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Symbiose der Verdammten Im Labyrinth des Riesenplasmas von Detlev G. Winter
Als Atlantis-Pthor, der durch die...
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Nr. 421
Symbiose der Verdammten Im Labyrinth des Riesenplasmas von Detlev G. Winter
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort beginnt für Atlan und seine Gefährtin eine Serie von Abenteuern, die allesamt voller tödlicher Gefahren sind. Die ersten Stationen ihres Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet und Gooderspall, die Welt der Insektoiden. Vor kurzem hatten Atlan und Thalia sich mit den Herrschern von Ringtor auseinan derzusetzen, was schließlich zu einer überstürzten Flucht per Transmitter führte. Der Arkonide und das Mädchen gelangen dadurch in das Labyrinth des Riesen plasmas – und sie erleben die SYMBIOSE DER VERDAMMTEN …
Symbiose der Verdammten
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer in einem lebenden Labyrinth.
Corfyl - Ein obedianischer Wissenschaftler.
Glaumo - Ein Mutant.
Tyrns - Atlans und Thalias unfreiwilliger Führer.
Kandyr-Corn - Leiter einer Expedition.
Wenn du in der Lage wärst, zu denken und zu verstehen, würdest du eines Tages beginnen, über deine Existenz zu grübeln und nach dem Sinn deines Lebens zu fragen. Du würdest schreckliche und erschütternde Antworten erhalten. Du würdest erfahren, daß du in ferner Vergangenheit eine Viel zahl warst und unter dem Einfluß künstli cher Strahlung zu einer Einheit verschmol zen bist. Du könntest erkennen, daß du miß braucht wirst von jenen, die dich geschaffen haben. Du könntest sie hassen und vernich ten. Doch du bist des Denkens und des Ver stehens nicht mächtig. Trotz deiner enormen Größe stehst du auf der untersten Stufe der Evolution. Eine Ansammlung von Zellen und Zellverbänden, eine willkürlich verwachse ne, formlose organische Masse. Taub, blind und stumm. Angefüllt mit Instinkten, Gefüh len und ungeordnetem Geist. Du kannst empfinden. Manchmal spürst du wohlige Wärme, die in dich eindringt, Freundlichkeit und Zufriedenheit, Behagen und Wollust. Ein anderes Mal, so wie jetzt, durchziehen dich geistige Qual und körper liche Folter. Du nimmst es hin. Du bist nicht fähig, die Ursachen zu erkennen. Du kannst dich nicht wehren, mußt es geschehen lassen. Deine Reaktionen sind unbewußt und ungesteuert. Denn du denkst nicht und verstehst nicht. Du bist irgendwann entstanden und wirst irgendwann vergehen. Du lebst. Du fühlst. Du bist. Nicht mehr # und nicht weniger.
1. Es war lange her, daß der Arkonide die Begleiterscheinungen eines Transmitter durchgangs in so intensiver Weise erlebt hatte. Er hatte das Gefühl, von einer giganti schen Kraft gepackt und zerrissen zu wer den. Er spürte jede Faser seines Körpers. Der Schmerz raubte ihm fast die Sinne. Haltlos taumelte er einige Schritte nach vorn, die Arme in unkontrolliertem Reflex ausgestreckt. Schwer atmend blieb er schließlich stehen. Noch fühlte er sich be nommen, aber unter den belebenden Impul sen des Zellaktivators erholte er sich verhält nismäßig schnell. Atlans Blick klärte sich; aus den verwaschenen Schemen konfuser Wirrnis schälten sich die Konturen einer far benschillernden, in träger Bewegung verhaf teten Wirklichkeit. Mit Erleichterung nahm Atlan zur Kenntnis, daß bisher kein Angriff erfolgt war. In den Minuten der geistigen Verwirrung wären er und seine Mitstreiter völlig wehrlose Opfer gewesen. So merk würdig dieser Ort auf den ersten Blick wirk te, es bestand offenbar keine unmittelbare Bedrohung. Wenige Schritte neben sich sah er Thalia. Die fünf anderen vermochte er nirgends zu entdecken, und obwohl dieser Umstand seine Verwirrung steigerte, schob ihn Atlan als ein Problem zweitrangiger Be deutung zunächst zur Seite. In erster Linie war es wichtig, sich um die Pthorerin zu kümmern. Sie hielt die Augen geöffnet, aber es war deutlich, daß sie die Orientierung noch nicht wiedergefunden hatte. Der Arko nide ging zu ihr und ergriff sie behutsam an den Schultern. »Thalia!« sagte er eindringlich. Ihre Lider zuckten unkontrolliert, dann
4 flackerte Erkennen in ihrem Blick auf. »Das war hart«, murmelte sie. »Ich dachte nicht, daß ich es lebend überstehen würde.« »Bist du in Ordnung?« Sie nickte schwach, während sie tief ein atmete und die Luft zischend wieder aus stieß. »Ich denke ja.« Sie schüttelte ruckartig den Kopf, um die letzten Schatten der Des orientierung zu vertreiben. »Seit ich dich kenne, habe ich mich an einiges gewöhnt.« Atlan konnte sich ein Lächeln nicht ver kneifen. Er fand die Art, wie seine Gefährtin die eben hinter sich gelassenen Strapazen überging, ermutigend. Überdies gab es noch immer keine Anzeichen, daß jemand einen Angriff auf sie vorbereitete. Vielleicht war ihnen nach den turbulenten Ereignissen auf Sinkle-Eehl endlich etwas Ruhe und Erho lung vergönnt. So weit in seinen Gedanken gekommen, meldete sich die lautlose, ernüchternde Stimme des Extrasinns, die ihm in gewohnt frappierender Offenheit klarmachte, daß er sich nur umzusehen brauche, um festzustel len, wie weit es mit der erhofften Entspan nung her sei. Unwillkürlich nickte Atlan. Der Ort, an den sie der Ringtor-Trans mitter geschleudert hatte, war von faszinie render Fremdartigkeit. Ein kuppelförmiger Raum, dessen technische Anlagen in eine farbige, ruhelose Masse eingebettet waren. Träge pulsierend, in ständiger, schwerfälli ger Bewegung begriffen, wölbte sich die Substanz in schwindelerregende Höhe hin auf. Es schien, als würde sie durch energeti sche Felder daran gehindert, den Saal auszu füllen. Ruhelosigkeit bestimmte das Bild. Überall in dieser zähen Masse bildeten sich Strudel und Wirbel, die sich alsbald wieder auflösten, leichte Schwingungen zogen über die Substanz hinweg, es entstanden ge schwulstartige Auswölbungen. Atlan wurde den Eindruck nicht los, sich im Innern eines riesigen Organklumpens zu befinden, der die Gerätschaften der Transmitteranlage schüt zend umschloß. Die Erzeugnisse einer frem-
Detlev G. Winter den Technik waren auf beinahe harmonische Weise in die lebende Masse eingefügt und mit ihr verbunden. Dennoch ging eine un wirkliche Bedrohung von dem Organismus aus, sein Anblick war gleichermaßen phan tastisch und erschreckend. Es waren keine Leuchtquellen zu entdecken, aber die in al len Farben schillernde Substanz erfüllte die Umgebung mit grünlichtrüben Licht. »Ich kann nicht behaupten, daß ich mich hier sonderlich wohl fühle«, sagte Atlan, nach einem langen Rundblick. Thalia nickte. Sie war einige Schritte auf und ab gegangen, um die schmerzenden Muskeln zu trainieren. Jetzt kam sie zu At lan und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Wir werden eine Menge Probleme zu lö sen haben«, sagte sie und machte eine alles umfassende Geste. »Wir wissen nicht, wo wir sind, was uns erwartet und wie wir hier herauskommen sollen.« »Es wird uns etwas einfallen«, versicherte der Arkonide. Allmählich kehrten seine Kräfte vollständig zurück. »Was mich im Moment beschäftigt, ist die Frage, wo die anderen geblieben sind.«
* Die anderen – das waren die fünf Mitglie der der Obed-Sippe, mit denen Atlan und Thalia auf dem Planeten Sinkle-Eehl zusam mengetroffen waren: die ebenso häßliche wie eitle Santhillia, der verwegenwilde Kuron, der schweigsame Drumuuhl, der cle vere, intelligente Carnat – und Tehtleyn, das kindlichirre, heimtückische Familienober haupt. Einst Mitglieder eines alten Adelsge schlechts, das über diesen Bereich der Schwarzen Galaxis herrschte, hatten sie sich auf der Flucht vor den Häschern des Dunklen Oheims in eine Festung zurückge zogen, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen architektonischen Merkmale Ringtor ge nannt wurde. Hier glaubten sie, Ruhe zu fin den und irgendwann in Vergessenheit zu ge raten. Sie hatten freilich nicht mit der Schläue
Symbiose der Verdammten Chirmor Flogs, des unumschränkten Herr schers über das Marantroner-Revier, gerech net. Durch das Studium alter Dokumente mußte er auf die Idee gekommen sein, das Geheimnis von Ringtor zu ergründen und geeignetenfalls für seine machtpolitischen Zwecke einzusetzen. Er hatte die LARZIER losgeschickt, ein Organschiff, dessen Besat zung auf Sinkle-Eehl nach dem Rechten se hen sollte. Durch die verderbliche Strahlung Ringtors zum Absturz gebracht, hatte es im merhin noch einen Notruf absetzen können. Chirmor Flog zögerte nicht lange. Er, der seine schlimmsten Befürchtungen offenbar bestätigt sah, setzte unverzüglich eine Ver nichtungsflotte in Marsch, die den letzten Überlebenden des alten Adelsgeschlechts den Garaus machen sollte. Atlans techni schem Verständnis war es zu verdanken, daß die Transmitteranlage der Festung rechtzei tig aktiviert werden konnte. Er, Thalia und die Obed-Familie wurden entmaterialisiert, bevor die feindliche Flotte Ringtor zerstörte. Die Funktion eines Transmitters war dem Arkoniden vertraut. Um so seltsamer erschi en es Atlan, daß nur er und Thalia hier mate rialisiert waren. Die Obeds tauchten nicht wieder auf. Sie blieben verschollen. Es war müßig, darüber zu spekulieren, was ihnen zugestoßen sein mochte. Viel leicht waren sie durch einen technischen Fehler oder ein Naturereignis abgesondert worden und an einem anderen Ort herausge kommen. Atlan hielt es auch für denkbar, daß die Rekonstruktion ihrer atomaren Mu ster nicht reibungslos abgelaufen war. Sie hatten lange unter dem Einfluß Ringtors ge lebt, dessen Strahlung ihnen sogar zur Un sterblichkeit verholfen hatte. Möglicherwei se war ihr Körpergefüge im subzellularen Bereich derart verändert worden, daß es einen Hypertransport unmöglich machte. Die Frage, an welchen Ort sie der Trans mittersprung verschlagen hatte, hielt der Ar konide momentan dringender der Klärung bedürftig. Der Entzerrungsschmerz war un gewöhnlich heftig gewesen, und Atlan war geneigt zu glauben, daß die Entfernung, die
5 sie zurückgelegt hatten, dementsprechend groß war. Vielleicht befanden sie sich über haupt nicht mehr im Marantroner-Revier. Narr! Der Einwand kam mit gewohnter Kaltschnäuzigkeit. Sein Extrasinn gedachte, ihn eines Besseren zu belehren. Hast du ver gessen, was in Ringtor los war, als wir ab gestrahlt wurden? Die Flotte des Neffen war dabei, die Anlage in Schutt und Asche zu le gen. Unermeßliche Energien sind dabei frei gesetzt worden. Es ist normal, daß dies nicht ohne Auswirkungen auf unseren Sprung ge blieben ist. Atlan verzichtete auf eine geistige Debat te mit seinem Logiksektor. Die Erklärung, die der Extrasinn anbot, entbehrte nicht ei ner großen Wahrscheinlichkeit. Der Arkonide ging hinüber zu den Schalt anlagen. Er hatte die spontane Idee, den Transmitter neu zu justieren und sich und Thalia von hier abzustrahlen. Seine Bemü hungen blieben erfolglos. Die Energiever sorgung war unterbrochen, das Gerät mußte sich nach ihrer Ankunft automatisch abge schaltet haben. »Gib es auf«, riet Thalia, die sein Vorge hen verfolgt hatte. »Es wird uns nichts üb rigbleiben, als aus eigener Kraft hier heraus zufinden.« Ihr ausgestreckter Arm wies auf die ge genüberliegende Wand der Organmasse. Dort führten mehrere Gänge tiefer in die fremdartige Substanz hinein. Über jede der Öffnungen wölbte sich eine grünliche, zuckende Membran. Auch sie schienen or ganischen Ursprungs zu sein, denn sie be wegten sich genau im Rhythmus des umlie genden Gewebes. Atlan nickte zustimmend. Wahrscheinlich hatten sie wirklich keine an dere Möglichkeit, als eine der Membranen zu durchbrechen und in den dahinterliegen den Korridor vorzustoßen. Vorsichtig, fast ängstlich, näherten sich die beiden Men schen einem der Gänge. Das leise, stetige Rauschen wie von einem weit entfernten Wasserfall wurde deutlicher, und jetzt wurde Atlan schlagartig klar, was es zu bedeuten hatte.
6 Es war das Geräusch von Körperflüssig keit, die den fremden Organismus durch strömte, ihn mit Nährstoffen versorgte und am Leben hielt! Die Erkenntnis versetzte ihm einen Schock. Zwar hatte er das Ungeheuerliche die ganze Zeit über vermutet, aber insge heim hatte er gehofft, daß er sich täuschen könnte. Atlan, der uralte und erfahrene Arkonide aus dem Geschlecht der Gonozal, Mentor der terranischen Menschheit, Freund und Berater Perry Rhodans, König von Pthor – er stand fassungslos und entsetzt einem Phä nomen gegenüber, das ihm im Augenblick des deutlichen Erkennens den Verstand zu rauben schien. Für einen Moment verlor er jedes Zeitge fühl. Er wußte nicht, wie lange er so dastand und seine Gedanken zu ordnen versuchte, bis Thalia ihn heftig anstieß. »Was ist los?« rief sie. Noch immer maßlos verwirrt, deutete der Arkonide auf die pulsierende Masse vor ih nen. »Es lebt!« sagte er rauh. »Wir stehen mit ten in einem gewaltigen Organismus.« »Nichts anderes haben wir vermutet.« Die Leichtigkeit, mit der sie darüber hin wegging, gab ihm etwas von seiner Standfe stigkeit wieder. Er sah die farbschillernde Substanz, hörte das verhaltene Rauschen der Körperflüssigkeit, spürte im Gesicht die Wärme, die der Organismus ausstrahlte – und wußte, daß er die Tatsachen endgültig akzeptiert hatte. Gleichzeitig begann er sich zu fragen, wie umfangreich dieses monströse Gebilde sein mochte, ob es natürlichen oder künstlichen Ursprungs war, wie es hatte entstehen kön nen … Vergessene Bilder: Garnverc »Es wäre ei ne idyllische Welt«, kommentierte CorfylObed, »wenn sie nicht diese entsetzlichen Wesen hervorgebracht hätte.« Krilla-Obed, die neben ihm stand, nickte zustimmend. Ihr Gesicht wirkte verkniffen, während sie den Landschaftsausschnitt, der
Detlev G. Winter auf dem Bildschirm wiedergegeben wurde, unlustig musterte. »Ich fürchte«, sagte sie, »unsere Mission steht unter einem ungünstigen Stern. Die er ste Sonne, die wir angeflogen haben, besaß überhaupt keine Planeten, das zweite System bestand nur aus toten Materieklumpen – und jetzt das!« Corfyl unterdrückte ein Lachen. Krilla ge hörte zu den Leuten, die sich mit einer Auf gabe, die ihnen gestellt wurde, hundertpro zentig identifizierten. Sie hatte den Auftrag, in insgesamt drei Sonnensystemen nach be wohnbaren Welten zu suchen. Das Scheitern ihrer Expedition mußte der stolzen Obedia nerin wie ein Schlag ins Gesicht erscheinen. »Immerhin haben wir etwas gefunden, was sich zu beobachten lohnt«, versuchte der Wissenschaftler ihre Laune zu bessern. Er nahm einige Schaltungen vor. Das Bild auf dem Monitor schien ruckartig näherzu kommen. »Sieh hin«, forderte er seine Begleiterin auf. »Du vergibst dir nichts dabei.« Widerwillig fügte sich die Frau seinem Vorschlag. Auf dem Bildschirm war in ge stochen scharfer Ausschnittsvergrößerung eines der riesigen Protoplasmawesen zu er kennen. Es pulsierte aus sich selbst heraus, auf seiner Oberfläche waren vielfältige far bige Muster in ständiger, ruheloser Bewe gung. Während des Orbits um diese Welt, der sie den Namen Garnverc verliehen hat ten, hatten sie unzählige dieser Wesen ent decken können. Noch war nicht geklärt, ob der Kontakt mit ihnen einem Menschen ge fährlich werden konnte, doch schien bereits jetzt festzustehen, daß die Gründung einer Kolonie auf Garnverc ausgeschlossen war. Am Bildrand, in unmittelbarer Nähe des Plasmaklumpens, tauchte eine schlangen ähnliche Kreatur auf, die in geschmeidiger Be wegung über den steinernen Untergrund glitt. Krilla hatte einen entsetzten Schrei auf den Lippen, als sie sah, wie sich die Schlan ge in das Plasma hineinzuwühlen begann und darin verschwand. »Es ist abstoßend«, murmelte sie. Corfyl verstand ihre Reaktion,
Symbiose der Verdammten aber er war zu sehr nüchterner Wissen schaftler, als daß er ihre Einstellung hätte teilen können. »Das Leben auf Garnverc«, erklärte er, »hat sich in einer umfassenden Symbiose zusammengefunden. Tiere und Pflanzen leben mit und von den Plasmawe sen. Hättest du dich etwas mehr auf Beob achtungen konzentriert, hättest du vorhin feststellen können, daß einige größere Tier arten das Plasma als Nahrung benutzen. Sie beißen Teile davon ab und verschlingen sie.« »Wozu sollte das gut sein?« »Verstehst du denn nicht?« Langsam re dete sich Corfyl in euphorischen Eifer hin ein. »Wir wissen nicht, wie die Plasmaklum pen entstanden sind, aber wir werden Zeu gen von der Art, wie sie sich in Flora und Fauna dieser Welt eingegliedert haben. Sie sind Grundlage und Stütze einer planetaren Zweckgemeinschaft geworden.« »Glaubst du, daß sie intelligent sind?« »Kaum. Ihre Lebens und Ernährungswei se läßt nicht darauf schließen. Außerdem findet man symbiotische Verbindungen mei stens bei niederen Arten. Dennoch ist es ein faszinierendes Schauspiel.« Krilla wurde seine verschrobene An schauungsweise einer zur Besiedlung unge eigneten Welt zu viel. Sie schaltete die Ver größerung zurück und tastete ein Programm in den Bordrechner. Sekunden später lagen ihr die Daten zum Verlassen der Atmosphä re vor. Der Wissenschaftler beobachtete ihre Vorbereitungen ungläubig. »Du hast hoffentlich nicht vor, den Heim flug anzutreten?« »Natürlich!« schrie sie ihn an. »Was sonst? Wir sollten bewohnbare Planeten aus findig machen, nicht irgendwelche unwichti gen Plasmaklumpen studieren!« Es war ihre Art, auf Mißerfolge zu reagie ren. Corfyl hatte sich längst gelernt, der Pi lotin in solchen Momenten zweckmäßiger weise nicht zu widersprechen. Daß er es dennoch tat, entsprach eher einem unbe stimmten Gefühl als vernünftiger Überle
7 gung. »Ich möchte, daß wir noch eine Weile hierbleiben«, verkündete er. Krillas Kopf ruckte sprachlos herum. Es dauerte seine Zeit, bis sie die Überraschung verdaut hatte, die der Wissenschaftler mit seinem Ansinnen erzeugte. »Darf man nach dem Grund fragen?« wollte sie dann in ihrer unnachahmlich bissi gen Art wissen. Corfyl wirkte unsicher. »Ich glaube, daß man mit den Plasmawe sen einige Experimente anstellen müßte. Vielleicht können sie uns in irgendeiner Weise nützlich werden.«
2. Wuchtig stieß Atlans Faust nach vorn. Die Membran zerriß mit einem häßlichen, knallenden Geräusch. Das Gesicht des Arko niden wirkte verbissen, als er die Hand wie der zurückzog. Es widerstrebte ihm, einem lebenden Wesen Schmerz zuzufügen, und er war nahezu sicher, daß die Organmasse sei ne Aktion als Schmerz empfinden würde. Atlan war sich jedoch darüber im klaren, daß sie keine andere Möglichkeit hatten, den Transmitterdom zu verlassen. Er wollte sich anschicken, durch den ent standenen Spalt in den angrenzenden Gang vorzudringen, als ihm die Veränderung auf fiel, die mit der Membran vor sich ging. An den Rändern des Risses bildete sich mit atemberaubender Schnelligkeit neue Sub stanz, die aufeinander zuwuchs und sich schließlich nahtlos zusammenfügte. Inner halb weniger Sekunden hatte sich die Öff nung wieder geschlossen. Thalia stieß einen erstickten Laut aus. In ihren Augen spiegelte sich jäh aufkeimendes Entsetzen. »Es regeneriert sich selbst«, stellte der Arkonide fest. Er bemühte sich, ruhig und sachlich zu bleiben, um die Stimmung seiner Begleiterin nicht weiter zu verschlechtern. »Wir müssen es anders versuchen.« Eine Tatkraft und Entschlossenheit hatte
8 ihn ergriffen, die typisch für sein Verhalten in scheinbar ausweglosen Situationen war. Wie groß und ausgedehnt der Organklum pen auch sein mochte, es war kaum anzu nehmen, daß er den gesamten Planeten be deckte. Irgendwo mußte es einen Weg ins Freie geben. Sie würden ihn finden! Aber mals stieß er mit der Faust durch die grünli che Membran. Er schob den zweiten Arm nach, zerrte die zähe, dünne Substanz aus einander und zwängte sich vollends hin durch. Der harte Stahlboden der Transmit terhalle endete an der Grenze zum Korridor. Atlan gelangte auf nachgiebigen, federnden Untergrund. Vor sich sah er, den Blick nicht mehr durch die Membran getrübt, den von pulsierender organischer Substanz um schlossenen Gang, der sich bis in die Unend lichkeit hinzuziehen schien. Vielerlei techni sches Gerät war in die Wandung eingebettet und teilweise von der Plasmamasse um schlossen. Auch hier herrschte trübes, grün liches Licht. Atlan wandte sich um und beobachtete Thalia, die auf der anderen Seite des Durch gangs unschlüssig verharrte. »Komm schon!« forderte er die Pthorerin auf. Thalia zögerte, während sich die Öffnung ständig verkleinerte. Schließlich gab sie sich einen Ruck, schob das Zellgefüge erneut auseinander und trat hindurch. Atlan atmete auf. Die erste Hürde auf dem Weg nach draußen war genommen. Sie hat ten ihre Abneigung überwunden, der Plas mamasse nahezukommen. Alles Weitere würde leichter sein. Prüfend preßte der Arkonide eine Hand gegen die Wand des Korridors. Das Gewebe gab unter dem Druck nach, ließ sich aber nicht durchdringen. Es wirkte zäh, fest und trotz seiner wallenden, ruhelosen Konsistenz stabil. Unwillkürlich fragte sich Atlan, ob der Transmitterdom und die angrenzenden Gän ge ihre Form aufgrund natürlicher Vorgänge bewahrten oder ob das Plasma durch energe tische Felder in Schranken gehalten wurde.
Detlev G. Winter Wahrscheinlich war letzteres der Fall. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ein Organ klumpen aus sich selbst heraus dauerhafte Freiräume in seinem Innern bildete. Mit die ser Einsicht einhergehend, stellte sich die Frage, wer die Konstrukteure der Körper höhlen und der technischen Anlagen waren. Für Atlan bestand kaum ein Zweifel, daß es sich um dasselbe Volk handelte, das auch die Ringtor-Festung erbaut hatte. Von den dunklen Mächten erbarmungslos gejagt, exi stierten sie längst nicht mehr. Der überraschte Ruf, den Thalia ausstieß, veranlaßte ihn, seine Beobachtungen zu un terbrechen. Die Pthorerin war einige Schritte vorausgegangen und hatte sich an einem der monströsen Geräte zu schaffen gemacht. At lan eilte zu ihr. »Das Plasma …«, stammelte sie. Der Arkonide erfaßte sofort, was seine Begleiterin so entsetzte. Die Organmasse rund um die Apparatur hatte ihre Bewegung intensiviert. Von allen Seiten begann das Plasma sich vorzutasten und die Maschine zu umschließen. »Du hast die Schaltungen manipuliert«, warf Atlan der Pthorerin vor. »Das schüt zende Energiefeld ist zusammengebrochen.« Auf dramatische Weise sah er seine Ver mutungen bestätigt. Jeden Halts beraubt, floß das Plasma auf den Gang hinaus. Inner halb weniger Sekunden hatte es die Maschi ne völlig unter sich begraben. Wie unter ei ner untragbaren Last bog sich die Decke nach unten durch. Thalia stand wie gelähmt und blickte ver wirrt um sich. »Es tut mir leid«, brachte sie hervor. Ein Plasmafladen, der sich von der Decke gelöst hatte, fiel auf Atlans Arm. Er unter drückte den Impuls, den Brocken abzuschüt teln, als er sah, daß sich die Substanz zusam menzog und sich wie unter Schmerzen wand. Sie verlor ihr farbenprächtiges Ausse hen, wurde schmutziggrau. Übler, modriger Geruch stieg auf. Dann stellte der Klumpen seine Zuckungen ein und fiel kraftlos zu Bo den.
