Seewölfe 750 1
Davis J.Harbord
Tödlicher Stahl
Bevor die Karavelle des Nikos Dragumis nach Steuerbord kenterte – auf ...
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Seewölfe 750 1
Davis J.Harbord
Tödlicher Stahl
Bevor die Karavelle des Nikos Dragumis nach Steuerbord kenterte – auf dieser Seite von den Culverinenkugeln der „Flecha“ und „Adelante“ zerhackt-, hatte sich der Grieche bereits ins Wasser fallenlassen, und zwar an der 1ackbordseite, wo ihn der Rumpf seines Schiffes gegen Kugeln und Splitter abschirmte. Dort auch, in Höhe der Kuhl, lag immer noch das Beiboot der Karavelle längsseits, und der Grieche überlegte, ob er sich in das Boot retten solle. Aber etwas Merkwürdiges passierte. Als die Karavelle nach Steuerbord zu krängen begann, zog sie die Jolle mit, so daß sich deren Bug immer mehr aus dem Wasser hob, und zwar an der Vorleine, die sich spannte wie eine Bogensaite. Fast trug die Karavelle die Jolle jetzt huckepack auf ihrer Backbordseite. Doch dann brach die Vorleine. Die Jolle überschlug sich nach hinten und klatschte kieloben ins Wasser... Die Hauptpersonen des Romans: Nikos Dragumis – genannt der Grieche, wird mit einem Gegner konfrontiert, vor dem er das Hasenpanier ergreift. Djerba – sein Bootsmann folgt ihm wie ein treuer Hund, weiß aber nicht, daß ihn sein Herr schnöde im Stich lassen wird. Licata – ein blonder Sizilianer, der plötzlich begreift, daß er das Ruder seines Lebensschiffs herumwerfen muß. Juan de Zarate – der Kommandant der „Almeria“ hat es mit zwei Gefangenen zu tun, die das reine Gift sind. Siri-Tong – die Rote Korsarin stellt sich zum Degenkampf und zeigt ihre Fechtkunst.
1. Fast wäre der Grieche im Wasser von der Jolle erschlagen worden, denn er war auf sie zugeschwommen. Dann begriff er instinktiv, daß sie ihm auch im Zustand des Kielobenschwimmens eine Chance bot, sich zu retten, eine kleine Chance, aber in dieser katastrophalen Situation war sie besser als gar nichts. Er untertauchte die Jolle, und als er den Kopf wieder aus dem Wasser streckte, befand er sich zwischen zwei Ruderbänken und hatte ein gewölbtes Dach über sich. Da schwamm er also in einem Hohlraum, der von allen Seiten in Schulterhöhe von Wasser umschlossen war und genug Luft zum Atmen in sich barg. Er hielt sich an den Ruderbänken fest und lauschte. Die Geräusche waren in seltsamer Weise verzerrt, aber doch zu unterscheiden – das dumpfe Donnern der Culverinen, das
Belfern der Drehbassen und das Peitschen der Musketen- und Tromblonschüsse. Und er hörte die Schreie der Kumpane, die im Wasser von Musketenkugeln getroffen wurden. Eine höllische Angst packte ihn, als er plötzlich daran dachte, daß es hier auch Haie gab. Waren sie nicht immer dort zur Stelle, wo Verletzte im Wasser trieben? Er tastete mit der rechten Hand nach unten an seine Hüfte. Ja, das zweischneidige Messer steckte noch dort. Er zog es aus der Lederscheide und behielt es in der rechten Hand. Die Panik, die in ihm hochgeschossen war, wich etwas. Es war finster in dem Hohlraum, der ihn einerseits beschützte, andererseits bedrückte. Er schwitzte, und er fror. Vergeblich versuchte er sich daran zu erinnern, wie das Boot gelegen hatte, als er abgetaucht war. Es fiel ihm nicht ein. Hatte der Vorsteven zum Land oder zu der
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kenternden Karavelle gewiesen? Verdammt, warum hatte er sich das nicht gemerkt! Es war wichtig, denn mit Wassertreten könnte er versuchen, das Boot in Richtung Strand zu treiben. Das scharfe, fetzende Geräusch riß ihn aus seinen Überlegungen. Etwas Heißes sauste an ihm vorbei und schlug mit einem trockenen Laut ins Holz – offenbar in die Seitenbeplankung. Aber in welche? Er wandte den Kopf nach rechts, und da war ein winziger Lichtstrahl, der durch ein kreisrundes Loch fiel, ein Loch, das eine Musketenkugel gestanzt hatte. Sie hatte auf der einen Seite die Beplankung durchschlagen, war an ihm vorbeigepfiffen und in der anderen Bordseite steckengeblieben. Wahnsinn! dachte er und stieß zischend die Luft aus. Um eine knappe Fingerbreite hatte ihn die Kugel verfehlt. Doch jetzt konnte er sich orientieren. Das bißchen Licht durch das Musketenloch ließ ihn erkennen, daß er sich zwischen der zweiten und der dritten Mittelducht befand, den Rücken dem Vorsteven und das Gesicht dem Heck zugewandt. Das Kugelloch war auf der Backbordseite der Jolle, etwa zwei Handbreiten über der Wasserlinie – über der jetzigen Wasserlinie, verbesserte er sich, denn die Jolle lag ja kieloben. Er hangelte nach Backbord, mußte sich etwas ducken und konnte jetzt durch das Loch spähen. Da war die See – aus diesem Blickwinkel ein bewegtes Wasser, glitzernd und funkelnd und rötlich überhaucht. Rötlich? Ja, rötlich. Der obere Rand der Sonne stand an der Kimm, und damit war die Lage des Bootes klar: seine Backbordseite wies nach Osten, der Vorsteven also nach Norden und die Steuerbordseite zum Land. Dort erstreckte sich der Strand der südlichen Ostseite von Eleuthera. Er atmete tief durch und drehte die Jolle um neunzig Grad nach Westen, so daß ihr Bug jetzt zum Strand gerichtet war. Er war ein bulliger Mann mit den Kräften eines Stiers, aber er mußte sich mächtig
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anstrengen, um die Jolle im Wasser herumzuhebeln. Noch immer krachten die Schüsse, hatten sich aber etwas nach Süden verlagert. Was dann folgte, war eine jähe, schmetternde Explosion, deren Druckwelle das Boot wie verrückt tanzen ließ. Da mußte eine Pulverkammer in die Luft geflogen sein. Die Karavelle von Einauge? Möglich. Der Grieche grinste hart. Wenn sich Einauge noch an Bord befunden hatte, dann war er geradewegs in die Hölle gerast – so es die gab. Kaum war das Tanzen der Jolle abgeklungen, stieß etwas an deren Steuerbordseite, die Jolle schaukelte, unter Wasser bewegte sich irgendwas, und plötzlich tauchte ein Kopf vor der Heckducht auf. Vom linken Ohr dieses Kopfes fehlte die Hälfte. Djerba! Sein Bootsmann spie keuchend einen Strahl Wasser aus, drehte dann den Kopf, entdeckte ihn – und seine Augen weiteten sich ungläubig. Offenbar hatte er seinen Kapitän längst aufgegeben und war überrascht, hier unter der Jolle auf ihn zu stoßen. „Ich bin noch nicht hinüber“, knurrte der Grieche. „Wie sieht's draußen aus?“ Draußen! Er meinte das, was sich außerhalb der Jolle befand. „Beschissen“, erwiderte Djerba und wischte sich die triefenden Haare aus dem Gesicht. „Unsere Karavelle ist gerade gesunken. Auch die von Barca“ Er schniefte. „Der Kahn von Einauge ist in die Luft geflogen – er mit. Er war noch an Bord. Diese spanischen Bastarde haben uns ganz schön den Bart versengt.“ Das war noch milde ausgedrückt. Sie lauschten, denn plötzlich waren keine Schüsse mehr zu hören. „Ob sie abziehen?“ Es war mehr eine Frage, die sich der Grieche selbst gestellt hatte, aber Djerba holte Luft und tauchte Die Jolle dümpelte unruhig. Der Grieche starrte zu der Stelle vor der Heckducht, wo Djerbas Kopf im Wasser verschwunden war. Ein paar Blasen blubberten dort noch hoch.
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Und wieder dachte der Grieche an jene fürchterliche Schrecksekunde –damals im Mittelmeer, als sich Djerba in den tödlichen Säbelhieb geworfen hatte, in den Säbelhieb des Malteserritters, der seinen, Nikos Dragumis' Hals vom Kopf vermutlich getrennt hätte. Djerba hatte den Hieb abgelenkt, aber von der Säbelklinge war ihm das halbe linke Ohr abrasiert worden. Und in der linken Schulter hatte Djerba noch heute eine tiefe Narbe. Damals, als sie La Valetta überfallen hatten, waren es diese verdammten Malteserritter gewesen, von denen ihr Angriff abgeschlagen worden war – die einzige Niederlage, die er hatte hinnehmen müssen, seit er das Handwerk der Piraterie auf eigene Faust betrieb. Ja, damals hatte er noch zwei Karavellen gehabt und sich mit ihnen zurückziehen können, auch wenn der größte Teil seiner Meute bei dem Angriff draufgegangen war. Aber jetzt hatte er drei Karavellen verloren. Drei Karavellen! Und nichts weiter war ihm geblieben als eine kieloben treibende Jolle. Djerba tauchte schnaubend im Cockpit vor der Heckducht auf, spie wieder einen Wasserstrahl aus und verkündete: „Die Hunde hauen ab und törnen südostwärts in Richtung der kleinen Insel.“ „Dann laß uns den Kahn an Land treiben“, sagte der Grieche verbissen. Sie nickten sich zu, tauchten nach außen, bewegten sich zum Heck und schoben das Boot schwimmend in Richtung des Strandes. Ringsum trieben Schiffstrümmer, sogar ein Mast, zersplittert und zerfranst, war dabei – und Tote, aber auch Verwundete, die stöhnten und jammerten oder fluchten, während sie zum rettenden Strand paddelten. Drei hingen an einer Gräting und stritten sich, dehn jeder beanspruchte sie für sich. Ein paar hatten es tatsächlich geschafft, bereits zum Land zu schwimmen. Sie hockten oder lagen keuchend im Sand, keiner kümmerte sich um den anderen. Der Schock steckte ihnen in den Knochen.
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Es war eine Szenerie, wie sie trostloser nicht sein konnte. Die Niederlage war vollkommen. Dabei konnten die Überlebendem noch von Glück sprechen, daß die Spanier nicht landeten und sie auch noch umbrachten oder kurzerhand aufknüpften. Kokospalmen waren zur Genüge vorhanden, an denen sie hätten zappeln können. Daß sich die Spanier nicht mehr um die Überlebenden kümmerten, unterstrich vielmehr die Trostlosigkeit ihrer Lage: es war nicht der Mühe wert, den Rest der Galgenvögel über den Jordan zu schicken, sie würden ohnehin über kurz oder lang ihr Dasein beenden, die Verwundeten vermutlich zuerst, die anderen, wenn sie die natürlichen Nahrungsmittelquellen der Insel aufgebraucht hatten. Sie hatten bisher vom Seeraub gelebt, und das nicht schlecht. Aber um auf einer einsamen Insel zu überleben, abgeschnitten von jeder anderen Gesellschaft, dazu gehörte mehr als das Handwerk der Piraterie. * Der Grieche und Djerba spürten Grund unter den Füßen. Sie schoben die Jolle noch ein Stück weiter auf den Strand zu, bis sie selbst im knietiefen Wasser standen. Dann wandte sich der Grieche zu den Kerlen am Land um und befahl ihnen, ihm zu helfen, die Jolle umzudrehen und auf den Strand zu ziehen. Sie saßen da wie gerupfte Geier, glotzten, und keiner rührte sich. Einer, dessen Visage von einem Messerschnitt diagonal in zwei Hälften geteilt war, knurrte: „Dreh sie doch selber um, Grieche. Uns hast du nichts mehr zu befehlen, damit das klar ist.“ Djerba watete an Land, ging zu dem Kerl, schaute auf ihn hinunter und sagte: „Steh auf, mein Freund.“ „Troll dich“, erwiderte der Kerl, „du hast hier auch nichts mehr zu vermelden.“ „Na gut“, sagte Djerba gelassen und nickte, „werde mir's merken –vor allem dann, wenn wir mit dem Boot diese Insel
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wieder verlassen. Dann darfst du nämlich zusehen, weil du hierbleibst, mein Freund.“ Der Kerl guckte verdutzt. Dann rappelte er sich hoch und sagte: „Ach so, das ist natürlich was anderes. Wenn ihr abhauen wollt, bin ich dabei.“ „Mal sehen“, sagte Djerba, nahm Maß und feuerte dem Kerl die brettharte rechte Faust unters Kinn. Es war ein mörderischer Schlag, der dem Messernarbigen den Kopf ins Genick riß. Er taumelte zurück, Djerba blieb dran, hieb ihm die Faust in den Magen, und als der Kerl zusammenknickte, flog ihm Djerbas Stiefelspitze entgegen. Sie traf punktgenau jene Stelle unter dem Kinn, wo auch die Faust gelandet war. Der Messernarbige schlug wie ein gefällter Baum zu Boden und rührte sich nicht mehr. Mit einem bösartigen Grinsen drehte sich Djerba zu den anderen Kerlen um. „Ist noch jemand der Ansicht, daß der Grieche oder ich nichts zu vermelden hätten? Er braucht es nur zu sagen.“ Sie schwiegen und sahen aus wie verprügelte Hunde. Dann stand einer auf und schlurfte zu der Jolle, wo sich der Grieche aufgebaut hatte, die Beine gegrätscht, die Arme über dem mächtigen Brustkasten verschränkt. In seinem Gesicht glitzerte verhaltene Wut. „Hoch mit euch“, sagte Djerba zu den anderen Kerlen, es waren noch fünf, aber weitere Kerle wateten an Land und warfen sich erst mal hin, erschöpft, entnervt oder kaum in der Lage, das ganze Ausmaß der plötzlichen Katastrophe zu begreifen. Die fünf Galgenvögel standen auf, bewegten sich mißmutig zu der Jolle und vermieden es, den Griechen anzusehen oder ihm zu nahe zu geraten. „Dreht sie um“, knurrte der Grieche. Sie gehorchten, wuchteten die Jolle auf den Kiel und zogen sie aus dem Wasser höher auf den sanft ansteigenden Strand. Das Musketenloch an der Backbordseite lag unter dem Wasserspiegel. Ein zurechtgeschnittener Astpflock würde genügen, das Loch abzudichten. Sobald
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das Holz später im Wasser aufquoll, würde kein Tropfen mehr durchsickern. Diese Jolle war in ihrer desolaten Lage sozusagen Gold wert. Wenn es gelang, Segeltuch aus dem Wasser zu fischen, auch Spieren und Tauwerk, dann würde es möglich sein, sie mit einem Rigg zu versehen, um mit ihr segeln zu können. Die sechs Kerle, welche die Jolle umgedreht und auf den Strand gezerrt hatten, waren unverletzt, schienen aber der Ansicht zu sein, genug getan zu haben. Jedenfalls ließen sie sich wieder im Sand nieder und taten so, als müßten sie verschnaufen. Die Abreibung, die Djerba dem Messernarbigen verpaßt hatte, war wohl noch nicht deutlich genug gewesen, um ihnen zu demonstrieren, wer hier das Zepter schwang. „Sammelt das Treibgut ein“, sagte der Grieche scharf. „Wir brauchen alles, was noch irgendwie verwertbar ist – Riemen, Segeltuch, Tauwerk, Spieren, Grätings, Öskellen, einfach alles, was ihr findet.“ „Und zu was soll das gut sein?“ fragte einer aufsässig, ein Kerl mit einem Geiergesicht und eng zusammenstehenden, stechenden Augen. „Du hast hier nicht zu fragen, sondern zu gehorchen“, erwiderte der Grieche gefährlich leise. „Ich frage aber“, sagte der Kerl trotzig. Mit einem Panthersatz war der Grieche bei ihm, riß ihn hoch wie eine Strohpuppe und zu sich heran, wobei er gleichzeitig den Glatzkopf senkte, so daß der Kerl mit seinem Geiergesicht schmerzhaft gegen seinen Schädel prallte. Der Kerl jaulte auf, und das Wasser schoß ihm in die Augen, aber der Schmerz vom Zusammenprall war nichts im Vergleich zu dem, was die Fäuste des Griechen anrichteten, der genau wußte, wo er treffen mußte und dabei auch Leber und Niere des Geiernasigen nicht aussparte, ganz abgesehen von hundsgemeinen Tiefschlägen. Von einer Gegenwehr konnte schon gar keine Rede sein, denn gleich am Anfang hatte der Kerl einen Schlag auf die Gurgel
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empfangen und war seitdem damit beschäftigt, nach Luft zu schnappen, wobei er blaurot anlief. Eine Viertelstunde später, nachdem er zu Boden gegangen war, röchelte er immer noch, aber das kümmerte niemanden, weil alle damit beschäftigt waren, teils watend, teils schwimmend Treibgut zu bergen. Von der neunzigköpfigen Meute waren dem Griechen und Djerba noch zwanzig Kerle geblieben, ein Aderlaß, der außer dem Verlust von drei Karavellen verheerend genug war. Als vier Riemen aus dem Wasser gefischt wurden, schnitt Djerba einen Holzpflock zurecht und hämmerte ihn von außen in das Musketenloch auf der Backbordseite der Jolle. Dann wurde sie zurück ins Wasser geschoben, von zwei Mann und Djerba besetzt und zu der Untergangsstelle der Karavelle des Griechen gepullt. Das Wrack war in dem klaren Wasser deutlich zu erkennen. Es lag in etwa acht Faden Wassertiefe auf dem Grund. Was jetzt begann, war in der Tat beachtlich, denn der zähe Djerba hatte sich in den Kopf gesetzt, aus dem Wrack alles abzubergen, was nicht niet- und nagelfest war. Da er als Bootsmann die Karavelle wie seine eigene Hosentasche kannte, wußte er genau, an welcher Stelle was zu holen war. Er war ein geübter und erfahrener Taucher – als Junge hatte er an der nordafrikanischen Küste nach Badeschwämmen tauchen müssen, bis er mit vierzehn Jahren ins Piratenhandwerk umgestiegen war und später bei dem Griechen angeheuert hatte. Grinsend gestand er sich jetzt ein, daß die damalige Schinderei doch was Gutes gehabt hatte. Auch die beiden anderen Kerle scheuten sich nicht, zum Wrack hinunterzutauchen, nachdem das Boot über der Karavelle verankert worden war – Djerba hatte gleich beim ersten Tauchgang einen Draggen und Tauwerk heraufgeholt. So tauchten sie abwechselnd ab –immer mit den notwendigen Pausen dazwischen – und bargen Werkzeuge, Waffen, Segeltuch, weiteres Tauwerk verschiedener
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Stärken, Fässer, Kombüseninventar, Decken, kurzum alles, was verwertbar war. Zwischenzeitlich pullten sie zurück zum Strand, um das geborgene Gut auszuladen. Der Kombüsenmann – der Korse genannt, weil er von der Insel Korsika stammte – hatte ebenfalls überlebt und ging daran, eine Kochstelle herzurichten. Die Tauchercrew hatte einen Rost aus der Kombüse mitgebracht, ebenso Säcke mit Holzkohle, die aber erst in der Sonne trocknen mußte. Gegen Mittag briet der Korse auf dem Rost Fische, und zwar Zacken-barsche, die einer der Kerle gespeert hatte, ein Neger von der nordwestafrikanischen Küste, der eine Pike als Speer benutzte, die Djerba aus der Waffenkammer geborgen hatte. Diese Hauptwaffe des damaligen Fußvolks war mit dem langen hölzernen Schaft und der langen dünnen eisernen Spitze für das Speeren von Fischen vorzüglich geeignet, und der Schwarze wußte mit dem Ding umzugehen. An Land stapelten sich allmählich die geborgenen Güter, dies umso mehr, weil die Tauchercrew auch die andere Karavelle „filzte“. Und dann brach Jubel aus, weil an Deck dieser Karavelle noch eine Jolle verzurrt gewesen war. Die Tauchercrew hebelte sie von den Klampen, schlug eine lange Vorleine am Bug an, verfuhr diese zum Strand, und jetzt konnten die Kerle die Jolle an Land ziehen. Sie war zwar beschädigt, aber der Schiffszimmermann von der Barca-Karavelle - auch er hatte das Schlamassel überstanden - erklärte, daß er die Schäden reparieren könne. Am Abend konnte der Grieche ganz zufrieden sein. Die Kerle waren wieder willig und hatten allmählich begriffen, daß sie nur überleben konnten, wenn sie zusammenhielten und das taten, was ihnen der Grieche befahl. Nachdem er den geiergesichtigen Kerl gnadenlos zusammengedroschen hatte, war der Ansatz zur Meuterei zunächst erstickt. Aber das konnte sich auch jäh ändern. Der Grieche ließ an der Südspitze der Insel einen Ausguck aufziehen, der die Spanier im Südosten bei der Insel Little San
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Salvador im Auge zu behalten hatte - auch die Nacht über. Er traute dem Frieden nicht. 2. Seit dem spanischen Angriff auf die drei Piraten-Karavellen im Morgengrauen hatten vier heimliche Beobachter zugesehen, was sich bei den Galgenvögeln tat. Es waren Siri-Tong, die Rote Korsarin, Jean Ribault, Karl von Hutten und Edmond Bayeux. Sie hatten sich gewundert, daß die Spanier bei ihrem Angriff darauf verzichtet hatten, die Schiffe der völlig überraschten Piraten zu entern. Das nämlich hatte die Rote Korsarin dem Capitan Juan de Zarate empfohlen, als sie ihn in der letzten Nacht drüben auf der kleinen Insel aufgesucht hatte, um ihm die beiden Kriegskaravellen „Flecha“ und „Andante“ zu übergeben. Beide Schiffe waren von ihr und den Mannen des Bundes der Korsaren heimlich in der Nacht gekapert und entführt worden, nachdem sich am Vortag der Grieche und seine Meute in einem rücksichtslosen Raid der beiden Karavellen bemächtigt hatten. Das war diese einmalige und im Grunde verrückte Situation gewesen, den Spaniern helfen zu wollen, jenen Spaniern, denen der Bund der Korsaren als dem Feind Nummer eins in der Karibik den Kampf angesagt hatte – jenen Spaniern auch, die sich zum Ziel gesetzt hatten, den Seewolf zu jagen. Dabei ging es letztlich auch um die Existenz des Bundes der Korsaren, der sich auf der Insel Great Abaco einen versteckten Stützpunkt geschaffen hatte. Daß sie für die Spanier und gegen die Piraten gehandelt hatten, lag ganz einfach daran, daß sie solche Galgenvögel wie die Meute des Griechen für das größere übel hielten. Und sie hatten sehr wohl etwas gegen Schnapphähne, die in ihrem Revier –rund um die Bahamainseln – auf Beutejagd gingen. Dabei waren sie in der Person des Capitans de Zarate auf einen Spanier gestoßen, der ihnen Achtung abnötigte. Dieser Mann war
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aus dem gleichen guten Holz geschnitzt wie Don Juan de Alcazar. Im Verlauf des Tages hatten Siri-Tong und ihre drei Gefährten erkannt, warum der Capitan darauf verzichtet hatte, die drei Piratenkaravellen zu entern, um damit zusätzlichen Schiffsraum für seine Mannschaften zu gewinnen. Durch ihre Spektive hatten sie beobachtet, daß die Spanier eifrig damit beschäftigt waren, ihre beiden aufgelaufenen Kriegsgaleonen „San Josefe“ und „Almeria“ zu reparieren. Beim Auflaufen waren bei beiden Galeonen die Ruder zu Bruch gegangen. Später hatten die Schnapphähne des Griechen mit ihrem Culverinen-Beschuß den beiden Schiffen erheblichen Schaden zugefügt. Die dritte spanische Kriegsgaleone, nämlich das Flaggschiff „Santa Ana“, war bei diesem Angriff in Brand geraten und hatte aufgegeben werden müssen. Capitan de Zarate hatte sich also dafür entschieden, die „San Josefe“ und die „Almeria“ wieder flottzubekommen. Wie es aussah, würde er das auch schaffen. Insofern war es nur logisch, daß er die drei Piratenkaravellen versenkt hatte. Die Mannschaft der verbrannten „Santa Ana“ konnte er auf die „San Joséfe“ und die „Almeria“ verteilen. Möglicherweise hatte de Zarate auf das Kapern der drei Piratenkaravellen auch deshalb verzichtet, weil er beim Enterkampf keine Männer verlieren wollte. Wenn es sich so verhielt, dann war das eine kluge Entscheidung und sprach für den Capitan: er setzte nicht unnötig das Leben seiner Männer aufs Spiel. Wenn er die drei Karavellen zerstörte und versenkte, entzog er den Piraten die Mittel für ihr mörderisches Handwerk. Und jene Kerle, die sich an Land hatten retten können, stellten kaum noch eine Gefahr dar. Sie würden genug damit zu tun haben, sich am Leben zu erhalten. Die vier heimlichen Beobachter bemerkten durch ihre Spektive sehr wohl, daß die Spanier aufpaßten und die Kerle im Auge behielten, die sich an Land gerettet hatten.
