Bernadette Linder Terror in der Medienberichterstattung
Bernadette Linder
Terror in der Medienberichterstattung
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Bernadette Linder Terror in der Medienberichterstattung
Bernadette Linder
Terror in der Medienberichterstattung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck, 2010 Die Veröffentlichung wurde vom Amt der Vorarlberger Landesregierung und von der LeopoldFranzens Universität Innsbruck (Institut für Politikwissenschaft) gefördert.
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Priska Schorlemmer VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18241-4
Inhalt
1
Einleitung ................................................................................................... 17 1.1 1.2 1.3
2
Politikwissenschaftliche Medienforschung ................................................ 27 2.1 2.2 2.3
3
Problemstellung und Forschungsfrage .............................................. 20 Zielsetzung ........................................................................................ 21 Gliederung und Methodik ................................................................. 23
Einleitung .......................................................................................... 27 Politikwissenschaftliche Medienforschung ....................................... 28 Medienwissenschaft als Massenkommunikationsforschung ............. 31
Politik und das Zusammenspiel mit den Medien ....................................... 33 3.1 3.2
Einleitung .......................................................................................... 33 Die mediale Aufmerksamkeit und deren Auswirkungen für politische Akteure ........................................................................ 36 3.3 Medienwirkung – Die Wirkung der Medien ..................................... 40 3.4 Ausgewählte Theorien politischer Medienwirkung – Informationsfluss bei den Massenmedien ......................................... 42 3.4.1 Das Stimulus-Response-Modell ............................................... 43 3.4.2 Der Agenda-Setting-Ansatz ...................................................... 45 3.4.3 Der Uses and Gratification-Ansatz ........................................... 47 3.4.4 Redaktionelle Selektionsentscheidungen – Das Gatekeeping ....................................................................... 48 3.5 Die Darstellung von Politik in den Massenmedien ........................... 50 3.5.1 Die Darstellung von Politik in den Massenmedien................... 50 3.5.2 Politik und das Mediensystem .................................................. 53 3.6 4
Die Visualisierung der politischen Kommunikation ......................... 54
Medien und Terrorismus ............................................................................ 59 4.1
Krisen- und Kriegskommunikation in den Medien ........................... 59 5
4.2 4.3
Veränderungen in der Kriegsberichterstattung .................................. 60 Das Zusammenspiel von Terrorismus und Medien – eine uneingeschränkte Symbiose? ..................................................... 67 4.4 Versuch einer Terrorismusdefinition ................................................. 68 4.4.1 Charakteristika des Terrorismus ............................................... 79 4.4.2 Der radikal-islamistische Terrorismus ...................................... 80 4.4.3 Entwicklungslinien des jihadistischen Terrorismus.................. 82 4.4.4 Die Ideologie des Jihads ........................................................... 83 4.4.5 Die Umsetzung der Ideologie ................................................... 85 4.5 Die Wechselwirkung zwischen Medien und Terrorismus ............... 100 4.5.1 Historisch entscheidende Ereignisse für das Entwickeln einer Medienstrategie der Terroristen ..................................... 102 4.5.2 Ergebnis des technologischen Fortschrittes für Medien und Terroristen ....................................................................... 105 4.5.3 Die Nutzung der Medien durch den radikal-islamischen Terrorismus ............................................................................ 107 4.6 4.7
Das Internet als spezielle Kommunikationsplattform...................... 109 Gewalt als Kommunikation – Der Anschlag auf das World Trade Center als spektakuläres Medienereignis .............................. 115 4.8 Maßnahmen gegen ein weiteres Ausbreiten des Terrorismus ......... 118 4.8.1 Staatliche Informationskontrolle ............................................ 118 4.8.2 Wikileaks – als Form der Informationskontrolle .................... 122 4.8.3 Public Diplomacy als geeignete CounterterrorismusMaßnahme? ............................................................................ 124 4.9 5
Zusammenfassung ........................................................................... 130
Visueller Journalismus: Von der Bedeutung ausgestrahlter Bilder .......... 133 5.1
Die Nachrichtengestaltung: Das Zusammenspiel von Bildern, Tönen und Texten............................................................................ 133 5.2 Die Bedeutung der Schlüssel- und Symbolbilder ............................ 135 5.3 Authentizität und Emotionalität ...................................................... 138 5.4 Bilder der Kriege und des Terrorismus ........................................... 140 5.4.1 Journalistische Neuheiten in der Kriegs- und Terrorberichterstattung ........................................................... 142 5.4.2 Unterschiedliche Darstellungen bei Täterund Opferbilder ...................................................................... 145 5.4.3 Identität erzeugende Bilder ..................................................... 145
6
5.5 5.6 5.7 5.8 6
Visueller Journalismus anhand der PR-Kampagnen des Ex-Präsidenten George W. Bush............................................... 150 Gezielte Einflussnahme auf die Medienberichterstattung ............... 154 Gezielte Medienstrategien der Journalisten ..................................... 157 Zusammenfassung ........................................................................... 159
Ein Porträt der drei Untersuchungsmedien .............................................. 161 6.1 Thematische Einführung ................................................................. 161 6.1.1 Zunahme der massenmedialen Konflikte ............................... 161 6.1.2 Der „Clash of Civilizations“ bei den Medien ......................... 162 6.2 Die Entstehung des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera...... 164 6.2.1 Die Entstehung des neuen Senders ......................................... 166 6.2.2 Al-Jazeera während des Afghanistan-Krieges 2001 ............... 167 6.2.3 Steigende Popularität .............................................................. 169 6.2.4 Das Profil von Al-Jazeera English .......................................... 170 6.2.5 Organisation und Programmgestaltung .................................. 171 6.3 Der amerikanische Nachrichtensender CNN ................................... 175 6.3.1 Finanzierung ........................................................................... 176 6.3.2 Weltweiter Durchbruch .......................................................... 176 6.3.3 CNN als 24-Stunden Nachrichtensender ................................ 176 6.4 6.5 6.6
7
Die Entstehung der britischen BBC ................................................ 177 Ein Vergleich der drei Sender ......................................................... 178 Zusammenfassung ........................................................................... 181
Empirie..................................................................................................... 183 7.1 Konzeption der empirischen Untersuchung .................................... 183 7.1.1 Zielsetzung und Forschungsfrage ........................................... 183 7.1.2 Untersuchungsmethode: Die Inhaltsanalyse ........................... 185 7.1.2.1 Definition ........................................................................... 186 7.1.2.2 Anwendungsgebiete ........................................................... 188 7.1.2.3 Charakteristika der Analyse ............................................... 188 7.1.3 Die Datenerhebung ................................................................. 188 7.1.4 Mediensample......................................................................... 189 7.1.5 Untersuchungszeitraum .......................................................... 190 7.1.6 Pretest und Reliabilitätsprüfung ............................................. 190 7.1.7 Analyse-Ebene........................................................................ 192
7
7.2 Formale Darstellungsform: quantitative Elemente .......................... 193 7.2.1 Nachrichtensender .................................................................. 193 7.2.2 Beitragskennziffer .................................................................. 193 7.2.3 Nachrichtenstellenwert ........................................................... 194 7.2.4 Datum und Beitragslänge ....................................................... 194 7.2.5 Darstellungsform .................................................................... 194 7.2.6 Nachrichtengeografie.............................................................. 195 7.3 Inhaltliche Berichterstattung ........................................................... 196 7.3.1 Beitragshauptakteur ................................................................ 196 7.3.2 Anschlagsarten/Form von Terrorismus .................................. 197 7.3.3 Anschlagsorte ......................................................................... 197 7.4 Qualitatives Rahmenwerk ............................................................... 197 7.4.1 Täter vs. Opfer ........................................................................ 198 7.4.2 Ausmaß des Schadens ............................................................ 198 7.4.3 Einzelereignis vs. Gesamtereignis .......................................... 198 7.4.4 Personalisierung der Täter/der Opfer...................................... 199 7.4.5 Reaktion der Bevölkerung ...................................................... 199 7.4.6 Reaktion der Betroffenen........................................................ 199 7.4.7 Verantwortlichkeit .................................................................. 200 7.4.8 Motiv ...................................................................................... 200 7.4.9 Proarabisch vs. Prowestlich/Proisraelisch .............................. 200 7.4.10 Faktor Religion ....................................................................... 200 7.4.11 Musikalische Umrahmung/Geräusche .................................... 201 7.4.12 Angst vs. Sicherheit ................................................................ 201 7.4.13 Qualität des Beitrags............................................................... 201 7.4.14 Farbspiele bei den Berichten .................................................. 202 7.4.15 Wertung durch Journalisten .................................................... 202 7.5 Visuelle Merkmale .......................................................................... 202 7.5.1 Verwendung von Symbolen ................................................... 202 7.5.2 Opfer: Verwendung von Bildern ............................................ 203 7.5.3 Visueller Umgang mit Toten .................................................. 204 7.5.4 Täter: Verwendung von Bildern ............................................. 204 7.5.5 Anschlagsort: Verwendung von Bildern................................. 204 7.5.6 Anschlagswaffe: Verwendung von Bildern ............................ 205 7.5.7 Kameraführung ....................................................................... 205 8
Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse .................. 207 8.1
8
Anzahl der Nachrichtenbeiträge und Sendezeiten der Sender ......... 207
8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 8.12 8.13 8.14 8.15 8.16 8.17 8.18 8.19 8.20 8.21 8.22 8.23 8.24 8.25 8.26 8.27 8.28 8.29 8.30 9
Zeitverlauf der Nachrichten .................................................... 210 Einschätzung der Sicherheitslage in den besprochenen Gebieten.................................................................................. 226 Zusammenfassung .................................................................. 228 Nachrichtenstellenwert bei AJE, CNN und BBC ............................ 229 Darstellungsformen der einzelnen Nachrichtensender .................... 230 Proarabisch vs. Proisraelisch ........................................................... 238 Religiöse Gründe für Anschläge ..................................................... 239 Journalistische Interpretativität ....................................................... 242 Beitragsqualität................................................................................ 243 Anschlagsarten ................................................................................ 244 Visuelle Veranschaulichung der Anschlagswaffen ......................... 247 Nachrichtengeografie ...................................................................... 248 Anschlagsorte .................................................................................. 250 Visuelle Darstellung des Anschlagsortes: Die Wirklichkeit der Bilder ......................................................................................... 252 Ausmaß des Schadens ..................................................................... 255 Einzelereignis vs. Gesamtereignis ................................................... 257 Beitragshauptakteur: Gesamtdarstellung ......................................... 258 Angst versus Sicherheit ................................................................... 261 Musikalische Umrahmung .............................................................. 263 Farbspiele bei den Berichten ........................................................... 265 Bilder der Opfer: Gesamtdarstellung............................................... 267 Visueller Umgang mit Toten ........................................................... 270 Bilder der Täter ............................................................................... 272 Verantwortlichkeit ........................................................................... 274 Täter vs. Opfer-Zentrierung ............................................................ 278 Personalisierung der Täter ............................................................... 279 Personalisierung der Opfer .............................................................. 280 Reaktion der Betroffenen: Gesamtdarstellung ................................ 282 Reaktion der Bevölkerung ............................................................... 288 Erläuterung der Motive ................................................................... 290 Verwendung von Symbolen: Gesamtdarstellung ............................ 291 Kameraführungen ............................................................................ 299
Exemplarische Darstellung der Berichterstattung anhand dreier Terrorereignisse ....................................................................................... 301 9.1
Beispiel 1: Amerikanischer Luftangriff auf ein afghanisches Dorf ................................................................................................. 302 9
9.2 9.3 10 11
Beispiel 2: Anschlag auf Pearl Continental Hotel in Peshawar ....... 313 Beispiel 3: Selbstmordanschlag auf irakischen Markt..................... 318
Resümee der Arbeit und der Forschungsergebnisse................................. 323 Anhang ..................................................................................................... 337 Anhang 1: Codebook .................................................................................... 337 11.1 Allgemeine Codieranweisungen...................................................... 337 11.1.1 Analyse-Gegenstand ............................................................... 337 11.1.2 Analyse-Ebene........................................................................ 337 11.1.3 Mediensample......................................................................... 338 11.1.4 Untersuchungszeitraum .......................................................... 338 11.1.5 Auswertung ............................................................................ 338 11.2 Kategorienschema (quantitative Elemente) ..................................... 338 11.2.1 Nachrichtensender .................................................................. 338 11.2.2 Beitragskennziffer .................................................................. 339 11.2.3 Nachrichtenstellenwert ........................................................... 339 11.2.4 Datum ..................................................................................... 339 11.2.5 Beitragslänge .......................................................................... 339 11.2.6 Darstellungsform .................................................................... 339 11.2.7 Nachrichtengeographie ........................................................... 340 11.3 Inhaltliche Berichterstattung ........................................................... 341 11.3.1 Beitragshauptakteur ................................................................ 341 11.3.2 Anschlagsarten/Form von Terrorismus .................................. 342 11.3.3 Anschlagsorte ......................................................................... 342 11.4 Qualitatives Rahmenwerk (Transport von Inhalten) ....................... 343 11.4.1 Täter vs. Opfer ........................................................................ 343 11.4.2 Ausmaß des Schadens ............................................................ 344 11.4.3 Einzelereignis vs. Gesamtereignis .......................................... 344 11.4.4 Personalisierung der Täter ...................................................... 344 11.4.5 Personalisierung der Opfer ..................................................... 344 11.4.6 Reaktionen der Bevölkerung .................................................. 345 11.4.7 Reaktionen der Betroffenen .................................................... 345 11.4.8 Verantwortlichkeit .................................................................. 345 11.4.9 Motiv ...................................................................................... 346 11.4.10 Proarabisch vs. Prowestlich/Proisraelisch .............................. 346 11.4.11 Faktor Religion ....................................................................... 346 11.4.12 Musikalische Umrahmung/Geräusche .................................... 346 11.4.13 Qualität des Beitrags............................................................... 346
10
11.4.14 11.4.15 11.4.16
Angst vs. Sicherheit (Welche Gefühle werden beim Zuseher geweckt?) .................................................................. 347 Farbspiele bei Berichten ......................................................... 347 Wertung durch Journalisten .................................................... 348
11.5 Visuelle Merkmale .......................................................................... 348 11.5.1 Verwendung von Symbolen ................................................... 348 11.5.2 Opfer: Verwendung von Bildern ............................................ 349 11.5.3 Visueller Umgang mit Toten .................................................. 349 11.5.4 Täter: Verwendung von Bildern ............................................. 350 11.5.5 Anschlagsort: Verwendung von Bildern................................. 350 11.5.6 Anschlagswaffe: Verwendung von Bildern ............................ 351 11.5.7 Kameraführung ....................................................................... 351 Anhang 2: Interviewleitfaden ....................................................................... 352 12 13
Literaturverzeichnis ................................................................................. 355 Internetquellen ......................................................................................... 369
11
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28:
PR-Kampagne des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. ................................................................ 152 PR-Kampagne: „Mission Accomplished” ........................ 153 PR-Kampagne: Thanksgiving ............................................ 153 Sendervergleich von Al-Jazeera English, CNN International und BBC World ................................... 180 Prozent der Anzahl der Beiträge im Sendervergleich ........ 209 Zeitverlauf der Nachrichten ............................................... 211 Nachrichtenstellenwert der relevanten Beiträge ................. 230 Die häufigsten Darstellungsformen bei Al-Jazeera English ............................................................. 237 Die häufigsten Darstellungsformen bei CNN..................... 237 Die häufigsten Darstellungsformen bei BBC..................... 238 Proarabische, prowestliche und neutrale Berichte im Sendervergleich ........................................................... 239 Relevanz der Religion bei Terroranschlägen ..................... 241 Journalistische Interpretativität bei den Nachrichten ......... 243 Die häufigsten Anschlagsarten .......................................... 246 Die häufigsten Anschlagswaffen in der visuellen Berichterstattung ............................................................... 248 Anschlagsländer ................................................................. 250 Anschlagsorte der Terroristen ............................................ 252 Visuelle Darstellung des Anschlagortes ............................ 255 Einzelereignis versus Gesamtereignis ................................ 258 Verteilung der Beitragshauptakteure in der Terrorberichterstattung ...................................................... 261 Vermittlung von Angst und Sicherheit im Beitrag ............ 263 Geräuscheffekte bei den relevanten Nachrichten ............... 264 Farbspiele bei den Nachrichten .......................................... 265 Visuelle Opferdarstellung .................................................. 269 Absolute Häufigkeit der visuellen Opferdarstellung im Sendervergleich ................................................................. 270 Visueller Umgang mit toten Personen ............................... 272 Visueller Umgang mit den Tätern...................................... 274 Prozentueller Anteil der verantwortlichen Akteure ........... 275 13
Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43:
14
Verantwortliche Akteure im Sendervergleich .................... 277 Täter-Opfer Zentrierung in der Terrorberichterstattung..... 279 Personalisierung der Täter im Sendervergleich ................. 280 Personalisierung der Opfer – Fokus auf Einzel- oder Gesamtschicksal ................................................................ 282 Reaktionen der interviewten Betroffenen .......................... 284 Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei Al-Jazeera English ....................................................... 286 Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei CNN ............................................................................. 287 Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei BBC ............................................................................. 287 Erläuterung der Motive im Sendervergleich ...................... 291 Visueller Umgang mit Symbolen im Bildbeitrag............... 294 Visueller Umgang mit Symbolen bei Al-Jazeera English .. 296 Visueller Umgang mit Symbolen bei CNN ....................... 296 Visueller Umgang mit Symbolen bei BBC ........................ 297 Visueller Umgang mit Symbolen im Sendervergleich....... 298 Häufigste Kameraeinstellungen im Sendervergleich ......... 300
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8:
Akteure der Terrorismusnachrichten ................................. 196 Absolute Häufigkeiten der relevanten Beiträge im Sendervergleich ............................................................ 208 Sendezeit der analysierten Beiträge pro Nachrichtensender ............................................................. 209 Darstellungsform der Terrorismusnachrichten im Sendervergleich ............................................................ 235 Thematisierung des Schadenausmaßes im Sendervergleich ................................................................. 256 Anzahl der Toten bei der Berichterstattung über den US-Luftangriff auf die Provinz Farah im Sendervergleich ............................................................................ 312 Formulierungen über die Todesopfer nach dem USLuftangriff auf die Provinz Farah im Sendervergleich ...... 312 Wichtigsten Auffälligkeiten der Berichterstattung über den Bombenanschlag auf ein Hotel in Peshawar ............... 318
15
1 Einleitung „I think like Alfred Nobel once said that the power of his explosives was so dreadful that it would convince people to stop fighting. Sometimes the imagery itself shows the horrors of war which over the centuries has become even more gruesome. It 1 makes us question why we cannot stop such destructions. […].“
Anfang Mai 2009 starben bei einem amerikanischen Luftangriff in der südwestafghanischen Provinz Farah über 100 Zivilisten. Al-Jazeera English informierte vom Anschlagsort über das Ausmaß der Zerstörung, interviewte Überlebende und Angehörige und stellte deren Aussagen den Erklärungen der offiziellen Stellen gegenüber. Die Opferangaben stützten sich bei AJE auf Angaben der Dorfbewohner sowie auf die Zahlen offizieller Behördenstellen. Al-Jazeeras exklusive Bildberichterstattung verdeutlichte das Leid der Dorfbewohner und visualisierte die Zerstörung. Die Berichterstattung bei CNN unterschied sich wesentlich von jener bei AJE: Der amerikanische Sender sprach von einem amerikanischen Angriff auf ein von den Taliban besetztes Dorf, bei dem zahlreiche Dorfbewohner – als humanitäres Schutzschild verwendet – getötet wurden. Eine amerikanische Schuld wurde erst einige Tage danach als „Teilschuld“ abgetan, da die USMilitärs in erster Linie die Taliban beschießen wollten und ihr Handeln somit gerechtfertigt sei. Auffallend bei CNN war der journalistische Abstand zu diesem Thema. Die Moderatoren als auch Journalisten stützten sich vorwiegend auf militärische und offizielle Angaben und unterlegten ihre Berichte mit vagen Formulierungen, um sich nicht auf eine bestimmte Quelle festlegen zu müssen. Die CNN-Reporter versuchten bis zum Schluss die Taliban als verantwortlichen Akteur darzustellen und distanzierten sich von Schuldzuweisungen gegenüber dem amerikanischen Militär. Auch deren Bildberichterstattung stützte sich zwar auf das Bildmaterial von AJE, verhinderte jedoch das Darstellen von weinenden Angehörigen und konzentrierte sich stattdessen auf die Live-Berichterstattung des Korrespondenten vor dem CNN-Bürogebäude in Kabul. Dieses Beispiel verdeutlicht eine differenzierte Berichterstattung bei den zwei Sendern. Dabei fällt jedoch auf, dass die Berichte, in denen das US-Militär in kriegerische und gewaltvolle Aktionen verwickelt ist, stark divergieren. AlJazeera English stützte sich auf viele verschiedene Quellen und bezog die Aussagen der Zivilisten und Opfer in ihre Nachrichtengestaltung mit ein. Bei CNN 1
E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
17 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
konnte man die Scheu vor einer Schuldzuweisung gegenüber dem amerikanischen Militär erkennen. Die Reporter informierten zwar über den Angriff, sprachen jedoch erst knapp eine Woche danach von einer amerikanischen Teilschuld. Es vergeht kaum eine Woche, in der die Massenmedien, dazu müssen zwischenzeitlich auch digitale Medien gezählt werden, nicht über einen Terroranschlag, eine Geiselnahme oder eine militärische Offensive gegen Terroristen berichten. Dabei informieren die Medien vorwiegend über das ereignete Attentat, Hintergrundberichte kommen – teilweise aus Zeitmangel – eher selten vor. Die Nachrichtenberichte werden häufig durch den Zwang der Aktualität und der Geschwindigkeit, die Sensation, das Grauen, aber auch durch den Konkurrenzkampf der einzelnen Nachrichtensender untereinander bestimmt. Beide Seiten, sowohl die Medien als auch die Terroristen, haben kompatible Interessen und befinden sich in einem symbiotischen Verhältnis: Durch die Anschläge soll ein möglichst großes Publikum erreicht und die öffentliche Aufmerksamkeit gefesselt werden.2 Gefühle von Schrecken, Angst und Unbehagen sollen an die Öffentlichkeit transportiert werden.3 Die Terroristen erreichen dies meist mit professionell inszenierten Anschlägen; die Medien sichern sich ihre Einschaltquoten mit Hilfe von Bildern, die die Menschen bewegen und in Atem halten. Häufig werden Bilder mit einem gewissen „human touch“ gesendet, um auf das Leid der betroffenen Bevölkerung aufmerksam zu machen.4 Verschiedene internationale Nachrichtenstationen beleuchten den modernen Terrorismus und dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung in unterschiedlicher Weise und informieren ihre Zuseher mit den ihnen bekannten Fakten. Der Terrorismus und die sich zeigende Gewalt haben mittlerweile die Medienagenda der einzelnen Stationen erobert und werden im Sinne des journalistischen Spruchs „bad news are good news“ gehandhabt. Die Terrororganisation Al-Qaida sowie die Taliban haben sich einen festen Platz in der Berichterstattung gesichert und scheinen bei etlichen Nachrichten auf. Selbstmordattentate zählen mittlerweile gleichsam zu täglichen Nachrichtenberichten und spiegeln die politischen Missstände in den jeweils betroffenen Ländern wieder. Die bereits angesprochene Symbiose zwischen den Medien und dem Terrorismus ist somit recht klar zu erkennen. Seit vielen Jahren beschäftigen sich verschiedene Disziplinen der Geisteswissenschaften mit den Gründen und Motivationen der terroristischen Gewalttaten und geben Verbesserungsvorschläge für eine zukünftige politische Strategie 2 3 4
18
Hoffman, Bruce: Terrorismus. Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt. Frankfurt am Main, 1999. S. 173. Laqueur, Walter: Krieg dem Westen. Terrorismus im 21.Jahrhundert. München, 2003. S. 126. Unesco.http://www.unesco.org/webworld/points_of_views/200202_ramonet.shtml. (12.3.2008).
ab. In der öffentlichen Meinung des Westens herrschen oft Unverständnis und Angst über terroristische Anschläge, deren Protagonisten man keine sinnvolle Zielsetzung zutraut, vor allem dann, wenn viele unschuldige Zivilisten mit in den Tod gerissen werden. Die Medien agieren hierbei als Brückenfunktion zwischen politischem Geschehen und der vorherrschenden öffentlichen Meinung. Die Berichterstattung kann auf der einen Seite aufklärend wirken und für ein besseres Verständnis der verschiedenen politischen Ereignisse sorgen, ebenso aber Vorurteile und Stereotype verstärken und die Bevölkerung dementsprechend gegen ein „Feindbild“ aufbringen. Der Terrorismus wird in der vorliegenden Arbeit als Gewaltakt gegen willkürlich oder selektiv gewählte Ziele verstanden, wobei der Terroranschlag wesentlich als Transporteur einer Botschaft dient und somit einen kommunikativen Akt darstellt. Häufig richten sich terroristische Anschläge gegen NichtKombattanten und gehen von nicht staatlichen Akteuren aus. Dennoch muss in dieser Arbeit die Definition etwas ausgeweitet werden, da auch Staaten terroristische Anschläge gegen Nicht-Kombattanten verüben können. Ein Beispiel hierfür stellt der amerikanische Luftangriff auf besagtes afghanisches Dorf im Mai 2009 dar. Die meisten aktiven Akteure verfolgen ein ähnliches Ziel: Durch den Terrorakt soll eine politische Reaktion im Sinne der Terrorgruppe herbeigeführt werden. Bei der Befragung einzelner AJE Journalisten über die Terrorberichterstattung bei ihrem Sender, fiel auf, dass jeder von einem schwer definierbaren Begriff sprach. Die AJE Korrespondentin Hoda Hamid erklärte: „[…] (They) are people from that country who are engaged in a struggle one may or may not agree with. They have not chosen “terrorism“ as a career and usually had a different life until an occupying force, or a government came and took that away. In their own countries or communities they are often considered as freedom fighters or resistance fighters. Does that mean that the whole community or supporters are terrorists or terror supporters? Are these people any different from the rest of the planet? They are people protesting the status quo or fighting back – what they perceive – as violence being committed on them. I have now traveled enough around and met many people to refute the terminology used in your question because violence breeds violence, even if the violence comes from someone in a uniform. (For example: An Iraqi woman who survived an aerial bombardment by Americans on her daughter’s wedding asked me “what does terrorist mean? Someone who scares you? Well for me it’s the American soldier).“5
Die Medien haben mit ihrer Berichterstattung einerseits die Möglichkeit, die vorherrschende Angst zu verstärken und die Bevölkerung immer mehr gegen
5
E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid. 24.7.2010.
19
eine bestimmte Gruppierung aufzubringen oder andererseits sachlich zu informieren und mit Hilfe verschiedener Hintergrundinformationen aufzuklären und beide Standpunkte der Konfliktparteien zu behandeln. Durch die konstante Zunahme des medialen Einflusses spielen sie eine besondere Rolle bei der Vermittlung internationaler Konflikte. Bei der Berichterstattung über den Golfkrieg im Jahr 1991 wurde der Öffentlichkeit verdeutlicht, dass sie auf die Berichterstattung des amerikanischen Sender CNN angewiesen war und dieser Sender eine Art Vermittlerrolle zwischen den Kriegsparteien eingenommen hatte. Sowohl die politische Führung des Irak, als auch der damalige amerikanische Präsident George Bush senior nutzten CNN, um ihre Botschaften zu verbreiten. Durch die exklusive Berichterstattung, die innovative Art und Weise der Nachrichtengestaltung gelangte der Fernsehsender zu besonderem Ansehen. Seit dem Golfkrieg haben sich unzählige internationale Fernsehstationen formiert, die mit kleinen sendereigenen Unterschieden über die aktuellen politischen Ereignisse berichten. Der Nachrichtenfluss stieg seither ins Unermessliche, da viele Nachrichtensender 24 Stunden auf Sendung sind und ihre Zuseher mittels Beiträgen, Reportagen und Hintergrundberichten informieren. Durch diese unglaublich große Fülle an Informationen können die Zuseher jenen Sender wählen, der am ehesten die Meinung und Einstellung des Rezipienten widerspiegelt. Diese Tatsache veranlasst einige Medien-Experten sich die Frage zu stellen, ob die Nachrichtensender ihrer ursprünglichen Aufgabe nachkommen, indem sie die Rezipienten informieren oder lediglich Informationen verbreiten, die eine bereits vorgefertigte Einstellung der Zuseher widerspiegeln. Al-Jazeera English stellt dabei einen interessanten Untersuchungssender dar, bei dem die Berichterstattungsform sowie deren Einstellungen herauskristallisiert werden sollen. Die größtenteils aus dem Westen vernommene Kritik, nach welcher AlJazeera als „Sprachrohr der Terroristen“ gelte und die arabische Bevölkerung negativ beeinflusse, war Anstoß, diese Analyse durchzuführen und aufzuzeigen. Ebenso stellte sich die Frage, ob die Berichterstattung von Al-Jazeera English sich wirklich gravierend von jener von CNN oder BBC unterscheidet.
1.1
Problemstellung und Forschungsfrage
Das Interesse am Terrorismus sowie der Medienforschung im Allgemeinen ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Trotz vieler Studien über die Verstrickung von Politik und Medien, gibt es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig empirisch-komparative Untersuchungen über die Berichterstattung verschiedener Fernsehsender.
20
Die vorliegende Studie versucht eine Forschungslücke in der qualitativen Fernsehnachrichtenanalyse zu schließen, indem die Berichterstattung über Terroranschläge behandelt und dabei die visuellen Nachrichtenelemente nicht außer Acht gelassen werden. Zwar existieren zahlreiche Papers und Studien über AlJazeera English – deren Berichterstattung über Terroranschläge wurde noch nicht hinreichend analysiert und stellt somit ein politikwissenschaftlich nicht genau erkundetes Neuland dar. Neben der Analyse der visuellen Elemente, wurde vor allem der Sub-Text der Nachricht heraus kristallisiert und versucht, diese spezielle Berichterstattung möglichst umfassend zu analysieren. Da Medien Botschaften vermitteln, sollte ihre Vermittlungskapazität nicht außer Acht gelassen und somit genau untersucht werden, wie die einzelnen Nachrichtenstationen ihre Rezipienten über das politisch sehr brisante Thema unterrichten. Da der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera in der Vergangenheit häufig kritisiert und ihm teilweise nahegelegt wurde, etwas moderater zu berichten, soll die vorliegende Untersuchung die Berichterstattung des Tochtersenders Al-Jazeera English untersuchen. Dabei interessiert vor allem, wie Al-Jazeera English an den islamistischen Terrorismus des Nahen Ostens und deren Akteure herantritt und ob sich der Sender tatsächlich von der Berichterstattung westlicher Medien differenziert. Da es einen adäquaten Vergleichsmaßstab benötigt, wurde die Berichterstattung von CNN und BBC in die Analyse mit einbezogen. Die Sender sind dahin gehend miteinander vergleichbar, da sie jeweils 24-Stunden Nachrichtensender in englischer Sprache und weltweit über Satellit oder Kabel zu empfangen sind. Es existieren zahlreiche Vermutungen über Al-Jazeera English, denen es bis jetzt an empirischen Belegen fehlte. Die folgende Studie beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Terrorismus und Medien, deren Symbiose anhand der drei Untersuchungssender analysiert wurde. Es ergeben sich zwei zentrale Forschungsfragen, die im Zuge der empirischen Studie zu klären sind:
1.2
In welchem Ausmaß unterscheidet sich Al-Jazeera English in Bezug auf ihre Terrorberichterstattung von CNN International und BBC World? Gibt der Sender terroristischen Gruppen und Bewegungen mehr „Raum“ und entsteht dadurch ein wirklicher Unterschied zu den westlichen Sendern?
Zielsetzung
Das Ziel der Arbeit ist es, die journalistische Herangehensweise an den Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten aufzuzeigen und deren Berichte zu analysieren. Dabei soll belegt werden, nach welchen Kriterien die Journalisten entscheiden, wie 21
ein Beitrag über einen Terroranschlag konzipiert sein sollte. Es soll untersucht werden, ob das amerikanische Untersuchungsmedium nicht einseitiger als AlJazeera English berichtet, da besonders in der Vergangenheit immer wieder Pressezensuren in Amerika vernommen wurden und die Kritik an Al-Jazeera hart ausfiel. Sehr oft wurde der arabische Fernsehsender als Sprachrohr von Osama bin Laden bezeichnet und von der Regierung Bush an den Pranger gestellt.6 Es wurden sogar Verbote für ein Ausstrahlen von Mitschnitten der Berichterstattung von AlJazeera in den Vereinigten Staaten verhängt, da dem Sender unterstellt wurde, geheime Botschaften von bin Laden an die Terroristen in der ganzen Welt zu verschicken.7 Indirekt wurde Al-Jazeera als Nachrichtensender der Terroristen abgestempelt und ihre Arbeit als minderwertig und unprofessionell eingestuft. USVerteidigungsminister Donald Rumsfeld äußerte sich zu Al-Jazeera folgendermaßen: „Wir wissen, dass Al-Jazeera immer und immer wieder Propaganda spielt. Was sie machen ist folgendes: Wenn bombardiert wurde, bringen sie Kinder und Frauen vor die Kamera und tun so, als ob diese Frauen und Kinder bombardiert worden wären. (…)“.8 Al-Jazeera widerspricht diesen Anschuldigungen und der Korrespondent Kamal Hyder erklärt die Auswahl der Bilder: „To my mind anything that may infuriate racial or religious tensions must be handled with great caution so as not to inflame public opinion and lead to incitement. I remember I had to refuse to report a story about holy scriptures being burned deliberately as reported by some tribal sources because there was no visible proof or evidence that would be convincing. We must have credible and verifiable info before we report anything.“9 In der folgenden Analyse soll demzufolge untersucht werden, inwieweit die drei Nachrichtensender frei und objektiv berichten. Ein interessanter Aspekt dabei sind die Vereinigten Staaten, die im Bereich der Grund- und Menschenrechte sowie im Bereich der Medien ein „opinion-leadership“ beanspruchen und sich stets als Verfechter elementarer Grundfreiheiten präsentieren. Im Zuge des Kampfes gegen den Terrorismus hat sich diese Selbstinszenierung sogar noch erheblich verstärkt; andere – vor allem aus islamischen Ländern stammende – Medien wurden und werden teilweise kritisch beobachtet. Entgegen ihrem Selbst-
6 7 8 9
22
Biernatzki, William E.: Terrorism and Mass Media. In: Center for the Study of Communication and Culture. Volume 21, Nr.1. 2002. S. 11. Lindenberg, Sonja: Al-Jazeera. Der arabische Satellitensender und das internationale Nachrichtengeschäft. VDM Verlag Dr. Müller. Saarbrücken, 2006. S. 86. Noujaim, Jahane: Control Room: Regie im Krieg. Dokumentarfilm, USA 2004. Gesendet auf: Phoenix, 26.03.05, 14 Uhr. Zitiert bei: Lindenberg, 2006. S. 124. E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
verständnis strahlten sie zensierte Berichte aus, verhielten sich loyal zur amerikanischen Regierung und übten sogar eine Selbstzensur aus. Die Hypothesen und zentralen Forschungsfragen, welche auf bereits stattgefundene Kritik fußen, sollen empirisch geprüft werden und aufzeigen, ob die Anschuldigungen auch in der Praxis nachgewiesen werden können. Ebenso ist es ein Anliegen der Arbeit, die formulierten Forschungsfragen zu beantworten, beziehungsweise zu untersuchen, ob ein neuer Trend in der Berichterstattung beobachtet werden kann.
1.3
Gliederung und Methodik
Kapitel 2 thematisiert die politikwissenschaftliche Medienforschung und deren Entwicklung. Dabei werden die Veränderungen der Massenkommunikation durch das Medium Fernsehen erklärt sowie konvergierende und divergierende Positionen im Zusammenhang mit Medien als „Vierte Gewalt“ diskutiert. Es soll zudem ein Einblick über die verschiedenen Ansätze der Symbiose „Medien-Politik“ gegeben und dabei die Massenkommunikationsforschung hervorgehoben werden. Kapitel 3 stellt das Zusammenspiel der Medien und der Politik in den Mittelpunkt, das durch die technologischen Fortschritte im Bereich der Satellitenkommunikation deutlich enger wurde. Ein Großteil der Bevölkerung erfährt über politische Entscheidungen und Ereignisse vorwiegend aus dem Fernsehen, somit sollte das Medium, um authentisch und glaubhaft zu bleiben, eine neutrale Mittlerrolle einnehmen. Medien und Politik sind mit neuen Regeln konfrontiert, die sich zunehmend auf den täglichen Arbeitsprozess der zwei Systeme auswirken. Durch ein großes Nachrichtenangebot sind die Medien gezwungen, Nachrichten zu selektieren und diese zuschauergerecht zu präsentieren. Dabei sind sich die Politiker des Darstellungszwangs der Medien durchaus bewusst und inszenieren daher die politischen Ereignisse, die nur mehr von den Medien aufgegriffen werden müssen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich der Medienwirkung und deren Einfluss auf die Rezipienten. Darauf aufbauend werden ausgewählte Theorien der politischen Medienwirkung angeführt. Ebenso wird auf die Visualisierung der politischen Kommunikation eingegangen und deren Vorzug komplexe Ereignisse mit Hilfe einer Aufnahme simplifizieren zu können, erklärt. Diese Thematik stellt einen bedeutenden Punkt dar, der entscheidend ist, um die Visualisierungstendenzen bei den drei Untersuchungsmedien verstehen zu können. Kapitel 4 liefert neben den Veränderungen in der Berichterstattung über gewaltsame Konflikte den Versuch, das Phänomen des Terrorismus zu definieren, wobei davon ausgegangen wird, dass keine anerkannte Definition besteht. Stattdes23
sen werden die Sichtweisen einiger renommierter Autoren und Forscher behandelt und deren Arbeiten angeführt. Im Zentrum des Interesses stehen die Arbeiten von Schmid und Jongman (1984) sowie der Forschergruppe Weinberg, Pedahzur und Hirsch-Hoefler (2004). Ferner liefert dieser Abschnitt einen Überblick über die Charakteristika und die Erscheinungsformen des Terrorismus sowie über die während der Untersuchung aktivsten Terrorgruppierungen. Das Phänomen des Selbstmordterrorismus wird ebenfalls behandelt. Im Anschluss wird auf die Medienstrategie der Terroristen eingegangen und dabei speziell deren Selbstpräsentation im Internet diskutiert. Kapitel 5 befasst sich vordergründig mit dem visuellen Journalismus und hebt dabei das Zusammenspiel von Bildern, Tönen und Texten hervor. Mit Hilfe von Symbolbildern kann die Kernaussage der Nachricht versinnbildlicht und an den Zuseher transportiert werden. Die Symbolbilder des 11. September werden thematisiert und darauf hingewiesen, dass Symbole Sinnzusammenhänge für eine bestimmte Gruppe oder Kultur herstellen. Die unterschiedliche Darstellung der Täter- und Opferbilder erfährt große Aufmerksamkeit und wird mit einigen Beispielen verdeutlicht. Identitätserzeugende Bilder sowie eine gezielte Medienstrategie der Journalisten werden zudem beleuchtet. Das Kapitel 6 liefert eine Beschreibung der drei Nachrichtensender, wobei deren Entwicklungsgeschichte und Besonderheiten angeführt werden. Es soll vor allem einen genauen Einblick über den viel diskutierten Nachrichtensender AlJazeera English geben, welcher im Mittelpunkt der Studie steht und folglich genau behandelt wird. Kapitel 7 beschreibt die Konzeption der empirischen Untersuchung und stellt die Zielsetzung, die Datenerhebung, den Pretest sowie die Kodieranleitung vor. Grundlage der Untersuchung war eine sechsmonatige Echtzeitanalyse, die auf einer qualitativen wie quantitativen Inhaltsanalyse basiert und zwischen Februar 2009 und Juli 2009 stattfand. Anhand des aufgezeichneten Materials wurde mittels eines eigens zusammengestellten Codebooks die Nachrichtengestaltung und diverse Auffälligkeiten bei den drei Sendern analysiert und deren Ergebnisse diskutiert. Darauf aufbauend werden Hypothesen formuliert, welche im nachfolgenden Kapitel empirisch überprüft werden sollen. Anhand der Inhaltsanalyse werden die Nachrichtenbeiträge analysiert und deren Ergebnisse grafisch festgehalten. Der Kern der Arbeit wird in Kapitel 8 behandelt und widmet sich der Darstellung der quantitativen und qualitativen Untersuchung. Unter der Berücksichtigung vorangegangener Kapitel wurde das Codebook ergänzt, anhand dessen die Nachrichtenberichterstattung über Terroranschläge bei Al-Jazeera English, CNN und BBC untersucht. Die Ergebnisse der empirischen Analyse scheinen in diesem Abschnitt auf und werden in einem weiteren Schritt analysiert. Ferner wird 24
ein Zeitverlauf der Terrorberichterstattung der sechs Untersuchungsmonate angeführt und die politische Situation sowie deren Sicherheitslage in den betroffenen Ländern diskutiert. Ein besonderes Augenmerk soll auf die visuellen Elemente der Nachrichten gelegt und deren Bildauswahl thematisiert werden. Vordergründig soll dieser Abschnitt die Forschungsfragen beantworten und eine qualitative Berichterstattung von AJE empirisch belegen. Journalistische Statements einiger Al-Jazeera English Journalisten sollen die empirischen Ergebnisse abrunden und Einblick in deren „Handwerk“ im Bereich der Terrorberichterstattung geben. Da ein Treffen mit den Korrespondenten aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht möglich war, wurde anstelle von „face-to-face“-Interviews eine EmailBefragung durchgeführt. Des Weiteren wird verdeutlicht, dass alle drei Sender ein gemeinsames Interesse haben und mit ihrer Berichterstattung ein möglichst breites Publikum ansprechen wollen. Al-Jazeera English, CNN und BBC konzentrieren sich nicht auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppierung, sondern versuchen in erster Linie möglichst viele Menschen mit ihren Nachrichten zu erreichen. Ziel dieser komparativen Untersuchung ist es, anhand der empirischen Daten Entwicklungen und Trends in der Terrorismusberichterstattung aufzuzeigen und journalistische Kriterien im Nachrichtenauswahlverfahren zu dokumentieren.
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2 Politikwissenschaftliche Medienforschung
2.1
Einleitung
Viele Analysen der politischen Kommunikation befassen sich mit dem Wandel der Massenmedien und ihrem Verhältnis zur Politik. Dieser Wandel ist unter anderem durch eine starke Ausbreitung der Medien in verschiedene Bereiche der Gesellschaft und deren politische Prozesse geprägt. Seit den achtziger Jahren hat sich dieser Prozess beschleunigt und scheint – vor allem aufgrund technischer Errungenschaften und immer weiter führender Kommerzialisierung – eine gewisse Eigendynamik zu entwickeln. Durch das Medium Fernsehen hat sich die Massenkommunikation verändert und eine neue Qualität erhalten. Die Zuseher haben durch neue Satellitenübertragungstechniken die Möglichkeit, live verschiedenste Ereignisse weltweit zu betrachten und somit zu Augenzeugen wichtiger Informationen zu werden.10 Da Medien folglich Politik vermitteln, zählen sie zum Gegenstand der politikwissenschaftlichen Forschung. Die Legitimation der politikwissenschaftlichen Medienforschung erfolgt somit aus der Vermittlung von Politik über die Medien. Die Politikwissenschaft fokussiert sich in der aktuellen Forschung immer häufiger auf den Prozess der zswischen Staat und Gesellschaft stattfindet. Zentrale Rolle bei der Vermittlung für den politischen Prozess der modernen Öffentlichkeit ergibt sich aus der demokratischen Verfassung. Da sich der Bürger in der modernen Gesellschaft aber nicht mehr selber ein Bild zu den verschiedenen Sachlagen bilden kann, nehmen die Medien die Rolle des Vermittlers ein und informieren ihre Rezipienten über die Weltgeschehnisse sowie neueste politische Ereignisse.11 Politische Realität wird in Mediengesellschaften vorwiegend als massenmedial konstruierte und vermittelte Realität betrachtet. Dabei sind die politische Urteilsfähigkeit sowie das Bild der Politik von der Qualität und der Dichte der Massenmedien abhängig. 12
10 11 12
Schulz, 1997. S. 11-12. Wolf, Claudia Maria: Bildsprache und Medienbilder. Die visuelle Darstellungslogik von Nachrichtenmagazinen. VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH. Wiesbaden, 2006. S. 20. Plasser, Fritz: Politische Kommunikation in medienzentrierten Demokratien: Einleitung. In: Plasser, Fritz (Hrsg.): Politische Kommunikation in Österreich. Ein praxisnahes Handbuch. Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 29. WUVUniversitätsverlag. Wien, 2004. S. 22.
27 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2.2
Politikwissenschaftliche Medienforschung
In der wissenschaftlichen Diskussion sind widersprüchliche Einschätzungen zum Verhältnis Politik und Medien zu erkennen. Manche heben die Wichtigkeit der Medien als „vierte Gewalt“ und deren Informations- und Kontrollfunktion hervor, andere Experten wiederum kritisieren die Instrumentalisierung der Medien durch die Politik und umgekehrt. Es wird deshalb, je nach Blickwinkel, von einer Dominanz der Medien oder einer der Politik gesprochen. Die Vertreter des InterdependenzModells gehen keineswegs von einer Überlegenheit einer dieser beiden Systeme, sondern vielmehr von einem reziproken Handlungssystem aus, welches aus Interaktionen und Tauschbeziehungen besteht. Politiker, Journalisten und PR-Experten orientieren sich an dem jeweiligen politischen Kommunikationssystem.13 Die Stellung der politischen Kommunikationsforschung im deutschen Sprachraum wuchs in den letzten Jahren an, da über die Jahre hinweg immer wieder Zwischenbilanzen mit Hinweisen auf die Forschungsdefizite in diesem Bereich angeführt wurden. Heribert Schatz (1978) und Max Kaase (1986) haben in ihren Ausführungen über die „Ignoranz“ der Politikwissenschaft gegenüber dem Bereich der Massenkommunikation gesprochen. Kaase führte Entwicklungslinien und bot hilfreiche Diagnosen an. 1989 betonten Kaase und Wolfgang Langenbucher die Defizite der Wirkungsforschung, diese seien zu stark an der Kurzfristwirkung orientiert.14 Eine weitere Feststellung tätigt der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli, der die mikroanalytische, oft auf kurz angelegte Phasen, der Analyse bestimmter politischer Kampagnen oder Wahlkämpfe innerhalb der Politikwissenschaft kritisch betrachtet. Die politikwissenschaftliche Kommunikationsforschung erfahre dadurch eine Aufmerksamkeitsdiskrepanz. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen haben für die Auftraggeber aus den Bereichen Politik und Gesellschaft eine große praktische Verwertbarkeit, die allerdings oft in einem umgekehrten Verhältnis zur politischen Erwartung steht. Ein weiteres Feld der politikwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft ist die Erkenntnis sowie die Analyse über den Wandel der Parteien- zur Mediendemokratie.15
13 14 15
28
Plasser, 2004. S. 22. Sarcinelli, Ulrich: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2009. S. 21-22. Sarcinelli, Ulrich: Die politische Kommunikationsforschung in der deutschen Politikwissenschaft auf dem Scheideweg: Vom Nischendasein zur Forschungsperspektive in politikwissenschaftlichen Kernbereichen. In: Schatz, Heribert; Rössler, Patrick; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 334.
Das Interesse an der politischen Kommunikation stützt sich jedoch nicht nur auf das akademische Gebiet, sondern findet durchaus im außerwissenschaftlichen Bereich großen Anklang. Dies gilt für die Thematisierung der Mediendemokratie, sowie für den Versuch spezifische Bedingungen politischen Handelns in der „Mediengesellschaft“ zu beschreiben.16 Die forschungskritischen Zwischenbilanzen führten etappenweise zu einem Aufschwung der politischen Kommunikation in Wissenschaft, Bildung und politischer Öffentlichkeit.17 Im demokratischen Prozess nehmen die Medien eine Vermittlungsleistung ein, die laut Frank Marcinkowski als zweidimensional und gegenläufig verlaufend erklärt wird. Als Basis für die Gestaltung staatlicher Politik durch die politischen Eliten sollen die Forderungen, Bedürfnisse und Wünsche der Öffentlichkeit herangezogen werden. Diese sollten möglichst wirklichkeitsgetreu und unverzerrt an die Politik transportiert werden können: Die Massenmedien berichten über Themen, Konflikte und Meinungen der Bevölkerung, die mittels der Medien an die politisch Verantwortlichen herangetragen werden. Somit liefern die Medien einen beachtlichen Input an die Politiker und an deren politische Formulierungen. Im zweiten Prozess wird auf die gegenläufig verlaufende Dimension der Medien eingegangen. Dabei würden die Massenmedien für die Öffentlichkeit Zeugnis über die Leistungen des politischen Systems ablegen. Die Berichterstattung über die politischen Vorgänge würde nach Marcincowski wiederum die Basis für die Entscheidungen der Bevölkerung, wer in Zukunft das Land politisch führen solle, bilden.18 Diese Vermittlungsrolle der Medien im politischen Prozess sowie die Machtzuweisung und -kontrolle führen in demokratischen Staaten zu einer rechtlichen Sonderstellung der Medien, die sich unter anderem in der Pressefreiheit widerspiegelt. Diese Sonderstellung bietet auf der einen Seite Schutz, auf der anderen Seite bringt sie Verpflichtungen mit sich, welche eine ausgewogene und objektive Berichterstattung für die Bürger sichern soll. Durch Informationen sollen im demokratischen System Interessen, Probleme und politische Ansprüche thematisiert werden. Meyer, Ontrup und Schicha sprechen von einer Grundvoraussetzung des Bürgers, politische Geschehnisse zu beobachten und durch die Informationsvermittlung und -verarbeitung eine politische Urteils- und Handlungsfähigkeit 16 17 18
Sarcinelli, 2009. S. 17. Sarcinelli, 2009. S. 22. Marcinkowski, Frank: Politikvermittlung durch das Fernsehen. Politiktheoretische und konzeptionelle Grundlagen der empirischen Forschung. In: Jarren, Otfried; Schatz, Heribert (Hrsg.): Medien und politischer Prozeß. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Politikvermittlung im Wandel. Opladen, 1996. S. 201-205.
29
entwickeln zu können. Informationen schaffen Transparenz, die wiederum notwendig ist, um Entscheidungen zu legitimieren.19 Kritisch und zunehmend sorgenvoll werden die Medien und ihre politischen Berichterstattungen beobachtet. Dabei wird häufig von einem Verlust von „echter“ Politik, einem „Verlust des Realitätsbezuges“ sowie dem „Verlust der Urteilskraft“ gesprochen. Die Politikwissenschaft nimmt diese Kritik auf und prüft sie dabei auf ihren Wahrheitsgehalt, denn das ideale Verhältnis dieser zwei Teilsysteme (Politik und Medien) gilt für viele Experten als überholt.20 Das klassische Bestehen dieser Systeme, die zwei klar und eindeutig voneinander getrennte gesellschaftliche Handlungsbereiche sind, tritt immer häufiger in den Hintergrund.21 Die Medien beeinflussen in ihrer Funktionslogik die Politik und deren Handeln. Durch die Medienlogik scheint vielmehr eine neue Form der Politik zu entstehen, die nach „neuen“ Regeln agiert. Vor allem durch das Aufkommen des Fernsehens und der damit verbundenen Kommerzialisierung entstand ein neues Verhältnis zwischen Information und Unterhaltung, in dem Information als Unterhaltung dem Zuseher vermittelt wird. Meyer, Ontrup und Schicha fassen in ihrem Werk „Die Inszenierung des Politischen“ vier Deutungsparadigmen zusammen, in welchem die Experten versuchen, das Verhältnis von Politik und Medien zu beschreiben. Dabei fällt besonders der Ansatz des österreichischen Politologen Fritz Plasser auf, der von einer Verschmelzung beider Systeme spricht, die sich zu einem, nach einheitlicher Logik funktionierendem Supersystem, entwickelt haben. Dieses Supersystem würde der Medienlogik folgen, sodass die Medien beim Blick auf das politische Handeln wie in einem Spiegel immer nur sich selbst und ihre eigene Art, die Welt zu konstruieren, erkennen würden.22 Eine Antwort auf die Frage nach dem Ausmaß der medialen Beeinflussung auf das politische System, welche Konsequenzen entstehen und welcher Logik die Medien und die Politik folgen, kann letztlich nur von der empirischen Forschung beantwortet werden. Im Folgenden wird auf die politikwissenschaftliche Medienforschung eingegangen und angeführt, in welchem Ausmaß sich die Forschung dieser Aufgabe annimmt und in welchen Bereichen Defizite vorliegen. Dadurch soll vor allem erklärt werden, aus welchen Gründen die vorliegende Arbeit zum Bereich der „Medienkommunikation“ in der Politikwissenschaft
19 20 21 22
30
Meyer, Thomas; Ontrup, Rüdiger; Schicha, Christian (Hrsg.): Die Inszenierung des Politischen. Zur Theatralität von Mediendiskursen. Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2000. S. 107. Wolf, 2006. S. 21. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 37. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 37-40.
einzustufen ist und auf welche bereits erfassten Erkenntnisse der Disziplin sie sich stützen kann.23 Der Wirkungsbereich der Medien gilt als sehr weitreichend und bietet zahlreiche Themenfelder für die politikwissenschaftliche Analyse. Es werden alltägliche Lebenssituationen, Fragen der Machtverteilung und Abhängigkeitsbeziehungen sowie Partizipationschancen und demokratiepolitische Zukunftsszenarien behandelt. Dabei sind Beobachtungen durchzuführen, die Notwendigkeiten für diese Untersuchung zu definieren und deren Zusammenhänge zu erklären. Dies erfolgt auf allen Ebenen der Politikbetrachtung: der politischen Systeme, Organisationen und Institutionen, aber auch auf der Ebene der politischen Prozesse und der einzelnen Politikfelder. In der Politikwissenschaft werden die Vermittlungsprozesse der Medien als „Politische Kommunikation“ bezeichnet, ohne dass dieses Forschungsfeld als Fachgebiet innerhalb der Politikwissenschaft als Disziplin institutionalisiert ist. Die forschungsleitenden, theoretischen Konzeptionen oder ihre Forschungsdesigns und Erhebungsmethoden können zudem nicht als einheitlich bezeichnet werden.24 Es gibt somit keine verbindliche Systematik, mit der an die politische Kommunikation als komplexes Forschungsfeld herangegangen werden könne, so Otfried Jarren und Patrick Donges.25 Die politikwissenschaftliche Medienforschung wird als interdisziplinäre Wissenschaft betrachtet. Laut dem Medienwissenschaftler Werner Faulstich fand in den letzten Jahren eine fortschreitende Integration der Fächer Politik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie dem Bereich der Publizistik statt. Die Medienforschung werde laut Faulstich als übergreifende Wissenschaft betrachtet.26 Eine klare und strikte Abgrenzung der politikwissenschaftlichen Medienforschung von anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich ebenfalls mit Medien beschäftigen, erscheint folglich nicht sinnvoll und auch nicht möglich.
2.3
Medienwissenschaft als Massenkommunikationsforschung
Der größte Teil der Forschungsarbeiten, die sich in der akademischen Disziplin Politikwissenschaft mit Medien befassen, konzentriert sich auf die Massenmedien und somit auf die Kommunikationsträger, die laut Ulrich Saxer geeignet sind, 23 24 25 26
Wolf, 2006. S. 23. Wolf, 2006. S. 23. Jarren, Otfried; Donges, Patrick: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft, Eine Einführung. Band 1: Verständnis, Rahmen und Strukturen. Studienbücher zu Kommunikationsund Medienwissenschaft. Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 20. Angeführt bei: Wolf, 2006. S. 23.
31
Massenkommunikation anzutreiben und sich an ein unbegrenztes Publikum zu wenden.27 Das überwiegend große Interesse der Medienforschung an den Massenmedien ist auf die Propagandaforschung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewann, zurück zu führen. Während des Ersten Weltkrieges erkannten Staaten und ihre Militärs die „Masse“, wobei dieser Begriff nicht präzise definiert wurde. Es setzte sich zunehmend die Auffassung durch, dass die Massenlenkung einen Vermittlungsmodus erfordere. Die Propagandapolitik des Zweiten Weltkrieges entdeckte einen geeigneten Modus zur Massenlenkung: manipulierende Berichterstattung sowie Propaganda- und Spielfilme. Einige Experten wie Halbach, Faßler und Schumacher kritisieren den Begriff „Massenmedium“, da unklar sei, was unter diesem Begriff zu verstehen sei. Zudem könne der Begriff „Massenmedium“ quantitativ gelesen werden, das bedeute, dass sie auf eine Vielzahl an Personen verweise. Bei der qualitativen Betrachtung bezieht sich die „Masse“ auf die Eigenschaften des sozialen Umfeldes der medial vermittelten Kommunikation. „Masse“ wird dabei konträr zur „Elite“ gehandhabt.28 Betrachtet man den Forschungsoutput der Medienforschung, so wird verdeutlicht, dass sich die zentrale Frage mit den Effekten der Medien auf ihre Rezipienten beschäftigt. Schlussfolgernd kann deshalb festgehalten werden, dass sich die Forschungspraxis der Medienforschung auf die MassenmedienWirkungsforschung stützt. Darauf wird in den folgenden Abschnitten eingegangen und ausführlich auf das Beziehungsgeflecht Politik und Medien eingegangen.
27 28
32
Saxer, Ulrich: Massenmedien. In: Jarren, Otfried; Sarcinelli, Ulrich; Saxer, Ulrich (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen/Wiesbaden, 1998. S. 678. Wolf, 2006. S. 29.
3 Politik und das Zusammenspiel mit den Medien
3.1
Einleitung
Medien bringen ihren Zusehern und Rezipienten Nachrichten der ganzen Welt näher und informieren sie tagtäglich über politische, ökonomische und kulturelle Neuigkeiten. Dabei versuchen die Medienvertreter ein möglichst adäquates Ebenbild der Wirklichkeit zu schaffen, damit sich die Rezipienten selber eine Meinung zu den politischen Ereignissen aus aller Welt bilden können. Eine möglichst objektive und sachliche Berichterstattung steht deshalb im Vordergrund. Es ist jedoch festzuhalten, dass diese Form der Berichterstattung ein oft nicht zu erreichendes Ideal darstellt. In diesem Zusammenhang verweist der amerikanische Publizist Walter Lippmann in seinem Werk „Public Opinion“ auf die große Kluft zwischen faktischer und medialer Realität und spricht deshalb von einer so genannten „Pseudo-Umwelt“. Medien würden eine eigene Realität erzeugen, die jeder einzelne wiederum anders wahrnehme. Zwar werden den Personen dieselben Bilder und Nachrichtentexte vorgelegt, dennoch sind diese Informationen für den einen relevant, ein anderer wiederum nimmt sie gar nicht wahr. Lippmann geht deshalb davon aus, dass es unmöglich ist, die Wirklichkeit vollständig zu erfassen. Deshalb müssen die Menschen auf ein einfacheres Modell zurück greifen, um ihre Umgebung rekonstruieren zu können. Der Mensch schafft sich somit eine eigene Umwelt.29 Selbst Augenzeugen, die häufig in den Medien zu Wort kommen, verfügen nicht über ein objektives Bild des Schauplatzes und informieren die Rezipienten zu Hause auf subjektive Weise über den Vorgang des Geschehens.30 Allen Rezipienten gemeinsam ist das Erfahren der neuesten Nachrichten über dieselben Medien: den TV-Apparat, das Radio oder über die Printmedien. Diese Medientypen werden auch gerne als Massenmedien bezeichnet, da sie als Informationsträger viele Personen über große Distanzen über unterschiedliche Signale erreichen. Die Informationsgesellschaft kennzeichnet sich vor allem über ein Fehlen des persönlichen Gesprächs zwischen Kommunikator und Rezipient.
29 30
Eilders, Christiane: Nachrichtenfaktoren und Rezeptionen. Eine empirische Analyse zur Auswahl und Verarbeitung politischer Informationen. Studie zur Kommunikationswissenschaft. Band 20. Westdeutscher Verlag GmbH. Opladen, 1997. S. 19. Lippmann, Walter: Die öffentliche Meinung. Reprint des Publizistik Klassikers. Bochum, 1990. S. 61.
33 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Der Großteil der Menschheit erfährt Politik und andere bedeutende Ereignisse vorwiegend aus den Nachrichten; ein persönlicher Kontakt mit den politischen Eliten wird kaum mehr vollzogen. Viele erkennen und kennen die Politiker sogar lediglich über die Medien wieder. Parteitage, politische Diskussionen, Auseinandersetzungen oder Katastrophen nimmt der Rezipient der Informationsgesellschaft aus den Medien wahr – primäre Erfahrungen mit dem Genannten sind nur mehr selten möglich. Die Medien bereiten sorgsam die wichtigsten Meldungen eines Tages für uns auf und müssen aus der großen Auswahl an Nachrichten jene herausfiltern, die für uns am relevantesten erscheinen. Hierbei nehmen die Medien eine Mittlerrolle zwischen Wirklichkeit und persönlicher Wahrnehmung ein. Wir gehen zwar von einer existierenden Wirklichkeit aus, erfahren diese allerdings immer nur in einer nachbearbeiteten Version.31 Es bestehen zwar alternative Informationsquellen, wie Parteiprogramme oder Bücher, diese werden jedoch vergleichsweise wenig genutzt. Grund dafür dürfte das unglaublich große mediale Angebot sein sowie die Tatsache, dass wir zu bestimmten geografisch weit entfernten Gebieten vorwiegend nur über die Medien und deren Berichterstattung Zugang erhalten. Je weiter wir uns von unserer gewohnten Umgebung entfernen, desto abhängiger werden wir von den Medien, um neueste Informationen zu erfahren. Die Massenmedien nehmen eine vermittelnde Rolle zu internationalen Ereignissen ein und beliefern uns mit den wichtigsten Neuigkeiten. Die Nachrichtennutzer müssen sich mehr oder weniger auf Sekundärinformationen verlassen können, da sie nicht die Möglichkeit haben, sich vor Ort eine eigene Meinung bilden zu können. Folglich sind unsere politischen Meinungen und unser Wissen zu einem guten Teil ein Produkt massenmedialer Erfahrung. Mit Hilfe der neuen Technologien werden mittels Satellitenkommunikation Nachrichten binnen weniger Sekunden an verschiedenste Medieninstitutionen versendet. Räumliche und zeitliche Distanzen fallen fast gänzlich weg. Dass sich die unterschiedlichen Medientypen auf verschiedene Möglichkeiten des Informationstransportes stützen, ist einsichtig. Printmedien informieren vorwiegend über geschriebene Texte, das Radio berichtet auf der auditiven Ebene und das Fernsehen bedient sich zusätzlich einer visuellen Komponente. Mittels Texten und Bildern möchten sie möglichst authentisch erscheinen und durch die Augenzeugenschaft wollen sie dem Zuseher eine gewisse Partizipation ermöglichen.32 Bei der Vermittlung der Nachrichten können sich die einzelnen Me-
31 32
34
Kamps, Klaus: Politik in Fernsehnachrichten. Struktur und Präsentation internationaler Ereignisse – Ein Vergleich. 1. Auflage. Düsseldorfer Kommunikations- und Medienwissenschaftliche Studien; Band 3. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden, 1999. S. 21-24. Kamps, 1999. S. 24-26.
dientypen auf unterschiedliche Präsentationsformen stützen. Das Fernsehen kann die Nachrichten mit einer Meldung, einer packenden Live-Berichterstattung oder einem Interview präsentieren. Durch gut ausgewählte Bilder werden das Interesse, die Emotionen sowie das Bewusstsein der Zuseher verändert.33 Dabei sind sie vielen Bildeindrücken – ob gewollt oder ungewollt – ausgesetzt, die folglich auch ihre Realitätsauffassung verändern können. Das bewusste Platzieren von Bildern in den Nachrichten lässt uns in bestimmter Weise an diese Informationen erinnern und wird im persönlichen und kulturellen Gedächtnis gespeichert.34 Wie bereits erwähnt sollte die zentrale Aufgabe und das Ideal der Medien, die einer neutralen Mittlerrolle zwischen der Bevölkerung und der Politik sein. Den Medien wird allerdings häufig vorgeworfen, nicht immer neutral zwischen den Regierten und den Regierenden zu sein. Zudem wird ein Mangel an Informationsqualität beanstandet, obwohl das Angebot sehr groß und weit gefächert ist. Negativ-Campaigning, Personalisierung, Symbolisierung und Vereinfachung der Nachrichten sind neueste Trends in der politischen Kommunikation, die über die Medien an die Öffentlichkeit transportiert werden. Nachrichten und Informationen werden zum Entertainment der Zuseher konzipiert, sollen unterhalten, aber auch gleichzeitig informieren. Diese medialen Aufgaben sind unter dem Begriff des „Infotainment“ bekannt. Ziel dabei ist es, das Publikum in einer unterhaltenden Art zu informieren, um so die Einschaltquoten sicher zu stellen.35 Einen zentralen Faktor der Medien und der Beziehung zu ihren Rezipienten stellt die Medienwirkung dar. Eine bestehende Wirkung auf die Einstellungen der Rezipienten ist unbestritten, weshalb verschiedene politische Ereignisse zur abendlichen Prime-Time vollzogen werden. Darunter (Prime-Time-Politics) verstehen Experten bestimmte Handlungen, die termingerecht angeboten werden. Neil Postman erklärt die Bedeutung des Fernsehens in modernen Industriestaaten als Metapher der westlichen Kultur. „Fernsehen als kulturelle Metapher heißt, daß wir die Welt so sehen, wie wir sie im Fernsehen sehen, auch wenn wir nicht fernsehen. Heißt, daß sich die öffentlichen Akteure so aufführen würden, auch wenn sie nicht im Fernsehen sind. Das Fernsehen zeigt uns die Welt so, wie wir sie im Fernsehen sehen wollen. Am Ende wollen oder können wir die Welt gar nicht mehr anders sehen, als wir sie im Fernsehen se36 hen.“
33 34 35 36
Kamps, 1999. S. 26. Müller, Marion G.: Grundlagen der visuellen Kommunikation. Theorieansätze und Analysemethoden. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz, 2003. S. 13. Kamps, 1999. S. 61 f. Zitiert bei Kamps, 1999. S. 32.
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Fakt ist, dass das Fernsehen als das glaubwürdigste Medium gilt. Grund dafür ist vor allem der visuelle Charakter der Nachrichten. Für viele sind die Fernsehnachrichten die einzige Brücke zur Politik. Sie vermitteln uns Erfahrungen über verschiedene Länder, Kontinente, Kulturen und die jeweiligen politischen Systeme und Geschehnisse, die diese Länder prägen. Das Fernsehen scheint deshalb das geeignete Medium bei der Konstruktion einer internationalen Wirklichkeit zu sein.37
3.2
Die mediale Aufmerksamkeit und deren Auswirkungen für politische Akteure
Die Medien haben vor allem durch die technologischen Fortschritte der letzten Jahre erheblich an Bedeutung gewonnen. Für viele Akteure ist es wichtig in den Medien zu erscheinen, da sie dadurch die Öffentlichkeit und somit eine große Masse von Menschen erreichen können. Die Medien wiederum können nicht alles Wahrnehmbare darstellen und müssen folglich die reich vorhandenen Informationen selektieren. Doch bilden die Medien tatsächlich jene Wirklichkeit ab, die der Realität entspricht? Diese Ungewissheit ließ unter den Experten eine Debatte entfachen, bei welcher sich realistische und konstruktivistische Positionen gegenüberstehen. Die realistische Position merkt an, dass es Dinge und Sachverhalte gibt, die unabhängig von Beobachtern existieren, beobachtet und wiedergegeben werden können. Innerhalb dieser Position gibt es Vertreter einer normativen und einer deskriptiven Version. Während die Anhänger der deskriptiven Position glauben, dass die Medien die Wirklichkeit widerspiegeln, fordern die „Normativisten“ von den Medien, die Wirklichkeit möglichst präzise abzubilden.38 Die konstruktivistische Position erklärt, dass es keine vom Beobachter unabhängige Realität gibt. Diese wird hergestellt und geschaffen. Allerdings besteht ein menschlicher subjektiver Filter, der keinesfalls willkürlich ist. Medien können folglich die Realitätsauffassung eines jeden einzelnen von uns beeinflussen. Neben der Verbreitung von Information und der Schaffung von Meinungsbildern ist die primäre Funktion der Medien eine beständige Kritik und Kontrolle an den Machthabenden zu üben. Die Medien sind in Demokratien ein wichtiger Informationsdistributor und vermitteln der Bevölkerung die verschiedensten Positionen der Politik in einer bequemen und leicht verständlichen Art und Weise. Durch die von den Medien transportierten Informationen erhält die Bevölkerung 37 38
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Kamps, 1999. S. 32-34. Kamps, 1999. S. 55.
ein umfassendes Informationsangebot, aus welchem sie sich eine rationale Meinung bilden kann. Doch Informieren bedeutet zugleich immer Selektieren, da die Medien nicht alle Informationen wiedergeben können. Manche Themen rücken weniger, andere mehr in den Mittelpunkt der Nachrichtenberichterstattung. Der bereits verstorbene deutsche Soziologe Niklas Luhmann beobachtete die mediale Aufmerksamkeit für aktuelle Ereignisse und stellte fest, dass die Aufmerksamkeit ein sehr knappes Gut darstellt. Dabei konnte er fünf Regeln herauskristallisieren, nach denen Themen und öffentliche Meinungen in den Medien berücksichtigt werden: Die erste Regel orientiert sich an der bedeutenden Priorität für bestimmte Werte. Wird beispielsweise der Friede eines Landes bedroht oder die Gesundheit der Menschen – wie im Falle der BSE-Krise – so erhöht sich die Möglichkeit der medialen Aufmerksamkeit. Als weiteres Merkmal kann man Krisensignale und Krisensymptome anführen. Gewaltakte, Kriege oder humanes Leid haben gute Chancen, öffentlich thematisiert zu werden. Dies deshalb, da negative Ereignisse eine größere Kommunikationschance mit sich bringen und von der Regel abweichen. Die dritte Regel befasst sich mit der Neuheit von Ereignissen. Alles, was in irgendwelcher Form mit jüngsten Ereignissen zusammenhängt, kann mit öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen. Dieselbe Erkenntnis gilt für die Signale des politischen Erfolgs. Bei der fünften Regel steht der Absender der Kommunikation im Mittelpunkt des Interesses. Je höher dessen gesellschaftlicher und politischer Status, desto wahrscheinlicher ist die mediale Aufmerksamkeit.39 Betrachtet man unter diesen Aspekten die Berichterstattung über politisch motivierte Gewalthandlungen, so wird ersichtlich, dass vier der fünf Aufmerksamkeitsregeln zutreffen. Dadurch lässt sich unter anderem die hohe Aufmerksamkeitsspanne der Medien gegenüber negativen Schlagzeilen erklären. Durch das große Nachrichtenangebot können sich die Rezipienten eine Meinung zu den verschiedenen Themen bilden. Die Massenmedien fungieren vor allem in Demokratien auch als Stellvertreter der Bevölkerung. Politiker und verschiedene Amtsträger müssen sich der Kritik und der Kontrolle der Medien stellen, da sie wichtige kritische und soziale Impulse an diese weitergeben. Deshalb bezeichnet man die Medien gerne auch als „vierte Gewalt“ im Staat. Doch nicht immer erfüllen die Medien in vollständiger Weise ihre Funktion. Manche Experten – wie auch Noam Chomsky – sind davon überzeugt, dass die Massen-
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Bergsdorf, Wolfgang: Imperativ der Politik. In: Schatz, Heribert; Rössler, Patrick; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 272-273.
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medien vielmehr ein Sprachrohr der herrschenden Eliten seien und ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr vollständig nachkommen. Der deutsche Journalist und ehemalige Regierungssprecher der Bundesregierung unter Gerhard Schröder, Uwe-Karsten Heye, sieht die Quote der Fernsehstationen und die Auflagen der Zeitungen als gefährlicher Richtwert für die Journalisten. Die Zeiten, in denen nach journalistisch-ethischen Grundsätzen entschieden wurde, über welche Ereignisse berichtet wird, sind für Heye vorbei.40 Nicht ganz so desillusioniert betrachtet die Publizistik- und Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel diese Debatte. In ihrem Beitrag „Das Mismatch der Mediendemokratie“ spricht sie die Wichtigkeit der genauen und intensiven Recherche der Journalisten an und fordert eine tiefgründige und deutlich kritischere Berichterstattung. Journalisten, die sich dieser Pflichten annehmen, seien zwar unangenehmer für die politischen Eliten, aber dennoch unverzichtbar. Sie stellen einen Teil eines Balanceverhältnisses von Medien und Politik dar, die in ihrer Funktion als Stützpfeiler der Demokratie fungieren.41 Auch Wolfgang Bergsdorf – Professor und Präsident der Universität Erfurt in Deutschland – äußert sich zu der Wichtigkeit der kritischen journalistischen Berichterstattung: „Daß Journalisten den Mächtigen gegenüber und auch denjenigen, die sie für mächtig halten, kritisch eingestellt sind, […] ist nicht nur selbstverständlich, es ist entscheidende Voraussetzung für eine aufgeklärte öffentliche Meinung.“42 Problematisch werde es allerdings dann, wenn die Grundpfeiler des Journalismus mit parteipolitischen Positionen verknüpft werden und sie in einer mit der Regierung sympathisierenden Form berichten. Der Zuseher habe das subjektive Gefühl, von dem Medium wirklichkeitsgetreu über aktuelle Informationen unterrichtet zu werden, ohne zu bemerken, dass vielfach komplexe und politische Ereignisse sehr verkürzt und demnach nicht mehr vollständig wiedergegeben werden. Um dem Zuseher eine möglichst sachliche Berichterstattung zu gewährleisten und ihm eine eigenständige Urteilsbildung zu ermöglichen, sollten langfristige Entwicklungen aufgezeigt und komplexe Zusammenhänge erklärt werden.43
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Heye, Uwe-Karsten: Alles ist anders, alles bleibt gleich – Journalisten und Politiker im BonnBerlin-Vergleich. In: Schatz, Heribert; Rössler; Patrick; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 285-286. Meckel, Miriam: Das Mismatch der Mediendemokratie: Anmerkungen zu den Spielregeln der politischen Kommunikation. In: Schatz, Heribert; Rössler, Patrick; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 277. Bergsdorf, 2002. S. 273. Bergsdorf, 2002. S. 274.
Durch das immer größer werdende Nachrichten- und Medienangebot sehen sich auch die politischen Akteure mit neuen Regeln konfrontiert. Politische Kommunikation aber auch der Parteienwettbewerb finden vorwiegend in der Öffentlichkeit und über die Medien statt.44 Die Medien ihrerseits geben politische Komplexität anhand symbolischer Darstellungen vereinfacht wieder, um so den Empfängern eine simplere Sicht der Dinge zu vermitteln. Politik und das politische Geschehen, so der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli, bedienen sich häufig der symbolischen Darstellung, die über die Sprache, Bilder, Gestik, Fahnen oder verschiedenen Slogans erfolgen können.45 Politische Symbole erfüllen hierbei eine Kommunikationsfunktion, die hochkomplexe Ereignisse reduzieren und vereinfacht wiedergeben.46 Das Motiv für die Darstellung symbolischer Politik liegt darin, dass eigentliche Entscheidungen von Seiten der Journalisten nicht gezeigt werden können und sie deshalb auf symbolische Akte zurückgreifen müssen. Die Politiker wissen über den Darstellungszwang der Medien und inszenieren deshalb mediengerechte Ereignisse, die nur mehr von den Medien aufgegriffen werden müssen.47 Um sicher zu gehen, dass ein politisches Ereignis tatsächlich von den Medien wiedergegeben wird, greifen Politiker auf Pseudo-Events zurück. Diese werden allerdings erst zu einem Ereignis, wenn die Medien darüber berichten. Darunter fallen unter anderem Pressekonferenzen oder Kundgebungen, die lediglich für die Medien geschaffen werden. Zudem werden an die politischen Akteure immer höhere kommunikative Ansprüche gestellt.48 Um der politischen Selbstdarstellung optimal gerecht werden zu können, ist eine professionelle kommunikative Medienarbeit der Politiker unabdingbar geworden.49 Mit Hilfe der Medienberater werden kameragerechte, politische Ereignisse inszeniert und den Medien entgegengebracht. Politiker und deren PR-Berater planen diese sehr genau und professionell, da sie von einer zentralen
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Plasser, Fritz; Ulram, Peter A.: Parteienwettbewerb in der Mediendemokratie. In: Plasser, Fritz (Hrsg.): Politische Kommunikation in Österreich. Ein praxisnahes Handbuch. Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 29. WUV-Universitätsverlag. Wien, 2004.S. 377-386. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 136. Müller, Marion G.: Politische Bildstrategien im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1828-1996. Akademie Verlag GmbH. Berlin, 1997. S. 25. Kamps, 1999. S. 74-78. Kamps, 1999. S. 80. Scherer, Helmut: Wer reden will, muss hören: Die kommunikative Rolle politischer Akteure in der vernetzten Gesellschaft. In: Schatz, Heribert; Rössler, Patrick; Nieland, Jörg-Uwe (Hrsg.): Politische Akteure in der Mediendemokratie. Politiker in den Fesseln der Medien? Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 131.
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Rolle der Massenmedien ausgehen und diese als Hauptbühne der politischen Selbstdarstellung betrachten.50 Durch das Fernsehen können Ereignisse dramatisch wiedergegeben und bewusst geschaffene „Events“ in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt werden.51
3.3
Medienwirkung – Die Wirkung der Medien
Die meisten Menschen beziehen ihre Informationen über das Weltgeschehen maßgeblich über die Medien. Sie beobachten Nachrichten, Ereignisse und Bewegungen auf TV-Bildschirmen, die ihnen eine Orientierung in der internationalen Nachrichtenwelt sichern. Farben, Geräusche und Kontraste werden von den Kameras scheinbar real wiedergegeben. Durch ein Filmen der Bewegungen der Darsteller, die oftmals live verfolgt werden, wird der Schein der Authentizität erhöht.52 Vor allem durch die Zunahme von medialer Massenkommunikation steigt die Nachfrage ihrer Wirkung auf den Rezipienten. Wie vollzieht sich die Medienwirkung? Und inwieweit beeinflusst ihre Wirkung tatsächlich unsere Einstellung und unser Weltbild? Sind die Zuseher den Medieneffekten tatsächlich machtlos ausgeliefert? Beurteilungen über politische Geschehnisse erfolgen meist auf der Grundlage medienvermittelter Informationen. Dies lässt sich unter anderem an der großen Übereinstimmung zwischen der Mediendarstellung von Politikern und der öffentlichen Meinung, die über sie herrscht, nachweisen. Die Stimmungsbilder innerhalb einer Bevölkerung über politische Entscheidungen, Ereignisse und Neuheiten lassen sich lediglich erklären, wenn die Berichterstattung der Medien berücksichtigt wird.53 Zu beachten ist dabei die Einsicht, dass kein Medium die sehr komplexe Wirklichkeit vollständig wiedergeben kann. An dieser Stelle treten die Selekti50
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40
Plasser, Fritz: Medienzentrierte Demokratie: Die „Amerikanisierung“ des politischen Wettbewerbs in Österreich. In: Pelinka, Anton; Plasser, Fritz; Meixner, Wolfgang (Hrsg.): Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarien. Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 22. Signum Verlag. Wien, 2000. S. 210. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 57. Moritz, Peter: Mediale Botschaften. Philosophisch-Politische Reflexionen. Philos Verlag. Hannover, 2002. S. 32. Maurer, Marcus: Mobilisierung oder Malaise: Wie verändert die Politikdarstellung der Massenmedien die Rezipientenurteile über Politik? In: Donsbach, Wolfgang; Jandura, Olaf (Hrsg.): Chancen und Gefahren der Mediendemokratie. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Band 30. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz, 2003. S. 320.
onsprozesse der Journalisten, welche die wichtigsten und interessantesten Meldungen des Tages aus der Vielzahl an Nachrichten herausfiltern sollen. Welche Nachrichten von den Journalisten ausgewählt werden, hängt von mehreren Faktoren ab und verhindert eine Zufallsauswahl aus dem Weltgeschehen. Primäre Aufgabe ist die Weltöffentlichkeit zu beobachten, zu strukturieren und in Bezug auf ihre Wichtigkeit und Relevanz zu bewerten. Die Berichterstattung muss in einem möglichst objektiven Maß erfolgen, da die Zuseher auf die Sekundärerfahrung über die Medien angewiesen sind. Hierbei eröffnet sich ein weiteres mögliches Kritikfeld: Die journalistische Auswahl kann als politisch einseitig kritisiert werden, denn lediglich jene Themen, die dem Weltbild des Reporters entsprechen, gehen auf Sendung. All jene, die nicht als wichtig erachtet werden, gelangen nicht in die Nachrichten oder werden nur sehr spärlich behandelt. Des Weiteren kann beobachtet werden, dass vor allem Katastrophen und Skandale in die Nachrichtensendungen Eingang finden, andere und auch positive Nachrichten werden in geringer Weise angeführt.54 Für die Auswahl der Nachrichten werden in der Journalismusforschung mehrere Modelle angeführt. Diese reichen vom Gatekeeper-Ansatz, bei welchem der Journalist durch eigene und zudem redaktionelle Vorgaben entscheidet, welche Nachricht gesendet wird, bis hin zu Erklärungsversuchen, bei denen politische Prädispositionen der Journalisten als Auswahlkriterium angeführt werden. Aktuell gehen Beobachter von dem Modell des Nachrichtenwert-Ansatzes aus, der besagt, dass journalistische Nachrichtenfaktoren entscheiden, ob ein Ereignis gesendet wird oder nicht. Je wichtiger eine Nachricht aus Sicht des Journalisten eingestuft wird, desto größer ist der Nachrichtenwert des Ereignisses. Zu international anerkannten Nachrichtenwerten werden der Überraschungsgehalt einer Nachricht, die Neuheit sowie die Aktualität, räumliche, zeitliche und sachliche Betroffenheit sowie die Darstellbarkeit der Thematik angeführt. Weitere Kriterien sind der Konfliktgehalt so genannter „bad news“ sowie eine Elitenzentrierung bei der Berichterstattung.55 Medien versuchen mit ihren Nachrichten möglichst viele Personen unterschiedlicher Herkunft, Klasse und Einstellungen zu erreichen. Dafür werden die Nachrichten, entsprechend ihrer Nachrichtenwerte ausgewählt und einem breiten Publikum präsentiert. Der französische Soziologe Gustave Le Bon bezeichnet in seinem Werk „Psychologie der Massen“ die „Masse“ als eine konkrete und überschaubare Men54 55
Eilders, 1997. S. 13-14. Plasser, Fritz; Lengauer, Günther; Meixner, Wolfgang: Politischer Journalismus in der Mediendemokratie. In: Plasser, Fritz (Hrsg.): Politische Kommunikation in Österreich. Ein praxisnahes Handbuch. Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 29. WUV-Universitätsverlag. Wien, 2004. S. 274-279.
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ge, die aufgrund einer gemeinsamen Werthaltung oder Orientierung mobilisierbar ist. Sie kann einer großen Bevölkerungsschicht angehören oder eine Mehrheit bilden. Die Masse setzt sich laut Le Bon aus folgenden Eigenschaften zusammen: Das Individuum erfährt ein Gefühl von Macht und Verantwortungslosigkeit, es tritt eine Triebhaftigkeit in den Vordergrund, das Individuum nimmt die Interessen der Masse als die eigenen an und es vollzieht sich eine Fügsamkeit und leichtere Beeinflussbarkeit der Massenmenschen.56 Le Bon erläutert weiter, dass die Massenmenschen leicht manipulierbar seien und es zu einem Zurücktreten der Eigenständigkeit kommt. Diese Gedanken schrieb Le Bon bereits im Jahr 1885 nieder, als die Massenmedien in der heutigen Form noch nicht existierten. Die Massenmenschen waren damals eher auf öffentlichen Plätzen und Versammlungsorten anzutreffen. Es vollzog sich zwar ein Wandel in der Medienlandschaft, die Zusehermassen werden heute jedoch in derselben Weise und mit den gleichen Mitteln erreicht wie damals. Hinsichtlich der Manipulation der Massen greifen Medienvertreter und die medial thematisierten Akteure zu ausgeklügelten Methoden, um die Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu beeinflussen. Es besteht somit noch heute eine Verbindung zu dem von Gustave Le Bon verfassten Werk, auch wenn dies in einer technologisierten und weiter entwickelten Art und Weise vollzogen wird. Durch die technologischen Errungenschaften der letzten Jahre kommt es zu einem rasanten Anstieg der Verbreitung der medialen Botschaft.57
3.4
Ausgewählte Theorien politischer Medienwirkung – Informationsfluss bei den Massenmedien
Heute gilt die USA als das Land der politischen Medien- und Meinungsforschung, das sich unter anderem mit Fragen, wie man den nächsten Wahlkampf mit Hilfe der Medien gewinnen kann, beschäftigt. Um diese Frage beantworten zu können, wurde das Stimulus-Response-Modell entwickelt. Diese Theorie geht davon aus, dass der Kommunikator (die Medien) einen Stimulus sendet (eine Nachricht) und der Rezipient (der Zuseher) auf diesen Reiz reagiert. Ziel des Stimulus-Response-Modells ist es, die Aufmerksamkeit der Zuseher für einen bestimmten Zeitraum zu erhöhen.58
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Zitiert bei Rösler, Carsten: Medien-Wirkungen. Einstiege 14. Grundbegriffe der Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie. Verlag Westfälisches Dampfboot. Münster, 2004. S. 11. Rösler, 2004. S. 12. Neuber, Wolfgang: Verbreitung von Meinungen durch Massenmedien. Leske + Budrich. Opladen, 1993. S. 21.
Ältere Theorien der Massenkommunikation haben die Stimulus-ResponseTheorie erweitert. Aufgrund der Tatsache, dass kein Mensch alle verfügbaren Informationen aufnehmen kann, werden Selektionskriterien wirksam, mit denen jeder die für ihn am bedeutendste Information herausfiltern kann. Hierbei treten mehrere Theorien hervor: Die „Agenda-Setting-Theorie“ befasst sich mit der Produktion von Nachrichten, die „Gate-Keeper-Theorie“ behandelt die Vermittlung von Informationen durch Dritte. Der „Uses-and-Gratifications-Approach“ unterstreicht die selektive Wahrnehmung der Informationen beim Rezipienten. Neuere Theorien vereinen diese Ansätze mit einem hohen Komplexitätsgrad miteinander.59 3.4.1
Das Stimulus-Response-Modell
Bei Laborversuchen wurden Zusammenhänge zwischen der Darstellung in Fernsehsendungen und der Reaktion von Versuchspersonen beobachtet.60 Die 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts waren in Amerika bedeutende Jahrzehnte der Medienwirkungsforschung. Der Politologe Harold D. Lasswell erforschte, dass bestimmte Reize gewisse und gewünschte Reaktionen hervorrufen oder Einstellungen verstärken. „The strategy of propaganda […] can readily be described in the language of stimulus-response. […] the propagandist may be said to be concerned with the multiplication of those stimuli which are likely to instigate the undesired responses.“61 Joseph T. Klapper publizierte 1949 unter dem Titel „The Effects of Mass Media“ ein bedeutendes Werk, welches 1960 in aktualisierter Form mit dem Titel „The Effects of Mass Communication“ veröffentlicht wurde. Klapper geht davon aus, dass die Wirkung der Kommunikation nicht allein das Resultat eines sorgfältig geplanten Stimulus sei, sondern von mehreren Variablen beeinflusst wird.62 Darunter versteht man unter anderem das Image des Senders, die Prädisposition des Publikums, die Einbindung des Rezipienten in soziale Gruppen, die Rezeptionssituation, die Schichtzugehörigkeit sowie die aktuellen Lebensbedingungen des Rezipienten. Klapper führt dabei einige „mediating factors“ an: Selective exposure: Rezipienten halten sich von unbeliebten und unerwünschten Informationen fern. Dabei stellte Klapper fest, dass Nichtraucher viel öfter Bei59 60 61 62
Neuber, 1993. S. 22. Neuber, 1993. S. 23. Lasswell, Harold D.: The theory of political propaganda. In: American Political Science Review. Vol. 21, Nr. 3. 1927. S. 627-631. Jäckel, Michael: Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2008. S. 73.
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träge über den Zusammenhang von Krebs und rauchen lesen, als dies Raucher tun.63 Die Rezipienten selektieren somit jene Nachrichten, die sie interessieren und sie in ihrer vorherrschenden Meinung bestätigen. Ein ähnliches Beispiel lässt sich bei der Parteiidentifikation anführen. Personen, die sich mit der Partei A identifizieren können und ein gefestigtes Wahlverhalten aufweisen, lesen häufiger positive Nachrichten über ihre Partei. Negative Meldungen werden von den Anhängern der Partei A nicht gelesen und auch nicht in Frage gestellt. Selective perception: Gordon W. Allport und Leo Postman stellten in ihrer Untersuchung „The Psychology of Rumor“ im Jahr 1945 fest, dass es bei manchen Beispielen zu einer Umdeutung der Kommunikation kommt. Aufgrund der andauernden Verbreitung der Information wird der tatsächliche Inhalt verändert. In einem Experiment wurde ein Bild gezeigt, welches einen Weißen, der einen schwarzen Mann mit dem Rasiermesser bedroht, darstellt. Nach mehreren Nacherzählungen befand sich das Rasiermesser auf einmal in der Hand des schwarzen Mannes. Interessant scheint dabei, dass bei dem Experiment ausschließlich weiße Versuchspersonen anwesend waren. Selection retention: Dieser Vorgang ergänzt die bereits beschriebenen Begebenheiten. Unter „selection retention“ versteht man das selektive Behalten der Informationen. Bei einem Experiment mit amerikanischen Studenten bildeten die Forscher Levin und Murphy zwei Gruppen. Die einen waren von ihrer politischen Einstellung pro-sowjetisch, die anderen anti-sowjetisch eingestellt. Beiden Gruppen wurde ein pro-sowjetischer als auch ein anti-sowjetischer Text vorgelegt. Sie erhielten die Aufgabe den Text möglichst exakt wiederzugeben. Dieser Vorgang wurde öfters wiederholt. Sympathische Aussagen wurden von den Rezipienten besser in Erinnerung behalten, als unsympathische. Man nimmt an, dass selective perception und selective retention in einer Wechselbeziehung stehen. Gruppenzugehörigkeit: Einen wichtigen interpersonalen Faktor stellen die Gruppenzugehörigkeit der Individuen und die damit verbundenen Normen dar. Es entwickelt sich ein Wir-Gefühl in der Gesellschaft.64 Aufgrund des immer größer werdenden Informationsflusses wird der Empfänger gezwungen, immer stärker zu selektieren. Ist dabei die Menge der gefilterten Nachrichten noch immer zu groß, so treten weitere Vermittler auf, die wieder gewisse Informationen zurückhalten. Letztendlich finden beim Rezipienten weitere Selektionsprozesse statt, die die Informationen ein weiteres Mal
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Jäckel, 2008. S. 74. Jäckel, 2008. S. 74-75.
verarbeiten, bis schlussendlich nur mehr die für den Rezipienten am wichtigsten erscheinenden Nachrichten übrig bleiben.65 3.4.2
Der Agenda-Setting-Ansatz
Weshalb bestimmte Sachverhalte in den Medien thematisiert werden, andere wiederum nicht, sind Fragen, mit denen sich Experten bereits seit den siebziger Jahren beschäftigen.66 Medien und Journalisten müssen täglich aus der Fülle unzähliger Nachrichten und Ereignisse jene herausfiltern, die in Bezug auf ihre Nachrichtenfaktoren am bedeutendsten zu sein scheinen. Aus einer Vielzahl von Nachrichten werden bestimmte Themen herausgegriffen und in den Vordergrund gestellt.67 Die Themen werden definiert, gewichtet und innerhalb der Nachrichtensendung platziert. Dabei können die Medien durch ein Fokussieren auf bestimmte Ereignisse die öffentliche Meinung lenken.68 Die Forschung geht davon aus, dass Medien alleine durch ihre Wiederholung und Betonung bestimmter Themen eine Rangordnung der Wichtigkeit beim Zuseher herstellen können. Das Prinzip des Agenda-Settings ist für viele empirische Sozialforscher besonders interessant, da es einfachen Regeln folgt. Dennoch gibt es weitere Einflüsse auf die Rezipienten, die stärker als das Agenda-Setting der Medien funktionieren.69 Eine entscheidende Studie lieferten die Professoren Maxwell McCombs und Donald Shaw, die in ihrer Arbeit – bekannt als Chapel Hill-Studie – belegten, dass die Rangordnung der Themen bei den Medien Einfluss auf die Bedeutung der Ereignisse in den Köpfen der Menschen hat.70 Die zwei Forscher untersuchten dabei die Inhalte der Print- und Fernsehberichterstattung im US-Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1968. Unter „Agenda“ versteht man die allgemeine Liste von Themen, Ereignissen und Auseinandersetzungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine gewisse Themenhierarchie gebracht werden. McCombs und Shaw versuchten in ihrem Forschungsprojekt die Agenda der Medien mit jener der Bevölke-
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Neuber, 1993. S. 23. Schulz, 1997. S. 153-155. Loquai, Heinz: Sprache des Krieges, Bilder des Krieges – Medien als Kriegstreiber: Jugoslawien, Irak, Iran. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.): Gute Medien – Böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus. Projektleitung: Thomas Roithner. Dialog. Beiträge zur Friedensforschung. Band 52. LIT Verlag GmbH & Co. Kg. Wien, 2007. S. 59. Rösler, 2004. S. 40. Neuber, 1993. S. 24. Jäckel, 2008. S. 171.
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rung zu vergleichen.71 Dabei wurden zu allererst die Rangordnungen ermittelt, die entweder miteinander übereinstimmten oder abwichen. Sind die Rangordnungen kongruent, so kann bewiesen werden, dass die Medien die öffentliche Meinung der Bevölkerung formen und somit beeinflussen. Die Studie besagt: „While the mass media may have little influence on the direction or intensity of attitudes, it is hypothesized that the mass media set the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes toward the political issues.“72 Das Ergebnis der Studie war eine fast identische Randordnung.73 Mit Hilfe des Agenda-Settings wollen vor allem Politiker Themen in den Medien platzieren, die mit ihnen positiv in Verbindung gebracht werden, da sie Problemlösungen anzubieten haben. Diesen Prozess bezeichnet man auch als Agenda-Building, da beispielsweise Politiker aktiv in den Selektionsprozess der Journalisten einzugreifen versuchen. Gelingt es ihnen ein von ihnen gelenktes Thema in den Medien zu platzieren, so erhoffen sie sich einen kurz- oder langfristigen Imagegewinn. Durch das Setzen eines Themas in den Medien kann sich eine Folgekommunikation entwickeln, da sich weitere Akteure auf diese Materie beziehen und dazu Stellung nehmen. Dies kann auf zwei Weisen erfolgen: Zum einen äußern sie sich aufgrund des eigenen Interesses an der Thematik, oder sie werden zum anderen von den Journalisten dazu befragt. Die politischen Akteure erhoffen sich durch ihre Medienpräsenz einen Gewinn an öffentlicher Aufmerksamkeit. Ziel dabei ist es, die „richtigen“ Probleme und Inhalte aufzugreifen und diese in den Medien zu platzieren, um anschließend kompetente Lösungsvorschläge anzubieten. Werden Themen in den Medien verankert, die dem Politiker eher schaden, so wird von Seiten des Politikers bewusst versucht von diesen Themen abzulenken oder ihre Wichtigkeit herunter zu spielen.74 Die Agenda-Setting Forschung geht der Frage nach, woher die Bevölkerung diese Meinung zu einem bestimmten Thema hat. Die Bestimmung von Ursache und Wirkung, wie dies die beschriebene Studie von McCombs und Shaw besagt, ist allerdings etwas differenzierter zu betrachten. Bei bestimmten Berichten schwingt teilweise die Einstellung der Bevölkerung mit, da die Journalisten die Erwartungshaltungen der Rezipienten reflektieren. Die Einstellung der Öffentlichkeit kann durch die Form der Berichterstattung mitbestimmt werden. Es geht
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Schulz, 1997. S. 153-155. Zitiert bei Jäckel, 2008. S. 172. Unz, Dagmar: Agenda Setting. In: Krämer, Nicole C.; Schwan, Stephan; Unz, Dagmar; Suckfüll, Monika (Hrsg.): Medienpsychologie. Schlüsselbegriffe und Konzepte. Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart, 2008. S. 193-194. Jarren, Otfried; Donges, Patrick: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Band 2: Akteure, Prozesse und Inhalte. Studienbücher zu Kommunikations- und Medienwissenschaft. Westdeutscher Verlag GmbH. Wiesbaden, 2002. S. 109-111.
somit nicht nur um die Vermittlung von Informationen, sondern auch um deren Bewertung und Interpretation.75 Zum Agenda-Setting sind sowohl das Framing als auch das Priming zu nennen und von beachtlicher Wichtigkeit. Durch das Framing erhält die Nachricht eine journalistische Rahmung. Dieser Rahmen wird als Interpretationsraster für die Verarbeitung des Rezipienten geschaffen und gilt zugleich als Beeinflussung der Einstellungen in der Öffentlichkeit zu einem Thema.76 Das Framing wird bei verschiedenen Experten als Agenda-Setting auf der zweiten Ebene betrachtet. Dabei wird untersucht, wie einzelne Inhalte behandelt werden.77 Beim Priming werden politische Akteure in ihrer Handlungsfähigkeit beeinflusst, bestimmte Akte zu vollziehen, da sie durch die Bevölkerung beurteilt werden. Es werden gewisse Meldungen in den Massenmedien besonders hervorgehoben und diese haben somit einen großen Einfluss auf die Bewertung von Politik.78 3.4.3
Der Uses and Gratification-Ansatz
Der Uses and Gratification-Ansatz behandelt die Frage, wie der Zuseher mit den Informationen der Nachrichten umgeht und was er mit diesen macht. Es rücken sozusagen die Rezipienten in den Mittelpunkt der Forschung. Zentral wird nach der Motivation des Empfängers gefragt, bestimmte Informationen zu beziehen.79 Bei dem Nutzen- und Gratifikationsansatz wird die passiv-rezipierte Rolle des Mediennutzers angezweifelt. Der Rezipient wiegt sehr genau alle möglichen Informationen nach deren Nutzen für sich ab. Personen wählen aus bestimmten psychischen und sozialen Wünschen ein bestimmtes Informationsangebot der Medien. Die Medienwirkung hängt somit nicht nur von dem Inhalt des Mediums und von dem, was der Empfänger versteht ab, sondern vielmehr auch davon, was er verstehen und erfahren will. Eine Einstellungsänderung kann das Medium lediglich in dem Maße vollziehen, in welchem es der Rezipient zulässt. Teile eines Mediums werden selektiert oder innerhalb einer Meldung nur bestimmte
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Kamps, 1999. S. 120-121. Unz, Dagmar: Mediale Präsentation. Framing. In: Krämer, Nicole C.; Schwan, Stephan; Unz, Dagmar; Suckfüll, Monika (Hrsg.): Medienpsychologie. Schlüsselbegriffe und Konzepte. Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart, 2008. S. 144. Vorlesungsmanuskript von Prof. Dr. Plasser Fritz: Politische Kommunikation in medienzentrierten Demokratien. Vorlesungsmanuskript von Prof. Dr. Plasser Fritz: Politische Kommunikation in medienzentrierten Demokratien. Neuber, 1993. S. 26.
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Aspekte aufgenommen und gespeichert. Manche Informationen werden wiederum nur flüchtig wahrgenommen.80 Die Mediennutzung kann deshalb als zielgerichtet und intentional bezeichnet werden, wobei mehrere Gratifikationsquellen bestehen. 3.4.4
Redaktionelle Selektionsentscheidungen – Das Gatekeeping
Durch technologische Fortschritte können Nachrichtenagenturen international eine unheimlich große Fülle an Informationen versenden. Das Informationsangebot im Satellitenzeitalter ist für die Medien aber auch für die Öffentlichkeit so groß wie noch nie. Computer und Videotechniken haben den Journalisten zum einen die Arbeit erleichtert, zum anderen müssen sie aus dem großen Angebot an Nachrichten selektieren. Dies erfolgt anhand bestimmter Nachrichtenfaktoren, die journalistischen Qualitätsansprüchen entsprechen sollen. Journalisten versuchen durch ihre selektive Wiedergabe der Informationen ein objektives Spiegelbild – zumindest der präsentierten Nachrichten – zu sein. Der Gate-Keeper-Ansatz bezeichnet einen Einflussfaktor, der entscheidet, welche Nachrichten in den Medien vorkommen und welche nicht. Durch die Selektion verschiedener Themen agieren die Medien als GateKeeper im Kommunikationsprozess, da sie die wichtigsten Ereignisse behandeln. Welche Nachrichtenfaktoren und -werte ein Ereignis zu einer Nachricht machen können, führen die Autoren Galtung und Ruge an, die zwölf Nachrichtenwerte nennen.81
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Frequenz: Der zeitliche Ablauf des Ereignisses stimmt mit der Erscheinungszeit des Mediums überein. Schwellenfaktor: Das Ereignis wird durch Auffälligkeit und einem Übertreten des Schwellenwertes wahrgenommen. Eindeutigkeit: Das Geschehen ist eindeutig und überschaubar. Bedeutsamkeit: Die Nachricht löst Betroffenheit beim Publikum aus. Konsonanz: Die Meldung entspricht den vorhandenen Erwartungen und Vorstellungen einer Nachricht. Überraschung: Die Nachricht überrascht.
Kamps, 1999. S. 118. Schulz, Winfried: Nachricht. In: Noelle-Neumann, Elisabeth; Schulz, Winfried; Wilke, Jürgen (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Fischer. Frankfurt am Main, 1990. S. 236.