Symbiose der Verdammten Der Arkonide begriff, daß die Berührung mit den Segmenten seines Schutzanzugs für das aus dem Gesamtorganismus herausgelö ste Plasma tödlich war. Unter dem geheim nisvollen Einfluß des Goldenen Vlieses ver lor es jede Kraft und starb augenblicklich ab. Hingegen hatten die Zellverbände, die er bisher mit Schuhen und Handschuhen be rührt hatte, keine Wirkung gezeigt. Solange sie in die Organmasse eingegliedert und in tegriert waren, besaßen sie offenbar eine größere Widerstandskraft. Sein Anzug wür de ihm in der gegenwärtigen Lage nicht viel helfen können, und Thalias Montur bot der Pthorerin eher noch weniger Schutz. Es blieb ihnen nur die Flucht. »Los!« bellte er, packte Thalia am Arm und stieß sie von sich. »Wir laufen um unser Leben!« Er hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als hinter ihm ein riesiger Brocken Plasma sich schmatzend aus der Decke löste und donnernd herniederbrach. Er hastete weiter. Bis zur Membran waren es höchstens fünf zehn Meter, aber es kam ihm vor, als dehne sich die kurze Strecke ins Unermeßliche. Vor ihm stolperte Thalia, verlor auf dem weichen Untergrund den Halt. Atlan packte sie an den Armen, richtete sie auf und zerrte sie mit sich – Meter um Meter. Hinter ihnen brach der Gang endgültig zu sammen. Der Sektor, den die von Thalia umgeschaltete Apparatur geschützt hatte, war dem Untergang geweiht. Der Organberg eroberte einen Teil seiner selbst zurück. Atlan durchstieß die Membran, die sich längst wieder geschlossen hatte, die Pthore rin noch immer hinter sich her ziehend. Unmittelbar hinter der halbdurchsichtigen Membran kam die aufgewühlte Organmasse, von den unsichtbaren Fesseln des Transmit terdoms gebremst, zur Ruhe. Es war schwer vorstellbar, daß es sich dabei um ein Ener giefeld konventioneller Art handelte, denn ein solches hätten Atlan und Thalia ebenfalls nicht durchdringen können. Dem Arkoniden schien es wahrscheinlicher, daß die Erbauer der Station mit interferenten Schwingungs
9 feldern arbeiteten, deren Frequenz den Zell schwingungsrhythmus des Plasmas beein flußte. Solange die Apparaturen einwandfrei funktionierten, wurde der Organismus derart veranlaßt, bestimmte Gestaltungsformen an zunehmen und beizubehalten. Atlan blickte sich um. In der Transmitter halle hatte sich nichts verändert. Es gab kei ne Anzeichen, die darauf hindeuteten, daß sich hier ein ähnlich bedrohlicher Vorgang wie im Korridor vollziehen könnte. Der Ar konide genoß den Moment der Schwäche, den die einsetzende Erleichterung in ihm verursachte. Für Sekunden schloß er die Au gen. »Wir sind in Sicherheit«, sagte er. Thalia sah ihn an. Noch war die Angst nicht völlig von ihr gewichen. Sie zitterte und atmete heftig.
* Das Erlebnis hatte zweierlei bewirkt. Zum einen waren sie sich darüber klarge worden, daß sie während des Weges nach draußen keinen Augenblick in ihrer Auf merksamkeit nachlassen durften. Die Anla gen, die das Plasma in Zaum hielten, besa ßen ein zwar unbekanntes, aber mit Sicher heit sehr hohes Alter, und es hatte den An schein, daß sie bereits seit langer Zeit nicht mehr kontrolliert und gewartet wurden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die eine oder ande re Maschine nicht mehr zufriedenstellend ar beitete oder irgendwann gänzlich ausfiel, war entsprechend groß. Eine Katastrophe wie im ersten Korridor konnte jederzeit er neut über sie hereinbrechen. Es war zweitens erforderlich, ihrem Mar sch ins Freie eine geboten erscheinende, ge steigerte Eile zu verleihen. Neben den be reits genannten Gründen beunruhigte Atlan und Thalia, daß sie über keinerlei Ausrü stung verfügten. Sie besaßen weder Waffen noch Nahrungsmittel, und es gab keinen An laß zu glauben, daß sie irgendwo in der Nä he ein Depot finden würden, in dem noch genießbare Konserven oder chemisch er
10 zeugte Konzentratnahrung lagerten. Ihre Überlebenschance lag außerhalb des Organ bergs. Dort würden eßbare Früchte wachsen oder kleinere Tiere leben, die sie erlegen konnten. Überdies durften sie die Aufgabe nicht vergessen, die sie sich selbst gestellt hatten und in deren Verfolgung sie hierher ver schlagen worden waren. Pthor, der Konti nent des Schreckens, war durch unbekannte Steuerungsmechanismen aus dem Dimensi onskorridor gerissen und in der Randzone der Schwarzen Galaxis zum Stillstand ge bracht worden. Noch bevor sich jene, die die unheimliche Sternenballung beherrschten, um den Materiebrocken kümmern konnten, hatte Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Er und Thalia, die Tochter des Göttervaters Odin, hatten Pthor verlassen, um Informatio nen über die machtpolitischen Hintergründe in der Schwarzen Galaxis, über die herr schenden Mächte und deren militärische Möglichkeiten und ethischmoralische Ein stellung zu sammeln. Was den letzten Punkt anging, hatten sich die schlimmsten Be fürchtungen des Arkoniden bereits bestätigt, und er war fast sicher, daß die Schergen des Dunklen Oheims die Verhältnisse auf Pthor mittlerweile fest im Griff hatten. Sein Ziel war der Planet Säggallo, die Residenz Chirmor Flogs. Von dort wurden die Ge schicke im Marantroner-Revier geleitet, von dort hoffte der Arkonide – von innen heraus –, etwas für seine Freunde auf Pthor tun zu können. Angesichts der Verhältnisse, die er und Thalia hier, am Endpunkt ihres Trans mittersprungs, vorgefunden hatten, mußte sich Atlan allerdings eingestehen, daß er von seinem Ziel weiter entfernt war, als jemals zuvor während der Irrfahrt durch die Rand bezirke der Schwarzen Galaxis. Immerhin hegte er einige zuversichtliche Gedanken. »Auf diesem Planeten«, sagte er, als sie die Membran rechts neben dem eingestürz ten Korridor durchbrochen hatten und in die anschließende organische Röhre vordrangen, »müßte es, wenn die Erbauer der Anlage nicht sämtliche Einheiten abgezogen haben,
Detlev G. Winter ein Raumschiff geben. Es sollte sich finden lassen.« Thalia war davon weniger überzeugt. »Du redest, als hätten wir den Organberg schon hinter uns gelassen. Wir wissen nicht einmal, wie es draußen aussieht, welche Verhältnisse dort herrschen, ob es überhaupt ein Draußen gibt! Was, wenn das Plasma die gesamte Planetenoberfläche bedeckt? Wenn es keinen Weg ins Freie gibt?« »Es gibt ihn! Hier herrscht eine atembare Atmosphäre. Sie entsteht nicht von selbst. Sie kommt von dort, wo wir hin wollen.« »Gut. Das Argument sticht.« Thalia schi en neuen Mut zu fassen. Während der letzten Minuten waren sie einigermaßen zügig vorangekommen. Der Arkonide schätzte, daß sie zweihundert oder mehr Meter zurückgelegt hatten. Ein Ende der organischen Röhre war aber noch nicht zu erkennen. Nahezu geradlinig führte der Korridor in ungewisse Bereiche des Plasma bergs hinein. Je weiter sie kamen, desto unruhiger wur den sie. Das Bewußtsein, sich inmitten einer unüberschaubaren organischen Masse zu be wegen, zerrte an den Nerven. Auch auf lockernde Wortgefechte vermochten daran nichts zu ändern. Sie waren umgeben von bebendem Gewebe, liefen auf weichem, nachgiebigem Untergrund, durch das grün lichtrübe Licht zellulärer Eigenstrahlung. Mehr und mehr entfernten sie sich von dem halbwegs sicher scheinenden Ort ihrer An kunft, stießen in Bereiche vor, in denen die Zeugnisse einer fremden Technik immer sel tener wurden. Nur noch vereinzelt entdeck ten sie einige der klobigen, in das Plasma eingefügten Apparaturen. Das Rauschen der irgendwo durch den Organismus fließenden Körperflüssigkeit schien ständig intensiver zu werden. Beinahe mechanisch setzten sie einen Fuß vor den anderen, in der Hoffnung, den Weg ins Freie zu finden, bevor diese wahnsinnige Umgebung sie seelisch er drückte. Als sich weit vor ihnen quirlende Bewe gung aus dem Halbdunkel schälte, blieben
Symbiose der Verdammten sie wie auf Kommando stehen. Das Rau schen hatte sich weiter verstärkt. »Was ist das?« murmelte Thalia und deu tete nach vorn. Atlan bemühte sich, die dämmrige Trübe mit den Blicken zu durchdringen, aber das gelang ihm nur mangelhaft. Der Untergrund schien seine Beschaffenheit dort geändert zu haben, schien Blasen zu werfen und zu spru deln. Mehr konnte der Arkonide nicht erken nen. »Wir müssen näher heran«, sagte er und setzte sich wieder in Bewegung. Thalia folg te ihm zögernd. Es bedurfte nur weniger Meter, um die beiden erkennen zu lassen, welches Phäno men sie vor sich hatten. Unwillkürlich ver langsamten sie ihre Schritte. Resignation er faßte sie. »Hier endet unser Weg«, faßte Thalia in Worte, was sie beide in diesem Moment dachten. Auf einer Breite von gut fünfzig Metern ergoß sich ein offener Strom von Körper flüssigkeit über den Korridor. Aus einer pul sierenden Öffnung in der rechten Wand schoß er hervor und verschwand auf der an deren Seite in einem gleichartigen Kanal. Aus und Einlaß mußten annähernd kreisför mig sein, wenn auch nur das obere Drittel zu sehen war. Atlan und Thalia konnten daran ermessen, daß sich der Gang bis in eine Tie fe von vierzig Metern absenkte, um den Strom aufnehmen zu können. Die Flüssig keit war von dunkelgrüner Farbe und ver strömte einen intensiven süßlichen Duft. At lan und Thalia waren bis zum Ufer des Flus ses weitergegangen. Dort ging der Arkonide in die Hocke und spähte über die wirbelnden Flüssigkeitsmassen hinweg. »Hier kommen wir nicht weiter«, stellte er fest, während er sich langsam wieder auf richtete. »Wir können nicht hinüberschwim men. Die Strömung würde uns fortreißen.« »Du trägst das Goldene Vlies«, erinnerte Thalia. »Du könntest es schaffen.« »Unsinn!« entgegnete er schärfer als be absichtigt. »Glaubst du, ich wollte dich hier
11 zurücklassen? – Nein, es wird uns nichts üb rigbleiben, als umzukehren und einen ande ren Weg einzuschlagen.« Müde schüttelte sie den Kopf. »Wir werden nie aus diesem Organismus herausfinden.« Atlan antwortete nicht. Seine Aufmerk samkeit wurde von einer Bewegung abge lenkt, die er aus dem Augenwinkel wahrge nommen hatte. Dort, wo der Strom aus der zuckenden Aderöffnung trat, war ein Schat ten hervorgeschossen. Ungläubig wandte der Arkonide den Kopf. Er erkannte ein Wesen, das entfernt an eine ins Riesenhafte vergrö ßerte terranische Krabbe erinnerte. Annä hernd anderthalb Meter lang, die mehrfach gegliederten Extremitäten balancierend nach oben gereckt, mit den Greifzangen klap pernd und knarrende Töne ausstoßend, jagte das Tier auf seinem Rückenpanzer über die Flüssigkeit. Augenblicke später war es in der gegenüberliegenden Öffnung ver schwunden. Natürlich hatte auch Thalia den seltsamen Vorgang bemerkt. Sie war nicht weniger verblüfft als Atlan. Noch hatten sich beide nicht von ihrer Überraschung erholt, als ein weiteres Krabbenwesen den organischen Kanal verließ und in gleicher Weise den Fluß entlangglitt. Ihm folgten in kurzen Ab ständen mehrere Dutzend Artgenossen. Die dumpfen, knarrenden Laute, die sie von sich gaben, summierten sich zu einem heftigen Geschnatter, das das Rauschen der Körper flüssigkeit mühelos übertönte. Atlans Erstaunen hielt an. Er stand am Ufer des Stroms, hatte die Fäuste in die Sei te gestützt und beobachtete fassungslos die Szene. Lange sagte er nichts, und alles, was er schließlich hervorbrachte, war: »Es muß ihnen unheimlichen Spaß machen.« Für einige Minuten vergaß er alle Sorgen, die ihn eben noch geplagt hatten. Das unver hoffte Auftauchen dieser seltsamen Wesen, ihr abenteuerlicher Ritt auf den reißenden Wellen dahinschießender Nährflüssigkeit amüsierte ihn und löste seine innere Ge spanntheit etwas. Ein Blick in das Gesicht
12 seiner Begleiterin überzeugte ihn, daß Thalia kaum anders empfand. Trotz der Geschwindigkeit, die sie auf dem Fluß vorlegten, mußten einigen der Riesenkrabben die am Ufer stehenden frem den Gestalten aufgefallen sein. Für Atlan und Thalia völlig überraschend, warfen sich drei der Wesen urplötzlich herum, so daß jetzt die Gliedmaßen in die Flüssigkeit tauchten. Sie scherten aus dem Verband ih rer Artgenossen aus und paddelten, mit un glaublich anmutenden Kräften gegen die Strömung ankämpfend, auf die beiden Men schen zu. Einem inneren Impuls folgend, traten der Arkonide und die Pthorerin einige Schritte zurück. Es war nicht auszuschließen, daß die Krabben beabsichtigten, sie anzugreifen oder in das zweifelhafte Vergnügen ihres Wellensports einzubeziehen. Selbst unbeab sichtigt konnten sie ihnen mit den gewalti gen Scheren der Greifzangen böse Verlet zungen zufügen. Die Gliederfüßer erreichten den Unter grund des Korridors. Sie stellten ihre Schwimmbewegungen ein und tappten un beholfen über den nachgiebigen Boden. Die Rückenpanzer hoben und senkten sich in schwankender, grotesk anmutender Weise. »Was haben sie vor?« murmelte Thalia. »Was wollen sie?« Atlan beobachtete schweigend weiter. Wenige Meter vor ihnen blieben die Wesen ste hen. Ihre panzerbewehrten Körper wipp ten rhythmisch auf und ab, und der Arkonide mußte beunruhigt feststellen, daß sie ihn in aufgerichtetem Zustand um etliche Zentime ter überragten. Kleine, listige Äuglein fun kelten ihn an, die langen Greifzangen pen delten aufgeregt schnappend umher. Der monotone, knarrende Singsang riß nicht ab. Mehr unbewußt als infolge überlegten Den kens verlieh Atlan den Krabbenwesen bei sich eine Bezeichnung, die ihm aufgrund der Laute, die sie fortwährend ausstießen, nahe liegend schien. Er nannte sie Yahrrks. Trotz ihrer ungewöhnlichen Erscheinung war er weit davon entfernt, Abneigung oder gar
Detlev G. Winter Ekel zu empfinden. In seinem Leben war er oft genug Existenzformen begegnet, die wei taus erschreckender und exotischer, auch auf den ersten Blick widerlicher und abstoßen der wirkten als diese krabbenähnlichen Para siten. So standen sie sich gegenüber – zwei Menschen von Pthor, die ein ungnädiges Schicksal hierher verschlagen hatte, und drei Yahrrks, die den Organberg als Partner einer parasitären Symbiose bevölkerten. Keiner wußte zunächst, was er von dem anderen halten sollte. Atlan war jedoch bereit, den Wesen eine gewisse Form niederer Intelli genz zuzugestehen. Es war offensichtlich, daß sie keine feindlichen Absichten hegten und durch ihr Verhalten signalisierten, daß sie sich mit den Menschen verständigen wollten. So wenig moduliert ihre knarrenden Laute klangen, hätte der Arkonide einiges dafür gegeben, in dieser Situation einen Translator zu besitzen. »Was sollen wir tun?« drang Thalias Stimme in seine Überlegungen. »Es sieht aus, als erwarteten sie etwas von uns.« Atlan war nicht weniger ratlos, aber wäh rend er noch darüber nachdachte, wie sie sich den Yahrrks gegenüber verhalten soll ten, kam ihm eine geradezu wahnwitzige Idee. »Sie haben uns gesehen, wie wir un schlüssig am Ufer standen«, sagte er. »Vielleicht haben sie erkannt, daß wir unfä hig waren, den Strom zu überqueren. Viel leicht sind sie hier, um uns zu helfen.« »Du bist verrückt!« entfuhr es Thalia. Aber der Gedanke ließ den Arkoniden nicht mehr los. Er sah die dicken, festen Schwimmhäute zwischen den unteren Glie dern der Extremitäten der Yahrrks, erinnerte sich der zügigen, kraftvollen Art, wie sie sich über die Flüssigkeit bewegt hatten – wußte, daß Thalia und er, wenn sie überle ben wollten, diesen irrsinnigen Berg aus or ganischem Plasma verlassen mußten, daß der Weg nach draußen über jenen reißenden Strom körpereigener Nährlösung führte … Atlan handelte. Fassungslos beobachtete Thalia, wie er
Symbiose der Verdammten sich aus seiner Starre löste und sich den Yahrrks zuwandte. Kurz breitete er die Ar me in friedlicher Geste aus, dann ging er an ihnen vorbei zum Ufer. Die Krabbenwesen folgten ihm. Die Tochter Odins kannte Atlan gut ge nug, um zu wissen, daß er sich selten zu Handlungen hinreißen ließ, die absolut kei nen Erfolg versprachen. Jetzt aber begann sie an seinem Verstand zu zweifeln. Nahm er wirklich an, die Parasiten könnten in der Lage sein, ihn zu verstehen und ihnen zu helfen? Sie sah, daß Atlan heftig gestikulierte. Wieder und wieder deutete er auf die Yahrrks und auf den Strom, machte Ansätze, als wollte er sich in die Fluten stürzen, winkte zu Thalia herüber und in Richtung des gegenüberliegenden Ufers. Es kam der Pthorerin albern und kindisch vor, aber sie empfand, wie so oft, Achtung für diesen Mann, der selbst in hoffnungsloser Lage nicht aufzugeben bereit war. Bis jetzt hatte sie an ihrem Standort in re spektvoller Entfernung vom Flußufer ver harrt und Atlans närrisches Gebaren schwei gend verfolgt. Jetzt jedoch hielt sie die Zeit für gekommen, hinzugehen und den Arkoni den zu Verstand zu bringen. Noch während sie sich in Bewegung setzte, hob Atlan einen Arm und winkte ihr zu. »Komm her, Mädchen!« rief er. »Die Yahrrks werden uns hinübertragen!« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Sie faßte es nicht. Ernsthaft hätte sie den Gedan ken, daß er mit seiner lächerlich anmutenden Aktion Erfolg haben könnte, nie in Erwä gung gezogen. Atlan lachte sie an, als sie die Gruppe erreichte, und aus dem Lachen spra chen Erleichterung und beinahe heitere Ge löstheit. »Ich hatte recht mit meiner Vermutung, daß sie eine schwach ausgeprägte Intelligenz besitzen«, erklärte er. »Sie haben instinktiv erfaßt, daß wir den Strom überqueren wol len. Sie werden uns helfen.« Thalia blieb skeptisch. Ausgiebig betrachtete sie die drei Wesen, die sich erboten hatten, sie über den
13 Fluß zu geleiten. Sehr vertrauenerweckend wirkten sie nicht, doch das war, wie sie wußte, kein Kriterium, das eine Bewertung des Angebots erlaubt hätte. Trotzdem ver mochte sie ihr Unbehagen nicht zu unter drücken. Zwei der Yahrrks knickten ihre Gliedmaßen so weit ein, daß die Ränder ih rer Panzer nur wenige Zentimeter über dem Boden schwebten. Es war eine deutliche Aufforderung. Atlan nickte der Pthorerin er mutigend zu. »Wir schaffen es!« sagte er und klappte entschlossen das silberne Gespinst des Schutzhelms nach vorn. Thalia zögerte nicht länger. Sie schloß ih ren Helm ebenfalls und kletterte auf den Rückenpanzer eines der Yahrrks. Mit den Händen klammerte sie sich an den Rändern der knapp einen Meter durchmessenden Hornplatte fest. Sofort kam Bewegung in das Krabbenwe sen. Thalia schloß ergeben für einen Mo ment die Augen. Der Panzer schwankte, und sie hatte ein Gefühl, als würde sie jeden Au genblick den Halt verlieren. Sie preßte sich fester gegen die Körperplatte, rutschte etwas zur Seite und verstärkte den Klammergriff ihrer Hände. Es war der vergebliche Ver such, auf diesem schaukelnden Untergrund sich etwas sicherer zu fühlen. Durch einen schnellen Blick zur Seite stellte sie fest, daß Atlan auf dem Panzer des zweiten Yahrrks mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämp fen hatte. Nebeneinander tauchten die Tiere in die Fluten. Es schien, als würden sie von der Strömung fortgerissen; gischtende Flüssig keitsmassen umspülten die Panzer und woll ten sie davontreiben. Dann setzten die kraft vollen Schwimmbewegungen ein. Thalia spürte es durch das Material ihrer Schutz montur. Mühelos widersetzte sich der Yahrrk dem Druck des Stromes. Meter um Meter kämpfte er sich vorwärts. Die Gruppe seiner Artgenossen, die sich vorhin in spie lerischer Leichtigkeit auf ihren Rückenschil den hatten treiben lassen, war längst in ande ren Bereichen des Organberges verschwun
14 den. Thalia wußte später nicht mehr zu sagen, wie lange es gedauert hatte, bis sie das ge genüberliegende Ufer erreichten. Aber sie erinnerte sich der Ängste und seelischen Nö te, die sie während des Transports auszuste hen hatte: tosende Massen widerlich grüner Flüssigkeit, die sie umspülten, langsam er lahmende Kräfte, die ständige Gefahr, den Griff um den Rand des Rückenpanzers aus Schwäche lösen zu müssen, von der Strö mung fortgerissen zu werden … Es war ein Alptraum – voll exotischer Fremdheit und zwielichtigem Schrecken, dä monischer Düsternis und abgründiger Ironie. Als sie daraus erwachte, sah sie Atlan lä chelnd neben sich stehen. Unter ihren Füßen wellte sich weiche, bewegliche Substanz. Drei Yahrrks stürzten sich, wenige Schritte von ihr entfernt, in die Fluten, warfen sich herum und schossen auf ihren Rückenschil den dahin. Die pulsierende Öffnung des Flüssigkeitskanals verschluckte sie. Vergessene Bilder: Wachstum Die Ver suchsanordnung war hinter einer durchsich tigen Wand aus bruchfestem und verzer rungsfreiem Panzerglas aufgebaut worden, um die Beobachter vor unvorhergesehenen Reaktionen des Plasmas zu schützen. Es war ein verhältnismäßig kleiner Brocken Sub stanz, den sie von einem der riesigen Wesen auf Garnverc abgetrennt hatten. Unter der Decke des Labors hing eine Strahlungsquel le, die den Komplex mit leichten Energie schauern überschüttete. Die Personen im Beobachtungsraum lie ßen keinen Augenblick in ihrer Aufmerk samkeit nach. Sorgfältig registrierten sie je de Reaktion, jede Veränderung des Plasmas, zeichneten Meßwerte und Aktivitätskurven auf. Es war verständlich, daß sie ungehalten waren, als die Tür geöffnet wurde und die Pilotin eintrat. Krilla trug wie immer eine derart mürrische Miene zur Schau, daß Cor fyl ihr am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre. »Du störst!« fauchte er sie an. »Kannst du uns nicht in Ruhe unsere Arbeit beenden las-
Detlev G. Winter sen?« Sie trat an die Sichtscheibe und betrachte te das Plasma, das zuckend und bebend auf dem Boden des Labors ruhte »Ich frage mich noch immer, wozu das alles gut sein soll«, bemerkte sie, ohne einen der Wissen schaftler anzusehen. »Wir vergeuden unsere Zeit.« »Was verstehst du davon!« Corfyls Ärger über die Störung war nicht zu überhören. »Du wirst den Sinn früh genug erfahren.« Krilla drehte sich abrupt um und funkelte den Forscher zornig an. Kaltes Feuer sprühte aus ihrem Blick. »Dazu wird es nicht kommen«, verkünde te sie. »Wir starten!« Corfyl hatte eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber er kam nicht mehr dazu, sie auszusprechen. Einer seiner Mitarbeiter hieb mit der Hand auf die Deckplatte eines Meß pults und sprang erregt auf. »Da!« rief er und deutete auf den Plas maklumpen hinter der Sichtscheibe. Corfyl schluckte seinen Ärger hinunter. Der Erfolg ihrer Experimente war ihm vor erst wichtiger als die Auseinandersetzung mit der Pilotin. Er würdigte Krilla keines weiteren Blickes und beobachtete schwei gend die Veränderung, die mit dem Ver suchsobjekt vor sich ging. Die Bewegung des Plasmas hatte sich ver stärkt. Es pulsierte jetzt sehr heftig, bildete in schneller Folge Auswüchse und Pseudo podien die tastend über den Boden krochen und weitere Substanz mit sich zogen. Die Masse schien sich aufzublähen, wuchs in die Höhe und in die Breite, dehnte sich langsam, aber erkennbar aus. »Es wächst«, murmelte Corfyl und sah seine Leute der Reihe nach an. »Wir haben es geschafft!« Unter normalen Umständen wäre der Er folg ihrer Bemühungen Anlaß zu unverhoh lenem Jubel gewesen. Keiner der Wissen schaftler war jedoch in der Stimmung, seiner Freude Ausdruck zu verleihen. Zu ungewiß und brisant waren die politischen Verhält nisse in dem von den Obeds beherrschten
Symbiose der Verdammten Bereich der Galaxis, die letztendlich der Grund für ihre Mission gewesen waren. Krilla wußte von alledem nichts. Sie war in ihrer Naivität noch immer der Meinung, daß sie vordringlich zur Besiedlung geeigne te Welten hatten ausfindig machen sollen. Sie sah die verschrobenen Experimente der Wissenschaftler durch kein vernünftiges Ar gument gerechtfertigt. Entsprechend war ih re Reaktion. »Ich werde mir das nicht länger bieten lassen!« keifte sie. »Ihr bringt mit euren lä cherlichen Versuchen das gesamte Schiff und seine Besatzung in Gefahr. Meine Ge duld ist zu Ende. Schafft diesen Plas maklumpen weg!« »Das werden wir tun.« Es bereitete Corfyl Genugtuung, den Aus druck der Verblüffung in ihrem Gesicht zu beobachten. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er so schnell und widerstandslos nach geben würde. Sie wollte den Raum bereits verlassen, um letzte Startvorbereitungen zu treffen, als hektische Betriebsamkeit die Wissenschaftler zu ergreifen begann. Sie schienen es plötzlich sehr eilig zu haben, schalteten an ihren Geräten, notierten einige endgültige Ergebnisse, liefen aufgeregt um her und unterhielten sich mit knappen Wor ten. Corfyl, von dem plötzlichen Eifer scheinbar ausgespart, stand in der Mitte des Raumes und verteilte Anweisungen. »Warum diese Eile?« wollte Krilla wis sen. »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es mir nicht an. Wenn ihr nur das Plasma fortbringt und endlich zur Vernunft kommt.« Corfyl sah sie starr an. »Wir werden das Plasma nach Garnverc zurückschaffen. Aber wir werden mitge hen!« Krillas Zorn erwachte von neuem. Lang sam wurde es ihr zuviel, was sich der For scher herausnahm. »Tut, was ihr wollt! Notfalls starte ich oh ne euch!« »Wir starten nicht.« Corfyl hielt plötzlich eine glänzende Plakette in der Hand.
