu Fuß zurückgelegt. Mit einem Anteil von nur 8 % der reduzierten Fahrten wählten die Pkw-Nutzer am wenigsten andere Fahrtzeiten, andere Fahrtziele oder verzichteten ganz auf die Fahrt (Transport for London, 2004). Neben den Veränderungen im Mobilitätsverhalten wurden zwei weitere relevante Aspekte der subjektiven Wahrnehmung des Preissystems evaluiert. Das waren die Einschätzung der Erschwinglichkeit der Gebühr und die Wahrnehmung von persönlichen Vor- und Nachteilen des Preissystems (MORI, 2004). Die Ergebnisse zur Einschätzung der Erschwinglichkeit der Gebühr sind in Tabelle 3.4 dargestellt. Vor der Einführung hielten es 31.9 % der Befragten für einfach oder mit Einschränkungen möglich, die Gebühr aufzubringen. 22.8 % der Befragten halten es dagegen für schwierig. Fast die Hälfte der Befragten (45.3 %) war sich jedoch nicht sicher, wie sich die Gebühr auf ihre finanzielle Situation
3.2 London (UK)
47
Tabelle 3.3: Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens in London (Transport for London, 2004a) Anpassungsstrategien Durchgangsverkehr Änderung der Route, d. h. Vermeidung der Gebührenzone Zielverkehr Umstieg auf Bus & Bahn Umstieg auf Rad, Taxi, Motorrrad, Car sharing, Fußgänger Zeitliche Verschiebung der Fahrt Unterlassen der Fahrt oder anderes Fahrtziel Gesamt
Reduktion der Anzahl der Fahrten
%
15 000 – 20 000
25
35 000 – 40 000 5 000 – 10 000
50 – 60 10 – 15
unter 5 000 unter 5 000
8 8
65 000 – 70 000
auswirken würde. Nach der Einführung des Preissystems nahmen die positiven Einschätzungen um 38.9 % zu, während sich die negativen Einschätzungen nur unwesentlich änderten. Die Zunahme des Anteils der positiven Einschätzungen ist im Wesentlichen auf die Abnahme des Anteils der Probanden zurückzuführen, die sich bezüglich der finanziellen Auswirkungen nicht sicher waren. Das bedeutet, dass sich die Erwartungen der Befragten bezüglich der Erschwinglichkeit der Gebühr entweder positiv bzw. negativ erfüllt haben oder in positiver Richtung übertroffen wurden. Tabelle 3.4: Die Einschätzung der Erschwinglichkeit der Gebühren vor und nach der Einführung des städtischen Preissystems in London (in Anlehnung an MORI, 2004) Vorher in % (N = 316) einfach mit Einschränkungen schwierig Ich weiß nicht
25.3 6.6 22.8 45.3
Nachher in % (N = 316) 64.2 12.0 22.5 1.3
Differenz in % +38.9 +5.4 −0.3 −44.0
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage, ob die Personen glauben, vom Preissystem profitiert zu haben (vgl. noch einmal MORI, 2004). Nach der Einführung des Preissystems gab die Mehrheit der Befragten an, von dem Preissystem profitiert zu haben oder keine Veränderung wahrzunehmen. Als Grund für eine positive Einschätzung wurde am häufigsten die Reduktion des Verkehrsstaus genannt. Als Gründe für eine negative Einschätzung wurden u. a. die Gebührenhöhe, das
48
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Gefühl der Bestrafung und die wahrgenommene Freiheitseinschränkung der PkwNutzung genannt. Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl als Reaktion auf die Einführung des Preissystems gab es in Abhängigkeit vom Wohnort (Transport for London, 2004). Pkw-Nutzer der Gebührenzone, angrenzender Stadteile und der Vororte wurden gefragt, welche Verkehrsmittel sie nach der Einführung häufiger nutzten als vorher (vgl. Abbildung 3.6). Fußgänger
24%
19% 20%
Fahrrad Motorrad
25%
36%
29%
0%
40%
32% 7%
Taxi
14%
19%
7%
Zug
21% 11%
U-Bahn
28%
32%
21%
Bus
39%
25%
Pkw Mitfahrer
2%
11%
Gebührenzone
4%
angrenzende Stadtteile 14%
Pkw
Vororte
8% 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Abbildung 3.6: Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl nach Einführung des Preissystems in Abhängigkeit vom Wohnort (in Anlehnung an Transport for London, 2004)
Im Vergleich zeigt sich, dass die Pkw-Nutzer der Gebührenzone den Pkw als Fahrer oder Mitfahrer häufiger nutzen, als die Pkw-Nutzer angrenzender Stadtteile oder der Vororte. Auch wählten die Pkw-Nutzer der Gebührenzone öfter das Fahrrad als alternatives Verkehrsmittel oder gingen zu Fuß. Im Gegensatz dazu wählten die Pkw-Nutzer angrenzender Stadtteile und der Vororte deutlich häufiger das Motorrad, den Bus und die U-Bahn im Vergleich zu denen, die in der Gebührenzone wohnen. Die Pkw-Nutzer angrenzender Stadtteile stiegen wiederum häufiger auf diese alternativen Verkehrsmittel um, als die Pkw-Nutzer der Vororte. Die Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl sind meiner Meinung nach auf zwei Faktoren zurückzuführen. Einerseits beeinflusst die Höhe der Gebühr die Verkehrsmittelwahl, andererseits ist die Entfernung zur Gebührenzone bzw. Innenstadt ein bedeutsamer Faktor. Pkw-Nutzer der Gebührenzone erhielten eine Ermäßigung von 90 %. Dadurch war der Druck, auf den Pkw zu verzichten, nicht
3.3 Edinburgh (UK)
49
so stark wie für die Pkw-Nutzer ohne Ermäßigung. Außerdem sind die Wege der Pkw-Nutzer, die in der Gebührenzone wohnen, vermutlich kürzer, so dass sie auch mit nicht-motorisierten Verkehrsmitteln ihre Ziele gut erreichen. Pkw-Nutzer angrenzender Stadtteile oder der Vororte sind dagegen auf motorisierte Verkehrsmittel angewiesen, um in einer angemessenen Zeit in die Innenstadt zu gelangen. Die Pkw-Nutzer der Vororte wiederum sind möglicherweise nicht so stark auf die Innenstadt angewiesen wie die der angrenzenden Stadteile. Statt einem alternativen Verkehrsmittel wählen sie möglicherweise ein anderes Fahrtziel.
3.3 Edinburgh (UK) 3.3.1 Systembeschreibung Die Stadt Edinburgh erlebt seit den 1990er Jahren einen ökonomischen Aufschwung der mit einem Anstieg des Verkehrsaufkommens einhergeht. Das Verkehrssystem der Stadt ist dieser gestiegenen Nachfrage jedoch immer weniger gewachsen. Daher entschloss sich Edinburgh im Jahr 1999 ein neues, integriertes Verkehrskonzept zu entwickeln. Eine Komponente dieses Verkehrskonzeptes war die Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren (Saunders, 2005). Das Ziel der städtischen Straßenbenutzungsgebühren war die Lenkung und Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Die zusätzlich generierten Einnahmen sollten ein umfassendes Investitionsprogramm in den ÖPNV finanzieren. Das System bestand aus zwei Kordons, einem Innenstadtkordon und einem Außenkordon. Für die Querung der Kordons stadteinwärts wurde eine Gebühr von £ 2 (e 3) pro Tag erhoben, unabhängig davon wie oft die Kordon am Tag tatsächlich durchfahren wurden. Die geplante Betriebszeit war Montag bis Freitag, 7:00 Uhr bis 16:30 Uhr für den Innenstadtkordon und 7:00 bis 10:00 Uhr für den Außenkordon. Ähnlich wie in London sollte eine Reihe von Fahrzeugen von der Gebühr befreit werden, eine Ermäßigung für Anwohner war jedoch nicht vorgesehen (vgl. Kapitel 3.2). Das städtische Preissystem in Edinburgh sollte auf eine Laufzeit von 20 Jahren begrenzt sein (PRoGReSS, 2002).
3.3.2 Akzeptanz Eine wesentliche Komponente der Entwicklung des neuen Verkehrskonzeptes in Edinburgh war eine umfassende Bürgerbeteiligung. Beginnend im Jahr 1999 wurde die Bevölkerung in fünf aufeinander folgenden Entwicklungsphasen umfassend informiert und hinsichtlich ihrer Akzeptanz befragt (vgl. Tabelle 3.5). Den zeitlichen Abschluss bildete das Referendum über die Einführung dieses neuen Ver-
50
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
kehrskonzeptes in Edinburgh im Februar 2005. Die Ergebnisse der Akzeptanzbefragungen sind in Abbildung 3.7 dargestellt. Tabelle 3.5: Zeitplan der Konzeption städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Edinburgh (in Anlehnung an Cain & Jones, 2004) Jahr
Phase
Entwicklungsschritte
1999 2000 2001 2002 2003
1 2 3 4 5
Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren konkretes Preissystem konkretes Preissystem mit ÖPNV-Investitionsprogramm multiples Kordonpreissystem mit ÖPNV-Investitionsprogramm öffentliche Anhörung zum multiplen Kordonpreissystem mit ÖPNV-Investitionsprogramm Volksabstimmung über die Einführung des multiplen Kordonpreissystems mit ÖPNV-Investitionsprogramm
2005
In der ersten Phase im Jahr 1999 wurde die Zustimmung der Bürger zum Prinzip von städtischen Straßenbenutzungsgebühren erfragt. Im Ergebnis sprachen sich 62 % der Befragten dafür aus (Saunders, 2005). In der zweiten Phase im darauffolgenden Jahr wurde ein konkretes Preissystem vorgeschlagen. Das Ziel war es zu prüfen, ob die Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren auch noch bei einem konkreten Vorschlag gegeben ist. 59 % der Befragten stimmten auch noch dem konkret vorgeschlagenen Preissystem zu (Cain, Celikel & Jones, 2001). In der dritten Phase im Jahr 2001 wurde das Preissystem mit Verkehrsinvestitionen ergänzt, beispielsweise in den ÖPNV oder das Straßennetz. Das Ziel war es, die Akzeptanz eines integrierten Verkehrskonzeptes zu erheben. Im Ergebnis sprachen sich 49.5 % der Befragten für das Verkehrskonzept, das der endgültigen Variante am ähnlichsten war, aus (vgl. Kapitel 3.3.1) (Cain & Jones, 2002a). In der vierten Phase im Jahr 2002 wurden die Bürger Edinburghs und des Umlandes aufgerufen, ihre Meinung zum neuen Verkehrskonzept abzugeben. Dem multiplen Kordonsystem, so wie es schließlich im Referendum präsentiert wurde, stimmten nur 43.9 % der Befragten zu. Eine Gestaltungsalternative mit nur einem Kordon erhielt dagegen eine Zustimmung von 50.6 % (Cain & Jones, 2002b). Trotz dieses Ergebnisses entschied sich die Stadtverwaltung für ein multiples Kordonsystem, um Verkehrsreduktionen und Lenkungseffekte im ganzen Stadtgebiet zu erreichen und Investitionen in den ÖPNV auch im Umland tätigen zu können (Saunders, 2005). In der fünften Phase im Jahr 2003 fand die gesetzlich vorgeschriebene öffentliche Anhörung zum integrierten Verkehrskonzept statt. Zu dieser Zeit unterstützen nur noch 36 % der Befragten das Konzept in dieser Form (Cain & Jones, 2004).
3.3 Edinburgh (UK)
51
Im anschließenden Referendum im Februar 2005 wurde das integrierte Verkehrskonzept, welches städtische Straßenbenutzungsgebühren einschloss, schließlich mit 74.4 % gegen 25.6 % der Stimmen abgelehnt. 70%
62.0%
60%
59.0% 49.5%
50%
43.9% 36.0%
40% 30%
25 6% 25.6%
20% 10% 0% 1999
2000
2001
2002
2003
2005
Vorher
Abbildung 3.7: Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Edinburgh (in Anlehnung an Saunders, 2005; Cain et al. 2001; Cain & Jones, 2002a, 2002b)
Für die kontinuierliche Abnahme der Akzeptanz des städtischen Preissystems in der Bevölkerung wurden verschiedene Gründe diskutiert. • Braunholtz und Cumming (2006) zeigten, dass das Verständnis des Preissystems in der Bevölkerung unzureichend war. So glaubten die Befragten, bei jeder Querung eines Kordons £ 2 (e 3) zahlen zu müssen und nicht nur einmal pro Tag. Des Weiteren gingen die Befragten davon aus, auch für die Fahrt stadtauswärts und nicht nur stadteinwärts zahlen zu müssen. Dies führte dazu, dass die finanzielle Belastung durch das Preissystem deutlich überschätzt wurde. • Des Weiteren fanden Allen, Gaunt und Rye (2006), dass insbesondere Busnutzer, die vermutlich am meisten von Staureduktionen und dem verbesserten ÖPNV-Angebot profitiert hätten, das Preissystem nicht wie erwartet unterstützten und so die Ablehnung der Pkw-Nutzer nicht kompensierten. • Hinzu kam ein tiefes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und deren Motiven. Beispielsweise gab es die weit verbreitete Ansicht, dass die Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und
52
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
ÖPNV-Bevorrechtigung nur eingeführt worden waren, um die Verkehrssituation weiter zu verschärfen. Auch waren nur 25 % der Bürger überzeugt, dass die Einnahmen aus dem städtischen Preissystem auch tatsächlich in den ÖPNV investiert werden (Saunders, 2005). In den Akzeptanzuntersuchungen gab es signifikante Unterschiede bezüglich der Pkw-Verfügbarkeit und Nutzung, des Wohnortes, des Einkommen, des Geschlechtes und des Alters. So waren Personen ohne Pkw oder mit geringer Nutzungshäufigkeit städtischen Straßenbenutzungsgebühren positiver eingestellt, als Personen mit Pkw oder einer stärkeren Nutzung (Cain et al., 2001; Cain & Jones, 2002a; Allen et al., 2006). Die Einwohner der Stadt standen dem Preissystem positiver gegenüber als Bewohner der Umlandgemeinden (Cain et al., 2001; Cain & Jones, 2002a, 2004). Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass der Einfluss des Wohnortes möglicherweise durch die Pkw-Verfügbarkeit und Nutzung vermittelt wird. Das bedeutet, dass Personen, die in der Innenstadt wohnen auch weniger häufig über einen Pkw verfügen oder diesen weniger nutzen und deshalb positiver eingestellt sind. Die Wirkung des Einkommens war abhängig von der Höhe der Gebühr. Bei einer Gebührenhöhe von bis zu £ 2 (e 3) stimmten Personen mit niedrigem Einkommen städtischen Straßenbenutzungsgebühren stärker zu als Personen mit hohem Einkommen. Bei einer Gebühr von £ 3 (e 4.50) zeigte sich dagegen ein umgekehrter Zusammenhang. Personen mit hohem Einkommen stimmten diesen Preissystemen eher zu als Personen mit niedrigem Einkommen. Weiterhin waren Männer (Braunholtz & Cumming, 2006) und ältere Menschen (Cain et al., 2001) Straßenbenutzungsgebühren gegenüber positiver eingestellt.
3.4 Stockholm (SWE) 3.4.1 Systembeschreibung Das städtische Preissystem in Stockholm war im Rahmen eines Feldversuches vom 3. Januar bis zum 31. Juli 2006 in Betrieb. Am 17. Februar 2007 entschieden sich die Bürger Stockholms in einem Referendum mehrheitlich für die dauerhafte Einführung dieses Preissystems. Am 1. August 2007 wurde es schließlich dauerhaft eingeführt. Die Gestaltung des endgültig eingeführten Preissystems ist im Wesentlichen mit dem Feldversuch vergleichbar. Die folgenden Ausführungen beziehen sich jedoch nur auf den Feldversuch, da nur dort umfangreiche Evaluationsstudien zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten durchgeführt wurden.
3.4 Stockholm (SWE)
53
Durch die Insellage der Innenstadt Stockholms bot sich hier ebenfalls ein Kordonsystem an. 4 Mit nur 18 elektronischen Erhebungsstationen an den Zufahrten zur Innenstadt konnte so ein Gebiet von 35.5 km 2 eingeschlossen werden (vgl. Abbildung 3.8). Die Gebühren wurden sowohl für die Querung des Kordons stadteinwärts als auch stadtauswärts erhoben. Das Preissystem war Montag bis Freitag von 6:30 bis 18:30 Uhr in Betrieb.
Abbildung 3.8: Der Kordon um die Innenstadt Stockholms (City of Stockholm, 2006)
Die Grundgebühr pro Querung betrug 10 SEK (e 1.10). Während der Hauptverkehrszeit von 7:00 Uhr bis 9:00 Uhr sowie 15:30 bis 18:00 wurde diese Gebühr schrittweise um 5 SEK (e 0.55) auf 20 SEK (e 2.20) angehoben und wieder gesenkt. Der zu zahlenden Höchstbetrag lag bei 60 SEK (e 6.60) pro Tag. Es existierte eine Reihe von Ausnahmen. So wurden z. B. die beiden Hauptumgehungsstraßen E4/E20 Essingeleden und Södra länken sowie der Durchgangsverkehr von und zur Gemeinde Lidingö von der Gebührenerhebung befreit. Die Einnahmen wurden zu 100 % in den ÖPNV bzw. in alternative Verkehrsmittel investiert. Beispielsweise wurden im Vorfeld 1 500 neue Park & Ride Park4
Zur Kommunikation und Abwicklung des operativen Geschäftes nutzte Stockholm ebenfalls ein eigens dafür entwickeltes Internetportal. Die Informationen Preissystem basieren, soweit nicht anders angegeben, auf dem Informationsmaterial, das auf der Webseite veröffentlicht ist. http://www.stockholmsforsoket.se [02.10.2007]
54
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
plätze geschaffen und die ÖPNV Kapazität um 7 % erhöht. So wurden 16 neue Expressbuslinien von den Vororten in die Innenstadt eingerichtet, 197 neue Busse angeschafft sowie Vorortzüge verlängert und deren Takt während der Hauptverkehrszeit erhöht (vgl. Dziekan, 2006; Congestion Charging Secretariat, 2006b).
3.4.2 Akzeptanz Die Akzeptanz des Feldversuches wurde zu mehreren Zeitpunkten vor und nach der Einführung des Preissystems erhoben (vgl. Abbildung 3.9). Vor dem Start im Januar 2006 zeigte sich ein wechselndes Bild. Während im Jahr 2003 nur 38 % der Befragten einem solchen Feldversuch zustimmten, stieg die Akzeptanz im folgenden Jahr auf 54 %. Unmittelbar vor dem Start des Feldversuches Ende 2005 sank dagegen die Zustimmung wieder auf 42 %. Nach dem Start des Feldversuches stieg die Akzeptanz des Preissystems auch in Stockholm wieder an. So waren im März 2006 49 % der Befragten dem Feldversuch gegenüber positiv eingestellt. Dieser Trend setzte sich in den folgenden zwei Monaten weiter fort. Im Mai 2006 sprach sich wieder eine Mehrheit von 54 % der Befragten für den Feldversuch aus. 60%
54% 49%
50% 42% 40%
51%
54%
44%
38%
30% 20% 10% 0% Dez 03
Dez 04
Jun 05
Vorher
Okt/Nov 05
Mrz 06
Apr 06
Mai 06
Nachher
Abbildung 3.9: Akzeptanz des zeitlich befristeten städtischen Preissystems in Stockholm (in Anlehnung an Gustavsson, 2005a, 2005b, 2005c, 2006 und Eliasson et al., 2006)
Noch deutlicher zeigt sich der Trend einer Zunahme der Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren nach der Einführung bei der Frage, inwieweit die Stockholmer eine permanente Einführung des Preissystems befürworten (vgl. Abbildung 3.10). Im Jahr 2004 sprachen sich nur 38 % der Befragten dafür aus.
3.4 Stockholm (SWE)
55
Dieser Anteil sank zwei Monate vor der Einführung auf nur noch 30 %. Nach der Einführung kehrte sich dieser Trend um. Im Mai 2006 sprachen sich 48 % der Befragten für die permanente Einführung eines städtischen Preissystems aus. Im abschließenden Referendum votierte schließlich eine knappe Mehrheit von 51 % der Wähler für die permanente Einführung (City of Stockholm, 2006b). 60% 51% 48%
50% 40%
38% 34% 30%
30% 20% 10% 0% Dez 04
Jun 05 Vorher
Okt/Nov 05
Mai 06
Sep 06 Nachher
Abbildung 3.10: Akzeptanz der permanenten Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren in Stockholm (in Anlehnung an Gustavsson, 2005a, 2005b, 2005c, 2006)
Zur Teilnahme am Referendum waren nur die Bürger der Stadt Stockholm berechtigt. Einige Umlandgemeinden wollten ihre Bürger ebenfalls über die permanente Einführung des Preissystems abstimmen lassen und hielten eigenständige Referenden ab. Diese Referenden hatten nur beratenden Charakter. Außerdem unterschieden sie sich in der Formulierung der Frage von dem Referendum in Stockholm. Die Mehrheit der Wähler sprach sich hier mit 60.3 % gegen die permanente Einführung aus (Kommunförbundet Stockholms Län, 2006). Obwohl sich der Trend einer Zunahme der Akzeptanz nach der Einführung des Preissystems in Stockholm in verschiedenen Personengruppen gleichermaßen zeigte, gab es doch Unterschiede im Ausmaß der Zustimmung in Abhängigkeit von soziodemographischen Faktoren. So waren beispielsweise ÖPNV-Nutzer dem Preissystem positiver eingestellt als Pkw-Nutzer. Dieser Effekt zeigt sich sowohl vor als auch nach der Einführung. Des Weiteren waren die Einwohner Stockholms den Straßenbenutzungsgebühren positiver eingestellt als die Bewohner der umliegenden Gemeinden (Congestion Charging Secretariat, 2006b). Unterschiede gab es auch bezüglich der politischen Orientierung der Befragten. Personen mit konservativer Orientierung lehnten das Preissystem mit 62 % mehr-
56
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
heitlich ab. Personen, die mit dem linken Lager sympathisieren, stimmten dem Preissystem mit 80 % mehrheitlich zu (Gustavsson, 2005c).
3.4.3 Mobilitätsverhalten Die Veränderung des Mobilitätsverhaltens in Folge der Einführung des städtischen Preissystems wurde umfassend evaluiert. Untersucht wurden: • • • • •
das Verkehrsaufkommen, der Verkehrsfluss und die Erreichbarkeit der Innenstadt, die Fahrleistung in der Innenstadt, die ÖPNV-Nutzung, sowie die Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens.
Das Ziel des städtischen Preissystems war eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens in der Innenstadt während der Hauptverkehrszeit um 10 % bis 15 %. In der Folge sollten sich der Verkehrsfluss und damit die Erreichbarkeit der Innenstadt verbessern. Des Weiteren wurde mit einem Anstieg der Fahrten mit dem ÖPNV in die Innenstadt während der Hauptverkehrszeit um 7 % bis 8 % gerechnet (Congestion Charging Secretariat, 2006a). Im Ergebnis wurde der prognostizierte Rückgang des Verkehrsaufkommens noch übertroffen. Während der Betriebszeit des Preissystems querten 22 % weniger Fahrzeuge den Kordon stadtein- und stadtauswärts (Allström et al., 2006). Der Rückgang war in der abendlichen Hauptverkehrszeit mit 24 % weniger Fahrten stärker ausgeprägt als am Morgen mit 16 % weniger Fahrten. Außerhalb der Betriebszeit des Preissystems blieb das Verkehrsaufkommen unverändert. Über den gesamten Tag hinweg lag die Reduktion der Querungen mit 19 % trotzdem über den Erwartungen. In Abhängigkeit von der Zufahrtsstraße gingen die Fahrten zwischen 5 % aus Richtung Lidingö und 36 % im Südwesten der Stadt zurück. Der geringe Rückgang in Lidingö wird darauf zurückgeführt, dass der Durchgangsverkehr aus dieser Richtung von der Gebühr befreit war (Congestion Charging Secretariat, 2006a). Der Verkehr auf den Hauptumgehungsstraßen Essingeleden und Södra Länken, die ebenfalls von der Gebühr befreit waren, nahm dagegen zu. Bis zu 5 % mehr Fahrzeuge nutzen den Zugang über Essingeleden. Obwohl diese Zunahme gering ist, ist dieser Zugang durch die bereits vorhandene hohe Verkehrsbelastung anfälliger für Verkehrsstaus und andere Störungen. Daher kann auch eine kleine Zunahme zu Problemen im Straßennetz führen. Der Zugang Södra Länken verzeichnete dagegen eine sehr starke Zunahme des Verkehrs um 19 %. Ein solcher Anstieg wurde seit der Eröffnung von Södra Länken im Oktober 2004 beobachtet. Daher
3.4 Stockholm (SWE)
57
wird diese Zunahme vor allem als weitere Anpassung an die neue Infrastruktur und nur zum geringen Teil als Ausweichreaktion auf Straßenbenutzungsgebühren interpretiert (Congestion Charging Secretariat, 2006a). Die Fahrleistung in der Innenstadt selbst, gemessen als Summe aller Fahrzeugkilometer in dem betreffenden Gebiet, reduzierte sich durchschnittlich um 14 %. Das gilt sowohl für die Hauptverkehrszeiten als auch über den gesamten Tag hinweg. Dass dieser Rückgang geringer ausfiel als der Rückgang der Querungen wird darauf zurückgeführt, dass für den Verkehr innerhalb des Kordons keine Gebühr erhoben wurde. Möglicherweise wurden jetzt Fahrten in der Gebührenzone unternommen, die früher wegen der schlechten Verkehrslage unterlassen wurden (Congestion Charging Secretariat, 2006a). Der verbesserte Verkehrsfluss und die bessere Erreichbarkeit der Innenstadt wurde als Reduktion der Wartezeiten auf den Hauptzugangsstraßen definiert. Diese wurde als Differenz zwischen der aktuellen Reisezeit und der Zeit, in der der Verkehr ohne Störungen floss, gemessen. Im Ergebnis reduzierten sich die Wartezeiten auf den Zugangsstraßen morgens stadteinwärts um 30 % und abends stadtauswärts um 50 % (Congestion Charging Secretariat, 2006a). Die Anzahl der Fahrten mit dem ÖPNV in die Innenstadt während der Hauptverkehrszeit erhöhte sich morgens um 10 %. Die Fahrgastzahlen in die Innenstadt stiegen wochentags um 6 %. In der Innenstadt selbst verzeichnete der ÖPNV einen Anstieg der Fahrgastzahlen um 9 %. Damit lag der Anstieg der Fahrten und der Fahrgäste des ÖPNV ebenfalls über den Erwartungen (Congestion Charging Secretariat, 2006b). Allström et al. (2006) untersuchten, welche Strategien der Verhaltensanpassung die Bürger wählten, um sich auf das städtische Preissystem einzustellen. Sie fanden unterschiedliche Strategien in Abhängigkeit vom Zweck des Weges. Die Fahrten zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte, die nun nicht mehr mit dem Pkw durchgeführt wurden, wurden zum großen Teil auf den ÖPNV verlagert. Nur wenige Fahrten wurden auf die unbepreisten Umgehungsstraßen verlagert. Ebenso spielten Telearbeit, Fahrgemeinschaften, die Zusammenfassung mehrerer Wege oder die zeitliche Verlagerung der Fahrten keine Rolle. Bei Freizeit-, Geschäfts- oder Einkaufsfahrten zeigte sich ein anderes Bild. Für diese Fahrten wurden entweder neue Ziele oder neue Routen gewählt oder sie wurden unterlassen. Der Umstieg auf den ÖPNV spielte bei diesen Fahrten keine Rolle. Eine zeitliche Verlagerung von Fahrten, die mit der zeitlichen Differenzierung der Gebühren eigentlich induziert werden sollte, wurde hier auch nicht beobachtet (Allström et al., 2006). Am Beispiel Stockholms lässt sich außerdem untersuchen, wie sich das Verkehrsaufkommen nach dem Ende des Feldversuches entwickelte. Abbildung 3.11
58
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
stellt die Anzahl der Fahrzeuge, die den Kordon in beide Richtungen wochentags zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr passierten, dar. Dabei zeigt sich, dass sich das Verkehrsaufkommen nach dem Ende des Preissystems am 31. Juli 2006 sehr schnell wieder dem Niveau des Vorjahres annäherte. Im ersten Monat nach der Einstellung des Preissystems übertraf es sogar die Anzahl der Fahrzeuge im Jahr 2005. Danach blieb das Verkehrsaufkommen zwar konstant auf einem niedrigeren Niveau als im Jahr 2005, allerdings war es erheblich größer als während des Feldversuches im Frühjahr 2006. 2006
2005
500 000 31. Juli 2006
450 000 400 000 350 000 300 000 250 000 200 000 150 000 100 000 50 000
27-okt
18-okt
09-okt
28-sep
19-sep
08-sep
30-aug
21-aug
10-aug
21-jul
01-aug
12-jul
03-jul
21-jun
12-jun
30-maj
17-maj
26-apr
08-maj
12-apr
03-apr
23-mar
14-mar
22-feb
03-mar
13-feb
24-jan
02-feb
13-jan
02-jan
0
Abbildung 3.11: Entwicklung des Verkehrsaufkommens in Stockholm (Anzahl der Fahrzeuge, die den Kordon in beide Richtungen wochentags zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr passieren; City of Stockholm, 2006a)
Obwohl alle Personengruppen ihr Mobilitätsverhalten dem Preissystem anpassten, gibt es doch Unterschiede im Ausmaß. So zeigte sich, dass Studenten, Arbeitssuchende und Eltern mit Teenagern ihre Fahrten mit dem Pkw prozentual am meisten reduziert haben. Bezogen auf verschiedene Einkommensgruppen reduzierten besonders Personen mit mittlerem Einkommen ihre Fahrten (Allström et al., 2006). Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Verkehrserhebungen vor und nach der Einführung des Preissystems zu verschiedenen Jahreszeiten durchgeführt wurden. Das Ausmaß der jahreszeitlichen Schwankung des Verkehrs ist zwar für das Gesamtsystem bekannt und konnte so in der Evaluation berücksichtigt werden. Über die jahreszeitlichen Schwankungen verschiedener Personengruppen gibt es
3.5 Der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER)
59
jedoch nur qualitative, aber keine quantitativen Erkenntnisse. Daher müssen diese bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.
3.5 Der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER) 3.5.1 Systembeschreibung Bereits in den Jahren 1993 bis 1995 wurde in Stuttgart der MobilPASS Feldversuch durchgeführt, um die Wirkung städtischer Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten von Pkw-Nutzern zu untersuchen. Als Versuchsgebiet wurde der Süden Stuttgarts im Einzugsbereich der Bundesstraße 27 ausgewählt. Zur Gebührenerhebung wurde ein Kordon um die Innenstadt Stuttgarts gelegt und die Zufahrt vom Süden stadteinwärts bepreist. Die B27 ist die am häufigsten frequentierte Zufahrtsstraße in die Innenstadt. Das Untersuchungsgebiet wurde so gewählt, dass aufgrund der räumlichen Gegebenheiten mit drei Gebührenstationen ein möglichst großes Einzugsgebiet abgedeckt werden konnte (für eine detaillierte Darstellung vgl. FAW, 1995). Um den Eindruck des „Bezahlens“ möglichst realistisch zu simulieren, mussten die Probanden ihren MobilPASS, eine aufladbare Chipwertkarte von der die Gebühren automatisch abgezogen wurden, einmal im Monat gegen Barzahlung selbst aufladen. Sie bekamen diese Summe erst drei Wochen später auf ihrem Girokonto wieder gutgeschrieben. Die Höhe der Barzahlung ergab sich aus der individuell prognostizierten Fahrleistung und der voraussichtlichen Belastung durch die Straßenbenutzungsgebühren und wurde vom Untersuchungsteam festgelegt. Wurde am Ende des Monats das Budget nicht ausgeschöpft, wurde dieses Guthaben gespeichert und am Ende des Versuchs bis zu einem Höchstbetrag von 200 DM ausbezahlt. Damit sollte ein Anreiz zur Reduktion der Fahrtkosten und zur Verhaltensänderung geschaffen werden (Mock-Hecker & Würtenberger, 1998). Die Durchführung des Feldversuches ist in Tabelle 3.6 dargestellt. Die Datenerhebung begann im Februar 1994 mit der Erhebung der Akzeptanz und des Mobilitätsverhaltens ohne Straßenbenutzungsgebühren und wurde im März 1995 mit einer Vergleichsuntersuchung abgeschlossen. Ab Mai 1994 wurden in zweimonatigen Intervallen fünf verschiedene Preissysteme eingeführt und evaluiert. Davon waren je zwei Preissysteme besonders stark zeitlich bzw. räumlich differenziert (vgl. FAW, 1995). Der Versuch begann mit einer Stichprobe von 471 Teilnehmern und endete mit 349 Personen. Für die Auswertung der Fahrtenbücher wurden nur die Teilnehmer einbezogen, bei denen das Fahrtenbuch höchstens einen Monat, z. B. wegen Urlaub oder Krankheit, fehlte. Das waren insgesamt 275 Personen. Von dieser
60
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten Tabelle 3.6: Durchführung des MobilPASS Feldversuches in Stuttgart (FAW, 1995) Beginn
Versuchsphase
11/93 01/94 03/94 05/94 07/94 09/94 11/94 01/95 03/95
Probandenrekruktierung Trainingsphase Baseline 1 Preissystem 1 Preissystem 2 Preissystem 3 Preissystem 4 Preissystem 5 Baseline 2
Datenerhebung
Akzeptanz, Mobilitätsverhalten Mobilitätsverhalten a) Fahrtenbuch b) Pkw-Zählung an den Gebührenstationen
Akzeptanz, Mobilitätsverhalten
Stichprobe notierten 267 Personen freiwillig ihren Fahrtenbuchcode auf dem Abschlussfragebogen und standen so für die Auswertung des Einflusses soziodemographischer Merkmale auf das Mobilitätsverhalten zur Verfügung.
3.5.2 Akzeptanz Im Gegensatz zu den Erfahrungen in den bisher dargestellten Städten war die Akzeptanz vor Beginn des Feldversuches in Stuttgart vergleichsweise hoch (vgl. Abbildung 3.12). So stimmten 61.6 % der Probanden der Frage, ob sie den MobilPASS Feldversuch für eine gute Idee hielten, etwas oder völlig zu. Nach dem Feldversuch waren es jedoch nur noch 37.4 %. Das bedeutet, dass hier eine statisch signifikante negative Meinungsänderung stattgefunden hat (FAW, 1995). Dieser negative Trend wurde auch bei konkreten Fragen zum MobilPASS Feldversuch beobachtet. Beispielsweise stimmten in der Vorbefragung 75.8 % der Probanden der Aussage, das MobilPASS Konzept sei ein wirkungsvolles Instrument zu Entlastung der Stuttgarter Innenstadt, etwas oder völlig zu. In der Nachbefragung waren es nur noch 50.8 %. Das Untersuchungsteam führte diese negative Meinungsänderung auf den prototypischen Charakter des MobilPASS Systems zurück. Es sei für die Teilnehmer nicht so komfortabel und in seiner positiven Rückwirkung auf den Gesamtverkehr nicht erfahrbar gewesen wie ein tatsächlich eingeführtes System. Denkbar sind aber auch methodische Gründe. So haben alle Probanden freiwillig am Feldversuch teilgenommen. Möglicherweise meldeten sich nur die Personen, die bereits eine sehr positive Einstellung gegenüber städtischen Straßenbenutzungsgebühren hatten. Deshalb war eine weitere Erhöhung der Akzeptanz nach dem Feldversuch im Sinne eines Deckeneffektes möglicherweise nicht zu erwarten gewesen.
3.5 Der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (GER)
61
70% 61.6% 60% 50% 37.4%
40% 30% 20% 10% 0% Mrz 1994
Mrz 1995
Vorher
Nachher
Abbildung 3.12: Die Akzeptanz des MobilPASS Feldversuches in Stuttgart (FAW, 1995)
3.5.3 Mobilitätsverhalten Während des Versuchszeitraums protokollierten die Probanden jeden Weg in einem Fahrtenbuch. Dabei wurden die Teilnehmer u. a. gefragt, inwieweit die jeweils erhobene Gebühr einen Einfluss auf die Fahrt hatte und wenn ja, welche Anpassungsstrategie sie wählten. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich die Probanden unmittelbar an die Straßenbenutzungsgebühren anpassten und dass dieser Einfluss im Laufe des Versuches zunahm. Beispielsweise gaben die Probanden wochentags in der ersten Preisphase bei 10.4 % aller Fahrten an, dass diese Fahrt durch die Gebühr beeinflusst wurde. Dieser Anteil stieg auf 27.5 % aller Fahrten in der fünften Preisphase. An Samstagen gaben die Probanden bei 19.9 % aller Fahrten in der ersten und bei 27.8 % aller Fahrten in der fünften Preisphase einen Einfluss der Gebühren an. Mock-Hecker und Würtenberger (1998) schätzen, dass die Zahl beeinflusster Fahrten bei einer tatsächlichen Einführung des MobilPASS Systems einer Reduktion des Verkehrsaufkommens in den Hauptverkehrszeiten in der Woche um mehr als 20 % und an Samstagen um mehr als 25 % entspricht. Bei der Wahl der Anpassungsstrategien zeigte sich, dass die Strategien bevorzugt wurden, die die Pkw-Nutzung effizienter gestalteten. Ein Umstieg auf alternative Verkehrsmittel spielte dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Keine Rolle spielte die Wahl eines anderen Fahrtziels (Mock-Hecker & Würtenberger, 1998). Unterschiede bei der Wahl der Anpassungsstrategien gab es auch zwischen Woche und Wochenende. In der Woche wurden die Fahrten besonders häufig zeitlich
62
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
verlagert (bis zu 8.1 % der Fahrten) oder eine andere Fahrtroute gewählt (bis zu 13.6 % der Fahrten). Am Wochenende wurde dagegen auf andere Verkehrsmittel, insbesondere den ÖPNV, umgestiegen (bis zu 15.4 % der Fahrten) oder Fahrgemeinschaften gebildet (bis zu 12.2 % der Fahrten) (FAW, 1995). Die Erhebung der Baselinephasen (vgl. Tabelle 3.6) ermöglichte einen Vergleich des Mobilitätsverhaltens ohne Gebührenerhebung vor und nach dem Feldversuch. Ziel war es die langfristigen Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu untersuchen. Im Ergebnis zeigte sich nach dem Feldversuch eine leicht reduzierte Pkw- und eine gestiegene ÖPNV-Nutzung bei Fahrten ins Versuchsgebiet. So wurden vor dem Feldversuch 93.3 % aller Fahrten und nach dem Feldversuch 88.1 % aller Fahrten mit dem Pkw zurückgelegt. Der ÖPNV wurde vorher für 4.8 % aller Fahrten genutzt und danach für 7.9 % aller Fahrten (FAW, 1995). Die Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren nahm tendenziell mit steigendem Einkommen ab. Personen mit geringem Einkommen stiegen häufiger auf alternative Verkehrsmittel um, während Personen mit hohem Einkommen eher Fahrgemeinschaften bildeten oder ihre Fahrtroute änderten. Des Weiteren passten sich jüngere (bis 28 Jahre) sowie ältere Probanden (ab 57 Jahre) stärker an die Gebühren an. Junge Probanden stiegen häufiger auf alternative Verkehrsmittel um, während Ältere eher ihre Fahrtroute änderten. Allerdings weisen die Autoren darauf hin, dass der geringe Umfang der Teilstichproben die Generalisierbarkeit dieser Ergebnisse stark einschränkt (FAW, 1995).
3.6 Zusammenfassung In diesem Abschnitt werden die Erfahrungen der einzelnen Städte mit der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren zusammengefasst. Das Ziel ist es, über die Einzelergebnisse hinaus allgemeine Aussagen zur Akzeptanz, zum Mobilitätsverhalten und den soziodemographischen Unterschieden nach der Einführung von städtischen Preissystemen abzuleiten.
3.6.1 Akzeptanz Aus den Ergebnissen der Akzeptanzbefragungen in den verschiedenen Städten werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede ersichtlich. Gemeinsam ist allen Städten, dass die Akzeptanz städtischer Preissysteme keinen statischen, sondern einen sehr dynamisches Charakter aufweist. So zeigte sich, dass während der Konzeption und der Vorbereitung der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren die Bürger
3.6 Zusammenfassung
63
der Idee städtischer Preissysteme durchaus positiv gegenüber stehen. Beispielsweise akzeptierten in London 41 %, in Edinburgh 62 % und in Stockholm 38 % der Einwohner dieses Konzept. Diese Zustimmung nimmt jedoch ab, sobald konkrete Pläne für ein Preissystem ausgearbeitet und vorgelegt werden. Besonders deutlich wird das am Beispiel Edinburghs. Hier sank die Zustimmung von 62 % während der Konzeptionsphase auf nur noch 25.6 % im Referendum unmittelbar vor dem anvisierten Start des Preissystems. Auch in Stockholm ging die Akzeptanz des Großversuches von vormals 54 % auf 44 % zurück. Die Akzeptanz der permanenten Einführung von Straßenbenutzungsgebühren in Stockholm sank von 38 % auf 30 %. Selbst in London ist ein leichter Rückgang der Akzeptanz um 2 % zu verzeichnen. Sofern ein städtisches Preissystem diese zweite, kritische Phase überwindet und tatsächlich eingeführt wird, zeigt sich in allen Städten eine Zunahme der Akzeptanz. So wurde in Bergen nach der Einführung der Stadtmaut eine Zunahme der Akzeptanz von 13.6 % auf 50 % registriert. In Oslo stieg die Akzeptanz von 28 % auf 34 % und in London von 39 % auf 57 %. In Stockholm stieg die Akzeptanz des Großversuchs von 44 % auf 49 %. Die Zustimmung zur permanenten Einführung von Straßenbenutzungsgebühren in Stockholm stieg von 30 % auf 48 % und wurde im anschließenden Referendum mit einer knappen Mehrheit von 51.3 % bestätigt. Langfristig zeigte sich allerdings in Oslo und Trondheim, dass sich dieser positive Trend auch wieder umkehren kann. In beiden Städten wurde eine negative Akzeptanzänderung als Reaktion auf die Diskussion und Implementierung von Veränderungen bzw. Erweiterungen der bestehenden Systeme registriert. Das bedeutet, dass konkrete Veränderungen auch bei bereits eingeführten städtischen Preissystemen Gegenstand öffentlicher Debatten bleiben. So wird z. B. der deutliche Rückgang der Akzeptanz in Oslo im Jahr 2001 auf die Gebührenerhöhung von 15 auf 20 NOK zurückgeführt. Unterschiede zwischen den Städten gab es dagegen im Grad der Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren. So lag bereits in der Konzeptionsphase die Akzeptanz zwischen 38 % (Stockholm) und 62 % (Edinburgh). Kurz vor der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren lassen sich Zustimmungsraten zwischen 7.4 % (Trondheim) und 44 % (Stockholm) beobachten. Nach der Einführung bewegen sie sich zwischen 34% (Oslo) und 57 % (London). Des Weiteren ist das Ausmaß der Zu- und Abnahme der Akzeptanz in den einzelnen Städten sehr unterschiedlich. Beispielsweise schwanken die Akzeptanzwerte vor der Einführung in London lediglich um 2 % in Edinburgh dagegen um 36.6 %. Über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg sind die Unterschiede zwischen dem geringsten und dem höchsten Akzeptanzwert in Stockholm mit
64
3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
16 % bzw. 21.3 % mäßig. In Norwegen dagegen sind die Unterschiede mit 29.9 % (Trondheim) und 36.4 % (Bergen) wesentlich stärker ausgeprägt. Diese Unterschiede gehen zum einen auf die unterschiedlichen Zeitpunkte der Akzeptanzbefragungen zurück. So kann es durchaus relevant sein, ob die Akzeptanz nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren bereits im nächsten Monat oder erst einige Monate später erhoben wird. Akzeptanzänderungen benötigen beispielsweise Zeit, um sich zu manifestieren. Zum anderen tragen die lokalen Bedingungen in den einzelnen Städten zu diesen Unterschieden bei. Beispielsweise führte die hohe Sensibilität der Bürger bezüglich der Verkehrsprobleme der Londoner Innenstadt zu einer vergleichsweise hohen Akzeptanz des städtischen Preissystems auch unmittelbar vor der Einführung des Preissystems (vgl. Abbildung 3.5, Kapitel 3.2.2). Ein wesentlicher Unterschied in der Akzeptanz war auch im MobilPASS Feldversuch in Stuttgart zu beobachten. Im Vergleich zu den tatsächlichen Einführungen von städtischen Preissystemen und dem Großversuch in Stockholm war die Akzeptanz unmittelbar vor dem MobilPASS Versuch mit 61.6 % sehr hoch. Des Weiteren nahm die Akzeptanz nach dem Versuch nicht wie in den anderen Städten zu, sondern sank auf 37.4 %. In Stuttgart gab es also eine negative Akzeptanzänderung nach der Durchführung des Versuches. Allerdings war die Teilnahme am diesem Feldexperiment freiwillig, im Gegensatz zu einer tatsächlichen Einführung. Möglicherweise meldeten sich nur Personen, die gegenüber Straßenbenutzungsgebühren sehr positiv eingestellt, aber nicht repräsentativ für alle Pkw-Nutzer waren. Es ist möglich, dass sich die Ergebnisse des Feldversuches aus diesem Grund so stark von den Repräsentativerhebungen in den anderen Städten unterscheiden. Eine, über die Einzelergebnisse hinausgehende, empirische Zusammenfassung der Akzeptanz städtischer Preissysteme ist in Abbildung 3.13 dargestellt. Für die Akzeptanzwerte der drei Phasen „Konzeption eines Preissystems“, „vor der Einführung des Preissystems“ und „nach der Einführung eines Preissystems“ wurden die Werte der einzelnen Städte gemittelt. Gab es in einer Stadt mehrere Erhebungen in einer Phase, so wurden diese Einzelwerte vorab zu einem stadtspezifischen Phasenwert gemittelt. Auf die Art und Weise ist es möglich, einen typischen Verlauf der Akzeptanz empirisch zu ermitteln. Wegen der eingeschränkten Vergleichbarkeit des Stuttgarter MobilPASS Feldversuches mit den anderen Städten wurde der Akzeptanzverlauf in Abbildung 3.13 zusätzlich ohne Stuttgart dargestellt. Im Ergebnis änderte sich der typische Akzeptanzverlauf jedoch nicht. Demnach sind städtische Preissysteme während der Konzeption durch eine vergleichsweise hohe Akzeptanz gekennzeichnet. Die Bürger unterstützen durchaus die Idee und die Ziele von Straßenbenutzungsgebühren. Sobald die Pläne jedoch konkret werden, sinkt die Zustimmung. Goodwin (1989) beschreibt diese Entwick-
3.6 Zusammenfassung
65
50%
44.8%
46.8%
46.0%
40% 33.7% 30% 29.7%
Alle Städte
20%
Alle Städte ohne Stuttgart
10%
0% Phase 1 Konzeption eines Preissystems
Phase 2
Phase 3
Vor der Einführung des Nach der Einführung des Preissystems Preissystems
Abbildung 3.13: Die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren im Zeitverlauf
lung treffend: "‘Everybody can support it, if it will be done their way"’ (S. 496). Möglicherweise realisieren die Bürger in dieser Phase, dass damit auch tiefgreifende Veränderungen für ihre Mobilität verbunden sind und nicht nur die Vorteile, die sie mit der Idee und den Zielen von Straßenbenutzungsgebühren antizipieren. Nach der Einführung des Preissystems steigt dagegen die Akzeptanz wieder an (vgl. dazu Kapitel 4.1.2).
3.6.2 Mobilitätsverhalten Die Beispiele städtischer Straßenbenutzungsgebühren verdeutlichen nicht nur Akzeptanzänderungen sondern auch Mobilitätsverhaltensänderungen nach der Einführung. In London und Stockholm, die Straßenbenutzungsgebühren explizit zur Lenkung der Verkehrsnachfrage einsetzten, gab es einen Rückgang des Verkehrsaufkommens um 16 % bzw. 22 %. Auf der Grundlage der individuellen Reduktion der Pkw-Nutzung während des MobilPASS Feldversuches in Stuttgart wurde ebenfalls eine potenzielle Reduktion des Verkehrsaufkommens um 20 % bis 25 % prognostiziert. Selbst in den norwegischen Städten, deren Preissysteme nicht zur Verkehrslenkung gestaltet waren, wurden Reduktionen des Verkehrsaufkommens von 6 % bis 10 % beobachtet. Das bedeutet, dass Pkw-Nutzer bereits sehr kurzfristig in der Lage sind, sich auf veränderte finanzielle Rahmenbedingungen ihrer Mobilität einzustellen. Straßenbenutzungsgebühren sind demnach ein wirksames Instrument zur Reduktion und Lenkung der Verkehrsnachfrage.
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3 Straßenbenutzungsgebühren in Städten
Das Ausmaß der Verhaltensanpassung wird dabei wesentlich von der Gestaltung des Preissystems, insbesondere der Höhe der Gebühren, bestimmt. So zeigten sich bei den Stadtmauten Norwegens mit einer Gebührenhöhe von e 1.80 bis e 2.40 für eine Kordonquerung wesentlich geringere Reduktionen im Verkehrsaufkommen als beispielsweise in London mit e 7.50 bzw. e 12 pro Tag. In Norwegen selbst lässt sich dieser Effekt ebenfalls beobachten. In Trondheim, wo es weniger Möglichkeiten der Gebührenermäßigung gab als in Oslo und Bergen, wurden im Vergleich auch stärkere Reduktionen des Verkehrsaufkommens registriert. Die Erfahrungen in den Städten verdeutlichen außerdem die Vielfalt der Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens. Beispielsweise verschoben in Bergen die Pkw-Nutzer vor allem den Zeitpunkt ihrer Fahrt. In Oslo dagegen wählten die Pkw-Nutzer andere Fahrtziele. Einzig in Trondheim lässt sich ein Umstieg auf alternative Verkehrsmittel nachweisen. Aber auch innerhalb einer Stadt wurden verschiedene Anpassungsstrategien gewählt. So änderten z. B. in London die Pkw-Nutzer, die die Gebührenzone durchfuhren, ihre Route während die Pkw-Nutzer, deren Ziel die Gebührenzone war, auf andere Verkehrsmittel umstiegen. In Stockholm wurden die Fahrten zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte mehrheitlich auf den ÖPNV verlagert, während für Freizeit- oder Einkaufsfahrten neue Ziele oder neue Routen gewählt wurden. Gemeinsam ist jedoch den Städten, dass eine Verlagerung des Fahrtziels außerhalb der Innenstädte nur eine untergeordnete Rolle spielt. Und auch in Oslo, wo andere Fahrtziele gewählt wurden, war die Reduktion des Verkehrsaufkommens insgesamt marginal. Das bedeutet, dass die Innenstädte auch mit städtischen Preissystemen attraktive Zielorte bleiben. Welche Strategie der Verhaltensänderung im Einzelnen gewählt wird, scheint von vielen Faktoren abhängig zu sein. In London war es beispielsweise das Fahrtziel (Durchgangs- vs. Zielverkehr) und in Stockholm der Zweck der Fahrt. In Stuttgart konnten durch die Gestaltung verschiedener Varianten des Preissystems gezielt Anreize zur zeitlichen oder räumlichen Verlagerung der Fahrten gesetzt werden. In Stockholm dagegen spielte die zeitliche Verlagerung von Fahrten keine dominierende Rolle, trotz einer zeitlichen Differenzierung. Des Weiteren ist die Strategiewahl von den vorhandenen Alternativen zum Pkw abhängig. So stiegen beispielsweise die Pkw-Nutzer in London und Stockholm besonders häufig auf den ÖPNV um. Diese Städte investierten die Einnahmen aus dem Preissystem ausschließlich in die Verbesserung und Erweiterung öffentlicher Verkehrsmittel und schufen damit Alternativen zum Pkw. Die Ergebnisse zu den langfristigen Auswirkungen von Straßenbenutzungsgebühren auf das Mobilitätsverhalten sind uneindeutig. Während Ieromonachou et al.
3.6 Zusammenfassung
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(2006b) dies am Beispiel Bergens verneinen, berichtet Tretvik (2003) für Trondheim von einer Reduktion im langfristigen Anstieg des Verkehrsaufkommens. Während in Norwegen die langfristigen Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten während der Laufzeit des Preissystems untersucht wurden, war es am Beispiel Stockholms und Stuttgarts möglich, die Auswirkungen nach dem Ende des jeweiligen Preissystems zu beobachten. Im Ergebnis waren die, den Versuch überdauernden, Reduktionen im Verkehrsaufkommen und in der individuellen PkwNutzung sehr gering. Dieses Ergebnis scheint plausibel, da durch die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren die Pkw-Nutzung finanziell weniger attraktiv gemacht werden soll. Schafft man diese Gebühren wieder ab, sinken die Kosten für den Pkw und er gewinnt wieder an Attraktivität im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln.
3.6.3 Soziodemographische Unterschiede Zu den soziodemographischen Faktoren, deren Einfluss auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten am häufigsten untersucht wurde, gehören die PkwVerfügbarkeit bzw. die Nutzungshäufigkeit des Pkw, der Wohnort, das Alter, das Geschlecht und das Einkommen. Dabei zeigt sich, dass Pkw-Nutzer (im Vergleich zu ÖPNV-Nutzern), häufige Pkw-Nutzer (im Vergleich zu seltenen Nutzern), Frauen und Bewohner der Umlandgemeinden negativer gegenüber Straßenbenutzungsgebühren eingestellt sind. Beim Alter und dem Einkommen sind die Ergebnisse dagegen widersprüchlich. Beim Mobilitätsverhalten zeigt sich, dass häufige Pkw-Nutzer, Männer und Bewohner der Umlandgemeinden ihr Verhalten stärker änderten. Das gleiche traf in Stockholm auf Studenten, Arbeitssuchende und Eltern mit Teenagern zu. In Stuttgart wiederum waren das besonders jüngere und ältere Teilnehmer. Das wirft die Frage auf, ob beispielsweise bei Studenten, die im Durchschnitt jung sind, eher das Alter oder das Einkommen die differenzierte Reaktion auf städtische Straßenbenutzungsgebühren bestimmt. Möglicherweise erklärt sogar ein dritter Faktor, z. B. die hohe Zeitsouveränität, die stärkere Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren. In der Tat legen die Erfahrungen aus den Städten vermittelte Einflüsse bei der Wirkung von soziodemographischen Faktoren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten nahe. Soziodemographische Faktoren, welche die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten beeinflussen, stehen auch untereinander systematisch in Beziehung. Ein Beispiel dafür ist der Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Pkw-Verfügbarkeit oder dem Einkommen und dem Bildungsstand bzw. der Berufsgruppe.
