John Grey
Todesfracht für Laramie Ronco Band Nr. 205/22
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre ...
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John Grey
Todesfracht für Laramie Ronco Band Nr. 205/22
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Erhält einen Sonderauftrag, bei dem er Kopf und Kragen riskieren muß. Virginia Buckland – Ist liebeshungrig und überrascht Ronco im Badezuber. Jim Ketchum – Soll einen Geldtransport nach Fort Laramie bringen und rettet Ronco das Leben. Dee Caxton – Ist hinter Ronco her wie der Teufel hinter der armen Seele. Tulsa Jack – Treibt ein doppeltes Spiel und liefert seine Kameraden ans Messer.
Todesfracht für Laramie 15. August 1879 Als ich meine letzte Tagebucheintragung vornahm, war ich beinahe sicher, es würde wirklich das allerletzte Mal sein, daß ich dazu Gelegenheit hätte. Es ist anders gekommen. Wie so vieles in meinem Leben, in dem es nur selten Stunden gegeben hat, oder Ereignisse, die sich vorausberechnen ließen. Bei meiner letzten Eintragung hatte ich kaum noch Hoffnung. Heute weiß ich, daß ich eine neue Etappe meines Weges erreicht habe. Ich bin noch nicht am Ziel, aber das Ziel ist näher gerückt. Ich kann es fast schon sehen. Ich besitze alles, was ich brauche, um mich zu rehabilitieren. In meiner Satteltasche stecken Dokumente, die eindeutig beweisen, daß das, was ich immer gesagt habe, die Wahrheit ist: Ich bin an dem Massaker im Halcon Canyon unschuldig. Kein Gericht der Welt und keine noch so gemeine Intrige kann meine Beweise widerlegen. Diesmal bin ich am Zuge, und diesmal bin ich stärker als alle die, die mich gnadenlos gehetzt haben, die mich vernichten wollten. Sie mögen mehr Macht besitzen als ich, mehr Geld, mehr Einfluß. Aber ich habe die Beweise. Solange aber die Beweise in meinen Satteltaschen stecken, nützen sie mir nichts. Sie müssen in die richtigen Hände gelangen, zu einem Rechtsanwalt, zu einem Gericht – darüber habe ich mir noch gar nicht den Kopf zerbrochen. In der Zwischenzeit werden meine Gegner versuchen, alles zu tun, um zu verhindern, daß ich mit den Dokumenten mein Ziel erreiche. Sie werden weiter versuchen, mich zu vernichten – und damit auch die Dokumente. Denn mein Triumph bedeutet ihren Sturz. Sie werden tief stürzen, und dagegen werden sie sich wehren. Sie wissen bereits Bescheid. Sie wissen, daß ich etwas erreicht habe, was sie ihren Kopf kosten kann. Sie haben überall ihre Leute, ihre Spitzel, und sie sind bereits wieder hinter mir her. Ich habe es
im Gefühl, daß das, was vor mir liegt, alles in den Schatten stellen wird, was ich in den vergangenen Jahren durchstehen mußte. Seit gestern weiß ich, daß bereits wieder Männer der Hilton Company in der Nähe sind. Ich habe sie bisher nicht gesehen, aber das bedeutet nicht viel in diesem weiten Land. Noch sind wir in Colorado, Lobo und ich, aber vor uns liegen die Raton-Berge. Dahinter beginnt New Mexico, und dort wird die Jagd erst wieder richtig losgehen. Ich bin froh, daß ich Lobo bei mir habe. Mit ihm zusammen werde ich es schaffen. Wir reiten südwärts, manchmal glaube ich, direkt in die Hölle …
1. Das Pferd lag mit zitternden Flanken am Boden. Schaumflocken tropften aus seinem Maul. Rasselnd entwich der heiße Atem seinen Nüstern. Die Augäpfel waren fast aus den Höhlen gequollen, so groß wie Hühnereier und so weiß wie der Schnee ringsum. Ich stand neben dem Tier und fluchte leise vor mich hin. Mein Atem entwich als feiner grauer Nebel meinem Mund. Von Norden strich ein kalter Wind heran. Er wehte mir hauchfeine Eiskristalle ins Gesicht, die wie Feuer auf meiner Haut brannten. Shita stand neben mir. Er bellte mich an, als wollte er sagen: Mach endlich ein Ende. Seine großen, ausdrucksstarken Augen glitzerten so grau wie die dünne Eisdecke auf dem Platte-Fluß, der nur wenige Schritte von mir entfernt lag. Ich warf einen wehmütigen Blick auf das braune, stämmige Pony mit dem Brandzeichen der Pony-Expreß-Linie. Es war ein gutes Pferd, aber vor wenigen Minuten war es in einen vom Schnee verborgenen Präriehundbau getreten, war gestürzt und hatte mich abgeworfen. Jetzt war es nichts mehr wert. Sein linker Vorderlauf war gebrochen. Es hatte Schmerzen. Ich knöpfte meine feste Felljacke auf, streifte die dicken Handschuhe ab, griff unter die Jacke und zog meinen Navy Colt aus dem Gürtel. Es war ein alter, abgenutzter Revolver, eine große, schwere Waffe
mit einem sechs Zoll langen, achtkantigen Lauf. Die Brünierung war fleckig, hier und da befanden sich Rostnarben. Im Griff war ein runder Stempel: »El Moro Prison Guard«. Die Waffe hatte mal einem Wachtposten in einem Straflager in Colorado gehört. Aber das war eine andere Geschichte. Ich hob den Revolver. Das Pferd bäumte sich auf vor Schmerzen. Sein Kopf hob sich, Hunderte von kleinen Blutäderchen platzten in den Augäpfeln und färbten sie rot. Ich zog den Hammer zurück und ließ ihn gar nicht erst einrasten. Einen Moment zögerte ich, dann ließ ich den Hahn wieder nach vorn schnappen. Die Detonation klang laut in der Stille. Das Pferd zuckte noch einmal. Blut sickerte aus einer großen Wunde in den Schnee und gerann sofort in der Kälte. Das Pferd war tot. Ich lud die abgeschossene Kammer des Revolvers neu auf. Schweigend spähte ich über die verschneite Savanne beiderseits des breiten Platte-Flusses. Hier und da brach die Eisschicht auf dem mächtigen Strom auseinander. Einzelne Eisschollen lösten sich und trieben flußabwärts. Der Himmel war grau und hing voller Schnee. Ich fluchte noch einmal, dann steckte ich den Revolver weg und knöpfte die Jacke wieder zu. Ich bückte mich und löste mit wenigen Handgriffen die Mochilla, den leichten Pony-Expreß-Sattel mit den großen Packtaschen, in die bis zu zwanzig Pfund Post paßte. Ich schulterte den Sattel, drückte mir den Hut tief ins Gesicht und nahm den Sharps-Karabiner, der zu meiner Ausrüstung gehörte, in die rechte Hand. Dann warf ich Shita einen Blick zu. »Wir gehen weiter«, sagte ich. »Bis zur Chimney-Rock-Station sind es vielleicht noch drei Meilen. Das schaffen wir mit einem Bein, wie?« Er bellte, richtete sich auf und wedelte mit dem Schwanz. Die Zunge hing ihm weit aus dem Maul, und er schien mich anzulachen. Ich hätte ihn gern gestreichelt, aber meine Hände waren voll, und so setzte ich mich in Bewegung und marschierte westwärts. Shita trottete neben mir her.
Ich hielt mich immer dicht am Ufer des Flusses. Der Wind traf mich von der Seite, er wurde immer schneidender und kälter. Vor mir sah ich durch einen grauen Dunst die Berge, darunter einen einzelnen, säulenartigen, sehr hohen Felsen, den Chimney Rock. Das war mein Ziel. Wir schrieben das Jahr 1860. Es war Dezember. Ich befand mich im äußersten Westen von Nebraska. Seit zwei Monaten schon hatte ich St. Joseph nicht mehr gesehen. Seit dieser Zeit war ich in Fort McPherson stationiert, übernahm hier jeweils die von Osten eintreffende Post und beförderte sie weiter. Ich war bereits einmal in Salt Lake City gewesen, der Hauptstadt der Mormonen, und ich wußte, eines Tages würde ich noch weiter nach Westen auf der Expreß-Route reiten, vielleicht bis nach Sacramento in Kalifornien, die Endstation. Diesmal ging es nur bis nach Mitchell, einem kleinen Nest, in dem der Pony-Expreß eine Station unterhielt. Vorher aber sollte ich in der Station am Chimney Rock das Pferd wechseln. Nun, ich würde ohne Pferd dort eintreffen. Keine schöne Sache für einen Expreß-Reiter, aber nicht zu ändern. Das Land wurde hügelig. Schneeverwehungen wölbten sich wie weiße Wälle vor mir. Einmal stürzte ich, manchmal sackte ich bis zu den Knien in den Schnee. Nur drei Meilen bis zur Chimney-Rock-Station. Ich hatte es mir leichter vorgestellt. Es dauerte nicht lange, da war ich fix und fertig. Der schneidende Wind raubte mir den Atem, und der Postsattel wurde immer schwerer. Nach vorn gebeugt stapfte ich durch den Schnee. * Es schneite seit einer halben Stunde. Ich konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen. Der Wind hatte gedreht und trieb den Schnee in dichten, wirbelnden Wolken gegen mich. Keuchend stemmte ich mich gegen den Wind. Die Augen halb geschlossen, den Kopf tief gesenkt, das Halstuch vor Mund und Nase gebunden, kämpfte ich mich vorwärts. Nach meinen Berechnungen
hätte ich die Station längst erreicht haben müssen. Aber was bedeutete das schon? Ich konnte sie im Schneegestöber verfehlt haben, aber wahrscheinlich war ich noch nicht so lange unterwegs, wie ich es mir in meiner Erschöpfung einbildete. Shita glitt wie ein Schatten neben mir her, auch ihm fiel es nicht leicht. Wenn er mit seinen Pfoten im Schnee versank, hatte er jedesmal schwer zu kämpfen, um wieder freizukommen. Dann plötzlich tauchten Schemen vor mir auf, Umrisse von Hütten. Ich taumelte darauf zu und stieß hart gegen einen hohen Pfosten, an dem ein einfaches Holzschild angebracht war. Hinter den Hütten ragte in einiger Entfernung ein mächtiger Felsen aus dem Schneetreiben. Ich hatte die Station erreicht. Der Wind trieb mich über den verschneiten Hof. Eine gewaltige Schneelast ruhte auf den flachen Dächern der Stationsgebäude, die Fenster waren von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Ich stolperte die Treppe vor dem Hauptgebäude hinauf und drückte die Klinke der Tür hinunter. Sie schwang nach innen. Shita glitt rasch an mir vorbei und schüttelte sich im Innern des Raumes. Ich folgte ihm rasch und schlug die Tür hinter mir zu. Hier war es so warm, daß ich fast augenblicklich zu schwitzen begann. Ich riß mir den Hut vom Kopf, nahm das Halstuch ab und knöpfte meine schneebedeckte Felljacke auf. Zu meinen Füßen bildeten sich kleine Eiswasserpfützen. Der Raum war groß. Er hatte weißgekalkte Wände und einen Fußboden aus gescheuerten, sauberen Dielen. Ein paar Tische standen herum. Dicht an einem offenen Kamin saßen ein Mann und zwei Frauen. Ich kannte sie. Der untersetzte, dicke Mann mit der Kartoffelnase war Sam Buckland, der Stationer. Die blonde Frau mit den herben Zügen neben ihm war Ruth Buckland, seine Frau, und das blonde Mädchen war Virginia, ihre Tochter. Buckland richtete sich überrascht auf, als ich die schneebedeckte Mochilla auf den nächsten Tisch warf und die Jacke auszog. Steifbeinig bewegte ich mich zum Kamin hinüber, ging in die Knie und hielt die ausgestreckten Hände dicht an das flackernde Feuer. »Wir haben dich schon vor einer Stunde erwartet«, sagte
Buckland. Ich richtete mich auf. Ich war größer als der Stationer und hager wie ein Wolf. Mein Gesicht war schmal, Kinn und Wangen wurden von hellem Bartflaum bedeckt. Mein blondes Haar, das naß vom Schnee war, hing mir bis auf die Schultern. Ich sah aus wie siebzehn oder sogar achtzehn Jahre, dabei war ich erst vierzehn. Aber in den Jahren, die hinter mir lagen, hatte ich mehr gesehen als mancher Achtzigjährige, und diese Erfahrungen hatten mich innerlich und auch äußerlich geprägt. »Ich mußte das Pferd erschießen«, sagte ich. Ich schaute die Frauen an. »Guten Tag, Mrs. Buckland, guten Tag, Virginia. Tut mir leid, daß ich nicht gleich gegrüßt habe, aber ich war der reinste Eisklumpen.« »Du solltest ein heißes Bad nehmen, während ich dein Essen bereite«, sagte Ruth Buckland. Sie strich Shita über den Kopf, der sie schwanzwedelnd begrüßte. Nur Sam Buckland ging er aus dem Weg; er wußte, daß der Stationer Hunde nicht leiden konnte. »Das Pferd ist tot, wie?« sagte Buckland. »Ein Vorderlauf war gebrochen«, erwiderte ich. »Das verdammte Wetter«, sagte er. »Na gut, da kann man nichts machen. Du reitest heute noch weiter?« »Natürlich«, sagte ich. »Aber erst will ich ein Bad, und ich will essen.« »Stell Wasser auf den Ofen«, sagte Mrs. Buckland zu Virginia. Das Mädchen erhob sich und verließ den Raum. Shita streckte sich mit dem Rücken zum Feuer dicht am Kamin aus und seufzte faul. Ich ging zur Tür zurück, hängte meine Jacke an einen Haken und lehnte den Sharps-Karabiner darunter an die Wand. »Ich hab eine Nachricht für dich«, sagte Buckland. Er begab sich hinter einen breiten, uralten Schreibtisch und zog eine Schublade auf. »Der Reiter aus Mitchell hat sie gestern mitgebracht.« Er reichte mir einen verschlossenen Umschlag. Ich riß ihn auf und zog den Zettel heraus, der sich darin befand. Die Nachricht war knapp und nichtssagend. Ich sollte mich nach meiner Ankunft in Mitchell und nach Ablieferung der Post sofort bei Jack Egan melden. Das war der Leiter der Expreß-Station in Mitchell und außerdem
Chef der Postkutschenlinien in Nebraska der »Russell, Majors und Waddell Stage Company«. Ein mächtiger Mann. Ich überlegte, was ich angestellt hatte, aber mir fiel nichts ein. Ich warf den Zettel ins Kaminfeuer und dachte bei mir, daß ich in Mitchell noch früh genug erfahren würde, um was es ging. Buckland sagte: »Der Reiter aus Mitchell hat auch eine Zeitung mitgebracht. Lincoln ist Präsident geworden, steht drin. Bald wird die Hölle los sein. Der Süden wird das nicht hinnehmen. Wer weiß, ob wir noch lange hier so friedlich sitzen können. Diesen Rebellen ist alles zuzutrauen.« »Ich weiß«, sagte ich. »Ich war eine Zeitlang in Kansas, da hab ich es erlebt.« »Wo ihr Bengels überall schon gewesen seid …« Buckland schüttelte den Kopf. Er schwenkte die Zeitung und erzählte weiter. Ich hörte kaum hin. Ich dachte schon wieder an den Weiterritt. Am Abend wollte ich in Mitchell sein. Keine leichte Sache bei diesem Wetter. »Das Wasser kocht«, sagte Virginia. Sie trat aus der Küche in den Raum. »Ich trag es selber rauf«, sagte ich und freute mich auf das heiße Bad. Draußen heulte der Sturm ums Haus.
2. Ich saß in dem hölzernen Zuber, der bis oben hin mit heißem Wasser gefüllt war, als sie eintrat. Virginia. Sie war achtzehn Jahre alt und schlank. Das lange, blonde Haar hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten. Ich rieb mir gerade die Arme mit Seife ein und schaute auf. Sie blieb an der Tür stehen und starrte mich an, als habe sie mich noch nie zuvor gesehen. »Das Essen ist gleich fertig«, sagte sie. Ihre Stimme klang ein wenig gepreßt. Ihre Augen waren groß und rund und schimmerten grünlich. Unvermittelt schob sie sich durch die Tür und schloß sie hinter sich.
»Soll ich dir den Rücken waschen?« sagte sie. »Dann bist du schneller fertig.« Ich schwieg überrascht. Eigentlich paßte mir das gar nicht, daß sie mir den Rücken wusch, aber sie rauschte mit energischen Schritten heran, griff hastig nach einem Schwamm und tauchte ihn ins Wasser. Ihre Wangen glühten ein wenig. Ich beugte mich vor, verwirrt und unsicher. Ein bisher unbekanntes Gefühl in mir regte sich, mir wurde sehr heiß, und ich schämte mich plötzlich gewaltig, obwohl ich es als außerordentlich angenehm empfand, als Virginia an meinem Rücken und meinen Schultern herumschrubbte. Wie gesagt, ich sah älter aus, als ich war. Ich war groß und hager, aber sehr sehnig und kräftig. Mein Körper war braungebrannt und von einigen Narben gezeichnet. Virginia schien ich zu gefallen. Als ich den Kopf wandte, lag ein eigenartiges Glänzen in ihren Augen. »Hör mal«, sagte ich. »Vielleicht ist es besser, du sagst unten Bescheid, daß ich gleich fertig bin.« »So eilig ist es auch nicht«, erklärte sie. Ihre Stimme klang seltsam heiser. Sie ließ plötzlich den Schwamm fallen und umschlang mit beiden Armen meinen Oberkörper. Bevor ich etwas tun konnte, preßte sie ihre vollen, weichen Lippen auf meinen Mund. Ich verlor den Halt und sackte zurück, aber sie ließ mich nicht los. Sie küßte mich, und wie von selbst erwiderte ich ihren Kuß und lernte, wie sich so etwas abspielt. Das Blut in meinen Adern schien auf einmal zu kochen, mein Herz pochte wie wild, und ich dachte, ich würde den Verstand verlieren. Mir wurde schwindlig. »Ich hab dich schon immer gemocht«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Du warst mir immer von allen Reitern, die auf die Station gekommen sind, der liebste.« Ich war unfähig, etwas zu erwidern. Sie hatte mich völlig überrumpelt. Meine Gefühle wirbelten durcheinander. Dann sah ich ihr Gesicht wieder dicht vor dem meinen, ich blickte ihr in die Augen, und neben dem leidenschaftlichen Glänzen sah ich darin auch unverhohlene Neugier. Virginia war immer nur hier auf der Station gewesen. Hier war sie aufgewachsen, sie hatte diese kleine Welt nie verlassen. Aber sie
wurde langsam erwachsen, sie war körperlich bereits eine Frau, und sie war einfach neugierig darauf, wie es war, mit einem Mann zusammenzusein. Sie wollte mich einfach nur mal ausprobieren. Ich war ein willkommenes Opfer. So schnell würde sie kaum wieder einen völlig nackten Kerl zur Verfügung haben. Das alles fuhr mir schlagartig durch den Kopf, dennoch konnte ich nichts dagegen tun, daß mich gleichzeitig eine ungeheure Erregung ergriff. Virginia küßte mich schon wieder und griff gleichzeitig nach meiner rechten Hand, die sie zu ihren Brüsten zog. Sie waren klein und fest. Ich fühlte sie durch den rauhen Stoff des Kleides. »Steig aus dem Wasser«, flüsterte sie, während ihre Rechte an meinem Körper herumtastete. Mich überlief es heiß und kalt. »Ich hab mich hochgeschlichen«, sagte sie. »Niemand weiß, daß ich hier bin. Nun komm schon. Du willst doch auch gern, ich meine, mal so richtig mit einem Mädchen – oder hast du etwa schon mal …« Ich schüttelte den Kopf. »Was ist es dann? Hast du was gegen mich?« Sie hatte einen ängstlichen Ausdruck im Gesicht, als sie das fragte, und ich konnte wieder nur mit dem Kopf schütteln. Da sprang sie auf und hob ihr Kleid hoch. Mir gingen fast die Augen über. Das konnte nur ein Traum sein. Sie trug nichts darunter, dieses Biest. Sie hatte nie etwas anderes im Sinn gehabt, als mich im Badezuber zu überrumpeln. Langsam richtete ich mich auf, so nackt und erregt wie ich war. Ich konnte einfach nicht anders. Ich merkte gar nicht, daß ich noch immer in der Linken die Seife hielt. Virginia sah mich an, und das Blut schoß ihr ins Gesicht. Dann drängte sie rasch heran. Im selben Moment ertönte aus dem unteren Teil des Hauses die Stimme ihrer Mutter. Sie rief mich zum Essen. Virginia zuckte zusammen und wurde blaß wie eine frischgekalkte Wand. Auch ich erschrak. Ich rutschte aus und plumpste ins Wasser zurück. Mit dem Rücken prallte ich hart gegen den Rand des Zubers. Der Schmerz löschte jedes andere Gefühl in mir aus. Ich versank im Wasser, warf die Arme hoch und schnappte nach Luft. Das Stück Seife flog mir aus der Hand und landete, so naß und glitschig, wie es
war, im Ausschnitt von Virginias Kleid, die noch immer wie gelähmt in vorgeneigter Haltung neben dem Zuber stand. Sie fuhr zurück, und die Seife rutschte unter ihr Kleid. Ihr Gesicht verzog sich, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Ein paar Tränen rannen plötzlich aus ihren Augen. Sie stieß ein leises Quieken aus und zupfte mit spitzen Fingern an ihrem Kleid, in dem die Seife immer tiefer rutschte. »Du Idiot!« zischte sie mir zu. »Du verdammter Idiot!« Sie stolperte, merkwürdige Bewegungen vollführend und mit beiden Händen unter ihrem Kleid nach der Seife angelnd, zur Tür und huschte hinaus. Ich setzte mich auf. Mein Rücken schmerzte noch, aber nicht mehr besonders stark. Ich war heilfroh, daß alles so ausgegangen war. Aber gleichzeitig fühlte ich ein wenig Enttäuschung in mir. Ich stieg aus dem Zuber. Während ich mich abtrocknete und ankleidete, beschloß ich, von heute an jede Tür hinter mir zu verschließen und mich außerdem vor Virginia in acht zu nehmen. Dann ging ich zum Essen hinunter. Virginia saß am Kamin und kraulte Shita hinter den Ohren. Mir schenkte sie nicht einen einzigen Blick. Ich fragte mich, wie sie die Seife aus ihrem Kleid rausgekriegt hatte … * Es war bereits dunkel, als ich Mitchell vor mir auftauchen sah. Es schneite nicht mehr. Der Wind hatte abgeflaut. Es war kälter geworden. Die Luft war wie Glas. Der Himmel war klar, samtschwarz und bedeckt mit Sternen wie vereiste Silberstücke. Es roch nach Schnee, aber nur ganz wenig. Mitchell wirkte irgendwie verloren in der weiten, scheinbar grenzenlosen verschneiten Ebene. Es lag auf dem südlichen Ufer des Platte-Flusses. Ein kleines Nest, aber so weit im Westen waren Ansiedlungen an sich bereits eine Seltenheit. Alle Häuser zusammengenommen hätten vermutlich nicht mal das Hafengelände von St. Joseph bedeckt, aber hier draußen genügten schon drei windschiefe Hütten, und man hatte eine »Stadt«.
Mitchell bestand aus einer einzigen Straße. Rechts und links davon standen vielleicht vierzig Häuser. Sie waren aus Holz und Lehmziegeln gebaut. Die meisten wirkten sehr solide, und tatsächlich hatte der Ort schon manchen Indianerangriff überstanden. Die einzige Straße von Mitchell war von zahllosen Wagen ausgefahren. Auf dem hartgefrorenen Boden klapperten die Hufe meines Pferdes. Irgendwo bellte ein Hund. Shita blieb sofort stehen, hob den Kopf und antwortete, worauf der andere Hund verrückt zu werden schien und unaufhörlich kläffte. Shita kümmerte sich nicht weiter darum. Er trottete sichtlich erschöpft neben mir her und blieb müde am Vorbau des Agenturgebäudes der »Russell, Majors und Waddell Company« stehen, als ich steifbeinig aus dem Sattel glitt. Das Haus war das größte Gebäude von Mitchell. Es war zwei Stockwerke hoch und hatte eine mindestens zwanzig Yards lange Front. Unter einem großen Schild über der Tür, auf dem mit blassen Buchstaben »Nebraska Stage Line« stand, hing ein fast neues Schild mit der Aufschrift »Pony Expreß-Office«. Ich schulterte die Mochilla und stapfte die Stufen des Vorbaus hinauf. Hier war erst vor kurzem Schnee gefegt worden. Mit der rechten Faust pochte ich hart gegen die Tür. Es dauerte eine Weile, bis hinter einem Fenster Licht anging. Ich hörte eine Männerstimme fluchen. Schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Der Riegel wurde aus seinen Verankerungen gelöst, dann knackte der Schlüssel im Schloß, und die Tür ging auf. John Berry stand vor mir, der Clerk der Agentur. Er war ein magerer, ständig beleidigt aussehender Mann mit abstehenden Ohren und dicken Tränensäcken unter den Augen. »Hallo, Mr. Berry«, sagte ich. Er stierte mich verschlafen und mit unverhohlener Wut an. »Später konntest du nicht aufkreuzen, wie?« »Nein«, sagte ich. »Später konnte ich nicht aufkreuzen, obwohl ich mich sehr darum bemüht habe.« »Sehr komisch«, sagte er. »Ich lach mich gleich tot.« »Das täte mir sehr leid, Mr. Berry«, sagte ich und ging an ihm vorbei. Shita folgte mir auf dem Fuße.
John Berry stellte die Petroleumlampe, die er in der linken Hand hielt, auf einen Schreibtisch und nahm die Mochilla entgegen. Er öffnete die Packtaschen und schüttete die Post auf den Tisch. »Ganz schön«, sagte er. »Ich möchte wissen, was die Leute alles zusammenschreiben. Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben einen Brief geschrieben, dann nie wieder, und dieses eine Mal habe ich verdammt bereuen müssen. Da habe ich nämlich meiner Frau nach Boston geschrieben, sie soll mir in den Westen nachfolgen. Na, und sie ist mir gefolgt.« »Ich soll mich bei Mr. Egan melden«, sagte ich. »Willst du den auch aus dem Bett werfen?« »Buckland hat mir eine Nachricht gegeben«, sagte ich. »Mr. Egon will mich sehen, sowie ich hier eingetroffen bin.« »Du mußt wissen, was du tust«, sagte Berry. »Und ich will ins Bett. Mr. Egan wohnt im letzten Haus am Westrand der Stadt auf der linken Seite, der Straße, ganz dicht am Fluß.« Ich drehte mich um und ging zur Tür. »He!« rief er. Ich blieb stehen. »Laß es dir nicht einfallen, mich noch einmal aus dem Bett zu holen, wenn du einen Schlafplatz suchst. Ich laß die Hintertür offen. Aber mach keinen Krach auf der Treppe. Ich brauche meinen Schlaf.« Ich ging hinaus, ohne zu antworten. Shita trottete neben mir her. Er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und gähnte demonstrativ. Klar, er wollte sich endlich in einem ruhigen und trockenen Winkel ausstrecken, und auch ich war müde. Ich hoffte, daß Jack Egan mich nicht lange aufhalten würde. Wir gingen nebeneinander die nächtliche Straße hinunter. Hinter mir trat John Berry aus dem Haus und führte mein Pferd in den Stall. Dann wurde es still in der Stadt. Als ich das westliche Ende des Ortes fast erreicht hatte, glaubte ich, einen Schatten zwischen zwei Häusern wahrzunehmen. Aber wahrscheinlich war es eine Täuschung. Ich achtete nicht weiter darauf. Vor mir tauchte ein Schneemann auf, den Shita mißtrauisch anstaunte. Ich ging daran vorbei und sah bereits Egans Haus. Berry hatte die Lage gut beschrieben. Es war gar nicht zu verfehlen. Es lag etwas abseits der Straße unmittelbar am Fluß.