Kontinuität: Das Ereignis oder themenverwandte Nachrichten wurden bereits mehrfach medial thematisiert. Variation: Die Nachricht variiert und balanciert das gesamte Nachrichtenbild etwas aus. Bezug auf Elite-Nationen: Politisch, wirtschaftlich oder militärisch mächtige Nationen genießen eine größere Nachrichtenrelevanz als weniger bedeutende Staaten. Bezug auf Elite-Personen: Prominente und einflussreiche Personen kommen aufgrund ihres gesellschaftlichen Status häufiger in den Nachrichten vor. Personalisierung: Betrifft das Ereignis das Handeln oder das Schicksal von Personen, so findet es Eingang in die Nachrichtensendung. Negativismus: Negativ-Nachrichten werden stärker berücksichtigt als positive Meldungen.82
Diese Nachrichtenfaktoren sind für die Entstehung des Medienbildes der Welt gleich wirkungsvoll wie bei der Schaffung des „personal image“ von dieser. Die Nachrichtenfaktoren wirken – laut den zwei Forschern – aufgrund der Selektion und Verzerrung der eintreffenden Informationen. Unter Verzerrung verstehen Galtung und Ruge, dass bei jeder Selektionsstufe ein Bild entsteht, das der primären Information immer weniger ähnlich wird. Nachrichten mit mehreren Nachrichtenfaktoren seien deshalb überproportional in der Vorstellung des Publikums vorhanden.83 Eine etwas andere Zusammenstellung der Nachrichtenwerte erfahren wir von Shoemaker und Reese, die sechs Faktoren anführen:
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Bedeutung und Prominenz: Der Wert der Nachricht erfolgt aus der Wirkung des Geschehens. Prominente und mächtige Menschen sind wichtiger, da ihr Handeln viele Menschen beeinflussen kann. Human interest: Nachrichten mit einem human-touch sind besonders interessant, da sie Klatsch und Tratsch, Feiern aber auch menschliche Dramen behandeln. Konflikte und Kontroversen: Konflikte gelten als abwechslungsreich, da wir Harmonie und positive Eigenschaften als Normalzustand betrachten. Ungewöhnlichkeit: Normales, Bekanntes und Gewöhnliches interessiert uns weniger als Ungewöhnliches. Deshalb haben Nachrichten, die diesen Faktor
Eilders, 1997. S. 35. Eilders, 1997. S. 74.
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aufweisen, gute Chancen in der Nachrichtenberichterstattung aufzuscheinen. Aktualität: Aktuelle Nachrichten, die ein sofortiges Handeln erfordern, sind relevanter als jene, die über die Zukunft oder Vergangenheit berichten. Nähe: Ereignisse, die in einem geografisch näherem Raum geschehen, sind relevant, da sie uns mit großer Wahrscheinlichkeit betreffen.84
Nachrichtenwerte stellen ein gewisses Regelwerk zur Selektion und Interpretation verschiedener Nachrichten auf. Bei Betrachtung der medialen Berichterstattung kann man erkennen, dass soziale und politische Konflikte, die meist eine lange und sehr kontroverse Vorgeschichte besitzen, recht einfach wiedergegeben und als kurzatmiger Wettbewerb präsentiert werden. Es werden Sieger und Verlierer bestimmt. Historische Hintergründe sind meist – aufgrund fehlender Zeit – kaum oder nur sehr gering vorhanden. Langatmige Geschichten wiederum, die schon mehrere Monate andauern, werden aufgrund eines einschneidenden Ereignisses nachrichtenrelevant. Man kann hier einerseits eine Kontinuität in der Berichterstattung aber andererseits auch eine Diskontinuität erkennen. Sie berichten von kurzfristigen aktuellen Ereignissen, die aus längerfristigen Gegebenheiten entstehen. Zudem entwickeln sie durch ihre Berichterstattung Themen, die durch die mediale Präsenz eine gewisse Eigendynamik entfalten. Top-News sind jedoch bei allen Nachrichtenstationen nachrichtenwürdig und werden medial thematisiert und aufgegriffen. Dabei gilt vor allem die journalistische Regel möglichst exklusiv und als erster über ein Ereignis zu berichten. Je genauer die Nachrichtenwerte von den Journalisten befolgt werden, desto präziser können politische Akteure auf diese eingehen und ihre Themen dementsprechend aufbereiten.85
3.5
Die Darstellung von Politik in den Massenmedien
3.5.1
Die Darstellung von Politik in den Massenmedien
Die Darstellung, die Selbstdarstellung, aber auch die Politik im Allgemeinen findet heutzutage zunehmend in und unter den Bedingungen der Medien statt.86 Was uns als Realität wiedergegeben wird und wonach wir unser Denken und 84 85 86
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Kamps, 1999. S. 97-98. Kamps, 1999. S. 99-100. Siller, Peter: Politik und Ästhetik. Anmerkungen zu einer prekären Allianz. In: Siller, Peter; Pitz, Gerhard (Hrsg.): Politik als Inszenierung. Zur Ästhetik des Politischen im Medienzeitalter. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden, 2000. S. 14.
Handeln ausrichten, wird vor allem durch die Massenmedien geprägt. Die gesellschaftliche Realität wird immer mehr von den Massenmedien konstruiert.87 Die meisten Personen beziehen ihr Wissen von den Fernsehnachrichten, weshalb dieses Medium und dessen Wirkung im Mittelpunkt des Interesses stehen. Sprache, Bilder, Gestik, aber auch Bewegung und Mimik spielen hierbei eine bedeutende Rolle. Man spricht deshalb nicht nur von einem Übertragen einer politischen Szene, sondern einer medialen Inszenierung der Ereignisse. So gehen die Verantwortlichen davon aus, dass die Realität besser in Bildern als in Worten wiedergegeben werden kann. Nonverbale Zeichen und Symbole stehen hierbei hoch im Kurs. Politiker wie – in diesem Fall – auch Terroristen wissen über die Wichtigkeit der Ereignisinszenierung und wenden diese regelmäßig an. Vor allem durch die audiovisuellen Medien erfährt der Inszenierungsbegriff einen Aufschwung. Politiker und ihre Teams führen Ereignisse für die Fernsehkameras herbei und bereiten diese dramaturgisch auf.88 Vorstrukturierte, kameragerecht inszenierte Ereignisse versuchen die Medien als Transporteur ihrer Nachricht zu reduzieren.89 Die Journalisten können dies entweder übernehmen oder selektieren ihre Nachrichten erneut. Auch sie verfügen über eine Inszenierungskompetenz, da sie komplexe Weltgeschehnisse in Minidramen und Szenen zerlegen können, um sie so an den Zuseher zu bringen. Medien und Politiker gehen dabei eine symbiotische Beziehung ein, die mit einer gegenseitigen Arbeitsteilung einhergeht. Dieses Verhältnis lässt sich folgendermaßen beschreiben: Die Massenmedien beobachten die Abläufe in der Politik, umgekehrt beobachten auch die Politiker, wie sie in den Massenmedien dargestellt werden und richten ihr Handeln nach den Medien aus. Medienauftritte der Politiker werden daher immer häufiger inszeniert und als showgemäßes Ereignis dargestellt.90 All diese Vorgänge lassen sich auf die enorme Bedeutung des Mediums Fernsehen zurückführen. Nicht umsonst wird unsere Zeit als das Fernsehzeitalter bezeichnet, welche unsere gesellschaftliche Kommunikation dominiert. So wird der Fernseher zur Information, Unterhaltung oder aber nur als Lückenfüller für 87
88 89
90
Plasser, Fritz: Massenmedien und Politikvermittlung. In: Dachs, Herbert; Gerlich, Peter; Gottweis, Herbert; Horner, Franz u.a. (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik. 3., erweiterte und völlig neu bearbeitete Auflage. Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung. Wien, 1997. S. 477. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 13-14. Plasser, Fritz: Elektronische Politik und politische Technostruktur reifer Industriegesellschaften – Ein Orientierungsversuch. In: Plasser, Fritz; Ulram, Peter A.; Welan, Manfried (Hgg.): Demokratierituale. Zur politischen Kultur der Informationsgesellschaft. Studien zu Politik und Verwaltung, Band 9. Hermann Böhlaus Nachf. Wien Köln Graz, 1985. S. 13. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 15.
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unsere Zeit eingeschaltet. Betrachtet man sich einige Studien, so erfährt man, dass Amerikaner – exklusive Schlaf- und Arbeitszeiten – den größten Teil ihrer freien Zeit vor dem Fernseher verbringen. Laut einer Studie der Nielsen Company verbringt ein Durchschnittsamerikaner rund 151 Stunden im Monat vor dem Fernseher, was rund 31 Prozent seiner Zeit darstellt.91 Auch in Europa bleibt das Medium Fernsehen – trotz neuer Verbreitungstechnologien – das Leitmedium in der Bevölkerung. Die durchschnittliche Fernsehnutzung pro Tag stieg europaweit von 208 Minuten im Jahr 2000 bis zu 227 Minuten im Jahr 2008, wie dies eine Studie der „International Television Expert Group“ belegt.92 Schlussfolgernd bedeutet dies, dass die Fernsehnutzer ihre Zeit lieber vor dem Fernseher als mit anderen Aktivitäten zubringen. Weiters wurden soziodemografische Merkmale der Fernsehkonsumation erforscht, die besagen: Männer schauer seltener als Frauen fern, Ältere häufiger als Jüngere und bildungsschwächere Familien haben länger und öfter den Fernseher eingeschaltet, als Bildungsstärkere.93 Einen klassischen Fernsehnutzer gibt es nicht. Viele beziehen dieses Medium aus unterschiedlichen Gründen. Während die einen, gezielt gewisse Programme auswählen, zappen sich andere lediglich zu einer bestimmten Tageszeit durch die Kanäle. Das Fernsehen ist in der Lage, ein großes Publikum zu erreichen. Somit versuchen politische Akteure sich den Regeln dieses Systems zu fügen und nach ihnen zu handeln, um eine möglichst hohe mediale Präsenz genießen zu können. Politik im Fernsehen wird von den Zuschauern anders wahrgenommen als politische Informationen im Radio. Welch enorme Unterschiede dabei entstehen können, belegt eine bekannte Studie der Nixon-Kennedy-Präsidentschafts-debatte, in welcher die Meinungen der Radiozuhörer von jener der Fernsehzuschauer stark abweichen. Kennedy welcher durch ein sympathisches Auftreten beim Publikum punktete, wurde von den Fernsehrezipienten als eindeutiger Sieger dieser Debatte betrachtet. Die Radiozuhörer hingegen waren der Überzeugung, dass Nixon das Rennen um die amerikanische Präsidentschaft machen würde.94 Mit Hilfe dieses Beispiels können die Divergenzen zwischen dem Medium Fernsehen und Radio unterstrichen werden.
91 92 93 94
52
http://www.betanews.com/article/Nielsen-finds-TV-consumption-at-alltime-high/1235406856 (25.5.2010). http://www.international-television.org/tv_market_data/international-tv-key-facts.html (25.5.2010). Kamps, 1999. S. 141-142. Kamps, 1999. S. 150-151.
3.5.2
Politik und das Mediensystem
Durch das Aufkommen und die Präsenz der Medien hat sich das traditionelle politische System tief greifend verändert. Das politische Informationsverhalten der Bevölkerung tendiert in Richtung neuer und moderner Medien, die in einfacher und bequemer Art und Weise die Nachrichten für ihre Informationsnutzer aufbereiten. Fritz Plassers Modell vom politisch-medialen Supersystem beschreibt die neue Realität im Verhältnis der beiden Systeme zueinander. Durch die politische Technostruktur der zunehmend „elektronischen“ Gesellschaften kam es zu erheblichen Veränderungen im politischen wie im medialen System. Die erhöhte Medialisierung von Politik veränderte nicht nur das politische Informationsverhalten der Bevölkerung, sondern ersetzte auch die traditionellen Strukturen der politischen Kommunikationsprozesse. Plötzlich werden mit Hilfe eines einzigen Fernsehauftritts Millionen von Wähler erreicht. Politische Institutionen sind immer häufiger auf die massenmediale Informationsverteilung angewiesen. Parteien werden zu Teilen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Politiker teilweise sogar zu Fernsehpersönlichkeiten und die Politik zu einem sportlichen Spektakel inszeniert. Plasser erklärt die These des Supersystems der elektronischen Politik mit einer zunehmenden „Medifizierung“ des politischen Prozesses und einem damit tendenziellen Autonomieverlust des politischen Systems. Es „kommunifiziert“ seine Präsentations- und Angebotsformen und versucht das Mediensystem zu lenken. Dabei kommt es zu einem immer größeren Autonomieverlust der Medien, die entgegen aller Selektionskriterien immer mehr zum Transportmittel des politischen Marketings werden. Politiker versuchen eine fernsehgerechte Politik zu betreiben. Diese wechselseitige Abhängigkeit beider Systeme verstärkt die Verbindung, dadurch kommt es zu einer Arbeitsteilung bei der Produktion von symbolischer Politik. Das politische System verhält sich immer „medialer“ und das Mediensystem immer „politischer“. Es kommt zu einem Distanzabbau, der schlussendlich in einer Verschmelzung beider Systeme in ein „Supersystem“ führt. Dieses neue System distanziert sich von den traditionellen Kontrollinstanzen. Die politische Technostruktur beginnt sich immer mehr zu verselbstständigen.95 Durch die Dominanz elektronischer Medien kam es innerhalb der Parteien zu einer Verschiebung der Machtstruktur. Die traditionellen Parteimachtträger – innerparteilich gewählte Macht- und Funktionsträger – wurden aufgrund neu aufkommender „medialer“ Machteliten verdrängt. Macht und Einfluss in einer 95
Plasser, 1985. S. 15.16.
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Partei hängen zunehmend mit dem Zugang zu den Massenmedien sowie deren Darstellung in den Medien zusammen. Aufgrund einer zunehmenden Personalisierung und Visualisierung der Parteipolitik reduziert sich die heutige Politik auf nur mehr wenige Akteure. Innerparteiliche Entscheidungen sind meist langwierig und schwerfällig und können mit der Schnelligkeit der Medien nicht mithalten, deshalb erhöht sich die Autonomie der politischen Eliten, die vor den Fernsehkameras die politische Linie ihrer Partei an die Zuseher bringen. Daneben hat die elektronische Medienrevolutionierung des politischen Prozesses eine größere Kluft zwischen Zentrum und Peripherie der Parteien geschaffen. Eine nationale Medienpräsenz fußt vorwiegend auf Fernsehauftritten der Bundesparteien. Durch das Fernsehen werden die innerparteilichen Arbeitsteilungen immer größer und regionalisierter ablaufen. Die neuen technologischen Errungenschaften sowie das Wissen um die Macht der Medien haben eine neue parteiinterne Medienelite geschaffen. Die Parteibürokratie wird vom Parteimanagement abgelöst, die Parteizentrale wird zunehmend zum elektronischen Dienstleistungsunternehmen und die politischen Berater werden durch die Strategen des „permanent campaignings“ ersetzt. Plasser konkludiert, dass nur mehr „professionals“ Platz in der heutigen Politik finden, Amateure werden im politischen „show business“ nicht gebraucht.96
3.6
Die Visualisierung der politischen Kommunikation
Medien setzen in ihrer Nachrichtenvermittlung verstärkt auf Bilder, die komplexe Ereignisse mittels einer einzigen Aufnahme simplifizieren können. Dabei kann man in der aktuellen Medienentwicklung einen Trend zur Visualisierung beobachten. Durch einen professionellen Einsatz der Bilder lassen sich komplexe Thematiken in unterschiedlicher Weise präsentieren.97 Das Bild stellt – gleich wie der Text oder das gesprochene Wort – eine Informationsquelle dar. Gestaltung und Stil des Bildes beeinflussen die Wahrnehmung und lassen sogar unscheinbar geglaubte Details ins Gedächtnis des Bildbetrachters einwirken und speichern.98 Bilder können kognitive und emotionale Reaktionen auslösen, die wiederum ein Fesseln an den Bildschirm mitbringen. Von den Bildern geht eine besondere Macht aus: Sie können unsere Realität verändern, sind allgegenwärtig und beeinflussen nicht nur unsere sondern auch die Wahrnehmung der Umwelt.99 96 97 98 99
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Plasser, 1985. S. 17-18. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 132. Müller, 2003. S. 80-83. Leifert, Stefan: Bildethik. Theorie und Moral im Bildjournalismus der Massenmedien. Wilhelm Fink Verlag. München, 2007. S. 9.
Bilder werden zudem in einer differenzierten Weise als Informationen in Textform, gespeichert und verarbeitet.100 Fotografische Momentaufnahmen lösen beim Betrachter Gefühle von Authentizität aus und vermitteln eine Augenzeugenschaft. Des Weiteren haben Bilder einen eigenen Nachrichtenwert erhalten, da sie aussagekräftiger und emotionaler als Texte sein können.101 Sprache und Bild befinden sich dabei keineswegs in einer Konkurrenzsituation – sie bedingen und ergänzen sich vielmehr. Die Sprache kann dabei genau wie ein Bild Politik sein und diese repräsentieren. Parteien und Politiker, aber ebenso Terroristen – die jedoch keineswegs als Gleichsetzung mit Politikern verstanden werden sollen – besitzen bestimmte Sprachstrategien, um ein möglichst großes Interesse an ihnen zu wecken. Doch können ebenso gewisse Bildstrategien erkannt werden? Setzen Politiker bei ihrer medialen Selbstdarstellung gezielt auf die Präsentation diverser Bilder? Kann dies auch bei politisch motivierten Gewalttätern beobachtet werden?102 An dieser Stelle ist an die visuelle politische Propaganda der Bilder anzuknüpfen, die besonders durch Gustave LeBon als bedeutendes Steuerungselement der Massen betrachtet werden kann.103 Der Kanadier Marshall McLuhan erklärte bereits 1964 das Prinzip der visuellen Kommunikation und vertrat die These: „The medium is the message“. Demnach beeinflusst jedes Medium die Botschaft, die es gerade übermittelt. Verschiedenste Informationen, die wir über die Medien beziehen, sind folglich auf ihre Art der Informationsverarbeitung gestützt und verformt.104 Dem fortschreitenden Wandel von öffentlicher Kommunikation folgt eine verstärkte Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Bildes.105 Durch die Visualität des Fernsehens haben die Zuseher das Gefühl, am Ereignis teil zu haben und somit selber zu einem Bestandteil dieses Erlebnisses zu werden.106 Den Fernsehnachrichten ist eine breite Palette an Präsentationstechniken gegeben, mit der sie Opfer, Gewalttäter, Politiker, Experten, Augenzeugen und andere Journalisten befragen, zitieren und vor allem auch visualisieren können. In der Praxis kann man häufig eine große Kluft zwischen der textlichen und bildlichen Information beobachten, die zudem zwei unterschiedliche Botschaften transportieren. Zu viele einzelne optische Sequenzen können mitunter das Verstehen der Nachricht behin-
100 101 102 103
Müller, 2003. S. 13. Müller, 2003. S. 91. Müller, 1997. S. 18-19. LeBon, Gustave: Psychologie der Massen. Angeführt bei: Müller, Marion G.: Politische Bildstrategien im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1828-1996. Akademie Verlag. Berlin, 1997. S. 19. 104 Kamps, 1999. S. 156. 105 Müller, 1997. S. 289-290. 106 Kamps, 1999. S. 160.
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dern. Hinzu kommt, dass der Zuschauer nur eine begrenzte Auffassungsgabe besitzt. Deshalb werden einzelne Beiträge bewusst vereinfacht und verknappt, damit das Interesse des Rezipienten aufrecht erhalten bleibt und dieser nicht den Fernsehkanal wechselt.107 Bilder können aber auch mit Hilfe der emotionalen Strategie einen Angriff auf die psychische Voreingenommenheit vollziehen und diese in ihrer bereits gefestigten Überzeugung bestätigen. So werden durch Nachrichten, die mit vielen emotionalen Bildern untermalt sind, rationale Erwägungen in den Hintergrund gedrängt. Es wird versucht, möglichst viele Gefühle des Rezipienten anzusprechen. Der politische Gegner wird bei dieser Strategie nicht direkt angegriffen, sondern viel mehr mit unterschwelligen Methoden die Wünsche, Erwartungshaltungen und Ängste der Zuseher angesprochen. Als begleitende Faktoren werden die Musik und die Geräuschkulisse angeführt. Generell kann man zwischen zwei Typen der emotionalen Strategie differenzieren. Entweder sprechen die Bilder positive Einstellungen wie Glück, Zufriedenheit und Freude an, oder es wird ein Hauptaugenmerk auf negative Merkmale gesetzt, indem Ängste, Vorurteile oder Traumatas angesprochen werden.108 Die Negativ-Strategien versuchen die politische Glaubwürdigkeit des Gegners anzuzweifeln und knüpfen dabei meist an emotionale Strategien, wie Images, Gerüchte und Vorurteile, an.109 Emotionale Bilder der Terrorberichterstattung können vor allem durch dramatisierende Effekte herbeigeführt werden. Dies kann durch eine narrative Inszenierung, in welche persönliche Merkmale mit einfließen, erfolgen. Journalisten führen beispielsweise bewusst die genaue Uhrzeit des Anschlages an und unterlegen ihren Bericht mit Live-Bildern vom Detonationsort. Der Einsatz von rhetorischen Mitteln fördert emotionale und gefühlsbetonte Berichte. Auch Sprechweise, Mimik und Gestik der Berichterstattung können Dramatik hervorrufen. Häufig findet man personalisierte Elemente, die entweder einzelne Personen oder Gruppierungen vordergründig behandeln, da Rezipienten eher an dem Schicksal von Menschen als an Institutionen interessiert sind. Somit werden Konflikte und Auseinandersetzungen personell besetzt.110 Beim Auslösen von Emotionen ist auch das Format der journalistischen Präsentation entscheidend, da auch hierbei Gefühle beim Zuseher geweckt werden. Den107 108 109 110
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Kamps, 1999. S. 184-189. Müller, 1997. S. 236-239. Müller, 1997. S. 246. Haußecker, Nicole: Zur Berichterstattung über Terrorismus in den TV-Nachrichtensendungen am Beispiel der Terroranschläge in Kenia. In: Glaab, Sonja (Hrsg.): Medien und Terrorismus – Auf den Spuren einer symbiotischen Beziehung. Wissenschaft & Sicherheit. Band 3. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag. Berlin, 2007. S. 143.
noch zählen Bilder eines Anschlages mitunter als stärkster Emotionalisierungsfaktor, da sich der Rezipient selber mit hinein fühlen kann und zudem diese Bilder hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes nicht angezweifelt werden.111 Denn alles, was im Fernsehen gezeigt oder mit den eigenen Augen wahrgenommen wird, gilt als real und als tatsächliche Wirklichkeit. Dazu mehr im Abschnitt „Visueller Journalismus“. Durch die globale Vernetzung verschiedener 24-Stunden-Nachrichten-sender, dem Internet und den up-to-date-Printmedien wurde eine neue Form der politischen Realität geschaffen. Für viele Menschen sind jene Themen aktuell, die gerade von den Massenmedien aufgegriffen und thematisiert wurden. Der Mangel an Zeit und folglich an gründlicher Recherche führt zu einem reduzierten Anführen von Hintergründen und wichtigen Zusammenhängen. Diese fehlende Hintergrundberichterstattung, die stattdessen vorwiegend Schreckensbilder und dramatische Berichte präsentieren, verstärkt zunehmend die Angst in der Bevölkerung und lässt sie und die zuständigen Regierungen ohnmächtig erscheinen.112
111 Haußecker, 2007. S. 144. 112 Schiller, David Th.: „When it bleeds, it leads the headlines…“ Ein Essay zum Thema „Medien und Terrorismus“ aus journalistischer und sicherheitspolitischer Perspektive. In: Glaab, Sonja (Hrsg.): Medien und Terrorismus – Auf den Spuren einer symbiotischen Beziehung. Wissenschaft & Sicherheit. Band 3. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag. Berlin, 2007. S. 107.
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4 Medien und Terrorismus
4.1
Krisen- und Kriegskommunikation in den Medien
Politisch motivierte Gewalt, Staatsstreiche und innere Unruhen zählen unter anderem zu Ausnahmen politischer Konflikte und Unstimmigkeiten zwischen Staaten und Akteuren. All diese Unruhen haben eine längere Vorgeschichte, die in der Literatur als Krise tituliert wird. Diese Krisen spitzen sich im Laufe der Zeit immer mehr zu bewaffneten Konflikten zu und weisen demnach eine hohe Gewaltintensität auf. Der wesentliche Verlauf und die Lösung der Krise hängen entscheidend von den Bedingungen, Formen und Folgen der Kommunikation ab. Folglich kann von einem Zusammenhang von Krisen, Kriegen und Kommunikation gesprochen werden.113 Krisen sind somit Kommunikationen unter besonderen Bedingungen. Der Soziologe Wolf Dombrowsky, der seinen Schwerpunkt auf die Katastrophensoziologie legt, unterscheidet zwischen zwei Typen von Krisenkommunikation:
Bei „Bewältigungskrisen“ sollen die Verantwortlichen der Krisenkommunikation durch eine umfassende Informationspolitik ein weiteres Eskalieren verhindern. Bei „Akzeptanzkrisen“ wird durch die Krisenkommunikation die fehlende Loyalität der beteiligten Akteure wieder herzustellen versucht.
Die Krisenkommunikation stützt sich aus dieser Sichtweise auf Public RelationStrategien, mit welcher bestimmte Akteure verschiedene Kommunikationsziele bei unterschiedlichen Teilen der Rezipienten erreichen wollen. Die Wirklichkeitskonstruktion sowie die Darstellung der Akteure werden erheblich von den Medien beeinflusst. Sie transportieren zwar vordergründig Informationen, entwerfen allerdings vielmehr eigene Modelle der Wirklichkeit. Trotz dieser Tatsache besitzen Medien eine große Relevanz bei der Auswahl und Bewertung der Informationen. Sie bieten Informationen an, die ihr Publikum selten durch eigene Erfahrungen abdecken können.114 113 Löffelholz, Martin: Krisenkommunikation. Probleme, Konzepte, Perspektiven. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation. Westdeutscher Verlag GmbH. Opladen, 1993. S. 11-12. 114 Löffelholz, 1993. S. 13.
59 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Krisen und Kriege gelten als Top-News für die Nachrichtenstationen und sind ein Hauptgegenstand der Berichterstattung. Die Wahrscheinlichkeit, dass über Kriege und Krisen berichtet wird, hängt zum einen vom Grad der Betroffenheit des eigenen Lands sowie der Beteiligung von Elite-Nationen ab. Informationszugang aber auch verschiedene und ausreichende Visualisierungsmöglichkeiten sind dabei von großer Bedeutung.115 Allerdings werden wichtige Informationen auf die Dauer von maximal 90 Sekunden verkürzt, da dem Rezipienten nicht mehr zugemutet werden kann. Der Grund dafür ist die Angst vor dem Zappen. Und dies erfolgt dann, wenn die Aufmerksamkeit des Zusehers verloren geht. Auch die Reporter im Studio müssen sich knapp und präzise halten, um nicht Gefahr zu laufen, den Zuseher zu verlieren. Der Informationsgehalt der Nachrichten fällt somit oftmals sehr gering aus.116 Offene, moderne Gesellschaften und deren soziale Systeme sind von den Medien und ihrer Berichterstattung über sie abhängig, da sie ihre Interessen erfolgreich vertreten können. Viele dieser unterschiedlichen Systeme agieren mittels einer Brückenfunktion mit den journalistischen Vertretern, präsentieren ihre komplexen Codes, welche wiederum in einer journalistischen und leichter verständlichen Sprache wiedergegeben werden. Dabei verwenden Politiker und das Militär Geheimhaltungsstrategien, um bestimmte Informationen von den Medien fernzuhalten.117 Manche Institutionen schaffen es allerdings, diese verschlüsselten Botschaften zu knacken und an die Öffentlichkeit zu transportieren (siehe Wikileaks).
4.2
Veränderungen in der Kriegsberichterstattung
In Kriegszeiten spielen die Medien eine spezielle Rolle, da sie im Mittelpunkt des Interesses von Politikern, dem Militär sowie der allgemeinen Öffentlichkeit stehen. Während die Politiker und das Militär die Medien zu instrumentalisieren versuchen, erfüllen die Medien einen öffentlichen Auftrag: Sie agieren als vierte Macht im Staat und stellen ihr Wissen und ihre Informationen der Bevölkerung zur Verfügung, damit sich die Zuseher eine unabhängige Meinung zum Geschehen bilden können. Die Kriegsberichterstattung ist seit jeher ein beliebter publizistischer Gegenstand in den Massenmedien. Bereits die Zeitungen des 17. Jahrhunderts be-
115 Löffelholz, 1993. S. 19. 116 Schiller, 2007. S. 101-102. 117 Löffelholz, 1993. S. 21.
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richteten sehr ausführlich über die Ereignisse verschiedener Kriege in Europa und der Welt. In der Nachrichtenberichterstattung der Printmedien wurde das visuell Gesehene rhetorisch wiedergegeben, da lange Zeit keine Bilder von kriegerischen Auseinandersetzungen abgedruckt werden konnten.118 Die Kriegsberichterstattung zählt zu einem festen Bestandteil des Nachrichtenjournalismus. Kriegsund Krisenberichterstattungen können als „Ereignisinszenierungen“ verstanden werden.119 Kriege waren für die Entwicklung der Medien besonders förderlich, da sie für die Entstehung, Verbreitung und Professionalisierung verantwortlich sind. Durch das Entstehen der Massenmedien im 19. Jahrhundert entwickelte sich auch ein Nachrichtenbedarf, der schnell und informativ sein sollte. Der große Nachrichtenbedarf war zudem Folge eines Konkurrenzkampfes innerhalb der Medien. Die neuen Anforderungen an die Medien konnten nicht mehr mit der traditionellen Kriegsberichterstattung, bei der Frontberichte mit großer zeitlicher Verspätung in die Heimat verschickt wurden, übereinstimmen. Somit beschloss die Londoner Times den Journalisten William Howard Russell als ersten professionellen Kriegsberichterstatter in den Krimkrieg (1853-1856) zu schicken. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass noch heute für manchen Journalisten die Kriegsberichterstattung einen besonderen Stellenwert hat, da seine/ihre Karriere dadurch einen deutlichen Aufschwung erleben kann.120 Der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz erklärte bereits im 19. Jahrhundert: „Mit dem Worte Nachrichten bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen.“121 Sinnbildlich bedeutet dies, dass der Krieg die Informationen der Nachrichten benötigt, um durchgeführt werden zu können. Russell begleitete die britischen Truppen nach Malta und segelte von dort mit ihnen nach Gallipoli. Bald erkannte er den desolaten und unorganisierten Zustand der britischen Armee, weshalb er seinen Herausgeber mit einem Bericht auf die Situation der Armee hinwies. Dieser entschied sich allerdings gegen eine Veröffentlichung der Nachricht, da er befürchtete, die Times würde danach unpatriotisch wirken. Als dann auch die London Daily News, die ebenfalls einen 118 Wilke, Jürgen: Kriegsbilder in der historischen (Bild-)Publizistik. In Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hrsg): War visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Köln, 2005. S. 22. 119 Köhler, Sebastian: Die Nachrichtenerzähler. Zu Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus. Angewandte Medienforschung. Schriftenreihe für die Kommunikationswissenschaft Band 45. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden, 2009. S. 106. 120 Köhler, 2009. S. 107. 121 Zitiert bei Grimm, Petra; Capurro, Rafael (Hrsg.): Krieg und Medien. Verantwortung zwischen apokalyptischen Bildern und paradiesischen Quellen. Schriftenreihe Medienethik – Band 4. Franz Steiner Verlag. Stuttgart, 2004. S. 7.
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Korrespondenten vor Ort hatte, von dem desolaten Zustand der Armee sprach, folgte auch die Times der kritischen Berichterstattung über die britische Armee. Damit war das Dilemma der Kriegsberichterstatter entstanden: Das Militär war empört und verbot den Medienvertretern jeglicher Art zu berichten und verbannte sie zudem von der Front. William Russell befand sich in einem inneren Konflikt, in welchen ihn die Berichterstattung über die Armee gebracht hatte. Die Frage, über welche Ereignisse er berichten muss und soll und über welche lieber nicht, konnte er nicht beantworten. Die Ungewissheit, an welchem Punkt die journalistische Pflicht aufhört und welchen Ereignissen man verpflichtend gegenüber berichten sollte, wird immer wieder bei heiklen Themen angesprochen.122 Seit diesem Zeitpunkt war ersichtlich, dass das Militär und die Medien einander brauchen und auf die jeweils andere Seite der Information zurückgreifen. Die enorme Bedeutung des Zeitungswesens, ist vor allem auch auf die Erfindung des Telegrafen zurückzuführen. Durch diese neue Form der Nachrichtenübermittlung konnte schnell eine große Menge von Daten transportiert werden. Experten glaubten, dass durch die neuen technischen Errungenschaften die Transparenz und die Kontrollmöglichkeit mit jedem Kriegskorrespondenten steigen würden und die Nachrichtenübermittlung enorm wächst. Anzumerken ist jedoch, dass die Konsequenz daraus eine Kommerzialisierung des Krieges war und nicht eine qualitativ bessere Berichterstattung. Während des amerikanischen Sezessionskrieges war das öffentliche Interesse innerhalb der Bevölkerung sehr groß, weshalb die Reporter an der Front Berichte auf die Erwartungen der Rezipienten, abstimmten. Die Journalisten gerieten unter einen steigenden kommerziellen Druck, da sie ihre Rezipienten befriedigen und die Konkurrenz übertreffen mussten. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges erlebten die Kriegsberichterstatter einen bedeutenden Aufschwung, da fast überall auf der Welt Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen herrschten. Ungefähr ab 1880 wurde die Fotografie als begleitendes und unterstützendes Element bei der Kriegsberichterstattung eingesetzt. Dabei lässt sich erkennen, dass mit einem Herauskristallisieren der Massenpresse, die Macht der Zeitungskonzerne immer mehr wuchs.123 Durch die neuen Kommunikationsstrukturen wurde der Ruf nach einer umfassenden Systematisierung während des Ersten Weltkrieges in Hinblick auf den 122 Beham, Mira: Kriegsberichterstattung – Vom Telegrafen zum Echtzeitkrieg und Internet. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.): Gute Medien – Böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus. Projektleitung: Thomas Roithner. Dialog. Beiträge zur Friedensforschung. Band 52. LIT Verlag GmbH & Co. Kg. Wien, 2007. S. 39-41. 123 Beham, 2007. S. 42-44.
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manipulativen Zugriff auf die Presse immer lauter. Infolgedessen entwarfen politische und militärische Kräfte ein System von strenger Presselenkung und Stimmungsmache, um den Übergang von Krieg und Frieden möglichst ohne Zwischenfälle zu gewährleisten. Eine neutrale und sachliche Berichterstattung war unter diesen Umständen folglich nicht mehr möglich. Wenn Journalisten einer Nation überhaupt eine Akkreditierung zum Kriegsgeschehen erhielten, so mussten sie im Sinne ihres jeweiligen Militärs berichten. Um allerdings die öffentlichen Massen möglichst rasch bewegen und zum Kämpfen animieren zu können, wurde mit Hassgefühlen gearbeitet. Die Propagandastrategie der Briten und der Alliierten während des Ersten Weltkrieges bestand auf der Stigmatisierung der Deutschen als barbarisches Volk. Es wurden Berichte über Massaker, Vergewaltigungen und andere Kriegsverbrechen gezeigt, die die Deutschen verübt hatten. Diese Propagandastrategie wurde nicht unentwegt angewendet, sondern immer nur dann, wenn die öffentliche Unterstützung zu kippen drohte. Im Zweiten Weltkrieg traten zwei neue Medien hinzu, die verstärkt das Interesse des Militärs und der Politiker weckten: Das Fernsehen und der Rundfunk. Bereits während des Ersten Weltkriegs wusste man über die Wirkung des lebendigen Bildes auf die Massen Bescheid, mangelndes technisches sowie geringes fachliches Wissen ließen die Umsetzung jedoch noch nicht zu. Bei den Nazis wurden im Vorfeld des Krieges die Propagandakampagnen ins Leben gerufen, die über die Einsätze der deutschen Truppen berichteten und sie begleiteten. Anhand dieser Tatsachen konnte sich die Qualität der Berichterstattung nicht entfalten, sondern beschränkte sich vielmehr auf die Verbreitung der vorgegebenen Propaganda.124 Der Vietnamkrieg – der zwischen 1964 und 1975 stattfand – wird als der erste Fernsehkrieg in der Geschichte bezeichnet. Manche Führungspersönlichkeiten der USA sind bis heute davon überzeugt, dass der Krieg aufgrund der medialen Offenheit zum Scheitern verurteilt war und deshalb verloren wurde. Während des Krieges kam es zu Friedensbewegungen in den USA und in Europa. Die US-Fotografen und Reporter zeigten das gesamte Leid der vietnamesischen Bevölkerung, sowie die Kriegsverbrechen der eigenen Truppen. Dadurch wuchs in den Vereinigten Staaten die Zahl der Kriegsgegner. Für die amerikanische Regierung war dies unangenehm, konnte jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine kritische Berichterstattung zu zensieren oder in eine gewisse Richtung zu lenken, wäre damals nicht möglich gewesen.125 Zudem wur-
124 Beham, 2007. S. 45-48. 125 Gaus, Bettina: Frontberichte. Die Macht der Medien in Zeiten des Krieges. Campus Verlag Frankfurt/New York. Frankfurt/Main, 2004. S. 96.
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den die Berichte mit einer bedeutenden Zeitversetzung ausgestrahlt, so dass die Ereignisse überprüft, reflektiert und kommentiert werden konnten.126 Aus dem Vietnamkrieg blieben vor allem zwei Fotos im Bildgedächtnis der Bevölkerung haften: Dies war zum einen das weinende, nackte Mädchen, das schreiend mit anderen Kindern und Soldaten vor einer schwarzen Wolke davonläuft sowie das Bild des südvietnamesischen Polizeichefs Nguyen Ngoc Loan, der am helllichten Tage und auf offener Straße ein angebliches Mitglied der Vietkong vor den Augen der Journalisten in Saigon erschoss. Diese Aufnahmen zählen zu den bekanntesten Bildern dieses Krieges und ihre Authentizität wurde lange Zeit nicht in Frage gestellt. Dennoch war das zuletzt angeführte Foto gestellt, denn der Polizist führte den Gefangenen, dem er die Hände hinter dem Rücken gefesselt hatte, auf die Straße. Er hätte ihn nicht an diesem Ort erschossen, wenn nicht einige Journalisten anwesend gewesen wären. Der Zuseher hatte dabei die bestürzende Möglichkeit, Menschen die zum Tode verurteilt sind, zu beobachten.127 Durch die noch nie da gewesene Freiheit erhielten die Journalisten die Möglichkeit, über die Ereignisse in Vietnam zu berichten. Kein Bericht wurde von irgendeiner staatlichen Institution zensiert, es gab keine Vorgaben, dafür eine umso größere Bewegungsfreiheit. Dadurch konnten die Reporter über verschiedenste Ereignisse informieren und den Menschen zu Hause ein Bild des Krieges liefern. Die Medienrezipienten wurden Zeugen eines grauenhaften Krieges, der Antikriegsdemonstrationen zur Folge hatte und die öffentliche Meinung zugunsten der Kriegsgegner kippte. Die Mehrheit der Bevölkerung richtete sich gegen den US-Einsatz und zwang diese folglich zum Rückzug aus dem Vietnam. Nach dem verlorenen Vietnamkrieg versuchte das amerikanische Militär vorerst die Medien vom Kriegsschauplatz fern zu halten. Nach dieser Erfahrung wurde von Seiten des amerikanischen Militärs, so gut wie möglich, den internationalen Journalisten der Zugang zu den darauffolgenden Kriegsschauplätzen verwehrt. Dieses Vorgehen brachte den Verantwortlichen allerdings zunehmend Kritik ein. Der kritischen Berichterstattung des Vietnamkrieges versuchten die Amerikaner beim Irak-Krieg im Jahr 2003 mit Hilfe von „embedded journalists“ entgegenzuwirken. Journalisten vor Ort – sogenannte „embedded journalists“ – beobachten das Kriegsgeschehen und informieren die Zuseher vor den Fernsehbildschirmen über die Ereignisse. Dabei dürfen die sehr
126 Placke, Heinrich: „The Eye is a Strong Seducer“ Aufklärung, Quotenjagd, Propaganda. In: Glunz, Claudia; Pelka, Artur; Schneider, Thomas F. (Hgg.): Information Warfare. Universitätsverlag Osnabrück V&R unipress. Osnabrück, 2007. S. 426. 127 Sontag, Susan: Das Leiden anderer betrachten. Carl Hanser Verlag München. Wien, 2003. S. 71-72.
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akribisch ausgewählten „eingebetteten Journalisten“ bei bestimmten militärischen Einsätzen dabei sein, um so von der gerade aktuellen Kriegsoperation zu berichten. Diese ausgefeilte Medienstrategie schafft beim Zuseher zum einen das Gefühl der Augenzeugenschaft, zum anderen kann das amerikanische Militär die Berichterstattung leiten und diese in eine bestimmte Richtung lenken. Ereignisse oder Taten, über die keinesfalls berichtet werden dürfen, werden zusätzlich zensiert. Mit Hilfe der Live-Berichte wird ein kommunikativer Raum gefüllt, bevor Kritiker oder gegnerische Meldungen zu Wort kommen und ausgesendet werden können.128 Zusätzlich wurde die militärisch-politische Informationssteuerung immer weiter perfektioniert. Durch Pressekonferenzen versuchten die Militärs die Journalisten mit „ihren“ Informationen zu versorgen, und sie stellten einen gut sortierten Nachrichtenpool mit ausgesuchten Journalisten zusammen, um so die Berichterstattung überwachen zu können. Bildberichte wurden sehr sorgfältig durchleuchtet, die erst, nachdem sie die Zensurstellen passiert hatten, an die Öffentlichkeit freigegeben wurden. Heutzutage werden Kriege meist ohne Zeugen geführt, die Medien werden größtenteils als strategische Waffe oder zur Desinformation des Kriegsgegners eingesetzt.129 Medien und die Politik gehen hierbei ein symbiotisches Verhältnis ein und ziehen von dem jeweils anderem einen strategischen Nutzen. Auf der Seite der Medien kam es besonders in den letzten Jahren zu einer Beschleunigung der Kommunikation durch immer größere technologische Fortschritte. Diese immer schneller verfügbaren Informationen setzen auch einen raschen Umgang mit ihnen voraus, weshalb die Journalisten unter einem großen Konkurrenzdruck stehen. Es gilt am schnellsten, als erster und am informativsten zu berichten und sich dadurch gegenüber den anderen Konkurrenten durchzusetzen. Besonders bei Kriegen inszenieren die Medien die kriegerischen Auseinandersetzungen als mediales Spektakel und „realen Krieg“, unterbrechen das Programm für neueste Ereignisse und verbreiten Aufregung und Hektik im Nach-
128 Dominikowski, Thomas: Massenmedien und Massenkrieg. Historische Annäherungen an eine unfriedliche Symbiose. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Krieg als Medienereignis II. Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert. VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH. Wiesbaden, 2004. S. 59. 129 Dominikowski, Thomas: ‚Massen’medien und ‚Massen’krieg. Historische Annäherung an eine unfriedliche Symbiose. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation. Westdeutscher Verlag GmbH. Opladen, 1993. S. 34-35.
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richtenstudio. Durch technische Pannen und Live-Berichte wird Aktualität und Relevanz des Ereignisses suggeriert.130 Hierbei stellt sich die Frage, wie weit die Medien einen Krieg real wiedergeben müssen/sollen, damit die Zuschauer zu Hause den Krieg als solchen wahrnehmen. Das Verständnis von Krieg wird nicht anhand verschiedener und aktueller Informationsangebote konstruiert sondern auf der Grundlage des Gedächtnisses. Wir assoziieren demnach bewusst oder auch unbewusst Krieg mit Opfer und Leid. An dieser Stelle eröffnet sich die Frage, wie weit sich der Medienrezipient die Gräuel des Krieges vorstellen kann, ohne von den Medien mit Bildern und Informationen beliefert worden zu sein? Der Autor Uwe Kammann beantwortet diese Frage folgendermaßen: „Welche Mittel wären einzusetzen, um das Schreckliche eines Krieges, um die Ausmaße von Tod und Vernichtung wirklich vor Augen zu führen? Wie zeigt und vermittelt man das Leiden von Menschen, die jetzt, in diesem Moment, zerstückelt, verbrannt werden (…). Wie ist die Angst zu schildern, welche den Hals zuschnürt, die Brust eng macht und das Herz rasen läßt, wenn die Alarmsirenen heulen, wenn Raketen ihren Feuerschweif hinter sich herziehen, wenn die Wände zittern und einzustürzen drohen? Wie soll dem Publikum (…) nahegebracht werden, was in einem Soldaten vor sich geht, der weiß, wie schnell sein Panzer zu einem brennenden Sarg werden kann, wenn er getroffen wird, wenn er über brennende Ölfelder hinweg rollen soll? Und wann wäre die Grenze des Voyeurismus erreicht, wann wäre es nur ein pures zweites Ausbeuten und Demütigen derjenigen, die ganz und gar unteilbar und unmittelbar leiden, während wir schauen und damit zu optischen Leichenfledderern 131 zu werden drohen?“
Diese Fragen beschäftigen sich mit der Ethik und auch der Funktion der Medien im Krieg. Wann wird die Grenze zum Voyeurismus überschritten und bis zu welchem Grad können wir von Informationsvermittlung sprechen? Die Technologie hat seither weitere Fortschritte erzielt und somit auch strukturelle Veränderungen herbeigeführt, mit denen weder das Militär noch die Medienexperten oder die Kriegsreporter wissen, wie sie mit den Erneuerungen umgehen sollen. Die Verbreitung des Internets hat eine derart große Informationsflut ausgelöst, die nicht mehr vollständig zu kontrollieren ist. Ebenso ist deren Wirkung auf die Meinungsbildung noch nicht erforscht.
130 Löffelholz, Martin: Beschleunigung, Fiktionalisierung, Entertainisierung. Krisen (in) der „Informationsgesellschaft“. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation. Westdeutscher Verlag GmbH. Opladen, 1993. S. 53-56. 131 Kammann, Uwe. Zitiert bei Löffelholz, 1993. S. 56-57.
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Zu diesen technologischen Errungenschaften kommt erschwerend dazu, dass wir uns in einer asymmetrischen Welt befinden, in der wir ständig bedroht werden können. Konflikte sind nicht mehr genau vorhersehbar.132 Nachrichten über Kriege und Terroranschläge stellen nur teilweise eine objektive Nachricht dar, da der Journalist vor Ort das Geschehen kommentiert, bewertet und somit indirekt beeinflusst. Bettina Gaus – Korrespondentin der Tageszeitung taz – betrachtet diese Art von Journalisten keineswegs als leicht manipulierbar, betont aber gleichzeitig, dass es keine Alternative zu dieser Form im Sinne einer unabhängigen und objektiven Berichterstattung gibt.133
4.3
Das Zusammenspiel von Terrorismus und Medien – eine uneingeschränkte Symbiose?
Politisch motivierte Gewalthandlungen werden nicht ohne ein bestimmtes Motiv verübt. Terroristen versuchen durch ihr Handeln größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen und mittels dieser Publizität eine Botschaft an die Öffentlichkeit zu transportieren. Der bereits verstorbene Psychiater Dr. Frederick Hacker beschrieb das Streben der Terroristen folgendermaßen: [Sie versuchen] „einzuschüchtern und durch Einschüchterung zu herrschen und zu kontrollieren. Sie wollen beeindrucken. Sie treten vor einem und für ein Publikum auf und bemühen sich um Beteiligung der Zuschauer.“134 Terroristische Anschläge können folglich als politisch motivierte Gewalt bezeichnet werden, da sie durch ihre Taten auf Missstände aufmerksam machen und dadurch eine Änderung der aktuellen Situation bewirken wollen. Nachrichtenmedien spielen an dieser Stelle eine besonders wichtige Rolle, da sie Informationen verbreiten und gleichzeitig ein großes Publikum ansprechen. In der Literatur herrscht prinzipiell Konsens darüber, dass ein Zusammenhang zwischen Terrorismus und den Medien besteht. Besonders nach dem 11. September wurde die Kritik vernommen, dass Massenmedien eine Verantwortung für den Grad der Intensität der Terrorismusaktivitäten haben. Manche forderten sogar einen Stopp der medialen Berichterstattung über Terrorismus, da sie sich dadurch einen Rückgang terroristischer Aktivitäten erhofften. Die häufig angesprochene Symbiose zwischen Medien und Terrorismus war somit offen-
132 Beham, 2007. S. 49-50. 133 Gaus, 2004. S. 85f. 134 Zitiert bei Hoffman, Bruce: Terrorismus – Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt. Bpb. Bundeszentrale für politische Bildung. Band 551. S. Fischer Verlag GmbH. Bonn, 2007. S. 268.
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sichtlich. Beide Teile dieser Beziehung können einen Nutzen vom jeweils anderen ziehen. Für die Medien weisen terroristische Aktionen mehrere positive Begleiterscheinungen auf: Das Berichten über diese Form der Gewalt verhilft zu enormen Einschaltquoten und deckt gleich mehrere Nachrichtenwerte gleichzeitig ab. Die Terroristen sind ebenfalls auf die Aufmerksamkeit der Medien angewiesen, da sie dadurch vermehrte Resonanz in der Öffentlichkeit erfahren können.135 Laut einer Studie von Bruno S. Frey (Universität Zürich) und Dominic Rohner (Cambridge University) verbinden Medien und Terroristen ein „common-interest game“, bei welchem beide vom jeweils anderen profitieren können. Terroristen erhalten in diesem Verhältnis kostenlos einen medialen Raum für ihre Sache, den sie so gut wie uneingeschränkt nutzen können. Negativnachrichten stillen das menschliche Bedürfnis der Schadenfreude, Voyeurismus und Neugierde. Auffallend bei der Berichterstattung sind die Bezeichnungen für neue, aufkommende Gewaltwellen. In diesem Zusammenhang sprechen die Medienvertreter von einer „neuen Spirale der Gewalt“, einer „Eskalation“ oder von „neuen Dimensionen“. Hinzu kommen die journalistischen Mechanismen, mit denen Terrorismus in den Medien erklärt wird. Wie bereits angeführt, ist die Nachrichten-Aufbereitung eine davon und wird in Expertenkreisen als Infotainment tituliert. Durch Korrespondenten vor Ort haben die Zuschauer das Gefühl „dabei“ zu sein und Zeuge der Ereignisse zu werden.
4.4
Versuch einer Terrorismusdefinition
Um dieser wechselseitigen Abhängigkeit auf den Grund gehen zu können, muss zuerst der Begriff des Terrorismus – der politisch motivierten Gewalt – genauer geklärt werden. Nur wenige Wörter in unsere Alltagssprache werden so oft erwähnt, ohne eine vage Vorstellung davon zu haben, was darunter verstanden wird. Es fehlt an einer präzisen und konkreten Definition des Wortes „Terrorismus“.136 Der Gebrauch und die Bedeutung des Wortes haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert, um sich der politischen Umgangssprache und der jeweiligen Debatte, die in den verschiedenen Epochen stattfanden, anzupassen. Eine entsprechende Definition ist deshalb schwierig zu formulieren.137 135 Glaab, Sonja: Medien und Terrorismus – Eine Einführung. In: Glaab, Sonja (Hrsg.): Medien und Terrorismus – Auf den Spuren einer symbiotischen Beziehung. Wissenschaft & Sicherheit. Band 3. BWV Berliner Wissenschafts-Verlag. Berlin, 2007. S. 11. 136 Hoffman, 2007. S. 21. 137 Hoffman, 2007. S. 50.
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Der Begriff des Terrorismus zeichnet sich durch sehr fließende Grenzen und somit durch verschiedene Definitionen aus. Dafür sind mehrere Gründe zu nennen: Die Definition des Begriffes Terrorismus hängt zum einen vom Standpunkt des Betrachters ab, weshalb sich Terroristen beispielsweise nicht selber als Terroristen bezeichnen, sondern lieber den Begriff des Widerstands- oder Freiheitskämpfers verwenden.138 Dies war jedoch nicht immer so: Frühere Aktivisten kümmerten sich nicht über ihnen gegebene Definitionen, sondern standen zu ihrem Vorhaben und waren stolz darauf.139 Des Weiteren können vier verschiedene Erscheinungsformen des Terrorismus erkannt werden. In der politikwissenschaftlichen Literatur wird zwischen dem Staatsterrorismus, dem ethno-nationalen Terrorismus, dem ideologischweltanschaulichen sowie dem religiösen Terrorismus unterschieden. Unter die Kategorie des Staatsterrorismus fallen gewaltvolle Aktionen die von einem Staat und deren Organisationen gegen die Bürger ausgehen und somit deren Rechte missachten. Des Weiteren können Staaten verschiedene terroristische Bewegungen in ihrem Land dulden und somit indirekt unterstützen. Der ethno-nationale Terrorismus strebt die Autonomie einer bestimmten Bevölkerungsgruppe an, mit dem Ziel einen eigenen Staat zu gründen. Beispiele hierfür sind die baskische ETA sowie die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). Zielsetzungen des ideologisch-weltanschaulichen Terrorismus sind die Veränderungen der bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse. Die RAF war ein Beispiel für einen sozialrevolutionären Terrorismus, der nach den Grundsätzen von politisch links orientierter Politik handelte. Die zurzeit präsenteste Form des Terrorismus ist die des religiös-fundamentalistischen Terrorismus. Anhänger dieses Stranges handeln vordergründig aus religiösen Überzeugungen und stützen sich auf eine religiöse Ideologie. Ihre Ziele sind vordergründig politisch, sozial und wirtschaftlich motiviert. Ein Beispiel für diese Form ist die global agierende Al-Qaida.140 Im Vergleich zum ethno-nationalen Terrorismus agiert der religiöse Terrorismus nicht in einem bestimmten Territorium, sondern handelt global. Ein besonderes Merkmal des religiösen Terrorismus besteht in einer eher indirekten Konfrontation mit dem Gegner: ihre Aktionen verfolgen die Strategie eines psychischen Krieges, der die Verbreitung von Angst im Vordergrund hat.141 Der Terrorismus-Experte Brian Jenkins schrieb einmal, dass jenes, was als Terrorismus bezeichnet wird, vom eigenen Standpunkt abhängt. Eine Definition
138 139 140 141
Glaab, 2007. S. 11-12. Hoffman, 2007. S. 50-53. Glaab, 2007. S. 11-12. Vgl. Münkler, Herfried (a): Die neuen Kriege. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbeck bei Hamburg, 2004. S. 175-206.
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des Begriffes „Terrorismus“ hängt somit im Wesentlichen vom Verfasser ab und wird im Folgenden diskutiert.142 Generell kann festgehalten werden, dass weder im Bereich des internationalen Rechts noch auf akademischer Ebene Konsens über die Begriffsdefinition herrscht. Behörden, Justiz, Akademiker sowie die mediale Öffentlichkeit suchen nach einer allgemein gültigen Terrorismusdefinition.143 Diese Uneinigkeit lässt sich durch die Begriffsgeschichte des „Terrorismus“ sowie der Schwierigkeit eines neutralen Standpunktes, erklären. Der Begriff wurde im Laufe der Geschichte für eine Vielzahl politischer Gründe und Absichten verwendet. Die Jakobiner gebrauchten den Begriff „terreur“ erstmals während der Französischen Revolution, um so das Vorgehen gegen ihre politischen Gegner zu erklären. Dieser Terminus stand zu dieser Zeit noch in einem positiven Kontext. Allerdings ist das Phänomen sehr viel älter. Als Vorläufer des Terrorismus gelten die Sikarier oder die Assassinen. Während die Sikarier eine gegen die Römer und ihre Besatzung gerichtete jüdische Gruppierung waren, die im 1. Jahrhundert Dolch-Attentate verübten144, zählten die Assassinen zu einer ismailitischen (schiitischen) Sekte des 12. Jahrhunderts, die Selbstmordattentate in Persien begingen.145 Trotz zahlreicher Unterschiede zu den heutigen Formen des Terrorismus kann dennoch erkannt werden, dass es sich schon damals um einen politischen Begriff handelte, bei dem es im Wesentlichen um Macht, das Streben nach Macht, den Erwerb sowie den Gebrauch von Macht handelt. Die heutige Form des Terrorismus hat mit dem Terrorismus zur Zeit der französischen Revolution zwei gemeinsame Schlüsseleigenschaften: Das „régime de la terreur“ war keineswegs ziellos, sondern übte organisiert, zielbewusst und systematisch Gewalt aus. Zweitens war das Ziel ihrer Gewalt die Schaffung einer „neuen und besseren“ Gesellschaft, welche die korrupten und undemokratischen politischen Systeme beseitigen sollten.146 Im Laufe der Geschichte veränderten sich die Bedeutungen und der Begriff wurde auf Handlungen von nicht-staatlichen Gruppen sowie auf repressive Regime, die ihre Bevölkerung unterdrückten, gleichermaßen angewendet. Fast jede Gewalttat, die sich gegen die Gesellschaft richtete, wurde als „terroristisch“ bezeichnet. Als terroristische Gruppierung bezeichnet zu werden gilt als verpönt und wird deshalb von den Betroffenen nicht gerne gehört. Aus diesem Grund 142 Hoffman, 2007. S. 54. 143 Riegler, Thomas: Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien. Studienverlag Ges.m.b.H. Innsbruck, 2009. S. 14. 144 http://de.wikipedia.org/wiki/Sikarier (23.6.2010). 145 Dietl, Wilhelm; Hirschmann, Kai; Tophoven, Rolf (Hrsg.): Das Terrorismus-Lexikon. Täter, Opfer, Hintergründe. Eichborn AG. Frankfurt am Main, 2006. S. 246. 146 Hoffman, 2007. S. 24-25.
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präsentieren sie sich gerne als „Widerstandskämpfer“, die für ein berechtigtes Anliegen eintreten und sich somit vom Begriff des Terrorismus distanzieren.147 Sie verwenden Begriffe wie Freiheit und Befreiung, Armeen oder andere militärische Organisationsstrukturen, Selbstverteidigungsbewegungen oder bewusst gewählte neutrale Namen.148 Walter Laqueur bezeichnet die heutigen Terroristen als jene, die ihn zwar praktizieren, nicht jedoch als „Terrorist“ bezeichnet werden wollen.149 Der Begriff äußert sich durch seine negative Wertung zur Dämonisierung seines Gegenübers und findet noch heute große Anwendung. Eine Politisierung dieses Begriffes setzte in den antikolonialen Aufständen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ausbrachen, ein. Dabei waren Sympathie und Antipathie klar abgesteckt: Die Sowjetunion sprach von „Befreiungsbewegungen“, die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützten wiederum verbündete „Freiheitskämpfer“. Beide Seiten bezeichneten das jeweils andere Lager als „terroristisch“.150 Eine Differenzierung zwischen „Terrorismus“ und „legitimer Freiheitskämpfer“ erfolgt durch eine Reihe internationaler Rechtsauffassungen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dem Anführen des „Selbstbestimmungsrechts“ und des „Selbstverteidigungsrechts“ in der UN-Charta 1945 sowie durch das Inkrafttreten der Deklaration der Menschenrechte im Jahr 1948 und der Genfer Konvention von 1949 setzte sich eine Auffassung durch, dass ein bewaffneter Widerstand dann zulässig ist, wenn er sich gegen eine mit Waffengewalt tätige fremdländische Besatzung stellt.151 Die Generalversammlung bestätigte in der Resolution zum Selbstbestimmungsrecht im Jahr 1973 erneut „die Legitimität des Kampfes der Völker für die Befreiung von kolonialer und Fremdherrschaft und ausländischer Unterjochung mit allen verfügbaren Mitteln, einschließlich des bewaffneten Kampfes.“152 Das Zusatzprotokoll I der Genfer Konvention von 1977 besagt, dass „bewaffnete Konflikte, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen“,153 als international anerkannte Konflikte gelten und dabei das humanitäre Kriegsrecht angewendet wird.154 147 148 149 150 151 152
Riegler, 2009. S. 15. Hoffman, 2007. S. 51-52. Laqueur, 2003. S. 351. Riegler, 2009. S. 16. Riegler, 2009. S. 17. Schirmer, Gregor: Befreiungskampf oder Terrorismus. Widerstand gegen eine fremde Besatzungsmacht ist völkerrechtlich grundsätzlich zulässig. Vortrag bei der "Internationalen IrakKonferenz. Besatzung, Widerstand, internationale Solidarität" in Berlin am 12. März 2005. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Voelkerrecht/widerstand.html (23.6.2010). 153 http://de.wikipedia.org/wiki/Genfer_Konventionen#Zusatzprotokoll_I (23.6.2010). 154 Riegler, 2009. S. 18.
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Seither gilt dieser Begriff als Gegenstand vieler kontroverser Diskussionen. Dies zeigte sich am deutlichsten anhand der Debatte zwischen westlichen und nichtwestlichen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, die nach dem Terrorangriff bei der Münchener Olympiade von 1972, bei dem elf israelische Athleten getötet wurden, ausbrach. Der damalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim forderte von den Vereinten Nationen praktische Schritte gegen diese Form der Gewalt zu unternehmen und kein „stummer Zuschauer“ zu sein. Während viele den damaligen Generalsekretär in seinem Vorschlag unterstützten, entfachte eine Diskussion unter mehreren arabischen Mitgliedstaaten, die die Ansicht vertraten, dass Völker hin und wieder kämpfen müssten, um sich vor ausländischer Unterdrückung und Ausbeutung zu befreien. Diese Ansicht sprach Arafat zwei Jahre später erneut aus.155 Der damalige PLO-Chef Jassir Arafat erläuterte den Begriff des Terrorismus in seiner Rede am 13. November 1974 vor der UN-Vollversammlung in New York: „Diejenigen, die unserer Revolution das Attribut Terror geben, tun dies nur, um die Weltöffentlichkeit irrezuführen und die Wahrheit zu verschleiern, nämlich unser Gesicht der Gerechtigkeit und der Selbstverteidigung und ihr Gesicht der Ungerechtigkeit und des Terrors. Die Seite an der der Waffenträger steht unterscheidet den Revolutionär vom Terroristen. Wer auf Seiten einer gerechten Sache steht, wer für die Freiheit seiner Heimat und seine Unabhängigkeit gegen Eroberung, Besatzung und Kolonialismus kämpft, auf den kann in keiner Weise das Attribut Terrorist angewandt werden; sonst wäre ja das amerikanische Volk, als es die Waffe gegen den britischen Kolonialismus trug, terroristisch gewesen, sonst hätte man den europäischen Widerstand gegen das Naziregime als Terror bezeichnen können, sonst könnte man den Kampf der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas als Terror bezeichnen. […] Derjenige aber, der die Waffe gegen die gerechte Sache trägt, derjenige, der den Krieg für die Besatzung der Heimatländer anderer, für ihre Beraubung, Ausbeutung und Kolonialisierung führt, der ist der Terrorist, und seine Taten müssen schuldvolle Taten sein für die das Attribut Kriegsverbrechen gilt, denn die Gerechtigkeit einer Sache ist es, die die Gerechtigkeit der Waffe bestimmt.“156
Anhand dieses Beispiels wird die unterschiedliche Sichtweise über den Begriff des „Terrorismus“ verdeutlicht. Noch immer versuchen verschiedenste Institutionen und Akteure diesen Begriff zu fassen und eine allgemein gültige Definition herzustellen. Auf dem „Internationalen Gipfeltreffen über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit“ in Madrid im Jahr 2005 betonte der damalige UNGeneralsekretär Kofi Annan die Wichtigkeit einer Terrorismusdefinition, „die 155 Hoffman, 2007. S. 55. 156 http://www.palaestina.org/dokumente/plo/rede_von_praesident_yassir_arafat.pdf (23.6.2010).
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deutlich macht, dass es sich bei all jenen Handlungen um Terrorismus handelt, die die Absicht haben, den Tod oder schwere körperliche Schäden bei Zivilisten und nicht Kämpfenden herbeizuführen, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation dazu zu zwingen, etwas zu tun oder zu unterlassen.“157 Ein Formulierungsversuch scheiterte, da unter dem Begriff „Gewalt“ gegen Nichtkombattanten auch die Opfer der Militäraktionen gezählt werden können.158 Staaten und supranationale Organisationen haben eigene Definitionen kreiert. Die zahlreichen US-amerikanischen Behörden verfügen jeweils über eigene Terrorismusdefinitionen. Konsens herrscht lediglich in dem Punkt, dass Terrorismus von subnationalen Gruppierungen angewendet wird. Des Weiteren finden sich in den USA offizielle Listen von terroristischen Organisationen und Personen, wie zum Beispiel auf der Internetseite des US-Department of State.159 Folgende Institutionen beschreiben „Terrorismus“, als:
The calculated use of unlawful violence or threat of unlawful violence to inculcate fear; intended to coerce or to intimidate governments or societies in the pursuit of goals that are generally political, religious, or ideological (US Department of Defense). The unlawful use of force or violence against persons or property to intimidate or coerce a Government, the civilian population, or any segment thereof, in furtherance of political or social objectives (FBI).160 Premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational groups or clandestine agents, usually indented to influence an audience (US Department of State).161 Any action constitutes terrorism if it is intended to cause death or serious bodily injury to civilians or non-combatants with the purpose of intimidating a population or compelling a government or an international organization to do or abstain from doing any act (UNO).162
157 Fünf Punkte gegen den Terrorismus. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Terrorismus/annan.html (23.6.2010). 158 Riegler, 2009. S. 23. 159 Riegler, 2009. S. 24-25. 160 http://terrorism.about.com/od/whatisterroris1/ss/DefineTerrorism.htm (23.6.2010). 161 Vorlesungsunterlagen Aktuelle Sicherheitsbedrohungen: Regionalkonflikte, Terrorismus, Proliferation und Strategische Ressourcenverknappung. Sommersemester 2008. 162 Costa, Antonio Maria: Drugs, Crime and Terrorist financing. Breaking the Links. Conference Speech. Vienna, 9.11.2006. http://www.unodc.org/pdf/ED%20speech%20to%20OSCE.pdf (23.6.2010).
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Terrorism is the use of violence for political ends, and includes any use of violence for the purpose of putting the public or any section of the public in fear (British law; 1974).163
Die aufgezählten Definitionen spiegeln die jeweiligen Prioritäten und Interessen der verschiedenen staatlichen Behörden wider. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der Resolution 1566 im Oktober 2004 folgendes festgehalten: „Criminal acts, including [those] against civilians, committed with the intent to cause death or serious bodily injury, or taking of hostages, with the purpose to provoke a state of terror in the general public or in a group of persons or particular persons, intimidate a population or compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act, which constitute offences within the scope of and as defined in the international conventions and protocols relating to terrorism, are under no circumstances justifiable by considerations of a political, philo164 sophical, ideological, racial, ethnic, religious or other similar nature.”
Nicht nur einzelne Behörden erweisen sich außerstande, sich auf eine Definition zu einigen.165 Auch im akademischen Bereich konnte noch keine adäquate Definition gefunden werden. Der Professor und Autor Paul Wilkinson definiert „Terrorismus“ als: „the systematic use of murder, injury and destruction or threat of same to create a climate of terror, to publicise a cause and to intimidate a wider target into conceding to the terrorists’ aim.”166 Der Sozialwissenschaftler Alex P. Schmid versuchte in der Studie, „Political Terrorism“, den Begriff zu definieren und ermittelte in den 80er Jahren eine Definition, die er aus 109 verschiedenen Reaktionen und Begriffsbestimmungen präzisierte. Dafür wurden Experten mittels Fragebogen aufgefordert, den Begriff zu erläutern. Schmid filterte 22 Faktoren heraus, die für das Phänomen des Terrorismus kennzeichnend sind.167 Am häufigsten (83,5%) wurde Gewalt und Zwang als Begriffserklärung angewendet, 65 Prozent verbinden Terrorismus mit der Politik und 51 Pro-
163 Weinberg, Leonard; Pedahzur, Ami; Hirsch-Hoefler, Sivan: The Challenges of Conceptualizing Terrorism. In: Terrorism and Political Violence. Vol. 16, Nr. 4. Winter, 2004. S. 787. 164 Zitiert bei: Wilkinson, Paul: Terrorism versus Democracy. The Liberal State Response. Second Edition. Routledge Taylor & Francis Group. London – New York, 2006. S. 2. 165 Hoffman, 2007. S. 69. 166 Wilkinson, Paul: International terrorism: the changing threat and the EU’s response. Chaillot Paper. Nr. 84. EU Institute for Security Studies, 2005. S. 9. 167 Riegler, 2009. S. 42.
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zent nennen Angst und Schrecken als Eigenschaft des Terrorismus.168 Lediglich sechs Prozent bringen diese Form der Gewalt mit Kriminalität in Verbindung.169 Schmid und Jongman stellten am Ende ihrer Studie fest, dass es aufgrund eines mangelnden Konsenses hinter den Deutungsmustern nicht die „eine“ Definition gibt. Sie formulierten vielmehr eine „Academic Consensus Definition“, die aus 13 der 22 herausgefilterten Merkmalen besteht. Diese ist jedoch aufgrund ihrer Sperrigkeit auf Widerspruch gestoßen.170 „Terrorism is an anxiety-inspiring method of repeated violent action, employed by (semi-) clandestine individual, group, or state actors, for idiosyncratic, criminal, or political reasons, whereby – in contrast to assassination – the direct targets of violence are not the main targets. The immediate human victims of violence are generally chosen randomly (targets of opportunity) or selectively (representative or symbolic targets) from a target population, and serve as message generators. Threatand violence-based communication processes between terrorist (organization), (imperiled) victims, and main targets are used to manipulate the main target (audience(s)), turning it into a target of terror, a target of demands, or a target of attention, depending on whether intimidation, coercion, or propaganda is primarily 171 sought.“
Die Forschergruppe Weinberg, Pedahzur und Hirsch-Hoefler untersuchte drei renommierte Fachzeitschriften und analysierte dabei die unterschiedlichen Definitionen der Experten, um zu einer akzeptablen und angemessenen Worterklärung zu gelangen. Als Untersuchungsgegenstand zählte das Journal „Terrorism“, „Terrorism and Political Violence“ sowie „Studies in Conflict and Terrorism“. In einem Zeitraum von 1977 bis 1991 sowie 1992 bis 2001 erzielten sie 73 verschiedene Definitionen. Dabei wurde der Begriff der Gewalt und des Zwanges bei 71 Prozent der Definitionen erkannt. 60 Prozent des Materials verband Politik mit Terrorismus. Am dritthäufigsten konnten Angst und Schrecken mit 41 Prozent herauskristallisiert werden. Auffallend war, dass sich Differenzen zur Studie von Schmid und Jongman erkennen ließen. Das Forschertrio kam zum Schluss: „Terrorism is a politically motivated tactic involving the threat or use of force or violence in which the pursuit of publicity plays a significant role.“172
168 Schmid, Alex P.; Jongman, Albert J.: Political Terrorism. A New Guide to Actors, Authors, Concepts, Data Bases, Theories, & Literature. Transaction Publisher. New Brunswick and London, 1984. S. 5. 169 Weinberg; Pedahzur; Hirsch-Hoefler, 2004. S. 781. 170 Riegler, 2009. S. 42. 171 Schmid; Jongman, 1984. S. 28. 172 Weinberg; Pedahzur; Hirsch-Hoefler, 2004. S. 782.
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Alex P. Schmid bezeichnet diesen Ansatz als „New Academic (Minimal) Consensus Definition“.173 Die Gewalt kann sich symbolisch gegen Personen richten, die von den Terroristen als Gegner betrachtet werden oder aber auch gegen unbeteiligte Dritte. Durch terroristische Anschläge sollen psychologische Signalwirkungen ausgestrahlt werden und dienen somit als Mittel der Kommunikation, die vor allem mediale Aufmerksamkeit sichern. Die daraus entstehende Angst der Bevölkerung soll Regierungen und verschiedenste Verantwortliche zu einem Richtungswechsel in der Politik bewegen. Terroristische Gewalt kann sich negativ und destabilisierend auf Politik und Gesellschaft auswirken. Mittels ihrer meist sehr spektakulären Anschläge hoffen sie, Teile der Bevölkerung für ihre Sache zu begeistern und für sich gewinnen zu können.174 Walter Laqueur behauptet schließlich, dass es nahezu unmöglich sei, Terrorismus zu definieren.175 Seine Reaktion auf die Studie von Alex P. Schmid lautete: „Ten years of debates on typologies and definitions have not enhanced our knowledge of the subject to a significant degree.“ Zudem schreibt Laqueur, dass Terrorismusstudien mit einem Minimum an Theorie auskommen würden.176 Für Louise Richardson, Professorin an der Universität Harvard, bedeutet Terrorismus ein für politische Zwecke planmäßig und gewaltsames Vorgehen gegen Zivilisten. Diese Form der Gewalt zeichnet sich durch sieben entscheidende Merkmale aus. Terrorismus ist zum einen eine politisch motivierte Handlung, zum anderen ist diese gewaltsam und dient dem Zweck, eine Botschaft zu übermitteln. Die Bewältigung des Feindes ist nicht als primäre Aufgabe zu betrachten. Viertens: Der Terroranschlag und die Opfer besitzen meist eine symbolische Bedeutung. Osama bin Laden bezeichnete die Zwillingstürme in New York als „Ikonen“ der „militärischen und wirtschaftlichen Macht“ Amerikas.177 Die psychologische Wirkung eines Anschlages ist meist größer als der physische Schaden, denn die Schockwirkung wird durch die Symbolik des Terrorakts erheblich gesteigert. Fünftens: Terrorismus ist meistens eine Vorgehensweise von Gruppen auf substaatlicher Ebene und geht vorwiegend nicht von Regierungen aus. Dieses letzte Merkmal ist allerdings umstritten, denn auch Staaten wenden Terrorismus
173 Schmid Alex P.: Terrorism and the Media. In: Rapoport, David C. (Hrsg.): Terrorism. Critical Concepts in Political Science. Volume IV. The Fourth or Religious Wave. Routledge Taylor & Francis Group. Oxfordshire, 2006. S. 109. 174 Glaab, 2007. S. 12-13. 175 Zitiert bei Hoffman, 2007. S. 70. 176 Schmid, 2006. S. 3. 177 Angeführt bei: Richardson, Louise: Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können. Campus Verlag GmbH. Frankfurt am Main, 2007. S. 29.
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als Instrument ihrer Außenpolitik an. Großmächte haben Terrorgruppen in manchen Ländern unterstützt, um dort einen Stellvertreterkrieg führen zu lassen. Zum sechsten Merkmal gehört die Erkenntnis, dass die Opfer des Terrorakts und das Publikum welches sie erreichen wollen, nicht dieselben sind. Die Opfer sollen das Verhalten eines größeren Publikums beeinflussen. Sie werden entweder zufällig ausgewählt oder stellen Repräsentanten einer größeren Gruppe dar. Das siebte Merkmal zählt zu einem der wichtigsten: Terrorismus richtet sich hauptsächlich gegen Zivilisten. Das unterscheidet den Terrorismus von anderen Formen der politischen Gewalt.178 Dietl, Hirschmann und Tophoven führen im Terrorismuslexikon fünf Komponenten an, die wesentlich an terroristischen Gewaltakten beobachtet werden können. Es muss sich erstens um eine über einen bestimmten Zeitraum andauernde und wiederkehrende Gewalt handeln. Das Attentat sollte geplant und organisiert sein, sodass spontane Gewaltausbrüche nicht unter den Begriff des „Terrorismus“ fallen können. Drittens sind die Anschläge Ausdruck einer politischen Motivation, um eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbei zu führen. Viertens führen die drei Autoren die Bedeutung der Gewaltform an: Bomben, Schusswaffen oder andere Explosionskörper werden als Kommunikationsstrategie benutzt, um Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung und beim Gegner herzustellen. Die Gewalt muss von der Bevölkerung als unnatürlich und unverhältnismäßig betrachtet werden, um eine Abgrenzung zu klassischen Befreiungsund Guerillabewegungen sicherstellen zu können. Das Ziel der Terroristen sei es, die Handlungen und Strukturen des Gegners zu Gunsten seiner eigenen Vorstellungen zu beeinflussen.179 Interessant erscheint die Tatsache, dass der AJE Moderator Imran Garda Abstand von der Bezeichnung „Terrorismus“ nimmt. Er stellt die Frage, welche Definition des Terrorismus die „richtige“ sei und führt folgendes interessante Beispiel an, das zu weiteren Überlegungen führt: „I’m not sure what is defined as a terror attack. Is it a suicide bombing killing civilians in Tel Aviv? A B-52 bomber or Apache helicopter firing on a Bagdad market place and killing civilians there? In every conflict you’re going to find people who are partial and take sides. I saw footage of New Yorkers celebrating the Israeli attack on Gaza which killed 1400 people. Are they supporting terror? I don’t know.“180
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Definition des Terrorismus vordergründig vom Verfasser abhängt. Für den Einen sind es Befreiungsbewegungen, für den Anderen Terrorgruppierungen. 178 Richardson, 2007. S. 28-30. 179 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 17-18. 180 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010.
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Auch die AJE Korrespondentin Hoda Hamid äußert sich zur Frage nach den aktivsten Terrorgruppierungen differenziert und nimmt von den uns bekannten Definitionen Abstand. „Again the terror word. Surely the spin machine managed to convince the western audience that all attacks are terror activities, forgetting that throughout history people have resisted foreign presence or occupation through armed struggle. It just suits everyone to believe that these are only terrorists so no one has to sit and think. Also the word has a huge psychological impact on the audience; a terrorist being a bad apple only interested in killing and creating havoc. I am not denying that some elements are like that but these are a tiny minority. If you research well, you will find that many of the fighters are people whose lives have been shattered by the other side. Think about innocent people celebrating a wedding and being bombed because of “wrong intelligence”…don’t you think that at least one person there would turn and join the armed struggle?“181
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Terrorismus ein Phänomen ist, welches am besten multidimensional und interdisziplinär zu erfassen ist. Es sollten historische, politikwissenschaftliche, ökonomische, kulturelle, religiöse aber auch psychologische Erklärungsmuster mit einfließen. Terrorismus kann somit als Gewalt gegen willkürlich oder selektiv gewählte Ziele verstanden werden, wobei der Gewaltakt wesentlich als Transporteur einer Botschaft dient und somit einen kommunikativen Akt darstellt. Zudem sind die Attentate meist gegen Nicht-Kombattanten gerichtet und gehen von nicht staatlichen Akteuren aus. Der Terrorakt soll eine politische Reaktion im Sinne der Terrorgruppe herbei führen. Das Zielpublikum soll durch den Anschlag zu einer aktiven Teilnahme mobilisiert und eingeschüchtert oder ein Gefühl von Angst verbreitet werden, damit das Zielpublikum nicht mehr gewillt ist, ein bestimmtes Regime oder dessen Politik zu unterstützen. Die Herrschenden hingegen werden durch den Terrorakt zu einer unverhältnismäßigen Reaktion verleitet, um die innergesellschaftlichen Unstimmigkeiten zu verstärken. Weiters kann Terrorismus als politische Strategie verstanden werden, die einen Wandel der Politik oder der herrschenden Ordnung gewaltsam herbeiführen möchte. Der Begriff des Terrorismus ist eine Zusammenstellung von Einzelmerkmalen, die je nach Betrachter variieren können.182 Es erscheint jedoch wichtig, den Begriff des Terrorismus nicht so weit auszudehnen, dass er fast bedeutungslos wird. Häufig dient der Begriff „Terrorismus“ als Synonym politischer Gewalt gegen nicht-staatliche Gruppierungen. Diese Definition
181 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid. 24.7.2010. 182 Riegler, 2009. S. 43.
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erweist sich als wenig hilfreich. Es ist vielmehr anzumerken, dass Terrorismus eine Form der politischen Gewalt gegen Nicht-Kombattanten darstellt.183 Diese Unterscheidung ist grundlegend, denn nicht nur sub-staatliche Akteure sondern auch Staaten können terroristisches Handeln an den Tag legen, weshalb die „traditionellen“ Definitionen in dieser Arbeit etwas ausgeweitet werden. Auch Staaten können terroristische Anschläge gegen Nicht-Kombattanten verüben; dies wurde während der Analyse ersichtlich.184 4.4.1
Charakteristika des Terrorismus
Die Gewalt des Terrorismus kann – ebenso wie jene des Guerillas – als asymmetrisch Gewalt bezeichnet werden und wird aufgrund dessen gerne verwechselt. Beide Formen bringen jedoch ganz andere Zielsetzungen mit sich. Der Guerilla verfolgt eine militärische Strategie und richtet seine Gewalt gegen Vertreter des Staates wie die Polizei und das Militär. Terroristen hingegen zielen mit ihrer Gewalt auf eine Kommunikationsstrategie ab. Ziel der Gewalt sind oft Symbole und Zivilisten, um der Öffentlichkeit eine Botschaft zu übermitteln. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal kann das Interesse des Guerillos auf die Eroberung eines Gebietes angeführt werden. Der Terrorist hingegen ist an dem Gebiet nicht primär interessiert, er will hauptsächlich die Gedanken der Öffentlichkeit beherrschen. Die asymmetrische Gewalt beinhaltet unterschiedlich starke Gegner: einen Staat und die Terroristen. Terrorismus kann als eine „von unten“ kommende Bedrohung für die staatliche Ordnung betrachtet werden, welche mit unkonventionellen Waffen vorgeht. Wie bereits angeführt, wenden Terrorkommandos Gewalt als Mittel der Kommunikation an, die sich vorzugsweise gegen Zivilisten richtet, um einen Zustand der permanenten Angst und Verunsicherung zu schaffen. Die Zivilisten werden deshalb als Anschlagsziel gewählt, da Terroristen mit dieser Gruppierung am besten Angst und Desorientierung erzeugen können.185
183 Hippler, Jochen: Der Nahe und Mittlere Osten – Terrorismus und politische Gewalt. In: Hippler, Jochen (Hrsg.): Von Marokko bis Afghanistan. Krieg und Frieden im Nahen und Mittleren Osten. Konkret Literatur Verlag. Hamburg, 2008. S. 161-162. 184 Riegler, 2009. S. 43. 185 Ortner, René: Attentate, Terror und Terrorismus: Begriffe und Theorie. In: Gehler, Michael; Ortner, René (Hrsg.): Von Sarajewo zum 11. September. Einzelattentate und Massenterrorismus. Studienverlag. Innsbruck, 2007. S. 18.
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4.4.2
Der radikal-islamistische Terrorismus
Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre konnte man einen neuen Trend in der Entwicklung des Terrorismus beobachten: Der linksradikale Terrorismus sowie die Guerilla- und Bürgerkriege in Lateinamerika wurden von radikal-islamistischen Gruppierungen abgelöst und erregen seither mit spektakulär inszenierten Anschlägen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dabei kann man zwischen zwei Phasen unterscheiden: einer schiitischen und sunnitischen. Die schiitische Gewaltwelle der 80er Jahre wurde vorwiegend im Kontext des Libanon-Konfliktes verstanden. Der Abschnitt des sunnitischen Terrorismus, der Anfang der 90er begann, ist unter anderem mit der Gruppierung Al-Qaida und der Person Osama bin Laden verbunden. Diese beiden Formen folgen sehr wohl einer politischen Motivation und benutzen vordergründig die Religion als Legitimation und Rechtfertigung ihrer Gewalt. Terrorismus ist keineswegs ausschließlich auf religiöse Faktoren gestützt, wie auch der Autor Mark Juergensmeyer unterstreicht. „[…] religious language and ideas play an important role, though not necessarily the initial one. The conditions of conflict that lead to tension are usually economic and social in character – and often, a defense of territory or culture perceived to be under control by an outside power. At some point in the conflict, however, usually at a time of frustration and desperation, the political contest becomes religionized. Then what was primarily a secular struggle takes on the aura of sacred conflict“.186 Und dies schaffe wiederum neue Formen der Probleme, so Juergensmeyer. Religion wird oft als Ideologie des Protestes angeführt. Als Protest für das globale säkulare System und deren säkulare Unterstützer der Nationalstaaten. Viele Terroristen, die eine radikale, antistaatliche und religiöse Weltsicht vertreten, sind oftmals verärgert über den eigenen Staat, den sie als Unterdrücker wahrnehmen.187 Ein Verschmelzen religiöser und politischer Elemente konnte man beispielsweise anhand des Anschlages am 11. September 2001 erkennen. Der primär religiöse Terroranschlag traf politische und militärische Symbole und Institutionen der Vereinigten Staaten von Amerika. Den radikal-islamistischen Terrorismus kann man vielmehr als Reaktion auf die realpolitische Rolle des Westens (hier besonders der USA) in den Ländern des Nahen Ostens begreifen. Der schiitische Terror war vor allem in den 1980er Jahren ein terroristisches Phänomen, bei dem hauptsächlich der Iran als Hauptsponsor agierte. Unterstützt wurde diese Form der Gewalt auch vom säkularen Syrien. Das Ziel war es, die Islamische Revolution zu exportieren, was jedoch nur mit einer Aufrüstung der 186 Juergensmeyer, Mark: Religion as a Cause of Terrorism. In: Richardson, 2006. S. 140. 187 Juergensmeyer, 2006. S. 141.
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militanten Hisbollah gelang. Diese wurde 1982 gegründet und kämpfte gegen die israelische Besatzung des Südlibanons sowie einer westlichen „Einmischung“ der Interventionskräfte in den Libanon-Krieg. Die praktizierenden Formen der Gewalt waren Selbstmordattentate mit Autobomben und Geiselnahmen. Zudem versuchte der schiitische Terrorismus die iranische Revolution in die Golfstaaten und Saudi-Arabien zu transportieren. Im Unterschied zum sunnitischen Terrorismus war der schiitische eng an übergeordnete strategische Interessen gebunden, die mit den Expansionsversuchen der Iranischen Revolution zusammenhingen. Der sunnitische Terrorismus war bis Ende der 1970er Jahre von säkularen und linken Gruppierungen wie der PLO bestimmt, die einen nationalistischen Antiimperialismus vertraten. Die Anhänger der „Salafia“-Glaubensrichtung – welche überwiegend für den radikal-islamistischen Terrorismus sunnitischer Prägung verantwortlich sind – erregten erstmals 1979 die öffentliche Aufmerksamkeit, als sie die Kaaba in Mekka besetzten. In den 1980er Jahren konzentrierten sie sich ganz auf den Jihad gegen die Rote Armee in Afghanistan. Ihr Beitrag zum Kriegsgeschehen war zwar nur marginal, dennoch herrschte das Triumphgefühl nach dem Abzug der sowjetischen Kämpfer, die „gottlosen“ Kommunisten besiegt zu haben. Zu Beginn der 90er Jahre verstreuten sich diese Kriegsfreiwilligen auf verschiedene lokale Konfliktherde, um den in Afghanistan initiierten Jihad fortzuführen. Im bosnischen Bürgerkrieg versuchten sie ergebnislos, den Islamismus zu verankern und mussten zu Kriegsende im Jahr 1995 das Land verlassen, um den NATO-Friedenstruppen Platz zu machen. Ein weiterer Konfliktherd bildet die zwischen Indien und Pakistan liegende Region Kaschmir. Pakistan stellte nach drei verlorenen Kriegen gegen die militärisch überlegenen Inder ihre Taktik um und begann einen „Stellvertreterkrieg“ zu führen. Der pakistanische Geheimdienst ISI, der islamistisch organisiert ist, unterstützte militante Gruppen, die Angriffe von Pakistan auf den indischen Teil von Kaschmir verübten. Viele freiwillige pakistanische Kämpfer wurden ab 1993 in Trainingslager in Afghanistan verlegt. Der ISI bezahlte die Taliban dafür, dass sie diese Einrichtungen in ihrem Land tolerierten. Diese Trainingslager sollten zum Grundstein der späteren Al-Qaida-Trainingscamps werden. Auch Algerien, Ägypten und Tschetschenien wurden vom sunnitischen Terrorismus heimgesucht.188 Der radikal-islamistische Terrorismus musste in den 1990er Jahren viele Niederlagen einstecken, weshalb sie sich vom nahen zum fernen Feind – die USA und den Westen im Allgemeinen – orientierten. Die verantwortlichen Personen, die diesen Strategiewechsel vollzogen, waren zum einen Osama bin La188 Riegler, 2009. S. 100-102.
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den und zum andern sein Stellvertreter Ayaman al-Zawahiri. Sie traten für die direkten Anschläge gegen die USA ein, da sie in dieser Macht das Übel ihrer Probleme vermuteten. Besonders US-Einrichtungen im Ausland wurden zum Ziel ihrer Gewalt. Al-Qaida griff die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998 an und verübte ein Attentat auf das Kriegsschiff USS Cole in Aden im Jahr 2000. Der 11. September 2001 stellte den Höhepunkt ihrer Jihad-Strategie dar. Daraufhin verlor die Terrorgruppe Al-Qaida zwar seine Basis in Afghanistan, kleinere lokale Gruppen griffen jedoch weiterhin leicht verwundbare Ziele an, wie touristische Orte in Djerba im Jahr 2002, Mombassa 2002, Jarkata 2003, Taba 2004, Bali 2002 und 2005, Sharm El-Sheikh 2005 sowie in Islamabad 2008 und Peshawar 2009. Doch auch das öffentliche Verkehrsnetz westlicher Staaten wurde getroffen (Madrid 2004 und London 2005). Die meisten Anschläge wurden jedoch im Irak verübt, die in einem regelrechten Guerillakrieg mit Selbstmordattentaten, Entführungen und Enthauptungen endeten.189 4.4.3
Entwicklungslinien des jihadistischen Terrorismus
Der jihadistische Terrorismus kann als politische Ideologie bezeichnet werden, der sich einer religiösen Sprache bedient, um die „wahre“ Auslegung des Glaubens zu versinnbildlichen. Es wird als Gegenentwurf zu westlichen Ordnungsund Wertvorstellungen verstanden und bezieht sich auf die heilige Schrift, den Koran, sowie auf andere zentrale Werke der muslimischen Tradition und Theologie. Der Begriff „Jihad“ wird oftmals als „Heiliger Krieg“ übersetzt, der aber in Wirklichkeit für „das Bemühen auf dem Weg Gottes“ oder „das Bemühen um Gottes Willen“ steht. Als vorrangiges Ziel wird die Schaffung eines Staates gesehen, in dem der Koran und die Überlieferungen des Propheten als Verfassung anerkannt werden. Der jihadistische Terrorismus entwickelte sich zu einer politischen Protestbewegung und totalitären Ideologie im zeitgenössischen Islam. Der frühe Islam des 7. Jahrhunderts stellt hierbei das Vorbildmodell eines islamischen Staates und islamischer Lebensweise dar. Die zu dieser Zeit geltenden Ideale sollten auch in der heutigen Zeit gültig sein und zusätzlich eine neue islamische Identität schaffen. Der Hauptvorwurf dieser Strömung richtet sich gegen Regierungen und Eliten der muslimischen Länder, die sich vom Islam abgewandt hätten und sich zunehmend an eine „gottlose“ Welt mit westlich-orientierten Mustern orientierten. Sie fordern deshalb eine Rückentwicklung zu den wahren islamischen Werten der 189 Ebenda. S. 102.
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islamischen Gemeinschaft (Umma). Als geistiges Rahmenwerk gelten zwei historische Reform- und Erweckungsbewegungen:190 Die „Salafiyya“: Ihre Grundlagen fundieren auf den Schriften mittelalterlicher Gelehrter. Sie zielen auf eine Rückbesinnung zum fiktiven „Ur-Islam“ und wollen sich vom Islam der Gegenwart lösen. Als Vorbild für diese Bewegung wird die Gemeinde des Propheten in Medina genannt. Eine Spaltung des Islams in mehrere kleinere Rechtsschulen soll verhindert werden. Die Bewegung der „Wahhabiya“ beruht auf den Lehren Muhammad b. Abd al-Wahhabs (1703-1792), der aus dem heutigen Saudi-Arabien stammte und zum Namensgeber dieser Bewegung wurde. Im Jahr 1902 wurde der Grundstein für den wahhabitischen Staat gelegt, der im Jahr 1932 entstand und das heutige Saudi-Arabien wurde. Die kriegerische Religionsverbreitung gilt als Grundlage dieser Bewegung und bereitet somit das Fundament für spätere gewaltsame Missionierungen und Jihad-Bewegungen. Jene, die die Auffassung der Wahhabiya nicht teilen, werden als Ungläubige bezeichnet. Eine Unterscheidung in „gläubig“ und „ungläubig“ ist bei dieser Bewegung ein wesentliches Merkmal.191 Der moderne jihadistische Terrorismus des 20. Jahrhunderts wird als Protestbewegung verstanden, die sich gegen die als tyrannisch empfundenen Regierungen richten und den Einfluss des Westens zurück drängen möchten. Der Westen sowie die „feindlichen“ Regierungen werden für die sozio-ökonomischen Probleme, die kulturelle Entfremdung und die politische Ohnmacht der islamischen Welt verantwortlich gemacht. Teile der islamischen Bewegung nehmen an demokratischen Wahlen teil und halten sich an die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Länder. Andere hingegen wollen die herrschende Regierung und deren Eliten mit Gewalt beseitigen und den Westen bekämpfen, damit sie ihrem Ziel eines islamischen Gottesstaates etwas näher sind.192 4.4.4
Die Ideologie des Jihads
Der radikal-islamische Terrorismus als Gewaltform ist nicht plötzlich von heute auf morgen entstanden, sondern lässt sich auf eine lange Entwicklungs- und Vorgeschichte zurückführen. Das von den heutigen Terroristen vertretene Ge190 Hirschmann, Kai: Der Jihadismus: Ideologie, Organisation und Bekämpfungsmöglichkeiten. In: Graulich, Kurt; Simon, Dieter (Hrsg.): Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit. Analysen, Handlungsoptionen, Perspektiven. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Band 17. Akademie Verlag GmbH. Berlin, 2007. S. 101-103. 191 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 127-128. 192 Hirschmann, 2007. S. 103-104.
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waltkonzept entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ist zu einer Geisteshaltung der einzelnen Terrorgruppierungen geworden. Al-Qaida beispielsweise wird nicht als Urheber der Idee gesehen, sondern vertritt sie vielmehr, indem sie bestimmte Leistungen für die Bevölkerung anbietet. Darunter sind Waffen, Finanzmittel, gemeinsame Trainingsmöglichkeiten, Verbindungen sowie Logistik zu verstehen. Innerhalb dieser Ideologie kann ein Grundmuster erkannt werden, das sich seit Beginn der Entwicklung bis heute verfolgen lässt und einen stetigen Aufstieg der Gewaltidee mit sich bringt. Dieses Grundmuster stellt eine Idee dar und kann deswegen nicht mit Gewalt bekämpft werden. Des Weiteren kann keine territoriale Eingrenzung beim jihadistischen Terrorismus vorgenommen werden. Die radikalen Jihadisten verfolgen eine Staats- und Gesellschaftsordnung, die die „wahren“ islamischen Traditionen leben. Um diesen Idealzustand erreichen zu können, werden drei Feinde identifiziert, die überwunden werden müssen. Dazu zählen die „Kreuzfahrer“ (westlich-christliche Gesellschaften inklusive Russland), „Juden“ (der Staat Israel) und muslimische Regierungen als „Handlanger“. Diese Form der Feindbilder sind zentrale Elemente des Radikalisierungsprozesses.193 Dieses Muster wird in dem weltweit gültigen „3-2-1-Modell“ angewendet, welches von drei Feinden, zwei Angriffsarten und einer notwendigen Gegenmaßnahme, dem Jihad, ausgeht. Ausgangspunkt dafür ist die Fehlentwicklung der muslimischen Gesellschaft, die sich im Laufe der Zeit immer wieder vom „wahren“ Glauben entfernt hat. Der Angriff, der von ihnen bezeichneten Feinde, erfolgt auf zwei Arten: Durch die Eroberung und Besatzung muslimischer Länder, denen eine Ausbeutung der Reichtümer und Ressourcen folge, sowie durch die aggressive Verbreitung von Werten und Verhaltensmustern in die muslimische Welt, wie zum Beispiel durch den Tourismus, durch multinationale Konzerne und durch die Globalisierung. Gegen die drei Feinde und deren Angriffe sei die Verteidigungsform des Jihads angebracht, die eine gemeinsame Anstrengung der Muslime fordere. Der Jihad müsse sich zum einen gegen die fremden Besatzungen in der Region richten und zum anderen im Land der Feinde eine Nadelstichtaktik anwenden. Am Jihad kann jeder der muslimischen Umma (Gemeinschaft) teilnehmen. Diese Kämpfer werden sodann als „Mudschahiddin“ bezeichnet.194 Das neue islamistische Denken begann bereits in den 1920er Jahren in Ägypten und Indien. Terroranschläge und jihadistische Aktionen erhielten ihre 193 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 122-124. 194 Ebenda. S. 135-136.
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Ausrichtung und Qualität erst durch die Arbeiten des Ägypters Sayyid Qutb (1906-1966), deren zentraler Inhalt einen Kampf gegen den Westen mit seinen Werten darstellt. Qutb beschreibt die Menschheit als profitgierig, gleichgültig und vom „Geist des Liberalismus“ geprägt. Die Erklärung für den Niedergang der Menschheit sieht er in der verloren gegangenen religiösen Orientierung und führt als Ausweg an, wieder den Weg zurück zu Gott zu finden. Doch die Menschheit missachte die göttlichen Gesetze. Qutb orientiert sich am Propheten Mohammed, der schon dazumal gegen seine heidnischen Landsleute eintrat und vier Schritte vollzog: Er formte zunächst eine gläubige Gemeinschaft und organisierte mit seinen Getreuen eine Auswanderung nach Medina. Danach begann er zu kämpfen, bis sich sogar Mekka dem Islam anschloss. Qutb betont, dass sich die heutige Welt erneut in diesem heidnischen Zustand befindet, womit sich die Muslime wieder an diesem Scheideweg befinden und handeln müssen. Die Muslime sollen dieselben Schritte vollziehen, wie dies der Prophet gemacht hatte. Zuerst sollen sie eine charismatische Gruppe (jama’a) bilden, die anschließend den Auszug aus der heidnischen Umgebung (hijra) vollzieht. Die Gruppe der Gläubigen soll gegen jene der Gegner kämpfen (jihad), um den Endzustand, der in der Wiedereinführung des Islams besteht, zu erreichen. Dies könne nur mithilfe einer „Avantgarde“ erfolgreich umgesetzt werden, die die Ungläubigen in einem Krieg zwischen dem Guten und dem Bösen von innen her zerstört.195 Die Lehren des Qutb wurden nach seinem Tod im Jahr 1966 von Gelehrten der Muslimbruderschaft in Richtung eines gewaltsamen Jihad weiterentwickelt. Einer von ihnen war der Palästinenser Dr. Abdullah Azzam (1941-1989) der das logistische Netzwerk für den Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan aufbaute. Azzam griff bei den Lehren des Qutb vor allem den Begriff der Avantgarde wieder auf und verfeinerte diesen. Die Vorhut sei ein unabdingbares Prinzip, das schwierige Aufgaben meistert und große Opfer auf sich nimmt. Die Vorhut bildet bei ihm das starke Fundament für die Gesellschaft, die der Menschheit mit fester Überzeugung und klaren Zielen voranschreiten soll. Diese Lehren führten nach etlichen Weiterentwicklungen zu dem international anerkannten „3-2-1-Model“ des Jihad.196 4.4.5
Die Umsetzung der Ideologie
Als die einflussreichste islamistische Bewegung gilt die im Jahr 1928 gegründete Muslimbruderschaft, die vom Volksschullehrer Hassan al-Banna (1906-1949) in 195 Hirschmann, 2007. S. 104-105. 196 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 134.
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Ägypten ins Leben gerufen wurde. Al-Banna wurde zu einem der wichtigsten Wegbereiter des politischen Islam im 20. Jahrhundert. Die Ideologie, die von Qutb gegründet und von der Bruderschaft weiterentwickelt wurde, bildet das Fundament für die religiös-politischen Grundsätze ihrer Bewegung. Die Organisation der Muslimbrüder begründete den Islamismus als Massenbewegung mit. Die Muslimbruderschaft ist bis zur heutigen Zeit der ideologische Bezugspunkt, der die nachfolgenden Gruppierungen beeinflusst. Durch ein Ausbreiten des Palästina-Konfliktes nach dem Zweiten Weltkrieg, radikalisierte sich die Gruppe und wurde allmählich zu einer internationalen Bewegung. Die Organisation wurde nach einem Attentat auf den ägyptischen Präsidenten Nasser im Jahr 1954 verboten, erhielt jedoch Unterstützung und Zuflucht von und in Saudi-Arabien. Die zahlreichen Anhänger der Qutb-Lehren predigten seine Ideen in den Verbreitungsgebieten der Muslimbruderschaft. Infolgedessen entstanden erste regionale Jihad-Organisationen, wie zum Beispiel auch in Palästina. Daraus bildeten sich zwei terroristische Organisationen, die mit der Muslimbruderschaft verbunden waren. Die Hamas („Bewegung des islamischen Widerstands“) richtet ihren terroristischen Jihad seit ihrer Gründung im Jahr 1967 gegen Israel und dessen Zerstörung. Auch der Palästinensische Islamische Jihad (PIJ) wurde von der Muslimbruderschaft inspiriert und betreibt einen Jihad gegen Israel. Der Palästinensische Islamische Jihad wurde 1975 von palästinensischen Studenten in Ägypten gegründet.197 Folglich werden die drei wichtigsten Terrorgruppierungen, die während des Analysezeitraums aktiv Anschläge verübten, in einem kurzen Abriss vorgestellt. Die Hamas Die Hamas zählt zur größten und einflussreichsten militanten palästinensischen Bewegung und gilt als sunnitisch-islamistische paramilitärische Terrororganisation, politische Partei und soziales Netzwerk zugleich. Sie spezialisieren sich mit ihren Anschlägen auf eine ganz bestimmte Region, weshalb sie in die Kategorie des ethno-nationalen Terrorismus fallen. Die Hamas (Bewegung des Islamischen Widerstands) besitzt ihre Wurzeln in der ägyptischen Muslimbruderschaft und wurde 1987 von Scheich Achmed Jassin gegründet.198 Scheich Jassin war seit 1955 Mitglied der Muslimbruderschaft und setzte sich nach 1967 für deren Stärkung im Gaza-Streifen ein. Zu
197 Hirschmann, 2007. S. 107-108. 198 http://www.cfr.org/publication/8968/hamas.html (29.6.2010).
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diesem Zeitpunkt war er weniger an terroristischen Aktionen als an religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten interessiert.199 Erstmals trat die Hamas zu Beginn der Intifada 1987 im Gazastreifen auf und machte dabei der weltlichen PLO ihr Terrain strittig. Für Israel war dies eine schwierige Situation, da es seit diesem Zeitpunkt mit zwei konkurrierenden, aber gleichermaßen militanten Gruppierungen konfrontiert war.200 Scheich Jassin verfolgte eine Strategie, um den Einfluss der PLO zu untergraben und meldete bereits 1978 eine „Islamische Vereinigung“ an, die für bedürftige Palästinenser eintreten wollte. Israel willigte in diese Vereinigung ein, wodurch Jassin den Alleinvertretungsanspruch der PLO zu verringern versuchte. Gleichzeitig wollte er aufzeigen, dass es in den besetzten Gebieten durchaus Kräfte gibt, die für die Interessen der palästinensischen Bevölkerung eintreten können, ohne auf die noch damals in Tunis sitzende PLO zurückgreifen zu müssen. Die Hamas rief bald zum Aufstand auf und versuchte durch eigene Anschläge die Führungsrolle der Intifada zu übernehmen. Während dieser Phase wurde der ideologische Hintergrund der Muslimbruderschaft sichtbar, der die Organisation als kompromisslose und antiisraelische Gruppierung aufzeigte. Dennoch lag während der 1970er und 80er Jahre der Schwerpunkt der HamasAktivitäten im sozialen Bereich. Die Hamas baute besonders die sozialen Einrichtungen im Gazastreifen aus und errichtete Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten und Moscheen. Durch die soziale und vor allem moralische Hilfe wuchs das Ansehen dieser Gruppe innerhalb der Bevölkerung. Rund 80 bis 90 Prozent der Arbeit der Hamas umfassen den sozialen, kulturellen, pädagogischen und gesundheitlichen Bereich. Aufgrund dessen kann der enorme Zuspruch der Bevölkerung für diese Gruppierung erklärt werden. Die von Jassir Arafat geführte PLO verlor spürbar an Einfluss in dem Gebiet, da sie als inkompetent und zur Vetternwirtschaft neigend angesehen wurden. Die Hamas wurde als weniger anfällig für die weit verbreitete Korruption gesehen. Israel hat die Hamas zu dieser Zeit weitgehend anerkannt. Dies mag einerseits an ihrem karitativen Engagement gelegen haben, andererseits versuchten sie die Hamas gegen die PLO und somit gegen Jassin Arafat auszuspielen. Mitte der 1980er Jahre wandelte sich die Hamas in eine militärische Aktionsgemeinschaft gegen Israel.201 199 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 148. 200 Peter, Philipp: Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad. In: bpb. Bundeszentrale für politische Bildung http://www.bpb.de/themen/E4JUC8,1 Hamas_und_Palaestinensischer_Islamischer_Jihad.html (29.6.2010). 201 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 151.
