Freder van Holk Telenergie
SUN KOH-Taschenbuch erscheint monatlich im Erich Pabel Verlag
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Freder van Holk Telenergie
SUN KOH-Taschenbuch erscheint monatlich im Erich Pabel Verlag
KG, Pabelhaus, 7530 Rastatt
Neu bearbeitet von Heinz Reck
Copyright © 1980 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt
Agentur Transgalaxis
Titelbild: Nikolai Lutohin
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG
Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und
nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wie
derverkauf ist verboten.
Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300
A-5081 Anif
Abonnements und Einzelbestellungen an
PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,
Telefon (0 72 22) 13-2 41
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Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1,
Telefon (0 40) 3 01 96 29, Telex 02 161 024
Printed in Germany
Oktober 1980
Scan by Tigerliebe 03/2006
Bearbeitet von Brrazo
1.
Als weit, weit in der Ferne der grelle Lichtstrahl in den sternenüberflimmerten Nachthimmel schoß, krallte Robert Dunn die gespreizten Finger auf die steinerne Brüstung des Daches und atmete tief, fast stöhnend auf. »Ich habe es gewußt! Ich habe es gewußt!« Langsam glitten die Finger ab. Robert Dunn stand mit hängenden Armen, dann wandte er sich schwer fällig ab und ging wie ein Schlaftrunkener die steilen Stufen hinunter in den Arbeitsraum. Dicht vor dem Apparat blieb er stehen. Fast schmeichlerisch ging die Hand aufwärts, dann packte sie schwer einen Hebel und zog ihn herunter. Das Summen, das bisher den Raum erfüllt hatte, erlosch. Robert Dunn fröstelte. Mit einer raschen Bewe gung drehte er das Hauptlicht aus, so daß nur die kleine Arbeitslampe weiterbrannte. Dann ließ er sich in den schäbigen Sessel fallen, der zusammen mit einem halbhohen Tischchen die winzige Wohnecke des Arbeitsraumes ausfüllte. Es war gelungen. Er hatte es geschafft. Robert Dunn spürte keine Freude mehr. Ganz schlaff saß er zurückgelehnt und stierte blicklos vor sich hin. Was war eigentlich gelungen? 5
Da stand der Apparat, ein Gewirr von Einzelstü cken, plump und ohne Formung, da schwangen sich die Kupferlitzen zu einem dünnmaschigen Trichter auseinander, da ringelte sich das Kabel über den Tisch und verlor sich im Dunkel, da blockten sich Würfel neben Würfel, da spiegelten sich Glas und Porzellan … Was war das alles? Robert Dunn wußte es nicht mehr. Die große Er schöpfung war über ihm und in ihm, jene Ermattung, die nur der Arbeiter der Stirn kennenlernt. Die schöpferische Tätigkeit war beendet, dahinter stand das Nichts, die bewußtseinslose Leere. Als Dav Stunden später zurückkehrte, fand er Ro bert Dunn schlafend im Sessel. Dav war Diener, Gehilfe, Hausverwalter, einziger Gefährte und Mensch, aber niemand außer Robert Dunn hätte ihn für mehr als einen Diener gehalten. Er ging auf Zehenspitzen an Robert Dunn heran, überlegte einige Sekunden, dann tippte er Dunn vor sichtig auf die Schulter. Robert Dunn schreckte auf. Eine Sekunde lang blickte er verstört um sich, dann nahm er die Gestalt Davs wahr und richtete sich auf. »Verzeihung, Sir«, murmelte Dav, »ich dachte, Sie würden lieber im Bett schlafen.« Robert Dunn strich sich über die Augen. »Ich glau be, ich bin eingeschlafen. Wie war es? Berichte!« 6
Dav krümmte die Schultern noch um eine Kleinig keit mehr, als sie es schon waren. »Sehr schön«, äußerte er sich wohlgefällig. »Wirk lich sehr schön. Der Motor ist wie wild gelaufen. Und ich habe mich sehr gefreut, daß es kein Unglück gegeben hat.« Dunn lachte kurz auf. »So, also sehr schön war’s. Das ist auch eine Art, die Dinge zu sehen. Angst gehabt?« »Angst? Nein, Sir. Es wäre natürlich sehr unange nehm gewesen, wenn mich ein Blitz erschlagen hät te. Es war mir doch gewissermaßen eine Erleichte rung, daß der Motor zu laufen begann.« In die Augen Robert Dunns trat ein Schimmer von Neugier. »Hast du dir auch überlegt, daß du Zeuge eines weltgeschichtlichen Ereignisses warst?« »Das weniger, Sir«, erwiderte Dav schlicht. »Sie wissen, ich bin nicht für Geschichte, wenn ich so sa gen darf. Sie haben da etwas Besonderes zusammen gebaut, was eigentlich Ihr Vater schaffen wollte. Ich dachte mir, es wäre ganz fein, wenn wir nun neue Vorhänge, etwas Geschirr und …« »Du bist ein Materialist«, sagte Dunn. »Haben wir noch eine Flasche Wein im Haus?« »Gewiß, Sir, sie ist noch halb voll.« »Also hol sie. Bring zwei Gläser mit!« »Zwei Gläser?« 7
»Geh schon.« Dav verschwand. Dunn trat an den Apparat heran. »Fertig«, flüsterte er vor sich hin, während er mit den Fingern über einzelne Teile der ungefügen An ordnung strich. »Und die Probe ist gelungen. Vater hat es nicht mehr erlebt, aber es ist seine Idee, die hier Wirklichkeit wurde. Aber – es war höchste Zeit. Es war fast zuviel.« »Der Wein, Sir«, meldete Dav im Hintergrund. »Einschenken.« »Beide Gläser, Sir?« »Beide Gläser.« Dav räusperte sich nach einigen Sekunden. »Das eine Glas hat einen Sprung, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Wenn ich lieber in das eine Glas nachschenken dürfte?« Robert Dunn wandte sich lächelnd um. »Du bist ein guter Kerl, Dav, aber wie immer furchtbar begriffsstutzig. Du könntest zwar auch aus meinem Glas mittrinken, aber da wir miteinander anstoßen wollen, ist es schon besser, du schenkst für dich das Glas mit dem Sprung voll.« Dav ließ den Wein einlaufen. Erst als er fertig war, hatte er die Bemerkung genügend verdaut. »Meinen Sie mich, Sir? Ich hoffe – das Glas mit dem Sprung – ich würde mir nie erlauben, so unge ziemend …« Dunn trat an den Tisch heran und drückte ihm das 8
Glas förmlich in die Hand. »Du bist nun einmal der einzige Mensch, der die sem ersten gelungenen Versuch beigewohnt hat. Von Technik besitzt du keine blasse Ahnung, trotzdem warst du mir ein wertvoller Helfer. Wer weiß, ob ich es ohne dich und deine Fürsorge gezwungen hätte. Deshalb sollst du auch in dieser bedeutungsvollen Nacht mit mir zusammen das Glas heben und damit diese Erfindung der Zukunft und der Menschheit wei hen. Was meinst du, welchen Namen wir ihr geben?« Dav wulstete seine Stirnhaut. »Einen Namen, Sir?« »Jawohl«, sagte Dunn. »Wir sind bei einer Taufe. Wie nennen wir die Erfindung?« »Hm – hm – wie wäre es mit Luftstrom, Sir?« »Luftstrom? Unmöglich, Dav. Etwas anderes.« »Vielleicht Kraftradio?« »Nicht schlecht«, meinte Dunn. »Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich den Namen gebe.« »Das glaube ich auch«, sagte Dav erleichtert. Robert Dunn hob das Glas. »Also gut, meine Erfindung soll ›Telenergie‹ hei ßen. Auf diesen Namen wollen wir unsere Gläser leeren, Dav. Möge die Telenergie der Menschheit zum Segen gereichen!« Sie tranken. So wurde eine Erfindung, die berufen war, die Kraftwirtschaft der Welt völlig umzuwälzen, aus der Taufe gehoben. 9
*
Dreißig Stunden lang schlief Robert Dunn, dann holte er die versäumten Mahlzeiten auf einmal nach, lief einige Runden durch den Garten und legte sich aufs Sofa. Er hatte ein herrliches Programm vor sich – eine Woche lang wollte er nichts tun als schlafen, essen, faulenzen und allenfalls die Zeitung lesen. »Dav?« »Sir?« »Hast du Zeitungen besorgt, Dav?« »Gewiß, Sir. Der alte Bambino sammelt sie und hat sie mir für die letzten vier Wochen geliehen. Dort liegen sie.« »Bring sie her, Dav.« Der Diener setzte einen Stuhl, auf dem ein dicker Stoß Zeitungen lag, neben das Sofa. Robert Dunn wälzte faul den Kopf herum. »Du lieber Gott, soviel Zeitungen? Von vier Wo chen, sagst du?« »Jawohl, Sir. Wenn es zuviel sind, so …« »Laß nur, es kommt nicht darauf an. Ich habe vier Jahre keine Zeitung gelesen, da werde ich die vier Wochen schon vertragen. Haben wir einen Expander, Dav?« Der zog die Stirn in Falten.
»Einen Expander? Bedaure sehr, Sir!«
10
»Sieh zu, daß du so ein Ding auftreibst. Und be sorge auch eine Sprungschnur.« »Haben Sie sonst noch Anordnungen, Sir?« »Nein, Dav.« Robert Dunn streckte sich wieder auf dem Sofa aus und nahm sich die oberste Zeitung vor. Dav hatte sie mit Geschick so gelegt, daß die ältesten Stücke oben lagen, so daß Dunn eine Zeitung genoß, die be reits vier Wochen alt war. Das fiel ihm aber erst spä ter auf. Er überflog zunächst mit denkbar größter Gleich gültigkeit die Zeilen, aber schon nach wenigen Minu ten trat scharfe Spannung in sein Gesicht. Das war doch … Komischer Zufall. Da stand es dick und deutlich: »… und dieser Abenteurer soll über wichtige tech nische Hilfsmittel verfügen, die der übrigen Welt noch nicht zugänglich sind. Es soll ihm gelungen sein, sich die Atomzertrümmerung dienstbar zu ma chen, ferner die drahtlose Übertragung elektrischen Kraftstroms und …« Ein paar Dutzend Buchstaben schienen immer grö ßer und fetter zu werden. »… drahtlose Übertragung elektrischen Kraft stroms …« Die Telenergie? In der Hand eines anderen? 11
Robert Dunn kippte sich wieder zum Sitz und be gann den ganzen langen Artikel von vorn zu lesen. Was war das für eine verrückte, phantastische Ge schichte? Da sollte es einen Mann geben, der König der Azoren werden wollte, einen Mann, dessen Kriegsschiffe in der Nähe der Azoren gesichtet wor den waren, einen Mann, der die gleiche Erfindung schon lange fertig in der Hand hielt, an der er, Robert Dunn, ein halbes Dutzend Jahre gearbeitet hatte? Unmöglich! Die nächste Zeitung her. Nichts über diese Angelegenheit? Die nächste – aha, die ganze Seite voll. Als Robert Dunn zu Ende gelesen hatte, atmete er tief auf. Jetzt war es ganz offenbar, daß es sich um groben Unfug handelte. Was man doch den Zeitungs lesern alles vorsetzte! Aber, bei Gott, es war ihm sekundenlang kalt über den Rücken gelaufen. Die nächsten Zeitungen beruhigten vollends. Von Amts wegen wurde alles für Unsinn erklärt. Eine kleine Unruhe blieb doch in Robert Dunn. Er ging nun gleich sämtliche Zeitungen oberflächlich durch und suchte dabei ausschließlich nach etwaigen Veröffentlichungen, die mit dem ersten Artikel in Zusammenhang stehen konnten. Da – da kam es in Riesenlettern. Ein Dampfer war untergegangen, ein geheimnis 12
volles Schiff oder Luftschiff hatte die Schiffbrüchi gen gerettet und nach Angra gebracht. Und da war wieder der Name jenes Mannes. Sun Koh. Ärgerlich schüttelte Robert Dunn den Bann von sich ab. Dav kam mit einem Tablett herein. »Dav?« »Sir?« Robert Dunn hielt ihm das Blatt hin. »Was ist denn das für ein Unsinn in der Zeitung?« Dav reckte den Kopf. »Ich weiß nicht, Sir. Ich habe nicht…« »Natürlich hast du nicht«, sagte Robert Dunn un geduldig. »Aber da ist von einem untergegangenen Schiff die Rede, ferner von Schiffbrüchigen, die durch ein geheimnisvolles Schiff oder Luftschiff nach Angra gebracht worden sind. Angra liegt doch nicht so weit. Man müßte doch hier wissen, ob diese Geschichte stimmt.« Dav setzte sein Tablett ab und wies dann mit dem Finger auf die Zeitung. »Die stimmt, Sir, die stimmt Bambino hat es mir erzählt. Es soll ein Luftschiff gewesen sein, so groß wie ein Berg und …« »Dick wie dieser Schwindel«, vollendete Dunn bissig. »Bambino ist noch viel schlimmer als die Zei tung. Geh!« 13
»Das Essen, Sir!« »Später.« Dav zog seine Stirn in Falten. Er begriff nicht ganz. Gestern hatte doch sein Herr erklärt, daß nun die Arbeit zu Ende sei. Und jetzt fing er wieder ge nauso an wie jeden Tag in den letzten Jahren? »Sir? Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, daß das Essen …« »Laß mich allein, Dav.« Dav nahm schweigend das Tablett und ging hin aus. Die Tonart kannte er. Robert Dunn ging hastig die restlichen Zeitungen durch. Vermutungen und Annahmen standen genug darin, aber wenig, was man für greifbar halten konnte. Er grübelte lange, nachdem er das letzte Blatt bei seite gelegt hatte. Was an diesen Mitteilungen Wahr heit war, mußte er erst noch nachprüfen. Aber es sah fast so aus, als gäbe es wirklich einen Mann, der in technischer Hinsicht seiner Zeit vorausging. Wenn dieser Mann ihm nun seine eigene Erfindung voraus genommen hatte? Robert Dunn wehrte sich innerlich gegen die An nahme, aber er kreiste immer wieder um sie herum. Es war unmöglich. Und wenn es nicht unmöglich war, so hatte jener sein Geheimnis für sich behalten, denn die Welt wußte, bis jetzt jedenfalls, noch nichts von der Telenergie. Das Problem galt nach wie vor in allen Fachkreisen als ungelöst. 14
Man mußte sich mit diesem Sun Koh in Verbin dung setzen, um sich zu vergewissern. Oder war es richtiger, sich zunächst die eigene Erfindung paten tieren zu lassen, um Sun Koh zuvorzukommen? »Dav!« Dav erschien nach geraumer Zeit. »Hast du noch die Anschrift von dem Mann, der uns das Land abgekauft hat? Er machte doch einen sehr guten Eindruck, nicht wahr?« »Gewiß«, sagte Dav ernst. »Er gab ein gutes Trinkgeld.« »Na ja, aber auch sonst! Der Mann hat mir gefal len. Man konnte ihm vertrauen. Warst du nicht dabei, als ich ihm sagte, daß ich an einer Erfindung arbei te?« Dav wies auf den Boden. »Es war dort, an jener Stelle. Er sagte noch, wenn Sie fertig wären, sollten Sie sich an seinen Auftrag geber wenden.« »Eben, und wie hieß der? War es nicht ein gewis ser Winter aus New York?« »Winter?« überlegte Dav. »Wynner, wenn ich nicht irre. Wynner, ein Millionär aus New York.« »Hm, Wynner kann auch sein. Er hat mir die An schrift aufgeschrieben, aber ich weiß natürlich nicht mehr, wo ich sie hingelegt habe.« Dav pendelte mit dem Kopf. »Wynner? Bambino sprach gestern von einem Mr. 15
Wynner, der vor einigen Tagen nach Horta gekom men sei. Es soll ein Millionär sein und aus New York stammen. Ich weiß ja nicht, ob es dort nicht mehrere Wynner gibt…« »Nur einen, das sagte jener Mann damals. Ich er innere mich genau, daß er mir sagte, ich solle mich getrost an den Millionär Wynner wenden, falls ich die Anschrift verlieren würde. Mehr als den einen gäbe es nicht in New York. Du meinst, der befindet sich gerade in Horta?« »Bambino meinte …« »Das wäre ja ein unerhörter Glücksfall, der uns viel Mühe ersparen könnte. Lauf zu Bambino und er kundige dich noch einmal, ob es stimmt und wo der Mann wohnt.« Dav nickte und ging langsam hinaus. * Fernando de la Banza saß auf dem Holzstuhl zwi schen dem weißgescheuerten Tisch und der Wand und hörte teils geduldig, teils unaufmerksam dem Geschwätz der alten Marietta zu. Die untergehende Sonne flutete breit durch die vom Alter trüb gewor denen Scheiben in die niedrige, hell getünchte Küche herein und vergoldete den Stolz des Haushaltes, eini ge altertümliche Kupferkessel, die ziemlich verwaist an der Wand hingen. 16
Fernando de la Banza war ein junger Mann. Sein hübsches Gesicht mit dem dunklen Schnurrbärtchen und dem schwärzlichen Haar zeigte noch gewisse weiche Züge. Er nahm die Hand unter dem Kopf weg, griff nach einem Holzspan und begann gedankenlos, seine Fin gernägel zu säubern. Sofort brach die alte, untersetzte Frau mit den grauweißen Haarsträhnen und dem faltenreichen, gutartigen Gesicht in ihrer Rede ab. Sie schüttelte den Kopf und meinte mißbilligend: »Das ist auch so eine von Ihren Angewohnheiten, junger Herr, mit denen Sie nur die Leute vor den Kopf stoßen.« Fernando de la Banza sah auf. »Es ist noch schlimmer in den Augen der Leute, daß du mich hartnäckig als ›Junger Herr‹ titulierst. Sie halten mich für eingebildet und tragen es mir nach.« »Nur das unreife, junge Volk«, protestierte die alte Frau mit einer gewissen Heftigkeit. »Die älteren Leu te finden es ganz in der Ordnung. Jeder weiß, daß Sie ein Banza sind, und die Banzas waren stets Herren und ein großes Geschlecht.« Der junge Mann winkte ab. »Sie sind es heute nicht mehr. Das Schloß ist ver kauft, und der letzte Banza ist ein Bauer und will nichts anderes sein.« Fernando de la Banza begann zu essen, und da 17
Marietta nach alter Sitte mittlerweile schwieg, konn te er ungestört seinen Gedanken nachhängen. Die Banzas waren unter den ersten Familien gewe sen, die sich auf den Azoren niedergelassen hatten. Bauern und Herren auf San Miguel und Gründer des Dorfes San Miguel, das jetzt in einem stillen Winkel der Insel lag. Die Geschlechter waren durch Jahr hunderte des Glanzes und der Macht hindurchgegan gen, dann aber auch durch Jahrzehnte des Verfalls und Niedergangs. Als vor zwanzig Jahren das letzte Ehepaar Banza starb, blieb für den Nachkömmling nur ein leidliches Stück Land übrig. Alles andere mußte verkauft wer den. Der kleine Fernando selbst kam zu weitläufigen Verwandten und wurde dort aufgezogen. Er besuchte die Schule, lernte Techniker und er hielt seine erste Stellung ungefähr zur gleichen Zeit, als er mündig wurde. Nun erst erfuhr er von seinem Erbteil. Er suchte es einmal auf und kehrte dann zu seinem Beruf zurück. Das Land um San Miguel ge fiel ihm, aber es fehlten ihm die inneren Beziehun gen dazu. Ein Jahr später verlor er infolge mißlicher Wirt schaftsverhältnisse seine Stelle. Abermals ein Jahr später hatte er eingesehen, daß seine Lebensaussich ten auch fernerhin trüb bleiben würden, und er hatte, einem dunklen inneren Drang folgend, beschlossen, auf seinem Erbland Bauer zu werden. 18
So war er vor einigen Monaten nach San Miguel gekommen und hatte mit Unterstützung seiner alten Amme seine eigene Wirtschaft angefangen. Es war ihm als Laien unendlich schwer geworden, aber er hatte durchgehalten bis jetzt und würde auch weiter hin durchhalten. Das Land war groß genug, um sei nen Mann zu ernähren, nur würde er schon noch ei nige Jahre hungern und schuften müssen. Augenblicklich ging es mehr als primitiv zu. Das Häuschen war winzig klein und dürftig, und das Geld ging für die Wirtschaftsanschaffungen drauf. Die Hilfe der Dorfbevölkerung wollte er nicht in An spruch nehmen, da er mit ihr noch keine rechte Füh lung bekommen hatte. Das schien sich ja freilich nach Mariettas Worten allmählich ändern zu wollen. Er schob den Teller zurück. Unverzüglich begann die alte Frau wieder zu erzählen. »Der Verrückte muß heute wieder schrecklich ge tobt haben. Es ist eine Schande, daß man das Schloß der Banzas an solche Leute verkauft hat und daß der Mann nun allerhand Hexenwerk verrichten darf, nur weil er Geld hat. Die arme Julia tut mir leid. Ganz allein in dem großen Haus und immer mit diesem schrecklichen Verrückten zusammen, der sie quält und schlägt. Ich hielte das nicht aus.« »Soll sie doch davonlaufen«, sagte Fernando. »Das klingt sehr herzlos«, erwiderte Marietta un willig. »Sie kann nicht fort, sie ist seine Nichte. Sie 19
hält es für ihre Pflicht, zu bleiben, sonst verkommt der Mann ganz und gar. Und dabei ist sie so tüchtig. Das wäre eine Frau für Sie, junger Herr.« Banza lachte. »Ausgezeichnet, dann wären wir zwei, die nichts zu essen hätten und nichts verständen.« »Die Richottos haben Geld.« »Um so schlimmer.« »Man kann ein Mädchen lieben, obwohl es Geld hat. Sie selbst lebt ja schlimmer als unsereiner, denn Jose Richotto ist geizig. Das arme Kind. Lernt sie nur erst mal kennen.« Fernando erhob sich und schritt der Tür zu, wobei er knurrte: »Ich habe nicht das geringste Verlangen danach. Meine Arbeit ist mir wichtiger.« Bevor er die Tür erreichte, wurde von außen ange klopft. Da er die Klinke ohnehin fast in der Hand hatte, griff er zu und riß die Tür auf. Vor der Schwel le stand ein junges Mädchen in einem bescheidenen Kleid, dessen Bestimmung es sicher nicht gewesen war, den schlanken, fast zierlichen Körper vorteilhaft zur Geltung zu bringen. Sie wich erschrocken einen Schritt zurück, als der Mann plötzlich vor ihr stand, strich sich mit einer unbewußten Bewegung die dun kelbraunen Locken aus der Stirn und sagte bittend: »Ich suche Marietta. Haben Sie nicht Verbandszeug im Haus?« Fernando de la Banza starrte unentwegt in das 20
blasse, schöne Gesicht mit den großen Augen und fragte schroffer, als es in seiner Absicht lag: »Ver bandszeug? Wer sind Sie?« »Julia Richotto«, antwortete sie leise und wies da bei auf das breitgelagerte, schloßartige Gebäude, das einige hundert Meter weiter auf dem Hügel lag. »Barmherzigkeit!« Die alte Frau kam hastig heran geeilt. »Sie sind es?« Sie schob den letzten der Banzas resolut aus dem Türrahmen und umarmte das junge Mädchen fast. »Sie sind es tatsächlich. Welche Freude! Wollen Sie nicht eintreten?« Julia schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, Sie haben Verbandszeug hier. On kel hat sich verletzt und blutet, und wir haben nichts im Haus.« »Selbstverständlich haben wir Verbandszeug, nicht wahr, junger Herr? Ach, entschuldigen Sie, mein Täubchen, das ist unser junger Herr, Fernando de la Banza, von dem ich Ihnen schon erzählte. Na türlich hat er Binden und solche Sachen oben, fast wie ein Doktor.« Fernando war jetzt endlich imstande, die Befan genheit von sich abzuschütteln. Auf seinem Gesicht erschien sogar der Anflug eines Lächelns, als er murmelte: »Du weißt ja in meinen Koffern vorzüg lich Bescheid. Ich will die Sachen gern holen.« Er verschwand über die dunkle Treppe und kehrte 21
nach einer Minute mit einem gut ausgerüsteten Käst chen zurück, das er dem Mädchen übergab. »Wissen Sie auch damit umzugehen? Sonst bin ich gern bereit, Ihnen Hilfe zu leisten. Marietta kann auch mitgehen.« »Nein, nein«, wehrte sie hastig ab. »Onkel will niemand sehen. Vielen Dank einstweilen.« Sie knickste und huschte davon. Die beiden ande ren sahen ihr eine Weile nach und kehrten dann in die Küche zurück. Marietta erledigte ihre häuslichen Arbeiten weiter und warf nur dann und wann einen halb fragenden, halb verschmitzten Blick auf den jungen Herrn. Dieser selbst ging ziemlich zwecklos hin und her, nahm bald dies, bald jenes in die Hand und legte es ebenso gedankenlos wieder hin. Ziem lich unvermutet meinte er: »Auf die Dauer wird sich’s nicht vermeiden lassen, daß man heiratet, nicht wahr, Marietta?« Die alte Frau kniff die Augen zusammen. »Freilich, freilich. Aber für Sie kommt es in den nächsten Jahren ja doch nicht in Frage, junger Herr. Ihre Arbeit ist wichtiger.« Fernando blieb mit einem Ruck stehen. »Unsinn, heiraten kann man nebenbei auch noch.« »Aber dann hungern zwei, wo jetzt einer nicht satt wird.« Sein Gesicht war düster. »Ich habe noch nie gehungert. Und eine Frau trau 22
te ich mir allemal zu zu ernähren.« »Aber wenn sie nun nichts von der Landwirtschaft versteht?« erwiderte sie bedenklich. Er sah sie forschend an und schüttelte dann den Kopf. »Ich verstehe dich nicht, Marietta. Eben hast du noch gedrängt und jetzt rätst du ab?« »Ich?« tat sie erstaunt. »Ich wiederholte doch nur, was Sie vorhin sagten!« Er wandte sich verlegen ab. »Vorhin? Ist mir nicht im Traum eingefallen. Übri gens, was ich dich schon lange fragen wollte: Dieser alte Richotto behandelt seine Nichte wohl nicht gut?« Sie setzte hörbar ihre Schüssel nieder. »Habe ich nicht vorhin gerade erzählt, daß er sie quält und schlägt? Aber das fanden Sie natürlich ganz in Ordnung.« »Wie kannst du so etwas behaupten? Erwürgen müßte man den Kerl!« Marietta schmunzelte. »Die kleine Julia hat Ihnen wohl gefallen?« »Sie hat mir leid getan, weiter nichts.« »Soso, leid getan«, kicherte sie. Er drehte sich ihr gereizt zu. »Was gibt’s da zu lachen? Siehst uns wohl schon vor dem Traualtar stehen, he? Würdest ganz gern ein bißchen kuppeln? Streng dich nicht an, sie würde sich schön dafür bedanken, einen armen Tropf zu nehmen.« 23
Marietta wurde wieder ernst. »Das ist noch lange nicht gesagt, aber der alte He xenmeister will sie sicher verkaufen. Der wird nach Geld fragen.« »Tja, tja, das liebe Geld«, murmelte er tiefsinnig. Sie nickte voll Teilnahme und Gefühl. »Das liebe Geld. Ja, wenn Sie Glück hätten und den richtigen Tag erwischten, dann wäre alles gut. Ein Sonntagskind sind Sie ja, und die fünfhundert Jahre müssen auch ungefähr herum sein. Da könnten Sie viel Gold und Edelsteine finden und der Reichste im Land werden.« Er musterte sie erstaunt. »Wovon faselst du?« Sie hob geheimnisvoll den Finger. »Habe ich Ihnen noch nie von der heiligen Grotte erzählt?« »Nein, was ist damit?« Ein Schein von Mißtrauen ging über ihr Gesicht, aber dann berichtete sie eifrig drauflos: »Sie waren doch schon oft mit dem Boot draußen und wissen, wo die Grotte liegt. Sie ist bei Flut kaum sichtbar, aber bei Ebbe kann man bequem hinein, wenn man will. Aber es ist verboten. Ich glaube nicht, daß seit tausend Jahren dort ein Mensch drin war. Wer näm lich hineingeht und ist nicht berufen, der stirbt. Nur einmal alle fünfhundert Jahre öffnet sich die Höhle einem Sonntagskind, das soviel von den Schätzen 24
nehmen darf, wie es will. Aber sonst töten die Geis ter den Eindringling.« »Ein schönes Märchen«, spottete er. Sie schüttelte den Kopf. »Wie kann man so lästerlich reden. Das ist kein Märchen. Alle Banzas haben daran geglaubt und ha ben mit darauf gehalten, daß niemand in frevelhaf tem Übermut an die Grotte kam. Und vor ihnen ha ben es andere getan. Und Ihr Vater ist mit mir auf gewachsen, und er hat mir oft erzählt, was er von seinem Vater und Großvater darüber hörte und was in den Büchern stand. Als der erste Banza seinen Fuß auf die Insel setzte, wohnten hier bereits andere Leu te von fremdartiger Erscheinung, die von den Erobe rern als ›guanchos‹ bezeichnet wurden. Diese Leute lebten dürftig, aber in ihren Hütten lagen zahlreiche Gold- und Silbergeräte mit merkwürdigen Zieraten, und ihre Erinnerungen sprachen von Glanz und Grö ße eines gewaltigen Reiches, zu dem sie einst gehört hatten und das dann in dem großen Meer versunken war. Seltsame Überlieferungen hatten sie, und eine davon handelte von dieser heiligen Grotte, die schon seit undenkbaren Zeiten von ihnen nicht betreten werden durfte und heiliggehalten wurde.« »Was geschah mit jenen Leuten?« »Sie besaßen viel Gold und sonstige Schätze und wurden darum ausgerottet. Niemand von ihnen ist am Leben geblieben. Aber die Grotte ist auch wei 25
terhin heiliggehalten worden. Das hat seinen beson deren Grund. Der zweite Banza besaß nämlich einen Sohn, den er sehr liebte. Dieser drang eines Tages in die Höhle ein. Man fand ihn Stunden später über sei nem Boot liegend mit zerschmettertem Schädel. Da mals verbot jener Banza für alle Zeiten das Betreten der Höhle, und dabei ist es geblieben bis heute.« Fernando lachte kurz auf. »Und du meinst, ich soll es nun von neuem versu chen?« Die alte Frau wehrte erschrocken ab. »Gott behüte, ich habe nur so in meinem Unvers tand dahergeredet, weil es heißt, daß sich alle fünf hundert Jahre die Schätze einem Sonntagskind öff nen sollen.« »Schon gut«, beruhigte er. »Es wäre freilich ganz nett, aber schließlich würde es doch nur auf ein brot loses Abenteuer und einen verlorenen Tag hinauslau fen.« * Wochen vergingen. Fernando de la Banza verrichtete äußerlich gleich mäßig sein Tagewerk, aber in seinem Innern waren seit jenem Abend erhebliche Wandlungen eingetre ten. Er sah Julia Richotto zum zweitenmal. Das war 26
ein Zufall. Das dritte Zusammentreffen war schon absichtlich herbeigeführt, ohne daß er sich’s recht eingestand. Und dann sah er sie fast Tag für Tag, wenn auch manchmal nur für kurze Minuten, mit Willen und Bewußtsein. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Julia Richotto war glücklich, aber sie litt heimlich um diese Liebe. Ihr Onkel hatte Verdacht geschöpft. Sie schwieg Fernando gegenüber, aber er sah die Spuren der Tränen in ihren Augen. Zornige Verwün schungen gingen über seine Lippen. Er machte kein Hehl daraus, daß er dem Alten, den er bisher nicht zu Gesicht bekommen hatte, die Pest an den Hals wünschte. Julia war sein Lebensinhalt. Je mehr aber die Zeit verging, um so mehr plagte ihn die Sorge um die Zu kunft. Das Verhältnis konnte so nicht bis in alle E wigkeit bestehenbleiben. Eines Tages mußte er das Mädchen von ihrem Onkel fordern und sie in sein Haus nehmen. Wenn er mit seinen Überlegungen so weit war, seufzte er jedesmal. Es war schlecht, wenn man nichts hatte als sich selber. Wie schön wäre es, wenn solche Träume wie die der alten Marietta in Erfül lung gingen, wenn man in der heiligen Grotte alte Schätze finden könnte. Unwillkürlich kehrten seine Gedanken immer wie 27
der darauf zurück. Er war in der Stadt aufgewachsen und verfügte über eine gute Bildung. Manches, was für den eingeborenen Landbewohner noch den Schein des Wunderbaren an sich trug, fand bei ihm eine nüchterne Erklärung. So verstand er die allge meine Scheu vor der Grotte durch das, was ihm Ma rietta über den Sohn seines Urahnen erzählt hatte. Ein Unglück oder Mord war in Verbindung mit der Grotte geschehen, und daher hatte man sie gesperrt und mit dem Nimbus des Unnahbaren umgeben. Seltsam war nur, daß die Ureinwohner, deren Exi stenz ihm aus seinem Geschichtsunterricht recht wohl bekannt war, diese Grotte schon als heilig ver ehrt hatten. Zu zweifeln war kaum daran, denn die Überlieferungen pflegten hier im allgemeinen ziem lich genau zu sein. Selbst die unwahrscheinliche Be hauptung von einem versunkenen Riesenreich war nach verschiedenen Quellen als richtig bewiesen worden. Man konnte kaum mehr daran zweifeln, daß hier einst ein Randbezirk des Erdteils Atlantis gewe sen war und daß die ›guanchos‹ zur Bevölkerung dieses Erdteils gehört hatten. Je länger er darüber nachdachte, um so sicherer er schien ihm, daß in der heiligen Grotte wertvolle Din ge aus der Vorzeit der Insel verborgen sein müßten. Eines Tages stand das als Überzeugung in ihm fest. Damit war aber auch schon der Entschluß da. 28
An einem Sonntagmorgen ruderte er nach Eintritt der Ebbe am Strand entlang. Ein vorstehender Felsen verbarg ihn bald gegen jede Sicht vom Dorf her, so daß er sich unbeobachtet der Grotte nähern konnte. Sie war leicht zu finden. Wie ein mächtiges dunk les Tor öffnete sie sich dem Meer zu. Fernando pas sierte ohne langes Zögern das Tor und fand sich nun innerhalb einer verhältnismäßig niedrigen, aber sehr langgestreckten Höhle, deren Wände im Schein sei ner Taschenlampe feucht schimmerten. Offenbar war sie während der Flutzeit ganz mit Wasser ausgefüllt. Er ruderte annähernd hundert Meter tief hinein, dann scharrte der Kiel seines Bootes auf dem Felsen auf, ohne daß ein Ende der Höhle abzusehen war. Er stieg jedoch ohne Besinnen aus und schritt über die unregelmäßigen, schlüpfrigen Steine vorwärts. Nach abermals hundert Metern stieg der Boden ziemlich plötzlich an. Gleichzeitig verengte sich die Höhle zu einem schmalen Schlauch, der im flachen Winkel nach oben führte. Es war nicht mehr als ein Gang, der hier weiterlief, kaum geräumig genug, um einen Mann kriechend hindurchzulassen. Rechts und links waren die Felswände mit unbe kannten Schriftzügen bedeckt, in Stein gehauenen Zeichen, die ihn fast an die Keilschrift erinnerten, die er einmal in einer Abbildung gesehen hatte. Sein Herz begann bei dieser Feststellung stärker zu klopfen. Also doch! Die Höhle stand zu den Ur 29