Ich wählte eine Abkürzung zwischen zwei Häusern hindurch. Hier war es stockfinster. Ich blieb einen Moment stehen, damit meine Augen sich daran gewöhnen konnten. Vor mir hörte ich ein schabendes Geräusch, dann war plötzlich Shita ganz dicht neben mir. Ich hörte ihn knurren und bemerkte in der Dunkelheit schemenhaft die Umrisse eines Menschen. Mit einem Satz sprang Shita vor. Ich ging unwillkürlich in die Knie, um kein großes Ziel zu bieten, und zerrte meinen Revolver unter der Jacke hervor. Shita jaulte auf und wurde zurückgeworfen. Ein Tritt hatte ihn getroffen. Shita plumpste in den Schnee, versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht und winselte durchdringend. »Keine Bewegung!« rief ich. »Ich schieße!« Im nächsten Moment flog etwas auf mich zu. Ich ließ mich einfach fallen und spürte den Luftzug eines Messers, das an mir vorbeipfiff und sich mit saugendem Laut in eine Hauswand bohrte. Dann drehte sich der Mann vor mir in der dunklen Gasse um und hastete davon. Ich hob den Revolver und wollte schießen, aber der Mann lief sehr schnell und im Zickzack. Ich sprang rasch auf und folgte ihm ein Stück. Aber er war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Ratlos blickte ich mich um und schob schließlich den Revolver in den Gürtel zurück. Mit einem Schuß hätte ich ganz Mitchell geweckt, und das war die Sache nicht wert. Shita humpelte hinter mir her und winselte leise. Ich streichelte ihn und sprach ruhig auf ihn ein. Dann gingen wir weiter bis zum Haus von Jack Egan. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich etwa hundert Yards entfernt direkt am Ufer des Platte-Flusses eine Gestalt stehen. Der Mann war dunkel gekleidet und hob sich deutlich von der weißen Schneedecke ab. Er starrte herüber. Ich erkannte, daß er in der rechten Faust ein langläufiges Gewehr hielt, aber er machte keinerlei Anstalten, damit auf mich zu zielen. Offenbar war auch ihm nicht an einem großen Aufsehen gelegen. Er hatte den Versuch vorgezogen, mich lautlos auszuschalten. Warum? Ich kannte kaum jemanden in diesem Nest und hatte hier niemandem etwas getan. Aus was für einem Grund wollte man mich
umbringen? Wer konnte ein Interesse daran haben? Ich pochte an die Haustür, während ich den Mann am Fluß weiter beobachtete. Er setzte sich unvermittelt in Bewegung und verschwand hinter einer Schneewehe. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Ich verstand das alles nicht. * »Wir haben dich früher erwartet«, sagte Jack Egan. Er hatte noch nicht geschlafen. Er war ein mittelgroßer Mann mit breiten Schultern und einem Kopf wie ein Büffel. Er konnte sehr gutmütig sein, aber auch eisenhart. »Wir?« Ich schüttelte ihm die Hand. »Ja, wir«, sagte er. »Du bist mir von St. Joseph aus besonders empfohlen worden, als ich nach ein paar guten Leuten gesucht habe. Cargo Flatt hat sehr für dich gesprochen.« »Wahrscheinlich hat er übertrieben«, sagte ich. »Um was geht es? Auf dem Weg hierher wollte mir jemand ein Loch in den Pelz schneiden.« »Was sagst du da?« Egan wurde ernst »Wo?« »Keine zwanzig Schritte von Ihrem Haus, Sir«, erwiderte ich. »Ich hab den Kerl sogar noch am Fluß gesehen, als ich an die Tür geklopft habe. Offenbar war er aber nicht auf einen Kampf aus, denn er rannte davon wie ein Hase, nachdem er sein Messer geworfen hatte.« »Sie beobachten uns also schon, sie wissen schon Bescheid«, sagte Egan. Er schaute an mir vorbei und nagte nachdenklich auf seiner Unterlippe. »Wer?« fragte ich. »Komm mit«, sagte er kurz. Wir gingen durch sein Haus, das für hiesige Verhältnisse erstaunlich feudal eingerichtet war. Ich fragte mich, was es gekostet hatte, die teuren Möbel quer durch den Kontinent so weit nach Westen zu transportieren. Wir verließen das Haus durch eine Hintertür, schritten über einen schmalen Hof, der von einem hohen Bretterzaun umgeben war, und blieben vor einem Schuppen stehen. Egan pochte an die Tür.
»Parole?« drang es aus dem Innern. »Laramie«, sagte Egan. »In Ordnung, Boß«, antwortete die Stimme. »Du kannst eintreten.« Egan stieß die Tür auf. Zusammen mit Shita folgte ich ihm. Eine Petroleumlampe blendete mich, und ich sah erst überhaupt nichts, während ich Egans Stimme hörte, der sagte: »Das ist Ronco, der Expreß-Reiter, der uns begleiten wird.« Dann fiel die Tür hinter mir zu. Egan sagte: »Die verdammten Halunken wissen schon, daß wir das Zeug hier haben. Das Haus wird beobachtet. Ronco ist überfallen worden. Er sollte umgebracht werden. Wahrscheinlich eine Warnung für uns.« Ich blinzelte, knöpfte meine Felljacke auf und glaubte zu träumen. Vor mir stand eine Festung auf Rädern. Eine Postkutsche, gepanzert von vorn bis hinten, von oben bis unten. Der Sitz des Kutschers befand sich in einer eisernen, rundum verschlossenen Kanzel, die nur einen schmalen Spalt für die Zügel freiließ und einen Sehschlitz hatte. Der Wagen hatte keine Fenster, nur Schießscharten zwischen den Panzerplatten. Aus dem Dach ragte ein anscheinend drehbarer Turm heraus. Zwischen zwei Sehschlitzen schaute ein Bündel von Gewehrläufen hervor. Ich zählte fünf Mündungen und fragte mich, was das für eine seltsame Waffe sei. Der graue Stahl der Panzerplatten blinkte matt im Licht der Lampe. Es war kein Traum. Dieser Panzerwagen war Wirklichkeit.
3. »Das ist Jim Ketchum«, sagte Jack Egan. Er zeigte auf einen schwarzbärtigen, hageren Mann mit pulvergrauen Augen und einer gebrochenen Nase. »Der Menschenfresser daneben ist Tulsa Jack Blake.« Egans Zeigefinger wanderte weiter. »Jerry Ricks«, sagte er nur, und ich betrachtete den blatternarbigen Mann dieses Namens, der Hände wie Kohlenschaufeln hatte und so breit wie ein Schrank war. In der offenen Tür des Wagens hockte ein drahtiger, schmaler Mann mit brandrotem Haar und zahllosen Fältchen im braungebrannten Gesicht. Das war Andy O'Toole, der Kutscher.
»He, da ist ja ein Hund«, sagte OToole. Er grinste Shita an. »Komm her, Hund«, sagte er, rutschte aus dem Wagen heraus und ging in die Hocke. »Wie heißt er?« »Shita.« »Na los, Shita«, sagte er, und Shita bewegte sich vorsichtig, etwas steifbeinig, auf O'Toole zu. Seine Haltung entspannte sich, als der Kutscher seinen Kopf kraulte. »Dann können wir ja endlich mit Iron Jack abdampfen«, sagte Jim Ketchum. »Ich muß hier raus. Ich weiß schon nicht mehr, wie der Himmel aussieht.« »Grau«, sagte Jack Egan. »Du sollst den Wagen nicht immer Iron Jack nennen, zum Teufel.« »Er sieht dir aber verdammt ähnlich, Jack«, sagte Ketchum. »Morgen abend geht's los«, sagte Egan. »Nach Einbruch der Dunkelheit verlaßt ihr Mitchell. Ihr habt dann zwei Tage bis Fort Laramie. Wenn alles glattgeht, schafft ihr es früher.« »Das ist kaum zu erwarten, wenn uns die Halunken schon so dicht auf die Pelle gerückt sind«, sagte Ricks. Egan drehte sich zu mir um. »Steig in den Wagen«, sagte er. Bis jetzt verstand ich kein Wort: Ich stieg wortlos in die gepanzerte Kutsche und schaute mich darin um. Als ich mich aufrichtete, befand sich mein Kopf in dem drehbaren Turm. In einer hölzernen Halterung war das seltsame Gewehr mit den fünf Läufen angebracht. Es mußte eine Spezialanfertigung aus fünf Sharps-RifleLäufen und Sharps-System-Schlössern sein und hatte statt eines Kolbens eine stählerne Schulterstütze. Rechts und links von dem Gewehr waren hölzerne Kästen, gefüllt mit Papierpatronen und Zündhütchen, angebracht. Statt einer Rückbank befand sich zwischen dem Passagierraum und der schmalen Frachtkammer ein Durchbruch, so daß der Wagen auch bequem von der Rückseite aus verteidigt werden konnte. In der Frachtkammer stand eine eisenbeschlagene Kiste, auf deren Deckel die Buchstaben »US« sehr groß eingebrannt waren. Überall in der Kutsche waren flache hölzerne Kästen an die Wände montiert, in denen Papierpatronen für Revolver und Gewehre und Zündhütchen lagerten. Auch Gewehrhalterungen waren
vorhanden und spartanische Sitzgelegenheiten. Ich kletterte wieder hinaus. Egan blickte mich an. »Na?« sagte er. »So was hab ich noch nie gesehen«, sagte ich. »Es gibt auch nur zwei oder drei dieser Art«, erklärte er. »Sie werden selten eingesetzt. Dieser Wagen hier ist bei Nacht und Nebel hergebracht worden. Wir haben gedacht, niemand wüßte davon. Offenbar ist das ein Irrtum, nachdem du vorhin überfallen worden bist …« »Im Wagen steht eine Kiste«, sagte ich. »Darum geht es«, sagte Egan. »In dieser Kiste befinden sich fünfzigtausend Dollar, der Sold für die Besatzung von Fort Laramie für drei Monate.« »Eine Soldkasse der Armee? Was haben wir damit zu tun?« »Oh, eine ganze Menge. Diese Regierungsaufträge bringen uns eine Menge Geld.« Egan lächelte schief. »Die Armee ist kein Transportunternehmen. Hier draußen im Westen transportieren wir die Soldgelder. Wir sind eine zuverlässige Kutschenlinie, und unsere Leute verstehen ein bißchen mehr von Geldtransporten als eine Eskorte grüner Rekruten, die nicht mal aufrecht im Sattel sitzen können. Außerdem garantieren wir für jeden Betrag, den wir befördern. Wenn uns das Geld abgenommen wird, müssen wir Ersatz leisten.« »Und?« »Nun.« Egan setzte sich auf einen Strohballen und drehte sich eine Zigarette. »Übermorgen ist in Fort Laramie Zahltag. Es gibt einige Leute, die das verhindern wollen.« »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Will sich jemand das Geld unter den Nagel reißen?« »Das schon«, sagte Egan. »Aber nicht, um sich ein paar Dollars in die Tasche zu stecken. Es geht um etwas mehr. Setz dich.« Ich setzte mich auf den Boden und dachte, daß ich in dieser Nacht nicht so rasch ins Bett kommen würde. »Etwa die Hälfte der Besatzung in Fort Laramie stammt aus dem Süden«, sagte Egan. Er riß ein Zündholz an und hielt die Flamme an das Ende seiner Zigarette. »Die Lage zwischen den Nord- und den Südstaaten wird immer kritischer. Jetzt ist Lincoln Präsident, und
viele Leute reden davon, daß der Süden sich vom Norden lossagen und einen Krieg anfangen will. Die Soldaten, die hier im Norden stationiert sind, aber aus den Südstaaten stammen, sind bis jetzt loyal gewesen, wahrscheinlich bleiben sie es vorläufig auch. Aber was passiert, wenn sie plötzlich ihren Sold nicht mehr kriegen, kann niemand voraussagen. Der Sold ist niedrig genug, und der Dienst hier draußen ist kein Zuckerlecken. Es gibt Informationen, daß Guerillas aus dem Süden die Soldkasse an sich bringen und den Soldaten aus dem Süden, die in Fort Laramie stationiert sind, anbieten wollen, wenn sie rechtzeitig vor der Trennung von Norden und Süden desertieren. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, daß dieses Unternehmen gelingt, wenn wir das Geld nicht durchbringen. Die Leute aus dem Süden sind fanatisch, zumindest werden sie es, wenn man sie reizt. Wenn sie jetzt ihren Sold nicht mehr erhalten, werden sie sich fragen, was sie eigentlich noch hier sollen? Die Union verteidigen, die sie zum Teufel wünschen? Umsonst? In einem Dreckloch wie Laramie? Nie und nimmer. Umsonst kämpfen, das können sie auch im Süden, wo sie geboren sind, was sie ohnehin als sinnvoller ansehen. Über kurz oder lang werden die meisten ohnehin davonlaufen, aber jetzt ist es der schlechteste Augenblick. Wir haben nämlich auch ziemliche Schwierigkeiten mit den Indianern. Sioux, Cheyennes, Arapahoes. Eine solche Schwächung der Besatzung von Fort Laramie würde die Indianer wahrscheinlich veranlassen, sofort einen großen Krieg zu beginnen, den sie vermutlich gewinnen würden. Bis die Besatzung des Forts verstärkt ist, können viele Wochen, wenn nicht Monate vergehen. Gerade das aber können wir uns in dieser Situation nicht leisten. Ein Krieg mit dem Süden steht bevor, und wir müssen alle Kräfte konzentrieren, wir dürfen uns nicht zersplittern und womöglich eines Tages gezwungen sein, einen Zweifrontenkrieg zu führen, hier gegen die Indianer und woanders gegen den Süden.« Er kratzte sich den Nacken. »Genau das haben die Rebellen im Sinn. Fort Laramie ist nicht der einzige Armeeposten, bei dem versucht wird, Soldaten aus dem Süden zum Desertieren zu bewegen. Es ist vielfach sogar gelungen. Würde das auch bei Laramie gelingen, könnten wir einpacken. Als ich erfahren habe, was uns bevorsteht, war der
Transport mit dem Geld schon unterwegs. Er war nicht mehr aufzuhalten oder umzuleiten. Ich hab das Geld daher hier in Mitchell festgehalten und den leeren Wagen weiterfahren lassen, das war vor einer Woche. Der Wagen wurde überfallen, die Besatzung umgebracht. Aber das Geld haben die Halunken natürlich nicht gefunden. Unsere Chance war, daß sie keine Ahnung hatten, in welcher Station die Kasse ausgeladen und ob sie überhaupt ausgeladen oder nicht längst auf einem anderen Weg ins Fort geschafft worden war. Ich hab sofort die gepanzerte Kutsche und unsere besten Leute angefordert. Offenbar haben die Kerle das herausgekriegt. Sie haben überall ihre Spitzel. Man weiß in diesen Tagen nie, ob man nicht einen Agenten des Südens vor sich hat, wenn man mit einem Mann spricht, selbst wenn man glaubt, ihn zu kennen.« Er schwieg nach dieser langen Rede und inhalierte den Rauch seiner Zigarette. Manches hatte ich nicht ganz verstanden, aber über die Auseinandersetzung zwischen Norden und Süden wußte ich Bescheid. Ich hatte in Kansas am eigenen Leib erfahren, was das bedeutete. »Wozu brauchen Sie mich, Sir?« fragte ich. »Den ›Sir‹ laß weg«, sagte er. »Wenn die Kutsche mit dem Geld verlorengeht, bin ich erledigt und kann mir den ›Sir‹ in den Arsch stecken. Ich brauche einen erstklassigen Reiter, der die Vorhut bildet, das Land beobachtet, sich außerhalb des Wagens befindet und beweglich genug ist, bei Schwierigkeiten davonzureiten und Hilfe zu holen. Andy wird den Wagen lenken. Jerry, Jim und Tulsa Jack bewachen die Kiste. Du hast also eine wichtige Aufgabe, mein Junge. Ich wollte einen Expreß-Reiter haben, weil ich weiß, daß ihr Burschen zuverlässig seid und wie eine Rothaut reiten könnt. Ist jetzt alles klar?« »Ich denke schon«, sagte ich. »Wenn das Geld den Banditen in die Hände fällt, ist Fort Laramie und sind sämtliche Siedler in dieser Gegend den Indianern ausgeliefert, und die Armee kriegt hier alle Hände voll zu tun, während der Süden in aller Ruhe einen Krieg anfangen kann.« »Du hast kapiert, um was es geht«, sagte Egan.
»Wie stark sind die Rebellen?« fragte ich. »Keine Ahnung«, erwiderte Egan. »Mit fünfzehn Mann müßt ihr rechnen.« »Wenn der Junge nicht ausfällt, kriegen die Halunken das Geld nie«, sagte Jim Ketchum. »Wenn wir den Wagen nicht öffnen, ist es ausgeschlossen, ihn von außen zu stürzen. Ich wette, sogar eine Dynamitpatrone schafft die Kiste nicht. Belagern werden uns die Brüder bestimmt nicht, denn in der Zwischenzeit kann Ronco Hilfe herbeiholen.« »Warum fordern Sie dann nicht gleich eine Armee-Eskorte an?« »Damit jeder in Fort Laramie erfährt, was los ist? Nicht mal der Kommandant weiß Bescheid. Die Besatzung würde sich gegenseitig bespitzeln. Die Existenz des Forts wäre nicht mehr gewährleistet. Da könnten wir das Geld den Rebellen gleich übergeben. Das wäre so ziemlich das gleiche. Und hinzu käme, daß wir, die Transportgesellschaft der ›Russell, Majors und Waddell Stage Company‹, unsere Unfähigkeit eingestehen müßten, Aufträge ordnungsgemäß auszuführen.« Egan schüttelte den Kopf. Er drückte die Glut seiner Zigarette an den Panzerplatten des Wagens aus und erhob sich. »Das darf nur im äußersten Notfall geschehen.« »Mit der Geheimhaltung ist es jedenfalls Essig«, sagte Tulsa Jack Blake. »Die Burschen wissen, daß das Geld hier ist, und sie brauchen nichts weiter zu tun, als dieses Haus zu beobachten, um zu erfahren, wann der Transport losrollt. Den Jungen wollten sie bereits umbringen, nur weil er auf dem Weg zu diesem Haus war. Sie werden auch versuchen, jeden umzubringen, der dieses Haus verläßt.« »Solange ihr in dem Wagen sitzt und die Luken dicht habt, passiert euch nichts«, sagte Egan. »Sie wollen uns verunsichern, sie wollen uns zeigen, daß sie da sind und sich verdammt sicher fühlen. Ihr werdet bis morgen abend den Schuppen nicht verlassen. Du auch nicht, Ronco.« Er schaute mich ernst an. »Schlaft euch noch einmal gründlich aus. Ihr werdet eure Kräfte nötig brauchen.« »Vielleicht schreckt die Brüder der Anblick von Iron Jack ab«, sagte Jim Ketchum. Er klopfte beinahe liebevoll auf das linke Hinterrad der gepanzerten Kutsche.
»Nenn sie nicht immer Iron Jack, zum Teufel«, sagte Jack Egan. Er ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. Jerry Ricks legte den Riegel vor. »Du kannst dich da hinlegen«, sagte Jim Ketchum zu mir. Er zeigte auf ein paar Strohbündel. »Kennst du den Weg nach Fort Laramie?« »Klar.« Ich kroch auf das Stroh und streckte mich darauf aus. Ich hätte gern eine Decke gehabt, denn die Strohhalme piekten, aber ich war sehr müde, und so war das alles nur halb so schlimm. Als ich die Augen schloß, sprang Shita auch auf die Strohballen und streckte sich neben mir aus. Das Licht wurde gelöscht. Im Dunkeln wechselten die Männer noch ein paar Worte, schienen sich dann aber auch zum Schlafen niederzulegen. Es wurde still. Ich schlief sehr schnell ein und träumte von dunkel gekleideten Männern, die mit Messern nach mir warfen. Kurz bevor die Messer mich erreichten und mit tödlicher Sicherheit meine Brust durchbohren konnten, verwandelten sie sich in nasse, glitschige Seife, und dann sah ich das Gesicht von Virginia Buckland ganz dicht vor mir. Sie hatte nichts an und reckte mir ihre Brüste entgegen. Aber ehe sie mich umarmen konnte, versank ich in einem Bottich mit grauer Seifenlauge und erwachte schweißgebadet. Es war noch immer dunkel im Schuppen, einer der Männer schnarchte. Auch Shita brummte neben mir im Schlaf. Da wälzte ich mich auf die andere Seite und schlief auch wieder ein. * Das Feuer war erst klein, breitete sich aber rasch aus und verursachte außer schwachem Knistern und Knacken kein Geräusch. Es brachte den Schnee unmittelbar an den Außenwänden des Schuppens zum Schmelzen, und der Rauch drang durch die Ritzen der Bretterwand ins Innere. Wir schliefen alle und bemerkten nichts. Wir schliefen fest, und der Rauch breitete sich im Schuppen aus, während sich die Flammen von außen an den Hüttenwänden hochfraßen, wenn sie auch zunächst nur die Oberfläche abbrannten, die besonders zäh und
widerstandsfähig war, denn sie war von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Shita richtete sich knurrend neben mir auf, sprang von den Strohballen und tappte zur Tür. Er preßte seine Nase gegen einen Spalt im Türrahmen und begann wütend zu kläffen. Da wurden wir wach und rochen sofort den Rauch, von dem wir in den nächsten zehn Minuten wahrscheinlich betäubt worden wären, wenn Shita uns nicht geweckt hätte. Tulsa Jack Blake hustete wie verrückt und würgte, als wolle er sich übergeben. Jim Ketchum sprang von seiner Decke hoch und griff nach seinem Gewehr. Auch ich zog meinen Revolver aus dem Gürtel, als ich von den Strohballen rutschte. Meine Augen tränten von dem beißenden Qualm, der in immer dichteren Schwaden in die finstere Hütte drang. Jerry Ricks zündete die Petroleumlampe an, und Andy O'Toole riß den Riegel der Tür aus seiner Halterung. Kaum hatte er sie geöffnet, jagte Shita aus dem Schuppen ins Freie. Er bellte wie rasend. Ein eisiger Luftstrom floß ins Innere des Schuppens und wirbelte die Rauchschwaden durcheinander. Jim Ketchum war der erste, der hinter Shita ins Freie sprang. Dann folgte ich. Ich hörte Shita bellen und sah ihn wenig später durch den Nebel jagen, der eisgrau wie ein Todeshauch über dem großen Fluß und der Stadt lag. Es ging auf den Morgen zu, und es war kälter noch als in der Nacht. Eine dunkle Gestalt huschte durch das weit offen stehende Tor des Bretterzauns, der den Hof umgab. Shita hatte sie fast eingeholt. »Das Feuer!« schrie Jerry Ricks hinter uns. »Verdammte Schweine …« Mehr hörte ich nicht, denn auch ich stürmte neben Jim Ketchum zum Hoftor hinaus. »Nicht schießen!« keuchte Ketchum. »Wir brauchen das Schwein lebend.« Der Nebel war dicht, und wir sahen, daß der Mann vor uns seinen Vorsprung vergrößerte. Er lief wie ein Wiesel, seine Umrisse verschwammen mehr und mehr in den Grauschwaden, auch von Shita war kaum noch etwas zu sehen.
Ketchum und ich glitten beinahe gleichzeitig aus und stürzten nebeneinander in den Schnee. Im selben Moment krachten irgendwo vor uns im Nebel in rascher Folge einige Schüsse. Sie galten uns. Ich spürte den heißen Luftzug eines Geschosses an meiner linken Wange. Die Schußdetonationen wurden vom Nebel gedämpft, es klang beinahe, als schlüge jemand mit einem Stock auf einen mit Sand gefüllten Sack. Shitas Bellen brach ab, und in mir krampfte sich alles zusammen. Angestrengt lauschte ich in den kalten Morgen, während Jim Ketchum sich neben mir aufrichtete und leise vor sich hin fluchte. Der Mann, den wir verfolgt hatten, war nicht mehr zu sehen. Shita auch nicht. Es war ganz still. Ich erhob mich und tappte blindlings in den Nebel. Jim Ketchum rief etwas hinter mir her, aber ich hörte nicht. Ich dachte nur an Shita. Nach nur wenigen Schritten rutschte ich wieder aus, taumelte eine abschüssige Böschung hinunter, konnte mich auf den Beinen halten und stand wenig später auf der Eisdecke unmittelbar am Ufer des Platte-River. Keine drei Yards vor mir war das Eis gebrochen. Hier sprudelten und brodelten die Fluten des Platte in einem mächtigen Strudel. Eisschollen trieben vorbei, stießen krachend gegen die noch feste Eiskante und brachen große Stücke aus ihr heraus. Wo war Shita? Ich schrie in den Nebel, obwohl ich mir der Gefahr bewußt war. Ich glaubte, irgendwo vor mir einen Schrei zu hören, danach wurde es für Sekunden still, und als ich wieder nach Shita rief, krachten ein paar Schüsse. Ich warf mich nach hinten und ließ mich auf die Uferböschung fallen. Keine Handbreit entfernt von mir schlug eine Kugel in den Schnee, riß eine häßliche Furche in die weiße Decke und schleuderte mir eine Handvoll Schnee ins Gesicht. Auf einmal war Shita neben mir. Er wedelte mit dem Schwanz, seine Augen glänzten. In seiner Schnauze hielt er einen dunklen Stoffetzen, an dem ich Blutflecke zu entdecken glaubte.