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Umgekehrt war das allerdings auch der Fall. Wenn Siri-Tong und ihre drei Gefährten am Morgen noch den Eindruck gehabt hatten, daß mit den Kerlen, die an Land geschwommen waren, nicht mehr viel los war, dann mußten sie im weiteren Verlauf der Geschehnisse feststellen, daß dieser Eindruck getäuscht hatte. Es waren der Grieche und sein Bootsmann, die diesen müden und desolaten Haufen wieder aufpulverten, und zwar mit handfester Untermalung. Was der Grieche mit dem geiergesichtigen Kerl angestellt hatte, war sehenswert gewesen und hatte gezeigt, daß dieser Oberschnapphahn über beachtliche Kenntnisse verfügte, wie man einen anderen mit schmerzhafter Wirkung zusammenschlug. Und der Hieb auf die Gurgel gleich zu Anfang hatte auf hundsgemeine Weise dafür gesorgt, eine Gegenwehr des Geiergesichtigen radikal auszuschalten. „Dieser glatzköpfige Piratenhäuptling ist das pure Gift“, hatte Jean Ribault bemerkt, und die anderen hatten ihm zugestimmt. Sie hatten dann doch gestaunt, was die drei Kerle bei ihren Tauchgängen alles aus den beiden gesunkenen Karavellen heraufholten – einschließlich der zweiten Jolle, an der sofort Reparaturen vorgenommen wurden. „Mir scheint“, sagte Siri-Tong nachdenklich, „daß die Kerle die Absicht haben, sich zumindest eine der beiden spanischen Karavellen zurückzuholen.“ „Woraus schließt du das?“ fragte Karl von Hutten. „Da sind einige dabei, Segel zu nähen“, erwiderte die Rote Korsarin, „und an der zweiten Jolle wird eifrig gearbeitet. Normalerweise könnten sie sich für beide Tätigkeiten Zeit lassen. Aber sie müssen sich beeilen. Die Spanier können in ein, zwei Tagen mit ihren Reparaturen fertig sein und abziehen. Dann sitzen die Galgenvögel da und müssen sich mit ihren beiden Jollen begnügen.“ „So sehe ich das auch“, sagte Jean Ribault, „aber die Jolle ist schneller repariert als die beiden Galeonen, die außerdem noch vorm
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Riff beziehungsweise vom Strand gezogen werden müssen. Ich glaube, sie brauchen für alles mindestens noch drei Tage.“ „Gut, drei Tage“, gab Siri-Tong zu. „Die Frage lautet, ob wir etwas gegen diese Halunken unternehmen. Was meint ihr?“ „Was gegen die Kerle zu unternehmen, wäre ein bißchen viel en uns verlangt“, entgegnete Jean Ribault. „Immerhin, so meine ich, sollten an die sechshundert Spanier in der Lage sein, auf sich selbst aufzupassen. Und zweiundzwanzig Schnapphähne, wie ich gezählt habe, sind wahrhaftig keine ernstzunehmenden Gegner mehr. Wir haben den Dons die beiden Karavellen zurückgebracht, und das war schon äußerst nobel von uns.“ „Finde ich auch“, äußerte der normannische Riese Edmond Bayeux. Und Karl von Hutten nickte bestätigend. „Also nichts unternehmen“, faßte die Rote Korsarin die Äußerungen ihrer drei Mitstreiter zusammen. „Vorerst jedenfalls“, sagte Jean Ribault, „was aber nicht heißen soll, daß wir nichts unternehmen, so sich das zwingend für uns ergeben sollte. Und genau das bleibt abzuwarten. Das heißt, wir beobachten weiter. Zu Taten schreiten, können wir dann immer noch.“ „Einverstanden“, sagte Siri-Tong. Sie spähte wieder durch den Kieker zu den Kerlen und entdeckte den Schwarzen, der wie eine Statue bis zu den Oberschenkeln im Wasser stand und in der erhobenen rechten Hand eine Pike hielt, deren lange dünne Spitze auf das Wasser gerichtet war. „Ts-ts!“ äußerte er verblüfft, als der Schwarze die Pike mit Wucht nach unten stieß, einen aufgespießten Fisch zutage förderte und ihn mit Schwung von der Pikenspitze weg zum Strand fliegen ließ, wo sich ein anderer Kerl den zappelnden Fisch schnappte und ihm kurzerhand einen Messergriff an den Kopf schlug. Er brachte den Fisch, offenbar einen Zackenbarsch, zu der inzwischen hergerichteten Kochstelle. Ein anderer Kerl nahm ihn dort in Empfang, weidete den Fisch aus und legte ihn über den Rost, unter dem sich bereits Holzglut befand.
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Kurz danach speerte der Schwarze drei weitere Fische, alles Prachtexemplare, die auf den Rost wanderten und dort über der Glut gegart wurden. „Erstaunlich“, äußerte Siri-Tong. Sie meinte den Schwarzen, der so geschickt mit der Pike umging. „Ich glaube, ich würde nicht einen einzigen Fisch treffen.“ Jean Ribault grinste und sagte: „Batuti von den Arwenacks kann das auch. Drüben in Afrika üben sie das, glaube ich, von klein auf.“ Da sie nördlich der Kerle ihren Beobachtungsstand hatten und der Wind aus Nordosten wehte, konnten sie den Fischbratenduft nicht riechen – aber ahnen oder sich einbilden: Jedenfalls verkündete der normannische Riese, daß es eine Zumutung sei, bei der Fischbraterei der Schnapphähne zusehen zu müssen, während einem selbst der Magen knurre. „Und der Duft!“ schwärmte er schließlich und schnupperte in der Luft. „Du kannst ja hingehen und die Kerle fragen, ob sie dir einen gebratenen Außenbordskameraden verkaufen“, sagte Jean Ribault und grinste wieder. „Bring' ich glatt fertig“, erwiderte der Riese allen Ernstes. „Wohl verrückt!“ fauchte Siri-Tong. „Ihr bleibt hier! Ich pirsche zurück zu unseren Schiffen und hole was zu essen.“ „Hurtig – hurtig, Madame, wenn ich bitten darf“, lästerte der Riese. „Und ein Schlückchen Rotwein wäre auch nicht zu verachten.“ Siri-Tong warf ihm einen schiefen Blick zu, kroch zurück und war in der nächsten Minute verschwunden, * Die Insel Little San Salvador liegt an die acht Meilen südöstlich der Südspitze von Eleuthera. Auf den Nordstrand von Little San Salvador war die spanische Kriegsgaleone „Almeria“ aufgelaufen – in der vorletzten Nacht. Da hatte nämlich Jean Ribault mit ein paar seiner Mannen
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das Ruder der Galeone blockiert und dann die Ankertrosse gekappt. Das gleiche war mit der anderen Kriegsgaleone „San Joséfe“ passiert, ein Werk Karl von Huttens und seiner Männer. Nur war die „San Josefe“, die östlich der „Almeria“ vor Anker gelegen hatte, nicht auf den Sandstrand von Little San Salvador getrieben, sondern auf die Riffbarriere, die sich von der kleinen Insel ostwärts bis zur nördlichen Westseite von Cat Island erstreckte. Da beide Galeonen über den Achtersteven abgetrieben waren, saßen sie jetzt mit ihren Hecks und geborstenen Ruderblättern fest – die „Almeria“ allerdings auf Sand und die „San Josefe“ auf der Riffbarriere. Die Reparatur des Ruderblatts auf der „San Josefe“ gestaltete sich etwas schwieriger als auf der „Almeria“, aber alle Schiffszimmerleute des Verbandes samt ihrer Gehilfen waren an der Arbeit, und sie schufteten mit verbissener Wut, auch wenn sich die Situation entspannt hatte und nicht mehr so trostlos war, seit sich die beiden Kriegskaravellen „Flecha“ und „Adelante“ wieder bei ihnen befanden. Die beiden Karavellen waren am Morgen nach ihrem überfall auf die drei Piratenkaravellen von der „Almeria“ und der „San Josefe“ vor Anker gegangen und schirmten sie ab. Ein zweites Mal, sollte es ihnen nicht passieren, buchstäblich wehrlos einem wüsten Angriff von Schnapphähnen ausgeliefert zu sein. Auf beiden Karavellen waren die Culverinen ausgerannt und feuerbereit, ebenso die Drehbassen auf den Schanzkleidern. Auf der „Flecha“, deren Kommandant, Capitan Manuel de Triana, gefallen war, hatte jetzt der Erste Offizier, der Teniente Hernan Gamboa, das Kommando übernommen, ein scharfgesichtiger, schlanker Mann, der als Pulverjunge schon bei der Armada mitgefahren war und das Debakel überlebt hatte. Er verfügte über ein gerüttelt Maß Kampfund Gefechtserfahrung und war ein guter Seemann, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hatte.
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Daß ihn Capitan de Zarate zum Kommandanten der „Flecha“ ernannt hatte, bedeutete zwar Anerkennung und war ein Vertrauensbeweis, aber das wog den Verlust des Capitans de Triana nicht auf. Er hatte diesen Offizier verehrt und wünschte, er lebte noch. Hernan Gamboa war nicht der Mann, der Genugtuung –wie viele andere – darüber empfand, durch den Tod des Kommandanten an dessen Stelle zu rücken. Die „Flecha“ ankerte vor der „San Joséfe“. Der Teniente Gamboa befand sich auf dem Achterdeck und beobachtete immer wieder durch sein Spektiv, was sich drüben auf der südlichen Ostseite von Eleuthera tat. Auch der Ausguck hatte den Auftrag, sein Hauptaugenmerk auf die im Nordwesten liegende Insel zu richten. Aufgrund seiner Meldungen und der eigenen Beobachtungen gelangte der Teniente zu der Überzeugung, daß sich diese verdammten Schnapphähne noch lange nicht geschlagen gaben. Trotz der möglichen Bedrohung durch Haie brachten die Kerle sogar die Unverfrorenheit auf, bei den beiden gesunkenen Karavellen zu tauchen und ein Stück nach dem anderen zu bergen – auch Waffen. Und zwei Jollen hatten den Beschuß am Morgen überstanden, eine mehr oder weniger beschädigt, aber an der wurde gearbeitet. Etwas weiter südlich von dem Lagerplatz, wo das geborgene Gut gestapelt wurde, hockte einer der Kerle zwischen Buschwerk und beobachtete seinerseits die Spanier. Am meisten wurmte den Teniente, daß der Häuptling dieser Mörderbande, der Glatzkopf mit dem Sichelbart, die Vernichtung seiner drei Karavellen überlebt hatte. Er war es, der diesen wüsten Haufen von Desperados mit eiserner Faust zusammenhielt – und vermutlich bereits neue Schandtaten ausheckte. Der Teniente konnte sich denken, auf welche Ziele die Pläne des Glatzkopfs gerichtet waren. Er würde baldmöglichst versuchen, eine der beiden Karavellen zu kapern – heimlich bei Nacht natürlich.
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Er ließ sich in einem Beiboot zur „Adelante“ hinüberpullen und bat, an Bord kommen zu dürfen. Capitan Miguel Cervantes empfing ihn auf dem Achterdeck und nickte ihm lächelnd zu. „Ich weiß schon, was Ihnen keine Ruhe läßt, Teniente“, sagte er. „Sie haben genauso wie ich beobachtet, was die Halunken dort drüben treiben, und das ist ja nicht eben wenig.“ „So ist es“, sagte der Teniente, „und sobald die zweite Jolle repariert ist, werden die Kerle bei Nacht versuchen, sich der ,Adelante' oder der ,Flecha` zu bemächtigen. Ich schätze, sie werden Ihr Schiff zum Ziel haben, Senor Capitan.“ „Warum meins?“ „Es liegt ein bißchen näher für die Kerle“, erwiderte der Teniente. „Genau das ist mir auch durch den Kopf gegangen“, bestätigte Capitan Cervantes und lächelte wieder. „Und was tun wir jetzt?“ „Da gibt's mehrere Möglichkeiten“, meinte der Teniente. „Sehr schön wäre zum Beispiel, mit gezieltem Beschuß die beiden Jollen derart zu zertrümmern, daß sie nicht mehr zu reparieren sind. Eine andere Möglichkeit sehe ich darin, mit einer Kompanie Seesoldaten drüben zu landen und die ganze Bande in die Hölle zu schicken. Sollte einer überleben, wird er aufgeknüpft. Eine dritte Möglichkeit wäre, tatsächlich ihren Angriff auf eine unserer beiden Karavellen abzuwarten und sie in ihren beiden Booten dann zusammenzuschießen –vorausgesetzt, wir entdecken sie rechtzeitig. Capitan Cervantes nickte bedächtig und sagte: „Wer die Wahl – hat die Qual. Ich schlage vor, wir besprechen das mit Capitan de Zarate. Schließlich ist er derjenige, der die endgültige Entscheidung als Verbandsführer zu treffen hat.“ „Selbstverständlich“, sagte der Teniente. Sie setzten mit der Jolle zur „Almeria“ über und trafen Capitan de Zarate auf dem Achterdeck an, von wo aus er die Reparaturarbeiten am Ruderblatt beobachtete und sich gleichzeitig mit den
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Schiffszimmerleuten über den Fortgang der Arbeiten beriet. Sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht war noch kantiger geworden. In den beiden letzten Nächten hatte er kaum geschlafen – und die Verantwortung über die vier verbliebenen Kriegsschiffe samt ihrer Besatzungen nahm er sehr ernst. Spurlos waren an ihm die letzten Geschehnisse auch nicht vorübergegangen, angefangen bei dem selbstverschuldeten Auflaufen des Flaggschiffs „Santa Ana“, der Unfähigkeit des Generalkapitäns de Amoro und seines Ersten Offiziers de Sarmiento, dem nächtlichen Auflaufen seiner „Almeria“ und der „San Josefe“, der feigen, aber verhinderten Flucht des Generalkapitäns und seines Ersten bis hin schließlich zu dem brutalen Überfall der Piratenbande. Nein, das alles hatte diesen geradlinigen Mann gezeichnet und tiefe Linien in seine kantigen Züge gekerbt. Dabei wog wohl am schwersten seine Enttäuschung über das erbärmliche Verhalten zweier Seeoffiziere, die zu Mördern geworden waren und die Existenz des ganzen Verbandes aufs Spiel gesetzt hatten: Don Gaspar de Amoro und Don Pedro de Sarmiento. „Senores?“ fragte er jetzt und rieb sich die Augen, als müsse er die Müdigkeit verdrängen. „Gibt's was Neues?“ „Wir haben die Kerle drüben auf Eleuthera beobachtet, Senor Capitan“, erwiderte Miguel Cervantes, „und wollten darüber Bericht erstatten.“ „Ich höre.“ Capitan Cervantes berichtete, und de Zarate hörte schweigend zu, die Arme über der Brust verschränkt. Dabei blickte er nachdenklich vor sich hin. Als Cervantes geendet hatte, sagte er: „Wir warten ab. Es geht jetzt auf den Nachmittag zu. Sollen die Kerle ihre zweite Jolle getrost reparieren –damit sind sie gut beschäftigt. Bei Tageslicht werden sie kaum angreifen. Für diese Nacht gilt natürlich erhöhte Gefechtsbereitschaft, das heißt, daß die Männer an Deck bei den Waffen schlafen müssen. Die Ausgucks
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sind doppelt zu besetzen. Wenn in der Nacht nichts passiert, dann schlage ich vor, daß Teniente Gamboa morgen früh mit der ,Flecha` ankerauf geht und den Lagerplatz der Kerle unter Beschuß nimmt, insbesondere die beiden Jollen.“ Er blickte den Teniente an und lächelte. „Ob mit Erfolg oder ohne, mein lieber Gamboa, das spielt keine Rolle. Die Kerle sollen nur begreifen, daß wir sie unter Kontrolle haben und ihnen jederzeit einheizen können. Das dürfte sie nervös werden lassen. Alles klar?“ Jawohl, Senor Capitan“, erwiderte der Teniente. 3. In dieser Nacht geschah nichts - bis auf die Sache mit Don Gaspar de Amoro und Don Pedro de Sarmiento. Beide waren ja von Capitan de Zarate ihrer Dienststellungen enthoben und als Schiffsknechte eingesetzt worden - bis zum Einlaufen in Havanna auf Kuba, wo de Zarate ein Kriegsgericht gegen sie einberufen wollte. Sie standen unter mehrfacher Anklage, und zwar wegen Vernachlässigung ihrer Dienstpflichten, wegen Mordes an dem Zweiten Offizier der „Santa Ana“ und ferner wegen Fahnenflucht unter Mitnahme der Schiffskasse. Der Mord an dem Teniente Manuel Buarcos und die Fahnenflucht waren Delikte, die von einem Kriegsgericht zweifellos mit der Todesstrafe geahndet werden würden. Die Führung über den Verband war von Capitan de Zarate übernommen worden im Einverständnis mit den anderen Kommandanten -, und er hatte völlig korrekt gehandelt, als er die beiden verbrecherischen Offiziere aus ihren Dienststellungen entfernt hatte. Er hätte sogar das Recht gehabt, die beiden Offiziere, deren Schuld einwandfrei erwiesen war, an Ort und Stelle kurzerhand aufhängen zu lassen. Er hatte es nicht getan, um sich nicht vorwerfen zu lassen, er hätte aus Rachsucht oder gar Karrieregründen so gehandelt. Den Urteilsspruch wollte er
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einem neutralen Kriegsgericht überlassen. Ein Bordkriegsgericht hier an Ort und Stelle hätte man ferner bei einer späteren Einvernahme über diese böse Geschichte für befangen erklären können - befangen in dem Sinne, daß man aus Wut oder in der ersten Erregung über die Verbrechen dieser beiden Offiziere zu schnell mit der Todesstrafe bei der Hand gewesen wäre. Capitan de Zarate hatte de Amoro und de Sarmiento der direkten Aufsicht des Profosen der „Santa Ana“ unterstellt und ihm empfohlen, die beiden Kerle als Schiffsknechte hart heranzunehmen. Sie sollten lernen, was Arbeit heißt. Der Profos wirkte zwar wie ein grober Klotz, war aber ein Mann mit einem feinen Empfinden für Recht und Unrecht. Im gewissen Sinne hatte er darunter gelitten, der Vollstrecker von Prügelstrafen zu sein, die der Generalkapitän de Amoro und sein Erster Offizier, Capitan de Sarmiento, nach Lust und Laune unzählige Male und immer wegen irgendwelcher Lappalien verhängt hatten. Bei dem früheren Kommandanten der „Santa Ana“ und seinem Ersten Offizier hatte es keine Prügelstrafen gegeben. Leider waren sie kurz vor der Atlantiküberquerung abkommandiert worden, und der Generalkapitän de Amoro sowie Capitan de Sarmiento hatten als Kommandanten beziehungsweise Erster Offizier die „Santa Ana“ übernommen. Seitdem hatte es Prügelstrafen nur so gehagelt. Die Stimmung an Bord war von Tag zu Tag und von Woche zu Woche immer gereizter und aggressiver geworden – und das bei einer Mannschaft, die unter dem früheren Kommandanten und seinem Ersten Offizier hervorragend gewesen war, vielleicht sogar einmalig. Zwei Offiziere hatten es mit ihrer Arroganz und Verachtung für das Schiffsvolk innerhalb kürzester Zeit geschafft, den guten Geist der Mannschaft zu zerstören und in ihr den Ungeist der Meuterei zu wecken. Das war das eine, was den Profosen erzürnte. Das andere war die Tatsache, daß