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Klare Unterschiede der zwei Gruppierungen können bei der Einstellung zur Palästinafrage angeführt werden. Die PLO betont den nationalen und politischen Aspekt und strebt ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Israel und Palästina in zwei unabhängigen Staaten an. Der radikale Arm der Hamas fühlt sich für die Emanzipation des palästinensischen Volkes von den „zionistischen Besatzern“ verantwortlich, während der neutralere Flügel der Hamas das Land Palästina als religiöses Gebilde betrachtet.202 Israel gilt als besetztes Gebiet, dass es zu befreien gilt.203 Die Ziele der Hamas sind in der 1988 verabschiedeten Charta definiert. Darin wird offen über die Jihad-Ideologie sowie von einer Zerstörung des Staates Israel als politisches Ziel gesprochen. Es heißt unter anderem: Artikel 2: „Die Islamische Widerstandsbewegung ist ein Flügel der Muslimbrüder in Palästina. Die Muslimbruderschaft ist eine weltweite Organisation und die größte islamische Bewegung der Neuzeit. (…)“ Artikel 6: „Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine eigenständige palästinensische Bewegung, (...), die dafür kämpft, dass das Banner Allahs über jeden Zentimeter von Palästina aufgepflanzt wird.“204 Artikel 7: „Weil Muslime, die die Sache der Hamas verfolgen und für ihren Sieg kämpfen (…), überall auf der Erde verbreitet sind, ist die Islamistische Widerstandsbewegung eine universelle Bewegung. (…)“ Artikel 13: „Ansätze zum Frieden, die so genannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamistischen Widerstandsbewegung. (…) Für die Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den Dschihad.“205 Die Hamas richtete sich zuerst gegen Verräter innerhalb der Organisation und begann dann mit Anschlägen gegen das israelische Militär, bevor sie ihre Anschläge gezielt gegen Zivilisten in Israel richtete.206 Das Oslo-Abkommen von 1993, das von Jassir Arafats PLO und Israel ausgehandelt wurde, galt bei der Hamas und dem Jihad als Verrat an ihrer Sache. Der politische Arm der Hamas versuchte innerhalb des Landes an Einfluss zu gewinnen, ohne die politischen Realitäten anzuerkennen. Der militärische Flügel führt Anschläge gegen Israel durch. Die Intensität der Gewalt nahm erheblich zu 202 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 149-150. 203 Peter, Philipp: Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad. In: bpb. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/themen/E4JUC8,1 Hamas_und_Palaestinensischer_Islamischer_Jihad.html (29.6.2010). 204 http://www.usahm.info/Dokumente/Hamasdeu.htm (30.6.2010). 205 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 149-150. 206 Ebenda. S. 151.
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und gipfelte in den gescheiterten Verhandlungen zwischen Jassir Arafat und Ehud Barak in Camp David im Jahr 2000. Die Hamas und auch die PLO verübten Anschläge gegen Israel. Die Hamas nahm erstmals an den demokratischen palästinensischen Parlamentswahlen im Jahr 2006 teil, gewann 74 der 132 Parlamentssitze und löste somit die Fatah-Regierung ab. Über den Wahlausgang waren Fatah, Israel aber auch das Ausland geschockt, die dieses Ergebnis schwer akzeptieren konnten. Es sei denn: Die Hamas würde notwendige Friedensprozesse anerkennen und ihre antiisraelische Haltung ablegen. Die Hamas und ihr Regierungschef Ismail Hanija waren jedoch zu diesen Bedingungen nicht zu Verhandlungen bereit und sprachen anstelle der Friedensverhandlungen von jahrzehntelanger Waffenruhe. Die Hamas kündigte schließlich die Waffenruhe auf, worauf die Situation im Gazastreifen eskalierte. 2007 kam es zum Bruderkampf zwischen Fatah und Hamas, die nach kurzen aber heftigen Kämpfen die alleinige Kontrolle des Gazastreifens übernahm. Der Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas (Fatah) gründete in der Westbank eine Notstandsregierung, die erneut an einem Friedensprozess arbeitet. Seit dem 19. Juni 2009 herrschte ein von der Hamas einseitig ausgerufener Waffenstillstand im Gazastreifen, der auf sechs Monate begrenzt war. Dennoch griff Israel immer wieder in den Gazastreifen ein, um „gezielte Tötungen“ radikaler Palästinenser sowie den Nachschub illegaler Waffen aus Ägypten zu verhindern. Die Hamas beschloss den Waffenstillstand nicht über den 19. Dezember hinaus zu verlängern und begann mit systematischen Raketenangriffen auf israelische Nachbarorte. Dieser Entschluss endete in einer 22-tägigen Gaza-Offensive, bei der Israel aus der Luft und mit Bodentruppen den Gazastreifen angriff. Durch diese Offensive geriet Israel international in Kritik, da es in dicht besiedelten Wohngebieten Phosphorgranaten verwendete und somit ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Die Zahl der Todesopfer belief sich auf über 1500. Erst nach Vermittlungsversuchen Ägyptens kam es zu erneuten Verhandlungen zwischen der Fatah und Hamas-Vertretern. Der Gazakrieg hat vor allem in der arabischen Welt Zorn und Missverständnis ausgelöst und die Solidarisierung zur Hamas gestärkt.207
207 Peter, Philipp: Hamas und Palästinensischer Islamischer Jihad. In: bpb. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/themen/E4JUC8,1,0,Hamas_und_Pal%E4stinensischer_Islamischer_Jihad.h tml (29.6.2010).
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Al-Qaida Die Terrororganisation Al-Qaida gilt als Prototyp einer transnational-agierenden Terrorgruppierung. Der Begriff transnational bezieht sich vorwiegend auf grenzüberschreitende Aktivitäten von nicht staatlichen Akteuren. Unter einer transnationalen Organisation wird ein nicht staatlicher Akteur, der in mehreren Staaten aktiv handelt, verstanden. Ein international fungierender Terrorist weist demnach mehrere transnationale Merkmale auf, bei der die Etablierung von transnationalen, sozialen Räumen ein ganz wesentliches Element darstellt. Während der internationale Terrorist noch über einen lokalen Bezugspunkt verfügt, ist der transnationale Terrorist heimatlos und stellt einen modernen Nomaden dar. Er verfügt zwar über eine Herkunft und eine Staatsbürgerschaft, diese ist für sein Vorhaben jedoch relativ bedeutungslos. Ähnliches lässt sich bei den Ausbildungsstätten und Kommandozentralen beobachten, für die er keinen bestimmten Staat oder kein spezielles Gebiet benötigt.208 Al-Qaida wurde 1988/89 in Afghanistan und Pakistan von Osama bin Laden, Ayman al-Zawahiri und Abdullah Azzam auf der Grundlage des Mekhtab al Khidemat (MAK; Büro für Mudschaheddin Dienste), gegründet.209 Azzam trat in die Fußstapfen des Gelehrten Sayyid Qutb, der von einer geteilten Welt sprach, die aus Menschen besteht, die nach dem islamischen Recht – der Scharia – leben und jenen, die nicht nach diesem Recht leben. Qutb war von der Vorstellung überzeugt, dass jeder Muslime am Jihad teilnehmen muss, um das Recht der Sharia weltweit umzusetzen. Auf Grundlage dieser Einstellung war er bereit, säkulare muslimische Regierungen anzugreifen und sie der Kollaboration mit „ungläubigen“ Regierungen des Westens zu beschuldigen. Der Jihad war aus seiner Sichtweise somit legitim.210 Al-Zawahiri ist ein radikaler ägyptischer Islamist, der am Mordanschlag des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat 1981 wesentlich beteiligt war. Nach drei Jahren Haft wurde al-Zawahiri wegen mangelnder Beweise entlassen. Bei einer Reise durch Afghanistan im Jahr 1980 lernte er Osama bin Laden kennen und arrangierte ein Treffen mit der ägyptischen al-Jihad Gruppe.211 Al-Qaida startete zuerst mit der Rekrutierung muslimischer Kämpfer in der arabischen Welt, in Asien, den USA und in Westeuropa. Die freiwilligen Kämpfer wurden militärisch ausgebildet und anschließend im Kampf gegen die sowje-
208 Schneckener, Ulrich: Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main, 2006. S. 49-50. 209 Dietl; Hirschmann; Tophoven, 2006. S. 161. 210 Wilkinson, 2006. S. 39. 211 Ebenda. S. 40.
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tische Armee in Afghanistan eingesetzt. Die meisten Krieger stammten aus Saudi-Arabien, Ägypten, dem Jemen und Algerien. Zu Beginn ihrer Ausbildung wurden sie religiös und ideologisch geschult und übten karitative Tätigkeiten für Flüchtlinge im Grenzgebiet aus. Finanziert wurde die Rekrutierung vorwiegend aus saudischen und kuwaitischen Quellen, ab 1982 wurden sie vom pakistanischen Geheimdienst ISI mit Waffen und Trainingseinheiten unterstützt. Neben dem ISI unterstützten noch andere Geheimdienste den Kampf gegen die Sowjetunion, wie zum Beispiel die amerikanische CIA ab 1986. Nachdem sich die Sowjet-Armee zurückgezogen hatte, wurde die Rekrutierung fortgesetzt und auf diese Weise Partei für den afghanischen Politiker Gulbuddin Hekmatyar und später für die Taliban ergriffen. Mehrere Quellen sprechen von 50.000 bis 70.000 Kämpfern aus über 50 Ländern, die in den Lagern ausgebildet worden waren. Andere Quellen nennen 35.000 Personen aus über 40 Ländern zwischen 1982 und 1992. Dazu kommen noch Zehntausende, die in Pakistan von den radikalen Fundamentalisten unterwiesen wurden. Der Werdegang der Al-Qaida ist unmittelbar mit dem Lebensweg von Osama bin Laden verbunden und lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. In der Frühphase, die von 1988 bis 1990 dauerte, konzentrierte sich Al-Qaida hauptsächlich auf den Krieg in Afghanistan. Osama bin Laden übernahm 1989 die Führung, nachdem Azzam in diesem Jahr durch eine Autobombe getötet wurde. Bin Laden leitete die Organisation von einer eher am Guerillakampf orientierten zu einer international tätigen Terrorgruppierung. Dafür holte er sich zahlreiche ägyptische Terroristen, die bereits über ein weit entwickeltes terroristisches Know-how verfügten. Unter ihnen befand sich auch der Führer der ägyptischen Gruppe Islamischer Jihad, Ayman al-Zawahiri, der sich seit Mitte der 1980er Jahre in Peschawar aufhielt. Al-Zawahiri gilt als Stellvertreter von Osama bin Laden und ist somit die zweitwichtigste Person dieser Organisation. In der zweiten Phase (1990-1996) kann eine Expansion der Aktivitäten erkannt werden, vor allem deswegen, da die Afghanistan-Kämpfer in ihre Heimat zurückkehrten und dort für Anschläge zur Verfügung standen. Bin Laden hielt sich während dieser Zeit im Sudan auf und investierte in wirtschaftliche Projekte und die dortige Infrastruktur. Die Gruppierung Al-Qaida widmete sich in dieser Zeit den „korrupten“ und „unislamischen“ Eliten der verschiedenen islamischen Länder. Bin Laden kritisierte vor allem das saudische Königshaus, das während des Golfkrieges im Jahr 1991 und danach die Stationierung amerikanischer Soldaten im Land duldete und erlaubte, anstatt während des Krieges gegen den Irak die islamischen Kämpfer zur Hilfe zu rufen. Während dieser Phase unterstützte bin Laden mehrere Terrorzellen und Anschlagspläne, weshalb ihm immer wieder eine indirekte Beteiligung zu verschiedenen Anschlägen vorgeworfen wurde. 91
Dies gipfelte darin, dass bin Laden die saudische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Zudem unterstützte Al-Qaida verschiedene lokale Konflikte, bei denen muslimische Bürger von nicht-muslimischen Regimen bedroht waren. Zu nennen sind hier unter anderem Bosnien, der Kosovo, der Nordirak, Tschetschenien, Kaschmir und Somalia. Die muslimischen Kämpfer wurden von erfahrenen Afghanistanveteranen ausgebildet und unterstützten vielfach eine Radikalisierung lokaler Gruppen, indem Elemente der Al-Qaida Ideologie verbreitet wurden.212 In der dritten Phase (1996-2001) stand die westliche Welt und hierbei vor allem die USA im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Ihre Terrorzellen und regionalen Ableger befanden sich mittlerweile in zahlreichen Ländern und galten als aktiv. Zu Beginn dieser Phase musste bin Laden einen persönlichen Rückschlag erleiden: Der Sudan geriet aufgrund der Aufenthaltsbewilligung für bin Laden zunehmend unter internationalen Druck und wurde UN-Sanktionen ausgesetzt. Bin Laden musste den Sudan verlassen und kehrte nach Afghanistan zurück, wo er sich ab September 1996 den Taliban anschloss. Er galt nun als Gast des Taliban-Führers Mullah Omar, der sich seit 1999 gegen eine Auslieferung bin Ladens weigerte. Diese Freundschaft führte zu einer symbiotischen Beziehung zwischen den Taliban und der Al-Qaida: Bin Laden war aufgrund der militärischen und materiellen Unterstützung der Al-Qaida eine wichtige Machtressource für die Taliban. Andererseits standen die Mitglieder der Al-Qaida unter dem Schutz des Taliban-Regimes und konnten folglich ungestört ihre Infrastruktur ausbauen und weitere Mitglieder werben und rekrutieren. Die Zielsetzung bin Ladens verschob sich zunehmend: Sein Kampf richtete sich vermehrt gegen jene Staaten, die die korrupten Regimes in der arabischen Welt unterstützten. Die USA und ihre Verbündeten wurden zu den Hauptfeinden erklärt, die letztendlich für die weltweite Unterdrückung der Muslime verantwortlich gemacht werden.213 Eine Unterscheidung zwischen zivilen Opfern und dem Militär nimmt er nicht vor. 1998 erklärt bin Laden, dass sich der Kampf gegen die USA ausgeweitet habe und fortan von einer Internationalen Islamischen Front geführt werde, die neben der Al-Qaida noch andere Terrorgruppierungen aufweise. Kurze Zeit nach dieser Verkündung ereigneten sich am 7.8.1998 zwei Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia. Bin Laden trat bei diesen Anschlägen nicht mehr nur als Sponsor, sondern als Planer für den Bombenanschlag auf. In dieser dritten Phase kann die Transformation von einem lokalen Akteur zu einer global agierenden Gruppe beobachtet werden. 212 Schneckener, 2006. S. 51-53. 213 Ebenda. S. 54-55.
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Die vierte Phase umfasst die Zeit nach dem 11. September und dauert bis zum heutigen Zeitpunkt an. Die amerikanische Offensive in Afghanistan, die unmittelbar nach den Anschlägen in New York begann, zerstörte die Al-QaidaZentrale sowie einige Ausbildungs- und Trainingslager. Das Taliban-Regime wurde vertrieben und führende Al-Qaida Persönlichkeiten gefasst. Dennoch konnten viele flüchten und halten sich nun größtenteils in der Grenzregion Pakistans auf. Die führenden Persönlichkeiten von Al-Qaida profitierten von den weltweiten Netzwerken und der Unterstützung ihrer zahlreichen lokalen Ableger. Nach dem 11. September folgten viele Anschläge gegen vorwiegend westliche Ziele, die Al-Qaida oder deren Ableger zugeschrieben wurden. Seit 2003 bietet der Irak ein weiteres Betätigungsfeld der Al-Qaida, der für Operationen aber auch Rekrutierungszwecke ein geeigneter Ort darstellt. Experten beschreiben dies als Indiz für eine Transformation in Richtung einer breiteren und sozialen Bewegung. Die Gruppe entwickelte sich in den letzten Jahren immer mehr in Richtung einer ideologischen Inspiration und zu einer Fachgruppe von Ressourcen und technischem Know-how, die von anderen Gruppierungen genutzt wird. Diese kleineren Gruppierungen kämpfen im Namen bin Ladens und dessen AlQaida und tragen folglich zu einer Verbreitung der Al-Qaida-Ideologie bei.214 Ende Mai 2010 soll die Nummer Drei des Terrornetzwerkes Mustafa Abu al-Yazid, der Schwager Osama bin Ladens, bei einem amerikanischen Drohnenangriff in der Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan ums Leben gekommen sein. Yazid galt als Oberbefehlshaber in Afghanistan. Dieser Angriff gilt als bislang größter Erfolg der USA seit Beginn des Kampfes gegen die AlQaida.215 Die Taliban Auch die Taliban werden wie die Hamas, dem ethno-nationalen Terrorismus zugeordnet. Sie handeln regional und versuchen in bestimmten Gebieten ihre Vorstellungen durchzusetzen. Um die Taliban und deren politisches Erstarken besser verstehen zu können, sollte man auf den Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 1978 zurückgehen. Ausgangspunkt des Bürgerkrieges war die Machtübernahme der marxistisch-leninistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) im Jahr 1978. Ziel dieser Partei war es, das Land in einen sozialistischen Staat umzuwandeln. Da sie sehr gewaltsam in der Umsetzung ihrer Ziele vorging, kam es zu heftigen Widerständen innerhalb der Bevölkerung, die zu 214 Schneckener, 2006. S. 56-57. 215 http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/570329/index.do (2.7.2010).
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Aufständen führten. Folglich marschierten sowjetische Truppen 1979 ein, die die Regierungsautorität in den Teilen des Landes wiederherzustellen versuchten. Freiwillige – die Mudschaheddin – kämpften gegen die sowjetische Besatzung und wurden von verschiedensten Staaten unterstützt.216 Da die USA ein Ausbreiten des Kommunismus fürchtete, unterstützten sie gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI die Mudschaheddin. Durch die große finanzielle Unterstützung erstarkten die islamistisch orientierten Gruppierungen. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 dauerte es bis 1992, dass die Mudschaheddin den noch amtierenden kommunistischen Präsidenten Najibullah stürzen konnten. Nach dem Sturz des Präsidenten zogen sich die USA aus Afghanistan zurück. Der Putsch löste einen erneuten Bürgerkrieg aus, der zwischen den verschiedenen Mudschaheddin-Fraktionen entstand. Diese Ereignisse gipfelten in der Zerstörung Kabuls 1993/94.217 Aus diesem Kontext heraus bildete sich 1994 die Bewegung der Taliban, welche von verschiedenen Studenten fundamentalistischer Koranschulen in Pakistan gegründet wurde. 1994 tauchten die Taliban erstmals im Süden Afghanistans auf und beabsichtigten Ordnung und Frieden im Land herzustellen. Anführer der Taliban ist Mullah Mohammed Omar, der sich jedoch nur selten in der Öffentlichkeit zeigt. Er war faktischer Machthaber Afghanistans von 1996-2001. Im November 1994 nahmen die Taliban mit Kandahar die größte Stadt des Südens ein. Es folgte ein „Siegeszug“ nach dem anderen und zahlreiche Städte fielen unter ihre Kontrolle. Im Februar 1995 hatten sie bereits neun der 31 Provinzen des Landes eingenommen. Im darauffolgenden Monat befanden sie sich bereits vor den Toren Kabuls und nahmen den Führer der Partei „Islamische Einheit Afghanistans“ gefangen. Einige östliche Provinzen ergaben sich widerstandslos den Taliban, sodass sie im September 1996 die Hauptstadt Kabul einnehmen konnten. Als Reaktion darauf schlossen sich verschiedene Milizen zur Nord-Allianz zusammen, die ein weiteres Vordringen der Taliban verhindern konnten. Dennoch konnten die Taliban ihren Siegeszug zwischen 1999 und 2001 fortsetzen und brachten circa 90 Prozent des Landes unter ihre Kontrolle.218 Die Bewegung ist im Westen vor allem durch das Bild von jungen Kämpfern, die die Kalaschnikow in der einen und den Koran in der anderen Hand
216 Massing, Stephan: Die Taliban. Suedasien Info http://www.suedasien.info/laenderinfos/255#toc_1 (2.7.2010). 217 Berger, Silvia; Kläy, Dieter; Stahel, Albert A. (Hrsg.): Afghanistan – ein Land am Scheideweg. Im Spiegel der aktuellen Ereignisse. Strategie und Konfliktforschung. Vdf Hochschulverlag AG. Zürich, 2002. S. V. 218 Berger, 2002. S. 95.
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halten, geprägt. Zudem ist die Gruppierung durch ihre strenge Geschlechterpolitik und der rigiden Durchsetzung des islamischen Gesetzes, der Sharia, bekannt. Der größte Teil der Taliban entstammt der paschtunischen Ethnie und gehört dem sunnitischen Islam an. Obwohl die Taliban-Führung stets betont, für jedermann offen zu sein, ist die strikte sunnitische Auslegung des Islam für schiitische Bürger unmöglich. Die Taliban wurden größtenteils aus Pakistan und hierbei vom pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützt sowie von verschiedenen arabischen Staaten. Sie formieren sich zum einen aus in pakistanischen Flüchtlingslagern aufgewachsenen Afghanen, ehemaligen Mudschaheddin-Kämpfern und mehreren tausend pakistanischen Freiwilligen. Als vierte Gruppe werden arabische Freiwillige genannt, die von bin Laden rekrutiert und ausgerüstet worden sind.219 Anführer der Gruppe ist Mullah Mohammed Omar, der nach seiner strikten Auslegung des Korans Fotografien und Kontakte mit Journalisten verweigert. Bald nach der Eroberung Kandahars gingen die Taliban an die Öffentlichkeit, was einen Strukturaufbau sowie die Zuteilung von Kompetenzen voraussetzte. Da sich die Taliban weigerten, eine parteienähnliche Struktur anzunehmen, war ihre Organisation religiös motiviert. Während der Taliban-Herrschaft setzte eine Doppelstruktur im Land ein, eine sogenannte Dyarchie. Die Taliban kontrollierten vorwiegend die urbanen Zentren und die Verbindungsstraßen, die Verwaltung des ländlichen Afghanistans wurde dem Dorfältesten und den lokalen Machtstrukturen übertragen. Die Taliban haben mehr durch die strikte Durchsetzung der Scharia als durch pazifistische Schritte von sich reden gemacht. Als besonders einschneidend galten die neu auferlegten Kleidervorschriften, das Berufsverbot für Frauen, das Verbot von Videos und Musik. Das Schulsystem funktionierte nur teilweise, Mädchen wurden fortan von der Schule ausgeschlossen. Besonders die Zerstörung der historischen Buddha-Statuen in Bamiyan durch die Taliban löste internationale Kritik aus. Hinsichtlich eines politologischen Standpunktes kann angeführt werden, dass die Taliban keine Politik im herkömmlichen Sinne betrieben. Es wurden keine Schritte unternommen, die wirtschaftlich oder politisch gut für das Land gewesen wären, sondern jene Dinge umgesetzt, die gemäß den streng-islamischen Koranauslegungen der Taliban erlaubt sind.220 Immer wieder wurde den Taliban nachgesagt, Terroristen in ihrem Land Unterschlupf zu gewähren, weshalb sie zunehmend internationaler Kritik ausgesetzt waren. Zwischen 2000 und 2001 lieferten sich die Taliban und die Nord-Allianz heftige Kämpfe im Norden Afghanistans. Zu Beginn des Jahres 2001 mussten 219 Ebenda. S. 96. 220 Berger, 2002. S. 96-100.
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die Taliban große Verluste hinnehmen. Sie hatten zwar 90 Prozent des Landes eingenommen, konnten aber die restlichen zehn Prozent des Landes nicht besiegen, da der Widerstand dafür zu groß war. Für die USA stellten die Taliban aufgrund des Terrorismus ein Sicherheitsrisiko dar, weshalb die damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton sowie sein Nachfolger George W. Bush Sanktionen gegen das Taliban-Regime verhängten. Zudem wurden die Bankkonten und Guthaben der Taliban in den USA eingefroren.221 Nach den Terrorangriffen des 11. Septembers forderte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Taliban auf, bin Laden, der sich bis zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan aufhielt, auszuliefern. Die wenigen Verbündeten, die die Taliban besaßen, gerieten immer mehr unter internationalen Druck. Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate brachen ihre diplomatischen Kontakte zu Kabul ab und das Taliban-Regime wurde immer mehr isoliert. Pakistan zählte zu den einzigen Staaten, die das Regime von Mullah Omar und somit das Islamische Emirat Afghanistan anerkannte. Die USA intervenierten am 7. Oktober 2001 in Afghanistan und führten gemeinsam mit ihren Alliierten Luftangriffe durch, ehe sie mit Bodentruppen einmarschierten. Dabei agierten sie gemeinsam mit der Nord-Allianz im Kampf gegen die Taliban. In den folgenden Monaten wurde das Regime der Taliban gestürzt.222 Seit 2006 kann man ein Erstarken der Taliban beobachten, die besonders im südöstlichen Teil vermehrt Anschläge verüben. Besonders betroffen ist die Region Waziristan, in der Mullah Omar vermutet wird. Im Herbst 2007 haben die Taliban das Tal im Nordwesten Pakistans eingenommen und ihre Macht stark ausgedehnt. Im Januar 2009 übernahmen sie die Herrschaft im Swat-Tal. Die Provinzregierung hatte nach den Verhandlungen mit dem pakistanischen Taliban Anführer Maulana Fazlullah die Einführung des Scharia-Gesetzes geduldet, um eine Waffenruhe herbei zu führen. Am 15. März 2009 nahmen sieben SchariaRichter ihre Arbeit auf.223 Maulana Fazlullah versuchte im pakistanischen Swat-Tal eine theokratische Herrschaft zu etablieren, dieses Vorhaben scheiterte jedoch an der pakistanischen Großoffensive, die die Taliban von Swat vertrieben.224
221 Ebenda. S. 107. 222 Ebenda. S. 116-121. 223 Dietrich, Alexander: Im Swat-Tal beginnt die Talibanisierung des Alltags. Welt online. http://www.welt.de/politik/article3413625/Im-Swat-Tal-beginnt-die-Talibanisierung-desAlltags.html (2.7.2010). 224 Taliban dementieren Tod von Swat-Chef Maulana Fazlullah. http://derstandard.at/1271377635032/Taliban-dementieren-Tod-von-Swat-Chef-MaulanaFazlullah (2.7.2010).
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Immer wieder verüben die Taliban Anschläge gegen Soldaten und Zivilisten in Afghanistan und Pakistan, wobei sich die Aktivität der Taliban während des Untersuchungszeitraums vorwiegend auf Pakistan konzentrierte. Selbstmordattentäter Selbstmordattentate können als gewaltsame und politisch motivierte Form der Gewalt bezeichnet werden, die von einer Person durchgeführt wird, die den Vorsatz zu sterben hat. Dabei sprengt sich der Attentäter gemeinsam mit seinem Ziel in die Luft. Selbstmordattentate dürfen jedoch keineswegs als einzelnes Phänomen bezeichnet, sondern vielmehr im Zusammenhang ethnischer Konflikte und asymmetrischer Kriege betrachtet werden.225 Terroranschläge, die von Selbstmordattentätern ausgeführt werden, kann man seit den 1980er Jahren vermehrt beobachten. Dabei kam es in den vergangenen Jahren zu einer Verfeinerung und Ausarbeitung ihrer Taktik.226 An dieser Stelle ist anzumerken, dass Selbstmordanschläge weder auf religiös motivierte Terroristen beschränkt sind, noch als neu beobachtendes Phänomen bezeichnet werden können. Diese Methode der Gewaltausführung lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen und wird auch bei ethnonationalen Gruppierungen wie den Tamil Tigers in Sri Lanka, der kurdischen PKK oder verschiedenen säkularen Palästinensergruppierungen angewendet. Obwohl nicht alle Gruppierungen zu dieser Form der Gewalt greifen, hat die Zahl der Organisationen mit Selbstmordkommandos in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen.227 Terrorgruppierungen greifen bei ihren Operationen sehr häufig auf Selbstmordattentäter zurück, die ideologisch geschult und später als Märtyrer verehrt werden. Als Selbstmordattentate gelten jene Anschläge, die durch eine Selbsttötung des Attentäters erfolgen und bei denen das Ziel, möglichst viele Personen mit in den Tod zu reißen, im Mittelpunkt steht. Dazu zählen nicht nur SelbstSprengungen mit Autobomben oder Bombengürteln, sondern auch jene Angriffe, die den sicheren Tod des Attentäters garantieren, wie beispielsweise bei den Anschlägen des 11. Septembers in den USA. Selbstmordattentate setzen somit den Tod des Anschlägers voraus. Nicht in die Kategorie von Selbstmordattentäter zählen Terroris225 Bloom, Mia: Dying to kill. Motivations for suicide terrorism In: Pedahzur, Ami (Hrsg.): Root Causes of Suicide Terrorism. The globalization of martyrdom. Routledge. Taylor & Francis Group. New York, 2006. S. 25. 226 Pedahzur, Ami; Perliger, Arie: Introduction. Characteristics of suicide attacks. In: Pedahzur, Ami (Hrsg.): Root Causes of Suicide Terrorism. The globalization of martyrdom. Routledge. Taylor & Francis Group. New York, 2006. S. 1. 227 Schneckener, 2006. S. 109.
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ten, die aus Angst vor einer Verhaftung sich selber hinrichten oder Menschen, die in den Hungerstreik treten oder sich selber verbrennen. Sie drücken zwar einen politischen Protest aus, dennoch besteht keine Absicht, unbeteiligte Personen mit in den Tod zu reißen.228 Der Selbstmordterrorismus ist ein effizientes Mittel, um eine hohe Opferzahl zu erreichen. Die Autoren Ami Pedahzur und Arie Perlinger stellen einen Vergleich an, der besagt, dass die Durchschnittszahl der Opfer bei einer Schussattacke bei rund drei Prozent liegt, bei einem Bombenanschlag bei knapp sieben und bei einem Selbstmordanschlag, der durch einen Explosionsgürtel verursacht wird, rund 82 Prozent ausmacht. Lenkt ein Selbstmordattentäter ein mit Explosionskörper beladenes Auto in ein vorher bestimmtes Ziel, so hat er eine Trefferquote von rund 98 Prozent.229 Aufgrund dieser Feststellung ist es nachvollziehbar, weshalb sich so viele Terrororganisationen der Waffe der Selbstmordattentäter bedienen. Die Durchführung des Selbstmordanschlags verlangt einen hohen Grad an Professionalität und technischem Know-how und kann keineswegs als spontane Aktion einer einzelnen Person bezeichnet werden. Eine lange Vorbereitungszeit sowie ein Training des Attentäters sind für den erfolgreichen Anschlag wichtige Voraussetzungen. Daher gehen Selbstmordanschläge meist auf das Konto terroristischer Organisationen. Laut einer Studie des Professors und Experten Robert A. Pape wurden in den letzten Jahren 95 Prozent aller Terroranschläge unter der Schirmherrschaft einer Terrororganisation durchgeführt.230 Die Autoren einer Studie über palästinensische Selbstmordattentäter haben 2937 Selbstmordattentate zwischen 1981 bis 2008 gezählt, die nicht von einer Terrororganisation verübt worden sind oder die hinter der Ausführung standen. Anhand dieser Zahl wird verdeutlicht, welch enorme Bedeutung die einzelnen Gruppierungen für die Selbstmordterroristen darstellen.231 Die Terrorgruppierungen haben meist durch den großen militärischen Druck gegen sie eine Netzwerkstruktur angenommen, die im Falle eines Angriffes auf eine einzelne Zelle ihrer Gruppe keinesfalls einen kompletten Zusammenbruch der Organisation mit sich bringt. Durch diese Netzwerkstruktur sind keine offen-
228 Ebenda. S. 108-110. 229 Pedahzur, 2006. S. 2. 230 Pape, Robert A.: The Strategic Logic of Suicide Terrorism. In: Rapoport, David C. (Hrsg.): Terrorism. Critical Concepts in Political Science. Volume IV. The Fourth or Religious Wave. Routledge Taylor & Francis Group. Oxfordshire, 2006. S. 143-173. 231 Merari, Ariel; Fighel, Jonathan; Ganor, Boaz; Lavie; Tzoreff; Livne: Making Palestinian “Martyrdom Operations”/ “Suicide Attacks”: Interviews With Would-Be Perpetrators and Organizers. Terrorism and Political Violence. Nr. 22. Routledge. Taylor & Francis Group. 2010. S. 103.
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sichtlichen Hierarchien zu erkennen. Dies bringt den Vorteil, anonym zu bleiben und somit auch nicht von außen komplett zerstörbar zu sein. Es stellt sich die Frage, welche Gründe ausschlaggebend sind, sich für die Durchführung eines Selbstmordattentates zu entscheiden. Selbstmordattentate stellen aus Sicht der Terrororganisation viele operative Vorteile dar: Selbstmordattentate garantieren vor allem eine hohe Schockwirkung und verdeutlichen der Gesellschaft, dass es jeden treffen kann. Dadurch lässt der Anschlag den staatlichen Sicherheitsapparat ohnmächtig und hilflos erscheinen und möglicherweise sein Vorhaben überdenken. Zweitens gelten die Selbstmordattentäter als hoch motiviert, die auch durch den Tod von ihrem Vorhaben nicht abzuschrecken sind. Sie haben die Möglichkeit näher an das Angriffsziel zu kommen, da sie nicht ihr eigenes Leben schützen müssen. Somit können einzelne Selbstmordattentäter einen großen Schaden anrichten. Als dritter wichtiger Faktor gilt die Tatsache, dass keine Fluchtvorkehrungen für den Anschläger getroffen werden müssen. Als weiteres Merkmal sind die geringen finanziellen Kosten zu nennen: Diese belaufen sich für die im Nahen Osten häufig verwendeten Bombengürtel auf 1500 bis 4500 Dollar. Auch Autobomben gelten als vergleichsweise billig. Die Motivation der Anschläger selbst ist meist auf ein individuelles Erlebnis zurückzuführen. Das Gefühl der Ungerechtigkeit und Demütigung in ihrem Land lässt sie zu dieser Form der Gewalt greifen. Viele sind durch persönliche Rachegefühle gedrängt oder müssen den Tod eines geliebten Menschen verkraften. Bei der Frage nach den Gründen ihrer Tat nannten einige gescheiterte palästinensische Selbstmordattentäter persönliche Erfahrungen und Leid: „Pictures of dead kids had a major affect on me. Many were killed [right] before me, like my friend [whose body] I had to carry in my own arms… [A]fter the istishhad (martyrdom) of a friend of mine, and after the murder of a baby … These two cases made me think that human life is threatened every moment without good cause… without distinction between those [of us] who are soldiers, civilians, adults, or kids“232
Ein anderer Grund diesen Schritt zu wagen ist jener, sich als Märtyrer zu zelebrieren, da der Opfertod innerhalb der Terrororganisationen als höchste Stufe im Kampf gegen den Feind betrachtet wird. Dieser Märtyrerkult spielt auch eine ganz erhebliche Rolle bei der Rekrutierung und Vorbereitung der Kandidaten, da es einerseits individuelle Bereitschaft zur Selbsttötung verlangt, andererseits in einem soziokulturellen Milieu stattfindet, das diese Form der Gewalt gutheißt.233
232 Bloom, 2006. S. 36. 233 Schneckener, 2006. S. 111-112.
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Der Selbstmordattentäter, welcher durch diesen Anschlag sein Leben einer gemeinsamen Sache gewidmet hat, wird als Held gefeiert. Andere wesentliche Gründe für die Durchführung eines Selbstmordanschlages sind die Stationierung einer fremden Militärmacht im eigenen Land sowie ethnisch-nationale Konflikte. In den letzten Jahren konnte eine Steigerung der Selbstmordanschläge von Seiten diverser islamischer Gruppierungen gegen prowestliche islamische Regierungen beobachtet werden, die anstelle der aktuellen Regierung extreme Islamisten an der Macht haben wollen. Pape führt zwei grundlegende Ziele der Terroristen an: Erstens die Befreiung des eigenen Landes von einer fremden militärischen Besetzungsmacht und zweitens der nationale Unabhängigkeitskampf. Sicherlich einer der wichtigsten Gründe für die Durchführung eines Selbstmordanschlags ist die Verbreitung der Angst in der Bevölkerung sowie ein Bloßstellen der Macht habenden Personen.234 Selbstmordanschläge können zwar die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und Regierungen von bestimmten kleineren Vorhaben abbringen, einen kompletten Richtungswechsel in ihrem Sinn ist bis heute noch nicht erfolgt. Sie konnten in der Vergangenheit durch ihre Aktionen zwar einige kleine Fortschritte erzielen, wie den Rückzug von besetzten Gebieten, die für die Besetzungsmacht von eher strategisch geringer Bedeutung waren, große Fortschritte blieben jedoch aus.235
4.5
Die Wechselwirkung zwischen Medien und Terrorismus
Inwieweit sich die Medien von einzelnen Terroristen lenken lassen, gilt es im nachstehenden Kapitel zu klären. Terrorismus und politische motivierte Gewalthandlungen versuchen komplexe Sachverhalte in einem einprägsamen Schauspiel an den Zuschauer zu bringen. Schockbilder und Codes in den Nachrichten thematisieren den Konflikt. Dabei wird ein bestimmtes Ziel verfolgt: Traditionelle Mächte und Autoritäten werden durch die Tat als verletzlich und impotent enthüllt. Dieser Zustand soll so lange währen, bis die breite Masse die bestehende Ordnung in Frage stellt. Mit verschiedenen Terrorgewaltakten weisen die Akteure in regelmäßigen Abständen auf die Missstände hin. Dafür zieht man die Medien als Distributionskraft heran, um die Öffentlichkeit für ihre Sache zu informieren und zu erreichen.236 Durch die
234 Pedahzur, 2006. S. 3. 235 Pape, 2006. S. 170-171. 236 Riegler, 2009. S. 263.
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mediale Verbreitung der Gewalthandlungen können Terroristen ein großes Publikum und den angepeilten politischen Wandel erreichen.237 Gleichsam sollen Gegner in Angst und Schrecken versetzt werden. Dafür werden symbolträchtige Gebäude oder Institutionen des Feindes angegriffen, wie am Beispiel der Anschläge auf die Zwillingstürme im Jahr 2001 gezeigt wurde. In seinem Buch „Will Terrorists go nuclear?“ hat Brian Jenkins 1975 festgehalten, dass Terrorismus keineswegs sinnlos ist, da es dem Zweck diene bestimmte Botschaften in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dabei vergleicht Jenkins Terroranschläge mit Theateraufführungen. Anschläge werden heutzutage so konzipiert, dass sie die volle Aufmerksamkeit der Medien – hier besonders der elektronischen – erhalten. Die Medien tendieren dabei häufig dazu, mediengerechte Anschläge zu übernehmen und diese an ihr Publikum zu senden. Durch die hohe mediale Aufmerksamkeitsspanne gegenüber terroristischen Taten erreichen Terroristen genau das, was sie wollen: maximale Publizität.238 Die Fokussierung auf terroristische Ereignisse lässt sich durch die Ausrichtung der Massenmedien begründen. Der Wettbewerbs- und Geschwindigkeitsdruck veranlasst die Medien ständig neue Informationen und Themen zu präsentieren, um so das Publikum für sich gewinnen zu können. Nachrichtenwerte wie Außergewöhnlichkeit, Dramatik und „human interest“ sind bedeutende Faktoren, die über den Stellenwert eines Ereignisses entscheiden. All diese Merkmale können bei der Terrorismusberichterstattung beobachtet werden. Innerhalb kurzer Zeit kann eine große Aufmerksamkeit hergestellt werden. Gewalt und Negativmeldungen bringen Einschaltquoten, gute und harmonische Ereignisse hingegen leider nicht. Der Terrorismusforscher Walter Laqueur beschreibt das Verhältnis zwischen Terrorismus und Medien treffend, indem er betont, dass beide einander ergänzen. Die einen benötigen die mediale Aufmerksamkeit, die anderen finden in den Gewalthandlungen alle Faktoren für eine spannende Nachrichtenstory.239 Zudem kann angeführt werden: Je kleiner die terroristische Gruppierung, desto wichtiger ist ihre mediale Inszenierung.240 Herfried Münkler erklärt, [dass] „die Dynamik von Gewalt und Gegengewalt […] mittels Medien in Gang gesetzt und am Leben erhalten [wird].“241 Verschiedene Autoren und Experten bestätigen zwar ein symbiotisches Verhältnis, weisen allerdings gleichzeitig auf die Gefahren einer hohen Medien237 Hoffman, 2007. S. 269. 238 Riegler, 2009. S. 264. 239 Laqueur, Walter: Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus. Econ. München, 2001. S. 54. 240 Laqueur, 2001. S. 55. 241 Münkler, Herfried: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie. Velbrück Verlag. Weilerswirst, 2006. S. 204.
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aufmerksamkeit hin. Der britische Akademiker Paul Wilkinson erläutert die Risiken, bei welchen sich die Medien – gewollt oder ungewollt – von den Terroristen für ihre Zwecke manipulieren lassen. Andere Experten befürchten immer spektakulärere, einzigartige Terroranschläge, um so dem Bedarf der Medien nach Sensationen gerecht zu werden.242 Doch wie sollen die Medien mit terroristischen Gewalthandlungen umgehen? Eine aktive Zensur der Medien wird in der Literatur ausgeschlossen, da somit die Medienfreiheit gefährdet wäre. Dies könnten die Terroristen in ihrem Vorhaben bestätigen, da demokratische Länder mehr und mehr wie diktatorische Länder agieren würden. Deshalb versuchen die Journalisten eine Balance herzustellen und eine gewisse Selbstzurückhaltung bei der Themenwahl zu vollziehen. 4.5.1
Historisch entscheidende Ereignisse für das Entwickeln einer Medienstrategie der Terroristen
Dieses eng geknüpfte Verhältnis von Terrorismus und Medien geht auf die Zeit, in der die modernen Massenkommunikationsmittel geschaffen wurden, zurück. Durch die Erfindung der dampfbetriebenen Druckpresse im 19. Jahrhundert konnten Informationen schneller und in sehr großem Ausmaß an die Öffentlichkeit transportiert werden.243 Etwa zum selben Zeitpunkt erkannten politisch motivierte Gewalttäter die Bedeutung der Medien und die Möglichkeit der herrschenden Elite die Stirn zu bieten, um Missstände in der Gesellschaft aufzuzeigen.244 Als Beispiel soll der Fall von Vera Sassulic genannt werden, die 1878 auf den Gouverneur von St. Petersburg schoss, weil dieser einen politischen Gefangenen misshandelt haben soll. Die darauf folgende mediale Aufmerksamkeit war so groß, dass die Attentäterin vom Geschworenengericht tatsächlich frei gesprochen wurde. Die Bevölkerung jubelte über den Ausgang der Verhandlung, da sie vor allem aufgrund des großen Medieninteresses mit ihr sympathisierte.245 In einem zeitlich und geografisch größeren Abstand kann Menachem Begins Untergrundgruppe Irgun erwähnt werden, die die Wichtigkeit der Öffentlichkeit für ihr Vorhaben erkannte. Die Öffentlichkeitsarbeit der Irgun setzte sich vorerst aus der Gestaltung von Radiosendungen zusammen, die eine große Zahl an Hörern und somit Sympathisanten erreichte. Zu Beginn sendete besagte Gruppe lediglich fünf Minuten, da sie Gefahr lief, von der britischen Kolonialmacht entdeckt zu 242 Riegler, 2009. S. 265. 243 Hoffman, 2007. S. 275. 244 Waldmann, Peter: Terrorismus. Provokation der Macht. Gerling Akademie Verlag GmbH. München, 1998. S. 27. 245 Riegler, 2009. S. 266.
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werden. Die Briten blockierten jedoch lediglich die Übertragungen, wodurch die Gruppierung kurzerhand auf eine andere Radiowellenlänge wechselte. Die Sendungen der Irgun informierten ihre Zuhörer über neueste politische Ereignisse und analysierten die aktuelle Lage. Neben den Radiosendungen wurden Wandzeitungen angebracht sowie Flugblätter verteilt. Die zionistische Untergrundorganisation Irgun schaffte es die Weltöffentlichkeit auf die Situation in Palästina vor der israelischen Staatsgründung aufmerksam zu machen, gleichzeitig erreichte die Medienarbeit beziehungsweise die Untergrundorganisation durch ihre Aktionen einen Prestigeverlust der britischen Mandatsverwaltung.246 Mit einer weiteren Errungenschaft der Massenkommunikation wussten die Terroristen geschickt umzugehen und diese für ihren Vorteil zu nutzen. Im Jahr 1968 nahmen die Vereinigten Staaten von Amerika den ersten Fernsehsatelliten in Betrieb. Die Nachrichtenübertragung der lokalen Stationen in die Sendezentrale geschah schneller und einfacher, die News konnten bearbeitet und gleichzeitig ausgestrahlt werden.247 In diesem Jahr begannen palästinensische Terroristen Verkehrsflugzeuge in Europa zu entführen, um ihre Anliegen publik zu machen und die israelische Regierung zur Freilassung palästinensischer Gefangener zu zwingen. Dieser Zeitpunkt kann auch als Geburtsstunde des internationalen Terrorismus bezeichnet werden. In den 70er Jahren verstärkte sich der Effekt der modernen Technologien weiter, als es möglich wurde, ein Geschehen live zu übertragen. Die Wirkungsmacht der Medien – fortan mit tragbaren Minikameras und Videorekordern ausgestattet – überall auf der Welt auf Sendung gehen zu können, zogen gleichzeitig Terroristen an. Am deutlichsten wurde dies bei der Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen in München im Jahr 1972 durch die palästinensische Organisation „Schwarzer September“. Den palästinensischen Terroristen war eine große und globale Aufmerksamkeit der Fernsehzuschauer garantiert, da die Zuseher eigentlich ein sportliches Großereignis vor dem Fernseher verfolgen wollten. Stattdessen rückte das Palästinenserproblem durch die Geiselnahme der israelischen Sportler ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.248 Die olympischen Spiele von München im Jahr 1972 waren die ersten, die live im Fernsehen übertragen wurden. Mit der Geiselnahme beherrschte der „Schwarze September“ die mediale Öffentlichkeit und konnte ein Millionenpublikum mit seiner Botschaft erreichen. Der Medienhype um das olympische Dorf hatte allerdings auch seine Schattenseiten. So musste ein Befreiungsversuch der Polizei abgebrochen werden, da die Me246 Riegler, 2009. S. 267. 247 Bilder, Fakten, Stories – Terrorismus und Medien. 9.3.2002. e-politik.de. http://www.e-politik.de/lesen/artikel/2002/bilder-fakten-stories-terrorismus-und-medien/ (2.4.2010). 248 Hoffman, 2007. S. 276-77.
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dien über die Taktik der Polizisten berichteten. Was die Ermittler zuvor nicht wussten, war der Fakt, dass die Geiselnehmer im Mannschaftsquartier einen Fernseher besaßen, weshalb sie über die geplante Vorgehensweise der Sicherheitskräfte informiert und somit gewarnt waren. Die Geiselnahme verfehlte in erster Linie ihr Ziel, denn die Öffentlichkeit konnte nicht für das Anliegen der Palästinenser gewonnen werden, sondern sympathisierte vielmehr mit den israelischen Geiseln. Allerdings entdeckten die Terroristen die strategische Bedeutung des Medium Fernsehens und lernten von diesem Gebrauch zu machen.249 Bereits zwei Jahre zuvor überfielen arabische Guerillas der „Volksbefreiungsfront“ (PLFP) fünf Passagierflugzeuge. Lediglich die Übernahme eines Flugzeuges scheiterte.250 Die Geiselnahme der übrigen vier Maschinen war ein sehr präzise geplanter Medienevent. Kamerateams und Fotografen durften an die geparkten Maschinenflugzeuge heran treten und an Flugzeugtüren geklebte Werbeplakate versuchten Botschaften der Terroristen zu transportieren. Die ansteigende Medienaufmerksamkeit für das Palästinenserproblem war zwar gegeben, Sympathien und Verständnis konnten in der Öffentlichkeit allerdings nicht hergestellt werden.251 In den 70er Jahren kam es zu mehreren Flugzeugentführungen, bei denen allerdings rasch die Erfolglosigkeit der Vorhaben zu erkennen war. Regierungen waren immer weniger bereit, den Forderungen der Terroristen nachzugeben und setzten stattdessen vermehrt auf eigens dafür trainierte Spezialeinheiten. Regierungen und deren engagiertes Sicherheitspersonal konnten durch gewaltvolles Durchgreifen, die Geiselnahmen beenden und somit ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren.252 Erst in den 80er Jahren kam es zu einer neuen Form der Flugzeugentführung: Am 14. Juni 1985 gelang es drei Angehörigen der libanesischen Hisbollah das Linienflugzeug TWA 847 auf dem Weg von Rom nach Kairo zu kidnappen. Die Entführer forderten die Freilassung von 776 schiitischen Libanesen, die während der israelischen Besetzung des Libanon (1982-1985) in israelisches Gewahrsam gekommen waren. Das Flugzeug flog zuerst nach Beirut, anschließend nach Algier und schlussendlich wieder nach Beirut. Bei jedem Stopp ließen sie nicht-amerikanische Passagiere sowie Frauen und Kinder frei, bis nur mehr 39 männliche amerikanische Passagiere übrig blieben. Nach dem zweiten Landeanflug in Beirut verteilten sie die Geiseln über die Stadt, um die Rettungsaktion der USA aussichtslos zu gestalten. 249 Riegler, 2009. S. 270-271. 250 Guerillas/Flugzeugentführungen. Allah ist gnädig. Der Spiegel Nr.38. 1979. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44906586.html (2.4.2010). 251 Riegler, 2009. S. 271. 252 Ebenda. S. 272.
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Während der 17-tägigen Geiselnahme berichteten wichtige amerikanische Nachrichtenstationen wie ABC, NBC und CBS rund 500-mal über die Situation in Beirut. Das waren rund 28,8 Meldungen pro Tag. Zahlreiche Journalisten vor Ort ermöglichten diese intensive Berichterstattung, sie übermittelten vom Schauplatz in Beirut die neuesten Entwicklungen an die Zuseher. Während die Geiselnahme Tag für Tag andauerte, mussten die Reporter in Beirut allerdings immer wieder neue Storys senden, um ihre Anwesenheit vor Ort zu legitimieren. Sie inszenierten zum Beispiel Interviews mit den Geiseln oder den Angehörigen der Opfer. Mit der Zeit ergab sich ein starkes Ungleichgewicht in der Berichterstattung, bei der hauptsächlich soft-news im Vordergrund standen.253 Fakten und neueste Erkenntnisse waren deutlich unterrepräsentiert. Die Medien befanden sich in einer Wettbewerbssituation, im Zuge dessen nahezu bedingungslos jeder Kommentar übernommen wurde. Zudem verhielten sich einige Reporter teilweise wie Verhandlungsführer, die den Interviewpartnern die Möglichkeit gaben, Worte an den damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zu richten. Der Moderator der ABC-Sendung „Good Morning America“ fragte den Führer der libanesischen Gruppe „Amal“ Nabih Berri: „Irgendwelche abschließende Worte an Präsident Reagan heute früh?“254 Die Taktik der Terroristen ging auf und die amerikanische Regierung zwang Israel unter großem innenpolitischem Druck die gefangenen Schiiten freizulassen. Nach der Erfüllung ihrer Forderungen wurden die 39 amerikanischen Geiseln aus der Haft der Terroristen freigelassen.255 Die Strategie ging auf: Über zwei Wochen konnten die Terroristen die Weltöffentlichkeit in Atem halten und die Berichterstattung wesentlich leiten. Sie hatten es geschafft, die Medien für sich zu instrumentalisieren und in bestmöglicher Art und Weise auszubeuten. 4.5.2
Ergebnis des technologischen Fortschrittes für Medien und Terroristen
Für die Medien hat die Möglichkeit zur Live-Übertragung zu einem intensiven Wettbewerbsdruck geführt, da sich die einzelnen Stationen an Exklusivität übertreffen wollen. Somit müssen sie entweder als erste am Ort des Geschehens eintreffen oder über eine noch nicht veröffentlichte Information berichten. Nachdem die Medien über eine Story berichtet haben, soll möglichst lange versucht werden, die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten. Dies kann überwiegend durch sogenannte soft-news sichergestellt werden.
253 Hoffman, 2007. S. 269-271. 254 Hoffman, 2007. S. 272. 255 Hoffman, 2007. S. 270-271.
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Nachrichten verlagern sich immer mehr von den hard-news (Faktennews) zu human-touch geprägten Berichten, die mit Exklusivinterviews und rührenden Geschichten gespickt sind. Terroristen, die die Logik der Medien verstanden haben, wissen dieses Vakuum der Medien meist geschickt für sich zu nutzen. Unzählige Kameras und Mikrofone werden von ihnen klug genutzt und manipuliert. Nachdem ein Ereignis von den Terroristen aber auch von den Medien erst einmal geschaffen wurde, gilt es dies möglichst lange am Leben zu erhalten. An diesem Ziel sind beide Gruppen gleichermaßen interessiert.256 Die Medien agieren demgemäß häufig als Vermittler terroristischer Botschaften. Weil Ereignisse möglichst lange in den Medien präsent sind, tendieren die Verantwortlichen dazu, die Thematik unnötig in die Länge zu ziehen. Die Meinungen des Nachbarn, eines entfernten Bekannten oder eines Opfers erhalten einen bedeutenden Platz in der Sendung. Der Zuseher am Bildschirm soll sich so in die Situation hineinleben und den Schmerz und die Trauer nachempfinden. Terroristische Anschläge beinhalten solche Tragödien und „genießen“ vor anderen Nachrichten eine privilegierte Position. Doch nicht nur im Medium Fernsehen wird mit voyeuristischen Details über schreckliche Ereignisse berichtet. Printmedien müssen sich aufgrund des Konkurrenzkampfes innerhalb der Medien den TV-Nachrichten anschließen und mit Hilfe von kleinen Details hinter der Geschichte die Leser an das Blatt binden. Auch bei den Printmedien kann man somit eine Verschiebung reiner Faktennachrichten in Richtung der soft-news erkennen.257 Die Kommunikationsstrategie des Terrorismus setzt sich vor allem aus dem Überraschungsmoment und der maximalen Aufmerksamkeit zusammen. Anhand der bereits beschriebenen Beispiele wird das Zusammenspiel von Medien und Terrorismus deutlich. Diese Symbiose kann als Chance, aber auch als Problem betrachtet werden. Denn vor allem in Krisenzeiten fungieren die Journalisten als Kontrollmacht der Mächtigen, können aber auch als Sprachrohr verschiedenster Institutionen und Gruppierungen missbraucht werden.258 Speziell seit dem 11. September gelten die Medien als Überbringer terroristischer Botschaften, weshalb die redaktionellen Filtermechanismen stärker angewendet werden. Medienvertreter müssen oft mit ähnlich spärlichem Ausgangswissen wie ihre Zuschauer über Terroranschläge und Katastrophen berichten und die geringen Informationen, die ihnen vorliegen, in eine medial brauchbare Geschichte verpacken.259
256 Hoffman, 2007. S. 278. 257 Hoffman, 2007. S. 280-283. 258 Weichert, Stephan Alexander: Die Propaganda der Tat – Zur Kommunikationsstrategie des modernen Aufmerksamkeitsterrorismus. In: Glaab, 2007. S. 83. 259 Weichert, 2007. S. 84.
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4.5.3
Die Nutzung der Medien durch den radikal-islamischen Terrorismus
Der radikal-islamische Terrorismus nutzt die Medien geschickt, um seine Ziele durchsetzen zu können. Den Gewalttätern sind die Mechanismen der Medien sowie deren Funktionsweise durchaus bekannt. Diese Erkenntnis konnten sie sich durch ein ständiges Beobachten westlicher Medien aneignen. Osama bin Laden bezog, laut seinem Biographen Hamid Mir, nach dem 11. September 2001 die Nachrichten hauptsächlich von CNN und BBC, obwohl zum damaligen Zeitpunkt in Afghanistan kein Fernsehen erlaubt war.260 Der französische Islamismusforscher Gilles Kepel erklärt das Medienbewusstsein der aktuellen Terrorgruppierungen damit, dass sie ohne Satelliten-TV und Internet nicht bestehen könnten.261 Aus diesem Grund analysieren sie akribisch genau die Interessen der Medien und stimmen daraufhin ihre Taten ab. Das Timing des Anschlages oder ein bestimmter Zeitpunkt, in dem sie den Medien eine Videobotschaft zukommen lassen, sind wichtige Faktoren für die Terroristen. So war einige Stunden nach Beginn des Afghanistan-Krieges am 7. Oktober 2001 eine Videobotschaft von Osama bin Laden von den Medien ausgestrahlt worden, in der man einen großen, schlanken Mann mit einem langen Bart und einer turbanartigen Kopfbedeckung sah.262 Dieser auf dem Bild recht sympathisch wirkende Mann befand sich vor einer felsigen Kulisse und verkündete Amerika den Krieg. Bin Ladens Video-Statement war aufgrund der Bildqualität und des perfekten Timings, mit der die Botschaft an Al-Jazeera Arabisch überreicht wurde, mehr als bemerkenswert. Das Videoband war vor den ersten US-amerikanischen Luftangriffen hergestellt und geschnitten worden.263 Auch die Journalistin Zeina Khodr bestätigt die Wichtigkeit eines perfekten Timings, das über das Ausstrahlen der Nachricht entscheidet oder nicht. „[…] it is the timing of the attack which is more significant than the casualty toll…[…].“264 Hierdurch wird verdeutlicht, dass nicht mehr nur Bomben und Explosionskörper den Terroristen zu ihrem Ziel verhelfen, die Konzentration liegt vielmehr in der Macht der Kameras, der Videobotschaften sowie der professionell gestalteten Internetseiten. Terroristen haben die Vorzüge der Massenmedien, wie deren Schnelligkeit, die dau260 Riegler, 2009. S. 286. 261 Roth, Wolf-Dieter: Warum Terroristen töten. Telepolis, 26.2.2006. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22140/1.html (3.4.2010). 262 Sommer, Steffen: Kriegsikonen aus Videosignalen – Von der militärischen Macht der Videobilder in einer globalisierten Nachrichtenlandschaft. In: Knieper, Thomas; Müller, Marion G.: War Visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Köln, 2005. S. 389. 263 El-Nawawy, Mohammed; Iskandar, Adel: Al-Jazeera: The Story of the Network That Is Rattling Governments and Redefining Modern Journalism. MA Westvies. Cambridge, 2003. S. 143-147. 264 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010.
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ernde Präsenz und deren Drang nach immer neuen Geschichten erkannt und für sie nutzbar gemacht. Die Journalistin Tina Brown beschreibt dies in ihrem Artikel der Washington Post folgendermaßen: [the] „conjunction of 21st-century Internet speed and 12th-century fanaticism has turned our world into a tinderbox.“265 Terrorismus aktiviert durch seine Gewalttaten Verbündete und ist somit besonders auf die Verstärkung durch die Massenmedien angewiesen.266 Eine Untersuchung zweier nordamerikanischer Forscher, W. Lee Eubank und Leonard Weinberg, Mitte des 20. Jahrhunderts ergab, dass autoritäre Regimes weniger von Terroranschlägen betroffen sind als Demokratien. Dies lässt sich durch eine fehlende Presse- und Meinungsfreiheit in diesen undemokratischen Staaten erklären. Massenmedien bieten hingegen in Demokratien einen „idealen Resonanzraum“ für die Terroristen.267 Die starke Konzentration auf die Wirkung der neuen Medien lässt sich mit dem Verlust des Schutzhafens in Afghanistan, den verstärkten Repressalien sowie einer gezielten Unterbindung ihrer Finanzströme erklären. Radikal-islamische Terroristen wurden zwar in ihrer traditionellen Handlungsweise stark eingeschränkt, konnten jedoch aus der neuen Situation Vorteile für sich ziehen. AlQaida stellt seither eine Art transnationale Ideologie dar, welche mit Hilfe des Internets und moderner Technologie ihre Propaganda verbreitet. Durch das Aufkommen des Internets und der weltweiten Kommunikation tat sich ein weiterer Vorteil für die Terroristen auf: Sie sind zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr ausschließlich auf die Bereitschaft der klassischen Medien angewiesen. Ihre Bilder und Botschaften kann mittlerweile jede terroristische Vereinigung in Eigenregie im Internet posten und der Öffentlichkeit übermitteln.268 Dies sind keineswegs neue Erscheinungsformen des militanten Islams. Bereits in der Vergangenheit nutzten die Terroristen westliche Technologien zur Verbreitung ihrer Ideologie. In den 1980er Jahren stellten sie selbst erzeugte Rekrutierungsvideos mit Ansprachen von populären und radikalen Predigern aus Afghanistan zusammen und zeigten die Krieger im Kampf gegen die Rote Armee. In den 1990er Jahren wurden Videobilder von betenden und kämpfenden Mujaheddin gezeigt, die für bevorstehende Kämpfe in Algerien, Bosnien und Tschetschenien trainierten. Osama bin Laden beispielsweise nutzte damals das erste Satellitente-
265 Zitiert bei: Hoffman, Bruce: The Use of the Internet by Islamic Extremists. In: RAND Corporation testimony series. May 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010). 266 Palaver, Wolfgang: Terrorismus: Wesensmerkmale, Entstehung, Religion. In: Schwager, Raymund; Niewiadomski, Józef (Hrsg.): Religion erzeugt Gewalt – Einspruch. Innsbrucker Forschungsprojekt „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung. Band 15. LIT Druckund Verlagshaus Thaur. Münster – Hamburg – London, 2003. S. 218. 267 Waldmann, 1998. S. 126-129. 268 Riegler, 2009. S. 295.
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lefon, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Diese Kommunikationsformen wurden durch neuere und modernere Formen, wie das Internet abgelöst.269 Wesentlich bei der Berichterstattung über Terrornachrichten ist ihr Versuch Aufmerksamkeit zu erlangen und dabei die Öffentlichkeit zu zwingen, nach den Ursachen der Gewalt zu fragen.270
4.6
Das Internet als spezielle Kommunikationsplattform
Die Schaffung des Internets ist mit vielen Vorteilen, aber auch etlichen Nachteilen verbunden. So hat das World Wide Web vor allem die Kommunikation revolutioniert, da Menschen dadurch sehr kostengünstig überall auf der Welt in „Real Time“ miteinander in Verbindung treten können. Lange Postwege fallen weg, verschiedene Gruppierungen werben Mitglieder in verschiedensten Ländern an und auch in Bezug auf den politischen Aktivismus stellt das Internet eine große Errungenschaft dar. Organisationen können sich – unabhängig von ihrer Größe und geografischen Lage – austauschen und ihre Absichten kundtun.271 Ein weiterer Vorteil aus der Kommunikation über das Internet ist die Möglichkeit Zensuren eines Landes bis zu einem gewissen Grad umgehen zu können und Nachrichten anonym zu verfassen. Für Terroristen bietet das neue Medium eine Reihe von Vorteilen. Sie können ihre Botschaften und Ideologien im Internet festhalten und ihre Aktionen dementsprechend glorifizieren und dabei den journalistischen Selektionsprozess umgehen. Mit Videobotschaften, Kampfhandlungen und selbst gedrehten Predigten werden Anhänger informiert und neue Mitglieder geworben.272 Dabei nutzen sie das Internet zunehmend als virtueller Trainingsplatz. Verschiedene Trainingsfilme zeigen die Stürmung eines Hauses, die Sprengung eines Autos sowie das Abschießen von Boden-Luft-Raketen. Die Online-Anhänger von al-Zarqawi informiert dessen Website beispielsweise über die einfachsten und schnellsten Routen in den Irak und listet syrische Moscheen auf, die freiwillige Kämpfer beherbergen. Im Internet können sich die Anhänger auch über die Aspekte des Jihad informieren. Potentielle Anwerber müssen nicht mehr in weit entfernte Trainingslager reisen und Gefahr laufen, ihre 269 Riegler, 2009. S. 295-296. 270 Nacos, Brigitte L.: Accomplice or Witness? The Media’s Role in Terrorism. In: Current History. April 2000. S. 176. 271 Zitiert bei: Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010). 272 Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504hoffman.pdf (3.4.2010).
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Anonymität zu verlieren, sondern können sich virtuell zu einem Terroristen ausbilden lassen. Osama bin Ladens Biograph – Hamid Mir – beschreibt das Verhältnis der Terroristen zu den neuen Medien wie folgt: „every second al Qaeda member carrying a laptop computer along with a Kalashnikov“.273 Es ist anzumerken, dass Al-Qaida Mitglieder als erste Terrororganisation der Geschichte vom physischen in den Cyber-Raum wechselten. Ausgestattet mit Laptops und DVDs nehmen sie in abgelegenen Verstecken Kontakt zur Außenwelt auf, trainieren ihre Anhänger und posten die Videobotschaften ihrer „Führer“.274 Heutzutage haben fast alle Terrororganisationen und kleinere Gruppierungen eine Internetseite. Ein Forscher des Open Source Center (OPC) erklärte: „(…) if you’re not on the web, you don’t exist.“275 Durch das Internet können sie in Eigenregie auf sich aufmerksam machen und dabei ihre Standpunkte anführen. Hatten 1998 lediglich 15 – als Terrororganisation bezeichnete Gruppierungen – eine eigene Homepage, so waren es ein Jahr später fast 30. Heute sind beinahe alle mit mindestens einer Form der Internetpräsenz vorhanden, viele von ihnen haben gleich mehrere geschaffen. In einem Report über die Internetnutzung der Terroristen im Jahr 2006, wurden über 5000 Seiten mit terroristischem Inhalt identifiziert. Das Internet bietet einen idealen Platz für den internationalen Terrorismus, da die Terroristen dieselben Vorzüge wie jeder andere Internetnutzer genießen: Schnelligkeit der Datenübertragung, leichter und unkomplizierter Zugang sowie globale Vernetzung.276 Weil den Terroristen die Bedeutung des Internets bewusst ist, nehmen sie Einfluss auf die Berichterstattung und produzieren oft Bilder und ganze Nachrichten selbst. Dabei ist die Kontrolle über das Bildmaterial zunehmend in die Hände der Akteure gespielt worden. Durch billig erwerbbare Kameras sind Terroristen in der Lage, eigenhändig Bilder beziehungsweise Filme zu erzeugen und diese im Internet zu verbreiten. Sie übernehmen sozusagen die Regie und die Inszenierung der Nachrichten.277
273 Coll, Steve; Glasser, Susan: Terrorists turn to the web as base of operations. In: Washington Post, 7.8.2005. http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/08/05/AR2005080501138.html (4.4.2010). 274 Coll, Steve; Glasser, Susan: Terrorists turn to the web as base of operations. In: Washington Post, 7.8.2005. http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/08/05/AR2005080501138.html (4.4.2010). 275 Zitiert bei: Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010). 276 Weimann, Gabriel: Online Terrorism – Modern Terrorists and the Internet. In: Glaab, 2007. S. 52. 277 Riegler, 2009. S. 297.
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Die verstärkte und immer häufiger professionalisierte Nutzung der modernen Kommunikation durch die Terroristen veranlasst Medienexperten und Regierungen, Schritte gegen diese Entwicklung zu setzen. Sie versuchen den massenmedialen Zugang der Terroristen zu limitieren und die Nachrichten verstärkt zu zensieren oder sie in einem geringeren Ausmaß zu berücksichtigen. Es ist einleuchtend, dass über diese Form der Gewalt berichtet werden muss, dies soll allerdings in einem bestimmten Rahmen gehalten werden. Durch das Internet können die Terroristen die journalistischen Filtermechanismen umgehen.278 Verschiedene Kommunikationsexperten sprechen von einer symbolischen Kommunikationstheorie. Philip A. Karber arbeitete heraus, dass die Terroranschläge Opfer brauchen, die Rezipienten dieser Botschaft jedoch nicht zwingend die Opfer sein müssen. An dieser Stelle kann von einem „Theater of Terror“ gesprochen werden, da Anschläge einer genauen Choreografie unterliegen. Jenkins meinte bereits 1975: „Terrorist attacks are often carefully choreographed to attract the attention of the electronic media and the international press. Taking and holding hostages increases the drama. The hostages themselves often mean nothing to the terrorists. Terrorism 279 is aimed at the people watching, not at the actual victims. Terrorism is a theater.“
Wie Weimann und Winn in ihrer Studie „The Theater of Terror“ betonen, besteht die größte Hürde der Terroristen in der Legitimation der Gewalt.280 Dabei können häufig vier rhetorische Merkmale erkannt werden: Erstens sprechen sie von einem Motiv des „no choice“. Gewalt wird auf den Homepages als legitime Form der Verteidigung für die „Schwachen“ aufgezeigt, um sich gegen den Feind erfolgreich wehren zu können. Die Seite der Hisbollah argumentiert den islamischen Widerstand als Antwort auf die zionistische Aggression und das zionistische Ziel den südlichen Libanon zu beherrschen. Als Erklärung führen sie die Deklaration der Menschenrechte an, in der es heißt, dass es ihr Recht sei für ihre Freiheit und ihr Land zu kämpfen. Die Hamas argumentiert: „just as the French resistance movement fought the Nazis in the forties, Hamas is a movement … composed of patriots seeking self-determination and struggling to free their homeland, Palestine.“281
278 Weimann, 2007. S. 52-53. 279 Jenkins zitiert bei: Tsfati, Yariv; Weimann, Gabriel: www.terrorism.com: Terror on the Internet. Studies in Conflict & Terrorism. Nr. 25, 2002. Taylor & Francis. S. 318. 280 Weimann, Gabriel; Winn, Conrad: The Theater of Terror. Mass Media and International Terrorism. Longman Publication. New York, 1994. 281 Zitiert bei: Tsfati; Weimann, 2002. S. 324.
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Als zweites rhetorisches Merkmal kann eine Dämonisierung und DeLegitimation des Feindes erkannt werden. Die Kämpfer der eigenen Gruppierung werden als Freiheitskämpfer dargestellt, die gegen ihren Willen Gewalt anwenden müssen, da ansonsten der Feind die Rechte und Würde ihres Volkes vernichtet. Als drittes Merkmal wird das Unterlegene der eigenen Gruppierung/Volk betont. Die Terrororganisationen begründen auf ihren Internetseiten, dass Terrorismus als Waffe der Schwachen betrachtet werden kann. Durch diese Taktik wird dem Rezipienten eine kleine und schwache Gruppierung vorgespielt, die von eine großen Macht unterdrückt wird. Als viertes Merkmal kann eine pazifistische Nachrichtenverbreitung ausgemacht werden. Obwohl diese Organisationen gewalttätig sind, beanspruchen sie friedlich und an friedlichen Lösungen mit diplomatischen Verhandlungen orientiert zu sein.282 Die Homepages diverser Terrorgruppierungen sind zum einen für Sympathisanten und Mitglieder, zum anderen vor allem für Überwachungsinstitutionen interessant. Viele Internetseiten weisen dabei gemeinsame Charakteristika auf, die abgesehen von der Vielfalt und Verschiedenartigkeit beobachtet werden können. Sie sind meist sehr aufwendig und professionell gestaltet, ihre Inhalte besitzen faszinierende Grafiken und sind farbenfroh konzipiert. Es scheint fast so, als wären diese Seiten für eine mediengesättigte Gesellschaft und videospielabhängige Generation designt.283 Sie beinhalten meistens Informationen über die Geschichte der Organisation und Biografien ihrer Führer und Helden. Die politischen und ideologischen Ziele der Organisation sind aufgelistet und immer auf dem neuesten Stand. Bei nationalen Gruppierungen werden teilweise auch geografische Mappen der Gebiete veranschaulicht. So findet man beispielsweise auf der Seite der Hamas eine Karte Palästinas. Zudem haben viele Homepages eine direkte Kritik ihrer Gegner gemein und konzentrieren sich auf ein ständiges rhetorisches Attackieren des Feindes. Oftmals können Besucher der Seite Reden der Führer nachlesen, Video-Clips öffnen und über die neuesten Anschläge Informationen sammeln.284 Die Homepages sollen vor allem Muslime in der ganzen Welt ansprechen und zu Spendensammlungen aufrufen. Einer der bedeutendsten Aspekte ist jedoch die Möglichkeit zur Planung diverser Anschläge via Email und Chatrooms.285
282 Tsfati; Weimann, 2002. S. 324-325. 283 Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010). 284 Weimann, 2007. S. 54-55. 285 Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010).
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Terroristische Videobotschaften werden auf Jihad-Homepages oder Chatrooms hochgeladen, sodass sich jeder diese Botschaft herunterladen kann. Mittlerweile sind sogar Lehrvideos im Internet zu finden, die Anleitungen für die Herstellung von Bomben und andere Sprengstoffe geben. Das Internet wird häufig als „Universität des Jihad“ bezeichnet.286 Die Terrororganisation Al-Qaida verfügt sogar über ein virtuelles Magazin mit dem Namen „Muaskar al-Battar“ („Camp des Schwertes“), welches alle zwei Wochen online erscheint. Darin sind Fotos von verschiedenen Waffen und Sprengsätzen zu finden sowie diverse Kampfmethoden erklärt. In einer extra für die Frauen gestalteten Zeitschrift, der Al-Khansaa, finden sich Fitness und Erste Hilfe-Tipps für Jihad-Kämpferinnen sowie Genehmigungen, dass auch Frauen ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner am Jihad teilnehmen dürfen.287 Als eines der gefährlichsten Magazine der islamischen Propaganda gilt unter den Experten das „Schwert des Jihad“, in welchem die neuesten Strategien des islamistischen Terrorismus veröffentlicht sind.288 Neben Predigten, Kampfvideos oder Jihad-Blogs werden zudem Videos von Exekutionen ins Netz gestellt oder per Videobotschaft an einzelne TV-Stationen verschickt. Die Enthauptung des Wall Street-Journal Redakteurs Daniel Pearl kursierte bald nach seiner Exekution im Internet, nachdem sich die Nachrichtenstationen geweigert hatten, dieses Video zu senden. Immer wieder versuchen Terroristen Regierungen zu erpressen, indem sie deren Staatsbürger entführen und damit drohen sie umzubringen, wenn ihre Forderungen seitens der Regierung nicht erfüllt werden.289 Dies geschah beispielsweise im Nachkriegsirak des Jahres 2004 als vier italienische Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma von den „Grünen Brigaden“ entführt wurden, um so einen Abzug westlicher Truppen herbeizuführen. Die Geiseln wurden mit verbundenen Augen gefilmt und ein Sprecher aus dem Off erläuterte seine Forderung, die besagte, dass die Regierung in Rom ihre Streitkräfte aus dem Irak abziehen solle. Andernfalls werden die Geiseln getötet. Nachdem sich die italienische Regierung weigerte den Forderungen nachzukommen, wurde eine Geisel vor laufender Kamera erschossen. Keine der Nachrichtenstationen entschied sich dieses Video zu senden, weshalb es von den Terroristen wenige Zeit später ins Internet gestellt wurde.290
286 287 288 289 290
Theveßen, Elmar: Die Nutzung der Medien durch Terroristen. In: Glaab, 2007. S. 61. http://www.al-ghoul.com/al_khansa.htm (5.5.2010) Theveßen, 2007. S. 62. Riegler, 2009. S. 297. Paul, Gerhard: Der Bilderkrieg. Inszenierung, Bilder und Perspektiven der „Operation Irakische Freiheit“. Wallstein Verlag. Göttingen, 2005. S. 174 f.
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Aufgrund dieser Erfahrungen erkannten die Terroristen, dass sie nicht mehr auf die einzelnen Nachrichtenstationen angewiesen waren. Sie können verschiedene Videos ins Internet stellen und dabei ihre Forderungen publik machen. Dies steigert den Schockwert der Bilder, da sie von keiner Nachrichtenstation gefiltert werden. Die Videos sind meist etwas verwackelt, aber größtenteils mediengerecht inszeniert: Die Kidnapper sind verhüllt oder maskiert, präsentieren sich schwarz gekleidet mit ihren Waffen und wählen als Hintergrund diverse Banner. Die Gefangenen sind häufig orange gekleidet, was eine Anlehnung für die Kleidung der Inhaftierten in Guantanamo darstellt. In den meisten Fällen werden die politischen Forderungen der Terroristen verlesen und die Geisel hat die Möglichkeit, letzte Worte an die Öffentlichkeit zu richten. Werden die Bedingungen nicht erfüllt, so wird die Geisel vor laufender Kamera enthauptet. Diese Aufnahmen sollen schockieren, gleichzeitig aber auch die Gewaltbereitschaft der Terroristen anführen, wenn auf ihre Forderungen nicht eingegangen wird. Eine Freilassung der Geiseln ist nur möglich, wenn die erpressten Regierungen auf ihre Forderungen eingehen.291 Die Regierungen befinden sich dabei in einer Pattsituation, da sie sich nicht von einigen Terroristen erpressen lassen wollen, dennoch aber für das Wohl ihrer Bürger verantwortlich sind. Im Falle eines Nichteingreifens laufen sie Gefahr, Ansehen und Unterstützung in der Bevölkerung zu verlieren. In heutiger Zeit werden die Angriffe und Anschläge von den Terroristen selber mit gefilmt, um so ihre Taten im Internet dokumentieren und analysieren zu können.292 Diese Formen der Kommunikation verhelfen den Extremisten, ihre Propaganda an ein großes Publikum zu transportieren. Mittlerweile gibt es eigene Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Internetkommunikation der Terroristen zu überwachen und zu analysieren. Eine davon ist das SITE-Institut in den USA, welches für „Search for International Terrorist Entities“ steht.293 „In einem Chatroom fragt Anfang September 2003 jemand mit dem Decknamen “Das jüngste Gericht wird kommen“: „Brüder, wie komme ich in den Irak, um den heiligen Krieg zu kämpfen? Gibt es dort irgendwelche Militärlager oder jemanden, der das Kommando führt?“ Die Antwort unter dem Decknamen “Gnadenloser Terrorist“ lässt nicht lange auf sich warten: „Lieber Bruder, die Straße steht Dir weit offen. Es gibt viele Gruppen. Geh und such nach jemandem, dem Du vertraust und schließe Dich ihm an. Er wird der Wächter der irakischen Gebiete sein. Und mit Allahs Hilfe wirst auch du ein Mujaheddin werden.“
291 Riegler, 2009. S. 298-299. 292 Riegler, 2009. S. 299-300. 293 Theveßen, 2007. S. 62.
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“Gnadenloser Terrorist“ schickt dem Interessenten daraufhin Werbevideos mit Anschlägen auf US-Soldaten im Irak, selbst gedreht von den Attentätern. Dann empfiehlt er das Herunterladen der Software Pal-Talk, mit der man über das Internet telefonieren kann.294 Das online geführte Telefonat verrät Name und Adresse eines weiteren Ansprechpartners. Telefonate, die über das Internet abgewickelt werden, sind jedoch kaum nachvollziehbar und für die Experten des SITE-Instituts das zwangsläufige Ende ihrer Arbeit.295 Terroristen haben sich die neuesten Entwicklungen der Technologien und Kommunikationsformen angeeignet und nutzen diese sehr intensiv. Entgegengesteuert wird, indem man von der Propagandamaschinerie der Terroristen im Internet Bescheid weiß und diese genauestens analysiert, um dadurch mögliche Anschläge frühzeitig erkennen zu können. Zurzeit stellt das Fernsehen das zentrale Medium bei der Verbreitung terroristischer Botschaften dar. Die wachsende Bedeutung des Internets ist auch für die Terroristen nicht uninteressant. Dessen ungeachtet gilt: Solange es Terroristen geben wird, werden Fernsehen, Radio und Printmedien aber auch das Internet, als Vermittler ihrer Botschaft versucht missbraucht zu werden. Die Tatsache, dass die Terrorereignisse bereits mediengerecht aufbereitet werden, sorgt mitunter dafür, dass die Reporter diese nur mehr transportieren müssen.296
4.7
Gewalt als Kommunikation – Der Anschlag auf das World Trade Center als spektakuläres Medienereignis
Zur Maxime des Terrorismus gehören der Schockeffekt und die damit verbundene Medienaufmerksamkeit, die den Terroristen für ihre Sache zu Gute kommt. Terrorismus gilt als gewalttätige Aktion, deren Zweck die Erzeugung von Aufmerksamkeit darstellt. Dabei muss der Terrorist versuchen, diese für sich gewonnene Öffentlichkeit für seine Propaganda zu nutzen. Die Propaganda ist dabei ein unerlässlicher Faktor in diesem Kommunikationsprozess.297 Eine im Jahr 1991 durchgeführte Studie der RAND Corporation besagt: „Propaganda grants authority to its makers. In the first place, simply by demonstrating its ability to disseminate information that the government has banned, a guerrilla group proves that it is a viable force. Second, once a group has the people’s ears and eyes it 294 295 296 297
Angeführt bei: Theveßen, 2007. S. 63. Theveßen, 2007. S. 63. Weichert, 2007. S. 96-98. Hoffman, 2007. S. 306.
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can manipulate their minds, causing them to act as they not might otherwise; or if it does not work as effectively as this, its messages at least command the attention of those who read, hear or see them. In words and pictures, those whose plans are hidden from public view can portray themselves any way they please. Furthermore, if appearing to play a particular role can win support, propaganda will help these guerrillas to 298 become in fact the powerful forces that they claim to be.“
Mit Hilfe der Propaganda versuchen die Terroristen mit ihrer Botschaft eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen. Die Ausführung der Botschaft variiert je nach Zielpublikum und dem angestrebten Ziel. In der Literatur unterscheidet man dabei zwischen mehreren Anschlagszwecken. Der Zweck kann einen didaktischen Ursprung haben und dabei das Publikum informieren, erziehen oder Unterstützung in der Öffentlichkeit hervorrufen – sei dies in finanzieller, materieller oder geistiger Art. Diese Form der Kommunikation kann ebenso als Rekrutierungsinstrument dienen, zusätzlich werden Sympathisanten und neue Anhänger für die Bewegung angesprochen und für sich gewonnen. Zudem können mit gezielter Drohung oder Einschmeichelung gegnerische Parteien unterworfen werden. Dasselbe Ergebnis kann durch taktischen Zwang oder Einschüchterung erreicht werden. Dabei versuchen Terroristen die Bevölkerung gegen die politische Führung aufzubringen und ihr Vertrauen in den Staat zu untergraben. Der Regierung wird verdeutlicht, dass die Terroristen einst sicher geglaubte Plätze und Städte nach Belieben angreifen und somit die Kompetenz der herrschenden Eliten bloßstellen können.299 Bei den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 waren alle diese Faktoren anzutreffen. Durch die Zerstörung der politischen, militärischen und ökonomischen Hauptstellen Amerikas sollte der Welt die Verletzbarkeit der Supermacht Amerikas vor Augen geführt werden. Dabei wurde das World Trade Center als Symbol der US-Wirtschaft, das Pentagon als Symbol für die Militärmacht und das Kapitol als Zentrale der politischen Macht betrachtet. Letzteres Angriffsziel wurde nicht getroffen. Die Auswahl ihrer Angriffsziele zeugt an dieser Stelle von einem perfekten Gespür für eine mediengerechte Inszenierung und dem Bewusstsein der enormen symbolischen Wirkung dieser Ziele. Die Terroristen haben die Gesetzmäßigkeiten sowie die Schwachpunkte der westlichen Welt analysiert und gegen sie verwendet.300 298 Zitiert bei: Hoffman, 2006. http://www.globalsecurity.org/intell/library/congress/2006_hr/060504-hoffman.pdf (3.4.2010). 299 Hoffman, 2007. S. 306-307. 300 Regensburger, Dietmar: Die blutige Erbschaft des Herostratos: Die Zerstörung der Twin Towers als symbolischer Akt. In: Schwager, Raymund; Niewiadomski, Józef (Hrsg.): Religion erzeugt Gewalt – Einspruch. Innsbrucker Forschungsprojekt „Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung. Band 15. LIT Druck- und Verlagshaus Thaur. Münster – Hamburg – London, 2003. S. 210.
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Neben der Verdeutlichung der amerikanischen Verwundbarkeit sollten die Vereinigten Staaten öffentlich gedemütigt werden. Der Anschlag war in einer visuellen Sprache gehalten, schockierte und fesselte die Welt an die TVBildschirme.301 Herfried Münkler erklärt die enorme Bedeutung der zusammenstürzenden Zwillingstürme, die in medienwirksamer Weise die Desymbolisierung der amerikanischen Vorherrschaft zeigen, da die Ziele sehr sorgsam ausgesucht worden waren und die Zentren ihrer Macht zerstört hatten. „Nichts hätte diese Botschaft so eindringlich und unvergesslich ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit bringen können, wie die nach dem 11. September auf allen Fernsehern pausenlos wiederholten Amateurvideos von den im World Trade Center explodierenden Flugzeugen.“302 Besonders schockierend war der Live-Faktor dieses Anschlages. Durch ein zeitversetztes zweites Angreifen der Türme wurde seitens der Terroristen sichergestellt, dass dies der best-dokumentierte Terroranschlag in der Geschichte wurde. Das Attentat war nach den Regeln einer TV-Show konzipiert: Es sollte spannend, fesselnd, dramatisch und mit packenden Bildern versehen sein. All diese Kriterien wurden bei dem Anschlag erfüllt. Zudem waren bei der Zerstörung des zweiten Turms bereits so viele Kameras live vor Ort, dass die Zuseher Zeugen des spektakulärsten Terroranschlages der Geschichte wurden. Bilder der einstürzenden Türme, Feuerballen, flüchtende Menschenmassen sowie eine immer wieder laufende Wiederholung des Ereignisses führten dazu, dass die Tat unvergesslich im Bewusstsein der Menschen haften blieb. Aufgrund des Timings und der Möglichkeit den Einsturz der Türme live verfolgen zu können, betraf der Anschlag nicht nur die Bürger von New York, sondern alle Zuseher, die vor ihren TV-Bildschirmen saßen.303 Der Anschlag besaß eine sehr hohe Symbolkraft, die bis dato nicht übertroffen wurde. Osama bin Laden selbst sprach in einem Interview über den symbolischen Charakter des Anschlages: „The men that God helped [attack, on September 11] did not intend to kill babies; they intended to destroy the strongest military power in the world, to attack the Pentagon that houses more than 64,000 employees, a military center that houses the strength and the military intelligence. […] The towers are an economic power and not a children’s school. Those that were there are men that supported the biggest 304 economic power in the world.“
301 302 303 304
Riegler, 2009. S. 301. Münkler, 2004. S. 258. Riegler, 2009. S. 303. Zitiert bei: Regensburger, 2003. S. 213.
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Hier wird deutlich, dass bin Laden in erster Linie eine symbolische Verletzung und Schwächung des amerikanischen Staates anstrebte. Der 11. September kann als eine Art „Vorbildanschlag“ betrachtet werden, da sich in der darauffolgenden Zeit die Terroristen an der Wirkungskraft von aussagekräftigen Bildern bei einem Anschlag messen mussten. Sie erkannten, dass anhand von Terrorbildern Chaos, ein Gefühl von Verwundbarkeit aber auch Schock innerhalb der Bevölkerung ausgelöst werden kann. In Bali kamen am 12. Oktober 2002 über 200 Personen ums Leben. Bilder von halb verbrannten Jugendlichen gingen damals um die Welt. Aus dem irakischen Kerbala nahm man Bilder von panikerfüllten schiitischen Pilgern, in deren Mitte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte, war. Im Jahr 2004 wurden Bilder von den Anschlägen auf die Pendlerzüge in Madrid gezeigt und ein Jahr darauf konnte man das Ausmaß der Anschläge in London in den TV-Nachrichten verfolgen. Das Verkehrssystem wurde in diesen beiden Metropolen zum Ziel der Anschläge und das öffentliche Leben innerhalb kürzester Zeit lahmgelegt. Auch hier war die Verbreitung von Panik und Schrecken die Intention. Der Öffentlichkeit wurde damit die Willkür des Anschlages vor Augen geführt. Das Attentat hatte eine neue Dimension der Gewalt erreicht, da sich dieses ausschließlich gegen die Bevölkerung gerichtet hatte und somit jeder zum potentiellen Opfer werden hätte können. Diese Art der Bilder beschäftigt und fesselt den Zuseher zugleich. Bei den Anschlägen in Madrid und London waren vorerst keine Live-Bilder vorhanden. Lediglich in den darauffolgenden Tagen tauchten vermehrt Bildeindrücke, die von Handykameras aufgenommen wurden, auf. Man sah banale, alltägliche Situationen, die plötzlich von Explosionen unterbrochen wurden. Diese Normalität vor dem Anschlag verleiht dem Bild eine besondere Wirkungskraft.305
4.8 4.8.1
Maßnahmen gegen ein weiteres Ausbreiten des Terrorismus Staatliche Informationskontrolle
Für politische Eliten und Behörden stellt die Maxime im Umgang mit dem Terrorismus ihre Handlungsfähigkeit und Kontrolle dar, welche sie unter Beweis stellen müssen. Vor allem bei terroristischen Großereignissen wie beim Angriff auf das World Trade Center, den Anschlägen in Madrid und London wird der
305 Riegler, 2009. S. 305-306.
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Druck auf die offiziellen staatlichen Stellen vor allem auch durch die damit verbundene Medienaufmerksamkeit groß.306 Besonders nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 versuchte die US-Regierung aktiv auf die Medienberichterstattung innerhalb ihres Landes Einfluss zu nehmen. Sie versuchte die Kommunikation des terroristischen Gegners so weit wie möglich einzuschränken, weshalb sie die fünf großen Fernsehstationen in Amerika ABC, CBS, CNN, FOX und NBC bat, weitere Videostatements Osama bin Ladens nicht mehr auszustrahlen, da sie versteckte Botschaften dahinter vermutete. Zudem wurden keine Nachrichten aus Afghanistan und kein Live-Material von Al-Jazeera übernommen sowie jede Form der Hassbotschaft gegen Amerika herausgefiltert. Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, versuchte sogar die Printmedien zu dieser Art von Selbstzensur zu bringen, da in den Transkripten ebenfalls versteckte Botschaften vermutet wurden. Fleischer betrachtete dies keineswegs als Zensur, da die Medien aus eigenem Empfinden entscheiden konnten, was veröffentlicht wird und was nicht. Die TV-Stationen befolgten größtenteils die „Ratschläge“ der Regierung und strahlten keine weiteren bin Laden-Videos aus. Stattdessen wurde ein Standbild in den amerikanischen TV-Kanälen angeführt. Anhand der verhängten Medienzensur in Amerika wird die Macht der Medien verdeutlicht. Amerika das als einzig verbleibende Supermacht nach dem Ende des Kalten Krieges gilt, wurde mit den Anschlägen des 11. September 2001 veranschaulicht, dass sie durchaus angreifbar sind. Die Medienzensur diente in erster Linie als Schutz für die Öffentlichkeit, die nahe eines psychischen Kollaps stand. Den Amerikanern wurde vor Augen geführt, dass ihr Land von einigen Extremisten in die Knie gezwungen werden könnte. Eine Sprecherin von Fox-News äußerte sich zu der verhängten Zensur folgendermaßen: „Im Gegensatz zu anderen sind wir nicht dazu da, um Propaganda für die Taliban zu betreiben.“307 Auch die Besitzer des Rupert Murdoch Medienunternehmens stellten ihre patriotische Pflicht über die Informationspflicht. CNN erklärte sich dazu bereit, seine Berichterstattung nicht zu sehr auf die Opfer des Afghanistankrieges zu konzentrieren, da der Krieg lediglich als Antwort auf die Anschläge des 11. Septembers anzusehen ist. In der Erklärung, das Pentagon versuche die Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten, wurde der afghanische Krieg verharmlost. Auch in Großbritannien versuchte der Kommunikationschef des britischen Premiers, Alistar Campell, den Sendeverantwortlichen von BBC, ITN und Sky News davon zu überzeugen, Al-Qaida Botschaften zu zensieren. Die britische BBC widersprach dem Ratschlag von Mr. Campell mit dem Hinweis auf Zen306 Riegler, 2009. S. 317. 307 Zitiert bei: Riegler, 2009. S. 322.
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surmaßnahmen in der Vergangenheit. Meldungen über die Terrororganisation würden in einem Kontext veröffentlicht werden, da es wichtig sei, zu wissen, wie die Terroristen denken.308 Ein weiteres Beispiel der aktiven Medienzensur stellt die jahrelange Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern dar. Die Medienberichterstattung über diese Thematik wurde und wird immer wieder von beiden Seiten entweder gefördert oder gehemmt. Während der ersten Intifada (1987 – 1993) gingen Bilder von palästinensischen Jugendlichen, die mit dem traditionell, schwarz-weiß karierten KaffiyehTuch israelische Soldaten tagtäglich herausforderten, um die Welt. Die israelischen Soldaten antworteten – wie auch heute noch – mit Tränengas oder schossen mit scharfer Munition oder Gummigeschossen in die Menge der Demonstranten. Diese Auseinandersetzungen forderten regelmäßig Tote. Interessant bei diesen ungleichen Konfrontationen war die Tatsache, dass die palästinensischen Jugendlichen zum ersten Mal in die Opferrolle fielen und in den Medien nicht mehr als bloße Aufrührer dargestellt wurden. Durch die Bilder der Intifada kam es zu einem öffentlichen Einstellungswandel gegenüber den Palästinensern, die bis zu diesem Zeitpunkt immer wieder Negativschlagzeilen gemacht hatten. So wurden die Palästinenser bis dahin mit den Anschlägen auf die Olympischen Spiele in München 1972 sowie etlichen Flugzeugentführungen in Verbindung gebracht. Mit der Intifada hatte sich ihr Ansehen allerdings in der Weltöffentlichkeit gewandelt und sie wurden zum ersten Mal in der Rolle des Opfers wahrgenommen. Bei der zweiten Intifada (2000-2005) entfachte sich dieser Bilderkrieg erneut und eskalierte binnen kürzester Zeit: Am 30. September 2000 kam während eines Kreuzfeuers zwischen der israelischen Armee und palästinensischen Polizisten im Gazastreifen der 12-jährige Mohammed al-Dura mit seinem Vater ums Leben. Die tödlichen Schüsse wurden live von einem Kameramann von „France 2“ gefilmt.309 Diese dramatischen Bilder verbreiteten sich rasch und gingen um die Welt. Mohammed wurde zum Zeichen des Widerstands während der zweiten Intifada und als Symbol für die Grausamkeit der israelischen Politik, obwohl es ernst zu nehmende Zweifel gab, ob die tödlichen Schüsse von israelischer Seite abgefeuert worden waren. Die Palästinenser verehrten Mohammed al-Dura und ließen Sweatshirts, Poster und Wandbilder mit seinem Gesicht abdrucken und signalisierten somit ihren Widerstand gegen die israelische Politik. In der israelischen Offensive im Jahr 2002 versuchte das Militär die Medien an der Berichterstattung über gewaltsame Auseinandersetzungen in der West308 Zitiert bei: Riegler, 2009. S. 323. 309 Riegler, 2009. S. 326.
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bank zu hindern. Informierten israelische Journalisten dennoch etwas kritischer, so wurden sie als Verbündete der Palästinenser dargestellt. In den staatlichen Medien versuchten sie sogar eine allgemeine Sprachregelung durchzusetzen: So sollten arabische Medien das Wort „Opfer“ nicht mehr für palästinensische Zivilisten einsetzen und das Wort „Besatzung“ dürfe überhaupt nicht mehr verwendet werden. Doch auch für internationale Journalisten wurde es immer schwieriger, frei über den Nahostkonflikt zu berichten. Seit den Anschlägen des 11. September verlängerte man die Presseausweise palästinensischer Reporter nicht mehr. Und auch für freie Journalisten erließ man strengere Vorschriften: Sie erhielten eine Akkreditierung lediglich, wenn sie drei fixe Arbeitgeber nachweisen konnten. Durch diese Reglementierung reduzierte sich die Zahl der Journalisten im Land erheblich.310 Eine neutrale Berichterstattung aus den palästinensischen Gebieten gestaltet sich sehr schwierig, da vor allem während des Gaza-Krieges 2009 keine internationalen Journalisten Zutritt zu den besagten Gebieten hatten. Lediglich Al-Jazeera befand sich vor Ort und konnte über die Zustände in den Palästinensergebieten berichten. Zensur kann folglich nicht nur von eigens ins Leben gerufenen Organen ausgehen, sondern wird oftmals von zahlreichen Instanzen, die eigentlich andere Aufgaben haben, ausgeübt. Zensurmaßnahmen können in den verschiedensten Bereichen greifen.311 Sie äußern sich zum einen in direkten Verboten für Medien, zum anderen in indirekten Maßnahmen. Letztere erzielen oft dieselben Resultate wie direkte Verbote, fallen jedoch nicht sofort als Zensurmaßnahme auf. Die indirekten Zensureingriffe können leichter vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Sie äußern sich oftmals durch das Androhen von beruflichen oder finanziellen Nachteilen oder einem Ablehnen von Fördermitteln. Zensuren treten in vielen unterschiedlichen Formen auf. Besonders in der Mediendemokratie ist ein Eingreifen in die Medienfreiheit ein Stören des demokratischen Prozesses. Die Zensur versucht dabei, bestimmte politische oder moralische Positionen von der Öffentlichkeit fern zu halten und verringert somit deren Chancen auf dem „Markt der Meinungen“. Außerdem wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit genommen, die Tätigkeit der Regierung zu kontrollieren.312
310 Riegler, 2009. S. 326 – 327. 311 Buchloh, Stephan: Eingriffe in die Freiheit des Journalismus und der Kunst. Eine Typologie von Zensurformen. In: Donsbach, Wolfgang; Jandura, Olaf (Hrsg.): Chancen und Gefahren der Mediendemokratie. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Band 30. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz, 2003. S. 84-85. 312 Buchloh, 2003. S. 91-92.
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4.8.2
Wikileaks – als Form der Informationskontrolle
Oftmals sind Institutionen oder Staaten in Besitz von Informationen, die nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt sind. Daher werden diese mit aufwendigen und komplizierten Codes verschlüsselt. Das kann für die einen hilfreich, für die anderen vorwiegend hinderlich sein. Hinderlich vor allem dann, wenn diese geheimen und verschlüsselten Botschaften der Wahrheit im Wege stehen. Das berühmteste und aktuellste Beispiel ist das Aufdecken eines US-Luftangriffes im Irak aus dem Jahr 2007. Dabei hatte die amerikanische Besatzung eines ApacheHelikopters bewusst auf unbewaffnete Zivilisten in Bagdad geschossen und sie dabei getötet. Unter den Opfern befanden sich zudem zwei Reuters-Journalisten. Begründet wurde der amerikanische Luftangriff mit der Behauptung, sie seien angegriffen worden. Doch das von Wikileaks geknackte Video zeigte keinen Angriff auf das amerikanische Militär – sondern vielmehr grausame Jagdszenen auf irakische Zivilisten. Die Soldaten haben die Kamera des Reuters-Journalisten für eine Waffe gehalten, obwohl diese sehr deutlich keine Waffe darstellte. Als ein anderer unbewaffneter Mann zur Hilfe eilte, schossen sie erneut. Zudem wurden die tödlichen Schüsse von den Soldaten kommentiert. Etwas später versuchte ein vorbeifahrendes Auto den Opfern zu helfen – auch dieses wurde beschossen. Alle Insassen und Beteiligten starben an diesem Tag auf der Straße, lediglich zwei Kinder im Auto überlebten schwer verletzt die amerikanischen Angriffe. Auf dem Video, welches aus der Bordkamera des Kampfhubschraubers aufgenommen wurde, vernimmt man die belustigenden Kommentare der Soldaten: „Selbst Schuld, wenn sie ihre Kinder in einen Krieg bringen.“313 Als der Skandal aufgedeckt war, versuchten die Soldaten immer wieder eine Rechtfertigung für ihr Handeln zu konstruieren. Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt analysiert die Kommentare der Soldaten: „Dass man diesen um sein Leben kriechenden Menschen die ganze Zeit quasi bittet, sich doch einen Waffe zu nehmen, die er irgendwo findet, damit man einen Grund hat ihn zu erschießen. Also man sucht da kreativ nach einer Lösung, wie man diesen Angriff rechtfertigen kann“.314 Das amerikanische Militär verweigerte fast drei Jahre die Herausgabe des Videos. Mittlerweile erhielt die Internetplattform Wikileaks Informationen, die sie in einem sehr aufwendigen Verfahren entschlüsselt haben und die vom amerikanischen Militär verschlüsselten Botschaften veröffentlichten.