Ich richtete mich auf und umarmte ihn, dann sprang ich die Uferböschung hinauf und eilte zum Haus zurück. Shita lief neben mir her, ohne den Stoffetzen fallenzulassen. Als ich den Bretterzaun erreichte, der den Hof von Jack Egans Haus umgab, lichtete sich der Nebel etwas. Ich sah ein paar Lichter in der Stadt. Die Schüsse waren gehört worden. Ich betrat rasch den Hof und schloß das Tor hinter mir. Dann sah ich die Männer. Sie standen am Schuppen und hielten Eimer und Schaufeln in den Händen. Das Feuer war gelöscht, aber dichte Schwaden beißenden Rauchs standen noch immer im Hof, denn es ging kein Wind. Jack Egan war auch da. Er trug einen dick gefütterten Mantel, war darunter aber nicht vollständig angezogen. »Hast du noch jemanden gesehen?« fragte er. »Nein«, sagte ich. »Es waren mehrere, und sie sind über den Fluß geflohen. Sie haben Glück gehabt, denn das Eis ist brüchig. Shita hat einen erwischt.« Ich zeigte auf den Hund und den Stofflappen, den er zwischen den Zähnen hielt. »Der ganze Kerl wäre mir lieber gewesen«, sagte Egan. »Die Halunken wollen unser Konzept durcheinanderbringen. Ihr hättet alle draufgehen können, zumindest hätte das Feuer großen Schaden angerichtet. Von einem Aufbruch heute abend wäre keine Rede mehr gewesen. Wenn es den Kerlen gelingt, zu verhindern, daß wir pünktlich mit dem Geld in Fort Laramie sind, haben sie schon halb gewonnen.« »Wir fahren also heute abend?« fragte Jerry Ricks. »Es bleibt euch gar nichts anderes übrig«, erwiderte Egan. »Aber das wird eine höllische Tour. Will einer aussteigen?« Es meldete sich niemand. Egan schnaufte zufrieden. »Alles bleibt wie besprochen«, sagte er. »Es kann sich nichts mehr ändern. Wir haben nicht mehr genug Zeit, um neue Pläne auszukurbeln. Die Kasse muß nach Laramie, egal wie, und ihr werdet sie hinbringen, sonst soll euch der Teufel holen.« »Das tut er so oder so«, sagte Tulsa Jack Blake, und wir alle wußten, was er meinte.
4. Es schneite. Der Himmel hing tief. Vor zwei Stunden war die kalte Wintersonne hinter den westlichen Hügeln am großen Fluß untergegangen. Jack Egan sperrte das Hoftor weit auf. Er sprach kein Wort. Er drückte uns nur stumm die Hand. Sein Gesicht wirkte eingefallen und krank. Er selbst hatte kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Pferde aus den Ställen der Stage Company geholt. Sechs Gespannpferde für die gepanzerte Kutsche, ein Reittier für mich. Wir brachen auf. Der Tag war uns endlos lang erschienen, wir hatten schon gedacht, er würde nie zu Ende gehen. Es hatte eine gespannte Atmosphäre in dem engen Schuppen geherrscht. Wir hatten versucht, nicht über den Weg, der uns bevorstand, nachzugrübeln. Aber die Gespräche waren immer wieder wie von selbst darauf zugesteuert. Niemand jedoch hatte ausgesprochen, was wir alle dachten. Die Chancen standen nicht gut für uns. Jim Ketchum, Andy O'Toole, Jerry Ricks und Tulsa Jack Blake, die vor mir dagewesen waren, hatten ohnehin damit gerechnet, unterwegs überfallen zu werden. Sie waren aber bis zu meiner Ankunft sicher gewesen, daß unseren Gegnern der Ort, von dem aus der Transport besser gesichert wieder starten sollte, unbekannt war. Sie hatten gehofft, wenigstens die erste Hälfte der Strecke unbehelligt zurücklegen zu können, bis die Südstaatler ihnen auf die Schliche kommen würden. Damit war nicht mehr zu rechnen. Als wir den Hof von Jack Egans Haus verließen, waren wir sicher, bereits beobachtet zu werden, auch wenn wir in der weiten, verschneiten Landschaft nirgendwo ein menschliches Wesen bemerken konnten. Aber was bedeutete das schon? Ich war unter Indianern aufgewachsen. Ich wußte, daß ein Mensch, der nicht gesehen werden wollte, selbst in der kahlsten Ebene nicht zu entdecken war. Es gab immer Möglichkeiten, sich zu verbergen, wenn man es gewöhnt war, in der Wildnis zu leben. Ich verließ den Hof als erster. Shita trottete neben mir her. Ich ritt
einen schwarz-weiß gescheckten Mustang mit langem Mähnenhaar. Es war ein kurzbeiniges aber ungemein ausdauernd wirkendes, stämmiges Tier, das das Brandzeichen des Pony-Expreß trug. Gleich nachdem ich durch das Hoftor geritten war, schwenkte ich auf die Wagenstraße nach Westen ein, die trotz der Schneedecke durch zahlreiche Huf- und Wagenspuren gut erkennbar war. Unmittelbar hinter mir verließ auch die gepanzerte Kutsche den Hof. Die sechs Gespannpferde stemmten sich hart ins Geschirr. Fast schien es so, als werde die Kutsche von Geisterhand gelenkt, denn Andy O'Toole war in seiner Eisenkanzel, in der die Enden der Zügel verschwanden, nicht zu sehen. Die Türen des Wagens waren fest verschlossen. Sie hatten von außen keine Klinken und waren praktisch nur mit Vorschlaghämmern zu öffnen. Der Wagen war sehr schwer. Die breiten Räder fraßen tiefe Spuren in den Schnee. Den Gespannpferden stand ein schweres Stück Arbeit bevor. Ich schaute mich um. Mitchell schlief. Kein Licht schimmerte hinter den Fenstern der Häuser, kein Rauch stieg aus den Kaminen, Fensterläden, sofern sie vorhanden waren, waren geschlossen. Still und tot lag die Stadt da. Jack Egan stand am Tor seines Hofes und schaute durch den Flockenregen hinter uns her. Seine breite, massige Gestalt wirkte in diesem Moment irgendwie verloren. Er war ein wichtiger Mann in diesem weiten, fast unbesiedelten Land, wahrscheinlich war er ziemlich reich. Der Ausgang unseres Unternehmens würde aber auch über seine Zukunft entscheiden. Er trug die Verantwortung, und wenn wir verloren, war auch er hier am Ende. Aber das würde uns wenig berühren, denn wir waren dann tot. Egan schloß mit eckigen Bewegungen das Tor. Ich wandte mich wieder nach vorn und trieb mein Pferd zu größerem Tempo an. Während der gepanzerte Wagen Mitchell verließ, sprengte ich ins Land hinaus, und wenig später war ich mit Shita allein in der nächtlichen Weite. Als ich noch einmal zurückschaute, konnte ich den Wagen nicht mehr sehen. Das Land vor mir war flach wie ein Teller. Fünf Meilen westlich von Mitchell begann ein unübersichtliches Hügelland. Südwestlich
von mir erhob sich ein mächtiges Felsmassiv aus dem Schnee, das als Scott's Bluff bekannt war. Nachdem ich gut eine Meile geritten war, tauchte der Dry Creek vor mir auf, ein kleiner Nebenfluß des Platte River, der meinen Weg kreuzte. Im Gegensatz zum mächtigen Strom des Platte war der Dry Creek fest zugefroren. Ich prüfte es zunächst vorsichtig, aber da das Pferd keine Scheu zeigte, ritt ich beruhigt über die stumpfe, schneebedeckte Eisfläche. Shita war immer neben mir. Er war in einen gleichförmigen Wolfstrott verfallen. Manchmal sah ich ihn nur als Schatten im Schneegestöber, manchmal überholte er mich. Ich hatte das Tempo des Pferdes wieder gedrosselt. Ich wollte es nicht zu früh erschöpfen. Es würde seine Kräfte noch brauchen. Kurz nachdem ich den Dry Creek überquert hatte, verließ ich die Wagenstraße und ritt südwärts. Es hatte wenig Sinn, lediglich dem Overlandweg zu folgen. Ich hatte die Aufgabe, mich im Land umzusehen und mögliche Gefahrenquellen zu entdecken. Unsere Feinde würden sich abseits der Straße aufhalten und auf ihre Stunde warten. Der Schneefall ließ etwas nach. Ich spürte, daß es kälter wurde. Von Norden frischte Wind auf. Er schob die schmutziggrauen Wolken am Nachthimmel vor sich her, und plötzlich war der Mond zu sehen, der bis jetzt hinter den Wolken verborgen gewesen war. Er war groß und rund und glitzerte silbern, wie von einem Zuckerguß aus Eiskristallen überzogen. Die Sicht wurde besser. Ich befand mich nicht mehr weit von Scott's Bluff. Bizarr geformte Felstürme ragten vor mir auf. In ihrem Windschatten hatte sich der Schnee zu hohen Wällen gestaut. Ich beschloß, in einem großen Bogen um die Felsen zu reiten und dann umzukehren. Merkwürdigerweise dachte ich plötzlich an Virginia Buckland, als ich das Pferd herumnahm. Vielleicht, weil Scott's Bluff mich ein wenig an den Chimney Rock erinnerte. Eigentlich war Virginia ganz hübsch, dachte ich, und im Grunde konnte ich mich geschmeichelt fühlen, daß sie ausgerechnet mich dazu auserwählt hatte, ihr zu zeigen, was Männer und Frauen zusammen taten, wenn sie sich mochten. Ich wußte zwar selbst nicht
ganz genau darüber Bescheid, aber ich hatte doch unter den Kutschern der Stage Company eine Menge aufschnappen können, um eine Vorstellung zu haben. Außerdem wußte ich längst, daß sich mein Körper im Lauf der letzten Monate verändert hatte und manchmal merkwürdig reagierte, vor allem, wenn Frauen in der Nähe waren, die mir gefielen. Auch ich war neugierig, genau wie Virginia, und wenn sie mich nicht so überrascht hätte – nun, vielleicht wäre die ganze Sache dann weniger unglücklich ausgefallen. Eigentlich, so dachte ich, war es ein verdammt angenehmes Gefühl gewesen, als sie mich geküßt und mit ihren kleinen weichen Händen betastet hatte. Allein der Gedanke daran genügte, daß mir heiß wurde, das Blut in meinen Adern schneller pulste, mein Herz rascher schlug und mir die Kehle eng wurde. Ich sah Virginia ganz deutlich vor mir, ihr verschwörerisches Gesicht, als sie in die Badestube getreten war, ihre vor Erregung geröteten Wangen, ihre glänzenden Augen, und ich glaubte beinahe, ihre vollen, weichen Lippen zu spüren. Und dann sah ich den Mann vor mir und wußte, daß ich mir die schlechteste Zeit ausgesucht hatte, zu träumen. Verwirrt zügelte ich mein Pferd, und Shitas kurzes, aber scharf und böse klingendes Bellen riß mich endgültig aus meinen Gedanken. Ich fror plötzlich und wußte nicht, was ich tun sollte. Mir war ein Fehler unterlaufen. Ich hatte mich nicht auf meine Aufgabe konzentriert, ich war unaufmerksam gewesen und hatte geträumt. Das konnte in diesem Land den Kopf kosten. Außerdem hing von meiner Wachsamkeit das Leben von vier Männern ab, an das viele Geld, das sie zu transportieren hatten, gar nicht zu denken. Ein wenig ratlos umkrampften meine Hände die Zügel. Aus schmalen Augen beobachtete ich den Mann, der sich ein Stück oberhalb von mir inmitten der verschneiten, bizarren Felslandschaft befand. Shitas Haltung hatte sich versteift. Er stand unmittelbar neben meinem Pferd, hatte den Kopf gehoben und die Lefzen hochgezogen. Seine nadelscharfen Zahnreihen schimmerten so weiß wie eine Perlenkette. Ein leises Knurren drang aus seinem Maul. Sein
Nackenfell hatte sich gesträubt. * Der Mann war groß und sehr hager. Er trug einen langen, schwarzen Umhang mit einem Pelzkragen, wie ich deutlich erkennen konnte. Der Kragen war hochgeschlagen. Auf dem Kopf hatte er eine Pelzmütze mit hinuntergeklappten Ohrenschützern. Eine teure Mütze, die in St. Joseph glatt ihre dreißig Dollar gekostet hätte. Unter der Mütze quoll dunkles Haar bis auf die Schultern des Mannes. Er hatte eine Geiernase und einen Spitzbart, was sein hageres Gesicht noch schmaler erscheinen ließ. Seinen Blick glaubte ich beinahe körperlich zu spüren. Er starrte mich unverwandt an, als er plötzlich sein Pferd antrieb und langsam auf mich zuritt. Ich vermochte mich noch immer nicht zu rühren, ich wußte selbst nicht, wieso. Es wäre auch völlig sinnlos gewesen, in diesem Moment etwas Unüberlegtes zu unternehmen. Der Mann war im Vorteil. Er hatte eine langläufige Sharps Rifle quer vor sich im Sattel liegen. Mein Gewehr dagegen steckte im Scabbard, und mein Revolver befand sich im Gürtel unter meiner gefütterten Felljacke. Außerdem trug ich feste Fausthandschuhe, die ich erst abstreifen mußte, um eine Waffe benützen zu können. Ich wartete also ab, das war das einzige, was mir blieb, und ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Stumm schaute ich dem Reiter entgegen. Zwei oder drei Yards entfernt von mir zügelte er sein Pferd. Noch immer starrte er mich an. Ich erwiderte seinen Blick und hielt ihm stand, was ihn offenbar irritierte. »Hallo«, sagte er. Da sah ich einen breiten Riß in seinem dunklen Umhang, und ich dachte an den Stoffetzen, den Shita im Maul gehabt hatte, nachdem er am Morgen den Brandstifter verfolgt hatte. Wahrscheinlich war der Mann auch derselbe, der das Messer nach mir geworfen hatte. Auch dieser Mann hatte ein langes Gewehr bei sich gehabt. Eine Sharps Rifle?
»Suchst du jemanden?« fragte er. Er sprach im gedehnten, fast singenden Tonfall des Südstaatlers. Wahrscheinlich war er Texaner. »Nein«, sagte ich. »Ich reite spazieren.« »Mit einem Pferd des Pony-Expreß?« »Ich bin Expreß-Reiter«, sagte ich. »Ich weiß«, sagte er. »Wo hast du deine Post? Dein Sattel hat gar keine Posttaschen?« »Woher wissen Sie, was ich bin?« »Ich hab dich gesehen«, sagte er. »In Mitchell. Erinnerst du dich nicht?« Er lächelte jetzt, das machte ihn nicht schöner. Ihm fehlten ein paar Zähne. Was mich verblüffte, war, daß er selbst darauf hinwies, daß er tatsächlich der Mann war, der versucht hatte, mich umzubringen. »Sie haben ein Messer nach mir geworfen«, sagte ich. »Es ist schlecht, daß Sie nicht getroffen haben, schlecht für Sie.« Er lachte. Er lachte lautlos. Sein Mund öffnete sich lediglich, und sein hagerer Körper erzitterte ein wenig. »Wie weit ist der Wagen hinter dir?« fragte er unvermittelt. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, erwiderte ich, obwohl mir klar war, daß es eine dämliche Antwort war, denn der Mann wußte genau, was er wollte, und er kannte offenbar auch meine Funktion. »Wir können uns später darüber unterhalten«, sagte er. »Hier ist es zu ungemütlich. Du siehst ganz vernünftig aus. Ich denke, du wirst noch begreifen, daß es besser ist, zu antworten, wenn ich dich etwas frage. Jetzt gib dein Gewehr her.« »Ich denke nicht daran«, sagte ich. »Ich glaube«, sagte er, »du denkst die ganze Zeit an nichts anderes, denn du weißt genau, daß du keine Wahl hast. Du bist noch zu jung, um zu sterben.« »Niemand ist zu jung, um zu sterben«, sagte ich. Da richtete er die Sharps Rifle auf mich. Ich blickte direkt in die dunkle Mündung, die mich drohend anstarrte wie ein Todesauge. »Genug jetzt«, sagte er. »Gib deine Waffen raus. Dann reitest du vor mir her.«
In dem Moment jaulte Shita vor Wut auf und schoß vor. Er erinnerte sich wahrscheinlich gut an den Tritt, den der Kerl ihm bei unserem ersten Zusammentreffen in Mitchell versetzt hatte, und jetzt wurde ich bedroht. Irritiert wandte der Mann den Kopf, ohne das Gewehr zu bewegen. Da sprang Shita bereits an seinem Pferd hoch und schnappte nach dem Bein des Reiters. Er erwischte es nicht, statt dessen brachte er dem Tier eine Bißwunde bei, und das Pferd bäumte sich fast augenblicklich auf und wieherte grell. Der Reiter wurde zurückgeworfen. Er versuchte, sich zu halten, aber die heftigen Bewegungen seines Pferdes kamen zu überraschend für ihn. Sein Umhang wirbelte hoch. Er verlor den Halt und überschlug sich, als sein Tier ihn abwarf. Noch bevor er im Schnee aufprallte, hatte ich meinen rechten Handschuh abgestreift und unter meine Jacke gegriffen. Dann hielt ich meinen Navy Colt in der Faust, und als der Mann sich durch den Schnee rollte, halb aufrichtete und mit seinem Gewehr auf mich zielte, drückte ich, ohne zu zögern, ab. Die Detonation klang überlaut in der Stille der Nacht und wurde als Echo tausendfach verstärkt von den steilen Wänden von Scott's Bluff zurückgeworfen. Das glühende Mündungsfeuer fraß ein Loch in die nächtliche Kälte, und im selben Moment, als ich abdrückte, sprang das Pferd des Fremden wieder herum und verdeckte mir für einen Sekundenbruchteil mein Ziel. So traf die Kugel nicht den Mann, sondern drang schräg von oben in die Brust des Pferdes. Es war sofort tot und stürzte auf die Seite, den Reiter unter sich begrabend. Der Mann stieß einen heftigen Schrei aus. Das Gewehr wurde ihm aus den Händen geprellt, und bevor er es wieder greifen konnte, war plötzlich Shita über ihm. Schnee stob auf, und Shita senkte sein weitgeöffnetes Maul über das Gesicht des Mannes, das sich vor Angst und Entsetzen verzerrte. »Halt!« schrie ich, und Shita zuckte sofort zurück. Voll Wut und Enttäuschung starrte er mich an, blieb aber über dem Mann stehen und knurrte ihn mit gefletschten Zähnen an. Ich rutschte aus dem Sattel und stapfte durch den Schnee. Ich
mußte mich beeilen. Der Schuß war bestimmt noch in sehr weiter Entfernung gehört worden. Vielleicht befanden sich die Kumpane des Kerls in der Nähe. Einmal hatte ich den Fehler begangen, zu unaufmerksam gewesen zu sein. Das sollte mir nicht noch einmal passieren. Ich richtete den Revolver auf den Kopf des Mannes und spannte den Hammer. »Schaffen Sie es, sich allein zu befreien?« Er blickte mich erstaunt an, denn er hatte offenbar erwartet, sofort getötet zu werden. Dann schüttelte er schwach den Kopf. »Also gut«, sagte ich. »Ich werde Ihnen helfen. Aber überlegen Sie es sich gut, bevor Sie mir Schwierigkeiten bereiten. Ich kann mit einem Revolver umgehen, und ich schwöre Ihnen, ich bringe Sie um.« »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Du bist kein Mörder.« »Warum nicht?« sagte ich. »Sie sind doch auch einer. Schurken wie Sie erledige ich besonders gern.« Ich beugte mich vor und faßte mit der Linken das Sattelhorn des toten Pferdes. Dann stemmte ich beide Beine fest in den Schnee und versuchte, es dem Mann ein wenig zu erleichtern, seine Beine unter dem Pferdeleib hervorzuziehen. Er starrte mich an, und ich sah in seinen Augen, daß er etwas im Schilde führte. Da zielte ich wieder auf seine Stirn, und einen Moment kreuzten sich unsere Blicke. Dann senkte er den Kopf, und ich war sicher, daß er begriffen hatte, daß ich jedes Wort ernst meinte.
5. Er wand sich unter dem Gewicht des Pferdeleibes hervor und blieb einen Moment erschöpft im Schnee liegen. Er konnte von Glück sagen, daß das stürzende Tier seine Knochen nicht zerquetscht hatte. Aber der Schnee lag sehr hoch, und so hatte das tote Pferd ihn lediglich in den Schnee gedrückt. Der Mann wälzte sich herum, lag einen Moment auf dem Bauch und versuchte dann, sich hochzustemmen.