15 »Gemäß Verordnung 23 c übernehme ich kraft meines Sonderstatus die Befehlsgewalt auf diesem Schiff.« Krilla erstarrte. Fassungslos blickte sie auf das runde, silberne Ding, das den Wis senschaftler als Bevollmächtigten der regie renden Obeds auswies. Sie hatte ein Gefühl, als würde sie innerlich zerbrechen, aber sie begann schnell zu verstehen, was auf ihrem Schiff gespielt wurde. »Die Suche nach bewohnbaren Planeten war ein Vorwand«, murmelte sie. »Was ist der wirkliche Grund für unseren Flug?« Corfyl machte eine verneinende Geste. »Es ist zu früh, darüber zu reden. Ich möchte dich nur bitten, meine Entscheidun gen zu akzeptieren und dich nicht weiter da gegen aufzulehnen. Es wäre mir lieber ge wesen, wir hätten uns auf andere Weise ver ständigen können.« Sie wirkte unbeholfen, wie sie dastand und ihre verwirrten Gedanken zu ordnen versuchte. »Was soll das Getue mit den Plasmawe sen?« setzte sie erneut an. »Was versprecht ihr euch davon, wenn ihr sie zum Wachsen bringt?« »Es dient dem Wohl aller Obeds und der Sicherung unserer technischen Errungen schaften. Die dunklen Mächte werden im mer stärker, und wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie sie alles zerstören, was wir aufgebaut haben. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« Krilla schwieg betroffen. Was der Wis senschaftler andeutete, berührte sie tief. Es war bekannt, daß die Mächte des Dunklen Oheims mehr und mehr die Kontrolle über die Galaxis übernahmen. Bisher schien die Öffentlichkeit jedoch über das wahre Aus maß der Bedrohung im unklaren gelassen worden zu sein. Glaubte man Corfyls Wor ten, so begann sich die Niederlage der Obeds bereits abzuzeichnen. Unter dem Vorwand, bewohnbare Welten ausfindig zu machen, suchte man Orte, die geeignet schienen, den Untergang aufzuhalten oder zumindest hinauszuzögern.
16
Detlev G. Winter
Was die Plasmawesen von Garnverc dazu beitragen konnten, vermochte sich Krilla al lerdings nicht vorzustellen.
3. Die Blase zerplatzte, als Atlan und Thalia an ihr vorbeigingen, und gab eine Kolonie schwarzer, madenähnlicher Lebewesen frei. Wie in einem Knäuel ruhten sie neben und übereinander, verhalten zuckend und sich windend. Interessiert trat der Arkonide einen Schritt näher, um das seltsame Schauspiel genauer zu beobachten. Nachdem sie der durch die Blase gesetzten Fesseln ledig wa ren, begannen die Maden nach allen Seiten auseinanderzustreben und an der Wand des Korridors entlangzukriechen. Einige wurden von zitterndem Plasma umschlossen und wieder einverleibt, andere gruben sich selbst ihren Weg in die Organmasse. Wenige Mi nuten dauerte es, bis jeder der kleinen Para siten in dem farbenschillernden Organismus verschwunden war. »Es scheint außer den Yahrrks noch eini ge andere Lebensformen zu geben, die eine Symbiose mit dem Plasmaberg eingegangen sind«, stellte Atlan fest. »Solange sie uns in Ruhe lassen, soll es mir recht sein«, sagte Thalia und sah sich unbehaglich um. »Allerdings glaube ich nicht, daß wir noch lange ungeschoren blei ben.« Der Arkonide lachte humorlos auf und er griff seine Begleiterin am Arm. »Du hast recht. Wir sollten sehen, daß wir weiterkommen.« Die Bereiche, in denen sie sich jetzt, nachdem sie den Strom von Nährflüssigkeit mit Hilfe der Yahrrks überquert hatten, auf hielten, wirkten noch fremdartiger und er schreckend instabil. Nirgendwo waren mehr technische Gerätschaften zu entdecken, die stetig wallende Bewegung des sie umgebenden Plasmas hatte sich rapide verstärkt. Der Boden unter ihren Füßen hob und senkte sich, als würde der Organismus von Krämp fen geschüttelt. Manchmal sanken sie bis zu
den Knöcheln in die nachgiebige Masse ein, es war beschwerlich, das Gleichgewicht ei nigermaßen sicher zu halten. Von Decke und Wänden leckten Auswüchse, schienen nach ihnen greifen und sie in die Substanz hineinziehen zu wollen. Die grüne Eigen strahlung der Zellverbände war etwas heller und intensiver geworden, und die Farbspiele auf der Oberfläche des Plasmas verstärkten sich zu einer schillernden Orgie. Atlan fand dafür nur eine Erklärung. Dies war ein Gebiet, das von den Geräten, die die Obeds im Innern des Organbergs installiert hatten, nicht mehr beeinflußt wurde. Keiner lei Strahlung zwang die Substanz, bestimmte Erscheinungsformen beizubehalten. Warum die unbeeinflußten Freiräume nicht längst von der drückenden Masse, die über ihnen lagerte, ausgefüllt worden waren, blieb dem Arkoniden vorerst ein Rätsel. Vor ihnen verbreiterte sich der Gang zu einer kleinen Höhlung. Unsicher blieben sie stehen. Atlan schätzte die Ausdehnung des Raumes auf annähernd hundert Quadratme ter. Die niedrige Decke war stark nach unten durchgewölbt; zähe Plasmafäden lösten sich aus ihr und fielen platschend herab in eine gelbe, eiterähnliche Substanz, die den Boden in Pfützen bedeckte. Ein schmaler Durchlaß auf der gegenüberliegenden Seite führte in eine weitere Höhle. »Das sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus«, stellte Thalia fest, während sie mit ver kniffenem Gesicht, den Weg betrachtete, den sie würden einschlagen müssen. »Es hilft nichts«, sagte Atlan. »Wir müs sen hindurch.« Ihm selbst war alles andere als wohl zu mute. Die gelblichen Pfützen, die fast den gesamten Boden der Höhle bedeckten und nur wenig freien Raum zwischen sich lie ßen, erweckten in der Tat den Eindruck, als wären dort Körpergeschwüre aufgebrochen und hätten ihren eitrigen Inhalt über den Un tergrund ergossen. Es war keine angenehme Vorstellung, und der menschliche Geist be durfte einiger Überwindung, um unwillkürli che Gefühle des Ekels und des Abscheus
Symbiose der Verdammten durch vernünftige Überlegung zu unter drücken. Selbst dem Arkoniden gelang es nur mangelhaft. Er hätte allerdings der psychischen Hilfe nicht bedurft, die jetzt Thalia zuteil wurde. Aus einer der Eiterpfützen sprang ein silbri ges, fingerlanges Objekt, zappelte im Flug wie ein Fisch und fiel in die Flüssigkeit zu rück. Thalia, die den Vorgang beobachtet hatte, lachte befreit auf. Das Gesehene löste alle Verkrampfung. »Sie leben darin«, sagte sie kopfschüt telnd. Atlan grinste sie an. »Und offenbar fühlen sie sich wohl da bei«, fügte er hinzu. Ohne weiter darüber nachzudenken, betrat er die Höhle. Die Pthorerin folgte ihm. Der Bann, unter dem sie für kurze Zeit gestanden hatte, war gebrochen. Daß sie über feuchten, glitschi gen Boden ging, nahm sie kaum wahr. Ein Plasmatropfen fiel dicht neben ihr in eine der Pfützen, und mehrere Tropfen der gel ben Flüssigkeit spritzten gegen ihren Schutzanzug. Es störte sie nicht. Belustigt beobachtete sie eines der Fischwesen, wie es kraftvoll nach oben sprang, sich zappelnd in der Luft drehte und danach in sein ange stammtes Lebenselement zurückfiel. Winzi ge silberne Schuppen bedeckten das Wesen, und unwillkürlich fragte sich Thalia, für welche Existenzformen der Organberg noch Heimstatt und Überlebensgrundlage sein mochte. Sie hatten den Durchgang zum nächsten Raum fast erreicht, als ihnen bestialischer Gestank entgegenschlug. Atlans erster Ge danke war, daß in der angrenzenden Höhle Raubtiere hausen könnten wie er sie von der Erde und vielen anderen Planeten kannte. Sein Extrasinn bestätigte ihm mittels eines warnenden Impulses, daß dieser Verdacht durchaus seine Berechtigung besaß. Er ver langsamte den Schritt und streckte den rech ten Arm zur Seite. »Vorsicht«, raunte er Thalia zu, die sich weiter hinter ihm hielt.
17 Aufmerksam trat er an den Durchlaß. Erst jetzt, als er unmittelbar davorstand, konnte er erkennen, was dahinter lag. Die anschlie ßende Höhle war bedeutend größer und hö her als der Raum, den sie eben durchquert hatten. Der Boden setzte sich noch knapp zwei Meter horizontal fort und führte in die ser Breite an der Wand der Höhle entlang. Zur Mitte hin fiel er steil ab und bildete eine Mulde, in der sich fünfzig Zentimeter durch messende, kugelförmige Pelztiere tummel ten. Von ihnen mußte der stechende Geruch ausgehen, der den zwei Menschen in die Na se biß. Atlan war schon geneigt, die Tiere als harmlos einzustufen, als eines von ihnen auf die Ankömmlinge aufmerksam wurde und fauchend eine Reihe gewaltiger Zähne ent blößte. Mehr und mehr seiner Artgenossen gesellten sich zu ihm und taten es ihm gleich. Bald hatte die Raublust die gesamte Gruppe erfaßt. Geifernde Mäuler und fun kelnde Augen reckten sich ihnen entgegen. Es war gefährlich, aber Atlan und Thalia blieb keine andere Wahl, als auf dem Grat zwischen Wand und Senke die Höhle zu umrunden. Es gab nur einen Ausgang, und der lag wiederum auf der gegenüberliegen den Seite. Ohne sich durch Worte zu ver ständigen, wußten sie, was sie zu tun hatten. Sie hielten sich sorgsam in der Mitte des Rundgangs. Rechts von ihnen wallte bebendes Plasma in die Höhe, das mit tastenden Auswüchsen nach ihnen zu greifen schien, links senkte sich der Boden zu den lauernden Bestien hinab. Atlan zweifelte nicht dar an, daß die Tiere in der Lage waren, die Stellung mit Hilfe eines gehörigen Anlaufs zu überwinden. Darüber hinaus bot der wei che Untergrund so wenig Standsicherheit, daß jederzeit die Gefahr bestand, den Halt zu verlieren und in die Mulde zu stürzen. Trotz aller Vorsicht kamen sie zügig vor an. Atlan ließ die Tiere keinen Moment aus den Augen. Dicht zusammengedrängt, stan den sie am Grund der Senke und verfolgten lauernd jede Bewegung der Menschen. Bös artiges Knurren drang aus ihren Kehlen.
18 Noch zögerte sie, aber der Arkonide zwei felte nicht, daran, daß sie in den nächsten Minuten zum Angriff übergehen würden. Der rettende Ausgang war vielleicht noch fünf, höchstens sechs Meter entfernt, als es geschah. Eines der bepelzten Kugelwesen löste sich aus der Gruppe und hetzte die Bö schung hinauf. Atlan sah das Tier auf sich zustürmen und registrierte zugleich erleich tert, daß dessen Artgenossen sich weiterhin abwartend verhielten. Er widerstand dem Impuls, zurückzuweichen und die Flucht in Richtung des aus der Höhle hinausführenden Stollens zu ergreifen. Es wäre das Falscheste gewesen, was er hätte tun können. Auch Thalia schien das erfaßt zu haben, denn sie blieb ebenfalls stehen und rührte sich nicht von der Stelle. Dann war die Bestie heran. Atlan wartete nicht, bis sie auf dem ebenen Teil des Höh lenbodens Fuß gefaßt hatte. Mit aller Kraft trat er zu. Das Tier wurde zurückgeschleu dert und kugelte heulend die Schräge hinab, mitten in den auseinanderstiebenden Pulk seiner Artgenossen. Augenblicklich ver schärfte sich das grollende Knurren und ging in wildes, angriffslustiges Fauchen über. Atlan begann zu laufen. Die Pthorerin setzte sich gleichfalls in Be wegung. Wenige Schritte hinter dem Arko niden hastete sie auf den Ausgang zu. Er hatte den Tunnel bereits erreicht, als Thalia spürte, wie das Plasma unter ihr zusam mensank. Sie taumelte, verlor den Halt und fühlte sich von der in die Senke abfließen den Masse mitgezogen. Entsetzt schrie sie auf. Atlan drehte sich nach ihr um, und als er erkannte, was mit ihr geschah, wandte er sich ihr zu, um ihr zu helfen. »Verschwinde!« rief sie. »Mach, daß du hier herauskommst!« Unter ihr war das Röcheln der hungrigen Pelzwesen verstummt. Sie hatte erwartet, daß die Tiere jetzt, während sie überrascht und hilflos war, sich im Pulk auf sie stürzen würden. Die Bestien schienen jedoch mehr Intelligenz zu besitzen, als es den Eindruck erweckte. Sie warteten! Warteten, bis das
Detlev G. Winter Plasma ihr Opfer hinabgetragen hatte! Welch wahnsinnige Symbiose, in der der Wirtskörper auf diese Weise dafür sorgte, daß seine Parasiten zu eßbarer Nahrung ka men! Sollten sie sich um ihre Beute schlagen und sich dabei gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen, dachte Thalia in einem An flug humorloser Ironie. Dann gewann schlagartig der Wille zu überleben die Ober hand. Sie bewegte die Beine und suchte mit den Armen nach einem Halt. Das Plasma floß unter ihr weg, doch sie bemerkte, daß sie nicht weiter mitgezerrt wurde, sondern nun auf der Stelle trat. Sofort begannen die Bestien wieder zu fauchen. Wie lange wür den sie abwarten, bevor sie sich dazu ent schlossen, die Sicherstellung ihrer Beute nicht dem Organberg zu überlassen? Thalia fühlte sich, als krieche sie mit allen vieren auf einem Transportband, das sich unter ihr in entgegengesetzter Richtung be wegte. Sie hatte noch keinen Meter gutma chen können. Und es würde nicht mehr lan ge dauern, bis ihre Kräfte nachließen. Atlan … Wo war Atlan? Sie wußte, daß er sie nicht ihrem Schick sal überlassen würde. Es war undenkbar, daß er ihrem spontanen Aufruf gefolgt war und allein die Flucht angetreten hatte. Vielleicht senkte sich die Organmasse auf ganzer Brei te in die Mulde ab, und er sah keine Mög lichkeit, ihr zu helfen, ohne selbst mitgeris sen zu werden. Vielleicht schwebte auch er bereits in Lebensgefahr. Thalia wußte es nicht. Sie hatte längst den Überblick verlo ren. Da fühlte sie sich am Handgelenk ge packt. Atlan kniete über ihr, auf offensicht lich noch stabilem Boden, und unterstützte ihre Anstrengungen, indem er sie hinaufzu ziehen versuchte. Der Erfolg wurde augen blicklich sichtbar. Es gelang Thalia, sich aus der zähen Plasmamasse zu lösen. Ohne sie loszulassen, richtete der Arkonide sich auf und zog sie weiter aus dem Morast. Stol pernd taumelte sie auf ihn zu.
Symbiose der Verdammten Erst jetzt spürte sie den Schweiß auf der Stirn, erst jetzt gelang es ihr, ihre Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Kurz sah sie sich um. Die Tiere hatten sich aber mals dicht zusammengedrängt. Es konnte nicht lange dauern, bis sie einen neuen An griff starteten. Die Ebene des Rundgangs war auf einer Länge von zehn Metern in die Senke abgeflossen. Atlan und Thalia beeil ten sich, in den Korridor zu gelangen, der aus der Höhle der Bestien hinausführte. Als sie weit genug in den Gang einge drungen waren, um sich halbwegs in Sicher heit zu wähnen, blieben sie erschöpft stehen. Die Anstrengungen begannen sich bemerk bar zu machen. Trotz ihres kräftezehrenden Ungeschicks war es diesmal Thalia, die den Humor zuerst wiederfand. »Was sagt deine innere Stimme?« fragte sie und lächelte den Arkoniden an. »Was soll sie sagen!« knurrte er. »Daß ich in Zukunft besser auf dich aufpassen muß?« Die kurz aufgeflackerte Fröhlichkeit war bereits wieder aus ihrem Gesicht ver schwunden. »Nun, sie könnte dir den Tip geben, dich langsam an den Gedanken zu gewöhnen, daß wir den Organberg nicht lebend verlas sen werden …« Sie sprach sehr langsam und akzentuiert, und Atlan erkannte bestürzt, daß sie es nicht einfach dahersagte. Sie schien tatsächlich am Ende ihrer psychischen und physischen Kraft angelangt. Der Arkonide kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten oder zu versuchen, sie innerlich wieder aufzurichten. Die Schlangen griffen an.
