»Die letzten paar Jahre waren schmerzlich … Hoffentlich haben sie mir nicht allzuviel geraubt. Jetzt bin ich mit Elaine...
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»Die letzten paar Jahre waren schmerzlich … Hoffentlich haben sie mir nicht allzuviel geraubt. Jetzt bin ich mit Elaine verheiratet, und in zwei Tagen ziehe ich in das hübsche kleine Haus an der 72. Straße ein, wo ich ein Arbeitszimmer habe und liebevoll umsorgt sein werde. Vielleicht kann ich jetzt endlich dieses Buch schreiben …« Als John Steinbeck im Jahre 1951 an seinem Roman ›Jenseits von Eden‹ arbeitete, begann er den Tag jeweils damit, daß er auf einem gesonderten Blatt Aufzeichnungen persönlicher Art machte. Sie waren in Form von Briefen an seinen amerikanischen Verleger Pascal Covici gerichtet und vermitteln ein Bild über die innersten Gedanken des Verfassers, Gedanken über den Roman im allgemeinen und im besonderen, aber auch über die privaten Lebensumstände und die Ereignisse des Tages. »Es ist somit autobiographisches Material erster Güte«, heißt es im Nachwort der amerikanischen Ausgabe dieser Sammlung, »sozusagen Steinbecks Glaubensbekenntnis.«
John Ernst Steinbeck, amerikanischer Erzähler deutschirischer Abstammung, geboren am 27. Februar 1902 in Pacific Grove bei Salinas, wuchs in Kalifornien auf. 1918–24 Studium der Naturwissenschaften an der Stanford University, Gelegenheitsarbeiter, danach freier Schriftsteller in Los Gatos bei Monterey. Im 2. Weltkrieg Kriegsberichterstatter, 1962 Nobelpreis für Literatur, gestorben am 20. Dezember 1968 in New York.
John Steinbeck: Tagebuch eines Romans Deutsch von Fritz Güttinger
Deutscher Taschenbuch Verlag
D
Ungekürzte Ausgabe März 1987 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Diana Verlags, Zürich © 1969 Executers of the Estate of John Steinbeck Titel der amerikanischen Originalausgabe: ›Journal of a Novel‹ © 1970 der deutschsprachigen Ausgabe: Diana Verlag, Zürich isbn 3-87158-247-6 Umschlaggestaltung: Celestino Piatti Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Printed in Germany • isbn 3-423-10717-0
29. Januar, 1951 [Montag] Lieber Pat! Wie doch die Zeit vergeht, und wie konnte es nur so spät werden. Haben wir aus der Vergänglichkeit der Zeit etwas gelernt? Sind wir reifer, weiser, einsichtiger und menschenfreundlicher geworden? Wir kennen uns jetzt schon seit Urzeiten, und ich erinnere mich noch immer an das erste und das letzte Mal. Jetzt kommen wir zu dem Buch. Schon lange habe ich es vorgehabt. Ich hatte es schon vor, als ich noch nicht wußte, wovon es handelt. Eine Sprache habe ich dafür entwickelt, die ich nun nie brauchen werde. Eigentlich eine Vergeudung der wenigen Jahre, die man zum Schreiben hat. Aber ich glaube auch jetzt noch, ich hätte es nicht früher schreiben können. Natürlich wäre es ein Buch geworden – aber nicht dieses Buch. Ich erinnere mich noch an damals, als Du mir dieses dicke, schwarze, teure Notizbuch schenktest. Sieh, wie sorgsam ich es für diesen Roman aufgehoben habe. Nur sechs Seiten fehlen. Ein junger Hund hat vorne die Ecken des Deckels angeknabbert. Sauber, frisch und offen liegt es da. Hoffentlich kann ich es so vollschreiben, wie es Deinen Wünschen entspricht. Die letzten paar Jahre waren schmerzlich. Ich frage mich, ob der Schaden, den sie mir zugefügt haben, heilbar ist oder nicht. Verändert haben sie mich bestimmt. Ich müßte aus Stein gewesen sein, um sie unbeschadet zu überstehen. Hoffentlich haben sie mir nicht allzuviel geraubt. Jetzt bin ich mit Elaine 7
verheiratet, und in zwei Tagen ziehe ich in das hübsche kleine Haus an der 72. Straße ein, wo ich ein Arbeitszimmer habe und liebevoll umsorgt sein werde. Vielleicht kann ich jetzt endlich dieses Buch schreiben. Die Versuche sind alle erledigt. Entweder schreibe ich das Buch, oder ich schreibe es nicht. Ausreden gibt es jetzt keine mehr. Der Form nach wird es nicht aufsehenerregend sein, es wird sprachlich karg und knapp sein und gründlich durchdacht, seine Weltanschauung alt und doch neugeboren. Es werden gewissermaßen zwei Bücher sein – die Geschichte meiner Heimat und die meiner selbst. Vielleicht gehören sie nicht miteinander gedruckt, doch das wird sich zeigen, wenn das Buch fertig und abgetan ist, und damit auch ein großer Teil meiner selbst. Das Buch ist meinen Söhnen zugedacht. Sie sind noch klein und werden nie wissen, woher sie stammen, wenn ich es ihnen nicht erzähle. Natürlich wird das Buch nicht geschrieben, damit sie es jetzt lesen – erst wenn sie älter sind und das Leben mit Schmerz und Lust sie etwas zerzaust hat. Und daß das Buch an sie gerichtet ist, hat seinen guten Grund. Ich will, daß sie erfahren, wie alles war. Ich will sie unmittelbar ansprechen, und dadurch spreche ich vielleicht auch andere unmittelbar an. Man kann in Schönschreiberei geraten, wenn man sich an eine große, verschwommene Leserschaft wendet; richte ich mein Buch aber an zwei kleine Jungen, damit sie es dereinst als Erwachsene lesen können, muß ich mich wohl möglichst deutlich und einfach ausdrücken. Sie 8
sind literarisch nicht bewandert, sie kennen die großen Geschichten der Weltliteratur nicht wie wir. Deshalb will ich ihnen eine der größten, vielleicht überhaupt die größte aller Geschichten erzählen – die Geschichte von Gut und Böse, von Kraft und Schwäche, Liebe und Haß, Schönheit und Häßlichkeit. Ich werde ihnen zu zeigen versuchen, daß diese Gegensatzpaare unzertrennlich sind – wie das eine nie ohne das andere vorkommt, und wie aus ihrem Zusammenspiel das Schöpferische entsteht. Und zwar wird die Geschichte, die ich ihnen erzähle, sich abheben von der Landschaft, in der ich aufwuchs, der Landschaft längs des Flusses, den ich kenne und für den ich nicht viel übrig habe. Ich habe nämlich entdeckt, daß es noch andere Flüsse gibt. Das ist etwas, das meine beiden Jungen noch lange Zeit nicht wissen werden, und man kann es ihnen auch nicht sagen. Viele kommen überhaupt nie dazu, zu wissen, daß es noch andere Flüsse gibt. Vielleicht ist diese Erkenntnis der Reife vorbehalten, und die wenigsten werden jemals reif. Es genügt, wenn sie erblühen und sich fortpflanzen. Mehr verlangt die Natur nicht von ihnen. Doch manchmal findet bei einem Menschen etwas wie Erkenntnis statt – nicht sehr oft und stets ohne erklärbaren Grund. Es gibt keine Worte dafür, weil es niemanden gibt, der darüber etwas sagen könnte. Es ist ein Geheimnis, das nicht geheimgehalten, sondern in Wortlosigkeit verschlossen wird. Das Handwerk oder die Kunst des Schreibens ist der unbeholfene Versuch, Zeichen für das Wortlose zu 9
finden. Allein und verlassen versucht der Schriftsteller das Unerklärliche zu erklären. Und wenn er Glück hat und der Zeitpunkt der richtige ist, dann kann manchmal ein kleines bißchen von dem, was er anstrebt, durchsickern – viel wird es nie sein. Und wenn einer klug genug ist, um zu wissen, daß sich das nicht machen läßt, dann ist er überhaupt kein Schriftsteller. Ein guter Schriftsteller versucht immer das Unmögliche. Natürlich gibt es auch denjenigen, der seine Sichtweite beschränkt und ein Nahziel ins Auge faßt – dadurch, daß er das Unmögliche aufgibt, gibt er das Schreiben auf. Mir ist das, gottlob oder leider, nie widerfahren. Derselbe blinde Eifer und Drang macht mir nach wie vor zu schaffen. Und immer hoffe ich, daß doch etwas durchsickert. Dieser Drang hat ein zähes Leben. Es wird das schwierigste Buch sein, an das ich mich je gewagt habe. Ob ich das Zeug dazu habe, wird sich zeigen. An den Voraussetzungen fehlt es nicht. Liebe habe ich, und schmerzliche Erlebnisse habe ich gehabt. Zorn, ja, den habe ich noch, aber Bitterkeit? Ich wüßte nicht wo. Offenbar ist mir die Selbstsucht abhanden gekommen, die ihr Nährboden ist. So will ich denn das Buch anfangen, das an meine beiden Jungen gerichtet ist – vielleicht das einzige, das ich je wirklich geschrieben. Ich glaube, jedem fällt nur ein Buch zu. Zwar kann sich einer ändern oder so von außen beeinflußt werden, daß er ein anderer wird und nochmals ein Buch hat, aber das ist bei mir wohl nicht der Fall. 10
12. Februar [Montag] Wir sind also in das kleine Haus an der 72. Straße eingezogen. Mehr als eine Woche lang haben wir alles mögliche angestrichen, herumgetragen und aufgestellt. Doch einmal muß der Tag kommen, an dem man sagt: »Das habe ich jetzt hinter mir.« Nach halb vier kann ich allerhand Kleinigkeiten verrichten, aber der erste Teil des Tages muß von jetzt an dem Buch vorbehalten bleiben. Etwas Egoismus muß auch sein, sonst entsteht kein Buch. So will ich denn heute, an Lincolns Geburtstag, damit anfangen. In zwei Wochen bin ich neunundvierzig. Ich bin noch rüstig, nur etwas kurzatmig. Ich habe etwas Übergewicht und will versuchen, im Laufe der Zeit ein wenig abzunehmen. Das Durcheinander der letzten paar Jahre bringt es mit sich, daß ich zunächst Mühe haben werde, mich zu sammeln. Körperlich bin ich in guter Verfassung. Zuviel getrunken habe ich wohl in letzter Zeit, und ein paarmal habe ich Depressionen gehabt. Doch mir scheint, die Depressionen sind nicht mehr so arg, wie sie früher waren. Vielleicht ist irgendein ätzender Saft in mir am Vertrocknen. Mein Geschlechtstrieb ist womöglich stärker denn je, aber das rührt wohl daher, daß er jetzt ganz in eine Richtung geht und nicht mehr verzettelt ist. Wie es mit meiner Denkkraft steht, weiß ich nicht. Dieses Buch wird es an den Tag bringen, ob sie etwas taugt oder nicht. Mir selber komme ich geistig jung und elastisch vor, aber das findet wohl jeder von sich selbst. 11
Ich suche nur den Zustand festzuhalten, in dem ich das Buch beginne. Es wird sich um eine doppelte Buchführung handeln – Manuskript auf den Seiten rechts, Werktagebuch links. So wird beides nebeneinander hergehen. Damit bin ich wohl am Schluß dieses Eröffnungsbriefes angelangt. Es wird sich zeigen, ob die jahrelangen Vorübungen mir dazu verholfen haben, ein Buch schreiben zu können. Dies hier ist nämlich das Buch, das ich schon immer schreiben wollte und auf das ich von jeher hingearbeitet und hingebetet habe. Es wird sich ja zeigen, ob ich dazu imstande bin. Ich komme mir angesichts dieser Arbeit entschieden klein vor. Wie die Lateiner zu sagen pflegen, wenn sie sich nicht auf sich selber verließen: Ora pro me.
12. Februar, Fortsetzung Lincolns Geburtstag. Mein erster Arbeitstag im neuen Zimmer. Es ist ein sehr angenehmer Raum, mit einem Zeichentisch, an dem ich arbeiten kann, wie ich das schon immer wollte – dazu ein bequemer Sessel, ein Geschenk von Elaine. Ich habe es noch nie so gut und so bequem gehabt. Ob das alles vielleicht etwas zu bequem ist? Dergleichen kommt vor – der fehlerlos gespitzte Bleistift, das einladende Papier, der fantastische Sessel, gutes Licht und nichts Geschriebenes. Der Mensch ist ein trügerisches Wesen, voller gehätschelter Widersprüche. Er gibt es vielleicht nicht zu, aber er liebt seine Ungereimtheiten. 12
Jetzt, wo ich alles habe, wird sich erweisen, ob ich überhaupt etwas habe. So einfach ist das. Mark Twain schrieb jeweils im Bett, ebenso unser größter Dichter. Ich möchte indessen gerne wissen, wie oft sie im Bett geschrieben haben – oder ob es vielleicht nur zweimal geschah und die Geschichte sich herumsprach. Dergleichen kommt vor. Auch wüßte ich gerne, was sie im Bett schrieben und was am Schreibtisch. Alles das hat mit der Bequemlichkeit beim Schreiben zu tun, und mit der Frage, welchen Wert man ihr beimißt. Man sollte meinen, wenn einer es körperlich bequem hat, sei er geistig um so freier, aber vielleicht verhält es sich gerade umgekehrt. Ich muß da an etwas denken, das mein Vater erzählte, von dem Mann, der sich nicht getraute, es bequem zu haben, weil er sonst einschlief. Das könnte auch auf mich zutreffen. Körperlich bin ich jetzt gut aufgehoben. Meine häuslichen Verhältnisse sind geordnet, glaube ich. Elaine, meine geliebte Frau, nimmt mir alle äußerlichen Sorgen ab, damit ich ungestört meiner Arbeit nachgehen kann. Was könnte einem Schriftsteller sonst noch fehlen außer einer Geschichte und dem Bedürfnis und der Fähigkeit, sie zu erzählen. Als ich dieses Buch erwog und Anstalten dazu traf, fielen mir viele großartige und interessante Neuerungen ein. Ich erfand Sprachen, Zeichen, einen besonderen Stil, und jetzt, wo ich drauf und dran bin, es zu schreiben, werfe ich das alles weg und fange ganz von neuem an. Ich will dieses schwierige Buch so einfach 13
gestalten, daß ein Kind es verstehen kann. Ich will das Ganze, bevor es abgetippt wird, nochmal durchgehen und selbst die paar Adjektive tilgen, die sich eingeschlichen haben. Wie wird es also stilistisch aussehen? Das weiß ich nicht. Bücher bestimmen ihre Gangart selbst; das habe ich erlebt. Sobald die Geschichte anfängt, ergibt sich ihr Stil von selber. Immerhin, ich glaube nicht, daß all die Vorübungen umsonst waren, sofern sie lebensfähig geblieben sind. Man kann nicht alles dem Zufall überlassen. Es gilt jetzt, zur Sache zu kommen. Binnen kurzem werde ich das erste Kapitel schreiben müssen. Zuvor muß ich aber wissen, wie es anzulegen ist. Was will ich denn im Eingangskapitel sagen? Zunächst gilt es, die Jungen einzuführen – was sie sind und wie sie sind. Dann möchte ich den Grund angeben, warum ich dieses Buch an sie richte. Auch möchte ich ihnen über ihre Abstammung Auskunft geben. Danach gedenke ich, das Salinas-Tal im einzelnen zu beschreiben, aber nur mit knappen Einzelheiten, damit es sich dem Gefühl mitteilt. Es soll alles sichtbar und hörbar und riechbar sein, aber möglichst einfach geschildert, als könnten die Jungen es lesen. Das ist der Hintergrund, auf dem das Geschehen sich abspielt. Danach unser Großvater*, seine Söhne und seine
* Der ersten Seite dieses Briefes, die im Manuskript hier aufhört, stand die erste Seite des Romans gegenüber. Sie trug als Überschrift ›Das Salinas-Tal‹ und fing an mit »Lieber Tom und John«. Die Eingangsabschnitte sowie andere an die Jun-
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Töchter und seine Frau sowie das Land, das sie in der Nähe von King City in Besitz nahmen, wie sie lebten und wie ihre Umgebung auf sie abfärbte. Und schließlich will ich noch die Nachbarn erwähnen. Den Namen habe ich noch nicht – vielleicht Canable? Nein, das enthielte einen unerwünschten Doppelsinn oder gar einen dreifachen Sinn. Der Name ist wichtig, ich muß noch darüber nachdenken. Da fällt mir ein Freund meines Vaters ein – ein Walfänger namens Kapitän Trask. Der Name hat mir schon immer gefallen. Er hatte etwas Romantisches für mich. Am Ende des ersten Kapitels wird also von den Trasks und ihrem Gut die Rede sein. Mit dem zweiten Kapitel beginnt dann die Geschichte der Trasks. Der Anfang muß kulturgeschichtliche Angaben enthalten. Im Verlaufe der Erzählung gedenke ich dann jedes zweite Kapitel mit einem Brief an die Jungen zu beginnen, in welchem ich alles unterbringen kann, was gedanklich zum Verständnis der Familiengeschichte der Trasks durch drei Generationen hindurch notwendig ist. Der Vorteil dabei ist, daß die Handlung selber zusehends rascher und knapper fortgeführt werden kann. Leser, denen es nur auf Handlung und Dialog ankommt, können dann jedes zweite Kapitel
gen gerichtete Briefe fanden sich durch den ganzen Entwurf hindurch, wurden jedoch später gestrichen. Das Vorhaben, die Kapitel starr zwischen den Trasks und den Hamiltons abwechseln zu lassen und alle Hamilton-Kapitel an die Jungen zu richten, wurde schon früher aufgegeben.
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überspringen, und ich kann mir inzwischen Zeit lassen für Betrachtungen und Überlegungen, und falls es mir besser scheint, das alles zu streichen, kann das ebenfalls geschehen. Anderseits kann ich es auch für ein zweites Buch verwenden. Es wird ohnehin eine Art biographischer Paralleltext werden. Möglicherweise wird ein großer Teil davon wieder gestrichen. Das wird sich im Verlaufe der Arbeit zeigen. Ich möchte heute nicht allzuviel Zeit mit diesem Geschreibsel vertrödeln, und anderseits möchte ich auch das Buch noch nicht anfangen. Ich will nur das erste Kapitel gründlich durchdenken. Und das geschieht hiermit. Wie das Tal aussieht – dann Einstellung auf das kleine Gebiet. Dabei muß ich sehen, daß ich den Leser am Buch beteilige, so daß ich, während ich eigentlich zu den Jungen rede, gleichzeitig jeden Leser an der Geschichte beteilige, als läse er etwas von seiner eigenen Heimat. Wenn mir das gelingt, wird das sehr nützlich sein. Schließlich will jeder eine Familie haben. Vielleicht kann ich eine allgemeingültige Familie gestalten, die neben einem allgemeingültigen Nachbarn wohnt. Das sollte nicht unmöglich sein. Ich verbrauche soviel von meinem freien Raum, daß mir kein Raum mehr bleibt für das Buch. Doch an meinem ersten Tag, das heißt morgen, muß ich drei Seiten vollschreiben. Morgen werden hier auf der linken Seite nichts als Werkstattnotizen stehen. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, was dieses Buch betrifft, und hoffe, ich kann es mir bewahren. Es ist ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit. Es wäre schön, 16
wenn ich mir dieses Gefühl bewahren könnte. Versuchen werde ich es jedenfalls. Danach möchte ich so gelassen sein, daß das Buch mich gleichzeitig beschwichtigt und erregt. Auch darf es kein grimmiges Buch werden, vielmehr eines, das voller Lebensfreude und Bewegung ist. Es muß etwas Allgemeingültiges haben, sonst hat es keinen Zweck. Der Schreibtisch ist ideal, noch nie bin ich mit etwas so zufrieden gewesen. Und der blaue Ohrensessel ist wunderbar bequem – möglicherweise zu bequem, aber das glaube ich doch nicht. Ich glaube, wenn ich körperlich entspannt bin, wird womöglich auch das Buch entspannt, und ich habe so eine Ahnung, es wird ein völlig ausgewogenes und behagliches Buch werden. Außerdem auch ein sehr langes. Sonst weiß ich überhaupt nicht mehr, worauf ich damit hinauswill. Ich will mir bei diesem Buch Zeit lassen. Möglicherweise, wenn es sich so ergibt, wird es mich das ganze Jahr hindurch beschäftigen. Ich weiß, Pat, du möchtest, daß das Manuskript möglichst bald fertig wird, weil dann die Arbeit beginnt, die Du gerne tust. Die Arbeit an diesem Buch soll aber meine Lust und Liebe sein, und davon lasse ich mir nichts rauben. Ich habe oft gedacht, es könnte mein letztes Buch sein. Natürlich werde ich weiterhin Bücher schreiben, bis ans Ende meines Lebens. Aber dieses Buch will ich schreiben, als wäre es mein letztes. Vielleicht sollte jedes Buch so geschrieben werden. Doch, damit ist es mir Ernst. Es sollte jedenfalls so sein. Und ich habe es gerade umgekehrt gehalten. Ich habe jedes Buch als 17
Vorübung für das eine, noch kommende, geschrieben. Und das ist jetzt dieses Buch. Dahinter kommt nichts mehr. Es muß alles enthalten, was ich von der Welt weiß, und es muß alles darin vorkommen, wozu ich imstande bin – jeder Stil, jedes erzählerische Mittel, jede lyrische Inbrunst – und auch viel Gelächter muß darin sein. Ich sehe nicht ein, warum ich die Familiengeschichten nicht verwenden sollte. Sie sind immer noch gleich gut, und vielleicht fallen mir im Laufe der Arbeit noch mehr davon ein. Eines weiß ich: ich muß an Überlieferung und Anekdoten verwenden, was ich nur kann. Und manche meiner Familiengeschichten sind nichts anderes als Folklore und sollten für die Jungen und von ihnen verwendet werden. Dann werden sie über ihr Geschlecht Bescheid wissen. Auch von meiner Mutter und meinem Vater werde ich eine Menge hineinarbeiten. Es ist höchste Zeit, daß ich diese Dinge aufschreibe, sonst gehen sie verloren, weil sich außer mir niemand je ihrer annehmen wird. Es ist mir sehr wohl an meinem neuen Tisch, mit all dem Arbeitszeug in Reichweite. Noch nie war ich so bequem eingerichtet. An Bleistiften habe ich gegenwärtig die Wahl zwischen dem schwarzen Calculator, den ich der FoxFilmgesellschaft gestohlen habe, und dem Mongol 2 ⅜ F, der ganz schwarz ist und seine Spitze gut festhält – viel besser als die Fox-Bleistifte. Ich werde mir noch sechs davon beschaffen, oder vielleicht gleich vier Dutzend auf Vorrat. Und das ist alles, was ich an diesem meinem ersten Arbeitstag vorhabe. 18
13. Februar [Dienstag] Es muß gesagt werden, daß mein erster Arbeitstag ein Fiasko ist. Ich komme einfach nicht ins Schreiben. Wie immer macht mir die Angst davor, die erste Zeile hinzuschreiben, schwer zu schaffen. Erstaunlich, das Lampenfieber, das einen jeweils befällt, die Beschwörungsformeln, die Stoßgebete, die Verzagtheit. Es ist, als wären die Wörter unauslöschlich, ja, als verbreiteten sie sich wie Farbe im Wasser und färbten alles ringsum. Ein seltsames und geheimnisvolles Geschäft, das Schreiben. Seit es erfunden wurde, ist eigentlich fast kein Fortschritt zu verzeichnen. ›Das Buch der Toten‹ der Ägypter ist so gut und hochentwickelt wie irgend etwas im 20. Jahrhundert, wenn nicht besser. Trotzdem stecken hunderttausende in meinen Schuhen und beten fieberhaft um Erlösung von ihren Wortqualen. Und eines ist uns abhanden gekommen – der Mut, neue Wörter oder Verbindungen zu prägen. Der frühere Wagemut ist im Laufe der Zeit in moderige Gelehrsamkeit ausgeartet. Gewiß, man kann Wörter erfinden, sofern man sie in Anführungszeichen setzt. Damit wird angedeutet, daß sie Umgangssprache und geistreich sind. Ich habe heute ein dumpfes Gefühl im Kopf. Vergangene Nacht konnte ich vor Aufregung über meine Geschichte nicht schlafen. Es war eine seltsam wollüstige Aufregung, und als ich einschlief, hatte ich einen kurzen erotischen Traum, vielleicht weil meine Stimmung erotisch war. Gegenwärtig bin ich den 19
Romanseiten schon weit voraus, aber das schadet nichts. Ich habe mir gesagt, das Buch müsse ohne Eile und von heiterer Gelassenheit sein, und wenn diese Aufzeichnungen die erwünschte Seelenruhe fördern, dann mögen sie meinetwegen endlos weitergehen. Ich bin mit mir zufrieden, völlig grundlos. Ich habe ein warmes, goldenes Licht in der Magengrube, die ein Geflecht von Glücksgefühl ist. Merkwürdig und erfreulich, nicht? Von Zeit zu Zeit wandelt mich ein Gefühl an, dies sei ein Geheimbuch wie einige der andern, die im Dunkeln belassen und stracks verbrannt wurden, wohlweislich, trugen sie sich doch mit unschöpferischem Elend, und das taugt ja nichts. Wie ganz anders jetzt – vielleicht täusche ich mich. Das ist immer denkbar, aber mir scheint doch, ich fühle schöpferische Säfte einem Ventil zustreben, wie sich der Same von allen Ecken und Enden eines Mannes sammelt und zu seinem Gefäß durchkämpft. Hoffentlich kommt dabei etwas Schönes und Wahres heraus – doch das eine weiß ich (und der Vergleich mit dem Koitus gilt immer noch): selbst wenn ich wüßte, daß bei diesem Buch nichts herauskommt, würde ich es doch schreiben. Mir scheint, jedes Lebewesen hat seine eigene Art, die Schöpferfreude, das Erblühen mit Lauten oder Gebärden auszudrücken. Und falls sich das so verhält, muß es sich auch beim Menschen verschieden ausdrücken – bei den einen ist es ein Lachen, bei anderen ein Aufbauen, bei wieder anderen ein Zerstören, manche müssen sich sogar schöpferisch selbst zerstören. Erklären läßt sich das nicht. Bei mir 20
hat die Lebensfreude zwei Ventile: erstens eine schöne Ladung Liebe zu einem unglaublich begehrenswerten und süßen Frauenkörper, und zweitens – meist beides miteinander – Papier und Schreibstift. Und es ist aufschlußreich zu bedenken, was Papier und Schreibstift und das Gewimmel der Wörter eigentlich sind. Sie sind nichts als das, was die Lebensfreude auslöst – der Jubelschrei der Schönheit – die reine Seligkeit des Erzeugens. Und oft besteht zwischen den Wörtern und dem Gefühl nicht einmal eine Parallele, außer manchmal an Heftigkeit. So entwirft vielleicht einer, berstend voll von Lebensfreude, mit großer Gewalt ein trauriges Bild – von sterbender Schönheit oder von der Zerstörung einer prächtigen Stadt – und nur in der Wirkung erweist sich, wie groß und schön sein Gefühl war. Du wirst dich wohl oder übel daran gewöhnen, Pat. Ich schreibe täglich Tausende von Wörtern, und nur einige davon werden zu Papier gebracht. Und von denen, die aufgeschrieben werden, sind nur die wenigsten für einen Leser bestimmt. Da Du mir dieses schöne Notizbuch gekauft hast, verfiel ich darauf, es für diese Aufzeichnungen zu verwenden. Daneben gibt es weiterhin die geheimen Aufzeichnungen, die eines Tages verbrannt werden, aber diese handeln von Dingen, von denen niemand zu erfahren braucht, nicht einmal Du. Alles, was das Licht nicht zu scheuen braucht, werde ich hingegen in dieses Buch eintragen, und vielleicht kommt es dazu, daß Du mir, wenn ich mitten in meinem Roman drin stecke, ein neues Buch kaufen mußt, so unlieb Dir das wäre. 21
Es ist mir nun klar, was ich hier treibe, und ich finde, es ist keine Zeitverschwendung. Das Buch richtet sich zur Hauptsache an meine Kinder, für die es, ganz gleich wie alt sie sind, möglichst einfach gehalten sein muß, nicht weil sie dumm sind, vielmehr weil ihre Lebenserfahrung eine andere ist als die meine. Ich muß ihnen halbwegs entgegenkommen, um eine gemeinsame Grundlage zu finden. Deine und meine Lebenserfahrung dagegen sind ähnlich genug, daß wir uns auf derselben Grundlage treffen können. Und das ist es wahrscheinlich, was ich gefühlsmäßig tue: Ich komme aus der Kälte des Fremden in die Wärme des Vertrauten. Dergleichen geschieht wohl unwillkürlich. In diesem Zusammenhang fällt mir ein: In Notizbüchern aus früheren Jahren finde ich Gedanken und Gefühle, ja sogar Geschichten, von denen ich nichts mehr wußte. Deshalb ist es nicht gut, einer Sache gleich allzusehr auf den Grund gehen zu wollen – ein Gefühl, das sich zufällig in scharfkantige Worte niederschlägt, schüttelt das ganze Gehirn wie eine Fußmatte aus. Das kommt öfters vor, als wir ahnen. Manchmal, wenn ich schreibe, bin ich einer Art Bewußtlosigkeit nahe. Dann ändert die Zeit ihren Charakter, und Minuten verflüchtigen sich ins Gewölk einer Zeit, die etwas Einheitliches ist, eine einzige Zeitspanne. Ich habe schon gedacht, wenn wir von unserem Uhrzeigerdenken loskommen könnten, dann gäbe es vielleicht überhaupt keine Zeitspannen mehr. Dann wäre die Weltgeschichte und alles, was ihr vor22
ausging, nur ein Aufblitzen wie ein zerplatzender Stern, ewig und zeitlos. Weiter im Text. Mir ist da ein Gedanke durch den Kopf gefahren, so wohlgestalt wie ein Mädchen, so äußerst süß und lieb, daß ich ihn mir für das Buch aufhebe. Ach, schön ist sie, diese Idee. Merkwürdig ist auch, wie ein so wohlwollender Mensch wie ich gleichzeitig, Schicht auf Schicht, von einer gefühllosen Grausamkeit sein kann, zu allem fähig – zu Tod und Körperverletzung –, von einer unerbittlichen Grausamkeit, die nur eine bestimmte Richtung braucht, wie auch meine Menschenfreundlichkeit. Ist das Geleise vorhanden, kann mein Gemüt ein Würgeengel sein. Und das Verrückte daran ist – es ist dasselbe Gemüt, das sich einfach nach dem stärksten Wind richtet. Ob das bei anderen auch so ist, weiß ich nicht. Ich kenne nur mein eigenes Gemüt. Manchmal gehen mir diejenigen auf die Nerven, die sich für menschenfreundlich halten, wo sie sich doch bloß die Unannehmlichkeit eines peinlichen Anblicks ersparen wollen.
15. Februar [Donnerstag] Gestern war Valentinstag, und ich begab mich zum Haus an der 78. Straße, um den Jungen die Geschenke zu bringen.* Sie waren zugeknöpft und vorsichtig […]. * Seine Söhne wohnten bei ihrer Mutter, Gwyndolen Conger, Steinbecks zweiter Frau.
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Jetzt wird es endlich Zeit, mein Buch in Gang zu bringen. Ich habe lange genug getrödelt. Aber auch das war gut. Das Tagespensum steht noch nicht fest, das kommt auf alles mögliche an. Der stündliche Ausstoß dagegen sollte ziemlich gleichmäßig sein. Mit diesem langen und charakteristischen Hin und Her ist es jetzt dann aus. Voller Furcht wende ich mich dem andern zu. Und ich muß sogar vergessen, daß ich es gut machen will. Dergleichen gehört ausschließlich zur Vorstufe. Einmal angefangen, sollte dem Buch keine andere Absicht innewohnen als die, geschrieben zu werden. An Ruhe und Ordnung fehlt es nicht. Was es an Kleinigkeiten braucht, ist vorhanden und gut. Haltung und Einstellung sind ja sehr wichtig. Und da das alles lange so weitergehen wird, muß es gewissermaßen ein Lebensstil und eine Denkgewohnheit werden. Niemand soll sagen können, ich sei mir selber abhanden gekommen. Das hier ist das letzte Wippen auf dem Sprungbrett, der letzte Blick ins Schwimmbecken. Jetzt heißt es springen. Es ist wirklich höchste Zeit. Diesen Begleitkommentar werde ich zwar weiterführen, aber ich werde mich kürzer fassen. Jetzt heißt es: auf ins Salinas-Tal. Und, kaum zu glauben, aber ich reise lieber auf dem Papier dorthin als in Wirklichkeit. Merkwürdig, wie ungern ich aufbreche. Aber wer liebt schon Selbstdisziplin; alles in uns sträubt sich dagegen. Nur das Papier ist geduldig. Tom, mein Sohn, hat innere Schwierigkeiten. Es war gestern seinem Blick anzumerken und den rasch 24
unterdrückten Gefühlsausbrüchen. Ich muß etwas unternehmen, um ihm zu helfen, aber ich weiß nicht was. Er ist wortkarg geworden und, wie Gwyn meint, trotzig. Ich kenne das. Und dann, warum behauptet er, ich hole ihn jeden Tag von der Schule ab? Er würde dergleichen nicht behaupten, wenn es nicht einem dringenden Bedürfnis entspräche. Das Beste ist wohl, ich gehe und rede mit denen, die am meisten von ihm sehen – den Leuten in der Schule. Ja, das ist wohl das Beste. Und jetzt an die Arbeit.
16. Februar, Freitag Wie üblich fing die Arbeit ohne Vorwarnung an. Es ist immer so. Ich muß eine Zeitlang dasitzen, bevor es geschieht. Gestern begann es zu kommen, und ich glaube, die Form steht jetzt fest – abwechselnde Kapitel. Hoffentlich gelingen mir beide Teile gleich gut. Seit einer Woche sitze ich jetzt da, es ist Freitag, und ich habe mir anderthalb Seiten abgerungen. Wenn mir dieser Ablauf nicht so wohlbekannt wäre, würde ich es für eine verlorene Woche halten. Aber ich weiß da längst Bescheid und bin es zufrieden. Ich finde nicht, daß ich die Woche vergeudet habe, im Gegenteil, ich bin vorwärtsgekommen. Das Buch hat überhaupt nichts Überstürztes an sich. Noch nie war mir so zumute. Elaine versteht es, dafür zu sorgen, daß ich nicht unter Druck stehe. Gestern abend habe ich ihr den Anfang vorgelesen, und sie sagte, er gefalle ihr. Eigentlich war es zu wenig, um schon ein Urteil 25
zu fällen, aber der Ton ließ sich immerhin heraushören. Die Pfeifen schmecken vorzüglich. Ich habe Lust, mir eine Meerschaumpfeife zu kaufen, um sie im Laufe der Arbeit einzufärben. Doch, das werde ich vielleicht tun. Bis dann die Pfeife braun ist, sollte das Buch fertig sein. Immer derselbe Zauber. Ich glaube, ich besorge mir morgen eine Meerschaumpfeife, eine kleine und leichte. Kürzlich habe ich in einem Schaufenster eine gesehen, aber wo? Ach, ich bin ja so glücklich – so glücklich wie noch nie. Es scheint absurd, ein so gutes Gefühl zu haben. Nur die Jungen machen mir zu schaffen – sonst nichts. Der Krieg in Korea jedenfalls nicht – der scheint weit weg. Überhaupt nichts. Wir stecken eine Menge Geld in das Haus, aber wenn schon – wofür sollen wir es denn sonst ausgeben? Ich kann mir keine bessere Geldanlage denken. Und Elaine liebe ich unglaublich, unglaublich. Dieses neue Leben verdanke ich wohl ihr allein. Welch ein Glück.
19. Februar [Montag] Ich habe über das Wochenende nicht gearbeitet und mich auch in Gedanken nicht mit der Arbeit befaßt, und zwar absichtlich. Ich wollte mich innerlich entrümpeln. Es gab so viel zu überlegen, und ich wollte den Dingen ihren Lauf lassen. […] Daß ich über das Wochenende nicht glücklich war, hatte seinen guten Grund. Am Samstagabend habe ich zuviel getrunken, und am Sonntag hatte ich einen Kater. In meiner 26
Katerstimmung war ich mit nichts zufrieden, mit mir selber am allerwenigsten. Ein gutes Beispiel für die deprimierende Wirkung des Alkohols. Heute habe ich es überstanden. Falls dergleichen sein muß, dann wohl am besten am Samstagabend. Du bist gegen das Trinken, Pat, und ich eigentlich auch. Trotzdem kommt es immer wieder dazu. Die Zeit beschäftigt mich gegenwärtig sehr. Die Zeit mit allem Drum und Dran. Die Außenwelt hat ein Doppelgesicht – manchmal sogar mehr als zwei Gesichter, und das steigert sich im Laufe des Lebens, und die Gesichter werden breiter und fleischiger. Heute ist das Haus voll von Klopfgeräuschen. Ich weiß noch, wie ich mich bei den ›Früchten des Zorns‹ über die Klopferei beschwerte. Diesmal stört sie mich gar nicht. Aus irgendeinem Grund scheint sie mir nicht von Belang. Ich bin nicht damit gemeint. Seinerzeit hatte ich immer das Gefühl, man habe es damit auf mich abgesehen. Das traf sicher nur zum Teil zu, aber in gewissem Maße störte man mich doch ganz gern. Diesmal ist das sicher nicht der Fall. Ich glaube, ich werde mir eine Meerschaumpfeife kaufen, um zu sehen, ob ich sie in ein schönes, zartes Braun verwandeln kann, während ich an diesem Buch arbeite. Sie sind sehr schön, wenn man damit umzugehen versteht. Ich kann mir nichts Angenehmeres denken, als den Rest meines Lebens in diesem Haus zu verbringen, mit diesen Menschen und an diesem Zeichentisch. Und nun – genug getrödelt, ich will mich an mein Buch machen. 27
Nun ist mein Tagewerk getan, und ich weiß nicht, ob es etwas taugt oder nicht. Ich kann nur hoffen. Das Buch muß im Ton so beiläufig gehalten sein, daß es von vornherein etwas Entwaffnendes hat. Heute bin ich mit dem Aussehen und der Geschichte des Tals fertig geworden. Morgen muß ich mich an die Hamiltons machen. Über die Hamiltons kann ich jetzt sagen, was ich will, weil sie alle tot sind und nichts dagegen haben, wenn man die Wahrheit sagt. Ich glaube auch, daß es geht. Von allen meinen Büchern ist dieses das komplizierteste und gleichzeitig das am einfachsten wirkende. Genug für heute.
20. Februar [Dienstag] Heute bin ich früh an der Arbeit und will es auf zwei volle Seiten bringen. Es ist Zeit dazu. Ich weiß, es geht langsam vorwärts, aber ich will es so haben. Nur keine Hast. Die Arbeit an diesem Buch macht mir Freude, und ich möchte, daß es das beste wird, das ich je geschrieben habe. Es ist nicht einzusehen, warum es nicht das Format haben sollte, das ich wünsche. Warum sollte mein Bleistift nicht schreiben, was meine Ohren hören und meine Augen sehen? Paß nur auf, daß es nicht zu weitschweifig wird! Nur keine adjektivischen Beschreibungen! Möglichst wenig Beschreibung, damit die Fäden der Geschichte beisammenbleiben. Dieses Buch wird ewig weitergehen. Ich habe nicht im Sinn, es je zu beenden. Und nur mit dieser Einstellung kommt es voran, wie ich 28
das wünsche. Sein Tempo darf nicht durch irgendeinen Termin beschleunigt werden. Ich weiß, Pat, du hättest es gerne auf nächsten Winter, aber das ist ausgeschlossen, oder dann auf nächstes Frühjahr, und das ist so gut wie unmöglich. Ich habe keine Zeitgrenze, und ich gedenke mir auch keine zu setzen. Erstaunlich, wie wenig ich mir Sorgen mache. Gewiß, ich sollte Geldsorgen haben und Erziehungssorgen und dergleichen, aber es ist nicht der Fall. Ich weiß, ich sollte mir Sorgen machen, das gehört sich so, aber mittendrin denke ich jeweils unwillkürlich an etwas anderes. Jetzt ist es Zeit, an die Arbeit zu gehen. Heute muß ich Samuel Hamilton und seine Frau ins Salinas-Tal einführen. Es freut mich, daß Landschaft und Wetter erledigt sind, denn nun kommen die Menschen dran. Vom Tal wollte ich eigentlich mehr einen allgemeinen Eindruck geben, nicht eine genaue Schilderung – mehr nur ein Gefühl davon. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, das werde ich erst lange hinterher erfahren. Das Buch handelt aber nicht von der Landschaft, es handelt von Menschen, und ich will die Örtlichkeit nicht über Gebühr hervorheben. Jetzt an die Arbeit. Fertig für heute; die Hamiltons sind drin. Hoffentlich sind sie richtig drin. Ich habe heute lange gearbeitet, aber mit Lust und Liebe. Jetzt gehe ich mit Elaine zu Macy’s, um Teppiche auszusuchen.
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21. Februar [Mittwoch] Heute vormittag bin ich arbeitsunlustig, Pat, aus keinem ersichtlichen Grund. Bin früh zu Bett gegangen, habe gut geschlafen – zuviel sogar –, fühle mich wohl, mag aber nicht an die Arbeit heran. Natürlich werde ich sie erledigen. Am Nachmittag muß ich eine Bandaufnahme für die »Stimme Amerikas« machen, über Kunst unter der Diktatur. Ich verstehe nicht viel davon, da ich noch nie irgendeine Kunst unter einer Diktatur betrieben habe, aber ich habe einiges gelesen und bin in diktatorisch regierten Ländern gewesen. Natürlich finde ich jeden Zwang unerwünscht und dem Gedeihen der beiden wesentlichen Triebkräfte abträglich, auf denen Kunst und Wissenschaft beruhen: Wißbegier und Widerspruch. Erstickt man diese, wie kann dann Kunst aufkommen? Sie kommt nicht auf, das ist der Beweis. Aber ich kann mich jetzt mit dergleichen nicht beschäftigen. Und Du willst also an die Westküste reisen. Hoffentlich erlebst Du viel Freude. Du warst schon lange nicht mehr weg. Ich erinnere mich noch, wie ich Dich einmal am Anfang unserer Bekanntschaft traf. Du hattest einen schwarzen Borsalino und eine braune Aktentasche, und gewohnt hast Du im Sir Francis Drake. Ich weiß noch, wie Du durchs Vestibül kamst und die Rechnung bezahltest. Das ist jetzt lange her, aber Du hast Dich nicht stark verändert. Ich entsinne mich auch noch anderer Dinge, die wir lieber vergessen wollen, mir zuliebe. Damit habe ich wohl genug getrödelt für einen Tag und will mich hinter die Arbeit klemmen. 30
So, Pat, nun bin ich doch noch fertig geworden, und zwar mit dem ersten Kapitel. Das zweite wird ganz anders sein, wie Du sehen wirst. Es handelt von den Trasks, während das erste sich mit den Hamiltons befaßt. 22. Februar [Donnerstag] Heute ist Washingtons Geburtstag, Pat, und ich werde nicht viel Zeit für Dich erübrigen können. Eigentlich verrückt, findest Du nicht auch? Da schreibe ich Dir etwas wie einen Brief, den Du frühestens in einem Jahr zu Gesicht bekommen wirst. In einem gewissen Sinn auch ganz reizvoll. Im Laufe eines Jahres wird viel geschehen, und ich, während ich Dir hier schreibe, weiß nicht was. Du hingegen, wenn Du es liest – falls Du es liest –, weißt, was geschehen wird, weil es bereits geschehen ist. Ich finde, das grenzt an Zauberei. An der linken Hand, gerade unter dem kleinen Finger habe ich, wie Du weißt, einen dunkelbraunen Fleck. Und am linken Fuß am entsprechenden Ort einen ganz ähnlichen Fleck. Als einmal ein Chinese den Fleck an meiner Hand sah, wurde er ganz aufgeregt, und als ich ihm von dem anderen am Fuß erzählte, fand er das höchst interessant. Er sagte, in der chinesischen Handlesekunst bedeute der Fleck an der Hand das allergrößte Glück, und durch den am Fuß werde es verdoppelt. Diese Flecken sind nichts als Pigmentansammlungen. Ich habe sie seit meiner Geburt; es sind sogenannte Muttermale. Der Grund, warum ich darauf gekommen bin, ist folgender. Seit 31
anderthalb Jahren werden die Flecken immer dunkler. Falls man überhaupt daran glaubt, kann das nur bedeuten, daß mein Glück im Zunehmen ist. Und richtig, ich habe Elaine, und was will ich noch mehr. Doch die Flecken werden immer noch dunkler, und das bedeutet vielleicht, daß ich auch noch ein Buch haben werde. Auch das wäre ein großes Glück. Und wie Du siehst, ich schreibe Dir weiterhin diese Briefe, ungeachtet dessen, was ich vorhin von Zeitmangel sagte. Also diese Trasks. Sie faszinieren mich. Ich kenne sie gründlich und habe mich auch mit ihrem Stammbaum befaßt. Ihre Stimmungen und Triebkräfte kenne ich vielleicht besser als meine eigenen – bestimmt besser als meine eigenen. Die meinen wären mir wahrscheinlich ein Rätsel, wenn ich ihnen überhaupt nachginge. Ich überlasse es Dir, herauszufinden, was die Trasks ihrem Wesen nach sind und was sie versinnbildlichen. Ein Schlüssel dazu und genügend Anhaltspunkte sind vorhanden. Ich glaube, Du wirst bald merken, worauf die Geschichte hinauswill, so arglos sie sich auf diesen Seiten gibt. Diese Arglosigkeit und die leichte Verschleierung sind beileibe nicht als Mätzchen gedacht, sondern lediglich, damit einer aus dem Buch soviel herauslesen kann, als er dazu mitbringt. Es wäre nicht gut, einen ungebildeten Leser mit der Verkündung einer Weltanschauung zu verwirren. Anderseits findet ein solcher Leser vielleicht Vergnügen am Oberflächengeschehen und bekommt das andere im Unterbewußtsein mit. Außerdem wird 32
es dem gebildeten und verständnisvollen Leser Freude bereiten, die in dem Buch verborgenen Geheimnisse zu entdecken, gewissermaßen als Schatzsucher, aber man darf es dem Leser nie sagen, daß sie da sind. Den Fehler, es dem Leser zu sagen, habe ich früher gemacht, den mache ich nicht mehr. Es wird Dir nicht entgehen, daß ich den Anschein zu erwecken suche, als habe sich alles wirklich so abgespielt – in diesem Buch. Es ist eher als eine Lebensgeschichte zu bezeichnen, nicht als Roman. Zwar hat es eine feste Form, aber ich möchte, daß es aussieht, als hätte es die Formlosigkeit gelebten Lebens. Dieses ist zwar keineswegs formlos, aber es braucht einen philosophischen Kopf, um seine regelmäßige Anlage zu sehen. Von dieser Art soll mein Buch sein.
23. Februar [Freitag] Dieser Tag fängt betrüblich an. Es läßt sich nicht sagen, wie er ausgehen wird. Eine Betrübnis, die ich nicht schriftlich fixieren kann, obwohl ich weiß, woher sie stammt. Es ist Freitag. Wie Du weißt, hatte ich vor, die Samstage und Sonntage freizumachen. Aber ich weiß nicht, vielleicht wäre es gut, auch am Samstag ein gewisses Pensum zu erledigen. Wir werden sehen. Wenn ich zwei Tage freimache, komme ich vielleicht aus dem Arbeitsrhythmus heraus. Das will bedacht sein. Das Buch nimmt nämlich allmählich seinen eigenen Rhythmus an. Das ist wichtig; wenn einem nämlich die Form eines Buches in Fleisch und 33
Blut übergeht, braucht man sich nur noch mit der Handlung zu befassen, und alles übrige gibt sich von selbst. Findest Du nicht auch? Heute lasse ich mir die Haare schneiden. Ich glaube zu hören, wie Du nach Luft schnappst. Es sind fast zwei Monate her, seit ich beim Friseur war, ich glaube, es ist wieder einmal fällig. Meine Mähne reicht schon bis auf die Schultern. Du weißt, ich rauche beim Arbeiten immer Pfeife – früher wenigstens war das so, und jetzt habe ich wieder damit angefangen. Merkwürdig – sobald eine Pfeife gut zu schmecken beginnt, schmecken Zigaretten fade. Ich rauche immer weniger Zigaretten. Vielleicht kann ich sie mir eine Zeitlang ganz abgewöhnen. Das wäre gut. Schon jetzt fängt mein ständiger Raucherhusten an, sich zu bessern. Ein paar Monate ohne diesen Husten, das wäre eine Wohltat. Meine Bilder und Bücher aus Kalifornien sind noch immer nicht eingetroffen. Jetzt sind sie schon mehr als einen Monat unterwegs. Ich wollte, sie kämen endlich. Nun ist die Trübsal nur noch halb so schlimm. Sie war wie die leichten Nebel über dem Wasser im Frühling. Wenn sie sich lichten, weiß man kaum noch, daß sie da waren. Schon habe ich vergessen, was die Betrübnis war, obwohl ich mich noch erinnere, wie mir zumute war. Höchst merkwürdig, daß Trübsal sich in Gold verwandeln kann. Ist sie am Ende ein Lustgefühl? Mag sein. Ich muß mir die Augen untersuchen lassen. Ich weiß nicht, ob ich eine neue Brille brauche, aber es 34
könnte sein. Und ich verbringe viele Stunden über diesem Buch. Da kann es nichts schaden, wenn ich es unter den bestmöglichen Umständen tue. Findest Du nicht auch? Jetzt an die Arbeit. Es ist Zeit, und ich komme so zu einem frühen Anfang, ich war nämlich heute früh auf. Jetzt ist es schon viel später. Der bisher längste Arbeitstag. Es geht rasch vorwärts, aber alles deutet darauf hin, daß es ein sehr langes Buch wird. Ich ahne es, weil jedes Tor, das ich aufstoße, eine weite Aussicht auf einen Charakter und seine Auswirkungen eröffnet. Gott, ist das ein kompliziertes Buch. Hoffentlich kann ich alle Zügel in der Hand behalten und gleichzeitig den Anschein erwecken, als ergäbe sich alles fast zufällig. Das wird schwer zu bewerkstelligen sein, aber es muß geschehen. Auch muß ich so allmählich in die Handlung hineinkommen, daß der Leser nicht weiß, wie ihm geschieht, bis er angebissen hat. Daher der beiläufige, ja fast frivole Ton, Pat. Es ist, wie wenn einer eine Fuchsfalle aufstellt und sich so gebärdet, als ahne er nichts von einem Fuchs oder einer Falle in der Gegend. Heute bin ich so früh an die Arbeit gegangen, daß es immer noch früh ist. Ich könnte noch weiterschreiben, aber ich glaube, im Innersten ist die Energie aufgebraucht. Da ich schon so viel geschrieben habe, lasse ich es für heute sein. Ich will mich nicht allzusehr ermüden. Ich will mir Zeit lassen, um die schreckliche Erschöpfung damals bei den ›Früchten des Zorns‹ zu vermeiden. Eines will ich Dir 35
jedoch sagen – obwohl dieses Buch feiner angelegt und nach außen hin vielleicht weniger gefühlsgeladen ist als die ›Früchte‹, wird es doch viel dichter bevölkert sein. Wir werden Menschen in rauhen Mengen kennenlernen. Da ich mich in diesen Aufzeichnungen unbeschwert ausspreche, kann ich Dir ein Beispiel dafür geben, was ich meine, wenn ich sage, das Buch fange wirklich an, sich zu regen, zu atmen und ein Eigenleben zu entfalten. Ich hatte vor, Carl Trask* und seine Frau in etwa drei Abschnitten zu fixieren. Doch dann begann er mich zu faszinieren, nicht nur als Charakter, sondern rückwirkend durch Generationen hindurch. Ich dachte, er werde nur eine Frau haben, und nun stellt sich heraus, daß er zwei hat. Ich dachte, er sei ein einziges Kind, und nun hat er einen Halbbruder. Ich gedachte ihn geradewegs ins Salinas-Tal zu bringen, und nun bin ich froh, wenn ich es in weniger als fünfundzwanzig Seiten schaffe. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, das Buch bestimme seine Gangart selber und beginne selbständig zu denken. Und nun bekomme ich es mit der altbekannten Angst zu tun – hoffentlich lebe ich lange genug, um das Buch beenden zu können. Länger braucht mein Leben nicht zu dauern. Jetzt, wo ich drin stecke, wird es für mich immer schwieriger, darüber hinauszusehen. So soll es wohl sein, aber es läßt nicht viel Raum für Gedanken in eigener Sache. Das ist vielleicht gut, * Charles Trask im Roman. Siehe Seite 51. 36
vielleicht ist es auch nicht gut. Und jetzt mache ich für heute einen Punkt.
26. Februar [Montag] Also, am Samstagabend hatten wir Gesellschaft, und ich habe mich gut unterhalten. Schade, den Arbeitsrhythmus zu unterbrechen, aber ich muß mich vorübergehend freimachen, wenn ich nicht versauern will. Ich weiß, Du begreifst das. Heute morgen bin ich nicht allzu munter, will aber die Woche trotzdem beginnen. Schreiben heißt nichts anderes, als es tun. Dauernd breche ich heute Bleistiftspitzen ab – allzu großes Ungestüm. Das ist meistens so, ehe sich das richtige Verhältnis einstellt. Doch mein Tagespensum werde ich zweifellos erledigen. Ob es etwas taugt oder nicht, ist eine andere Frage. Sehr lebensfroh bin ich heute morgen aus irgendeinem Grunde nicht. Ich begreife nicht, warum manche Tage weit offen und andere gesperrt sind, warum manche Tage lächeln und andere verkniffene Augen haben und wieder andere rechte Sorgentage sind. Auch scheint es nicht an mir zu liegen, sondern am Tag. Er hat einen eigenen Charakter, der ihn von anderen unterscheidet. Und heute ist ein Tag leiser Sorgnis – über nichts Bestimmtes. Er hält Ausschau nach etwas, worüber man sich Sorgen machen kann. Meistens verfällt er aufs Geld. Es ist etwas schwierig heute morgen. Der Klempner ist im Haus. An der Haustür klingelt es. Louise ist noch nicht hier, und Elaine schläft noch. 37
Ich wecke sie nicht gern, vielleicht hat sie nachts noch lange gelesen, aber wenn das so weitergeht, werde ich sie doch wecken. Ich latsche nicht gern so oft treppauf und -ab. Heute morgen habe ich so viel Kleinkram im Kopf. Das ist wohl der Nachteil des freien Wochenendes. Man verliert, wenigstens anfänglich, die Sammlung. Nun, sie wird sich schon wieder einstellen. Heute fahre ich mit Carl Trask weiter. Seine Erlebnisse interessieren mich. Dabei ist er doch nicht anders als viele Leute, die ich kenne. Ob es wohl gut ist, Leute so rasch abzutun? Gut oder nicht gut, ich werde es jedenfalls so halten. Du solltest Dich freuen, das Buch ist jetzt nämlich das Wichtigste. Die Geschichte hält sich hinter allem anderen. Ganz gleich, was ich unternehme, die Geschichte ist immer da – sie wartet und brodelt, ähnlich wie der gärende Brei, aus dem schließlich Whisky entsteht. Hochinteressant, aber das wünschenswerte – innigst wünschenswerte – Produkt ist der Whisky. Das ganze Gebrodel vorher interessiert niemanden. Da jetzt endlich die Manuskriptseiten vorauseilen, werde ich von nun an diesen Werkbrief dem Anfang des Tagespensums gegenüber eintragen. Ein Teil meines Tagewerks ist getan. Ich komme immer rascher voran; ob es etwas taugt, weiß ich nicht. Aber eines muß ich Dir sagen: Meine Zufriedenheit nimmt im Verlauf der Arbeit ständig zu. Eine merkwürdige Feststellung, aber es ist wahr. Ein Glücksgefühl kommt über mich. Was ich gegenwärtig schreibe, 38
ist beobachtend und bewertend. Vielleicht ist es langweilig, aber ich brauche das für mein Thema und für die Handlung. Es wird ein altmodischer Roman, Pat. Was er an Wirkung besitzt, wird er eher durch Anhäufung als durch Blitzlichter erzielen. Und vergiß nicht, er wird Hunderte von Seiten weitergehen. Hoffentlich wird er nicht langweilig. Falls er es aber doch ist, dann ist es eben so. Das Buch wird nämlich, wie bereits bemerkt, sein Tempo selber bestimmen. Ich werde es gängeln, aber nicht drängeln. Es ist mein großer Roman. Ich werde jedes erzählerische Mittel verwenden, das ich mir bewußt angeeignet habe, und auch unbewußt werde ich das Buch gewähren lassen – Du wirst sehen, ob es etwas zu sehen gibt. Nun ist mein Tagewerk getan. Du gehst morgen nach Kalifornien. Das wird lange her sein, wenn Du diese Zeilen liest. Warten wir ab. Ich weiß nur, es wird sich nach und nach auftürmen, bis es ein Haus ist, und dann ist es entweder ein gut gebautes Haus, das Bestand hat, oder ein schlecht gebautes Haus, das unter seinem eigenen Gewicht zusammenstürzt. Das gilt für Bücher wie für Häuser. Und damit Schluß für heute. Ich bin immer etwas traurig, wenn mein Tagewerk getan ist.
27. Februar [Dienstag] Heute habe ich Geburtstag. Ich hatte im Sinn zu arbeiten, aber es ist allerhand Wichtiges dazwischengekommen. 39
Am Abend gingen wir aus, um Gielgud und Pamela Brown in ›Die Dame ist nicht fürs Feuer‹ zu sehen. Ein hübsches Stück, und hübsch gespielt. Ich habe keine Ahnung, wovon es handelt, vermutlich überhaupt von nichts, aber es hört sich so hübsch an. […] Gestern nacht erwog ich, ob es möglich wäre, die Jungen zu mir zu nehmen, und konnte darüber nicht schlafen. So habe ich nun in zwei Nächten ungefähr zwei Stunden Schlaf gehabt, und ich muß sagen, es setzt mir offenbar gar nicht zu. Komisch.
28. Februar [Mittwoch] Stand früh auf, obwohl ich so gut wie gar nicht geschlafen hatte. Ich finde keine Zeit zum Schlafen. Zuviel ereignet sich in mir und außerhalb. Ich komme einfach nicht zum Schlafen. Heute muß ich um zwei Uhr nachmittags zu einer Generalversammlung der unglückseligen World Video. So bin ich denn früh auf, um vorher mit meinem Pensum fertig zu werden. […] Und nun an die Arbeit. Es handelt sich um Adams Jugend.
1. März [Donnerstag] Und es schneit stark. Gestern habe ich nicht viel geleistet. Mein Kopf war wohl so erschöpft wie alles andere. Doch gestern abend bin ich früh zu Bett gegangen und habe lange geschlafen, so daß ich mich heute erfrischt fühle. Morgen kommen Tom und 40
John und übernachten bei uns. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, leider. Möchte sie gerne besser kennenlernen. […] Heute eine Karte von Dir, Pat, auf dem Flug nach San Francisco geschrieben. Hoffentlich triffst Du es gut. Jetzt heißt es sich wieder dahinterklemmen. Nach der Arbeitspause fällt mir das schwer. Das Tagespensum wäre erledigt. Und nun will ich einen Bücherschrank zimmern.
2. März, Freitag Heute bin ich früh dran, aus einem naheliegenden Grund. Ich gehe heute die Jungen holen, die bei uns übernachten werden. Und vorher möchte ich womöglich das Tagespensum erledigen. Es ist ein strahlend sonniger Tag, wirklich ein Frühlingstag. Aber das Pensum muß erledigt werden. Ich glaube, ich weiß jetzt genau, was für Szenen kommen, die Zeit spielt deshalb keine Rolle. Waverly* hat sich heute morgen verschlafen. Zum Glück bin ich inzwischen ins Arbeiten gekommen. Ich weckte sie, damit sie zur Schule gehen konnte. Ob Dir das, was ich gegenwärtig schreibe, gefällt, weiß ich nicht. Es ist alles so hauchdünn, daß es kaum auffällt, und doch ist es so gewaltig, daß es sich über drei Generationen hin * Waverly Scott, fünfzehn, Elaines Tochter aus früherer Ehe, die bei den Steinbecks wohnte.
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auswirken kann, vielleicht sogar in alle Ewigkeit. Die Frage ist nur, ob ich das deutlich machen kann. Es ist alles so fein gesponnen. Heute ist ein aufregender Tag. Der rote Teppich für unser Bücherzimmer ist gekommen. Jetzt ist es dann erst ein richtiges Zimmer. Wenn auch die Stühle und die Couch da sind, wird es ein Zimmer sein für einen König wie mich. Unglaublich, die Aufregung, die ein roter Teppich in einem Haus verursachen kann. Und nun heißt es an die Arbeit gehen.
5. März, Montag Stand heute früh auf, bin aber träge, offenbar weil ich zu lange geschlafen habe. Bin geradezu schlaftrunken. Ich glaube, zuviel Schlaf vertrage ich einfach nicht. Das Wochenende war angenehm, obwohl ich das gute Gefühl vermißte, das mir die Arbeit gibt. Was die Seitenzahl betrifft, war die letzte Woche nicht sehr ertragreich, aber ich glaube, qualitativ ist das Geschriebene in Ordnung. Heute vormittag scheine ich mit den Bleistiften wieder etwas allzu heftig umzugehen. Habe Dir eine Karte geschrieben, Pat, nach Hollywood. Kam mir sonderbar vor, Dir dorthin zu schreiben. Du wirst Dich nicht sehr wohl fühlen. Ich bin von Tugend befallen – einem Gefühl für Tugend, ohne die Tugend selber. Definiere einer, was Tugend ist! Es ist die Charaktereigenschaft, die für ihren Träger angenehm und begehrenswert ist und ihn zu Handlungen veranlaßt, die ihm stolze Genugtuung 42
bereiten. Ich komme offenbar sehr langsam ins Kochen oder Schäumen, und das ist schade. Eigentlich sollte ich blitzschnell reagieren. Vielleicht bringe ich es eines Tages noch dazu, aber ich rechne mittlerweile nicht mehr damit. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wir unsere Mißerfolge vergessen. Vermutlich könnten wir sonst nicht weiterleben. Es kann aber nichts schaden, wenn wir uns von Zeit zu Zeit mit unseren Mißerfolgen beschäftigen, nicht um uns etwas darauf zugute zu tun, nur damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Nicht die Eitelkeit ist es, was ich dabei bedenklich finde, sondern der Umstand, daß etwas Verpfuschtes dadurch, daß wir es vergessen, beiseitegeschoben wird, als hätte es nie stattgefunden. Gestern abend habe ich eine ganze Anzahl solcher Dinge im Dickicht meiner Vergangenheit aufgestöbert. Ich fand, wenn man sich ihrer bewußt wäre, würden sie sich weniger oft wiederholen. Das ist wohl bloßes Wunschdenken, aber der Gedanke drängte sich auf. Nun beginnt heute eine neue Woche, und ich gedenke, ein gewichtiges Problem in Angriff zu nehmen. Es handelt sich um folgendes: Man legt sich eine Diät zurecht und nimmt bis zu einem gewissen Punkt ab, worauf ein Stillstand eintritt. Es erfordert eine gewaltsame Anstrengung, über diesen Punkt hinauszukommen. Und an einem solchen Punkt bin ich gegenwärtig angelangt. Ich habe vor, ihn zu durchbrechen, indem ich etwa vier Tage lang ganz wenig esse, dann kann ich wieder ein paar Pfund abnehmen, bis neuerdings 43
ein Stillstand eintritt – dann wieder die gewaltsame Anstrengung. Ich glaube aber, es ist gut, etwas zuzuwarten, bevor man sie unternimmt. Und nun wieder an die Arbeit. Heute komme ich gut voran. Ich möchte vorläufig nicht mehr als tausend Wörter täglich hervorbringen. Ich habe immer einen Hang zur Eile, und das möchte ich diesmal vermeiden. Das Buch soll sehr langsam entstehen, es darf mir nicht davonlaufen. Die Handlung ist im Gang, aber sie muß selber ihre Gangart bestimmen. Ich hatte vor, die ganze Jugendgeschichte Adams in einem einzigen Kapitel unterzubringen, aber das geht nicht. Sie wird über zwei Kapitel verteilt werden müssen. Ich gedenke, ihn bis zum Eintritt ins Heer zu bringen und dann stehenzulassen, um zu den Hamiltons zurückzukehren und zu allgemeinen Betrachtungen. In einem Stück würde es zu lange. Auch wird Adam, wenn er aus dem Krieg zurückkommt, zum Mann geworden sein, und das ist es, wozu ich das Ganze schreibe. Und wie schon des öfteren bemerkt – Geschichten führen ihr Eigenleben. Man muß es ihnen lassen, ohne allzuviel Drängelei. Sonst scheint das Geflecht durch, und die Geschichte wird unnatürlich und ungesichert. Und diese meine Geschichte muß unbedingt gesichert sein. Ich frage mich, wie viele der Vorkommnisse rein zufällig sind und wie viele vom Charakter der Hauptpersonen herbeigeführt werden. Vermutlich spielt der Zufall nur eine untergeordnete Rolle. 44
Später. Jetzt habe ich das Tagewerk hinter mir, und die Geschichte kommt voran. Ich hoffe es wenigstens. Mir scheint so. Warten wir ab. Wenn ich morgen genug hinkriege, wird das Kapitel fertig. Es wird aus folgendem bestehen: dem Tag, dem Kampf, dem zweiten Gespräch mit Carl, der Nacht, dem nächtlichen Besuch bei Alice. Und damit will ich das Kapitel beenden. Nach einem Stück über die Hamiltons kehre ich dann nach Connecticut zurück, zu der Freundin, der Heirat und der Abreise nach Kalifornien.