Ich hatte das Pferd umrundet und stand nur wenige Schritte von ihm entfernt. Shita hatte sich zurückgezogen und verharrte sprungbereit neben mir. Der Mann stöhnte ein wenig, sein schwarzer Umhang verdeckte seine Hände, als er den Oberkörper aufrichtete. Ich sprang unvermittelt auf ihn zu und ließ mein rechtes Bein hochfliegen. Er brüllte auf und stürzte rücklings wieder in den Schnee. Über seinem linken Auge platzte die Haut auf. Ich sah den Revolver in seiner rechten Faust, den er unter dem Umhang hervorgeholt hatte. Ich setzte nach und trat auf seine rechte Hand. Er brüllte wie ein Stier und ließ den Revolver los. Ich bückte mich und hob die Waffe auf. »Ein Mann sollte immer wissen, wann er verloren hat«, sagte ich. »Legen Sie sich auf den Bauch. Die Hände auf den Rücken.« Diesmal zögerte er nicht. Er gehorchte, während sein Blut von der Stirnwunde in den Schnee tropfte. Ich bückte mich, schnitt ein Stück aus dem Lasso, das er am Sattelhorn hängen hatte, und fesselte ihm damit die Hände. »Stehen Sie jetzt auf«, befahl ich. »Und dann vorwärts. Sie marschieren nach Norden.« »Zu Fuß?« »Wollen Sie auf Ihrem toten Pferd reiten?« Ich bestieg mein Tier und behielt den Revolver in der Hand. »Gehen Sie schon. Und denken Sie daran, daß ich hinter Ihnen bin, und mein Hund ist auch noch da.« Da setzte er sich in Bewegung und stapfte durch den Schnee nach Norden. Ich trieb mein Pferd an und folgte ihm im Abstand von vielleicht zehn Yards. Shita trottete dicht hinter ihm her. Mein schnelles, hartes und entschlossenes Auftreten hatte ihn offenbar beeindruckt. Immerhin war ich gegen ihn noch ein Kind, und er sah aus wie ein Mann, der es gewöhnt war, zu siegen. Er schien geschockt zu sein, sonst hätte er meinen Anweisungen wahrscheinlich nicht so ohne weiteres Folge geleistet. Ich war wild entschlossen, selbst den geringsten Widerstand bei ihm sofort zu brechen. Rücksichtnahme konnte ich mir nicht leisten. Dieser Mann
hatte einmal bereits versucht, mich auszuschalten. Er hatte Feuer an den Schuppen gelegt, in dem ich mich mit den anderen Männern in Mitchell aufgehalten hatte, und er hatte irgendwo in der Weite des Landes Kumpane, die nichts anderes planten, als uns alle zu ermorden und die Soldgelder der Armee an sich zu bringen. Diese Männer waren es gewohnt, zu kämpfen. Sie kannten keine Gnade mit den Unterlegenen. Ich wußte nicht, wo sich die Partner des Kerls befanden. Daß ihr Freund gefangen war, würden sie bald wissen und vielleicht die Verfolgung aufnehmen. Bis dahin mußte ich mit meinem Gefangenen einen guten Vorsprung gewonnen haben, um nicht mehr eingeholt zu werden. Denn in einem Kampf mit zehn oder mehr Männern hatte ich keinerlei Chancen. Der Mann stolperte. Die Schneedecke war ungleich hoch, an manchen Stellen war sie verharscht und hart, an anderen nachgiebig und tückisch. Es war nicht einfach für den Mann, mit gefesselten Händen durch die Nacht zu laufen. Er stolperte abermals und stürzte. Noch im Fallen bemühte er sich, sich seitlich zu drehen, um nicht aufs Gesicht zu stürzen. Aber er schaffte es nicht und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Shita bellte und blieb ein Stück abseits von dem Mann stehen, der mit seinem langen, schwarzen Umhang im weißen Schnee wie ein mächtiger toter Vogel wirkte. Ich ritt weiter und zügelte mein Pferd neben ihm. »Stehen Sie auf«, sagte ich. »Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder gehen Sie freiwillig weiter, oder ich schieße Ihnen eine Kugel in den Kopf. Jetzt, sofort, an dieser Stelle. Glauben Sie nicht, daß Sie eine Überlebenschance haben, wenn Sie mir nicht gehorchen.« Er rührte sich nicht, und ich befürchtete, daß er vielleicht mit dem Kopf auf einen unter dem Schnee verborgenen Stein geschlagen war. Möglich war alles. Ich drehte mich im Sattel um und ließ meine Blicke über das nächtliche Land schweifen. Es lag starr und weiß und ohne Leben da. Hier und da schimmerte der Schnee silbrig im Mondlicht. Scott' Bluff wirkte aus der Entfernung wie die versteinerte Faust eines
Riesen. So stark wie nie zuvor wurde mir die gewaltige Einsamkeit, die mich umgab, bewußt. Ich fröstelte etwas. Der Wind von Norden war stärker geworden. Ich schlug den Kragen meiner Felljacke hoch, ohne jedoch wirklich gegen den schneidenden Eishauch geschützt zu sein. Dann stieg ich aus dem Sattel. Ich versetzte dem Mann am Boden einen Stoß mit dem linken Fuß. Er rührte sich nicht. Ich umrundete ihn und stieß seine linke Schulter an. Ich beugte mich vor, streckte meine Linke aus und versuchte, ihn auf den Rücken zu wälzen. Im selben Moment zog sich sein Körper zusammen wie eine Sprungfeder, schnellte genauso auseinander und bäumte sich auf. Der Kopf des Mannes zuckte hoch. Die eine Hälfte seines Gesichts war blutverschmiert, was ihm ein scheußliches Aussehen gab, und er grinste mich triumphierend an. Sein heißer, stinkender Atem traf mich ins Gesicht, dann rammte seine Stirn mit voller Wucht unter mein Kinn, und ich wurde auf den Rücken geschleudert. Mir schwanden die Sinne. Der Schmerz, der meinen Schädel durchzuckte, war groß, so groß, daß er alles andere Empfinden in mir auslöschte. Rötliche Nebelschwaden wallten vor meinen Augen auf. Ich kämpfte gegen die aufsteigende Bewußtlosigkeit und hörte wie durch dicke Mauern das wütende Knurren Shitas und sein schmerzerfülltes Jaulen. Danach wieherte mein Pferd. Ich zwang mich hoch und sah den Mann neben meinem Pferd stehen. Er versuchte, sich in den Sattel zu schwingen, hatte aber wegen seiner auf den Rücken gefesselten Hände erhebliche Schwierigkeiten, zumal mein Tier vor ihm scheute und immer wieder zurückwich. Shita lag winselnd im Schnee, versuchte aber immer wieder beharrlich, aufzustehen. Mein Pferd drehte sich plötzlich und keilte aus. Der Mann wich rasch aus, verlor beinahe den Halt und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Der Wind faßte unter seinen aufklaffenden Umhang und ließ ihn hochwallen. Ein grotesk verzerrter Schatten fiel in den
Schnee, und der Mann entdeckte, daß ich bereits wieder auf die Beine kam. Er stieß einen wilden Fluch aus und stürmte auf mich zu. In meinen Schläfen hämmerte das Blut, daß ich dachte, mein Schädel würde zerplatzen, aber ich blieb auf den Beinen. Ich wußte, jetzt ging es ums Überleben. Mein Revolver lag im Schnee. An ihn konnte ich jetzt nicht heran. Ich warf mich zur Seite, als der Mann mich fast erreicht hatte. Er lief ins Leere, glitt aus und stürzte mit einem Wutschrei. Er wälzte sich herum und versuchte, mir mit den Füßen Schnee ins Gesicht zu schleudern. Es gelang ihm halbwegs. Ich schlug beide Hände vor die Augen, als mir schmelzender Schnee in die Pupillen rann. Verschwommen sah ich, daß der Bandit versuchte, sich wieder aufzurichten. Aber diesmal war ich schneller. Ich erreichte ihn, als er gerade eine sitzende Haltung eingenommen hatte. Ich schlug erbarmungslos zu. Ich drehte mich um, hob meinen Revolver auf und suchte meine Handschuhe, die ich einfach in den Schnee geworfen hatte. Dann ging ich zu Shita. Er hatte sich wieder aufgerichtet und ließ sich ausgiebig von mir bedauern. Ich bemerkte etwas Blut an seiner Schnauze. Offenbar hatte der Tritt des Kerls ihn am Kopf getroffen. »Laß ihn in Ruhe, mein Alter«, sagte ich. »Er hat genug.« Ich ging zu meinem Pferd und beruhigte es, bevor ich mich in den Sattel schwang. Noch immer war die verschneite Ebene rings um uns still und leer. Ich ritt bis zu dem Mann und schaute auf ihn hinunter. Haßerfüllt musterte er mich. »Weiter«, sagte ich. »Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Stehen Sie auf, und gehen Sie!« Er rührte sich ncht. Da nahm ich die Zügel meines Pferdes hoch. »Entweder Sie tun, was ich sage«, erklärte ich, »oder ich reite jetzt über Sie weg und lasse Sie liegen. Bis Ihre Freunde Sie finden, sind Sie erfroren.« Ich schaute nach Norden dem Wind entgegen. »Es wird kälter. Sie haben keine Chance,« Als ich mein Pferd antrieb, sprang er so behende auf die Füße, daß
ich überrascht war. Der Mann war zäh im Nehmen. Er setzte sich schwankend in Bewegung, mußte sich aber bereits gegen den Wind stemmen, der immer stärker wurde. Ich ritt ihm langsam nach, und Shita trottete neben mir her. * Ich sah »Iron Jack«, wie Jim Ketchum die gepanzerte Kutsche genannt hatte, schon von weitem. Der Wagen rollte schwerfällig von Osten heran. Neben den alten, fast verschneiten Wagenspuren, die den Verlauf der Straße markierten, zügelte ich mein Pferd und befahl auch dem Banditen, anzuhalten. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sein Gesicht wirkte eingefallen, das verkrustete Blut auf Stirn und Wangen ließ ihn noch elender aussehen. Sein Atem ging rasselnd. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen im Brustkorb von meinem Tritt. Shita setzte sich in den Schnee und leckte die dünne Eisschicht von einem Stein ab. Er hatte Durst. Der Wagen näherte sich. Ein eisernes Ungetüm, das in der verschneiten Ebene irreal wirkte, eine unwirkliche, monströse Erscheinung. Ich hob die Rechte und winkte, und wenig später hielt der Wagen neben mir an. Die Flanken der Pferde dampften, aus den Nüstern stieg der heiße Atem als weißer Nebel. Ich rutschte aus dem Sattel und zog meinen Sharps-Karabiner aus dem Scabbard. Damit versetzte ich dem Banditen einen heftigen Stoß in den Rücken, so daß er nach vorn taumelte und beinahe stürzte. Das kümmerte mich wenig. Er war ein Mörder, und er würde jede Gelegenheit nutzen, mich und die anderen umzubringen. Er sollte wissen, daß er keine Chance hatte. Ich trieb ihn bis zur Kutsche und versetzte ihm hier einen letzten Stoß. Er stieß einen gurgelnden Laut aus und krümmte sich zusammen. Mit dem Kopf voraus torkelte er gegen den Wagen und stieß mit der Stirn gegen die Panzerplatten der linken Kutschenseite. Im selben Moment hörte ich, wie im Innern der Riegel gelöst wurde. Dann öffnete sich der Wagenschlag. Jim Ketchum kletterte
heraus. Er blickte mich an und nahm dann den Fremden in Augenschein. Ich sagte: »Das ist der Schweinehund, der mich umbringen wollte und das Feuer gelegt hat. Das ist der Kerl, der uns in Mitchell beobachtet hat.« »Wo hast du ihn erwischt?« »Bei Scott's Bluff. Er war allein.« »Kundschafter, wie?« Jim Ketchum versetzte dem Mann einen Fausthieb gegen die rechte Schulter. Der Kerl stöhnte laut. Sein Mund stand halb offen. Sein Gesicht war, abgesehen von dem verkrusteten Blut, so bleich wie der Schnee ringsum. Bei dem Sturz gegen den Wagen hatte er seine Pelzmütze verloren. Sie lag neben dem linken Vorderrad im Schnee. Das lange Haar hing dem Mann strähnig und wirr um den Schädel. Jerry Ricks erschien in der Wagentür. Ihm folgten Tulsa, Jack Blake und Andy O'Toole. »Hängen wir ihn gleich auf, oder nehmen wir ihn mit nach Laramie?« fragte Ricks. »Vielleicht können wir ihn noch als Geisel gebrauchen«, sagte ich. Jim Ketchum nickte. »Das ist kein schlechter Gedanke. Aber im Wagen ist es eng.« »Er kann laufen«, sagte ich. »Ich habe gesehen, wie er in Mitchell laufen konnte, nachdem er das Messer auf mich geworfen hatte. Der Weg nach Fort Laramie ist eine Kleinigkeit für ihn.« »Ich – ich warne euch«, sagte der Kerl auf einmal. »Laßt mich in Ruhe. Laßt mich laufen. Ihr werdet es sonst bereuen.« »Wie heißt er?« fragte Ricks. Er schaute mich fragend an. »Ich hab ihn nicht gefragt«, erwiderte ich. »Ich wußte, daß er der Brandstifter ist, das hat mir genügt.« »Wie ist dein Name, Mann?« fragte Ricks. Er baute sich vor dem Banditen auf. »Caxton«, sagte der Mann. »Dee Caxton, und ich sage euch noch einmal, daß ihr einen schweren Fehler begeht. Ich bin nicht allein, und meine Freunde sind stärker als ihr. Wir kriegen euch, und ich bin wieder frei, noch bevor die Sonne aufgeht. Dann werdet ihr bezahlen. Besonders der Junge!« Er starrte mich an, und der Haß in seinen
Augen war so groß, daß ich wahrscheinlich tot umgefallen wäre, wenn Blicke töten könnten. »Warte nur, Freundchen«, sagte er. Seine Stimme zitterte jetzt vor Wut. »Du wirst den Tag verfluchen, an dem du mich getroffen hast. Ich werde dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, ich werde …« »Caxton heißt du«, sagte Ricks. »Es ist gut zu wissen, wie ein Mann heißt, bevor man ihm was in die Schnauze haut!« Ricks schlug zu. Der Kopf Caxtons wurde gegen die Wagenwand geschleudert, dann kippte er zur Seite um und wälzte sich keuchend durch den Schnee. »Ihr – ihr Schweine!« kreischte er mit überschnappender Stimme. »Ich bringe euch alle um, alle! Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Wir reißen euch die Därme aus dem Leib, wir machen euch so fertig, daß ihr auf Knien um den Tod betteln werdet!« »Dieser Hund hat das Feuer gelegt«, sagte Andy O'Toole. »Und wir wären fast erstickt und verbrannt. Am liebsten würde ich ihn gleich erledigen.« »Später.« Jim Ketchum nickte mir zu. »Wir machen es so, wie Ronco gesagt hat. Wir lassen ihn nach Laramie laufen.« Er beugte sich durch den offenen Schlag ins Kutscheninnere und holte ein zusammengerolltes Seil heraus. Jerry Ricks bückte sich und zerrte Dee Caxton auf die Beine. Hätte ich nicht gewußt, daß er ein skrupelloser Mörder und so gefährlich wie eine Natter war, hätte er mir fast leid getan. Aber für solche Gefühle war in diesem Moment keine Zeit. Wir alle, die versuchten, diesen Transport durchzubringen, spielten mit unserem Leben. Wir wußten, was uns bevorstand, wenn Caxtons Freunde uns stellten. Wir hatten uns um nichts zu kümmern, als um das Geld in der Kutsche und um unser eigenes Leben. Rücksicht gegenüber einem Feind konnten wir uns in unserer Situation nicht leisten. Ricks löste die Fesseln Caxtons, aber der wagte nicht mehr, Widerstand zu leisten. Er ließ sich die Hände auf dem Leib wieder zusammenbinden. Dann wurde das Seil, das Jim Ketchum aus dem Wagen geholt hatte, daran festgeknotet. Unsanft wurde Caxton hinter den Wagen gezerrt. Hier befestigte Ketchum das andere Ende des Seils an der Hinterachse.
»Gebt mir wenigstens meine Mütze wieder«, sagte Caxton. Andy O'Toole ging und hob die Mütze auf. Dann setzte er sie dem Banditen verkehrt herum auf den Kopf, und Caxtons Gesicht verzerrte sich zu einer wilden Grimasse. »Ihr werdet noch vor mir kriechen!« schrie er. Aber wir hörten nicht auf ihn, und der jäh aufheulende Wind riß ihm die Sätze, die er noch brüllte von den Lippen. Die Männer stiegen wieder in die Kutsche. Bevor Jim Ketchum den Schlag schloß, schaute er mich ernst an. »Bald werden die Halunken wissen, daß wir ihren Kundschafter haben. Sei vorsichtig.« »Geht klar«, sagte ich. Dann ging ich zu meinem Pferd und schwang mich in den Sattel. Die Tür schloß sich, und die Kutsche verwandelte sich wieder in eine unangreifbare, eiserne Festung, die sich in Bewegung setzte. Der Wagen rollte an mir vorbei und gewann an Fahrt. Dee Caxton zerrte an dem Strick, der ihn mit der Kutsche verband, aber er vermochte nicht, ihn zu lösen. So wurde er mitgezerrt. Er versuchte, sich dagegen zu sträuben. Aber das Gefährt war stärker, und Caxton taumelte, wilde Flüche gegen den Wind brüllend, hinter dem Wagen her. Einmal stürzte er und wurde ein Stück mitgeschleift. Es gelang ihm jedoch, wieder auf die Beine zu kommen, und bald gab er seinen Widerstand auf. Als ich an der Kutsche vorbeiritt, warf er mir einen Blick zu, und ich schaute ihm gerade in die Augen, denn ich wollte ihm zeigen, daß mich seine Drohungen nicht beeindruckten. Aber ich wußte, daß er mir den Hals umdrehen würde, wenn er jemals wieder frei sein sollte. Dann überholte ich den Wagen und ritt in rascherem Tempo voraus. Shita lief neben mir her. Der Wind von Norden wurde immer stärker und traf uns von der Seite. Er trieb Wolken feinen Pulverschnees über die Ebene. Die Sicht verschlechterte sich wieder, das Mondlicht wurde trüb, verdeckt von grauen Schleiern, die am nächtlichen Himmel aufzogen. Wie feine Nadelspitzen trafen Eiskristalle meine Wangen. Tief vornübergebeugt saß ich im Sattel und versuchte, die Landschaft
um mich her zu beobachten. Es war fast unmöglich. Ich hoffte, daß wir nicht den Weg nach Fort Laramie verfehlen würden. Landschaftliche Merkmale, nach denen man sich sonst richten konnte, waren nicht mehr zu sehen. Wenn sich das Wetter verschlechterte, würden wir bestimmt die Orientierung verlieren. Was dann werden sollte, mochte der Teufel wissen. Dann konnten wir nur beten, daß es den Banditen, die irgendwo in dieser weißen Hölle auf uns lauerten, nicht besser erging.
6. Der Sturm brach mit unvermittelter Heftigkeit aus und traf uns mit voller Wucht. Ich beugte mich tief aus dem Sattel und brüllte nach Shita, der in den plötzlich vom Himmel stürzenden Schneemassen beinahe völlig versank. Ich konnte ihn am Fell packen und zerrte ihn hoch zu mir in den Sattel. Er jaulte vor Angst, und ich preßte ihn fest an mich. Dann wollte ich umdrehen und zurückreiten. Aber zurück – wo war das? Ich hatte keine Ahnung, wie groß mein Vorsprung vor dem Wagen war, aber selbst wenn er nur fünfzig Yards betragen hätte, es hätte mir nichts genutzt. Ich hätte die Kutsche nicht mehr gefunden. Die Luft war voller Schnee, und der Sturm jagte ihn gegen mich und das Pferd. Die Flocken trafen mich beinahe so hart wie Hagelkörner. Ich vermochte keine zehn Zoll weit zu sehen. Verzweiflung stieg in mir auf, Panik. Ich drückte Shita mit der Linken an mich und umklammerte mit der Rechten die Zügel. Der Sturm toste, der Sturm heulte, der Sturm dröhnte und wütete. Ich zog den Kopf ein und wußte nicht, wie ich mein Gesicht vor dem Schnee schützen sollte, der mich in die Augen traf, in den Mund, der sich in meinem Haar fing, das unter meinem Hut hervorquoll, der auf meiner Hutkrempe und dem Fellkragen meiner Jacke hängenblieb, der auf meiner Haut schmolz und durch den Kragen sickerte. Ich zwang mich, die erste Verzweiflung zu unterdrücken. Ich mußte die Nerven behalten. Wenn ich mich jetzt nicht zusammenriß, war ich verloren. Auf meine Gefährten konnte ich nicht zählen. Die würden mit
ihrem schweren Wagen genug zu tun haben. An ein Zurück war nicht zu denken. Ich konnte mich nur verirren. Ich mußte versuchen, weiter geradeaus zu reiten. Wie weit ich damit gelangen würde, war ungewiß. Vielleicht würde ich irgendwo steckenbleiben, zugeschneit werden, erfrieren … Daran durfte ich nicht denken. Ich trieb mein Pferd an, hämmerte ihm die Absätze in die Weichen und schlug ihm die Faust zwischen die Ohren. Ich schrie, obwohl mir klar war, daß meine Worte vom Sturm zerfetzt wurden, kaum daß ich sie gesprochen hatte. Aber es verschaffte mir Erleichterung, daß ich schreien konnte, so verrückt es klang. Es löste die ungeheure Anspannung in mir. Als ich schon nicht mehr daran glaubte, begann mein Pferd sich zu bewegen. Es warf den Kopf hoch, trotzig fast, dann trabte es an und kämpfte sich durch den Schnee, der binnen weniger Minuten bis zu gut einem halben Yard Höhe angewachsen war. Ich zählte jeden Schritt, den das Tier schaffte, und ich versuchte, die Gedanken zu verdrängen, die unwillkürlich in mir aufstiegen. Es war kein gewöhnliches Unwetter, kein einfacher Schneesturm, in den ich geraten war. Das war ein Blizzard. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Hinter dem Heulen und Brausen des Sturms hörte ich dumpf das Grollen des Donners, seitlich von mir hatte ich bereits einen Blitz durch das Schneegestöber zucken sehen. Ich befand mich bereits in der Ebene von Wyoming. Nebraska lag längst hinter mir. Ich war in einem flachen, weiten Land, in dem das Unwetter seine volle Kraft entfalten konnte. Im Grunde hatte ich keine Chance. Egal, wie weit mein Pferd es noch schaffen würde, es würde nicht genug sein. Irgendwann würde es steckenbleiben, die gewaltige Anstrengung würde es umbringen. Dann war ich verloren und Shita auch. Der ohrenbetäubende Lärm des Wetters tötete fast alles Empfinden in mir ab, er lähmte die Sinne, und es gab Momente, in denen er mir fast den Verstand raubte. Shita zitterte wie Espenlaub, aber mir ging es nicht viel besser. Der Hund hob manchmal den Kopf und blickte mich mit seinen großen Augen an, in denen ich neben wilder Verzweiflung
grenzenloses Vertrauen zu mir entdeckte. Manchmal fuhr er mir mit seiner warmen Zunge über mein Gesicht, und dann winselte er mir ins Ohr wie ein kleines Kind. Das Pferd wurde schwächer. Ich spürte es. Es taumelte unter mir. Ich riß brutal am Zügel und beugte mich vor, schrie ihm in die Ohren und trieb es immer wieder an. Und es hielt durch. Ich wußte nicht, wie lange. Ich wußte nicht, wie weit wir es schafften. Wichtig war allein, daß das Tier sich bewegte, daß es vorwärts drängte. Das vermittelte mir das Gefühl, noch eine Chance zu haben, am Leben zu bleiben. Der Blizzard tobte und raste über das Land und gewann noch an Wucht und Stärke. Eisregen mischte sich mit dem Schnee und prasselte mit solcher Heftigkeit auf mich nieder, daß ich befürchtete, aus dem Sattel geworfen zu werden. Ich schrie vor Schmerzen, ich ließ mich für einen Moment völlig gehen, denn es hörte ja niemand, es sah ja niemand, und ich fragte mich, warum ich gerade so enden sollte, auf eine so jämmerliche Art. Mein Pferd strauchelte. Ich spürte es und war vor Verzweiflung wie gelähmt. Aber es fing sich wieder und drängte weiter. Der Sturm schien jetzt aus allen Richtungen zu rasen. Er traf uns nicht nur von der Seite, er traf uns von vorn und von hinten, von oben und sogar von unten. Er prügelte mit tausend Fäusten auf uns ein. Immer wieder übertönte das Rollen des Donners jetzt das Brüllen des Orkans, immer wieder zuckten Blitze durch das Schneegestöber. Die Erde schien zu beben. Die Luft schmeckte nach Schnee, nach Tod und Hölle. Ich hatte schon viel erlebt in meinem kurzen Leben, aber ein solches Unwetter noch nicht. Ich hatte Sandstürme in der Wüste von Mexiko und Wirbelstürme in den Savannen von Texas erlebt, ich hatte Hagelgewitter überstanden, als taubeneigroße Hagelkörner mit der Gewalt einer Geröllawine auf die Erde niedergegangen waren. Aber dieser Blizzard war das Schlimmste von allen. Bis heute habe ich keinen schlimmeren Schneesturm durchgestanden, immerhin sind zwanzig Jahre inzwischen vergangen. Zumindest hatte ich das Glück, einem solchen Wetter nicht mehr ungeschützt ausgeliefert zu sein
wie in diesen Stunden. Ich verlor alles Gefühl für Zeit und sogar das Gefühl für das Leben. Mir schwanden mehrfach die Sinne, warum ich trotzdem bei Besinnung blieb, nicht einfach aus dem Sattel stürzte, vom Schnee begraben wurde und erfror, das weiß ich bis heute nicht. Daß das Pferd durchhielt, war beinahe ein Wunder. Aber es war ein zähes, starkes und ausdauerndes Tier. Wahrscheinlich hing es mit jeder Faser am Leben, genauso wie ich, auch wenn mir das zeitweise gar nicht mehr bewußt war. Dann tauchten ein paar verschwommene Schatten aus dem Sturm auf. Ich nahm sie kaum wahr. Meine Augen brannten, Eiswasser hatten sie entzündet und schien wie eine ätzende Säure in den Pupillen zu fressen. Das Pferd strebte darauf zu, und plötzlich befanden wir uns in einem Windschatten. Der Sturm besaß nicht mehr die ungeheure Wucht. Ich rieb mir mit der Rechten das Wasser aus den Augen und sah, daß wir uns inmitten einer Gruppe von Quaderfelsen befanden, die wie einsame Monumente aus dem Schnee ragten. Mein Pferd bewegte sich nicht mehr. Es zitterte vor Schwäche und Erschöpfung. Mit gesenktem Kopf blieb es stehen. Ich rutschte schwerfällig aus dem Sattel, Shita immer noch haltend. Im Schutz der Felsen lag der Schnee nicht ganz so hoch wie draußen auf der Ebene. Ich setzte Shita auf den Boden. Er verkroch sich fast augenblicklich mit eingezogenem Schwanz in eine Mulde unter einem Felsen. Ich nahm das Pferd am Zügel, zerrte es tiefer in den Schutz der Granitfindlinge, öffnete meine Sattelrolle und warf dem Tier die Decke über Hals und Rücken. Dann duckte ich mich neben Shita in den Schutz der Felsen und schloß erschöpft die Augen, während der Blizzard über uns hinwegjagte. Ich hatte wieder Hoffnung, nicht viel, aber etwas. Das genügte. * Der Blizzard traf den gepanzerten Wagen mit voller Kraft. Er raste über die flache, schutzlose Ebene und peitschte gegen die Kutsche,
die Gespannpferde und den einsamen Mann, der mit einem Strick an die Hinterachse der Kutsche gebunden war und dem Wagen bis jetzt taumelnd gefolgt war. Er hielt sich auch jetzt, trotz seiner Erschöpfung, noch immer auf den Beinen, obwohl er immer wieder ausrutschte, stolperte und vom Sturm fast umgeworfen wurde. Immer aber, wenn es aussah, als sei er am Ende, und sich der Strick straffte, der ihn mit dem Wagen verband und erbarmungslos mitzuzerren drohte, riß er sich wieder zusammen und hielt mit dem Gefährt Schritt. Anfangs hatte er immer wieder laut geschrien und die Männer im Wagen verflucht. Dann war er still geworden, hatte seine Kräfte gespart und seinen Haß in sich hineingefressen. Jetzt verspürte er nichts weiter als totale Erschöpfung und Todesangst. Wenn sie ihn hier draußen in der tosenden weißen Hölle am Wagen hängenließen, war er verloren. Die Blitze zuckten, der Donner grollte, der Schneefall wurde immer dichter, mischte sich mit Eisregen, der Sturm wurde noch stärker. Die Schneedecke wuchs so schnell, daß der Mann bald bis zu den Knien in der weichen, weißen, feuchten Masse versank. Dann blieb der schwere Wagen stecken. Die sechs Gespannpferde kämpften vergeblich. Sie stemmten sich mit aller Kraft ins Geschirr, aber die Kutsche rührte sich nicht mehr um einen Zoll. Die Energie der Pferde erlahmte. Auch sie verharrten mit tief gesenkten Köpfen und vor Angst und Anstrengung zitternden, bebenden Flanken, während das Unwetter über sie hinwegraste. Dee Caxton brüllte vor Todesfurcht. Er schleppte sich durch den tiefen Schnee. Seine Kräfte drohten ebenfalls zu erlahmen, aber er erreichte die Kutsche und hämmerte mit den gefesselten Fäusten gegen die eiserne Panzerung. Als er die Arme beinahe nicht mehr hochkriegte, gaben seine Knie nach. Er sackte in den Schnee und kroch mit letzter Kraft unter den Wagen, wo er sich zusammenkauerte. Über ihm im Innern der Kutsche starrten die vier Männer hinaus in das Unwetter. Ab und zu wirbelten ein paar Schneeflocken durch die
engen Sehschlitze herein, aber die Männer hatten Decken vor die schmalen Scharten gehängt, und so saßen sie in dem Wagen trocken und sicher. »Wir sollten ihn reinholen«, sagte Tulsa Jack Blake. Er hockte auf einer Munitionskiste und drehte sich eine Zigarette. Er war ein mittelgroßer Mann von muskulöser Statur. Das blonde Haar trug er ganz kurz. Sein Schädel war rund, das Gesicht wies einige scharfe Züge auf und eine Messernarbe unter dem linken Auge. Er hatte dünne Lippen und stechende, farblose Augen. »Wen?« fragte Jim Ketchum. »Caxton.« »Nein«, sagte Ketchum. »Er wird erfrieren.« »Er hat mit uns Schlimmeres anstellen wollen. Wenn seine Freunde ihm rechtzeitig helfen und uns überrumpeln, wird er es noch tun.« »Nicht, wenn wir ihn draußen lassen«, sagte Blake. »Um so besser«, sagte Ketchum. »Dann kriegt er gar nicht erst die Möglichkeit, uns abzumurksen.« »Er hat doch keine Chance«, sagte Blake, »und seine Kumpane auch nicht. Gegen diesen Wagen kann keiner an.« »Wenn wir noch lange hier steckenbleiben, dann schon«, sagte Ricks. »Vielleicht sollten wir Caxton gerade deshalb reinholen.« Blake sog an seiner Zigarette. Seine Hände zitterten etwas. Es fiel niemandem auf. »Wenn wir hier steckenbleiben und Caxtons Kumpane finden uns, dann ist es vielleicht ganz gut, eine Geisel zu haben.« Die Männer schwiegen eine Weile. Dann sagte Andy O'Toole: »Der Gedanke ist nicht mal so übel.« »Wenn irgendwo dort draußen im Land seine Komplicen lauern, dann geht es ihnen nicht besser als uns«, sagte Ketchum. »Die haben anderes zu tun, als uns nach dem Sturm zu suchen.« »Woher willst du das wissen?« Blake sog nervös an seiner Zigarette. »Und wenn du Unrecht hast? Wir sind doch in dieser Eisenschachtel gefangen. Niemand kann zu uns rein, aber wenn es
darauf ankommt, können wir auch nicht raus und gehen hier drinnen vor die Hunde. Oder glaubst du, wir könnten noch auf den Jungen rechnen? Den hat das Wetter draußen auf der Ebene voll erwischt. Den sehen wir nie wieder. Ich wette, der ist jetzt schon tot, samt seinem Pferd und seinem Hund. Und wenn nicht, dann wird er das Ende des Sturms jedenfalls nicht mehr erleben. Also kann auch niemand Hilfe herbeiholen, wenn es ernst wird. Dann müssen wir uns selbst helfen und zusehen, daß wir unsere eigene Haut retten.« »Ich schließe keinen Handel mit Banditen ab«, sagte Ketchum. »Mich muß man schon tot hier raustragen, anders verlasse ich den Wagen nicht, nicht freiwillig.« »Trotzdem wäre es gut, eine Geisel zu haben«, sagte Ricks. Er war von Tulsa Jacks langer Rede sichtlich beeindruckt. Auch O'Toole, der Kutscher, starrte finster vor sich hin. Jim Ketchum lehnte sich zurück und zog eine Maiskolbenpfeife aus seiner Jackentasche. »Macht was ihr wollt«, sagte er. Tulsa Jack erhob sich und entfernte den Riegel der linken Tür. Ein Schwall Schnee und eiskalte Luft wirbelten herein. Die Männer fluchten. Tulsa Jack schwang sich aus dem Wagen und schaute sich draußen um. Er konnte keine zwei Schritte weit sehen. Ein hoher Schneewall hatte sich auf der Nordseite des Wagens aufgetürmt. Eines der Pferde lag am Boden. Die anderen fünf Tiere hatten sich eng aneinandergedrängt. Von Dee Caxton war nichts zu sehen. Tulsa Jack schrie gegen den Sturm an. Es war sinnlos. Dann hatte er eine Idee. Er bückte sich und schaute unter den Wagen. Da sah er Caxton sitzen. Die Beine fest gegen den Leib gezogen, den Kopf in die gefesselten Hände gesenkt. Er hockte in seinem schwarzen Umhang da wie tot. Tulsa Jack kroch unter den Wagen und stieß den Mann heftig an. Da hob Caxton den Kopf. Sein Gesicht sah aus wie eine Totenmaske. Er stierte Tulsa Jack abwesend an, und es dauerte eine Zeit, bis er begriff, daß er in den Wagen steigen durfte. Er kroch zwischen den Rädern hindurch. Tulsa Jack zerschnitt den Strick, der ihn an die Hinterachse fesselte. Dann half er dem Mann beim Einsteigen in die
Kutsche und schloß, nachdem er selbst wieder hineingeklettert war, sorgfältig die Tür. »Ein Pferd ist schon tot«, sagte er, während er den Schnee abschüttelte. Dee Caxton hockte sich wortlos auf den Boden und zitterte wie Espenlaub, während der Schnee auf seinem Umhang und auf seiner Pelzmütze schmolz. Er war offenbar gar nicht recht bei Sinnen. Er starrte stumpfsinnig auf den Fußboden der Kutsche und hustete ab und zu hohl und trocken. Sonst gab er kein Lebenszeichen von sich. Jim Ketchum betrachtete ihn mißtrauisch und mit unverhohlener Abneigung. Auch die anderen rückten von ihm ab. Nur Tulsa Jack blieb in seiner Nähe und flößte ihm schließlich etwas Wasser aus einer Feldflasche ein. Er reichte Caxton auch ein Stück Brot, aber der Mörder aß nicht, er trank nur ein wenig und versank dann in lethargisches Brüten, die schmalen Schultern hochgezogen und immer noch zitternd. Er zitterte so stark, daß seine Zähne geräuschvoll aufeinanderschlugen. Niemand sprach ein Wort, aber es war offensichtlich, daß es jetzt allen, außer Tulsa Jack, leid tat, den Mann in den Wagen geholt zu haben. Sie dachten daran, daß dieser Kerl und seine Freunde sie umbringen würden, sobald sich ihnen eine Gelegenheit dazu bot. Sie zweifelten plötzlich daran, daß er eine so wertvolle Geisel war. Es ging um eine Menge Geld. Dafür würden die Kumpane dieses Mannes auch bedenkenlos einen der ihren opfern, wenn es sein mußte. Aber jetzt war Caxton im Wagen, und niemand wollte ihn wieder hinauswerfen. Eine bedrückende Atmosphäre breitete sich aus. Jim Ketchum sog an seiner Maiskolbenpfeife und starrte ins Leere. Draußen nahm das Unwetter noch zu. Es hörte sich an, als würde der Himmel einstürzen und die Welt untergehen.