einwohnern dieser Insel in Beziehung. Sicherlich hatte man nicht gerade um des Vergnügens willen an einer solch abgelegenen Stelle Zeichen eingeritzt. Er wandte den Blick rückwärts. Die Höhle lag dunkel und schweigend. Weit, weit entfernt flutete das Licht durch den Bogen des Tores. Es mochte keine reine Freude sein, sich hier von der Flut über raschen zu lassen. Sicher bildete das einströmende Wasser zahlreiche Wirbel, und bis zum Tor war eine ganz hübsche Strecke Wegs, die man gegen die Strömung zurücklegen mußte. Doch die Flut kam erst in Stunden. Er wandte sich wieder um und kroch in den Schlauch hinein. Der Boden war feucht und glatt. Auch die Wände hatten allerhand Nässe, aber sie be saßen hier und da einen knotenartigen Vorsprung, an dem man sich weiterziehen konnte. Nach zwanzig Metern sanfter Steigung war der Kriechgang zu Ende. Fernando glitt um ein Haar in den See, der sich vor ihm auftat. Seine suchende Hand spürte Gott sei Dank noch rechtzeitig das Was ser. Nun knipste er seine Lampe wieder an und leuch tete, auf dem Bauch liegend, seine Umgebung ab. Er lag am Rand eines Sees, der den Boden einer niedrigen Höhle von annähernd dreißig Metern Durchmesser bedeckte. Die Wände wölbten sich flach, aber auffallend regelmäßig und glatt zu einer Kuppel. Sie waren feucht vom Wasser. 30
Wenn die Flut kam, mußten der Gang und diese Höhle voll Wasser sein. Eine ganz hübsche Falle, wenn jemand nicht daran dachte. Er ertrank wie eine Maus im Eimer. Fernando de la Banza nahm sich zum zweitenmal vor, rechtzeitig umzukehren. Rechts von sich, etwa in einem Meter Entfernung, entdeckte er einen grünlichen, kurzen Stab, der aus der Wand ragte. Er reckte sich vor und tastete mit den Fingern. Es war Kupfer, stark mit Patina überzo gen. Der spannenlange Stab war verbogen und saß auch anscheinend nicht sonderlich fest. Ein Stück weiter und zugleich ein Stück höher ent deckte er einen zweiten, ganz ähnlichen Stab, kurz darauf einen dritten, einen vierten und mehr. Die Stäbe liefen stufenförmig an der Kuppel der Höhle hoch und endeten einige Meter unterhalb des Schei tels unmittelbar über seinem Kopf. Dort befand sich ein Loch, das ganz so aussah, als sei es der Beginn eines ähnlichen Ganges wie der, in dem er augen blicklich steckte. Die Stäbe erweckten so ungefähr den Anschein, als sei hier früher eine gewundene Leiter aufwärts gegangen. Der junge Mann überlegte eine Weile und beschloß dann, sein Glück weiter zu versuchen. Viel passieren konnte ja nicht, allenfalls fiel er ins Wasser. Daß er naß wurde, ließ sich ohnehin nicht vermeiden. 31
Er streckte sich halb durch das Wasser vor und zog sich am ersten Stab heraus. Etwas unbeholfen landete er mit dem rechten Knie auf dem Stab, dann griff er zum nächsten. Nun ging es besser, weil er im vorhergehenden Stab jeweils eine Stütze fand. Trotzdem, ganz so einfach war die Geschichte nicht. Wenn er nicht völlig schwindelfrei gewesen wäre, hätte sein Versuch bald ein klägliches Ende gefunden. Aber auch so wurde ihm die Kletterei bald reichlich unangenehm. Solange die Füße auf dem einen, die Hände am nächsten Stab ruhten, war es erträglich. Aber jedesmal kam der Augenblick, wo er sich unter Anspannung aller Kräfte auf den schmalen und so sehr kurzen Stab hinaufstemmen, wo er sich aufrichten mußte und dabei mit der Schulter gegen die überhängende Wand stieß, wo er sich vor dem Sturz nur durch schnelles Vorgreifen bewahren konnte. Es dauerte nicht lange, so schwitzte er vor An strengung. Sein Atem keuchte, und seine Glieder be gannen zu zittern. Aber seine trotzige Energie ließ den Gedanken aufzugeben gar nicht aufkommen. Er biß die Zähne zusammen und kletterte weiter. Endlich hatte er es geschafft. Aufatmend rutschte er in den Gang, der vor ihm lag. Er war bequemer als der erste, so daß ihn Fernan do gebückt durchlaufen konnte. Nach rund fünfzig Metern stand er abermals in einer Höhle, die ziem 32
lich genau über der unteren Meereshöhle liegen muß te, da der zweite Gang in entgegengesetzter Richtung wie der erste geführt hatte. Sie war sehr flach, an ihren höchsten Punkten kaum höher als drei Meter. Wie eine riesige umge stülpte Schale wirkte sie. Eines fiel dem Eindringling in erster Linie auf. Die Höhle war nicht dunkel, sondern von zerstreutem Licht erfüllt, das sicher von der Sonne kam. Und zweitens war die Luft hier drin so frisch, daß die Höhle unbedingt Verbindung mit der Außenwelt ha ben mußte. Er entdeckte diese in ein paar schmalen, hohen Felsspalten, die allerdings nicht geradewegs ins Freie führen konnten, sondern wahrscheinlich gebrochen waren. Drittens fiel ihm die außerordentliche Glätte des Bodens und dann der Wände auf. Wenn diese Höhle von der Natur geschaffen war, so hatten sicher Men schen das rohe Werk kunstvoll beendet. Der Fußbo den war nicht nur geglättet, sondern anscheinend so gar glasig geschliffen, so daß sich Banza fast wie auf einem Parkett vorkam. Ebenso glatt waren auch die Wände, nur daß sie in großen Feldern Schriftzeichen aufwiesen. Im übrigen war die Höhle gänzlich leer. Der junge Mann war enttäuscht. Erst jetzt wurde er sich bewußt, daß er insgeheim gehofft hatte, die Goldschätze bergeweise zu finden. 33
Er durchschritt die Höhle und begann vor allem nach einem weiterführenden Gang zu suchen. Nach einigen Minuten wußte er, daß er am Ende seiner Entdeckungsreise war. Es gab keinen anderen Aus gang als den, den er schon benutzt hatte. Die Spalten, durch die das Licht drang, waren viel zu schmal, um den Körper hindurchzuzwängen. Nun begann er Wände und Fußboden planmäßig abzusuchen. Da machte er plötzlich eine überraschende Entde ckung. In dem spiegelglatten Boden fand er einen Spalt. Er stutzte, leuchtete näher heran und sah nun, daß der Spalt im Viereck herumlief. Hier mußte eine Platte liegen. Was mochte darunter sein? Er versuchte, sie zu heben, aber das mißlang ihm völlig. Die Ritzen waren zu fein, und die Platten wa ren zu schwer, außerdem fehlte es ihm an geeigne tem Werkzeug. Nach einigen vergeblichen Versu chen gab er es auf. Dafür suchte er den Boden weiter ab. Nicht weit entfernt entdeckte er eine zweite Platte. Leider ließ auch sie sich sowenig heben wie die ers te. Er fand eine dritte, eine vierte und fünfte Platte und immer mehr. Schritt für Schritt suchte er und probierte immer von neuem, ob nicht eine dabei sei, 34
die ihr Geheimnis leichter enthüllte. Er fand insgesamt siebzig Platten, die in mehreren Reihen geordnet lagen. Siebzig Geheimnisse, von denen er kein einziges lösen konnte. Er war ausgezogen, um ein Geheimnis zu lösen, nun war das Ergebnis nur eine Fülle neuer Geheim nisse. Es war nötig, besser ausgerüstet zurückzukeh ren und diese Platten zu heben. 2. Samuel Wynner war mit fünfundzwanzig Jahren ein stattlicher Mann gewesen. Mit fünfzig hatte sich die Stattlichkeit bereits in Masse verwandelt, besonders in der Bauchgegend und an dem kurzen, auffallend gedrungenen Nacken. Selbst die Nase hatte erheblich an Fleischigkeit gewonnen. An den großen Händen hingen dickwurstige Finger, die Hosen lagen straff auf den Schenkeln. So bot er das Bild eines Mannes, der sich seine Ernährung etwas kosten ließ. Man konnte ihn aber doch nicht als fett oder aufgedunsen bezeichnen, er war eben nur massig. Samuel Wynner hatte seine Millionen auf durch aus gesetzlichem Weg erworben. Das besagte aber noch lange nicht, daß er gewisse sittliche und soziale Grundsätze beachtet hatte, denn bekanntlich decken sich die Gesetze vieler Staaten nur teilweise und 35
recht unvollkommen mit diesen. Er hatte als Börsen jobber begonnen und sich von da aus zum Boden makler entwickelt. Sein Name hatte mehr oder weni ger groß gedruckt auf manchem verheißungsvollen Prospekt gestanden, und das Geld, das er angehäuft hatte, war einst im Besitz kleiner hoffnungsfreudiger und vertrauensseliger Leute gewesen, die sich eine Farm oder ein Häuschen dafür hatten schaffen wol len. Mit seiner Tätigkeit als Bodenmakler hing es auch zusammen, daß er nach den Azoren gereist war. Ein Geschäft. Da war eines Tages ein Mann zu ihm ge kommen und hatte ihm erklärt, daß er Land auf den Azoren benötige, etwa bis zu hunderttausend Quad ratmeter. »Es kann auch weniger sein«, hatte er gemeint, »und es braucht auch nicht aus einem Stück zu be stehen. Es schadet nichts, wenn Sie es in einer Reihe verschiedener Plätze kaufen. Die Hauptsache ist, daß die Landstücke auf den Azoren liegen und völlig und unbestritten mein Eigentum werden.« Nun, Samuel Wynner war nicht dumm und kannte den Besucher nicht. Er hatte deshalb bedeutungsvoll gefragt: »Ihr Eigentum?« »Genau verstanden«, war die Erwiderung gewe sen. »Das Geld wird hinterlegt, alles andere braucht Sie nicht zu kümmern. Sie verstehen mich?« »Wenn das Geld hinterlegt wird, vollkommen«, 36
hatte Wynner versichert. »Wieviel wollen Sie anle gen?« »Der Quadratmeter kostet jetzt auf den Azoren un gefähr einen Shilling im Durchschnitt, soweit es sich um gutes Land handelt. Von dem, was Sie unter drei Shilling einkaufen können, gehört Ihnen die Hälfte. Außerdem erhalten Sie eine feste Provision von drei Shilling pro Quadratmeter.« Darauf war Samuel Wynner einige Zeit lang sprachlos gewesen, was ihm noch nie in seinem Le ben passiert war, dann hatte er mit Überzeugung und mit Mißtrauen festgestellt: »Sie sind verrückt!« »Mag sein. Aber Ihnen macht das hoffentlich nichts aus, da das Geld hinterlegt wird. Nebenbei bemerkt bin ich bereit, auch höhere Beträge zu zah len, falls Sie das Land nur teurer einkaufen können.« Wynner hatte den Mann für verrückt oder für ganz gerissen gehalten, aber er hatte sich schnell entschie den. Das Rechenexempel ging für ihn mit mindestens hunderttausend mal drei Shilling glatt auf. Solche Geschäfte ließ man nicht aus, zumal wenn das Geld vorher hinterlegt wurde. Und nun? Drei Tage nach seiner Ankunft wunderte er sich zum erstenmal. »Verstehen Sie das, Murphy?« sagte er zu seinem besten Agenten, den er mitgebracht hatte. »Seit ges tern früh steht die Anzeige in der Zeitung, und bisher 37
hat sich noch kein Mensch gemeldet, der ein Grund stück zu verkaufen hat.« »Die Verhältnisse sind hier wohl ungewöhnlich«, erwiderte der Agent, der sich inzwischen unterrichtet hatte. »Soweit das Land nicht Staatsbesitz ist oder der Gemeinde gehört, befindet es sich in den Händen einzelner Leute. Die große Masse steht nur in Pacht und Zins. Die Besitzer aber haben es nicht nötig zu verkaufen.« »Unsinn«, knurrte Wynner daraufhin. »Es gibt si cher noch eine ganze Reihe kleinerer Grundstücksbe sitzer. Wenn die Anzeige ohne Erfolg bleibt, müssen wir es eben anders versuchen. Zapfen Sie meinetwe gen den erstbesten Mann an.« Am nächsten Tag stand Murphy wieder vor sei nem Chef. »Ich muß Ihnen was erzählen«, meinte er etwas heiser. »Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber wenn mich meine Nase nicht trügt, hat es sogar al lerhand auf sich.« »Schießen Sie los.« »Ich war heute morgen bei einem Mann, der vor der Stadt ein Haus mit einigen Quadratmetern Land hat. Man sagte mir, daß er mit dem Geld knapp sei. Ich bohrte ihn wegen eines Verkaufs an, weil ich ziemlich fest damit rechnen konnte, daß er anbiß. Nun, er biß auch an und meinte, daß er lieber heute als morgen verkaufen würde, wenn sein Land – nicht 38
schon verkauft wäre.« Wynner blickte ungeduldig auf. »Na ja, und? Wenn der Mann schon verkauft hat, müssen Sie sich eben einen anderen suchen.« Murphy grinste etwas. »Sicher, ich dachte nur, Sie würden sich für ge wisse Einzelheiten interessieren, die mir der Mann erzählte. Er hat das Land nämlich schon vor annä hernd zwei Jahren verkauft – für einen Pappenstiel übrigens –, und zwar an einen gewissen Winter in New York. Dieser Winter braucht das Land anschei nend nicht, denn er hat vertraglich festgemacht, daß der frühere Besitzer bis zu seiner letzten Stunde auf dem Grundstück leben darf.« »Muß ein sentimentaler Bursche sein.« Wynner zuckte die Achseln. »Und nun, was weiter?« »Der Mann sagte mir, daß damals sicher verschie dene Grundstücke unter den gleichen Bedingungen verkauft worden seien!« Wynner spielte mit seinem Bleistift. »Ich kann mir denken, worauf Sie hinaus wollen. Sie vermuten, daß das der Grund ist, warum uns kei ne Angebote gemacht wurden?« »Ich kann es mir nur so denken, und ich habe da auch so eine Ahnung.« Wynner blieb weiter nachdenklich. »Das könnte also der Haken sein«, murmelte er wie im Selbstgespräch vor sich hin. »Deshalb ist 39
mein Auftraggeber so großzügig. Na, es sollte mich doch wundern. Strengen Sie sich heute nicht mehr an, Murphy, wir wollen lieber gleich die Grundbü cher einsehen und nachprüfen, was an Ihrem Ver dacht stimmt. Er ist verrückt, aber Sie haben nie eine schlechte Nase gehabt.« Die Nase Murphys erwies sich sogar als schlecht hin vollkommen. Wynner bekam in der anschließen den Woche genügend Gelegenheit, sie zu bewun dern. Er klapperte zwischen Santa Cruz und Porto alle Grundbücher ab und machte dabei eine Feststel lung, die ihm den Atem raubte. Fast alles Land in Privatbesitz, gleichviel auf wel cher Azoreninsel es lag und von welchen Leuten es bewohnt wurde, besaß einen einzigen eingetragenen Eigentümer, nämlich jenen Mr. Winter in New York. Was ihm nicht gehörte, war städtischer oder staatli cher Besitz, außerdem einige wenige Grundstücke, die schwerreichen Leuten gehörten. Jedoch war auch bei einigen von diesen eine Option, ein Vorkaufs recht, zugunsten Winters eingetragen. Dieser Winter hatte viele Millionen ausgegeben, um alles Land aufzukaufen, was einigermaßen er reichbar gewesen war. Samuel Wynner begriff das nicht, begriff vor al lem nicht, daß sich der Mann anscheinend völlig da mit begnügte, Eigentümer zu sein. Jeder der Verkäu fer besaß das Recht, bis zu seinem Lebensende auf 40
dem Grundstück zu wohnen, keiner brauchte Zinsen zu bezahlen, obwohl er einen Kaufpreis ausgehändigt hatte. Ungeheuerlich! Aber Samuel Wynner verstand, daß er hier in ein großes Spiel hineingeraten war. Kein vernünftiger Mensch handelte zweck- und absichtslos, also ver folgte dieser Winter bestimmte Pläne, die diese Landkäufe rechtfertigten. Und der Auftraggeber, der Wynner so großzügig Geld geboten hatte, mußte al lerhand Ahnung um diese Verhältnisse besitzen. Ein großes Spiel – und Samuel Wynner stand da und konnte nicht einen einzigen Quadratmeter Land auf den Azoren kaufen. »Wir müssen Land bekommen«, sagte er entschie den zu Murphy. »Das hier ist die Liste aller Grund stücke, die sich noch völlig in Privathand befinden. Bei den meisten wird nichts zu machen sein, wenigs tens nicht so schnell. Das sind Grundstücke amerika nischer oder englischer Millionäre, Villengrundstü cke mit Parkanlagen. Die Leute haben es nicht nötig zu verkaufen und werden auch nicht verkaufen, weil es eben ihre Ruhesitze sind. Aber einige sind frag lich. Dort müssen wir ansetzen. Da ist hier zum Bei spiel ein Grundstück von dreitausend Quadratmetern mit Wohnhaus. Es gehört einem Engländer namens Frank Reeves. Der Mann dürfte verhältnismäßig leicht kleinzukriegen sein. Versuchen Sie es dort. 41
Stellen Sie vor allem unauffällig fest, wie die Ver hältnisse sind.« Murphy ging an die Arbeit. Nach zwei Tagen be richtete er: »Dieser Reeves ist ein pensionierter Co lonel oder so etwas Ähnliches, der von seiner Rente lebt. Er ist schon an die Sechzig, aber hart wie Hi ckory und schrullig wie ein alter Ziegenbock. Ver mögen hat er sonst nicht, er lebt sehr einfach, be scheiden und zurückgezogen. Außer ihm wohnen noch seine Tochter und deren einstige Amme, ein Frau in den vierziger Jahren, bei ihm. Ich habe mit Reeves unterhandelt, aber er will nicht verkaufen. Wenn er mal stürbe, müßte seine Tochter ohnehin verkaufen, um leben zu können, meinte er, aber bis dahin sei nichts zu machen. Solange er lebe, verkaufe er nicht. Das habe er auch schon dem Herrn erklärt, der vor zwei Jahren habe kaufen wollen.« Wynner winkte ab. »Wir können nicht warten, bis der Mann stirbt. Wir müssen ihm die Sache eben schmackhaft machen.« »Er ist eigensinnig«, warnte Murphy. »Aber schließlich kann es nichts schaden, wenn Sie selbst mal mit ihm unterhandeln.« Wynner fand das auch und ging zu Reeves. Er be gann gewichtig und breitspurig als edler Gönner, der eigens gekommen war, um Reeves zu beschenken, wandelte sich zum beredten Vertreter kaufmänni schen Standpunktes, spielte dann den leidenden 42
Mitmenschen und suchte schließlich einzuschüch tern. In diesem Stadium machte ihn Reeves auf die Stelle aufmerksam, an der der Zimmermann die Tür eingebaut hatte. * Zwei Stunden später ließ sich Robert Dunn bei Sa muel Wynner melden. Wynner vermutete flüchtig, seine Anzeige habe nun doch Erfolg gehabt. Er sah seine Liste durch, aber einen Robert Dunn als freien Landbesitzer gab es nicht darauf. Trotzdem nahm Wynner natürlich den Besuch an. Es gehörte zu sei nen Grundsätzen, sich von allen Leuten sprechen zu lassen, solange sich diese nicht offenkundig als Nie ten erwiesen hatten. Robert Dunn trat ein. Er fühlte sich unsicher, aber nicht verlegen oder befangen. Das Bewußtsein, der Gebende zu sein, verlieh ihm eine gewisse Stärke. Seine äußere Erscheinung machte freilich einen we nig günstigen Eindruck. Wynner sah einen jungen, recht mittelmäßig gekleideten Menschen von nach lässiger Haltung vor sich, dessen Gesicht in seiner Hagerkeit auf dürftige Verhältnisse schließen ließ. Ein Bittsteller vermutlich. Die Begrüßung war von kühler Höflichkeit. »Bitte, nehmen Sie Platz. Ich habe nicht viel Zeit, aber ich will Ihnen fünf Minuten geben, um mir zu 43
sagen, was Sie sagen wollen. Bitte.« Robert Dunn fühlte sich peinlich berührt. Er hatte sich diesen Wynner gänzlich anders vorgestellt. Das war kein Mann, mit dem man in gegenseitigem Ver trauen verhandeln konnte. Im Gegenteil, er empfand einen ausgesprochenen Widerwillen gegen diesen Wynner. Am liebsten wäre er wieder fortgegangen. »Nun?« Aus dem unklaren Empfinden heraus, dem selbstbewußten und hochfahrenden Mann zu zeigen, daß er nicht als Bittsteller kam, entschloß sich Robert Dunn zu sprechen. »Ja«, sagte er zögernd, »ich kam zu Ihnen, weil ich Ihnen meine Erfindung anbieten wollte. Ich weiß aber nicht – ich glaube, ich habe mich in den Vor aussetzungen geirrt.« Der Nachsatz bewog Wynner, nicht schallend auf zulachen, sondern zu horchen. »Eine Erfindung? Um was handelt es sich denn?« »Um die sogenannte Telenergie, die Übertragung elektrischen Kraftstroms durch die Luft. Ich weiß aber nicht, ob Sie Interesse dafür haben. Ich nahm es an, weil der Herr, der das Land für Sie kaufte, mir riet, mich an Sie zu wenden, aber …« Samuel Wynners Gehirn wurde nicht durch über flüssige Massen belastet. Er konnte sehr schnell den ken, besonders dann, wenn es galt, eine Chance zu erfassen. 44
Der unbekannte Landkäufer jenes Winter hatte die Erfindung dieses jungen Menschen schon vor zwei Jahren für beachtenswert gefunden. Für den Gegen spieler würde das bemerkenswert sein. Warum auch nicht für den Mittelsmann? »Kein Aber«, lehnte er mit wohlwollender Freund lichkeit ab. »Warum sollte ich mich für Ihre Erfin dung nicht interessieren? Im Gegenteil, es würde mich freuen, wenn Sie mir darüber erzählen würden. Sie sprachen von einer Übertragung von Elektrizität in der Luft?« Robert Dunn glitt halb widerwillig in die Sache hinein. »Es handelt sich nicht um Elektrizität schlechthin, denn die wird ja schon dauernd, zum Beispiel im Rundfunk, durch die Luft geschickt. Meine Erfin dung betrifft Starkstrom, also Kraftstrom, der zur Arbeitsleistung in Motoren verwendet werden kann. Solcher Kraftstrom wird bisher nur durch Drähte ü ber größere Strecken geleitet. Mir ist es nun gelun gen, ein Verfahren zu erfinden, mit dem man Kraft strom praktisch verlustfrei durch die Luft schicken kann.« Wynner verstand nicht viel von Technik, aber die Angelegenheit war so einfach, daß er das Wesentli che erfaßte. »Aha«, sagte er, »ich verstehe, verstehe vollkom men. Sie schicken den Kraftstrom so ähnlich wie 45
Radiowellen durch die Luft, so daß der Empfänger Maschinen damit bedienen kann, ohne an ein Lei tungsnetz angeschlossen zu sein?« »So ist es.« »Hm, das setzt aber einen besonderen Empfangs apparat voraus, nicht wahr?« »Allerdings, er ist Bestandteil meiner Erfindung.« Wynner dachte nach. »Kraftstrom durch die Luft schicken, nicht übel. Wie weit können Sie ihn denn schicken?« »Um die Erde herum, zu jeder beliebigen Stelle von einem einzigen Apparat aus. Ich sagte Ihnen, daß die Übertragung praktisch verlustfrei erfolgt.« »Na ja, aber da ist doch die Erdkrümmung und was noch alles.« »Mein Strom ist anderen Gesetzen unterworfen als die langen oder kurzen Rundfunkwellen. Mein Strom läuft parallel zur Erdkrümmung und wird auch durch feste Hindernisse nicht geschwächt.« »Sehr schön«, lobte Wynner vorsichtig und mühte sich krampfhaft um weitere Fragen. »Sehr schön, aber sagen Sie, dann schicken Sie gewissermaßen gleichzeitig nach allen Himmelsrichtungen?« »Die Ströme können gerichtet werden, und zwar mit hoher Genauigkeit.« Wynner verstand das nicht ganz, aber er nickte sachverständig. »Aha. Aber – wenn sie sich nun vorher entladen?« 46
Robert Dunn fühlte brennende Ungeduld in sich und ließ davon etwas in seiner Stimme merken. Er hatte sich dieses erste Gespräch über seine Erfindung wahrhaftig anders vorgestellt. Ihm blieb es nicht ver borgen, daß Wynner sehr, sehr wenig von allem verstand, daß er kein Wissenschaftler war und noch nicht einmal das Organ für wissenschaftliches Den ken besaß. Nichts ist aber einem Könner widerwärti ger, als mit einem vollkommenen Laien in behelfs mäßigen Wendungen über seine Arbeit zu sprechen, die klar und in allen Teilen ausgeschliffen vor sei nem Geiste steht. »Nein«, erwiderte er mit leiser Heftigkeit, »eine solche Entladung ist unmöglich. Das, was durch die Luft geschickt wird, ist kein elektrischer Strom im üblichen Sinn, sondern eine besondere Zustandsform der Elektrizität, die sich überhaupt nicht entladen kann. Sie wird erst durch den Empfangsapparat in die übliche Elektrizität zurückverwandelt.« Samuel Wynner lehnte sich zurück. »Ach, so ist das. Nun, ich nehme an, daß Sie mir eine solche Kraftübertragung vorführen können, nicht wahr?« »Das kann ich allerdings, aber …« »Warten Sie«, bat Wynner, der eine wichtige Fra ge auf dem Herzen hatte. »Was versprechen Sie sich eigentlich von Ihrer Erfindung? Genaugenommen ist sie doch ziemlich zwecklos, was?« 47
»Wieso?« Wynner lächelte überlegen. »Nun, was würde schon durch sie erreicht werden? Sie könnten elektrischen Strom drahtlos durch die Luft schicken. Wissen Sie nicht, daß er dort, wo er gebraucht wird, schon mit Drähten herangeholt wird? Sehen Sie, was nützt es, den Strom durch die Luft zu schicken, wenn die Drähte, die Überlandleitungen schon vorhanden sind? Oder glauben Sie, daß man Ihrer Erfindung wegen nun die Überlandleitungen einfach tot liegen läßt?« Robert Dunn schüttelte trotzig den Kopf. »Sie verstehen nicht, worauf es ankommt. Meine Erfindung setzt dort ein, wo es noch keine Überland leitungen gibt beziehungsweise wo überhaupt keine möglich sind. Denken Sie an die wirtschaftlich bisher noch unerschlossenen Gebiete, zum Beispiel Alaska oder Südamerika oder Inneraustralien oder Afrika. Was in diesen Ländern fehlt, ist billige Energie. Wenn elektrische Kraft in unbeschränktem Maße oh ne Schwierigkeiten und Umstände dorthin geleitet würde, so könnten diese Gebiete wirtschaftlich er schlossen werden. Man braucht keine Stauwerke, keine Elektrizitätswerke, sondern stellt einfach einen handlichen Apparat auf und läßt sich über Tausende von Kilometern hinweg den Strom schicken. Denken Sie ferner daran, daß man mit Hilfe meiner Erfin dung Kraftquellen erschließen könnte, die bisher 48
brachlagen. Die riesigen Wasserfälle der Südprovin zen Brasiliens oder die Wasserfälle Afrikas könnten zu Kraftquellen ganzer Erdteile werden.« Wynner pendelte mit dem Kopf. »Hm, vielleicht. Aber die Erfindung wäre eben nur dann rentabel auszunutzen, wenn solche unerschlos senen Gebiete aufgeschlossen werden würden, vor her nicht. Vorher fänden Sie auch kaum Abnehmer.« Robert Dunn reckte den Kopf. »Über den Wert meiner Erfindung entscheidet letzten Endes nicht die augenblickliche Rentabilität, sondern ihre Auswirkung auf Zivilisation und Kul tur.« »Gewiß«, stimmt Wynner versöhnlich zu, »aber Sie können von einem Geschäftsmann nicht verlan gen, daß er sich für den Kulturschritt ruiniert. Ich werde mir die Sache natürlich durch den Kopf gehen lassen und vor allem einmal einem Versuch beiwoh nen, damit ich mich mit eigenen Augen von Ihrer Sache überzeugen kann. Aber ich kann Ihnen noch nichts versprechen. Etwas anderes wäre es schon, wenn Sie den Kraftstrom auch ohne Empfänger an einer beliebigen Stelle zur Entladung bringen könn ten, somit von Ihrem Sender aus.« »Warum wäre das etwas anderes?« Wynner grinste. »Nun, dann hätten Sie doch eine Erfindung ge macht, die für Kriegszwecke hervorragend zu 49
gebrauchen wäre. Denken Sie sich, wenn man feind liche Flugzeuge oder Schiffe oder militärische Anla gen aus großer Entfernung unter Starkstrom setzen könnte – das wäre was. Dann könnte ich Ihnen schon jetzt ein paar Millionen versprechen.« Robert Dunn zog die Mundwinkel herunter. »Danke, darauf verzichte ich. Es ist natürlich leicht, die Rückverwandlung des Telestroms vom Sender aus an jeder beliebigen Stelle erfolgen zu las sen …« »Was?« Wynner fuhr halb hoch. »… aber«, fuhr Dunn mit Nachdruck fort, »aber es ist nicht meine Absicht gewesen, ein neues Kriegs mittel herzustellen. Die Entladung wäre leicht, weil man bloß einen Kreuzungsstrom auszusenden brauchte, der die Rückverwandlung bewirkt; aber dieses Geheimnis des Telestroms werde ich für mich behalten. Falls wir überhaupt zu Verhandlungen über meine Erfindung kommen sollten, müßten wir diesen Punkt von nun an aus dem Spiel lassen.« Wynner winkte freundlich ab. »Nun, darüber läßt sich ja noch reden. Jedenfalls bin ich nicht abgeneigt, mich mit der Erfindung nä her zu befassen, und hoffe, daß Sie mir diese recht bald einmal vorführen werden. Wie paßt es Ihnen morgen?« Robert Dunn zögerte unschlüssig. Er hatte zuwe nig Lust. 50
»Morgen? Es eilt ja nicht so, und ich …« Wynner biß um so fester an. »Also morgen dann. Es ist ja für beide Teile völlig unverbindlich.« Robert Dunn wagte es wiederum auch nicht, gänz lich abzulehnen. »Es ist gut«, erklärte er sein Einverständnis. »Ich werde morgen gegen Abend kommen und Sie abho len. Ich werde Ihnen dann einen Motor zeigen, der läuft und arbeitet, obwohl kein Kabel an ihm befes tigt ist.« »Schön, ausgezeichnet. Um welche Stunde kom men Sie?« »Gegen fünf Uhr nachmittags.« »Paßt. Bis dahin werde ich mir die Sache noch überlegen.« Robert Dunn verbeugte sich und ging hinaus. Je wärmer der andere geworden war, um so stärker hat te er das Widerstreben in sich gefühlt. »Ich bin ein rechter Narr«, klagte er später Dav ge genüber. »Vielleicht ist es weiter nichts als Men schenscheu, aber dieser Wynner ist mir nun einmal schrecklich unsympathisch. Ich kann mir nicht den ken, daß ich ihm die Erfindung überlasse.« Dav nickte darauf gefühlvoll. »Sehr wohl, Sir. Man soll sein Kind auch nur in gute Hände geben, wenn ich mir die Bemerkung er lauben darf.« 51
Womit er ganz schlicht ein Wort gesprochen hatte, das den Kern aller Beziehungen zwischen Schöpfer und Geschaffenem bloßlegte und zugleich die letzten Gründe für den Widerwillen Robert Dunns erfaßte. * Fernando de la Banza stand abermals in der Höhle, und diesmal stockte ihm der Atem. Er hatte seine Lampe nicht bei sich, da er die Höh lenfahrt nicht vorbereitet hatte, aber das schwache Licht, das durch die feinen Spalten drang, genügte, um ihm die Veränderung zu zeigen. Eine der Platten war abgehoben. Sie lehnte an der Wand. Vor ihm gähnte ein vier eckiges Loch. Fernando spähte durch die Höhle, als müßte er den Mann sehen, der die Platte gehoben hatte, dann schritt er hastig an die Öffnung heran. Mit einem halblauten Ausruf prallte er sofort wie der zurück. In dem Loch lag der Körper eines Menschen. Eiskalt rieselte das Entsetzen über Fernandos Rü cken. Es dauerte eine Weile, bis er sich endlich so weit gefaßt hatte, daß er sich wieder rühren konnte. Zögernd bückte er sich hinunter und suchte das stumpfe Halbdunkel zu durchdringen. Sekunden später atmete er seufzend auf. 52
Eine Mumie. Das Loch war knapp einen Meter tief. Der Körper lag lang ausgestreckt. Die Hände und das Gesicht waren gut erkennbar, aber sie trugen nicht die Farbe menschlicher Haut, sondern waren schwärzlichbraun und wirkten, als habe man Pergament straff über ein Gerippe gezogen. Die übrigen Teile des Körpers wa ren von Kleidern bedeckt. Fernando griff zaghaft hinunter und fühlte fein drahtiges Gewebe, zwischen dem es wie Asche rie selte. Die Kleidung war vermutlich mit Metallfäden durchsponnen gewesen, die von der Zeit nicht zer stört worden waren. Rechts und links neben dem Toten bemerkte er eine ganze Reihe kleinerer und grö ßerer Gegenstände. Einen davon hob er heraus. Es war ein Becher von hohem Gewicht. Die dicken Wände bestanden anscheinend aus Gold. Außen her um lief eine Art Fries, der dicht mit großen Edelstei nen besetzt war. Darunter traten vier andere Edel steine als starke Knoten hervor. Das Ganze war ein Schmuckstück von unermeßlichem Wert. Fernando de la Banza war innerlich viel zu ver stört, um sich Gedanken über den materiellen Wert seines Fundes zu machen. Die Mumie, von der er leider nicht viel Einzelheiten erkennen konnte, be schäftigte ihn ungleich stärker. Das war ein Toter aus der Frühzeit der Insel, von der die jetzigen Bewohner nur noch Sagen kannten. 53
Wenn es stimmte, daß schon die ›guanchos‹ seit Jahrhunderten vor ihrer Vernichtung das Betreten der Grotte verboten, so mochte diese Mumie vielleicht ein Alter von Jahrtausenden haben. Was waren das aber für seltsame Menschen, die vor so langer Zeit hier gelebt hatten und solche Höhlen schaffen konn ten? Waren es tatsächlich Angehörige jener sagen haften Atlantiden gewesen die einst einen versunke nen Erdteil beherrscht haben sollten? Siebzig Platten lagen hier. Bedeutete das siebzig Grabkammern, siebzig Mumien? Dann mußte man ganze Generationen hier begraben haben. Die wichtigste Frage stürmte nun mit Wucht auf den jungen Mann ein. Wie war es überhaupt mög lich, daß diese Platte jetzt offen stand? Fernando fühlte sie an. Sie war bei einem Meter Breite zwei Meter lang und mindestens zehn Zenti meter dick. Das gab ein beträchtliches Gewicht, ganz abgesehen davon, daß sich außer der schmalen Fuge nichts fand, woran man sie hätte anheben können. Er schüttelte gedankenvoll den Kopf. Das war ein Rätsel, für das er keine Lösung fand. Er schritt die ganze Höhle ab in der Hoffnung, noch etwas zu finden, was ihm Aufschlüsse geben könnte. Sein Suchen war vergeblich. Dann beugte er sich von neuem über den Felsensarg und holte einen der Gegenstände nach dem anderen heraus. Es waren Waffen, Schmuckstücke und Gefäße, alle mit wert 54