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er den ermordeten Zweiten Offizier, der ein feiner Kerl gewesen war, in seiner Kammer aufgefunden hatte – und es drehte ihm immer noch den Magen um, wenn er an den Anblick dieser von Degenhieben zerfetzten Leiche dachte. Sie hatten den Zweiten abgeschlachtet, anders konnte man das nicht nennen. Der Profos – er hieß Pascual Pilar – hatte sich an das gehalten, was Capitan de Zarate empfohlen hatte, und erbarmungslos darüber gewacht, daß den beiden Kerlen an Arbeit nichts erspart blieb. Am Anfang, als sie noch meinten, aufmüpfig werden zu können, hatte er sie beide erst mal gründlich verdroschen. An weiteren Knüffen und Püffen hatte es nicht gefehlt. Im Grunde waren diese beiden Adligen für körperliche Arbeit völlig ungeeignet und von daher eher eine Belastung. Beim Einsatz am Riemen in der Jolle hatte sich herausgestellt, daß sie vom Pullen nicht die geringste Ahnung hatten. Sie waren derart ungeschickt mit den Riemen umgegangen, daß sie ständig den Schlag durcheinanderbrachten. Natürlich hatte das die anderen Bootsgasten in Rage versetzt. An entsprechenden Beschimpfungen und Knüffen ihrerseits hatte es nicht gemangelt. Klar doch, daß auch sie sich an den Menschenschindern abreagierten – insbesondere an dem sehr ehrenwerten Don Pedro de Sarmiento. Diese Leuchte eines spanischen Seeoffiziers im Range eines Capitans mit der Dienststellung eines Ersten Offiziers hatte, wenn er in der Jolle irgendwohin gebracht werden sollte, ständig herumgemeckert und in seiner dümmlicharroganten Art gefragt, warum „das Pack“ faulenze und nicht, schneller pulle. Und dieser Bastard hatte offenbar in seinem ganzen Dasein als Seeoffizier noch nie einen Riemen in den Fäusten gehabt! Der Bootsgast in der Jolle, der hinter ihm gesessen hatte – auch er war wegen „Unbotmäßigkeit“ vom Ersten Offizier einmal zu zwanzig Hieben mit der Neunschwänzigen verurteilt worden –, hatte die Gunst der Stunde genutzt. Wenn
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der sehr ehrenwerte Capitan wieder mal aus dem Schlagtakt geraten war und mit seinem Riemen herumgekrebst hatte, dann hatte er ihm mit Wonne den Griff des eigenem Riemens ins Kreuz gerammt und ihn angebrüllt: „Schneller! Schneller! Will er hier faulenzen, dieser Galgenstrick, dieser Abschaum des niederen Volkes?“ Dieser Bootsgast hatte nur das wieder was der Capitan de Sarmiento ständig dem einen oder anderen einer Jollen-Crew vorgeworfen :der wie er sie beschimpft hatte. Es muß hier wiederholt werden: Sie – die Männer von der „Santa Ana“ – waren eine gute und verschworene Crew gewesen. Und jetzt zahlten sie zurück, jede Ungerechtigkeit und diese maßlose Arroganz adliger Offiziere, die in ihrem Dünkel die Männer vor dem Mast für Läuse hielten. Nein, sie hatten diese Männer noch schlimmer als Läuse behandelt: sie hatten sie entwürdigt. Allerdings war nicht bekannt, ob Läuse eine Würde hatten. Man trat sie tot oder zerquetschte sie. Damit hatte es sich. Eine Laus weniger. Na und? Nur – diese Läuse waren Menschen mit der allerdings lausigen Zähigkeit, nicht zu vergessen, wenn sie getreten wurden oder das Zerquetschen überlebt hatten. Im Grunde war das Durchwalken, das der Profos vorgenommen hatte, nur der Auftakt gewesen, aber der grimmige Pascual Pilar hatte scharf aufgepaßt, daß die Kerle nicht über die Stränge schlugen oder die beiden ehrenwerten Senores gar „außer Gefecht“ setzten. Denn sie sollten ja arbeiten, nicht wahr! Sie sollten die Schinderei und Plackerei, die sie ihrem Schiffsvolk zugemutet hatten, selbst einmal durchexerzieren und am eigenen Leibe spüren, wie es war, wenn man mit leerem Magen schuften mußte. Denn auch das hatten die Männer vorm Mast erdulden müssen: eine derart miserable Verpflegung, daß einige bereits vor Schwäche zusammengebrochen waren, was Don Gaspar und Don Pedro dahin kommentiert hatten, die Kerle wollten nur
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faulenzen. Aber sie selbst hatten gepraßt und dem Wein zugesprochen. Von ihrem eingebildeten Thron gestürzt, von der ersten Arbeit in ihrem Leben total erschlagen, von den Knüffen und Püffen zerbeult, boten die beiden Senores einen mehr als kläglichen Anblick. Sie jammerten und stöhnten, und es hätte nicht viel gefehlt, daß sie auch noch dicke Zähren des Selbstmitleids vergossen. Der Profos hatte aber sehr genau aufgepaßt und sie beobachtet. Ihm schien, daß diese beiden Halunken keineswegs bereits „auf dem Zahnfleisch“ gingen, sondern kräftig mimten und nur so taten, als seien sie am Rande eines Zusammenbruchs. Seinem Mißtrauen und seiner Aufmerksamkeit hatte es der Profos zu verdanken, daß er bemerkte, wie sich Don Pedro de Sarmiento in einem vermeintlich unbeobachteten Augenblick ein Messer aneignete, das versehentlich beim Lagerplatz auf Little San Salvador liegengeblieben war. Er hatte das Messer im Sand neben einer Kiste entdeckt, blitzschnell zugegriffen und es unter sein Hemd geschoben. Erst dann hatte er sich umgeschaut, ob jemand Zeuge geworden war. Aber da hatte ihm der Profos bereits den Rücken zugedreht und so getan, als sei er mit einem Faß beschäftigt. Im ersten Moment war Pascual Pilar versucht gewesen, dem Kerl erneut eine handfeste Abreibung zu verpassen, aber ebenso gedankenschnell hatte er sich gesagt: Nein, abwarten, mal sehen, was dieser Bastard mit dem Messer anzustellen beabsichtigt. So ungefähr glaubte er es zu wissen. Etwas verwundert war er trotzdem, denn er hätte kaum für möglich gehalten, daß dieser dümmliche Schnösel derart fix eine günstige Gelegenheit nutzen würde. Denn nachts wurden die beiden Kerle auf Befehl des Capitans de Zarate an die Nagelbank am Großmast der „Almeria“ gebunden. Da war ein Messer hervorragend geeignet, sieh der Fesseln zu entledigen. Morden konnte man mit einem Messer natürlich auch. Den ganzen Tag über
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behielt der Profos den ehemaligen Ersten scharf im Auge. Er bemerkte, daß der Kerl mit dem dicken Don Gaspar mehrmals flüsterte und der Dicke ein öliges Grinsen zeigte. Da wurde wohl erneut eine Flucht besprochen. * Am Abend, nach dem Ausscheiden sämtlicher Arbeiten und dem Backen und Banken, fesselte Pascual Pilar die beiden Senores an die Nagelbank am Großmast, aber bei Don Pedro de Sarmiento zog er die Knoten nicht allzu dicht. Das Messer steckte jetzt hinten in der Hose, wie der Profos flüchtig feststellte, obwohl er am Nachmittag bemerkt hatte, wie Don Pedro es dort hingeschoben hatte. Der Kerl hatte so getan, als kratze er sich an der rechten Seite und am Rücken. Als sei er ängstlich, der Profos könne beim Fesseln bei seinem Kumpan das Messer entdecken, maulte der dicke Don Gaspar in diesem Moment los, er könne im Stehen so schlecht schlafen. Der Profos wandte sich ihm zu und fragte; „Wer spricht denn von schlafen, du alter Schurke? Ihr sollt in euch gehen und über eure Sünden nachdenken, aber nicht schlafen.“ „Wir sind unschuldig“, lamentierte der Dicke. „Wir sind das Opfer einer Intrige, die de Zarate mit den anderen Kommandanten ausgeheckt hat, um selbst das Kommando an sich zu reißen.“ „Ach ja?“ fragte der Profos höhnisch. „Und wer ließ die ,Santa Ana` aufbrummen und war damit der eigentliche Schuldige an dem ganzen Schlamassel? Etwa auch Capitan de Zarate? Wir alle sind jedenfalls Zeugen dafür, daß er das Kommando erst übernahm, nachdem ihr Lumpenhunde den Zweiten Offizier abgeschlachtet hattet und mit der Jolle desertiert wart. Das sind die Tatsachen, und für Intrigen seid ihr wohl eher zuständig als der ehrenhafte Capitan. Und jetzt halt's Maul, du Menschenschinder, mir reicht's!“ Beide Kerle schwiegen und ließen die
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Köpfe hängen, als gingen sie — wie der Profos empfohlen hatte — in sich. Daß dem ganz gewiß nicht so war, davon war Pascual Pilar überzeugt. Im übrigen hatte er für die Nacht Diego Ordaz und Vicente Ribas ins -Vertrauen gezogen. Diego Ordaz war der Vormarsausguck gewesen, der ordnungsgemäß die Wasserverfärbung voraus gemeldet hatte, unter der das Barriereriff lag, auf das die .Santa Ana“ aufgelaufen war. Aber Don Gaspar und Don Pedro hatten einen Sündenbock gebraucht und ihn auspeitschen lassen. Das gleiche war Vicente Ribas, dem Gefechtsrudergänger und Decksältesten der „Santa Ana“ widerfahren, weil er sich für Diego Ordaz eingesetzt hatte. Wie einige der anderen Männer — und natürlich auch der Profos schliefen Ordaz und Ribas an Deck. Alle drei platzierten sich so, daß sie die Nagelbank im Auge behalten konnten. Im Grunde war es der helle Wahnsinn, wenn die beiden Kerle zum zweiten Male versuchen sollten, sich abzusetzen. Denn auf der „Almeria“ und der „San Josefe“ waren Deckswachen aufgezogen, insbesondere auf den beiden Kriegskaravellen. Auch wenn es Don Gaspar und Don Pedro gelang, von Deck in die Jolle, die längsseits lag, zu verschwinden, dann war es immer noch äußerst fraglich, ob sie sich mit dem Boot auch ungesehen davonstehlen konnten, zumal beide — wie sich herausgestellt hatte —reichlich unbedarft in der Handhabung eines Bootes waren. Andererseits, so überlegte der Profos, blieb den beiden Halunken keine andere Wahl als die Flucht. Denn für Mord an einem Offizier und Fahnenflucht — davon war der Profos überzeugt — konnte ein Kriegsgericht nur die Todesstrafe verhängen. Laut Befehl Capitan de Zarates brannte auf keinem der Schiffe eine Laterne. Die Kupferbecken mit glühender Holzkohle standen auf den beiden Kriegskaravellen für den Fall der Fälle griffbereit in den Kombüsen. Innerhalb von Sekunden
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konnten somit die Drehbassen und Culverinen abgefeuert werden, wenn die Piraten einen Angriff versuchen sollten. Der Profos lag seitlich der Nagelbank am Schanzkleid auf der Steuerbordseite. Von dort konnte er Don Pedro de Sarmiento beobachten, der wie der dicke Generalkapitän rechts neben ihm mit Front zum Achterdeck an die Nagelbank gebunden war. Der Profos hatte sich so postiert, daß er sehen konnte, was Don Pedro mit seinen Händen anstellte. Tatsächlich begann der Kerl bereits gegen. zehn Uhr — zwei Stunden vor Beginn der Hundewache — damit, an seinen Handfesseln zu zerren und zu fummeln. Offenbar hatte er es mächtig eilig und war nervös. Als der Dicke einen Zischlaut ausstieß, zuckte Don Pedro zusammen und hörte mit der Fummelei auf. Vom Achterdeck her schlenderte ein Seesoldat über die Kuhl, blieb kurz vor der Nagelbank stehen, drehte sich um und ging wieder zurück. Das Spiel der Finger des Don Pedro begann von neuem. Als sich die sowieso nicht festen Knoten lockerten, konnte er die linke Hand verdrehen. Mit der zog er das Hemd hinten aus der Hose, langte in den Bund und angelte sich das Messer. Dabei keuchte er und zitterte am ganzen Körper. Die Gabe der Kaltblütigkeit war nicht unbedingt seine Stärke. Ein erneutes Zischen des Dicken sollte wohl bedeuten, der sehr ehrenwerte Erste Offizier möge sich gefälligst am Riemen reißen. Der hörte zwar mit dem Keuchen auf, zitterte aber weiter. Ein Wunder, daß er dabei nicht das Messer verlor. Wenn er den kalten Schweiß der Angst vergoß, mußten seine Hände schon ganz glitschig sein. Der Profos spähte zu Diego Ordaz und Vicente Ribas und sah, daß sie ebenfalls wie die Luchse aufpaßten und sich nichts entgehen ließen. Auf sie war Verlaß. Ribas hatte gesagt, eher würde er verrecken, als diese beiden Schinder entwischen zu lassen. Ribas war ein Kerl aus Eisen, Diego Ordaz genauso. Als er sie hatte
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auspeitschen müssen, war kein Laut über ihre Lippen gekommen. Später in der Vorpiek hatte er sich bei ihnen entschuldigt und dafür gesorgt, daß der Feldscher ihre Rücken verarztete. Da hatten sie nur gegrinst. Der Seesoldat näherte sich wieder, blickte zu den beiden Senores und entdeckte, daß Don Pedro zitterte. „Mir – mir ist kalt“, schnatterte Don Pedro. „Morgen schwitzt du dafür umso mehr“, sagte der Seesoldat gleichmütig. „Das ist unmenschlich!“ empörte sich der dicke Don Gaspar. „Kaum so unmenschlich wie deine sogenannten Strafen mit der Neunschwänzigen, Amoro“, sagte der Seesoldat kalt, kehrte um, überquerte die Kuhl und stieg aufs Achterdeck. Don Pedro brachte es fertig, nicht mehr zu zittern. Irgendwo an Deck schnarchte ein Schläfer. Don Pedro säbelte mit dem Messer, das er jetzt in der rechten Hand hielt, am Handgelenk der Linken herum. Plötzlich hatte er beide Hände frei. Die Schnüre fielen an Deck. Er schob sich zu Don Gaspar, drehte sich etwas und schnitt dessen Handfesseln durch. Beide waren frei, nickten sich zu und schlichen in Richtung des Steuerbordniedergangs zum Achterdeck. Warum dorthin? schoß es dem Profos durch den Kopf – und wußte es im selben Moment. Sie wollten Capitan de Zarate als Geisel nehmen. Das war's! Und es war typisch für diese Schurken. Fast gleichzeitig waren der Profos, Diego Ordaz und Ribas auf den Beinen, und ebenso gleichzeitig knackten die Hähne ihrer doppelläufigen Pistolen. „Noch einen Schritt weiter“, sagte der Profos grimmig, „und ihr habt ein paar feine Löcher im Kreuz. Sarmiento – laß das Messer fallen!“ Die beiden Kerle standen wie Salzsäulen – dies umso mehr, weil auch der Seesoldat oberhalb des Niedergangs zum Achterdeck aufgetaucht war und eine Muskete auf die beiden Kerle richtete.
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Das Messer klirrte auf die Planken. Und schon greinte der sehr ehrenwerte Don Pedro de Sarmiento wieder los und redete sich um Kopf und Kragen. Der Generalkapitän habe ihm befohlen, den Seesoldaten niederzustechen, damit sie in die Kammer des Kommandanten eindringen und ihn gefangen nehmen könnten. „Na also“, sagte der Profos zufrieden und schlug ihm von hinten den Pistolengriff auf den Schädel. Das gleiche besorgte Vicente Ribas bei dem dicken Don Gaspar, der gegen das Gerede seines Ersten gerade lautstark protestieren wollte. „Diese Scheißkerle“, knurrte der Profos, blickte zu dem Seesoldaten hoch und fügte hinzu: „Sag dem Kommandanten Bescheid. Er wird entscheiden, ob wir diese Hundesöhne nicht besser gleich aufknüpfen, statt uns mit ihnen herumzuärgern.“ Der Seesoldat zeigte klar und be- fair sich zum Kommandanten. Diego Ordaz und Ribas holten Lederriemen und fesselten die beiden Kerle erneut. Der Profos bückte sich und hob das Messer auf. 4. Knapp drei Minuten später erschien Capitan de Zarate auf dem Achterdeck und stieg zur Kuhl hinunter. In seinem Gesicht waren die Linien noch härter geworden. Der Profos berichtete, und zwar von Anfang an, als de Sarmiento das Messer an sich genommen hatte. Er schloß: „Diego Ordaz und Ribas sind Zeugen für das, was de Sarmiento sagte. Die beiden Kerle planten, in Ihre Kammer einzudringen, Senor Capitan, und Sie als Geisel zu nehmen. Der Seesoldat sollte vorher umgebracht werden. Das wäre dann der zweite Mord gewesen. Soll das noch hingenommen werden?“ „Wie meinen Sie das, Profos?“ „Die Kerle sind reif für den Strick“, erwiderte der Profos hart.
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„Stimmt“, sagte Capitan de Zarate, „aber das hat ein Kriegsgericht in Havanna zu entscheiden.“ „Das respektiere ich, Senor Capitan“, entgegnete der Profos. „Aber nach allem, was vorgefallen ist, müssen wir damit rechnen, daß die Kerle ein weiteres Mal versuchen, sich dem Kriegsgericht zu entziehen. Und vor Mord schrecken sie nicht zurück. Wer wird der nächste Tote sein? Ist das zu verantworten?“ De Zarate schüttelte den Kopf. „Natürlich, nicht.“ Er überlegte und sagte dann: „Unter diesen Umständen halte ich es für besser, die beiden einzusperren und in Eisen zu schließen. Damit entfällt die Möglichkeit, daß ihnen der Zufall eine Waffe in die Hände spielt. Und Sie, Senor Pilar, brauchen nicht mehr wie ein Schießhund aufzupassen. Ganz abgesehen davon sind beide noch nicht mal als Hilfskräfte zu gebrauchen –oder irre ich?“ Der Profos grinste schief und erwiderte: „Das ist noch milde ausgedrückt, Senor Capitan. Was körperliche Arbeit betrifft, sind beide Senores absolut untauglich und für uns alle eher ein Klotz am Bein. Sollen sie in die Vorpiek gesperrt werden?“ „Ja.“ Der Capitan nickte. „In die Vorpiek mit einem Posten der Seesoldaten vor dem verschlossenen Schott.“ Er lächelte. „Sind Sie einverstanden, wenn die Seesoldaten der ,Santa Ana` diesen Wachdienst übernehmen, Profos?“ „Aber klar, Senor Capitan. Das halte ich für eine ausgezeichnete Idee“, sagte der Profos. „Unsere Leute von der ,Santa Ana` haben allen Grund, auf die beiden Halunken ganz besonders aufzupassen. Ich kümmere mich darum und bespreche das mit unserem Sargento. Wie sollen die Kerle verpflegt werden?“ „Wasser und Hartbrot“, antwortete der Capitan lakonisch. „Die beiden haben lange genug wie die Maden im Speck gelebt.“ „Geht klar, Senor Capitan“, sagte der Profos. In diesem Moment kehrte Don Pedro de Sarmiento in die rauhe Wirklichkeit zurück und gleich darauf Don Gaspar de Amoro.