313 Reichart, Thomas: Enthüllung im Internet. Töten wie im Videospiel. 13.4.2010. http://frontal21.zdf.de/ (16.4.2010). 314 Reichart, Thomas: Enthüllung im Internet. Töten wie im Videospiel. 13.4.2010. http://frontal21.zdf.de/ (16.4.2010).
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Die Plattform ist ein Ergebnis der fortschreitenden Informationsgesellschaft, Wikileaks hat es sich zum Ziel gemacht, geheime Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen.315 Geheim gehaltenes von Firmen und Regierungen werden anonym veröffentlicht, da aus Sicht der Plattformbetreiber Transparenz geschaffen werden muss, wo diese fehlt.316 Das Wort „leaks“ soll auf das Leck der Geheimhaltungsmaschinerie hinweisen.317 Anonyme Unterstützung erhält die Plattform von renommierten Universitäten, welche die technischen Möglichkeiten besitzen. Daniel Schmitt, deutscher Sprecher von Wikileaks, geht auf die Motive der Plattform ein: „[…] Wir versuchen dort Transparenz zu schaffen, wo Transparenz verweigert wird. […] Transparenz aus unserer Sicht ist etwas, was von unten nach oben gehen muss und nicht von oben nach unten. […] Wenn Transparenz verweigert wird, dann muss die Transparenz in irgendeiner Art und Weise erzwungen oder geschaffen werden. Auf der anderen Seite sind wir der Meinung, dass alles, was in unserer Geschichte passiert, also unsere historische Aufzeichnung, sehr relevant ist für den Menschen um zu entscheiden, wie er die Zukunft gestalten soll. […]“318
Historische Aufzeichnungen müssen demnach komplett sein, damit die Menschheit zumindest die Möglichkeit besitzt, aus den begangenen Fehlern zu lernen um somit in der Zukunft angepasst agieren zu können, so Schmitt. Die Internetplattform betrachtet sich selbst als Produkt der globalen Entwicklung, in der Pressefreiheit und Pressegesetze immer mehr von Staaten oder Institutionen missbraucht werden. „[…] wir sind eigentlich das Produkt einer Art gegengesetzter Reaktion […], die versucht mit ähnlichen aggressiven Mittel, diese Freiheiten wieder herzustellen.“319 In der Kriegsberichterstattung, die auch die Terrorberichterstattung inkludiert, kann man im Bezug auf die Informationsbeschaffung und –verbreitung von einem „fog of war“ sprechen. Gräuel- und Gewalttaten, die im Krieg zustande kommen, lassen sich nur sehr schwer durch objektive und unabhängige Beobachter aufdecken, da diese zumeist nicht vor Ort sind. Durch diese Art der Enthüllung – die bisher vom amerikanischen Militär zu verhindern versucht wurde – konnte etwas Aufklärung erfolgen. Es stellt sich hierbei jedoch die Frage, ob alle Informationen unverzüglich publik gemacht werden sollten. Wikileaks befürwortet dies, da sie 315 Kleinz, Torsten: Wikileaks. Die Geheimnisverräter. Zeit Online. 27.4.2009. 316 Interview mit Daniel Schmitt. ZDF Frontal21-Sendung vom 13.4.2010. 317 Wikileaks kämpft für Informationsfreiheit im Netz. Ad Hoc News. 20.4.2010. http://www.adhoc-news.de/wikileaks-kaempft-fuer-informationsfreiheit-im-netz--/de/Nachrichten/20189257 (16.4.2010). 318 Interview mit Daniel Schmitt. ZDF Frontal21-Sendung vom 13.4.2010. 319 Interview mit Daniel Schmitt. ZDF Frontal21-Sendung vom 13.4.2010.
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der Meinung ist, dass ohne die real gezeigte Gewalt – wie sie in jedem Krieg vorhanden ist – keine Stellungnahme bezogen werden kann, ob der Einsatz befürwortet wird oder nicht. In diesem Fall beruft sich das amerikanische Militär auf ihre eigens geschaffenen „Rules of Engagement“, die ein klares Regelwerk für verschiedenste Kriege der Amerikaner vorsehen. Anhand dieser Regeln kann bestimmt werden, ob sie sich regelwidrig verhalten oder nicht. Nach der eigenen amerikanischen Logik verteidigte das Militär die Soldaten in diesem Fall, da sie im Zuge der Selbstverteidigung auf „bewaffnete“ Personen schießen dürfen. Die Soldaten in diesem Video sprechen von bewaffneten Personen, womit ein Eingreifen berechtigt ist. Weitere Investigationen zu dieser Causa wurden damit als überflüssig betrachtet. Die Diskrepanz zwischen dem Gehörten und dem Gesehenen ist allerdings sehr groß, weshalb Kritik am Vorgehen der Amerikaner laut wurde.320 Das Bestehen dieser Internetplattform verdeutlicht die Macht dieses neuen Kommunikationsmittels, indem sogar verschlüsselte Informationen gehackt und diese gegen Regierungen und Institutionen verwendet werden können. Ein Umgehen auferlegter Zensuren verschiedenster Art sowie das Posten gewünschter Materialien im Internet sind möglich. In diesem Falle sind von der Regierung und dem Militär codierte Informationen veröffentlicht worden. Für viele ist dies ein Schritt hin zu einer offeneren und transparenteren Gesellschaft. 4.8.3
Public Diplomacy als geeignete Counterterrorismus-Maßnahme?
Die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 haben die Welt und das politische Handeln einzelner Staaten und ihrer politischen Akteure wesentlich verändert. Standen sich früher zumeist gleich starke Staaten in konfliktreichen Situationen gegenüber, so hat sich die Art der Kriegsführung geändert – die Welt ist mit asymmetrischen Kriegen und Konflikten konfrontiert, die sich nicht mehr durch konventionelle und rein militärische Maßnahmen und Aktionen lösen lassen. Einzelne Gruppierungen können durch vergleichsweise geringen Aufwand und überschaubare finanzielle Ausgaben eine Supermacht aus dem Gleichgewicht bringen. Grund dafür sind die dezentralen politischen Strukturen. Als aktuellstes Beispiel ist an dieser Stelle der transnationale Terrorismus anzuführen, der mit den Anschlägen in New York weltweites Aufsehen erregt hat. Ab diesem Zeitpunkt wurde nach und nach ersichtlich, welch komplizierte Vernetzungen diese neue Art der Bedrohung mit sich bringt. Potentielle Terroristen müssen nicht aus ein und demselben Land stammen, und es müssen auch keine politischen Akteu320 Interview mit Daniel Schmitt. ZDF Frontal21-Sendung vom 13.4.2010.
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re sein. Vielmehr – und das ist die neue Herausforderung, der sich vor allem die USA zu stellen haben – sympathisieren einzelne Individuen mit terroristischen Organisationen und arbeiten mit ihnen zusammen. Mit Hilfe des Internets können sie Mitglieder werben und so mit neu entstandenen Zellen kommunizieren. Dass hierbei eine klassische Kriegsführung, wie jene, die während des Kalten Krieges praktiziert wurde, nicht sinnvoll ist, erscheint nachvollziehbar. Einzelne Staaten setzen auf die Stärke der Diplomatie. In einer Welt mit neuen und asymmetrischen Konflikten kann jedoch die klassische Form der Diplomatie nicht mehr effektiv angewendet werden. Deshalb sprechen Experten von einem Wandel der zwischenstaatlichen – hin zur öffentlichen Diplomatie, der sogenannten Public Diplomacy. Dabei wird nicht nur die Kommunikation zwischen den Regierungen, sondern auch jene der Bevölkerung anderer Staaten in den diplomatischen Prozess einbezogen.321 Vorrangiges Ziel ist es, die internationale Meinung zu einem bestimmten Land im positiven Sinne zu beeinflussen.322 Der Begriff der Public Diplomacy wird im CRS Report for Congress folgendermaßen beschrieben: „Public diplomacy is the promotion of America’s interests, culture and policies by informing and influencing foreign populations.“323 Es erklärt, wie Staaten und nicht-staatliche Akteure Einstellungen, Verhalten und Kulturen verstehen. Es werden Beziehungen aufgebaut und öffentliche Meinungen beeinflusst.324 Das Ziel soll eine Imageverbesserung des eigenen Landes in der Wahrnehmung anderer Länder sein.325 Asymmetrische Kriege und eine neue Form der Diplomatie sind Erscheinungen des 21. Jahrhunderts, mit der sich die Welt zunehmend auseinandersetzen muss, um erfolgreich gegen neue Bedrohungen auftreten zu können. Doch sind einzelne Länder mit Hilfe einer vermehrten und verbesserten Public Diplomacy in der Lage, den neuen Herausforderungen entgegen zu treten? Es stellt sich zudem die Frage, ob es zielführend ist, auf einen Dialog mit den von den USA bezeichneten „Schurkenstaaten“ oder auf altbewährte, bereits bekannte Kriegsformen gegen den Terrorismus zu setzen. Während Ex-Präsident George W. Bush auf den „war against terror“ schwor und davon überzeugt war, auf diesem Weg die Bedrohungen Amerikas zu bekämpfen, setzt der neue amerikani321 Horvath, Patrick: Public Diplomacy – Die dialogorientierte Verbindung von PR und Diplomatie als Chance für Mittel- und Osteuropa. In: Medienimpulse des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur Nr. 6. September, 2007. S. 27-29. 322 Riegler, 2009. S. 329. 323 CRS Report for Congress. U.S. Public Diplomacy: Background and the 9/11 Commission Recommendations. May 1, 2006. http://italy.usembassy.gov/pdf/other/RL32607.pdf (17.3.2009). 324 Gregory, Bruce: Public Diplomacy and National Security: Lessons from the U.S. Experience. www.smallwarsjournal.com 325 http://de.wikipedia.org/wiki/Public_diplomacy (17.3.2009).
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sche Präsident Barack Obama verstärkt auf den Dialog mit der muslimischen Welt. Beide Präsidenten versuchten und versuchen die Welt im Kampf gegen den Terrorismus sicherer zu gestalten, um die Bedrohungen für ihr Land möglichst gering zu halten. Doch welche Art des „counterterrorism“ – die klassische Art der Kriegsführung oder das Mittel der Public Diplomacy – erfolgreicher ist, gilt es anschließend zu erörtern. Auffallend ist, dass vor allem die USA während der Legislatur George W. Bushs enorme Imageverluste hinnehmen mussten und ein weltweit ansteigender Anti-Amerikanismus beobachtet werden konnte. So bemerkte der erfahrene Diplomat Thomas Pickering im Jahr 2003 dazu: „as high a zenith of anti-Americanism as we’ve seen for a long time“326. Umfragen gaben an, dass die Mehrheit der befragten Staaten aufgrund der amerikanischen Außenpolitik eine negative Haltung gegenüber den USA entwickelt haben.327 Vor allem in den muslimischen Ländern mussten die USA Imageverluste hinnehmen. Im Jahr 2003 hat das „Pew Research Center for the People & the Press“ in einer Umfrage erhoben, dass sieben von acht überwiegend muslimischer Nationen davon überzeugt sind, einmal von den USA gefährdet oder bedroht zu werden.328 Weitere Gründe für die negative Haltung gegenüber den USA kann auch deren Auftreten in der Weltöffentlichkeit sein. So betonte Barack Obama in seinem ersten Interview mit dem arabischen TV-Sender Al-Arabiya im Januar 2009 in Zukunft mehr zuhören zu wollen und erklärt dies folgendermaßen: „Well, I think the most important thing is for the United States to get engaged right away. (…) What I told him [George Mitchell] is start by listening, because all too often the United States starts by dictating – in the past on some of these issues – and we don’t always know all the factors that are involved.“329
Diese neue Art der Diplomatie kann auch als soft-power bezeichnet werden, da durch den Dialog mit einer bestimmten Kultur, politische Ideen und Strategien eines Staates erreicht werden können. Wie bereits erwähnt, müssen sich vor allem die USA einer Ablehnung gegen sie in Ländern des Nahen Ostens stellen.330 Muslimische Bürger leben jedoch nicht nur in diesen Regionen, sondern sind überall 326 Nye, Joseph S.: Soft Power and American Foreign Policy, In: Political Science Quarterly, Summer 2004. S. 255. 327 Ebenda, S. 255. 328 Kohut, Andrew: Anti-Americanism: Causes and Characteristics. The Pew Research Center for the People & the Press. http://people-press.org/commentary/?analysisid=77 10.12.2003. (17.3.2009). 329 Interview mit Barack Obama am 27.1.2009. http://www.alarabiya.net/articles/2009/01/27/65096.html (17.3.2009). 330 Council on Foreign Relations. Public Diplomacy and the War on Terrorism.
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auf der Welt beheimatet; deshalb ist das Problem des Anti-Amerikanismus ein globales und lässt sich nicht regional bekämpfen. Eigene Werte und politische Anliegen sollten vermehrt über kommunikative Wege als über militärische Mittel in die Welt transportiert werden.331 Um mit anderen Staaten erfolgreich kommunizieren zu können, ist eine Beachtung der sprachlichen und kulturellen Unterschiede besonders wichtig. Denn Wörter und Gesten können in anderen Ländern andere Auswirkungen als im eigenen Land haben.332 „America cannot communicate with foreign publics the same way that it communicates to Americans and expect to be understood by non-Americans.“333 Um internationale Anerkennung zu erlangen, ist ein gewisses Feingefühl in der Diplomatie unumgänglich, denn unterschiedliche Kulturen, Geschichten und Sprachen können leicht missverstanden werden. Jedes Volk hat eine subjektive Auffassung von politischem Handeln; deshalb muss die Public Diplomacy den Bräuchen und Sitten der einzelnen Länder angepasst werden.334 Die Medien spielen hierbei eine ganz besondere Rolle, da sie Inhalte der Regierungen an die Öffentlichkeit verbreiten können und somit ein bestimmtes Image des Landes transportieren. Amerika hat diese Art der Diplomatie bereits erstmals im 20. Jahrhundert angewendet, als Präsident Woodrow Wilson das „comittee on Public Information“ mit dem Ziel gründete, bestimmte Informationen während des Ersten Weltkrieges zu verbreiten.335 Durch die Public Diplomacy wollte man die europäische Bevölkerung erreichen und dadurch den Ausgang des Ersten Weltkriegs beeinflussen. Im Laufe der Jahre installierten die USA verschiedenste Informationsbüros für dieses Vorhaben. Im Jahr 1953 gründete Präsident Eisenhower die USIA (U.S. Information Agency). Hauptaufgabe der USIA war anfänglich die Verwaltung der Sendeanstalten und der Informationsprogramme. 1999 wurde die USIA im Zuge einer Reorganisation der foreign policy agencies abgeschafft und die restlichen Funktionen dem Außenministerium übergeben.336 In den 80er Jahren hatte das „Office of Public Diplomacy“ unter Präsident Ronald Reagan hauptsächlich die Aufgabe, die Me331 Horvath, 2007. S. 27-29. 332 Nye, 2004. S. 262. 333 Zaharna, R.S.: American Public Diplomacy in the Arab and Muslim World: A Strategic Communication Analysis. In: Policy Report. Foreign Policy in Focus. November, 2001. 334 Gregory, Bruce: Public Diplomacy and National Security: Lessons from the U.S. Experience. www.smallwarsjournal.com 335 CRS Report for Congress. U.S. Public Diplomacy: Background and the 9/11 Commission Recommendations. May 1, 2006. S.2. http://italy.usembassy.gov/pdf/other/RL32607.pdf (17.3.2009). 336 CRS Report for Congress. U.S. Public Diplomacy: Background and the 9/11 Commission Recommendations. May 1, 2006. S.4. http://italy.usembassy.gov/pdf/other/RL32607.pdf (17.3.2009).
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dien zu managen. Nach dem Kalten Krieg waren die USA der Auffassung, die Macht der Public Diplomacy nicht mehr zu benötigen, da sie ihr soziales Modell nicht länger in Bedrohung eines ideologischen Gegenmodells sahen. Durch die Anschläge des 11. Septembers 2001 erfuhren sie, wie verletzlich ihr System dennoch ist.337 Kurze Zeit danach trat der damalige Außenminister Colin Powell beim Musiksender MTV auf, um den Jugendlichen überall in der Welt zu erklären, für welche Werte und Aktionen Amerika eintritt.338 Mit Hilfe des Musiksenders wollte die amerikanische Regierung, ihnen ein besseres Bild ihres Landes vermitteln. 2004 gründete die USA das „Public Diplomacy Evaluation Office“ (PDEO). Dessen Aufgabe besteht darin, die Public Diplomacy zu evaluieren und ein strategisches Rahmenwerk zu entwickeln.339 Im Jahr 2006 zeichnet sich die Public Diplomacy der USA vor allem durch Informationsprogramme in verschiedenen Sprachen, Förderungen von internationalen Austauschprogrammen und internationaler Sendeanstalten (wie zum Beispiel Radio Sawa, Radio Free Afghanistan, Radio Free Iraq…) in vielen Ländern der Welt aus.340 Um jederzeit gegen falsch verbreitete Informationen reagieren zu können, wurden lokale und internationale Medien – nach den Terroranschlägen in New York – 24 Stunden analysiert, um bei Bedarf eine Pressekonferenz einzuberufen oder eine Pressemitteilung zu verfassen, die die ausgestrahlten Nachrichten korrigierten. Auch während des Irak-Krieges im Jahr 2003 wurde extra eine Kommunikationseinrichtung installiert. Das „Office of Global Communication“ (OGC) bestand aus einem 11-köpfigen Kommunikations- und PR-Expertenteam, welche Dossiers und Informationsbulletins gegen das Regime von Saddam Hussein in Umlauf brachten. Präsident Bush und andere wichtige Politiker ergänzten irakische Verletzungen der UN-Resolutionen mit aktuellen Zitaten und Botschaften. Neben diesen Bemühungen, die die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen, berichtete die Washington Post sogar von einem TV-Sender, welcher durch positive Berichterstattung über die amerikanischen Anstrengungen im Irak-Krieg finanziell von Seiten des US-Militärs unterstützt wurde. Der Sender habe 35.000 Dollar für moderne technische Ausrüstung, 300.000 Dollar für eine neue Ein337 Van Ham, Peter: War, Lies, and Videotape: Public Diplomacy and the USA’s War on Terrorism. In: Security Dialogue 2003; 34; 427. S. 430. 338 CRS Report for Congress. U.S. Public Diplomacy: Background and the 9/11 Commission Recommendations. May 1, 2006. S.8. http://italy.usembassy.gov/pdf/other/RL32607.pdf (17.3.2009). 339 Country Reports on Terrorism. Office of the coordinator for counterterrorism. http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2007/ (30.4.2008). 340 CRS Report for Congress. U.S. Public Diplomacy: Background and the 9/11 Commission Recommendations. May 1, 2006. S.6. http://italy.usembassy.gov/pdf/other/RL32607.pdf (17.3.2009).
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richtung sowie 600 Dollar für das wöchentlich ausgestrahlte Programm erhalten.341 Trotz professionell konzipierten PR-Aktionen und Einflussnahmen verbesserte sich das Image Amerikas unter George W. Bush keineswegs. Barack Obama möchte der muslimischen Welt beweisen, dass die Amerikaner keineswegs ihre Feinde sind. Er gesteht Fehler in der Geschichte ein, führt allerdings auch an, dass Amerika nicht perfekt in der Rolle der Weltmacht ist. „To the broader Muslim world what we are going to be offering is a hand of friendship. But I do think that it is important for us to be willing to talk to Iran, to express very clearly where our differences are, but where there are potential avenues for 342 progress.“
Die Welt und deren politische Konstellationen, befinden sich in einem sehr instabilen Verhältnis. Diese Lage lässt sich am deutlichsten anhand der Anschläge in New York 2001 verdeutlichen: George W. Bush musste sich innerhalb eines Tages mit einer nach außen hin komplett veränderten Welt auseinandersetzen. Die Welt schien vor allem in Amerika vor den Anschlägen stabil. Das Paradoxe an dieser Sache ist die Tatsache, dass 19 Personen innerhalb eines Tages die USA in einen Krieg gegen den Terrorismus führen konnten. Politische Strategien und Entscheidungen einzelner Akteure können sich innerhalb kürzester Zeit in eine komplett andere Richtung wenden. Diese etwas fragile Weltordnung kann seit dem Ende des Kalten Krieges beobachtet werden. Seither stehen sich nicht mehr zwei annähernd gleich starke Supermächte gegenüber, sondern mehrere kleine Staaten und Akteure, die mit ihren Entscheidungen die Welt beeinflussen und können vor allem im Bereich der Politik nicht wieder rückgängig gemacht werden. George W. Bush entschied sich nach dem 11. September 2001 für einen „Krieg gegen das Böse“ – einen „Krieg gegen den Terrorismus“. Mit seinem Entschluss diese Art der transnationalen Bedrohung primär mit militärischen Mitteln zu bekämpfen, stieß er in der muslimischen aber auch in anderen Teilen der Welt auf Unverständnis. Dramatische Imageverluste und ein immer größer erkennbarer Anti-Amerikanismus waren die Folge. Doch auch die Verweigerung von Verhandlungen mit sogenannten „Schurkenstaaten“ war hinderlich. Ansätze der Public Diplomacy schimmerten während seiner Amtszeit zwar teilweise durch, sein Hauptaugenmerk lag allerdings im Einsatz traditioneller militärischer Mittel. Mit ausschließlicher Hilfe der Public Diplomacy kann das Problem des Terrorismus nicht abge341 Riegler, 2009. S. 333-334. 342 Fernsehinterview mit Barack Obama am 27.1.2009. http://www.alarabiya.net/articles/2009/01/27/65096.html (17.3.2009).
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schafft werden, da es immer wieder radikale Menschen geben wird, die mit Gewalt versuchen, bestehende Verhältnisse zu ändern oder ihre Interessen durchsetzen wollen. Dennoch besteht die Möglichkeit durch ein vermehrtes Setzen auf den Dialog zwischen den Kulturen, die Gewaltspirale etwas zu unterbrechen.
4.9
Zusammenfassung
Politisch motivierte Gewalt, die sich in verschiedensten Formen des Terrorismus äußert, kann sinnbildlich durchaus mit einem Theater verglichen werden, da ihre spektakulären und dramatischen Handlungen auf maximale Öffentlichkeit abgestimmt sind. Mit Hilfe ihrer Aktivitäten, die meist auch mit psychologischer Schockwirkung verbunden sind, versuchen sie politische Botschaften zu senden. Die Medien „nutzen“ diese neue Art der terroristischen Selbstdarstellung, da sie alle Merkmale einer Top-Story aufweisen und somit maximale Einschaltquoten garantieren können. Die Berichterstattung über Anschläge konzentriert sich hauptsächlich auf die Opfer und das Leid der Zivilbevölkerung. Es wird über die Opferzahl sowie die Anschlagsart diskutiert, Ziele und Inhalte der Terroristen werden in den wenigsten Fällen angesprochen. Propagandaartige Berichte finden zumindest bei den großen internationalen Nachrichtenstationen keinen Eingang in deren Sendungen. Durch die Medienberichterstattung über neueste Terroranschläge erreichen die Terroristen zwar ein immens großes Publikum, Sympathien in der Öffentlichkeit werden allerdings keine geschaffen. Auch beim größten und eindrucksvollsten Terroranschlag in der Geschichte am 11. September 2001 konnten die Attentäter zwar die Welt mittels dramatischer Bilder schockieren, einen Transport ihrer Ziele und Motivationen jedoch nicht erreichen.343 Es ist festzuhalten, dass die Medien zwar auf den ersten Blick von den Terroristen für ihre Sache instrumentalisiert werden, allerdings ist jedoch auch zu erkennen, dass sie sich keineswegs von ihnen missbrauchen lassen. Gewisse Nachrichten und Bilder, die von den Terroristen sorgsam inszeniert werden, erreichen die Weltöffentlichkeit nie, da sie den Nachrichtenfilter der Journalisten nicht passieren. Die Medien präsentieren zwar dem Zuschauer viele und vor allem einprägsame Bilder, agieren allerdings dennoch als Filter. Terroristische Anschläge sind für die Medien ein Ereignis, über welches informiert werden muss, jedoch nicht in unbeschränktem Maße. Die Autorin Louise Richardson hat in ihrem Werk „Was Terroristen wollen“ sehr eindrucksvoll herausgearbeitet, dass es für die Täter nichts Schlimmeres gäbe als ignoriert zu werden, da sie ihre Aktionen so gestalten, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Diese 343 Riegler, 2009. S. 336.
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jedoch ganz zu ignorieren würde nicht funktionieren und sie womöglich noch zu größeren Angriffen motivieren. Allerdings, so Richardson, sollte man die Terroristen abseits der Medien wie Kriminelle verfolgen. Mit verdeckten Ermittlungen könne man ihre Effizienz erfolgreich unterminieren, so die Autorin.344 Die Tendenz der Politik geht allerdings in die entgegengesetzte Richtung: Politisch Verantwortliche reagieren gegen diese Art von Gewalt mit Gegengewalt und verschlimmern so die Situation lediglich. Durch die Kriegserklärung der USA als Antwort auf die Anschläge in New York haben sie in erster Linie das Verhalten der Terroristen widergespiegelt. Bin Laden betrachtete sich als den Befreier, den „Guten“ in diesem Verhältnis, die USA stellte für ihn das „Böse“ dar; in umgekehrter Weise betrachteten sich die USA als die Guten und bin Laden als das Böse. Beide Parteien vertraten eine Schwarz-Weiß-Weltsicht.345 Was zudem nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist der Gewöhnungseffekt, der sich bei den Nachrichtenrezipienten nach einer gewissen Zeit bemerkbar macht: Sie werden im Laufe der Zeit gegenüber schrecklichen und grausamen Bildern abgestumpft. Um ihre Aufmerksamkeit zu steigern, werden immer dramatischere Anschläge notwendig, die wiederum schrecklichere Bilder erzeugen.346
344 Richardson, 2007. S. 256. 345 Ebenda. S. 251. 346 Riegler, 2009. S. 339.
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5 Visueller Journalismus: Von der Bedeutung ausgestrahlter Bilder „Die Menschen urteilen im allgemeinen mehr nach dem, was sie mit den Augen sehen, als nach dem, was sie mit den Händen greifen; denn jedem wird es einmal zuteil, etwas in Augenschein zu nehmen; aber nur wenige haben Gelegenheit, etwas zu berühren. 347 Jeder sieht, was du scheinst, und nur wenige fühlen, was du bist.“
5.1
Die Nachrichtengestaltung: Das Zusammenspiel von Bildern, Tönen und Texten
Kriege, die massenmedial geeignete Bilder erzeugen, bleiben im Gedächtnis der Medienrezipienten hängen. Dabei werden an schöne wie grausame und schockierende Bilder gleichermaßen erinnert. Die von Herfried Münkler bezeichneten „neuen Kriege“ präsentieren alte und bereits bekannte Motive, kreieren allerdings auch neue Bilder, die vor allem auf fortschreitende Technologien zurück zu führen sind. Videos und Bilder von Überwachungskameras oder vom Computer designte Phantombilder der Täter gehören mittlerweile zu den täglichen Bildmotiven, die wir aus der Welt der Medien entnehmen können.348 Bilder zählen als fester Bestandteil der visuellen Information und gleichzeitig als fester Bestandteil unseres Mediensystems. Als visuelle Informationsmedien kann man zum einen den Film und das Fernsehen, zum anderen auch Zeitschriften und Zeitungen zählen. Das Fernsehen lebt in diesem Zusammenhang größtenteils von bewegten Bildern, Printmedien hingegen von Standbildern, die einen starken Aussagewert besitzen sollten. In Zeitungen werden einzelne Fotos dargestellt, die das Interesse für den dazugehörigen Text wecken können. Die Bilder besitzen dabei eine eigene Nachrichtenqualität, die dem Betrachter einen individuellen Einblick in das Geschehen ermöglicht.349
347 Machiavelli, Niccolò: Der Fürst. Zitiert bei: Sarcinelli, Ulrich; Tenscher, Jens: Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Eine Einführung. In: Sarcinelli, Ulrich; Tenscher, Jens (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden, 2003. S. 9. 348 Müller, Marion G.; Knieper, Thomas: Krieg ohne Bilder? In Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hrsg): War visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Köln, 2005. S. 7. 349 Fechter, Anja; Wilke, Jürgen: Produktion von Nachrichtenbildern. Eine Untersuchung der Bilderdienste der Nachrichtenagenturen. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Nachrichtenproduktion im Medien-
133 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Nachrichten sind einem zunehmend starken Visualisierungszwang unterlegen. Aufgrund von zeitlich kurzen Nachrichtenbeiträgen sowie der Vielzahl an Themen scheint eine visuelle Darstellung der Ereignisse unabdingbar, um komplexe Zusammenhänge verstehen und auf die Zentralaussage der Nachricht leiten zu können. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Bilder aussagekräftig sind oder bestimmte Themengebiete nur symbolhaft dargestellt werden sollen. Da Politik meist ein abstraktes Geschehen ist, wird dies im Gegensatz zu Unfällen und Katastrophen häufig symbolhaft dargestellt.350 Nachrichten setzen sich aus Bildern, Tönen und Texten zusammen. Diese drei Elemente können sich entweder unterstützen oder behindern. Dramatische Augenblicke werden mit Musik untermalt, Bilder, die dagegen mit Texten versehen sind, können sich nicht völlig entfalten und behindern sich stattdessen.351 Bei der Gestaltung eines Berichts gilt es besonders auf das Bildmaterial zu achten und muss daher passend ausgewählt werden. Informationen von Augenzeugen schaffen eine gleichzeitige Emotionalisierung des Beitrags. Oftmals werden bei den Nachrichtenbeiträgen Geräusche wahrgenommen, die das Gezeigte betonen und deutlicher hervorheben.352 Mit Hilfe der Bilder werden diverse Sachverhalte präsentiert. Dabei können Aspekte dargestellt werden, die mit dem menschlichen Auge nicht wahrnehmbar sind, wie zum Beispiel Luftaufnahmen, Rundsichten und Fotomontagen. Durch den Einsatz der Bildtechniken werden Verzerrungen, Vergrößerungen oder Verkleinerungen vorgenommen, die dem Zuseher andere Perspektiven des Geschehens liefern. Bedeutend ist die Tatsache, dass Bilder bei Menschen stärkere Emotionen auslösen und gleichzeitig nachhaltiger wirken, als das geschriebene oder gesprochene Wort.353 Umberto Eco hat in seiner Analyse über visuelle Codes einige Annahmen getätigt. Dabei betont er, dass ikonische Zeichen durch die Wahrnehmung und Verarbeitung des Zusehers in den eigenen Erfahrungshorizont eingebettet werden. Dieser Horizont wurde im Laufe der individuellen Sozialisation erlernt und führte zu einem spezifischen Abkommen im Umgang mit diesem Phänomen. Die Zeichen werden in das Weltbild des Rezipienten integriert und deshalb könne es zu
350 351 352 353
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system. Von den Sport- und Bilderdiensten bis zum Internet. Böhlau Verlag GmbH &Cie. Köln, 1998. S. 55. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 169. Wintsch, Dani: Doing News – Die Fabrikation von Fernsehnachrichten. Eine Ethnografie videojournalistischer Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2006. S. 220. Wintsch, 2006. S. 220-221. Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 133.
keiner Eins-zu-Eins-Abbildung des Gezeigten mit dem Abgebildeten kommen, da es sich nicht von den Hintergrundinformationen (Bildern) lösen kann. Bilder können zudem Stimmungen von Personen wiedergeben. Mit visuellen Grafiken werden komplexe Sachverhalte möglichst verständlich an den Zuseher gebracht. Die visuelle Betonung durch aussagekräftige Bilder gibt dem Zuseher das Gefühl vor Ort zu sein. Dem Rezipienten wird indirekt vermittelt, dass er sich durch seine visuelle Präsenz als Augenzeuge selber ein Bild von der Situation machen kann.354
5.2
Die Bedeutung der Schlüssel- und Symbolbilder
Nachrichten sind nicht nur eine Präsentation von Tatsachen, sondern ein komplexes Produkt mit großem Arbeitsumfang. Dabei spielen sogenannte Symbolbilder eine bedeutende Rolle. Sie versinnbildlichen das Gesprochene und verdeutlichen dem Zuseher die Kernaussage der Nachricht. So stehen zum Beispiel Blaulichter und Sirenen für die Polizei, aber auch für Gefahr.355 Weinende Frauen, Kinder und verschiedene Bilder von Leid erzeugen beim Zuseher ein Gefühl von Mitleid. Es wird ein Bogen zur Emotionalität der Zuseher gespannt, der die Menschen vor dem Fernseher fesseln soll. Symbole und Schlüsselbilder werden nach ihren Themen, ihrer zeitlichen, sozialen, räumlichen und medialen Nutzung unterschieden. Symbole sollen Sinnzusammenhänge für eine Gruppe oder eine Kultur herstellen. Über Generationen hinweg werden diese ins kollektive Gedächtnis verankert und spielen eine bedeutende Rolle bei der Identifizierung mit einem bestimmten Thema.356 Medienvermittelte Informationen werden als „erzählende“ Informationen bezeichnet und von den Zusehern oft als die reale und objektive Wirklichkeit betrachtet. Dabei haben die Nachrichten bereits den Selektionsprozess der Journalisten durchlaufen. Sie wurden sortiert, interpretiert und zu einem Bericht zusammengefasst, bei denen die Präsentation lediglich aus Ausschnitten aus Ereignisfolgen besteht. Dennoch gelten vor allem Fernsehnachrichten als authentische Nachrichten, da ihre Bildberichte als Spiegel des wahren Geschehens betrachtet werden. Audiovisuelle Nachrichten können jedoch – genau wie andere Formen der Nachrichten – lediglich einen gewissen Aspekt bei der Beitragsgestaltung be354 Meyer; Ontrup; Schicha, 2000. S. 133-134. 355 Wintsch, 2006. S. 235. 356 Frohne, Ursula; Ludes, Peter; Wilhelm, Adalbert: Militärische Routinen und kriegerische Inszenierungen. In: Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hrsg): War visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Köln, 2005. S. 121.
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leuchten und lenken somit den Zuseher in eine bestimmte Richtung.357 Die Nachrichtensender hingegen sind umgekehrt von aussagekräftigen Bildern abhängig, denn „was nicht bebildert werden kann, kommt in den Fernsehnachrichten nicht vor“; dies stellt eine zentrale Feststellung der Medienforschung dar.358 Kriege und gewalttätige Auseinandersetzungen sind trotz großer Opferzahlen meist nicht existent, wenn sie nicht in den Medien vorkommen.359 Anhand von Schlüsselbildern werden Sinnzusammenhänge mit Hilfe von Symbolen und symbolhaften Handlungen visuell dargestellt. Die Autoren Georg Schütte und Peter Ludes verstehen unter dem Begriff „Schlüsselbilder“ jene Bilder, die einen Schlüssel zu einer bestimmten Thematik bieten.360 Ein Beispiel dafür stellen die leer gefegten nächtlichen Straßen in Gaza während der Operation „Gegossenes Blei“ dar. Dies sind Bilder, die aufgrund der Exklusivität und des einschneidenden Ereignisses lange Zeit in den Köpfen der Zuseher haften bleiben. Diese Schlüsselbilder umfassen Images und Stereotypen.361 Zudem gibt es Schlüsselbilder, die kein vergleichbar exklusives Ereignis darstellen. Sie werden deshalb bewusst öfters eingesetzt, um eine gewisse Routine dieser Bilder bei den Zusehern herzustellen. Darunter versteht man sehr oft rituelle Handlungen, wie zum Beispiel das Händeschütteln einzelner Politiker oder die Unterzeichnung eines Vertrages.362 Wiederholungen jedweder Art – seien dies Bilder oder Statements einzelner Personen – sind notwendig für das Erreichen eines bestimmten Gefühls oder einer Reaktion beim Zuseher.363 Ein weiteres Beispiel für Schlüsselbilder sind jene Bilder, die in den Tagen und Wochen nach dem 11. September 2001 immer wieder gezeigt wurden. Laufend sah man die einstürzenden Türme, unter anderem auch in Zeitlupe. Hinzu kamen polarisierende Bilder wie jene der jubelnden Araber, die den Anschlag im Westen anscheinend guthießen. Anschließend konnte die Bevölkerung vor einem dunkelgrün-schwarzen Hintergrund funkelnde Punkte erkennen, die den beginnenden Krieg gegen die Terroristen erahnen ließen. Der damalige US-Präsident George W. Bush legitimierte seinen Angriff mit dem Titel „Aktion“ oder „Operation“ gegen die Feinde Amerikas. Zudem ließ er die Welt wissen: „Wer nicht 357 358 359 360
Wolf, 2006. S. 41. Ebenda. S. 42. Frohne; Ludes; Wilhelm, 2005. S. 139. Schütte, Georg; Ludes, Peter: Medienvertrauen und Schlüsselbilderlebnisse. Eine Analyse von Schlüsselbildern in U.S.-amerikanischen und bundesdeutschen Fernsehnachrichtensendungen. In: Jarren, Otfried; Schatz, Heribert (Hrsg.): Medien und politischer Prozess. Politische Öffentlichkeit und massenmediale Politikvermittlung im Wandel. Opladen, 1996. S. 213-228. 361 Frohne; Ludes; Wilhelm, 2005. S. 120. 362 Wolf, 2006. S. 42 363 Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Mohr Siebeck. Tübingen, 2007. S. 182.
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für uns ist, ist gegen uns.“364 Die Öffentlichkeit konnte sich den immer wieder gezeigten Bildern der Anschläge nicht entziehen, Trauerfeiern wurden zelebriert, Experten und Politiker zu Wort gelassen, die die jüngsten Ereignisse analysierten. Es folgten Pressekonferenzen und offizielle Drohungen gegen die vermeintlichen Feinde Amerikas. Außerdem interviewte man Experten und Politiker des anderen Lagers, die wiederum zu Ruhe und Besonnenheit aufriefen. Es folgten Bilder von Benefizveranstaltungen, die für die Opfer des 11. Septembers abgehalten wurden. Auch bei diesen Veranstaltungen entstanden Polarisierungen: So gedachte man den Opfern der Anschläge in New York, keineswegs jedoch der Zivilbevölkerung im Nahen Osten, die unter den Bombenangriffen Amerikas litt.365 Gerhard Kromschröder – Nahost-Experte und ehemaliger Kriegsreporter während des Golfkrieges 1991 – beschreibt die aktuelle Medieninformationsschiene während des Irak-Krieges treffend und bemerkt, dass durch 24-StundenLive-Bilder keineswegs neue Informationen durchsickern. Er beobachtete als Fernsehzuschauer den Irak-Krieg und dokumentierte den Kriegsverlauf und den täglichen Kampf der Medien um Bilder und Schlagzeilen. „Wieder stundenlang CNN geguckt. Wieder Planetenblick. Es läuft, wie schon all die Tage, rund um die Uhr die Kriegsshow „Strike on Iraq“. Wir werden ins Pentagon umgeschaltet. […] Dann wieder die üblichen Bilder vom fernen Wüstenplaneten, unscharf, verwackelt, ereignislos. Dafür permanent zucken und geheimnisvoll verpixelt. Die Absender dieser kryptischen Bildbotschaften sind die >embedded journalists<, die eingebetteten Reporter auf Seiten der Invasionstruppen. Manchmal habe ich den Eindruck, sie sagen alle dasselbe: nichts. Die Illusion von Information.“366
Die hauptsächlich live gesendeten Berichte lassen die Hintergrundinformationen und die dazugehörigen Analysen etwas in den Hintergrund rücken. Vor allem bei den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001, dem Afghanistan-Krieg aber auch dem Irak-Krieg wurde diskutiert, in welchem Maß die Bildauswahl die Qualität des Beitrages beeinflusst.367 Die Autoren Georg Schütte und Peter Ludes arbeiteten in ihrer Untersuchung „Medienvertrauen und Schlüsselbilderlebnisse“ interessante Ergebnisse 364 Moritz, 2002. S. 9. 365 Moritz, 2002. S. 9-10. 366 Kromschröder, Gerhard. Zitiert bei: Beuthner, Michael; Weichert, Stephan Alexander: „The more you watch, the less you know“: Hybridisierungstendenzen in der visuellen Kriegs- und Krisenkommunikation. In: Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hrsg.): War Visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Halem, 2005. S. 155. 367 Beuthner, 2005. S. 156-158.
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heraus. Sie stellten in ihrer Inhaltsanalyse – die die Bebilderung der Nachrichtensender in Deutschland und den USA (1976, 1983, 1989) zum Inhalt hatte – fest, dass die nationale und internationale Politik, Kriege und Katastrophen wie Erdbeben, Überflutungen und Waldbrände hauptsächlich über die TV-Nachrichten wahrgenommen werden. Zudem registrierten sie häufiger dramatisierende und „actionreiche“ Bilder bei den Nachrichten aus Amerika als bei jenen aus Deutschland.368 Eine entsprechende Erkenntnis kann aus der vorliegenden Studie gezogen werden: Bei den drei Untersuchungsmedien bemerkt man vor allem bei AJE eine, im Vergleich zu den anderen Sendern, größere Intensität an aktionsgeladenen und exklusiven Bildausschnitten. Werden beim arabisch-englischen Sender eher dramatisierende Bilder und Berichte gezeigt, so liegt der Schwerpunkt der britischen BBC vor allem auf einer möglichst sachlichen Berichterstattung, bei der ihre Rezipienten mit einem gewissen journalistischen Abstand über aktuelle Ereignisse unterrichtet werden. Während bei Al-Jazeera English sehr genau auf die Opfer eingegangen und ihr Leid visuell unterstrichen wird, vernimmt man bei BBC eine distanziertere Berichterstattung. CNN strahlt ähnliche, actionreiche Bilder wie AJE aus, die Berichte sind teilweise völlig anders aufgebaut. Dazu mehr in Kapitel 8.
5.3
Authentizität und Emotionalität
Nachrichtenbilder müssen Authentizität vermitteln und eine emotionale Beteiligung der Zuseher sicher stellen. Die Bilder sollten aussagekräftig, exklusiv, einzigartig und vor allem schnell sein. Emotionale Gefühle werden bei den Nachrichten mit positiven oder negativen Eindrücken, mit Hilfe von Musik oder einem kommentierenden Text hergestellt. Die Gestaltungsmittel können auf mehreren Ebenen erfolgen: Verbal-auditiv: durch sprachliche Emotionalisierung Non-verbal-auditiv: Geräuscheffekte und Musik Verbal-visuell: Schriftzüge Nonverbal-visuell: Grafiken und Animationen.369 Konsens herrscht bei den Medien in der Diskussion, über ein Nicht-Zeigen von verstümmelten Leichen oder abgetrennten Gliedmaßen, Hinrichtungen oder Selbsttötungen. Dennoch erkennt man bei einigen Berichten derartige Bilder. 368 Schütte; Ludes, 1996. S. 238. 369 Beuthner; Weichert, 2005. S. 163.
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Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Medien ohne solche Bilder immer weniger auskommen. Die Grenzen werden somit ständig neu gesteckt.370 Des Weiteren müssen Beiträge über Terroranschläge – wie jede andere Nachricht – vor allem ein gewisses Maß an Authentizität mitbringen. Der Zuseher soll erkennen, dass der Journalist vor Ort ist und sich mit seinen eigenen Augen über das Geschehene informiert. Dabei genügt es nicht nur die Ereignisse zu filmen und einige Worte dazu zu sprechen, sondern es wird anhand einiger Techniken die Authentizität der Nachricht hergestellt. Dies wird mit folgenden Mitteln vollzogen:371
Mit Hilfe der Live-Schaltung kann der Journalist am besten verdeutlichen, dass er sich am Ort des Geschehens aufhält. Der Live-Charakter vermittelt ein gewisses Maß an Authentizität. Lediglich in seltenen Fällen hält sich der Journalist bereits am Ort des Attentats auf, um Bilder einer Explosion oder eines Anschlages live aufzeichnen zu können. Trifft er erst nach dem Anschlag am Schauplatz ein, können Überbleibsel des Anschlages gefilmt werden, wie zum Beispiel der Rauch, das Feuer einer Explosion oder zerstörte Autos. Zudem können die Folgen eines Anschlages aufgezeichnet werden, um die geforderte Authentizität für das Publikum herzustellen: Der Abtransport von Verletzten oder herumliegende Schuhe – die sich noch am Anschlagsort befinden – werden häufig gefilmt. Mit Hilfe von Augenzeugen oder Passanten können die Journalisten das Erlebte noch einmal Revue passieren lassen. Die Interviewpartner, die direkt betroffen waren, können dem Fernsehteam lebendige Zitate zu den Anschlägen geben. Sie erzählen durch ihre Sichtweise das Geschehene und beliefern die Zuseher mit Insider-Informationen, die die Journalisten nicht haben können, wenn sie nicht unmittelbare Zeugen des Anschlages geworden sind. An aussagekräftige Statements zu kommen verlangt allerdings größtes Geschick von Seiten der ausgebildeten Journalisten. Am deutlichsten erkennt der Zuseher, dass der Journalist vor Ort ist, wenn er sich mit dem Mikrofon vor die Kamera stellt und das Gesehene kommentiert. Dabei wird das Mikrofon mit dem Senderlogo so nahe vor das Gesicht gehalten, dass es im Bild aufscheint. Von besonderer Bedeutung sind Tränen, Wutausbrüche oder Emotionen jeder Art, die von den Protagonisten eingeholt werden. Diese Gefühle wecken Betroffenheit und emotionale Involviertheit bei den Zusehern. Ge-
370 Ebenda. S. 164. 371 Schütte; Ludes, 1996. S. 238.
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5.4
fühlsausbrüche im richtigen Moment einzufangen sind jedoch nicht besonders einfach und verlangen besonderes Geschick der Journalisten. Diese können den Interviewpartner durch gezielte Fragetechniken zu einem aussagekräftigen Satz bewegen. Man kann somit durchaus behaupten, dass manche Gefühlsausbrüche oder Sätze von den Reportern geschickt gelenkt wurden, um anschließend das geforderte Material zu erhalten. Eine unruhige Kameraführung verdeutlicht dem Zuseher zu Hause, dass der Journalist zum einem vor Ort ist, zum anderen die Gefahren auf sich nimmt, um dem Publikum die neuesten Ereignisse hautnah mitzuteilen. Rauchwolken im Bild, Dreck- oder Blutspritzer auf der Linse sind nur einige Möglichkeiten, die diesen Effekt erzielen.372
Bilder der Kriege und des Terrorismus
Das Bild des Krieges hat sich im Laufe der Zeit geändert, der Krieg an sich jedoch nicht. Auch die Bilder über Massaker und Gewalt sind über die Jahre hinweg konstant geblieben. Die neuen Kriege wie sie Herfried Münkler bezeichnet, wollen dem Publikum vormachen, dass Kriege sauber und ohne großes Gemetzel geführt werden. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die elektronisch inszenierte Kriegsführung ins Leben gerufen. Der Öffentlichkeit präsentiert man Bilder des Krieges, die einen scheinbar präzisen Raketenabwurf und die damit folgende Zerstörung des Zieles darstellen. Eine gewisse Distanz zum zerbombten Ziel sowie der einem Videospiel gleichenden Blickwinkel, verharmlosen die Situation und lassen den täglichen Umgang mit diesen Bildern leichter erscheinen.373 Die Autorin Marion G. Müller fasst die Symbiose zwischen Nachrichten und Kriegen folgendermaßen zusammen: „Nur Kriege, die massenmediale Bildzeugnisse hinterlassen, sind Kriege, die im Gedächtnis haften bleiben.“374 Terroranschläge und kriegerische Schauplätze weisen meist dieselben Bilder auf, die blutverschmierte Opfer, Helfer, weinende Angehörige und ein Ausmaß der Zerstörung zeigen, die den Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen fesseln.375 Medien und Journalisten erfahren Kriege auf eine andere Weise, wie sie den Hauptbeteiligten vorliegen. Viele Terroranschläge werden als Gewalthandlung 372 Wintsch, 2006. S. 238-240. 373 Müller, Marion G.: „Burning Bodies“. Visueller Horror als strategisches Element kriegerischen Terrors – eine ikonologische Betrachtung ohne Bilder. In: Knieper, Thomas; Müller, Marion G. (Hrsg): War visions. Bildkommunikation und Krieg. Herbert von Halem Verlag. Köln, 2005. S. 406. 374 Müller; Knieper, 2005. S. 7. 375 Ebenda. S. 7.
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aber auch als mediales Ereignis vollzogen. Dazu zählen die Anschläge vom 11. September 2001 sowie der Irak- aber auch der Golf-Krieg, die durch die Medien ein ungeheuer großes Interesse bei den Menschen erwecken.376 Durch Nachrichtenfaktoren wie Intensität, Nähe, Negativismus (Krieg und Opfer), Elite-Bezug auf einzelne Personen und Nationen, aber auch die Visualität der Ereignisse erhalten Nachrichten einen derart hohen Wert, dass sie ständig das Gatekeeping (= journalistische Auswahl) übersteigen und somit in den Medien präsent sind. Journalisten, aber auch die kriegsführenden Parteien stehen in einer symbiotischen Beziehung, da sie sich mit dem jeweils anderem in einem profitablen Verhältnis befinden. Die Medien erhalten durch kriegerische Auseinandersetzungen exklusives Bildmaterial und sichern sich durch ihre Berichterstattung hohe Einschaltquoten; kriegsführende Parteien oder Terroristen bedienen sich der Wirkungskraft der Medien, um möglichst viele Personen auf der Welt anzusprechen und Gefühle von Angst, aber auch Sicherheit herzustellen. Dasselbe Ziel verfolgen kriegsführende Parteien, die dem „Feind“ ihre militärische Stärke via Medien übermitteln. Gleichzeitig sollen jene Personen, die von den Kriegführenden beschützt werden, das Gefühl erhalten, bald in Sicherheit zu sein. Doch wie sollen Journalisten mit schrecklichen Bildern von Kriegen oder Terroranschlägen umgehen? Sollen sie gezeigt oder nicht gesendet werden? An dieser Stelle ist die UN-Operation im somalischen Bürgerkrieg anzuführen. Dieses Beispiel untermauert die neue Form der asymmetrischen Kriege. Im Oktober 1993 kamen die US-Marines gemeinsam mit UN-Soldaten in einen Hinterhalt in Mogadischu, wobei 18 US-amerikanische Soldaten starben. Einige jubelnde Somalier schleiften anschließend zwei verstümmelte amerikanische Leichen durch die Straßen. Die Warlords waren den Amerikanern militärisch unterlegen und benutzten diese Bilder der Leichenschändung, um den Gegner zu demütigen und zu demoralisieren. Kurz darauf wurden die amerikanischen Truppen aus dem Land abgezogen – die Taktik der Warlords ging auf. Auf einer ähnlichen Strategie beruhten die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001. Militärisch waren und sind die Terroristen den USA weitaus unterlegen, deshalb griffen sie anstelle von militärischen Truppen die amerikanische Zivilbevölkerung an. Um sicher zu gehen, dass möglichst viele Menschen die Anschläge via Medien verfolgen, wurde das zweite Flugzeug mit einem zeitlichen Abstand in den zweiten Zwillingsturm geflogen. Den USA wurde verdeutlicht, dass sie nicht in der Lage waren, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu garantieren. Eine ähnliche Strategie verfolgten die Terroristen bei den Anschlägen in Madrid am
376 Gaus, 2004. S. 7.
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11. März 2004 und in London im Juli 2005.377 Die Berliner „tageszeitung“Journalistin Gaus erklärt, dass es arrogant sei, Live-Bilder von Anschlägen (wie zum Beispiel jene vom 11.9.2001) nicht zu senden. Journalisten werden von diesen Live-Ereignissen ebenso überrascht, wie jede andere Person. Würden solche Bilder nicht gesendet, käme dies einer Zensur gleich, so Gaus. Denn die große politische Bedeutung dieses Ereignisses sowie der sich verstärkende Konkurrenzkampf internationaler Fernsehstationen erübrige die Diskussion eines Nichtsendens dieser Bilder. Ganz im Gegensatz zu jenen Bildern, die Journalisten selber inszenieren: Der CNN-Korrespondent Brent Sadler geriet am 13. April 2003 während eines Gespräches mit Einwohnern von Tikrit in eine plötzlich eskalierende Situation. Die amerikanische Crew wurde gezielt beschossen und ihr bewaffneter Leibwächter schoss zurück, sodass ihnen die Flucht gelang. Diese Situation löste unter Medienwissenschaftlern eine heftige Diskussion aus. Sadler habe als Korrespondent die Grenze zwischen neutralem Beobachten und bewaffneter Teilnahme am Geschehen überschritten. Journalisten gerieten zwar immer wieder einmal in solche Situationen, doch dieses Beispiel löste ein solch großes Interesse hervor, da der Zuseher live miterleben konnte, was sich in Tikrit mit Brent Sadler ereignete – CNN übertrug die gesamte Recherche sowie die eskalierende Situation. An diesem Tag wurde klar, dass der technische Stand der Medien das Wichtigste in der Berichterstattung war.378 5.4.1
Journalistische Neuheiten in der Kriegs- und Terrorberichterstattung
Jenen Kriegen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ereignet haben, wurden neue journalistische Formen gegenübergestellt. So finden immer häufiger personalisierte Geschichten sowie die Visualisierung der Ereignisse Eingang in die Berichterstattung. Im Laufe der Jahre konnte die Tendenz beobachtet werden, dass Massenmedien, aber auch die Journalisten selbst, die Wirklichkeit verzerrt wiedergeben oder im äußersten Fall sogar als eingebettete Reporter über Anschläge und kriegerische Handlungen berichten. Dabei befinden sich die Journalisten in einer eigenen Überlebenssituation und erzählen dem Publikum von ihren subjektiven Empfindungen, die sie in dieser Lage erfahren.379 Zudem sind verschiedene Presselenkungsmethoden beispielsweise in den USA entwickelt worden,
377 Placke, 2007. S. 426-427. 378 Gaus, 2004. S. 100 f. 379 Köhler, 2009. S. 107.
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die erstmals während der US-Invasion auf Grenada 1983 Anwendung fanden. Auch während der Panama-Invasion Amerikas im Jahr 1989 wählte man (hauptsächlich die USA) einige Journalisten aus, die erst nach den großen militärischen Aktionen die Öffentlichkeit informieren durften. Die Reporter können somit nicht mehr in einem freien Ausmaß über die Kriegsereignisse berichten, sondern werden in ihrer Nachrichtengestaltung gehemmt, gelenkt oder gar kontrolliert.380 Der damalige US-Außenminister Colin Powell versuchte nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 die Berichterstattung des arabischen Senders Al-Jazeera zu kontrollieren und bat den Emir von Katar Hamad bin Khalifa Al Thani „Einfluss“ auf die Nachrichtenstation in seinem Land zu nehmen. Der Sender habe eine wachsende antiamerikanische Stimmung in der arabischen Welt geschürt, so Powell. Emir Al Thani entgegnete darauf, sich nicht in die Berichterstattung bei AlJazeera einmischen zu wollen, da der Sender durchaus objektiv berichten würde.381 Doch auch innerhalb der Journalisten werden Unterschiede bei den Nachrichtenzugängen gemacht. Amerikanische eingebettete Reporter waren bei den kriegerischen Auseinandersetzungen des Irak-Krieges 2003 an vorderster Front mit dabei und verfügten über ein dementsprechend spannungsreiches und actiongeladenes Filmmaterial. Embedded arabischen Journalisten wurde nicht erlaubt, aus den ersten Reihen zu berichten; man brachte sie bei den Versorgungstrupps und dem Führungsstab unter. In diesem Sinne begleitete ein Al-Jazeera Team die US-Marines während des Irak-Krieges. Welche Erfahrungen die Journalisten des arabischen Senders Al-Jazeera machten, fasst Hugh Miles in dem Buch „AlDschasira“ zusammen: „Die bei den US-Marines eingebetteten Reporter von Al-Dschasira hatten es nicht leicht. Amr Al-Kahki, der die Marines begleitete, berichtete später, er sei schroff behandelt und diskriminiert worden. Alle eingebetteten Journalisten hatten hin und wieder Probleme: So durften sie sich nicht unabhängig von der Truppe bewegen und nicht anhalten, um Fotos zu machen. Doch Al-Kahki und seinem Kameramann machten die US-Soldaten gleich zu Beginn klar, dass sie Al-Dschasira als feindlichen Sender und alle seine Mitarbeiter als Bedrohung betrachteten. Ständig wurde die Sicherheit als Grund für bestimmte Einschränkungen ins Feld geführt. Dabei wussten die Militärs sehr wohl, dass es für Journalisten oft problematisch ist, wenn Informationen auch nur wenige Stunden zurückgehalten werden. Besonders große Vorbehalte gab es, wenn die beiden mit Irakern sprechen wollten. Mitglieder der oppositionellen irakischen Milizen, die mit der Einheit vorrückten, bezichtigten die beiden, Agenten des Saddam-Regimes zu sein, und drohten, sie umzubringen. Als 380 Köhler, 2009. S. 108. 381 Miles, Hugh: Al-Dschasira. Ein arabischer Nachrichtensender fordert den Westen heraus. Europäische Verlagsanstalt. Hamburg, 2005. S. 101-102.
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Al-Kahki dies den Soldaten meldete, hieß es, da könne man nichts machen. Am besten sei es wohl, Al-Dschasira werde keine Berichte mehr liefern – ein Wink, den Al382 Kahki sofort verstand.“
Ähnliche Beispiele lassen sich auch bei anderen Sendern finden, die Situation der Al-Jazeera Reporter sei an dieser Stelle lediglich als exemplarisches Beispiel für die schwierige Lage der Journalisten bei Kriegsreportagen angeführt. Indem die Medien mit eingebetteten Journalisten arbeiten, kommt es meist zu einer totalen Integration des öffentlichen Diskurses. Die Medien fungieren in Kriegszeiten eher als Instanzen der Regierungen und des Militärs als ein notwendiges Kontrollorgan derselben. Menschen brauchen allerdings besonders in Kriegs- und Friedenszeiten einen „relevanten Journalismus“, der sich laut dem Forscher Robert Jensen folgendermaßen zusammensetzt: Vielseitige, transparente Informationsvermittlung; zusammenhängende Informationen sowie eine Herstellung der breiten Diskussion in der Bevölkerung.383 Mittlerweile ist es technisch möglich, von jedem Ort der Welt Live-Bilder in die ganze Welt zu versenden. Aufgrund der Direktübertragung tendieren die Medien eher dazu, jede nur mögliche Information zu senden, unabhängig davon, ob sie relevant und informativ ist oder nicht. Journalisten gehorchen dabei häufiger den Gesetzen der Unterhaltungsbranche, welche weniger mit der Suche nach der Wahrheit zu tun hat, deshalb tendiere der Informationsgehalt immer mehr Richtung Null, so Gaus.384 Die Geschwindigkeit der Nachrichtenbeschaffung genießt vielfach einen größeren Stellenwert als die Sorgfalt. Deshalb laufen einige Sender Gefahr, Journalisten in Krisengebiete zu senden, die kein oder nur ein geringes Vorwissen über das betreffende Land oder die Region mit sich bringen. In ihren Berichten bauen sie ihr eigenes Vorverständnis zur aktuellen Situation ein. Die Hauptaufgabe besteht darin, aussagekräftige und bedeutende Bilder einzuholen, die möglichst große Aufmerksamkeit bei den Zusehern auslösen.385 Lediglich seriöse Zeitungen und Sender besitzen ein großes Korrespondentennetzwerk in vielen Ländern der Welt, bei denen sich die Journalisten in ihr zugeteiltes Land einarbeiten und mit Ausdauer und Genauigkeit Berichte mit Hintergrundinformationen liefern können.386 Die Krisenberichterstattung sollte – wie jede andere auch – entgegen aller Propagandastrategien der Regierung die Sinnhaftigkeit der kriegerischen Politik in Frage stellen. Problematisch ist die Tatsache, dass veröffentlichte Kriegsbilder 382 383 384 385 386
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Miles, 2005. S. 203. Köhler, 2009. S. 109-110. Gaus, 2004. S. 101-103. Placke, 2007. S. 428. Siehe auch: Gaus, 2004. S. 92. Placke, 2007. S. 428.
eine gewisse Eigendynamik entwickeln und von den beteiligten Parteien unterminiert werden können. Der Pfad zwischen einer sachlichen Dokumentation der schrecklichen Ereignisse, sensationsbegierigem „Gaffen“ sowie der propagandistischen Verwendung der Bilder ist schmal.387 5.4.2
Unterschiedliche Darstellungen bei Täter- und Opferbilder
Häufig vernimmt man, dass ein Abbilden von toten Personen pietätlos sei und somit nicht in die Medien gehöre. Tragen solche Bilder überhaupt zur Information von bestimmten Ereignissen bei? Welchen Nachrichtenwert besitzen sie? Bilder von Gewaltopfern oder Gewalttätern weisen einen ganz bedeutenden Stellenwert in den Medien auf. Kann zusätzlich Prominenz und Aktualität nachgewiesen werden, so sind diese Bilder für jede Nachrichtenagentur ein absolutes Muss.388 Bei Bildern über terroristische Attentate oder kriegerische Auseinandersetzungen fällt besonders auf, dass Täter und Opfer in der visuellen Darstellung unterschiedlich thematisiert werden. Tote Täter werden beispielsweise anders dargestellt als tote Opfer. Bilder von der Leiche des Täters werden häufig abgebildet, da sie als eine Art Trophäe gelten. Abbildungen von toten Opfern hingegen werden aus ethischen Gründen meist nicht veröffentlicht, ein Publikationsverbot normalerweise eingehalten. Werden tote Opfer dennoch abgebildet, so sollen sie ganz gezielt die Gefühle der Rezipienten ansprechen und Mitleid sowie Identifikation herstellen. Auffallend ist, dass bei der Berichterstattung über Terroranschläge die Zahl der Toten und Verwundeten an erster Stelle steht. Die gerade vorliegende Schadenslage der Zerstörung sowie deren Opfer stehen im Mittelpunkt des Interesses. Die Hintergründe des Anschlages – die oftmals ausschlaggebend für ein besseres Verständnis der Tat sein können – werden unzureichend oder häufig kaum beleuchtet.389 Grund dafür ist der bereits beschriebene Zeitdruck der Medien. 5.4.3
Identität erzeugende Bilder
Krieg gilt als ein allgemeiner Begriff und die Bilder davon zeigen die Opfer und die erfolgten Zerstörungen. Wer davon ausgeht, dass Recht nur auf einer Seite
387 Müller, 2005. S. 406-407. 388 Müller, 2003. S. 91. 389 Müller, 2003. S. 84.
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geschieht, Unrecht auf der anderen und der Kampf deshalb fortgeführt werden muss, für den ist es entscheidend, wer von wem getötet wurde. „Für einen israelischen Juden ist das Foto eines Kindes, das bei dem Anschlag auf die SbarroPizzeria in der Innenstadt von Jerusalem zerrissen wurde, in erster Linie das Bild eines jüdischen Kindes, das von einem palästinensischen Selbstmordattentäter getötet wurde. Für einen Palästinenser ist das Foto eines Kindes, das von einer Panzergranate in Gaza zerrissen wurde, in erster Linie das Bild eines palästinensischen Kindes, das von einer israelischen Granate getötet wurde. Für den Kämpfenden ist Identität alles. Und jedes Foto wartet auf eine Bildlegende, die es erklärt – oder fälscht.“390 Nachrichtenbilder von zerstörten, zerbombten Häusern und toten Zivilisten können den Hass auf den Feind anheizen. Bilder, die jedoch im Widerspruch zu den eigenen Überzeugungen stehen, werden oft als inszenierte Bilder dargestellt und als Taten bezeichnet, die nie stattgefunden haben oder von der „anderen Seite“ verübt worden sind. Fotos kriegerischer Auseinandersetzungen und von verstümmelten Leichen können allerdings auch einen gewissen Nachdruck erzeugen und jenen, die nicht Teil des Krieges sind, etwas von dessen Realität zeigen.391 Wir können heute vom Leid anderer Menschen in vielfältiger Weise durch die Medien erfahren. Bilder davon rufen gegensätzliche Reaktionen hervor: So lösen sie bei einigen Rachegefühle aus, bei anderen wiederum wecken sie den Wunsch nach Frieden. Susan Sontag führt in ihrem Werk „Das Leiden anderer Betrachten“ ein Beispiel von Bildern nach dem 11. September an. Zwei Tage nach den Anschlägen werden in den New York Times Fotos von Amerikas neuem Krieg gezeigt. Dabei ist ein Taliban-Kämpfer zu sehen, der von Soldaten der Nord-Allianz aufgespürt und über eine steinige Straße geschleift wurde. Auf dem nächsten Bild kann das entsetzte Gesicht des Kämpfers erkannt werden. Im darauffolgenden Bild liegt der Taliban-Kämpfer mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, blutüberströmt und ab der Hüfte entkleidet, kurz darauf wird er erschossen.392 Mit Hilfe der Reporter werden wir zu Zuschauern von Katastrophen in anderen Ländern. Eine Faustregel der Massenmedien lautet: „If it bleeds, it leads“. So verspüren die Zuseher Mitleid, Empörung, Sensationslust oder gar Zustimmung zu bestimmten Ereignissen, die die Nachrichten in die Wohnzimmer der Zuseher transportieren. Seit dem Vietnamkrieg sind Bilder von Kämpfen und blutigen Auseinandersetzungen ein fester Bestandteil in der Kriegs, und Terrorberichterstattung. Die unaufhörliche Bilderflut des Fernsehens, wirkt zwar auf
390 Sontag, 2003. S. 16-17. 391 Sontag, 2003. S. 19. 392 Sontag, 2003. S. 21.
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die Menschen, Fotografien bleiben jedoch länger in Erinnerung. Hierbei sind die zwei berühmten Fotografien vom Vietnamkrieg erneut zu nennen.393 Mit Fotografien werden Ausschnitte eines Ereignisses festgehalten, anderes wird gleichzeitig ausgeschlossen.394 Oft stellen die kriegsführenden Parteien Regeln auf, welche Bilder gezeigt werden dürfen und welche nicht. Die amerikanische Presse entschied sich nach den Anschlägen auf das WTC, keine Toten in den Trümmern zu zeigen. Lediglich die Daily News veröffentlichte kurz nach dem Angriff eine abgetrennte Hand in den Trümmern des eingestürzten Turmes. Fernsehnachrichten arbeiten wegen ihres großen Publikums aber auch aufgrund der Werbekunden weitaus sensibler mit Bildern und entscheiden, was gesendet wird. Zudem werden solche Arten von Bildern auch bezüglich der Rechte der Angehörigen zurück gehalten.395 Dennoch gilt: Je weiter entfernt und exotischer der Kriegsschauplatz ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Bilder von Toten unverhüllt gezeigt werden. Doch auch der Taliban-Kämpfer, der in der New York Times abgebildet wurde, besaß eine Familie, die möglicherweise eines Tages auf Bilder stoßen, in dem sie ihren Angehörigen sterbend und blutüberströmt sehen wird.396 Medien lenken die öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte Ereignisse durch Bilder. Ein Krieg oder ein Konflikt wird somit erst durch die Bilder real. Wir leben daher in einer bildübersättigten Welt, die uns Nachrichtenzuseher mit der Zeit zusehends abstumpfen lassen. Diese Bilderflut kann uns mit der Zeit hemmen, gewisse Warnsignale zu entwickeln.397 Die Autorin Marion G. Müller hat in ihrem Aufsatz „Burning Bodies“ sieben Bildtypen der visuellen Horrordarstellung des Krieges angeführt, die im Folgenden behandelt werden sollen. Horror wird vielfach durch die Identifikation mit den Opfern ausgelöst. Dies kann durch die Imagination des Individuums, dem Schmerzen und Leid zugefügt, erreicht werden. Entgegen dieser Darstellung können Bilder von einem entmenschlichten Umgang mit den Opfern gezeigt werden. Der visuelle Horror setzt sich folglich aus zwei extremen Positionen zusammen: einer Identifikation sowie einer Entmenschlichung. Für die Wirkungsmacht der Bilder ist entscheidend, ob sich der Rezipient mit den Opfern identifiziert oder ob es aufgrund des politischen Bildkontextes zu keinem Sympathisieren kommen kann, da das Opfer als Feind betrachtet wird. Der erste Bildtypus behandelt lebende Schutzschilder sowie Geiseln kriegerischer Auseinandersetzungen. Der irakische Diktator Saddam Hussein hatte im 393 394 395 396 397
Sontag, 2003. S. 25-29. Ebenda. S. 56. Ebenda. S. 81-83. Sontag, 2003. S. 86. Ebenda. S. 122.
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ersten Golfkrieg 1991 gefangen genommene amerikanische Soldaten als Geisel vor einige Bunker ketten lassen, um so potentielle Angriffsziele vor den Amerikanern zu schützen. Bei der visuellen Aufnahme von Gefangenen wird häufig in einer ambivalenten Kameraperspektive gefilmt: Somit soll eine Distanz zu den Abgebildeten hergestellt werden. Zudem werden Geiseln in einer „nahen Ferne“ dargestellt. Meist sind sie an geheimen Orten versteckt, werden sitzend oder in einer gekrümmten Position gezeigt, sodass die Kamera von oben herab eine Unterlegenheit der Opfer herstellt. Die Zuseher zu Hause verfolgen die Ereignisse quasi ohnmächtig, da sie nichts zur Besserung der Situation beitragen können. Die zunehmende Hilflosigkeit wird dadurch verstärkt, dass die Geiseln meist zuvor aktive Soldaten waren und von ihrer Täter- nun in eine Opferrolle fallen. Handelt es sich bei den Geiseln um amerikanische Staatsbürger, so erscheint ihr individuelles Leben eher zweitrangig. Sie werden aufgrund ihres Herkunftslandes zu Opfern, die vor laufender Kamera exekutiert werden.398 Beim zweiten Bildtypus geht Müller unter anderem auf die Erniedrigung des Individuums ein. Im Gegensatz zu den Geiseln, die überleben sollen um ihr Herkunftsland zu demütigen, werden bei Folterdarstellungen die Individuen psychisch und physisch zerstört. Fotos aus dem amerikanischen Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak fallen in diese Kategorie. Von dort wurden Gefangenendarstellungen publik, die unter jeglicher Menschenwürde einzustufen sind. Gefangenen wurden Kapuzen aufgesetzt um ihr Gesicht zu verbergen, zähnefletschende Hunde attackierten sie und wurden sogar von US-Soldaten vor den Kameras angepinkelt und zur Onanie gezwungen. Noch größer als die Furcht der westlichen Zuseher – die Bilder von gefangen genommenen US-Soldaten sahen, die von Geiselnehmern an versteckten Orten gehalten wurden – müssen die Bilder der gepeinigten und gedemütigten irakischen Gefangenen auf die arabische Öffentlichkeit gewirkt haben.399 Der dritte Typus beschäftigt sich mit den Augenzeugen einer Exekution. Diese Momentaufnahmen sind unter anderem aus dem Vietnamkrieg vorhanden, die einen vietnamesischen Polizisten zeigen, der ein Mitglied des Vietkongs auf offener Straße erschießt. Der Bildbetrachter wird somit auch Augenzeuge, der den Moment des Todes miterlebt. Bei den „neuen Kriegen“ werden solche Bilder in bewegter Form wiedergegeben. Dies begann mit den Videodokumenten von der Enthauptung des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl in Karachi (Pakistan) im Jahr 2002. In vielen solcher Videos werden Zivilisten gezeigt, die um ihr Leben flehen. Anschließend wird ihre Hinrichtung vor laufender Kamera vollzogen.
398 Müller, 2005. S. 410-411. 399 Müller, 2005. S. 412-413.
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Die Geisel wird mit einem Messer enthauptet und deren Kopf anschließend in triumphierender Weise in die Höhe gehalten. Die Köpfung vollzieht man meist bei vollem Bewusstsein. Diese Bilder, wie auch jene der Geiseln, werden mit Hilfe einfacher Technik produziert. Verschiedene Kameraperspektiven bleiben aus, da die Aufnahme aus einem Blickwinkel vollzogen wird. Eine dramatische Inszenierung des bevorstehenden Ereignisses wird im Vorfeld der Enthauptung nicht vollzogen. In dieser Hinsicht ist anzumerken, dass gerade die einfache Machart dieser Aufnahmen und Bilder sie zu besonders grauenhaften und brutalen Dokumentationen der terroristischen Vorgangsweisen macht. Exekutionsvideos haben aber nicht immer eine abschreckende Funktion, sondern können auch als wichtiges Beweismittel herangezogen werden können. Hierbei sind Videomitschnitte des Massakers von Srebrenica zu nennen, die die Täter unverhüllt zeigen und somit im Nachhinein zur Verhaftung der Täter führten. Das Dokument des Srebrenica-Massakers wurde im Nachhinein veröffentlicht, jene Exekutionsvideos der Terroristen wurden strategisch und zeitnah platziert, um die Ziele der Terroristen zu erfüllen: nämlich Angst und Schrecken in der westlichen Welt zu erzeugen.400 Der vierte Typus setzt sich mit geschändeten Körpern – vor allem Frauenkörpern – auseinander. Während des Bosnienkrieges kam es unter Präsident Slobodan Milosevic zu Massenvergewaltigungen. Es sind bislang noch keine Bilder dieser Tat veröffentlicht worden, dass sich die Vergewaltiger jedoch gegenseitig gefilmt haben, ist nicht auszuschließen. Bilder, die über die Medien verbreitet wurden, zeigten somit nicht die Taten an sich, sondern die Folgen, mit denen die Opfer zu leben haben. Der nächste Bildtypus behandelt verbrannte Körper, die als ganzheitliche Zerstörung eines Individuums gelten. Während man bei Vergewaltigungen den weiblichen Körper von innen zerstört und ein Besitzergreifen eines fremden Körpers vollzieht, wird bei der Verbrennung des gegnerischen Feindes alles ausgelöscht. Verkohlte Leichen stellen traurige Überreste dieser grausamen Tat dar. Bilder von Körperresten wirken meist noch verstörender. Der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 wurde vom französischen Fotografen Peress festgehalten, der Körperteile der Opfer abbildete, die meist nur mehr einzelne Knochen zeigen. Als besonders grausam gilt das Bild einer getöteten schwangeren Frau, die mit aufgeblähter Zunge und aufgeschlitztem Bauch neben einem abgeschlachteten Schwein liegt.401 Als letzten Bildtypus führt Müller die Körperberge, die uns aus Ruanda, aber auch vom Naziregime traurigerweise bekannt sind, an. 400 Müller, 2005. S. 413-416. 401 Müller, 2005. S. 419.
149
Unzählige Bilder unterschiedlichster Kriege und Auseinandersetzungen haben uns gezeigt, dass auch die grausamsten und rührendsten Bilder keine Kriege verhindern können und sich Kriege traurigerweise immer wieder ereignen. Hier stellt sich die Frage, ob jedes Bild, das verfügbar ist, auch in den Medien erscheinen muss?402 Ob es allerdings zielführend ist, keine Bilder von terroristischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zu zeigen – wie dies von Marion G. Müller angeführt wird – ist fraglich. Wenn man die Veröffentlichung von diesen Bildern und Aufnahmen unterbinden würde, hätte dies die Unterbrechung der Bildspirale von immer noch dramatischeren Darstellungen zur Folge. Fraglich ist hingegen wie lange alle Medien sich an den Veröffentlichungsstopp halten würden, da wesentlich mehr als ein grundsätzlicher Konsens aller Sender und Zeitungen dazu nötig wäre.
5.5
Visueller Journalismus anhand der PR-Kampagnen des Ex-Präsidenten George W. Bush
Politiker sind auf die Vermittlungsleistung der Medien angewiesen, da die Zunahme an Informationen und die verstärkte Selektion der Medien und des Publikums es den politischen Akteuren immer schwieriger machen, sich in der Öffentlichkeit zu platzieren. Politiker, die die mediale Aufmerksamkeit auf sich lenken und in der Informationsflut nicht untergehen wollen, müssen interessante, glaubwürdige und kompetente Ereignisse demonstrieren. Sie bieten den Medien regelmäßig Themen, die mit Hilfe von PR-Beratern, optimal gestaltet und gemanagt werden.403 Im Folgenden wird auf die gezielten PR-Kampagnen der Politiker eingegangen, die durch die Macht der Bilder bestimmte Gefühle in der Öffentlichkeit erzeugen und sie somit für sich gewinnen können. Die Macht der Bilder wurde nicht erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt. Bereits die Nationalstaaten des 19. und früheren 20. Jahrhunderts bedienten sich symbolischer Bilder, Fotos oder Karikaturen, um Feindbilder in der Gesellschaft zu erzeugen. Dieselbe Verhaltensweise konnte man im Golfkrieg 1991 erkennen, als der als medial inszenierte Golfkrieg den Soldaten als „chirurgischer Eingriff“ verkauft wurde, da lediglich Präzisionswaffen zum Einsatz kamen.404 Auch beim
402 Müller, 2005. S. 420-421. 403 Jarren, 2002. Band 2. S. 59-60. 404 Haller, Michael: Die Wirklichkeit der Bilder. Authentisch und inszeniert: Zur Doppeldeutigkeit eindeutiger Bildaussagen. In: Haller, Michael (Hg.): Visueller Journalismus. Beiträge zur Dis-
150
sogenannten „embedded journalism“, der im Vorfeld des Irakkrieges 2003 eingeführt wurde, sahen die TV-Zuseher vorerst Bilder von unzähligen Panzern, die in Richtung Bagdad zogen, um siegreich aus dem Krieg auszusteigen.405 Anhand solcher Bilder wurde die militärische Stärke der Vereinigten Staaten von Amerika symbolisiert. Häufig werden aber auch symbolische Bilder initiiert, um sodann die starke Wirkung zum eigenen Nutzen umzusetzen. Bei zahlreichen Besuchen des US-Präsidenten George W. Bush versuchte dieser, seine Person medial zu inszenieren. So sieht man den ehemaligen Präsidenten mit einem Megafon in der einen Hand und den anderen Arm um einen Feuerwehrmann gelegt auf Ground Zero. Dieses Bild soll den Zusehern signalisieren, dass der Präsident der Vereinigten Staaten am Anschlagsort in New York steht und sich um die betroffenen Menschen kümmert. Santiago Lyon – Direktor der Foto-Publikationen bei der Associated Press – interpretiert dieses Bild treffend: (…) the message is that the Commander in Chief is getting his feet dirty at the site 406 of the attacks, and is showing that he cares, that he’s in control, that he’s a leader.
Die Wirkung dieses Bildes war erfüllt, da die Bevölkerung das Gefühl hatte, einen verantwortungsvollen und kompetenten Präsidenten zu haben. Vor den Anschlägen auf das World Trade Center war das Image des Ex-Präsidenten etwas angeschlagen. Dazu zweifelte die Bevölkerung immer mehr an den Qualitäten des eigenen Präsidenten.407
kussion einer vernachlässigten Dimension. Medien. Forschung und Wissenschaft, Band 21. LIT Verlag. Berlin, 2008. S. 49. 405 Ebenda, S. 49. 406 http://opinionator.blogs.nytimes.com/2009/01/25/mirror-mirror-on-the-wall/ (23.12.2009). 407 Umfragewerte Langzeitanalyse George W. Bush. http://www.validome.org/blog/news/Item-93 (23.12.2009).
151
Abbildung 1:
PR-Kampagne des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush Quelle: Morris, Errol: Mirror, Mirror on the wall. In: The New York Times. Opinion. 25.1.2009.
Als eine etwas weniger gelungene PR-Strategie gilt das Bild von George W. Bush auf dem amerikanischen Flugzeugträger USS Cole am 1. Mai 2003. Mit dem Schriftzug „Mission erfüllt“ im Hintergrund des Kriegsschiffes spricht er den Fall Bagdads im Frühjahr 2003 an.408
408 Haller, 2008. S.50.
152
Abbildung 2:
PR-Kampagne: „Mission Accomplished“ Quelle: SpiegelOnline. Fotostrecke. „Mission erfüllt“: Krieg, Lügen und Video. Vom 10.11.2006.
Besser gelang es ihm, sich im Herbst 2003 beim traditionellen Thanksgiving symbolisch zu vermarkten. Bush ließ sich extra dafür nach Bagdad fliegen, um den Truppen beim Erntedankfest einen Truthahn zu servieren. Anhand des Festes konnte Bush vor Ort die Rolle der USA im Irakkrieg hervorheben.409
Abbildung 3:
PR-Kampagne: Thanksgiving Quelle: http://www.morgenpost.de/multimedia/archive/00049 /George_W__Bush_2003__49811b.jpg (23.11.2009).
409 Ebenda. S. 50.
153
5.6
Gezielte Einflussnahme auf die Medienberichterstattung
Besonders seit dem Zweiten Weltkrieg konnte man den staatlich organisierten Propaganda- und Bilderkrieg als ebenbürtigen Partner militärischer Waffen einstufen. Der US-General Dwight D. Eisenhower erkannte bereits 1940 die Quintessenz der Öffentlichkeit in kriegerischen Auseinandersetzungen und meinte dazu: „Public opinion wins wars.“410 Durch die mediale Kriegsberichterstattung wird dem Konflikt ein bestimmtes Image aufgedrückt, welches in die Wohnzimmer der Zuseher transportiert wird. Essentiell hierbei ist die Tatsache, dass Kriege für und vor allem in den Medien geführt werden. Die Vorbereitungsphase wird medial untermalt, besonders wichtige Operationen finden zur Prime-Time statt, sodass die Zuseher zu Hause live Zeugen des Krieges werden. Welche besondere Wirkung die Medien entfalten, lässt sich am Beispiel des Vietnamkrieges erklären. Durch ein vermehrtes Darstellen der Schattenseiten des Krieges schwanden auch in zunehmendem Maß die Unterstützung der Bevölkerung sowie die Kampfmoral der Soldaten. Beim Golf-Krieg im Jahr 1991 wollten die militärisch und politisch Verantwortlichen ein neues Verhältnis von Medien und Militär schaffen, welches durch eine geringe Bewegungsfreiheit der Journalisten gekennzeichnet war. Das Pentagon schuf sogenannte Medien-Pools für die Journalisten, die jedoch hauptsächlich aus Pentagon-Korrespondenten der USA und Großbritannien bestanden. Neu geschaffene „Ground Rules“ legten fest, wie die Reporter berichten sollten und welche Bilder gesendet werden durften beziehungsweise welche nicht. So waren beispielsweise die Nennung konkreter Zahlen und Ortsangaben sowie Aussagen über Ausrüstung, Methoden und Taktiken der Spezialoperationen untersagt. Zudem durften keinesfalls Angaben über Schäden oder die Anzahl von Opfern in die Öffentlichkeit sickern. Im Falle der Vorlage von genauen Zahlen erhielten die Medienvertreter die Anweisung, diese Zahlen zu umschreiben anstatt sie zu veröffentlichen.411 Noch heute kann man Züge dieser journalistischen „Verhaltensregeln“ beobachten. CNN International berichtet beispielsweise bei mehreren Anschlägen, in denen auch die USA verwickelt sind, kaum über offiziell bestätigte Opferzahlen. Werden diese dennoch genannt, so wird die Quelle der Information tendenziell in Frage gestellt und die Journalisten stützen sich nicht vollständig auf diese. Tägliche Briefings wurden von Seiten des Militärs und der US-Regierung initiiert, um eine Berichterstattung der Medien zu umgehen und die Bevölkerung mit eigens von ihnen ausgewählten Informationen und Bildern zu versorgen. Durch die 410 Zitiert bei: Paul, 2005. S. 15. 411 Paul, 2005. S. 19-20.
154
starke Kontrolle noch unveröffentlichter Bilder seitens des Militärs erschien der erste Golfkrieg 1991 als ein sauberer High-Tech-Krieg, der sich durch präzise geführte Luftangriffe und einer Live-Berichterstattung auszeichnete.412 Diese neue Form der Kriegsberichterstattung hatte allerdings viele Nachteile, die nach und nach durchsickerten. Durch die Live-Berichterstattung wurde den Reportern kein Spielraum für eigene Recherche gelassen. Augenzeugenberichte standen nunmehr im Mittelpunkt der Berichterstattung. Die Print- und Bildmedien begannen in Folge auf die militärische Zensur hinzuweisen, wodurch vor allem das Vertrauen der Zuschauer in die Authentizität der Bilder schwand. Das Pentagon, aber auch die politischen Verantwortlichen, unternahmen in den folgenden Jahren keine Schritte zur Verbesserung der Situation, weshalb auch während des Afghanistan-Krieges im Jahr 2001 die Kritik der Journalisten weiter wuchs. Der Krieg fand unter fast vollständigem Ausschluss der internationalen Journalisten statt, die sich mit spärlichen Informationen des Militärs begnügen mussten. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt sahen sich die USA mit neuen medienpolitischen und vor allem technologischen Konstellationen konfrontiert, die sie nicht ausreichend genug berücksichtigt hatten. So befand sich fortan der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera vor Ort, der die Weltöffentlichkeit über die Schattenseiten der amerikanischen Operation informierte. Des Weiteren konnten Medienvertreter mit Hilfe neuer Kommunikationstechnologien und dem Internet Bilder und Informationen verbreiten und somit der Zensur verschiedener Gremien von Politik und Militär entgehen.413 Mit dem Versuch die Bilderwelt der verschiedenen Kriege seitens der USA zu kontrollieren, stießen die USA zugleich auf nicht ernst genommene Probleme. Al-Jazeera, aber auch die Informationsmöglichkeit über das Internet, wurden als Störfaktoren für die Kommunikationsstrategen im Weißen Haus eingestuft. Der arabische Sender lieferte während des Afghanistan-Krieges und vor allem auch während des Irak-Krieges 2003 Bilder und Berichte von den Opfern der amerikanischen Luftangriffe und berichtete über die andere Seite der Operation. Sie belegten, dass der vermeintlich „saubere“ US-Krieg, keineswegs human war, und dass es gefangene und tote US-Soldaten gab sowie ein anhaltender irakischer Widerstand.414 Die Weltöffentlichkeit erfuhr von einer völlig anderen Seite des Krieges, welche vor allem die Zuschauer in der arabischen und islamischen Welt verletzte und als Provokation ihrer Identität wahrgenommen wurde.
412 Paul, 2005. S. 20-21. 413 Ebenda. S. 23-24. 414 Paul, 2005. S. 111-114.
155
So führt der Autor Stephan Baier in seinem Artikel „Kampf der Kulturen und Kulturkampf“ die differenzierte Wahrnehmung unterschiedlicher Kulturen an. Unverständnis gegenüber der Verschleierungspraxis der Schiiten, der Diskriminierung der Frau sowie des weit verbreiteten Scharia-Gesetzes herrscht häufig in der westlichen Welt. Moslems der arabischen Welt mussten fassungslos mit ansehen, wie amerikanische Soldaten muslimische Frauen an den Checkpoints abtasteten, Kriegsgefangene entkleideten und die von Streubomben zerfetzten Kinderbeine amputiert wurden.415 Solche Bilder blieben in den Köpfen der Zuseher verankert und konnten in der Vergangenheit und können auch in der Zukunft die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber einem kriegerischen Vorhaben umschwenken lassen. Deshalb versuchte die Bush-Administration immer wieder die Verbreitung solcher Bilder zu unterminieren, indem sie bereits während des Afghanistan-Krieges, aber auch im Irak-Krieg die Sendergebäude von Al-Jazeera bombardierten. Ob die Raketenangriffe auf den arabischen Sender absichtlich erfolgten, konnte nie belegt werden. Fakt ist, dass die Sendeverantwortlichen ihre Standortkoordinaten dem amerikanischen Militär mitgeteilt hatten, um einen Angriff zu verhindern. Doch auch mit anderen Methoden versuchten die USA den Informationsfluss zu lenken: So wurden Radiosender und TV-Kanäle in den Kriegsgebieten installiert, die im Sinne der amerikanischen Interessen berichten sollten und amerikanische und britische Journalisten bedroht, gewisse Bilder nicht zu publizieren. Es durften keinesfalls Gesichter von gefallenen alliierten Soldaten gezeigt werden, da dies allenfalls eine Klage der jeweiligen Gerichte mit sich bringen konnte. Das Zur-Schau-Stellen von Toten und Gefangenen würde hierbei gegen die Genfer Konvention416 verstoßen, welche zum Schutz aller Kriegsopfer einschließlich der Zivilbevölkerung dient.417 Während des Irak-Krieges kamen die amerikanischen Verantwortlichen zur Erkenntnis, dass es von erheblichem Vorteil sei, die Medien in den Prozess mit einzubeziehen und diese mit ständigen Informationen zu beliefern. Der Leitsatz der neuen Informationspolitik lautete „feeding the press“. Desinformations- und Abschreckungskampagnen wurden für den jeweiligen Gegner konzipiert und die eigenen Massenmedien für Täuschungsmanöver genutzt. 2003 gründete man ein eigens geschaffenes Informationsbüro – das „Office of Global Communications“ (OGC) – und startete eine Kampagne gegen Saddam Hussein, die die Notwendigkeit einer militärischen Intervention unterstreichen sollte. Etwa zur selben 415 Baier, Stephan: Kampf der Kulturen und Kulturkampf. Die Tagespost, 15.4.2003. http://www.die-tagespost.de/2008/index.php?option=com_content2&task=view&id=100003794&Itemid=69 (10.4.2010). 416 http://www.bmvg.de (25.5.2010). 417 Paul, 2005. S. 116-117.
156
Zeit initiierten private PR-Fachleute Täuschungskampagnen, die eine Kooperation Saddam Husseins in die Ereignisse des 11. Septembers 2001 als auch den Besitz von Massenvernichtungswaffen nachweisen sollten. Zudem wurde eine Entertainisierung des Krieges für die Zuseher im eigenen Land, ein verstärktes Maß an „embedded journalists“ sowie Desinformationskampagnen im Zuge von Flugblättern angestrebt.418 Durch die vermehrte Präsenz an „embedded journalists“ im Irak-Krieg wollten die USA in erster Linie einen Informationsgegenpol zu den arabischen Sendern bilden. Durch die Live-Bilder der internationalen Networks – die ebenso von der gegnerischen Seite als Information herangezogen werden – sollten die gegnerischen Kräfte gewarnt und ihnen vor Augen geführt werden, welche militärische Präsenz die Amerikaner bereits darstellten. Das amerikanische Militär hat eine bestimmte Vorstellung gegenüber den „embedded journalists“, die Erwartungen gehen dahin mit ihnen zu agieren und gemeinsam zu operieren. Im Gegenzug räumte man ihnen großzügige Freiheiten in der Berichterstattung ein, so der Verantwortliche der Informationspolitik im Pentagon Bryan Whitman. Festzustellen ist auf jeden Fall, dass die Reporter keineswegs freizügig berichten durften. Es war verständlicherweise verboten, Informationen über den Ort und den Zeitpunkt militärischer Aktionen sowie die Codenamen preis zu geben. Doch auch Aufnahmen von Kriegsgefangenen, Verhaftungen und Bilder von verhafteten Personen waren untersagt. Bilder von fremden Kriegsopfern durften erst dann ausgestrahlt werden, wenn diese identifiziert wurden. Informationen über eigene Opfer durften lediglich zeitversetzt gesendet werden, um die Angehörigen verständigen zu können. Des Weiteren war es strengstens untersagt, die Gesichter von getöteten Menschen zu zeigen. Allerdings waren all diese Regeln unter dem Aspekt der Live-Berichterstattung schwierig einzuhalten.419
5.7
Gezielte Medienstrategien der Journalisten
Die Kommunikationswissenschaft hat mehrere Typen der Medieninstrumentalisierung herausgearbeitet und angeführt, welche Formen des Journalismus häufig beobachtet werden können. Eine oft verwendete Methode, ist jene der Polarisierung: Die Welt wird in Gut und Böse geteilt und ein klares Feindbild kreiert, welches mit Stereotypen und Vorurteilen arbeitet. Sind polarisierende Elemente zu erkennen, so wird meistens der Gegner dehumanisiert. Dazu gehört, dass man
418 Ebenda. S. 26-27. 419 Paul, 2005. S. 28-30.
157
seine eigene Seite positiv darstellt und immer wieder die Gerechtigkeit eigener Ziele betont. Eine andere Form ist die des patriotischen Journalismus, bei welchem sich die Journalisten aus freiem Willen verpflichten, parteiische Berichte zu senden und im Sinne der nationalen Sache zu berichten; sie betreiben somit ein bestimmtes Maß an Selbstzensur. Der „Journalism of attachment“ ist von den Journalisten selber definiert und wird für eine gute und vor allem gerechte Sache eingesetzt. Diese Form fordert allerdings Parteilichkeit und stellt somit die journalistische Objektivität in Frage. Eine weitere Art der manipulierenden Berichterstattung ist die Unterdrückung von abweichenden Meinungen. Andere Meinungen werden konfrontiert oder einfach ausgegrenzt und ignoriert. Bei der selektiven Berichterstattung werden wichtige und bestimmte Tatsachen ausgelassen. Eine ganz besondere Art der modernen Berichterstattung ist die der Opferberichterstattung. Hierbei unterscheiden die Journalisten zwischen würdigen und unwürdigen Opfern. Menschen, die von feindlichen Staaten missbraucht werden, gelten als würdige Opfer und jene, die von der eigenen Regierung gequält und gefoltert werden, sind unwürdige Opfer und werden auch dementsprechend in ihren Berichten dargestellt. Eine noch präsente Form ist die Zensur von Seiten des Militärs. Wird diese nicht verhängt, so versucht das Militär, die Medien und die Öffentlichkeit zu beeinflussen, da sie günstige Informationen verbreiten sollen. Doch auch die Medien sind anhand von Konkurrenz-, Zeit- und Aktualitätsdruck dazu gezwungen, verschiedenste Informationen wegzulassen oder sich vermehrt auf ein bestimmtes Ereignis zu konzentrieren.420 Mit einem sehr treffenden Zitat möchte ich meine Ausführungen zu diesem Thema beenden. „The media’s the most powerful entity on earth. They have the power to make the innocent guilty and to make the guilty innocent, and that’s power. 421 Because they control the minds of the mass.“
An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass es besonders wichtig ist, sich dieser Macht bewusst zu sein, sich dementsprechend zu verhalten und seine Erwartungen diesem Fakt anzupassen. 420 Beham, 2007. S. 51-54. 421 Zitat des palästinensischen Journalisten Sari Al-Khalili während einer E-Mail Korrespondenz. 7.3.2010.
158
5.8
Zusammenfassung
Betrachtet man die neuen asymmetrischen Kriege und dabei speziell die Fernsehkriege, so wird ersichtlich, dass es nicht mehr nur um militärische Erfolge geht. Akte symbolischer Politik sind dabei fast gleichermaßen relevant. Da die Medien schon immer die Komplexität eines Ereignisses möglichst einfach und einprägsam wiedergeben, spielen besonders symbolische Bilder eine bedeutende Rolle. Durch bestimmte symbolische Aktionen – wie die Zerstörung der irakischen Präsidentenpaläste oder aber auch der Anschlag auf das World Trade Center – wird der Gegner entmythologisiert und symbolisch entmachtet.422 Mit beeindruckenden Bildern und Inszenierungen des Irak-Krieges versuchte die US-Regierung, die globale Kontrolle über die Medienbilder – die ihr bei den Anschlägen am 11. September 2001 genommen worden war – zurückzugewinnen und gleichzeitig diese schockierenden Bilder zu bewältigen. Durch die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon wurden von Al-Qaida Bilder geschaffen, die sich traumatisch in das Gedächtnis der Menschheit einprägten und in die Mediengeschichte eingingen. Die Attentate waren in ihrem symbolischen Charakter unüberbietbar und sind laut dem Autor Klaus Theleweit, mit einem amerikanischen Angriff auf die Kaaba in Mekka zu vergleichen.423 Da die Terrororganisation Al-Qaida allerdings über kein eigenes Land oder Territorium verfügt, und in Afghanistan keine symbolträchtigen Bilder erzeugt werden hätten können, mussten die Präsidentenpaläste von Saddam Hussein herangezogen werden, um symbolische Institutionen zu zerstören. Durch schreckliche und grausame Bilder kommunizierten die gegnerischen Parteien miteinander und mussten folglich immer noch mehr provozieren, um den Gegner zu demoralisieren. Die Bilder provozierten Gegenbilder, die sich gegenseitig zuspitzten, wodurch die Spirale zunehmend enger geschwungen wurde. Beim Fernsehpublikum setzte ein Gewöhnungseffekt ein, weshalb immer schlimmere und grausamere Taten folgen mussten, um Aufmerksamkeit und Beachtung zu erhalten. Zudem stellte sich ein gewisser Abnutzungseffekt ein. Die Bilder des Krieges waren für die USA nicht mehr zu kontrollieren, da sie eine Eigendynamik entfalteten, die nicht mehr gestoppt werden konnte. Journalisten, Terroristen aber auch Soldaten konnten ihre Bilder via Internet veröffentlichen und somit jedweder Zensur – sei dies einer staatlichen, militärischen oder journalistischen – ausweichen.424
422 Paul, 2005. S. 97-102. 423 Zitiert bei Paul, 2005. S. 213. 424 Paul, 2005. S. 212-227.
159
6 Ein Porträt der drei Untersuchungsmedien
6.1
Thematische Einführung
6.1.1
Zunahme der massenmedialen Konflikte
„The media is a double-edged sword. It can be a frightful weapon of violence when it propagates messages of intolerance or disinformation…[or] it can be an instrument of conflict resolution, when the information it presents is reliable, respects hu425 man rights, and represents diverse views.“
Am Ende des 20. Jahrhunderts vollzog sich ein radikaler Umbruch in der Medienlandschaft. Strukturen, Ziele und Inhalte der Medien veränderten sich, zusätzlich wurden zahlreiche Medieninstitutionen geschaffen. Als eine der bedeutendsten Veränderungen kann sicherlich die mediale Freiheit bezeichnet werden, die fortan auch sensible politische Themen anspricht. Durch technologische Fortschritte entstand die Möglichkeit lokale Ereignisse der ganzen Welt mitzuteilen und gleichzeitig weit entfernte Neuigkeiten zu beobachten. Die Rolle der Medien erstreckt sich von der Information über die Meinungsbildung, sie sind aber auch gleichzeitig einem enormen Konkurrenzkampf ausgesetzt, bei dem es am schnellsten, informativsten und mit den neuesten Informationen bestückt, zu berichten gilt und sich dabei aus der Masse der anderen Medien hervorheben soll. Diese Pattsituation lässt sich am eindrucksvollsten anhand der Berichterstattung über internationale Konflikte erklären. Das Militär kann nicht mehr alleine den Ausgang eines Krieges bestimmen. Erfolg oder Misserfolg hängen größtenteils von der Kontrolle des Informationsflusses sowie einem Erobern der „hearts and minds“ der Weltbevölkerung ab.426 Dementsprechend gelten die Medien in den internationalen Konflikten als ernst zu nehmende Akteure, die in der Lage sind, die Meinungen der Öffentlichkeit und sogar der Regierungen zu beeinflussen und zu lenken.
425 Zitiert bei El-Nawawy, Mohammed; Powers, Shawn: Mediating Conflict. Al-Jazeera English and the possibility of a conciliatory media. USC Center on Public Diplomacy at the Annenberg School University of Southern California. Figueroa Press. November, 2008. http://uscpublicdiplomacy.org/projects/AJERP%20el%20Nawawy%20&%20Powers%20Nov% 205.2.pdf (26.4.2010). 426 El-Nawawy; Powers, 2008.
161 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Durch den ausgeweiteten Zugang zu Informationen und den Wettstreit innerhalb der einzelnen Medien kann man eine differenzierte Berichterstattung ausmachen. Während des ersten Golfkrieges dominierte CNN den globalen Nachrichtenfluss und berichtete anhand von Live-Reportagen über die aktuellen Kriegsvorgänge. Mit ihrer Berichterstattung und gleichzeitigen Abhängigkeit vom amerikanischen Militär, wichtige Informationen zu erhalten, beeinflussten sie die öffentliche Meinung und Einstellung zum Krieg. Einzelne Regierungen und die Bevölkerung Kuwaits sprachen sich positiv über eine amerikanische Invasion aus. Andere Medieninstitutionen, die ebenfalls über den Golfkrieg berichteten, konnten keine vergleichbaren Einschaltquoten erzielen, da sie mit der Live-Berichterstattung und den actiongeladenen Bilder von CNN nicht mithalten konnten. Heute dominiert keine internationale Nachrichtenstation die Nachrichtenlandschaft, da sich viele einzelne Satellitennachrichtenstationen formiert haben. Sie setzen auf vereinfachte Darstellungen komplexer Ereignisse, um so möglichst viele Personen ansprechen zu können. So wird der Konkurrenzkampf während internationaler Konflikte besonders groß, da jeder den globalen Informationsfluss kontrollieren möchte. Anhand der Fülle an weltweit verteilten Nachrichtenstationen ist es für die Rezipienten immer einfacher geworden, jene Nachrichtensendungen zu beziehen, die am ehesten mit der eigenen Meinung übereinstimmen.427 6.1.2
Der „Clash of Civilizations“ bei den Medien
Die heutige Berichterstattung über kriegerische Auseinandersetzungen und Kriege ist von einem sogenannten „War-Journalism“ gekennzeichnet, der sich vor allem in einer negativ-orientierten Berichterstattung äußert. Obwohl die einzelnen Medien Unabhängigkeit zur politischen Elite deklarieren, kann man dennoch beobachten, dass viele von ihnen von Staaten oder einzelnen Personen abhängig sind und diese in keinster Weise kritisieren. Ihre mediale Ausrichtung auf Negativschlagzeilen kann man damit erklären, dass Sensationalismus, Drama und Emotionen besser mit negativen Meldungen einhergehen als mit positiven. Der Universitätsprofessor Gadi Wolfsfeld, der an der Hebräischen Universität in Jerusalem Politikwissenschaft unterrichtet, führt mehrere Gründe an, weshalb die Prinzipien der Medien widersprüchlich zu Frieden und Friedensprozessen stehen. Er erklärt, dass Friedensprozesse kompliziert und sehr komplex seien, Journalisten allerdings einfache und simple Aussagen 427 Zitiert bei: El-Nawawy; Powers, 2008.
