Jim Elliot
Todestreck Ronco Band Nr. 335/48
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen...
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Jim Elliot
Todestreck Ronco Band Nr. 335/48
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun erhält einen Auftrag, den er am liebsten abgelehnt hätte. George Foner – Ein strenggläubiger alter Quäker, der seine Glaubensbrüder mit ihren Familien ins Gelobte Land führen will. Sam Bushfield – Ein Mann, der nicht zu den Quäkern paßt und Roncos Verdacht erregt. John Rother – Der Marshal von Flint Hill nimmt Ronco wegen Mordverdachts fest. Sergeant Jucker – Das Rauhbein von Fort Calhoun entpuppt sich als Mensch.
Todestreck 8. November 1881 Wie die Jahreszeiten sich gleichen. Daran dachte ich an diesem Morgen, als ich an meinem Tagebuch weiterschrieb. Ich erinnere mich noch gut an den November des Jahres 1865 in Fort Calhoun, als ich als Scout für die Armee diente. Auch damals war es ein unangenehmer Spätherbst mit eiskalten Nordwinden und viel zu frühem Schnee, der in den Bergen die Pässe unpassierbar werden ließ und sogar bis in die Täler hinunterreichte, wo die Kinder Schnee nur aus Büchern oder Erzählungen ihrer Eltern kannten. Ein eiskalter November – Auftakt für meine zukünftige Verbannung, von der ich damals noch nichts ahnte mit meinen neunzehn Jahren. In Fort Calhoun wurde ein Mann hingerichtet. Und auch heute wird hier in Austin ein Mann gehenkt, den ich in meiner neuen Eigenschaft als Texas Ranger gejagt und des Mordes überführt habe. Dazwischen liegen über fünfzehn Jahre Ruhelosigkeit, Verbannung, Ächtung und Flucht vor dem Henker, der mein eigenes Todesurteil vollstreckt hätte, wenn es mir nicht gelungen wäre, nach über zehn Jahren endlich die Behörden von meiner Unschuld zu überzeugen. Mein Leben und die Zeit sind inzwischen über fünfzehn Jahre fortgeschritten. Und doch, dünkt mir, haben sich auch die Zeiten nicht verändert. Das Leid und die Hoffnung, Gut und Böse, Verbrechen und Unschuld bleiben sich heute wie damals gleich, nur der Mensch wird älter. Und wer da glaubt, daß die Eltern ihren Kindern ihre leidvollen Erfahrungen mitgeben können wie vererbbare Eigenschaften, der irrt. Jede Generation wähnt, aus den Fehlern der vorhergehenden gelernt zu haben und es besser zu machen als sie. Doch statt dessen begehen sie andere, vielleicht noch schrecklichere Fehler, und was die Zeit ihnen an Fortschritt beschert, müssen sie an anderer Stelle wieder mit Nachteilen bezahlen.
Jede Generation hat ihre eigenen Freuden und Schrecken, denke ich. Doch keine darf für sich beanspruchen, besser zu sein als ihre Eltern oder Nachkommen. Ich gebe zu, daß ich diese Seiten nur für meinen Sohn Jellico schreibe, falls ich von meinem nächsten Auftrag als Texas Ranger nicht mehr zurückkehre. Damals, im November 1865, als ein viel zu früher Winter über Texas hereinbrach, wäre ich um ein Haar nicht mehr von einem Unternehmen zurückgekehrt. Es war einer meiner ersten großen Aufträge als Armeescout. Und ich prallte mit jenen verbrecherischen Elementen zusammen, die mir eine jahrzehntelange Flucht und Verbannung aufzwangen. Nur die Namen dieser Elemente haben inzwischen gewechselt. Doch im Grunde sind es die gleichen, die ich heute im Namen des Gesetzes verfolge …
1. Es gab einen dumpfen Trommelwirbel, als sie den dicken Jerome Vanderbilt zur Hinrichtung führten. Er war ein Zivilist, und deshalb wurde er gehenkt und nicht erschossen. Meiner Ansicht nach wäre es ein Unrecht gewesen, ihn nur zu erschießen. Ich bitte um Entschuldigung – ich war damals erst neunzehn und verliebt in die Gerechtigkeit. Aber auch heute, als erfahrener, reifer Mann, würde ich bei meiner Meinung von damals bleiben: Jerome Vanderbilt hatte den Tod durch den Strick verdient. Das war eine angemessene Strafe für sein Verbrechen. Er hatte eine Menge Leute auf dem Gewissen – Frauen, Kinder und Männer, die sich zwischen dem Rio Grande und Rio Doro niedergelassen hatten, um das Land urbar zu machen und mit den Apachen in den Bergen und jenseits der Grenze in Frieden zu leben. Jerome Vanderbilt hatte sich überlegt, wie er die guten Einkünfte aus seiner Frachtlinie zu einem gewaltigen Goldregen ausweiten konnte. Mit schlichter Arbeit und Ehrlichkeit war das nicht zu schaffen. Deshalb versuchte er es buchstäblich mit Gewalt. Mit Waffen war am meisten Geld zu verdienen, besonders wenn man sie
verbotenerweise an Indianer verkaufte. Da Waffen in großen Mengen nur in Kriegszeiten gebraucht werden, stiftete er einen kleinen Krieg an der Grenze von Mexiko zwischen Apachen und weißen Siedlern an, indem er seine Kutschen, die einen doppelten Boden hatten, von Apachen überfallen ließ. Anders kamen die Apachen nicht an die Waffen heran, die sie im voraus bei Jerome Vanderbilt bezahlt hatten. Vanderbilt hatte seine Gewehrlieferungen an die Apachen im doppelten Boden seiner Linienkutschen »verpackt«. Natürlich gab es bei den Überfällen Tote und Verletzte unter den weißen Passagieren. Da sich die Weißen gegen die Überfälle der Roten wehrten, brauchten die Apachen noch mehr Gewehre und Munition. Ein klug berechneter Teufelskreis. Nur hatte Jerome Vanderbilt mächtige Konkurrenten, die lange vor diesem Ehrenmann in das illegale Waffengeschäft mit Indianern eingestiegen waren und sich auf diesem Gebiet ein Monopol im Westen aufgebaut hatten. Sie duldeten nicht, daß sich ein Außenseiter in ihre Geschäfte mischte. Sie wünschten nicht, daß dieser illegale Handel in der Öffentlichkeit bekannt wurde, bevor die Zeit für einen großangelegten Krieg reif war. Sie stellten daher dem kleinen Außenseiter Jerome Vanderbilt ein Bein und brachten ihn zum Stolpern. Jetzt stolperte er die Treppe zum Galgen hinauf. Ich betrachtete das Schauspiel aus der Ferne mit zusammengekniffenen Augen. Jerome Vanderbilt hatte nichts mehr zu verlieren. Und doch fürchtete er sich so sehr vor seinen mächtigen Konkurrenten, daß er selbst bei den pausenlosen Verhören im Arrestblock von Fort Calhoun ihre Namen nicht preisgegeben hatte. Er hat den Strick verdient, dachte ich, während der Trommelwirbel im rauschenden Regen unterging. Ich mußte an Mistreß und Mister Vandam denken, die in der Nähe des Forts eine Kutschstation für Vanderbilt eingerichtet hatten. Mistreß Vandam war wie eine Mutter zu mir gewesen. Ich hatte ihre Schreie gehört, als die Apachen sie zu Tode folterten, weil Vanderbilt sie um die vorausbezahlten Gewehre betrogen hatte.
Ich hörte auch jetzt wieder das furchtbare Stöhnen von Mister Vandam, der bei der Folterung seiner Frau zusehen mußte, ehe er selbst getötet wurde. Vanderbilt hätte uns die Namen der großen Waffenschmuggler sagen können, aber die Armee durfte nicht zu den gleichen Verhörmethoden greifen wie die Apachen. Vanderbilt hatte eine Frau und einen Sohn, die jetzt in Corpus Christi wohnten, wo man Apachen nur vom Hörensagen kannte. Ich war sicher, daß die Konkurrenz von Mister Vanderbilt ihm eine gute Rente für seine Hinterbliebenen zugesichert hatte, wenn Vanderbilt den Mund hielt, bis er zur Hinrichtung geführt wurde. Das bedeutete, daß noch viel mehr unschuldige Frauen und Kinder zwischen dem Rio Doro und der Grenze sterben würden. Und auch jenseits der Grenze in Mexiko. Er hätte an die anderen Familien denken müssen, nicht nur an seine eigene. Das nahm ich ihm besonders übel. Da ich heute weiß, was für schreckliche Folgen sein hartnäckiges Schweigen für den ganzen Westen der Vereinigten Staaten bis hinauf nach Colorado haben sollte, bin ich auch jetzt noch der Meinung, Vanderbilt habe nichts Besseres als den Strick verdient. Doch ich vermenge hier Vergangenheit und Gegenwart. Es war der 6. November 1865, und ich war traurig, weil ich meinen treuen Freund Shita dem jungen Elton Vandam geschenkt hatte, der als einziger bei dem Überfall der Apachen auf die Kutschstation seiner Eltern am Leben geblieben war. Elton war erst fünfzehn, und ich war mit neunzehn bereits ein Mann. Also hatte ich ihm meinen Bastardhund Shita geschenkt, so daß wenigstens einer auf ihn aufpaßte, bis er sich einigermaßen zurechtfand in dieser Welt. Ich hatte mich gestern von meinem Hund verabschiedet und Elton Vandam mit einem Militärtransport nach Osten geschickt, damit er nicht zusehen mußte, wie der Mann gehenkt wurde, der seine Eltern auf dem Gewissen hatte. Ein Platzregen ging über dem Fort nieder, als Vanderbilt die Treppe zum Galgengerüst hinaufstolperte. Der Trommelwirbel erstickte in dem Regen. Ich haßte den Rummel, der bei solchen furchtbaren Ereignissen veranstaltet wurde. Doch ich war nicht freiwillig als Zuschauer erschienen, sondern
von Colonel Hampton Lester, dem Kommandanten von Fort Calhoun, als Zeuge der Hinrichtung abkommandiert worden, weil ich den Waffenschmuggel entdeckt und Vanderbilt zur Aburteilung nach Fort Calhoun gebracht hatte – in einer seiner eigenen Kutschen, verfolgt von den Apachen, die uns mit den von Vanderbilt gelieferten Karabinern angegriffen hatten. Ich wußte, daß Vanderbilt mir das auch jetzt noch nicht verzieh. Er wäre lieber an einer seiner Gewehrkugeln gestorben als an einem Strick, mit dem er die Armee beliefert hatte. * Ich stand so weit von dem Gerüst entfernt, wie das für einen Zeugen gerade noch zulässig war. Die Gerichtsbarkeit in Texas lag damals noch in den Händen der Militärregierung, wozu auch die unangenehme Pflicht des Hängens von Kapitalverbrechern gehörte. Aber kein Mann in Uniform hätte sich für die Aufgabe des Henkers hergegeben. Dafür gab es Spezialisten, die diese Arbeit für hundert Dollar taten, angeblich sekundenschnell und schmerzlos. Ich weiß nicht, ob das stimmte. Ich hatte nur während des Krieges ein paar Hinrichtungen aus der Entfernung miterlebt und die Opfer hinterher nicht fragen können, ob es wehgetan hatte oder nicht. Der Regen lief mir über das Gesicht, als der Henker, der eigens für diese Gelegenheit aus Corpus Christi angereist war, sich von seinem Gehilfen den sorgfältig geknoteten Strick zureichen ließ. Beide Männer trugen feierliches Schwarz und steife Hüte. Die Soldaten des Forts hatten ein Karree um das Gerüst gebildet und trugen ihre blauen Paradeuniformen. Ich weiß nicht, warum sie das Gewehr präsentierten, daß ihnen der Regen in die Läufe floß und sie anschließend wieder alle Metallteile blankputzen und einfetten mußten. Das verursachte doch nur unnötige Kosten und Schweiß für eine Sache, die das nicht wert war. Ich meine, Jerome Vanderbilts Leben war für andere schon teuer genug geworden. Der Colonel stand als einziger Vertreter der Armee oben mit auf dem Gerüst neben einem Reverenden aus Eagle Pass, der Jerome
Vanderbilt geistlichen Trost in seiner schwersten Stunde spendete. Jerome Vanderbilt war ein schwerer Mann, der mindestens zwei Zentner wog. Er war am elegantesten von allen Beteiligten gekleidet, denn er trug ein Seidenhemd mit Rüschen und Spitzen, Stiefel mit bestickten Schäften sowie einen Prince-Albert-Rock aus schwarzem Samttuch und mit silbernen Knöpfen. Dazu alle seine goldenen Siegelringe. Man sah ihm an, daß er ganz schön an seinen geschmuggelten Gewehren verdient hatte. Und da hatte ich doch bei den Padres einmal gelernt, unrecht Gut gedeihe nicht. Der Adjutant von Colonel Lester, Major William Fly, stand mit gezogenem Säbel neben mir. Es war ihm peinlich, daß ich, ein Zivilist, nicht stramm zu stehen brauchte und meine Augen herumwandern lassen konnte. Noch peinlicher war ihm, daß ich, nicht einmal halb so alt wie er, im ersten Glied der Offiziere stand und alle Blicke der Farmer auf mich lenkte, die zu der Hinrichtung erschienen waren. Denn ich hatte den Schuldigen der Apachenüberfälle entdeckt und überführt – nicht die Armee. Seit Vanderbilt im Fort in der Zelle saß, hatten die Überfälle der Chiricahuas auf die Farmer in der Nähe der Grenze aufgehört. Als ich Major Fly zuflüstern wollte, wie leid es mir täte, weil er sich bei seiner Erkältung nicht mal die Nase putzen durfte, solange der Trommelwirbel anhielt, knurrte er nur böse und deutete mit seinem Kinn ruckartig nach oben, zum Zeichen dafür, daß ich, Donnerwetter noch mal, als offizieller Zeuge meine Augen dorthin zu richten habe. Der Henker befestigte gerade die Schlinge mit dem gedrehten Knoten unter dem linken Ohr des dicken Vanderbilt. »So ein schwerer Mann«, hatte mir Mister Jonston, der Henker aus Corpus Christi, im Büro des Fortkommandanten erklärt, als ihm gleich nach seiner Ankunft mit der Kutsche im Fort dort ein kleiner Imbiß serviert wurde, »muß sehr sorgfältig angeschirrt werden«, wie er das Anlegen der Schlinge nannte. »Sonst besteht die Gefahr, daß er beim Fall durch die Klapptür im Boden des Gerüstes den Kopf verliert.« »Ich denke, Vanderbilt hatte bereits den Kopf verloren, als er sich Chiricahua-Apachen als Geschäftspartner aussuchte«, hatte ich
erwidert. »Apachen? Davon verstehe ich nichts«, hatte Mister Jonston gemurmelt und die Spitze einer Zigarre abgebissen. Er wartete, bis ich ihm Feuer gegeben hatte, und fuhr dann fort: »Ich spreche aus langer Berufserfahrung, junger Mann. Bei so einem schweren Mann wie Mister Vanderbilt besteht die Gefahr, daß der Kopf abreißt, falls die Schlinge falsch angelegt wird. Ich habe Mister Vanderbilt nur flüchtig kennengelernt, als er noch Frachtunternehmer in Corpus Christi war. Eine sehr stattliche Erscheinung mit relativ kurzem Hals, nicht wahr?« »Und sehr kurzem Gedächtnis, Mister Jonston. Vielleicht gelingt es Ihnen, es im letzten Augenblick aufzufrischen, damit er uns die Namen seiner Konkurrenten nennt.« Mister Jonston hörte gar nicht zu, als ich versuchte, ihn für meine Zwecke einzuspannen, Vanderbilt doch noch ein Geständnis zu entlocken. Er schien völlig vertieft in die mechanischen Details seines Handwerks. »Ich muß ihn unbedingt aus der Nähe sehen, Mister Ronco«, sagte er und sog heftig an seiner Zigarre. »Ein falscher Knoten – und meine Karriere ist zu Ende. Das Hängen ist eine hohe Kunst, junger Mann. Und wenn ich die Schlinge, das Gewicht und die Fallgeschwindigkeit des Körpers falsch berechne, kann es mir gehen wie einem mexikanischen Stierkämpfer, der mit seinem Degen die falsche Stelle trifft. Man bewirft mich mit faulen Eiern, pfeift mich aus und überschüttet mich mit Hohn und Spott.« »Meine Güte, Sie haben aber Sorgen!« »Pfuschen Sie vielleicht in Ihrem Beruf, junger Mann?« Er funkelte mich böse an. »Ich meine, bei Ihnen wäre das Hängen kein großes Problem. Normaler Hals, normales Gewicht, kein besonders ausgeprägter Nackenwirbel …« »Ich danke, Mister Jonston. Ich bin nur Zeuge, nicht die Hauptperson.« Mister Jonston lehnte den Whisky ab, den ich ihm nach dem Imbiß einschenken wollte. »Kein Alkohol, junger Mann. Ich sagte schon, daß das Hängen eine hohe Kunst ist, die einen nüchternen Verstand und eine ruhige Hand bedingt …«
Ich ließ ihn reden. Von ihm konnte ich keine Unterstützung erwarten. Ich versuchte es bei dem Geistlichen aus Eagle Pass. Vielleicht brachte er Vanderbilt im letzten Augenblick noch dazu, uns die Namen der anderen Waffenschmuggler zu verraten. Der Reverend war meine letzte Hoffnung. Ich hatte ihn gebeten, Vanderbilt ins Gewissen zu reden. »Sie verkennen meine Aufgabe, junger Mann«, hatte Reverend Miller aus Eagle Pass mich zurechtgewiesen, bevor er den Verurteilten in der Todeszelle besuchte. »Ich bin kein Marshal, sondern Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits. Er ist nur von einem weltlichen Gericht verurteilt, nicht von unserem wahren Richter.« »Wollen Sie damit andeuten, daß er zu Unrecht verurteilt wurde?« hatte ich betroffen gefragt. »Es geht um seine unsterbliche Seele, junger Mann«, erklärte Reverend Miller von oben herab, »die sich vor ihrem Schöpfer verantworten muß. Das Weltliche liegt hinter ihr, das wahre Leben beginnt erst.« »Reverend, wenn er uns die Namen seiner Konkurrenten verrät, können wir verhindern, daß viele Unschuldige hier am Rio Doro sterben müssen!« »Das Leben auf dieser Erde, junger Mann, ist nur eine kurze Bewährungsprobe. Wir verstehen unter ›Leben‹ etwas ganz Verschiedenes. Ja, ich denke, wir beide sprechen sogar verschiedene Sprachen. Es tut mir leid, junger Mann …« Er war in die Zelle von Jerome Vanderbilt gegangen und hatte mich einfach im Korridor stehen lassen. Und jetzt redete er auf den Verurteilten ein, während Mister Jonston auf der anderen Seite noch einmal den Strick prüfte, damit er sich nur ja nicht blamierte. Ich starrte auf meine Stiefelspitzen, bis alles vorbei war. Warum sollte ich nicht auch nur an mich denken, wenn sie sich alle so wichtig nahmen? Vanderbilt starb, ohne ein Geständnis abgelegt zu haben. Und ich hatte dabei das Gefühl, als hätte ich eine entscheidende Niederlage in meinem Leben erlitten.
Die erste entscheidende Niederlage. Mir war so elend zumute, als würde ich als nächster aufs Schafott geführt. Ich konnte mir das nicht erklären. Vielleicht war es eine Vorausahnung künftiger Ereignisse.
2. Ich ging in mein Quartier zurück. Der Himmel über den Palisaden war grauer Schiefer, mit dunklen Perlschnüren durchsetzt. Meine Stiefel versanken bis zu den Knöcheln im Lehm. Der Regen lief mir von der Hutkrempe in den Kragen und dann an meinem Rückgrat entlang, das immer noch wund war und bei jedem Schritt zu knirschen schien, wie eine schlechtgefettete Wagenachse. Der Schädelbrecher, den mir ein Apache ins Kreuz geworfen hatte, hatte auch eine Rippe angeknackst und eine blaurote Tätowierung hinterlassen, die fast hinauf bis zum Schlüsselbein reichte. Ich blieb vor der regennassen Tür meiner Baracke stehen und wartete auf das freudige Japsen eines Hundes. Shita. Vielleicht fehlte mir mein Bastardhund, daß ich Fort Calhoun plötzlich wie eine Festung empfand, in der ich gefangengehalten wurde. Die Zuschauermenge auf dem Exerzierplatz löste sich auf. Ich sah es nur als bewegtes Spiegelbild in den Regenpfützen. Ich drehte mich nicht mehr nach dem Gerüst und dem Querbalken um, an dem jetzt ein lebloser Körper hing. Ich konnte nicht verstehen, warum eine Hinrichtung ein Spektakel für alle Menschen in der Umgebung sein mußte, das manchmal zu einem Fest ausartete. Ich konnte meine Mitmenschen nicht mehr verstehen. Mein Job war mir verleidet. Ich denke, es wäre klüger gewesen, Jerome Vanderbilts Hinrichtung aufzuschieben oder sogar in eine Haftstrafe umzuwandeln, bis er so mürbe geworden war, daß er redete. Ich war immer noch der Meinung, daß er den Tod verdient hatte. Doch ich hatte Colonel Lester sogar vorgeschlagen, Vanderbilt zu begnadigen, wenn er die Namen seiner Konkurrenten preisgab. Er hatte erwidert, dafür gäbe es keine gesetzliche Handhabe. Lester bemühte sich immer, so korrekt wie möglich zu sein, weil er die überlegene Intelligenz seines Adjutanten fürchtete, der in West
Point eine »höhere« Bildung genossen hatte. Lester hatte sich hochgedient, was ich für eine viel bessere Empfehlung für seinen Posten betrachtete, als ein gutes Zeugnis der West-Point-Akademie. Aber ich konnte Lester, der an Komplexen litt, nicht umstimmen oder umbacken. Ich hatte ihm gesagt, es wäre ein Gebot der Klugheit, Vanderbilt so lange am Leben zu lassen, bis wir alles wüßten. Das wäre ein Gebot der Staatsräson. Aber Major Fly hatte gegen mich gestimmt und gemeint, es wäre unverantwortlich, das Gesetz so zu vergewaltigen. Wenn das Schule mache, was ich vorschlüge, würden bald alle Mörder straffrei ausgehen und sich in ihren Zellen bedienen und verhätscheln lassen, nur weil sie versprochen hatten, die Namen ihrer Komplicen zu verraten. Major Fly war ein verdammter Theoretiker. Und er setzte sich natürlich durch. Ich spülte den Lehm in einer Regenpfütze vom Oberleder und reinigte die Sohlen auf dem Lattenrost, als ich das Japsen hinter der Barackentür hörte. Es kam nicht von meinem Hund Shita, sondern von meinem Kollegen Jicarilla. Er war wieder einmal betrunken, und dann stieß er unverständliche Laute aus. Ich öffnete die Tür. Das Apachenhalbblut lag auf seiner Pritsche und grinste blöde, als ich meine nasse Jacke über die Stuhllehne hängte und den Stuhl neben den Ofen stellte. »Das Feuer ist aus«, sagte er. »Der Brandy ebenfalls.« Er deutete auf seine Metallflasche auf der schmutzigen Decke, mit der er sich bis zur Brust zugedeckt hatte. Seine großen, runden Augen unter dem roten Stirnband glänzten wie im Fieber. Der Fuselgeruch, der ihn umgab, raubte mir fast den Atem. »Ich habe doch erst heute morgen frisches Holz und Torf besorgt.« »Ich hatte keine Zeit, das Feuer nachzuschüren«, lallte das Halbblut. »Ich mußte die Totenklage für das Bleichgesicht singen!« »So ein Unsinn!« »Gar kein Unsinn, Ronco. Sein Geist irrt sonst ruhelos im Reservat meiner Stammesbrüder herum und stachelt sie zu neuen Überfällen an.« »Und warum bist du in der Unterkunft geblieben und hast dich mit Brandy vollaufen lassen?«
Er stemmte sich auf den Ellenbogen hoch und blickte mich beleidigt an. »Vor dem Fort lagern weiße Siedler und haben Angst vor Apachen! Hier im Fort sind weiße Farmer und drohten mir mit Fäusten und Gewehren, als ich mein Gesicht am Fenster zeigte. Apachen sind im Augenblick sehr unbeliebt am Rio Doro. Und für die Totenklage braucht man die Inspiration des Großen Geistes.« »Also hast du dich vom Brandy inspirieren und das Feuer ausgehen lassen!« »Was hättest du denn an meiner Stelle getan, Mister?« »Ich vertrage keinen Alkohol, wie du weißt! Aber wo ist das Holz, das ich heute morgen aus dem Magazin herübergetragen habe, he?« »Woher sollte ich mir denn den Brandy besorgen, den ich für die Inspiration meiner Totenklage dringend brauchte, he?« »Du hast unser Feuerholz versilbert und dir dafür Brandy in der Marketenderei gekauft?« Ich saß auf dem harten Stuhl und fror erbärmlich, denn ich war bis auf die Haut durchnäßt. Er lag warm und trocken auf seiner Koje, erhitzt vom Brandy und zu faul dazu, sich zu waschen und anzuziehen, als wäre eine weiße Hinrichtung ein christlicher Feiertag für Indianer. Jicarilla war ein guter Fährtenleser und zuverlässiger Companero, wenn er nüchtern war. Aber leider war er das in den seltensten Fällen. »Besorg frisches Holz!« fuhr ich ihn an. »Klau es von mir aus! Sonst jage ich dich hinaus auf den Exerzierplatz, nackt wie du bist …« Es klopfte energisch an der Barackentür. Corporal Jones von der Schreibstube wartete erst gar nicht ab, daß ich ihn hereinbat. Er gehörte zu meinen »Intimfreunden« im Fort und nahm jede Gelegenheit wahr, um mich beim Alten anzuschwären. »Das mit dem ›Holz‹ möchte ich überhört haben«, sagte er streng. »Sie sollen sich sofort beim Colonel melden, Scout Ronco!« »Ich habe keinen trockenen Faden am Leib. Ich muß mich erst …« »Sofort, läßt Ihnen der Colonel durch mich ausrichten. Das bedeutet pronto, subito, hurtig-hurtig!« »Pi-kon-ta«, murmelte ich angewidert. »He – was heißt das?« fragte Corporal Jones beleidigt.