4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
Im Kapitel 3 wurden die empirischen Ergebnisse zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten der Städte dargestellt, die Straßenbenutzungsgebühren tatsächlich eingeführt oder umfangreich getestet haben. Dieses Kapitel beschäftigt sich nun mit den theoretischen Ansätzen und den dazugehörigen empirischen Befunden zu Straßenbenutzungsgebühren, um die Ergebnisse der Städte erklären zu können. Das Ziel ist es, im Kapitel 5 konkrete Hypothesen zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten nach der Einführung städtischer Preissysteme abzuleiten. Das Kapitel ist wie folgt strukturiert. Zuerst werden im Kapitel 4.1 die psychologischen Modelle zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren vorgestellt. Anschließend werden im Kapitel 4.2 die Theorien und empirischen Befunde zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens dargestellt. Im Kapitel 4.3 steht die Beziehung zwischen der Akzeptanz und dem Mobilitätsverhalten im Mittelpunkt. Abschließend werden im Kapitel 4.4 die individuellen Unterschiede in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren diskutiert.
4.1 Psychologische Akzeptanzmodelle Es existiert eine Reihe von Modellen zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Die Mehrzahl dieser Modelle beschäftigt sich mit den individuellen Einflussfaktoren auf die Akzeptanz (vgl. Kapitel 4.1.1). Modelle zum Verlauf der Akzeptanz im Implementierungsprozess und insbesondere nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren gibt es dagegen kaum (vgl. Kapitel 4.1.2).
4.1.1 Strukturmodelle Diese Akzeptanzmodelle beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Faktoren die individuelle Ausprägung der Akzeptanz zurückzuführen ist. Beispiele dafür sind:
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
Rienstra, Rietveld und Verhoef (1999); Jakobsson et al. (2000); Jones (2003); Bamberg und Rölle (2003); Schuitema (2003); Loukopoulos, Jakobsson, Gärling, Schneider und Fujii (2005); Eriksson, Garvill und Nordlund (2006); Steg und Schuitema (2007). Am geeignetsten für diese Arbeit erscheint jedoch das heuristische Akzeptanzmodell von Schlag (Schlag & Teubel, 1997; Schlag, 1998; Schlag & Schade, 2000) und in seiner erweiterten und spezifizierten Fassung von Schade (Schade & Schlag, 2003a, 2003b, 2004; Schade, 2005). Dieses Modell benennt nicht nur die zentralen Faktoren, die die Akzeptanz beeinflussen, sondern beleuchtet auch die Beziehung zwischen der Akzeptanz und dem Mobilitätsverhalten, insbesondere die Rückwirkung des geänderten Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz. Das heuristische Akzeptanzmodell identifiziert und strukturiert auf der Basis der Theorie des überlegten und des geplanten Verhaltens (Fishbein & Ajzen, 1975; Ajzen, 1991) die zentralen, kognitiven Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Das sind: • Problembewusstsein, unterschieden nach umweltbezogenem und verkehrsbezogenem Problembewusstsein. Ein hohes Problembewusstsein ist die Voraussetzung dafür, dass Maßnahmen zur Lösung überhaupt als wichtig anerkannt werden (vgl. z. B. Jaensirisak, Wardman & May, 2005; Bamberg & Rölle, 2003). Es hat sich aber gezeigt, dass es unterschiedliche Wahrnehmungsmuster gibt (Schade & Schlag, 2004; Schade, 2005). Ein hohes umweltbezogenen Problembewusstsein von z. B. Luftverschmutzung und Lärm geht mit einer hohen Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren einher. Im Gegensatz dazu hat ein hohes verkehrsbezogenes Problembewusstsein von z. B. Stau und Parkplatzproblemen einen negativen Einfluss auf die Akzeptanz. • Zielvorstellungen, unterschieden nach sozialen versus persönlich relevanten Mobilitätszielen. Sozial relevante Zielvorstellungen beziehen allgemeine Konsequenzen für die Umwelt oder für andere Verkehrsteilnehmer ausdrücklich ein. Persönlich relevante Zielvorstellungen dagegen beziehen sich vor allem auf die Konsequenzen für die eigene Mobilität. Schade und Schlag (2000) zeigen, dass Personen, die stärker persönliche Ziele verfolgen Straßenbenutzungsgebühren negativer eingestellt sind als Personen, die stärker soziale Ziele verfolgen (vgl. auch Jaensirisak, May & Wardman, 2003). • Verantwortungsattribution, unterschieden nach internaler und externaler Zuschreibung der Verantwortung für die wahrgenommenen Probleme. Es hat sich gezeigt, dass besonders die internale Verantwortungsattribution in Zusammenhang zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren steht. Wird
4.1 Psychologische Akzeptanzmodelle
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die eigene Person als (mit-) verantwortlich für die Lösung der Probleme gesehen, führt dies zu einer positiveren Bewertung von Straßenbenutzungsgebühren (Schade & Schlag, 2003b, 2004; Schade, 2005; Steg & Vlek, 1997). • subjektives Wissen über den Problemhintergrund, die Ziele sowie die konkrete Umsetzung von Straßenbenutzungsgebühren. Je mehr Wissen darüber vorhanden ist, desto weniger Raum gibt es für Spekulationen und Ängste und desto positiver ist die Bewertung. So konnten Schlag und Teubel (1997) sowie Schlag und Schade (2000) zeigen, dass unbekannte verkehrspolitische Maßnahmen, wie z. B. Straßenbenutzungsgebühren, geringere Zustimmungsraten erhalten als bekannte Maßnahmen, wie z. B. der Ausbau des ÖPNV oder Zufahrtsbeschränkungen. Entscheidend ist allerdings weniger, wie viel die Personen objektiv über Straßenbenutzungsgebühren wissen, als vielmehr wie viel sie glauben, darüber zu wissen. • wahrgenommene Effektivität, definiert als Grad der Zielerreichung. Je stärker die Überzeugung ist, dass Straßenbenutzungsgebühren eine effektive, wenn nicht sogar die effektivste Maßnahme zur Lösung verkehrsbezogener Probleme in Städten ist, desto höher ist die Akzeptanz dieser Maßnahme. Dieser Zusammenhang konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden (vgl. z. B. Schade & Schlag, 2000; Bamberg & Rölle, 2003; Jakobsson et al., 2000; Schuitema, Steg & Vlek, 2007). • wahrgenommene Gerechtigkeit, unterschieden nach inter- und intrapersonaler Gerechtigkeit. Den interpersonalen Aspekt bezeichnet Schade (2005) als Fairness und den intrapersonalen Aspekt als Nutzenerwartung. Das bedeutet, Straßenbenutzungsgebühren werden dann besser akzeptiert, wenn eine Gleichbehandlung verschiedener Personengruppen sichergestellt wird und wenn die persönliche Kosten-Nutzen Relation zumindest annähernd ausgewogen ist. Die bisherigen empirischen Studien zeigen übereinstimmend, dass die wahrgenommene Gerechtigkeit ein bedeutsamer Prädiktor der Akzeptanz ist (z. B. Ittner, Becker & Kals, 2003; Jakobsson et al., 2000; Bamberg & Rölle, 2003; Fujii, Gärling, Jakobsson & Jou, 2004). Allerdings wird in diesen Studien die wahrgenommene Gerechtigkeit eindimensional definiert und operationalisiert. Eine Differenzierung nach verschiedenen Gerechtigkeitsprinzipien gibt es in der Regel nicht. • Soziale Norm, in Anlehnung an Ajzen (1991). Dies entspricht der wahrgenommenen Erwartung wichtiger anderer Personen, Straßenbenutzungsgebühren zu akzeptieren. Je positiver die wahrgenommene soziale Norm in
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
Bezug auf städtische Preissysteme ist, desto höher ist die Akzeptanz (vgl. z. B. Schade, 2005; Jakobsson et al., 2000; Bamberg & Rölle, 2003). • Einkommen. Straßenbenutzungsgebühren erhöhen die Kosten der PkwNutzung und motivieren so Verkehrsteilnehmer, ihre Pkw-Nutzung zu reduzieren und/oder effizienter zu gestalten. Schade (2005) schlussfolgert daraus, dass die Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren je nach sozioökonomischem Status, und hier insbesondere dem Einkommen, unterschiedlich ausfällt. Allerdings sind die empirischen Befunde dazu nicht eindeutig (vgl. auch Kapitel 4.4). Schade (2005) selbst findet nur einen geringen, über die Fairness vermittelten, Einfluss des Einkommens auf die Akzeptanz. Schade (2005) verweist zudem auf mögliche Kontexteffekte. Das bedeutet, dass sich der persönliche Bezugsrahmen durch eigene oder medial vermittelte Erfahrungen im Zeitverlauf, z. B. im Zuge der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren, durchaus ändern kann. In der Folge kann es dann zu einer veränderten Gewichtung der einzelnen Prädiktoren für das Akzeptanzurteil kommen. Dies unterstreicht noch einmal den dynamischen Charakter der Akzeptanz von städtischen Straßenbenutzungsgebühren, der bereits im Kapitel 3.6.1 herausgearbeitet wurde. In der Tradition der Theorie des geplanten Verhaltens nehmen Schlag und Schade des Weiteren an, dass die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren zur Bildung entsprechender Verhaltensintentionen und in der Folge zu Änderungen des Mobilitätsverhaltens führt. Das bedeutet, dass die Personen, die Straßenbenutzungsgebühren akzeptieren, eher bereit sein sollten, ihre Pkw-Nutzung einzuschränken. So korreliert beispielsweise die Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren mit der Bereitschaft, die Pkw-Nutzung einzuschränken und auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen (Schade, 2005; Bamberg & Rölle, 2003). Voraussetzung dafür, dass sich Verhaltensintentionen tatsächlich in einer Änderung des Mobilitätsverhaltens manifestieren, ist die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Das bedeutet, dass nur bei entsprechenden Rahmenbedingungen die Intentionen in ein verändertes Mobilitätsverhalten resultieren. So kann ein gut ausgebautes ÖPNV-System, das die Reduktion der Pkw-Nutzung mit vertretbarem Aufwand erlaubt, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle erhöhen. Dazu muss der ÖPNV allerdings auch als Alternative zum Pkw wahrgenommen werden. Schließlich postuliert Schlag (1998) über die wahrgenommenen Verhaltenskonsequenzen eine Rückwirkung des geänderten Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Das heißt, dass die ersten Versuche mit neuen Mobilitätsverhaltensweisen mit positiven Erfahrungen verbunden sein müssen, damit sie positiv verstärkt werden. Dadurch wird eine Stabilisierung des neuen Mobilitätsverhaltens erreicht und ein positiver Einfluss auf die Akzeptanz von
4.1 Psychologische Akzeptanzmodelle
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Straßenbenutzungsgebühren ausgeübt. Negative Erfahrungen sollen dagegen mit einer Rückkehr zur bisherigen Pkw-Nutzung und/oder einer negativen Rückwirkung auf die Akzeptanz verbunden sein.
4.1.2 Verlaufsmodelle Theoretische Modelle, die sich mit dem Akzeptanzverlauf während des Implementierungsprozess von städtischen Preissystemen und insbesondere nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren beschäftigen, gibt es kaum. Auch steht die umfassende empirische Überprüfung der bestehenden Modelle noch aus. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren im Zeitverlauf zunimmt, schlägt Hårsman (2003) einen s-förmigen Verlauf vor. Das bedeutet, dass sich die Akzeptanz zunächst auf einem stabil niedrigen Niveau bewegt. Die Akzeptanz wird sich erst dann erhöhen, wenn eine kritische Masse an Personen Straßenbenutzungsgebühren zustimmt. Sobald dieser Schwellenwert überschritten ist, kommt es zu einem rapiden Anstieg der Akzeptanz. Anschließend stabilisiert sich die Zustimmungsrate auf diesem höheren Niveau wieder. Allerdings macht Hårsman keine Aussagen über die Einbettung dieses Akzeptanzverlaufs in den Implementierungsprozess von städtischen Preissystemen. Schade, Seidel und Schlag (2004) sowie Goodwin (2006) nehmen dagegen einen u-förmigen Verlauf der Akzeptanz während der Einführung städtischer Preissysteme an, wie er auch in dieser Arbeit empirisch aufgezeigt werden konnte (vgl. Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1). Beide gehen von einer hohen Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren während der Konzeption und der Vorbereitung der Einführung des Preissystems aus. In der zweiten Phase, in der die Pläne konkret ausgearbeitet werden, nehmen beide Modelle eine Abnahme der Akzeptanz an. Schade et al. (2004) erklären diese Tendenz in Anlehnung an einen AnnäherungsVermeidungskonflikt (Miller, 1959 zitiert nach Heckhausen & Heckhausen, 2006). Das bedeutet, dass in dieser Phase nicht nur die Vorteile eines städtischen Preissystems im Sinne einer Annäherungstendenz deutlich werden, sondern auch die potenziellen Nachteile. Diese potenziellen Nachteile manifestieren sich als Vermeidungstendenz, die mit dem Herannahen des Ziels, d. h. dem Einführungstermin, stärker zunimmt als die Annäherungstendenz. Offenbar realisieren die Bürger und deren Interessenvertreter, dass damit tiefgreifenden Veränderungen für ihre Mobilität verbunden sind und dass nicht nur die Vorteile, die sie mit der Idee antizipiert haben, eintreten werden. Des Weiteren postulieren Schade et al. (2004), dass das Ausmaß des Rückgangs der Akzeptanz umso höher sein wird, je größer die Zustimmung in der Konzeptionsphase war. Gegen diese Hypothese sprechen allerdings die Erfahrungen in
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
London. Dort hielt sich die Akzeptanz von der Schaffung der institutionellen Voraussetzungen im Jahr 1999 bis zur Einführung im Jahr 2003 konstant auf einem Niveau von etwa 40 %. Welches Ausmaß der Rückgang der Akzeptanz annimmt, wird möglicherweise stärker durch den Kontext bestimmt, in dem die Diskussionen in dieser Phase stattfinden, als durch die Ausgangswerte der Akzeptanz. Sofern ein städtisches Preissystem diese zweite, kritische Phase überwindet und tatsächlich eingeführt wird, nehmen Schade et al. (2004) sowie Goodwin (2006) eine deutliche Zunahme der Akzeptanz an, wie sie auch in den Beispielstädten dieser Arbeit empirisch gezeigt werden konnte (vgl. noch einmal Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1). Goodwin (2006) nimmt an, dass in dieser Phase zum einen viele der vorher geäußerten Befürchtungen nicht eintreten und zum anderen die positiven Effekte des Preissystems für den Verkehr und die Umwelt sichtbar und erfahrbar werden. Beides führt nach Goodwin zu einer Verbesserung der Akzeptanz.
4.1.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden die psychologischen Akzeptanzmodelle vorgestellt, um die empirischen Ergebnisse zur Akzeptanz in den Städten aus Kapitel 3.6.1 theoretisch einordnen zu können. Das zentrale Ergebnis war der dynamische Charakter der Akzeptanz im Verlauf des Implementierungsprozesses (vgl. Kapitel 3.6.1). In der Folge wurde ein Modell über den typischen Verlauf der Akzeptanz im Rahmen der Einführung städtischer Preissysteme empirisch abgeleitet (vgl. Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1). Theoretische Modelle, die sich mit dem Akzeptanzverlauf beschäftigen gibt es dagegen nur sehr wenige. Am ehesten entsprechen die Modelle von Schade et al. (2004) sowie Goodwin (2006) dem empirisch gewonnenen Akzeptanzmodell. Die deutliche Zunahme der Akzeptanz nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren erklärt Goodwin (2006) damit, dass die Verbesserung der Verkehrs- und Umweltsituation in der Stadt sichtbar wird und sich gleichzeitig Befürchtungen über chaotische Verkehrszustände etc. als unbegründet erweisen. Die Unterschiede im Akzeptanzverlauf zwischen den Städten mit einer tatsächlichen Einführung von Preissystemen und dem MobilPASS Feldversuch in Stuttgart könnten in diese Richtung interpretiert werden. Allerdings könnte auch die Art der Stichprobengewinnung (repräsentativ vs. Freiwillige) für diesen Unterschied verantwortlich sein (vgl. Kapitel 3.6.1). Einen anderen Ansatzpunkt zur Erklärung der positiven Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren bietet das heuristische Akzeptanzmodell von Schlag und Schade. Das Modell geht von einer möglichen Be-
4.2 Mobilitätsverhalten
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ziehung zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung über die wahrgenommenen Konsequenzen der Verhaltensanpassung aus. In den empirischen Ergebnissen der Städte gibt es mehrere Hinweise, die eine Rückwirkung des Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz nahe legen. Zum einen treten nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren beide Effekte, die Akzeptanz- und die Verhaltensänderung, gleichzeitig ein. Zwar ist das gleichzeitige Auftreten dieser Veränderungen noch kein Beleg, aber doch ein erster Hinweis für einen kausalen Zusammenhang. Zum anderen hat sich am Beispiel der norwegischen Städte gezeigt, dass die positive Akzeptanzänderung nach der Einführung noch einige Jahre anhält. Eine solche zeitlich stabile Einstellungsänderung wird beispielsweise durch Verhaltensänderungen initiiert (vgl. Kapitel 4.3). Des Weiteren zeigte sich in London bei Befragungen zur Wahrnehmung der Konsequenzen des Preissystems, dass die positiven Einschätzungen nach der Einführung deutlich zunahmen, während sich der Anteil der negativen Einschätzungen nur unwesentlich änderte (vgl. Kapitel 3.2.3). Allerdings bleibt auch beim heuristischen Akzeptanzmodell von Schlag und Schade offen, durch welche psychologischen Mechanismen die wahrgenommenen Verhaltenskonsequenzen zu einer Akzeptanzänderung führen. Dieser Aspekt wird in Kapitel 4.3 weiter ausgeführt.
4.2 Mobilitätsverhalten Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Wirkungen städtischer Straßenbenutzungsgebühren auf das Mobilitätsverhalten. Im Kapitel 4.2.1 geht es darum, wie bzw. durch welche psychologischen Mechanismen städtische Straßenbenutzungsgebühren verhaltenswirksam werden. Im Kapitel 4.2.2 wird untersucht, welche Faktoren das Ausmaß der Verhaltenswirksamkeit beeinflussen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Mobilitätsgewohnheiten und die differenzierte Ausgestaltung eines Preissystems. Anschließend werden im Kapitel 4.2.3 die möglichen Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens vorgestellt. Abschließend wird im Kapitel 4.2.4 die Frage geklärt, nach welchem Prinzip die jeweiligen Strategien der Verhaltensanpassung ausgewählt werden.
4.2.1 Verhaltenswirksamkeit von Straßenbenutzungsgebühren Die Beispiele städtischer Preissysteme verdeutlichen sehr eindrucksvoll die Verhaltenswirksamkeit von Straßenbenutzungsgebühren. So wurden Rückgänge im Verkehrsaufkommen zwischen 16 % und 22 % beobachtet. Auf der individuellen Ebene berichteten Personen von 10.4 % bis 27.8 % aller Pkw-Fahrten, die durch
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die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren beeinflusst wurden (vgl. Kapitel 3.6.2). Theoretisch wurde die Wirkung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren auf das Mobilitätsverhalten bisher vor allem und sehr umfangreich unter ökonomischer Perspektive betrachtet (für einen Überblick vgl. z. B. Ubbels & Verhoef, 2007). Psychologische Untersuchungen, die sich mit den Wirkmechanismen städtischer Straßenbenutzungsgebühren auf das Mobilitätsverhalten beschäftigen, sind dagegen vergleichsweise selten (Jakobsson, Fujii & Gärling, 2002). Nach Ansicht von Schlag, Schade und Risser (in Druck) werden Straßenbenutzungsgebühren im Sinne des operanten Konditionierens verhaltenswirksam. Dabei wird das operante Konditionieren weniger als einfaches Lernprinzip denn als Motivationsstrategie verstanden. Straßenbenutzungsgebühren erhöhen demnach die Motivation zur Reduktion der eigenen Pkw-Nutzung durch die Erfahrung von positiven Verhaltenskonsequenzen oder durch die Erwartungen solcher positiven Auswirkungen. Treten die positiven Verhaltenskonsequenzen ein, wird das Mobilitätsverhalten verstärkt, d. h. dessen Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht sich. Die Erwartung positiver Verhaltenskonsequenzen ist beispielsweise die Aussicht auf die Einsparung von Gebühren durch die Reduktion der eigenen PkwNutzung. Das sollte Personen motivieren, ihren Pkw weniger zu nutzen. Direkte positive Erfahrungen mit Straßenbenutzungsgebühren sind dagegen mangels Implementierung relativ selten. Allerdings hat sich gezeigt, dass positive Beispiele wie London, die auch internationales Medieninteresse auf sich ziehen, als stellvertretend gemachte Erfahrung eine positive Ausstrahlung über die eigene Stadt hinaus entfalten. Die positiven Erfahrungen müssen also nicht zwangläufig eigene Erfahrungen, sondern können auch stellvertretend gemachte Erfahrungen sein. Einen ähnlichen Wirkmechanismus von Straßenbenutzungsgebühren nehmen Gärling, Eek et al. (2002) an. Die Autoren gehen davon aus, dass sich durch städtische Preissysteme die Eigenschaften der Pkw-Nutzung, insbesondere die finanziellen Rahmenbedingungen ändern. Straßenbenutzungsgebühren erhöhen demnach die Kosten der Pkw-Nutzung. Dies motiviert die Pkw-Nutzer dazu, sich Ziele zu setzen und entsprechende Verhaltensintentionen zu bilden, um den gestiegenen Kosten entgegenzuwirken. Ein mögliches Ziel ist die Reduktion der eigenen Pkw-Nutzung. Das bedeutet, dass Straßenbenutzungsgebühren nicht zwangläufig zu einer Einschränkung der Pkw-Nutzung führen. Andere Verhaltensoptionen, wie das Beibehalten des gegenwärtigen Mobilitätsverhaltens oder auch illegales Ausweichverhalten sind bereits beobachtet worden (vgl. auch Gärling, Gärling & Loukopoulos, 2002 sowie PRoGReSS, 2004a). In welchem Ausmaß sich Personen das Ziel zur Reduktion der Pkw-Nutzung setzen und entsprechende Verhaltensintentionen bilden, wird zum einen durch
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relativ stabile soziodemographische Faktoren, wie z. B. das Einkommen, dem Arbeits- und Wohnort, das Angebot an alternativen Verkehrsmittel etc., und zum anderen durch variable situative Faktoren, wie z. B. den Wochentag, die aktuellen Familienaktivitäten, das Wetter etc., bestimmt. In einem ersten Test des Modells von Gärling, Eek et al. (2002) untersuchten Jakobsson et al. (2002) inwieweit das Setzen von Zielen und die Bildung von Verhaltensintentionen die Verhaltenswirksamkeit von Straßenbenutzungsgebühren beeinflussen. Dazu führten sie ein Feldexperiment durch, in dem auf die Pkw-Nutzung eine zusätzliche Gebühr von ca. e 0.10 pro Kilometer erhoben wurde. Um die Zielsetzung und die Intentionsbildung zu manipulieren, wurden einige Probanden gebeten, zusätzlich zu Beginn einer Woche ein Fahrtenprotokoll über die voraussichtlichen Pkw-Fahrten der Woche anzufertigen. In diesem Protokoll sollten sie die jeweilige Fahrt, voraussichtliche Länge sowie An- und Abfahrtszeit angeben. Die Probanden wurden an die zusätzlichen Gebühren pro Kilometer erinnert, jedoch nicht explizit zu einer Einschränkung ihrer Pkw-Nutzung aufgefordert. Im Ergebnis reduzierten die Probanden ihre Pkw-Nutzung stärker im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Des Weiteren fanden Jakobsson et al. (2002), dass der Unterschied fast ausschließlich auf die Planung der Verkehrsteilnahme mit Hilfe des Fahrtenbuchs und damit auf eine Zielsetzung zurückzuführen ist.
4.2.2 Einflüsse auf die Verhaltenswirksamkeit von Straßenbenutzungsgebühren Im diesem Kapitel wird untersucht, welche Faktoren das Ausmaß der Verhaltenswirksamkeit beeinflussen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Mobilitätsgewohnheiten und die differenzierte Ausgestaltung eines Preissystems. Schlag (1998) beschreibt die gewohnheitsmäßige Pkw-Nutzung als einen Lernprozess, der im Laufe der Mobilitätssozialisation durchlaufen wird. Mit der ersten Anschaffung eines Pkw werden das räumliche Verhalten und die zeitlichen Planungen, oft der gesamte Tagesablauf, auf die Verfügbarkeit des Pkw ausgerichtet. Ursprüngliche Wahlfreiheiten zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln werden im Laufe dieses Prozesses nicht mehr wahrgenommen. In der Konsequenz sind Veränderungen der Pkw-Nutzung und eine Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl zugunsten alternativer Verkehrsmittel auf deutlich wahrnehmbare Änderungen der wichtigsten Entscheidungsparameter, beispielsweise der Kosten, angewiesen. Ein solcher Lernprozess führt zur Ausbildung von Mobilitätsgewohnheiten. Gewohnheiten bilden sich, wenn bestimmte Verhaltensweisen, z. B. die PkwNutzung, in einem stabilen situativen Kontext, z. B. dem Tagesablauf, häufig wiederholt werden und zu positiven Konsequenzen führen (Ouellette & Wood, 1998).
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
In der Folge entstehen Skripte über erfolgreiche Handlungsabläufe in dieser Situation. Später reichen bereits situative Hinweisreize aus, um diese Skripte und damit das Verhalten auszulösen, ohne das zeitlich oder kognitiv aufwändige bewusste Überlegungen beteiligt sind (Verplanken, Aarts, van Knippenberg & van Knippenberg, 1994; Aarts, Verplanken & van Knippenberg, 1998). Das schließt das Ziel des Verhaltens, z. B. den Zweck des Weges, ein (Aarts & Dijksterhuis, 2000). Die Vorteile von gewohnheitsmäßigem Mobilitätsverhalten liegen auf der Hand. Statt jeden Morgen neu überlegen und entscheiden zu müssen, wie z. B. der Weg zur Arbeit zurückgelegt werden kann, nimmt man die Route, die Zeit und das Verkehrsmittel, mit dem man auch in der Vergangenheit diesen Weg erfolgreich zurückgelegt hat. Allerdings sind damit auch einige Nachteile verbunden. So werden persönliche Einstellungen und Normen, wie z. B. ein hohes Umweltbewusstsein nicht mehr verhaltenswirksam (Klöckner & Matthies, 2004). Außerdem wird weniger relevante Information aus der Umwelt aufgenommen und verarbeitet (Verplanken, Aarts & van Knippenberg, 1997). Des Weiteren wird eine konfirmatorische Strategie der Informationssuche angewandt (Betsch, 2005). Das bedeutet, dass Informationen, die die gewohnten Verhaltensweisen unterstützen, stärker wahrgenommen werden als Informationen, die das nicht tun. Im Ergebnis werden beispielsweise Verbesserungen im Angebot alternativer Verkehrsmittel nicht mehr wahrgenommen. Eine Anpassung des eigenen Mobilitätsverhaltens an diese neuen Rahmenbedingungen, z. B. durch die stärkere Nutzung dieser alternativen Verkehrsmittel, unterbleibt daher. Damit das Mobilitätsverhalten wieder erfolgreich an neue Rahmenbedingungen angepasst wird, müssen zunächst die Gewohnheiten deaktiviert und der Informationsaufnahmeprozess sowie die intentionale Verhaltenssteuerung reaktiviert werden. Mehrere Studien haben gezeigt, dass durch eine Veränderung der Kosten der Pkw-Nutzung diese Mobilitätsgewohnheiten deaktiviert und Verhalten erfolgreich geändert werden kann (z. B. Fujii & Kitamura, 2003; Garvill, Marell & Nordlund, 2003). Die Erfahrung der Städte, die Straßenbenutzungsgebühren bereits eingeführt haben, sprechen ebenfalls für dieses Potenzial (vgl. Kapitel 3). Der zweite wichtige Faktor, der das Ausmaß der Verhaltenswirksamkeit beeinflusst, ist die konkrete Ausgestaltung städtischer Straßenbenutzungsgebühren. Wichtig sind dabei zum einen die Höhe der Gebühr und zum anderen die räumliche und zeitliche Differenzierung des bepreisten Gebietes. Aus ökonomischer Perspektive ist die nachgefragte Menge eines Gutes normalerweise umso geringer, je höher der Preis ist (Nachfragegesetz, vgl. z. B. Blum, 2004). Die Beispiele städtischer Preissysteme legen nahe, dass diese Gesetzmäßigkeit auch auf das Mobilitätsverhalten zutrifft. So zeigte sich beispielsweise bei den
4.2 Mobilitätsverhalten
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Stadtmauten Norwegens mit einer geringeren Gebührenhöhe auch eine geringere Reduktion im Verkehrsaufkommen als in den Städten mit höheren Gebühren (vgl. Kapitel 3.6.2). Die räumliche und zeitliche Differenzierung von Preisen sind nur zwei von mehreren Formen der Preisdifferenzierung (Diller, 2000). Ein prominentes Beispiel für eine zeitliche Differenzierung von städtischen Preissystemen ist eine höhere Gebühr während der Hauptverkehrszeiten (vgl. z. B. Stockholm, Kapitel 3.4 und Stuttgart, Kapitel 3.5). Das Ziel ist es, die höhere Verkehrsnachfrage zu diesen Zeiten bei konstanter Straßenkapazität stärker zu beeinflussen und so die Auslastung zu optimieren (vgl. noch einmal Diller, 2000). Bonsall und Kollegen untersuchten inwieweit Personen tatsächlich auf differenzierte Preise im Verkehrsbereich reagieren (Bonsall, Shires, Matthews, Maule & Beale, 2004; Bonsall, Shires, Maule, Matthews & Beale, 2007; Bonsall, Shires, Link et al., 2007). Sie kamen zu dem Schluss, dass Personen zwar in der Lage sind, ihr Mobilitätsverhalten auch auf differenzierte Preise einzustellen, aber einfache Gebührenstrukturen bevorzugen. Je differenzierter das Preissystem war, desto weniger strengten sich die Probanden an, es zu verstehen und die kostengünstigste Verhaltensalternative zu finden. Hoffmann, Schade, Schlag und Bonsall (2007) beschreiben eine Vielzahl von situativen und psychologischen Faktoren, von denen die Reaktion auf differenzierte Preise im Verkehr abhängt. Sie schlussfolgern, dass Pkw-Nutzer ihr Verhalten nur dann danach ausrichten werden, wenn ein differenziertes Gebührenschema die Gesamtheit dieser psychologischen und situativen Faktoren in Betracht zieht, indem es sich z. B. in einfache Heuristiken übersetzen lässt, wie „in den Hauptverkehrszeiten ist es teurer“.
4.2.3 Strategien der Mobilitätsverhaltensanpassung Gärling, Gärling und Loukopoulos (2002) verweisen darauf, dass eine Reduktion der Pkw-Nutzung nur eine von mehreren möglichen Verhaltensoptionen als Reaktion auf städtische Straßenbenutzungsgebühren ist. So wurden die Beibehaltung des gegenwärtigen Mobilitätsverhaltens, das Ausweichen auf unbepreiste Stadtgebiete oder der Zugang ohne Gebühr bereits beobachtet (PRoGReSS, 2004a). Im folgenden Abschnitt soll deshalb untersucht werden, welche Strategien der Verhaltensanpassung an städtische Straßenbenutzungsgebühren von den Pkw-Nutzern gewählt werden. Rothengatter (1994) nennt ein breites Spektrum von Entscheidungsebenen, das von der Beeinflussung der individuellen Routenwahl, der Fahrzeit, der Fahrtenhäufigkeit und der Fahrdistanz über die Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl und
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
der Fahrzeugwahl, gegebenenfalls auch der Auslastungs- und Besetzungsgrade der Fahrzeuge, bis hin zu einer Änderung der Distributionslogistik und der Standortwahl reicht. Button (1993) sowie Graham und Glaister (2002) verweisen zudem auf den Zeitaspekt, der bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens eine Rolle spielt. Die Autoren gehen davon aus, dass die Menschen Zeit benötigen, um sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Schlag et al. (in Druck) schlagen ein hierarchisches Modell des Mobilitätsverhaltens vor, das diese beiden Aspekte aufnimmt und strukturiert (vgl. Tabelle 4.1). Das Modell unterscheidet zwischen drei Dimensionen des Mobilitätsverhaltens: I Auf einer langfristigen, übergeordneten Ebene werden Entscheidungen getroffen, die das Mobilitätsverhalten nicht unmittelbar betreffen. Sie wirken sich aber auf das Mobilitätsverhalten aus, indem sie den Handlungsspielraum einer Person festlegen. Beispielsweise entscheidet die Arbeits- und Wohnortwahl über zukünftig zu bewältigende räumliche Distanzen bzw. die Notwendigkeit der Anschaffung eines Pkw. Entscheidungen auf dieser Ebene haben langfristige Konsequenzen, werden nur in größeren zeitlichen Abständen getroffen und sind in der Regel rational überlegt. II Auf der mittelfristigen Ebene des Mobilitätsverhaltens geht es um die Planung der Verkehrsteilnahme, der Verkehrsmittelwahl und konkreter Fahrten. Diese Entscheidungen sind zum großen Teil durch Gewohnheiten bestimmt. III Die dritte Ebene betrifft kurzfristige, konkrete Aspekte des Fahrverhaltens bei der Bewältigung einer Verkehrssituation. Dazu gehören beispielsweise der Fahrstil oder die Wahl der Geschwindigkeit. Die einzelnen Verhaltensweisen werden des Weiteren durch die Umwelt, beispielsweise die räumliche Struktur des Wohn- und Arbeitsortes, die Verkehrsinfrastruktur oder die Verkehrssituation beeinflusst. Beispielsweise begünstigt ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz und ein sehr starkes Verkehrsaufkommen möglicherweise die Entscheidung zur Nutzung des ÖPNV. Umgekehrt machen lange Arbeitswege die Nutzung des Pkw vielleicht unumgänglich. Effekte von Straßenbenutzungsgebühren auf die erste, langfristige und übergeordnete Ebene des Mobilitätsverhaltens konnten bisher nicht gezeigt werden. So fanden Ieromonachou et al. (2006b) oder Tretvik (2003) keine Wirkungen auf die Pkw-Verfügbarkeit oder die Standortverlagerung von Arbeitsplätzen. Allerdings gibt es bisher wenig langfristige Erfahrungen mit städtischen Preissystemen zur Verkehrslenkung, so dass eine empirisch fundierte Einschätzung darüber gegenwärtig nicht abgegeben werden kann.
4.2 Mobilitätsverhalten
81
Tabelle 4.1: Hierarchische Struktur des Mobilitätsverhaltens (Schlag et al., in Druck)
I
Entscheidungsniveau
Verhaltensweisen
Umwelt
Zeithorizont
Übergeordnete Entscheidungen mit Konsequenzen für die Mobilität
Wahl des Wohnortes, Wahl des Arbeitsortes, Freizeitaktivitäten, Fahrzeugbesitz, Fahrzeugtyp Verkehrsmittelwahl, Fahrgemeinschaften, Car sharing, Anzahl der Fahrten, Routenwahl, Fahrtziel, Kombination von Fahrten, Fahrtzeiten, Fahrstil, Geschwindigkeitswahl
Raumstruktur, Landnutzung, Mobilitätsinfrastruktur
langfristig (überlegtes Handeln)
Mobilitätsangebot, wahrgenommene Alternativen
mittelfristig (routinisiertes bzw. gewohnheitsmäßiges Verhalten)
Fahrsituation
kurzfristig (routinisiertes Verhalten)
II
Mobilitätsverhalten
III
Fahrverhalten
Auf der zweiten Ebene, der mittelfristigen Ebene des Mobilitätsverhaltens, wurden im Kapitel 3 dagegen sehr deutliche Wirkungen von Straßenbenutzungsgebühren aufgezeigt. Indem die finanziellen Rahmenbedingungen der Verkehrsteilnahme verändert werden, gelingt es, einen Einfluss auf konkrete Fahrten auszuüben. Gärling, Gärling und Johansson (2000) untersuchten, welche Verhaltensweisen Haushalte realisieren, wenn sie ihre Pkw-Nutzung ändern bzw. einschränken. Im Ergebnis wurden Standorte in der näheren Umgebung gewählt und Fahrten kombiniert. Für Arbeitswege dominierte dagegen der Umstieg auf den ÖPNV. Bonsall, Cho, Palmer und Thorpe (1998) fand dagegen als häufigste Verhaltensanpassung die Verschiebung der Fahrzeit auf einen früheren Zeitpunkt sowie die Bezahlung der Gebühr. Auf der dritten Ebene des Mobilitätsverhaltens, dem Fahrverhalten, beobachteten Bonsall et al. (1998) Veränderungen als Reaktion auf städtische Straßenbenutzungsgebühren. Die Autoren stellten in einer Fahrsimulatoruntersuchung ein risikoreicheres Fahrverhalten fest. Insbesondere Geschwindigkeitsbegrenzungen wurden überschritten, rote Ampeln missachtet und für andere Verkehrsteilnehmer reservierte Fahrbahnen genutzt. Diese aggressive Fahrweise zählt zu den unerwünschten Nebenwirkungen von Straßenbenutzungsgebühren, auf die Gärling, Gärling und Loukopoulos (2002) bereits hingewiesen haben. Im Gegensatz da-
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
zu ist eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit in der Stadt durch ein geringes Verkehrsaufkommen und einen besseren Verkehrsfluss durchaus wünschenswert, jedoch nicht zu verwechseln mit individuellen Fahrverhaltensänderungen.
4.2.4 Mechanismen der Mobilitätsverhaltensanpassung Der vorherige Abschnitt legte dar, dass Straßenbenutzungsgebühren in besonderem Maße das Mobilitätsverhalten beeinflussen. Allerdings zeigte sich in den bisherigen empirischen Studien kein klares Muster, welche Strategien der Verhaltensanpassung in welcher Situation bevorzugt werden. Das wirft die Frage nach den psychologischen Mechanismen bzw. den Prinzipien der Wahl der Anpassungsstrategien auf. Einen solchen Mechanismus schlagen Gärling und Kollegen mit dem sequenziellen Kostenminimierungsprinzip vor (Gärling, Gärling & Loukopoulos, 2002; Gärling, Eek et al., 2002; Loukopoulos, 2005). Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Personen unwillig sind, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern. Verhaltensänderungen im Mobilitätsbereich sind nach Ansicht der Autoren immer mit psychologischen Kosten im Sinne von Aufwand, Unbequemlichkeit und Unsicherheit verbunden. 1 Daher wird die Beibehaltung des Status quo bevorzugt. Das bedeutet, dass Personen ihren außerhäuslichen Verpflichtungen, Aktivitäten und den damit verbundenen Mobilitätsgewohnheiten in üblicher Weise nachgehen wollen. Werden nun beispielsweise durch die Erhöhung der Kosten der Pkw-Nutzung Verhaltensänderungen notwendig, versuchen Personen diese und die damit verbundenen psychologischen Kosten so gering wie möglich zu halten. Das bedeutet, dass so wenig Änderungen im Tagesablauf bzw. im Lebensstil entstehen wie notwendig. Erst wenn die Anpassungsstrategien mit den geringsten psychologischen Kosten nicht zum gewünschten Ergebnis führen, werden Strategien gewählt, die umfassender sind und damit auch höhere psychologische Kosten verursachen. Basierend auf diesem Prinzip schlagen die Autoren eine mehrstufige Hierarchie der Wahl der Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens vor. Unterschieden werden dabei drei Kategorien von Adaptationsstrategien, die sich in ihren psychologischen Kosten unterscheiden. Geordnet werden diese von der am wenigsten bis 1
Im Rahmen der Forschung zur sogenannten Low-Cost-Hypothese des Umweltverhaltens (Diekmann & Preisendörfer, 1992) konnte beispielsweise gezeigt werden, dass der Verkehrs- und Mobilitätsbereich im Gesamtfeld des persönlichen Umweltverhaltens eine Sonderstellung einnimmt. Das bedeutet, das Verhaltensänderungen in diesem Bereich als besonders aufwändig erlebt werden (sogenannte High-Cost Situation). In solchen High-Cost Situationen haben beispielsweise Einstellungen, wie das Umweltbewusstsein, und entsprechende Interventionsmaßnahmen wenig Einfluss auf das Verhalten (vgl. z. B. Diekmann & Preisendörfer, 1998; Preisendörfer, Wächter-Scholz, Franzen, Schad & Rommerskirchen, 1999; Schahn & Möllers, 2005).
4.2 Mobilitätsverhalten
83
zur kostenintensivsten Kategorie (vgl. Tabelle 4.2). 2 Zusätzlich wird die Annahme gemacht, dass sich durch die Kombination von Anpassungsstrategien nicht nur die Effektivität der Reduktion der Pkw-Nutzung, sondern auch die psychologischen Kosten addieren. Tabelle 4.2: Hierarchische Struktur der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren (in Anlehnung an Loukopoulos, 2005) Adaptationsstrategie I
II III
Effizientere Pkw-Nutzung: Routenwahl Fahrtzeit Fahrtziel Fahrgemeinschaften Kombination von Fahrten Unterlassen von Fahrten Umstieg auf alternative Verkehrsmittel
Psychologische Kosten höherer Planungsaufwand
höherer Planungsaufwand + Veränderung der Aktivitäten höherer Planungsaufwand +Veränderung der Aktivitäten + Zeitdruck + Komfortverlust
Reduktion der PkwNutzung Wegelänge, Wegedauer
Anzahl der Wege, Wegelänge, Wegedauer Anzahl der Wege, Wegelänge, Wegedauer
In der ersten Kategorie wird versucht, bei gleichbleibenden Aktivitäten die PkwNutzung effizienter zu gestalten. Das kann durch die Wahl einer anderen Fahrtroute, eines anderen Fahrtzieles oder einer anderen Fahrtzeit erreicht werden. Die 2
Ein ähnliches Modell schlagen bereits Salomon und Mokhtarian (1997) sowie Mokhtarian, Raney und Salomon (1997) für die Anpassung des Mobilitätsverhaltens an die zunehmenden Verkehrsstaus in Städten vor. Auch sie schlagen eine Klassifikation der möglichen Anpassungsstrategien nach ihrem zeitlichen Horizont (kurz-, mittel- und langfristig) sowie den damit verbundenen psychologischen Kosten vor. Die Auswahl der Strategien erfolgt so, dass zuerst die kurzfristigen, die Fahrten effizienter gestaltenden und mit den geringsten psychologischen Kosten verbundenen Strategien genutzt werden (z. B. der Einbau eines Autoradios oder die Anschaffung eines Mobiltelefons). Erst wenn diese nicht zum gewünschten Ziel führen, werden kostenintensivere, mittel- und langfristige Anpassungsstrategien genutzt, die stärker in den Lebens- und Arbeitsalltag eingreifen (z. B. die Anpassung der Arbeitszeit im Rahmen von Gleitzeit oder Telearbeit). Im Unterschied zu Loukopoulos und Kollegen nehmen die Autoren an, dass bereits die schlechten Verkehrsverhältnisse die Pkw-Nutzer entsprechend motivieren, während Loukopoulos eine Zielsetzung zur Pkw-Reduktion als Voraussetzung für entsprechende Anpassungen ansieht. Des Weiteren beschränken sich Salomon und Mokhtarian auf Fahrten von und zur Arbeit oder Ausbildungsstätte. Andererseits nehmen sie zeitlich eine umfassendere Perspektive ein und beziehen auch langfristige Anpassungsstrategien, wie z. B. den Umzug oder die Aufgabe des Arbeitsplatzes in ihre Untersuchungen mit ein. Auch die psychologischen Kosten werden umfassender definiert. So beziehen Salomon und Mokhtarian nicht nur persönlichen Aufwand mit ein, sondern auch den Aufwand, der Familienmitgliedern oder der Gesellschaft als Ganzes durch die Anpassung entstehen können.
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
Koordination von verschiedenen Fahrtzwecken oder mehreren Personen in einer Fahrgemeinschaft sind weitere Möglichkeiten. Dies erfordert lediglich eine vorausschauende Planung und Koordination. Allerdings ist das Potenzial der Reduktion der Pkw-Nutzung ebenfalls begrenzt. Lediglich die Fahrtlänge und die Fahrtdauer können dadurch substanziell reduziert werden. Durch die Kombination von Fahrten und die Bildung von Fahrgemeinschaften kann darüber hinaus die Zahl der durchgeführten Fahrten reduziert werden. Allerdings wird dieser Effekt bei gleichbleibendem Tagesablauf wohl eher marginal sein. Darüber hinaus werden diese beiden Strategien in dieser Kategorie auch nur gewählt, sofern sich dadurch keine Veränderungen in den Aktivitäten ergeben. Führen die Adaptationsstrategien der ersten Kategorie nicht zum erwünschten Ergebnis, werden im nächsten Schritt zusätzlich Fahrten unterlassen. Durch die Reduktion der Anzahl der Fahrten ist es möglich, die Pkw-Nutzung insgesamt zu reduzieren. Das wird insbesondere Einkaufs- oder Freizeitfahrten betreffen, die relativ einfach zu unterlassen oder durch innerhäusliche Aktivitäten zu ersetzen sind. Damit werden die zusätzlichen psychologischen Kosten minimiert, die durch die Veränderung des Tagesablaufes entstehen. Aber selbst dann kann es sein, dass die angestrebte Reduktion der Pkw-Nutzung noch nicht erreicht wurde, da viele Fahrten, z. B. zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz, nicht so einfach zu unterlassen bzw. zu ersetzen sind. In diesem Fall kann eine weitere Reduktion der Pkw-Nutzung nur durch den Umstieg auf alternative Verkehrsmittel erreicht werden. Die damit verbundenen psychologischen Kosten sind ein erhöhter Planungsaufwand, möglicherweise auch Komfort- und Zeitverlust, da der Pkw, im Gegensatz zum ÖPNV, jederzeit zur Verfügung steht und oft auch schneller ist. Um diese längeren Reisezeiten zu kompensieren werden möglicherweise weitere Fahrten unterlassen bzw. ersetzt. Insgesamt erfordert dies von den Personen eine umfassende Anpassung und greift damit stark in die bestehenden Aktivitätsmuster und Mobilitätsgewohnheiten ein. Die Pkw-Nutzung kann dadurch aber in erheblichem Maße gesenkt werden, da sowohl die Anzahl der Pkw-Fahrten als solches als auch die Dauer und Distanz der nach wie vor durchgeführten Fahrten erheblich reduziert werden kann. Allerdings geht dies mit vergleichsweise hohen psychologischen Kosten einher. Die Ergebnisse der bisherigen empirischen Prüfung in Fragebogenstudien bestätigten die Grundgedanken des Kostenminimierungsprinzips (Loukopoulos, Jakobsson, Gärling, Schneider & Fujii, 2004; Loukopoulos, Gärling, Jakobsson, Meland & Fujii, 2005; Loukopoulos, Jakobsson, Gärling, Meland & Fujii, 2006). Loukopoulos et al. (2004) untersuchten die Reaktion von Probanden auf ein hypothetisches Szenario, in dem Straßenbenutzungsgebühren simuliert wurden. Im Ergebnis gaben die Probanden an, ihre Pkw-Nutzung nur wenig ändern zu wol-
4.2 Mobilitätsverhalten
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len. Die Art und Weise der Verhaltensanpassung folgte jedoch dem Kostenminimierungsprinzip. Das bedeutet, dass die Probanden häufiger angaben, ihre PkwNutzung effizienter gestalten zu wollen als auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen. Des Weiteren gab es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verhaltensanpassung, dass die Probanden angaben und ihrer Wahl der Strategie. Das heißt, je stärker die angegebene Verhaltensanpassung war, desto öfter wurden Anpassungsstrategien der zweiten und dritten Kategorie gewählt. Das gleiche Ergebnis zeigte sich in der folgenden Studie von Loukopoulos, Gärling et al. (2005), die retrospektiv die Anpassungsstrategien an das tatsächlich implementierte städtische Preissystem in Trondheim untersuchte. Allerdings wurde auch hier insgesamt nur ein geringes Ausmaß an Verhaltensanpassung beobachtet (vgl. auch Kapitel 3.1.3). Daher manipulierten Loukopoulos et al. (2006) die Motivation zur Verhaltensanpassung, indem sie den Probanden ein Ziel zur Reduktion der Pkw-Nutzung von 5%, 25% oder 50% vorgaben. Im Ergebnis wählten die Probanden bei geringer Motivation oder Zielsetzung zur Reduktion der Pkw-Nutzung Anpassungsstrategien der ersten Kategorie. Das bedeutet, dass die Pkw-Nutzung nur effizienter gestaltet wurde. Mit dem Anstieg der Motivation bzw. Zielsetzung wurden in stärkerem Maße auch Anpassungsstrategien der zweiten und dritten Kategorie gewählt. Außerdem stieg mit dem Reduktionsziel auch die Anzahl der Strategien, die zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens gewählt wurden. In allen drei Studien zeigten sich darüber hinaus Unterschiede im Kostenminimierungsprinzip in Abhängigkeit vom Wegzweck. So wurde beispielsweise für Arbeits- und Ausbildungswege der Umstieg auf den ÖPNV gegenüber allen anderen Strategien bevorzugt. Loukopoulos et al. (2006) interpretieren dieses Ergebnis dahingehend, dass sich die Effektivität und die psychologischen Kosten der Anpassungsstrategien auch im Hinblick auf den Wegzweck unterscheiden. Das bedeutet, dass der Umstieg auf den ÖPNV zwar über alle Wege hinweg die kostenintensivste Anpassungsstrategie ist, sich der anfänglich hohe Planungsaufwand, Komfortund Zeitverlust beim Umstieg auf den ÖPNV aber durch die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Planbarkeit des Arbeitsweges wieder relativiert. Horeni, Gärling, Loukopoulos und Fujii (2007) untersuchten des Weiteren mögliche Lerneffekte bei der Verhaltensanpassung an Straßenbenutzungsgebühren. Dafür simulierten sie eine Stadt, in der die Probanden bestimmte Aktivitäten ausführen mussten. Die Wahl des Verkehrsmittels war den Probanden selbst überlassen. Um die Auswirkungen von Straßenbenutzungsgebühren auf die Pkw-Nutzung zu simulieren, wurde diese mit niedrigen oder hohen Kosten belegt. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Probanden bei hohen Kosten ihre PkwNutzung reduzierten. Des Weiteren entwickelten sie über mehrere gleichartige
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
Versuchsdurchgänge hinweg zunehmend kostensparendere Anpassungsstrategien. Dass bedeutet, dass sich hier durchaus ein Lerneffekt zeigen ließ. Allerdings war die Effektgröße gering, was Horeni et al. (2007) auf das Fehlen von explizitem (monetärem) Feedback über den Erfolg des Verhaltens im Experiment zurückführten. Sobald die Kosten der Pkw-Nutzung reduziert wurden, stiegen die Probanden allerdings wieder auf den Pkw um.
4.2.5 Zusammenfassung Aus psychologischer Sicht erhöhen Straßenbenutzungsgebühren die Motivation die eigene Pkw-Nutzung zu reduzieren, um so den gestiegenen Kosten entgegenzuwirken. Die gestiegenen Kosten der Pkw-Nutzung führen dazu, dass Personen ihre Mobilitätsgewohnheiten überdenken und an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Motivation umso größer wird, je höher die Gebühr ist. Außerdem gibt es Hinweise auf Lerneffekte bei der Verhaltensanpassung. Das heißt, die Anpassung wird im Laufe der Zeit optimiert. Die Strategien zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens sind sehr vielfältig. Es hat sich gezeigt, dass städtische Preissysteme in besonderem Maße Einfluss auf die konkrete Verkehrsteilnahme ausüben. Dabei werden die Anpassungsstrategien nach dem sequenziellen Kostenminimierungsprinzip ausgewählt. Das bedeutet, dass Personen die Strategien bevorzugt wählen, bei denen die Verhaltensänderung und die damit verbundenen psychologischen Kosten am geringsten sind. Erst wenn die Anpassungsstrategien mit den geringsten psychologischen Kosten nicht zum gewünschten Ergebnis führen, werden Strategien gewählt, die umfassendere Verhaltensänderungen erfordern und mit höheren psychologischen Kosten einhergehen.