162
benötigen, um diese in den Medien zu veröffentlichen. Friedensverhandlungen sind jedoch meist ein langwieriges Produkt vieler Gespräche, Sitzungen und Auseinandersetzungen. Die Journalisten möchten allerdings über Ergebnisse und Fakten berichten. Aus diesem Grund fokussieren sich Journalisten vermehrt auf Konflikte und Auseinandersetzungen als auf langwierige positive Verhandlungen.428 Daneben tendieren die Medien häufig dazu, eine Position für eine Sache einzunehmen als objektiv zu informieren. Dies konnte man am Beispiel der Berichterstattung in den Tagen vor dem Irak-Krieg im Jahr 2003 beobachten, als amerikanische und britische Medien sich auf einen Bericht der nationalen Sicherheit beriefen und von einer Notwendigkeit der Invasion Bagdads sprachen, arabische Medien hingegen sich ganz anders an diese Sache annäherten: Sie sprachen über die Invasion als ein weiteres Beispiel westlichen Imperialismus und Kolonialismus. Medien tendieren dazu – ungeachtet ihrer Herkunft – ihre nationalen Einstellungen sowie den weit verbreiteten öffentlichen Diskurs wiederzugeben. Vor allem in Zeiten des Krieges werden ideologisch angepasste Berichte kreiert, die die Einstellung und Meinung der Hauptzielgruppen vertreten. El-Nawawy und Shawn führen in ihrer Studie „Mediating Conflict“ an, dass diese medialen Gegebenheiten schlussendlich in dem von Samuel Huntington beschriebenen „Clash of Civilizations“ enden würde. Huntington geht in seiner Arbeit davon aus, dass die Auseinandersetzungen zwischen einigen wenigen unterschiedlichen Kulturen, die die globale Politik dominieren, stattfinden würden. Kultur und die kulturelle Identität würden, in der Welt nach dem Kalten Krieg, Konflikte, Zerfall sowie Zusammenhalte formen. Zentral bei Huntingtons „Kampf der Kulturen“ sind die Gefahren, die von der Globalisierung ausgehen, welche wiederum weitere Konflikte und Spannungen zwischen den einzelnen Kulturen entfachen. Traditionelle Werte, die vor allem von einem Staat ausgehen und ausgelöst werden können, treten immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen würden kulturübergreifende Beziehungen zunehmen und stärkere Verwurzelungen zu der eigenen kulturellen Identität entstehen. Laut dem Autor Seib führt Huntingtons These die Notwendigkeit einer neuen Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges an. Huntingtons Theorie führt ein zusätzliches Hindernis für die Medien an, für den Frieden und die Versöhnung einzutreten. Die Gefahr der Abhängigkeit verschiedener internationaler Medien, die in einer propagierenden Art berichten und die eigenen kulturellen Werte über die gesamte Problematik stellen, bergen Probleme. Er unterstreicht die Wichtigkeit einer Annäherung und der Analyse der 428 El-Nawawy; Powers, 2008.
163
Medienrolle in internationalen Konflikten durch die Sicht einer kollektiven Identität.429 Im folgenden Abschnitt sollen die drei internationalen Nachrichtenstationen Al-Jazeera English, CNN und BBC genauer betrachtet und analysiert werden.
6.2
Die Entstehung des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera „Today, Al-Jazeera is the most reliable and credible media outlet in the Middle East, a region that is not known for its dedication to freedom of the press or unrestricted journalism. Al-Jazeera has steadily earned respect among the public, and that confidence has helped to build its audience. (…) What you do not hear in the rest of the 430 Middle East TV media, you often can only hear on Al-Jazeera TV.“
Medien wurden traditionellerweise im Nahen Osten als Propagandamittel betrachtet und auch dementsprechend genutzt. Das Fernsehen besitzt in dieser Region aufgrund der hohen Analphabeten-Rate einen sehr hohen Stellenwert. Das Publikum bezieht seine täglichen Informationen vorwiegend aus AV-Medien wie dem Radio oder dem Fernsehen. Obwohl die Medien hauptsächlich der Informationsverbreitung dienen, werden sie zusätzlich zur Verfestigung sozialer Normen, der kulturellen Identität und dessen Bewusstsein herangezogen. Die arabische Kultur zu einen, zu stärken und zu verbreiten waren die Hauptziele der arabischen Medien nach den Kriegen mit Israel.431 Mit der Gründung des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera am 1. November 1996 durch den katarischen Emir Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani wurde ein Wandel in der arabischen Mediengeschichte vollzogen.432 Al-Jazeera (auf Arabisch „die Insel“) genießt vor allem beim arabischen Publikum ein hohes Ansehen, da der Sender aufgrund seines Mottos „Die Meinung und die Gegenmeinung“ zu jedem Thema zwei kontroverse Standpunkte behandelt. So war Al-Jazeera der erste arabische Nachrichtensender, der in seinen Sendungen israelische Politiker zu Wort kommen ließ und dem Publikum die Standpunkte der „anderen Seite“ nahe brachte. Zudem war er der erste Satel-
429 El-Nawawy; Powers, 2008. 430 Zitiert bei Al-Mikhlafy, Abdo Jamil: Al-Jazeera. Ein regionaler Spieler und globaler Herausforderer. Eine Studie über ein arabisches Medium, das Geschichte gemacht hat. Schüren Verlag GmbH. Marburg, 2006. S. 59. 431 Amin, Hussein Y.: Social Engineering: Transnational Broadcasting and Its Impact on Peace in the Middle East. Global Media Journal. Volume 3, Issue 5. 2004. 432 Al-Mikhlafy, 2006. S. 15-16.
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litensender in der arabischen Welt, der über die Grenzen hinaus Nachrichten und politische Debatten sendete.433 Außerhalb der arabischen Welt wurde Al-Jazeera spätestens seit dem 11. September 2001 der breiten Masse bekannt. Allerdings strahlte Al-Jazeera bereits 1998 als einziger Nachrichtensender den britisch-US-amerikanischen Luftangriff auf Bagdad live aus und sendete eine Rede des irakischen Präsidenten und ein exklusiv geführtes Interview mit diesem. Al-Jazeera nahm dabei die Position von CNN während des Golfkrieges im Jahr 1991 ein. Doch auch die Live-Übertragung des Ausbruchs der zweiten Intifada am 28. September 2000 lenkte die globale Aufmerksamkeit auf den arabischen Sender. Al-Jazeera befand sich dabei als einziger Sender im Westjordanland, während hingegen die anderen Nachrichtenstationen davon ausgingen, dass der Aufstand im Gazastreifen beginnen würde. Die internationalen Medien mussten ihre Informationen und Bilder von Al-Jazeera übernehmen, da sie über kein eigenes Material verfügten.434 Vor allem die Entwicklungen und Ereignisse in Afghanistan verhalfen dem Sender lange vor dem US-amerikanischen Militäreinsatz gegen das Taliban-Regime zu einer weltweiten Aufmerksamkeit. So interviewte Al-Jazeera Osama bin Laden im Jahr 1998, übertrug live die Sprengung der Buddha-Statuen in Bamiyan im Jahr 2001 durch die Taliban und erstellte einen Beitrag über die Hochzeitsfeier von bin Ladens Sohn.435 Die Kritik an dem arabischen Nachrichtensender war zu Beginn – national wie international – sehr groß. Das Ausstrahlen von Videobotschaften Osama bin Ladens sowie die Bilder von verschiedenen internationalen Kriegsschauplätzen ließen die Stimmen von einem „Sender bin Ladens“ oder einem „Sprachrohr der Terroristen“ nicht verstummen. Doch nicht nur die westliche Welt, sondern auch einige arabische Staaten versuchten immer wieder, den Sender zu einer Schließung zu bewegen. Der Al-Jazeera English Korrespondent Kamal Hyder äußert sich zur Kritik an Al-Jazeera, Osama bin Laden interviewt zu haben, mit folgendem treffenden Ausspruch: „I think we easily fall in the trap of labeling for the sake of justifying military action. Like the Indians who call the Kashmiri militants as terrorists but the local fighting for an independent homeland consider them as Mujahideen or freedom fighters. Because we don’t take sides we have no issues with talking to anyone who would like to talk to us. The question I ask everyone is if CNN or BBC were given an opportu-
433 Ebenda. S. 57. 434 Al-Mikhlafy, 2006. S. 85. 435 Al-Mikhlafy, 2006. S. 86.
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nity or an invitation by Bin laden would they turn it down? To my mind they would 436 not.“
6.2.1
Die Entstehung des neuen Senders
Im Jahr 1996 wurde durch den regierenden Emir von Katar – Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani – der neue Nachrichtensender mit dem Namen „Al-Jazeera“ in Katar gegründet. Dabei unterstützte er den jungen Sender mit einer einmaligen Zahlung von 500 Millionen katarische Rijal (rund 137 Millionen Dollar). Hamad bin Khalifa sowie der Redaktionsausschuss betonten von Beginn an, dass der Sender keineswegs der Kontrolle des Emirs unterstehen sollte und Al-Jazeera ein unabhängiges Unternehmen sein werde.437 Al-Jazeera war der erste arabische Satellitennachrichtensender in dieser Region.438 Viele Journalisten wurden von dem gescheiterten arabischen Programm des BBC-TV übernommen, weshalb Al-Jazeera in seiner Berichterstattung eher der britischen BBC als der amerikanischen CNN gleicht. Diese Journalisten brachten in das arabische Unternehmen ihre westlichen Arbeitserfahrungen mit und gestalteten in professioneller Weise Nachrichten für den Nahen Osten.439 Außergewöhnlich dabei war die relativ offene Berichterstattung über politische, soziale und kulturelle Begebenheiten des Nahen Ostens, ohne vor staatlichen Zensuren halt zu machen. Seit seinem Start hat Al-Jazeera eine lebhafte und dynamische politische Umwelt geschaffen, die die Stellung der arabischen Medien liberalisierte und politische Debatten anregte. Diese Wirkung wird in der Literatur als „Al-Jazeera-Effekt“ bezeichnet, welcher sich auf die außergewöhnliche Rolle von Al-Jazeera bezieht, da er Debatten auslöst und Themen anspricht, die zuvor noch kein arabisches Medium behandelt hatte. Auf diesem Weg versucht der Sender, Missstände im System aufzudecken und diese zu überdenken.440 Die Mitarbeiter von Al-Jazeera betonen keine Kopie der britischen BBC oder auch von CNN zu sein, da sich die Struktur und das Interesse der Zuseher nicht ohne weiteres auf das arabische Publikum übertragen lasse.
436 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010. 437 Miles, 2005. S. 30. 438 Auter, Philip J.: Meeting the Need of Multiple Audiences: An Examination of the Aljazeera and English Aljazeera Websites from the Public Relations Perspective. Global Media Journal. Vol 3, Issue 5. 2004. S. 6. 439 Al-Mikhlafy, 2006. S. 66. 440 El-Nawawy; Powers, 2008.
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Der damalige Generalmanager Al-Jazeera‘s Mohammed Al-Ali erklärte die Besonderheit des Senders im Interview mit Abdo Jamiil Al-Mikhlafy folgendermaßen: „Of course we came with our own ideas and our own perspective. But with regard to these two channels, the background came from the BBC more than CNN; we are closer to the ideas and the rhythm of the reports of the BBC. Al-Jazeera, from the idea up to the launch, was built on a staff coming from Arab countries. Maybe they have had experience working with Western media – they’re ex-BBC, ex-US media – but all are Arabs. So they take the professional experience from the BBC, but their background as Arabs means we can adopt this experience and apply it to the Arab world. We know the mentality of the Arabs – but we also want the expatriate Arab audience, who are used to Western media.“441
6.2.2
Al-Jazeera während des Afghanistan-Krieges 2001
Welch strategisch bedeutende Rolle Al-Jazeera bei verschiedenen Weltereignissen spielt, verdeutlicht folgendes Beispiel, bei welchem der Sender frühzeitig über die Wichtigkeit eines Büros in Afghanistan wusste. Al-Jazeera begann bereits 1998 mit den Taliban über eine Büroeröffnung in Kabul zu verhandeln und erhielt ein Jahr darauf – gemeinsam mit CNN, Reuters und APTN – eine Sendeerlaubnis. Allerdings nutzte nur Al-Jazeera dieses Angebot und besaß folglich während des Afghanistan-Krieges ein Bilder- und Informationsmonopol. In Kabul wurde das Hauptbüro und in Kandahar ein zweites Sub-Büro eröffnet. Al-Jazeera war somit der einzige arabische und internationale Fernsehsender, der in Kabul vertreten war.442 Al-Jazeera wurde immer wieder von Seiten der US-Regierung aufgrund seiner beidseitigen Berichterstattung kritisiert. So wurde er als „antiamerikanisch“ oder auch als „Sprachrohr der Terroristen“ bezeichnet, da er Interviews mit Osama bin Laden ausstrahlte. Kurz vor Kriegsbeginn übte US-Außenminister Colin Powell dahingehend Druck auf Katar aus, und forderte die Schließung des Al-Jazeera Senders. Wenige Tage vor Kriegsausbruch traf sich Powell mit dem Emir von Katar – Hamad bin Khalifa Al-Thani – in Washington und bat ihn, Einfluss auf den Sender zu nehmen und keine weiteren Berichte über bin Laden unkritisch zu senden.443 Powell wollte das Büro geschlossen haben. Der Emir von Katar be-
441 Zitiert bei Al-Mikhlafy, 2006. S. 67-68. 442 Al-Mikhlafy, 2006. S. 80. 443 Rugh, William A.: How Washington confronts Arab Media. Global Media Journal. Volume 3, Issue 5. 2004.
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trachtete dies als Ratschlag, betonte jedoch gleichzeitig, dass er die Pressefreiheit in seinem Land garantiere und somit nicht einschreiten könne und wolle. Als Folge der Terroranschläge in Amerika im September 2001 begann von Seiten der USA und seiner Alliierten die Kriegsoperation „Enduring Freedom“ in Afghanistan. Al-Jazeera besaß ein Monopol auf die Bilder in den von den Taliban besetzten Gebieten und sendete tagtäglich Bilder von den ersten Kriegsoperationen in Afghanistan. Die restlichen internationalen Medien erhielten keinen Zugang und mussten sich größtenteils auf Informationen des Pentagons stützen. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegnete, dass es nicht das Ziel sei, der anderen Seite etwas preiszugeben, weshalb die Informationen für die Medien der Koalition sehr spärlich vorhanden waren. Deren Informationsquelle stellte während des Krieges Al-Jazeera dar.444 Von Vorteil war für Al-Jazeera, dass der Sender keinerlei Verpflichtungen gegenüber dem Pentagon hatte und mithilfe eines Uplinks445 mit dem Hauptbüro in Doha kommunizieren konnte. Der damalige Kabul-Korrespondent Tayseer Allouni informierte die Welt nach der ersten Bombennacht über das Ausmaß der Zerstörung. Während das Pentagon und somit auch die Medien der Alliierten Kräfte, Militärbilder von Explosionen aus der Perspektive der Bombe ausstrahlten, begab sich der Al-Jazeera Journalist auf die Straße und interviewte die Bewohner der zerbombten Häuser. Die Berichte von Al-Jazeera standen oft in einem Gegensatz zu den Meldungen des Pentagons.446 Am 13. November 2001 wurde das Korrespondentenbüro in Kabul bei einem US-amerikanischen Luftangriff von zwei Bomben getroffen. Zum Zeitpunkt des Anschlages befand sich keiner der Journalisten im Gebäude, wodurch sich der Schaden auf das Material beschränkte. Dass der amerikanische Luftangriff auf die Nachrichtenstation absichtlich erfolgte, wurde von Seiten des amerikanischen Militärs vehement abgestritten.447 Die arabischen Medien reagierten allerdings empört über die Bombardierung des Senders, sie interpretierten die Zerstörung als bewussten Racheakt. Durch die Berichterstattung über den Afghanistan-Krieg wuchs der Bekanntheitsgrad von Al-Jazeera immer mehr. Kritik und Lob waren gleichermaßen vertreten.
444 Miles, 2005. S. 114. 445 Uplink: dient dem Upload der Datenübertragung in Richtung des Kommunikationsnetzes. Unter Uplink versteht man die Richtung der Satellitenkommunikation von der Erdstation zum Satelliten. http://de.wikipedia.org/wiki/Uplink (15.3.2010). 446 Miles, 2005. S. 115-116. 447 www.freedomforum.org/templates/document.asp?documentID=15375 (15.3.2010).
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6.2.3
Steigende Popularität
Al-Jazeeras Popularität in den Ländern des Nahen Ostens lässt sich vor allem auf das große Maß an Objektivität zurückführen, welche bei den anderen arabischen Medien spärlich vorhanden ist. Ein weiteres Unikum der Berichterstattung war die zweiseitige Herangehensweise an verschiedene Themen. Zudem faszinierte Al-Jazeera seine Zuschauer mit einer Vielzahl von Bildern und Interviews mit betroffenen Menschen. Nachrichten wurden fortan mit Grafiken versehen, um dem Zuseher die Ereignisse genauer erklären und ihm diese in einer verständlichen Weise nahe zu bringen. Doch auch der Live-Charakter spielte beim Erfolg von Al-Jazeera eine bedeutende Rolle, dies vermittelte zusätzlich Vertrauen aber auch Authentizität der Reporter und der Nachricht. Oftmals werden – um dem Publikum beide Seiten eines Themas zu präsentieren – Diskussionsrunden zu aktuellen Themen gebildet oder Interviewpartner mit unterschiedlichen Meinungen ins Studio eingeladen.448 Diese neue Art der Berichterstattung nahmen die arabischen Zuseher großzügig an. Vor allem die Berichterstattung über sehr empfindliche Themen verschaffte dem Sender großen Respekt aber auch Vertrauen der Zuseher. Ziel des Senders war und ist es, eine Alternative zu den zensierten und staatlichen Medienanstalten des Nahen Ostens darzustellen und dem Modell von CNN und BBC zu folgen. Der Sender dehnte sich zu einem 24-Stunden Nachrichtensender aus, der via Satellit überall in der Welt zu empfangen war. Zu den Nachrichtensendungen reihen sich neben Sportnachrichten auch neue Formate in der arabischen Welt wie Talk-Shows, Diskussionsrunden und Dokumentationen.449 Die Ausstrahlungen wurden zusätzlich auf andere Weltregionen mit unterschiedlichen Zeitzonen angepasst, wodurch der Sender eine höhere Reichweite erzielte und somit mehr Zuseher ansprechen konnte. Die meisten Nachrichten werden – dank eines sehr großen und umspannenden Korrespondentennetzwerkes – größtenteils selbst konzipiert und produziert. Die Autorin Olivia Qusaibaty meint den Grund für die Entstehung des arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera zu kennen. Die Gründung Al-Jazeeras gehe auf die dominierende Position des amerikanischen Nachrichtensenders CNN während des ersten Golfkrieges zurück. Das arabische Volk vernahm von einem westlichen Medium, mit einer vorwiegend westlichen Sicht, was sich in ihrem Land gerade abspielte. Die Berichterstattung eines arabischen Mediums fehlte. Die arabische Welt sollte fortan Nachrichten von einem arabischen Sen448 Auter, 2004. 449 Al-Mikhlafy, 2006. S. 72-73.
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der erhalten. Zwar stellt der Sender eine Alternative zu pro-westlichen Ansichten der westlichen Medien dar, reflektiert allerdings ein pan-arabisches Verständnis der aktuellen Geschehnisse für ein arabisches Publikum.450 6.2.4
Das Profil von Al-Jazeera English
Der Erfolg der arabischen Version von Al-Jazeera veranlasste die Verantwortlichen über die Gründung eines englischsprachigen Formats von Al-Jazeera nachzudenken. Schließlich wagte man den Schritt, sich als weltweiter Sender zu positionieren und beweisen zu können, und ging am 15. November 2006 zum ersten Mal in einer englischen Version auf Sendung. Dabei stellt Al-Jazeera English weltweit den ersten englischsprachigen Nachrichtensender aus dem Nahen Osten dar. Der englische Tochtersender – der ebenfalls in Doha/Katar beheimatet ist – bezieht sich vorwiegend auf Ereignisse des Nahen Ostens und möchte den NordSüd-Informationsfluss der westlichen Medien brechen und sich vorwiegend auf weniger entwickelte Länder konzentrieren: „Al Jazeera English (…) is balancing the current typical information flow by reporting from the developing world back to the West and from the southern to the northern hemisphere.“451 Mit der englischen Version von Al-Jazeera wollen die Verantwortlichen vor allem arabische Immigranten, die in zweiter Generation in einem nichtarabischen Land wohnen und ihrer Muttersprache nicht mehr mächtig sind, ansprechen. Bei vielen arabischen Familien, die im Westen leben, beherrschen lediglich die Großeltern oder die Eltern die Muttersprache. Ihre Kinder sind im Westen aufgewachsen und sprechen häufig fast gar kein Arabisch mehr. AlJazeera English versucht zum einen dieses Zielpublikum anzusprechen, richtet sich aber gleichzeitig an alle englischsprachigen Zuseher, die an den Geschehnissen im Nahen Osten interessiert sind. Dazu zählen auch westliche Politiker oder Geschäftsleute, die bis zum Start von Al-Jazeera International immer auf eine Übersetzung warten mussten, wenn sie über Ereignisse im Nahen Osten informiert werden wollten.452 Zusätzlich richtet Al-Jazeera English den Fokus seiner Berichterstattung auf Entwicklungsländer und möchte vermehrt aus der Perspektive der Südhalbkugel berichten.453 Dabei sollen die von den westlichen Sendern häufig vernachlässig450 Al-Jenaibi, Badreya: Al-Jazeera and Media Pressure. University of North Dakota. S. 1-3. Qusaibaty, Olivia. Media under Pressure: Al-Jazeera toing the red lines. United States, 2006. 451 http://english.aljazeera.net/aboutus/2006/11/2008525185555444449.html (10.6.2010). 452 Miles, 2005. S. 320. 453 Hoff, Henning: Profil gesucht. Al-Jazeera English: Eine Bilanz nach neun Monaten. Evangelischer Pressedienst. In: epd Medien. Nr 64 vom 15. August 2007.
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ten Themen und Regionen mehr in den Mittelpunkt der Nachrichtenberichterstattung von AJE gerückt werden.454 Es versteht sich als „voice for the voiceless.“ Der damalige stellvertretende Geschäftsführer bei Al-Jazeera English erklärt: “The ‘South’ here is not meant to be geographical. It is symbolic. It is a lifestyle because in the West, you have a lot of South as well. In Britain, you have South. In Europe, you have South. The South denotes the voiceless in general.“455 Der Al-Jazeera English Moderator Imran Garda beantwortet die Frage nach dem Zielpublikum ihres Senders kurz und präzise: „Anyone who wants a fresh perspective of global events, impartial and driven by a true desire to present a story as un-manipulated as possible.“456 6.2.5
Organisation und Programmgestaltung
Mit einem Startkapital von einer Milliarde Dollar – welches größtenteils vom katarischen Emir bereitgestellt wurde – öffnete Al-Jazeera English vier Nachrichtenstudios in Katar, Großbritannien, Malaysia und den USA. Diesen wurden 21 „supporting-bureaus“ aus Afrika, Lateinamerika und Asien zur Seite gestellt, welche sie in ihrer täglichen Produktion unterstützen sollen. Die „Unterstützungsbüros“ stammen allesamt aus Teilen der Erde, die bis dato vom Mainstream der westlichen Medien eher weniger berücksichtigt wurden.457 Der Großteil des Programms wird in den vier Nachrichtenstudios in Doha, Kuala Lumpur, London und Washington DC produziert, um die aktuellen Ereignisse aus möglichst internationaler Sicht präsentieren zu können. Jedes Nachrichtenstudio übernimmt ein Viertel des Tagesprogramms, wodurch der Sender sehr ausführlich auf die Zuseher der unterschiedlichen Zeitzonen eingehen kann. So sind die Nachrichten aus Kuala Lumpur auf die Zuseher im asiatischen Raum ausgerichtet und jene aus Doha berichten vorwiegend über Ereignisse im Nahen Osten. Somit kann Al-Jazeera English als erster wirklich weltweit agierender Nachrichtensender bezeichnet werden.458 Zudem verfügt der Sender über ein sehr großes Korrespondentennetzwerk und besitzt in allen politisch wichtigen Ländern ein Büro, von welchem ein rasches Auftreten vor Ort ermöglicht wird.
http://www.epd.de/medien/medien_index_51394.html (23.3.2010). 454 Richter, Frederik: Al Dschasira „Osama-TV?“ ZEIT online. 08/2006. http://www.zeit.de/online/2006/46/Al-Dschasira-Kommentar?page=all (23.3.2010). 455 Zitiert bei: El-Nawawy; Powers, 2008. 456 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010. 457 El-Nawawy; Powers, 2008. 458 Miles, 2005. S. 314.
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Al-Jazeera versucht zudem möglichst viele Berichte eigenständig zu gestalten und relativ wenige Informationen von Nachrichtenagenturen übernehmen zu müssen. Der Pakistan-Korrespondent Kamal Hyder erklärt dies folgendermaßen: „Most of the time our stories rely little on agency pictures and try to do our own shoots with everything from the start to finish. The good example would be the Swat crisis where others including agencies were relying on our exclusive pictures. In fact our network was the first to alert the world to major mass exodus from Swat.“459
Der Studio-Moderator Imran Garda bestätigt die Eigenständigkeit Al-Jazeera’s bei der Berichterstattung und fügt hinzu: „We are happy to use the most relevant agency material but are always keen to use our own sources as much as possible, so that we operate both as an agency and news outlet.”460 Al-Jazeera agiert somit häufig als Nachrichtenagentur, da sie über exklusive Informationen und Bilder verfügen, weshalb internationale und regionale Nachrichtenstationen ihre Informationen beziehen. Der 24-Stunden Nachrichtensender ist themenbezogen und beleuchtet die Bereiche Politik, Religion, Technologie und Kultur. Zusätzlich werden spezielle frauenbezogene Themen und wirtschaftliche Besonderheiten bei Al-Jazeera English beleuchtet. In der Studie von Abeer al-Najjar – einer Professorin an der amerikanischen Universität in Sharjah – wird angeführt, dass Al-Jazeera English mehr als 190 Millionen Haushalte weltweit erreicht und in 100 Ländern präsent ist. Darüber hinaus sind Journalisten von über 50 Nationen bei diesem Sender angestellt, wodurch Al-Jazeera English bereits als „New United Nations“ bezeichnet wird.461 Die Journalisten, die bei Al-Jazeera English beschäftigt sind, bringen größtenteils journalistische Erfahrungen aus Europa oder den Vereinigten Staaten von Amerika mit. Der amtierende Geschäftsführer Tony Burman war beispielsweise einst verantwortlicher Direktor bei CBC News (Canadian Broadcasting Corporation).462 Die Nachrichtensprecher in Doha sammelten unter anderem Arbeitserfahrung bei der britischen BBC, CNBC Europe, Sky News, ITV News und Russia TV.463 „Al-Jazeera International [English] wants nothing less than to break the Western monopoly on the telling of history, by expanding the spectrum of perspectives par-
459 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010. 460 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010. 461 Al-Najjar, Abeer: How Arab is Al-Jazeera English? Comparative Study of Al-Jazeera Arabic and Al-Jazeera English News Channel. In: Global Media Journal, 2009. 462 http://english.aljazeera.net/aboutus/ (5.7.2010). 463 http://english.aljazeera.net/aboutus/ (5.7.2010).
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ticipation in English language discussion of world issues. [It] aspires instead to 464 create a global channel with a target audience of the plane’s English speakers.“
Mit seiner Berichterstattung will Al-Jazeera eine differenzierte News Agenda schaffen, welche sich wesentlich von den westlichen Medien unterscheidet. „We bridge the mainstream by trying to give a fresh perspective to world events. Our eclectic mix of journalists from varying backgrounds and geographical, political, sociological and historical expertise helps us achieve this to do this better than CNN or BBC.“465 Dabei ermöglicht er seinem Publikum, die aktuellen politischen Ereignisse aus einer arabischen Sichtweise kennen zu lernen. AJE betrachtet sich ferner als Stimme für südliche und ärmere Länder, die bis dato abseits der Medien standen und in geringem Ausmaß behandelt wurden. Die Produzenten betonen, dass ihre Rolle weit über die Nachrichtenberichterstattung von Ereignissen im Nahen Osten hinausgeht, da kein anderer Nachrichtensender nachvollziehen kann, wie die amerikanische Politik den Nahen Osten beeinflusst. Des Weiteren versuche keine andere Nachrichtenkette, die amerikanische Kultur durch und für das arabische Publikum zu interpretieren.466 Laut Nigel Parsons, ehemaliger Geschäftsführer von Al-Jazeera English, stellt dieser Sender das erste Medium dar, welches Nachrichten vom Nahen Osten zurück in den Westen bringt.467 Durch ihre geografisch sehr günstig gelegene Lage, erreichen die Journalisten schneller als ihre Kollegen der internationalen Nachrichtensender den Ort des Geschehens und können durch ihre einheimischen Korrespondenten auf ein großes und gut organisiertes Kontaktnetzwerk zurückgreifen. Durch ihr umfassendes Korrespondentennetzwerk können die Journalisten viel herumreisen und sich ein Bild von der Situation vor Ort machen. Zeina Khodr beschreibt die Vorgehensweise der Korrespondenten interessant und belegt ihre Ausführungen mit einigen Beispielen: „[…] … and I think what makes it easier for us to understand the situation is that we (as Al-Jazeera) tend to travel a lot around the country, we visit places where other international organizations don’t usually go (unless on an embed)… and this allows us to understand the situation better… get familiar with the different regions etc…. Even in Iraq for example… if there is a major attack in Mosul or Diyala and we are in Bagdad – this doesn’t mean we don’t report it… and we do have local stringers
464 Malek, A.: Al-Jazeera’s new global gamble. Columbia Journalism Review. Sept/Oct, 2006. S. 11. Zitiert bei Al-Najjar, Abeer. 465 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010. 466 Al-Najjar, 2009. 467 Zitiert bei: El-Nawawy; Powers, 2008.
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based in different areas… stringers who provide us with the information we 468 need…“
Auch der damalige stellvertretende Geschäftsführer Ibrahim Helal führt folgende interessante Aspekte an: „The AJE way of journalism is a bit different from the West because we tend to go faster to the story and to go deeper into communities to understand the stories, rather than getting the [news] services to give us the information… We try to do our best to 469 set the agenda by searching for stories others cannot reach or don’t think of.“
Die Berichterstattung bei Al-Jazeera unterscheidet sich zudem von anderen Nachrichtenstationen aus folgenden Gründen: „We were in Myanmar exclusively during the tensions last year. We covered Gaza from within Gaza by Gazan correspondents. We looked into why Gazans are united behind Hamas despite the suffering. These kinds of stories are not easily covered by other media. It’s not an accusation [against other media]. It’s about the elements of perceiving the knowledge, the know-how when it comes to covering the story and producing it. It’s not there in Western media, but we have invested in people by bringing more than forty ethnic backgrounds and nationalities represented in the staff.“470
In den ethischen Grundsätzen des Senders heißt es unter anderem, dass verschiedene Meinungen ohne Vorurteile präsentiert werden. Die Verschiedenheiten der menschlichen Gesellschaft, mit all ihren Kulturen, Rassen, Religionen, Werten und Individualitäten erkennen und über sie unvoreingenommen berichten, zählt zu den weiteren Eckpfeilern von Al-Jazeera. Es wird klar zwischen Nachrichtenmaterial, Meinungen und Analysen unterschieden, um möglichen Spekulationen und Propagandainstanzen entgegen zu wirken.471 Al-Jazeera English versteht sich – genau wie sein Muttersender – nicht als Kopie von CNN oder BBC, sondern möchte vielmehr „… die weltweite Kluft überwinden und die Zivilisation einander neu vorstellen.“472 AJE ist zu einem sehr bedeutenden und nicht mehr wegdenkbaren Nachrichtensender geworden, der seine Zuseher über aktuelle Ereignisse informiert. Das Logo von Al-Jazeera 468 469 470 471 472
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E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 16.6.2010. Zitiert bei: El-Nawawy; Powers, 2008. Zitiert bei: Zitiert bei: El-Nawawy; Powers, 2008. http://english.aljazeera.net/aboutus/2006/11/2008525185733692771.html (26.4.2010). Zitiert bei: Richter, Frederik: Al Dschasira „Osama-TV?“ ZEIT online. 08/2006. http://www.zeit.de/online/2006/46/Al-Dschasira-Kommentar?page=all (23.3.2010).
kann sich mittlerweile als viertbedeutendste Marke der Welt (!) nach Ikea, Apple und Starbucks bezeichnen.473
6.3
Der amerikanische Nachrichtensender CNN
Als das Cable News Network (CNN) am 1. Juni 1980 von Ted Turner in Atlanta gegründet wurde, war es bereits der dritte amerikanische Kanal, der in den USA zu empfangen war. Bereits zu diesem Zeitpunkt erreichte man rund 1,7 Millionen Haushalte.474 Die Nachrichten waren zu Beginn bunt gemischt und deckten fast alle Sparten ab.475 CNN wurde zum ersten 24-Stunden Nachrichtensender, welcher sich allmählich über die Grenzen Amerikas ausdehnte. CNN bezeichnete sich zwar als internationaler Nachrichtensender, fokussierte sich in den ersten Jahren allerdings hauptsächlich auf das amerikanische Publikum, wodurch man außerhalb der USA einen eher geringen Erfolg verzeichnen konnte. Folglich wurde 1985 CNN International gegründet, der in größerem Ausmaß internationale Ereignisse behandeln und auf diese eingehen konnte.476 Um als 24-Stunden-Nachrichtensender bestehen zu können, mussten die Verantwortlichen neue Methoden des Journalismus und der Berichterstattung entwickeln sowie die Organisation des Senders möglichst übersichtlich halten. Dabei sollten unter anderem „Breaking News“, eine unlimitierte Live-Berichterstattung und der „fact-journalism“ herangezogen werden. Diese drei journalistischen Stile und Berichterstattungsformen wurden von CNN-Verantwortlichen ausgedacht und prägen noch heute die Berichterstattung bei verschiedenen Nachrichtenstationen. Die Idee hinter der Konzeption der “Breaking News“ bestehe darin: „… to discover a small story that would grow bigger over time.“ Während sich die Geschichte allmählich entwickelt und immer mehr ausbreitet, berichten CNN Journalisten bereits live von dem Ereignis.477 Ein weiteres Erfolgsrezept sollten die Live-Berichte sein. Journalisten sind möglichst häufig live auf Sendung, da sie dadurch der subjektiven journalistischen Einbringung entgegen wirken können. Der Zuseher erhält dadurch relevan-
473 Hamann, Götz: Al Dschasira. Ein neuer Blick auf die Welt. Al-Dschasira International startet. ZEIT online. 11/2006. http://www.zeit.de/2006/47/Al-Dschasira (23.3.2010). 474 http://news.turner.com/press_kits_detail.cfm?presskit_id=72&press_section_id=2667 (24.3.2010). 475 Hammann, Jutta: Nachrichten für das globale Dorf. Entwicklung, Organisation und Arbeitsweise von CNN. Vistas Verlag. Berlin, 1994. S. 44. 476 Volkmer, Ingrid: News in the Global Sphere. A Study of CNN and its Impact on Global Communication. University of Luton Press. UK, 1999. S. 132-133. 477 Volkmer, 1999. S. 135-138.
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te Primärinformationen und kann sich selber ein Bild der Situation machen. Mit Hilfe eines Fokus auf die Fakten der Nachrichten wollten CNN-Verantwortliche vor allem jungen Journalisten eine Chance im Medienbusiness geben. Renommierte und bekannte Nachrichtensprecher waren damals zu kostspielig. 6.3.1
Finanzierung
Finanziert wird das Cable News Network wesentlich aus den Werbe- und Abonnement-Einnahmen der Programme an andere Kunden und hohe Betriebsausgaben relativieren sich durch verschiedene Gründe: Das Senden von ein und demselben Beitrag auf mehreren Programmen und täglichen Wiederholungen reduzieren die Ausgaben. Zudem wird versucht, die Personalkosten so niedrig wie möglich zu halten.478 6.3.2
Weltweiter Durchbruch
Globale Aufmerksamkeit erhielt CNN vor allem durch die Berichterstattung über bestimmte, aber sehr bedeutende Fernsehereignisse. Der Sender informierte unter anderem über den Absturz der Challenger Raumfähre 1986, den Fall der Berliner Mauer, die US-Invasion in Panama und den zweiten Golfkrieg. In Europa gelang CNN der Durchbruch erst durch die Berichterstattung über den Golfkrieg. In den Vereinigten Staaten erzielte CNN vor allem wegen der gestiegenen Fernsehnutzungszeit, aber auch aufgrund der Tatsache, dass die anderen NewsNetworks nur selten Nachrichten ausstrahlten, große Erfolge. Die Nachrichten bei CNN sind nicht wesentlich ausführlicher gestaltet, gelten jedoch als objektiver und seriöser als bei anderen amerikanischen Nachrichtenstationen. Durch häufige Live-Interviews und Live-Reportagen konnte ein enormer Wettbewerbsvorteil erzielt werden, diese Live-Schaltungen sind mittlerweile ein Markenzeichen von CNN.479 6.3.3
CNN als 24-Stunden Nachrichtensender
CNN beschreibt seine Programmstruktur folgendermaßen: „… up-to-the minute national and international news, sports news, financial news, medical news, 478 Hammann, 1994. S. 75. 479 Löffelholz, 1993. S. 60-61.
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weather…“.480 Somit beleuchtet der Nachrichtensender neueste nationale wie internationale Ereignisse, informiert über die aktuellsten Wirtschafts- aber auch Sportnachrichten. Die Programmstruktur von CNN International versucht durch ein vermehrtes Setzen auf internationale Nachrichten, ein globales Publikum ansprechen zu können. Die Sendung CNN World News wurde mehrmals täglich ausgestrahlt und ist seit September 2009 von dem CNN World Report abgelöst worden. Heute besitzt CNN eine Vielzahl an Korrespondentenniederlassungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, Europa, im Nahen Osten, Afrika, in Asien und Lateinamerika.481 In London und Hongkong werden sehr viele Beiträge für CNN International produziert, wobei das Büro in London das größte außerhalb von den Vereinigten Staaten ist. CNN International kann mehr als 90 Prozent seiner Programme für internationales Publikum ausstrahlen und ist in rund 220 Millionen Haushalten weltweit zu empfangen.482
6.4
Die Entstehung der britischen BBC
Die BBC gilt als die größte Broadcasting Organisation der Welt. Der BBC World Service sendet in 32 Sprachen aktuelle News via TV, Radio und OnlineDienste.483 Die BBC testete im Juni 1994 gemeinsam mit dem saudischen Medienunternehmen Orbit einen arabischen Nachrichtenservice (BBC Arabic World Television Service), welcher allerdings nach sechs Monaten seinen Sendebetrieb wieder einstellen musste, da über heikle saudische Themen berichtet wurde. Al-Jazeera konnte von diesem Misserfolg später profitieren.484 Der Nachrichtensender BBC World ging in seiner heutigen Form erstmals im Januar 1995 auf Sendung und war fortan in Europa, Asien und dem Nahen Osten zu sehen. Er informiert – gleich wie seine internationalen Pendants CNN und Al-Jazeera – 24 Stunden über weltweite Ereignisse und ist dabei in über 200 Ländern via Satellit zu empfangen. Laut sendereigenen Angaben erreicht man wöchentlich über 74 Millionen Zuseher und insgesamt rund 295 Millionen Haushalte.485 Dabei versucht BBC nicht nur über die neuesten Nachrichten zu
480 Zitiert bei: Hammann, 1994. S. 85. 481 http://news.turner.com/press_kits_detail.cfm?item_id=127&presskit_id= 72&press_section_id=2670 (24.3.2010). 482 http://news.turner.com/press_kits_detail.cfm?presskit_id=72&press_section_id= 2667 (24.3.2010). 483 http://www.bbc.co.uk/aboutthebbc/purpose/what.shtml (25.3.2010). 484 Al-Mikhlafy, 2006. S. 53. 485 http://www.bbcworldnews.com/Pages/About.aspx (24.3.2010).
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berichten, sondern hinter die Geschichten zu blicken und der Frage nachzugehen, weshalb etwas geschieht. BBC World kann nicht auf die Gebührengelder des Muttersenders zurückgreifen und finanziert sich folglich durch Werbeeinnahmen und Sponsoring.486 Zudem wird BBC World Service durch die britische Regierung finanziert. Dennoch verliert die BBC nicht ihre Unabhängigkeit und berichtet in professioneller Weise über die neuesten Nachrichten.487
6.5
Ein Vergleich der drei Sender
Alle drei Sender berichten 24 Stunden über internationale Nachrichten und sind via Satelliten oder Kabel zu beziehen. Al-Jazeera English sendet dabei aus Doha, Kuala Lumpur, London und Washington. CNN International aus Atlanta, London und Hong Kong. BBC World informiert ihre Zuseher aus dem Hauptnachrichtenstudio in London. Dabei erreicht Al-Jazeera English rund 190 Millionen Haushalte, CNN 220 Millionen Haushalte und BBC weltweit 295 Millionen. Somit steht laut sendereigenen Angaben die BBC an erster Stelle und verweist CNN auf den zweiten Platz. Als Gründe für diese große Marktführerschaft können zum einen das Image des Muttersenders BBC, aber auch das sehr ausgeprägte Korrespondentennetzwerk herangezogen werden.488 Bei der Betrachtung der Zielgruppen der drei internationalen Nachrichtensender kann man eine Gemeinsamkeit erkennen: Alle drei können aufgrund von sprachlichen Barrieren ihr Zielpublikum nicht vollständig erreichen. CNN definiert seine Zielgruppe als global citizens, welche laut einer Studie des Jahres 2008 mehrere Charaktereigenschaften besitzen.489 Laut dem Autor Andreas Hepp setzen sich die Rezipienten von CNN International aus drei Gruppen zusammen. So unterscheidet er zwischen ehemaligen US-Bürgern, Touristen und Geschäftsreisenden sowie Informationseliten aus verschiedenen Ländern. Darunter fallen Politiker aber auch Manager.490 Der größte Teil des Zielpublikums kann allerdings nicht erreicht werden, da mangelnde Sprachkenntnisse davon abhalten.491 Dieselbe Problematik ergibt sich bei der englischen Version von Al-
486 Schenk, Susan: Das Islambild im internationalen Fernsehen. Ein Vergleich der Nachrichtensender Al Jazeera English, BBC World und CNN International. Medien und politische Kommunikation – Naher Osten und islamische Welt Vol. 16. Frank & Timme. Berlin, 2009. S. 62. 487 Al-Mikhlafy, 2006. S. 63. 488 Schenk, 2009. S. 63. 489 http://www.cnnmediainfo.com/audience.html (24.3.2010). 490 Lindenberg, 2006. S. 146. 491 Hepp, Andreas: Netzwerke der Medien. Medienkulturen und Globalisierung. Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2004. S. 303.
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Jazeera. Der damalige Londoner Büroleiter von AJE, Mostefa Souag, bezeichnet jeden als Zielgruppe der nicht arabisch spricht.492 Doch auch hier werden Nachrichten lediglich genutzt, wenn sehr gute Englischkenntnisse vorhanden sind. BBC World bezeichnet ihr Zielpublikum als Internationalists und möchte folglich jeden ansprechen.493 Nutzergruppen der drei transnationalen Nachrichtensender sind Meinungsführer, Eliten aus den Bereichen Politik und Wirtschaft aber auch internationale Journalisten. Die Bedeutung dieser Zuschauergruppe ist groß, da sie das weitere Handeln und Denken anderer Menschen beeinflussen können.494 Das European Media and Marketing Survey untersuchte das Mediennutzungsverhalten von europäischen Topverdienern und Entscheidungsträgern. In der 2008 publizierten EMS-Studie (European Media and Marketing Survey) bleibt CNN International auf dem ersten Rang jener Sender, die von den Meinungsmachern, Managern und politischen Eliten bezogen werden.495 CNN erreicht in Europa rund 49 Prozent der Bevölkerung. BBC World knapp 44 Prozent. Auch im Nahen Osten liegt laut der EMS Studie CNN (22,8%) vor BBC (17,7%) und sogar vor Al-Jazeera English (10,5%).496 In Folge dessen wäre CNN somit jener Sender, welcher am häufigsten von der Business-Elite im Nahen Osten bezogen wird.497 Ob Al-Jazeera English CNN oder gar BBC als Marktführer ablösen wird, bleibt fraglich. Die besten Voraussetzungen dafür haben sie allerdings bereits erfüllt: Al-Jazeera verfügt über ein großes Korrespondentennetz, ist weltweit bekannt und bei wichtigen Ereignissen immer an vorderster Front mit dabei.
492 493 494 495
Miles, 2005. S. 320. http://www.bbcworldinternationalist.com/ (24.3.2010). Schenk, 2009. S. 64. http://www.presseportal.de/pm/60036/1232863/cnn_turner_broadcasting_system_deutschland (24.3.2010). 496 http://www.cnnmediainfo.com/research_middle_east.html (24.3.2010). 497 http://www.ameinfo.com/198614.html (24.3.2010).
179
Abbildung 4:
180
Sendervergleich von Al-Jazeera English, CNN International und BBC World ; Quelle: eigene Darstellung
6.6
Zusammenfassung
An dieser Stelle werden die interessantesten Aspekte der drei Sender überblicksmäßig angeführt. Al-Jazeera wird häufig vorgeworfen, dass aufgrund der finanziellen Unterstützung durch die Königsfamilie von Katar eine gewisse Abhängigkeit gegenüber der katarischen Regierung bestehe. Die Mitarbeiter betonen, dass AlJazeera zwar noch immer vom Emir finanziert wird, allerdings nicht in seinem Besitz steht. Verantwortliche der Nachrichtenstation weisen an dieser Stelle auf die finanzielle Unterstützung der BBC durch die britische Regierung hin. Die unabhängige Berichterstattung und die Professionalität leiden aber keineswegs darunter.498 Lediglich CNN International finanziert sich aus Werbeeinnahmen und Fernsehgebühren. Al-Jazeera English bezeichnet sich als „Voice for the Voices“ und möchte Nachrichten für ein globales Zuschauerpublikum produzieren und dabei auf die Vielfalt der Meinungen eingehen.499 Zudem versucht AJE den Informationsfluss zwischen Nord und Süd auszubalancieren und vermehrt über Regionen zu berichten, die bis dato in der Nachrichtenagenda unterrepräsentiert waren. Ihr Ziel ist es dabei, „Brücken zwischen verschiedenen Kulturen und Kontinenten zu bilden“.500 Alle drei Sender verfügen über ein sehr ausgeprägtes Korrespondentennetzwerk, welches eine rasche Berichterstattung vor Ort ermöglicht. Dabei ist besonders das Netzwerk von AJE im Nahen Osten zu nennen. In vielen Regionen der Welt hat Al-Jazeera als einziger internationaler Nachrichtensender einen Zugang und verfügt über einheimische Reporter, welche wiederum auf eine Vielzahl von Kontakten zurückgreifen können und somit zu einer Fülle an Informationen gelangen. Rund 50 Prozent der Journalisten bei Al-Jazeera English haben westliche Arbeitserfahrung und können deshalb mit jenen von CNN und BBC verglichen werden. Der Fokus der Berichterstattung von Al-Jazeera English liegt im Nahen Osten und den Entwicklungsländern. CNN versucht durch Live-Berichte vermehrt Zuschauer halten zu können. Die BBC setzt vor allem auf eine fundierte Hintergrundberichterstattung und bietet ihrem Publikum historische Zusammenhänge. Der Unterschied zwischen diesen Sendern besteht laut Kamal Hyder, AJE Korrespondent in Pakistan, in ihrem starken Senderprofil und erklärt: „My ex-
498 Al-Mikhlafy, 2006. S. 63. 499 http://iwantaje.com/aboutaje (25.3.2010). 500 http://iwantaje.com/aboutaje (25.3.2010).
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perience from working with CNN is that they cater more to the American Audience and cover stories of interest to the US and only travel to such areas when the story becomes big. The BBC may have the footprint and would in my estimation have that advantage over CNN like AJE.“501
501 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
182
7 Empirie
7.1
Konzeption der empirischen Untersuchung
7.1.1
Zielsetzung und Forschungsfrage
Das Erkenntnisinteresse der empirischen Untersuchung besteht darin, die Nachrichtenberichterstattung von terroristischen Aktivitäten bei Al-Jazeera English, CNN International und BBC World News auf qualitativer wie auf quantitativer Ebene zu analysieren und herauszufinden, wie die drei Sender an das Phänomen des Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten herangehen. Dabei werden mögliche Besonderheiten und Auffälligkeiten beleuchtet. Ziel dieser Untersuchung ist herauszufiltern, wie die Nachrichtensender mit diesem aktuellen Thema umgehen und darüber berichten. Dabei stellt sich die Frage, ob eine sachliche Beurteilung durch die Nachrichtensender überhaupt möglich ist. Immer wieder hört man von verschiedenen Seiten, Al-Jazeera sei ein Sprachrohr für Terroristen und stelle eine mediale Plattform für diese dar. Zudem würden Radikale häufiger zu Wort kommen als bei anderen internationalen Nachrichtensendern. Diese Behauptungen waren mitunter der Anstoß, diese Empirie durchzuführen und anhand der Untersuchungsergebnisse die These entweder zu widerlegen oder zu verifizieren. Weiters soll analysiert werden, ob Al-Jazeera English einen anderen Standpunkt zu Terrorereignissen einnimmt wie die beiden westlichen Sender. Zwei Forschungsfragen stehen dabei besonders im Mittelpunkt: Die eine versucht ganz allgemein Unterschiede des arabischen und amerikanischen Senders auszumachen, die andere geht stärker auf die Hypothese ein Al-Jazeera sei eine mediale Plattform der Terroristen.
In welchem Ausmaß unterscheidet sich Al-Jazeera English im Bezug auf ihre Terrorberichterstattung von CNN International und BBC World?
Für die Beantwortung dieser Frage werden die Ergebnisse der Medienanalyse miteinander verglichen und mögliche Unterschiede herausgehoben. Die Reaktionen der Bevölkerung sowie jene der Betroffenen, die die Journalisten der drei Sender einholen, können zur Klärung dieser Frage hilfreich sein. Doch auch der musikalische Frame, die Beitragsqualität sowie die Nachrichtenbilder sind wichtige Indikatoren, die herangezogen werden. Dabei gilt es zu belegen, dass Al183 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Jazeera English in seiner sachlichen und qualitativen Berichterstattung keineswegs von den anderen Sendern abweicht oder sich ihnen unterordnen muss. Diese Studie ist in ihrem Bereich „Medienberichterstattung über Terrorismusanschläge“ einzigartig, da sie Al-Jazeera als arabischen Nachrichtensender, CNN als amerikanischen und BBC als europäischen miteinander vergleicht und Besonderheiten und Auffälligkeiten in ihrer Berichterstattung über terroristische Aktivitäten anführt.
Gibt der Sender terroristischen Gruppen und Bewegungen mehr „Raum“ und entsteht dadurch ein wirklicher Unterschied zu den westlichen Sendern?
Mein Interesse an dieser Frage gilt dem Raum, der den Terroristen in den Medien eingeräumt wird. Dabei ist es notwendig, die Selbstdarstellung der Terroristen auf Amateuraufnahmen zu beobachten. Senden sie per Videobotschaft Erklärungen zu den einzelnen Nachrichtensendern und werden diese dann ausgestrahlt? Dieser Aspekt wird im Zuge der Untersuchung genau durchleuchtet. Aus dem bereits angeführten Forschungsinteresse ergeben sich folgende Hypothesen: Hypothese 1: Nachrichten über Terroranschläge werden bei Al-Jazeera English häufiger gezeigt als bei CNN International oder BBC World News. Hypothese 2: Die Nachrichtenberichterstattung über Terroranschläge hat bei Al-Jazeera English aufgrund seiner geographischen Nähe zum Nahen Osten einen größeren Stellenwert als bei den anderen zwei Sendern. Hypothese 3: Die Berichterstattung bei AJE zeichnet sich durch eine starke Fokussierung auf das Leid der Palästinenser aus. Hypothese 4: CNN fungiert in seinem journalistischen Auftreten eher als Boulevardmedium. Hypothese 5: CNN versucht mit seiner Berichterstattung Anschläge im Nahen Osten zu dramatisieren, um so eine öffentliche Legitimation für ein kriegerisches Vorgehen der USA in diesen Ländern zu erhalten. Hypothese 6: Al-Jazeera English und CNN versuchen verstärkt mit Hilfe von Farben und musikalischer Umrahmung die Zuseher anzusprechen und sie vor den Fernsehschirmen zu fesseln. Hypothese 7: Bei CNN und BBC werden vor allem beim visuellen Umgang mit Anschlägen eher verdeckte Tote als Särge gezeigt. AJE hingegen bedient sich öfters der Sarg-Bilder, um das Leid der Opfer zu unterstreichen. Hypothese 8: Israel und die USA werden bei Al-Jazeera English häufiger als verantwortliche Akteure als bei CNN genannt. Der amerikanische Sender berichtet selten über eine Mitschuld Amerikas oder Israels. 184
Hypothese 9: Während CNN häufiger die Täter im Bezug auf die Terrorberichterstattung behandelt, legt AJE sein Hauptaugenmerk auf die Opfer. Hypothese 10: Bei CNN dominieren vor allem militärische Akteure als Interviewpartner, wohingegen bei Al-Jazeera English häufiger Zivilpersonen zu Wort kommen. Hypothese 11: CNN interviewt bewusst keine Personen / Opfer, die sich gegen die terroristische Gewalt in ihrer Region äußern, um das Bild der „bösen Araber“ aufrechtzuerhalten. Hypothese 12: Bei Al-Jazeera English werden einzelne Terroristen und Terrorgruppierungen öfter interviewt und zu ihrer Einstellung befragt als dies bei CNN der Fall ist. Hypothese 13: Bei AJE werden häufiger auch andere Meinungen eingeholt, sodass meistens ein gegenteiliges Statement zu einem Ereignis vorliegt. Hypothese 14: Die Reporter von Al-Jazeera English gelangen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu aussagekräftigeren Interviewpartnern. 7.1.2
Untersuchungsmethode: Die Inhaltsanalyse
Die vorliegende Analyse zur Nachrichtenberichterstattung terroristischer Anschläge im Nahen Osten wird anhand einer quantitativen aber auch qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführt. Verglichen werden dabei die Nachrichtensender AlJazeera English, CNN International und BBC World News. Dem arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera wird CNN als amerikanisches Pendant gegenüber gestellt. BBC soll in dieser Untersuchung als eine Art europäisches Kontrollmedium fungieren und mögliche Abweichungen in der arabischen wie amerikanischen Berichterstattung aufzeigen. Die drei Nachrichtensender werden in ihrer journalistischen Herangehensweise an diesem Thema gemessen. Kernelement der qualitativen Elemente (Frames) ist hierbei, den sogenannten Subtext der Nachricht herauszufiltern – also zu verstehen, wie Journalisten dem Zuseher bestimmte Ereignisse näher bringen möchten. Werden Vorurteile geschaffen? Oder bestehen diese bereits schon? Auf welche Art und Weise werden bestimmte Nachrichten beleuchtet? Versuchen die einzelnen TV-Stationen mit verschiedenen journalistischen Hilfsmitteln die Zuseher zu „manipulieren?“ Wird vermehrt auf die Opfer oder auch auf die Täter eingegangen? Sind die Nachrichten eher emotional oder sachlich aufgebaut? Mit Hilfe der zusammengestellten Kategorien wird möglichst genau versucht, auf die unterschiedlichen Berichterstattungsformen der Nachrichtensender einzugehen.
185
Zu den quantitativen Elementen zählen die Fragen: Wo findet der Anschlag statt? Welche Terrorgruppe hat sich zu dem Anschlag bekannt? Wie viele Verletzte oder Tote sind zu verzeichnen? Anhand dieser Analyse gilt es zu eruieren, welcher Sender am informativsten, sachlichsten und ethisch-vertretbarsten über terroristische Aktivitäten berichtet. Hierbei wurden vor allem die visuellen Elemente der Beiträge besonders stark berücksichtigt. Dabei spielen Bildauswahl, Kameraperspektiven, musikalische Umrahmungen, Farbspiele sowie journalistische Wertungen aber auch die Wahl der Interviewpartner eine große Rolle. Diese Medienberichterstattungsanalyse soll einen wissenschaftlichen Einblick in die tägliche Berichterstattung drei renommierter Nachrichtensender geben. Alle drei Sender sind miteinander vergleichbar, da sie über ein 24-Stunden Nachrichtenprogramm verfügen, das in englischer Sprache via Satellit oder Kabel überall in der Welt empfangbar ist. Das eigens zusammengestellte Codebook ist voll und ganz für die Berichterstattung von Terroranschlägen konzipiert. 7.1.2.1
Definition
Die Inhaltsanalyse zählt zu den empirischen Wissenschaften. Als Ausgangspunkt zur Analyse steht eine Frage, eine Vermutung oder eine bestimmte Vorstellung zu einem speziellen Thema. Anschließend werden Hypothesen oder Theorien formuliert, die den wissenschaftlichen Anstoß für die Arbeit theoretisch belegen sollen und mit verschiedenen Methoden überprüft.502 Die Inhaltsanalyse bedient sich vorwiegend einer sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Methode.503 Verschiedene Forscher haben mittels Definitionen versucht, die Inhaltsanalyse vorzustellen oder deren Merkmale zu erfassen. Im Folgenden werden drei davon etwas näher betrachtet. Es ist anzumerken, dass keine der Definitionen als richtig oder wahr angenommen werden soll oder kann, es sollen lediglich die verschiedenen Elemente und Denkansätze gegenüber gestellt werden. Der amerikanische Forscher Bernard Berelson formulierte in dem Buch „Content Analysis in Communications Research“ im Jahr 1952 die Grundzüge der Methode.
502 Früh, Werner: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. 5. Auflage von 2001. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2004. S. 19. 503 Ebenda. S. 38.
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„Content analysis is a research technique for the objective, systematic and quantitative description of the manifest content of communication“.504 Die Inhaltsanalyse wird dabei noch als reine Forschungstechnik verstanden.505 Berelson forderte, dass lediglich die manifesten Inhalte von Texten messbar sind. Es muss daher sichergestellt sein, dass Kommunikator, Leser und Forscher von demselben Text ein und dasselbe verstehen. Doch ob Informationen tatsächlich so gestaltet werden können, dass jeder dasselbe versteht ist fraglich. Alter, Bildung, verschiedene Lebenssituationen und Kulturen bringen ein unterschiedliches Verständnis für Informationen mit sich. Wir verstehen Texte aus den 50er Jahren heute anders, als dies die Menschen damals getan haben. Manifeste Inhalte sind somit schwer zu erfassen.506 Weitere interessante Definitionen finden sich im deutschen Sprachraum vor allem von den zwei Forschern Früh und Merten, die die von Berelson weiterentwickelt haben. Nach Werner Früh ist die Inhaltsanalyse „(…) eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen; (häufig mit dem Ziel einer darauf gestützten interpretativen Inferenz).“507 Klaus Merten versteht unter der Inhaltsanalyse „(…) eine Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nicht-manifesten Kontextes geschlossen wird.“508 Alle drei Definitionen bezeichnen die Inhaltsanalyse als eine empirische Methode, die etwas beschreibt. Unterschiede ergeben sich vor allem bei den Begriffen „manifest“ und „nicht-manifest“. Werner Früh lehnt eine Verwendung dieses Begriffes ab, da er laut seiner Auffassung in der Vergangenheit zu mehr Verwirrung als Klarheit geführt hat. Merten hingegen führt an, dass die Inhaltsanalyse Texte sozialer Wirklichkeit (nicht-manifeste Kontexte) erfassen und verstehen soll. Merten stellt klar, dass es bei der Auseinandersetzung mit Texten zu einer Interpretation, die nicht-manifest ist, kommen wird. Diese Interpretation gilt als nicht-manifest, da sie sich nicht mehr direkt aus dem Text erschließt.509 504 Berelson, Bernhard: Content Analysis in Communication Research. Glencoe. The Free Press, 1952. S. 18. 505 Rössler, Patrick: Inhaltsanalyse. UTB basics. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2005. S. 18. 506 Brosius, Hans-Bernd; Koschel, Friederike; Haas, Alexander: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2008. S. 141. 507 Früh, 2004. S. 25. 508 Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995. S. 59. 509 Brosius; Koschel; Haas, 2008. S. 141.
187
7.1.2.2
Anwendungsgebiete
In welcher Form die Medien über Politik berichten, ist sicherlich eine der bedeutendsten Fragen, die sich die Inhaltsanalyse stellt. Dies vor allem deshalb, da Politik und deren Vermittlung vorwiegend über das Fernsehen geschieht. Die Fragen, wie und unter welchen Bedingungen die Massenmedien auf die Zuseher und -hörer wirken, sind mit folgendem Beispiel anzuführen: Der amerikanische Truppeneinmarsch in Somalia wurde just zur amerikanischen Hauptsendezeit vollzogen. Dies ereignete sich keineswegs zufällig zu diesem Zeitpunkt. Der amerikanische Nachrichtensender CNN hatte im Vorfeld mit dem Militär die kleinsten Details festgelegt, sodass die Kamerateams die Truppen live auf ihrem Vormarsch filmen konnten.510 Der Beginn des Einmarsches wurde somit von den Medien abhängig gemacht und hätte ohne die Unterstützung der Nachrichtensender sicherlich in einer anderen Art und Weise stattgefunden. Die Inhaltsanalyse untersucht lediglich die Inhalte des Mediums. Eine Interpretation der Ergebnisse folgt anschließend durch den Forscher. 7.1.2.3
Charakteristika der Analyse
Eine qualitative wie quantitative Inhaltsanalyse ist aufgrund mehrerer Charakteristika als geeignete Methode anzuführen: Die Inhaltsanalyse beeinflusst den Untersuchungsgegenstand in keinster Weise; Dokumente wie die einzelnen Nachrichten müssen nicht zeitgleich codiert werden, dies kann auch im Nachhinein erfolgen. Diese Methode eignet sich zudem für die Auswertung von großen Datenmengen besonders gut. Grundsätzlich versucht man durch die Inhaltsanalyse die Wirklichkeit anhand von Begriffen zu definieren, wobei nicht die Rekonstruktion der beobachteten Wirklichkeit an vorderster Stelle steht, sondern vielmehr eine Beantwortung einer bereits festgelegten Fragestellung.511 7.1.3
Die Datenerhebung
Das Hauptaugenmerk der Studie richtet sich auf den direkten Vergleich von qualitativen und quantitativen Merkmalsausprägungen bei den drei internationalen Nachrichtensendern. Formale wie auch inhaltliche Besonderheiten sollen 510 Brosius; Koschel; Haas, 2008. S. 148. 511 Bonfadelli, Heinz: Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. UVK Verlagsgesellschaft mbH. Konstanz, 2002. S. 79-80.
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herausgearbeitet und beleuchtet werden. Das Codebook wurde so konzipiert, dass es für alle drei Sender Anwendung findet. Somit kann ein direkter Vergleich zu den einzelnen Medien gezogen werden. Die Aufnahme der Nachrichten erfolgte über das Computerprogramm Windows Media (WM) Recorder. Aufgrund eines Abonnements beim Programm „Real Player“ konnten die Nachrichten empfangen und anschließend mit Hilfe des WM Recorders aufgenommen und auf einer externen Festplatte gespeichert werden. Da ein Programmieren des Aufnahmegerätes nicht möglich war, musste täglich der Aufnahmebutton persönlich getätigt werden. Die Aufnahme wie die Gestaltung und Planung des Codebooks sowie die Auswahl der Nachrichtensender wurden eigenständig durchgeführt. Aufgrund sprachlicher Hindernisse wurde die englische Ausgabe von Al-Jazeera codiert. Einen arabischen Fachmann zu engagieren hätte den finanziellen Rahmen zur Ausführung dieser Dissertation gesprengt. Zudem gibt es noch keine Analyse in dieser Form der englischen Ausgabe von Al-Jazeera. Lediglich Susan Schenk hat in ihrer Diplomarbeit über das Islambild im internationalen Fernsehen eine ähnliche Analyse durchgeführt, ihren Schwerpunkt allerdings auf den Islam gelegt. Die Echtzeit-Analyse (tägliches Aufnehmen über einen bestimmten Zeitraum) wurde aufgrund finanzieller und bürokratischer Hindernisse einer ArchivAnalyse vorgezogen. Der Nachrichtensender Al-Jazeera sagte freundlicherweise einem Archivzugang zu. Doch ohne Arabisch-Kenntnisse musste dieses Angebot leider verworfen werden. Beim Nachrichtensender CNN war es etwas schwieriger Kontakte zu den zuständigen Personen herzustellen und scheiterte schlussendlich an den finanziellen Ressourcen; die Kosten hierfür wären zu hoch gewesen. 7.1.4
Mediensample
Zu den bereits festgelegten Nachrichtensendern Al-Jazeera English und CNN wurde zusätzlich der englischsprachige Nachrichtensender BBC in die Analyse hinzugenommen, da dieser eine Art Kontrollfunktion einnimmt. So steht BBC als europäischer Nachrichtensender dem arabischen und amerikanischen gegenüber. Nach der Auswertung der Daten kann festgestellt werden, in welchem Ausmaß die arabischen und amerikanischen Nachrichten vom europäischen Medium abweichen. Somit wurden die jeweils relevanten Beiträge der Nachrichtensender AJE, CNN und BBC World News untersucht. Alle drei Sender verfügen über ein ähnliches Nachrichtenformat, welches täglich 30 Minuten andauert.
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Bei CNN wird das Format „CNN World News“512 täglich von 12 Uhr bis 12:30 analysiert. Das Gegenstück dazu bildet das Sendeformat „Al-Jazeera News“ von Al-Jazeera English. Dies wird täglich von 18:00 bis 18:30 ausgestrahlt. (Da AJE mehrmals am Tag Nachrichten sendet, wurden jene ausgewählt, die live aus Doha/Katar gesendet werden). Im Anschluss daran werden die BBC World News von 19:00 bis 19:30 live aus London aufgenommen. Alle Nachrichten wurden täglich zur selben Zeit registriert. 7.1.5
Untersuchungszeitraum
Der erste Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom 4. Februar 2009 bis zum 17. Mai 2009. Der Beginn der Analyse lässt sich damit erklären, dass durch die Angelobung des neuen amerikanischen Präsidenten am 20.1.2009 die internationale Nachrichtenberichterstattung von diesem Ereignis und der Person Barack Obamas dominiert wurde. Die Analyse startete deswegen erst im Februar 2009. Da während des Beobachtungszeitraums zu wenig relevante Beiträge für eine wissenschaftlich fundierte Analyse vorkamen, wurde die Untersuchung etwas erweitert und begann erneut mit der Reise Obamas in den Nahen Osten am 4. Juni 2009. Da sich Al-Qaida und Osama bin Laden vor dem Besuch Obamas meldeten und sich über die Politik Amerikas beschwerten, war ein erneutes Aufzeichnen der Nachrichten bei Al-Jazeera English, CNN und BBC unbedingt vorzunehmen um zu beobachten, ob es zu einem Anstieg von terroristischen Anschlägen kommt. Somit startete die zweite Empirie am 4. Juni 2009 und erstreckte sich bis einschließlich 15. Juli 2009. Die Aufnahme der täglichen Nachrichten umfasst also etwa sechs Untersuchungsmonate. 7.1.6
Pretest und Reliabilitätsprüfung
Die Entwicklung des Codebooks wurde durch ständige Pretests hinsichtlich einer Durchführbarkeit überprüft und anschließend durch weitere Frames ergänzt. Die Pretests halfen bei der Gestaltung der Kodieranleitung erheblich weiter und schulten gleichzeitig die Codiererin, die während dieser Testphasen auf immer neue Herausforderungen stieß. Mit Hilfe des Pretests wird zum einen die Praktikabilität des Codebooks auf seine Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Eindeu-
512 Das Nachrichtenformat „CNN World News“ wurde nun vom „CNN World Report“ abgelöst. Während des Untersuchungszeitraumes bestand das Format „CNN World News“ durchgehend und konnte somit einheitlich aufgezeichnet werden.
190
tigkeit und Handhabbarkeit getestet, aber auch die Codierarbeit an sich. Merten führt die Faustregel an, dass der Pretest zumindest an 20 Analyseeinheiten vorgenommen werden sollte. Beobachtete Fehler nehmen während ständig durchgeführter Tests ab, sodass im Zuge dieses Schrittes der größte Teil der Widersprüche beseitigt werden kann.513 Schwachstellen in der Codieranleitung wurden verbessert oder durch neue Kategorien ergänzt. Die Codierung wie die Auswertung der Daten erfolgte durch die Autorin selbst. Aufgrund ihrer Tätigkeit beim Medienanalyse-Institut MediaWatch wurden Codier-Vorkenntnisse mitgebracht und eine intensive Codierschulung nicht mehr notwendig. Da die Codierung alleine und an einem Stück durchgeführt wurde, kann es nur kleinere Abweichungen in der Zuteilung der bestimmten Codes gegeben haben, im Großen und Ganzen ist die Codierung somit einheitlich. Denn: „Je mehr Personen sich auf eine gemeinsame Anwendung des Instruments einigen müssen, desto schwieriger wird es, Übereinstimmung zu erzielen.“514 Jedoch kann ein gewisses Maß an Subjektivität bei der Codierung nicht ausgeschlossen werden. Dies lässt sich zumindest auf alle Medien gleichsam verteilen. Ziel der Inhaltsanalyse ist, Aussagen über größere Textmengen machen zu können. Der Codierer muss deshalb genau wissen, welche Kategorie er bei welchen Beispielen zuteilen soll. An dieser Stelle wird die Reliabilität und Validität der Codierung überprüft. Der Reliabiliätstest misst die Güte des methodischen Instrumentariums als auch die Zuverlässigkeit des Codieres. Dafür können zwei Verfahren herangezogen werden, die die Verlässlichkeit der Codierer überprüfen. Die Intercoder-Reliabilität misst die Übereinstimmung mehrerer Codierer am selben Untersuchungsmaterial, die Intracoder-Reliabilität – die für diese Untersuchung herangezogen wurde – betrachtet wie zuverlässig und gleichbleibend ein Codierer sein Material verschlüsselt.515 Bei der Intracoder-Reliabilität wird das Untersuchungsmaterial zu zwei Zeitpunkten hinsichtlich seiner Übereinstimmung codiert. Wurden die Kategorien und Codierregeln klar definiert, so sollte bei mehrfacher Codierung immer dieselbe Kategorie zugeteilt werden. In der vorliegenden Untersuchung wurden stichprobenartige Zweitprüfungen durchgeführt, die bei einzelnen Zuordnungen noch Feinabstimmungen bedurften, größtenteils konnten einstimmige Ergebnisse erzielt werden.516 Dabei ist anzumerken, dass der Reliabilitätstest nicht die Qualität der gewählten Kategorien beschreibt, sondern lediglich die Qualität der Messvorschriften sowie deren Anwendungen.517
513 514 515 516 517
Merten, 1995. S. 325. Rössler, 2005. S. 167. Früh, 2004. S. 177. http://www.univie.ac.at/gz-sowi/media/StudieSusanneHeleneBetz.pdf (22.2.2010). Früh, 2004. S. 177.
191
Für die Bemessung des Reliabilitätskoeffizienten wurde das Reliabilitätsprogramm PRAM herangezogen, welches den Holsti-Reliabilitätskoeffizienten paarweise ermittelt. Dieser Koeffizient berechnet die paarweisen Übereinstimmungen zu Kodierzeitpunkt Eins und Zwei. Anschließend wird durch das PRAM Programm die durchschnittliche Reliabilität nach Holsti berechnet.518 Für den Intracoderreliabilitätstest wurden 50 beliebig ausgewählte Beiträge in allen einzelnen Kategorien nachcodiert und bis auf die Reihenfolge bei den Mehrfachzuteilungen konnten große Übereinstimmungen erzielt werden. Das Codebook ist nominal skaliert, da mehrere Kategorien zuteilbar waren, die nicht abgestuft sondern untereinander differenziert werden. Mit Hilfe des Holsti-Koeffizienten und des Scotts Pi wurde die Reliabilität bemessen. Der Durchschnitt des HolstiKoeffizienten lag bei 0,98 aller Codierungen. Bei der Betrachtung der einzelnen Kategorien konnten bei einigen Zuteilungen 100 Prozent erreicht werden, bei anderen Bereichen lag der Wert bei 88 bis 90 Prozent. Bei den Merkmalen Hauptakteur Eins, Zwei und Drei reicht die Übereinstimmung von 89 bis 94 Prozent. Die Täter- versus Opferzentrierung scheinen bei 87 Prozent der Codierungen als Übereinstimmung auf. Für die Kategorien „Personalisierung der Opfer“ und „Personalisierung der Täter“ hat die Zuteilung eine 93 bis 94-prozentige Übereinstimmung erbracht. Alle übrigen Kategorien wiesen entweder eine 100-prozentige Übereinstimmung auf oder bewegten sich zwischen 85 und 94 Prozentwerten. Die statistische Datenauswertung beruht auf n=680 relevante Beiträge und erfolgt mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS 17 für Windows (Statistical Package for the Social Sciences). In dem 6-monatigen Untersuchungszeitraum weisen 680 Nachrichtenbeiträge terroristische Hintergründe oder Aktivitäten auf. 7.1.7
Analyse-Ebene
Die relevante Analyse-Ebene erfolgt auf Beitragsebene. Das bedeutet, dass jeder Beitrag als Ganzes codiert wird. Dies gilt sowohl für formale Kriterien – wie Datum, Medium und Beitragslänge – als auch für inhaltliche – wie Ausmaß des Schadens, Reaktion der Betroffenen oder Verantwortlichkeit. Als einzelner Beitrag gilt ein in sich abgeschlossener Bericht inklusive An- und Abmoderation, falls eine solche erkennbar ist. Ein Beitrag in einer anderen Präsentationsform zum gleichen Thema wird als neuer Beitrag behandelt. Zum Beispiel ein Kommentar oder ein Interview mit einem Experten zu einer vorher präsentierten Thematik. Nachricht und Interview zu einem gleichen Thema werden somit als 518 http://app.gwv-fachverlage.de/ds/resources/w_44_2471.pdf (25.3.2010).
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separate Beiträge gewertet. In einer Nachricht können durchaus mehrere Akteure vorkommen (maximal drei Hauptakteure), wobei der erstzugeteilte der höherrangige oder meistvorgekommene sein sollte. Untersuchungsrelevant sind grundsätzlich all jene Beiträge nach den Schlagzeilen (Trailer-Vorspann) bis hin zu der Verabschiedung der Moderatoren, die sich mit Terrorismus und kriegerischen Auseinandersetzungen mit terroristischem Hintergrund befassen. Schlagzeilen werden nicht als eigenständige Berichte codiert. Der Wetterbericht ist verständlicherweise exkludiert. Auch eine Zusammenfassung der tagesaktuellen Nachrichten wird in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, da sie lediglich ein Resümee darstellt.
7.2
Formale Darstellungsform: quantitative Elemente
Bei den folgenden Kategorien wird auf quantitativer Ebene die Häufigkeiten der einzelnen Indikatoren untersucht. 7.2.1
Nachrichtensender
Bei dieser Kategorie wird festgehalten, welcher Nachrichtensender gerade untersucht wird. So erhält der Sender Al-Jazeera English die Nummer eins, CNN die Nummer zwei und BBC die Nummer drei. Die Zuteilung der einzelnen Codes erfolgt zufällig und stellt keine Präferenz der Autorin dar. Sie dient lediglich der Verschlüsselung der Nachrichtensender. 7.2.2
Beitragskennziffer
Jeder Beitrag erhält eine Rangnummer. So erhält der erste relevante Beitrag eines Nachrichtensenders an einem bestimmten Tag die Nummer eins. Findet eine weitere Nachricht mit terroristischem Hintergrund Eingang in die Berichterstattung, so erhält sie für diesen Sender die Nummer zwei. Dies wird so lange fortgeführt, bis der nächste Sender an diesem Tag analysiert wird. Dabei zählen lediglich Nachrichten über Terroranschläge oder kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten als relevante und somit zählbare Beiträge.
193
7.2.3
Nachrichtenstellenwert
Diese Kategorie soll den Stellenwert des Beitrages in der Sendung verdeutlichen. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, ob die Nachricht bei den Schlagzeilen erwähnt wird, ob sie als „breaking-news“ gekennzeichnet oder gar als Aufmacher – als sogenannte Top-News – Eingang in die Sendung findet. 7.2.4
Datum und Beitragslänge
Weitere quantitative Elemente der Inhaltsanalyse stellen das Datum sowie die Beitragslänge dar. Jeder Beitrag wird mit dem Ausstrahlungsdatum und der Beitragslänge festgehalten. Bei letzterem wird die Nachricht inklusive An- und Abmoderation in Sekunden festgehalten. 7.2.5
Darstellungsform
Bei dem Indikator „Darstellungsform“ wird der Typ des Beitrags festgehalten. Dabei ist zwischen:
194
Field Report: Beitrag mit Anmoderation und Bildbericht inklusive nicht journalistischer O-Töne. Stand Alone Field Report: Bildbericht inklusive O-Töne, jedoch ohne Anmoderation. Nachricht im Film mit Anmoderation und ohne Original-Ton: Das heißt man hört nur einen Sprecher aus dem Off (Übersprechen der Nachricht durch Stimme aus dem Off). Nachricht im Film ohne Anmoderation und ohne Original-Ton: zum Beispiel ein Kurzbeitrag in der Meldungsübersicht. Anchor-Report: Moderation im Studio mit Standbild beziehungsweise Graphik. Der/die Nachrichtensprecher/In verliest eine Nachricht. Infografik: Der/die Moderator/In erklärt anhand von Grafiken komplexe Sachverhalte. Kommentar/Analyse Live-Schaltung: Zum Beispiel ein Korrespondent vor Ort, das kann auch ein Interview sein. Studio-Interview: mit einem Interview-Partner im Studio Studio-Diskussion: mehr als ein Interview-Partner im Studio
7.2.6
Interview: Journalist interviewt einen Interviewpartner und andere Stilform- nicht zuordenbar zu unterscheiden.519 Nachrichtengeografie
Bei dieser Kategorie wird der Ereignisraum des Berichtes festgehalten und der Frage nachgegangen, welches Land thematisch betroffen ist. Dabei steht der geographische vor dem thematischen Bezug. Da das Codebook vor und während der Nachrichtenaufnahme zusammengestellt wurde, versuchte die Autorin, möglichst alle Teile der Welt abzudecken, da zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar war, welche Länder von terroristischen Anschlägen betroffen sein würden. Zudem wollte sie mögliche „große“ Terroranschläge wie beispielsweise jene vom 11. September 2001 kategorisch nicht ausschließen und war für Attentate aller Art vorbereitet. Folgende Länder standen daher zur Auswahl:
Israel Irak Palästinensische Autonomiegebiete: Gazastreifen, Westjordanland Afghanistan Pakistan Kirgistan Libanon Iran Saudi-Arabien Syrien Jordanien Ägypten Tunesien Algerien Marokko Sudan USA Nicht EU-Europa: wie zum Beispiel die Schweiz, Russland, Ukraine, Weißrussland, Türkei,… EU-Länder Jemen Sonstiges Afrika
519 Diese Darstellungsformen fußen auf das Codebook des Medienanalyseinstituts MediaWatch.
195
7.3 7.3.1
Lateinamerika Indien China Japan Australien und Ozeanien
Inhaltliche Berichterstattung Beitragshauptakteur
Bei der Kategorie „Beitragshauptakteur“ wird vercodiert, wer die Hauptakteure im Beitrag sind. Pro Beitrag können bis zu drei Hauptakteure zugeteilt werden, wobei diese nach ihrer Rangordnung festgehalten werden: So stellt Hauptakteur Eins den Primär-Akteur und Akteur Zwei den Sekundärakteur dar. Sind die drei Akteure in der inhaltlichen Berichterstattung gleichrangig, so wird jener Akteur als Primär-Akteur codiert, der als erster genannt wird oder im Bild erscheint. Da für diese Thematik kein bisher bekanntes Codebook in der Literatur aufscheint und dieser Bereich noch sehr wenig erforscht ist, wurden die meisten Beiträge der Medien analysiert und anhand dessen ein Akteurskatalog zusammengestellt. Akteure der Terrorismus-Kodieranleitung sind:
520
Tabelle 1:
Akteure der Terrorismusnachrichten; Quelle: eigene Darstellung
520 Die Kategorie „Palästinenser“ wurde deshalb extra herausgefiltert, da in den meisten Beiträgen klar von Palästinensern die Rede war. Dies wahrscheinlich auch deshalb, da sich viele Nachrichten explizit mit der Situation der Palästinenser nach der Operation „Gegossenes Blei“ in Gaza auseinandergesetzt haben.
196
7.3.2
Anschlagsarten/Form von Terrorismus
Ein Ziel der Analyse war es unter anderem, die einzelnen terroristischen Aktivitäten und Ereignisse speziell im Nahen Osten festzuhalten. Dazu zählt in erster Linie ein Verdeutlichen der Anschlagsarten, die sich während des sechsmonatigen Untersuchungszeitraums ereignet haben. Dabei unterscheidet man unter anderem zwischen „Suicide bombers“, Raketenanschlägen, Bombenanschläge auf öffentliche Gebäude und Einrichtungen, Explosionen und Autobomben. Anschläge auf symbolische Gegenstände, gezielte Tötungen, Brandanschläge, der Einsatz von Massenvernichtungswaffen oder die Verwendung von giftigen Chemikalien, Flugzeugentführungen, Kidnapping oder Luftangriffe zählen ebenfalls zu dieser Kategorie. Die Zusammenstellung dieser Kategorie erfolgte unter anderem durch ein Beobachten der internationalen Berichterstattung von terroristischen Aktivitäten sowie durch bereits begangene und verübte Taten. 7.3.3
Anschlagsorte
Hierbei wird verschlüsselt, an welchem Ort der Anschlag geschieht. So lassen sich unterschiedlichste Orte für diesen Indikator zuteilen. Neben der Straße, Pilgerstätten wie Moscheen oder Pilgerzüge, Botschaften, Tourismuseinrichtungen und Regierungsgebäude, sind auch Infrastruktur – wie Brücken, Flughäfen, Schmuggeltunnel – öffentliche Plätze und Wohnhäuser ein häufig gewähltes Ziel terroristischer Anschläge. Doch auch Menschenansammlungen – so genannte „soft-targets“ – und Luftwaffenstützpunkte können terroristischen Aktivitäten zum Opfer fallen.
7.4
Qualitatives Rahmenwerk
Kernelement des qualitativen Rahmenwerks ist der Transport von Inhalten sowie das Herausfiltern des Subtextes der Nachricht. Es gilt dabei zu verstehen, wie Journalisten dem Zuseher bestimmte Ereignisse näher bringen möchten. Werden die Zuseher in eine bestimmte Richtung gelenkt? Wird eher aus der Sicht der Opfer oder der Täter berichtet? Welche Reaktionen der Bevölkerung holen sich die einzelnen TV-Stationen ein? Wird mit Hilfe von musikalischer Umrahmung versucht, ein gewisses Stimmungsbild zu erzeugen? Da Bilder eine sehr große Wirkungskraft besitzen, spielt die visuelle Komponente bei der qualitativen Analyse eine ganz entscheidende Rolle. Besonders 197
bei dieser Variablen wird besonders deutlich beobachtet, welcher Bilder sich die Medien bedienen, um über bestimmte Ereignisse zu berichten. Generell stützt sich diese Untersuchung intensiv auf die qualitativen Elemente, da diese für die Forschungsfrage interessanter und aussagekräftiger erscheinen. Daraus lässt sich folglich die starke Gewichtung auf die qualitativen Frames erklären. Um die Ergebnisse der Analyse besser verstehen und nachvollziehen zu können, wird im Folgenden ein Überblick über die einzelnen Frames hergestellt. 7.4.1
Täter vs.Opfer
Bei dieser Variablen wird festgehalten, ob sich der Bericht eher auf die Täter oder auf die Opfer konzentriert. Das heißt, es wird abgewogen, ob eher die Täter oder die Opfer im Zentrum der Nachrichtenberichterstattung stehen. Man kann bei diesem Frame zwischen „eher Täter-zentriert“, „Opfer-zentriert“, „ambivalent“ oder „nicht zuordenbar“ auswählen. 7.4.2
Ausmaß des Schadens
Bei dieser Kategorie wird auf den Aspekt des Verlustes genauer eingegangen. Konzentriert sich die Nachricht eher auf materielle Verluste oder stehen das menschliche Leid und die Opfer im Zentrum der Berichterstattung? Sind beide Ausprägungen gleichermaßen stark vorhanden, so zählt dies zum Indikator „beides“. Ist gar nichts von den bereits beschriebenen Merkmalsausprägungen erkennbar, so wird die Kategorie „nicht zuordenbar“ vercodiert. 7.4.3
Einzelereignis vs. Gesamtereignis
Berichten Nachrichten eher über ein Einzelschicksal – wie zum Beispiel das Leid einer einzelnen Familie, Zerstörung und Auswirkung eines Terroranschlages – oder wird das Gesamtproblem beleuchtet und auf die politischen Hintergründe und Missstände, die zu einem Anschlag geführt haben, erörtert? Dabei kann man zwischen den Ausprägungen „Einzelereignis“, „Gesamtereignis“, „beides“ und „nicht zuordenbar“ auswählen.
198
7.4.4
Personalisierung der Täter/der Opfer
Bei diesem Frame wird der Frage nachgegangen, ob der Bericht persönliche Hintergründe der Terroristen oder der Terrorgruppe beleuchtet oder keine genaueren Erklärungen zu den Tätern und Opfern angegeben werden. Ähnlich setzt sich der Frame über die Personalisierung der Opfer zusammen. Hier unterscheidet man zwischen Berichten über Einzelschicksale, Gesamtschicksale und Nachrichten, die beiden Ausprägungen gleichermaßen viel Aufmerksamkeit schenken. 7.4.5
Reaktion der Bevölkerung
Mit Hilfe welcher Reaktionen untermauern die TV-Stationen ihre Berichte? Herrscht Zustimmung oder Empörung der Bevölkerung über terroristisches Vorgehen? Welche Gruppierung wird dabei vermehrt interviewt? 7.4.6
Reaktion der Betroffenen
Als nächsthöhere Stufe lässt sich die Kategorie „Reaktion der Betroffenen“ verstehen. Welche Interviewpartner werden für die Gestaltung der Nachrichten von den Journalisten gewählt? Welche Akteure finden Raum, ihre Meinung zu einem Anschlag in der Nachricht zu äußern? Dabei sind maximal drei Zuteilungen zulässig. Unterschieden wird zwischen:
Angehörige der Opfer Augenzeugen, Passanten Opfer Angehörige der Täter Täter oder Tätergruppen, die sich zum Anschlag bekennen Polizisten Militär Organisation Politiker andere Akteure keine Reaktion der Betroffenen
199
7.4.7
Verantwortlichkeit
Hierbei geht es um die Beantwortung der Verantwortlichkeit. Werden überhaupt Verantwortliche genannt? Die am meisten vorgekommenen Akteure wurden in der Kategorie „Verantwortlichkeit“ festgehalten. Dazu zählen neben dem Staat Israel auch die USA und die Palästinenser als Bevölkerungsgruppe. Zusätzlich sind die Terrororganisationen Al-Qaida, Hamas und Taliban zu nennen. Wenn keine der aufgezählten Akteure als verantwortliche Gruppe genannt wurde, lässt sich entweder die Kategorie „anderer Akteur“ oder „keine Verantwortung“ zuteilen. 7.4.8
Motiv
Geht der Beitrag auf politische Motive ein und werden Bezüge zum Anschlag hergestellt? Oder gehen die Journalisten von einer gewissen Vorkenntnis zur aktuellen Situation aus? Auch anhand dieses qualitativen Merkmals lässt sich viel über die bereits geschehene oder nicht vorhandene Sensibilisierung in der Bevölkerung zu einem gewissen Thema beobachten. Werden immer wieder Hintergründe beleuchtet, so kann man davon ausgehen, dass diese Thematik nicht täglich Eingang in die Nachrichten findet. Man unterscheidet hierbei zwischen „Motive werden erklärt“ und „Motive werden nicht erklärt“. 7.4.9
Proarabisch vs. Prowestlich/Proisraelisch
Diese Kategorie soll Aufschluss darüber geben, ob der Bericht in der Sendung eher proarabisch, also eine befürwortende Rolle für die Araber einnimmt oder eine prowestliche und proisraelische Position bezieht. Die prowestliche Position wurde mit der proisraelischen zusammengelegt, da im Laufe der Analyse verdeutlicht wurde, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Positionen bei den Medien gibt. 7.4.10
Faktor Religion
Aber auch die religiöse Komponente spielt eine bedeutende Rolle in dieser Untersuchung. Findet die Religion Eingang bei den Nachrichten über Terroranschläge? Werden zum Beispiel religiöse Gründe für terroristische Ausschreitungen genannt?
200
Dafür gibt es zwei Merkmalsausprägungen, die sich aus „proreligiös“ und „säkular/nicht zuordenbar“ zusammensetzen. 7.4.11
Musikalische Umrahmung/Geräusche
Die musikalische Umrahmung bei den Nachrichten ist in ihrer Wirkung auf das Publikum nicht zu unterschätzen, da die auditive Wahrnehmung beim Menschen neben den Augen eine der wichtigsten Funktionen bei der Gefahrenerkennung einnimmt. So erzeugen Schussgeräusche, Schreie und Explosionen automatisch ein Gefühl von Gefahr, während traurige Musik und weinende Menschen ein gewisses Maß an Mitgefühl wecken. Jubelnde, lachende und fröhliche Menschen hingegen werden in Verbindung mit Glück und Zufriedenheit gebracht. Anhand solcher Geräusche kann man bestimmte Ereignisse verstärken oder eben auch vermindern. Auszuwählende Faktoren sind hierbei: „Musikalische Umrahmung“, „Geräusche“ und „Stille“. 7.4.12
Angst vs. Sicherheit
In Verbindung zu der vorher angeführten Variable steht der Frame „Angst versus Sicherheit“. Dabei soll nach der Betrachtung des Beitrages beantwortet werden, ob eher ein Gefühl von Angst und ständiger Bedrohung beim Zuseher vorherrscht oder ein gewisses Gefühl von Sicherheit und Gewissheit besteht, dass sich keine weiteren Terroranschläge ereignen werden. Dazu zählt auch das Wissen in der Bevölkerung, dass Politik und Sicherheitspersonal die Lage unter Kontrolle haben und die Menschen vor weiteren Anschlägen beschützen können. 7.4.13
Qualität des Beitrags
Diese Variable beschäftigt sich mit der Qualität des Beitrags. Ist die Nachricht eher sachlich und faktenorientiert aufgebaut oder sind weniger sachliche Elemente vorzufinden? Lässt sich keine der beiden Kategorien erkennen, so wird die Ausprägung „nicht zuordenbar“ vercodiert.
201
7.4.14
Farbspiele bei den Berichten
Wird mit Hilfe von Farben dem Zuseher signalisiert, in welche Richtung der Beitrag geht? Kommt es bei verschiedenen Nachrichten zu einer farblichen Abgrenzung der Themen? Dabei fällt auf, dass bei kriegerischen Auseinandersetzungen und menschlichem Leid die Nachrichten eher mit dunklen, kalten und Grautönen gestaltet sind. Wird hingegen von einem neuen politischen Vorhaben im Zusammenhang mit dem Umgang einer bestimmten Terrorgruppe berichtet, so herrschen klare und helle Farben vor. Der Zuseher erkennt daher schon mit Hilfe der ersten Bilder, die er wahrnimmt, in welche Richtung der Beitrag gehen wird. 7.4.15
Wertung durch Journalisten
Diese Kategorie fußt auf Günther Lengauers Frame „Journalistische Interpretativität in der Politikvermittlung“ und setzt sich aus folgenden Ausrichtungen zusammen: Interpretativ, deskriptiv, äquivalent und neutral.521 Anhand dieser Ausprägungen wird untersucht, auf welche Weise der Beitrag durch die Wertungen der Journalisten geprägt wurde. Beschreiben die Journalisten in sachlicher Weise das Geschehen (deskriptiv), ist der Beitrag eher interpretativ oder neutral aufgebaut. Wenn gleich viele deskriptive wie interpretative Elemente vorhanden sind, wird der Indikator „äquivalent“ zugeteilt. Lässt sich keines der hier aufgezählten Elemente erkennen, so wird die Kategorie „nicht zuordenbar“ angefügt.
7.5 7.5.1
Visuelle Merkmale Verwendung von Symbolen
Diese Kategorie untersucht die in den Nachrichten vorkommenden Symbole und achtet darauf, welche davon am häufigsten Eingang in die Berichterstattung finden. Dabei gilt es zu beantworten, welche Symbole ein bestimmtes Gefühl bei den Zusehern wecken sollen. Oft werden Kinder in den Beiträgen gezeigt, um das Leid eines Anschlages noch mehr zu unterstreichen. Doch auch Fotos von Opfern, die bei den Anschlägen ums Leben gekommen sind, sollen der Nachricht
521 Lengauer, Günther: Postmoderne Nachrichtenlogik: redaktionelle Politikvermittlung in medienzentrierten Demokratien. Springer Verlag. Wiesbaden, 2007. S. 116.
202
einen persönlichen „touch“ verleihen und werden deshalb immer öfters mit eingebaut. Plakate und Flaggen signalisieren meist Herrschaft und Präsenz einer gewissen Gruppe in einem Land. Diese Variable soll Aufschluss darüber geben, mit welchen Symbolen die einzelnen Nachrichtensender arbeiten. Es sind maximal drei Zuteilungen zulässig, bei der Symbol Eins auch das am meisten präsente Symbol darstellt. Weitere Symbole sind:
Kinder verletzte Kinder weinende Frauen weinende Männer Schuhe von Opfern Fotos von Opfern Plakate Waffen Flagge USA Flagge Israel Flagge Palästinenser Flagge Nato weiße Flagge Flüchtlinge Blaulicht anderes Symbol keine visuellen Symbole im Bildbeitrag
7.5.2
Opfer: Verwendung von Bildern
Dieser Frame soll jene Bilder verdeutlichen, die die einzelnen Medien verwenden um auf das Leid der Opfer aufmerksam zu machen. Gleichzeitig sollen sie auch die Zuseher vor ihren Fernsehgeräten fesseln. Welche Bilder werden am häufigsten in Verbindung mit terroristischen Anschlägen gezeigt? Hier sind maximal drei Bildtypen zuteilbar, wobei das Erstzugeteilte das am meisten vorgekommene darstellt. Zu unterscheiden sind Bilder von Verletzten, weinenden Angehörigen, Kindern, Fotos von Opfern, Schuhe und Kleidungsstücke der Verletzten. Aber auch Bilder der Ambulanz und von Sanitätern, Politikern und von Militär gehören zu dieser Kategorie. Der Frame „weitere Bilder“ umfasst jene Bilder, die nicht in der oben geführten Aufzählung vorkommen. Zudem kann die Ausprägung „keine visuellen Bilder der Opfer“ vercodiert werden. 203
7.5.3
Visueller Umgang mit Toten
Auch der Umgang mit Toten im Fernsehen wird genau beleuchtet. Dabei wird festgehalten, wie die Nachrichtensender mit dem Tod in ihren Beiträgen umgehen. Halten sich die einzelnen Medien an den vorgeschriebenen Ethik-kodex? Werden dennoch Bilder von Toten gezeigt, so soll herausgefunden werden, welche dies sind. Hierbei wird zwischen mehreren Indikatoren unterschieden:
Tote Tote verdeckt: beispielsweise mit einem Tuch Särge bereits aufgeräumter Schauplatz anderes Bild keine Toten präsent
7.5.4
Täter: Verwendung von Bildern
Werden auch Bilder der vermeintlichen Täter gezeigt? Wie werden diese dargestellt? Auch hierbei gilt es herauszufinden, welche Bildarten der Täter in den Medien vorkommen. Zu verschlüsselnde Kategorien sind dabei: Vermummte Krieger, bewaffnete Krieger, einzelne Täter, eine Tätergruppe, Angehörige der Täter sowie Fotos oder Bilder der Täter. Natürlich können auch andere Formen der Täterbilder in die Nachrichtenberichterstattung Eingang finden. Falls keine Bilder von mutmaßlichen Tätern vorhanden sind, wird die Kategorie „keine Täter im Bildbeitrag“ angeführt. 7.5.5
Anschlagsort: Verwendung von Bildern
Der Anschlagsort und der Transport der Bilder sind wichtige Elemente in der Analyse der Medienberichterstattung von terroristischer Gewalt. Welche Bilder bieten sich uns nach einem Attentat? Welche werden vor allem via Medien an das Publikum ausgestrahlt? Dabei unterscheiden wir zwischen: 204
zerstörten Häuser und Gebäude zerstörte Autos Aufräumarbeiten Blut
Ambulanz, Sanitäter Suche nach Verschütteten Menschenmassen Soldaten, Polizisten Militär Flüchtlingslager andere keine Bilder des Anschlagortes
7.5.6
Anschlagswaffe: Verwendung von Bildern
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Analyse der Berichterstattung über terroristische Anschläge sind die Anschlagswaffen. Wie gehen die Sender mit Bildern von Waffen um? Werden überhaupt Waffen gefilmt oder bekommen wir nur das Endergebnis einer Waffennutzung zu sehen? Für diesen Frame gibt es wiederum mehrere Auswahlmöglichkeiten: Raketen, Schusswaffen und Maschinengewehre, Explosionen, Feuer und Rauch zählen zu den Merkmalen. Aber auch Explosionskörper, so genannte Überbleibsel von eingeschlagenen Bomben und Waffen werden nicht selten in Verbindung mit terroristischen Aktivitäten gefilmt und verbreitet. Die Kategorie „weitere Waffen“ deckt all jene ab, die nicht aufgezählt wurden. Falls keine Waffen oder Explosionskörper ins Bild rücken, lässt sich der Indikator „keine Waffen im Bildbeitrag“ zuordnen. 7.5.7
Kameraführung
Die Variable „Kameraführung“ soll festhalten, wie die Kameraführung während des Nachrichtenbeitrags ausfällt. Unruhige, mit vielen Schnitten versehene Bilder vermitteln dem Zuseher Action und „Spannung“. Eine ruhig gehaltene Kameraführung mit diskreten Abständen zum Geschehen wird meist bei sachlichen und faktenorientierten Nachrichten beobachtet, die sich gleichzeitig klar vom Sensationalismus abgrenzt. Hierbei soll untersucht werden, welche Kameraführung bei den Sendern vorwiegend vorkommt. Da lediglich ein Typ der Kameraführung eher selten vorkommt, erfolgt die Zuteilung anhand des meist vorgekommenen Typus. Zu unterscheiden sind folgende Arten:
subjektive Kamera: Direkte Visualisierung der Dinge wie sie sich dem Hauptakteur präsentieren, diese sind meist unruhig. Dazu zählen auch Amateuraufnahmen. 205
206
Nahaufnahmen diskrete Abstände vom Geschehen Totale: Sie verschafft dem Zuseher einen Überblick und ermöglicht eine Orientierung über Ort und Rahmen eines Geschehens. neutrale Aufnahmen Großaufnahme: Hier ist nur noch das Hauptmotiv zu sehen von der Umgebung bekommt der Zuseher nur noch Bruchstücke mit. nicht erkennbar
8 Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse
Ausgangspunkt für die Interpretation der Analyseergebnisse bilden die n=680 relevanten Nachrichtenbeiträge, welche aus einer 6-monatigen Medienuntersuchung hervorgegangen sind und mit 16 Stunden und 36 Minuten in die Analyse eingehen. Dabei wird vorerst auf die Anzahl der Beiträge der drei Nachrichtensender und ferner anhand von Häufigkeits- und Kreuztabellen auf Besonderheiten in der journalistischen Berichterstattung eingegangen. Aufgrund der thematischen Einschränkung fand keine Vollerhebung der Nachrichten statt. Es wurden lediglich Beiträge vercodiert, die terroristische Anschläge behandelten oder über terroristische Aktivitäten berichteten. Für eine Abrundung der empirischen Ergebnisse erklärten sich einige AlJazeera English Journalisten zur Beantwortung der Interviewfragen bereit. Da es aus zeitlichen wie organisatorischen Gründen nicht möglich war die Journalisten vor Ort (in Katar) zu interviewen, wurden anstelle dessen Email-Interviews durchgeführt. Aufgrund zeitlicher Engpässe ihrerseits wurden jedoch nicht alle Fragen beantwortet, weshalb einige andere Fragen beantwortet haben, als andere. Deren Statements werden im folgenden Abschnitt angeführt.
8.1
Anzahl der Nachrichtenbeiträge und Sendezeiten der Sender
Im Beobachtungszeitraum von rund sechs Monaten berichtet AJE News 332 Mal über Terroranschläge, BBC 187 Mal und CNN 161. Somit zeigt die Analyse eindeutig, dass die englische Version des Nachrichtensenders Al-Jazeera am häufigsten über terroristische Anschläge und Aktivitäten berichtet und somit die Hypothese 1 bestätigt werden kann. Dies mag einerseits auf die geographische Lage des Nachrichtensenders (Doha/Katar), aber auch auf den Grad der Betroffenheit zurück zu führen sein. Für die Journalisten von Al-Jazeera English haben terroristische Anschläge in ihrer Region einen ganz anderen Stellenwert wie für jene von CNN oder BBC. Da die Anschläge quasi in unmittelbarer Nähe stattfinden, ist ein Auswahlkriterium für die Nachrichtengestaltung bereits gegeben: die thematische und geographische Nähe. Viele Menschen – und daher auch Zuseher und -hörer von AJE – sind durch eine geographische oder emotionale Nähe an der Berichterstattung interessiert. Hypothese 2 kann aufgrund der empirischen 207 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Ergebnisse bestätigt werden. Wichtige journalistische Auswahlkriterien sind bereits durch die Lage und der Emotionalität gegeben. Die Terrorberichterstattung hat bei Al-Jazeera English einen höheren Stellenwert als bei den anderen zwei Sendern. Etwas differenzierter betrachtet diese Feststellung ein Moderator von Al-Jazeera English, der folgendes dazu meint: „We cover events that affect people’s lives - whether environmental conferences, bombings, ground invasions or the football world cup. And we try to approach the story as sincerely and professionally as possible.“522 Folglich besitzt – laut Garda – die Terrorberichterstattung bei Al-Jazeera English keinen höheren Stellenwert als bei CNN oder BBC. Sie versuchen lediglich über aktuelle Ereignisse möglichst sachlich und informativ zu berichten. Insgesamt handeln 332 Nachrichtenbeiträge bei AJE von Terroranschlägen, Terroraktivitäten oder kriegerischen Auseinandersetzungen in Verbindung mit Terrorismus. Dies sind rund 49 Prozent aller erhobenen Beiträge. Mit rund 28 Prozent folgen die Nachrichten bei BBC World News, die sich mit 187 Beiträgen diesem Thema widmen. CNN World News senden 161 relevante Nachrichten während des gesamten Analysezeitraums und befinden sich mit rund 24 Prozent etwas hinter der britischen BBC. TV-Sender
Häufigkeit
Prozent
AJE
332
48,8
CNN
161
23,7
BBC
187
27,5
Gesamt
680
100
Tabelle 2: Absolute Häufigkeiten der relevanten Beiträge im Sendervergleich; Quelle: eigene Darstellung Dabei ist anzumerken, dass das Nachrichtenformat während des gesamten Untersuchungszeitraumes dasselbe war und somit täglich 30 Minuten an Nachrichten pro Sender aufgezeichnet wurden. Lediglich bei BBC World News kam es ab und an zu Problemen bei der Live-Aufnahme: Bei diesem Sender wurde bei einigen Tagen fälschlicherweise nur ein „summary“ der Nachrichten registriert. Es kann deshalb sein, dass bei der Kategorie „BBC“ einige Nachrichtenbeiträge nicht aufscheinen. Bei den Tagen, von denen nur ein summary vorhanden ist, wurden dennoch die darin vorkommenden Nachrichten vercodiert. Somit können lediglich geringe Abweichungen vor allem in der Beitragslänge vorhanden sein. 522 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010.