»Daß er sofort kommt«, sagte Jicarilla und versuchte, ein ernstes Gesicht dabei zu machen. Ich zog meine Jacke wieder an und trottete durch den nassen Lehm hinüber zur Kommandantur. »Pi-kon-ta«, wiederholte Corporal leise hinter meinem Rücken. »Das muß ich mir merken. Was ist das für eine Sprache?« »Chiricahua.« »Also das Kauderwelsch der Wilden, die in letzter Zeit die Gegend hier verunsichern, wie?« »Richtig.« »Und das heißt schnell?« fragte er weiter, aber ich gab ihm keine Antwort. »Pi-kon-ta, Scout Ronco, der Colonel wartet schon!« Ich blieb vor der Tür seiner Schreibstube stehen. »Wenn ich Ihnen den Gefallen unbedingt tun soll, Corporal«, sagte ich, »muß ich mir erst die Hose ausziehen!« »Ich denke, das heißt pronto, subito, hurtig-hurtig?« »Das hat Jicarilla gesagt, nicht ich, Corporal!« * »Das ist mein erster Scout, Mister Foner«, sagte Colonel Lester, »tragen Sie ihm Ihre Wünsche vor.« Draußen hörte ich Hammerschläge. Die Soldaten halfen Jonston, das Gerüst wieder abzubauen. Immer noch hielten sich eine Menge Zivilisten auf dem Exerzierplatz auf, obwohl es wieder in Strömen regnete. Selbst ein paar Kinder hatten sie zur Hinrichtung mitgebracht. Ich kniff die Augen zusammen. Aber vielleicht tat ich den Leuten da draußen Unrecht, wenn ich an Elton Candam dachte. Möglicherweise hatten sie Vanderbilts Hinrichtung nur als Vorwand benutzt, um sich einen Tag lang hinter den hohen Holzmauern des Fort sicher fühlen zu können. »Er ist noch sehr jung, Sir.« »Das beeinträchtigt nicht seine Fähigkeiten, Mister Foner«, erwiderte der Colonel kühl. »Wir haben es ihm zu verdanken, daß wir einen Waffenschmuggler überführen und bestrafen konnten.« »Ich habe das Schauspiel mit Entrüstung und Abscheu verfolgt«,
sagte der schmächtige Mann mit dem grauen Vollbart. »Es steht uns Menschen übel an, einem Bruder das Leben gewaltsam zu nehmen, statt ihn herzlich zu lieben, wie es Jesus Christus uns allen gebot. Er starb nicht am Kreuz, damit wir andere Menschen kreuzigen, sondern ihnen vergeben. Und versprach er nicht einem seiner beiden Leidensgenossen auf dem Berg von Golgatha, daß er mit ihm das Himmelreich schauen würde?« »Mister Foner«, erwiderte Colonel Lester stirnrunzelnd, »Sie kommen mit Ihrem Treck direkt aus Corpus Christi?« »Ich dachte, das sagte ich Ihnen schon, Sir.« »Mein Scout wußte es noch nicht.« Der Colonel setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Und vorher – wo waren Sie da?« »In Connecticut. Wir haben eine lange Schiffsreise hinter uns. Eigentlich wollten wir mit unseren Glaubensbrüdern in Pennsylvania siedeln. Aber leider sind dort die Aussichten für ein schlichtes, gottesfürchtiges Landleben sehr düster. Eisenbahnen, stinkende Fabrikschlote. Du meine Güte! Deshalb sind wir nicht aus Europa hinterhergereist!« Der Colonel warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Mister George Foner ist ein Quäker, Ronco«, sagte er. »Er hat noch keinen Apachen gesehen und auch kein Gewehr. Zumindest weigert er sich, ein Gewehr anzufassen. Er möchte mit einem Treck von fünf Planwagen über das Edwards Plateau. In Bandera soll angeblich ein großer Treck auf sie warten, mit dem sie in das Gelobte Land ziehen können.« Der Colonel legte beide Hände auf den Tisch und begann, Däumchen zu drehen. Es war das Äußerste, was Colonel Hapton Lester an Sarkasmus aufbringen konnte. »Mister Foner meint, er habe Anspruch auf Unterstützung der Armee.« »Der Winter steht vor der Tür, Sir«, sagte ich erschrocken. »Ich sagte es Mister Foner bereits. Er meinte, mit Gottes Hilfe würden sie ihr Ziel bestimmt erreichen.« »Das Gelobte Land, Sir?« Ich betrachtete die Landkarten, die überall an den Kiefernholzwänden der Kommandantur klebten. »Dürfte ich erfahren, wo genau es liegt?« »Mister Foner ist sich da selbst noch nicht ganz sicher«, erwiderte Colonel Lester bissig. »Zuerst war er überzeugt, es läge in
Pennsylvania. Nun könnte es seiner Meinung nach entweder in Arizona oder in New Mexico liegen. Das hängt davon ab, welchen Weg Mister Foners Stimmen für richtig halten, wenn der Trail sich gabelt.« »Das sagte ich nicht, Sir«, protestierte der Quäker. »Ich habe mich anders ausgedrückt. Ich sagte, wenn wir an einen Scheideweg gelangen, wird Gott zu mir sprechen und mir den richtigen Weg weisen.« »Entweder nach Arizona oder nach New Mexico, eh?« Ich ging zu der großen Landkarte, die hinter dem Konferenztisch aus schwarzer Mooreiche an die Wand geheftet war. »Erstens«, sagte ich und unterdrückte mühsam meinen Ärger, »gibt es von hier ab weder Straßen noch Wege, sondern nur noch Wildnis, Wüste und zerklüftete, im Winter fast unüberwindliche Berge. Von einem Scheideweg kann überhaupt nicht die Rede sein. Zweitens müssen Sie sich schon hier entscheiden, ob Sie nun nach Arizona hinüber wollen oder hinauf nach Norden in das Territorium von New Mexico. Ich weise Sie schon jetzt darauf hin, daß Sie in beiden Fällen erst einmal durch die Hölle müssen, ehe Sie ein Land sehen, das sich zum Siedeln eignet. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf …« »Nun?« »Bleiben Sie hier, und überwintern Sie im Fort. Oder siedeln Sie am Rio Doro. Irgendein freies Plätzchen werden Sie sicher noch finden.« »Wir können nicht hier überwintern, weil unsere Brüder in Bandera auf uns warten. Wir würden ein ganzes Jahr verlieren, wenn wir nicht weiterziehen! Wir berufen uns auf das Heimstättengesetz, das uns jede Hilfe durch die Armee zusichert.« Der Colonel zuckte mit den Schultern. »Das stimmt leider. Ich habe Mister Foner nicht davon abbringen können, Selbstmord zu begehen.« Er deutete auf die Landkarte. »Der Trail führt durch das Gebiet der Mescaleros und Comanchen, und ich versuchte, Mister Foner die Mentalität dieser Leute zu erklären – mit welcher brüderlichen Nächstenliebe sie Siedler zu behandeln pflegen, die ihnen in die Hände fallen. Und wie rührend sie zu kleinen, weißen
Kindern und Frauen sind.« Der Colonel drehte die Däumchen wie rasend. »Außerdem habe ich ihm erklärt, daß ich ihm nur einen Scout mitgeben kann, weil das Fort immer noch in Alarmbereitschaft wegen der Apachenüberfälle auf die Kutschstationen ist. Ich habe Mister Foner erklärt, daß meine vordringliche Aufgabe darin besteht, bereits existierende Siedlungen zwischen dem Rio Grande und Rio Doro gegen Angriffe zu schützen. Aber Mister Foner will gar keinen bewaffneten Geleitschutz für seine fünf Planwagen. Er ist der festen Überzeugung, Gottes Heerscharen wären der beste Schutz gegen Comanchen und Apachen. Auch gegen weiße Banditen.« »Du heiliger Strohsack«, murmelte ich, »darf ich einen Whisky haben?« »Bedienen Sie sich, Ronco«, erwiderte der Colonel. »Er steht bereits dort auf dem Tisch. Mister Foner ist natürlich auch ein Verächter von Alkohol.« »Und Sie haben mich holen lassen, damit ich diesen Treck ins Gelobte Land führe?« sagte ich, während ich mir ein großes Glas bis zum Rand mit Bourbon vollgoß. »Er ist viel zu jung«, sagte George Foner kritisch. »Er ist der einzige, den ich habe«, erklärte Colonel Lester-. »Sie vergessen Jicarilla, Sir«, erwiderte ich eisig. »Diesen Mann hat mir der Colonel bereits vorgeschlagen«, sagte Mister Foner und strich seinen langen weißen Vollbart. »Ich habe abgelehnt.« »Warum?« fragte ich und blickte dabei den Colonel hilfesuchend an. Er bewegte die Augen zur Decke hinauf, als wolle er die himmlischen Heerscharen als Zeugen anrufen, daß er alles versucht habe, diesem Quäker das Halbblut Jicarilla als Führer ins Gelobte Land anzudrehen. »Warum hat er abgelehnt?« wiederholte ich meine Frage. »Jicarilla ist weder getauft noch konfirmiert, Ronco.« »Aber er ist ein hervorragender Scout und spricht sowohl den Dialekt der Prärie-Comanchen als auch den der Mescaleros.« »Mister Foner meint, Gott würde die Wilden erleuchten, daß sie seine Sprache verstünden!«
»Himmel, will er mit den Comanchen etwa hebräisch reden?« »Er will sie sogar bekehren, falls er unterwegs auf Heiden trifft.« Ich goß mir noch einen Whisky ein, stürzte ihn herunter und wollte wieder zur Tür hinaus. »Wo wollen Sie hin, Ronco?« rief Colonel Lester scharf. »Entschuldigung, Sir«, murmelte ich. »Vielleicht ist der Reverend aus Eagle Pass noch nicht abgereist …« »Er ist, Ronco! Ich habe ihn gleich nach der Hinrichtung persönlich verabschiedet.« »Schade«, sagte ich enttäuscht. »Was wollten Sie denn von ihm?« »Ihn bitten, daß er Jicarilla vielleicht noch tauft und konfirmiert, Sir. Im Schnellverfahren, Sir. Ich meine, Jicarilla ist gerade in einem sehr sanftmütigen Zustand und wird beides bereitwillig über sich ergehen lassen. Ich muß nur vorher noch das richtige Taufwasser aus der Marketenderei besorgen und …« »Hiergeblieben!« donnerte der Colonel. »Sie werden die Führung des Trecks übernehmen. Das ist ein Befehl!« »Er ist noch viel zu jung«, murmelte der vollbärtige Quäker mißbilligend. »Er ist getauft und konfirmiert! Und das ist doch alles, was Sie von einem Scout verlangen, verdammt noch mal!« Colonel Lester platzte jetzt endgültig der Kragen. »Hm. Jesus Christus war noch ein Kind, als er die Pharisäer aus dem Tempel vertrieb. Und Moses war auch noch sehr jung, als er die Kinder Israels aus Ägypten nach Sinai hinüberführte. Nur hat er das Gelobte Land nie erreicht … Hm, wie alt sind Sie?« »Neunzehn!« fauchte ich wütend. »Nun, ich werde die Entscheidung meinen Brüdern überlassen, Colonel«, sagte George Foner und erhob sich von seinem Sessel. »Und dann werden wir abstimmen.« »Tun Sie das«, knurrte der Oberst aufgebracht. »Abgesehen davon, daß er konfirmiert ist, ist er der beste Scout zwischen dem Rio Grande und dem Mississippi. Ich bin gar nicht böse, wenn Sie ihn ablehnen. Bei Gott, ich bin heilfroh, wenn Sie ihn hierlassen!« »Ich auch«, schloß ich mich der Meinung meines Vorgesetzten an
und hielt dem kleinen vollbärtigen Quäker die Tür auf.
3. Ich war fest entschlossen, den denkbar ungünstigsten Eindruck auf die »Brüder« von Mister George Foner zu machen und legte mir schon auf dem Weg zum Lagerplatz der Neusiedler eine Reihe von Flüchen zurecht. Ich wollte hier in Fort Calhoun bleiben, um den Spuren der geheimen Waffenschmuggler nachzugehen, obwohl das natürlich nicht meine offizielle Aufgabe als Armeescout war. Ich raufte mir die Haare, übte das Grimassenschneiden, wenn ich durch eine Regenpfütze patschte, und begann sogar hin und her zu torkeln, als ich die Planwagen hinter den Ställen des Forts auftauchen sah. Colonel Lester hatte dem Treck den Reitplatz für Anfänger und Rekruten als Lagerplatz zugewiesen. Ich rülpste und deutete auf die Planwagen. »Haben Sie denn auch Zugtiere aus Pennsylvania nach Corpus Christi mitgebracht?« fragte ich den weißhaarigen Foner, der neben mir hertippelte. »Natürlich haben wir Gespanne mitgebracht. Wir kauften die Zugtiere in Corpus Christi, junger Mann. Erstklassige Maultiere. Sechs für jeden Planwagen.« Ich hörte auf, den Betrunkenen zu mimen. Ich blieb überrascht stehen und blickte den Alten scharf an. »Sie haben sechs Maultiere für jeden Planwagen? Einen richtiggehenden Maultierzug?« »Und noch drei Ersatztiere pro Wagen, abgesehen von den Pferden, die wir in Laredo gekauft haben.« »Shetland-Ponys?« fragte ich, um meinen Sarkasmus nicht ganz zu verlieren. »Mustangs und zwei Pintos. Tiere, die an die harten klimatischen Bedingungen des texanischen Hochlandes gewöhnt sind«, erwiderte der alte Foner mit milder Nachsicht. »Wildpferde, die in der Sierra Madre geboren sind und dort erst im Herbst gefangen und ein wenig gezähmt wurden. Einer Ihrer Sergeants hat sie vorhin besichtigt. Er wollte sie uns abkaufen.« »Welcher Sergeant?« fragte ich rasch.
»Ein Sergeant mit breiten Hosenträgern und einem Gesicht wie – wie gehacktes Beefsteak, will sagen, etwas cholerisch. Und sehr kräftig, auch in seiner Ausdrucks weise. Er …« Mister Foner stockte verlegen. »Sie meinen, er fluchte bei jedem Satz, als er Ihre Mustangs betrachtete? Beim Teufel – das ist ein gutes Zeichen! Sergeant Tucker ist zwar ein Grobian, aber der beste Rittmeister, den man sich vorstellen kann. Drillmaster unserer Kavallerierekruten. Er versteht was von Pferden. Wenn er fluchte, als er ihnen ins Maul schaute …« »Bei Gott, das tat er«, sagte der alte Foner. »Er fluchte auf die Jungfrau Maria, als er den Mustangs die Lippen auseinanderzog und die Zähne sah. Und als er die Hufe inspizierte, beleidigte er mindestens ein halbes Dutzend Heilige.« Der alte Foner stockte. »Ich glaube, unsere Pferde müssen krank sein …« »Oh, durchaus nicht«, erwiderte ich aufgeregt. »Sie sind kerngesund! Und das mit der Jungfrau Maria und den Heiligen müssen Sie nicht so tragisch nehmen, Mister Foner. Sergeant Tucker ist katholisch. Aber …« Ich hielt mitten in einer Pfütze an und ließ den Mund offen stehen. »Wer ist denn das?« erkundigte ich mich leise und versuchte rasch, meine aufgewühlten Haare wieder mit den Fingern zu glätten. Mister Foner war neben mir am Rand der Pfütze stehengeblieben und warf mir einen prüfenden Blick zu. »Das sind Mary und Kathy«, sagte er sanft, fast entschuldigend. Aus einem Planwagen waren zwei flachsblonde Mädchen herausgestiegen und warteten, sich an den Händen haltend, daß wir näherkamen. Sie trugen lange Kleider aus ungefärbter Wolle, die sie offenbar selbst gewebt oder gestrickt hatten. Das ließ sich aus dieser Entfernung noch nicht genau sagen. Aber ich schätzte sie beide auf siebzehn oder achtzehn Jahre, weil sich unter den schmucklosen Kleidern sehr appetitliche Formen abzeichneten. Brüste und Hüften, die auch unter einem eleganten Seidenkleid nicht hübscher und anziehender hätten aussehen können. »Gott segnete mich noch im fortgeschrittenen Alter mit doppelter Nachkommenschaft, Bruder«, sagte Foner leise neben mir. »Ich danke ihm jeden Tag für diesen Segen.«
»Zwillinge«, sagte ich ergriffen. »Sie sind gleich schön. Ich könnte sie nicht voneinander unterscheiden.« »Ich schon«, sagte Mister Foner in meine Andacht hinein. »Mary dreht die Zopfflechten links herum und Kathy rechts.« »Bei Gott«, sagte ich, »wenn Sergeant Tucker Ihre Töchter besichtigt hätte, würde er wahrscheinlich alle Heiligen dem Alphabet nach verflucht haben. Vorwärts und rückwärts …« »Ja«, stimmte mir der weißbärtige Quäker zu, »es hat Gott gefallen, meine beiden Töchter nicht nur mit frommen Gedanken, sondern auch mit schönen Gliedern auszustatten. Ich hatte deswegen Bedenken, Mister Ronco …« »Moment mal! Ich komme als Scout zu Ihnen, nicht als – nun – ich …« Ich verhaspelte mich und war plötzlich schrecklich verlegen. Hatte ich die beiden hübschen Mädchen vielleicht nur unter dem Gesichtspunkt eines Treckführers betrachtet? Ich war zu ehrlich oder zu jung, um mich verstellen oder meine Gefühle verbergen zu können. »Sergeant Tucker meinte, es fehle Ihnen an Disziplin, Mister Ronco. Sie könnten von gewissen Anfechtungen von Ihrer Aufgabe abgelenkt werden.« Das brachte mich zurück ins Gleichgewicht. »Das hat er gesagt?« schnaubte ich. »Hat er sich etwa selbst als Scout angeboten?« »Nun, er erwähnte so etwas.« »Er versteht etwas von Pferden, aber nichts von Fährten und schon gar nichts von Indianern, Mister Foner! Und ich würde ihm nicht mal ein lahmes Muli anvertrauen, geschweige zwei so hübsche …« Ich stockte. »Sie wollten den Job doch sowieso ablehnen, Mister Ronco.« »Ja«, erwiderte ich lahm. Ich verfluchte mich für meine Voreiligkeit. »Aber ich bin geneigt, meinen Entschluß zu überdenken, wenn Sergeant Tucker von Ihren Pferden schwärmte, Mister Foner. Offenbar ist Ihre Ausrüstung doch besser, als ich dachte.« Der weißbärtige Quäker lächelte fein. »Vorurteile sind eine Schwäche der Jugend, und übertriebene Vorsicht ist eine Schwäche des Alters. Vielleicht begegnen wir uns in der Mitte.«
* Der Treck bestand aus fünf solide gebauten Planwagen mit extrem langen Deichseln, wie sie für Sechsergespanne nötig waren. Die Planwagen waren zu einem Kreis zusammengeschoben. Während ich neben Mister Foner auf eine Lücke zwischen den Wagen zustrebte, gab ich mich jetzt ganz kühl und sachlich, als wäre ich ein Neutrum oder ein alter, abgebrühter Hase in meinem Job, der nur das Material und die Ausrüstung des Trecks zu überprüfen hat. Ich betrachtete die Naben und Speichen der Prärieschoner, die Seitenbracken und die Planen, von denen der Regen herunterperlte. Die Beschläge waren gut gefettet, und ich konnte nicht ein Fleckchen Rost daran entdecken. Die Planen waren neu und aus bestem Segeltuch. Das Tauwerk in den Ösen und an den Rungenstützen war tadellos, und auch das Riemenzeug an den Zugscheiten würde härtester Belastung standhalten. Ich ging um jeden Wagen herum, prüfte die Vorstecker an den Naben, die Bremsklötze, die Deichselarme und die Radreifen. Die Freunde des alten Foner – seine »Brüder und Schwestern«, wie er sie nannte – waren in der Mitte des Kreises versammelt und beobachteten mich. Ich kam mir wie ein verdammter Rekrutenausbilder vor, aber ich wollte ihnen beweisen, daß ich nicht zu jung für meinen Job und nicht geneigt war, mich von Vorurteilen leiten zu lassen, nur weil zwei hübsche Mädchen zu dem Treck gehörten. Der Regen hörte plötzlich auf, und die Sonne lugte zwischen den schiefergrauen Wolken hervor. Eine Lichtbahn fiel senkrecht vom Himmel herunter, mitten in den Kreis der Planwagen. Mir erschien das wie ein gutes Omen. Es erinnerte mich an Jakobs Traum von der Himmelsleiter. Doch ich schüttelte diese Gedanken ab. Ich wollte mich nicht von der Frömmelei des alten Quäkers anstecken lassen. Doch eines mußte ich diesen Leuten lassen. Sie hatten sich gründlich auf ihren Zug in das Gelobte Land vorbereitet. Ich wandte mich Foner zu, der mir stumm wie ein Schatten folgte. »Was ich bisher gesehen habe, gefällt mir«, sagte ich zu ihm. »Hat