6. März, Dienstag Da bin ich wieder. Geschlafen habe ich nicht, aber ich fühle mich wohl. Und ich weiß nicht einmal, warum ich nicht schlafen konnte. Gefehlt hat mir nichts. Konnte mich einfach vom Bewußtsein nicht trennen. Komische Sache. Besser früh anfangen heute, weil die Müdigkeit oft hemmend wirkt. Und ich möchte heute ein gutes Stück einbringen – vielleicht sogar das Kapitel beenden –, aber darauf baue ich nicht. Alles in diesem Buch kommt größer heraus, als ich vorgesehen hatte. Das, was nun kommt, habe ich wohl bereits vermerkt. Muß nachschlagen, um zu sehen, ob eine Nacht des Überdenkens. […] Also, einmal auf die Toilette, und dann an die Arbeit. Einiges geschrieben, aber es geht etwas langsam heute, was Wunder. Ich lasse mir Zeit mit diesem Buch – vielleicht zuviel Zeit. Das wird sich zeigen. Es ist ja 45
sonderbar, was man aufschreibt. Und merkwürdig, woran man sich erinnert. Man erinnert sich wohl einfach an das, woran man sich zu seinem eigenen Vorteil erinnern will. Und wenn sich das so verhält, warum soll ich es nicht in einem Buch sagen? Ich soll und will es. Ein Buch – wenigstens diese Art von Buch, wie ich es schreibe – sollte nämlich alles enthalten, was mir wahr scheint. Es gibt wenig genug Wahres auf der Welt. Da wäre es geradezu sündhaft, etwas davon zu verheimlichen oder durch erzählerische Mittel zu verschleiern, aus falscher Bescheidenheit, um nicht selber in seinem eigenen Buch aufzutreten. Jahrelang bin ich in meinen Arbeiten nicht hervorgetreten. Aber das war nur scheinbar so – ich stecke ja überall drin. Es sah bloß nicht so aus. Bei diesem Buch hingegen will ich keinen Augenblick so tun, als sei ich nicht vorhanden. Indessen komme ich heute sehr langsam voran, sehr langsam. Ich koste jede Silbe aus. Manchmal finde ich, es sei besser so, aber Selbstverweichlichung ist es doch, ganz gleich, was ich sage, oder was sonst jemand sagt. Und weißt Du, Pat, warum mir dieses Buch so viel Vergnügen macht? Weil es kein Ende hat. Es zieht sich immer weiter dahin, bis ins Unendliche. Und wenn ein Buch kein Ende hat, nützt es nichts, es möglichst schnell beenden zu wollen. Obwohl mein Tagespensum etwas über dem liegt, was mir lieb ist, komme ich doch nirgends hin. Und dabei soll es auch bleiben. Du wirst diese Einstellung verfluchen, weil Du so nicht kalkulieren kannst, aber es soll trotzdem dabei bleiben. 46
Und damit ist mein Tagewerk für heute getan. Ich dachte, ich könnte vielleicht mit dem Kapitel fertig werden, aber das wird noch mehrere Arbeitsstunden beanspruchen. Es ist ein sehr langes Kapitel, aber ich glaube, alle diese Kapitel werden lang. Eines ist sicher – dieses Notizbuch wird nicht den ganzen Roman fassen. Vielleicht nicht einmal zwei davon, wo ich doch nur jede zweite Seite benutze. Das geschieht, weil die linke Seite unbequem ist zum Schreiben, und so [bricht hier ab]
7. März, Mittwoch Mit dem Kapitel sollte ich heute ohne weiteres fertig werden. Es ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Gestern der symbolische Brudermord. Bleibt noch die Anwerbung zum Militär und die letzte Nacht bei Alice. Aber da ist noch anderes. Das Kapitel soll einen guten Schluß haben. Die anderen sind nicht so fest umrissen. Aber ich habe es gern, wenn ein Kapitel einen bestimmten Ton hat, nicht nur eine bestimmte Form. Ein Kapitel sollte eine lebendige Zelle im ganzen Buch darstellen und fast für sich allein Bestand haben. Auf diese Art sind die Einheiten, die wir Kapitel nennen, nicht willkürlich, vielmehr eine Gliederung, die dem Ganzen freie Beweglichkeit verschafft. Du wirst wohl feststellen, daß das Thema allmählich hervortritt. Das mußte von langer Hand vorbereitet werden. Es wird immer wieder hervortreten, aber diesmal nur flüchtig. Dieser Brief auf lange Sicht hat 47
eine merkwürdige Wirkung auf mich. Mir ist immer, du hättest die früheren bereits gelesen, was nicht der Fall ist. Die Geschenke, die Kain und Abel ihrem Vater bringen, und wie er das eine zurückweist und das andere annimmt, das wird für Dich eine gewisse Bedeutung haben. Aber ich frage mich, ob man es allgemein verstehen wird. Das wird sich zeigen.
8. März, Donnerstag Wir kehren nun ins Salinas-Tal zurück und zu den Jungen. Dabei muß sich die Form des Buches zum erstenmal bewähren, weil sich damit das Verfahren zum erstenmal wiederholt. Das erstemal ist es so etwas wie eine Überraschung. Beim nächstenmal sollte es ein Wiedersehen sein, und danach sollte die Form so natürlich wirken, daß man sich gar nicht vorstellen kann, wie sie anders sein könnte. Hoffentlich hat Dir der Schluß des zweiten Kapitels gefallen.* In gewissem Sinne ist er schrecklich. Und jetzt kehre ich also zu den Hamiltons zurück und zu meinen Jungen. Es ist eigenartig, daß dies gerade heute geschieht. Gwyn hat mich gestern angerufen, um mir zu sagen, Tom weigere sich, zur Schule zu gehen, er sträube sich mit Händen und Füßen, behaupte, er habe den Bus verpaßt. Als die beiden letzte Woche bei mir übernachteten, merkte ich, daß mit Tom etwas nicht stimmt. Es hat sicher damit zu tun, daß er sich ver* Viertes Kapitel 48
worfen vorkommt – ungeliebt. […] Ich werde übers Wochenende mit ihm aufs Land hinausfahren, um zu sehen, ob ich ihm helfen kann. Ich will mit ihm reden, vor allem aber möchte ich, daß er selber redet – ohne daß sein Bruder dabei ist. Er kommt wohl gegen seinen Bruder nicht auf und fühlt sich benachteiligt. Wenn ich also im Buch zu den Jungen zurückkehre, ist das beinahe, als rede ich mit Tom. Es wird wohl allmählich Zeit, einen Teil des Manuskripts abtippen zu lassen. Jean Ainsworth* hat sich anerboten, es zu tun. Sie behauptet, sie könne meine Schrift lesen. Und bei diesem Entwurf macht es natürlich nicht viel aus, wenn Wörter vorkommen, die sie nicht lesen kann. Die Abschrift dient ohnehin nur zur Korrektur. Die Geschichte kommt voran, aber rasch wird sie nie vorankommen. Das entspricht nicht meiner Absicht. Sie hat einen langen Atem, und ich werde dafür sorgen, daß es dabei bleibt. Du wirst etwa in zwei Wochen von Deiner Reise nach Kalifornien zurück sein, und wenn ich im gegenwärtigen Tempo weitermachen kann und nichts dazwischenkommt, sollte ich bis dahin etwa hundert maschinegeschriebene Seiten fertig haben. Ich bin natürlich nicht sicher, aber gegenwärtig sollten es ungefähr sechzig sein, genau läßt sich das nicht sagen. Eine geschriebene Seite ergibt wohl etwa zweieinhalb Maschinenseiten, außer wenn eine Menge Dialog vorkommt, in dem Fall sind es drei für eine. Bisher kam * Eine von Steinbecks Nichten 49
aber noch nicht viel Dialog vor, höchstens ausnahmsweise. Mit der Zeit wird es mehr Dialog geben. Du weißt so genau wie ich, daß es diesem Buch bei den Rezensenten so ergehen wird wie allen anderen, und aus demselben Grund. Es wird nicht sein, was man erwartet, und so wird es den Erwartern mißfallen. Und bis es Lesern in die Hände gerät, die nichts erwarten und sich einfach der Geschichte anvertrauen, wird wohl niemand etwas damit anfangen können. Es ist wirklich Zeit, daß ich mich an die Arbeit mache.
12. März, Montag Eine neue Woche. Das Wochenende haben wir bei Meredith* auf dem Land verbracht. Windig und kalt, aber geruhsam. Wir nahmen Tom mit. Gwyn fand, er habe eine Predigt nötig, was den Schulbesuch betrifft. Er hat mehr nötig. Was er braucht, ist unendliche Geduld und eine feste Hand. Elaine hat ihm Unterricht gegeben, der Wunder wirkte. Unter besseren Verhältnissen würden seine Hemmungen rasch verschwinden. Hiermit beginnt eine neue Arbeitswoche. Hoffentlich eine gute. In das Hamilton-Kapitel habe ich einiges von den Trasks hineingearbeitet. Und falls es Dir noch nicht aufgefallen ist, dieses Vorgehen ermöglicht mir allerhand Beschreibungen, Einschiebsel, Erklärungen usw., ohne pedantisch zu wirken. * Burgess Meredith, der Schauspieler und Regisseur. 50
Vielleicht bin ich pedantisch, gebe mir aber Mühe, es nicht zu sein. Das Buch muß etwas Selbstverständliches und Unverkrampftes haben. Natürlich ändern sich die Menschen in einem Buch. So sehe ich mich gezwungen, den Namen Carl Trasks zu ändern, aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Sein symbolischer Charakter hat sich einigermaßen geändert, das ist wohl der Hauptgrund. Und ich möchte, daß das Buch so vollkommen wie möglich ist, es darf aber auch einige der Unvollkommenheiten seines Gegenstands haben – des Menschen. Natürlich wird es auch andere Unzulänglichkeiten aufweisen, aber sie sollen womöglich dem Gegenstand angepaßt sein wie eiserne Reifen einem Rad – aufgetrieben und endgültig. Weißt Du, wie das geschieht, Pat? Eigentlich solltest Du es wissen. Vielleicht werde ich es Dir sagen. Es kommt darauf an, ob das Buch es erfordert. Jetzt habe ich aber genug auf dieser Seite geschrieben und will zu meiner Geschichte zurück, um zu sehen, was sich damit anfangen läßt. Es ist ohnehin höchste Zeit. Ich bin mit einem schwierigen Teil fertig geworden. Die Schwierigkeit bestand darin, Geschichtliches einzuflechten, und zwar so, daß es wie ein Gespräch wirkt, und gleichzeitig auf ein Verständnis der beteiligten Charaktere hinzuarbeiten, wenigstens die Grundfragen dieser Charaktere aufzuwerfen. Und da es sich dabei eigentlich um Symbolgestalten handelt, muß ich sie als Menschen doppelt verständlich machen, abgesehen von ihrem Symbolcharakter. Ein Symbol 51
ist gewissermaßen ein Teil einer Gleichung – eine Teilansicht, die das Ganze erhellen soll. Das Symbol ist nie das Ganze; es ist eine Art psychologischer Zeichensprache. Doch in diesem Buch, das Auge und Herz und schließlich auch den Verstand wie gelebtes Leben ansprechen soll, möchte ich meine Symbolgestalten mit genügend Leben ausstatten, daß das Symbol erkennbar wird, aber nicht aufdringlich. Die Sache mit Adam Trask ist so gut wie fertig, aber ich möchte dem Ganzen noch mit einem Brief den richtigen Abschluß geben. Schon wieder ein Tagespensum erledigt. Hoffentlich findest Du Gefallen daran. Es steckt allerhand darin.
13. März, Dienstag Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen draußen. Ist es nicht eigenartig, daß ich jetzt das Buch als das Drinnen betrachte und die Welt als das Draußen? Solange sich das so verhält, ist das Buch sicher, und das Draußen kann ihm nichts anhaben. Ich muß dafür sorgen, daß es dabei bleibt, indem ich keine Zeit verstreichen lasse, ohne daran zu arbeiten. Die Vorstellung, daß ich nie damit fertig werde, und es zum Stillstand kommen lasse, das sind nämlich zwei ganz verschiedene Dinge. Gestern ging es mir etwas zu rasch. Heute vielleicht etwas zu langsam, aber das ist unerheblich, wenn es jeden Tag auch nur ein bißchen vorankommt. Bisher habe ich das Wochenende zur 52
Erholung bestimmt; ob das wohl gut war? Ich glaube, von jetzt an werde ich auch am Samstag etwas schreiben, und wenn es nur ein Abschnitt ist. Zwei Tage, das ist zu lang, um das Buch ruhen zu lassen. Ein Tag schadet nichts. Ich glaube, ich versuche es einmal damit. Auch nur ein Abschnitt bedeutet Umgang mit dem Buch und ist besser als nichts. Versuchen wir’s. Der Brief* von Charles an Adam ist äußerst knifflig und enthält, versteckt, den Schlüssel zu allerhand. Ich empfehle Dir, ihn sehr genau zu lesen – sehr genau, weil Dir sonst allerhand entgeht, worauf Du dann erst viel später kommen wirst. Ich weiß zwar nicht, warum ich Dir das einschärfe, wo Du doch sicher alles sehr sorgfältig lesen wirst, so sorgfältig wie ich es niederschreibe. Zuweilen vielleicht allzu genau. Aber das ist wohl gar nicht möglich. Und vermutlich werden die feinen Zusammenhänge früher oder später jedem klar, nur den Rezensenten nicht.
14. März, Mittwoch Gestern ist nicht viel entstanden, und heute wird es wohl dasselbe sein. Die Außenwelt mischt sich ein. Das ist unvermeidlich. Deshalb brauche ich so viel Spielraum für dieses Buch. Um was es sich bei diesen Zwischenfällen handelt, gehört nicht in diese Aufzeichnungen. Ich muß versuchen, wieder in das Buch * Am Ende des vierten Kapitels im Roman 53
hineinzukommen, obwohl ich innerlich ganz zerrissen bin. Es fällt mir heute schwer, mich zu sammeln, aber ich muß es versuchen. Ich muß über Zwischenfälle erhaben sein und vor allem mich nicht mit ärgerlichen Dingen beschäftigen, bevor sie eintreten. Es ist eine meiner schlechtesten Gewohnheiten, Schwierigkeiten vorwegzunehmen und sie in Gedanken bereits zu erleben. Wenn sie dann eintreten, muß ich sie nochmals erleben, und falls sie nicht eintreten, habe ich mich überflüssigerweise geärgert. Ich kenne diese meine Gewohnheit. Letzten Sommer hat Marge Benchley* mich auf diesen leidigen Hang aufmerksam gemacht, und Elaine seither schon oft. Ich muß ständig davor auf der Hut sein; ich bin wohl, was man einen Sorgenpeter nennt. Heute erhielt ich die Mitteilung, daß Du in San Francisco den jungen Ed Ricketts** getroffen und mit ihm gesprochen hast. Wenn ich Deinen Reiseplan finde, schreibe ich Dir eine Karte. Ja, ich habe ihn gefunden und gesehen, daß Du morgen von Hollywood abreisen willst, ich werde Dir deshalb eine Karte nach Chicago schicken; vielleicht findest Du sie bei Deiner Ankunft dort bereits vor. * Nathaniel Benchleys Gattin. ** Sohn des mit Steinbeck befreundeten Meeresbiologen in Pacific Grove, Kalifornien, »Doc« in ›Straße der Ölsardinen‹. Steinbeck und Ricketts sen. hatten miteinander eine Expedition im Golf von Kalifornien unternommen, aus der das von ihnen gemeinsam verfaßte Werk ›Sea of Cortez‹ (Logbuch, 1941) hervorging.
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15. März, Donnerstag Stand heute sehr früh auf, obwohl ich bis halb drei damit beschäftigt gewesen war, den Teppich im Flur zu verlegen. Es kam mich hart an, weil ich sehr schläfrig war, doch mit der Zeit ging es besser. Die Zwischenfälle, von denen ich sprach, sind beigelegt, und ich wollte mich richtig in die Arbeit hineinknien. Das habe ich auch getan, und nun habe ich mein Tagewerk hinter mir. Eine Geschichte, die von selber weitergeht, hat nur einen Haken. Ereignisse, die eintreten, bewirken jeweils, daß man zurückblättern muß, um Verbesserungen und Änderungen anzubringen, damit beides übereinstimmt. Es ist eine höchst eigenwillige Geschichte, Pat. Sie setzt sich etwas in den Kopf und geht dann selbständig weiter, was für mich manchmal sehr lehrreich ist. Ich bin gespannt, ob Du sie langsam, im Sinne von langweilig, findest. Das Tempo ist sicher langsam. Und nun werde ich unten im Haus noch einiges erledigen und dann vielleicht spazieren gehen. Du triffst wohl heute in Chicago ein.
16. März, Freitag Eine gute Woche kann man es nicht nennen, aber ich tue, was ich kann. Und mit dem Buch geht es langsam, aber stetig vorwärts. Es geht wenigstens nicht rückwärts, das muß man ihm lassen. Spannend ist es nicht und soll es auch nicht sein. Dir als Lektor ist das vielleicht nicht lieb, weil die Leute schließlich 55
straffe und ständige Handlung erwarten. Es ist wie mit dem Theater von heute. Wenn da nicht ständig geschrien und herumgesprungen wird, gefällt es den Leuten nicht. Kein Mensch weiß mehr, was zuhören heißt. Vielleicht hat man es überhaupt nie gewußt. Die Bücher, die man heute bewundert, wurden zu ihrer Zeit keineswegs bewundert. Bei dem heute so bewunderten ›Moby Dick‹ dauerte es, soviel ich weiß, zehn Jahre, bis die erste kleine Auflage verkauft war. Und bei diesem Buch wird es noch schlimmer sein. Es wird als altmodisch und als alte Schule gelten. In gewissem Sinne ist es das auch – man muß genau hinschauen, um zu entdecken, was neu daran ist. Sein Tempo ist eher das eines Romans von Fielding als von Hemingway. Den Hemingway-Liebhabern wird es nicht gefallen. Du weißt doch, die Leute, namentlich junge Leute, haben nur eine einzige Art von Buch gern. Mehr als eine gern zu haben, ist ihnen nicht gegeben. Das war früher auch mein Fehler. Das Wochenende steht bevor. Für mich ist es eine kurze Woche gewesen. So vieles hat sich außerhalb des Buches ereignet, was sich nicht ändern ließ. Hoffentlich ist die nächste Woche weniger ereignisreich. Selbst Kleinigkeiten bringen mich aus der Fassung. Heute abend gehen wir ins Theater, während Waverly eine Party für Tausende von Teenagern gibt. Da ist es wohl gut, daß wir ins Theater gehen, und außerdem will das Jungvolk uns ebensowenig dabei haben, wie wir dabei sein wollen. 56
März ist der Monat, vor dem meine Mutter immer Angst hatte. Sie hielt gewissermaßen den Atem an, bis er jeweils vorbei war. Alles Schlimme nämlich passierte unserer Familie immer im März. Sie selber allerdings überstand den März und starb im April. Aber zeit ihres Lebens haßte sie den März. Ich kann nichts Ungewöhnliches dabei finden. Der März ist nun einmal ein zappliger Monat, weder Winter noch Frühling, und der Wind macht die Menschen nervös. Nun heißt es an die Arbeit gehen.
19. März, Montag Also das war ein großes Wochenende. Waverly hatte am Freitag ihre große Party – etwa fünfundzwanzig Kinderchen –, und neun der Mädchen übernachteten bei uns. Sie verhielten sich aber sehr brav, und es gab keinen Ärger. Wir sahen uns ›Die tätowierte Rose‹ an und waren sehr zufrieden damit. Ich habe eine ärgerliche Magenverstimmung. Hat wohl mit der Galle zu tun. Es wird vorübergehen, läßt sich aber nicht gut ignorieren, weil ich in lausiger Verfassung bin. Heute muß ich an diesem Buch arbeiten, und dann obendrein noch die letzte Szene im ›Zapata‹* umgestalten;
* Steinbeck hatte den Auftrag erhalten, ein Drehbuch über das Leben Emiliano Zapatas, des mexikanischen Revolutionärs, zu verfassen. Annie Laurie Williams, bei McIntosh & Otis, war seine Agentin für die Verfilmungs- und Bühnenrechte all seiner Werke.
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ich wollte deshalb, ich wäre in besserer Verfassung. Annie Laurie wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Ich wollte sie besuchen, komme aber nicht dazu – zuviel Arbeit. Erhielt heute Karten von Dir und von Dorothy*. Du mußt aber schon einige Tage in Chicago sein. Morgen solltest Du wieder hier sein, oder heute schon? Ich weiß nicht, wieviel Erfindungsgeist ich heute bei meiner Magenverstimmung aufbringe, will aber tun, was ich kann. Mehr kann ich ohnehin nicht tun. Ich bin immer noch an den Hamiltons, noch für mehrere Tage, aber das dritte Kapitel** sollte diese Woche fertig werden. Mir ist heute wirklich ganz wirblig im Kopf. Hoffentlich ist es nicht diese Darmgrippe, die gegenwärtig umgeht. Ich kann mich nicht beklagen, ich bin schon lange nicht mehr krank gewesen. Von mir aus kann das so bleiben. Aber heute stimmt wirklich etwas nicht. Mit der Zeit wird es vorübergehen. Bestimmt. Das ist immer so. Sonst bin ich eigentlich ununterbrochen gesund gewesen, wofür ich gebührend dankbar bin. Nun zurück zum Buch. Es wird Dir nicht entgangen sein, daß ich durch gemächliches Anhäufen von Einzelzügen einen Eindruck nicht so sehr vom äußeren Leben der Gegend als vielmehr vom inneren Leben zu vermitteln suche – vom Gedankenleben – der Gemütsverfassung. Mit der Zeit kommt dann schon * Pascal Covicis Gattin ** Fünftes Kapitel. 58
noch mehr vom äußeren Leben dazu. Ich finde aber, es ist wichtig, den Seelenzustand des Tals zu schildern. Was hältst Du davon?
20. März, Dienstag Wie ich wohl schon gestern bemerkte, solltest Du heute aus Chicago zurück sein, aber vielleicht bleibst Du noch. Wer weiß, Du wirst mich wohl anrufen. Heute herrscht Flaute. Aber wenn schon. Bisher kann ich mich nicht beklagen. Ich kann bei diesem Buch von Glück sagen. Flaue Tage wird es wohl von Zeit zu Zeit geben, aber ich bin froh, daß die Arbeit mir offenbar leicht von der Hand geht. Du wirst nicht verkennen, daß die Hamilton-Teile viel schwieriger sind als die Trask-Teile. Bei den TraskKapiteln verläuft die Handlung chronologisch, während die Hamilton-Kapitel, als Kontrapunkt gedacht, sich aus einer Unzahl kleiner Stücke zusammensetzen. Auch springe ich bei den Hamilton-Teilen mit der Zeitfolge ganz beliebig um. Durch dieses Verfahren hoffe ich eine Lebenswahrheit zu erzielen, die bei geradliniger Erzählung unmöglich ist. Aber herrje, wenn ich daran denke, was die Kritik dazu sagen wird! Der nicht allzu sorgfältige Kritiker wird sich auf mein sorgfältig ausgearbeitetes Verfahren stürzen und es als Schlamperei bezeichnen. Es ist eben nicht auf den ersten Blick ersichtlich und verständlich. Das Buch ist, wie bereits bemerkt, weder neuartig noch altmodisch; es ist das, was sich mir aus der ganzen Literatur 59
ergeben hat und was ich selber dazugetan habe. Jetzt, aus mir unerfindlichem Grund, ist die Flaute vorüber. Das Tagesgeschehen – eine neue Rubrik, um die Arbeit an diesem Buch mit der Außenwelt gleichzuschalten, die mir manchmal etwas unwirklich wird. Der Kefauver-Ausschuß hat Zeugen angehört in Sachen Regierung und Verbrechen. Im Fernsehen übertragen und sehr beliebt. Gestern trat O’Dwyer als Zeuge auf, der frühere Bürgermeister, jetzt Botschafter. Das Ganze gewissermaßen ein Elfentanz. Jeder lügt, und jeder weiß, daß jeder lügt. Ein paar untergeordneten Beamten wird es an den Kragen gehen. Heute vormittag hat der Schuman-Plan angefangen, zur Unterschrift reihum zu gehen. Damit beginnt sich etwas Kommendes abzuzeichnen – der Überstaat. Die Leute, vor allem unsere Geschäftsleute, fürchten sich vor dem Kommunismus. Nun paß auf, was ich Dir weissage – das sogenannte kommunistische System wird zusammenbrechen und sich in entsetzlichen Bürgerkriegen selbst zerstören, weil es auf die Dauer nicht lebensfähig ist. Es wird infolge seiner eigenen Materialfehler zerspringen. Der SchumanPlan hingegen ist ein lebensfähiges System. Die Geschäftswelt, die so am Status quo hängt, hat vom Kommunismus wenig zu befürchten. Der SchumanPlan ist es, der die Welt verändern wird. Ich glaube nicht, daß Amerika gegen diese neue Form eines staatlich überwachten Kartells aufkommen kann. Wir werden es entweder bekämpfen oder ihm beitreten müssen, und wenn wir ihm beitreten, dann ist die 60
Weltregierung da. Wenn wir es bekämpfen, werden wir unterliegen. Ich habe schon immer behauptet, die politische Weltregierung werde hinter der wirtschaftlichen herhinken. Die Vereinten Nationen suchen diesen Vorgang umzukehren, was meines Erachtens nicht geht. (Ende der Weissagung.) Weiterhin – es bestehen Anzeichen, daß der Sowjetstaat und seine Satelliten innere Schwierigkeiten haben. Der Zeitpunkt sollte günstig sein, dem etwas nachzuhelfen, indem wir mit Andersdenkenden – tatsächlich oder scheinbar – Abkommen treffen. Hierin, Pat, liegt unsere einzige Kriegsgefahr. Falls die Sowjetunion in leidlich guter Verfassung ist, wird sie keinen Krieg wollen. Falls aber die Regierung im Kreml gefährdet ist, könnte sie in einen Krieg eintreten, um sich an der Macht zu erhalten, obwohl sie sich dabei möglicherweise selbst das Grab schaufeln würde. Und das dürfte Dich eine Zeitlang beschäftigen.
21. März, Mittwoch Lieber Pat! Frühlingsanfang, und Du bist noch nicht zurück. Jedenfalls hast Du nicht angerufen. Way* ist heute am Packen. Sie fährt heute abend nach Kalifornien. Ich hoffe, mit meinem Buch ein gutes Stück vorwärtszukommen. Allerdings kann ich wahrheitsgemäß erklären, daß ich mit dem bisherigen Fortschreiten des Buches zufrieden bin. Täglich entstehen * Waverly Scott 61
fünf bis sieben Seiten Maschinenschrift, und ausgelassen habe ich nur wenige Tage. Rascher darf es gar nicht gehen. Ich möchte ein ganzes Jahr darauf verwenden. Kürzlich ist mir eine Ankündigung des Verlags zu Gesicht gekommen, wonach dieser mit einer Ablieferung im Herbst rechnet. Das wird nicht stattfinden. Dazu ist es viel zuviel. Bisher habe ich 35 handgeschriebene Seiten, wahrscheinlich 90 Seiten Maschinenschrift. Und die ersten hundert Seiten werde ich bestimmt diese Woche überschreiten. Aber das will nicht viel heißen bei einem Buch, das sechsoder siebenhundert Seiten lang wird. Das ist erst der Anfang. Jean Ainsworth wird nächste Woche damit beginnen, von dem Entwurf auf der Maschine eine vorläufige Abschrift herzustellen. Das ist ein weiterer Grund, warum das Buch lange brauchen wird: Ich werde es viel sorgfältiger überarbeiten als alles, was ich bisher gemacht habe. Das Buch ist mir äußerst wichtig. Ich werde auf das Geschriebene erst zurückkommen, wenn das Ganze fertig ist, aber dann wird es gründlich überholt werden. Darauf muß ich bestehen. Es ist mein großes Buch. Und es muß ein großes Buch werden, und weil es der Form nach etwas Neues, wenn auch dem Tempo nach altmodisch ist, muß es in allen Einzelheiten stimmen. Ganz gleich, wie lange ich brauche, um das hinzukriegen, damit ist es mir Ernst. Man kann sich nicht zeit seines Lebens auf etwas vorbereiten und es dann zu kurz kommen lassen, weil man es in aller Eile fertig haben will. Punktum. Tu Dich inzwischen lieber nach einem weiteren 62
Notizbuch für mich um, weil dieses da höchstens noch zwei Monate lang vorhalten wird, da ich doch nur jede zweite Seite benütze. Voraussichtlich wird es rund hundertzehntausend Wörter Text enthalten, das heißt ungefähr die Hälfte des Romans. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Dabei fallen etwa sechzig Arbeitstage aus, und selbstverständlich werden auch sonst noch Tage verloren gehen, außer dem Wochenende. Wenn nichts dazwischen kommt, sollte die erste Hälfte des Romans bis Anfang Juli unter Dach sein. Eigentlich liegen mir solche Berechnungen nicht. Es ist mir einerlei, wann die erste Hälfte fertig wird. Ich will Dir damit nur einen Begriff davon geben, wie es gegenwärtig damit vorwärtsgeht. Das kann sich beschleunigen oder verlangsamen, je nachdem. Sieh nur zu, daß Du auf den ersten Juli ein neues Notizbuch für mich hast. Du wirst sagen, ich vergeude eine Menge Zeit mit diesen Aufzeichnungen für Dich, aber das ist ja nur die Vorwärmezeit. Es ist die Zeit, wo ich meine Gedanken sammle, und das muß auch sein. Ich muß offenbar Zeit mit irgendwelchem Geschreibsel verplempern, bevor ich mich an die Arbeit mache. Doch wenn das Plempern in dieser Form stattfindet, entferne ich mich wenigstens nicht von meiner Geschichte. Mit anderem Geschreibsel käme ich nur auf Abwege. Meine Gedanken sind ruhelos und machen Sprünge wie Heuschrecken. So soll es also dabei bleiben. Einen guten Teil meines heutigen Pensums habe ich mir bereits zurechtgelegt. Es gehört in eines der Kapitel für meine Jungen und 63
handelt von der Jahrhundertwende. Darüber habe ich mir schon viel Gedanken gemacht, deren Ergebnis ich rein stimmungsmäßig fassen will. Eigentlich sollte das ein eigenes Kapitel haben, da ich aber den abwechselnden Ton beibehalten will, werde ich eine Unterabteilung unter III daraus machen. Auf diese Art werden die Dinge gut auseinandergehalten. Genug geplempert. Ich habe Dein Büro angerufen, und Du bist noch nicht zurück. Wo zum Teufel steckst Du eigentlich?
Immer noch 21. März, Mittwoch Also das war ein zähes Stück. Hoffentlich ist es gut. Es ist jedenfalls ganz anders. Eine geballte Ladung. Ich habe Dir gesagt, ich wolle es mit Gefühl laden. Ob mir das gelungen ist? Wie soll ich das wissen. Ich habe es noch niemand vorgelesen. Vielleicht lese ich es morgen Elaine vor. Sie wird es merken. Ich suche kontrapunktisch ein Stück Lyrik einzusetzen, unmittelbar vor der herben Prosa, die bevorsteht. Alles in diesem Buch muß ausgewogen sein. Und damit genug für heute.
22. März, Donnerstag Du bist also wieder zurück, und zwar am selben Tag, an dem ich mit dem vierten Kapitel beginne*. Und * Das vierte Kapitel, stark abgeändert, wurde zum sechsten bis elften Kapitel.
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Du willst heute nachmittag herüberkommen. Das ist gut. Ich freue mich darauf. Gestern abend habe ich Elaine das Hamilton-Kapitel und die Verbindungsstücke b und c vorgelesen, und sie sagte, sie finde sie gut. Hoffentlich findest Du das auch. Sie sind eigenartig und vielleicht für manche Leser unverdaulich, aber sie können nicht anders sein. Und nun, Pat, mache ich mich an das vierte Kapitel. Ach ja, ich habe eben nachgeblättert und gesehen, wie verschieden meine Handschrift von Tag zu Tag ist. Ich glaube, ich schreibe heute viel schneller als gestern. Das bringt eine gewisse Schärfe mit sich. Auch habe ich eine neue Bleistiftsorte gefunden – die beste, die ich je gehabt habe. Natürlich kostet sie auch dreimal so viel; der Stift ist schwarz und weich, bricht aber nicht ab. Ich glaube, ich werde keine anderen mehr verwenden. Sie heißen Blackwings und flitzen nur so über das Papier hin. Junge, Junge, die werden noch mächtig zu flitzen haben, bevor ich fertig bin. Und nun an die Arbeit. Im vierten Kapitel kehre ich nach Connecticut und zu den Trasks zurück. Es ist ein sehr langes Kapitel – wie die meisten fast ein kleiner Roman. Und es schillert in allen Farben und Vergleichen. Hier ist eine ungefähre Inhaltsangabe: Adam kehrt nach Hause zurück. Sein Vater ist zur selben Zeit gestorben, als er aus dem Heer entlassen wurde. Der Vater hat Geld hinterlassen, $ 20 000, und er konnte das Geld unmöglich erhalten haben. Mit je $ 10 000 sind die Brüder für jene Zeit reich. Charles hat unterdessen ein 65
Mädchen namens Amy geheiratet. Dann ist da die Sache mit dem Mädchen, das nachts ins Haus kommt. Adam verliebt sich, obwohl er gewarnt wird, sogar von dem Mädchen selber. Er hört einfach nicht hin. Er macht ihr einen Heiratsantrag. Charles warnt ihn, und als Adam nicht mit sich reden läßt, macht er ihm den Vorschlag, ihm seine Hälfte des Bauerngutes abzukaufen. Adam lehnt ab, und dann kommt die schreckliche Sache mit seiner Vertreibung. So kommt Adam dazu, sich auf den Weg nach Kalifornien zu machen. Der Wechsel von großen Zeitbrocken zu eingehender Behandlung wird Dir nicht entgehen. Vielleicht muß ich innerhalb der Kapitel Unterabteilungen finden für den Wechsel von Zeit und Schauplatz, aber das sind einfache handwerkliche Dinge, die keine Schwierigkeit bereiten. Doch nun an die Arbeit, und wir wollen sehen, wie es geht.
23. März, Karfreitag Du kommst heute herüber, um uns beim Färben der Ostereier zuzuschauen. Es ist eine komische Sache, gestern hatte ich das Gefühl, die Arbeit werde mir sehr leicht fallen. Und stell Dir vor, es wurde halb sieben, bis ich fertig war mit dem, was ich vorhatte. Man kann einfach nie wissen, ob es mit einer Sache klappt, und ob es einem leicht oder schwer fallen wird. Immer wieder läßt man sich täuschen. Heute stehe ich unter Druck. Ich will früh Feierabend machen und die Jungen abholen. Dabei hasse ich es, 66
unter Druck zu arbeiten, aber was willst Du. Morgen fahre ich nach Long Island und übernachte dort. Aber das Notizbuch hier nehme ich auf alle Fälle mit. Hoffentlich findest Du den Vorfall mit der verschrammten Stirn nicht abstoßend. Sie wird als Symbol in verschiedener Form immer wieder auftauchen. Und was bedeutet es? Ach, ich könnte es Dir sagen, die Verstümmelten, die Gezeichneten, die Schuldigen – all das, die Unzulänglichen. Es ist etwas, das einen verfolgt. Aber dergleichen kommt in meinem Buch viel vor. Heute will ich sehen, daß Adam nach Hause kommt, wenn es geht, und es wird gehen. Weißt Du, ich bin eigentlich dumm. Seit Jahren suche ich den vollkommenen Bleistift. Ich habe sehr gute gefunden, aber den vollkommenen noch nie. Und dabei lag es gar nicht an den Bleistiften, sondern an mir. Ein Bleistift, der an gewissen Tagen der richtige ist, taugt an einem anderen Tag nichts. Gestern zum Beispiel verwendete ich einen besonderen Bleistift, weich und wunderbar, und er schwebte nur so übers Papier. So versuche ich es heute vormittag wieder mit derselben Sorte. Und sie brechen mir ab. Die Spitzen brechen ab, und der Teufel ist los. Heute ist so ein Tag, wo ich auf das Papier lossteche. Ich brauche heute also einen härteren Bleistift, wenigstens vorläufig. Ich verwende welche, die mit 2 ½ beziffert sind. Du weißt doch, ich habe da dieses Tablett aus Plastik mit drei Sorten von Bleistiften für hartschreibende und weichschreibende Tage. Nur wechselt das manchmal mitten am Tag, aber ich bin wenigstens 67
ausgerüstet. Auch habe ich einige extraweiche Bleistifte, die ich nicht sehr oft verwende, weil sie ein zartes Fingerspitzengefühl erfordern. Und dieses habe ich nicht sehr oft. Wenn ich es aber doch einmal habe, bin ich gewappnet. Es ist immer gut, gewappnet zu sein. Bleistifte verursachen mir große Unkosten, dessen bist Du Dir hoffentlich bewußt. Ich kaufe jeweils vier Dutzend auf einmal. Hintendran steckt in einer Blechhülse der Radiergummi, und wenn das Blech bei meiner gewöhnlichen Schreibhaltung die Hand berührt, entlasse ich den betreffenden Bleistift aus dem Dienst. Tom und Catbird kriegen ihn dann. Die brauchen auch Bleistifte. Sie brauchen eine Menge Bleistifte. Dann habe ich diese Sorte hier, die zu weich ist. Wenn Du so etwas siehst, ist jeweils die Spitze abgebrochen. Ich habe prächtige Marotten, faule und erfreuliche. Schließlich möchte jeder seine besondere Masche haben, und das hier ist meine Masche, dieses Bleistiftgetändel. Es ist eine verhältnismäßig harmlose Masche. Vielleicht habe ich noch andere, weniger harmlose. Der elektrische Bleistiftspitzer kommt Dir vielleicht überflüssig vor, aber ich brauche ihn die ganze Zeit und habe noch nie etwas gehabt, was mir nützlicher gewesen wäre. Bei meinem Verschleiß an Bleistiften (ich weiß nicht wie viele, mindestens sechzig pro Tag) würde es viel zu lange dauern, sie von Hand zu spitzen, und außerdem würde es meine Hand ermüden. Ich spitze sie am liebsten alle nacheinander, dann brauche ich mich den ganzen Tag nicht mehr damit zu befassen. 68
Du wirst sagen, für heute hätte ich jetzt genug Zeit verplempert, aber ich habe dabei noch etwas anderes fertiggebracht. Das Gefühl, unter Druck zu stehen, habe ich jetzt nicht mehr, und das ist genau, was ich bewirken wollte.
Immer noch 23. März, immer noch Karfreitag Heute will ich nur eine einzige Seite schreiben. Natürlich wird sie mehr Maschinenseiten als sonst ergeben, weil eine Menge Dialog vorkommt. Ich muß jetzt die Jungen holen und Ostereierfarbe kaufen und Schleckzeug, damit ihnen schlecht wird. Aber Du kommst ja am Nachmittag auch her. Ich werde Dir nichts vorlesen, aber Du kannst im Manuskript blättern, soviel Du willst. Und wann immer Du Lust hast. Es ist zwar nur ein Entwurf und bedarf noch gründlicher Überarbeitung, aber ich habe gar keine Scheu, es einem Fachmann in die Hände zu geben. Gott bewahre mich bloß vor Dilettanten. Sie wissen nicht, was sie lesen, aber das ist noch nicht das Schlimmste. Sie fangen sofort an, es zu bearbeiten. Das ist immer so, unfehlbar. Überhaupt, Dilettanten sind mir auf jedem Gebiet zuwider. Sie haben die Selbstsicherheit des Unwissenden, und dagegen kämpft man vergeblich an. Nun ist es aber Zeit, den Bleistift für heute hinzulegen, dabei hätte ich Lust, noch weiter zu arbeiten, weil sehr aufregende Dinge bevorstehen. Vielleicht kann ich heute abend noch etwas schreiben, wenn alle weg sind und wieder Ruhe herrscht im Haus. 69
24. März, Samstag Du bist also gestern hier gewesen. Wie Du weißt, war ich entschlossen, Dir nicht vorzulesen, als ich jedoch sah, wie Du Dich mit der Lupe abmühtest, konnte ich nicht anders. Ich habe Dir doch etwas vorzulesen versucht. Und Du hast gesagt, das Stück habe Dir gefallen. Jetzt ist Samstag. Sonst kein Arbeitstag, aber ich bin heute um halb sieben aufgestanden, weil ich genug geschlafen hatte. Auch mußte ich gestern mitten in einer Szene abbrechen. Ich möchte noch das Verhältnis der beiden Brüder anschließen. Und auch eine weitere Entdeckung. Was sie wohl bewirken wird? Es wird sich zeigen. Aber ich möchte allzu gern erleben, was geschieht, wenn die beiden jungen Männer plötzlich dem Gegenteil von all dem, woran sie bisher glaubten, gegenüberstehen. Es wird eine gewaltige Wirkung ausüben, eine beängstigende Wirkung. Warten wir ab.
Immer noch 24. März, Samstag Ich habe ein volles Pensum erledigt. Und schon wieder ein Tempowechsel. Hoffentlich gefällt es Dir. Es sind sicher einige Überraschungen für Dich darin, obwohl Du feststellen wirst, daß ich den Leser darauf vorbereitet habe.
26. März, Montag Eine neue Woche, und ich finde, der März ist ein sehr langer Monat. Dieses Jahr kommt er mir länger 70
vor als je zuvor, ich weiß nicht warum. Seit zwei Tagen herrscht bei mir völlige Flaute. Das muß wohl sein. Man kann nicht immer in Hochstimmung sein. Merkwürdigerweise ist das Buch trotz der inneren Flaute nicht zum Stillstand gekommen; es scheint offensichtlich ein selbständiges Dasein zu führen. Jetzt ist Montag, und eine Woche beginnt. Meine flaue Stimmung über das Wochenende war so arg, daß ich schon glaubte, ich sei krank. Doch keineswegs. Es ist nur meine manisch-depressive Veranlagung, die sich bemerkbar macht. Vielleicht ruf ich Dich heute an. Ich möchte gerne wissen, ob das, was ich Dir vorlese, bei Dir haftet. Elisabeth* sagt, bei ihr hafte es. Habe soeben mit Dir gesprochen, und Du sagst, bei Dir hafte es auch. Hoffentlich verhält es sich weiterhin so. Was mich besonders fasziniert, ist Adams Reaktion auf den Tod und Abfall seines Vaters. Du wirst finden, es sei schwer zu schlucken. Ich fand das ursprünglich auch, aber wenn man sich einmal damit abfindet, sieht man ein, daß es richtiger ist als die herkömmliche Behandlung. Ich finde seine Reaktion sogar höchst tiefgründig. Und laß Dir gesagt sein, Adam ist selber dafür verantwortlich. Ich habe es ihm nicht aufgenötigt. Es ist nichts Außergewöhnliches dabei, daß einer, der seinen Vater nicht mag, dennoch Vertrauen in ihn hat. Wir müssen uns das beide durch den Kopf gehen lassen, es steckt nämlich eine * Elisabeth Otis, seine langjährige literarische Agentin, Freundin und Vertraute.
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der großen Wahrheiten darin. Wenn Du es Dir überlegst, wirst Du sehen, lieben heißt sich in jemand hineinversetzen, und das schließt Eifersucht und Mißtrauen ein. Bedenke das. Vertrauen ist etwas ganz anderes. Liebe kann dem Vertrauen höchstens abträglich sein. Mach die Nutzanwendung davon im Großen. Wir mißtrauen unserer eigenen Regierung, die wir lieben, wir trauen ihr jede Art Verlogenheit und Machenschaft zu. Anderseits glaubt die Allgemeinheit, zu der wir gehören, unwillkürlich alles, was der Kreml sagt, und nimmt es für bare Münze. Ist da nicht etwas dran? Die Propaganda des Gegners scheint uns immer viel wahrer als die eigene. Es wird eine mächtige Arbeitswoche werden, das spüre ich. Vielleicht muß ich Adam am Ende der Woche auf den Weg nach Kalifornien bringen. Ich frage mich, warum ich an einem Tag wie dem heutigen, wo mir die Geschichte besonders klar vor Augen steht, eine jungfräuliche Scheu empfinde, mich an die Sache heranzuwagen. Ich möchte möglichst lange darüber nachdenken und sie im Kopf herumwälzen, bevor ich mich ans Schreiben mache. Heute glaube ich einen der Hauptgründe dafür zu erkennen. Das heutige Stück ist so wichtig, daß ich Angst davor habe. Es erfordert sprachlich und gedanklich die Verwendung der feinsten Rhythmen. Und ich weiß, was ich sage, das Denken hat nämlich so gut seinen Rhythmus wie das Dichten. Ich finde, beide sind eng verwandt. So schreibe ich mich nach zwei Tagen Arbeitspause auf dieser Seite warm, wie 72
ein Baseballspieler die Hände warm und geschmeidig reibt. Der Baseballspieler ist übrigens gar kein schlechter Vergleich, schließlich braucht er auch Gelenkigkeit und Einfühlung und Rhythmus, alles miteinander. Noch ein Abschnitt, und dann bin ich soweit. Ich halte mich ungern für anders als andere Leute, und doch sehe ich mich manchmal dazu genötigt. Ich kann mich der Tatsache nicht verschließen, daß ich für den Zeitvertreib, der andere befriedigt, nichts übrig habe – Sport, Kartenspiel, Glücksspiel, Tennis und Krockett. Ich habe im Grund nichts dagegen, es langweilt mich bloß und vermag mich nicht zu fesseln. Ich finde das betrüblich, weil ich wie jedermann sein möchte, genau wie ich beim Essen alles gleich gern haben möchte. Aber es läßt sich nun einmal nicht ändern. Ich kann mich einfach nicht dafür interessieren. Und damit genug.
26. März, Montag, Fortsetzung So – dieser Dialog wäre nun zu Papier gebracht.* Und da er zu den wichtigsten Dingen im Buch gehört, hoffe ich, er kommt deutlich über die Rampe. Der ganze Aufbau des Buches beruht weitgehend darauf. Das Verhältnis zwischen den Brüdern steht nun endlich und endgültig fest, aber wenn es nicht klar herauskommt, reden sie nur wirres Zeug. Ist das * Siebentes (drittes) Kapitel. 73
nicht aufregend? Sind es nicht wirklich lebendige Menschen? In solchen Fällen freue ich mich, Schriftsteller zu sein – wenn etwas wächst und erblüht, was ich bloß gepflanzt und eine Zeitlang gepflegt habe. Du wirst wissen wollen, was nun geschieht, aber ich werde es Dir nicht sagen. Es soll eine Überraschung sein. Eines will ich Dir indessen verraten – nach einem kurzen Verbindungsstück kommt eine neue Beziehung ins Spiel, und diese ist der Grund, warum Adam nach Kalifornien zieht. Ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauche, schließlich muß ich jetzt einen ganzen Charakter von Anfang neu aufbauen. Es ist eine Frau, und man muß sie kennenlernen, muß sie gründlich kennenlernen, stellt sie doch eine gewaltige Macht in dem Buch dar. Ihr Name ist Catherine oder Cathy – gibt Dir das einen Anhaltspunkt?
27. März, Dienstag Heute habe ich noch ein Verbindungsstück mit den Brüdern, und dann komme ich zu Cathy. Und Cathy ist eine Draufgängerin, vielleicht von Geburt an, vielleicht auch durch die Umstände bedingt, jedenfalls ist Cathy ihrem Wesen nach eine Dirne. Auch beruflich ist sie eine Dirne. Warum Adam sich in sie verlieben mußte, mag sich jeder selbst zurechtlegen, aber es geschah wohl, weil er seiner Erziehung nach unter einem strengen Meister sein Bestes gab und das nun einfach auf eine brutale Meisterin übertrug. Cathy hat es in sich, und ich werde wohl zurückgreifen und 74
sie ein bißchen entwickeln müssen, damit das, was sie später tut, glaubhaft wirkt. Gestern abend habe ich Elaine die letzte Szene vorgelesen, und sie sagte, sie gefalle ihr. Die Liebe als Gegensatz zum Vertrauen komme sehr deutlich zur Geltung, meinte sie. Weißt Du, Pat, es liegt mir nichts daran, ob man in diesem Punkt mit mir einverstanden ist, aber verstehen muß man es, bevor die Leidensgeschichte einsetzt. Ich weiß nicht, ob Dir in diesem Buch die Leute als Menschen gegenwärtig geworden sind. Es ist wichtig, weil die Menschen hier allmählich die Landschaft beherrschen. Sie schlagen sie kahl und rauben sie aus. Dann sind sie gezwungen, das, was sie sich genommen haben, nach Möglichkeit wieder zu ersetzen. Ich werde die Zeitung aus Salinas wieder abonnieren. Es wäre gut, wenn sie wieder käme, aber ich habe den Namen des Mannes vergessen. Wahrscheinlich ist er irgendwo in meiner Kartei. Ja, ich habe ihn gefunden und den Brief abgeschickt. Heute ist ein Trödeltag. Das scheint abzuwechseln. Ich verrichte ein volles Tagespensum, und dann am nächsten Tag, im Hochgefühl meiner Leistung, trödle ich wieder. Das wäre heute. Das Verrückte daran ist, daß ich so oder so ungefähr gleich viel hinkriege. Heute vormittag halte ich den Bleistift krampfhaft fest, was nie ein gutes Zeichen ist. Es bedeutet, daß ich nicht gelöst bin. Und bei diesem Buch will ich so gelöst wie möglich sein. Deshalb wohl dieses Geschreibsel. Ich möchte, daß diese Gelassenheit über 75
mich kommt, die sich so köstlich anfühlt – fast wie ein Kaschmirmantel. Und sie wird sich mit der Zeit einstellen, während ich diese Seite vollschreibe. Deshalb ist es so wunderbar, ein ganzes Jahr für dieses Buch zur Verfügung zu haben. Wenn ich mich nicht entkrampfen könnte, würde ich heute überhaupt nicht schreiben. Ich würde zwar die übliche Arbeitszeit absitzen, aber schreiben würde ich nichts, aus Angst, die innere Verkrampftheit könnte auf das Buch abfärben. Nichts als eine Reihe kleiner Unterbrechungen heute. Ich habe da eine Theorie. Ich glaube, wir ziehen uns dergleichen selber zu. Unterbrechungen scheinen sich nur an Trödeltagen einzustellen. Dann läutet jeweils das Telephon, es klingelt an der Haustür, Pakete treffen ein. Und wenn ein Paket abgeliefert wird, läßt es mir keine Ruhe. Ich muß einfach wissen, was es ist. Da gibt es kein Entrinnen. Jetzt bin ich, glaube ich, bald so weit. Übrigens ist Deine Begeisterung für dieses Buch ein großer Ansporn für mich. Ich weiß, Du willst unbedingt, daß es gut wird. Und glaube mir, ich will es noch viel mehr. Also, an die Arbeit.
27. März, Fortsetzung Das hätte ich geschafft – eine Botschaft an Tom und John, und an den Leser überhaupt, die sehr nebensächlich klingt und in Wirklichkeit eine Art Anweisung darstellt, wie das Buch gedanklich zu erfassen 76
ist, und in gewissem Sinn, wie das Leben und die Menschen im allgemeinen gedanklich zu erfassen sind. Es soll harmlos und liebenswürdig wirken, aber Du wirst darin die kleinen kulturkritischen Seitenhiebe erkennen, ohne die kein Buch etwas taugt. Ich bin zufrieden mit meinem Tagewerk, in verschiedener Hinsicht – das Stück ist gleichsam ein Übergang von einer Lebensweise zu einer anderen. Es sagt ganz unverhohlen, worauf es hinauswill, und erklärt den Zweck des neuen Charakters. Und schließlich nimmt es auch dumme Einwände vorweg, ehe sie erhoben werden können. Ich glaube, es ist treffend formuliert und gleichzeitig entwaffnend. Indem ich es an die Jungen richte*, kann ein oberflächlicher Leser sich der Nutzanwendung entziehen, wenn er will. Das wäre also vorhanden. Und morgen lasse ich mich auf einen neuen und für mich faszinierenden Charakter ein. Ich muß mich wohl bald einer Augenuntersuchung unterziehen, ich habe so ein dumpfes Gefühl im Kopf um die Augen herum. Möglicherweise brauche ich eine neu angepaßte Brille. Die Arbeit hier dauert zu lange, um es darauf ankommen zu lassen. Vielleicht gehe ich nächste Woche hin, ich will nämlich Tom mitnehmen und seine Augen auch untersuchen lassen. Aber zuerst die meinen, das wird ihm die Ängstlichkeit nehmen. Wenn seinen Augen nichts fehlt, um so besser. Wenn aber mit seinen Augen * Achtes Kapitel. Siehe die Anmerkung auf Seite 10. 77
etwas nicht stimmt, ohne daß er es selber weiß, dann ist das vielleicht die Erklärung für alles mögliche. So, für heute bin ich fertig und kann an meine häuslichen Arbeiten gehen. Wie Louella Parsons jeweils sagt: »Das ist alles für heute. Auf Wiedersehen morgen.«
28. März, Mittwoch Ich glaube, ich tue heute keinen Streich. Einfach so. Vielleicht ist das eine Art Freiheitserklärung, auch wenn es sich um eine unerwünschte Art von Freiheit handeln sollte. Im vorliegenden Fall ist die Freiheitserklärung besonders unverdächtig, weil sie weder auf Faulheit noch auf mangelnder Vorbereitung beruht. Gestern konnte ich lange nicht einschlafen, so daß ich mir die nächste Handlungsfolge in allen Einzelheiten zurechtlegte. Und faul bin ich heute auch nicht, im Gegenteil, ich bin voller Energie. Auch liegt es nicht daran, daß ich lieber etwas anderes tun möchte, das ist nämlich nicht der Fall. Ich werde heute einfach nicht arbeiten. Punkt. Offenbar bedeutet mir das etwas, aber was, das weiß ich nicht. Heute früh bin ich mit meinem Kupfertisch fertig geworden. Ich finde ihn sehr schön. Eine meiner Erfindungen, die sich bewähren. Nicht von allen läßt sich das sagen, aber von Zeit zu Zeit gibt es eine solche. Gestaltet ist der Tisch einfach und schön, und er paßt zum Zimmer. Ach, wenn einmal die Möbel für das Bücherzimmer da sind, werde ich mich kaum noch 78
von dem Zimmer trennen können. Es wird mir ein Labsal sein. Gegenwärtig scheint mein Leben voller Labsale. Du, es ist wunderbar, aus keinem ersichtlichen Grund einen freien Tag einzuschalten. Eine Wohltat. Doch ein freier Tag allein genügt nicht. Ich werde mir heute nachmittag die Haare schneiden lassen – nach allen Regeln der Kunst. Vielleicht gehe ich sogar noch weiter und lasse mir eine wohlriechende Friktion verabreichen. Heute ist ein Festtag für mich mit Girlanden. Und Du, alter Wortknauserich, wirst mich verwünschen, weil ich trödle. Nun, ich biete Dir Trotz. Ich kehre jetzt ein bißchen zur Arbeit zurück. Wenigstens auf dieser linken Seite. Auf die andere Seite kommt mir nicht ein einziges Wort, das schwöre ich. Cathy Ames ist ein Unmensch – glaube bloß nicht, daß es das nicht gibt. Wenn einer mit einem entstellten Gesicht oder Körper geboren werden kann, kann man doch sicher auch seelisch mißgestaltet auf die Welt kommen. Auf alles das werde ich im Buch eingehen. Cathy ist aus zwei Gründen wichtig. Wenn sie nichts als ein Unmensch wäre, hätte sie nichts darin zu suchen. Sie hatte aber den denkbar größten Einfluß auf Adam und gab ihr Blut an ihre Söhne weiter und wurde für ganze Generationen mitbestimmend – deshalb gehört sie in das Buch und darf einigen Raum beanspruchen. Es gibt da etwas, das wohl noch niemand in Worte gefaßt hat, obwohl es wahr ist – dem Unmenschen erscheint jeder andere auch als Unmensch. Darüber werde ich mich des längeren 79
verbreiten. Herrgott, es kann ein gutes Buch werden, wenn ich es nur so schreiben kann, wie es mir vorschwebt. Dieses Trask-Kapitel ist dunkel und dumpf wie ein feuchter Tunnel. Muß es auch sein. Das nächste Hamilton-Kapitel dagegen ist hell und munter. Gegensätze müssen sein. Gegensätze und Gleichgewicht. Dagegen ist nichts einzuwenden. Elaine hat sich beinahe einen Schnupfen geholt, hat ihn aber mit einem Penicillin-Inhalationsmittel kupiert. Ich hoffe es wenigstens. Gleich werde ich das alles und Dich und dieses Buch liegen lassen bis morgen. Du kannst es mir glauben.
29. März, Donnerstag Einer der seltenen Tage, wo das Tagebuch dem Werk voraus ist. Ich glaube, dem wird ab heute abgeholfen. Ich muß gestehen, ich habe meinen Tag der Widersetzlichkeit und Erholung gründlich ausgekostet. Habe allerhand geleistet, ein Klosett neu entworfen und eingerichtet, mein Aquarium ausgebessert. Ging auf die Suche nach einem Eßzimmertisch und dann früh zu Bett. Wunderbar geschlafen. Heute abend gehen wir zur Uraufführung der neuen Operette von Rodgers & Hammerstein, ›Der König und ich‹. Sie wird uns sicher gefallen, ich wollte nur, die beiden hätten mehr zu sagen. Aber es wird sicher schön sein. Ich kam nicht dazu, Karten anzufordern, und rief erst vorgestern Morey Jacobs an. Er ist der Geschäftsleiter. War auch Sam Harris’ Geschäftsleiter. So hatte 80
ich also schon zweimal mit ihm zu tun. Er verschaffte uns zwei Plätze am Mittelgang, vierte Reihe. Netter Kerl, nicht? Erstaunlich, wie viele Dinge es in einem Haus zu tun gibt, ob es nun alt oder neu ist. Aus irgendeinem Grund führe ich die kleinen Reparaturen und Verbesserungen am liebsten selber aus. Eine sonderbare Knickerigkeit kommt da bei mir zum Vorschein – ich zahle nicht gern einem Handwerker fünfundzwanzig Dollar, damit er etwas schlecht macht, was ich in kürzerer Zeit ebenso schlecht machen kann. Außerdem kann ich improvisieren, und das können die wenigsten. Gib mir eine Werkzeugschachtel, und ich fertige Dir an, was Du willst. Es ist übrigens nicht nur Knickerigkeit. Ich mache es ausgesprochen gern. Es gewährt mir Befriedigung. Gegenwärtig habe ich mir ausgedacht, wie man Pflanzen auf einem alten Hutständer, den wir gekauft haben, anordnen kann. Eine wunderbare Einrichtung, aber sie mußte erdacht werden, und ich glaube nicht, daß sonst jemand je darauf verfallen wäre. Dergleichen bereitet mir Genugtuung, ob Du es nun glaubst oder nicht. Und wenn das fertig ist, mache ich mir wieder mit etwas anderem zu schaffen. – Ich darf nicht mehr an meine Erfindungen denken. Zurück zum Buch. Ich habe Cathy Ames vorzustellen. Sie ist ein vielschichtiger und doch einfacher Charakter. Heutzutage ist es unter Romanschriftstellern üblich, nichts über einen Charakter zu sagen, sondern ihn allmählich aus dem Geschehen und dem Dialog hervorgehen zu lassen. 81
Das ist das Verfahren, das heute Mode ist. Ich bin aber nicht daran gebunden. Bei meinem Verfahren, das weder neuartig noch altmodisch ist, kann ich alles mögliche über einen Charakter sagen, und nicht nur das, ich kann sogar Betrachtungen über ihn anstellen. Wenn sich das dann in der Handlung und im Dialog bestätigt, ist der Leser bereits im Bild. Ich will ihn ebensowenig zum besten halten wie die kleinen Jungen, an die das Buch gerichtet ist. Drei Jahre habe ich daran herumgerätselt, bis ich mir diese Anlage eines Buches zurechtgelegt hatte. Glaube mir, heute werde ich nicht blau machen. Im Gegenteil, die Arbeit stupft mich bereits, sie möchte getan werden, aber ich will doch diese Gedanken noch zu Papier bringen. Vor Urzeiten, im Bedford Hotel (weißt Du noch?), als ich den Plan zu diesem Buch faßte, gedachte ich das Ganze in eine eiserne Form zu pressen, stilisiert wie ein ägyptisches Wandgemälde, in einer eigens dafür geschaffenen Sprache. Doch das war vor tausend Jahren und Millionen von Gedanken. Schließlich verfiel ich auf die Anlage, die ich gegenwärtig auszuführen suche. Da dieses Buch von allem und jedem handelt, sollte es jede Form, jedes Verfahren, jedes Hilfsmittel verwenden. Ich glaube nicht, daß es dadurch etwas Selbstverständliches erhält, obwohl ich nämlich fast alles ans Licht bringe, wird da doch immer noch dieses große Unausgesprochene sein. Ich frage mich, ob Du schon jetzt dahintergekommen bist. Und, Pat, ich kann es dem Leser nicht verraten, wenn er nämlich die Gestaltung im voraus 82
kennt, wird er danach suchen, statt sie in sich aufzunehmen. Deshalb muß das unausgesprochen bleiben. Ich hoffe sogar, die Rezensenten werden nicht darauf kommen und es ausposaunen. Das wäre gegenwärtig alles.
30. März, Freitag Der März ist also fast zu Ende – der Monat, vor dem meine Mutter sich immer so ängstigte. Mutter atmete erst wieder auf, wenn der März vorbei war. Alle ihre Tragödien haben sich im März abgespielt. Und daß es ein endloser Monat ist, habe ich auch gemerkt. Er will kein Ende nehmen. Du bist also gestern herübergekommen und hast den ersten Teil des Buches mitgenommen, um ihn abtippen zu lassen. Ich bin gespannt, was Du davon hältst. Hoffentlich bist Du nicht allzusehr enttäuscht. Rund vierzigtausend Wörter sind bereits vorhanden, das heißt knapp ein Viertel des Ganzen. Das Buch wird schätzungsweise auf 200 000 Wörter kommen. Schließlich arbeite ich erst seit zwei Monaten daran. Am 29. Januar habe ich, glaube ich, angefangen. Noch acht Monate, wenn nichts dazwischenkommt, und es dürfte fertig sein. Gestern abend wohnten wir der Uraufführung der Operette ›Der König und ich‹ bei. Eine prächtige Augenweide und völlig nichtssagend. Es wird aber ein großer Erfolg werden. Ausgedrückt wird darin nichts, höchstens ein fragwürdiger Gedanke: Wenn man andere zum Glauben verleitet, man habe keine Angst, 83
dann wird man selber auch keine haben. Und das leuchtet mir nun nicht ein. Ich finde, man kann eine Angst nur loswerden, wenn man ihr auf den Grund geht und sie so überwindet. Alles So-tun-als-ob fruchtet nichts. Das ist jedenfalls meine Auffassung. Es ist eine fadenscheinige Schau, die ihre Fadenscheinigkeit durch Gepränge verdeckt. Nach dem Theater gingen wir zu Sardi zum Essen, wo wir viele Bekannte trafen. Wir sind schon so lange nicht mehr ausgegangen, daß es mir zuerst Spaß machte, doch im Laufe des Abends wandelte mich eine Betrübnis an. Ich glaube, sie hatte mit John O’Hara zu tun. Wenigstens kann ich mir nicht denken, was es sonst gewesen sein soll. Und sie dauert heute noch den ganzen Tag an. Ich habe heute nicht gearbeitet, weil ich befürchtete, meine Betrübnis könnte sich auf den Text übertragen. Bisher war ich erstaunlich frei von persönlichen Gefühlen und Stimmungen, die so leicht auf ein Buch abfärben. Ich werde dafür morgen arbeiten und vielleicht auch am Sonntag, um den verlorenen Tag einzuholen. Aber wichtig ist das nicht. Cathy hat übrigens eine merkwürdige Haut – merkwürdig schimmernd. Sie ist für mich eine faszinierende und furchtbare Gestalt. Aber es gibt ihrer viele. Das weiß ich. Morgen werde ich mit ihrer Beschreibung fertig und komme zu ihrer Geschichte. Eine schauerliche Geschichte. Aber es gibt schrecklichere, und wahre Geschichten, die schrecklicher sind als jede erfundene. Da nun Cathys Geschichte so 84
außergewöhnlich ist, muß ich sie mit der größten Beiläufigkeit erzählen, als ob nichts Außergewöhnliches daran wäre. Wenn man einmal weiß, daß Cathy ein Unmensch ist, kann nichts, was sie tut, außergewöhnlich sein – für einen Unmenschen. Man kann nicht auf das Innere eines Unmenschen eingehen, weil das, was dort vorgeht, völlig fremd ist und keinen Sinn ergäbe. Es würde nur Verwirrung stiften, weil es in einem gewöhnlichen Sinn nicht faßbar wäre. Cathy besitzt große Macht über andere, weil sie deren Schwäche vereinfacht hat und kein Gefühl aufbringt für ihre Stärke und Güte. Kennst Du nicht auch solche Leute? Ich wage es kaum, sie hinzustellen. Man muß sie aber glauben. Sie gehört zu den mancherlei Gestalten, die durch das Buch ziehen. Herrgott, was für ein Buch – es lebt wirklich. Ihre Haut ist natürlich ölig, daher das Schimmernde. Und dann noch etwas. Da ich weiß, wie schwierig es ist, meine Schrift zu lesen, werde ich mich ganz besonders anstrengen, leserlich zu schreiben. Das ist das mindeste, was ich tun kann. Ich werde mir wenigstens Mühe geben. Und das ist alles für heute.