vollen Edelsteinen besetzt und in ihren Zierarten und Formen so fremdartig, daß sie nur von einer unbe kannten Kultur herrühren konnten. Ziemlich zuletzt fischte er einen kleineren Gegen stand heraus, bei dessen Anblick er die Augen weit aufriß. Es war ein silberner Drehstift, eine hochmo derne kantige Röhre, aus der man die Bleistiftmine herausschrauben konnte. Das hatte mit der Mumie nichts zu tun. Der Dreh stift mußte von dem Mann verloren worden sein, der diese Platte abgehoben hatte. Fernando de la Banza hielt sich viele Stunden in der Höhle auf. Als er sie verließ, war das Rätsel der offenen Platte nicht gelöst, und außerdem mußte er noch über eine ganze Menge anderer Dinge grübeln. Er war kaum wieder an Land, als er hinter sich Schritte zu vernehmen glaubte. Schleunigst duckte er sich hinter den nächsten Busch und spähte rückwärts. Den Berg herunter kam in eiligem Lauf ein Mensch. Ein Fremder! Der schnelle Läufer war bis auf zwanzig Meter he rangekommen, als Fernando eine Feststellung mach te, die ihn eher wieder verwirrte. Der Fremde war ein Junge, vielleicht sechzehn Jahre alt. Sein Gesicht war hell, seine Haare waren rötlichblond. Der Körper war sehnig schlank. Fernando sprang vor, als der Junge dicht herange kommen war. 55
»Halt!« schrie er und griff nach dem Jungen. »Wer bist du? Was hast du hier zu suchen zu dieser Stun de?« Der Junge wich geschickt aus und entzog sich dem Griff, indem er seitwärts sprang. Seine Hand fuhr nach der Hüfte, fiel aber dann leer herunter, als er sah, daß der andere keine Waffe trug. Sekundenlang musterten sich die beiden, bis Fer nando von neuem ungeduldig fragte: »Na, wird’s bald? Wer bist du?« Hal Mervin hob die Schultern. »Wenn du kein Englisch kannst, du Wegelagerer, dann halte mich gefälligst nicht erst auf.« Der andere verstand jedes Wort, denn er hatte sei ne Jahre Englisch hinter sich. Nicht ganz so gut konnte er sich ausdrücken, aber immerhin war er im stande, einigermaßen fließend zu sprechen. »Ah, ein Engländer«, stellte er fest. »Ich spreche Englisch. Wollen Sie mir sagen, wer Sie sind? Wie kommen Sie hierher?« Der Junge wies zum Strand, auf ein schmales Mo torboot, das dem anderen jetzt auffiel. »Mit dem Kahn dort, wenn Sie nichts Erhebliches dagegen haben.« Banza zog mißtrauisch die Augen zusammen. »So? Und wo kommen Sie her?« Hal seufzte. »Sie fragen zuviel, junger Mann. Aber weil Sie’s 56
sind, will ich Ihnen die Geschichte erzählen. Ich komme geradewegs aus Amerika.« »In dem Boot dort?« vergewisserte sich Fernando ungläubig. »In dem Boot dort«, kam prompt die Bestätigung. »Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr.« Fernando wurde sehr schnell lebendig. »Hiergeblieben. Ausgerissen wird nicht.« Hal stand ganz still, aber in seiner Stimme bebte der Zorn, als er leise und nachdrücklich erklärte: »Nehmen Sie die Pfoten von mir weg, junger Mann, und das ein bißchen plötzlich. Ich habe mit Ihrer Sa che nichts zu tun.« »Sie kommen mit«, beharrte Fernando. »Pfoten weg«, knurrte Hal, »sonst verschandele ich Ihnen die Fassade, daß Sie sich auf Abbruch ver steigern lassen können. Na, wird’s bald?« Der andere, der sich beträchtlich überlegen fühlte, lachte nur grimmig und griff noch fester zu. Der Junge tobte mit einer verblüffenden Gewalt los und entwickelte eine derartig kraftvolle Ge schmeidigkeit, daß Fernando später außerstande war, sich über die Vorgänge der nächsten Sekunden Re chenschaft abzulegen. Er wußte nur, daß sich der Junge plötzlich wie eine Kugel zusammenkrümmte und ihm die Beine in den Leib rammte, außerdem, daß er später einen schmetternden Schlag gegen die Schläfe bekam. 57
Als er sich, noch halb benommen, wieder aufrich tete, sah er draußen auf dem Wasser das schmale Boot vorwärts schießen. Der Junge stand darin und winkte ihm zu. Das helle Mondlicht erlaubte es, jede Einzelheit deutlich zu erkennen. Doch was war das? In hundert Meter Entfernung schien das Boot plötzlich in einen Nebel zu geraten, obgleich sonst nirgends eine Spur dieses Nebels über dem Wasser zu bemerken war. Die Umrisse des Bootes und sei nes Insassen verschwammen sehr schnell in einem örtlich begrenzten Nebelfleck, der nach kurzer Zeit jedoch wieder völlig verschwand und wie vorher die glatte Fläche des Meeres mit den breiten, spiegelnden Lichtbahnen freigab. Das Boot war aber jetzt ganz verschwunden. Spurlos. Es hatte sich aufgelöst, war in der Luft auseinan dergeflossen wie eine richtige Geistererscheinung. 3. Frank Reeves lernte den jungen Erfinder Robert Dunn nie mehr kennen, aber trotzdem wirkte sich sein Geschick bestimmend auf das Dunns aus. Frank Reeves starb an dem gleichen Tag, an dem Robert Dunn seine Erfindung Wynner anbot, aber gerade sein Tod griff in den beginnenden Kampf um die Te 58
lenergie ein und schaffte Beziehungen wie Verwir rungen, die kaum entstanden wären, wenn Reeves am Leben geblieben wäre. Deshalb ist es nötig, kurz von der letzten Stunde dieses Mannes zu berichten. Frank Reeves war Pensionär. Das bedeutete eines teils, daß er sich bereits in einem recht vorgerückten Alter befand und an Arterienverkalkung wie man chen anderen Beschwerden litt, die er allerdings nach besten Kräften verbarg. Andererseits bedeutete es, daß er sich mit der Ausschließlichkeit des Beschäfti gungslosen und des Menschen, der sein Leben fast am Ende sieht, auf seine Liebhaberei stürzte. Diese Liebhaberei betraf vor allem die Erforschung der vulkanischen Erscheinungen dieser Insel, die Reeves in einen größeren Zusammenhang hineinstellte. Sie machte weite Wanderungen erforderlich, die oft ge nug mit so viel Anstrengungen verbunden waren, daß sie seinen körperlichen Zustand nicht eben verbesser ten. Frank Reeves mutete sich zuviel zu. Auch an die sem Tag, an dem er durch das zerrissene Berggelän de kletterte, mutete er sich zuviel zu. Die starke Be lastung belastete sein Herz, die pralle Sonne legte sich drückend um seinen Schädel. Solange er auf recht schreiten konnte, ging es, aber wenn er sich einmal bücken mußte, wurde es ihm wieder dunkel vor den Augen, und er mußte sich festhalten, um nicht zu taumeln. 59
Er beschloß umzukehren. Nur nach der einen Sol fatare wollte er noch sehen, nach dem Felsenriß, aus dem die Dämpfe und Gase der unterirdischen, feuer flüssigen Massen herauszischten. Er wollte nur noch feststellen, ob diese Solfatare ebenfalls wie so viele andere nicht mehr tätig war. Mühsam kletterte er über den nackten Fels nach oben. Er hielt sich gut fest, denn rechter Hand ging es verhältnismäßig steil hinab. Er erreichte denn auch glücklich das meterbreite Felsband, von dem aus man in die Spalten sehen konnte. Die Solfatare arbeitete nicht mehr. Er bückte sich vor und prüfte die schwefligen Ablagerungen. Er bückte sich länger als sonst und vergaß über seinem Eifer die Beschwerden seines Körpers. Als er sich aufrichtete, überfiel ihn der Schwindel ungewohnt stark. Er taumelte, suchte nach Halt und trat auch schon auf abbrechende Felsbrocken. Ein Schrei, eine wilde Bewegung, dann stürzte er poltern und sich überschlagend in den Grund der Schlucht. Er war tot, bevor er unten ankam. So starb Frank Reeves. Niemand war bei ihm, als er starb, niemand ver schuldete seinen Tod. Es war ein Unglück. Daß die ses dem kauflustigen Wynner gerade recht kam, stand auf einem anderen Blatt. Gloria Reeves irrte sich, wenn sie das Unglück ih 60
res Vaters als einen Mord betrachtete und deswegen Anklage erhob. * Gloria Reeves wurde von allen, die sie nicht näher kannten, für stolz gehalten. Man mißbilligte das aus verschiedenen Gründen. Gewiß, sie war gut und e benmäßig gewachsen und trug einen Kopf, der weit über dem Durchschnitt schön war, aber sie brauchte ihn deswegen nicht höher zu tragen als andere Leute. Ihre Kleidung war bescheiden, Geld besaß sie auch nicht, also war es nicht genügend entschuldigt, daß sie sich wie eine Lady bewegte und ständig einen kühlen, unüberbrückbaren Raum zwischen sich und anderen ließ. Einen Tag nachdem Samuel Wynner von Frank Reeves auf die Tür aufmerksam gemacht worden war, betrat Gloria Reeves zur Mittagsstunde die Kü che, in der Molly wirtschaftete. »Ist Vater noch nicht zurück?« Molly Grant schüttelte den Kopf, ohne erst aufzu sehen. Sie war eine kräftige Frau Anfang der Vierzig, der man die Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit von weitem ansah. »Noch nicht, Miß Gloria.« »Wo er nur bleibt? Er müßte doch wieder zurück sein.« 61
Molly wandte sich um und nickte nachdrücklich. »Das ist ganz meine Meinung. Ich glaube, ich werde sie Ihrem Vater gegenüber wieder einmal äu ßern müssen. Seit heute morgen hat er nichts Rechtes gegessen. Man sollte nicht gerade Sklave seiner Ge sundheit sein, aber man sollte sie auch nicht gewalt sam untergraben.« Molly Grant sprach verhältnismäßig gewählt und klug. Erstens war sie eine gescheite Frau, und zwei tens konnte man nicht zwanzig Jahre im Dienst von Frank Reeves stehen, ohne sich manches anzueignen. »Ich war schon ein Stück draußen«, erwiderte das junge Mädchen unruhig, »aber ich habe ihn nicht kommen sehen. Es wäre mir lieb, wenn er käme. Ich mache mir Sorgen um ihn.« »Sorgen?« fragte Molly mißbilligend. »Aber Kind, Sie brauchen sich doch keine Sorgen zu machen. Ihr Vater wird jedenfalls wieder irgendwo am Berghang stehen und darauf warten, daß die Solfataren wieder zu rauchen beginnen. Er ist ja schon immer auf den Vulkanen herumgeklettert, aber seitdem sie ausge setzt haben, hat er eine förmliche Leidenschaft für sie gefaßt.« »Er kann es nicht begreifen, daß die vulkanische Tätigkeit plötzlich abriß«, ergänzte Gloria nachdenk lich. »Vielleicht hat er recht, daß er das als Anzei chen außergewöhnlicher Ereignisse betrachtet und annimmt, daß sich die vulkanischen Massen nun eine 62
andere Öffnung bahnen müssen, daß uns möglicher weise eine Katastrophe bevorsteht, aber …« »Aber das Essen braucht er deswegen doch nicht zu versäumen«, endete Molly Grant auf ihre Weise. »Wir müssen ihm das eben sagen. Doch zu sorgen brauchen Sie sich deswegen wahrhaftig nicht!« »Ich bin doch unruhig«, beharrte das junge Mäd chen. »Es ist nicht wegen der Vulkane, sondern we gen der Leute, die gestern hier waren. Dieser Wynner und sein Agent waren mir widerwärtig, und ich hatte das Gefühl, daß sie Unheil brächten. Wenn einer von ihnen zufällig Vater begegnet und es wieder zu einer Auseinandersetzung kommt, so könnte es ein Un glück geben.« Die Haushälterin schüttelte verwundert den Kopf. »Aber wer wird denn an so etwas denken? Ihr Va ter wird den Leuten allenfalls seine Meinung sagen. Dieser Wynner und der andere sind zwar nicht die anständigsten Kerle, aber deswegen sind es doch noch lange keine Verbrecher.« »Wynner drohte gestern.« »Ach, das dürfen Sie nicht ernst nehmen. Er ist ein Geschäftsmann, der sich enttäuscht sah.« »Er hoffte, daß er das Grundstück kaufen kann, wenn Vater stirbt.« Molly Grant lächelte mütterlich. »Aber Kind, Sie glauben doch nicht etwa, daß er auf ein Verbrechen sinnt, um zu dem Grundstück zu 63
kommen? Welche Annahme! Wahrhaftig, Ihr Vater würde nicht schlecht die Augen aufreißen, wenn er wüßte, welche Verwirrung seine Verzögerung an richtet!« Das junge Mädchen lächelte nun ebenfalls. »Sie haben wohl recht, Molly. Ich fühlte mich durch unglückliche Ahnungen bedrückt, aber wenn man sie ausspricht, erkennt man, wohin man sich verirrt. Vater wird sicher bald zurückkommen.« »Natürlich wird er das«, bekräftigte Molly Grant. »In einer Stunde wird er bestimmt da sein.« Gloria Reeves wartete zwei Stunden, dann hielt sie es vor Ungeduld nicht mehr aus. Sie machte sich auf den Weg, um ihren Vater zu suchen. Nach drei Stunden kehrte sie um. Sie mußte an die Nacht denken, außerdem schien es aussichtslos, in dem Gewirr von Felsspalten und schmalen Tälern des zerklüfteten Berges weiterzuforschen. Auf dem ganzen langen Rückweg redete sie sich hartnäckig ein, daß ihr Vater inzwischen auf einem anderen Weg nach Hause zurückgekehrt sein müsse. Als jedoch die Haushälterin auf ihre bange Frage hin den Kopf schüttelte, brach sie fast zusammen. »Er ist nicht gekommen?« »Nein«, antwortete Molly Grant bedrückt. »Ich habe ihn noch nicht gesehen. Es ist – sehr merkwür dig.« »Großer Gott im Himmel«, flüsterte das junge 64
Mädchen, »es ist ein Unglück geschehen! Wenn er könnte, würde er schon lange zurück sein.« Die Frau schluckte ein paarmal. Es war ihr nicht leicht ums Herz. Sie besaß keine Anlage zur Schwarzseherin und war auch keine Frau, die sich so leicht umwerfen ließ. Aber Frank Reeves war ande rerseits nicht der Mann, der einen ganzen Tag fort blieb, ohne das vorher mitzuteilen. »Er wird sich den Fuß vertreten haben«, beruhigte sie sich und das junge Mädchen. »Dann hätte er uns doch wenigstens Nachricht ge schickt.« »Das geht nicht immer zu machen. Vielleicht ist er sehr spät in eine Hütte gekommen oder vielleicht auch überhaupt nicht. Es ist ja möglich, daß er ir gendwo sitzt und nicht vorwärts kann.« Gloria Reeves sehnte sich danach, an den Trost glauben zu können, kam aber gegen die schwere Be drückung ihres Herzens nicht an. »Hoffentlich ist es nur das«, gab die junge Frau leise zurück. »Aber dann müssen wir eben zu Hilfe kommen. Ich werde der Polizei Mitteilung machen.« »Um Gottes willen«, wehrte Molly Grant ab, »was würde Mr. Reeves sagen, wenn es um seinetwillen einen solchen Aufruhr gäbe! Und die Polizei kann doch in der Nacht auch nichts unternehmen.« »Aber morgen früh.« »Dann werde ich vorschlagen, doch wenigstens 65
bis morgen früh zu warten. Vielleicht kommt er bis dahin oder schickt wenigstens Nachricht.« Gloria Reeves seufzte. »Diese Ungewißheit ist schrecklich. Morgen früh gehe ich aber bestimmt zur Polizei, damit nach Vater gesucht wird. Wenn ich nur wenigstens wüßte, daß ihm nichts Ernstliches zugestoßen ist!« Mrs. Grant nahm ihre Hand und tätschelte sie. »Was soll ihm schon zugestoßen sein, Kind. Wie ich schon sagte, kann er sich höchstens den Fuß ver treten haben. Sie denken doch nicht etwa im Ernst, daß es etwas mit diesem Wynner zu tun hat?« »Ich kann von dem Gedanken nicht loskommen«, gestand sie. »Und – ja, jetzt weiß ich es, ich werde mich überzeugen, ob meine Befürchtung richtig ist. Ich werde mit dem Mann sprechen.« »Aber…« Gloria Reeves reckte sich. »Jawohl, ich werde ihn fragen, was mit meinem Vater geschehen ist. Dann werde ich ja sehen.« »Aber Kind«, wehrte die Ältere ab, »er würde es Ihnen doch wirklich nicht gestehen, wenn er irgend etwas verbrochen hätte!« »Ich werde es ihm ansehen.« »Man sieht keinem Menschen das Verbrechen an.« »Aber fühlen werde ich es.« »Gefühle täuschen.« 66
Das junge Mädchen wurde heftig. »Ich gehe doch, ich halte es einfach nicht aus.« »Du guter Gott«, murmelte Molly Grant etwas hilflos und sehr verstört hinter ihr her. Gloria Reeves wußte nicht, in welchem Hotel Wynner wohnte, aber es gab nicht viel Auswahl an Hotels, in denen ein reicher Mann Aufenthalt nehmen konnte. Sie erhielt denn auch gleich im ersten Hotel die Auskunft, daß Mr. Wynner hier wohne, aber au genblicklich unterwegs sei. Man habe ihn mit seinem Begleiter Murphy und einem gewissen Mr. Dunn im Motorboot wegfahren sehen, erwarte ihn jedoch auf Grund der erlassenen Anweisungen bald zurück. Wenn ein Mensch einem Ziel von innen entgegen gedrängt wird, so vermag ihn weder Hindernis noch Umweg abzubringen. Gloria Reeves kehrte nicht um, sondern entschloß sich, zwischen Hotel und Lande platz auf Wynner zu warten. Da es inzwischen dun kel geworden war, fiel es nicht weiter auf, daß sie müßig umherging. Nach einer halben Stunde legte ein Motorboot an. Wynner stieg aus. Links von ihm ging Murphy, den Gloria schon bei ihrem Vater gesehen hatte, rechts ein junger Mann, den sie nicht kannte. Wynner schien aber sehr gut mit ihm befreundet zu sein, denn er tat sehr herzlich und vertraulich. Gloria Reeves stellte sich den dreien noch unter dem hellen Licht des Anlegeplatzes in den Weg. Sie achtete 67
nicht auf die äußeren Umstände, ihr lag nur daran, daß das Gesicht des Amerikaners beleuchtet wurde. Die drei Männer blieben unwillkürlich stehen. »Einen Augenblick bitte«, sagte das junge Mäd chen zu Wynner. »Ich möchte eine Frage an Sie stel len. Kennen Sie mich, Mr. Wynner?« Wynner machte eine unbestimmte Handbewegung und setzte zum Sprechen an, aber sie kam ihm zuvor. »Ich bin Gloria Reeves. Sie waren gestern bei mei nem Vater und wollten ihn überreden, Ihnen das Grundstück zu verkaufen. Würden Sie mir bitte sa gen, wo sich mein Vater jetzt befindet?« Wenn sich Gloria Reeves vorgestellt hatte, daß Wynner nun blaß, unsicher und verlegen werden würde, daß man ihm das Schuldbekenntnis vom Ge sicht ablesen konnte, so sah sie sich gründlich ge täuscht. Wynner schüttelte nur mit ausgeprägter Verwunderung den Kopf. »Ihr Vater? Wie soll ich das wissen? Hat er gesagt, daß er zu mir wollte?« »Nein«, erwiderte sie hart, »aber er ist heute früh von zu Hause weggegangen und bis jetzt nicht zu rückgekehrt. Ich fürchte, daß ihm ein Unglück oder – ein Verbrechen widerfahren ist.« »Sehr bedauerlich«, gab Wynner gewandt zurück, »aber warum wenden Sie sich an mich? Wenden Sie sich doch an die Polizei!« »Das werde ich auch tun, aber vorher wollte ich 68
sehen, ob Sie mir nicht Auskunft geben könnten. Sie legen großen Wert darauf, unser Grundstück zu er werben, und Sie wissen genau, daß ein Kauf völlig ausgeschlossen ist, solange mein Vater lebt.« Wynner wurde wütend. »Ich verbitte mir derartige Redensarten«, knurrte er. »Was wollen Sie denn überhaupt? Wollen Sie et wa behaupten, daß ich Ihren Vater umgebracht habe? Sie sind wohl verrückt geworden!« »Mr. Wynner!« mahnte Robert Dunn entrüstet. »Mein Vater ist nicht nach Hause gekommen, und Sie sind der einzige, der an einem Unglück gewinnen könnte«, sagte sie leiser und unsicherer. »Wenn ich Sie zu Unrecht verdächtigt habe, werde ich mich ent schuldigen. Wenn aber meinem Vater wirklich etwas zugestoßen ist…« »Hören Sie auf!« unterbrach Wynner unwirsch. »Ich lasse mir von einem hübschen jungen Ding eine ganze Masse sagen, aber Sie gehen doch zu weit. Denken Sie daran, daß es Gesetze gegen Verleum dung gibt!« Sie wollte etwas erwidern, preßte dann aber die Lippen aufeinander und ging weg. »Ich weiß nichts«, sagte sie später zu Molly Grant. »Irgendwelches Schuldbewußtsein war ihm nicht an zumerken, aber ich halte ihn trotzdem für einen Mann, dem man alle Gemeinheiten zutrauen kann.« 69
*
Robert Dunn fuhr vor diesem Zwischenfall zusam men mit Wynner und Murphy nach Pico. Er ver sprach sich nicht viel davon, aber er wollte auch nicht direkt kneifen, zumal er noch nicht zu einem endgültigen Entschluß gekommen war. In einer kleinen Bucht stiegen sie an Land. Der Weg führte zunächst zwischen Basaltblöcken hin und stieg dann zwischen Lorbeerbäumen steil aufwärts. Als sich der Wald lichtete und die Macchia, der im mergrüne Strauchwald, ansetzte, bog Robert Dunn ab und folgte einem kaum sichtbaren Pfad, der in der Gruppe von Koniferen endete. Hier stand eine sehr einfache, windschiefe Hütte. »Wir sind am Ziel«, verkündete er. »Bitte, treten Sie ein.« Wynner wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie hätten sich auch einen Fleck aussuchen kön nen, der weniger entlegen war«, murrte er. »Darauf hatte ich mich nicht vorbereitet.« Sie traten ein. In der Mitte des niedrigen Raumes lagen zwei roh behauene Bohlen. Auf diesen stand festgeschraubt ein Elektromotor, wie er in Serienfab rikation zu Tausenden hergestellt wurde. In geringem Abstand davon war ein behelfsmäßig verkapselter Apparat angebracht, auf dem oben ein trichterförmi ges Gebilde aus blanken Kupferlitzen saß. 70
»Das ist ein Serienmotor«, erklärte Robert Dunn. »Sie sehen die Pole und den Anker. Hier an den Bürsten sind die Zuleitungsdrähte befestigt, die zu diesem Apparat führen, wie Sie sehen. Das ist der Empfangsapparat für meine Telenergie. Bitte, über zeugen Sie sich, daß weder von ihm noch von dem Motor aus Drähte in die Erde oder sonstwohin füh ren, die Strom heranbringen könnten.« »Nichts zu sehen«, stellte Wynner unverbindlich fest »Aber wie steht es mit einer Stromquelle hinter dieser Blechhülle?« Robert Dunn lächelte spöttisch. »Sie denken an eine Batterie? Nun, da werden Sie vergeblich suchen.« Er nahm die Verkleidung weg, so daß die Appara tur selbst sichtbar wurde. »Was ist das?« forschte Wynner, der sich ebenso wie Murphy die einzelnen Teile eingehend ansah. »Kondensatoren.« »Und das hier?« »Transformatoren.« »Das sieht bald aus wie eine Batterie.« »Ist aber keine.« »Na ja, und was ist das hier?« »Das sind Gitterlampen, die für die Umwandlung meiner Ströme gebraucht werden.« »Das müssen Sie näher erklären.« Dunn zuckte die Achseln. 71
»Das ist nur schwer möglich, da Sie keine Wissen schaftler sind. Und einem Wissenschaftler gegenüber werde ich es auch nicht erklären, solange meine Er findung nicht genügend geschützt ist. Dieser Anten nenkorb fängt die Telenergie auf und leitet sie über diese Drähte durch den Apparat, aus dem sie als Kraftstrom hinausgehen. Lassen Sie es damit genug sein. Außerdem ist es bald an der vereinbarten Zeit.« Wynner trat zurück. »Hm, warten wir erst mal ab. Anschluß scheint ja sonst nicht vorhanden zu sein. Haben Sie was be merkt, Murphy?« »Es führen keine Drähte in den Boden«, sagte Murphy. »In drei Minuten wird der Motor laufen.« »Warum haben Sie ihn eigentlich erst bis hierher geschleppt? Sie konnten ihn doch auch weiter unten stehenlassen.« »Ich mußte mir eine Stelle aussuchen, zu der so leicht kein Mensch kam. Es handelt sich aber weni ger darum, daß der Apparat nicht entdeckt wurde, sondern ich mußte Vorsorge treffen, da ich noch nicht genau wußte, wie die Entladung erfolgen wür de. In meinen Berechnungen konnte auch irgendein Fehler stecken, so daß es hier keine Motorbewegung, sondern zum Beispiel einen Blitzschlag geben konn te. Derartige Versuche sind ja immer gefährlich.« Wynner trat unwillkürlich einen Schritt zurück. 72
»Kommen die Wellen nicht gerade aus der Rich tung, in der Sie stehen?« Robert Dunn nickte. »Allerdings, aber sie werden durch mich hin durchgehen und nichts schaden. Sie können dann selbst, während der Motor arbeitet, ringsherum ge hen. Sie werden an keiner Stelle etwas von den Wel len bemerken. Nur den Apparat dürfen Sie nicht be rühren, das könnte einen gefährlichen Schlag geben.« Endlich blickte Robert Dunn von der Uhr auf. Sie verharrten schweigend. »Jetzt!« Plötzlich glimmte es in den Lampen, an den Bürs ten knisterte es, langsam wälzte sich der Stromvertei ler, wurde zum glänzenden Ring, aus der Tiefe summte es auf… Der Motor lief. Die Telenergie arbeitete. Wynner und Murphy gingen prüfend herum, aber sie konnten auch jetzt nichts entdecken, was auf ei nen Stromanschluß schließen ließ. Nach fünf Minuten lief der Motor aus. Die drei Männer traten den Rückweg an. »Sehr schön, großartig«, lobte Wynner unterwegs. »Sie haben mich vollkommen überzeugt. Nun möch te ich bloß noch gern sehen, wie Sie Ihre Telenergie an einer beliebigen Stelle ohne Empfänger zur Entla dung bringen.« 73
»Das werden Sie nie sehen«, erwiderte Robert Dunn entschieden. »Ich sagte Ihnen schon, daß ich über diesen Teil meiner Erfindung nicht verhandeln werde.« Wynner legte ihm die Hand auf die Schulter. »Da wären Sie aber mächtig dumm, junger Freund. Was glauben Sie wohl, wie lange es dauert, bis ein anderer dieses Geheimnis ausgetüftelt hat, wenn einmal Ihre Erfindung jedem zugänglich ist?« Robert Dunn fuhr erschrocken herum. Das hatte er nicht bedacht. »Glauben Sie wirklich?« »Aber gewiß doch«, sagte Wynner väterlich. »Das einzige, was Sie durch Ihre Geheimnistuerei errei chen, ist, daß Sie eine ganze Masse Geld einem an deren schenken.« Robert Dunn überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. »Es mag sein, aber jener andere muß dann auch die Verantwortung tragen. Meine Telenergie ist ein Mittel zum Fortschritt und nicht zur Zerstörung.« Wynner drängte nicht weiter. Er war viel zu sehr überzeugt, daß es ihm schon noch gelingen werde, diesen Erfinder zu überreden. »Wie Sie meinen«, sagte er gleichgültig. »Ich denke, wir werden trotzdem einig werden.« »Sie wollen die Erfindung erwerben?« Wynner lachte wohlwollend. 74
»Natürlich, natürlich. Glauben Sie, ich habe mich umsonst hier auf den Berg bemüht? Samuel Wynner gehört nicht zu den Leuten, die einen tüchtigen jun gen Mann verhungern lassen. Ich werde mich Ihrer Sache annehmen. Freilich muß ich erst ein bißchen herumhorchen, wie es mit der wirtschaftlichen Aus wertung und anderem steht, aber ich schätze, das wird Ihnen ja nichts ausmachen. So schnell wollen Sie ja schließlich Ihre Erfindung nicht auf den Markt werfen, nicht wahr?« »Allerdings nicht.« »Na, sehen Sie. Ich denke, es genügt, wenn wir vorläufig eine Option vereinbaren, alles andere kommt dann später.« »Eine Option?« fragte Robert Dunn etwas ver ständnislos. »Ja«, sagte Wynner, »ein Vorkaufsrecht. Sie ver pflichten sich, die Erfindung in der nächsten Zeit, sa gen wir, ein halbes Jahr, niemandem anzubieten, und ich zahle Ihnen dafür eine Entschädigung, die wir ja später verrechnen können. Darüber werden wir schon einig. Auf hundert Dollar mehr oder weniger soll es mir nicht ankommen.« Dunn mühte sich noch immer, zu begreifen. »Sie wollen sich das Vorkaufsrecht sichern?« »Genau verstanden. Das ist das übliche Verfahren. Sie können nicht gut einen Abschluß im Handumdre hen erwarten, nicht wahr? Es ist da so allerhand zu 75
bedenken. Es braucht ja auch seine Zeit, bevor die Patente angemeldet worden sind.« »Natürlich, aber – was dachten Sie für die Option zu zahlen?« Wynner winkte ab. »Darüber werden wir nachher sprechen. Wie ge sagt, es soll mir auf hundert Dollar nicht ankommen. Bis zu tausend Dollar will ich’s mich schon kosten lassen.« Robert Dunn war erst wie vor den Kopf geschla gen, dann schoß es wütend in ihm hoch. »Sie sind wohl verrückt, was?« Wynner zeigte sich peinlich berührt. »Wieso? Was fällt Ihnen ein?« Dunn lachte krampfig auf. »Tausend Dollar! Wahrhaftig, das ist eine Ein schätzung, die…« Wynner blieb stehen, um seine Massigkeit richtig wirken zu lassen. Brutal und rücksichtslos fiel er ins Wort. »Das ist Ihnen wohl zuwenig, was? Sagen Sie mal, mein Lieber, Sie bilden sich wohl recht große Rosi nen auf Ihre Erfindung ein. Das tun die Erfinder im mer, und hinterher verhungern sie mitsamt ihrer Er findung. Sie sollten mir dankbar sein, daß ich Ihnen tausend Dollar allein für die Option biete. So leicht finden Sie keinen zweiten Mann, der so gutmütig ist wie ich. Ein anderer hätte Sie ausgelacht und zum 76
Teufel gejagt. Habe ich Ihnen nicht schon gestern gesagt, daß die Erfindung unrentabel ist, wenn nicht gerade jemand auf den verrückten Gedanken kommt, eine Wüste aufzuschließen? Das einzige, was sie ren tabel machen kann, wollen Sie für sich behalten, nicht wahr? Aus lauter Menschenliebe! Aber den Schund, den niemand verwerten kann, den soll ich kaufen und Ihnen möglichst ein Vermögen dafür ge ben. So sehen Sie gerade aus. Ihre Erfindung ist so, wie Sie sie mir verkaufen wollen, einen Dreck wert. Ich zahle Ihnen die tausend Dollar für die Option aus reiner Gutmütigkeit und schätze, daß sie hinausge worfenes Geld sind, wenn Sie nicht vernünftig wer den und mir die ganze Erfindung überlassen. So steht die Sache und nicht anders.« Robert Dunn starrte den Sprecher unverwandt an, aber es lag keine Kraft in seinem Blick. Er war sich seines Körpers kaum mehr bewußt, es schien ihm, als sei er wie weggeweht. Nur zweierlei lebte in ihm – ein scheußliches, fades Empfinden wie Angst und ein spitz und scharf revoltierendes Gefühl. Er empfand keine Angst vor diesem massigen Körper und vor dem Mann, sondern die unbestimmte Angst eines Menschen, der etwas versinken fühlt, was ihm bisher fester Grund war, der den inneren Halt verliert und sich außerstande sieht, nach einem anderen zu greifen. Samuel Wynner sprach so, daß man an Überzeu 77
gung glauben konnte. Seine Entrüstung, sein Belei digtsein bedeuteten Werturteile über die Arbeit vieler Jahre, über eine Erfindung, die Robert Dunn für um wälzend gehalten hatte. Wynner war ein Vertreter der Wirtschaft, des Geldes, der Wirklichkeit, sein Urteil war das der Öffentlichkeit. Und dieses Urteil zerschmetterte alle Hoffnungen der vergangenen Jah re. Robert Dunn hatte nicht um des Geldes willen ge arbeitet, aber er hatte doch wenigstens geglaubt, daß sich seine Arbeit eines Tages lohnen würde, daß sie ihm sein zukünftiges Leben sichern würde. Und nun bot ihm Wynner tausend Dollar für das Vorkaufs recht. Er würde also später vielleicht das Zehn- oder Zwanzigfache für die Erfindung selbst zahlen wol len. Das war niederdrückend wenig, deckte noch nicht einmal die baren Auslagen, die um der Erfin dung willen gemacht worden waren. Er hatte bei seiner Arbeit nicht auf Ruhm hinge zielt, aber eine gewisse Anerkennung war ihm doch selbstverständlich erschienen. Und nun stand er ge wissermaßen als Bittsteller da, dem aus Gnade und Barmherzigkeit die Erfindung abgenommen werden sollte. Das erschlug. Robert Dunn kam nicht auf die Vermutung – das entsprach seinem Wesen nicht –, daß Wynner ihm bewußt diese Szene vorspielte, um ihn eben an die 78
Wand zu drücken. Er ahnte nicht, daß er in den Au gen des Amerikaners ein unbeholfener, ungewandter und etwas schüchterner junger Mann war, den man mit Freundlichkeit einwickeln und mit brutaler Derbheit gefügig machen mußte. Aber da war noch dieses spitze, aufbegehrende Gefühl, das sich gegen alles stemmte, was Wynner herauspolterte, ein Trotz, der den Nacken gerade hielt, obwohl die Knie unsicher wurden. Da wehrte sich etwas aus der Tiefe heraus, heiß, scharf und rechthaberisch beharrend. Dieses Gefühl war es, was Robert Dunn trotzig ausstoßen ließ: »Das ist nicht wahr! Meine Erfindung ist doch was wert!« Wynner beobachtete ihn unter halbgesenkten Li dern. Er war zufrieden. Dem Mann hatte er die Füße gründlich weggezogen. Der Trotz, der da übrig geblieben war, störte ihn nicht. Er kannte das. Gera de diese Menschen, die so still und schüchtern aus sahen, waren niemals ganz zu brechen. Sie behielten einen letzten Widerstand, behielten ihn auch da, wo robustere Naturen bereits versagten. Aber das wollte nichts besagen. Solche Leute wagten es in den sel tensten Fällen, diese harten Seiten ihres Charakters wieder in Anspruch zu nehmen. Sie waren dankbar dafür, wenn man sie nicht dazu zwang. Wynner änderte seinen Ton und sagte freundlich: »Aber natürlich, natürlich, sie ist schon etwas wert. Entschuldigen Sie, wenn ich mich so gehenließ, aber 79
ich bin nun einmal ein temperamentvoller Mensch. Ihre Bemerkung ärgerte mich, deshalb platzte ich mit meiner Meinung heraus. Sie dürfen das nicht alles so wörtlich nehmen. Sie müssen sich eben nur einmal in meine Lage versetzen und verstehen, daß ich nicht so großzügig mit dem Geld herumwerfen kann.« Robert Dunn fühlte sich erleichtert, wenn auch nicht versöhnt. »Gewiß«, kam er halb entgegen, »es war nur – ich hatte mir das alles ein bißchen anders vorgestellt.« »Kann ich mir denken«, sagte Wynner, während sie weitergingen, »kann ich mir lebhaft vorstellen. Ihnen ist Ihre Erfindung natürlich alles wert. Aber Sie müssen eben auch berücksichtigen, daß der Geldwert nicht nach Ihren Gefühlen bemessen wer den kann, sondern nach den Erfolgen, die sich mit Ihrer Erfindung erzielen lassen. Und darüber läßt sich doch erst später urteilen, wenn ich mich umge sehen habe. Verlassen Sie sich darauf, ich werde al les für Sie herausholen, was sich herausholen läßt. Und wegen der Option brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Wenn Sie eben unbedingt Geld brauchen, will ich Ihnen auch zwei- oder dreitausend Dollar geben. Aber darüber wollen wir dann im Ho tel sprechen.« Sie stiegen wieder in das Motorboot. In Gegenwart des Bootsführers ruhte die Unterhaltung. Sie schwie gen, bis sie in Horta an Land gingen. 80