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Erst zerrten sie wie wild an ihren Fesseln, dann begann wieder das Lamentieren und Wehklagen. „Es ist unerhört!“ greinte Don Gaspar, als er den Capitan erblickte, der auf ihn hinunterschaute. „Ich verlange, sofort freigelassen zu werden. So kann man mit einem Generalkapitän Seiner Majestät nicht umspringen ...“ „Man kann“, unterbrach ihn der Capitan kalt, „das ist nämlich so üblich, wenn man es mit Mördern und Deserteuren zu tun hat. Wie mir Ihr Profos gerade berichtete, planten Sie einen weiteren Mord an dem Seesoldaten, der zur Zeit die Achterdeckswache hat, und wollten mich als Geisel nehmen. Sie müssen verrückt sein, Amoro.“ „Der Profos lügt!“ sagte Don Gaspar giftig. „Er hat nur das berichtet, was de Sarmiento sagte“, entgegnete der Capitan ruhig. „Der lügt auch“, erklärte der Dicke unverfroren. „Er hatte ein Messer und wollte diesen Dingsda niederstechen ...“ Don Pedro de Sarmiento heulte auf. „Stimmt nicht! Er hatte mir befohlen, den Seesoldaten aus dem Weg zu räumen. Er! Weil er Generalkapitän ist und ich seine Befehle auszuführen habe! Das ist die Wahrheit, die ich bei meiner Ehre beschwören kann!“ „Die Ehre eines Schurken“, sagte der Capitan verächtlich. „Nun gut, es ist sinnlos, darüber zu diskutieren, vor allem dann, wenn einer ständig versucht, die Schuld auf den anderen zu schieben. Ein Kriegsgericht wird diesen ganzen Komplex zu klären haben. Bis zu diesem Zeitpunkt sehe ich mich gezwungen, Sie beide in der Vorpiek meines Schiffes in Eisen zu legen und scharf bewachen zu lassen, um weiteres Unheil zu verhindern. Sie stellen eine Gefahr für unsere Schiffe und deren Mannschaften dar, und ich habe in der von Ihnen verschuldeten Situation keine Lust mehr, mich weiter mit Ihnen herumzuärgern.“ Er wandte sich dem Profos zu. „Da fällt mir noch etwas ein, Senor Pilar. Unsere Vorpiek hat zwei Räume, den einen an Backbord, den anderen an Steuerbord. Die beiden
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Häftlinge sind getrennt einzusperren — aus Sicherheitsgründen.“ „Verstanden“, sagte der Profos grinsend. „Sie hecken sonst doch nur wieder dummes Zeug aus.“ „So ist es.“ „Ich protestiere“, sagte Don Gaspar mit schwacher Stimme. „Ich habe ein schwaches Herz und bin solchen Strapazen nicht gewachsen. Man darf mich nicht anketten.“ Capitan de Zarate runzelte die Stirn. Es war doch erstaunlich, welche Ausflüchte und Argumente —dieser Dicke hervorzauberte. Jetzt war ihm plötzlich eingefallen, daß er ein schwaches Herz hatte. Ein schwaches Herz! Nicht zu fassen! Plötzlich wurde dem Capitan klar, wie dieser Mann es geschafft haben mußte, bis zum Rang eines Generalkapitäns aufzusteigen, obwohl er weder seemännische Fähigkeiten, Stehvermögen, Führungsqualitäten, Tapferkeit, Pflichtund Verantwortungsbewußtsein vorzuweisen hatte. Aber er konnte sich hervorragend drehen und wenden und sein Mäntelchen nach dem Wind hängen. Es gab Tiere, die in Momenten der Gefahr ihre Farbe wechselten und sich ihrer Umgebung anpaßten — Eigenschaften, die auch Don Gaspar de Amoro auszeichneten. So hatte er sich durchlaviert und nie war jemandem aufgefallen, was sich hinter dieser schillernden Maske verbarg. Bei eigenem Versagen mußte er es immer so hingedeichselt haben, daß die Schuld einen anderen traf. Dieser Mann war gefährlich. Und Capitan de Zarate dachte an das Kriegsgericht in Havanna und daran, was ihm diese faszinierende, exotisch wirkende, unbekannte Frau über den Gouverneur von Kuba mit Sitz in Havanna berichtet hatte. Auch dieser Mann mußte eine schillernde, zwielichtige Persönlichkeit sein —und er war außerdem der Onkel des Don Pedro de Sarmiento! In den außerseeischen Besitzungen der spanischen Krone waren es die
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Gouverneure, von denen die höchste richterliche Gewalt ausgeübt wurde. Das hieß, daß der Gouverneur von Kuba, Don Miguel de Sarmiento, das Kriegsgericht einberufen würde und vermutlich auch dessen Vorsitz führte. Schöne Aussichten! Der Capitan gab sich einen Ruck und schüttelte die Gedanken ab, die ihn bedrängten. Dieser Gouverneur mußte von allen guten Geistern verlassen sein, wenn er sich auf die Seite des Don Gaspar und des Don Pedro, seines Neffen, schlug. Er blickte auf den Dicken hinunter, der tückisch zu ihm hochstarrte, und fragte: „Wie äußert sich das mit Ihrem schwachen Herzen, Amoro?“ „Es hämmert und zerreißt mir die Brust!“ klagte Don Gaspar. „So auch jetzt. Es schmerzt und mir wird schwarz vor Augen.“ „Lassen Sie bitte den Feldscher holen, Profos“, sagte Capitan de Zarate. Der war nach ein paar Minuten zur Stelle, wurde vom Kommandanten informiert, kniete sich neben Don Gaspar hin, nahm dessen Linke und fühlte nach dem Puls. „Kein Hämmern“, stellte er kurz darauf fest, „völlig normaler Herzschlag.“ Er stand auf und setzte gallig hinzu: „Ein Simulant! Der Kerl ist gesund wie ein Fisch im Wasser, nur etwas zu fett, weil er zuviel gefressen hat.“ Der Capitan lächelte dünn. „Pech gehabt, Amoro. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn es Ihnen die Brust zerrissen hätte – schön für uns, wohlgemerkt, denn dann brauchten wir uns Ihre Lügen nicht mehr mit anzuhören. Am Jüngsten Gericht können Sie sich allerdings nicht mehr vorbeischwindeln – und vor dem Kriegsgericht werden Männer und Offiziere dieses Verbandes unter Eid bezeugen, was Sie sich alles geleistet haben – einschließlich Ihrer Doppelzüngigkeit. Für jede Untat, für jede Unwahrhaftigkeit werden Zeugen aufmarschieren, das verspreche ich Ihnen.“ Er nickte dem Profos zu. „Bringt sie weg!“ Diese beiden Räume der Vorpiek waren bestens geeignet, Sündern die Hölle zu
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bereiten. Da war schon so mancher hartgesottene Kerl weich wie Butter geworden, insbesondere jene, deren Knöchel und Handgelenke mit Eisenmanschetten versehen wurden, von denen Ketten zu schweren Augbolzen im Balkenwerk führten. Infolge der Ketten gab es für Hände und Füße wenig Spielraum und schon gar keine Möglichkeit, sich selbst zu befreien. Noch auf der „Santa Ana“ hatten der Generalkapitän und sein Erster Offizier Männer „zur Strafe“ in die Vorpiek sperren und in Eisen schließen lassen. Jetzt durften sie am eigenen Leib erfahren, wie es war, wenn man in der Hölle schmorte. * Kaum brach der neue Tag an, da ging die Kriegskaravelle „Flecha“ gefechtsklar ankerauf und segelte unter ihrem neuen Kommandanten, dem Teniente Hernan Gamboa, hart am Wind über Backbordbug auf die südliche Ostseite von Eleuthera zu. Neun Culverinen waren auf jeder Bordseite ausgerannt, acht Drehbassen je Seite steckten in ihren Halterungen am Schanzkleid. Der Teniente lächelte grimmig, als er sah, wie aus dem Gebüsch der Süddünen ein Kerl aufsprang und brüllend zum Lagerplatz der Piratenmeute raste, als sei der Leibhaftige hinter ihm her. Und beim Lager schossen die Kerle hoch wie Kastenteufelchen, blickten sich gehetzt um, als suchten sie nach einem Fluchtweg, und wollten auch schon das Hasenpanier ergreifen, als sie die heransegelnde Karavelle entdeckten. In diesem Moment fuhr der sichelbärtige Glatzkopf dazwischen und fauchte seine Meute an, gefälligst die beiden Boote hinter die Dünen zu zerren. Da setzte es auch Fußtritte, und Maulschellen wurden verteilt. Einerseits saß ihnen die Angst im Genick, andererseits wußten sie, daß sie die Insel kaum würden verlassen können, wenn die Boote zerstört wurden. Und auch der
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Traum, eine der beiden Karavellen zu kapern, wäre dann ausgeträumt. Sie bildeten zwei Gruppen und wuchteten die Boote unter Flüchen und gegenseitigen Beschimpfungen über den Sand. Das Gelände stieg zu den Dünen hin an, und an den Dünen hängen mußten alle Kerle an eine Jolle, um sie über den Kamm zu bringen. Dahinter befand sich eine Mulde, in der das Boot einigermaßen geschützt lag. Und schon stürmten sie zurück, um die andere Jolle zu holen. Es war jene, die noch nicht fertig repariert war, sonst hätten sie nämlich in der Nacht ihre Aktion gestartet und versucht, eine Karavelle zu entern und zu entführen. Am Abend hatte der Schiffszimmermann der Barca-Karavelle die Arbeiten abbrechen müssen. Er hätte vielleicht beim Licht von Feuern weiterarbeiten können, aber das wäre riskant gewesen. Die Spanier hätten von See her aus der Dunkelheit auftauchen können – und das wäre einem Massaker gleichgekommen. Wie drüben bei den Spaniern hatte auch der Grieche dafür gesorgt, daß keine Lichter brannten –Leuchtzeichen, die einen Gegner anlockten wie Motten das Licht. Die Meute erreichte die zweite Jolle, gehetzte Blicke flogen zu der Karavelle, alle packten zu – von Panik getrieben –, und es passierte das Unwahrscheinliche, daß sie die zweite Jolle nicht über den Sand zerrten, sondern buchstäblich trugen –mit dem schweren Gewicht der Jolle liefen sie fast, und das bei weichem Sandboden und ansteigendem Strand, der am Dünenfuß noch steiler wurde. Sie keuchten, ihre Augen quollen von der Anstrengung aus den Höhlen, ihre Gesichter waren verzerrt und schweißüberströmt. Und sie schafften es, die Jolle über den Dünenkamm zu tragen, loszulassen und sie in die Mulde hinunterzuschieben. Als sie beidseits, vorn und hinten buchstäblich über den Borden hingen, krachten drei Culverinenschüsse. Wo sich der Dünenkamm befand, stießen drei Kugeln in den Sand. Drei
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Sandfontänen stoben hoch, Schwaden davon prasselten auf die Kerle nieder, die sich bäuchlings hingeworfen hatten und mit den Händen ihre Köpfe abschirmten, als befürchteten sie, der Sand könne sie verletzen. Harmloser Sand, aber da krachte ein vierter Culverinenschuß. Diese Kugel prallte auf einen Gesteinsbrocken auf dem Kamm, fetzte ihn auseinander, und messerscharfe Steinsplitter sirrten, pfiffen und jaulten durch die Luft. Mit einem Splitter in der Schläfe verschied einer der Kerle – er hatte seinen Kopf geschützt, nicht die Schläfe. Zwei andere Kerle krümmten sich, weil ihnen Steinsplitter den Achtersteven aufgeschlitzt hatten. Und alle jaulten ihre Wut und ihre Angst in den Sand – am lautesten der Grieche selbst, der am Heck der Jolle im Sand lag und nur dicht vor seiner Stirn ein scharfes Zischen gehört hatte. Und dann ein gräßliches Splittern. Als er den Kopf etwas anhob, sah er im Spiegel der Jolle unterhalb der Wasserlinie ein zerfetztes Loch, handbreit und zwei Daumen hoch. Es schien ihn anzugrinsen und zu sagen: Nun repariert das mal schön, sonst könnt ihr euch auf der Insel gleich selbst begraben! Der Grieche hämmerte die Fäuste in den Sand. Die Laute, die er ausstieß, waren kaum mehr menschlich, eher tierisch, fast einem Hirsch ähnlich, der in der Brunftzeit einen Nebenbuhler anröhrt. In explodierender Wut sprang er auf, war mit zwei wilden Sätzen auf dem Dünenkamm, schüttelte seine Fäuste in Richtung der Karavelle und brüllte wie ein Wahnsinniger. Sein Bootsmann Djerba hechtete auf ihn zu und riß ihn von den Füßen. Denn in diesem Moment brachen aus fünf Culverinenmündungen Feuerrangen. Doch die Schüsse galten nicht dem Dünenkamm, auf dem der Glatzkopf der Länge nach in den Sand stürzte. Sie waren in das Lager gezielt, wo die Kochstelle aufgebaut und das geborgene Gut aufgestapelt war.
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Die Kochstelle samt dem Rost flog auseinander, das gestapelte Zeug wirbelte nach allen Seiten durch die Luft. Innerhalb von Sekunden war alles, was Djerba und die beiden anderen Kerle aus den gesunkenen Karavellen in vielen Tauchgängen mühsam heraufgeholt und an Land geschafft hatten, ein einziger Trümmerhaufen. Die „Flecha“ glitt ein Stück nordwärts und wendete. Gleichzeitig wurden die neun leergeschossenen Culverinen auf der Backbordseite bereits wieder nachgeladen. Die Kerle hinter dem Dünenkamm hoben die Köpfe und peilten zu ihrem Lagerplatz. Der Anblick war trostlos. Der Grieche war wieder aufgesprungen, schüttelte erneut die Fäuste und brüllte mit überschnappender Stimme zu der Karavelle: „Ihr spanischen Hurenböcke! Ihr Schlappschwänze! Kommt doch her und kämpft Mann gegen Mann, wenn ihr Mumm habt!“ Höhnisches Gelächter auf der „Flecha“ war die Antwort, die den Griechen in Raserei versetzte. Er tanzte auf dem Dünenkamm herum, einen Degen in der Faust, mit dem er wild durch die Luft schlug, als kämpfe er gegen unsichtbare Geister. In diesen Augenblicken schien er etwas irre zu sein und ähnelte einem Amokläufer. „Das hat doch keinen Zweck, Nikos!“ schrie Djerba ihm zu. Und dann: „Vorsicht! Sie segeln wieder heran und feuern mit ihrer Steuerbordbreitseite!“ Die Kerle in der Mulde ergriffen die Flucht und stoben landeinwärts, um aus der Reichweite der Culverinen zu gelangen. Auch sie schrien und brüllten, aber mehr aus Angst und Panik. Und sie hatten schon gar nicht das Bedürfnis, Mann gegen Mann mit den Spaniern zu kämpfen. Der Grieche mußte verrückt sein, wenn er die Olivenfresser auch noch herausforderte. Als die ganze Breitseite der „Flecha“ mit Donnergetöse krachte, lagen sie alle platt auf dem Bauch, auch der Grieche, den sein Bootsmann ein zweites Mal umgerissen hatte. Da sie sich aber noch auf dem Dünenkamm befanden, lagen sie inmitten
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von Sandfontänen, von denen sie regelrecht zugeschüttet wurden. Der Grieche keuchte und hustete, außerdem konnte er kaum etwas sehen, weil ihm eine Ladung Sand in die Augen geflogen war. Sie tränten und schmerzten von den schmirgelnden Sandkörnern. Eine Stimme drang an sein Ohr, und sie schrie: „He, Piratenhäuptling! Das war für unsere Kameraden, die ihr als Wehrlose im Wasser zusammengeschossen habt! Auge um Auge, Zahn um Zahn! Glaubt nur nicht, ihr seid davongekommen. Wir erwischen euch noch, und dir ziehen wir den Hals lang, wenn wir dich an der Rah zappeln lassen ...“ Der Grieche sprang auf und brüllte: „Fahr zur Hölle, Spanier!“ „Wir lassen euch den Vortritt, Grieche!“ Grieche? Woher kannte der Spanier seinen Kriegsnamen? Da fiel es Nikos Dragumis ein: einer der beiden Ankerwächter auf den gekaperten Kriegskaravellen mußte vorgestern nacht was ausgeplaudert haben. „Euer Maß ist voll, Grieche!“ schrie die Stimme. „Ihr habt genug geräubert, geplündert und gemordet! Wir besuchen euch wieder – mal sehen, ob du dann immer noch das Maul aufreißt, du griechischer Hurenbock, der du selbst ein Schlappschwanz bist und keinen Mumm hast!“ Der Grieche stieß einen gräßlichen Fluch aus, wischte sich die tränenden Augen und sah undeutlich, wie die Karavelle etwas abdrehte und nach Südosten segelte, zurück zu den drei anderen Schiffen. Wieder erfüllte ihn ohnmächtige Wut und drohte ihn zu ersticken. Verhöhnt hatte ihn dieser lausige Spanier – ihn, den Schrecken des Mittelmeers, vor dem alle gezittert hatten! Aber was war geblieben? Nichts – nur Hohn und Spott. Der Grieche stöhnte auf und ließ sich schlapp in den Sand fallen. Die Einsicht, daß es besser gewesen wäre, im Mittelmeer zu bleiben, dämmerte ihm erst jetzt. 5.
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Djerba wußte, in welcher Verfassung sich sein Kapitän befand. Er ließ ihn im Sand sitzen, stieg in die Mulde hinunter und untersuchte die Jolle, deren Heck ein Steinsplitter durchschlagen hatte. Scheiße! dachte er. Dreimal verdammte Scheiße! Aber bis zum Abend mußte es zu schaffen sein, die Jolle zu reparieren – vorausgesetzt, die Spanier griffen nicht wieder an. Er ging zu dem Trümmerplatz und suchte nach Werkzeugen. Einige waren beschädigt, aber er fand noch eine Säge, Hammer, Schrappeisen, Handbeil, Hohlbeitel und Löffelbohrer. So nach und nach kam doch einiges zusammen, was noch brauchbar war. Sogar eine kleine Kiste mit handgeschmiedeten Nägeln war heil geblieben. Er brachte das Zeug in die Mulde, holte noch Bruchholz und ging an die Arbeit. Die Kerle, die landeinwärts geflüchtet waren, kehrten allmählich zurück, mit Hängeohren und verdrossenen Mienen. Er blickte nur flüchtig auf, als ihm der Schiffszimmermann aus der Barca-Crew zur Hand ging. Das Schweigen war erdrückend. Djerba kümmerte sich nicht darum. Die Kerle setzten sich faul hin und schauten zu. Plötzlich sagte einer: „Wir sind im Arsch, aber restlos.“ Einige nickten, andere schwiegen weiter. „Hör zu, Djerba“, sagte der vorherige Sprecher, „ich habe mir das überlegt und mit unseren paar Leuten, die von Barcas Mannschaft übriggeblieben sind, besprochen. Wir wollen die intakte Jolle haben und von der Insel verschwinden.“ Djerba schaute auf und blickte den Kerl an – Ruggiero hieß er, ein hitzköpfiger Sizilianer, der immer mit dem Messer schnell zur Hand war und es vorzüglich zu werfen verstand. „Du spinnst wohl“, knurrte er. „Die intakte Jolle haben der Grieche und ich an den Strand gebracht, sie gehört zu unserer Mannschaft. Wie wär's denn, wenn ihr
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euch bequemen würdet, eure Jolle zu reparieren, he?“ „Wir wollen aber eure Jolle“, entgegnete der Sizilianer stur. „Wir haben die Schnauze voll, verstehst du? Restlos voll. Sollen wir auf dieser verdammten Insel versauern? Außerdem können die Dons jederzeit wieder angreifen.“ Die Barca-Kerle hatten sich um Ruggiero versammelt. Mit ihm waren sie zehn. Der Schiffszimmermann verhielt sich neutral oder tat so, als gehöre er nicht zu dieser Gruppe. Jedenfalls arbeitete er verbissen weiter. „Was ist mit dir?“ fragte ihn Djerba. „Mit mir? Nichts. Ruggiero ist weiter nichts als ein dämlicher Hund“, erwiderte der Schiffszimmermann. „Laß dein Messer stecken!“ sagte Djerba scharf, als der Sizilianer nach dem Messer greifen wollte. „Im übrigen hat Volta recht.“ So hieß der Schiffszimmermann. „Du bist ein dämlicher Hund – mehr noch: ein selten dämlicher Hund. Und ich will dir auch verklaren, warum. Weil wir zusammenhalten müssen, wenn wir überleben wollen. Außerdem – und das weißt du sehr genau – wollen wir in dieser Nacht mit beiden Booten los und eine der beiden Karavellen kapern.“ „Nicht mit uns“, sagte Ruggiero trotzig. Die Kerle bei ihm nickten, und einer sagte: „Die Spanier warten doch nur darauf, daß wir so blöd sind und versuchen, uns eine Karavelle zu schnappen. Einmal haben wir sie leimen können, aber ein zweites Mal klappt das nicht. Außerdem – wir paar Mann gegen achtzig bis hundert Spanier, die vom Kriegshandwerk was verstehen! Wir müßten verrückt sein, sie mit zwei Booten anzugreifen.“ Und höhnisch fügte der Kerl hinzu: „Ihr habt es ja nicht mal geschafft, die Galeone zu entern, auf der Kanonen und Drehbassen von Bord gebracht worden waren. Da habt ihr einen feinen Affentanz aufgeführt, als die Tonkruken bei euch an Deck flogen, zerplatzten und glühende Holzkohlen verstreuten. Das habt ihr Fersengeld gegeben, aber uns schickte der Grieche
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vor, um die Galeone in Brand zu schießen.“ „Genauso war's!“ rief einer. „Während der Grieche türmte, durften wir kämpfen, und das gegen einen Gegner, der sich hart wehrte, nachdem die Überraschung vorbei war ...“ Er verstummte, denn oben am Muldenrand tauchte der Grieche auf. Hatte er alles mitgehört? „Was ist hier los?“ fragte er drohend. „Ruggiero und die Barca-Leute wollen unsere Jolle haben und abhauen“, erwiderte Djerba verbissen. „Sie haben die Schnauze voll, sagen sie.“ „So.“ Der Grieche stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ruggiero, eh? Das sizilianische Großmaul. Spielst du hier jetzt den Kapitän, Großmaul?“ Der Sizilianer duckte sich nicht. „Stichwort Kapitän! Unser Kapitän war Barca. Wir waren leider schon zu besoffen, um mitzukriegen, was passierte. Aber jemand sagte, du hättest ihn umbringen lassen.“ „Richtig“, knurrte der Grieche, „er erlaubte sich, frech zu werden, also sprang er über die Klinge. Was dagegen?“ Im ersten Moment war Ruggiero verblüfft. Dann zischte er: „Allerdings! Barca war ein guter Kapitän, verdammt noch mal! Hat er dir vorgerechnet, daß dein großer Coup gegen die Spanier in dem Moment schieflief, als du die Galeone entern wolltest? Und was ist jetzt? Was ist geblieben? Nichts! Nur an die zwanzig Männer und zwei Jollen – und mit denen soll eine Kriegskaravelle geentert werden! Wer ist hier das Großmaul?“ „Willst du meutern, Sizilianer?“ Der Glatzkopf des Griechen wirkte jetzt wie eine überreife Tomate. „Was für eine Frage!“ höhnte Ruggiero. „Du murkst unseren Kapitän ab, die Spanier zerschießen unsere Karavellen, nur ein paar von uns überleben – und du fragst, ob ich meutern will! Nein, wir wollen weiter überleben, und dazu brauchen wir eure Jolle. Ein gerechter Ausgleich: du hast unseren Kapitän über die Klinge springen lassen, und dafür erhalten wir die Jolle.“
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„Nein“, sagte der Grieche hart, „abgelehnt. Ihr habt auch nichts zu fordern, sondern nur zu gehorchen. Und mit Meuterern mache ich kurzen Prozeß.“ „Natürlich!“ fauchte der Sizilianer. „So einfach ist das! Wie viele willst du denn noch umbringen? Außerdem bist du nicht unser Kapitän – du bestimmt nicht, nachdem du Barca umgebracht hast.“ „Wirf mir deinen Degen hoch, Djerba!“ sagte der Grieche grollend. Er hatte seine Waffe im Sand liegenlassen. Djerba nickte. Sein Degen flog hoch zum Griechen, der ihn geschickt am Griff auffing. Auch Ruggiero hatte plötzlich einen Degen in der Faust. Die Kerle, die bei ihm gestanden hatten, wichen zurück oder zur Seite. „Komm hoch, Großmaul!“ rief der Grieche. „Wir tragen es hier oben aus!“ „Du hast mir nichts zu befehlen, du Scheißkerl!“ entgegnete der Sizilianer verächtlich. „Wenn du was von mir willst, mußt du dich schon nach unten bemühen. Ich bin nicht dein Knecht, du dreckiger Grieche!“ Die Kerle hielten alle die Luft an. So hatte noch niemand gewagt, den Griechen anzusprechen. Und wenn er beabsichtigt hatte, Nikos Dragumis zu reisen, dann war ihm das auch gelungen. Der Glatzkopf explodierte mit einem Wutgebrüll und stürmte wie ein wildgewordener Stier in die Mulde hinunter. Der Sizilianer, ein schlanker Bursche, glitt leichtfüßig zur Seite und an Djerba vorbei, der blitzschnell einen Fuß vorstellte. Ruggiero stolperte und stürzte rücklings in den Sand. Der Grieche wirbelte herum und stieß mit dem Degen zu – mit unheimlicher Wucht. Der Degen durchbohrte die Brust des Sizilianers, trat auf dem Rücken wieder hervor und nagelte ihn buchstäblich in den Sand. „Du – du feiger Mörder“, brachte Ruggiero noch hervor, bereits grau im Gesicht. Seine Augen wurden glanzlos, sein Kopf fiel nach vorn.