208
Da ein Erwerb der Nachrichten außerhalb des möglichen finanziellen Rahmens steht, wurde davon abgesehen. Zur besseren Veranschaulichung der Verteilung der Nachrichtenbeiträge dient dieses Balkendiagramm: Die Ergebnisse sind in Prozent gehalten.
Abbildung 5:
Prozent der Anzahl der Beiträge im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
Man kann eine ungleiche Verteilung von Terrorismusnachrichten bei den einzelnen Nachrichtensendern beobachten. Dieses Ergebnis beeinflusst folglich auch die weitere Analyse der einzelnen Kategorien. Monate
AJE
CNN
BBC
Februar März April Mai Juni Juli Gesamtsendezeit
1h 8 min 1h 43 min 1h 8 min 1h 39 min 2h 7 min 42 min 8h 24 min
25 min 1h 10 min 37 min 57 min 44 min 16 min 4h 6 min
44 min 55 min 33 min 51 min 45 min 15 min 4h
Tabelle 3: Sendezeit der analysierten Beiträge pro Nachrichtensender Quelle: eigene Darstellung
209
Bei der Betrachtung der Sendezeiten steht Al-Jazeera English an vorderster Stelle. Der Sender berichtet mit 8 Stunden und 24 Minuten am längsten und häufigsten über terroristische Aktivitäten und Anschläge. Das Sendeformat BBC World News widmet vergleichsweise mehr Aufmerksamkeit (absolute Häufigkeit) den Anschlägen im Nahen Osten als CNN World News, informiert allerdings mit vier Stunden ihre Zuseher etwas kürzer als CNN. Die amerikanische Nachrichtensendung CNN World News geht mit vier Stunden und sechs Minuten lediglich einige Minuten länger als ihr britisches Pendant auf Sendung. Der Sendervergleich verdeutlicht, dass Al-Jazeera English häufiger und somit länger über terroristische Nachrichten berichtet als dies die anderen beiden Sender machen. CNN und BBC liegen in Bezug auf ihre Sendezeit in etwa dem gleichen Bereich. AJE berichtet mehr als doppelt so lang über das Untersuchungsthema wie CNN oder BBC. 8.1.1
Zeitverlauf der Nachrichten
Folgende Grafik liefert einen Überblick über den zeitlichen Verlauf und die Entwicklung der Berichterstattung über terroristische Anschläge bei den drei Nachrichtensendern. Zur besseren Veranschaulichung wurde eine Unterteilung nach Kalenderwochen (KW) vorgenommen. Die Ausprägungen ergeben sich aus den absoluten Häufigkeiten der Nachrichten bei den einzelnen Sendern. An dieser Stelle ist anzumerken, dass anhand der Anzahl der Berichterstattungen keineswegs Aussagen über die Intensität der Anschläge gemacht werden können.
210
Abbildung 6:
Zeitverlauf der Nachrichten Quelle: eigene Darstellung
*KW 6: 4.2. –8 .2.2009 Bei den Nachrichten von Al-Jazeera English, CNN World News und BBC World News kann man einen deutlichen Anstieg an terroristischen Beiträgen von der Kalenderwoche sechs (4.2.-8.2.2009) bis sieben (9.2.-15.2.2009) verzeichnen. Thematisch ereigneten sich während dieser Tage mehrere Anschläge in Pakistan und Afghanistan. In Pakistans Swat Valley hatten die Taliban unter der Führung von Mullah Fazlullah mehrere Anschläge verübt, weshalb sich die Situation für die pakistanische Bevölkerung im Swat Valley immer mehr zuspitzte. Dies vor allem auch deshalb, da der militante Islamistenführer Fazlullah in der ehemals friedlichen Region ein Sharia Emirat ausgerufen hatte. Die pakistanischen Taliban zerstörten bereits über 200 Schulen, um den Mädchen den Schulbesuch zu verweigern, da dies laut islamischen Rechts nicht erlaubt sei. Immer häufiger wurden in Pakistan und im benachbarten Afghanistan Mädchenschulen von den Taliban angegriffen.523
523 Giftgasanschlag auf Mädchenschule. Spiegel Online. http://www.spiegel.de/politik/ausland/ (2.2.2010).
211
Im Zuge der zunehmenden Talibanisierung und der vermehrten Anschläge wurden mehrere „security officers“ in Pakistan zum Ziel des Anschlages. Die militanten Kämpfer sprengten weiters eine wichtige Brücke der NATO-Truppen und unterbanden damit eine weitere Versorgung. Nach und nach wurde die Region von den Terroranschlägen der militanten Kämpfer eingenommen und die Welle der Gewalt nahm zu: Ein Selbstmordattentäter zündete eine Bombe während einer Prozession vor einer Shia Moschee in Islamabad, bei einem Anschlag vor einem security-checkpoint wurden acht Polizisten getötet, die pakistanische Armee zerstörte darauf bei einem Gegenanschlag fünf Kampflager der Taliban und tötete 52 militante Kämpfer. Aufgrund der zunehmenden Gewaltwelle und der instabilen Sicherheitslage flüchtete die Zivilbevölkerung aus dem Swat Tal. Die pakistanische Regierung handelte mit den Taliban eine 10-tägige Waffenruhe aus, um der Bevölkerung die Flucht aus den betroffenen Gebieten zu ermöglichen. Eine ähnliche Situation lässt sich während dieses Zeitraumes in Afghanistan beobachten. Auch hier nahmen die Anschläge der Taliban zu, diese konzentrierten sich jedoch auf militärische Anschlagsziele statt auf die Zivilbevölkerung. Infolgedessen kamen bei mehreren Anschlägen zwei US-Soldaten ums Leben. Eine ganze Anschlagsserie ereignete sich einen Tag vor dem Besuch des amerikanischen Afghanistan-Beauftragten Richard Holbrooke, die 20 Menschenleben forderte. Eine weitere Machtdemonstration der Taliban führte zu Anschlägen gegen drei Regierungsgebäude in Kabul. Die Taliban und deren Führer Mullah Omar verdeutlichten damit, dass sie auch in Kabul jederzeit gegen die Regierung und deren hoch aufgelegte Sicherheitsvorkehrungen ankämpfen können und wiesen somit auf die instabile und unsichere Lage in Afghanistan hin. Auch die Gefängnisverwaltung im Norden Kabuls wurde angegriffen. Der Taliban-Sprecher Sabihulla Mudschahed erklärte, dass insgesamt zehn Attentäter nach Kabul geschleust wurden, um dort das Justizministerium anzugreifen. Ziel sei es, auf die miserablen Bedingungen des Gefängnisses Pul-e-Charki im Osten Kabuls aufmerksam zu machen. In diesem Gefängnis sind hunderte Taliban-Kämpfer inhaftiert.524 Im Irak kam es zu verschiedenen Anschlägen, die sich hauptsächlich gegen Kurden im Land richteten. Grund dafür sind ethnische Spannungen, die sich seit den vorangegangenen Regionalwahlen zuspitzten. Doch auch Shia-Pilger wurden immer häufiger zum Ziel der Terroristen. Der Konflikt zwischen Israel und dem Gaza-Streifen wurde in dieser Woche thematisiert, indem die Journalisten von einem israelischen Luftangriff auf die 524 Gebauer, Matthias; Najafizada, Shoib: Terror in Afghanistan. Taliban-Kämpfer blamieren Karzais machtlose Polizei. In: Spiegel online. 11.2.2009.
212
Schmuggeltunnel im Gazastreifen hinwiesen. Der Angriff wurde als Antwort auf die Raketenanschläge aus Gaza verstanden. Al-Jazeera English sendete vor allem Beiträge über die Situation der palästinensischen Bevölkerung in Gaza nach dem Krieg mit Israel. Des Weiteren verhandelten Israel und die Hamas über ihre zukünftige Vorgehensweise. Ein weiterer Konfliktherd ließ sich ein Jahr nach dem Mumbai-Attentat zwischen Indien und Pakistan beobachten, da sechs der acht Attentäter aus Pakistan stammen und deren Anschlag in Pakistan geplant haben sollen. In den darauffolgenden Untersuchungswochen (KW 8 und 9) verminderten sich die Beiträge erheblich, was sich jedoch innerhalb der nächsten sieben Tage änderte und der Wert wieder anstieg. In der achten Kalenderwoche (16.2.22.2.2009) berichteten die Nachrichtenstationen über den zunehmenden Konflikt im Swat Valley und beleuchteten die Situation in Pakistan. Die pakistanische Regierung hatte der Forderung der Taliban nachgegeben und die Scharia als islamisches Rechtssystem in der Region Malakand – zu der auch das Swat Tal gehört – eingeführt. Im Gegenzug sollten dafür die Kämpfer die Gewalt in der Region einstellen. Die Taliban hielten sich jedoch nicht an die Vereinbarung und bedrohten stattdessen die Nachbarbezirke, die immer mehr von ihnen kontrolliert wurden.525 Es folgte eine große pakistanische Offensive gegen die Taliban, die auch von den USA unterstützt wurde. Wie instabil die Lage in Pakistan ist, zeigt folgendes Beispiel, bei dem sich ein Terrorist während einer Begräbnisprozession live vor den Augen der Kameramänner in die Luft sprengte und 27 Personen mit in den Tod riss. Auch im Irak kam es immer wieder zu Terroranschlägen, unter anderem wurden bei der Explosion einer Straßenbombe acht Pilger getötet. Afghanistan rückte durch das amerikanische Vorhaben, mehr US-Truppen ins Land zu entsenden, vermehrt ins Zentrum der Berichterstattung. Mit Hilfe von zusätzlich 17.000 Mann sollte im Land Stabilität und Sicherheit wiederhergestellt werden. Nach der Verkündung dieses Beschlusses wurden Nachrichten von US-amerikanischen Luftangriffen bekannt, die 13 zivile Opfer gefordert hatten, obwohl das amerikanische Militär von 15 getöteten Taliban Kämpfern sprach. Ein Taliban-Anhänger formulierte gegenüber AJE die Bedeutung von zusätzlichen Truppen im Land und erklärte, dass mehr Truppen in Afghanistan den Taliban lediglich mehr Angriffsfläche bieten würden. Auch in dieser Woche wurden die kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen medial behandelt. Vor allem die Berichterstattung von Al-Jazeera English unterschied sich zu den anderen Sendern durch ein besonders starkes 525 Pakistans Armee soll Taliban eliminieren. http://www.stern.de/politik/ausland/swat-talpakistans-armee-soll-taliban-eliminieren-700176.html (3.2.2010).
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Hervorheben der palästinensischen Schicksale. Die Medien berichteten über einem von der Hamas gekidnappten israelischen Soldaten, der erst dann freigelassen werden sollte, wenn die Grenze zum Gazastreifen wieder geöffnet wird. Doch auch zwischen Israel und dem Libanon kam es zu heftigen Raketenbeschüssen. Wer für die Anschläge verantwortlich war, wurde nicht erwähnt. In der neunten Kalenderwoche (23.2.-1.3.2009) berichteten die Medien über die Situation in Pakistan und den Anschlägen, die von den Taliban verübt worden waren. Im Swat Valley herrschte vorübergehend Waffenstillstand mit den Taliban. Grundlage dafür war der vor kurzem unterzeichnete Vertrag mit ihnen. Dieser sah zudem die freiwillige Entwaffnung der Taliban in diesem Gebiet vor. In Afghanistan und im Irak explodierten während dieser Woche mehrere Bomben. Auch Afghanistan wurde in dieser Woche thematisiert, unter anderem setzte sich Amnesty International mit der Frage der Verantwortung für den Krieg in Gaza auseinander und betonte, dass die Waffen und die Art und Weise, wie sie benutzt worden waren, regelwidrig seien. Der Nahost-Gesandte Tony Blair äußerte sich über die äußerst prekäre Situation zwischen Israel und dem Gaza-Streifen und wollte die Hamas in den Prozess der Friedensfindung mit einbeziehen. In Kairo wurde nach Angaben der ägyptischen Sicherheitskräfte eine Bombe in einem Touristenviertel gezündet. Einen Verantwortlichen konnten die Medien nicht nennen. In der zehnten Kalenderwoche (2.3. – 8.3.2009) wurden vermehrt relevante Nachrichten wahrgenommen. Mit Hilfe mehrerer Rückblicke kamen erneut Berichte über den Krieg in Gaza vor. Die Spannungen zwischen den Israelis und den Palästinensern erreichten in dieser Woche neue Dimensionen, da bei einem israelischen Raketenangriff drei Palästinenser getötet wurden und bei Demonstrationen gegen die israelische Siedlungspolitik auf Demonstranten in der West Bank geschossen wurde. US-Außenministerin Hillary Clinton nahm sich diesem Problem an und reiste in den Nahen Osten, um eine Zwei-Staaten-Lösung mit den betroffenen Parteien zu besprechen. Pakistan wurde in dieser Woche zum Schauplatz internationaler Nachrichtenberichterstattung: Bei einem Besuch zu einem Länderspiel beschossen bewaffnete Terroristen die sri-lankische Kricketnationalmannschaft. Dabei starben insgesamt acht Personen, wobei alle Teammitglieder den Anschlag überlebt hatten. Verantwortliche Personen konnten zu diesem Zeitpunkt noch keine genannt werden. Bei weiteren Anschlägen im Land starben bei einem Selbstmordanschlag auf eine Moschee mindestens 15 Menschen, und in Peshawar verübten militante Kämpfer einen Anschlag mit einer neuen Taktik: Dabei gaben sie einen bereits toten Menschen in einen Lieferwagen und als die Sicherheitskräfte den Toten bergen wollten, zündeten die Täter mit Hilfe einer Fernsteuerung den Sprengstoff und verursachten somit zahlreiche Tote. 214
Auch im Irak forderte ein Bombenanschlag vor einer Polizeistation zahlreiche Opfer. Wenige Tage zuvor ereigneten sich mehrere Anschläge, unter anderem auch auf einem öffentlichen Markt. Die Täter konnten jedoch nicht ausgemacht werden. Die Anschläge in Mumbai im Jahr 2008 wurden erneut medial thematisiert, da eine Verbindung zu Pakistan hergestellt wurde. Während der elften Kalenderwoche (9. März bis inklusive 15. März 2009) berichteten die Journalisten von Al-Jazeera English am wenigsten über terroristische Aktivitäten, Anschläge und Auseinandersetzungen. Lediglich fünf Beiträge waren als untersuchungsrelevant zu codieren. Darunter fielen ein Selbstmordanschlag auf einen Markt im Irak, die Kämpfe der Taliban in Afghanistan, ein Selbstmordanschlag in Kabul, der Anschlag auf ein NATO-Depot in Pakistan sowie ein Angriff auf einen amerikanischen Friedensaktivisten in der West Bank, der von der israelischen Armee mit Tränengas beschossen wurde. Auch bei den anderen zwei Sendern wurde vergleichsweise wenig über Terroranschläge berichtet. CNN und BBC meldeten eine Explosion im Jemen, bei der fünf Touristen ums Leben kamen. In Afghanistan wurde erneut eine Schule Opfer eines Giftgasanschlages der Taliban und in Kabul attackierte ein Selbstmordattentäter Patrouille-Truppen der NATO. Insgesamt betrachtet ereigneten sich jedoch während der Kalenderwoche elf weniger Anschläge als in den vorangegangenen Wochen. In den folgenden Untersuchungswochen stieg die Häufigkeit der Berichte über Anschläge bei Al-Jazeera English kontinuierlich bis zur Kalenderwoche 14 an. Bei CNN und BBC konnte man einen Anstieg bis zur KW 13 beobachten, anschließend verringerten sie sich etwas. Zwischen der zwölften (16.3.-22.3.2009) und 14. Kalenderwoche (30.3.5.4.2009) berichteten alle drei Sender über Anschläge verschiedenster Art in Afghanistan, die zahlreiche Opfer forderten. Doch nicht nur zivile Personen wurden bei Anschlägen getötet, auch talibanische Kämpfer kamen bei kriegerischen Auseinandersetzungen ums Leben. Der afghanische Präsident Hamid Karzai und seine Regierung wurden immer häufiger Ziel terroristischer Gewalt. Auch Pakistan galt während dieser Zeit als Konfliktherd im Nahen und Mittleren Osten. In der zwölften Woche explodierte eine Bombe, die 16 Menschen tötete, bei einer Busstation, und eine Rakete der Taliban tötete zehn Menschen. Gleichzeitig wurden die Amerikaner von Pakistan und Afghanistan kritisiert, da bei ihren Raketenangriffen etliche zivile Personen ihr Leben lassen mussten. In den darauffolgenden Wochen explodierten Bomben im Zentrum von Islamabad, in einem Restaurant, in einer Moschee sowie bei einer Polizeiakademie in Pakistan. Bei einigen Anschlägen konnten die Taliban als verantwortliche Gruppierung ausgemacht werden. In Folge dessen versuchten die USA verschie215
dene Hochburgen der Taliban mit Raketenbeschuss zu zerstören – dabei wurden aber immer häufiger Zivilpersonen Opfer der Anschläge, weshalb die Stimmung innerhalb der Bevölkerung sich immer mehr gegen die Amerikaner wendete. Der afghanische Politiker Maulawi Arsala Rahmani – der einst als Religionsminister für die Taliban fungierte – stellte in einem Interview mit dem ARD-Reporter Kai Küstner klar: „Die Amerikaner können mit ihren modernen Waffen vielleicht eine Regierung stürzen, wie im Irak oder in Afghanistan. Aber was wir hier haben, ist eine Guerilla-Bewegung. Je mehr die Amerikaner töten, umso stärker wird sie. Dann wird dieses Land für immer im Krieg sein.“526 Die Medien berichteten zudem über den Irak-Krieg im Jahr 2003 und den Folgen, mit denen die Bevölkerung noch bis heute leben muss. Noch immer wird das Land von gewaltvollen Anschlägen heimgesucht, weshalb irakische und amerikanische Truppen gemeinsam gegen die weit verbreitete Al-Qaida ankämpften. In dieser Woche kam es zu einem Selbstmordanschlag während einer Begräbnisfeierlichkeit, wobei der anwesende lokale Politiker Hamid Hudada das mögliche Ziel der Terroristen darstellte. Zudem explodierten je eine Autobombe in einem Einkaufsviertel und vor einer Polizeistation. Doch auch die Ereignisse rund um den Krieg im Gaza-Streifen beherrschten die mediale Berichterstattung der drei Nachrichtenstationen. Das Geständnis einiger israelischer Soldaten, bewusst auf die Zivilbevölkerung geschossen zu haben sowie die Verwendung weißen Phosphors gegen die palästinensische Bevölkerung, löste großes mediales Interesse aus. Immer wieder kam es zudem zu Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Demonstranten, die gegen den israelischen Siedlungsbau demonstrierten, und der israelischen Armee, zahlreiche Verletzte waren dabei das Ergebnis des Zusammenstoßes. Auch in der Westbank attackierte ein Palästinenser eine Gruppe israelischer Kinder mit einer Axt, wobei ein 13-jähriger Junge verstarb. Auslöser für diese Tat war der Unmut über den israelischen Siedlungsbau. Zudem nahm man in der Westbank zehn Hamas-Führer fest. Indien und Pakistan waren größtenteils wegen der beginnenden Gerichtsverhandlung der Mumbai-Anschläge im Jahr zuvor medial thematisiert worden. Im Libanon tötete eine Straßenbombe den palästinensischen Fatah-Führer Kamal Medhat zusammen mit seinen vier Leibwächtern, wobei keine Verantwortlichen genannt wurden. Des Weiteren berichteten die Sendestationen über den Israel-Libanon-Krieg im Jahr 2006, bei dem die Reporter über die tägliche Gefahr von Minen für die Bevölkerung sprachen. Den niedersten Wert an Terrornachrichten konnte man bei CNN in der 14. Kalenderwoche (30.3.-5.4.2009) beobachten: Lediglich ein relevanter Beitrag 526 Reden mit den Taliban. http://www.tagesschau.de/ausland/taliban152.html (2.2.2010).
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(Autobombe in Pakistan) fand Eingang in die Berichterstattung. Im weiteren Zeitverlauf waren Auf- und Niedergänge bei den Nennungen zu verzeichnen, die in der 19. Analysewoche den Höchstwert anzeigten. Zwischen der 15. und 18. Kalenderwoche waren zwar weniger Anschläge als in der KW 19 zu beobachten, dennoch ereigneten sich einzelne terroristische Attentate. In der KW 15 (6.4.-12.4.2009) explodierte im Irak eine Autobombe in einem schiitischen Viertel, die 32 Menschenleben forderte. Zudem wurde eine Autobombe in der Nähe einer Moschee gezündet und eine Straßenbombe detonierte in Bagdad. Zwei Selbstmordattentate richteten sich zum einen gegen die irakische Polizei und zum anderen gegen das irakische Militär. Al-Qaida konnte als verantwortliche Terrorgruppierung beim Anschlag gegen die Polizisten identifiziert werden. Die Taliban lenkten das internationale Medieninteresse nach Pakistan, nachdem sie eine Frau wegen unmoralischen Verhaltens ausgepeitscht hatten. Ein Sprecher der Taliban hatte die Bestrafung durch mehrere Stockhiebe als „gerecht“ bezeichnet, da die unverheiratete Frau eine sexuelle Beziehung mit einem fremden Mann unterhielt.527 Aufgrund der kritischen Situation in Pakistan wurde erneut ein Friedensabkommen ausgearbeitet, an welches sich die Taliban jedoch nicht hielten. Sie verkündeten, die Bevölkerung so lange zu terrorisieren, bis sich die USA aus ihrem Land zurück ziehen würden. In Afghanistan wollten die Amerikaner Stabilität und Sicherheit im Land herstellen und versuchten somit, möglichst viele Taliban und deren Anhänger zu töten. Doch immer häufiger forderten diese Angriffe zivile Opfer. In der Türkei wurden einige Mitglieder von Al-Qaida verhaftet, die für die Truck-Bombings in Istanbul im Jahr 2003 verantwortlich gemacht wurden. In der darauffolgenden Untersuchungswoche (13.4.-19.4.2009) konnten weniger Berichte über Terroranschläge verzeichnet werden. In Pakistan kam es zu drei Selbstmordattentaten, zu denen sich jedoch keine Gruppierung bekannt hatte. Als weiteren Höhepunkt berichteten die Medien über den umstrittenen Geistlichen Maulana Abdul Aziz, der zwei Jahre nach seiner Verhaftung freigelassen wurde und den Jihad verkündete, um das islamische Gesetz zu stärken. Auch im Irak kam es zu Selbstmordattentaten. In Afghanistan versuchten zwei Selbstmordanschläger den Minister Abdul Karim Brahawi in seinem Haus zu töten. Der Minister „of refugees resettlement“ überlebte den Anschlag, drei Zivilisten starben jedoch.
527 König, Hilmar: Gewaltwelle in Pakistan. Tote bei US-Raketenangriff. Proteste gegen „TalibanRecht“. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Pakistan/taliban4.html (2.2.2010).
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Die Westbank wurde aufgrund der Demonstrationen gegen den israelischen Siedlungsbau erneut thematisiert. Jener palästinensische Demonstrant, der einige Tage zuvor an einem Tränengas-Angriff der israelischen Armee verstorben war, wurde an diesem Tag begraben. Im Gaza-Konflikt kam es zu einem Durchbruch: Israel wurde der Kriegsverbrechen beschuldigt. In der 17. und 18. Woche (20.4.-26.4.2009; 27.4.-3.5.2009) überschlugen sich die Ereignisse in Pakistan. Fast täglich kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen der Armeen mit den Taliban. Während der 17. Kalenderwoche erklärten dann Politiker in Islamabad, dass sich die Taliban zurück ziehen würden und die Regierung ein Friedensabkommen mit ihnen ausgehandelt hätte. Wenige Tage später kämpften sie jedoch erneut und das Abkommen galt als gescheitert. Folglich wurde die militärische Offensive verstärkt und zahlreiche Luftangriffe gegen die Taliban geflogen, bei denen einige Kämpfer ums Leben kamen. Die Situation für die Bevölkerung wurde dramatisch und schon bald sprachen die Journalisten von einer humanitären Katastrophe. Im Irak berichteten die Medien über einen starken Anstieg der Gewalt, welcher durch mehrere Selbstmordattentate – bei denen insgesamt rund 95 Personen ums Leben kamen – belegt wurde. Größtenteils handelte es sich bei den Opfern um iranische Pilger. Anschlagsziele waren ein Shia-Heiligtum in Bagdad sowie ein vollbeladener Bus mit Pilgern. Die Sicherheitslage in Afghanistan spitzte sich derart zu, dass Präsident Karzai die Feierlichkeiten zum Nationaltag kurzfristig absagte. Ein Jahr zuvor hatten bereits militante Taliban Anhänger versucht ihn zu töten. Der erwartete Anschlag folgte wenige Tage nach den abgesagten Feierlichkeiten: Ein Selbstmordattentäter hatte sich vor dem Regierungsgebäude in Kabul in die Luft gesprengt. Die Ereignisse rund um den Gaza-Streifen fanden auch in dieser Woche Eingang in die Berichterstattung, da bei einem israelischen Raketenangriff zwei Palästinenser in einem Schmuggeltunnel getötet wurden. Zwischen dem 4. und 10. Mai 2009 konnten die meisten relevanten Nachrichten beobachtet werden. Diese Auffälligkeit ist keineswegs senderbedingt, sondern lässt sich bei allen drei Untersuchungsmedien erkennen. Bei AJE sind es 35 Beiträge, bei BBC 26 und bei CNN 22 relevante Nachrichten. Wichtige Themen in der 19. Kalenderwoche waren bei Al-Jazeera English zum einen die Unruhen in Pakistan und hier speziell im Swat. Aufgrund eines immer größeren Ausdehnens der Taliban in diesem Teil und eines Vordringens in neue Gebiete verstärkte das pakistanische Militär erneut seine Offensive. Der größte Teil der pakistanischen Bevölkerung floh aus den Dörfern und fand in Flüchtlingslagern Zuflucht. AJE berichtete täglich über die Flüchtlingsströme und das Leid der Bevölkerung. Da sich die Situation während dieser Woche 218
erneut zuspitzte, beschwerte sich die pakistanische Bevölkerung über die aktuelle Situation, da sie die Leidtragenden der Kämpfe waren. Viele, die sich noch in ihren Heimatdörfern aufhielten, wurden zu Opfern der täglichen Kämpfe gegen die Taliban. Innerhalb der Bevölkerung formierte sich eine wachsende Anti-Taliban-Bewegung, die Demonstrationen gegen sie abhielt. Neben den schweren Kämpfen im Land tötete ein Selbstmordanschläger fünf Menschen vor einer Polizeistation. Verbindungen zu den Taliban wurden in den verschiedenen Berichterstattungen vermutet. Im Nachbarland Afghanistan kam es zu einem massiven US-Luftangriff auf ein afghanisches Dorf in der Provinz Farah. Dabei wurden mehr als 100 Menschen getötet. Die USA sprachen von militanten Kämpfern, die sich in dem Dorf aufhielten und beschossen es. Den Entschluss das Dorf zu bombardieren, begründeten die USA mit der Tatsache, dass die Taliban oft Menschen als sogenannte „human shields“ verwenden. Dieser Luftangriff wurde beim arabischen Sender als opferreichster Anschlag seit dem Start der Offensive gegen die Taliban im Jahr 2001 genannt. Al-Jazeera English sendete exklusive Bilder vom Schauplatz und zeigte weinende Angehörige. Kurz darauf meldete sich US-Außenministerin Hillary Clinton zu Wort, die sich für den Anschlag in dem Dorf entschuldigte. Sie drückte ihr Bedauern während einer gemeinsamen Konferenz mit dem pakistanischen und afghanischen Präsidenten aus. Bei dieser Zusammenkunft diskutierten die drei Politiker über eine weitere Strategie für die Bekämpfung der Taliban in Pakistan. Auch US-Verteidigungsminister Robert Gates bedauerte die hohe Opferanzahl. Doch nicht nur der amerikanische Luftangriff, sondern auch etliche Bombenanschläge lenkten das Medieninteresse nach Afghanistan. Zu den häufigsten Anschlagsarten zählten während dieser Woche Selbstmordanschläge und Straßenbomben, die zahlreiche zivile Opfer forderten. Zum einen wurden die Taliban als verantwortliche Gruppierung genannt, zum anderen konnten keine genauen Angaben zu den Selbstmordanschlägern gemacht werden. Ein weiterer Konfliktherd ließ sich in dieser Woche im Irak beobachten: Drei verschiedene Autobombenanschläge ereigneten sich in dieser Untersuchungswoche, wobei das irakische Ölministerium sowie ein Markt in Bagdad zu Zielen der Täter wurden. Ein weiterer großer Themenblock stellte erneut die Berichterstattung und die Aufarbeitung des israelischen Krieges in Gaza dar, der vom 27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009 andauerte. Doch auch nach der einseitigen Waffenstillstandserklärung Israels kam es immer wieder zu Konflikten. Die große mediale Aufmerksamkeit des arabischen Senders an diesem Thema, ließ sich unter anderem damit erklären, dass Al-Jazeera English der einzige Nachrichtensender war, der während des Krieges exklusive Bilder aus Gaza 219
den Zusehern in der ganzen Welt senden konnte. AJE nahm dabei eine erkennbar proarabische Rolle ein, gab israelischen Politikern und Militärchefs jedoch in gleichem Maße Raum, ihre Meinung zu äußern. Eine einseitige Berichterstattung kann ihnen deshalb nicht vorgeworfen werden. Die Vereinten Nationen beschuldigten Israel, absichtlich während des Krieges auf UN-Institutionen gefeuert zu haben, was Israel jedoch vehement bestritt und von einer Voreingenommenheit der Vereinten Nationen sprach. Israel wurde zudem von Menschenrechtsgruppen beschuldigt, illegal Tränengas gegen die palästinensische Bevölkerung einzusetzen. Ein selbstgedrehtes Video eines 15-jährigen palästinensischen Jungen belegte dies. Dabei wurde eine palästinensische Familie, die die israelischen Soldaten an der Verwendung ihres Daches als Feuerstelle zu hindern versuchte, gefilmt. Die Situation eskalierte, und die israelische Armee beschoss die Familie mit Tränengas. Die Nachrichtenberichterstattung in der 19. Kalenderwoche fokussierte sich bei CNN vor allem auf die Ereignisse in Pakistan. Die amerikanischen Journalisten berichteten über Kämpfe und Militäroffensiven gegen die Taliban und der darunter leidenden Bevölkerung. Zudem ereignete sich ein Selbstmordanschlag auf einen Regierungs-Checkpoint etwas außerhalb von Peshawar. Dabei rammte der Selbstmordanschläger sein mit Bomben beladenes Auto gegen ein Sicherheitsauto und tötete damit sechs Soldaten. Bei CNN fiel auf, dass sie etwas differenzierter über den US-amerikanischen Luftangriff auf das afghanische Dorf in der Provinz Farah informierten. Sie berichteten, dass „anscheinend“ die Zivilbevölkerung dieses Dorfes getötet wurde, die Höhe der Opferzahlen wurde nicht bekannt gegeben. Man wies lediglich darauf hin, dass die Opferzahlen zwischen 30 und 100 schwankten. Einen Tag später berichtete ein Korrespondent, dass die lokale Behörde von einer Schuld Amerikas ausginge. Die Ermittlungen des US-Militärs besagten allerdings, dass die Taliban die Menschen getötet hätten, indem sie sie als humanitären Schutzschild verwendet hätten und ihren Tod nun als Propaganda gegen die USA verwenden würden. Am 10. Mai 2009 sendete CNN erneut einen Bericht über die Ereignisse in Farah. Darin wurde die Schuld der USA an dem Anschlag geschmälert und hauptsächlich auf den Propagandakrieg der Taliban eingegangen. Beim Krieg in Afghanistan herrschte eine gewisse Art der Selbstzensur in den Medien. Einige Rundfunkleiter, wie zum Beispiel Walter Isaacson, ehemaliger Hauptgeschäftsführer von CNN, erklärte seinen Mitarbeitern: „Wenn wir positive Berichte aus dem unter Taliban-Kontrolle stehenden Teil Afghanistans erhalten, müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden einfach nur aus ihrer Sicht berichten. Wir müssen davon reden, dass die Taliban zivile Schutzschilde benutzen und Terroristen 220
Unterschlupf gewähren, die für den Tod von fast 5000 unschuldigen Menschen verantwortlich sind.“ Zudem sollte man nicht vergessen, dass die machthabenden Politiker des Landes für die jetzige Situation verantwortlich seien, so Isaacson.528 Eine ähnliche Strategie kann man auch heute noch beobachten. Während bereits Al-Jazeera English und BBC von einem US-Luftangriff auf ein afghanisches Dorf, bei dem viele zivile Tote zu beklagen sind, berichteten, beharrte CNN auf der Annahme, dass die Taliban Schuld daran waren. Im Irak detonierte eine Autobombe auf einem Markt in Bagdad, die 15 Menschenleben forderte. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich dieser Anschlag zwei Monate vor dem Truppenrückzug der USA ereignet hatte. Auch die Berichterstattung bei BBC setzte sich vorwiegend mit den Ereignissen in Pakistan und Afghanistan auseinander. In Afghanistan kam es neben dem USLuftangriff auf das afghanische Dorf vor allem auch zu Selbstmordanschlägen und Straßenbomben, bei denen die Taliban als Verantwortliche ausgemacht werden konnten. Das afghanische Militär startete eine Offensive gegen die Taliban, bei der 25 Krieger getötet wurden. Aufgrund des US-Luftangriffes kam es innerhalb der afghanischen Bevölkerung zu Protesten. In Pakistan dauerten die Kämpfe gegen ein Ausbreiten der Taliban an, weshalb die Menschen aus den betroffenen Gebieten flohen. Das pakistanische Militär beklagte, dass die Taliban rund 2000 Personen als menschlicher Schutzschild missbraucht hätten, um sich gegen die militärische Offensive zu schützen. Auch im Irak wurden zwei Bombenanschläge verübt, bei der ein Markt und eine Tankstelle zum Ziel der Anschläge wurden. In der darauffolgenden Woche (11.5.-17.5.2009) sank die Anzahl an relevanten Nachrichten etwas ab, wobei die Kämpfe in Pakistan gegen ein weiteres Ausbreiten der Taliban noch andauerten. Doch nicht nur in Pakistan, sondern auch im benachbarten Afghanistan planten und führten die Taliban Anschläge aus. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich vor dem Regierungsgebäude in Kabul in die Luft, und eine Autobombe detonierte vor einem amerikanischen Militärlager. Der Gazastreifen wurde vor allem aufgrund der mangelnden medizinischen Versorgung seit dem Gaza-Krieg thematisiert. Im Irak detonierte eine Bombe eines Selbstmordanschlägers. Den rasanten Rückgang an relevanter Nachrichtenberichterstattung zwischen KW 20 und KW 23 lässt sich bei allen drei Medien auf einen Aufnahmestopp der Analyse erklären. In der 23. Woche (4.6.-7.6.2009) dominierten hauptsächlich die Ereignisse in Pakistan. Die dortige Regierung befand sich noch im528 Miles, 2005. S. 114-115.
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mer im Kampf gegen die Taliban. Zudem ereigneten sich mehrere Bombenanschläge, die unter anderem gegen die pakistanische Polizei gerichtet waren. Die Medien berichteten über die Folgen des Gaza-Krieges und thematisierten die Kriegsverbrechen, die während dieser Operation begangen wurden. In der Westbank ereigneten sich erneut Unruhen und Zusammenstöße mit der israelischen Armee. Die KW 24 war bei Al-Jazeera English die zweitbedeutendste Woche der Terrorberichterstattung, in der 28 Beiträge relevant waren. Es rückten in dieser Woche (8.6.-14.6.2009) erneut Pakistan, Afghanistan, der Irak und der Gazastreifen in den Mittelpunkt des medialen Interesses. In Pakistan dauerten die Kämpfe zwischen den Taliban und dem einheimischen Militär an. In den Stammesgebieten (tribal areas) formierten sich mehr als 2000 freiwillige, selbstorganisierte Personen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Taliban aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Hintergrund dazu war ein Anschlag der Taliban auf eine Moschee. Im Laufe der Woche berichtete Al-Jazeera English von misslungenen militärischen Schlägen gegen Baitullah Mehsud, Anführer der pakistanischen Radikalen, der hinter zahlreichen Anschlägen vermutet wurde. Am 10. Juni 2009 dominierte ein Selbstmordanschlag auf das Pearl Continental Hotel in Peshawar – einer beliebten Unterkunft ausländischer Gästen – die Nachrichtenberichterstattung. Bei diesem Anschlag kamen mehr als zwölf Personen ums Leben. Keine Gruppe hatte sich zu diesem Zeitpunkt zu der Tat bekannt, die Taliban wurden allerdings öfters als mögliche Täter genannt. Dieser Anschlag war der siebte Bombenanschlag in Peshawar, seit die Militäroffensive gegen die Taliban begonnen hatte. Richard Holbrooke – US-Sonderbeauftragter von Pakistan und Afghanistan – meinte, dass durch diese Tat ein Umdenken in der pakistanischen Bevölkerung vollzogen wurde. Des Weiteren ereigneten sich in dieser Woche mehrere Bombenanschläge: Ein Kleriker, der eine klare AntiTaliban-Haltung eingenommen hatte, wurde Opfer eines Anschlages der Taliban. Zudem rammte ein Auto in Lahore eine Moschee, in der in der Folge eine Bombe detonierte. Auch in Afghanistan fanden mehrere Anschläge statt: Explosionen, die Diskussion um den amerikanischen Luftangriff auf ein Dorf, Selbstmordanschläge der Taliban, die einen Konvoy der NATO-Truppen attackierten, sowie Drohungen der Taliban, die weitere Anschläge im Vorfeld der afghanischen Präsidentschaftswahlen ankündigten. Zudem wurden einige Taliban-Kämpfer interviewt, die über ihre Machtzunahme im Kundus sprachen. Im Irak kam es erneut zu terroristischen Anschlägen: Zwei Autobomben explodierten und forderten viele Opfer. Weiter wurde der Chef des SunniMuslim-Blocks des irakischen Parlaments vor einer Moschee von einem 15jährigen Täter erschossen. 222
Im Zuge der täglichen Gewalt wiesen die Journalisten auf die große Zahl an Waisenkinder im Irak hin, die durch die Terroranschläge beide Elternteile verloren hatten. Zwischen der israelischen Armee und einigen bewaffneten Palästinensern kam es an der Grenze zu Gaza zu Auseinandersetzungen, bei denen alle palästinensischen Männer erschossen wurden. Daher wurde auf die politische Situation im Gaza-Streifen hingewiesen und über das zweijährige Jubiläum der Hamas berichtet, die seit ihrer Machtübernahme von der Fatah die Bewältigung alltäglicher Situationen für die Bevölkerung erschwerte. Durch die darauf verhängte israelische Blockade ist Gaza von der Welt abgeschnitten. Auch bei CNN und BBC wurde die 24. Kalenderwoche von den Ereignissen in Pakistan bestimmt. Beide Sender berichteten von einer Formierung einer AntiTaliban Bewegung innerhalb des Landes, die es sich zum Ziel machte, die militanten Kämpfer aus dem Land zu vertreiben. Erneut kam es zu mehreren Selbstmordanschlägen, die eine Polizeistation in Islamabad, eine Moschee in Lahore und das Pearl Continental Hotel in Peshawar trafen. Hinter dieser Form der Gewalt wurden die Taliban vermutet. Im Irak detonierten zwei Autobomben. Zudem kam es zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen israelischen Soldaten und bewaffneten Palästinenser im Grenzgebiet. Des Weiteren bombardierte das israelische Militär die Schmuggeltunnel der palästinensischen Bevölkerung. In der darauffolgenden Kalenderwoche (KW 25; 15.6.-21.6.2009) dauerten die Kämpfe zwischen den Taliban und dem pakistanischen Militär an und es wurde von einem militärischen Schlag gegen die Kämpfer berichtet, bei dem über 50 Taliban-Krieger getötet wurden. Auch die Europäische Union unterstützte Pakistan in seinem Vorhaben mit 100 Millionen Dollar Soforthilfe. Im benachbarten Afghanistan verursachte das Kidnappen von zwei AlJazeera English Produzenten große Aufregung. Sie wurden jedoch nach drei Tagen wieder freigelassen. In ihrer Haft wurden sie von Agenten des Geheimdienstes verhört. Weshalb die zwei Journalisten festgehalten wurden, konnte sich auch AJE nicht erklären. Der Sender fügte jedoch an, dass die beiden eine Woche zuvor einen ausführlichen Bericht über die Taliban in Afghanistan zusammen gestellt hatten und somit wurde indirekt eine Vermutung zu den Taliban geschaffen. Tragischer weise tötete in Afghanistan eine Straßenbombe sechs Menschen einer Familie, zudem beschossen die Taliban einen US-Luftwaffenstützpunkt mit zwei Raketen. Noch immer wurde über den US-Luftangriff auf das afghanisches Dorf im Mai berichtet und darauf hingewiesen, dass noch keine genaue Opferzahl feststeht. Der früherer afghanische Präsidentschaftskandidat Ali Seraj erklärte die Misere der USA in dieser Situation folgendermaßen: Töte man einen 223
einzelnen Menschen in Afghanistan, so habe man mit einem Schlag sehr viele Feinde, da das Opfer zum einen einer großen Familie angehöre, zum anderen aber auch Mitglied eines Dorfes sei. Es ist ferner zu beachten, dass dieses Opfer einem Stamm/einer Sitte angehört. Somit sind innerhalb kürzester Zeit sehr viele Menschen dem Täter (hier den USA) feindlich gestimmt. Genau an diesem Punkt knüpfen die Taliban an und argumentieren, dass die USA vorgeben, die Bevölkerung zu beschützen, diese aber in Wirklichkeit nur tötet. Die Taliban, die gegen die USA in ihrem Land ankämpfen, seien die wahren Beschützer der Bevölkerung. Die Situation der Vereinigten Staaten in Afghanistan sei durchaus problematisch, so Seraj.529 Der bevorstehende amerikanische Truppenrückzug aus dem Irak löste erneut eine Welle der Gewalt im Land aus und machte sich in dieser Woche mit einigen Autobomben bemerkbar. Als wohl größter Anschlag seit fünf Jahren galt eine Lastwagenbombe, die in der Region Kirkuk explodierte und rund 79 Menschen tötete. Im Zuge des Weltflüchtlingstages berichteten die Medien über irakische Flüchtlinge in Syrien. In der KW 26 (22.6-28.6.2009) beherrschten vor allem die Kämpfe in Pakistan gegen ein Ausweiten der Taliban und der Al-Qaida die mediale Berichterstattung. Ein pakistanischer Luftangriff gegen die Taliban forderte vorwiegend zivile Opfer. Weiters kamen bei einem Selbstmordanschlag der Taliban zwei Soldaten ums Leben. Auch in Afghanistan kämpften die Regierungstruppen gegen terroristische Aktionen der Taliban, die in dieser Woche Bombenanschläge und Selbstmordattentate ausführten. Laut BBC-Recherchen folterten die USA in einem Gefängnis im Norden Kabuls afghanische Inhaftierte. Dieser Beitrag erregte großes Interesse. Al-Jazeera English erhielt ein Exklusive-Interview mit einem Führer der afghanischen Al-Qaida. Darin äußerte Mustafa Abul-Yazeed, dass er die pakistanische Atomwaffe gegen Amerika einsetzen würde, wenn er diese an sich reißen könnte. Zudem erklärte er, dass sie gemeinsam mit den pakistanischen Taliban zusammenarbeiten. Auch im Irak kam es zu Unruhen. Wenige Tage vor dem Rückzug amerikanischer Truppen wurde ein mit Studenten besetzter Minibus in einem schiitischen Gebiet Ziel eines Anschlags und in Bagdad explodierten zwei Bomben auf einem belebten Marktplatz. In der KW 27 (29.6.-5.7.2009) kamen weniger relevante Nachrichten vor. Es ereignete sich jedoch im Irak eine neue Gewaltwelle, die sich vor allem durch 529 Al-Jazeera English: Interview mit früherem Präsidentschaftskandidaten Ali Seraj. Ausgestrahlt am 20.6.2009.
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Bombenanschläge auf schiitische Moscheen und auf öffentliche Märkte bemerkbar machte. Etliche Personen kamen ums Leben. In Pakistan wurden bei einem US-Raketenangriff in der Provinz Südwaziristan vier Taliban-Kämpfer getötet, nachdem die Amerikaner den Taliban Anführer Baitullah Mehsud in dieser Region vermuteten. Ihm warf man neben zahlreichen Anschlägen auch das Attentat auf die frühere pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto vor. Mehsud wurde bei dem Luftangriff nicht getötet, er starb wenige Monate danach (5. August 2009) bei einem US-Drohnenangriff in Waziristan. Erneut kam Afghanistan wegen der dort herrschenden Gewalt in die Schlagzeilen: Die Taliban entführten einen amerikanischen Soldaten, bei einer Straßenbombe kamen sieben Polizisten ums Leben und bei einer US-Offensive gegen die Taliban wurden 15 Kämpfer getötet. Der palästinensisch-israelische Konflikt wurde während der gesamten Untersuchungszeit in den Medien behandelt, wobei immer wieder einzelne, persönliche Schicksale die Berichterstattung antrieben. Die 28. Kalenderwoche (6.7.-12.7.2009) stellte bei BBC jene Woche dar, in der die niedrigste Zahl an relevanten Beiträgen festgestellt werden konnte. Auch bei den anderen zwei Sendern sank die Kurve der Terrorberichterstattung. In Afghanistan wurde eine Autobombe vor einer Schule gezündet, bei der 25 Personen starben. Hinter den Anschlägen wurden die Taliban vermutet, da sie bereits in der Vergangenheit Schulen attackiert hatten. Besonders die Zahl an britischen Soldaten, die im Afghanistankrieg ihr Leben lassen mussten, stieg immer mehr an. An diesem Kriegsschauplatz starben bereits mehr britische Soldaten als während des gesamten Irak-Krieges. Im benachbarten Pakistan kamen zwölf Taliban-Kämpfer bei einem Militärschlag ums Leben. Auch im Irak starben mehrere Personen bei Angriffen. Aus der Westbank meldete man in dieser Woche Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und palästinensischen Demonstranten. In der letzten Untersuchungswoche (13.7.-15.7.2009) waren vor allem Afghanistan, Pakistan, der Irak sowie der Gazastreifen durch Terroranschläge in den Medien vertreten. In Afghanistan starben mehrere Polizisten bei einer Straßenbombe der Taliban und auch einige US-Soldaten wurden Opfer von Anschlägen. Im Irak wurden fünf christliche Kirchen attackiert, eine Straßenbombe in Bagdad tötete einen Polizisten, und eine Autobombe vor einer Polizeistation forderte sechs Menschenleben. Zudem überlebte der amerikanische Botschafter einen gegen ihn gerichteten Anschlag. Pakistan feuerte etliche Raketen ab, die den Taliban-Anführer Baitullah Mehsud töten sollten. Eine Rakete schlug allerdings in einem kleinen unscheinbaren 225
Dorf ein und forderte zahlreiche zivile Opfer. Nachdem die militärischen Kämpfe gegen die Taliban beendet worden waren, kehrten die ersten Bewohner zaghaft wieder in ihre Dörfer zurück. Der Führer der Al-Qaida Aiman al-Zawahiri beschuldigte die USA, einen Kreuzzug gegen Pakistan zu führen. Betrachtet man sich die Abstände zwischen den einzelnen Medien, so sind sie bei allen Untersuchungswochen markant, lediglich in der KW zehn und KW 19 lassen sich geringere Abstände ausmachen. Im Zeitverlauf der einzelnen Medien lässt sich weder ein Anstieg noch eine Reduktion an relevanten Nachrichten feststellen. Ab der 23. Kalenderwoche lässt sich bis zur darauffolgenden Woche ein Anstieg an terroristischen Anschlägen beobachten. Ob sie lediglich aufgrund der Reise des amerikanischen Präsidenten in den Nahen Osten stattfanden, lässt sich aus den Ergebnissen der Analyse nicht erkennen. 8.1.2
Einschätzung der Sicherheitslage in den besprochenen Gebieten
Während der sechs Untersuchungsmonate konnte man ein Ansteigen der Gewalt in Pakistan erkennen. Interessant dabei ist vor allem, dass bis zum Jahr 2002 keine Selbstmordanschläge in Pakistan verübt wurden. Die Aufstände entfachten 2002, als amerikanische Truppen von Afghanistan aus in die Stammesgebiete von Pakistan schossen, um Stützpunkte der Extremisten zu treffen. Dabei kamen allerdings sehr häufig zivile Personen ums Leben. Der amerikanische Druck auf die pakistanische Regierung, den „Krieg gegen den Terror“ zu unterstützen, brachte schlussendlich große Teile des pakistanischen Volkes gegen die Regierung auf. Doch auch die weit verbreitete Korruption und eine allgemeine Schwäche des pakistanischen Staates waren Gründe für ein immer größeres Entfernen großer Teile der Bevölkerung von ihrem Staat. Diese Missstände führten zu einem politischen Vakuum, welches nun die Taliban und andere Extremisten zu füllen wussten.530 Der Afghanistankrieg sowie die Anwesenheit ausländischer Truppen könnten als Ursache für die zunehmende Gewalt im Land betrachtet werden. Der Krieg mit dem Nachbarland hatte sich schlussendlich über die Grenze nach Pakistan ausgedehnt. Doch Terroranschläge und ein immer weiteres Ausbreiten der Taliban sind vor allem auf die innenpolitische Situation Pakistans zurückzuführen. Der amtierende Präsident Asif Ali Zardari sowie dessen Regierung gelten innerhalb der Bevölkerung als korrupt und unfähig mit der zunehmenden Talibanisierung um530 Hippler, Jochen: Vakuum in Pakistan. http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Pakistan/hipper2.html (2.2.2010).
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zugehen. Extremisten bauen sich in Pakistan ein eigenes Rechtswesen auf und führen dabei das islamische Rechtssystem, die Scharia, ein. Hauptproblem dabei ist die Auffassung, den Staat als Herrschaftsinstrument, statt ihn als einen Dienst an der Bevölkerung zu betrachten. Zudem akzeptieren die Bewohner der Nordwest-Provinz Pakistans die Grenze zu Afghanistan nicht, da sie sich als ethnische Gruppe afghanischer Stammesgebiete zugehörig fühlen. Wie der deutsche Politikwissenschaftler Jochen Hippler anführt, empfinden viele die pakistanische Armee in der eigenen Provinz als Besatzungstruppe, die im Dienste der Amerikaner steht. Deshalb können die Taliban und andere Aufständische den Kampf gegen die Regierungstruppen vor allem als Widerstandskampf gegen die pakistanische Armee und gegen die Amerikaner vermarkten.531 In Afghanistan kann man zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Viele Anschläge richten sich entweder gegen ausländische Truppen oder gegen Regierungsinstitutionen. Dabei wollen die Aufständischen verdeutlichen, dass sie nicht besiegbar und gleichzeitig in der Lage sind, höchste Sicherheitsvorkehrungen der Regierung und des Militärs zu durchbrechen, und damit ihre Präsenz mit Hilfe von Anschlägen untermauern. Die Taliban sind – wie in Pakistan – kein eindeutiger Block. Der UN-Sprecher Siddique führte an, dass es jene Kämpfer gibt, die kämpfen, weil sie keine andere Chance darin sehen. Manche treten den Taliban bei, da sie ein gesichertes Einkommen erhalten, was in einem der ärmsten Länder der Welt ein besonderes Privileg darstellt. Andere wiederum kämpfen um Vergeltung für verlorene Familienmitglieder zu üben, die bei Militäranschlägen ums Leben kamen.532 Um eine weitere Talibanisierung stoppen zu können, reichte es deshalb nicht, nur militärisch gegen sie vorzugehen. Im Irak konnte kurzfristig ein leichter Rückgang der täglichen Gewalt verzeichnet werden, doch mit dem Abzug der amerikanischen Truppen aus vielen irakischen Städten am 30. Juni 2009 vermehrten sich die Anschläge im Land erneut. Instabile Verhältnisse sowie Armut und Enttäuschung über die vergangenen Jahre dürften Gründe für verübte Anschläge sein. Doch auch Spannungen zwischen den zwei Glaubensrichtungen der islamischen Gemeinde, endeten vielfach in Terroranschlägen gegen die jeweils andere Gruppierung. Der Palästinenserkonflikt wurde über den gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder medial beleuchtet. So konnten vor allem in den ersten drei Mona-
531 Interview mit Jochen Hippler: „Das Hauptproblem ist die Unfähigkeit der Regierung“. http://www.tagesschau.de/ausland/interviewhippler100.html (1.2.2010). 532 Küstner, Kai: Reden mit den Taliban? http://www.tagesschau.de/ausland/taliban152.html (5.2.2010).
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ten der Analyse bei AJE Beiträge über die Situation und die Folgen des GazaKrieges beobachtet werden. Immer wieder stellte man Schicksale der palästinensischen Bevölkerung dar und wies auf die schlechten medizinischen wie humanitären Bedingungen im Land hin. Über den gesamten Zeitraum hinweg kam es in regelmäßigen Abständen zu Zusammenstößen mit dem israelischen Militär, als Palästinenser gegen den Siedlungsbau protestierten. Die Situation in dieser Region blieb ein ständiger Krisenherd, der jederzeit ausbrechen zu drohte. Hypothese 3 geht der Vermutung nach, dass sich die Berichterstattung bei Al-Jazeera English durch eine starke Fokussierung auf das Leid der Palästinenser auszeichnet. Die Berichte über den GazaKrieg bestätigen diese Aussage für den Untersuchungszeitraum, ob dies allerdings nur zeitlich beschränkt war, kann nicht gesagt werden. 8.1.3
Zusammenfassung
Alle drei Nachrichtensender behandelten in ähnlicher Weise die aktuellen Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten. AJE informierte dabei allerdings in größerem Umfang über die Terroraktivitäten in diesen Regionen. Bei Al-Jazeera English konnte man einen stärkeren Fokus auf das israelischpalästinensische Problem erkennen, da der Sender häufiger über Zwischenfälle in Gaza berichtete, als dies die anderen zwei Nachrichtenstationen machten. Zudem wurde der US-Luftangriff auf das afghanische Dorf in Farah anders beleuchtet, als dies bei CNN der Fall war. Während der arabische Sender bereits über die geschätzten Opferzahlen sprach, vernahm man bei CNN lange keine genauen Zahlen. Es wurden lediglich Vermutungen angestellt. Auch bei der Schuldfrage berichtete Al-Jazeera English von einem US-Luftangriff auf ein Dorf, bei dem zahlreiche unschuldige Bewohner ums Leben kamen; CNN sprach von einer Taktik der Taliban und erkannte eine amerikanische Verantwortung erst später an. Zwischen den Zeilen ließ sich erkennen, dass die Reporter von AJE eher eine proarabische Position beziehen, allerdings gegenüber den USA und dem Westen eine neutrale Position einnehmen. Man kann somit von keinem strategischen Ressentiment gegen Israel und der westlichen Welt sprechen. CNN dagegen bezieht vor allem bei Nachrichten, die von Anschlägen zwischen Terroristen und Personen aus dem Westen handeln, eher eine prowestliche Position. Wurde hingegen über das Leid der pakistanischen Bevölkerung im Zuge des militärischen Kampfes gegen die Taliban gesprochen, so wurde eine solidarisch proarabische Position eingenommen.
228
Bei BBC konnte man keine klare Position erkennen; die BBC berichtete sowohl proarabisch als auch prowestlich und betrachtete die Ereignisse im Nahen Osten mit einem etwas kritischeren Blick als CNN.
8.2
Nachrichtenstellenwert bei AJE, CNN und BBC
Der größte Teil der Terrorismusberichte wurde bei allen Nachrichtensendern ohne Ankündigung in den Schlagzeilen gesendet und galt nicht als „Breaking News“. Die Reporter waren somit über das Geschehene bereits informiert und konnten sorgfältig recherchieren und sich vorbereiten. Knapp 30 Prozent der Nachrichten von Al-Jazeera English (n=95) und der BBC (n=52) wurden während der Nachrichtensendung bei den Schlagzeilen erwähnt und die Zuseher somit auf den bevorstehenden Beitrag eingestimmt und vorbereitet. Bei CNN waren dies lediglich 15 Prozent (n=24) der Nachrichtenbeiträge. Berichte über Terroranschläge kamen selten bei den Top-News vor. Sie wurden bei rund 18 Prozent bei AJE, 21 bei CNN und 14 Prozent bei der BBC als Aufmacher der Nachrichtensendung genutzt. Am geringsten wurden die relevanten Nachrichten als „Breaking News“ gekennzeichnet. Somit wird ersichtlich, dass sich zu Beginn der Sendung bereits die meisten Terroranschläge ereignet hatten und die Journalisten ihre Berichte vorbereiten konnten. Folgende Grafik stellt die prozentuellen Ausprägungen der einzelnen Sender dar:
229
Abbildung 7:
8.3
Nachrichtenstellenwert der relevanten Beiträge Quelle: eigene Darstellung
Darstellungsformen der einzelnen Nachrichtensender
Bei Betrachtung der verschiedenen Darstellungsformen der einzelnen Nachrichtensender, fällt auf, dass die Verwendung des Field Reports vor allem bei AJE besonders oft gewählt wird. Bei rund 34 Prozent aller Berichte informierten die Journalisten mit Hilfe einer Anmoderation und einem darauf folgenden Bildbericht über die neuesten Ereignisse im Nahen Osten. Dabei erklärten die Reporter die wichtigsten Eckdaten des Anschlages und versinnbildlichten die Terroraktivitäten in einer bestimmten Region mit Hilfe einiger aussagekräftiger Statements der Augenzeugen, Opfer oder Beteiligten. Dadurch verschaffen sich die Journalisten einen weiteren Authentizitätsgrad und „beweisen“ dem Publikum zu Hause, dass sie vor Ort waren und Meinungen der Beteiligten eingeholt haben. Diese Form der Moderation findet bei Al-Jazeera English – im Vergleich zur LiveSchaltung – einen größeren Anklang, da sie wegen ihres weit umspannenden Korrespondentennetzwerks innerhalb kürzester Zeit vor Ort sind und dabei gleichzeitig nicht-journalistische O-Töne in den Beitrag einbauen können. Beiträge, die aus einer reinen Live-Schaltung bestehen, bei der alleine der Reporter
230
das Gesehene wiedergibt, sind bei lediglich acht Prozent aller AJE-Berichte zu beobachten. Zweitbedeutendste Darstellungsform des englischen Nachrichtenformats bei AJE sind die Nachrichten im Film mit einer Anmoderation jedoch ohne OriginalTon. Bei rund 21 Prozent der Beiträge kündigten die Reporter im Studio das nächste Thema an und gaben einen kurzen Überblick über das Geschehene. Anschließend folgte ein Bildbericht, bei welchem das Ausmaß der Gewalt visuell dargestellt und verdeutlicht wurde. Dabei ertönte ein Sprecher aus dem Off, der die Bilder des Beitrages kommentierte und diese in einen verständlichen Text fasste. Großer Unterschied zum Field Report sind die fehlenden Statements der Bevölkerung oder der Betroffenen, die dem Bericht meist mehr Emotion, Spannung und Legitimation geben. In ungefähr demselben Ausmaß konnte bei Al-Jazeera English während der 6-monatigen Beobachtungszeit der Anchor-Report sowie der Kurzbeitrag in der Meldungsübersicht ausgemacht werden. Beide Formen kamen bei jeweils rund zwölf Prozent der Nachrichten vor. Oftmals ereigneten sich kurz vor der Sendung neue Anschläge, die infolge der noch nicht bekannten oder nur geringen Informationen durch ein Standbild oder eine Grafik verdeutlicht wurden. Der/die Nachrichtensprecher/in verlas zudem eine kurze Nachricht, die sich lediglich aus den wichtigsten und den bekannten Informationen zusammensetzte. Zumeist konnte bei dieser Art der Darstellungsform noch keine verantwortlichen Täter bekannt gegeben werden, da die Ermittlungen noch im Gange waren. Das Standbild, welches oft durch eine geographische Grafik angeführt wurde, half dem Zuseher bei der geografischen Orientierung über Ort und Rahmen des Anschlages. Kurzbeiträge in Meldungsübersichten beleuchten terroristische Anschläge in kurzer und präziser Form und liefern einen Bildbericht, der ohne O-Töne zusammengestellt wird. Dabei zeichnet sich der Kurzbeitrag zudem durch eine fehlende Anmoderation des Nachrichtensprechers aus. Reine Kommentare und Analysen fanden bei AJE zu rund vier Prozent der Gesamtberichte Eingang in die Nachrichtenberichterstattung über Terroranschläge. Interessanterweise wurde bei Nachrichten über Terroranschläge relativ selten ein Stand Alone Field Report (2,4%) angewendet. Diese Darstellungsform weist einen Bildbericht und zusätzliche O-Töne auf, wird jedoch nicht anmoderiert. Gleichermaßen oft kamen Berichte bei denen Infografiken zum besseren Verständnis angeführt wurden, vor. Mit sehr aufwendig aufbereiteten Grafiken konnten komplexe Themengebiete visuell dargestellt werden und ermöglichten so dem Zuseher einen leicht verständlichen Zugang zu vielen Problematiken. Darstellungsstile, die keiner der aufgelisteten Formen zuteilbar waren, waren ebenfalls bei rund zwei Prozent aller AJE Berichte zu beobachten.
231
Das Studio-Interview kam während der 30-minütigen Nachrichtensendung bei Al-Jazeera English lediglich zweimal vor. Reine Interview-Formen bei den Berichten sogar nur einmal. Dies lässt sich unter anderem damit erklären, dass bei der bereits begrenzten Sendezeit vorerst die wichtigsten Ereignisse im Mittelpunkt stehen und für Experten-Interviews im Studio meist die Zeit fehlt. Experten sowie andere Interviewpartner wurden zum Thema Terrorismus im Zuge anderer Nachrichtenprogramme bei AJE befragt und zu Wort gelassen. Beim amerikanischen Nachrichtensender CNN lassen sich differenzierte Tendenzen bei der Wahl der Darstellungsformen erkennen. Sehr beliebt sind dabei die Live-Schaltungen, die einen direkten Einstieg der Journalisten vor Ort ermöglichen und somit Präsenz, Schnelligkeit und vor allem Authentizität signalisieren. Diese Form wurde bei CNN am häufigsten (28%) angewendet. Die CNN-Korrespondenten berichteten aufgrund der ihnen zugekommenen Meldungen meist vor dem CNN-Büro oder von einem sicheren Ort über die neuesten terroristischen Aktivitäten im Nahen Osten. Der Journalist informierte die Zuseher über die wichtigsten Ereignisse, die Opferzahlen, Hintergründe und Motive für die Tat. Selten jedoch sah man CNN-Journalisten neben einer gerade explodierten Autobombe oder an den unmittelbaren Anschlagsorten. Sie beriefen sich auf Informationen, die ihnen vielfach vom Militär oder von anderen Nachrichtenstationen vor Ort übermittelt wurden. Zweithäufigste Form bei CNN sind Nachrichten im Film über Terroranschläge, die vom Nachrichtensprecher anmoderiert werden und ohne OriginalTöne bestückt sind. Bei rund 21 Prozent aller CNN-Berichte wurde mittels visueller Darstellung das Ereignete wiedergegeben und durch den Reporter aus dem Off erklärt. Interviews und Statements der Betroffenen und Augenzeugen sind bei dieser Form nicht vorhanden. Der Field Report – welcher am häufigsten bei Al-Jazeera English ausgemacht wurde – wird von den Verantwortlichen bei CNN lediglich zu rund 14 Prozent gewählt. Dies kann man möglicherweise durch die Tatsache erklären, dass amerikanische Journalisten schwieriger zu Statements der Bevölkerung gelangen, als dies bei ihren arabischen Kollegen der Fall ist. Dabei könnten Sprachbarrieren oder die mangelhafte Bereitschaft ein Interview für einen amerikanischen Sender zu geben, Gründe dafür sein. Knapp hinter dem Field Report wurde der AnchorReport mit 13 Prozent angewendet. Mithilfe von Grafiken oder Standbildern verlesen die Studiomoderatoren die neuesten Nachrichten und informieren ihre Zuseher über Terroranschläge und kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Doch auch die Kurzbeiträge in der Meldungsübersicht sind eine geeignete Form, um über Terroraktivitäten in fernen Ländern zu berichten. Dabei werden kurze Filmbeiträge erstellt, in denen der Journalist das Gesehene erklärt und verständlich macht. Allerdings werden die Kurzbeiträge nicht anmoderiert, sondern gehen im 232
Zuge der Meldungsübersichten auf Sendung. Diese Darstellungsform konnte bei CNN mit rund elf Prozent beobachtet werden. Infografiken sind auch beim amerikanischen Nachrichtensender nicht wegzudenken, da sie komplexe Ereignisse vereinfacht darstellen und eine Grundlage für weitere Berichte sein können. Rund sieben Prozent aller Nachrichten bei CNN weisen diese Form auf. Stand Alone Field Reports sowie Darstellungsformen, die nicht zuteilbar waren, kamen gleichermaßen oft vor. Beide fanden mit rund zwei Prozent Eingang in die Berichterstattungsformen der CNN-Journalisten. Am seltensten wurden Berichte, die einen reinen Kommentar-Charakter aufwiesen, identifiziert. Doch auch Studio-Interviews sowie ein reines Interview als Darstellungsform bei einem Bericht kamen lediglich einmal vor. Auch bei der britischen BBC wurde als häufigste Darstellungsform bei Nachrichten über Terroranschläge der Field Report gewählt. Knapp 31 Prozent der Beiträge wurden mit Bildberichten, journalistischen Texten sowie Statements der Bevölkerung zusammengestellt. Kurzbeiträge in der Meldungsübersicht genossen bei der BBC einen besonders hohen Stellenwert. Dies ist deshalb besonders interessant, da das mediale Interesse in Europa an Terroraktivitäten im Nahen Osten immer mehr abflacht. BBC berichtete jedoch fast täglich über neueste Aktivitäten im Nahen Osten. Wurden keine längeren und aufwendigeren Berichte gestaltet, so schien diese Region zumindest mit mehreren Kurzbeiträgen auf. Insgesamt wurde diese Form bei der BBC in rund 20 Prozent aller relevanten Nachrichten beobachtet. Am dritthäufigsten wenden die britischen Journalisten bei Nachrichten über Terroranschläge Bildbeiträge ohne O-Töne an (15%). Der Reporter erklärt seinen Zusehern aus dem Off und mit Hilfe von visuellen Darstellungen, was sich gerade zugetragen hat. Der Journalist befindet sich vor Ort und kommentiert das Gesehene. Zusätzliche Informationen von Passanten oder Angehörigen werden dabei nicht eingeholt. Live und vor Ort des Geschehens wurden die Reporter bei rund zwölf Prozent der Berichte gesichtet. Sie kommentierten die Situation, standen mit einem Mikrofon ausgestattet vor der Kamera und informierten die Zuseher über die jüngsten Ereignisse. Der Anchor-Report wurde bei der BBC bei rund elf Prozent der Gesamtberichterstattung ausgemacht. Dabei verlasen die Moderatoren mit Hilfe eines Standbildes oder einer Grafik im Studio die Nachricht. Um Konflikte der betroffenen Regionen besonders genau und eindrucksvoll zu beleuchten, bedienten sich die BBCReporter mit bis zu fünf Prozent bei ihrer Berichterstattung der Infografik und veranschaulichten so komplexe Sachverhalte. Der Stand Alone Field Report – der sich aus einem Bildbericht mit O-Tönen aber ohne Anmoderation zusammensetzt – wird im Zusammenhang mit Terror233
nachrichten nicht so häufig angewendet. Wie auch bei den anderen zwei Sendern fanden Kommentare und Analysen eher weniger Eingang in die mediale Berichterstattung über terroristische Aktivitäten im Nahen Osten. Dies lässt sich auch bei diesem Sender durch die begrenzte Sendezeit erklären. Andere Stilformen, Interviews sowie reine Studio-Interviews waren auch bei der BBC eher gering vertreten. Meistens verschwammen die Berichte ineinander und das Interview war somit als klassische Form kaum bei einem Bericht durchgängig zu beobachten. Ausschlaggebend für die Zuteilung waren die Hauptdarstellungsformen des Beitrages. Während des gesamten Untersuchungszeitraumes berichten Al-Jazeera English und BBC am häufigsten mit Hilfe des Field Reports. CNN dagegen zieht die Live-Schaltung den anderen Darstellungsformen vor und berichtet so über Anschläge und terroristische Aktivitäten im Nahen Osten.
234
Tabelle 4: Darstellungsform der Terrorismusnachrichten im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung 235
Zur besseren Veranschaulichung dienen die Balkendiagramme, welche die Verwendung der einzelnen Darstellungsformen der drei Nachrichtensender verdeutlichen. Bei AJE und der BBC wurde am häufigsten der „Field Report“ gewählt, um Nachrichten von terroristischen Anschlägen an die Bevölkerung zu bringen. Bei CNN fand die „Live-Schaltung“ den höchsten Anklang bei den Journalisten. Am zweithäufigsten wurde bei Al-Jazeera English sowie bei CNN die „Nachricht im Film mit Anmoderation jedoch ohne O-Ton“ gewählt. Die BBC bediente sich gerne der „Kurzbeiträge in der Meldungsübersicht“, um ihre Zuseher über terroristische Aktivitäten im Nahen Osten zu informieren. Am geringsten konnte das Studio-Interview und das Interview im klassischen Sinne beobachtet werden. Die Infografik ist – neben den Nachrichtenbildern – eine sehr bedeutende Abbildungsart, die bildhaft die wichtigsten Merkmale oder Ereignisse festhält.533 Diese wurde bei den drei Nachrichtensendern zwar wesentlich öfters angewendet, kam jedoch als reine Darstellungsform bei den drei Untersuchungssendern relativ wenig vor.
533 Wolf, 2006. S. 271.
236
Abbildung 8:
Die häufigsten Darstellungsformen bei Al-Jazeera English Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 9:
Die häufigsten Darstellungsformen bei CNN Quelle: eigene Darstellung 237
Abbildung 10: Die häufigsten Darstellungsformen bei BBC Quelle: eigene Darstellung
8.4
Proarabisch vs. Proisraelisch
Bei der Kategorie proarabisch versus proisraelisch wird festgehalten, welche Position der Nachrichtenbeitrag einnimmt, sofern der Beitrag eine Thematik mit den zwei Volksgruppen behandelt. Vorangegangene Vermutungen konnten durch die Analyse nicht bestätigt werden. So berichteten Al-Jazeera English, CNN International sowie BBC World vorwiegend neutral und bezogen keine eindeutig zuteilbare Position. AJE informierte seine Zuseher zu rund 84 Prozent der Terrorbeiträge neutral und ergriff somit nicht Partei für eines der zwei Lager. CNN informierte zwar deutlich geringer über Terrorismus-Nachrichten als Al-Jazeera English, beim amerikanischen Nachrichtensender weisen allerdings rund 91 Prozent ihrer Beiträge keine Sympathien für die Kategorie „proarabisch“ oder „proisraelisch/prowestlich“ auf. Das europäische Pendant der beiden Sender fällt ebenfalls mit einer überwiegend neutralen Berichterstattung auf. Rund 90 Prozent aller Beiträge bezogen keine proarabische wie proisraelische Position. Jene Nachrichten, die eine befürwortende arabische Position einnahmen und Militärschläge des Westens oder Israels gegen arabische und palästinensische Bevölkerungsgruppierungen medial verurteilten, wurden mit bis zu 16 Prozent bei Al-Jazeera English beobachtet. Im medialen Vergleich ist Al-Jazeera dabei jener Sender mit dem höchsten proarabischen Anteil. CNN und BBC bedienten 238
sich lediglich bei rund acht Prozent ihrer Nachrichten einer befürwortenden arabischen Position. Mit weitaus geringeren Ausprägungen sind Berichte mit einer prowestlichen oder proisraelischen Ausrichtung zu erkennen. Die meisten Nachrichten bezogen während des sechsmonatigen Analysezeitraums jedoch keine Position und berichteten in sachlicher und neutraler Weise über die Terroranschläge im Nahen Osten. Folgende Grafik bezieht sich auf die Prozentwerte der Ergebnisse:
Abbildung 11: Proarabische, prowestliche und neutrale Berichte im Sendervergleich ; Quelle: eigene Darstellung
8.5
Religiöse Gründe für Anschläge
Die Religion wird bei allen drei Sendern eher selten als Anschlagsgrund angeführt. Über 90 Prozent aller Nachrichten bei AJE, CNN und BBC berichteten über Terroranschläge, Gewalt und terroristische Machenschaften im Nahen Osten vorwiegend säkular. Oftmals wurden andere Gründe angeführt oder es wurde versucht, einen Zusammenhang zu verschiedenen Ereignissen herzustellen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass Terrorismus hauptsächlich ein religiöses Problem darstellt und durch eine zunehmende Islamisierung immer gewalttätiger wird, lässt sich diese Annahme bei der Analyse nicht bestätigen. Meist wurden im Untersuchungszeitraum politische Gründe für Terrorattacken genannt. Die Aufständischen 239
in Pakistan aber auch in Afghanistan kämpften gegen politische Missstände, Korruption und internationale Besatzungstruppen. Unzufriedenheit sowie Vergeltungsschläge zählten ebenfalls zu Gründen für terroristisches Handeln. Die Religion spielte bei wenigen Anschlägen eine entscheidende Rolle. Beispiele für Anschläge, die einen religiösen Hintergrund hatten, sind jene, die sich immer wieder im Irak zutragen: Schiiten und Sunniten534 werden oft Opfer ihrer gegenseitigen Gewalt. Häufig sprengen sich während schiitischer Prozessionen im Irak Sunniten inmitten der Menschenmenge in die Luft und fordern so zahlreiche Menschenleben. Die innerislamische Auseinandersetzung der Nachfolge wird zwischen diesen beiden Gruppen immer wieder deutlich. Im Irak ereigneten sich vor allem während des Irak-Krieges, aber auch nach dem Abzug amerikanischer Truppen aus bestimmten Zonen immer wieder Anschläge gegen Schiiten. Dabei bekämpfen sich diese Gruppierungen beiderseits. Anlass für diese Unstimmigkeiten ist die Frage nach der rechtmäßigen Nachfolge des Propheten Mohammeds, weshalb sich die islamische Gemeinde in zwei Gruppen geteilt hat. Das Ashura-Fest535 gilt als einer der höchsten Festtage der schiitischen Muslime. An diesem Tag gedenken sie des Todes von Imam Hussein in Kerbela. Während der Prozessionen, an denen unzählige schiitische Gläubige teilnehmen, mischen sich häufig sunnitische Selbstmordattentäter unter die Menschen und zünden ihren Sprengsatz.
534 Schiiten und Sunniten unterscheiden sich kaum in ihrem Fundament. Unterschiede können bei der Glaubensausübung erkannt werden. Die Frage nach der Nachfolge Mohammeds entzweite die muslimische Gemeinschaft. Für die Nachfolge standen vier Anwärter zur Wahl, wobei Ali der rechtmäßige Kalif für die Schiiten darstellte. Die Herrschaft von Ali dauerte insgesamt fünf Jahre lang und stellte für die Schiiten – neben der Zeit des Propheten – das goldene Zeitalter des Islam dar. Im Jahr 661 wurde Ali getötet und ab diesem Zeitpunkt kam es zum endgültigen Brechen zwischen Schiiten und Sunniten. (Siehe Dissertation von Dr. Hüseyin I. Cicek: Kriteriologie und Signifikanz des christlichen, des muslimischen und des politischen Märtyrertums. Innsbruck, 2010. ) 535 Das Ashura Fest erinnert an den Tod des Sohnes Ali (Hussain), der als wahrer Vertreter des schiitischen Islam galt. Sein Bruder Yazid wurde zum Kalifen, habe allerdings die Werte des Islam nicht geachtet, weshalb Hussain einen Machtwechsel herbei zuführen versuchte. Im Oktober 680 kam es in Kerbela zur Schlacht in der Hussain und seine Gefolgschaft getötet wurde. Hussains Tod und sein Entschluss gegen die Tyrannen, die den Islam als Deckmantel für ihre Machtinteressen ausnutzten, anzukämpfen, gilt als Sinnbild des wahren islamischen Glaubens. Hussain stellt für die Schiiten den Islam in seiner reinsten Form dar. Der Festtag erinnert immer auch an diese Schlacht. (Siehe Dissertation von Dr. Hüseyin I. Cicek: Kriteriologie und Signifikanz des christlichen, des muslimischen und des politischen Märtyrertums. Innsbruck, 2010). Das Ashura Fest wird in großen schiitischen Gemeinden praktiziert wie unter anderem im Iran, Irak, Libanon, Syrien, Afghanistan und Pakistan. Aber auch in Saudi-Arabien, Bahrain und Aserbaidschan. Siehe: Die Presse.com. Ashura-Fest: Die Selbstgeißelung der Schiiten. http://diepresse.com/home/panorama/welt/355817/index.do?gal=355817&index=7&direct=&_ vl_backlink=&popup= (26.7.2010).
240
Bei Al-Jazeera English haben rund acht Prozent der Terrornachrichten einen religiösen Hintergrund, bei BBC knapp neun und bei CNN rund zehn Prozent. Damit kann von der weit verbreiteten Meinung einer zunehmend religiösen Islamisierung Abstand genommen werden. Zur besseren Veranschaulichung dient folgende Grafik, die ihre Ausprägungen in Prozentwerten festhält.
Abbildung 12: Relevanz der Religion bei Terroranschlägen Quelle: eigene Darstellung
241
8.6
Journalistische Interpretativität
Anhand der folgenden Grafik wird der Grad der journalistischen Wertung in der Nachrichtenberichterstattung festgehalten. Es wird dabei untersucht, ob die Beiträge von Seiten der Journalisten eher interpretativ beziehungsweise deskriptiv und faktenorientiert gestaltet sind. Sind dabei beide Elemente erkennbar, so wurde der Code „ambivalent“ zugeteilt. Alle drei Sender bedienen sich bei der Terrorberichterstattung einer deskriptiv, beschreibenden journalistischen Vorgehensweise. Anschläge werden sowohl bei AJE als auch bei CNN und BBC mit den wichtigsten Fakten wiedergegeben. So erfährt der Zuseher über den Ort des Ereignisses, Zahl der Opfer, Ausmaß des Schadens und die verantwortlichen Personen – sofern diese Informationen bereits vorhanden sind. Der sehr geringe Grad an interpretativen journalistischen Berichten, lässt sich vor allem durch die Thematik der Analyse erklären. Journalisten informieren die Zuseher – größtenteils auch aufgrund der zeitlichen Begrenzung – über die wichtigsten Fakten und geben ihnen bekannte Informationen weiter. Meist können die Reporter keine Vermutungen aufstellen, weshalb sich ein bestimmter Anschlag ereignet hat, da sich entweder bereits eine Gruppierung dazu bekannt hat oder die Gründe dafür offensichtlich auf der Hand liegen und es keiner Interpretation der Ereignisse mehr bedarf. Al-Jazeera English Reporter berichteten während des sechsmonatigen Untersuchungszeitraumes lediglich einmal klar interpretativ. Das bedeutet, dass bei einem Beitrag nicht das Ereignis selber im Mittelpunkt der Darstellung steht, sondern die Motive hinter dem Anschlag. Der Journalist bezieht dabei eine erkennbare interpretative Position. Der Beitrag handelte über die Auswirkungen des Krieges in Gaza und über das derzeitige menschliche Leid der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. Auch bei CNN konnten bei lediglich einem Nachrichtenbeitrag spekulative und strategisch kommentierende Elemente nachgewiesen werden. BBC verwendete kein einziges Mal ein interpretatives Stilmittel bei der Berichterstattung über Terroranschläge. Auch der Anteil der Nachrichten, die beide Elemente aufzuweisen hatten, liegt in einem bescheidenen Rahmen. Bei AJE weisen rund acht Prozent der Beiträge beide journalistische Elemente auf, bei CNN sieben und bei BBC rund drei Prozent. Über den gesamten Zeitraum hinweg konnten bei allen drei Sendern sehr deskriptive Elemente beobachtet werden. Dieses Ergebnis bestätigt die Reporter der jeweiligen Sender in ihrer journalistischen Arbeit und lässt somit keinen Sender als qualitativ minderwertiger erscheinen als die anderen. Alle drei bemühen sich um ein hohes Maß an Deskriptivität.
242
Abbildung 13: Journalistische Interpretativität bei den Nachrichten Quelle: eigene Darstellung
8.7
Beitragsqualität
Eine ähnliche Kategorie stellt die Ausprägung „Beitragsqualität“ dar. Da alle drei Medien über ein 24-stündiges Nachrichtenprogramm verfügen und via Satellit von Millionen von Zusehern empfangen werden können, sollte herausgefunden werden, ob Differenzen hinsichtlich der Beitragsqualität bestehen. Bedienen sich manche Nachrichtenstationen einer weniger sachlichen Berichterstattung oder wird Wert auf eine sachliche und faktenorientierte Wiedergabe der Ereignisse gelegt? Die Nachrichten bei Al-Jazeera English und CNN sind mit rund 98 Prozent sehr sachlich ausgerichtet. Bei BBC konnte man sogar keinen einzigen Bericht mit weniger sachlichen Elementen beobachten. Als möglichen Grund kann die Tatsache angeführt werden, dass bei Anschlägen meistens über die Fakten des Terrorattentats gesprochen wird und der Reporter möglichst genau die bekannten Informationen wiedergibt. Die Hypothese 4, wonach CNN eher als Boulevardmedium agiert, kann somit nicht bestätigt werden. CNN zeichnet sich durch eine sehr sachliche und deskriptive Berichterstattung über Terroranschläge aus.
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Weniger sachliche Nachrichten wurden in einem sehr geringen Ausmaß beobachtet: Bei Al-Jazeera English und CNN zählen rund zwei Prozent ihrer Nachrichten zu dieser Kategorie. Als nicht sachlich wurde bei AJE ein Bericht über die Zerstörung afghanischer Häuser durch ausländische Truppen vercodiert. Die Nachricht handelte von der wachsenden Unterstützung für die Taliban innerhalb der afghanischen Bevölkerung. Der Zuseher sieht zerstörte Häuser und Menschen, die dem Reporter erzählen, dass die ausländischen Truppen keinen Unterschied zwischen den Taliban und unschuldigen Kindern, Frauen oder Männern machen. Dabei wird ein 13-jähriger Junge gezeigt, der vor einem zerstörten Haus steht und weint. Er weint allerdings nicht, weil seine gesamte Familie bei dem Anschlag getötet wurde, sondern weil die Attacke das heilige Buch – den Koran – zerstört hatte. An dieser Stelle fragt der Reporter, ob er sich vorstellen könnte aufgrund dieses Ereignisses ein Selbstmordattentäter zu werden. Der schluchzende Junge bejaht die Frage. Bei einem weiteren Bericht geht Al-Jazeera auf das Gesundheitswesen in Gaza ein und beleuchtet, welche Wellen die Blockade der Israelis in Gaza schlagen. Es wird über ein junges palästinensisches Ehepaar berichtet, das ein sehr krankes Kind hat. Dieses Paar versucht seinen todkranken Jungen – der zwei angeborene Löcher am Herz besitzt – im Krankenhaus von Gaza behandeln zu lassen. Da die medizinische Einrichtung nur spärlich vorhanden ist, sollte das Paar mit seinem Jungen nach Israel fahren, um ihn dort behandeln zu lassen. Doch nach der Besorgung der unzähligen Sondergenehmigungen verstirbt ihr Sohn im Krankenhaus von Gaza. Bei CNN berichtet ein Reporter über die Waisenkinder von Pakistan, die wegen der Kämpfe gegen die Taliban ihre Eltern verloren haben. Es werden Kinder gezeigt, die eine ungewisse Zukunft besitzen. Zwischen den Zeilen wird zu verstehen gegeben, dass die Opfer des heutigen Terrorismus die zukünftigen Terroristen sein werden, da sie aufgrund fehlender Perspektiven leicht für die Sache des radikalen Terrorismus zu begeistern seien.
8.8
Anschlagsarten
In einem nächsten Analyseschritt sollen die Anschlagsarten, die sich während der Analyse ereignet haben, herangezogen werden. Die Reporter informierten die Medienrezipienten am häufigsten über Bombenanschläge im Nahen Osten. Als Bombenanschlag wurden Explosionen auf öffentliche Gebäude, Einrichtungen oder Autobomben codiert. Rund 22 Prozent aller Anschläge ereigneten sich auf diese Weise. Dabei wurden mehrfach Autobomben gezündet. Die besonders große Kategorie von nicht zuordenbaren Anschlagsarten (21,2%) ist auf Beiträge 244
zurückzuführen, die über terroristische Machenschaften berichten. Oftmals informierten die Journalisten über verschiedene Attentäter und Terrorgruppierungen, ihre Zielen und ihre bereits begangenen Taten. Ein weiterer Ausdruck terroristischer Gewalt sind Selbstmordattentäter: Im ersten Halbjahr des Jahres 2009 zählten rund 18 Prozent aller Berichte über Terroranschläge zu dieser Form des Terrors. Dabei sprengten sich einzelne Radikale bei großen Menschenansammlungen oder wichtigen symbolischen Orten in die Luft und versuchten dabei möglichst viele Personen zu töten. Die meisten Selbstmordanschläge ereigneten sich in Pakistan, dem Irak und in Afghanistan. Durch Raketenanschläge mussten viele, meist unschuldige Zivilisten ihr Leben lassen. Diese Anschlagsart wurde hauptsächlich im Zusammenhang des IsraelGaza-Krieges beobachtet. Die Reporter berichteten oft über Raketen, die vom Gazastreifen nach Israel und umgekehrt abgefeuert wurden. Die Taliban in Pakistan und Afghanistan sowie die internationalen Truppen wendeten öfters Raketen gegen den jeweiligen Feind an. 14 Prozent der Anschläge beruhen auf Raketenanschlägen. Gezielte Tötungen von Gegnern wurden in den Medien bei rund zehn Prozent der Nachrichten behandelt. Zu der Kategorie „sonstige Anschlagsarten“ zählen zum einen Berichte, die den Konflikt zwischen Israel und der Hamas beleuchten. Dabei wird auf die kriegerische Auseinandersetzung der zwei Parteien eingegangen und die Waffenstillstandsverhandlungen thematisiert. Aber auch die Diskussion um ein Al-Qaida Mitglied, das seit Jahren in Großbritannien inhaftiert ist, zählt zu dieser Kategorie. Oft berichten die Medien von Soldaten oder Menschen, die bei einem Anschlag getötet worden sind; die Anschlagsart wird dabei jedoch nicht erwähnt. Das Verwenden von Tränengas gegen feindlich gestimmte Lager wurde ebenfalls in diese Kategorie mit aufgenommen. Nachrichten, die sich mit der Bestrafung der Bevölkerung aufgrund unsittlichen Verhaltens auseinandersetzen, fallen gleichermaßen in die Kategorie „sonstige Anschlagsart“. In einem geringeren Ausmaß wurden Entführungen beobachtet. Als die wahrscheinlich spektakulärste Entführung galt jene von zwei AJE Produzenten, die insgesamt drei Tage andauerte. Während dieser Zeit wurden sie von Geheimdiensten verhört. Welche Geheimdienste dies waren, wurde nicht erwähnt, auch nicht, weshalb man sie verhört hatte. Es wurde lediglich angemerkt, dass die zwei Journalisten kurz zuvor an einer Reportage über die Taliban in Afghanistan gearbeitet hatten. Insgesamt berichteten die drei Medien 23 Mal über Entführungen im Nahen Osten. Dabei fielen vor allem die Taliban als die dafür zumeist verantwortliche Gruppierung auf. Brandanschläge ereigneten sich hauptsächlich in Pakistan aber auch in Indien. Indien wurde dabei vor allem im Zusammenhang mit den Mumbai-Anschlägen im Dezember 2008 medial thematisiert. In Pakistan setzten vor allem 245
Kämpfer der Taliban immer wieder internationale Hilfskonvois und andere Transportmittel in Brand. Diese Form wurde bei 2,5 Prozent der Nachrichten als Anschlagsart genannt. Nachrichten, die sich rein mit Luftangriffen als Anschlagsart auseinander setzten kamen zu rund einem Prozent vor. Dies waren Berichte über die Verwendung von giftigen Chemikalien, vor allem weißen Phosphors, eingesetzt von den Israelis gegen die Palästinenser. Diese kamen acht Mal vor. Was allerdings nicht bedeutet, dass lediglich acht Mal über den Missbrauch von weißem Phosphor berichtet wurde: Jene acht Artikel beschäftigten sich überwiegend mit dieser Thematik. Nachrichten, die sich mit Massenvernichtungswaffen im Zusammenhang mit Terrorismus auseinandersetzten, wurden lediglich einmal beobachtet. Dabei sprach die Nummer Drei von Al-Qaida – Mustafa Abul Yazeed – in einem Bericht von Al-Jazeera English, über die für ihn sehr interessante Massenvernichtungswaffe. Er erklärte, Massenvernichtungswaffen gegen die USA anwenden zu wollen, wenn er an diese gelangen würde. Flugzeugentführungen fanden während der Untersuchung keine statt.
Abbildung 14: Die häufigsten Anschlagsarten Quelle: eigene Darstellung
246
8.9
Visuelle Veranschaulichung der Anschlagswaffen
Die Medien bedienen sich bei der visuellen Berichterstattung über terroristische Gewalt einer Bildsprache, die häufig Waffen und deren Überbleibsel zeigen. Die „Zeugen“ begangener Gewalt werden dann gefilmt, wenn Bilder von ihnen vorhanden sind. Am häufigsten wurde während der Untersuchung auf die visuelle Darstellung von Waffen verzichtet. Rund 78 Prozent der relevanten Nachrichten (n=529) fielen in diese Kategorie. Dieser große Prozentsatz lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass die Medien nicht immer auf Filmmaterial der neuesten Anschläge zurückgreifen konnten, somit die Nachrichten entweder anhand einer Infografik dargestellt oder vom Nachrichtensprecher verlesen wurden. Vielfach waren jedoch keine Waffen am Anschlagsort zu finden. Bilder von Waffen, die im Zusammenhang mit einem Anschlag standen, wurden hauptsächlich durch Explosionskörper dargestellt. Die Überreste von eingeschlagenen Bomben oder Waffen können bei rund sieben Prozent der Berichte (n=49) beobachtet werden. Durch das Filmen von Explosionskörpern wird der Anschlag dem Zuseher etwas näher gebracht, und der Rezipient kann sich dadurch ein besseres Bild von der geschehenen Gewalt machen. In Verbindung mit terroristischen Aktivitäten und den damit zusammenhängenden Anschlägen, sind Waffen aller Art gern gewählte Bilder der Journalisten. Sie finden in fast gleichem Maß (n=47) Eingang in die Berichtgestaltung der Reporter. Explosionen können bei lediglich 20 Berichten visuell beobachtet werden; hierzu muss die Explosion von einem Passanten oder einem zufällig anwesenden Kamerateam gefilmt werden. Aufgrund dieser Bedingung lässt sich die geringe Zahl an gezeigten Explosionen erklären. Eine ähnliche Problematik stellen Feuer und noch brennende Gegenstände für Journalisten dar: Bilder dieser Art können nur kurze Zeit nach einem Anschlag aufgenommen werden. Um an diese Bilder zu gelangen, müssen sich die Reporter entweder zufällig am Ort des Geschehens aufhalten oder innerhalb kürzester Zeit dort eingetroffen sein. Solche Bilder sind während der sechs Untersuchungsmonate bei 17 Nachrichten erkannt worden. Rauch als eigenständige Kategorie wird bei rund zwei Prozent der Berichte (n=11) visuell als Anschlagsresultat angeführt. All jene Waffen, die nicht in dem vorgefertigten „Waffenkatalog“ aufscheinen, wurden unter „weitere Waffen“ angeführt. Darunter fallen vier Beiträge. Das Filmen von Raketen als Anschlagswaffe konnte bei drei Nachrichten beobachtet werden. Dabei ist anzumerken, dass es durchaus möglich sein kann, dass mehrere Anschlagswaffen innerhalb eines Berichtes vorkamen. Bei diesen Fällen wurden jene Waffen zugeteilt, die als „Hauptwaffe“ eruiert werden konnte.
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Abbildung 15: Die häufigsten Anschlagswaffen in der visuellen Berichterstattung ; Quelle: eigene Darstellung Betrachtet man sich die Ergebnisse der einzelnen Sender, so erkennt man, dass AJE und die BBC am häufigsten keine Waffen in der visuellen Aufarbeitung anführen. Dies sind je 78 Prozent ihrer Nachrichten über Terroranschläge. Beim amerikanischen Sender CNN sind es 77 Prozent. Von den 529 Berichten, die keine Waffen anführen, wird der größte Teil bei AJE ausgestrahlt (49%). Rund 28 Prozent sind es bei BBC und 23 bei CNN. Bilder der Explosionskörper und Explosionen finden sich größtenteils bei AJE. Die Visualisierung von Waffen als Werkzeug terroristischer Attentäter wird bei allen drei Medien ungefähr gleichermaßen oft verwendet. Feuer als Zeugen der eben geschehenen Gewalt können die Zuseher vorwiegend bei CNN erkennen. Rauch, weitere Waffen sowie Raketen werden von allen drei Sendern gleichermaßen gesendet.
8.10 Nachrichtengeografie Die meisten Anschläge fanden während des Beobachtungszeitraumes in Pakistan statt. 290 Mal wurde über Pakistan im Zusammenhang mit Terrorismus berichtet. Ausschlaggebend für diese hohe Zahl sind die Kämpfe des pakistanischen Militärs mit den Taliban. Aber auch unzählige Bomben- und Raketenanschläge ereigneten sich in diesem Land. Dieses Ergebnis überrascht, da Afghanistan vorwiegend als 248
Krisenherd in den Medien dargestellt wird. Auch der Irak wurde immer wieder zum Schauplatz terroristischer Aktivitäten. Wenige Tage vor dem Abzug amerikanischer Truppen aus einigen Städten nahm die Gewalt erheblich zu. Immer wieder wurden schiitische Pilger Opfer der innerislamischen Auseinandersetzung. Doch auch Anschläge gegen Polizisten, das Militär und andere Institutionen wurden während der sechsmonatigen Untersuchung wahrgenommen. Der Irak wurde bei insgesamt 122 Nachrichten (18%) als Austragungsort terroristischer Anschläge genannt. In etwa demselben Ausmaß trat Afghanistan in den medialen Mittelpunkt. Kämpfer der Taliban aber auch andere Extremisten verübten laufend Anschläge gegen Regierungsgebäude, ausländische Truppen und einzelne Personen. In 119 Nachrichten wurde über terroristische Machenschaften und Terrorereignisse in den Medien berichtet. Doch auch die palästinensischen Autonomiegebiete – wie der Gazastreifen und das Westjordanland – kommen bei rund acht Prozent der relevanten Berichte über Terroranschläge vor. Das Land Israel wird vergleichsweise halb so oft als Bühne für terroristische Taten gewählt. Indien scheint in der Analyse deshalb so weit vorne auf, da das Attentat von Mumbai ein weiteres Mal medial aufgerollt wurde und dabei Verbindungen nach Pakistan hergestellt werden konnten. 23 Nachrichten behandelten während des Analysezeitraums die Attentate von Mumbai im Dezember 2008. Die folgenden Länder wurden nur selten im Zuge von Terroranschlägen medial wahrgenommen: Der Jemen kam insgesamt achtmal und der Libanon siebenmal vor. Die EU-Länder wie die USA wurden je fünfmal in Verbindung mit terroristischen Aktivitäten genannt, Nicht-EU-Länder insgesamt dreimal. Iran, Algerien und der Sudan wurden je zweimal genannt, wobei hier anzumerken ist, dass die Wahlen im Iran und die damit verbunden Ausschreitungen nicht in die Analyse mit einbezogen wurden. Syrien, Jordanien, Ägypten und das „sonstige Afrika“ kamen je einmal in Verbindung mit Terrorismus vor.
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Abbildung 16: Anschlagsländer Quelle: eigene Darstellung
8.11 Anschlagsorte Kumuliert über den gesamten Untersuchungszeitraum berichten die Medien über Terroranschläge vorwiegend ohne eine Angabe zum Detonationsort zu machen. Das sind rund 39 Prozent aller Berichte (n=267). Sind Informationen über den Ort des Geschehens vorhanden, so kann man erkennen, dass die Terroristen besonders häufig auf offener Straße ihre Sprengsätze zünden, da sich die Bevölkerung vor dieser Art der Gewalt nicht schützen kann. Diese Tatsache gestaltet den Lebensalltag der Menschen immer gefährlicher, da sie der willkürlichen Gewalt der Terroristen ausgesetzt sind und ihr nicht entkommen können. So werden in rund 17 Prozent aller Nachrichten (n=113) offene Straßen als Anschlagsort angegeben. Öffentliche Plätze und Gebäude stellen zudem ein großes Sicherheitsrisiko für die Menschen dar. Sie sind gern gewählte Orte, um die Präsenz von radikalen Gruppen im Land zu demonstrieren. Diese Anschlagsorte kamen bei rund 14 Prozent (n=92) der relevanten Nachrichten vor. Kämpfer der Taliban haben während des Untersuchungszeitraums immer wieder strenge Sicherheitsvorkehrungen in Afghanistan oder Pakistan durchbrochen und zündeten mehrere Bomben auf öffentlichen Plätzen. Einzelne Selbstmordattentäter konnten durch mehrere Sicherheitschecks gelangen und sprengten sich auf Märkten, vor 250
Polizeistationen oder in Einkaufszentren in die Luft. Besonders häufig waren Anschläge auf Märkte, in Schulen und Polizeistationen. Doch auch Wohnhäuser und Siedlungen wurden oft zum Ziel des Anschlages. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg berichteten die Medien 59 Mal, das sind rund neun Prozent, über Anschläge auf Wohnhäuser und Siedlungen. Bekanntestes Beispiel war dabei der US-Luftangriff auf ein afghanisches Dorf in Farah. Weitere gern ausgewählte Anschlagsorte stellen Pilgerstätten und Pilgerzüge dar. Auch vor und in den Moscheen kam es häufig zu Anschlägen. Insgesamt berichteten die drei untersuchten Sender 46 Mal darüber. Tourismuseinrichtungen wurden, entgegen manche anderer Erwartung, nicht so oft zum Anschlagsziel. Rund fünf Prozent der News handeln von Anschlägen auf Tourismuseinrichtungen in den verschiedenen Ländern. Brücken, Flughäfen und Schmuggeltunnel zählen zur Kategorie „Infrastruktur“ und wurden zu rund vier Prozent (n=24) Opfer von Anschlägen. Ferner zählen Regierungsgebäude zu häufig gewählten Anschlagsorten. Damit wollen bestimmte terroristische Gruppierungen ihren Unmut gegen die derzeitige politische Elite und Situation zeigen. Außerdem demonstrieren sie Präsenz und Macht, da es ihnen gelingt Sprengsätze vor gut bewachten Gebäuden detonieren zu lassen. Rund zwei Prozent der Beiträge (n=16) handeln von Anschlägen und Terroraktivitäten gegen Regierungsgebäude. Sonstige Anschlagsorte sind all jene, die nicht in der zusammengestellten Liste vorkamen. Darunter fallen 15 Beiträge der Berichterstattung. Unter Anschlägen auf soft-targets versteht man hauptsächlich Anschläge auf Menschenansammlungen. Wenn bei den Beiträgen nicht explizit auf Menschenansammlungen bei Märkten eingegangen oder dies anhand der Berichterstattung ersichtlich wurde, so wurde der Indikator „soft-target“ zugeteilt. Somit lässt sich der niedere Wert an Anschlägen dieser Art erklären. Lediglich 1,5 Prozent der Beiträge (n=10) handeln von Anschlägen auf Menschenansammlungen. Über Anschläge auf Luftwaffenstützpunkte berichteten die Medien insgesamt zweimal.