4.3 Die Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten Die meisten Strukturmodelle der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nehmen eine Beziehung zwischen der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an (vgl. beispielhaft das heuristische Akzeptanzmodell von Schlag in Kapitel 4.1.1). Wer Straßenbenutzungsgebühren akzeptiert, ist eher bereit, seine Pkw-Nutzung einzuschränken und auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen. Bamberg und Rölle (2003) sowie Schade (1998, 2005) konnten zeigen, dass die Akzeptanz städtischer Preissysteme in positivem Zusammenhang mit der Intention, die Pkw-Nutzung zu reduzieren und auf alter-
4.3 Die Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
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native Verkehrsmittel umzusteigen, steht. Diese Befunde beziehen sich mangels Implementierung städtischer Preissysteme jedoch nur auf Verhaltensintentionen und nicht auf konkretes Verhalten. In dieser Arbeit wird allerdings davon ausgegangen, dass die Akzeptanz bei der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren nur eine untergeordnete Rolle für die Anpassung des Mobilitätsverhaltens spielt. Aus der Umweltforschung ist bekannt, dass das Mobilitätsverhalten und insbesondere die Pkw-Nutzung zu den Verhaltensbereichen gehören, die vor allem durch situative Bedingungen und Gewohnheiten bestimmt sind. Einstellungen spielen für das Mobilitätsverhalten nur eine untergeordnete Rolle (vgl. z. B. Diekmann, 1998; Scheuthle & Kaiser, 2003; Schahn & Möllers, 2005; Schlag et al., in Druck sowie Kapitel 4.2.2). Das empirisch abgeleitete Verlaufsmodell zur Akzeptanz aus Kapitel 3.6.1 stützt diese theoretische Überlegung. Obwohl vor der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren nur eine Minderheit diesem Instrument positiv gegenüber eingestellt ist, konnte in den Beispielstädten ein deutlicher Rückgang des Verkehrsaufkommens nach der Einführung beobachtet werden (vgl. Kapitel 3.6). Das bedeutet, dass trotz der mehrheitlichen Ablehnung von Straßenbenutzungsgebühren der überwiegende Teil der Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten anpasste. Gleichzeitig wurde mit der Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren eine positive Akzeptanzänderung beobachtet (vgl. Kapitel 3.6.1). Daraus folgt die Überlegung, dass es möglicherweise eine Rückwirkung des Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz städtischer Preissysteme gibt, die dann zu der beobachteten positiven Akzeptanzänderung führt. Daher wird hier, im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten, der Zusammenhang zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten in der Art untersucht, dass die Rückwirkung des Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz im Mittelpunkt steht. Für die Untersuchung dieses Zusammenhangs können zum einen die ZweiProzess-Modelle der Einstellungsänderung und zum anderen die Theorie der kognitiven Dissonanz herangezogen werden. Während die Zwei-Prozess-Modelle erklären, dass Verhalten einen Einfluss auf die Einstellung nehmen kann, erklärt die kognitive Dissonanztheorie wie sich dieser Einfluss im Detail manifestiert. Zu den Zwei-Prozess-Modellen der Einstellungsänderung gehören das Elaborationswahrscheinlichkeitsmodell (Elaboration Likelihood Model (ELM), Petty & Cacioppo, 1986; Petty & Wegener, 1999) und das heuristisch-systematische Modell (Heuristic-Systematic Model (HSM), Chaiken, 1980; Chen & Chaiken, 1999). 3 Da beide Modelle bezüglich der Mechanismen der Einstellungsänderung 3
Gegenwärtig wird ein sogenanntes Unimodell der Einstellungsänderung diskutiert (Erb & Kruglanski, 2005). Ausgangspunkt ist die Annahme, dass eine Einstellungsänderung durch einen einzigen psychologischen Prozess, nämlich die Verknüpfung von aktuellen Informationen und Hintergrundwissen
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
recht ähnliche Aussagen treffen, beschränkt sich die Darstellung hier auf das Elaborationswahrscheinlichkeitsmodell (Bohner & Wänke, 2002). Die zentrale Annahme des ELM ist, dass Einstellungen entweder auf einem zentralen oder einem peripheren Weg der Informationsverarbeitung geändert werden (Eagly & Chaiken, 1993). Der zentrale Weg der Einstellungsänderung ist durch eine sorgfältige und tiefe Verarbeitung von Informationen und Argumenten gekennzeichnet. Dieser Weg wird dann eingeschlagen, wenn die Person fähig und motiviert ist, sich mit einem Sachverhalt, z. B. Straßenbenutzungsgebühren, sorgfältig auseinander zu setzen. Der zweite, periphere Weg wird dann bevorzugt, wenn die Person zu dieser intensiven Auseinandersetzung mit Informationen und Argumenten nicht fähig oder nicht motiviert ist. Während beim zentralen Weg primär die Qualität der Argumente ausschlaggebend für eine Einstellungsänderung ist, ist es beim peripheren Weg das Vertrauen in periphere Hinweisreize wie z. B. die Zahl der Personen, die eine ähnliche Position vertreten (vgl. z. B. die Rolle der sozialen Norm im Akzeptanzmodell von Schlag (1998) & Schade (2005), Kapitel 4.1.1). Zu den Variablen, die die Motivation und Fähigkeit einer Person erhöhen, sich mit einem Sachverhalt intensiv auseinanderzusetzen und den zentralen Weg der Einstellungsänderung einzuschlagen, gehört die persönliche Erfahrung mit bzw. das eigene Verhalten gegenüber dem Einstellungsobjekt (Eagly & Chaiken, 1993). Im Ergebnis sind die, über den zentralen Weg erworbenen oder geänderten Einstellungen, zeitlich stabiler und resistenter gegenüber Gegenargumenten als Einstellungen des peripheren Weges (Stahlberg & Frey, 1993). Der Einfluss des Verhaltens auf die Einstellung insbesondere bei einstellungskonträrem Verhalten wurde intensiv im Rahmen der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1957, zit. nach Eagly & Chaiken, 1993) untersucht. 4 Sie zu einer Schlussfolgerung, zustande kommt. Jede beliebige Information kann dafür herangezogen werden, sowohl inhaltliche Argumente als auch periphere Hinweisreize. Allerdings geht auch dieses Modell von unterschiedlicher Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Motivation und Fähigkeit des Rezipienten aus. Bei geringer Motivation werden vor allem einfach zu verarbeitende Informationen zur Einstellungsänderung genutzt, während bei hoher Motivation bzw. Aufwand auch Informationen urteilsrelevant werden, deren Verarbeitung komplexe kognitive Operationen erfordern (Kruglanski & Thompson, 1999). Die empirische Überprüfung dieses Modells ist allerdings noch nicht abgeschlossen und somit dessen Perspektive noch weitgehend offen (Albarracín, Johnson & Zanna, 2005). Daher wird es an dieser Stelle nicht weiter verfolgt. 4 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die ursprüngliche Formulierung der Theorie. Obwohl in der Zwischenzeit verschiedene Konkretisierungen vorgeschlagen wurden, orientiert sich diese Arbeit an den Grundlagen, wie sie von Festinger formuliert wurden (vgl. Eagly & Chaiken, 1993 und Olson & Stone, 2005 für einen Überblick). Der gegenwärtige Forschungsstand zu städtischen Straßenbenutzungsgebühren erlaubt m.E. nach keine entsprechenden Einschränkungen und würde die theoretische Perspektive nur unnötig verengen.
4.3 Die Beziehung zwischen Akzeptanz und Mobilitätsverhalten
89
erlaubt Vorhersagen über Einstellungs- und Verhaltensänderung sowie deren Beziehung. Ausgangspunkt der Theorie ist die Beobachtung, dass Personen nach einem Gleichgewicht ihres kognitiven Systems streben. Das bedeutet, dass sich ihr Wissen, ihre Einstellungen, Werte und Normen sowie das darauf bezogene Verhalten zu einem in sich konsistenten System fügen. Kognitive Dissonanz wird als aversives Gefühl verstanden, das entsteht, wenn für die Person relevante Kognitionen inkonsistent sind, z. B. die Einstellung und darauf bezogenes Verhalten. Das bedeutet, dass sie im subjektiven Erleben einer Person miteinander unvereinbar erscheinen. Kognitive Dissonanz erzeugt eine Motivation, die Dissonanz zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren und somit das kognitive Gleichgewicht wiederherzustellen. Voraussetzung für die Entstehung kognitiver Dissonanz ist ein hoher Grad an Entscheidungsfreiheit. Das bedeutet, dass eine Person eine klare Verbindung zwischen sich selbst und der Konsequenz der Entscheidung oder Handlung assoziiert und sich selbst als verantwortlich erlebt (Frey & Gaska, 1993). Reduziert werden kann die kognitive Dissonanz auf verschiedenen Wegen. Sie kann durch die Änderung von Kognitionen, beispielweise durch die Änderung der Einstellung zu Straßenbenutzungsgebühren, oder durch eine einstellungskongruente Verhaltensänderung erreicht werden. Des Weiteren ist es möglich, konsonante Kognitionen, z. B. Rechtfertigungen oder Selbstbekräftigungen, hinzuzufügen und so wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Gewählt wird nach dem Prinzip der Einfachheit und Effizienz. Die gewählte Strategie zur Dissonanzreduktion soll nicht nur geringen kognitiven Aufwand erfordern, sondern auch größtmögliche und stabile Dissonanzreduktion erzielen (Frey & Gaska, 1993). Dabei hat sich gezeigt, dass die direkte Reduktion der Dissonanz durch die Änderung der inkonsistenten Kognitionen der indirekten Reduktion durch die Addition konsonanter Kognitionen bevorzugt wird (Wood, 2000). Beide Theorien, die Theorie der kognitive Dissonanz und die Zwei-Prozess Modelle der Einstellungsänderung lassen sich auf die Beziehung zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren anwenden. Die Zwei-Prozess-Modelle beschreiben zwei Mechanismen der Einstellungsänderung mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Stabilität der geänderten Einstellung. In Kapitel 4.2.2 wurde das Potenzial von Straßenbenutzungsgebühren aufgezeigt, Gewohnheiten zu deaktivieren und den Informationsverarbeitungsprozess und die intentionale Verhaltenssteuerung wieder zu aktivieren, d. h. die PkwNutzer zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Pkw-Nutzung zu motivieren und zu befähigen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass eine Änderung
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
des Mobilitätsverhaltens in Folge von Straßenbenutzungsgebühren eine Akzeptanzänderung über den zentralen Weg der Einstellungsänderung hervorrufen kann. Die Theorie der kognitiven Dissonanz erlaubt Vorhersagen über die Konsequenzen inkonsistenter Kognitionen z. B. der Einstellung und des Verhalten. Eine solche Situation stellt die Einführung eines städtischen Preissystems dar. Wie im Verlaufsmodell der Akzeptanzänderung beschrieben wurde (vgl. Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1), stößt ein städtisches Preissystem unmittelbar vor der Einführung in der Regel auf geringe Zustimmung. Im Kapitel 4.2.4 wurde darüber hinaus gezeigt, dass Pkw-Nutzer bestrebt sind, den Status quo beizubehalten und Änderungen im Mobilitätsverhalten so gering wie möglich zu halten. Trotzdem passen sich die Pkw-Nutzer unmittelbar nach der Einführung an die neuen finanziellen Rahmenbedingungen ihrer Mobilität an und reduzieren ihre Pkw-Nutzung. Damit zeigen sie ein einstellungskonträres Verhalten, was zu kognitiver Dissonanz führt. Die Voraussetzung der Entstehung kognitiver Dissonanz, die Entscheidungsfreiheit, ist bei der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ebenfalls gegeben. Wie im Kapitel 4.2.1 beschrieben wurde, erhöhen Straßenbenutzungsgebühren die Motivation den gestiegenen Kosten entgegenzuwirken. Die Entscheidung für eine konkrete Anpassungsstrategie des Mobilitätsverhaltens liegt dagegen bei den Pkw-Nutzern selbst. So wurde z. B. in den Städten mit Preissystemen eine Reihe von verschiedenen Anpassungsstrategien beobachtet (vgl. Kapitel 3.6.2 sowie Kapitel 4.2.3). Kognitive Dissonanz wird bevorzugt durch die Änderung der inkonsistenten Kognitionen reduziert. Im konkreten Anwendungsfall gibt es dafür zwei Möglichkeiten. Pkw-Nutzer können entweder ihr Mobilitätsverhalten beibehalten und es entsprechend ihrer geringen Akzeptanz nicht an Straßenbenutzungsgebühren anpassen. Oder sie können ihre vorher geringe Akzeptanz dem geänderten Mobilitätsverhalten anpassen und eine positivere Einstellung entwickeln. Festinger selbst nimmt an, dass der einfachste Weg, Dissonanz zu reduzieren, die Verhaltensänderung ist. Im Fall von Straßenbenutzungsgebühren wäre das die Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens (Olson & Stone, 2005). Allerdings zeigt die Erfahrung in den Städten, dass die Beibehaltung der Pkw-Nutzung offenbar nur für einen geringen Teil der Bevölkerung eine effektive Art der Anpassung an Straßenbenutzungsgebühren ist (vgl. Kapitel 3.6.2). Aus dissonanztheoretischer Sicht ist das durchaus plausibel. Die Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens geht nach der Einführung städtischer Preissysteme mit höheren Kosten für die Pkw-Nutzung einher. Aufgrund eines in der Regel gleichbleibenden Haushaltseinkommens müsste dieses durch Einschnitte in anderen Lebensbereichen, z. B. Freizeit oder Familie, kompensiert werden. Dies erzeugt möglicherweise erneut kognitive Dissonanz. Beispielsweise steht die Reduktion von
4.4 Der Einfluss soziodemographischer Faktoren
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Freizeitaktivitäten im Gegensatz zur Überzeugung, den eigenen Kindern gute Entwicklungschancen bieten zu wollen. Damit erweist sich die Änderung des Verhaltens bzw. in diesem Fall die Beibehaltung der Pkw-Nutzung als keine effiziente Strategie der Dissonanzreduktion. Besser geeignet scheint hier tatsächlich die Anpassung der Einstellung an die Veränderungen des Mobilitätsverhaltens zu sein, was den beobachteten Anstieg der Akzeptanz nach der Einführung städtischer Preissysteme erklären könnte. Studien von Golob (2001) sowie von Schade und Baum (2007) geben erste empirische Hinweise auf die Rückwirkung des Verhaltens auf die Akzeptanz sowie die mögliche Rolle der kognitiven Dissonanz als psychologischen Mechanismus. Golob (2001) untersuchte die Beziehung zwischen der Akzeptanz und der Nutzung sogenannter High Occupancy Toll (HOT) Fahrspuren auf einem Autobahnabschnitt der Interstate 15 in San Diego, Kalifornien (USA). Das sind Straßenbenutzungsgebühren für Pkw mit nur einem Fahrzeuginsassen, welche die separaten High Occupancy Vehicle (HOV) Fahrspuren für Pkw mit mindestens zwei Fahrzeuginsassen nutzen wollen. Diese Gebühren werden nach Verkehrsaufkommen gestaffelt, um einen störungsfreien Verkehrsfluss für die HOV-Lane Nutzer zu gewährleisten. Die Ergebnisse zeigen, dass die stärkere HOT-Nutzung mit einer höheren Akzeptanz einhergeht. Umgekehrt konnte jedoch kein Einfluss der Akzeptanz auf die Nutzung gezeigt werden. Schade und Baum (2007) induzierten im Zuge der Einführung der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen im Januar 2005 verschieden hohe Einführungswahrscheinlichkeiten für eine entsprechende Gebühr für Pkw. Im Ergebnis evaluierten die Probanden eine Pkw-Maut umso positiver, je zwangsläufiger und unvermeidlicher die Einführung suggeriert worden war, auch wenn die Akzeptanz allgemein sehr niedrig ausfiel. Das bedeutet, dass die Probanden bei einer Einführung einer Pkw-Maut ihre Einstellung an die neue Situation anpassen würden.
4.4 Der Einfluss soziodemographischer Faktoren Es gibt nur wenige Studien, die den Einfluss soziodemographischer Faktoren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten als Reaktion auf städtische Preissysteme systematisch untersucht haben. Stattdessen werden soziodemographische Unterschiede meist kontrolliert, um allgemein gültige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zu erlangen. Im Folgenden stehen jedoch interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren im Mittelpunkt. Interindividuelle Unterschiede in der Akzeptanz von städtischen Preissystemen wurden am häufigsten in Bezug zum Einkommen untersucht. Die Annahme ist,
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
dass Straßenbenutzungsgebühren von Personen mit höherem Einkommen besser akzeptieren werden als von Personen mit niedrigem Einkommen. Dieser Zusammenhang wird mit einem geringeren Grenznutzen des Einkommens bei Personen mit niedrigem Einkommen und einer höheren Bewertung der Zeitkosten von Personen mit hohem Einkommen begründet (Schade, 2005). Die empirischen Befunde sind jedoch uneindeutig. Während Golob (2001) einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen Einkommen und Akzeptanz fand, zeigten sich in den Untersuchungen von Rienstra et al. (1999), Jaensirisak et al. (2005) und Schade (2005) keine signifikanten Effekte. Harrington, Krupnick und Alberini (2001) fanden sogar einen signifikant negativen Zusammenhang. Das bedeutet, dass Personen mit niedrigem Einkommen Straßenbenutzungsgebühren positiver bewerteten, als Personen mit hohem Einkommen. Bezüglich weiterer soziodemographischer Faktoren wie z. B. dem Alter, dem Bildungsstand, der Pkw-Verfügbarkeit und Haushaltsgröße konstatiert Schade (2005) ebenfalls ein inkonsistentes Bild der Befunde. Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse in den Städten mit Straßenbenutzungsgebühren unterstützt (vgl. Kapitel 3.6.3). Zu den soziodemographischen Unterschieden in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gibt es ebenso wenig empirische Studien wie zur Akzeptanz. Zwar nehmen Gärling, Eek et al. (2002) bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach dem Kostenminimierungsprinzip (vgl. Kapitel 4.2.4) interindividuelle Unterschiede an, spezifizieren aber nicht, welche das sind und vor allem wie sie zustande kommen. Mokhtarian et al. (1997) dagegen machen konkrete Vorhersagen über mögliche interindividuelle Unterschiede bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Verkehrsstaus in Städten. Diese Aussagen lassen sich meiner Meinung nach auf die Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren übertragen. Die Autoren nehmen an, dass sich die Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens nicht nur in der Höhe der psychologischen Kosten, sondern auch in deren Verteilung zwischen den Verkehrsteilnehmern selbst, seiner Familie und der Gesellschaft als Ganzes unterscheiden. Beispielsweise betreffen einige Strategien, wie die Anschaffung eines Autoradios hauptsächlich den Verkehrsteilnehmer selbst. Aber schon die Veränderung der Fahrtzeit oder der Arbeitszeit greift in die Organisation des Haushaltes ein und erfordert damit auch Veränderungen der anderen Mitglieder des Haushaltes. Für Alleinstehende stellt das kein Problem dar. Berufstätige Familien mit Kindern dagegen können ihre Fahr- und Arbeitszeiten nicht ohne weiteres ändern, sondern müssen diese mit den Betreuungszeiten abstimmen. Daher erwarten Mokhtarian et al. (1997) Unterschiede in der Wahl der Anpassungsstrategien in Abhängigkeit von soziodemographischen Merkmalen.
4.4 Der Einfluss soziodemographischer Faktoren
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Im Ergebnis fanden Mokhtarian et al. (1997) hauptsächlich Unterschiede in Abhängigkeit vom Geschlecht. Frauen waren danach eher zu Verhaltensanpassungen bereit als Männer. In einer Folgeuntersuchung konnte dieser geschlechtsspezifische Unterschied jedoch nicht repliziert werden (Cao & Mokhtarian, 2005). Stattdessen fanden Cao und Mokhtarian (2005), dass ältere Personen weniger, Personen und Haushalte mit höherem Einkommen jedoch stärker zu Verhaltensanpassungen bereit waren. Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass die bisherigen Ergebnisse zu den soziodemographischen Unterschieden in der Akzeptanz und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren ein inkonsistentes Bild ergeben. Ein möglicher Grund dafür ist, dass der Einfluss verschiedener soziodemographischer Faktoren bisher unabhängig voneinander betrachtet wurde. Im Gegensatz dazu liefern die Erfahrungen der Städte mit Preissystemen (vgl. Kapitel 3.6.3) sowie die Annahmen von Mokhtarian et al. (1997) Hinweise darauf, dass soziodemographische Merkmale systematisch miteinander in Beziehung stehen. Es ist daher denkbar, dass die soziodemographischen Faktoren nicht singulär, sondern erst in der Interaktion untereinander wirksam werden (vgl. auch Kals, 1996). Theoretische Ansätze im Bereich von Straßenbenutzungsgebühren, die diese Komplexität der soziodemographischen Einflüsse berücksichtigen, gibt es gegenwärtig nicht. In der Mobilitätsforschung gibt es jedoch Ansätze zur Differenzierung von Personengruppen auf der Basis soziodemographischer Merkmale (vgl. z. B. Hunecke, 2006; Zinn, Hunecke & Schubert, 2002). Als wichtigste soziodemographische Einflussfaktoren auf die Verkehrsmittelnutzung kristallisierten sich dabei das Alter, der Familienstand, die Pkw-Verfügbarkeit und der Erwerbsstatus heraus. Diese Ansätze erscheinen als ein vielversprechender Weg, um der Komplexität der soziodemographischen Einflüsse auf die Akzeptanz und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens gerecht zu werden. Zu den klassischen soziodemographischen Zielgruppenansätzen gehören die Einteilung nach Haushaltstypen und das Modell der Lebensphasen von Jäger (1989). Das Modell der Lebensphasen wurde für den schienengebundenen Nahverkehr entwickelt und berücksichtigt, neben Haushaltsmerkmalen, vor allem das Alter und die Form der Erwerbstätigkeit. In diesem Modell werden neun Lebensphasen unterschieden: 1. 2. 3. 4.
Schüler, Lehrlinge (14 Jahre und älter), Studenten, Junge Alleinlebende (unter 40 Jahre, keine Studenten), Junge Zwei- und Mehrpersonen-Haushalte (alle Personen im Haushalt zwischen 18 und 40 Jahren), 5. Haushalte mit mindestens einem Kind unter 6 Jahren,
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4 Psychologische Erklärungsansätze zu Straßenbenutzungsgebühren
6. Haushalte mit Schulkindern bzw. Heranwachsenden (keine Kleinkinder unter 6 Jahren im Haushalt, Heranwachsende unter 18 Jahre), 7. Erwachsenen-Haushalte unter 65 Jahre (keine Person im Haushalt unter 18 Jahre; mindestens eine Person im Haushalt über 40 Jahre), 8. Rentner-Haushalte (zwei Personen), 9. Alleinstehende Rentnerinnen oder Rentner. Nach Angaben des Autors erfassen diese neun Lebensphasen 95 % aller Personen und integrieren eine Vielzahl mobilitätsrelevanter Einflussfaktoren, wie das Einkommen, die Haushaltsgröße, Wohnbedingungen, Berufstätigkeit etc. (Jäger, 1989). Einen alternativen Ansatz schlagen Beckmann, Hesse, Holz-Rau und Hunecke (2006) mit dem Begriff der Lebenslage vor. Die Lebenslage wird durch strukturelle Faktoren definiert, die den Handlungsspielraum einer Person begrenzen. Zur Lebenslage gehören ökonomische, nicht-ökonomische, immaterielle, objektive und subjektive Dimensionen. Der Begriff der Lebenslage kann jedoch geschärft werden, wenn er nur die Merkmale einbezieht, auf die eine Person reagiert und nicht die Reaktion der Personen selbst mit abdeckt. Zu diesen Merkmalen gehören Geschlecht, Alter, Einkommen, Bildung, beruflicher Status, Erwerbstätigkeit und die Haushaltsform. Welche Dimensionen aber relevanter sind als andere ist noch klärungsbedürftig. Im Ergebnis zeigt sich, dass je nach Gegenstand und Ziel der Untersuchung verschiedene soziodemographische Zielgruppenansätze entwickelt wurden. Da keiner der Ansätze bisher für Straßenbenutzungsgebühren konkretisiert wurde, kann aus inhaltlicher Sicht auch keine Entscheidung für eine der Typologien getroffen werden. Allerdings ist der Ansatz der Lebenslage bezogen auf die objektiven strukturellen Dimensionen des Handlungsspielraumes einer Person am allgemeinsten formuliert und scheint damit am ehesten auf einen neuen Gegenstandsbereich übertragbar. Daher wird für die Untersuchung der interindividuellen Unterschiede in der Reaktion auf städtische Preissysteme im Folgenden auf den Ansatz der Lebenslage zurückgegriffen.
5 Fragestellungen und Hypothesen
Ziel dieser Arbeit ist es, die Reaktion von Pkw-Nutzern auf städtische Straßenbenutzungsgebühren systematisch zu untersuchen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Akzeptanzänderung und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren sowie deren Beziehung. Nachdem im Kapitel 3 die Erfahrungen der Städte mit Preissystemen und im Kapitel 4 die theoretischen Grundlagen aufgearbeitet wurden, werden daraus nun die Hypothesen zu den einzelnen Fragestellungen abgeleitet. Zur Begründung der Hypothesen wird im Wesentlichen auf die entsprechenden Darstellungen im Kapitel 3 und im Kapitel 4 verwiesen. Fragestellung 1: Wie wirkt sich die Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz aus? Hypothese 1: Nach der Einführung nimmt die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren zu. Im Kapitel 3.6.1 wurde empirisch ein Verlaufsmodell der Akzeptanz abgeleitet. Daraus geht hervor, dass im Verlauf die Akzeptanz vor der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren am geringsten ist. Unmittelbar nach der Einführung nimmt die Akzeptanz deutlich zu. Diese empirische Aussage steht in Einklang mit den theoretischen Verlaufsmodellen der Akzeptanz, die in Kapitel 4.1.2 beschrieben wurden. Fragestellung 2: Wie adaptieren Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren? Hypothese 2: Die Pkw-Nutzung wird unmittelbar nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren reduziert.
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5 Fragestellungen und Hypothesen
Hypothese 3: Die Reduktion der Pkw-Nutzung ist umso größer, je höher die Gebühr ist. Hypothese 4: Die Wahl der Anpassungsstrategien der Pkw-Nutzung folgt dem sequenziellen Kostenminimierungsprinzip. Das bedeutet, dass psychologisch kostengünstige Anpassungsstrategien der ersten Kategorie, wie z. B. eine andere Fahrtroute, ein anderes Fahrtziel oder eine andere Fahrtzeit, am häufigsten gewählt werden, gefolgt von den psychologisch kostenintensiveren Strategien der zweiten und dritten Kategorie, wie das Unterlassen von Fahrten und der Umstieg auf alternative Verkehrsmittel. Die Erfahrungen der Städte mit Preissystemen zeigen eindrucksvoll, wie effektiv Straßenbenutzungsgebühren zur Reduktion und Lenkung der Pkw-Nutzung beitragen können (vgl. Kapitel 3). Die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren motiviert demnach Personen, den gestiegenen Kosten zu begegnen, indem die eigene Pkw-Nutzung reduziert wird (vgl. Kapitel 4.2.1). Das Ausmaß der Verhaltenswirksamkeit hängt u. a. von der Höhe der Gebühr ab. Je höher die Gebühr ist, desto stärker erfolgt eine Anpassung der Pkw-Nutzung (vgl. Kapitel 4.2.2). Bei der Art und Weise, wie sich die Pkw-Nutzer an die neuen finanziellen Rahmenbedingungen anpassen, zeigte sich eine Vielfalt an Strategien (vgl. Kapitel 3.6.2). Für die Wahl der jeweiligen Anpassungsstrategie wurde das sequenzielle Kostenminimierungsprinzip vorgeschlagen (vgl. Kapitel 4.2.4). Das bedeutet, dass die Anpassungen des Mobilitätsverhaltens auch Veränderungen der täglichen Aktivitäten und Abläufe notwendig machen. Diese Veränderungen des Tagesablaufs sind mit psychologischen Kosten im Sinne von Aufwand, Unbequemlichkeit und Unsicherheit verbunden. Da Pkw-Nutzer die Veränderungen des Tagesablaufs und die damit verbundenen psychologische Kosten so gering wie möglich halten möchten, werden sie zunächst versuchen, ihre Pkw-Nutzung effizienter zu gestalten. Erst wenn diese Verhaltensanpassung nicht zur gewünschten Reduktion der Pkw-Nutzung führt, werden im nächsten Schritt Strategien gewählt, die stärker in tägliche Aktivitäten und Abläufe eingreifen. Widersprüchlich ist bisher, ob und wie Lerneffekte bei der Verhaltensanpassung an Straßenbenutzungsgebühren eine Rolle spielen. In Stockholm blieb das Verkehrsaufkommen nach dem Ende des Preissystems kurz unterhalb des Niveaus davor (vgl. Kapitel 3.4). Beim MobilPASS Feldversuch in Stuttgart zeigten sich eine leicht reduzierte Pkw- und eine gestiegene ÖPNV-Nutzung nach dem Feldversuch (vgl. Kapitel 3.5). Horeni et al. (2007) fanden dagegen keine, über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hinausgehenden, Verhaltenseffekte (vgl.
5 Fragestellungen und Hypothesen
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Kapitel 4.2.4). Daher wird der Aspekt, ob es über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hinausgehende Verhaltenseffekte gibt, in dieser Arbeit explorativ untersucht. Fragestellung 3: Welche Rolle spielt die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren? Im Kapitel 4.3 wurde herausgestellt, dass zum Zeitpunkt der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren die Akzeptanz vergleichsweise gering ist, die Pkw-Nutzer aber dennoch ihr Mobilitätsverhalten an die neuen finanziellen Rahmenbedingungen anpassen. Das heißt, ein Zusammenhang zwischen der Akzeptanz und dem Mobilitätsverhalten in der Art, dass die Akzeptanz das Mobilitätsverhalten vorhersagt, ist nicht zu erwarten. Es stellte sich aber die Frage, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der Akzeptanz und dem Mobilitätsverhalten in umgekehrter Richtung gibt. Das bedeutet, dass die Anpassung des Mobilitätsverhaltens möglicherweise zu der positiven Akzeptanzänderung führt, die in den Städten mit Preissystemen wiederholt beobachtet wurde. Daher beziehen sich die Hypothesen zu dieser Fragestellung auf die Rückwirkung des Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren. Hypothese 5: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren. Hypothese 6: Einstellungskonträres, dissonantes Mobilitätsverhalten nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren führt zu einer Akzeptanzänderung. Einstellungskonformes, konsonantes Mobilitätsverhalten führt dagegen nicht zu einer Akzeptanzänderung. Hypothese 7: Bei einer hohen Akzeptanz vor der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren führt dissonantes Mobilitätsverhalten zu einer negativen Akzeptanzänderung. Bei einer geringen Akzeptanz vor der Einführung führt dissonantes Mobilitätsverhalten dagegen zu einer positiven Akzeptanzänderung.
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5 Fragestellungen und Hypothesen
Aus den Zwei-Prozess-Modellen der Einstellungsänderung lässt sich ableiten, dass das Verhalten einer Person über den zentralen bzw. systematischen Weg Einfluss auf die Einstellung nehmen kann (vgl. Kapitel 4.3). Wie sich das Verhalten auf die Einstellung auswirkt, lässt sich aus der Theorie der kognitiven Dissonanz vorhersagen. Demnach übt einstellungskonträres, dissonantes Mobilitätsverhalten einen Einfluss auf die Einstellung aus. Personen versuchen inkonsistente Kognitionen, beispielsweise die Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren, die gleichzeitig abgelehnt werden, wieder in Einklang zu bringen. Im Falle von Straßenbenutzungsgebühren gibt es prinzipiell zwei Varianten dissonanten Mobilitätsverhaltens. Bei hoher Akzeptanz entspricht eine Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens und bei geringer Akzeptanz die Änderung des Mobilitätsverhaltens einem dissonanten Verhalten. Die einfachste und zugleich effektivste Strategie der Dissonanzreduktion scheint in dieser Situation die Einstellungsänderung zu sein (vgl. noch einmal Kapitel 4.3). Fragestellung 4: Gibt es interindividuelle Unterschiede in der Akzeptanz- und Mobilitätsverhaltensänderung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren? Hypothese 8: Personen verschiedener Lebenslage unterscheiden sich in der Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren. Hypothese 9: Personen verschiedener Lebenslage unterscheiden sich in ihrer Mobilitätsverhaltensanpassung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren. Die bisherigen Befunde aus den Städten, die Straßenbenutzungsgebühren eingeführt haben, zeigen interindividuelle Unterschiede. Allerdings legen sie vermittelte Einflüsse bei der Wirkung von soziodemographischen Faktoren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten nahe. Das bedeutet, dass Merkmale, wie z. B. das Alter, das Einkommen oder das Geschlecht nicht singulär sondern erst im Zusammenwirken Einfluss nehmen (vgl. Kapitel 3.6.3). Ein Konzept, welches die Lebensbedingungen einer Person ganzheitlich beschreibt, ist das Konzept der Lebenslage. Die Lebenslage charakterisiert den individuellen Handlungsspielraum einer Person bei der Erfüllung seines Mobilitätsbedürfnisses, der von einer Vielzahl von strukturellen Faktoren begrenzt wird (vgl. Kapitel 4.4). Dieser individuelle Handlungsspielraum beeinflusst ob und wie Personen ihr Mobilitätsverhalten im Zuge der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren anpassen. Da sich Personen ihres individuellen Handlungsspielraumes in
5 Fragestellungen und Hypothesen
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der Regel bewusst sind bzw. sich durch die Konfrontation mit einer strukturellen Maßnahme wie Straßenbenutzungsgebühren bewusst werden, ist zu vermuten, dass die Lebenslage auch einen Einfluss auf die Akzeptanz und die Akzeptanzänderung städtischer Straßenbenutzungsgebühren hat.
6 Methoden
In diesem Kapitel wird das methodische Vorgehen zur Untersuchung der Fragestellungen und Hypothesen vorgestellt. Dazu wurde eine Sekundäranalyse durchgeführt. Bortz und Döring (2005) definieren die Sekundäranalyse als die Auswertung bereits vorhandener (Roh-) Daten mit neuen Methoden oder unter einer neuen Fragestellung. Da die Sekundäranalyse eine in der Psychologie wenig genutzte Methode ist (Haag, 1998), wird zuerst im Kapitel 6.1 deren Anwendung in dieser Arbeit kurz beschrieben. Anschließend wird im Kapitel 6.2 die Primäruntersuchung, aus der die Rohdaten stammen, vorgestellt. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der Auswertung des Datensatzes im Rahmen der Sekundäranalyse ab (vgl. Kapitel 6.3).
6.1 Die Sekundäranalyse Um die Reaktion der Pkw-Nutzer nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren untersuchen zu können, müssen drei Anforderungen an die Datenbasis erfüllt sein: Anforderung 1: Straßenbenutzungsgebühren müssen zumindest teilweise implementiert werden, um die Reaktion der Pkw-Nutzer darauf beobachten zu können. Anforderung 2: Um die Wirkung auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten untersuchen zu können, müssen beide Variablen in einer Untersuchung erhoben werden. Anforderung 3: Fragestellung 3 thematisiert die Beziehung zwischen den Reaktionen im Mobilitätsverhalten und der Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren. Um diese Beziehung untersuchen
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6 Methoden
zu können, muss es möglich sein, beide Variablen in Bezug zueinander zu setzen. Das bedeutet, dass beide Variablen zu einer Person zuordenbar sein müssen. Bisher wurden jedoch nur wenige städtische Preissysteme eingeführt. Die Möglichkeit einer eigenen Primäruntersuchung im Rahmen einer solchen Einführung ergab sich daher nicht. Die Möglichkeit, Straßenbenutzungsgebühren selbst zu implementieren, war wegen mangelnden finanziellen Ressourcen ebenfalls nicht gegeben. Stattdessen wurde geprüft, ob bereits Studien zur Wirkung städtischer Preissysteme vorhanden sind, deren Daten die Anforderungen an die Datenbasis dieser Arbeit erfüllen. Die notwendigen finanziellen Ressourcen für die Aufarbeitung bereits vorhandener Datensätze sind erheblich geringer als für eine umfangreiche eigene Datenerhebung (Kiecolt & Nathan, 1985). Bei der Recherche nach geeigneten Studien wurde das EU-Projekt PRoGReSS (Pricing Road use for Greater Responsibility, Efficiency and Sustainability in Cities) als potenzieller Datengeber identifiziert. PRoGReSS wurde im Rahmen des 5. EU-Forschungsrahmenprogramms in den Jahren 2000 bis 2004 durchgeführt. Ausgangspunkt des Projektes war, dass die gegenwärtigen Erkenntnisse zu den Wirkungen von städtischen Straßenbenutzungsgebühren in Bezug auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten mehrheitlich auf theoretischen Studien, aber nicht auf bereits implementierten städtischen Preissystemen beruhen. Deshalb wurden in acht verschiedenen europäischen Städten bereits bestehende städtische Preissysteme erweitert, neu eingeführt oder in Feldversuchen demonstriert und wissenschaftlich evaluiert (PRoGReSS, 2004a). Mit Hilfe der Projektveröffentlichungen und der persönlichen Rücksprache mit den, für die Datenerhebung verantwortlichen Wissenschaftlern wurde geprüft, welche der einzelnen Teilprojekte in PRoGReSS den Anforderungen an die Datenbasis dieser Arbeit gerecht wurden. Im Ergebnis entsprach das AKTA Projekt (Afgifter i Københavns Trafik) in Kopenhagen (Dänemark) am besten dem Datenbedarf dieser Arbeit. Das Ziel des AKTA Projektes war die Analyse der Reaktion von Pkw-Nutzern auf verschiedene städtische Preissysteme. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten und die Akzeptanz von Pkw-Nutzern (PRoGReSS, 2003). Das Kernstück des Projektes bildete das AKTA road pricing Experiment. Das ist ein mit ca. 500 Probanden sehr umfangreiches Feldexperiment, in dem drei städtische Preissysteme für den Ballungsraum Kopenhagen simuliert und evaluiert wurden. Damit erfüllt das AKTA Feldexperiment die Anforderung 1, die zumindest teilweise Implementierung von Straßenbenutzungsgebühren. Des Weiteren wurde sowohl die Akzeptanz als auch das Mobilitätsverhalten als Reaktion auf die simulierten Preissysteme erfasst. Damit wird die Anforderung 2 an die Datenbasis eben-
6.1 Die Sekundäranalyse
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falls erfüllt. Schließlich wurden beide Variablen an einer Person erhoben, was der Anforderung 3 an die Datenbasis entspricht. Über die Erfüllung der Anforderungen an die Datenbasis hinaus bot AKTA einen weiteren Vorteil, der zur Entscheidung für diesen Datensatz führte. Die Veränderung der Pkw-Nutzung wurde mit einem GPS-basierten Fahrzeugsystem (On-Board Unit) erhoben. Dadurch war eine kontinuierliche und exakte Datenaufzeichnung der individuellen Pkw-Nutzung während der gesamten Laufzeit des Experimentes möglich. Mit konventionellen Methoden wie z. B. einer Befragung, wie in London oder Stockholm, oder Mobilitätstagebüchern, wie beim MobilPASS Feldversuch in Stuttgart, ist eine solch präzise und detaillierte Erfassung der PkwNutzung nicht möglich (Stopher & Greaves, 2006). Das heißt, dass mit dem AKTA Datensatz eine gegenwärtig einzigartige Datenbasis zur Verfügung steht. Zusammenfassend bedeutet dies, dass es einerseits im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war, eine eigene Primärerhebung durchzuführen, welche die Anforderungen an die Datenbasis zur Beantwortung der Forschungsfragen aus Kapitel 5 erfüllt. Andererseits ist mit dem AKTA Feldversuch ein Datensatz vorhanden, der diesen Anforderungen Rechnung trägt. Damit stellt die Sekundäranalyse dieses Datensatzes eine geeignete Methode zur Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit dar. Um eine Sekundäranalyse erfolgreich durchführen zu können, sind einige forschungspraktische Voraussetzungen zu schaffen (Cordray, 2001), Nachteile bzw. Grenzen der Methode zu beachten (Beutelmeyer & Kaplitza, 1999) und methodische Besonderheiten zu berücksichtigen (Hyman, 1972). Darüber hinaus orientierte sich die Durchführung der Sekundäranalyse an verschiedenen, fachspezifischen Empfehlungen (vgl. z. B. BMVBW, 2003; Swart & Ihle, 2005; Leonhart & Maurischat, 2004). Im Folgenden werden diese Aspekte dargestellt. Die erfolgreiche Nutzung bereits vorhandener Datensätze ist laut Cordray (2001) an drei Voraussetzungen gebunden: 1. die Verfügbarkeit eines entsprechenden Datensatzes, 2. der Zugang zu diesem Datensatz sowie 3. die Verwendbarkeit der Daten für die Fragestellungen der Sekundäranalyse. Wenn diese Voraussetzungen nicht oder nur unzureichend erfüllt sind, ergeben sich daraus spezifische Nachteile bzw. Grenzen der Sekundäranalyse. In der Literatur werden vor allem drei Aspekte genannt (Beutelmeyer & Kaplitza, 1999): 1. die mangelnde Aktualität des Datenmaterials, 2. die Schwierigkeiten bei der Überprüfung der Qualität des Datenmaterials sowie
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6 Methoden
3. die eingeschränkte Verwendbarkeit der Daten für die spezifischen Fragestellungen der Sekundäranalyse. Offenkundig kann eine Sekundäranalyse nur durchgeführt werden, wenn die dafür notwendigen Daten bereits erhoben wurden. Daneben stellt der Zugang zu den Primärdaten eines der wichtigsten forschungspraktischen Probleme dar, die im Vorfeld der Sekundäranalyse gelöst werden müssen (Klingemann & Mochmann, 1975). Der Zugang zu den Primärdaten sollte so umfassend wie möglich sein, um alle Aspekte in die spätere Auswertung einbeziehen zu können und einseitige Schlüsse zu vermeiden (Beutelmeyer & Kaplitza, 1999). Die ersten beiden Voraussetzungen einer erfolgreichen Sekundäranalyse konnten durch die enge Kooperation der Autorin sowie des Lehrstuhls für Verkehrspsychologie der Technischen Universität Dresden mit den Primärforschern des Centre for Traffic and Transport der Technischen Universität Kopenhagen im Rahmen des thematischen Netzwerkes CUPID (Co-ordinating Urban Pricing Integrated Demonstrations) geschaffen werden. Das CUPID Netzwerk hatte die Aufgabe, das PRoGReSS Projekt bei der Implementierung und Evaluation städtischer Straßenbenutzungsgebühren inhaltlich und methodisch zu beraten und zu unterstützen (vgl. dazu CUPID, 2004). Durch diese enge Kooperation konnte zum Teil Einfluss auf die Definition der Variablen und deren Erhebung genommen werden – eine Möglichkeit, die sich Sekundärforschern in der Regel nicht bietet (vgl. Johnson, 2001a, 2001b, 2001c, für eine Diskussion der gegenwärtigen Situation des Datenaustausch in der Psychologie). Damit konnte sowohl das Vorhandensein eines geeigneten Datensatzes als auch der Zugang zu diesen Daten bereits im Vorfeld dieser Arbeit abgesichert werden. Die Datenübergabe fand während eines Forschungsaufenthaltes der Autorin am CTT in Kopenhagen von Februar bis April 2005 statt. Der Datenbestand wurde in Form einer Microsoft Access Datenbank bereitgestellt. Zusätzlich wurde umfangreiches Begleitmaterial in Form von internen und externen Projektberichten und wissenschaftlichen Publikationen zum Datensatz zur Verfügung gestellt. Damit wurde ein umfassender Zugang zu den Primärdaten, wie ihn Beutelmeyer und Kaplitza (1999) fordern, sichergestellt. Die dritte Voraussetzung einer erfolgreichen Sekundäranalyse, die Sicherstellung der Verwendbarkeit der Daten für die spezifischen Fragestellungen der Sekundäranalyse, erfolgte zum einen durch den Vergleich des Datensatzes mit den Anforderungen an die Datenbasis dieser Arbeit. Zum anderen war es dafür auch notwendig, die Daten detailliert auf ihre Qualität und damit auf ihre Eignung für die Beantwortung der Forschungsfragen zu prüfen. Eine wichtige Rolle bei der Prüfung der Qualität des Datensatzes spielte die exakte Dokumentation des Datensatzes und der Konzeption der Primärstudie
6.1 Die Sekundäranalyse
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(Klingemann & Mochmann, 1975). Zur Dokumentation des Datensatzes gehören beispielsweise die Angabe des Namens und der Bedeutung der Variablen, des Datenniveaus etc. Statistische Softwareprogramme, wie z. B. SPSS, die in den Sozialwissenschaften zur Datenanalyse einsetzt werden, ermöglichen bereits eine solche Beschreibung. Diese Informationen sind jedoch unzureichend, solange sie nicht mit einer detaillierten Beschreibung der Konzeption und Methodik der Primäruntersuchung einhergehen. Dazu gehören beispielsweise Angaben zum Verfahren der Stichprobenziehung, zur Stichprobe, zur Grundgesamtheit usw. In komplexen Studien sind die Daten oft auch in mehreren Dateien gespeichert, so dass deren Beziehungen untereinander ebenfalls dokumentiert werden müssen, um für Sekundärforscher nachvollziehbar zu sein (Blank & Rassmussen, 2004). In der Forschungspraxis ist eine derart vollständige Datendokumentation jedoch selten. Dies gilt sowohl für die Psychologie (vgl. Johnson, 2002) als auch für den Verkehrsbereich (vgl. Axhausen, 2001). Klingemann und Mochmann (1975) weisen bereits darauf hin, dass die wenigsten Forschungsinstitute bereit oder in der Lage sind, die zusätzlichen finanziellen Ressourcen für eine vollständige Dokumentation ihrer Datenbestände aufzubringen. Daten aus großen, mit öffentlichen Geldern geförderten Umfragen oder Panelstudien werden oft routinemäßig dokumentiert und Fachdatenarchiven zur Verfügung gestellt. Ist ein solcher Datenaustausch nicht geplant oder fordert der Auftraggeber nicht explizit eine Dokumentation der Untersuchung, fehlt oft der Anreiz, die zusätzlichen Ressourcen für die Erstellung einer vollständigen Dokumentation bereitzustellen. Eine solche Situation stellte sich auch für den AKTA Datensatz dar. Zwar war die Erstellung einer vollständigen technischen Dokumentation nach Ablauf des Projektes geplant. Aufgrund mangelnder zeitlicher und finanzieller Ressourcen wurde diese jedoch nicht realisiert. 1 Eine ausführliche Dokumentation der Primäruntersuchung ist jedoch die Voraussetzung für eine angemessene Datenauswahl und damit der Sicherung der Qualität einer Sekundäranalyse. Deshalb war es zunächst notwendig, diese Datendokumentation für den AKTA Datensatz zu erstellen. Dafür wurden der Datensatz selbst sowie die Informationen aus den Projektdokumenten herangezogen und in enger inhaltlicher Abstimmung mit den Primärforschern zu einer Datendokumentation verdichtet. Im Kapitel 6.3.1 wird genauer beschrieben, wie die Datendokumentation des AKTA Datensatzes erstellt wurde. Die Datendokumentation selbst ist als separates Dokument der Dissertation beigefügt (Seidel, 2006). 1
Um einer solchen Situation vorzubeugen, fordern Mohler und Uher (2003), dass die Erstellung der Datendokumentation bereits in die Planung einer empirischen Untersuchung integriert wird. Die Dokumentation soll bereits während der Durchführung erstellt und kontinuierlich ergänzt statt erst nach Abschluss der Untersuchung angefertigt werden.
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6 Methoden
Mit diesen Maßnahmen, insbesondere der engen Kooperation mit den Primärforschern vor und während der Sekundäranalyse sowie der Erstellung einer umfassenden Datendokumentation, wurden die Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung der Sekundäranalyse geschaffen. Der mangelnden Aktualität der Daten wurde dadurch begegnet, dass die Sekundäranalyse bereits während des AKTA und PRoGReSS Projektes vorbereitet und sofort nach Abschluss dieser Projekte begonnen wurde. Neben den Voraussetzungen für die Durchführbarkeit einer Sekundäranalyse spezifiziert Hyman (1972) drei methodische Grundprinzipien, die bei der Sekundäranalyse zu beachten sind. Die drei methodischen Grundprinzipien betreffen: 1. die Versuchsplanung, 2. die Kontrolle von Fehlern und 3. die Auswahl geeigneter Variablen. Während der Forscher einer Primäruntersuchung die Studie, den Ablauf und die Versuchspläne selbst entwirft, gestaltet der Sekundärforscher seine Untersuchung in dem er eine oder mehrere Primäruntersuchungen oder deren Teile neu kombiniert. Die Untersuchung oder deren Teile, die für die Sekundäranalyse genutzt werden, müssen sowohl inhaltlich als auch methodisch die Beantwortung der Fragestellungen der Sekundäranalyse erlauben. Im Ergebnis kann ein von der Primäruntersuchung abweichendes Versuchsdesign entstehen. Jeder Forscher ist bestrebt, Fehler in seiner Untersuchung zu vermeiden oder bei der Datenanalyse zu berücksichtigen. Der Primärforscher hat in der Regel genügend Informationen, um Unzulänglichkeiten des Datensatz bei der Auswertung entsprechend zu berücksichtigen. Bei einer Sekundäranalyse kann es sein, dass solche Informationen nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stehen. Das bedeutet nicht, dass Sekundäranalysen zwangläufig fehlerbehafteter sind. Aber es ist möglich, dass Unzulänglichkeiten der Untersuchung oder des Datensatz nicht beseitigt werden können, da nicht klar ist, wie sie genau zustande gekommen sind. Das betrifft insbesondere Untersuchungen, die nicht oder nur schlecht dokumentiert sind und wo kein Primärforscher mehr als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Aber auch bei gut dokumentierten und aufbereiteten Datensätzen kann es sein, dass bestimmte Entscheidungen bei der Stichprobenziehung, der Durchführung oder der Versuchspläne für die Primärstudie angemessen, im Rahmen der Sekundäranalyse aber eine potenzielle Fehlerquelle darstellen. Dann ist es die Aufgabe des Sekundärforschers, eine situationsangepasste Lösung zu finden. Bei der Auswahl geeigneter Variablen steht der Sekundärforscher möglicherweise vor dem Problem, dass die Operationalisierung der Variablen in der Primäruntersuchung nicht oder nur teilweise mit dem theoretischen Konzept der Sekun-
6.2 Das AKTA Feldexperiment
107
däranalyse übereinstimmen (vgl. dazu auch Buchmann, 1998). Dann ist es notwendig die Definition des theoretischen Konstrukts oder der Operationalisierungen zu prüfen und mit den Variablen des Primärdatensatzes abzustimmen. Auf der Basis dieser drei methodischen Grundprinzipien wurde das Konzept der Auswertung der Sekundäranalyse entworfen. Das Ziel war es, eine für die Fragestellungen der Sekundäranalyse geeignete und gleichzeitig an die Datenstruktur der Primäruntersuchung angepasste Auswertung zu erarbeiten (McCall & Appelbaum, 1991). Das Konzept der Auswertung des AKTA Datensatzes im Rahmen der Sekundäranalyse und die notwendigen Entscheidungen werden ausführlich im Kapitel 6.3 dargestellt.
6.2 Das AKTA Feldexperiment Das AKTA Feldexperiment war Teil des AKTA Projektes. Gleichzeitig war AKTA in das europäische Forschungsprojekt PRoGReSS eingebettet (PRoGReSS, 2000). Das Ziel des AKTA Projektes war es zu untersuchen, wie sich verschiedene städtische Preissysteme auf das Mobilitätsverhalten von Pkw-Nutzern auswirken und wie diese Preissysteme von den Nutzern akzeptiert werden (PRoGReSS, 2003). Dazu wurden verschiedene Studien durchgeführt (vgl. Tabelle 6.1). Das Kernstück des Projektes bildete das AKTA Feldexperiment, in dem verschiedene städtische Preissysteme simuliert und die Wirkung auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten von Pkw-Nutzern analysiert wurden. Der Datensatz dieses Feldexperimentes liegt dieser Arbeit zugrunde. Im Folgenden wird das AKTA Feldexperiment beschrieben. Zuerst wird im Kapitel 6.2.1 der Versuchsaufbau, d. h. die Simulation der Preissysteme, vorgestellt. Danach wird im Kapitel 6.2.2 die Durchführung des Feldexperimentes beschrieben. Im Kapitel 6.2.3 wird die Stichprobe dargestellt. Im Kapitel 6.2.4 wird die Datenerhebung vorgestellt. Dabei wird sich auf die Variablen beschränkt, die im Rahmen der Sekundäranalyse ausgewertet wurden.
6.2.1 Versuchsaufbau Das Demonstrationsgebiet bestand aus der Stadt Kopenhagen und dem angrenzendem Landkreis Kopenhagen. Dies entspricht einer Fläche von 250 km 2 . In dem Gebiet leben 1.2 Millionen Einwohner (PRoGReSS, 2002). Für die Simulation der verschiedenen Preissysteme wurde das Demonstrationsgebiet in vier ringförmige Tarifzonen eingeteilt (vgl. Abbildung 6.1). Diese vier Tarifzonen wurden für das multiple Kordonpreissystem weiter in Sektoren unterteilt, so dass für dieses System insgesamt elf Tarifsektoren resultierten. Diese Un-
108
6 Methoden Tabelle 6.1: Untersuchungen innerhalb des AKTA Projektes (PRoGReSS , 2004c)
Studie
Beschreibung
Zeitpunkt
Vorstudie FORTRIN (N=64)
Entwicklung und Erprobung des GPS-Systems zur Implementierung des Preissystems und zur Erfassung der Fahrdaten; Simulation und statistische Analyse dreier verschiedener Preissysteme; Nutzerstudien zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten durch Fragebogen, Fokusgruppengespräche und Mobilitätsdatenanalyse. Vortest der Fahrzeuggeräte (OBU) und der Tarifstruktur durch die Analyse der Fahrdaten; Voruntersuchung zur Akzeptanz der Technologie, Vortest der Befragungsinstrumente
1998 – 2001
AKTA Pilotstudie (N=5)
AKTA Hauptstudie BevölkerungsBefragung von zufällig ausgewählten Personen im AKTA befragung Demonstrationsgebiet zur Bekanntheit und zur (N=1000) Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren Feldexperiment Simulation dreier verschiedener Preissysteme; (N=517) Analyse des Fahrverhaltens mittels quantitativer Fahrdaten; Vor- und Nachbefragung zur Akzeptanz und qualitativen Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens FokusgruppenUntersuchung verschiedener Aspekte bzgl. gespräche Straßenbenutzungsgebühren z. B. Akzeptanz, (N=23) Fahrverhalten, Einnahmenverwendung, Überwachung, finanzielle Auswirkungen etc. Stated Preference Analyse des Entscheidungsverhaltens bei Interviews Straßenbenutzungsgebühren (N=300)
2000
2001
2001 – 2004
2002 – 2003
2002
terteilung ist in der Abbildung 6.1 durch die schwarzen Trennstriche innerhalb der Zonen sowie den Doppelpfeilen gekennzeichnet. Darauf aufbauend wurden drei konkrete Preissysteme simuliert: ein entfernungsabhängiges Hochpreissystem, ein entfernungsabhängiges Niedrigpreissystem sowie ein multiple Kordonpreissystem. Tabelle 6.2 fasst die Charakterisierung dieser drei Preissysteme zusammen. Bei dem entfernungsabhängigen Hoch- und Niedrigpreissystem erfolgte die Berechnung der Gebühren auf der Basis der gefahrenen Kilometer im Demonstrationsgebiet. In Abhängigkeit von der Tarifzone wurde der entsprechende Tarif mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und anschließend pro Fahrt aufsummiert. Beim multiplen Kordonpreissystem dagegen wurde die Gebühr für die Querung
6.2 Das AKTA Feldexperiment
109
Kordonpreissystem Hauptverkehrszeit
Hauptverkehrszeit
0.26 €
0.13 €
0.54 €
0.27 €
1.07 €
0.54 €
1.61 €
0.80 €
Hochpreissystem Hauptverkehrszeit
Hauptverkehrszeit
0.13 €/km
0.07 €/km
0.27 €/km
0.13 €/km
0.47 €/km
0.23 €/km
0 67 €/km 0.67
0 33 €/km 0.33
Niedrigpreissystem Hauptverkehrszeit
Hauptverkehrszeit
0.07 €/km
0.00 €/km
0.13 €/km
0.00 €/km
0.23 €/km
0.00 €/km
0.33 €/km
0.00 €/km
Abbildung 6.1: Aufteilung des AKTA Demonstrationsgebietes in Tarifzonen und -sektoren
von Tarifzonen- und Tarifsektorengrenzen erhoben. In Abhängigkeit von der Tarifzone wurde der entsprechende Tarif mit der Anzahl der Querungen multipliziert und anschließend als Gebühr pro Fahrt aufsummiert. Für die Querung der Sektorengrenzen galt der Tarif der entsprechenden Tarifzone. Alle drei Preissysteme wurden räumlich und zeitlich differenziert ausgestaltet. Die räumliche Differenzierung erfolgte über die vier Tarifzonen. Das bedeutet, dass in der Innenstadt die höchsten Gebühren erhoben wurden und diese dann zonenweise reduziert wurden, bis zur Randzone, in der die niedrigsten Gebühren erhoben wurden. Beispielsweise wurde beim Niedrigpreissystem die Innenstadtzone mit einer Gebühr von 2.50 DKK pro Kilometer und die Randzone mit 0.50 DKK pro Kilometer belegt. Die zeitliche Differenzierung erfolgte über die Tageszeit. Das bedeutet, dass in der Hauptverkehrszeit morgens von 7:00 Uhr bis 9:30 Uhr sowie abends von 15:00 Uhr bis 17:30 Uhr die doppelte Gebühr erhoben wurde als zur restlichen Tageszeit. Beispielsweise betrug die Gebühr in der Innenstadtzone beim Hochpreissystem während der Hauptverkehrszeit 5.00 DKK pro Kilometer und zur restlichen
110
6 Methoden
Tabelle 6.2: Charakterisierung der simulierten Preissysteme des AKTA Feldexperimentes Hochpreissystem
Niedrigpreissystem
Kordonpreissystem
Art des Preissystems Bemessungsgrundlage
entfernungsabhängiges Gebietspreissystem
Betriebszeit räumliche Differenzierung
Montag bis Freitag 24h 4 Tarifzonen mit steigender Gebührenhöhe von Randzone zu Innenstadtzone zusätzliche Unterteilung in 11 Tarifsektoren doppelte Gebühr zur Gebühr nur zur doppelte Gebühr zur Hauptverkehrszeita Hauptverkehrszeita Hauptverkehrszeita e 0.07 – e 0.33 e 0.07 – e 0.33 e 0.13 – e 0.80 pro km pro km pro Durchfahrt a e 0.13 – e 0.67 a e 0.26 – e 1.61 pro km pro Durchfahrt
zeitliche Differenzierung Gebührenhöhe
Anzahl der gefahrenen Kilometer im Demonstrationsgebiet
a Hauptverkehrszeit:
multiples Kordonsystem Anzahl der Durchfahrten durch die Tarifsektorengrenzen
7:00 Uhr bis 9:30 Uhr sowie 15:00 Uhr bis 17:30 Uhr
Tageszeit 2.50 DKK pro Kilometer. Beim Niedrigpreissystem wurde dagegen die Gebühr nur zur Hauptverkehrszeit erhoben. Die technische Realisierung des Feldversuches stützte sich im Wesentlichen auf ein GPS-basiertes Fahrzeuggerät, die On-Board Unit (OBU), welches in jedes Versuchsfahrzeug eingebaut wurde (vgl. Abbildung 6.2). Der Vorteil eines GPS-basierten Systems war, dass dadurch die Position der Fahrzeuge präzise genug bestimmt werden konnte, um überhaupt entfernungsabhängige Preissysteme simulieren zu können. Des Weiteren musste damit für den Feldversuch keine straßenseitige Infrastruktur installiert werden. Die OBUs ermöglichten neben der Simulation der städtischen Preissysteme auch die Erhebung der quantitativen Mobilitätsdaten. Dafür war in der OBU ein Speichermodul integriert, welches die Positionsdaten des Fahrzeuges während der gesamten Laufzeit des Experimentes speicherte. Im Anschluss an das Experiment wurden diese Daten heruntergeladen und zu Wegedaten weiterverarbeitet (vgl. dazu Kapitel 6.2.4.2).