Gott Sie erleuchtet, als Sie Ihre Ausrüstung in Corpus Christi und Laredo zusammenstellten?« George Foner schien über meinen Sarkasmus keineswegs beleidigt. »Nein«, erwiderte er mit einem nachsichtigen Lächeln. »Gott schickte uns einen Mann, der schon oft im Westen gewesen ist. Einen Goldgräber und Fallensteller, den wir gern als Führer auserwählt hätten. Doch der Mann mußte ablehnen.« »Zu alt, wie?« »Nicht zu alt, aber zu gebrechlich. Er hat sich in den Rocky Mountains die Schwindsucht und die Gicht geholt. Er beriet uns, aber er konnte den Treck nicht führen. Er hat uns an die Armee verwiesen.« »Und wie steht es mit der Ausrüstung in den Wagen, Mister Foner? Sie sind voll beladen, und es würde Tage dauern, alles zu überprüfen. Außerdem schickt es sich nicht für einen Fremden, in die Kästen und Truhen hineinzuschauen. Der Planwagen eines Siedlers ist, wie das Haus eines Bürgers, sein privates Geheimnis.« Der Alte nickte zustimmend, und zum erstenmal schien sein kritischer Vorbehalt einer vorsichtigen Zustimmung zu weichen. »Ich habe alles nach einer Liste eingekauft, die unser Ratgeber zusammenstellte. Meine Frau hat sie. Ich werde sie holen, und Sie können dann nachprüfen, was vielleicht noch fehlen mag.« »Das würde mir meine Aufgabe sehr erleichtern, Mister Foner. Aber ich denke, ich werde mich zuerst dem wichtigsten Bestandteil Ihres Trecks zuwenden – den Mitgliedern Ihres Siedlertrupps.« Der alte Foner nickte zustimmend. Offenbar sammelte ich weitere Punkte auf seinem Wertungsbogen. »Ich werde Sie vorstellen«, sagte er höflich, als wäre ich in seinen Augen bereits um zehn Jahre reifer geworden. Sie erwarteten mich in kleinen Gruppen vor ihren Planwagen – familienweise, hätte man dazu sagen können. Nur einer von den Treckmitgliedern stand für sich allein, auch in der Haltung und in der Kleidung auffällig verschieden von den Quäkerfamilien. »Wer ist das?« fragte ich und deutete mit dem Kopf auf den Mann, der am Ende des Kreises stand. Oder am Anfang, wenn man so will,
da es bekanntlich in einem Kreis weder Anfang noch Ende gibt. »Mister Sam Bushfield.« »Er hat als einziger den Hut abgenommen.« George Foner lächelte wieder gütig. »Wir Quäker nehmen den Hut nur vor Gott ab. Es ist kein Zeichen von Unhöflichkeit. Wir wollen damit nur ausdrücken, daß wir Menschen vor Gott gleich sind. Wir hassen jede Art von Unterdrückung oder Bevormundung.« »Sie ordnen sich also nicht unter?« »Das eine widerspricht nicht dem anderen, Mister Ronco. Gehorsam aus Einsicht und freiem Willen ist etwas anderes als die Unterwerfung unter einen Befehl, dem wir nicht zustimmen können. Sie verstehen den Unterschied?« »Ich verstehe. Sam Bushfield ist also kein Quäker?« »Nein. Er bat uns, sich unserem Treck anschließen zu dürfen, weil er ebenfalls nach Bandera will. Wir nahmen ihn in unserer Gemeinschaft auf. Er fügte sich unseren Weisungen.« »Welchen Weisungen?« »Sie haben ja seinen Planwagen gesehen. Wir stellten die Bedingung, daß er sich äußerlich nach uns richten muß. Das gleiche, gute Material, das uns empfohlen wurde. Er hat es getan. Wir Quäker schreiben niemandem eine Gesinnung vor, nur die Achtung vor Gott.« »Vorhin sprachen Sie aber davon, daß Ihr Scout getauft und konfirmiert sein müsse, Mister Foner.« »Ihr Colonel hat das überspitzt formuliert, Mister Ronco. Wir haben weder eine Liturgie noch Priester. Für uns ist die Stimme des lebendigen Gottes entscheidend. Ich sagte, wir würden uns keinem Heiden anvertrauen.« »Mister Bushfield ist kein Heide?« fragte ich, weil mich irgend etwas an dem Mann störte. »Nein, er ist nur ein Fremder. Er hat sich in Laredo unserem Treck angeschlossen, und er war bei jeder Andacht dabei.« »Aha.« »Sie scheinen nicht ganz einverstanden zu sein. Weshalb?« Ich konnte ihm nicht sagen, daß meine »Stimme Gottes« mein Instinkt war. Und ich mußte mich hüten, so etwas wie ein Vorurteil
durchblicken zu lassen. Sam Bushfield sah mir nach einem Mann aus, der sich im Süden und Westen sehr gut auskannte. Nach einem Mann, der es nicht nötig hatte, sich einem Treck von Greenhorns anzuschließen, die ihrem schlichten Gemüt folgten, um das »Gelobte Land« zu erreichen. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, wäre ich lieber allein nach Bandera gefahren als mit diesen unerfahrenen Quäkern. Aber vielleicht hatte er Gründe, die ich noch nicht kannte. Ich nahm mir vor, ihn bis zuletzt aufzusparen, und wich Foners Frage aus. »Ich wundere mich nur, was er mitten im Winter in Bandera anfangen will.« »Danach haben wir ihn nicht gefragt, Mister Ronco.« »Ich werde das an Ihrer Stelle nachholen«, sagte ich bestimmt und wandte mich nach links, so daß meine Vorstellung bei Sam Bushfield enden mußte, der mich mit gezogenem Hut erwartete. Das war es, was mich störte. Er war doppelt so alt wie ich und wahrscheinlich doppelt so erfahren. Und trotzdem stand er vor seinem Wagen wie ein Anfänger, der darauf wartet, von mir darüber aufgeklärt zu werden, was ihn auf dem Treck nach Norden erwartet. * Ich schritt also im entgegengesetzten Urzeigersinn die Besatzung der kleinen Wagenburg ab. Da war zuerst die Familie Gatsby mit zwei halb- oder schon ganzwüchsigen Söhnen, die mir freundlich die Hand schüttelten und mich mit Bruder anredeten, weil das so üblich ist bei den Quäkern. »Er gehört zu den nassen Quäkern«, raunte mir Foner zu. »Naß? Sie meinen, er trinkt Alkohol?« Homer Gatsby, das Familienoberhaupt, hörte meine Bemerkung und lachte laut. »George meinte, daß ich nicht so strenge und orthodoxe Vorstellungen vom Leben habe wie er. Ich trinke zwar keinen Alkohol, aber ich habe im Bürgerkrieg mitgekämpft. Gegen die Südstaaten, wie Sie sich denken können. Wir Quäker hassen die Sklaverei und Unterdrückung von Menschen.« »Die Stimme Gottes befahl ihm, mit dem Gewehr für unsere
Überzeugungen zu kämpfen«, sagte Foner neben mir. »Das bedeutet, daß Sie auch Gewehre in Ihrem Wagen haben?« fragte ich überrascht. »Natürlich habe ich das«, erwiderte Homer Gatsby sachlich. »Nur George Foner gehört zu den Trockenen, wie wir unsere strenggläubigen Glaubensbrüder nennen. Wir anderen haben auch Gewehre und Munition eingeladen. Aber für uns sind Waffen nur ein allerletztes Mittel, das Leben der uns anvertrauten Menschen gegen das Böse zu verteidigen.« »Oh, das genügt mir«, erwiderte ich erleichtert. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Gatsby.« »Sagen Sie nur Bruder zu mir«, erwiderte er und zerquetschte mir fast die Hand. Er war so groß wie ich, hager, altmodisch und einfach gekleidet wie die anderen Männer in dieser kleinen Gemeinde. Sein Händedruck gefiel mir so gut wie der offene Blick seiner grauen Augen. Er mochte vielleicht vierzig Jahre alt sein, und schien so stolz auf seine beiden Jungen zu sein wie Foner auf seine Zwillingstöchter. Caspar und Pat waren ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, was man von den Zwillingen nicht behaupten konnte. Sie waren sechzehn und siebzehn, wie ihr Vater mir sagte, »brav, gottesfürchtig und fleißig.« Das konnte ich nicht beurteilen. Sie wirkten ein wenig farblos auf mich. Dale Gatsby ebenfalls. Sie sah ein wenig verhärmt aus, als habe sie bisher wenig Freuden im Leben gehabt. Aber vielleicht war sie auch nur erschöpft von der langen Reise, die sie von Pennsylvania bis in das südliche Texas geführt hatte. Als nächstes kamen die Fullers an die Reihe, die nur aus drei Familienmitgliedern bestanden. Mike Fuller hatte schon schlohweiße Haare wie Foner, obwohl er mindestens zehn Jahre jünger als der Vater der Zwillinge war. Fuller schien zerstreut und sah mir eher nach einem Gelehrten aus als nach einem Mann, der sich als Pionier im Westen durchsetzen will. Aber kräftig genug schien er noch für harte Knochenarbeit zu sein. Trudy Fuller, seine stämmige Ehefrau, schien die Hosen in der Familie anzuhaben. Sie blickte mir in die Augen und legte dann den Arm um die Schultern ihres Sohnes, der mich mit finsterem Blick
musterte und dabei auf seiner Unterlippe herumnagte. »Ich hoffe, Tom wird Ihnen eine Hilfe sein, Mister Ronco. Er beneidet Sie. Sie haben den Beruf, von dem er immer träumt. Den Beruf des Waldläufers und Trappers. Er möchte auch so etwas werden. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät für ihn. Er ist so alt wie Sie, Mister Ronco.« Tom wollte vor Scham in den Boden versinken. Ich hätte ihm höchstens siebzehn Jahre gegeben. Sein Gesicht war voller Pickel, und mit seinem Bartflaum war es noch nicht weit her. Aber ich klopfte ihm auf die Schultern und sagte ihm, daß ich mich freue, wenn ich etwas Nützliches für seinen zukünftigen Werdegang beitragen könne. Oder irgend so etwas. Aber sein finsterer Blick hellte sich trotzdem nicht auf. Später entdeckte ich, warum nicht. Er war in eine der beiden Zwillinge verliebt und hielt mich offenbar für einen Rivalen, der ihm beide Mädchen vor der Nase wegheiraten würde, als gehöre ich der Sekte der Mormonen an. Dann folgten die Hancocks, ebenfalls eine Familie aus vier gottesfürchtigen Mitgliedern. Phil Hancock und seine Frau Mabel waren die jüngsten Eltern der Gemeinde auf Rädern, etwas rundliche Leute, gemütlich und Wohlwollen ausstrahlend. Ihr Sohn Roger war zwölf, und ihre Tochter Mabel zehn Jahre alt. Mabel wollte mich gleich mit ihren Puppen bekanntmachen. Sie war das einzige Kind vom Treck, das wirklich keine Ahnung hatte, was ihm auf der Reise nach Norden bevorstand. Roger bestaunte mich, weil ich einen Revolver am Gürtel trug sowie ein rundes Dutzend Patronen in den Gürtelschlaufen. Ob ich denn auch wirklich damit schießen könne, fragte er mich mit weit aufgerissenen Augen im Sommersprossengesicht. Ich dachte, daß aus ihm die Stimme eines normalen Jungen der Vereinigten Staaten sprach. Die Familie gefiel mir. Dann schließlich war die Foner-Familie an der Reihe, die mir ein zusätzliches Herzklopfen bereitete. Vor ihrem Urteil fürchtete ich mich am meisten – vielmehr vor dem Urteil der beiden Zwillinge, Mary und Kathy. »Freut mich, dich kennenzulernen, Bruder«, sagten sie beide, als sie mir die Hand gaben.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte ich und blickte ihnen dabei fest in die Augen. Sie waren beide viel erwachsener als ich, doch ich ließ mir nicht anmerken, was ich dachte. »Sage Schwester zu uns«, erwiderten sie freundlich. Sie hatten beide die schönsten blauen Augen, die man sich vorstellen kann. Leuchtendes Kornblumenblau mit goldenen Rändern. Ich überlegte, was sie wohl zu einem Mann sagten, dem sie ihr Herz schenkten. Bruder war wohl nicht das passende Wort für diesen Status. Doch bisher hatten sie ihr Herz sicher in ihrer eigenen Hand. Sie blickten mich ganz unbefangen an, und Kathy meinte: »Vater hält dich für zu jung, die Verantwortung für uns zu übernehmen. Aber ich glaube, daß du viel älter bist, als du nach Jahren zählst, Bruder. Es steht in deinem Gesicht. Gott hat dir bereits viele Prüfungen in deinem Leben auferlegt.« Sie lächelte. »Und du hast sie bestanden.« Die anderen hörten alle andächtig zu, als wären die beiden Mädchen so etwas wie Propheten. Ich wußte noch nicht, daß die Quäker fest daran glaubten, Gott spreche spontan durch den Mund eines Gläubigen seine Überzeugung aus, ganz gleich, ob er nun weiblichen oder männlichen Geschlechtes, jung oder alt war. Ich erfuhr erst später, daß Kathys Worte für alle den Ausschlag dafür gaben, mich als Scout und Anführer des Trecks zu akzeptieren. Abigail Foner schüttelte mir die Hand und sagte, was alle in diesem Moment dachten: »Willkommen in unserer Mitte, Bruder. Ich wußte gleich, daß du der richtige Führer für uns bist.« Sie zwinkerte mir leise zu und senkte die Stimme: »Deshalb schickte ich auch meine beiden Töchter aus dem Wagen, damit sie dich gleich begrüßen sollten. Mein Mann ist manchmal etwas – undiplomatisch.« Ah, dachte ich überrascht, diese Quäker haben es nicht nur mit den Stimmen, sondern auch hinter den Ohren. Sam Bushfield war jetzt nur noch eine reine Routinesache. Ihn brauchte ich nicht von meiner Eignung zu überzeugen. Bei ihm lag der Fall eher umgekehrt. Sam Bushfield drückte seinen Schlapphut gegen seine pelzgefütterte Jacke.
»Sie wollen also nach Bandera hinauf?« fragte ich ihn. »Ja, Sir«, erwiderte er fast unterwürfig. »Ich heiße Ronco.« »Ich hörte es bereits, Sir. Und der Sergeant, der vorhin unsere Maultiere und Pferde inspizierte, hält große Stücke von Ihnen.« Das war eine faustdicke Lüge. Sergeant Tucker konnte nicht abstreiten, daß ich etwas von meinem Job verstand. Aber eher biß er sich die Zunge ab, als ein Loblied auf mich zu singen. Der Mann gefiel mir nicht. Dieser Eindruck verstärkte sich jetzt noch. Mein »Instinkt« sprach, aber ich brauchte einen konkreten Vorwand, wenn ich diesen Mann aus dem Treck verbannen wollte. Zudem war es noch ungewiß, ob ich den Job wirklich zugesprochen erhielt und auch annehmen würde. Ich beschloß, ihn ein wenig auszuhorchen. Vielleicht sagte er etwas, wo ich einhaken konnte. »Sie sehen nicht wie ein Greenhorn aus, Mister Bushfield.« »Das bin ich auch nicht.« »Sind Sie auch der Meinung, daß man einen Apachen oder Comanchen nur fest anzublicken brauche, damit der Heilige Geist auf ihn überspringt und er freiwillig Schnee schaufelt, damit die Siedler auch das Gelobte Land erreichen?« Er grinste. Er war kräftig gebaut, trug verwaschene Wildlederhosen und abgewetzte Stiefel. Seine braunen Augen wirkten etwas unstet. Sein Gesicht war von der Sonne des Südens und den kalten Winden der Berge gegerbt. Die Haut sah aus wie verwittertes Leder mit vielen kleinen Runzeln. Der Mund war blutleer und dünn, das Kinn etwas brutal, und der Blick, obwohl er meinen Augen auswich, scharf wie bei einem Falken. Er hatte es nicht nötig, mir zu schmeicheln, wenn er mich nach der Elle der Erfahrung maß. Er spürte wohl, daß er mir damit nicht imponieren konnte. Er schlug eine andere Seite an. Er tat vertraulich. »Ich sagte Mister Foner bereits, daß ich jeden roten Halunken über den Haufen schießen werde, der meinem Wagen zu nahe gerät.« »Aha, das sagten Sie ihm wortwörtlich?« »Nein. Aber sinngemäß. Ich sagte ihm auch, daß er zu wenige Wolldecken und wetterfeste Ponchos eingekauft habe. Er unterschätzt den Winter. Er meint, weil wir hier ziemlich weit im
Süden seien, gäbe es nur eitel Sonnenschein und immergrüne Pflanzen.« Er verzog den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. »Warum haben Sie sich dann überhaupt dem Treck angeschlossen, Mister?« »Weil ich hörte, daß ein erfahrener Scout aus dem Fort die Führung übernehmen würde, Sir.« Oh, verdammt, er gab meine Argumente zurück wie Gummibälle! »Sie sind bereit, meine Führung zu akzeptieren? Und vor allem meine Befehle?« Er zuckte mit den Schultern. »Selbstverständlich. Soweit sie mir vernünftig erscheinen.« »Ah, diesen Einwand lasse ich nicht gelten. Hier gibt es nur entweder – oder.« »Das ist die Regel in jedem Treck, Mister«, erwiderte er und gab sein Lächeln auf. Seine Augen bewegten sich hierhin und dorthin. »Ich werde den Schluß übernehmen. Das wird Ihnen sicherlich nicht unangenehm sein.« »Nein. Sie wären der einzige Mann mit Erfahrung im Treck.« »Eben.« »Aber ein Mann mit Erfahrung zieht nicht im späten November quer durch die Edwards-Hochebene, wenn wir Blizzards aus dem Norden und Horden von hungrigen Comanchen aus allen Himmelsrichtungen zu erwarten haben!« Er grinste wieder. »Es gibt das Sprichwort von den dummen Bauern, die immer die größten Kartoffeln ernten, Mister.« »Diese Quäker sind nicht dumm!« »Aber naiv. Und die Naiven und die Anfänger haben das Glück auf ihrer Seite. Darauf vertraue ich.« »Nur darauf?« fragte ich lauernd. »Ich habe gar keine andere Wahl. In Bandera wartet meine Frau auf mich. Sie ist krank. Nun – sie hat mich wegen eines anderen Mannes verlassen. Aber …« Er knetete seine Hutkrempe. »Vielleicht verstehen Sie das mal, wenn Sie selbst verheiratet sind und in meine Lage kommen sollten.« »Hm. Sie wollen auch in New Mexico oder Arizona siedeln?« fragte ich sarkastisch und deutete auf seinen vollbeladenen Wagen.
Diesmal reagierte er allergisch. »Ich habe ganz bestimmte Vorstellungen, Mister, was ich tun werde, wenn ich meine Frau noch lebend antreffe!« Er blickte mir hart in die Augen. »Ich kenne ein Tal in der Nähe vom Elephant Butte. Schon mal dort gewesen?« »Nein.« »Dort werde ich mich niederlassen. Ob es Ihnen paßt oder nicht, Sir.« Seine Aggression gefiel mir besser als seine Kriecherei. Trotzdem wollte die warnende Stimme meines Instinkts nicht verstummen. Aber ich hatte keine Handhabe gegen ihn. Ich wandte mich achselzuckend von ihm ab. Auf jeden Fall konnte er mir nicht schaden, solange alle anderen zu mir hielten.