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Abbildung 17: Anschlagsorte der Terroristen Quelle: eigene Darstellung
8.12 Visuelle Darstellung des Anschlagsortes: Die Wirklichkeit der Bilder Das Bild vom Anschlagsort gewinnt nicht durch eine reine Abbildung des Realen an Bedeutung, sondern wird erst dann bedeutungs- und vor allem wirkungsvoll, wenn es anhand des Gezeigten eine Bedeutung transportiert.536 Wie zum Beispiel das Bild vom Fall der Saddam Hussein Statue im Jahr 2003 oder Bilder von den unter Wasser stehenden Häuser von New Orleans, die bei dem Hurrikane „Katrina“ beschädigt wurden. Zu gelungenen Bildern zählen jene, die eine universelle Botschaft transportieren können. Dies sollte unabhängig von sozialen, religiösen und ethnischen Zusammenhängen erfolgen und somit für jeden einfach und global verständlich sein.537 Aufgrund des hohen Emotionalisierungsgrades, die diese Bilder mit sich
536 Haller, 2008. S. 45. 537 Ebenda, S. 45-46.
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bringen, entsteht zusätzlich ein Identifikationspotential und bietet Frame-artige Verhältnisse, wie etwa: Gut-Böse, Angst/Sicherheit und Geborgenheit/Verlorenheit.538 Zuseher entdecken in emotionalen Bildern ein zweites, symbolisches Ausmaß, welches gerade beim Bild das Geschehen wiedergibt und den Gesamtschauplatz ausmacht. Solche einzelnen Bilder oder winzigen Schnappsschüsse stehen sinnbildlich für ein gesamtes Ereignis. So steht – zum besseren Verständnis – das vietnamesische Mädchen Kim Phuc, welches nackt und mit verzweifeltem Gesicht aus dem von Napalmbomben zerstörten Dorf flieht, als Zeichen kriegerischer Grausamkeiten. Die Menschen, die am 11. September 2001 von den brennenden Wolkenkratzertürmen in die Tiefe sprangen, versinnbildlichen die Verletzlichkeit der Menschen.539 Diese Bilder werden als so genannte Schlüsselbilder bezeichnet, da sie während eines Nachrichtenbeitrages eine ganz besondere Rolle einnehmen und sich in das Gedächtnis der Zuseher quasi einbrennen. Das reale Geschehen wird aufgrund dieser Bilder verkürzt und lediglich wegen des symbolischen Gehaltes wahrgenommen. Bei folgendem Analyseschritt werden die Bilder des Anschlagortes analysiert. Dabei gilt es herauszufinden, mit Hilfe welcher Bilder die Medien die Szenen nach einem Anschlag wiedergeben. Hauptaugenmerk liegt hierbei beim ersten Eindruck, die der Zuseher vor dem Bildschirm erhält. Dabei sind drei Zuteilungen pro Beitrag möglich; in der folgenden Grafik wurden die Mehrfachzuteilungen bei und mit den Sendern zusammengelegt und prozentuell dargestellt. Am häufigsten wurde während der Analyse auf die visuelle Darstellung des Anschlagortes verzichtet. Bei rund 25 Prozent der Nachrichten (n=269) konnten keine Bilder beobachtet werden. Diese Tatsache lässt sich unter anderem mit der journalistischen Darstellungsform erklären. Oftmals informieren die Reporter mittels Kurznachrichten in der Meldungsübersicht über terroristische Aktivitäten. Begrenzte Sendezeit, aber auch geringe Informationen über soeben begangene Taten können als Grund für eine mangelnde Bildpräsenz des Anschlagsortes angeführt werden. Die meisten Nachrichten, die ohne Bilder über Anschläge wahrgenommen wurden, sind die von Al-Jazeera English. Menschenmassen werden häufig in Verbindung mit Anschlägen gezeigt. Diese sind bei rund 17 Prozent aller Nachrichten (n=186) als eine der drei möglichen Zuteilungen anzutreffen. Sie wurden teilweise selber zu Opfern oder befanden sich in unmittelbarer Nähe, als der Terroranschlag stattfand. Zahlreiche Passanten und Schaulustige finden sich am Anschlagsort ein und betrachten das Ausmaß der Zerstörung. Gleichermaßen oft werden zerstörte Häuser und Gebäude im 538 Haller, 2008. S. 46. 539 Haller, 2008. S. 47.
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Zusammenhang von Terroranschlägen gezeigt. Durch die Detonation der Bombe oder gezielte Schüsse werden umliegende Häuser und Gebäude oft in Mitleidenschaft gezogen. Sie sind visuelle Zeugen der terroristischen Gewalt und lassen dem Betrachter Einblick in das Ausmaß des Anschlages geben. Das höchste Maß an Bildern von zerstörten Häusern wurde bei der englischen Version des arabischen Senders Al-Jazeera identifiziert. Bilder von Soldaten werden bei allen drei Medien gerne herangezogen. Sie sollen ein Gefühl von Sicherheit und wiederkehrender Stabilität sowie eine Rückkehr zur staatlichen Ordnung signalisieren. Diese Bilder wurden zu rund elf Prozent (n=119) unter den drei Zuteilungen codiert. Aufgrund der hohen Zahl an Selbstmordanschlägen und Staßenbomben konnte man bei allen drei Sendern zu rund zehn Prozent zerstörte Autos erkennen. Dies sind 106 Zuteilungen während des Untersuchungszeitraumes. Sehr häufig wurden Blutspuren oder Blutlachen am Anschlagsort gefilmt, die zusätzlich die Brutalität der Anschläge optisch untermauern sollen. Diese Bilder wurden bei rund fünf Prozent (n=52) der Berichte gezeigt. Im medialen Vergleich konnten die meisten Blutspuren bei Al-Jazeera English erkannt werden. BBC und CNN bewegen sich in einem ähnlichen Bereich. Terroranschläge fordern oftmals unzählige Opfer. Eine visuelle Präsenz der Ambulanz und der Sanitäter ist somit erklärbar. Sie sind bei rund vier Prozent der Nachrichten (n=47) am Anschlagsort als eines der drei zuteilbaren Bildern gezeigt worden. Auch bei dieser Sparte konnten die meisten Bilder bei AlJazeera English beobachtet werden. Öfters wurden Flüchtlingslager zum Schauplatz verschiedener Anschläge oder im Zusammenhang mit einer terroristischen Aktivität gefilmt. Sie scheinen insgesamt 35 Mal als Bild des Anschlagsortes auf. Einige Male trafen die TVSender auch erst bei den bereits eingesetzten Aufräumungsarbeiten nach einem Anschlag am Ort des Geschehens ein und berichteten anhand dieser Bilder (n=33) über die Taten. Bilder von Aufräumarbeiten kommen mit bis zu 55 Prozent bei AJE, mit 24 Prozent bei CNN und mit 21 Prozent bei der BBC vor. Das Militär als eigenständige Gruppierung wurde bei rund drei Prozent der Berichte beobachtet, das entspricht 31 Beiträgen. Reporter kommen aber auch zu Anschlagsorten, bei denen noch nach verschütteten Opfern gesucht wird. Bei 17 Nachrichten (1,6%) werden solche Bilder als eine der drei Auswahlmöglichkeiten gezeigt. Andere Bilder der Anschlagsorte werden mit bis zu 1,6 Prozent (acht Beiträge) beobachtet, wobei sechs davon bei Al-Jazeera English und zwei bei CNN vorkamen.
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Abbildung 18: Visuelle Darstellung des Anschlagortes Quelle: eigene Darstellung
8.13 Ausmaß des Schadens Dieser nächste Analyseschritt soll Aufschluss darüber geben, auf welche Aspekte im Beitrag eingegangen wird. Werden eher das menschliche Leid und die Opfer in den Vordergrund der Berichterstattung gestellt, so wurde der Frame „menschliches Leid/Opfer“ vercodiert. Berichten die Reporter allerdings ausschließlich über die materiellen Verluste, die ein Anschlag mit sich bringt, so wird „eher materiell“ zugeteilt. Zudem wurden Berichte beobachtet, die einerseits das menschliche Leid, andererseits aber auch die materiellen Verluste nicht ganz außer Acht ließen. In diesem Fall konnte „beides“ zugeteilt werden. Falls eine Nachricht auf gar keinen dieser Aspekte einging, so wurde „nicht zuordenbar“ vercodiert. Im medialen Vergleich ergeben sich folgende Erkenntnisse: Das menschliche Leid und deren Verluste waren bei allen drei Medien der wichtigste Aspekt der Berichterstattung. Die Reporter legten größtenteils ihr journalistisches Hauptaugenmerk auf die Folgen und Auswirkungen der Opfer und Beteiligten. AJE informiert ihre Zuseher bei 74 Prozent der relevanten Nachrichten (n=244) über das menschliche Leid im Zuge der Terroranschläge und die Schicksalsschläge die die Opfer erfahren mussten. CNN bedient sich mit bis zu 68 Prozent dieses Merkmals und stellt das menschliche Leid in den 255
Vordergrund ihrer Berichterstattung (n=109). Die britische BBC beleuchtet mit bis zu 67 Prozent (n=126) die menschliche Seite und das Leid. Zweitbedeutendster Frame stellt bei allen drei Untersuchungsmedien die Kategorie „nicht zuteilbar“ dar. Darunter fallen all jene Nachrichten, die weder auf die menschlichen noch auf die materiellen Verluste eingehen. Die Ausprägungen der einzelnen Sender bewegen sich zwischen 23 und 31 Prozent. Al-Jazeera English informiert bei 75 Nachrichten ihre Rezipienten über Terroranschläge, ohne auf einen menschlichen oder materiellen Verlust einzugehen. Bei den Berichten von CNN geschieht dies bei 49 Nachrichten und bei der britischen BBC bei 57. Beiträge, die in gleich großem Umfang über das menschliche wie das materielle Leid informieren, werden in geringerem Ausmaß beobachtet. Zu erkennen sind sie bei lediglich elf Nachrichten von Al-Jazeera English, drei von CNN und zwei von der BBC. Die deutlich kleinste Kategorie stellen jene Nachrichten dar, die sich ausschließlich auf die materiellen Verluste konzentrieren. Dies erscheint in Ländern, in denen täglich Anschläge begangen werden, zweitrangig, da das Wohl der Bevölkerung weitaus bedeutungsvoller ist. AJE und die BBC berichten je zweimal über vorwiegend materielle Verluste. Ausschließlich materielle Schadensausmaße werden bei CNN bei keinem Nachrichtenbeitrag beobachtet. Analysiert man nun die Ergebnisse der einzelnen Sender miteinander, so erkennt man, dass die Nachrichten, die sich eher auf den materiellen Verlust konzentrieren, zu 50 Prozent bei Al-Jazeera English und 50 Prozent bei BBC beobachtbar sind. Jene Beiträge, die das menschliche Leid in den Vordergrund der Berichterstattung stellen, werden mit bis zu 61 Prozent beim arabischen, mit 26 Prozent beim britischen und bei rund 23 Prozent beim amerikanischen Sender beobachtet. Insgesamt wurden 479 Beiträge mit einem Fokus auf das menschliche Leid analysiert. Das materielle wie das menschliche Leid wurde bei allen Sendern zusammen insgesamt 16 Mal ausgemacht und teilt sich mit 69 Prozent bei AJE, 19 Prozent bei CNN und 13 Prozent bei der BBC auf. Nachrichten, die keines der genannten Elemente aufweisen, waren 181 Mal vorhanden.
Tabelle 5: Thematisierung des Schadenausmaßes im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
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8.14 Einzelereignis vs. Gesamtereignis Anhand dieser Kategorie wird verdeutlicht, in welchem Ausmaß die drei zu untersuchenden Sender auf Einzelereignisse – wie zum Beispiel das Leid und Schicksal einer Familie – oder auf Gesamtereignisse eingehen. Oft kann aufgrund zeitlicher Beschränkungen nicht auf das Gesamtproblem der politischen Situation eingegegangen werden, deshalb ist diese Kategorie auch deutlich geringer vorhanden als etwa der Frame „Einzelereignis“. Bei allen drei Sendern wird eher über Einzelereignisse sowie über die Folgen und Auswirkungen eines Anschlages berichtet. Dabei informieren die Journalisten die Weltöffentlichkeit über die Zustände und Folgen des Anschlages auf ein Volk oder auf einzelne Personen. Anhand der Einzelereignisse wird im Laufe des Beitrages meist auf die größere Dimension des Problems eingegangen. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch bei der Berichterstattung über einen einzelnen Anschlag. Al-Jazeera English bedient sich bei der Beschreibung des Problems zu rund 61 Prozent einer durch Einzelereignissen beladenen Nachricht. Sie stellen bei 201 Beiträgen die Schicksalsschläge der Opfer und Hinterbliebenen in den Mittelpunkt. Bei CNN weisen rund 58 Prozent (n=93) der Gesamtberichterstattung diese Elemente auf. Die BBC informiert ihre Zuseher bei rund 70 Prozent der Nachrichten, die von terroristischen Anschlägen und kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten handeln, anhand von einzelnen kleinen Ereignissen. Meistens stellt sie den Anschlag als solches in den Mittelpunkt der Nachricht und beleuchtet deshalb keine Hintergründe, die möglicherweise ausschlaggebend für ein weiteres Verstehen der Gewaltwelle ist. Die Fokussierung auf Einzelereignisse scheint bei der BBC in 130 Beiträgen auf. Nachrichten, die sich nicht nur mit dem begangenen Anschlag auseinandersetzen, dem Zuseher Einblicke in die Gesamtproblematik geben und einen historischen Überblick anführen, werden bei CNN bei rund 40 Prozent der Berichte (n=65) beobachtet. Dabei steht der Anschlag aber auch der „politische Mantel“, der ausschlaggebend für die sicherheitspolitische Situation eines Landes ist, im Zentrum des Interesses. So werden die Anschläge in einen historischen Kontext gebettet und anhand der Gesamtproblematik analysiert. Bei Al-Jazeera English scheinen Nachrichten, die das Gesamtereignis in den Vordergrund stellen, bei 126 Beiträgen auf (38%). Die BBC berichtet bei 54 Berichten über Anschläge mit einem Blick auf die Gesamtproblematik. Berichte, die einerseits das Einzelereignis in den Vordergrund stellen, dabei aber dennoch das Gesamtereignis im Auge behalten, wurden lediglich zweimal bei Al-Jazeera English erkannt. CNN und BBC berichteten entweder über das Attentat und dessen Folgen oder befassten sich mit dem Gesamtereignis. Bei allen drei
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Sendern konnten jeweils drei Nachrichten keiner der aufgezählten Kategorien zugeteilt werden und waren somit nicht zuordenbar. Da AJE über ein Mehr an Nachrichten verfügt, konnte man bei allen Zuteilungen eine deutlich größere Gewichtung erkennen als dies bei CNN oder BBC der Fall ist. Im medialen Vergleich stellt Al-Jazeera English dabei anteilsmäßig immer einen größeren Prozentsatz dar. Zur visuellen Veranschaulichung wird folgende Grafik angeführt:
Abbildung 19: Einzelereignis versus Gesamtereignis Quelle: eigene Darstellung
8.15 Beitragshauptakteur: Gesamtdarstellung Bei der Kategorie „Beitragshauptakteur“ wurden jene Akteure codiert, welche die Hauptpersonen der Nachricht darstellen. Dabei konnten pro Beitrag maximal drei Akteure zugeteilt werden. Anhand der folgenden Darstellung wird veranschaulicht, wie oft die einzelnen Kategorien insgesamt zugeteilt wurden, unabhängig davon ob sie als primärer, sekundärer oder tertiärer Akteur vercodiert wurden. Am häufigsten wurden die Taliban als einer der drei Hauptakteure genannt. Dies lässt sich durch ihre hohe Gewaltbereitschaft während der sechs Untersuchungsmonate erklären. Sie scheinen häufig im Zusammenhang mit den Ereignissen in Pakistan, den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem pakistanischen Militär aber auch ihren 258
Aktivitäten im benachbarten Afghanistan in den Medien auf. Durch Anschläge und terroristische Gewaltausübungen gegen die Bevölkerung und gegen internationale Truppen waren sie über den Untersuchungszeitraum hinweg ständig in den Medien präsent. Bei rund 18 Prozent (n=275) aller Berichte wurden die Taliban als Akteur der Terrornachricht genannt. Folglich waren auch die Opfer der Anschläge relativ häufig medial vertreten und wurden bei 250 Nachrichten (16,4%) als Hauptakteur zugeteilt. Einzelne Selbstmordattentäter oder Radikale, die keiner Gruppe angehörten, wurden während der Medienanalyse unter der Kategorie „sonstige Terroristen“ angeführt. Sie schienen bei rund 13 Prozent der Berichte als Hauptakteure auf. Im Zuge der Anschläge werden häufig das Militär oder Soldaten gefilmt, die entweder unmittelbar von dem Attentat betroffen sind oder für die Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit sorgen. Soldaten werden bei 161 Berichten (10,6%) als Hauptakteur codiert. Doch auch die Bevölkerung (n=158) stellt einen wichtigen Teil des Akteurkatalogs bei den Nachrichtensendungen dar. Journalisten informieren über das Leid einzelner Bevölkerungsgruppen, die aufgrund zunehmender Gewaltwellen flüchten. Häufig wurden sie nach einem Anschlag für Interviews herangezogen und berichteten über die aktuelle Situation. Einzelne Politiker oder die Politik/Regierung im allgemeinen wurden während der Analyse eher selten als einer der drei Hauptakteure bei einem Beitrag angeführt. Sie äußerten sich vergleichsweise selten zu Anschlägen oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Debatte nach dem Gaza-Krieg, die während der gesamten Untersuchung immer wieder von palästinensischen und israelischen Politikern aufgegriffen wurde, war neben den kriegerischen Auseinandersetzungen in Pakistan der Hauptgrund, ein Statement abzugeben. Auch die zunehmende Gewaltbereitschaft einzelner Gruppierungen im Irak veranlasste manche Politiker, sich zu äußern. Zu Anschlägen, die vergleichsweise weniger Opfer forderten als der Krieg in Gaza oder den Kämpfen in Pakistan, nahmen Politiker keine Stellung. Einzelne Anschläge richteten sich allerdings gegen die Politik und ihre Vertreter. Bei diesen Ereignissen kamen folglich die Politiker zu Wort. Die USA und Israel wurden als einzige zwei Länder in den Akteurskatalog mitaufgenommen, da sie durch ihr Auftreten im Nahen Osten eine wichtige Rolle in dieser Region spielen. Die Vereinigten Staaten waren vor allem durch ihre Truppenpräsenz in den relevanten Gebieten immer wieder zum Ziel verschiedener Anschläge geworden. Häufig berichteten die Sender allerdings auch von Angriffen gegen Radikale, die von den amerikanischen Truppen ausgingen. Insgesamt wurden die USA 111 Mal als Hauptakteur bei den Nachrichten zugeteilt (7,3%). Das Land Israel spielte bei 68 Zuteilungen eine bedeutende Rolle bei den Berichten der drei Sender.
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Die Palästinenser nahmen vor allem in den Berichten über den Krieg in Gaza und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung einen bedeutenden Part ein. Immer wieder wurden sie zu den Ereignissen befragt, ihre derzeitige Situation medial beleuchtet und Unklarheiten mit Hilfe der Bevölkerung zu lösen gesucht. Der andauernde Konflikt in den Grenzgebieten zu Israel und die wöchentlichen Demonstrationen gegen einen Stopp des Siedlungsbaues waren Grund für ihre vergleichsweise große mediale Präsenz. Bei 37 Nachrichten (2,4%) konnten sie als Hauptakteur angeführt werden. Das geringe mediale Vorkommen der Hamas lässt sich mit dem Ende des Gaza-Krieges erklären. Sie wurden nur mehr in 30 Beiträgen als Akteur genannt, was zwei Prozent innerhalb der Hauptakteure ausmacht. Nach dem Krieg waren vor allem Waffenstillstandsverhandlungen mit Israel Grund für ihr mediales Auftreten. Das wohl überraschendste Ergebnis stellt die geringe Anzahl an Al-Qaida Hauptakteuren während des sechsmonatigen Untersuchungszeitraumes dar. Sie schienen nur 24 Mal als Akteur auf. Dabei ist allerdings anzuführen, dass die Taliban in Pakistan und Afghanistan oft mit der Al-Qaida zusammenarbeiten. Dennoch treten in den Medien lediglich die Taliban als Hauptakteur bei der Nachrichtenberichterstattung auf, die Al-Qaida während dieser Zeit nur in geringem Maß. Institutionen und deren Vertreter werden in den Medien sehr selten als Akteur wahrgenommen. Sonstige Terrorgruppen, Experten, Geiseln, die Person Osama bin Laden, die Opposition und weitere Akteure spielen eine minimale Rolle bei den Nachrichten. Vor allem Experten kamen häufiger zu Wort, konnten aufgrund der begrenzten Akteurszuteilung (drei Zuteilungen pro Beitrag) jedoch nicht mehr berücksichtigt werden. Die wichtigsten Beitragshauptakteure der Analyse sind die Taliban und die Opfer der Terroranschläge. Sie konnten bei allen drei Medien am häufigsten in Verbindung mit den Anschlägen ausgemacht werden. Für die starke Präsenz der Taliban ist unter anderem ihr territorales Ausbreiten in Pakistan verantwortlich. Doch auch der hohe prozentuelle Anteil der Kategorie „sonstige Terroristen“ kann durch die vielen Selbstmordattentate erklärt werden, die auf eigene Faust Sprengkörper zündeten, um möglichst viele Menschen in den Tod mitzureißen. Als überraschende Erkenntnis kann hierbei angeführt werden, dass die Terrororganisation Al-Qaida relativ ruhig während dieser Zeit agierte, und sie, wie bereits weiter vorne erwähnt, bei der Medienberichterstattung selten als Hauptakteur genannt wurde. Die Taliban arbeiten zwar in vielen Teilen mit ihnen zusammen; sie führten allerdings die meisten Anschläge aus und wurden somit häufiger als die Al-Qaida medial thematisiert.
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Abbildung 20: Verteilung der Beitragshauptakteure in der Terrorberichterstattung; Quelle: eigene Darstellung
8.16 Angst versus Sicherheit Im nächsten Vergleichsmaßstab wird darauf geachtet mit welchen Emotionen die Nachricht beim Rezipienten ankommt. Beiträge, die mit eher negativen Effekten arbeiten, lösen Angst und Unsicherheit aus. Dazu zählen Berichte, die düster gehalten sind und als Gesamtnachricht vorwiegend Angst und Unbehagen transportieren. Die Studie lässt erkennen, dass vor allem Al-Jazeera English häufig Gefühle von Angst und Unbehagen beim Publikum erzeugt, da ihre Nachrichtenberichterstattung hauptsächlich das Leid und die verzweifelte Situation der Betroffenen wiedergibt. Über 50 Prozent ihrer Berichterstattung (n=173) über terroristische Aktivitäten im Nahen Osten wurden in die Kategorie „angstauslösend“ eingestuft. Sie vermitteln ein Gefühl von ständiger Bedrohung und einer instabilen Lage hinsichtlich der sicherheitspolitischen Situation in den Ländern des Nahen Ostens. Beim amerikanischen Gegenspieler konnten lediglich 35 Prozent der Berichte (n=57) dieser Kategorie zugeteilt werden. Auch die BBC liegt mit rund 261
37 Prozent (n=69) deutlich hinter AJE. Der Sendevergleich zeigt somit eindeutig, dass Al-Jazeera English eher Gefühle von Angst in den Vordergrund stellt und somit ein Gegengewicht zu den reinen militärischen Aktionsbildern herstellt.540 Sie gehen vermehrt auf das Leid und die Angst der Bevölkerung ein. Wobei anzumerken ist, dass sich alle drei Sender dieser Art des Journalismus bedienen und dies nicht ausschließlich bei AJE erkannt wurde. Die Hypothese 5 geht der Vermutung nach, dass CNN dazu neigt, seine Berichterstattung über Anschläge im Nahen Osten zu dramatisieren, um so eine öffentliche Legitimation für ein kriegerisches Vorgehen in diesen Ländern zu erhalten. Die Ergebnisse der Analyse belegen allerdings, dass CNN nicht häufiger als die anderen zwei Sender Angst und Unbehagen verbreiten und somit nicht überdurchschnittlich dramatisieren. Der größte Teil der Berichte bei CNN und BBC stellen neutrale Berichte dar, das sind jene die weder Angst noch Sicherheit vermitteln und in sachlicher Weise das Geschehene wiedergeben. Bei CNN sind es 101 und bei BBC 115 Nachrichten, die in neutraler Art über Terroranschläge informieren. Bei AlJazeera English stellt dies die zweitgrößte Kategorie dar und wird mit knapp 47 Prozent (n=155) registriert. In sehr geringem Ausmaß wurden Nachrichten beobachtet, die ein Gefühl von Sicherheit erweckten. Dies ist allerdings aufgrund der Thematik nicht weiter verwunderlich. Alle drei Sender bewegen sich dabei zwischen einem und zwei Prozent.
540 Prümm, Karl: Die Definitionsmacht der TV-Bilder. Zur Rolle des Fernsehens in den neuen Kriegen nach 1989. In: Daniel, Ute (Hrsg.): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht. 2006. S. 227.
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Abbildung 21: Vermittlung von Angst und Sicherheit im Beitrag Quelle: eigene Darstellung
8.17 Musikalische Umrahmung Der Frame „Musikalische Umrahmung“ ist bei der Nachrichtengestaltung nicht außer Acht zu lassen, da durch Geräusche oder Musik die emotionale Ebene deutlicher angesprochen werden kann. So werden Beiträge, die ein Gefühl von Angst vermitteln, gleichzeitig mit Geräuschen versehen, die Unbehagen auslösen. Folgende Grafik stellt die Ausprägungen der drei Sender in Prozent dar:
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Abbildung 22: Geräuscheffekte bei den relevanten Nachrichten Quelle: eigene Darstellung Bei AJE sind während des Analysezeitraums knapp 70 Prozent der Berichte mit Live-Geräuschen versehen. Dazu zählen Schreie, Schüsse, Explosionen und vieles mehr. Mithilfe dieser Authentizitätseffekte können TV-Stationen wie kein anderes Medium so zeitnah und mehrdimensional über Ereignisse in der ganzen Welt berichten. Es dominiert die öffentliche Wahrnehmung, da es Schrift, Bewegungsbild, Sprache, Geräusche und Fotografie zusammenfasst.541 Auch die anderen zwei Nachrichtensender untermauern ihre Berichte mit Geräuschen und Schreien. Bei CNN sind es rund 45 Prozent (n=72) und bei der BBC knapp 49 Prozent (n=91) ihrer Gesamtnachrichten. Musikalische Umrahmungen kommen deutlich weniger vor und finden bei BBC sogar überhaupt nicht statt. Bei Al-Jazeera English werden bei rund zwei Prozent Berichte mit rein musikalischer Umrahmung beobachtet, bei CNN sind es knapp ein Prozent. Der größte Teil der Terrorberichte bei CNN und BBC wird weder von Geräuschen noch von musikalischer Umrahmung begleitet und findet ohne diese Art von Authentizitätseffekten statt. Bei CNN sind dies 88 Berichte und bei BBC
541 Prümm, 2006. S. 219.
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96. Bei Al-Jazeera English haben knapp 29 Prozent aller Nachrichten (n=95) keine Geräusche und Musik vorzuweisen und berichten ohne diese Effekte.
8.18 Farbspiele bei den Berichten Dieser Frame soll veranschaulichen, welche Farbtöne die einzelnen Sender verwenden, um ihren Nachrichten eine farbliche Abgrenzung zu erteilen. Berichte, die eher dunkel, kalt und grau gehalten sind, zeigen meist traurige und schicksalshafte Nachrichten. Dazu zählen Beiträge von den Hinterbliebenen oder Opfer der Anschläge sowie über den Anschlag an sich. Bei AJE weisen 28 Prozent der Nachrichten eher dunkle und kalte Farben auf. CNN und BBC stellen bei 18 beziehungsweise rund 19 Prozent der Berichte kriegerische Auseinandersetzungen und menschliches Leid mit Hilfe von Grautönen dar. Entgegen aller Erwartungen weisen alle drei Sender sehr hohe Werte bei den Berichten mit klaren und hellen Farben auf. Die meisten Berichte bei CNN (82 Prozent) wurden in klaren Farben gehalten, was sich bei 132 Nachrichten erkennen lässt. Doch auch BBC (n=152) und Al-Jazeera English (n=239) berichten hauptsächlich mit hellen Farben und verzichten auf ein nachbearbeitetes Bild in dunkleren Farben, welches das Leid der Opfer unterstreichen soll.
Abbildung 23: Farbspiele bei den Nachrichten Quelle: eigene Darstellung 265
Es stellt sich nun die Frage, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen der Farbgestaltung der Nachrichten und der musikalischen Umrahmung gibt. Ist es tatsächlich so, dass je grauer und kälter die Farben bei den Berichten ausfallen, desto häufiger musikalische Effekte verwendet werden? Der Kontingenzkoeffizient weist in diesem Beispiel einen Wert von 0,139 auf, was einen geringen Zusammenhang darstellt. Der Wert kann zwischen 0 und 1 sein, je höher dieser ausfällt, desto größer ist der Zusammenhang zwischen den zwei Werten. Anhand dieses Beispiels wird verdeutlicht, dass es einen Zusammenhang gibt, dieser jedoch sehr gering ist. Die, wenn auch nur geringen Zusammenhänge, bestätigen Hypothese 6, wonach AJE verstärkt mit Hilfe der Farbgestaltung und Geräuscheffekten arbeitet, um so die Zuseher vor den Bildschirmen zu fesseln. Bei CNN kann diese Hypothese allerdings nicht bestätigt werden, da dieser Sender vorwiegend stille Berichte sendet und bei der Farbgestaltung deutlicher auf helle und klare Farben setzt als Al-Jazeera English. Dunkle und graue Farben konnten bei CNN zwar beobachtet werden, allerdings in einem geringeren Ausmaß als bei AJE. Der Pakistan Korrespondent bei Al-Jazeera English – Kamal Hyder – verneint das Anführen von Musik in den Beiträgen und erklärt dies folgendermaßen: „Our correspondents seldom use music in our reports and I for one normally stay away. I think it becomes more pertinent in case you were doing a docu or a promo. At the end of the day the report is viewed and judged by the audience and we try not to impose our agendas.“542 Betrachtet man sich die Antworten der einzelnen AJE Journalisten, so weist jeder einzelne darauf hin, die Realität möglichst real abbilden zu wollen und somit Effekte wie musikalische Umrahmungen keinen Platz in der Nachricht haben. Stattdessen werden jene Bilder und jenes Leid abgebildet, welches sich dem Journalisen vor Ort bietet. Der Moderator Imran Garda meint dazu: „We do not try to deliberately stoke emotion. We try to report things as they appear. From the military standpoint, and the standpoint of those affected on the ground. War is mostly ugly, we don’t do sanitized PR for war campaigns. But we also try to ensure we don’t show any grotesque images that might disgust and disturb viewers. It’s an editorial judgment made by our best minds on a case by case basis.“543
542 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010. 543 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010
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8.19 Bilder der Opfer: Gesamtdarstellung Oft werden im Zuge eines Anschlages in Nachrichtenbeiträgen Bilder von Opfern gezeigt. Die Medien können anhand dieser Bilder auf das Leid der Opfer aufmerksam machen und den Zusehern vor den Bildschirmen einen Einblick in das Geschehen vor Ort geben. Somit werden Nachrichten emotionalisiert und erreichen folglich vermehrt das Interesse beim Zuseher. Bei diesem Frame sind drei Bilder von Opfertypen zuteilbar, wobei das Erstzugeteilte das Meistvorgekommene darstellt. Aufgrund der Zuteilungsbeschränkung (drei verschiedene Opferbilder) konnten nicht alle erlebten Bilder eines Anschlages mit aufgenommen, sondern nur die drei präsentesten Opferbilder tatsächlich codiert werden. Es kann deshalb durchaus sein, dass zum Beispiel die Kategorie „weinende Angehörige“ in Summe öfters betrachtet werden konnte, bei den Nachrichten jedoch nicht die Hauptaussage darstellt und somit nicht aufscheint. Nachrichten, die vom Nachrichtensprecher verlesen werden, können über keine Bilder von Opfern verfügen. Damit lässt sich der hohe Wert der Kategorie „keine visuellen Bilder der Opfer“ erklären, der rund 55 Prozent aller Beiträge ausmacht. Dies kann zudem darauf zurückzuführen sein, dass bei vielen Anschlägen die Opfer bereits abtransportiert wurden oder sich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr am Anschlagsort befanden. Dies lässt sich bei 443 Beiträgen beobachten. Bilder von Opfern sind bei allen drei Medien am häufigsten in Form von Verletzten demonstriert worden. Al-Jazeera English, CNN und BBC bedienen sich mit rund zwölf Prozent (n=98) der visuellen Darstellung der Opfer in Form von Verletzten. Gleichzeitig werden Bilder von Kindern gezeigt, die im Zusammenhang der Terroranschläge gefilmt und insgesamt 74 Mal codiert wurden. Die AJE Korrespondentin Zeina Khodr beantwortet die Frage, weshalb häufig Bilder von weinenden Kindern in den Berichten gezeigt werden, folgendermaßen: „The most important thing I think whenever you work on a story – you have to first ask yourself why should the world care? And sometimes you have to find the common thread… when they see a child crying they can relate to the story even though it is thousands of miles away.“544 Diese Aussage bekräftigt die Bildauswahl bei Al-Jazeera English: Lediglich jene, die einen besonders starken Aussagewert besitzen, werden vom Kamerateam gefilmt und somit an die Öffentlichkeit transportiert. Auch Sanitäter und die Ambulanz werden visualisiert wiedergegeben, da sie in Beziehung mit den Folgen vieler Terroranschläge stehen. Unmittelbar nach dem Anschlag sind sie vor Ort, verarzten Verletzte und bringen diese in das 544 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010.
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nächste Krankenhaus. Doch auch sie können zu Opfern werden und geraten deshalb immer wieder in die Bebilderung der einzelnen Fernsehstationen. Sanitäter und Ambulanz werden bei rund sechs Prozent der Berichte ausgemacht und stellen durch ihren hohen Anteil (n=46) eine bedeutende Kategorie dar. Mit Hilfe von fotografischen Darstellungen der Opfer visualisieren die Medien die entstellten Leichen und fügen somit einen erneuten emotionalisierenden Faktor hinzu. Diese Fotos (n=42) werden häufig von weinenden und trauernden Angehörigen in die Kamera gehalten. Um die Folgen des Anschlages dem Nachrichtenrezipienten zu Hause noch begreifbarer zu machen, werden weinende Angehörige gefilmt und deren Leid somit Millionen von Zusehern nahe gebracht. Bei 35 Beiträgen wurde diese Art von Bildern bei den Nachrichtenstationen beobachtet. Es soll unter anderem den menschlichen Part bei der täglichen Gewalt nicht vergessen lassen. Die Journalisten berichten von Selbstmordattentätern, Bombenanschlägen oder Explosionen in Afghanistan, Pakistan, dem Irak oder in anderen Gebieten des Nahen Ostens. Oftmals sieht man zerstörte Häuser, zerbombte Autos und ein Feld der Zerstörung. Doch dabei sollten die unzähligen Opfer und deren Schicksal nicht vergessen werden, weshalb sich die Medien bei der Bebilderung des menschlichen Leids nicht zurückhalten. Aufgrund ethisch nicht vertretbarer Bilder werden häufig materielle Überreste der Opfer gefilmt. Dazu zählen Schuhe oder Kleidungsstücke, die am Anschlagsort liegen und Zeugen soeben begangener Gewalt sind. Sie werden bei rund vier Prozent der Nachrichten (n=34) im Zuge der visuellen Nachrichtengestaltung gezeigt. Bei 24 Nachrichten (3%) wurde das Militär Opfer von Terroranschlägen und dabei auch visuell wahrgenommen. Bilder, die keiner Opferbild-Kategorie zuteilbar sind, werden bei der Studie insgesamt fünf Mal erkannt. Die visuelle Darstellung von Politikern als Opfer kommt lediglich ein Mal vor. Wurden sie angegriffen, so teilten die Nachrichtensprecher dies ohne visuelle Darstellung, mit.
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Abbildung 24: Visuelle Opferdarstellung Quelle: eigene Darstellung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alle drei Sender größtenteils keine Opfer in ihren Beiträgen zeigen. Werden Bilder von Opfern gezeigt, bedienen sie sich der Visualisierung anhand von Verletzten. Sie sind oftmals am Schauplatz der Gewalt anzutreffen. Während sich Al-Jazeera English anschließend häufig den weinenden Angehörigen widmet (n=22) und diese interviewt und filmt, zeigen CNN (n=17) und BBC (n=12) Bilder von Kindern, die in vielerlei Hinsicht als Opfer von Anschlägen betrachtet werden können. Das Abbilden von trauernden und weinenden Verwandten und Bekannten wird beim amerikanischen (n=4) und britischen Sender (n=9) weniger häufig beobachtet. Werden weitere Bilder von Opfern gezeigt, so bildet die BBC vor allem Schuhe und Kleidungsstücke sowie die Fotos von Opfern ab. Sie werden jeweils zehnmal bei BBC erkannt. Die Politiker wurden lediglich bei Al-Jazeera English ein einziges Mal als Opferbildträger zugeteilt.
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Abbildung 25: Absolute Häufigkeit der visuellen Opferdarstellung im Sendervergleich; Quelle: eigene Darstellung
8.20 Visueller Umgang mit Toten Eine besonders interessante Kategorie stellt der Frame „Visueller Umgang mit Toten“ dar. In diesem Analyseschritt gilt es zu untersuchen, welche Medien Tote, Särge, Begräbnisse oder zugedeckte Leichen in den Nachrichten zeigen. Anhand dessen wird festgehalten, ob die drei Nachrichtenstationen auf diskrete Abstände setzen oder sie sich in einem journalistischen Sensationalismus verlieren. Hypothese 7 geht der Annahme nach, dass CNN und BBC beim visuellen Umgang mit Anschlägen eher verdeckte Leichen, als Särge zeigen. AJE zeige hingegen öfters Sarg-Bilder, um das Leid der Opfer zu unterstreichen. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden und diese Annahme entweder bestätigt oder verworfen werden. Al-Jazeera English, CNN und BBC bedienen sich vorwiegend keiner Bebilderung von Toten in ihren Berichten. Ihre Prozentwerte bewegen sich dabei zwischen 85 und 93. Werden dennoch tote Opfer gezeigt, so sind diese häufig mit einem Tuch
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oder ähnlichem verdeckt, sodass der Zuschauer nur mehr erahnen kann, dass sich unter dem Stoff eine Leiche befindet. Rettungskräfte oder Passanten bedecken die verstorbenen Opfer, bei denen allerdings oftmals noch Beine oder Schuhe erkennbar sind. Die meisten Bilder von verdeckten Toten können während des Untersuchungszeitraumes bei Al-Jazeera English (n=17) identifiziert werden. Auch die BBC zeigt eher zugedeckte Tote, wie irgendwelche Überreste eines Opfers. Beim amerikanischen CNN werden Tote zwar nur in geringer Anzahl gezeigt (n=5), kommen aber dennoch öfters vor als zugedeckte Leichen (n=3). Insgesamt kann man anmerken, dass CNN und BBC in sehr geringem Ausmaß Tote oder zugedeckte Tote ins Bild bringen. Bei AJE kommt dies häufiger vor. Der visuelle Umgang mit Särgen in den Medien ist dahin gehend interessant, da es bis zur Amtszeit von Präsident Obama in den USA verboten war, Särge von gefallenen Soldaten zu filmen oder lediglich medial zu verkaufen.545 Der visuelle Umgang mit Särgen jeder Art – ob Soldatensarg oder Särge der Zivilbevölkerung – stellt deshalb ein interessanter Aspekt für diese Studie im Umgang mit den Toten dar. Bei den Untersuchungsmedien kommen Särge auf rund drei Prozent bei Al-Jazeera English, auf zwei bei der BBC und zu einem Prozent bei CNN vor. Sie bedienen sich eher selten einer visuellen Darstellung der toten Terrorismusopfer in Särgen. Somit muss Hypothese 7 teilweise verworfen werden: CNN und BBC zeigen zwar eher Bilder von verdeckten Leichen; das Filmen von Särgen wird dabei außer Acht gelassen. Doch auch bei AJE werden häufiger Bilder von Toten und verdeckten Leichen erkannt als jene von Särgen. Im Vergleich zu den anderen zwei Sendern werden bei Al-Jazeera English allerdings öfters Bilder der Toten angeführt. Sind Bilder von den Opfern vorhanden, bedienen sich alle drei Untersuchungsmedien den Bildern von Toten oder zugedeckten Leichen. Auch ein Filmen von Begräbnissen wird von AJE bei bis zu zwei Prozent der Nachrichten (n=6) registriert. CNN zeigt lediglich einmal ein Begräbnis von Terroropfern und die BBC verzichtet komplett auf diese Form der Darstellung. Die Reporter gelangen eher selten zu bereits aufgeräumten Schauplätzen, bei denen weder Tote noch Särge visuell präsent sind und senden die ihnen präsentierten Bilder an das Publikum vor dem Bildschirm. Dieser Indikator wird lediglich bei Al-Jazeera English bei drei Berichten gezeigt. CNN und BBC zeigen keine Bilder eines bereits geräumten Anschlagortes. Bilder, die keiner der bereits beschriebenen Kategorie angehören, wurden der Ausprägung „anderes Bild“ zugeteilt. Dieses Merkmal wurde lediglich bei
545 Kister, Kurt: Licht in der Halle der Toten. In: Sueddeutsche.de 28.2.2009. http://www.sueddeutsche.de/politik/344/459982/text/ (9.12.2009).
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Al-Jazeera English beobachtet und stellt mit 0,3 Prozent aller Nachrichten (n=1) einen vernachlässigbaren Anteil dar.
Abbildung 26: Visueller Umgang mit toten Personen Quelle: eigene Darstellung
8.21 Bilder der Täter Bei der Analyse der Medienberichterstattung von terroristischen Anschlägen wurden besonders die visuellen Elemente berücksichtigt. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Bilder von Tätern. Interessant scheint dabei die Frage, welche Art der Täterbilder die Medien in die Öffentlichkeit senden und vor allem auch, ob sie überhaupt zu Filmmaterial gelangen. Bei diesem Frame wird zwischen Bildern von vermummten Kriegern, bewaffneten Kriegern, einzelnen Tätern oder einer ganzen Tätergruppe unterschieden. Zu Beginn der Analyse war es besonders interessant, ob auch Angehörige der Täter zu Wort kommen oder diese gar gefilmt werden. Entgegen mancher Erwartungen kam diese Form lediglich einmal vor. 272
Weitere Kategorien bei diesem Frame stellen Fotos und Bilder der Täter sowie andere Formen der Täterbilder dar. Werden keine Täter gezeigt, so wurde der Indikator „kein Täter im Bildbeitrag“ vercodiert. Der Großteil der Berichterstattung bei AJE, CNN und BBC kommt ohne die visuelle Darstellung der Täter aus. Dies deshalb, da bei Anschlägen die Täter entweder bereits geflüchtet oder ums Leben gekommen sind. So weisen 76 Prozent aller Nachrichten bei Al-Jazeera English keine Täterbilder auf. Bei CNN sind es rund 75 und bei BBC 80 Prozent. Es ist daher anzumerken, dass die meisten Anschläge ohne Täterbilder in den Nachrichten thematisiert wurden. Vergleichsweise häufig kamen Bilder von bewaffneten Tätern vor. Dabei saßen oder standen bewaffnete Krieger herum und ließen sich von den Kameraleuten filmen oder gar interviewen. Vielfach wurden einzelne Terroristen in den Nachrichten beobachtet, die mit Waffen ihre Gegner beschossen und somit ihre Bereitschaft zur Gewalt auch visuell untermauern konnten. Bewaffnete Täter wurden während des Analysezeitraumes zu jeweils rund 16 Prozent bei AJE (n=52) und CNN (n=26) beobachtet. Die BBC spitzt die Bebilderung ihrer Nachrichten durch Täterbilder nur gering zu; sie wurden 21 Mal erkannt. Bilder von Tätern, die sich zu einem Anschlag bekannt hatten, kamen entweder als bewaffnete Krieger oder als vermummte Täter in den Medien vor. Letztere wurden besonders bei Al-Jazeera English beobachtet. Anteilsmäßig waren sie allerdings deutlich weniger zu beobachten als die Täter, die mit Waffen oder ähnlichem vor der Kamera erschienen sind. Manchmal waren sie zugleich vermummt und bewaffnet; in solchen Fällen wurde jene Kategorie zugeteilt, welche visuell überwogen hat. Die prozentuellen Anteile der jeweiligen Täterbilder sind in einem ähnlichen Ausmaß bei den drei Sendern zu erkennen. Dabei können vor allem bei den Bildern von einzelnen Tätern, Tätergruppen sowie bei den Fotos der Radikalen von keiner besonders großen medialen Aufmerksamkeit gesprochen werden. Dasselbe gilt für das visuelle Darstellen der Angehörigen der Täter: Sie wurden sogar nur ein Mal bei AJE beobachtet. CNN und BBC zeigten keine Verwandten und Bekannten der Täter.
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Abbildung 27: Visueller Umgang mit den Tätern Quelle: eigene Darstellung
8.22 Verantwortlichkeit Kumuliert über den gesamten Untersuchungszeitraum wurden immer wieder Verantwortliche für terroristische Ereignisse genannt. Die Verantwortung kann dabei bei einer Gruppe oder einem Land liegen. Sehr häufig wurden keine Verantwortlichen bei den Sendern genannt, da aufgrund der Aktualität des Ereignisses meist noch keine Täter ausfindig gemacht werden konnten. Die Sender berichten innerhalb kürzester Zeit über einen Anschlag und dabei können selten bereits die Täter eruiert werden. Über die Hälfte aller Berichte (52,4%) informieren über Anschläge und terroristische Gewalt, ohne Verantwortliche zu nennen. Stehen Verantwortliche fest, so scheuen sich die Medien nicht, diese zu nennen. Die Taliban waren jene Gruppierung, die am häufigsten in Verbindung mit Anschlägen gebracht wurden. Sie waren auch jene Terrorgruppierung, die während der gesamten Untersuchungszeit am präsentesten war. Selbstmordattentäter, einzelne Radikale oder unbekannte Täter waren während der Analyse fast ebenso wichtig wie die Taliban. Sie wurden bei rund 13 Prozent aller Nachrichten als Drahtzieher hinter den Anschlägen genannt. 274
Doch auch einzelne Länder konnten als verantwortlicher Täter für terroristische Aktivitäten bestimmt werden: Das Land Israel wurde vorwiegend im Zusammenhang des Israel-Gaza-Krieges 2008/2009 sowie bei Auseinandersetzungen mit den Palästinensern als verantwortlicher Akteur für Terroranschläge genannt. Sie wurden bei 58 Nachrichten als Schuldige dargestellt und mussten die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Amerika wurde bei 46 Nachrichten die Schuld oder besser gesagt die Verantwortung für Anschläge oder terroristische Ereignisse gegeben. Sie befinden sich überraschenderweise vor der Terrorgruppierung Al-Qaida, die während des Untersuchungszeitraumes sehr wenig auf sich aufmerksam machte. Lediglich elf Mal wurde dieser terroristischen Gruppierung die Verantwortung für Anschläge übertragen. Die Hamas und die Palästinenser – als eigene Bevölkerungsgruppe – wurden je zweimal als Auslöser oder Verantwortliche für terroristische Aktivitäten genannt.
Abbildung 28: Prozentueller Anteil der verantwortlichen Akteure Quelle: eigene Darstellung
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In diesem nächsten Analyseschritt soll ein Blick auf die Hauptverantwortlichen bei den einzelnen Sendern gemacht werden. Betrachtet man die Ergebnisse der einzelnen Sender, so fällt in erster Linie auf, dass bei allen drei größtenteils keine Verantwortlichen genannt werden. Die Dominanz liegt bei der Kategorie „keine Verantwortung“. Dies kann aufgrund mangelnder und bekannter Informationen erklärt werden. Die Journalisten Zeina Khodr erklärt die Situation die sich dem Journalisten bei einem gerade verübten Anschlag stellt, folgendermaßen: „You will never have enough information … and at times you are obliged to report about bombings even before you know the targets … the casualty toll and other relevant details … I can give you an example … I was in Bagdad last April when we heard three loud explosions just minutes apart … we could see the black smoke in three different locations from the roof of our office … we were able to have a good idea about the area in which the bombings occurred … and from the sheer size of the explosions … we knew that there would definitely be casualties … we had to immediately report this … I had very little information minutes after the explosions … but had to immediately go live … what I reported was what I heard, saw and of course did my best to explain the political situation at the time (a month after the elections; no clear winner; blocs vying for power … etc) … and we were able to give updates throughout the day 546 … information like the targets of the attack, casualty figures etc … “
Aufgrund der Aktualität können teilweise noch keine Verantwortlichen ausgemacht werden. Andere Akteure, wie zum Beispiel Selbstmordattentäter oder einzelne Täter werden bei Al-Jazeera English bei 47 Beiträgen als Verantwortliche genannt. Bei CNN und der BBC werden sie jeweils 22 Mal als „Schuldige“ der Anschläge ausgemacht. Die nachfolgenden Vergleiche zeigen deutliche Unterschiede im Sendervergleich. Bei der Betrachtung des Hauptverantwortlichen Israel kann man eine durchaus größere Tendenz bei AJE beobachten als bei den anderen zwei Sendern. Israel wird von den Al-Jazeera English Reportern vor allem bei der Berichterstattung über den Gaza-Krieg und den wöchentlichen Auseinandersetzungen in der Westbank als verantwortlicher Akteur bezeichnet. CNN und BBC gehen dabei behutsam mit Israel um und führen sie bei sieben bzw. acht Beiträgen als Hauptverantwortlichen an. Auch bei AJE wird eine größere Gewichtung gegenüber den USA beobachtet. Sie berichten bei 28 Nachrichten über eine Verantwortung Amerikas bei einzelnen Anschlägen. Die britische BBC hingegen nennt sie lediglich bei elf Beiträgen als Hauptverantwortlichen. Interessant sind die 546 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 16.6.2010.
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Ergebnisse des amerikanischen Senders: Dieser geht kaum von einer amerikanischen Schuld bei den Terroranschlägen und kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die Terroristen aus. Sie werden nur sieben Mal als verantwortlicher Akteur bezeichnet. Ob es dabei zu einer gewissen Selbstzensur bei den CNN-Mitarbeitern kam – wie dies in der Geschichte schon öfters vorkam – sei an dieser Stelle dahingestellt. Interessant hierbei ist die große prozentuelle Differenz zwischen AJE- und CNN-Berichten. Hypothese 8 kann demnach bestätigt werden. Israel sowie die USA werden bei Al-Jazeera English häufiger als verantwortlicher Akteur bei Terroranschlägen behandelt als bei CNN. CNN hält sich bei der „Schuldzuweisung“ Amerikas eher zurück. Zusätzlich fällt bei der Betrachtung der Ergebnisse der Kategorie Al-Qaida auf, dass Al-Jazeera English und BBC wesentlich geringer diese Gruppierung als Hauptverantwortlichen nennen. CNN bezeichnet während des Untersuchungszeitraumes bei rund drei Prozent ihrer Berichterstattung Al-Qaida als Schuldigen und Verantwortlichen für terroristische Gewalt. Die Hamas sowie die Bevölkerungsgruppe der Palästinenser fallen bei allen drei Sendern kaum oder gar nicht als Hauptverantwortliche auf. Zusammenfassend lassen sich ähnliche Ergebnisse bei der Schuldzuweisung bei den drei Sendern erkennen. Bei den Ländern Israel und USA kommt es als verantwortliche Gruppierung zu großen Schwankungen bei den Ergebnissen. Doch auch die Taliban werden beispielsweise bei der BBC öfters als Drahtzieher für einzelne Anschläge als bei AJE genannt. Folgende Grafik stellt die Ausprägungen in Prozentwerten dar:
Abbildung 29:
Verantwortliche Akteure im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
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8.23 Täter vs. Opfer-Zentrierung Die zusätzliche Analyse zeigt, dass bei fast jeder Nachrichtensendung eher die Täter oder die Opfer in den Mittelpunkt des Beitrages gerückt werden. Einige Nachrichten beleuchten vorwiegend die Taten der Täter, bei anderen Berichten werden hauptsächlich die Leidtragenden der terroristischen Gewalt thematisiert. Zusätzlich können beide Elemente in der Nachricht vorhanden sein. Al-Jazeera English und CNN stellen vorwiegend die Opfer der Anschläge und das Leid, welches damit verbunden ist, ins Zentrum ihrer Nachricht. Diese sind mit je 42 Prozent vertreten. Bei BBC werden mit rund 37 Prozent die Opfer als Leidtragende der Anschläge behandelt. Beiträge, die jedoch gleichermaßen die Täter wie die Opfer beleuchten, konnten mit rund 41 Prozent bei der BBC erkannt werden und stellen die größere Kategorie dar. Während somit Al-Jazeera English und CNN hauptsächlich auf die Opfer der Terrorgewalt eingehen, bedient sich die BBC einer ambivalenten Berichterstattung. Vor allem CNN thematisiert – im Vergleich zu den anderen zwei Medien – bei seiner Berichterstattung gerne die Täter und analysiert diese. Nachrichten dieser Art werden zu rund 29 Prozent (n=46) bei CNN beobachtet. Doch auch Berichte, die gleichermaßen häufig auf Opfer und Täter eingehen, stellen eine große Kategorie innerhalb dieses Analyseschrittes dar. Insgesamt kann man eine große Opferzentrierung bei der Berichterstattung der einzelnen Sender ausmachen. Der menschliche Aspekt wird besonders deutlich angesprochen und kann bei vielen Zusehern Mitleid und Fassungslosigkeit über begangene Taten auslösen. Die Täter sind demgegenüber nicht so häufig thematisiert und bei CNN manchmal als Legitimation für weitere militärische Aktionen gegen vermeintliche Radikale herangezogen worden. Die Studie verdeutlicht zudem eine beidseitige Gewichtung der Berichte auf Opfer und Täter bei AJE, CNN und BBC. Somit können die Opfer wie auch die Täter behandelt und beide Aspekte in den Beitrag miteinbezogen werden. Die Auswertung der Ergebnisse verdeutlicht, dass Hypothese 9 bestätigt werden kann. CNN thematisiert in seinen Berichten – im Vergleich zu den anderen zwei Medien – häufiger die Täter und stellt diese folglich in den Mittelpunkt der Berichterstattung. AJE sowie BBC legen ihr Hauptaugenmerk auf die Opfer und berichten über deren Leid. Der Journalist Imran Garda verneint jedoch diese Erkenntnis und betont, dass Al-Jazeera English alle Seiten gleichermaßen behandelt und sie keine Präferenz gegenüber den Opfern haben.547
547 Email-Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010.
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Abbildung 30: Täter-Opfer Zentrierung in der Terrorberichterstattung Quelle: eigene Darstellung
8.24 Personalisierung der Täter Bekanntermaßen stehen bei rund 29 Prozent der CNN-Berichte die Täter in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Bei AJE sind es 23 und bei der BBC rund 20 Prozent. Folglich gilt es zu analysieren, ob die drei Sender eine Personalisierung der Täter vornehmen und sie dabei genau beleuchten. Zudem soll geklärt werden, ob die Medien auf die persönlichen Hintergründe der Terroristen oder der Terrorgruppe eingehen. Folgende Ergebnisse sollen eine Antwort darauf geben. Al-Jazeera English, CNN International und BBC World berichten bei ihren Nachrichten vorwiegend anonym über die Täter. Das bedeutet, dass keine persönlichen Hintergründe der Terroristen beleuchtet werden, sondern lediglich deren Tat im Mittelpunkt der Nachricht steht. Oftmals verfügen die Medien allerdings über keine genaueren Informationen und können ihren Zusehern nur die begangene Tat vermitteln, aber keine genaueren Erklärungen zum Täter abgeben. Bei AJE weisen rund 85 Prozent der Berichte (n=281) diese Form der Berichterstattung auf. Bei CNN sind es 133 und bei der BBC 167 Beiträge, die keine Erklärungen zum Täter abgeben können und wollen. CNN stellt der Sender mit der prozentuell größten Aufmerksamkeit gegenüber den Tätern dar. 17 Prozent der Nachrichten berichten über Hintergründe der Täter oder geben weitere Details zu ihnen bekannt. Betrachtet man jedoch die Anzahl der Beiträge, die über die Hintergründe der Täter berichten, so können 279
die meisten Berichte bei Al-Jazeera English (n=51) erkannt werden. Beim amerikanischen Sender werden bei 28 Nachrichten auf die Täter und deren Hintergründe verwiesen. Die britische BBC berichtet am geringsten (n=20) über persönliche Details der Täter. Insgesamt betrachtet berichten alle drei Sender vorwiegend ohne auf persönliche Hintergründe der Täter einzugehen. Dabei teilen sich die festgestellten Werte mit bis zu 52 Prozent auf Al-Jazeera English, 28 Prozent auf CNN und rund 20 Prozent auf BBC auf. Keine genaueren Erklärungen zu den Hintergründen der Täter werden insgesamt 581 Mal verzeichnet. Diese Werte sind mit 48 Prozent bei AJE, 29 Prozent bei BBC und 23 Prozent bei CNN registriert worden.
Abbildung 31: Personalisierung der Täter im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
8.25 Personalisierung der Opfer Der Blick auf die Täterkategorie legt die Vermutung nahe, dass die drei Medien vordergründig opferorientiert berichten und dabei über Einzelschicksale nach einem Terroranschlag informieren. Die Analyse kann diese Vermutung nicht bestätigen und verdeutlicht stattdessen, dass AJE, CNN und BBC weder auf Einzelschicksale noch auf Gesamtschicksale eingehen und hauptsächlich neutral berichten. Knapp die Hälfte der Berichte bei AJE und rund 57 Prozent bei CNN und BBC informieren ihre Zuseher über Terroranschläge und neue Konfliktherde
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durch eine neutrale Berichterstattung. Es kann demnach keine Konzentration auf ein spezielles Schicksal beobachtet werden. Jeweils 33 Prozent der Nachrichten bei CNN (n=59) und BBC (n=62) konnten als Gesamtschicksalsnachrichten identifiziert werden, da sie keine einzelne Schicksale in den Mittelpunkt ihres Interesses stellten, sondern über ein Gesamtereignis und die schlimmen Zustände für die Betroffenen berichten. Bei AJE informierten die Reporter bei rund 33 Prozent ihrer Beiträge (n=111) über das Leid der Bevölkerung, die von den Anschlägen unmittelbar betroffen waren und täglich neue Attentate fürchten müssen. Die Einzelschicksale wurden im Vergleich zu den anderen Indikatoren weniger häufig thematisiert; kamen allerdings mit 52 Nachrichten bei Al-Jazeera English am häufigsten vor. Bei rund 16 Prozent der Berichte nahmen die Journalisten eine Personalisierung der Opfer vor und stellten deren Schicksal in den Mittelpunkt der Nachricht. CNN und BBC hielten sich bei dieser Form etwas zurück und stellten bei rund sechs bzw. zehn Prozent ihrer Berichte das Leid der Opfer und deren Schicksal ins Zentrum ihrer Nachricht. Jene Meldungen, die gleichermaßen auf die Einzelschicksale wie auf die Gesamtschicksale der Opfer nach einem Anschlag eingingen, wurden bei allen drei Sendern in geringem Ausmaß erkannt. Die getroffene Annahme, dass manche Sender eher die Einzelschicksale einer Familie in den Vordergrund stellen und die Opfer durch personalisierte Elemente in Verbindung mit den Anschlägen gebracht werden, muss demnach abgelehnt werden. Bei Al-Jazeera English, CNN und BBC dominieren bei der Kategorie „Personalisierung der Opfer“ eher die Berichte, die hier nicht zuordenbar sind und somit keine der drei Auswahlmöglichkeiten beinhalten.
281
Abbildung 32: Personalisierung der Opfer – Fokus auf Einzel- oder Gesamtschicksal; Quelle: eigene Darstellung
8.26 Reaktion der Betroffenen: Gesamtdarstellung Neben den bisher analysierten Kategorien sind besonders die Reaktionen der Betroffenen für die Analyse interessant. In diesem Untersuchungsschritt gilt es herauszufinden, welche Personen sich nach einem Anschlag äußern und von den einzelnen TV-Stationen interviewt werden. Da maximal drei Zuteilungen pro Beitrag möglich waren, wurden diese zusammengelegt und anhand ihrer Gesamtprozentzahl eruiert. Am häufigsten kamen keine Betroffenen während der Nachricht über einen Terroranschlag oder terroristische Gewalt im Nahen Osten zu Wort (n=444). Dies kann zum einen durch die Darstellungsform erklärt werden, zum anderen können Anschläge verübt worden sein, bei denen zum Zeitpunkt des Antreffens der Medien keine Betroffenen mehr vor Ort oder diese nicht gewilligt waren, ein Statement abzugeben. Deshalb erscheint es umso interessanter der Frage nachzugehen, welche Betroffenen Eingang in die Berichterstattung finden und welche eher weniger. Wurden Betroffene interviewt, so waren dies hauptsächlich Politiker oder die Opfer selber. Die Politiker verschiedener Länder und Regime äußerten sich über die zunehmende Gewalt (n=90) und begangene Attentate, die Opfer wurden 282
über den Tathergang und den Anschlag befragt und schienen bei 82 Nachrichten in den Medien auf. Interessant erscheint die Tatsache, dass das Militär und diverse Organisationen bei den drei Medien eher zu Wort kommen als die Angehörigen der Opfer. Dieses Ergebnis lässt auf die Anschlagsarten zurückschließen, die häufig das Militär oder verschiedene Organisationen betreffen oder gar als aktiver Akteur erscheinen. Zahlreiche Anschläge oder terroristische Aktivitäten richteten sich zum einen gegen das Militär oder ausländische Truppen, vielfach kam es allerdings auch zu militärischen Schlägen gegen radikale Kämpfer. Anschließend wurden die betroffenen Akteure dazu befragt. Die Angehörigen der Opfer kamen bei den Medien seltener zu Wort und waren bei lediglich 32 Nachrichten dazu bereit, ein Interview zu geben. Auch bei folgender Kategorie überrascht das geringe Vorkommen während der Analyse: Augenzeugen, die den Anschlag live und vor Ort gesehen hatte, wurden lediglich 31 Mal befragt. Täter, die sich zu den Anschlägen bekannten, wurden insgesamt 15 Mal interviewt und gaben Auskünfte über die begangene Gewalt. Sehr selten (n=4) wurden die Angehörigen der Täter zu Wort gebeten oder konnten überzeugt werden, vor der Kamera zu sprechen. Polizisten hingegen kommentierten bei neun Beiträgen das Geschehen, was im Vergleich zu anderen Betroffenen relativ wenig ist.
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Abbildung 33: Reaktionen der interviewten Betroffenen Quelle: eigene Darstellung Betrachtet man sich die Verteilung der Interviews mit betroffenen Personen bei den einzelnen Sendern, so können interessante Erkenntnisse gezogen werden. Alle drei Nachrichtenstationen interviewen bei den meisten Nachrichten keine Betroffenen und setzen auf eine Berichterstattung ohne Opfer oder Involvierte. Obwohl AJE – im Vergleich zu den anderen Medien – über ein Mehr an Nachrichten verfügt, sind die Abstände von CNN und BBC zu Al-Jazeera English nicht überwiegend groß. Vor allem die Politiker und die Opfer werden gerne befragt. Organisationen erhalten bei der Berichterstattung über Terroranschläge bei Al-Jazeera English mehr Raum ihre Meinung kundzutun als dies bei CNN und BBC der Fall ist. Interessant erscheint, dass Augenzeugen und Passanten vor allem bei BBC zu den begangenen Anschlägen interviewt wurden. Aufgrund der geographischen wie kulturellen Nähe des arabischen Senders, wurde fälschlicherweise angenommen, dass sich AJE viel häufiger einer Augenzeugen-Berichterstattung widmet und ihre Nachrichten mit diesen Statements untermauert. Zwar werden anteilsmäßig häufiger Augenzeugen bei AJE interviewt, die Priorität liegt allerdings nicht bei ihnen, wie nachstehende Grafik verdeutlicht. Die Angehörigen der Opfer interviewte man zwar am häufigsten bei AlJazeera English, sie nahmen aber auch bei den anderen zwei Sendern eine bedeu284
tende Rolle ein. An dieser Stelle kann man durchaus behaupten, dass AJE aufgrund ihrer sprachlichen wie kulturellen Nähe zu den Opfern in den betroffenen Regionen schneller zu Interviewpartnern kommt als dies bei ihren westlichen Pendants der Fall ist. Zudem lässt sich die Hypothese aufstellen, dass Angehörige der Opfer in dieser Ausnahmesituation wahrscheinlich eher einem „eigenen“ Sender ein Interview geben als einer ausländischen Nachrichtenstation. Ob dies die Gründe für das Mehr an Angehörigen-Berichte darstellt, sei dahingestellt. Hypothese 14 trifft dabei teilweise zu: Reporter von AJE gelangen sicherlich einfacher zu Statements der arabischen Bevölkerung, da sie als Bestandteil der arabischen Kultur wahrgenommen werden. Dennoch ist nicht sichergestellt, ob diese Interviews aussagekräftiger als jene von CNN und BBC sind. Der AlJazeera English Moderator, Imran Garda, befürwortet diese Hypothese und meint: „Mohamed Ado, Kamal Hyder and other Al-Jazeera journalists like them have proven that their local knowledge and voluminous understanding of the places they report from builds trust among the local people and groups and gets them better access than many other organizations.“548 Das lokale Wissen über bestimmte Orte stellt für die Journalisten von AlJazeera einen Vorteil bei der Gestaltung ihrer Berichte dar. Ein weiteres interessantes Ergebnis stellt die Tatsache dar, dass die Täter von keinem der drei Sender mit besonders großer Aufmerksamkeit bedacht und kaum zu den begangenen Anschlägen interviewt wurden. Auch Hypothese 10 muss demnach abgelehnt werden, da bei CNN nicht das Militär als Interviewpartner dominiert, sondern vielmehr die Opfer sowie verschiedene Politiker befragt werden. Bei AJE kommen dennoch häufiger Zivilpersonen zu Wort als militärische oder politische Institutionen. Die Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr beantwortete diese Frage treffend und meinte: „interviewing civilians gives you a clearer picture … more often than not … you can understand the story more – what do people feel – I mean without their support no military strategy would work… and the US military for example in Afghanistan – they need the support of the people to win and they know that – how will you know what these people want (…) unless you talk to them … military officials don’t usually divulge much information…“549 Al-Jazeera English versucht so oft wie möglich an den Ort des Geschehens zu kommen und eigenständige Berichte zu gestalten und dabei vor allem die betroffenen Personen nicht außer Acht zu lassen. Auch Kamal Hyder betont die Wichtigkeit sich vor Ort zu begeben und mit der Bevölkerung zu sprechen. „At Al-Jazeera the civil population holds more importance than officials although 548 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010. 549 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010.
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sometimes they may be important depending on the nature of the story. I for always try to be able to travel to areas under conflict to meet the locals and get their take on things. You cannot understand the issue unless to talk to the locals“550 Folgende Grafiken verdeutlichen die Anzahl der Betroffenen der drei Nachrichtensender:
Abbildung 34: Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei Al-Jazeera English ; Quelle: eigene Darstellung
550 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
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Abbildung 35: Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei CNN Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 36: Absolute Häufigkeit der interviewten Betroffenen bei BBC Quelle: eigene Darstellung 287
Bei AJE werden die Täter sowie einzelne Tätergruppen häufiger interviewt als bei CNN und BBC, erhalten allerdings keinen besonders großen medialen Raum, um ihre Meinungen kundzutun. Es lässt sich vielmehr erkennen, dass Al-Jazeera English auch andere Meinungen mit einbringt und bei ihrer Berichterstattung möglichst alle Aspekte beleuchten möchte. Die Hypothesen 12 und 13 können somit bestätigt werden. AJE erklärt dabei die Wichtigkeit mehrere Standpunkte anzuführen. „It’s important to hear what those in power have to say, and to hold them accountable if needs be. But it’s also important to gauge the pulse of the person on the street.“551 Auch die Korrespondentin Zeina Khodr führt die Wichtigkeit mehrerer Meinungen an und betont, dass beide Seiten angehört werden müssen. „You have to hear both sides of the story… that is essential… not one is more important than the other but you NEED to have both…“552 Leider sei es nicht immer möglich alle Einstellungen einzuholen, dennoch soll dies nicht abschrecken über eine Geschichte zu informieren. Alle Meinungen zu vertreten sind Ideale, die nicht immer eingehalten werden können.553
8.27 Reaktion der Bevölkerung Die zusätzliche Analyse der Einstellung der Bevölkerung zu den Anschlägen soll verdeutlichen, wie die Menschen zu der täglichen Gewalt in ihren Ländern stehen. Befürworten die Personen die Terroranschläge gegen militärische, politische, öffentliche oder religiöse Einrichtungen? Oder äußern sie sich eher empört und verständnislos über diese Art der Gewalt? Die Untersuchung bei den drei Medien zeigt deutlich, dass der größte Teil der Nachrichten auf keine empörende oder befürwortende Meinung der Menschen eingeht. Sie berichten in einer wertfreien Art und lassen in der Meldung den Gefühlsausbrüchen der Bevölkerung keinen Raum. Werden dennoch Emotionen festgehalten, so herrscht am zweithäufigsten Empörung der Bevölkerung über terroristische Anschläge vor. Bei rund 29 Prozent der Nachrichten (n=97) von Al-Jazeera English äußern sich Teile der Bevölkerung aufgebracht über die Terrorattentate und verurteilen diese. Bei der BBC zeigen rund 21 Prozent der Nachrichten (n=39) diese Gefühlszustände der Bevölkerung. Interessanterweise blicken bei den Berichten von CNN lediglich
551 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010. 552 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010. 553 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010.
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14 Mal (8,7%) Unverständnis und Empörung der Menschen durch. Die Zuseher von Al-Jazeera English und BBC erhalten viel mehr das Gefühl, dass die Bevölkerung im Nahen Osten eher abweisend und verständnislos gegenüber verschiedenen Terroraktivitäten steht als dies wahrscheinlich ein Zuseher bei CNN vermittelt bekommt. Zwar berichten die CNN-Nachrichten nicht von einer befürwortenden Haltung innerhalb der Bevölkerung, der Zuseher wird allerdings nicht von der abweisenden Einstellung der Personen in dieser Region informiert. So mit bleibt Raum für Interpretationen, die zu Vorurteilen und Ressentiments innerhalb der amerikanischen Bevölkerung führen können. Hypothese 11 kann somit bestätigt werden. Ob CNN bewusst keine Personen interviewt, die terroristische Aktionen verurteilen, sei dahingestellt und kann durch die Ergebnisse nicht geklärt werden. Befürwortende Einstellungen gegenüber den Anschlägen werden bei AlJazeera English fünfmal erwähnt, bei CNN und BBC je einmal. Zustimmende Reaktionen sind hauptsächlich von der pakistanischen Armee und der Regierung gegenüber ihren Offensiven gegen die Taliban zu erkennen. Doch auch die Taliban äußern sich positiv über die Anschläge in Afghanistan. Eine befürwortende Einstellung innerhalb der Bevölkerung konnte allerdings bei keinem der Beiträge beobachtet werden. Die Menschen der betroffenen Gebiete lehnen diese Art der Gewalt ab. Die Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr erklärte, dass sie durchaus Personen vernommen hätte, die sich für die Anschläge der Taliban ausgesprochen hätten, da sie von einem Befreiungskampf ausgehen. Vordergründiges Ziel sei es das Land von der fremden „Besatzung“ zu befreien. Gleichzeitig führt sie allerdings an, dass viele Terroristen sich nicht als Terroristen bezeichnen, sondern den Terminus „Freiheitskämpfer“. Ihre Ausführungen belegt sie mit einem Beispiel: „I remember an interesting story – a few months ago there was a Taliban suicide attack against a NATO patrol in Kabul … some soldiers were killed but so were civilians […] – when we went to the scene to interview people … they didn’t condemn the Taliban … they condemned NATO forces for patrolling in urban areas … they said the fact they are there means there are targets and civilians will be caught in the middle.“554
Sie spricht somit den bereits erwähnten Betrachtungsstandpunkt der einzelnen Akteure an. Viele Gruppierungen, die im Westen als Terroristen bezeichnet werden, gelten bei manchen Bevölkerungsgruppierungen als Freiheitskämpfer.555
554 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010. 555 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 11.7.2010.
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Auch ihre Kollegin Hoda Hamid erklärt, dass sich die Bevölkerung selten für einen Terroranschlag ausspricht, führt allerdings gleichzeitig an: „Yes it’s true no civilian puts up with terrorism but the story does not stop here. For example, in Afghanistan, people would complain about the Taliban AND Nato. Most of them would tell you that NATO and the government should negotiate with the Taliban because they are Afghans and it’s the only way to stop the fighting. Also many would tell you that it’s all NATO’s fault for occupying their land in the first place. The same for Iraq: people do condemn attacks and the loss of civilian lives, but people also underline that none of that existed before the US and the coalition of 556 the willing invaded their country.“
Es wird ersichtlich, dass eine für uns offensichtliche Zuteilung eines Gewaltakts zu einem Terroranschlag für die Reporter von AJE nicht so einfach erfolgt.
8.28 Erläuterung der Motive Die Darstellung der folgenden Ergebnisse bestätigt die Annahme, dass die Journalisten größtenteils nicht auf die Motive eines Anschlages eingehen oder ausführlicher behandeln. Hauptgrund dafür kann unter anderem eine zeitliche Begrenzung der Sendezeit sein. Die Reporter informieren die Zuseher mit den wichtigsten Fakten und nennen häufig den Ort und Zeitpunkt des Anschlags, gegen wen sich die Gewalt gerichtet hat und wie viele Personen davon betroffen sind. Auf politische Hintergründe oder mögliche Motive der Terroristen wird bei den meisten Nachrichten nicht eingegangen. Dennoch rücken bei einigen Beiträgen Informationen über die Hintergründe und deren Motive für die Tat in das Zentrum der Berichterstattung. Diese Nachrichten sprechen mögliche Motive an und versuchen den Anschlag in einen größeren Kontext zu betten, um ihn anschließend besser verstehen zu können. Bei AJE konnten insgesamt 77 Nachrichten mit einer erklärenden Funktion ausgemacht werden. Bei der BBC waren es 40 und bei CNN 35 Beiträge. Größtenteils gehen die Medien allerdings von einem Vorwissen zur aktuellen Situation aus und informieren ihre Zuseher über die jüngsten terroristischen Ereignisse im Nahen Osten auf rudimentäre Art, indem sie den Anschlag wiedergeben und sich nur auf dieses Ereignis konzentrieren.
556 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid. 24.7.2010.
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Abbildung 37:
Erläuterung der Motive im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
8.29 Verwendung von Symbolen: Gesamtdarstellung Symbole sind ein ganz wesentlicher Bestandteil bei der Nachrichtengestaltung, da mit Hilfe ihrer Wirkung die Nachrichten eher verstärkt oder abgeschwächt werden können. Symbole stellen etwas dar, das eigentlich für etwas anderes steht und drücken in anderer Art und Weise etwas Verborgenes optisch aus. Die symbolische Darstellung erfüllt eine Stellvertreterfunktion, indem ein nicht gegenwärtiger Zusammenhang vergegenwärtigt wird und eignet sich deshalb besonders gut zur Inszenierung.557 Mit Hilfe einzelner Schlüsselbilder wird eine gewünschte Ressonanz beim Zuseher erreicht. Dabei werden, wie im vorliegenden Fall, entweder weinende Frauen, Bilder von Kindern, herum-liegende Schuhe oder Waffen gezeigt. All diese Symbole stehen für komplexe Geschehnisse, deren visuelle Darstellung den Zusehern Einblick in nicht gezeigte Bilder gibt. Die Verkürzung komplexer, politischer wie auch terroristischer Ereignisse auf mehrere Symbole ist ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Nachrichtenvermittlung.558 557 Meyer, Thomas: Die Inszenierung des Scheins. Edition Suhrkamp. Frankfurt am Main, 1992. S. 54. 558 Schicha, Christian: Case Studies II: Terroranschläge und der Afghanistan-Krieg. „War on America“ – Medienberichterstattung und symbolische Politikinszenierungen nach den Terroranschlägen in den USA. In: Albrecht, Ulrich; Becker, Jörg (Hrsg.): Medien zwischen Krieg und
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Bei folgendem Frame waren maximal drei Symbolzuteilungen zulässig. Zur besseren Veranschaulichung wurden diese – unabhängig von ihrer Zuteilung – zusammengelegt und den prozentuellen Anteil an der GesamtsymbolVerwendung ermittelt. Die Medien bedienten sich bei der Berichterstattung über Terroranschläge am häufigsten einer neutralen Berichterstattung und verzichteten bei 338 Nachrichten auf eine mit Symbolen versehenen Bildsprache. Dies lässt sich teilweise damit erklären, dass viele Berichte Anchor-Reporte darstellten und folglich beim Verlesen der Beiträge keine Bilder oder Symbole erkannt werden hätten können. Eine häufig verwendete Symbolik stellten zum einen die Waffen und zum anderen die Kinder dar. Die Waffen verdeutlichten die Gewalt eines Anschlages, die Kinder wurden als Symbol der Hilflosigkeit und Verwundbarkeit der Menschen angeführt. Solche Bilder können bei den Zusehern Mitgefühl und Verständnis für die leidende Bevölkerung hervorrufen und stellen symbolisch den Aktanten und den Empfänger der Gewalt dar. Flüchtlinge (n=49) und weinende Frauen (n=43) können den Beiträgen einen human touch verleihen, da sie das Leid und den Kummer der Angehörigen oder betroffenen Personen unterstreichen und somit Mitgefühl bei den Rezipienten auslöst. Nachrichten, die als so genannte „bad-news“ bezeichnet werden, erhalten erheblich größere mediale Aufmerksamkeit als „good-news“. Dieselbe Erkenntnis kann man bei emotionalen und mit Symbolen beladenen Berichten beobachten. Bilder von Blaulichtern und Sirenen verschiedenster Einsatzkräfte wurden fast gleichermaßen oft beobachtet wie Fotos der Opfer und Bilder von verletzten Kindern. Durch ein Filmen der Blaulichter wurde stellvertretend auf die Opfer eingegangen und der Schweregrad der Gewalt dadurch versinnbildlicht. Auch die Opfer wurden in großem Maße behandelt und bei fehlenden Bildern, Fotos von ihnen gefilmt. Bei manchen Beiträgen sind die Opfer auf den abgebildeten Fotos bereits tot oder werden von den Angehörigen gesucht. Durch das Filmen eines Verletzten kann sich der Nachrichtenrezipient ein Bild von dem Leid machen und es wird ein personalisierender Bezug geschaffen. Ein ähnlicher Effekt bewirkt das Filmen von verletzten Kindern. Bei manchen Nachrichten (n=23) beobachtete man Symbole, die keiner der angeführten Kategorien zuteilbar waren und somit unter dem Begriff „anderes Symbol“ zusammengefasst werden.
Frieden. Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK). Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden, 2002. S. 130.
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Überraschenderweise kamen bei 22 Nachrichten weinende Männer vor, die um verlorene Angehörige trauerten und vielfach fassungslos an den Anschlagsorten standen. Die Medien filmten bei rund zwei Prozent der Beiträge (n=20) Plakate als Form eines Symbols. Herrenlose Schuhe am Anschlagsort wurden nur 16 Mal beobachtet. Aufgrund der starken symbolischen Kraft dieses Bildes war der subjektive Eindruck jedoch weitaus stärker vorhanden als die Ergebnisse der Empirie verdeutlichen. Der Rezipient nimmt aufgrund der starken symbolischen Aussagekraft der Bilder bestimmte Symbole häufiger wahr als sie tatsächlich gesehen wurden. Die Flaggen der einzelnen Gruppierungen und Länder wurden bei der visuellen Symbolsprache nicht so häufig eingesetzt. Dieses Ergebnis lässt sich damit erklären, dass lediglich drei Symbolzuteilungen pro Beitrag möglich waren und bei vielen Nachrichten andere Symbole überwiegt haben. Flaggen wurden meist als viertes oder fünftes Symbol wahrgenommen und scheinen deshalb nicht auf. Bei der Befragung der Al-Jazeera English Journalisten nach der Bedeutung von Kinderbildern erklärten Zeina Khodr und Kamal Hyder, dass diese Bilder einen besonderen Stellenwert bei der Berichtgestaltung einnehmen. Kamal Hyder führte diese Frage etwas aus und betonte: „I think anything that portrays a hurt of pain shows the urgency of the situation. Whenever ordinary people are afflicted by violence it moves everyone with a conscience. Specially if the victims are women and children. It does not matter whether they are killed by a roadside bomb or a smart bomb dropped by a military 559 power.“
559 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
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Abbildung 38: Visueller Umgang mit Symbolen im Bildbeitrag Quelle: eigene Darstellung Im Folgenden werden die visuellen Elemente und die Verwendung der Symbolbilder in der Berichterstattung über Terroranschläge bei den einzelnen Sendern behandelt. Alle drei Nachrichtenstationen berichten vorwiegend neutral und verzichten auf eine visuelle Symboldarstellung. AJE bedient sich bei ihrer visuell-szenischen Berichterstattung gerne der Bilder von Kindern und Waffen. Kinder werden bei rund 20 Prozent als Symbol der Verletzlichkeit angeführt und kommen bei 65 Berichten vor. Waffen als Werkzeuge der Terroristen kamen bei der symbolischen Darstellung der Gewalt bei 19 Prozent vor und wurden in allen möglichen Variationen gefilmt. Sowohl weinende Frauen als auch Flüchtlinge rücken öfters ins Visier der Kamerateams, die durch das Abbilden dieser Opfergruppen Emotionen bei den Zusehern auslösen wollen. Bei 26 AJE-Beiträgen werden im Zuge terroristischer Aktivitäten leidende und trauernde Frauen gefilmt, die einen Angehörigen oder Bekannten verloren haben. Doch auch Fotos von Opfern, weinenden Männern und Bilder von verletzten Kindern werden von den AJE-Reportern als Symbol für die tägliche Gewalt in den Regionen des Nahen Ostens herangezogen. Interessanterweise filmen sie
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seltener als vorerst angenommen herumliegende Schuhe der Opfer. Diese kamen nur achtmal als Symbol in den Nachrichten vor. Bei CNN wird, wie bei den anderen zwei Untersuchungsmedien, der größte Teil der Berichte ohne symbolhafte Darstellungen gesendet. Kamen allerdings Symbole vor, so wurden die Waffen der Terroristen den Bildern von Kindern vorgezogen. Insgesamt wurden 33 Mal die Waffen als Werkzeuge der radikalen Kämpfer oder des Militärs visuell dargestellt, um so die militärische Stärke zu versinnbildlichen. CNN bedient sich ebenso eher einer symbolischen Darstellung der negativen Aspekte terroristischer Gewalt und visualisiert dies mit Bildern von Flüchtlingen, verletzten Kindern und weinenden Frauen. Sie symbolisieren Leid, Verzweiflung und Trauer. Interessant bei der Betrachtung der CNN Sendeergebnisse sind die geringe Zahl an Opferfotos sowie Bilder von herumliegenden Schuhen. Beide konnten, entgegen vorangegangener Vermutungen jeweils zweimal beobachtet werden. Die Flagge der USA, der Hamas, der Palästinenser, der NATO und die weiße Flagge wurden kein einziges Mal bei CNN als eines der drei Symbole beobachtet. Die BBC bedient sich bei ihrer visuell-szenischen Berichterstattung hauptsächlich einer symbolischen Bildsprache, die Waffen (n=53) und Kinder (n=28) ins Zentrum ihrer Bebilderung rücken. Das Abbilden von Blaulichtern spielt bei der britischen BBC eine größere Rolle als bei Al-Jazeera English oder CNN. Blaulichter und Sirenen diverser Einsatzwagen (n=14) symbolisieren Gefahr und untermauern den Anschlag anhand der Sirenengeräusche und des Blaulichtes. In etwa demselben Ausmaß wie CNN widmet der britische Sender seine Aufmerksamkeit den Bildern weinender Frauen und von Flüchtlingen. Schuhe sowie Fotos der Opfer werden bei der BBC eher selten symbolisch dargestellt. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der visuellen Bebilderung ihrer Nachrichten durch Waffen, Szenen mit Kindern und Blaulichter. Bilder von weinenden Männern wurden im medialen Vergleich am seltensten bei der BBC identifiziert. In der symbolischen Zuteilung der einzelnen Bilder ähneln sich die drei Sender und somit können keine signifikant markanten Unterschiede herausgearbeitet werden.
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Abbildung 39: Visueller Umgang mit Symbolen bei Al-Jazeera English Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 40: Visueller Umgang mit Symbolen bei CNN Quelle: eigene Darstellung 296
Abbildung 41: Visueller Umgang mit Symbolen bei BBC Quelle: eigene Darstellung Im nächsten Vergleichsmaßstab werden die Ausprägungen bei der Symbolzuteilung im intermedialen Bereich betrachtet. Dabei wird die prozentuelle Verteilung bei den drei Sendern ermittelt und in folgender Grafik visuell dargestellt. Es wird ersichtlich, dass bei der symbolischen Bildzuteilung vor allem AlJazeera English häufig Bilder von weinenden Männern zeigt (rund 77 Prozent). Aufgrund des anteilsmäßigen Mehr an relevanten Nachrichten stellt Al-Jazeera English die meisten Symbolbilder dar, verwendet diese auch am häufigsten. Dies trifft vor allem bei Schlüsselbildern von Flüchtlingen, weinenden und trauernden Frauen, verletzten Kindern und Bildern von Kindern zu. Besonders deutlich fällt das Ergebnis bei den Symbolbildern der Opferfotos aus. Von den 27 Berichten, bei denen Fotos der Opfer als Symbol wahrgenommen wurden, konnten rund 74 Prozent davon bei AJE verwendet werden. Die Journalisten des katarischen Senders fielen während der gesamten Untersuchungszeit immer wieder durch menschliche und opferzentrierte Berichte auf. Folglich gehören dazu auch Bilder und Fotos der Opfer, die symbolisch für die stattfindende Gewalt in den Regionen des Nahen Ostens stehen. Dieselbe Erkenntnis kann man bei Bildern von herrenlosen Schuhen am Anschlagsort ziehen: Durch das Filmen dieser „Überreste“ wird das Ausmaß der Zerstörung angedeutet, ohne dabei Tote oder Verletzte ins Bild rücken zu müssen. Auch die britische BBC bedient sich bei ihrer
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symbolisch-zugespitzen Terrorberichterstattung der Bilder von herumliegenden Schuhen, um so auf die Gewaltausbrüche und die Zerstörung hinzuweisen. Vor allem bei der szenischen Abbildung der Blaulichter in den Nachrichten sendet BBC diese am häufigsten. 50 Prozent (n=14) aller Blaulicht-Symbole werden bei diesem Sender erkannt, CNN hingegen verwendet das Symbol eher weniger und konzentriert sich stattdessen auf Bilder von Flüchtlingen oder verletzten Kindern. Waffen, die als Werkzeuge der Terroristen oder der „Befreier“ in den Bildbeitrag rücken, kommen bei allen drei Sendern häufig vor und werden gerne im Zusammenhang terroristischer Gewalt gefilmt.
Abbildung 42: Visueller Umgang mit Symbolen im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
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8.30 Kameraführungen Als letzter Aspekt wird die Kameraführung während der Berichterstattung über Terroranschläge betrachtet und allfällige Besonderheiten diskutiert. Dabei kann man erkennen, dass AJE vor allem Nahaufnahmen wählt, um über Terroranschläge und terroristische Aktivitäten zu berichten. Rund 35 Prozent ihrer Berichte (n=117) zoomen die Ereignisse so nah heran, dass selbst bestimmte Details genau beobachtet werden können. CNN und BBC wählen diesen Zoom nicht so häufig und konzentrieren sich vorwiegend auf den Bildbericht, der in der Totalen-Perspektive aufgenommen wird. Dabei erhält der Zuseher die Möglichkeit, sich über den Ort und den Rahmen des Geschehens ein Bild zu machen und sich darin zu orientieren. Bei CNN weisen 54 Beiträge dieses Kameraformat auf, bei BBC sind es sogar 65 Nachrichten. Auch Al-Jazeera English verwendet mit rund 28 Prozent (n=94) diesen Blickwinkel. Bei allen drei Sendern waren die neutralen Aufnahmen überraschenderweise oft vertreten. Der Bildbeitrag wurde mit Hilfe einer sehr neutralen Kamerahaltung gestaltet und die Anschläge auf eine neutrale Art gefilmt. Besonders bei CNN und BBC konnte diese seriöse Kamerahaltung beobachtet werden, welche bei rund 30 bzw. 31 Prozent ihrer Nachrichten vorkamen. AJE verwendet diese Kameraeinstellung am dritthäufigsten (n=76). Die subjektiven Kamerabilder vermitteln dem Zuseher oft ein Gefühl von Spannung und erzeugen durch diesen Authentizitätseffekt einen LivenessCharakter beim Publikum zu Hause. Oftmals kann sich das Kamerateam aufgrund der überraschenden Situation nicht auf eine adäquate Kameraführung konzentrieren und filmt das Erlebte, wie es sich dem Hauptakteur gerade präsentiert. Dabei unterscheidet man zwischen einer subjektiven Kamerahaltung und Amateuraufnahmen. Bilder, die mit Hilfe dieser Kameraführung aufgenommen wurden, konnten in geringerem Maße beobachtet werden. Al-Jazeera English entschloss sich bei 36 Berichten diese Form zu wählen und somit Spannung und Action dem Zuseher zu vermitteln. CNN sendete zwölf Nachrichten über Terroranschläge mit Hilfe dieser Kamerahaltung, die BBC insgesamt 13. Eine weitere Möglichkeit terroristische Aktivitäten festzuhalten besteht darin, diskrete Abstände zum Geschehenen zu wahren. Oftmals sind die Bilder nicht für die Medien bestimmt und werden deshalb mit einem gewissen Abstand aufgezeichnet, sodass sich der Zuseher zwar einen Überblick über das Ausmaß der Zerstörung machen, dabei jedoch keine Opfer oder sonstige Details erkennen kann. Diese Kamerahaltung konnte jeweils viermal bei AJE und BBC sowie zweimal bei CNN beobachtet werden und dominiert somit nicht bei den verschiedenen Perspektiven-Formen.
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Großaufnahmen, bei denen nur noch Bruchstücke von der Umgebung wahrgenommen werden, sind bei allen drei Sendern sehr selten in Erscheinung getreten: Al-Jazeera English wendet die Großaufnahme fünfmal, die anderen beiden Sender je einmal an. Die Medien wählten für die Berichterstattung von Terroraktivitäten hauptsächlich eine totale Kameraführung sowie Nah- und neutrale Aufnahmen.
Abbildung 43: Häufigsten Kameraeinstellungen im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
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9 Exemplarische Darstellung der Berichterstattung anhand dreier Terrorereignisse
Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen die Annahme, dass sich die drei Sender in ihrer Berichterstattung gleichen und keine markanten Differenzen aufweisen. Die vorliegende Studie verdeutlicht folglich die Intention der drei internationalen Nachrichtensender, ein möglichst großes Publikum anzusprechen, ungeachtet dessen, ob es sich um einen muslimischen, amerikanischen oder britischen Sender handelt. Allen drei ist eine ähnliche Bericht-erstattung und Herangehensweise an die untersuchte Thematik gemein. Da Al-Jazeera English, wie auch CNN und BBC ein großes internationales Publikum ansprechen wollen, lassen sich größtenteils sachliche und objektive Berichte erkennen. Ab und an sickern zwischen den Zeilen politische Einstellungen des Journalisten oder des Senders durch, dennoch versuchen alle drei in einer neutralen Form zu informieren. Dies vor allem deshalb, da sie sich nicht speziell auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe festlegen und somit ein möglichst breit gefächertes Informationsangebot anbieten möchten. Die vorliegende Untersuchung bestätigt zwar eine sachliche und ähnliche Berichterstattung der drei Untersuchungsmedien, dennoch kann keineswegs von identischen Berichten gesprochen werden. Bei bestimmten Ereignissen konnten gravierende Unterschiede in der Berichterstattung, der Herangehensweise sowie der Informationsvermittlung im Allgemeinen beobachtet werden. Im folgenden werden drei Terroranschläge genau analysiert und im Hinblick auf ihre Verschiedenartigkeit angeführt. Um eine optimale Vergleichsmöglichkeit garantieren zu können, wurden die drei Ereignisse wortwörtlich transkribiert, damit die Berichterstattung über ein und denselben Anschlag ganz genau beleuchtet werden kann. Dafür wird zum einen der umstrittene und von AJE und der BBC kritisch beobachtete amerikanische Luftangriff auf ein afghanisches Dorf in der Provinz Farah herangezogen. Zum anderen werden der Selbstmordanschlag auf das Pear Continental Hotel in Peshawar (Pakistan) sowie ein Selbstmordattentat auf einen irakischen Markt beleuchtet. Der Angriff auf das afghanische Dorf wurde deshalb gewählt, da die USA in den Einsatz verwickelt waren und somit von einer amerikanischen Schuld gesprochen wurde. Hierbei sollte untersucht werden, ob der amerikanische Sender CNN dieselbe Berichterstattung aufweist wie seine internationalen Mitbewerber oder ob sie regierungstreu und loyal über 301 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
den Einsatz gegen die Taliban berichten. Das zweite Beispiel wurde aufgrund der Ausnahmesituation in Pakistan (Kämpfe der Regierung gegen ein weiteres Ausbreiten der Taliban) sowie der Größe des Anschlages ausgewählt. Das dritte Beispiel (Selbstmordanschlag auf einen Markt im Irak) wird exemplarisch für die zahlreichen Anschläge im Land angeführt, die den amerikanischen und britischen Truppenabzug am 30.6.2009 begleiteten. Des weiteren steht dieses Beispiel für die immer wiederkehrenden Gewalttaten zwischen den zwei Glaubensrichtungen der islamischen Gemeinde.
9.1
Beispiel 1: Amerikanischer Luftangriff auf ein afghanisches Dorf Thematischer Hintergrund
Anfang Mai 2009 starben bei einem amerikanischen Luftangriff in der südwestafghanischen Provinz Farah über 100 Zivilisten. Am 4. Mai bombardierten Luftstreitkräfte ein Dorf, zerstörten dabei zahlreiche Häuser und töteten etliche Dorfbewohner. Während afghanische Quellen von über 100 zivilen Opfern sprachen, schmälerte das US-Militär die Opferzahl und sprach von 30 toten Zivilisten und 60 getöteten Taliban-Kämpfern. Nach dem Luftangriff wurde die Kritik an der amerikanischen Vorgehensweise gegen die Taliban immer lauter, sodass eine afghanischamerikanische Untersuchungskommission die Anschuldigungen klären sollte. Im Bericht wurde eine Bedrohung der amerikanischen oder afghanischen Truppen diagnostiziert, da sich in den besagten Dörfern Taliban-Kämpfer versteckt hätten. Dennoch sei ein Lufteinsatz nicht gerechtfertigt gewesen, da die Gefahr für die Zivilbevölkerung als zu hoch eingeschätzt wurde. Zudem hätten einige Soldaten die taktischen Anweisungen – die für einen solchen Einsatz vorgeschrieben sind – nicht beachtet. Ein Flugzeug besaß die Freigabe für die Bombardierung von TalibanKämpfern, musste aber zuvor noch einmal abdrehen. Beim erneuten Anflug hätte die Besatzung nochmals fragen sollen, ob geschossen werden dürfe, da die Kämpfer vielleicht bereits geflohen oder sich Zivilisten annähern hätten können. Der Untersuchungsbericht enthält jedoch auch Anschuldigungen gegen die Taliban: Demnach wussten die Taliban, dass sich Zivilisten vor Ort befanden und näherten sich diesen. Von dort aus griffen sie die Streitkräfte an. Der Bericht hob zudem die Absicht der Taliban hervor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu verwenden. Hintergrund für den US-Luftangriff in der Provinz Farah waren Berichte über getötete Regierungsbeamte in diesem Gebiet, sodass afghanische Soldaten und Polizisten vorrückten, um diese Vermutungen zu überprüfen. Da die
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afghanischen Soldaten mit der Situation überfordert waren, hätten sie die Amerikaner um Hilfe gerufen. Die Kritik an der Vorgehensweise des amerikanischen Militärs wurde durch diesen Bericht nicht geschmälert, da in der Vergangenheit zu viele zivile Opfer bei Luftangriffen ums Leben gekommen waren.560 1. Tag der Berichterstattung: 6.5.2009 Die Medien berichteten erstmals am 6. Mai über den amerikanischen Luftangriff. Die Berichterstattung darüber dauerte vier aufeinander folgende Tage. Bei AlJazeera English wurde dieses tragische Ereignis als Top-News angekündigt und somit zu Beginn der Sendung behandelt. Es fallen mehrere Besonderheiten auf: Ein Kamerateam und ein Journalist von Al-Jazeera English begaben sich vor Ort, um das Ausmaß der Zerstörung zu filmen und exklusive Bildberichte in die Welt zu senden. Dabei wurden vor allem die Opfer in den Mittelpunkt ihres Beitrages gerückt und deren Leid mit emotionalen Bildern verdeutlicht. Nach einer sachlichen Anmoderation folgte der Bildbericht, bei dem zu Beginn zwei weibliche Angehörige gefilmt wurden, die inmitten der Zerstörung saßen und weinten. Eine Frau erzählte, dass sie 13 Familienmitglieder durch den Luftangriff verloren hätte. Während die Kamera das Leid dieser Frauen filmte, wurde im Hintergrund das Ausmaß der Zerstörung verdeutlicht, da das gesamte Dorf in Schutt und Asche lag. In einer nächsten Bildsequenz zeigte man verletzte Kinder, die im nahegelegenen Krankenhaus behandelt wurden. Anschließend sah man Überreste der Bomben. Es folgte ein OTon eines Dorfbewohners, welcher von über 100 Toten sprach. Die Überlebenden hatten beim Eintreffen der Medien bereits die menschlichen Überreste der Angehörigen vergraben. Die Bilder zeigten betende und fassungslose Dorfbewohner, die vor den Gräbern knieten und trauerten. Al-Jazeera English unterlegte ihren Bericht mit vielen Interviews (O-Tönen) und ließ dabei auch das US-Militär zu Wort kommen. Neben dem lokalen Gouverneur, welcher am ersten Tag der Berichterstattung bereits von über 100 toten Zivilisten sprach, wurden Überlebende und eine Mitarbeiterin des Internationalen Roten Kreuzes zum Anschlag befragt. Der Journalist befand sich, wie bereits erwähnt, in dem zerstörten Dorf und berichtete direkt vom Schauplatz. Der Zuseher erfuhr dabei von einer Offensive afghanischer und internationaler Truppen gegen die Taliban, die in diesem Luftangriff gipfelte. Der Reporter – Nick Clark – informierte über offizielle Aussagen und Mutmaßungen, nach welchen die Taliban die 560 Zivile Opfer. US-Militär kritisiert Fehler bei Luftangriffen in Afghanistan. Spiegel online. Politik. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,628245,00.html (16.6.2010).
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Zivilbevölkerung als humanitäres Schutzschild missbraucht hätten. Das amerikanische Militär bestätigte zwar, dass sie in die Kämpfe – die zwei Tage zuvor begonnen hatten – involviert gewesen waren, von einer amerikanischen Schuld sprachen sie allerdings nicht. Interessant sind vor allem die Formulierungen des Moderators im Studio, der von einem tödlichen Luftangriff in der Provinz Farah sprach, dabei aber nicht die USA als verantwortlichen Akteur nannte, sondern den örtlichen Gouverneur zitierte, der von über 100 toten Zivilisten sprach. Dem Zuseher wurde somit der aktuelle Wissensstand mitgeteilt, ohne dabei Partei für eine Seite zu ergreifen. Da AJE über mehrere verschiedene Informationsquellen verfügt, konnten sie diese sachlich anbringen, ohne spekulativ vorgehen zu müssen. Das Rote Kreuz erwähnte im Interview keinen Aggressor oder Hauptverantwortlichen, schilderte lediglich was geschehen war und wie viele Opfer es hinter dem Anschlag vermutete. Die Berichterstattung wurde sehr emotional und mit vielen personalisierten Elementen gestaltet, womit sich der Zuseher schnell in das Leid der dortigen Bevölkerung hinein versetzen konnte. Der Beitrag endete mit dem Satz: „If the reports of over 100 dead are true, it will be the most deadly incident involving civilian casualties since international troops entered Afghanistan in 2001.“561 CNN erwähnt am ersten Tag der Berichterstattung keinen amerikanischen Luftangriff bei der Nachrichtenübersicht und handhabte ihn somit auch nicht als Top-News oder Breaking-News. Der Sender schaltete nach einer kurzen Einleitung der Studio-Moderatorin direkt zu seinem Korrespondenten, welcher sich allerdings vor dem CNN-Büro in Kabul befand und über die ihm bekannten Informationen berichtete. Über das Ausmaß des Schadens wurde beim Einstieg des Themas nicht gesprochen. Die Studiomoderatorin wies lediglich darauf hin, dass das Gebiet unter Taliban-Kontrolle stehe und schaltete sodann zu ihrem Korrespondenten. Durch diesen abrupten Übergang erhielt der Zuseher das Gefühl, dass die Moderatorin nichts Falsches sagen wollte. Interessant erschien zudem die Tatsache, dass die etlichen zivilen Opfer in der Ankündigung nicht einmal erwähnt wurden. Lediglich der Korrespondent äußerte sich darüber, schmälerte jedoch die offiziellen Angaben von über 100 toten Zivilisten, indem er meinte: „We’re hearing form the sources on the ground […] there have been civilian casualties, number though vary. We’ve heard everything from 30 to perhaps more than 100.“562 Dabei fällt auf, dass lediglich CNN von mehreren verschiedenen Opferzahlen spricht, die anderen zwei Nachrichtensender sprechen bereits am ersten Tag von über 100 zivilen Opfern. 561 Al-Jazeera English. 6.5.2009. 562 CNN World News. 6.5.2009.
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Einen Bildbericht über das Ausmaß und das Leid der Zerstörung wurde dem Zuseher nicht geboten. Stattdessen filmte man den Auslandskorrespondent vor seinem Bürogebäude in Kabul. Im Beitrag dienten der afghanische Präsident Hamid Karzai, das Rote Kreuz, der örtliche Polizeichef sowie das amerikanische Militär als Informationsquellen. Statements dieser Quellen in Form von O-Tönen wurden nicht angeführt. Der Korrespondent sprach von anfänglichen Berichten, in welchem die Amerikaner an den Luftangriffen beteiligt gewesen waren und das Dorf beschossen hätten. Diesen Kämpfen gingen heftige kriegerische Auseinander-setzungen zwischen den Taliban und den US-Streitkräften voraus. Anschließend führte er die Tatsache an, dass vor allem Frauen und Kinder in sicher geglaubte Häuser geführt wurden. Der Bericht endete mit dem Hinweis, dass die Amerikaner, um den Anschuldigungen auf den Grund zu gehen, mit einer Untersuchung begonnen hätten und dabei mit der afghanischen Regierung zusammenarbeiteten. Bei der britischen BBC wurde der Luftangriff als Top- und Breaking-News gekennzeichnet. Der Einstieg des Moderators erfolgte auf sachlicher Ebene, indem er die verschiedenen Informationsquellen zusammen mit deren Aussagen anführte. Die BBC begann mit dem Bedauern von US-Außenministerin Hillary Clinton, die sich für den Tod von Zivilisten entschuldigte und eine Untersuchung für diesen Fall ankündigte. Dennoch sprach Clinton von keiner amerikanischen Verantwortung für diesen verheerenden Luftangriff. Das Rote Kreuz hatte zuvor den Tod etlicher Zivilisten bestätigt und besonders auf weibliche Opfer und Kinder hingewiesen, die bei dem US-Luftangriff ums Leben gekommen waren. Ebenso sprachen afghanische Parlamentarier und sogar Präsident Hamid Karzai von toten Zivilisten. Die Berichterstattung von BBC fiel besonders sachlich aus, da sie sich auf mehrere Quellen stützte und dadurch dem Zuseher eine eigene Urteilsbildung ermöglichte. Genaue offizielle Angaben über die Anzahl der Toten wurden nicht bekannt gegeben. Am Ende des Berichtes informierte der Studio-Moderator über die aktuellsten Neuigkeiten zu diesem Anschlag: „Well, the last few moment, news agencies are reporting the words of general David McCain […]. He is going to say, he does not dispute that civilians died. But he suggested it might not had been the US-air strikes that killed them. He said the Taliban had beheaded three civilians, perhaps to lewer police into the area, in the first place more on that as we get it.“563 Die Bildberichterstattung blieb auch bei dieser Nachrichtenstation aus. Es wurde eine Afghanistan-Karte angeführt, um den Anschlag genau zu lokalisieren. 563 BBC World News. 6.5.2009.