Wynner hatte sich während der Fahrt sein Vorge hen reiflich überlegt. Dieser Erfinder, dieser Robert Dunn, schien doch sehr steifbeinig geworden zu sein, man mußte ihn aufwärmen. So ließ er es denn nicht an Herzlichkeit fehlen. Robert Dunn hatte aber auch Zeit zum Nachden ken gehabt und war mindestens für diesen Tag zu einem Entschluß gekommen. Er lehnte es ab, mit zum Hotel zu gehen, weil die Zeit zu weit vorge schritten sei und man morgen auch noch verhandeln könne. Bevor sie sich einigen konnten, stand Gloria Ree ves vor den Männern. Robert Dunn verpaßte kein Wort von dem, was sie sprach. Sie machte auf ihn einen außerordentlichen Eindruck. Er vermochte nicht, ihn näher zu bestimmen, aber er war so stark, daß er darüber seine eigenen Sorgen vergaß. Als das junge Mädchen im Dunkel verschwunden war, fragte er Wynner: »Hatten Sie wirklich etwas mit ihrem Vater?« »Unsinn!« brummte Wynner mürrisch. »Ich wollte ihm nur sein Grundstück abkaufen, sonst nicht das geringste.« »Wozu brauchen Sie eigentlich die Grundstücke?« forschte Dunn neugierig weiter. »Sie haben doch meins auch schon gekauft, und ich glaube, das war damals nicht das einzige.« »Liebhaberei«, wich Wynner nicht besonders ge 81
schickt aus. »Also kommen Sie, gehen wir zum Ho tel.« Robert Dunn blickte auf die Uhr. »Danke, das ist ausgeschlossen. Ich muß sofort nach Hause. Morgen werde ich wiederkommen.« Wynner war durch die Begegnung auch abgelenkt worden. Er zuckte nur die Achseln. »Schön, kommen Sie morgen.« Sie gingen auseinander, ohne sich die Hand zu ge ben. * Am nächsten Morgen ließ sich Robert Dunn bei Glo ria Reeves melden, deren Anschrift er mühelos hatte erfahren können. Sie war gerade im Begriff, zur Po lizei zu gehen. Mrs. Grant fing den Besucher an der Tür ab. Sie schüttelte den Kopf, als er sein Begehren äußerte. »Miß Reeves wollen Sie sprechen? Zu dieser Stunde?« Robert Dunn errötete unter den prüfenden Blicken. »Ich – ich weiß«, stotterte er, »es ist sehr früh – kei ne Besuchsstunde. Aber ich dachte – ich wollte …« »Sind Sie etwa Handelsvertreter?« fragte Mrs. Grant geradezu. »Es ist besser, Sie sagen es gleich, denn so etwas erledige ich. Falls Sie den Einfall ha ben sollten, sich bei Miß Reeves melden zu lassen, 82
um einen Staubsauger oder eine Nähmaschine anzu bieten, so …« Es schwangen allerhand sanfte Drohungen mit, die Robert Dunn noch etwas verlegener machten. »Es handelt sich nicht um eine Nähmaschine«, er widerte er leise, »sondern um – um… Ich wollte mich nur erkundigen, ob Mr. Reeves zurückgekehrt ist.« Plötzlich fühlte er sich wieder sicher, deshalb setz te er noch schnell hinzu: »Bitte, melden Sie mich. Robert Dunn ist mein Name, falls Sie ihn vergessen haben sollten.« Die wackere Molly fand plötzlich, daß sie den Be sucher doch wohl falsch eingeschätzt und sich in der Tonart vergriffen habe. Deshalb ging sie schweigend davon. Gloria Reeves hatte im Nebenzimmer alles gehört. »Lassen Sie ihn herein«, sagte sie, bevor Molly noch berichtet hatte. »Ich will ihn sprechen.« Robert Dunn wurde wieder verlegen, als er vor dem jungen Mädchen stand. »Verzeihen Sie, daß ich um diese Stunde vorspre che«, bat er leicht gehemmt, »aber ich wollte nach fragen, ob Ihr Vater zurückgekommen ist. Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner erinnern.« »Doch«, sagte sie zurückhaltend. »Sie befanden sich gestern in Gesellschaft von Mr. Wynner.« Es war ihr deutlich anzumerken, daß sie es nicht 83
als eine Empfehlung betrachtete, zu Wynner zu ge hören. Dabei klang ihre Stimme nicht einmal un freundlich. Dieser Robert Dunn mit seinem vergeis tigten, grüblerischen Gesicht berührte angenehm, obwohl er schlecht ernährt und schlecht gekleidet war. »Nur zufällig«, versicherte Robert Dunn hastig. »Ich stehe mit Mr. Wynner in ganz losen geschäftli chen Beziehungen, mehr nicht.« »Und doch so herzlich?« erinnerte sie spöttisch. Robert Dunn lächelte trübe. »Nur einseitig. Auch der Wolf ist herzlich zu dem Schaf, das er fressen will.« Sie blickte erstaunt. »Das ist eine seltsame Erkenntnis für einen Mann, der sein Schicksal gestalten kann. Ich würde nicht die Rolle eines Schafes spielen.« »Das ist auch nicht meine Absicht, aber Mr. Wyn ner nimmt es vielleicht an. Ich habe ihm nämlich meine Erfindung angeboten, und er möchte sie mir abnehmen, ohne sich anzustrengen. Doch entschul digen Sie, wenn ich Sie mit meinen Angelegenheiten belästige. Ihr Vater ist noch nicht zurückgekom men?« Ihre Sorge wurde plötzlich wieder riesengroß. »Nein«, erwiderte sie bekümmert. »Ich wollte e ben zur Polizei gehen, um ihn suchen zu lassen.« »Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann?« 84
deutete er zögernd an. »Es mag Ihnen vielleicht selt sam erscheinen, daß ich gekommen bin, aber ich mußte an Sie denken und versetzte mich in Ihre La ge, und da ließ es mir keine Ruhe mehr. Es war mir, als müßte ich Ihnen beiseite stehen, vielleicht des halb, weil Sie einen Mann wie Wynner gegen sich haben.« Seine Worte kamen so schlicht und natürlich, daß jedes Mißtrauen in ihr schwand. »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte sie offen und mit einem Anflug von Herzlichkeit. »Ich habe eine schreckliche Nacht hinter mir und fürchte das Schlimmste. Aber helfen kann wohl nur die Polizei. Sie muß eine Streife ausschicken.« »Hoffentlich erweisen sich Ihre Sorgen als unbe gründet«, versuchte er zu trösten. »Wissen Sie denn gar nicht, wohin Ihr Vater gegangen ist?« »Doch«, sagte sie, »er wollte zu den Vulkanen und ist auch sicher dorthin gegangen. Er beschäftigte sich viel mit den merkwürdigen Erscheinungen dort oben. Aber das Gelände ist so unübersichtlich, daß man jemanden nicht so leicht finden kann, wenn er sich nicht bemerkbar macht. Sie kennen es doch sicher auch?« »Nein, ich bin in den letzten Jahren kaum fortge kommen. Doch sagen Sie mir bitte noch, warum Sie Wynner verdächtigen, Ihrem Vater ein Leid angetan zu haben.« 85
»Er war vorgestern bei uns und wollte das Grund stück kaufen. Mein Vater wies ihm die Tür. Er hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, nicht zu verkau fen. Vor zwei Jahren hat schon einmal ein anderer versucht, ihn zu überreden, aber jener war vernünf tig. Wynner dagegen wollte seinen Willen durchset zen und drohte sogar. Ich dachte nun, wenn er aus irgendwelchen Gründen solchen Wert auf das Grundstück legt, könnte er vielleicht den Tod meines Vaters herbeiführen wollen.« Robert Dunn schüttelte den Kopf. »Aber nein, Ihre Sorge läßt Sie zu schwarzsehen. So niederträchtig ist kein Mensch.« »Das habe ich mir auch schon vorgehalten, aber mein Gefühl ist eben stärker.« Robert Dunn lächelte beruhigend. »Sie werden wohl feststellen müssen, daß auch Antipathien täuschen können. Doch sagen Sie, Wyn ner mußte doch wissen, daß Ihr Vater nicht verkauft. Es ist komisch von ihm, daß er es von neuem ver sucht hat.« »Warum sollte Wynner das schon gewußt haben?« »Nun, der Mann, der vor zwei Jahren bei Ihnen war, handelte doch auch im Auftrag Wynners. Ich habe ihm zum Beispiel mein Grundstück verkauft, da ich Geld benötigte.« »An Wynner?« »Ja.« 86
»Aber das muß ein Irrtum sein. Ich war dabei, wie der Agent Wynners, dieser Murphy, mit meinem Va ter sprach. Der Mann war sehr überrascht, als er hör te, daß schon einmal jemand dagewesen sei.« »Er stellte sich wohl nur so.« »Das ist unmöglich. Aber – nein, jener Mann vor zwei Jahren kam doch nicht von Wynner. Sein Auf traggeber hieß Winter.« Robert Dunn riß die Augen auf. »Unmöglich!« »Doch«, beharrte sie lebhaft. »Warten Sie bitte, ich habe erst in diesen Tagen den Zettel gesehen, auf dem er seine Anschrift hinterlassen hat.« Sie eilte hinaus. Robert Dunn lief unruhig auf und ab. Wenn das stimmte, wenn der Mann, dem er das Grundstück verkauft hatte, nicht Wynner, sondern Winter hieß, so fiel doch alles zusammen. Dann gab es doch über haupt keine Beziehungen zu Wynner. Dann wäre er doch nie auf den Gedanken gekommen, Wynner sei ne Erfindung anzubieten. Dann … Gloria Reeves kehrte zurück. In ihrer Hand hielt sie einen Zettel. »Hier ist sie.« Robert Dunn griff mit unsicheren Fingern zu. Georg Winter, 52 28. Street, New York. Da stand es groß und deutlich. »Mein Gott«, murmelte er benommen, »welch 87
schrecklicher Irrtum. Es war alles falsch. Ich habe gedacht, Wynner sei der Mann.« »Aber Sie brauchten doch nur im Grundbuchaus zug nachzusehen.« Er blickte sie verwirrt an. »Im Grundbuchauszug? Ja – eben – habe ich einen Grundbuchauszug?« Sie erfaßte seine Wesensart aus dem Instinkt her aus. »Sie haben einen Grundbuchauszug«, erwiderte sie freundlich. »Aber Sie werden nicht daran gedacht haben. Doch jetzt müssen Sie mich entschuldigen, Mr. Dunn. Ich muß zur Polizei.« Robert Dunn war so fassungslos, daß er sich ver abschieden ließ und nicht einmal daran dachte, daß er sie begleiten konnte. Als er nach Hause kam, hatten sich seine Gedan ken noch nicht geklärt. Er starrte ziemlich geistesab wesend auf den Zettel, den Dav ihm mit der Bemer kung hinhielt: »Ich habe ihn gefunden, Sir. Er steckte ganz tief in der Innentasche Ihrer Brieftasche.« »Wer?« fragte er mechanisch. »Der Zettel, Sir. der Zettel mit der Anschrift dieses Mr. Winter in New York.« Robert Dunn blickte gar nicht erst hin. Er ließ sich in den nächsten Stuhl sinken. »Also doch Winter. Und meine Erfindung habe ich diesem Wynner angeboten. Winter wollte ich sie 88
aber anbieten. Es ist eine verrückte Geschichte.« Dav schichtete seine Stirnfalten auf. »Ach so, deswegen? Sie dachten, der Winter wäre Wynner, und nun ist der Wynner Winter oder viel mehr der Wynner nicht der Winter, sondern der Win ter ist der…« »Hör auf. Du verdrehst die Sache völlig. Das beste wird sein, ich mache diesem Winter Mitteilung, wie es beabsichtigt war. Wenn Wynner die Erfindung kennengelernt hat, mag Winter sie auch noch ken nenlernen. Vielleicht zeigt er mehr Anteilnahme. Mach dich fertig, du mußt dann ein Telegramm nach New York aufgeben.« Dav nahm Haltung an. »Gewiß, Sir. Nur – wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf – wenn nun alle beide die Erfindung haben wollen?« Robert Dunn winkte ab. »Ach was, Wynner hätte ich sie ohnehin nicht gern gegeben. Er wird auch keinen großen Wert auf sie legen.« Dav pendelte mit dem Kopf. »Na, na, manchmal werden die Leute erst richtig warm, wenn sie etwas nicht kriegen sollen!« Das war abermals ein weises Wort, aber Robert Dunn würdigte es nicht. Für ihn sah die Angelegen heit recht einfach aus. Er hatte seine Erfindung irr tümlich dem Falschen angeboten, nun würde er eben 89
seinen Irrtum rückgängig machen und sie dem richti gen Mann anbieten. 4. Fernando de la Banza stand zum drittenmal in der Höhle. Oben hatte sich nichts verändert. Die Gegenstände lagen alle so da, wie er sie verlassen hatte. Die ande ren Platten ließen sich jetzt ebensowenig heben wie vorher. Wie war es nur möglich gewesen, die erste Platte zu bewegen? Fernando hob den Kopf und lauschte. Von oben her dröhnte ein dumpfes Poltern und Scharren, als bewege man einen schweren Gegenstand auf der De cke der Höhle. Nach Sekunden wurde es still, dann aber setzten Geräusche ein, als arbeite man dort oben mit Spitz hacke und Schaufel. Sie waren anfänglich matt und dünn, wurden aber schnell stärker und pflanzten sich bald aber hallend durch die ganze Wölbung fort. Versuchte man, von dort oben aus einzudringen? Fernando blieb unbeweglich auf der Stelle stehen, an der er die Geräusche zuerst vernommen hatte. Was sich auch immer ereignete, er würde hierbleiben und seine Rechte geltend machen. Nach einer Viertelstunde verstummte oben alles. Fünf Minuten vergingen, in denen sich nichts ereignete. 90
Aber jetzt… Ein saugender, quietschender Laut lenkte Fernan dos Blick wieder nach oben. Da sah er, wie sich im Scheitelpunkt der niedrigen Wölbungen mitten aus dem glatten Felsen ein viereckiger feiner Lichtrah men abhob und von allen Seiten breiter wurde. Eine Platte? Im Scheitelpunkt lag ein rechteckiges Schlußstück, das von unbekannten Leuten abgehoben wurde. Immer höher schwebte die Platte, verschob sich seitlich und verschwand schließlich ganz. Fernando sah den matthellen Morgenhimmel mit den verblassenden Sternen durch einen Schacht von höchstens zwei Metern Tiefe hindurch. Dann hörte er eine dunkle, kehlige Stimme: »Die Strickleiter, Sir?« Eine andere, in der es wie Stahl schwang, antwor tete: »Nach mir, Nimba, ich springe gleich.« Eine Gestalt erschien in dem Schacht. Einen Au genblick stand sie – vermutlich auf den freigelegten Rändern der Wölbung – und blickte in die Tiefe, dann kam sie im Sprung herunter und federte weich auf dem glatten Boden auf. Fast im gleichen Augenblick stand Fernando ne ben ihr. Unwillkürlich gebrauchte er die englische Sprache. »Wie kommen Sie dazu, hier einzudringen? Wer sind Sie?« Der Fremde wandte sich langsam zu ihm um und 91
musterte ihn. Fernando hatte Zeit, das gleiche zu tun, soweit ihm eine ungewohnte Befangenheit Spielraum dazu ließ. Er sah ein regelmäßiges Gesicht, das von ebensoviel Kühnheit wie Sanftmut sprach. Dann hielten ihn zwei große feurige Augen fest und ließen ihn erst wieder los, als der Fremde mit seiner eigen tümlich metallischen Stimme zu reden begann. »Treten Sie beiseite«, sagte er freundlich, doch zu gleich bestimmt, »damit Ihnen die Strickleiter nicht auf den Kopf fällt. Ich heiße Sun Koh.« »Fernando de la Banza.« Der junge Mann ver beugte sich etwas linkisch, trotz der ungewohnten Situation den alten Spielregeln der Gesellschaft fol gend. »Sind Sie der Besitzer des Geländes über dieser Höhle?« erkundigte sich Sun Koh. »Nein«, gab Fernando zögernd zurück. »Es ist Ge meindeland.« Der Fremde lächelte ganz fein. »Dann sind Sie also gewissermaßen ebenfalls ein Eindringling. Aber es ist unwichtig. Welche Be wandtnis hat es mit dieser Höhle?« »Das müßten Sie doch eigentlich besser wissen als ich«, erwiderte Fernando unsicher. »Sie haben doch sogar den Zugang von oben gekannt.« Sun Koh wehrte mit einer kleinen Geste ab. »Ich weiß gar nichts. Es ist reiner Zufall, daß wir in diese Höhle gerieten, wenn es auch kein Zufall ist, 92
daß wir uns gerade in dieser Gegend befinden. Den oberen Zugang habe ich einfach durch eine Überle gung festgestellt, nachdem ich einmal den unteren kennengelernt hatte.« »Sie waren schon von der Meeresseite hier drin?« erkundigte sich der andere begierig. Sun Koh nickte. »Allerdings, ich sagte Ihnen ja, daß wir durch Zu fall die Höhle fanden, die untere nämlich. Ich drang in den Gang vor, kletterte über die Kupferstäbe auf wärts und fand so diesen Raum.« Fernando deutete auf das offene Viereck im Bo den. »Dann haben Sie wohl auch die Platte abgeho ben?« »Ja.« Fernando schüttelte den Kopf. »Das ist mir das größte Rätsel, wie es möglich ist, eine solche Platte zu heben. Ich habe es stundenlang versucht.« »Es ist kinderleicht. Sie werden es nachher se hen.« »Aber wie fanden Sie den oberen Zugang?« Sun Koh lächelte. »Fanden Sie nicht, daß der Zugang von unten her etwas reichlich beschwerlich ist? Hier liegen siebzig Mumien, wenn ich richtig vermute. Es war mir kaum glaubhaft, daß man sie vom Meer hier heraufge 93
schafft haben sollte. Ich stellte eine kleine Höhenbe rechnung an, prüfte die Decke und fand dort die Rit zen des Verschlußsteines. Die Stelle ist von oben her gut markiert. Es lag dort ein mächtiger Stein.« »Der Stein der Toten.« »Wir brauchten ihn nur beiseite zu wälzen und ei nigen Schutt wegzuräumen, dann hatten wir die Plat te vor uns. Es wundert mich, daß man den Zugang nicht bereits früher fand.« »Er wurde durch den Aberglauben der Bevölke rung geschützt.« »Lassen Sie darüber hören.« Fernando berichtete in kurzen Zügen über die Sa gen, die um die »Heilige Grotte« und den Stein der Toten spielten. Sun Koh hörte sehr aufmerksam zu und sagte dann: »Ihre Mitteilungen sind mir außeror dentlich wertvoll. Darf ich nun hören, warum Sie das Geheimnis dieser Höhle nicht respektierten?« Der junge Mann berichtete ihm auch das. Eine Weile schwiegen die beiden Männer, dann sagte Sun Koh langsam: »Nach allem, was ich bisher gehört habe, sind Sie bereits vor mir in dieser Höhle gewesen. Sie können also die Entdeckerrechte in An spruch nehmen.« Fernando machte eine verlegene, abwehrende Be wegung, aber Sun Koh fuhr gelassen fort: »Sie brau chen nicht zu fürchten, daß wir sie Ihnen streitig ma chen. Ich anerkenne Ihren Anspruch auf die geldli 94
chen Werte dieser Schätze, die zweifelsohne in den Grabstätten enthalten sind.« »Sie haben den oberen Zugang gefunden und kön nen daher mindestens ebensoviel beanspruchen wie ich«, warf Fernando edelmütig ein. »Ich werde mir dafür ein anderes Entgelt ausbe dingen. Was werden Sie mit diesen Dingen anfan gen?« »Verkaufen wahrscheinlich.« »Sie werden sie verkaufen, weil Sie in diesen Ge genständen vor allem den Wert des Goldes und der Edelsteine sehen. Für mich steckt jedoch in man chem dieser Geräte oder Waffen ein Liebhaberwert. Ich stelle daher die Bedingung, daß Sie diese Dinge zu einem angemessenen Preis an mich verkaufen.« Fernando war freudig erregt. »Sie könnten mir keinen angenehmeren Vorschlag machen. Erstens entheben Sie mich der Mühe, damit hausieren zu gehen, und zweitens brauche ich dann der Regierung nicht alles auf die Nase zu binden.« Sun Koh lächelte. »Geheimhalten können Sie Ihren Fund nicht ganz. Siebzig Mumien von diesem Alter wirft man nicht einfach ins Wasser. Ihr Fund wird eine Sensation für die ganze Welt sein.« »Vorläufig sind ja die Löcher alle noch geschlos sen, und ich weiß nicht, wie ich sie aufkriegen soll.« »Das lassen Sie meine Sorge sein.« 95
Er ging nach der Mitte der Höhle und rief einen kurzen Befehl durch den Schacht hinauf. Kurz darauf tauchte der Junge wieder auf, den Fernando schon kennengelernt hatte. Eine Weile später erschien ein hünenhafter Neger, bei dessen Anblick er erschrak. Nicht nur in bezug auf seine Größe ragte er weit über das durchschnittliche Maß hinaus, sondern auch zu gleich durch seine Breite. Er war derartig mit Mus keln bepackt, daß er wie ein Koloß wirkte. Bewun dernswürdig schien, daß er sich trotzdem ganz leicht und geschmeidig bewegte. Nach ihm folgte als letz ter ein junger Mann, der ebenso blond und hochge wachsen wie Sun Koh war, aber im ganzen mehr den Eindruck eines Gelehrten machte. Sun Koh stellte kurz vor: »Das ist Hal Mervin, dies hier Nimba und das Doktor Peters.« Er wandte sich an die drei und fuhr fort: »Und das ist Fernando de la Banza, der diese Höhle als erster entdeckt hat. Nimba, wir wollen die einzelnen Grab steine jetzt öffnen.« Während der Neger eine halbkugelige Schale auf die nächste Platte setzte und dann an einem Apparat hantierte, stieß der Junge seinen neuen Bekannten sanft an. »Nun, hat es Ihnen weh getan?« Fernando lachte. »Es war nicht so schlimm. Das nächstemal bin ich schneller.« Hal grinste. Dann blickten sie auf Nimba. 96
Er hob gleichzeitig an dem Griff, der oberhalb der halbkugeligen Schale angebracht war, die Platte aus ihrem Lager. Es genügte ein Stück, dann griff er mit einer Hand darunter und kippte sie völlig um. »Ihr Wunder löst sich also auf einfachste Weise«, sagte Sun Koh. »Sie wissen wohl jetzt, um was es sich handelt?« »Sie arbeiten mit einem Vakuum?« Sun Koh nickte. »Die Halbkugel, die dicht auf der Platte aufsitzt, wird luftleer gepumpt und heftet da durch den Griff an die Platte. Sie sehen, es ist auf diese Weise gar nicht schwer, die Platten zu heben.« Während der Neger bereits die nächste Platte in Angriff nahm, traten sie an das geöffnete Loch heran. Auch in ihm lag eine Mumie, neben der eine Reihe von Gegenständen sichtbar wurde. Sun Koh ließ den Scheinwerfer hinunterflammen. Es war ein gespens tischer Anblick, das braunschwarze Gesicht dort un ten inmitten all der wertvollen Dinge zu sehen. Die Stunden vergingen. Jetzt war Nimba fertig. Siebzig Platten hatte er ab gehoben. Unter jeder lag eine Mumie, wie es vermu tet worden war. Diese siebzig Felsenkammern waren siebzig Gräber, die flache Höhle ein einziger Fried hof. Der Wert der Schätze ließ Fernando schwindeln. Diese Waffen und Gefäße bedeuteten in Geld umge setzt ein ungeheures Vermögen. Es war kein Wun der, daß er sich wiederholt den Schweiß von der 97
Stirn wischte und daß seine Hände zeitweise zitter ten. Er wußte nicht, daß er in diesen Stunden in jeder seiner Bewegungen sorgfältig beobachtet wurde. Als die letzte Platte beiseite gehoben wurde, fragte ihn Sun Koh freundlich: »Nun, was sagen Sie zu Ih rem Fund?« Der junge Mann atmete schwer auf. »Offengestanden, ich bin erschrocken und be stürzt. Der zehnte Teil von dem allen hier würde mir genügen, um mein Leben lang ein reicher Mann zu sein. Das hatte ich mir nicht träumen lassen.« »Sie werden Ihren Reichtum zu tragen wissen«, sagte Sun Koh. »Hoffentlich«, seufzte der andere. »Ganz wohl ist mir nicht zumute. Wenn man sein Lebtag nicht viel gehabt hat, dann fürchtet man sich vor dem vielen Gold. Mein einziger Trost ist der, daß Sie mir das ganze Zeug abkaufen werden.« »Das heißt?« »Daß es an mir liegt, von Ihnen einen entspre chenden Preis zu fordern.« »Die Schätzung wird Ihnen nicht leichtfallen.« »Würden Sie hunderttausend Pfund dafür zahlen?« »Warum nicht?« erwiderte Sun Koh. »Wir werden uns jedoch noch in Ruhe darüber unterhalten müssen. Bis dahin schweigen Sie bitte. Ich möchte versuchen, den Fund geheimzuhalten. Wo kann ich Sie finden?« 98
Fernando beschrieb es und verließ die Höhle. Erst später fiel ihm ein, daß er diese Fremden nicht kann te und ihnen eigentlich mißtrauen müßte. 5. Kurz nach ihm schickte Sun Koh den Jungen fort. Dann befahl er Nimba, die einzelnen Kammern bis auf die Mumien auszuräumen, und schließlich wand te er sich an Dr. Peters, der bis dahin eifrig mit den verschiedensten Untersuchungen beschäftigt gewe sen war. »Was meinst du zu diesen Entdeckungen?« »Zweifellos Grabstätten von Atlantiden«, antworte te Peters. »Die Mumien haben ein Alter von annä hernd dreitausend Jahren und mehr. Hier müssen gan ze Geschlechter von Edlen oder von Königen begra ben worden sein, denn trotz aller Gemeinsamkeit zei gen sich hier in Kleidern und Geräten gewisse erheb liche Unterschiede, die nur durch einen langen Zeit raum entstehen können. Vermutlich haben sich hier auf San Miguel die Reste eines atlantischen Volkes erhalten und haben hier ihre Könige begraben. Eine andere Möglichkeit besteht kaum. Die Geräte und Waffen sowie die Reste der Kleidung sprechen von einer hochentwickelten Kultur, die auf dieser Insel selbst nicht entstanden sein kann. Die Toten müssen Angehörige eines großen Kulturvolkes gewesen sein.« 99
Sun Koh nickte. »Die Toten selbst bestätigen deine Vermutungen. Siehst du die Inschriften an der Wand?« »Ja. Sie haben zweifellos Ähnlichkeit mit jenen, die wir in der Königshalle der Sonnenstadt auf Yuka tan fanden.« »Sie sind sich auch ähnlich, oder besser gesagt, es sind fast genau die gleichen Zeichen. Die Leute schrei ben in der gleichen Sprache wie die von Yukatan. Ja, noch mehr, sie hatten sogar die gleichen Erlebnisse wie jene. Der erste Teil dieser Inschrift ist nämlich weiter nichts als der dir schon bekannte Bericht über den Untergang von Atlantis. Und nun höre weiter: ›Als das Land zusammenbrach und versank, da verließ König Ruta, der Nachkomme Manus, mit seiner Familie, zahlreichen Edlen und ihren Familien und viel Volk seine Burg und seine Heimat und zog hinaus in die hochragenden Berge, deren Gipfel schneebedeckt über den Wolken lagen. Während das große Reich bereits versunken war und die Götter burg der Atlanten bereits im Zorn der Wasser ge stürzt war, richtete er hier ein neues Reich auf. Aber das Meer war unersättlich. Die Erde wankte von neuem. Dreihundert Jahre nach dem Untergang des Reiches senkten sich die Berge, so daß die Menschen von Ruta weiter hinaufziehen mußten in die Einöde der Gipfel. Viele flohen über das Meer nach Osten, wo das große Land der Wilden liegt. Viele aber blie 100
ben, denn sie wollten ihre Heimat nicht verlassen. Und abermals nach hundert Jahren brach das Land in die Tiefe, so daß nur noch die Berggipfel als Inseln aus dem Wasser herausragten. So ist es geblieben bis auf den heutigen Tag, das ist fünftausendzweihundert Jahre nach dem Untergang des Reiches.‹ Die folgenden Zeilen sind offensichtlich erst viel später eingehauen worden. Die Schriftzüge sind zum Teil bereits nach Jahren verändert. Höre: ›Siebentausendfünfhundert Jahre nach dem Unter gang des Reiches schreibt dies der letzte Nachkom me Manus, der Enkel Rutas, da er seinen Tod nahen fühlt. Ich werde sterben, und mit mir stirbt das Ge schlecht der Atlanten. Das Volk wird allein bleiben, die Edlen werden es regieren, bis sich der Tag erfüllt, an dem das Reich wieder aus den Fluten aufsteigen wird. Klein geworden ist das Volk. Die Menschen leben in Armut und Not. Manu hat die Gipfel der Berge wieder gesegnet, aber es sind ihrer zu viele, die leben wollen, obwohl es wenige sind. Manchmal schon zogen unsere Söhne nach Osten über das Meer, aber sie kehrten nicht wieder. Kunde von gro ßen Reichen drang zu uns, Kunde von Schlachten und Siegen, aber die Könige der Ruta blieben ihrem Schwur treu und verließen die Heimat nicht. Wenn das Reich einst wieder aufsteigt, werden sie hoch in den Gipfeln die neue Heimat und das neue Volk begrüßen.‹ 101
Jetzt kommt abermals eine veränderte Schrift, ver ändert allerdings nur in der Führung der Keile: ›Siebentausendfünfhundertundvier Jahre nach dem Untergang des Reiches starb Pharusius, der letzte Herrscher der Ruta. Nach seinem Tod wird dieses Grabgewölbe geschlossen werden bis in jene Zeit hinein, da das neue Reich auferstehen wird.‹« Sun Koh schwieg. Die beiden Männer blickten nachdenklich auf die Schrift. Handelte es sich hier um allgemeine Prophezeiungen, wie man sie bei jedem Volk zu finden pflegte, oder hatten jene Menschen die Gabe besessen, seherisch in die Zukunft zu blicken? »Viel Neues haben wir leider aus der Inschrift nicht erfahren«, meinte Peters schließlich. »Es wäre besser gewesen, diese Könige hätten uns einige Do kumente zurückgelassen.« Sun Koh hob die Schultern. »Sie werden kaum damit gerechnet haben, daß ihr Volk so restlos durch die Spanier vernichtet wird. Si cher sind damals nicht nur die Schätze, sondern auch die Schriftstücke und sonstigen Zeugnisse einer alten Kultur verschwunden. Im übrigen hast du recht, die se Inschrift bietet kaum etwas, was uns nicht schon bekannt wäre.« »Deswegen wollen wir freilich diese Funde hier nicht unterschätzen. Sie haben gerade für die übrige Menschheit eine ungeheure Bedeutung.« Sun Koh nickte bestätigend. 102
»Ich verstehe dich. Bisher hat man das Vorhanden sein eines Atlantis immer noch kühn abstreiten können. Nun wird das immer weniger möglich sein, denn die Mumien sprechen eine zu ausdrucksvolle Sprache.« »Wer nicht einsehen will, findet trotzdem die Er kenntnis nicht«, erwiderte Peters. »Da habe ich neu lich erst ein Buch überflogen, in dem der Verfasser geistreich nachweist, daß Atlantis in Nordafrika zu suchen sei, eine Theorie, die übrigens eine ganze Menge Anhänger gefunden hat. Ich begreife das ein fach nicht. Sicher ist es so, daß atlantische Völker in Nordafrika eingedrungen sind, genauso, wie sie in Mittelamerika oder in Europa eingedrungen sind. Ebenso sicher spricht kaum etwas entscheidend da für, daß eben dieses Afrika die Heimat der Atlantis kultur gewesen sein kann.« Sun Koh legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ereifere dich nicht. Die Gründe dafür, daß man die Existenz des Erdteils Atlantis ableugnet, liegen im tiefsten Winkel der menschlichen Seele. Der Mensch, selbst wenn er ein Gelehrter ist, hat noch nicht gelernt, in Erdteilen zu denken. Den schla gendsten Beweis dafür hast du in den politischen und wirtschaftlichen Zuständen der Welt. Für die Tech nik ist die Erde bereits zu klein, für die Seele ist sie aber noch immer zu groß, zu unfaßbar. Und außer dem steckt in fast allen Menschen ein unheimliches Grauen. Die Seele weigert sich, Atlantis anzuerken 103
nen, weil das zugleich die Anerkenntnis von Natur katastrophen bedeuten würde, die weit über das Fas sungsvermögen hinausgehen. Wenn es ein Atlantis gegeben hat, so hat es auch Umwälzungen auf der Erde gegeben, die es versinken ließen. Und wenn diese vor zehntausend Jahren möglich waren, so muß ihre Möglichkeit auch für den heutigen Tag bejaht werden. Begreifst du, was ich meine?« »Ja«, antwortete Peters. »Man spricht nicht gern von Krankheit und Tod, weil man sie dadurch auf sich zu ziehen fürchtet. Es gibt unzählige Menschen, die sich scheuen, ihr Testament aufzusetzen, weil in ihnen die stille Angst sitzt, sie müßten dann sterben. So geht es sicher einem großen Teil der Menschheit in bezug auf Atlantis. Man will die entsetzliche Um wälzung, die da einst stattgefunden hat, nicht beja hen, weil man sonst den Boden unter seinen Füßen schwanken spüren würde. Und auch Gelehrte sind nur Menschen, auch sie weichen instinktiv aus und suchen Atlantis lieber auf den verschlungensten Umwegen in Nordafrika oder sonstwo, um nicht den erschütternden Vernichtungskampf unseres Erdballs anerkennen zu müssen.« 6. Kommissar Dragez vermied es, in die geweiteten
Augen des jungen Mädchens zu sehen. Er blickte zu
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Boden. »Ja, wir haben Ihren Vater gefunden.« »Ja – und?« »Bitte, fassen Sie sich«, bat er. »Er ist tot.« »Also doch«, flüsterte Gloria Reeves. Dragez brauchte nicht zuzuspringen, um sie zu halten. Ihr Körper versteifte sich, ihr Bewußtsein krampfte sich an die Schmerzen, die die in die Handfläche ein gepreßten Fingernägel bereiteten. Sie hielt den Schlag aus, vielleicht deshalb, weil sie schon einen Tag und eine Nacht hindurch das Schlimmste be fürchtet hatte. Dragez ließ ihr minutenlang Zeit, dann begann er wieder vorsichtig zu sprechen: »Es tut mir leid, daß ich Ihnen diese Nachricht überbringen mußte. Ich will Sie nun gern allein lassen, aber ich will Ihnen auch gern behilflich sein. Die Träger werden Ihren Vater bald bringen. Wünschen Sie, daß er hier auf gebahrt wird?« »Ja«, erwiderte sie tonlos, »er soll hier aufgebahrt werden. Wie haben Sie ihn gefunden?« »Ich will Ihnen das lieber morgen erzählen, wenn Sie etwas Ruhe gewonnen haben.« Gloria Reeves schüttelte den Kopf. »Sie brauchen nichts zu befürchten. Ich habe lange genug Angst ausgestanden, das hat mich unempfind lich gemacht. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich möchte gern alles wissen.« 105