4. Am nächsten Tag waren wir bereits unterwegs nach Norden, vier gottesfürchtige Quäkerfamilien, ein Skeptiker und ein Einzelgänger, aus dessen Glauben oder Absichten ich immer noch nicht klug geworden war. Jicarilla hatte mir hoch und heilig versprochen, in meiner Abwesenheit die meiste Zeit nüchtern zu bleiben und nach den Waffenschmugglern zu forschen, die nach Vanderbilts Tod dieses Geschäft wieder allein beherrschten. Colonel Lester hatte die Quäkerfamilien mit allem ausstatten lassen, was ihnen noch fehlte, und mir viel Glück für mein erstes großes Unternehmen als Scout gewünscht. »Ich sehe Sie nicht gern ziehen, Ronco«, hatte er gesagt, als er mich zu einem letzten Gespräch unter vier Augen in seinem Allerheiligsten empfing. »Aber die Übergriffe der Apachen haben nachgelassen, wie Sie selbst wissen.« »Sie verweigerten den Quäkern eine Eskorte mit der gegenteiligen Begründung, Sir.« Ich blickte ihn forschend an. »Es könnte sein, daß ich nicht mehr nach Fort Calhoun zurückkehre. Das wissen Sie so gut wie ich. Sie schicken mich nach Norden, weil ein paar Offiziere Ihres Stabes meinen, ich wäre zu selbstbewußt und eigenmächtig.«
Er stand am Fenster und blickte hinaus in den Regen. Auf dem Exerzierplatz sah man noch die Stelle, wo das Gerüst gestanden hatte. Ein Viereck aus geraden Furchen, in dem sich das Wasser sammelte. Der Colonel räusperte sich, und ich wußte, daß ich ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen hatte. »Major Fly hat es durchgesetzt, nicht wahr?« Er schwieg und zeigte mir seinen straffen, breiten Rücken. Der Colonel war ein alter Haudegen, aber wenn Fly ihn mit seinen Spitzfindigkeiten und seiner Dialektik in die Zange nahm, war der Colonel hilflos oder schwerfällig wie ein Bär, der im Winterschlaf gestört wird. »Ronco, Sie sagten selbst, daß Sie den Auftrag übernehmen würden, als Sie mit den Leuten vom Treck verhandelt hatten.« Der Colonel hatte von seiner Ordonnanz den Gästetisch decken lassen. Sein bester Bourbon stand neben seinem besten Geschirr. Der Alte war kein guter Redner, aber die Kunst, sich indirekt auszudrücken, beherrschte er. Und sie rührte mich. Er war ein Zauderer, aber ein grundehrlicher und aufrechter Mann. Ich mochte ihn. Und da ich nicht wußte, ob wir uns jemals wiedersehen würden, redete ich jetzt offen über alles, was mich bedrückte. Ich sprach zu ihm wie zu einem väterlichen Freund, nicht wie zu einem Vorgesetzten. »Ich bin ein paar Gentlemen aus West Point zu unbequem geworden. Und Major Fly war es schrecklich peinlich, daß ich, ein junger Schnösel ohne Hochschulexamen, einen angesehenen Bürger von Corpus Christi als Halunken entlarvte. Was für eine Blamage für Major Fly, daß er zuschauen mußte, wie man seinen spendablen Gastgeber Vanderbilt aufhängte, bei dem er sooft eingeladen gewesen war, französischen Champagner getrunken und Madam Vanderbilt die Hand geküßt hatte. Es wäre Fly lieber gewesen, die Apachen hätten weiterhin mit Repetiergewehren Kutschstationen zusammengeschossen, statt sich selbst so zu blamieren …« »Ronco, Sie vergreifen sich im Ton!« »Ich bin nur ehrlich, Sir, und nenne die Dinge beim Namen. Er ist froh, wenn er mein Gesicht nicht mehr sieht. Für ein paar Wochen wenigstens. Am liebsten wäre es ihm, mich überhaupt nicht mehr zu
sehen. Doch diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun.« Der Colonel drehte sich schwerfällig um und seufzte. »Es ist etwas Wahres an dem, was Sie da sagen. Aber ich gab den Ausschlag, Ronco. Sehen Sie denn nicht, was für ein großer Beweis meines Vertrauens es ist, daß ich Ihnen einen Treck mit vierundzwanzig Männern, Frauen und Kindern übergebe? Ihrer Obhut, trotz Ihrer Jugend? Ein selbständiges Kommando? Ihnen, einem Zivilisten?« »Ich weiß das zu schätzen, Sir.« »Gut, dann sollten wir eigentlich nicht mehr darüber reden.« Er trat an den Tisch, füllte zwei Gläser mit seinem besten Bourbon und reichte mir eins davon. »Trinken wir auf Ihre glückliche Ankunft in Bandera und auf Ihre glückliche Rückkehr nach Fort Calhoun.« »Danke, Sir.« Ich tat ihm Bescheid. »Und noch etwas«, setzte er dann hinzu, nachdem wir beide das Glas auf den Tisch zurückgestellt hatten. »Fly wollte Ihnen eine Eskorte mitgeben.« »Oh – tatsächlich?« »Lieutenant Henderson, Sergeant Tucker, Corporal Jones, Private Summerfield …« »Ach, du meine Güte! Alles Leute, die ihm aus der Hand fressen wie zahme Tauben und mich nicht ausstehen können.« »Major Fly wollte Ihre Aufgabe darauf beschränken, den richtigen Weg zu suchen, und Lieutenant Henderson die Führung des Trecks zu überlassen.« »Diesem West-Point-Jüngling, der einen Präriehund nicht von einem Biber unterscheiden kann?« erwiderte ich entrüstet. »Und einen Apachen nicht von einem Mexikaner, der im Lendenschurz ein Sonnenbad nimmt?« »Sie können die Eskorte haben, Ronco …« »O nein, danke. Pfadfinder für Henderson spielen und Wetterfrosch, Laufbursche und Spürhund – nein, da bin ich überfordert!« Ein Lächeln huschte über das kantige Gesicht des alten Haudegens. »Gut. Ich dachte mir das schon, und hatte noch eine lange Unterredung mit diesem weißbärtigen Quäker. Da er sich nicht davon abbringen ließ, hier im Fort nicht zu überwintern, brachte ich
ihn dazu, seine Scheu vor gewissen Dingen zu überwinden, die ihm sein Glauben verbietet …« »Die drei W's, Sir?« »Wie bitte?« Der Colonel blickte mich etwas ratlos an. »Weiber, Whisky, Waffen – Entschuldigung, Sir, daß ich das so salopp ausdrücke. Aber er ist ein trockener Quäker.« »Ein trockener …« »Der Ausdruck stammt nicht von mir, Sir. Mister Gatsby hat mir das erklärt. Die trockenen Quäker sind die Strenggläubigen, die Orthodoxen. Das ist so ähnlich wie bei den Juden. Foner gehört zu dieser Sorte, die weltliche Vergnügen, Alkohol und Gewaltanwendung verabscheuen. So etwas nennt man bei den Quäkern trocken. Die anderen Familien gehören zu den Nassen. Das bedeutet, ihr Glaube ist schon etwas aufgeweicht oder verschwommen. Gatsby zum Beispiel hat sogar das letzte Jahr des Bürgerkriegs mitgemacht, obwohl Quäker Feuerwaffen als Teufelswerk betrachten und …« Er unterbrach mich. »Darum ging es, Ronco«, sagte er ernst. »Mister Foner hat mir versprochen, seinen Zug in das Gelobte Land unter etwas realistischeren Vorzeichen zu betrachten als bei unserer ersten Unterredung.« »Sie meinen, er will jetzt keine Wilden mehr zum rechten Glauben bekehren?« Lester grinste. »Er hat sich nicht nur Ponchos und Decken geben lassen, sondern auch zwei Gewehre.« »Donnerwetter, Sir! Da haben Sie ihn ja naß gemacht! Ich meine, ihn umgekrempelt, aus einem Saulus in einen Paulus verwandelt!« »Dieser Foner ist ein vernünftiger Mann. Er sagte zu mir, er habe eingesehen, daß er nicht alles Ihnen allein überlassen dürfe. Die Verantwortung, den Schutz und den richtigen Weg. Und deshalb folgte er einer inneren Stimme und besorgte sich die Gewehre.« Ich ritt an der Spitze des Trecks, und Sam Bushfield bildete das Ende. Der Regen hatte aufgehört, und das Fort war hinter den sanften Kuppen der Ebene im grauen Dunst zurückgeblieben. Wir kamen bisher zügig voran. Doch das würde sich rasch ändern, wenn wir das Hochplateau im Norden erreichten. Und einen Vorgeschmack für die
nächsten Wochen würden die Round Mountains bilden, die als dunkle Silhouetten vor uns aufragten. Die Pässe der Round Mountains – das war die erste echte Bewährungsprobe für mich und die Quäker. * Die erste Nacht verbrachten wir am Pecos Bend. Das war eine Art von Vorbastion der Round Mountains auf halber Höhe zwischen der Mesa und der Tiefebene – ein rötlicher Felsen, geformt wie ein Zuckerhut, um dessen Fuß wie ein Schutzwall ein verschlungenes Gehölz aus Dornengestrüpp, abgestorbenen Pappeln und Weiden sich ausbreitete. Ich prüfte mit einem Rundblick das Gelände – ein welliges Brett, von dunklen Adern geröllhaltigen Arroyos durchzogen, in denen noch das Regenwasser talwärts abfloß. Flache Felsgräben, in denen man nicht mal einen flachen Kastenwagen verstecken konnte, ohne Schutz vor Regen oder beutehungrigen Nachttieren. Also ritt ich auf die dichte Hecke am Fuß des roten Felsens zu, während die Planwagen auf einer flachen Stelle im Hang auf meine Rückkehr und Entscheidung warteten. Ich zwang meinen Braunen durch das wildwuchernde Gestrüpp, das mir mit seinen daumenlangen Dornen fast die Hosen ausgezogen hätte. Doch dann stellte ich verblüfft fest, das sich dahinter eine kleine Schlucht verbarg, die sich wie ein Ring um den Felsen legte. Ein schmaler Creek füllte den Arroyo zur Hälfte aus, und der innere Hang dieses Arroyo stieg sanft bis zum Felsen hinauf, mit kniehohem Gras und Erlenbüschen bestanden, zwischen denen wuchtige Steinblöcke aufragten. Ein ideales Versteck für Maultiere und Planwagen und eine ausreichende Weide für eine Remuda von fünfzig Tieren. Ich mußte nur dafür sorgen, daß die Planwagen nicht eine zu auffällige Lücke in dem natürlichen Schutzwall der Dornenhecken rissen, die meinen Treck vor Raubtieren und umherstreichenden Comanchen schützen sollten. Ich ritt zu dem Treck zurück. »Dort beim Felsen lagern wir«, sagte ich. »Hinter dem Gestrüpp
ist ein ideales Versteck. Aus der Ferne sieht es so aus, als hätte uns der Erdboden mitsamt Wagen und Tieren verschlungen.« Ich lachte zufrieden, denn ich hatte mit einem schlechteren Lagerplatz gerechnet. Meine gute Laune steckte auch die Quäker an. Mit lautem Hallo trieben sie ihre Gespanne zur Eile. Die Sonne stand tief im Westen hinter den Wolken. Man sah nur einen gelben Widerschein im Dunst über den Kuppen der Santiago Range, der sich rot verfärbte und den Abend ankündigte. »Wenn die Wagen und die Maultiere untergebracht sind«, ordnete ich an, »ziehen wir mit den Ersatzmulis ein paar Planen über den Hang. Vielleicht bleibt heute nacht der Regen aus, und dann kann selbst ein Blinder unser Versteck finden!« Sam Bushfield, der mit seinem Gespann die meiste Arbeit hatte, weil ihm niemand beim Lenken ablöste oder mit ein paar Geschichten unterwegs bei guter Laune hielt, murrte: »Das hat keinen Zweck, Mister Ronco! Ich meine, keine Spur reißt mitten auf dem Weg ab. Damit führen Sie keine Rothaut an der Nase herum.« »Haben Sie einen besseren Vorschlag?« fragte ich ihn. »Nein. Bin nur der Meinung, daß diese Arbeit nutzlos ist. Wir sollten lieber Wachen ausstellen. Das wäre gescheiter!« Im stillen ärgerte ich mich bereits, daß ich Lester nicht gebeten hatte, diesen Bushfield im Fort zurückzubehalten. Notfalls in einer Arrestzelle. Ich hatte geahnt, es würde Schwierigkeiten mit ihm geben, obwohl sein Widerspruch nicht unberechtigt war. Aber sobald die Autorität eines Treckführers erschüttert ist, breitet sich allgemeine Unsicherheit aus. Und das kann sehr rasch zu einer Katastrophe führen. Ich hatte den Quäkern das Gefühl der Sicherheit vermitteln wollen, um die Moral zu stärken. Dieser Esel Bushfield vermasselte mit seinem Einspruch diesen Plan. »Wachen werden ebenfalls aufgestellt, Mister Bushfield«, sagte ich streng. Roger Hancock steckte sein sommersprossiges Gesicht durch die Planen am Wagenheck und rief aufgeregt: »Sie erwarten Indianer zum Abendessen, Mister Ronco? Richtige wilde Indianer?« Mabel, seine um zwei Jahre jüngere Schwester, tauchte ebenfalls
aus dem Wagen auf. »Spielen Indianermädchen auch mit Puppen wie wir?« Ich schickte Sam Bushfield einen wütenden Blick zu. Das Wort Indianer hatte ich bewußt ausgespart, um die Quäker nicht zu beunruhigen. Und jetzt flog die Neuigkeit, daß wir möglicherweise mit dem »Besuch« von Indianern zu rechnen hatten, von Wagen zu Wagen. Ich reckte mich in den Steigbügeln und sagte so laut, daß es nicht nur die beiden Kinder verstehen würden: »Indianer scheuen die Dunkelheit. Und wenn sie sich hierher verirren, Roger, kommen sie bestimmt nicht zum Essen, sondern zum Stehlen. Also müssen wir auf unsere Pferde aufpassen und auf unsere Mulis. Aber ihr beiden werdet bestimmt keine Indianer sehen, sondern höchstens von ihnen träumen. Ihr müßt früh Schlafengehen, denn morgen steht uns ein anstrengender Tag bevor.« »Wie schade«, maulte Roger, doch ich trieb mein Pferd an, um jeder weiteren Diskussion aus dem Weg zu gehen. Während die Planwagen auf die Stelle zuholperten, wo ich eine Bresche in das dicke Dornengestrüpp geschlagen hatte, erkundete ich die Nordseite, also die dem Plateau zugelegene Flanke unsere Arroyoverstecks. Dort gab es, breit genug für einen Planwagen, einen schmalen Durchschlupf, der von hohen Sandsteinblöcken flankiert war. Auch hier wuchs ein verfilztes Gestrüpp aus Dornenhecken und Weiden, das die Senke gegen neugierige Blicke abschirmte. Ich hielt meinen Braunen an und betrachtete den Ausgang des versteckten Arroyos aus sicherer Entfernung, um den Lavasand zwischen den Blöcken nicht mit verräterischen Spuren zu verderben. Dann ritt ich in weitem Bogen, immer auf hartem Fels bleibend, zum Südeingang des Arroyos zurück. Die Gespanne waren bereits innerhalb der Dornenmauer. Sam Bushfield hatte inzwischen wohl seinen Einwand bereut und versucht, seinen Fehler wieder auszubügeln. Er hatte den Quäkern eine Stelle gezeigt, wo sie die Maultiere und Pferde an Leinen anpflocken sollten und wie sie mit einem langen Seil einen Korral bauen konnten. Zum Glück hatte er die Tiere noch nicht abschirren,
sondern die Wagen nur zu einer lockeren Wagenburg auffahren lassen. Ich winkte ab. »Gut, aber nicht gut genug!« rief ich. »Morgen früh verlassen wir den Platz in nördlicher Richtung!« Ich deutete auf den Hang, der sich an den roten Felsen lehnte. Die Schatten der Nacht breiteten sich bereits in der Schlucht zwischen den hohen Felsblöcken aus. »Wir lagern so, wie wir morgen losfahren werden.« Ich deutete mit dem Arm nach links und nach rechts. »Foner, Gatsby – ihre Wagen dort hinüber, die Deichsel nach Norden gerichtet! Hancock und Fuller – Ihre Wagen hier herüber, die Längsachse zum Hang hinüber! Und Sie, Bushfield, stellen Ihren Wagen dort ab und füllen die Lücke zwischen Gatsbys und Fullers Prärieschonern aus. Wir bauen ein Dreieck auf, keinen Kreis!« Ich war noch jung und glaubte, meine Anweisungen durch viele Erklärungen untermauern zu müssen. »Falls wir überstürzt aufbrechen müssen, sind wir sofort abmarschbereit. Die Wagen links und rechts fädeln sich rasch zu einer Kette ein, und …« Bushfield grinste hämisch, als ich abbrach. Jetzt hatte ich erst recht die Quäker kopfscheu gemacht, als drohe jeden Augenblick ein Überfall von Rothäuten. Der alte Foner half mir. »Das scheint mir ein sehr vernünftiger Vorschlag zu sein, Bruder!« rief er von seinem Wagen herunter. »Spart eine Menge Arbeit und Zeit, wenn wir unsere Wagen zu einem Dreieck aufbauen. Dafür können wir morgen länger schlafen und uns gründlich im Bach waschen.« Er lenkte sein Gespann an die Stelle, die ich ihm zugewiesen hatte, und seine »Brüder« folgten seinem Beispiel. Auch Bushfield brachte sein Gespann gehorsam zu der von mir angegebenen Position. Er wußte nur zu gut, daß meine Aufstellung besser war als jene, die er bereits vorbereitet hatte. Ich dankte ihm nicht dafür, daß er diesmal so prompt gehorchte. Ich bedankte mich im stillen bei dem alten Foner, der die Frauen und Kinder mit seiner scherzhaften Bemerkung, sie könnten morgen gründlich ausschlafen und sich waschen, wieder beruhigt hatte. Foner hatte sehr wohl bemerkt, daß ich mich sorgte. Deshalb zog ich ihn nach dem kargen Essen, das wir vor dem
Schlafengehen verzehrten, ins Vertrauen, obwohl ich das eigentlich nicht nötig hatte. »Ich habe Spuren entdeckt, Mister Foner. Sie sind nicht mehr ganz frisch, aber …« »Was für Spuren, Bruder?« fragte er voller Anteilnahme. »Pferdespuren. Spuren unbeschlagener Ponys. Indianer sind in der Nähe.« * Ich hatte Doppelposten als Wachen eingeteilt. Für alle Fälle. Die kritische Zeit zwischen Mitternacht und Morgengrauen hatte ich Bushfield und mir vorbehalten. Bushfield hatte beim Holzsammeln geholfen und den Frauen gezeigt, wie man die nassen Äste schälen mußte, damit nur noch das trockene Holz für ein rauchloses Feuer übrigblieb. Und dann hatte er dem jungen Fuller, der ja so gern Waldläufer und Trapper werden wollte, Unterricht im Aufschichten der Hölzer erteilt, damit die Flamme möglichst niedrig blieb und trotzdem nicht erlosch, weil immer ein paar frische Zweige nachrutschten, bis das Brennmaterial erschöpft war. Bushfield machte sich nützlich, und mein Mißtrauen ihm gegenüber erlosch wie die kleinen Lagerfeuer zu einem glimmenden Aschenhaufen, ohne ganz zu erkalten. »Ich denke, Sie haben den Schlaf verdient«, sagte Bushfield, als ich mit ihm die Wachen einteilte. »Außerdem wäre es wirklich Kraftverschwendung, wenn wir gemeinsam Wache gehen, Mister Ronco.« »Zu liebenswürdig«, erwiderte ich sarkastisch. »Aber ich bin es nicht gewohnt, daß andere für mich die Arbeit tun, während ich ausruhe.« »So meinte ich es nicht«, gab er rasch zurück. Er deutete zu Fullers Wagen hinüber. »Der junge Tom scheint sehr aufgeweckt zu sein. Ich schlage vor, daß ich mit ihm die Wache von Mitternacht bis drei Uhr morgens übernehme, und Sie dann die letzten Stunden bis zum Morgengrauen. Mit Gatsby zusammen, der wenigstens Kriegserfahrung hat. Ich meine, das wäre eine bessere Lösung.«
Ich nickte. Diesmal war er im Recht. »Vernünftig. Aber der Junge überschätzt sich. Es wäre besser, wenn ich mit dem jungen Fuller die letzte Wache übernehme, und Sie dann die vorletzte mit dem alten Gatsby.« Diesmal grinste er mich wieder unverschämt an, während er sich eine Zigarette drehte. »Vergessen Sie nicht – er ist so alt wie Sie und schrecklich eifersüchtig.« »Ah!« »Auch ich verstehe was von diesem neumodischen Kram – Seelenkunde, wie man das nennt.« »Er hat keinen Grund, auf irgend etwas eifersüchtig zu sein, Bushfield«, sagte ich ungewöhnlich scharf. Er grinste noch unverschämter. »Natürlich nicht. Es sind ja auch Zwillinge, die ich nicht auseinanderhalten könnte. Ich schätze, die eine ist so gut wie die andere im Bett.« »Was erlauben Sie sich!« fuhr ich ihn an. Er hob abwehrend beide Hände und spreizte die Finger. »Aber – so ist das doch nicht gemeint, Mister Ronco. In meinem Alter drückt man sich eben etwas deftiger aus. Vergessen Sie nicht, daß ich schlechte Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht sammeln konnte. Und – nun, nichts für ungut. Ich meine nur, daß Tom Fuller immer noch auf seine Kosten käme, auch wenn Sie die erste Wahl hätten. Und die haben Sie. Das ärgert ihn natürlich. Und das erzeugt Spannungen, die wir nicht gebrauchen können, wenn Comanchen in der Nähe sind.« »Woher wissen Sie das?« fragte ich mißtrauisch. »Wir sind doch hier in ihrem Gebiet – oder etwa nicht?« Ich blickte ihn scharf an, aber er hielt meinem Blick stand, gleichgültig seine Zigarette rauchend. »Er hat gemerkt, daß die beiden hübschen Zwillinge Sie mit den Augen verschlingen, wenn Sie auf Ihrem Braunen an ihrem Wagen vorbeireiten.« Er grinste, aber diesmal ohne Spur von Frechheit, eher gönnerhaft. »Ich kann die beiden gut verstehen. Sie machen eine ausgezeichnete Figur auf einem Gaul.« Ich runzelte die Stirn. »Sie glauben, der junge Tom Fuller würde mit Ihnen zusammen besser aufpassen?«
»Besser aufpassen. Ich denke, das ist der richtige Ausdruck, Mister Ronco.« Ich dachte kurz nach. Sam Bushfields Gründe schienen diesmal tatsächlich besser zu sein als meine. »Einverstanden.« Ich erhob mich von einem Felsblock, den ich als Stuhl verwendet hatte. »Sie wecken mich dann. Ich sage Homer Gatsby Bescheid, daß ich mit ihm die letzte Wache übernehme.« Sam Bushfield drückte seine Zigarette aus und verteilte den Rauch mit der Hand, bis er von den nassen Zweigen der Schwarzerle aufgesogen war, unter der wir gesessen hatten. Und so passierte meine erste Panne auf dem Treck nach Norden.