6.2 Das AKTA Feldexperiment
111
Abbildung 6.2: On-Board Unit (OBU) des AKTA Feldversuches
6.2.2 Durchführung Das AKTA Feldexperiment wurde in drei aufeinander folgenden Runden durchgeführt. Die Aufteilung in Runden war notwendig, da aus Kostengründen nur eine begrenzte Anzahl der On-Board Units vorhanden war. Die ersten beiden Runden wurden mit je 200 Versuchsteilnehmern durchgeführt. Die dritte Runde wurde mit 100 Probanden realisiert (Nielsen, 2004a). Der Ablauf des Experimentes war in allen drei Runden gleich. Zuerst wurden die Probanden telefonisch rekrutiert. Danach fand ein Informationstreffen statt, an das sich das eigentliche Experiment anschloss. Für die Teilnahme am Experiment erhielten die Probanden eine pauschale Aufwandsentschädigung von 200 DKK (ca. e 27). Abbildung 6.3 gibt einen Überblick über den zeitlichen Ablauf der drei Runden des AKTA Feldexperimentes. Unterschiede zwischen den drei Runden gab es hinsichtlich der Dauer der Preissysteme, des gewählten Versuchsdesigns sowie des Anreizsystems (Nielsen, 2004a). Die Dauer der Preissysteme wurde sukzessive verlängert. Die Erfahrungen der ersten Runde zeigten, dass Probanden bei einem kurzen Zeitraum ihre Fahrten auf die Zeit nach dem Experiment aufschoben oder Mobilitätsalternativen in Betracht zogen, die langfristig keine Alternative darstellen. Um die Validität des Experimentes zu erhöhen, wurde daher die Simulationsdauer der Preissysteme von durchschnittlich vier Wochen in der ersten Runde auf sieben Wochen in der zweiten und zehn Wochen in der dritten Runde verlängert. Das Versuchsdesign war für die ersten beiden Runden vergleichbar. Das bedeutet, dass in den ersten beiden Runden alle drei Preissysteme simuliert wurden (vgl.
112
6 Methoden Tabelle 6.3: Zeitlicher Ablauf des AKTA Feldexperimentes
Mai
Juni
Juli
August
3
4
5
6
7
8
Dezember
April
2
November
März
1
Oktober
Februar
9 10 11 12
September
Januar
November
2002 Dezember
8
Oktober
August laufender Monat
September
2001
Jahr
9 10 11 12
1. Runde Rekrutierung Informationstreffen Experiment 2. Runde Rekrutierung Informationstreffen Experiment 3. Runde Rekrutierung Informationstreffen Experiment
auch Kapitel 6.2.3). In der dritten Runde beschränkte sich die Simulation dagegen nur noch auf das Hochpreissystem. Des Weiteren wurde in der dritten Runde das Anreizsystem für die Probanden geändert. In der ersten und zweiten Runde wurde für jeden Teilnehmer basierend auf der individuell prognostizierten Fahrleistung ein Anfangsbudget kalkuliert. Nach dem Experiment wurde, basierend auf den erhobenen Fahrdaten, das tatsächlich verbrauchte Budget berechnet. Ergab sich daraus eine positive Differenz, d. h., hatten die Probanden ihre Fahrleistung während des Experimentes reduziert, wurde der Differenzbetrag als Bonus ausgezahlt. Die Fokusgruppengespräche nach der zweiten Runde ergaben jedoch, dass durch den Bonus den Teilnehmern zwar ein Anreiz zur Verhaltensänderung, aber kein realistischer Eindruck des Bezahlens von Straßenbenutzungsgebühren vermittelt werden konnte (Nielsen & Herslund, 2002). Deshalb wurde in der dritten Runde das Anreizsystem für die Probanden geändert. In der dritten Runde wurde wieder ein Anfangsbudget basierend auf der individuell prognostizierten Fahrleistung kalkuliert. Dieser Betrag wurde den Probanden jedoch noch vor der Simulation des Preissystems auf ihrem Girokonto gutgeschrieben. Nach der Simulation wurde wieder, basierend auf den erhobenen Fahrdaten, das tatsächlich verbrauchte Budget berechnet. Dieser Betrag wurde den Probanden anschließend in Rechnung gestellt. War der Betrag geringer als das Anfangsbudget ergab sich rechnerisch ebenfalls ein Bonus. War der Betrag größer als das Anfangsbudget wurde nur die Summe des Anfangsbudgets in Rechnung gestellt. Das bedeutet, dass die Probanden zwar das gesamte Anfangsbudget zurückzahlen
6.2 Das AKTA Feldexperiment
113
mussten, aber darüber hinaus keine zusätzlichen Gebühren in Rechnung gestellt bekamen.
6.2.3 Stichprobe Die Rekrutierung der Versuchsteilnehmer erfolgte durch ein telefonisches Vorgespräch. Die Telefonnummern wurden zufällig dem Telefonbuch des AKTA Demonstrationsgebietes entnommen. Um in die Stichprobe aufgenommen zu werden, mussten die Probanden, neben der Pkw-Verfügbarkeit, zusätzlich vier Kriterien erfüllen: 1. Es durfte nur ein Pkw im Haushalt vorhanden sein. So sollte verhindert werden, dass sich die Probanden dem Experiment durch das Ausweichen auf ein weiteres Fahrzeug entziehen. Die Validität des Experimentes wurde dadurch nicht eingeschränkt, da bedingt durch die hohen Steuern auf den Pkw-Besitz in Dänemark, weniger als 19 % der Haushalte im Ballungsraum und weniger als 3 % der Haushalte in der Stadt Kopenhagen über mehr als einen Pkw verfügen (PRoGReSS, 2004b). 2. Der Pkw musste ein Privatfahrzeug sein. Es durfte kein Firmenwagen o. ä. sein. Diese Bedingung war aus haftungsrechtlichen Gründen notwendig. Die Nutzung einer On-Board Unit zur Datenerfassung macht deren Einbau in den Pkw erforderlich. Dazu mussten die Versuchsteilnehmer eine Übereinkunft über die Teilnahme am Versuch und die Überlassung der Fahrzeugeinrichtung einschließlich der OBU unterschreiben. 3. Der Proband sollte der häufigste Nutzer dieses Pkw sein. Das Ziel des Experimentes war die Analyse der Reaktionen der Nutzer in einem simulierten Preissystem. Da die zur Datenerfassung eingesetzte OnBoard Unit nur die Positionsdaten des Pkw aufzeichnete, musste sichergestellt werden, dass von den Fahrdaten in begründeter Weise auf das individuelle Nutzerverhalten geschlossen werden konnte. Allerdings musste diese Bedingung in der dritten Runde des Experimentes weniger restriktiv gehandhabt werden, um die erforderliche Anzahl von Versuchsteilnehmern rekrutieren zu können. 4. Der Proband sollte Vollzeit arbeiten oder studieren, um eine entsprechende Verkehrsteilnahme sicherzustellen.
114
6 Methoden
Den Personen, die sich im Vorgespräch zur Teilnahme am Experiment bereit erklärten, wurde Informationsmaterial über den Ablauf des Versuches, die Teilnahmebedingungen und eine Einladung zu einem Informationstreffen zugeschickt. Zu diesen Treffen kamen allerdings nur ein Drittel der eingeladenen Personen, so dass insgesamt 25 000 Personen kontaktiert werden mussten, um die anvisierte Stichprobengröße von N = 400 für die ersten beiden Runden zu erreichen. Von den Personen, die zum Informationsabend kamen, absolvierte der überwiegende Teil die Untersuchung bis zum Ende. Das Experiment begann mit 517 Probanden und endete mit 468 Probanden. Dies entspricht einer Ausfallrate von 9.5 %. Tabelle 6.4 zeigt die genaue Stichprobengröße über alle drei Runden des Experimentes. Tabelle 6.4: Stichprobengröße des AKTA Feldexperimentes
1. Runde 2. Runde 3. Runde Gesamt
Versuchsbeginn
OBU-Installationen
Versuchsende
200 213 104 517
194 189 96 479
192 184 92 468
Ausfallrate 4.0 % 13.6 % 11.5 % 9.5 %
Die Probanden durchliefen während des Experimentes nacheinander zwei Versuchsperioden. In jeder Versuchsperiode wurden sie einer von vier möglichen Versuchsbedingungen zugeordnet. Als Versuchsbedingungen wurden sowohl die drei simulierten Preissysteme als auch eine Kontrollbedingung definiert, so dass insgesamt vier mögliche Versuchsbedingungen pro Versuchsperiode resultierten. Kombiniert man diese vier Versuchsbedingungen mit den Versuchsperioden erhält man die Zusammenstellung der Versuchsbedingungen pro Person. Tabelle 6.5 veranschaulicht das Kombinationsschema der Versuchsbedingungen sowie die realisierte Stichprobengröße jeder Bedingungskombination. Die Kombination zwei gleicher Versuchsbedingungen wurde nicht verwirklicht. In der dritten Runde wurde das Versuchsdesign dahingehend vereinfacht, dass nur noch die Kombination der beiden Versuchsbedingungen „Kontrollbedingung“ sowie „entfernungsabhängiges Hochpreissystem“ realisiert wurde. Daraus resultiert die große Stichprobengröße im Vergleich zu den anderen Bedingungskombinationen (in Tabelle 6.5 fett hervorgehoben). Die Zuordnung der Probanden zu den Bedingungskombinationen erfolgte nicht zufällig, sondern nach einem faktoriellen Design, das neben den beiden Versuchsbedingungen auch das Pendelmuster sowie das Einkommen berücksichtigte. Die Bildung der Versuchsbedingungskombinationen hatte Konsequenzen für die Auswahl der Stichprobe der Sekundäranalyse, die ausführlich in Kapitel 6.3.3 dargestellt werden. Der Verzicht auf eine randomisierte Zuteilung der Probanden zu
6.2 Das AKTA Feldexperiment
115
Tabelle 6.5: Zuordnung der Probanden zu den Versuchsbedingungen des AKTA Feldexperimentes
Versuchsperiode 1
Versuchsbedingungen
Hoch
Versuchsperiode 2 Niedrig Kordon Kontrolle
Hoch Niedrig Kordon Kontrolle Gesamtstichprobe
– 33 32 144 209
35 – 31 40 106
30 24 – 28 82
42 52 25 – 119
Gesamtstichprobe 107 109 88 212 516
Hoch = entfernungsabhängiges Hochpreissystem; Niedrig = entfernungsabhängiges Niedrigpreissystem; Kordon = multiples Kordonsystem; Kontrolle = Kontrollbedingung Eine Versuchsperson schied bereits während der Zuordnung zu den Versuchsbedingungen aus, so dass eine Gesamtstichprobe von N = 516 resultiert.
den Bedingungskombinationen musste bei der Erstellung der Versuchspläne für die Sekundäranalyse ebenfalls berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 6.3.4).
6.2.4 Datenerhebung Das Ziel des AKTA Feldexperimentes war es, die individuellen Reaktionen der Nutzer auf die simulierten Preissysteme zu messen. Die Analyseeinheit war also der einzelne Proband. Damit war für alle Datenerhebungsinstrumente eine Prozedur notwendig, die dafür sorgte, dass nur die rekrutieren Probanden antworteten bzw. eine Kontrolle dieser Anforderung möglich machte. Der Rückschluss von den GPS-basierten Pkw-Daten auf die individuelle Nutzung wurde durch das Kriterium des häufigsten Nutzers bei der Stichprobenziehung sichergestellt (vgl. Kapitel 6.2.3). Bei den Befragungsinstrumenten dagegen wurde eine Personalisierungsstrategie verwendet. Das bedeutet, dass alle Befragungsinstrumente namentlich an die Probanden des Feldexperimentes gerichtet wurden. Gleichzeitig wurde zu Beginn der einzelnen Befragungen der Name und das Geschlecht des Antwortenden erfasst, um nachträglich kontrollieren zu können, ob tatsächlich die Probanden an den Befragungen teilnahmen. Durch die direkte Ansprache sollten die Probanden außerdem zur Teilnahme motiviert und ein hoher Rücklauf erreicht werden. Eine empirische Überprüfung zeigte den Erfolg dieser Personalisierungsstrategie. So sind nur die Vor- und Nachbefragungen von 15 Probanden, d. h. 2.9 % der
116
6 Methoden
Stichprobe, nicht vergleichbar (Gehlert, 2008). Außerdem lag die Ausfallrate während des Experimentes bei nur 9.5 % (vgl. Tabelle 6.4, Kapitel 6.2.3). Die Zuordnung der einzelnen Befragungen des Experimentes zu einer Person erfolgte mit Hilfe eines individuellen Personenkodes, der bei der Rekrutierung der Probanden vom Untersuchungsteam vergeben wurde. Die Fahrdaten der OBU enthielten einen alternativen Kode, der über eine separate Zuordnungstabelle dem individuellen Personenkode zugeordnet werden konnte. Auf diese Weise konnten die Befragungsdaten untereinander und die Befragungs- und Fahrdaten miteinander verknüpft werden. Im Folgenden wird die Datenerhebung der drei Variablenkomplexe Akzeptanz, Mobilitätsverhalten und soziodemographische Variablen erläutert. Der zeitliche Ablauf der Datenerhebung ist in Abbildung 6.3 dargestellt. Daraus geht hervor, wann welche Datenerhebung stattfand, welche Datenerhebungsmethode eingesetzt und welche Variablen damit erfasst wurden. Zweck der Datenerhebung
StichprobenRekrutierung
Vorbefragung
Methode der Datenerhebung
Telefoninterview
Fragebogen
Erhobene Variablen
Soziodemographie
Akzeptanz Soziodemographie
Versuchsbedingung 1
Versuchsbedingung 2
GPS-basiertes Fahrzeuggerät (OBU) Mobilitätsverhalten
Nachbefragung Teil 2 Teil 1 Telefoninterview Technische & organisatorische Aspekte des Experimentes
Zeit Fragebogen
Akzeptanz Soziodemographie Mobilitätsverhalten
Abbildung 6.3: Ablauf der Datenerhebung des AKTA Feldexperimentes
• Akzeptanz: Die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren wurde vor und nach dem Experiment erhoben. Die Vorbefragung fand während des Informationstreffens statt, bei dem die Probanden den Vorfragebogen ausfüllten. Für die Nachbefragung wurde allen Teilnehmern ein Fragebogen mit einem frankierten Antwortumschlag zugeschickt. Die Probanden der ersten und zweiten Runde des Experimentes wurden außerdem nach dem Experiment telefonisch befragt. In diesem Telefoninterview wurden technische und organisatorische Aspekte erfragt, die sich im Laufe der jeweiligen Runde als wichtig erwiesen hatten, aber vom Fragebogen nicht abgedeckt wurden. • Mobilitätsverhalten: Während der beiden Versuchsbedingungen des Experimentes wurden kontinuierlich die Positionsdaten des Pkw mittels der eingebauten On-Board Unit aufgezeichnet. Des Weiteren wurden die Probanden
6.2 Das AKTA Feldexperiment
117
in der schriftlichen Nachbefragung zu den Strategien der Verhaltensanpassung während des Experimentes befragt. • soziodemographische Variablen: Bereits während des Telefoninterviews zur Rekrutierung der Probanden wurden umfangreiche soziodemographische Angaben zur Vorbereitung der Datenerhebung erfasst. Weitere soziodemographische Variablen wurden in der Vor- und Nachbefragung erhoben. In den folgenden Abschnitten werden nun die Messinstrumente zur Akzeptanz, zum Mobilitätsverhalten und zur Soziodemographie näher erläutert. Die Befragungsinstrumente sind im Original und in der englischen Übersetzung in der Datendokumentation dargestellt (vgl. Seidel, 2006). 6.2.4.1 Akzeptanz Auf standardisierte Befragungsinstrumente zur Erhebung der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren konnte im AKTA Feldexperiment nicht zurückgegriffen werden. So wurden alle Befragungsinstrumente selbst entwickelt und auf die Bedingungen des Experimentes zugeschnitten. Die Fragebögen wurden in einer Pilotstudie vor dem eigentlichen Experiment getestet (vgl. Tabelle 6.1, Kapitel 6.2). Trotz dieses Vortestes wurde es notwendig, die Befragungsinstrumente in der schriftlichen Nachbefragung anzupassen. Basierend auf den Erfahrungen aus der Vorbefragung wurden in der Nachbefragung: • Items entfernt oder hinzugefügt, • die Formulierung der Items präzisiert, sowie • die Gestaltung der Antwortskalen verändert. Die Veränderungen in der Gestaltung der Antwortskalen werden im Folgenden erläutert. Daran schließt sich die Beschreibung der einzelnen Variablen zur Akzeptanz an, in der auch die entsprechenden Anpassungen im Einschluss und der Formulierung der Items erläutert werden. In der Vorbefragung wurden die Variablen zur Akzeptanz auf einer dreistufige Ratingskala erhoben. Die Probanden konnten zwischen den Antwortkategorien „Ja“ bzw. „Gut“, „Nein“ bzw. „Schlecht“ und „Ich weiß nicht“ wählen. Diese Abstufung erwies sich jedoch als zu grob und wurde in der Nachbefragung auf eine vier- bzw. fünfstufige Ratingskala erweitert. Die Kategorie „Ich weiß nicht“ wurde beibehalten. Diese Skalenänderung hat Auswirkungen auf die Analyse der Akzeptanzänderung, die im Kapitel 6.3.5 erläutert werden. Die Erhebung der Variablen zur Akzeptanz umfasste drei verschiedene Aspekte. Das waren erstens, Items zu den Determinanten der Akzeptanz, die sich im
118
6 Methoden
Wesentlichen an das Akzeptanzmodell von Schlag (1998) und Schade (2005) anlehnten (vgl. Kapitel 4.1.1). Zweitens, wurde die Akzeptanz verschiedener städtischer Preissysteme erfasst. Drittens, wurden Fragen zur Akzeptanzänderung gestellt. Tabelle A.1 fasst diese drei Variablenkomplexe und die dazugehörigen Items zusammen. 1. Determinanten der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren: • Problembewusstsein: Das persönliche Problembewusstsein wurde mit der Frage, wie die Probanden die Verkehrssituation in Bezug auf das Verkehrsaufkommen in Kopenhagen und Frederiksberg einschätzen, erhoben. Diese Variable wurde einmalig in der Nachbefragung erfasst. • subjektives Wissen: Diese Variable wurde durch zwei Items erfasst. Das erste Item fragte nach den Erfahrungen der Probanden mit Mautstationen, beispielsweise zur Bepreisung der großen Ostseebrücken in Dänemark. Das zweite Item fragte nach den Erfahrungen der Probanden mit anderen Arten von Straßenbenutzungsgebühren. Hier war als Beispiel die Bepreisung von Straßennetzen durch Vignetten genannt. Diese Variable wurde einmalig in der Vorbefragung erhoben. • wahrgenommene Effektivität: Die wahrgenommene Effektivität wurde unter drei Gesichtspunkten erfasst. Das waren: a) die wahrgenommene Effektivität eines Hauptverkehrszeitzuschlages zum zeitlichen Verschieben von Fahrten, b) die wahrgenommene Effektivität eines Kordonpreissystems zur Reduktion der Pkw-Nutzung, sowie c) die wahrgenommene Effektivität von Straßenbenutzungsgebühren zur Lösung verschiedener Verkehrsprobleme in Ballungsräumen (Verkehrsstau, Parkplatzknappheit, Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Verkehrssicherheit). Die Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages und des Kordonpreissystems sollte jeweils in Bezug auf den Probanden selbst und in Bezug auf andere Pkw-Nutzer eingeschätzt werden. Die beiden Items zum Hauptverkehrszeitzuschlag wurden sowohl in der Vor- als auch in der Nachbefragung erhoben. In der Nachbefragung wurde jedoch die erweiterte Ratingskala verwendet. Die Items zum Kordonpreissystem wurden nur in der Vorbefragung erhoben. Des Weiteren wurde die Erklärung des Kordonpreissystems im Item PreQ07 nach der ersten Runde des Experimentes präzisiert. Die Items zur Lösung verschiedener Verkehrsprobleme wurden nur in die Nachbefragung eingeschlossen.
6.2 Das AKTA Feldexperiment
119
• wahrgenommene Gerechtigkeit: Die wahrgenommene Gerechtigkeit sollte unter zwei Aspekten beurteilt werden: a) der Fairness und b) der persönlichen Ergebniserwartung. Zur Erfassung der persönlichen Ergebniserwartung wurden die Probanden gefragt, inwieweit der ausgezahlte Bonus bzw. die gestellte Rechnung nach dem Experiment mit ihren Erwartungen übereinstimmt (vgl. Kapitel 6.2.2). Dieses Item wurde nur in der ersten und dritten Runde des Experimentes erhoben. In der ersten Runde war es Teil des Telefoninterviews, in der dritten Runde Teil des Fragebogens. In der dritten Runde wurde das Item separat für die erste und zweite Versuchsperiode erfragt. • Erwartungen von Nachteilen aus Straßenbenutzungsgebühren: Diese Variable erfragte mit je einem Item, inwieweit die Probanden folgenden negative Konsequenzen von Straßenbenutzungsgebühren erwarten: Verletzung der Privatsphäre, zusätzliche Steuerbelastung, Ausweitung der Bürokratie, Verteuerung der Pkw-Nutzung, geringere Vorhersehbarkeit der Kosten der Pkw-Nutzung, Benachteiligung von PkwBesitzern in Städten sowie Benachteiligung von Pkw-Besitzern in ländlichen Gebieten. • Einnahmenverwendung: Die Variable Einnahmenverwendung wurde durch zwei Items erfasst. Das erste Item fragte, wie die zusätzlichen Einnahmen für die Städte und Regionen verwendet werden sollten. Es gab sechs Antwortmöglichkeiten, die sich ausschließlich auf den Verkehrsbereich bezogen: Ausbau der Straßeninfrastruktur, Ausbau der Parkmöglichkeiten in der Innenstadt, Investition in Straßenverkehrssicherheit, Ausbau von Park & Ride Anlagen, Ausbau des ÖPNV und Reduzierung der ÖPNV-Tarife. Aus diesen sechs Alternativen sollten die drei wichtigsten ausgewählt und diese Auswahl nochmals priorisiert werden. Dieses Item stellt also ein Mehrfachantwortenset dar. In der zweiten und dritten Runde des Experimentes wurde diesem Item ein weiteres Item vorangestellt. Dieses fragte allgemeiner, wie zusätzliche Einnahmen für die öffentliche Hand verwendet werden sollten. Dabei wurden als Antwortkategorien Verbesserungen im Verkehrsbereich der Reduzierung von Steuern und Abgaben gegenübergestellt. Hier war nur eine Antwort möglich.
120
6 Methoden
Die Einnahmenverwendung der Nachbefragung wurde analog der Vorbefragung der zweiten und dritten Runde des Experimentes erhoben 2. Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren Die Akzeptanz folgender Preismaßnahmen wurde durch je ein Item erhoben: • • • • •
das gegenwärtige dänische Steuersystem für Pkw, das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren, der Hauptverkehrszeitzuschlag, das Kordonpreissystem, eine Paketlösung, die aus Straßenbenutzungsgebühren und der gewünschten Einnahmenverwendung bestand.
Die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren sowie der Paketlösung wurden als allgemeines Prinzip erfragt. Demgegenüber wurden die Items des Hauptverkehrszeitzuschlages und des Kordonpreissystems so formuliert, wie die experimentellen Preissysteme auch konkret ausgestaltet waren. Das gleiche gilt für das dänische Pkw-Steuersystem, wobei dieses nicht explizit erläutert wurde. In der Nachbefragung wurde eine erweiterte Ratingskala zur Erfassung der Akzeptanz verwendet (vgl. Tabelle 6.12). Des Weiteren wurde das Item zur Akzeptanz des Kordonpreissystems entfernt. 3. Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren In der Nachbefragung wurden die Probanden gefragt, ob sich ihre Meinung über Straßenbenutzungsgebühren durch die Teilnahme am Experiment geändert hat. 6.2.4.2 Mobilitätsverhalten Veränderungen des Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf städtische Straßenbenutzungsgebühren wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ erfasst. Die Erhebung der quantitativen Mobilitätsdaten wurde mittels des GPS-basierten Fahrzeugsystems realisiert. Die Adaptationsstrategien der Probanden an Straßenbenutzungsgebühren wurden in der Nachbefragung anhand des Fragebogens und Telefoninterviews erhoben (vgl. Abbildung 6.3). Die Datenerhebung der quantitativen Mobilitätsdaten erfolgte über die im Fahrzeug installierte On-Board Unit (OBU). Die OBU erfasste und speicherte die Positionsdaten des Fahrzeuges sowie die Zeit für jede Position. Die Positionsdaten wurden anschließend mittels Map-Matching zu Wegedaten zusammengefasst. Die
6.2 Das AKTA Feldexperiment
121
Methode ist ausführlich in Nielsen (2004b) dargestellt. Am Ende dieses Verfahrens standen pro Weg folgende Daten zur Verfügung (vgl. Seidel, 2006): • Datumsangaben (Datum, Wochentag), • das gefahrene Preissystem, • die zurückgelegte Wegstrecke in Kilometern aufgeteilt in die verschiedenen Tarifzonen, • die Anzahl der Durchquerungen der Sektorengrenzen für das Kordonpreissystem sowie • die Start- und Endzeit des Weges. In der Nachbefragung wurden die Probanden bezüglich ihrer qualitativen Reaktionen bzw. möglicher Anpassungsstrategien im Mobilitätsverhalten auf das Experiment befragt. Alle Antworten wurden, soweit nicht anders dargestellt, auf einer vierstufigen Ratingskala von 1 = „Ja“ bis 4 = „Nein“ mit 5 = „Ich weiß nicht“ erhoben. Folgende Reaktionen auf das Experiment wurden erfasst. 1. Kostenreduktion: Die Probanden wurden gefragt, ob sie während des Experimentes versuchten, die Kosten ihrer Pkw-Nutzung zu reduzieren. In der ersten Runde des Experimentes wurde dieses Item im Telefoninterview auf einer dreistufigen Skala („Ja“,„Nein“, „Ich weiß nicht“) erhoben. Die Variable wurde für beide experimentelle Bedingungen separat erhoben und diente damit gleichzeitig der Kontrolle, ob die Probanden die Variation der experimentellen Bedingungen verstanden hatten. In der zweiten und dritten Runde wurde dieses Item in den Fragebogen aufgenommen und auf der vierstufigen Ratingskala erhoben. Hier wurde die Variable nur bezogen auf die Preisbedingung erhoben. 2. Routenwahl: Dieses Item erfasste mögliche Prinzipien bei der Auswahl der Fahrtrouten während der Preisbedingung. Gefragt wurde nach der schnellsten Route, der billigsten Route, der kürzesten Route, der gewohnten Route sowie der bevorzugten Wahl von Hauptverkehrsstraßen. Die Auswahl mehrerer Prinzipien war hier möglich. Damit handelt es sich bei diesem Item ebenfalls um ein Mehrfachantwortenset. 3. Verhaltensanpassung: Die Änderung des Mobilitätsverhaltens wurde durch zwei Items gemessen. Das erste Item erfasste, ob die Probanden ihr Mobilitätsverhalten geändert haben. Das zweite Item erfragte, inwieweit konkrete Verhaltensweisen verändert wurden. Dazu gehörten: das Unterlassen von Fahrten, die Nutzung anderer Pkws, die Kombination von Fahrten, das zeitliche Verschieben von Fahrten, die Bildung von Fahrgemeinschaften, das
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6 Methoden
räumliche Verschieben von Fahrten, der Umstieg auf den ÖPNV und das Aufschieben von Fahrten auf die Zeit nach dem Experiment. 6.2.4.3 Soziodemographische Variablen Soziodemographische Variablen wurden in allen drei Befragungen des Experimentes erhoben (vgl. Abbildung 6.3). Folgende Bereiche wurden erfragt: • Persönliche und haushaltsbezogene Daten, z. B. Alter, Geschlecht, Einkommen, Haushaltsgröße; • Angaben zum Arbeitsplatz, z. B. Ort, Arbeitszeit, Verkehrsmittelwahl; • Angaben zum Wohnort, z. B. Ort, Wohnform, Verkehrsanbindung; • Spezifikation der Pkw-Daten und Pkw-Nutzung, z. B. das Modell, Baujahr, jährliche Kilometerleistung. Die soziodemographischen Variablen werden im Detail in Kapitel 6.3.3 beschrieben.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse Nachdem im vorherigen Kapitel die Primäruntersuchung dargestellt wurde, wird in diesem Kapitel das Konzept der Auswertung des AKTA Datensatzes im Rahmen der Sekundäranalyse beschrieben. Dazu gehört: 1. die Dokumentation des Datensatzes (vgl. Kapitel 6.3.2). 2. die Aufbereitung des Datensatzes (vgl. Kapitel 6.3.2). Da hier nicht auf vorhandene Standardprozeduren zurückgegriffen werden konnte, sind die Kontroll- und Bereinigungsschritte ausführlich in Gehlert (2008) dokumentiert. 3. die Beschreibung der ausgewählten Stichprobe (vgl. Kapitel 6.3.3). 4. das Versuchsdesign (vgl. Kapitel 6.3.4), sowie 5. die Methoden der Datenauswertung (vgl. Kapitel 6.3.5). Auf die erneute Darstellung der ausgewählten Variablen wird an dieser Stelle verzichtet und auf die ausführliche Beschreibung im Kapitel 6.2.4 verwiesen.
6.3.1 Datendokumentation Wie im Kapitel 6.1 dargestellt wurde, ist die umfassende Datendokumentation eine notwendige Voraussetzung, um die Sekundärdaten im Detail prüfen und so die Qualität der Sekundäranalyse sicherstellen zu können. Da im Rahmen des AKTA
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
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Projektes keine Dokumentation des Datensatzes angefertigt worden war, war dies der erste Schritt der Sekundäranalyse dieser Arbeit. Die Beschreibung des AKTA Datensatzes in der Datendokumentation erfolgte auf der Basis von Metadaten. Metadaten sind Daten über Daten. Indem sie andere Objekte z. B. einen Datensatz beschreiben, machen sie ihn verständlich und für den Austausch mit anderen Forschern nutzbar (ISO/IEC, 2004). Die Metadaten werden mit Hilfe eines Metadatenschemas strukturiert. In den Sozialwissenschaften hat sich das Metadatenschema der internationalen Data Documentation Initiative (DDI) für die Dokumentation empirischer Studien als weltweiter Standard durchgesetzt (Blank & Rassmussen, 2004). Dieses Schema definiert fünf Kategorien, denen die einzelnen Metadaten zugeordnet werden. 1. Die Document Description enthält die Metadaten zur Beschreibung des Metadatendokumentes und zur Referenzierung des Datensatzes. 2. Die Study Description enthält die Metadaten zur Beschreibung der Primäruntersuchung. 3. Die File Description enthält die Metadaten zur Beschreibung der Datendatei, z. B. einer SPSS-Datei. 4. Die Data Description enthält die Metadaten zur Beschreibung der Struktur der Daten z. B. Variablennamen, Variablenbeschreibung (Labels), fehlende Werte usw. 5. Die Kategorie Study-related Material enthält eine Bibliographie auf den Datensatz bezogener Veröffentlichungen. Die einzelnen Metadaten in den fünf Kategorien sind so umfassend, dass damit prinzipiell jede empirisch erhobene quantitative oder qualitative Datenart dokumentiert werden kann. Allerdings sind nicht alle Metadaten für verschiedene Fachdisziplinen in gleicher Weise relevant. Daher sind von den Facharchiven der Psychologie und der Verkehrswissenschaft jeweils eigene Metadatenschemata erarbeitet worden, die die Metadaten aus dem DDI Schema enthalten, die für die jeweilige Disziplin relevant sind (vgl. PsychData, 2005, für die Psychologie sowie DLR, 2005, für Verkehrsdaten). 2 Für die Dokumentation des AKTA Datensatzes war allerdings keines der beiden Metadatenschemata allein ausreichend. Da sich beiden Datenarchive noch im Aufbau befinden, ist auch die Entwicklung der jeweiligen Metadatenschemata noch nicht abgeschlossen. Gegenwärtig lassen sich nur die für die jeweilige Disziplin 2
Das Psychologische Datenarchiv PsychData wird seit 1996 von dem Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) der Universität Trier aufgebaut und verwaltet. Die Clearingstelle für Verkehrsdaten und Verkehrsmodelle des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) archiviert verkehrsspezifische Daten und Modelle und macht sie für die Sekundärnutzung zugänglich.
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6 Methoden
besonders typischen Datenarten dokumentieren. Für einen Datensatz, der in einem interdisziplinären Kontext erhoben wurde, ist das jedoch unzureichend. Deshalb wurden für die Dokumentation des AKTA Datensatzes die einzelnen Metadaten beider Schemata bei der Erstellung der Datendokumentation integriert. Da beide Schemata auf dem DDI Standard aufbauen und sich nur in der Wahl der einzelnen Metadaten unterscheiden, war diese Integration ohne weiteres möglich. Im Ergebnis entstand eine Dokumentation, die den AKTA Datensatz umfassend beschreibt und so als Grundlage für die Sekundäranalyse diente (vgl. Seidel, 2006).
6.3.2 Datenaufbereitung Die Datenaufbereitung umfasst all jene Maßnahmen, die nach Erhalt des Rohdatensatzes erfolgen, um diesen für die Fragestellungen der Sekundäranalyse auswertbar zu machen. Das Ziel ist es, sich über die Datendokumentation hinaus mit dem Datensatz vertraut zu machen und mögliche Eingabefehler oder Unstimmigkeiten in den Daten zu finden und zu bereinigen. Da der Rohdatensatz des AKTA Feldexperimentes in Form von Datenbanken vorlag, erfolgte die Datenaufbereitung mit dem Softwareprogramm Microsoft Access 2003. Die durchgeführten Datenaufbereitungsschritte werden im Folgenden beschrieben. Da hier nicht auf vorhandene Standardprozeduren zurückgegriffen werden konnte, sind die Kontrollund Bereinigungsschritte ausführlich in Gehlert (2008) dokumentiert. Plausibilitätskontrollen Ziel der Plausibilitätskontrollen ist zu überprüfen, ob der Datensatz vollständig, eindeutig und verständlich ist. Folgende Schritte wurden durchgeführt: • Erstellung einer Analysedatenbank: In dem Rohdatensatz fanden sich viele Datenredundanzen in Form von z. B. doppelten Datenbanktabellen und Datensätzen. Daher wurde eine neue Datenbank erstellt, in die lediglich die für die Sekundäranalyse relevanten Datentabellen aufgenommen wurden. • Erstellung neuer Tabellen: Während der Datenaufbereitung war es aus technischen und inhaltlichen Gründen notwendig, in der Analysedatenbank zusätzliche Datentabellen anzulegen. • Erstellung eines Datenmodells: Zur Dokumentation und Kontrolle der Beziehungen zwischen den Datentabellen der Analysedatenbank wurde ein Datenmodell erstellt. Das Datenmodell für den AKTA Datensatz ist in Gehlert (2008) dargestellt.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
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• Plausibilitätsanalysen: Zuerst wurden die deskriptiven Kennwerte je Datentabelle und Variable ausgewertet und mit der Datendokumentation verglichen (z. B. Minimum, Maximum der Antworten, Anzahl gültiger Fälle etc.). Ziel war es, Unstimmigkeiten zwischen dem Datensatz und der Datendokumentation zu identifizieren und zu bereinigen (z. B. nicht definierte Kodes, verschiedene Datenformate etc.). Daran schloss sich die Konsistenzprüfung der Daten an. Das bedeutet, dass die Beziehungen zwischen den Daten anhand des Datenmodells überprüft wurden, um z. B. doppelte Fälle zu identifizieren und zu bereinigen. Umgang mit fehlenden Werten In den GPS-basierten Wegedaten waren fehlende Werte in der Variable Wegedauer zu verzeichnen. Die Wegedauer wurde mittels der registrierten Anfangs- und Endzeit des jeweiligen Weges berechnet. Die fehlenden Werte entstanden bei der Verarbeitung der GPS-Positionsdaten zu Wegedaten. Dabei war es notwendig, aufeinanderfolgende Wege, die von der OBU fälschlicherweise als ein gemeinsamer Weg identifiziert wurden, manuell wieder zu teilen (vgl. PRoGReSS, 2004c). Bei dieser Teilung wurde es jedoch versäumt, die Anfangs- und Endzeiten der so neu entstandenen Wege ebenfalls zu teilen. Stattdessen wurde diesen Wegen die Anfangs- und Endzeit des vorher zusammengefassten Weges zugewiesen. Die daraus resultierende Wegedauer der geteilten Wege entsprach damit nicht der korrekten Wegedauer und wurde daher als fehlender Wert betrachtet. Die visuelle Inspektion ergab eine gleichmäßige Verteilung dieser fehlenden Wege über den gesamten Wegedatensatz hinweg. Das bedeutet, im ungünstigsten Fall weist jeder Proband einen solchen fehlenden Wert auf. Da die Analyseeinheit dieser Untersuchung jedoch die Person und nicht der einzelne Weg ist, würde bei einer Eliminierung von fehlenden Werten in der Wegedauer bei der nachfolgenden Aggregation jeder Proband mit einem fehlenden Wert von der weiteren Analyse ausgeschlossen werden. Ein solches Vorgehen birgt die Gefahr, dass die Stichprobengröße für die Variable Wegedauer derart reduziert wird, dass eine Auswertung nicht mehr sinnvoll möglich ist. In einem solchen Fall empfehlen Shafer und Graham (2002) die Ersetzung dieser fehlenden Werte durch sinnvolle Schätzungen. Speziell für Wegedaten konnten Wermuth, Maerschalk und Brög (1984) aufzeigen, dass sich unvollständige, falsche oder ungenaue Merkmale eines Weges, wie z. B. Dauer, Länge, Geschwindigkeit etc. mittels einfacher Ersetzung wesentlich verbessern oder ergänzen lassen. Allerdings weisen die Autoren auch darauf hin, dass es keine allgemeingültige
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6 Methoden
Vorgehensweise gibt, sondern für jede Untersuchung aus den gegebenen Wegemerkmalen eine individuelle Lösung erarbeitet werden muss. Daher wurde für die Ersetzung der fehlenden Werte der Variable Wegedauer eine eigene Berechnungsvorschrift entwickelt. Dazu wurden die Wegelängen der Teilwege in Beziehung zur Wegelänge des ungeteilten Weges gesetzt und so der Anteil der jeweiligen Teilwege am Gesamtweg bestimmt. Mit Hilfe der so bestimmten Anteile wurde die Wegedauer des Gesamtweges in die Wegedauer der einzelnen Teilwege unterteilt. Diese Berechnungsvorschrift setzt jedoch eine konstante Durchschnittsgeschwindigkeit des ungeteilten Weges voraus, eine Annahme, die im Rahmen der Arbeit jedoch als vertretbar angesehen wird. Die Berechnungsvorschrift wurde als Programm in Visual-Basic implementiert. Das Programm ist in Gehlert (2008) dokumentiert. Berechnung neuer Variablen Hyman (1972) formulierte als drittes methodisches Grundprinzip einer Sekundäranalyse die Auswahl geeigneter Variablen (vgl. Kapitel 6.1). Das schließt nicht nur die Auswahl von vorhandenen Variablen, sondern auch die Bildung neuer Variablen ein, sofern sie eine geeignete Operationalisierung der theoretischen Konstrukte der Sekundäranalyse darstellen. Die Wegedaten des AKTA Datensatzes boten die Möglichkeit, den Datensatz um die Wegegeschwindigkeit und die Wegekosten zu ergänzen und in die Analyse einzubeziehen. Die Wegegeschwindigkeit stellt in dieser Untersuchung eine relevante Variable dar, da risikoreicheres Fahrverhalten mit höheren Geschwindigkeiten als (unerwünschte) Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren in einer Fahrsimulatorstudie bereits beobachtet wurde (Bonsall et al., 1998). Daher wurden Veränderungen in der Wegegeschwindigkeit in die Analyse eingeschlossen. Die Berechnung erfolgte mittels der vorhandenen Variablen Wegedauer und der Wegelänge. Die Wegekosten werden in die Analyse einbezogen, da die Reduktion der PkwNutzung aufgrund von Straßenbenutzungsgebühren in der Regel nicht um ihrer selbst willen geschieht, sondern um die gestiegenen Kosten zu kompensieren (vgl. Gärling, Eek et al., 2002). Daher scheint es sinnvoll zu prüfen, inwieweit die Probanden dieses Ziel erreichen. Die Wegekosten waren für einen Teil der Probanden im AKTA Datensatz bereits vorhanden. Für die Probanden der ersten Runde war der ausgezahlte Bonus als Variable eingetragen. Für die Probanden der dritten Runde waren jeweils die Auszahlung der Kontrollperiode sowie der Rechnungsbetrag nach dem Hochpreissystem bekannt. Da diese Daten jedoch auf unterschiedlichen Berechnungsvorschriften beruhten und für die zweite Runde nicht vorhanden waren, wurden die Wegekos-
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
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ten für alle Probanden neu berechnet. Berechnet wurden die Wegekosten auf der Basis des zugeordneten Preissystems. Die Abfragen zur Berechnung der Wegekosten sind in Gehlert (2008) dokumentiert. Die Validierung der Berechnung der Wegekosten erfolgte an den bereits vorhandenen Daten zu den Wegekosten im AKTA Datensatz. Im Ergebnis resultierte die Neuberechnung in insgesamt höheren Wegekosten im Vergleich zu den vorhandenen Daten der dritten Runde. Dieses Ergebnis wird auf die unterschiedlichen Berechnungsvorschriften der Primär- und Sekundäranalyse zurückgeführt. Allerdings unterscheidet sich die Reduktion der Wegekosten in der Preisbedingung im Vergleich zur Kontrollbedingung nicht signifikant zwischen der Primär- und Sekundäranalyse (Gehlert, 2008). Da die Veränderung der Wegekosten und nicht deren absolute Höhe im Mittelpunkt der Analyse steht (vgl. Fragestellung 2), wird die Validierung der Neuberechnung der Wegekosten als erfolgreich betrachtet. Aggregation der Wegedaten Die aufbereiteten Wegedaten wurden pro Versuchsbedingung aggregiert (Gehlert, 2008). Dabei wurden die Wegedaten an der Dauer der Versuchsbedingung relativiert und so ein Durchschnittswert pro Tag und Versuchsbedingung erzeugt. Auf diese Weise wurden die Wegeindikatoren zwischen den beiden Versuchsbedingungen vergleichbar gemacht. Das war notwendig, da, bedingt durch die Organisation des Ein- und Ausbaus der OBUs, die beiden Versuchsbedingungen je Proband unterschiedlich lang waren. Auch waren die Versuchsbedingungen in den verschiedenen Runden des Experimentes von unterschiedlicher Dauer (vgl. Kapitel 6.2.2). Im Ergebnis standen als Wegeindikatoren pro Tag und Versuchsbedingung zur Verfügung: • • • • •
die Anzahl der Wege, die Wegelänge in km, die Wegedauer in min, die Wegekosten in DKK und die Wegegeschwindigkeit in km/h.
In Tabelle 6.6 ist die Zuordnung der Wegeindikatoren zu den Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dargestellt (vgl. auch Tabelle 4.2, Kapitel 4.2.4). Veränderungen in den Wegeindikatoren erlauben demnach nicht nur Aussagen über eine Reduktion der Pkw-Nutzung, sondern auch einen Rückschluss auf die Kategorie der verwendeten Anpassungsstrategien. Ziel aller Anpassungsstrategien ist eine Reduktion der Kosten der Pkw-Nutzung, die sich in einem Rückgang der
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6 Methoden
Tabelle 6.6: Zuordnung der Wegeindikatoren der Sekundäranalyse zu den Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens Kategorie
Adapationsstrategien des Mobilitätsverhaltens
Veränderungen in den Wegeindikatoren
I
Wegelänge, Wegedauer, Wegekosten
II
veränderte Routenwahl, Fahrtzeit oder Fahrtziel, Bildung von Fahrgemeinschaften, Kombination von Fahrten Unterlassen von Fahrten
III
Umstieg auf alternative Verkehrsmittel
Anzahl der Wege, Wegelänge, Wegedauer, Wegekosten Anzahl der Wege, Wegelänge, Wegedauer, Wegekosten
Wegekosten widerspiegelt (vgl. Kapitel 4.2.1). Mit den Anpassungsstrategien der ersten Kategorie wird die Pkw-Nutzung vornehmlich effizienter gestaltet (vgl. Kapitel 4.2.4). Daher sind vor allem eine Verminderung der Wegelänge und/oder der Wegedauer zu erwarten. Die Anpassungsstrategien der zweiten und dritten Kategorie sind durch einen Rückgang der Anzahl der Wege mit dem Pkw gekennzeichnet. Darüber hinaus sind Reduktionen in der Wegelänge und/oder der Wegedauer von nach wie vor durchgeführten Pkw-Fahrten möglich. Eine Unterscheidung zwischen dem Unterlassen von Pkw-Fahrten (Kategorie II) und dem Umstieg auf alternative Verkehrsmittel (Kategorie III) ist anhand der Wegeindikatoren jedoch nicht möglich. Insgesamt ist durch die Nutzung von Anpassungsstrategien der zweiten und dritten Kategorie jedoch eine stärkere Reduktion der Wegeindikatoren zu erwarten, als durch Anpassungsstrategien der ersten Kategorie (vgl. noch einmal Kapitel 4.2.4).
6.3.3 Stichprobe Auswahl der Stichprobe Die Stichprobe der Primäruntersuchung umfasste insgesamt 517 Probanden. Davon schied eine Versuchsperson bereits im Verlauf der Zuweisung zu den Versuchsbedingungen aus der Stichprobe aus. Die übrigen Probanden durchliefen jeweils zwei Versuchsbedingungen. Die individuelle Bedingungskombination wurde nach dem Schema in Tabelle 6.5, Kapitel 6.2.3 ermittelt. Die Primärforscher bewerteten nachträglich die Kombination zweier Preissysteme (ohne Kontrollbedingung) als nicht adäquat. Diese Probanden verstanden das Experiment sehr oft nicht, verhielten sich anders als vom Experiment intendiert oder gaben die Verhaltensanpassung ganz auf (PRoGReSS, 2004b). Deshalb wurden diese Probanden
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
129
nicht in die Sekundäranalyse aufgenommen. Im Ergebnis resultierte eine Nettostichprobe für die Sekundäranalyse von N = 331 Probanden. Die Stichprobenumfänge für die einzelnen Fragestellungen der Dissertation sind Tabelle 6.7 dargestellt. Die entsprechenden Abfragen sind in Gehlert (2008) dokumentiert. Die Gründe für die Reduktion dieser Stichproben im Vergleich zur Nettostichprobe werden im Folgenden erläutert. Es wurde jedoch angestrebt, die für die einzelnen Fragestellungen maximal mögliche Stichprobenanzahl auszunutzen. Tabelle 6.7: Stichprobengröße der Sekundäranalyse Netto
Akzeptanzänderung
Mobilitätsverhaltensänderung
Akzeptanz- & Mobilitätsverhaltensänderung
Hochpreissystem Hoch/Kontrolle Kontrolle/Hoch Niedrigpreissystem Niedrig/Kontrolle Kontrolle/Niedrig Kordonpreissystem Kordon/Kontrolle Kontrolle /Kordon
186 42 144 92 52 40 53 25 28
162 36 126 85 47 38 55 20 25
140 34 106 69 35 34 43 20 23
134 32 102 67 34 33 39 17 22
Gesamt
331
292
252
240
Für die Fragestellung 1, die Akzeptanzänderung, konnten nur die Probanden einbezogen werden, die an der Vor- und Nachbefragung teilgenommen hatten. Darüber hinaus mussten die Fälle ausgeschlossen werden, bei denen ersichtlich war, dass beide Befragungen von verschiedenen Personen beantwortet worden waren (vgl. Kapitel 6.2.4.1). Daher reduzierte sich diese Stichprobe auf N = 292. Für die Fragestellung 2, der Veränderung im Mobilitätsverhalten, resultierte eine Stichprobengröße von N = 252. Diese wurde auf der Grundlage der GPS-basierten Wegedaten ermittelt. Die Reduktion der Stichprobe ist vor allem auf technische Probleme bei der Datenerfassung mittels der OBUs zurückzuführen. Da die Daten erst nach dem Ende des Experimentes aus dem Speichermodul heruntergeladen wurden, wurden solche Probleme während des Experimentes nicht erkannt. Die Daten gingen entsprechend verloren. Des Weiteren konnte nicht in jedem Fall der OBU-Kode dem entsprechenden Personenkode zugeordnet werden. Diese Fälle wurden ebenfalls von der Analyse ausgeschlossen. Im Zuge der Datenaufbereitung stellte sich bei sechs Fällen außerdem heraus, dass die Versuchsbedingungskombination, die in den Wegedaten hinterlegt war, nicht mit der Bedingungskombination in den Befragungsdaten
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6 Methoden
übereinstimmte. Da hier nicht klar war, welche Bedingungskombination die Probanden tatsächlich durchlaufen haben, wurden auch diese Fälle ausgeschlossen. Die Stichprobe der Fragestellung 3 bestand aus der Schnittmenge der Stichproben der Fragestellung 1 und 2. Die Stichprobengröße beträgt N = 240 und ist damit nur unwesentlich kleiner, als die Stichprobe der Fragestellung 2. Für die Analyse der soziodemographischen Unterschiede der Akzeptanz- und Verhaltensänderung wurde auf die Stichproben der Fragestellung 1 und Fragestellung 2 bzw. deren Schnittmenge mit der Stichprobe der gebildeten Personengruppen zurückgegriffen (vgl. Kapitel 6.3.5). Stichprobenbeschreibung Die soziodemographischen Variablen wurden, genau wie alle anderen Variablen, im ersten Schritt einer Datenaufbereitung unterzogen. Das Ziel bestand darin für alle Probanden einen kompletten Datensatz zu erstellen. Eine Übersicht über die so aufbereiteten und in die Analyse aufgenommenen Variablen ist in Gehlert (2008) dargestellt. Zur Datenaufbereitung gehörten u. a. : • die Plausibilitätskontrolle durch z. B. den Vergleich der Namen der Probanden mit dem Geschlecht; • die Auswahl der relevanten Variablen, z. B. wurde die Angaben zum Pkw (Modell, Baujahr) nicht aufgenommen; • die Zusammenführung von Variablen, die mehrfach erhoben wurden, zu einer Variable, wie z. B. das Haushaltseinkommen; • die Bildung neuer Kategorien, wenn die vorhandenen Variablen nicht einheitlich über den gesamten Versuchszeitraum erhoben wurden, wie z. B. die Neukategorisierung der Arbeitsplatz- und Wohnviertel anhand der Postleitzahlen. Im Folgenden wird die Nettostichprobe anhand zentraler soziodemographischer Merkmale charakterisiert. Die vollständige deskriptive Statistik der soziodemographischen Variablen ist in Gehlert (2008a) dargestellt. • Geschlecht: Männer waren mit einem Anteil von 67.9 % der Probanden im Vergleich zu 32.1 % Frauen überrepräsentiert. Das entspricht der allgemeinen Überrepräsentation der Männer in der autofahrenden Population (vgl. z. B. für Deutschland Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, 2006). • Alter: Der Median lag bei der Alterskategorie von 40 bis 49 Jahren. 81.9 % der Probanden waren zwischen 30 und 59 Jahren alt.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
131
• Einkommen: 23.2 % der Probanden verfügten über ein Haushaltseinkommen zwischen 500 000 bis 599 000 DKK (e 67 000 bis e 80 000), gefolgt von 16.8 % der Probanden mit 600 000 bis 699 000 DKK (e 80 000 bis e 93 000). Damit ist Stichprobe bezüglich des Einkommens nur repräsentativ für dänische Haushalte mit einem Pkw. Der Anteil von Haushalten mit nur einem Pkw entspricht allerdings 40 % aller Haushalte im Demonstrationsgebiet (vgl. PRoGReSS, 2004b). • Haushaltsgröße: Der durchschnittliche Haushalt bestand aus drei Personen mit zwei Erwachsenen (über 18 Jahre) und keinem Kind unter 10 Jahren. • Wohn- und Arbeitsort: Eine knappe Mehrheit der Probanden arbeitete in der Innenstadt (47.8 %) aber nur 20.0 % der Probanden wohnten auch dort. Die übrigen Probanden verteilten sich mit 21.8 % auf die nördliche Vorstadt, mit 32.7 % auf die westliche Vorstadt und mit 22.1 % auf die Außenbezirke des Ballungsraumes. • Entfernung zum Arbeitsplatz: 27.3 % der Probanden hatte einen Arbeitsweg von 5.1 bis 10.0 km (einfache Strecke), gefolgt von 24.8 % der Probanden mit 15.1 bis 30.0 km. • Verkehrsmittelnutzung: Das Hauptverkehrsmittel zur Arbeit war mit 72.4% der eigene Pkw, das von der Mehrheit der Befragten (53.2 %) auch 5 Tage pro Woche für den Arbeitsweg genutzt wurde. • ÖPNV-Verfügbarkeit: Die Mehrheit der Probanden verfügten über eine gute Anbindung an den ÖPNV für den Arbeitsweg. 43.2 % der Teilnehmer hatten Zugang zum Bus und 54.1 % zu Bus und Bahn. Die Distanz zur nächsten Haltestelle betrug für die Mehrheit der Probanden 500 m oder weniger (57.8 %) und die Taktfrequenz 10 min (42.0 %) bzw. 20 min (30.0%). • Arbeitsplatzarrangements: Nur 26.3 % der Probanden gaben an, die Möglichkeit zur Heimarbeit zu haben. Die knappe Mehrheit dieser Befragten tat dies gelegentlich (46.9 %). Die Möglichkeit zur Gleitzeit hatten dagegen 54.3 %, wobei die Mehrheit allerdings angab, die Zeiten überwiegend nicht selbst bestimmen zu können (76.1 %). • Zeiteinschränkungen: Zeitlich gebunden durch Kinder waren nur 32.1 % der Probanden, durch andere Aktivitäten dagegen 63.0 %. Allerdings blieb bei dieser Frage offen, was für Aktivitäten das sind.