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Bei den O-Tönen des Roten Kreuzes sowie der Pressekonferenz mit Hillary Clinton wurden die Interviewpartner in der Nahaufnahme festgehalten. Während der restlichen Beitragszeit kam der BBC-Korrespondent ins Bild. Aufnahmen des zerstörten Dorfes oder auch Bilder der Opfer blieben an diesem Tag aus. Betrachtet man sich den ersten Tag der Berichterstattung über diesen viel diskutierten amerikanischen Luftangriff, so fielen in erster Linie die Exklusiv-Bilder von AJE auf, der als einziger Nachrichtensender vor Ort gewesen war und das Ausmaß der Zerstörung gefilmt hatte. Auch in Bezug auf die Interviewpartner war bei AJE die breit gefächerte Informationsbeschaffung zu erkennen. In ihrem Beitrag schilderten zwei überlebende Dorfbewohner das Geschehen, der örtliche Gouverneur, sowie die Sprecherin des Roten Kreuzes und ein US-Militärsprecher. Bei CNN beispielsweise wurden keine Personen interviewt oder O-Töne angeführt. Der Korrespondent berichtete lediglich von ihm bekannten Quellen. Beim Beitrag der britischen BBC kamen die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton sowie das Rote Kreuz zu Wort. 2. Tag der Berichterstattung: 7.5.2009 Auch am zweiten Tag wurde der Luftangriff bei Al-Jazeera English am Anfang der Sendung angekündigt. Der Journalist sprach erneut von über 100 zivilen Opfern, die bei einem amerikanischen Bombardement im Westen Afghanistans ums Leben gekommen waren. Der amerikanische Verteidigungs-minister Robert Gates befand sich zu diesem Zeitpunkt in Kabul, um über zusätzliche 21.000 Mann – welche im Sinne der „AfPak-Strategie“564 von Präsident Obama beschlossen wurde – zu verhandeln. Bei der Pressekonferenz, die ursprünglich für dieses Thema vorgesehen war, stand der Luftangriff der Amerikaner im Mittelpunkt des medialen Interesses. Robert Gates bedauerte die Todesopfer, fügte jedoch auch sein Misstrauen gegenüber den Taliban an. „We regret any, even one, afghan civilian casualty – innocent civilian casualty. […] And I believe that, General McCains spokesman in fact, has already expressed regret about this incident. Regardless of who caused it. We all know that the Taliban use civilian casualties and sometimes create them. To create problems for the United States and our coalition partners.“ Anhand dieses Berichts wurde die Sichtweise der Amerikaner recht deutlich erkennbar. Obwohl internationale Organisationen, Augenzeugen und andere Journalisten über die Fakten berichteten und eine Schuld der Amerikaner betonten,
564 „AfPak“ steht für eine Verbindung von Afghanistan und Pakistan als einzelnes, gemeinsames Krisengebiet. Dieser Begriff wurde von Barack Obama entwickelt und stellt eine Strategie zur Stabilisierung Afghanistans mit Einbezug der Regionalmächte und Nachbarländer. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/AfPak (18.6.2010).
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schoben einige amerikanische Verantwortliche die Schuld für die hohe Opferzahl den Taliban zu. Da sich dieser Bericht hauptsächlich mit der Pressekonferenz von Robert Gates befasste, wurden keine Bilder des Anschlagsortes gezeigt. CNN World News kündigte diese Nachricht am Anfang der Sendung wieder nicht an. Die Studio-Moderatorin befragte ihren Korrespondenten über die „Verwirrung“ und Konfusion über den amerikanischen Luftangriff und ob der Korrespondent etwas Klarheit schaffen könne. Die Moderatorin wies weiters auf die Schwierigkeit im Umgang mit den Taliban hin, da möglichst keine negativen Reaktionen vor der Bevölkerung gezeigt werden dürfen. Der Korrespondent bezog sich auf „angeblich lokale Angaben“, welche von über 130 toten Zivilisten sprachen, die in den Kämpfen zwischen den Taliban und den afghanischen und amerikanischen Truppen starben. Es wurde von einer Kontroverse gesprochen, wer für die Toten verantwortlich sei. Die lokalen Behörden waren von der Schuld der Amerikaner überzeugt, die Amerikaner wiederum vermuteten die Taliban dahinter. Auffallend bei der Berichterstattung war das erneute Fehlen von Interviewpartnern. Der Bericht basierte lediglich auf den Schilderungen des Korrespondenten. Das dies problematisch werden kann, verdeutlichte folgender Ausspruch des Journalisten, der aufgrund mangelnder OTöne eine zu starke subjektive Sichtweise miteinfließen ließ. „One of the things that the Taliban tells people, is that is doing here is to save them from – what they say – the crusader forces. They call the United States and NATOforces here an occupation force and they say that they saving the Afghans from them. And you could see in a situation like this, how that very simple message to relatively uneducated people can resonate. And that’s what they’re trying to play off here. But if what we’re hearing from the pentagon is correct, that the Taliban purposely went in there, killed or wounded people to use that as propaganda against the US-military, that would be a huge step forward in this sort of propaganda war. And again: this is a propaganda war – if you will – a public relations battle. That the US is particularly not well positioned of fight, because of it’s preconception here. They have been responsible for civilian deaths in this case and may be them 565 again.“
Während der Korrespondent sprach, wurden dieselben Bilder wie bei Al-Jazeera English eingespielt: Der Zuseher sah Ruinen, zerstörte Häuser und verletzte Kinder im Krankenhaus. Die weinenden Frauen, die in dem Angriff alles verloren hatten, wurden jedoch nicht gezeigt. Stattdessen blendete man Bilder amerikanischer Soldaten ein, die sich im Kampf gegen die Taliban befanden.
565 CNN World News. 7.5.2009.
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Die BBC erwähnte am Anfang der Nachrichtensendung den Luftangriff und wies auf den Beitrag hin. Dabei sprach sie von über 100 zivilen Todesopfern, die bei einem amerikanischen Luftangriff ums Leben gekommen waren. Afghanische Behörden, das Rote Kreuz sowie US-Außenministerin Hillary Clinton und USVerteidigungsminister Robert Gates wurden als Informationsquellen angeführt. Die Bildberichterstattung zeigte das zerstörte Dorf, Ruinen, herumsitzende, fassungslose und weinende Männer. Überlebende Dorfbewohner hielten Bombenstücke vor die Kamera und wollten somit die Herkunft der Zerstörung andeuten. Obwohl der Anschlag bereits mehrere Tage zurück lag, wurde noch immer nach Verschütteten gesucht und in den Trümmern gegraben. Die Farben des Beitrags waren dunkel gehalten und verdeutlichten somit das Leid und die Zerstörung. 3. Tag der Berichterstattung: 8.5.2009 Am dritten Tag der Berichterstattung wurde der Anschlag nicht mehr bei der Ankündigung bei Al-Jazeera English erwähnt, es folgte nur ein sehr kurzer Bericht. Der Moderator verlas lediglich einige Zeilen über die neuesten Erkenntnisse. Demnach sollten bei dem Luftangriff 147 Dorfbewohner getötet worden sein. Ein Sprecher des Pentagon hatte zum ersten Mal zugegeben, dass manche Opfer höchst wahrscheinlich durch US-Bomben gestorben waren. Auch CNN erwähnt den Anschlag erneut nicht bei der Nachrichtenankündigung. Es folgte ein Korrespondentenbericht, bei dem zwar das Rote Kreuz, Robert Gates und die Ergebnisse der Militäruntersuchungen als Informationsquellen angegeben wurden, O-Töne kamen allerdings nicht vor. Auffallend hierbei waren die Formulierungen der Studio-Moderatorin, die einige einleitende Worte sprach, aber keineswegs die Schuld des amerikanischen Militärs ansprach. Der Korrespondent berichtete über eine ungewisse Anzahl von Zivilisten, die beim amerikanischen Luftangriff getötet worden waren und fügte folgendes hinzu: „It is not known exactely how many were killed. The Red Cross is talked of seen dozens of bodies on the ground. There have been estimates of perhaps more that 100 civilians being killed. We might never know that exact number. Earlier there have been suggestions from US-military sources, that the Taliban themselves may have been responsible for these killings. Launching a granate attack against the civilians and then prorating those bodies through the village to try to make it look as though they were the victims of an airstrike. Now of course it’s saying that the airstrike itself did kill those civilians.“566
566 CNN World News. 8.5.2009.
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Die Bilder von AJE wurden übernommen und zeigten daher die selben Szenen wie bei der Berichterstattung des Senders aus Katar. Dennoch waren der Beitrag und die Bildberichterstattung weniger emotional als bei Al-Jazeera English gestaltet. BBC widmete am dritten Tag nur mehr wenig Nachrichtenzeit für den Luftangriff in der Provinz Farah im Westen Afghanistans. Der Bericht wurde am Anfang der Sendung nicht mehr angekündigt, stattdessen verlas der StudioModerator die aktuellen Erkenntnisse in dieser Causa. Dabei kamen die Aussagen des amerikanischen Militärs zur Sprache, die die Zahl der im Report veröffentlichten Toten (über 100) als „übertrieben“ bezeichneten. Weitere Ausführungen blieben hierbei aus. 4. Tag der Berichterstattung: 9.5.2009 Al-Jazeera English kündete diesen Beitrag bei der Nachrichtenübersicht nicht mehr an. Der Journalist im Studio erklärte, dass über 140 Personen bei dem Anschlag umgekommen waren und dies somit die höchste Opferzahl an Zivilpersonen seit dem amerikanischen Truppeneinmarsch im Jahr 2001 darstellte. Der Beitrag begann mit einem sehr emotionalen Moment, in dem eine Überlebende unter großer Trauer meinte, nicht mehr leben zu wollen, da sie alles verloren habe. Sie berichtete, dass über 19 Familienmitglieder bei dem Luftangriff gestorben seien. Gleich anschließend hielt ein anderer, alter Dorfbewohner ein Foto seines Enkelsohnes in die Kamera und erklärte, dass dies alles sei, was ihm noch geblieben sei. Er habe insgesamt 13 Familienmitglieder verloren. Die Kamera filmte das zerstörte Dorf und inmitten der Trümmer konnte man eine abgetrennte Frauenhand erkennen. Dies war das einzige Mal, dass Tote oder Teile von Toten bei diesem Ereignis gefilmt wurden. Neben den Bildern der Zerstörung wurden herumliegende Kleidungsstücke sowie zahlreiche Gräber gefilmt, die von betenden Männern umringt wurden. Der lokale Gouverneur sprach mit den Angehörigen und vernahm von allen Seiten Todesberichte. Der Beitrag war erneut sehr emotional konzipiert, dies wahrscheinlich auch deshalb, weil die Al-Jazeera-Reporter nun schon mehrere Tage am Ort dieses Vorfalls waren und dadurch über ein großes Detailwissen verfügten. Der Beitrag bei CNN unterschied sich wesentlich von dem bei AJE. Gleich zu Beginn wurde das Statement des amerikanischen Militärs angeführt, welches eine viel zu hohe Opferzahl beklagte und gleichzeitig behauptete, dass diese Zahlen übertrieben seien. Zusätzlich wurde das Rote Kreuz als Informationsquelle angegeben. Der afghanische Präsident Hamid Karzai kritisierte die Vorgehensweise des amerikanischen Militärs und meinte: „It’s not wise to use an aircraft, it’s not wise to drop bombs from air on villages. We cannot justify in any manner for 309
whatever number of Taliban, of whatever number of significantly important terrorist, the accidental or otherwise loss of civilians.“567 Der Bildbericht visualisierte das Ausmaß der Zerstörung und die Suche nach Überlebenden. Zudem wurden Explosions- und Bombenüberreste gefilmt. Der Bericht endete mit der Ankündigung, dass die gemeinsame Untersuchungskommission ihre Ergebnisse bald veröffentlichen werde. Auffälligkeiten bei der Berichterstattung über den amerikanischen Luftangriff in der Provinz Farah Bei der Betrachtung dieses Terroranschlages fielen die Besonderheiten der jeweiligen Sender auf: AJE sendete exklusive Bildberichte, die vor allem durch die rasche Präsenz der AJE-Reporter vor Ort ermöglicht wurden. Oftmals wurde deutlich, dass Al-Jazeera English die einzige internationale Fernsehstation ist, die sich an den Ort des Geschehens vorwagt. Da sich Al-Jazeera-Reporter direkt zum Schauplatz begeben und dies meist ohne den Schutz des Militärs (embedded journalists) erfolgt, sind die Betroffenen eher zu Interviews bereit. Zeina Khodr – Korrespondentin bei Al-Jazeera English – erklärt dies folgendermaßen: „I think it is very important for an international journalist to visit as many places as possible in a country (without being embedded with a military) … it is invaluable information that you gather just by talking to the people, understanding their fears and concerns … they usually speak more openly when they don’t see you traveling with the military or any other force.“568
Die Berichte bei AJE stellten vorwiegend die Opfer in den Vordergrund und sind demnach emotional und mit personalisierten Elementen versehen. CNN hingegen setzte bei seiner Berichterstattung vor allem auf Korrespondenten-Berichte, zu denen der Studio-Moderator während der Sendung live zuschaltete. Der Korrespondent befand sich jedoch nicht am Schauplatz des Geschehens, sondern ging meistens vor dem CNN-Gebäude der jeweiligen Hauptstadt (hier: Kabul) auf Sendung. Die Berichte bei CNN zeichneten sich durch die Einschätzungen des Journalisten im Land sowie vernommenen Informationen aus. Interessant dabei war vor allem die Tatsache, dass sie sehr selten Interviewpartner zu Wort kommen ließen. Auch bei den Bildberichten konnte keine eigene Aufnahme erkannt werden. Hierbei übernahmen sie teilweise die Bilder von Al-Jazeera English und unterlegten sie mit Bildern von
567 CNN World News. 9.5.2009. 568 Email-Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Zeina Khodr. 16.6.2010.
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kämpfenden amerikanischen Soldaten. Inhaltlich konnte beobachtet werden, dass CNN meistens auf der Seite der Opfer zu stehen scheint. Bei diesem Beispiel allerdings wagten sich die Journalisten nicht zu sehr an die Feststellungen der anderen Sender heran und sprachen erst sehr spät von einer „Teilschuld“ des amerikanischen Militärs. Immer wieder wurden die Taliban als verantwortliche Akteure genannt, die letztendlich Schuld an diesem Vorfall hätten. Die Berichterstattung war in diesem Fall durch eine sehr loyale Haltung gegenüber der amerikanischen Regierung und dem Militär gekennzeichnet. Die BBC nahm eine neutrale und sachliche Position ein und informierte über bekannte und bestätigte Erkenntnisse, wonach das amerikanische Militär rasch als verantwortlicher Akteur genannt wurde. Bei der BBC wurden häufiger als bei CNN O-Töne der Interviewpartner eingespielt, doch auch sie interviewten keine Überlebenden des Anschlages. Dies lässt sich wohl auch darauf zurückführen, dass auch die BBC nicht am Anschlagsort war und lediglich Bilder von diesem einspielte. Größtenteils konnte man ihren Korrespondenten betrachten, der über die aktuellen Informationen und Erkenntnisse berichtete. Anschließend werden die Aussagen über die Opferzahlen graphisch dargestellt, um einen Überblick über diese viertägige Berichterstattung zu erhalten. Dabei ist anzumerken, dass dieses Ereignis noch Wochen danach immer wieder aufgegriffen wurde und sich nicht nur auf diese vier Tage beschränkt: Da während dieser Tage jedoch die umfangreichsten Berichte ausgestrahlt wurden, wurde dieses Zeitfenster ausgewählt.
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Tabelle 6: Anzahl der Toten bei der Berichterstattung über den US-Luftangriff auf die Provinz Farah im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
Tabelle 7: Formulierungen über die Todesopfer nach dem US-Luftangriff auf die Provinz Farah im Sendervergleich Quelle: eigene Darstellung
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9.2
Beispiel 2: Anschlag auf Pearl Continental Hotel in Peshawar Thematischer Hintergrund
Am 9. Juni 2009 ereignete sich ein Selbstmordanschlag auf das Luxushotel Pearl Continental Hotel in der pakistanischen Stadt Peshawar. Dabei starben mindestens 15 Personen und etliche wurden verwundet. Nach Angaben der pakistanischen Polizei habe es sich bei den Attentätern um drei Männer gehandelt, die mit einem Lastwagen vor den ersten Sicherheitscheck des Hotels gefahren sind. Dabei hätten sie auf das Sicherheitspersonal geschossen und seien anschließend durch das Sicherheitstor gefahren. Unmittelbar vor dem Hotel zündeten sie den Sprengsatz und beschädigten das Hotel schwer. Die Explosion, die durch rund 500 Kilogramm Sprengstoff ausgelöst wurde, hinterließ einen riesigen Krater. Da das Hotel als beliebte Unterkunft für Ausländer und Diplomaten galt, war es gut bewacht. Peshawar – das im Nordwesten des Landes liegt – befindet sich nicht weit vom Swat Tal entfernt, in dem heftige Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und den Taliban im Gange waren. Zum Anschlag bekannte sich vorerst keine Gruppierung, der Verdacht fiel jedoch schnell auf die pakistanischen Taliban, da im Nordwesten des Landes in den vergangenen Wochen zahlreiche Anschläge verübt worden waren. Die pakistanischen Behörden gingen von einem Racheakt der Taliban für die Großoffensive in Swat aus.569 1. Tag der Berichterstattung: 9.6.2009 Da der Selbstmordanschlag erst in den späten Abendstunden ausgeführt wurde, konnten Al-Jazeera English und CNN noch nicht darüber berichten. BBC World News kündigte den Anschlag als Breaking- und Top-News an, da er sich rund eine halbe Stunde vor der Sendung ereignet hatte. Der BBC lagen somit keine genauen Fakten vor und so musste der StudioModerator Nick Gowing jene wenigen Informationen, die er besaß, dem Publikum vortragen. Zu Beginn der Sendung erklärte er, dass es einen Bombenanschlag auf das berühmte Pearl Continental Hotel in Peshawar gegeben hatte, bei dem mindestens 28 Personen verletzt wurden.
569 Welt online. Schwere Explosion in Luxushotel in Peshawar. http://www.welt.de/politik/article3895036/Schwere-Explosion-in-Luxushotel-in-Peshawar.html (18.6.2010).
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Als Informationsquelle dienten verschiedene Nachrichtenagenturen sowie die Bilder des pakistanischen Fernsehens. Darauf konnte man Menschenmassen, die Polizei aber auch die Ambulanz und einige Verletzte erkennen. Da sich der Anschlag am Abend ereignete, waren die Bilder sehr dunkel und das Ausmaß der Zerstörung noch nicht sichtbar. Aufgrund der geringen Informationslage wurden zwischen den einzelnen Berichten immer wieder aktuelle Erkenntnisse des Bombenanschlages angeführt. Der Journalist sprach von einer großen Bombenexplosion, mit der die Taliban noch nicht in Verbindung gebracht wurden. Sie wurden zwar erwähnt, kamen jedoch im Zusammenhang mit der Großoffensive im Swat Tal vor. Die Berichterstattung erfolgte sachlich und basierte auf Faktenwissen. „Peshawar is one of the most sensitive areas of Pakistan on the North-west-frontier. This after the pakistani military claim they have essentially eliminated the Taliban threats in the SWAT-Valley in the last months. […] The result being three million, internally displaced people.“570
2. Tag der Berichterstattung: 10.6.2009 Al-Jazeera English kündete den Selbstmordanschlag auf das Luxushotel in Pakistan in ihrer Anmoderation zu Beginn der Sendung an. Dabei sprach der Sender vom siebten Anschlag in Peshawar seit der Offensive gegen die Taliban im Swat Valley. Der Moderator im Studio erwähnte, dass dies der jüngste Anschlag im Nordwesten sei, wo das Militär die Taliban bereits besiegt hätten. Es folgte ein Bildbericht des Korrespondenten Kamal Hyder, der vor dem zerstörten Hotel über den Anschlag berichtete. Er beschrieb das Attentat sehr genau und berichtete über die Opfer und das Ausmaß der Zerstörung. Der Beitrag wurde keineswegs emotional gestaltet und stellte lediglich die Fakten in den Vordergrund. Im Zuge dieses Berichtes thematisierte man auch das Leid der pakistanischen Bevölkerung, die seit der pakistanischen Offensive gegen die Taliban fliehen mussten und nun in Flüchtlingslagern Zuflucht gefunden hatten. Es wurden mehrere Informationsquellen angeführt, um ein möglichst umfassendes Bild von der Situation zu erhalten. Zu Beginn kamen zwei Augenzeugen zu Wort, der US-Beauftragte für Afghanistan und Pakistan – Richard Holbrooke – und ein UN-Koordinator. Weiters wurde die Sichtweise des pakistanischen Militärs im Zuge eines Telefoninterviews eingebaut. Auch AJE informierte, dass sich bis jetzt noch niemand zu dem Anschlag bekannt habe, jedoch die pakistanischen Taliban dahinter vermutet werden.
570 BBC World News. 9.6.2009.
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Dabei wurde Kritik an der pakistanischen Militärtaktik laut, die vor allem während des Telefoninterviews mit dem Militärsprecher Major General Athar Abbas zu erkennen war. Der Moderator im Studio begann sein Interview mit folgender Frage: „This Pearl Continental bombing is the seventh bombing in Peshawar alone, since the military campaign in Swats and it’s arounds began. Isn’t it time for a change of tactics?“571 Weiters fragte er: „They (the Taliban) continues to target you, your citizens, the NGO’s, the diplomats. The question is, […], is it worth that two million refugees that have been created, is it worth to continue the attacks on pakistans cities?“572 Das gesamte Telefoninterview wurde recht kritisch gehalten und verdeutlichte das Unverständnis gegenüber der Militärtaktik. Die Bilder bei AJE zeigten das zerstörte Hotel und das gesamte Ausmaß der Zerstörung nach dem Bombenanschlag. Es wurden Verletzte aber auch Überlebende gefilmt, die sich zu dem Anschlag äußerten. Die pakistanische Polizei gab die Bilder des Überwachungsvideos frei, worauf AJE Teile des Videos zeigte und kommentierte. Darauf konnte man das mit einer halben Tonne Sprengstoff beladene Auto erkennen. Kurz darauf sah man die Schüsse, den den Wachtmann töteten. Anschließend folgte eine Explosion, die das Video erhellen ließ. Weiters wurden die Bergungsarbeiten gefilmt, im Zuge deren man einen zugedeckten Toten aus den Trümmern hob. Neben den Bildern der Zerstörung äußerte sich der US-Beauftragte für diese Region zum Anschlag. Bei CNN erfolgte die Berichterstattung wieder auf CNN-eigene Weise: Nachdem das Ereignis als Top-News gekennzeichnet wurde, erfolgte eine kurze Anmoderation, ehe man zum Korrespondenten nach Islamabad schaltete. Es wurde der O-Ton von zwei Überlebenden angeführt und anschließend das Video der Überwachungskamera analysiert. Dabei fiel auf, dass CNN besonders genau die Bilder des Videos kommentierte. So sprach der Journalist von: „What we’ve seen from that video, the two cars presumably involved in the attack got through this gates with relatively ease. And you see a white four-door-car come up to the first gate.“573 Zudem wies der Korrespondent darauf hin, mit dem Medien-Koordinator des Pearl Continental Hotels gesprochen zu haben, der keinerlei Sicherheitslücken im System sehe, da ein Selbstmordterrorist immer auf irgendeinem Weg am Sicherheitspersonal vorbei finde.
571 Al-Jazeera English. 10.6.2010. 572 Al-Jazeera English. 10.6.2010. 573 CNN World News. 10.6.2009.
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Der Journalist berichtete, dass es keinen Verantwortlichen für den Anschlag gebe, die Behörden jedoch die pakistanischen Taliban dahinter vermuteten. Der Bildbericht konzentrierte sich hauptsächlich auf die Szenen der Überwachungskamera sowie auf die Verletzten und Überlebenden und über das Ausmaß der Zerstörung. Die BBC kündete an diesem Tag den Anschlag nicht mehr am Anfang der Sendung an, da sie bereits einen Tag zuvor darüber berichtet hatte. Der Moderator im Studio informierte sachlich, der Korrespondent vor Ort wies auf die seit Tagen bestehende Ausnahmesituation im Land hin. „Pakistans major cities have been on high alert for weeks as the military offensive against the Taliban gathers pace. There have already been several bombs in Peshawar – the capital of the North-west-frontier province. But this was the most deadly attack in the city for some time. And the consequences were devastating.“574 Der Reporter sprach von einem Selbstmordattenat auf das Pearl Continental Hotel in Peshawar und der Vermutung der pakistanischen Behörden, dass die Taliban dafür verantwortlich seien. Als Informationsquellen wurden offizielle Stellen angegeben, die von 18 Toten sprachen sowie die aufgezeichneten Bilder einer pakistanischen Fernsehstation. Ein Überlebender äußerte sich über das Attentat und die pakistanische Regierung erklärte, dass sie sich im Krieg gegen die Taliban befinde und diesen unbedingt gewinnen müsse. Die Bildberichterstattung orientierte sich etwas an Al-Jazeera English, da die Trümmer des Hotels, einen mit einem Tuch bedeckten Toten sowie Bilder der Überwachungskamera gezeigt wurden. Anschließend sah man zerstörte Autos, die Suche nach Überlebenden und erneut die Bilder der Überwachungskamera. Dennoch war der Bericht sehr sachlich aufgebaut und orientierte sich an den bekannten Fakten. Bei allen drei Nachrichtensendern konnte man eine ähnliche Berichterstattung erkennen, in welcher sie die ihnen bekannten Informationen verwendeten. Al-Jazeera English verpackte diese in einen Bericht vom Schauplatz, CNN schaltete zu seinem Korrespondenten in Islamabad, der vor dem Bürogebäude zu sehen war. Die Berichterstattung der BBC war ein Mix aus den Elementen bei AJE und CNN. Auffälligkeiten bei der Berichterstattung über den Selbstmordanschlag auf das Pearl Continental Hotel in Peshawar Über den Bombenanschlag auf das Luxushotel in Peshawar wurde in erster Linie gleichermaßen informativ berichtet. Bei allen drei Sendern waren die Bilder der Überwachungskamera zu sehen, der Ablauf des Anschlages war Schwerpunkt 574 BBC World News. 10.6.2009.
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einer genauen Analyse. Dennoch konnten Feinheiten der Untersuchungssender erkannt werden: Al-Jazeera English baute den Beitrag nach Sender-bekannten Mustern auf: Nachdem der Moderator über den Selbstmordanschlag informiert hatte und die wichtigsten Eckdaten bekannt gab, wurde ein Bildbericht mit Interviews der Überlebenden gezeigt. Das Ausmaß der Zerstörung wurde gefilmt und der AJE Reporter befand sich unmittelbar vor dem zerstörten Hotel. Der Beitrag fokussiert sich nicht so sehr auf die Opfer, wie beim amerikanischen Luftangriff auf ein Dorf in Afghanistan, sondern stellt die pakistanische Militärtaktik in Frage. Folglich befragte Al-Jazeera einen Sprecher des pakistanischen Militärs in einem Live-Telefoninterview zu diesem Anschlag und der Militäroffensive im Swat Tal. Al-Jazeera English äußerte sich, neben der BBC, kritisch gegenüber der Militärtaktik und brachte diesen Anschlag in Verbindung mit der Situation in Pakistan. Dieses Ereignis wurde somit in einem gesamtheitlichen Kontext betrachtet. CNN schaltete nach einer kurzen Anmoderation zu seinem Korrespondenten nach Islamabad. Dieser informierte über die jüngsten Erkenntnisse und die Annahme, dass man die Taliban dahinter vermute. Im großen und ganzen basierte der Bericht auf dem Film der Überwachungskamera, der Grundlage einer detaillierten Analyse war. Der Reporter äußerte sich als einziger über das Sicherheitssystem des Hotels und bemerkte, dass dieses eventuell Lücken enthalte. BBC berichtete sehr ausführlich über das Attentat und ließ einen Augenzeugen das Erlebte erzählen. Zudem wies sie auf die Militäraktion in Pakistan und die prekäre humanitäre Lage hin. Bei dem Bericht der BBC wurde der Anschlag zwar auch in Verbindung mit der Situation in Pakistan gebracht, die Berichterstattung erfolgte jedoch nicht so kritisch. Folgende grafische Darstellung auf Seite 318 hebt die wichtigsten Elemente hervor.
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Tabelle 8: Wichtigsten Auffälligkeiten der Berichterstattung über den Bombenanschlag auf ein Hotel in Peshawar Quelle: eigene Darstellung
9.3
Beispiel 3: Selbstmordanschlag auf irakischen Markt Thematischer Hintergrund
Nachdem sich die Sicherheitslage im Irak Anfang Juni etwas beruhigt hatte, kam es im Vorfeld des angekündigten amerikanischen Rückzugs aus den irakischen Städten vermehrt zu Terroranschlägen. Am 10.6.2009 zündete ein Selbstmordattentäter in der südirakischen Provinz Nasiriya eine Autobombe inmitten eines viel besuchten Marktes. In der Stadt Al-Batah, die bis zu diesem Attentat als sicher galt, verursachte eine Autobombe zwischen 19 und 32 Todesopfer sowie etliche Verletzte. Der Provinzgouverneur entließ nach diesem Anschlag den Polizeichef und es wurden Ermittlungen angekündigt, die untersuchen sollten, ob das Attentat von der irakischen Polizei verhindert hätte werden können.575 In al-Batah leben vorwiegend Schiiten, weshalb offizielle Stellen bald von einem sunnitischen Attentäter sprachen. Der Anschlag ereignete sich drei Wochen vor dem amerikansichen
575 http://www.news.at/articles/0924/15/243996/verheerender-bombenanschlag-irak-bis-32-irakerattentat-opfer (20.6.2010).
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Truppenabzug aus den irakischen Städten.576 Dieses Beispiel verdeutlicht neben den kleineren Feinheiten der drei Sender eine durchaus ähnliche Berichterstattung. 1. Tag der Berichterstattung: 10.6.2009 Nachdem das Ereignis bei Al-Jazeera English als Top-News gehandhabt wurde, infomierte der Moderator im Studio die Zuseher über die Autobombe, die in der südirakischen Provinz von Nasiriyah zahlreiche Todesopfer forderte. Dabei betonte er, dass eine relativ stabile Ortschaft getroffen wurde. Aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen entließ der lokale Gouverneur sofort den örtlichen Polizeichef. Der Journalist sprach von einer vorwiegend schiitischen Bevölkerung, die in der betroffenen Stadt lebt. Da seit über zwei Jahren keine größeren Anschläge das öffentliche Leben der Bevölkerung in al-Batah erschüttert hatten, galt dieses Attentat als umso besorgniserregender. AJE befand sich erneut vor Ort und filmte den zerstörten Markt sowie zahlreiche Überlebende, die fassungslos ausgebrannte Autos und zerstörte Häuser betrachteten. Das Leid der Bevölkerung stand auch bei diesem Beitrag an vorderster Stelle. Bilder der Zerstörung, weinende und trauernde Angehörige sowie Bilder von Särgen, Verwundeten und Menschenmengen, die vor dem Krankenhaus auf erlösende Nachrichten warteten, wurden dem Zuseher präsentiert. Der AJE-Journalist informierte über bevorstehende Begräbnisse und filmte die Aufräumarbeiten nach dem Anschlag. Neben ausgebrannten Autos und zahlreichen Menschen, die sich um den Anschlagsort versammelt hatten, konnte man herumliegende herrenlose Schuhe sowie Kleidungsstücke der Opfer erkennen. Jene zwei Augenzeugen/Überlebende, die zu Wort kamen, waren über die örtliche Polizei sehr aufgebracht und wütend. Im Vergleich zu CNN und BBC wurde keine automatische Verbindung zu den Sunniten hergestellt. Al-Jazeera berichtete, dass ein noch unbekannter Täter eine Autobombe in einer vorwiegend schiitischen Gegend explodieren ließ, einen Bogen zu den Sunniten wurde in diesem Bericht nicht gespannt. Auffällig war zudem, dass der Journalist nicht über den bevorstehenden amerikanischen Truppenrückzug gesprochen und den Anschlag somit auch nicht in Verbindung mit militanten Gruppierungen gebracht hatte, die im Vorfeld des Rückzuges vermehrt Anschläge verübten. Beim amerikanischen Sender CNN wurde der Bombenanschlag auf einen irakischen Markt nicht bei der Anmoderation erwähnt und gilt folglich nicht als TopEreignis. Nachdem auf 28 Tote und rund 45 Verletzte hingewiesen wurde, schaltete die Moderatorin im Studio zum Korrespondenten nach Bagdad, der gleich zu 576 http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=GQ0Z5K (20.6.2010).
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Beginn meinte: „We understand it was a suicide car bombing, that drove into this busy market around ten a.m. local time.“577 Dadurch wurde deutlich, dass sie auf keine eigenen Informationen zurückgreifen konnten und ihr Wissen über den Anschlag von diversen Nachrichtenagenturen bezogen. Die Bildberichterstattung blieb erneut aus, da der Zuseher lediglich den Korrespondenten vor dem Studiobüro in Bagdad sah. Für ein besseres Verständnis wurde eine grafische Darstellung des Irak und der getroffenen Provinz eingespielt. Auch andere Informationsquellen wie beispielsweise O-Töne von Überlebenden, konnten nicht beobachtet werden. Auch der Korrespondent bei CNN sprach von einer vorwiegend schiitischen Gegend, die getroffen wurde. Dieses Gebiet war das erste welches unter eine direkte irakische Kontrolle kam. Obwohl der Anschlag in dieser Gegend, eher unüblich sei, passe er doch zu einem neu zu beobachteten Trend: „So in this sense, this attack is unusual, but it does fit a broader trend that is taken place across Iraq at the moment. Well, overall violence is trending downwards, there have been regular attacks over the last few months in predominately shia areas. High profile attacks, big explosions with large numbers of casualties. And the US-military suspects that this is being driven by sunni groups, probably connected to Al-Qaida in an attempt to provoke the sort of sectarian violence this country has seen before.“578
CNN sprach an dieser Stelle von sunnitischen Militanten, die den Anschlag verübt hätten können. Des weiteren wurde eine Verbindung zur Al-Qaida hergestellt. Diese Vermutung konnte lediglich bei CNN erkannt werden. Der Journalist ging sogar noch einen Schritt weiter: Er glaubte den Grund für den Anschlag zu kennen und meinte, dass dahinter ein Provokationsanschlag zu sehen sei. CNN ging im Vergleich zu AJE auf den amerikanischen Truppenrückzug ein und wies auf die aktuelle politische Situation im Land hin. BBC kündigte den Nachrichtenbeitrag über den Bombenanschlag auf den irakischen Markt zu Beginn ihrer Sendung an und informierte über die wichtigsten Fakten. Der Studiomoderator sprach von über 29 Todesopfern und zahlreichen Verletzten, die bei einer Autobombe verletzt wurden. Als unmittelbare Folge des Attentats wurde der lokale Polizeichef entlassen, der dieses verheerende Unglück verhindern hätte können. Auch BBC sprach von einer vorwiegend schiitischen Umgebung, die bis dato als relativ sicher gegolten hatte. Ein Augenzeuge gab ein Interview, in welchem er seine Wut gegenüber der Polizei äußerte. Die Bildberichterstattung war ähnlich konzipiert wie bei Al-Jazeera English. Man sah Bilder von zerstörten Autos, Menschenmassen, die sich noch am 577 CNN World News. 10.6.2009. 578 CNN World News. 10.6.2009.
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Anschlagsort befanden sowie das große Ausmaß der Zerstörung. Obwohl die Aufräumarbeiten bereits im Gang waren, konnte man bei genauerem Betrachten Kleidungsstücke der Opfer sowie einige Blutlachen am Anschlagsort entdecken. Die Bilder waren in einer eher dunklen und grauen Farbe gehalten, womit das Leid und die negative Nachricht noch mehr hervorgehoben wurden. Insgesamt stellte dieser Bericht vorwiegend die Opfer in den Mittelpunkt, übte Kritik am Sicherheitspersonal vor Ort und sprach den bevorstehenden amerikanischen Truppenrückzug an. Dabei beendete der Korrespondent, welcher sich am Schauplatz sowie in der Umgebung aufhielt, seinen Bericht mit folgendem Ausblick: „Iraqi commandors are confident that they can deal with any threats. In reality iraqi forces have been handling security on the streets here for months now. But for the first of July they will essentially be on their own. As the insurgence groups well know.“579 Auch die BBC führte die Ängste der Bevölkerung an, dass militante Gruppierungen den konfessionellen Kampf zwischen den Sunniten und Schiiten wieder entfachen werden. Falls dies einträte, müssten die irakischen Kräfte in der Lage sein, diese Situation in den Griff zu bekommen. Auffälligkeiten bei der Berichterstattung über den Bombenanschlag auf den irakischen Markt bei Al-Batah Al-Jazeera English war der einzige Sender der nicht über die Situation zwischen Sunniten und Schiiten sprach. Im Mittelpunkt ihres Berichtes stand der Anschlag und deren Opfer. Die Sender CNN und BBC informierten ihr Publikum über einen möglichen sunnitischen Angriff sowie ein eventuell erneutes Aufflammen von Unstimmigkeiten zwischen diesen beiden Glaubens-richtungen. Die Todeszahlen variierten zwischen 28 und 30, alle drei Stationen sprachen zudem von etlichen Opfern. Inhaltlich konnte man auf den ersten Blick keine gravierenden Unterschiede erkennen, die angeführten Punkte verdeutlichten die wichtigsten Differenzen. Auch bei diesem Ereignis erkannte man die Berichterstattungstendenzen der einzelnen Sender: Al-Jazeera English sendete einen Journalisten an den Ort des Anschlages, welcher Überlebende interviewte, um so die Sichtweise der Bevölkerung zu verdeutlichen. CNN hingegen fokussierte sich vielmehr auf seinen Korrespondenten, der die Zuseher vor seinem Büro über die neuesten Erkenntnisse informierte. Die britische BBC begab sich auch vor Ort, interviewte Überlebende und sprach des weiteren die zukünftige politische Situation und den amerikanischen Truppenrückzug an.
579 BBC World News. 10.6.2009.
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10 Resümee der Arbeit und der Forschungsergebnisse
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, können Differenzen in der Berichterstattung von Al-Jazeera English, CNN International und BBC World erkannt werden. Ganz besonders dann, wenn das amerikanische Militär in Anschläge verwickelt oder sogar verantwortlich dafür ist. AJE informiert bei ihren Nachrichten über das Ausmaß der Zerstörung und führt die verschiedenen Informationsquellen an. Ihre Berichterstattung orientiert sich wesentlich an der Darstellung des Anschlages und rückt die Opfer und deren Geschichten in den Mittelpunkt. Bei CNN erhält der Zuseher das Gefühl, dass die Moderatoren keine voreiligen Schlüsse gegen das amerikanische Militär ziehen möchten und sich dabei in einer Pattsituation befinden. Die Berichterstattung konzentriert sich viel stärker auf die Zahl der Opfer und informiert ihre Rezipienten mit vagen Begriffsformulierungen. Die Vorgehensweise erinnert an die Berichterstattung während des Afghanistan-Krieges 2001, in welchem die amerikanischen Journalisten im Sinne des amerikanischen Militärs von einem „sauberen“ Krieg sprachen. Zivilisten sollten laut dieser Auffassung nicht zum Opfer werden. In Wirklichkeit verfehlten etliche Raketen ihr Ziel – zahlreiche unschuldige Zivilisten wurden dabei getötet. AJE befand sich inmitten des Kriegsschauplatzes und informierte die Welt über die Schattenseiten dieser Offensive. Bei der Berichterstattung der britischen BBC können viele informative Elemente erkannt und bestimmt werden. Die Herangehensweise und Informationsvermittlung gleicht jener von AJE, es lässt sich jedoch eine größere Distanz zu verschiedenen Ereignissen ausmachen. Die Differenzen in der Berichterstattung sind allerdings nur bei einer Involvierung des amerikansichen Militärs einigermaßen deutlich zu erkennen. Abgesehen von den oben erwähnten Analogien und Differenzen konnten in der Berichterstattung keine weiteren Unterschiede festgestellt werden. Es fällt auf, dass AJE häufiger als CNN und BBC über Terroranschläge oder kriegerische Auseinandersetzungen vor Ort berichtet. Aus dem Untersuchungsmaterial geht somit deutlich hervor, dass sich ein wesentlicher Teil der Nachrichten von AJE mit Kriegen und Terroraktivitäten auseinandersetzt. Der palästinensisch-israelische Konflikt wird bei AJE häufig angesprochen, wohingegen Israel selten als Hauptakteur vorkommt. Diese Erkenntnis konnte während des Untersuchungszeitraums jedoch nicht nur auf AJE umgemünzt werden, auch CNN und BBC stellten die Konflikte und gewaltvollen Auseinandersetzungen des Nahen Ostens und der Palästinenser ebenso in den Vordergrund. Eine große Anzahl der Berichte während des Unter-suchungszeitraums thematisierte die 323 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Entwicklungen und Geschehnisse in Pakistan, dem Irak und Afghanistan. Dennoch beleuchtete Al-Jazeera English verstärkt die Situation der Palästinenser nach dem Gaza-Krieg und interviewte regelmäßig die Bewohner des GazaStreifens. Die Konzentration auf diese Region lässt sich vor allem auf exklusive Stellung von AJE in diesem Gebiet erklären. Es kann zwar einerseits von einem starken Fokus auf die palästinen-sischen Gebiete gesprochen werden, andererseits versucht Al-Jazeera English ihrem Selbstverständnis gerecht zu werden, indem sie seinen Zusehern eine zensurfreie Berichterstattung zu gewährleisten versucht. Der Studio-Moderator Imran Garda beantwortet die Frage nach dem Zielpublikum von Al-Jazeera English: „Anyone who wants a fresh perspective of global events, impartial and driven by a true desire to present a story as un-manipulated as possible.“580 Die Ähnlichkeit der Berichterstattung bei den Sendern kann auf die Mechanismen des internationalen Nachrichtenjournalismus zurückgeführt werden. Nachrichtenfaktoren beeinflussen die Themenwahl und bestimmen über ein Senden oder Nichtsenden einer Nachricht – und dies ist länder- wie auch senderunabhängig. Die Nachrichtenfaktoren sind bei westlichen Sendern somit dieselben wie bei den teils sehr westlich orientierten Journalisten von Al-Jazeera English. Aktuelle Ereignisse im Bereich der Politik, Konflikte und Krisen bestimmen die Nachrichtengestaltung bei AJE, CNN und BBC. Durch technische Fortschritte können die Medien – und hier vor allem die einzelnen TV-Stationen – mit Hilfe moderner Technologien sofort und allerorts auf Sendung gehen und ihre Berichte via Satellit in die Welt transportieren. Sie sind imstande schnell auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und ihre Programme im Sinne der „Breaking-news“ zu unterbrechen. Doch Schnelligkeit alleine trägt nicht automatisch zu einer Qualitätssteigerung der Nachrichten bei. Der intensive Wettbewerbs- und Konkurrenzkampf der verschiedenen internationalen Nachrichtensender um die besten Bilder und Nachrichten kann zu einem Qualitätsverlust beitragen. Doch auch Einschreitungs- und Druckversuche einzelner Regierungen können die Medien an einer kritischen und objektiven Berichterstattung hindern. Seit Al-Jazeera über ein englisches Nachrichtenprogramm verfügt und die Welt mit Berichten aus dem Nahen Osten beliefert, ist es für die herrschende politische Klasse des Westens wie des Nahen Ostens immer schwieriger geworden, die Berichterstattung aktiv in ihrem Sinne zu lenken. Höhepunkt der aktiven Medienzensur konnte in den Tagen und Wochen nach den Anschlägen vom 11.9.2001 bei den amerikanischen Journalisten beobachtet werden, die dadurch eine neue Form der Ereignisberichterstattung schafften. Der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier spricht von einer gegenseitigen Abhängigkeit 580 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Moderator Imran Garda. 14.7.2010.
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der Terroristen und Medien. Nicht die Echtzeitberichterstattung sowie die BreakingNews begünstigen dieses Wechselspiel, sondern vielmehr die „simple Erfolgslogik“.581 Terrorismus und Medien unterliegen dem „Zwang zur Selbstüberbietung“: Die einen versuchen durch Gewaltanwendungen einen maximalen Störeffekt zu erzielen, die anderen erhoffen sich durch dramatisierende und emotionalisierende Gewaltberichterstattungen einen maximalen Marktanteil. Der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez spricht trotz vieler Einsichten und Vorkehrungsmaßnahmen von einer „Ereignisberichterstattung“. Viele Journalisten würden das Phänomen des internationalen Terrorismus von Grund auf kaum verstehen, weshalb sie sich vordergründig an Reizwörtern wie „Al-Qaida“ oder „Osama bin Laden“ orientieren. Die Ursachen- und Konfliktanalyse des Terrorismus würde dadurch stark vernachlässigt werden, so Hafez.582 Ähnlich wie Hafez sieht der Politikwissenschaftler Hans J. Kleinsteuber beträchtliche Mängel in der aktuellen Fernsehberichterstattung, besonders bei Bildern und Stereotypen, die Feindbilder erzeugen können. Der Mitbegründer der Nachrichtenwert-Theorie Johan Galtung ist sich des hohen Nachrichtenwertes des Terrorismus durchaus bewusst und fordert deshalb seit Jahren eine journalistische Berichterstattung, die sich auf Hintergründe, Folgen und Lösungsmöglichkeiten konzentriert. Journalisten sollten ihre Zuseher öfter über Friedensbemühungen und alternative Konfliktlösungen informieren. Der Gewaltjournalismus konstruiere stattdessen Feindbilder und baue ein „Wir-SieSchema“ auf, welches den Kampf und den Sieg in den Mittelpunkt der Nachricht rücke.583 Ziel der vorliegenden Analyse war es zu untersuchen, in welcher Weise AlJazeera English als erster internationaler Nachrichtensender aus dem Nahen Osten an das Phänomen des Terrorismus herantritt und über deren Gewalthandlungen berichtet. Es sollte herausgefunden werden, ob dieser Sender differenziert über Terroranschläge berichtet oder sich ähnliche Vorgehensweisen wie bei CNN oder BBC erkennen lassen können. Für die Beantwortung dieser Frage wurde eine qualitative und quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt, die das journalistische Herantreten an Terroranschläge analysieren sollte.
581 Zitiert bei: Weichert, Stephan Alexander: Die Selbstüberbietungsspirale. Krisenberichterstattung im Angesicht des Terrors. Medienheft.ch. 14.12.2004. http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k23_WeichertStephanAlexander.html (22.7.2010). 582 Zitiert bei: Weichert, Stephan Alexander: Die Selbstüberbietungsspirale. Krisenberichterstattung im Angesicht des Terrors. Medienheft.ch. 14.12.2004. http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k23_WeichertStephanAlexander.html (22.7.2010). 583 Zitiert bei: Weichert, Stephan Alexander: Die Selbstüberbietungsspirale. Krisenberichterstattung im Angesicht des Terrors. Medienheft.ch. 14.12.2004. http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k23_WeichertStephanAlexander.html (22.7.2010).
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Im Zuge der Analyse wurde ersichtlich, dass sich die Terroristen des Darstellungszwanges der Medien durchaus bewusst sind und demnach mediengerechte Ereignisse inszenierten, die lediglich von den Medien aufgegriffen werden mussten. Eine Art Verschmelzung von Medien und Terrorismus, als Teil der Interessenspolitik, wurde ersichtlich. Durch die audiovisuellen Medien erfährt der Inszenierungsbegriff einen Aufschwung, da die Medien mit ihren Nachrichten möglichst viele Personen unterschiedlicher Herkunft, Klasse und Einstellung erreichen wollen. Die Bilder nehmen in diesem Verhältnis eine ganz besondere Rolle ein, da sie etliche Gefühle der Zuseher ansprechen und komplexe Ereignisse vereinfacht und verständlich wiedergeben können. Dieser mediale Visualisierungszwang der Nachrichten lässt sich aufgrund zeitlich kurzer Beiträge erklären, da mit einigen wenigen Bildern sehr komplexe Themen vereinfacht wiedergegeben werden können. Die visuelle Darstellung ist essentiell, um komplexe Zusammenhänge verstehen und die Zentralaussage erkennen zu können. Die mediale Bildkommunikation besitzt eine eigene Nachrichtenqualität, die dem Betrachter einen individuellen Einblick in das Geschehen ermöglichen soll. Von einer Berichterstattung über Terroranschläge und gewaltvolle Aktionen der Terroristen profitieren die Medien im Sinne hoher Einschaltquoten. Die Terroristen sind wiederum auf die Aufmerksamkeit der Medien angewiesen, da ihre Taten lediglich durch eine Berichterstattung große öffentliche Resonanz erfahren. Die Studie von Bruno S. Frey und Dominic Rohner, wonach beide ein „commoninterest-game“ verbindet und vom jeweils anderen profitieren kann, trifft hier durchaus zu. Während der Untersuchungsmonate konnte festgestellt werden, dass sich viele Anschläge gegen Ziele richteten, die eine Berichterstattung mit sich bringen würden. Häufig wurden ausländische Militärtruppen oder UNO-Mitarbeiter angegriffen, um die mediale Aufmerksamkeit garantieren zu können. Ziel der vorliegenden Arbeit war eine visuelle und inhaltliche Aufarbeitung politischer Nachrichten und hier speziell der Terrornachrichten sowie eine Beschreibung der Darstellungslogik der drei Sender. Ausgangslage war die Annahme, dass die Bilder über Terroranschläge nicht zufällig ausgewählt werden, sondern eine gewisse Logik dahinter zu erkennen ist. Die verschiedenen inhaltlichen wie visuellen Elemente wurden in die Analyse miteinbezogen und in einer Kodieranleitung festgehalten. Wichtige Ansätze konnten im Verlauf der Arbeit angeführt werden, wobei betont werden muss, dass die Empirie keiner dieser Ansätze im Speziellen folgt. Vordergründiges Ziel war der Versuch, die gesamte Berichterstattung über Terroranschläge während der sechsmonatigen Untersuchung möglichst vollständig zu erfassen und deren Ergebnisse komparativ darzustellen. Zudem konnten neue Schlüsse und Entwicklungen im Bereich der Terrorberichterstattung gezogen werden. Durch die qualitative wie quantitative Inhaltsanalyse sollte eine international vergleichende Studie zur 326
Entwicklung der inhaltlichen wie visuellen Nachrichtenanalyse dazu beitragen, dass sich die Politikwissenschaft dem Feld der Medienanalyse weiter öffnet, um so einen zusätzlichen Beitrag zum Forschungsstand der politikwissenschaftlichen Medienforschung im Bereich der Terrorforschung zu leisten. Eine besondere Herausforderung bestand in der ganzheitlichen Betrachtung der Terrorismus-Fernsehbeiträge, da dies als ein noch relativ unbeachtetes Gebiet gilt und folglich an keine bereits bekannte Studie angeknüpft werden konnte. Anhand einer intensiven Betrachtung der Berichtgestaltung bei Al-Jazeera English, CNN und BBC wurden Kategorien erstellt, die der Beantwortung der Hypothesen sowie der Kernfragen dienten. Für die quantitative Erfassung wichtiger Merkmale mussten Kategorien geschaffen werden, die die wichtigsten Facts der Anschläge festhielten. Darauf aufbauend sollte unter anderem herausgearbeitet werden, welche Länder am häufigsten Ziel eines Terroranschlages waren, wie lange und mit Hilfe welcher Darstellungsform darüber berichtet wurde und welche Akteure am häufigsten involviert waren. Die qualitative Analyse versuchte mit bestimmten Kategorien die Botschaft der Nachricht zu erfassen, indem beobachtet wurde, welche Akteure interviewt und wie der Beitrag insgesamt konzipiert wurde. Die komparative Studie weist einige interessante Aspekte auf und verdeutlicht die journalistische Herangehensweise an verübte Terroranschläge und die terroristische Gewalt im Nahen Osten. Es werden Belege angeführt, die Trends in der internationalen Berichterstattung aufzeigen und mögliche Entwicklungslinien angeben. Im Folgenden sollen die Resultate der Analyse zusammengefasst und deren wichtigsten Auffälligkeiten präsentiert werden. Die zwei zentralen Forschungsfragen werden anhand der Studie beantwortet und sendereigene Besonderheiten präsentiert. Bei der Betrachtung der verschiedenen Kategorien der quantitativen Elemente konnten folgende Erkenntnisse erzielt werden:
Nachrichtenbeiträge über terroristische Gewalt im Nahen Osten erfahren bei den internationalen Nachrichtensender große Aufmerksamkeit. Fast täglich wurden Nachrichten über terroristische Aktivitäten und deren Gewaltwellen bei den Sendern gesendet. Al-Jazeera English berichtete dabei länger und mit größerer Intensität über die relevante Thematik als CNN International und BBC World. Der Fokus der AJE-Nachrichten wird vor allem auf die Ereignisse in den Ländern des Nahen Ostens gerichtet, wobei Afrika, die USA aber auch die EU in der Nachrichtenagenda nicht wesentlich geringer vertreten waren. AJE informierte während des Untersuchungszeitraums häufiger über die tägliche Gewalt in den betroffenen und relevanten Regionen als die anderen zwei Sender. Berichteten die Sender über einen Terroranschlag, 327
so kam dieser selten bei der Ankündigung vor. Häufig wurde das Nachrichtenprogramm unterbrochen und die einkommenden „breaking-news“ behandelt. Bei der Schlagzeilen-Übersicht, die die wichtigsten Informationen beeinhalten, wurden die Anschläge meistens nicht erwähnt. Die Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid erklärt dieses Mehr an relevanten Nachrichten folgendermaßen: „[…] I simply believe that western channels are not interested in attacks or victims when westerners are not targeted. Al Jazeera tends to cover any attack regardless of victims. Western channels give the impression that the loss of life is only important when their own people are hit. The same would happen with a plane crash. If onboard there are passengers from their own country, otherwise it would rarely be mentioned. In that sense, western channels fail to inform their audiences on a continuous basis, hence the misunderstanding of a situation usually in the west.“584
Als die beliebteste Berichterstattungsform bei Al-Jazeera English und CNN konnte der Field Report ausgemacht werden, welcher eine Anmoderation des Studiomoderators sowie einen Bildbericht mit Betroffenen vorsieht. CNN ging bei sehr vielen ihrer Terrornachrichten zur Live-Berichterstattung über und ließ die aktuelle Situation in den betroffenen Gebieten von ihren Korrespondenten erklären. Die BBC hingegen informierte über geschehene Terroranschläge in Form von Kurzbeiträgen in der Meldungsübersicht.
Entgegen vorangegangener Vermutungen zählte Pakistan zum Hauptschauplatz der Terroranschläge bei den internationalen Nachrichten-sendern. Weder Afghanistan noch der Irak konnten eine vergleichsweise hohe Nachrichtenpräsenz aufweisen. Ein Grund dafür dürfte sicherlich die damalige politische Situation gewesen sein: Das pakistanische Militär kämpfte gemeinsam mit internationalen Truppen gegen ein weiteres Ausbreiten der Taliban. Resultat dieser Kämpfe war eine Zunahme der Terroranschläge und der Gewalt. Neben dem Schauplatz Pakistan konnte man auch im Irak und Afghanistan häufig Nachrichten über Terroranschläge feststellen, wobei die meisten Anschläge in der Woche zwischen dem 4. und 10. Mai beobachtet werden konnten. Diese Untersuchungswoche war jener Zeitraum, in welchem bei den Nachrichtensendern am häufigsten über Terrorismusaktivitäten berichtet wurde. Neben den drei „Hauptspots“ des Terrorismus wurde eine große Gewaltwelle in den palästinensischen Gebieten erkannt. Viele dieser Berichte beleuchteten
584 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid. 24.7.2010.
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die Nachwirkungen des Gaza-Krieges im Dezember 2008 bis Januar 2009 und informierten über die aktuelle Situation der Palästinenser. Eine weitere interessante Erkenntnis konnte in der Kategorie „Beitragshauptakteur“ erzielt werden. Die Taliban traten während des Analysezeitraums als Hauptakteur auf und galten bei vielen Anschlägen als Drahtzieher. Selbstmordattentäter oder einzelne Terroristen, die sich zu keiner Gruppierung bekannten, stellten ebenfalls eine bedeutende Akteursgruppe dar. AlQaida wurde in den Medien kaum als Akteur thematisiert und rückte in der Terrorberichterstattung etwas in den Hintergrund. Die meisten Anschläge ereigneten sich während der Untersuchung auf der Straße sowie auf öffentlichen Plätzen und Gebäuden. Die Gewalt wurde mit Hilfe von Bombenanschlägen, Explosionen und Autobomben umgesetzt und wurde erst dann mit dem Hinweis auf den Anschlagsort genannt, wenn ausreichend Informationen vorlagen. Als häufigste Anschlagsart konnte während der Untersuchung der Bombenanschlag wahrgenommen werden. Am zweithäufigsten nannten die Journalisten keine Anschlagsart, da beim Senden der Nachricht noch zu wenig Informationen vorlagen. Am dritthäufigsten wurden bei Al-Jazeera English, CNN und BBC die Selbstmordattentäter genannt, die zahlreiche Opfer forderten.
Die Ergebnisse des qualitativen Rahmenwerks brachten essentielle Erkenntnisse zum täglichen journalistischen Herangehen an die Thematik Terrorismus. Folgender Abschnitt versucht Trends in der Terrorberichterstattung sowie den Fokus der drei Sender auf bestimmte Elemente zu erkennen und aufzuzeigen. Mit Hilfe dieses Rahmenwerkes wird der Sub-Text der Nachricht zu verstehen versucht, um Rückschlüsse auf den Sender und deren Richtlinen zu setzen.
Bei der Berichterstattung über Terroranschläge standen hauptsächlich die Opfer sowie das menschliche Leid im Mittelpunkt des medialen Interesses. Materielle Verluste wurden weniger berücksichtigt, der humanitäre Aspekt lag im Vordergrund. Eine ähnliche Tendenz kann bei der Täter-Zentrierung erkannt werden, die bei der Berichterstattung von AJE, CNN und BBC sehr gering ausfällt. Al-Jazeera English und CNN informieren hauptsächlich über die Opfer der Anschläge. Bei der britischen BBC wird neben der Opfer-Zentrierung auch auf die Täter eingegangen. Die Bevölkerung der betroffenen Regionen äußerte sich hauptsächlich negativ und empört über Terroranschläge und befürwortete diese Art der Gewalt in keinster Weise. Diese Einstellung wurde durch die Berichte von Al-Jazeera English und BBC deutlich. CNN hielt sich dabei eher zurück
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und ließ eine Abneigung der Bevölkerung gegenüber der Terrorgewalt selten durchsickern. Sowohl die westliche als auch die Berichterstattung von Al-Jazeera English hielt sich von Personalisierungstendenzen der Täter eher zurück und informierte ihre Zuseher sachlich über den Anschlag ohne dabei Hintergrundinformationen zu den Attentätern zu nennen. Täter und Tätergruppierungen erhielten bei AJE gleichermaßen keinen Raum ihre Meinung kundzutun wie bei CNN und BBC. Auch bei den betroffenen Opfern wurden keine genauen Hintergrundinformationen angeführt, sondern lediglich deren Leid und Situation beschrieben. Die Betroffenen kamen in der Berichterstattung von Al-Jazeera English, CNN und BBC meistens nicht mit O-Tönen vor. Ein Grund dafür dürfte die Tatsache sein, dass sie verletzt oder nicht in der Lage dazu waren. Es dominierten O-Töne von Politikern und Opfern – wenn sie dazu bereit waren. Am dritthäufigsten äußerte sich das Militär über diverse Anschläge, da es sich zum Zeitpunkt der Berichterstattung am Anschlagsort befand, oder unmittelbar selber betroffen war. Verantwortliche Akteure und Täter wurden im Zuge der Terrorberichterstattung vorwiegend nicht genannt. Dies lässt sich damit erklären, dass sich entweder noch niemand zum Anschlag bekannt hatte oder bis zum Zeitpunkt der Nachrichtensendung noch kein verantwortlicher Akteur ausgemacht werden konnte. Als verantwortliche Täter galten während des Analysezeitraums Kämpfer der Taliban. Es fällt auf, dass die Journalisten von AJE, Israel öfter als verantwortlichen Akteur nannten, als die zwei anderen Sender. CNN und BBC distanzierten sich eher von einer Schuldzuweisung Israels und konzentrierten sich bei ihren Berichten auf die Täter der Taliban oder einzelne verantwortliche Terroristen. Die Taliban und die Al-Qaida wurden bei CNN gleichermaßen behandelt wie bei den anderen zwei Untersuchungsmedien, womit Hypothese 14 widerlegt werden kann, da keine Differenzierungsversuche vorlagen. Interessant erscheint der Fakt, dass die USA bei der BBC an vierter Stelle der verantwortlichen Akteure zu finden sind. Bei Al-Jazeera English und CNN kommen die USA erst an fünfter Stelle. Eine Verbindung von Religion und Terrorismus wurde während der Untersuchung nicht festgestellt, womit davon ausgegangen werden kann, dass die meisten Anschläge ohne religiösen Hintergründe verübt wurden. Eine Erläuterung der Motive konnte bei den wenigsten Nachrichten beobachtet werden. Die Moderatoren und Journalisten informierten überwiegend über die Fakten und das Geschehene. Die westlichen Sender wie die englische Version von AJE nahmen größtenteils eine neutrale Haltung ein und bezogen dabei weder Partei für
den Westen noch für die arabische Welt. Es konnte zwar bei allen drei Sendern eher eine proarabische Haltung als eine prowestliche/proisraelische beobachtet werden. Bei AJE geschah dies allerdings etwas deutlicher als bei den anderen zwei Sendern. Dessen ungeachtet kann man dem Sender keine von vornherein nur proarabische Einstellung unterstellen. Auch bei dieser Kategorie fällt Al-Jazeera English durch eine sehr ähnliche Berichterstattung auf, weshalb von der Vermutung eine unterschiedliche Form zu erkennen, Abstand genommen werden muss. Die Nachrichten bei AJE, CNN und BBC konzentrierten sich eher auf einzelne Ereignisse, iin einen Gesamtkontext werden diese selten gebracht. Auffallend bei dieser Kategorie ist dennoch der hohe Anteil der CNNAusrichtung am Gesamtereignis der einzelnen Terroranschläge. Rund 40 Prozent der CNN Nachrichten behandelten die politische Situation im Zuge der Beschreibung des einzelnen Anschlages. Bei Al-Jazeera English waren es rund 38 Prozent und bei BBC 29 Prozent. Die Beitragsqualität fiel somit während der sechsmonatigen Analyse sehr gut aus, da alle drei Sender durch sachliche und deskriptive Berichte auffielen. Demnach konnten kaum interpretative Elemente der Journalisten in ihren Berichten über Terroranschläge festgestellt werden. AJE unterlegte ihre Nachrichten gerne mit Geräuschen und stellte somit die geforderte Authentizität beim Zuseher her. CNN und BBC arbeiteten gleichfalls mit Geräuschen. Eine rein musikalische Umrahmung wurde bei allen drei Sendern kaum verwendet. Der Grund dafür nannte der Al-Jazeera English Korrespondent Kamal Hyder, indem er betonte, dass Musik vorwiegend bei Dokumentationen vorkomme, in den täglichen Nachrichten darauf verzichtet werde, da dies dem Publikum bestimmte Gefühle auferzwinge.585 Bei der Betrachtung des Frames „Angst versus Sicherheit“ wurde beobachtet, dass über die Hälfte der AJE News Gefühle von Angst und Unsicherheit auslösten. Dieser hohe Anteil an angstauslösenden Berichten lässt sich durch die Konzentration auf das Leid und die verzweifelte Situation der Bevölkerung erklären. Bei CNN und BBC werden ebenso angstauslösende Berichte beobachtet, neutrale Nachrichten überwiegen jedoch. Komplexe Ereignisse können mit Hilfe einiger Symbolbilder vereinfacht dargestellt und deren Kernaussage an den Zuseher transportiert werden. Das Bild informiert den Rezipienten und stellt somit eine Informationsquelle dar, die möglichst viele Emotionen beim Empfänger auslösen sollen. Bei der
585 E-Mail Interview mit dem Al-Jazeera English Korrespondenten Kamal Hyder. 11.7.2010.
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symbolisch-zugespitzten Bildberichterstattung bedienten sich die Medien vorwiegend keiner symbolischen Bildsprache, da die Nachrichtenstationen entweder im Zuge einer vorgelesenen Nachricht oder aufgrund der Exklusivität des Anschlags noch keine Bilder hatten. Wurden jedoch Symbolbilder in den Beiträgen erkannt, so waren dies hauptsächlich Bilder von Kindern und Waffen. Die einen stellten das Leid und die Folgen der Gewalt, die anderen die Brutalität dar. Bei der Betrachtung der Symbolverwendung bei den drei Sendern wird die Bedeutung der Kinderbilder bei Al-Jazeera English ersichtlich, da diese Art der Bebilderung am häufigsten erkannt wurde. Es folgten Abbildungen von Waffen und weinenden Frauen. Bei CNN und BBC wird ein ähnlicher Fokus der Symbolbilder ersichtlich, da beide häufig Waffen und Kinder abbilden. Bilder von Waffen werden bei den westlichen Sendern öfter verwendet als Bilder von Kinder. Eine Bebilderung der Opfer fiel – teilweise aufgrund des Nachrichtenformats – bei Al-Jazeera English, CNN und BBC aus. Wurden dennoch Bilder von Opfern gezeigt, so dominierten Abbildungen von verletzten Personen bei der visuellen Darstellung der Anschläge. Bilder von Kindern und verletzten Kindern wurden zudem als Symbolbild für die Opfer eingeblendet. Der visuelle Umgang mit toten Personen stellte bei dieser Analyse eine besondere Kategorie dar, da untersucht werden sollte, ob und in welchem Ausmaß tote Opfer von den einzelnen Medieninstitutionen visuell wahrgenommen wurden. Es stellte sich heraus, dass tote Opfer bei den drei Nachrichtensendern eher selten ins Bild der Berichterstattung rückten und meist nicht dargestellt wurden. AJE und BBC beschränkten sich – wenn diese dennoch vorkamen – auf das Abbilden von bereits zugedeckten Leichen. Bei CNN konnte man eher tote Personen als mit einem Tuch zugedeckte Leichen beobachten. Entgegen vorangegangenen Erwartungen wurden Särge der Opfer kaum angeführt. Auch bei der visuellen Darstellung der Täter konnten einige interessante Beobachtungen gemacht werden: Diese wurden bei allen drei Sendern kaum abgebildet und beschränkten sich – wenn sie überhaupt vorkamen – auf ein Abbilden von bewaffneten Kriegern sowie auf ein Filmen von Fotos und Bildern der Täter. Terroristen oder einzelne Radikale erhielten bei Al-Jazeera English keinen signifikant größeren Raum ihre Meinung kundzutun als bei den anderen zwei Sendern. Somit kann von dem verbreiteten Vorurteil Al-Jazeera gebe den im Westen als Terroristen bezeichnete Tätern mehr medialen Raum abgesehen werden. Terroranschläge und kriegerische Aktivitäten wurden bei CNN und BBC hauptsächlich durch die Totale-Perspektive gefilmt. Al-Jazeera English
bevorzugte hierbei jedoch die Vorzüge der Nahaufnahmen, um genau das Geschehene zu dokumentieren. Die Untersuchung überraschte in vielerlei Hinsicht: AJE nimmt keineswegs eine Sonderrolle ein und berichtet in ähnlicher Art und Weise wie CNN International und BBC World. Auch die inhaltlichen Ergebnisse sind aufgrund nicht erwarteter Ausgänge interessant: Die Untersuchung der Länderschwerpunkte zeigt, dass keineswegs, wie vorweg angenommen, Afghanistan als Konfliktherd in die Medienberichterstattung eingeht, sondern vielmehr Pakistan durch zahlreiche Anschläge und terroristische Aktivitäten ins Zentrum des Interesses rückte. Auch der global operierenden und allseits bekannten Al-Qaida wurde seitens der Taliban der Rang abgenommen. Ferner wurde fälschlicherweise angenommen, dass die journalistische Interpretativität deutlich stärker präsent und somit auch die Beitragsqualität bei manchen Nachrichten nicht so hoch sein würde. Die vorliegende Studie zeigt, dass sich die drei Nachrichtensender nicht erheblich in ihrer journalistischen Qualität unterscheiden. Ab und an werden Tendenzen in eine bestimmte Richtung festgestellt, die im folgenden diskutiert werden. Bei der Kategorie „proarabisch versus prowestlich“ wird deutlich, dass AlJazerea, CNN und BBC eine vorwiegend neutrale Position beziehen. Obwohl AlJazeera English nicht auffallend häufiger eine proarabische Position bezog, kann man dennoch eine Tendenz in Richtung einer Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung erkennen. Die exklusive Berichterstattung aus dem Gaza-Streifen und dem Swat trugen sicherlich dazu bei. Es kann von einer Opferberichterstattung gesprochen werden, die sich nicht speziell auf die Muslime als Opfer konzentriert, sondern lediglich die Leidtragenden eines Konfliktes beleuchtet. Al-Jazeera English stellte die Muslime in keinster Weise a priori als Opfer dar, sondern informierte lediglich über die Anschläge und deren Opfer, die während der Analyse größtenteils Muslime waren. Al-Jazeera English bemühte sich möglichst alle verschiedenen Standpunkte anzuführen und ließ diese zu Wort kommen. Bei den anderen zwei Sendern konnte eine nicht so breit gefächerte Meinungsvielfalt erkannt werden. Das Bemühen von AJE, die Nachricht möglichst ganzheitlich zu gestalten, fußt auf dem ethischen Kodex des Senders und ist darin festgehalten. Sie versuchen dabei folgendes einzuhalten: „Present diverse points of view and opinions without bias or partiality.“586
586 http://english.aljazeera.net/aboutus/2006/11/2008525185733692771.html (15.2.2010).
333
Eine weitere interessante Erkenntnis konnte durch die Kategorie der Religion erzielt werden, da religiöse Elemente in die Berichterstattung kaum Eingang fanden. Die Religion wurde während des Untersuchungszeitraums nicht in Verbindung mit Terroraktivitäten oder Anschlägen gebracht. Somit kann von der Annahme, dass viele Anschläge im Nahen Osten religiös bedingt sind, abgesehen werden. Des Weiteren konnte bei der Gestaltung der Nachrichten ein geringes Maß an journalistischer Interpretativität erkannt werden. Die Berichte waren vorwiegend deskriptiv gestaltet und konzentrierten sich auf eine Tatsachenbeschreibung. Dabei wurde bei Al-Jazeera English und BBC die abweisende Haltung der Bevölkerung gegenüber Terroranschlägen verdeutlicht, da häufig Betroffene interviewt wurden, die kein Verständnis für die Anschläge zeigten. Diese Haltung in der Öffentlichkeit entspricht jedoch keinem common-sense, da es sehr wohl befürwortende Meinungen in der Bevölkerung gibt, die bei der Berichterstattung der drei Untersuchungsmedien allerdings nicht wiedergegeben werden. CNN ließ eher selten abweisende Haltungen gegenüber der vorherrschenden Gewalt zu, womit ein verfälschtes Bild von der Einstellung der arabischen Bevölkerung im Westen erzeugt werden könnte. Bei den Berichten wurden hauptsächlich auf die Opfer und deren Leid und Schicksal eingegangen, auch eine Bevorzugung des Einzelereignisses vor einer gesamthaften Darstellung der jeweiligen Problematik konnte beobachtet werden. Bei der visuellen Darstellung der Opfer bedienten sich die Medien einer Bebilderung der Verletzten sowie verletzten Kinder, die von den Anschlägen betroffen waren und damit erneut das Leid hervorgehoben und betont wurde. Bilder von Flüchtlingen und weinenden Frauen waren ein weiteres gern verwendetes Motiv, das den negativen Aspekt der Gewalt unterstrich. Die Befragung betroffener Personen wurde vorwiegend mit Politikern und Opfern gestaltet, die sich zu den Anschlägen äußerten. Interessante Ergebnisse konnten beim Frame „Angst versus Sicherheit“ erzielt werden. CNN und BBC berichteten eher neutral; bei den Berichten von Al-Jazeera English wurde dem Zuseher bei über der Hälfte ihrer Beiträge Angst und ein Gefühl von ständiger Bedrohung vermittelt. Der arabische Sender arbeitete eher mit Geräuscheffekten als CNN und BBC. Die Farbgestaltung spielt bei den Bildbeiträgen eine bedeutende Rolle. Zwar wird bei allen drei Sendern vorwiegend mit hellen und klaren Farben gearbeitet; bei Al-Jazeera English kann man allerdings öfters dunkle, kalte und graue Farben erkennen, die den Schrecken und das Ausmaß der Katastrophe hervorheben sollen. Bei der Täterberichterstattung fiel der geringe Informationsgehalt über die Täter während des Untersuchungzeitraumes auf. Die Medien konzentrierten sich stattdessen auf die Beschreibung der Anschläge und deren Auswirkungen auf die 334
Opfer. Die meisten Berichte stellten somit keine Bilder der Täter vor, wurden sie dennoch abgebildet, so präsentierten sie sich mit zahlreichen Waffen vor den Kameras und demonstrierten somit ihre militärische Stärke. Die Reporter distanzierten sich von einer Personalisierung der Täter, auch ihre Angehörigen kamen sehr selten zu Wort und wurden von den westlichen Medien je einmal, von AJE zweimal interviewt. Waren die Täter der Anschläge bekannt, so konnten meistens die Taliban als Hauptakteur zugeordnet werden. Aber auch einzelne Terroristen, die durch Bombenanschläge mediale Aufmerksamkeit erregten, waren sehr aktiv. Als häufigste Anschlagsart wurden Bombenanschläge auf öffentliche Gebäude und Plätze erkannt, zu denen auch Autobomben und Explosionen zählten. Die Selbstmordattentate wurden im Analysezeitraum am dritthäufigsten beobachtet und nahmen eine bedeutende Rolle während der Untersuchung ein. Die angeführten Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass Al-Jazeera English durchaus vergleichbar in der Berichterstattung von BBC oder CNN ist. Al-Jazeera English berichtet über Terroranschläge ähnlich wie ihre Pendants, geht dabei allerdings meistens gründlicher in die Materie ein und beleuchtet die Schicksale der Opfer tiefgründiger als die anderen zwei Sender. Vor allem AJE aber auch BBC können durch eine fundierte und vor allem genaue Berichterstattung überzeugen. Die Analyse brachte teilweise neue, aber großteils auch bekannte Erkenntnisse ans Licht. Bestimmte Annahmen konnten bestätigt werden. CNN äußerte sich eher selten negativ über die amerikanische Kriegsführung und deren Taktik in den betroffenen Regionen, hob allerdings das Leid der Bevölkerung, das durch die Taliban oder andere Radikale verursacht wurde, besonders stark hervor. Die amerikanischen Truppen wurden bei CNN eher als eine Art „Befreier“ als ein Verursacher von Leid dargestellt. Die verschiedenen Terrorgruppierungen waren bei den Berichten von CNN die Haupt-verantwortlichen für die derzeitige politisch instabile Situation. Al-Jazeera English informierte im Vergleich zu CNN differenzierter über Anschläge, in denen die USA verwickelt waren, da sie sich zusätzlich auf die Aussagen der Bevölkerung stützte und diese interviewte. CNN hingegen informierte über offizielle Aussagen des Militärs oder einzelnen Behörden. Bei der Betrachtung der Berichterstattung über Terroranschläge und terroristische Aktivitäten bei AJE fällt hin und wieder auf, dass sie eher eine befürwortende Position für die Palästinenser in der Region einnehmen oder sich für diese stark machen. Dabei wurden über die USA sowie Israel nicht offensichtlich schlechte Worte verloren, ihre Rolle in der arabischen Welt wurde allerdings sehr kritisch betrachtet.
335
BBC bestätigte die Annahme eines sehr neutralen und sachlichen Senders, da bei diesem Nachrichtensender nicht ersichtlich war, in welche Richtung die Journalisten tendieren und durch ihre sehr sachliche Berichterstattung auffielen. Die vorliegende Analyse bestätigt die Annahme, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Sendern zu erkennen gibt und sich Al-Jazeera English durchaus mit den anderen zwei internationalen Nachrichtensendern messen kann. Die Berichterstattung von AJE sowie die Herangehensweise an verschiedene Nachrichten bestätigen vielmehr ihr Ziel, eine differenzierte Sichtweise an ihr Publikum zu vermitteln. Die Erklärungen der AJE Korrespondentin Hoda Hamid treffen die Unterschiede Al-Jazeeras zu CNN und BBC sehr treffend. „We are not different in the way we technically produce the news but we are very different in the way we cover the news. At al Jazeera English we cover countries on a permanent basis. If there is a story, it will get on and all sides will be part of it whenever is possible. We also give more time to people to express themselves. Soundbites are longer and stories are longer whenever needed. CNN and BBC tend to cover a story either when there is an attack, or when there is a british/ American angle…they are much less interested in the lives of the people in those countries. Also they would use words like “terrorists” instead we would say “gunmen or fighters”… After having worked extensively in the western press, I came to realize that the strength of Al Jazeera English is its diversity at all levels of the company. You will rarely find in an American channel a correspondent from Arab or Muslim descent whereas if you look at our channel most of the correspondents who cover the US are Americans. The diversity among the employees of the channel makes it quite impossible to have one idea prevail. And in that we are quite different than 587 anyone else.“
587 E-Mail Interview mit der Al-Jazeera English Korrespondentin Hoda Hamid. 24.7.2010.
336
11 Anhang
Anhang 1: Codebook 11.1 Allgemeine Codieranweisungen 11.1.1
Analyse-Gegenstand
Ziel der Erhebung ist es, die Nachrichtenberichterstattung von terroristischen Aktivitäten bei Al-Jazeera, CNN und BBC auf qualitativer und quantitativer Ebene zu analysieren und herauszufinden, wie die drei Sender an das Phänomen des Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten herangehen. Die Wahl des Bildmaterials, die Art der Berichterstattung und die journalistische Interpretativität gilt es hierbei genauer zu analysieren. 11.1.2
Analyse-Ebene
Die relevante Analyse-Ebene für diese Untersuchung stellt für formale Kriterien (Medium, Datum, etc.) als auch für inhaltliche Kriterien (Themen, Wertungen, etc.) der gesamte Beitrag dar. Als einzelner Beitrag gilt ein in sich abgeschlossener Bericht inklusive An- und Abmoderation – sollte eine solche erkennbar sein. Ein Beitrag in einer anderen Präsentationsform zum gleichen Thema wird als neuer Beitrag behandelt (z.B. Kommentar im Studio zu einer vorher präsentierten aktuellen Thematik). So werden etwa Nachricht und Kommentar zum gleichen Thema als separate Beiträge gewertet. In einem Beitrag können durchaus mehrere Themen behandelt und thematisiert werden (Codierung maximal zwei Hauptthemen, wobei das erstzugeteilte das höherrangige sein sollte). Untersuchungsrelevant sind grundsätzlich alle Beiträge nach dem Trailer-Vorspann (Schlagzeilen) bis hin zur Verabschiedung der ModeratorInnen, die sich mit Terrorismus und kriegerischen Auseinandersetzungen mit terroristischem Hintergrund befassen. Die Schlagzeilen werden nicht als eigenständige Berichte codiert. Die Zusammenfassung der tagesaktuellen Nachrichten wird dabei nicht berücksichtigt, da sie lediglich ein Resümee darstellen.
337 B. Linder, Terror in der Medienberichterstattung, DOI 10.1007/978-3-531-93292-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
11.1.3
Mediensample
Untersucht werden jeweils die relevanten Beiträge der Nachrichtensender Al-Jazeera, CNN und BBC World News. Alle drei Nachrichtensender verfügen über ein ähnliches Nachrichtenformat, welches täglich 30 Minuten dauert. Bei CNN wird das Format „CNN World News“ täglich von 12 Uhr bis 12:30 analysiert. Das Gegenstück dazu bildet das Sendeformat „Al-Jazeera News“ von Al-Jazeera. Dies wird täglich von 18 Uhr bis 18:30 ausgestrahlt. Im Anschluss daran werden die BBC World News von London um 19 Uhr bis 19:30 aufgenommen. Aufgrund sprachlicher Hindernisse wird die englische Ausgabe von Al-Jazeera codiert. 11.1.4
Untersuchungszeitraum
Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 04. Februar 2009 bis zum 17. Mai 2009. Da während dieser Zeitspanne zu wenig relevante Beiträge vorkamen wird der Untersuchungszeitraum etwas erweitert und beginnt erneut mit der Reise Obamas in den Nahen Osten am 4. Juni 2009. Da sich Al-Qaida und Osama Bin Laden vor dem Besuch Obamas meldeten und sich über die Politik Amerikas beschwerten, empfand ich es als wichtig ein Aufzeichnen der Nachrichten bei Al-Jazeera, CNN und BBC vorzunehmen um zu beobachten ob es zu einem Anstieg von terroristischen Anschlägen kommt. Die Aufnahme wurde bis zum 15. Juli fortgesetzt. Zusätzlich werden in sogenannten „heißen Phasen“ immer wieder punktuell Tage der Berichterstattung aufgegriffen und untersucht. 11.1.5
Auswertung
Die Daten werden mit Hilfe von SPSS ausgewertet.
11.2 Kategorienschema (quantitative Elemente) 11.2.1
Nachrichtensender
Hier wird festgehalten welcher Nachrichtensender gerade untersucht wird.
338
Zum Beispiel: 01 02 03 11.2.2
Al-Jazeera CNN BBC
Beitragskennziffer
Jeder Beitrag erhält eine zweistellige Rangnummer (01). 11.2.3
Nachrichtenstellenwert
Diese Kategorie soll verdeutlichen, welchen Stellungswert der Beitrag in der Sendung einnimmt. Wird der Beitrag in den Schlagzeilen erwähnt oder nicht? Zum Beispiel: 01 wird bei den Schlagzeilen erwähnt 02 wird nicht bei den Schlagzeilen erwähnt 03 werden als „breaking news“ gekennzeichnet 04 als Aufmacher der Sendung (Top-news) 11.2.4
Datum
Das Ausstrahlungsdatum des Beitrags wird festgehalten. Zum Beispiel: 04.02.2009. 11.2.5
Beitragslänge
Hier wird die Beitragslänge inklusive An- und Abmoderation in Sekunden festgehalten. 11.2.6
Darstellungsform
Hier wird die Darstellungsform des Beitrags festgehalten.
339
01 Field Report: Beitrag mit Anmoderation und Bildbericht (inklusive nicht-journalistischer O-Töne). 02 Stand Alone Field Report: Bildbericht inklusive O-Töne allerdings ohne Anmoderation. 03 Nachricht im Film mit Anmoderation und ohne Original-Ton – das heißt nur Sprecher aus dem Off (Übersprechen durch Stimme aus dem Off). 04 Nachricht im Film ohne Anmoderation und ohne Original-Ton (z.B. Kurzbeitrag in Meldungsübersicht). 05 Anchor-Report – Moderation im Studio mit Standbild bzw. Graphik. Der Nachrichtensprecher/die Nachrichtensprecherin verliest eine Nachricht. 06 Verwendung von Infografik (z.B. Moderator erklärt anhand von Grafik komplexe Sachverhalte). 07 Kommentar/Analyse 08 Live-Schaltung (z.B. KorrespondentIn vor Ort, kann auch ein Interview sein). 09 Studio-Interview (ein Interview-Partner im Studio) 10 Studio-Diskussion (mehr als ein Interview-Partner im Studio) 11 andere Stilform – nicht zuordenbar 12 Interview: Journalist mit Interviewpartner 11.2.7
Nachrichtengeographie
Hier wird der Ereignisraum des Berichtes festgehalten. Wo findet ein Ereignis statt beziehungsweise welches Land ist thematisch betroffen? Geographischer Bezug geht vor thematischem Bezug. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 340
Israel Irak Palästinensische Autonomiegebiete (Gazastreifen und Westjordanland) Afghanistan Pakistan Kirgistan Libanon Iran Saudi-Arabien Syrien Jordanien
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Ägypten Tunesien Algerien Marokko Sudan USA Nicht EU-Europa (Schweiz, Russland, Ukraine, Weißrussland, Türkei, etc.) EU-Länder Sonstiges Afrika Lateinamerika (Mexiko, Brasilien, Peru, Argentinien, etc.) Indien China Japan Australien und Ozeanien Jemen
11.3 Inhaltliche Berichterstattung 11.3.1
Beitragshauptakteur
Hier wird vercodiert, wer die Hauptakteure im Beitrag sind. Pro Beitrag können bis zu drei Hauptakteursgruppen samt ihrer Bewertungen codiert werden. Die Hauptakteure sollen nach Ihrer Rangordnung codiert werden – Hauptakteur 1 ist der Primär-Akteur und Hauptakteur 2 ist der Sekundär-Akteure und so weiter. Sind die drei Akteure gleichrangig, wird jener Akteur als Primär-Akteur codiert, der als erstes genannt wird beziehungsweise im Bild erscheint. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11
Taliban Al-Qaida Bin Laden sonstige Terroristen sonstige Terrorgruppen USA Israel Hamas Opfer PolitikerIn Politik allgemein 341
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 11.3.2 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 00 11.3.3
Partei(en) Regierung Opposition Experte(In) Institution (NGO, Parlament, Ministerium, EU, Interessenvertretung, NATO etc.) Institutionenvertreter (Beamter, EU-Vertreter, Amnesty International-Sprecher, etc.) sonstige Akteure – z. B. Journalisten Geisel Militär/Soldaten/Polizei nicht zuordenbar Bevölkerung Palästinenser Anschlagsarten/Form von Terrorismus Suicide bombers Raketenanschläge Verwendung von giftige Chemikalien/white phosphor/tear gas Bombenanschlag auf öffentliche Gebäude/Einrichtungen/ Explosion/car bomb Anschlag auf symbolische Gegenstände (wie zum Beispiel: WTC, wirtschaftliche Machtzentren,…) Gezielte Tötung Brandanschläge Massenvernichtungswaffen Flugzeugentführung sonstige Anschlagsart Kidnapping Luftangriff nicht zuordenbar Anschlagsorte
01 Straße 02 Pilgerstätte/Pilgerzüge/Moschee 03 Botschaften 342
04 05 06 07 08 09 10 11 00
Anschlag auf soft-targets (Menschenansammlungen,..) Tourismuseinrichtungen (Restaurants, Hotels, Diskotheken,…) Infrastruktur (Brücken, Straßen, Flughäfen, smuggling tunnels…) Regierungsgebäude Öffentliche Plätze/Gebäude (Markt, Schule, Einkaufszentrum, Polizeistation…) Wohnhäuser/Siedlungen sonstige Anschlagsorte Air base kein Anschlagsort genannt
11.4 Qualitatives Rahmenwerk (Transport von Inhalten) Kernelement der qualitativen Elemente (Frames) ist es den sogenannten Subtext der Nachricht herauszufiltern – also zu verstehen, wie Journalisten dem Zuseher bestimmte Ereignisse näher bringen möchten. Werden Vorurteile geschaffen? Oder bestehen diese bereits schon? Auf welche Art und Weise werden bestimmte Nachrichten beleuchtet? Versuchen die einzelnen TV-Stationen mit verschiedenen journalistischen Hilfsmitteln die Zuseher zu „manipulieren?“ Wird vermehrt auf die Opfer oder auch auf die Täter eingegangen? Sind die Nachrichten eher emotional oder sachlich aufgebaut? Mit Hilfe der untenstehenden Elemente wird möglichst genau versucht auf die unterschiedlichen Berichterstattungen der drei zu untersuchenden Nachrichtensender einzugehen. 11.4.1
Täter vs. Opfer
Bei dieser Variablen wird festgehalten, ob der Bericht eher „täter- oder „opferlastig“ ist. Das heißt es wird abgewogen, ob eher die Täter oder die Opfer im Zentrum der Nachricht stehen. 01 02 03 04
eher Täter eher Opfer ambivalent nicht zuordenbar
343
11.4.2
Ausmaß des Schadens
Auf welchen Aspekt/Verlust wird im Beitrag eher eingegangen? 01 02 03 04 11.4.3
eher materiell menschliches Leid/Opfer beides nicht zuteilbar Einzelereignis vs. Gesamtereignis
Berichten die Nachrichtensender eher über ein Einzelschicksal (wie zum Beispiel das Leid einer einzelnen Familie, Zerstörung und Auswirkungen eines Terroranschlages,…) oder wird das Gesamtproblem beleuchtet und auf die politischen Hintergründe und Missstände die zu einem Anschlag geführt haben, erörtert. 01 02 03 04 11.4.4
Bericht über Einzelereignis Gesamtereignis beides nicht zuordenbar Personalisierung der Täter
Geht der Beitrag auf persönliche Hintergründe der Terroristen/ der Terroristengruppe ein? 01 eher personalisiert 02 eher anonym/keine genauere Erklärung 11.4.5 01 02 03 04
344
Personalisierung der Opfer Einzelschicksale Gesamtschicksal (keine einzelnes Schicksal) beides nicht zuordenbar
11.4.6
Reaktionen der Bevölkerung
Welche Reaktionen der Bevölkerung finden Eingang in den Beitrag? Herrscht Konsens über das terroristische Vorgehen? 01 Empörung über Anschlag 02 Befürwortung des Anschlags 03 nicht zuordenbar 11.4.7
Reaktionen der Betroffenen
Welche Interviewpartner werden für die Nachricht gewählt? Das heißt welche Akteure finden Raum ihre Meinung in der Nachricht zu äußern. Mehrfachzuteilungen zulässig (maximal drei). 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 11.4.8
Angehörige der Opfer Augenzeugen/Passanten Opfer Angehörige der Täter Täter/Tätergruppe (bekennt sich zum Anschlag) Polizei Militär Organisation Politiker keine Reaktion der Betroffenen andere Akteure Verantwortlichkeit
Werden Verantwortliche für die Anschläge genannt? Gibt es überhaupt Verantwortliche? Diese Variable kann man mit Ja oder Nein beantworten. Wenn Verantwortliche genannt werden, so wird eine Unterkategorie erstellt, die sich mit der Eruierung der Schuldigen auseinandersetzt und diese festhält. Wenn verantwortlich, dann: 01 02 03 04
Israel USA Palästinenser Al-Qaida 345
05 06 07 08 11.4.9
Hamas Taliban andere Akteure keine Verantwortung Motiv
Geht der Beitrag auf politische Motive ein und werden Bezüge zum Anschlag hergestellt? Oder gehen die Journalisten von einer gewissen Vorkenntnis zur aktuellen Situation aus? 01 Motive werden erklärt 02 Motive werden nicht erklärt 11.4.10 Proarabisch vs. Prowestlich/ Proisraelisch Ist der Bericht in der Sendung eher proarabisch ausgerichtet, das heißt bezieht er eher eine befürwortende Rolle für die Araber, oder eine prowestliche (proisraelische) Position. 01 proarabisch 02 prowestlich/proisraelisch 03 nicht zuordenbar 11.4.11 Faktor Religion Spielt die Religion bei den Nachrichten über Terroranschläge eine Rolle? Das heißt, werden religiöse Gründe für terroristische Ausschreitungen genannt? 01 Proreligiös 02 säkular 11.4.12 Musikalische Umrahmung/Geräusche Kommen musikalische- oder Geräuscheffekte im Beitrag vor? Das heißt: wird mit Hilfe der musikalischen Umrahmung versucht, die emotionale Ebene deutli346
cher anzusprechen? Oder werden bestimmte Ereignisse mit Hilfe von Hintergrundgeräuschen (z.B. Schüsse, Schreie,…) verstärkt? 01 musikalische Umrahmung 02 Geräusche 03 Stille 11.4.13 Qualität des Beitrags Diese Variable beschäftigt sich mit der Qualität des Beitrags. Ist die Nachricht eher sachlich und faktenorientiert aufgebaut oder sind unseriösere Elemente zu erkennen? 01 sachlich/faktenorientiert 02 weniger sachlich 03 nicht zuordenbar 11.4.14 Angst vs. Sicherheit (Welche Gefühle werden beim Zuseher geweckt?) Welche Gefühle werden beim Zuseher geweckt? Hat der Zuseher eher das Gefühl von Angst (ständige Bedrohung; unstabile Lage im Gebiet) oder vermittelt der Beitrag ein Gefühl von Sicherheit und Gewissheit, dass sich keine weiteren Terroranschläge ereignen werden. 01 Angst 02 Sicherheit 03 neutral 11.4.15 Farbspiele bei Berichten Wird mit Hilfe von Farben dem Zuseher signalisiert, in welche Richtung ein Beitrag geht? Das heißt, kommt es bei verschiedenen Nachrichten zu einer farblichen Abgrenzung der Themen? Es fällt auf, dass bei kriegerischen Auseinandersetzungen und menschlichem Leid die Nachrichten eher mit dunklen, kalten und Grautönen gestaltet sind. Wird hingegen von einem neuen politischen Vorhaben im Zusammenhang mit dem Umgang einer bestimmten Terrorgruppe berichtet, so finden
347
sich klare und helle Farben vor. Der Zuseher weiß daher schon mit Hilfe der ersten Bilder in welche Richtung der Beitrag gehen wird. 01 klare, helle Farben 02 dunkel, kalt, grau (Wird meistens bei Kriegen und Anschlägen verwendet) 11.4.16 Wertung durch Journalisten Ist der Beitrag durch Wertungen der Journalisten geprägt? Beschreibt der Journalist in sachlicher Weise das Geschehen (deskriptiv), ist der Beitrag eher interpretativ aufgebaut oder neutral? Oder sind sogar gleich viel interpretative wie deskriptive Elemente vorhanden. 01 interpretativ 02 äquivalent 03 deskriptiv
11.5 Visuelle Merkmale 11.5.1
Verwendung von Symbolen
Welche Symbole kommen bei den TV-Nachrichten häufig vor? Wird vor allem auch mit bestimmten Symbolen gearbeitet um bei den Zusehern ein bestimmtes Gefühl zu wecken? Zum Beispiel, werden öfters Kinder gezeigt, um das Leid noch mehr zu unterstreichen. Fotos von Opfern, die bei Anschlägen ums Leben gekommen sind, werden häufig gefilmt, um die Nachricht mit einem persönlichen „Touch“ zu unterstreichen. Plakate und Flaggen signalisieren meist Herrschaft und Präsenz einer gewissen Gruppe in einem Land. Diese Variable soll Aufschluss darüber geben, mit welchen Symbolen die einzelnen Nachrichtensender arbeiten. Mehrfachzuteilungen sind zulässig. (maximal drei) 01 02 03 04 05 06 348
Kinder verletzte Kinder weinende Frauen Schuhe von Opfern Fotos von Opfern Plakate (Demonstrations-Plakate, Partei-Plakate,…)
07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 00 11.5.2
Waffen Flagge USA Flagge Israel Flagge Palästinenser Flagge Nato Weiße Flagge anderes Symbol Flüchtlinge Blaulicht weinende Männer keine visuellen Symbole Opfer: Verwendung von Bildern
Mit Hilfe welcher Bilder versuchen die einzelnen Medien auf das Leid der Opfer aufmerksam zu machen und die Zuseher zu fesseln? Halten sich die Medien an den journalistischen Ethik-Codex keine Toten zu zeigen? Oder bedienen sie sich ganz anderer Bilder um zu schockieren? Mehrfachzuteilungen sind hierbei zulässig (maximal drei). 01 02 03 04 05 06 07 08 09 00 11.5.3
Verletzte weinende Angehörige Bilder von Kindern Fotos der Opfer Schuhe der Opfer/Kleidungsstücke Ambulanz/Sanitäter Politiker Militär weitere Bilder keine visuellen Bilder der Opfer Visueller Umgang mit Toten
Welche Bilder werden von den Toten gezeigt? Setzen die Medien auf diskrete Abstände der Opfer? 01 Tote 02 Tote verdeckt (mit Tuch z.B.) 349
03 04 05 06 07 11.5.4
Särge Begräbnisse bereits aufgeräumter Schauplatz anderes Bild keine Toten präsent Täter: Verwendung von Bildern
Werden auch Bilder der (vermeintlichen) Täter gezeigt? Wie werden diese dargestellt? 01 02 03 04 05 06 07 08 11.5.5
vermummte Krieger bewaffnete Krieger einzelner Täter Tätergruppe Angehörige der Täter Fotos/Bilder der/des Täters andere Formen keine Täter im Bildbeitrag Anschlagsort: Verwendung von Bildern
Welche Bilder werden vom Anschlagsort gezeigt? Mehrfachzuteilungen zulässig. (maximal drei) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 00
350
Zerstörte Häuser/Gebäude Zerstörte Autos Aufräumarbeiten Blut Ambulanz/Sanitäter Suche nach Verschütteten Menschenmassen Soldaten/Polizisten Militär Flüchtlingslager andere keine Bilder des Anschlagsortes
11.5.6
Anschlagswaffe: Verwendung von Bildern
Welche Waffen werden im Zusammenhang mit dem Anschlag gezeigt? 01 02 03 04 05
Raketen Waffen (Maschinengewehre,…) Explosion Feuer Explosionskörper (Überbleibsel von eingeschlagenen Bomben, Waffen) 06 Rauch 07 weitere Waffen 08 keine Waffen im Bildbeitrag 11.5.7
Kameraführung
Diese Variable soll festhalten wie die Kameraführung während der Nachricht ist. Unruhige, mit vielen Schnitten versehene Bilder vermitteln dem Zuseher Action und „Spannung“. Eine ruhig gehaltene Kameraführung, mit diskreten Abständen zum Geschehen ist meist eine sachliche und faktenorientierte Nachricht, die sich vom Sensationalismus klar abgrenzt. Hierbei soll untersucht werden, welche Kameraführung bei den Sendern vorwiegend vorkommt. 01 subjektive Kamera (direkte Visualisierung der Dinge wie sie sich dem Hauptakteur präsentieren, meist unruhig) und Amateuraufnahmen 02 Nahaufnahmen 03 diskrete Abstände vom Geschehenen 04 Totale (verschafft dem Zuseher einen Überblick. Ermöglicht eine Orientierung über Ort und Rahmen eines Geschehens) 05 neutrale Aufnahmen 06 Großaufnahme (hier ist nur noch das Hauptmotiv zu sehen; von der Umgebung bekommt der Zuseher nur noch Bruchstücke mit) 07 nicht zuteilbar
351
Anhang 2: Interviewleitfaden Interview Guideline General Questions: news formation 1.
2.
3. 4.
Which essential criterias decide if you broadcast a message or not? - The quantity of casualties/dead people? - If you have enough information? - Geographical proximity? How much is the journalists own input in the news tolerated and to which degree does she/he need to follow points given by her/his supervision/leadership? - Can the journalist choose the interview partners on his own? - Can she/he choose the pictures they are going to use? Do you construct and formulate the reports on your own or do you also access messages/news from different agencies? To what extent do you want to separate yourself from other international news stations like CNN or BBC? - And if you do, which elements/components let you achieve this goal? Interview partners in the news
1. 2. 3. 4.
5.
352
What kind of interview partners are essential for good and qualitative news? Would you say that statements of the civil population are more important than those of a military person? Do you think that reporters of Al-Jazeera are getting easier access to interviews than the colleagues from international news stations because of the use of the same/different language? Is it difficult to access interviews with terrorists or terror-groups? - Do you have an important and essential network of contacts that help you to get in touch with them? What are the reasons for dealing in a limited way of reporting about the offenders? - Lack of information? - Sphere of personal privacy? In interviewing the population you can see that many or mostly all of them don’t put up with terrorism and the violence against innocent people. Have you once heard a supporting reaction for the terrorists after a terror attack?
6. 7.
At CNN for example you see more often Interviews with military officers and responsible people. As well, Al-Jazeera interviews the military, but the main focus is on interviewing civilians. Would you agree to this? Why or why not? One of Al-Jazeeras catch phrases is to present the “opinion and the opposite opinion.” Is it sometimes difficult to get different statements for the news? Images and Music
1. 2.
3. 4. 5. 6. 7.
8.
Pictures on TV are playing a decisive role. To which degree do you intentionally work with pictures? Which role do you assign to the framing of a report with colors and music? - Do you frame initially an emotional report with emotional music or other noises/sounds? - Do you think that you can control the report in a specific direction with the framing of music and colors? Or isn’t that relevant? What kinds of pictures are relevant to visualize the humanitarian aspect of the violence of terrorism? Frequently we can see weeping or injured children in the news segment. How significant are those pictures? What kind of editorial value relies in the showing of pictures of weaponry? E.g. To visualize pictures of weapons or different explosive devices? Are there any situations in which you decide not to broadcast the selected pictures? -What kind of images are those? Does there apply an ethical boundary like a moral law when showing images of injured people? Which pictures of the victims tend to be filmed quite often for Al-Jazeera? Is there a reason for the display of “ownerless” shoes at the places of attack? And if those images have a meaning what is it? What kinds of images of injured people are shown normally? How do you handle/treat corpses at the place of attack? Do you film them or do you portray death through coffins or covered corpses? News in general
1.
Do you believe that news about terror attacks is more significant at Al-Jazeera than they are at western news stations?
353
2. 3. 4. 5.
354
I can imagine that it is not always easy to get the relevant information after an attack. How do you get information concerning an attack where the US is involved with? E.g. an US-air strike in an afghan province. Due to your estimate: Does religion play an important part in terror attacks? Who or which groups/organizations are - in your opinion - highly involved in terror-activities? Which would you state as the most active one? Is there an increase of female suicide attackers in the Middle East?
12 Literaturverzeichnis
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