5. Ich erwachte von dem Bellen eines Kojoten. Es mochte auch das heftige Schnauben eines Mustangs im Seilkorral gewesen sein, das mich weckte. Oder auch nur ein ungutes Gefühl, das sich in einen Alptraum äußerte und mich quälte, bis ich die Augen aufschlug. Das Feuer neben mir war längst erkaltet. Der Himmel über den Wipfeln der Weiden und Birken war so stumpf und schwarz wie die Holzkohle unter meinen Fingern. Die Luft war ungewöhnlich still, schwer von Feuchtigkeit, doch mit den scharfen Dornen künftigen Frostes durchzogen. Schnee kündigt sich an, dachte ich bestürzt. Da schnaubte der Mustang noch einmal, und ich war hellwach. Ich hatte, als ich noch die Wigwams mit den Chiricahuas teilte, die Gewohnheiten von kaum gezähmten Wildpferden genau studiert. Wie sie schnauben, wenn sie Wasser wittern oder ihnen ein Futter zusagt. Und dann dieses harte, kurze, hustenartige Schnauben, wenn sie sie sich nicht wohlfühlen, weil ein Wolf in der Nähe ist, ein Puma oder eine andere Gefahr. Oder wenn sie einen Menschen wittern, der es nicht gut mit ihnen meint. Ich zog meinen Colt aus dem Holster und rollte mich über das feuchte Gras bis zum Korral hinüber. Die Maultiere drängten sich zu einem dichten Klumpen zusammen. Die Pferde zerrten an ihren Leinen und schlugen mit den Köpfen. Es war unmöglich, in der Dunkelheit festzustellen, ob eins der Tiere fehlte. Ich tastete nach
den ausgespannten Seilen. Sie waren noch in Ordnung. Das beruhigte mich ein wenig. Ich hatte angeordnet, daß die Familien nicht zusammen in den Wagen schlafen sollten. Die Männer hatten sich unter den Wagen in ihre Schlafsäcke oder Decken gerollt, die Gewehre neben sich, eine kleine Brustwehr aus Steinen um sich herum, die wie eine Alarmglocke wirkte, falls jemand durch das Lager schlich und auf die lockeren Steine trat. Unter den Wagen war alles still, nirgends das klappernde Geräusch von rollenden Kieseln. Nur das leise Murmeln des seichten Wassers im Creekbett. Einer der Mustangs sog die Luft ein und schnaubte erneut. Er hatte den Kopf nach Süden gedreht. Ich lief in diese Richtung, an Foners und Gatsbys Wagen vorbei, und blieb dann geduckt neben Bushfields Schoner stehen. Da hörte ich es – ein leises, schabendes Geräusch, das aus Bushfields Wagen drang. Ich kroch unter den Prärieschoner und tastete über die Decken, die dort zu einem losen Haufen aufgetürmt waren. Sie waren klamm und kalt. Bushfield war also auf Posten, wie es vereinbart war. Wir hatten auch vereinbart, wo die Posten sich aufhalten sollten. Im Fels, der über dem Canyon wie ein Turm aufragte, befand sich ein Spalt, unten breit wie ein doppeltes Ochsenjoch, oben sich verjüngend, bis er im schieren Fels endete. Auf halber Höhe befand sich ein Sims, breit genug, daß ein Mann darauf sitzen konnte. Einer von den beiden Gatsby-Jungen war am Abend dort mit einer improvisierten Strickleiter hinaufgeklettert und hatte sie um eine kräftige Felsnase befestigt. Dort sollte sich der eine Posten aufhalten. Der andere am Nordende der Schlucht, bei einem Felsblock gleich hinter dem Heckenwall. Ich hörte ein schepperndes Geräusch über mir und stürzte nach vorn – dem Heck des Prärieschoners zu. Gleichzeitig warf sich mir eine massige Silhouette entgegen. »Bushfield!« knurrte ich. »Was soll …« Ich kam nicht über die beiden ersten Worte hinaus. Das letzte explodierte schon mitten in meinem Gesicht. Ich roch mein eigenes
Blut und ranziges Büffelfett. Und dann den stechenden Geruch von schlechtem Whisky. Ich dachte einen Moment, mein Kopf hätte sich von meinem Genick getrennt, wie das Jerome Vanderbilt vor zwei Tagen auf dem Exerzierplatz von Fort Calhoun geschehen war. Doch der nächste Faustschlag, der mich seitlich gegen den Jochbogen traf, renkte mir den Kopf wieder ein. Eine Hand packte mich bei den Haaren und zog mich unter dem Wagen hervor. Zwei Silhouetten bewegten sich jetzt über mir. Die eine mit einem Beil, die andere mit einem Messer. Die mit dem Beil war mir näher. In meinem Gehirn explodierte ununterbrochen ein Feuerwerk. Aber ich biß die Zähne zusammen und schnellte mit beiden Beinen zur Seite. Unter dem sausenden Beil stieß ich gegen die Beine, die mit Leggings verkleidet waren. Und als die Silhouette das Gleichgewicht verlor, rammte ich ihr beide Knie in den Unterleib. Sie gab einen zischenden Laut von sich, als hätte sie heiße Luft im Magen. Die andere Silhouette mit dem Messer schwang hin und her, als könne sie Freund und Feind nicht unterscheiden. Ich packte meinen Colt und hob ihn mit beiden Händen hoch, weil dieses Pendeln nicht aufhören wollte und ich es für eine Sinnestäuschung nach den beiden fürchterlichen Faustschlägen hielt. »Bushfield!« schrie ich gleichzeitig. »Die Comanchen sind im Lager! Die Comanchen …« Ich hätte erst abdrücken und dann schreien sollen. Denn ein Felsblock schien mir jetzt auf den Rücken zu springen und warf mich wieder der Länge nach ins Gras. Mokassins trampelten über meinen Rücken. Etwas Hartes fiel wuchtig gegen meine ausgestreckten Arme. Diesmal war es weder ein Beil noch ein Messer, sondern eine dickbauchige Flasche. Ich sah das Glas aufblitzen, als ich den Colt abdrückte. Der Schuß ging irgendwo ins Gebüsch, denn der wuchtige Schlag gegen meine Arme warf die Waffe einen halben Yard zur Seite. Ich spürte das Mark meines linken Armknochens bis ins Gehirn hinauf. Es schien aus glühender Lava zu bestehen. »Bushfield!« schrie ich. »Zum Teufel, wo sind Sie?« Im Felsen über mir polterte etwas. Ein Kind fing in einem der
Wagen zu schreien an. Das mußte Mabel Hancock sein, die mit Indianerkindern Erfahrungen über das Wickeln von Puppen austauschen wollte. Ich schoß, bis die Trommel leer war und die Männer im Lager hoffentlich alle wach und bereit waren, ihre Familien und Mulis mit ihren Gewehren zu verteidigen. Ich lud schnell meine Trommel nach und stürmte den drei Silhouetten nach, die zum Südausgang unseres Lagers flüchteten. Sie liefen schwerfällig, wie falsch belastete Maultiere, torkelnd, aber doch noch erheblich schneller als ich, weil ich ständig nach links und rechts schaute, ob sich hinter den Felsblöcken oder Büschen nicht noch mehr Rothäute verbargen, und die Flüchtenden mich nur in eine Falle locken sollten. Doch ich erreichte die Lücke im Dornenwall, ohne daß mich noch weitere Comanchen aus irgendwelchen Verstecken ansprangen. »Halte sie auf, Bushfield!« brüllte ich nach oben, wo der Sitz im Felskamin sein mußte. Tatsächlich leckte jetzt ein Feuerstrahl aus dem Felsturm. Ich sah die drei Ponys draußen vor den Hecken im Kreis herumtänzeln. Dann die Silhouetten, die sich geschmeidig auf die Rücken der Pferde warfen. Ich zielte und nutzte dabei das zuckende Licht der Mündungsflamme. Dann drückte ich ab und mußte diesmal etwas getroffen haben. Ich hörte ein wildes, klagendes Heulen, dann das Trommeln von Hufen auf Fels, das sich rasch hangabwärts im Dunkel verlor. Ich leckte mir das Blut von der aufgeschlagenen Oberlippe. Das Feuerwerk in meinem Kopf war erloschen. Ich zwängte mich durch die Dornenhecken, lief geduckt hinaus auf den Hang und jagte den Ponys noch ein paar Schüsse nach. Dann sah ich, was ich getroffen hatte. Oder ich roch es vielmehr. Scherben, aus denen ein dünner Faden hangabwärts rann. Billiger Kornwhisky, wie ich feststellte, als ich den Finger hineinstreckte und kostete. »Bushfield!« brüllte ich, außer mir vor Wut. *
Das ganze Lager war bereits auf den Beinen, als ich mit den Scherben in das Arroyoversteck zurücklief. Ich hatte ein kleines Chaos erwartet, doch in dieser Hinsicht erlebte ich eine angenehme Enttäuschung. Homer Gatsby bewies, daß er nicht umsonst ein paar Monate bei den Yankees die blaue Uniform getragen hatte. Er hatte Laternen und Fackeln anzünden und seine beiden fast erwachsenen Söhne hinter den Felsblöcken am Rande des Lagers in Stellung gehen lassen. Er selbst schritt mit Phil Hancock zusammen alle Wagen ab und fragte, ob es Verletzte oder Tote gäbe. Mike Fuller sagte mit hoher, etwas schriller Stimme, daß er seinen Sohn vermisse. Nancy Hancock beruhigte zusammen mit den beiden Foner-Zwillingen ihre Tochter Mabel, die offenbar einen Anfall von Hysterie oder einen Weinkrampf hatte. Der alte Foner trat sofort zu mir und fragte überraschend ruhig und besonnen: »Sollen wir das Lager abbrechen? Haben wir uns irgendwie falsch verhalten? War das ein Überfall?« »Zu viele Fragen auf einmal, Mister Foner«, erwiderte ich grimmig. »Wenn hier jemand einen Fehler begangen hat, dann nur ich!« Er blickte mich prüfend an, während er seine Laterne hochhielt. »Sie bluten. Etwas Schlimmes?« »Nur ein paar kräftige Faustschläge auf die Zähne, Mister Foner. Ich wollte, ich hätte besser getroffen.« Seine Augen wurden hart, fast feindselig. In seiner Stimme schwangen Bitterkeit und Trauer mit: »Du bedauerst, daß du keinen von diesen – diesen Wilden getötet hast, Bruder?« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe keine sentimentale Einstellung zu Indianern, Mister Foner.« Ich hielt ihm die Scherben vor das Gesicht. »Riechen Sie mal!« Er rümpfte angewidert die Nase. »Whisky?« »Ja. Die Wilden haben davon getrunken. Fast eine ganze Flasche von diesem Sprit.« »Whisky? Hatten wir nicht vereinbart, daß es streng verboten sei, dieses Teufelswasser mit in das Indianergebiet zu nehmen?« »Das hatten wir«, erwiderte ich barsch. »Aber ich habe mich nicht
davon überzeugt, ob dieses Verbot auch eingehalten wurde, Mister Foner. Ich hätte jeden Ihrer Wagen durchsuchen sollen, statt mich auf Ihr Wort zu verlassen!« Jetzt sah der weißbärtige Quäker beleidigt aus. »Ich darf keinen Eid schwören, Mister Ronco. Das verbietet mir mein Glaube. Doch das Wort eines Quäkers ist mindestens so gut wie ein Schwur.« »Ja, aber das hier ist Whisky!« »Wir werden zu Gericht sitzen, wie es bei uns Sitte ist, und denjenigen bestrafen, der es wagte …« »Moment«, unterbrach ich den weißbärtigen Quäker, »zuerst müssen ein paar Dinge geschehen, die vordringlicher sind. Das mit dem Gericht kann warten. Bewahren Sie solange die Scherben auf, bis ich sie brauche. Ich muß mich um die Sicherheit des Lagers kümmern!« Ich ließ ihn neben seinem Wagen stehen und ging zu Homer Gatsby, der mit schußbereitem Gewehr die Büsche um das Lager herum absuchte. »Ich danke Ihnen, Sir«, sagte ich voller Respekt. »Sie haben gute Arbeit geleistet.« Er zwinkerte mir mit seinen grauen Augen vergnügt zu. »Keine Ursache, Bruder, sich bei mir zu bedanken. Kriegte erst einen tüchtigen Schreck, als ich deinen Colt hörte. Aber Schreck bekommt mir gut, Bruder. Ich brauche sonst zwei Eimer kalten Wassers, bis ich wach werde.« »Haben Sie gute Augen, Homer?« »Die besten der Welt, Bruder.« »Steigen Sie in den Ausguck auf dem Felsen, und schicken Sie diesen Bushfield zu mir herunter. Notfalls mit Ihrem Gewehrkolben.« »Er hat gepennt, eh?« »Möglich«, wich ich ihm aus. Dann war ich schon wieder weiter, nahm Phil Hancock beiseite und gab ihm Instruktionen, an Gatsbys Stelle das Gebüsch abzusuchen. Caspar, der siebzehnjährige Sohn von Homer, kämmte mit mir die Schlucht im Süden ab, während Pat mit Mike Fuller zusammen unsere Remuda im Korral beruhigte und gegen weitere
Überraschungen sicherte. Caspar fand den jungen Fuller, der so gern ein Scout geworden wäre wie ich. »Er sieht aus, als wäre er tot«, flüsterte Caspar Gatsby heiser. Ich untersuchte den jungen Fuller, während Caspar mir mit einer Laterne Licht spendete. Tom lag wie eine zerbrochene Puppe hinter dem Felsblock, wo er Posten gestanden hatte. Merkwürdigerweise hatten sich die Comanchen nicht für sein Gewehr interessiert. »Als er mich um Mitternacht ablöste, war er noch so munter und eifrig wie ein Bronco, der ohne Sattel auf die Weide darf.« Der junge Gatsby erschauerte. Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Woher weißt du, wie sich Broncos verhalten, wenn sie abgesattelt werden?« Er lächelte mit bleichem Gesicht. »Ich mag Pferde. Ich habe in Laredo bei einem Zureiter als Pferdejunge ausgeholfen.« »Daher«, murmelte ich und tastete vorsichtig den Schädel in der Umgebung der Beule ab, die über dem rechten Ohr aus den Haaren herauswuchs. Ich atmete erleichtert auf. Es schien nichts gebrochen zu sein. »Er ist nur bewußtlos«, sagte ich. »Aber wenn er wieder aufwacht, wird er ein paar Tage spucken wie ein Reiher. Er wird denken, er segelt mit seinem Prärieschoner um Kap Horn!« »Tom?« Caspar schüttelte den Kopf. »Tom war der einzige von uns, der nie seekrank wurde.« »Er wird nicht spucken, weil er seekrank ist, Caspar, sondern weil er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hat. Ich kenne die Wirkung von indianischen Schädelbrechern aus eigener Erfahrung. Ein Wunder, daß der Knochen den Schlag ausgehalten hat. Wir schaffen ihn zum Lager. Und dann werde ich einen kleinen Ritt unternehmen müssen.« Bushfield werde ich mir vornehmen, wenn ich wieder zurück bin, dachte ich grimmig. * Die Morgendämmerung lag als grauer Schleier über den sanften
Kuppen der Edward-Plains im Osten, als ich wieder im Lager eintraf und mir von Abigail Foner einen Becher mit heißem Kaffee aufdrängen ließ. »Es waren nicht mehr als vier Comanchen«, sagte ich, und blickte dabei absichtlich an Sam Bushfield vorbei, der abseits von den anderen saß und sein Gewehr putzte, als gäbe es jetzt nichts Wichtigeres zu tun. »Einer bewachte die Pferde, die anderen drei schlichen sich von Norden her in unser Lager. Von Norden, wohlgemerkt. Der Krieger, der auf die Ponys aufpaßte, wartete am Südausgang.« Tom Fuller lag nicht bei dem Feuer, das neben dem Creek auf einer aus Steinen improvisierten Herdstelle brannte. Er mußte also im Wagen der Fullers verarztet worden sein. Die Kinder waren unter den Planen versteckt, wie ich es angeordnet hatte, in den Prärieschonern die Pferde gesattelt und die Mulis bereit zum Anschirren. Alle Männer trugen ihre Waffen, sogar der alte Foner, obwohl er sicher noch nie in seinem Leben einen Schuß abgegeben hatte. Foner ergriff das Wort. Homer Gatsby saß oben im Felskamin, von wo aus er den Hang und das Land hügelabwärts meilenweit überblicken konnte. Alle anderen Männer standen bei ihren Wagen, einen Becher mit ihrem Frühstückskaffee oder einen Zwieback in der Hand. Nur Sam Bushfield saß auf seinen Decken und baute sein Gewehr wieder zusammen. »Wir haben von den Wilden also nichts mehr zu befürchten?« fragte der alte Quäker. »Das habe ich nicht gesagt, Mister Foner«, erwiderte ich förmlich und vermied das Wort »Bruder«. Jetzt drehte ich mich zu Bushfield um. »Sie hätten die Comanchen rechtzeitig entdecken und das Lager mit einem Alarmschuß wecken müssen, wie es vereinbart war!« Sam Bushfield hatte sich offenbar sorgfältig auf die Auseinandersetzung mit mir vorbereitet. Er stand auf, zog mit aufreizender Gelassenheit seinen Gürtel über der Lederjacke gerade und grinste. »Wenn ich nicht zufällig vergessen hätte, meine Flasche mit dem
Kornsprit wegzuwerfen, wären Sie jetzt nicht mehr am Leben, Ronco!« Er grinste mich an. Er wagte es tatsächlich, mich anzugrinsen, als hätte ich die Comanchen in unser Versteck gelockt! »Die Comanchen müssen einen geradezu unheimlichen Geruchsinn gehabt haben«, fuhr ich fort, »daß sie so zielstrebig im Dunkeln auf Ihren Wagen zusteuerten und dort eine Flasche Whisky fanden, Bushfield!« »So etwas soll's geben«, erwiderte er. »Es gibt auch ein Gesetz im Westen, daß derjenige, der die Anordnungen des Treckführers mißachtet, von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen wird. Ich denke, es ist am besten, Sie drehen wieder um und fahren zurück nach Fort Calhoun!« Damit hatte er nicht gerechnet. Er starrte zu mir herüber und blickte dann die anderen Männer der Reihe nach an. Er schien nicht viel Sympathie in den Mienen der Quäker zu lesen, denn seine Stimme klang viel schriller als vorher. »Dann sagen Sie zuerst diesen Greenhorns, was das bedeutet, was Sie von mir verlangen! Ich schwöre, daß ich nicht böswillig gehandelt, sondern diese Flasche einfach vergessen habe! Oder irgend jemand in Fort Calhoun hat sie in meinen Wagen geschmuggelt! Ich weiß es wirklich nicht! Ich …« Der alte Foner unterbrach ihn mit kalter Stimme: »Mister Ronco spricht nur aus, was wir inzwischen beschlossen haben, Mister Bushfield. Bis zum Fort zurück sind es höchstens vierzig Meilen. Das schaffen Sie leicht an einem Tag!« »Sagen Sie den Leuten, was das bedeutet! Sagen Sie es ihnen!« rief Bushfield noch einmal, und seine Stimme schnappte fast über vor Hysterie. Ich glaube, er übertrieb seine Angst. Aber sie war nicht unberechtigt. Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich den Quäkern zu. »Vier Comanchen waren es nur, die unser Versteck entdeckten. Aber sie haben hier eine Flasche Whisky gefunden. Das rettete uns möglicherweise vor dem Verlust unserer Maultiere, aber …« »Hört ihr es? Er gibt selbst zu, daß dieser verdammte Whisky, den ich wegzuschütten vergessen habe, ihm und Ihnen das Leben rettete!
Und zum Dank dafür soll ich jetzt umkehren, während meine Frau todkrank in Bandera auf mich wartet? Ich …« »Lassen Sie mich erst ausreden, Bushfield!« fuhr ich ihn an und stemmte den rechten Fuß in den Steigbügel, weil mir das Kreuz noch von dem Schädelbrecher wehtat, den mir ein Apache beim Überfall auf die Poststation am Rio Doro in die Rippen geschleudert hatte. »Sie werden ihre Stammesbrüder verständigen, daß es hier Feuerwasser gibt«, sagte ich zu George Foner, als wäre nur er mein Gesprächspartner. »In ein paar Stunden wird es hier von Comanchen wimmeln. Und wenn wir Mister Bushfield, der diesen Sprit in seinem Wagen versteckt hatte, wieder ins Fort zurückschicken, werden sie sich auf ihn stürzen wie Bären auf wilden Honig. Vielleicht ist das eine Chance für die anderen, sich inzwischen in den Bergen der Round Mountains in Sicherheit zu bringen. Mister Bushfield ist allein und hat keine Frau und keine Kinder bei sich.« »Ist das Ihr Ernst, Mister Ronco?« fragte der alte Foner entsetzt. »Sie wollen einen Menschen opfern, damit wir sicher die Berge erreichen?« »Sie schlugen es eben selbst vor, Mister Foner.« »Das wußte ich nicht! Ich wollte …« »Ich weiß einen sicheren Weg weiter im Westen. Er ist nur beschwerlicher als die Route über den Pexos-Bend-Trail. Ich weiß, wie wir den Comanchen ausweichen können. Und wenn es noch zu schneien anfängt …« Bushfields Stimme überschlug sich. Ich blickte nach oben. Es fing bereits an zu schneien. Die ersten Flocken wirbelten vom schiefergrauen Himmel. »Sie kennen einen Trail weiter im Westen, Bushfield«, fragte ich streng, »der uns auch vor dem Schnee in Sicherheit bringt?« »Ja«, erwiderte er rasch, »dort liegt eine kleine, versteckte Minenstadt. Flint Hill. Wenn wir die Stadt erreichen, sind wir vor den Comanchen und dem Schnee sicher.« »Ich denke, wir sollten das Urteil auf einen späteren Termin verschieben«, sagte ich, zu dem weißbärtigen Quäker gewandt. »Wir müssen sofort aufbrechen. Sonst fallen wir entweder dem Schnee zum Opfer oder den Comanchen. Und beide würden nicht viel von uns übriglassen.«
Mister Foner strich sich nachdenklich über seinen weißen Bart. Er schien allmählich zu begreifen, daß Colonel Lester ihm nicht nur aus Bequemlichkeit von dem Treck nach Norden in dieser Jahreszeit abgeraten hatte.
6. Ein paar Stunden später befanden wir uns in einer brüllenden Hölle aus wirbelnden Flocken, peitschenden Windböen und prasselnden Steinen. Sam Bushfield hatte die Spitze übernommen, während ich mit Homer Gatsby zusammen die Nachhut bildete. Wir waren in einen schmalen Canyon eingebogen, der nirgendwohin zu führen schien. Aber Bushfield schwor ein Dutzend Eide, daß die Schlucht nicht in einer Sackgasse oder vor einer Steilwand ende, sondern in einen Saumpfad münde, der selbst bei schlechtestem Wetter passierbar sei. Auf jeden Fall für Mulis, die wir noch an besonders steilen Stellen durch die Ersatztiere verstärken konnten. Ich hielt nichts von seinen Eiden und Beteuerungen. Aber uns blieb gar keine andere Wahl, als dem von Bushfield vorgeschlagenen Trail zu folgen, und wenn er uns direkt in die Hölle führen sollte. Denn ein Trupp von mindestens drei Dutzend Comanchen hatte uns den Weg nach Osten und Norden verbaut. Wären wir nicht sofort aus dem Pecos-Bend-Arroyo aufgebrochen, hätten sie uns dort gefangen wie in einer Fallgrube. Und jetzt drängten wir heraus aus dem Gebiet der Comanchen, statt uns noch mehr in ihrem Gebiet zu verlieren, wo sie sicher jeden Winkel und jeden Steg kannten. Die Comanchen meiden das Hochgebirge. Dort können sie die Taktik ihrer blitzartigen Überfälle nicht entfalten. Und der Schnee hinderte sie daran, mit ihren kleinen Ponys unserem Treck so rasch zu folgen, daß sie uns noch einkesseln konnten, ehe die Schlucht sich zu einem schmalen Schlauch verengte. Vorläufig war der Schnee noch unser Verbündeter. Doch später, wenn wir höher in die Berge hinaufkamen, würden wir nur gegen
eisige Winde ankämpfen müssen, die uns mit Eisnadeln überschütteten. Gatsby hielt seinen Spencer quer über dem Sattel und reckte sich in den Steigbügeln hoch. »Ich denke, wir sollten ihnen ein paar Schüsse vor den Bug geben!« brüllte er in die wirbelnden Flocken hinein. »So blutrünstig spricht ein nasser Quäker?« erwiderte ich scherzend. Es war nur Galgenhumor. Wir hatten eine vorspringende Felswand im Trail erreicht, wo wir die Verfolger eine Weile hinhalten konnten, ohne uns selbst zu großer Gefahr auszusetzen. Vielmehr drohte uns die größte Gefahr von den Muligespannen, die sich vor uns auf einem schmalen Felsband hinauf quälten, zu einer langen Reihe auseinandergezogen. Sie kämpften gegen die wirbelnden Flocken an, als müßten sie gegen den Strom in einem lautlosen Wasserfall schwimmen. Die Ersatzmulis waren mit Seilen vor die Deichseln gespannt. Die schweren Wagen torkelten auf dem unebenen Boden hin und her. Wenn die Mulis auf lockeren Untergrund trafen, rutschten sie mit wirbelnden Hufen auf dem Geröll und lösten kleine Steinlawinen aus, die den Trail hinuntersprangen und unsere Pferde scheuen ließen. »Die Pferde dort hinauf!« rief ich Gatsby zu. Er verstand sofort, was ich meinte. Unter uns breitete sich der Trail über die ganze Schlucht aus. Wenn wir die Steine passieren ließen, die unsere Gespanne zu Tal schickten, waren sie noch eine zusätzliche Waffe gegen die Comanchen. Aber dafür mußten wir absteigen und waren viel unbeweglicher als die Verfolger. Falls wir sie zu nahe heranließen, konnte das unser Tod sein. Wir brachten die Pferde auf einer Felsplatte unter, wo sie gegen Steine und Kugeln abgeschirmt waren. Sie ritten auf ihren flinken Ponys heran, Büffeldecken über den Schultern, die Fransen an den Leggins und Woilachs voller Schnee, geduckt über dem Rücken ihrer Reittiere, als wären sie mit ihren Pferden verwachsen. »Sie sehen aus wie Schneemänner«, murmelte Gatsby neben mir, das Gewehr auf einen Felszacken gelegt. »Gut, daß ich mir noch
dicke Fäustlinge auf deinen Rat hin gekauft habe, Bruder.« Er schüttelte sich den Schnee von der Hutkrempe, schielte zu mir herüber und sagte: »Junge, dein Gesicht sieht aus, als hätte dich ein Muli getreten! Diese Comanchen haben eine gute Handschrift, wie?« Ich nickte nur. Die ersten sechs Ponys fächerten jetzt auseinander. Die Krieger an den Flanken waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet, die vier anderen mit alten Sharps. Ich hoffte, sie waren nicht mehr besonders zuverlässig. Mit diesem Kaliber hatten sie eine größere Reichweite als wir. Ich nahm den Spencer hoch und jagte den ersten Schuß hinaus. Der frische Schnee stäubte vor dem Pony des Kriegers auf, der drei Federn über dem rechten Ohr trug. Er schlug mit seinem Pony einen Haken wie ein Hase. »Los, Bruder!« zischte ich dem hageren, sommersprossigen Quäker zu. »Ich ermuntere dich nicht zum Töten! Aber hol die beiden Bogenschützen aus dem Sattel!« »Genügen auch die Tiere?« murmelte er und kniff das rechte Auge zusammen. »Ja«, erwiderte ich. Unsere Karabiner verursachten einen Höllenlärm so dicht an der Felswand. Bei jedem Schuß glaubte ich, mein Arm bräche in Stücke, als wäre er zu Eis erstarrt. Der Hieb mit der Whiskyflasche schien mir irgendwie die Elle oder die Speiche im Arm verbogen zu haben. »Gut«, sagte ich anerkennend. »Für einen Quäker schießen Sie verdammt gut, Bruder.« Die beiden Comanchen mit Bogen und Pfeilen rollten in einer weißen Staubwolke über den Fels. Ein Pony wälzte sich wiehernd im Schnee. Das andere lag mit eingeknickten Vorderbeinen an der Felswand. Der Comanche war mit einem wilden Satz abgesprungen und lief auf unsere Bastion zu. Ein Pfeil schnitt durch den Flockenwirbel und verfehlte Gatsbys Kopf nur um eine Daumenbreite. »Verflucht!« murrte Gatsby und zog rasch den Kopf ein. »Die Kerle sind ja Meisterschützen mit diesen gefiederten Dingern.« »Das sind sie«, sagte ich. »Deswegen …« Ein paar Steinsplitter flogen mir in den Mund. Ich lud hastig durch und holte einen Krieger aus dem Sattel, der mit seiner Sharps für
meinen Geschmack zu gut umgehen konnte. »Du hast ihn getötet, Bruder«, murmelte Gatsby. »Er steht schon wieder auf, Homer«, erwiderte ich und legte von neuem an. »Aber sein rechter Arm taugt zu nichts mehr.« Ich spuckte den Schnee und die Steinsplitter aus. »Gegen Comanchen helfen keine Bibelsprüche. So leid mir das tut!« Ich holte den zweiten Sharpsschützen aus dem Sattel, ehe er abdrücken konnte. Sein Schuß ging im letzten Moment etwas zu hoch ab. Die Kugel hätte mir glatt den halben Schädel weggerissen. Sie schickte mir einen Steinhagel auf die Hutkrempe und in den Jackenkragen. »Jetzt folgt die zweite Welle!« Homer Gatsbys Gesicht verschwand in einer Pulverwolke. »Sie nehmen nur ihre Verwundeten mit!« rief ich. »Ich begreife nicht, warum sie uns nicht einfach aus dem Fels fegen! Die Mittel hätten sie dafür!« Gatsby gab keine Antwort. Seine Hände bewegten sich krampfhaft, während er auf seine Jacke hinuntersah. Ich versuchte ihn festzuhalten. Aber er sackte weg, ehe ich ihn packen konnte. Hellroter Schaum trat auf seine Lippen. Er bewegte sich taumelnd um seine Achse, versuchte, sich irgendwo festzukrallen, und rutschte auf dem frischen Schnee den Abhang hinunter. Der Pfeil ragte aus seiner Brust wie eine kleine Wetterfahne. Ich hatte beide Gewehre und hämmerte los, daß die Schluchtwände vom Donnern der Schüsse wie riesige Kesselpauken dröhnten. Drei Ponys überschlugen sich im Kugelhagel. Homer Gatsby versuchte noch einmal, sich im Schnee aufzurichten. Ein zweiter Pfeil warf ihn zur Seite. Er blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Ich fluchte wie eine Heide, verdammte Bushfield und seinen Whisky und brüllte bei jedem Schuß, den ich aus den Läufen jagte, bis mein Patronengurt leer war. Ich wischte mir den Pulverschleim aus dem Gesicht und starrte mit tränenden Augen nach unten. Sechs Ponys lagen auf dem Boden der Schlucht verstreut und färbten den Schnee mit ihrem Blut. Sechs Ponys, die jetzt dicke
Schneefahnen hinter sich herzogen, waren mit zwei Kriegern besetzt. Einer davon lag mit baumelnden Armen über der Kruppe. »Tut mir leid, Bruder«, sagte ich laut, »daß ich ihn getötet habe. Ich habe nur an das Alte Testament gedacht. Auge um Auge, Zahn um Zahn …« Dann schwang ich mich in den Sattel des Braunen, nahm Gatsbys Pferd am Zügel und barg den toten Quäker aus dem Schnee. * Ich holte den Treck erst am Nachmittag wieder ein, als das Schneetreiben von einem eisigen Wind abgelöst wurde, der feine Hagelkörner über die Felsen trieb. Ich hatte absichtlich Abstand gewahrt und an jeder Biegung im Fels angehalten. Auf dem zerwühlten Schnee hatten sich die Spuren der schweren Wagen als tiefe Furchen abgezeichnet. Ich konnte an der Fährte lesen, wie hart der Treck um den Aufstieg in das Gebirge kämpfen mußte. An einer Stelle war ein Pferd gestürzt und nur mit Hilfe eines Lassos wieder auf die Beine gekommen. Dann fand ich eine Truhe, die ein Prärieschoner verloren haben mußte. Ich öffnete sie. Sie war mit Büchern gefüllt, die so schwer wie Steine wogen. Ich beförderte sie mit einem Tritt den Abhang hinunter. Bücher waren ersetzbar, für Gatsby gab es keinen Ersatz, wenn ich nur daran dachte, wie wertvoll er als ehemaliger Yankee-Soldat für den Treck gewesen war. Was sein Verlust für seine Familie bedeutet, daran wagte ich nicht zu denken. Das Pferd mit dem Toten am Zügel, beide Gewehre in den Scabbards, hielt ich hinter jeder Deckung an, den Blick talwärts gerichtet. Der Canyon, den Bushfield gewählt hatte, schlängelte sich in bizarren Windungen durch schroffe Felswände – eine breite, schwarze Ader zwischen weiß bestäubten Hängen. Im Süden breitete sich eine schmutziggraue Fläche unter tiefhängenden Wolken aus. Ein feines Singen und Sirren erfüllte die Luft. Eisnadeln prickelten in meinem Nacken. Das Gesicht des Toten war mit Reif überzogen.