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Der Grieche setzte ihm einen Fuß auf die Brust, zog den Degen heraus, wischte ihn an der Hose des Toten ab, drehte sich um und musterte die Barca-Leute aus zusammengekniffenen Augen. „Noch jemand, der das Maul aufreißen will?“ fragte er und ließ den Degen durch die Luft pfeifen. Einer spuckte in den Sand und sagte: „Das war nicht sauber, Kapitän. Djerba hat Ruggiero ein Bein gestellt.“ Er hob beide Hände. „Ich habe keine Waffe, wenn du mich auch abstechen willst – bitte sehr! Aber dann fehlt dir ein weiterer Mann, wenn du die Spanier noch mal angreifen willst.“ Der Grieche reagierte merkwürdig – er lachte dröhnend und röhrte: „Du hast Mumm, mein Junge, und so was gefällt mir. Warst du nicht Takelmeister bei Barca?“ „Ja.“ „Dann bist du jetzt mein Takelmeister. An die Arbeit! Die beiden Jollen brauchen ein Rigg.“ Der Mann spuckte ein zweites Mal in den Sand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mir gefällt das nicht, Kapitän“, sagte er. „Es ist zwar richtig, daß wir zusammenhalten müssen, aber dazu gehört in dieser Situation, daß wir auch gemeinsam beraten und darüber abstimmen, was zu tun ist. Wir sind am Ende, aber du kommandierst hier herum, als habe sich nichts geändert – ad du bringst deine eigenen Leute um.“ Die Augen des Griechen waren wieder schmal geworden, und er knurrte: „Beraten, abstimmen, eh? Dazu seid ihr doch viel zu dämlich. Hier bestimmt nur einer, und das bin ich!“ „Du denkst nicht richtig, Kapitän“, sagte der Mann hart. „Im Mittelmeer hast du uns gut geführt. Hier aber wurde unser erster Beutezug zu einer totalen Niederlage. Wer hat sie zu verantworten? Wir, die wir nach deiner Meinung zu dämlich sind, um beraten zu können und abzustimmen? Den Angriff auf Kriegsschiffe der Spanier hast du befohlen – im Mittelmeer sind wir
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Kriegsschiffen ausgewichen, mit Recht, sage ich, denn sie sind stärker bestückt als die Handelsfahrer, und ihre Mannschaften sind für den Kampf gedrillt. Das war also deine Entscheidung ...“ „Barca und Einauge stimmten zu!“ fauchte der Grieche. „Beide sind tot“, erwiderte der Mann erbittert. „Unsere Schiffe gibt es nicht mehr, von an die neunzig Mann leben gerade noch zwanzig, und die haben ein Recht darauf, mitzubestimmen, wie es weitergehen soll.“ „Und wie soll es weitergehen, eurer Meinung nach?“ fragte der Grieche lauernd. „Unsere Jolle wird repariert, beide Boote erhalten ein Rigg samt Segel, und wir verlassen die Insel – in der Nacht.“ „Wohin?“ „Nach Kuba. Havanna soll eine große Hafenstadt sein. Dort fangen wir wieder klein an, bis es uns gelingt, ein kleineres Schiff zu entführen, eine Schaluppe oder vielleicht sogar eine Karavelle.“ „Zwei liegen dort drüben“, knurrte der Grieche. „Ja, allerdings, nur sind es Kriegskaravellen mit den entsprechenden Besatzungen – und sie lauern geradezu darauf, daß wir sie angreifen. Wir laufen ins offene Messer. Das hätte mit Vernunft nichts mehr zu tun, sondern wäre reiner Wahnsinn.“ „Wenn man was erreichen will, muß man was riskieren“, erklärte der Grieche. „Genug gequatscht. Es bleibt dabei: heute nacht holen wir uns eine der beiden Karavellen.“ Der Takelmeister der Barca-Crew schüttelte den Kopf und sagte: „Ohne uns. Wir haben keine Lust, Selbstmord zu begehen, denn darauf läuft's hinaus. Und die Führerrolle die du beanspruchst, steht dir nicht mehr zu – nicht nach einer totalen Niederlage ...“ Der Grieche sprang mit einem Panthersatz auf ihn zu und stieß dem wehrlosen Mann den Degen in die Brust. Nach dem Kerl, der mit einem Steinsplitter in der Schläfe gestorben war, und dem
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Sizilianer Ruggiero war der Takelmeister der dritte Tote. Die Gruppe der Überlebenden bestand nunmehr noch aus neunzehn Mann. Und der Grieche hatte wieder mal seine wilde Entschlossenheit demonstriert, sich das Heft nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Nach diesem letzten Beweis seines mörderischen Durchsetzungswillens wagte keiner der Barca-Kerle mehr, aufzumucken. Sie standen wie erstarrt da, gelähmt und unfähig, diesem bulligen Glatzkopf, der buchstäblich über Leichen ging, Paroli zu bieten. Dabei hatten sie Blankwaffen, Säbel, Schiffshauer und Messer, und der Grieche hätte kaum überlebt, wenn sie gemeinsam über ihn hergefallen wären. Der Bootsmann Djerba war diesem Monster bedingungslos ergeben und hätte gekämpft. Wie weit sich die anderen überlebenden aus der .Crew des Griechen und der Crew Kapitän Einauges beteiligt hätten, war fraglich. Zumindest mußte sie nachdenklich gestimmt haben, was Ruggiero und der Takelmeister geäußert hatten. Vielleicht hatten sie sogar begriffen, daß dieser Nikos Dragumis von einer Art Wahn befallen war. Aber keiner muckte mehr auf – und wen die grausamen schwarzen Augen des Glatzkopfes musterten, der blickte schnell weg. „An die Arbeit!“ fuhr der Grieche sie an. „Seht nach, was von dem geborgenen Gut noch brauchbar ist, Bringt es hinter die Dünen und baut dort ein neues Lager – außerhalb der Culverinenschußweite. Ein Mann bezieht wieder den Ausguck weiter südlich. Die anderen helfen bei der Jolle und kümmern sich um Rigg und Besegelung.“ Er wandte sich seinem Kombüsenmann zu, dem Korsen. „Sieh zu, daß wir was zu futtern kriegen. Nasir soll wieder Fische speeren und dir zur Hand gehen.“ Die Kerle nickten und trollten sich. Zwei wurden vom Griechen zurückgerufen und erhielten den Auftrag, die drei Toten einzugraben.
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„Die liegen hier nur rum“, sagte der Grieche abschließend, und auch diese Bemerkung war typisch, weil sie verriet, daß Nikos Dragumis ohne Gewissen war und ein Herz aus Stein hatte. Er winkte Djerba zu und stieg mit ihm auf den Dünenkamm. Leise sagte er zu ihm: „Wir müssen Barcas Kerle im Auge behalten. Ich traue den Burschen nicht. Der verdammte Sizilianer hat sie aufgesetzt.“ „Ich passe auf!“ sagte Djerba gleichmütig. „Aber ich glaube nicht, daß sie noch mal rebellieren. Du hast ihnen das Kreuz gebrochen, und das ist gut so. Eine andere Frage ist, ob sie noch was taugen, wenn wir heute nacht versuchen, uns eine der beiden Karavellen zu schnappen. Wir müssen damit rechnen, daß sie sich in der Dunkelheit heimlich verdrücken.“ „Du übernimmst ihre Jolle“, bestimmte der Grieche, „außerdem lassen wir die BarcaKerle nicht zusammen, sondern teilen sie auf.“ „Das müßte gehen, einverstanden. Wie willst du es anpacken mit der Karavelle? Die Spanier rechnen vermutlich damit, daß wir was unternehmen. Das heißt, sie werden bereit sein, uns zu empfangen.“ „Da bin ich mir gar nicht so sicher.“ Der Grieche grinste verschlagen. „Vielleicht denken sie genauso wie der Takelmeister und halten einen Angriff auf ihre Karavelle für reinen Wahnsinn. Sie glauben nicht, daß wir so verrückt sind, einen Enterversuch zu unternehmen. Und genau darin sehe ich unsere Chance. Man muß das Gegenteil von dem tun, was der Gegner von einem erwartet. Wir haben oft so gehandelt und sind dabei immer gut gefahren.“ „Stimmt.“ Djerba nickte. „Wir packen es so an“, erklärte der Grieche, „daß wir alle das Achterdeck entern, die eine Crew von Backbord die andere von Steuerbord. Und dann Müssen wir es schaffen, in die Kapitänskammer einzudringen und den Kommandanten als Geisel zu nehmen. Gelingt uns das, haben wir das Spiel so gut wie gewonnen.“
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Djerba wiegte den Kopf. „Das sind Soldaten, Nikos, keine zur See fahrenden Pfeffersäcke.“ „Fängst du jetzt auch an?“ fragte der Grieche unwirsch. „Unsinn! Du kennst mich, Aber die Tatsache bleibt nach wie vor, daß wir mit den Spaniern eine harte Nuß zu knacken haben. Das ist es auch, was den Kerlen nicht behagt.“ „Mir wär's auch lieber, einen Kauffahrer auszuheben“, knurrte der Grieche, „aber wir sind leider nicht in der Situation, uns das aussuchen zu können.“ Sie schwiegen eine Weile und starrten über das Wasser nach Südosten, wo die beiden Karavellen hei Little San Salvador vor Anker lagen, gut sichtbar, aber in ihrer derzeitigen Situation in unerreichbarer Ferne. „Verfluchte Hunde“, murmelte der Grieche. Dann bewegte er den Kopf nach rechts, weil er auf den südlichen Dünen eine Bewegung bemerkte. Der Ausguck trabte zurück, Maggio, der Italiener aus Neapel. „Was will der denn?“ Auch Djerba war aufmerksam geworden, aber Maggio brüllte und winkte nicht, also bestand keine unmittelbare Gefahr. Und die Karavellen lagen ja vor Anker. Ein paar Minuten später meldete Maggio: „Ich habe Fußspuren entdeckt, Kapitän, unten im Süden. Dachte, daß das vielleicht wichtig ist.“ „Fußspuren?“ Der Grieche runzelte die Stirn. „Frische Spuren?“ „Ziemlich frisch.“ Djerba und der Grieche wechselten einen Blick, und Djerba sagte: „Da können von unseren Leuten noch einige überlebt haben, wie?“ „Dachte ich auch erst“, sagte Maggio. „Aber diese Spuren verlaufen nur auf der Westseite der Südspitze, und zwar vom Ufer nach oben zum Dünenkamm und wieder zum Ufer zurück. Da ist auch deutlich zu sehen, daß Boote an Land gezogen wurden. Und oben auf dem Dünenkamm zwischen dem Strauchwerk sind Abdrücke, die entstehen, wenn jemand liegt. Ich stelle mir vor, daß sich
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dort Leute hingepackt und die Spanier beobachtet haben.“ „Wilde oder Eingeborene?“ fragte der Grieche. Maggio schüttelte den Kopf. „Glaube ich nicht, das sind Stiefelabdrücke.“ „Wie viele sind es?“ fragte Djerba. „Schätze, drei oder vier“, erwiderte Maggio und fügte zögernd hinzu: „Da sind allerdings auch noch Fußspuren von einem kleinen Barfußläufer, vielleicht von einem Jungen oder einem Mädchen.“ „Verrückt“, murmelte der Grieche. Sie beschlossen, sich das selbst anzusehen. Maggio hatte exakt berichtet, aber als sie alle Spuren untersuchten, wurden sie davon auch nicht schlauer. Tatsache blieb, daß an dieser Stelle Leute mit Booten am Westufer gelandet und zum Dünenkamm hochgestiegen waren. Dort hatten sie gelegen und waren dann auf demselben Weg hinunter wieder verschwunden „Behalte auch die Westseite der Insel im Auge, Maggio“, befahl der Grieche und kehrte mit Djerba zu den beiden Booten zurück. 6. Volta, der Schiffszimmermann, und seine Helfer hatten es bis zum Abend tatsächlich geschafft, die Barca-Jolle zu reparieren. Sie hatten die Bruchstellen sogar mit Pech verschließen und abdichten können. Beide Boote hatten Pfahlmasten und eine Besegelung erhalten, je ein Großsegel mit Spriet. Auf eine Fock hatten sie verzichtet. Sie mußte nicht sein, und zwei Vorsegel zu nähen, hätte zuviel Arbeitszeit verlangt, die sie nicht mehr hatten, weil sie in der Nacht angreifen wollten. Nasir, der Neger, hatte wieder Fische gespeert, die von dem Korsen gebraten worden waren. Ihren Durst stillten sie mit der Milch von Kokosnüssen, die fleißig eingesammelt worden waren. Als es bereits zu dunkeln begann, traf den Bootsmann Djerba fast der Schlag, denn er stellte fest, daß zwei Kerle fehlten, zwei Männer aus der Barca-Crew, und zwar der Messernarbige mit der geteilten Visage,
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den er am Vortag morgens zusammengeschlagen hatte, und der Kerl mit dem Geiergesicht, der von dem Griechen erbarmungslos verdroschen worden war. Der Messernarbige hieß Hanifa, der Geiergesichtige Meskin, beide waren wie ihr ermordeter Kapitän Libyer. „Wo sind diese Bastarde?“ fuhr Djerba die restlichen sechs Barca-Kerle an. „Ihr habt hier im Lager mit Hanifa und Meskin an den Segeln gearbeitet und müßt bemerkt haben, daß sie abgehauen sind.“ weiß nur von Hanifa, daß er mal hinter 'ne Palme mußte“, erwiderte einer, „und hab nicht weiter auf ihn geachtet.“ Auf welche Weise sich der geiergesichtige Meskin verdrückt hatte, vermochte keiner zu sagen. „Wir waren ja mit dem Nähen beschäftigt“, äußerte ein anderer. Djerba schäumte, der Grieche tobte. Jetzt würden nur noch siebzehn Mann versuchen, eine Karavelle in ihren Besitz zu bringen – siebzehn Kerle gegen an die neunzig oder noch mehr Spanier. „Wir suchen sie!“ sagte Djerba wild. „Nein!“ zischte der Grieche. „Das könnte gewisse andere Kerle dazu verführen, sich ebenfalls zu verziehen. Oder sie klauen sogar ein Boot, wenn das Lager nur schwach bewacht wird. Sollen sie doch zum Teufel gehen, diese Memmen. Wer seine Kameraden im Stich läßt, ist ein Hundsfott.“ Ihm mangelte es an jeglicher Einsicht, zum Beispiel an der, daß es an ihm selbst lag, wenn ihm die Kerle davonrannten. Sein erster Fehler war gewesen, von Djerba Kapitän Barca umbringen zu lassen. Wenn er dann auch noch zwei Männer aus dieser Crew erstach, dann brauchte er sich nicht zu wundern, daß ihm andere den Dienst aufkündigten, um selbst über ihr Leben bestimmen zu können. Er selbst war der Hundsfott – und noch dazu ein dreifacher Mörder. Und weder Kapitän Barca noch seine beiden Männer hatten eine Chance gehabt. Barca war von hinten erstochen worden, dem Sizilianer
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hatte Djerba ein Bein gestellt, und der Takelmeister war unbewaffnet gewesen. In diesem maroden Haufen von Galgenvögeln gab es im Grunde nur noch zwei Kerle, die sich aufeinander verlassen konnten: der Grieche und sein Bootsmann. Den fünfzehn anderen begann zu dämmern, daß sie auf die falsche Karte gesetzt hatten. So war denn die allgemeine Stimmung trübe bis finster. Sie brüteten vor sich hin, und zumindest die fünfzehn Kerle dachten, daß Meskin und Hanifa das bessere Los gezogen hatten: lieber auf einer gottverlassenen Insel noch am Leben als in ein paar Stunden mausetot, weil sich der verrückte Grieche in den Kopf gesetzt hatte, eine waffenstarrende schwimmende Festung anzugreifen. Dabei hatten sie nur die Blankwaffen. Eigentlich konnten sie sich gleich selbst die Kehle durchschneiden. Dann hatten sie's wenigstens hinter sich. Der Grieche erklärte jetzt seinen Plan, nämlich achtern auf beiden Seiten zu entern und den Kommandanten als Geisel zu nehmen. „Wenn wir dem ein Messer an die Gurgel setzen“, tönte er, „haben wir gewonnen. Denn dann zieht er den Schwanz ein, zittert um sein Leben und tut alles, was wir verlangen. Verfolgen kann uns auch niemand, weil wir ihn ja als Geisel haben. Diese Dons werden den Teufel tun, ihn zu opfern.“ Sie hörten verdrossen zu, und einer fragte: „Und wie willst du ungesehen aufs Achterdeck gelangen? Die haben doch Ausguckposten und sichten unsere Boote, bevor wir an der Bordwand sind.“ „Wir schaffen das“, erklärte der Grieche, ohne auf dieses wichtige Problem weiter einzugehen, obwohl es die Voraussetzung für alle weiteren Schritte war. „Wie schön“, sagte der Mann, und es war nicht zu überhören, daß seine Stimme höhnisch klang. „Wir schaffen das, einfach so, und die Dons sind so freundlich, zu schlafen, damit wir gemütlich an Deck steigen können.“
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„Halt's Maul, du Dummkopf!“ fauchte der Grieche gereizt. Der Mann – auch einer aus der Barca-Crew – schwieg. Wenn er noch etwas sagte, das wußte er, dann würde er der vierte Tote sein. Und er wußte in diesem Moment noch etwas anderes: daß dieses Unternehmen nämlich ein Fiasko werden würde. Der Plan des Glatzkopfs war kein Plan, sondern ein Aberwitz, die fixe Idee eines Geistesgestörten. Der Grieche schwafelte weiter, wie sie mit der Kriegskaravelle in der Karibik Beute reißen würden, aber der Mann hörte nicht mehr zu. Er war wie Ruggiero Sizilianer und hieß Licata – gleichnamig mit dem Hafen an der Südküste der Insel, wo ihn seine unbekannte Mutter nach der Geburt auf der Kirchenschwelle abgelegt hatte. Im Gegensatz zu dem heißblütigen Ruggiero, mit dem ihn eine Freundschaft verbunden hatte, war er eher ruhig und überlegt. Vielleicht hing das damit zusammen, daß er Normannenblut haben mußte. Denn er war blond, blauäugig und von hohem Wuchs. Aus dem Waisenhaus war er ausgerissen und schon als Junge auf Handelsschiffen zur See gefahren, sowohl im Mittelmeer als auch an der europäischen Westküste. Vor ein paar Jahren hatte er in einer Hafenspelunke am Mittelmeer einen über den Durst getrunken und war auf der Karavelle Kapitän Barcas wieder aufgewacht. Bei der nächsten Gelegenheit hatte er wieder „abmustern“ wollen, aber dann war er geblieben, weil ihm das ungebundene Leben an Bord des Piratenschiffes irgendwie doch gefallen hatte. Er war ein guter Kämpfer, aber kein Halsabschneider und keineswegs verroht. Insofern unterschied er sich von seinen Kumpanen. Zu dieser Stunde stand für ihn fest, daß er wie Meskin und Hanifa verschwinden würde. Ruggiero war tot, nichts verband ihn mehr mit diesem desperaten Haufen von Galgenvögeln, die sich vor einem Mann duckten, der seine eigenen Genossen umbrachte und vom Teufel besessen war.