2. April, Montag Ein Buch entsteht ruckweise, Pat. Tatsächlich angefangen habe ich mit dem Salinas-Tal* am 15. Februar. * ›Das Salinas-Tal‹ lautete anfänglich der Arbeitstitel. 85
Es machte eine Zeitlang gute Fortschritte, genau gesprochen, bis letzten Donnerstag. Da kamst Du herüber und nahmst den ersten Teil zur Abschrift mit. Ich weiß nun nicht, ob da ein Zusammenhang besteht, genau damals geriet ich ins Trudeln. Die nächsten drei Tage, bis und mit Sonntag, befiel mich eine Niedergeschlagenheit, die verheerend war. Ob es damit zu tun hatte, daß Du das Manuskript mitgenommen hast? Ich glaube es nicht, aber das Ganze ist eine so heikle Sache, daß ich nicht schlau daraus werde. Ich weiß nur, es hat mir sehr zugesetzt, und Elaine vielleicht noch mehr. Jetzt ist Montag, und ich bin ganz schwach und zerrüttet. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf herauszuziehen. Und dann noch etwas. Kazan* hat festgestellt, daß er den Film nicht in Mexiko drehen kann. Er ist nach Santa Fe gefahren, um den Schauplatz für die Außenaufnahmen zu suchen. Der Film muß in den Vereinigten Staaten gemacht werden, anders geht es nicht. Nun fällt mir aber ein, mein Vertrag setzt voraus, daß Kazan die Genehmigung der mexikanischen Regierung erhält. Damit würde mein Vertrag also ungültig. Ich glaube nicht, daß Gadg etwas unternommen hätte, ohne sich mit Zanuck zu besprechen, so daß das also vielleicht geklärt wurde. Drittens wird unser Außenministerium * Elia Kazan (»Gadg«) war als Regisseur für den Zapata-Film ausersehen. Darryl Zanuck war der Produzent. Der Film kam unter dem Titel ›Viva Zapata‹ heraus.
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einen Film scheel ansehen, der von der mexikanischen Regierung mißbilligt wird. Es gibt keine Redlichkeit mehr unter den Menschen. Die Politik in New York ist vielleicht korrupt, aber sie ist noch heilig, verglichen mit dem Opportunismus der mexikanischen Regierung. Warten wir ab, was geschieht. Ich werde es wahrscheinlich noch heute erfahren. Ich glaube, ich werde demnächst einen Behälter verfertigen, der Schreibpapier von dieser Größe faßt, damit ich auf ein einzelnes Blatt schreiben kann, statt in ein schwerfälliges Buch. Ich habe da bereits eine Idee. Es würde mir das Schreiben sehr erleichtern. Jedenfalls habe ich das als nächstes vor, ich muß es mir nur noch genau ausdenken. Gegenwärtig verfertige ich einen schönen Vogelkäfig. Nach eigenem Entwurf. Ich entwerfe alles mögliche, und manches davon ist sogar brauchbar. Wäre es nicht merkwürdig, wenn ich für meine Erfindungen bekannt würde, mehr als für das, was ich schreibe? Ich bin jetzt daran, eine neue Hinterseite für das Haus zu entwerfen. Es wäre schön, wenn ich das fertigbrächte. Und es wird gehen. Es wird aber eine Menge Bauarbeit erfordern. Ich muß es mir genau überlegen. Aber ich schaffe auch das. Ich sehe es vor mir, und davon kann ich ausgehen. Wenn ich nur alte Glasscheiben finde, läßt sich das sehr gut machen. Jetzt muß ich das aber aus meinen Gedanken verbannen. Die Sache ist eben, ich gestalte dergleichen fürs Leben gern. Und manches führe ich tatsächlich aus. Jetzt zurück zum Buch, und zwar endgültig. 87
Cathy wird demnächst auftreten. Hoffentlich kann ich sie glaubhaft machen. Waverly kommt heute aus den Ferien zurück. Dann hat die Ruhe im Haus ein Ende. Meinetwegen. Wir kommen gut miteinander klar. Wenn ich arbeite, sind Waverly und ihre Freundinnen in der Schule. Sie kommen selten zurück, bevor ich fertig bin. Und ich habe sie gerne im Haus. Jetzt muß ich mich Cathys annehmen. Cathy wird vielen Kindern zu schaffen machen, und vielen Eltern über ihre Kinder, aber ich habe wenigstens kein Blatt vor den Mund genommen, und ihr Prototyp ist mir bekannt. Jetzt gilt’s. So – das ist der erste Vorfall in Cathys Leben. Es kommen noch zwei, bevor sie von zuhause weggeht, und dann zwei weitere, bevor sie Adam kennenlernt. Ich glaube, sie wird Adam noch diese Woche kennenlernen. Vielleicht kann ich morgen beides erledigen. Heute habe ich mein durchschnittliches Tagespensum überschritten. Vielleicht kann ich es diese Woche jeden Tag überschreiten. Nach einem flauen Tag oder zwei leiste ich gewöhnlich die nächsten paar Tage mehr. Außerdem möchte ich die Zeit, die ich letzte Woche verlor, wieder einholen. Möglicherweise geht auch diese Woche wieder Zeit verloren. Waverly ist zurück und sagt, sie sei froh, wieder hier zu sein.
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3. April, Dienstag Waverly kam gestern nach Hause, was mit einer Party gefeiert wurde. Sie war sehr müde, so blieben denn Elaine und ich auf, um auf sie zu warten. Uns fehlt es wohl einfach am Verstand. Trotzdem bin ich heute früh auf und fühle mich wohl. Manchmal droht mir die Sache über den Kopf zu wachsen – so vieles bleibt ungetan, jetzt wo ich schreibe. Alles bürde ich Elaine auf, die das Haus führt und für die Hunderte von Dingen sorgt, die das Leben mit sich bringt. Beklagt hat sie sich bisher nicht. Ich helfe aus, wo ich kann, aber mit den Gedanken bin ich natürlich ganz woanders, nie weit von meinem Buch entfernt. Das muß ihr sicher lästig fallen. Für eine Frau ist ein Schriftsteller wohl nur ein halber Mann. Und dann, Pat, es steckt so viel Gewalttätigkeit in mir. Manchmal bin ich entsetzt, wie viel. Und sie ist nicht einmal gut getarnt. Sie liegt dicht unter der Oberfläche. Weißt Du, eigentlich bin ich ein Einfaltspinsel. Da benutze ich nun die ganzen Jahre ein dickes Notizbuch, weil ich das schöne, linierte Papier gern habe. Aber um das Papier zu bekommen, muß ich den Deckel in Kauf nehmen. Und sobald ich über die Mitte der Seite hinaus bin, scheuert das Handgelenk am Deckel und wird müde. Die paar Zentimeter Höhe machen sehr viel aus, was die Ermüdung betrifft. Und nun, nach all den Jahren, komme ich darauf, daß ich die Seiten geradesogut herausnehmen und jedes Blatt einzeln beschreiben kann. Warum ist mir das nicht früher eingefallen? Erst bei diesem 89
Buch, das ohnehin neu gebunden werden muß, komme ich jetzt drauf. Wirklich dumm von mir. Aber so ist es nun einmal. Heute will ich versuchen, mehr als mein Pensum hinzukriegen. Ich habe schließlich den ganzen Tag vor mir. Störungen sehe ich keine voraus. Gestern habe ich eine Hobelbank für meine Werkstatt bestellt. Ich habe mir schon immer eine gewünscht und noch nie eine gehabt. So etwas ist das halbe Leben. Ich habe weniger Verstand als ein Schneehuhn. Vielleicht hat das auch sein Gutes. Wenn ich Verstand hätte, wäre ich wohl schon längst darum gekommen. Aber eine kleine Hobelbank werde ich nun trotzdem kriegen, an der ich mit meinen Werkzeugen hantieren kann. Das tue ich fürs Leben gern. Da ist zum Beispiel ein kaputter Stuhl, den ich wieder instandsetzen möchte. Ich mußte mir dazu ein besonderes Verfahren ausdenken, denn so etwas Kaputtes hast Du überhaupt noch nie erlebt. Ach ja, ein paar elektrische Leitungen im Haus müssen auch noch repariert werden. Es ist ja so viel zu tun. Und meine Bleistifte werden allmählich auch kurz, sehr kurz. Ich brauche vier Dutzend neue. Die sollte ich mir heute besorgen. Ist das nicht ein merkwürdiger Luxus, den ich mir gestatte – nur lange Bleistifte zu verwenden? Wenn sie so kurz werden, daß die Blechhülse des Radiergummis meine Hand berührt, gebe ich sie Tom oder verteile sie an Elaine und Waverly, die keinen Wert auf lange Bleistifte legen. Am Mittelfinger der rechten Hand habe ich eine schwielige Stelle, weil ich täglich so viele Stunden 90
lang einen Bleistift halte. Sie ist schon ganz dick und verschwindet nie. Manchmal ist sie aufgerauht, und manchmal, heute zum Beispiel, glänzt sie wie Glas. Eigenartig, wie heikel man in Kleinigkeiten werden kann. Bleistifte müssen rund sein. Ein sechseckiger schneidet mir nach einem langen Tag in den Finger ein. Etwa sechs Stunden täglich halte ich einen Bleistift. Seltsam, aber wahr. Ich bin eben ein Gewohnheitstier. Und jetzt zurück zu Cathy. Es stehen ihr heute mehrere Erlebnisse bevor.
4. April, Mittwoch Und nun, lieber Pat, ein neuer Tag und eines der Erlebnisse. Dies ist ein schauerlicher Teil des Buches, aber ein notwendiger. Und ich möchte klarstellen, daß etwas Wahres oft nicht wahr wirkt, es sei denn, man sorge dafür. Darüber ließe sich eine Abhandlung schreiben. Schlag nur die Morgenzeitung auf, und Du wirst ein Dutzend Geschichten finden von Leuten, die etwas getan haben, was für Dich nicht wahr ist, weil es außerhalb Deines Erlebnisbereiches liegt. Gestern hat ein großer Junge beide Eltern umgebracht, weil sie ihm verboten, das Auto zu benützen. Man nimmt das hin, aber verwende es in einer Erzählung, und Du mußt Deine ganze Kunst aufbieten, damit man es Dir abnimmt. Dieses Kapitel, das von Cathys Vorleben handelt, ist wahrscheinlich eines der längsten im Buch. Die Frage, ob es zu lang ist, kann sich nur erheben, wenn es den 91
Leser nicht fesselt. Ich glaube, es ist fesselnd genug. Es fragt sich nur, ob es notwendig ist, aber wenn Du weiterliest, wirst Du wohl feststellen, daß im Lichte dessen, was noch kommt, alles notwendig ist. Es liegt mir daran, daß dieser Teil etwas Lebensgefährliches hat. Ich bin heute früh an der Arbeit, und das ist gut. Gegen abend werde ich Tom abholen und zu uns nehmen. Morgen gehe ich dann mit ihm zur Augenuntersuchung, auch für mich. Ich glaube, es ist nötig. Bei der geringsten Anstrengung bekomme ich leichtes Kopfweh. Es dürfte also Zeit sein. Tom behalte ich bis Freitag hier. Wir werden zusammen lernen. Er braucht Unterricht. Wir richten es so ein, daß er es als Spiel empfindet und sich als Sieger fühlen kann, wenn er gewinnt. Gwyn behauptet, er mache bereits Fortschritte. Bei all dem Hin und Her wegen des Films weiß ich nicht, was wir anfangen sollen. Wenn der Film im Westen gedreht wird und man mich dort braucht, was soll ich tun? Die Jungen mitnehmen? Kazan meint, am 3. Juli sei Drehbeginn. Warten wir ab. Sehen wir zu, daß ich meine zwei Seiten pro Tag hinkriege. Das ist das beste und das einzige, was ich tun kann. Genug der Aufzeichnungen. Ich muß jetzt noch zwei Anrufe erledigen, und dann an die Arbeit. Ich wollte Dich eben anrufen, aber Du bist Kaffee trinken gegangen. Das erstaunt mich keineswegs. Du gehst reichlich oft Kaffee trinken, finde ich. Also, Du warst endlich vom Kaffee zurück. Es freut mich, daß es mit der Abschrift klappt. Es wird gut 92
sein, einen maschinegeschriebenen Text zu haben, aber ich werde ihn noch eine ganze Weile nicht anschauen, erst wenn ich mit dem Buch fertig bin, basta. Und nun zurück zu Cathy. Also, das wäre geschafft. Dieser Teil sollte dem Leser das Gruseln beibringen, und vielleicht tut er das auch. Wer weiß. Heute ging es sehr schnell. Aber es geht wohl allgemein schnell. Jetzt kommt dann ein Verbindungsstück, und morgen abend ist Cathy wohl bereit, Adam kennenzulernen. Eine brutale Chronik, aber notwendig. Keine hübsche Geschichte, aber kraftvoll. Ich glaube, der Leser weiß und weiß doch nicht, was kommt. Morgen wirst Du es also erfahren und wirst sogar wissen, was nachher geschah. So habe ich das eingefädelt. Wenn ich den nächsten Teil in einem beiläufigen Ton halten kann, ist das eine Leistung, es ist nämlich die unbeiläufigste Geschichte, die es gibt. Das ist nur zu bewerkstelligen, wenn alles so gewöhnlich wirkt, daß der Leser sich überrumpeln läßt. Das suche ich mit dem ganzen Buch zu erreichen – es im Ton möglichst leise zu halten und den Gefühlsaufruhr dem Leser zu überlassen. Wenn mir das gelingt, habe ich gewonnenes Spiel. Und das wär’s dann für heute. Hoffentlich kannst Du warten auf die Fortsetzung. Ich kann es kaum erwarten, aber die Schulter tut mir weh, meine Hand ist abgekämpft, und außerdem bin ich hier an einer natürlichen Haltestelle angelangt. Lebwohl.
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5. April [Donnerstag] Ich weiß nicht, wieviel ich heute fertigbringe. Tom ist hier, aber Elaine beschäftigt ihn unten im Haus. Wenn ich nur das Verbindungsstück hinkriege, bin ich zufrieden. Dann kann ich morgen dort anknüpfen und Cathy in Adams Arme geleiten. Es ist ein schöner Tag. Wunderhübsch. Um 11 gehe ich mit Tom zur Augenuntersuchung. Ich will mich vergewissern, ob seine Augen in Ordnung sind. Was mich anbetrifft, ich brauche sicher eine etwas stärkere Brille. Wenn die Sehkraft nachläßt, geht es meistens rasch. Und ich habe dieses Jahr so viel mit den Augen zu tun, da ist es besser, wenn ich es in aller Ruhe tun kann. Tom scheint manisch-depressiv veranlagt, ähnlich wie ich. Heute morgen schien er besonders gedrückt. Auch macht er sich zuviel Selbstvorwürfe. Ob das ein vererbter Zug ist, oder ist es ihm beigebracht worden? Schwer zu sagen – ich mache mich wohl besser an meinen Übergang.
7. [6.] April, Freitag Nun ist die Woche vorbei, die erste Woche im April. Ich sehe diesen Monat ungern vorübergehen, er ist gewissermaßen mein Lieblingsmonat. Er ist mir so lieb, wie mir der März unlieb ist. Diesen Monat kommt das Wachstum über die Welt. Ich fand das Wort April immer ein schönes Wort – es hat etwas Federndes. Der Mai ist sanft, aber im April ist noch ein Prickeln, die frische Ungewißheit und Unbere94
chenbarkeit eines aufknospenden Mädchens. Schade, daß ich Dir diese langen Briefe schreibe. Vielleicht wäre die Zeit besser genutzt, wenn ich bei meinem Buch bliebe. Aber ich glaube, ich habe Dir den Grund schon des öfteren auseinandergesetzt, um mir selber darüber klarzuwerden. Tatsächlich geht wohl mit diesen Briefseiten nicht viel Zeit verloren. Ich würde sonst nur eine leere Seite anstarren oder an sonst jemand schreiben. Das weiß ich, daß ich schon immer eine Art Vorwärmung brauchte, bevor ich an die Arbeit ging. Und wenn ich an sonst jemand schreibe, finde ich das langweilig, weil ich dann von Dingen erzählen muß, die letzte Woche oder vor einem Monat passiert sind, und die interessieren mich nicht mehr. Anderseits kommt in diesen Aufzeichnungen kaum etwas vor, das sich nicht innerhalb der letzten 24 Stunden ereignet hat. Und dergleichen interessiert mich noch. Du siehst also, ich fahre mit den Briefen fort. Schau, wie weit ich mich von der Anfangszeile entfernt habe – die Woche ist vorbei. Werde ich vielleicht einer dieser weitschweifigen alten Kracher? Vielleicht, aber falls das so ist, läßt es sich ohnehin nicht ändern. Wart mal – ich hatte Tom zwei Tage lang bei mir. Ließ seine Augen untersuchen, denen nichts fehlt, außer daß er etwas schielt und dagegen ankämpfen sollte. Ich brachte ihn heute morgen zur Schule und verabschiedete mich von ihm. Er ist mir lieb, wahrscheinlich weil seine Fehler auch die meinen sind. Ich weiß, woher seine trüben Stimmungen und Ängste 95
kommen. Gerade in diesem Zeitpunkt kann er zugrunde gerichtet oder stark gemacht werden. Ich muß ihm dabei helfen – nicht indem ich ihn in seinem Wesen bestärke, sondern mit etwas Zwang da und mit Ausgleich dort. Ich will sehen, daß ich ihn mindestens einen Abend die Woche hier habe. Das Wochenende steht bevor. Du wirst heute nachmittag herüberkommen, um ein paar Manuskriptblätter zur Abschrift zu holen. Ich habe keine Ahnung, wieviel vorhanden ist. Es werden 62 handgeschriebene Seiten sein, was etwa 135 oder 140 Seiten Maschinenschrift ergibt. Vielleicht kannst Du das heute feststellen. Ausrechnen läßt es sich schwer. Soeben habe ich den Winkel meiner Schreibfläche geändert. Die ganze Woche habe ich mich zu weit vornüber gebeugt und bin müde im Rücken, aber das ist das Schöne an diesem Zeichenbrett, daß eine Veränderung des Winkels und der Höhe auch meine Haltung vollständig ändert. Eines werde ich jedoch noch machen. Ich werde es schwarz anstreichen. Das helle Holz blendet manchmal. Ich habe da eine schöne schwarze Farbe, die sich vorzüglich eignen sollte. Versuchen werde ich es jedenfalls. Heute trödle ich noch mehr, weil der Fensterputzer da ist, und das ist wirklich ein langsamer Mensch. Doch meine Zeit ist um. Hoffentlich hat Dir Cathy soweit Vergnügen bereitet. Du wirst noch eine ganze Weile das Vergnügen haben. Es muß noch viel hinein. Herrschaft, wird das ein langes Buch. So ein langes Buch. Ich glaube, der Fensterputzer ist nahezu 96
fertig mit meinem Zimmer, ich will deshalb wieder zu meiner geliebten Cathy. Und damit, Pat McPhat, ist die Arbeit der Woche getan. Und ich muß sagen, ich bedaure es. Es war eine anspruchsvolle Woche, sie hat mir Freude gemacht. Und ich bin gerade rechtzeitig fertig geworden. Waverly ist nämlich soeben mit einer Schar von Schnattergänsen nach Hause gekommen, und mit der Ruhe ist es aus. Ich weiß nicht, wieviel ich diese Woche geschrieben habe, ich glaube, etwas mehr als sonst. Es sind jedenfalls 14 Seiten. Und das genügt. Ich bin etwas müde, weil die Woche wirklich vollgepfropft war, aber das ist ja immer so. Ich werde das Brett streichen und mich mit dem Vogelkäfig beschäftigen. Diese Woche bin ich zufrieden mit mir, weil ich trotz vielen, vielen Unterbrechungen mein Pensum geleistet habe. Das freut mich. Auf bald.
8. [7.] April, Samstag Die Seite 63* wollen wir vergessen. Ich habe es fertiggebracht, sie so schmutzig zu machen, daß ich nicht darauf schreiben will. Ich weiß nicht, wie all die Schmutzflecken auf das arme Papier kommen konnten – habe im Garten gearbeitet, dann die Schreibfläche gestrichen, und das Buch da war mir wohl im Weg. Keine Arbeit heute. Hatte ohnehin nicht die * Im Notizbuch. 97
Absicht zu arbeiten, und das hier ist nur die Bestätigung. Gestern war ein guter Tag. Es war aber eine Art Abschluß. Ich wollte, ich könnte zu Adam zurück und ihn mit Cathy zusammenbringen, aber das muß seinen eigenen Weg gehen und seine eigene Zeit finden. Ich kann es nicht beschleunigen. Manchmal suche ich ein Stück zu vergessen, aber es kommt trotzdem hinein, ob ich will oder nicht. Zum Beispiel – wenn ich bloß die beiden nächsten Szenen ausscheiden könnte. Nichts lieber als das. Aber sie gehören wohl dazu*. Sie zeigen, was alles in Cathy steckt und daß sie auch ihre schwache Seite hat. Natürlich nicht wie die Schwächen anderer Leute, aber es zeigt sich damit doch, daß auch ihr nicht alles nach Wunsch geht. Ihre Wirkung auf Edwards ist nicht abwegig, glaube ich. Soeben habe ich einen Briefbeschwerer für eine schräge Schreibfläche erfunden, der Dich aus dem Häuschen bringen wird, so einfach ist er. Du wirst Deinen Augen nicht trauen, wenn Du ihn siehst. Es ist die Art von Erfindung, die den Leuten auf die Nerven geht. Warum, weiß ich nicht, aber es gibt dergleichen. Ich habe ihn eben Elaine gezeigt, und sie wurde ungehalten. Vermutlich wird es Dir auch so gehen. Ich zeige ihn Dir am Freitag. Jetzt werde ich versuchen, mir ein Treibhaus auszudenken. Und siehe da, ich habe eine Idee. Eine Idee, wie man es heizen kann. Ob sich das wohl machen läßt? Wie lang würde zum Beispiel der Tunnel? * Schluß des neunten Kapitels. 98
Es ist jedenfalls erwägenswert. Muß mich auch wegen der Ölöfen und der elektrischen Öfen erkundigen. Auch muß ich Glas auftreiben. Gebrauchtes Glas. Elaine hat soeben ein Körbchen für die eingehende und die ausgehende Post verlangt. Das wäre ja noch schöner, wenn ich das nicht schaffte. Versuchen werde ich’s wohl. Früher hatte ich das alles, aber die Dinge verkrümeln sich irgendwie.
Montag, 9. April Eine neue Woche, Pat, das wird Dir nicht unlieb sein. Heute nachmittag bekomme ich meine neue Brille, sicher eine Verbesserung. Ich werde sie nur in diesem Stock brauchen und die andern auf die andern Stockwerke verteilen – eine im dritten Stock und eine in der Küche aufgehängt. Das ist ein Vorteil, wenn ich es nicht vergesse. So viele Kleinigkeiten. Die neue schwarze Schreibfläche gefällt mir. Sieht gut aus. Und damit fortan eine veränderte Haltung, was immer einen großen Unterschied macht. Heute vormittag habe ich noch kleine Wäsche. Ich tue mir etwas darauf zugute, meine Unterhemden, Unterhosen und Socken selber zu waschen. Elaine würde es für mich tun, aber ich bestehe darauf. Meine Mutter hat es mir beigebracht, offenbar mit Erfolg, daß dergleichen zu den höchst persönlichen Dingen gehört wie das Zähneputzen. Sonderbar, nicht, was sich einprägt und was nicht. Man kann es nie wissen. Nun beginnt also eine neue Arbeitswoche, und es 99
wird für mich eine gewichtige sein. Du beklagst Dich immer, daß diese Bleistiftschrift sich verwischt. Ich werde die Seiten wohl besprühen müssen, damit Du diesen Ärger nicht mehr hast. Ich habe noch nie jemand gesehen, der so manuskriptgierig gewesen wäre wie Du. Heute werde ich wohl oder übel meinen Ausstoß etwas erhöhen – nicht gewaltsam, aber etwas. Ich bin wohl in Rückstand geraten. Am Montag finde ich das natürlich immer. Ich werde aber sehen, ob ich nicht etwas Überstunden einschalten kann. Man merkt immer, wie ein Tag sich anläßt. Heute habe ich das Gefühl, es wird ein betriebsamer Tag werden. Warum, weiß ich nicht. Das Gefühl ist einfach da. Anrufe und dergleichen. Man kann das nie genau wissen, und es bestätigt sich auch nicht immer. Vermutlich beruht es lediglich auf dem Umstand, daß ich unterbrochen werden will. Erstaunlich, wie man aus dem Arbeitsrhythmus herauskommt, auch wenn man nur zwei Tage lang aussetzt. Ich möchte gerne durcharbeiten, um den Rhythmus zu erhalten, aber ich weiß, es würde mich zu sehr ermüden. Heute bin ich ausgeruht, aber der Arbeitsgeist ist mir abhanden gekommen. Wenn ich nur wüßte, wie man das macht, sich beides, Frische und Arbeitsgeist, zu erhalten. Habe mich am Samstagabend an der »Südpazifik«Party gut unterhalten. Mindestens fünfhundert Leute waren da. Ich bin aber, auch wenn ich mich gut unterhalte, immer etwas betrübt, weil ich bei dergleichen im Innersten nie dazugehören kann, und das möchte ich doch eigentlich. Etwas scheidet mich 100
immer davon. Eigentlich sollte ich alt genug sein, um mich damit abzufinden, daß ich nicht alles sein kann, was ich als Kind sein wollte. Der ganze Betrieb am Samstagabend war mir merkwürdig fremd. Vielleicht bin auch ich ein Unmensch. Diesen Kummer, nicht dazuzugehören, hatte ich schon sehr früh. Wohl von meiner allerersten Geburtstagsfeier an. Und damit hat mein tägliches Geschreibsel seinen üblichen Abschluß erreicht. Zurück zu Cathy. Hoffentlich bringe ich sie heute oder morgen soweit, daß sie Adam kennenlernt. Vielleicht habe ich mir mit ihr zu viel Zeit gelassen, aber ich gedenke mir mit allem und jedem soviel Zeit wie nötig zu lassen. Bei diesem Buch habe ich vor, jedem Bedürfnis nachzugeben. Und das werde ich auch tun. Warum nicht? Allerdings befällt mich von Zeit zu Zeit eine Heidenangst davor, unterbrochen zu werden. Mir bangt, es werde mir nicht vergönnt sein, das Buch zu vollenden. Ich muß es unbedingt vollenden. Die ersten SalinasZeitungen sind eingetroffen. Sie geben mir ein Gefühl der Verbundenheit mit der Gegend. Und damit ist es wohl Zeit, an die Arbeit zu gehen. Du siehst also, Pat, was einem Menschen zustoßen kann, jedem Menschen. Hoffentlich läßt Du es Dir eine Lehre und eine Warnung sein. Da haben wir also ein Bild reiner Gewalttätigkeit, Pat. Es läßt sich nicht umgehen, es war von Anfang an eingeplant. Und jetzt kommen wir zu der Stelle, wo Adam seine zukünftige Frau kennenlernt. Vielleicht sind sie bis Ende der Woche bereits unterwegs 101
nach Kalifornien. Wenn ich angestrengt arbeite, bringe ich sie vielleicht sogar ins Salinas-Tal, das wird Dir sicher nicht unlieb sein. Du findest das Kapitel bestimmt zu lang. Aber ich weiß nicht, wie es anders sein könnte. Heute habe ich drei Seiten geschafft. Morgen vielleicht nochmal soviel. Das wird sich zeigen. Und damit Strich drunter.
10. April, Dienstag Patruschka, wenn Du wüßtest, wie wir gestern abend dem Laster gefrönt haben, würdest Du uns bedauern. Du kannst Dir solche Verworfenheit gar nicht vorstellen. Die ganze Nacht sind wir aufgeblieben, haben getrunken und uns unterhalten, wir beide allein. Es war fünf, als wir endlich einschliefen. Und heute bin ich natürlich um halb acht aufgestanden. Ich fühle mich wohl, aber etwas mehr Schlaf hätte ich brauchen können. Ich habe nun eine neue Schreibunterlage verfertigt, die diese Seiten hält. Sie ist groß und hübsch und wird Dir gefallen. Gestern habe ich sie gemacht und gestrichen. Manchmal glaube ich, Du wirst mich nie verstehen. Meine Erfindungen nimmst Du auf die leichte Schulter. Meinen Traum von einem Briefbeschwerer für schräge Flächen würdest Du lächerlich finden. Lache meinetwegen, aber wir werden sehen, wer zuletzt lacht. Wenn mein Briefbeschwerer die ganze Welt erobert. Dann werden wir sehen. Von jetzt an werde ich diese Seiten mit durchsichtigem Plastik besprühen. Du hast Dich beklagt, daß 102
die Schrift oft verwischt ist. Das wird nie wieder geschehen – nie. Du kannst sie nicht einmal ausradieren, nachdem ich sie behandelt habe. Versuch’s, von dieser Seite an. Gestern abend habe ich Elaine einige der letzten Seiten vorgelesen. Sie hat schon lange nichts mehr gehört. Ich habe ihr gesagt, von jetzt an werde ich ihr jeden Donnerstag vorlesen, damit sie auf dem laufenden bleibt. Was soll ich noch sagen. Ein neues Tagewerk steht bevor und ein neuer Abschnitt. Es sollte eigentlich ein Kapitel sein, aber ich möchte kein Kapitel. Es wird einfach vom andern abgesetzt.* Mit Catherine allein bin ich jetzt fertig. Heute begegnet sie Adam und seinem Bruder. Wie die beiden auf sie reagieren, gibt ihnen Gelegenheit, sich zu entfalten. Heute wird es sich um Dialog handeln, fast alles Dialog. Bisher kam nicht viel davon vor, höchstens stellenweise. Muß möglichst bald dazukommen. Gestern wollte ich meine Brille holen, sie war aber noch nicht fertig. Muß heute nochmals hin. Schade. Jedenfalls fange ich heute früh an und habe so einen Vorsprung, wenn etwas dazwischenkommt. Muß heute Gwyn wegen der Jungen anrufen. Unbedingt. Habe da eine Idee. Gestern habe ich mir drei Dutzend neue Bleistifte besorgt. Ich habe einen großen Verschleiß an Bleistiften. Sie müssen lang sein und immer gleich spitz, und * Wurde zum neunten Kapitel. 103
das geht nicht immer. Also, Pat, es ist Zeit, daß ich mich an die Arbeit mache. Wir werden sehen, ob die Brüder allmählich Gestalt gewinnen. Eine vertrackte Geschichte ist das.
10. April, Dienstag, Fortsetzung Nun habe ich Cathy doch nicht hineingekriegt, weil ich die beiden Brüder mit ihren eigenen Worten darstellen und auch ein Bild davon geben wollte, wie sie und die Leute überhaupt damals lebten und redeten, und wie eintönig ihr Leben war. Das mußte ich, weil es aufschlußreich ist für das, was demnächst geschieht. Dergleichen muß vorbereitet werden. Hoffentlich hattest Du heute vormittag am Telefon nicht das Gefühl, ich sei kurz angebunden. Einwände nützen mir jetzt, wo ich ausschließlich vorausdenke, gar nichts. Schreib es lieber auf, und wir werden uns damit befassen, wenn das Buch fertig ist. Du weißt, ich vertrage Kritik. Nur vor etwas möchte ich Dich warnen. Dieses Buch ist etwas ganz anderes, und Du mußt Dich davor hüten, ihm sein Anderssein vorzuhalten. Auch mußt Du Vorsicht walten lassen, weil so manches sich aufeinander bezieht. Ich glaube, Du mußt Dir grundsätzliche Kritik aufsparen, bis das Buch fertig ist, sonst kann es geschehen, daß Du Dich in seinem Aufbau verfängst. Heute vormittag hast Du gesagt, Du müßtest so und so viele tausend Exemplare verkaufen. Ich bin sicher, nach all den Jahren unserer Verbundenheit wirst Du mir nicht zumuten, 104
auch nur das geringste der Auflage wegen zu ändern, außer wenn etwas nicht klar genug ist. Ich schreibe dieses Buch ebensowenig um Geld wie alle anderen. Wenn es Geld einbringt, um so besser, aber auch wenn ich schon jetzt wüßte, daß keine tausend Exemplare abgesetzt werden, würde ich es dennoch schreiben. Vergiß das nicht, Pat. Ich habe mich in dieser Hinsicht kein bißchen geändert. Und damit ist meine Arbeit für heute getan. Ich werde jetzt einen Stuhl reparieren und eine Pflanze einsetzen. Und möge es uns allen gut ergehen. Morgen findet Adam seine zukünftige Frau.
11. April, Mittwoch Heute wird es langsam gehen mit der Arbeit. Es ist ein langsamer Tag. Alles wickelt sich langsam ab in mir. Da hilft nichts. O Gott, ich komme zu Seite 70, und in zwei oder drei Wochen werde ich die hundertste Seite überschreiten, was etwa zweihundertfünfzig Seiten Maschinenschrift ergeben dürfte. Das wird aber nicht vor dem ersten Mai sein. Gegenwärtig geht alles langsam voran. Anders läßt es sich nicht machen. Ich bin innerlich ruhiger, nachdem ich jetzt mit Cathys Vorleben endlich fertiggeworden bin. Warum es heute langsam geht, weiß ich nicht, aber es ist so. Gestern abend hatte ich eine Besprechung mit Harald Grieg, meinem norwegischen Verleger. Ein feiner Kerl, der eine Menge Bücher verkauft. Hat soeben eine neue Auflage von ›Mäusen und Menschen‹ 105
herausgebracht, 30 000 Stück. Dabei gibt es nur drei Millionen Norweger. Eine solche Auflage würde also hierzulande anderthalb Millionen Exemplaren entsprechen. Er sagt, er habe in Norwegen über 70 000 Exemplare der ›Früchte des Zorns‹ verkauft. Eine fantastische Zahl. Meine neue Brille ist gekommen, mit Metallgestell, sehr leicht. Wie sie aussieht, ist mir einerlei, ich brauche sie ohnehin nur zur Arbeit. Sonst kann ich meine alte weiterverwenden. Ich glaube, das menschliche Gemüt ist nichts als ein Muskel. Sein Tonus wechselt. Bei mir ist es gegenwärtig mit der Spannkraft nicht weit her. Ich bin innerlich durcheinander, ganz ungebärdig. Ich muß wohl schärfere Saiten aufziehen mit mir selber. Ich weiß nicht. Es gehen merkwürdige Dinge vor im Innern des Menschen. Gegenwärtig liegt es wohl daran, daß mir verschiedene Dinge gleichzeitig durch den Kopf gehen, und das arme, geplagte Ding ist der Überbeanspruchung nicht gewachsen. Manchmal wundere ich mich über Dinge, die ans Undenkbare grenzen. Und nun wieder zu meiner Strickarbeit.
12. April, Donnerstag Mir scheint allmählich, ich habe eine schlechte Woche. Mit der Energie geht es auf und ab, und diese Woche läuft sie bei mir ab. Ich ging gestern früh zu Bett, konnte aber nicht einschlafen, weil ich von 106
meiner Geschichte nicht loskam. Eine schwierige Woche. Ich bin noch nicht in Rückstand geraten, habe aber auch keinen Vorsprung gewonnen. Morgen kommst Du wieder her, um die Arbeit der Woche abzuholen. Auf diese Woche bin ich gar nicht stolz. Na ja, es muß wohl dieses Auf und Ab geben. Gegenwärtig herrscht Ebbe. Wie ich das hasse. Es ist zehn Uhr. Elaine ist aufs Land gefahren, um einen Besuch zu machen, und ich vermisse sie bereits. Der Ausflug wird ihr gut tun. Sie ist in letzter Zeit nie aus dem Haus gekommen, meistens war sie mit Malerarbeit beschäftigt. Vorläufig hat das Telefon noch nicht geklingelt. Hoffentlich kommt Louise nicht zu spät. Um diese Zeit beginnt sonst die Klingelei. Ich werde mein Pensum erledigen und dann spazieren gehen. Dann muß ich mich umtun wegen Europa nächstes Jahr. Werde mich mit den Leuten vom CrowellVerlag besprechen, da sie das wünschen. Wenn ich aber reise, möchte ich wieder meine frühere Anstellung bei der ›Herald Tribune‹ haben. Man läßt mich dort gehen, wohin ich will. Auch arbeite ich gerne für die ›Tribune‹. Ich stehe nicht mehr so unter Druck wie früher. Alexander vom Crowell-Verlag behauptet, John Hersey und ich seien die einzigen guten Reporter, die es heute gibt. Schmeichelhaft, aber unzutreffend. Heute habe ich nicht viel Zeit für diese Aufzeichnungen. Und bei meiner flauen Stimmung mache ich mich ungern an die Arbeit, aber ich muß wohl. Du weißt, seit ich mit diesem Buch anfing, habe ich kaum einen Arbeitstag ausgelassen. 107
Lobenswert, nicht? Schon klingelt es an der Haustür. Es fängt an, und ich muß auch anfangen. Also, an die Arbeit. Die Arbeit fällt mir etwas leichter, oder vielleicht habe ich mich bloß daran gewöhnt. Ich komme Kalifornien immer näher. Nächste Woche werde ich dort sein. Nur nichts überstürzen. Ich will eingehend schildern, wie Adam zumute ist und warum er auszieht. Es sollte nicht schwierig sein. Jetzt muß ich mich mit Cathy befassen. Ich trödle heute wirklich mehr, als ich darf. Sehen wir zu, was ich mit Cathy anfangen kann.
13. April [Freitag] Große Neuigkeiten – ›Zapata‹ wird gedreht werden. Colliers oder vielmehr Crowell wollen wirklich, daß ich die große Reise unternehme. Entweder heute oder morgen trifft meine Hobelbank ein. Alles sehr aufregend. Und heute kommst Du Aufzeichnungen holen. Ein ereignisreicher Tag. Ich glaube, ich weiß, wie die Geschichte heute verläuft. Und ich werde früh an die Arbeit gehen. Draußen herrscht wunderbares Frühlingswetter. Es lockt einen hinaus, aber ich darf nicht. Das gehört zu den Nachteilen. Ich fürchte, mit dem Abtippen dieser Seiten wird es hapern. Aber es muß sein. Es läßt sich nicht umgehen. Elaine streicht heute das Mädchenzimmer. Wir müssen schwer für unsere Dienstboten arbeiten, wir alle. Immerhin, Louise ist tüchtig und treu. Es würde ihr 108
nie einfallen, ihr Zimmer zu streichen. Deshalb ist sie ja Dienstmädchen. Das hat seine Vorteile und Nachteile. Und nun an die Arbeit. Ich muß gestehen, dies ist eine höchst liederliche Seite, aber das läßt sich nicht ändern, es ist nun einmal so. Nächste Woche will ich mir Mühe geben, säuberlicher zu schreiben.
16. April, Montag Wieder eine Woche, Pat. Hoffentlich ist die Flaute vorbei, aber das ist schwer zu sagen. Nachdem Du am Freitag hier gewesen warst, fiel mir ein – hoffentlich machst Du Dir keine allzu deutliche Vorstellung davon, wie dieses Buch aussehen wird; wenn es dann nämlich anders herauskommt, wirst Du enttäuscht sein, und das wäre mir nicht recht. Du darfst Dir vorläufig keine feste Meinung bilden. Heute ist ein grauer Tag, aber von der Art, wie ich das mag. Erinnert mich an Vormittage in Salinas, als ich höchst ungern aufstand und zur Schule ging. Auch heute bin ich höchst ungern aufgestanden. Mein Arbeitsgeist hat unter dem Wochenende etwas gelitten. Und Du weißt natürlich, daß ich auf dieses Buch, ehe ich damit fertig bin, noch oft einen tödlichen Haß haben werde. Es wird mir als das elendeste Zeug vorkommen, was je geschrieben wurde. Ich werde den Tag verwünschen, an dem ich damit anfing. Dieses Gefühl wird so um Seite 500 herum seinen Höhepunkt erreichen. Danach werde ich 109
gleichsam benommen weiterarbeiten. Und wenn es fertig ist, werde ich lange Zeit verschollen sein. Um eines möchte ich Dich bitten – diskutieren wir nicht mehr über das Buch, wenn Du zu Besuch kommst. Wir können dabei noch so behutsam vorgehen, es verwirrt mich und bringt mich aus dem Gleichgewicht. Reden wir also von jetzt an vom Wetter oder von Flöhen oder sonst etwas, nur nicht vom Buch. Auf diese Art kommen wir zu Überraschungen. Ich bin sicher, Du bringst Verständnis dafür auf. Wenn das Buch einmal fertig ist, kannst Du es verreißen, wenn Du willst, dann habe ich nichts dagegen, aber gegenwärtig vergessen wir beide, wie leicht das heikle Gleichgewicht gestört werden kann. Mitarbeit ist nie von Gutem, und das ist es, worauf diese Diskussionen hinauslaufen – Mitarbeit. Also, bitte, wenn Du nichts dagegen hast. Auch wollen wir aufhören, Seiten zu zählen. Ich hoffe, ich bin damit nicht ein schwieriger Kunde. Es ist einfach zu viel für mich, zu schreiben, zu rechtfertigen und zu kritisieren, alles auf einmal. Nacheinander, ja, mit Vergnügen. Die literarischen Auseinandersetzungen gehören auf diese armseligen Seiten. So wird es keinen Streit geben. Ich weiß, Du machst Dich lustig über meine Erfindungen und Einrichtungen. Aber damit verhält es sich wie mit dem Schreiben. Ich stamme von einer langen Reihe von Erfindern ab. Es liegt mir im Blut. Wir sind Bastler und werden es weiterhin sein. Allerdings begegnet man den Erfindern mit Mißtrauen und Furcht, und das erste, was man ihnen jeweils 110
vorwirft, ist, sie seien verrückt. Vielleicht sind sie es auch. Mein Vater war kein erfinderischer Mensch, und er behauptete immer, die Hamiltons seien verrückt. Er verstand sie eben nicht. Dann ist man verrückt. Auch brachten die Erfindungen der Hamiltons kein Geld ein. Geld hebt den Vorwurf der Verrücktheit auf. Nun kann ich wieder zum Buch zurück. Heute oder morgen wird dieses Kapitel* fertig. Es sind noch einige Aspekte übrig, aber nur geringfügige. Es wird eines der längsten Kapitel der Welt sein. Du wirst Dich fragen, warum Cathy Adam geheiratet hat. Nur keine Bange – sie wird es Dir sagen, aber vorläufig noch nicht. Sie wird es Dir sagen, wenn sie es ihm sagt, und darauf wirst Du noch drei umfangreiche Kapitel lang warten müssen. Und jetzt ist es wohl an der Zeit – heute Adam-Charles, Adam-Cathy, CathyCharles, Adam-Charles. Und damit wird es schließen. Vielleicht werde ich heute damit fertig, aber ich glaube nicht. Und damit lebwohl.
17. April, Donnerstag Meine Aufzeichnung gestern war wohl ziemlich dumm. Wenn man so vollständig in einem Buch aufgeht, wie das bei mir gegenwärtig der Fall ist, dann ist der Entschluß, nicht darüber zu reden, bestimmt vergeblich. Das ist also auch etwas, woran Du Dich * Schluß des elften Kapitels und Ende des ersten Teils. 111
nicht zu stören brauchst. Diese Aufzeichnungen wimmeln von Vergeblichkeiten. Aber das ist nun einmal so. Dieses Kapitel ist nun also abgeschlossen, und Du wirst zugeben müssen, etwas abrupt. Ich komme nun zu einem weiteren Hamilton-Kapitel, das gleichzeitig ein Übergangskapitel ist. Aber bevor ich darauf eingehe, muß ich sagen, daß ich mich über Pascals* Vortrag gefreut habe. Ich hoffe, Du bestellst es ihm. Er macht allgemein große Fortschritte, wahrscheinlich auch auf Gebieten, von denen wir nichts ahnen, das gehört sich so. Wie Du meinen Vorwurf des kaufmännischen Denkens aufgenommen hast, belustigt mich. Schön, ich leiste Abbitte. Aber Du hast wunderbar angebissen. Das ist auch eine von meinen Erfindungen. Und ich habe noch einige auf Lager. Manchmal wollte ich, ich könnte alles in dieses Werk stecken. Wenn ich meine ganze Energie dafür aufbrächte, wäre es in zwei Monaten fertig. Aber es würde mir nicht dasselbe Vergnügen bereiten. Und ich kann Dir wahrheitsgemäß versichern, daß mir noch nie ein Buch solches Vergnügen bereitet hat. Das heißt nicht, daß es deshalb gut ist, aber es macht mir wenigstens Freude. Und glaube bloß nicht, daß es mir immer leicht fällt. Was wäre noch zu sagen – ja, heute will ich womöglich Zirkuskarten besorgen für meine Jungen – * Pascal Covici jun., in seinem dritten Studienjahr an der Harvard University, hatte einen Vortrag über Steinbecks Werk gehalten, im Rahmen eines Abendkurses für Sekundarlehrer.
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die Samstagvorstellung. Sie sind schwer zu kriegen. Aber ich werd’s versuchen. Meine Hobelbank ist immer noch nicht gekommen. Warum, weiß kein Mensch. Sie hätte letzten Samstag hier sein sollen. Ich kann mein Zimmer erst einrichten, wenn sie kommt. Weißt Du, ich hatte da eben einen glänzenden Einfall, was die Hobelbank betrifft. Eine großartige Idee. Die werde ich mir nicht entgehen lassen. Heute scheine ich innerlich etwas zerfahren. Dabei kommt heute als erstes eine lyrische Schilderung. Und weißt Du, ich habe keine Ahnung, an welchem Kapitel ich bin. Ich glaube Nr. 4, aber ich bin nicht sicher.* Ich werde es jedenfalls so nennen. Das mit den Satztiteln für die längeren Abschnitte habe ich mir überlegt. Es hat viel für sich. Die Ostküste habe ich nun hinter mir, und ich werde nie dorthin zurückkehren. Du findest vielleicht, ich sei zu lange in Connecticut geblieben, aber ich mußte doch zeigen, wo die Trasks herkommen und was sie nach Kalifornien brachte. Doch nun sind sie dort. Mit einem einzigen Satz werde ich sie dorthin bringen. Wir sind im Jahr 1892. Der Grund dafür ist folgender: Ich möchte, daß Cathys Sohn 1952, wenn das Buch herauskommt, sechzig Jahre alt ist, weil Cathys Enkel 1952 zwanzig Jahre alt sein sollte. Diese Altersangaben sind für das Buch wichtig. Die eine Gestalt, die Du nicht verstehen wirst, ist Cathy, und das liegt daran, daß Du sie nicht kennst. Cathy * Es wurde das dreizehnte Kapitel. 113
sagt manchmal die Wahrheit, aber sie ist wie […] Ihre Lügen nimmt man ihr ab, wenn sie aber die Wahrheit sagt, klingt es nicht glaubhaft. Und jetzt heißt es arbeiten und Schluß mit diesem Unfug. Ich weiß natürlich, Pat, daß es unorthodox ist, den obigen Glaubensartikel in den Text hineinzunehmen, aber ich habe Dir ja bereits gesagt, daß der Erzähler voreingenommen ist. Und was meine Betrachtungen anbetrifft, finde ich es ehrlicher, sie als solche einzuschalten, als sie auf Umwegen einzuschmuggeln, damit der Leser sie nicht als Meinungsäußerung erkenne. Es wird Dir schon aus dem Bisherigen klargeworden sein, daß die erzählerische Technik dieses Buches in einem scheinbaren Mangel an Technik besteht, und glaube mir, das ist nicht leicht. Die Trask-Geschichte war etwas recht Schreckliches. Ich finde es gut, in aller Ruhe einen Rückblick darauf zu werfen – als Verschnaufpause für den Leser, damit er sich darüber Gedanken machen kann, wobei ich seinen Gedanken vielleicht etwas nachhelfe. So werde ich es jedenfalls halten. Betrachtungen sind nicht zu verachten, obwohl sie heutzutage unbeliebt sind. Ich finde, die Trasks sind mir gut geraten, und bin froh, daß ich das hinter mir habe. Ich werde sie nach Kalifornien bringen und dann zu den Hamiltons übergehen. Bei diesem Kapitel wird Dir die kontrapunktische Anlage wohl endgültig klarwerden. So will ich mich denn wieder an die Arbeit machen und wünsche mir viel Glück.
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18. April, Mittwoch Gestern verbrachte ich den Abend mit Odets und Juan Negrin* und blieb zu lange auf. Infolgedessen bin ich heute müde und mochte nicht aufstehen. Das wird sich mit der Zeit geben. Mit dem Verbindungsstück im vierten Kapitel bin ich zufrieden, Du nicht auch? Habe es gestern abend Elaine vorgelesen, und es hat ihr gefallen. Heute tut sich allerhand. Kazan kommt am Nachmittag her, um Sommerpläne zu besprechen. Ich werde versuchen, für Samstag Zirkuskarten zu bekommen. Sehr schwer zu bekommen. Bin immer noch dabei, meine Hobelbank einzurichten, aber das wird ohnehin noch dauern. Werde mir wohl eine Holzfaserplatte beschaffen müssen, um sie zu decken. So viel zu tun. Ob ich das wohl alles schaffe? Muß wohl, muß wohl. Wenn ich Zirkuskarten für Samstag oder Sonntag bekomme, werde ich die Jungen am Tag vorher holen und über Nacht bei uns behalten. Heute ist der MacArthur-Umzug.** Werde mich hüten, auf die Straße zu gehen. Hier wird an einer politischen Laufbahn geschmiedet, das ist allmählich unverkennbar. Traurig, die Machenschaften der kleinen Gemüter. Wie zynisch die sein müssen. Wenn ich bei Verstand wäre, würde ich heute wohl über-
* Clifford Odets, der Dramatiker; Juan Negrin, Nervenarzt in New York, ein Freund Steinbecks, der Covici an ihn verwiesen hatte (siehe Seiten 204 und 233). ** General Douglas MacArthur.
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haupt nicht schreiben, aber ich tue es doch. Wäre es nicht ein Witz, wenn ich die Gestalten in meinem Buch einfach stehen und auf mich warten ließe? Wenn sie zudringlich und ungebärdig werden, habe ich sie in der Hand. Sie können sich nicht regen, bis ich einen Bleistift ergreife. Erstarrt, mit angehobenem Bein stehen sie da und mit demselben Lächeln, das sie gestern hatten, als ich aufhörte. Es kommt jetzt noch eine letzte schlimme Episode, bevor ich zur Hamilton-Saga übergehen kann. Schwer zu sagen, welche Geschichte ich zuerst erzählen soll – es sind deren so viele. Aber ich muß endlich dazu kommen, als Gegengewicht gegen die trostlosen Anfangskapitel mit den Trasks. Jetzt gilt’s wohl. So, da wäre die erste Episode. Und jetzt werden wir uns etwas Bewegung verschaffen. Höchste Zeit, wirst Du sagen. Ich habe mich sehr dicht an diese eine Geschichte gehalten, bin aber doch weit damit herumgekommen. Mein Wunsch geht dahin, den Leser am Ende des Buches mit dem Gefühl zu entlassen, er gehöre gewissermaßen dazu. Er stammt dann auch aus diesem Tal und steht mit vielen seiner Bewohner auf mehr oder weniger vertrautem Fuß, als hätte er alles miterlebt. Ich möchte, daß der Leser vergißt, wo er die kleinen Abhandlungen gelesen hat, und sogar glaubt, er habe sie sich selber ausgedacht. Das ist doch sicher nicht zu viel verlangt. Obwohl ich das Buch noch nicht mit Dir besprechen möchte, glaube ich doch, Du findest auch, es lasse sich sehr gut an. Es 116
kommt langsam aber sicher in Gang, vom Gewicht der Handlung getrieben. Sein ständig wechselnder Stil beginnt allmählich zu wirken. Bei einem langen Roman muß man durch Stimmungswechsel dafür sorgen, daß er nicht beschwerlich wird. Das ist auch etwas, das ich noch nie mit Dir besprochen habe. Wenn einer einen allzu glatten Stil schreibt, kann der Leser am Ton vorauserkennen, was kommt. Dieser Gefahr möchte ich durch ständigen Stilwechsel begegnen. Und nun wieder an die Arbeit – die zweite Hälfte meines Tagewerks.
19. April, Donnerstag Abermals ein Tag, aber diesmal bin ich nicht müde. Tiefer Schlaf hat mich erfrischt. Heute ist MacArthurTag, und dieser großmächtige Korinthenkacker wird mit seinen Gemeinplätzen die Luft verpesten. Wenn er überhaupt etwas ausstrahlt, dann Scheinheiligkeit. Was hält wohl seine Frau von ihm? Heute darf ich nicht lange bei diesen Aufzeichnungen verweilen; es drängt mich, die Hamiltons mit Adam Trask bekanntzumachen. Dabei verfolge ich den Zweck, das Salinas-Tal vom Standpunkt seiner Bewohner aus zu schildern, die Zuversicht der Leute zu zeigen und ihre Findigkeit. Dabei kommt auch die Art, wie Samuel denkt, zur Geltung, und Adam erhält einen Vorgeschmack der Gegend. Vergiß nicht, daß er jetzt zum Salinas-Tal gehört. Das dürfte genügend Stoff sein für einen Tag. Elaine staunt immer, wie 117
weit ich an einem Tag komme. Also, an die Arbeit. Vielleicht kommt später noch etwas zu diesen Notizen hinzu. – Ach ja, ich habe mir heute ein Werkzeuggestell ausgedacht – ein Glanzstück, wie Du seinesgleichen noch nie gesehen hast. Heute werde ich es verfertigen. Du wirst Augen machen morgen, wenn Du es besichtigst. Und jetzt ist es Zeit, mich an die Arbeit zu machen. Es ist noch früh, ich werde zeitig Feierabend machen können. Fangen wir also an. Halbzeit. Ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, was die Leute von der Gegend und von den Hamiltons hielten. Wie die Leute zueinander stehen, ist oft am aufschlußreichsten für eine Gegend. Wenn ich das richtig hinkriege, wird es mich freuen, und damit weiter im Text.
20. April, Freitag Der letzte Arbeitstag der Woche. Ich bin etwas ermüdet und hoffe nur, den Tag zu überstehen, aber es ist einer dieser Tage, die unüberstehbar scheinen. Ich kämpfe gegen eine Erkältung an, und das ist etwas, das ich gegenwärtig nicht brauchen kann. Auch bringt es eine gewisse Stumpfheit mit sich. Ich baue nur auf eines. Ein Buch kommt manchmal aus reinem Beharrungsvermögen vorwärts, und hoffentlich ist dieses dann groß genug. Heute nachmittag die Jungen und morgen der Zirkus, da muß ich wieder 118
wohlauf sein. Ich glaube, mit der Zeit langweilt sie der Zirkus, aber er bedeutet ihnen doch etwas – schon das Hingehen ist ein Ereignis. Und ich muß gestehen, ich gehe auch gerne hin. Heute ist mein Kopf ein mangelhaftes Werkzeug – sehr mangelhaft. Dabei ist es ein wichtiger Tag im Buch. Ich wollte auf das Wesen des Tals eingehen. Das werde ich auch, aber es sollte scharf und deutlich und wirksam herauskommen. Ich suche mir verzweifelt zu vergegenwärtigen, wie sich das anhörte, wenn mein Großvater sprach. Mein Gedächtnis ist vielleicht nicht ganz zuverlässig, aber ich möchte wenigstens ein Gefühl davon geben. Er fand immer treffende Vergleiche, denen ich nahezukommen suche. Da er Brunnenmacher war, wußte er über den Boden Bescheid, und als Erfinder trachtete er immer danach, ihn zu verbessern. Heute wird es harzen. Zum Glück bin ich früh dran. MacArthur wird heute umherstolzieren, und es wird lärmig werden. Unser guter, schüchterner Prokonsul (der Schmierenschauspieler) hat heute seinen großen Tag. Ich werde mich mit dem Buch gegen den Trubel schützen müssen. Dieselbe Menschenmenge, die ihm heute zujubelt, wird sich morgen gegen ihn wenden. Nun, ich glaube nicht, daß er Präsident wird. Noch zwei Reden wie die von gestern, und er ist erledigt. Wörter richtig auszusprechen, darüber ist er erhaben. Ich verabscheue ihn. Er hat absolut keine Demut. Doch zurück zu meinem Ausgangspunkt. Es geht mir keineswegs besser. Verdammt nochmal, bin ich 119
müde. Werde mir eine Tasse Kaffee holen, und dann an die Arbeit. Später. Bin aus dem Schlimmsten heraus. Die Geschichte mit dem Sofa ist wahr. Die Schwestern Williams – eine ist kürzlich im Alter von 85 Jahren gestorben – haben sich zeit ihres Lebens daran erinnert. Überhaupt, alle Hamilton-Geschichten sind wahr.
20. April, Fortsetzung Dieser Abschnitt wäre also unter Dach, und damit die Arbeit der Woche. Es ist mehr als ein Tagespensum geworden, aber ich wollte den Abschnitt zu Ende führen. Hoffentlich kann man sich von Samuel Hamilton ein Bild machen. Redselig ist er, gewiß, aber er hat eine gute Witterung. Deutlich machen wollte ich vor allem seine geistige Lebendigkeit, seine handwerkliche Fähigkeit und die seltsame Poesie, die er um sich verbreitete. Sein singender Tonfall ist mir durchaus gegenwärtig, und er drückte sich bestimmt sehr bildhaft aus, ich sehe ihn nämlich umgeben von Vögeln und Tieren und Lichtern aller Art. Auch wollte ich beschreiben, wie der Boden war. Das geht langsam, aber ich hoffe, es läppert sich zusammen. Als nächstes kommt meine Mutter an die Reihe – ein Abriß ihres Lebens, mit dem Flugzeugerlebnis am Schluß, das sehr komisch ist. Bei den Hamiltons springe ich mit der Zeit ganz willkürlich um. Es sind ihrer so viele, daß ich sie unmöglich alle gleichzeitig 120
auftreten lassen kann. Ich glaube deshalb, die Hamilton-Kapitel werden das Leben der Kinder umreißen. Das nächste Trask-Kapitel wird lang werden, sehr lang. Es handelt von der Einrichtung der Ranch, der Geburt der Zwillinge, den ersten beiden Jahren ihres Lebens und von Cathys Abgang. Ein äußerst umfangreiches Kapitel, für das ich mindestens zwei Wochen brauche. Dann kommt wohl Cathys Leben in Salinas. Und damit genug für heute. Jetzt will ich an etwas anderem arbeiten, um zur Ruhe zu kommen. Ich bin heute ganz fahrig vor Müdigkeit.
22. April, Sonntag Keine Arbeit heute, aber vielleicht ein paar Notizen. Gestern mit den Jungen im Zirkus. Gut unterhalten. Sie wollten Hörner aus Kuhhorn und Gummitulpen und haben beides erhalten. Dann auswärts zum Essen. Verlor eine große Zahnfüllung, was mich ärgerte, aber ich gehe lieber jetzt zum Zahnarzt als diesen Sommer. Heute habe ich meine Hobelbank gestrichen. Sie ist jetzt fertig und kann in Gebrauch genommen werden. Morgen wieder an die Arbeit, und obwohl ich mir am Freitag etwas zuviel zumutete, kehre ich doch gern zu meinem Buch zurück. Morgen kommt die Geschichte meiner Mutter dran, eine Art Lebensgeschichte in Anekdoten.
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23. April, Montag Lieber Pat! – schon wieder eine Woche. Ich muß sagen, trotz dem Zirkusbesuch mit den Jungen habe ich mich nie weit vom Buch entfernt. Ich habe an fast nichts anderes gedacht. Merkwürdig, dieses Doppelleben – das Buch und was immer sich sonst ereignet, beides läuft nebeneinander her. So muß es wohl sein. Es heißt, wenn einer sein ganzes Leben voraussehen könnte, würde er es nicht leben wollen. Er würde sich also gleich umbringen. Etwas ähnliches widerfährt mir jeweils am Wochenende, wo ich nicht arbeite. Ich hebe meinen Blick von der Kleinarbeit des Tages, und eine panische Angst überfällt mich. Die Größe und die Schwierigkeit des Unternehmens ragen vor mir auf und erschlagen mich. Und doch muß man ab und zu das Ganze ins Auge fassen. Es ist wie beim Schwimmen; wenn man den Kopf aus dem Wasser streckt, vermindert das die Geschwindigkeit, aber man weiß wenigstens, wo man hinkommt. So wie ich es sehe, wird es ein gutes Buch, aber eine auch nur geringfügige Verschiebung genügt, und es wird unverständliches Zeug. Ich weiß, der Leser liebt es nicht, sich bei Betrachtungen aufzuhalten, die in die Handlung eingeschoben sind. Schließlich wollen ja die Leute auch unbedingt ihr Leben weitertreiben, und nicht etwa darüber nachdenken. Man wird auch sagen, ich hätte die Hamiltons auslassen können, weil sie unmittelbar nichts zur Entwicklung der Trasks beitragen. Ich muß da sehr hartnäckig bleiben. Der Roman handelt nämlich nicht von den 122
Trasks, sondern vom ganzen Tal, das ich als Abbild der ganzen Nation verwende. Er ist keine Heldendichtung. Ich weiß, ich werde diesen Kampf ausfechten müssen. Es hat mich gefreut, daß Pascal einen Vortrag über mich hielt; ich wollte, ich hätte dabeisein können. Vielleicht hätte ich allerlei Brauchbares erfahren. Man arbeitet ja zum großen Teil in seinem eigenen Dunkel, ohne sich richtig bewußt zu sein, was man tut. Ich glaube, ich weiß besser, was ich tue, als die meisten Schriftsteller, aber das will nicht viel heißen. Zum Beispiel weiß ich nicht, warum mich gegenwärtig die Kritik beschäftigt, der ich doch keinerlei Mitspracherecht an meiner Arbeit einräume. Diese stellt gewissermaßen eine Autobiographie des Tales dar. Vielleicht wäre es gut, einen Abschnitt über die Ortsnamen einzufügen. Manche scheinen nämlich etwas gesucht, wenn man nicht weiß, daß es in der Gegend viele seltsame und aufschlußreiche Namen gibt. Findest Du nicht auch, der Zeitpunkt wäre günstig? Die Leute interessieren sich für Ortsnamen. Ich glaube es wenigstens. Es kommt jedenfalls hinein. Es wird allmählich Zeit, an die Arbeit zu gehen. Auf der letzten Seite hat Adam das Bordonigut gekauft. Jetzt werde ich Adam und Cathy eine Zeitlang sich selber überlassen, damit Cathy ihr Kind austragen kann. Wenn sie dann wieder auftreten, wird Zeit vergangen sein. Inzwischen befasse ich mich mit allerlei anderen Dingen – zuerst den Ortsnamen, dann mit einigen Anekdoten meiner Mutter. Ich bleibe bei 123
ihr, bis ich soweit bin, mich wieder mit den Trasks befassen zu können. Auch mit den andern Kindern Samuels werde ich mich vorher noch beschäftigen. Und nun an die Arbeit.