7. Ich lebte. Ich begriff es selbst kaum. Mein Pferd lebte. Und Shita lebte. Der Sturm zog nach Westen ab. Wir hatten es überstanden.
Es war ein Wunder. Vielleicht ist das ein zu großes Wort. Vielleicht hatten wir auch einfach nur Glück gehabt. Für mich war es ein Wunder, und das ist bis heute so geblieben. Ich hörte später, daß vier Cowboys, die zur selben Zeit wie ich ein Stück weiter südlich mit einigen Rindern unterwegs gewesen waren, den Blizzard nicht überstanden hatten. Das waren erfahrene Männer, die nicht weniger mit der Wildnis vertraut waren als ich. Ihre Leichen wurden einige Tage später gefunden. Sie hatten mehrere Rinder getötet, die Bäuche aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgeholt und hatten sich in den toten Tieren verkrochen. Es hatte nichts genützt. Sie waren erfroren. Es schneite noch, aber nicht mehr besonders stark. Noch immer fuhr der Wind in heftigen Böen über die Ebene, aber er hatte längst nicht mehr die geballte, gigantische, elementare Kraft des Blizzards. Das Grollen des Donners verhallte in der Ferne. Ab und zu sah ich noch am weiten Himmel ein paar Blitze zucken. Dann wurde es still. Ich konnte mich kaum rühren vor Kälte. Mühsam kroch ich aus der Mulde im Windschatten des großen Felsquaders, in der ich mit Shita das Unwetter überstanden hatte. Riesige Schneeverwehungen bedeckten das Land. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Wo die Überlandstraße war, war nicht mehr zu erkennen. Die weite Ebene hatte sich in eine weiße Wüste verwandelt. Der Schnee hatte alle markanten landschaftlichen Merkmale verdeckt, so daß ich mich nicht orientieren konnte. Der Himmel verbarg sich hinter einer grauen Wolkenwand. Nebelschwaden verdeckten die Horizonte. Ein neuer Tag schien anzubrechen, und ich hoffte, daß der Himmel bald aufklaren würde, so daß ich versuchen konnte, mich am Stand der Sonne zurechtzufinden. Der Schneefall ließ nach, während ich eifrig von einem Bein aufs andere stampfte und die Arme wie verrückt schwenkte, um die Kälte aus meinem Körper zu vertreiben und mein Blut wieder in Bewegung zu bringen. Shita kroch winselnd durch den Schnee. Er versank bis zum Bauch darin. Das Pony schien alles am besten überstanden zu haben. Es
wirkte völlig unbeeindruckt, obwohl sein Fell kalt wie Eis war. Ich nahm den Hafersack vom Sattel und hängte ihn dem Tier um. Dann suchte ich das Trockenfleisch aus den Satteltaschen und teilte es mit Shita. Ich trank danach Wasser aus meiner Feldflasche, während der Hund Schnee aufleckte. Ich hatte jedes Gefühl für Zeit verloren und fragte mich, wie lange das Wetter getobt und ich in der Mulde unter dem Felsen gehockt hatte. Aber im Grunde war das egal. Wichtig war nur, daß es vorbei war und wir alles überstanden hatten. Ich dachte an meine vier Gefährten in der gepanzerten Kutsche. Hatten sie das Unwetter auch so gut überstanden? Ihre Situation war besser gewesen als meine. Sie hatten im Trockenen gesessen, geschützt vor Kälte und Sturm. Aber der unbewegliche, schwere Wagen war mit Sicherheit im Schnee steckengeblieben. Vielleicht waren sie zugeschneit. Wenn der Schnee sie eingeschlossen haben sollte, waren sie vor dem Erfrieren nicht sicher. Und wie würde es mit dem Transport weitergehen? Bis die neue Schneedecke hartgefroren sein würde, so daß sie wieder befahrbar war, konnten Tage vergehen. Solange hatten wir nicht Zeit. Ich bewegte mich auf und ab, blieb ab und zu neben Shita stehen und streichelte ihn. Nach und nach verzog sich der trübe Morgennebel. Die Wolkenwand lichtete sich etwas. Ich sah die Frühsonne und stellte fest, daß ich im Unwetter die Straße verlassen hatte und mich jetzt schätzungsweise zwei Meilen nördlich des Overlandweges befand. Ich wußte jetzt, wohin ich mich zu wenden hatte. Ich bestieg das Pferd und nahm Shita mit in den Sattel. Dann lenkte ich das Tier südostwärts. Es schien froh zu sein, sich wieder bewegen zu können, obwohl es während des Sturms völlig ausgepumpt und erschöpft gewesen war und ich fast nicht geglaubt hatte, daß es das Wetter überstehen würde. Wir gelangten nur langsam voran. Das Pferd pflügte eine tiefe Furche in den Schnee, der feucht, klebrig und schwer war. Über uns ging die Sonne wie ein vereister Feuerball auf, grell leuchtend und doch kalt und tot. Es schneite nicht mehr. Die grauen Wolken wanderten nach Westen davon. Die Luft war klar, und der
Winterhimmel sah aus, als habe es nie ein Unwetter gegeben. Aber mir hallte das Dröhnen und Tosen des Sturms noch immer in den Ohren, und ich wußte, daß ich es nicht so schnell vergessen würde. * Es war zwei Stunden nach Sonnenaufgang, als die Männer in der Kutsche versuchten, die Türen zu öffnen. Sie redeten nicht, sie waren völlig durchgefroren. Sie mußten sich zu zweit gegen die Türen stemmen, um sie aufzudrücken, denn von außen hatten sich fast mannshohe Schneewälle an den Wagenseiten gebildet. Sie stiegen hinaus und sahen, daß zwei Pferde während des Sturms gestorben waren. Die anderen hatten es überstanden, völlig unterkühlt. Aber sie lebten, und das gab den Männern etwas Hoffnung. Der erste, der sprach, war Jim Ketchum. Er watete durch den Schnee bis zu den Pferden und kehrte dann zum Wagen zurück. »Wir sitzen fest«, sagte er. Die anderen nickten lediglich. »Wir haben zwei Möglichkeiten«, erklärte Ketchum. »Entweder bleiben wir hier und richten uns in der Kutsche häuslich ein, was aber verdammt kalt und ungemütlich sein wird. Oder wir nehmen uns die Pferde und sehen zu, daß wir uns bis Fort Laramie durchschlagen.« »Wie weit ist es bis Fort Laramie?« sagte Andy O'Toole. Er schaute übermüdet und ohne Hoffnung über die scheinbar endlose Schneefläche. »Keine Ahnung«, sagte Ketchum. »Aber da müssen wir hin.« »Hierbleiben möchte ich nicht«, sagte Ricks. »Aber wenn wir die Kassette mitschleppen, ist das verdammt riskant.« Ketchum zuckte mit den Schultern, und Tulsa Jack sagte gar nichts. Er schaute nur von einem zum anderen. In seinem Blick lag etwas Lauerndes, aber darauf achtete niemand. »Am besten, wir schaufeln die Pferde frei«, sagte Ketchum. »Und dann reiben wir sie mit den Decken ab, sonst kippen sie uns auch noch um.«
»Und was wird mit ihm?« Ricks deutete auf die Kutsche, und alle wußten, daß er Dee Caxton meinte, der reglos im Wageninnern hockte. »Zum Teufel mit ihm«, sagte O'Toole. Jim Ketchum nickte. »Wir schießen ihm eine Kugel in den Kopf und lassen ihn in der Kutsche. Er kriegt den feinsten Sarg der Welt.« Keiner antwortete. Jim Ketchum kletterte in den Wagen und holte zwei Feldspaten unter der einzigen Sitzbank hervor, die es in der Kutsche gab. Er warf Jerry Ricks einen zu und watete zu den Pferden zurück, wo er sofort zu arbeiten begann. Jerry Ricks folgte ihm. Andy O'Toole stieg auf das Dach des Wagens und bezog hier Posten, nachdem er das Dach und den Turm mit dem Gewehr vom Schnee befreit hatte. Von hier aus konnte er das ganze Land überblicken, bis hin zum Scott's-Bluff-Felsen. Tulsa Jack kletterte in die Kutsche zurück. Es wurde Mittag, bis die Männer mit ihrer Arbeit fertig waren. Zwischendurch wechselten sie sich ab. Auch Tulsa Jack übernahm einen Teil der Arbeit, obwohl er sich sehr schweigsam und merkwürdig benahm, seit dem Moment, als Dee Caxton aufgetaucht war. Aber es gab zuviel zu tun, so daß es niemand beachtete. Die Sonne stand hoch, als sie die Pferde freigeschaufelt hatten und Andy O'Toole sich auf dem Kutschendach aufrichtete. Er legte die flache Rechte über die Augen und spähte angestrengt nach Süden. Dann kletterte er vom Wagendach herunter. »Reiter von Süden«, sagte er. Die Männer ließen sofort die Spaten sinken. »Mindestens zehn«, sagte O'Toole. Noch immer schwiegen alle. »Sie reiten in unsere Richtung«, sagte O'Toole. »Los, in den Wagen«, befahl Jim Ketchum. »Jetzt wollen wir mal sehen, was dieser Caxton als Geisel wert ist.« Er warf Tulsa Jack einen vielsagenden Blick zu, dann warf er Decken über die vier noch lebenden Pferde, während die anderen die Kutsche bestiegen. Ketchum folgte als letzter. Er schloß die Tür hinter sich und legte den Riegel vor. »Uns kann gar nichts passieren«, sagte Jerry Ricks. Er lächelte
etwas gezwungen. »Nein«, sagte Ketchum. »Wir können nur umgebracht werden.« »Hier geht keine Kugel durch«, sagte Ricks und schlug mit der Faust gegen die Wand. »Wenn du denkst, daß es darauf ankommt, wärst du besser zu Hause geblieben.« Ricks schwieg. Andy O'Toole klemmte sich in den aus dem Dach ragenden Turm und spähte aus dem Sehschlitz über dem Spezialgewehr mit den fünf Läufen. Sie warteten. Sie wußten, daß ihre Lage verteufelt schlecht war. Sie steckten fest, auch wenn ihre Deckung gut war. Ihre Proviantvorräte reichten für höchstens zwei Tage. Auf Hilfe von außen konnten sie nicht rechnen. Schon gar nicht nach dem Unwetter. Sie hockten vor den Sehschlitzen und starrten hinaus. Alle sahen sie jetzt die Reiter, die sich von Süden näherten. Dee Caxton war ganz still. Es ging ihm besser, auch wenn er noch ab und zu hustete. Er hatte gehört, was die Männer gesprochen hatten, und wahrscheinlich glaubte er, daß seine Situation sich verbesserte. Aber er spürte auch die ungeheure Spannung, die im Wagen herrschte. So schwieg er, obwohl er vermutlich gern einige triumphierende Bemerkungen von sich gegeben hätte. »Lassen wir sie rankommen?« fragte O'Toole aus dem Turm. »Auf keinen Fall«, sagte Ketchum. »Vielleicht sind es gar nicht die Südstaatler«, sagte Tulsa Jack. »Nein«, sagte Ketchum. »Das sind nur ein paar Samariter die uns heißen Kaffee bringen.« »Noch fünfzig Yards«, sagte Ricks. »Laßt sie näher heran«, sagte Ketchum. »Bis auf dreißig Yards. Dann treffen wir sie richtig.« Sie konnten in der klaren, eisigen Luft die Reiter jetzt deutlich erkennen. Es waren Männer wie sie selbst. Männer, die kämpfen konnten, die entschlossen waren und sich nicht leicht einschüchtern ließen. Harte Männer, die das Leben im Sattel gewöhnt waren. Sie hatten den Blizzard überstanden. Sie hatten sich von ihm nicht abhalten lassen, weiterzureiten und ihr Ziel zu verfolgen.
Sie hatten sich seit Tagen nicht rasiert und sahen verdammt rauh aus. Sie trugen gefütterte Mäntel und lange Umhänge. Einige trugen Pelzmützen wie Dee Caxton, andere hatten sich Halstücher über die Ohren gebunden, unter dem Kinn verknotet und sich große Hüte, wie sie im Süden typisch waren, aufgesetzt. Als sie gerade noch dreißig Yards entfernt waren, eröffnete Andy O'Toole mit dem Spezialgewehr im Turm der Kutsche das Feuer. Er preßte sich die metallene Stütze fest gegen die rechte Schulter, spannte den ersten Hahn und feuerte. Er spannte den zweiten Hahn und drückte ab, spannte den dritten Hahn und schoß, spannte den vierten Hahn und feuerte, und leerte dann auch den letzten Lauf. Die Schüsse krachten in so schneller Folge, daß die Reiter draußen auf der verschneiten Ebene gar nicht reagieren konnten, bevor der letzte Schuß aus dem Lauf war. Über dem Turm der Kutsche stand ein graues Pulverwölkchen in der eisigen Luft. Einer der Reiter lag im Schnee und würde sich nie mehr erheben. Häßliche, dunkelrote Flecke hatten sich auf der weißen Schneedecke ausgebreitet. Unweit des Toten waren zwei Pferde zusammengebrochen. Ein riesenhafter, schnauzbärtiger Mann, offenbar der Anführer der Gruppe, riß den linken Arm hoch und zerrte gleichzeitig sein Pferd herum. »Zurück!« schrie er. »Los! Schneller! Zurück!« Jim Ketchum schob seinen Sharps-Karabiner durch den Sehschlitz und begann zu feuern. Neben ihm schossen auch Jerry Ricks und Tulsa Jack ihre Gewehre ab, zogen dann ihre Revolver und jagten den Reitern heißes Blei hinterher. Ein Mann wurde noch getroffen. Er warf beide Arme hoch und bäumte sich im Sattel auf, bevor er nach hinten stürzte und im Schnee versank. Sein Pferd lief mit hängenden Steigbügeln noch ein Stück weiter und blieb dann stehen. Die anderen Männer sprangen in gut sechzig Yards Entfernung aus den Sätteln und warfen sich hinter einigen hohen Schneewehen in Deckung. Es wurde still. Im Gefechtsturm der Kutsche lud Andy O'Toole die Gewehrläufe neu auf und kicherte leise. Der stinkende
Pulverdampf, der sich im Wagen gestaut hatte, zog nach und nach durch die Sehschlitze ab.
8. »Sie haben eine weiße Fahne«, sagte Jerry Ricks. Jim Ketchum nahm die Maiskolbenpfeife aus dem Mund und richtete sich auf. Er warf einen Blick hinaus. »Fahne nennst du das?« »So sahen die Nachthemden meiner Großmutter aus«, sagte Andy O'Toole. »Wir sollten uns anhören, was er will«, sagte Tulsa Jack. »Immerhin haben wir ihn.« Er zeigte auf Caxton. Ketchum schnaubte verächtlich, aber er sagte nichts. Vorsichtig erhob sich hinter einer Schneewehe der riesenhafte, schnauzbärtige Mann, der der Anführer der Strauchdiebe zu sein schien. Er hielt einen Sharps-Karabiner in der Linken. An den Lauf hatte er ein weißes Hemd gebunden. Als kein Schuß fiel, wurde er sicherer und setzte sich langsam in Bewegung. Er stapfte durch den tiefen Schnee heran. Als er noch gut zehn Schritte von dem Wagen entfernt war, schob Jim Ketchum den Lauf seines Revolvers durch die Schießscharte und sagte: »Halt, das genügt!« Der Mann blieb stehen. Er maß etwa sechseinhalb Fuß und wog gut und gern zweihundert Pfund. Sein gefütterter, bis weit über die Knie reichender Mantel ließ ihn noch breiter und wuchtiger erscheinen. Er hatte ein großporiges Gesicht, das von der Kälte gerötet war. Unter buschigen Brauen lagen pulvergraue Augen. Auf dem Kopf trug der Mann einen mächtigen Sechs-Galonen-Stetson, der zu seiner Statur paßte. »Mein Name ist Chuck Belton«, sagte er. Er sprach im gedehnten Slang der Südstaatler. »Das interessiert uns nicht«, erwiderte Jim Ketchum scharf. »Was wollt ihr gottverdammten Hurensöhne! Sag deinen Spruch auf und dann geh wieder zum Teufel!«
»Nicht sehr freundlich«, sagte Belton. »Wie wär's, wenn ihr die Tür öffnet und wir uns wie zwei Männer unterhalten? Oder warum versteckst du dich mit deinen Partnern?« »Du hast drei Sekunden«, sagte Jim Ketchum, ohne auf die Worte des anderen einzugehen. »Wenn du bis dahin nicht gesagt hast, was du willst, wird mich der weiße Lappen nicht stören, dir eine Kugel in dein stinkendes Gehirn zu jagen.« »Yankee, wie?« Belton spuckte aus. »Na gut, das ist eine andere Sache. Also hört gut zu, ihr Mistkerle. Ihr sitzt fest. Das werdet ihr nicht bestreiten. Ihr könnt weder vor noch zurück. Ihr werdet euch mit uns einigen müssen, ob ihr wollt oder nicht. Sonst brauchen wir nur abzuwarten, bis ihr krepiert seid. Wir werden ein schönes Feuerchen anzünden und es verdammt warm haben, während ihr euch die Därme aus dem Bauch friert und vor Hunger eure eigenen Stiefel freßt. Also laßt uns reden wie vernünftige Menschen.« »Noch ein Wort, und ich zeig dir, wie vernünftig ich bin!« schrie Andy O'Toole aus dem Turm. Er richtete das Laufbündel auf den Mann. Ketchum winkte ab. »Ihr wißt, was wir wollen«, fuhr Belton ungerührt fort. »Ihr habt eine Kiste in eurer Kutsche. Sie gehört euch nicht. Ihr habt nur versprochen, sie zu transportieren und sicher ans Ziel zu bringen. Na und? Man kann nicht immer gewinnen. Es ist keine Schande, wenn ihr einseht, daß ihr euren Auftrag nicht mehr erfüllen könnt und die Kiste uns gebt. Dann lassen wir euch am Leben und verschwinden.« »Hör auf«, sagte Ketchum. »Wir wollen das Geld auch nicht für uns«, sagte Belton. »Ich nehme an, ihr wißt genau, warum wir hier sind und was wir vorhaben. Wir wollen nur ein paar anständige Jungs davon überzeugen, daß sie in ihre Heimat zurückkehren sollen, in den Süden, und daß sie sich nicht von einer blauen Uniform daran hindern lassen sollen. Der Süden braucht sie jetzt als Soldaten. Sie haben hier oben im Norden unter euch Yankees nichts mehr verloren. Ihr könnt selbst sehen, wie ihr hier mit euren Rothäuten zurechtkommt« »Wenn der Süden Soldaten braucht, dann soll er sie auch selbst bezahlen«, sagte Ketchum. »Aber das geht uns nichts an. Was uns
interessiert, ist nur folgendes: Wir haben den Auftrag übernommen, die Soldkasse nach Fort Laramie zu bringen. Diesen Auftrag führen wir aus. Ihr wollt uns das Geld abnehmen, und wir werden das verhindern. So einfach ist das. Warum ihr uns umbringen wollt, warum euch soviel an dem Geld gelegen ist, interessiert uns nicht. Ist das klar?« »Klar«, sagte Belton. »Ihr wollt lieber abkratzen. Mit euch ist nicht zu reden.« »Wir haben einen Freund von euch hier«, sagte Ketchum. »Wenn wir abkratzen, ist er auch dran.« Belton ließ sich nicht anmerken, ob er erschrocken oder auch nur im mindesten berührt über diese Nachricht war. »Ihr habt Caxton?« fragte er. »Er sitzt neben mir.« »Pech für ihn«, sagte Belton. »Es geht um mehr als um das Leben eines Mannes. Habt ihr sonst noch was zu sagen?« »Das Geld bleibt in der Kutsche«, sagte Jim Ketchum. »Das war alles. Und jetzt verschwinde. Du hast lange genug hier herumgestanden?« Chuck Belton blickte aufmerksam auf die Schießscharte, hinter der Ketchum stand. Dann drehte er sich wortlos um und ging davon. Jerry Ricks feuerte einen Schuß ab, der den Schnee dicht neben Belton aufwühlte. Der Bandit blieb stehen. Er wandte den Kopf, schaute zur Kutsche zurück und warf dann einen Blick auf die Furche, die das Geschoß in den Schnee gepflügt hatte. Dann ging er wortlos und ruhig weiter. »Der Mann hat Nerven«, sagte OToole. Jim Ketchum drehte sich um und musterte Dee Caxton. »Hast du gehört, was dein Freund gesagt hat?« Caxton reagierte nicht. »Ob du es gehört hast!« schrie Jim Ketchum. Er versetzte dem Banditen einen Tritt in die Seite. Caxton schnaufte, wimmerte vor Schmerzen und kippte gegen eine Munitionskiste. Haßerfüllt starrte er Ketchum an. »Nichts ist der Kerl wert«, sagte Ketchum. »Ihr habt es alle gehört. Wir hätten ihn niemals in den Wagen holen sollen. Er hätte draußen
verrecken sollen, dieses Schwein. Eine schöne Geisel!« Er warf Tulsa Jack einen bösen Blick zu. Der reagierte nicht. »Was jetzt?« fragte Ricks. »Beten«, sagte Ketchum. »Wir haben Pulver und Blei für bestimmt eine Woche. Zu fressen aber bloß für höchstens zwei Tage. Inzwischen bricht womöglich in Fort Laramie eine Meuterei aus, wenn die Soldgelder nicht eintreffen. Und bevor nach diesem Unwetter die Nachricht nach Mitchell gelangt, daß wir überfällig sind, sind wir hier längst erledigt. Ha, erinnert ihr euch, wie wir darüber gesprochen haben, daß uns die Halunken nicht belagern werden, weil auch sie es eilig haben? Eine schöne Theorie. Jetzt sind alle Wege verschneit, und die Kerle haben alle Zeit der Welt. Sie können uns in aller Ruhe aushungern, denn uns kommt niemand zu Hilfe.« »Vielleicht sollten wir doch auf ihre Vorschläge eingehen«, sagte Tulsa Jack. »Warum?« fragte Jim Ketchum. »Keiner von uns will gern sterben«, sagte Andy O'Toole. »Glaubt ihr, wenn wir das Geld rausrücken, ließen die Kerle uns am Leben?« Jim Ketchum lachte böse. »Tote beißen nicht«, sagte er. Er versetzte Dee Caxton wieder einen Tritt. »He«, sagte er. »Wie ist es? Laßt ihr eure Gegner am Leben?« Caxton antwortete nicht. Er begriff wohl, daß die Situation für ihn bedrohlich wurde. »Wenn es deinen Freunden egal ist, was wir mit dir anstellen, was werden sie dann erst mit uns tun? Und wolltest du uns nicht bei lebendigem Leib die Därme herausreißen?« Caxton sagte kein Wort. »Entweder kämpfen wir, bis wir tot sind«, sagte Ketchum. »Und dann müssen die Schweine erst einmal den Wagen öffnen, wenn sie an das Geld wollen. Oder wir rücken das Geld freiwillig raus und werden zum Dank dafür sofort abgeknallt.« Die Männer schwiegen. Sie wußten, daß Jim Ketchum recht hatte. »Sie greifen an!« rief O'Toole plötzlich. Er stand noch immer in
dem aus dem Dach ragenden Turm und spähte nach draußen. »Wir sollten noch einmal mit ihnen verhandeln«, sagte Tulsa Jack. »Dann geh doch raus«, sagte Jim Ketchum. Tulsa Jack starrte Ketchum lange an, aber er schwieg. * Die Banditen ritten in weit auseinandergezogener Linie heran. Sie hatten offenbar vor, die Kutsche mit einer Zangenbewegung einzuschließen. Aber der Angriff vollzog sich schleppend, denn der hohe Schnee hinderte die Pferde daran, voll auszugreifen. Die Reiter hatten sich weit nach vorn gebeugt, um möglichst kleine Ziele zu bieten. Sie eröffneten das Feuer, als sie kaum noch dreißig Yards vom Wagen entfernt waren. Geschosse klatschten mit häßlichem Knallen gegen die Panzerplatten des Wagens, prallten ab und wirbelten jaulend als Querschläger durch die eisige Luft. Die Kugeln prallten gegen das Gestänge der Kutsche und schlugen Funken. Einmal traf ein Projektil einen der Sehschlitze, fuhr dicht am Kopf von Jerry Ricks vorbei und bohrte sich neben Dee Caxton in die Wand, wo es steckenblieb. »Feuer!« schrie Jim Ketchum. O'Toole schwenkte den drehbaren Turm herum und begann, die fünf Gewehrläufe abzufeuern. Auch die anderen Männer schossen. Wenig später war der ganze Wagen mit einer stinkenden, beißenden Pulverdampfwolke erfüllt, die die Männer zu Hustenanfällen reizte und ihnen Tränen in die Augen trieb. Mit fliegenden Fingern luden sie nach und feuerten weiter. Die Banditen umrundeten pausenlos den Wagen und schossen, offenbar immer in der Hoffnung, doch noch eine schwache Stelle in der Panzerung zu finden oder zufällig einen der Männer hinter den Schießscharten zu erwischen. Es gelang ihnen nicht, und sie schafften es auch nicht, an den Wagen heranzukommen.