* Es begann mit lautem, heftigem Zischen, das von allen Seiten auf Atlans Sinne ein stürmte. Auf der Oberfläche des wogenden Plasmas hatten sich Augen geöffnet, kleine, starrende Augen, katzenhaft geschlitzt und inmitten des schillernden Farbenspiels der Organmasse kaum zu erkennen. Schmale, an
19 den Spitzen gespaltene Zungen zitterten zwischen den Augen, pendelten witternd umher, zogen sich schnell zurück, um Se kunden später abermals vorzustoßen. Ein eiskalter Schauer lief dem Arkoniden über den Rücken. Dann schoben sich zwei Handflächen breite, flache Köpfe aus der Wandung des Korridors – Reptilienköpfe mit kleinen, star ren Augen und gespaltenen Zungen … Da begriff Atlan. Der Schauder des Un heimlichen verschwand. Es waren Schlangen, die sich in das Plas ma hineingewühlt hatten und hier auf vor beikommende Opfer lauerten. Der Arkonide wagte ihre Zahl nicht abzuschätzen. Überall, auf einer unüberschaubaren Länge des Gan ges, schälten sie sich aus der organischen Masse. Quälend langsam, aber doch voll deutlicher Drohung. »Komm!« sagte er zu Thalia, die die Sze nerie unbeweglich musterte. Sie schien von den stechenden Blicken der Reptilien ge lähmt und auf den Fleck gebannt zu sein. Atlan nahm sie an der Hand. Nebeneinan der gingen sie weiter, langsam, behutsam, um die Schlangen nicht zu reizen, um den Überblick zu behalten und sofort reagieren zu können, sobald sich eines der Reptilien vollständig aus dem Plasma löste. Wieder entstand der Eindruck, daß der Organberg zur Sicherung der Beute seiner Parasiten beitragen wollte. Der Untergrund wurde nachgiebiger, warf breite Wellen und bebte stark. Auch aus ihm schoben sich eini ge Schlangen heraus, aber es waren so weni ge, daß die beiden Menschen keine Mühe hatten, sie zu umgehen. Es war ein grauenvolles und faszinierendes Bild, wie sich überall schuppige, glän zende Körper zentimeterweise in den Korri dor hinausarbeiteten. Noch war der Abstand groß genug, nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Weiter vorn konnte Atlan erken nen, daß sich der Gang wiederum in eine Halle öffnete. Dort sah er keine der pendelnden Reptilienhälse mehr. Dort wartete eine zumindest vorläufige Sicherheit. Aber es
20 war bereits abzuschätzen, daß sie dem Kampf nicht entgehen konnten. Der Weg war zu weit. Lange bevor sie die Halle er reichten, würden sie mit den Schlangen in Berührung kommen. Atlan und Thalia be schleunigten ihren Schritt, verfielen in leich ten Trab, wurden unbewußt schneller, bis sie ihre Hände voneinander lösten und losrann ten. Sie liefen um ihr Leben. Die erste Schlange verließ das Plasma. Sie schnellte sich regelrecht heraus, schoß auf Thalia zu und prallte gegen sie. Die Pthorerin wollte ausweichen, aber ihre Bewegung war so un geschickt, daß sie im Moment des Zusam menstoßes stürzte. Die Schlange begann sich um ihre Beine zu rollen. Weiter vorn hatte sich ebenfalls ein Exemplar aus dem Orga nismus gelöst. Schnell ringelte es sich auf den Ort des Geschehens zu. Atlan überlegte nicht lange. Er packte zu. Mit beiden Händen umfaßte er den schleimi gen Körper, der mit unglaublich starken Sehnen Thalias Beine zerquetschen wollte. Unter ihm wogte das Plasma. Er fand kaum Halt, um seine Kraft voll einzusetzen. Es ge lang ihm nicht, die Schlange zu greifen und wegzuziehen. Thalia selbst leistete kaum Widerstand. Sie war ausgelaugt und ermattet. Erst als die zweite Schlange heran war und über ihren Rücken kroch, bäumte sie sich noch einmal auf, wand sich in der starken Fessel, die ihre Beine umklammert hielt. Aber der Druck wich nicht, ihre Bemühungen blieben erfolg los. Immer mehr Reptilien lösten sich aus der plasmatischen Masse, ließen sich auf den Boden fallen und bewegten sich auf ihre Op fer zu. Zischende Laute ausstoßend und er regt züngelnd, krochen sie unerbittlich nä her. Atlan sah keine Möglichkeit, den Kampf zu seinen und Thalias Gunsten zu entscheiden. Die wilden Bewegungen des Organismus behinderten ihn in seinen Ak tionen, und die Schlangen entwickelten eine derart animalische Kraft, daß sie kaum auf zuhalten waren. In blinder Verzweiflung trat der Arkonide um sich, hatte dabei Mühe,
Detlev G. Winter sich in dem wogenden Untergrund auf den Beinen zu halten, und erreichte doch nichts. Die Angreifer kümmerten sich nicht um ihn. Zielstrebig hielten sie auf Thalia zu. Atlan konnte nur vermuten, daß sie vor dem goldenen Schimmer seines Schutzan zugs gehörigen instinktiven Respekt hatten. Freilich half dies weder ihm noch seiner Be gleiterin. Fünf oder sechs Exemplare hielten Thalia mittlerweile umklammert. Widerliche Schleimspuren zogen sich über ihren Anzug. Sie schrie in panischer Angst auf, und der Arkonide begann sich zu fragen, warum die Schlangen sich nicht längst um ihren Hals gelegt und sie erdrosselt hatten. Lähmende Lethargie erfaßte ihn. Es schoß ihm durch den Kopf, daß sie die Helme ihrer Schutz monturen besser nicht wieder nach hinten geklappt hätten, nachdem die Yahrrks sie über den Strom getragen hatten. Mach dir nichts vor, drang der Einwand des Extrasinns in seine Gedanken. Ein ge schlossener Helm könnte Thalias Tod viel leicht hinauszögern, aber nicht verhindern. Die nüchterne Logik schockierte ihn, ob wohl er sich eingestehen mußte, daß es für Thalia vermutlich wirklich keine Rettung mehr geben würde. Hilflos stand er da und mußte mitansehen, wie der Körper seiner Gefährtin mehr und mehr von der Masse über sie kriechender Reptilien begraben wurde. In wahnsinniger, verzweifelter Wut ballte er die Hände zu Fäusten. Unbe herrscht sprang er vor, warf sich in das zuckende, zischende Knäuel schuppigfeuch ter Leiber, wühlte mit den Armen darin, packte zu, schlug, trat … in der wilden Hoff nung, die Schlangen auseinandertreiben zu können. Der Erfolg blieb aus. Gib es auf! ermahnte ihn der Extrasinn. Du kannst ihr nicht mehr helfen. Du mußt dich um dich selbst kümmern! Warum griffen die Bestien nicht auch ihn an? Es wäre leichter für ihn gewesen. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen schos sen, als er von dem Pulk der Reptilien abließ. Er konnte nichts mehr tun. Thalia war verloren. Die Einsicht raubte ihm fast
Symbiose der Verdammten den Verstand. Ein vielstimmiger, heulender Schrei gellte durch den Korridor. Für Atlan war es der grauenvolle Gesang einer hereinbrechenden persönlichen Hölle. Irgendwo wuchsen skur rile Schatten zu Sinnbildern dämonischer Düsternis heran. Die Impulse des Logiksek tors, die ihn zur Besinnung rufen wollten, ignorierte er. Eines klaren Gedankens war er in diesen Minuten nicht fähig. Die Welt ver sank um ihn in geistiger Verzweiflung und wechselnden, emotional verzerrten Ein drücken. Allein die Schatten im diffusgrü nen Licht farbüberströmter Plasmamassen behielten ihre Gegenständlichkeit … und die schrillen, markerschütternden Schreie. Vergessene Bilder: Beuterkum Unter Cor fyls Leitung wurde solide Arbeit geleistet. Nachdem die wachstumsanregende Strah lungsart gefunden und spezifiziert worden war, gab es kein Zögern mehr. Ein Gremium aus Technikern, Ingenieuren und Biologen befaßte sich mit den Ideen, die bislang nur in den Köpfen einiger Wissenschaftler her umspukten. In tagelangen Sitzungen ent wickelten sie Pläne, wie das Projekt erfolg reich durchgeführt werden konnte. Die Art, wie Krilla in regelmäßiger Nicht beachtung übergangen wurde, war ihr äu ßerst zuwider. Sie wußte, daß sie, nachdem Corfyl sich zu erkennen gegeben hatte, auf diesem Schiff absolut keine Befehlsgewalt mehr besaß, und dieser Umstand weckte tie fen Groll in ihr. Zumindest hätte sie erwar tet, daß man ihr mit etwas weniger Überheb lichkeit und Arroganz gegenübergetreten wäre. Bislang hatte sie nicht herausfinden können, was die Wissenschaftler mit den Protoplasmawesen von Garnverc konkret vorhatten. Sie fand die Geheimnistuerei im höchsten Grade lächerlich, zumal sie über zeugt war, daß sie es irgendwann doch er fahren würde. Es nahm daher kaum Wunder, daß Krilla die Aktionen der Wissenschaftler mit gehö riger Verdrossenheit verfolgte. Auf dem Kontinent, der nach Corfyls Schätzungen die meisten Protoplasmawesen beherbergte,
21 wurden zahlreiche Energiequellen installiert, die einen bestimmten Bereich mit ihrer Strahlung überschütteten. Solcherart in ih rem natürlichen Lebensrhythmus manipu liert, begannen die Organklumpen ins Rie senhafte zu wachsen. Der Zweck hinter al lem blieb weiterhin unklar. An einem dieser, wie sich später heraus stellen sollte, schicksalhaften Tage riß bei Krilla der Geduldsfaden. Sie fand, daß es an der Zeit sei, die Wissenschaftler und insbe sondere den Bevollmächtigten des ObedClans zur Rede zu stellen. Mit dem nötigen Zorn und dem Willen, sich diesmal durchzu setzen, betrat sie den Beobachtungs- und Kontrollraum. »Ich möchte endlich wissen, was das alles zu bedeuten hat«, rief sie aufgebracht, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. »Ich lasse mich von euch nicht länger wie ein unmündiges Kind behandeln!« Corfyl ließ sich von ihrem Gefühlsaus bruch nicht beeindrucken. Er wandte sich ihr zu und führte sie zu einem der Bildschirme. »Du kommst gerade richtig, um den ent scheidenden Moment mitzuerleben«, be grüßte er sie. »Wir werden gleich erfahren, ob das Plasma für unsere Zwecke wirklich zu gebrauchen ist.« Obwohl sie sich geschworen hatte, auf das Experiment selbst nicht einzugehen, sondern ausschließlich die Art ihrer Behand lung zu kritisieren, warf sie unwillkürlich einen Blick auf den Monitor. Krilla hatte die Protoplasmawesen, wie sie sie erstmals gesehen hatte, noch gut in Erinnerung. Was mittlerweile aus ihnen ge worden war, erschreckte sie zutiefst. Die Or ganklumpen waren in der Tat in gigantischer Weise gewuchert, die meisten besaßen längst die Ausmaße kleiner Gebirge. Sie nahmen bereits einen so großen Lebensraum in Anspruch, daß sich einige berührten, und – sie verwuchsen miteinander! Schlagartig begann die Pilotin zu begrei fen. »Ihr … ihr wollt aus diesen Plasmaklum pen … ein einziges Wesen schaffen …!«
22 Corfyl nickte ernst. »Dort entsteht Beuterkum«, sagte er leise. »Wir sind fast am Ziel.« Beuterkum: im obedianischen Sprachge brauch das Synonym für die Stätte der Er haltung und Bewahrung, aber auch für letzte Zuflucht und in die Zukunft gerichtete Hoff nung. Krilla schwieg betroffen. Das Wort, ent standen aus religiösen Mythen, besaß heute seine eigene, zukunftsträchtige Bedeutung. Allein die Bezeichnung, die Corfyl dem monströsen Kunstwesen verliehen hatte, machte deutlich, wie es um die Vorherr schaft und die Macht der Obeds in diesem Sektor der Galaxis bestellt war. Ihr Zorn verflog. Plötzlich sah sie ein, daß die Wis senschaftler sie nicht hatten informieren dür fen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, eine unkontrollierbare Reaktion der Besat zung auszulösen. Jeder wußte zwar, daß die dunklen Mächte auf dem Vormarsch waren, aber keiner machte sich über das tatsächli che Ausmaß der Bedrohung vermutlich eine richtige Vorstellung. Wäre es bekannt ge worden, hätten sich auf dem Schiff wahr scheinlich schnell zwei Parteien gebildet: ei ne, die den Obeds auch in dieser Situation treu ergeben war, und eine weitere, die es aus Angst um ihre Sicherheit oder ihr Leben für vernünftiger hielt, zu den neuen Macht habern zu stehen. Ein Kampf zwischen bei den Gruppen wäre unvermeidlich gewesen. Das Verhalten der Forscher sah Krilla nun in einem anderen Licht. Natürlich mußten sie darum besorgt sein, ihre Arbeit ungestört fortführen und zum Abschluß bringen zu können. »Was geschieht weiter?« wollte sie wis sen. »Wozu soll dieses Gebirge aus Proto plasma dienen?« Corfyl lächelte verhalten. »Ich hatte die Idee bereits, als ich die We sen das erste Mal sah. Unsere Aufgabe ist es, Orte zu suchen, an denen unsere Trans mitteranlagen vor dem Zugriff der dunklen Mächte geschützt sind. Dies ist der ideale Platz dafür … das Innere von Beuterkum!«
Detlev G. Winter Auf den Bildschirmen war zu erkennen, daß sich immer mehr der riesigen Plas mawesen miteinander verbanden. Nicht mehr lange, und sie würden sich zu einem gewaltigen organischen Gebirge zusammen geschlossen haben. Krilla beachtete die Szene kaum. Die Per spektiven, die sich aus Corfyls Plänen erga ben, waren faszinierend. Andererseits er schauerte sie bei dem Gedanken, wie ein le bendes Wesen manipuliert und für die Zwecke der Obeds mißbraucht werden soll te. »In Kürze«, fuhr der Wissenschaftler fort, »werden weitere Schiffe hier eintreffen, die die erforderlichen technischen Anlagen an Bord haben. Dann beginnt unsere eigentli che Aufgabe.« Die Pilotin wollte von alledem nichts mehr hören. Sie hatte erfahren, was sie wis sen wollte, und damit gab sie sich zufrieden. Es war sinnlos, mit den Wissenschaftlern über Wert oder Unwert ihres Unternehmens zu diskutieren, obwohl sie ganz und gar nicht der Meinung war, daß die Unterbrin gung einer Transmitteranlage in Beuterkum irgendeinen praktischen Nutzen besitzen könnte. Innerlich fühlte sie mit den Proto plasmawesen. Im Grunde ihrer Seele fand sie die Manipulation, die mit ihnen vorge nommen wurde, schäbig und unmenschlich. Aus Verzweiflung und blindem Erhaltungs streben geboren und in normalen Zeiten ab solut nicht zu rechtfertigen. Aber die Zeiten und die Verhältnisse, mit denen sich die Obeds auseinanderzusetzen hatten, waren alles andere als normal. Die Mächte des Dunklen Oheims saßen ihnen im Nacken, und es durfte nicht verwundern, wenn sie ihre technischen Errungenschaften vor fremdem Zugriff zu entziehen und zu er halten suchten. Eine der Möglichkeiten dazu bot Beuterkum. Wenige Tage später traf die von Corfyl angekündigte Flotte ein. Es waren drei Frachtschiffe, die unverzüglich auf Garnverc landeten. Mittlerweile war der Prozeß des Zusammenschlusses der Protoplasmawesen
Symbiose der Verdammten zu einer organischen Einheit abgeschlossen. Beuterkum bot das Bild eines riesigen, in ständiger Bewegung begriffenen, farben überströmten Gebirges. Und unter dem Ein fluß der anregenden Strahlung wuchs es ständig weiter. Von Bord des normalerweise von Krilla kommandierten Schiffes beobachtete Corfyl die Arbeiten, die seine Kollegen auf Garn verc vornahmen. Annähernd hundert Spezia listen waren mit den Frachtern eingetroffen und führten die von ihm begonnene Ent wicklung fort. Mit Hilfe von Energiefeldern, denen die Zellschwingungswerte des Plas mas zugrunde lagen, schufen sie Schächte und Stollen, die in das Innere des Organ bergs führten. Höhlungen und Korridorsy steme entstanden, die die Sicherheit der technischen Geräte und der Bedienungs mannschaften garantieren sollten. Als ihm schließlich gemeldet wurde, daß die vorbereitenden Arbeiten abgeschlossen seien, sprach Corfyl ein letztes Mal mit der Pilotin. »Wir sind soweit«, verkündete er. »Die Voraussetzungen auf Garnverc sind geschaf fen. Meine Leute und ich werden das Schiff verlassen und nach unten gehen.« Krilla sah ihn sprachlos an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hätte erwartet, daß er nach Beendigung seiner Aufgabe den Heim flug antreten würde. »Ich gebe dir hiermit offiziell das Kom mando über dein Schiff zurück«, fuhr Corfyl fort. »Ihr werdet, gemeinsam mit den drei Frachtern, den Heimathafen anfliegen und über den Erfolg unserer Mission berichten. Es braucht sich vorerst niemand um uns zu kümmern. Wir werden zurechtkommen.« »Wie lange wollt ihr auf Garnverc blei ben? Wann werdet ihr wieder abgeholt?« »Ich weiß es nicht. Zunächst müssen wir uns darum kümmern, daß der Transmitter in die Hohlräume von Beuterkum eingebaut wird. Sobald das geschehen ist, werden wir einen Impuls absenden, der die Betriebsbe reitschaft des Geräts anzeigt. Von da an kann die Anlage benutzt werden.« Er zöger
23 te einen Moment, dann setzte er hinzu: »Hoffentlich zum Wohle aller Obeds.« Er ging, und Krilla hatte das Gefühl, daß dies ein Abschied für immer war. Nicht, daß sie Corfyl sonderlich gemocht hätte. Aber es bereitete ihr Unbehagen, über hundert Mit glieder ihres Volkes auf Garnverc zurückzu lassen, ohne zu wissen, ob die Aufgabe, die sie dort ausführten, im Endeffekt überhaupt gelingen würde. Eine einzige Fehlschaltung im Komplex der komplizierten Apparaturen, und die Wissenschaftler wären dazu ver dammt, den Rest ihres Lebens auf diesem entsetzlichen Planeten oder gar im Innern von Beuterkum zu fristen. Es war keine schöne Vorstellung. Dennoch fügte sie sich den Anweisungen. Ein Beiboot brachte Corfyl und seinen Stab nach unten und setzte die Leute am Fuß des Organbergs ab. Material und Proviant, um dort für längere Zeit überleben zu können, waren in ausreichenden Mengen vorhanden. Plötzlich wurde Krilla bewußt, wieviel Idea lismus in einem Menschen stecken mußte, damit er sich freiwillig in die Einöde eines fremden Planeten zurückzog, um dort unter großen persönlichen Entbehrungen und Ge fährdungen einer Tätigkeit nachzugehen, die dem Erhalt oder der Sicherheit seines Vol kes dienen sollte. Vier Tage später starteten die Frachter. Gemeinsam mit Krillas Schiff traten sie den Heimflug an. Einhundertvierzehn Obeds waren auf Garnverc geblieben.
4. Inmitten der verzerrten, unwirklichen Ein drücke psychischer Wirrnis schienen die schreienden Schatten den einzigen konkre ten Bezug zur Wirklichkeit zu bilden. Sie standen am Ende des Stollens und hatten die Arme in winkender Geste erhoben. Die Lau te, die sie ausstießen, waren schrill und hoch, reichten wahrscheinlich bis in den Ul traschallbereich. Atlan stand ungläubig und erstarrt. Nur allmählich lichtete sich die Ver
24 wirrung im Geist des Arkoniden. Langsam fand er in die Realität zurück. Er sah die Traube wild zuckender Schlan gen, die unvermittelt von Thalia abließen und in geradezu panischer Eile den Schutz des Plasmas suchten. Er sah die Pthorerin reglos am Boden liegen, aber nach überstan denem Schrecken heftig atmend. Er sah die Schatten, die sich langsam näherten und in ihrem ohrenbetäubenden Geschrei nicht nachließen. Und er begann zu verstehen. Die Schlangen flohen! Sie flohen vor den wilden Schreien, deren Frequenz teilweise in einem Bereich lag, den menschliche Sinne nicht mehr wahrzu nehmen vermochten. Sie vertrugen keinen Ultraschall; er griff ihr Wahrnehmungsver mögen an und reizte ihr Nervensystem bis zur Überlastung. Sie vergaßen ihr Opfer und gruben sich in Wände und Boden des Plas makorridors. Erst als das letzte Reptil in der organischen Masse verschwunden war, stell ten die Schatten ihre schrillen Rufe ein. Atlan war zu sehr Realist, um an Wunder zu glauben, aber was er eben erlebt hatte, grenzte zumindest an das, was er mit glück licher Verkettung unwahrscheinlicher Zufäl le zu umschreiben pflegte. Die Unbekann ten, die die Reptilien in die Flucht getrieben hatten, hätten keine Sekunde später erschei nen dürfen. Sie näherten sich weiter seinem Standort, aber der Arkonide kümmerte sich zunächst nicht um sie. Feindliche Absichten schienen sie keine zu haben, deshalb war es vertretbar, zunächst nach Thalia zu sehen. Er ging neben der Pthorerin in die Hocke und drehte sie behutsam auf den Rücken. Das Plasma unter ihm hatte sich wieder beruhigt und behinderte ihn nicht mehr. Thalia blick te ihn aus großen, verängstigten Augen an. Sie mußte Schmerzen haben, denn ihr Ge sicht war verzerrt. »Es war grausam«, murmelte sie schwach. Atlan versuchte ein aufmunterndes Lä cheln zustande zu bringen. »Es ist vorbei«, sagte er. »Wir haben un erwartete Hilfe bekommen. Kannst du auf-
Detlev G. Winter stehen?« Sie versuchte es, indem sie die Beine an winkelte und sich mit einer Hand abstützte. Atlan griff ihr unter die Arme und zog sie nach oben. Schließlich stand sie unsicher ne ben ihm. »Außer einigen Prellungen scheine ich nichts abbekommen zu haben«, sagte sie. »Aber auch das reicht mir. Es tut höllisch weh.« »Kein Grund zur Besorgnis. Ich hätte eher damit gerechnet, daß sie dir einige Knochen zerquetscht haben.« Atlan fühlte sich erleichtert. Wenn sich nicht später herausstellte, daß die Pthorerin vielleicht doch innere Verletzungen davon getragen hatte, würde sie den heimtücki schen Überfall der Reptilien innerhalb weni ger Stunden verkraftet haben. Mittlerweile hatten sich die Unbekannten, deren Eingreifen Thalia ihr Leben verdank te, bis auf Sichtweite genähert. Es waren drei aufrecht gehende Wesen von höchst un terschiedlichem Aussehen. Atlan sah ihnen mit neu erwachendem Interesse entgegen. Eines von ihnen überragte ihn um gut zwei Kopfeslängen, es war dünn und knochig, mit schmalen Schultern und einem langen Hals, der ohne erkennbaren Absatz in den Kopf überging. Das zweite schien eher verkrüp pelt, es lief auf kurzen, krummen Beinen, und aus den Schultern wuchsen außer zwei normal ausgeprägten Armen zwei weitere Armstummel. Das dritte Wesen schließlich wirkte wie eine undifferenzierte Fleischku gel, die mit Hilfe zweier aus ihr hervortre tender, breiter Füße durch den Korridor wat schelte. Alle drei Unbekannten verfügten über menschenähnliche Sinnesorgane, wobei die Augen allerdings ungewöhnlich weit auseinanderstanden. Die Hände waren breit und wirkten infolge grober, kurzer Finger ungeschlacht. Keines der Wesen trug Klei dung, jedoch waren ihre Körper, der des ku gelförmigen Individuums ausgenommen, von dichtem Haarwuchs bedeckt. Für Atlan gab es kaum einen Zweifel, daß jeder der Fremden über ein nicht unbeträcht
Symbiose der Verdammten liches Maß an Intelligenz verfügte. Allein die ruhige, gelassene Weise, in der sie sich völlig furchtlos näherten, bewies es. Und trotz des unterschiedlichen Erscheinungsbil des schienen sie alle von einer Art abzu stammen, durch unbekannte Einflüsse in ih ren Erbanlagen geschädigt und zum Teil ins Groteske mutiert. Wenige Schritte vor Atlan und Thalia blieben die Unbekannten stehen. Der Arko nide breitete die Arme aus und drehte die Handflächen nach außen: universelle Geste für Verständigungsbereitschaft und friedli che Absichten. Die Ankömmlinge schienen die Bedeutung des Zeichens sofort zu erfas sen, denn der Große, Knochige trat vor und ahmte Atlans Haltung nach. Dann begann er zu sprechen. »Wir grüßen euch.« Überrascht ließ der Arkonide die Arme sinken. Er hatte sich von dem Kontakt mit diesen Wesen einiges versprochen. Damit, daß sie sich auf Anhieb verbal würden ver ständigen können, hatte er jedoch nicht ge rechnet. Die Worte des Unbekannten wirk ten abgehackt und verstümmelt, durch Dia lekt und Jargon verfremdet, aber sie waren leicht interpretierbar. Sie entstammten ei nem Idiom, das Atlan und Thalia gut kann ten: dem Garva-Guva, der gültigen Sprache des Marantroner-Reviers.
* Damit wurde endgültig klar, mit wem sie es bei den fremden Helfern zu tun hatten. Es waren die Nachkommen jener Obeds, die einst die Transmitteranlage im Innern des Riesenplasmas erbaut hatten. Ein grausames Schicksal mußte sie daran gehindert haben, diesen Planeten wieder zu verlassen, und über die Generationen hinweg hatten schreckliche Mutationen ihr Aussehen und vermutlich auch ihre geistigen und körperli chen Fähigkeiten drastisch variiert. Atlan empfand Mitleid mit ihnen, obwohl er sich darüber im klaren war, daß dies eine unpas sende Gefühlsregung war. Die Obeds hatten
25 offensichtlich gelernt, die Verhältnisse zu akzeptieren und sich ihnen unterzuordnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es Atlan und Thalia immer besser, das ver stümmelte Garva-Guva zu verstehen. »Wohin werdet ihr uns führen?« fragte Atlan, nachdem er sich mit den Fremden ge einigt hatte, daß er und Thalia ihnen folgen wollten. Er sah darin die einzige Möglichkeit, den Organberg in absehbarer Zeit zu verlassen, zumal sich die Obeds hier gut auszukennen schienen. Der Lange, der sich Tymmo nann te und als Wortführer agierte, beantwortete seine Frage. »Du wirst den Operateur kennenlernen.« »Was ist ein Operateur?« wollte der Ar konide wissen. »Es ist Glaumo.« Atlan konnte damit nicht viel anfangen, und er beschloß, vorerst keine weiteren Fra gen zu stellen. Glaumo mochte ein Name oder eine Bezeichnung sein. Schweigend folgten sie den Obeds. Thalia humpelte etwas, aber sie hielt trotz ihrer Schmerzen mit. Schließlich gelangten sie an die Stelle, an der sich der Korridor in eine weite, ausgedehnte Höhle öffnete. Tymmo blieb stehen und machte eine weitschweifen de Armbewegung. »Duntrayöhrn«, sagte er. Das erste, was Atlan auffiel, war der Ein druck von Leben, der hier herrschte. Zahllo se Obeds hielten sich in diesem Gebiet auf; einige standen in Gruppen beisammen und redeten miteinander, andere lagen träge auf dem Boden und schienen vor sich hinzudö sen, wieder andere verrichteten irgendwel che Tätigkeiten, deren Sinn dem Arkoniden verschlossen blieb. Keiner der Fremden äh nelte einem seiner Artgenossen, jeder hatte seine eigenen, charakteristischen Körper merkmale, die ihn von den anderen unter schieden. Es war nicht sicher, seit wievielen Generationen die Obeds schon hier lebten – auf jeden Fall mußten die Rate und der Um fang der sprunghaften Erbänderungen enorm gewesen sein.
26 Tymmo setzte sich wieder in Bewegung und bedeutete den beiden Menschen, ihm zu folgen, während seine Begleiter sich mit lin kischen Gesten verabschiedeten und sich un ter die Menge mischten. Atlan fühlte Unbe hagen in sich aufsteigen, als sie an den er sten Obeds vorbeigingen. Die Mutierten mu sterten sie mit unverhohlener Neugier, ihre stechenden Blicke waren fast körperlich spürbar. »Für diese Leute sind wir ausgesprochen exotische Erscheinungen«, ließ sich Thalia vernehmen. Sie sprach Pthora, um keinem der Obeds Gelegenheit zu geben, sie zu ver stehen und über ihre Äußerungen gekränkt oder verletzt zu sein. »Es wundert mich, daß sie unsere Anwesenheit so gelassen hinneh men.« Atlan antwortete nicht. Einmal mehr be gann er sich zu fragen, wie die Stabilität der Hohlräume im Innern des Organbergs ge währleistet wurde. Die Höhle, in der sie sich jetzt befanden, besaß eine Ausdehnung von fast zweihundert Metern. Überall wurde sie von Plasmazungen durchzogen, die von der Decke zum Boden reichten und wie Stütz pfeiler wirkten. In der Wand gab es zahlrei che Durchgänge zu angrenzenden Räumen und in sich geschlossenen Nischen. Durch die träge Bewegung, die dem gesamten Sy stem anhaftete, wirkte es auf bedrohliche Weise instabil und wenig vertrauener weckend. Dennoch mußte es über Jahrzehn te oder gar Jahrhunderte hinweg seine jetzi ge Form bewahrt haben. An einer Stelle der Höhlenwand, etwa zwei Meter über dem Boden, sprudelte ein kleines Rinnsal grüner Körperflüssigkeit aus dem Plasma, sammelte sich in einer Mulde und floß an deren Seite durch einen schräg nach unten führenden Kanal wieder ab. Tha lia machte den Arkoniden darauf aufmerk sam. Als Atlan sah, daß sich einige Obeds über den Tümpel beugten und von der Flüs sigkeit tranken, blieb er überrascht stehen. Tymmo drehte sich nach ihm um und mach te eine einladende Handbewegung. »Wahrscheinlich habt ihr Durst«, sagte er.