24. April, Dienstag Tag für Tag geht es weiter. Und nach und nach entsteht ein Bild. Es scheint vielleicht allzuviel Zeit zu beanspruchen, aber ich habe da eine Theorie (du lieber Himmel, die vielen Theorien, die Du über Dich ergehen lassen mußt). Es gibt Leute, die von vornherein jeder Theorie und Spekulation feind sind. Meistens sind es innerlich unsichere Menschen, die sich krampfhaft an Tatsachen festhalten. Das Bedenkliche dabei ist nur, daß Tatsachen heutzutage oft rasch ihre Bedeutung ändern, wodurch der Tatsachenmensch wiederum den Boden unter den Füßen verliert. Anderseits ist eine Theorie einfach der Versuch, sich die Welt geistig zurechtzulegen. Der Theorienfeind kann nicht glauben, daß das wichtig ist. Für ihn ist eine Theorie ein Lügengespinst, bis sie bewiesen ist; dann wird sie zur Wahrheit oder Tatsache. Aber Freude macht sie ihm nicht. Nun also zu meiner Theorie. Du hast schon oft gesagt, und Harold* auch, ein großes Buch sei wichtiger und habe mehr Autorität als ein kurzes Buch. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber im allgemeinen trifft das zu. Ich habe * Harold K. Guinzburg, Präsident der Viking Press. 124
versucht, eine einleuchtende Erklärung dafür zu finden, und bin schließlich auf folgende Theorie verfallen: Der Mensch wird innerlich von tausenderlei Dingen belästigt, von den Steuern und der Kriegsgefahr bis zu den Fleischpreisen, heute mehr denn je. Alles das zusammen bewirkt, daß einer sich mit seiner Frau herumzankt, weil das die einfachste Art ist, Dampf abzulassen. Nun müssen wir uns ein Buch vorstellen als einen Keil, der in das Innenleben eines Menschen getrieben wird. Ein kurzes Buch ist bald wieder draußen. Ein solcher Keil wird ins Gemüt eindringen und wirken und hinterläßt, wenn er herausgezogen wird, einen Einschnitt, der noch nicht verheilen konnte. Ein langes Buch hingegen dringt langsam ein und bleibt eine Zeitlang drin. Das Gemüt kann um den Keil herum vernarben. Verfolgen wir den Vergleich noch etwas weiter. Wenn der rasche Keil zurückgezogen wird, schließt sich das Gemüt wieder genau so zusammen, wie es vorher war. Beim langen Buch kann es um die Form des Keils herum verheilen, so daß dann, wenn dieser schließlich entfernt und das Buch hingelegt wird, das Gemüt nie mehr ganz das sein wird, was es vorher war. Das ist meine Theorie, die vielleicht erklärt, warum ein langes Buch wichtiger ist. Daß einer länger damit lebt, verleiht ihm größere Macht. Falls das stimmt, ist ein langes Buch, auch wenn es nicht so gut ist, immer noch wirksamer als ein ausgezeichnetes kurzes Buch. Was hältst Du von dieser Theorie? Zurück zu meinem eigenen Buch. Ich finde es 125
wichtig, ausführlich auf das Schulsystem einzugehen, ebenso wie es notwendig sein wird, auf die Prostitution einzugehen. Beides ist kulturgeschichtlich aufschlußreich. Wenn man es genau nimmt, ist überhaupt alles aufschlußreich. Ich lerne mancherlei – nicht alles schmeichelhaft für mich, aber alles wichtig. Ich lerne, in welchem Maße ich Fachmann bin, und auch, daß man als Fachmann immer mehr weiß über immer weniger. Ein Beispiel. Wenn ich in diesem Ausmaß und mit dieser Ausschließlichkeit an einem Buch arbeite, heißt das, daß ich ein zweites Leben führe. Mit der Zeit gebe ich dem zweiten Leben mehr als dem ersten. In diesem muß es dann sehr schwer sein, mit mir auszukommen, nicht weil ich kleinlich bin, vielmehr weil ich gedankenlos bin. Ich vergesse die gewöhnlichsten Dinge. Ich trage wohl ein dummes Gesicht zur Schau und bin schwer von Begriff. Mit der Zeit wird eine Frau zuerst unruhig, dann unsicher und schließlich ungehalten. Ich weiß nicht, was sich dagegen tun läßt. Und ein Buch wie dieses zieht sich furchtbar in die Länge. Man kann es in ein paar Tagen lesen, aber es dauert Jahre, bis es ausgedacht und geschrieben ist. Es muß sehr lästig sein, mit ihm zusammenzuleben, wenn man es nicht selber schreibt. Diesmal gebe ich mir ausgesprochen Mühe, beiden Leben zu genügen, nicht immer mit Erfolg. Aber ich gebe mir wenigstens Mühe. Dann noch etwas – ein Vorgang, der von weitem bunt und romantisch wirkt, muß sich für den, der täglich damit in Berührung kommt, abstumpfen. 126
Schließlich wird er vielleicht zum Nebenbuhler, zum Feind. Das muß nicht sein, aber ich habe es schon zweimal erlebt. Ende der Mitteilung. Heute habe ich einen kleinen Vorsprung gewonnen. Ich schreibe nicht gern zuviel, weil ich sonst ins Hasten komme und mich eines Tages so müde schreibe, daß ich am nächsten Tag überhaupt nicht arbeite. Das langsame, gezügelte Verfahren ist das beste. Ich kam zum Flugzeugabenteuer meiner Mutter, aber ich zügelte mich und ließ sie noch nicht tatsächlich ins Flugzeug steigen. Das kommt morgen. Ich glaube, ich werde morgen mit ihrer Lebensgeschichte fertig. Ein merkwürdiges Gefühl, Menschen, die einem nahestehen, zu zergliedern und zu Papier zu bringen. Ich sehe aber nicht ein, warum ich es nicht tun soll. Sie gehören mir, und ich kann mit ihnen anfangen, was ich will. Es war ein guter Arbeitstag, ohne schädliche Nebenwirkung. Ich habe lange am Schreibtisch gesessen, und der Bleistift fühlte sich gut an. Draußen ist es sonnig und warm, und die Knospen sind bald am Platzen. Es ist wohl gut, daß ich Schriftsteller geworden bin. Ich bin ohnehin zu faul für etwas anderes. Damit verabschiede ich mich von Dir bis morgen. Muß Briefe schreiben. Manchmal befällt mich nachts die bekannte Heidenangst, aber tagsüber ist sie gottlob so ziemlich verschwunden, außer ganz zu Anfang und auch da nicht jeden Tag. Und nun Schluß mit dem Gekritzel. In meinem anderen Leben habe ich auch noch zu tun. 127
25. April, Mittwoch Woche und Monat vergehen rasch. Noch vor dem ersten Mai werde ich die hundertste handgeschriebene Seite überschreiten. Im ganzen wird das Buch rund vierhundert umfassen, am ersten Mai werde ich also ein Viertel hinter mir haben, und das entspricht meinem Zeitplan. Wenn es so weitergeht, werde ich auf den vorgesehenen Zeitpunkt fertig. Ich habe am 19. Februar angefangen, das heißt vor etwas mehr als zwei Monaten. Das Buch sollte somit acht Monate beanspruchen und am ersten November fertig sein – falls nichts dazwischen kommt, und es wäre ein merkwürdiges Jahr, wenn sich nichts Drastisches ereignete. Rechne ich zwei Monate für Unvorhergesehenes, bin ich wohl bis Weihnachten fertig. Aber beschleunigen kann ich die Arbeit nicht, sonst halte ich es nicht so lange dabei aus. Zwei solche Seiten täglich, das ist ungefähr das richtige für dieses Buch. Merkwürdig, wie jedes Buch sein eigenes Tempo hat. Die ›Früchte des Zorns‹ entstanden überstürzt, und das möchte ich bei diesem Buch vermeiden. Langsam aber sicher, heißt es diesmal. Ich muß sagen, ich denke an fast nichts anderes mehr. Den Tisch habe ich neu gestrichen, und da er noch nicht ganz trocken ist, schreibe ich auf einem Pappdeckel. Schön früh dran heute. Ein grauer Tag, wie er mir gefällt. Fast wie ein Tag in Monterey. Dachte gestern nacht, wie viele Leben ich geführt und wieviel Zeit ich vergeudet habe. Man sollte nicht so denken, tut es aber manchmal unwillkürlich. Üble kleine Dinge 128
tauchen auf wie faulige Blasen aus einem Sumpf. Und vielleicht ist es gut, wenn dergleichen manchmal an die Oberfläche kommt. Es kann sonst das Gemüt vergiften, wer weiß. Dumm ist es dagegen, verlorener Zeit nachzutrauern. Ich habe ein Gefühl, das sich nicht überprüfen läßt, wonach das Trübsalblasen für die seelische Gesundheit mehr oder weniger notwendig ist. Ich glaube, die Trübsal ist immer da, und nur wenn sie ins Bewußtsein aufsteigt, finden wir für sie eine bestimmte Richtung. Wenn das nicht so wäre, würden wir uns nicht wegen so lächerlicher Dinge den Kopf zerbrechen. Da aber die Grundstimmung da ist, finden wir immer etwas, worauf wir sie anwenden können. (Theorie?) Meine Theorien werden Dir noch auf den Magen schlagen und den Verstand umnebeln. Schön gesagt, nicht? Nun wieder zurück zum Buch. Hoffentlich kann ich das Kapitel heute beenden. Das ist dann alles, was von meiner Mutter vorkommt. Ich finde, sie ist nicht so gut getroffen wie andere, aber das ist wohl natürlich. Jemanden, der einem so nahe steht, kann man nicht objektiv kennen. Ich sehe die Möglichkeit jedenfalls nicht. Die große Geschichte der Hamiltons ist die von Onkel Tom und seiner Schwester Dessie – Dessies Tod und Toms Selbstmord. Aber das kommt erst ziemlich spät im Buch, da es durch keine andere HamiltonGeschichte zu übertreffen ist – eine schrecklich-schöne Geschichte. Und nun an mein Tagewerk. So, das wäre getan, und ich hoffe, es gefällt Dir. Jetzt kann ich wieder auf die Trasks zurückkommen. 129
Das wird wieder ein langes Kapitel, mit der Geburt der Zwillinge und Cathys Abgang. Ein langes und äußerst wichtiges Kapitel.* Es wird sehr ausführlich sein. Und Du darfst Dir keine Sorgen machen wegen Cathy. Sie wird immer gegenwärtig sein, auch wenn sie in der Geschichte nur noch wenige Male auftaucht. In diesem Kapitel treten die Beziehungen zwischen den Trasks und den Hamiltons ans Licht, die Einleitung ist damit wohl vorbei, und wir können den Gang durch das Jahrhundert antreten. Vielleicht hat Dir das zu lange gedauert, aber es mußte so sein. Kazan kommt am Donnerstag ungefähr um zwei Uhr, um mit mir am Drehbuch zu arbeiten. Ich glaube, ich werde um vier oder fünf Uhr früh aufstehen, damit ich mit dem Pensum vorher fertig werde. Es liegt mir daran, keinen Tag auszulassen, obwohl ich weiß, daß ich viele Tage versäumen werde, bevor das Buch fertig ist. Damit ist zu rechnen. Aber jeder Tag, den ich nicht versäume, ist hilfreich und wertvoll. Manchmal stehe ich im Licht, und manchmal überschattet mich Trauer, aber das läßt sich nicht ändern, man muß mit diesen Gegensätzen leben. Und nun muß ich mich bis morgen verabschieden.
26. April, Donnerstag Ich glaube, heute hat es keinen Sinn, arbeiten zu wollen. Alle Knochen im Leib tun mir weh, und ich habe * Es wurde zum 15. und 16. Kapitel. 130
keine Ahnung, warum. Vielleicht ein Grippeanfall. In dieser Beziehung habe ich bisher Glück gehabt. Sogar die rechte Hand und der Arm tun mir weh. Vielleicht bessert sich das im Laufe des Tages. Und meine Stimmung ist sehr gedrückt. Es ist aber noch früh. Es kann sich bessern. Morgen werde ich leider einen Tag verlieren. Kazan will von mir ein letztes Stück am Drehbuch, und er behauptet, am Nachmittag nicht arbeiten zu können. Nun, es wird das erstemal sein seit langer Zeit, also wenn schon. Und heute habe ich den ganzen Tag vor mir. Könnte sogar das Pensum etwas überschreiten. Gegenwärtig bin ich allerdings gar nicht in Form. Hoffentlich gibt sich das im Laufe der Zeit. Ich habe mir nichts anmerken lassen. Elaine hat heute ihre eigenen Sorgen, und diese möchte ich nicht vermehren. Und meine Besserung macht rasche Fortschritte. Ich fühle mich bereits besser. Ich dachte, ich könne es mit Gewalt durchsetzen, und das war ein Irrtum. Manchmal mute ich mir etwas zu viel zu. Es kann nichts schaden, an seine Grenzen erinnert zu werden. Die Zeit verstreicht, und ich suche immer noch den Anstoß zur Arbeit und kann ich ihn nicht finden. Merkwürdig, nicht? Aber ich sitze wenigstens mit Verbissenheit da, bis es klappt, auch wenn die Vorwärmung nicht sehr rasch wirkt. Jawohl, heute ist es ein Kampf. Mir ist nicht gut, aber das ist nicht alles. Vielleicht ist es die Grundfaulheit, die sich wieder einschleicht – wer weiß. Stoffmangel ist es bestimmt nicht. Stoff habe ich übergenug. Ich muß mich ein131
fach an die Arbeit machen. Mit Gewalt geht alles. Ich glaube, es ist jetzt Zeit dazu. Nun, es geht, so gut es eben geht. Und geschadet hat es nichts, soweit ich sehe. All diese Kleinigkeiten – sie machen sich manchmal unliebsam bemerkbar. Großes und Starkes ist wohl viel weniger gefährlich als all die Kleinigkeiten. Die Natur (was immer man darunter versteht) läßt die Kleinen und Schwachen sich schneller vermehren. Und das stimmt natürlich nicht. Was sich nicht schneller vermehrt, als es stirbt, das stirbt aus. Wie steht es aber mit den kleinen Schwächen, den kleinen Schmerzen, den kleinen Sorgen? Die Verstimmung der Welt kommt nicht von den großen Fragen, sondern von kleinen Ärgernissen. Das Große kann einen umbringen, wenn man es aber übersteht, geht man gestärkt daraus hervor. Vernichtet wird der Mensch durch Nörgeleien, kleine Rechnungen, falsche Anschlüsse, Fußpilz, Unkraut, Schnupfen, Langeweile. All die kleinen Ärgernisse, aus denen niemand gestärkt hervorgeht. Heute habe ich beim Herumplempern zwei Gestelle verfertigt, viele Löcher gebohrt und an Deinem Kästchen angefangen. Das wird einige Zeit brauchen, aber der Anfang ist gemacht. Du hast gesagt, Du möchtest ein Kästchen, um allerhand darin aufzubewahren, aber Du hast nicht gesagt, was. Ich muß deshalb selber entscheiden, was Du in einem Kästchen verstauen könntest, ohne selber hineinzufallen. Und damit ist es Zeit, um aufzuhängen. Es taugt nichts, ich werde es streichen. Bisher hatte 132
ich noch nicht oft Tage, die ein Fiasko waren, aber dieser war von Anfang an katastrophal. Elaine werde ich nicht damit behelligen. Sie hat tausenderlei zu tun. Mich soll es auch nicht kümmern, es ist einfach ein verlorener Tag. Vielleicht kann ich ihn nächste Woche einholen. Das heißt, diese Woche gehen zwei Tage verloren. Das läßt sich schwer einholen, aber vielleicht tut es mir gut, etwas auszusetzen. Ich werde mich deswegen nicht grämen, aber ich wollte, ich wüßte, woher das kommt. Ging gestern früh zu Bett, habe zufrieden etwas gelesen, gut geschlafen. Bin früh aufgestanden, und plötzlich war mir schrecklich zumute – einfach schrecklich. Habe dagegen angekämpft und kam wieder aufs Trockene. Dann zwang ich mich zur Arbeit, und alles kam falsch und künstlich und dumm heraus. Ich suchte mir einzureden, es scheine nur schlecht, aber es war wirklich schlecht. Unbrauchbar. Was könnte bloß daran schuld sein? Keine Ahnung. Jeder hat eben seine toten Punkte.
30. April, Montag Donnerstag war also ein Fiasko, und am Freitag kam Kazan, um mit mir zu arbeiten. So habe ich letzte Woche zwei Tage versäumt. Deshalb lasse ich mir ja Spielraum. Was am Donnerstag los war, weiß ich nicht. Es war einfach nichts mit mir anzufangen. Das geht wohl jedem manchmal so. Gestern abend gingen wir aus – zuerst zu Faye Emerson und dann in den 133
Stork-Club, wo Joan Crawford gefeiert wurde. Ich habe aber nicht getrunken, und um elf waren wir wieder zuhause. Nicht viel Schlaf, aber wenn schon. Ich habe mich genügend erholt. Vielleicht war es der neue Teil, vor dem ich zurückschreckte. Wie wenn man ein neues Buch anfängt, oder die Fortsetzung eines früheren. Heute werde ich die Sache in Gang bringen. Muß wohl. Zu den Mißlichkeiten letzte Woche gehörte, daß mir zwei Füllungen herausfielen, und bis die wieder drin sind, habe ich ständig ein leichtes Schädelbrummen und Zahnweh, allerdings nicht so arg, daß es mich am Arbeiten hindert. Habe ich Dir schon erzählt, daß ich in die Stadt ging, um ein Klavier zu besichtigen – ein wunderbares Instrument –, habe es gekauft. Geliefert wird es erst in einem Monat, aber wenn es dann da ist, kann Pascal uns etwas vorspielen, wenn er will. Das Klavier ist ohnehin mein Lieblingsinstrument. Vielleicht läßt er sich dazu bewegen. Daß Tom den Preis* gewonnen hat, war schön. Er tat, als mache er sich nichts daraus, doch als sein Name ausgerufen wurde, krähte er: »Hier!« Die Zeit verstreicht, und ich habe noch kein einziges Wort geschrieben, aber ich glaube, ich bin bald soweit. Bald! An der Energie fehlt es nicht. Und eine erstaunliche Anzahl hübscher Mädchen geht draußen vor dem Fenster vorbei. Ich habe viel für hübsche Mädchen übrig, bin aber inzwischen alt genug, um * Für den Entwurf eines Verkehrssicherheits-Plakates. 134
mich nicht mit ihnen abgeben zu müssen. Und das ist eine Erleichterung. Natürlich – so muß es weitergehen. Ganz einfach, wenn es einem schließlich einfällt. So ist es nun mal. Da balgt man sich mit einer Geschichte wochenlang Tag für Tag herum, und auf einmal legt sie sich selber zurecht. Ich gestatte mir noch zwanzig Minuten, bevor ich mich daran mache. Ich überlege mir, wie ich Dein Kästchen ausgestalten soll, ich glaube, ich weiß es jetzt. Soeben habe ich es mir ausgedacht. Es dürfte hübsch werden. Und ich weiß auch, wie ich es füttern will. Das machte mir zu schaffen. Aus keinem ersichtlichen Grund, aber ich bin eben naiv und werde nie gescheiter – wohl überhaupt nie. Das hat auch sein Gutes, denn so lerne ich beständig dazu – wenn es auch immer wieder dasselbe ist. Die schwarze Farbe habe ich jetzt wieder von meiner Schreibfläche entfernt, ganz bis zum Holz hinunter, und habe dieses mit grünem Löschpapier überzogen. Die Schreibfläche kann mir nicht gut genug sein. Und jetzt sind die zwanzig Minuten wohl vorbei. So – das hätten wir geschafft, und ich glaube, ich bin wieder im Schwung. Die Stockung ist jedenfalls behoben.
1. Mai, Dienstag Früh aufgestanden. Ich will heute an die Sache heran, und ebenso will ich fertig werden. Ich habe viel vor. 135
Viel. Und heute abend Gäste. Frank und Lynn Loesser und Fred und Portland Allen. Frank verreist morgen, deshalb muß es heute sein. Werde Dich bald anrufen und Dir ein Vorhaben unterbreiten, das Dir sicher zusagt. Kam gestern nacht so angestrengt ins Denken, daß ich nicht mehr aufhören konnte. Eine neue Beziehung, wenn auch nur nebensächlicher Art. Ich will mich etwas mit Cathy befassen und auch mit Lee, dem Chinesen. Ich habe seinesgleichen viele gekannt. Bemerkenswerte Leute, die kalifornischen Chinesen. Auch will ich Samuel ins Bild bringen und ihn in Beziehung zum Haus setzen. Das wird wohl gehen. Ich werde heute sehr angestrengt arbeiten. Die Bilder sind wieder da, die das klare Wasser des Denkens stören, und das scheint mir gut. Mit diesem Gekritzel werde ich mich heute nicht lange aufhalten. Vielleicht schaffe ich sogar etwas mehr als mein Pensum, so daß ich Zeit habe, Eßzimmertische besichtigen zu gehen. Wir essen an einem Serviertisch, an dem ich immer mit den Knien anstoße. Dazu müssen wir Kartentische aufstellen. Ich bin drauf und dran, anzufangen. Vielleicht sollte ich Dich anrufen und um Rat fragen wegen der Sachen im Ritz* Du findest doch immer alles heraus. Sicher auch für mich. Lee wird Dir gefallen. Er ist ein Philosoph, einer von der menschenfreundlichen Sorte. Außerdem kommt er * Ausstattungsstücke aus dem alten Ritz Carlton Hotel in New York wurden zum Verkauf angeboten, bevor das Haus abgerissen wurde. Die Steinbecks waren auf der Suche nach Türen.
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ins Buch hinein, weil ich ihn dringend brauche. Das Buch bedarf seines Scharfblicks, der unpersönlicher ist als der meine. Ich bin heute früh dran, es wird also nicht mehr lange dauern. Es fängt mit Cathy an, geht zu Lee über, bringt Samuel herein. Und dann Samuels Verhältnis zu Lee, und Lees Verhältnis zu Adam und Cathy. Lees Einstellung wird deutlicher sein als meine. Auch muß Lee die Jungen aufziehen. Und jetzt gilt’s.
2. Mai, Mittwoch Heute werde ich Samuels Fahrt zu den Trasks erledigen. Da Lee die Geschichte lange Zeit begleiten wird, hielt ich es für geraten, ihn jetzt einzuführen. Ich arbeite heute früh daran, damit ich nachher nach dem Eßzimmertisch sehen kann. Und dann zum Zahnarzt. Zum Zahnarzt gehe ich am liebsten nach der Arbeit. Das dumpfe Schmerzgefühl nachher hindert mich am Arbeiten. Ich möchte gern wissen, was Du wegen der Sachen vom Ritz Carlton herausgefunden hast. Vielleicht wirst Du mich heute deswegen anrufen. Auch will ich John O’Hara anrufen wegen Long Island. Da fahren wir vielleicht im Sommer hin. Es ist warm heute – ganz sommerlich. Zeit, die Fenster aufzumachen. Diese Woche sollte ich auf Seite 100 kommen, und das wird ein Viertel bis ein Drittel des Buches sein. Ich habe es eben ausgerechnet. Es sind rund 800 Wörter pro Seite oder etwas mehr, so daß es diese 137
Woche an die 80 000 Wörter sein werden. Und damit an die Arbeit.
3. Mai, Donnerstag Gut erholt über Nacht und in bester Stimmung. Wir werden der Bibliothek beitreten, von der Du gesprochen hast.* Gestern auf dem Nachhauseweg besichtigte ich einen wunderschönen Wagen, einen Jaguar Speedster, eines der schönsten Autos, die es gibt. Vielleicht schaffe ich mir für die Europareise einen an.** Gepäckraum ist keiner da, aber dem ist vielleicht abzuhelfen. Wenn er in Rom ausgeliefert werden könnte, das wäre günstig. Ich könnte ihn dann verkaufen oder nach Hause mitnehmen. Nächste Woche muß ich mich um die Pässe kümmern. Ich besorge dergleichen gern so früh wie möglich. Habe bereits Auftrag gegeben, daß man mir die Reiseroute herausschreibt usw. Und soeben hatte ich einen glänzenden Einfall wegen des Wagens – wie sich das machen ließe, meine ich. Ich werde der Sache nachgehen. Heute bin ich voll von Plänen, aber das bin ich wohl immer. Das ist nichts Neues. Eben ist mir noch etwas anderes eingefallen. Und Du findest vielleicht, alles das lenke mich vom Buch ab, aber das ist nicht
* Wahrscheinlich die New York Society Library, eine exklusive Leihbibliothek (53 East 79th Street). Er trat ihr nicht bei. ** Steinbeck kaufte den Jaguar damals nicht, schaffte sich aber 1954 in Europa einen an.
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der Fall, weil das Buch mich jetzt nie verläßt. Du meine Güte, bin ich heute gut aufgelegt! Geradezu beängstigend. Das kann ja nicht dauern. Doch, eine Zeitlang schon. Erinnerst Du Dich an den Kritiker, Sterling North war es wohl, der es mir übelnahm, weil ich in einem Zimmer mit Klimaanlage arbeite. Ich bin sicher, er würde mir auch meine hochgemute Stimmung übelnehmen. Er würde finden, ich leide nicht genug. Das mag sein. Ich habe die Nachtigall in mein Arbeitszimmer hinaufgenommen, damit sie mir Gesellschaft leistet. Der Vogel verkümmert mir sonst aus Mangel an Gesellschaft. Er tut zwar erschreckt, aber er liebt Gesellschaft. Und nun zum Buch. Heute befasse ich mich mit Plänen für das Salinas-Tal. Ich werde Adams Lebenspläne schildern. Daß aus keinem etwas wird, ist unerheblich. Pläne sind auch etwas Wirkliches, ein reiches Leben ist reich an Plänen. Auch wenn sie nicht verwirklicht werden, bleibt doch etwas davon zurück, und wenn sie verwirklicht werden, enttäuschen sie vielleicht. Deshalb wird eine Reise um so schöner, je länger sie her ist. Ich glaube auch, wenn man die Pläne eines Menschen kennt, weiß man mehr über ihn als auf irgendeine andere Art. Pläne sind Tagträume, und nach diesen läßt sich ein Mensch am besten beurteilen. Wenn ich also ausführlich auf Pläne eingehe, geschieht es, weil ich den ganzen Menschen schildern möchte. Welch seltsames Leben. Wenn man es genau betrachtet, um es zu Papier bringen zu können, tritt seine Seltsamkeit nur 139
um so mehr hervor. Seltsame Dinge gehen in den Menschen vor. Träume und Pläne gehören wohl zu dem, was uns von den Tieren unterscheidet. Genug davon. Das Wetter ist schön und sonnig. Ich bin sonnig, aber nicht schön. Die Zeit verstreicht, während ich dasitze und drauflos schreibe, um dem Arbeitszwang zu entrinnen. Aber das geht jetzt nicht mehr. An die Arbeit.
4. Mai, Freitag Eine volle Woche geht zu Ende. Alles mögliche ist aufgetaucht und wollte erledigt sein. Und das wird eine Zeitlang noch schlimmer werden. Massenhaft Einzelfragen, die mit der Arbeit nichts zu tun haben und täglich zu behandeln sind. Bei meinem Einspurgemüt ist das schwierig. Aber es wird wohl gehen. Wenn sich ein etwas hektischer Ton einschleicht, ist der Grund nicht weit zu suchen. Morgen fahren wir aufs Land hinaus, um in der Gegend von Quogue einen Ferienort zu suchen. Bin noch nie dort gewesen. Du kommst heute her und wirst zwei Wochen minus zwei Tage Arbeit vorfinden. Sinnreich, am Wochenende auf Seite 100 zu kommen, nicht? Es wäre schön, sagen zu können, ich hätte nie einen Tag ausgelassen, aber das war wohl eine vergebliche Hoffnung. Heute will ich nicht lange trödeln, weil ich so viel zu tun habe. Saß schon vor acht am Schreibtisch. Und ich werde so angestrengt arbeiten, wie ich kann. 140
Auf der Straße draußen ziehen die Blumenkarren vorbei und wirken sehr schön. Von Woche zu Woche werden sie bunter. Wirklich schön. Jetzt ist es Zeit, es mit der Arbeit zu versuchen. Vielleicht kann ich hier nachher noch etwas eintragen, aber sicher ist es nicht.
7. Mai, Montag Und nun, lieber Pat, kommen wir zum zweiten Hundert Manuskriptseiten. Es ist eine Art Markstein, aber kein wichtiger. Das dritte Hundert wird wichtig sein. Dann geht es dem Ende zu. Am Samstag sind wir durch ganz Long Island gefahren, haben in Montauk zwölf Stunden geschlafen, sind gestern zurückgekommen und haben abermals lange geschlafen. Ich bin völlig ausgeruht. Von Long Island haben wir genug gesehen, um zu wissen, daß wir den Sommer nicht dort verbringen wollen. Es ist nicht das richtige. Vielleicht fahren wir im Laufe der Woche zum Cape hinauf, um uns dort umzusehen. Bei unserer Suche haben wir festgestellt, daß viele Leute gegen jeden Ort, den wir in Aussicht nehmen, etwas haben, und zwar sehr heftig etwas dagegen haben. Möglicherweise fliegen wir diese Woche nach Martha’s Vineyard; in diesem Fall werde ich über das nächste Wochenende arbeiten, damit keine Zeit verloren geht. Anders läßt es sich nicht machen. Ich bin wohlauf und bereit, mich auf die neuen 80 000 einzulassen. Hoffentlich fesselt Dich die Geschichte eben141
sosehr wie mich. Es verhält sich merkwürdig damit. Die ganze Zeit verwandelt sie sich. Dagegen läßt sich nichts machen. Es war mir eine Freude, daß Dorothy kürzlich am Nachmittag zu uns kam. Wir haben sie etwas vernachlässigt, aber das ist gegenwärtig mit jedermann so. Woche um Woche hofften wir die Möbel für das Bücherzimmer zu bekommen. Leute einladen wollten wir erst, wenn das Zimmer möbliert ist, und jetzt wissen wir, daß das erst gegen Herbst der Fall sein wird, wir hätten also mit den Einladungen gar nicht zuzuwarten brauchen. Ein wunderschöner Tag. Wenn New York immer so wäre, würde niemand in die Ferien fahren. Ich sollte wohl mit der Arbeit an dem Geschenk für Dich anfangen. Es wird viel Zeit beanspruchen. Hoffentlich gefällt es Dir. Ich gedenke alle Sorgfalt daran zu wenden, aber es besteht aus einem Material, das mir neu ist, ich muß vorweg dabei lernen. Da kann mitunter etwas schief gehen, wie Du weißt. Ich werde es aber versuchen. Niemand soll mir nachsagen, daß ich je etwas unversucht ließ, weil ich nichts davon verstand. So oder so wird es fertig werden. Und einzigartig, das verspreche ich Dir. Nun zum Buch. Gegenwärtig kann man es eine Brutzeit nennen – eine Wartezeit, eine Zeit, wo Gefahren sich abzeichnen. Warum hört Adam nicht auf Cathy, als sie ihm sagt, sie gehe weg? Ich weiß nicht. Der Mensch hört nicht auf das, was er nicht hören will. Bei mir war das jedenfalls so, und es verhält sich 142
wohl allgemein so. Das muß ich sehr deutlich machen. Adam hat eine bestimmte Vorstellung von seinem Leben und erhält sie gegen jede Einwirkung von außen aufrecht, bis seine Welt zusammenbricht. Das war so, aber ich muß es einleuchtend machen. Und dazu ist es nun Zeit. Hoffentlich wird es eine gute Woche. Du kannst ein kleines Stoßgebet zum Himmel schicken, wenn Du willst. Auch muß ich diese Woche wieder streng Diät halten, um den toten Punkt zu überwinden. Ich will wirklich zehn bis fünfzehn Pfund abnehmen. Dann bin ich wohl ungefähr richtig. Streng sein mit sich selber, das ist’s.
7. Mai, Fortsetzung Wenn Du 101-102 gelesen hast, Pat, solltest Du eine Vorstellung von meines Großvaters Geisteswelt haben. Wie Du kürzlich sagtest – er müßte es wissen. Was Du aber nicht gesagt hast, ist, daß er seinem Wissen mißtrauen würde. Ich glaube, die meisten Leute mißtrauen ihrem gefühlsmäßigen Wissen. Hoffentlich findest Du diese Heimfahrt wirksam. Ich wollte sie in eine gewisse Stimmung tauchen. Ob es mir gelang? Hoffentlich. Und damit Schluß für heute.
8. Mai, Dienstag Ich finde, das gestrige Stück war mit einer gewissen Energie angelegt. Nachher ging ich zum Zahnarzt. Nun muß ich bloß noch zur Nachbehandlung. Waverly ist 143
heute vormittag krank, das hat sich seit einiger Zeit angekündigt. Heute wird es langsamer gehen als sonst, aber wenn schon. Ich habe den ganzen Tag vor mir. Diese Art von Tag habe ich gern. Ich kann ein paar Sätze schreiben, dann innehalten und sie auskosten. Meistens habe ich für nachher noch etwas vor, aber heute macht es gar nichts aus, auch wenn ich erst am Abend fertig werde. Ein angenehmes Gefühl. Ich bin heute außergewöhnlich ruhig. Marshall hat MacArthur in jedem Punkt widerlegt, aber ohne rhetorischen Aufwand und Eifer, und ich weiß nicht, ob viele Ratsmitglieder auf diese Art zu überzeugen sind. Aus dem, was er gesagt hat, scheint hervorzugehen, daß Bradley noch mit schlagkräftigen Tatsachen aufwarten kann. Meiner Auffassung nach ist MacArthur ein Landesverräter. Welch schöner Tag – die Sonne scheint, und mein Vögelchen singt. Was das anbetrifft, ich sollte selber auf dem Papier ein wenig singen. Ach ja, ich muß wohl wieder eine ganze Schar Bleistifte abstoßen. Sie werden allmählich kurz, und ich hasse kurze Bleistifte. Ich glaube, ich scheide heute die kurzen aus, einen nach dem andern. Ich bringe sie Tom, der sie zum Zeichnen verwendet. Er findet sie nicht kurz. Heute plempere ich wieder, wo mir doch das, was ich schreiben will, deutlich vorschwebt. Es heißt, viele Schriftsteller reden sich ihre Bücher vom Herzen und schreiben sie deshalb nicht. Das muß ich mir auch vorwerfen. Ich rede wirklich zuviel von meiner Arbeit, und mit jedem, der zuhören will. 144
Wenn ich mich im Gespräch auf meine Erfindungen beschränkte und die Klappe hielte, was meine Arbeit betrifft, dann würde mehr entstehen. Die Auseinandersetzungen hier werden von dem Verbot nicht betroffen, diese Aufzeichnungen dienen nämlich zur Vorbesprechung der Geschichte. Zum Beispiel, was kommt nach Samuels nächtlicher Fahrt? Der Stoff ist vorhanden, aber wie ist er zu ordnen? Und jetzt, wo ich das hinschreibe, steht es mir klar vor Augen. Als nächstes kommen die Hamiltons dran, damit die beiden Familien sich das Gleichgewicht halten, und auch, um Beziehungen anschaulich zu machen, von denen bisher bloß die Rede war. Ich habe mich geirrt, was den Meterpreis beim Graben eines Brunnens betrifft. Samuel hätte etwa anderthalb Dollar per Meter verlangt. Heute ist der Preis $ 9.75 ohne Verschalung und $ 12.75 mit Verschalung. Für damals wären anderthalb Dollar ungefähr richtig. Wenn man bedenkt, daß der Taglohn gewöhnlich einen Dollar betrug, dann ist klar, daß anderthalb Dollar per Meter eine gute Bezahlung war. Ein Brunnenbohrer erhält heute fünfzehn bis achtzehn Dollar im Tag und hat Maschinen zur Verfügung. Der Stundenlohn ist also heute geringer als damals, und wahrscheinlich konnte man 1898 für anderthalb Dollar genau so viel kaufen wie heute für $ 9.75. Genug davon. Und damit an die Arbeit.
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9. Mai, Mittwoch Das wird ein äußerst betriebsamer Tag werden. Es ist früh, aber um zehn Uhr dreißig muß ich aussetzen und Waverlys Schule aufsuchen, um sie die Königin Elisabeth gegen Judy Erwins* Maria spielen zu sehen. Sie haben lange geprobt. Die schwielige Stelle am Mittelfinger ist heute sehr empfindlich. Muß sie wohl abschmirgeln. Sie wird allmählich zu groß. Was das Folgende betrifft, werde ich Dich anrufen, will es aber auch hier eintragen. Ich habe noch Papier für etwas weniger als zwei Wochen. Wenn es mir ausgeht, werde ich ein Mordsgeheul anstimmen. Es ist also Zeit, daß Du mir ein neues Notizbuch beschaffst. Dieses hier habe ich rascher aufgebraucht, als ich dachte. Wenn nicht diese linken Seiten wären, könnte ich wahrscheinlich den ganzen Roman in diesem einen Band unterbringen. Aber das Verschwenderische daran behagt mir. Manchmal stellt sich wieder der frühere blinde Eifer ein, gegen den ich ankämpfen muß. Es hat keine Eile. Zeit und Stoff, so viel ich nur will. Ich bin glücklich wie noch nie, weshalb sollte ich also das Buch je beenden? Meinetwegen mag es endlos weitergehen. Gestern hat Gwyn angerufen und mir mitgeteilt, in Toms Klasse gehe der Mumps um, wahrscheinlich sei er auch angesteckt. Ich habe ihn nie gehabt und bin * Eine Klassenkameradin Waverlys, Tochter des Schauspielers Stuart Erwin.
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natürlich etwas ängstlich. An dem Geschenk für Dich habe ich gestern angefangen, aber es wird mich noch lange beschäftigen. Hoffentlich gefällt es Dir. Falls nicht – dann bist Du übel dran, Du kannst es nämlich weder verbrennen noch weiterverschenken. Sonst habe ich weiter nichts zu vermelden. Heute abend sollte ich eigentlich Briefe schreiben. Bin sehr im Rückstand. Ich denke an nichts anderes mehr als das Buch. Damit kommen wir zur heutigen Überprüfung des Buches und stellen es vor uns auf, um es zu betrachten. Gestern schrieb ich die Szene in der HamiltonKüche, die Dir hoffentlich Vergnügen bereitet. Sie dient als Farbkontrast. Ich glaube – und ich habe es mir im Bett lange überlegt –, ich sollte mit diesem Abschnitt zu Ende kommen. Er könnte endlos weitergehen, aber formal scheint ein Abschluß angezeigt. Und da das Ende sich sehr vom Anfang unterscheidet, wäre es vielleicht besser, den nächsten Teil in einem besonderen Kapitel unterzubringen, eingeleitet mit Betrachtungen, worauf dann die Geschichte wiederaufgenommen und denkbar einfach durchgeführt werden kann. Erhielt soeben einen Brief von Beth* mit einer Menge familiengeschichtlicher Einzelheiten. So vieles ist vergessen, nur wenig guckt noch hervor. Dieses große, weitschweifige Buch soll für den Leser wie * Elisabeth G. Ainsworth, Steinbecks Schwester, wohnt in Pacific Grove, Kalifornien, in dem Haus, das ihr Vater erbaute und das von John umgebaut wurde, als er selber darin wohnte.
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etwas Selbsterlebtes sein, so daß er nach einer Weile vielleicht nicht mehr weiß, ob er das alles gelesen oder selber erlebt hat. Ich bin nun an einen Punkt gekommen, wo die Worte mir fast von selber zufließen. Anfangen werde ich heute damit, in Cathys Verhalten nach Motiven zu suchen. Die Untersuchung des Fremdartigen und die Verehrung des Unheimlichen. Ich glaube, es ist Zeit, wieder einmal Betrachtungen einzuschalten. Es ist schon lange nicht mehr geschehen. Ja, so werde ich vorgehen. Zuerst eine Zergliederung, soweit das möglich ist, und dann die Handlung rasch zu Ende führen – zuerst die Erklärung und dann die Sache. Und etwas ganz Neues taucht auf. Verdammt nochmal, das Buch wird immer länger, nicht kürzer. Alles wirft Junge. Noch nie habe ich etwas so wuchern sehen. Und wenn dieser Teil abgeschlossen ist, werde ich ein paar Jahre überspringen – ungefähr zehn Jahre. Das heißt, daß wir die Zwillinge zum erstenmal im Alter von zehn Jahren kennenlernen. Und dann fängt die Geschichte wieder von neuem an, wie schon einmal. Betrüblich oder erfreulich, gut oder schlecht – mein Tagewerk ist getan. Es war ein Tag der Betrachtungen, wie vorausgesehen. Noch aus einem anderen Grund. Das hier ist ein persönliches Buch, und von Zeit zu Zeit will ich es auf das Persönliche zurückreißen. Es soll nicht als Jetzt und Hier wirken, der Leser soll den Eindruck haben, zwischen den Geschehnissen und der Erzählung der Geschehnisse sei Zeit 148
vergangen. Gleichzeitig soll das Ganze aber als Aufzeichnung gelebten Lebens wirken. Ist Dir das verständlich? Ich verstehe es, aber vielleicht habe ich es nicht besonders gut ausgedrückt. Auch hast Du vielleicht etwas gegen den elegischen Ton, der sich eingeschlichen hat, als wollte ich tragische Ereignisse vorwegnehmen. Das ist auch der Fall. Überraschungen gibt es in diesem Buch keine. Trotzdem bin ich sicher, der Leser weiß nicht, wie es weitergeht. Das ist das Erstaunliche, und ich glaube, nicht einmal Du weißt, wie es weitergeht. Wenn es dann eintritt, wird es die selbstverständlichste Sache der Welt sein. Es ist aber alles von langer Hand eingefädelt. Formal wirst Du nichts daran aussetzen können. Aber das werden wir ja sehen. Am meisten wird meine Familie daran auszusetzen haben. Niemandem werde ich es recht gemacht haben. Meinetwegen. Aber ich habe ein Recht, mir meine eigene Scheibe von der Vergangenheit abzuschneiden. Wir sind hingegangen, um Waverly und ihre Freundin Theater spielen zu sehen. Sie haben ihre Sache gut gemacht. Waverlys Urgroßmutter ist gestern abend gestorben. Sie wird traurig sein, wenn sie es vernimmt, es war ihre Lieblingsgroßmutter. Das gilt auch für Elaine. Ich fühle mich etwas benommen. Es war ein Tag übermäßiger Erholung und übermäßiger Arbeit. Ich habe Dich angerufen wegen des Schreibpapiers, das mir auszugehen droht, und bin sicher, Du wirst mir welches bringen. Es ist eine Lappalie, ich weiß, aber 149
ich werde unruhig, wenn ich nicht eine Menge unbeschriebenen Papiers vor mir habe. Und genau diese Art von Papier muß es sein. Sonst ist die Sache nicht mehr im Lot.
10. Mai, Donnerstag Pat, wenn ich soviel Verstand hätte, wie er von Natur aus jungem grünem Gemüse zukommt, würde ich heute nicht trödeln, sondern mich Hals über Kopf in die Geschichte stürzen. Leider habe ich besagten Verstand nicht. Ich will heute mein Zimmer aufräumen und mein Werkzeuggestell erneuern. Ein Chaos greift um sich. Meine Sachen liegen überall über den Boden verstreut, ein Durcheinander ist an die Stelle meiner sonst so peinlichen Ordnung getreten. In zwei Stunden könnte ich dem abhelfen, und das werde ich vermutlich tun. Grad vorhin hatte ich einen wirklich glänzenden Einfall – kaufmännisch auswertbar. Aber den behalte ich für mich. So gibt es keine Scherereien. Ich hatte gehofft, den ersten Teil des Buches diese Woche abschließen zu können, aber es ist noch zu viel. Nächste Woche dürfte es dagegen klappen. Und das wird dann der erste Band oder das erste Buch sein, oder wie immer Du es nennen willst. Das heutige kleine Vorkommnis ist etwas Gewalttätiges, aber etwas unauffällig Gewalttätiges. Ich weiß noch nicht genau, wie ich den Kampf überstehen werde, der mir bevorsteht. Und die Vorstellung davon ist so empö150
rend, daß ich mich vorsichtig ausdrücken muß, damit das, was geschieht, sich mehr oder weniger im Kopf des Lesers abspielt. Manchmal geht das. Wir werden sehen, ob es auch diesmal geht. Versuchen wir es. Es muß ein richtiger Kampf sein, ein teuflischer Kampf. Und vorläufig weiß ich nicht, wie ich dabei vorgehen soll. Deswegen wohl die Trödelei. Zum erstenmal soll der Leser Cathys Wesen unverhüllt sehen. Pat, das Buch wächst, so rasch, daß ich nicht Schritt halten kann. Was läßt sich da tun? Ich habe Dir ja gesagt, jeder einzelne Teil wirft Junge. Daran liegt’s. Und dann ist da noch etwas Beängstigendes – die Geschichte strömt mir zu, als läse ich sie, wenn auch nicht in ihrer endgültigen Form. Dann muß ich die Geschichte, die ich innerlich gehört habe, aufschreiben. Es ist etwas sehr Seltsames und etwas, das mich im Gang erhält. Unterdessen weiß ich aber nicht, ob ich je damit fertig werde. Sie wird ständig größer. Ich möchte Dir etwas zu bedenken geben. Vielleicht besprechen wir es morgen miteinander. Aber ich schreibe es doch auf, damit Du es Dir überlegen kannst. Elaine hat einen früheren Verwandten namens Hagy*, einen schwerreichen Texaner. Beileibe kein literarischer Mensch. Unterwegs zu einer wichtigen Konferenz in Europa kam er bei uns vorbei und blieb zum Essen. Nun weiß ich, daß Dilettanten uns nur allzu gerne behilflich sind, aber vielleicht ist das * Lawrence Hagy aus Amarillo, Texas. 151
Folgende doch beherzigenswert. Er fragte mich, woran ich arbeite, und ich sagte, an einem äußerst langen Roman. Darauf wollte er wissen, wie der Roman heißt. Ich sagte, Das Salinas-Tal. »Wovon handelt er denn?« fragte er. Ich erklärte, er handle von meinem ›County‹ die letzten fünfzig Jahre hindurch. »Ich finde den Titel falsch«, sagte er. »Wieso?« »Nun«, sagte er, »das Salinas-Tal interessiert höchstens diejenigen, die dort wohnen. Sie hatten da selber den richtigen Titel. ›Mein County‹ – das ist etwas, das jeden interessiert. Nennen Sie das Buch doch so. Dabei kann dann jeder an seinen eigenen Landkreis denken.« Und weißt Du – vielleicht ist da etwas dran. Da das Buch aber nicht vom ganzen Landkreis handelt, wie wäre es mit ›Mein Tal‹? Macht sich gut als Titel, und da schwingt noch allerhand mit, wovon Hagy nichts ahnt. Der Titel hat das Persönliche, das ich dem Buch zu verleihen trachte. Überlege es Dir, bevor Du ihn verwirfst. Der Titel eignet sich auch vorzüglich für den Schutzumschlag. Mein Tal. Er hat etwas Warmes und doch Einfaches. Ich bin gespannt, zu hören, was Du davon hältst. Und nun bin ich soweit, um mich an die Arbeit zu machen. Dein sehr ergebener Manuel Tiburcio Schmaltz (spanischer Strafgefangener)
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Da hast Du’s – ich bin noch nicht mal bis zur Geburt gekommen. Die kommt morgen daran. Das ist gemeint, wenn ich sage, ich kann mit dem Wachstum des Buches nicht Schritt halten. Ich muß aber die Geburt zu Papier bringen, wenn Du nämlich so gespannt wärst auf die nächste Szene wie ich, und das wirst Du noch sein, dann wärst Du ungehalten, noch eine ganze Woche darauf warten zu müssen. Ich will es also fertigmachen für Dich – und nebenbei auch für mich. Und nun werde ich mir die ganze Nacht überlegen müssen, wie ich dabei am besten vorgehe. Ich glaube zwar, ich sehe es vor mir. Ich habe mir da ein Verfahren ausgedacht. Es wird sich zeigen, ob es brauchbar ist oder nicht. Ach, macht das Buch mir Spaß! Gefällt Dir die Geschichte mit dem Meteor? Und nehmen die Hamiltons für Dich allmählich Gestalt an? Hoffentlich. Und nun werde ich mein Zimmer gründlich auskehren, und morgen, wenn Du es siehst, wird es unfaßbar schön sein.
11. Mai, Freitag Wieder eine Woche um, wenn ich mein Tagespensum erledigt habe. Ein dunkler Regentag, wie ich ihn gern habe. Es ist kühl, und die Bäume sehen sehr hübsch aus. Wenn ich fertig bin, bring ich Dir das Manuskript, und dann gehen wir und schauen uns die Türen an, die Du aufgestöbert hast, auf die Gefahr hin, daß sie gar nicht passen. 153
Gestern abend stellten sich Ermüdungserscheinungen ein, obwohl ich nicht aufhören wollte. Und die Geschichte hat mich die ganze Nacht beschäftigt. Die Szene, die ich heute vorhabe (und die wohl nicht fertig wird), ist ziemlich schrecklich, wenn auch auf eine unauffällige Art. Der Tag läßt sich gut an, ich fühle mich ausgeruht. Und nächste Woche werde ich wohl mit Buch Eins fertig.* Es wird in sich geschlossen sein. Falls mir etwas zustoßen sollte, könnte man es drucken, wie es ist. Das gibt mir ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit. Buch Eins wird etwa 95 000 Wörter umfassen, es ist lang genug und auf einen Höhepunkt hin aufgebaut. Die drei Bücher zusammen sind natürlich besser, aber eines wird auf jeden Fall vorhanden sein. Ist das nicht wohltuend? Der Schluß ist etwas merkwürdig, aber es ist ein richtiger Schluß. Welch ein Tag, ganz dunkel und regnerisch. Es besteht keine Eile, und doch habe ich das Gefühl, mich beeilen zu müssen. Ob ich um drei oder um vier bei Dir bin, ist schließlich einerlei. Ich muß über solche kleinen Sorgen hinwegkommen. Es scheint dem Menschen förderlich zu sein, wenn er etwas besorgt und unzufrieden ist, und dafür sind diese kleinen Nadelstiche im Kopf da. Nun zum Buch und dem heutigen Stück. Es handelt sich um die Geburt der Zwillinge. Sie wird ohne * Bereits Zweiter Teil. Der Roman wurde schließlich in vier Teile aufgeteilt statt, wie ursprünglich vorgesehen, in drei.
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Betrachtungen aufgezeichnet werden, nur mit Beschreibung und Dialog, wie ein Schwarzweißfilm. Es soll überzeugend wirken. Vielleicht kriege ich es heute hin, vielleicht auch nicht. Ich bin sehr unabhängig. Allerdings, mir scheint je länger je mehr – ich bin nur in gewissem Sinne unabhängig. Komisch, nicht? Vielleicht steckt etwas von einem Unmenschen in mir. Ich habe mir das sagen lassen, und manchmal glaube ich es sogar. Ach, welch ein Wetter, so finster, feucht und grimmig. Die richtige Beleuchtung für meine Szene, obwohl die beiden Zwillinge an einem sonnigen Tag geboren wurden; es gab keine Vorzeichen, es sei denn, man betrachte die Lieblichkeit des Wetters als ein Vorzeichen. Wenn ich nur endlich dazukäme. Ich bin bereit, und die Wörter beginnen emporzuquellen und rieseln den Bleistift hinunter und tröpfeln aufs Papier. Und ich bin voller Aufregung, als handle es sich in Wirklichkeit um eine Geburt. Eine Warnung – in diesem Abschnitt wirst Du Merkwürdiges erleben. Und nun will ich an die Arbeit gehen, und mögen meine Worte scharf und blank sein wie Messer.
13. Mai, Sonntag Nein, ich habe nicht im Sinn, heute zu arbeiten, aber es kommt mir sonderbar vor, nichts zu tun. Und wenn ich nicht vorsichtig bin, schreibe ich vielleicht doch ein Stück. 155
14. Mai, Montag Der Neid der Götter. Ein Mensch braucht nur zu sagen, er werde etwas tun, und schon hat sich alles gegen ihn verschworen. So steht es gegenwärtig mit mir. Etwas im Magen und in der Brust ist am Werk, um mich von der Arbeit abzuhalten. Ich kämpfe dagegen an, weil ich keine Zeit habe, mich der Verstimmung liebevoll anzunehmen. Wir werden sehen, wer der Stärkere ist, der Muffel oder ich. Am Samstag habe ich nachts ein Gedicht verfaßt. Ich rücke es hier ein, und Du kannst die Zeilen nach Belieben verbessern: »General MacArthur hatte einen Vatur von übermenschlichem Rang; im Himmel droben wird er über kurz oder lang zum Siebensternengel erhoben.« Ende des Gedichts – Ende des Zeitalters. Weißt Du, Pat, manchmal denken wir großzügig, manchmal kleinlich und angstvoll. Oder stehe ich damit allein? Heute vormittag bin ich erstaunt, wie schmählich meine Gedanken sind. Dabei gehören sie genau so zu mir wie die Gedanken, die ich billigen kann. Es nützt aber nichts, sie zu verleugnen. Sie verwandeln sich sonst nur in Gift und sickern ein. Wer weiß, vielleicht hat meine gegenwärtige Verstimmung damit zu tun. Hoffentlich kommt meine Arbeit heute gut heraus. Ich weiß, sie wird mich schwer ankommen, weil ich einen Teil meiner Energie damit verbrauche, gegen das Übel anzukämpfen. Sie wird nicht ganz der Arbeit zugute kommen. Versuchen will ich es jedenfalls. Mehr kann ich nicht tun. Montag, Montag – das Tor zur Woche. Ich erinnere 156
mich noch an die Montage in Salinas. Wie ich sie haßte! Mein Wille zum Tod war in jungen Jahren sehr ausgeprägt. Ich sehe noch das Fenster mit dem Fliegengitter vor mir, das auf grauen Nebel hinausging und darüber hinaus auf eine graue Schule und eine graue Woche – äußerst ungern trat ich durch dieses Tor in die Woche ein. Jetzt hat sich das geändert. Ich freue mich jeweils auf den Montag. Der Todeswunsch ist nicht mehr so stark und wird vielleicht noch ganz verschwinden. Hoffen wir es wenigstens. Weißt Du, ich glaube, ich bin doch der Stärkere. Soeben überlief mich etwas wie ein Freudenschauer. Der Muffel in mir verrät Anzeichen von Schwäche. Dem werde ich’s besorgen. Jawohl, das werde ich. Das Stück heute ist immer noch reine Handlung, und das wird noch die ganze Woche so sein. Diese Woche hoffe ich das erste Buch abschließen zu können. Vielleicht gelingt es mir, vielleicht auch nicht, es steht nämlich noch allerlei bevor. Ach, bin ich heute träg und verstockt. Ich weiß jedoch aus Erfahrung, daß man vom Anfang nicht auf das Ende schließen kann. Schau Dir nur die Schrift oben an der Seite an – knorrig und eckig, und überall Spuren abgebrochener Bleistiftspitzen. Und nur eine halbe Stunde später hat sie sich geglättet und merklich gebessert. Darin liegt wohl die Rechtfertigung dieser Aufzeichnungen. Sie helfen mir, die innere Verknotung aufzudröseln, bevor ich mit der Arbeit anfange. Was hältst Du eigentlich von dem neuen Titel? Findest Du, dieser andere – ›So grün war mein Tal‹ – 157
würde ihm schaden? Ich nicht. Von Dir erwarte ich es. Auch möchte ich, daß Du feststellst, ob der Titel schon einmal verwendet wurde – aber so wie ich Dich kenne, hast Du das bereits getan. Und nun bin ich endlich soweit, daß ich arbeiten kann.
15. Mai, Dienstag Gestern abend haben wir gesetzt unseren Kaffee getrunken. Wir haben uns unterhalten, haben uns die Appassionata, gespielt von Rubinstein, angehört und sind dann zu Bett gegangen. Las ein bißchen und drehte das Licht aus. Nicht einen Augenblick geschlafen. Um fünf aufgestanden, in die Küche gegangen, Kaffee gekocht, und seit sechs Uhr sitze ich hier am Schreibtisch. Wenn Du eine Erklärung dafür weißt, soll es mich freuen. Ich war in bester Verfassung, von gesunder Müdigkeit, sogar schläfrig, entspannt, und vermisse den Schlaf kein bißchen. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, unversehens zu einem Tag gekommen zu sein. Warum das recht oft vorkommt, ist mir unbegreiflich. Leute, die an Schlaflosigkeit leiden, haben meistens den Kopf voller Sorgen, zu denen gehöre ich also nicht. Frühmorgens in der Dämmerung empfand ich ein teuflisches Bedürfnis, meinen elektrischen Bleistiftspitzer auseinanderzunehmen. Er funktioniert nicht sehr gut, und außerdem wollte ich schon immer mal wissen, wie er inwendig aussieht. Ich schraubte ihn also auseinander und stellte fest, 158
daß er gewisse Fabrikationsfehler aufwies. Ich behob sie, reinigte das Ding, ölte es und nun läuft es zum erstenmal richtig. Schlaflosigkeit lohnt sich manchmal auch. Ich mache noch einen letzten Versuch, die andere Abschrift von Dir zu erhalten. Ich werde freundlich und verständnisvoll und etwas schwer von Begriff sein, wie man das von mir erwartet, aber wenn das nichts nützt, werde ich mich unversehens in einen ränkeschmiedenden, verschlagenen, mordsmäßigen Teufel verwandeln. Vorläufig also der freundliche Ton – die eine Abschrift, die Du mir bringst, muß ich jeweils sogleich an Elisabeth weiterleiten, damit sie sie durchsehen kann, im Hinblick auf eine fortlaufende Veröffentlichung in Zeitschriften, wofür die Rechte, soviel ich weiß, bei mir liegen. Außerdem ist sie der Auffassung, eine Reihe kurzer, in sich geschlossener Stücke könnten herausgenommen und zum Vorabdruck verkauft werden. Das bringt Geld ein, und zwar fast zwei Jahre bevor von dem Buch sonst etwas eingehen kann. Geld bedeutet Nahrung und Sicherheit und Geschenke, und alles das bildet die Grundlage, auf der vielleicht das Glück sein Zelt aufschlägt. Da nun diese Abschrift sogleich aus dem Haus kommt, hat meine liebe Frau nie Gelegenheit, sie zu lesen. Ich bitte Dich also, bring mir aus purer Menschenfreundlichkeit die andere Abschrift. Du brauchst sie vorläufig nicht, und ich muß später ohnehin ein Korrekturexemplar haben. Damit hast Du mich also von meiner liebenswürdigen Seite kennen159
gelernt; wenn Du aber glaubst, mit Deinem ästhetischen Hintern auf der Abschrift sitzen bleiben zu können, dann bist Du nicht ganz bei Trost. Heraus damit! Das ist eine der letzten Mahnungen, bevor – bums – der Himmel über Dir einstürzt. – Gezeichnet Ein Freund. Obwohl es immer noch sehr früh ist, werde ich mich jetzt hinter das Buch klemmen. Der Titel ›Mein Tal‹ gefällt Dir nicht. Ich habe mich nie sehr um Titel gekümmert. Nenne es meinetwegen ›Tal zum Meer‹, das ist ein Zitat aus gar nichts, enthält aber zwei bedeutende Wörter und eine Richtung. Was hältst Du davon? Ich werde mich nicht mehr damit befassen. Was die gestrige Leistung betrifft – die Geburt ist abgeschlossen. Ich frage mich, ob Dir die unglaublichen Einzelheiten einer Entbindung aufgefallen sind. Anderseits frage ich mich, ob Dir aufgefallen ist, daß Du alle diese Einzelheiten selber geliefert hast. Ich habe Dir nur die Menschen und ihre Reaktion gegeben. Wenn ich es aber richtig gemacht habe, hast Du innerlich die Geburt tatsächlich miterlebt. Von den Einzelheiten kommt im Text nichts vor. Ich finde, er ist mir gut geraten, auch das Gefühl der Gefahr. Böse Vorahnungen sollten sich darauf niederlassen wie eine Krähe auf einem Gartenzaun. Und nun muß ich wieder das Tempo ändern. Heute geht es rapid dem Ende zu. Der Höhepunkt steht bevor. Und ich weiß nicht, warum ich mit diesem Zeug hier herumalbere, wo ich geradesogut am Buch arbeiten könnte. 160
Bei Gott, das will ich auch. Heute ist nicht mit mir zu spaßen.
16. Mai, Mittwoch Gestern habe ich Dir so viel vorgequasselt, daß ich heute nicht viel zu sagen finde. Habe so tief geschlafen, daß ich gar nicht erwachen kann. Aber mit der Zeit werde ich schon wach. Und müde bin ich heute. Die Ortsveränderung über das Wochenende wird mir gut tun. Das Buch wird wohl noch zwei Tage beanspruchen. Ich muß sagen, ich habe heute keine große Lust, werde aber doch arbeiten. Heute handelt es sich hauptsächlich um Dialog. Zum Teil um sehr kuriosen Dialog. Hoffentlich gerät er mir. Wenn ich nur wüßte, wo meine Energie plötzlich abgeblieben ist. Einfach weg. Aber sie kommt wieder. Das ist immer so. Ich kann einfach nicht richtig erwachen. Auch herrscht große Aufregung im Haus, weil heute vormittag das neue Klavier eintrifft. Zum Glück kann ich nicht spielen, sonst wäre es um die Arbeit geschehen. Ich glaube, ich verzichte heute lieber auf dieses Geschreibsel und mache mich einfach an die Arbeit. Später. Für heute habe ich mein Pensum geleistet, aber das Buch wird auch morgen noch nicht fertig. Es kommen noch eine Menge Fragen beim ersten Verhör, und dann eine Szene mit dem Hilfssheriff und 161
Samuel. Dann eine Schlußszene mit Sheriff und Stellvertreter. Samuel und Adam. Vielleicht wird es nicht einmal diese Woche fertig. Das vertrackte Ding wuchert immer weiter. Und es kommen so ausgeklügelte Sachen vor.
17. Mai, Donnerstag Das Buch wird auch heute nicht fertig werden, Pat. Es kommen noch drei Szenen, und alle sind wichtig und lang. Ich fürchte deshalb, es wird bis zum Ende der Woche nicht fertig. Ich werde das heute noch mit Dir besprechen, da Du morgen das Manuskript holen kommst. Kleine Störungen melden sich wieder […] Tom hat in der Schule wieder etwas ausgefressen […] Ich kann mich schlecht sammeln, während diese Sache in der Schwebe ist […] Es ist eine schwierige Frage. Lassen wir das lieber. Es bringt mich sonst noch um jeden Arbeitsgeist. […] Und nun wohl oder übel wieder zum Buch. Ich will doch sehen, ob ich mich noch in der Gewalt habe. Wo die Not am größten, ist die Rettung am nächsten – wer weiß. Du fragst Dich wohl, warum das Verhör so lang wird. Interessiert es Dich? Ich verfolge damit einen besonderen Zweck, weißt Du, aber den brauche ich Dir wohl nicht auseinanderzusetzen. Wenn nur diese anderen Komplikationen nicht wären.
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18. Mai, Freitag Schon wieder eine Woche, die vergeht. Und wie sie vergehen. 120 Seiten heute. Mit der Zeit läppert es sich zusammen, man weiß nicht wie oder wann. Wir fahren heute nach Norden, aber erst spät, so daß ich genügend Zeit habe und mich nicht zu beeilen brauche. Grau und bedeckt heute und nicht mehr so heiß. Bin etwas müde. Es hat sich allerlei ereignet, was ich hier gar nicht erst erwähnen will, aber ich mußte diese Woche den Kopf an zwei Orten haben, und das fällt mir immer schwer. Es ist nicht meine starke Seite. Beides kommt dabei zu kurz; anderseits finde ich, die Arbeit gestern ist mir gut geraten. Es war Dialog, der sich wie reine Unterhaltung anhört und doch mit jedem Satz die Geschichte weiterbringt. Ich habe es durchgesehen, und es ist in Ordnung. Heute kommen noch zwei Szenen, wenn der erste Teil fertig werden soll. Ich will nicht auf sie eingehen, es handelt sich um heikle Dinge, die ich nicht vorwegnehmen möchte. Du wirst ja sehen, ob sie Dir gefallen. Ob ich heute beide hinkriege, weiß ich noch nicht. Ob es mir wohl ebenso schwer fallen wird, mit dem nächsten Teil anzufangen, wie beim ersten Teil? Hoffentlich nicht. Der Arbeitsrhythmus ist jedenfalls vorhanden. Doch das Buch muß sich mit den Zeiten ändern. Oh, es wird lustig werden – eine fantastische Fülle von Kunstfertigkeit. Das Wetter hat völlig umgeschlagen. Über Hitze können wir uns nicht mehr beklagen, es ist angenehm kühl geworden. Und nun muß ich wohl an die 163
Arbeit gehen, solange ich kann. Ich habe heute vormittag genug Zeit vertrödelt – und heute habe ich sie wirklich vertrödelt – mit Tagträumen, bei denen manchmal etwas herausschaut, aber diesmal nicht. Ich glaube, es ist besser, ich lege diese Seite weg und fange an. Heute kommt zuerst eine kurze Beschreibung des Sheriffs, die ich aber noch nicht habe. Ich werde Platz dafür auslassen. So, der Erste Teil wäre fertig. Hoffentlich gefällt er Dir. Ich weiß nicht, was Du damit anfangen kannst, und in welcher Stimmung er Dich entläßt. Ich weiß, auf welche ich es abgesehen hatte, aber nicht, ob es klappt. Das Manuskript ist jedenfalls vorhanden. Müde bin ich nicht, aber sehr froh, daß das Ganze noch nicht fertig ist – das wäre mir gar nicht lieb. Mir graut vor dem Tag, wo es fertig ist. Das wird für mich ein schlimmer Tag sein. Ein wirklich schlimmer Tag. Und nun will ich die Arbeit dieser Woche besprühen und dann etwas herumplempern.