Einer der Reiter war tollkühn genug, den gepanzerten Kutschbock zu stürmen, der nicht besetzt war, und über ihn auf das Dach des Wagens zu klettern. Er wollte von hier aus versuchen, ins Wageninnere zu feuern. Bevor er einen Schuß abgeben konnte, schob Andy O'Toole seinen Revolver durch die Schießscharte und drückte ab. Der Bandit wurde von der Kugel von unten in den Hals getroffen. Er kippte nach hinten und stürzte tot in den Schnee. Die Südstaatler zogen sich zurück. Sie hatten ihre Waffen leergeschossen und mußten neu laden. In der Kutsche wandten sich die Männer von den Schießscharten ab. Ihre Gesichter waren schwarz vom Pulverrauch. »Na also«, sagte Jerry Ricks. Er hustete heftig und griff nach einer Feldflasche, um den beißenden Pulvergeschmack hinunterzuspülen. »Es geht doch. An uns werden sich diese Dreckskerle die Zähne ausbeißen.« »Sie haben bis jetzt nichts gewonnen«, sagte Jim Ketchum. »Aber wir auch nicht. Sie haben jetzt gesehen, daß sie mit ihren Kanonen nichts ausrichten. Sie werden es jetzt klüger anfangen. Ich glaube nicht, daß sie uns noch mal angreifen.« »Das glaube ich auch nicht«, sagte Tulsa Jack. Die Männer wandten die Köpfe und schauten ihn an. Er hatte sich bis in die Gepäckkammer zurückgezogen und stand jetzt breitbeinig über der eisenbeschlagenen Kiste mit dem US-Zeichen. Tulsa Jack hielt seinen Revolver noch in der Hand wie die anderen. Aber seine Waffe zeigte auf Jim Ketchums Kopf, und plötzlich fiel den Männern auf, daß Dee Caxton nicht mehr auf seinem Platz saß. Sie drehten sich um und sahen den Banditen in der gepanzerten Kanzel, von der aus Andy O'Toole das Gespann gelenkt hatte. Er saß rücklings auf der Bockbank, so daß er das Wageninnere vor sich hatte. Er trug keine Fesseln mehr. In seiner rechten Faust lag ein Navy Colt. Caxton grinste häßlich. Zusammen mit Tulsa Jack hatte er die anderen drei Männer fest in der Zange. *
»Seid vorsichtig«, sagte Tulsa Jack. »Begeht keinen Fehler. Eure Waffen sind leergeschossen. Unsere nicht. Wir drücken ab, wenn es sein muß, und legen euch noch hier im Wagen um.« Andy O'Toole starrte Tulsa Jack fassungslos an. Er schüttelte nur den Kopf, versuchte, etwas zu sagen, bewegte die Lippen brachte aber kein Wort heraus. Jim Ketchum faßte sich als erster. Er sagte: »Ich schlag dir den Schädel ein, du Dreckskerl, du gottverfluchtes Schwein!« »Das glaub ich nicht«, sagte Tulsa Jack. »Du hast ein großes Maul, Jim. Es wird Zeit, daß es gestopft wird. Laßt die Waffen fallen!« Seine Stimme klang jetzt laut und scharf. Die Männer warfen ihre Waffen auf den Boden der Kutsche. »Du bist der mieseste Drecksack, der auf der Welt herumläuft«, sagte Jerry Ricks. »Sprich dich nur aus«, sagte Tulsa Jack. »Es kriegt jeder, was er braucht.« Dee Caxton beugte sich vor und sammelte die Waffen ein. Seine Augen funkelten, als er Jim Ketchum stumm anstarrte. »Nur damit keine Mißverständnisse entstehen«, sagte Tulsa Jack. »Ich bin aus Lousiana. Es wird Zeit, daß ich dorthin gehe, wo man mich braucht und wo ich zu Hause bin.« »Auch das noch«, sagte Jim Ketchum sarkastisch. »Ein Patriot aus dem Süden, wie?« »Du hast es erfaßt, Jim. Wie immer.« Tulsa Jack grinste höhnisch. »Ein Straßenräuber bist du«, sagte Jim Ketchum. »Ein Verräter, ein hundsgemeiner Renegat.« »Wir reden später darüber, Jim«, sagte Tulsa Jack. »Ihr Yankees kotzt mich an.« »Du hast auch auf die Kerle draußen geschossen!« schrie Jerry Ricks. Seine Stimme schnappte fast über vor Erregung. »Du hast genauso wie wir geschossen, und du hast nichts dagegen getan, daß wir diesen Caxton fast umgebracht hätten!« »Ich habe immer in die Luft geschossen, Freund Jerry«, sagte Tulsa Jack. »Es war allerdings nicht ganz einfach für mich, mich zusammenzureißen, als ich gesehen habe, wie ihr Dee behandelt, und
ich habe schon befürchtet, ihr würdet ihn bei Ausbruch des Sturms wirklich erfrieren lassen. Aber es ist ja alles gutgegangen, nicht wahr? Seine Gefangennahme war nicht eingeplant. Notfalls hätte ich ihn draufgehen lassen müssen.« Caxton grinste säuerlich. »Ich hätte der Sache auch lieber früher ein Ende bereitet«, sagte Tulsa Jack. »Aber ich mußte eine günstige Situation abwarten. Jetzt waren eure Waffen alle leergeschossen. Und ihr seid euch so verdammt groß vorgekommen in diesem eisernen Kasten. Tut mir wirklich leid.« »Du hast also alles schon lange geplant?« Jim Ketchum starrte Tulsa Jack finster an. »Ich wußte von dem Geldtransport«, sagte Jack. »Meine Freunde haben mich informiert. Der Kontakt mit dem Süden besteht schon ziemlich lange. Als Jack Egan dann nach einigen erstklassigen Freiwilligen für einen höllisch gefährlichen Transport suchen ließ, habe ich mich gemeldet und meine Freunde unterrichtet, wo sich das Geld befindet.« , »Deshalb haben die Halunken gewußt, daß wir in Mitchell sitzen«, sagte Andy O'Toole. »So ist es.« Tulsa Jack grinste wieder. »Und jetzt öffnet die Türen, und dann raus mit euch!« Niemand rührte sich. Erst, als Tulsa Jack und Dee Caxton die Revolverhähne spannten, drehte sich Jerry Ricks um und hob mit zitternden Händen den Riegel aus der Verankerung. Dann stieß er die linke Wagentür auf. Er stieg als erster aus, mit hoch erhobenen Händen. Jim Ketchum folgte ihm. Dann sprang Andy O'Toole in den Schnee, Dee Caxton und Tulsa Jack verließen den Wagen als letzte. Sie blieben neben der Kutsche stehen und winkten zu ihren Gefährten hinüber, die wieder in Deckung lagen, sich jetzt aber erhoben und zu ihren Pferden gingen. Dee Caxton trat auf Jim Ketchum zu und musterte den schwarzbärtigen Mann voll Zorn. »Du wolltest mich erfrieren lassen, nicht wahr? Du wolltest mich aufhängen. Bei jeder Gelegenheit wolltest du mich umbringen. Und geschlagen hast du mich auch, als der Junge mich hergeschleppt
hatte.« Ketchum antwortete nicht, und Caxton schlug unvermittelt mit dem Revolver zu. Jim Ketchum reagierte nicht rasch genug und konnte nicht mehr ausweichen. Der achtkantige Lauf des Navy Colts traf ihn quer über das Gesicht. Jim Ketchum stieß einen gurgelnden Laut aus und brach zusammen. Caxton versetzte ihm einen Tritt in die Rippen, daß Ketchum bis zum linken Vorderrad des Wagens rollte und dort liegenblieb, beide Hände vor das Gesicht gepreßt. Jerry Ricks und Andy O'Toole standen kreidebleich daneben und wagten nicht, sich zu rühren. »Du hast mir die Mütze verkehrt aufgesetzt, nicht wahr?« sagte Caxton freundlich zu dem Kutscher. »Das war verdammt lustig, wirklich, wahnsinnig komisch.« Er schlug zu. Der Kutscher sackte nach vorn. Er brüllte vor Schmerzen und übergab sich, als er im Schnee lag. Jerry Ricks wich wortlos bis zum Wagen zurück und nahm die Hände schützend vor dem Kopf. Dee Caxton folgte ihm, zufrieden grinsend. »Angst, Kleiner? Halb so schlimm. Schmerz, das ist nur ein Gefühl. Ein paar Nerven spielen verrückt. Weiter nichts. Schmerz ist gar nichts. Wenn man nicht will, spürt man ihn gar nicht.« Er drosch Ricks den Revolver gegen den rechten Unterarm, mit dem der Mann sein Gesicht schützte. Jerry Ricks krümmte sich stöhnend zusammen. »Später mehr«, sagte Caxton. »Das war nur der Anfang.« Er drehte sich um. Tulsa Jack hatte dabeigestanden und gleichgültig zugeschaut, wie seine ehemaligen Kameraden mißhandelt wurden. Es hatte ihn offenbar nicht im geringsten berührt. Chuck Belton erreichte mit seinen Männern jetzt den Wagen. Zwei waren verletzt und hatten sich selbst notdürftig verbunden. Belton rutschte schwerfällig aus dem Sattel. Er warf einen verächtlichen Blick auf die drei Männer, die sich unter Schmerzen am Boden wälzten. Dann wandte er sich Tulsa Jack zu. »Das war verdammt spät, mein Lieber. Hast du gesehen, wie viele Leute ich verloren habe?«
»Hätte ich zu früh eingegriffen, hätte alles schiefgehen können«, erwiderte Tulsa Jack. »Wenn du nicht wie ein Idiot ständig angegriffen hättest, wären nicht so viele draufgegangen. Dieser Wagen ist nicht von außen zu knacken.« Belton musterte den anderen scharf, dann wandte er sich ab, blieb einen Moment vor Caxton stehen und sagte: »Ich hab dir nie viel zugetraut, aber daß du blöd genug bist, dich von einem halbwüchsigen Expreß-Reiter einfangen zu lassen, hätte ich nie gedacht.« Bevor Caxton etwas sagen konnte, ging Belton weiter und sagte über die Schulter zurück: »Du brauchst dir kein Märchen auszudenken. Ich hab durchs Fernglas gesehen, wie er dich verprügelt hat.« Caxton schwieg, und Belton bestieg den Wagen. Er schaute sich darin um und nickte anerkennend, als er ihn wieder verließ. »Ein feiner Kasten«, sagte er. »Aber alles hat seine Nachteile. Der Sturm hat das Ding lahmgelegt. Was nützen da die schönen Panzerplatten? Nichts. Einen Dreck nützen sie.« Er wandte sich seinen Männern zu, die abwartend neben den Pferden standen. »Holt die Geldkiste raus«, befahl er. Er schaute Tulsa Jack an. »Wir reiten sofort weiter nach Laramie. Einer der Armeelieferanten ist auf unserer Seite. Er hat alles vorbereitet und wird Kontakt mit einem Offizier aus den Südstaaten herstellen, der bestimmt überlaufen wird. Die Yankees werden sich schön wundern, wenn plötzlich die Hälfte der Besatzung weg ist und die Rothäute vor den Palisaden auftauchen.« Zwei Männer trugen die eisenbeschlagene Kiste aus der Kutsche und setzten sie in den Schnee. »Schnallt sie auf das Packpferd«, sagte Belton. »Wir öffnen sie später. Wir müssen uns beeilen, damit wir rechtzeitig im Fort sind.« Tulsa Jack schirrte die Gespannpferde der Kutsche aus und wählte eins davon für sich als Reittier. Ein zweites überließ er Caxton. »Was wird aus den Yankees?« Tulsa Jack schwang sich auf den Rücken des ungesattelten Pferdes und warf Jim Ketchum, Jerry Ricks und Andy O'Toole Blicke zu, als habe er nie etwas mit ihnen zu tun gehabt, als handele es sich um ihm völlig fremde Männer.
»Das erledigen wir noch hier«, sagte Chuck Belton. Er drehte sich um und schaute zu, wie die Kassette auf dem Packsattel des mit einigen Proviantsäcken beladenen Tragtieres festgezurrt wurde. In diesem Moment richtete sich Jim Ketchum auf und sprang mit einem gewaltigen Satz zur offenen Kutschentür. Er hetzte die Stufen hinauf, wollte sich in den Wagen werfen, die Tür hinter sich zuschlagen und eine Waffe packen … Ein Schuß krachte. Dee Caxton lachte hysterisch. In seinem hageren Gesicht zuckten die Muskeln vor Erregung, es verzerrte sich zu einer grotesken und gleichzeitig abstoßend-haßerfüllten Fratze. In seiner Faust lag der schwere Navy Colt. Aus der Mündung kräuselte sich ein dünnes Pulverfähnchen. Jim Ketchum riß die Arme hoch und stürzte nach hinten aus dem Wagen. Seine Beine verkeilten sich im Fall innen unter der Sitzbank. So blieb er in der offenen Tür hängen, ohne hinauszurutschen. Sein Oberkörper hing nach unten. Sein Kopf berührte beinahe die Schneedecke, in die aus einer Rückenwunde Blut sickerte. Ketchum rührte sich nicht mehr. Andy O'Toole kniete noch im Schnee, dort, wo er nach Caxtons brutalem Tritt gestürzt war. Seine Augen waren weit aufgerissen. In ihnen flackerte nackte Angst. Jerry Ricks lehnte mit seinem gebrochenen Arm an der Kutsche. Er wagte nicht, sich zu rühren. Obwohl er wahrscheinlich große Schmerzen hatte, gab er keinen Laut mehr von sich, nachdem die Detonation des Schusses verhallt war. Tulsa Jack verzog keine Miene. Er betrachtete Jim Ketchums aus der Wagentür hängenden Körper mit kaltem Interesse. Dann lenkte er sein Pferd an dem Wagen vorbei zu den anderen Banditen hinüber. »Nimm die beiden Pferde mit«, sagte Chuck Belton zu Dee Caxton, als auch der Killer sich auf eins der Gespannpferde schwang. Er beugte sich vor, griff nach dem Geschirr der beiden anderen Kutschenpferde und zog sie mit, als er hinter Tulsa Jack herritt. Belton umrundete die Kutsche. »Schade«, sagte er, »daß wir das Ding nicht mitnehmen können.« Er ging an Jerry Ricks und Andy O'Toole vorbei zu seinem Pferd
und stieg in den Sattel. »Wer hat auf mich geschossen, nachdem ich mit der weißen Fahne am Wagen gewesen war?« fragte Belton. »Ricks«, sagte Tulsa Jack. Er zeigte auf Jerry Ricks, der mit dem linken Arm unsichere Abwehrbewegungen vollführte. »Ricks«, wiederholte Chuck Belton. Er zog in aller Gemütsruhe einen langläufigen Dragoon-Revolver aus dem Gürtelhalfter. Jerry Ricks rührte sich nicht. Er starrte ungläubig auf den massigen, hünenhaften Mann, der den Hammer des Colts spannte und auf ihn zielte. Als Belton abdrückte, traf die Kugel Jerry Ricks mitten ins Gesicht. Lautlos ging Ricks zu Boden. Da begann Andy O'Toole zu laufen. Er warf sich herum und rannte brüllend durch den hohen Schnee, in dem er immer wieder bis über die Knie versank, in dem er immer wieder stürzte. Er war verrückt vor Angst, denn er hatte nicht die geringste Chance. Die Reiter zogen ihre Gewehre aus den Scabbards und schossen fast gleichzeitig. O'Toole lief wie ein Hase, und genauso töteten sie ihn. Die schweren Geschosse schlugen in seinen Rücken und trieben den Mann noch einige Schritte weiter, obwohl er sofort nach den ersten Treffern tot war. Der tote O'Toole bewegte sich noch knapp zwei Yards, bevor er in den Schnee sank. Die Reiter zogen ihre Pferde herum und trieben ihre Tiere an. Sie ritten an der Kutsche vorbei und bewegten sich in schnurgerader Linie nach Nordwesten.
9. Die Sonne versank in einem blutroten Flammenmeer hinter den westlichen Hügeln. Leichter Wind war aufgefrischt, der aus ständig wechselnden Richtungen über die Ebene strich. Ein paar Aasvögel schwebten als dunkle Punkte vor dem Winterhimmel. Ihre krächzenden Schreie hallten durch die eisige Luft.
Ich war müde und hungrig und fühlte mich wie gerädert. Mein Pferd war erschöpft. Nur Shita war putzmunter. Kein Wunder. Ich hatte ihn noch immer vor mir im Sattel und hielt ihn mit dem linken Arm fest. Ich sah die Kutsche schon von weitem. Kein Grund zur Aufregung. Ich hatte ohnehin vermutet, daß der schwere Wagen im Schnee steckengeblieben war. Erst später fiel mir auf, daß die Gespannpferde fort waren. Dann sah ich ein paar dunkle Flecken im Schnee, die, je näher ich kam, Konturen annahmen. Es waren menschliche Körper und zwei tote Pferde. Mein Herz schlug heftig. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Ich wollte anhalten, aber ich war unfähig, auch nur ein Glied zu rühren, und so trabte mein Pferd weiter durch den hohen Schnee. Ich bemerkte die Fährte vieler Reiter, die an der Kutsche vorbei nach Nordwesten führte, und wußte, daß keine Gefahr mehr bestand. Ich war ganz allein hier mit den Toten und den wenigen Aasvögeln am Himmel. Steifbeinig stieg ich ab und hob Shita hinunter. Eifrig schnüffelnd bewegte sich der Hund durch den Schnee. Ich ging an den toten Pferden vorbei, auf denen bereits die Krähen gesessen hatten, bis zur Leiche von Andy O'Toole. Ich wollte ihn umdrehen, aber der Tote war steif wie ein Besenstiel und offenbar im Schnee festgefroren. Er ließ sich nicht bewegen. Ich kehrte zum Wagen zurück und blieb einen Moment neben dem toten Jerry Ricks stehen. Wo waren Tulsa Jack und Jim Ketchum? Hatten die Banditen sie mitgeschleppt? Unwahrscheinlich. Ich stieg in die Kutsche, und als sich meine Augen an das im Wagen herrschende Halbdunkel gewöhnt hatten, sah ich den Mann auf der Sitzbank liegen. Jim Ketchum. Er hatte die Knie an den Leib gezogen und lag mit dem Kopf auf einer Munitionskiste. Sein Gesicht war eingefallen. Die Augen lagen in tiefen Höhlen. »Hallo, Ronco«, sagte er. Draußen ging die Sonne unter. Die Dunkelheit sank fast augenblicklich über das Land. Die Schneefläche glänzte silbrig im milchigen Licht des Mondes.
Ich zog mir eine Munitionskiste heran und hockte mich darauf. Ein Schatten sprang von draußen in die Kutsche. Shita. Er ging hechelnd und schwanzwedelnd zu Jim Ketchum und leckte ihm über die linke Hand, die von der Sitzbank hing. »Guter Hund«, sagte Jim Ketchum. »Guter Hund.« Dann sagte er: »Du hast überlebt?« »Ja«, sagte ich. »Es war ein Wunder.« »Ich leb auch noch«, sagte er. »Aber nicht mehr lange.« »Ich hol dir die Kugel raus«, erklärte ich. »Und dann …« Er winkte matt ab. »Sie sitzt in der Lunge. Ich kann sie spüren. Es ist vorbei. Ich weiß das sehr gut. Soviel Blut – ich hab soviel Blut verloren …« Er stöhnte, und dann hustete er, und auf seinen Lippen erschien helles Blut. Er wischte es nicht mal weg. »Tulsa Jack«, sagte er, »dieses Schwein. Ein Südstaatler. Stammt aus Louisiana. Hatte Verbindung zu den Halunken, die hier im Norden Unruhe stiften sollen, um den Krieg vorzubereiten. Hat alles verraten und uns fertiggemacht. Sonst – wäre die Kutsche nie zu knacken gewesen …« Er hustete wieder. »Es ist also alles aus«, sagte ich. »Nein«, sagte er. Seine Stimme wurde schwächer. »Hör zu. Ich – ich hab nicht mehr viel Zeit. Fieber, bin – schwach …« Er fröstelte so stark, daß seine Zähne laut aufeinanderschlugen. »Jack Egan – ich war seine rechte Hand. Ich wußte immer alles, verstehst du. Alles! Zu mir hatte er Vertrauen. Die anderen – kannte er nicht. Er hat nicht gewußt, daß Tulsa Jack ein Schwein ist, aber er hat befürchtet, daß doch was schiefgeht und dann …« Jim Ketchum wälzte sich ein wenig herum und wurde wieder von einem heftigen Hustenanfall gebeutelt wie von einer unsichtbaren Faust. »Hinter dir«, sagte er. »Die dritte Diele von der hinteren Wand, hol sie raus.« Ich tat, was er sagte, und es war gar nicht einfach, denn die Dielen waren gut eingepaßt, aber als ich das Brett herausgehoben hatte, sah ich, daß sich unter dem Boden ein Geheimfach verbarg. Ich nahm auch die anderen Dielen heraus und sah eine schwarze Ledertasche in dem Fach stehen. Ich hob sie heraus. Sie war sehr schwer. Ich trug
sie zur offenstehenden Kutschentür und öffnete sie. Im Mondlicht sah ich sauber verpackte Münzenrollen und gebündelte Banknoten. »In der Kiste«, hörte ich Jim Ketchum hinter mir sagen, »sind rostige Nägel und ein paar Steine.« Ich schloß die Tasche. »Außer dir hat keiner davon gewußt?« »Nein.« »Haben die Kerle den Kasten denn nicht geöffnet?« »Sie hatten es eilig. Aber wenn sie ihn öffnen, werden sie umkehren. Dann mußt du weg sein.« »Ich …« »Du bringst die Tasche nach Fort Laramie. Das tust du doch, oder?« Seine Stimme klang plötzlich unsicher. Ich blickte ihm in die Augen. »Du bist in Ordnung, wie? Du reißt dir das Geld nicht unter den Nagel. Du nicht!« Er starrte mich beinahe ängstlich an. »Nein«, sagte ich. Ich nahm seine Hand und drückte sie. »Bestimmt nicht, Jim.« »Du bist zuverlässig«, sagte Jim Ketchum. »Ich wußte es. Wenn du zurück nach Mitchell kommst, sag Jack Egan, ich lasse ihn grüßen.« Ich schaute Jim Ketchum an und schwieg. Es hatte keinen Sinn, ihn zu belügen. Er wußte selbst, daß er sterben mußte, und er hatte recht. Der Tod hatte ihn längst gezeichnet. »Kann ich noch was für dich tun, Jim?« fragte ich. »Setz dich in den Sattel und reite«, sagte er. »Das ist das einzige, was du tun kannst. Womöglich sind die verdammten Halunken schon wieder auf dem Weg hierher. Wenn die dich in die Finger kriegen … Dieser Caxton, der ist irre, der ist nicht normal. Sieh dir mein Gesicht an, das war er …« Er deutete auf seine Nase, die völlig schief im Gesicht stand, blaurot unterlaufen und dick geschwollen. »Ein bißchen Wasser?« fragte ich. Er nickte. Ich nahm eine der Feldflaschen, die an den Wänden hingen. Während ich ihm etwas Flüssigkeit einflößte, sprang Shita
fast geräuschlos aus der Kutsche. Ich achtete nicht weiter darauf. »Halt dich westwärts«, sagte Jim Ketchum. »Das ist ein kleiner Umweg, aber du darfst den Schuften nicht in die Arme laufen. Und reite, bis das Pferd zusammenbricht. Du darfst nicht schlafen, nicht rasten, nicht anhalten, bis du in Fort Laramie bist.« »Genauso werd ich's machen«, sagte ich. Ich steckte mir noch eine Pulverflasche und einen Kugelbeutel ein. In diesem Moment bellte Shita draußen. Einmal nur. Dann war es still. In Jim Ketchums Augen flackerte Angst. Ein eisiges Gefühl kroch mir über den Rücken. Langsam richtete ich mich auf und trat zur Tür. Ich nahm eins von den Sharps-Gewehren, die im Wagen lehnten und stieg nach draußen. Ein Kloß schien in meiner Kehle zu stecken. Ich packte das Gewehr fester.
10. Shita saß neben der Leiche von Jerry Ricks im Schnee. Er verhielt sich still. Ich wußte, was das bedeutete. Er hatte einmal gebellt und mich gewarnt. Jetzt mußte ich mich entsprechend verhalten. Ich trat neben ihn und umrundete den Wagen. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Drei Pferde standen vor mir. Ein Sattel war leer. Auf den beiden anderen Tieren saßen Männer, die ich noch nie gesehen hatte. Sie musterten mich kalt und hatten ihre Gewehre auf mich gerichtet. Sie mußten sich genähert haben, während ich mit Jim Ketchum gesprochen hatte. Der hohe Schnee hatte jeden Laut geschluckt. Hinter mir hörte ich ein Geräusch. Shita bellte wieder, und ich wirbelte herum. Da sah ich den dritten Mann. Es war Tulsa Jack. Er hielt einen Revolver in der Faust und zielte auf mich. Shita stand geduckt vor ihm, bereit zum Sprung. Er knurrte drohend, ohne sich von der Waffe beeindrucken zu lassen. »Sitz«, sagte ich scharf, denn ich wollte nicht, daß Tulsa Jack den Hund einfach abknallte. Widerwillig gehorchte Shita, ohne aber den Mann aus den Augen zu lassen. Tulsa Jack grinste schmal.