Der Kommissar setzte sich wieder. Er bewunderte dieses Mädchen insgeheim, das sich so stolz und straff hielt und doch die Erschütterung nicht ganz zu überdecken vermochte. »Wir haben ihn in einer der schmalen Schluchten am Fuße eines Steilhanges gefunden. Er ist abge stürzt und hat dabei den Tod gefunden.« »Abgestürzt?« hauchte sie. Dragez hörte einen Zweifel heraus. »Ja, es handelt sich offensichtlich um ein Unglück. Ihr Vater ist ohne Begleitung und ohne Sicherung in dem nicht ungefährlichen Gelände herumgeklettert. Ich weiß ja nicht, was ihn dazu bewog, aber er hätte sich doch wenigstens Begleitung mitnehmen sollen.« »Mein Vater ist schon immer allein dort gewe sen«, sagte sie. »Er war ein sicherer Kletterer, wenn ihm das Klettern auch nicht Selbstzweck war. Er un tersuchte die vulkanischen Erscheinungen auf dieser Insel.« Dragez hob den Kopf. »Die vulkanischen Erscheinungen? Aber es gibt doch gar keine mehr. Die warmen Quellen sind ver siegt, die Solfataren rauchen nicht mehr, und die La vaschlünde sind eingefallen.« »Eben deshalb«, gab sie mit einem Anflug von Ungeduld zur Antwort. »Mein Vater betrachtete die ses Aussetzen als ein ungewöhnliches Ereignis und versuchte, die Ursachen zu ergründen. Sie wissen 106
vielleicht, daß auf anderen Inseln ganze Kommissio nen aus verschiedenen Ländern aus dem gleichen Anlaß tätig sind?« »Allerdings, ich hörte davon. Man munkelt ja so allerlei deswegen, aber ich glaube nicht, daß man das ernst zu nehmen braucht.« »Mein Vater nahm es ernst. Er brachte dieses Ver sagen der Vulkane mit den verheerenden Erdbeben und Ausbrüchen am Ostrand des amerikanischen Felsengebirges und auf den mittelamerikanischen Inseln sowie mit den dauernden vulkanischen Er schütterungen in Island und Europa in Zusammen hang und behauptete, daß wir vor überraschenden Veränderungen im Atlantik stehen müßten.« Um den Mund des Kommissars ging flüchtig ein überlegendes Lächeln. »Hm, aber solche ähnliche Behauptungen hörte ich schon von allen möglichen Leuten, manche glau ben sogar an das Aufsteigen eines neuen Erdteils. Diese Gelehrten, die auf Pico und Terceira und ande ren Inseln tätig sind, verdrehen den Leuten die Köp fe.« »Meinem Vater nicht«, entgegnete sie herb. »Es war seine eigene Überzeugung. Und er verstand sehr viel von diesen Dingen. Doch wir wollen uns nicht weiter darüber unterhalten. Haben Sie Anzeichen irgendwelcher Gewalttat gefunden?« »Nicht die geringsten«, sagte er. »Ich habe beson 107
ders darauf geachtet, da Sie bereits gewisse Andeu tungen machten. Natürlich läßt sich schwer sagen, ob ihm nicht jemand heimtückisch einen Stoß versetzte, der den Sturz herbeiführte. Die Stelle, an der er sich befunden haben muß, ist nicht unbedingt gefährlich, solange man nicht einen Fehltritt tut oder einen Schwächeanfall erleidet.« Sie sah ihn fest an. »Mein Vater war nicht der Mann, fehlzutreten oder schwach zu werden.« Dragez pendelte bedenklich mit dem Kopf. »Nun, nun, er befand sich immerhin in einem Al ter, in dem einem derartiges schon zustoßen kann. Es waren jedenfalls keine Anzeichen dafür vorhanden, daß sich noch ein anderer Mensch in der Nähe be funden hat. Haben Sie denn bestimmte Gründe für einen Verdacht?« Gloria Reeves senkte den Kopf. »Nein, ich kann keine Beschuldigung aussprechen. Es ist nur eine Angelegenheit des Gefühls.« »Wollen Sie mir nicht alles offen erzählen?« bat er freundlich. »Vielleicht kann ich Sie dann wenigstens beruhigen. Wenn sich die Schuld eines Menschen nicht feststellen läßt, so doch wenigstens die Un schuld.« »Es ist vielleicht doch nichts als eben Widerwil le«, sagte sie. »Mein Vater hatte vor zwei Tagen den Besuch eines gewissen Wynner, nachdem vorher 108
dessen Agent Murphy hier gewesen war. Wynner wollte meinen Vater überreden, ihm das Grundstück zu verkaufen. Mein Vater lehnte das ab. Es kam zu einer ziemlich langen Auseinandersetzung, die von beiden Seiten heftig geführt wurde. Mein Vater sag te, daß das Grundstück erst bei seinem Tod verkäuf lich werden würde, und Wynner meinte einmal, daß es immer gefährlich für einen Mann sei, Verspre chungen für den Todesfall zu machen. Die beiden Besucher wirkten sehr unangenehm auf mich. Ich hatte das Gefühl, daß sie zu allem imstande seien. Und als dann mein Vater ausblieb, dachte ich, sie könnten etwas damit zu tun haben.« »Das ist allerdings – wenn ich offen sein soll – ein sehr unbestimmter Verdacht. Haben Sie denn nun die Absicht, das Grundstück zu verkaufen?« »Nein. Und wenn ich es verkaufen würde, dann bestimmt nicht an diese Leute.« »Na also, dann bestand doch für sie kein Grund.« »Sie könnten doch damit rechnen, daß ich verkau fe.« »Das mag sein. Aber ich glaube, Sie tun den Leu ten unrecht. Auf alle Fälle werde ich mir die beiden mal ansehen. Doch nun will ich mich verabschieden. Falls Sie irgendwelcher Hilfe bedürfen, stehe ich Ih nen gern zu Verfügung.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Wann werden die – wann wird mein Vater gebracht werden?« 109
Er drückte ihre Hand. »Es kann höchstens noch eine halbe Stunde dau ern.« Er hatte richtig geschätzt. Eine knappe halbe Stun de später brachten Träger eine Bahre mit dem Leich nam des Abgestürzten. Gloria Reeves gab gefaßt und beherrscht alle Anweisungen. Erst als sie mit ihrem toten Vater allein war, ließ sie Schmerz und Trauer freien Lauf. Als die ebenfalls sehr verweint aussehende Mrs. Grant eintrat und ihr meldete, daß der Herr von heute morgen, Mr. Robert Dunn, draußen sei und sie spre chen wolle, schüttelte sie den Kopf. »Jetzt nicht, heute nicht. Er soll morgen wieder kommen.« »Er fragt, ob er seinen Diener herschicken soll, um Hilfe zu leisten.« Gloria Reeves machte nur eine Kopfbewegung, die man beliebig deuten konnte. Robert Dunn ging zu Wynner, nachdem er erfolg los bei Gloria Reeves vorgesprochen hatte. Samuel Wynner, der mit seinem Agenten Murphy in seinem Zimmer zusammensaß, empfing ihn mit wohlwollender Geste. »Da sind Sie ja, mein lieber Mr. Dunn«, sagte er herzlich, schüttelte die Hand und wies auf einen Stuhl. »Ich dachte schon, Sie würden die Zeit nicht einhalten. Ich habe den ganzen Tag für Sie gearbei 110
tet, immer lebhaft, lebhaft, alles für Ihre Erfindung. Aber nehmen Sie doch Platz!« »Danke«, sagte Robert Dunn. »Ich will mich nicht lange aufhalten.« Wynner warf ihm einen scharfen Blick zu, fuhr aber in der gleichen Tonart fort: »Wie Sie wollen. Lange wird es ja auch nicht dauern. Sehen Sie, ich habe schon alles wegen der Option festgesetzt. Eini ge kleine Punkte, die natürlich ganz formaler Bedeu tung sind. Sie treten mir das Vorkaufsrecht ab, und ich zahle Ihnen – na, sagen wir, zweitausend Dollar. Sobald der Anwalt kommt, können wir …« Robert Dunn gab sich einen Ruck. Er fand es scheußlich, daß er sich erst diesen Ruck geben mußte. Zu Hause hatte er sich genau vorge stellt, wie er kühl und überlegen seine Beziehungen zu Wynner abbrechen wollte, und nun empfand er doch wieder die Beklemmung, die von dessen massi ger Person ausging. Aber er gab sich doch den Ruck. Wenn er auch durch jahrelange Einsamkeit und grübelnde Arbeit Menschen gegenüber scheu und unsicher geworden war, so kniff er doch nicht, sondern blieb bei dem, was er sich als richtig zurechtgelegt hatte. »Es hat keinen Zweck, Mr. Wynner«, sagte er. »Ich werde die Option nicht unterschreiben und auch die Verhandlungen über die Erfindung nicht weiterführen. Ich bin nur gekommen, um Ihnen das zu sagen.« 111
Samuel Wynner starrte ihn an und setzte mit einer Geste, die etwas Drohendes hatte, die Hände auf den Tisch. »Was – was soll das heißen? Sie wollen Ihr Ange bot zurückziehen?« »Ja!« Wynner legte seinen Oberkörper vor. »Sie sind wohl verrückt, was?« fragte er. »Wie stellen Sie sich denn das vor? Ich habe bereits alles eingeleitet, habe mir Zeit und Kosten verursacht, die Option liegt fertig zum Unterzeichnen und nun – nun hat der Herr keine Lust mehr. Nein, so einfach ist das nicht, mein Lieber. Sie haben das Angebot gemacht und sind vorläufig daran gebunden. Es würde Sie verdammt viel Geld kosten, wenn Sie jetzt plötzlich zurücktreten wollten. Denken Sie etwa, ich lasse mich veralbern? Eine Schadenersatzklage kriegten Sie auf den Hals, eine Schadenersatzklage, die sich gewaschen hätte, verstanden? Überlegen Sie sich das genau. Und nun seien Sie hübsch vernünftig und ma chen Sie keine Späne. Die Sache läuft von ganz al lein weiter.« Das war es. Die Sache lief von ganz allein weiter. Ein Schritt war getan, und an diesen sollten sich zwangsläufig hundert andere anschließen. Ein Rutsch auf schiefer Ebene hatte begonnen und sollte weiter gehen, eine feine Fessel war da, ein Faden nur, hinter dem Stricke und Taue auftauchten. 112
Samuel Wynner sprach genau das aus, was Robert Dunn befürchtet hatte. Nicht mehr zurück – das Band läuft bereits. Ein Angebot, darauf das Vorkaufsrecht, dann der Kauf, die Auswertung und was noch alles. Eins zeitigte das andere. Da gab es irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen, die den Ablauf sicher ten – was wußte Robert Dunn schon von gesetzlichen Bestimmungen –, da drohten eine Klage, eine Scha denersatzforderung, eine Fülle von Schwierigkeiten, Aufregungen und Ärger. Und auf der anderen Seite stand die Möglichkeit, sich alles durch eine einfache Zustimmung zu erspa ren und darüber hinaus Wohlwollen und freundliche Unterstützung zu genießen. Aber Robert Dunn reckte sich. »Nein«, erklärte er laut und deutlich, »ich will nicht. Verklagen Sie mich meinetwegen. Ich habe Ihnen wohl von der Erfindung Mitteilung gemacht, bin aber noch keine Bindungen eingegangen. Und meine Mitteilung geschah auf Grund falscher Vor aussetzungen. Es war gar nicht meine Absicht, Ihnen meine Erfindung anzubieten. Mein Angebot galt vielmehr dem Mann, dem ich mein Grundstück ver kauft habe. Sie ließen mich in dem Glauben, daß Sie das wären, aber nun weiß ich es besser und verzichte auf weitere Verhandlung mit Ihnen.« »So?« Nach diesem drohend gedehnten Ausruf wechselte 113
Samuel Wynner plötzlich seine Taktik. Er kam hinter dem Tisch hervor, legte Robert Dunn die Hand auf die Schulter und sagte kopfschüttelnd in nicht un freundlichem Ton: »Nun verraten Sie mir bloß ein mal, mein Lieber, was eigentlich in Sie gefahren ist. Schlecht geschlafen, he? Sie wollen mir doch nicht etwa einen Vorwurf daraus machen, daß ich das kleine Mißverständnis wegen des Landkaufs nicht aufklärte. Das war mir denn doch zu bedeutungslos. Von wem haben Sie denn das überhaupt erfahren?« »Ich fand die Anschrift des anderen«, erwiderte Robert Dunn zurückhaltend. »Na ja, und was hat sich dadurch geändert?« »Ich hatte ihm versprochen, Mitteilung zu geben, wenn meine Erfindung fertiggestellt sei.« Wynner tauschte einen schnellen Blick mit Mur phy. »Soso, darum? Dieser Winter scheint ja tüchtig zu sein. Er weiß also um Ihre Erfindung?« »Ich habe seinem Agenten einiges erzählt.« Wynners Gesicht wurde noch um einen Schein wohlwollender. »Ach, und deshalb wollen Sie nicht weiter mit mir verhandeln? Aber ich bitte Sie. Sie sind doch ein ge scheiter junger Mann, Mr. Dunn, nicht wahr, ein Mann, der seinen Kopf auf den Schultern hat. Glau ben Sie wirklich, daß dieser Winter etwas von Ihrer Erfindung erfahren hat, weil Sie sich mit dem Agen 114
ten darüber unterhielten? Und glauben Sie, daß er nun gleich begierig ist, sie für schweres Geld zu er werben? Na, soviel Urteil haben Sie doch auf alle Fälle. Der Mann hat Ihr Land gekauft, deswegen braucht er noch lange nicht die Erfindung zu kau fen.« Robert Dunn entlastete sich durch eine Drehung von der fleischigen Hand. »Ich weiß nicht – ich …« »Sie wissen nicht«, fiel Wynner lebhaft ein. »Aber Sie hoffen vielleicht, daß er Ihnen mehr bietet, nicht wahr? Natürlich, das ist der ganze Haken. Offenge standen, ich verstehe Sie nicht ganz, lieber Mr. Dunn, wenn Sie nicht zufrieden sind, brauchen Sie es doch bloß zu sagen. Das sind doch Dinge, über die man sich unterhalten kann. Also setzen Sie sich erst einmal hin, und dann erzählen Sie mir, wie Sie sich die Sache mit der Erfindung gedacht haben.« Robert Dunn blieb stehen. »Sie sind im Irrtum, Mr. Wynner«, erklärte er fest. »Ich will mit Ihnen nicht über den Preis feilschen, ich will mit Ihnen überhaupt nichts zu tun haben. Sie verstehen nichts von meiner Erfindung und betrach ten sie nur als Geschäft, deshalb möchte ich sie Ihnen nicht anvertrauen.« »Sie wollen doch nicht…«, fuhr Wynner auf. »Lassen Sie mich ausreden«, fuhr Dunn heftiger fort. »Eine solche Erfindung ist eine Angelegenheit 115
des Vertrauens, denn ich will ja nicht nur Geld dafür einlösen, sondern will auch die Gewißheit haben, daß sie so ausgewertet wird, wie ich mir das gedacht ha be. Meine Erfindung ist ein Bestandteil meines Geis tes, meines Blutes und meiner Arbeitskraft, ich will sie nur in Hände legen, die Gutes mit ihr wirken.« »Ah, volksbeglückende Ideen und …« »Warten Sie«, sprach Dunn entschlossen weiter. »Sie mögen das für Narrheit halten, aber mir ist es ernst darum. Ich werde Ihnen die Erfindung nicht überlassen, weil Sie sie nur vom geschäftlichen Standpunkt aus sehen, und weil Sie mir unsympa thisch sind – unsympathisch!« Das Gesicht Wynners war dunkel. Selten hatte je mand so offen zu ihm gesprochen. Die Wut flackerte in ihm hoch, aber seine Vernunft gebot ihm, sich zu zügeln. Deshalb wurde es Hohn, was seine Lippen formten. »Ha, unsympathisch bin ich Ihnen?« Er lachte bis sig auf. »Bei Ihnen muß man wohl wie ein Film schauspieler aussehen, wenn man Geschäfte machen will! Mir scheint, Sie sind gänzlich übergeschnappt. Sie sind ja ein richtiger Idealist, wie er im Buch steht. Ein Narr sind Sie! Kann ich mir lebhaft den ken, daß Sie die Welt beglücken wollen. Wie die Wirklichkeit aussieht, davon haben Sie natürlich kei ne Ahnung. Sie bilden sich ein, daß die Milliarden darauf warten, damit die Wüsten und Einöden mit 116
Hilfe Ihrer Erfindung in Paradiese verwandelt wer den. Viel Glück, mein Lieber. Sie werden sich wun dern.« »Es hat keinen Zweck, sich darüber zu streiten«, sagte Robert Dunn. »Ich werde Ihnen jedenfalls mei ne Erfindung nicht abtreten, selbst auf die Gefahr hin, daß Mr. Winter keine Verwendung dafür hat.« »Sie haben ihm wohl schon geschrieben?« »Jawohl, ich habe ihm ein Telegramm geschickt.« »Verdammt!« fuhr Wynner wieder hoch. »Wenn Sie das nur nicht bereuen. Ich bin nicht der Mann, der sich einfach beiseite schieben läßt. Sie haben mir Ihre Erfindung angeboten, und sie gehört mir – so oder so.« Robert Dunn schüttelte den Kopf. »Sie können sich die Drohungen sparen. Es ist immer gefährlich, Drohungen auszustoßen.« »Wie meinen Sie das?« »Mr. Reeves haben Sie auch gedroht, und nun ist er tot.« Wynner ruckte vor. »Was? Reeves ist tot?« Dunn sah ihn vielsagend an. »Ich dachte, Sie wüßten das.« Wynner leckte sich über die Lippen. »Reden Sie keinen Quatsch. Wie soll ich das wis sen? Hat man ihn ermordet?« »Er ist abgestürzt, aber er kann ebensogut in die 117
Tiefe gestoßen worden sein.« Wynner blickte auf Murphy und dann wieder auf Dunn. »Soso«, murmelte er, »Reeves ist also tot. Nun, mir soll’s recht sein. Aber was …« Es klopfte, der Notar erschien. Sofort war Wynner wieder bei der Sache. So lebhaft und unbefangen, als sei das ganze bisherige Gespräch gänzlich bedeu tungslos gewesen, ging er von neuem auf sein Ziel los. »Ah, da sind Sie ja. Recht, daß Sie kommen. Das ist Mr. Dunn, der mir die Option für seine Erfindung abtreten will. Bitte, nehmen Sie Platz, Mr. Dunn. In fünf Minuten ist die Geschichte erledigt. Wir haben nur noch die Geldsumme einzusetzen.« Robert Dunn riß sich von der Hand Wynners los. »Ich habe mich wohl klar ausgedrückt. Guten A bend!« Er ging zur Tür. Samuel Wynner grinste mit einem bösartigen Ausdruck im Gesicht hinter ihm her, hielt ihn aber nicht zurück. * Murphy wollte sich Minuten später hinter dem An walt her verdrücken, aber Wynner winkte ihm recht zeitig. »Bleiben Sie, Murphy.« 118
Murphy blieb, obwohl er wenig Lust hatte, die schlechte Laune über sich ergehen zu lassen. Wynner trug jedoch ein recht zufriedenes Gesicht zur Schau, als er von der Tür zurückkehrte. »Reeves ist tot.« Er blinzelte Murphy zu. »Verun glückt. Das haben Sie nicht schlecht gedeichselt.« Murphy schüttelte den Kopf. »Wenn Sie damit sagen wollen, daß ich nachge holfen habe, irren Sie sich. Ich bin mit Reeves nicht zusammengekommen.« »Man braucht ja schließlich nicht alles selbst zu erledigen.« Wynner grinste. »Mir gegenüber brau chen Sie sich nicht aufzuspielen.« »Ich denke nicht daran«, sagte Murphy heftig. »Ich habe mit Reeves’ Tod nichts zu schaffen!« »Schon gut«, winkte Wynner ab. »Die Hauptsache ist, daß Sie nun auch den Kauf abschließen können. Aber das hat Zeit. Was sagen Sie zu dem Erfinder?« Murphy hob die Schultern und schwieg. »Ein aufsässiges Bürschchen«, sagte Wynner, »a ber dumm, mächtig dumm. Das Geld für die Option wird nun eben ein anderer einstecken, der mir die Papiere über die Erfindung bringt. Ich kann es mir wahrhaftig nicht schwer vorstellen, sie diesem Dunn abzunehmen. Ein kleiner Einbruch, damit ist der Fall erledigt. Verstehen Sie mich?« »Nein«, erwiderte Murphy trotzig. »Ich werde Ih nen die Papiere nicht bringen. Die Geschichte ist zu 119
gefährlich. Dieser Dunn sieht zwar harmlos aus, aber er wird einen Haufen Krach schlagen und sich nicht abhalten lassen, uns anzuzeigen.« Wynner wischte geringschätzig die Bedenken fort. »Wozu gibt es ein Alibi? Man muß es eben ein biß chen geschickt einrichten.« »Ich nicht.« Wynner zog die Brauen hoch. »Und warum nicht?« »Mein Gefühl warnt mich. Erstens sitzen wir hier auf einer Insel wie im Gefängnis, vor allem aber ist das eine Sache, in der ich mich nicht auskenne. Dunn hat an jenen Winter gekabelt. Weiß der Teufel, wer das ist, aber jedenfalls handelt es sich um eine große Kanone. Vergessen Sie nicht, daß der Mann allein für ein paar Millionen Land hier auf den Azoren gekauft hat. Die Papiere hat man leicht herausgeholt, aber dann kriegt man es nicht bloß mit dem Erfinder und mit der Polizei zu tun, sondern mit diesem Winter.« »Na, wenn schon.!« »Der Mann hat mehr Geld als Sie, und mit seinem Geld kann er uns zu Tode hetzen. Ich kenne das. Einmal habe ich mir an einer solchen Geschichte fast die Finger verbrannt, ein zweites Mal stecke ich sie gar nicht hinein.« In Wynners Augen glitzerte es gefährlich. »So, Sie wollen also nicht. Nun, es wäre ver dammt unangenehm für Sie, wenn ich der Polizei 120
erzählte, daß Sie an Reeves’ Tod zwanzigtausend Dollar verdienen können, nicht wahr?« Murphys Gesicht verzerrte sich. »Verpfeifen wollen Sie mich? Das sieht Ihnen so richtig ähnlich. Aber tun Sie es nur, ich werde der Polizei auch was erzählen. Außerdem habe ich ein Alibi.« »Sie brauchen sich nicht so aufzuregen«, meinte Wynner. »Ich machte bloß einen Scherz. Aber Sie werden doch nicht ernstlich die Absicht haben, mich im Stich zu lassen?« »Holen Sie sich die Papiere selbst«, gab Murphy mürrisch zurück. »Ich habe keine Lust, meinen Kopf in die Schlinge zu stecken, zumal nicht für zweitau send.« »Aber für zehntausend.« »Auch nicht. Hol’s der Teufel, schließlich steckt hinter diesem Winter die Regierung oder irgendeine Spionageorganisation oder gar die Sippschaft, der ich damals gerade mit Ach und Krach durch die Finger gerutscht bin. Dann spiele ich den Dummen. Nein, nichts zu machen.« Wynner zog ihn wieder herunter. »Warten Sie, Murphy. Sie müssen sich die Sache überlegen. Diese Erfindung hat es in sich. Eine derar tige Gelegenheit, um reich zu werden, kriegen Sie nicht wieder. Dieser Dunn hat sich das noch nicht klargemacht, aber ich sage Ihnen, wenn das mit der 121
Übertragung von Kraftstrom durch die Luft klappt, dann gibt es eine Riesenumwälzung. Es kann leicht sein, daß durch diese Telenergie der Strom um die Hälfte oder noch viel mehr billiger wird. Mehr brau che ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und darüber hin aus ist es eine Erfindung, die für Kriegszwecke ge nutzt werden kann. Der Staat, der sie besitzt, kann seine Kanonen getrost verschrotten und seine Solda ten nach Hause schicken. Die elektrischen Entladun gen, die an jeder beliebigen Stelle hervorgerufen werden können, erledigen alles. Die Erfindung wird Dutzende von Millionen bringen, und Sie können Ihren vollen Anteil daran haben.« »Zweitausend Dollar, nicht wahr?« »Das war natürlich ein Scherz. Wir gehen auf halbpart, das bedeutet Millionen für Sie.« »Wenn nicht jener Winter …« »Warten Sie«, unterbrach Wynner mit gedämpfter Stimme. »Ich will Ihnen noch eine Karte mehr aufle gen, damit Sie alles wissen. Sie haben recht, es kann ein ganz großes Spiel werden. Dieser Winter ist si cher ein starker Mann. Das sage ich nicht bloß, weil er hier das viele Land gekauft hat, sondern weil ich weiß, wer gegen ihn steht. Wissen Sie, wer mich hergeschickt hat?« »Nein.« »Person.« »Der Pittsburgher?« 122
»Ja, und hinter Person stehen gewöhnlich noch ein paar Leute, die allerhand besagen wollen.« »Donnerwetter!« »Da staunen Sie, was? Angenommen, Person wür de sich für die Erfindung interessieren – glauben Sie, daß dann noch ein Mann wie dieser Winter zu fürch ten wäre, obwohl er hier das Land gekauft hat?« »Wahrscheinlich nicht. Person hat Geld.« »Es ist ein großes Spiel im Gang«, flüsterte Wyn ner. »Ich bin auch erst allmählich dahintergekom men. Das Spiel geht zwischen Person und Winter, wobei noch nicht feststeht, ob hinter beiden nicht noch stärkere Hinterleute stehen. Person hat jeden falls genau gewußt, wie es hier in dem Land steht, als er mich herschickte. Er hat mir so hohe Angebote gemacht, weil er von vornherein wußte, daß er mit dem Land noch anderes bezahlen muß. Und er hat mir nicht umsonst schärfstens auf die Seele gebun den, niemanden merken zu lassen, daß er den Auf trag gegeben hat. Tja, ein großes Spiel ist es, sogar ein gefährliches Spiel. Aber es lohnt sich. Wenn sich Person für die Erfindung interessiert, und das wird bestimmt der Fall sein, stehen wir beide in der Mitte zwischen den Gegnern. Wir haben die Erfindung und können sie zu beliebigem Preis verkaufen. Verstehen Sie?« »Wir können aber auch zerquetscht werden, nicht wahr?« 123
»Unsinn, das lassen Sie mich nur machen. Ich werde schon alles drehen. Nur die kleinen Handlan gerdienste müssen Sie schon übernehmen, dazu eig ne ich mich nicht. Erst müssen wir die Papiere ha ben.« »Und wenn Person gar nichts davon wissen will?« »Das werden wir feststellen. Ich will versuchen, daß ich noch heute Verbindung mit ihm bekomme.« Das Telefongespräch fand wirklich noch am glei chen Tag statt. Person war sehr überrascht. »Sie, Wynner?« rief er durch den Draht. »Ja, was fällt Ihnen ein?« »Ich muß unbedingt mit Ihnen sprechen«, ent schuldigte sich Wynner. »Haben Sie Land gekauft?« »Land?« dehnte Wynner. »Sie haben natürlich ganz genau gewußt, wie die Verhältnisse hier liegen. Ein gewisser Winter hat schon vor zwei Jahren heim lich alles freie Land aufgekauft.« »Zugegeben, ich habe es gewußt. Aber so restlos wird er nicht aufgekauft haben, und ich schickte ja gerade Sie hin, weil Sie besonderes Geschick in sol chen Dingen haben. Sie müssen mir Land verschaf fen, Sie wissen, daß ich großzügig bin!« »Über den Preis reden wir später. Ich denke, daß ein paar tausend Quadratmeter schon aufzutreiben sind. Aber nun eine andere Sache, wegen der ich Sie eigentlich anrief.« 124
»Etwas anderes? Schießen Sie los.« »Da hat ein Mann eine Erfindung gemacht. Tel energie nennt er sie. Es handelt sich darum, elektri schen Kraftstrom ohne Leitung durch die Luft zu schicken. Die Erfindung stimmt, ich habe einem Versuch beigewohnt.« »Hm.« »Da die Verschickung von Kraftstrom ohne jede Leitung wahrscheinlich eine Umwälzung in der Kraftversorgung der Welt nach sich ziehen würde, der Strom könnte zum Beispiel viel billiger geliefert werden, wollte ich mal hören, ob Sie Interesse an der Sache haben.« »Vielleicht.« Das klang allzu unverbindlich in Wynners Ohren. Er fühlte weiter. »Der Kraftstrom soll durch besondere Empfangs apparate aufgenommen werden. Der Mann hat aber auch ein Verfahren erfunden, um die elektrischen Ströme an jeder beliebigen Stelle zur Entladung zu bringen, also ohne Empfänger, nur mit Hilfe einer besonderen Welle vom Sender aus.« »Donnerwetter, das wäre nicht übel.« »Ein Kriegsmittel ersten Ranges, nicht wahr? Ha ben Sie jetzt Interesse?« »Ja. Wie heißt der Mann?« »Davon später«, sagte Wynner. »Und noch etwas. Der Erfinder machte mir ein Angebot, weil er mich 125
für den Winter hielt, der hier das ganze Land ange kauft hat. Als er die Wahrheit erfuhr, zog er sein An gebot zurück. Er hat Winter von der Erfindung Mit teilung gemacht und will sie ihm verkaufen. Was sa gen Sie dazu?« Person sagte eine ganze Weile gar nichts, dann kam seine Stimme schwer und nachdrücklich: »Wir müssen die Erfindung unter allen Umständen in die Hand bekommen, Wynner. Geld spielt keine Rolle, wenn die Erfindung das wert ist, was Sie andeuten. Sie haben mich verstanden?« »Vollkommen.« »Gut, dann erwarte ich baldigst Ihre weiteren Nachrichten!« * Es ließ sich nie einwandfrei feststellen, auf wel chem Umweg der Inhalt dieser Unterredung der Öf fentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Vielleicht litt ein Diener Persons an allzu starker Neugier, viel leicht aber auch ein Telefonist – jedenfalls brachte bereits zwölf Stunden später ein kleineres Blatt in New York einen aufsehenerregenden Bericht über diese Unterhaltung. Die Zeitung vermerkte zunächst, daß ein einzelner Mann, über den sich noch nichts habe ermitteln las sen, große Landgebiete auf den Azoren gekauft habe 126
und daß es dem bekannten Grundstücksmakler W. Mühe bereite, im Auftrag des nicht weniger bekann ten Milliardärs P. einige tausend Quadratmeter zu kaufen. Sie erwähnte das jedoch nur nebenbei und lenkte das Hauptaugenmerk auf die Tatsache, daß eine Erfindung gemacht worden sei, durch die man riesige elektrische Entladungen in freier Luft und an beliebiger Stelle vornehmen könne. Sie verfehlte nicht, hinreichend auszumalen, wie ein Krieg der Zukunft ungefähr aussehen könne, wenn ein Staat eine derartige Erfindung in der Hand habe. Sie ließ die Flugzeuge, die Schiffe und die Städte zu Hunder ten in Gewittern und Kurzschlüssen riesiger Ausma ße zugrunde gehen. Ferner machte sie darauf auf merksam, daß die Erfindung jenem geheimnisvollen Landkäufer W. angeboten sei, daß aber der bekannte P. hoffe, sie sich zu sichern, und daß es zweifellos wünschenswert sei, wenn die Regierung das Ihre un ternähme, um eine solche Erfindung zu übernehmen. Es war ein Sensationsbericht erster Ordnung. Ob wohl ihn die großen Zeitungen nur mit Fragezeichen übernahmen, verfehlte er seine Wirkung nicht. Vor allem schickten die Zeitungen ihre eigenen Bericht erstatter in Richtung auf die Azoren los. Darüber hinaus gab es in Washington wie London, in Tokio wie Moskau einige heftige Beratungen hinter gepols terten Doppeltüren, deren Ergebnisse in erster Linie darin bestanden, daß sich die Bewohner der Post und 127
Stadt Horta auf der Azoreninsel Fayal um eine ganze Reihe von Männern mit unauffälligem Auftreten und undurchdringlichen Gesichtern vermehrten. Alle Bewegungen, alle Aufmerksamkeiten und alles Interesse zielten aber letzten Endes auf einen Mann, der dank Wynner schneller in den Schnittpunkt stärkster Kräfte geraten war, als ihm lieb sein konnte. Dieser Mann war Robert Dunn. 7. Mrs. Molly Grant war beträchtlich befremdet, als sich zu später Abendstunde ein leicht dämlich ausse hender Mann mit Mittelscheitel vor ihr verbeugte. »Was wollen Sie denn?« erkundigte sie sich mit anzüglicher Betonung des Fürwortes. Dav verbeugte sich schnell zum zweitenmal. Er hielt das für das geeignete Mittel, um den gestrengen Blicken auszuweichen. »David Pound«, murmelte er. »Sie können mich Dav nennen, ich bin das so gewohnt.« Mrs. Grant reckte den Kopf. »Es besteht für mich nicht die geringste Veranlas sung, familiär zu werden. Was wünschen Sie?« Dav zog die Stirn hoch. »Ich möchte – ich will bei Ihnen bleiben.« »Bei mir?« Die ehrsame Haushälterin wagte ihren Ohren nicht zu trauen. »Bei mir? Das ist die größte 128
und unverschämteste Zudringlichkeit, die mir bisher begegnet ist. Gehen Sie gefälligst ins Asyl, wenn Sie keine Unterkunft haben.« »Ja – aber – ich soll Ihnen doch helfen.« Mrs. Grant lachte spöttisch und zugleich entrüstet auf. »Mir helfen? Ich werde Ihnen helfen, verstanden! Machen Sie schleunigst, daß Sie fortkommen!« Dav ruderte unsicher mit den Armen. »Aber – aber – mein Herr sagte doch, ich sollte zu Ihnen gehen und Ihnen behilflich sein und …« Mrs. Grant reckte den Kopf. »Ihr Herr? Wer ist denn Ihr Herr?« »Mr. Robert Dunn. Er meinte …« »Du liebe Güte«, erinnerte sich die Haushälterin, »so ist das. Sie kommen von Mr. Dunn? Warum sag ten Sie das nicht gleich?« »Ich sagte doch, daß ich Dav bin!« »Glauben Sie etwa, daß ich die Vornamen sämtli cher Diener auswendig kenne?« erkundigte sich die Frau verächtlich. »Na schön, ich weiß zwar nicht, was Sie hier wollen, aber kommen Sie nur herein. Es ist immer besser, man hat etwas im Haus, das nach einem Mann aussieht.« »Ist«, verbesserte Dav vorsichtig. »Aussieht, habe ich gesagt. Treten Sie sich die Schuhe ab, ich habe keine Lust, hinter Ihnen her zu wischen.« 129
»Sehr wohl.« Dav nickte bereitwillig und begann seine Stiefel abzuschrubben. »Sie haben sicher keine Teppiche im Haus.« »Wieso nicht?« »Die Teppiche nehmen bekanntlich den Schmutz von den Füßen. Wenn Sie uns einmal besuchen, wer den Sie es nicht nötig haben, sich abzutreten.« »Das muß ja ein schöner Dreck bei Ihnen sein«, entgegnete sie kurz und bündig. »Nun kommen Sie gefälligst, sonst scheuern Sie noch den Abtreter durch. Wie oft klopfen Sie denn die Teppiche?« Dav hob die Brauen. »Klopfen? Bei uns ist das nicht so einfach, da wir durch die wissenschaftliche Arbeit immer in An spruch genommen werden.« »Sie?« Dav hustete. »Ja, ich – das heißt, mein Herr, gewissermaßen. Aber ich helfe ihm dabei. Und das Klopfen stört, so daß in der letzten Jahren keine rechte Gelegenheit war.« »Treten Sie hier ein, das ist die Küche.« Dav hielt mit Kennerblicken Umschau. »Sehr nett, wirklich sehr nett. Wo ist denn die Pfanne?« »Die Pfanne?« »Gewiß, die Bratpfanne.« »Die Pfanne steht dort in der Röhre.« 130
Dav schüttelte den Kopf. »In einem rechten Haushalt muß die Pfanne auf der Platte stehen. Sie essen wohl viel kalt?« Mrs. Grant besaß einen hellen Verstand, aber es fiel ihr trotzdem nicht leicht, den Gedankengängen des wackeren Dav zu folgen. »Natürlich nicht«, erwiderte sie spitz. »Wir essen jeden Tag warm.« »Ohne Pfanne?« zweifelte Dav. »Küchengeschirr wird bei mir nach der Benutzung gesäubert und weggestellt«, betonte die Frau. »Au ßerdem stellen wir unsere warmen Gerichte gewöhn lich nicht in der Pfanne her.« »Wo sonst? Sie können doch Spiegeleier, Ome letts und Schnitzel nicht im Topf braten.« In Mrs. Grant stieg ein ungeheuerlicher Verdacht auf. »Sind das etwa die einzigen warmen Gerichte, die Sie kennen?« »Allerdings«, gab Dav verwundert zu. »Kennen Sie noch andere?« Die Frage ließ Mrs. Grant erschauern. »Spiegeleier, Omeletts und Schnitzel – sonst ko chen Sie weiter nichts?« »Nein.« »Und was ißt Mr. Dunn sonst?« »Sonst ißt er kalt.« Mrs. Grant nickte ein paarmal. 131
»Dann wundert’s mich nicht, daß er so schlecht aussieht. Ein Wunder, daß er noch nicht verhungert ist. Keine geklopften Teppiche und kein warmes Es sen – man sollte es einfach nicht für möglich halten. Was sind Sie denn für ein trauriger Diener?« Dav grinste kümmerlich. »Ganz meine Meinung, Verehrte. Ich glaube wirk lich nicht, daß ich Ihnen helfen kann. Es ist vielleicht besser. Sie schicken mich wieder weg.« Sie fuhr scharf herum und kam dicht an ihn heran.