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6 Methoden
6.3.4 Versuchsdesign Zur Ableitung der Versuchspläne für die Fragestellungen dieser Arbeit wurde zuerst ein allgemeiner Untersuchungsplan erarbeitet (vgl. Tabelle 6.8). Dieser Untersuchungsplan fasst die Anordnung der erhobenen Variablen noch einmal zusammen. Tabelle 6.8: Untersuchungsplan der Sekundäranalyse Variablen zur Akzeptanz Wissen Problembewußtsein, wahrg. Gerechtigkeit, Erwartungen über Nachteile von Straßenbenutzungsgebühren, wahrg. Effektivität, Einnahmenverwendung, Akzeptanz, intendierte Akzeptanzänderung zum Mobilitätsverhalten Anzahl der Wege, Wegelänge, Wegedauer, Wegekosten, Wegegeschwindigkeit Kostenreduktion, Routenwahl, Verhaltensanpassung
Vorbefragung
Versuchsbedingungen 1 & 2
Nachbefragung
x x
x
x
x x
Aus dem Untersuchungsplan geht hervor, dass einige Variablen zur Akzeptanz entweder vor oder nach dem Experiment erfasst wurden, während andere sowohl in der Vor- als auch in der Nachbefragung einschlossen waren. Die Variablen zum Mobilitätsverhalten wurden während und nach dem Experiment erhoben. Die GPS-basierten Wegeindikatoren wurden kontinuierlich während der beiden Versuchsbedingungen erfasst. Die subjektiven Einschätzungen zum Mobilitätsverhalten wurden nach dem Experiment erhoben. Der Untersuchungsplan legt für die Versuchsplanung der Sekundäranalyse eine Kombination von Between-Design und Within-Design im Sinne einer sich ergänzenden Forschungsstrategie nahe (Sarris, 1992). Das bedeutet, dass sich für die Analyse der Wirkung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz ein Between-Design anbietet. Das heißt, dass ein Mittelwertsvergleich zwischen den Versuchsgruppen, die die drei getesteten Preissysteme repräsentieren, durchgeführt wird. Für die Untersuchung der Wirkung auf das Mobilitätsverhalten dagegen scheint ein Within-Design, d. h. ein Versuchsplan mit wiederholten Messungen an der derselben Versuchsgruppe, eher geeignet, um das Potenzial der GPS-basierten Wegedaten bestmöglich auszuschöpfen.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
133
Eine Besonderheit der Primäruntersuchung ist die fehlende Kontrollgruppe. Obwohl das Ziel des AKTA Feldversuches der Nachweis der Wirksamkeit der drei Preissysteme auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten war, konnte eine Kontrollgruppe aus zwei Gründen nicht realisiert werden: 1. Der Einbau und die Datenerfassung mittels der OBU war für eine reine Kontrollgruppe zu kostenintensiv und zu aufwändig. Stattdessen wurde als vierte Versuchsbedingung, neben den drei Preissystemen, eine Kontrollbedingung einführt, die die Probanden gegebenenfalls durchlaufen sollten (vgl. Tabelle 6.5, Kapitel 6.2.3). 2. Parallel zu den Akzeptanzbefragungen des AKTA Feldexperimentes war jeweils eine repräsentative Bevölkerungsbefragung geplant, die als Kontrollgruppe hätte fungieren können. Allerdings führte der Regierungswechsel in Dänemark im Jahr 2001 zu tiefgreifenden Veränderungen für das AKTA Projekt. So wurde die Finanzierung aller, zu dem Zeitpunkt noch nicht begonnener Untersuchungen zurückgezogen, so auch für die zweite Bevölkerungsbefragung. Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen resultieren die folgenden konkreten Versuchspläne für die Fragestellungen der Sekundäranalyse. Fragestellung 1: Akzeptanzänderung Für die Analyse der Wirkungen von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz von Pkw-Nutzern wurde ein einfaktorieller Mehrstichprobenversuchsplan mit Vorher-Nachher-Messung verwendet (vgl. Tabelle 6.9). Die unabhängige Variable Straßenbenutzungsgebühren bestand aus drei Stufen, dem Kordonpreissystem, dem Hochpreissystem sowie dem Niedrigpreissystem. In der Primäruntersuchung wurden die Probanden den Versuchsbedingungen und -gruppen nicht zufällig, sondern unter Einbeziehung des Pendelmusters und des Einkommens zugeordnet (vgl. Kapitel 6.2.3). Diese Kontrolltechnik erwies sich jedoch nachträglich als ungeeignet, um die Äquivalenz der Versuchsgruppen hinsichtlich relevanter Einflussfaktoren auf die Akzeptanz und das Mobilitätsverhalten sicherzustellen. 3 Daher wird in der Sekundäranalyse ein quasiexperimenteller Versuchsplan zugrunde gelegt, der zwar kausaltheoretisch einen geringeren Status als ein streng experimenteller Versuchsplan einnimmt, jedoch keine äquivalenten Versuchsgruppen voraussetzt. Den potenziellen Unterschieden zwischen 3
Persönliche Kommunikation mit Prof. Otto Anker Nielsen, 2. April 2006.
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6 Methoden Tabelle 6.9: Versuchsplan zur Fragestellung 1
Q
Versuchsgruppe
Vorhermessung
1
Y¯11vor , V¯12vor , W¯13vor
2
Y¯21vor , V¯22vor , W¯23vor
3
Y¯31vor , V¯32vor , W¯33vor
Intervention (Straßenbenutzungsgebühren) Kordon (Kontrolle /Kordon & Kordon/Kontrolle) Hoch (Kontrolle/Hoch & Hoch/Kontrolle) Niedrig (Kontrolle/Niedrig & Niedrig/Kontrolle
Nachhermessung
Y¯11nach , V¯12nach , W¯13nach
Y¯21nach , V¯22nach , W¯33nach
Y¯31nach , V¯32nach , W¯33nach
Intervention: Kordon = Kordonpreissystem, Hoch = Hochpreissystem, Niedrig = Niedrigpreissystem ¯x3 = Abhängige Variablen: Y¯x1 = Akzeptanz, V¯x2 = wahrgenommene Effektivität, W Einnahmenverwendung
den Versuchsgruppen vor dem Experiment kann bei diesem Versuchsplan bei der Auswertung Rechnung getragen werden (Bonate, 2000). Innerhalb der Versuchsgruppen bzw. der Preissysteme gab es aufgrund der Kombinationsvorschrift der Versuchsbedingungen zwei verschiedene Abfolgen der Bedingungen „Preisbedingung“ und „Kontrollbedingung“. Um mögliche Reihenfolgeeffekte innerhalb der Versuchsgruppe auszuschließen, wurden diese beiden Abfolgen eines Preissystems zu einer Versuchsgruppe zusammengefasst und so ausbalanciert. Als abhängige Variablen wurden die Akzeptanz, die wahrgenommene Effektivität und die Einnahmenverwendung ausgewertet, da diese Variablen sowohl vor als auch nach dem Experiment erhoben wurden (vgl. Tabelle 6.8). Zusätzlich wurden die Determinanten der Akzeptanz, die nur einmalig erfasst wurden, explorativ ausgewertet. Dazu wurden sie sowohl untereinander als auch mit der Akzeptanz selbst korrelativ in Beziehung gesetzt. Damit konnte der kognitive Hintergrund der Probanden anhand des Akzeptanzmodells von Schlag und Schade beleuchtet und die Interpretation der Ergebnisse zur Akzeptanzänderung unterstützt werden.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
135
Fragestellung 2: Anpassung des Mobilitätsverhaltens Die Änderung des Mobilitätsverhaltens wurde durch einen Messwiederholungsplan untersucht. Tabelle 6.10 veranschaulicht den Versuchsplan am Beispiel des Hochpreissystems. Der Vergleich der Mittelwerte der Kontrollbedingung mit denen der Preisbedingung soll Aufschluss über die Wirkung von Straßenbenutzungsgebühren auf das Mobilitätsverhalten geben. Tabelle 6.10: Versuchsplan zur Fragestellung 2 am Beispiel des Hochpreissystems W Pbn 1 2 3 .. . n Pbn 1 2 3 .. . n
X1 Hoch P¯1.1 , R¯1.1 , S¯1.1 , T¯1.1 , U¯1.1 P¯2.1 , R¯2.1 , S¯2.1 , T¯2.1 , U¯2.1 P¯3.1 , R¯3.1 , S¯3.1 , T¯3.1 , U¯3.1 .. . P¯n.1 , R¯n.1 , S¯n.1 , T¯n.1 , U¯n.1 Kontrolle P¯1.1 , R¯1.1 , S¯1.1 , T¯1.1 , U¯1.1 P¯2.1 , R¯2.1 , S¯2.1 , T¯2.1 , U¯2.1 P¯3.1 , R¯3.1 , S¯3.1 , T¯3.1 , U¯3.1 .. . P¯n.1 , R¯n.1 , S¯n.1 , T¯n.1 , U¯n.1
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ¯ ¯ ¯ P1 , R1 , S1 , ¯1 , U¯1 ⎪ T ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ¯ ¯ ¯ P1 , R1 , S1 , ⎪ ⎪ T¯1 , U¯1 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭
X2 Kontrolle P¯1.2 , R¯1.2 , S¯1.2 , T¯1.2 , U¯1.2 P¯2.2 , R¯2.2 , S¯2.2 , T¯2.2 , U¯2.2 P¯3.2 , R¯3.2 , S¯3.2 , T¯3.2 , U¯3.2 .. . P¯n.2 , R¯n.2 , S¯n.2 , T¯n.2 , U¯n.2 Hoch P¯1.2 , R¯1.2 , S¯1.2 , T¯1.2 , U¯1.2 P¯2.2 , R¯2.2 , S¯2.2 , T¯2.2 , U¯2.2 P¯3.2 , R¯3.2 , S¯3.2 , T¯3.2 , U¯3.2 .. . P¯n.2 , R¯n.2 , S¯n.2 , T¯n.2 , U¯n.2
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ¯ ¯ ¯ P2 , R2 , S2 , ¯2 , U¯2 ⎪ T ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ¯ ¯ ¯ P2 , R2 , S2 , ⎪ ⎪ T¯2 , U¯2 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎭
X1 = Versuchsbedingung 1, X2 = Versuchsbedingung 2; Hoch = Hochpreissystem, Kontrolle = Kontrollbedingung; Abhängige Variablen: P = Anzahl der Wege, R = Weglänge, S = Wegdauer, T = Wegkosten, U = Wegegeschwindigkeit
Der Vorteil eines Messwiederholungsplanes liegt im Konstanthalten personenbezogener Störvariablen (Bergmann, Eisfeldt & Lanadio, 2004). Das Mobilitätsverhalten einer Person wird von einer Reihe von Variablen beeinflusst (z. B. Distanz zur nächsten Einkaufsmöglichkeit, Parkmöglichkeiten im Stadtviertel etc.). Es scheint unrealistisch, dass die Probanden einer Versuchsgruppe bezüglich dieser, meist auch unbekannten, Faktoren vergleichbar sind bzw. vergleichbar gemacht werden können. Der vorgeschlagene Messwiederholungsplan hält diese personellen Variablen konstant und vermeidet so eine Konfundierung der Ergebnisse.
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6 Methoden
Durch die Einbeziehung der verschiedenen Abfolgen der Versuchsbedingungen Kontrolle und Preissystem in den Versuchsplan ist darüber hinaus eine Analyse möglicher Lern- bzw. Reihenfolgeeffekte möglich. Ergänzt wird dieser Plan durch eine Ex post facto-Anordnung der qualitativen Mobilitätsverhaltensvariablen Kostenreduktion, Routenwahl und Anpassungsstrategien, die nur in der Nachbefragung des Experimentes erhoben wurden. Durch diese qualitativen Informationen soll die Interpretation der quantitativen Veränderungen unterstützt werden. Fragestellung 3: Beziehung zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderungen Das Ziel dieser Fragestellung besteht darin festzustellen, ob es einen Zusammenhang zwischen den Anpassungen des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren gibt und wie sich dieser Zusammenhang darstellt. Im Kapitel 5 wurden auf Basis der Dissonanztheorie konkrete Hypothesen abgeleitet, wie sich der Zusammenhang zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderung darstellt. Auf dieser Grundlage wurde der Versuchsplan entwickelt (vgl. Tabelle 6.11). Tabelle 6.11: Versuchsplan zur Fragestellung 3 K
K
Akzeptanz vor dem Experiment
Mobilitätsverhaltensänderung Vja Vnein
Ahoch Aniedrig
Y¯11 ¯21 Y
¯12 Y Y¯22
Unabhängige Variablen: Ahoch/niedrig = hohe bzw. niedrige Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment, Vja/nein = Mobilitätsverhaltensänderung nach dem Experiment ja bzw. nein; Abhängige Variable: Y¯ = Akzeptanzänderung nach dem Experiment
Die Akzeptanz vor dem Experiment wurde mit der Mobilitätsverhaltensänderung während des Experiments in Beziehung gesetzt, um zu sehen, ob sich das Mobilitätsverhalten während des Experimentes konsonant oder dissonant zur Akzeptanz davor entwickelte. Dem entsprechend werden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt, je eine Gruppe mit dissonantem und konsonantem Mobilitätsverhalten. Anschließend wurde untersucht, wie sich dieses konsonante oder dissonante Mobilitätsverhalten auf die Akzeptanz nach dem Experiment ausgewirkte.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
137
Das dissonante Mobilitätsverhalten kann in zwei Formen auftreten (in Tabelle 6.11 fett hervorgehoben). Bei hoher Akzeptanz vor dem Experiment entspricht eine Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens einem dissonanten Verhalten ( Y¯12 ), bei niedriger Akzeptanz dagegen die Änderung des Mobilitätsverhaltens ( Y¯21 ). Konsonantes Mobilitätsverhalten gibt es ebenfalls in zwei Varianten. Bei hoher Akzeptanz vor dem Experiment entspricht die Änderung des Mobilitätsverhaltens ( Y¯11 ) und bei niedriger Akzeptanz die Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens ( Y¯22 ) einem konsonanten Verhalten. Der Versuchsplan entspricht allerdings nur einem korrelativen Versuchsdesign, da weder die Akzeptanzänderung noch die Mobilitätsverhaltensänderung experimentell manipuliert wurde. Jedoch lässt sich der längsschnittliche Charakter der Untersuchung für den Versuchsplan nutzen. Damit kann neben der Korrelation als eine Voraussetzung für Kausalität auch die zeitliche Abfolge von Ursache (hier Anpassung des Mobilitätsverhaltens) und Wirkung (Änderung der Akzeptanz) als eine weitere Voraussetzung von Kausalität realisiert werden.
6.3.5 Methoden der Datenauswertung Der Auswahl der statistischen Verfahren zur Datenauswertung wurde die Fehlerkontrolle als ein Grundprinzip der Sekundäranalyse zugrunde gelegt (vgl. Kapitel 6.1). Das bedeutet, dass diejenigen statistischen Verfahren bevorzugt wurden, für die umfassende Erkenntnisse darüber vorliegen, welche Anforderungen an die Datenbasis gestellt werden, wie sich Verletzungen der Voraussetzungen auf die Ergebnisse auswirken und wo bereits Alternativen zu den bevorzugten Verfahren existieren. Dadurch wird gewährleistet, dass in der statistischen Auswertung der Sekundäranalyse Unzulänglichkeiten der Primäruntersuchung berücksichtigt werden können. Diese Strategie erlaubt es, eine den Forschungsfragen angemessene statistische Datenauswertung mit einer umfassenden Fehlerkontrolle im Sinne von Hyman (1972) zu kombinieren. Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS Version 14 (Bühl, 2006). Die aufbereiteten Daten wurden dazu mittels Abfragen in SPSS importiert (Gehlert, 2008). Fragestellung 1: Akzeptanzänderung Konstruktion der Antwortskalen Wie bereits im Kapitel 6.2.4.1 beschrieben, wurden die Antwortskalen der Akzeptanznachbefragung zum Teil von einer dreistufigen auf eine vier- bzw. fünfstufige Skala verändert. Dies betraf die Items zur Akzeptanz und zur wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages (vgl. Tabelle 6.12). Um die Vor- und Nachbefragung dieser Items vergleichen zu
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6 Methoden
können, war es notwendig, beide Antwortskalen vor der Auswertung in ein einheitliches Format zu überführen. Tabelle 6.12: Antwortskalen der Vor- und Nachbefragung
Vorbefragung Nachbefragung Sekundäranalyse
Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Gut Schlecht Ich weiß nicht* Gut Weder noch* Schlecht Ich weiß nicht* Gut Weder noch Schlecht
Vorbefragung Nachbefragung Sekundäranalyse
Wahrgenommene Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages Ja Nein Ich weiß nicht* Ja teils Ja* teils Nein* Nein Ich weiß nicht* Ja Weder noch Nein
* = Bestandteil der Mittenkategorie der Sekundäranalyse
Im Ergebnis wurde für die Items zur Akzeptanz und zur wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages eine ordinale Antwortskala mit den drei Stufen „Ja“, „Weder noch“ und „Nein“ konstruiert (vgl. Tabelle 6.12). Die Grundlage für diese Skalenkonstruktion bildeten empirische Studien aus der Umfrageforschung, eine eigene empirische Begleituntersuchung (vgl Hiersekorn, 2006) sowie die Ergebnisse des AKTA Datensatzes selbst. Diese Argumente werden im Folgenden erläutert. Die Antwortskala der Vorbefragung bestand aus den Kategorien „Gut bzw. Ja “, „Schlecht bzw. Nein“ und „Ich weiß nicht“. Die Antwortkategorie „Ich weiß nicht“ wird in der Umfragepraxis in der Regel als fehlende Einstellung und damit als fehlender Wert betrachtet und von der Analyse ausgeschlossen (Krosnick, Judd & Wittenbrink, 2005). Diesem Vorgehen wurde in dieser Arbeit jedoch nicht gefolgt. Untersuchungen zur Messung von Einstellungen zeigen, dass Probanden, die die Antwortkategorie „Ich weiß nicht“ wählen, bei der gleichen Frage ohne vorgegebene „Ich weiß nicht“-Kategorie durchaus eine aussagekräftige Antwortkategorie angeben. Das heißt, dass die Antworten in der „Ich weiß nicht“-Kategorie nicht zwingend bedeuten, dass die Probanden keine Einstellung zum Thema haben (für einen Überblick vgl. Krosnick et al., 2005). Darüber hinaus konnten Schuman und Presser (1988) eine Verbindung zwischen der Wahl der Mittenkategorie und der Wahl der „Ich weiß nicht“-Kategorie zeigen, wenn keine Mittenkategorie offeriert wurde. Das bedeutet, dass die Probanden, die zuerst für die Mittenkategorie votierten, anschließend die „Ich weiß nicht“Kategorie bevorzugten. Die Autoren nehmen an, dass Probanden, die mit einer „Ich weiß nicht“-Kategorie konfrontiert sind, überlegen, ob ihre Einstellung stark
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
139
genug ist, um eine der aussagekräftigen Kategorien, z. B. „ Ja“ oder „Nein“, anzugeben. Ist dies nicht der Fall wird die „Ich weiß nicht“-Kategorie gewählt. Diese Konstellation scheint auch für den AKTA Datensatz vorzuliegen. Vergleicht man die Häufigkeit der Zellbesetzung der „Ich weiß nicht“-Kategorie der Items zur Akzeptanz der Vor- und Nachbefragung, so zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede. In der Vorbefragung gaben bei der Frage nach der Akzeptanz des Prinzips von Straßenbenutzungsgebühren 12.9 % der Probanden die Kategorie „Ich weiß nicht“ an. In der Nachbefragung, wo eine zusätzliche Mittenkategorie offeriert wurde, reduzierte sich dieser Anteil auf die Hälfte (6.7 %). Deshalb wurde in der Auswertung der Sekundäranalyse die „Ich weiß nicht“-Kategorie als Mittenkategorie „ Weder noch“ interpretiert und in die Analyse einbezogen. In der Nachbefragung wurde die Kategorie „Ich weiß nicht“ mit der neu eingeführten Mittenkategorie zusammengeführt (vgl. noch einmal Tabelle 6.12). Bei den Items zur wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages wurden in der Nachbefragung die Kategorien „teils Ja“ und „teils Nein“ eingeführt. Für die Konstruktion einer einheitlichen Antwortskala musste daher entschieden werden, ob diese beiden gemäßigten Kategorien den Skalenendpunkten „Ja“ bzw „Nein“ oder der neuen Mittenkategorie „Weder noch“ zugeordnet werden. Empirische Studien zu Antworttendenzen in der Umfrageforschung weisen eher auf eine Beziehung zwischen den gemäßigten Antwortkategorien „teils Ja“ bzw. „teils Nein“ und der Mittenkategorie hin, als auf eine Beziehung zu den Skalenendpunkten „Ja“ bzw. „Nein“ (Schuman & Presser, 1988; Krosnick et al., 2005). Beispielsweise fanden Krosnick und Schuman (1988) sowie Bishop (1990), dass die Mittenkategorie vorwiegend von Personen mit geringerer Einstellungsintensität genutzt wird. Darüber hinaus zeigten O’Muircheartaigh, Krosnick und Helic (2000), dass die Probanden beim Weglassen der Mittenkategorie mehr oder weniger zufällig die gemäßigten Antwortkategorien wählen. Daher werden in dieser Arbeit die beiden gemäßigten Antwortkategorien der Nachbefragung „teils Ja“ und „teils Nein“ der Mittenkategorie „Weder noch“ zugeteilt. Um eine Verzerrung der Ergebnisse zur Akzeptanzänderung durch die Art der Konstruktion der Antwortskalen auszuschließen, wurden in einer Begleituntersuchung zu dieser Arbeit zwei alternative Konstruktionsvorschriften der Antwortskalen getestet. Hiersekorn (2006) konstruierte eine dreistufige und eine fünfstufige, metrische Antwortskala. Die Kategorie „Ich weiß nicht“ wurde in beiden Fällen von der Analyse ausgeschlossen. Im Ergebnis zeigten sich bei beiden alternativen Antwortskalen die gleichen Resultate zur Akzeptanzänderung wie in dieser Arbeit (vgl. Kapitel 7.1.3). Das bedeutet, dass die Ergebnisse zur Akzeptanzänderung
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6 Methoden
durch die Art und Weise der Konstruktion der Antwortskalen nicht verfälscht wurden. Auswertung Die Auswertung der Fragestellung 1 erfolgte in zwei Schritten. Zuerst wurden die deskriptiven Kennwerte der Akzeptanz der Probanden vor Versuchsbeginn ermittelt. In Ergänzung dazu wurde mittels nichtparametrischer bivariater Korrelationsanalysen (Spearman’s ρ ) die Beziehungen der Determinanten der Akzeptanz zur Akzeptanz der verschiedenen Preismaßnahmen analysiert. Die Korrelationsanalysen erfolgten zweiseitig mit α = 5%. Im zweiten Schritt wurde der quasiexperimentelle Versuchsplan der Akzeptanzänderung ausgewertet. Das Standardverfahren dafür ist eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung. Ein Interventionseffekt wird dabei durch eine statistisch signifikante Interaktion zwischen Messwiederholungs- und Gruppenfaktor nachgewiesen (Bortz, 2005). Da dieses Verfahren metrisches Datenniveau voraussetzt, konnte es im vorliegenden Fall nicht angewendet werden. Deshalb wurde ein alternativer Ansatz entwickelt, der das Grundprinzip der Interaktion von Messwiederholungs- und Gruppenfaktor umsetzt, aber weniger Anforderungen an die Qualität der Daten stellt. Dazu wurden zuerst die Differenzwerte zwischen Vor- und Nachbefragung berechnet (Bonate, 2000). Dieser Skala wurde ein ordinales Datenniveau mit den Skalenendpunkten +2 = positive Akzeptanzänderung und −2 = negative Akzeptanzänderung zugewiesen. Der Wert 0 repräsentiert keine Akzeptanzänderung. Anschließend wurde eine Rangvarianzanalyse angewendet, um Unterschiede in der Akzeptanzänderung zwischen den drei Versuchsgruppen, resp. Preissystemen, statistisch abzusichern (Bortz, 2005). Statistisch signifikante Gruppenunterschiede können dann unmittelbar auf die Wirkung der verschiedenen Preissysteme zurückgeführt werden, da mit den Differenzwerten die unterschiedlichen Ausgangsniveaus zwischen den Versuchsgruppen bereits berücksichtigt wurden. Fragestellung 2: Anpassung des Mobilitätsverhaltens Die GPS-basierten Wegedaten wurden in Anlehnung an den Versuchsplan varianzanalytisch ausgewertet (vgl. Tabelle 6.10, Kapitel 6.3.4). Die GPS-basierten Wegedaten lagen intervallskaliert vor. Da sich die Auswertung auf ungleiche Stichprobenumfänge der Versuchsgruppen bezog (vgl. Tabelle 6.7, Kapitel 6.3.3), kam eine nicht-orthogonale Varianzanalyse zum Einsatz (Bortz, 2005).
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
141
Mit der Varianzanalyse wurde die Wirkung von drei Faktoren auf die GPSbasierten Wegeindikatoren untersucht: 1. die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren als solches, repräsentiert durch den Messwiederholungsfaktor; 2. die Höhe der Gebühren der drei Preissysteme. Dies erfolgt mittels eines einfachen Kontrastes mit dem Niedrigpreissystem als Referenzkategorie (vgl. Rudolf & Müller, 2004). Das bedeutet, dass das Niedrigpreissystem, in dem nur die Hauptverkehrszeit bepreist wurde, jeweils mit dem Hoch- und Kordonpreissystem, in denen zu jeder Zeit Gebühren erhoben wurden, verglichen wurde. Ein Vergleich des Hoch- mit dem Kordonpreissystems erfolgt nicht, da sich aufgrund der unterschiedlichen Bemessungsgrundlage der Gebühren nicht eindeutig bestimmen ließ, bei welchem Preissystem die Gebühren höher lagen. 3. die Reihenfolge der Versuchsbedingungen, anhand dessen mögliche Lerneffekte analysiert wurden. Dazu wurde ein Reihenfolgefaktor der ersten Versuchsbedingung mit den zwei Stufen Kontrollbedingung vs. Preissystem eingeführt. Zur statistischen Auswertung wurde eine zweifaktorielle Varianzanalyse auf der Basis der Differenzwerte der Wegeindikatoren zwischen Kontroll- und Preisbedingung verwendet. Der Interventionseffekt, der zeigt, ob die Bepreisung an sich zu einer Reduktion der Wegeindikatoren führt, wird durch den konstanten Term des Tests der Zwischensubjekteffekte angezeigt. Die F-Statistik entspricht dabei der F-Statistik des Messwiederholungsfaktors einer entsprechenden Varianzanalyse mit Messwiederholung. Der Vorteil dieses Vorgehen liegt darin, dass es so möglich war, die Analyse der Kontraste auf die Interaktion zwischen den Faktoren Intervention und Preissystem anzuwenden. So konnte die differenzierte Wirkung der verschiedenen Preissysteme auf die Reduktion der Wegeindikatoren unter Berücksichtigung nicht-äquivalenter Versuchsgruppen analysiert werden. Eine Option, die beispielsweise für das Verfahren der Varianzanalyse mit Messwiederholung in SPSS nicht zur Verfügung steht. Die Auswertung erfolgte univariat, d. h., die Wegeindikatoren werden nicht als Indikatoren eines gemeinsamen Konstruktes verstanden. Die Reduktion der PkwNutzung kann durch verschiedene Strategien erreicht werden, die sich wiederum in unterschiedlicher Weise auf die Wegeindikatoren auswirken (vgl. Tabelle 6.6, Kapitel 6.3.2). So führt die Zusammenlegung von Fahrten zwar zu einer Reduktion der Anzahl der Wege, jedoch hat das nicht notwendigerweise Reduktionen in der Wegelänge zur Folge. Das bedeutet, dass die Wegeindikatoren zumindest
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6 Methoden
theoretisch als wechselseitig unabhängig voneinander betrachtet werden können und damit univariat auszuwerten sind (Bortz, 2005). Zusätzlich zur Signifikanzprüfung wurde die Effektstärke bestimmt. Dazu wurde das Effektstärkemaß η p2 der einzelnen Faktoren berechnet (Diehl & Arbinger, 2001). η p2 wurde in Anlehnung an Cohen (1988) wie folgt klassifiziert. klein = η p2 > 1.0% mittel = η p2 > 5.9% groß = η p2 > 13.8% Für den Interventionsfaktor und den Preissystemfaktor werden aufgrund der bisherigen empirischen Befunde mittlere Effektstärken erwartet. Angesichts des explorativen Charakters der Untersuchung von Lerneffekten wird für den Reihenfolgefaktor jedoch nur eine kleine Effektstärke erwartet. Die Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergab zum Teil Abweichungen von der Normalverteilung und zum Teil inhomogene Varianzen (Gehlert, 2008a). Im Gegensatz zur orthogonalen Varianzanalyse ist die nicht-orthogonale Varianzanalyse nicht robust gegenüber Verletzungen der Voraussetzungen. Bisher ist allerdings nicht klar, ob der F-Test in diesem Fall eher konservativ oder progressiv reagiert (Bortz, 2005). Da die Alternativen zur nicht-orthogonalen Varianzanalyse ebenfalls nicht unumstritten sind (vgl. noch einmal Bortz, 2005), wurde das Verfahren trotzdem eingesetzt. Allerdings wurde Diehl und Arbinger (2001) folgend das nominelle α -Niveau als Signifikanzkriterium von 5% auf 1% gesenkt. Das niedrigere α -Niveau erschwert dabei die Ablehnung der Nullhypothese, so dass nur deutliche Effekte interpretiert werden und ein Fehler 1. Art vermieden wird. Die Auswertung der subjektiven Angaben zu den Veränderungen des Mobilitätsverhaltens erfolgte mittels Unterschiedstests. Das bedeutet, dass die Daten auf Gruppenunterschiede zwischen den drei Preissystemen getestet wurden. Dabei wurden je nach Datenniveau Rangvarianzanalysen oder χ 2 -Tests verwendet (Bortz, Lienert & Boehnke, 2000). Das Item zur Routenwahl stellt ein Mehrfachantwortenset dar. Das heißt, die Antworten sind nicht unabhängig voneinander. Das ist jedoch eine Grundvoraussetzung gängiger biostatistischer Verfahren (Clauß, Finze & Partzsch, 1995). Daher können diese Verfahren für Mehrfachantwortensets nicht genutzt werden. Für die deskriptive Auswertung kam deshalb die Methode multipler Dichotomien zur Anwendung (Bühl, 2006). Das bedeutet, dass für jede Antwortmöglichkeit des Mehrfachantwortensets eine eigene Variable definiert wird. Sie bekommt den Wert 1 zugeordnet, wenn diese Antwortmöglichkeit gewählt wurde, andernfalls den Wert 0. Die Auswertung der einzelnen Variablen erfolgt dann in einem sogenannten Mehrfachantwortenset, um die Abhängigkeit der Antwortvariablen von-
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
143
einander zu berücksichtigen. Der Test auf Gruppenunterschiede erfolgte mit einer modifizierten Version des χ 2 -Test (Agresti & Liu, 1999; Thomas & Decady, 2004). Fragestellung 3: Beziehung zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderungen Zur Auswertung dieser Fragestellung wurden verschiedene Methoden eingesetzt. Zuerst wurde eine Korrelationsanalyse zwischen der Akzeptanzänderung und den Verhaltensänderungen durchgeführt. Dazu wurden die Differenzwerte der Akzeptanz und die Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren bzw. die subjektiven Befragungsdaten miteinander in Beziehung gesetzt. Da keine Hypothesen über die differenzierte Wirkung der drei Preissysteme auf die Beziehung zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderung vorlagen, wurden die verschiedenen Versuchsgruppen gemeinsam ausgewertet. Daran schloss sich eine differenzierte Auswertung an, in der die konkreten, aus der Dissonanztheorie abgeleiteten Hypothesen über die Art der Beziehung zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderung geprüft wurden. Diese Hypothesen ließen sich jedoch nur über die beiden Skalenendpunkte der Akzeptanzbefragungen „Ja“ bzw. „Nein“ operationalisieren. Nur für diese beiden Antwortkategorien ließ sich eindeutig identifizieren, ob das gezeigte Mobilitätsverhalten konsonant oder dissonant gegenüber der Akzeptanz vor dem Experiment ist. Für die Mittenkategorie der Akzeptanzbefragung konnte keine entsprechende Hypothese abgeleitet werden. Daher wurden nur die beiden Skalenendpunkte der Akzeptanzbefragungen in diese Analyse einbezogen. Um das Potenzial der GPS-basierten Wegedaten optimal zu nutzen, wurde der Zusammenhang zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderung mittels einer logistischen Regression modelliert. Als Voraussetzung für eine logistische Regression gilt neben der dichotomen Ausprägung des Kriteriums die Gültigkeit des logistischen Modells. Dies ist allerdings nur bei großen Stichproben uneingeschränkt der Fall. Daher empfehlen Rudolf und Müller (2004) die Anwendung der logistischen Regression nur bei einer Stichprobe von N > 25 pro Kriteriumsausprägung. Diese Voraussetzung ist erfüllt (Gehlert, 2008a). In das Regressionsmodell wurden die Akzeptanz vor dem Experiment, die Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren sowie der Interaktionsterm beider als Prädiktoren aufgenommen. Das Kriterium stellte die Akzeptanz nach dem Experiment dar. Der Interaktionsterm zwischen der Akzeptanz vor dem Experiment und der Verhaltensänderung beschreibt konsonantes bzw. dissonantes Mobilitätsverhalten während des Experimentes in Abhängigkeit von der Akzeptanz vor dem Experiment. Gemäß den Empfehlungen von Cohen, Cohen, West und Ai-
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6 Methoden
ken (2003) wurden die Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren vor der Analyse zentriert. Für die Auswertung der subjektiven Befragungsdaten wurden je nach Zellenbesetzung χ 2 -Tests oder der exakte Test nach Fisher verwendet. Damit wurde überprüft, ob die Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von der Verhaltensänderung gemäß den Vorhersagen der Dissonanztheorie eintritt. Analysiert wurden dafür die Items Kostenreduktion und Verhaltensanpassung. Die Antwortskalen zur Verhaltensanpassung wurden dichotomisiert, um die minimale Häufigkeit in den Zellen zu gewährleisten. Darüber hinaus wurden die beiden Formen dissonanten Mobilitätsverhaltens separat analysiert, damit sich die erwarteten positiven und negativen Effekte auf die Akzeptanz nach dem Experiment in der Analyse nicht gegenseitig neutralisierten (vgl. Kapitel 5). Fragestellung 4: Soziodemographische Unterschiede Ausgangspunkt dieser Fragestellung war die Beobachtung, dass soziodemographische Merkmale oft systematisch miteinander in Beziehung stehen (vgl. auch Kapitel 6.3.3). Daher wurde angenommen, dass sich die Probanden in homogene Gruppen gleicher Lebenslage einteilen lassen. Zur Bildung solcher Gruppen bietet sich die Clusteranalyse an. Basierend auf den Möglichkeiten und Grenzen bekannter und von Standardsoftware unterstützter Verfahren wurde die Two-step Clusteranalyse ausgewählt (vgl. Bacher, Wenzig & Vogler, 2004; Bühl, 2006). Im Gegensatz zu anderen Clusterverfahren ermöglicht es die Two-Step-Clusteranalyse sowohl metrische als auch kategoriale Variablen in die Analyse einzubeziehen. So konnten alle vorhandenen soziodemographischen Variablen zur Gruppierung genutzt werden. Allerdings kann das Verfahren ordinale Daten nicht angemessen berücksichtigen. Hier muss der Anwender entscheiden, ob diese Daten als metrische oder als kategoriale Daten betrachtet werden. Im konkreten Fall wurden die ordinalen Daten als kategorial einstuft.4 Nachteilig wirkt sich aus, dass die Two-step Clusteranalyse nur vollständige Datensätze verarbeitet. Von der Gesamtstichprobe lagen für N = 290 Probanden vollständige soziodemographische Datensätze vor. Diese Probanden bildeten die Grundlage für die Clusteranalyse. Die einzelnen Cluster wurden in einem zweistufigen Verfahren gebildet. Zuerst wurden die Cluster mit den dichtesten Merkmalsverbindungen gruppiert. Im zwei4
Ein Vergleich der Clusterlösungen mit jeweils kategorial und metrisch eingestuften ordinalen Daten zeigte keinen Unterschied in der Anzahl der Clustern, der Stichprobengröße der einzelnen Cluster sowie der inhaltlichen Interpretation. Damit ist es in diesem Fall unerheblich, wie die ordinalen Skalen behandelt werden.
6.3 Auswertung der Sekundäranalyse
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ten Schritt wurden die so entstandenen Gruppen weiter verdichtet. Als Distanzmaß wurde die Log-Likelihood-Funktion gewählt, da sich dieses Maß für Variablen verschiedener Skalenniveaus eignet. Des Weiteren wurde die automatische Ermittlung der optimalen Clusteranzahl gewählt, da sich aus den theoretischen Vorüberlegungen keine Clusteranzahl eindeutig vorhersagen ließ. Für die Anwendung der Two-step Clusteranalyse wird zum einen die Unabhängigkeit der Variablen und zum anderen für stetige Variablen eine Normalverteilung und für kategoriale Variable eine multinomiale Verteilung vorausgesetzt. Beide Voraussetzungen sind im gegebenen Fall nicht erfüllt (vgl. Kapitel 7.4.1 und Gehlert, 2008a). Allerdings gilt das Verfahren als wenig anfällig gegenüber Verletzungen der Voraussetzungen, so dass es trotzdem angewendet wurde (SPSS Inc., 2005). Mit Hilfe der gebildeten Cluster wurden die Akzeptanz, die Akzeptanzänderung sowie die Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren auf Unterschiede zwischen den Personengruppen untersucht. Die Analyse erfolgte analog der Auswertung der Fragestellung 1 und Fragestellung 2. Das bedeutet, dass die Akzeptanz vor dem Experiment und die subjektiven Befragungsdaten zum Mobilitätsverhalten nach dem Experiment mittels χ 2 -Test für nominales Datenniveau und Rangvarianzanalysen für ordinales Datenniveau auf Unterschiede zwischen den Clustern getestet wurden. Für die Analyse der Akzeptanzänderung wurden wiederum die Differenzwerte zwischen Vor- und Nachbefragung einer Rangvarianzanalyse unterzogen, um Unterschiede in der Akzeptanzänderung zwischen den verschiedenen Clustern statistisch abzusichern. Für die Auswertung der Anpassung des Mobilitätsverhaltens anhand der GPS-basierten Wegeindikatoren wurde analog zur Fragestellung 2 eine einfaktorielle univariate Varianzanalyse auf der Basis der Differenzwerte der Wegeindikatoren verwendet.
7 Ergebnisse
Diesem Kapitel werden die Ergebnisse zu den Fragestellungen und Hypothesen vorgestellt. Zuerst werden im Kapitel 7.1 die Ergebnisse zur Fragestellung 1, der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dargestellt. Im Kapitel 7.2 werden die Ergebnisse zur Fragestellung 2, der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an städtische Straßenbenutzungsgebühren, präsentiert. Im Kapitel 7.3 stehen die Ergebnisse zur Rolle des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren im Mittelpunkt. Abschließend werden im Kapitel 7.4 die Ergebnisse zu den individuellen Unterschieden in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren beschrieben.
7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren In diesem Kapitel werden die Ergebnisse zur Fragestellung 1, wie sich die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz auswirkt, präsentiert. Dabei werden im Kapitel 7.1.1 zuerst die deskriptiven Ergebnisse zur Akzeptanz vor der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dargestellt. Um diese Ergebnisse besser einordnen und interpretieren zu können, werden im Kapitel 7.1.2 die Beziehungen der Determinanten der Akzeptanz untereinander und zur Akzeptanz selbst beschrieben. Anschließend werden im Kapitel 7.1.3 die Ergebnisse zur Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dargestellt.
7.1.1 Akzeptanz vor der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren Die deskriptiven Ergebnisse der Akzeptanzbefragung vor dem AKTA Feldexperiment zeigen eine hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren (vgl. Tabelle 7.1). So befürworten 72.3 % der Probanden das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren, 61.3 % den Hauptverkehrszeitzuschlag und 54.7 % das Kordonpreis-
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7 Ergebnisse
system. Damit ist die Zustimmung zu städtischen Straßenbenutzungsgebühren im AKTA Feldexperiment weit höher, als in den Städten, die solche Preissysteme bisher eingeführt haben (vgl. Kapitel 3). Im Gegensatz dazu wird das gegenwärtige dänische Pkw-Steuersystem, das durch hohe Steuern auf den Pkw-Besitz charakterisiert ist, von der Mehrheit der Probanden (54.5 %) abgelehnt. Einer Paketlösung, die Straßenbenutzungsgebühren mit der gewünschten Einnahmenverwendung kombiniert, stimmen lediglich 44.0 % der Probanden zu. Damit erreicht diese Paketlösung eine geringere Zustimmung als Straßenbenutzungsgebühren als Einzelmaßnahmen. Tabelle 7.1: Akzeptanz vor der Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren relative Häufigkeit der Antwortkategorien (%) (1) Ja (2) Weder noch (3) Nein Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Kordonpreissystem Paketlösung (Straßenbenutzungsgebühren + bevorzugte Einnahmenverwendung)
Median
N
20.2
25.2
54.5
3
321
72.3
12.9
14.8
1
318
61.3 54.7 44.0
16.3 19.5 15.5
22.5 25.8 40.5
1 1 2
320 318 320
Vergleicht man diese Ergebnisse mit der repräsentativen Bevölkerungsbefragung, die parallel zum AKTA Feldexperiment stattfand, so ist ein recht ähnliches Muster zu beobachten (vgl. Abbildung 7.1). Zwar ist die Zustimmung zum dänischen Pkw-Steuersystem deutlich höher und die Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren etwas geringer als in der AKTA Stichprobe. Aber auch in der Bevölkerungsbefragung lehnt die Mehrheit das gegenwärtige Pkw-Steuersystem ab und befürwortet Straßenbenutzungsgebühren. Die Paketlösung erreicht auch hier eine geringere Zustimmung als Straßenbenutzungsgebühren als Einzelmaßnahmen. Das bedeutet, dass die vergleichsweise hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nicht ausschließlich auf eine Stichprobenverzerrung zurückzuführen ist.
7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren Akzeptanz 80%
72.3
70%
149
AKTA Feldversuch
65.0
Bevölkerungsbefragung
62.1
56.4
60% 50.0
50%
53.0 43 9 43.9
43.0
38.0
40% 30% 20%
20.1
10% 0% gegenwärtiges Pkw-Steuersystem
Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren
Hauptverkehrszeitzuschlag
Kordonpreissystem
Paketlösung
Abbildung 7.1: Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren im Vergleich
7.1.2 Struktur der Akzeptanz Die Analyse des kognitiven Hintergrundes der Probanden wurde in Anlehnung an das Akzeptanzmodell von Schlag und Schade strukturiert (vgl. Kapitel 4.1.1). Drei Aspekte schränkten diese Analyse jedoch ein: 1. Es stand kein vollständiger Variablensatz der Determinanten der Akzeptanz zur Verfügung. 2. Die Determinanten, die erhoben wurden, wurden in verschiedenen Stadien des Feldexperimentes erfasst (vgl. Tabelle 6.8, Kapitel 6.3.4). Gegenwärtig ist jedoch unklar, ob und wie sich die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Struktur der Akzeptanz auswirkt. Schade (2005) verweist zum Beispiel auf die Möglichkeit, dass es im Laufe der Einführung zu veränderten Gewichtungen der Determinanten für das Akzeptanzurteil kommen kann. Daher wurde die Struktur der Akzeptanz für die Vor- und Nachbefragung separat ausgewertet. 3. Das Akzeptanzmodell postuliert komplexe, auch indirekte, Zusammenhänge zwischen den Determinanten und der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren (vgl. noch einmal Schade, 2005). Statistische Verfahren, wie lineare Strukturgleichungsmodelle, mit deren Hilfe solche komplexen Merkmalszusammenhänge analysiert werden können, setzen jedoch metrisches Datenniveau voraus (Rudolf & Müller, 2004). Aufgrund des ordinalen Datenniveaus der Befragungsdaten des AKTA Feldexperimentes (vgl. Kapitel 6.3.5) können diese Verfahren hier nicht verwendet werden. Daher beschränkt sich die
150
7 Ergebnisse
Analyse der Struktur der Akzeptanz auf die Existenz und die Stärke direkter Beziehungen zwischen den Determinanten und der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren mittels Korrelationsanalysen. Trotz dieser Einschränkungen bietet das Akzeptanzmodell von Schlag und Schade einen geeigneten Rahmen, um die Einstellungen und Bewertungen, die für die Akzeptanz relevant sein könnten, explorativ auszuwerten. 7.1.2.1 Vorbefragung Die deskriptiven Ergebnisse der Determinanten der Akzeptanz sind detailliert in Gehlert (2008a) dargestellt. Eine erste deskriptive Annäherung an die Einstellungen und Bewertungen von Straßenbenutzungsgebühren ist sinnvoll, um später die Merkmalszusammenhänge zwischen den Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz selbst interpretieren zu können. Die Mehrheit der Probanden verfügt bereits über subjektives Wissen bzw. Erfahrung mit Mautstationen (83.2 %) und gebiets- oder entfernungsabhängigen Preissystemen (61.3 %). Die wahrgenommene Effektivität des Kordonpreissystems zur Reduktion vom Pkw-Verkehr wird von der Mehrheit der Befragten positiv eingeschätzt (55 % bzgl. sich selbst, 70 % bzgl. anderer Pkw-Nutzer). Die Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages zum zeitlichen Verschieben von Fahrten wird weniger positiv eingeschätzt. Hier sind Zustimmung und Ablehnung in etwa gleich verteilt (Zustimmung: 35.6 % bzgl. sich selbst und 44.2 % bzgl. anderer Pkw-Nutzer, Ablehnung: 41.6 % bzgl. sich selbst und 33.0 % bzgl. anderer Pkw-Nutzer). Interessant ist außerdem, dass sich bei beiden Einschätzungen der Effektivität eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung zeigt. Das bedeutet, dass die Effektivität zur Verhaltensänderung bei anderen Pkw-Nutzern signifikant positiver eingeschätzt wird, als bei sich selbst (Hauptverkehrszeitzuschlag: Z(N = 320) = −3.89; p < .01; Kordonpreissystem: Z(N = 319) = −4.44; p < .01). In der Regel sind Pkw-Nutzer davon überzeugt, selbst nur notwendige Fahrten durchzuführen, während anderen Pkw-Fahrern unterstellt wird, noch zu viele unnötige Fahrten zu machen. Daher wird ihnen ein größeres Reduktionspotential unterstellt als sich selbst. Dieser fundamentale Attributionsfehler (vgl. Schlag, 2006) ist bereits aus dem Bereich der Verkehrsmittelwahl bekannt (Praschl & Risser, 1994). Bei der gewünschten Einnahmenverwendung dominiert erwartungsgemäß der Wunsch nach Investitionen in den Verkehrsbereich (68.0 %). Allerdings ist der Anteil der Probanden, die Steuersenkungen favorisieren mit 32.0 % unerwartet hoch. Bei der Frage nach den gewünschten Investitionen in den Verkehrsbereich werden der Ausbau des ÖPNV (25.6 %) und die Reduktion der ÖPNV-Tarife (24.2 %)
7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren
151
gegenüber Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur bevorzugt (z. B. Parkplätze: 9.2 %, Straßen: 10.1 %). Die Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalyse zeigen erwartungsgemäß keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem subjektiven Wissen und der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren (vgl. Tabelle A.2). Diese Variable wurde im erweiterten Akzeptanzmodell von Schade (2005) auf der distalen Ebene verankert und übt nur einen, über die anderen Prädiktoren, vermittelnden Einfluss auf die Akzeptanz aus. Ein schwacher signifikant positiver Zusammenhang zeigt sich jedoch zwischen dem subjektiven Wissen über Mautstationen und der wahrgenommenen Effektivität des Kordonpreissystems. Je mehr Erfahrung die Probanden mit Mautstationen haben, desto höher schätzen sie die Effektivität eines Kordonpreissystems ein. Diese Verbindung erscheint plausibel, da Mautstationen, manuell oder elektronisch, immer auch integraler Bestandteil eines Kordonpreissystems sind. Bezüglich der wahrgenommenen Effektivität zeigt sich in allen Variablen der erwartete signifikant positive Zusammenhang zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Das bedeutet, dass eine positive Einschätzung der Effektivität von Straßenbenutzungsgebühren mit einer Zustimmung zu diesen einhergeht. Umgekehrt geht eine positive Einschätzung der Effektivität von Straßenbenutzungsgebühren mit einer Ablehnung des gegenwärtigen Pkw-Steuersystems einher. Die Variablen zur Effektivität untereinander zeigen ebenfalls positive signifikante Zusammenhänge. Das bedeutet, dass die Probanden, die den Hauptverkehrszeitzuschlag als effektiv einschätzen auch das Kordonsystem positiv bewerten. Der gleiche positive Zusammenhang zeigt sich für die jeweiligen Selbst- und Fremdeinschätzungen. Die Einnahmenverwendung für die Öffentlichkeit (Verkehr vs. Steuersenkungen) zeigt keine signifikanten Zusammenhänge mit der Akzeptanz. Lediglich ein schwacher positiver Zusammenhang zwischen der Einnahmenverwendung und dem subjektivem Wissen, insbesondere der Erfahrung mit Gebietspreissystemen, kann nachgewiesen werden. Probanden, die bereits Erfahrungen mit Gebietspreissystemen gemacht haben, favorisieren die Einnahmenverwendung für den Verkehrsbereich gegenüber Steuersenkungen. 7.1.2.2 Nachbefragung Die deskriptiven Ergebnisse der Determinanten der Akzeptanz sind detailliert in Gehlert (2008a) dargestellt. Im Ergebnis zeigt sich, dass das Problembewusstsein als eine notwendige Bedingung für die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren gegeben ist. Auf die Frage, wie sie die Verkehrssituation in Kopenhagen ein-
152
7 Ergebnisse
schätzen, geben 84.0 % der Probanden an, dass das Verkehrsaufkommen hoch oder zu hoch sei. Nur 16.0 % halten die Verkehrssituation für akzeptabel. Die wahrgenommene Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages zum zeitlichen Verschieben von Fahrten zeigt ein ähnliches Bild wie in der Vorbefragung. Hier sind Zustimmung und Ablehnung in etwa gleich verteilt (Zustimmung: 41.8 % bzgl. sich selbst und 53.2 % bzgl. anderer Pkw-Nutzer, Ablehnung: 56.6 % bzgl. sich selbst und 44.8 % bzgl. anderer Pkw-Nutzer). Die Effektivität bezüglich der Verhaltensänderung anderer Pkw-Nutzer wird wieder positiver eingeschätzt als für sich selbst (Z(N = 299) = −4.37; p < .01). Die wahrgenommene Effektivität zur Lösung von Verkehrsproblemen wird am häufigsten mit „teils Ja“ beantwortet. Fasst man die beiden Kategorien „Ja“ und „teils Ja“ zusammen, so zeigt sich, dass Straßenbenutzungsgebühren am häufigsten als effektiv zur Reduktion von Verkehrsstaus wahrgenommen werden (67.4 %), gefolgt von der Luftverschmutzung (58.7 %) und der Lärmbelastung (55.2 %). Die Fairness von Straßenbenutzungsgebühren wird von der Mehrheit der Probanden bejaht (25.0 %) oder teilweise bejaht (33.8 %). Allerdings bleibt unklar, welches Fairnessprinzip die Befragten dieser Einschätzung zugrunde legen. Denkbar wäre, dass sich die Probanden hier auf die persönliche Nutzenerwartung beziehen, denn die Erwartungen der Probanden hinsichtlich des Bonusses bzw. des Rechnungsbetrages stimmte bei der Mehrheit mit der Realität überein (56.6 % für den Bonus in der 1. Runde sowie 65.5 % für den Rechnungsbetrag in der 3. Runde des Feldexperimentes). Dieses Ergebnis würde zu den Erkenntnissen von Schade (2005) passen, der die persönliche Nutzenerwartung als ein zentrales Fairnessprinzip bei der Beurteilung von Straßenbenutzungsgebühren identifizierte. Als Nachteile, die die Probanden von Straßenbenutzungsgebühren erwarten, werden am häufigsten die Verteuerung der Pkw-Nutzung mit 93.9 % genannt, gefolgt von der zusätzlichen Steuerbelastung (87.1 %) und der Benachteiligung von Pkw-Besitzern in Städten (85.8 %). Nachteile, die von der Mehrheit der Befragten dagegen nicht erwartet werden, sind die Benachteiligung von Pkw-Besitzern in ländlichen Gebieten (72.7 %) und die Verletzung der Privatsphäre (66.2 %). Die Einnahmenverwendung zeigt ein ähnliches Bild wie in der Vorbefragung. Wieder dominiert der Wunsch nach Investitionen in den Verkehrsbereich (79.8 %). Allerdings geht der Anteil der Probanden, die Steuersenkungen favorisieren, auf 20.2 % leicht zurück. Bei der Frage nach den gewünschten Investitionen in den Verkehrsbereich werden wieder der Ausbau des ÖPNV (24.7 %) und die Reduktion der ÖPNV-Tarife (23.4 %) bevorzugt. Für die Korrelationsanalyse wurden die Items der Variablen wahrgenommene Effektivität zur Lösung von Verkehrsproblemen sowie der Erwartung von Nachteilen aus Straßenbenutzungsgebühren zu je einer Skala zusammengefasst. Für die
7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren
153
wahrgenommene Effektivität ergab sich bei fünf Items ein Cronbach’s α von .92 (N = 279, M(SD) = 2.45(0.83), Min/Max = 1.0/4.0), für die Skala der erwarteten Nachteile bei sieben Items ein Cronbach’s α von .73 (N = 243, M(SD) = 2.11(0.60), Min/Max = 1.00/3.86). Die Ergebnisse der Korrelationsanalyse sind in Tabelle A.3 dargestellt. Das Problembewusstsein zeigt dabei positive schwache bis mittlere signifikante Zusammenhänge zur Akzeptanz selbst, mit Ausnahme der Akzeptanz des gegenwärtigen dänischen Pkw-Steuersystems. Das bedeutet, je höher das Problembewusstsein ausgeprägt ist, desto höher ist auch die Akzeptanz. Des Weiteren zeigen sich schwache bis mittlere signifikante Zusammenhänge mit den Determinanten der Akzeptanz. Das bedeutet, dass die Wahrnehmung verkehrsrelevanter Probleme mit einer positiven Einschätzung der Effektivität und der Fairness von Straßenbenutzungsgebühren einhergeht. Der umgekehrte Zusammenhang zeigt sich für die Erwartung von Nachteilen aus Straßenbenutzungsgebühren. Das heißt, je höher das Problembewusstsein, desto geringer die Erwartung von Nachteilen. Bei der wahrgenommenen Effektivität zeigt sich ein, mit den Ergebnissen der Vorbefragung vergleichbares Bild. Das heißt, eine positive Einschätzung der Effektivität von Straßenbenutzungsgebühren geht mit einer Zustimmung zu diesen einher sowie einer Ablehnung des gegenwärtigen dänischen Pkw-Steuersystems. Allerdings variiert die Stärke des Zusammenhangs erheblich. Während es zum Pkw-Steuersystem nur schwache Zusammenhänge gibt, zeigen sich zu den verschiedenen Formen von Straßenbenutzungsgebühren mittlere Zusammenhänge. Die Variable Fairness steht in positivem mittlerem Zusammenhang mit der Akzeptanz mit Ausnahme der Akzeptanz des Pkw-Steuersystems. Das heißt, eine Bewertung von Straßenbenutzungsgebühren als fair geht mit einer Zustimmung zu diesen einher. Entsprechend zeigt sich ein negativer Zusammenhang zur Erwartung von Nachteilen. Das bedeutet, je stärker Nachteile aus Straßenbenutzungsgebühren erwartet werden, desto unfairer werden diese beurteilt. Die Erwartung von Nachteilen steht in signifikant negativem Zusammenhang zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsbühren und in signifikant positivem Zusammenhang zur Akzeptanz vom dänischen Pkw-Steuersystem. Im Vergleich zu den anderen Determinanten der Akzeptanz sind diese Zusammenhänge am stärksten ausgeprägt. Die Einnahmenverwendung zeigt lediglich einen schwachen signifikant positiven Zusammenhang zur Akzeptanz zum Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren sowie zum Problembewusstsein. Das bedeutet, dass die Zustimmung zur Einnahmenverwendung für den Verkehr mit der Akzeptanz zum Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren und einem hohen Problembewusstsein für die verkehrsbezogenen Probleme einhergeht.