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Er wog seine Chancen genau ab und gelangte zu dem Schluß, daß sie gar nicht so schlecht standen. Im Gegensatz zu den meisten Seeleuten war er ein schneller und ausdauernder Läufer. Von einer Verfolgung würde der Grieche absehen. Er konnte sie sich gar nicht leisten, wenn er nicht noch mehr Männer verlieren wollte. Das hatte er selbst angedeutet. Licata entging nicht, daß Djerba immer wieder zu ihm blickte. Dieser Bastard war mißtrauisch bis auf die Knochen – und verschlagen. Aber diesen Kerl auszuschalten, war eine einfache Sache. Blieb noch der Grieche, aber der würde bestimmt nicht hinter ihm herlaufen und möglicherweise viel zu verblüfft sein, daß einer mitten aus diesem Kreis die Flucht wagte. Es wird klappen, sagte sich Licata und spannte Muskeln und Sehnen für den entscheidenden Aufsprung aus der Hocke. Als Djerba wieder den Kopf drehte und zu ihm blickte, handelte der blonde Riese. Seine rechte Hand, voll mit Sand, flog vor, und Djerba empfing die gesamte Ladung aufs Gesicht, vor allem in die Augen. Gleichzeitig schnellte Licata hoch und zur Seite und war mit ein paar riesigen Panthersätzen seiner langen Beine in der Dunkelheit verschwunden. Und er lief wie noch nie in seinem Leben. Der Grieche brüllte wie ein Stier, Djerba nicht minder. Es war eine schöne musikalische Begleitung, vor allem deswegen, weil sie verriet, daß weder der Grieche noch Djerba ihn verfolgten. Denn das Brüllen wurde immer leiser. Sie wagten nicht, die Boote zu verlassen. Licata trabte nordwärts. Frei – endlich frei! dachte er. * „Bleib stehen, Freundchen!“ sagte die Stimme, und sie gehörte zu einer Gestalt, die mit dem Stamm einer Palme verschmolz. Aber der Musketenlauf war deutlich sichtbar und auf ihn gerichtet. Und eine andere Stimme hinter ihm sagte: „Ich habe eine doppelläufige Pistole, deren
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Läufe auf dein Kreuz zielen, Freundchen. Insofern ist es besser, wenn du vorsichtig dein Entermesser ziehst und es in den Sand fallen läßt.“ Plötzlich standen noch zwei Personen links und rechts von ihm, Musketen im Hüftanschlag. Sie mußten im Buschwerk versteckt gewesen sein. Licata stand ganz still und biß die Zähne aufeinander. Die Spanier mußten im Norden gelandet sein, um von hier aus nach Süden vorzustoßen und die Piratenmeute auszuheben. Es war aus. Oder sollte er kämpfen? „Wer seid ihr?“ fragte er. Der Mann hinter ihm sagte: „Nachtgeister, Freundchen. Und wer bist du?“ „Ich heiße Licata.“ „Licata - Licata“, wiederholte der Mann. „Ist das nicht eine Hafenstadt an der Südküste von Sizilien?“ „Stimmt, dort wurde ich geboren – jedenfalls fanden mich Padres dort auf der Kirchenschwelle.“ „Wieder mal so ein armes Balg“, sagte der Mann, „das nicht weiß, wo es hingehört und sich später aus Trotz gewissen Galgenstricken anschließt, die unter einem gewissen Griechen morden und rauben.“ „Ich habe sie verlassen“, sagte Licata trotzig, „und will mit ihnen nichts mehr zu tun haben.“ „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, sagte der Mann spöttisch. „Ich bin keine Ratte“, sagte Licata, wirbelte herum, schlug die Pistole zur Seite und hämmerte dem Mann die Faust unters Kinn – ein Schlag, der Jean Ribault fast aus den Stiefeln hob. Er überkugelte sich noch im Sand und blieb erst mal liegen. Licata war überrascht, daß keiner der drei anderen ihn niedergeschossen hatte. Er drehte sich um. Der Mann an der Palme war vorgetreten, ein Riese. Er sagte anerkennend: „Ein guter Schlag, Freundchen. Mußte das sein?“ „Ich wurde beleidigt.“ „Hm, mag sein“, sagte der Riese, „nur haben wir nicht allzu viel Achtung vor einer Meute wildgewordener Halsabschneider, die ohne Bedenken
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wehrlos im Wasser schwimmende Menschen massakrieren und sich dabei auch noch halb totlachen.“ „Daran habe ich mich nie beteiligt.“ „Das, mein Freund“, sagte der Riese ernst, „kann eine Behauptung sein oder mag stimmen, aber das können wir nicht überprüfen. Es gibt einen Sinnspruch, der lautet: Wie der Herr, so seine Knechte. Euer Häuptling ist nach unserer Erkenntnis eine Mordbestie, ein tollwütiges Monster, das Kerle um sich versammelt hat, die ihm entsprechen. Sollte sich ein Chorknabe darunter befinden, klingt das doch sehr verwunderlich.“ „Ich bin kein Chorknabe“, sagte Licata, „ich bin aber auch keine Ratte oder ein Halsabschneider. Gegen Wehrlose kämpfe ich nicht. Der Grieche hat meinen Kapitän umbringen lassen, der wagte, ihn zu kritisieren, und heute hat er mit eigener Hand zwei meiner Kameraden ermordet, ohne daß sie eine Chance zur Gegenwehr hatten. Das waren für mich Gründe genug, ihn und die anderen zu verlassen. Ein anderer Grund ist allerdings auch, daß er heute nacht versuchen will, mit den verbliebenen beiden Booten und der Restmannschaft eine Karavelle der Spanier zu entern. Ich bezeichne das als Wahnsinn – und ich bin kein Selbstmörder. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ „Hm-hm“, murmelte der Riese und blickte zu den beiden anderen. „Was machen wir jetzt mit diesem merkwürdigen Vogel, der zwar kein Chorknabe, aber auch kein Halsabschneider ist?“ Die beiden anderen traten näher. Zu Licatas Verblüffung entpuppte sich die eine Person als Frau von exotischer Schönheit, und die andere Person war ein blonder Mann mit indianischen Gesichtszügen. ' „Ich neige dazu, ihm zu glauben“, sagte die Frau gelassen. „Schließe mich dem an“, sagte der blonde Mann, „wobei mich noch interessiert, unter welchen Umständen dieser NichtChorknabe Mitglied der Griechenmeute wurde. Kann man darüber etwas hören?“
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Licata lächelte schwach. Er war erleichtert, keine Spanier von den Kriegsschiffen vor sich zu haben, und spürte, daß er der Frau und den beiden Männern vertrauen konnte. „Ich riß aus dem Waisenhaus in Licata aus“, sagte er. „Dann fuhr ich auf Handelsschiffen im Mittelmeer und der Atlantikküste. In einer Kneipe am Mittelmeer luden mich zwei Kerle zum Trinken ein, besser gesagt, zum Saufen. Irgendwann rutschte ich wohl unter den Tisch. Später wachte ich auf der Karavelle von Kapitän Barca auf, einem der Unterführer des Griechen. Erst wollte ich abmustern, dann blieb ich – möglicherweise aus Bequemlichkeit. Na ja, das abenteuerliche Leben reizte mich auch. Ich begriff erst allmählich, auf was ich mich da eingelassen hatte. Heute abend sagte ich mir, daß jetzt Schluß sein müsse. So ging das jedenfalls nicht weiter.“ „Gute Geschichte“, sagte hinter ihm die Stimme des Mannes, den er niedergeschlagen hatte, „und ich glaube sie ihm sogar.“ Licata drehte sich um und sagte: „Entschuldigen Sie den Schlag, aber ich glaube, ich bin empfindlich, wenn mich jemand beleidigt.“ Jean Ribault massierte sein Kinn und grinste schief. „Sei froh, daß ich nicht abgedrückt habe. Aber ich muß wohl geschlafen haben.“ Er streckte die Rechte aus. „Ich heiße Jean Ribault.“ Licata ergriff sie und spürte einen eisernen Händedruck. Jean Ribault sagte: „Wir sind natürlich keine Nachtgeister, dafür aber Korsaren, die im Gegensatz zu der Meute des Griechen Respekt und Achtung vor einem tapferen Gegner haben. Wir waren es, von denen die Ankertrossen zweier Kriegsgaleonen gekappt wurden, nachdem wir vorher deren Ruder blockiert hatten. Beide Galeonen liefen auf. Das Flaggschiff der Spanier war bereits aus eigenem Verschulden aufgelaufen. Am nächsten Tag tauchtet ihr auf und fielt über die Spanier her – unter Mitnahme von zwei Kriegskaravellen. Das konnten wir uns nicht bieten lassen, denn ihr wart die
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Nutznießer eines Unternehmens, das wir gegen die Spanier planten. Die Art und Weise eures Überfalls auf die nahezu wehrlosen Spanier gefiel uns nicht. Genauso wenig gefiel uns, daß ihr uns ins Handwerk pfuschtet, und dann noch derart mörderisch. Also holten wir uns vor zwei Nächten die von euch gekaperten Kriegskaravellen und stellten sie den Spaniern wieder zur Verfügung. Das besorgte jene Lady dort, die Siri-Tong heißt und den Spaniern eine glaubhafte Geschichte zur Begründung der Rückgabe erzählte. Wir sind mithin Zeugen dessen, was alles passierte, seit ihr aufgetaucht wart. Die Spanier sind zwar unsere Gegner, aber in diesem Fall entschlossen wir uns, ihnen zu helfen. Zur weiteren Vorstellung: der Mann, der noch größer ist als du, heißt Edmond Bayeux und der andere Karl von Hutten. Er ist der Sohn eines Deutschen und einer indianischen Häuptlingstochter, die beide von den Spaniern umgebracht wurden.“ Licata staunte und wußte nicht, was er sagen sollte. Was er soeben gehört hatte, war fast zuviel, um es zu verstehen. Aber es ergab einen Sinn vor allem nach dem, was Maggio unten im Süden entdeckt hatte die Fußspuren und die Kielspuren von Booten. „Wir haben eure Spuren unten bei der Südspitze gefunden“, sagte er. „Oder wart ihr das nicht?“ „Doch, die stammen von uns“, erwiderte Jean Ribault. „Welche Schlüsse zog der Grieche daraus? Wir haben nämlich beobachtet, daß er sie mit einem anderen Kerl untersuchte.“ „Er wußte nichts damit anzufangen“, sagte Licata. „Ich glaube auch, es interessierte ihn nicht weiter. Er ist völlig darauf fixiert, heute nacht eine der beiden Karavellen zu kapern. Müßten die Spanier nicht gewarnt werden?“ „Eine gute Frage“, erwiderte Jean Ribault, „aber sie beantwortet sich von selbst. Die Spanier sind Manns genug, ein paar Verrückte abzuwehren. Außerdem passen sie auf. Ein zweiter überfall gelingt dem Griechen nicht.“
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„Es sind noch zwei Mann von uns geflohen“, sagte Licata, „zwei echte Galgenvögel, die zu jeder Schandtat bereit sind.“ „Die sind zu einer kleinen Insel westlich von hier hinübergeschwommen und haben sich dort versteckt“, sagte Jean Ribault gelassen. „Gratuliere, daß du das rausgelassen hast. Ich wäre mißtrauisch geworden, wenn du es verheimlicht hättest. Möchtest du dich mit ihnen wieder zusammentun?“ „Nein!“ Das klang endgültig und fast schroff. „Und wie stellst du dir deine Zukunft vor? Willst du hier auf der Insel als Eremit hausen?“ Der Sizilianer senkte den Kopf, hob ihn wieder und fragte: „Könnte ich mich euch nicht anschließen?“ „Das müßte der Bund entscheiden“, erwiderte Jean Ribault. „Der Bund?“ „Der Bund der Korsaren. Philip Hasard Killigrew hat ihn ins Leben gerufen.“ „Der Seewolf?“ fragte Licata ungläubig. „Genau der.“ „Bitte, dann möchte ich bei euch bleiben!“ „Ich nehme das Kerlchen erst mal unter meine Fittiche“, sagte der Riese Edmond Bayeux. „Der Größe nach könnte er zu meinen anderen Knirpsen passen, eh?“ Er hörte keinen Widerspruch. 7. Etwa eine Stunde nach Mitternacht schleppten der Grieche und der klägliche Rest seiner Meute eine Jolle zum Wasser, dann die andere. Nach der Flucht Licatas waren sie noch sechzehn Mann, je acht für eine Jolle. Die eine führte der Grieche, die andere sein Bootsmann Djerba, dem immer noch die Augen tränten. Die Sandladung war ihm voll in die Augen geflogen. Er hatte sie nicht schnell genug geschlossen. Der Sizilianer war schnell wie ein Blitz gewesen – oder noch schneller. In Djerba kochte immer noch die Wut, daß er sich hatte überlisten lassen, obwohl er instinktiv gespürt hatte, daß der verdammte Sizilianer etwas unternehmen würde.
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Aber gereizt waren sie alle, mehr als gereizt. Da störte sie auch die unmittelbare Nähe des gefürchteten Monsters nicht mehr. Wenn der Grieche jetzt einen psychologischen Fehler beging, würden sie ihm buchstäblich an die Kehle springen und zerreißen. Auch in Nikos Dragumis gärte und brodelte es, aber zu diesem Zeitpunkt war ihm klar, daß ein falsches Wort genügen würde, um die Kerle wie Pulverfässer explodieren zu lassen. Wenn sie das Explodieren bis auf das Achterdeck der Karavelle verschoben, sollte es ihm recht sein. Sie wuchteten die Jollen ins Wasser und stellten fest, daß die Bilgen trocken blieben. Nirgendwo drang Wasser ein. Auf beiden Booten wurde das Großsegel gesetzt. „Steigt ein“, sagte der Grieche ohne besondere Betonung. „Beim nächstenmal habt ihr die Planken einer Karavelle unter den Füßen.“ „Ein Weib unter mir wäre mir lieber“, witzelte einer – Maggio, der Schürzenjäger aus Neapel. „Mir auch“, sagte der Grieche. Und da grinsten sie sogar. Irgendwie war die gereizte Spannung verflogen. Sie kletterten in die Boote, der Grieche und Djerba schoben sie weiter und schwangen sich über das Heckbord auf die Steuerducht. Auf beiden Booten wurde die Großschot dichtgeholt, und die Jollen glitten über Steuerbordbug am Wind erst einmal seewärts. Der Wind wehte mäßig aus Nordosten. Über den Himmel zogen Wolken und bewirkten einen ständigen Wechsel des Lichts, mal heller, mal dunkler, eine gefährliche Mischung, vor allem, wenn das Mondlicht freigegeben wurde. Der Grieche vertraute auf sein Glück, obwohl ihn das seit dem Überfall auf die Spanier schnöde im Stich gelassen hatte. Er hatte sich die Lage der beiden Karavellen genau eingeprägt und zum Ziel jene ausgewählt, die westlich von der anderen ankerte – die „Adelante“. Zwar waren sie im Morgengrauen von der
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„Flecha“ beschossen worden, und es wäre eine Genugtuung gewesen, es den Bastarden heimzahlen zu können, aber die „Adelante“ lag in diesem Fall günstiger und näher. Der Grieche ahnte nicht, daß sich die beiden Kommandanten genau über diesen Punkt im klaren waren und damit rechneten, daß er die „Adelante“ angreifen würde. Auf einen leisen Zuruf des Griechen hin fielen beide Jollen ab und gingen auf Südkurs, der jetzt auf die „Adelante“ gerichtet war. Sie segelten in Kiellinie, Djerba mit seiner Jolle hinter der Jolle des Griechen. Nikos Dragumis wollte bis auf achtzig Yards an die Karavelle heransegeln, dann weiter nach Steuerbord abfallen, die „Adelante“ achtern passieren, wieder anluven und achtern an Steuerbord längsseits gehen. Djerba sollte die Backbordseite der Karavelle ansteuern und von dort entern. Den längeren Weg hatte also der Grieche – möglicherweise auch den sicheren. Ob das Djerba aufgegangen war, danach hatte sich der Grieche nicht, erkundigt. Tatsächlich hatte er Djerba insgeheim die Rolle des Lockvogels zugedacht. Wenn die Ausgucks auf der Karavelle aufpaßten, mußten sie Djerbas Jolle sichten, denn ihr Hauptaugenmerk war garantiert nordwärts gerichtet – von wo sie den Gegner erwarteten. Wenn sie auf diese Jolle schossen, hatte er, der Grieche, die gute Chance, hinter der „Adelante“ durchzuschlüpfen, anzuluven und die Steuerbordseite zu erreichen. Nun ja, leider war der Lockvogel dann auch das Opferlamm. Aber auch Kerle wie Djerba waren nicht unersetzlich, es gab genug von diesem Schlag. Man nannte sie nützliche Idioten. Der Grieche hatte keinerlei Skrupel, seinen Bootsmann über die Klinge springen zu lassen. Nützlichkeit hatte auch etwas mit Effektivität zu tun. An letzterer hatte es Djerba gemangelt, denn Hanifa und Meskin waren getürmt. Und dann war die Sache mit Licata passiert, und die hätte
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ganz bestimmt nicht passieren dürfen. Offenbar begann Djerba nachlässig zu werden – eine tödliche Verhaltensweise in den Augen des Griechen. Außerdem hatte er sich eine leise Kritik erlaubt, als er, der Grieche, erklärt hatte, wie er die Karavelle „packen“ wollte. Kritik war etwas, was sich niemand ihm gegenüber leisten durfte. Er hielt sich für unfehlbar und sah seine eigenen Fehler nicht oder wollte sie nicht sehen. Der Mond war zur Zeit verdunkelt, und der Grieche frohlockte. Hätte er den Zug der Wolken eine Weile beobachtet – vor allem deren Geschwindigkeit –, dann wäre ihm zumindest aufgefallen, daß sich die Lichtverhältnisse innerhalb von Minuten kraß verändern konnten. Jenes Wolkengebirge, das zur Zeit den Mond verdunkelte, zog sehr schnell südwestwärts. Keiner schaute zum Mond, der hinter den Jollen am Nachthimmel stand. Sie starrten alle voraus, fixiert auf ihr Ziel, daß sie bereits als schwachen Schatten erkennen konnten. Auch die ostwärts ankernde Karavelle, die „Flecha“, wurde sichtbar. Immer näher glitten die beiden Jollen und gerieten jetzt in den Weitschußbereich der Culverinen. Aber kein Mündungsfeuer blitzte auf. „Die pennen“, sagte der Grieche mit heiserer Stimme. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Massig hockte er auf der Steuerducht, den Glatzkopf etwas eingezogen, aber vorgereckt wie ein Stier, der zum Angriff bereit ist. Mit glitzernden Augen schätzte er die Entfernung zu der Karavelle, deren drei Masten jetzt ebenfalls deutlich erkennbar waren. Noch an die hundertfünfzig Yards. Nichts tat sich auf der Karavelle, gar nichts. Keine Bewegung war zu sehen, auch nicht auf der anderen Karavelle, wie ein schneller Blick dorthin bewies, Seine sieben Kerle kauerten tief geduckt auf den Duchten – als sei das eine Möglichkeit, nicht gesehen zu werden. Vielleicht dachten sie auch, von der Bordwand geschützt zu werden. Sie
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redeten sich das ein wie Menschen, die geflissentlich den Realitäten ausweichen. Noch immer war der Mond verdunkelt. Jetzt lag die Jolle an die achtzig Yards vor der Karavelle. Der Grieche drückte die Pinne nach Backbord und gab etwas Lose in die Großschot. Die Jolle fiel nach Steuerbord ab und beschleunigte vor dem Wind, der jetzt fast von achtern einfiel. Nikos Dragumis drehte den Kopf nach links. Ja, Djerbas Jolle blieb auf Kurs, den Bug genau auf das Achterschiff der Karavelle gerichtet. Plötzlich glitt eine Lichtbahn über das Wasser und wanderte von hinten an Djerbas Jolle heran und über sie hinweg. Das segelnde Boot wurde silbern beleuchtet, es lag wie auf einer glitzernden Rampe. Und dann brach die Hölle los. Drehbassen auf dem Backbordschanzkleid der „Adelante“ spuckten Feuerlanzen aus, Schußexplosionen dröhnten, glutheiße Metallbrocken rasten flach über das Wasser, durchbrachen die Beplankung der Djerba-Jolle, als sei sie dünnes Kistenholz, fegten den Mast samt Segel über Bord, köpften den Bootsmann Djerba, zerschmetterten Gliedmaßen, zerfetzten und zerhackten das Boot, Es war innerhalb einer knappen Minute nichts weiter mehr als ein zertrümmertes, sinkendes Wrack. Und keiner der acht Kerle überlebte den Feuersturm der gehackten Ladungen. Die Jolle des Griechen geriet drei Minuten später in die Lichtbahn des Mondes, und zwar in dem Moment, als er gerade Ruder gelegt hatte, um anzuluven und hart am Wind die Steuerbordseite der Karavelle anzusteuern. An dem Heckschanzkleid der „Adelante“ stand eine Phalanx von Seesoldaten, bewaffnet mit Musketen und Tromblons. Zwei Drehbassen wurden geschwenkt und richteten ihre Läufe auf die Jolle. Und schon krachten Musketenschüsse. Zwei Kerle brachen stöhnend in der Jolle zusammen. Einer schnellte aufjaulend hoch, die Hände vor der Brust verkrampft, und stürzte über Bord.