Detlev G. Winter »Wollt ihr trinken?« Atlan wandte sich angewidert ab. Die Vorstellung, von dieser Flüssigkeit zu trin ken, war alles andere als angenehm. Den noch war ihm klar, daß Thalia und er auf die Dauer nicht ohne Nahrungsmittel auskom men würden, zumal nicht abzuschätzen war, wie lange ihre Odyssee durch das Labyrinth des Plasmabergs noch dauern würde, bevor sie nach draußen gelangten. Ziere dich nicht, verlangte der Extrasinn. Was die Obeds am Leben erhält, kann für dich kaum schädlich sein. Zumal der Zellak tivator mögliche Giftstoffe neutralisieren wird. Das war richtig, und Atlan beschloß spon tan, den Versuch zu wagen. Am Rand des kleinen Sees ging er in die Hocke und nahm etwas Flüssigkeit mit den schaufelförmig geformten Händen auf, nachdem er die klo bigen Fäustlinge seines Anzugs abgestreift hatte. Süßlicher Geruch stieg ihm in die Na se. Er unterdrückte den Impuls, den Körper saft zurückzuschütten. Zögernd führte er die Hände zum Mund und begann zu trinken. Es prickelte etwas auf der Zunge, ansonsten war kein bestimmter Geschmack festzustel len. Das machte ihn sicherer. Er wiederholte den Vorgang so oft, bis er keinen Durst mehr verspürte. »Ich denke, das Zeug ist genießbar«, sagte er, während er sich aufrichtete. Jeglichen Widerwillen hatte er überwunden. Thalia blieb jedoch skeptisch. »Ich gebe zu, daß ich großen Durst und ebenso großen Hunger habe. Aber ich will mich nicht mit Gewalt vergiften.« »Der Metabolismus der Obeds dürfte un serem ähnlich sein. Ich glaube nicht, daß ei ne Gefahr besteht.« Die Pthorerin zögerte noch einen Moment unschlüssig, doch schließlich überwand sie ihren instinktiven Abscheu und trank eben falls einige Schlucke aus der mit Nährflüs sigkeit gefüllten Mulde. Atlan sah sich nach Tymmo um, der sich einige Schritte von ihnen entfernt hatte. Der Obed stand an der Höhlenwand und kratzte
Symbiose der Verdammten mit den Händen ein wenig von der plasmati schen Substanz ab. Dann kam er zurück und reichte dem Arkoniden den Organklumpen. »Ihr könnt essen.« Ruhig nahm Atlan das Plasma entgegen. Es hatte seine farbschillernde, zuckende Konsistenz verloren und lag als zähe Masse bewegungslos in seiner Hand. Wiederum be durfte es einiger innerer Überwindung, be vor er ein Stück abtrennte und es sich ent schlossen in den Mund schob. Es ließ sich leicht kauen und schlucken, war ebenfalls geschmacklos und erzeugte bereits nach we nigen Sekunden ein ausgeprägtes Sättig keitsgefühl. Tymmo machte ein zufrieden wirkendes Gesicht und besorgte der Pthore rin auf die gleiche Weise Eßbares. Es fiel Atlan auf, daß der Teil der Höhlen wandung, aus dem ihr Betreuer die Substanz schabte, auf einer Breite von zehn Metern jene eigentümlich blasse Färbung aufwies und von der bebenden Bewegung des umlie genden Plasmas ausgeschlossen blieb. »Diese Stelle«, wandte er sich an Tymmo, »ist offenbar nicht natürlich entstanden. Wie verändert ihr die Substanz, damit man sie es sen kann?« »Der Operateur tut es.« »Der Operateur …«, wiederholte Atlan nachdenklich, »das ist Glaumo?« »Glaumo!« bestätigte der Obed in seiner knappen, nichtssagenden Art. Nach allem, was er bisher gehört und ge sehen hatte, vermutete der Arkonide in Glaumo ein mit besonderen Fähigkeiten aus gestattetes Wesen, fraglos ebenfalls einen Obed, das mit Hilfe parapsychischer oder artverwandter Kräfte in der Lage war, ge wisse Manipulationen mit dem Plasma vor zunehmen. »Führe uns zu ihm«, bat er. »Wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren.« Sie setzten ihren Weg fort. Immer mehr gewann Atlan den Eindruck, daß die Obeds das Höhlensystem als ihren natürlichen Le bensraum ansahen, als ein vorgegebenes, ur sprüngliches Medium, das sie hervorge bracht hatte und ihre Existenz sicherte. Sie
27 wußten nichts von ihrer Vergangenheit. Sie waren Verdammte, Vergessene, die, der Not gehorchend, mit dem Plasmaberg eine Sym biose eingegangen waren und heute, vielfäl tig mutiert und mißgestaltet, ohne Ziel und ohne das Bewußtsein oder die Suche nach dem Sinn allen Daseins stumpf vor sich hinvegetierten … Wie hatte es geschehen können? Ein schmatzendes Geräusch unterbrach Atlans Gedanken. Sie waren an einer Stelle stehen geblieben, an der sich die Wand der Höhle leicht nach außen wölbte. Jetzt konnten sie beobachten, wie die Wölbung heftig zu zit tern begann und dabei jene seltsamen Laute erzeugte. Wie ein Ballon blähte sich die Substanz auf, warf Wellen und Blasen – und bildete schließlich einen senkrecht verlau fenden Einschnitt, aus dem sich ein hochge wachsenes, schlankes Wesen langsam her ausschälte. Unwillkürlich hielt Atlan den Atem an. Er war sich, ohne nach einer Er klärung zu fragen, bewußt, daß sie einem bedeutungsvollen Ereignis beiwohnten. Mit geschmeidigen Bewegungen befreite sich der hochgewachsene Obed vollständig aus der Plasmamasse, die hinter ihm zu ihrer ur sprünglichen Form zusammenwuchs. Auf merksam musterte er seine drei Besucher. Tymmo hob in dramatischer Geste die Ar me. »Das ist Glaumo«, verkündete er. Vergessene Bilder: Duntrayöhrn Verthan non-Obed war bei dem Gedanken, den Rest seines Lebens auf Garnverc fristen zu müs sen, schier verzweifelt. Seine Persönlichkeit zerbrach. Wimmernd kauerte er in der Ni sche zwischen zwei Maschinenblöcken und wehrte jeden Versuch, sich ihm zu nähern, mit wirbelnden Fäusten ab. Er ertrug es nicht, in einem Berg aus lebender Substanz zu sein. Niemand hatte ihn gewarnt, nie mand hatte ihn darauf vorbereitet, welche Verhältnisse auf dem Planeten geschaffen worden waren, um die wertvolle Anlage zu verbergen. Hätte er es gewußt, er wäre nie auf die Idee gekommen, sich für den Versuch zur
28 Verfügung zu stellen. Hätte er geahnt, daß der Transmitter nur einseitig funktionierte, er wäre lieber zu den dunklen Mächten über gelaufen. Doch dazu war es zu spät. Er befand sich in Beuterkum, unter Artge nossen zwar, aber inmitten einer wahnsinni gen, willenzerstörenden Umgebung, ohne je de Hoffnung, dieses monströse Gebilde je mals wieder verlassen zu können. Er wußte, daß er den Verstand verlieren würde, und er wußte, daß er nichts dagegen tun konnte. Vergeblich hatte Corfyl versucht, ihn zu beruhigen. Es war ihm nicht gelungen, zu mal auch bei ihm der Schock tiefer saß, als er anderen gegenüber zuzugeben bereit war. Mit aufopferungsvollem Einsatz hatten sie die Transmitteranlage in Beuterkum instal liert, hatten eine gewaltige Halle und mehre re Zugänge und Luftschächte geschaffen, hatten das gesamte System durch ausgeklü gelte energetische Schwingungsfelder vor dem Einsturz gesichert – nur um am Ende ihrer Bemühungen feststellen zu müssen, daß sie irgendwo einen winzigen Fehler be gangen haben mußten. Der Transmitter sendete nicht. Nachdem sie den vereinbarten Erken nungsimpuls abgesetzt hatten, war Verthan non im Entstofflichungsfeld erschienen, ein Freiwilliger, der die Funktionsfähigkeit der Anlage prüfen sollte und sich von diesem Unternehmen einige persönliche Belobigun gen und Auszeichnungen versprach. Die Eu phorie über den Erfolg ihrer Arbeit schwand jedoch sehr schnell, als sie sich mittels des Transmitters von Garnverc zurückziehen wollten. Irgendwo im Abstrahlungsmecha nismus lag ein Defekt vor. Das Gerät arbei tete nur einseitig, gestattete zwar den Trans port nach Beuterkum, versagte aber in um gekehrter Richtung. Trotz aller Bemühungen wurde der Fehler nicht gefunden. In gewisser Weise war Verthannons Hal tung verständlich. Nachdem der Schock der Erkenntnis ihn getroffen hatte, zog er sich in sich selbst zurück und versuchte so, das Un faßbare aus seinem Leben auszuklammern.
Detlev G. Winter Allen anderen Obeds fiel die Umstellung leichter. Die Wissenschaftler hatten darauf gefaßt sein müssen, für immer auf Garnverc verbannt zu bleiben. Auch sie brauchten ihre Zeit, bis sie sich mit den Verhältnissen abge funden hatten. Es war ein Unterschied, ob man mit einer bestimmten Möglichkeit rech nete und sie insgeheim doch weit von sich wies, oder ob man mit dem theoretisch Denkbaren plötzlich auf unabänderliche Weise konfrontiert wurde. Dennoch dachte keiner der Forscher dar an, seine Existenz nach Verthannons Bei spiel einfach zu verleugnen oder wegzuwer fen. Das Leben ging weiter, und Garnverc war eine fruchtbare Sauerstoffwelt, die ge nügend Chancen bot, dieses Leben halbwegs angenehm und zufriedenstellend zu gestal ten. Sofern die dunklen Mächte nicht gerade auf den Einfall kamen, den Planeten zu un tersuchen, würde sich eine friedliche Ge meinschaft aufbauen lassen. Daß dies ein Traum bleiben mußte, stellte sich heraus, als ein junger Obed aus einem der Zugänge zum Transmitterdom stürmte und schwer atmend vor Corfyl stehenblieb. Die Züge seines Ge sichts waren von Angst und Schrecken ge kennzeichnet, er blutete aus mehreren leich ten Wunden. »Wir … wir sind verloren …!« stammelte er. In seiner Bestürzung brachte er keinen vernünftigen Satz zustande. »Das Plasma … der Weg nach draußen …« Eisige Kälte breitete sich in Corfyl aus. Er ahnte, was der Jüngere hatte sagen wollen, aber er beherrschte seine widerstreitenden Emotionen meisterhaft. Hinter sich hörte er Verthannon stöhnen und wild gegen die Verkleidung einer Maschine trommeln; trotz seines Zustands hatte er den Sinn der ge stammelten Botschaft erfaßt. »Berichte der Reihe nach«, forderte Cor fyl den Jungen auf. »Und beruhige dich!« Nur schwer gelang es dem anderen, seine Fassung wiederzufinden. »Wir wollten nach draußen, um die Abga beleistung der Energiestrahler zu drosseln. Plötzlich begann sich die Decke über uns zu
Symbiose der Verdammten senken und herabzubrechen. Fünf Männer wurden von dem Plasma begraben. Es war furchtbar …« Er verstummte schluchzend, seine Augen füllten sich mit Tränen. Corfyl legte ihm vä terlich einen Arm um die Schulter. »Ruhe dich etwas aus. Du mußt versu chen, das Erlebnis zu vergessen.« Viel Trost vermochte er ihm damit nicht zu vermitteln. Gesenkten Kopfes wandte sich der Jüngere ab. Ein medizinisch ausge bildeter Obed kümmerte sich um seine Ver letzungen. In Corfyl kam Bewegung. Er hatte einen Verdacht, den er bestätigt oder zerstreut wis sen wollte. Es bereitete ihm keine Mühe, ei nige seiner Leute um sich zu versammeln, denn fast alle waren durch den Zwischenfall von ihrer Arbeit abgelenkt worden und hat ten ihr Augenmerk auf ihn gerichtet. »Ihr habt gehört, was geschehen ist«, sag te er. »Wir bilden zwei Gruppen zu je fünf Personen. Jede Gruppe wird durch einen der beiden anderen Ausgänge vordringen und erkunden, ob es noch eine Möglichkeit gibt, die freie Planetenoberfläche zu erreichen. Du, Hymillat, kümmerst dich bitte um Vert hannon. Paß auf, daß er keine Dummheiten macht.« Es gab keine Fragen. Die Wichtigkeit von Corfyls Anordnung war jedem bewußt. Vor sichtig drangen die beiden Teams in die zwei übrigen nach außen führenden Stollen vor. Wie so oft in den letzten Tagen, begann Corfyl auch jetzt drückendes Unbehagen zu befallen. Die Plasmamasse bebte und zitter te, mit ihrem verwirrenden Farbenspiel schi en sie den Eindringlingen den Kampf ansa gen zu wollen. Manchmal glaubte Corfyl das primitive Leben zu erfassen, als zuckten mentale Blitze zwischen seinem Geist und dem Organismus umher. Jetzt, in der Stunde akuter Bedrohung, empfand der Wissen schaftler diesen Eindruck besonders inten siv, aber er war sich immer noch nicht si cher, ob er sich alles nicht vielleicht nur ein bildete.
29 Sich darüber Klarheit zu verschaffen, war er momentan nicht fähig; er hätte Ruhe und Besinnung dazu gebraucht. Er bemühte sich, das Problem beiseitezuschieben und sein Unbehagen zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht völlig. Erst als sie das Rinnsal überquerten, das aus der plasmatischen Kor ridorwand hervortrat, den Gang in seiner ge samten Breite durchfloß und auf der anderen Seite wieder versickerte, schreckte Corfyl auf und vergaß alle anderen Gedanken. Die von der Nährflüssigkeit überflutete Fläche war seit seinem letzten Besuch erheblich breiter geworden, außerdem hatte sich der Boden weiter abgesenkt. Wenige Schritte hinter dem Rinnsal war der Stollen zu Ende. Einer seiner Mitarbeiter stieß einen er stickten Laut aus. Auch Corfyl gelang es nur mühsam, die Fassung zu bewahren. »Beuterkum ist unserer Kontrolle entglit ten«, sagte er so ruhig wie möglich. »Es hat sich selbständig gemacht.« Dort, wo jetzt ei ne bebende Wand plasmatischer Substanz den Weg versperrte, war bisher der Ausgang zur Planetenoberfläche gewesen. Corfyls Anweisung, die Strahlungsstärke der rund um den Organberg installierten Energiequel len zu senken, war zu spät erfolgt. Unter ih rem Einfluß war Beuterkum weiter gewu chert. Irgendwann war der Druck der zellu lären Massen so groß geworden, daß das Plasma an den Flanken des Gebirges abzu rutschen begann und die Zugänge verschüt tete. Niemand hatte damit gerechnet, daß et was Derartiges passieren könnte. Die theore tische Planung war von einer konstanten, kontrollierbaren Wachstumsrate ausgegan gen. »Wir sind eingeschlossen«, murmelte je mand. Die anderen schwiegen betroffen und versuchten, die schreckliche Erkenntnis in nerlich zu verarbeiten. Corfyl gab sich keinen Illusionen darüber hin, daß es ihnen gelingen könnte, den Stol len durch das nachgerückte Plasma weiter voranzutreiben. Die energetischen Felder, die die Zellverbände beeinflußten und die Substanz in den von den Obeds bestimmten
30 Grenzen zurückhielt, reichten nur knapp über das Rinnsal hinaus. Ihnen war es zu verdanken, daß das herabgebrochene Plasma nicht bereits den gesamten Korridor über schwemmt hatte. Die Aggregate waren fest in der farbigen Masse verankert, jeder Standortwechsel hätte verheerende Folgen gehabt. Überdies fehlte das Material, um weitere Maschinen zu bauen. Corfyl trat näher an die herabgebrochene Wand heran. Sie war keineswegs homogen, sondern wurde von vielen Einkerbungen und Spalten durchzogen. Der Forscher glaubte einen linden Luftzug zu spüren, und unter dem Druck seiner Hand wölbte sich die Sub stanz nach innen. Sie war weich und unbe ständig, nachgiebig, verformbar … Corfyl schien in einem Strudel ungesteu erter Emotionen zu versinken, Gefühle und zügellose Gedanken peitschten in seinen Geist, rissen die Dunkelheit des Nichterken nens auf und versetzten ihm grelle Stöße mentaler Übereinstimmung. Er hörte eine schreiende Stimme, kräftige Hände packten ihn und riefen ihm seine Körperlichkeit ins Bewußtsein zurück. Das Plasma löste sich von ihm – oder löste er sich von dem Plasma? –, haltsuchend breite te er die Arme aus, taumelte. »Bist du von Sinnen?« fuhr ihn einer sei ner Leute an, während er seiner schwanken den Unsicherheit begegnete und ihn stützte. Die Verwirrung wich nur langsam aus Corfyls Geist. Noch immer maßlos durch einander, musterte er seine Mitarbeiter und sah in ihre entsetzten Gesichter. »Was ist geschehen?« Sinthylla trat zu ihm, jene Frau, die ihm deutlich zeigte, welche Gefühle sie für ihn hegte, und die er bisher immer abgewiesen hatte, weil er sich nicht sicher war, was er seinerseits für sie empfand. In diesem Mo ment wurde es ihm klar. »Du weißt es nicht mehr?« fragte sie, und in ihrer Stimme lagen gleichermaßen Be sorgnis und Zuneigung. »Nein.« Nachdenklich wandte sich Sinthylla ab.
Detlev G. Winter »Vielleicht ist es besser so.« Klantur, ein stämmiger Mann mit polterndem Gemüt, war anderer Ansicht. »Er kann es ruhig erfahren«, sagte er und baute sich wie ein Kämpfer vor Corfyl auf. »Du hast durchgedreht!« Sein Arm wies an klagend auf die Plasmamauer. »Du hast ver sucht, dich von diesem entsetzlichen Zeug verschlucken zu lassen. Glaubst du, damit kannst du die Probleme lösen?« In der Stunde der Not, überlegte Corfyl, traten schwelende Konflikte offen zutage. Klantur hatte seine Abneigung gegen ihn zwar nie deutlich gezeigt, aber er hatte ihm auch keine übertriebene Sympathie entge gengebracht. Er hatte seine Entscheidungen und Anweisungen respektiert und ausge führt, das war alles. Erst jetzt wurde deut lich, was er wirklich von ihm hielt. Aber dies war nicht der Zeitpunkt, darauf einzugehen. Noch einmal rief er sich das seltsame Erlebnis, das ihn in solche Verwir rung gestürzt hatte, in seine Gedanken zu rück. Das, was er bisher in verständlicher Unsicherheit als Einbildung abgetan und beiseite geschoben hatte, war Realität ge worden. Er war mit dem Plasma in geistigen Kontakt getreten! Er war, wenn auch unab sichtlich, in diese lebende Masse eingedrun gen, ohne dabei Abscheu oder körperliches Unbehagen zu empfinden. Dort war, trotz der zähen Beschaffenheit der Substanz, Raum für ihn gewesen, Bewegungsfreiheit, Atemluft … »Wer weiß«, meinte er versonnen, »vielleicht gelingt es mir tatsächlich.« Klantur, der nicht damit gerechnet hatte, eine Antwort auf seine rhetorische Frage zu erhalten, starrte ihn verständnislos an. Spä ter, nachdem auch der zweite Erkundungs trupp nichts anderes melden konnte, als daß der Ausgang versperrt war, und Corfyl seine Leute zu einer Lagebesprechung um sich versammelt hatte, ging er näher auf seine Überlegungen ein und versuchte sie zu be gründen. »Ich bin mittlerweile davon überzeugt, daß das Plasma unsere Anwesenheit wahr
Symbiose der Verdammten nehmen kann. Das ungeheure Wachstum, zu dem wir es veranlaßt haben, hat dazu beige tragen, daß sich so etwas wie Geist oder nie deres Bewußtsein entwickeln konnte. Ich hatte schon längere Zeit den Eindruck, daß zwischen mir und der Substanz eine schwa che mentale Beziehung bestünde, und mein Erlebnis im Stollen scheint das zu bestäti gen. Ich bin in das Plasma eingedrungen und habe zugleich eine verstärkte psychische Be ziehung verspürt. Ich bin weder erstickt, noch hat mich die Substanz erdrückt. Sie hat mich aufgenommen und sich dabei zurück gezogen, um mir Lebensraum und Bewe gungsfreiheit zu bieten!« »Du unterstellst Beuterkum konstruktive Intelligenz«, protestierte Klantur. »Keineswegs«, widersprach Corfyl. »Von Intelligenz kann keine Rede sein, vielleicht nicht einmal von Instinkt. Aber Beuterkum lebt! Es ist sich seiner selbst sicher nicht be wußt, aber auf eine Weise, die ich nicht er klären kann, nimmt es uns wahr und akzep tiert uns.« »Worauf willst du hinaus?« fragte Sin thylla ruhig. Corfyl blickte sich bedeutungsvoll um. »Wir alle müssen lernen, die geistige Ver bindung mit Beuterkum herzustellen und uns nutzbar zu machen!« »Das ist Wahnsinn!« rief Klantur und sprang erbost auf. »Was bezweckst du mit deinen verrückten Hypothesen? Sieht denn niemand, daß dieser Mann seinen Verstand verloren hat?« »Es ist unsere einzige Chance.« Corfyl blieb beherrscht und gelassen. »Wir wollen überleben!« Eine lebhafte Debatte entwickelte sich. Es stellte sich, auch für Corfyl überraschend, heraus, daß etliche seiner Mitarbeiter jenen merkwürdigen, leisen Kontakt zu dem Plas ma ebenfalls verspürt hatten und nur aus Angst, man könnte sie für geisteskrank er klären, bisher nicht darüber sprechen moch ten. Andere bezeichneten alles als Hirnge spinst und als Symptom des Eingeschlossen seins. So kontrovers die Meinungen auch
31 waren, man einigte sich schließlich, den Versuch zu wagen. Man wollte Beuterkum durchdringen, um in die Freiheit zu gelan gen. Den schwachsinnig gewordenen Verthan non schleppten sie mit sich. Längst hatte er jeden Widerstand aufgegeben und ließ sich willenlos führen. Hinter der frei durch den Stollen fließen den Körperflüssigkeit erhob sich die Mauer aus zitterndem Plasma. Viele Obeds waren bei den Bauarbeiten in den vergangenen Monaten ums Leben gekommen. Es waren kaum noch mehr als achtzig, die jetzt un schlüssig stehenblieben und ihre neu erwa chende Furcht zu unterdrücken suchten. Corfyl registrierte besorgt, daß der Nähr strom abermals etwas breiter und tiefer ge worden war. Irgendwann würde es hier kein Weiterkommen durch die Flüssigkeit mehr geben. Aber sie hatten ohnehin nicht vor, je mals hierher zurückzukehren. Corfyl trat dicht an die organische Mauer heran. Plötzlich stiegen Zweifel in ihm auf, ob der von ihm entwickelte Plan wirklich zum Erfolg führen konnte. Aber er ließ sich nicht mehr beirren. Er hatte seine Leute bis hierher geführt, und er würde sie auch nach draußen führen. Hinter ihm wurden Unmuts äußerungen laut, während er vor dem Plas ma stand und sich zu konzentrieren versuch te. Beim ersten Mal war er unbewußt in die Masse eingedrungen, jetzt bemühte er sich, den Vorgang verstandesmäßig zu steuern, ohne sich von den mentalen Eindrücken ab lenken oder verwirren zu lassen. Es war ein Unterschied! Aber es gelang ihm. Er spürte, wie das Plasma unter dem Druck seiner Hände und seines Körpers nachgab, wie es sich vor ihm öffnete und Wellen unterschiedlichster Ge fühle auf ihn einstürmten. Beuterkum emp fing ihn als Partner, bildete schmatzend Freiräume und kleine Tunnel. »Folgt mir!« rief Corfyl überschwenglich, aber seine Stimme klang gedämpft, und er begriff, daß das Plasma sich hinter ihm wieder geschlos sen hatte, daß es den anderen den Zutritt
32 verwehrte. Offenbar war die mentale Ver bindung mit ihnen nicht ausgeprägt genug. Schockiert blieb er stehen. Die Substanz um ihn wogte unbeständig hin und her, schien sich über ihn ergießen und ihn erdrücken zu wollen. Der geistige Kontakt verflachte zu sehends. Panik ergriff den Wissenschaftler. Wenn es ihm nicht gelang, die Verbindung zu Beuterkum aufrecht zu erhalten und zu intensivieren, waren er und seine Freunde verloren. Er schloß die Augen und konzentrierte sich. Mühsam versuchte er, seine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken und sich dem Organismus mitzuteilen. Dabei war er sich darüber im klaren, daß Beuterkum ihn nie mals verstehen würde. Bestenfalls konnte das Plasma empfinden, was er ihm auf gei stiger Ebene zu vermitteln trachtete. Mit al ler Inbrunst, derer er fähig war, versuchte er, die mentalen Schwingungen Beuterkums aufzunehmen und seine eigenen Emotionen anzugleichen. Er fühlte, wie er zufrieden und ruhig wurde, wie erneut jene nicht er klärbare geistige Übereinstimmung entstand und sich verfestigte … Und er hörte das Schmatzen, als die farbi ge Masse sich weiter zurückzog, Höhlen und Korridore bildete. Er vernahm die erstaunten Rufe seiner Artgenossen, als die Mauer vor ihnen aufbrach und den Weg zu ihm freigab. Da wußte er, daß er recht behalten hatte. Daß er gewonnen hatte. So entstand Duntrayöhrn, das Höhlensy stem, das den Obeds neuer Lebensbereich werden sollte. Hier würden sie existieren, sich ernähren und fortpflanzen. Den Weg nach draußen fanden sie nie. Das Wachstum des Plasmas ging zu schnell vor sich, als daß sie auf einem beschwerlichen Weg durch die Substanz damit hätten Schritt halten können. Schon bald gaben sie die Versuche auf, und mit der Zeit fanden sie sich mit dem Schick sal ab. Beuterkum würde nicht aufhören, sich auszudehnen, solange die Strahlungs quellen noch mit Energie versorgt wurden, und als das Plasma sein Wachstum endlich einstellte, hatte es auf dem Weg in die Frei-
Detlev G. Winter heit so viele gefährliche Eigenschaften aus gebildet, daß kein Obed sie jemals überwin den konnte. In Duntrayöhrn hatten sie eine neue Hei mat gefunden, der sie sich anzupassen ver mochten und die sie am Leben erhielt.