154
7 Ergebnisse
7.1.3 Akzeptanzänderung nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren Tabelle 7.2 stellt die deskriptiven Ergebnisse der Analyse der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dar. Zuerst wurden die Differenzwerte zwischen der Vor- und Nachbefragung berechnet (+2/ + 1 = positive Akzeptanzänderung, 0 = keine Akzeptanzänderung, −1/ − 2 = negative Akzeptanzänderung; vgl. Kapitel 6.3.5). Die deskriptiven Ergebnisse der Differenzwerte weisen mit einem Median von 0 auf keine Änderung der Akzeptanz in der Nachbefragung im Vergleich zur Vorbefragung hin. Tabelle 7.2: Beschreibung der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Häufigkeit in %) Variable
negative Akzeptanzänderung −2 −1
Gegenwärtiges dänisches 2.4 Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenu- 2.1 tzungsgebühren Hauptverkehrszeitzu5.1 schlag Paketlösung 12.1
keine Änderung
positive Akzeptanzänderung 1 2
0
Median (Quartile)
21.4
51.4
18.4
6.5
0 (0/0.25)
11.0
61.0
19.9
6.2
0 (0/1)
6.8
59.9
19.0
9.2
0 (0/1)
4.6
57.4
10.6
15.2
0 (0/1)
Die sich anschließende Rangvarianzanalyse ergab des Weiteren keine Unterschiede zwischen den drei verschiedenen Preissystemen (vgl. Tabelle 7.3). Das bedeutet, dass kein Interventionseffekt der simulierten Preissysteme auf die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nachgewiesen werden konnte. Tabelle 7.3: Unterschiede in der Akzeptanzänderung zwischen den drei Preissystemen (Rangvarianzanalyse) Variable
N
H
df
p
Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Paketlösung
294 292 294 282
0.54 0.69 4.37 4.52
2 2 2 2
.76 .71 .11 .10
7.1 Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren
155
Abbildung 7.2 illustriert dieses Ergebnis am Beispiel der Akzeptanz des Prinzips von Straßenbenutzungsgebühren. relative Häufigkeit in % 80% 65.9 67.0 56.8
60%
Hochpreissystem Niedrigpreissystem Kordonpreissystem
40% 20%
22.8 22 8 15.318.0
11.111.8 9.0
6.2 5.9 7.0
3.1 1.2 0% -2
-1
negative Akzeptanzänderung
0 keine Änderung
1
2
positive Akzeptanzänderung
Abbildung 7.2: Unterschiede in der Akzeptanzänderung nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren zwischen den drei Preissystemen
Die Probanden selbst schätzten ihre Akzeptanzänderung nach dem Feldexperiment ähnlich ein. 54.4 % der Teilnehmer gaben an, ihre Einstellung gegenüber Straßenbenutzungsgebühren durch den Feldversuch nicht geändert zu haben. Das ist vergleichbar mit dem Anteil der Probanden, die mittels der Differenzwerte den Skalenwert 0 = keine Akzeptanzänderung zugewiesen bekamen (vgl. Tabelle 7.2). 42.2 % der Probanden gaben an, dass sich ihre Akzeptanz zumindest etwas geändert hat. Auch dieser Wert ist mit den Anteilen der Probanden mit positiven und negativen Differenzwerten vergleichbar (vgl. noch einmal Tabelle 7.2). Schade (2005) verweist auf die Möglichkeit, dass es im Zuge der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren zu einer veränderten Gewichtung der einzelnen Prädiktoren für das Akzeptanzurteil kommen kann (vgl. Kapitel 4.1.1). Es wäre also denkbar, dass es zwar keine Akzeptanzänderung als Reaktion auf die simulierten Preissysteme gegeben hat, sich aber Veränderungen in den Determinanten der Akzeptanz als Ergebnis der Intervention nachweisen lassen. Diese Möglichkeit wird im Folgenden überprüft. Dazu werden die wahrgenommene Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages und die Einnahmenverwendung für die Öffentlichkeit herangezogen, da diese beiden Determinanten der Akzeptanz sowohl in der Vor- als auch in der Nachbefragung erhoben wurden. Die Auswertung der wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages zeigt jedoch das gleiche Ergebnis wie die der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren (vgl. Tabelle 7.4). Der Median der Differenzwerte repräsentiert
156
7 Ergebnisse
mit 0 den Skalenwert, der keine Änderung in der Nachbefragung im Vergleich zur Vorbefragung anzeigt. Darüber hinaus gibt es keine Unterschiede zwischen den drei Preissystemen. Das bedeutet, dass auch hier kein Interventionseffekt nachgewiesen werden kann. Tabelle 7.4: Änderung der wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages Variable
N
Median
Quartile
H
df
p
wahrgenommene Effektivität Hauptverkehrszeitzuschlag bzgl. sich selbst bzgl. andere Pkw-Nutzer
153 296
0 0
0/0.75 0/1
0.31 1.49
2 2
.86 .47
Die Einnahmenverwendung zeigt in der deskriptiven Analyse eine Veränderung hin zu mehr Investitionen in den Verkehr. So sprachen sich in der Vorbefragung 68.0 % der Probanden für die Einnahmenverwendung im Verkehrsbereich aus. In der Nachbefragung stieg dieser Anteil auf 79.8 %. Im Gegensatz dazu sank der Anteil der Probanden, die sich für Steuersenkungen aussprachen von 32.0 % in der Vorbefragung auf 20.2 % in der Nachbefragung. Für die Analyse eines möglichen Interventionseffektes wurden der Differenzwert zwischen der Vor- und Nachbefragung gebildet und mittels eines χ 2 -Tests auf Gruppenunterschiede getestet. Die Differenzwertskala reichte von −1 = Änderung zu Steuersenkungen, 0 = keine Änderung zu −1 = Änderung zu Verkehrsinvestitionen. Die standardisierten Residuen der Kreuztabelle zeigen an, dass Probanden des Kordonpreissystems ihre Meinung in der Nachbefragung häufiger in Richtung der Investition in den Verkehr änderten (Rs KV = 1.6), während die Probanden des Niedrigpreissystems dies nicht taten (Rs NV = −1.5). Allerdings ergab der exakte Test nach Fisher auch hier keinen signifikanten Unterschied zwischen den drei Preissystemen (χ 2 (4, N = 135) = 6.48, p = .14). Damit konnte auch bei den Determinanten der Akzeptanz kein Interventionseffekt demonstriert werden.
7.1.4 Zusammenfassung Dieses Kapitel präsentierte die Ergebnisse zur Fragestellung 1, wie sich die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz auswirkt. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen ein hohes Maß an Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren vor der Simulation der drei Preissysteme. Im Gegensatz dazu wird das gegenwärtige dänische Pkw-Steuersystem von der Mehrheit der Probanden abgelehnt.
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
157
Ähnlich positiv wie die Akzeptanz selbst werden auch die Determinanten der Akzeptanz eingeschätzt. So werden beispielsweise Straßenbenutzungsgebühren von der Mehrheit der Probanden als effektiv und fair wahrgenommen. Wie erwartet gibt es positive signifikante Zusammenhänge zwischen den Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Darüber hinaus zeigen sich deskriptive Unterschiede in der Variable der Einnahmenverwendung zwischen der Vor- und Nachbefragung. Dies bestätigt die Entscheidung, die Beziehung zwischen den Determinanten und der Akzeptanz für die Vor- und Nachbefragung getrennt auszuwerten. Allerdings zeigen sich weder bei der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren noch bei den Determinanten der Akzeptanz signifikante Veränderungen als Reaktion auf die simulierten Preissysteme. Damit muss die Hypothese 1, dass sich die Akzeptanz nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren in eine positive Richtung ändert, abgelehnt werden.
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens In diesem Kapitel werden die Ergebnisse zur Fragestellung 2, wie Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren anpassen, präsentiert. Zuerst werden im Kapitel 7.2.1 die Ergebnisse zur Reduktion der PkwNutzung dargestellt. Danach werden im Kapitel 7.2.2 die Strategien der Verhaltensanpassung beschrieben. Abschließend werden im Kapitel 7.2.3 die GPSbasierten Wegeindikatoren mit den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung in Beziehung gesetzt, um zu prüfen, wie effektiv die Strategien zur Reduktion der Pkw-Nutzung sind.
7.2.1 Reduktion der Pkw-Nutzung Die Reduktion der Pkw-Nutzung wurde durch den Vergleich der GPS-basierten Wegeindikatoren der Kontrollbedingung mit denen der Preisbedingung bestimmt. Dafür standen folgenden Wegeindikatoren zur Verfügung: • • • • •
die Anzahl der Wege, die Wegelänge in km, die Wegedauer in min, die Wegekosten in DKK und die Wegegeschwindigkeit in km/h.
In Tabelle 6.6, Kapitel 6.3.2 wurde die Zuordnung der Wegeindikatoren zu den Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens nach der Einführung von Straßen-
158
7 Ergebnisse
benutzungsgebühren dargestellt. Zusätzlich war im Primärdatensatz die Wegelänge und die Anzahl der Wege nach der Tageszeit (Hauptverkehrszeit vs. außerhalb der Hauptverkehrszeit) und nach dem Wochentag (Woche vs. Wochenende) differenziert. Diese Differenzierung wurde in die Analyse übernommen. Tabelle A.4 stellt die Mittelwerte und Standardabweichungen der Wegeindikatoren für die Kontroll- und Preisbedingung pro Preissystem dar. Ein negatives Vorzeichen in der Differenzspalte (+/−) repräsentiert eine Reduktion in den jeweiligen Indikatoren, ein positives Vorzeichen einen Mehrverbrauch. Betrachtet man alle drei Preissysteme gemeinsam (vgl. Spalte „Gesamt“ in Tabelle A.4), so legen die Probanden in der Kontrollbedingung pro Tag durchschnittlich etwa viereinhalb Wege zurück. Die durchschnittliche Wegelänge pro Tag beträgt etwa 36 km bei einer Wegedauer von knapp 55 Minuten. Die Probanden hätten 23.83 DKK (e 3.20) Gebühren pro Weg zahlen müssen. Die durchschnittliche Wegegeschwindigkeit beträgt knapp 40 km/h. In der Preisbedingung reduzieren die Probanden alle Wegeindikatoren mit Ausnahme der Wegegeschwindigkeit, die sich um 0.72 km/h erhöht. So verringert sich die durchschnittliche Anzahl der Wege pro Tag um 0.32 Wege, die Wegelänge um zweieinhalb Kilometer und die Wegedauer um knapp 5 Minuten. Die durchschnittlichen Wegekosten sinken um 3.41 DKK (e 0.45) auf 20.41 DKK (e 2.75). Damit werden alle, mit der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren intendierten Verhaltenseffekte erreicht. Darüber hinaus gibt es statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Reduktion der Anzahl der Wege in der Woche vs. am Wochenende sowie in der Hauptverkehrszeit morgens vs. abends. So reduzieren die Probanden ihre Anzahl der Wege in der Woche mit durchschnittlich 0.25 Wegen signifikant stärker als am Wochenende mit 0.07 Wegen (Z(N = 252) = −2.03; p < .05). In der Hauptverkehrszeit abends verringern die Probanden mit 0.10 Wegen ebenfalls ihre Anzahl der Wege signifikant stärker als morgens mit 0.06 Wegen (Z(N = 252) = −3.56; p < .01). Beim deskriptiven Vergleich der verschiedenen Preissysteme in der Kontrollbedingung fällt auf, dass die Probanden des Niedrigpreissystems im Durchschnitt längere Wegstrecken zurücklegen und dementsprechend länger unterwegs sind als die Probanden der anderen beiden Preissysteme (Niedrig: 41.59 km und 60.00 min vs. Hoch: 35.03 km und 52.58 min sowie Kordon: 32.72 km und 49.92 min). In der Preisbedingung zeigen die Probanden des Hochpreissystems dagegen die stärksten Reduktionen, gefolgt von den Probanden des Kordonpreissystems. Bei den Probanden des Niedrigpreissystems treten die geringsten Reduktionen auf. Eine Ausnahme bildeten die Wegegeschwindigkeit sowie die Anzahl der Wege. Die Probanden des Niedrigpreissystems verringern ihre durchschnittliche Wegegeschwindigkeit im Vergleich zur Kontrollbedingung während die beiden anderen
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
159
Gruppen ihre Geschwindigkeit erhöhen. Bei der Anzahl der Wege reduzieren die Probanden des Niedrigpreissystems ihre Anzahl stärker als die Probanden des Kordonpreissystems. Tabelle 7.5 fasst die Ergebnisse der univariaten Varianzanalysen zusammen, welche die Wirkung der drei Faktoren auf die Wegeindikatoren analysierten. Das ist erstens die Intervention, d. h., inwieweit die Bepreisung an sich zu einer Reduktion in den Wegeindikatoren führt. Zweitens wurde überprüft, ob eine differenzierte Wirkung der Gebührenhöhe vorliegt. Drittens, wurden mittels eines eingeführten Reihenfolgefaktors mögliche Lerneffekte analysiert. Das Signifikanzniveau wurde aufgrund der Verletzung von Anwendungsvoraussetzungen von 5 % auf 1 % gesenkt (vgl. Kapitel 6.3.5). Statistisch signifikante Ergebnisse auf 5 %Niveau werden daher als tendenziell signifikant interpretiert. Im Ergebnis zeigen sich signifikante Interventionseffekte für alle Wegeindikatoren, mit Ausnahme der Wegegeschwindigkeit. Das bedeutet, dass die Probanden ihre Pkw-Nutzung aufgrund der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren signifikant reduzieren. Ihre Geschwindigkeitswahl blieb dagegen unbeeinflusst. Die Effektstärke ist jedoch entgegen den Erwartungen mit 2 % bis 5 % der Varianzaufklärung als klein zu klassifizieren. Innerhalb der Differenzierungen der Wegelänge zeigt sich ein signifikanter Interventionseffekt außerhalb der Hauptverkehrszeit. Das bedeutet, dass der Interventionseffekt der Wegelänge hauptsächlich auf Reduktionen der Wegelänge außerhalb der Hauptverkehrszeit zurückzuführen ist. Bei der Anzahl der Wege dagegen treten in allen Differenzierungen, außer in der morgendlichen Hauptverkehrszeit, zumindest tendenziell signifikante Ergebnisse auf. Das bedeutet, dass alle Kategorien zum signifikanten Gesamteffekt der Anzahl der Wege beitragen. Die Effektstärken lagen mit 1 % bis 2 % der Varianzaufklärung ebenfalls im kleinen Bereich. Für die differenzierte Wirkung der Gebührenhöhe können dagegen keine statistisch signifikanten Effekte nachgewiesen werden. Lediglich die Wegekosten sowie die Wegelänge in der abendlichen Hauptverkehrszeit zeigen tendenziell signifikante Ergebnisse. Das bedeutet, dass die Probanden des Hochpreissystems im Vergleich zu den Probanden des Niedrigpreissystems ihre Wegekosten und ihre Wegelänge in der abendlichen Hauptverkehrszeit stärker reduzieren. Für die Analyse von Lerneffekten über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hinaus wurde ein Reihenfolgefaktor der ersten Versuchsbedingung mit den zwei Stufen Kontrollbedingung vs. Preisbedingung eingeführt (vgl. Kapitel 6.3.5). Im Ergebnis zeigen sich statistisch signifikante Unterschiede in den Wegekosten, der Anzahl der Wege und den Differenzierungen der Wegelänge (vgl. Tabelle 7.6). Wenn die Probanden zuerst die Kontrollbedingung und anschließend die Preis-
160
7 Ergebnisse
Tabelle 7.5: Zusammenfassung der univariaten Varianzanalyse der GPS-basierten Wegeindikatoren
Anzahl der Wege Hauptverkehrszeit morgens abends Woche Wochenende Wegelänge (km) Hauptverkehrszeit morgens abends außerhalb der Hauptverkehrszeit Wegedauer (min) Wegekosten (DKK) Wegegeschwindigkeit (km/h)
Intervention df F p
η p2
Preissystem df F p
η p2
Reihenfolge df F
p
η p2
1
6.36**
.01
.02
2
1.75
.18
.01
1
6.86**
.01
.03
1
4.92*
.03
.02
2
2.09
.13
.02
1
19.17**
.00
.07
1 1 1 1 1
3.19 4.03* 4.26* 5.31* 8.78**
.07 .05 .04 .02 .00
.01 .02 .02 .02 .03
2 2 2 2 2
0.68 2.45 2.90 0.09 0.07
.51 .09 .06 .92 .92
.00 .02 .02 .00 .00
1 1 1 1 1
8.65** 19.38** 6.17** 2.46 1.33
.00 .00 .01 .12 .25
.03 .07 .02 .01 .00
1
2.73
.10
.01
2
1.25
.29
.01
1
10.00**
.00
.04
1 1 1
0.68 2.79 9.66**
.41 .10 .00
.00 .01 .04
2 2 2
0.13 3.22* 0.25
.88 .04 .78
.00 .02 .00
1 1 1
9.45** 6.63** 0.59
.00 .01 .44
.04 .03 .00
1
12.60**
.00
.05
2
1.64
.20
.01
1
2.64
.10
.01
1
11.56**
.00
.04
2
3.10*
.05
.02
1
6.65**
.01
.03
1
0.37
.54
.00
2
2.47
.09
.02
1
0.21
.64
.00
∗∗ = p < .01; ∗ = p < .05
bedingung durchliefen, so sparen sie signifikant mehr Wegekosten (4.49 DKK = e 0.60) im Vergleich zur alternativen Abfolge der Versuchsbedingungen. Des Weiteren reduzieren sie ihre Wegelänge in der Hauptverkehrszeit während sich die Wegelänge von Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, sogar erhöht. Der Unterschied beträgt in der Hauptverkehrszeit gesamt gesehen 2.82 km, in der Hauptverkehrszeit morgens 1.49 km und Hauptverkehrszeit abends 1.40 km. Ein ähnliches Bild zeigt sich für die Anzahl der Wege. Hier reduzieren die Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung durchliefen, ihre Anzahl der Wege signifikant stärker als die, die zuerst die Preisbedingung durchliefen. Der Unterschied betrug 1.11 Wege. Das gleiche gilt für die Anzahl der Wege in der Woche. Dort beträgt der Unterschied 0.96 Wege. Für die Anzahl der Wege in der Hauptverkehrs-
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
161
Tabelle 7.6: Beschreibung der Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren für den Reihenfolgefaktor im Vergleich (M(SD))
Anzahl der Wege Hauptverkehrszeit morgens abends Woche Wochenende Wegelänge (km) Hauptverkehrszeit morgens abends außerhalb der Hauptverkehrszeit Wegedauer (min) Wegekosten (DKK) Wegegeschwindigkeit (km/h)
Reihenfolge erste Versuchsperiode Kontrollbedingung Preisbedingung M(SD) M(SD)
+/−
-0.49 (1.07) -0.28 (0.54) -0.10 (0.26) -0.18 (0.36) -0.39 (0.89) -0.10 (0.34) -3.41 (9.44) -2.08 (5.33) -0.97 (3.05) -1.07 (3.20) -1.33 (6.18) -6.38 (12.74) -5.00 (10.11) +1.02 (6.02)
0.47∗ 0.34∗ 0.12∗ 0.23∗ 0.38∗ 0.09 2.38 2.82∗ 1.49∗ 1.40∗ 0.43 4.69 4.49∗ 0.86
-0.02 (1.11) +0.06 (0.54) +0.02 (0.28) +0.05 (0.36) -0.01 (0.96) -0.01 (0.43) -1.03 (12.14) +0.74 (5.98) +0.52 (3.13) +0.33 (3.69) -1.76 (8.25) -1.69 (15.15) -0.51 (8.32) +0.16 (4.87)
− = Reduktion; + = Mehrverbrauch, 1 DKK ≈ e 0.13, ∗ = p < .05,
zeit zeigen sich die gleichen Ergebnisse wie für die Wegelänge. Das bedeutet, dass die Probanden, die die Kontrollbedingung zuerst durchliefen, ihre Anzahl der Wege in der Preisbedingung reduzieren, während sich die Anzahl der Wege für die Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, sogar erhöht. Die Effektstärken können als klein bis mittel klassifiziert werden.
7.2.2 Strategien der Mobilitätsverhaltensanpassung Die subjektiven Angaben zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens wurden mit Hilfe eines Fragebogens nach dem Experiment erhoben. Zuerst wurde gefragt, inwieweit die Probanden tatsächlich versucht haben, Gebühren einzusparen. Anschließend wurden sie nach ihren Strategien der Verhaltensanpassung und ihrer Wahl der Fahrtroute während des Experimentes befragt (vgl. Kapitel 6.2.4.2). Die Ergebnisse werden im Folgenden präsentiert. Die Frage, ob die Probanden während des Experimentes versucht haben, Gebühren zu sparen, wurde im Verlauf der Untersuchung in verschiedener Art und Weise gestellt (vgl. noch einmal Kapitel 6.2.4.2). Tabelle 7.7 stellt die Ergebnisse zur Kostenreduktion daher gesamt als auch getrennt nach den verschiedenen Run-
162
7 Ergebnisse
den des Feldexperimentes dar. Alle Antworten wurden entweder dichotom erhoben oder dichotomisiert, um sie vergleichen zu können. Tabelle 7.7: Kostenreduktion während des Experimentes (relative Häufigkeit der Zustimmung in %) Gesamt
Niedrig
Hoch
Kordon
χ2
df
p
alle Runden
56.2 (N=233)
60.0 (N=60)
53.0 (N=134)
61.5 (N=39)
1.37
2
.50
2. & 3. Runde
56.2 (N=153)
61.5 (N=60)
50.5 (N=134)
73.1 (N=39)
4.64
2
.10
56.3 21.3 40.0 (N=80)
58.8 11.8 38.2 (N=34)
60.6 24.2 33.3 (N=33)
38.5 38.5 61.5 (N=13)
2.02 4.31 3.17
2 2 2
.36 .12 .20
1. Runde Feldexperiment Kontrollbedingung Preisbedingung
Im Ergebnis geben 56.2 % aller Probanden an, während des Experimentes Gebühren gespart zu haben. Dieser Anteil ist in allen Runden des Experimentes etwa gleich. Darüber hinaus gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei simulierten Preissystemen. In der ersten Runde des Feldexperimentes wurde die Variable Kostenreduktion sowohl für die Kontroll- als auch für die Preisbedingung erhoben und erlaubt somit eine Treatmentkontrolle. Hier zeigt sich, dass auch in der Kontrollbedingung ein erheblicher Anteil von 21.3 % der Probanden versucht, Gebühren einzusparen. Allerdings geben in der Preisbedingung signifikant mehr Probanden an, Gebühren gespart zu haben (χ 2 (1, N = 80) = 16.13, p < .01). Möglicherweise gibt es auch hier einen Reihenfolgeeffekt. Das heißt, dass die Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, in der anschließenden Kontrollbedingung in stärkerem Maße angaben, gespart zu haben. Die deskriptiven Ergebnisse weisen durchaus in diese Richtung. So geben 25.0 % der Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, auch in der Kontrollbedingung an, Gebühren gespart zu haben. Bei den Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung durchliefen, sind es dagegen nur 17.5 %. Allerdings ist dieser Unterschied statistisch nicht signifikant (Gehlert, 2008a). Bei der Frage nach der Verhaltensanpassung geben fast die Hälfte der Probanden an, ihre Mobilitätsgewohnheiten während des Experimentes zumindest teilweise geändert zu haben (49.4 %). Die andere Hälfte der Probanden (50.6 %) verneint diese Frage. Dabei gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Preissystemen (H(6, N = 243) = 4.59, p = .10).
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
163
Welche Strategien der Anpassung des Mobilitätsverhaltens die Probanden dabei einsetzen, illustriert Abbildung 7.3. Am häufigsten werden Strategien der effizienteren Pkw-Nutzung eingesetzt, gefolgt vom Umstieg auf den ÖPNV und versuchsspezifischen Anpassungsstrategien. Von den Strategien der effizienteren Pkw-Nutzung werden mit 52 % am häufigsten Fahrten räumlich verschoben in der Art, dass teurere Gebiete gemieden werden, gefolgt vom zeitlichen Verschieben von Fahrten (35 %). Überraschend ist der hohe Anteil der Bildung von Wegeketten (43 %) und von Fahrten, die unterlassen werden (39 %). Damit rangieren diese Strategien noch vor dem zeitlichen Verschieben von Fahrten, obwohl sie nach Loukopoulos (2005) mit höheren psychologischen Kosten verbunden sein sollen (vgl. Kapitel 4.2.4). Auf den ÖPNV steigen erwartungsgemäß weniger Probanden um (18 %). Auch bildet mit 2 % nur ein geringer Prozentsatz der Probanden Fahrgemeinschaften. Die versuchsspezifischen Strategien wie das Aufschieben von Fahrten auf die Zeit nach dem Feldversuch und die Nutzung eines anderen Pkw ohne OBU werden mit 7 % und 3 % nur sehr wenig genutzt. Das bedeutet, dass sich nur ein sehr geringer Prozentsatz der Probanden der Intervention entzogen hat. Damit wurde die Validität des Experimentes nicht beeinträchtigt. Fahrten räumlich verschieben
52%
Wegeketten bilden
43%
Fahrten unterlassen
39%
Fahrten zeitlich verschieben
35%
Umstieg auf ÖPNV
18%
Fahrten aufschieben
7%
anderen Pkw nutzen
3%
Fahrgemeinschaften
2% 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Abbildung 7.3: Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens
Signifikante Unterschiede zwischen den drei Preissystemen zeigen sich nur für das räumliche Verschieben von Fahrten und das Aufschieben von Fahrten auf die Zeit nach dem Experiment (Fahrten räumlich verschieben: H(2, N = 163) = 6.89, p < .05; Fahrten aufschieben: H(2, N = 162) = 6.96, p < .05) Das bedeutet,
164
7 Ergebnisse
dass die Probanden des Niedrigpreissystems Fahrten weniger räumlich verschieben, als die des Hoch- und des Kordonpreissystems (Median(Quartile) = 3(2/4) vs. Median(Quartile) = 1(1/4)). Beim Aufschieben von Fahrten sind die Unterschiede weniger deutlich, so dass hier keine eindeutige Aussage getroffen werden kann (jeweils Median(Quartile) = 4(4/4)). Bei allen anderen Strategien zeigen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den drei Preissystemen (Wegeketten bilden: H(2, N = 161) = .70, p = .70; Fahrten unterlassen: H(2, N = 161) = 2.88, p = .24; Fahrten zeitlich verschieben: H(2, N = 162) = 2.00, p = .37; Umstieg auf ÖPNV: H(2, N = 163) = 1.03, p = .60; anderen Pkw nutzen: H(2, N = 163) = 0.95, p = .62; Fahrgemeinschaften bilden: H(2, N = 163) = 4.56, p = .10). Die Frage nach der Wahl der Fahrtroute während des Experimentes beantworten 63.3 % der Probanden mit der gewohnten Route (vgl. Tabelle 7.8). Gleich danach folgt jedoch mit 23.0 % die preiswerteste Route und mit 17.5 % die kürzeste Route, die, außer beim Kordonpreissystem, ebenfalls Einsparpotential birgt. Insgesamt ändern also 40.5 % der Probanden ihre Fahrtroute derart, dass sie potenziell Gebühren einsparen. Es zeigen sich aber keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Preissystemen (χ 2 (10, N = 245) = 14.55, p = .15). Tabelle 7.8: Wahl der Fahrtroute (relative Häufigkeit in %)
Gewohnte Route Preiswerteste Route Kürzeste Route Schnellste Route Übergeordnete Straßen
Gesamt (N=245)
Niedrig (N=67)
Hoch (N=136)
Kordon (N=42)
63.5 23.0 17.5 13.1 3.6
68.1 15.9 17.4 13.0 4.3
66.4 22.2 17.9 13.6 2.9
46.5 37.2 16.3 11.6 4.7
Mehrere Antworten waren möglich.
7.2.3 Effektivität der Strategien der Mobilitätsverhaltensanpassung zur Reduktion der Pkw-Nutzung In diesem Abschnitt wird die Reduktion in der Pkw-Nutzung, gemessen mit den GPS-basierten Wegeindikatoren, mit den Aussagen der Probanden über ihre Strategien der Verhaltensanpassung in Beziehung gesetzt. Das Ziel ist es zu untersuchen, mit welcher Reduktion in den Wegeindikatoren die Strategien der Verhaltensanpassung im Einzelnen verbunden sind. Da sich in den vorangegangenen Ab-
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
165
schnitten nur geringfügige Unterschiede bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens zwischen den drei Preissystemen gezeigt haben, werden sie hier gemeinsam analysiert. Im Kapitel 6.3.2 wurde angenommen, dass die Veränderungen der Wegeindikatoren einen Rückschluss auf die Kategorie der verwendeten Anpassungsstrategien erlauben (vgl. Tabelle 6.6). Aus der hierarchischen Struktur der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren lassen sich dafür folgende Vorhersagen ableiten (vgl. Kapitel 4.2.4). Die Strategien zur effizienten Pkw-Nutzung erreichen insbesondere Reduktionen in der Wegelänge und der Wegedauer, in dem z. B. eine kürzere Route, ein anderes Fahrtziel oder ein anderer Fahrtzeitpunkt gewählt werden. Die Anzahl der Wege bleibt davon unbeeinflusst. Demgegenüber reduzieren das Unterlassen von Fahrten und der Umstieg auf den ÖPNV die Anzahl der Wege und damit ebenfalls die Wegelänge und die Wegedauer. Obwohl alle Anpassungsstrategien zu einer Reduktion der Gebühren führen sollten, ist das Einsparpotential des Unterlassens von Fahrten und des Umstiegs auf den ÖPNV höher als das der Strategien der effizienteren Pkw-Nutzung. Die Ergebnisse folgen im Wesentlichen dem prognostizierten Muster (vgl. Tabelle 7.9). Eine Reduktion der Wegekosten steht allgemein in positivem Zusammenhang mit der Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Das heißt je stärker diese Strategien angewendet werden, desto größer ist die Einsparung bei den Gebühren. Tabelle 7.9: Zusammenhang zwischen der Reduktion der GPS-basierten Wegeindikatoren und den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung (Spearman’s ρ )
Fahrten räumlich verschieben Wegeketten bilden Fahrten unterlassen Fahrten zeitlich verschieben Umstieg auf ÖPNV Fahrten aufschieben anderen Pkw nutzen Fahrgemeinschaften
Wegegeschwindigkeit
Wegekosten
−.21∗∗ −.19∗ −.31∗∗
.17∗ .19∗ .45∗∗ .19∗ .39∗∗ .26∗∗ −.18∗
Wegedauer .19∗ .40∗∗ .18∗ .34∗∗ .17∗ .31∗∗
Wegelänge
Anzahl der Wege
.24∗∗
.32∗∗
.26∗∗ .17∗ .27∗∗
.25∗∗ .24∗∗
∗p < .05,∗∗ p < .01
Erwartungsgemäß zeigen der Umstieg auf den ÖPNV und das Unterlassen von Fahrten einen stärkeren Zusammenhang mit der Reduktion der Wegekosten als die Strategien der effizienten Pkw-Nutzung. Das bedeutet, dass Probanden durch den Umstieg auf den ÖPNV und das Unterlassen von Fahrten in stärkerem Maße
166
7 Ergebnisse
Gebühren einsparen, als durch die Strategien der effizienten Pkw-Nutzung. Ein negativer Zusammenhang zeigt sich zwischen den Wegekosten und der Bildung von Fahrgemeinschaften. Möglicherweise ergibt sich dieser Zusammenhang dadurch, dass die Probanden andere Personen als einen Versuchsteilnehmer im Pkw mitgenommen haben und durch notwendige Umwege höhere Wegekosten entstanden sind. Die Einsparungen auf Seiten der Mitfahrer wurden im Rahmen des Experimentes nicht erfasst. Die Anzahl der Wege steht ebenfalls in einem positiven Zusammenhang mit dem Umstieg auf den ÖPNV und dem Unterlassen von Fahrten nicht jedoch mit den Strategien der effizienten Pkw-Nutzung. Auch das bestätigt die Vorhersagen, die sich aus der hierarchischen Struktur der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren ableiten lassen. Die Nutzung anderer Pkw führt im Kontext des Experimentes zu den gleichen Effekten wie die Nutzung alternativer Verkehrsmittel. Daher zeigt sich auch hier ein positiver Zusammenhang zwischen der Nutzung anderer Pkw und der Reduktion der Anzahl der Wege. Darüber hinaus gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen diesen Strategien der zweiten und dritten Kategorie und den Reduktionen in der Wegelänge und Wegedauer. Der Zusammenhang zwischen den Strategien der effizienten Pkw-Nutzung und den Reduktionen in den GPS-basierten Wegeindikatoren ist erwartungsgemäß weniger stark ausgeprägt. So stehen nur die Bildung von Wegeketten und das zeitliche Verschieben von Fahrten in positivem Zusammenhang mit der Wegedauer. Unerwartet ist dagegen der fehlende Zusammenhang zwischen dem räumlichen Verschieben von Fahrten und der Reduktion der Wegedauer oder Wegelänge. Dabei wird diese Strategie von den Probanden am häufigsten genutzt (vgl. Abbildung 7.3). Das könnte bedeuten, dass die Probanden zwar alternative Fahrtziele in einer preiswerteren Tarifzone wählen, dass die Fahrt dorthin aber genauso viel Zeit und Weg erfordert, wie beim ursprünglichen Ziel. Weniger eindeutig ist auch der negative Zusammenhang zwischen der Wegegeschwindigkeit und dem räumlichen Verschieben von Fahrten, dem Wegeketten bilden und dem Unterlassen von Fahrten. Dies würde bedeuten, dass eine Anwendung dieser Strategien mit einer höheren Wegegeschwindigkeit einher geht. Denkbar wäre zumindest für die ersten beiden Strategien, dass dies eine Form der Kompensation ist. Denn wenn der Pkw-Fahrer trotz räumlicher Verschiebung von Fahrten seinen Tagesablauf beibehalten will, muss er möglicherweise schneller fahren, um dieses Ziel zu erreichen.
7.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens
167
7.2.4 Zusammenfassung In diesem Kapitel stand die Frage im Mittelpunkt, wie Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten nach der Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren adaptieren. In der Hypothese 2 wurde postuliert, dass die Pkw-Nutzung unmittelbar nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren reduziert wird. Diese Hypothese wird sowohl durch die Ergebnisse der GPS-basierten Wegeindikatoren als auch durch die subjektiven Angaben der Probanden nach dem Feldexperiment gestützt. Für alle GPS-basierten Wegeindikatoren, mit Ausnahme der Wegegeschwindigkeit lassen sich statistisch signifikante Reduktionen in der Preisbedingung im Vergleich zur Kontrollbedingung nachweisen. Das bedeutet, dass die Probanden ihre Pkw-Nutzung aufgrund der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren signifikant reduzieren. Die Wahl der Geschwindigkeit bleibt dagegen unbeeinflusst. Passend dazu gibt etwa die Hälfte der Probanden an, als Folge der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ihre Mobilitätsgewohnheiten zumindest teilweise geändert und Gebühren eingespart zu haben. Die Hypothese 3, dass die Reduktion der Pkw-Nutzung umso größer ist, je höher die Gebühr festgesetzt wird, muss dagegen abgelehnt werden. Bei den GPSbasierten Wegeindikatoren lassen sich lediglich tendenziell signifikante Unterschiede für die Wegelänge in der abendlichen Hauptverkehrszeit und die Wegekosten nachweisen. Die Wegekosten wurden jedoch auf der Basis der drei simulierten Preissysteme berechnet. Daher kann eine Konfundierung zwischen den drei Preissystemen als unabhängige Variable und den Reduktionen in den Wegekosten als abhängige Variable nicht ausgeschlossen werden. Bei den Befragungsdaten lässt sich lediglich beim räumlichen Verschieben von Fahrten ein statistisch signifikanter und aussagekräftiger Unterschied zwischen den drei Preissystemen feststellen. Alle anderen subjektiven Angaben der Probanden nach dem Experiment weisen keine Unterschiede auf. In der Hypothese 4 wurde des Weiteren angenommen, dass die Wahl der Anpassungsstrategien dem Kostenminimierungsprinzip folgt. Das bedeutet, dass psychologisch kostengünstigere Anpassungsstrategien der ersten Kategorie, wie die Wahl einer anderen Fahrtroute, eines anderen Fahrtzieles oder einer anderen Fahrtzeit zuerst und damit häufiger gewählt werden als psychologisch kostenintensivere Anpassungsstrategien der zweiten und dritten Kategorie, wie das Unterlassen von Fahrten oder der Umstieg auf alternative Verkehrsmittel. Die Befragungsergebnisse unterstützen im Wesentlichen diese Hypothese. Strategien, die die Effizienz der Pkw-Nutzung erhöhen, wie z. B. die Änderung des Fahrtziels, die Änderung der Fahrtroute oder die Bildung von Wegeketten werden häufiger gewählt, als der Umstieg auf den ÖPNV. Das Unterlassen von Fahrten
168
7 Ergebnisse
spielt mit 39 % eine überraschend große Rolle. Allerdings ist es durchaus möglich, dass die Probanden im Rahmen dieses Feldexperimentes zeitweise auf Fahrten verzichten können, auf die sie bei einer permanenten Einführung von Straßenbenutzungsgebühren nicht verzichten würden. Daher widerspricht dieses Ergebnis nicht notwendigerweise der Hypothese 4. Die Bildung von Fahrgemeinschaften spielt, trotz der Zuordnung zur Kategorie der Strategien der effizienteren Pkw-Nutzung, nur eine untergeordnete Rolle. Das ist im Kontext des Feldversuches ebenfalls plausibel. Die Motivation zur Bildung von Fahrgemeinschaften muss bei mindestens zwei Parteien vorhanden sein. Im Rahmen des Feldversuches konnten aber nur einzelne Probanden zur Änderung des Mobilitätsverhaltens motiviert werden, die in ihrem Freundes- oder Kollegenkreis vermutlich keine Entsprechung fanden. Andere Personen zur Änderung ihres Mobilitätsverhaltens zu motivieren, um Partner für Fahrgemeinschaften zu gewinnen, ist jedoch sehr aufwändig. Damit war die Strategie der Bildung von Fahrgemeinschaften im Kontext des Feldversuches möglicherweise mit höheren psychologischen Kosten verbunden als bei einer tatsächlichen Einführung und wurde daher im Sinne des Kostenminimierungsprinzips wenig genutzt. Mögliche Lerneffekte über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren hinaus wurden explorativ untersucht. Dazu wurde ein Reihenfolgefaktor der ersten Versuchsbedingung mit beiden Stufen Kontrollbedingung vs. Preisbedingung eingeführt. Im Ergebnis zeigen sich signifikante Reihenfolgeeffekte bei der Anzahl der Wege, den Wegekosten und in den Differenzierungen der Wegelänge. Als Erklärung dieser Reihenfolgeeffekte kommen sowohl Lerneffekte als auch instruktionskonträres Verhaltens auf Seiten der Probanden infrage. Dieser Gedanke wird in Kapitel 8.2.4 weiter vertieft.
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung In diesem Kapitel werden die Ergebnisse zur Fragestellung 3 präsentiert. Dabei geht es um die Rolle der Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren spielt. Zuerst wurde eine Korrelationsanalyse durchführt, die ganz allgemein den Zusammenhang von Akzeptanzänderung und Verhaltensänderung untersucht. Daran schließt sich die Auswertung der konkreten Hypothesen an, die aus der Dissonanztheorie abgeleitet wurden (vgl. Kapitel 5).
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung
169
Die Korrelationsanalyse zwischen der Akzeptanzänderung und den Änderungen in den GPS-basierten Wegeindikatoren zeigen keine statistisch signifikanten Zusammenhänge. Dagegen gibt es zwischen den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung und der Akzeptanzänderung einzelne, wenn auch schwache, statistisch signifikante Zusammenhänge (vgl. Tabelle 7.10). So besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung des gegenwärtigen Pkw-Steuersystems und den Bemühungen, Gebühren einzusparen sowie dem Umstieg auf den ÖPNV. Das heißt, je stärker die Probanden angaben, Gebühren eingespart zu haben und auf den ÖPNV umgestiegen zu sein, desto negativer wird ihre Einstellung zum gegenwärtigen Pkw-Steuersystem. Tabelle 7.10: Bivariate Korrelation zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ )
Anpassung des Mobilitätsverhaltens subjektive Anpassungsstrategien Kostenreduktion Änderung der Mobilitätsgewohnheiten Fahrten räumlich verschieben Wegeketten bilden Fahrten unterlassen Fahrten zeitlich verschieben Umstieg auf ÖPNV Fahrten aufschieben anderen Pkw nutzen Fahrgemeinschaften
Akzeptanzänderung GegenwärPrinzip von tiges PkwStraßenbeSteuersystem nutzungsgebühren
Hauptverkehrszeitzuschlag
Paketlösung
−.16∗
−.20∗ −.24∗∗ .17∗ −.16∗ .17∗
∗p < .05,∗∗ p < .01
Ebenfalls ein signifikant negativer Zusammenhang zeigt sich zwischen der Akzeptanzänderung vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren und dem Unterlassen sowie dem räumlichen Verschieben von Fahrten. Das heißt, je stärker die Probanden Fahrten unterlassen oder räumlich verschoben haben, desto negativer wird ihre Einstellung zum Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren. Positive Zusammenhänge gibt es auch zwischen der Nutzung eines anderen Pkw und der Akzeptanzänderung des Hauptverkehrszeitzuschlages sowie dem zeitli-
170
7 Ergebnisse
chen Verschieben von Fahrten und der Akzeptanzänderung der Paketlösung. Das heißt, je stärker auf andere Pkw ohne OBU zurückgegriffen wurde, desto positiver wird die Akzeptanz des Hauptverkehrszeitzuschlages und je stärker Fahrten zeitlich verschoben wurden, desto positiver wird die Akzeptanz der Paketlösung. Im Kapitel 5 wurden aus der Dissonanztheorie konkrete Hypothesen abgeleitet, wie die Anpassung des Mobilitätsverhaltens die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren beeinflusst und zu einer Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßengebühren führt. Danach geht einstellungskonträres, dissonantes Mobilitätsverhalten mit einer Akzeptanzänderung einher, einstellungskonformes, konsonantes Mobilitätsverhalten dagegen nicht (vgl. Hypothese 6 & Hypothese 7). Die Ergebnisse zu diesen Hypothesen werden im Folgenden dargestellt. Der Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung und der Reduktion der GPS-basierten Wegeindikatoren wurde mittels einer logistischen Regression ausgewertet. Als Prädiktoren gingen in das Regressionsmodell die Akzeptanz vor dem Experiment, die Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren und der Interaktionsterm beider Prädiktoren ein. Der Interaktionsterm zwischen der Akzeptanz vor dem Experiment und der Verhaltensänderung beschreibt konsonantes bzw. dissonantes Mobilitätsverhalten während des Experimentes in Abhängigkeit von der Akzeptanz vor dem Experiment. So kann konsonantes bzw. dissonantes Mobilitätsverhalten beschrieben und die Vorhersagen der Dissonanztheorie geprüft werden. Die Ergebnisse zeigen jeweils einen sehr signifikanten Regressionskoeffizienten für die Akzeptanz vor dem Experiment sowie nicht signifikante Regressionskoeffizienten für die Differenz der GPS-basierten Wegeindikatoren und den Interaktionsterm. (Gehlert, 2008a). Tabelle 7.11 illustriert dieses Ergebnis am Beispiel der Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren und der Anzahl der Wege. So zeigt sich ein sehr signifikanter Haupteffekt der Akzeptanz vor dem Experiment. Ein Proband, der vor dem Experiment Straßenbenutzungsgebühren gegenüber positiv eingestellt ist, ist mit einer 25.3-fachen Wahrscheinlichkeit auch nach dem Experiment Straßenbenutzungsgebühren gegenüber positiv eingestellt. Die Mehrheit der Probanden hat demnach ihre Einstellung gegenüber Straßenbenutzungsgebühren während des Experimentes nicht geändert – ein Ergebnis, dass bereits ausführlich im Kapitel 7.1 dargestellt wurde. Die Reduktion der Anzahl der Wege während des Experimentes hat dagegen keinen signifikanten Einfluss auf die Akzeptanz nach dem Experiment. Das gleiche trifft für den Interaktionsterm, d. h. die Akzeptanz vor dem Experiment in Abhängigkeit von der Verhaltensänderung zu. Damit kann kein Zusammenhang zwischen konsonantem bzw. dissonantem Mobilitätsverhalten während des Experimentes und der Akzeptanz nach dem Experiment festgestellt werden.
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung
171
Tabelle 7.11: Vorhersage der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment durch die Akzeptanz vor dem Experiment, die Reduktion in der Anzahl der Wege sowie deren Interaktionsterm Prädiktoren
Haupteffekte 1. Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment 2. Anzahl der Wege Interaktion 3. Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment x Anzahl der Wege Modellgüte (d f = 3)
β (p)
Odds Ratio (95%-KI)
3.23 (.00)
25.31 (5.51 - 116.23)
−1.51 (.10) 1.33 (.16)
χ 2 (p)
Nagelkerkes R2
.22 (.04 - 1.35) 3.77 (.59 - 24.14)
28.30 (.00)
.27
Die einzige Ausnahme bildet die Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren in Abhängigkeit von der Veränderung der Wegedauer. Hier gibt es signifikante Regressionskoeffizienten sowohl für die Haupteffekte als auch für den Interaktionsterm (vgl. Tabelle 7.12). Wie bereits dargestellt, gibt es auch hier einen sehr signifikanten Regressionskoeffizienten für die Akzeptanz vor dem Experiment. Darüber hinaus zeigt sich ein signifikanter negativer Regressionskoeffizient für die Differenz der Wegedauer. Das bedeutet, mit steigender Reduktion der Wegedauer während des Experimentes sinkt die Wahrscheinlichkeit Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment zu befürworten um den Faktor 0.84. Der signifikant positive Regressionskoeffizient des Interaktionsterms zeigt an, dass das konsonante bzw. dissonante Mobilitätsverhalten während des Experimentes in systematischen Zusammenhang zur Akzeptanz nach dem Experiment steht. Das positive Vorzeichen des Regressionskoeffizienten des Interaktionsterms weist auf mehrheitlich konsonantes Mobilitätsverhalten hin. Angesicht der hohen Akzeptanz vor dem Experiment stellt die signifikante Reduktion der durchschnittlichen Wegedauer, wie sie in Kapitel 7.2.1 berichtet wurde, für die Mehrheit der Probanden konsonantes Mobilitätsverhalten dar. Das Odds Ratio beträgt 1.19. Das bedeutet, die Chance Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment positiv eingestellt zu sein, erhöht sich bei konsonantem Mobilitätsverhalten um das 1.2fache. Allerdings ist der Beitrag des Interaktionsterms zur Vorhersage der Akzep-
172
7 Ergebnisse
tanz nach dem Experiment so gering, dass nicht von einem praktisch relevanten Zusammenhang gesprochen werden kann. Tabelle 7.12: Vorhersage der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nach dem Experiment durch die Akzeptanz vor dem Experiment, die Reduktion der Wegedauer sowie deren Interaktionsterm Prädiktoren
Haupteffekte 1. Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment 2. Wegedauer Interaktion 3. Akzeptanz vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment x Wegedauer Modellgüte d f = 3
β (p)
Odds Ratio (95%-KI)
3.61 (.00)
37.14 (6.21 - 222.03)
−.17 (.05) .17 (.05)
χ 2 (p)
Nagelkerkes R2
0.84 (.71 - .99) 1.19 (1.00 - 1.42)
31.36 (.00)
.30
Der Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung nach dem Experiment und den subjektiven Anpassungsstrategien wurde mittels χ 2 -Tests bzw. F-Tests berechnet. Dabei wurde untersucht, inwieweit es Unterschiede in der Akzeptanz nach dem Experiment in Abhängigkeit von dissonantem bzw. konsonantem Mobilitätsverhalten gab. Tabelle 7.13 stellt die Größe der Teilstichproben für die Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von dissonantem vs. konsonantem Mobilitätsverhaltens dar. Beide Formen konsonanten und dissonanten Verhaltens sind hier zusammengefasst dargestellt. Am Beispiel der Akzeptanz des Prinzips von Straßenbenutzungsgebühren und der Änderung der Mobilitätsgewohnheiten werden die deskriptiven Ergebnisse erläutert (in Tabelle 7.13 fett hervorgehoben). Daraus ist ersichtlich, dass es die Mehrheit der Probanden (N = 127) ihre Akzeptanz im Verlauf des Experimentes nicht ändert. Dieser Haupteffekt wurde bereits dargestellt (vgl. Kapitel 7.1.3). Der zweite Haupteffekt, dass die Probanden ihr Mobilitätsverhalten angepasst haben, lässt sich ebenfalls zeigen. Durch die hohe Akzeptanz vor dem Experiment stellt die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Mehrheit der Probanden ein konsonantes Verhalten dar. Das sind 84 von insgesamt 150 Probanden. Dies entspricht mit 56 % in etwa den subjektive Angaben (vgl. Kapitel 7.2.2).