22. Mai, Dienstag Wir kommen nun zum Zweiten Teil des Buches, Pat. Gestern habe ich nicht gearbeitet. Der linke Arm tat mir höllisch weh. Heute ist es weg. Welch seltsame Übel wandeln uns an, als hätte der Körper etwas gegen das Leben. Du weißt, ich gefalle mir in dem Gedanken, genügend Allerweltsmensch zu sein, um 164
mich in jede menschliche Seelenregung einfühlen zu können. Ich möchte betonen, ich gefalle mir nur in dem Gedanken. Das heißt noch nicht, daß es so ist. Wäre es aber so, würde es mir als Schriftsteller zum Vorteil gereichen. Einen Seelenbezirk indessen gibt es, wo ich entweder anders bin als die meisten, oder dann sagen sie nicht die Wahrheit – weil sie sie nicht kennen oder nicht wahrhaben wollen oder finden, es sei etwas Ungeheuerliches, das nicht ans Licht gezogen werden sollte. Ich weiß nicht, ob es sich so verhält, ich suche nur zu erklären, warum die Leute offenbar nicht so empfinden wie ich. Ich spreche vom Lebenswillen. Er geht mir fast völlig ab. Bitte das nicht mit einem Todeswunsch verwechseln. Ich habe kein Bedürfnis, zu sterben, aber ich kann mich an keine Zeit entsinnen, von meinen frühsten Jahren an bis heute vormittag, wo es mir nicht lieber gewesen wäre, nie vorhanden gewesen zu sein. Kein freudiges oder aufregendes oder schmerzliches Erlebnis hat je einen Lebenswillen in mir aufkommen lassen. Es handelt sich also nicht um Todessehnsucht, sondern gewissermaßen um ein Bedürfnis, nie dagewesen zu sein. Ich habe das noch selten ausgesprochen, aber noch jedesmal ist man über mich hergefallen, hat es mir entweder rundweg nicht geglaubt oder dann schwer übelgenommen, als sei ich ein Lebensverräter. Vielleicht bin ich einer. Aber mein Gefühl gründet sich nicht auf irgendwelche verstandesmäßige Überlegungen. Es wohnt tief unter den lichten Gefilden des Denkens, in einem Dunkel, aus dem unser Handeln 165
gespeist wird. Dieses Gefühl hat sein Gegenstück in einem anderen, das man mir ebensowenig glaubt, und das doch ebenso wahr ist. Da mir der Lebenswillen abgeht, habe ich auch wenig Ichgefühl – etwas Eitelkeit, aber wenig Ichgefühl. Die beiden ältesten und kräftigsten Sprößlinge des Ichgefühls sind Herrschsucht und Habgier, und von beiden habe ich nur wenig. Der jüngste und albernste Sproß ist der Wunsch nach Unsterblichkeit, und der ist mir vollkommen fremd. Ein weiterer Sproß ist die Geltungssucht, das heißt, der Wunsch, als überlegen zu gelten, und auch dieser ist mir fremd. Ich sehe darin etwas Verkrüppeltes, das Fehlen einer Eigenschaft, die zum ganzen Menschen gehört. Aber was ich sage, ist wahr. In diesem Sinn bin ich ein Unmensch wie Cathy. Und es ist eigenartig, daß mein Beruf einer ist, der gewöhnlich von Leuten ergriffen wird, die sowohl den Willen zum Leben als auch zur Unsterblichkeit haben. Paradox, gewiß. Ich mache mir tatsächlich nichts aus einem Buch, sobald es einmal fertig ist. Was es an Geld oder Ruhm einbringt, hat für mein Gefühl nichts mit dem Buch zu tun. Das Buch stirbt für mich einen wirklichen Tod, wenn ich das letzte Wort hinschreibe. Ich trauere ihm ein wenig nach und gehe dann zu einem neuen Buch über, das lebt. Die Reihe meiner Bücher kommt mir wie eine Ausstellung kunstvoll einbalsamierter Leichen vor. Sie sind weder am Leben, noch gehören sie mir. Ich trauere ihnen nicht mehr nach, ich habe sie nämlich vergessen, im wahrsten Sinne des Wortes vergessen. 166
Nachdem ich nun den Ersten Teil dieses Buches beendet habe, ist er tot. Zum Glück ist da der Zweite Teil, um an seine Stelle zu treten, so daß sich die übliche, vorübergehende Trauer nicht einstellt. Und dies ist nun ein Buch, in welchem ich die Toten wiederauferstehen lassen muß. Das ist sehr seltsam und ein für mich neues Erlebnis. Ich bin heute früh auf und habe einen vollen Tag vor mir und viele gespitzte Bleistifte. Heute habe ich etwas ganz Bestimmtes vor, das ich in diesen Aufzeichnungen nicht erörtern möchte. Daraus wird sich jedoch ergeben, wie mir auf lange Zeit hinaus zumute sein wird. Es hat mit meinen Jungen zu tun, und ich glaube, ich weiß, in welchem Sinn, ich will es deshalb unerwähnt lassen, damit sie es nicht eines Tages lesen und betrübt sind. Sie werden ohnehin noch genug Trübes erleben. Abgesehen davon ist der Tag wie gemacht, um mit dem Zweiten Teil zu beginnen. Das Wetter ist schön – heller Sonnenschein und ein Anflug von Sommerwärme –, ich trage mich bereits mit dem Gedanken, die Klimaanlage heraufzuschaffen und in Betrieb zu nehmen. Es wird Zeit dazu. Ob ich das allein fertigbringe, ist unsicher. Ich kann es ja versuchen und um Hilfe rufen, wenn es nicht geht. Aber ich bin ungeheuer stark, wenn ich will, und sehr, sehr schwach, wenn es mir am Willen fehlt. Gestern fühlte ich mich schwach und verängstigt, wenn ich an den Zweiten Teil dachte. Heute ist das alles weg, und eine schöne Gelassenheit hat Platz gegriffen. Vielleicht liegt das daran, daß ich gestern an 167
das Ganze dachte, während mich heute lediglich der Anfang beschäftigt. Ich habe gestern viel über das Buch nachgedacht – wovon es handelt und wie der Titel lauten sollte. Es ist kein Heimatroman. Es handelt nicht in erster Linie vom Salinas-Tal und seiner Bevölkerung. Deshalb sollte es einen allgemeineren Titel tragen. Seiner Anlage nach geht das Buch auf diese gewaltige, tiefe und rätselhafte Geschichte im ersten Buch Mose zurück, die Geschichte von Kain und Abel. Da ist vieles drin, was ich nicht verstehe. Außerdem ist sie sehr kurz, aber diese Geschichte mit allem, was darin steckt, hat sich den Menschen stärker eingeprägt als irgendeine andere, außer vielleicht die Geschichte vom Baum der Erkenntnis und der Erbsünde. Da nun mein Buch daraufhin angelegt ist – besteht irgendein Grund, das dem Leser vorzuenthalten? Wäre es nicht besser, ihm schon im Titel mitzuteilen, wovon die Geschichte handelt? Mit diesem Hintergedanken nahm ich mir wieder einmal das erste Buch Mose vor. Ich möchte kein wörtliches Zitat, aber wenn sich ein Symbol finden ließe, das auf den ersten Blick verstanden wird und schlagkräftig genug ist, dann hätte ich meinen Titel gefunden. Die Bestrafung Kains ist seltsam und rätselhaft. Aus Evas Sünde entsprangen die Liebe und der Tod. Kain erfand den Mord, und dafür wird er bestraft, indem ihm das Leben geschenkt wird und Schutz. Das Zeichen an seiner Stirn dient nicht der Bestrafung, sondern dazu, ihn zu schützen. Hast Du das je bedacht? Und es ist 168
das bekannteste Zeichen, das es gibt. Mein Titelvorschlag ist deshalb: ›Das Kainszeichen‹. Es ist kein wörtliches Zitat, es ist kurz, streng, einprägsam, und fast jedermann weiß, was es bedeutet. Außerdem sieht es als Titel auch gut aus. Was hältst Du davon? Und damit habe ich wohl genügend Nebenbemerkungen gemacht für heute und will den Zweiten Teil an die Hand nehmen.
23. Mai, Mittwoch Heute fiel mir zu meiner großen Freude ein, daß Du vielleicht die Nase voll hast von diesem endlosen Gequassel und gar nichts dagegen tun kannst. Du bist geliefert. Das einzige, was Du tun kannst, ist, das Zeug nicht lesen, und dazu bist Du wohl zu neugierig. Du bist mir deshalb ausgeliefert, und ich kann so langweilig sein, wie ich will. Ha, ha! Du wirst bemerkt haben, daß diese paar Seiten ziemlich übel aussehen. Das kam so. Gestern abend habe ich sie mit ins Bett genommen, um Elaine daraus vorzulesen, und habe ein Glas Wasser darüber verschüttet. Ich habe sie dann getrocknet und werde sie gleichwohl verwenden. Die zweite Hälfte von 123 ist etwas gewellt, aber wenn schon. Also – den geschichtlichen Hintergrund zu Anfang des Jahrhunderts habe ich angedeutet. Bei der Fülle des Stoffes ist es manchmal schwierig zu entscheiden, was an welche Stelle kommt. Die Anordnung kann sehr wichtig sein. Ich habe aber gestern nacht, als ich nicht 169
schlafen konnte, darüber nachgedacht, und ich glaube, ich weiß, was als nächstes kommt. Es muß äußerst geschickt gemacht werden und im Ton wiederum gedämpft sein. Der Sommer ist da, und heute vormittag habe ich die Klimaanlage heraufgeschafft; nach Erledigung meines Pensums heute werde ich die Konsole einrichten, die sie tragen soll, und morgen vormittag wird sie montiert und kann dann jederzeit in Betrieb genommen werden. Das dürfte genügen. Ich glaube, die Sache mit der Taufe der Zwillinge wird Dich auch freuen. Du wirst sie erfahren, und damit bist Du entlassen.
24. Mai, Donnerstag Wieder eine Woche, die sich verdrückt. Heute suchen mich diese grundlosen Anfechtungen heim, die auftauchen, zu nichts führen und wieder verschwinden – »welsche Ratten« habe ich sie im Buch genannt. Wir werden es diesen Sommer auf der Insel sehr schön haben, aber manchmal wollte ich, ich müßte überhaupt nicht wegfahren, bevor mein Buch fertig ist. Aber nur manchmal. Jawohl, die welschen Ratten nagen an mir, aber ich habe einen ganzen Tag vor mir, um meine Arbeit zu erledigen – wenn nichts dazwischen kommt. Statt mit der Arbeit auszusetzen, will ich am Samstag und Sonntag eine Erzählung schreiben, die mich beschäftigt. Wenn ich sie nicht niederschreibe, wird sie mir zu schaffen machen. Dergleichen muß man 170
sich von der Seele schreiben. Ich werde es also tun und dafür sorgen, daß allerlei gesagt wird, was gesagt werden muß, und zwar von mir – die Winde heulen im Revier. Wildes Wetter herrscht draußen, Pat. Der Winter macht nochmals eine Stippvisite. Ich liebe den Winter. Muß gute Winter erlebt haben – bessere als die Sommer. Dieses Buch bewirkt bemerkenswerte Dinge bei mir. Mein Gedächtnis wird gestärkt, und bei gewissen Wörtern kommt etwas wie eine warme Aufwallung über mich. Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich sollte heute nicht allzu viel trödeln. Besser, ich gehe ohne weiteres an die Arbeit und stelle damit den welschen Ratten eine Falle. Sonst machen sie mir noch Beschwer. Der Tag ist verhältnismäßig jung und begehrenswert. Ich sollte mich jetzt wirklich an die Arbeit machen. In der ›Saturday Review‹ habe ich gelesen, daß ich gegenwärtig an diesem Buch arbeite. Es wird »groß angelegt« genannt. Und das ist es wohl auch. In derselben Nummer steht ein Artikel von Harold* – sehr klar und genau und nicht sehr erbaulich in seinen Schlußfolgerungen. Ich frage mich, ob jemals etwas erbaulich war, während daran gebaut wurde. Du lieber Himmel – an die Arbeit!
* Harold Guinzburgs Artikel in der ›Saturday Review‹ vom 26. Mai 1951 war betitelt ›Das Verlagswesen, eine zweifelhafte Utopie‹.
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25. Mai, Freitag Letzter Tag der Buchwoche. Die Geschichte läuft wie geschmiert. Ich könnte jetzt unaufhörlich weiterschreiben. Gestern habe ich bis drei Uhr früh Untersuchungen angestellt und Dinge nachgeschlagen. Der Stoff ist vorhanden, und ich muß sagen, es ist einer der teuflischsten Pläne, die mir je vorgekommen sind. Schlankweg teuflisch. Und das Furchtbare daran ist – es würde klappen. Das ist das Schreckliche. Gott sei Dank bin ich kein Verbrecher, oder kommt es mir nur so vor? Manchmal frage ich mich, ob ich nicht alle die Menschen bin, die ich beschreibe. Es sind ihrer so viele, da müßte ich ja hunderte sein. Ich will mein Pensum beenden und mich dann mit Dir in Deinem Büro oder irgendwo in der Nähe treffen. Ich möchte, daß Du Dir etwas anschaust. Das tust Du sicher gern. Auch muß ich mir einen Gummistempel machen lassen, wegen der nachzuschikkenden Post diesen Sommer. Strahlend schönes Wetter heute. Ich bin gespannt, wie Du den Anfang des Zweiten Teils findest. Mir scheint er recht gut, und Elaine auch. Muß Gwyn anrufen, kriege aber immer das Besetztzeichen. […] Es wird spät, und ich habe noch immer nicht angefangen. Muß diesen Anruf erledigen, bevor ich zur Arbeit übergehe.
28. Mai, Montag Kaum kehrt man einer Woche den Rücken, schon ist es wieder Montag. Hatte heute Mühe, aufzuwachen, 172
und bin noch immer nicht ganz wach. Übers Wochenende habe ich gearbeitet und mir keine Ruhe gegönnt, daran liegt’s wohl. Habe an einer Erzählung gearbeitet. Vielleicht bin ich aber auch nur faul heute. Ich glaube, es hat Dir Spaß gemacht, die Überraschung* zu besichtigen, nicht? Ich weiß zwar noch nicht, wie ich das erschwingen soll, aber irgendwie wird es schon gehen. Es ist sicher eine gute Kapitalanlage. Ein guter Morgen. Ich bin es, der nicht gut ist. Bin träge. Muß das abschütteln, weil ich heute ein wichtiges Stück vorhabe. Ach, die nächsten paar Tage muß ich behutsam vorgehen. Das muß geschickt eingefädelt werden. Kate wird etwas Schlaues tun, und ich muß mich hüten, zu dick aufzutragen, sonst wirkt es nicht überzeugend. Am besten, ich lasse die Handlung für sich selber sprechen. Merkwürdig (aber gut), daß ich nie widerwillig an dieses Buch herangehe – voller Angst vielleicht, aber seit ich damit anfing, habe ich es noch nie verwünscht, nicht einen Augenblick lang. Heute liegt ein Geruch nach Montag in der Luft, und der Verkehr draußen tönt sehr nach Montag. Es ist ein äußerst montäglicher Tag. Ich wollte, ich hätte die letzte Seite des Manuskripts hier. Oben an der Seite habe ich ein paar Notizen gemacht, aber vor allem möchte ich ein paar Dialogzeilen überprüfen. Nun, es wird auch ohne gehen. Ich habe da allerdings * Ein Boot; siehe Seite 205. 173
eine heikle kleine Szene vor, die sehr gut herauskommen muß und sehr, sehr überzeugend. Eine ziemlich höllische Szene. Ich glaube, es gibt so etwas in der Literatur noch nicht. Gestohlen habe ich sie bestimmt nicht. Wo habe ich sie bloß her? Nur noch ein paar zeitliche Fragen, die abzuklären sind. Und der genaue Verlauf von Minute zu Minute. Bald sollte ich so weit sein. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich abgespielt hat. Es ist mir durchaus bewußt, warum ich so viel damit hermache. Die Szene muß als Gleichgewicht für die nächste dienen. Und dazu muß sie Hand und Fuß haben. Der Wind pustet mir zu sehr ums Haus.
29. Mai, Dienstag Heute bin ich nicht rechtzeitig aufgewacht. Immer wenn ich mich auf den Wecker verlasse, ist der Teufel los. Ich erwachte, sah, daß es noch nicht sieben war, und schlief wieder ein. Der Wecker war stillgestanden, das war’s. Dergleichen ärgert mich. Und weil ich verärgert bin, wenn etwas dazwischen kommt, werde ich für meine Arbeit heute länger brauchen als sonst. Ein dunkler Tag, bewölkt und mißmutig. Mit Elisabeth Otis habe ich gestern ausgerechnet, wieviel Wörter ich schon habe, und es sind längst nicht so viele, wie ich gedacht hatte. Das ist gut, ich will nämlich nicht, daß das Buch zu umfangreich wird. Hunderttausend Wörter ergeben 400 Seiten Maschinenschrift, und die habe ich noch nicht. Also – wo waren 174
wir denn – ach ja, der Arbeitsgeist! Klar, Mensch, der Arbeitsgeist! Ich hasse diese Störungen meines Arbeitsgeistes, die mich in Rückstand bringen. Heute muß ich wohl sehr bedächtig arbeiten. Es ist etwas Erschreckendes, was ich vorhabe. Anschaulich und scharf, aber in gleichmütigem Ton. Wenn ich die nächste Szenenfolge mit ihrem Höhepunkt hinkriege, dann gibt es überhaupt nichts, was ich nicht kann. Aber, wie schon bemerkt, ich habe beinahe ein schlechtes Gewissen deswegen, daß mir diese Szenen überhaupt eingefallen sind. So ist es nun einmal. Gott, welch merkwürdig grauer Tag. Und da ich mich verschlafen habe, ist auch innerlich alles grau. Heute abend gehen wir zur Neuaufführung von ›Oklahoma‹. Vor neun Jahren war Elaine bei der Uraufführung dabei. Deshalb müssen wir heute abend unbedingt hin. So vieles zu bedenken und zu tun. Es erfordert große Willenskraft, mich zum Buch zurückzureißen. Zum Glück ist es kein langweiliges Buch, sonst würde ich nie zu ihm zurückfinden. Es ist Zeit, daß ich damit anfange, doch zuerst will ich noch meinen Piepmatz füttern und tränken. So, nun hat er seine geschabten Rüben und das Vogelfutter. Ebenso ein Näpfchen mit Wasser, um darin zu baden. Man sollte meinen, er sei glücklich. Aber das ist er wohl nicht. Schwer zu sagen. Es ist ein Fehlschluß, zu meinen, ein Vogel singe, wenn er glücklich ist. Bei uns ist das ja auch nicht so – der Mensch singt am schönsten, wenn er sich vor Leid oder Sehnsucht verzehrt. Gib einem Männchen ein 175
Weibchen in den Käfig, und es hört auf zu singen. Ich möchte da gar keinen Schluß daraus ziehen. Der Mensch singt selten vor Freude. Komisch, nicht? Und nun an die Arbeit.
30. Mai, Mittwoch, Gedenktag* Heute bin ich übel dran. Müde, furchtbar müde. Ich stehe wie vor einer Mauer. Meistens komme ich durch Willensanstrengung darüber hinweg, aber ich weiß nicht, ob ich’s heute schaffe. Ich weiß nur, daß ich heute wohl oder übel die Episode beende und mich dann vielleicht zu Bett lege. Ich bin völlig ausgepumpt. Ich muß eben sehen, ob es geht. Gestern abend vor zwei Jahren habe ich Elaine kennengelernt. Der Gedenktag ist unser Jahrestag. Und was hat sich seither alles geändert. Damals glaubte ich, ich würde es nicht überleben, und ich hätte es vermutlich auch nicht überlebt. Meine Lebenskraft war am Verkümmern. Von Arbeiten war nicht mehr die Rede. Ich weiß noch gut, wie es war. Brandige Wunden, und mir war alles einerlei. Und nun, zwei Jahre später, ein neues Leben und eine Richtung. Unfälle können auch ihr Gutes haben. Jetzt freut mich die Arbeit wieder. Wirklich schönes Wetter draußen. Vielleicht werde ich doch noch wach. Ich will mich nicht vor der Arbeit drücken, und doch komme ich nicht dazu. Das Vorgehen – das ist das Schreckliche daran. Ich habe * Für die im Krieg Gefallenen. 176
ein Stück gestrichen und glaube, es gehört doch hinein. Vielleicht in der Form eines Einschiebsels. Doch, es gehört hinein. Sonst versteht man das Ganze nicht. Ich selber könnte es verstehen, und Du wohl auch, aber dem Leser muß es wohl ausdrücklich gesagt werden. Heute kommt also das Einschiebsel dran. Später. Was ist doch der Mensch innerlich verstrickt. Ich begab mich in den Garten hinunter und setzte mich eine Stunde lang hin, um aus der Verstrickung herauszukommen. Und ich glaube, das Einschiebsel ist die Antwort. Das ist so gemeint. Wir haben es mit einem Handlungsablauf zu tun, der teils aus äußerem, teils aus innerem Geschehen besteht. Ich legte mir das Ganze in allen Einzelheiten zurecht. Dann strich ich eine entscheidende Einzelheit und schrieb weiter. Plötzlich bleibt die Karre stehen, und ich habe keine Ahnung, warum. Ich glaube, es liegt an dem, was ich ausließ. Ich bin da behindert, weil ich nicht auf Kates Innenleben eingehen kann. Sie muß dadurch, wie sie redet und handelt, verständlich gemacht werden. Und da bringt sie nun etwas in Gang, das durch Gedanken ausgelöst wird, und ich habe nicht die geringste Andeutung gegeben, was für Gedanken das sind. Was veranlaßt sie zu ihrem Handeln? Das habe ich nicht klar gemacht. Nur gut, daß ich gleich dahintergekommen bin – später hätte ich nicht gewußt, was mich an dieser Stelle stört. Und wenn ich das heute einrücken kann, bin ich zufrieden mit meiner Tagesleistung. 177
Heute ist Gedenktag, und draußen stolzieren die Leute in ihren neuen Schuhen vorbei. Und seltsam – der Arbeitsgeist stellt sich wieder ein. Und alles nur, weil ich im Garten Klarheit gewonnen habe. Nun bietet der Auftritt, den ich schildern muß, nicht nur ein Bild der Verkommenheit, es handelt sich um die Verkommenheit des Starken, der sich an der Verkommenheit des Schwachen mästet. Es könnte einem dabei übel werden, aber der Auftritt gehört hinein, sonst reimt sich das Folgende nicht zusammen. Auch ist der Charakter des nächsten Kapitels äußerst sauber und rein, und das Reine würde nicht so wirken, wenn nicht der Gegensatz da wäre. Begreifst Du, was ich meine? Schön – dann will ich mich an das Einschiebsel machen. Später. So, das Einschiebsel ist fertig, und es füllt drei handgeschriebene Seiten. Es ist entsetzlich, aber Kate entpuppt sich dabei – zum ersten und letzten Mal. Ich glaube, das Ganze ist jetzt so, daß ihr Handeln nicht mehr befremdet. Es ist alles da und verständlich. Und psychiatrisch äußerst genau, mit Verlaub zu sagen. Ich bin gespannt, zu hören, was Du davon hältst. Ich habe den ganzen Tag dafür gebraucht, weil ich einen so mühsamen Anlauf hatte. Ich glaube, diese Szene könnte eines der wirksamsten Gruselstücke in irgendeiner Sprache sein. Doch das werde ich erst wissen, wenn es jemand gelesen hat.
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31. Mai, Donnerstag O Gott, schon drückt sich wieder eine Woche um die Ecke, und ich bin noch nicht viel weiter. Ich will mit Kate diese Woche zu Ende kommen. Heute schaffe ich es wohl nicht mehr, aber wer weiß. Es kommt auf den Versuch an. Es wird aber nur überzeugend wirken, wenn es nüchtern und sachlich belegt ist. Eine Aufreihung von Tatsachen, wie eine Berichterstattung. So will ich es gestalten. Absolut nüchtern. Das Stück gestern – das Einschiebsel – mit Champagner und Demaskierung war so entsetzlich, daß es mir selber böse Träume verursachte.* Es lag wohl daran, daß ich an den Träumen gearbeitet habe. Davon werde ich mich so bald nicht erholen. Und das Folgende wird noch schrecklicher, weil es völlig gefühllos ist. Das ist es, was Kate so entsetzlich macht. Sie hat kein Gewissen. Etwas Ähnliches widerfuhr mir während des Krieges, als ich jeweils die abgestürzten britischen Piloten im Lazarett besuchte. Nicht der Umstand, daß sie kein Gesicht hatten, war das Entsetzliche, an den Fleischklotz ohne Lippen, Nasen, Augenlider oder Ohren konnte man sich gewöhnen. Woran man sich nicht gewöhnen konnte, war der Umstand, daß sie dahinter völlig normale, nette Menschen mit normalen Bedürfnissen waren. Das war das eigentlich Entsetzliche. Und bei Kate ist es das Fehlen jeder menschlichen Gefühlsregung. Auch daß man nicht weiß, was sie will. In der letzten Szene * Zwanzigstes Kapitel. 179
brach eine ihrer Triebkräfte durch, wurde aber sogleich wieder zurückgeholt. Heute komme ich zum letzten Vorgang, und wenn dieser einmal unterwegs ist, gibt es kein Halten mehr bis zum Abschluß. Es wird kein Schwanken mehr geben und keine Abschweifungen. Es muß das sorgfältigst ausgedachte Verbrechen sein, das es gibt, ohne jede Lücke. Ich glaube, das kriege ich hin. Später. Na, Pat, wenn Du diese Aufzeichnungen entknäueln kannst, dann bist Du tüchtig. Halte dich an die Daten, wenn es geht. Morgen, wie erwartet, werde ich mit dem Bordell Schluß machen. Dann kann ich aufatmen. Es ist eine so gräßliche Geschichte, daß ich froh bin, wenn ich sie erledigt habe. Aber sie ist notwendig. Nächste Woche komme ich dann wieder zu den Zwillingen, und die Geschichte kann sich entfalten. Du wirst wohl die Feststellung machen, daß Cathy als Kate die Leser fasziniert. Die Leute interessieren sich immer für das Böse, auch wenn sie tun, als sei ihr Interesse rein wissenschaftlich. Man wird an Kate herumrätseln. Man wird vergessen, daß ich sagte, sie sei schlecht. Und man wird sie hassen, weil sie ein Stück des Unmenschen in uns allen ist. Nicht weil sie etwas Wildfremdes ist, wird sie die Leser interessieren, vielmehr weil sie es nicht ist. Sag bloß nicht, das seien Haarspaltereien. Damit habe ich für heute genug geleistet. Es war eine anstrengende Woche. Alles mögliche war zu erledigen. Zweimal mußten wir ausgehen, was mich 180
um den Schlaf brachte. Aber morgen wird das Ding fertig. Übers Wochenende werde ich an der Erzählung arbeiten.
1. Juni, Freitag Bin wieder spät dran, weil so viel anderes zu tun und zu bedenken ist. Ich glaube indessen nicht, daß das Buch darunter leidet. Ich halte beides auseinander. Nun ist die Woche vorbei, und wieso ist es eigentlich auf einmal Juni? Du kommst wohl heute nachmittag zum Kaffee vorbei, und wegen des Manuskripts. Ich ruf Dich jedenfalls noch an. Die Bleistifte gehen mir aus, und ich finde hier in der Gegend keine. Vielleicht kannst Du bei Dir in der Nähe welche auftreiben. Ich sag’s Dir noch. Heute ist es heiß, wenn auch nicht heiß genug, um die Klimaanlage einzuschalten. Eigentlich sollte ich mich ohne Umschweife an die Arbeit machen, damit sie fertig wird. Aber ich weiß nicht. Es ist ein umschweifiger Tag für mich, das ist schon meiner Schrift anzumerken. Nun will ich Dich anrufen und Dich bitten, auch gleich etwas Geld mitzubringen. Ich habe also angerufen, und Du bist nicht an Deinem Schreibtisch. Wo steckst Du wohl? Ich will mich also hinter die Arbeit klemmen. Bin froh, wenn sie getan ist. So, nun habe ich Dich endlich erreicht, es war auch höchste Zeit. Nun kann es an die Arbeit gehen.
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4. Juni, Montag Lieber Pat! Wieder einmal Montag. Fühle mich etwas wabbelig. Übers Wochenende habe ich an dieser anderen Geschichte gearbeitet und mußte sie wieder weglegen. Ich brauche so lange, um auch die einfachste Sache auszudenken. Was dabei herauskommen wird, weiß ich noch nicht. Gestern nacht böse Träume. Träume von hoffnungsloser Verschuldung, was natürlich nicht zutrifft, aber davon zu träumen ist genau so schlimm. Seltsame Angstträume, als leiste ich nicht genug. Dabei tue ich doch, was ich kann. Es gab eine Zeit, wo ich glaubte, meiner Leistungsfähigkeit – qualitativ oder quantitativ – seien keine Grenzen gesetzt. Weiß nicht, was ich jetzt glaube. Ich weiß nur, daß ich ein bestimmtes Tempo habe, und daß es keinen Vorteil bedeutet, es forcieren zu wollen. Eines Tages werde ich ausrechnen, in welchem Verhältnis das Trödeln zum Arbeiten steht. Es hat mich interessiert, (letzten Freitag) zu vernehmen, wie das Ende der Geschichte mit Kate auf Dich gewirkt hat. Genauso, wie es auf mich wirkte, als ich daran schrieb. Ich glaube, Du fandest es unerhört, daß ich so etwas ausdenken konnte, und das fand ich auch. Offenbar gibt es nichts, was ich mir nicht ausdenken könnte, und das heißt, daß es nichts gibt, was ich nicht sein kann. Ich glaube aber an das, was der Sheriff sagt – daß jeder ein Mörder ist, wenn man ihn von der entsprechenden Seite zu nehmen weiß. Die Episode mit Kate ist vorläufig abgeschlossen, aber noch nicht endgültig. Kate 182
wird noch zweimal auftauchen, bevor das Buch zu Ende ist. Die Anlage dieses Buches, vor so langer Zeit entstanden, scheint sich zu bewähren. Sie kommt mir inzwischen vor wie etwas, das sich wirklich ereignet hat, so daß kein Einwand etwas daran ändern kann. Meine Aufgabe ist nur, lange genug zu leben, um die Geschichte aufzuschreiben. Komisch, nicht? Sonderbar – heute vormittag herrscht in mir ein innerer Widerstreit. Du hast eben angerufen und gesagt, ich könne nicht zwei Göttern dienen. Durchaus vernünftig. Du hast nur eines vergessen: in gewissem Maße muß ich zwei Herren dienen – erstens dem Buch und zweitens dem anderen Leben. Wenn ich mich von dem Buch völlig knechten ließe, könnte ich ja nicht einmal eine Einkaufsliste aufsetzen. Der Tag ist noch jung. Ob ich es auch bin? Von Zeit zu Zeit befällt mich eine krankhafte Müdigkeit. Das war gestern der Fall. Ich bin dann nicht nur müde, ich habe von allem genug. Wahrscheinlich ließe sich das auf die Ernährung zurückführen, und doch wäre es in einer Welt, wo alles auf und nieder geht, höchst sonderbar, wenn nicht auch der Mensch körperlich und geistig dieses RuckZuck hätte. Meine Schrift ist heute vormittag voll von diesem Ruck-Zuck, was meistens bedeutet, daß ich innerlich noch nicht auf die Arbeit eingestellt bin. Heute morgen erhielt ich Nachricht, das Boot werde bei unserer Ankunft dort sein. Das wird eine Freude werden. Und ich habe noch niemandem davon gesagt. Überhaupt niemandem. Elisabeth, Waverly (weil 183
sie weggeht) und Du – ihr seid die einzigen, die etwas davon wissen. Ich freue mich wirklich auf den Sommer. Hoffentlich kann ich dort weiterarbeiten. Warum nicht? Wir werden wenig geselligen Verkehr haben. Ich werde morgens früh anfangen, damit ich am Nachmittag dann schwimmen und paddeln und segeln gehen kann. Gesundheitlich befinde ich mich außerordentlich gut. Und nun ist auch meine Schrift ins Lot gekommen, das heißt, es ist Zeit, daß ich mich der Arbeit annehme. Versuchen wir’s. Später. Der Anfang wäre gemacht. Er ist absichtlich langsam – muß es sein, als Gegengewicht für das Vorhergehende. Ich bin absichtlich wieder in den beiläufigen Ton verfallen. Hoffentlich wirkt es nicht langweilig. Es soll alles schön ausgewogen sein. Wenn dieses Buch nur von einem handelte, dann wäre es etwas anderes, aber es handelt eben von allem, deshalb wechselt es ständig, das ist kein Zufall – ich habe mir immer etwas dabei gedacht. Du wirst das sicher herausspüren, aber ich mache Dich gleichwohl darauf aufmerksam. Morgen kommt das theologische Streitgespräch, das Adam so zusetzt. Du wirst Samuel von einer neuen Seite kennenlernen. Er konnte sowohl ein betriebsamer wie auch ein betrachtender Mensch sein, und jetzt wirst Du Betrieb erleben. So vieles geht um mich vor. Eines Tages werde ich Dir etwas ganz Übles erzählen, das mir gegenwärtig widerfährt. Aber ich glaube, Du weißt, was es ist. Und damit genug für heute. 184
5. Juni, Dienstag Heute morgen kam Dein Brief. Weißt Du, Pat, mit meiner Reaktionsfähigkeit steht es sonderbar. Das ist mir während des Krieges bei Kampfhandlungen aufgefallen, und auch sonst. Kleinigkeiten bewirken manchmal, daß ich völlig verstört und außer mir bin. Ein großer Schreck dagegen läßt mich erstarren. Ich bin dann innerlich ganz kalt, und meine Gedanken bewegen sich bedächtig wie ein schnüffelnder Fuchs. Was Du schreibst, ist deutlich. Und ich suche in meinen geringen Kenntnissen und Erfahrungen nach. Mir scheint, es handelt sich nicht um einen Bluterguß, aus verschiedenen Gründen. Es scheint sich um das Herz zu handeln – vielleicht. Das muß ich als erstes herausbekommen, von jemandem, der etwas davon versteht. Ich bin im Begriff, es zu tun, und werde bald Bescheid wissen. Dieser Schreck wird mich mitten in der Nacht und unversehens treffen, aber gegenwärtig bin ich starr und muß es genau wissen. Wenn ich es dann weiß, sei auf der Hut, wenn Du dann nämlich nicht befolgst, was ich Dir sage, dann wirst Du es mit einem Berserker zu tun haben, von dem Du bisher nichts geahnt hast. Jetzt laß ich das vorläufig, bis ich mehr erfahren habe. Und das wird binnen kurzem sein. Gestern nacht lange aufgeblieben, mit Jean* und Elaine. Und auf dem Weg ins Bett kam ich aus dem gewohnten Gleis. Ich schreibe sonst nie etwas außer* Jean Ainsworth, seine Nichte. 185
halb meiner Arbeitszeit. Doch gestern kam ich herein und schrieb den Hamilton-Dialog, der zum heutigen Pensum gehört. Er entstand so rasch, daß das Ganze kaum leserlich ist. Es ist ein Leidenschaftsausbruch. Ich wußte, daß Samuel heftig werden würde, ahnte aber nicht, daß es gerade so sein werde. Sehr sonderbar – diese innere Nötigung. Ich habe 12 neue Bleistifte gespitzt, schöne lange. Man soll sich selber nicht verwöhnen, aber ich liebe nun einmal einen neuen Bleistift. Die abgenützten habe ich alle ausgeschieden, die kann Tom übernehmen. Ich bin ganz zapplig vor Ungeduld, weil ich den Mann nicht erreichen kann, den ich brauche. Ich hasse diese Warterei.
6. Juni, Mittwoch Gott sei Dank, dieser schwarze Dienstag ist vorbei. Wenn nicht das Tagewerk mit seinem Zwang gewesen wäre, hätte ich die Wände emporklettern können. Sonderbar, daß ich vorgearbeitet hatte, und zwar zum erstenmal. Ich bin wie Ethel – ich werde noch mir selber glauben, wenn ich nicht aufpasse. Gestern habe ich sehr schlecht geschlafen, es surrte in mir wie in einer billigen, überdrehten Uhr, aber heute ist alles wieder gut. Gegen Abend werde ich die Jungen sehen, nachdem ich vorher Badeanzüge für sie gekauft habe. Und für Johnnys Geburtstag habe ich ein Taschenmesser und eine Pistole, die Papierkugeln verschießt. Und falls ich es so einrichten 186
kann, daß Tom mich dazu auffordert, möchte ich morgen seine Schule besuchen, um die Methode kennenzulernen. Seine Lehrerin möchte, daß ich komme, aber ohne seine Aufforderung käme das nicht in Frage. Es würde nach Schnüffelei aussehen. Ich glaube, was er braucht, ist etwas Auszeichnung. Ich bin innerlich immer noch etwas durchgedreht und weiß nicht, ob das, was ich schreibe, gut wird. Das erfordert eine gewisse Energie, die mir gegenwärtig abhanden gekommen ist. Aber ich kann es jederzeit verwerfen, und tatsächlich verfüge ich über geheime Energiequellen, die zu sprudeln beginnen, wenn ich ihrer bedarf. Erhielt einen guten langen Brief von Beth. Hatte sie wegen der Jungen um Rat gefragt. Sie ist so weise und gut. Mein Vogel ist gefüttert und getränkt, und sein Bad hat er auch gehabt. Jetzt singt er höchst aufgekratzt. Und ich sollte auch singen – vielleicht geht’s. Der Mensch bringt Erstaunliches zustande, wenn er will – und muß. Das ist etwas, das ich im Krieg erfahren habe – ich bringe fast alles zustande, wenn der Druck groß genug ist, und fast nichts, ohne unter Druck zu stehen. Könnte das der Grund sein, warum paternalistische Systeme versagen? Weil sie dem Menschen den notwendigen Druck nehmen? Ich kann schimpfen wie ein Rohrspatz, aber ich habe noch nie gute Arbeit geleistet, wenn alles seine Richtigkeit hatte. Und nun will ich ein paar Worte zu Papier bringen.
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7. Juni, Donnerstag Ich fürchte, gestern habe ich schlapp gemacht. Das Feuer ging mir aus, und ich brach mittendrin ab. Ich bin wohl nicht so zäh, wie ich oft glaube. Suchte die Jungen auf und veranlaßte, daß ihre Kleidung vorausgeschickt wird. Heute vormittag habe ich dann Tom einen Schulbesuch gemacht, um die Unterrichtsmethode kennenzulernen. Habe auch eine ganze Menge gelernt. Ich hielt es für wichtig, einmal hinzugehen. Und heute fällt es mir schwer, mich zu fassen. Meine Gedanken sind wie ein wildes Tier, wenn man sie einmal ins Freie läßt, sind sie schwer wieder einzufangen. Ich hatte sie jetzt lange Zeit an der Kette, und jetzt muß ich ein Netz über sie werfen. Sie suchen das Weite. Ich komme mir so dumm vor, aber was willst du. Vielleicht werde ich heute über die Stränge schlagen. Es hat wohl keinen Sinn, dagegen anzukämpfen. Es ist ohnehin schon spät und wird schwierig sein. Ein schwieriger Kunde bin ich heute. Gewiß, das Selbstvertrauen wird sich wieder einstellen, aber gegenwärtig ist es damit nicht weit her. Vielleicht wäre das keine schlechte Idee. Seit drei Wochen habe ich keine Verschnaufpause mehr gehabt, das wird’s sein. Vielleicht bin ich bloß zu müde.
8. Juni, Freitag Gestern war mit mir nichts los, ich habe mich einfach gehen lassen. Deshalb räume ich mir wohl soviel Zeit ein. Und heute ist es fast ebenso schlimm. Ich beginne 188
mir selber zu mißtrauen. Mein Kopf benimmt sich wie ein unartiges Kind, eigensinnig und höhnisch. Und ach, die Spitzfindigkeiten, mit denen ich es rechtfertige, so daß es schließlich geradezu tugendhaft dasteht. Das ist wohl etwas Ähnliches wie die Notwendigkeit, einen Menschen zu hassen, dem man Unrecht getan hat. Ich komme mir nie tugendhaft vor, außer wenn ich ein schlechtes Gewissen habe. Ich war ein Nervenbündel diese Woche, gewiß, aber vielleicht war das nur ein Vorwand, oder vielleicht ist die Nervosität selber nur ein Mittel der Selbsttäuschung. Wenn Du heute zu mir kommst, wirst Du nicht viel Manuskript vorfinden. Ich bin sehr unartig gewesen. Und dann bin ich immer schüchtern. Auch wie die Zeit vergeht, ist unheimlich. Ich glaube, ich habe Dir das noch nie erzählt, aber als Pennäler drehte ich einmal völlig durch und fing an, in die Bibliothek zu gehen, um zu lesen, was mir paßte, statt das, was vorgeschrieben war. Ich kam in Rückstand, schließlich so sehr, daß ich ihn nicht mehr aufholen konnte. Noch heute träume ich manchmal davon. Es muß sich mir tief eingeprägt haben. Heute trafen die Stühle fürs Bücherzimmer ein, ein paar Tage vor unserer Abreise. Ist das nicht furchtbar? Aber so ist es immer. Alles geht diese Woche schief – es ist eine schlampige Woche. Meine Arbeit ist so wenig in den Griff zu kriegen wie ein rohes Ei auf dem Küchenboden. Und da soll einer nicht durchdrehen. Ich will es jetzt gewaltsam versuchen, fürchte aber, die gewaltsame Anstrengung wird der Arbeit nicht bekommen. 189
Ich weiß nicht, woher diese Plage stammt, aber etwas Neues ist sie nicht. Jetzt nehme ich mich beim Wickel und [bricht hier ab]
11. Juni, Montag Wenn im Drunter und Drüber dieser Abreisewoche etwas entsteht, sollte es mich sehr wundern, doch was das betrifft, ich wundere mich dauernd über alles mögliche. Das Wochenende habe ich damit verbracht, eine Magenverstimmung zu hegen und zu verwünschen. Das war es wahrscheinlich, was mir fehlte. Etwas Bewegung wird dem wohl abhelfen. Damit war es in letzter Zeit nicht weit her, nicht einmal zu meinem gewohnten Spaziergang bin ich gekommen. Deine Andeutung kürzlich wegen des Bootes hat mich sehr belustigt. Du hast geglaubt, ich könne es nicht für mich behalten, und dabei bist Du es zweimal gewesen, der es beinahe verraten hätte. Vermutlich, weil es mich ständig beschäftigt, und Dich nicht. Wenn ich nur wüßte, wie man das macht – andauernd und tüchtig arbeiten und nebenbei doch mancherlei Leben führen – das gesellige Leben, das Erwerbsleben usw. Ich kann es nicht. Ich muß einen gewissen Spielraum haben, so und so viel Trödelei auf so und so viel Arbeit. Diese Woche macht mir angst, noch bevor sie da ist. Das Vernünftigste wäre, mein Buch liegen zu lassen. Doch dann käme ich aus dem Arbeitsrhythmus heraus, und es würde lange 190
dauern, bis ich seiner wieder habhaft würde. So werde ich denn einfach so viel wie möglich zu verrichten suchen. Morgen ist Johnnys Geburtstag. Ich muß früh mit den Geschenken hin. Dieses Jahr sind es nur wenige. Ich möchte, daß sie aus diesem furchtbaren materiellen Denken herauskommen, das sie ringsum umgibt. Wenn sie das überleben, soll es mich freuen. Gegenwärtig kreist ihr ganzes Denken um greifbare Dinge und deren Besitz. Ich will sehen, was ich diesen Sommer ausrichte. Wenn ich auch nur ein Fünftel all dessen vollbringe, was ich vorhabe, wird das erstaunlich sein. Der Tag schreitet fort, und auch mein Magen macht Fortschritte. Ich glaube, ich bin wieder bereit, mich auf den bekannten Weg zu machen. Mein Kopf ist nicht so glasklar, wie mir das lieb wäre. Ich habe übers Wochenende zu lange und zu tief geschlafen. Der größte Fehler, den ich habe, ist mein mangelnder Schlendrian. Ich entsinne mich nicht, jemals völlig entspannt gewesen zu sein. Selbst im Schlaf bin ich angespannt und ruhelos und erwache bei jeder Kleinigkeit. Das ist nicht gut. Etwas mehr Gelöstheit wäre schön. Ich glaube, ich habe das von meinem Vater her. Manchmal dröhnte das ganze Haus von seiner Ruhelosigkeit, obwohl er nicht oft sprach. Er war ein merkwürdig schweigsamer Mensch – weil er keinen großen Wortschatz hatte, und dann auch, weil er niemanden hatte, an dem er ihn hätte erproben können. Er war eher stark als tief. Gescheite Leute 191
brachten ihn höchstens in Verlegenheit, und – das ist interessant – er hatte gar kein Musikgehör. Eine Tonfolge sagte ihm nichts. Noch heute wundere ich mich oft über ihn. In meinem Kampf, Schriftsteller zu werden, war er es, der mich unterstützte und mir die Stange hielt – nicht die Mutter. Sie wollte unbedingt, daß ich etwas Anständiges werde, Bankbeamter zum Beispiel. Sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn ich ein erfolgreicher Schriftsteller wie Tarkington geworden wäre, aber das traute sie mir nicht zu. Mein Vater dagegen wollte, daß ich mir selber treu bleibe. Ist das nicht sonderbar? Er bewunderte jeden, der sich ein Ziel setzte und es dann unentwegt verfolgte. Das rührte wohl daher, daß er selber seine Jugendträume im Kleinkram des Alltags begraben hatte. Uneingeschränkt nur eines und nichts anderes zu sein, erfordert ein Gefühl der eigenen Wichtigkeit, das ihm nicht gegeben war, und einen Egoismus, den er nicht über sich brachte. Er war ein Mensch, der sich selber zur bitteren Enttäuschung gereichte. Und ich glaube, er fand Gefallen an der völligen Ruchlosigkeit meines Vorhabens, allen Müttern zum Trotz Schriftsteller zu werden. Die Mutter glaubte immer, ich würde dem entwachsen und wieder zu Verstand kommen. Das war es wohl, was den Hamiltons zum Verhängnis wurde – daß sie alle zu Verstand kamen. Und nun habe ich genug gesprudelt und mache mich an die Arbeit. Mein Tagespensum hätte ich geschafft, aber ich glaube, ich schreibe noch weiter. Letzte Woche habe ich 192
so viel Zeit verloren, daß es nichts schaden kann, wenn ich etwas über das Pensum hinausgehe. Es beschwichtigt vielleicht mein Gewissen. Und wenn Du Dich wunderst, warum ich soviel Zeit an die Namensgebung wende, mußt Du wissen, daß ich damit meine Karten aufdecke. Und ich bin froh, daß ich für die Anlage meiner neuesten Geschichte die älteste Geschichte der Welt verwenden kann. Daß sich auf der Welt so wenig ändert, ist erstaunlich. Ich lasse also diese drei Gestalten die alte Geschichte neu erleben, und jeder erhellt sie, je nach seinem eigenen Erlebnis. Und Du wirst mir sagen, ob ich es gut gemacht habe. Immer noch selbigen Tags. Eigenhändig habe ich die 16 Verse von Kain und Abel abgeschrieben, da wirkt die Geschichte dann wie eine Reihe von Blitzlichtaufnahmen. Auch glaube ich jetzt auf den Titel gekommen zu sein, einen wunderschönen Titel: ›Jenseits von Eden‹. Lies nur den 16. Vers, da wirst Du die Worte finden. Und das Salinas-Tal liegt sicher jenseits von Eden. Ich könnte noch eine weitere Seite schreiben, vielleicht würde sie gut. Vielleicht auch nicht. Welch seltsame Geschichte, und wie sie einen verfolgt. Mir bangte davor, mit dem neuen Teil anzufangen, weil ich ahnte, wie verwickelt er würde. Und er ist es noch viel mehr geworden; je weiter ich in die Geschichte hineinkam, um so klarer wurde mir, daß ohne diese Geschichte die Psychiater nichts zu tun hätten. Mit anderen Worten, auf diese eine Geschichte gehen alle Gemütskrankheiten zurück, und wenn man noch den 193
Sündenfall dazunimmt, hat man die Summe aller seelischen Störungen, die einen Menschen befallen können. Ich werde heute doch nichts mehr schreiben, vielleicht kann ich morgen etwas mehr als sonst erledigen.
12. Juni [Dienstag] Ruhelose Nacht voller Gedanken. Wir waren bei Elisabeth zum Essen und Gespräch. Aber ich trenne mich ungern von der Arbeit, wenn sie einmal im Gange ist. Und die gestrige Entdeckung läßt mich nicht los. Ich glaube endlich einen Schlüssel zu der Geschichte gefunden zu haben. Den einzigen, der mich je befriedigt hat. Jetzt, nach all dieser Zeit, glaube ich über die Geschichte endlich Bescheid zu wissen. Es ist eine faszinierende Geschichte, und meine Auslegung, die ich heute einrücken werde, sollte Dich interessieren. Auch Wissenschaftler und Psychiater sollte sie interessieren. Jedenfalls werde ich das alles heute einrücken, auch auf die Gefahr hin, daß man es langweilig findet. Langweilig werden es ohnehin nur diejenigen finden, denen nur an der Handlung liegt. Der Leser, den ich mir wünsche, wird durch die Auseinandersetzung das Ganze erhellt finden, wie ich auch. Wenn es sich nur um eine Erörterung von Bibelfragen handelte, würde ich es weglassen, aber das ist nicht der Fall. Die biblische Geschichte wird zur Beurteilung unser selbst verwendet.* * 22. Kapitel (4. Abteilung). 194
Da wäre nun die Namensgebung, und es steckt allerlei darin, wenn man will. Ich hätte eine kleine Abhandlung einschieben können, aber es war wohl besser, es den drei in den Mund zu legen. Die Arbeit daran hat mich erschöpft. Eigentlich wollte ich noch eine Seite schreiben, aber das lasse ich nun.
18. Juni, Montag Lieber Pat! – Ich dachte, bei der Ortsveränderung würde eine ganze Woche draufgehen, aber nun ist das vielleicht doch nicht der Fall. Es ist Montag, und ich werde versuchen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Am ersten Tag wird es schwerfallen, ins regelmäßige Arbeiten zu kommen, aber ich werd’s jedenfalls versuchen. Es ist wunderschön hier* und ruhig wie sonst nirgends. Die Jungen sind brav, das Wetter ist kühl, und wenn ich nicht arbeiten kann, dann aus den bereits besprochenen Gründen – die Verhältnisse sind zu günstig. Ich werde es aber versuchen. Wie Du siehst, ist meine Schrift noch etwas krakelig. Ich muß deshalb trödeln, bis sie ins Lot kommt. Der andere Schreibtisch hat wahrscheinlich auch damit zu tun. Ich habe hier eine Arbeitskammer mit Ausblick aufs Meer, ganz für mich allein. Auch ein Schreibtisch steht drin, allerdings ohne verstellbare Fläche. Daran werde ich mich bald gewöhnen. Es ist nur eine Sache des Rhythmus. Nach einer Pause braucht es immer * Siasconset auf Nantucket vor der Küste von Massachusetts. 195
eine gewisse Zeit, bis es wieder schwallweise kommt. Man erreicht das, indem man nicht locker läßt. Ich versuche gar nicht erst, die Gegend hier zu beschreiben, Du wirst sie ja sehen, und meine Zeit ist kostbar. Sie ist folgendermaßen eingeteilt: Tagwache um 7.30 für alle. Um 8.30 an die Arbeit. Elaine geht dann mit den Jungen an den Strand, wobei sie den Lunch meistens mitnehmen. Ich arbeite, bis ich fertig bin. Dann gehen wir miteinander angeln, schwimmen, segeln, oder was immer. Nach dem Abendessen früh zu Bett usw. Es bekümmert mich, daß meine Verfassung bei der Ortsveränderung gelitten hat. Das hat wohl mit der Arbeitspause und dem Wechsel zu tun. Es wird sich geben, wenn ich wieder arbeite. Und ich glaube, es dürfte jetzt Zeit sein, daß ich mit dem NantucketTeil der Arbeit beginne. Es wird aufschlußreich sein, ob die neue Umgebung auf den Ton abfärbt. Ich glaube nicht, aber das werden wir sehen. Nun – was ich vorhabe. Das nächste Kapitel wird von Tom Hamilton handeln. Es wird ziemlich lang werden, da etwa zehn Jahre vergehen sollen. Das heißt, zu Beginn des nächsten Kapitels werden die Jungen zehn Jahre alt sein. Die nächsten sieben Jahre werde ich dann sehr rasch behandeln. Das siebzehnte Jahr wird im Leben der Jungen das entscheidende sein, namentlich bei Aaron. Und nun an die Arbeit. Das heißt, zuerst muß ich mir noch ein Glas holen, als Behälter für die Bleistifte.
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19. Juni, Dienstag Merkwürdigerweise ging es gestern gut – dicht, wie es sich gehört, und zielstrebig. Ich glaube, ich habe da einen bedeutenden Schlüssel. Gestern konnte ich nicht schlafen, und das sind immer die Nächte der Entdeckungen, auf die ich mich freue. Meistens ist es eine in der Woche. Nachdem alles schläft und Ruhe eingekehrt ist im Haus, kann ich mich in Gedanken ergehen. Vielleicht erzähle ich Dir das eines Tages ausführlich, wenn Du willst. Ich bin in drei Menschen gespalten und weiß genau, wie sie aussehen. Der eine ergeht sich in Mutmaßungen, der andere erhebt Einwände, und der dritte sucht eine Verbindung herzustellen. Meistens geht es hart auf hart, aber das Ergebnis ist dann die Arbeit der Woche. Und zwar spielt sich das gesprächsweise in meinem Kopf ab. Ein seltsames Erlebnis. Unter Umständen könnte es sich um eines der schizophrenen Symptome handeln, aber als Arbeitsverfahren ist es nicht zu verachten. Heute gehe ich auf Tom Hamilton ein, und das ist ein sonderbarer Mensch, scheu, schweigsam und gut – sehr gut und innerlich durcheinander. Ich glaube nicht, daß er jemals ahnte, was ihm fehlte. Er bestätigt aber die vorausgesetzte Schuld, die, zu Ende gedacht, dazu führt, daß er sich opfern muß. Und sein Opfer war seltsam und eher rührend. Die Hamiltons waren wohl alle nicht ganz bei Trost, wie mein Vater behauptete. Und nun an die Arbeit.
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20. Juni, Mittwoch Und ein schöner Tag. Ich stecke jetzt tief in Tom. Gestern nacht hatte ich einen langen Traum von meiner eigenen Lähmung und meinem Tod. Er war sachlich und durchaus nicht traurig, nur interessant. Ich bin sicher, er wurde dadurch ausgelöst, daß ich mich mit Tom Hamilton befaßte. Hoffentlich gefällt Dir die Stelle. Sie ist sehr dicht, sehr wahr und für unsere Geschichte wichtig. Auch ist sie aufschlußreich für die Geschichte, genau wie die Geschichte aufschlußreich sein soll für das Leben im allgemeinen. Es ist für mich faszinierend, alle diese alten Geschichten auszugraben und von meinem jetzigen Standpunkt aus zu beurteilen. Seltsame Dinge tauchen dabei auf. Was ich gestern von Mary schrieb, die lieber ein Junge gewesen wäre, ist bis ins Einzelne wahr. Es kam mir während der Arbeit wieder in den Sinn. Die Insel hier ist wunderbar. Ich fühle mich wie zu Hause. Ob es wohl der geringe Anteil (¼) Neuenglands an meinem Blut ist, der sich auswirkt? Die Leute hier betrachten mich nicht als Fremdling, wir scheinen uns gegenseitig bekannt vorzukommen. Es herrscht eine angenehme Lebensluft hier, nicht ohne Energie. Ich verspüre kein Bedürfnis, die Arbeit zu vernachlässigen. Im Gegenteil, meine Arbeitslust war noch nie größer. Ich werde Dich brieflich bitten, mir ein paar Bücher zu besorgen. Plastikspray habe ich genug, so daß das Manuskript, das am Samstag an Dich abgeht, gut besprüht und unverwischbar sein wird. Das ist wegen der feuchten Luft notwendig. Und nun an die Arbeit. 198
21. Juni, Donnerstag Zwei Drittel der ersten Woche hinter mir. Früh aufgestanden, und Elaine nahm die Jungen zu einem Picknick am Strand mit. Wird mich um zwei Uhr abholen, bis dahin bin ich wohl fertig. Bin zwar heute etwas saumselig aufgelegt – finde allerlei Kleinigkeiten zu erledigen. Bin aber entschlossen, nicht hinter meinem Pensum zurückzubleiben, selbst wenn ich nachts arbeiten muß – und damit hat es eine merkwürdige Bewandtnis. Wenn man entschlossen ist, etwas fertigzumachen, selbst wenn es Nachtarbeit bedeutet, dann stellt sich meistens heraus, daß man nachts nicht zu arbeiten braucht. Es hat mich gefreut, Dein Telegramm zu bekommen, daß die Ricketts* unterschrieben haben. Sie hätten uns große Scherereien bereiten können, auch wenn sie nichts anderes getan hätten, als nichts von sich hören zu lassen. Du bist sicher erleichtert. Dein Brief hat mir sehr gefallen. Ich vermisse unsere regelmäßigen Besprechungen. Auch bei mir bürgert sich ›Jenseits von Eden‹ als der endgültige Titel ein. Ich frage mich indessen, ob Du ihn nicht an jemand ausprobieren solltest, bevor der Betreffende etwas vom Inhalt des Buches weiß. Es klingt wie ein weicher
* Da Edward F. Ricketts gestorben war, bedurfte es der Genehmigung durch die Erbengemeinschaft, um Steinbecks erzählenden Text aus ›Sea of Cortez‹ (›Logbuch des Lebens‹) gesondert veröffentlichen zu können. Siehe die Anmerkung auf Seite 54.
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Titel, was er aber nicht ist. Er setzt sich rasch fest. Ich finde, das Zitat »Und Kain usw.« sollte unten an die Titelseite kommen, kursiv und ziemlich groß – vielleicht sogar gesperrt. Der Leser sollte nicht im Zweifel darüber gelassen werden, worauf der Titel sich bezieht. Deine neue Übersetzung der Geschichte weicht in einem wichtigen Punkt von den anderen ab. Die dritte Fassung, meine ich. In König Jakobs Bibel heißt es von der Sünde, die vor der Tür lagert: »Du sollst über sie herrschen.« In der amerikanischen Standardbibel heißt es: »Du aber herrsche über sie.« In der neuen Übersetzung aber lautet das so: »Du mögest über sie herrschen.« Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die ersten beiden stellen eine Voraussage beziehungsweise ein Gebot dar, die dritte Fassung dagegen setzt Willensfreiheit voraus. Das bedeutet Verantwortung des einzelnen und die Erfindung des Gewissens. Man kann, wenn man will, aber es bleibt einem überlassen. Ich möchte den Wortlaut überprüfen. Willst Du das für mich tun? Das genaue Wort – wenn es nämlich »du mögest« heißt, dann muß ich das in meine Auseinandersetzung hineinnehmen; es ist dann einer der krassesten Übersetzungsfehler im Alten Testament. Stelle bitte fest, wie das hebräische Wort lautet, das so verschieden übersetzt worden ist. Es ist wichtig. Diese kleine Geschichte erweist sich als eine der tiefsinnigsten, die es gibt. Ich habe das immer geahnt, aber jetzt weiß ich es. Und dann noch etwas. Abel brachte von den Erstlingen 200
seiner Herde und von ihrem Fett. Ich weiß, die Tiere wurden lebend zum Altar gebracht, und das Feuer wurde meistens mit dem Fett gespeist. Aber heißt das 1. daß Erstlinge immer fett sind, 2. daß Erstlinge und ältere Tiere gebracht wurden, oder bezieht sich »fett« einfach auf die Güte, wie in der Redensart von den »sieben fetten Jahren«? Noch etwas anderes fällt mir ein. Was heißt eigentlich Erstling? Gewöhnlich versteht man darunter die jungen Lämmchen. Aber im Text ist von den Erstlingen seiner Herde die Rede; könnte das nicht die besten der Herde bedeuten, so daß mit »fett« lediglich zweimal dasselbe gesagt wäre? Es würde sich auf die Herde, nicht auf die Opfertiere beziehen. So – da habe ich Dir reichlich zu tun gegeben, aber Du tust es wohl nicht ungern. Und zu guter Letzt sind wir dann Experten, was diese Geschichte betrifft. Wenn »Erstling« und »fett« eine Qualifizierung bedeuten, dann könnte in den »Früchten des Feldes« ohne Qualifizierung ein Hinweis darauf liegen, warum Kains Opfer nicht angenommen wurde. Und nun – an die Arbeit. Später. Mein Tagewerk ist getan. Und ich glaube, Du wirst erkennen, worauf es hinauswill.
22. Juni, Freitag Letzter Tag der ersten Arbeitswoche in Siasconset – einer guten Woche, finde ich. Was Du davon findest, wird sich erweisen. Wenn ich rechtzeitig fertig werde, 201
schicke ich die Arbeit der Woche noch heute abend ab, dann erhältst Du sie bestimmt Montag vormittag. Den Manuskriptseiten kannst Du entnehmen, daß es hier feucht ist. Briefmarken kleben zusammen. Ich bin froh, daß ich das Papier jetzt besprühe. Selbst die Bleistifte kommen mir weicher vor in der feuchten Luft. Aber es ist kühl und schön, und die Sonne ist warm. Das Boot ist noch immer nicht eingetroffen. Unbegreiflich. Kann mir nicht denken, was geschehen ist, es sei denn, es wurde überhaupt nicht abgeschickt. Hätte wohl selber dafür sorgen sollen. Hoffentlich gefällt Dir die Familienzusammenkunft, die ich gestern beschrieb. So spielte sich das damals ab. Die Hamiltons waren eine reizbare Gesellschaft. Mein Vater pflegte gutmütig zu sagen, sie seien alle verrückt. Das waren sie wohl auch, und ich? Manchmal komme ich mir auch so vor. Am Morgen ist es jeweils neblig, und dann ungefähr um zehn bricht die Sonne durch, und es wird warm und schön, und die Brise weht angenehm und kühl. Will man Wärme verspüren, braucht man bloß aus dem Wind zu gehen. Der heutige Tag läßt sich genau so an. Und ein kleines Freudengeglucker in der Magengrube sagt mir, daß mir die Arbeit heute leicht von der Hand gehen wird. Dieses Buch will und will kein Ende nehmen. Und heute wird eintreten, was Du vorausgesehen hast. Ich möchte eine gewisse Abschiedsstimmung darüber verbreiten, ohne es ausdrücklich zu sagen. Auch möchte ich, daß es komisch wirkt, ohne daß man darüber lacht. Ob mir das wohl 202
gelingt? Es ist das letztemal, daß Du Samuel Hamilton sehen wirst, außer bei seinem Tod, und ich bin nicht sicher, daß er da zu sehen sein wird. Von seinem Tod habe ich sehr früh im Buch gesprochen. Vielleicht ist es besser, es dabei bewenden zu lassen. Er lebte nur noch kurze Zeit, nachdem er die Ranch verlassen hatte, und es ereignete sich nichts mehr, was für das Buch wichtig wäre, aber die Arbeit heute und vielleicht noch morgen ist sehr wichtig, weil ich Samuel gewissermaßen in einem verklärten Licht zeigen möchte, wie man einen solchen Mann in Erinnerung behalten sollte. Nun brauche ich aber heute oder morgen dieses hebräische Wort, das so verschieden übersetzt worden ist. Ich möchte, daß Du für mich ein wissenschaftliches Gutachten darüber einholst. Ich kann es in einer reizvollen Szene verwenden, bei der ich das Wort vorläufig einfach auslasse, um es später einzusetzen.* Findest Du, das Buch kann sich noch immer sehen lassen? Ich bin zu sehr darin vertieft, um urteilen zu können. Du bist es allerdings auch. Ich möchte gern wissen, ob Du eine unpersönliche Einstellung aufrechterhalten konntest. Elisabeth kann sich in ihrem Urteil vom Persönlichen ganz freimachen. Aber sag mir doch, warst Du jemals so eng mit einem Buch * Das Wort heißt »timschel«. Siehe Seite 225/226. Auf dem Dekkel des Kästchens, das Steinbeck für Covici verfertigte, waren die hebräischen Schriftzeichen unter dem Titel eingeschnitzt.
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verbunden? Während es geschrieben wurde, meine ich. Ich glaube nicht, aber es könnte ja sein. Nun will ich mich für diese Woche verabschieden und an die Arbeit gehen. Heute, Freitag, werde ich nachmittags die zehn Seiten eingeschrieben per Luftpost abschicken. Sie kommen sicher bis Montag an. Und ich weiß, Du wirst mir den Empfang bestätigen. Vielleicht erhalten wir nächste Woche hier das Telefon – in diesem Fall werde ich Dich eines Tages anrufen, bloß um Deine Stimme zu hören. Vorläufig bitte ich Dich, Juan Negrin aufzusuchen. Vielleicht will er die Arznei etwas stärker dosieren. Nur zweimal ist nicht schlimm, aber es läßt sich wohl so einrichten, daß es überhaupt nicht mehr dazu kommt. Bemerkenswert, nicht? Er ist eben ein bemerkenswerter Mensch, und ich schätze ihn sehr. Jawohl, ich habe gute Freunde, gute und großartige Freunde. Das wäre zu Papier gebracht. Ob es diesen Duft hat, den ich ihm verleihen wollte? Am Montag wird Samuel nochmals Adam Trask und die Zwillinge und Lee besuchen, und das wird sein letzter Auftritt sein. Aber er muß dieses verklärte Licht haben. Das ist gegenwärtig alles. Weitere zehn Seiten erhältst Du nächste Woche.
25. Juni, Montag Lieber Pat. Ich habe bei diesen Aufzeichnungen immer das Gefühl, ich hätte Dir das, was darin steht, 204
wirklich geschrieben. Heute morgen werde ich Dich anrufen, damit Du weißt, daß wir ein Telefon haben, und auch, um Dir mitzuteilen, daß das Boot gestern ankam, damit Du nicht dem Mann in der Fabrik die Hölle heiß machst. Keine Ahnung, warum es so spät kam, bin aber froh, daß es überhaupt noch gekommen ist. Wir haben es bereits gestrichen und werden es womöglich heute nachmittag zu Wasser bringen. Es ist ein verflixt hübsches Ding. Übers Wochenende ist es mir übel ergangen – Magenverstimmung und alle möglichen Schmerzen, die sich nicht abschütteln ließen. Schreckliche Träume und Schmerzen da und dort. Wird wohl eine starke Erkältung sein, mit Begleiterscheinungen. Die Jungen befinden sich in einem Übergangsstadium, und wir auch. Gewöhnlich muß ich zwei getrennte Leben führen, das am Schreibtisch und das andere, doch jetzt sind es deren drei. Und der Übergang fällt mir nicht leicht. Am ärgsten ist es, wenn ich nicht arbeite. Aber das ist immer so. Tom bedarf dringend des Lagerlebens. Er braucht die Aufsicht älterer Jungen. In verschiedener Hinsicht ist er noch ein Baby – weniger alt, als er sein sollte. Das geht auf sein heftiges Bedürfnis nach Anerkennung zurück. Er möchte wie Catbird sein. Und wie bei den meisten Menschen sind einige seiner Methoden, Aufmerksamkeit zu erregen, recht unliebsam und nervenaufreibend. Dies wird vielleicht eine schlechte Woche für das Buch. Ich bin zersplittert und kann mich nicht sammeln. Muß mich gewaltig zusammennehmen, um 205
wieder ins Arbeiten zu kommen. Samuel steht seine letzte Begegnung mit Adam Trask und Lee bevor. Und da möchte ich etwas Besonderes daraus machen. Samuel soll als überlebensgroße Gestalt im Volk weiterleben. Ich gedenke deshalb den Leser nicht an sein Sterbelager zu bringen. Das habe ich bereits viel früher geschildert. Hier wird sein Tod nur noch vermerkt werden. Auf diese Art kann ich ihn teilweise am Leben erhalten wie ein Froschherz in Salzlösung, oder wie das Andenken, das man einem Menschen bewahrt. Soeben habe ich mit Dir am Telefon gesprochen, und es scheint gar nicht so weit weg. Das Telefon hat doch auch seine Vorteile. Schade, daß es bei Dir so heiß ist. Bei uns ist es wunderschön. Immerhin, in Deinem Büro ist es auch kühl. Nur daß Du eben nicht immer im Büro sein kannst. Nun zu dieser Woche und wie es mit der Arbeit geht. Es wäre besser, wenn ich nie aussetzen würde, aber dazu reicht meine Energie nicht aus. In der Maschinenschrift ist es schon ein ganz hübscher Stapel. Es wird ein dickes Buch werden. Wäre es nicht schön, wenn ich diesen Sommer nicht viel versäumen würde? Ich hätte dann einen großen Teil von ›J. von E.‹ fertig. Du hast recht – der Titel scheint endgültig. Ich verwende ihn unwillkürlich, und er scheint mir richtig. Werde Dir heute eine Karte schicken. Es kommt mir immer vor, als hätte ich Dir geschrieben, dabei habe ich doch nur diese Arbeitsnotizen gemacht. Du mußt zugeben, sie sind sehr ausführlich – vieles davon dürfte auch sehr langweilig sein. 206
Ich lese gerade, daß die Russen einen Waffenstillstand angeboten haben.* Wenn wir ihnen immer noch nicht hinter die Schliche gekommen sind, ist uns nicht zu helfen. Sie üben einen Druck aus, bis der Gegendruck gleich groß ist, dann geben sie nach und fangen anderswo wieder an. Mir scheint, wir sollten nicht nur ihrem Druck begegnen (das ist es, was sie wollen), sondern gleichzeitig an anderer Stelle, wo sie schwächer sind, einen Druck ausüben. Ich werde mich demnächst mit dieser Sache befassen. Habe da eine Menge Ideen. Und nun wieder zurück zu meiner Strickarbeit.