Ich sah nur zwei Ponys, die mir beharrlich folgten, ohne sich auf Schußweite zu nähern. Kundschafter, dachte ich. Es wollte mir nicht in den Kopf, daß sich die Comanchen nicht einmal Ersatz für ihre Ponys besorgten. Sie konnten an den Spuren ablesen, was für eine prachtvolle Remuda ihnen in die Hände fallen mußte, wenn sie nur energisch nachstießen. Sie taten es nicht. Sie beschränkten sich darauf, zu wissen, wo sich die Tiere und Planwagen befanden, wohin sie fuhren und wie schwer die Wagen beladen waren. Das gefiel mir nicht. Sie schonten uns sicher nicht wegen unserer frommen Gesinnung. Ich lachte böse. Seit die Büffelschlächterei in den Prärien begonnen hatte, waren die Comanchen unversöhnliche Feinde der Weißen geworden. Zu Recht, dachte ich. Foner hätte die Büffelschlächter bekehren sollen, statt sich irgendwo in Arizona als Siedler niederlassen zu wollen. Ich brauchte bis zum späten Nachmittag keinen Schuß mehr abzugeben. Und dann holte ich den Treck ein. Ich konnte ihm nicht mehr ausweichen. Er saß vor einem steilen Hang am Paß fest. Ich hörte die Flüche, ehe ich um einen Knick im Fels bog, der mir die Sicht versperrte. Auch Quäker können also fluchen, dachte ich boshaft. Dann hörte ich, daß es nur Bushfield war, der fluchte. Und auch er verstummte, als er mich in der Begleitung eines Toten sah. »Was ist los?« fragte ich. »Mister Bushfield weigert sich, seinen Wagen auszuladen«, sagte George Foner. »Sie sehen ja, daß er den anderen den Weg versperrt.« »Und warum weigert er sich?« »Ich habe keine Ahnung, Bruder.« Erst jetzt sah der alte Foner den Toten, den ich mit meiner Decke verhüllt hatte, um den Kindern einen Schock zu ersparen. Foner blickte mich an, las in meinen Augen eine Antwort und faltete die Hände, ohne den Hut abzunehmen. * »Es ist nicht mehr weit bis Flint Hill!« sagte Sam Bushfield und
fuchtelte erregt mit den Händen. »Nur über diesen Paß! Und so dicht am Ziel soll ich mein Hab und Gut in den Schnee werfen? Mit welchem Recht verlangt man das von mir? Ich …« Ich wandte mich von ihm ab und rief Hancock und Fuller zu mir. »Es tut mir leid um Homer«, sagte ich. Der rundliche Hancock blickte mich an, als müsse er mich trösten. »Es ist Gottes Wille, Bruder. Es schickt sich nicht für uns Menschen, an seinen Fügungen zu deuteln oder zu drehen. Meine Frau kümmert sich um Dale. Caspar und Pat sind schon fast erwachsen. Sie werden ihrer Mutter dort, wo wir hinwollen, eine tüchtige Stütze sein.« Der weißhaarige Fuller, der bisher einen ängstlichen, etwas zerstreuten Eindruck auf mich gemacht hatte, setzte sogar ein Lächeln auf. Es war etwas kläglich, aber da ich etwas ganz anderes von ihm erwartete, beeindruckten mich seine Worte noch mehr: »Tom geht es schon etwas besser. Meine Frau sagt, ich soll mir jetzt an Bruder Gatsby ein Beispiel nehmen.« Er deutete auf das Gewehr, das er im Sattelschuh trug. »Ich habe heimlich mit meinem Sohn zusammen in Laredo geübt. Eine Agave treffe ich schon auf zweihundert Yards Entfernung. Ich meine, ein Indianerpferd werde ich wohl auch treffen.« »In Ordnung, Brüder«, sagte ich. »Ihr reitet bis zur Biegung im Fels zurück. Zwei Comanchen folgen uns. Sobald sie merken, daß wir hier in den Bergen hängengeblieben sind, könnte die Lage sich rasch verschlechtern.« Sie nickten ernst. »Wenn ihr sie nicht aufhalten könnt, komme ich euch zu Hilfe. Schießt mit einem Colt als Zeichen, daß ihr Verstärkung braucht!« Der rundliche Phil Hancock lächelte, als brauchte ich eine Aufmunterung, wendete sein Pferd und trabte den Trail hinunter. Homer folgte ihm, steil aufgerichtet im Sattel, als müsse er mir beweisen, daß er auch ein leidlicher Reiter sei. Dann wandte ich mich wieder Bushfield zu und maß den Weg hinauf bis zum Paß. »Wir haben vielleicht noch eine gute Stunde, bis die Dunkelheit einsetzt, Mister«, sagte ich hart. »Sie versperren den anderen
Gespannen den Weg! Also bringen Sie Ihren Wagen dort hinauf, oder er fliegt da hinunter!« Ich deutete mit dem Daumen nach links, wo der Felspfad an der Steilwand endete. »Wir könnten noch ein paar Mulis vorspannen«, schlug Bushfield vor. Er schwitzte vor Aufregung. Ich blickte an seinem Wagen entlang. Er hatte bereits zwölf Maultiere vorn an die Deichsel angehängt. Dazu war die Stelle, an der sein Wagen, hängengeblieben war, so eng, daß sich nur noch ein Kind zwischen Seitenbracken und Fels vorbeizwängen konnte. Ich wandte mich zu Foner um, der neben seinem Gespann stand, den Arm um die Schultern von Pat Gatsby gelegt. »Wir laden seinen Wagen so lange aus, bis die Maultiere im Hang wieder Tritt fassen!« »Ich …« »Sie haben gehört, was ich sagte, Bushfield!« fuhr ich ihn an. »Und sie beginnen sofort! Schnüren Sie die Plane auf, und reichen Sie die Sachen über das Seitenbord heraus!« »Ich …« »Pronto, Mister! Die Comanchen sind hinter uns her! Sonst schieße ich Ihnen die Haken und Ösen am Bord ab, und Ihr ganzer Hausrat rutscht hinunter in den Abgrund!« Dann, als Bushfield mit verkniffenem Gesicht die zweite Truhe dem Jungen zureichte, der unter der schweren Last taumelte wie ein überladenes Maultier, hörte ich ein leises Klirren. »Laß die Truhe fallen!« rief ich scharf. Der Junge gehorchte erschrocken. Die Truhe hüpfte über die Steine und barst in der Mitte auseinander. Eine Lawine von Whiskyflaschen ergoß sich zwischen die Maultiere von Foners Gespann und über die Steilwand hinunter in den Abgrund. * Ich warf Kiste um Kiste hinunter und arbeitete wie ein Besessener, bis der alte Foner mir in die Arme fiel.
»Die Maultiere werden es jetzt schaffen«, sagte er leise, nicht ohne Vorwurf. »Aber der halbe Wagen ist noch voll von diesem Teufelszeug!« protestierte ich. »Ja, Bruder. Aber Bushfield spielt mit seinem Colt herum, als würde er Ihnen jeden Moment eine Kugel in den Rücken schießen!« »Dann werft ihn hinunter zu seinen verdammten Kisten!« »Er hat es mir erklärt, Bruder. Er will in Arizona einen Saloon eröffnen. Mit seiner Frau. Er hat sein ganzes Vermögen in Whisky angelegt. Und jetzt …« »Dieser Whisky ist schuld an Homers Gatsbys Tod, Mister Foner!« sagte ich wild. »Und er wird uns noch mehr Opfer abverlangen, wenn wir nicht …« »Schon gut, Bruder.« Foner versuchte mich zu beruhigen. »Wir werden das endgültig bereinigen, wenn wir in Flint Hill in Sicherheit sind. Vergiß nicht, daß er uns diesen Trail gezeigt hat. Wir schulden ihm etwas Dank, Bruder.« »Wie kommen Sie plötzlich zu dieser Kehrtwendung in Ihren Ansichten, Mister Foner?« »Eine Stimme spricht in uns. Sie nennen das Gewissen. Es ist eine lebendige Stimme, die uns von Sekunde zu Sekunde anleitet, das Richtige zu tun.« »Und diese Stimme spricht jetzt für die Einhaltung von WhiteMule-Whisky?« fragte ich sarkastisch. »Sie spricht dafür, Bushfield Zeit und Gelegenheit für eine Rechtfertigung zu geben, Ronco.« »Sie begehen einen Fehler, Foner.« »Wir begehen alle Fehler, Bruder. Das ist eine Schwäche, die Gott uns mit auf die Erde gegeben hat.« Er zog mich fast mit Gewalt vom Wagen. Ich sah, daß Bushfield die rechte Hand am Colt hatte. Das hat wohl Foners Stimme etwas beeinflußt, dachte ich. »Treib deine Mulis zum Paß hoch, Bushfield!« fauchte ich den scharfäugigen, hageren Mann an, der angeblich eine Spelunke in Arizona eröffnen wollte. Heute morgen noch hatte er von einer Siedlung am Elephant Butte gesprochen.
»Wir regeln die Sache, wenn wir in Flint Hill sind!« sagte ich barsch und deutete mit dem Kopf auf die Kisten, die den Prärieschoner noch bis zum Rand des Bords ausfüllten. Bushfield sagte nichts. Aber der Blick, den er mir zuwarf, warnte mich eindringlich, ihm nie mehr arglos den Rücken zuzudrehen, wenn wir beide allein waren.
7. Die Nacht war schon hereingebrochen, als wir tatsächlich so etwas erreichten, was man mit einiger Phantasie als Ortschaft bezeichnen konnte, und zwar eine Handvoll morscher Bretterbuden, die auf einem Plateau vor einer Bergwand klebten. Der steife, eiskalte Wind hatte den Himmel über dem Plateau reingewaschen, und das kalkige Mondlicht spiegelte sich in der dünnen Schneedecke zwischen den Häusern. Ich blickte den Trail entlang, der vielleicht hundert Yards weit so etwas wie die Main Street von Flint Hill bildete. Ob dieser Trail am Ende des Plateaus noch passierbar war oder irgendwo in Schnee, Eis oder einem Labyrinth unüberwindlicher Canyons endete, wußte ich nicht zu sagen. Bushfield mochte ich nicht danach fragen. Ich traute ihm nicht mehr. Ich überlegte, was jetzt zu tun sei. Am besten war es wohl, den Mulis einen Tag Rast zu gönnen und den Quäkern eine Besinnungspause von vierundzwanzig Stunden. Im Norden kündigte sich über den schwarzen Bergzacken eine neue Schneefront an. Der Winter kam diesmal früh. Das Schneetreiben heute war nicht ein verirrter Vorreiter des Winters gewesen. Falls der Winter in den nächsten Tagen mit voller Wucht über die Round Mountains hereinbrach, konnte der Treck immer noch nach Süden umkehren. Und die Comanchen? Nun, die Comanchen, dachte ich erbittert. Ich mußte die Bewohner dieser Bretterbudenansammlung vor den Comanchen warnen. Sie würden nicht gerade über unseren Besuch erfreut sein, wenn sie erfuhren, warum die Rothäute unseren Treck so hart bedrängt und einen unserer Männer erschossen hatten. Möglich, daß sie uns mit
Gewalt wieder zur Umkehr zwangen, den Comanchen direkt in die Arme. Dazu gesellten sich noch drei Maultiere, die eine Steinlawine in den Abgrund zu den zerschmetterten Whiskykisten hinuntergespült hatte. Ich hatte noch im letzten Augenblick die Leine kappen können. Sonst wäre auch der Wagen mit dem jungen Tom Fuller im letzten Augenblick vor dem Paß gescheitert und unter einem Berg von Sandsteinen und Schnee in der Schlucht beerdigt worden. Ich ließ die Kolonne anhalten, blickte mich auf der Main Street um und sah nur zwei beleuchtete Fenster schräg gegenüber. Und dazwischen ein verwittertes. Schild mit der Aufschrift: »Fling-HillTrade-Post-Saloon-Stable«. Dort konzentrierte sich also das öffentliche Leben dieser Handvoll Bretterbuden. Ich schwang mich aus dem Sattel und drehte mich zu Foner um, der wieder die Spitze des Trecks übernommen hatte. Ich hatte Phil Hancock gebeten, Bushfield, dessen Wagen auf Foners Prärieschoner folgte, im Auge zu behalten. »Er steht bis auf weiteres unter Arrest. Oder so gut wie«, sagte ich zu Hancock. »Das mit dem Whisky ist ein faules, linkes Ding.« »Schon gut, Bruder«, hatte Hancock erwidert und seine Spencer zwischen die Knie geklemmt. Jetzt wandte ich mich an Foner und fragte: »Begleiten Sie mich in den Saloon dort drüben? Ich will mich nach einem Quartier für Ihre Brüder und die Tiere erkundigen.« »Wir haben genügend Decken und warme Wollsachen, daß wir auch im Freien kampieren können, Ronco«, erwiderte der weißbärtige Quäker. Ich schüttelte den Kopf. »Sie vielleicht, aber nicht die Kinder. Nun?« »Geh und erkundige dich, Bruder. Ich werde inzwischen mit meinen Brüdern reden, wo wir unserem toten Bruder Homer ein Quartier in geweihter Erde besorgen können.« Ich zuckte mit den Schultern. Ich band meinen Braunen an einer morschen Hitchrailstange an, sah ein struppiges Muli, das so fahl aussah wie die morschen Bretterfassaden an der Main Street, und dachte mir nichts weiter
dabei. Die Pendeltür ächzte in den Angeln wie eine arme Seele, die am Galgen endet. An der Theke, auf der zwei rußige Öllampen blakten, stand ein baumlanger Mann, vom Kinn bis hinunter zu den Stiefelspitzen in Luchsfelle gekleidet. Er starrte mich an, als sei ich vom Himmel herunter auf die Main Street gefallen. Ich trat an die Theke. »Hallo – ist etwas nicht in Ordnung?« Er starrte mich noch immer an. Aber es schien nicht an meiner Kleidung zu liegen, daß er mich mit den Blicken verschlang wie einen ungenießbaren Geist. »Sie sehen aus wie ein Stück Rindfleisch, das ich mal in St. Louis betrachtet habe«, sagte er. »Aha.« Er fuhr mit seinen dünnen langen Fingern an seinem Pelz entlang, bis er sein Gesicht erreicht hatte, und beschrieb mit den schwarzen Fingernägeln Kreise über beiden Wangen. »Die hatten dort auch so blaurote Kreise wie Sie.« »Aha.« »Stempel vom Fleischbeschauer, Mister. Ich habe früher mal in einem Schlachthof gearbeitet.« »Aha.« »War es ein Pferd, das Sie getreten hat?« »Nein.« »Ein Muli?« »Nein.« »Was dann?« »Comanchen.« »Teufel – was wollten die von Ihnen?« »Whisky«, warf ich hin, um ihn los zu werden. Doch das hatte die Wirkung einer explodierenden Dynamitstange. Der Lange mit dem Luchsfellmantel zog die Augen zu Schlitzen zusammen, wich rasch einen Schritt von der Theke zurück und fixierte mich noch einmal von meinen Blutergüssen hinunter bis zu meinen nassen Stiefeln, die eine kleine Pfütze auf den schmutzigen Dielenbrettern ausbreiteten.
Seine rechte Hand umklammerte den Hals einer halbleeren Flasche, die ebenfalls Whisky enthalten mußte. Er lüftete sie ein wenig von der Theke an, stellte sie dann jedoch wieder auf das zerkratzte Blech zurück, mit dem die Theke verkleidet war, und lief quer durch den Saloon, als hätte ich eine ansteckende Krankheit mit dem Schnee nach Flint Hill eingeschleppt. Er öffnete eine kleine Tür an der gegenüberliegenden Wand, blickte mich noch einmal scharf an und verschwand. Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die Tür, ob vielleicht ein »WC« darauf geschnitzt war, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß ein Mann einen fremden Gast mit einer halben Flasche Whisky allein ließ, es sei denn, er folgte einem dringenden Bedürfnis. Die Tür in der Seitenwand gab nichts preis. Sie starrte so blind und schmutzig zurück wie das Thekenblech. Draußen vor den Pendeltüren hörte ich das Klirren der Geschirre und leise Stimmen. Die Planwagen waren nur eine undeutliche dunkle Masse vor den verwitterten Fassaden der Häuser auf der anderen Seite der Main Street, die im Mondlicht so bleich und spröde wirkten wie alte Knochen. Das halbe Dutzend Tische und die dazugehörigen Stühle im Saloon würden für die vier Familien meines Trecks ausreichen, überlegte ich. Es gab außer mir keinen Gast im Raum, und ob ich das werden würde, war noch fraglich. Denn zu einem Gast gehört immer ein Wirt. Ich wollte mit dem Glas, das der Mann mit den Luchsfellen neben seiner halbleeren Flasche hinterlassen hatte, auf das Thekenblech klopfen, um den Wirt auf mich hinzuweisen, als mir die Scherben im Arroyo von Pecos-Band und die grünschlierigen, dicken Gläser wieder einfielen, in die Bushfields White-Mule-Whisky verpackt gewesen war, als ich ihn in die Schlucht gekippt hatte. Die Flasche neben mir war aus dem gleichen grünschlierigen, ungewöhnlich dicken Glas. In meinem Gehirn sprühten kleine Funken auf, zogen sich blitzschnell zu Fäden auseinander und bildeten wie von selbst, ohne Zutun, Muster. Und dieses Muster schloß auch das Muli ein, das dort draußen am morschen Hitchrail festgebunden war. Ich hatte das Muli schon einmal bei den Apachen am Rio Grande
beobachtet. Und später dann in Eagle Pass, als ich dem Nebenerwerb des ehrenwerten Jerome Vanderbilt auf der Spur gewesen war, der in seinen doppelbödigen Kutschen Waffen für die Chiricahuas in die Berge geschmuggelt hatte. Und dieses Maultier mit den auffällig struppigen Ohren, als wären sie mit Fransen besetzt, gehörte einem gewissen Charly, der im Auftrag von Vanderbilts Konkurrenz heimlich die Waffen, die für die Apachen bestimmt gewesen waren, aus dem Versteck in Vanderbilts Kutschen wieder geklaut hatte – damit die Apachen, wenn sie später die Kutschen überfielen, um ihnen die Waffen zu entnehmen, in die leere Röhre, respektive leeren Fehlböden schauten und Jerome Vanderbilt für einen weißen Halunken halten sollten, der sie um ihre schon im voraus bezahlte Ware prellte. Charly arbeitete für die große, übermächtige, geheime Konkurrenz von Vanderbilt. Sein Muli stand draußen. Bushfield ebenfalls, der in seinen Truhen statt Hausrat und Stoffen Unmengen Whisky geladen hatte. Mein Muster dehnte sich blitzschnell aus und erfaßte diesen scharfäugigen, zwielichtigen Westmann, die Comanchen und die Flasche neben mir auf der Theke. Ich stieß mich von der Theke los, zog den Colt aus dem Holster und riß die Tür in der Seitenwand auf. Drei Männer wandten sich hastig um, als ich durch die Tür in eine Art von Lagerraum eindrang, den Colt locker in der rechten Hand. Einer von den dreien war Charly. * Sie standen bei einem Tisch, der offenbar für die Kundschaft der Flint-Hill-Trade-Post zwischen die Regale geklemmt war, auf denen sich fingerdicker Staub angesammelt hatte. Die Bretter der Regale waren so vollgestopft mit Waren wie der Saloon hinter mir mit Gästen. Sie waren nämlich leer. Nur auf dem Ladentisch, an dem die drei Männer beisammenstanden, lag kein Staub. Oder vielleicht konnte ich den Staub nur nicht sehen, weil er von gebündelten Greenbacks zugedeckt war. Von Greenbacks im Kleinformat bis hinauf zu den
großen Lappen, die man Riesen nennt und für die man pro Stück zwei erstklassige, ausgewachsene Mustangs oder Morgans erhält. »Soll das ein Überfall sein, Mister?« fragte der eine von den dreien, den ich noch nicht kannte. Er war so groß wie ich und auch so breit, trug lange braune, bis auf die Schultern herabfallende Haare und einen Schnauzbart, der an den Enden zu winzigen Zöpfen geflochten war. Das gab seinem schmalen, knochigen Gesicht mit den schrägliegenden dunklen Augen gleichzeitig einen verwegenen und bizarren Zug. Ich mußte an einen Piraten denken, den ein Tornado aus der Südsee hierher in die Round Mountains gefegt hat. Auch er trug einen langen Fellmantel, der von den herabhängenden Spitzen seines Schnauzbartes bis zu den Stiefelkappen reichte. Sein Fell war noch kostbarer als der Luchs, mit dem der Hombre verhüllt war, der mich an der Theke angesprochen hatte. Es waren feine, seidenbraune Minkfelle von jungen Tieren, mit denen sich der Gentleman mit den geflochtenen Bartspitzen gegen die Unbillen des Winters schützte. Charly, der zwischen den beiden großen, pelzverhüllten Gestalten mit seinem zerbeulten Filzhut und dem Fuchsfell um den Hals fast wie ein Bettler wirkte, rief erschrocken: »Das ist er!« Er warf die Greenbacks, die er gerade in die großen Taschen seiner abgeschabten Lederjacke schieben wollte, auf den Tisch zurück und flüchtete zu einem Fenster im Hintergrund des Lagerraums. Ich zögerte kurz und wog den Colt in der Hand, als wollte ich damit werfen. Dann lief ich Charly nach, der sich über die Fensterbrüstung hinaus in den Hof schwang. Charly war schmächtig, nur eine halbe Portion im Vergleich zu mir. Aber er lief so leichtfüßig über den Schnee, als habe er Gleitkufen unter den Sohlen seiner kurzen Stulpenstiefel. Er raste auf einen halbverfallenen Stall zu, besann sich dann anders, schlug einen Haken und wollte durch eine Lücke zwischen einem Schuppen und einer Remise hinaus auf die Main Street. Ich erkannte rechtzeitig seine Absicht und lief in einer Richtung weiter, die seinen Fluchtweg noch vor der Lücke zwischen den
beiden Gebäuden schneiden mußte. Ich holte ihn erst ein, als er bereits im Schatten zwischen den grauen Bretterwänden untertauchen wollte, warf mich gegen seine Beine und schlitterte ein paar Yards weit mit ihm durch den Schnee. Ich packte ihn bei den Hüften, drehte ihn herum und lehnte ihn gegen die Bretterwand der Remise. »Ich!« stammelte er keuchend. »Was – was wollen Sie von mir?« »Beim letztenmal bist du mir in Eagle Pass entwischt, als du mit deinem Muli ein Dutzend fabrikneuer Spencer-Karabiner aus der Stadt schaffen wolltest! Karabiner, die du kurz zuvor aus den Concord-Kutschen von Mister Vanderbilt gestohlen hast!« Die kleinen Augen in dem wettergegerbten Gesicht des angeblichen Goldgräbers blickten mich so flehend an wie damals in Eagle Pass, als ich ihn von seinem Maultier heruntergezogen und den Colt an die Schläfe gesetzt hatte – wie jetzt. »Nicht schießen!« stammelte er. »Ich kann nicht mehr sagen! Ich meine, nichts hat sich geändert. Ich werde bestellt und komme. Ich bringe Geld oder Briefe, liefere sie ab und reite wieder fort. Ich gehorche und frage nicht viel. Wenn ich neugierig bin, werde ich sterben. Das ist die Wahrheit, Mister! Ich schwöre es!« »Du arbeitest also immer noch für die großen Waffenschieber, die dir vor zwei Wochen befohlen hatten, Vanderbilts Waffenlieferungen an die Apachen zu sabotieren?« »Ich – ich …« Er schluckte und nickte, als ich den Hammer meines Colt knacken ließ. »Und jetzt bist du zufällig hier in Flint Hill – einem gottverlassenen Nest mitten in den Bergen? Was gibt es hier zu holen?« »Nichts – gar nichts!« »Aber als ich dich eben im Nebenzimmer des Saloon aufstöberte, wolltest du doch eine Menge Geld kassieren, statt es abzuliefern.« »Ich – es gehört nicht mir – dieses Haus ist gleichzeitig eine Bank, die …« Ich lachte ihm ins Gesicht und rüttelte ihn an der Schulter, daß sein Kopf wie ein Spechtschnabel gegen das morsche Holz hämmerte.