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung
173
Tabelle 7.13: Stichprobengröße der Teilstichproben zur Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von dissonantem und konsonantem Mobilitätsverhalten
Mobilitätsverhaltensänderung
Akzeptanzänderung nach dem Feldexperiment GegenwärtiPrinzip von HauptverPaketges Pkw-SteuStraßenbekehrszeitzulösung ersystem nutzungsschlag gebühren Ja Nein Ja Nein Ja Nein Ja Nein
subjektive Anpassungsstrategien Kostenreduktion Dissonanzgruppe 10 Konsonanzgruppe 13 Änderung der Mobilitätsgewohnheiten Dissonanzgruppe 12 Konsonanzgruppe 10 Fahrten räumlich verschieben Dissonanzgruppe 9 Konsonanzgruppe 8 Wegeketten bilden Dissonanzgruppe 6 Konsonanzgruppe 11 Fahrten unterlassen Dissonanzgruppe 8 Konsonanzgruppe 9 Fahrten zeitlich verschieben Dissonanzgruppe 5 Konsonanzgruppe 11 Umstieg auf ÖPNV Dissonanzgruppe 6 Konsonanzgruppe 11 Fahrten aufschieben Dissonanzgruppe 6 Konsonanzgruppe 11 anderen Pkw nutzen Dissonanzgruppe 4 Konsonanzgruppe 13 Fahrgemeinschaften Dissonanzgruppe 4 Konsonanzgruppe 13
39 49
12 10
46 77
13 19
45 68
31 32
37 75
41 53
15 8
43 84
19 15
45 74
27 37
49 78
33 28
8 5
34 58
15 12
32 46
20 23
37 56
24 36
10 3
42 49
17 11
36 41
24 19
32 61
38 22
9 3
44 46
15 12
33 44
24 19
35 56
38 23
8 3
48 44
15 12
38 40
18 25
34 58
45 16
9 4
67 25
17 10
51 27
23 20
40 53
52 9
9 4
78 13
16 11
58 19
24 18
47 46
55 5
10 3
82 9
19 9
64 13
26 17
49 44
56 5
10 3
83 9
19 8
62 16
27 16
46 47
174
7 Ergebnisse
Ein Interaktionseffekt zwischen konsonantem und dissonantem Mobilitätsverhalten und der Akzeptanzänderung im Sinne der Dissonanztheorie lässt sich auf den ersten Blick jedoch nicht erkennen. Das bedeutet, dass auch die Mehrheit der Probanden mit dissonantem Mobilitätsverhalten ihre Akzeptanz nicht ändert (N = 46), obwohl genau das vorhergesagt wird. Umgekehrt gibt es auch Probanden mit konsonantem Mobilitätsverhalten, die ihre Einstellung ändern (N = 8), obwohl dies laut Dissonanztheorie nicht der Fall sein sollte (vgl. Hypothese 6). Die Ergebnisse der Signifikanztests (χ 2 -Tests bzw. F-Tests) sind in Tabelle 7.14 dargestellt. Hier wurden beide Formen konsonanten und dissonanten Mobilitätsverhaltens separat geprüft. Sofern sich die Ergebnisse für beide Formen nicht unterscheiden, sind sie in der Tabelle zusammengefasst dargestellt. Andernfalls sind die Ergebnisse für beiden Formen getrennt beschrieben. Hypothesenkonforme Ergebnisse sind fett hervorgehoben. Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung und der Verhaltensänderung im Sinne der Dissonanztheorie gibt. Zwar zeigen die Probanden mit konsonantem Verhalten, d. h. einer Verhaltensanpassung bei positiver Einstellung oder einer fehlenden Verhaltensanpassung bei negativer Einstellung vor dem Experiment, in der Mehrzahl der Fälle keine Akzeptanzänderung. Dieses Ergebnis wird aber auf den Haupteffekt der fehlenden Akzeptanzänderung zurückgeführt. Zeigen die Probanden dissonantes Verhalten, gibt es bei der Mehrheit der Probanden ebenso wenig eine Akzeptanzänderung. Lediglich für die Frage nach der Änderung der Mobilitätsgewohnheiten während es Experimentes sowie der Frage nach dem Bilden von Wegeketten und dem zeitlichen Verschieben von Fahrten kann ein signifikanter Zusammenhang zur Akzeptanzänderung nachgewiesen werden. Allerdings zeigt sich dieser signifikante Zusammenhang nur bei je einer Variante des dissonanten Verhaltens und nicht symmetrisch in beiden Fällen. Konkret lehnen Probanden, die vor dem Experiment das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren akzeptierten, jedoch angeben ihr Mobilitätsverhalten nicht geändert zu haben, dieses nach dem Experiment ab (χ 2 (1, N = 133) = 7.68, p < .01). Umgekehrt akzeptieren Probanden, die vor dem Experiment das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren ablehnten, jedoch angeben, Wegeketten gebildet und ihre Fahrten zeitlich verschoben zu haben, dieses nach dem Experiment (χ 2 (1, N = 9) = 9.00, p < .05; χ 2 (1, N = 8) = 8.00, p < .05). Ähnlich akzeptieren Probanden, die vor dem Experiment den Hauptverkehrszeitzuschlag ablehnten, jedoch angeben, ihre Fahrten zeitlich verschoben zu haben, diesen nach dem Experiment (χ 2 (1, N = 21) = 7.29, p < .05). Schließlich lehnen Probanden, die vor dem Experiment die Paketlösung akzeptierten, jedoch angeben, keine Wegeketten gebildet zu haben, diese nach dem Experiment ab (χ 2 (1, N = 75) = 5.07, p < .05).
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung
175
Tabelle 7.14: Zusammenfassung der Ergebnisse der Signifikanztests auf Zusammenhänge zwischen der Akzeptanzänderung und den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung
subjektive Anpassungsstrategien Kostenreduktion Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Änderung der Mobilitätsgewohnheiten Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Fahrten räumlich verschieben Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Wegeketten bilden Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Fahrten unterlassen Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Fahrten zeitlich verschieben Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Umstieg auf ÖPNV Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Fahrten aufschieben Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe anderen Pkw nutzen Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe Fahrgemeinschaften Dissonanzgruppe Konsonanzgruppe
Gegenwärtiges Pkw-Steuersystem
Akzeptanzänderung Prinzip von HauptverkehrsStraßenbenutzuschlag zungsgebühren
Paketlösung
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
ja(**)/nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein/ja(*) nein
nein nein
ja(*)/nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein/ja(*) nein
nein/ja(*) nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
nein nein
xxx/xxx = Fall 1 / Fall 2 dissonanten Mobilitätsverhaltens; Fall 1 = Akzeptanz vorher positiv; dissonantes Verhalten = Beibehalten der Pkw-Nutzung, Fall 2 = Akzeptanz vorher negativ; dissonantes Verhalten = Reduktion der Pkw-Nutzung d f = 1; ∗p < .05,∗∗ p < .01
176
7 Ergebnisse
7.3.1 Zusammenfassung Dieses Kapitel beschäftigte sich mit der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung nach dem Experiment gibt (vgl. Hypothese 5). Aus der Dissonanztheorie wurde abgeleitet, dass einstellungskonträres, dissonantes Mobilitätsverhalten mit einer Akzeptanzänderung in Richtung des gezeigten Verhaltens einhergeht, einstellungskonformes, konsonantes Mobilitätsverhalten dagegen zu keiner Akzeptanzänderung führt (vgl. Hypothese 6). Das bedeutet, bei hoher Akzeptanz vor der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren führt die Beibehaltung des Mobilitätsverhaltens zu einer negativen Akzeptanzänderung nach dem Experiment. Umgekehrt führt bei niedriger Akzeptanz vor dem Experiment die Anpassung des Mobilitätsverhaltens zu einer positiven Akzeptanzänderung (vgl. Hypothese 7). Die Korrelationsanalyse zeigt jedoch keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen der Akzeptanzänderung und den Reduktionen in den GPSbasierten Wegeindikatoren. Einzelne schwache statistisch signifikante Zusammenhänge gibt es zwischen der Akzeptanzänderung und den subjektiven Anpassungsstrategien des Mobilitätsverhaltens. Diese sind jedoch uneindeutig bezüglich des postulierten Mechanismus und der Richtung der Akzeptanzänderung. So steht z. B. die Anpassung des Mobilitätsverhaltens durch das Unterlassen und räumliche Verschieben von Fahrten in negativem Zusammenhang zur Akzeptanzänderung. Das heißt, je stärker die Probanden Fahrten unterlassen oder räumlich verschoben haben, desto negativer wird ihre Einstellung zum Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren. Geht man aber davon aus, dass nur dissonantes Verhalten zur Einstellungsänderung führt (vgl. Hypothese 6) und sich dieses in Richtung des gezeigten Verhaltens ändert (vgl. Hypothese 7), hätte man in diesem Fall einen positiven Zusammenhang erwartet. Das heißt, dass eine Anpassung des Mobilitätsverhaltens mit einer positiven Akzeptanzänderung einhergeht. Ebenso passt der positive Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung des Hauptverkehrszeitzuschlages und dem Ausweichen auf einen anderen Pkw nicht in das Erklärungsmuster der Dissonanztheorie. Da diese Ausweichreaktion als eine Nichtanpassung des Mobilitätsverhaltens betrachtet wird, wäre an dieser Stelle ein negativer Zusammenhang ein hypothesenkonformes Ergebnis. Nun ist es möglich, dass die Beziehung zwischen der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanzänderung in der Korrelationsanalyse nicht sichtbar wurde. Denkbar wäre zum einen die hohe Akzeptanz vor dem Experiment. Dadurch ist im Sinne eines Deckeneffektes nur noch eine geringfügige Zunahme der Akzeptanz nach dem Experiment zu erwarten gewesen. Zum anderen stellt in dieser Situation die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nur für wenige Probanden ein dissonantes Verhalten dar.
7.3 Die Beziehung zwischen der Mobilitätsverhaltens- und der Akzeptanzänderung
177
Daher wurden differenziertere Analysen durchgeführt. Um das Potenzial der GPS-basierten Wegedaten optimal auszuschöpfen, wurde eine logistische Regression durchgeführt, die die Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von der Anpassung des Mobilitätsverhaltens und der Akzeptanz vor dem Experiment untersuchte. Der Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung und den subjektiven Strategien der Verhaltensanpassung wurde durch χ 2 -Tests bzw. F-Tests bestimmt. Aber auch in der differenzierten Analyse der Beziehung zwischen der Akzeptanzänderung und den GPS-basierten Wegeindikatoren sowie den subjektiven Anpassungsstrategien sind keine substanziellen Zusammenhänge zwischen der Akzeptanz- und Verhaltensänderung festzustellen. Zwar werden einzelne signifikante Zusammenhänge aufgedeckt, diese ergeben jedoch kein konsistentes, hypothesenkonformes Ergebnismuster. Damit muss die Hypothese 5, die besagt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gibt, abgelehnt werden. Auch lassen sich die gefundenen Zusammenhänge nicht in jedem Fall in das Erklärungsmuster der Dissonanztheorie einbetten. Zwar zeigen die χ 2 -Tests nur signifikante Zusammenhänge zwischen der Akzeptanz- und Verhaltensänderung für dissonantes und nicht für konsonantes Verhalten, was der Hypothese 6 entspricht. Allerdings wird dieses Ergebnis eher auf den Haupteffekt der fehlenden Akzeptanzänderung zurückgeführt. Darüber hinaus zeigen die χ 2 -Tests nur signifikante Zusammenhänge bei einer der beiden möglichen Formen dissonanten Verhaltens. Das bedeutet, dass eine Akzeptanzänderung bei dissonantem Verhalten nur bei hoher oder niedriger Akzeptanz vor dem Experiment zu verzeichnen war, jedoch nicht in beiden Fällen. Dieses Ergebnis widerspricht der Hypothese 7, da dort von einer Akzeptanzänderung in beide Richtungen ausgegangen wird. Damit müssen Hypothese 6 und 7 abgelehnt werden.
178
7 Ergebnisse
7.4 Soziodemographische Unterschiede In diesem Kapitel werden die Ergebnisse zu den soziodemographischen Unterschieden in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens nach Einführung von Straßenbenutzungsgebühren dargestellt. Zuerst werden im Kapitel 7.4.1 die Ergebnisse zur Einteilung der Gesamtstichprobe des AKTA Feldexperimentes in Personengruppen gleicher Lebenslage präsentiert. Auf dieser Basis werden im Kapitel 7.4.2 die soziodemographischen Unterschiede in der Akzeptanzänderung und im Kapitel 7.4.4 die Unterschiede in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens dargestellt. In bisherigen Studien zur Reaktion auf städtische Straßenbenutzungsgebühren wurden interindividuelle Unterschiede am häufigsten in Bezug zum Einkommen untersucht. Deshalb werden anschließend die Unterschiede in der Akzeptanzänderung und in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens in Abhängigkeit vom Einkommen als Vergleich zu den Ergebnissen der Lebenslage dargestellt (vgl. Kapitel 7.4.3 und Kapitel 7.4.5).
7.4.1 Einteilung in Personengrupppen gleicher Lebenslage Im Kapitel 4.4 wurde festgestellt, dass die bisherigen Befunde zur den soziodemographischen Unterschieden in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren inkonsistent sind. Als ein möglicher Grund wurde vermutet, dass der Einfluss verschiedener soziodemographischer Faktoren bisher unabhängig voneinander betrachtet wurde. Im Gegensatz dazu gibt es Hinweise darauf, dass soziodemographische Merkmale systematisch miteinander in Beziehung stehen und möglicherweise nicht singulär, sondern erst in der Interaktion miteinander wirksam werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit stützen diese Vermutung. So zeigen die in AKTA erhobenen soziodemographischen Merkmale untereinander verschiedene statistisch signifikante Zusammenhänge. • Beispielsweise bevorzugen die 50- bis 59-jährigen das Stadtgebiet Amanger und die Außenbezirke als Wohnviertel, während die bis 39-jährigen die Innenstadt vorziehen (χ 2 (16, N = 330) = 41.21, p < .01). • Die ÖPNV Verfügbarkeit (Distanz & Frequenz) ist in der Innenstadt am besten und in den Außenbezirken am schlechtesten (χ 2 (12, N = 301) = 30.56, p < .01; χ 2 (24, N = 317) = 81.90, p < .01). • Des Weiteren steigt mit der Entfernung zum Arbeitsplatz die Wahrscheinlichkeit den Pkw zu nutzen (χ 2 (20, N = 330) = 90.24, p < .01) und die Nutzungshäufigkeit sowohl beruflich wie auch allgemein (ρ (N = 329) = .37, p < .01; r(N = 213) = .46, p < .01).
7.4 Soziodemographische Unterschiede
179
• Haushalte mit Kindern haben einen kürzeren Arbeitsweg (ρ (N = 330) = −.19, p < .01), während steigendes Alter und höheres Haushaltseinkommen mit einem längeren Arbeitsweg einher gehen (ρ (N = 330) = .21, p < .01; ρ (N = 327) = .29, p < .01). • Allerdings sind Haushalte mit Kindern auch stärker durch diese zeitlich gebunden (ρ (N = 302) = −.75, p < .01). • Interessant ist außerdem, dass weder die Zahl der Kinder im Haushalt noch das Haushaltseinkommen im Zusammenhang zur Pkw-Nutzung stehen. Des Weiteren wurde im Kapitel 4.4 angenommen, dass Zielgruppenansätze, die die soziodemographischen Variablen zu Typologien integrieren, dieser Komplexität der soziodemographischen Einflüsse besser gerecht werden. Am geeignetsten für den Gegenstand dieser Untersuchung erschien das Konzept der Lebenslage. Die Lebenslage ist der durch strukturelle Faktoren begrenzte Handlungsspielraum einer Person. Mit Hilfe einer Clusteranalyse wurde daher die Gesamtstichprobe des AKTA Feldexperimentes in Gruppen gleicher Lebenslage aufgeteilt. Im Ergebnis erwies sich eine Clusterlösung mit drei Clustern als optimal (vgl. Abbildung 7.4). Die drei Cluster enthalten N = 70, N = 130 und N = 90 Probanden.
Cluster 2 N=130 (45%)
Cluster 3 N=90 (31%) Cluster 1 N=70 (24%)
Abbildung 7.4: Aufteilung der Gesamtstichprobe in drei Personengruppen gleicher Lebenslage
Tabelle 7.15 fasst die deskriptiven Kennwerte der einzelnen Cluster zusammen (eine ausführliche Darstellung bietet Gehlert, 2008a). Diese Clusterprofile erlauben es, die Cluster inhaltlich zu interpretieren und damit die drei Personengruppen zu beschreiben. Die prägnantesten Unterschiede zwischen den Clustern gibt es hinsichtlich des Alters, des Einkommens, der Pendelsituation und der Pkw-Nutzung.
180
7 Ergebnisse Tabelle 7.15: Charakteristik der Personengruppen gleicher Lebenslage
Soziodemographische Variablen
Cluster 1
Cluster 2
Cluster 3
Alter (Median) Geschlecht (% Frauen) Haushaltsgröße
40 bis 49 Jahre 28.6 % 2: 30.0 %, 4: 37.1 % 42.9 % 700 - 799 (600 - 899)
30 bis 39 Jahre 40.8 % 1: 19.2 %, 2: 18.5 %, 3: 19.2 %, 4: 33.1 % 63.1 % 500 - 599 (300 - 699)
50 bis 59 Jahre 23.2 % 2: 58.9 %
Außenbezirke
westliche Vorstadt, Innenstadt Innenstadt, westliche Vorstadt 5 - 10
Außenbezirke
nein 57.7 % Pkw, 22.3 % Fahrrad, 16.2 % Kombination von Verkehrsmitteln max. Distanz zur Haltestelle: 500 m Taktfrequenz: 10 min
nein 96.7 % Pkw
Kinder Haushaltseinkommen (in Tausend DKK, Median/ Quartile) Wohnort (Median) Arbeitsplatz (Median)
Innenstadt
Entfernung zum Arbeitsplatz in km (Median) Heimarbeit/Gleitzeit bevorzugtes Verkehrsmittel zur Arbeit (%)
10 - 15
ÖPNV-Verfügbarkeit für den Arbeitsweg (Median)
ja 77.1 % Pkw, 17.1 % Kombination von Verkehrsmitteln max. Distanz zur Haltestelle: 500 m Taktfrequenz: 10 min oder 20 min
6.7 % 500 - 599 (400 - 699)
Innenstadt 15 - 30
max. Distanz zur Haltestelle: 1 000 m Taktfrequenz: 10 min oder 20 min
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien In der ersten Gruppe sind einkommensstarke Zwei- und Vierpersonenhaushalte zwischen 40 und 49 Jahren vereinigt. Diese Gruppe wohnt bevorzugt in den Außenbezirken oder in der nördlichen Vorstadt. Sie sind durch die Möglichkeit zur Heimarbeit und Gleitzeit vergleichsweise flexibel in der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung und Arbeitszeit. Ein Teil der Gruppe (ca. 20%) nutzt das Fahrrad oder eine Kombination von Verkehrsmitteln für den Arbeitsweg.
7.4 Soziodemographische Unterschiede
181
Cluster 2: Junge Wenigfahrer Diese Gruppe besteht aus einkommensschwachen Haushalten verschiedener Größe und Zusammensetzung. Die Personen sind im Durchschnitt zwischen 30 und 39 Jahren. Überproportional häufig vertreten sind Frauen. Diese Gruppe wohnt bevorzugt in der westlichen Vorstadt, häufig zur Miete und nicht im Wohneigentum, wie es in Dänemark weit verbreitet ist. Sie arbeitet häufiger in ihrem Wohngebiet und hat einen vergleichsweise kurzen Arbeitsweg. Dafür nutzen sie überproportional häufig das Fahrrad oder eine Verkehrsmittelkombination. Sie sind von allen drei Personengruppen am besten an das ÖPNV-Netz angebunden. Cluster 3: Ältere Vielfahrer Diese Gruppe ist durch Haushalte mit zwei Erwachsenen zwischen 50 bis 59 Jahren ohne Kinder unter 10 Jahren gekennzeichnet. Diese Haushalte verfügen über ein mittleres Einkommen und befinden sich bevorzugt in den Außenbezirken des Ballungsraumes. Da sie überwiegend in der Innenstadt arbeiten, hat diese Gruppe den weitesten Arbeitsweg, den sie fast ausschließlich mit dem Pkw zurücklegt. Darüber hinaus sind Personen dieser Gruppe auch allgemein sehr starke Pkw-Nutzer. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass sich die AKTA Stichprobe in Gruppen gleicher Lebenslage einteilen lässt. Entgegen den Erwartungen zeigen sich nicht nur Gemeinsamkeiten in der Lebenslage bezüglich zentraler struktureller Faktoren wie z. B. dem Einkommen und des Wohn- und Arbeitsortes. Die drei Gruppen lassen durchaus auch Aspekte unterschiedlicher Lebensphasen erkennen. So sind beispielsweise Familien mit Kinder überwiegend in Cluster 1 und Cluster 2 mit einem Durchschnittsalter bis 49 Jahren zu finden, jedoch nicht im Cluster 3 mit einem höheren Durchschnittsalter. Es scheint durchaus plausibel, dass die Personen im Cluster 3 die Familienphase bereits durchlaufen und die Kinder den elterlichen Haushalt verlassen haben.
7.4.2 Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von der Lebenslage Zuerst werden die Unterschiede zwischen den drei Personengruppen vor dem Experiment dargestellt. Die bisherigen Erfahrungen der Städte, die Straßenbenutzungsgebühren eingeführt haben, zeigen, dass häufige Pkw-Nutzer Straßenbenutzungsgebühren stärker ablehnen als Wenignutzer (vgl. Kapitel 3.6.3). Da sich die drei Cluster ebenfalls in ihrer Pkw-Nutzung unterscheiden, lässt sich vermuten, dass die Gruppe mit der geringsten Pkw-Nutzung, die jungen Wenigfahrer, Straßenbenutzungsgebühren gegenüber positiver eingestellt ist.
182
7 Ergebnisse
Die Ergebnisse in Tabelle 7.16 stützen diese Vermutung jedoch nicht. Einkommensstarken Paare und Familien befürworten das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren und stimmen dem Hauptverkehrszeitzuschlag und dem Kordonpreissystem am stärksten zu. Das gegenwärtige Pkw-Steuersystem befürworten dagegen am häufigsten die älteren Vielfahrer. Allerdings erweist sich keiner dieser deskriptiven Unterschiede zwischen den Personengruppen als statistisch signifikant. Tabelle 7.16: Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren (Relative Häufigkeit (%) der Zustimmung „Ja“) Variable Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Kordonpreissystem Paketlösung
N
Cluster 1
Cluster 2
Cluster 3
H
df
p
161
15.2%
12.8%
24.0%
2.85
2
.24
159
81.3%
72.7%
68.0%
1.67
2
.44
160
63.6%
58.4%
54.0%
0.85
2
.65
159 160
63.6% 36.4%
48.7% 40.3%
54.0% 48.0%
2.70 1.24
2 2
.26 .55
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
Tabelle 7.17 stellt die Ergebnisse zu den soziodemographischen Unterschieden in der Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren dar. Daraus geht hervor, dass die Mehrheit der Probanden ihre Meinung nach dem Experiment nicht geändert hat (vgl. auch Kapitel 7.1.3). Diesbezüglich gibt es auch keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den drei Personengruppen. Abbildung 7.5 illustriert die Akzeptanzänderung der drei verschiedenen Personengruppen am Beispiel des Prinzips von Straßenbenutzungsgebühren. Daraus wird noch einmal deutlich, dass sich die einkommensstarken Paare, die jungen Wenigfahrer und die älteren Vielfahrern in ihrer Akzeptanzänderung statistisch nicht signifikant unterscheiden. Des Weiteren wurden die Änderung der wahrgenommenen Effektivität und die Änderung der gewünschten Einnahmenverwendung nach dem Experiment auf soziodemographische Unterschiede untersucht. Im Ergebnis gab es ebenfalls keine Hinweise auf Unterschiede in Abhängigkeit von der Personengruppe (vgl. Tabelle 7.18).
7.4 Soziodemographische Unterschiede
183
Tabelle 7.17: Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren (Relative Häufigkeit (%) des Medianes = 0 (keine Akzeptanzänderung)) Variable
N
Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Paketlösung
Cluster 1
Cluster 2
Cluster 3
H
df
160
59.4%
61.5%
44.0%
0.62
2
p .74
158
58.1%
63.6%
60.0%
1.22
2
.54
159
60.6%
56.6%
68.0%
2.62
2
.27
156
65.6%
46.1%
70.8%
0.76
2
.68
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer 80% 64% 60% 58%
60%
Einkommensstarke Paare und Familien Junge Wenigfahrer Ältere Vielfahrer
40%
20% 4%
3%
20%22% 16%
10% 9% 12%
13%
8% 2%
0% -2
-1
negative Akzeptanzänderung
0 keine Änderung
1
2
positive Akzeptanzänderung
Abbildung 7.5: Soziodemographische Unterschiede in der Akzeptanzänderung vom Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren
7.4.3 Akzeptanzänderung in Abhängigkeit vom Einkommen Zwischen der Akzeptanzänderung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren und dem Haushaltseinkommen zeigen sich in einer Korrelationsanalyse keine statistisch signifikanten Zusammenhänge (Gehlert, 2008a). Schwache, statistisch signifikante Zusammenhänge gibt es dagegen zwischen dem Einkommen und der Akzeptanzänderung bezüglich des gegenwärtigen dänischen Pkw-Steuersystems und des Hauptverkehrszeitzuschlages (vgl. Tabelle 7.19). Das heißt, ein hohes
184
7 Ergebnisse
Tabelle 7.18: Soziodemographische Unterschiede der Änderung der wahrgenommenen Effektivität und der Einnahmenverwendung von Straßenbenutzungsgebühren (Relative Häufigkeit (%) des Medianes = 0 (keine Akzeptanzänderung)) Variable
N
Cluster 1
wahrgenommene Effektivität Hauptverkehrszeitzuschlag bzgl. sich 161 60.6% selbst bzgl. andere 161 51.5% Pkw-Nutzer Einnahmenverwendung für den Verkehr 53 77.8%
Cluster 2
Cluster 3
H
df
p
50.5%
66.0%
3.59
2
.17
56.4%
50.0%
0.53
2
.77
4
.64
χ2 70.4%
76.5%
2.56
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
Haushaltseinkommen geht mit einer positiven Akzeptanzänderung bezüglich des gegenwärtigen dänischen Pkw-Steuersystems und mit einer negativen Akzeptanzänderung bezüglich des Hauptverkehrszeitzuschlages einher und umgekehrt. Des Weiteren gibt es einen schwachen positiven Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Änderung in der wahrgenommenen Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages bezüglich sich selbst. Das bedeutet, dass ein hohes Einkommen mit einer erhöhten Wahrnehmung der Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages bezogen auf das eigene Verhalten einhergeht. Interessant ist, dass gerade dieser Hauptverkehrszeitzuschlages von Personen mit hohem Einkommen nach dem Experiment stärker abgelehnt wird als von Personen mit geringem Einkommen.
7.4.4 Anpassung des Mobilitätsverhaltens in Abhängigkeit von der Lebenslage Im Folgenden soll nun untersucht werden, ob es soziodemographische Unterschiede in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gibt. Die deskriptiven Kennwerte der drei Cluster zeigen Unterschiede in der Pkw-Nutzung vor dem Experiment. Auch gibt es Unterschiede in den Variablen, die potenziell die Anpassung an Straßenbenutzungsgebühren beeinflussen können, wie z. B. das Einkommen oder die Pendelsituation. Tabelle 7.20 zeigt die Mittelwerte der Differenzen zwischen Kontrollund Preisbedingung für jede der drei Personengruppen. Daraus geht hervor, dass
7.4 Soziodemographische Unterschiede
185
Tabelle 7.19: Korrelation zwischen der Akzeptanzänderung und dem Haushaltseinkommen (Spearman’s ρ ) Haushaltseinkommen Änderung der Determinanten der Akzeptanz wahrgenommene Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlag bzgl. sich selbst bzg. andere Pkw-Nutzer Einnahmenverwendung für den Verkehr Akzeptanzänderung Gegenwärtiges Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Paketlösung
.12∗
.12∗ −.12∗
∗p < .05,∗∗ p < .01
die jungen Wenigfahrer die Anzahl der Wege, die Wegedauer, die Wegelänge und damit auch die Wegekosten am stärksten reduziert haben, gefolgt von den älteren Vielfahrern. Am wenigsten reduzierten die einkommensstarken Paare und Familien ihre Pkw-Nutzung. Allerdings zeigen die univariaten Varianzanalysen keinen statistisch signifikanten Unterschied. Lediglich der Unterschied in der Anzahl der Wege in der morgendlichen Hauptverkehrszeit wird statistisch signifikant auf dem 5 %-Niveau. Aufgrund der Voraussetzungsverletzungen wird dieser Unterschied jedoch nur als tendenziell statistisch signifikant interpretiert (vgl. Kapitel 6.3.5). Die Effektstärke ist mit 5 % Varianzaufklärung als klein zu klassifizieren. Die Frage, ob die Probanden versucht haben, während des Experimentes Geld zu sparen, bejahten 56.5 % der einkommensstarken Paare und Familien, 59.0 % der jungen Wenigfahrer sowie 64.1 % der älteren Vielfahrer. Auch diese Unterschiede sind statistisch nicht signifikant (χ 2 (2, N = 123) = 0.41, p = .81). Die Frage, ob sie ihre Mobilitätsgewohnheiten während des Experimentes geändert haben, bejahten 37.0 % der einkommensstarken Paare und Familien, 51.5% der jungen Wenigfahrer sowie 50.0 % der älteren Vielfahrer. Aber auch diese Unterschiede sind statistisch nicht signifikant (χ 2 (2, N = 133) = 1.27, p = .53) Bei der Wahl und der Priorität der genutzten Strategien der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gab es lediglich Unterschiede bezüglich des zeitlichen Verschiebens von Fahrten zwischen den drei Personengruppen (vgl. Tabelle 7.21). Das zeitliche Verschieben von Fahrten rangiert bei den jungen Wenigfahrer erst an vierter Stelle, so wie es auch bei den Ergebnissen zur Fragestellung 2 der Fall war
186
7 Ergebnisse
Tabelle 7.20: Soziodemographische Unterschiede in der Reduktion der GPS-basierten Wegeindikatoren (N = 139)
Wegegeschwindigkeit (km/h) Wegekosten (DKK) Wegedauer (min) Weglänge (km) Hauptverkehrszeit morgens abends außerhalb der Hauptverkehrszeit Anzahl der Wege Hauptverkehrszeit morgens abends Woche Wochenende
Cluster 1 M (SD)
Cluster 2 M (SD)
Cluster 3 M (SD)
F
df
p
η p2
−0.38(6.24) −0.43(8.14) −0.65(15.15) −0.95(10.15) +0.86(6.88)
−0.35(5.38) −2.48(7.86) −4.61(10.81) −3.35(8.81) −1.14(4.33)
−0.79(5.08) −1.42(8.20) −2.04(15.58) −2.04(12.69) −0.54(7.68)
0.09 0.69 1.05 0.58 1.04
2 2 2 2 2
.91 .50 .35 .56 .36
.00 .01 .01 .01 .01
+0.34(3.29) +0.50(4.40) −1.80(7.39)
−0.54(2.08) −0.50(3.16) −2.18(6.29)
−0.26(4.81) −0.28(3.83) −1.49(7.28)
0.67 2 0.74 2 0.14 2
.51 .01 .48 .01 .87 .00
−0.03(1.16) +0.07(0.64) +0.03(0.31) +0.04(0.47) +0.11(1.14) −0.15(0.48)
−0.31(0.93) −0.19(0.48) −0.10(0.25) −0.09(0.29) −0.27(0.80) −0.04(0.34)
−0.12(0.93) −0.04(0.45) +0.01(0.27) −0.04(0.28) −0.06(0.74) −0.06(0.40)
0.99 2.82 3.33 1.36 2.18 0.72
.37 .01 .06 .04 .04∗ .05 .26 .02 .12 .03 .49 .01
2 2 2 2 2 2
+/− : − = Reduktion; + = Mehrverbrauch. Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
(vgl. Abbildung 7.3, Kapitel 7.2.2). Bei den einkommensstarken Paaren und Familien rangierte diese Strategie dagegen auf einem geteilten ersten Rang, neben dem räumlichen Verschieben von Fahrten. Bei den älteren Vielfahrern rangiert diese Strategie auf dem dritten Rang. Allerdings konnten mittels der Rangvarianzanalyse keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Wahl und der Priorität der Anpassungsstrategien zwischen den drei Personengruppen festgestellt werden. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich für die Wahl der Fahrtroute während des Experimentes (vgl. Tabelle 7.22). Auch hier gibt es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den drei verschiedenen Personengruppe (χ 2 (10, N = 133) = 9.75, p = .46). Zwar wählten die einkommensstarken Paare und Familien sowie die jungen Wenigfahrer eher die kürzeste als die preiswerteste Route im Vergleich zu den älteren Vielfahrern. Allerdings war, wie bereits im Kapitel 7.2.2 ausgeführt wurde, aufgrund der Gestaltung der Preissysteme zumindest beim Hoch- und Niedrigpreissystem die kürzeste Route oft auch die Preiswerteste. Damit unterscheiden sich die Personengruppen im Prinzip nicht in der Wahl der Fahrtroute.
7.4 Soziodemographische Unterschiede
187
Tabelle 7.21: Soziodemographische Unterschiede in den subjektiven Strategien der Anpassung des Mobilitätsverhaltens (Relative Häufigkeit (%) der Zustimmung („Ja“ und „teils Ja“))
Fahrten räumlich verschieben Wegeketten bilden Fahrten unterlassen Fahrten zeitlich verschieben Umstieg auf ÖPNV Fahrten aufschieben anderen Pkw nutzen Fahrgemeinschaften
Cluster 1 Cluster 2 Cluster 3 Relative Häufigkeit (%) / Rangplatz
N
H
df
35.7
1
46.8
1
50.0
1
89
0.52
2
.77
25.7
3
43.8
2
37.0
2
89
1.25
2
.53
23.1
4
40.4
3
25.9
4
87
0.71
2
.70
35.7
1
29.2
4
32.1
3
90
1.70
2
.43
14.3
5
17.0
5
14.3
5
89
0.07
2
.97
0.0
6
8.5
6
10.7
6
89
2.11
2
.35
0.0
6
0.0
8
0.0
7
89
5.36
2
.07
0.0
6
4.3
7
0.0
7
89
1.62
2
.45
p
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
Tabelle 7.22: Soziodemographische Unterschiede in der Wahl der Fahrtroute
Gewohnte Route Preiswerteste Route Kürzeste Route Schnellste Route Übergeordnete Straßen
Cluster 1 (N=25)
Cluster 2 (N=67)
Cluster 3 (N=41)
76.0% 12.0% 16.0% 8.0% 0.0%
73.1% 13.4% 16.4% 13.4% 7.5%
61.0% 29.3% 17.1% 9.8% 2.4%
Cluster 1: Einkommensstarke Paare und Familien Cluster 2: Junge Wenigfahrer Cluster 3: Ältere Vielfahrer
7.4.5 Anpassung des Mobilitätsverhaltens in Abhängigkeit vom Einkommen Die Korrelationsanalyse zwischen dem Einkommen und den Reduktionen in den GPS-basierten Wegeindikatoren zeigt keine statistisch signifikanten Zusammen-
188
7 Ergebnisse
hänge (Gehlert, 2008a). Lediglich die Differenz in der Anzahl der Wege am Wochenende weist einen schwachen, negativen Zusammenhang zum Einkommen auf (Spearman’s ρ = −.14, p < .05). Das bedeutet, dass ein niedriges Einkommen mit einer Reduktion der Anzahl der Wege am Wochenende einhergeht. Dieser Zusammenhang ist überraschend, da im AKTA Feldexperiment am Wochenende keine Straßenbenutzungsgebühren erhoben wurden. Ebenfalls keine statistisch signifikanten Zusammenhänge lassen sich zwischen dem Einkommen und den subjektiven Aussagen zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens feststellen (Gehlert, 2008a). Das gleiche gilt für die Wahl der Anpassungsstrategien. Das bedeutet aber, dass sich die bevorzugte Wahl des zeitlichen Verschiebens von Fahrten der einkommensstarken Paare und Familien möglicherweise nicht auf das höhere Einkommen dieser Gruppe zurückführen lässt.
7.4.6 Zusammenfassung Mit Hilfe der Clusteranalyse wurde die AKTA Stichprobe in drei Gruppen gleicher Lebenslage geteilt: die einkommensstarken Paare und Familien, die jungen Wenigfahrer sowie die älteren Vielfahrer. Deskriptive Unterschiede vor dem Experiment gibt es bei der Akzeptanz als auch bei der Pkw-Nutzung. Einkommensstarken Paare und Familien befürworten das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren, den Hauptverkehrszeitzuschlag und das Kordonpreissystem am häufigsten. Dem gegenwärtigen Pkw-Steuersystem dagegen stimmen am häufigsten die älteren Vielfahrer zu. Die älteren Vielfahrer nutzen am stärksten den Pkw sowohl beruflich als auch privat, gefolgt von den einkommensstarken Paaren und Familien und den jungen Wenigfahrern. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen diesen drei Gruppen in der Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren lassen sich jedoch nicht nachweisen. Damit muss die Hypothese 8, dass sich Personen verschiedener Lebenslage in ihrer Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren unterscheiden, abgelehnt werden. Ebenso lassen sich keine statistisch signifikante Unterschiede in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens feststellen. Das trifft sowohl auf die Reduktionen in den GPS-basierten Wegeindikatoren als auch auf die subjektiven Befragungsdaten zu. Damit muss die Hypothese 9, dass sich Personen verschiedener Lebenslagen in ihrer Mobilitätsverhaltensanpassung an städtische Straßenbenutzungsgebühren unterscheiden, ebenfalls abgelehnt werden. Allerdings zeigt der Vergleich mit dem Einfluss des Einkommens als singuläre Variable einige interessante Ergebnisse, die zur Erklärung dieser hypothesenkonträren Ergebnisse beitragen können. So hat sich gezeigt, dass ein hohes Einkom-
7.4 Soziodemographische Unterschiede
189
men mit einer negativen Akzeptanzänderung und einer erhöhten Wahrnehmung der Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages bezüglich sich selbst einher. Da das Einkommen eine der zentralen Bestimmungsgrößen der Personengruppen ist, hätte man erwarten können, dass sich die Unterschiede in der Akzeptanzänderung und der Wahrnehmung der Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages auch in den Lebenslagen wiederfinden lassen, d. h. eine stärkere Änderung bei den einkommensstarken Paaren und Familien beim Hauptverkehrszeitzuschlag. Das dies nicht der Fall ist, könnte ein Hinweis darauf sein, dass soziodemographische Merkmale nicht singulär, sondern erst in der Interaktion miteinander wirksam werden. Beispielsweise zeichnet sich die Gruppe der einkommensstarken Paare und Familien neben dem höheren Einkommen auch durch eine vergleichsweise hohe Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit aus. Diese Flexibilität ermöglichte es dieser Gruppe Fahrten in stärkerem Maße zeitlich zu verschieben, was einerseits zu einer positiveren Einschätzung der Effektivität des Hauptverkehrszeitzuschlages nach dem Experiment führt. Anderseits kann die Erfahrung mit dieser Strategie auch dazu geführt haben, dass die Probanden den Aufwand und die Schwierigkeiten in der Anpassung des Tagesablaufs erkennen und den Hauptverkehrszeitzuschlag nach dem Experiment negativer bewerten. Das bedeutet, dass hier eine Kombination des Einflusses des Einkommens und der Arbeitszeitflexibilität denkbar ist. Dass sich das nicht in Unterschieden zwischen den Lebenslagen manifestiert, kann auch daran liegen, dass sich die Einflüsse der verschiedenen soziodemographischen Merkmale gegenseitig aufheben.
8 Diskussion
Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Beobachtung, dass Straßenbenutzungsgebühren trotz ihrer erwiesenen Effektivität zur Steuerung des Mobilitätsverhaltens bisher kaum in Städten implementiert wurden. Als entscheidendes Hemmnis dafür wurde die mangelnde Akzeptanz dieses Instruments identifiziert. Derzeit wird versucht, die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren zu erhöhen, indem in Feldversuchen oder zeitlich befristeten Einführungen die Effektivität dieses Instrumentes zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme demonstriert wird. Allerdings ist der Erfolg dieser Strategie trotz des erheblichen finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwandes offen. Derzeit gibt es nur sehr wenige empirische Studien, die Aufschluss über die Anpassung des Mobilitätsverhaltens und die Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren geben. Des Weiteren ist bisher unklar, welche Rolle die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung spielt. Daher bestand das Ziel dieser Arbeit in der systematischen Untersuchung der Reaktionen auf Straßenbenutzungsgebühren. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Änderung der Akzeptanz und des Mobilitätsverhaltens sowie der Beziehung zwischen beiden gelegt. Untersucht wurde, ob eine einstellungskonträre Mobilitätsverhaltensänderung die Ursache für die Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Preissysteme im Sinne der kognitiven Dissonanztheorie sein könnte. Daraus leiteten sich die vier zentralen Forschungsfragen ab: 1. Wie verändert sich die Akzeptanz mit der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren? 2. Wie adaptieren Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren? 3. Welche Rolle spielt die Anpassung des Mobilitätsverhaltens für die Akzeptanzänderung? 4. Gibt es individuelle Unterschiede in der Akzeptanz- und Mobilitätsverhaltensänderung?
192
8 Diskussion
Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurde der Datensatz des AKTA Feldexperimentes in Kopenhagen (Dänemark) aufbereitet und analysiert. Dieses Feldexperiment untersuchte, wie sich verschiedene städtische Preissysteme auf das Mobilitätsverhalten von Pkw-Nutzern auswirken und wie diese Preissysteme von den Nutzern akzeptiert werden. Da bei dieser Untersuchung die Daten zur Akzeptanz und zum Mobilitätsverhalten an derselben Stichprobe erhoben wurden, war es darüber hinaus möglich, diese beiden Aspekte miteinander in Beziehung zu setzen. Die Ergebnisse zu den vier Forschungsfragen werden im Folgenden zusammengefasst, in den Forschungskontext gestellt und diskutiert. Da die generellen Vorund Nachteile der Sekundäranalyse als Methode und die Gründe für die Auswahl des AKTA Datensatzes bereits in Kapitel 6.1 ausführlich diskutiert worden sind, wird an dieser Stelle darauf nicht mehr eingegangen. Konkrete methodische Probleme der Analyse, die die Aussagekraft der einzelnen Ergebnisse relativieren, werden im Folgenden im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen erörtert.
8.1 Akzeptanzänderung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren Die Fragestellung 1 dieser Arbeit untersuchte, wie sich die Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren auf die Akzeptanz auswirkt. In der Hypothese 1 wurde postuliert, dass die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren nach deren Einführung zunimmt. Die Ergebnisse zeigen jedoch keine signifikante Zunahme der Akzeptanz als Reaktion auf den Feldversuch bzw. die individuelle Erfahrung von Straßenbenutzungsgebühren. Daher muss die Hypothese 1 abgelehnt werden. Mögliche Gründe dafür werden im Folgenden diskutiert.
8.1.1 Die Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren in Kopenhagen Ausgangspunkt der Hypothese 1 war die Beobachtung, dass in den europäischen Städten, die Straßenbenutzungsgebühren eingeführt haben, die Akzeptanz unmittelbar vor der Einführung am niedrigsten ist (vgl. Kapitel 3.6.1). Selbst in London, wo die Akzeptanz mit 40 % vergleichsweise hoch war, waren die Befürworter nicht in der Mehrheit. Vor diesem Hintergrund sind die hohen Zustimmungsraten in der Vorbefragung des AKTA Experimentes zu den verschiedenen Formen von Straßenbenutzungsgebühren bemerkenswert. Die höchste Zustimmung erhält mit 72.3 % das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren. Das bedeutet, dass vor dem Experiment die
8.1 Akzeptanzänderung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren
193
Mehrheit der Probanden Straßenbenutzungsgebühren gegenüber positiv eingestellt ist. Am wenigsten wurde die Paketlösung aus Straßenbenutzungsgebühren und der gewünschten Einnahmenverwendung akzeptiert. Aber selbst dieser stimmten noch 44.0 % der Probanden zu. Im Gegensatz zu bisherigen Studien (vgl. z. B. Schade & Schlag, 2001; Jones, 2001; Lyons et al., 2004) wurde damit die Paketlösung den Straßenbenutzungsgebühren als Einzelmaßnahme jedoch nicht vorgezogen. Eine vergleichbar hohe Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren vor der Einführung gab es lediglich beim MobilPASS Feldversuch in Stuttgart (vgl. Kapitel 3.5). Dort befürwortete ebenfalls eine Mehrheit von 61.3 % der Probanden Straßenbenutzungsgebühren vor dem Feldversuch. Allerdings nahmen die Probanden freiwillig am MobilPASS Feldversuch teil, so dass ein Selektionsfehler und damit eine positive Verzerrung der Antworten nicht ausgeschlossen werden kann. Eine ähnliche Situation stellt sich für den AKTA Feldversuch dar. Auch hier bestand die Stichprobe aus freiwilligen Probanden. Daher ist es naheliegend, ebenfalls eine positive Stichprobenverzerrung als Ursache für die hohe Akzeptanz zu vermuten. Diese Vermutung konnte in AKTA durch einen Vergleich der Ergebnisse des Feldversuches mit einer repräsentativen Stichprobe von Einwohnern des AKTA Demonstrationsgebietes geprüft werden. Auch hier akzeptierte die Mehrheit der Befragten mit 50.0 % bis 65.0 % die verschiedenen Formen von Straßenbenutzungsgebühren, wenn auch in einem geringeren Ausmaß. Die Paketlösung war wieder das am wenigsten bevorzugte Instrument. Das bedeutet, dass in der AKTA Stichprobe schon eine gewisse Verzerrung hin zu einer positiven Einschätzung zu verzeichnen ist, dass aber die hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nicht ausschließlich darauf zurückzuführen ist. Stattdessen scheint die dänische Bevölkerung tatsächlich positiver gegenüber Straßenbenutzungsgebühren einstellt zu sein, als die Bürgern anderer europäischer Länder. Diese Schlussfolgerung wird durch eine Studie von Stead (2006) gestützt, die die wahrgenommene Effektivität von Verkehrspolitiken zur Lösung von Umweltproblemen in Städten auf der Basis regelmäßiger Eurobarometer Umfragen untersuchte. Im Ergebnis unterstützte nur in Dänemark eine Mehrheit von 51.0 % der Befragten Straßenbenutzungsgebühren in Städten. In anderen europäischen Ländern unterstützten nur bis zu 25 % der Befragten dieses Instrument. Das bedeutet, dass die hohe Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren vor dem AKTA Feldversuch kein methodisches Artefakt, sondern ein valides Ergebnis ist. Das wirft die Frage auf, warum die Probanden Straßenbenutzungsgebühren so positiv einschätzen. Zum einen ist es möglich, dass spezifische Kontextbedingungen, insbesondere die hohen Steuern auf den Pkw-Besitz, dazu führen, dass Straßenbenutzungsgebühren in Dänemark attraktiver erscheinen als in anderen eu-
194
8 Diskussion
ropäischen Ländern. Andererseits ist es auch denkbar, dass die Erfahrung mit einer solch restriktiven Preismaßnahme im Verkehr dazu führt, dass in Dänemark solche Instrumente nicht nur positiver, sondern auch qualitativ anders bewertet werden, als in anderen europäischen Ländern. Dänemark erhebt im europäischen Vergleich die höchsten Steuer und Abgaben auf Pkw (Kunert & Kuhfeld, 2007). Insbesondere der Pkw-Besitz wird mit 150 % Zulassungssteuer sowie 25 % Mehrwertsteuer auf den Kaufpreis eines Pkw sehr hoch besteuert. Diese fixen Kosten machen allein 60 % der Gesamtkosten für einen Pkw aus. Daher ist es denkbar, dass diese hohen Fixkosten einen Bezugsrahmen setzen, der nutzerorientierte Abgaben in einem positiveren Licht erscheinen lassen als in anderen europäischen Ländern. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sowohl in der AKTA Befragung als auch in der repräsentativen Bevölkerungsbefragung das gegenwärtige Pkw-Steuersystem mehrheitlich abgelehnt wird. Die Ablehnung war mit 54.4 % in der AKTA Befragung wiederum stärker als mit 43.2 % in der Bevölkerungsbefragung (vgl. auch AKTA, 2005). Das bedeutet, dass sich hier tatsächlich ein kontrastierender Effekt in der Art zeigen lässt, dass die negativ bewerteten hohen fixen Pkw-Abgaben zu einer positiven Einschätzung der nutzerbezogenen Straßenbenutzungsgebühren führen. Das könnte auch erklären, warum die Paketlösung aus Straßenbenutzungsgebühren und der gewünschten Einnahmenverwendung keine höheren Zustimmungsraten erhält. Offenbar enthält das Arrangement in diesem Bezugsrahmen keine zusätzlichen Anreize. Dieser Bezugsrahmen hat aber offenbar keinen differenzierten Einfluss auf den kognitiven Hintergrund der Probanden. Das legt zumindest die Analyse des Zusammenhangs der Determinanten der Akzeptanz mit der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren nahe. So bevorzugt die Mehrheit der Probanden des AKTA Feldexperimentes trotz der hohen Pkw-Steuern die Investition der Einnahmen in den Verkehr und hier insbesondere in den ÖPNV. Dies entspricht den bisherigen empirischen Ergebnissen (vgl. Kapitel 2.1). Auch gibt es einen direkten positiven Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Effektivität zur Lösung verschiedener verkehrs- und umweltbezogener Probleme und der Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren. Das heißt je effektiver das Instrument eingeschätzt wurde, desto höher war die Zustimmung. Ebenfalls positive Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Akzeptanz und dem Problembewusstsein sowie der wahrgenommenen Fairness. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den Vorhersagen des Akzeptanzmodells von Schlag und Schade (vgl. Kapitel 4.1). Keinen direkten Zusammenhang gab es zwischen dem subjektiven Wissens über verschiedene Formen von Straßenbenutzungsgebühren und der Akzeptanz. Allerdings zeigte Schade (2005), dass das Wissen einen vermittelten Einfluss auf die Akzeptanz
8.1 Akzeptanzänderung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren
195
ausübt, ein Effekt der mit einer bivariaten Korrelationsanalyse nicht abgebildet werden kann. Ein Ergebnis von Schade (2005) ist, dass die subjektive Erwartung persönlicher Vor- und Nachteile eine zentrale Determinante der Akzeptanz darstellt. Das bedeutet, je mehr Vorteile eine Person erwartet, desto höher ist ihre Zustimmung zu Straßenbenutzungsgebühren. Das gleiche Muster, allerdings bezogen auf die subjektive Erwartung von Nachteilen, zeigt sich auch im AKTA Feldversuch. Je stärker die Probanden Nachteile erwarten, desto negativer bewerten sie Straßenbenutzungsgebühren. Dabei erwarten sie insbesondere eine Verteuerung der PkwNutzung und eine zusätzliche Steuerbelastung. Das zeigt auch, dass die Probanden ein realistisches Bild von den Konsequenzen der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren haben.
8.1.2 Die Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren Angesichts der hohen Akzeptanz vor dem Experiment war es sehr wahrscheinlich, dass es, im Sinne eines Deckeneffektes, keine weitere Zunahme der Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren nach der Einführung geben würde. Vergleicht man den AKTA Feldversuch mit dem MobilPASS Feldversuch in Stuttgart und nicht mit bereits eingeführten städtischen Preissystemen, so wäre eine negative (statt einer positiven) Akzeptanzänderung zu erwarten gewesen. Die Analyse der Akzeptanzänderung zeigt jedoch keine signifikante Änderung als Reaktion auf den Feldversuch. Dieses Ergebnis ist insofern überraschend, da sowohl die Beispiele städtischer Straßenbenutzungsgebühren als auch der MobilPASS Feldversuch sehr eindrucksvoll belegen, dass die Akzeptanz ein hoch dynamisches psychologisches Konzept ist, das sich sowohl in den verschiedenen Phasen der Konzeption und Planung als auch in der Umsetzung verändert (vgl. auch Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1). Als Erklärung für dieses Ergebnis kommen sowohl methodische als auch inhaltliche Argumente in Betracht. Aus methodischer Sicht sind das Aspekte der Primäruntersuchung als auch der Sekundäranalyse. So musste beispielsweise in der Primäruntersuchung die Simulationsperiode der Preissysteme aus forschungspraktischen Gründen auf acht bis zwölf Wochen, d. h. zwei bis drei Monate, begrenzt werden. Unmittelbar danach erfolgte die Nachbefragung. Es ist denkbar, dass sich Änderungen in der Akzeptanz erst nach dieser Zeitspanne manifestiert haben. Gegen dieses Argument sprechen allerdings die empirischen Ergebnisse aus den Beispielstädten. Besonders eindrucksvoll belegen dies die Akzeptanzmessungen in London (vgl. Abbildung 3.5, Kapitel 3.2.2). Bis zur Einführung im Februar 2003 bewegten sich die Zustimmungsraten um 40 %. Bereits einen Monat nach der Ein-
196
8 Diskussion
führung des Londoner Preissystems ist im März 2003 ist eine deutliche Zunahme auf 57 % zu verzeichnen. Das bedeutet, dass eine zwei- bis dreimonatige Simulationsperiode ein ausreichend langer Zeitraum ist, um eine Akzeptanzänderung festzustellen. Im Rahmen der Sekundäranalyse war es darüber hinaus notwendig, die Akzeptanzskalen der Vor- und Nachbefragung in ein einheitliches Format zu überführen. Die dabei getroffenen Entscheidungen, insbesondere die Definition der Kategorie „Ich weiß nicht“ als Mittenkategorie, (vgl. Kapitel 6.3.5) haben möglicherweise dazu geführt hat, dass vorhandene Akzeptanzänderungen nicht mehr abgebildet wurden. Um diese Möglichkeit auszuschließen, wurde eine eigene empirische Begleituntersuchung durchgeführt. Hiersekorn (2006) konstruierte eine alternative Antwortskala (vgl. Kapitel 6.3.5). Im Ergebnis zeigen sich jedoch die gleichen Resultate zur Akzeptanzänderung wie in dieser Arbeit. Zusammenfassend bedeutet dies, dass sich mit den methodischen Problemen, die zweifellos mit dem AKTA Feldexperiment und der Sekundäranalyse verbunden waren, das hypothesenkonträre Ergebnis der fehlenden Akzeptanzänderung nicht zufriedenstellend erklären lässt. Daher muss in Betracht gezogen werden, dass die fehlende Akzeptanzänderung ein valides Ergebnis ist. Die inhaltlichen Gründe, warum sich keine Akzeptanzänderung im AKTA Experiment gezeigt haben könnte, werden im Folgenden diskutiert. Die tatsächliche Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren kann in einem Feldexperiment wie AKTA nur bedingt simuliert werden. Im Vergleich zu den Städten Norwegens, London und Stockholm fehlen wichtige Komponenten, die durchaus auch als Gründe für eine Akzeptanzänderung in Frage kommen. Dazu gehören insbesondere die Netzeffekte, d. h. die sichtbaren Auswirkungen auf das Gesamtsystem Verkehr, und die in der Regel intensive politische Debatte und Medienberichterstattung im Zuge der Einführung von städtischen Preissystemen. So zeigte sich beispielsweise in London und Stockholm eine der Akzeptanz vergleichbare positive Änderung in der Medienberichterstattung (vgl. Gaber, 2004; Söderholm, 2006). Wenn diese Faktoren und nicht die Verhaltensanpassung der Probanden selbst für die Akzeptanzänderung ausschlaggebend sind, ist es plausibel, dass sich in einem Feldexperiment wie AKTA keine Akzeptanzänderung gezeigt hat. Diese Argumentation wird durch die Schlussfolgerungen des MobilPASS Feldversuches unterstützt, in dem die Autoren die beobachtete negative Akzeptanzänderung zumindest in Teilen auf die, im Verlauf des Versuchszeitraumes, öffentlich geführte Steuer- und Abgabendebatte und die gleichzeitigen Steuererhöhungen zurückführen. Diese Schlussfolgerung ist allerdings nur plausibel, wenn tatsächlich keine
8.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren
197
Rückwirkung der Anpassung des Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanz nachgewiesen werden kann. Dieser Gedanke wird im Kapitel 8.3 weiter vertieft.