26. Juni, Dienstag Seit vier Monaten bin ich jetzt an diesem Buch. Und jeden Monat kommen etwas mehr als hundert Seiten zusammen. Das läßt sich durchaus sehen. Damit hätte ich nun etwa die Hälfte des Romans hinter mir, aber das ist nicht sicher. Gestern bin ich nicht so weit gekommen, wie ich gedacht hatte, weil ich zu Eliza kam, die keine Nebenfigur, sondern eine Stütze der Familie ist. Und ich mußte angeben, worin ihre Stärke besteht. Dann brachte ich Samuel zum Wohnsitz der Trasks. Adam Trask scheint verblaßt. Verblassen soll er auch, aber nicht sterben. Mit anderen Worten, bevor ich die nächste Szene beende, möchte ich dem Leser einen Einblick geben in die Welt, in die Adam * In Korea. 207
sich zurückgezogen hat. Nun bin ich der Ansicht, daß viele, denen das Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, sich ein ihren Wünschen entsprechendes Innenleben aufbauen. Ich glaube, Adam hat Cathy nie endgültig aufgegeben – er lebt innerlich mit der Cathy zusammen, die er sich ausgedacht hat. Wie bringe ich das im Buch wohl am besten an den Mann? Ich glaube, ich weiß wie. Faszinierend, wie bei methodischem Vorgehen sich das Ganze selber montiert. Wer an etwas Unmöglichem festhält, wirkt oft abschreckend, und doch tun wir das alle mehr oder weniger. Es kommt nur auf das Wieviel an. Ich nehme an, Du hast das Manuskript gestern bekommen, sonst würde ich wohl mit Telegrammen überschwemmt. Und es besteht auch kein Grund, warum es nicht angekommen sein sollte. Ich werde sehen, daß ich es jeden Freitag nachmittag zur Post bringe, das heißt, daß es dann Samstag um elf mit der Luftpost abgeht und Du es Montag mit der ersten Austragung erhältst. Ich bitte jeweils um eine kurze Empfangsbestätigung. Es würde mich freuen zu vernehmen, was Du von der Arbeit der letzten Woche hältst. Das ist das vorletzte große HamiltonStück. Dann kommt eines mit den Trasks, dann das letzte über Tom, und das wird der letzte bedeutende Beitrag der Hamiltons sein, abgesehen von kleineren Stücken. Die Anlage des Buches ist mir jetzt klar, bis ganz zum Schluß. Und es bereitet mir Genugtuung, daß die vor so langer Zeit ausgedachte Form sich 208
bewährt. Hoffentlich wird das Buch zunächst etwas formlos wirken, bis man sich darauf eingestellt hat. Nur eines möchte ich wissen, und es ist eine etwas bange Frage. Ich stecke tief im Buch drin, und Du ja auch. Ich frage mich, ob es auch für andere fesselnd ist. Hoffentlich hast Du Elisabeth den restlichen Teil gegeben. Ihr eiskaltes Urteil hat mich noch nie im Stich gelassen. Ich bin mir einfach nicht im klaren darüber, ob mein teuflisches Spiel mit den wahren Werten heutzutage noch ankommt, wo doch gegenwärtig nur atemraubende Handlung gefragt ist. Falls mein Buch ankommt, heißt das, daß man sich endlich vom Unmittelbaren abwendet und beginnt, wieder nach dem Beschaulichen zu trachten. Das wird sich zeigen. Ich weiß nur, es ist das beste Buch, das ich je geschrieben habe. Ob es gut genug ist, kann ich nicht sagen. Du weißt besser als irgend jemand, was es mir bedeutet. Erinnerst Du Dich noch an die verzweifelten Bemühungen im Bedford Hotel, als ich ahnte, daß Gwyn sich von mir losgesagt hatte? Und an all die Notizen und Entwürfe und Fehlzündungen? Natürlich erinnerst Du Dich. Und dann war es auf einmal soweit, und alles ergab sich wie von selbst, aber weißt Du, Pat, ich glaube nicht, daß es ohne den vorangegangenen Unfug entstanden wäre. Und das ist gegenwärtig wohl alles. Ich mache mich an die Arbeit.
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26. Juni, Fortsetzung So, das wäre das heutige Tagewerk. Hoffentlich gefällt es Dir. Ist es zu redselig? Samuel war immer ein redseliger Mensch. Ist es fesselnd? Und habe ich sein Innenleben deutlich gemacht, ohne es ihn je aussprechen zu lassen? Morgen werde ich zum letztenmal mein Thema angeben, und dann wird es nie wieder erwähnt werden. Mit Samuels Tod wird das ganze Tempo des Buches ein anderes, genau wie das Tempo des Zeitalters ein anderes wird. Es wird sich rasend steigern, Du wirst sehen. Ich finde das Buch immer gleich aufregend. Gelangweilt hat es mich noch nie. Hoffentlich gilt das auch für andere. Ich habe bei diesem Buch gleichzeitig ein demütiges und ein stolzes Gefühl. Ein seltsames Gefühl, wie ich es noch bei keinem meiner Bücher hatte. Ich suche ein Abbild der Welt im kleinen zu gestalten, und es hat den Anschein, daß mir das gelingt. Die Arbeit morgen wird zum Teil äußerst komisch sein, wenn ich mich nämlich in Bibelauslegung versuche. Ich muß aber ein bestimmtes Wort auslassen, das Du mir verschaffen wolltest. Ich setze es dann später ein, mitsamt der Begriffsbestimmung, die Du für mich auftreibst. Und das ist alles für heute, ich bin zufrieden mit meiner Arbeit.
27. Juni, Mittwoch Früh an der Arbeit. Immer ist etwas los. Gegenwärtig mit den Jungen. Wir werden das aber schon richten. 210
Ich glaube, Pascal könnte uns dabei helfen. Deshalb wollte ich seine Adresse. Er hat eine Menge gelernt und könnte mir nützlich sein. Ich glaube, ich habe schon früher bemerkt, daß ich noch nie etwas fertiggebracht habe ohne widrige Umstände. Auch diese Arbeit bildet keine Ausnahme. Aber wir werden es schon schaffen. Nun über das Buch. Es regnet übrigens heute, und die Jungen können nicht ins Freie. Das bringt eine Menge Lärm mit sich. Lärm ist nicht immer schlimm, manchmal kann man unter einem Betonmischer arbeiten, ohne etwas davon zu hören. Wie das heute gehen wird, weiß ich nicht. Es wird sich zeigen. Mir bangt etwas davor, wegen des Auftritts gestern abend, aber nicht allzu sehr. Ich bewältige fast alles. Was die Jungen anbetrifft, wollte ich, ich wüßte besser Bescheid. Und da kann Pascal mir nützlich sein. Ich komme immer wieder darauf zurück. Offenbar beschäftigt es mich. Ich glaube, ich werde Pascal heute schreiben, und den Brief einem Schreiben an Dich beilegen. Auf die Art kriegt er ihn schneller. Das Manuskript der vergangenen Woche hast Du inzwischen bestimmt erhalten. Diese Woche läßt sich die Arbeit gut an. Scheint die erwünschte Bestimmtheit zu haben. Wenn Du die Begegnung zwischen Adam und Samuel nachschlägst, die gestern entstand, wirst Du feststellen, daß viel Wissenswertes über die beiden und über die Handlung darin untergebracht ist. Ich finde, das ist mir gut geraten. Etwas weitschweifig, aber das mußte es wohl sein. Äußere Bewegung gibt es nicht, wenn man sich in Erinnerung 211
ergeht, aber es muß fesselnd sein. Ich brauche bald jemanden, der das Ganze liest, ohne vorher etwas darüber zu wissen. Jean Ainsworth las den Ersten Teil und hat nie davon gesprochen – nicht ein Wort. Gefragt habe ich sie natürlich nicht. Sie ist überhaupt nicht mitteilsam. Sie las ›Verdammt in alle Ewigkeit‹ im Umbruch, und alles, was sie sagte, war – es sei zu lang. Ich habe den Roman nicht gelesen, vermute aber, Jean hatte recht. ›J. von E.‹ soll auch lang werden, aber nicht zu lang. Dem Gefühl der Länge suche ich zu begegnen, indem ich dauernd das Tempo wechsle. Du hast ja das Vorhandene nochmals in einem Zug gelesen. Kam es Dir lang vor? Binnen kurzem möchte ich, daß Pascal das Vorhandene liest. Er hat einen scharfen Blick für Unstimmigkeiten. Es müssen jetzt mindestens 450 Seiten sein. Weißt Du noch, wieviel Seiten Maschinenschrift es waren bei den ›Früchten‹? Ich glaube, 600 oder 650. Bei diesem Buch werden es wohl rund 800 Seiten. Wie ich wohl bereits bemerkte, aber nochmals betonen möchte – nach Samuels Tod werden sich Tempo und Ton des Ganzen ändern. Die Handlung wird rascher vorwärtskommen. Und nun muß ich mich wohl an die Arbeit machen, und hoffentlich fällt sie zu Deiner Zufriedenheit aus.
28. Juni [Donnerstag] Bin hocherfreut, daß Du auf die Insel kommen willst, wenn auch erst in einem Monat. Das wird lustig wer212
den. Bis dahin sollte ich weitere hundert Seiten haben. Werde aber Deinetwegen nicht aussetzen. Das ist gar nicht nötig. Ich bin jeweils um acht an der Arbeit, und es kommt selten vor, daß ich um eins nicht fertig bin. Und da wir keine Ursache haben, die Nacht zu durchzechen, kann ich es weiterhin so halten, und wir haben trotzdem Zeit für uns. Ich glaube, wir sind im Begriff, den Kampf um Tom langsam, aber sicher zu gewinnen. Ich sorge mich wirklich seinetwegen. Er braucht Hilfe, und zwar jetzt. Eines Tages werde ich Dir von dem Gespräch erzählen, das ich gestern mit ihm hatte. Ich sprach zu ihm wie zu einem Erwachsenen und glaube mehr ausgerichtet zu haben, als man für möglich gehalten hätte. Gestern abend las ich Elaine die ersten drei Tagewerke dieser Woche vor, und sie sagt, es gefalle ihr noch besser als alles Bisherige. Ich finde auch, die Geschichte von Kain und Abel ist noch nie so genau untersucht worden. Auch gibt es keine Geschichte, die ergiebiger wäre. Heute erfüllt mich eine gewisse Müdigkeit. Lees Glaubensbekenntnis sollte so einfach und so schön sein, daß kein Zweifel an seiner Wahrheit aufkommen kann. Es muß noch stilistisch bereinigt werden, aber das Gedankliche ist vorhanden. Und ich bin etwas ausgepumpt. Aber das schadet nichts. Es ist nicht die Arbeit, die ein Gefühl der Leere hinterläßt, nur das Nichtstun. Nichtstun ist das Aufreibendste, was es gibt. Heute wird die Musik, die Samuel Hamilton heißt, verklingen. Zuerst ein Rückblick mit vollem Orche213
ster, und dann eine kleine Melodie für eine Flötenstimme, die als Erinnerung anfängt und in etwas ganz Neues und Wunderbares ausläuft, als münde das Leben, das zu Ende geht, in eine wunderbare Zukunft aus. Ich möchte, daß Samuel bestaunt und beachtet dahingeht. Es darf keine Niederlage sein, obwohl er sich vielleicht geschlagen wähnt. Es ist in der Literatur heute Mode, den Menschen, jeden Menschen, als geschlagen und zugrunde gerichtet hinzustellen. Und das glaube ich nicht, daß alle zugrunde gerichtet werden. Ich kann Dir ein Dutzend aufzählen, auf die es nicht zutrifft, und das sind diejenigen, von denen die Welt lebt. Es verhält sich mit dem Geist wie mit der Kriegsgeschichte – die Besiegten werden vergessen. Samuel suche ich zu einer jener Feuersäulen zu machen, die den Kleinmütigen und Verzagten den Weg durch das Dunkel weisen. Die Schriftsteller von heute, ich selber inbegriffen, neigen dazu, die Zerstörung des Geistes zu feiern, und weiß Gott, er wird oft genug zerstört. Das Auffallende ist aber, daß das nicht immer geschieht. Ich möchte das jetzt und hier mit aller Deutlichkeit aussprechen. Es wird scheele Blicke setzen seitens der Neurosenzone im Süden und der brutalitären Schule, aber ich glaube, die Großen – Plato, Laotse, Bhduh, wie zum Henker schreibt sich Bhudda, Christus, Paulus und die großen hebräischen Propheten – leben nicht als Neinsager im Gedächtnis der Menschen fort. Nicht daß es notwendig wäre, im Gedächtnis fortzuleben, aber wenn das Schreiben einen Sinn und Zweck hat, vom 214
handwerklichen Können abgesehen, dann ist es der, den Menschen Mut zu machen, ihren Gesichtskreis zu erweitern, sie über sich selbst zu erheben. Wenn das geschriebene Wort überhaupt etwas zur Entwicklung des Menschen und seiner halbfertigen Kultur beigetragen hat, dann ist es dies: Die großen Bücher waren schon immer ein Stab, um sich darauf zu stützen, eine Mutter, die man um Rat fragen konnte, eine Lehre, um Stolpernde aufzurichten, eine Kraft für schwache und feige Augenblicke. Und wie eine verneinende und verzweifelnde Einstellung behaupten kann, Literatur zu sein, ist mir unerfindlich. Wir sind zwar schwach und krank, häßlich und streitsüchtig, aber wenn das alles wäre, was wir jemals gewesen sind, dann wären wir schon vor Urzeiten vom Angesicht der Erde verschwunden, und nur noch ein paar versteinerte Kieferknochen, ein paar in Kalkschichten eingebettete Zähne würden von der Gattung Mensch künden. Das muß ich gleich hier betonen, und zwar so ausdrücklich, daß es nicht in Vergessenheit gerät bei den recht schrecklichen und entmutigenden Geschehnissen, die in diesem Buch noch bevorstehen; Jenseits von Eden ist zwar nicht Eden, es ist aber nicht unüberwindlich, weit davon entfernt. Kommt Dir dieses Kapitel* allzu lang vor? Es gibt so vieles, was ich darin unterbringen will. Auf die Gefahr hin, daß es zu lang wird, bleibe ich also dabei, um es womöglich morgen zu beenden. Vielleicht * 23. und 24. Kapitel. 215
auch nicht. Doch, ich werde sicher morgen damit fertig, weil ich es Dir in einem Stück schicken will, damit Du es als Ganzes aufnehmen oder ablehnen kannst. Es gehört in mein Buch hinein, weil das Buch von allem und jedem handelt. Was Du heute hattest, war das volle Orchester, von dem ich sprach. Morgen werde ich mich der kleinen Flötenmelodie annehmen – es ist eine Art Leitmotiv, das alles verbindet und zusammenhält, und enden will ich mit einem gewaltigen Akkord. Ich weiß, wie er klingen und sich anhören soll, und ich weiß, wie ich möchte, daß Dir zumute ist, wenn Du es gelesen hast. Und weißt Du, ich glaube, dies wird seit langem das erste bejahende Stück Literatur sein. Und jetzt gehe ich mit dem Boot hinaus, um zu angeln und über meine Melodie nachzudenken. Und morgen werde ich die Melodie für Dich zur Post bringen.
29. Juni [Freitag] Dein Brief kam gestern an; es freut mich, daß Dir die Arbeit der vergangenen Woche gefällt. Und schon geht wieder eine Woche zu Ende, und ich weiß nicht, ob ich das Kapitel heute fertigkriege oder nicht. Sonst schreibe ich es morgen fertig, und Du solltest es Montag vormittag erhalten. Was ich heute vorhabe, ist sehr schwierig. Es wird Dir nicht entgangen sein, daß meine Flötenpassage gestern eine unerwartete Wendung nahm – Samuel handelte auf eine Art, auf die Du sicher nicht gefaßt warst. Heute wirst Du vielleicht 216
sehen, warum. Heute kommt das Bejahende. Und ich weiß nicht, ob ich das alles heute schaffe. Elaine und ich waren gestern bis fünf Uhr früh auf – wir haben gelesen und geplaudert und alles mögliche besprochen, das ist immer sehr aufregend. Doch das Ergebnis ist, daß wir heute etwas müde sind, und ich weiß nicht, ob ich die Energie aufbringe, das Kapitel zu beenden. Versuchen will ich es jedenfalls. Gestern war es sehr kalt und windig. Wir wollten angeln gehen, kamen aber davon ab, der Wind war zu kalt, und draußen auf dem Wasser ist es bei diesem Wetter gefährlich. Heute scheint wieder die Sonne, so daß wir vielleicht gegen Abend hinausgehen. Ich bin heute in dieser Wohloder-übel-Stimmung. Merkwürdig, nicht? Zeit meines Lebens war ich noch nie so erregt wie bei dem Kapitel, das gegenwärtig zu Ende geht. Das muß ich feststellen. Ich meine das Arbeiten daran. Durchgelesen habe ich das bisher Entstandene noch nicht. Es muß sicher noch stark überarbeitet werden, aber nach Form und Inhalt scheint es mir richtig und zur Anlage des Ganzen passend. Ich lasse Samuel ungern fahren, aber ganz verlieren wir ihn ja nicht. Das wollte ich mit meinen Aufzeichnungen von gestern deutlich machen, und zum Teil kommt das auch in meine Geschichte hinein, entweder jetzt oder später. Heute ist Energie vonnöten. Stille, aber starke Kraft. Gehen wir also daran. Später. So, das Kapitel ist doch fertig geworden. Ich schicke es heute nachmittag ab. Hoffentlich kannst Du etwas damit anfangen. 217
2. Juli, Montag Kinder, wie die Zeit vergeht. Als ich das letztemal aufschaute, war es März. Und überhaupt, ich schreibe ja schon eine Ewigkeit an diesem Buch. Das dürfte übrigens wahr sein. Ich habe mein ganzes Leben lang an diesem Buch geschrieben. Du wirst darin immer wieder auf Dinge stoßen, die Dich an frühere Arbeiten von mir erinnern. Das waren nur Vorübungen. Und deshalb muß dieses Buch gut werden, es ist nämlich mein erstes. Alles andere war Vorübung und kommt in diesem wieder vor. Als ich letzte Woche mit der Arbeit fertig war, glaubte ich, damit sei ein Zeitalter zu Ende. Es kommt aber noch ein Stück. Und zwar heute. Vielleicht wird es länger, weil es sehr wichtig ist. Ist es dann fertig, dann ist das endgültig das Ende des Zweiten Teils.* Jene Generation ist dann erledigt. Dann kommt die zweite oder vielmehr die dritte Generation an die Reihe. Und ich glaube, der Anfang wird mir leichter fallen, wenn ich einen Dritten Teil daraus mache. Das heißt, daß das Buch aus vier Teilen bestehen wird statt aus drei. Ich finde, es spricht nichts dagegen. Ich werde dem Buch keine künstliche Einteilung aufdrängen. Der herkömmliche, naturgegebene Aufbau genügt durchaus. Ach, hoffentlich wird es gut. Vielleicht gefällt Dir das Stück nicht, das ich heute vorhabe. Es gehört aber hinein. Es enthält Enthüllungen, die wieder anderes erklären. Jedenfalls kommt es hinein. * Jetzt im Dritten Teil. 218
Heute ist ein strahlend schöner, klarer Vormittag. Aber schon schiebt sich Gewölk heran, und vielleicht bleibt das Wetter nicht so schön. Die Jungen benehmen sich diese Woche besser. Sie haben wohl das Übergangsstadium hinter sich. Es kommt mir jedenfalls so vor. Vielleicht bin ich selber auch besser daran. Ich hoffe es wenigstens. Mein Verschleiß an Bleistiften ist groß. Die feuchte Luft scheint den Graphit weicher zu machen, was zwar nicht sehr wahrscheinlich ist. Jedenfalls habe ich nur noch drei Dutzend von den sechs Dutzend, die Du mir besorgt hast. Du machst Dich also am besten darauf gefaßt, mir noch einmal sechs Dutzend beschaffen zu müssen. Ich hatte geglaubt, diese sechs Dutzend reichten für das Buch aus, brauche aber wahrscheinlich noch zwölf Dutzend. Es ist ein höllisch langes Buch. Zeit, an die Arbeit zu gehen. Ich habe seltsame und geheime Dinge vor, Dinge, die sich tief ins Unterbewußte eingraben sollten, wie jene Experimentalgeschichten, die ich ganz früher schrieb. Das waren auch Vorübungen, aus denen ich gegenwärtig lerne. Ich bin ja gespannt, wie das Vorhandene auf Harold wirkt. Bitte, es mir nicht vorzuenthalten. Ich frage mich, wie die gemächliche und weitschweifige Schreibweise auf ihn wirkt. Vielleicht läßt ihn das Ganze völlig kalt. Dieses Buch wird entweder gewaltige oder gar keine Wirkung tun. Ich glaube nicht, daß es da etwas zwischendrin gibt. Und nun an die Arbeit. 219
3. Juli, Dienstag Ein wunderschöner Tag. Elaine ist mit den Jungen ausgeflogen, so daß ich einen ungestörten Arbeitstag vor mir habe. Ich kann ihn brauchen. Allmählich bin ich von dem Buch wie besessen. Es bringt alles mögliche mit sich, von der schwärzesten Magie bis zur reinsten Wissenschaft. So fällt mir zum Beispiel ein: In ›Jenseits von Eden‹ sind die E tonangebend. Elaine heißt manchmal E und unterschreibt so. Es ist deshalb ein Glücksbuchstabe. Das Buch ist für mich oft einfach E. Gestern nacht habe ich kaum geschlafen. Es war eine dieser guten Gedankennächte. Bis um 12 schnitzte ich ein Paddel, das Tom für sein Gummiboot braucht. Dann zu Bett, um die ganze Nacht mit Nachdenken zu verbringen. Übers Wochenende wurde ich mir über einen großen Mangel an diesem Buch klar. Das Kapitel, das ich gestern als Ausklang bezeichnete, ist dazu bestimmt, diesen Mangel zu beheben. Es stellte sich aber heraus, daß es viel mehr als nur ein Ausklang ist. Es erweist sich als eines der wichtigsten Kapitel im ganzen Buch (beinahe hätte ich gesagt Boot). Und das hat mich die ganze Nacht hindurch beschäftigt. Wenn Du zu diesem Kapitel kommst, wirst Du innewerden, wie verhängnisvoll es gewesen wäre, es auszulassen. Ist das nicht seltsam? Ich glaube, ich habe dem Mangel abgeholfen, wie Du aus den heutigen Seiten entnehmen kannst. Es ist aber wiederum eines dieser wuchernden Kapitel, und ich bin keineswegs sicher, daß ich heute damit fertig 220
werde. Das muß besonders gut gemacht werden, und ich gedenke mir damit Zeit zu lassen. Zwei Mächte stoßen hier aufeinander, und zum erstenmal ist es die Macht des Guten, die vorläufig siegt. Es geht aber hart auf hart. Morgen ist der vierte Juli. Ich sehe nicht ein, warum ich aussetzen sollte. Persönliche Feiertage, ja, aber warum sollte ich für öffentliche freinehmen? Vor allem werde ich mich hüten, auf die Straße hinaus zu gehen. Die Touristen kommen bereits angetrudelt. Eines stimmt zwar. Die Zahl der Autos vermehrt sich nicht sehr, die Straßen sind somit nicht übervölkert, auch Siasconset nicht, aber Nantucket wird ein vollkommenes Irrenhaus sein. Ich werde zu Hause bleiben und arbeiten. Und vielleicht dieses Kapitel beenden, falls das nicht schon heute geschieht. Mir bangt etwas vor der Arbeit heute. Ich stehe auf und erledige andere Dinge, die offenbar erledigt sein wollen. Und soeben habe ich mich in den Finger geschnitten, der den Bleistift hält, nicht schlimm, aber es stört doch. Meistens ist das ein Beweis, daß ich vor der Arbeit zurückschrecke. Dabei bin ich doch für dieses Kapitel gut vorbereitet. Wenn ich aufhöre, davon zu reden, und einfach anfange, dann geht es vielleicht. Versuchen wir’s, und zwar jetzt.
4. Juli, Mittwoch Und ich verspüre ein Verlangen, heute nicht zu arbeiten, dem ich nicht nachgeben darf. Warum eigentlich 221
dieser grimmige Arbeitszwang? Ich habe den Schnitt am Finger mit Nagelpolitur überzogen, um ihn vor dem Bleistift zu schützen, und das muß noch trocknen. Deshalb die krakelige Schrift. Nagelpolitur stört viel weniger als ein Verband. Konnte kein Feuerwerk finden, nicht einmal Schwärmer. Nächstes Jahr muß eine Kanone her, und wenn ich selber eine fabrizieren muß. Aus Deinem Brief mit dem hebräischen Wort werde ich nicht ganz schlau. Ich muß viel mehr von dem Wort wissen als nur das. Vielleicht wird Dir das klar, wenn Du das Kapitel zu Gesicht kriegst. Ich muß das ganz genau wissen, weil eine solche Stelle bestimmt unter die Lupe genommen wird. Auch bin ich gespannt, was Du von der Stelle hältst. Falls das Buch gelesen wird, wird sie zu großen Auseinandersetzungen führen und die berühmtesten Fachleute auf den Plan rufen. Heute geht es schleppend voran. Ich weiß nicht, ob das gut herauskommt, was ich ausdrücken will. Eigentlich sollte ich mich dahinterklemmen, aber ich verspüre noch keine Lust. Keine Ahnung, warum. Erhielt einen guten Brief von Pascal, den ich im Laufe der Woche beantworten will. Das wird einige Überlegung erfordern, und gegenwärtig bin ich ganz mit meinem Buch beschäftigt. Fangen wir also an. Nun hab ich’s geschafft. Und vielleicht werde ich morgen mit dem Kapitel fertig. Vielleicht auch nicht. Da es für mein Thema wichtig ist, mag es soviel Zeit beanspruchen, wie es will. Auch wird sich später 222
noch einiges daraus ergeben. Mach Dir also nichts aus der Länge. Es hat schon seine Richtigkeit damit. Und nun werde ich den vierten Juli ganz ohne Feuerwerk feiern. Getrunken wird lediglich Bier. Ich mache mir gleich eine Dose auf – jawohl!
5. Juli, Donnerstag Obwohl ich kein ausgesprochener Menschenfreund bin, fehlt es mir doch nicht an Rücksicht, und ich halte es für denkbar, daß diese Aufzeichnungen Dich zu Tode langweilen. Ich gebe Dir deshalb ein Gegenmittel an die Hand. Du brauchst sie gar nicht zu lesen. Ich werde Dich nie darüber ins Verhör nehmen, und niemand wird es merken. Hoffentlich beschwichtigt Dich das und läßt es Dir weniger beschwerlich erscheinen. Meine Finger würden Dich interessieren. Ich habe mir einen Gummiverband ausgedacht, um sie vor dem Bleistift zu schützen. Sie sind so arg mitgenommen, daß sie mir wehtun, aber mein neues Verfahren bewährt sich. Am Abend bin ich mit Holzschnitzerei beschäftigt, während ich schlechte Radiomusik höre. Ich habe es mit Lesen versucht, mußte aber feststellen, daß ich in Gedanken immer zu meinem eigenen Buch abschweife. So ist das mit den Monomanen. Der ›Bartlet‹* ist heute vormittag eingetroffen. * Eine Zitatensammlung. 223
Komisch, ich wollte schon immer einen haben und habe nie einen gehabt, obwohl ich ihn dringend brauchte. Würdest Du mir den Gefallen tun, noch ein zweites Exemplar zu kaufen? Ich möchte es als Geschenk verwenden. Fallen Dir all diese Bitten und Aufträge eigentlich lästig? Du brauchst es nur zu sagen, und ich stelle das ab. Sieh zu, daß ich Deine Gutmütigkeit nicht mißbrauche. Das möchte ich nicht, aber vielleicht gehe ich zu weit. Ich bin ja in mancherlei Hinsicht auf Dich angewiesen. Nun wieder zu E. Diese Szene entwickelt sich, und ich mache hoffentlich deutlich, was in beiden Gestalten vorgeht. Die Situation scheint vielleicht etwas weit hergeholt, aber dergleichen kommt die ganze Zeit vor, wenn auch nicht so stürmisch. Vielleicht erkennt der Leser etwas von sich selber darin. Und nun habe ich hier wohl genug hergesetzt. Ich will wieder zu meiner Strickarbeit. Vermutlich wird die Szene heute noch nicht fertig. Es ist eine wichtige Szene, nicht nur für jetzt, auch für später.
6. Juli [Freitag] Es scheint kaum möglich, daß schon die dritte Arbeitswoche zu Ende geht, seit ich hier bin. Doch die Zahl der Seiten bestätigt es. Ich bin froh, daß Dir die Arbeit der letzten Woche gefällt. Diese Woche wird sie Dir wohl nicht gefallen. Sie hat nichts Gefälliges, könnte aber wirksam sein. Und ich weiß jetzt, daß sie notwendig ist. 224
Gestern erhielten wir Dorothys netten Brief. Elaine wird ihr schreiben wegen der Kleider. Ich glaube, wir bewirken eine Veränderung bei Tom. Er hat bemerkenswerte Fortschritte gemacht. […] Er arbeitet jetzt gern, wir brauchen ihn nur bei der Stange zu halten. Elaines Unterricht wirkt Wunder. Es wird immer wieder zu Ausbrüchen kommen, aber wir wissen jetzt, wie wir uns zu verhalten haben. Heute tauge ich nichts. Ich muß mich zur Arbeit anhalten. Jeden Vorwand habe ich schon benützt, um nicht arbeiten zu müssen, außer den, Krankheit vorzuschützen. Ich habe getrödelt, bin unzählige Male auf die Toilette gegangen, habe ein Glas Wasser nach dem anderen getrunken. Wirklich kindisch. Offenbar habe ich eine Heidenangst vor der nächsten Szene, daran liegt’s. Du wirst verstehen, warum, wenn Du sie zu Gesicht bekommst. Es besteht nämlich kein Zweifel, daß sie heute fertig wird. Ich lasse mir nichts durchgehen, jedenfalls nicht oft. Und ich will, daß die Szene fertig wird. Dann habe ich das Wochenende, um den Dritten Teil vorzubereiten, und wie er anfängt. Dazu brauche ich die zwei Tage. Gegenwärtig aber habe ich Schwierigkeiten mit mir wie mit einem eigensinnigen Kind. Ich war sehr froh über Deinen letzten Brief. Und die Übersetzung des Wortes. Mach Dir deswegen keine Sorgen. Ich werde Gutachten einholen müssen. Wenn es dann Streit gibt, kann man mir nichts anhaben. Vergiß nicht, daß in der jüdischen Übersetzung, die Du mir geschickt hast, »timschel« nicht als 225
reines Futurum aufgefaßt wurde. Es wurde mit »du mögest« übersetzt. Das heißt zum mindesten, daß verschiedene Auffassungen möglich sind, und das genügt mir. Ich muß aber das ganze Verb haben, bevor ich abschließe, vom Infinitiv an über die Vergangenheit und die zusammengesetzten Zeiten bis zum Konjunktiv und Futurum. Wir werden es schon auftreiben. Vielleicht müssen wir uns bei reinen Sprachwissenschaftlern erkundigen, also auch bei Nicht-Juden. Welche amerikanische Universität hat eine gute hebräische Abteilung? Dr. Ginzberg* hat als Theologe vielleicht eine etwas andere Einstellung als ein reiner Sprachwissenschaftler. Übersetzungen kommen oft schief heraus, weil die Übersetzer in eine Stelle hineinlesen, was sie drin finden wollen. Wörter sind etwas schwer Faßbares, und keiner kann sie auf die Dauer aufspießen und unter Glas ausstellen. Die Akademien haben das versucht, und was ist dabei herausgekommen? Eine tote Sprache. Und warum ich Dir hier einen Vortrag halte, weiß auch kein Mensch. Ich werde mir nun auf die Finger klopfen und Gewalt anwenden. Das Kapitel muß morgen mittag zur Post – unbedingt. So – dieses verwünschte Kapitel** ist fertig. Du wirst wohl sehen, warum es notwendig war. Vielleicht ver* Covici hatte die Frage Dr. Louis Ginzberg vom Jüdischen theologischen Seminar unterbreitet.
** 25. Kapitel. 226
stehst Du Cathy ein bißchen besser. Und nun ist Adam bereit für den Dritten Teil. Und ich auch. Aber nur, weil dieses letzte Kapitel unter Dach ist. Es wird Dir nicht gefallen, aber Du wirst es begreifen. Das Gleichgewicht ist nun hergestellt, und wir wissen, wo jeder steht. Und damit lebwohl.
9. Juli, Montag Dieser Tag ist ein Markstein. Der Anfang eines neuen Teils des Buches. Ich habe darüber nachgedacht, bis mir ganz wirblig war im Kopf. Die Angst, die sich am Anfang immer einstellt, hat mich befallen und der übliche Mangel an Selbstvertrauen. Obendrein aber auch eine unerklärliche Wurstigkeit, ein schwer zu fassendes Gefühl – ich wollte, ich wäre über alle Berge: diese Art von Gefühl. Es gilt, das wieder in ein gewöhnliches Gedankengeleise zu bringen. Das leichteste wäre, zu sagen, ich sei müde. Aber das ist es nicht. Ich bin jetzt schon sehr lange an diesem Buch und bin seiner keineswegs müde. Und es geschieht nicht mehr oft, daß ich davor zurückschrecke. Das geht vorüber. Was ist es dann, das mir zu schaffen macht? Ich weiß es nicht. Die Jungen sind es jedenfalls nicht. Sie machen große Fortschritte. Tom hat sich erstaunlich gemausert. Ich mache mir geradezu Vorwürfe, daß ich ihm das nicht zugetraut habe. Beide entwickeln sich höchst erfreulich. Nehmen wir uns also das Buch selber vor. Es wird 227
jetzt nahezu 500 Seiten sein. Angefangen hat es damit, daß es sagte: »Ich will euch erzählen, wie es damals war.« Und hat es das getan? Das weiß ich nicht. Ich weiß es ganz einfach nicht. Sitten und Gebräuche, Kleidung, Lebensgewohnheiten – alles das wurde weggelassen, um dafür auf die Menschen einzugehen, aber das ist wohl kein Nachteil. Sitten und Gebräuche sind schließlich nur der Rahmen für die Menschen. Über Sitten und Gebräuche kann man höchstens eine Abhandlung schreiben, und das wollte ich nicht. Ich möchte den Leser an der Geschichte beteiligen. Er soll so sehr daran beteiligt sein, daß es seine Geschichte wird. Du bist bereits tief in die Geschichte verstrickt. Ich zweifle daran, ob Du erkennen kannst, was erreicht worden ist, weil Du aus diesen Briefen weißt, worauf ich hinauswollte. Und weil Du das weißt, glaubst Du vielleicht, ich hätte es erreicht. Das spricht eher gegen diese Aufzeichnungen. Ich weiß nicht. Heute wird es auf jeden Fall langsam gehen. Das ganze Wochenende hindurch habe ich über den neuen Teil nachgedacht, der jetzt anfängt. Die Zeit wird eine andere, und die Richtung. Die Nation und damit auch das Tal ändern Richtung und Tempo. Wie will ich das deutlich machen? Ich weiß nicht. Beibehalten möchte ich das merkwürdig gelöste Gefühl. Am besten wäre es wohl, einfach die Wahrheit zu sagen. Das ist aber das schwierigste, einfach die Wahrheit zu sagen, wie man sie sieht. Ich habe es jedenfalls versucht. Es wäre schade, mich jetzt an literarische Mätzchen zu verlieren. 228
Dein Formgefühl wird Dir sagen, daß jetzt mehr als die Hälfte des Buches vorliegt. Nicht daß es seinem Ende entgegenginge, aber der Grundgedanke ist vorhanden, da kommt nichts Neues mehr hinzu. Jetzt werden wir sehen, wie er sich auswirkt. Spürst Du das? Hoffentlich. Natürlich braucht der Grundgedanke Dir (und damit dem Leser) nicht bewußt zu sein. Er soll unterschwellig wirken; nur die Gestalten sollen im Gedächtnis bleiben und Dich beschäftigen. Heute ist ein flauer Tag. Es ist mir einerlei, ob ich die zwei Seiten hinkriege, aber meistens schaffe ich es ohnehin. Ich will aber auch Betrachtungen darüber anstellen. Meines Wissens hat es ein solches Buch überhaupt noch nie gegeben. Sein gemächliches Tempo geht auf die Romane des 18. Jahrhunderts zurück, aber in seiner Dringlichkeit ist es modern. Der Roman des 18. Jahrhunderts stellte Menschen und Gedanken vor den Leser hin, ohne auf ein Miterleben zu dringen. Dieses Buch sucht beide Verfahren anzuwenden, das alte und das moderne. Ob mir das gelingt, wird sich erweisen. Deshalb liegt mir an Harolds Urteil. Das heißt nicht, daß Du bei mir abgeschrieben bist, aber Du gehörst jetzt eigentlich zu den Verfassern und stehst nicht mehr außerhalb. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube, Du wirst Mühe haben, Kritiker zu sein. Ich fahre indessen mit diesen Aufzeichnungen fort, und heute habe ich nicht das Gefühl, daß ich damit nur den Arbeitsbeginn hinausschiebe. Auch möchte ich Dir einige Fragen stellen, die ich letzte Woche noch nicht gestellt hätte. Wurde Dir 229
klar, was Adam im letzten Kapitel widerfuhr? Ich habe mehrmals betont, daß etwas Gutes nicht verkommt. Hast Du gespürt, daß Samuel in Adam gefahren war und in ihm weiterlebt? War Dir diese Wiedergeburt gegenwärtig? Sollte ich das deutlicher machen, oder war es Dir klar? Trotz allem, was man sagt, behaupte ich, der Mensch ändert sich, er lernt zu, er wächst. Das wollte ich in diesem letzten Kapitel ausdrücken. Und dann, verstehst Du Cathy jetzt besser? Sonst habe ich es nicht richtig gemacht, ihr Leben besteht aus einer Reihe von Racheakten, weil sie ein unbestimmtes Gefühl ihrer eigenen Unzulänglichkeit hat. Wer von Geburt an blind ist, muß andere ihres Augenlichts wegen sowohl hassen als auch beneiden. Ein Blinder möchte vielleicht am liebsten alle Augen auf der Welt abschaffen. Es ist ein schreckliches Kapitel, dieses letzte, und vielleicht die beste Menschendarstellung, die mir je gelungen ist. Bald bin ich soweit, daß ich mit dem Dritten Teil beginnen kann. Was das Tempo betrifft, greife ich auf den Ersten Teil zurück. Der Kehrreim ist eines der wertvollsten Gestaltungsmittel. Der Kehrreim bedeutet Rückkehr zum Bekannten, bevor man sich wieder in die Lüfte erhebt. Für den Leser bedeutet er einen Trost, eine Versicherung, daß das Buch nicht über seine Aufnahmefähigkeit hinausgeht. Gewiß, ich habe mir Gedanken gemacht, wie das Buch wohl aufgenommen wird. Mir scheint, es könnte eine Leserschaft finden, die Sinn hat für das Offene und Ehrliche. Bekanntlich hat der Roman unter dem 230
Ansturm der Sachbücher gelitten. Das kommt weitgehend davon, daß der Roman sich schon lange nicht mehr gewandelt hat. Sherwood Anderson schuf den modernen Roman, und dieser ist seither nicht weit über ihn hinausgekommen. Ich glaube über ihn hinauszugehen. Vielleicht wird man ihn deswegen verreißen, aber ich glaube nicht. Ich glaube es wirklich nicht. Man wird sehen. Eines muß ich sagen – noch nie hat mir meine eigene Arbeit dermaßen Freude gemacht wie bei diesem Buch. Ich finde es immer noch so aufregend wie an dem Tag, als ich damit begann. Meine Energie hat nicht nachgelassen. Ich halte es immer noch für mein magnum opus. Früher habe ich immer etwas zurückbehalten für später. Hier wird nichts zurückbehalten. Diesmal ist es keine Vorübung. Die Vorübungen galten diesem Buch. Ich weiß nicht, was ich anfangen werde, wenn es einmal fertig ist. Es wird eine Schlechtwetterzeit sein, aber die will ich überstehen, wenn es soweit ist. Das Buch steht für sich selber da, es ist nicht mein Ich. Ich bin zwar drin und gehöre dazu, aber ich bin nicht das Buch. Schön, daß Du das herausgespürt hast. Aus Urgründen sind die Bilder über mich gekommen und wirkten manchmal sogar auf mich befremdend. Sie sind mir aber nicht unlieb. Nun bin ich bereit, den Weg wieder unter die Füße zu nehmen, und, wie Katholiken sagen, schließe mich bitte in Dein Gebet ein.
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10. Juli, Dienstag Gestern war die Arbeit schwierig, aber ertragreich. Ich glaube erreicht zu haben, was ich anstrebte. Das muß sich heute beim Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse fortsetzen. Was hältst Du übrigens von meiner Darstellung dieses Wandels? Ich finde, sie entspricht der Wahrheit. Wie immer nach einem schwierigen Tag konnte ich gestern nicht schlafen, aber das heißt nur, daß ich mir ein großes Stück des Kommenden zurechtgelegt habe. Besonders müde bin ich deswegen nicht, und das ist gut. Ich bin vorläufig etwas angespannt, aber frisch. Elaine geht heute mit den Jungen nach Nantucket zum Friseur. Es kommen Gäste zum Abendessen. Dein kleines Geschenk ist in täglichem Gebrauch. Ich kann damit alles mögliche machen. Ich habe mancherlei geschnitzt, und überall im Haus stecken Windrädchen. Ich schnitze sogar an einem Geschenk für Dich – hoffentlich gefällt es Dir. Es ist weitaus das Beste, was ich bisher geschnitzt habe. Ein gutes Stück, mit Verlaub zu bemerken. Ich verfüge jetzt über eine Menge Zeit. Weil die Szene so dicht war, fühlte ich mich am Ende der letzten Woche ziemlich abgekämpft. Auch schreckte ich vor dem neuen Teil zurück, aber jetzt nicht mehr, jetzt komme ich wieder zu diesem schönen, gelösten Gefühl, wie ich es bei diesem Buch so lange hatte. Es ist doch sicher unvermeidlich, daß mein Leben mehr oder weniger das Tempo dessen, was ich schreibe, annimmt? 232
Noch etwas ist bei diesem Buch anders als bei den früheren. Ich tue natürlich, was ich kann, aber ich nehme mich dabei nicht allzu ernst. Es handelt sich nicht darum, den Parnaß zu erklimmen und mit Kletterhaken der Unsterblichkeit zuzustreben. Es ist einfach ein Buch – so gut wie es bei meinen Voraussetzungen sein kann. Und ich bin sicher, auch wenn ich wüßte, daß kein Mensch es je liest, würde ich es dennoch schreiben. Ob das wohl stimmt? Es kommt mir so vor, aber wer kann schon sagen, wie er in einer Lage handeln würde, in die er noch nie geriet? Und wenn es stimmt, warum liegt mir dann so viel an Deinem Urteil? Immerhin – ich glaube, ich würde es dennoch schreiben. Juan Negrin kommt Mitte August auf ein Wochenende her. Ein vorbildlicher Freund. Dauernd nütze ich sein Geschick und seine Güte aus, ohne mich je erkenntlich zeigen zu können. Er hatte das letztemal einen müden Blick. Soeben habe ich am Telefon mit ihm gesprochen, und er sagte, er sei zufrieden mit den Fortschritten, die Du machst, wolle aber, daß Du mit den Mitteln fortfährst. Ich werde ihn vielleicht um ein Geschenk bitten, das größte, das es gibt. Er ist ein guter Mann, Pat. Er hat ein wildes, gewalttätiges und mutiges Wesen. Als Chirurg wagt er etwas. Er würde jemand das Leben nehmen, um es einem anderen zu geben. Diese Art von Mut gefällt mir. Auch habe ich schon gedacht, ein Chirurg, namentlich ein Gehirnchirurg, sei eigentlich sehr einsam in seinen Entscheidungen. Er kann niemand um 233
Rat angehen, wer sollte ihm den geben? Das erfordert sicher die größte Zivilcourage und eine Menschenfreundlichkeit, die weit mehr ist als Gutmütigkeit. Mit einem Wort, er muß teils Kind, teils Barbar, teils Gott sein. Und damit will ich wieder zu meinem Buch zurück, das mehr Kind und Barbar als Gott ist, zum Glück.
11. Juli, Mittwoch Gestern nacht kam das Böse über mich. Ich nahm mir vor, mit diebischer Freude, heute blau zu machen und angeln zu gehen, um dafür am Samstag zu arbeiten. Mein verbrecherisches Vorhaben stand fest. Und nun ist es heute vormittag bedeckt und windig. Sogar die Naturgewalten haben sich verschworen, mich nicht vom geraden Pfad abweichen zu lassen. Solchermaßen zur Tugend gezwungen, fällt es mir heute einigermaßen schwer, den Anfang zu finden. Ich wollte, ich hätte der Sünder sein dürfen, der ich sein wollte. Vielleicht daß etwas Sünde mir gut täte. Der wirtschaftliche Abschnitt gestern hat mir Spaß gemacht. Die wenigsten führen je unser System auf seinen Grundunsinn zurück. Das sollte aber von Zeit zu Zeit geschehen, wenn auch bloß zu dem Zweck, daß wir wieder einmal wissen, wie töricht der Mensch ist. Ich komme mir heute besonders töricht vor. Ein Kuddelmuddel im Kopf. Es täte mir gut, etwas auszusetzen, aber ich weiß, ich fände dabei keine Ruhe, außer wenn ich mich mit etwas anderem beschäftige – 234
mit einer Angelleine zum Beispiel. Die Finger tun mir nicht mehr weh, sind aber ganz schwielig. Der Schnitt an der Fingerspitze ist steinhart. Und unrasiert bin ich auch. Ich rasiere mich hier nicht jeden Tag, wo kämen wir da hin. Das Wasser wird auf einem Kohlenöfelchen heißgemacht, und das heißt, daß wir Feuer machen müssen, wenn wir ein Bad nehmen wollen. Wir baden deshalb nicht so oft wie zu Hause, dafür stürzen wir uns oft in den Ozean. Davon werden wir zwar nicht sauber, aber wir riechen wenigstens nicht. Die Zeit rückt vor, und ich habe noch nichts geleistet. Es ist schlankweg Faulheit. Nicht daß ich in der Geschichte steckengeblieben wäre. Weißt Du noch, wie ich einmal in New York plötzlich den Entschluß faßte, nicht zu arbeiten, was auch geschah? Es verschaffte mir ein gutes Gefühl. Vielleicht täte es mir auch jetzt wieder gut. Muß mir das überlegen. Auch täte es Dir vielleicht gut, nicht jeden Montag zehn Seiten zu erwarten. Vielleicht schadet die Regelmäßigkeit beiden von uns. Was meinst Du? Ich muß es mir überlegen. Was soll eigentlich dieses Schattengefecht am Schreibtisch? Ich sollte entweder ausgehen und etwas anderes tun, oder dann arbeiten. Versuchen wir es mit beidem. Nun, ich habe mein Pensum geleistet und den ganzen Tag dafür gebraucht. Was einen Schatten darauf warf, war der Umstand, daß Tom außer Rand und 235
Band geriet. Es ist gleichsam eine Krankheit. Heute vormittag meldeten sich die ersten Anzeichen, und das steigerte sich dann bis zu krassem Ungehorsam, und nun sprechen wir nicht mehr mit ihm, und das ist eine Strafe für das ganze Haus, aber es scheint das einzige zu sein, was bei ihm verfängt. Wahrscheinlich kann die Strafe morgen früh wieder aufgehoben werden, vielleicht dauert sie aber morgen noch den ganzen Tag. Nun wieder zum Buch. Ich bin jetzt mit der Einleitung zum Dritten Teil fertig und kann auf meine Geschichte zurückkommen. Und damit Feierabend.
13. Juli, Freitag Gestern habe ich nun einen Tag ausgesetzt und bin angeln gegangen. Gefangen habe ich nichts, dafür habe ich mir draußen auf dem Wasser den schönsten Sonnenbrand geholt, der mich nachts dann nicht schlafen ließ. Es war so kühl draußen, daß ich nicht merkte, wie mich die Sonne versengte. So habe ich einen triftigen Grund, nicht viel zu tun, aber triftig genug ist der Grund nicht. Das Manuskript schicke ich zur üblichen Stunde ab, es sind aber nur vier Tage, nicht fünf wie sonst. Da ich aber morgen zu arbeiten gedenke, werden es dafür beim nächsten Stoß sechs Tage sein. Morgen wird der Sonnenbrand nicht mehr schmerzen, dank dem Tannin, das dem rasch abhilft. 236
Nun zu E. Der Auftakt zum Dritten Teil ist fertig, ich kann mich wieder mit der Handlung befassen. Dabei werde ich auf das Verfahren zurückgreifen, das ich ganz zu Anfang verwendete – weitausgreifende Erzählung mit eingestreuten kleinen Szenen als Verbindungsstücken. Das scheint mir das Richtige zu sein. In Deinem Brief steht unter anderem, Harold sei verdutzt über das Manuskript. Hoffentlich meinst Du nicht verwirrt. Ich könnte mir denken, daß schon das Gewicht dieses verwünschten Buches verwirrend wirkt. Du und ich, wir haben es schubweise erlebt, wenn es einem aber als Ganzes in den Schoß geworfen wird, kann sich das Gewicht unliebsam bemerkbar machen. Das wird sich mit der Zeit erweisen. Ein Buch ist so verzwickt wie ein Leben, in mancher Hinsicht verzwickter. Gegenwärtig stecke ich so tief darin, daß ich Mühe habe, es von außen zu sehen. Und manchmal frage ich mich, wie es weitergeht. Das heißt, ich weiß, welche Richtung es verfolgt, sehe aber die einzelnen Vorfälle nicht immer voraus. Hier, linksseitig, habe ich immer versucht, Dir im voraus mitzuteilen, was ich vorhabe, und das ist gut, aber vielleicht ist es für mich besser als für Dich, weil es Absicht und Zweck festnagelt und damit Abschweifungen verhindert. Also gut, ich komme immer wieder auf mein Kain-Abel-Thema zurück, wobei der nächste Teil eine Umkehrung des ersten darstellen wird. Du erinnerst Dich doch, daß im ersten Teil alles auf Adam lastete, der Abel verkörperte. Obwohl es nicht den Anschein hatte, war das Ganze doch mit 237
seinen Augen und seinem Empfinden gesehen. Charles war ein dunkles Prinzip und blieb im Dunkeln. Versetze Dich an den Anfang zurück, und Du wirst sehen, daß es sich so verhält. Im Dritten Teil nun versuche ich es umgekehrt zu halten. Caleb ist mein Kain-Prinzip. Was in diesem Teil geschieht, wird mit seinen Augen und seinem Empfinden gesehen. Und am Ende sollte man ihn gründlich kennen. Da jeder etwas von Kain in sich hat, wird man ihn ohne weiteres begreifen. Der Dritte Teil ist Calebs Teil – da er ihn beherrscht und überlebt. So erhalten wir keine Wiederholung, sondern eine Erweiterung des Ersten Teils. So denke ich mir das also, und nun muß sich zeigen, ob ich’s kann. Ich habe ein gutes Gefühl dabei, weil ich in mir sowohl zu Kain als auch zu Abel Zugang zu haben glaube. Soweit mein Vorhaben, und Du wirst nun fragen, wie ich das machen will. Das frage ich mich selber auch. Später. Was Dich anbetrifft, ist das nun alles, was diese Woche entstand. Ich werde aber morgen weiterarbeiten, damit ich in die Geschichte hineinkomme. Wiedersehen.
14. Juli, Samstag Heute werde ich etwas arbeiten, um die am Donnerstag verlorene Zeit einzuholen. Das ist in verschiedener Hinsicht gut. Erstens stärkt es den Arbeitsgeist, und zweitens kann ich dann nächste Woche mit gutem 238
Gewissen einen Tag lang aussetzen, um das später wettzumachen. Das kann ich aber nur, wenn ich mir beweise, daß ich dazu imstande bin. Das dreifaltige Leben, das ich führe, wirkt auf die Dauer ermüdend, und dann gerate ich auch etwas durcheinander beim Versuch, die drei Leben auseinanderzuhalten. Das ist gar nicht so leicht, wie Du denkst. Ich wollte, ich wäre heute besser aufgelegt. Wahrscheinlich hat es mit diesem merkwürdigen Zyklus zu tun, der beim Weib zur Menstruation führt und beim Mann zu den wiederkehrenden Schwermutsanfällen. Vermutlich hat sich da dem Menschen vor Zeiten ein naturgegebener Rhythmus eingeprägt. Vielleicht komme ich darüber hinweg. Ein solcher Zustand läßt aber die ganze Umwelt anders erscheinen. Ich vermeide geflissentlich eine weitere Erörterung des Wortes »timschel«, bis ich die Sache mündlich mit Dir besprechen kann. Wenn Du in Deinem letzten Brief vorschlägst »du kannst«, dann kommen wir noch näher an den freien Willen heran als mit »du mögest«. Solange die Sprachwissenschaftler geteilter Meinung sind, liege ich richtig. Der Tag begann dunkel und verdrießlich, und nur allmählich kommt die Sonne durch. Vielleicht wird es doch kein mißmutiger Tag. Es wäre sicher gut, wenn ich nicht länger trödelte, sondern mich an die Arbeit machte. Erhielt einen Brief von Harold, worin stand, er werde mit dem vorhandenen Manuskript übers Wochenende fertig und wolle mir am Montag berichten. 239
Soviel ich von Dir weiß, hat er bereits einen guten Teil davon gelesen. Wenn doch mein inneres Gewölk sich zerteilte. Ich werde am Ende dieser Seite vermerken, ob es der Fall war oder nicht. Mein Tagewerk wäre getan. Diese Szene mußte hinein, weil Lee wichtig ist. Und weißt Du, wie es nun weitergeht? Ich wette, Du ahnst es nicht. Ich wette, was Du willst, Du ahnst es nicht. Und nun gehe ich an den Strand hinunter, soweit mein Sonnenbrand das zuläßt.
16. Juli, Montag Schon liegt wieder eine Woche auf. Dieses Jahr kommen die Wochen wie im Gänsemarsch einher. Und diese wird noch schneller vergehen als die meisten. Am Samstag verbrachten Elaine und ich, gesetzte Leute wie wir sind, den Abend im Gespräch, wobei wir Gin & Tonic tranken. Sie las mir aus ›E.‹ vor, weil ich es immer nur in meiner eigenen Stimme gehört hatte, und ich staunte, wie gefühlsträchtig das Ganze ist. Ich hatte keine Ahnung davon, aber vielleicht kommt es uns nur so vor. Übrigens sollte man meinen, ich könnte mich am Samstagabend vom Buch trennen. Nicht die Spur. Heute wird es langsam vorangehen, da kann ich nichts für. Die Montage sind meistens langsam. Allerdings habe ich heute zwei neue Charaktere zu ent240
wickeln. Du hast sie auch schon gesehen, aber nicht gekannt. Jetzt muß ich sehen, daß Du sie kennenlernst. Es ist nicht leicht, einen Menschen aufzuschließen und in sein Inneres zu gucken. Es widerstrebt einem vielleicht sogar ein bißchen, aber Schriftsteller und Detektive können es sich nicht leisten, das Privatleben zu schonen. In diesem Buch habe ich schon eine Menge Menschen aufgeschlossen, und einige davon werden es mir krummnehmen. Das läßt sich nicht ändern. Gegenwärtig kann ich mir nichts vorstellen, was eine so geballte Aufmerksamkeit erforderte wie ein großer Roman. Nach der Zahl der Seiten zu urteilen, die ich bisher abgeschickt habe – 457 werden es sein –, muß ich jetzt gut über die fünfhundert sein. Und wenn nichts dazwischenkommt, ist das Buch bestimmt bis Weihnachten fertig und überarbeitet. Ich habe immer noch einen Monat Spielraum, von dem ich erst drei Tage verbraucht habe. Zwei beim Umziehen und einen in New York, als ich einfach nichts tat. Den Tag auf dem Wasser letzte Woche habe ich eingeholt. Jetzt sollte ich mich an die Arbeit machen, weil Du die Zwillinge kennenlernen mußt, und zwar gründlich, der nächste Teil des Buches handelt nämlich von ihnen, und mindestens einer davon wird den letzten Teil des Buches beherrschen. Meiner Meinung nach solltest Du ein Gefühl bekommen für die Zwillinge, mit denen ich mich gleich befassen werde. Natürlich bangt mir etwas vor der Aufgabe.
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Da liegt nun das heutige Stück, und ich möchte gerne wissen, ob die Eigenschaften der beiden Jungen sich darin abzuzeichnen beginnen. Dies wird wohl die sorgfältigste Charakterentwicklung im ganzen Buch.
17. Juli, Dienstag Wo kommen nur die ganzen Wochen hin. Sie wogen dahin, und ich reite auf ihrem Kamm. Binnen kurzem wirst Du für ein paar Tage hier sein, und ich muß sagen, ich freue mich darauf. Wir haben viel zu besprechen. ›Eden‹ kommt vorwärts. Gestern haben E und ich das Ganze überprüft, um zu sehen, ob es seinem Zweck gerecht und innerhalb seiner Anlage bleibt. Das ist der Fall. Erstaunlicherweise hat es etwas Offenes und weicht doch nicht von dem Weg ab, den ich ihm abgesteckt habe. Ich weiß nicht, wie ich das vollbracht habe, aber es ist so. Vielleicht waren die Millionen Wörter doch nicht umsonst. Ich hoffe es wenigstens. Ein wunderbarer Gewittertag heute mit Blitz und Regenguß, was auf mich immer anregend wirkt. Ich muß viel Gewalttätigkeit in mir haben, reagiere ich doch auf Gewalttätigkeit in der Natur mit großer Freude. Ein gutes Donnergepolter ruft in mir fast das Gefühl wach, ich könnte dergleichen auch. Heute ist das nicht so gut, es hält mich von der Arbeit ab, weil ich nichts verpassen möchte. Schön, dann kommt das eben ins Buch hinein. Es ist Zeit, daß etwas dergleichen geschieht. Und es ist nachgerade auch Zeit für 242
etwas Übermut. Samuels Tod hat der Welt die Lebensfreude geraubt. Und ich muß sehen, daß wieder etwas davon hineinkommt. ›Eden‹ muß nämlich alles sein, nicht nur grimmig und gräßlich, so ist das Leben nicht. Das Leben ist manchmal auch albern, und auch das muß hinein. Alles, was ich je erlebt und gedacht habe, muß hinein, und nun verspüre ich den Drang, mich davon zu befreien. Vielleicht als Erholung für den Leser, bevor wieder große Ereignisse eintreten. Meine Bleistifte sind jetzt alle kurz; ich glaube, ich gebe zur Feier des Tages zwölf neue heraus. Manchmal bringt es der Luxus schöner langer Bleistifte fertig, mich mit Energie und Erfindungskraft aufzuladen. Wir werden sehen. Das bedeutet aber, daß ich binnen kurzem noch mehr Bleistifte haben muß. Schick mir doch bitte eine Schachtel. Mongol 480 Nr. 2 ⅜ F rund. Da sind sie also, ich habe sie soeben gespitzt, und du lieber Himmel, ich glaube, der Bleistiftspitzer läuft heiß. Falls dem so ist, bin ich übel dran. Ich müßte mir einen neuen besorgen oder diesen reparieren lassen. Werde ihn am Abend auseinandernehmen und sehen, was fehlt. Und wenn ich ihn nicht instand setzen kann, wirst Du vermutlich einen Fernanruf erhalten, mit Notschrei. Vielleicht finde ich aber heraus, was fehlt. Er begann auf einmal zu qualmen und Funken zu sprühen. Das sollte nicht sein. Ich bin auf ihn angewiesen. Und nun an die Arbeit.
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18. Juli, Mittwoch Ich habe den restlichen Nachmittag gebraucht, um den Motor des Bleistiftspitzers zu reparieren, und es hat mich viel Kopfzerbrechen gekostet. Ich mußte mich behelfen, so gut ich konnte, aber ich habe es geschafft. Das ist bemerkenswert, weil ich ja nicht viel von solchen Dingen verstehe und alles erst lernen mußte. Ich gebe es ungern zu, aber eine gewisse Ermüdung schleicht mich an. Ich suche sie mir auszureden, aber umsonst. Da habe ich mir nun Folgendes gedacht. In anderthalb Wochen kommst Du her. Dann gedenke ich zwei Tage lang auszusetzen, um mich zu erholen. Es ist ja nicht wahrscheinlich, daß es geschieht, aber es ist doch ein netter, geruhsamer Gedanke. Erhielt gestern Deine Mitteilung über die andern Fassungen von »du kannst« und sehe, daß Du ebenfalls wie ein Spürhund hinter der Sache her bist. Es ist interessant, daß man sich schon so lange mit diesem einen Wort beschäftigt. Es macht Dir doch Spaß, nicht? Dies ist eine Freudenzeit. Sie wird nie wiederkommen – nie. Ein Buch, das fertig, veröffentlicht, gelesen ist – das ist für mich immer ein Absturz in die Tiefe. Die Freude stellt sich ein, wenn etwas entsteht und die Satzrhythmen sich im Innern drängen und heraus wollen.
18. [19.] Juli, Donnerstag Heute nur wenig Anmerkungen. Elisabeth Otis kommt heute nachmittag, wenn der Nebel es gestattet. Sie 244
trifft um vier Uhr nachmittags ein, und ich möchte vorher noch in die Stadt, um mir einige Werkzeuge zu besorgen. Deshalb möchte ich mit der Arbeit möglichst früh fertig sein. Es ist ein Festtag, und die Jungen sind ganz aufgeregt. Gegenwärtig pflücken sie Blumen für Elisabeths Zimmer. Tom hat Bilder für sie gemalt, die sie nach Hause nehmen darf, und es sind die besten, die er je gemacht hat. Zum Glück blieb ich gestern nacht lange auf, mit meiner Schnitzarbeit beschäftigt, wobei ich mir das heutige Pensum im einzelnen zurechtlegte. Ich sollte also nicht allzu lange brauchen. Gestern ein Brief von Harold. Er macht Vorbehalte, sagt mir aber wohlweislich noch nicht, welcher Art diese sind. Im großen ganzen scheint ihm ›Eden‹ zu gefallen. Wenn man es zum erstenmal liest, muß es etwas Befremdliches haben. Ein betriebsamer Vormittag. Soeben hatten wir Kurzschluß. Das sind die Umstände, unter denen meine Arbeit gedeiht. Also drauf und dran.
20. Juli, Freitag Ein höchst unwahrscheinlicher Tag. Er wird mich Anstrengung kosten, schwere Anstrengung. Elisabeths Flugzeug hatte gestern starke Verspätung, und wir sind lange aufgeblieben. Ich will mir aber Mühe geben und sehen, ob ich’s schaffe. Möchte bis Seite 50 kommen. Das sind dann fünfzig Seiten seit unserer Abreise. Nicht schlecht, finde ich. Von Dir habe ich 245
diese Woche nichts gehört, vermutlich weil die Flüge abgesagt wurden. Zwei Tage lang waren wir durch die Gewitter von der Außenwelt abgeschnitten. Daher auch Elisabeths Verspätung. Nun wieder zu ›Eden‹, oder jedenfalls etwas jenseits davon. Gestern die Kinderszene, die ich heute noch etwas fortführen will. Ich muß Leute aus diesen Kindern machen. Sie müssen wirklich Leute sein. Und das heißt, daß jedes Wort in jeder Sprechzeile ganz genau sein muß und befrachtet mit einer gewissen Bedeutung, die nicht nur nach vorwärts weist, sondern auch in Früherem verwurzelt ist. Und nun, falls ich es überhaupt schaffen soll, muß ich mich wohl rasch dahinterklemmen. Wir werden sehen. Da ist es, Pat, 50 Seiten, seit ich hier bin. Heute hat es mich große Anstrengung gekostet, hoffentlich nicht umsonst. Montag beginnt ein neues Kapitel. Und nun will ich das postfertig machen.