»Charly, ich habe vorgestern zugesehen, wie Vanderbilt gehängt wurde!« Seine kleinen Augen wurden rund und groß, als wären sie aus Hefeteig. »Ich habe Vanderbilt an den Galgen gebrächt. Das werde ich auch mit dir tun, wenn du mir nicht sagst, wer dich mit deinem Muli durch die Berge schickt! Sind es die beiden Pelzmumien im Trade-Post?« »Nein!« »Wer dann?« »Sie sitzen in New Mexico oder in Arizona. Nur hier in Texas sind sie nicht.« »Was haben die beiden hier zu schaffen? Sind das Angestellte dieser großen, allmächtigen Waffenhändler, die jenseits der Berge residieren?« »Ich – ich weiß es nicht.« »Was weißt du dann?« »Daß ich hier auf einen großen Treck warten soll und dafür Geld …« Plötzlich schlug er mit beiden Knien nach oben, traf mich an meinem bereits arg lädierten Kinn, daß in meinem Kopf wieder ein Feuerwerk losging und die graue Bretterwand über mir sich im Kreis drehte. Ich ließ Charlys Schulter los und stützte meinen Kopf, bis der Schwindelanfall abebbte und das chinesische Feuerwerk in meinem Schädel wieder erlosch. Als ich aufsah, war kein Charly mehr in meiner Nähe. Nur die Fußstapfen seiner Stulpenstiefel verrieten mir die Richtung, in der er sich entfernt hatte. Sie führten wieder in den Hof zurück und auf den Mietstall zu. Ich rannte auf die Flügeltür des Mietstalls zu, den Colt in der Rechten. Ich wußte noch nicht, ob ich ihn diesmal nur damit bedrohen würde. Ich dachte an Homer Gatsby und war überzeugt, daß Charly auch an Homers Tod indirekt schuld war. Ich war entschlossen, diesmal nicht nur mit der Waffe zu drohen, als ich den angelehnten Flügel der Stalltür mit einem Fußtritt öffnete. Die meisten Boxen in dem Stall waren leer. Er hatte sich in eine der Boxen verkrochen wie ein Kind, das sich vor der Strafe seiner Eltern fürchtet.
Ich sprang auf ihn zu, packte ihn beim Fuchspelzkragen und riß ihn auf die Füße. »Diesmal entwischst du mir nicht mehr, du Bastard!« knurrte ich. Er nickte nur, und als ich seinen Fuchskragen losließ, fiel er wieder in sich zusammen. Erst da sah ich den Messergriff, der aus seinem Rücken herausragte. Der grelle Strahl einer Karbidlampe traf mich im selben Moment in den Rücken. »Werfen Sie die Waffe weg, Mister!« rief eine scharfe Stimme von der Stalltür her. »Ich verhafte Sie wegen Mordes an diesem Mann! Eine falsche Bewegung, und Sie sind so tot wie er!« * Ich erhielt sogar Handschellen um die Gelenke und wurde auf die andere Hofseite hinübergetrieben, die ich noch nicht kannte. Dort, keine zehn Schritte von dem Fenster entfernt, durch das Charly auf den Hof geflüchtet war, stand ein kleines gemauertes Gebäude, das ich aus der Entfernung vielleicht für einen Schweinestall gehalten hätte. Aber es war eine Arrestzelle, die nur so roch wie ein Schweinestall. Der Schein der Karbidlampe tanzte vor mir her und heftete sich auf das tellergroße Vorhängeschloß an der Tür, während sich der doppelte Lauf einer Schrotflinte an jener Stelle in meinen Rücken bohrte, wo die Haut nach dem Zusammenprall mit einem Schädelbrecher noch schrecklich empfindlich war. Ich schluckte einen Schmerzensschrei wieder herunter, ehe er die Zähne passieren konnte, und wartete, bis der Bügel des Schlosses die Tür freigab. Sie war solider als alles, was ich bisher in Flint Hill gesehen hatte. »Vorwärts!« sagte die Stimme hinter mir und drückte mich mit dem Doppellauf in einen Raum, der vielleicht zwei Yards im Quadrat maß, mit faulem Stroh ausgelegt war und mir als Sitzgelegenheit einen Blecheimer anbot, der mit einem Kistendeckel zugedeckt war. Ein bestialischer Geruch raubte mir fast den Atem, als ich gegen
den Eimer stieß und den Kistendeckel ein wenig verschob. Ich rückte ihn mit der Stiefelspitze wieder vorsichtig gerade und drehte mich um. Der Mann, der mich festgenommen hatte, trug tatsächlich einen Stern auf der Brust. »Ich habe ihn nicht getötet«, sagte ich etwas atemlos von dem Gestank, den ich ein paar Sekunden eingeatmet hatte. »Haben Sie nicht das Messer in seinem Rücken gesehen? Und ich hatte einen Colt in der Hand! Ich bin kein Linkshänder!« Der Mann drehte an seiner Karbidlampe, die Schrotflinte unter den rechten Arm geklemmt. Als der gleißende Strahl wieder erlosch, setzten meine Augen ein paar Sekunden aus. Dann konnte ich ihn zum erstenmal so betrachten, daß ich ein zusammenhängendes Bild von ihm erhielt. Bisher hatte er nur aus einer kreisrunden Karbidlampe und zwei kreisrunden Läufen bestanden. Er war so groß und breitschultrig wie ich. Abgesehen von Charly hatte ich bisher in Flint Hill nur große, breitschultrige Männer angetroffen. Und auch er trug eine Menge Felle am Körper. Aber bei ihm waren sie als Futter der Haut zugewendet und schauten nur an den Säumen der Jacke und Hose aus dem Leder heraus. Sein Gesicht war unter der breiten Hutkrempe nicht deutlich zu erkennen. Aber es schien lange nicht so viel Vertrauen in mir zu wecken, wie das der Marshalstern, den er auf der linken Brust trug, eigentlich von mir verlangte. »Sie sind der Marshal von Flint Hill?« fragte ich, weil er auf meine Verteidigung nicht reagierte. »Das sehen Sie doch!« »Es steht nicht auf dem Stern. Sie könnten ihn ebensogut in irgendeinem General Store gekauft haben. Oder im Store neben dem Saloon.« Der Mann in der pelzgefütterten Lederkleidung schob die Beine etwas auseinander und stieß einen grunzenden Laut aus. »Ich führe keine Marshalsterne in meinem Store«, sagte er dann. »Ah – der Store gehört Ihnen?« fragte ich überrascht. »Der Store, der Saloon, der Mietstall und auch die Häuser gegenüber.«
»Dann gehört Ihnen also ganz Flint Hill, sozusagen?« »Sozusagen ja.« »Dann sind Sie hier auch Richter, Marshal und Henker in einer Person. Habe ich recht?« »Ich streite es nicht direkt ab.« Ich ließ mich vorsichtig auf den Kistendeckel nieder, mit dem der Abortkübel des Gefängnisses von Flint Hill zugedeckt war, und stieß einen leisen Pfiff aus. »Wann ist die Hinrichtung?« »Was für eine Hinrichtung?« fragte er stirnrunzelnd. »Meine natürlich!« »Wenn die Untersuchung abgeschlossen ist und ich das Urteil fälle, Mister!« »Wie lange kann das dauern?« Er zuckte mit den Schultern. »Ein, zwei Tage mindestens. Noch eine Frage?« »Nein, nur eine Bitte. Da draußen auf der Main Street vor Ihrem Saloon hält ein Treck mit fünfzehn Männern, Frauen, Kindern und einem Toten. Einer von den Männern heißt Foner, George Foner. Würden Sie mir den Gefallen tun, diesen Mann zu mir in die Zelle zu schicken?« Er starrte mich eine Weile an, als hätte ich einen schmutzigen Trick mit ihm vor. »Mal sehen«, sagte er dann mürrisch. »Aber versprechen kann ich nichts. Gar nichts.« Er drehte sich auf der Schwelle um und warf die eiserne Tür ins Schloß. Ich hörte einen Schlüsselbund draußen rasseln und dann das Knirschen von Ledersohlen im Schnee. Ich legte mein zerschlagenes Gesicht in die Hände. Das war also mein erster selbständiger Job als Treckführer, zu dem mich Colonel Lester abkommandiert hatte. Er schien geradewegs in die Hölle zu führen.
8. Ich kauerte auf dem Kübel, die Knie bis ans Kinn gezogen, weil ich erbärmlich fror. Ich schaute zu, wie der Mond sachte von Ost nach
West wanderte, obwohl ich ihn selber gar nicht sehen konnte. Die kleine Luke über der Tür hatte vier Stäbe, deren Schatten über die gekalkte Wand über meinem Kopf wanderten. Ich versuchte, daraus so etwas wie eine Monduhr zu bilden. Jedenfalls mußte es Stunden gedauert haben, bis wieder Schritte über den Hof knirschten. Zwei Männer diesmal. Der Schlüssel rasselte vor der Eisentür. Dann fiel das Licht einer Stallaterne über das faulige Stroh, und ein kleiner Schatten bewegte sich neben einem großen. George Foner, den schwarzen Wollmantel um seine schmächtige Gestalt gewickelt, und der Marshal, dem alles in Flint Hill gehörte, auch der kleine Friedhof, wie sich gleich herausstellte. Foner hielt einen Henkelkorb in der Hand und zuckte etwas zurück, als die Tür aufschwang. Ich blickte hoch und streckte vorsichtig die Beine aus. »Wenn ich aufstehe, können Sie den Gestank nicht mehr aushalten, Bruder«, sagte ich zu dem weißbärtigen Quäker. Er nickte nur und benahm sich seltsam feierlich. Er tut fremd, dachte ich. Seine Nächstenliebe mußte irgendeinen Knacks empfangen haben. Er stellte den Korb auf das Stroh und sagte: »Ich habe Ihnen etwas zu essen mitgebracht, Mister Ronco.« »Danke, Bruder. Ich habe nicht viel Hunger. Aber ich werde es brav hinunterkauen, ehe es diesen Kloakenduft hier annimmt. Hoffentlich geht es meinem Pferd auch gut, und es muß nicht so frieren wie ich.« »Ihr Brauner ist versorgt. Und Mister John Rother hat auch eine Decke für Sie mitgebracht.« »John Rother?« »Der Marshal. Er ist sehr freundlich und zuvorkommend. Wir werden Homer noch heute nacht beerdigen. Es muß sein, sagt Mister Rother. Denn schon morgen früh könnte die Erde hier oben steinhart gefroren sein.« »So schnell geht das nicht, Mister Foner. Ich fürchte, Ihre Eile ist etwas übertrieben.« Wenn er so förmlich sein muß, kann ich das auch, dachte ich. Er stand halb auf dem Stroh, halb draußen im Lehm und knetete
seine Hände. Wenn er mir eine seiner hübschen Töchter geschickt hätte, wäre mir das lieber gewesen, dachte ich. Sie hätten mir beide offen und knallhart ins Gesicht gesagt, was sie an mir störte oder auch gefiel. Er druckste herum, als wüßte er nicht, wie er es mir schonend beibringen sollte. »Mister Rother war auch so freundlich, uns einen neuen Scout zu besorgen.« Aha – das war es also. Ehrlich gestanden, das hatte ich nun doch nicht erwartet. Ich war noch jung, und ich zeigte ihm, wie gekränkt ich mich jetzt fühlte. »Ich bin unschuldig, Mister Foner. Und das wird sich in spätestens ein paar Stunden herausstellen, wenn Mister Rother so freundlich ist, meinen Fall zu klären. Dieser Charly, wie der Tote mit dem Fuchspelzkragen und dem verbeulten Filzhut heißt, wurde mit einem Messer getötet. Ich war nicht in seiner Nähe, als der Mord geschah. Ich – ich war ihm nachgelaufen, aber mit meinem Colt. Ich hätte ihn logischerweise mit einer Kugel getötet, falls ich das beabsichtigte. Und …« Ich stockte. Meine Argumente schienen den Anführer der Quäkergemeinde nicht zu überzeugen. Mister Rother streckte den Arm aus und warf mir eine Decke zu, die er über die Schulter gelegt hatte, um seine Waffenhand nicht zu beschweren. Er hatte wieder seine Schrotflinte mitgebracht, auf deren Läufen die düsteren Reflexe des Mondlichts tanzten. Sie zielten auf meine Brust. »Mister Foner hat noch viel zu erledigen«, sagte der Marshal mit frostiger Stimme. »Sie haben, was Sie brauchen. Ein Ausbruchsversuch ist zwecklos. Das haben schon ganz andere Leute als Sie versucht.« »Augenblick noch!« rief ich. »Ich kenne Mister Foner als einen gerechten, vorurteilsfreien Mann. Er wird nie den Stab über mich brechen. Nicht über einen Unschuldigen …« Wieder schienen meine Worte gegen eine Wand zu prallen. Mister Rother stand breitbeinig vor der Tür, seine Augen nahmen bereits Maß von mir. Mir war, als blicke er mich so an, wie das der Henker aus Corpus Christi bei Vanderbilt getan hatte. Abschätzend, mein
Gewicht und die Länge meines Halses berechnend. Der weißbärtige Quäker breitete langsam die Arme aus wie der Reverend aus Eagle Pass auf dem Gerüst vor Vanderbilts Galgen. »Wir werden für dich beten, Bruder«, sagte er feierlich, sogar ein wenig bewegt, schien mir, als täte ich ihm wirklich leid. »Was soll das? Ich bin unschuldig, ich sagte es eben! Ich …« »Mister Foner und die anderen Gentlemen von seinem Treck haben das Messer wiedererkannt, das in der Leiche steckte«, sagte Mister Rother. »Wieso?« »Ihr Messer«, sagte Mister Rother mit der Betonung auf dem ersten Wort. Eine heiße Welle stieg in meinem Rückgrat hoch bis zu den Halswirbeln. Das war unmöglich. Ich hatte Mühe, mit den gefesselten Händen die Lederscheide am Gürtel zu erreichen. Sie war leer. »Unmöglich«, stammelte ich. »Ich – Augenblick mal – ich war im Lagerraum neben dem Saloon. Dort befand sich Charly zusammen mit zwei Männern in Pelzmänteln. Er lief weg, als er mich sah. Durch das Fenster zum Hof. Ich setzte ihm nach. Dabei muß ich mein Messer verloren haben.« »Mister Foner hat bezeugt, daß das Messer Ihnen gehört. Er hat das schriftlich niedergelegt, weil er morgen früh bereits wieder weitergeht.« »Wo sind die beiden, die bezeugen können, daß Charly vor mir weglief, weil er ein schlechtes Gewissen …« »Wir werden für dich beten, Bruder«, wiederholte Foner noch einmal und wandte sich um. Ich schleuderte den Korb mit den Broten, die sie mir in die Zelle gebracht hatten, gegen die Tür. Ich sah das dicke Gesicht Vanderbilts vor mir, das mich hämisch anlächelte. * Ich kauerte auf meinem Kübel bis zum frühen Morgen, weil die Zelle
für einen ausgewachsenen Mann, der sich zum Schlafen ausstrecken wollte, nicht groß genug war. Ich döste, den Kopf auf den Knien, und war mir sicher, daß ich auf Mister Rothers Privatfriedhof in Flint Hill verscharrt werden würde – ohne Gerichtsverfahren. Ich würde einfach verschwinden, als hätte ich nie gelebt. Ich durchschaute jetzt das schmutzige Spiel von Fort Calhoun bis nach Flint Hill. Die mächtigen, unsichtbaren Waffenschmuggler, die irgendwo in New Mexico oder Arizona saßen, hatten ihre langen Arme bis hinunter zum Rio Grande ausgestreckt und an einem Rad gedreht, und der Treck mußte seine Route ändern. Und in Flint Hill waren die Handlanger dieser Mächtigen, Unsichtbaren bereits benachrichtigt worden, daß der unbequeme junge Mann, der den Treck anführte und sich ganz nebenbei noch um Dinge kümmerte, die ihn überhaupt nichts angingen, hier in diesem Nest zu verschwinden habe – ohne Aufsehen, ohne Zeugen, ohne eine Spur zu hinterlassen. In Fort Calhoun würde man mich von der Gehaltsliste abhaken und einen Vermerk neben meinem Namen anbringen: »Im schrecklichen Winter des Jahres 1865 irgendwo zwischen den Round Mountains und dem Guadalupe bei seinem ersten selbstständigen Treckkommando vermißt.« Mister Rother gehörte natürlich ebenfalls zu der Bande, die von den Mächtigen hinter den Bergen bezahlt wurde. Wahrscheinlich war er es selbst gewesen, der Charly mit meinem Messer tötete. Ich mußte es tatsächlich im Kontor des Trade-Post verloren haben, und einer der beiden großgewachsenen Männer im Mink- oder im Luchsfellmantel hatte den angeblichen Marshal von Flint Hill auf die einmalige Gelegenheit hingewiesen, zwei lästige Zeugen auf einmal zu beseitigen. Alles war plötzlich so klar und durchsichtig, was vorher wie ein verworrener Zufall ausgesehen hatte. Die Quäker waren aus dem Weg, konnten mir nicht mehr helfen und hielten mich dazu noch wirklich des Mordes schuldig. Die Falle, in der ich saß, war perfekt. Nichts konnte mein Leben noch retten. Ich döste vor mich hin, während es draußen wieder leise zu rieseln
begann. Der Schnee webte bereits mein Leichentuch. Was würde dieser krumme Mister Rother wohl mit meinem Pferd tun? Würde er wagen, es zu verkaufen? Kaum. Es trug das Brandzeichen der Armee. Er würde es bestenfalls den Comanchen zum Tausch anbieten. Oder er würde es schlachten. Es ist schon sonderbar um uns Menschen bestellt. In diesem Moment tat mir mein Pferd viel mehr leid als ich mir selbst. Es war ein unschuldiges Opfer. Ich hätte niemals auf den Vorschlag dieses zwielichtigen Sam Bushfield eingehen dürfen, eine Route zu wählen, die ich nicht kannte. Und dieser Mord, für den ich jetzt büßen sollte – war das nicht Bushfields Rache für die halbe Wagenladung Whisky, die ich in den Abgrund des Flint-Hill-Passes geschüttet hatte? Mir schien, er hatte auch daran gedreht. Ganz gewiß hatte er das! Ich bereute inzwischen, daß ich die Brote gegen die Tür geworfen hatte. Der Hunger nagte in meinen Eingeweiden. Mister Rother würde bestimmt kein Frühstück für mich zubereiten. Weshalb auch? Warum soll ein Mann noch einmal essen, wenn er doch schon so gut wie tot ist? »Ist da jemand?« hörte ich eine laute, barsche Stimme. »He, ist da jemand?« Ich schreckte von meinem Kübel hoch. Ich mußte geträumt haben. Diese Stimme hatte ich einhundertmal am Tag in Fort Calhoun gehört, bis ich mir die Ohren zugehalten hatte, weil ich diese bornierte, herrische, tyrannische Kommißstiefelstimme verabscheute, verdammte, verfluchte! »He, verdammt noch mal, ist in diesem lausigen Nest niemand wach?« Das war sie! Beim Himmel, ich träumte nicht! Es war die herrlichste, süßeste, melodischste Baritonstimme, die ich jemals in meinem Leben gehört hatte! Ich lauschte so andächtig wie beim Kirchenchor der spanischen Mönche, wo ich als Findelkind aufgewachsen war. Ich konnte mich nicht satt daran hören! »Erhebt euch aus euren Wanzenkisten! Wir kommen im Auftrag des Kommandanten von Fort Calhoun, verdammt noch mal!«
O Sergeant Tucker, dachte ich, dein Wortschatz ist nicht sehr groß, aber sehr wirksam. Wanzenkisten hatte er auch jeden Morgen im Fort gesagt, wenn er Jicarilla und mich weckte! Ich wollte schon laut »Hier!« schreien, damit er wußte, daß wenigstens einer in diesem gottverlassenen Nest in den Bergen wachte. Aber was würde Sergeant Tucker sagen, wenn ihm dieser angebliche Marshal Rother mein blutiges Bowiemesser vor die Augen hielt? Würde er sich nicht totlachen oder es als langgesuchte Gelegenheit betrachten, mich mit Ketten beladen nach Fort Calhoun zurückzubringen? Etwas bewegte sich geschwind über den Hof wie eine Katze, scharrte an der Mauer entlang und hielt vor der Tür still. Das war nicht Sergeant Tucker, der nie besonders leise auftrat. Hatte Mister Rother rasch einen Komplicen durch die Hintertür auf den Hof geschickt, der mich an einer anderen Stelle verstecken sollte, bis die Gefahr vorüber war? Ich ballte die Hände über den Handschellen und stellte mich neben der Tür auf. Er würde eine unangenehme Überraschung erleben, wenn er mein Gefängnis aufsperrte. Ich hörte ein seltsames Schnüffeln vor der Tür. Auch das erschien mir sehr bekannt. Dieses hechelnde Luftholen, als wäre jemand am Ertrinken oder Verschmachten. Diese Unruhe, wenn der gewohnte Stoff fehlte. »Jicarilla!« rief ich. »Du whiskygetränkter Bastard! Du versoffener Hundesohn!« Draußen hörte das Hecheln auf. Es bumste einmal hart gegen die Mauer, und dann erschien das Gesicht des zweiten Scouts vor meinem kleinen Zellenfenster. Jicarilla war keine Schönheit, doch diesmal verklärten sich seine häßlichen Züge zu denen eines Engels. »Ich könnte dich küssen!« rief ich, nachdem er mich endlich im düsteren Grau des hereinbrechenden Wintermorgens erkannt hatte. »Hast du was zu trinken für mich?« fragte er. »Oh – du siehst mich hier in meiner Zelle am Tage meiner Hinrichtung und denkst nur an deinen Morgenkaffee!« »Whisky?« »Hol mich hier raus, und du kriegst so viel zu trinken, wie du vertragen kannst!«