8.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren Die Fragestellung 2 untersuchte, wie Pkw-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten an städtische Straßenbenutzungsgebühren anpassen. Im Gegensatz zur Akzeptanzänderung konnten die Hypothesen zur Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren weitestgehend beibehalten werden. Die Ergebnisse zu den einzelnen Hypothesen werden im Folgenden diskutiert.
8.2.1 Reduktion der Pkw-Nutzung als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren Die Hypothese 2 postulierte, dass die Pkw-Nutzung unmittelbar nach der Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren reduziert wird. Der Vergleich der GPS-basierten Wegeindikatoren der Kontroll- und der Preisbedingung zeigt sehr deutlich, dass die Probanden ihre Pkw-Nutzung als Reaktion auf die simulierten Preissysteme reduziert haben. So nahm die Anzahl der Wege durchschnittlich um 6.9 %, die Wegelänge um 7.0 %, die Wegedauer um 8.7 % und die Straßenbenutzungsgebühren pro Weg um 14.3 % ab. Alle Reduktionen waren auf dem 1 %Niveau statistisch signifikant. Keine statistisch signifikante Änderung zeigte sich dagegen für die durchschnittliche Wegegeschwindigkeit. Ergänzt und unterstützt werden diese Resultate durch die Ergebnisse der Nachbefragung. Dort gaben über alle Runden und Versuchsgruppen hinweg 56.2 % der Probanden an, während des Experimentes Gebühren gespart zu haben bzw. es versucht zu haben. 49.4 % gaben an, zumindest teilweise ihr Mobilitätsverhalten während des Experimentes geändert zu haben. Das heißt, sowohl die objektiven als auch subjektiven Daten bestätigen die Erkenntnis aus den bisherigen Studien, dass sich Pkw-Nutzer unmittelbar nach der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren an die neuen finanziellen Rahmenbedingungen anpassen. Des Weiteren kann gezeigt werden, dass die Probanden ihr Mobilitätsverhalten, nicht jedoch ihr Fahrverhalten änderten (vgl. Tabelle 4.1, Kapitel 4.2.3). Ein risikoreicheres Fahrverhalten mit erhöhter Geschwindigkeit, wie es Bonsall et al. (1998) in einer Fahrsimulatoruntersuchung fanden, konnte im Kontext eines realen Straßenverkehrs nicht repliziert werden. Langfristige Konsequenzen, wie z. B. eine veränderte Wohnortwahl, mit Auswirkungen auf das Mo-
198
8 Diskussion
bilitätsverhalten konnten aufgrund des kurzen Simulationszeitraumes nicht beobachtet werden. Die durchschnittliche Reduktion der Anzahl, der Dauer und der Länge der Wege um etwa 7 % und der Gebühren um etwa 14 % entsprach einer kleinen Effektstärke der simulierten Preissysteme. Damit liegt das Ausmaß der Reduktion weit unterhalb der Reduktion in Städten wie London und Stockholm, wo ein Rückgang des Pkw-Verkehrs von 15 % bis über 20 % beobachtet worden war. Auch der MobilPASS Feldversuch in Stuttgart berichtete nach einem Jahr einen mit der Zeit ansteigenden Anteil von 25 % bis über 30 % beeinflusster Fahrten. Jakobsson et al. (2002) dagegen fanden in einem 2- bis 4-wöchigem Experiment ebenfalls nur kleine und zum Teil nicht signifikante Reduktionen der Pkw-Nutzung. Offenbar ist es so, dass sowohl eine vollständige Einführung von Straßenbenutzungsgebühren als auch ein langer Versuchszeitraum zu stärkeren Effekten führen kann. Vergleicht man nur die (Feld-)Experimente, so reiht sich AKTA mit einer durchschnittlichen Simulationsdauer der drei Preissysteme von 2 Monaten (M/SD = 61.14/18.55 Tage) und kleinen, aber konsistent signifikanten Effekten zwischen die Untersuchung von Jakobsson et al. (2002) und den MobilPASS Feldversuch ein. Gegenwärtig können allerdings nur die Größenordnungen der Effekte verglichen werden, da durch verschiedene Erfassungsmethoden und berichteten Indikatoren die Werte selbst nicht unmittelbar vergleichbar sind. Der Vergleich zeigt aber auch, welche Bedeutung für die Effektivität eines solchen Systems zusätzlichen Maßnahmen, wie z. B. der Ausbau von ÖPNV oder Informationskampagnen, im Rahmen einer stadtweiten Einführung zukommt.
8.2.2 Gebührenabhängige Reduktion der Pkw-Nutzung Hypothese 3 postulierte, dass die Reduktion der Pkw-Nutzung umso größer ist je höher die Gebühr festgesetzt wird. Entgegen den Erwartungen spielte in dieser Arbeit die Höhe der Gebühr keine entscheidende Rolle für die Reduktion der PkwNutzung. Das bedeutet, dass die Reduktion der Pkw-Nutzung bei einer höheren Gebühr nicht stärker war. Die deskriptiven Ergebnisse der GPS-basierten Wegeindikatoren zeigen zwar, dass die Probanden des Hochpreissystems die stärksten Reduktionen aufweisen, gefolgt von den Probanden des Kordonpreissystems und des Niedrigpreissystems. Allerdings sind diese Unterschiede statistisch nicht signifikant. Einzig bei den Wegekosten zeigte sich ein tendenziell signifikanter Unterschied in die erwartete Richtung. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Ergebnis auf eine Konfundierung zwischen den drei Preissystemen als unabhängige Variable und der Reduktion in den Wegekosten als abhängige Variable zurückgeht.
8.2 Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren
199
In den subjektiven Befragungsdaten zeigte sich lediglich bei den Anpassungsstrategien und hier dem räumlichen Verschieben von Fahrten ein eindeutiges hypothesengerechtes Ergebnis. Das bedeutet, dass die Probanden des Niedrigpreissystems Fahrten weniger räumlich verschoben haben, als die des Hoch- und des Kordonpreissystems. Dieses hypothesenkonträre Ergebnis könnte verschiedene Ursachen haben. Einerseits rief die Simulation der Preissysteme nur kleine Effekte hervor. In einer solchen Situation ist es wahrscheinlich, dass eine zusätzliche Differenzierung dieser Effekte nach der Höhe der Gebühr keine statistisch signifikanten Ergebnisse zeigt. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren an sich bereits einen so großen Teil der Varianz erklärt, dass die Höhe der Gebühr nicht mehr statistisch signifikant zur Varianzaufklärung beitragen kann. Das kann sich in anderen Untersuchungen, mit beispielsweise größeren Stichproben, durchaus anders darstellen. Andererseits ist es auch denkbar, dass die freiwillige Teilnahme der Probanden am Feldexperiment für den fehlenden Gruppenunterschied verantwortlich ist. Wie im Kapitel 7.1.1 gezeigt wurde, sind die Probanden etwas positiver zu Straßenbenutzungsgebühren eingestellt als die Bevölkerung. Außerdem war das Feldexperiment mit erheblichem Aufwand verbunden. Dies könnte dazu geführt haben, dass die Probanden von vornherein besonders motiviert zur Verhaltensänderung waren und so die Höhe der Gebühr als zusätzliche Motivation nicht mehr so stark ins Gewicht fiel bzw. kompensiert wurde.
8.2.3 Strategien der Verhaltensanpassung In der Hypothese 4 wurde vorhergesagt, dass die Verhaltensanpassung dem sequenziellen Kostenminimierungsprinzip folgt. Das bedeutet, dass zunächst psychologisch kostengünstigere Strategien, wie die Wahl einer anderen Fahrtroute, eines anderen Fahrtzieles oder einer anderen Fahrtzeit gewählt werden. Erst wenn diese Anpassungsstrategien nicht zum gewünschten Ergebnis führen, wird auf kostenintensivere Anpassungsstrategien, wie das Unterlassen von Fahrten und der Umstieg auf alternative Verkehrsmittel zurückgegriffen. Die Befragungsergebnisse spiegeln sehr gut die hierarchische Struktur der Anpassung des Mobilitätsverhaltens wider, die dem Kostenminimierungsprinzip zugrunde liegt (vgl. Tabelle 4.2, Kapitel 4.2.4). So wählten die Probanden am häufigsten Strategien der effizienteren Pkw-Nutzung, wie z. B. das räumliche Verschieben von Fahrten und das Bilden von Wegeketten. Diese Strategien zählen zur ersten Kategorie, die psychologisch besonders kostengünstig sind, da sie nur klei-
200
8 Diskussion
ne Umstellungen des Tagesablaufes erfordern. Allerdings sind sie auch weniger effektiv zur Reduktion der Pkw-Nutzung (vgl. Loukopoulos, 2005). In der zweiten Kategorie verankerte Loukopoulos (2005) das Unterlassen von Fahrten gefolgt vom Wechsel des Verkehrsmittels in der dritten Kategorie. Dieser Rangreihe folgen auch die Probanden im AKTA Feldexperiment, die an dritter Stelle das Unterlassen von Fahrten und erst danach, an fünfter Stelle, den Umstieg auf den ÖPNV wählen (vgl. auch Abbildung 7.3, Kapitel 7.2.2). Der Vergleich der Anwendung der Anpassungsstrategien mit den Reduktionen in den GPS-basierten Wegeindikatoren zeigt außerdem, dass zwar alle Strategien mit einer Reduktion der Gebühren pro Weg verbunden sind, dass aber nur das Unterlassen von Fahrten und der Wechsel des Verkehrsmittels, also Strategien der zweiten und dritten Kategorie, mit einer substanziellen Reduktion in der Anzahl der Wege mit dem Pkw verbunden sind, so wie es im Rahmen des sequenziellen Kostenminimierungsprinzips vorhergesagt wurde (vgl. Tabelle 7.9, Kapitel 7.2.3). Gleichzeitig verweist dieses Ergebnis auf eine potenzielle Divergenz zwischen dem politisch gewünschten Effekt eines städtischen Preissystems (reduzierte PkwNutzung) und der tatsächlichen Verhaltensanpassung der Pkw-Nutzer (Kostenoptimierung). Daher muss ein städtisches Preissystem so gestaltet werden, dass die Pkw-Nutzer mit dem Versuch, die Straßenbenutzungsgebühren zu minimieren, auch tatsächlich ihre Pkw-Nutzung reduzieren. So konnten beispielsweise Rich und Nielsen (2007) in Modellrechnungen zeigen, dass ein Kordon nur um die Innenstadt Kopenhagens statt zu einer Reduktion der Pkw-Kilometerleistung zu einem Anstieg führen würde, da ein solches System den Anreiz und die Möglichkeit bietet, den Kordon weiträumig zu umfahren. Im Ergebnis dieser Arbeit konnte das sequenzielle Kostenminimierungsprinzip als psychologischer Mechanismus der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren erstmals im realen Kontext eines Feldexperimentes nachgewiesen werden. Das bedeutet, dass sich dieses Prinzip eignet, die Wahl der Anpassungsstrategien an Straßenbenutzungsgebühren zu erklären. Der sequenzielle Charakter des Kostenminimierungsprinzips sowie eine Differenzierung nach dem Wegzwecken konnten an dieser Stelle nicht überprüft werden.
8.2.4 Lerneffekte bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens Aus der Literatur konnten zwar keine konkreten Hypothesen, aber doch erste Hinweise auf mögliche Lerneffekte abgeleitet werden. So zeigte sich beispielsweise im MobilPASS Feldversuch, dass fahrleistungsreduzierende Verhaltensweisen, wie der Umstieg auf den ÖPNV, im Verlauf des Versuches kontinuierlich zunahmen und auch nach Ende des Experimentes beibehalten wurden. Dies wurde von
8.3 Die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Ursache für die Akzeptanzänderung 201
den Autoren als Lernprozess interpretiert, der durch die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren initiiert worden ist (FAW, 1995). Ob Straßenbenutzungsgebühren, über ihre Erhebung hinausgehende, langfristige Verhaltensänderungen initiieren, wurde in dieser Arbeit durch die Einführung eines Reihenfolgefaktors der ersten Versuchsbedingung mit den zwei Stufen Kontrollbedingung versus Preisbedingung untersucht. Die Reduktion in den GPS-basierten Wegeindikatoren wurde zwischen den Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung und anschließend die Preisbedingung durchliefen und den Probanden, die zuerst die Preisbedingung und anschließend die Kontrollbedingung durchliefen, verglichen (vgl. Kapitel 6.3.5). Im Ergebnis gibt es statistisch signifikante Reihenfolgeffekte für die Wegekosten, die Anzahl der Wege und die Wegelänge der Hauptverkehrszeit. Die Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung fuhren, weisen größere Differenzwerte zwischen Kontroll- und Preisbedingung im Vergleich zur alternativen Abfolge der Versuchsbedingungen auf. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, ihre Wegekosten, ihre Anzahl der Wege und die Wegelänge in der anschließenden Kontrollbedingung um ein geringes Maß erhöhten, als die Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung durchliefen, diese in der anschließenden Preisbedingung reduzierten. Das bedeutet, sie fielen nicht auf das gleiche Ausgangsniveau der Pkw-Nutzung zurück von der die Probanden, die zuerst die Kontrollbedingung durchliefen, starteten. Gestützt werden diese Ergebnisse durch die Nachbefragung, in der 21.3 % der Probanden angeben, auch in der Kontrollbedingung Gebühren gespart zu haben (Gehlert, 2008a). Bei den Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, ist dieser Anteil mit 25.0 % höher als bei der alternativen Abfolge der Versuchsbedingungen mit 17.5 %. Diese Ergebnisse sprechen für Lerneffekte bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren. Möglicherweise erlebten die Probanden, die zuerst die Preisbedingung durchliefen, einige der Anpassungsstrategien als positiv und haben diese im Sinne eines Lerneffektes in der anschließenden Kontrollbedingung beibehalten.
8.3 Die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Ursache für die Akzeptanzänderung Das Ziel dieser Arbeit war es, die Rolle der Mobilitätsverhaltensänderung für die Akzeptanzänderung städtischer Straßenbenutzungsgebühren zu untersuchen. Aus-
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8 Diskussion
gangspunkt war die Beobachtung, dass nach der Einführung städtischer Preissysteme die Akzeptanz erheblich zunimmt (vgl. Abbildung 3.13, Kapitel 3.6.1). Eine mögliche Erklärung für diese Akzeptanzänderung ist die erfolgreiche Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Aus den Zwei-Prozess-Modellen der Einstellungsänderung ist bekannt, dass eine sorgfältige und tiefe Verarbeitung von Informationen und Argumenten zu einer zeitlich und inhaltlich stabilen Einstellungsänderungsänderung führen kann. Im Kapitel 4.2.2 wurde das Potenzial von Straßenbenutzungsgebühren aufgezeigt, Mobilitätsgewohnheiten aufzubrechen und die Pkw-Nutzer zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer eigenen PkwNutzung zu befähigen und zu motivieren. Wenn Pkw-Nutzer trotz ihrer negativen Einstellung ihr Verhalten an ein städtisches Preissystem adaptieren, so entsteht laut den Vorhersagen der Dissonanztheorie kognitive Dissonanz. Diese kann den Prinzipien der Einfachheit und Effizienz folgend am ehesten durch eine Einstellungsänderung und in diesem Fall durch eine positive Akzeptanzänderung aufgelöst werden. Die Ergebnisse der Analyse der Beziehung zwischen Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens sprechen allerdings gegen diese Argumentation. So zeigen sich in der Korrelationsanalyse keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen der Reduktion der GPS-basierten Wegeindikatoren und der Akzeptanzänderung. Zwischen den subjektiven Anpassungsstrategien und der Akzeptanzänderung zeigten sich nur einzelne, kleine statistisch signifikante Zusammenhänge. Allerdings ließ sich die Richtung dieser Korrelationen nicht in das Erklärungsmuster der Dissonanztheorie einbetten. Daher ist es denkbar, dass die signifikanten Zusammenhänge zwischen den subjektiven Anpassungsstrategien und der Akzeptanzänderung das Ergebnis gemeinsamer Methodenvarianz ist und nicht die Beziehung zwischen Akzeptanz- und Verhaltensänderung widerspiegelt. Gemeinsame Methodenvarianz führt zu einer Überhöhung der Interkorrelation zwischen zwei Konstrukten, die mit derselben Methode erhoben wurden. Sowohl die Akzeptanz als auch die subjektiven Anpassungsstrategien wurden mittels Fragebogen, in der Nachbefragung sogar innerhalb desselben Fragebogens, erhoben. Das kann dazu geführt haben, dass einige Korrelationen aufgrund gemeinsamer Methodenvarianz die Signifikanzschwelle überschritten haben, obwohl es auch zwischen den subjektiven Anpassungsstrategien und der Akzeptanzänderung keine inhaltlich fundierten Zusammenhänge gibt. Insgesamt ergab die Korrelationsanalyse keine schlüssigen Hinweise auf eine Beziehung zwischen Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Allerdings es möglich, dass eine solche Beziehung in der Korrelationsanalyse nicht sichtbar wurde. Da die Mehrheit der Probanden vor dem Experiment Straßenbenutzungsgebühren gegenüber sehr positiv eingestellt war, ging ihre Ver-
8.3 Die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Ursache für die Akzeptanzänderung 203
haltensanpassung mit ihrer vorher gezeigten Einstellung konform. Konsonantes Verhalten wiederum ist laut Dissonanztheorie eine Bestätigung der eigenen Einstellung und sollte daher nicht zu einer Akzeptanzänderung führen. Die Mehrheit der Probanden änderte ihre Einstellung im Verlauf des Feldexperimentes auch nicht (vgl. Kapitel 7.1.3). Damit gab es in den Akzeptanzdaten nur eine geringe Varianz. Auch waren die Verhaltenseffekte relativ klein. Diese geringe Varianz in den Daten könnte ebenfalls für den fehlenden Zusammenhang zwischen Akzeptanzänderung und Anpassung des Mobilitätsverhaltens verantwortlich sein. Daher wurde eine differenzierte Auswertung durchgeführt, die die Vorhersagen der Dissonanztheorie über die Wirkung konsonanten und dissonanten Mobilitätsverhaltens auf die Akzeptanzänderung analysierte. Für die GPS-basierten Wegeindikatoren wurde eine logistische Regression angewendet. Als Prädiktoren gingen in das Regressionsmodell die Akzeptanz vor dem Experiment, die Differenzwerte der GPS-basierten Wegeindikatoren sowie der Interaktionsterm beider ein. Der Interaktionsterm zwischen der Akzeptanz vor dem Experiment und der Verhaltensänderung beschreibt konsonantes bzw. dissonantes Mobilitätsverhalten während des Experimentes in Abhängigkeit von der Akzeptanz vor dem Experiment. So konnte konsonantes bzw. dissonantes Mobilitätsverhalten beschrieben und die Vorhersagen der Dissonanztheorie geprüft werden. Im Ergebnis zeigt nur eines der insgesamt 20 Regressionsmodelle eine statistisch signifikante Vorhersage der Akzeptanz nach dem Experiment durch den Interaktionsterm. Und selbst in dieser Analyse ist der Beitrag des Interaktionsterms zur Vorhersage der Akzeptanz nach dem Experiment so gering, dass nicht von einem praktisch relevanten Zusammenhang gesprochen werden kann. Etwas anschaulicher, aber ebenfalls nur vereinzelt statistisch signifikant, sind die Ergebnisse zur Beziehung zwischen den subjektiven Anpassungsstrategien und der Akzeptanzänderung. Entspricht die Anpassung des Mobilitätsverhaltens einem konsonanten Verhalten gibt es durchweg keine Akzeptanzänderung. Dieses Ergebnis demonstriert noch einmal den bereits diskutierten Haupteffekt der fehlenden Akzeptanzänderung nach dem Experiment. Entspricht die Anpassung des Mobilitätsverhaltens einem dissonanten Verhalten lässt sich ebenfalls kein Einfluss auf die Akzeptanz nach dem Experiment feststellen. Nur vereinzelt gibt es eine Akzeptanzänderung in Abhängigkeit von dem gezeigten Mobilitätsverhalten. Aber auch hier sind die Akzeptanzänderungen nicht symmetrisch in beiden Fällen dissonanten Mobilitätsverhaltens ausgeprägt, sondern zeigen sich nur für je einen Fall. Das bedeutet, dass eine Ablehnung von Straßenbenutzungsgebühren vor dem Experiment und eine Verhaltensanpassung während des Experimentes mit einer Zustimmung nach dem Experiment einhergeht oder eine Zustimmung vor dem Experiment und keine Verhaltensanpassung mit einer Ablehnung nach dem Expe-
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riment einhergeht, nicht jedoch beide Formen gleichzeitig. Das ist deshalb überraschend, da sich laut Dissonanztheorie für beide Fälle eine Akzeptanzänderung ergeben sollte. Im Vergleich zeigen beide Auswertungen, sowohl die Korrelationsanalyse als auch die differenzierte Analyse, nur vereinzelt statistisch signifikante Beziehung zwischen der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Auch sind die statistisch signifikanten Befunde zwischen den beiden Auswertungen inkonsistent. Das ist möglicherweise auf die beiden unterschiedlichen Auswertestrategien zurückzuführen. Während in die Korrelationsanalyse auch kleine Akzeptanzänderungen einflossen, wurden in der differenzierten Analyse nur die Skalenendpunkte der Akzeptanzbefragung und damit nur große Änderungen, einbezogen. Allerdings änderte dies nichts am Gesamtbild der Ergebnisse. Das zeigt, dass die Ausgangsthese, dass die erfolgreiche Anpassung des Mobilitätsverhaltens der Grund für die positive Akzeptanzänderung nach der Einführung städtischer Preissysteme ist, von den Ergebnissen dieser Untersuchung widerlegt wird. Als Erklärung kommen sowohl methodische als auch inhaltliche Gründe in Betracht. Aus methodischer Sicht ist es möglich, dass es eine Beziehung zwischen der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gibt, aber ein Feldversuch wie AKTA nicht geeignet ist, diese aufzudecken. Aus inhaltlicher Sicht ist es aber auch denkbar, dass es keine Beziehung zwischen der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens gibt und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nicht die Ursache für die beobachtete positive Akzeptanzänderung in den Städten mit Straßenbenutzungsgebühren ist. Für eine methodische Erklärung spricht, dass das Feldexperiment nur eine Simulation städtischer Preissysteme über einen definierten Zeitraum von einigen Wochen darstellt. Das bedeutet, dass die Änderung der Lebenssituation der Probanden im Feldexperiment im Vergleich zu einer stadtweiten Einführung wieder rückgängig zu machen und damit nicht tiefgreifend ist. Diese Tatsache ist den Probanden bewusst und führt möglicherweise dazu, dass selbst durch dissonantes Verhalten keine kognitive Dissonanz entsteht, die es aufzulösen gilt. Oder aber die kognitive Dissonanz wurde auf andere Art als die Akzeptanzänderung reduziert. Beispielsweise bietet die Teilnahme an einem Feldversuch eine Rechtfertigung für das dissonante Mobilitätsverhalten. Durch die Addition dieser Kognition wurde möglicherweise die Dissonanz indirekt reduziert. Gegen eine methodische Erklärung spricht vor allem die Studie von Schade und Baum (2007). Den Autoren gelang es durch eine Instruktion die unmittelbar bevorstehende Einführung einer Pkw-Maut zu suggerieren und dadurch einen entsprechenden Dissonanzeffekt auszulösen (vgl. Kapitel 4.3). Ein Feldversuch, der wie AKTA bereits zur Konzeption und Vorbereitung eines städtischen Preissys-
8.3 Die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Ursache für die Akzeptanzänderung 205
tems durchgeführt wurde, kann die Einführung viel realistischer simulieren als das durch eine Instruktion möglich ist. Dass die Probanden das AKTA Feldexperiment als eine sehr realistische Simulation von Straßenbenutzungsgebühren betrachteten, zeigen die Ergebnisse der Fokusgruppengespräche (vgl. Nielsen & Herslund, 2002). Daher ist anzunehmen, dass in einem Feldversuch kognitive Dissonanz und eine entsprechenden Einstellungsänderung entstehen kann. Eine alternative Erklärungsmöglichkeit wäre, dass der Feldversuch zu kurz war und sich damit keine Akzeptanzänderung im Zuge der Verhaltensanpassung entwickeln konnte. Allerdings wurde bereits im Kapitel 8.1.2 ausgeführt, dass angesichts der empirischen Befunde der Beispielstädte die durchschnittliche Zeitspanne von zwei Monaten als ausreichend eingeschätzt wird, um die Akzeptanzänderungen zu replizieren. Hinzu kommt, dass in dieser Zeit erhebliche Anpassungsleistungen des Mobilitätsverhaltens beobachtet wurden. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die methodischen Gründe allein keine plausible Begründung für das Fehlen der Beziehung zwischen der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens bietet. Daher muss in Betracht gezogen werden, dass dissonante Mobilitätsverhaltensänderungen nicht für die positive Akzeptanzänderung in den Städten mit Preissystemen verantwortlich sind und andere Ursachen allein oder in Kombination mit der Anpassung des Mobilitätsverhaltens eine Rolle spielen. Die Einführung städtischer Straßenbenutzungsgebühren ist in der Regel ein politisch und gesellschaftlich intensiv diskutiertes Vorhaben, an dem sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen, insbesondere die Medien, beteiligen. Daher ist es denkbar, dass solche Informationen als periphere Hinweisreize für die Bestimmung der eigenen Akzeptanz dienen. Vergleicht man die Ergebnisse der Beispielstädte aus Kapitel 3 fällt auf, dass sich nur bei einer stadtweiten Einführung von Straßenbenutzungsgebühren eine positive Akzeptanzänderung nachzeichnen lässt. Während sich im AKTA Feldversuch keine Akzeptanzänderung zeigt, gab es im MobilPASS Feldversuch eine negative Akzeptanzänderung. Das stellt die Frage, in welchen Aspekten sich die stadtweiten Einführungen von einem Feldversuch unterscheiden. Bereits im Kapitel 8.1 wurde darauf hingewiesen, dass die tatsächliche Einführung von städtischen Straßenbenutzungsgebühren in einem Feldexperiment nur bedingt simuliert werden kann. Es fehlen wichtige Komponenten, die durchaus auch als Gründe für die positive Akzeptanzänderung in Frage kommen können. Dazu gehören: • die Verpflichtung zur Teilnahme am Preissystem, • die Rückwirkungen auf das Gesamtsystem Verkehr sowie • die politische und gesellschaftlich Diskussion im Zuge der Einführung.
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Während die Pkw-Nutzer in der Regel freiwillig an Feldversuchen teilnehmen, haben sie bei einer stadtweiten Einführung von Preissystemen diese Wahl nicht. Das könnte dazu führen, dass die Stichproben in Feldversuchen bezüglich der Akzeptanz und der Akzeptanzänderung nicht repräsentativ für eine stadtweite Einführung sind. Als zweite, wichtige Komponente fehlt bei den Feldversuchen die sichtbare Rückwirkung der Reduktion der Pkw-Nutzung der Teilnehmer auf das Gesamtsystem Verkehr. Aufgrund der vergleichsweise geringen Stichprobengrößen manifestieren sich die Anpassungen des Mobilitätsverhaltens im Feldversuch nicht in solchen Rückgängen im Verkehrsaufkommen, die bei den stadtweiten Einführungen beobachtet wurden (vgl. Kapitel 3.6.2). Es ist möglich, dass diese positiven Auswirkungen eines Preissystems auf den Verkehr die eigenen Anstrengungen bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens lohnenswert erscheinen lassen und so zu einer positiven Akzeptanzänderung führen. Des Weiteren fehlte bei den bisher durchgeführten Feldversuchen die gesellschaftliche und mediale Auseinandersetzung zum Thema, die eine stadtweite Einführung in der Regel begleitet. Diese Diskussion ist von einer Dynamik, ähnlich der der Akzeptanzänderung gekennzeichnet (vgl. Kapitel 8.1.2). Daher könnten diese Informationen ebenso zu einer Akzeptanzänderung führen. Als Indiz für diese Argumentation kann die Schlussfolgerung der Autoren des MobilPASS Feldversuches gewertet werden. Sie führten die negative Akzeptanzänderung zum Teil auf die im Verlauf des Versuchszeitraumes geführte Steuer- und Abgabendebatte und die gleichzeitigen Steuererhöhungen zurück. Zusammenfassend bedeutet das, dass eine Reihe von Faktoren, die einen Feldversuch von einer stadtweiten Einführung von Preissystemen unterscheiden, allein oder in Kombination als Ursache der positiven Akzeptanzänderung nach der Einführung in Frage kommt. Um diese Frage abschließend klären zu können ist, allerdings eine Untersuchung der Beziehung zwischen Akzeptanzänderung und Anpassung des Mobilitätsverhaltens im Rahmen einer stadtweiten Einführung von Straßenbenutzungsgebühren notwendig.
8.4 Soziodemographische Unterschiede Die Fragestellung 4 untersuchte, ob es individuelle Unterschiede in der Akzeptanzänderung und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren gibt. Allerdings konnten keine signifikanten Unterschiede nachgewiesen werden (vgl. Kapitel 7.4). Die Hypothese 8, die Unterschiede in
8.4 Soziodemographische Unterschiede
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der Akzeptanzänderung postulierte und die Hypothese 9, die Unterschiede in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens vorhersagte, mussten abgelehnt werden. Die Analyse der soziodemographischen Unterschiede in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren erfolgte entgegen der bisherigen Praxis nicht variablensondern personenorientiert. Das bedeutet, der Einfluss verschiedener soziographischer Variablen auf die Akzeptanzänderung und die Anpassung des Mobilitätsverhaltens wurde nicht einzeln untersucht. Stattdessen wurden verschiedene soziodemographische Variablen zu Personengruppen integriert und deren Unterschiede in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren analysiert. Die Personengruppen gleicher Lebenslage zeichnen sich durch eine ähnliche soziodemographische Charakterisierung innerhalb der Gruppe und Unterschieden zwischen den Gruppen aus. Auf diese Art und Weise kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die soziodemographischen Variablen untereinander systematisch miteinander in Beziehung stehen und möglicherweise nicht singulär, sondern erst in Kombination verhaltenswirksam werden (vgl. Kapitel 7.4.1). Als Orientierung über die Art der Beziehung dienten die soziodemographischen Zielgruppenansätze und hier insbesondere das Lebensphasenmodell (Jäger, 1989) und das Modell objektiver Lebenslagen (Beckmann et al., 2006). Im Ergebnis ließen sich drei verschiedene Personengruppen identifizieren. Die soziodemographischen Variablen, die wesentlich zur Aufteilung der Gruppen beitrugen, waren zum einen das Alter und die Haushaltsform. Diese Variablen zeigen den Einfluss der Lebensphase auf die Gruppierung. Zum anderen kamen Variablen zum Tragen, wie z. B. der Wohn- und Arbeitsort, die von Schlag et al. (in Druck) auf dem Niveau der übergeordneten Entscheidungen mit langfristigen Konsequenzen für die Mobilität angesiedelt wurden (vgl. Tabelle 4.1, Kapitel 4.2.3). Das Haushaltseinkommen spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle, aber auch hier ist zu vermuten, dass sich dieser Einfluss zumindest teilweise auf übergeordnete Faktoren zurückführen lässt. So hat beispielsweise das Cluster der einkommensstarken Paare und Familien nicht nur das höchste Haushaltseinkommen. Es ist auch die Gruppe, die angab, flexibel in der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung und Arbeitszeit zu sein. Solche Gestaltungsfreiheiten sind häufiger in hochqualifizierten Beschäftigungsverhältnissen zu finden, die auch höher vergütet werden. Das bedeutet, dass sich nicht nur die Gesamtheit der objektiven Lebensbedingungen zur Charakterisierung von Personen gleicher Lebenslage eignet. Sondern es zeichnet sich zwischen den soziodemographischen Variablen auch eine Hierarchie ähnlich der hierarchischen Struktur des Mobilitätsverhaltens von Schlag et al. (in Druck) ab. Das heißt, dass übergeordnete Entscheidungen oder Faktoren, wie die Wahl des Wohn- und Arbeitsplatzes oder die berufliche Qualifizierung, die Ausprägung der untergeordneten Variablen, wie die Entfernung zum Arbeitsplatz,
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das Einkommen, die Verfügbarkeit und Wahl des Verkehrsmittels etc. bestimmen. Damit bestimmen diese übergeordneten Faktoren wesentlich den Handlungsspielraum, den diese Gruppen als Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren haben. In diese Argumentation lassen sich ebenfalls das Alter und die Haushaltsform als übergeordnete Faktoren einordnen und somit das Lebensphasenmodell in ein mögliches Modell hierarchischer soziodemographischer Einflussfaktoren integrieren. Die gebildeten Personengruppen unterscheiden sich zwar statistisch nicht signifikant in ihrer Akzeptanz und Akzeptanzänderung von Straßenbenutzungsgebühren. Die deskriptiven Ergebnisse zeigen jedoch, dass insbesondere die älteren Vielfahrer dem gegenwärtigen dänischen Pkw-Steuersystem zustimmen (24 % vs. 15.2 % und 12.8 %), während die einkommensstarken Paare und Familien das Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren besonders stark befürworten (81.3 % vs. 72.7 % und 68.0 %). Da Vielfahrer von einem Steuersystem mit einem hohen Anteil an Fixkosten und einen geringen Anteil an variablen Kosten mehr profitieren, könnte das den Ausschlag für die höhere Zustimmung gegeben haben. Die einkommensstarken Paare und Familien nutzten trotz ihres hohen Einkommens nicht ausschließlich den Pkw. Die Kombination von hohem Einkommen und der zumindest teilweisen Nutzung alternativer Verkehrsmittel und damit der Wahlfreiheit macht Straßenbenutzungsgebühren möglicherweise zu einer interessanten Alternative. Die Unterschiede in der Anpassung des Mobilitätsverhaltens zwischen den Personengruppen waren ebenfalls statistisch nicht signifikant. Die Ergebnisse zeigen aber deskriptive Unterschiede zwischen den Personengruppen in der Art, dass die jungen Wenigfahrer ihre Pkw-Nutzung am stärksten reduzieren. Ob dies daran lag, dass sie durch ihr vergleichsweise geringes Einkommen dazu am stärksten motiviert waren oder ob sie durch die geringe Entfernung zum Arbeitsplatz und die stärkere Nutzung alternativer Verkehrsmittel dazu am ehesten in der Lage waren, lässt sich an dieser Stelle nicht feststellen. Es wird aber deutlich, dass soziodemographische Variablen wohl eher in Kombination als einzeln wirksam werden. Eine Erklärungsmöglichkeit, warum die deskriptiven Unterschiede zwischen den drei Personengruppen die Signifikanzschwelle nicht überschreiten, wäre, dass die Unterschiede in der Tat so klein und damit statistisch nicht bedeutsam sind. Angesicht der bisherigen Befunde zu den soziodemographischen Unterschieden in der Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren ist das allerdings unwahrscheinlich. Diese zeigen zwar inkonsistente aber bedeutsame interindividuelle Unterschiede in den Reaktionen auf Straßenbenutzungsgebühren (vgl. Kapitel 3.6.3 und Kapitel 4.4). Denkbar ist aber auch, dass sich die Effekte der singulären Variablen gegenseitig abschwächen oder anderweitig beeinflussen. In diese Richtung sprechen die statistisch signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Einkommen als singulärer
8.4 Soziodemographische Unterschiede
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Variable und der Akzeptanzänderung des gegenwärtigen Pkw-Steuersystems und des Hauptverkehrszeitzuschlages. Diese Zusammenhänge lassen sich jedoch nicht in den Ergebnissen der Lebenslagen wiederfinden, obwohl das Einkommen eine zentrale Variable bei der Bestimmung der Personengruppen war. Möglicherweise wurde der Einfluss des Einkommens durch andere soziodemographische Variablen abgeschwächt oder ganz kompensiert. Bisher ist jedoch wenig über die Art der Beziehungen zwischen den verschiedenen soziodemographischen Variablen bekannt. Zukünftige Untersuchungen müssen daher zum einen klären, welche soziodemographischen Merkmale einen entscheidenden Einfluss auf die Reaktion auf Straßenbenutzungsgebühren ausüben und wie sie miteinander interagieren. Das Konzept der Lebenslage bietet eine gute Ausgangsbasis, die für den Gegenstandsbereich von städtischen Straßenbenutzungsgebühren aber noch weiter spezifiziert werden muss.
9 Resümee
Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Beobachtung in Städten, die Straßenbenutzungsgebühren eingeführt haben, dass die Akzeptanz nach der Einführung eines solchem System erheblich zunimmt. Daher wird derzeit versucht, die Akzeptanz städtischer Straßenbenutzungsgebühren durch die Demonstration der Effektivität zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme zu verbessern. Allerdings ist bisher unklar, was die Ursache für die Zunahme der Akzeptanz nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ist. Die Annahme ist, dass die Einführung städtischer Preissysteme dazu führt, dass Pkw-Nutzer aufgrund der gestiegenen Kosten ihre Pkw-Nutzung einschränken und auf alternative Verkehrsmittel umsteigen. Dadurch werden die positiven Effekte für Verkehr und Umwelt sichtbar und erfahrbar, was wiederum zu einer Zunahme der Akzeptanz führen soll. Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass dieser Annahme zwei verschiedene Mechanismen der Einstellungsänderung zugrunde liegen mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Stabilität der Akzeptanzänderung. Erstens, kann die Anpassung des Mobilitätsverhaltens im Sinne eines einstellungskonträren, dissonanten Verhaltens zu einer stabilen positiven Akzeptanzänderung führen. Zweitens, können aber auch Kontextfaktoren, wie die Sichtbarkeit der Reduktion von Verkehrsaufkommen und Staus oder auch die gesellschaftliche Diskussion, eine solche Akzeptanzänderung nach sich ziehen. Allerdings ist eine solche Einstellungsänderung laut den Zwei-Prozess-Modellen der Einstellungsänderung zeitlich weniger stabil und Gegenargumenten wesentlich zugänglicher. Das Ziel dieser Arbeit war es erstmals systematisch die Ursachen der Akzeptanzänderung nach der Einführung eines städtischen Preissystems zu untersuchen. Dabei konzentrierte sich die Arbeit auf die Anpassung des Mobilitätsverhaltens als mögliche Ursache. Ein Grund dafür ist, dass als Folge von Straßenbenutzungsgebühren nicht nur die Akzeptanzänderung sondern auch unmittelbar eine Anpassung des Mobilitätsverhaltens beobachtet wird, so dass eine Beziehung zwischen beiden Variablen wahrscheinlich erscheint. Zum anderen existieren mit den ZweiProzess Modellen der Einstellungsänderung und der Dissonanztheorie bewährte psychologische Theorien auf deren Basis konkrete Vorhersagen über die Bezie-
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9 Resümee
hung zwischen Akzeptanzänderung und Anpassung des Mobilitätsverhaltens abgeleitet werden können. Im Ergebnis zeigte sich bei ungewöhnlich starker Zustimmung zu Straßenbenutzungsbühren keine Akzeptanzänderung als Folge einer versuchsweisen Einführung im Rahmen des AKTA Feldversuches. Ihr Mobilitätsverhalten passten die Probanden den Straßenbenutzungsgebühren jedoch an. Allerdings gab es keine überzeugenden Hinweise auf eine Beziehung zwischen Akzeptanzänderung und Anpassung des Mobilitätsverhaltens. Dies galt auch für Probanden, die einstellungskonträres und damit dissonantes Mobilitätsverhalten zeigten. Damit wird es wahrscheinlicher, dass nicht die Anpassung des Mobilitätsverhaltens, sondern Kontextfaktoren die Ursache der positiven Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren sind. Als Beispiele für solche Kontextfaktoren wurden u. a. die Rückwirkung auf das Gesamtsystem Verkehr, die gesellschaftliche und politische Diskussion sowie die Medienberichterstattung diskutiert. Im Kontext der Zwei-Prozessmodelle der Einstellungsänderung sind diese Faktoren dem peripheren Weg der Einstellungsänderung zuzuordnen. Sollte sich in zukünftigen Untersuchungen herausstellen, dass einer dieser Faktoren für die positive Akzeptanzänderung nach der Einführung verantwortlich ist, lässt sich bereits jetzt vorhersagen, dass die Akzeptanzänderung zeitlich nicht stabil und anfällig für Gegenargumente sein wird. Die langfristigen Akzeptanzverläufe der norwegischen Städte weisen bereits in diese Richtung. Sowohl in Oslo als auch in Trondheim wurde eine negative Akzeptanzänderung als Reaktion auf die Diskussion von Veränderungen bzw. Erweiterungen der bestehenden Systeme registriert. Damit kommt der Sicherstellung der Akzeptanz eines städtischen Preissystems nicht nur im Vorfeld sondern auch nach der Einführung eine entscheidende Bedeutung zu. Dazu bedarf es eines aktiven Marketings des Konzepts von Straßenbenutzungsgebühren und dessen Umsetzung vor der Einführung aber auch der Ergebnisse eines städtischen Preissystems nach dessen Einführung. Welchen psychologischen Prinzipien ein solches Marketing von Straßenbenutzungsgebühren folgen sollte, formulierten bereits Schlag und Teubel (1997) sowie Schlag und Schade (2000). Bei der Anpassung des Mobilitätsverhaltens haben sich die Vorhersagen des sequenziellen Kostenminimierungsprinzips erstmals auch in einer empirischen Felduntersuchung bewährt. Dieses Prinzip postuliert, dass die Pkw-Nutzer ihre Anpassungsstrategien nach dem günstigsten psychologischen Kosten-Nutzen Verhältnis auswählen. Diese Arbeit hat aber auch gezeigt, dass die Strategien, die laut Kostenminimierungsprinzip mit den höchsten psychologischen Kosten verbunden sind, am effektivsten die Pkw-Nutzung reduzieren. Für die Praxis bedeutet dies, dass
9 Resümee
213
durch die Senkung der psychologischen Kosten der effektiveren Anpassungsstrategien deren Kosten-Nutzen Verhältnis positiver gestaltet und die Pkw-Nutzer so motiviert werden könnten, diese Anpassungsstrategien häufiger anzuwenden. In diesem Zusammenhang kommt einer Paketlösung, die städtische Preissysteme mit Investitionen in alternative Verkehrsmittel verbindet, neben der Sicherstellung der Akzeptanz eine weitere Funktion zu. Wenn es durch entsprechende infrastrukturelle oder informatorische Begleitmaßnahmen leichter gemacht wird, alternative Verkehrsmittel zu nutzen, sinken die psychologischen Kosten und damit die Nutzungshemmnisse. Damit tragen solche Begleitmaßnahmen wesentlich zur Effektivität des städtischen Preissystems bei. Bisher gibt es jedoch keine Studien, die untersuchen, welche Begleitmaßnahmen die Verhaltensanpassung an städtische Preissysteme wie unterstützen. Solche Erkenntnisse sind aber wichtig, um die Ausgestaltung eines städtischen Preissystems auf die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer abzustimmen. Die gegenwärtige Evaluationspraxis städtischer Preissysteme ist durch eine separate Betrachtungsweise der Akzeptanz, der Anpassung des Mobilitätsverhaltens, der Medienberichterstattung und der ökonomischen Auswirkungen gekennzeichnet. Das führt dazu, dass die Komplexität der Auswirkungen eines Preissystems auf die Bürger und das mögliche Zusammenwirken dieser Effekte nicht genügend berücksichtigt wird (Gehlert & Nielsen, 2007). Im Gegensatz dazu wurde in dieser Arbeit explizit das Zusammenwirken der Akzeptanz und der Anpassung des Mobilitätsverhaltens an Straßenbenutzungsgebühren untersucht. Obwohl die Anpassung des Mobilitätsverhaltens nicht als Ursache für die positive Akzeptanzänderung nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren bestätigt werden konnte, weisen die Alternativerklärungen ebenfalls auf ein komplexes Zusammenwirken der verschiedenen Effekte hin. Daher ist es notwendig, dass die Evaluation städtischer Straßenbenutzungsgebühren zukünftig dem integrierten Ansatz dieser Arbeit folgt. Das bedeutet, dass sich die beteiligten Disziplinen, die die einzelnen Effekte bisher separat untersucht haben, methodisch besser abstimmen und koordinieren müssen, um dem interdisziplinären Charakter städtischer Preissysteme gerecht zu werden.
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A Anhang
5-stufig 5-stufig
PostQ02, PostQ04 TIQ & PostQ01a, PostQ01b PostQ29
PreQ06 & PostQ17
5 Items, 5-stufig
PostQ28
3. Hauptverkehrszeitzuschlag
3-stufig & 5-stufig 3-stufig
PreQ07, PostQ18 & PreQ08, PostQ19 PreQ11, PreQ12
3-stufig & 4-stufig 3-stufig & 4-stufig 3-stufig & 4-stufig 3-stufig 3-stufig & 4-stufig
PreQ04 & PostQ15
erweiterte Ratingskala in der Nachbefragung erweiterte Ratingskala in der Nachbefragung erweiterte Ratingskala in der Nachbefragung nur Vorbefragung erweiterte Ratingskala in der Nachbefragung
PreQ13a nur 2. & 3. Runde
nur Nachbefragung nur Nachbefragung 1. & 3. Runde nur Nachbefragung
nur Nachfragung
erweiterte Ratingskala in der Nachbefragung nur Vorbefragung
nur Nachbefragung nur Vorbefragung
Anpassungen
4. Kordonpreissystem PreQ10 5. Paketlösung (Straßenbenutzungsgebüh- PreQ15 & PostQ23 ren + bevorzugte Einnahmenverwendung) Akzeptanzänderung realisierte Akzeptanzänderung PostQ24 5-stufig nur Nachbefragung PreQxx = Item-Nummer der Vorbefragung; PostQxx = Item-Nummer der Nachbefragung (Seidel, 2006)
6-stufig 6-stufig
PreQ13a & PostQ21 PreQ14 & PostQ22
7 Items, 5-stufig
3-stufig 2-stufig
Skala
PostQ27 PreQ02, PreQ03
PreQ05 & PostQ16
Item-Nr.
Tabelle A.1: Erhobene Variablen zur Akzeptanz von Straßenbenutzungsgebühren Determinanten der Akzeptanz 1. Problembewusstsein 2. subjektives Wissen 3. wahrgenommene Effektivität a) des Hauptverkehrszeitzuschlages zum zeitl. Verschieben von Fahrten b) des Kordonpreissystems zur Reduktion des Pkw-Nutzung c) zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungsräumen 4. wahrgenommene Gerechtigkeit a) Fairness b) Übereinstimmung mit der persönlichen Nutzenerwartung 5. Erwartungen über Nachteile von Straßenbenutzungsgebühren 6. Einnahmenverwendung a) für die Öffentlichkeit b) für Verbesserungen im Verkehr Akzeptanz 1. gegenwärtiges dänisches Kfz-Steuersystem 2. Straßenbenutzungsgebühren
Variablen
236 A Anhang
Determinanten subjektives Wissen Mautstationen Gebietssysteme wahrgenommene Effektivität Hauptverkehrszeitzuschlag bezüglich sich selbst bezüglich andere Kordonpreissystem bezüglich sich selbst bezüglich andere Einnahmenverwendung für die Öffentlichkeit Akzeptanz Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenutzungsgebühren Hauptverkehrszeitzuschlag Kordonpreissystem Paketlösung ∗p < .05,∗∗ p < .01 .12∗ .12∗
.35∗∗
.15∗
subjektives Wissen MautGebietsstation system
.42∗∗ .11∗ .17∗∗
.40∗∗ .20∗∗
.22∗∗
−.12∗
.22∗∗ .37∗∗
.14∗
−.12∗
.34∗∗ .20∗∗
.59∗∗
.32∗∗ .27∗∗ .32∗∗
.33∗∗
−.17∗∗
.43∗∗
.21∗∗ .26∗∗ .12∗
.19∗
−.12∗
wahrgenommene Effektivität HauptverkehrszeitzuKordonpreissystem schlag bzgl. selbst bzgl. andere bzgl. selbst bzgl. andere
Tabelle A.2: Bivariate Korrelationsanalyse der Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz vor der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ )
A Anhang 237
Determinanten Problembewusstsein wahrgenommene Effektivität Hauptverkehrszeitzuschlag bezüglich sich selbst .22∗∗ bezüglich andere .24∗∗ zur Lsg. von Verkehrspro.32∗∗ blemen in Städten wahrgenommene Gerechtigkeit Fairness .16∗ Erwartungen von Nach−.21∗∗ teilen aus Straßenbenutzungsgebühren Einnahmenverwendung für die Öffentlichkeit .13∗ Akzeptanz Gegenwärtiges dänisches Pkw-Steuersystem Prinzip von Straßenbenut.32∗∗ zungsgebühren Hauptverkehrszeitzu.27∗∗ schlag Paketlösung .19∗∗ ∗p < .05,∗∗ p < .01 .53∗∗ .26∗∗
.47∗∗ .23∗∗
.34∗∗
.48∗∗
.45∗∗
−.13∗ .42∗∗
−.13∗
.26∗∗ −.34∗∗
.28∗∗ −.23∗∗
.36∗∗
.34∗∗ −.33∗∗
.49∗∗
.61∗∗ .38∗∗
Hauptverkehrszeitzuschlag bzgl. selbst bzgl. andere
.30∗∗
.47∗∗
.48∗∗
−.43∗∗
wahrg. Gerechtigkeit Verkehrspro- Fairness bleme
Problembe- wahrgenommene Effektivität wusstsein
−.42∗∗
−.49∗∗
−.49∗∗
.20∗∗
Erwartung von Nachteilen
.16∗
Öffentlichkeit
Einnahmenverwendung
Tabelle A.3: Bivariate Korrelationsanalyse der Determinanten der Akzeptanz und der Akzeptanz nach der Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (Spearman’s ρ )
238 A Anhang
Gesamt Preisb. +/-
Hochpreissystem Kontr. Preisb. +/-
Niedrigpreissystem Kontr. Preisb. +/-
Kordonpreissystem Kontr. Preisb.
Anzahl der Wege Hauptverkehrszeit morgens
+/-
4.60 4.28 −0.32 4.58 4.13 −0.45 4.87 4.60 −0.28 4.23 4.24 +0.01 (1.91) (1.84) (10.51) (1.87) (1.84) (1.13) (2.00) (1.77) (1.00) (1.87) (1.95) (1.16) 1.90 1.74 −0.16 1.89 1.66 −0.23 1.99 1.87 −0.12 1.80 1.82 +0.02 (0.85) (0.85) (0.57) (0.89) (0.87) (0.54) (0.79) (0.73) (0.53) (0.80) (0.92) (0.65) 0.72 0.60 −0.06 0.71 0.62 −0.08 0.75 0.70 −0.46 0.69 0.68 −0.01 (0.42) (0.42) (0.27) (0.43) (0.43) (0.26) (0.39) (0.34) (0.25) (0.45) (0.48) (0.33) 1.20 1.10 −0.10 1.18 1.03 −0.15 1.24 1.17 −0.07 1.11 1.14 +0.02 abends (0.55) (0.55) (0.38) (0.58) (0.55) (0.35) (0.52) (0.46) (0.36) (0.53) (0.60) (0.45) Woche 3.47 3.22 −0.25 3.46 3.01 −0.38 3.68 3.46 −0.22 3.15 3.24 +0.09 (1.52) (1.47) (0.93) (1.51) (1.46) (0.92) (1.56) (1.39) (0.74) (1.48) (1.59) (1.13) 1.13 1.06 −0.07 1.12 1.05 −0.07 1.19 1.14 −0.05 1.10 0.99 −0.08 Wochenende (0.52) (0.51) (0.37) (0.49) (0.50) (0.35) (0.56) (0.54) (0.40) (0.56) (0.48) (0.43) Wegelänge 36.43 33.86 −2.57 35.03 32.01 −3.02 41.59 39.96 −1.90 32.72 30.54 −2.20 (km) (16.51) (17.16) (10.51) (16.02) (16.65) (10.74) (17.11) (19.30) (9.02) (15.53) (12.73) (12.04) 15.17 14.09 −1.08 14.73 11.44 −1.75 17.64 17.69 +0.05 12.66 11.95 −0.71 Hauptver(8.60) (9.66) (5.71) (8.58) (9.20) (5.46) (9.25) (11.37) (5.77) (6.49) (6.16) (6.22) kehrszeit morgens 6.19 5.75 −0.44 5.97 5.28 −0.69 7.45 7.30 −0.16 4.91 4.81 −0.09 (4.78) (5.34) (3.15) (4.63) (5.40) (3.18) (5.42) (5.83) (2.95) (3.64) (3.67) (3.37) 8.46 7.88 −0.58 8.34 7.30 −1.04 9.45 9.78 +0.33 7.26 6.74 −0.53 abends (4.52) (4.84) (3.44) (4.51) (4.40) (3.14) (4.70) (5.98) (3.71) (3.96) (3.14) −0.53 21.23 19.74 −1.48 20.26 19.01 −1.25 23.93 21.98 −1.95 20.04 18.57 −1.48 außerhalb der (6.97) (9.45) (9.53) (7.03) (11.97) (12.13) (6.20) (10.77) (8.42) (8.01) Hauptverkehrszeit (10.52) (10.19) Wegedauer 54.16 49.44 −4.72 52.58 45.95 −6.63 60.00 57.75 −2.25 49.92 47.47 −2.44 (20.52) (20.75) (13.79) (20.32) (19.54) (13.09) (18.80) (21.86) (10.98) (22.27) (19.40) (16.57) (min) Wegekosten 23.83 20.41 −3.41 31.22 26.08 −5.14 11.46 11.08 −0.38 19.60 16.93 −2.66 (15.62) (13.43) (9.74) (15.49) (13.43) (11.24) (5.88) (6.24) (3.58) (12.54) (12.44) (10.11) (DKK) 39.84 40.56 +0.72 39.59 41.14 +1.55 41.03 40.40 −0.63 38.76 38.92 +0.16 Wegegeschwindigkeit (km/h) (7.64) (8.33) (5.64) (7.44) (8.38) (5.65) (8.14) (8.63) (4.42) (7.38) (7.63) (6.89) Kontr. = Kontrollbedingung, Preisb. = Preisbedingung; +/− : − = Reduktion, + = Mehrverbrauch. Die Wegekosten der Kontrollbedingung wurden zum Vergleich, entsprechend der Berechnungsvorschrift des jeweiligen Preissystems ermittelt (10 DKK ≈ e1.34).
Kontr.
Tabelle A.4: Beschreibung der GPS-basierten Wegeindikatoren der Kontroll- und Preisbedingung (M(SD))
A Anhang 239