23. Juli, Montag Elisabeth traf am Donnerstag ein. Am Freitag arbeitete ich wie gewöhnlich. Und am Freitagabend las ich ihr die Arbeit der Woche vor, die von den Kindern handelt. Elisabeth und Elaine fanden Gefallen daran. Dir gefällt es hoffentlich auch. Nächste Woche werde ich das Manuskript zurückbehalten, da Du ja hier sein wirst, und vielleicht werde ich Dir daraus vorlesen. Heute bin ich etwas fahrig. Übermüdung ver246
mutlich. Samstag und gestern nacht schlief ich lange und tief, wie betäubt. Weiß nicht warum, sonst habe ich in letzter Zeit eigentlich wenig und leicht geschlafen. Ich habe kein Gleichmaß. Das ist es wohl. Alles immer mit Gewalt. Elaine ist sehr gleichmäßig gestimmt, und das läßt meinen Mangel an Gleichmaß nur um so deutlicher hervortreten. Und es genügt nicht, mir einzureden, es sei diese meine Natur, die mich befähigt, etwas zu leisten. Wieviel mehr könnte ich vielleicht leisten, wenn ich etwas mehr Gleichmaß hätte. Ich krittle sonst nicht mehr viel an mir herum. Manchmal stelle ich erschreckt gewisse Neigungen fest, aber ich gehe ihnen nicht mehr auf den Grund. Genug davon. Ich schreibe Dir heute abend einen Brief, in welchem die albernsten Gedankengänge vorkommen werden. Ich bin wirklich in verschiedener Hinsicht sehr unreif, vielleicht sogar in jeder Hinsicht. Und nun wieder zum Buch – wie immer. Etwas mehr als die Hälfte habe ich hinter mir. Schätzungsweise 135 000 Wörter auf dem Papier. Noch 100 000, und es ist fertig. Ich weiß zwar nicht, woher ich das weiß, bin aber ziemlich sicher. Ich finde, es kommt gut vorwärts. Wo etwas aufhört, nimmt etwas anderes den Faden auf. Die Geschichte bleibt innerlich und äußerlich in Bewegung, wenigstens habe ich den Eindruck. Ich bin nun schon so lange daran, daß ich eigentlich kein Urteil mehr habe. Vielleicht hoffe ich nur, daß es gut vorankommt. Das aber bestimmt. Gefällt Dir Adams Erwachen? Kommt er da überzeu247
gend heraus? Er sollte es wenigstens. Er lebt wieder. Und nun werden die Ereignisse sich überstürzen – Ereignisse, die einen Wandel herbeiführen. Es wird bald eine große Veränderung eintreten. Das ist Dir sicher nicht entgangen. Ich habe überall die Ruhelosigkeit durchblicken lassen, die einem Wandel vorausgeht. Es verhält sich mit einem Menschenleben wie mit der Weltgeschichte – beides kommt schubweise voran – etwas hinauf oder herunter, und dann eine flache Stelle, dann wieder ein Schub und wiederum eine Fläche. In einem Buch über einen Menschen ist der Abstand zwischen den Schüben aus Raumgründen zu klein, was das Gefühl der Wirklichkeit beeinträchtigt. Ich suche dem durch erzählerische Mittel zu begegnen, die eine längere Zeitspanne vermuten lassen, als aus der Wortzahl hervorgeht. Adam und seine Familie müssen nun bekanntlich flußabwärts ziehen. Sie werden sich für die Dauer einer Generation in Salinas aufhalten. Der letzte Teil wird sich in Moss Landing abspielen, wo der Fluß ins Meer mündet. Das war von Anfang so geplant, das heißt, die äußere Anlage des Buches bleibt bestehen. Man wird es natürlich für Zufall halten. Ich weiß nicht, warum man den Schriftstellern nie zutraut, daß sie ihr Handwerk verstehen. Jahre, nachdem ich mit einem Buch fertig bin, entdeckt jemand, wie es angelegt ist und sieht darin entweder ein Plagiat oder reinen Zufall. Und nun wieder an die Arbeit.
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24. Juli, Dienstag Wenn es bei Dir so ist wie bei mir, bist Du gegenwärtig aufgeregt wegen der Abreise. Ich verliere das Reisefieber nie, es stellt sich jedesmal gleich stark ein. Zwei oder drei Tage, bevor der Zug oder das Flugzeug abgeht, stehe ich schon bereit. Für die Frauen ist das ärgerlich, weil ich, wenigstens in Gedanken, schon abwesend bin, bevor sie angefangen haben zu packen. Wir freuen uns sehr auf Deine Ankunft. Heute hat der Wind umgeschlagen, er kommt jetzt von Spanien herein, und ich habe mir sagen lassen, das bedeute schönes Wetter. Heute vormittag komme ich spät zum Arbeiten. Bin früh aufgestanden und befasse mich genießerisch mit dem kommenden Tagewerk. Es ist komisch. Ich habe Elaine die Geschichte der Chinesen in Kalifornien erzählt, soweit sie mir bekannt ist. Und alles nur als Hintergrund für die paar Abschnitte, die ich heute schreibe. Du lieber Himmel – wenn man alles aufschreiben wollte, was sich bei einem langen Buch nebenher ergibt, das würde endlos. Und ich muß mich hüten, das Buch zu schwer zu befrachten. Ich muß die Handlung im Auge behalten, dabei möchte ich am liebsten auch alles andere darin unterbringen. Nun, ich bringe es wenigstens in diesen Aufzeichnungen unter. Während Du hier bist, werde ich an dem Geschenk für Dich arbeiten. Ich bin sicher, Du schaust gern zu, wie es entsteht. Du bastelst zwar nicht so gern wie ich, schaust aber sicher gern dabei zu. Das 249
kannst Du, und es wird uns gar nicht in unserer Unterhaltung stören. Elaine wollte wissen, ob Dir und Dorothy daran liegt, die paar Nachtlokale zu besuchen, die es hier gibt, und ich sagte, wenn ich eines sicher wisse, dann sei es das, daß Euch nicht daran liegt, Nachtlokale aufzusuchen. Wir sind erst einmal ausgegangen, seit wir hier sind, und das war zum Essen. Ich glaube, während Du hier bist, werde ich noch früher an die Arbeit gehen als sonst, damit ich früher fertig bin. Auch glaube ich, daß ich jetzt an die Arbeit gehe.
25. Juli, Mittwoch Gestern lange aufgeblieben, mit Nachdenken und Holzschnitzen beschäftigt. Ich habe einen kleinen Walfisch gemacht, aber nur aus dem Gedächtnis. Hatte keinerlei Vorlage. Das ist vielleicht gut. Ich weiß allerdings nicht mehr genau, wie es mit der Schwanzflosse des Pottwals steht. Gestern kam die Familiengeschichte Lees auf über zwei Seiten, habe sie aber zu Ende gebracht. Damit habe ich diese Woche eine Seite Vorsprung. Heute muß ich einen Brief schreiben, das heißt, ich muß Adam einen Brief schreiben lassen, und daraus wird wohl heute mein Tagewerk bestehen. Erhielt gestern Deine Karte. Hatte nicht im Sinn, Dir diese Woche Manuskript zu schicken. Das Wetter ist schön. Hoffentlich bleibt es so.
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Später. Da ist nun also der Brief, den Adam schrieb, und ich habe darin unterzubringen versucht, was ein Mann am liebsten verschweigt, wie auch die verräterischen Dinge, die sich einschleichen.
26. Juli, Donnerstag Nicht viel Nebenbemerkungen heute, weil Du ja nächste Woche hier bist. Auch bin ich heute spät dran, sehr spät. Habe letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen, habe mir das Kommende zurechtgelegt, wobei ich das Verbindungsstück vergaß, das ich mir jetzt heute vormittag zuerst ausdenken muß. Sonst weiß ich den Dialog immer auf einen Monat voraus, aber den heutigen wußte ich nicht. Auch hat Catbird einen leichten Sonnenstich, gerade genug, um ihn etwas unlustig zu machen. Und der Hals tut mir weh von der Schreibarbeit. Wenn ich dann das Verbindungsstück hinschreibe, das ich mir heute vormittag abgerungen habe, wird es leicht und beiläufig wirken. Bin heute etwas fahrig, wohl weil ich nicht geschlafen habe. Ich habe viel mit Dir zu besprechen, ach, sehr viel, und das meiste werde ich wohl vergessen. Tom malt Bilder für Dich, die ich gut finde. Alle bereiten etwas vor, und ich muß nun wirklich an die Arbeit gehen. Sonst wird sie nicht fertig, und wenn etwas nicht fertig werden soll, dann lieber nächste Woche. Und nun ist es höchste Zeit.
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27. Juli, Freitag Heute ist also der Tag, wo Du eintriffst. Und Du bist wohl, wie ich jeweils, sehr früh auf und stehst diesem Wesen, genannt »Frau beim Packen«, im Wege. Einerlei, wie eine Frau nach Aussehen, Temperament oder Intelligenz beschaffen ist, stell ein Köfferchen vor sie hin, und sie verhalten sich alle genau gleich. Auch ist Dir wohl nicht entgangen, daß das Weibchen beim Packen vom Männchen nichts wissen will. Nichts wissen und nichts sehen. Nächste Woche werden diese Aufzeichnungen wohl sehr kärglich ausfallen, weil wir dazwischen alles schon besprochen haben, aber das gehört auch dazu. Die Jungen sind außer sich vor Freude über Deinen Besuch. Und sie haben mit dem Trubel so früh angefangen, daß sie wahrscheinlich ganz verdreht und ungenießbar sein werden, bis Du hier bist. Und nun zum Buch. Der Teil, an dem ich gegenwärtig bin, wird Dir wohl nicht so viel sagen wie anderen Lesern. Bei vielen wird er jedoch eine lange Furche der Erinnerung aufreißen. Du bist eben nicht mit dem Ford, Typ T, aufgewachsen wie Millionen von Amerikanern.
30. Juli, Montag Die Werknotizen müssen während Deiner Anwesenheit zu kurz kommen, weil ich sie mündlich von mir gebe. Heute wird es mich Mühe kosten, ins Arbeiten 252
zu kommen. Vielleicht habe ich übers Wochenende zu viel geredet. Ich sollte nie voraussagen, was kommt, das beeinträchtigt die Arbeit. Hoffentlich wirst Du mich nie mehr danach fragen. Es ist, als lasse man die Geschichte im Stich, wenn man sie erzählt, bevor man sie aufschreibt, wenigstens hier. Auch gegessen habe ich übers Wochenende zu viel. Muß mich auf Hungerdiät setzen. Ich kann einfach nicht so viel essen und gleichzeitig hellwach bleiben. Zu viel Nahrungszufuhr hat eine viel schlimmere Wirkung auf mich als zu viel Alkohol. Das ist wohl nicht bei jedermann gleich. Zu viel essen vergiftet mir nicht nur den Körper, es macht mich auch geistig träge und unempfindlich. Und die letzten drei Tage habe ich mehr gegessen als sonst in einer Woche. Muß es allmählich wieder abarbeiten. Heute verspüre ich infolgedessen gar keine Lust, an die Arbeit zu gehen. Habe einen schweren Kopf. Heute habe ich die Jungen auf den Weg zur Stadt gebracht. Gab ihnen Geld für Eistüten. Es wird ihnen gut tun, sich selber zurechtfinden zu müssen. Stadtkinder sind in der Landschaft so unbeholfen. Ich will, daß die unseren lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Hoffentlich erholst Du Dich gut. Du hast es wirklich nötig. Aber Du bist ja das reine Stehaufmännchen. Ich kann es fast sehen, wie Du allmählich wieder auf den Damm kommst. Auch freut es mich, daß Du miterleben kannst, wie das Kästchen für das Manuskript entsteht. Du weißt nun, wieviel Arbeit dergleichen braucht. Wenn ich es allein fertiggemacht 253
hätte, wäre Dir nicht bewußt gewesen, wieviel Stunden Arbeit darin stecken. Vielleicht verschaffst Du Dir auch etwas Werkzeug zum Basteln. Es ist gut für Hand und Hirn, und wenn etwas fertig ist, es braucht nicht besonders gut zu sein, es ist doch etwas, das man selber hervorgebracht hat. Und nun an die Arbeit, wenigstens versuchsweise.
1. August, Mittwoch Habe Dich gestern nicht gesehen. Hatte eine Panne, und wenn das vorkommt, bleibt nichts anderes übrig, als sich mit seinen Gedanken zurückzuziehen. Geschlafen habe ich gestern nacht überhaupt nicht, aber ich glaube, ich habe die Schwierigkeit behoben und kann mich an die Niederschrift machen. Habe Dich im Hotel angerufen, aber es hieß, Du seist noch nicht heruntergekommen. Graues Regenwetter, wie es meiner Stimmung entspricht. Dabei war es nur eine Kleinigkeit, die mir zu schaffen machte. Aber ich stand da wie der Ochs am Berge. Wenn Du das heutige Stück zu Gesicht bekommst, wirst Du wahrscheinlich gar nichts merken von dem Berg. Es handelte sich um eine heikle moralische Frage, wie sie die meisten in dem Buch wohl gar nicht vermuten würden. Ich mußte erst gewaltig daran herumfeilen. Und nun mache ich mich ans Schreiben. Siehst Du, wie die Notizen verkümmern, wenn Du da bist. Elaine blieb gestern abend lange mit mir auf, während ich ein lautstarkes Schweigen entfaltete. Jemand 254
anders würde ich bei solcher Gelegenheit gar nicht um mich dulden. Später. Da ist es nun. Vielleicht erkennst Du das Hindernis und den Grund, warum ich gestern nicht schlafen konnte.
2. August [Donnerstag], Toms Geburtstag Ein knisternd frischer Tag mit einem Anflug von Herbst in der Luft. Es ist nur eine Verheißung von Frost und wird nicht lange andauern. Ich liebe aber dieses Scharfe daran. Gestern abend so müde, daß ich fast von Sinnen war. Ich stürzte geradewegs in Bewußtlosigkeit, und heute morgen hatte ich mich wieder erholt. Und zu einem so schönen Tag zu erwachen! Tom bekam seine Geschenke, ein Boot und eine Uhr und ein Messer, worüber er sehr erfreut ist. Sie wollen heute im Teich schwimmen gehen, wenn sie dazu kommen. Bin heute ein bißchen durcheinander. Zu viele Dinge, die um mich vorgehen. Mein Einspurgemüt ist nicht mehr aufnahmefähig. Das Gefährliche ist nur, daß ich in eine häßliche Stimmung geraten könnte. Das ist fast immer so, wenn etwas meine Arbeit beeinträchtigt. Du wirst es wahrscheinlich bedauern, daß Du auf die Insel gekommen bist, weil ich nicht sehr verträglich bin, wenn ich arbeite, und manchmal werde ich geradezu garstig. Ich vertrage da nicht viel, suche mich aber zu bessern. Ein Vetter von mir – Pat Hamilton, Georgs Sohn, 255
Samuels Enkel und der einzige (der einzige!) Träger des Namens – ist vor zwei Tagen gestorben. Er war ein unheilbarer Trinker und starb an einem Herzanfall nach einem zweiwöchigen Rausch. Und da ruht nun der Familienname. Mir und meinen Söhnen bleibt das Blut, aber er hatte den Namen. Schade, daß er ihm nicht mehr Ehre machte. Er hat ihn in den Schmutz gezogen. Die anderen waren zwar zum Teil gewalttätig, aber wenigstens nicht verkommen. Die Tragödie eines Namens. Nun, hic jacet. Da heute Toms Geburtstag ist, sollte ich bald fertig werden, damit ich mit ihm spielen kann, wie es sich für diesen wichtigen Tag gehört. Wichtig ist der Tag für ihn, weil er ab heute ein Junge ist und dem Mutterkind in ihm entsagen muß. Das ist eine der schwierigsten Verwandlungen, die uns aufgetragen sind. Manchen gelingt sie nie. Er wird aber den Versuch machen müssen, der Ärmste. Wir werden ihm dabei helfen und auch darauf bestehen. Tom hat dieses Jahr große Fortschritte gemacht, namentlich diesen Sommer. Nun an die Arbeit.
3. August, Freitag Der Geburtstag ist vorüber, und ich verspüre heute eine große Mattigkeit. Das Denken fällt mir schwer. Ich könnte eine Verschnaufpause brauchen, und die kriege ich nicht. Verwicklung und Verwirrung – man will mehrere Dinge miteinander tun, und alles geht verquer. Ich stelle fest, daß ich es eilig habe, mit 256
meinem Tagewerk zu Ende zu kommen. Das muß aufhören. Sonst ist es um die Gelassenheit des Erzählers geschehen. Kürzlich hast Du einen Witz gemacht – ich hoffe, es war als Witz gemeint – eine Steigerung des Pensums betreffend. Das ist überhaupt kein Witz. Es ist ein verhängnisvoller Vorschlag und völlig witzlos. Ein Buch ist bekanntlich etwas sehr Heikles. Setzt man es unter Druck, wird das unweigerlich sichtbar. Also – nichts mehr von Steigerung. Wenn ich so etwas höre, möchte ich am liebsten die Arbeit hinwerfen, um mich einmal zu verschnaufen. Ich bin an einer schwierigen Stelle im Buch. Ich brauche Zeit in rauhen Mengen. Und für die werde ich sorgen, auch auf Kosten meiner Umgebung. Es scheint eine gewisse Ruchlosigkeit zu erfordern. Und die habe ich. Ich bin heute wirklich durcheinander. Ein Buch braucht so lange, daß den anderen das Warten zum Überdruß wird. Ich weiß das. Allein, ich habe von allem Anfang an festgestellt, daß dieses Buch geschrieben werden muß, als werde es kein Ende nehmen. Und wenn mir dieses Gefühl abhanden kommt, geht das Buch zum Teufel. Vergessen wir das nicht. Nach all dieser Anstrengung würde ich die Arbeit lieber ein Jahr lang auf die Seite legen, als sie jetzt zu verpfuschen. Es ist meine Ermattung, die sich hier geltend macht, gewiß. Aber ändern läßt es sich nicht. Heute habe ich ein kleines Zwischenstück vor, das gewissenhafte Arbeit erfordert. Ich weiß nicht, ob ich dazu fähig bin oder nicht. Mit andern Worten, es wird ein mühsamer Tag werden, ein sehr mühsamer. 257
Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Aber es ist Zeit. Und geschrieben werden muß es.
6. August, Montag Du gehst nun nach New York zurück, und ich gehe wieder an meine Arbeit. Eine wirklich arge Nervenkrise gestern abend, aus Erschöpfung oder was weiß ich, aber meine Nerven sind wirklich ganz zerfusselt. Wenn ich schlafe, habe ich solche Träume, daß von Ausruhen keine Rede sein kann. Wie die Hamiltons habe ich vielleicht einen zu starken Motor für meine Karosserie. Hoffentlich nicht. Ich will dieses Buch zu Ende bringen. Darüber hinaus habe ich mir eigentlich noch keine Gedanken gemacht. Aber da ist immer die Angst, es nicht beenden zu können. Kein Mensch weiß, wie ich da draufkomme. Geschwächte Widerstandskraft vermutlich. Anfälligkeit für widrige Einflüsse. Das muß abgestellt werden. Ich bin schon jetzt dabei, es abzustellen. Meine gereizte Stimmung kommt hoffentlich nicht oft zum Durchbruch. Nun zu meiner Geschichte, vielleicht kann ich mir damit den Koller vertreiben. Die Episode ist die mit Dessie und Tom. Eigentlich eine schreckliche Geschichte. In gewissem Sinne das Ende der Hamiltons. Es steckt etwas Theatralisches darin, wie wenn Kinder König und Königin spielen. Das schien mir immer sehr betrüblich, und wieviel betrüblicher ist es, wenn Erwachsene König und Königin spielen. Dabei handelt es sich um – eine Travestie. Und es gehört hinein. 258
Eine Zeitlang dachte ich, man könne es vielleicht weglassen, aber das geht wohl nicht. Es bildete für mich von allem Anfang an einen Bestandteil der Geschichte, der ganzen Geschichte. Ob die Szene so verläuft, wie ich es im Sinne hatte? Es kommt im Leben oft dazu. Und dann noch etwas. In unserer Familie glaubte man immer, Dessie sei auf die Ranch zurückgekehrt, um für Tom zu sorgen. Aber ihre Liebe war erloschen, und niemand kam je auf den Gedanken, sie könnte zurückgekehrt sein auf der Suche nach dem Vater, nach der Sicherheit und der Wärme, die sie brauchte. Von der ganzen Familie glich Tom am meisten dem Vater, und es war der Familiensitz, auf dem sie Zuflucht suchte. Vielleicht suchte sie nur in ihrer Kindheit Zuflucht. Ich weiß es nicht, aber es scheint einleuchtend. Und so werde ich es wohl darstellen müssen. Da wäre nun der Anfang der Szene. Und den Koller bin ich offenbar losgeworden. Eigentlich muß ich Dich und Dorothy um Verzeihung bitten, daß ich Euch mit meinen Seelennöten behellige. Gestern habe ich Euch wohl das Abendessen damit verdorben. Das wollte ich nicht. Und mit einer Entschuldigung ist es nicht getan. Ich weiß nicht, was gestern in mich gefahren war, ich war ein einziges Nervenbündel. Leider geht mir Elaines tapferes Wesen ab. Ich hätte mir nichts anmerken lassen sollen, aber das vermag ich nicht. Ich würde mich ja gerne bessern, aber wenn der Koller über mich kommt, bin ich hilflos. Glaube 259
mir also bitte, daß es mir leid tut. Heute ist alles vorüber. Für mich ist es nichts Neues – eine gedrückte Stimmung, die die ganze Welt zunichte macht. Frauen werden auch davon befallen, aber da es sich bei ihnen körperlich auswirkt, haben sie eine Entschuldigung. Wenn ein Mann davon befallen wird, hat er keine Rechtfertigung. So will ich denn bloß sagen, ich hatte den Koller, und es tut mir leid, daß ich nicht imstande war, ihn zu verhehlen. Hoffentlich hat es Euch nicht die letzten Ferientage verdorben. Es war nicht auf Euch gemünzt, es stammte reinweg aus mir.
7. August, Dienstag Ich war sehr betrübt, als gestern Euer Flugzeug aufstieg – war durchdrungen von einem Gefühl der Unzulänglichkeit. Wenn man ein spezialisiertes Arbeitstier ist, wird das normale Leben abnorm, und ich habe kein großes Talent dafür. Ich will aber nicht geschont werden, sonst verselbständigen sich die Unzulänglichkeiten. Bin aber froh, daß wir diese letzte Aussprache hatten. Sie hat Dir wohl manches an dem Buch klarer gemacht. Und Deine Bedenken wegen der Szene mit Kate schlugen bei mir eine verwandte Saite an, sie tönt nämlich auch in meinen Ohren falsch. Nächste Woche hat Elaine Geburtstag, das heißt, daß zwei Arbeitstage ausfallen, und das Gefühl der Sündhaftigkeit wird mir gut tun. Es geht nichts über die Sünde, um der Selbstzufriedenheit entgegenzuwirken. Aber ich bin ja gar nicht so selbstzufrieden. 260
Vielleicht doch etwas. Kann gar nicht anders sein. Die japanischen Lampions sind jedenfalls eingetroffen, und morgen früh werde ich mit den Jungen das Haus dekorieren. Dann stellen wir die Geschenke auf, und um 12 Uhr mittag der Salut. Abends dann ein großes Picknick am Strand. Wenn das keine Feier ist. Hoffentlich hat Elaine Freude an den Geschenken. Soeben ist mir noch eine Frau eingefallen, für die sich das Ding geeignet hätte. Die einstige Königinwitwe von China. Aber Königinwitwe bedeutet, daß das Land von den Räten regiert wurde, sie kommt also nicht in Frage. Nein – es hat eigentlich nur wenige gegeben. Marie von Rumänien war nur Regentin. Bleiben Viktoria, Anna, Elisabeth, Mary, Maria Stuart (es gibt noch eine, aber die regierte eigentlich auch nicht), Katharina die Große und vielleicht Isabella von Spanien – damit sind alle aufgezählt seit Erfindung des Schießpulvers. In Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien gab es keine Königinnen, von Isabella abgesehen. Man sollte meinen, es habe welche gegeben, aber das ist nicht der Fall. Wilhelm und Marie – aber da war er das Oberhaupt. Gestern kam die Szene mit Dessie daran. Habe sie am Abend Elaine vorgelesen, der sie gefällt. Es kommt dabei zu einem gräßlichen Versuch, die Vergangenheit wiederzubeleben. Fast jeder versucht es einmal damit, und es kommt nie etwas dabei heraus. Die furchtbarste Szene dieser Art, an die ich mich erinnere, war Weihnachten, als meine Mutter gelähmt war. Mein Vater wollte eine Weihnachtsfeier wie früher 261
veranstalten. Wir schmückten einen Baum in ihrem Zimmer, tauschten Geschenke aus und suchten die üblichen Weihnachtsspäße zu machen. Ich erinnere mich noch an ihre Augen – kalt wie Marmor, aber am Leben. Wieviel sie davon mitbekam, weiß ich nicht. Aber es würgt mir noch heute jedesmal fast das Herz ab, wenn ich daran denke, wie mein Vater sich abmühte. Kein Wunder, daß er nicht mehr lange lebte, nachdem sie gestorben war. Er hatte keinen Mumm mehr. Seine Lebensgeister waren zerschlissen und schlaff wie die Lumpen an einer Vogelscheuche. Das Kästchen habe ich nun etwa so tief ausgehöhlt, wie es sein muß. Muß noch die Kanten geradekriegen und den Boden eben machen, und dann heißt es glätten und glätten. Wenn ich wieder zu Hause bin, gehe ich dann mit der Poliermaschine dahinter, um es auf Hochglanz zu bringen. Elaine meint, man könnte den Schutzumschlag wie das Kästchen gestalten, wie Holz mit der Maserung und dem Glanz. Ich glaube ja nicht, daß jemand meine Bücher der Farbe des Schutzumschlages wegen kauft. Aber wenn er aussieht wie Holzschnitzerei, das wäre sicher auffallend und wirksam. Und nun an die Arbeit.
8. August, Dienstag [Mittwoch] Heftiger Regen und Wind. Sieht nach mehrtägigem Schlechtwetter aus. Das wird mir die Konzentration erschweren, da dann die Jungen im Haus spielen müssen. Und ruhig zu sein, ist ihnen nicht gegeben. 262
Elaine meinte, ich solle es mit Watte in den Ohren versuchen, und das hat sich so gut bewährt, daß ich mir Pfropfen kaufen werde. Macht vielleicht etwas aus. Gestern nachmittag gingen wir angeln und fingen 49 Seebrassen, von denen wir einen Teil zum Abendessen verspeisten. So gefällt mir das Angeln. Welch grauer, ungestümer Tag. Nun zum Buch. Heute werde ich versuchen, eine merkwürdige Stimmung heraufzubeschwören. Was für eine, sage ich nicht. Möchte sehen, ob Du sie herausspürst. Und das Verfahren wird eines sein, das ich vor langer Zeit entwickelte. Jetzt wird sich zeigen, ob es brauchbar ist. Es ist das umständliche Verfahren, das so einfach aussieht und tatsächlich aus einer Verbindung von Gleichnis und Wortklang besteht. Durch ständige Wortmalerei und fast unmerkliche Bildhaftigkeit will ich bewirken, daß der Leser der Stimmung nicht widerstehen kann. Ob das geht, weiß ich nicht. Es kommt auf den Versuch an. Ich bin ziemlich sicher, daß ich es schaffe. Warten wir ab. Nachdem wir auf dem Wasser gewesen waren, verspürten wir eine solche Müdigkeit, daß wir um 8.30 zu Bett gingen und schon vor neun schliefen. Das Gewitter zog im Laufe der Nacht herauf. Und ich hörte nichts davon, bis es ziemlich weit gediehen war. Der ganze Schreibtisch war überschwemmt und der Sessel durchnäßt. Zum Glück befand sich kein Manuskript auf dem Schreibtisch. Heute abend findet das Maskenfest für die Kleinen statt. Die unseren gehen als »Drei blinde Mäuse« mit 263
bandagierten Schwänzen und Blechtassen. Sollten putzig aussehen. Vorgestern fertigten wir die Ohren und Schwänze an. Hoffentlich läßt das Gewitter bis dahin nach. Vorläufig gießt es wie mit Kübeln. Und ich muß an die Arbeit. Unbedingt. Dabei hatte ich soeben einen Einfall. Und keine Zeit, darüber nachzudenken. Nun aber an die Arbeit.
9. August, Donnerstag Gestern kam Dein Brief wegen der Salutschüsse. 41 werden es also sein. Das ist genau richtig, und zweiundsechzig wären zuviel. Es wird schön werden. Aber ich erstatte Dir noch Bericht. Es wird sich um zwölf Uhr mittags abspielen. Nur ein Requisit steht noch aus, wird wohl noch eintreffen. Die Jungen gingen mit dem Nachbarjungen zum Maskenfest und gewannen den ersten Preis als die lustigsten. Sie gingen als »Drei blinde Mäuse« und wirkten tatsächlich komisch. Heute kommt Tamara Geva.* Sie wird mich nicht stören. Im Gegenteil, sie macht sich nützlich mit den Kleinen. Von der Arbeit wird sie mich nicht abhalten. Dagegen werde ich nächste Woche zwei Tage aussetzen. Habe es nötig. Hoffentlich haben Dir die Szenen mit Tom und Dessie gefallen. Ich habe große Sorgfalt darauf verwendet und hoffe, sie kommen an. Es ist die letzte der Hamilton-Sequenzen. Nur Will kann nochmals * Die Ballettänzerin und Schauspielerin. 264
auftreten. Was in Wirklichkeit mit Will geschah, ist so albern, daß ich es nicht verwenden kann. Seine Frau starb. Er heiratete seine Stenotypistin. Sie veranlaßte ihn, sich zur Ruhe zu setzen, um Golf zu spielen und zu reisen, und ein halbes Jahr später starb er an Langeweile. Es ist zu banal. Ich könnte es unmöglich verwenden. Der Regen gestern war unerhört, und heute ist es bedeckt, wird aber wohl gegen Mittag aufheitern. Nein, es hellt bereits auf. Und ich darf nicht vergessen, Dir einen Scheck zu schicken, wenn ich Dir am Samstag das Manuskript schicke. Ich werde ihn mit einer Stecknadel am Manuskript befestigen. Das Kästchen habe ich ausgehöhlt, aber noch nicht poliert. Mit der groben Arbeit werde ich wahrscheinlich heute abend fertig. Ich habe um die Hüfte wieder abgenommen. Die Hosen werden mir zu weit. Ich möchte noch zehn Pfund abnehmen, dann bin ich etwa richtig und kann so bleiben. Heute ist mir komisch zumute. Aufgeregt und zappelig, aber das heißt nur, daß ich genügend ausgeruht bin. Daran liegt’s wohl, aber es läßt mich Schönes voraussehen. Ich sollte jetzt am Schreiben sein. Schiebe es aber noch eine Zeitlang auf, bis meine Schrift sich glättet. Eigentlich bin ich noch nicht bereit. Jeder, der es sieht, verliebt sich in das Kästchen. Dabei ist es noch längst nicht fertig. Noch längst nicht. Es genügt, wenn es fertig ist, bis das Manuskript vorhanden ist, und das läßt mir reichlich Zeit. Und reichlich Zeit ist, was ich brauche. 265
Jetzt kommt die Sonne heraus. Es wird ein warmer und schöner Tag werden. Ich aber muß drinnen bleiben und schuften. Heute werde ich langsam vorankommen, das sehe ich – sehr langsam. Aber wenn schon. Komisch – es widerstrebt mir, mit dem letzten Buch anzufangen, weil ich dann bis zum Ende weitermachen muß, und ich habe keine Lust, das Buch je zu beenden. Ich will nicht, daß es fertig ist. Das wird ein trauriger Tag sein, wenn es fertig vorliegt. Noch nie hat mir die Arbeit soviel Freude gemacht. Ich meine das Verfertigen, nicht das Fertige. Und jetzt heißt es Ernst.
10. August, Freitag Wieder eine Woche. Ich werde die Sequenz mit Tom und Dessie nicht zu Ende kriegen, was doch wünschenswert wäre, damit ich nach der Verschnaufpause mit etwas Neuem anfangen kann. Vielleicht arbeite ich morgen. Bestimmt aber am Montag. Natürlich. Damit ist dann Tom, erledigt. Geva und Kent Smith* kamen gestern abend an. Sie wird ein paar Tage bleiben, während er morgen wieder abreist. Da es rücksichtsvolle Leute sind, haben sie einen langen Rundgang unternommen, bis ich mit der Arbeit zu Ende bin. Nebelgewölk hängt herunter, und es ist sehr feucht heute vormittag. Sogar das Papier fühlt sich feucht an. * Der Schauspieler, der die Hauptrolle in ›Die wilde Flamme‹ spielte. Siehe die Anmerkung auf Seite 283.
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Lassen wir die Äußerlichkeiten. Heute habe ich etwas vor, was bisher noch nicht vorkam. Ich muß einen Teil des gestern Entstandenen streichen. Das kommt nicht oft vor. Ich habe mich eben geirrt. Sonst kann ich mich in dieser Hinsicht nicht beklagen. Schicken werde ich es Dir erst morgen, weil Elaine es heute abend lesen will, aber Du kriegst es trotzdem Montag, das tut also nichts. Jetzt sollte ich wohl ans Schreiben.
12. August [Sonntag] Daß Du das Manuskript diese Woche verspätet erhältst, rührt daher, daß ich diesen Teil noch vor Elaines Geburtstag beenden wollte. So habe ich das Wochenende dazugenommen, und dann soll die Arbeit für drei Tage ruhen. Der letzte Teil meines Buches steht bevor, und ich möchte ihn mit frischen Kräften beginnen. In letzter Zeit wurde ich gegen Ende der Woche zu müde. Auch hat die Geschichte mit Tom und Dessie mir zugesetzt. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, das Gefühl, das ich ihr entgegenbringe, Gestalt werden zu lassen. Es ist sehr persönlich. Vielleicht wird es niemand herausspüren. Ganz am Schluß gedenke ich vom Realistischen abzukommen und wieder einen lyrischen Ton anzuschlagen wie bei Samuel. Es wird aber eine Art Kontrapunkt zu seiner Musik sein und – nun, wir werden ja sehen. Vielleicht gut, vielleicht schlecht. Ich möchte aber 267
den Leser ins Persönliche hineinziehen, damit er glaubt, es handle von ihm selber. Das strebe ich jedenfalls an. Das ist nun auch fertig. Und sehr vom Herkömmlichen abweichend. Ob es Dir wohl gefällt? Man erfährt daraus eine Menge über Tom.
16. August, Donnerstag Die längste Arbeitspause, seit ich mit dem Buch begann. Und ich bin aus verschiedenen Gründen froh darüber. Erstens war ich ermüdet. Zweitens hatte ich eine Zeit, eine Stimmung und eine Einheit abgeschlossen. Und drittens mußte ich mich für das letzte Buch stärken. Jetzt komme ich zum letzten Teil. Und weil es ein völlig neues Buch ist, werde ich die Seiten von 1 an numerieren, aber nur für mich, weil es mir das Gefühl des Neuen und Frischen gibt. Ich weiß, es wird das Abschreiben erschweren, aber mir erleichtert es das Schreiben. Der Geburtstag verlief prächtig, und ich glaube, meine liebe Elaine hat sich gefreut, und Ihr beide, Du und Dorothy, habt entschieden dazu beigetragen. Geva reist heute ab. Wir haben nur noch einen Gast in Aussicht, und das ist Liz* für ein Wochenende. Wir bleiben noch einen Monat hier. Ich werde es * Elisabeth Ainsworth, eine von Steinbecks Nichten. 268
nicht bedauern, nach New York zurückzukehren, in mein Haus und zu meinen Werkzeugen. Und in einem Monat werden wir vom Leben hier genug haben. Es war gut, aber etwas Gutes sollte nicht allzu lange dauern, sonst hört es auf, etwas Gutes zu sein. Auch die Jungen haben einen guten Sommer verbracht. Mit Tom ist es wirklich besser geworden. Ich verstehe, wie Du ihn beurteilst. Seine Traurigkeit ist mir auch aufgefallen. Und dann ist da noch etwas Zwiefaches, das ich eines Tages mit Dir besprechen will. Ich glaube, die Verhältnisse der letzten paar Jahre nähern sich für uns alle dem Ende. […] Sie sind am Auslaufen. Vielleicht sind wir in den nächsten besser dran. Gesundheitlich geht es mir gut, und Dir offenbar auch – nach dem, was ich von Dr. Negrin höre, hat sich Dein Befinden merklich gebessert. In dieser Hinsicht können wir frohgemut in die letzte Phase eintreten. Auch meine seelische Verfassung dürfte gut sein. Sie ist unbestimmt – ich bin weder gelangweilt noch besorgt, noch aufs Fertigwerden erpicht. Alles, nur das nicht. Ich fühle mich imstande, an den letzten Teil des Buches zu gehen. Vorläufig bin ich bereit, ihn hier zu erörtern. Der Stoff reicht für einen ganzen Roman. Um die 80 000 Wörter werden es schätzungsweise sein. Vielleicht etwas weniger. Drei vorangegangene Bücher müssen sich darin erfüllen und zum Abschluß kommen. Das Buch wird die Anlage der zwei vorangehenden weiterführen. Was darin 269
vorkommt, ist mir zum großen Teil klar. Ich glaube, es wird Kraft und Entwicklung aufweisen. Aron wird sich in gewissem Maße entwickeln, aber die kraftvollen neuen Gestalten sind Cal und Abra und ein neuer Adam. Auf diese wird es sich konzentrieren. Bisher hat sich das Buch ziemlich verzettelt, jetzt muß es sich zusammenballen. Im Wesentlichen kam alles schon vor, außer dem Wesen Abras. Sie stellt etwas Neues dar, das starke weibliche Prinzip des Guten, im Gegensatz zu Cathy. Ihre Gewalt wird nicht sanft sein. Abra ist eine Kämpferin, ein Mensch, der sich durchsetzt. Sie wird sich aktiv am Kampf beteiligen. So – nun sind wir bereit zum Start. Wir haben eine neue Welt vor uns im Salinas-Tal, und unsere zeitlosen Grundgedanken müssen sich mit neuen Verhältnissen auseinandersetzen. Bist Du gespannt, wie es weitergeht? Ich ja. Und nun los. Ich weiß noch nicht, ob heute irgend etwas zu Papier kommt, aber das soll mich nicht kümmern.
20. August, Montag Ich habe getan, was ich vorhatte. Ich habe eine ganze Woche ausgesetzt, und ein paar Tage lang brachte ich es fertig, das Buch aus meinen Gedanken zu verbannen. Ob das richtig war oder nicht, wird sich erst in den nächsten Wochen erweisen. Mir schien aber, daß ich der Pause bedurfte. Jetzt bin ich bereit, mit dem letzten Buch weiterzufahren, und unterbrochen wird 270
die Arbeit höchstens noch, wenn wir wieder nach New York umsiedeln. Da das aber an einem Sonntag stattfindet, werde ich wahrscheinlich überhaupt keine Arbeitszeit mehr verlieren. Die Schiffskarten sind auf den 16. September vormittags bestellt. Und bis dahin sind es mehrere Wochen. Ich finde es immer noch vorteilhaft, dieses letzte Buch als Einheit zu behandeln, auch was die Seitenzahlen anbetrifft. Nun, das werden wir sehen. Das Buch wird die Art des Vorgehens selber bestimmen, wie schon oft bemerkt. Warten wir ab. Da ich aus dem Arbeitsrhythmus herausgekommen bin, wird es die ersten paar Tage langsam vorangehen, aber das schadet nichts. Wie man sich doch gegen die Arbeit sträubt, aber wenn man einmal drin steckt, sträubt man sich ebenso heftig gegen das Aufhören. Ich weiß nicht, woher das kommt. Es hat etwas Tierisches. Eröffnen werde ich dieses Buch mit einer Art Kehrreim. Du wirst ihn schon bei der zweiten Zeile erkennen. Damit wird der Sinn und Zweck des Buches wieder aufgenommen, um dem Leser nochmals einzuprägen, wie das Ganze angelegt ist, bevor es neuen Ufern entgegengeht. Alle möglichen Zerstreuungen von außen her machen mir zu schaffen. So schnell verliert sich der Arbeitsgeist. Ich muß ihn wie eine Fußmatte ausschütteln. Und das will ich auch tun. Eben denke ich an Tom. Wir, vor allem Elaine, haben ihm diesen Sommer geholfen, aber es ist noch 271
eine Menge zu tun – eine ganze Menge. Wir werden unser möglichstes tun. Und nun will ich dieses andere Leben auswischen und mich mit dem Anfangskapitel des Vierten Buches befassen. Zu diesem Zweck nehme ich mir eine frische, leere Seite. So, der Anfang wäre gemacht. Und es ist eine Art Widerhall vom Anfang des Jahrhunderts her. Ich habe das Veränderliche mit dem Beständigen in Zusammenhang gebracht. Auch habe ich ein paar Dinge ausgesprochen, an die ich glaube, und die schon lange nicht mehr ausgesprochen wurden, die aber ausgesprochen werden müssen, zumal sie wahr sind.
21. August, Dienstag Das Vierte Buch habe ich gestern mit allgemeinen Betrachtungen eröffnet und auch mit ganz bestimmten Feststellungen, die aber erst klar werden, wenn man das Ganze gelesen hat. Wenn Harold sagt, das Buch sei groß angelegt, ahnt er gar nicht, wie groß es angelegt ist. Nur Du und ich und Elaine wissen es. Und vielleicht sind wir die einzigen, die es je wissen. Es stecken Dinge drin, die wahrscheinlich nie herauskommen, die meisten Leser nehmen es ja nicht sehr genau, oder dann finden sie Dinge, die gar nicht drin sind. Zum Teufel damit. Ich verrichte einfach meine Arbeit, und alles andere kann mir gestohlen bleiben. Nicht ganz ein Monat bis zur Abreise. 272
Unsere Platzbestellungen lauten auf den Vormittag des 16., was ein Sonntag ist, keine gute Zeit zum Reisen, aber etwas anderes war um diesen Zeitpunkt nicht zu haben. Das heißt, daß wir wiederum an einem Wochenende umziehen, so daß ich nicht viel oder überhaupt keine Arbeitszeit verliere. Ich glaube, wir schicken Louise ein paar Tage vorher mit dem Zug nach Hause, damit sie alles wohnlich einrichten kann. Waverlys Heimkehr ist auf den 26. vorgesehen. Hoffentlich klappt es, aber verlassen kann man sich nicht darauf. Es wäre aber gut, wenn sie käme, um ein paar Wochen bei uns zu verbringen. Heute vormittag bin ich etwas zerfahren. Ich weiß, was ich vorhabe, und warum es an diese Stelle gehört, aber Du weißt es nicht. Du wirst aber damit zufrieden sein. Und es freut mich, daß Du das Stück mit Tom und Dessie wirksam findest. Das Buch soll ebensowenig mit Jammer überladen sein wie die Welt, in der wir leben. Man soll sich an Sam Hamilton mit Vergnügen, nicht mit Betrübnis erinnern. Der Anfang des Vierten Buches ist aber nicht leicht und luftig. Es muß alles aufeinander abgestimmt sein. So werde ich Lee an den Anfang stellen. Das wird Dir recht sein, was aber nicht der Grund ist, warum ich es so halte. Es kommt mir auf die richtig ausgewogenen Verhältnisse an. Und damit will ich die Sache an die Hand nehmen.
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22. August, Mittwoch Ein feuchter, windiger, klebriger und wirklich garstiger Tag, vielleicht der schlimmste, den wir bisher gehabt haben. Sogar die Kleider fühlen sich feucht an und strömen ein Aroma aus. Die Kleinen sind gereizt. Hoffentlich schlägt es über Nacht um. Allerdings ist es nur schlecht für hiesige Verhältnisse, in New York würde es als schön und angenehm gelten. Und während ich das hinschreibe, bricht die Sonne durch. Ist das nicht erfreulich? So kann ich heute meine Arbeit in der Voraussicht verrichten, daß es sonnig wird. Hoffentlich hat Dir das gestrige Stück gefallen. Lees Abreise und Rückkehr. Elaine fand es gut, weil es sie gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen brachte. Zuerst hatte ich vor, Lee nach San Francisco zu begleiten. Aber das hätte keinen Sinn gehabt. Das Buch braucht keine Abwechslung mehr, es braucht ein dichtes Gefüge, Handlung, Charakter und in gewissem Maße auch Tempo. Ich freue mich auf die heutige Arbeit. Sie wird ganz anders sein als alles, was Du bisher über das Thema gelesen hast. Hoffentlich kann ich es glaubhaft machen. Ich bin da recht zuversichtlich. Und weil es ein sehr wichtiger Teil ist, wird er länger ausfallen – der Teufel wird los sein, was Charakterzeichnung anbetrifft, so naiv das klingt. Wie Lee gestern bemerkte, Erwachsene wissen nicht mehr, wie das mit Kindern ist. Sie haben einfach vergessen, wie es war. Ich glaube, ich weiß es noch, und ich werde mich bemühen, mir noch mehr in Erinnerung zu rufen. Und damit kann es wohl losgehen. 274
23. August, Donnerstag Das Buch kommt allmählich wieder in Gang. Achte bitte auf die Entwicklung, die Arons Charakter nimmt. Sie ist für die Geschichte sehr wichtig, geht aber ganz allmählich und höchst ausgeklügelt vor sich. Achte auch auf Abra. Sie ist ebenfalls höchst wichtig. Allmächtiger, ist das ein verwickeltes Buch. Ob ich es wohl schaffe? Ich verstehe, wie Du das mit den zwei Bänden meinst. Ich bin die ganze Zeit daran. Aber ich möchte nicht anders leben. Das Wetter hat sich aufgehellt, hoffentlich haben wir noch ein paar schöne Wochen. Nach meiner Arbeitspause bin ich froh, wieder am Schreibtisch zu sitzen. Die Abschrift ist eingetroffen, ich habe sie flüchtig durchgesehen. Recht gut mancherorts, braucht aber noch massenhaft Aufräumungsarbeit. Auch die werden wir besorgen. Weißt Du, nach dem Sommer mit den Jungen, dem Zeitvertreib und den allzu kurzen Tagen bin ich froh, daß die letzten 30 000 Wörter in New York entstehen werden. Da wird es dann keine Ablenkung mehr geben. Für den Schluß brauche ich volle Konzentration. Allerdings kann ich mich auch hier recht gut konzentrieren. Nach der Seitenzahl zu schließen, war meine Schätzung wohl ziemlich genau – zwischen 240 000 und 250 000 Wörtern. Hoffentlich gefällt Dir Lees Rückkehr. Ich finde sie gut, jedenfalls kurz genug. Ich brauche Lee, nicht nur als Erklärer, auch als handelnde Figur. Ich finde, das Buch läßt sich gut an, aber es fehlt noch vieles. Ich 275
könnte in aller Welt nicht sagen, wie ich hineingekriegt habe, was bereits da ist. Einer Laune folgend, habe ich soeben zurückgeblättert und die ersten dieser an Dich gerichteten Aufzeichnungen nachgelesen. Ich wollte sehen, ob ich irgendwo von meinem ursprünglichen Vorhaben abgekommen bin, und das ist offenbar nicht der Fall. Die Richtung hat sich keineswegs geändert, und dieses Buch, das so weitschweifig wirkt, ist es in Wirklichkeit nicht. Es ist fast so dicht wie eine Novelle. Ich stelle das mit Genugtuung fest. Unser Aufenthalt hier dauert noch etwas mehr als drei Wochen. Elaine hat mehr Manuskript, als sie vor der Abreise schafft. Ich glaube deshalb, Du solltest kein Manuskript mehr schicken, weder Original noch Abschrift. Behalte es bei Dir. Selbstverständlich schicke ich Dir weiterhin, was jede Woche entsteht. Und bist Du Dir bewußt, daß es nach dieser Woche nur noch dreimal zehn Seiten sein werden – an die 40 000 Wörter, die Arbeit dieser Woche inbegriffen. Und dann noch ein Monat in der Stadt, und es ist fertig. Ich sollte jetzt eigentlich an die Arbeit, schiebe es aber noch auf. Es ist noch früh. Heute nachmittag geht Elaine mit den Jungen ins Kino, und am Abend werden wir auswärts essen. Ich habe also den ganzen Tag für mich am Schreibtisch und bin guter Dinge. Es ist geradezu ein Freudengefühl, das in mir aufwallt. Und nun drücke mir den Daumen, ich will nämlich versuchen, mich in die Kinderseele hineinzuversetzen, und nicht nur das, ich will sie auch zu 276
Papier bringen. Und zwar handelt es sich nicht um Kinder, wie Erwachsene sie sich vorstellen, sondern um Kinder, wie sie unter sich sind. Hoffentlich gelingt mir das. Das meiste, was über Kinder geschrieben wird, ist Mumpitz. Erwachsene sind vergeßlich. Sie haben das Gefühl, in einem gewissen Alter seien sie klug und einsichtig geworden. Und in der Regel verhält es sich gerade umgekehrt. Daran werde ich mich halten, und es wird wohl eine einzigartige Schilderung dessen werden, was in Kindern vorgeht. Für meine Charaktere jedenfalls wird es zutreffen. Schließlich sind Kinder ebensowenig alle gleich wie die Erwachsenen.
23. August, Donnerstag, später Ich erledigte die Hälfte meines heutigen Pensums, fertigte die Jungen ab ins Kino, und dann schnitt ich mich beim Zumachen eines widerspenstigen Messers in den Daumen. Noch dazu in den rechten Daumen, Gott sei’s geklagt. Ich habe ihn etwas bluten lassen und dann verbunden, und in ein paar Tagen wird er verheilt sein, vorläufig aber erschwert er mir das Schreiben – und anderen wohl das Lesen des Geschriebenen. Werde mir aber Mühe geben, daß es leserlich bleibt. Und nun an die zweite Hälfte des Pensums. Glaube mir, es wird nicht allzu erwachsen sein. Es ist genau, wie Elfjährige reden und handeln. Man vergißt das einfach. 277
24. August, Freitag Immer noch krakelige Schrift wegen des Verbands. Es war aber auch ein tiefer Schnitt mit einem scharfen Messer und wollte nicht aufhören zu bluten. Ich brachte ihn nicht mit Wasser in Berührung, auch mit keinem Desinfektionsmittel. Ich ließ ihn eine Zeitlang bluten und klemmte dann die Ränder mit dem Verband zusammen – bis Montag wird es wohl wieder gut sein. Gegenwärtig stört mich nur noch der Verband. Ich will aber langsam und sorgfältig schreiben, damit man es lesen kann. Und das Manuskript der ersten Woche kommt heute auf die Post. Hoffentlich kannst Du etwas damit anfangen. Dieser letzte Teil ist sehr wichtig. Er klingt vielleicht nach Kindersprache, handelt aber von Kindern, die Erwachsene sein werden. Warum tut der Mensch Dinge, die anscheinend aus dem Rahmen fallen? Ich glaube, das gibt es gar nicht. Ich glaube, wenn man im Leben eines Mannes weit genug zurückgeht, wird man immer eine Ursache und eine Parallele finden. Der Mensch ändert sich nicht sehr. Nun ist Aron in diesem Buch nie so wichtig wie Cal, höchstens dadurch, daß er Cals Handeln auslöst. Deshalb müssen wir etwas über das Wesen dieses Auslösers erfahren. Das ist mehr oder weniger meine Aufgabe für heute. Man kennt Cal viel besser als Aron. Dem soll abgeholfen werden. Und nun [bricht hier ab]
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24. August, Freitag, Fortsetzung Damit ist die erste Woche des letzten Buches erledigt. So gewissenhaft die Arbeit ist, ich fürchte doch, Du könntest sie enttäuschend finden. Das Ende des letzten Buches bestand aus einer Reihe von dramatischen Zuspitzungen. Nun muß ich mit dem Aufbau wieder von vorne anfangen. Inzwischen hast Du vielleicht Blut geleckt, so daß das neue Stück Dir langweilig vorkommt. Allein, es muß auch diese windstillen Tage geben. Du wirst Dich damit abfinden müssen. Laß von Dir hören. Plötzlich wandelt mich ein merkwürdiges Gefühl der Vereinsamung an. Ich habe wohl Angst. Sie stellt sich immer gegen Ende eines Buches ein – die Angst, daß man nicht vollbracht hat, was man sich vorgenommen hatte. Das ist das Natürlichste von der Welt, und damit – die Woche.
27. August, Montag Der Sommer ist am Vergehen. Gestern ist Waverly angekommen, sehr müde und froh, wieder hier zu sein. Ich muß meine Arbeit wiederaufnehmen und bin bedenklich zerstreut. Mein eigener Fehler. Bin etwas in Rückstand gekommen infolge Ermüdung oder vielleicht auch, weil alte Wunden wieder aufbrachen. Gewisse Dinge verheilen nie ganz. Jedenfalls muß ich sehen, wieder in ein gewisses Gleichmaß zu kommen und den Sommer durchzustehen. Hier habe ich noch genau drei Wochen. Ich möchte gerne mit weiteren dreißig Seiten aufwarten können, und werde 279
es vermutlich auch können, aber die Sache muß auch gut sein. Der Zeitpunkt ist da, wo bei einem Buch jeweils die Bedenken einsetzen. Von Einwänden gegen das Ganze möchte ich vorläufig nichts hören. Es muß von innen heraus entstehen, bis das letzte Wort niedergeschrieben ist. Ich mogele deshalb, wenn ich es beurteile. Unser letzter Gast ist gegangen, und unsere letzte Party ist auch vorbei, und ich bin völlig zerrüttet. Werde mich aber rasch auffangen, wie immer. Vermutlich wird einmal eine Zeit kommen, wo das nicht mehr der Fall ist, aber gegenwärtig wäre das ungünstig. Eine merkwürdige Lebensweise. Aber das Leben ist wohl immer merkwürdig. Zur Zeit bin ich wieder ein Nervenbündel. Muß dagegen ankämpfen. Ich bin an eine schwierige Stelle im Buch gekommen. Der Gleichmäßigkeit der Anlage wegen möchte ich Zeit überspringen, dennoch aber den gleichmäßigen Ablauf beibehalten. Beides ist schwer in Einklang zu bringen. Ich muß das überdenken. Die direkteste Art ist vielleicht die beste. Und weißt Du, vielleicht ist das alles nur ein Notschrei der Faulheit, die einen Ausweg sucht, um der Arbeit zu entgehen. Ich glaube, ich werde es in diesem Sinne behandeln. An Faulheit fehlt es mir weiß der Himmel nicht. Der Kopf will einfach nicht an die Arbeit heran, und wenn ich ihm das durchlasse, hat er morgen wieder eine andere Ausrede. Mein Kopf ist ein verschlagener Hund und muß an der Leine geführt werden. 280
Nun ist es aber Zeit für die Machtprobe – wer der Stärkere ist, der innere Hund oder ich. Ich glaube, ich fange einfach an, dann wird sich zeigen, wer die Oberhand behält. Später. Das wäre geschafft. Es betrifft den Wandel in Adam. Hoffentlich ist es nicht langweilig. Du mußt wissen, die Verwendung von Kühlräumen war das, was die Verhältnisse im Tal grundlegend veränderte. Das Salinas-Tal wirkte in dieser Beziehung bahnbrechend. Und das Tolle daran ist, daß es keiner von den Pionieren auf diesem Gebiet zu etwas brachte. Aber im Salinas-Tal hat das alles angefangen.
28. August, Dienstag Gestern war ein flauer Tag, wie Dir wohl nicht entgangen ist, aber was ich schrieb, gehört doch hinein. Adam darf nicht nur ein Zaungast der Entwicklung sein, er muß daran teilnehmen. Es ist ein schwieriges Stück, ich will mich deshalb möglichst bald damit befassen. Gestern haben wir einen Eimer voll Krabben gefangen. Das ist fein. Heute wollen wir nochmals auf Krabbenfang gehen. Wenn es mit dem Buch nur so gut geht wie mit dem Sommer. Das ›Logbuch‹* ist gekommen; es sieht sehr gut aus. Ich glaube ja nicht, daß es sich besonders gut verkauft, aber wir leben in einer unwahrscheinlichen * ›Log from the Sea of Cortez‹ kam im September 1951 heraus. 281
Zeit. In Europa wird es wohl gehen. Möglicherweise schlägt es auch bei uns einigermaßen ein. Wann wird es ausgeliefert? Es ist eine sonderbare Zeit für Bücher. Die Leute lesen offenbar gern etwas Nachdenkliches – oder täusche ich mich? Vielleicht wollen sie bloß Selbstbestätigung oder Sensation. An die Arbeit.
29. August, Mittwoch Hier herrscht Torschlußstimmung. Zwar haben wir noch zweieinhalb Wochen, so daß das Ende nicht so nahe bevorsteht, wie ich anzudeuten scheine, aber der Herbst liegt jedenfalls in der Luft. Auch in mir ist eine herbstliche Stimmung. Es ist eine der besten Stimmungen, die ich kenne. Für den Herbst habe ich schon immer eine grundlose Vorliebe gehabt. Er ist von einer warmen, liebenswürdigen Traurigkeit erfüllt, die dem Vergnügen verwandt ist, und nicht einmal sehr entfernt verwandt. Wir haben einen guten und ertragreichen Sommer gehabt. Die Jungen haben sich entschieden gemausert. Es ist schwer festzustellen, wenn man täglich in ihrer Nähe ist, aber ich glaube doch, daß es so ist. Ich habe einen guten Teil meiner Freizeit damit vertrödelt, von ungefähr an einem Stück Mahagoni herumzuschnitzen, aber ich hatte wohl dabei auch meine Gedanken. Wer weiß. Ich sitze etwas benommen da und nenne es Nachdenken. Schluß damit und zurück zur Geschichte. Sie ist 282
diese Woche gut vorangekommen. Was daran zufällig erscheint, ist es nicht. Ich glaube, es gibt im ganzen Buch keinen einzigen Satz, der nicht einen Charakter entwickelt oder die Handlung weiterführt oder den erforderlichen Hintergrund einträgt. Es kommt mir wenigstens so vor, aber es wird sich erst erweisen, wenn ich fertig bin. Ich will kein Buch, das sich Abschweifungen gestattet, und das tut es wohl auch nicht. Himmel, für Abschweifungen ist doch gar keine Zeit. Und das gilt auch für mich.
30. August, Donnerstag Da wären wir wieder, und heute ist mir etwas leichter zumute als in letzter Zeit. Gestern erhielt ich Deinen Brief mit den Beilagen. Die Engländer konnten mit der ›Wilden Flamme‹* ebensowenig anfangen wie die Amerikaner. Ich habe mich wohl geirrt, bedaure aber nicht, es geschrieben zu haben. Gestern abermals eine schlaflose Nacht, das macht zwei hintereinander. Aber der nächste Teil ist so knifflig, daß ich nachts unwillkürlich darüber nachdenke. Er ist nicht nur psychologisch vielschichtig, sondern auch erzählerisch. Dabei muß alles sehr einfach wirken. Bald haben wir nur noch zwei Wochen, und ich werde versuchen, jede Woche ein volles Pensum zu leisten. * Steinbecks kurzer Roman (1950), später als Theaterstück aufgeführt, über das Thema der Unfruchtbarkeit.
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Ich glaube, ich mache mich lieber an die Arbeit. Bei dem, was kommt, ist jede Zeile von Wichtigkeit.
30. [31.] August, Freitag Wieder eine Woche, und wir sind diesmal wirklich vorangekommen, auch wenn es nicht den Anschein hatte. Jetzt kommen nur noch zwei Wochen Arbeit vor der Abreise nach New York. Heute morgen sprachen wir vom Sommer. Wir waren nur zweimal draußen, abgesehen von der Zeit, als Du hier warst, und da weißt Du ja Bescheid. Wir haben es uns angewöhnt, vor dem Essen ein Glas oder zwei zu trinken, was mir gut tut. Es wirkt beruhigend. Ich hatte mehrmals nervöse Zustände und immer aus demselben Grund – innere Zerrissenheit. Ich kann einfach nicht zwei Dinge gleichzeitig erledigen, und wenn ich es versuche, kriege ich diese Zustände. Aber die Arbeit ist doch entstanden, ob gut oder schlecht. Welches von beidem, das werden wir erst viel später erfahren. Es freut mich, daß Dir das mit den Kindern gefällt. Ich fand schon immer, daß außer Hughes* niemand über Kinder zu schreiben versteht. Man hat sie nicht ernst genug genommen. Ich glaube nicht, daß ich heute zu einem Abschluß komme. Es fehlt noch zuviel daran, und alles scheint mir wichtig. So muß ich denn bedächtig und gewis* Richard Hughes, Verfasser des Romans ›Sturmwind in Jamaika‹.
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senhaft vorgehen. Zugegeben, ich werde nachgerade etwas zaghaft, aus Angst, daß ich hinter dem gesteckten Ziel zurückbleibe. Das ist wohl unvermeidlich. Bald werde ich eine Bestandsaufnahme machen müssen, und das ist schwierig bei all dem Durcheinander, das die Abreise mit sich bringt. Es wird aber geschehen, glaube mir. Ich werde irgendeinen Notvorrat an Willenskraft anzapfen und es erledigen. Wie das immer geschieht. Und das ist eine der krassesten Unwahrheiten, die mir je über die Lippen gekommen. Es ist eine seltsame Welt, die ich erschaffe, aber ich halte sie für wahr, und mehr kann ich nicht leisten. Ich bin froh, wieder nach New York zu kommen. Anscheinend habe ich dort mehr Zeit. Sonderbar, nicht? Es liegt daran, daß ich mich hier verpflichtet fühle, mich soviel wie möglich mit den Jungen abzugeben. Tom hat wieder einen seiner Ausbrüche gehabt, aber das wird bald nachlassen. Wir wissen jetzt, wann sie kommen, wenn auch nicht immer, woher.
3. September, Montag Es dürfte Zeit sein, mich wieder meinem Werk zuzuwenden. »Tag der Arbeit« heute – für mich im eigentlichsten Sinn des Wortes. Heute ist ein flauer Tag voller Ängste und träufelnder Wölkchen. Schreiben ist bestenfalls etwas Albernes. Es hat etwas Lächerliches, ein Abbild des Lebens zu Papier bringen zu wollen. Und was noch komischer ist – man muß sich eine 285
Zeitlang aus dem Leben zurückziehen, um dieses Abbild hinzukriegen. Drittens muß man seinem eigenen Leben Gewalt antun, um das normale Leben anderer nachzuahmen. Und was dann herauskommt, wenn man all diesen Unsinn durchgestanden hat, ist vielleicht der blasseste Widerschein des Lebens. Ach, es ist wirklich eine Kalberei. Der kreißende Berg ächzt und stöhnt, und heraus kommt das winzigste Nagetier. Und das Allereinfältigste daran ist, daß der Schriftsteller, um es überhaupt zu schaffen, fest überzeugt sein muß, daß das, was er tut, die wichtigste Sache der Welt sei. An diesem Wahn muß er festhalten, auch wenn er weiß, daß es nicht so ist. Sonst ist sein Werk nicht einmal soviel wert, wie es bestenfalls hätte sein können. Wie es in ›Der König und ich‹ heißt: »Is ein Rätsul.« Alles das ist nur ein Vorgeschmack der Ängste und Zweifel, die einen befallen, so daß man bei seiner albernen Arbeit glaubt, man sei nicht ganz bei Trost, weil man dabei so allein steht. Wenn das, was man tut, sich lohnt – warum tun es dann nur so wenige? Dergleichen Fragen. Es scheint aber doch eine verzweifelt sinnlose Beschäftigung, und eine, die auf Zuschauer höchst belustigend wirken muß. Vernünftige Leute leben so gleichmäßig wie möglich dahin – sie versuchen, gut zu sein; machen sich nichts daraus, wenn sie es nicht sind, halten sich an Auffassungen, die ihnen Trost gewähren, und verwerfen alles, was nicht der Selbstbestätigung dient. Und wenn ihre Tage erfüllt sind, sterben sie, ohne daß ihnen das 286
Gefühl, versagt zu haben, das Herz zerreißt; da sie nie etwas versucht haben, haben sie auch nicht versagt. Solche Leute sind viel vernünftiger als die Einfaltspinsel, die sich mit dummem Zeug abrackern. Und damit will ich wieder an die Arbeit. Noch zwei Wochen, bevor es nach New York geht. Noch zwanzig Seiten, und ich sitze wieder an meinem eigenen Schreibtisch. Und das wird mir im Herzen gut tun.
4. September, Dienstag Gestern war sehr schlimm, wie aus den Notizen wohl hervorgeht. Ich erschaute das Innere des Menschen als einen penetranten Dschungel voller Ungeheuer, Dämonen und Irrlichter. Es kam mir als ein gefährlicher Ort vor, wie jene Schreckensbuden auf dem Rummelplatz, wo fauchende Teufel aus dem Dunkel hervorstürzen. Ich glaube, die Arbeit gestern ist gut geraten. Aber schmerzhaft war sie. Vermutlich weil sie der Wahrheit entspricht. Auch das, was heute kommt, entspricht der Wahrheit. Es ist ein schrecklicher Teil des Buches, aber es kommt ja viel Schreckliches darin vor. Vielleicht ist es ein schreckliches Buch. Nun, das wird sich zeigen. Man hat mir schon oft vorgeworfen, ich schriebe über abwegige Menschen. Bei diesen kann ich das nicht finden, mit der einen Ausnahme – Cathy. Und das ist nur eine Gestalt unter so vielen. Sie wird mit der Zeit noch begreiflicher werden. Ich weiß wirklich nicht, wo das alles noch hinführt. Überstürzen kann ich es jetzt 287
nicht; alles, was geschieht, ist nämlich sehr wichtig für das Buch. Das ist indessen eine Schwierigkeit, die ich bisher nicht hatte. Ich suche, wenigstens in Gedanken, das Tempo zu bestimmen, statt es dem Buch zu überlassen. Das muß aufhören. Die Szene, die ich heute vorhabe, ist sehr merkwürdig. Ich will das Merkwürdige daran nicht abschwächen, aber es muß überzeugend wirken. Und das erreiche ich am besten, wenn ich das meiste davon in Dialog verwandle. Ich glaube, Du wirst die Arbeit dieser Woche spannend finden. Hoffe es wenigstens. Es ist etwas ganz anderes, weil es mit winzigen Verknäuelungen des Charakters zu tun hat, die sich aber später gewaltig auswirken.