5. Lange standen sie sich gegenüber und sa hen sich schweigend in die Augen. Atlan er kannte sofort, daß er eine Persönlichkeit be sonderer Prägung vor sich hatte. Glaumo wirkte abgeklärt und weise, in seinem Auf treten spiegelten sich Erfahrenheit und Rei fe. Eine Aura der Unberührbarkeit schien ihn zu umspielen und ihm eine geheimnis volle Distanz zu seiner Umwelt zu verlei hen. Es war nicht zu übersehen, daß er in der Hierarchie der Obeds eine besonders expo nierte Stellung verkörperte. Atlan versuchte sich auszumalen, was hinter der Stirn des Operateurs vor sich ge hen mochte. In seinem Goldenen Vlies muß te der Arkonide ihm wie ein Fabelwesen aus einer unwirklichen Welt vorkommen. Es hatte allerdings nicht den Anschein, daß er sich davon sonderlich beeindrucken ließ. Mit einer herrischen Geste veranlaßte er Tymmo, sich abzuwenden und zu seinen Freunden zurückzutrotten. Obwohl er men talstabilisiert war, spürte Atlan die zwingen de Ausstrahlung, die Glaumo verströmte. Es überraschte ihn nicht. Er hatte von Anfang an vermutet, daß der Obed parapsychisch begabt war. »Ihr gehört nicht zu uns«, sagte der Ope rateur in gebrochenem Garva-Guva. Seine Stimme war kalt und gefühllos. Sie schien aus einer fremden, dämonischen Welt zu kommen und hätte jedem Unerfahreneren als Atlan einen Schauer über den Rücken gejagt. »Ihr seid anders.« Nach der Rettung vor den mordlüsternen Reptilien und Tymmos freundlichem Entge genkommen hatte der Arkonide eine derart abweisende Begrüßung nicht erwartet. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, daß Thalia
Symbiose der Verdammten zusammenzuckte. Sie war durch Glaumos Worte noch stärker schockiert. Fieberhaft begann Atlan zu überlegen, wie er die Sym pathie oder zumindest die Hilfsbereitschaft des Anführers der Obeds gewinnen könnte. Vergeblich wartete er auf Hinweise seines Extrasinns, doch der Logiksektor schwieg sich aus. Schließlich sagte er sich, daß Of fenheit womöglich die beste Methode sei, den Fremden für sich einzunehmen. »Nein, wir gehören nicht zu euch«, bestä tigte er Glaumos Feststellung. »Wir sind auch nicht gekommen, um eure Gemein schaft zu stören oder uns euch aufzudrän gen. Wir sind auf dem Weg nach draußen.« Die Physiognomie eines artfremden, noch dazu mutierten Wesens war nicht leicht zu interpretieren, dennoch glaubte der Arkoni de die Wandlung, die im Gesicht des Opera teurs vor sich ging, am ehesten damit um schreiben zu können, daß sich seine Miene weiter verdüsterte. »Es gibt keinen Weg, wie ihr ihn sucht«, erklärte Glaumo abweisend. Mit den Armen fabrizierte er eine ungeschickte Bewegung, die das Höhlensystem symbolisch umfassen sollte. »Dies ist Duntrayöhrn, und Duntray öhrn ist eingebettet in Beuterkum. Das ist die Welt.« Es war Atlan sofort klar, daß mit »Duntrayöhrn«, jenem seltsam klingenden Wort, das auch Tymmo bereits benutzt hatte, der Lebensraum der Obeds gemeint war, während »Beuterkum« offenbar den Plasma berg in seiner Gesamtheit bezeichnete. Daß er keine Ahnung oder Vorstellung von ande ren, außerhalb des Riesenorganismus gele genen Daseinsbereichen haben wollte, nahm der Arkonide dem Operateur allerdings nicht ab. Wäre es der Fall gewesen, hätte er seine Erklärung anders formuliert. »Beuterkum ist nicht die Welt«, wider sprach Atlan. »Du weißt es, und ich versi chere dir nochmals, daß unser Weg uns nur deshalb hierher geführt hat, weil wir dieses Gebiet verlassen möchten.« »Ihr werdet es verlassen«, versicherte Glaumo in gleichbleibendem Tonfall. »Ihr
33 werdet dorthin zurückkehren, woher ihr ge kommen seid.« »Dort können wir nicht leben.« Atlan mußte alles auf eine Karte setzen. Wenn er jetzt nachgab und sich dem Willen des Ope rateurs auch nur zum Schein beugte, würden sie keine Gelegenheit mehr erhalten, aber mals nach Duntrayöhrn zu gelangen. »Wir brauchen die Freiheit und die Unabhängig keit. Sie liegen in der anderen Richtung, au ßerhalb von Beuterkum.« »Du bist sehr kühn, daß du so mit mir zu sprechen wagst.« »Ich ersuche dich um deine Hilfe. Warum drohst du mir?« versetzte Atlan. »Meine Be gleiterin und ich sind nicht dazu geboren, in Beuterkum zu leben. Wir wollen nichts von euch.« »Ihr wollt uns verführen, mit euch zu ge hen und Duntrayöhrn zu verlassen.« »Das ist falsch. Zeige uns den Weg, und wir werden ihn alleine gehen. Niemand braucht sich um uns zu kümmern.« Glaumo hatte durch seine Worte längst verraten, daß er in der Tat über die Existenz einer Welt außerhalb des Plasmabergs infor miert war. Dennoch blieb er unnachgiebig. Was steckte dahinter? Hatte er wirklich die Befürchtung, daß seine Artgenossen das Höhlensystem verlassen könnten, wenn ih nen nur jemand voranging? Fürchtete er um seine Macht oder seinen Einfluß? Oder gab es unbekannte Mythen, die ihm die Hilfe für Fremde untersagten? Atlan wußte es nicht, und er begann einzusehen, daß er den Ope rateur nicht würde umstimmen können. Er mußte eine andere Taktik einschlagen. »Ich sehe ein, daß wir ein Störfaktor in nerhalb eurer Gemeinschaft sind«, sagte er, nachdem Glaumo seine Ablehnung abermals bekräftigt hatte. »Wir werden uns deinem Wunsch beugen und Duntrayöhrn in der Richtung verlassen, aus der wir gekommen sind. Aber wir sind von der langen Wande rung müde. Gestatte uns, eine Weile zu ru hen.« Es war ein riskantes Spiel, das er mit dem Operateur trieb, aber Glaumo kam anschei
34 nend erst gar nicht auf die Idee, daß er hin tergangen werden sollte. Er war es gewöhnt, daß seinen Anweisungen Folge geleistet wurde; durch seine parapsychische Aus strahlung unterstützt, hatte er seine Unterta nen stets unter Kontrolle. Atlan und Thalia waren zwar Fremde, die sich schwer beein flussen ließen, aber er schien der Meinung zu sein, daß ihr Widerstand nunmehr gebro chen sei. »Damit bin ich einverstanden«, sagte er mit deutlicher Zufriedenheit. Er deutete auf eine der Nischen, die die Plas mawand in unregelmäßigen Abständen un terbrachen. »Ihr könnt euch dort niederlassen. Tyrns wird euch beobachten. Sobald ihr wieder bei Kräften seid, müßt ihr gehen.« Er winkte einem seiner Artgenossen und wandte sich würdevoll ab. Atlan sah ihm nach, bis er in einer Nebenhöhle verschwun den war. Der Obed, den der Operateur her beigewinkt hatte, entpuppte sich als ein klei nes, verkrüppeltes Wesen, dem das Laufen auf seinen kurzen Beinen offensichtlich er hebliche Schwierigkeiten bereitete. Vor den beiden Fremden blieb es stehen und muster te sie mit großen, glotzenden Augen. »Ich bin Tyrns«, stellte er sich vor. Atlan beschloß, ihm zunächst keinerlei Beachtung zu schenken, um sein Mißtrauen nicht zu wecken. Vermutlich war Tyrns dem Operateur treu ergeben, andernfalls hätte dieser ihn kaum zu ihrer Bewachung be stimmt. Jedes falsche Wort konnte katastro phale Folgen haben. Der Arkonide brauchte außerdem einige Zeit, um sich über sein weiteres Vorgehen klarzuwerden. Er führte Thalia mit sich in die Nische. Zufrieden stellte er fest, daß sie hier dem direkten Blick des Gnomen entzogen waren. »Entspanne dich«, wandte er sich an Tha lia, die der parapsychischen Aura Glaumos zwar nicht erlegen war, aber ihren Einfluß doch deutlich gespürt hatte. Er sprach leise und benutzte das Pthora, um ihrem Bewa cher keine Gelegenheit zu geben, das Gesag te zu verfolgen. »Ich bitte um eine Erklärung, welche Tak-
Detlev G. Winter tik du verfolgst«, erwiderte Thalia, ohne sich eine Schwäche geistiger Art anmerken zu lassen. »Du hättest Glaumo mit der großen Plejade beeinflussen können.« »Das war zunächst auch meine Überle gung«, bekannte Atlan und schüttelte dabei entschieden den Kopf. »Der Operateur be sitzt jedoch einen sehr starken Willen und verfügt über eine ausgeprägte parapsychi sche Begabung. Ich fürchte, die Plejade hät te nichts ausgerichtet. Das hätte uns um un seren größten Trumpf gebracht.« »Du willst es bei Tyrns versuchen«, riet Thalia. Atlan nickte lächelnd. »Bei ihm ist der Erfolg so gut wie sicher«, sagte er. »Aber wir sollten nichts überstür zen. Es ist wichtig, daß wir ausgeruht und bei Kräften sind, wenn wir Duntrayöhrn ver lassen. Wir müssen versuchen, etwas zu schlafen.« Die Pthorerin war davon nicht begeistert, weil sie fürchtete, durch unkontrollierte Re aktionen des Plasmas oder durch einen Überfall der Obeds gefährdet zu sein. Es be durfte einiger Überzeugungskraft, ihre Be denken zu zerstreuen. Nach allem, was er beobachtet hatte, glaubte Atlan nicht, daß je mand ihnen etwas würde anhaben wollen, und die Organmasse schien ihm hier weit weniger unbeständig als anderswo. Die mu tierten Obeds lebten seit Generationen in ihr. Obwohl sie sich vor der Wehrlosigkeit fürchtete, fiel Thalia schließlich doch in einen tiefen Schlaf. Sie hatte viel mitge macht und sich körperlich verausgabt, und das forderte seinen Tribut. Atlan brauchte weniger Entspannung. Der in seiner Brust verborgene Zellaktivator half ihm über Er schöpfung und Müdigkeit über längere Zeit hinweg. Dennoch spürte auch er, wie ihm nach wenigen Minuten die Augen zufielen. Tyrns, der Gnom, reagierte unwillig, als er einen Blick in die Nische warf und die Schlafenden sah. Innerlich verfluchte er den Operateur, der ihn zur Bewachung der Fremden eingeteilt hatte. Sie waren völlig ungefährlich, und es war nicht abzusehen,
Symbiose der Verdammten wie lange sie brauchten, bis sie sich erholt hatten. Er hätte Besseres zu tun gewußt, als hier auszuharren und zu warten. Aber er hat te nicht die Kraft, sich Glaumos Befehl zu widersetzen. Sein Geist war zu schwach.
* Die große Plejade, in deren Besitz Atlan auf dem Planeten Xudon gelangt war, hatte ihm im Kampf gegen die Hilfstruppen Chirmor Flogs bereits manchen guten Dienst erwiesen. Insbesondere war es immer wieder gelungen, die Galionsfiguren an Bord der Organschiffe aus ihrer geistigen Abhängig keit zu befreien und zur freiwilligen Mitar beit zu veranlassen. Der Arkonide hatte sich mit Thalia nochmals über ihr weiteres Vor gehen verständigt. Beide fühlten sich frisch und ausgeruht, die wenigen Stunden Schlaf hatten ihnen gutgetan. Die Aussicht, den Plasmaberg und die in ihm hausenden Sym bionten vielleicht schon bald zu verlassen, stärkte ihren Aktionsdrang zusätzlich. Aus einer Tasche des Goldenen Vlieses zog At lan die faustgroße Marmorkugel hervor und wog sie prüfend in der Hand. Auch er spürte die geheimnisvolle Aura, die sie verströmte. »Tyrns!« rief er, während er aus der Ni sche hervortrat. Der Gnom, der es sich vor ihrer Schlafstatt bequem gemacht hatte, sprang auf und wandte sich dem Arkoniden zu. Bevor er etwas sagen konnte, fiel sein Blick auf die Marmorkugel, die Atlan ihm in der hohlen Hand entgegenstreckte. Der Widerschein der Freiheit: jenes un bestimmbare, mystische Fluidum der großen Plejade, das denen, die in seinen Bann ge rieten, Kraft und Mut verlieh, sie aus psychi schen Abhängigkeiten befreite und ihnen den Drang nach Weite und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung vermittelte. Tyrns erlag ihm mit Körper und Seele. Augenblicklich ging eine Wandlung mit ihm vor. Er reckte sich, als wollte er sich selbst sei ne gnomenhafte Gestalt vergessen machen,
35 plötzliches Interesse und Unternehmungslust schimmerten in seinen großen Augen. »Wir möchten Beuterkum verlassen«, sagte Atlan. »Wirst du uns führen?« »Man kann Beuterkum nicht verlassen. Viele haben es versucht, aber alle kehrten hierher zurück und berichteten schreckliche Dinge.« Atlan zweifelte nicht daran, daß er die Wahrheit sprach. Den parapsychischen Ein fluß Glaumos hatte er unter der Wirkung des Widerscheins der Freiheit abgestreift. Es gab für ihn keinen Grund zur Lüge. »Aber es gibt einen Weg«, hakte der Ar konide nach. »Zeige uns die Richtung, und wir werden ihn allein beschreiten.« »Er führt über die achtzehn Pässe, das Reich der Toten, zu den Sturmbögen. Was dahinter liegt, weiß ich nicht.« Atlan konnte sich unter den Begriffen nicht viel vorstellen, aber er hatte bereits einen bestimmten Verdacht. »Was sind die Sturmbögen?« fragte er. »Die Zone der Vernichtung«, behauptete Tyrns. »Wilde Orkane toben dort und reißen jeden in den Tod, der sich zu weit vorwagt. Niemand hat je den Mut gefunden, das Ge biet zu durchqueren. Auch euch wird es nicht gelingen.« Eigentlich, überlegte der Arkonide, konn te es mit den Sturmbögen keine andere Be wandtnis haben, als daß von dort aus die Zu fuhr frischer Atemluft ins Innere Beuter kums erfolgte. Tyrns' Schilderung ließ eine gegenteilige Deutung kaum zu. Wenn es richtig war, befand man sich in diesem Ge biet bereits in den Randzonen des Plasma bergs, auf dem Weg in die Freiheit. »Führe uns zu den achtzehn Pässen«, bat Atlan. »Von dort werden wir alleine weiter finden.« Der Gnom erklärte sich dazu bereit und setzte sich in Bewegung. Niemand beachtete sie oder hielt sie auf. Für die übrigen Be wohner Duntrayöhrns schienen sie Objekte von untergeordneter Bedeutung zu sein, um die man sich nicht weiter zu kümmern brauchte. Glaumo, der Operateur, hingegen,
36 der die Fremden so gerne dorthin abgescho ben hätte, woher sie gekommen waren, ließ sich nicht blicken. Wahrscheinlich hatte er sich irgendwo zur Ruhe begeben oder war wieder in die Plasmamasse eingedrungen und überließ ihre Bewachung Tyrns, den er noch immer in seiner Abhängigkeit wähnte. Unterwegs, als sie bereits mehrere Höhlen durchquert hatten und nur noch selten einem Obed begegneten, hielt es Atlan für an der Zeit, sich ein genaueres Bild von dem An führer der Mutierten zu machen. »Glaumo ist ein seltsamer Mann«, sagte er zu Tyrns, der daraufhin überrascht stehen blieb. »Er dringt in die Wände Duntrayöhrns ein, ohne daß er dabei Schaden nimmt. Da gegen habe ich niemanden von euch anderen beobachtet, die ihm das nachahmen.« »Wir können es nicht.« »Was tut Glaumo im Innern des Plas mas?« »Er sendet Impulse aus«, erklärte der Gnom bereitwillig und bewies damit, daß er über die Gegebenheiten recht gut unterrich tet war, »und sichert uns so das Wohlwollen Beuterkums. Die Wellen, die sein Geist ver strömt, bereiten dem Plasma Freude und hel fen ihm, seine Form zu bewahren. Sie veran lassen es, uns Nahrung und Lebensraum be reitzustellen. Wenn es keinen Operateur gä be, müßten wir alle vergehen.« Etwas Ähnliches hatte Atlan bereits ver mutet. Mittels seiner ausgeprägten parapsy chischen Begabung war Glaumo in der La ge, die Zellverbände des Organbergs im Sinn der Obeds zu beeinflussen. Nur so konnte es gelingen, das Höhlensystem ohne die Unterstützung technischer Gerätschaften stabil zu halten. Allerdings erschien es dem Arkoniden undenkbar, daß nur ein einziger Vertreter dieses Volkes dazu fähig war. Wenn Glaumo jemals ausfiel oder starb, mußte das eine Katastrophe heraufbeschwö ren. »Wie viele Operateure gibt es?« wollte er wissen. »Niemand außer Glaumo.« »Was geschieht, wenn Glaumo stirbt?«
Detlev G. Winter »Sein Nachkomme übernimmt die Aufga ben.« »War das schon immer so? Die Fähigkei ten eines Operateurs vererben sich auf seine Kinder?« »So ist es«, bestätigte Tyrns. »Jeder Ope rateur vermag aber nur einen Nachkommen zu zeugen, deshalb bleibt ihre Zahl immer gleich. Vor Glaumo war Mallk, davor Unk tys, davor Morjinta, und so fort. Der Urvater war Corfyl.« Atlan hatte genug gehört, um sich ein deutliches Bild von dem Leben der Obeds und den dazu notwendigen Voraussetzungen machen zu können. Er wollte Tyrns zum Weitergehen auffordern, aber der Gnom schien plötzlich von einer ungewöhnlichen Mitteilsamkeit zu sein. »Möchtest du mehr über den Urvater wis sen?« erkundigte er sich. Der Arkonide war nicht abgeneigt, aber er fand, daß sie bereits lange genug herumge standen und ihre Zeit vergeudet hatten. »Wir müssen weiter«, erklärte er. »Du kannst uns auf dem Weg darüber erzählen.« Tyrns deutete in eine Richtung, die etwas abseits von der bisherigen Route lag. »Ich kann euch in das Archiv führen. Es ist ein geheimer Ort, zu dem nur Glaumo und ich Zutritt haben.« Sein Eifer war bemerkenswert, und in At lan erwachte sofort das Mißtrauen. Doch dann sagte er sich, daß der Gnom unter dem Einfluß der großen Plejade nicht in der Lage war, sie zu hintergehen oder in eine Falle zu locken. Tyrns meinte es ehrlich, und der Ar konide war brennend daran interessiert, Ein zelheiten über die Vergangenheit der Obeds und das Schicksal, das sie hierher verschla gen hatte, zu erfahren. Er stimmte zu. Sie brauchten nur wenige Minuten, um das Archiv zu erreichen. Zu Atlans Überra schung war es eine mit vielerlei künstlichen Einrichtungsgegenständen und technischem Gerät ausgestattete Höhlung, die drei oder vier Meter ins Innere des Plasmas hinein reichte. Das hatte er nicht erwartet. Eine Sperre, die Unbefugten den Zutritt verwehr
Symbiose der Verdammten te, existierte nicht. Wahrscheinlich lag Tyrns' Aussage, daß nur er und Glaumo die sen angeblich geheimen Ort betreten durf ten, in der Tatsache begründet, daß er nie mandem außer ihnen überhaupt bekannt war. Der Gnom war im Eingang stehengeblie ben und beobachtete Atlan und Thalia, die die Einrichtung der Nische zu untersuchen begannen. Der Arkonide wandte sich zu ihm um. »Kannst du diese Geräte bedienen?« »Nein.« Tyrns' Antwort klang bedauernd. Atlan lächelte verstehend. Glaumos Ver trauter war offensichtlich weniger gut infor miert, als er ihnen gegenüber den Anschein hatte erwecken wollen. Was er wußte, hatte er sich größtenteils zusammengereimt oder aus mündlichen Überlieferungen erfahren. Nichts davon stammte aus den Unterlagen des Archivs. Aber Tyrns war neugierig. Die Existenz dieses Raumes war ihm bekannt, wohl auch sein Verwendungszweck, und er versprach sich einiges davon, daß er die Fremden hergeführt hatte. Der Arkonide ge stand ihm zu, daß er über eine gehörige Por tion Cleverness verfügte. »Wer mag diesen Raum eingerichtet ha ben?« überlegte Thalia. »Wahrscheinlich war es der Urvater«, vermutete Atlan, während er eine Schaltein heit studierte. »Er hat die Fortentwicklung der Obeds vorausgesehen, und wollte dafür Sorge tragen, daß das Wissen um die Ver gangenheit nicht völlig verlorengeht.« »Genau das ist aber eingetreten. Heute kennt nur noch der jeweilige Operateur die ses Archiv.« »Vielleicht ist das gut so. Die Obeds se hen ihre Symbiose mit dem Plasma als et was Natürliches an. Stell dir vor, was ge schehen würde, wenn sie plötzlich erführen, wer sie wirklich sind und welches grausame Schicksal ihnen in Wahrheit aufgebürdet wurde.« Auch Glaumos Eilfertigkeit, die beiden Eindringlinge so schnell wie möglich wieder loszuwerden, erschien jetzt in einem anderen
37 Licht. Er mußte befürchtet haben, daß Atlan und Thalia zu viel über die Vergangenheit seines Volkes wußten, das, wenn es publik wurde, großes Unheil hätte auslösen können. Deshalb hatte er ihnen auch verwehrt, die gewünschte Richtung einzuschlagen, die, wie er wußte, in der Nähe des Archivs vor beiführte. Langsam begann der Arkonide das Verhalten des Operateurs zu verstehen. Was er hingegen nicht verstand, war die Funktionsweise der in der Nische installier ten Geräte. Die Technik war ihm fremd, und es würde einige Zeit dauern, bis er sie er folgreich aktiviert hatte. Unterdessen moch te dem Operateur das Verschwinden der bei den Fremden und seines Vertrauten bereits aufgefallen sein. Wenn Tyrns in absehbarer Frist nicht zurückkehrte, würde er Verdacht schöpfen und sich auf die Suche nach ihm begeben. Atlan wollte seine Bemühungen deshalb schon einstellen, als vor der Rückwand der Nische die Projektion eines Obeds entstand. Eine Stimme erklang; leidenschaftslos und ruhig begann der Mann zu sprechen. Der Ar konide zweifelte nicht daran, daß er ein Bild des legendären Corfyl vor sich hatte. Und er erfuhr die tragische Geschichte eines zu nie derstem Leben verdammten Volkes, die Ent wicklung der Mutantenkolonie im Innern ei nes gewaltigen Plasmaberges – vor, während und nach der Entstehung von Beuterkum. Vergessene Bilder: Symbiose Vielstimmi ge, schrille Rufe gellten durch Duntrayöhrn. An den Grenzen des Höhlensystems hatten sich fast alle Obeds versammelt und ver suchten mit wilden Gesten und lauten Schreien die angreifenden Parasiten zu ver treiben. Sie steigerten sich in einen wahren Abwehrtaumel, während sie sich bemühten, die Tonlage ihres grellen Gesangs immer weiter hochzuschrauben. Sie wußten mittler weile, daß Ultraschall den Schlangen uner träglich war und sie in die Flucht trieb, den noch gelang es einzelnen Exemplaren, den akustischen Sperriegel zu durchbrechen. Mit stählernen Stangen, letzten Überbleibseln ei ner verabscheuten Technik, droschen die
38 Obeds auf sie ein. Corfyl beobachtete die Szene von seinem Lager aus. »Wir werden niemals Ruhe finden«, sagte er müde. »Irgendwann wird sich das System stabi lisieren«, widersprach Sinthylla nachdenk lich. »Jedes Mitglied wird seinen eigenen Le bensraum finden und dessen Grenzen re spektieren.« »Ich glaube nicht mehr daran. Wir können in Beuterkum nicht überleben. Es kommt die Zeit, da unsere Feinde übermächtig werden und unsere eigenen Probleme uns er drücken.« Corfyl war ein alter Mann, kraftlos, kör perlich zerfallen und vom nahenden Tod ge zeichnet. Er besaß nicht mehr die Energie, die ihn befähigt hätte, Zuversicht zu empfin den und sich gegen ein grausames Schicksal aufzulehnen. Nicht, daß er sich damit abge funden hatte und die Entwicklung akzeptier te. Er sah die Schrecken und die Not seiner Artgenossen, sah ihren verzweifelten Mut und ihre Auflehnung gegen die Überfälle der Parasiten. Aber er war zu verbittert und in nerlich zerstört, um ihnen noch beizustehen, sie zu unterstützen, mit ihnen zu streiten. Er konnte nicht mehr kämpfen, wollte es, nicht mehr. Seine Aufgaben hatte längst ein ande rer übernommen. Das Plasma verlangte in regelmäßigen Abständen nach geistiger Be friedigung, nach starken mentalen Impulsen. Corfyls Sohn verschaffte sie ihm: Krukktor, eine Ausgeburt verdorbener Phantasie, eine abscheuliche Kreatur, von unkontrollierten mutativen Veränderungen gekennzeichnet, geistig und körperlich auf das Widerlichste entartet. Corfyl hatte die Geburt des Mon strums nie ganz verkraftet, hatte seinen Sohn verdammt und ihn zu töten versucht. Und er hatte sich und sein Volk verflucht, als offen bar wurde, daß alle Neugeborenen nicht mehr das waren, was sie nach der Erbmasse ihrer Eltern hätten sein sollen. Andere, auch Sinthylla, waren leichter darüber hinweggekommen. Irgendwo hatte sich mit der Zeit das Bewußtsein gebildet,
Detlev G. Winter daß die entsetzlichen Mutationen notwendig waren, um in dieser gespenstischen Umge bung die Art zu erhalten. Kaum jemand machte sich überhaupt Gedanken, wie es da zu hatte kommen können, welches die Ursa chen waren. Corfyl ahnte es. Sie hatten die Protoplas mawesen mit hochfrequenter, spezifischer Strahlung überschüttet, um ihr Wachstum anzuregen und zu beschleunigen. Durch das Unglück, das über sie hereingebrochen war, hatten die Obeds keine Möglichkeit mehr, die Energiequellen zu desaktivieren. Nicht nur Beuterkum, auch die in ihm Einge schlossenen, waren dem verderblichen Ein fluß der Strahlung erlegen. Sie veränderte Gene und Erbanlagen, erzeugte sprunghafte, unterschiedliche Mutationen. Corfyl wußte nicht, wie lange die Quellen noch intakt blieben, ob sie vielleicht schon erloschen waren, aber er wußte, daß die Entwicklung sich nicht mehr rückgängig machen lassen würde. Manchmal wünschte er sich, ein Ende wie Verthannon gefunden zu haben, in geistiger Umnachtung, ohne den Blick für die Reali tät, gedanken- und interesselos. Vieles wäre anders gekommen. Niemals hätte Duntray öhrn entstehen können, und irgendwann hät te der Plasmaberg die Obeds unter sich be graben. Er, Corfyl, hätte nicht mit dem Be wußtsein sterben müssen, daß er seinem Volk zwar das Überleben gesichert, sie aber dennoch in die Verdammnis geführt hatte. Eine Existenz wie diese war unmenschlich. Er konnte es nicht mehr ändern, aber er machte sich bittere Vorwürfe. Und er war einsam geworden. Seit Krukktor in das Plas ma eindrang und für die Stabilität des Höh lensystems sorgte, kümmerte sich kaum noch jemand um ihn. Sie verehrten seinen Sohn, nannten ihn einen Operateur, folgten blind seinen Anweisungen. Immer mehr Pa rasiten machten sich die neue Beschaffen heit des Organbergs zu Nutzen und began nen ihn neben den Obeds zu bevölkern. Al lein die Schlangen waren eine Bedrohung und mußten ständig zurückgetrieben wer
Symbiose der Verdammten den. Corfyl nahm dabei nicht mehr als die Rolle eines geduldeten Statisten ein. Mit al ler Energie, deren er noch fähig war, hatte er eine Art Archiv eingerichtet, um denen, die nach ihm kamen, ihre Vergangenheit zu be wahren. Niemand nahm es zur Kenntnis, Krukktor ausgenommen, und der verstand nicht, was sein Vater damit wollte. Viel leicht Sinthylla: wenn es ihr gelang, den Mißratenen von der Wichtigkeit zu überzeu gen, konnte Corfyls Erbe über die Genera tionen bewahrt werden. Wenn es überhaupt einen Sinn hatte … »Der Angriff ist abgeschlagen!« Die Stimme seiner Gefährtin drang nur träge in seine Gedanken, er erfaßte den Gehalt ihrer Worte nicht mehr. »Die Schlangen haben sich zurückgezogen.« Corfyl spürte eine Berührung am Arm. Eine bepelzte Hand suchte den Kontakt mit ihm. Nicht das! schrie es in seinem Geist. Nicht er! Einsam war er geworden, und einsam wollte er sterben, niemand außer Sinthylla an seiner Seite. Nicht unter den Augen des Monstrums. »Was willst du?« murmelte er. Mühsam gelang es ihm, seine Gedanken aus der Ewigkeit zurückzuholen, die Lider zu öff nen. Mit einer heftigen, schmerzenden Be wegung schüttelte er die Hand seines Sohnes ab. »Gönnst du mir keinen Frieden?« Krukktors Stimme war sanft und ein schmeichelnd, etwas Bittendes, Flehendes lag darin. »Ich möchte, daß du mich endlich aner kennst. Daß du mich akzeptierst.« Zeit seines Lebens hatte Krukktor unter der Verachtung seines Vaters gelitten. Nur die Verantwortung für das Volk hatte es ihn ertragen lassen. Aber auch jetzt erkannte Corfyl seine seelische Verbitterung nicht, und er sah die Tränen nicht, die in Sinthyllas Augen standen. »Du bist eine Kreatur«, hauchte er. »Du gehörst nicht in diese Welt. Ich werde dich im Tod noch verachten.«
39 »Ich bin dein Sohn. Du hast mich ge zeugt, und Sinthylla hat mich geboren. Wa rum bringst du mir nichts als Haß entgegen? Wo sind deine Aufgeschlossenheit, die Tole ranz früherer Tage geblieben? Warum willst du nicht einsehen, daß auch ich ein Recht auf Leben und Anerkennung habe?« »Niemand von uns hat noch ein Recht auf Leben«, widersprach Corfyl schwach. »Mit der Manipulation der Plasmawesen haben wir ungeheure Schuld auf uns geladen. Die Natur hat sich grausam gerächt. Deine Ge burt war die schlimmste Strafe, die mir zu teil werden konnte.« Der Operateur wollte etwas entgegnen, aber Sinthylla gebot ihm mit einer stummen Geste, zu schweigen. Es würde nicht mehr gelingen, den Begründer Duntrayöhrns zu einer neuen, besseren Einsicht zu bewegen. Selbst in der Stunde des Todes war er nicht bereit, die Dinge in einem zuversichtlichen, auf die Zukunft gerichteten Licht zu sehen. So starb Corfyl-Obed – einsam, sich selbst verurteilend, ohne jede Hoffnung und mit tiefer Verbitterung im Herzen. Sinthylla und Krukktor standen lange vor dem Leichnam und versuchten, ihren Schmerz zu beherrschen. Sie sprachen nicht. Einige der anderen Obeds wurden auf sie aufmerksam und näherten sich mit unbehol fenen Schritten. Andere folgten. Bald war die gesamte Kolonie um den Toten versam melt. Reglosigkeit und stumme Trauer er füllte sie. Niemand hätte später zu sagen gewußt, wieviel Zeit verstrichen war, als Sinthylla sich umwandte und die Masse der Umste henden musterte. Die Alten waren längst in der Minderzahl. Vielfältige körperliche Ge staltungsformen beherrschten das Bild. Kaum ein Vertreter der neuen Generation glich einem seiner Artgenossen, jeder war auf andere Weise entstellt oder verändert. Konnte auch nur einer von ihnen Corfyls entsetzlichen Schmerz darüber nachempfin den? Sie selbst begann erst jetzt langsam zu begreifen und den verstorbenen Partner zu verstehen.