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Da riß der Grieche die Pinne herum, fiel ab, halste und segelte mit hastigen Kursänderungen erst westwärts, dann nordwestwärts. Die Ladungen der beiden Drehbassen klatschten hinter der Jolle ins Wasser. Da lag auch wieder eine Wolke vor dem Mond, und ringsum lastete Dunkelheit. In einem Blitz der Selbsterkenntnis war dem Griechen klargeworden, daß fünf Mann nicht ausreichten, um eine Kriegskaravelle zu entern, an deren Schanzkleidern Seesoldaten wie eine Mauer standen und alle mit schußbereiten Waffen, denen sie nichts entgegenzusetzen hatten. Diese Selbsterkenntnis reichte allerdings nicht aus, sich zu sagen, daß er das auch vorher hätte wissen müssen, ganz abgesehen davon, daß ihn seine Kerle auf das Mißverständnis bezüglich der Kampfstärke hingewiesen hatten. Der Traum, sich mal so eben eine Kriegskaravelle anzueignen – gewissermaßen im Vorbeigehen –, war ausgeträumt. Sie hatten kein Bein an Deck gebracht und waren ins offene Messer gelaufen. Ein Mann beugte sich über die beiden Kerle, die, von Musketenkugeln getroffen, in der Jolle zusammengebrochen waren. Er untersuchte sie, wandte den Kopf nach achtern und sagte zu dem Griechen: „Sie sind tot.“ „Schmeißt sie über Bord!“ fauchte der Grieche. „Dann ist die Jolle auch leichter – wir brauchen keinen über- flüssigen Ballast.“ Sie gehorchten mit knirschenden Zähnen. * „Was jetzt?“ fragte einer der vier Kerle, nachdem die beiden Toten über Bord befördert worden waren. Er blickte zu dem Griechen. „Wir sind noch fünf Mann. Willst du die Karavelle noch einmal angreifen?“ „Nein, lohnt sich nicht.“
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Die vier Kerle blickten sich verdutzt an. Es lohnte sich nicht! Hatte es sich denn vorher gelohnt? Volta, der Schiffszimmermann, fragte bedächtig: „Wie soll es weitergehen, . Kapitän? Hast du einen Plan?“ „Wir überschlafen das erst mal“, erwiderte der Grieche unwillig. „Ich steuere die südliche Westseite der Insel an. Die ist von den Spaniern auch bei Tage nicht einzusehen. Dort gehen wir an Land und hauen uns hin.“ „Wird wohl das beste sein“, meinte der Schiffszimmermann. „Ich bin sowieso hundemüde.“ Die drei anderen Kerle nickten. Der Schiffszimmermann sagte: „Es war gut, daß du unseren Angriff abgebrochen hast, Kapitän. So ist uns das Boot erhalten geblieben. Vielleicht sollten wir bei Tage mal mit der Jolle die Westseite erkunden. Mir fielen die Fußspuren ein, die Maggio entdeckt hatte. Vielleicht leben weiter oben im Norden Leute, bei denen es was zu holen gibt. Könnte doch sein.“ Der Grieche blickte überrascht auf. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. „Keine schlechte Idee, Volta“, sagte er. Er spähte nach achtern, ob sie verfolgt wurden, konnte aber nichts entdecken. Es war jetzt auch wieder zu dunkel, um etwas erkennen zu können. Umgekehrt war das genauso der Fall. Wenn sie nichts sahen, konnten das auch die Spanier nicht. Er fragte Maggio, der zu seiner Crew gehörte und bisher alles überlebt hatte, ob er achteraus etwas bemerkt habe. Der Mann aus Neapel hatte Luchsaugen. Aber Maggio verneinte. „Glaube nicht, daß sie uns verfolgen, Kapitän“, fügte er hinzu. „Und warum glaubst du das nicht?“ Maggio grinste schief. „Zuviel Aufwand wegen fünf Mann, Kapitän. Sie werden sich auch sagen, daß wir ihnen nichts mehr anhaben können.“ „Ja, leider“, murmelte der Grieche. Eine halbe Stunde später sichtete Maggio die Umrisse der Südspitze von Eleuthera. Der Grieche konnte etwas abfallen und die Westseite der Insel gut anliegen. Bald
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darauf steuerte er das Boot in eine kleinere Bucht und wußte nicht, daß hier vormals drei Schiffe geankert hatten –Mit den Namen „Le Griffon II.“, „Empress of Sea II.“ und „Empress of Sea III.“, deren Kapitäne und Mannschaften von der harten Sorte waren. Der Grieche fand die Bucht jedenfalls ideal. Sie bot Schutz, und das war vorerst die Hauptsache. Er steuerte die Jolle auf den sanft ansteigenden Strand. Sie schwangen sich außenbords, zogen sie weiter hinauf auf den Sand und bargen das Segel. Wieder festen Boden unter den Füßen, glaubten sie, das Schlimmste überstanden zu haben. Im gewissen Sinne stimmte das ja auch. „Keine Wache“, entschied der Grieche. „Wir brauchen alle unseren Schlaf.“ Sie waren damit mehr als einverstanden, dabei war keineswegs sicher, ob die Spanier nicht doch Boote ausgeschickt hatten, um nach ihnen suchen zu lassen. Aber sie waren zu diesem Zeitpunkt viel zu müde und fatalistisch, diese Möglichkeit ins Auge zu fassen. Wo sie standen, ließen sie sich nieder und streckten sich aus. Und schon fielen ihnen die Augen zu. * Die Sonne stand bereits über der Kimm, als der Grieche aufwachte. Sein erster Blick galt der Jolle. Ja, sie war noch da. Seine vier Genossen schliefen fest, und er scheuchte sie auch nicht hoch. Wenn sie überhaupt über etwas verfügten, dann war das Zeit. Nichts eilte oder mußte unbedingt sofort getan werden. Der Grieche dachte darüber ganz sachlich und keineswegs aus Gründen der Brüderlichkeit für seine Kumpane. Er erhob sich, watete durch den Sand und stieg zu dem Dünenkamm hoch, um sich einmal gründlich umzusehen und natürlich einen Blick hinüber zu den Spaniern zu werfen. Auf dem Dünenkamm stellte er verdutzt fest – beim Hinaufsteigen hatte er nicht darauf geachtet –, daß er sich genau an jener Stelle befand, wo Maggio die
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Fußspuren entdeckt hatte. Und unten auf dem Strand neben ihrer Jolle waren die Kielspuren anderer Boote zu sehen. In der Nacht war ihnen das bei der Dunkelheit nicht weiter aufgefallen, verständlicherweise. Hm, was das mit diesen Spuren nur auf sich haben mochte? Der Grieche spähte über den Strandstreifen der Westküste – sie verlief in Nordwest-Südost-Richtung –, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken, nur Seevögel und einige emsige Strandläufer, die an der Wasserlinie entlangtrippelten und mit ihren langen Schnäbeln den Sand durchforsteten. Flügel müßte man haben, dachte der Grieche flüchtig, drehte sich um und blickte durch das Strauchwerk nach Südosten. Beruhigt stellte er fest, daß die beiden Karavellen vor Anker lagen. Undeutlich war zu erkennen, daß an den beiden aufgelaufenen Kriegsgaleonen schon wieder gearbeitet wurde. Zumindest von dort drohte keine unmittelbare Gefahr. Er sammelte ein paar Kokosnüsse auf, bohrte zwei mit dem Messer an und schlürfte die Milch. Nasir und der Korse fehlten. Sie waren bei Djerba an Bord gewesen. Nasir würde keine Fische mehr speeren und der Korse keine köstlichen Gerichte mehr zubereiten. „Verdammter Zustand“, murmelte der Grieche vor sich hin, hieb eine Kokosnuß durch und schnitt das weiße Fleisch von der harten Schale. Er aß es gern, und es schmeckte ihm gut, aber auf die Dauer war das nichts. Vielleicht hatten sie noch eine Rolle Kabelgarn und ein paar Nägel für Angelschnur und Angelhaken. Dann konnten sie zur Abwechslung Fische angeln. Er stieg zur Jolle hinunter und kaute Kokosnußfleisch. Volta war aufgewacht und schaute zu ihm hin. Er warf ihm eine Kokosnuß zu und rief: „Backen und Banken, Leute! Heute morgen gibt's frische Milch und gutes Nußfleisch!“ Er wirkte jovial und aufgeräumt und war sich auch sehr genau darüber klar, daß zur Zeit bei seiner
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Methode mit Zuckerbrot und Peitsche das Zuckerbrot den Vorrang haben mußte. Maggio und die beiden anderen Kerle fuhren hoch und grinsten etwas dämlich, als Kokosnüsse auf sie zurollten. Daß ihr Kapitän sie mal versorgte, war was ganz Neues, Einmaliges, und sie fühlten sich geehrt. Tatsächlich fand der Grieche in dem Schapp unter der Achterducht eine Rolle Kabelgarn, ein paar Segelnadeln verschiedener Stärke sowie Werkzeuge und ein Kistchen mit Nägeln. Volta hatte das alles dort verstaut, und das bewies, daß er ein umsichtiger Mann war. Eine Stunde später setzten sie das Segel, schoben die Jolle ins Wasser, pullten aus der Bucht und segelten an der Westküste entlang nordwestwärts. 8. Der südliche Teil der Bahama-Insel Eleuthera ähnelt der Schwanzflosse eines Fisches, dessen Rumpf nach Norden weist, die Flosse hingegen verläuft in NordwestSüdost-Richtung. Ihre Nordwestspitze heißt heute Powell Point, an der Südostspitze liegt jetzt der Ort Bannerman Town. Die Nordwestspitze ist der westlichste Punkt einer großen Bucht auf der Leeseite von Eleuthera. Ihr gegenüber liegt an der großen Bucht eine kleinere Bucht, nun schon am Rumpf des gedachten oder angenommenen Fisches. Diese kleinere Bucht hat den Namen Rock Sound. Zwei lange, mit hohen Palmen bestandene Landzungen schirmen die Bucht von Norden und Süden ab. Ihre Spitzen oder Huks liegen einander in einem Abstand von etwa dreißig Yards gegenüber und bilden somit den Eingang in den Rock Sound. Nur wer sich genau westlich des Eingangs befindet, kann einen – wenn auch beschränkten – Blick in die Bucht werfen. Ferner haben wir da noch eine kleine Insel südwestlich der südlichen Landzunge von Rock Sound. Sie ist vom westlichen Inselufer Eleutheras nur an die fünfundzwanzig Yards entfernt und watend
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oder zum Teil schwimmend gut zu erreichen. Auf diese kleine Insel hatten sich die beiden Galgenvögel Hanifa und Meskin verzogen, und zwar vor Einbruch der Dunkelheit des vorigen Tages. Sie hatten sich auf der Ostseite der Insel zwischen Gestrüpp und Strauchwerk ein kleines Lager gebaut, aber dabei unablässig hinüber zum Ufer gespäht, ob da vielleicht Verfolger des Griechen auftauchten. Als die Dunkelheit angebrochen war, hatten sie sich angegrinst. Zumindest für die Dauer der Nacht würden sie ungeschoren bleiben, denn da würde es äußerst schwierig sein, in der Dunkelheit irgendwelche Fußspuren zu finden, zumal sie diese am Strand dort drüben verwischt hatten. Erst in der Nacht irgendwann waren sie hochgeschreckt. Im Südosten hatte es gegrummelt, hinter den Dünenkämmen war flackerndes und zuckendes Aufleuchten zu sehen gewesen. Kurz darauf hatten sie auch schwaches Knallen gehört. „Drehbassen“, hatte Hanifa gesagt. Und dann: „Musketen und Tromblons!“ Er verstand etwas davon, weil er auf Barcas Karavelle Stückmeister gewesen war. Da hatten sie sich ein zweites Mal angegrinst und sogar die Hände gerieben. „Jetzt hat es den verdammten Bastard erwischt“, hatte Meskin gesagt, „diesen Hurenbock, der mir fast die Gurgel zerschlagen hat.“ „Und Djerba“, hatte Hanifa genüßlich hinzugefügt, „der drischt niemanden mehr zusammen.“ Wären sie im Besitz von Schnaps oder Wein gewesen, dann hätten sie sich jetzt sinnlos betrunken. Sie lachten, schlugen sich auf die Schultern und malten sich im einzelnen und besonderen aus, wie der „Hurenbock“ in die Hölle gefahren war. Es wäre für sie äußerst erheiternd gewesen, zu wissen, daß ein Eisenbrocken dem Bootsmann Djerba den Kopf vom Rumpf getrennt hatte. Dann hatten sie fest und tief geschlafen. Über ihre Zukunft hatten sie überhaupt
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noch nicht nachgedacht, Hauptsache, sie hatten überlebt. Was mit ihren Kumpanen geschehen war, interessierte sie nicht mehr. Sie hätten sich ja ebenfalls verdrücken können. Jeder war sich selbst der Nächste, wenn eine Niederlage so vollkommen und total war wie die des Griechen. Am nächsten Morgen wachten sie spät auf, gähnten und streckten sich und hielten sich weiterhin für tolle Kerle, die einzig richtig gehandelt und dem Griechen den Dienst aufgekündigt hatten. Allerdings knurrte ihnen der Magen und auch hier gab es Kokosnüsse, mit denen man Durst und Hunger beseitigen konnte. Danach beratschlagten sie, was zu tun sei. „Erst mal faulenzen“, sagte Hanifa, der kein Freund von Arbeit war. Da er keine Drehbassen und Kanonen mehr zu pflegen hatte, neigte er zu der Ansicht, nunmehr dem Nichtstun frönen zu können. Dieser Ansicht pflichtete Meskin bei. Er war – abgesehen von seinen seemännischen Pflichten – sozusagen ein Hilfsarbeiter in der Kombüse gewesen, eine Tätigkeit, die ihm zum Halse heraushing, vor allem, was das Abwaschen von Kesseln, Töpfen, Pfannen, Kummen und Mucks betraf, das der faule Hund von Koch stets ihm überlassen hatte. Außerdem mußte er die Kombüse auf klaren und Kakerlaken jagen. Nie mehr! hatte er sich geschworen, als er sich kurz nach Hanifa aus dem Lager verdrückt hatte. Und das war nun Wirklichkeit geworden, goldene Wirklichkeit. „Wir bleiben erst mal auf dieser feinen Insel“, sagte Hanifa. „Die gehört uns“, pflichtete ihm Meskin bei, „die haben wir in Besitz genommen und nennen sie Hanimesland.“ „Hanimesland?“ fragte Hanifa verdutzt. „Was heißt das denn?“ „Mit ,Hani` fängt dein Name an, mit ,Mes` meiner“, erklärte Meskin kichernd, „macht zusammen Hanimes!“ Hanifa hielt das für eine tolle Idee und fühlte sich auch noch geschmeichelt, daß seine vier ersten Buchstaben den Anfang bildeten.
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„Wir sind beide die Kaiser von Hanimesland“, sagte Meskin, „und beherrschen ein Volk von Untertanen, die uns jeden Wunsch von den Augen ablesen. Außerdem haben wir beide einen Harem, den wir jeden Abend auf Schwung bringen.“ „Die ganze Nacht durch!“ tönte Hanifa. Er war wieder von ihrem Lager aufgestanden, um sich nach einer abgefallenen Kokosnuß umzusehen. Er entdeckte einige im Sand des Nordstrandes. Und dann entdeckte er noch etwas, nämlich ein Boot mit einem Sprietsegel. Und in diesem Boot hockten fünf Kerle. Einer von ihnen war der „Hurenbock“, der zu dieser Zeit längst in der Hölle hätte sein müssen – nach ihrer Meinung. Er war es nicht. Er saß auf der Steuerducht, die Pinne in der einen, die Schot in der anderen Hand. Er war kein Phantom – er lebte! „Der Grieche!“ zischte Hanifa und duckte sich unwillkürlich. Meskin fuhr hoch, als habe jemand unter seinen Fuß sohlen Feuer entzündet. Er huschte zu Hanifa. Vergessen waren Hanimesland, Kaiser, Untertanen und Harem. Die Wirklichkeit war nicht golden, sondern wüst und grausam, und das Wüste und Grausame verkörperten sich in der Person des glatzköpfigen Griechen. „Scheiße!“ knurrte Meskin, und sein Geiergesicht verzerrte sich zu einer Maske des Hasses. Und noch einmal verspürte er den mörderischen Hieb auf die Gurgel – fast erstickte er ein zweites Mal. Die Jolle segelte Nordkurs und war bereits an der kleinen Insel vorbeigeglitten, doch plötzlich deutete ein Mann im Vorschiff – es war Maggio –querab nach Steuerbord, sagte etwas zu dem Griechen, und der warf hastig das Steuer herum. Die Jolle ging durch den Wind und wurde von dem Griechen auf Ostkurs gebracht, auf den Strand zu, etwas nördlich ihrer kleinen Insel. Sie duckten sich beide ganz tief, als die Jolle in knapp dreißig Schritten Entfernung an ihnen vorbeisegelte. Sie landete kurz darauf drüben am Ufer. Der Grieche und die vier anderen sprangen
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an Land, zogen die Jolle etwas höher und drangen in das Buchwerk ein, ihre Blankwaffen in den Fäusten. „Was soll das denn?“ flüsterte Meskin verblüfft. „Die müssen irgendwas entdeckt haben“, flüsterte Hanifa zurück. „In der Bucht dort vorn, die wir von hier nicht einsehen können.“ „Mann! Mann!“ zischte Meskin erregt. „Dann schnappen wir uns das Boot! Sie haben es unbewacht gelassen!“ Mit dem Instinkt des ausgebufften Piraten begriff auch Hanifa, welche Chance ihnen mit der Jolle geboten wurde. Auch er vergaß die Träume vom Harem „die ganze Nacht durch“. „Los!“ stieß er hervor. „Und schnell, bevor sie zurückkehren!“ Sie griffen nach ihren Waffen, einem Degen und einem Schiffshäher, wateten ins Wasser und schwammen die kurze Strecke bis zum Strand auf der Westseite von Eleuthera. Dort stürzten sie zu der Jolle, lüfteten ihr Heck an und zerrten sie zurück ins Wasser. In diesen Augenblicken entwickelten sie Bärenkräfte. Sie drehten_ den Bug westwärts, schoben die Jolle noch ein Stück weiter und sprangen achtern auf. Hanifa packte Pinne und Schot, der Wind fuhr von Steuerbord achteraus in das Sprietsegel, und schon nahm die Jolle Fahrt auf und glitt über Backbordbug vom Strand weg. *
Noch mitten im Uferdickicht fuhr der Grieche herum und fragte flüsternd, aber scharf: „Hat einer die Vorleine der Jolle irgendwo belegt?“ Kopfschütteln – keiner hatte daran gedacht. Der Grieche allerdings auch erst jetzt. Sie waren vom Anblick –vom kurzen Anblick – der drei Schiffe in der Bucht völlig überrascht worden. Aber sofort hatte der Grieche Ruder gelegt und war durch den Wind gegangen, um die Jolle aus der Blickrichtung der drei Schiffe zu bringen. Er meinte, daß man sie nicht gesehen habe. Das waren ja auch nur Momente gewesen.