»Du bist sehr vernünftig«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, daß du das Unwetter überlebst.« Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? »Überrascht, wie?« Er trat etwas näher. Ich ließ den SharpsKarabiner fallen und hob die Hände. Er nickte zufrieden. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte er. »Vielleicht erzähle ich sie dir irgendwann mal.« Seine Kumpane waren von den Pferden gestiegen und näherten sich jetzt. »Keine langen Redereien«, sagte der eine. »Wir haben nicht soviel Zeit. Belton wartet.« »Hast du dich hier umgesehen?« fragte Tulsa Jack. Er musterte mich aufmerksam, ohne auf die beiden anderen Männer zu achten. »Du warst doch auch in der Kutsche, stimmt's? Du hast Ketchum reingezogen, nicht wahr? Hast du irgend etwas gefunden?« »Nein«, sagte ich. »Ich wollte die Toten in den Wagen legen, wegen der Krähen.« »Sehr anständig«, sagte er. »Du hast also nichts gefunden.« Er schob sich den abgewetzten, runden Hut aus der Stirn und sagte zu seinen Kumpanen: »Gebt auf ihn acht.« Dann ging er zur Kutsche. Ich dachte an Jim Ketchum, und ich fühlte mich so verdammt hilflos. Wilder Zorn stieg in mir auf, aber ich konnte nichts tun. Tulsa Jack pfiff leise den Dixie vor sich hin, als er zum Wagenschlag hinaufstieg. Es war dunkel im Innern der Kutsche. Er beugte sich vor und verschwand für einen Moment im Wagen. Das Krachen des Schusses, das unmittelbar danach ertönte, fing sich im Wageninnern und klang so laut wie eine Explosion. Tulsa Jack Blake wirbelte wie von einer gewaltigen Faust getroffen rücklings aus dem Wagenschlag. Er überschlug sich und stürzte neben der Kutsche in den Schnee. Sein Hut rollte davon. Sein Körper zuckte noch einmal. Dann war er tot. Von seinem Gesicht und seinem Oberkörper war nicht mehr viel zu erkennen. Eine Schrotladung hatte ihn aus unmittelbarer Nähe getroffen und fast in Stücke gerissen. Die beiden Kerle, die zurückgeblieben waren und auf mich
aufpassen sollten, standen wie erstarrt. Ich aber reagierte schnell, denn ich wußte, das war meine Chance. Eine zweite würde ich nicht mehr erhalten. Ich warf mich mit einem Hechtsprung auf die Kutsche zu und rollte mich blitzschnell zwischen den Wagenrädern hindurch unter das Gefährt. Noch im Fallen hatte ich meine Felljacke hochgerissen und meinen Revolver gezogen. Die beiden Banditen hatten ebenfalls ihre Waffen gehoben. Einer schoß auf mich, der andere stürmte auf die offene Kutschentür zu. Die Kugel schlug unweit von mir gegen das linke Hinterrad, zerschmetterte eine Speiche, wurde abgelenkt und bohrte sich in den Schnee. Shita sprang vor und warf sich mit wildem Knurren gegen den Mann, riß ihn zu Boden, verlor aber selbst den Halt und rollte jaulend, vom Schwung des eigenen Sprungs mitgerissen, hinter eine Schneeverwehung. Ich wandte mich dem anderen Mann zu, der die Kutsche beinahe erreicht hatte. Ich schoß im Liegen, und meine Kugel traf den Banditen von unten in die Brust. Der Aufprall des Geschosses wirbelte den Mann einmal um die eigene Achse. Mit ausgebreiteten Armen stürzte er über die Leiche Tulsa Jacks und blieb reglos liegen. Ich rollte mich rasch zur Seite und schwenkte meinen Revolver herum. Aber der zweite Mann, den Shita umgeworfen hatte, war bereits wieder auf den Beinen und lief mit großen Sätzen an der Kutsche vorbei. Bevor ich auf ihn schießen konnte, sprang er auf sein Pferd, riß es herum und trieb es durch den hohen Schnee in nordwestlicher Richtung davon. Ich kroch unter dem Wagen hervor und schoß hinter dem Mann her. Aber ich traf ihn nicht. Er verschwand in der Nacht. Ich ließ den Revolver sinken, zog Pulverflasche und Kugelbeutel aus meiner Tasche und lud ihn sofort wieder auf. Shita tauchte neben mir auf. Er hatte den Schwanz eingezogen und schielte mich von der Seite an. »Du brauchst dir nicht vorzuwerfen, daß du den Kerl nicht gekriegt hast«, sagte ich. »Ich habe ihn auch nicht gekriegt, und ich
habe immerhin einen Revolver.« Ich drehte mich um und ging zur Wagentür. »Jim!« rief ich hinein. »Ich bin es.« Dann stieg ich in die Kutsche. Jim Ketchum hatte mich nicht gehört. Er war mit dem Oberkörper von der Sitzbank gerutscht. Seine Fäuste hatten sich um eine doppelläufige Schrotflinte gekrampft, die neben dem Kutschersitz in einer Halterung gesteckt hatte. Er mußte sie sich unter unsäglichen Anstrengungen geholt haben, während ich mit den Banditen gesprochen hatte. Und dann hatte er Tulsa Jack getötet, als der in die Kutsche geklettert war. Damit hatte er mir das Leben gerettet. Und das war das letzte, was er hatte tun können. Jim Ketchum war tot. Ich zerrte Jim Ketchum auf die Bank zurück und bettete ihn richtig hin. Ich nahm ihm auch die Schrotflinte aus den toten Händen, was gar nicht so einfach war, denn seine Hände hatten sich im Todeskampf wie Schraubzwingen um das Gewehr gelegt. Einen Moment überlegte ich, ob ich die anderen Toten auch noch in den Wagen holen sollte. Aber ich ließ es. Den Banditen gegenüber fühlte ich keinerlei Verpflichtung, und Jerry Ricks und Andy O'Toole waren steif gefroren und ließen sich kaum bewegen. Ich hatte nicht die Zeit dazu, mich lange mit ihnen zu befassen. Jim Ketchum hatte seine letzte Lebenskraft geopfert, um mir das Leben zu retten und mir die Chance zu geben, das Geld durchzubringen. Dieses Vermächtnis mußte ich erfüllen. An nichts anderes durfte ich denken. Ein Bandit war entkommen. Er würde seine Kumpane benachrichtigen, und dann würden sie zurückkehren. Sie würden sehr schnell feststellen, daß ich im Besitz des Geldes war, und sie würden mich jagen. Nein, ich hatte weiß Gott keine Zeit zu verschenken. Ich verließ den Wagen und schlug die Tür hinter mir zu. Mit der schweren Tasche umrundete ich die Kutsche und nahm mir das Pferd des toten Banditen, das zusammen mit Tulsa Jacks Tier mit hängenden Zügeln im Schnee stand. Ich hängte die Tasche an den Sattel des Tieres und führte es zu meinem Pony. »Tut mir leid, mein Alter«, sagte ich, als ich dem Tier auf den Hals klopfte. »Ich weiß,
du bist müde, und ich bin es auch. Aber es geht um eine ganze Menge, auch um meinen Kopf.«. Ich schwang mich in den Sattel und zog die Zügel des anderen Pferdes, das die schwere Tasche zu tragen hatte, zu mir herüber. Dann pfiff ich nach Shita und trieb die Pferde an. Ich ritt nach Westen. Die Schneedecke hatte bereits eine dünne, hartgefrorene Kruste, die knackend unter den Hufen der Pferde zerbrach. Shita trug sie. Er eilte voraus, als ich nach Westen durch die Nacht ritt. Ich hatte nur eine vage Vorstellung, wie weit es bis Fort Laramie war. Höchstens noch zwanzig Meilen. Das war nicht viel, aber zu dieser Jahreszeit zählte jede Meile beinahe doppelt. Außerdem mußte ich einen kleinen Umweg machen, um den Banditen auszuweichen. Trotzdem hoffte ich, am nächsten Vormittag das Fort zu erreichen. Ich war wild entschlossen, das Geld durchzubringen. * Sie lagerten am Ufer des Platte River unterhalb einer Gruppe kahler Weidenbüsche und hatten ein kleines Feuer angefacht. Rings um die Brandstelle war der Schnee geschmolzen. Über dem Feuer stand ein Dreibein, an dem ein rußiger Kessel hing. Dünner Rauch stieg von dem Feuer auf und mischte sich mit den grauen Schwaden des Frühnebels, der wie ein schmutziges Leichentuch über dem Fluß hing. Die Männer hockten in ihren gefütterten Mänteln dicht am Feuer und starrten übermüdet in die Glut. Als das Wasser im Kessel zu kochen begann, beugte einer sich vor und warf aus einem Leinenbeutel eine Handvoll Arbuckle-Kaffee in den Topf. Sofort färbte sich das Wasser schwarz. Der Mann hob den Kessel vom Dreibein und verbrannte sich dabei am Henkel die Finger. Er stellte den Topf rasch in den Schnee und ließ den Kaffee ziehen, während ein anderer Blechbecher herumreichte. Unvermittelt war der Reiter oberhalb des Rastplatzes da. Der Schnee und der dichte Nebel hatten jedes Geräusch geschluckt. Der Mann war hochgewachsen und schlank und trug einen fast
knöchellangen, gefütterten Armeemantel von dunkelblauer Farbe, eine Pelzkappe mit Ohrenklappen und eine hüftkurze Pelerine. Er stieg geschmeidig aus dem Sattel, ließ sein Pferd stehen und stieg die Uferböschung an den Weidenbüschen vorbei hinunter. Chuck Belton hatte sich erhoben. Die anderen Männer waren sitzengeblieben. Belton streifte seine Handschuhe ab und begrüßte den hochgewachsenen Mann. »Sie sind pünktlich, Lieutenant.« »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte der Offizier. »Zur Sache.« »Setzen Sie sich«, sagte Belton. »Es gibt Kaffee.« Sie setzten sich. Der Lieutenant behielt die gelben Kavalleriehandschuhe an. Er empfing einen Becher, der als erster vollgeschenkt wurde. »Wie sieht es im Fort aus?« fragte Belton. »Alles in Ordnung.« Der Offizier trank einen Schluck Kaffee, nachdem er den Dampf vom Becherrand geblasen hatte. »Ich habe mit den Unteroffizieren gesprochen. Jeder macht mit. Wenn wir wollten, könnten wir das Fort übernehmen.« »Darauf kommt es nicht an«, sagte Belton. »Es geht nur darum, Fort Laramie so zu schwächen, daß es den Indianern ausgeliefert ist. Wie ist es mit den Mannschaften?« »Wenn wir die Unteroffiziere haben, haben wir auch die Mannschaften«, sagte der Lieutenant. »Die Leute stehen zum Süden. Die haben nicht vergessen, wo sie geboren sind und ihre Eltern heute noch sitzen. Seit Lincoln Präsident ist, herrscht Nervosität unter der Besatzung. Es hat ein paar Prügeleien gegeben. Aber wenn es einen richtigen Anstoß gibt, werfen sämtliche Männer aus dem Süden ihre Uniformen weg und marschieren in Richtung Heimat davon. Wichtig ist nur, daß ihre Vorgesetzten mitspielen, und die spielen mit. Bis auf einen. Captain Brady, der Adjutant des Colonels. Ich habe versucht, ihn anzusprechen. Vorsichtig natürlich. Er lehnt alle Abspaltungstendenzen scharf ab. Loyalität und so. Sie verstehen? Für mich gibt es keine Loyalität mehr zur Union.« »Wenn wir im Süden losschlagen«, sagte Belton, »wartet der Rang eines Colonels auf Sie.« Der Lieutenant nickte. Er trank seinen Kaffee.
»Wenn die Soldkasse heute nicht eintrifft, gibt es einen Aufstand. Gestern hätte sie da sein müssen. Als kein Transport kam, wurden einige Leute nervös. Heute ist die Stunde der Wahrheit. Also, wo ist das Geld, Belton?« »Es muß jeden Moment hier sein«, erwiderte Belton. »Drei meiner Leute sind unterwegs, um es zu holen.« »Ich dachte, das wollten Sie selbst besorgen.« Belton blickte angestrengt zu Boden. Er zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Wir haben es geholt«, sagte er. »Man hat uns aufs Kreuz gelegt. Die Kiste, die wir mitgenommen haben, war voller Nägel und Steine. Die richtige Kassette muß in der Transportkutsche verborgen gewesen sein. Ich habe sofort drei Männer zurückgeschickt. Sie werden bald wieder hier sein.« »Hören Sie, Belton.« Der Offizier ließ den Kaffeebecher sinken. »Wenn etwas schiefgeht, kann ich für nichts garantieren. Ich habe mich mit meiner ganzen Person voll eingesetzt. Ich kann nicht mehr zurück. Ich habe Zusagen gemacht. Wenn Sie das Geld nicht auftreiben, bin ich erledigt. Auf meine treuen Augen hin folgt mir nicht mal ein lumpiger Stallknecht nach Süden.« »Das Geld ist da, verdammt! Sie kriegen es.« Belton schenkte sich Kaffee nach. »Wenn Unruhe unter den Soldaten ausbricht, weil der Sold nicht ausgezahlt wird, können sie ihre Unteroffiziere anweisen, loszuschlagen. Wir werden außerhalb des Forts warten – mit der Kasse.« »Ich werde mit einigen Sergeants den Colonel und die anderen Yankee-Offiziere gefangensetzen«, sagte der Lieutenant. »Wenn sich danach herausstellt, daß Sie mit dem Geld nicht da sind, werde ich totgeschlagen.« »Hören Sie auf«, sagte Belton unwirsch. »Ich habe gesagt, die Sache klappt, und sie klappt.« Ein Reiter glitt durch den dichten Nebel heran. Er zügelte sein Pferd neben dem des Lieutenants und stürzte fast aus dem Sattel. Er stolperte die Uferböschung hinunter und blieb vor Chuck Belton stehen, der sich genauso wie die anderen Männer und der Lieutenant erhoben hatte.
»Tulsa ist tot«, stieß der Reiter hervor. »Und Jap auch. Als wir die Kutsche erreichten, war der Junge mit seinem Hund da. Und einer der Wachleute hat noch gelebt. Er hat Tulsa fast in Stücke geschossen. Und der Junge hat Jap erwischt.« »Das Geld!« schrie Belton. Er packte den Mann am Kragen und schüttelte ihn hin und her. »Wo ist das Geld, zum Teufel?« »Wie sollten wir denn nachsehen?« brüllte der Mann zurück. »Bevor wir auch nur einen Fuß in die Kutsche setzen konnten, waren Tulsa und Jap schon erledigt. Um ein Haar hätte es mich auch erwischt.« »Hatte der Junge das Geld?« »Er hatte nichts in der Hand«, sagte der Mann. »Ich wette, er hat es«, sagte Belton. Er ließ den anderen los und ließ sich stöhnend in den Schnee sinken. »Ich wette, dieser gottverdammte Bengel hat das Geld.« »Sie haben gesagt, die Sache klappt!« rief der Lieutenant. Bitterkeit und Hohn schwangen in seiner Stimme mit. »Wie stehe ich jetzt da? Kein Geld, kein Aufstand, kein Marsch nach Süden, Belton. So sieht es aus. Sie jämmerlicher Versager!« »Sagen Sie das nicht noch mal!« brüllte Belton. »Ich sage es, sooft es mir paßt!« erwiderte der Offizier. Er musterte den hünenhaften Banditen verächtlich. »Wo steht die Kutsche?« »Höchstens acht Meilen von hier«, sagte der Reiter, der noch immer außer Atem war. »Dann müssen sofort ein paar Männer losreiten, den Wagen durchsuchen, und, wenn das Geld nicht mehr da ist, den Jungen verfolgen. Was ist das für ein Junge?« »Ein Expreß-Reiter«, sagte Dee Caxton. »Ein Teufelsbraten. Ich habe noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Ich habe nicht geglaubt, daß er nach dem Unwetter in der letzten Nacht noch lebt. Jetzt hole ich ihn mir. Ich reite, Chuck.« »Wir reiten alle«, entschied Belton. Er blickte den Lieutenant fest an. »Am Abend sind wir vor den Palisaden von Fort Laramie, mit dem Geld.« Er zertrat die Glut des Feuers und kippte den Kessel mit dem
restlichen Kaffee um. Dann ließ er den Lieutenant einfach stehen und ging zu den Pferden, die ein Stück flußabwärts in einer windgeschützten Mulde standen. Seine Männer packten alles zusammen und folgten ihm. »Wenn die Sache schiefgeht, Belton«, sagte der Lieutenant, »dann bringe ich Sie um, das schwöre ich Ihnen.« »Ich glaube nicht, daß Sie das dann noch können, wenn es wirklich schiefgeht«, sagte Belton. Er sagte es so leise, daß der Offizier es nicht hören konnte. Laut antwortete er: »Nur die Ruhe. Es geht alles in Ordnung.« Er schwang sich auf sein Pferd. Der Lieutenant schaute ihm und den anderen Männern nach, als sie im Nebel verschwanden. Nachdenklich ging er zu seinem Pferd und stieg in den Sattel. Er war ehrgeizig. Und fanatisch. Er hatte hoch gespielt. Er rechnete damit – als Belohnung dafür, daß er Fort Laramie entscheidend schwächte und den Nordstaaten damit einen empfindlichen Stich versetzte –, im Süden militärische Karriere zu machen. Die Abspaltung der Südstaaten vom Norden war nur noch eine Frage der Zeit. Tatkräftige, clevere Männer hatten die Chance, schnell aufzusteigen, wenn sie sich rechtzeitig für die neue Staatengemeinschaft einsetzten. Fort Laramie war ein neuralgischer Punkt für die Nordstaaten. In dieser Zeit konnte sich die Armee keinen ausgedehnten Indianerkrieg erlauben. Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß die Stämme der Sioux, Cheyennes und Arapahoes sofort losschlagen würden, wenn sie merkten, daß die Besatzung des Forts nicht mehr in der Lage war, sie in Schach zu halten. Die Armee würde gezwungen sein, ihre ganze Kraft auf dieses entlegene Gebiet zu konzentrieren, während sie ihre Fronten zum Süden hin schwächen mußte. Es war ein guter Plan. Lieutenant Wright hatte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür gearbeitet. Jetzt hing es nur davon ab, daß es gelang, die Mannschaften auf seine Seite zu ziehen. Aber mit leeren Worten und patriotischen Sprüchen lockte er niemanden hinter dem Ofen hervor. Da mußte er mehr bieten – die Soldkasse. Der Lieutenant ritt westwärts am Platte entlang. Wright war
Offizier. Ein guter, wie er glaubte. Er war in West Point ausgebildet. Er glaubte an die perfekte Planung, vor allem glaubte er an sich selbst. Anderen mißtraute er, Zivilisten sowieso. Und hatte er nicht recht damit? Sein Part in diesem Plan hatte geklappt, Chuck Belton hatte bisher versagt. Wright haßte es, auf unsoldatische, disziplinlose Partner angewiesen zu sein. Aber er wußte, daß er in diesem Moment nicht mehr viel tun konnte, oder doch? Er wollte darüber nachdenken. Die ganze Angelegenheit war zu wichtig, um sie Kerlen wie Chuck Belton zu überlassen. Vielleicht, so dachte Wright, gab es doch noch eine Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Denn wenn alles schiefging, gab es nur einen großen Verlierer, ihn selbst. Wright fand, daß er nicht zum Verlieren geschaffen sei. Eine Brücke tauchte vor ihm auf, und er überquerte den Platte River.
11. Als die Sonne aufging, war ich so müde, daß ich mich nur noch mit größter Anstrengung im Sattel halten konnte. Ich spürte jeden einzelnen Knochen in meinem Körper. Meine Augen brannten, ich vermochte kaum noch, sie aufzuhalten. Mein Pferd war im Laufe der letzten Stunden immer langsamer geworden. Mit hängendem Kopf trottete es dahin. Ab und zu stolperte es, dann schwankte es, aber es lief weiter, wenn mir auch klar war, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis das Tier am Ende seiner Kraft war. Ich dachte an Jim Ketchums Worte. Du mußt reiten, hatte er gesagt, immer nur reiten. Ohne Pause, ohne Rast. Und wenn das Pferd zusammenbricht. Du mußt durchhalten, sonst holen sie dich ein. Ich wandte mühsam den Kopf. Das Land rings um mich her war eine einzige Schneewüste. Im Sommer wuchs hier das Gramagras steigbügelhoch. Es gab wenige Sträucher und nicht einen Baum in dieser Ebene Wyomings. Mein Blick reichte weit über das Land. Ich konnte kein lebendes Wesen wahrnehmen. Eine Stunde, dachte ich, wenigstens eine Stunde muß ich rasten.
Wenn das Pferd zusammenbricht, bin ich ohnehin erledigt. Das Tier braucht die Ruhe nötiger als ich. Ich warf einen Blick auf Shita, der im gleichförmigen Wolfstrott neben mir her trabte. Er hatte noch Reserven. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, im Laufen leckte er manchmal über den Schnee und stillte so seinen Durst, ohne anzuhalten. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Wenn ich schlief, würde er besser wachen als jeder Mensch. Ich suchte mit Blicken das Land nach einem geeigneten Rastplatz ab. Eine Mulde mit einem zugefrorenen Wasserloch tauchte vor mir auf. Sie war tief genug, um von weitem nicht eingesehen werden zu können und bot im Notfall auch eine ganz passable Deckung. Ich lenkte mein Pferd hinein. Einen Augenblick hatte ich daran gedacht, auf das Tier des toten Banditen umzusteigen und die Geldtasche meinem gescheckten Pony aufzubürden. Aber ich hatte den Gedanken rasch wieder aufgegeben. Auch wenn ich das Pferd wechselte, änderte das nichts an der Erschöpfung des gescheckten Tieres und an meiner eigenen. Am Rande des vereisten Wasserloches hielt ich an und rutschte schwerfällig aus dem Sattel. Das Pferd des Banditen hobbelte ich an, auf das Pony konnte ich mich verlassen. Es würde nicht fortlaufen. Ich nahm die schwere Geldtasche vom Sattelhorn, scharrte eine längliche Mulde in den Schnee, rollte mich in eine Decke und legte mich hinein, die Tasche als Kopfkissen benutzend. Außerdem nahm ich den Revolver in die Hand, bevor ich die Augen schloß. Shita hatte mir aufmerksam zugeschaut. Er wußte, was seine Aufgabe war. Am Rand der Mulde blieb er sitzen und beobachtete das umliegende Land. Ich war so verflucht müde, daß ich auf der Stelle einschlief. Eine Stunde? Als ich erwachte, stand die Sonne schon fast im Mittag. Ihr grelles, kaltes Licht stach mir direkt in die Augen. Ich fuhr hoch, fluchend. Wie lange hatte ich geschlafen? Drei Stunden, vier, fünf? Egal. In jedem Fall zu lange. Ich streifte die Decke ab und richtete mich mit dem Revolver in der Hand auf.