5. September [Mittwoch] Bin heute spät dran, habe mir aber alles gut zurechtgelegt. Das Wetter ist wunderschön, wenn auch kein Sommerwetter mehr. Ausgesprochen herbstlich. Verschafft mir ein angenehmes Gefühl auf der Haut. Scharenweise reisen die Leute ab, und wir haben noch anderthalb Wochen auf der Insel. Hoffentlich werden es für mich ertragreiche Tage. Die Szene, an der ich arbeite, ist von äußerster Wichtigkeit. Man sieht da, wie ein Mann erwachsen wird und eine Frau alt. Hoffentlich kriege ich das zu Ende. Das beste ist wohl, ich bringe es zu Papier und erörtere es nachher. Und das will ich auch.
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6. September, Donnerstag Nur noch zehn Tage hier, oder eigentlich neun. Unser Aufenthalt nähert sich dem Ende; er verlief mit dem üblichen Auf und Ab, aber nach meinem Dafürhalten mehr auf als ab. Das Wichtigste für Dich und weitgehend auch für mich ist, daß keine Unterbrechung der Arbeit eintrat, außer die eine Woche, in der ich das wollte. Das ist zum großen Teil Elaine zu verdanken, die mir alles das abnahm, was mich hätte stören können, und zwar so gründlich, daß ich mit den Gedanken fast immer beim Buch bleiben konnte. Zugegeben, die beiden Jungen, namentlich Tom, haben mir zu schaffen gemacht, vor allem, weil ich da nicht viel ausrichten kann, so sehr ich mich auch bemühe. Was die Arbeit selber betrifft, wird sich erst mit der Zeit erweisen, ob sie etwas taugt. Manchmal scheint sie mir das hochgesteckte Ziel zu erreichen, zu anderen Zeiten kommt sie mir schwunglos und abgedroschen vor. Ich weiß, sie muß noch stark überarbeitet werden, aber dazu habe ich ja reichlich Zeit, und ich bin durchaus willens, es zu tun. Vorläufig ist es für mich immer noch das Buch meiner Bücher, und das wird so bleiben, bis es endgültig in Deinen Händen ist. Dann wird es natürlich zu einem weiteren Buch kommen oder zu einem Begräbnis. Ich glaube, wenn ich aus irgendeinem Grunde Schreibverbot hätte, würde ich nicht mehr lange vorhalten. Das ist durchaus nicht trübselig gemeint. Ich gehöre wohl zu den Glücklichen, bei denen Arbeit und Leben dasselbe ist. Das kommt selten vor. 289
Gestern erhielt ich die Empfangsbestätigung für das Manuskript der letzten Woche. Hoffentlich hat es Dir gefallen. Was ich diese Woche vorhabe, wird Dir bestimmt gefallen. Ich spüre schon das Zupfen am Schwimmer des Netzes, was einen guten Fang verheißt. Aber es kommt noch so viel, Pat, so unabsehbar viel. Und nun muß ich an die Arbeit. Die Kinder sind heute ungemein lärmig, und ich bringe es nicht über mich, ihnen Einhalt zu gebieten. Neben uns wohnt ein Junge, der ist der lärmigste von allen. Gottlob reist er morgen ab. Waverly bewährt sich wunderbar im Haus und auch in ihrem Verhältnis zu den Jungen. Sie setzt sich allmählich durch als ältere Schwester, was um so bemerkenswerter ist, als sie da gar keine Erfahrung hat. Als letzte Nebenbemerkung – die heutige Szene. Es wird Dir etwas gruseln dabei. Sie gehört aber unabdingbar zum Ganzen. Und nun gilt’s.
7. September, Freitag Wieder eine Woche um die Ecke. Bleibt noch eine. Packen werde ich jeweils am Abend und dann am Samstag. Ich freue mich auf zu Hause, aber es war wirklich ein schöner Sommer. Es hat keinen Sinn, auf Einzelheiten einzugehen, ich komme also gleich zu den Werknotizen. Es war eine strenge Woche. Ich habe die Macht des 290
Bösen einem möglichen Guten gegenübergestellt. Gestern schilderte ich die äußeren Ereignisse. Heute muß ich zeigen, was dabei herauskam. Das ist etwas ganz anderes als bei der brutalitären Schule von heute. Ich schildere nicht nur, ich spreche mich auch darüber aus. Die Goldkleckse auf dieser Seite sind das, was von schönen Gedanken abspritzte. So, Pat, da ist das Schlußstück dieser Woche. Hoffentlich gefällt es Dir. Ich glaube, der Beginn der inneren Auflösung ist logisch und einwandfrei. Hoffentlich ist er auch wirksam. Nächste Woche kommt die Geschichte an einen entscheidenden Punkt. Ich schicke Dir das Manuskript oder bringe es gleich mit. Weiß noch nicht, was besser ist. Jedenfalls bin ich etwas abgespannt. Die Woche hat mich sehr ermüdet. Und da war noch anderes, von dem ich Dir erzähle, wenn ich Dich wieder sehe. Vorläufig lebwohl.
10. September, Montag Nun an die letzte Woche. Es ist weiter nicht verwunderlich, daß ich nicht mehr in Wochen, Monaten und Tagen denke, sondern in Einheiten von zehn Seiten Manuskript. Wenn ich Dir am Freitag Seite 40 dieser Reihe schicken kann, bin ich froh. Dein Brief über die Unterhaltung zwischen Cal und Lee hat mich interessiert. Du darfst nie gänzlich glauben, daß ich mich selber zu Papier bringe, oder wenn Du es 291
glaubst, darfst Du es nicht sagen. Es gibt vieles, was man nicht mit Worten, nur mit Symbolen ausdrükken darf. Anderseits darf man aus einer Maus keinen Elefanten machen, das wäre ganz falsch. Elisabeth Otis meint, das Buch werde wohl größer als geplant. Ob das stimmt? Es war als etwas Großes geplant. Eher befürchtete ich, es könnte sich verschmälern. Ich habe mich tatsächlich schon gefragt, ob es nicht schmal werde. Ich will es groß. Am liebsten möchte ich, daß es sich schmal liest, aber groß wirkt. Ob das der Fall ist, kann ich natürlich nicht sagen. Ich kann es nur hoffen. Nun muß ich daran. Die Episoden dieser Woche gehen auf gewisse Dinge der letzten beiden Wochen zurück. Was mir vorschwebt, ist, das Symbol bis zuletzt zu verheimlichen, damit es erst aufblitzt, wenn die ganze Episode vorbei ist. Ob sich das machen läßt? Die nächsten beiden Wochen gehören zu den wichtigsten des Ganzen.
11. September, Dienstag Ein strahlend schöner Tag, und ich habe wieder einmal kein Sitzleder. Keine Ahnung warum. Vielleicht Ermüdung, wahrscheinlich aber Reisefieber, alle möglichen Nebendinge, und obendrein meine Arbeit. Das bringt mich durcheinander. Ich kann mir nicht vorstellen, woran es sonst liegen sollte. Louise fährt heute abend nach New York zurück, um das Haus in Ordnung zu bringen. Das ist gut, 292
bedeutet aber, daß wir hier für den Rest der Woche auf uns selber angewiesen sind. Packen werde ich abends. Mit einer ganzen Familie umzuziehen, ist keine Kleinigkeit. Elaine besorgt natürlich das meiste, das Planen usw. Aber ich bin froh, wenn ich das hinter mir habe. Was ich heute vorhabe, interessiert mich. Es sieht einfach aus, ist es aber nicht. Und ich glaube, ich fange jetzt damit an. So, Pat, wieder ein Stück vorhanden. Findest Du es gut? Erkennst Du, warum alles so ist, wie es ist? Und glaube bloß nicht, daß das geflunkert ist. Genau so ist es entstanden.
12. September, Mittwoch Noch drei Arbeitstage hier. Und zwar wichtige Tage. Unsere Abreise fällt mit einem der Höhepunkte des Buches zusammen. Das ist weiter nicht erstaunlich. Es kommt ja immer alles zusammen. Es ist ein vielschichtiger Höhepunkt – nämlich ein vierfacher – schwer zu bewältigen, weil sich alles ganz klar abzeichnen muß. Auch ist es nicht nur handlungsmäßig, sondern auch gefühlsmäßig ein Höhepunkt. Zwei Leben gehen daran zugrunde, und zwei nehmen einen anderen Verlauf, und das ist vielleicht noch nicht alles, so daß ich begreiflicherweise mit Zittern und Zagen an die Niederschrift herangehe, und ich wollte, ich müßte nicht gleichzeitig ans Umziehen denken, aber auf die Dauer 293
macht das wohl nicht viel aus. Man funktioniert. Kein Zweifel. Man funktioniert wirklich. Wenn ich nach Hause komme, werde ich den Schreibtisch neu mit Löschblatt überziehen, völlig neue Bleistifte spitzen, eine neue Schachtel Schreibpapier anbrechen, dann geht es an den letzten Teil des Buches. Weiß der Himmel, wie lange mich der beschäftigen wird. Ich kann es wirklich nicht sagen, trotz dem zuversichtlichen Gerede vom ersten Oktober. Ich weiß es einfach nicht. Das Buch zieht sich in die Länge, und ich hoffe nur, es ist immer noch interessant. Ich habe mich gefragt, ob diese Gestalten nicht langweilig werden könnten, glaube aber, sie haben genügend Wandlungsfähigkeit, um nicht repetitiv zu wirken. So, nun habe ich wohl genug geplempert. Es ist Zeit, mich dahinterzuklemmen.
13. September, Donnerstag Ein gewisser Überdruß steckt in mir, so gründlich vermengt mit allem anderen, daß er kaum wahrnehmbar ist, aber ich bin damit durchsetzt. Kehren wir uns nicht daran. Das Buch geht dem letzten Teil entgegen, und da gehört es wohl dazu, sich ein bißchen aufzuplustern. Kritische Einwände werden mir willkommen sein, aber das Buch ist ebensowenig durch Mitarbeit entstanden wie irgendeines meiner anderen. Die weltanschauliche Lehre, die es enthält, ist meine eigene und untersteht keiner Berichtigung oder Verbesserung. 294
Das ist nichts Neues, es ist nur eine erneute Feststellung, um Zeit zu sparen. Ich habe noch die Arbeit von heute und morgen, bevor es nach Hause geht. Und ich glaube, ich bringe heute keine Nebenbemerkungen mehr an. Schwarzes Gewölk baut sich auf, mit Donner darin.
24. September, Montag Zurück zur Arbeit nach einer freien Woche. Nein, mehr als das – eine Woche und ein Tag. Ich merkte nicht, wie müde ich nachgerade war, doch jetzt erkenne ich es am Gegensatz. Jetzt bin ich wieder ausgeruht. Die Woche hat Wunder gewirkt, und ich bin wieder ganz aufgekratzt. Das heißt nicht, daß es mir leichtfallen wird. Es wird hapern mit dem Anfangen, aber wenigstens fehlt es mir nicht an Arbeitslust. Ich kann nicht die ganze Zeit arbeiten, sollte aber. Das ist die alte Sache mit dem Gewohnheitstier. Die Bezifferung der Manuskriptseiten ist absonderlich. Ich werde wieder mit 1 anfangen, und diesmal gehen die Zahlen hoffentlich bis zum Ende weiter. Falls das Ding je fertig wird. Voraussehen läßt sich das nicht. Es wird einfach ein Glücksfall sein. In der Sommerfrische wollte ich immer möglichst bald fertig werden, damit ich mich mit den Jungen abgeben konnte. Jetzt kann ich mir Zeit lassen, und zur Abwechslung ist das auch nicht schlecht. Es hapert – ganz bedenklich – mit dem Anfangen. 295
25. September [Dienstag] Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß ich gestern kein volles Tagespensum geleistet habe. Wie ich schon am Telefon bemerkte, haperte es mit dem Anfangen, nicht weil es mir an Stoff gefehlt hätte, sondern weil ich ganz einfach aus dem Arbeitsrhythmus herausgekommen war. Aber wenn schon. Es wird trotz meiner Treulosigkeiten weitergehen. Bei diesem Buch bin ich nur Zaungast, dessen bin ich mir bewußt. Das Buch geht weiter. Hoffentlich gefällt Dir die Schilderung, wie Salinas den Kriegsausbruch erlebte. Sie ist wahr. Ein Bekannter schickte mir ein Buch, das er geschrieben hatte, und bat mich um eine Meinungsäußerung, damit er daraus zitieren kann. Ich gab es Elaine, und gestern abend erstattete sie mir Bericht darüber und las mir einiges daraus vor. Und es ist miserabel. Der Mann kann nicht schreiben, nicht denken und hat nichts zu sagen. Vielleicht ist es gemein von mir, aber von meinem eigenen Buch halte ich leider mehr. Ich hatte eine Flaute, aber besser als das Buch meines Bekannten ist meines auf jeden Fall. Regnerisch heute und finster. Für mich angenehmes Wetter. Ich bin nicht in verbissener Stimmung, aber ich habe es gern, wenn es vom Himmel herunter träufelt. Auch habe ich es heute offenbar mit dem Gartenlaubestil. Hoffentlich färbt er nicht auf meine Arbeit ab. Nichts als Klischees heute. Muß dem abhelfen. Auf ein volles Wochenpensum komme ich diesmal ohnehin nicht, und sogar das ist mir 296
schnuppe. Wie aufrührerisch sich das ausnimmt. Wie mutig, wie originell. Und nun heißt’s Ernst. So, mein Tagewerk wäre getan, und es ist ein volles Pensum. Du siehst wohl, was sich anbahnt, auch bin ich bereit, mich mit Abra zu befassen. Das Ganze bereitet mir Genugtuung, weil es jetzt dem nächsten Höhepunkt entgegenstrebt. Vor diesem graut mir noch etwas. Warten wir ab, was der morgige Tag bringt.
26. September, Mittwoch Viel zu tun diese Woche, mehr als mir lieb ist, werde es aber schon schaffen. Der Tempowechsel hat wohl etwas damit zu tun, bestimmt sogar. Heute Uraufführung.* Alles das wirkt störend, soll mich aber nicht abhalten. Komme mir heute merkwürdig vor – wie nicht von dieser Welt. Ich werde mich nie ganz daran gewöhnen, am Leben zu sein. Es ist ein Rätsel. Bin immer verblüfft, wenn ich feststelle, daß ich noch am Leben bin. Draußen, direkt vor meinem Fenster, dauert das schöne kühle Herbstwetter an, das mich so begeistert. Bin heute gar nicht faul. Freue mich bloß. Was ist doch New York eine betriebsame Stadt! Muß mir eine neue Schreibunterlage beschaffen. Diese hat einen Falz in der Mitte, der mich stört. Zeitschinden ist alles. Ich habe nicht das richtige * ›Die wilde Flamme‹. 297
Gesicht für eine Brille. Keine will passen. Werde wohl selber für Abhilfe sorgen müssen. Sie rutschen immer. Jetzt sollte ich soweit sein. Ich habe Abra bei Lee in der Küche gelassen, da müssen wir sie jetzt wieder aufsuchen. Es ist ein stiller, aber wichtiger Tag im Manuskript. Ich will mir damit Zeit lassen. Und dann kommt noch eine weitere Szene vor dem Höhepunkt dieses Teils. Doch alles zu seiner Zeit. Es braucht alles Zeit. Auch brauche ich eine Menge Zeit, wo nichts entsteht. Das Verhältnis von Nichtstun und Arbeit scheint etwa 4 zu 1 zu sein.
27. September, Donnerstag Gestern abend sahen wir die Inszenierung der ›Wilden Flamme‹, der ihre Armseligkeit nur zum Vorteil gereichte. Ich fand sie gut, war aber müde, wohl aus Überbeschäftigung. Große Anstrengung in einer Richtung, dessen scheine ich fähig, wenn aber vielerlei miteinander auf mich eindringt, mache ich schlapp. Heute zerrinnt mir die Zeit, und ich muß mich an die Arbeit machen.
28. September, Freitag Eine flaue Woche. Hoffentlich kommen nicht noch mehr dieser Art. Beschäftigung mit allem möglichen hat mich fertiggemacht. Eigentlich hätte ich das Manuskript auf dem Land beenden und erst zur Korrektur in die Stadt kommen sollen. Aber das ließ sich 298
nicht machen. Diese Woche begann ich, einem Höhepunkt zuzustreben, und nächste Woche komme ich hoffentlich darüber hinaus. Wenigstens findet nächste Woche keine Uraufführung statt. Ich bin diese Woche gar nicht richtig in Gang gekommen. Du wirst höchstens für vier Tage Manuskript vorfinden.
1. Oktober, Montag Diesem Buch scheint es bestimmt, im Kampf gegen kleine, eher komische Hindernisse zu entstehen. Die Frau, die meine Wohnung gemietet hatte, hat die Wände ruiniert und sich davongemacht, ohne die Miete zu bezahlen. Ich könnte jemand mit der Reparatur beauftragen, aber es geht rascher und besser, wenn ich mich der Sache selber annehme. Ich werde also hingehen, heute nachmittag die nötigen Vorkehrungen treffen und morgen die Wände streichen. Immer taucht dergleichen auf. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich bin sicher, der Mensch ruft sich sein Leben heran, wie man einen Hund heranpfeift. Kleine Hindernisse wirken bei mir förderlich, und wenn sie nicht von selber auftreten, sorge ich für welche. Das ist nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil, es ist das Allergewöhnlichste. Heute vormittag bin ich aufgeschmissen, weil ich nicht mehr genau weiß, wo ich stehengeblieben bin. Und Du bist nicht im Büro. Klar, versteht sich, Du bist nur Kaffee trinken gegangen. Aber ich kann nicht gut anfangen, bevor ich mit Dir gesprochen habe. Meinetwegen. Bei dem, was ich 299
heute vorhabe, handelt es sich um ein Doppelspiel, aber ein so unverfrorenes Doppelspiel, daß es den Beteiligten gar nicht als unehrlich vorkommt. Es ist schwierig, das, was wir ehrlich und anständig nennen, gegen das Unehrliche und Unanständige abzuwägen, weil sich beides sehr ähnlich sieht, nur der Zweck, der dabei verfolgt wird, ist ein anderer. Letzten Endes läuft wohl alles auf Eigennutz hinaus. Dieser kann aber verschieden beschaffen sein. Ich glaube, ich mache mich lieber an die Arbeit.
2. Oktober [Dienstag] In diesem Teil der Geschichte suchen zwei unehrliche Menschen einander hereinzulegen, und das ist für mich interessant, weil ich damit wieder ein Abbild der Welt im kleinen habe. Der Umstand, daß Joe falsch handelt, macht sein Verhalten nicht besser. Er begeht einfach einen Fehler. Seinem Handeln liegt nie etwas anderes als Eigennutz zugrunde. Mein Tagewerk habe ich damit getan. Mußte früh arbeiten. Heute nachmittag habe ich etwas anderes vor. Ich erzähle Dir morgen davon. Falls es sich dann noch lohnt. Und nun hole ich etwas Schmirgelpapier, um den Deckel Deines Kästchens fertigzumachen.
3. Oktober, Mittwoch Heute treten die Giants und die Dodgers zum Entscheidungsspiel gegeneinander an, heute muß ich die 300
verwünschte Wohnung streichen, und arbeiten werde ich heute auch wie gewöhnlich. Das Buch hat etwas Unvermeidliches, es torkelt einfach weiter. Heute sehr früh am Schreibtisch. Hoffe früh zu meiner Malerarbeit zu kommen. Morgen gehe ich zur Eröffnung der Weltmeisterschaften. Ich werde früh aufstehen und sehen, wieviel ich am Vormittag schaffe. Wohl nicht viel, aber doch etwas.
4. Oktober, Donnerstag, 5.30 in der Früh Heute früh zur Arbeit angetreten, weil ich der Eröffnung der Weltmeisterschaftsspiele beiwohnen will, und ich möchte keine Arbeitszeit verlieren. Gestern Baseball, wahrscheinlich das beste Spiel, das ich je erlebt habe. Und ich war froh, ein volles Tagespensum unter Dach gebracht zu haben. Meines Erachtens wird das Buch Montag in drei Wochen fertig. Länger wird es bestimmt nicht. Kann mich gar nicht an den Gedanken gewöhnen. Kommt mir ganz fremd vor. Gestern abend habe ich Elaine die Arbeit der letzten drei Wochen vorgelesen. Das Heimtückische darin wird Dir wohl etwas unheimlich sein, aber es gehört zum Gleichgewicht des Ganzen. Daß der Durchschnittsleser sich mehr für das Böse als für das Gute interessiert, ist befremdlich, aber wahr. Und nun an die Arbeit.
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5. Oktober, Freitag Eine mühsame Woche geht zu Ende. Es braucht allerhand, sie durchzustehen. Ich bin mit allem möglichen beschäftigt. Und die traurige Wahrheit ist, daß ich fast jedes Übermaß an Arbeit vertrage, nur kein Durcheinander. Da bin ich jeweils rasch erledigt. Doch ab heute wird das anders werden. Nachdem nun das Ende in Sicht ist – noch drei Wochen und es ist soweit –, kommt eine große Veränderung über mich. Ich komme ungern ans Ende. Aber weißt Du – der Entschluß, einen zweiten Band zu schreiben, der von den zweiten drei Jahrzehnten handelt, das gibt der Sache einen ganz anderen Anstrich. Es heißt, daß ich noch nicht fertig bin. Ich schrecke vor dem Wort »Ende« zurück, weil ich fürchte, es könnte auch mein Ende bedeuten. Der zweite Band schiebt das beträchtlich hinaus. Vortrefflich, nicht? Ich bin fast übermütig vor Freude. Und ich kann etwas Übermut brauchen, weil ich jetzt zu dem heftigsten Gefühlsaufruhr komme, den ich je geschildert habe, und davor bangt mir. Die Szene muß bersten vor Gefühl, gleichzeitig aber zurückhaltend sein in der Behandlung. Gleichsam als brächte der Leser das Gefühl selber mit. Hoffentlich gerät mir das gut. Heute komme ich mit der bedächtigeren Orgelmusik zu Ende und bereite mich auf die Ankündigung des Endes vor. Es wird sich bald ankündigen. Und Himmel, davor ist mir bange. Die Sache mit Fenchel dem Schneider hat sich übrigens tatsächlich zugetragen. Sogar der Name ist authentisch. Mary, meine Schwester, erinnert sich ebenfalls daran, wenn auch nicht gern. 302
7. Oktober, Sonntag Meisterschaftsspiel abgesagt wegen Regens, will deshalb sehen, ob ich etwas arbeiten kann. Habe zwar starke Schmerzen in der Brust, wahrscheinlich ist es der Wetterumsturz, das wird sich geben. Vorläufig erschwert es mir das Atmen und bringt eine gewisse Müdigkeit mit sich. Aber an Müdigkeit ist ohnehin kein Mangel. Bedingt durch das innere Schlamassel, und auch die Angst vor dem Ende. Doch wie ich schon ganz zu Anfang bemerkte, Schritt um Schritt und Stück um Stück. Anders geht es nicht, Stück um Stück. Es ist etwas Merkwürdiges, so ein Buch. Manchmal bin ich ihm so nahe, und manchmal weit davon entfernt. Manchmal ist es mir lieb, manchmal verhaßt. Aus all dem kommt wohl die Müdigkeit zusammen. Vor der nächsten Szene ist mir angst und bange. Es ist eine schwierige Sache. Kaum zu machen. Und je länger ich es hinausschiebe [bricht hier ab]
8. Oktober, Montag, 6 Uhr früh Das Meisterschaftsspiel gestern fiel aus wegen Regens. Ich erfüllte mein Tagespensum und gewann so einen kleinen Vorsprung. Stand heute um 5 auf, um womöglich ein weiteres Pensum zu erledigen, und dann auf den Sportplatz, und morgen nochmals. Der Regen ist wohl vorbei, aber er war gewaltig. Donner und Blitz gestern nacht und der strömende Regen bewirkten, daß ich früh einschlief. Heute morgen sah ich die ›Saturday Review‹ durch 303
und las ein paar Besprechungen neuer Bücher, wobei sich das übliche Entsetzen einstellte. Rezensent (oder noch besser, Kritiker) sollte man sein, einer dieser kuriosen Saugfische, die mit diebischer Freude von der Arbeit anderer leben und mit faden Worten das maßregeln, was sie ernährt. Ich behaupte nicht, daß Schriftsteller nicht gemaßregelt werden sollten, aber ich wollte, die Leute, die sich dazu für befugt halten, wären nicht körperlich und geistig vom selben trostlosen Zuschnitt. Muß Dich heute vormittag anrufen, damit Du am Nachmittag nicht das Manuskript holen kommst, ich bin nämlich nicht zu Hause. Die Schmerzen in der Brust sind heute morgen vergangen, Gott sei Dank. Nur eine kleine Erkältung, gewiß, aber es tat weh. Nun – das Buch. Da es noch sehr früh ist, suche ich nach etwas, worüber ich mich beklagen kann. Und es ist eigentlich nichts da, außer daß es sehr früh am Tag ist. Hat Dir die gestrige Arbeit gefallen? Ich fand das Begräbnis des Niggers recht gut, und es gab natürlich den Ton an für das Kommende. Die ganze Sequenz wird heute fertig. Ach Gott, da ist so viel, was ich nicht auslassen kann. Es ist wohl besser, ich mache mich ans Schreiben. Es ist inzwischen hell geworden.
9. Oktober, Dienstag, 5.30 (nochmals) Zum letztenmal so früh auf. Wir haben nur noch für das heutige Spiel Eintrittskarten, nachher nicht mehr. Es war sehr aufregend, aber mir genügt es. Wollte 304
aber nicht, ich hätte es verpaßt. Kalt heute morgen. Der Winter ist da oder ein jüngerer Verwandter von ihm. Ich bin früh am Schreibtisch, damit ich mich nicht beeilen muß. Die nächsten Szenen sind äußerst wichtig. Ich möchte, daß sie gut werden und sehr deutlich. Man darf ihnen die Mühe aber nicht anmerken. Jedenfalls wird diese Szenenfolge überleiten zum Ende des Buches. Schönes, klares, kaltes Wetter, wie ich es gern habe. Vermutlich kann ich früh Feierabend machen. Ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was kommt, aber auch für mich gibt es manchmal Überraschungen. Vier Beziehungen sind zu erledigen, wahrscheinlich alle im heutigen Pensum. Das ist eine ganze Menge. Es ist wohl am besten, ich fange gleich an.
10. Oktober, Mittwoch Ging gestern zu unserem letzten Baseballspiel und schlief heute bis neun, habe also genug geschlafen. Ich kann nicht beliebig lang schlafen, komme aber meistens zu kurz. Vielleicht funktioniere ich auf diese Art am besten. Sofern man überhaupt behaupten kann, daß ich funktioniere. Manchmal scheint mir das nicht so sicher. Ich lebe gleichsam auf dem Kamm einer Woge und warte immer darauf, daß sie sich unter mir überschlägt. Und damit habe ich wohl genug Allgemeines bemerkt, nur eines ist da noch – Es ist mir aufgefallen, daß sich in Besprechungen meiner Werke oft geradezu ein Haß auf Gedanken 305
und Betrachtungen verrät. Es scheint sich zu bestätigen, daß die Leute nur völlig Gestalt gewordene Parabeln vertragen. Jeder Versuch einer gedanklichen Verarbeitung wirkt abschreckend. Und wenn das so ist, dann wird ›Jenseits von Eden‹ bestimmt verrissen werden, es ist nämlich voll von dergleichen. Ich bin nicht sicher, wieviel ich heute schreiben kann. Vielleicht schreibe ich überhaupt nicht, ich habe ja einen Tag Vorsprung. Ich muß in diesen letzten zweieinhalb Wochen noch eine Menge überdenken. Vielleicht dauert es noch länger. Es ist noch viel zu tun, aber wie lange es dauert, kann ich erst sagen, wenn ich dazukomme. Binnen kurzem wird es jedenfalls getan sein, und dann gehört das Buch nicht mehr mir. Andere werden es übernehmen und damit schalten und walten, und es wird mir davontreiben, als hätte ich nie dazu gehört. Mir graut davor, weil man es nie mehr zurückholen kann. Es ist, wie wenn man jemandem, der mit dem Bus davonfährt, Lebwohl nachruft, und niemand kann es bei dem Motorenlärm hören. Nun steht dieses Festessen bevor, und ich habe gar keine Lust, es zu beschreiben. Sonderbar, nicht? Zugegeben, das Buch hat mir Freude bereitet, zum mindesten das Arbeiten daran, das Zusammenleben mit ihm. Wenn es fertig ist, trete ich gleichsam in eine andere Welt hinaus. Da ist es wohl gut, daß ein zweiter Band in Aussicht steht. Dieser Tag wird mir unter den Fingern zerrinnen, das sehe ich voraus. 306
Heute ist es mir einfach nicht gegeben. Alles hat etwas Betrübliches, und mit den kleinen Vorhaben klappt es nicht. Es geschieht nicht oft, daß ich in einer solchen Verfassung bin, aber heute ist es der Fall, unverkennbar.
11. Oktober, Donnerstag Gestern um 8.30 zu Bett und nahezu elf Stunden geschlafen, gewissermaßen angewidert und erschöpft, und obendrein mit viel bösen Träumen. Immerhin, ich bin zu meinem Schlaf gekommen und fühle mich ausgeruht, wenn auch etwas schlaftrunken. Will früh an die Arbeit gehen und sehen, was sich tun läßt. Eine Besprechung, wie wir sie gestern hatten, ist verfehlt und darf nicht mehr vorkommen – nämlich die kritische Würdigung eines Buches, das noch gar nicht fertig ist. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, in Zukunft werden wir uns aber davor hüten. Meine Aufgabe ist gegenwärtig, das Buch zu beenden, und nicht, es zu rechtfertigen. Eigentlich besteht meine Aufgabe noch mehr darin, dafür zu sorgen, daß das Buch nach meinen eigenen Begriffen gut wird, und alles andere zu vergessen. Die Zeit vergeht, und ich muß mit ihr vergehen. Die heutige Arbeit gehört zu den gewagten Stellen, denen wir so lange wie möglich aus dem Wege gehen. Eine der schwierigen Stellen. Aber es gibt deren viele. Dies ist nur eine davon.
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12. Oktober, Freitag Es ist auch der Tag, an dem ein gewisser Cristobal Colon die Insel San Salvador entdeckt haben soll. Für mich ist es vorläufig nur ein Freitag, das heißt, daß zwei freie Tage bevorstehen. Diese Woche war äußerst mühselig. Die Szene ist schwierig, und ich weiß nicht, ob ich sie schon habe. Die Situation hat ja auch etwas Verkehrtes. Aber hat nicht alle gute Literatur etwas Verkehrtes? Ich glaube ja. Eine Situation wird erst beschreibenswert, wenn sie etwas Verkehrtes hat. Heute bin ich guter Dinge. Auch die Arbeit wird mir sicher gut geraten. Es liegt mir sehr daran. Die Szene, die jetzt kommt, könnte man die Abrechnung nennen. Ich glaube, sie ist der Schlüssel zum Ganzen. Deshalb war mir wohl so bange davor. Aber zwei Nächte Schlaf haben mir wieder zu innerer Sicherheit verholfen, so daß ich sie mir endlich zutraue. Nur eines ist da noch zu besprechen. Ich glaube, etwas habe ich während der ganzen Arbeit an diesem Buch falsch gemacht. Du hast die Arbeit der Woche jeweils am Freitag bekommen. Das heißt, daß ich dann am Montag, zwei ganze Tage später, das zuletzt Entstandene nicht da hatte, um daran anknüpfen zu können. Wenn Du anderseits das Manuskript am Montag bekämst, könnte ich beim ersten Stück der Woche an das letzte anknüpfen. Ich weiß nicht, warum mir das nicht früher eingefallen ist. Und das sind wohl alle Nebenbemerkungen heute. Ich werde jetzt diese Szene an die Hand nehmen, die mir so zu schaffen machte. Wir werden sehen. 308
13. Oktober, Samstag Ich bin mit der Szene gestern nicht ganz zu Ende gekommen, weil ich sehr müde war und frische Kräfte brauche dafür. Bin deshalb heute früh auf, nachdem ich von selber erwachte, in Gedanken mit der Szene beschäftigt. Sie erfordert eine stille, überlegene Kraft, und über die verfüge ich gegenwärtig. Ich glaube es wenigstens. Es wird sich ja zeigen. Jetzt gilt’s.
15. Oktober, Montag Wieder ein Wochenanfang. Letzte Woche habe ich am Samstag gearbeitet, weil ich die Szene zwischen Cal und Aron beenden wollte. Sie hatte mich lange beschäftigt, und ich bin froh, daß sie jetzt vorhanden ist. Ob Du sie wirksam findest? Sie sollte etwas Verhängnisvolles haben – ein Ereignis, das trotz allem, was sich dagegen tun ließ, doch noch eintritt. Seit langem lief alles darauf hinaus. Wenn es dann eintritt, wirkt es als Schock. Du wirst mich wohl bald anrufen, oder dann rufe ich Dich an. Ich werde mein Pensum erledigen, und dann gehe ich aus, um Einkäufe zu machen und ein paar Dinge zu besichtigen. Kommst Du vielleicht mit? Wir können das noch besprechen. Das Stück heute ist halb komisch und wird mir leicht fallen nach dieser andern Szene. Die war schwierig. Ich glaube immer noch, ich werde Freitag in einer Woche mit dem ersten Entwurf fertig. Es sieht ganz danach aus. Dann werden Elaine und ich ein paar Tage 309
verreisen – allein und unter einem angenommenen Namen. Das werde ich wohl nötig haben. Und nun habe ich ein paar ganz kurze, scharf umrissene Szenen zu erledigen und mache mich wohl gleich daran.
16. Oktober [Dienstag] Heute wird es etwas langsam gehen, weil ich gestern nicht fertig wurde und heute früh dran bin, um es womöglich zu erledigen. Heute handelt es sich um eine Art Märchen. Ich habe mir das lange im Kopf herumgehen lassen, und nun ist es sicher soweit. Jedermann wird wohl etwas davon in sich selber vorfinden. Heute möchte ich gerne mit Kate fertig werden, wenn es geht. Und ich glaube, es wird gehen. Hoffentlich hat Dir die Arbeit der letzten Woche gefallen – sie gehörte zum Schwierigsten im ganzen Buch. Die heutige Geschichte finde ich recht gut.
16. Oktober, Dienstag, Fortsetzung Ich habe Dir noch gar nicht gesagt, daß ich heute um vier aufstand, um diese letzte Szene mit Cathy zu beenden. Konnte nicht schlafen, weil ich ständig daran denken mußte, und sah nicht ein, warum ich im Bett bleiben sollte, bis es hell wird. Es wird wohl ein Geheul absetzen, ich hätte Mitleid mit ihr. Das habe ich eigentlich nicht. Ich schildere das nur, wie es sich hätte abspielen können. Können, nicht sollen. Auf diese Art ist Cathy gestorben. 310
17. Oktober, Mittwoch Und Cathy ist gestorben. Ich habe gestern über dreitausend Wörter geschrieben und dazu noch ein Kaffeetischchen gezimmert. Gestern abend waren wir bei den Kazans, um ›Endstation‹* zu sehen. Wirklich ein Film, der sich sehen lassen kann. War aber ziemlich schläfrig. Möchte ihn gerne nochmals sehen, wenn ich etwas mehr auf dem Damm bin. Da ich gestern fast ein doppeltes Tagewerk schaffte, werde ich heute lediglich Joe zu Ende bringen und es dabei bewenden lassen. Morgen komme ich dann auf die anderen zurück. Ich kann nicht zuviel auf einmal tun. Will das auch gar nicht. Heute nachmittag gehen wir Marmor besichtigen, und vielleicht bestellen wir ein Stück. Das Kaffeetischchen aus Mahagoni ist fertig und sieht sehr gut aus. Heute ist Mittwoch. Morgen und Freitag werde ich den Schluß einfädeln, und nächste Woche kommt er dann dran. So habe ich Samstag und Sonntag, um ihn mir zu überlegen. Ich habe ihn mir natürlich bereits zurechtgelegt, nur die genaue Länge nicht und dergleichen. Nun sollte ich mich mit Joe befassen. Er ist wirklich ein lyrischer Charakter, findest Du nicht? – ein liebenswerter Junge. Jetzt ruft er nach mir, und ich folge dem Ruf.
* ›Endstation Sehnsucht‹ nach dem Theaterstück von Tennessee Williams.
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18. Oktober, Donnerstag Wenn es sich nicht um das letzte Dutzend Seiten handelte, würde ich mir nicht die Disziplinlosigkeit von Überstunden gestatten. Sie zahlen sich nie aus. Da aber das Ende in Sicht ist, gebe ich meiner Lust und Laune nach. Es ist zwei Uhr früh, und es zieht mich zu meinem Buch. Da ich ohnehin keinen Schlaf finde, kann ich geradesogut Text niederschreiben, statt ihn nur auszudenken. Jede zweite Nacht schlafe ich tief wie ein satter Säugling. Nicht mehr lange, und ich bin fertig. Gestern habe ich Kate und Joe abgeschlossen. Ich bin bereit für den Auftakt zum Ende, nur eines ist da noch. Das Buch muß ausgewogen sein. Alles muß im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Dies Buch ist wie kein anderes. Es ist gleichzeitig freier und gebundener als die meisten. Was nun noch kommt, ist eine Art Abgesang, und den muß ich vorbereiten. Noch bei jedem Buch, das ich schrieb, habe ich Leserbriefe erhalten, in denen jemand wissen wollte, wie ich mich zu dem Ganzen stelle. Diesmal werde ich es ihnen im voraus sagen. Und dazu bin ich nun bereit. Und ich werde das Mittel anwenden, ohne das es nicht geht. Also – lies weiter, und Du wirst sehen.
18. Oktober, immer noch Donnerstag, und nun tagt es allmählich Und nun siehst Du, Pat, warum ich dieses letzte Kapitel an die Jungen einrücken mußte. Und bekanntlich rich312
tet es sich außer an die Jungen noch an viele andere. Ich mußte das unumwunden aussprechen, weil es eben diese Art von Buch ist. Oberflächlich gesehen, gibt es darin nicht viel zu erraten. Außerdem machte die Form des Buches das Kapitel nötig. Und ich muß mein Glaubensbekenntnis ablegen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Jetzt bin ich bereit für die Handlung der letzten Seiten. Sie wird geradlinig verlaufen. Es ist jetzt November, und die Geschichte endet im April, aber dazwischen werden wir ein Stück überspringen. Nachdem ich nun mein Tagewerk vor Tagesanbruch geleistet habe, werde ich den Tag im Garten verbringen und mit Malerarbeiten oder Schreinerei. Ich habe ein Bedürfnis nach Handarbeit. Und ich sehe nicht ein, warum Du das Vorhandene nicht zur Abschrift erhalten solltest. Vielleicht bringe ich es Dir sogar. Sonst kannst Du es abholen.
22. Oktober, Montag Damit kommen wir zur letzten Woche, und ich verhehle mir nicht, daß sie mir einen Schrecken einjagt. Anders kann es wohl gar nicht sein – all diese Monate und Jahre, die in einer Richtung gingen, und plötzlich ist es vorbei, und es scheint, das Donnergepolter habe eine Maus hervorgebracht. Letzte Woche war ich äußerst erschöpft und dem Zusammenbrechen nahe. Wer noch nie auf diese Art gearbeitet hat, kann sich die Ermüdung kaum vorstellen, die sich da im Laufe der Zeit ansammelt. Mir 313
ist keine andere Arbeit bekannt, die Monat um Monat eine solche Konzentration des Gefühls und des Verstandes erfordert, obwohl es sie vielleicht gibt. Ich bin froh, daß ich drei Tage lang ausgesetzt habe. Meistens verwendete ich Schlafmittel, nur einmal ging es ohne. Kann nicht behaupten, ich sei sehr ausgeruht, aber ich glaube wenigstens die Energie aufzubringen, um zu Ende zu kommen. Dir ist wohl nicht weniger bange als mir, weil Du nicht weißt, was geschehen wird, und das einzige, was ich nicht weiß, ist, ob ich imstande bin, es geschehen zu lassen. In gewissem Sinne bin ich also besser dran als Du. Schade, daß wir es nicht öfters von der humoristischen Seite nehmen können. Schließlich ist es nur ein Buch, und keine Welten werden dadurch geschaffen oder zerstört. Aber das will man, es wird eben unverhältnismäßig wichtig. Das muß wohl sein. Der Mistkäfer muß überzeugt sein, daß er mit dem Wälzen seiner Mistkugel etwas Wesentliches tut, und ein Golfspieler taugt nichts, wenn das Schlagen eines kleinen Balls für ihn nicht das Allerwichtigste auf Erden ist. Ebenso muß ich überzeugt sein, daß dieses Buch ein kleines Weltwunder ist, und darf es nicht humoristisch nehmen. Das kann ich mir gar nicht leisten. Die Geschichte muß immer weiter gehen. Nachgerade ist sie wie eine Maschine – eingeschaltet, um gewisse Dinge zu verrichten. Und nun ist sie am Auslaufen. Und ich mache mich lieber an die Arbeit, mit dem Aufschieben ist nämlich der Geschichte kein bißchen geholfen. 314
Später. So, da ist der erste dieser letzten Tage. Und nachdem ich jetzt drinstecke, kommt es mir nicht mehr so unmöglich vor. Wie lange es wird, weiß ich aber trotzdem nicht. Es wird seinen Verlauf nehmen müssen. Eines jedoch weiß ich. Aussetzen werde ich nicht mehr, bis ich fertig bin.
23. Oktober, Dienstag Die Fronarbeit geht weiter, dem Ende entgegen. Und bei einem so langen Buch ereignen sich absonderliche Dinge am Rand. Die schwielige Stelle am Knöchel ist riesig und ganz hart, aber ich habe auch am kleinen Finger eine große Schwiele, bloß vom Umwenden der Seiten. Das Stück gestern entwickelte sich etwas anders als vorgesehen. Etwas werde ich ändern müssen. Wenn wir Nesbitt zum erstenmal begegnen, wird er Erster Hilfssheriff sein. Er diente von ’03 bis ’19. Ich erinnere mich seiner gut. Er wohnte bei uns grad um die Ecke. Heute bin ich früh an der Arbeit, und es wird wahrscheinlich spät werden, aber wenn schon. Die Szene heute ist merkwürdig – voller Andeutungen. Die Art von Szene, die man besser versteht, wenn man sie nochmals liest. Es steckt allerhand darin, was einem erst beim zweitenmal auffällt. Dergleichen schreibe ich gern. Ich finde, es schadet nichts, wenn man seine Arbeit gern tut. Nur – die Zeit drängt. Ich glaubte bestimmt, diese Woche fertig zu werden, bin aber nicht mehr sicher. Ich weiß nur 315
eines – aussetzen werde ich nicht mehr, bis ich fertig bin. Und nun gilt’s.
24. Oktober, Mittwoch Dies wird aus zwei Gründen ein strenger und grimmiger Tag werden. Heute nachmittag muß ich Bandaufnahmen machen für die Stimme Amerikas, wozu ich den Text erst noch umschreiben muß. Und das ist immer eine gewagte Sache. Zweitens ist gestern nacht etwas Sonderbares geschehen. Ich bin immer so dicht an der Geschichte, daß ich gestern nacht einen Traum hatte über das heute zu Schreibende, so verwickelt, so fremd und sonderbar, daß ich große Mühe habe, ihn abzuschütteln. Der Traum und die Wirklichkeit wollen sich nicht voneinander trennen. Ich fürchte, das wird mir Scherereien bereiten. Vielleicht bin ich noch nicht wach genug. Schade. Der verwünschte Traum war so überzeugend, aber er gehört einfach nicht zu diesem Buch. Ist das nicht gespenstisch? Gestern habe ich mir einen Regenmantel für Europa gekauft, damit ich nur einen mitnehmen muß. Auch habe ich Holz für die Türen zum Bücherzimmer gekauft, die ich selber herstellen will. Fünf Zentimeter dickes Tannenholz, und jedes Brett 52 Zentimeter breit. Schönes Holz. Ich werde lange brauchen, um sie herzurichten, will sie aber möglichst bald einhängen. Habe auch große Türangeln aus Messing gefunden, die sich wunderbar ausnehmen werden. Und 316
weißt Du, das ist alles, was das Bücherzimmer noch braucht, dann ist es fertig. Ach ja, einen Teil der Bücherschränke muß ich noch umbauen, aber das ist nicht schwierig. Ein schönes Zimmer, finde ich. Elaine hat gestern bis Mitternacht am Manuskript gearbeitet und entdeckt, daß Du noch den ganzen letzten Teil des Originals mit Beschlag belegt hast. Muß Dich heute anrufen und das in Ordnung bringen, sonst geht ihr die Arbeit aus. Heute erhält sie Einspritzungen für ihren Hals. Hoffentlich wirken sie, die Halsschmerzen bringen sie nämlich fast um den Verstand. Zweck der Übung ist, diesen Traum loszuwerden, und ich glaube, das ist allmählich der Fall. Ich habe noch etwas Kaffee getrunken und bin so gut wie bereit, mich an die Arbeit zu machen. Hoffentlich habe ich diesen muffigen Traum verscheucht. Es war kein guter Traum. Dergleichen kann ich jetzt nicht brauchen. Versuchen wir’s. So, da ist es, und hoffentlich gefällt Dir das Stück. Du wirst es mir bestimmt sagen. Sicher spürst Du auch, wie das Buch sich auf das Ende zu sammelt. Noch eine Szene, dann ein lyrisches Verbindungsstück, und dann der Schluß.
25. Oktober, Donnerstag Welch ein Tag. So schön und klar und kühl. Aber ich werde drinnen sitzen und meine Aufgabe erledigen 317
wie ein braves Kind. Und am Freitag wird es noch nicht fertig. Vielleicht am Sonntag – doch, vielleicht Sonntag, aber sicher ist es nicht – nicht einmal das. Ich habe so gewissenhaft gearbeitet, daß ich nicht am Ende noch pfuschen will. Die Jodeinspritzungen haben Elaine sehr gut getan. Hoffentlich helfen sie. Seit bald vier Jahren hat sie jetzt diese Schmerzen im Hals. Und ich weiß, wie einen das auf den Hund bringen kann. Ich habe das Fenster offen, und die Luft fühlt sich wie Seide an – knisternd kühl und gut. Das habe ich sehr, sehr gern. Heute habe ich nichts anderes vor. Gestern mußte ich diese Ansprache schreiben und dann hingehen, um sie aufnehmen zu lassen, und alles neben meinem Pensum. Und Du weißt, wie müde es mich macht, mich solcherart zu verzetteln. Viel mehr als jede Arbeit. Aber ich finde, sie ist mir trotzdem gut geraten. Elaine behauptet es wenigstens. Gestern abend hat sie bis zwei Uhr das Manuskript korrigiert, während ich in meinem Zimmer reinemachte und dabei auf Dinge stieß, die seit langer Zeit verschollen waren. Es herrschte ein solches Durcheinander, daß ich den ganzen Abend dazu brauchte. Wenn heute mein Türholz kommt, gehe ich vielleicht die Messingangeln kaufen. Es gibt da an der Third Avenue einen Laden, wo sie vielleicht zu finden sind. Bin aber heute guter Dinge, obwohl ich nicht so früh fertig werde, wie ich dachte. Ich glaube, ich brauche noch vier Tage, den heutigen eingerechnet. Vielleicht etwas weniger – aber nicht viel. Es ist einfach noch zuviel da, was nicht ausge318
lassen werden kann. Elaine klagt, Carson McCullers werde immer müde und versuche, ein Buch auf einer Seite oder zwei abzuschließen. Bin jedoch heute in einer höchst wurstigen Stimmung. So werde ich nie fertig. Mit Holz spielen, ja. Aber das darf ich nicht, also denken wir nicht daran. An die Arbeit.
27. Oktober [Samstag] Heute fühle ich mich schwach und elend, als stürze der Himmel über mir ein. Vielleicht tut er das auch. Ermüdungserscheinungen, denen ich nicht nachgeben darf. Dabei heißt es doch, eine Ruhepause sei immer von gutem. Aber sie würde zu lange dauern, und es wäre schwer, wieder ins Arbeiten zu kommen. Also werde ich eben weitermachen. Manchmal finde ich, ich sei nicht recht bei Trost, milde ausgedrückt. Werde das sobald wie möglich abschütteln. Es sieht nach Selbstbemitleidung aus, und davon kann bei mir keine Rede sein. Das gestrige Stück taugte nichts, ich mußte es streichen. Es war ein Fehler von mir zu sagen, wann ich fertig sein werde; jetzt ertappe ich mich nämlich dabei, daß ich versuche, meine Voraussage zu erfüllen. Das muß aufhören. Das Buch ist wichtiger als das Fertigwerden. Ich muß mir wieder vergegenwärtigen, daß das Buch überhaupt nie fertig wird. Nur auf diese Art wird es bis zum Schluß glatt vorankommen. Weiß der Himmel, wie ich das anstellen soll. Aber das Stück gestern war weit vom Ziel. 319
29. Oktober, Montag Ich bin noch nicht fertig, und von einem Termin will ich nichts mehr hören. Ich brauche vielleicht noch das ganze Jahr. Dieser Termin war das Schlimme. Es ist einiges dazwischengekommen, aber darauf will ich jetzt nicht eingehen. Ich erzähle Dir später davon. Meine Aufgabe besteht jetzt einfach darin, jeden Tag soviel wie möglich zu erledigen, und wenn dann die Zeit erfüllt ist, wird das Buch vielleicht doch fertig sein. Später. So – da ist dieser Tag. Da ist dieser Tag.
30. Oktober, Dienstag Es hat den Anschein, als habe ich mit dem 1. November ursprünglich nicht schlecht geraten. Nun ist Aron tot, und die Geschichte kann zu Ende gehen. Es dauert noch zwei oder vielleicht drei Tage. Es scheint rascher zu gehen, als ich dachte. Morgen werde ich mehr darüber wissen – morgen nach Erledigung meines Tagewerks. Es kommt mir endlos vor, und doch sehe ich nicht, was ich auslassen kann, ohne daß Lücken entstehen. Ich wollte, ich wäre fertig, und gleichzeitig bangt mir davor. Ob Du Dir denken kannst, wie das möglich ist? Es ist jedenfalls so. Ich suche meinen Arbeitsgeist auf Achse zu halten, so gut es geht. Heute habe ich wahrscheinlich das anstrengendste Stück des ganzen Buches vor mir. Das nehmen wir nun an die Hand. 320
31. Oktober, Mittwoch Die Tage ziehen sich in die Länge. Ich glaube das Ende abzusehen, scheue mich aber nachgerade, etwas zu behaupten. So behaupte ich denn lieber nichts. Gestern ist mir die Arbeit gut geraten, finde ich. Heute wird es mich Mühe kosten, zu einem großen Teil. Das ist gar nicht anders denkbar. Morgen ist Allerheiligen. Ich muß für die Jungen Geschenke besorgen und sie hinbringen. […] Auch beginnt sich ein Vorhaben abzuzeichnen, das ich sorgfältig durchdenken muß. Früh an der Arbeit. Nach Feierabend werden wir das Eßzimmer tapezieren. Ich habe im Sinn, mich an mein Pensum zu halten. Ich glaube, das ist bisher dem Vorankommen des Buches zugute gekommen. Und nun wohl an die Arbeit.
1. November, Donnerstag Heute sollte ich mehr oder weniger fertig werden. […] Es wird ein anstrengender Tag werden, das ist klar. Ich werde aber mein möglichstes tun. […]
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Für Pascal Covici (Ursprünglicher Entwurf einer Widmung zu ›Jenseits von Eden‹) Lieber Pat! Ich habe mich entschlossen, für dieses mein Buch, ›Jenseits von Eden‹, etwas zu schreiben, was gleichzeitig Widmung, Vorrede, Inhaltsangabe, Rechtfertigung, Nachwort und vielleicht auch Nachruf ist, alles in einem. Gewidmet ist es Dir mit all der Bewunderung und Zuneigung, die sich mir aus unserer jahrelangen, beispiellos segensreichen Verbindung ergeben haben. Dieses Buch ist Dir zugeeignet, weil Du seine Entstehung von Anfang an miterlebt hast. Eine Vorrede wird bekanntlich als letztes geschrieben, dem Buch aber vorangestellt, um seine Unzulänglichkeiten zu erklären und den Leser um Nachsicht zu bitten. Jahrelang hat der Verfasser mit seinem Buch zusammengelebt – befreundet oder verfeindet, aber so eng, wie nur Haßliebe es vermag. Und dann, plötzlich, ist das Buch fertig. Es ist gewissermaßen ein Tod. Das hier ist das Requiem. Miguel Cervantes schuf mit seinem ›Don Quijote‹ den modernen Roman. In seiner Vorrede hat er unübertrefflich ausgedrückt, wie dem Schriftsteller zumute ist – die freudige und die verzagte Stimmung. »Lieber müßiger Leser«, schrieb Cervantes, »ohne daß ich es schwöre, kannst du mir glauben, daß ich 322
von Herzen wünsche, dies Buch, das Kind meines Geistes, möge so schön, so herrlich und klug sein, wie man es sich nur immer denken kann. Aber wer kann wider die Natur? In der ganzen Welt zeugt jedes Wesen seinesgleichen –« So ist es auch bei mir, Pat. Obwohl mir manchmal war, als halte ich einen Feuerbrand, der eine Seite zum Leuchten brachte, werde ich doch das bedrükkende Gefühl der Unbeholfenheit, Unwissenheit und schmerzlichen Unfähigkeit nie ganz los. Ein Buch ist wie ein Mensch – geistreich und langweilig, tapfer und feige, schön und häßlich. Auf jede gut geratene Seite kommt eine wie ein nasser, räudiger Köter, und auf jeden Gedankenflug kommt eine Mahnung, daß Wachs die Federn allzunahe der Sonne nicht zusammenhält. Und dann ist das Buch also fertig. Es hat keinerlei Verdienst mehr. »Bringt es zurück!« möchte der Verfasser rufen. »Ich will es umarbeiten, oder noch besser – ich will es verbrennen. Laßt es in diesem Zustand nicht in die unwirtliche Kälte hinaus.« Es versteht sich, Pat, das Buch gelangt nicht vom Verfasser zum Leser. Zunächst wird es den Löwen vorgeworfen – den Lektoren, Verlegern, Kritikern, Korrektoren, Verkaufschefs. Es wird übel mit ihm umgesprungen. Und der arg mitgenommene Verfasser muß sich zur Wehr setzen. Lektor Das Buch hat Schlagseite. Der Leser erwartet eines, und Sie liefern ihm ein anderes. Sie haben zwei 323
Bücher geschrieben und sie zusammengeklebt. Da wird der Leser nicht schlau daraus. Verfasser Nein, es paßt zusammen. Ich habe über die eine Familie geschrieben und gleichzeitig Geschichten von einer anderen Familie als Kontrapunkt verwendet, als Ruhepunkte, zur Kontrastwirkung. Lektor Das wird der Leser nicht mitbekommen. Was Sie Kontrapunkt nennen, hemmt nur die Handlung. Verfasser Sie muß manchmal gehemmt werden – wie soll man sonst merken, wenn es schnell geht? Lektor Oft halten Sie die Handlung an, um Betrachtungen anzustellen über alles mögliche. Verfasser Ja, das stimmt. Ich weiß nicht, wie ich dazukam. Hatte einfach Lust dazu. Vielleicht war das ein Fehler. Lektor Mittendrin kommen Sie mit einer Geschichte von Ihrer Mutter und einem Flugzeug. Der Leser fragt sich, wo da ein Zusammenhang ist, und bei Gott, es ist überhaupt keiner da. Dergleichen macht den Leser kopfscheu. Verfasser Gewiß, das mag sein. Soll ich die Geschichte von meiner Mutter und dem Flugzeug streichen? 324
Lektor Das bleibt ganz Ihnen überlassen. Verkaufschef Das Buch ist zu lang. Die Unkosten sind gestiegen. Wir werden einen Ladenpreis von fünf Dollar ansetzen müssen. Soviel legen die Leute nicht aus. Das Buch wird sich nicht verkaufen. Verfasser Mein letztes Buch war kurz. Damals behaupteten Sie, ein dünnes Buch verkaufe sich schlecht. Korrektor Mit der zeitlichen Aufeinanderfolge stimmt vieles nicht. Es wimmelt von Verstößen gegen die Grammatik. Auf Seite so-und-so lassen Sie jemand im Welt-Almanach nach Schiffahrtstarifen suchen. Die stehen nicht drin. Ich habe das nachgeprüft. Den chinesischen Neujahrstag legen Sie auf das falsche Datum. Die Charaktere sind nicht folgerichtig. So wie Sie Liza Hamilton beschreiben, kann sie nachher nicht handeln. Lektor Cathy ist zu schwarz geraten. Das nimmt Ihnen der Leser nicht ab. Sam Hamilton ist zu weiß geraten. Das nimmt Ihnen der Leser auch nicht ab. Kein Ire hat je so geredet. Verfasser Doch, mein Großvater. Lektor Und das soll einer glauben?
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Zweiter Lektor Es gibt keine Kinder, die je so geredet haben. Verfasser verzweifelt, aufbrausend Verdammt und zugenäht, es ist mein Buch. Ich kann die Kinder reden lassen, wie ich will. Mein Buch dreht sich um die Frage von Gut und Böse. Vielleicht ist die Frage in den Text hineingeraten. Wollen Sie es drucken lassen oder nicht? Lektoren Wir wollen sehen, ob sich etwas daraus machen läßt. Viel Arbeit wird das nicht kosten. Sie wollen doch, daß es gut wird, nicht? Zum Beispiel der Schluß. Den wird der Leser nicht begreifen. Verfasser Begreifen Sie ihn? Lektor Ich ja, aber der Leser nicht. Korrektor Du meine Güte, wie Sie einen Nebensatz anschließen. Sehen Sie auf Seite so-und-so nach. So geht das, Pat. Da kommt man mit einer Schachtel voller Herrlichkeit, und am Ende steht man da mit einem Haufen feuchter Makulatur. Und aus dieser Besprechung ist ein neuer Charakter hervorgegangen, genannt: der Leser.
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Der Leser Er ist dumm, man kann ihm überhaupt nichts zutrauen. Er ist klug, er ertappt einen auf dem geringsten Versehen. Er kauft keine kurzen Bücher. Er kauft keine langen Bücher. Er ist teils schwachsinnig, teils genial – ein Schreckgespenst. Es bestehen Zweifel, ob er überhaupt lesen kann. Wenn Du mich fragst, Pat, er ist genau wie ich, gar kein fremdes Wesen. Er wird meinem Buch abgewinnen, was er dazu mitbringt. Dem Stumpfsinnigen wird es stumpfsinnig vorkommen, und der Scharfsinnige findet vielleicht Dinge darin, von denen ich selber nichts ahnte. Und genau wie er mir ähnlich ist, so ist hoffentlich mein Buch ihm ähnlich genug, daß er sich darin wiedererkennt und allerhand, auch Schönes, darin findet, wie bei einem Freund. Cervantes schließt seine Vorrede mit einer wunderhübschen Zeile. Ich will sie hersetzen, Pat, und dann bin ich zu Ende. Er sagt zum Leser: »Und hiermit Gott befohlen, der auch meiner nicht uneingedenk sein möge.« John Steinbeck New York, 1952
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Nachwort des amerikanischen Verlegers Emerson hat gesagt, er habe sich, wenn es mit dem Schreiben nicht vorwärtsging, jeweils hingesetzt und einen langen Brief an einen Freund verfaßt. Als John Steinbeck ›Jenseits von Eden‹ schrieb, begann er sein Tagewerk jeweils damit, daß er einen »Brief« an seinen Freund und Lektor, Pascal Covici, verfaßte, um so ins Schreiben zu kommen. Er benutzte dazu die blaulinierten Seiten eines 27,5 mal 35,5 cm großen Notizbuches, das Covici ihm zur Verfügung gestellt hatte. Die ersten zwei Briefe nahmen ein paar Seiten durchgehend ein; nachher blieb jeweils die linke Seite den Briefen vorbehalten, während Steinbeck, wenn er soweit war, rechts zum Text des Romans überging. Meistens schrieb er täglich zwei Textseiten voll, was bei seiner kleinen, aber deutlichen Schrift zusammen etwa 1500 Wörter ausmachte. Brief und Text wurden mit schwarzem Bleistift niedergeschrieben. Das Ganze dauerte vom 29. Januar bis zum 1. November 1951; jeden Arbeitstag entstand ein Brief, bis der erste Entwurf des Romans beendet war. Die Briefe waren in erster Linie als körperliche und geistige Vorübung gedacht, so wie man einem Pferd vor dem Rennen Bewegung verschafft. Manchmal benutzte er sie dazu, um mit sich über Fragen des bevorstehenden Abschnitts ins reine zu kommen, als »eine Art Vorbesprechung der Geschichte«, wie er einmal bemerkt. Falls er sich über die Geschichte bereits im 328
klaren war, mochte der Brief auch aus verstreuten Gedanken, aus Stilübungen oder aus bedeutenden Mitteilungen über seine Lebensumstände und die Ereignisse des Tages bestehen. Gleichzeitig äußerte er sich aber auch über den Roman, den er von allem Anfang an als sein magnum opus betrachtete; er ließ sich über die Arbeit des Schriftstellers im allgemeinen aus und faßte seine tiefsten Überzeugungen in Worte. Das Dokument, selber kein Kunstwerk, wirft ein Flutlicht auf Steinbecks Denken und auf das Entstehen eines Kunstwerks schlechthin. Auch wird der Schriftsteller und Nobelpreisträger darin als Mensch sichtbar, in seinem Verhältnis zu den beiden Söhnen, mit seinen Steckenpferden, wie Holzschnitzerei und Schreinerarbeiten, seinem Hang zu technischen Erfindungen. Es ist somit autobiographisches Material erster Güte, gewissermaßen Steinbecks Glaubensbekenntnis. Als Dokument betrachtet, das nie zur Veröffentlichung bestimmt war und auch nie überarbeitet wurde, sind diese Aufzeichnungen wohl einzigartig. Dabei gehören die Wiederholungen, ja auch die scheinbaren Belanglosigkeiten, zu ihrem dokumentarischen Charakter. Der Text, der hier vorgelegt wird, hält sich genau an die sorgfältig getippte Abschrift, die Dorothy Covici für ihren Gatten anfertigte; sie Wort für Wort mit dem Original zu vergleichen, ist eine Arbeit, die Literarhistorikern vorbehalten bleiben soll; nur an einigen wenigen Stellen, wo Steinbecks Schrift Fragen offen ließ, wurde das Manuskript herangezogen. Das Buch, nicht als historisch-kritische Ausgabe 329
gedacht, bietet den vollständigen Text, unbearbeitet, nur daß gelegentlich ein paar Zeilen, durch […] gekennzeichnet, weggelassen wurden, aus Rücksicht auf die Gefühle lebender Personen. Sonst sind lediglich Flüchtigkeitsfehler verbessert worden. In dieser Hinsicht ließ Steinbeck dem Lektor meistens freie Hand, während er sich in wichtigeren Fragen entschieden gegen das sträubte, was er »Mitarbeit« nannte. Die Datierung der Briefe wurde durchweg vereinheitlicht; falls Steinbeck ein falsches Datum unterlief, ist das richtige in eckigen Klammern hinzugesetzt worden, ebenso ein fehlendes Datum. Die Briefe beziehen sich natürlich auf den ersten Entwurf des Romans ›Jenseits von Eden‹. Nachdem dieser von einer Stenotypistin abgeschrieben worden war, nahm Steinbeck zahlreiche Verbesserungen daran vor, strich ganze Abschnitte und stellte mehrere Kapitel um. Die Briefe mit dem gedruckten Text des Romans zu kollationieren, ist eine Aufgabe, die ebenfalls künftigen Literarhistorikern überlassen werden muß. Hier wurden nur in einigen wenigen Fällen fragliche Stellen durch Fußnoten erläutert. Bei der Entstehung des Romans spielten Steinbecks Söhne – Thorn Steinbeck (»Tom« im Manuskript) und John Steinbeck IV (»Catbird«), damals sechs beziehungsweise vier Jahre alt – eine wichtige Rolle, das geht aus dem ersten Brief an Covici hervor, wie auch aus den an seine Söhne gerichteten Briefen, die ursprünglich zum Text des Romans gehörten, später jedoch weggelassen wurden. 330
Ebenfalls als Erstdruck ist im Anhang das erdachte Gespräch wiedergegeben, das von Steinbeck »Widmung, Vorrede, Inhaltsangabe, Rechtfertigung, Nachrede und womöglich Nachruf – alles in einem« genannt wurde und als Einleitung zu ›Jenseits von Eden‹ gedacht war. Er ersetzte es schließlich durch die einfachere und persönlichere Widmung, die dem gedruckten Roman vorangeht. Das – nur halbernst gemeinte – Gespräch, wie Steinbeck es zuerst entwarf, nimmt Einwände vorweg, die er von Seiten des Verlegers und des Lektors gewärtigte. Es hat natürlich nie stattgefunden, ist aber höchst aufschlußreich für das Verhältnis des Verfassers zum Verleger.
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