»Was soll das nun wieder heißen?«
Dav zog den Kopf ein.
»Wie ich sagte. Da Sie mich nicht gebrauchen
können, ist es doch wohl ratsam, wenn Sie mich fort schicken. Dann könnte ich zu Mr. Dunn zurück.« »Hier riecht es Ihnen wohl zu stark nach Arbeit?« forschte sie drohend. »Wenn ich offen sein darf – ja«, gestand er. »Warum sind Sie überhaupt gekommen?« »Mr. Dunn schickte mich.« »Da lernen Sie wenigstens einmal einen anständi gen Haushalt kennen. Aber von mir aus können Sie natürlich wieder gehen, ich halte Sie nicht.« Dav bedachte das mit gewulsteter Stirnhaut. »Gewiß«, druckste er, »es ist nur – Mr. Dunn wird böse sein. Sie müßten mich ausdrücklich fortschicken. Es ist nicht wegen der Arbeit, aber wer soll ihm mor gen das Frühstück bringen und die Schuhe putzen? 132
Er kann die Wirtschaft doch nicht allein erledigen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Mrs. Grant blickte ihn eine Weile stumm an, dann sagte sie leise: »Also darum. Sie scheinen ja ein när rischer Kerl zu sein.« »Gewiß«, gab Dav kleinlaut zu. »Das vorhin war natürlich nur ein Scherz. Ich wollte nur nicht, daß Mr. Dunn …« »Wollen Sie sagen, daß Sie mehr können, als in der Pfanne zu braten?« »Ich bin gelernter Koch«, bekannte Dav nicht oh ne Stolz. »Aber es ist nicht richtig, wenn mein Herr allein zu Hause ist. Ich habe von schlechten Zähnen geträumt.« »Das bedeutet Unglück«, nahm Mrs. Grant eifrig Stellung. »So ein Traum ist bedenklich. Ich könnte da aus meiner eigenen Erfahrung eine Geschichte erzählen, die … Aber setzen Sie sich doch. Sie haben sicher noch nichts zu Abend gegessen, nicht wahr?« »Ich möchte nichts«, wehrte Dav ab. »Nur eine Kleinigkeit«, beruhigte Mrs. Grant und tafelte auf, was der Speiseschrank barg. »Sehen Sie, ich hatte auch einmal so einen Traum …« Sie erzählte eine lange Geschichte, die Dav zu ei ner ausgiebigen Mahlzeit genoß. Die Geschichte be rührte ihn sehr wenig, aber Mrs. Grant wurde von der Erinnerung erschüttert, verwischte sie mit der Ge genwart und wurde sich plötzlich bewußt, daß es ei 133
gentlich recht gruselig sei, ohne männlichen Schutz in einem Trauerhaus zu leben. Andererseits hatte Dav mehr und mehr den Eindruck, daß es allmählich zu spät geworden sei, um noch nach Hause zurück zukehren und dabei vielleicht gar seinen Herrn aus dem Schlaf zu schrecken. So kam es, daß er entgegen seiner ursprünglichen Absicht blieb und sich von Mrs. Grant ein Kämmerchen anweisen ließ, von dem aus er schlafend den Schutz des Hauses zu überneh men gedachte. * Nie war seine Hilfe bei Robert Dunn nötiger gewe sen als gerade in dieser Nacht, in der er sich zum ers tenmal seit Jahren außerhalb des Hauses befand. Robert Dunn hörte irgendwann in der Nacht ein Geräusch im Haus. Er stutzte jedoch nicht darüber, sondern wälzte sich schlaftrunken herum und schlief weiter. Er erwachte erst wieder, als ihn jemand rüttelte. Dieses Verfahren, geweckt zu werden, war ihm so neu, daß er erschrocken hochfuhr. »Ja, was ist denn? Was fällt dir ein, Dav?« »Ich bin nicht Dav«, bekam er nüchtern zur Ant wort. »Beeilen Sie sich, daß Sie munter werden, dann erzählen Sie mir, wo Sie Ihre Papiere versteckt haben.« 134
Dunn blinzelte gegen das blendende Licht einer Taschenlampe. Undeutlich entdeckte er dahinter die Umrisse eines Mannes, dessen obere Gesichtshälfte schwärzlich verschwamm. »Was wollen Sie? Wer sind Sie?« stieß er heraus und versuchte dabei, sich aufzusetzen und aus dem Bereich des Lichts zu kommen. Der nächtliche Besucher drückte ihn zurück. »Bleiben Sie liegen und strengen Sie sich nicht an. Sie sehen hoffentlich, daß ich eine Pistole in der Hand halte. Wer ich bin, geht Sie nichts an. Was ich will, habe ich schon gesagt. Ich will die Aufzeich nungen über Ihre Erfindung.« Robert Dunn begriff. »Wo sind sie?« erkundigte sich der Eindringling, der niemand anders war als Murphy selbst, ziemlich barsch. Er verstellte seine Stimme. Die Wahrschein lichkeit, daß Dunn ihn an der Stimme erkennen wür de, war nicht groß, da er in dessen Gegenwart wenig geredet hatte, aber Murphy wollte sich sichern. Robert Dunn fühlte sich recht unbehaglich. Er hat te sich noch nie in der Lage befunden, in die Mün dung einer Pistole zu blicken, hinter der sich ein Mann befand, dem man alles zutrauen konnte. Es war ein scheußliches Gefühl in der Magengegend. Aber die Papiere ausliefern? »Das sage ich nicht«, stotterte er. »Sie haben kein Recht, die Papiere zu fordern.« 135
»Natürlich nicht«, entgegnete Murphy spöttisch, »aber ich habe die Macht. Sie können mir natürlich die Antwort verweigern, aber dann wäre ich gezwun gen, Sie zu erschießen, damit ich ungestört überall suchen kann. Überlegen Sie sich das.« Robert Dunn hätte sich gern etwas überlegt, aber der schwarze Kreis der Pistolenmündung lag zu nahe an seinem Gehirn. »Nun?« »Ich – ich…«, würgte Dunn. »Nehmen Sie doch die Pistole weg!« »Wenn Sie mir das Versteck angegeben haben.« Robert Dunn fühlte sich gar nicht heldenhaft, aber er stemmte sich hartnäckig weiter. »Ich kann doch nicht, ich …« »Warum nicht? Beeilen Sie sich, ich habe nicht viel Zeit.« Jetzt kam der Einfall. »Ich kann Ihnen die Papiere nicht geben«, wieder holte Dunn. »Ich habe sie gar nicht hier.« »Damit legen Sie mich nicht herein, mein Lieber. Wo sollen denn die Papiere sein?« »Bei – bei Bekannten«, log Robert Dunn notge drungen weiter, nachdem seine geistige Anstrengung so geringfügigen Erfolg gezeigt hatte. »Sie haben doch gar keine Bekannten.« »Doch, doch, sie sind bei – bei…« Er fand keinen Namen, den er dem Einbrecher nennen konnte. 136
»Etwa bei Miß Reeves?« fragte Murphy. »Ja – nein – nein, da nicht!« »So, wo denn?« »Bei – bei Mr. Wynner. Ich habe sie ihm heute verkauft.« »Was? Das glauben Sie wohl selber – hm …« Überraschung und Ablehnung kamen so entschie den, daß Robert Dunn plötzlich Zusammenhänge sah. »Unsinn«, fuhr Murphy barsch fort. »Jetzt habe ich es satt. Ich zähle bis drei. Wenn Sie mir bis dahin das Versteck nicht angegeben haben, ist es aus mit Ihnen. Eins…« Es ist etwas Wunderbares um die Gewöhnung. Ro bert Dunn hatte nun die Pistole lange genug vor sich gesehen, so daß er allmählich wieder zu denken ver mochte. Vielleicht hatte aber auch die flüchtige Er kenntnis, daß dieser Einbrecher nur Murphy sein konnte, den Krampf beseitigt. Jedenfalls glitten jetzt die Gedanken wieselhaft schnell und suchten einen Ausweg. »Zwei!« kündigte Murphy drohend an. »Denken Sie ja nicht, daß ich Spaß mache. Wo sind die Papie re?« Robert Dunn stöhnte: »Im – im Arbeitsraum.« »Schwindel. Dort habe ich schon gesucht.« »Unter dem Apparat. Wenn Sie den Hebel mit dem roten Ring herunterdrücken, können Sie oben 137
den Kupfertrichter abnehmen. Darunter finden Sie die Papiere.« »So?« fragte Murphy voll Mißtrauen. »Vielleicht kriege ich auch einen elektrischen Schlag, daß ich nicht wieder aufstehe, was?« Murphy besaß einen guten Instinkt. Er hatte genau erraten, was sich Dunn in seiner Angst ausgedacht hatte. »Nein, es ist ungefährlich.« »Na schön, dann werden Sie die Papiere herausho len. Stehen Sie auf!« Dunn erhob sich, als Lampe und Pistole zurückwi chen. »Gehen Sie voran. Sie werden den Hebel herunter drücken und den Kupfertrichter abnehmen. Oder lie gen die Papiere nicht mehr darunter?« »Doch.« »Also was ist, machen Sie schon! Denken Sie aber daran, daß ich die Pistole auf Sie gerichtet halte.« Robert Dunn dachte schon daran. In seinem Rü cken prickelten eisige Nadeln. Immerhin fühlte er sich jetzt wohler als vorhin. Dicht hintereinander gingen sie in den Arbeits raum, in dem der Apparat zur Erzeugung der Tele nergie stand. Murphy lenkte mit seiner Waffe. »Gehen Sie ran. Machen Sie aber keinen Un fug …« Robert Dunn atmete tief auf, als er seine Hand um 138
den gefährlichen Hebel legen konnte. Jetzt wandte er sich zum erstenmal um und blickte voll Haß auf den Maskierten. »Unfug?« Er lachte heiser. »Nun will ich Ihnen einmal etwas sagen. Wenn Sie jetzt schießen, reiße ich den Hebel lebendig oder tot herunter. Selbst mit einer Kugel im Herzen drücke ich durch meine Last den Hebel durch. Wissen Sie, was dann passiert? Dann ist im Augenblick, bevor Sie mit der Wimper zucken können, dieses ganze Zimmer eine zuckende Hölle von Blitzen. Eine Sekunde nach mir sind Sie ebenfalls tot.« »Verdammt!« Murphy verstand nicht viel von der Technik, er wußte nur, daß Dunn mit diesem Apparat Starkstrom beliebig durch die Luft schicken konnte, deshalb zweifelte er nicht im geringsten an den Angaben. »Aber Sie selbst sind dann auch …« Robert Dunn fühlte sich überlegen. Er wurde fast heiter. »Ich bin dann auch tot, gewiß, aber das würde ich auch sein, wenn ich Ihnen die Papiere aushändigte. Sie würden mich ja doch kaum am Leben lassen und mir Gelegenheit geben, Sie zu verfolgen.« »Ich hätte Ihnen nichts getan.« »Sie haben mich eine halbe Stunde lang bedroht, jetzt können Sie Ihren Lohn haben. Wünschen Sie noch immer, daß ich Ihnen die Papiere aushändige?« 139
Murphy steckte mit unsicheren Händen seine Pis tole weg. »Nein – es war nur ein Scherz. Ich habe kein Inte resse an Ihren Papieren. Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich wieder.« »Nur eine Kleinigkeit – nehmen Sie Ihre Maske ab.« Murphy schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht daran. Sie haben mich in der Hand, aber ich schätze, Sie werden Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen, um mein Gesicht zu sehen.« Die Bemerkung erinnerte Dunn rechtzeitig daran, wie schwach seine Stellung eigentlich war. »Stimmt«, gab er zu. »Gehen Sie. Das nächstemal werde ich bei Nacht Starkstrom um das Haus legen.« Murphy zuckte die Schultern und ging hinaus. Er benutzte die Haustür und schritt wie ein ehrsamer Bürger die Straße hinunter. Robert Dunn blickte ihm nach. So leicht hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt wie jetzt. Im Schlafzimmer lagen die wichtigen Papiere of fen und frei auf einem Stuhl. Sie waren nicht geord net und bestanden eigentlich nur aus Zetteln, deshalb hatte Murphy sie wohl nicht für voll genommen. *
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Wynner wurde blaß, als Murphy ihm seinen Mißer folg berichtete. Er kochte vor Wut, aber er hütete sich, sich gehenzulassen. Murphy war ihm als Helfer augenblicklich zu wertvoll. »Das ist zum Verrücktwerden«, würgte er nach langem Kampf um die Beherrschung heraus. »Ich habe bestimmt damit gerechnet.« »Ich wußte doch nicht, daß …« »Ich weiß«, sagte Wynner mürrisch. »Ich mache Ihnen auch keine Vorwürfe. Sie haben es vielleicht zu einfach genommen. Wir müssen es natürlich noch einmal versuchen.« »Jetzt ist er gewarnt.« »Na und?« fragte Wynner. »Wollen Sie etwa auf geben? Wenn Sie sich nicht an den verdammten Ap parat herantrauen, müssen Sie eben den Mann selber beiseite bringen. Ich glaube noch nicht einmal, daß er die Papiere ausgerechnet in dem Apparat verborgen hat.« »Vielleicht sind sie bei den Reeves’? Er wollte sich doch erst darauf hinausreden.« »Nicht ausgeschlossen. Aber überlassen Sie das mir, ich werde morgen mal mithorchen. Und nun ge hen Sie schlafen, morgen früh besprechen wir unse ren Plan.« Am nächsten Vormittag erhielt Robert Dunn Be such. In dem ersten Besucher erkannte er mit freudi ger Überraschung den gleichen Mann, der vor zwei 141
Jahren im Auftrag Winters wegen des Landverkaufs mit ihm verhandelt hatte. In seiner Begleitung befan den sich jetzt zwei unbekannte Leute. »Hallo,, Mr. Dunn«, rief der Agent und eilte her an. »Nett, daß wir Sie antreffen. Hoffentlich kennen Sie mich noch. Hartwig ist mein Name.« Robert Dunn schüttelte ihm herzlich die Hand. »Richtig, Mr. Hartwig. Ich habe mich Ihrer immer gut entsonnen, bloß den Namen hatte ich vergessen. Ich habe schon bedauert, daß Sie nicht mitkamen, aber nun freue ich mich um so mehr.« Das war so ehrlich gemeint, wie es gesprochen war. Robert Dunn fand diesen Mann, der nicht viel älter als er selbst war, sehr sympathisch. Deshalb hat te er auch damals verhältnismäßig offen über seine Erfindung gesprochen und das Telegramm an Winter geschickt. »Ganz auf meiner Seite«, sagte Hartwig lachend. »Es war wirklich nett von Ihnen, nach getaner Arbeit an mich zu denken und Mr. Winter zu benachrichti gen. Wir haben Ihr Telegramm erhalten.« Er machte bekannt, man schüttelte sich die Hände. Der Jüngere, der noch nicht zwanzig sein konnte, hieß Hal Mervin. Diesen Namen hatte Dunn verstan den. Sein Träger war ein drahtiger junger Mann mit scharfgeschnittenem Gesicht, das beträchtlich mit Sommersprossen bedeckt war. In den Augen lag ständig ein spöttisches Funkeln. 142
Den anderen Namen hatte Robert Dunn, wie es so häufig bei Vorstellungen geschieht, nicht recht ver standen. Dieser Mann wirkte außerordentlich stark auf ihn, ohne daß er den Eindruck auf eine bestimmte Einzelheit zurückzuführen vermochte. Er hatte noch nie einen Menschen gesehen, dessen gesamte Er scheinung so vollkommen inneren Adel, überlegene Geistigkeit und körperliche Vollendung ausdrückte. Und er hatte auch noch nie Augen von solch leben diger Stärke auf sich gefühlt. »Es freut mich sehr«, murmelte er etwas befangen. »Wenn ich bitten darf – wenn Sie eintreten wollen …« Minuten später saßen sie sich im Wohnzimmer ge genüber. Hartwig führte die Unterhaltung, die beiden anderen äußerten zunächst nichts. »Strengen Sie sich um Gottes willen nicht erst an«, sagte Hartwig und zog Dunn, der auf der Suche nach Erfrischungen im Zimmer herumfahren wollte, auf den Stuhl herunter. »Wir haben gefrühstückt.« »Dav ist gerade …« »Sorgt er immer noch für Ihr Wohl und Wehe? Nun, wir brauchen ihn nicht, im Gegenteil, er ist au genblicklich sogar unerwünscht. Wir wollen vor al lem über Ihre Erfindung sprechen. Sie haben sie vollendet?« Robert Dunn ging nun auf die Sache ein. »Ja, es ist geglückt. Ich kann jetzt Kraftstrom jeder Spannung durch die Luft schicken, und zwar prak 143
tisch verlustfrei, außerdem in jeder beliebigen Rich tung. Den Apparat habe ich drüben. Er ist noch be helfsmäßig, aber wenn Sie ihn sehen wollen …« »Danke, jetzt noch nicht«, wehrte Hartwig ab. »Sie haben die Erfindung wohl bereits ausprobiert?« »Selbstverständlich!« »Sie senden den Strom nicht als Elektrizität, son dern verwandeln ihn erst in einen besonderen Zu stand hinein, übertragen ihn in einen anderen Wel lenbereich?« Robert Dunn blickte etwas erstaunt. »Allerdings. Woher wissen Sie das?« »Sicher haben Sie es mir damals gesagt. Noch eine Frage: Sie senden auf einen bestimmten Empfänger?« »Ja.« »Haben Sie auch das Verfahren gefunden, die Rückverwandlung ohne Empfänger durch eine Aus lösewelle vorzunehmen?« »Ja – aber – habe ich Ihnen das damals auch er zählt?« »Sicher«, meinte Hartwig. »Es ist doch richtig, daß Sie Ihre Erfindung an Mr. Winter verkaufen wol len?« »Ich dachte daran.« Hartwig beugte sich vor. »Mit oder ohne Auslösewelle?« »Ohne. Es handelt sich um ein Verfahren, das zu Kriegszwecken verwendet werden könnte. Ich möch 144
te aber nicht, daß das geschieht. Meine Erfindung soll friedlichem Fortschritt dienen.« »Ausgezeichnet! Haben Sie sich schon darüber Gedanken gemacht, wie hoch Sie Ihre Forderung an Mr. Winter zu stellen gedenken?« Robert Dunn hob die Schultern. »Offengestanden, nein. Sie hängt ja ganz von der Auswertung ab. Ich wollte darüber dann mit Mr. Winter sprechen, wenn ich ihm die Erfindung vorge führt habe. Eine solche Arbeit vieler Jahre verkauft man ja nicht wie eine Ware.« »Ganz recht. Um so mehr wird es Sie wundern, daß ich fast etwas Derartiges von Ihnen verlangen will. Mr. Winter hat uns, diese Herren und mich, nämlich mit dem Auftrag geschickt, Ihre Erfindung in Bausch und Bogen zu kaufen. Es soll sich dabei nur um die Erfindung selbst handeln. Sie überneh men jedoch die Verpflichtung, alles Wissen, was die Erfindung in ein Kriegsinstrument umwandeln könn te, zu vergessen und nicht anderweitig auszuwerten. Andererseits macht Mr. Winter zur Bedingung, daß die Auswertung der Erfindung völlig ihm überlassen bleibt. Es ist auch nicht wünschenswert, daß die Öf fentlichkeit von Ihrer Erfindung erfährt. Das wären so ungefähr die Hauptpunkte, die wir natürlich noch festlegen müßten. Bei einem Abschluß ist Mr. Win ter bereit, sofort den vollen Kaufpreis zu zahlen, des sen Höhe Sie angeben müßten.« 145
Robert Dunn machte unsichere Handbewegungen. In seinem Kopf drehte es sich durcheinander. »Ja aber, ja aber«, würgte er jetzt heraus, »ent schuldige Sie, aber das ist alles so plötzlich. Schon Mr. Wynner wollte – aber freilich, bei Ihnen ist das etwas anderes …« »Wynner?« fragte Hartwig. »Haben Sie etwa schon mit jemand verhandelt?« Robert Dunn nickte bedrückt. »Allerdings. Ich habe die Erfindung einem gewis sen Wynner angeboten, der hier Land kaufen wollte. Ich hielt ihn für Mr. Winter, weil ich den Namen nicht mehr genau wußte. Wynner wollte die Erfin dung kaufen, aber inzwischen hatte ich die Anschrift von Mr. Winter gefunden, deshalb verzichtete ich. Ich glaube, er hat versucht, sie stehlen zu lassen, denn heute nacht wurde bei mir eingebrochen. Aber ich konnte den Dieb verscheuchen.« Hartwig blickte zu Sun Koh. »Person?« »Leicht möglich, wenn er Wynner hergeschickt hat.« Sun Koh wandte sich nun selbst an Robert Dunn, der unsicher von einem zum anderen blickte. »Sie sehen sich in Beziehungen verwickelt, die Sie jetzt noch nicht zu überschauen vermögen, Mr. Dunn. Die Ursache ist Ihre Erfindung. Sie ist zwei fellos sehr wertvoll. Für bestimmte Interessengrup 146
pen wird entscheidend sein, daß sie sich zu einer mächtigen Kriegswaffe ausbauen läßt. Sie dürfen sich daher nicht wundern, wenn Sie sich plötzlich im Mittelpunkt von allerlei Gegenströmungen befinden. Für Ihre persönliche Ruhe wäre es besser, wenn Sie beiseite treten, also die Erfindung schnellstens ver kaufen können. Sie haben die Erfindung Mr. Winter angeboten. Die Frage wird zunächst die sein, ob Sie uns als seine Beauftragten anerkennen oder nicht. Im wesentlichen ist das eine Frage nach dem Vertrauen, das Sie Mr. Hartwig schenken.« »Ich vertraue Mr. Hartwig vollkommen«, erklärte Robert Dunn sofort. »Mr. Winter ist ja für mich nicht mehr als ein Name. Und wenn Mr. Hartwig mir er klären würde, daß er jetzt bei einem anderen Mann tätig ist und für diesen die Erfindung erwerben möchte, würde ich ihm darin folgen.« »Das wird nicht nötig sein, da wir tatsächlich von Mr. Winter kommen. Sie müßten sich nun weiterhin klarwerden, ob Sie die Erfindung sofort gegen eine bestimmte Summe verkaufen wollen. Ich kann mir denken, daß Sie an der Frage der Auswertung inner lich stark beteiligt sind, denn das Ergebnis Ihrer schöpferischen Tätigkeit sollen ja nicht nur der eine Apparat und eine Reihe von Aufzeichnungen sein, sondern letzten Endes eine Wandlung wirtschaftli cher und kultureller Verhältnisse dank der Erfindung. Darauf müßten Sie allerdings verzichten, das heißt, 147
Sie müßten alle Fragen einer Verwertung beiseite lassen. Es liegen bestimmte und wichtige Gründe vor, um diese Bedingung zu stellen. Für Sie selbst würde der Vorteil entspringen, daß Sie dann unbehel ligt und frei Ihr Leben fortführen könnten. So, wie Sie es sich gedacht haben, würden Sie von nun an dauernd im Widerstreit der verschiedensten Interes sen stehen.« Robert Dunn schüttelte den Kopf. »Das ist mir nicht ganz klar. Wenn ich mit Mr. Winter abschließe, in meinem Sinn abschließe, ist doch die Erfindung vergeben, und man wird mich nicht mehr behelligen.« Sun Koh lächelte flüchtig. »Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber Sie sind etwas weltfremd. Die Erfindung können Sie durch Patente sichern, nicht aber sich selbst. Es ist möglich, daß Sie die Erfindung verkaufen und doch einige Ta ge später von einer Interessengruppe entführt und gezwungen werden, Ihre Erfindung noch einmal auf zuzeichnen, und zwar besonders alles, was sie zu ei nem Kriegsmittel macht.« »Aber – das wäre doch ungesetzlich!« »Wenn es sich um eine Erfindung handelt, die die Macht auf der Erde und über die Erde sichert, verlie ren die Gesetze ihre Bedeutung. Keine politische oder sonstige Machtgruppe würde zögern, Ihr Leben gegen den Besitz eines derartigen Machtmittels aus 148
zutauschen. Sobald Ihre Erfindung bekannt wird, ha ben Sie die Agenten aus aller Welt auf Ihren Fersen. Man wird Sie hetzen, quälen und foltern, bis Sie alles verraten haben, und dann wird man Sie vielleicht tö ten.« »Mein Gott«, murmelte Robert Dunn blaß, »das habe ich nicht bedacht. Aber ich kann es mir auch nicht so schlimm vorstellen. Ich werde schon schwei gen.« Sun Koh schüttelte leicht den Kopf. »Die Nervenkraft des Menschen hat Grenzen, die Mittel, sie zu zermürben, sind jedoch unzählig. Wenn Ihnen an Ihrem Leben und an Ihrem Frieden etwas liegt, so verkaufen Sie die Erfindung, bevor die Öf fentlichkeit von ihr erfährt.« »Ja, aber, da sind doch nun schon mehrere Leu te …« »Wir würden beim Abschluß des Kaufvertrages Ihren persönlichen Schutz mit übernehmen. Bis jetzt wissen nicht viele um die Erfindung, eigentlich nur eine Gruppe. Wenn diese Leute erfahren, daß wir bei Ihnen waren, wird es sehr schnell lebhaft um Sie herum werden. Deshalb bitte ich Sie um Ihretwillen mit, sich schnell zu entschließen. Wir haben alle Vollmachten und sind bereit, Ihnen einen angemes senen Preis zu bieten. Ich persönlich dachte an eine Million Dollar.« Robert Dunn zuckte auf. 149
»Eine Million Dollar«, wiederholte Sun Koh. »Sie erhalten sofort Verfügung über das Geld.« Robert Dunn spürte einen leichten Schwindel. Tausend Dollar hatte Wynner für die Option geboten. Dieser Mann sprach von einer Million. »Mein Gott«, seufzte er nach einer Weile, »an so viel dachte ich nicht. Mr. Winter ist wirklich großzü gig. Aber ich kann doch unmöglich so schnell ab schließen. Sie denken sich das so leicht, aber erst muß die Erfindung noch patentiert werden und was noch alles.« »Das würde sich erübrigen. Wir wünschen die Er findung so zu kaufen, wie sie jetzt ist. Die Erfindung soll zunächst einfach verschwinden.« »Aber wenn nun die anderen zu mir kommen und …« »Ich würde Sie bitten, noch heute mit uns die Insel zu verlassen. Wir verwischen Ihre Spuren und sorgen dafür, daß Sie an anderer Stelle Ihren Wünschen ge mäß leben können.« Man konnte es Robert Dunn nicht übelnehmen, daß ihm das alles phantastisch vorkam. »Aber ich kann doch nicht – das geht doch nicht so einfach«, murmelte er. »Es ist auch wegen der Er findung. Sie sind zwar sehr großzügig, aber ich habe die Erfindung nicht gemacht, um sie noch nicht ein mal patentieren zu lassen.« »Sie können sich nicht entschließen?« 150
»Doch – vielleicht – aber ich müßte doch wenigs tens erst einmal Bedenkzeit haben.« Sun Koh sah ihn fest an. »Mr. Dunn, es tut mir leid, aber gerade Bedenkzeit ist das, was ich Ihnen nicht geben kann. Nachdem eine andere Interessengruppe bereits tätig ist, können in jeder Minute Verhältnisse eintreten, die schnelles und bestimmtes Handeln erforderlich machen. Ver hältnisse, die eine Klarheit über die Besitzrechte vor aussetzen. Ich hätte es gern vermieden, aber ich muß Ihnen nun auf andere Weise die Notwendigkeit eines sofortigen Abschlusses vor Augen führen. Sie haben vermutlich vorhin meinen Namen nicht ganz ver standen. Ich heiße Sun Koh.« »Sun Koh?« wiederholte Robert Dunn. Doch schon in der gleichen Sekunde fiel sein Blick auf die Zeitungen, schon in der gleichen Sekunde zuckte die Erinnerung in ihm hoch. »Sun Koh? Sie sind der Mann, von dem die Zei tungen geschrieben haben?« »Ja. Jener Sun Koh ist keine Phantasiegestalt, son dern Wirklichkeit.« »Aber – was haben Sie mit Mr. Winter zu tun?« »Er ist einer meiner Beauftragten. Mr. Hartwig wird innen das bestätigen. Ihr Grundstück gehört in Wirklichkeit mir, auch die Erfindung sollte durch Mr. Winter für mich gekauft werden. Die Bedeutung Ihrer Erfindung sowie gewisse Umstände, auf die ich gleich 151
komme, veranlaßten mich, selbst hierherzufliegen.« »Sie sind Sun Koh?« flüsterte Robert Dunn halb scheu, halb verwundert. »Und das ist alles wahr, was die Zeitungen da geschrieben haben?« Sun Koh lächelte. »Es ist manches wahr und vieles unwahr. Aber eins stimmt – ich besitze eine Reihe von Erfindun gen, die der Welt noch so gut wie unbekannt sind.« Robert Dunn ahnte die Richtung. Seine Hände krampften sich um die Lehnen. »Auch die Telenergie?« Sun Koh nickte. »Ja, wir nennen sie Kraftstrahlung. Der Mann, der sie erfand, kam auf dem gleichen Weg wie Sie zum Ziel und erzielte gleiche Ergebnisse, nur konnte er sie einstweilen schon vervollkommnen.« »Das ist – unmöglich«, ächzte Dunn. Es war ihm zumute wie einem Menschen, der sich mit Liebe und Mühe ein Haus gebaut hat und es in einer Minute durch einen Wirbelsturm zerstört sieht. »Es ist Tatsache«, beharrte Sun Koh ruhig. »Ich kann mir denken, wie schmerzlich Sie diese Eröff nung trifft, aber sie war nicht zu vermeiden. Der Wert Ihrer Arbeit wird dadurch nicht beeinträchtigt.« »Beweise – geben Sie mir Beweise!« stöhnte Ro bert Dunn. Sun Koh nahm den kleinen Lederkoffer, den Hal Mervin ihm reichte. 152
»Ich habe einen unserer Kraftstrahler mitgebracht. Wenn Sie mit ins Freie kommen würden, könnte ich Ihnen den Apparat in Tätigkeit zeigen. Wir brauchen allerdings einen Kraftstromanschluß.« Robert Dunn erhob sich und sagte matt: »Wir kön nen auf das Dach gehen. Es ist flach, Anschluß liegt oben.« Hintereinander stiegen sie die Treppe hinauf. Dunn zeigte den Anschluß. Sun Koh nahm aus dem Lederkoffer einen handlichen Apparat und stellte mit einem dünnen Kabel die Verbindung her. Der Appa rat war bis auf ein flaches, offenes Sieb aus Kupfer von schwarzen Gummiwänden eingemantelt, die keinen Blick in das Innere zuließen. Sun Koh deutete auf einen hölzernen Schubkarren, der in etwa dreißig Meter Entfernung am Rand des Grundstücks stand. »Genügt es Ihnen, wenn ich diesen Karren in Brand setze?« Robert Dunn wurde noch blasser als bisher. »Ist es Ihnen gelungen, die Umwandlung in Wär me so zu vervollkommnen?« »Ja.« »Dann sind Sie weiter als ich. Mein Gott!« Sun Koh richtete den Apparat und betätigte kleine Stellräder. Wenig später wurde das vom Alter grau weiße Holz schwärzlich, feiner Rauch schwelte auf, die eisernen Bände begannen rot zu glühen, dann 153
züngelten die ersten Flammen. »Genug«, ächzte Robert Dunn. »Das genügt!« Stumm gingen sie wieder hinunter. Unten lachte Robert Dunn plötzlich wild auf. »Wahrhaftig, das hätten Sie mir vor zwei Jahren auch schon sagen können. Alles umsonst – alles um sonst!« »Der Wert Ihrer Arbeit bleibt bestehen«, wider sprach Sun Koh. »Ich bin bereit, Ihre Erfindung so zu kaufen, als sei sie nicht schon einmal gemacht worden.« Robert Dunn blickte ihn verstört an. »Aber warum denn? Warum wollen Sie meine Er findung kaufen, wo Sie diese schon besitzen?« »Ich möchte nicht, daß ein anderer Ihnen die Er findung abkauft.« »Aber was haben Sie davon? Warum haben Sie Ih re eigene Erfindung nicht schon ausgewertet?« »Der Zeitpunkt dazu ist noch nicht gekommen. Die Auswertung soll erst später erfolgen.« »Aber Sie brauchen mich doch nicht zu bezahlen, da meine Erfindung für Sie ja nicht den geringsten Wert mehr hat.« »Sie irren. Ich sagte doch schon, daß ich sie nicht in anderen Händen sehen möchte. Ihre Erfindung nützt in ihrem wesentlichen Teil nur dann etwas, wenn sie zur Kraftstrahlung in Gebieten benutzt wird, die bisher nicht aufgeschlossen sind. Ob sie in 154
diesem Sinn ausgewertet wird, ist noch fraglich. Aber daneben steht eben die Tatsache, daß man sie mühelos zu einem Kriegsmittel ausbauen kann. Ge schieht das, wird man sie eines Tages gegen mich anwenden. Man wird mir schaden und mich zu Kos ten zwingen, um ihre Wirkung aufzuheben. Mir per sönlich ist Ihre Erfindung gewissermaßen alles wert, was ich ersparen kann, um sie in der Hand eines Gegners unwirksam zu machen. Deshalb schenke ich Ihnen nichts, deshalb sind Sie voll berechtigt, Ihren Kaufpreis zu fordern. Sie sind nicht Nehmender, sondern Gebender. Ich bitte Sie, mir Ihre Erfindung zu verkaufen.« Robert Dunn schüttelte müde den Kopf. »Sie wissen es angenehm darzustellen, aber es bleibt wohl ein Geschenk. Wir brauchen uns jetzt natürlich nicht mehr darüber zu unterhalten. Die Er findung haben Sie gemacht, nicht ich.« »Einer meiner Mitarbeiter.« »Er muß sehr tüchtig sein. Ich wollte, ich lernte ihn kennen. Ich werde jedenfalls meine Aufzeichnun gen verbrennen und meinen Apparat zerschlagen.« »Das heißt, daß Sie in den Kauf einwilligen?« »Sie verschenken Ihr Geld!« Sun Koh legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie sind augenblicklich niedergeschlagen, Mr. Dunn, deshalb sehen Sie falsch. Ich schenke Ihnen nichts. Zweifeln Sie etwa daran, daß Sie den gleichen 155
Kaufpreis erhalten, wenn Sie Ihre Erfindung an eine Regierung oder an eine private Gruppe abtreten? Man würde Ihnen vielleicht noch erheblich mehr zahlen. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie in den Kauf einwilligen.« Robert Dunn hob den Kopf und blickte in die Au gen Sun Kohs. Aus ihnen strömte eine Kraft und Zu versicht auf ihn über, die seinen schlaffen Körper mit neuem Leben erfüllten. »Meinen Sie?« flüsterte er. »Es ist so.« Dunn streckte seine Hand aus. »Dann – dann ist es gut. Ich bin mit allem einver standen.« Sun Koh atmete auf. »Ich danke Ihnen. Der Kauf ist also vollzogen. Ei ne Urkunde darüber benötige ich nicht. Der Kauf preis wird Ihnen auf eine beliebige Bank überwiesen werden. Sie machen mir dann wohl noch die erfor derlichen Angaben. Ihre Aufzeichnungen wie das Modell benötige ich nicht, sie wären zu vernichten. Sie geben Ihr Ehrenwort, über die Erfindung nicht weiter zu sprechen.« »Ja.« »Darüber hinaus wird das Wichtigste sein, Sie so fort von der anderen Gruppe abzulösen. Wir bringen Sie überall hin, wo Sie wünschen. Ist es Ihnen mög lich, die Insel noch heute zu verlassen? Wir könnten 156
Sie in unserem Flugzeug mitnehmen.« Robert Dunn dachte an Gloria Reeves. »Heute?« Er erschrak. »Nein, heute nicht. Morgen findet ein Begräbnis statt, an dem ich teilnehmen muß. Es handelt sich um eine junge Dame, deren Va ter plötzlich gestorben ist.« »Ich fürchte Unannehmlichkeiten für Sie«, warnte Sun Koh. »Ich möchte trotzdem bleiben, wenigstens bis morgen abend. Ich sehe ein, daß Ihre Warnungen be rechtigt sind, aber ich möchte nicht einfach – so plötzlich… Verstehen Sie mich?« »Ich verstehe Sie schon.« Sun Koh lächelte. »Wenn sich die junge Dame entschließen kann und frei ist, nehmen wir sie natürlich mit.« Robert Dunn wurde rot. »Aber nein – das ist undenkbar – wir haben uns gerade erst kennengelernt und …« »Dann verstehe ich erst recht«, sagte Sun Koh ernst. »Bleiben Sie bis morgen abend hier. Wir wer den Ihren Schutz übernehmen. Am liebsten wäre mir, Sie könnten meinen jungen Freund Hal Mervin im Haus behalten, damit er bei etwaigen Zwischenfällen sofort eingreifen kann. Sie können sich unbedingt auf ihn verlassen.« »Dann ist es vielleicht am besten, wenn ich den Leuten nichts von dem Verkauf verrate?« forschte Dunn. 157
»Wenn Sie es fertig brächten, wäre es wohl das beste. Ich fürchte aber, diese Leute werden Ihnen die Wahrheit vom Gesicht ablesen. Sie sind sehr tüch tig.« »Sie trauen mir wenig zu.« »Sie sind ein Gelehrter«, erwiderte Sun Koh gelas sen. »Das ist viel, und der Mensch kann nicht alles zu gleicher Zeit sein. Ihre Seele ist zu weich und Ihr Gesicht zu lebendig, um Geheimnisse zu wahren.« »Ich werde mir trotzdem nichts anmerken lassen.« »Hoffen wir es.« Unten schloß die Tür, Schritte kamen herauf. »Das ist Dav, mein Diener«, erklärte Robert Dunn. Es war wirklich Dav. Er riß die Augen nicht schlecht auf, als er die Versammlung sah. »Die Herren sind meine Freunde«, gab Dunn ihm zu verstehen. »Mr. Mervin wird bis morgen hier im Haus bleiben. Morgen abend verreise ich, es soll aber niemand davon wissen.« »Auch Miß Reeves nicht, Sir?« »Ich werde selbst mit ihr sprechen. Wie geht es ihr?« »Ich weiß nicht, Sir. Ich bin fortgegangen, weil nichts mehr zu tun war. Das Mittagessen muß gerich tet werden. Miß Reeves sagte zwar, Sie sollten bei ihr essen, aber ich glaube nicht, daß Mrs. Grant so gut kochen kann wie ich.« Robert Dunn schnappte nach Luft. 158
»Was sagst du? Miß Reeves hat mich eingela den?« Dav pendelte mit dem Kopf. »Nun, nun, sie meinte nur so. Als ich ihr sagte, daß Sie gewöhnt seien, allein zu essen, meinte sie, daß …« Robert Dunn hatte Erfindung und Gefahren und alles vergessen. »Du bist ein Schafskopf«, fiel er erregt ein. »Wie kannst du eine Einladung für mich ablehnen!« Dav schielte. »Sie sagten doch immer, daß ich Sie allein lassen sollte. Sie fühlten sich immer gestört, wenn ich da beistand.« »Du!« Dav runzelte die Stirn. »Ach so, und bei Miß Reeves ist das anders? Das konnte ich doch nicht wissen.« »Natürlich nicht«, murmelte Robert Dunn unmutig. »Du weißt nie etwas, wenn man es dir nicht sagt.« »Soll ich wieder hingehen und Miß Reeves sagen, daß es Sie nicht stört und daß Sie zum Mittagessen …« »Untersteh dich. Was soll sie von mir denken? Aber ich werde nachher hingehen und ihr sagen, daß du wieder Unfug angerichtet hast.« Dav blinzelte. »Das können Sie doch auch am Abend sagen, wenn Sie mit Miß Reeves Abendbrot essen.« 159
»Wieso? Denkst du etwa, daß sie nun …« »Ich weiß nicht. Ich soll nur bestellen, daß sie sich freuen würde, wenn Sie zum Abend ihr Gast sein würden.« Dunns Gesicht wurde mit einem Schlag hell.