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Maggio hatte die drei Schiffe zum Glück rechtzeitig gesichtet. Seine Stimme war heiser vor Erregung gewesen. „Eine Karavelle und zwei kleinere Dreimaster! Steuerbord querab in der Bucht!“ Diese Meldung hatte sie getroffen wie ein Peitschenhieb. Und Hoffnung war aufgeflammt wie eine Stichflamme. Von diesem Augenblick an waren sie sozusagen übergeschnappt und bildeten sich möglicherweise ein, sie könnten noch einmal den Versuch wagen, ein Schiff zu kapern, eins der beiden kleineren. Sie hatten wie gebannt nach Backbord zum Land gestarrt, ob da vielleicht am Strand Leute auftauchten. Aber sie sahen niemanden und hörten auch nichts. Nach Steuerbord hatten sie nicht geblickt, wo die kleine Insel lag. Vielleicht hätten sie dann ihre geflohenen Kumpane Hanifa und Meskin entdeckt. Jetzt entschied der Grieche: „Maggio, erledige das! Wir warten hier solange.“ Maggio nickte nur, drehte sich um und eilte zurück. Daß er dabei über eine Wurzel stolperte und hinflog, war der entscheidende Pluspunkt für seine beiden Kumpane, nämlich Zeitgewinn. Als er am Strand die Bescherung sah, heulte er vor Wut auf. Fast Sekunden später war der Grieche an seiner Seite, dann die drei anderen. Am liebsten hätten sie alle laut gebrüllt, aber das verbot sich wegen der Nähe der drei fremden Schiffe. So spuckten sie Gift und Galle, und in einem Tobsuchtsanfall drosch der Grieche den Mann aus Neapel zu Boden, obwohl der nun keineswegs der Alleinschuldige dieses Malheurs war. Hanifa und Meskin hatten ihre fünf Kumpane am Strand entdeckt, winkten höhnisch, schnitten Grimassen, und Meskin gar stieg auf eine Ducht, zog die Hosen runter, drehte sich um und zeigte seinen Genossen den nackten Hintern. Was das hieß, wußten alle, nämlich: Ihr könnt uns mal! Es war eine völlig verrückte Situation. Diese Galgenvögel beklauten sich gegenseitig, und der Besitz einer Jolle hatte
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in ihrer Lage den Wert einer Goldmine. Zwei Mann hatten fünf andere überlistet und wurden von Minute zu Minute unerreichbarer für sie. Nichts konnte die beiden Kerle mehr zurückholen, kein Schwimmer hätte es jemals geschafft, der Jolle nachzusetzen –wenn doch, wäre ihm bei Erreichen des Bootes ein Riemen über den Kopf gezogen worden. Sie stöhnten und keuchten und fluchten. Es gab heimliche Beobachter dieser Szene, und die wiederum hätten am liebsten schallend gelacht. Wenn Spitzbuben anderen Spitzbuben etwas stahlen, war das kurios und erheiternd genug, insbesondere, wenn sie sich dann darüber auch noch empörten. „Diese Schweine, diese dreckigen!“ fauchte der Grieche. „Dieses Lumpenpack! Scheut sich nicht, die eigenen Kameraden zu beklauen! Das muß man sich mal vorstellen! Die eigenen Kameraden!“ Im Heucheln und Verdrehen von Tatsachen war der Grieche schon immer ein Meister gewesen. In diesem Fall stellte er aber alles auf den Kopf, zumal er mit dem Begriff „eigene Kameraden“ wie ein Trickbetrüger herumhantierte. Kameraden hatten für ihn nie existiert, nur Kulis oder Knechte, die er nach dem Prinzip der Nützlichkeit verwendete – und umbrachte, wenn diese Nützlichkeit aus irgendeinem Grunde nicht mehr gegeben war. Daß drei seiner Kerle gewagt hatten, sich heimlich zu verdrücken, war für ihn schon unfaßbar gewesen. Daß aber zwei von ihnen die Frechheit oder Dreistigkeit aufbrachten, die Jolle zu entführen, paßte nicht mehr in seine Vorstellungswelt, wie er sie sich nach seinem eigenen Gutdünken geschaffen hatte. „Wenn ich die erwische“, würgte er hervor, „brate ich sie eigenhändig auf einem glühenden Rost.“ Die Jolle wurde an der westlichen Kimm immer kleiner. Irgendwo dahinter erstreckte sich eine Kette von Cays und Inselchen – unerreichbar für jemanden, der ohne Boot oder Schiff auf einer Insel stand.
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Am Morgen noch hatte sich der Grieche Flügel gewünscht. Aber die hatte er nicht und würde sie auch nie haben. „Die drei Schiffe“, erinnerte Volta bedachtsam. „Wir sollten jetzt erkunden, was es mit denen auf sich hat.“ Dieser Schiffszimmermann war ein Typ, der praktisch dachte und das Nächstliegende anpackte. Und gern schlug er sich auf die Seite der stärkeren Bataillone, das heißt, er hängte sein Fähnchen nach dem Wind. Das hatte bisher auch immer gut geklappt. Doch mit den stärkeren Bataillonen war das in der letzten Zeit so eine Sache. Es gab sie nämlich nicht mehr. Und der Grieche bot immer weniger eine Garantie dafür, daß sie jemals wieder erstehen würden. Dem Schiffszimmermann Volta war bewußt geworden, daß der Grieche seinen Bootsmann Djerba rigoros geopfert hatte, um selbst daraus seinen Nutzen zu ziehen. Jetzt wurde es immer gefährlicher – bei der Verschlagenheit des Griechen –einen eigenen Kurs zu finden. Er beobachtete seinen Kapitän aus den Augenwinkeln. Dessen Gesicht war ziemlich grau, der Sichelbart, der sich vorhin noch gesträubt hatte, bildete einen traurigen Bogen nach unten. Viel ist mit dir nicht mehr los, dachte der Schiffszimmermann ganz sachlich und nüchtern. Genauer gesagt, du bist fertig mit Sack und Flöte. Und deine Tauglichkeit als Kapitän ist so ziemlich baden gegangen, denn zuletzt hast du nur noch Fehlentscheidungen getroffen – tödliche Fehlentscheidungen, wenn man bedenkt, daß dir von neunzig Mann nur noch vier geblieben sind. Und die Jolle ist futsch. Als guter Kapitän hättest du selbst daran denken müssen, einen Mann als Posten bei ihr zurückzulassen. Maggio für deinen eigenen Fehler oder deine eigene Nachlässigkeit zusammenzuschlagen, spricht nicht für dich, Nikos Dragumis! Fast war der Schiffszimmermann versucht, den Griechen mit einem schnellen Messerstoß niederzustrecken. Doch der wandte ihm in diesem Moment den Kopf
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zu und sagte knirschend: „Ein Schiff holen wir uns –heute nacht. Gut, zuerst erkunden wir, was das für Schiffe sind, wie viele Kerle sich an Bord befinden und so weiter. Dann überlegen wir, wie wir nachts vorgehen. Wir haben genug Zeit.“ „In Ordnung“, murmelte der Schiffszimmermann. Sie verließen den Strand und drangen wieder in das Buschwerk ein. Maggio stand auf und humpelte hinterher. Niemand hatte sich um ihn gekümmert – und keiner der drei anderen war für ihn eingetreten, als der Grieche über ihn hergefallen war. Scheißkameraden, dachte er. 9.
Sie lagen im Strandgestrüpp an der Spitze der südlichen Landzunge und starrten in die Bucht, wo unweit von ihnen die drei Schiffe ankerten – eine prächtige Karavelle mit acht Culverinen auf jeder Seite sowie einer Anzahl von Drehbassen auf den beiden Schanzkleidern und zwei kleinere Dreimaster vom Karavellentyp, die nur mit Drehbassen bestückt waren. Der eine der beiden kleineren Dreimaster hatte ein barbusiges Weib mit ausgestrecktem rechten Arm als Galionsfigur, den anderen zierte eine Wildgans mit ausgebreiteten Schwingen. Alle drei Schiffe – das erkannten sie mit fachmännischen Augen – waren in einem erstklassigen Zustand. Die Segel waren sauber aufgetucht, Fallen und Schoten exakt aufgeschossen, alles blitzte vor Sauberkeit. Ein riesiger Kerl ging auf der Karavelle Wache. Bei ihm befand sich ein fast weißblonder, braungebrannter Junge, schlank und sehnig. Auch auf den beiden kleineren Schiffen befanden sich zwei Wachen, sonst war niemand von den Besatzungen zu sehen. Über der Bucht lag eine eigentümliche Ruhe. Waren die Kerle alle an Land? Die Augen der fünf Galgenvögel glitzerten. Das waren Schiffe! Die Karavelle glich einer spanischen Kriegskaravelle. Die beiden kleineren
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Dreimaster hatten einen eleganten Linienriß und mußten schnell und wendig sein. „Das sind Piratenschiffe”, flüsterte der Schiffszimmermann, der neben dem Griechen in der Deckung lag, „jedenfalls nach den drei Wachen zu urteilen. Die sehen ziemlich verwegen aus.“ Der Grieche nickte. So beurteilte er das auch. Er flüsterte zurück: „Ich wäre für den Dreimaster mit dem halbnackten Weib am Vorsteven.“ Er grinste schmierig. „Was meinst du?“ „Den würde ich auch nehmen. Das Schiff muß auch für fünf Mann gut zu handhaben sein. Die Karavelle wäre zu groß. Außerdem sind die beiden kleineren Dreimaster flach gebaut – ein Vorteil in Gewässern wie hier, wenn man die Korallenbänke und Riffe in Betracht zieht.“ Der Grieche stimmte zu. Sie beobachteten weiter, und erst jetzt stellte der Schiffszimmermann fest, daß sich an Bord der drei Schiffe kein Beiboot befand. Und auch am Strand der Bucht konnte er keins entdecken. Das sagte er dem Griechen. Der murmelte: „Merkwürdig. Wo die wohl sind?“ Dann wandte er ruckartig den Kopf zu Volta und fügte hinzu: „Ob die Kielspuren an der kleinen Bucht an der westlichen Südspitze der Insel damit zusammenhängen?“ „Das ging mir auch eben durch den Kopf und erscheint mir logisch. Da waren doch ebenfalls die Spuren von nackten, kleinen Füßen. Die könnten dann von dem weißblonden Burschen auf der Karavelle stammen.“ „So muß es sein“, flüsterte der Grieche. Sie rätselten weiter, fragten sich, wo die Boote und Besatzungen wären und gelangten natürlich zu keinem Ergebnis. Aber jetzt schon anzugreifen, hielt sogar der Grieche für zu riskant. Die drei Posten waren bestens bewaffnet, in jedem Gurt steckten zwei doppelläufige Pistolen, und die drei Kerle sahen nicht so aus, als wüßten sie mit den Waffen nicht umzugehen. Da befanden sich auch
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binnenbords Musketen und Tromblons, die auf Halterungen lagen und jederzeit griffbereit waren. Nein, erst nach Mitternacht würden sie hinüberschwimmen und den Dreimaster „mit dem halbnackten Weib am Vorsteven“ entern. Und sie schwelgten schon wieder in Vorstellungen, die sie als gegeben betrachteten. Na klar doch würden 'sie es schaffen, sich dieses feine Schiffchen unter den Nagel zu reißen. Wenn die Besatzungen nicht an Bord zurückkehrten, war das ein Klacks, mit dem einen Posten fertig zu werden – ein Schnitt durch die Gurgel und aus! Illusionen, Träume, Phantastereien ... * Die Stimme klang hell und klar und scharf – hinter ihnen. „Unsere Schiffe habt ihr jetzt lange genug besichtigt! Was jetzt?“ Im Liegen fuhren sie herum. Was sie sahen, war nicht dazu angetan, fröhlich zu jauchzen, auch wenn der Anblick der schlanken, schönen Frau in der freizügig geöffneten roten Bluse und mit den enganliegenden schwarzen Hosen atemberaubend war. Denn bei ihr standen drei Männer, und zwar ein Hüne von Kerl, ein schlanker Mann mit verwegenem Gesicht und ein blonder, breitschultriger Kerl, dessen Gesicht aber merkwürdiger Weise wie das eines Indianers wirkte. Alle vier Personen hatten einen Degen in der rechten Faust. Seitlich hinter ihnen jedoch – mit freiem Schußfeld – standen weitere Männer, Musketen lässig im Hüftanschlag. Sie waren kaum zu zählen und riegelten die ganze Landzunge ab. Das waren Kerle, die den Teufel nicht fürchteten. Der Grieche rappelte sich keuchend auf, starrte Siri-Tong aus blutunterlaufenen Augen an, leckte sich über die Lippen und fragte heiser: „Wer seid ihr?“ „Keine Galgenvögel wie ihr“, erwiderte die Rote Korsarin kühl. „Was soll das alles?“ knurrte der Grieche.
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„Die Frage gilt umgekehrt“, sagte die Rote Korsarin scharf. „Was habt ihr hier zu suchen?“ „Wir?“ Der Grieche zupfte an seinem Sichelbart, grinste lind fügte hinzu: „Wir haben uns die schönen Schiffchen angeschaut. Ist das verboten?“ „Fragt sich, mit welcher Absicht“, sagte die Rote Korsarin. Jetzt kratzte sich der Grieche hinter dem rechten Ohr und entgegnete: „Na, wir dachten, wir könnten euch vielleicht mal fragen, ob ihr fünf gute Männer braucht, die was von Navigation und Seemannschaft verstehen und auch wissen, wie man andere Schiffe entert.“ Die Rote Korsarin lachte spöttisch. „Wie in der letzten Nacht, nicht wahr, als euer eines Boot von Drehbassen zerblasen wurde und ihr mit dem anderen Boot nur knapp davonkamt! Gute Männer? Doch wohl eher billige Köter, die nur kläffen und erst zuzubeißen wagen, wenn kein Widerstand zu erwarten ist.“ „Hüte deine Zunge, Weib!“ zischte der Grieche. „Oh! Ich bin noch lange nicht fertig, Grieche“, sagte die Rote Korsarin. „Und ich habe etwas dagegen, wenn man mich anlügt. Ihr wolltet uns nicht fragen, ob ihr bei uns anheuern könntet, sondern ihr hattet die Absicht, euch in der Nacht eins unserer Schiffe zu holen.“ Sie deutete mit dem Degen zu den Schiffen. „Bitte sehr, versucht es mal!“ Der Grieche drehte sich um, ebenso die vier anderen, die sich auch aufgerappelt hatten. Was sie jetzt wiederum sahen, wirkte auf sie wie ein Keulenschlag. An Bord aller drei Schiffe waren Männer wie aus dem Nichts aufgetaucht und standen an den Schanzkleidern bei den Drehbassen, die alle in Richtung der südlichen Halbinsel wiesen. „Meint ihr, wir lassen uns von Kötern wie euch überraschen?“ fragte die Rote Korsarin spöttisch. Sie drehten sich wieder zu ihr um. In den schwarzen Augen des Griechen glitzerten Wut und Haß. „Über die Spanier konntet ihr herfallen,
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weil sie zu diesem Zeitpunkt wehrlos waren”, sagte die Rote Korsarin verächtlich, „eben wie billige Köter. Aber dann zeigten diese Spanier, daß sie zu kämpfen verstehen. Und da zogt ihr den Schwanz ein. Und wußtet ihr nichts Besseres zu tun, als euch sinnlos zu betrinken. In dieser Nacht holten wir uns die beiden Kriegskaravellen, die euch nur in die Hände gefallen waren, weil ihr den miesen Trick mit dem Zeichen der spanischen Flagge angewandt hattet. Daß ihr wehrlose Männer im Wasser kaltblütig abgeschossen habt, beweist, was ihr seid – ich wiederhole es: miese, dreckige Köter . . .“ Der Grieche wollte die Rote Korsarin anspringen, aber sie stieß den Degen vor. „Halt!“ zischte sie. „Ich bin noch nicht fertig, Grieche. Du hast einen deiner beiden Kapitäne von deinem Bootsmann umbringen lassen – von hinten, versteht sich –, und dann waren Ruggiero, der Sizilianer, und der Takelmeister aus der Barca-Mannschaft deine beiden nächsten Opfer. Beiden Männern ließest du keine Chance, der Takelmeister war sogar unbewaffnet. Wir alle hier haben schon viel erlebt, auch im Umgang mit Galgenvögeln wie euch. Aber eine Bestie wie du war nicht darunter. Dein Weg ist hier zu Ende – besser gesagt, deine Mörderspur. Und wir fechten es hier aus, Mann gegen Mann. Wir dulden keine Köter in unserem Revier, damit auch das klar ist.“ „Madame!“ sagte der Schiffszimmermann hastig. „Ich verstehe eine Menge vom Handwerk der Schiffszimmerleute und wollte schon immer bei dem Griechen abmustern. Könnt ihr mich nicht brauchen ...“ Es war nichts mit den stärkeren Bataillonen und dem Hängen des Fähnchens nach dem Wind. Mit einem Aufbrüllen sprang der Grieche einen Schritt zurück und stieß dem Schiffszimmermann Volta den Degen in den Rücken – dorthin, wo das Herz sitzt. Und mit einem wilden Ruck zog er den Degen wieder zurück. Volta brach in die
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Knie und kippte nach vorn. Verkrümmt blieb er liegen und rührte sich nicht mehr. „Noch ein Mord“, sagte die Rote Korsarin eisig, „aber dein letzter, du Köter!“ „Komm her, du Hure!“ geiferte der Grieche und verzerrte die Lippen zu einem gräßlichen Grinsen. „Mit Weibern wie dir werde ich noch allemal fertig – auch im Bett!“ Die Rote Korsarin glitt leichtfüßig auf ihn zu, den Degen etwas vorgestreckt, aber sie bewegte ihn hin und her, und es sah aus wie das Zünglein einer Schlange, die darauf lauert, zuzustoßen. Die drei anderen Kerle stürmten an ihr vorbei und versuchten, zwischen Edmond Bayeux, Jean Ribault und Karl von Hutten durchzubrechen. Blankwaffen klirrten aufeinander, aber nach einer knappen Minute war der Kampf entschieden.' Am Boden lagen drei tote Galgenvögel. Der Grieche wich zurück, in der linken Hand ein Messer, in der Rechten den Degen. Schweiß ströme über sein Gesicht und tropfte von den Enden des Sichelbartes. Sein vorher graues Gesicht war rot verfärbt. In den schwarzen Augen glitzerte unverhüllte Mordlust. Ein blitzschneller Ausfall der Roten Korsarin, ein fast noch schnellerer Hieb nach rechts, kurz und knapp aus dem Handgelenk, und schon flog das Messer davon, und in der linken Hand des Griechen klaffte eine tiefe Wunde. Er jaulte den Himmel an und glich in diesem Moment wirklich einem Köter. Das Jaulen verstummte abrupt. Schräg über seinem Gesicht verlief ein feiner Schnitt, der rechte Teil seines Sichelbartes flatterte zu Boden, abrasiert von einem Degenhieb, dessen Bewegung der Grieche überhaupt nicht gesehen hatte, weder im Ansatz noch in der Ausführung. Er stöhnte auf, wischte sich mit dem linken Unterarm den Schweiß und das Blut vom Gesicht und wich noch weiter zurück. „Na los doch, Köter!“ höhnte die Rote Korsarin. „Ist das alles, was du zu bieten hast?“ Der Grieche stieß mit dem Rücken gegen eine Kokospalme. In diesem Moment
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sprang Siri-Tong vor und schmetterte ihm mit der Rückseite ihrer Degenklinge die Waffe aus der Hand. Der Grieche hatte ein Gefühl, als sei seine Rechte taub, so hart war der Schlag gewesen, der den Degen aus seiner Hand geprellt hatte. „Heb ihn auf“, sagte die Rote Korsarin eisig. „Ich kämpfe nicht gegen wehrlose Gegner, wie du es tust. Es ist noch nicht zu Ende.“ „Und wenn ich ihn aufhebe, stichst du mich nieder“, sagte der Grieche keuchend. „Ich heiße nicht Nikos Dragumis.“ Die Rote Korsarin glitt drei, vier Schritte zurück und wartete, bis der Grieche den Degen aufgehoben hatte. Der ließ sich jetzt Zeit. Offenbar überlegte er, wie er sich aus dieser Klemme befreien konnte. Er klemmte den Degen zwischen die Beine, fetzte sich ein Stück Stoff vom rechten Hemdsärmel und umwickelte mit ihm seine linke Hand. Die Rote Korsarin rührte sich nicht. Ihr Gesicht war kühl und beherrscht, aber sie ließ den Kerl nicht aus den Augen. Der brütete etwas aus – und bestimmt nichts Gutes. So war's auch. Er ließ den Degen einfach in den Sand rutschen, packte nach dem Messer, das links von ihm lag, schnellte nach rechts weg und war mit drei Sätzen im Wasser. Er ergriff das Hasenpanier. „Du meine Güte“, murmelte die Rote Korsarin. „Ist das ein Waschlappen!“ „Vielleicht will er sich nur ein bißchen abkühlen“, witzelte Edmond Bayeux, „damit er für den nächsten Waffengang frischer ist. Bisher war's ja nicht viel.“ „Schießen wir?“ fragte Jean Ribault wütend. „Brauchen wir nicht“, erwiderte die Rote Korsarin und blickte nach links. Von dort pfeilte ein anderer Mörder heran, die Schwanzflosse schnitt wie ein Messer durchs Wasser, der lange, schlanke Körper war gut zu sehen. Der Grieche schwamm jetzt, weg vom Ufer. Dann drehte er den Kopf. nach links, als habe er etwas bemerkt - ja, hatte er. Sein Schrei war grell und gellend. Er warf
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sich herum, peitschte das Wasser und wollte zurück zum rettenden Strand. Der Hai war schneller, viel, viel schneller nur ein paar leichte Schläge mit der geschmeidigen, kraftvollen Schwanzflosse, und er schoß wie ein Pfeil auf den Griechen zu. Das Ende des Nikos Dragumis war so gräßlich wie die Serie seiner Mordtaten. Vielleicht war es die Sühne das Böse, das er getan hatte. Nur drei Männer aus seiner Meute blieben die Überlebenden - Meskin, Hanifa und Licata. Vielleicht fanden, die beiden Galgenvögel eine neue Insel, die sie Hanimesland taufen konnten, vielleicht auch nicht. Da sie sich entschlossen hätten, notorische Faulenzer zu werden, war es sehr fraglich, ob sie ihre Überlebenschancen richtig beurteilten. Immerhin, Faulenzer töten nicht - eben aus Faulheit. Und das war schon was.
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Der blonde Sizilianer Licata wurde in den Bund der Korsaren aufgenommen und Mitglied in der Crew des Edmond Bayeux, die somit um einen weiteren langen Kerl bereichert wurde. * Zwei Tage später schafften es die Spanier, ihre beiden Kriegsgaleonen „San Josefe“ und „Almeria“ von der Riffbarriere und dem Strand zu ziehen. Begleitet von der „Flecha” und der „Adelante“ segelten sie südwärts und würden später auf Westkurs in Richtung Havanna gehen. Siri–Tong und die Männer, vom Bund der Korsaren beobachteten den Abzug des Verbandes, eines Verbandes, den sie eigentlich hatten rupfenwollen. Aber manchmal passierten eben die merkwürdigsten Dinge, und man half sogar jenen, die man sonst bekämpfte...
ENDE