Nicht die grelle Sonne hatte mich geweckt. Es war etwas anderes gewesen. Ich schaute mich um. Die Pferde standen ruhig an ihrem Platz. Wo war Shita? Ich bückte mich, nahm eine Handvoll Schnee auf und wischte mir damit übers Gesicht. Es war kalt, aber es half, die letzte Müdigkeit aus meinem Körper zu vertreiben. Geduckt eilte ich die Böschung der Mulde hinauf. Da sprang Shita auf mich zu. Er wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Ich streichelte ihn mit der Linken und spähte derweil über den Rand der Mulde. Ich konnte nichts entdecken. »Was ist los, Junge?« fragte ich. Ich hockte mich neben ihn in den Schnee. Aufmerksam ließ ich meine Blicke über das Land streichen. Da sah ich die beiden Reiter. Sie tauchten hinter einigen Schneeverwehungen östlich von mir auf. Sie waren gut dreihundert oder vierhundert Yards entfernt. Aber die Luft war so klar, daß es schien, als seien sie viel näher bei meiner Deckung. Ich konnte beinahe jede Falte in ihrer Kleidung sehen. Der eine trug einen langen, schwarzen Umhang und hatte auf dem Kopf eine Pelzmütze. Vor sich im Sattel hatte er ein langläufiges Gewehr liegen. Das war Dee Caxton, der Killer. Wenn er da war, konnten auch die anderen Männer nicht weit sein. Sie jagten mich bereits. Ich hatte meinen Vorsprung im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen und hätte mich ohrfeigen können, wenn das jetzt noch etwas genützt hätte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich aus dieser verfahrenen Lage wieder raus konnte. Wenn ich jetzt in den Sattel stieg und losritt, würden sie mich sofort sehen und die Verfolgung aufnehmen. Ich scheute ein solches Wettrennen nicht, hätte aber gern gewußt, wie viele Meilen ich es durchzuhalten hatte. Wie weit war es noch bis Fort Laramie? Vier Meilen, fünf oder noch sechs? Nicht viel, aber weiß Gott kein Vergnügen mit einem Haufen Männer im Nacken, die einem gern den Hals umdrehen wollten. Dann fiel mir etwas auf: Die beiden Reiter folgten ganz
offensichtlich nicht meiner Fährte. Sie schienen nicht einmal zu wissen, daß es sie gab. Sie befanden sich bestimmt eine halbe Meile zu weit nördlich von meiner Spur. Also konnten sie auch nicht aus der Richtung der steckengebliebenen Kutsche kommen. Ich beobachtete sie eine Weile und gewann den Eindruck, daß die beiden Kerle keine Ahnung hatten, wo sich meine Fährte befand. Das konnte nur bedeuten, daß der Anführer der Banditen gar nicht zur Kutsche zurückgeritten war, sondern seine Leute geteilt hatte, damit sie das Land nach mir absuchten. Vielleicht war das meine Chance. Vielleicht waren die Kumpane der beiden Männer doch nicht so nahe, wie ich es erst befürchtet hätte. Die Männer ritten westwärts und verschwanden hinter ein paar verschneiten Hügeln. Ich überlegte. Entgehen konnte ich ihrer Aufmerksamkeit nicht. Wenn ich mich weiter in der Mulde versteckt hielt, konnte ich nur in die unangenehme Lage geraten, daß die beiden, ohne mich zu bemerken, an mir vorbeiritten. Dann aber hatte ich sie vor mir, und der Weg zum Fort war versperrt. Solange sie sich hinter den Hügeln befanden, konnten sie mich nicht sehen. Diese Zeitspanne mußte ich nutzen, um meinen knappen Vorsprung ein wenig auszubauen. Ich zögerte keine Sekunde, erhob mich und lief in die Mulde hinunter. Hier rollte ich meine Decke zusammen, zurrte die Sattelgurte fest, hängte die Tasche mit dem Geld an das Sattelhorn des Banditenpferdes und schwang mich auf den Rücken meines gescheckten Ponys. Das Tier machte jetzt wieder einen ausgeruhten Eindruck. Es war widerstandsfähig und zäh wie alle Pferde des PonyExpreß. Ich war sicher, es würde bis zum Ziel durchhalten, auch wenn es ein harter Ritt werden würde. Ich ritt aus der Mulde, trieb die Pferde an und sprengte in raschem Tempo westwärts. Shita jagte neben mir her. Die Schneedecke war in der eisigen Kälte festgefroren, und die Pferde brachen kaum noch ein. Immer wieder schaute ich zu den Hügeln hinüber, aber dort war nichts zu sehen. Ich schwenkte ein wenig nach Norden und hoffte, daß Dee Caxton kein guter Schütze sei. Mit seiner Sharps Rifle konnte er mich auch noch auf eine Entfernung von fast einer Meile
aus dem Sattel holen. Ich hatte es selbst erlebt, wie ein Büffeljäger einen Bison aus gewiß tausend Yards Entfernung glatt niedergestreckt hatte. * Sie jagten mich. Ich mochte gut eine dreiviertel Meile Vorsprung haben. Nicht viel, aber mit etwas Glück würde es reichen. Sofort als sie hinter den Hügeln aufgetaucht waren, hatten sie mich gesichtet und ihre Pferde angetrieben. Jetzt ritt ich um mein Leben. Manchmal schaute ich zurück, dann sah ich, daß sie auf ihre Pferde eindroschen. Der Abstand zwischen uns verringerte sich nicht, er vergrößerte sich allerdings auch nicht. Dennoch fühlte ich, daß ich die bessere Ausgangsposition hatte. Mein Pferd hatte ein paar Stunden Zeit gehabt, sich zu erholen. Die beiden Banditen aber waren offenbar schon seit Stunden unterwegs und hatten nicht gerastet. Ihre Pferde würden früher schlappmachen als meins. Ich schwenkte noch ein wenig nach Norden, war jetzt sicher, schnurgerade auf Fort Laramie zuzureiten, und bemerkte wenig später, daß die Prärie vor mir zu Ende ging. Unübersichtliches Hügelland breitete sich vor mir aus, in knapp einer halben Meile Entfernung sah ich ein kleines Wäldchen. Jetzt war ich ganz sicher, in der richtigen Richtung zu reiten. Mochte der Schnee auch noch so hoch liegen, diese Gegend kannte ich. Bis Fort Laramie hatte ich höchstens noch drei Meilen zurückzulegen. Der Reitwind peitschte mein Gesicht. Ich lachte laut und triumphierend. Shita, der neben mir her hetzte, bellte und schien die wilde Jagd für einen herrlichen Spaß zu halten. Ich erreichte die ersten Hügel, sprengte einen Hang hinauf und ritt über den Kamm. Im selben Moment krachte hinter mir ein Schuß. Ich warf den Kopf herum und sah, daß meine Verfolger kurz angehalten hatten. Dee Caxton stand am Boden und hatte die Sharps Rifle an der Schulter. Das Pferd, das die Tasche mit dem Geld trug, schwankte plötzlich. Ich ritt den Hügel hinunter und zerrte das Tier mit, aber es
strauchelte immer wieder, warf den Kopf hoch und wieherte grell vor Schmerz. Blut floß über seine linke Hinterhand. Dort hatte es die Kugel von Dee Caxton getroffen. Unvermittelt brach es mit dem Hinterlauf ein und stieß ein schrilles, von rasendem Schmerz zeugendes Trompeten aus. Ich langte hinüber, riß die Tasche an mich und ließ die Zügel los. Dann zog ich meinen Revolver und schoß dem Tier eine Kugel in den Kopf, um es von seinen Leiden zu erlösen. Es stürzte schwer auf die Seite. Ich ritt weiter, von den Hügeln vor den Blicken meiner Jäger geschützt. Meine Lage hatte sich eindeutig verschlechtert. Die Tasche war verdammt schwer. Vierzig Pfund waren es in jedem Fall, die mein Pony jetzt zusätzlich schleppen mußte, wahrscheinlich sogar noch mehr. Ich ritt durch das Hügelland und sah ein Stück nördlich von mir die eisgrauen Wasser des Platte River. Es war nicht mehr weit bis Fort Laramie. Ich mußte es schaffen. Ich konnte es schaffen … Im vollen Galopp, ohne Rücksicht auf den unsicheren Untergrund, jagte ich jetzt durch die Wellentäler zwischen den Hügeln. Als ich einmal einen Höhenkamm überquerte, sah ich in der Ferne Fort Laramie. Es lag auf einer Erhebung oberhalb der Stelle, an der der Laramie River in den Platte mündete. Ich sah die hohen Palisaden und die vier Wachtürme, die flachen Hütten und Magazingebäude, die sich außerhalb des Forts befanden, direkt am Flußufer standen oder sich um die Palisaden scharten. Es waren die Behausungen von Pelztierjägern, Abenteurern, Händlern und anderen Geschäftsleuten. Auch die Station des Pony-Expreß gehörte dazu. An einem hohen, schlanken Mast wehte das Sternenbanner im Wind. Ich sah es nur für kurze Zeit, tauchte dann wieder zwischen den Hügeln unter und verlor es aus den Augen. Aber der Anblick hatte mich mit neuer Hoffnung und Zuversicht erfüllt. Ich wußte jetzt, daß ich es schaffen würde. Da begann mein Pony zu lahmen. Ich hätte heulen können vor Wut und Verzweiflung. Es bemühte sich weiterzulaufen. Ein schrilles Schnauben drang
aus seinen Nüstern. Es knickte mit dem rechten Vorderlauf ein und blieb stehen. Ich sprang aus dem Sattel und kniete mich in den Schnee. Vorsichtig betastete ich die Fessel und untersuchte den Huf. Der Huf war in Ordnung, aber das Gelenk begann anzuschwellen. Vielleicht war es eine Sehnenzerrung, vielleicht eine Verstauchung, ein Risiko, das ich bei dem schnellen Tempo auf dem hartgefrorenen Schnee bewußt in Kauf genommen hatte. Trotzdem hatte ich nicht damit gerechnet. Aber es war nicht zu ändern. Das Tier würde im Laufe der nächsten Woche keinen Reiter mehr tragen. Fluchend richtete ich mich auf. Ich riß meine Sattelrolle auf und schnitt einen breiten Streifen Stoff aus meiner Decke. Den wand ich als notdürftige Stütze um die geschwollene Fessel. Dann nahm ich das Tier am Zügel und zog es hinter mir her auf den schmalen Waldgürtel zu, der keine hundert Yards entfernt lag. Ich brauchte jetzt Deckung. Der Wald war die einzige sich bietende Möglichkeit. Sicher war ich dort nicht, denn meine Fährte war im Schnee leicht zu verfolgen. Aber was sollte ich tun? Auf freiem Feld würden die Kerle mich abknallen wie einen Hasen. Dabei hatte ich mich schon so sicher gefühlt, so verdammt sicher. Ich erreichte den Wald und brach durch das kahle, spröde Unterholz. Ich kannte den Wald nicht, aber darauf kam es nicht an, denn meine Jäger kannten ihn auch nicht, und so waren die Chancen hier halbwegs gleich verteilt. Es mußte mir gelingen, hier bis zum Abend auszuhalten. In der Dunkelheit hatte ich vielleicht noch eine Chance. Aber ob ich die Stunden bis dahin überstehen würde, war in diesem Moment mehr als zweifelhaft. Die Zeit arbeitete für meine Jäger. Bis es Abend wurde, würden es nicht nur Dee Caxton und sein Begleiter sein, vor denen ich mich zu verstecken hatte. Wahrscheinlich waren bis dahin auch die übrigen Halunken da. Eine ganze Horde hartgesottener Schurken, in der Wildnis erfahren und mit allen schmutzigen Wassern gewaschen, würde wie eine Meute Jagdhunde den Wald durchstreifen. Ich drang tief in den Wald ein. Ich blieb nie stehen, obwohl es immer schwieriger wurde, einen Pfad zu finden. Endlich verharrte
ich und lauschte zurück. Es blieb alles still. Shita stand hechelnd neben mir. Ich ließ das Pony stehen, nahm die Tasche mit dem Geld vom Sattel und zog den Sharps-Karabiner aus dem Scabbard. Dann hockte ich mich hinter einer Gruppe dicht zusammenstehender DoughwoodFichten auf einen umgestürzten Baumstamm.
12. Es mochten zwei Stunden vergangen sein, vielleicht auch drei. Meinen angespannten Nerven zufolge war ich fast sicher, schon mehr als zehn Stunden in meiner Deckung zu hocken und in die Stille des Waldes zu lauschen. Als Caxton und sein Begleiter meiner Fährte folgend in den Wald eingedrungen waren, hatte ich sie gehört. Sie hatten eine Menge Lärm veranstaltet, als sie durch das Unterholz am Waldrand gebrochen waren. Danach war es still geworden. Aber ich wußte, daß sie mich suchten. Irgendwo in der Tiefe des Waldes steckten sie. Irgendwo schlichen sie herum, die Waffen schußbereit. Ich war froh, daß ich Shita bei mir hatte. Er würde dafür sorgen, daß niemand in meine Nähe gelangte, ohne daß ich ihn nicht vorher bemerkte. Ich blickte auf die Ledertasche mit dem Geld. Deswegen waren nun schon so viele Menschen gestorben. Es war verdammtes, blutiges Geld. Am liebsten hätte ich es einfach irgendwo in den Schnee geschüttet und wäre abgehauen. Aber ich hatte einen Auftrag, und es war egal, was ich von dem Geld hielt und von den Männern, die sich deswegen die Schädel einschlugen. Plötzlich hörte ich es im Unterholz knacken. Sofort waren meine Sinne wieder zum Zerreißen gespannt. Ich starrte in die Richtung, aus der ich das Geräusch gehört hatte, bis meine Augen zu tränen begannen und ich das kahle, ineinander verwachsene Gesträuch doppelt sah. Shita knurrte mit einemmal. Dann sprang er auf und schnellte mit federnden Sätzen davon. Sekunden später war er verschwunden. Ich erhob mich und hätte gern geflucht, aber ich gab keinen Laut
von mir, preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, nahm die Tasche und das Gewehr und setzte mich in westlicher Richtung ab. Das Pferd ließ ich stehen. Es hätte mich jetzt nur behindert. Nach knapp fünfzig Schritten verhielt ich und lauschte. Wieder war alles still, und ich fragte mich, wo Shita hingelaufen war. Ich hatte plötzlich Angst um ihn. Er war nicht einfach nur ein Hund. Er war mein Freund. Ich wartete. Die Zeit verstrich zäh wie ein dicker, sämiger Brei. Auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ein eisiger Klumpen bildete sich in meinem Magen. Unwillkürlich verkrampften sich meine Rückenmuskeln. Ich versuchte, das alles als blanke Einbildung abzutun und drehte mich langsam um. Da sah ich ihn: Dee Caxton. Er stand im dichten Unterholz und starrte mich aus böse glitzernden Augen an wie ein böser Geist. Sein Gesicht war noch immer verschwollen von meinen Schlägen. »Hallo«, sagte er. »Ich wußte doch, daß wir uns noch einmal wiedersehen.« Ich wollte mich umdrehen. Da schoß er. Die Kugel traf den Kolben meines Sharps-Karabiners und zersplitterte das Holz. Das Gewehr wurde mir aus der Faust geprellt und gegen mich geschleudert, daß ich umkippte. Caxton lachte. Er brach durch das Gestrüpp. Seine Bewegungen waren ruhig und gelassen. Er hatte gewonnen. Ich war erledigt. Irgendwo im Wald bellte plötzlich Shita. Er kläffte wie rasend. Angstvoll lauschte ich auf einen Schuß, aber es geschah nichts, und das Bellen brach unvermittelt wieder ab. Statt dessen waren am Waldrand Hufgeräusche zu hören. Caxton hob den Kopf. Er lächelte sein häßliches Lächeln. »Das wird Belton sein«, sagte er. »Unser Boß, Kleiner. Du glaubst nicht, wie der darauf brennt dich kennenzulernen. Und auf die schöne Tasche, die du bei dir hast, ist er ganz besonders scharf.« Ich richtete mich langsam auf. Männerstimmen waren zu hören. Sie riefen etwas. Namen. Caxton wurde stutzig. Er hob sein Gewehr und feuerte einen Schuß in die Luft ab. Wenig später brachen in der Nähe Männer durch das Unterholz. Dann tauchten zwei Reiter auf.
Sie trugen beide Uniform. Einer war ein Sergeant. Er blutete aus einer klaffenden Stirnwunde. Der linke Ärmel seines blauen Armeemantels war zerrissen. Der andere Mann war ein Lieutenant. Jung, mit scharfen Gesichtszügen. Er war unversehrt. Er warf nur einen kurzen Blick auf mich. Dann sprang er aus dem Sattel und ging auf Caxton zu. »Wo ist Belton?« »Der wird bald hier sein«, sagte Caxton. »Ich hab was, was Sie freuen wird. Wir haben den Jungen und das Geld gefunden. Jetzt kann die Sache losgehen und …« »Die Sache ist losgegangen«, sagte der Lieutenant. »Aber nach hinten. Captain Brady, dieser gottverdammte Verräter, der in North Carolina geboren, aber ein Yankee durch und durch ist, hat den Braten gerochen und alles platzen lassen. Ich hab gedacht, ich hätte die Unteroffiziere auf meiner Seite. Brady hat sie bekniet und wieder zu sich rübergezogen. Er hat von dem langen Weg in die Südstaaten gesprochen und gesagt, daß es zweifelhaft sei, ob der Süden wirklich so rasch vom Norden abfalle. Jeder, der davonlaufe, gelte als gemeiner Deserteur und werde auch so behandelt. Truppen aus Fort Kearny oder Fort McPherson würden sie abfangen und ins Gefängnis stecken. Danach hat er versucht, mich zu verhaften. Sergeant Orville hat als einziger zu mir gehalten und mich vorher gewarnt. Wir haben uns mit Gewalt unsere Pferde geholt und konnten das Fort gerade noch verlassen, bevor das Tor geschlossen wurde. Es ist aus, verstehen Sie? Und das soll Belton wissen.« Caxton starrte den Offizier fassungslos an. Er schüttelte nur immer wieder den Kopf und schien keine Worte zu finden. Dann sagte er: »Es war also alles sinnlos?« »Völlig«, erwiderte der Lieutenant. »Diese Idioten, die sich jetzt haben beschwatzen lassen, werden das noch bitter bereuen. Aber jetzt läuft nichts mehr.« Ich hielt die Gelegenheit für gekommen, mich zu verdrücken, griff nach der schweren Tasche und drehte mich um. Hinter mir hörte ich den verletzten Sergeant aufbrüllen. Ich tat drei, vier Schritte, dann traf mich ein harter Gegenstand mit der Wucht eines
Schmiedehammers im Rücken. Ich stolperte, konnte mich fangen, wollte weiterlaufen und wurde an der rechten Schulter gepackt. Jemand zerrte mich herum. Dee Caxton war mit einemmal ganz dicht vor mir. Ich ließ die Tasche fallen und erhielt einen Faustschlag mitten ins Gesicht, der mich rücklings gegen einen Baum schleuderte. Benommen sackte ich zu Boden. Ich wollte mich aufrichten, aber Caxton war schon heran. In seinen Augen blitzte es auf. »Warte, Bürschchen«, keuchte er. »Jetzt wirst du endlich für alles bezahlen.« Ich wollte mich wehren, aber ich kriegte meine Arme nicht hoch. Sie waren bleischwer. Und schon traf mich ein weiterer Fausthieb, der höllisch schmerzte, obwohl ich hart im Nehmen war. Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Zwei schallende Ohrfeigen schleuderten meinen Kopf hin und her. Noch immer versuchte ich, rein instinktiv, mich schwach zu wehren. Es war sinnlos. Ich kippte nach vorn aufs Gesicht und blieb liegen, bei vollem Bewußtsein, aber für einen Moment wie gelähmt. Ein Fußtritt traf mich in die Seite. Ich rollte auf den Rücken. Dann ließ Dee Caxton plötzlich von mir ab. * Ich vernahm, daß jemand durch das Unterholz brach und hörte einen Mann stöhnen. Ich riß die Augen auf, vor denen sich rötliche Schleier ballten. Noch immer schmeckte ich Blut in meinem Mund. Vorsichtig tastete ich mit der Linken an meine Stirn und fühlte warme Feuchtigkeit unter meinen Fingern. Die linke Augenbraue war aufgeplatzt. Dann sah ich Caxtons Kumpan. Mochte der Teufel wissen, woher er so plötzlich auftauchte. Er taumelte heran, mit zerrissener Hose, zerrissener Jacke, ohne Hut, gezeichnet von zahlreichen Biß- und Kratzwunden, blutüberströmt. Ich hörte ihn noch lallen: »Dieser gottverdammte Köter«, und wußte, daß das Shitas Werk war, dann brach er zusammen, und Caxton beugte sich über ihn. Wilder Zorn erfaßte mich, je mehr die Benommenheit von mir abfiel. Gleichzeitig erfüllte mich freudiger Triumph, daß Shita es
diesem Halunken so gegeben hatte. Aber da war noch Caxton, und mit dem war ich noch lange nicht fertig. Er hatte nur Augen für seinen Partner und achtete nicht auf mich. Ich tastete unter meine Jacke und umspannte den Griff meines Revolvers. In diesem Moment sah ich aus den Augenwinkeln, daß der Lieutenant, der bis jetzt nur stumm dagestanden und alles beobachtet hatte, sich bückte, etwas hochhob und damit zu seinem Pferd ging. Die Tasche! Ich richtete den Oberkörper auf und wollte aufspringen, trotz der Schmerzen, die mich sofort von den Zehen bis in die Haarspitzen durchzuckten. Da fuhr Dee Caxton schon herum. »Was machen Sie da?« schrie er und stürmte hinter dem Lieutenant her, der sich gerade aufs Pferd schwingen wollte. Der Offizier holte zu einem gewaltigen Fußtritt aus, aber Caxton wich aus, kriegte den Stiefel zu fassen und riß den Lieutenant aus dem Sattel. Sie wälzten sich über den Boden. Der Lieutenant konnte sich losreißen, sprang auf und versetzte Caxton einen Fausthieb. Caxton stürzte zu Boden. »Du hirnverbrannter Idiot«, hörte ich den Offizier sagen. »Denkst du, nachdem die Sache geplatzt ist, verschwinde ich mit leeren Händen?« Er zog sein Pferd herum, der Sergeant neben ihm tat das gleiche. Dann sprengten sie in das Dickicht. Ich hätte heulen können vor Wut. Ich richtete mich auf, den Revolver in der Faust. Nun gut, das Geld war weg. Ich hatte mich umsonst gequält und geschunden, hatte umsonst gekämpft und Kopf und Kragen riskiert. Aber da war noch Dee Caxton, und gegen ihn richtete sich der ganze aus mir hinausdrängende Zorn. Caxton hatte sich ebenfalls erhoben. Er hatte seine Pelzmütze verloren und starrte in hilfloser Wut den beiden Soldaten nach. Da rief ich ihn an. »Caxton!« Er fuhr herum und sah mich stehen. Ein unartikulierter Schrei rang sich aus seiner Brust.
»Hast du immer noch nicht genug, du kleine Ratte!« Er setzte sich in Bewegung und stampfte auf mich zu. Sein Umhang klaffte auf, und ich sah ein Messer blitzen. Ich drückte ab. Der Rückschlag ließ die Waffe in meiner Hand zucken. Einen Sekundenbruchteil später fühlte ich einen scharfen Schmerz am linken Arm. Warm und feucht rann es an meiner Haut hinunter. Ich wandte den Kopf und sah den Griff von Caxtons Messer aus meinem Arm ragen. Ich zögerte nicht, packte ihn und riß ihn heraus, obwohl der Schmerz mir fast die Besinnung raubte. Aber die Wunde selbst war nicht schwer. Caxton ging es schlechter. Ich hatte ihn in die Brust getroffen, er war tot. Mein wild aufbrechender Haß war jäh erloschen. Ich fühlte keine Befriedigung, als ich den toten Mörder im Schnee liegen sah. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch und wandte mich ab. Der pochende Schmerz in der Messerwunde an meinem Arm war mir gar nicht bewußt. Lautes Hufgeräusch riß mich jäh aus meiner Lethargie. Reiter näherten sich, mindestens zehn oder mehr. Ich hatte mich, ohne es selbst zu merken, dem Waldrand zu bewegt. Jetzt blieb ich stehen und lauschte. Ich war mit einem Schlag wieder hellwach, und meine Sinne arbeiteten angespannt. Mit wenigen Schritten stand ich hinter einem Pinienstamm und spähte auf die Ebene hinaus. Reiter näherten sich von Westen. Soldaten unter Führung eines Offiziers. Und plötzlich sah ich zwischen den Hügeln den Lieutenant und den verletzten Sergeant wieder auftauchen. Die beiden prügelten auf ihre Pferde ein und rasten in vollem Galopp dahin. Mein Jagdfieber erwachte wieder. Mit einem Satz sprang ich aus dem Schutz des Waldes und riß meinen Revolver hoch, als die beiden Männer in einem Bogen am Wald vorbei nach Südosten ritten. Ich schoß, ohne zu zielen, auf den Lieutenant, verfehlte ihn zweimal und traf mit dem dritten Schuß den Sattel. Der Aufprall der Kugel ließ das Pferd scheuen. Es brach zur Seite aus und bäumte sich auf. Die schwere Ledertasche löste sich und stürzte zu Boden.
Der Sergeant sprengte vorbei und jagte davon. Der Lieutenant aber riß hart an den Zügeln, so daß das Pferd vor Schmerzen aufwieherte und stehenblieb. Ich eilte auf die am Boden liegende Tasche zu. Im selben Moment warf sich der Lieutenant aus dem Sattel. Wir erreichten die Tasche gleichzeitig. Ich wollte schießen, aber mir war plötzlich sehr merkwürdig zumute. Ich fühlte Schwindel in mir aufsteigen, schwankte und wurde von einem harten Schlag gegen den Kopf zu Boden geworfen. Im nächsten Moment flog ein Schatten an mir vorbei. Ich hörte ein wütendes Knurren, ein scharfes Bellen, dann sah ich verschwommen, daß der Lieutenant von einem Hund angesprungen wurde. Shita. Ich hörte das Geräusch von berstendem Stoff, versuchte noch einmal, mich aufzurichten und sah wieder alles völlig klar. Ich sah, wie der Lieutenant Shita abschüttelte und ein gutes Stück seines rechten Mantelärmels zurücklassen mußte. Er sprang in den Sattel und ritt davon. Mein Blick suchte die Ledertasche. Sie lag am Boden. Shita stand daneben und wedelte stolz und triumphierend mit dem Schwanz. Zufrieden sank ich zurück. Die Tasche war gerettet. Wenigstens das war gelungen. So war doch nicht alles umsonst gewesen. Ich beobachtete noch, daß auf den Hügeln im Osten ein paar Reiter auftauchten, herüberschauten, ihre Pferde herumrissen und verschwanden. Dann zügelten ein paar Soldaten ihre Pferde neben mir und sprangen aus den Sätteln. Das Hämmern und Pochen des Blutes in meiner Wunde wurde unerträglich stark. Ich fühlte mich plötzlich federleicht. Eine warme, wohlige Woge hob mich hoch und trug mich davon. Es wurde dunkel um mich. * »Ich bin Colonel O'Connor«, sagte der Nikolaus. Ich starrte fasziniert auf seinen vollen weißen Bart. »Es freut mich, daß du wieder wach bist«, sagte er und lächelte. Mich wunderte nur, daß er eine blaue Uniform trug. Ich grinste wohl ziemlich dämlich, dann schlief ich wieder ein.
Als ich das nächstemal erwachte, stand ein untersetzter, schnauzbärtiger Offizier an meinem Bett. Er hieß Captain Brady und sagte mir, er und seine Leute hätten mich aufgesammelt und verdammte Schwierigkeiten gehabt, Shita beizubringen, daß sie mich nicht umbringen, sondern mir helfen wollten. Shita lag auch jetzt neben meinem Bett, sah satt und zufrieden aus und beäugte den Captain mißtrauisch. Dann erschien Colonel Patrick O'Connor wieder bei mir, den ich bei meinem ersten Erwachen für den Nikolaus gehalten hatte. Er hatte wirklich einen prachtvollen weißen Vollbart. »Du hast drei Tage geschlafen«, sagte er. »Dein Fieber war auch nicht von Pappe. Ich freue mich, mich jetzt bei dir bedanken zu können, daß du die Soldkasse durchgebracht hast.« Ich wandte den Kopf und sah, daß ich einen weißen Verband um meinen linken Arm trug. Aber ich verspürte keinerlei Schmerzen. »Wir haben dein Pferd im Wald gefunden«, sagte Brady. »Ihm geht es auch besser. Und dein Hund frißt uns allen noch die Haare vom Kopf.« »Ich hab auch Hunger«, sagte ich. Langsam kehrte mein Gedächtnis zurück. Ich erinnerte mich wieder an alles und begriff, daß es geschafft war. Ich hatte meinen Auftrag erfüllt, und Jim Ketchum und die anderen hatten nicht ganz umsonst ins Gras gebissen. »Ich kann mir denken, daß du Hunger hast«, sagte der Colonel. »Wie wäre es mit einer Portion Truthahn oder einem Stück Hirschkeule?« »Truthahn?« Ich blickte ihn groß an. »Hirschkeule?« »Na ja«, sagte er, »ich denke, ich kann unseren Koch dazu bewegen, dir heute schon was davon zu geben. Du hast es verdient. Morgen essen wir alle davon. Weißt du nicht, was morgen für ein Tag ist?« »Nein«, sagte ich. »Weihnachten«, sagte Captain Brady. Und Colonel O'Connor lächelte wieder wie der Nikolaus persönlich und strich sich über seinen Bart. »Weihnachten«, wiederholte ich.
»Es – es hat also keinen Aufstand gegeben und …« »Keinen Aufstand, keine Desertionen«, sagte O'Connor. Er war ernst geworden. »Wir sitzen zwar alle auf einem Pulverfaß, aber noch ist alles in Ordnung.« »Gut«, sagte ich. Ich fühlte wieder, wie die bleierne Schläfrigkeit wohlig warm durch meine Adern floß. »Ich sag in der Küche Bescheid, damit du dein Essen erhältst«, sagte Captain Brady. »Danke«, sagte ich. Ich schloß die Augen, und die beiden gingen. Ich blieb allein zurück, mit Shita, der sich jetzt erhoben hatte, seinen Kopf auf meine Bettdecke gelegt hatte und mich unverwandt anstarrte. »Mir geht's gut, Alter«, sagte ich. »Du warst wunderbar.« Ich strich mit der Rechten matt durch seinen Pelz, und er brummte zufrieden, als sei das eine Selbstverständlichkeit, daß er mit Banditen kämpfte, Geldtaschen rettete und mir das Leben noch dazu. Ich drehte den Kopf auf die Seite und schlief wieder ein, ohne daß ich es wollte. Ich träumte von Virginia Buckland. Wir saßen zusammen in einem Badezuber. Es war ein schöner Traum, wie man ihn eben so träumt, wenn man vierzehn Jahre alt ist und festzustellen beginnt, zu was Mädchen alles gut sind …
ENDE
Vorschau Ronco sah, wie Cogburns Finger über dem Revolvergriff zitterten. Cogburn, der Wolfsjäger, war bereit. Er sah keinen Ausweg mehr. Er rechnete nur noch mit einer winzigen Chance, und Ronco gab sie ihm, indem er sich den Farmern zuwandte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Cogburns Klauenhand zum Revolvergriff zuckte. Es war eine einzige, blitzschnelle Bewegung. Sekundenbruchteile, bevor Cogburn die Mündung seines Colts hochbrachte, brüllte Roncos Revolver auf. Die Kugel traf Ross Cogburn mitten ins Gesicht. Er wurde von den Beinen gerissen, flog durch die Luft und fiel in den Staub … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 206 dieser großen deutschen WesternSerie:
Die Wolfsjäger