»Wirklich? Und das sagst du erst jetzt?«
»Es ist noch viel Zeit bis zum Abend.«
Robert Dunn schlug ihm auf die Schulter.
»Du wirst dich auch nie ändern. Wissen möchte
ich aber doch einmal, ob du eigentlich dumm oder schlau bist. Geh jetzt, du mußt vor allem ein Zimmer für Mr. Mervin vorrichten.« »Gewiß, Sir«, verbeugte sich Dav. »Für wieviel Personen soll ich das Essen richten?« Robert Dunn wandte sich fragend an Sun Koh. »Würden die Herren …« »Danke. Mr. Mervin wird hierbleiben, wir müssen uns verabschieden.« »Also für zwei Personen.« »Sehr wohl, Sir.« 8. Zwei Männer mit ernsten, verschlossenen Gesichtern verneigten sich vor Gloria Reeves. »Gibbin.« »Madden.« »Was wünschen Sie, meine Herren?« 160
Gibbin verneigte sich noch einmal vor dem jungen Mädchen, dessen blasses Gesicht sich scharf von der schwarzen Trauerkleidung abhob. »Wir haben allen Grund, Sie wegen dieser Störung um Verzeihung zu bitten«, sagte er mit gemessener Höflichkeit. »Wenn nicht besondere Umstände es er forderten, könnten wir es nie verantworten, Sie in Ih rer tiefen Trauer zu behelligen. Wir befinden uns im Auftrag von Mr. Winter aus New York, an den Mr. Dunn seine Erfindung zu verkaufen wünscht. Unser Auftrag ging dahin, Mr. Dunn zu persönlichen Ver handlungen mit dem Flugzeug nach New York zu bringen. Da Mr. Dunn den Wunsch hatte, dem Be gräbnis Ihres Vaters beizuwohnen, setzten wir die Stunde der Abreise auf morgen abend fest.« »Ja?« »Leider haben sich die Verhältnisse inzwischen grundlegend geändert«, fuhr Gibbin fort. »Zunächst hat sich Mr. Winter doch entschlossen, persönlich hierherzukommen. Er befindet sich augenblicklich auf dem Flugplatz in seinem Flugzeug. Unter ge wöhnlichen Verhältnissen würde er Mr. Dunn aufsu chen oder ihn zu sich bitten, aber wie ich schon sag te, sind besondere Ereignisse eingetreten, die das ausschließen.« Madden übernahm das Wort. »So ist es«, bestätigte er mit der gleichen gelasse nen Sicherheit. »Auf irgendwelche Weise hat eine 161
andere Interessengruppe, die in scharfem Gegensatz zu Mr. Winter steht, von der Erfindung erfahren. Die Vertreter dieser Gruppe sind vor einigen Stunden hier angekommen und sofort, bevor wir es noch er fahren konnten, zu Mr. Dunn gegangen. Seitdem ist er ein Gefangener in seinem eigenen Haus. Unsere Gegner arbeiten mit den rücksichtslosesten Mitteln. Da sie wissen, daß sich Mr. Winter um die Erfindung bemüht, die Erfindung andererseits von großer Be deutung ist, werden sie vor keinen Maßnahmen zu rückschrecken. Wir zweifeln nicht daran, daß Mr. Dunn gezwungen werden soll, seine Erfindung preis zugeben.« Gloria Reeves schüttelte den Kopf. »Aber – das klingt doch sehr phantastisch. Wir haben Polizei. Niemand kann Mr. Dunn zwingen, gegen seinen Willen zu handeln.« »Vielleicht doch«, widersprach Madden. »Mr. Dunn wird keine Gelegenheit bekommen, die Polizei zu Hilfe zu rufen. Die Leute der Gegenpartei befin den sich im Haus und werden Mr. Dunn kaum aus den Augen lassen, bevor er nicht den Kaufvertrag unterschrieben hat. Und falls wir die Polizei hin schickten, bliebe Mr. Dunn wohl nichts übrig, als sie wegzuschicken. Man wird ihm bedeuten, daß ihn beim ersten verräterischen Wort eine Kugel durch bohren wird.« »Mein Gott, sprechen Sie im Ernst?« fragte das 162
Mädchen mit großen Augen. »Ich beschränke mich auf das, was ich für Tatsa chen halte. Wir haben mit eigenen Augen festge stellt, daß sich die anderen im Haus Mr. Dunns auf halten. Da Mr. Winter nun eingetroffen ist, würden wir Mr. Dunn gern zu ihm bringen, damit er mit ihm verhandeln kann. Aber es ist uns unmöglich, da wir es nicht auf einen offenen Kampf ankommen lassen können, bei dem das Leben Mr. Dunns in Gefahr ge raten würde. Deshalb kommen wir zu Ihnen mit der Bitte, uns zu helfen, damit zugleich aber auch Mr. Dunn zu helfen.« »Warum kommen Sie gerade zu mir?« »Ich glaube, aus einigen Bemerkungen Mr. Dunns die Berechtigung dazu ableiten zu dürfen«, entgegne te Madden sachlich. »Er hat wohl außer Ihnen keine Bekannten im Ort, und außerdem hatte ich den Ein druck, daß er sich Ihnen enger verbunden fühlt, als das sonst bei gewöhnlichen Bekanntschaften der Fall zu sein pflegt. Ich bitte sehr um Verzeihung, wenn ich mich in dieser Hinsicht täuschte.« Gloria Reeves wurde rot. »Ich weiß nicht – vielleicht ist es richtig«, erwi derte sie leicht verlegen und nachdenklich. »Ich wür de jedenfalls Mr. Dunn helfen, wenn er sich in einer Notlage befindet.« »Er befindet sich in der Gefahr, ein Vermögen, wenn nicht gar sein Leben zu verlieren.« 163
Gloria Reeves reckte wieder den Kopf. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß über haupt eine solche Befürchtung ausgesprochen wer den könnte. Sie müssen ihm helfen, und Sie können auch auf mich zählen. Was dachten Sie, was ich tun soll?« Jetzt löste Gibbin ab. »Es ist im Grunde genommen sehr einfach, erfor dert aber eine gewisse Beherrschung, Miß Reeves. Sie sind den Vertretern der Gegenpartei unverdächtig und werden sicher ins Haus gelassen werden. Wir dachten, daß Sie Mr. Dunn aufsuchen könnten.« »Das ist – sehr außergewöhnlich.« »Ich gebe das gern zu, aber auch die Umstände sind außergewöhnlich. Die Gefahr, daß irgend je mand über Sie schwatzen könnte, ist nebensächlich gegenüber der Gefahr, die Mr. Dunn droht. Wir kön nen Sie natürlich nicht veranlassen …« »Es ist gut«, entschloß sich Gloria Reeves. »Ich bin bereit hinzugehen. Jedenfalls soll ich ihm mittei len, daß Mr. Winter ihn zu sprechen wünscht?« »Nein, denn dann würde es genügen, wenn Sie Ih re Haushälterin hinschickten. Wir bitten Sie sogar, Mr. Dunn auf keinen Fall zu sagen, daß er von Mr. Winter erwartet wird.« »Warum nicht?« Leichtes Mißtrauen lag in ihrer Frage. »Erlauben Sie mir bitte, völlig offen zu spre chen. Mr. Dunn ist nicht gewöhnt, seine Gedanken 164
und Gefühle zu verbergen. Ich fürchte sehr, daß er sich dann verraten würde und alle unsere Bemühun gen nutzlos machte. Es kommt ja nicht darauf an, daß er von der Anwesenheit Mr. Winters erfährt, sondern darauf, ihn zu Mr. Winter zu bringen. Des halb dachten wir, Sie würden vielleicht Mr. Dunn zu einem kleinen Spaziergang durch den Garten bitten, um persönliche Angelegenheiten zu besprechen. Das wird man sicher erlauben. Sie könnten sich dann vielleicht immer mehr zur Rückseite des Gartens bewegen. Dort befindet sich eine kleine Tür, durch die Sie auf den vorbeiführenden Feldweg gelangen können. Es wäre dann nur noch nötig, Mr. Dunn zu veranlassen, diesen Feldweg rechter Hand zum Hauptweg hinunter zugehen. Dort werden wir mit einem Wagen warten, der Mr. Dunn zum Flugplatz bringen soll.« »Aber was soll ich denn Mr. Dunn sagen? Ich kann ihn doch nicht einfach bei der Hand nehmen …« »Sagen Sie ihm nur, daß Sie ihn zu einer wichtigen Besprechung führen wollen. Ich denke, es wird schon genügen, wenn Sie ihn um sein Vertrauen bitten.« Ihr Gesicht drückte Widerwillen aus. »Diese Heimlichkeiten widerstreben mir.« »Mr. Dunn wird Ihnen sein Leben lang zu danken haben«, erinnerte Gibbin. »Ich muß es wohl tun«, flüsterte sie. »Wann soll es geschehen?« 165
»Eine Beschleunigung wäre uns lieb.« »Ich werde in einer Viertelstunde von hier wegge hen.« »Wir sind Ihnen sehr dankbar. Bitte, vergessen Sie nicht, daß Sie Mr. Dunn nichts von Mr. Winter er zählen dürfen!« »Ich will daran denken.« Zwei gemessene Verbeugungen, Gibbin und Mad den entfernten sich. * Im Hause Robert Dunns regierte inzwischen Hal Mervin. Er stand am Fenster und beobachtete die Straße. Dav ging ein und aus, Robert Dunn ordnete, sichtete und vernichtete im Nebenraum. Hal drehte sich um und winkte Dav, der eben ein trat. »Doof?« »Dav, Sir«, berichtigte Dav mit der gleichen Uner schütterlichkeit, mit der er schon fünfzehnmal vorher berichtigt hatte. »Also, Dav. Wer ist die junge Dame, die eben auf das Haus zukommt?« Dav warf einen Blick durchs Fenster. »Miß Gloria Reeves, deren Vater morgen begra ben wird.« »Ah, die junge Dame, in die Mr. Dunn verliebt ist?« 166
Dav wurde steif. »Mr. Dunn hat sich darüber noch nicht geäußert.« »Na, wenn schon!« sagte Hal. »Kommt sie öfter hierher?« »Mr. Dunn hat sie erst vorgestern kennengelernt.« »Dann ist es allerhand, wenn sie heute schon zu Besuch kommt.« »Ich wundere mich sehr, Sir.« »Dann sind wir uns zum zweitenmal völlig einig. Ist sie einwandfrei?« »Miß Reeves stammt aus guter Familie.« »Das wollte ich nun nicht gerade wissen. Ich mei ne, ob sie für unsere Gegner arbeiten könnte?« »Miß Reeves wird nichts tun, was Mr. Dunn scha den kann. Sie hat eine sehr hohe Meinung von ihm. Soll ich öffnen?« »Ja, bitte.« Hal Mervin ging zu Dunn hinüber, der lauschend innegehalten hatte, als das Klingelzeichen ertönte. »Es hat geklingelt!« »Sie bekommen Besuch«, sagte Hal. »Glauben Sie, daß Miß Reeves etwas gegen Sie oder uns unter nehmen könnte?« »Miß Reeves? Wie kommen Sie auf diesen Ge danken? Sie ist das edelste …« »… herrlichste Mädchen der Welt«, vollendete Hal trocken. »Kommen Sie, wir wollen sie begrü ßen.« 167
»Miß Reeves?« rief Robert Dunn überrascht. »Ist sie etwa…« »Dav läßt sie gerade ein.« Robert Dunn eilte im Geschwindschritt hinaus. Als Hal bei der Gruppe eintraf, hatte Dunn schon ei ne herzliche und freundliche Begrüßung erledigt. Nun machte er bekannt. »Das ist Mr. Mervin, einer meiner Freunde. Es handelt sich um die Erfindung.« Hal verbeugte sich gewandt. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miß Reeves. Mr. Dunn hat mir schon viel von Ihnen vor geschwärmt.« Robert Dunn wurde rot. »Das – das ist gar nicht wahr.« »Nicht mit Worten«, schränkte Hal bereitwillig ein. »Aber wenn man meine Erfahrung hat, versteht man auch Lieder ohne Worte.« Gloria Reeves hatte etwas von Dunns Farbe über nommen. Sie machte einen vorzüglichen Eindruck auf Hal, so daß er sein anfängliches Mißtrauen schwinden ließ. Ihre Unsicherheit und Befangenheit erklärten sich ihm zwanglos aus der Nähe Dunns. Seine handfeste Anspielung hatte ihm den Beweis dafür gegeben. Gloria Reeves kam mit einer vorgefaßten Mei nung. Sie sah in Hals Anwesenheit die Bestätigung all dessen, was Gibbin und Madden ihr gesagt hatten. 168
Hals Bemerkung, die ihr durchaus taktlos und zu dringlich erschien, war ihr ein weiterer Beweis. Sie wandte sich an Dunn. »Ich möchte Sie gern unter vier Augen in einer wichtigen persönlichen Angelegenheit sprechen, Mr. Dunn.« »Aber gern«, sagte Robert Dunn. »Würden Sie mir in das Wohnzimmer …« »Danke«, unterbrach sie, »ich möchte im Freien sein. Vielleicht können wir durch den Garten ge hen?« Robert Dunn warf einen Blick auf Hal. Dieser nickte. Warum sollten die beiden nicht durch den Garten gehen? Die Gefahr kam von der Straße. »Das ist mir auch lieb«, sagte Dunn. »Darf ich Sie führen?« Sie gingen hinaus. Gloria Reeves schwieg auch im Freien lange, so daß Robert Dunn endlich behutsam sagte: »Ich weiß nicht, was Sie bedrückt, Miß Ree ves, aber Sie können versichert sein, daß ich Ihnen jederzeit helfen werde, wenn meine Hilfe nötig sein sollte.« Das Mädchen atmete tief. »Ich kann jetzt noch nicht mit Ihnen über die An gelegenheit sprechen. Wir wollen erst noch ein Stück gehen. Haben Sie Vertrauen zu mir?« »Unbegrenztes«, versicherte er warm. »Ich wollte – ich möchte …« 169
Die Befangenheit würgte ihn ab, aber er nahm gleich darauf einen neuen Anlauf. »Miß Reeves – es ist taktlos von mir, in diesen Tagen über persönliche Angelegenheiten zu spre chen, aber ich möchte Ihnen doch sagen, daß ich Sie – daß ich gern noch hiergeblieben wäre.« Sie blickte zu Boden. »Sie bleiben doch nicht lange fort, und vielleicht brauchen Sie überhaupt nicht weg.« »Doch«, widersprach er bekümmert, »ich glaube, ich gehe für lange Zeit weg. Wer weiß, wann ich wieder hierher kommen kann. Ich sollte eigentlich nicht darüber sprechen, aber es wird nichts schaden, wenn ich es Ihnen sage. Morgen abend fahre ich viel leicht für immer weg.« Jetzt blickte sie ihn beunruhigt an. »Aber warum denn? Sie müssen doch nicht?« »Inzwischen hat sich manches geändert. Ich muß weg. Es ist wegen der Erfindung. Wenn ich sie auch verkaufe, so werden doch andere versuchen, die Er findung aus mir herauszupressen. Ich muß zukünftig in einem anderen Land leben, wo man mich nicht kennt.« »Vielleicht läßt sich alles einfacher regeln?« sagte sie leise und dachte an ihren Auftrag. Er schüttelte den Kopf. »Es muß wohl sein. Das ist ja nun auch nicht schlimm. Ich bekomme viel Geld und wäre wohl oh 170
nehin nicht dauernd hiergeblieben. Aber es tut mir sehr leid, daß ich Sie – daß ich von Ihnen …« »Ich würde es auch bedauern, wenn Sie fortmüß ten«, gestand sie mutig. Sein Gesicht leuchtete auf. »Wirklich? Oh – ich wünschte, wir würden uns schon länger kennen und Ihr Vater wäre nicht ge storben, dann…« Sie waren am Ende des Weges angelangt und stan den vor der Pforte, die auf einen schmalen Pfad an der Rückseite des Grundstücks hinausführte. Es er gab sich von selbst, daß sie sich einander zuwandten und ansahen. »Ja?« Robert Dunn gab sich einen Ruck. »Dann würde ich Sie fragen, ob Sie eines Tages meine Frau werden wollen.« Gloria Reeves senkte die Augen und schwieg. Oh ne daß sie sich dessen recht bewußt wurde, spielte ihre Hand mit dem Fallriegel der Tür, hob ihn und zog die Tür auf. »Lassen Sie mir noch Zeit«, bat sie leise, »bevor Sie eine solche Frage an mich stellen. Der Tod mei nes Vaters hat mich verwirrt.« »Aber Sie lassen mich hoffen?« preßte er heraus. Wieder sah sie ihn an. »Ja.« Nie hatte Robert Dunn so tief aufgeatmet wie in 171
diesem Augenblick. »Ich danke Ihnen. Diese Hoffnung macht mich …« »Wir wollen weitergehen«, lenkte sie ab und schritt durch die Tür. »Wollen wir nicht umkehren? Es ist besser, wenn wir das Grundstück nicht verlassen.« »Ich möchte diesen Weg hinuntergehen, bitte, tun Sie mir den Gefallen.« Wer wollte es Robert Dunn verübeln, daß er nun sofort einwilligte? Gloria Reeves spähte in den Garten hinein. »Hoffentlich folgt man uns nicht.« »Nein«, beruhigte er erstaunt. »Ich soll zwar ei gentlich das Grundstück nicht verlassen, aber Mr. Mervin kann es vom Haus aus nicht sehen. Hier ist ja auch kaum etwas zu befürchten.« »Wenn man uns nicht folgt, dann nicht. Mich wundert es aber, daß Sie nicht die Gelegenheit be nutzen, um diesen Leuten zu entfliehen. Sie gehen so langsam.« Robert Dunn riß die Augen auf, beschleunigte al lerdings gleichzeitig seine Schritte. »Entfliehen? Wem denn?« »Nun, Ihren Bedrängern«, versetzte sie ebenfalls mit Verwunderung. »Diesem Mr. Mervin und den anderen.« Dunn lächelte. »Aber das sind doch meine besten Freunde!« 172
»Man hat Sie gezwungen, das zu sagen, nicht wahr?« Dunn schüttelte den Kopf. »Aber nein, wer sollte mich hier zwingen? Sie sind doch wirklich meine Freunde und beschützen mich.« »Sie stellen sich nur so, um zu verhindern, daß Sie Ihre Erfindung verkaufen.« »Aber nein. Ich habe ihnen doch meine Erfindung schon verkauft!« Ein wartendes Auto wurde sichtbar, gleichzeitig zwei Männer, die hastig auf sie zukamen und sich noch mehr beeilten, als Gloria Reeves plötzlich ste henblieb. »Sie haben die Erfindung verkauft?« »Ja, für eine Million Dollar!« Ihre Augen waren weit und groß. Eine schreckli che Ahnung stieg in ihr auf. »Sie haben verkauft? Aber Sie wollten doch an Mr. Winter verkaufen!« »Habe ich ja auch getan.« »Oh!« seufzte sie und bemühte sich, sich aufrecht zu halten. Die beiden Männer waren inzwischen herange kommen. »Was sind das für Leute?« fragte Dunn hastig. »Kommen Sie schnell, wir müssen umkehren!« »Hallo«, rief da der vorderste schon, »warum kommen Sie nicht?« 173
»Wer sind Sie?« fragte Dunn. »Fliehen Sie!« schrie Gloria Reeves. »Ach, so stehen die Dinge?« Der Mann begriff und riß seine Pistole heraus. »Bleiben Sie stehen und schlagen Sie keinen Lärm, sonst ist es um Ihr Leben geschehen.« Auch der zweite Mann zog die Waffe. »Gut, daß wir auf alles gefaßt waren«, brummte er. »Das wäre ja bald schiefgegangen. Vorwärts, zum Wagen!« Robert Dunn sprang auf den einen zu und schlug nach ihm, aber der Mann fing ihn mit einem Faust hieb auf und schleuderte ihn zurück. »Lassen Sie den Quatsch!« fauchte er böse. »Wir haben keine Zeit. Wenn Sie uns aufhalten, werden wir der Miß eine kleine Verzierung beibringen, die Sie dann verantworten mögen. Und wenn Sie Ge schrei machen, dann können Sie nachher diesen Herrn gesund pflegen. Vorwärts, dort steht der Wa gen.« Es blieb ihnen nichts übrig, als den Anordnungen zu folgen. Robert Dunn nahm das Mädchen am Arm. »Kommen Sie, Miß Reeves, für jetzt können wir es wohl nicht ändern.« Sie ließ sich führen. »Ich meinte es gut«, hauchte sie. »Ich dachte, Sie würden gefangengehalten und die beiden Männer kämen wirklich von Mr. Winter und …« 174
»Machen Sie sich keine Sorgen darüber«, bat er herzlich. »Es ist alles nicht so schlimm.« Sie mußten in den Wagen einsteigen. Einer der Männer hielt ihnen auch weiterhin die Waffe vor, der andere steuerte. Die Fahrt endete am Flugplatz, und zwar unmittel bar neben einem startbereiten Flugzeug. Robert Dunn und Gloria Reeves kletterten gehor sam hinein. Es war ihnen während der Autofahrt hin reichend gesagt worden, was alles geschehen würde, wenn sie die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Der Flughafenpolizist, der sich in der Nähe befand, hätte ja auch nichts ausrichten können. Im Flugzeug warteten die beiden Männer mit den zuverlässigen, ernsten Gesichtern – Gibbin und Madden. Während das Flugzeug startete, erklärte Madden in seiner gewohnten gemessenen Höflich keit: »Es tut mir leid, daß wir zu einigen unerwarte ten Maßnahmen greifen mußten, aber es genügt Ih nen die Versicherung, daß es nur um Ihretwillen ge schah, Mr. Dunn.« »Ich verwahre mich gegen Ihre Maßnahmen«, er widerte Robert Dunn mit aller Entschiedenheit seiner Entrüstung. »Sie hätten mindestens Miß Reeves aus dem Spiel lassen sollen. Ich verlange, daß sie sofort abgesetzt wird.« »Das ist uns leider nicht möglich. Miß Reeves war so liebenswürdig, uns behilflich zu sein.« 175
»Sie haben mich belogen«, mischte sie sich em pört ein. »Ich gebe das zu«, sagte Madden gelassen, »aber der Zweck heiligt die Mittel. Mr. Dunn wird Ihnen trotzdem dankbar sein. Ich bitte Sie, um der guten Sache willen die Unannehmlichkeiten dieser Reise auf sich zu nehmen. Es wird von Mr. Dunn abhän gen, sie abzukürzen.« »Das ist Menschenraub«, stellte Dunn erbittert fest. »Sie haben nicht das Recht, uns zu entführen!« »Ich befreite Sie aus der Gewalt von Leuten, bei denen Sie nur ein Gefangener waren. Sie haben nichts zu befürchten, und es wird Ihnen nichts ge schehen. Die einzige Forderung, die man an Sie stel len wird, ist, daß Sie über den Verkauf Ihrer Erfin dung verhandeln, ohne unter dem Einfluß jener Leute zu stehen. Für Sie wird es nicht viel ausmachen, an wen Sie Ihre Erfindung verkaufen.« Robert Dunn lachte. »Vielleicht doch. Sie kommen zu spät. Die Erfin dung ist schon verkauft.« Madden zeigte das erstemal Erregung. »Was? Sie ist verkauft? An Mr. Sun Koh?« »Jawohl«, sagte Dunn heftig, »an Mr. Sun Koh, wenn Sie so gut im Bilde sind. Sie müssen sich an ihn wenden, wenn Sie die Erfindung haben wollen.« »Ich hätte es mir denken können. Aber das ändert nichts. Es wird Ihnen nicht schwerfallen, Ihre Auf 176
zeichnungen noch einmal zu machen.« »Das werden Sie nie erleben!« »Ich bin vom Gegenteil überzeugt«, gab Madden kühl zurück. »Wenn Miß Reeves zum Beispiel hun gern müßte, bis Sie die Arbeit vollendet haben, wür den Sie sich sicher recht beeilen. Es gibt aber auch noch andere Mittel, um Sie zu zwingen.« »Bestien!« Madden hob abermals die Schultern. »Ihre schlechte Meinung tut mir leid, vermag aber nichts zu ändern. Man sollte eine sachliche Angele genheit nicht mit Gefühlen verquicken. Im übrigen ist es unsere Aufgabe, Sie nach New York zu brin gen.« Robert Dunn antwortete nicht mehr. * »Doof?« »Dav, Sir, wenn ich mir die Berichtigung erlauben darf.« »Also, Dav. Wie lange dauert eine Liebeserklä rung?« »Ich habe keine Erfahrung darin, Sir.« »Ich habe Sie immer für einen klugen Kopf gehal ten«, sagte Hal Mervin. »Finden Sie nicht, daß Mr. Dunn recht lange mit Miß Reeves im Garten bleibt?« Dav pendelte leicht mit dem Kopf. 177
»Gewiß, Sir, wenn man bedenkt, daß sich Mr. Dunn nie länger als fünf Minuten im Garten aufzu halten pflegte.« »Hm, abgesehen davon – wie weit geht denn der Garten?« »Nicht weit, Sir.« »Man kann die beiden aber trotzdem nicht sehen.« Dav nickte. »Es ist mir auch noch nicht gelungen, durch die Baumstämme hindurchzublicken. Man muß schon hinuntergehen, um auf dem Weg entlang bis zum Zaun zu sehen.« »Ich komme doch gerade von unten.« »Tja, vielleicht ist Mr. Dunn durch die Pforte ge gangen«, vermutete Dav. Hal horchte auf. »Durch welche Pforte?« »Hinten im Zaun. Man kann von dort aus auf die Straße kommen. Aber es ist nie die Gewohnheit von Mr. Dunn gewesen, diesen Ausgang zu benutzen.« Hal hörte diese Betrachtung schon nicht mehr. Er rannte die Treppe hinunter und sauste in den Garten hinein. Niemand zu sehen. Die Pforte stand offen. Der Pfad dahinter war menschenleer. Hal wischte sich mit dem Handrücken den Angst schweiß von der Stirn. Das konnte eine böse Ge 178
schichte werden… Er sauste zurück. »Dav! Niemand da, sie sind fort!« Dav hob die Brauen. »Fort? Vielleicht hat Mr. Dunn Miß Reeves in ihre Wohnung gebracht?« »Das wäre eine Hoffnung. Wo wohnt sie? Los, kommen Sie mit!« »Sofort, Sir, nur meinen Hut.« »Seinen Hut!« ächzte Hal. Er hielt dieses lächerli che steife Hütchen für ein Verbrechen, aber er ver mutete, daß es zwecklos war, Dav von seinem Hut trennen zu wollen. Dav kam auch umgehend wieder heraus und lief im Eilschritt mit los. Mrs. Grant prallte zurück, als die beiden ange stürmt kamen. »Aber meine Herren, was ist denn, was wollen …« »Ist Mr. Dunn hier?« »Ist Miß Reeves anwesend?« »Ich bin allein. Miß Reeves ging doch zu Mr. Dunn!« »Na, Mahlzeit!« stöhnte Hal und holte die Sprech dose aus der Tasche, um sich mit Sun Koh in Ver bindung zu setzen. Das Flugzeug, in dem Robert Dunn entführt wur de, hatte eine gute halbe Stunde Vorsprung. Das war bedeutungslos. Da die Maschine Sun Kohs an Ge schwindigkeit bedeutend überlegen war, konnte man 179
den Vorsprung leicht aufholen. Es kam nur darauf an, daß die Entführer wirklich nach New York flo gen. Sobald sie ihre Richtung änderten, wurde die Verfolgung schwierig, da ja Sun Koh die neue Rich tung nicht kannte und das fremde Flugzeug nicht in Sicht hatte. Doch Madden und Gibbin fühlten sich ziemlich si cher, sie hielten Kurs auf New York. So waren sie denn noch keine drei Stunden unterwegs, als hinter ihnen das Flugzeug Sun Kohs auftauchte. »Die können lange so hinter uns herfliegen«, be merkte Madden halblaut zu Gibbin. Gibbin nickte. »Werden nicht viel Spaß daran haben. Aber wahr scheinlich werden sie uns bald anrufen.« Der Apparat arbeitete schon. Madden zog die Kopfhörer über und reichte Gib bin das zweites Paar. Im anderen Flugzeug saß Sun Koh vor dem Funkapparat. Die Verbindung wurde hergestellt. »Madden. Sprechen Sie vom Flugzeug hinter uns? Wer ist am Apparat?« »Sun Koh. Haben Sie Mr. Dunn an Bord?« »Mr. Dunn und Miß Reeves.« »Bitte, landen Sie!« »Tut mir leid, wir haben ein Landflugzeug.« »Ich hoffe, Sie sind nicht allzusehr zum Scherzen aufgelegt. Ihr Fahrgestell ist eingezogen, Sie können 180
so auch auf dem Wasser landen, Ich kenne Ihren Typ.« »Na schön, dann wollen wir nicht landen.« »Sie haben kein Recht, Mr. Dunn und die junge Dame zu entführen. Mr. Dunn hat die Erfindung be reits ordnungsgemäß an mich abgetreten. Ich habe seinen Schutz übernommen. Dieser gilt auch für Miß Reeves. Ich empfehle Ihnen dringend, zu landen.« »Wir werden erst in New York landen.« »Dann muß ich Sie zwingen, niederzugehen.« »Sie bedenken hoffentlich, daß Mr. Dunn eben falls verloren ist, wenn Sie uns beschießen wollen.« »Ich werde Sie nicht beschießen und doch zwin gen, niederzugehen. Wollen Sie Ihrerseits bedenken, daß Sie mit Ihrem Leben für die beiden Entführten haften. Und bedenken Sie ferner, daß ich die Erfin dung bereits besitze und daß mir vor allem daran liegt, daß Mr. Dunn nicht nach New York kommt. Ich hoffe, Sie verstehen das und versuchen nicht, mich dadurch zu zwingen, daß Sie sich hinter Mr. Dunn stecken. Landen Sie freiwillig!« »Nein!« Eine halbe Minute später setzte der Motor des amerikanischen Flugzeugs aus. »Irgend etwas in der Zündleitung«, rief der Pilot nach hinten. Gibbin und Madden blickten sich finster an. »Ich will versuchen, daß ich es in Ordnung brin 181
gen kann«, meinte der Pilot weiter. »Wir können uns ja eine Weile im Gleitflug halten. Wenn es nicht an ders geht müssen wir eben wassern.« »Strengen Sie sich nicht an«, brummte Madden. »Der Fehler kommt von außen. Dieser Sun Koh sen det irgendwelche Strahlen aus, mit denen er uns die Zündung lahmlegt. Verdammt noch mal!« Das war für dieses Muster an Gelassenheit ein sehr kräftiger Ausspruch, der alle Enttäuschung verriet. »Gehen Sie herunter!« befahl Gibbin ruhig. Doch plötzlich ruckte er vor, griff nach dem Fern glas, blickte zum Horizont und rief dann: »Nein, hal ten Sie die Maschine so lange wie möglich. Dort vorn kommt ein Schiff. Wenn ich nicht irre, ist es ein amerikanischer Zerstörer. Sehen Sie zu, daß Sie ihn erreichen.« »Den werden wir kriegen«, versicherte der Pilot. »Das ist Pech«, murmelte Sun Koh in der anderen Maschine. »Sie halten auf den Zerstörer zu, und wir können sie nicht hindern.« »Wenn wir den Motor nun wieder arbeiten las sen?« schlug Hal vor, der sich die ganze Zeit über recht kleinlaut und still verhalten hatte. »Die Leute sind zu klug«, sagte Sun Koh. »Sie würden trotzdem den Schutz des Kriegsschiffes auf suchen.« »Sie funken. Motorschaden natürlich.« Das amerikanische Flugzeug strich immer flacher 182
über das Wasser. Jetzt setzte es auf, zog eine Kielli nie und kam schaukelnd in etwa hundert Meter Ent fernung von dem Zerstörer zur Ruhe. Auf diesem wurde bereits ein Boot ausgesetzt. Sun Koh gab seinen Begleitern Anweisungen. Während das Boot mit den Insassen des Flugzeugs zum Zerstörer zurückkehrte, stieß Sun Koh, der das Steuer selbst übernommen hatte, mit seiner Maschine auf das Kriegsschiff herunter und setzte sie auf dem Achterdeck auf. Auf einem Kriegsschiff ist Unbefugten fast immer der Zutritt verboten. Kein Wunder, daß diese uner wartete Landung sehr viel Erregung auslöste. Der Kommandant selbst kam auf das Achterdeck und schrie den zuerst aussteigenden Hartwig an: »Was fällt Ihnen ein, hier so ohne weiteres zu landen, ohne sich mit uns in Verbindung zu setzen!« Hartwig sprang vollends herunter, ging einige Schritte entgegen und erwiderte höflich: »Bitte, ver suchen Sie, unsere Eigenmächtigkeit zu entschuldi gen. Sie erfolgte aus einem dringenden Notfall her aus. Ich heiße Hartwig und befinde mich auf der Ver folgung einer Verbrecherbande, die zwei Personen entführt hat. Ihr Boot bringt sie gerade. Ich werde mich sofort wieder entfernen, wenn ich die beiden Entführten übernommen habe.« »So?« dehnte der Kommandant. »Trotzdem hätten Sie hier nicht landen dürfen. Sind Sie Detektiv?« 183
»Nein, ich bin ein Freund von Mr. Dunn und Miß Reeves, die dort im Boot kommen.« »Die beiden sind entführt worden?« »Gewiß, man wird es Ihnen bestätigen.« »Dann wären sie hier aber völlig sicher gewesen.« »Ich bin davon überzeugt«, sagte Hartwig. »Die Entführer hatten eben Pech, einen Motorschaden zu erleiden. Trotzdem möchte ich die beiden natürlich übernehmen. Erstens müssen sie zu den Azoren zu rück, und zweitens würden sie sofort von neuem ent führt werden, wenn sie Ihr Schiff verlassen würden. Deswegen macht es den Entführern nichts aus, Ihren Schutz in Anspruch zu nehmen. Sie rechnen damit, daß ihnen beim Betreten des Landes genügend Mittel zur Verfügung stehen, um ihr Ziel zu erreichen.« »Na, da wollen wir mal warten, bis das Boot kommt.« Sun Koh trat heran. Der Amerikaner verstand bei der Vorstellung den Namen nicht. Hal Mervin ließ sich nicht sehen. Es dauerte eine Weile, dann kamen die anderen an Bord – Madden, Gibbin, ihr Pilot, ferner Robert Dunn und Gloria Reeves. Dunn winkte lebhaft Sun Koh zu. »Gott sei Dank, daß Sie gekommen sind. Die Leu te wollten uns tatsächlich verschleppen.« Der Kommandant versammelte durch eine Armbe wegung die ganze Gruppe um sich. Nachdem er vor 184