40 »Wir müssen ihn fortbringen«, sagte sie, und erstmals wurde ihr bewußt, wie weit auch die geistige Entfremdung bereits fort geschritten war. Jeder lebte für sich, besten falls in einer Gruppe mit höchstens drei oder vier weiteren Personen. Corfyls Tod war das erste Ereignis seit langem, das sie alle zu sammengeführt hatte, aber keiner schien be reit, beim Transport des Leichnams behilf lich zu sein. Es war die Aufgabe des näch sten Angehörigen, des Lebensgefährten; nie mandes sonst. Nicht einmal Krukktor rührte sich. Die letzten Worte seines Vaters würde er nicht vergessen können. Von den Alten war es schließlich Klantur, der hervortrat und seine Unterstützung an bot. Er, der mit Corfyl seit langem im Zwist gelegen hatte – in diesem Moment vergaß er seine Feindschaft und war bereit, dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Sinthylla war ihm dankbar dafür. Gemeinsam trugen sie den Leichnam fort, während sich die Versammlung der Obeds allmählich auflöste. Der Begründer Duntray öhrns war aus dem Leben geschieden: man hatte es zur Kenntnis genommen und Trauer empfunden, jetzt wandte man sich wieder dem gewohnten Daseinsrhythmus mit sei nem stupiden und ziellosen Gepräge zu. Nur Krukktor stand noch eine Weile reglos da und sah den Alten nach. Der Weg ins Reich der Toten führte in der Nähe des von Corfyl eingerichteten Archivs vorbei. Sinthylla nahm sich vor, das Ver mächtnis ihres Gefährten zu bewahren und seine Aufzeichnungen weiterzuführen. Die Entwicklung der Obeds mußte für die Nach welt sichtbar bleiben, als Warnung, als stän dige Mahnung, nicht im Desinteresse zu ver sinken, als Ansporn, irgendwann aus diesem entsetzlichen Plasmaorganismus auszubre chen, neue Wege zu suchen … Vielleicht er hielten die Aufzeichnungen eines Tages auch eine völlig neue, eigene Bedeutung … Vorerst mußte sie jedoch darum besorgt sein, Corfyls sterbliche Hülle dem Plasma zu übergeben. Die modrige Luft aus dem Reich der Toten schlug ihr bereits entgegen.
Detlev G. Winter Die grüne Eigenstrahlung der Zellverbände verlor ihre Intensität und machte grauer Dü sternis Platz. Die Substanz Beuterkums war in dieser Region weitgehend abgestorben, hatte ihre Beweglichkeit eingebüßt und ihre Farbenprächtigkeit verloren. Eine Enklave des Todes, der Vergänglichkeit und der my stischen Stille inmitten eines von pulsierendem Leben erfüllten Organismus. Sinthylla und Klantur warteten nicht, bis jene Berei che des Plasmas, die noch erneuerungsfähig waren, den Leichnam Corfyls in sich aufge nommen hatten. Wie die meisten Alten emp fanden auch sie diese Form des Abschied nehmens entwürdigend, aber sie wußten, daß es in Beuterkum keine andere Möglich keit gab. Corfyls Körper würde in den Zell verbänden aufgehen; nach dem intensiven geistigen Kontakt würde er die vollkommene Integration erreichen. Auch auf dem Rückweg sprachen die beiden Obeds nicht miteinander. Sinthyllas Schmerz war noch zu groß, sie wollte allein damit fertig wer den. Klantur erkannte und akzeptierte es. Erst als sie Duntrayöhrn wieder erreichten und sich dem Archiv näherten, brach die Frau das Schweigen. »Unsere Wege trennen sich hier«, sagte sie. »Ich möchte allein sein.« »In dieser Stunde der Trauer«, wider sprach Klantur, »werde ich dich nicht dir selbst überlassen. Ich bleibe bei dir.« »Ich möchte es nicht. Ich bin dir für deine Anteilnahme und Hilfsbereitschaft sehr dankbar, aber ich bitte dich, meinen Wunsch zu respektieren.« Klantur sah sie lange an. Besorgnis lag in seinem Blick. Vielleicht ahnte er, was sie insgeheim zu tun beabsichtigte, aber sie war entschlossen, ihren Weg zu gehen. »Was hast du vor?« »Ich möchte das Archiv ergänzen«, ant wortete sie wahrheitsgemäß. »Und ich möchte es alleine tun.« Klantur sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sie umstimmen zu wollen. Er verabschiedete sich und ging mit steifen Schritten davon. Vor langer Zeit hatte auch er um Sinthyllas
Symbiose der Verdammten Gunst geworben. Sie war nie ernsthaft dar auf eingegangen, was wohl auch ein Grund war, daß sich zwischen ihm und Corfyl tiefe Feindschaft gebildet hatte. Vielleicht hatte er gehofft, wenigstens jetzt, auf seine alten Ta ge, eine zumindest freundschaftliche Bezie hung zu ihr herstellen zu können. Es mußte eine neuerliche Enttäuschung für ihn sein. Sie erreichte das Archiv in dem Gefühl grenzenloser Einsamkeit. Fast erschien es ihr wie ein heiliger Ort. Die geistige Hinter lassenschaft Corfyls bedrückte sie. Aber sie war stark genug, sich nicht irritieren zu las sen. Sie aktivierte ein Aufnahmegerät und zeichnete einen kurzen Bericht auf, schilder te die Ereignisse der Zeit zwischen Corfyls letzter Eintragung und seinem Tod und sprach die Hoffnung aus, daß die Obeds ei nes Tages wieder zu sich selbst finden wür den, daß sie sich auf vergangene Werte und Traditionen besännen und ihr Schicksal nicht widerspruchslos hinnähmen. Aber sie wußte, daß dies eine unsinnige Hoffnung war. Je länger sie nach dem Ab schluß ihres Berichts hier verweilte, desto deutlicher wurde ihr, daß sich die Lebens einstellung der Mutierten nicht mehr ändern würde. Corfyl hatte es schon längst erkannt gehabt, und er hatte die Einsicht seelisch nicht verkraftet. Seine Verbitterung darüber hatte er mit in den Tod genommen. In diesen Minuten begriff Sinthylla mit erschreckender Klarheit, wie weit sich die neue Genera tion von den Alten bereits entfernt hatte, und daß es niemandem jemals gelingen konnte, die Kluft zu überbrücken. Mit jeder neuen Generation würde sich die apathische, an triebslose Lebenseinstellung weiter verfesti gen. Die Symbiose mit Beuterkum würde weitergehen, sich vervollkommnen und zum eigentlichen Inhalt obedianischer Existenz entarten. Dies war nicht mehr ihre Welt! Dies war nicht, wofür sie gelebt hatte! Der Gedanke, der ihr vorhin, als sie Cor fyl bestattet hatten, durch den Kopf geschos sen war, nahm konkretere Formen an. Mit jedem Augenblick, den sie hier stand, verfe
41 stigte er sich, tauchte aus dem Nebel des für undurchführbar Erachteten und wurde zum Symbol der Auflehnung und der Flucht vor dem scheinbar Unabänderlichen. Damit brach Sinthylla endgültig aus der Masse aus. Plötzlich hatte sie ein Ziel.
6. »Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich behaupten, daß Tyrns uns belogen hat.« Thalia sprach leise und stockend, während sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Der Weg, den sie eingeschlagen hat ten, erforderte höchste Konzentration. Jeder Fehltritt konnte tödliche Folgen haben. »Sein Verhalten gab keinen Anlaß, an sei nen Worten zu zweifeln«, entgegnete Atlan. Wenige Schritte vor der Pthorerin bewegte er sich langsam über den nachgiebigen Un tergrund. »Die Plejade hat ihm jedes Miß trauen gegen uns genommen. Er hatte über haupt kein Motiv, uns zu hintergehen.« Längst hatten sie sich von dem gnomen haften Obed getrennt. Tyrns war um keinen Preis bereit gewesen, das Reich der Toten zu betreten. Viele Legenden und furchteinflö ßende Geschichten rankten sich um dieses Gebiet, das von den Lebenden möglichst ge mieden wurde. Tiefverwurzelte Ängste hin derten den Vertrauten des Operateurs daran, in die farblose Düsternis vorzudringen. Au ßerdem hatten ihm Corfyls Berichte und Sinthyllas abschließende Erklärung, die er im Archiv gehört hatte, einen gehörigen Schock versetzt. Es würde noch einige Zeit dauern, bis er damit fertig wurde. Für Atlan und Thalia war er keine große Hilfe mehr, deshalb hatten sie ihn zu Glaumo zurückge schickt. Aus der befreienden Wirkung der großen Plejade entlassen und allmählich dem Einfluß des Operateurs wieder erlie gend, war ihm der Abschied sichtlich leicht gefallen. Seitdem waren der Arkonide und die Pthorerin erneut auf sich alleine gestellt, und sie fühlten sich keineswegs wohl dabei. Ins besondere Thalia stellte sich immer öfter die
42 Frage, ob sie sich wirklich auf dem richtigen Weg befanden. Atlan mochte ähnliche Zwei fel hegen, aber er äußerte sie nicht. Seit der Entstehung Duntrayöhrns bestat teten die Obeds hier ihre Toten. Die Körper der Verstorbenen wurden vom Plasma zu nächst bereitwillig einverleibt, aber aus un bekannten Gründen war es dem Organismus nicht möglich, die aufgenommenen Zellver bände zu verarbeiten und zu integrieren. Die Leblosigkeit schritt in ihm selbst fort, das umliegende Gewebe Beuterkums starb mit der Zeit ab, zersetzte sich und erzeugte jenen modrigen, Übelkeit erregenden Gestank. Nach und nach war die Substanz in sich zu sammengesunken, hatte tiefe Schluchten ge bildet, die nur über schmale Grate zu über winden waren. Tyrns hatte von achtzehn solcher Pässe gesprochen. Früher mußten es weniger ge wesen sein. Die Toten konnten jeweils nur an den Grenzen des Schluchtensystems be stattet werden, dort, wo noch lebendes Plas ma vorhanden war, das sie in sich aufnahm. Nach Jahren bildete sich dann aus abgestor bener Zellmasse eine weitere Absenkung, und der Bereich aktiver Substanz zog sich um mehrere Meter zurück. Auf diese Weise war das Reich der Toten mit den Generatio nen immer größer und ausgedehnter gewor den. Es war ein endloser Prozeß, der nicht aufhören würde, solange die Obeds sich fortpflanzten. Atlan und Thalia hatten nicht gezögert, sich einem der Pässe anzuvertrauen. Sie wußten, daß es nur diesen Weg in die Frei heit gab, wenn er auch nicht sehr vertrauen erweckend schien. An einigen Stellen war der Grat bedenklich schmal, und das herr schende Halbdunkel vergrößerte die Gefahr noch, einen falschen Schritt zu tun und in die Tiefe zu stürzen. Angesichts dieses Aspekts verblaßte die Frage, welcher Mechanismus für die Stabili tät der Pässe verantwortlich war, zur Zweit rangigkeit. Der Arkonide hatte sich dennoch seine Gedanken darüber gemacht, ohne je doch ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen.
Detlev G. Winter Tyrns hatte einige Male angedeutet, daß das Skelett der Verstorbenen von dem zersetzen den Prozeß Beuterkums nicht angegriffen würde. Es war denkbar, daß unter der toten Substanz der Grate Unmassen von Knochen lagerten, die dafür garantierten, daß nicht auch die Überwege in sich zusammensan ken. Besonders einleuchtend erschien Atlan diese Deutung freilich nicht. Es gab im Zu sammenhang mit dem Organberg etliche Fragen, die sich nie zufriedenstellend wür den klären lassen. Der Arkonide schätzte, daß sie bereits ei ne Stunde auf dem Grat unterwegs waren, als er den kühlen Zug frischer Luft im Ge sicht verspürte. Inmitten des Gestanks abge storbener Zellmassen war es eine Wohltat. Weiter vorn leuchtete geisterhaft grüner Schimmer in der Düsternis. »Du hattest recht«, ließ sich Thalia hinter ihm vernehmen. »Tyrns hat nicht gelogen, als er uns versprach, daß wir bald in ein windreiches Gebiet gelangen würden.« »Zeitweise«, gab Atlan zu, »habe auch ich mich des Eindrucks nicht erwehren können, daß wir geradewegs ins Nichts laufen. Aber es gab keinen stichhaltigen Grund, an der Beschreibung unseres unfreiwilligen Freun des zu zweifeln.« Die Luft wurde jetzt immer besser. Der Widerschein lebenden Plasmas verdichtete sich zusehends und spendete bereits genü gend Helligkeit, um die Beschaffenheit des Passes deutlicher erkennen zu können. Den noch hüteten sie sich, angesichts des nahen, sichereren Gebietes in eine schnellere Gang art zu verfallen. Sie mußten ihre besonnene Vorsicht bewahren. Alles andere konnte ihr Verderben sein. So dauerte es fast eine weitere halbe Stun de, bis sie das Reich der Toten hinter sich ließen. Im Gegensatz zu dem System der achtzehn Pässe erschien Atlan die neue Um gebung wie eine Oase der Sicherheit, ob wohl er sich darüber im klaren war, daß sie noch längst nicht alle Gefahren überwunden hatten. Ein scharfer Wind blies hier, der fri sche, würzige Luft mit sich trug. Die Organ
Symbiose der Verdammten masse war, wie in den meisten anderen Tei len Beuterkums, von pulsierendem Leben erfüllt, das eine trügerische Stabilität vor gaukelte. Es schien undenkbar, daß Glaumos Einfluß bis hierher reichte. Jederzeit konnte das Plasma sich umgestalten, verformen und andere Wege öffnen, um atembare Atmo sphäre in sein Inneres zu transportieren. »Wir sollten nicht zu lange warten«, sagte der Arkonide besorgt. »Wir müssen sehen, daß wir weiterkommen. Der Weg kann nicht mehr lang sein.« Thalia war, von der angestrengten Kon zentration der letzten neunzig Minuten ge zeichnet, erschöpft stehengeblieben und sah sich interesselos um. Etwas wie Resignation schien sich in ihr auszubreiten. »Dein Optimismus muß unerschöpflich sein«, gab sie giftig zurück. »Trotzdem soll te es mir erlaubt sein, mich ein paar Minuten zu entspannen.« Atlan begriff, daß seine Begleiterin kurz davor stand, jede Hoffnung aufzugeben. Diese unwirkliche, wahnsinnige Umgebung zerrte mehr und mehr an ihren Nerven. Mochte sie sich nach der Begegnung mit den mutierten Obeds etwas erholt haben, so brach das Bewußtsein, in einem geschlosse nen Organismus ziellos umherzuirren, jetzt wieder voll über sie herein. Sie brauchte Zeit, die Notwendigkeiten ihrer Situation einzusehen. Der Arkonide ließ sie ihr. Er redete nicht auf sie ein, bedrängte sie nicht, wartete, bis sie sich innerlich gefaßt hatte. Irgendwann in diesen schweigenden Minuten huschte der Anflug eines Lächelns über Thalias Gesicht, gleich darauf preßte sie die Lippen geradezu trotzig zusammen. »In Ordnung«, murmelte sie, während sie langsam einige Schritte vorausging. »An mir soll es nicht liegen.« Nebeneinander bewegten sie sich weiter durch die von schmutziggrünem Licht er füllten Hohlräume Beuterkums. Es gab hier keine Stollen oder Korridore mehr; vielfach verzweigt und verästelt, auf teilweise unter schiedlichem Bodenniveau und sich in ver
43 schiedene Höhen erstreckend, bot sich die Umgebung dar. In vielen Nischen und Vor sprüngen verfing sich der hereingetragene Wind und erzeugte heulende und pfeifende Geräusche, wurde mit jedem Meter, den sie weiter vordrangen, stärker und heftiger und ließ das Rauschen der Körperflüssigkeit in den Hintergrund treten. »Wenn das so weitergeht«, sagte Thalia mit wieder aufflammendem Sarkasmus, »haben wir bald gegen einen Sturm anzu kämpfen.« »Tyrns hat es uns prophezeit«, entgegnete Atlan einsilbig. Er war längst nicht mehr überzeugt, daß sie tatsächlich einen Weg finden würden, der aus Beuterkum hinaus führte. Das Gelände war zu unübersichtlich und unterschiedlich geartet, um eine sichere Route nach draußen zu bestimmen. Der Wind kam nicht aus einer einheitlichen Richtung, die ihnen die Suche erleichtert hätte. Sie mußten darauf gefaßt sein, wieder und wieder in Sackgassen zu geraten. Über dies wurde das Vorwärtskommen durch zahlreiche Schrägen und Niveauverschie bungen des Untergrunds und den immer stärker werdenden Luftzug zusätzlich er schwert. Hinter einem Vorsprung glaubte der Ar konide einen huschenden Schatten wahrge nommen zu haben. Alarmiert ruckte sein Kopf herum, aber das Phänomen war bereits wieder verschwunden. Sofort erwachte sein Sinn für versteckt drohende Gefahr, obwohl er geneigt war, die schemenhafte Beobach tung seiner durch die letzten Erlebnisse übersteigerten Einbildungskraft zuzuschrei ben. »Hast du es auch gesehen?« wandte er sich an seine Gefährtin. Thalia musterte ihn erstaunt von der Seite. »Was?« »Ich habe mir eingebildet, dort vorn eine Bewegung erkannt zu haben.« »Es wird das Plasma gewesen sein«, ver mutete die Pthorerin. »Was sollte sich sonst hier bewegen!« Atlan blieb stehen und sah sich aufmerk
44 sam um. Es ist nichts, versuchte er sich ein zureden, aber die nagende Unruhe in ihm blieb. Er war mißtrauisch geworden, und ob wohl er weder einen bestimmten Verdacht noch eine konkrete Vorstellung davon hatte, wogegen sich sein Mißtrauen überhaupt richtete, nahm er sich vor, ab sofort erhöhte Wachsamkeit walten zu lassen. Es mochte hier Parasiten oder von außen eindringende Tiere geben, die im Schutz der verwinkelten Hohlräume auf Opfer lauerten. Als Thalia einen spitzen Schrei ausstieß, fuhr der Arkonide alarmiert zusammen. Die Pthorerin war einige Schritte vorausgegan gen und stand bewegungslos vor einer Ni sche. Ihr Körper war in entsetzter Starre leicht nach vorn gebeugt, die Augen Schreckens weit geöffnet. Die vom Wind zerzausten Haare schienen das einzig Leben dige an ihr zu sein. Atlan stand in einer zu ungünstigen Posi tion, um erkennen zu können, was sie so schockierte. Hastig eilte er zu ihr, warf einen Blick in die Nische – und hielt wie vom Schlag gerührt inne. Dort lagen, in verkrampft anmutenden Winkeln zueinander angeordnet, die blei chen Knochen eines Skeletts. Er brauchte die Hilfe seines Extrasinns nicht, um zu erkennen, wessen sterbliche Überreste sie vor sich hatten. Thalia sprach es aus, als sich ihre Verkrampfung lockerte. Ihre Stimme war fast tonlos und im Heulen des Sturms kaum zu verstehen. »Das ist Sinthylla …« Atlan nickte stumm. Das Schicksal der Obedianerin machte ihn betroffen. »Sie hat es nicht geschafft«, murmelte Thalia rauh. »Sie hat ihr Ziel nicht erreicht.« In ihren Worten lag die unausgesprochene Angst, daß auch sie an den unwirtlichen Ei genschaften Beuterkums scheitern würden. »Sie war sehr alt und hatte nicht mehr viel körperliche Kraft«, sagte der Arkonide in dem Bemühen, die schleichende Resignation seiner Gefährtin abzubauen. »Wahrscheinlich hat sie selbst nicht damit gerechnet, daß ihr der Ausbruch gelingen
Detlev G. Winter könnte.« Aus Sinthyllas letzten Aussagen, die er im Archiv gehört hatte, wußte er, daß die Obe dianerin das ziellose Leben ihrer Artgenos sen nicht länger mitansehen wollte. Sie hatte das sich abzeichnende Schicksal nicht hin genommen. Sie hatte den wahnwitzigen Versuch gewagt, durch das Reich der Toten und die Sturmbögen ins Freie zu gelangen, die lähmenden Fesseln Beuterkums abzu streifen. Tobende Orkane mußten sie aufge halten und zurückgeworfen haben. Zu schwach, den hereinbrechenden Luftmassen zu widerstehen, und nicht bereit, weiter un ter den Ihren zu leben, hatte sie sich in diese Nische verkrochen und in einsamer Verbit terung auf den Tod gewartet. Was macht dich so sicher, daß es sich um Sinthylla handelt? rügte der Extrasinn. Erin nere dich, daß unzählig viele Obeds ver sucht haben, die Sturmbögen zu überwinden. Dies hier kann irgend jemand sein. Das ist mir klar, gab Atlan unwirsch zu rück. Natürlich war das Argument des Logik sektors nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Dennoch sagte ihm ein unbestimm tes inneres Gefühl, daß sie tatsächlich Sin thylla vor sich hatten. Nimm es als Symbol – und erkläre mir lieber, warum die Knochen der Verstorbe nen über die Generationen hinweg nicht zer setzt wurden. Der chemischbiologische Aufbau eines obedianischen Skeletts ist nicht bekannt, gab der Extrasinn zurück. Es dürfte einige Stoffe enthalten, die eine Konservierung bewirken. Es war eine recht nebelhafte Deutung, und der Arkonide mußte sich damit zufrie dengeben, daß sie hier einem Phänomen ge genüberstanden, das sich vermutlich niemals völlig ergründen ließ. Er wandte sich Thalia zu, die in die Hocke gegangen war und, die Unterarme auf die Knie gestützt, nachdenklich das er schreckende Bild in sich aufnahm. »Wie lange mag sie hier schon liegen?« Atlan war nicht mehr bereit, auf die Ge
Symbiose der Verdammten fühle seiner Gefährtin übersteigerte Rück sicht zu nehmen. Ein gefährlicher Weg lag noch vor ihnen, und ungern erinnerte er sich der Bewegung, die er vorhin wahrzunehmen geglaubt hatte. »Es ist nicht wichtig«, sagte er, während er der Pthorerin eine Hand auf die Schulter legte. »Wir müssen weiter. Komm!« Thalia erhob sich schwerfällig. Sie warf einen letzten Blick in die Nische und wandte sich entschlossen ab. Ihr Gesicht war ge rötet, aber der Wind verschaffte ihr ange nehme Kühlung. Als sie sich wieder in Be wegung setzte, straffte sie sich unwillkür lich. Mit jedem Schritt, den sie weiter in die Sturmbögen vordrangen, verstärkte sich der Luftzug, blies ihnen machtvoll entgegen und zwang sie, die Helme ihrer Anzüge zu schließen. Mit leicht vorgebeugten Oberkör pern stemmten sie sich gegen den Druck des Windes. Atlan hatte kaum noch Gelegenheit, die Umgebung so genau zu beobachten, wie es ihm geboten erschien. Er war vollauf da mit beschäftigt, das Gleichgewicht halbwegs sicher zu halten und gegen den Sturm anzu kämpfen. Durch das Gespinst des Helmes hörte der Arkonide das Heulen der Luftmassen. Er sah, wie Thalia von einer Böerfaßt wurde, sich unkontrolliert einmal um ihre eigene Achse drehte und zu Boden stürzte. Sofort war er bei ihr und half ihr wieder auf die Beine. Sich gegenseitig stützend, setzten sie ih ren Weg fort. Mehrmals mußten sie sich ge gen die plasmatischen Wände lehnen, um vom Sturm nicht weggerissen zu werden. Der Organismus war hier inaktiv und größ tenteils unbeweglich, was ihnen sehr zustat ten kam. Irgendwo erkannte Atlan die Um risse einer aufgewirbelten Staubfahne. Der Ausgang! schoß es durch seine Ge danken. Im Innern von Beuterkum gab es nichts, was der Orkan hätte umherschleu dern können. Der Schleier kleinster Teilchen mußte von außen hereingetragen worden sein.