Gloria Reeves höflich salutiert hatte, fuhr er Madden an: »Ist es richtig, daß Sie diese Dame und diesen Herrn entführt haben?« Madden zuckte die Schultern. »Höchst unwahrscheinlich, nicht wahr? Wir wür den kaum Ihren Schutz anrufen und uns damit der Ge fahr einer Verhaftung aussetzen, wenn es so wäre.« »Eine Verhaftung ist immer noch besser als der Tod auf dem Ozean«, sagte der Kommandant. »Wir sind regelrecht entführt worden«, erklärte Dunn. »Man hat uns mit Pistolen bedroht und ge zwungen, in das Flugzeug zu steigen. « Miß Reeves nickte. »So war es.« »Dann …«, begann der Kommandant, aber jetzt erhob Gibbin die Stimme. »Einen Augenblick, bitte, bevor Sie eine Entschei dung fällen. Es ist richtig, daß wir die beiden etwas gezwungen haben, mit uns zu fliegen. Aber – es be standen gewichtige Gründe dafür, die Sie, Sir, wohl anerkennen müssen. Es wäre mir lieb, wenn Sie mir ermöglichten, Ihnen diese Gründe unter vier Augen darzulegen. Es handelt sich um ein Staatsgeheimnis.« Der Kommandant zog die Brauen hoch. »Hm, ich weiß nicht – wollen Sie damit sagen, daß Sie im Auftrag der Regierung handelten?« »Darüber möchte ich mit Ihnen eben unter vier Augen sprechen.« 185
Der Offizier schwankte. Die ruhige, gesammelte Geschlossenheit des Agenten machte sichtlich einen guten Eindruck auf ihn. Man konnte Gibbin und Madden recht gut für Leute des Geheimdienstes hal ten. Sun Koh griff ein: »Ich würde dann anschließend ebenfalls um eine Unterredung unter vier Augen bit ten müssen, um die Lügen zu widerlegen, die Ihnen gesagt werden könnten. Ich glaube, daß auch Mr. Dunn dann noch mit Ihnen persönlich sprechen müß te, vielleicht auch noch dieser und jener. Halten Sie es nicht für besser, wenn wir uns diese Geheimkon ferenzen ersparen? Mr. Gibbin wird Ihnen höchstens zu beweisen suchen, daß er nicht bezahlter Agent der Agentur Mackery ist, sondern daß er im Dienst der Regierung steht. Das könnte er aber – wenn es wirk lich der Fall wäre – sehr einfach dadurch, daß er sei nen rechten Ellbogen zeigt. Sie wissen Bescheid, Sir?« Es war Zufall, daß der Kommandant Bescheid wußte. Er fuhr denn auch scharf zusammen. »Ich weiß – aber woher wissen Sie …« »Das ist nebensächlich«, erwiderte Sun Koh. »Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, daß Sie sehr schnell feststellen können, ob diese Herren amtlichen Auf trag haben. Wir können uns viel Zeit sparen.« Der Kommandant wandte sich zu Madden. »Wollen Sie wirklich behaupten, im Dienst der 186
Regierung zu stehen?« Madden wußte nicht genau, ob Sun Koh nicht mit seinen Andeutungen bluffte, aber er war klug genug, sich nicht vollständig freizustellen. »Ich lehne es ab, darüber zu sprechen«, sagte er beherrscht. »Es ist auch nebensächlich, da Sie gänz lich unabhängig von meiner Person handeln müssen. Wissen Sie, wer dieser Mann ist?« Der Offizier folgte der weisenden Hand und sah wieder auf Sun Koh. »Nun?« »Das ist Sun Koh!« stellte Madden mit Nachdruck fest. Der Kommandant ruckte wie von einem Faden ge zogen, und die Offiziere hinter ihm streckten die Köpfe vor. »Sun Koh?« »Jawohl«, sagte Madden laut und mit einem Un terton von Triumph. »Das ist Sun Koh, der Mann, über den jetzt wochenlang von der Presse berichtet wurde. Sehen Sie sich das Flugzeug an, dann wissen Sie schon alles. Das ist der Mann, dem ein geheim nisvolles Riesenluftschiff gehört, das beim Unter gang der ›Bristol‹ auftauchte. Das ist der Mann, der für die unbekannten Kriegsschiffe und Tauchboote zeichnet, die in der Nähe der Azoren bemerkt wur den und um derentwillen Sie vermutlich unterwegs sind. Das ist der Mann, der über wichtige, noch un 187
bekannte Erfindungen und Kriegsmittel verfügt, mit denen er die Welt erobern will. Das ist der Mann, der sich auf den Azoren ein Königreich zu schaffen be absichtigt. Es ist Sun Koh. der gefährlichste Mann zwischen Europa und Amerika, hinter dem die Re gierung den gesamten Geheimdienst in Bewegung gesetzt hat. Es ist unwesentlich, Sir, was mit uns ge schieht. In bezug auf diesen Sun Koh haben Sie kei ne Wahl – Sie müssen ihn in Gewahrsam nehmen und nach Washington bringen.« Der Kommandant machte mechanisch zwei Schrit te auf Sun Koh zu, als die Stimme verklungen war. »Sie – Sie sind Sun Koh?« »Ja.« »Also doch. Das ändert natürlich alles.« »Es ändert nichts daran«, betonte Sun Koh, »daß diese beiden hier entführt wurden und den begreifli chen Wunsch haben, nach den Azoren zurückzukeh ren. Es ist gleich Nacht. Wenn der Morgen wieder aufgeht, wird der Vater von Miß Reeves begraben. Das ist Grund genug, um sie nicht zurückzuhalten. Außerdem sind diese beiden englische Staatsangehö rige, denen Sie nicht gewaltsam das Verlassen des Schiffes verweigern dürfen. Ich hoffe, wir sind uns soweit einig, daß Mr. Dunn und Miß Reeves das Schiff in meinem Flugzeug verlassen dürfen.« Der Kommandant hob die Schultern. »Das kann ich von mir aus nicht entscheiden, 188
nachdem es sich um Ihre Freunde handelt. Ich kann auch Ihretwegen nichts entscheiden, da ich keinen Auftrag habe, der Sie betrifft. Ich vermute aber, daß die Regierung wirklich großen Wert darauf legt, Sie kennenzulernen. Deshalb bitte ich Sie zunächst, sich zu gedulden. Ich werde mich sofort mit der Regie rung in Verbindung setzen und seine Entscheidung einholen. Bis dahin untersage ich Ihnen, das Schiff zu verlassen, und mache Sie darauf aufmerksam, daß ich notfalls Gewaltmaßnahmen ergreife.« »Wir werden hier warten.« Der Kommandant gab Befehle, auf die hin sich ein dichter Kreis von Matrosen um die Gruppe zog und ein Rohrlauf mit offener Mündung auf das Flugzeug einschwenkte. Dann ging er fort. Unendlich langsam verging die Zeit, zumal keine rechte Unterhaltung aufkommen konnte. Nur Robert Dunn und Gloria Reeves unterhielten sich auf ihre Weise. Dann kam der Kommandant zurück. Sein Gesicht war sehr ernst. »Mr. Dunn und Miß Reeves dürfen das Schiff ver lassen«, gab er das Ergebnis seiner langen Rückspra che bekannt. »Mr. Sun Koh, Sie sind mein Gefange ner und müssen auf dem Schiff bleiben.« Sun Koh nickte nur. »Es ist gut. Leben Sie wohl, Mr. Dunn und Miß Reeves. Mr. Hartwig wird Sie zurückbringen.« 189
Es wurde noch einiges hin und her geredet, dann stiegen die drei Personen in das Flugzeug. »Geben Sie acht«, warnte Gibbin den Kapitän. »Dieser Sun Koh hat allerlei Tricks. Wir müssen uns auf eine Überraschung gefaßt machen.« »Er ist von genügend Leuten umgeben«, knurrte der Kapitän. »Die Überraschungen kommen wohl erst später. Man hat mich in Washington genügend gewarnt und schickt mir schon die ganze Flotte ent gegen.« »Das ist gut«, sagte Gibbin. »Ich hätte das Flug zeug überhaupt nicht weggelassen.« Hartwig beugte sich aus dem Flugzeug heraus und winkte heftig. »Treten Sie zur Seite!« Der ganze Trupp einschließlich Sun Koh, der zwi schen zwei Dutzend bewaffneten Leuten stand, schob sich auf die Reling zu. Niemand dachte sich Arges dabei, nur Sun Koh schätzte unauffällig die Entfernung zur Reling, die sich immer mehr verrin gerte. »Die Maschine schwankt gern beim Aufsteigen«, teilte er den Umstehenden mit, »das wird dann infol ge der wirbelnden Tragflächen gefährlich.« Das brachte ihn noch ein paar Meter an die Reling heran, so daß er sie nun fast mit den Händen greifen konnte. Jetzt hob sich die Maschine. Sie schwankte nicht 190
im geringsten, sondern stieg senkrecht auf. In dreißig Meter Höhe bog sie zur Seite ab. Die Blicke aller Männer an Bord folgten ihr. In diesem Augenblick stieß Sun Koh zwei Män ner, die Tuchfühlung mit ihm hatten, zur Seite und sprang über Bord. »Ho!« »Mann über Bord!« »Schießen!« schrie Madden und stemmte sich ver geblich gegen den wirr drängenden Wall. Scharf hallten Kommandos zum Bootsmanöver. »Wir werden ihn gleich wiederhaben«, knurrte der Kommandant. »Es ist ja …« »Achtung!« schrie irgendwer. Dünne graue Fäden zuckten über das Schiff hin. Das Flugzeug raste in einer ganz engen Kurve her um. An der eisernen Reling ruckten die Hände derer, die sie berührten, krampfig zurück. »Starkstrom!« brüllte jemand. »Zurück von der Reling!« »Wir werden eingenebelt!« rief ein anderer. »Das Flugzeug ist fort!« Die Menschen an Bord standen wie gelähmt. Dort zuckte es zwischen den Eisenbändern der Reling, knis terte und blitzte, wo die Verbindungen Spielraum lie ßen. Nur die Nächststehenden konnten es noch sehen, denn inzwischen hatten sich die dünnen grauen Fäden in schwere Vorhänge verwandelt, deren Zwischenräu 191
me sich zusehends schlossen. Es war, als stiege aus dem Wasser ununterbrochen eine dunstige Wolke auf und heftete sich an die dünnen Schnüre, die man eben noch durch die Luft hatte schießen sehen. Das Flugzeug war unsichtbar geworden. Sun Koh war unsichtbar geworden. Nur das drohende Sum men hörte man über dem Schiff. Der Kommandant besaß Mut und Geistesgegen wart. Er kam am schnellsten über die Lähmung hin weg. Seine Befehle jagten sich, rissen Offiziere und Mannschaften auseinander. Der Nebelscheinwerfer! Er würde diese Schwaden durchdringen können. Das Flak-Geschütz! Mit ihm konnte man am ehes ten dieses Flugzeug herunterholen. Die Matrosen flogen. Aber der Nebelscheinwerfer bekam keinen Strom, und die elektrische Bedienung des Flak-Geschützes arbeitete nicht. »Schießen Sie doch, lassen Sie doch schießen!« brüllte Madden wütend. »Haben Sie denn kein Ma schinengewehr an Bord?« Der Kommandant sah Madden nicht, aber er hörte ihn. »Herr Kommandant? Wo ist denn der Komman dant?« rief jemand im Nebel. »Hier! Hier!« Der zweite Funkmaat tauchte auf. 192
»Herr Kommandant, das Flugzeug funkt, daß es auf den ersten Schuß hin das Schiff in die Luft sprengen würde.« »Verdammt – es ist gut.« Der Kommandant war auch ein vernünftiger Mann. Er zweifelte einesteils nicht daran, daß das Flugzeug die Drohung wahr machen könnte, andern teils sagte er sich, daß durch den Untergang des Schiffes nichts gewonnen wurde. Er gab seine Befehle. Irgendwo seitlich summte das Flugzeug. Das Kni stern an der Reling hörte auf. Jetzt verschwand das Summen ganz. Vergeblich horchte man in die Luft hinein. Sekunden sammelten sich zu Minuten. Dann ein Windstoß – widerwillig glitt die graue Wand zurück, schleifte als Wolke über das Meer hin weg. Der Zerstörer befand sich im Freien. Ringsum wellte sich leicht und bewegt spielerisch das Meer im ersten stumpfen Violett der beginnenden Nacht. Das Flugzeug war nicht mehr zu finden. »Das ist eine böse Schlappe«, murmelte der Führer des Schiffes beklommen. »Herr Kommandant?« »Was ist?« »Befehlsstelle Washington wünscht Sie zu spre chen.« Der Kapitän ging hastig zum Funkturm. Es war 193
ganz gut so, wenn er gleich berichtete, was ohnehin berichtet werden mußte. Der Mann, mit dem er vor Minuten erst gespro chen hatte, war am Apparat. »Sie sagten mir doch eben, daß Sie einen Mr. Dunn an Bord genommen haben?« »Sehr wohl, aber …« »Ich weiß. Mr. Dunn muß unter allen Umständen festgehalten werden. Wir bekommen hier eben Nach richten über eine wichtige Erfindung, die der Mann gemacht hat. Hoffentlich haben Sie ihn noch nicht abfliegen lassen.« »Mr. Dunn befindet sich nicht mehr an Bord.« »Oh – schade, wirklich schade. Um so mehr achten Sie auf diesen Sun Koh. Der Mann ist ungeheuer wichtig!« »Er ist bereits entflohen«, quetschte der Komman dant wohl oder übel heraus. »Was? Unmöglich!« Der Kommandant berichtete. Er bekam allerlei Andeutungen über die Zuverlässigkeit gewisser Her ren zu hören, die für ihn alles andere als Andeutun gen waren. Er trug sie still, dafür war jener sein Vor gesetzter. 9. Im Laufe des Tages übernahmen die Nachrichten agenturen die Sensationsberichte über die Erfindung 194
Robert Dunns. Einige Millionen Menschen erbauten sich daran, einige Dutzend wurden durch sie zu eifri ger Tätigkeit veranlaßt. Während über den Azoren die Nacht lag, summten von Amerika wie von Europa her einige Flugzeuge zu verschiedenen Zeiten winzig klein über den Oze an auf die Azoreninsel Fayal zu. Außerdem wechsel ten einige englische wie einige amerikanische Schif fe den Kurs und nahmen Richtung auf Fayal. Allen voraus aber schwangen auf den stummen Wellen der Elektrizität die Worte. Die Nachrichtenzentralen arbeiteten. »Man wird fieberhaft tätig«, sagte Sun Koh ernst zu Robert Dunn und Gloria Reeves, als sie nach der Rückkehr im Haus des jungen Mädchens zusammen saßen. »Mir wurde vorhin mitgeteilt, daß die Medien ausführliche Mitteilungen über Ihre Erfindung brach ten, wobei sie besonderen Wert auf die Feststellung legten, daß es sich um ein Kriegsmittel handelt.« »Aber wie können sie das wissen?« »Aus der gleichen Quelle jedenfalls, aus der Per son es erfuhr. Die Nachrichtenzentralen der Groß staaten arbeiten außerordentlich genau und schnell. Ich denke, daß wir morgen bereits verschiedene Leu te hier sehen werden, die um Ihretwillen hergekom men sind.« »Sie werden sehr enttäuscht sein.« Dunn lächelte. »Dieser Zwischenfall mit Madden und Gibbin hat 195
mir die Augen geöffnet. Aber was soll ich nun tun?« »Ihre Abreise ist ja festgelegt. Es wird nur darauf ankommen, daß Sie die Leute möglichst hinhalten und zugleich nichts von Ihren Reiseabsichten erzäh len, so daß bis zum Begräbnis nichts Entscheidendes geschieht.« »Und wenn man die Wahrheit erfährt?« »Wir werden Vorsorge treffen. Ich bitte Sie je doch, sich möglichst vor der Beerdigung zu verab schieden.« »Sie sollten wirklich nicht an ihr teilnehmen«, meinte Gloria Reeves mit leichtem Vorwurf. »Ich würde es mir nie verzeihen können. Wird es für Miß Reeves keine Schwierigkeiten geben?« »Wohl kaum«, erwiderte Sun Koh. »Ich habe mich entschlossen, nur so lange noch hier zubleiben, bis alles geregelt ist«, sagte Gloria Reeves. Es klingelte. Hal Mervin kam vom Haus Dunns und brachte ein Telegramm. Ein gewisser Varton telegrafierte aus Philadelphia: »Höre soeben von Ihrer Erfindung Telenergie. Er werbe Vorkaufsrecht gegen Zahlung von hunderttau send Dollar. Drahtet sofort Einverständnis. Beauf tragter zu weiterer Verhandlung bereits unterwegs.« »Das ist die Regierung der Vereinigten Staaten.« »Was soll ich antworten?« fragte Dunn. »Teilen Sie mit, die Erfindung sei noch nicht fer tig, die Veröffentlichung eile den Tatsachen voraus.« 196
»Und wenn man trotzdem das Vorkaufsrecht er werben will?« »Lehnen Sie eine Bindung vor Fertigstellung ab.« Das Telegramm Vartons war nicht das einzige, das Robert Dunn in den nächsten zwölf Stunden erhielt und beantwortete. Er erhielt nicht weniger als sieben Angebote, auf die nach seiner ersten Ablehnung sie ben neue folgten, die er abermals zurückweisen muß te. Wynner und Murphy hielten ihren Zeitpunkt für gekommen. Wynner, der sich von der Wichtigkeit der Angelegenheit hatte verführen lassen, Handlan gerdienste zu tun, schritt dreist auf die Haustür zu und klingelte. Schritte näherten sich auf das Klingelzeichen hin, das Außenlicht wurde angeschaltet, dann ging die Tür auf. Es war jedoch nicht Robert Dunn, der er schien, sondern Hal Mervin. »Sie wünschen?« »Ich möchte Mr. Dunn sprechen«, knurrte Wyn ner, wobei er sich von seiner Überraschung mög lichst nichts anmerken ließ. »Mr. Dunn ist leider nicht zu sprechen«, erwiderte Hal. »Sind Sie nicht der Einbrecher von gestern nacht? Ach nein, der Kerl sah anders aus. Mr. Dunn hat ihn nämlich heimlich mit einer marmorierten Röntgenplatte aufgenommen, während er sich mit ihm unterhielt. Aber ich weiß jetzt, er meinte nicht 197
Sie selbst, sondern eigentlich Ihren Gehilfen, diesen Murphy. Sie sind doch Mr. Wynner, nicht wahr?« »Allerdings…« »Sehen Sie. Das wird eine böse Sache. Morgen will Mr. Dunn Anzeige gegen Ihren Mann erstatten. Mr. Dunn hat nämlich auch einen Apparat, den soge nannten desinfizierten Seelendestillator, mit dem man direkt ins Gehirn gucken kann. Das gibt Geständnisse, sage ich Ihnen. Wenn Sie sonst keine Wünsche haben, wünsche ich Ihnen eine gesegnete Nachtruhe. Auf Wiedersehen. Hat mich sehr gefreut.« Wynner wedelte unsicher mit der Hand. Aber da sprang Murphy plötzlich vor. »Halt! Bluffen lassen wir uns nicht. Hände hoch!« Die Pistole war nicht gut zu übersehen, aber Hal beachtete sie trotzdem kaum. Die Arme hob er nicht. »Ich wußte es doch«, er grinste leicht, »daß Mur phy in der Nähe sein muß.« »Verdammt, nehmen Sie …« »Die Hände hoch«, sagte Hal. »Ich würde Ihnen raten, Ihr allerwertestes Hinterteil etwas einzuziehen. Es ist schlecht, wenn man sich an solchen Stellen verbrennt. Und verbrennen werden Sie sich, wenn Sie aus Versehen an den Draht kommen, der dicht hinter Ihnen baumelt.« »Bluff!« entgegnete Murphy. »Nehmen Sie Ihre Waffe ebenfalls zur Hand, Mr. Wynner. Und nun …« »Warten Sie …«, bat Hal. 198
»Ich lasse mich nicht…« »Nein, lassen Sie sich nicht«, fiel Hal ein. »Sie brauchen nur Ihren Finger krumm zu machen, dann wissen Sie genau, ob es Bluff ist.« Wynner und Murphy blickten sich an. »Lassen Sie mich das machen«, meinte Murphy leise. »Halten Sie ihn mit der Pistole in Schach.« Wynner nickte sofort. Er war ohnehin kein Freund vom Bücken. Murphy steckte seine Pistole ein, trat einen Schritt heran und beugte sich hinunter. Er dachte natürlich nicht daran, nach dem Abtreter zu greifen, sondern stieß blitzschnell vor, um die Kniekehlen Hals an sich zu reißen. Eine Kleinigkeit zu früh für Murphy duckte sich Hal herunter. Es fiel ihm nicht allzu schwer, ihn aus der Hockstellung mit voller Wucht bei den Schultern anzugehen und zurückzuwerfen. Murphy prallte ge gen Wynner. Hal setzte mit einem Fausthieb nach, die beiden stürzten rückwärts die Stufen hinunter. Bevor sie wieder hochkommen und an ihre Waf fen denken konnten, war Hal ins Haus gehuscht. Wynner fluchte, Murphy half ihm dabei. Einer schob dem anderen die Schuld in die Schuhe. Im übrigen gab es in dieser Nacht keine nennens werten Ereignisse. * 199
Das Begräbnis von Frank Reeves verlief ohne jede Störung, obgleich eine scharfe Spannung über den Menschen lag. Robert Dunn schritt blaß und ernst neben dem jun gen Mädchen, das er sanft am Arm führte. Gloria Reeves hielt den Kopf gesenkt, aber ihr Körper war straff und versteift. Die brennende Neugier ringsum quälte sie. Sie wollte Haltung bewahren und nicht ihre innere Erschütterung zu Markte tragen. Hinter Gloria Reeves schritt Mrs. Grant, sehr wür dig und ständig mit dem Taschentuch um ihre Augen bemüht. Hal Mervin trug die ernste Miene zur Schau, die die Lage erforderte. Er gebrauchte dabei aber fast mit der gleichen Lebhaftigkeit wie seine Nachbarin, Mrs. Grant, die Augen. Robert Dunn war seinem Schutz anvertraut, und er wollte nicht zum zweitenmal einen Fehler oder eine Nachlässigkeit verantworten. Aus diesen vier Personen bestand das eigentliche Trauergefolge. Eine Reihe von Polizisten, die links und rechts nebenherschritten, konnte man nicht zu rechnen. Der Friedhof war schwarz von Menschen. Kom missar Dragez hatte gut daran getan, seine gesamten Mannschaften einzusetzen und Kapelle wie Grabstät te abzusperren. Die Neugierigen wurden enttäuscht. Es geschah 200
nichts, was nicht auch bei anderen Begräbnissen ge schah. Dann war das Begräbnis vorüber. Gloria Reeves und Robert Dunn, Mrs. Grant und Hal Mervin ver ließen die Stätte der Toten. An der Pforte des Friedhofes verlor der Bann des Ewigen alle Kraft. Unmittelbar vor dem Ausgang stand ein Auto. Ein Mann saß am Steuer, ein anderer stand am geöffne ten Schlag. Dieser verbeugte sich vor Gloria Reeves und Robert Dunn, die dicht an ihm vorbei mußten, und sagte sehr höflich: »Bitte, steigen Sie gleich in den Wagen. Wir werden Sie nach Hause bringen, damit Sie nicht von den Neugierigen belästigt wer den.« »Wer sind Sie denn?« fuhr Robert Dunn auf. »Wir kommen im Auftrag des Gouverneurs, der kein unnötiges Aufsehen wünscht. Bitte, steigen Sie ein.« »Gehen Sie weiter«, mahnte Hal Mervin von hin ten. »Nur nicht aufhalten lassen, Mr. Dunn. Und Sie, Kleiner, können Ihrem Gouverneur bestellen, daß wir uns selber einen Wagen mieten, wenn wir fahren wollen.« Der Mann zuckte nur die Schultern und wandte sich ab. Unmittelbar darauf stieg der Fahrer aus und lief die Straße vor, wahrscheinlich, um nun sein Glück auf andere Weise zu versuchen. 201
Zehn Meter weiter drängte sich Dragez, der noch länger an der Grabstätte geblieben war, zwischen seinen Leuten vor, bis er neben Robert Dunn gehen konnte. »Es tut mir leid, Mr. Dunn«, sagte er gedämpft, »aber ich muß Ihnen eine unangenehme Nachricht bringen.« »Bitte?« »Ich habe Anweisung bekommen, Sie in Haft zu nehmen.« »Sie wollen mich verhaften? Warum?« Dragez hob die Schultern. »Schutzhaft, in Ihrem eigenen Interesse.« »Unsinn«, erwiderte Dunn unmutig, »mir scheint, daß Sie mein eigenes Interesse mißbrauchen, weil Sie keinen Verhaftungsgrund haben.« »Es bleibt mir nichts anderes übrig«, murmelte Dragez. »Meine Anweisung …« »Von wem haben Sie die Anweisung?« »Direkt aus Lissabon.« Hal Mervin drängte sich dicht heran. »Ist ja alles in Ordnung, Mr. Dunn. Die Regierung kann es nur gut mit Ihnen meinen. Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, daß er zunächst Miß Reeves nach Hause begleitet?« Dragez schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Aber – wer sind Sie denn überhaupt?« 202
»Mrs. Grant ist meine Tante«, gab Hal harmlos Auskunft. »Ich kam zufällig heute von Terceira her über, um sie zu besuchen.« Dragez blickte mißtrauisch. »Dann war der große Kranz wohl von Ihnen?« Hal grinste flüchtig. »Sehr verbunden für die Schmeichelei, aber so weit reichen meine Mittel doch nicht. Ich nahm ihn nur ab und legte ihn nieder, weil die Boten ihn mir hinhielten.« Sonst ereignete sich auf dem Rückweg nichts. Die Garde des Kommissars drängte alles zurück, was sich mit und ohne Grund in den Weg stellte. Die Männer, die Dunn wirklich gefährlich werden konn ten, hielten ihren Zeitpunkt noch nicht für gekommen oder wagten es nicht, vor aller Öffentlichkeit etwas zu unternehmen. Vor dem Haus Gloria Reeves’ erinnerte der Kom missar von neuem daran, daß er an Robert Dunn Rechte habe. Dunn erhob keinen Widerspruch, bat aber um die Erlaubnis, sich in aller Ruhe verabschie den zu dürfen. »Dagegen habe ich nichts«, gab Dragez seine Ein willigung. »Versuchen Sie aber lieber nicht erst zu entfliehen. Ich lasse das ganze Haus umstellen.« Die vier Personen gingen hinein. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, wurde Hal ener gisch. 203
»Also, da haben wir ja wieder einmal richtig ge rechnet. Mrs. Grant, Sie gehen bitte sofort in die Kü che und üben sich darin, von nichts eine Ahnung zu haben.« Mrs. Grant reckte das Kinn. »Ich …« »Darin können Sie sich auch üben«, sagte Hal. »Bitte, beeilen Sie sich.« »Gehen Sie«, bat Gloria Reeves, worauf Mrs. Grant sanft beleidigt abzog. »Es tut mir leid«, wandte sich Hal nun an die bei den, »aber ich kann Ihnen nicht mehr als drei Minu ten geben. Dann müssen Sie, Mr. Dunn, ohne Auf enthalt mit mir auf das Dach hinauf. Es ist dann jede Sekunde kostbar, weil Dragez sofort eindringen wird, wenn er den Braten riecht. Dort ist das Wohnzimmer, wenn ich bitten darf. Ich werde inzwischen die Haus tür etwas verrammeln.« Robert Dunn und Gloria Reeves zogen sich zu rück. Sie hatten sich so viel zu sagen, und doch brachten sie insgesamt keine drei Sätze über die Lippen, als sie sich allein gegenüberstanden. Wenn das Herz voll ist, so laufen durchaus nicht bei allen Menschen die Lippen über. Gerade wertvolle Naturen neigen dazu, sich in solchen entscheidenden Minuten zu ver krampfen und zu ihrer eigenen Scham nichts anderes als blutleere Redensart stammeln zu können. Erst das Klopfen Hals drängte die Hände der bei 204
den ineinander. »Leben Sie wohl, Robert, und – auf Wiederse hen.« Sie umarmten sich genau in dem Augenblick, in dem Hal den Kopf hereinsteckte. »Tut mir leid, aber wir müssen fort, Mr. Dunn. Leben Sie wohl, Miß Reeves. Sie werden bald wie der von uns hören.« Er schüttelte die Hand des Mädchens, dann zog er Dunn hinter sich her. »Los, aufs Dach. Das Flugzeug steht bereits o ben.« Robert Dunn gönnte sich einen letzten Blick, dann beeilte er sich. An der Haustür dröhnten schon die ersten Klopfer. Man hörte die Stimme des Kommissars. »Hallo, hallo, aufmachen! Hören Sie denn nicht?« »Der kann lange pochen«, sagte Hal grinsend. »Hoppla, strecken Sie die Beine und ziehen Sie den Kopf ein. Wenn die Kerle einen Anfall kriegen, fan gen sie an zu knallen.« Dragez und seine Leute, verschiedene Agenten und Berichterstatter sowie eine Reihe harmloser Neugieriger beobachteten in diesen Minuten eine merkwürdige Erscheinung. Graue Schwadenwände standen plötzlich in der Luft, hauchdünn, aber zusehends dichter werdend. Man entdeckte eine Wolke, die sich von oben her 205
direkt auf das Haus niedersenkte und immer größer wurde. Dann war auf einmal das ganze Haus ver schwunden, im Dunst untergetaucht, die Menschen waren verschwunden, sogar die nächsten Nachbarn konnte man nur noch undeutlich wahrnehmen. Darüber erhob sich allgemeines Verwundern. Ein Mann stürzte auf Dragez zu, hinter ihm dräng ten sich andere. »Herr Kommissar, lassen Sie das Haus besetzen. Mr. Dunn wird entführt oder entflieht!« »Wieso?« wunderte sich Dragez. »Wir halten doch schon alle Ausgänge besetzt.« »Aber das Dach nicht. Das ist ein künstlicher Ne bel, in dessen Schutz ein Flugzeug auf dem Dach landet. Hören Sie!« Tatsächlich, dort oben summte etwas schwach. »Ein Flugzeug?« zweifelte Dragez noch immer. »Das ist doch kein Flugzeug. Vielleicht ein Elektro motor.« »Herrgott«, rief der andere wütend, »dieser Sun Koh benutzt doch ein elektrisches Flugzeug. Los, hinein, ehe es zu spät ist!« Dragez klopfte, pochte, hämmerte, dann brach er mit seinen Leuten die Tür auf. Darüber verging so viel Zeit, daß das Summen sich schon wieder ent fernt hatte, bevor er noch über die Schwelle gekom men war. Im Haus fand er zunächst Gloria Reeves. Sie lä 206
chelte traurig und wehmütig auf seine Frage. »Suchen Sie nicht. Mr. Dunn hat sich seine eigene Schutzhaft ausgesucht. Er ist tatsächlich fort.« Dann fand Dragez Mrs. Grant, die von nichts wuß te. Und schließlich entdeckte er verschiedene fremde Männer im Haus, die eher als er durch die Fenster eingedrungen waren und sich nun mit leisen Flüchen und schiefen Blicken bedachten. Sie erklärten ihre Anwesenheit natürlich mit ihrem Eifer, der Polizei behilflich zu sein. Während sie noch der zerplatzten Seifenblase nachtrauerten, blickte Robert Dunn durch die Fenster des schnell nach Westen schießenden Flugzeugs auf die immer kleiner werdende Insel. Sun Koh stand neben ihm und legte ihm schließlich die Hand auf die Schulter. »Sie werden Miß Reeves wiedersehen, Mr. Dunn, vielleicht schon in einigen Wochen. Ich werde durch meine Beauftragten die Verbindung halten lassen.« Robert Dunn wandte sich verlegen um. »Es ist nicht deswegen, sondern so allgemein. Ich habe fast immer hier gelebt.« Sun Koh nickte. »Ich verstehe es, und ich hätte Sie auch nicht von hier weggenommen, wenn es nicht nötig gewesen wäre. Sehen Sie dort!« Dunn spähte in die angegebene Richtung. 207
»Was ist das?« »Amerikanische Schiffe. Und im Osten liegen englische Zerstörer. Sie befinden sich auf einer Ü bungsfahrt. In Wirklichkeit stehen sie als Stützpunk te für einige Leute bereit, die heute mit großer Auf merksamkeit jeder Ihrer Bewegungen folgten. Dieses Aufgebot gilt Ihnen!« Robert Dunn schüttelte den Kopf und murmelte nachdenklich: »Gilt es wirklich mir? So bedeutend ist meine Erfindung denn doch nicht, um solchen Aufwand zu rechtfertigen. Sollte es nicht vielmehr Ihnen gelten?« »Vielleicht.« »Vielleicht?« Robert Dunn seufzte und sah das letzte Pünktchen von Fayal am Horizont entschwin den. ENDE Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
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Als SUN-KOH-Taschenbuch Band 35 erscheint:
Die Tarnkappe
von Freder van Holk Die Sensation ist perfekt: Sun Koh trifft mit einem riesigen Mitarbeiterstab Vorbereitungen, Atlantis zu heben. So schreiben es die Zeitungen, so be richtet es das Fernsehen. Aber von den gewalti gen Auseinandersetzungen, die im Hintergrund geführt werden, wissen sie nichts. Ein Unbe kannter erpreßt prominente Personen. Er will Geld – viel Geld. Zur Demonstration, daß es ihm ernst ist, kündigt er den Tod von Gästen eines Hotels an. Am folgenden Morgen liegen zwölf Männer und drei Frauen tot in ihren Betten. Dann kommen die an die Reihe, die sich weigern, dem Erpresser die geforderte Summe zu zahlen. Poli zisten, die an den Ermittlungen teilnehmen, müs sen sterben. Schließlich wird ein Mann umge bracht, der wichtige Papiere für Sun Koh, den Erben von Atlantis, überbringen soll … Die SUN-KOH-
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