45 Sofort änderten sie die Richtung. Wieder packte der Sturm zu, drohte sie von den Bei nen zu reißen und wegzufegen. Sie gingen in die Knie, um mit Händen und Füßen besse ren Halt zu haben. Ein gedrungener Schatten bewegte sich um einen Plasmavorsprung und verschwand augenblicklich wieder. Dem Arkoniden gelang es auch diesmal nicht, zu erkennen, worum es sich dabei handelte. In diesem tosenden Chaos aufge wühlter Luftmassen schien es auch gleich gültig. Langsam begann Atlan zu bezweifeln, daß sie unversehrt ins Freie gelangen wür den. Der Orkan, der um sie tobte und sie im mer wieder zurückwarf, war zu stark und wurde mit jedem Schritt mächtiger. Hier gab es kein Durchkommen. Unzählige Obeds, die es vor ihnen versucht hatten, waren ge zwungen gewesen, umzukehren. Ihnen wür de es nicht anders ergehen. Auf allen vieren nahmen sie eine leichte Steigung in Angriff, gruben die gekrümmten Hände in das Plasma und arbeiteten sich schwerfällig nach oben. Ein Erdklumpen klatschte gegen Atlans Helm, fiel herab und wurde vom Sturm davongefegt. Welche Iro nie des Schicksals! Irgendwo in der Nähe mußte der Ausgang zu finden sein, der Weg, der aus dem Innern Beuterkums auf die Oberfläche des Planeten führte. Überall um herwirbelndes Erdreich und Pflanzenreste bewiesen es. Und sie, der Arkonide und die Pthorerin, besaßen nicht die Kraft, diese letzte Hürde zu überwinden. Abermals verlor Thalia den Halt. Ihre Hände lösten sich aus dem Plasma, der Or kan packte sie und drängte sie zur Seite. Geistesgegenwärtig krümmte sie sich zu sammen, um sich bei dem rollenden Sturz über die Schräge keine Verletzungen zuzu ziehen. Mehr konnte sie den aufgewühlten Naturgewalten nicht entgegensetzen. Atlan wandte den Kopf, um seine Beglei terin nicht aus den Augen zu verlieren. Da sah er den Schatten, der sich aus einer Ni sche löste und auf Thalia zutrat – ein in le derartige Kleidung gehülltes, breitschultri
46 ges Wesen, kaum einhundertfünfzig Zenti meter groß und von echsenförmiger Gestalt. Es ergriff die Pthorerin bei den Schultern und schob sie kraftvoll vorwärts. Der Arkonide hatte kaum Zeit, die Er kenntnis zu verdauen, daß es sich bei dem Fremden um einen Noot handelte, einen Vertreter jenes Volkes, dem er erstmals auf Xudon begegnet war. Auch er wurde von kräftigen, krallenbewehrten Händen gepackt und emporgezerrt. Von beiden Seiten ge stützt, stolperte er die Steigung hinauf. Fast verlor er das Gefühl für Zeit und Raum. Er hörte das heulende Brausen des Sturms, erblickte kurz das froschähnliche Gesicht eines der Fremden mit dem finger langen, in der Schädelmitte emporragenden Horn, fühlte sich von den Noots mitge schleift, die kaum Probleme zu haben schie nen, gegen den Orkan zu bestehen. Sie bahnten sich ihren Weg durch wirbelnde Staubmassen, durch umherfliegendes Blatt werk und emporgeschleuderte Erdballen. Dann verlor der Wind, aus verschiedenen Richtungen eindringend und sich in vielfälti gen reißenden Wirbeln zum Sturm verdich tend, an Kraft. Das grüne Leuchten plasma tischer Zellverbände wurde schwächer, büß te seine geisterhafte Fluoreszenz ein und machte dämmrigem Halbdunkel Platz. Die Noots lösten ihren harten Griff, Atlan stol perte einen Abhang hinunter, sah in einiger Entfernung das grelle Licht zweier Schein werfer durch die Nacht stechen und Teile der gewaltigen organischen Masse beleuch ten, gelangte auf festen, widerstandsfähigen Boden … Plötzlich fühlte er sich in seinem Golde nen Vlies eingeengt. Hastig öffnete er den Helm und klappte das silberne Gespinst in den Nacken. In tiefen Zügen atmete er die Luft des Planeten ein. Neben ihm stand Tha lia, die es ihm gleichtat. Er fühlte sich von einer klammernden Fessel befreit, der Druck, der die ganze Zeit auf seiner Seele gelastet hatte, schwand. Sie waren aus dem Labyrinth des Organ bergs entkommen.
Detlev G. Winter Sie hatten Beuterkum verlassen.
* Die Situation war alles andere als eindeu tig. Die Noots stellten eines der Hilfsvölker Chirmor Flogs. Atlan war ziemlich sicher, daß nach ihm und Thalia aufgrund ihrer Ak tivitäten auf verschiedenen Welten des Ma rantroner-Reviers mittlerweile überall im Machtbereich des Neffen des Dunklen Oheims gefahndet wurde. Dennoch schienen die Echsenabkömmlinge keine Ahnung zu haben, wen sie soeben gerettet hatten. Bei nahe ratlos standen sie am Fuß des Plasma gebirges. Das konnte nur bedeuten, daß sie sich schon seit geraumer Zeit auf diesem Plane ten aufhielten und von den Vorgängen in an deren Bereichen des Reviers nicht informiert waren. Atlan beschloß, alles auf eine Karte zu setzen, und ergriff die Initiative. »Was sucht ihr hier?« fragte er mit fester Stimme. Er war nicht sicher, ob die Noots auf seinen Trick hereinfallen würden, aber er hatte keine andere Wahl, als es zu versu chen. Einer der Fremden baute sich vor ihm auf. Seine Schuppen auf den nicht von der Le derkleidung bedeckten Körperpartien schim merten im Licht des Gleiters bläulich. »Ich bin Kandyr-Corn«, stellte er sich vor. »Wir befinden uns seit geraumer Zeit auf Garnverc und suchen nach Überresten des Obed-Adels.« Atlan schaltete blitzschnell. Offenbar hat te Chirmor Flog auch auf diese Welt, ebenso wie auf den Planeten Sinkle-Eehl, Hinweise erhalten. Es gehörte nicht viel Einbildungs kraft dazu, sich vorzustellen, wie das Kom mando der Noots überall auf Garnverc nach Spuren einer Zivilisation gesucht hatte, bis sie schließlich auf die Idee kamen, im Innern des gewaltigen Plasmabergs nachzufor schen. Er konnte von Glück sagen, daß sie nicht eher in die Organmasse eingedrungen
Symbiose der Verdammten waren. »Chirmor Flog schickt euch, nicht wahr«, knurrte Atlan. Als der Noot eine zustimmen de Geste machte, fuhr er fort: »Wahrscheinlich dachte er, ihr könntet mehr Erfolg haben als wir.« Kandyr-Corn schien keinerlei Mißtrauen zu entwickeln. Durch die lange und erfolglo se Suche war sein Urteilsvermögen abge stumpft. Aus Atlans Worten schloß er, daß die Geretteten ebenfalls im Auftrag des Nef fen hier waren. »Wir waren dreißig Leute, als wir in die ses entsetzliche organische Monstrum ein drangen«, log der Arkonide weiter. »Keiner von den anderen ist mehr am Leben. Wenn ihr nicht rechtzeitig aufgetaucht wärt, hätten auch wir den Tod gefunden.« »Wir werden euch an Bord unseres Schif fes bringen«, schlug der Noot vor. »Dort könnt ihr euch von den Strapazen erholen. Anschließend werden wir die Suche gemein sam wieder aufnehmen.« »Das ist nicht mehr nötig«, behauptete Atlan kaltblütig. Er wurde jetzt immer siche rer, daß die Echsenabkömmlinge keinen Verdacht schöpfen würden. »Wir haben im Innern des Riesenorganismus die Überreste alter technischer Anlagen gefunden. Sie sind nicht mehr funktionsfähig, denn sie wurden von Körpersäuren zerstört und zerfressen. Denjenigen, die sie einst bedient haben, er ging es wahrscheinlich ebenso. Wir fanden lediglich einige bruchstückhafte Aufzeich nungen.« »Dann ist unsere Aufgabe auf Garnverc beendet«, resümierte Kandyr-Corn. Es schi en ihm große Erleichterung zu bereiten, daß er die Aktion abbrechen konnte. Außer Beu terkum mußte es auf dem Planeten noch un zählige, wenn auch nicht derart riesenhafte Protoplasmawesen geben, die den Noots das Leben hier nicht unbedingt angenehm ge staltet hatten. Thalia hatte sich aus dem Gespräch vor sichtshalber herausgehalten, um Atlans ge fährliches Spiel nicht durch eine unbedachte Äußerung zu verraten. Jetzt, als sie hinter
47 den Noots auf den startbereiten Gleiter zu gingen, warf sie ihm einen bedeutungsvollen und zugleich ungläubigen Blick zu. Sie faßte es nicht, daß die Fremden sich so leicht hin ters Licht führen ließen. Das Fluggerät startete unmittelbar, nach dem Atlan und Thalia eingestiegen waren. In einer weiten Schleife flog der Pilot um das Gebirge aus lebendem Plasma herum. Erst jetzt konnte sich Atlan ein halbwegs si cheres Bild über die Ausmaße Beuterkums machen. In verhaltenem Schimmer glän zend, ragte die Organmasse bis in eine Höhe von nahezu eintausend Metern empor und bedeckte eine gewaltige Fläche, deren Durchmesser in Bodenhöhe bestimmt vier oder mehr Kilometer betrug. Es war ein ge spenstischer und furchteinflößender An blick. Wenn er überlegte, wie lange sie im Innern dieses Monstrums hätten umherirren können, ohne einen Ausstieg zu finden, wie leicht sie unter dem enormen Gewicht des Organismus hätten begraben werden kön nen, jagte es ihm im Nachhinein eisige Schauer über den Rücken. Die Unsicherheit ihrer gegenwärtigen Lage und die Frage, wie lange es dauern würde, bis die Noots sie durchschauten, erschienen dagegen geradezu harmlos. Von den Strahlungsquellen, die die Obeds benutzt hatten, um das Plasma zum Wachs tum anzuregen, konnte der Arkonide nichts mehr entdecken. Wahrscheinlich waren sie unter der wuchernden Masse begraben wor den, bevor der Organismus seine Ausdeh nung eingestellt hatte. Als der Pilot zur zweiten Umkreisung Beuterkums ansetzte, hielt Atlan es für nö tig, einzugreifen. Wenn die Noots wider Er warten etwas entdeckten, das er übersehen hatte, konnte das schlimme Folgen für ihn und Thalia haben. Seine Lügengeschichte stand ohnehin auf reichlich schwachen Fü ßen. »Wir haben lange gekämpft, bevor wir den Organismus verlassen konnten«, erin nerte er. »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr unsere Nerven nicht weiter strapazieren
48 würdet, indem wir uns das Monstrum jetzt dauernd von außen betrachten müssen.« Kandyr-Corn ging sofort darauf ein. Auch er war froh, dieser Gegend den Rücken keh ren zu dürfen. Er gab dem Piloten einen Wink, der daraufhin einen neuen Kurs wähl te, der die Maschine von Beuterkum weg führte. In Flugrichtung leuchteten die Positi onslichter des Mutterschiffs. Sanft setzte der Gleiter in einem Hangar auf. Kandyr-Corn führte seine Gäste in die Kommandozentrale. Überrascht stellte Atlan fest, daß sie nirgendwo Besatzungsmitglie dern begegneten. Offenbar waren alle zur Erfüllung des Auftrags auf die Planetenober fläche abkommandiert worden. Ein rhythmisch blinkendes Licht auf einer der Bedienungskonsolen veranlaßte den Noot zu nervöser Eile. Der Arkonide beob achtete, wie er den Bildschirm eines Emp fangsgeräts aktivierte. Als der düstere, schattenhaft verschwommene Umriß auf der Sichtscheibe erschien, fuhr er zusammen. Etwas in ihm verkrampfte sich. Thalia atme te heftig ein. Das Spiel war aus! »Waquant an Bord der OPIER.« Die Stimme klang dumpf und hatte einen harten Akzent. »Warum meldet ihr euch nicht?« »Das Schiff war zeitweise nicht be mannt«, erklärte Kandyr-Corn. »Wir haben uns alle der Aufgabe gewidmet, die Chirmor Flog uns gestellt hat.« Atlan hörte kaum noch hin. Was sich auf dem Bildschirm abzeichnete, war der Schat tenschild eines Scuddamoren! »Wir sind gemeinsam mit der JARANT HIEN und der MORIEN im Auftrag des Neffen hier«, sagte Waquant. »Ein Impuls im Raum-Zeit-Gefüge ist geortet worden. Was kannst du uns berichten?« Die Gedanken des Arkoniden jagten sich. Selbstverständlich hatte die Aktivierung des Transmitters auf Sinkle-Eehl eine Erschütte rung des vierdimensionalen Kontinuums ausgelöst, die von Chirmor Flogs Flotte empfangen worden war, bevor sie Ringtor zerstört hatte. Ein gleichartiger Impuls muß-
Detlev G. Winter te naturgemäß auch vom Empfangsgerät im Innern Beuterkums ausgegangen sein. Die Verbindung war eindeutig, das Erscheinen der drei Organschiffe die logische Konse quenz. Atlan überlegte, ob er in das Gespräch zwischen Kandyr-Corn und Waquant ein greifen sollte. Was der Noot zu berichten wußte, war nicht viel, aber es war von großer Brisanz. Doch selbst wenn sich der Arkonide eingemischt hätte, wäre es ihm kaum gelungen, die Wahrheit weiter zu ver bergen. Irgendwann in den nächsten Minu ten mußten er und Thalia ihre Maske fallen lassen. »… immerhin konnten wir zwei Überle bende einer früheren Expedition in Sicher heit bringen«, beendete Kandyr-Corn seine Meldung. »Von einer früheren Expedition ist mir nichts bekannt«, entgegnete der Scuddamo re. »Wer sind die beiden?« Der Arkonide spürte die fragenden Blicke seiner Begleiterin auf sich ruhen. Stumm schüttelte er den Kopf. Sie konnten nichts mehr tun, als den Fortgang der Ereignisse abzuwarten. Gegen die Übermacht von drei Organschiffen waren sie selbst dann wehr los, wenn es ihnen gelänge, den nootischen Expeditionsraumer in ihre Gewalt zu brin gen. Mittlerweile hatte er zu dem, was unwei gerlich geschehen mußte, eine neue Philoso phie entwickelt. Eine Gefangennahme wür de sich nicht mehr umgehen lassen – und vielleicht konnte dies zu einer guten Aus gangsposition werden, endlich nach Säggal lo zu gelangen. Dort, in der Keimzelle der Macht Chirmor Flogs, mochten sich Wege finden lassen, etwas für ihre Befreiung und die Sicherheit Pthors zu tun … »Nehmt sie fest!« gellte Waquants Stim me durch die Kommandozentrale. »Sie sind sofort an Bord der OPIER zu bringen!« Kandyr-Corn mochte durch den Aufent halt auf Garnverc und im Bann riesiger Plas mamassen müde und vertrauensselig gewor den sein. Aber er war weder dumm noch be
Symbiose der Verdammten griffsstutzig. Der Scuddamore hatte den Be fehl kaum zu Ende gesprochen, da zog der Noot in einer blitzschnellen Bewegung seine Waffe und richtete sie auf den Arkoniden. Einer seiner Leute trat ebenfalls hinzu und hielt Thalia in Schach. »Beeilt euch!« drängte Waquant, bevor der Bildschirm erlosch. »Ihr habt uns belogen«, sagte der Noot voller Zorn. Wahrscheinlich war er weniger auf die Fremden als auf sich selbst wütend, weil er das Märchen, das sie ihm aufgetischt hatten, ohne Abstriche geglaubt hatte. Atlan antwortete nicht. Ohne Gegenwehr ließen er und Thalia sich von den schwerbe waffneten Noots in einen Hangar treiben, in dem ein startbereites Beiboot wartete. Neben dem Piloten bestiegen zwei weitere Ech senabkömmlinge das Fahrzeug. Als das Außenschott sich öffnete und das Beiboot aus dem Hangar hinausjagte, lehnte Atlan sich in seinem Sitz zurück. Er beob achtete Thalias verbissen wirkendes Gesicht. Sie schien die Hoffnung aufgegeben zu ha ben, daß sie aus der Auseinandersetzung mit den Mächten der Schwarzen Galaxis als Sie ger hervorgehen könnten. Der Arkonide war etwas zuversichtlicher. Er hatte das sichere Gefühl, daß ihnen bedeutsame, schicksalbe stimmende Ereignisse bevorstanden. Visionäre Bilder: Glaumo »Ich habe sie bis zum Reich der Toten geleitet«, sagte Tyrns. »Dort bin ich umgekehrt.« Glaumo sah den Vertrauten schweigend an. Er miß billigte dessen Verhalten, aber er war weit davon entfernt, ihm einen Vorwurf zu ma chen. Der Gnom konnte nicht ahnen, welche Bedeutung der Operateur den beiden Frem den zunächst beigemessen hatte. Wenn sie draußen – nur er allein wußte, daß es ein Draußen gab! – auf andere Mitglieder ihres Volkes stießen und ihnen von der Kolonie der Obeds berichteten, war die Sicherheit Duntrayöhrns nicht länger gewährleistet. Erst durch die Meditation war Glaumo zu der Überzeugung gekommen, daß diese an fängliche Befürchtung nicht eintreten würde. »Es waren Wesen aus unbekannten Berei
49 chen Beuterkums, die sich hierher verirrt hatten und den Weg in ihre Heimat such ten«, bemühte sich Tyrns weiter um seine Verteidigung. »Sie sind sehr klug und mutig und würden nichts tun, was uns schaden könnte.« »Du warst einige Zeit mit ihnen zusam men und weißt doch nichts über sie«, sagte Glaumo. »Ich aber habe ihre geistige Aura erfaßt und in tiefer Meditation die Linien ih res Schicksals gedeutet. Sie sind einsam und sehnen sich nach dem Kontakt mit ihresglei chen. Dabei wissen sie nicht, was sie erwar tet.« »Du weißt es?« »Ich ahne es. Eine schreckliche Zukunft steht ihnen bevor.« »Das ist nicht richtig«, protestierte der Gnom matt. »Es sind liebenswerte Wesen, die Glück und Zufriedenheit verdienen. Al les andere wäre ungerecht.« Glaumo versank immer mehr in die Ver gegenwärtigung dessen, was er verspürt hat te, als er den Fremden gegenüberstand. »Der Goldene«, murmelte er, »trägt ein Gerät in sich, das eine geheimnisvolle Strah lung aussendet. Ich ahne, daß diese Strah lung ihm zum Verhängnis wird.« Tyrns unterbrach ihn nicht. Von dem, was der Operateur erzählte, verstand er kaum die Hälfte. Die Worte blieben für ihn nebelhaft und düster, aber es stand ihm nicht zu, Fra gen zu stellen. »Die Frau dagegen erwartet ein noch schwereres Schicksal. Die Linien des nahen den Todes umweben sie bereits und werden sie nicht mehr freigeben.« Der Gnom war bestürzt. Er wußte um die unheimliche Fähigkeit Glaumos, mögliche Ereignisse der Zukunft vorauszuahnen, und er hatte die Erfahrung gemacht, daß die Warnungen und Deutungen des Operateurs bisher immer eine reale Grundlage besessen hatten. Aber der Kontakt mit den Fremden war nur kurz und wenig intensiv gewesen. Vielleicht täuschte er sich diesmal. »Du weißt viel zu wenig von ihnen, um solches sagen zu können«, wagte Tyrns
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Detlev G. Winter
einen Einwand. »Du kannst nicht einmal erklären, wer sie sind und woher sie kommen. Vielleicht kehren sie sogar zurück und helfen uns bei der Bewältigung mancher Aufgaben.« Glaumo sah ihn mitleidig an. Seine Au gen hatten jeden Glanz verloren. Was wußte sein Vertrauter schon über die bestimmen den Schicksalszüge höherer, unbekannter
Gewalten! Was wußte er von den in tiefer innerer Vergeistigung gewonnenen Einsichten! »Wer immer sie sind«, murmelte der Operateur, »sie werden nicht wiederkom men.«
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 422 von König von Atlantis mit: Auf Dykoor wartet der Tod von Peter Terrid