»Moment, ich muß erst einen Schlüssel besorgen.« »Nein, untersteh dich!« »Ah, das ist eine Arrestzelle?« Jicarillas dunkles Gesicht, das von einer Biberfellkappe, bis zu den Ohren verhüllt war, verzog sich zu einem schadenfrohen Grinsen. »Ich dachte, man hätte dich aus Versehen in einem Scheißhaus eingesperrt!« »Bleib da oben!« rief ich erbost. »Und hör genau zu! Der Mann, der drüben den Saloon besitzt, ist ein Gauner. Er gehört zu der Bande, von der ich dir bereits im Fort erzählt habe. Zu den Waffenschmugglern, die Vanderbilt aufs Kreuz legten, damit wir ihn hängen sollten. Jetzt haben sie mich genauso aufs Kreuz gelegt wie Vanderbilt und …« »Sie wollen dich hängen?« »Dieser Rother will das tun! Er ist Marshal, Richter, Saloonbesitzer, Indianerhändler und Totengräber in einer Person. Vielleicht singt er hier auch noch im Kirchenchor. Jedenfalls gehört ihm alles, was du hier an der Main Street und im Hof siehst. Ich vermute, diese Bretterbudenstadt ist nichts anderes als ein Schlupfwinkel für Schmuggler, Räuber und Comancheros …« »Die haben wir unterwegs getroffen«, sagte Jicarilla mit überraschender Nüchternheit. »Comanchen, meine ich. Tucker und Corporal Jones sind mit Mühe und Not einem Hinterhalt entwischt.« »Das kannst du mir alles später erklären! Auf jeden Fall darfst du diesem Mister Rother nicht ein Wort glauben! Ich …« »Moment, Ronco«, unterbrach mich das Halbblut am Zellenfenster. »Meine Fingernägel können jeden Augenblick abbrechen, wenn ich mich hier noch länger festkrallen muß. Kurzer Sinn deiner langen, etwas wirren Rede: Dieser Saloonbesitzer ist ein Gauner und hält dich hier unter einem Vorwand fest, um dich heute bei irgendeiner Gelegenheit abzumurksen – nach welchem Verfahren auch immer?« »So ist es.« »Und er ist im Unrecht?« »Es ist hier gestern ein Mann erstochen worden, mit meinem Messer!« »Oh – das ist allerdings etwas anderes.«
»Nein, du Idiot! Sie haben mein Messer, das ich auf dem Hof verloren habe, gefunden und diesem Charly zwischen die Rippen gerammt, den wir in Eagle Pass mit einer Ladung geschmuggelter Gewehre ertappten!« »Oh, das rückt das schiefe Bild wieder gerade. Dieser Mister Rother hat also kein Interesse daran, den Schlüssel für deine Arrestzelle herauszugeben?« »Im Gegenteil! Er wird sich in den Hintern beißen, daß er mich nicht längst erschossen, erhängt oder erstochen hat.« »Schon gut, Amigo. Ich werde die Sache regeln. Und dieser Mister Rother hat nicht nur einen Friedhof, eine Kirche und ein halbes Dutzend verrottender Bretterbuden, sondern auch Whisky?« »Jede Menge!« »Moment, das haben wir gleich!« Jicarilla gab mein kleines Fenster wieder den Schneeflocken frei, die wie weiße Schmetterlinge an den Gitterstäben vorbeitrieben. Der dröhnende Bariton von Sergeant Tucker drüben auf der Main Street war inzwischen verstummt. Offenbar war es ihm gelungen, Mister Rother aus seiner Wanzenkiste herauszutrommeln. Die beiden würden bereits ihre Ansichten über das Wetter austauschen, und Mister Rother würde vor Sergeant Tucker dann einen heiligen Eid schwören, daß hier kein Treck mit Quäkern und einem blondhaarigen Scout durchgekommen wäre. Ich holte rasch den Abortkübel, trug ihn unter das Fenster und stellte mich darauf. Jicarilla stand an der Hintertür des Saloons, den Karabiner verkehrt herum in der Hand, und stieß ein entsetzliches Geheul aus. Es klang, als sei ein Wolf am Verschmachten, weil er schon lange kein Blut mehr gesehen hat. Jicarilla beherrschte Tierstimmen so meisterhaft wie alle Apachen, obwohl er nur ein Halbblut war und seinen unersättlichen Durst nach Schnaps offenbar seiner schottischen Mutter zu verdanken hatte. Der hungrige Wolf, den er imitierte, war so täuschend echt, daß sich selbst mir die Nackenhaare sträubten, obwohl ich wußte, daß es nur ein Bastard war, der da im Morgengrauen auf dem Hinterhof heulte. Sogar die Pferde im Mietstall ließen sich davon täuschen und
begannen ängstlich zu schnauben und zu wiehern. Es dauerte keine fünf Sekunden, und Mister Rother erschien in der Hintertür seines Saloons, die Schrotflinte mit dem doppelten Lauf unter dem Arm, den Kopf gespannt vorgereckt, damit er den hungrigen Wolf im grauen Morgenlicht und Schneetreiben auch noch rechtzeitig erkannte, ehe er eine Lücke in der morschen Stallwand fand. Jicarilla holte mit dem Kolben seines Karabiners aus. Mister Rother erkannte den Wolf zu spät. Vielmehr sah er gar nicht, was ihn am Hinterkopf traf und in den Schnee warf. Jicarilla suchte die Taschen des Marshals und Saloonbesitzers ab, zog einen Schlüsselbund hervor und zeigte ihn mir. Ich nickte rasch, und keine zehn Sekunden später strömte kalte, frische Luft im Überfluß in meine Zelle. »Jetzt nur noch die Handschellen«, sagte ich. »Ich denke, wir wechseln sie nur aus«, schlug Jicarilla vor. »Du meinst, wir sollten ihn …« »Natürlich sollten wir ihn hier einsperren, Ronco, bis wir Sergeant Tucker alles erklärt haben. Sergeant Tucker ist ein guter Reiter, aber ein langsamer Denker. Er wird nichts begreifen, weil die Zusammenhänge für seinen einfachen Verstand zu kompliziert sind. Und dann wird dieser Hombre aufwachen, dazwischenreden und alles wieder verderben.« »Er wird seine Whiskyvorräte gegen dich verteidigen, Jicarilla.« »Das auch«, erwiderte der Scout. »Also, pack mal mit an! Er ist ziemlich schwer. Aber wenn wir ihn durch den Schnee ziehen, haben wir ihn bereits in dem Loch versteckt, ehe Sergeant Tucker sich wundert, was aus dem Saloonbesitzer und dem Wolf geworden ist.« Ich legte Mister Rother die stählernen Manschetten an, während Jicarilla noch einmal gründlich alle Taschen des Bewußtlosen absuchte. In der Innentasche der Felljacke entdeckte er etwas Längliches, Hartes. Er zog es heraus und hielt es ins graue Zwielicht des Wintermorgens. »Das kenne ich doch«, murmelte er. »Natürlich kennst du das. Es ist mein Bowiemesser!«
»Der Bastard hat es nicht einmal abgewischt«, murrte Jicarilla. »Ich würde das nachholen, Amigo. Und wenn du es im Schnee gesäubert hast, würde ich es mit einem Stück Holz in der Lederscheide festklemmen, damit du es nicht mehr verlierst!« »Eine gute Idee!« Ich fing das Messer auf, das er mir zuwarf, wischte es im Schnee ab und verwahrte es wieder in der Scheide am Gürtel. Dann schleiften wir den bewußtlosen Mister Rother über den Hof in die Zelle, warfen ihn auf das faulige Stroh und drückten ihm die Knie gegen den Unterleib, damit wir die Tür schließen konnten. »Das wäre erledigt«, sagte Jicarillo zufrieden, als er das Vorhängeschloß wieder an der Tür befestigt hatte. »Aber was tun wir jetzt, mit dem Schlüsselbund? Sollen wir ihn einfach wegwerfen?« »Könnte sein, daß er dann an dem Mief in der Zelle erstickt.« »Na und? Hat er das nicht verdient?« »Ich weiß nicht. Es muß hier ja noch mehr Leute, in Flint Hill geben, die vielleicht etwas über Charlys Tod wissen.« Ich blickte zum Stall hinüber. »Ich werde mal nachsehen. Und du findest dort im Lagerraum, was du suchst.« »Whisky?« »Moonshine-Whisky in dicken, grünschlierigen Flaschen. Genau das Richtige für Bastarde wie dich. Gleich rechts neben dem Ladentisch. Aber trink nur eine Flasche! Ich brauche dich noch!« Er hörte schon nicht mehr, sondern wählte den direktesten Weg, drückte mit dem Gewehrkolben das Fenster zum Lagerraum ein und schwang sich über die Brüstung in das Gebäude. »He – was ist denn da los?« rief eine Stimme vom Stall her. Ich ging auf den Mann zu, der im Eingang des Mietstalls stand.
9. Der Mann blickte mir mit halb zugeklebten Augen entgegen und zog das Ende seines Ledergürtels durch die Schlaufe. Er roch nach altem Heu und frischem Pferdemist, und an seinem schmutzigen Baumwollhemd klebten Strohhalme. Er war noch in dem Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachsein, den ich rasch
ausnutzen mußte. Denn er war groß und kräftig und hatte jenen tückischen, verschlagenen Blick wie alle Männer, die zu lange in einem Versteck mit Outlaws zusammengelebt hatten. Das prägte sein Gesicht wie die Zeichnung im Fell eines Rudels von Wölfen, die alle aus demselben Wurf stammen. Er zuckte erst mit den Augenlidern, als ich ihn schon fast erreicht hatte. Er erkannte mich wieder, aber das Erkennen erfolgte zu spät. Ich hatte das Messer bereits aus der Scheide, und er war unbewaffnet. Ich hielt es stoßbereit über seinem Herzen und sagte: »Ich kann das jetzt nachholen, weswegen Rother mich gestern einsperrte.« Er spannte die Armmuskeln an, und ich setzte ihm die Messerspitze auf die Haut. »Ich bin schneller als du, und du würdest dich nur selbst töten.« Ich rasselte mit dem Schlüsselbund, den ich in der linken Hand hielt. »Mister Rother kann dir nicht helfen, weil er in seiner Arrestzelle von seinem Jauchenduft bewußtlos geworden ist. Meine Freunde sind aus Fort Calhoun gekommen. Eine ganze Schwadron Kavallerie.« Es waren nur drei, aber das wußte er nicht. Er war tief beeindruckt, und das war ja meine Absicht gewesen. »Ich habe nichts damit zu tun«, sagte er mürrisch. »Ich bin hier nur der Stallbursche.« »Wo sind die anderen?« fragte ich. »Welche anderen?« »Die ganze Brut, die dieses verrottete Bretterbudennest bewohnt!« Ein spöttisches Licht tauchte in seinen grauen, noch schlaftrunkenen Augen auf. »Die liegen entweder auf dem Friedhof oder sind unterwegs, Mister.« »Das meinte ich ja. Wohin sind sie unterwegs?« »Weiß ich nicht.« »Schmuggeln? Waffen und Whisky, wie? Sie an die Comanchen verhökern gegen Nuggets und teure Felle.« Das saß. Er zuckte wieder mit den Augenlidern. »Auch damit habe ich nichts zu tun.«
»Könnte sein, könnte aber auch nicht sein! Siehst du da drüben am Saloonfenster die blaue Uniform? Das ist der Kommandoführer. Er hat eine Vollmacht aus Fort Calhoun dabei, daß wir mit euch Banditen hier kurzen Prozeß machen sollen! Ich hoffe, die Balken in euren verrotteten Ställen sind noch so stabil, daß sie Rothers und dein Gewicht aushalten, wenn wir euch hängen!« »Wieso ich?« fragte er, und echte Sorge spiegelte sich jetzt in seinen Augen. »Rother hat gestanden, daß du Charly das Messer in den Rücken gestoßen hast!« Das Gesicht des Hombre wurde hellwach. »Das ist nicht wahr!« knurrte er. »Das war der Mann mit dem braunen Pelzmantel, der den Schnurrbart zu Zöpfen zusammendreht wie eine Saloonhure die Haare!« »Du magst den Burschen wohl nicht, wie?« »Ich will nicht für ihn hängen!« »Das glaube ich dir gern«, knurrte ich. »Aber das wirst du trotzdem, wenn Rother bei seiner Aussage bleibt.« »Dieser Hurensohn!« schnaubte der Hombre jetzt. »Er hat das alles doch ausgeheckt mit dem Whisky, der mit einem Treck von Quäkern zu den Comanchen gebracht werden sollte!« »Das hört sich schon besser an, Amigo«, erwiderte ich. »Was habt ihr denn mit Charly gemacht?« »Ihn heute nacht beerdigt – zusammen mit dem Quäker, der an den Pfeilen gestorben ist.« »Und wo ist der Treck mit dem Indianersprit inzwischen?« »Sie sind weitergezogen zu dem Treffpunkt, der mit den Comanchen ausgehandelt wurde.« »Du heiliger Strohsack«, flüsterte ich. »Ohne Scout?« »Serge Buster kennt den Weg. Er führt den Treck an.« »Buster?« »Das ist doch der Kerl mit dem geflochtenen Schnurrbart.« »Und was ist aus dem Hombre im Luchsmantel geworden?« »Ich kenne seinen Namen nicht. Aber er ist auch mit dem Treck fortgeritten. Das ist der Verbindungsmann zu den …« Er biß sich auf die Zunge, und seine Augen wichen meinem bohrenden Blick aus.
»Zu den Bossen, wie? Zu den dicken, fetten Bonzen, die sich jetzt in ihren hübschen Häusern den Hintern am Kaminfeuer wärmen und euch die schmutzige Arbeit verrichten lassen!« »Da magst du recht haben, Mann«, erwiderte er. »Aber die wirst du nicht hängen, und wenn du die ganze Besatzung von Fort Calhoun hierherschickst. Die sind viel zu schlau für euch.« »Ihre Namen, Freund!« Er blickte mich an, und ich las in seinen Augen, daß er die Wahrheit sagte. »Ich kenne sie nicht. Verdammt noch mal, selbst wenn ich mich damit von der Hölle freikaufen könnte! Ich kenne ihre Namen nicht.« »Dann komme mit hinüber in den Saloon und erzähle wenigstens das, was du weißt. Könnte sein, daß du diesmal noch mit knapper Not an der Henkerschlinge vorbeischrammst!« * Diesmal arbeitete der Verstand von Sergeant Tucker erstaunlich schnell. Vielleicht lag es daran, daß Jicarilla und ich ihm bereits die Hauptarbeit abgenommen hatten, und der Hombre, den ich ihm in den Saloon brachte, alles so erzählte, daß es auch ein Analphabet begreifen mußte. Und Sergeant Tucker war zum erstenmal auch wirklich kooperativ. »Ich denke, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Ronco«, sagte er. »Weshalb, Sergeant?« »Dieser Bushfield, den Sie nicht beim Treck dabei haben wollten – er wird in Louisiana, in Mississippi und Arkansas gesucht. Wegen illegaler Herstellung und Vertriebs von Moonshine-Whisky. Und wegen Mordes an einem Deputy-Marshal.« »Zum Glück«, sagte ich grinsend. »Sonst wären Sie nicht hier aufgekreuzt und hätten mich aus einem stinkenden Loch befreit.« »Wie ich Sie kenne, Ronco«, erwiderte er grinsend, »hätten Sie das auch ohne meine Mithilfe geschafft.«
Das war das erste Kompliment, das ich von diesem vierschrötigen, bulligen Rekrutenschinder hörte, seit ich in Fort Calhoun meinen Dienst als erster Scout angetreten hatte. Vielleicht war Tucker gar nicht so abgebrüht und grob, wie er sich immer gab. Zum erstenmal ahnte ich, daß Menschen, die sich besonders hart und hemdsärmelig geben, sehr empfindlich und differenziert sein können, als müßten sie einen weichen Kern durch eine besonders harte Schale schützen. Vielleicht gehörte Tucker auch zu dieser Sorte. An diesem kalten Morgen in den Round Mountains benahm er sich wenigstens so, daß ich im stillen auch für manches grobe Wort Abbitte leistete, das ich ihm im Fort vor seinen Rekruten an den Kopf geworfen hatte. »Wir müssen jetzt den Treck aus dem Schlamassel holen, eh?« sagte er. »Wenn wir nicht bereits zu spät kommen.« »Ja, da könnten Sie leider recht haben. Teufel, Sie müssen mir glauben! Ich hätte Ihnen die beiden hübschen, drallen Quäkermädchen nicht unbedingt gegönnt! Aber wenn ich daran denke, daß die beiden vielleicht ein paar Comanchenbastarde in die Welt setzen müssen, dreht sich mir der Magen um!« »Schon gut, Sergeant. Wir müssen reiten wie die Teufel, wenn wir das noch verhindern wollen. Und reiten können Sie ja, Gott sei's gelobt!« »Wollen Sie mich schon wieder auf die Schippe nehmen?« fragte er grollend. »Das kann ich mir im Augenblick nicht leisten, Sergeant!« Der bullige Sergeant hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein Uniformmantel hatte ein paar Löcher im Ärmel und hinten am Saum, die mir verrieten, daß er die letzte Nacht nicht viel angenehmer verbracht hatte als ich. Aber er rang sich ein Lächeln ab und sogar ein Augenzwinkern. »Wir erledigen das gemeinsam, wie? Ohne daß der eine dem anderen vorwirft, er habe hier nichts zu befehlen oder vorzuschreiben!« »In Ordnung«, erwiderte ich lächelnd. »Gut, Buddy«, knurrte er und schwang herum. »Corporal Jones!«
Der schmächtige Schreibstubenhengst hatte sich von dem anstrengenden Ritt hierher und dem Hinterhalt der Comanchen, dem er nur mit knapper Not entronnen war, noch lange nicht erholt. Er stand an der Theke des Saloons neben Jicarilla und hielt sich an einem Glas fest wie ein Ertrinkender. Seine Augen waren halb geschlossen, und er schwankte sachte hin und her, als schlafe er jeden Moment im Stehen ein. Doch die dröhnende Kommandostimme des Sergeanten weckte ihn sofort. »Jawohl!« »Du übernimmst die Gefangenen und die Schlüssel für die Jauchengrube, in der sie eingesperrt sind! Du wartest hier, bis wir zurückkehren! Du kannst dir inzwischen die Zeit damit vertreiben, die Aussagen der beiden Verhafteten in Schönschrift zu übertragen. Das liegt im Bereich deiner Fähigkeiten und wird deine Laune etwas anheben.« »Jawohl, Sergeant. Wenn Sie aber nicht mehr zurückkehren?« »Dann wartest du, bis der Winter vorbei ist, und reitest im Frühling nach Fort Calhoun zurück. Dort kannst du dann für uns drei einen Kranz am Denkmal für die Gefallenen von Fort Calhoun niederlegen!« »Ja-jawohl, Sergeant!« erwiderte Corporal Jones mit blassen Lippen. »Jicarilla!« Der Apachen-Scout, der gerade Corporal Jones etwas von seinem Whisky abgeben wollte, damit er wieder zu Kräften kam, murmelte irgend etwas Unverständliches. »Jicarilla!« »Ist was?« »Es reicht!« »Was reicht?« »Die halbe Flasche, die du bereits getrunken hast! Jetzt hast du wieder blanke Augen. Das reicht, um Spuren im Schnee lesen zu können.« »Moment mal, Sergeant! Ronco kann das doch viel besser als ich! Schließlich ist er mein Vorgesetzter …«
Sergeant Tucker nahm den Colt hoch, der neben ihm auf der Theke lag, zielte kurz und schoß Jicarilla die Flasche aus der Hand, die er gerade an den Mund setzen wollte. »Wenn ich sage, es reicht, richtest du dich danach – verdammt noch mal!« »Jawohl, Sergeant«, erwiderte Jicarilla achselzuckend, leckte den Whisky von den Fingern und blickte mich dabei an. »Stimmt das, was der Sergeant eben sagte?« fragte er. »Ich meine, daß wir aufbrechen müssen, ehe ich mit dem Frühstück fertig bin?« Ich warf ihm nur einen strengen Blick zu.
9. Das Schneetreiben hielt unvermindert an, als wir weiter nach Norden in die Berge vorstießen. Jicarilla, der paradoxerweise erst nüchtern wurde, wenn er etwas getrunken hatte, ritt voraus, weit vorgebeugt im Sattel, die Nasenlöcher aufgebläht, als suche er die Fährte mit dem Geruchssinn wie ein Spürhund. Plötzlich hielt er an und hob die rechte Hand. »Hier teilt sich die Spur!« Ich galoppierte an seine Seite und sah, wie sich eine Wagenspur nach Westen wandte und zwischen zwei Felsblöcken in dem Vorhang wirbelnder Flocken verschwand. »Vier Wagen geradeaus, einer scherte aus. Dazwischen ein paar Blutspuren und zwei Patronenhülsen«, erklärte Jicarilla Sergeant Tucker sachlich und nüchtern die Lage. »Teufel!« knurrte Sergeant Tucker. »Die Comanchen haben sie also schon erwischt und massakriert!« »Nein«, widersprach ich ruhig und betrachtete die Spuren. »Ich vermute, dieser Bushfield ging hier seine eigenen Wege. Er hat ein paar von den Ersatzmulis requiriert. Als die Quäker sich weigerten, ihm die Tiere zu überlassen, setzte er die Schußwaffe ein. So sehe ich es.« Jicarilla nickte nur. »Noch ein Toter also«, sagte Sergeant Tucker wütend. »Vielleicht nur ein Schwerverletzter«, erwiderte ich. »Diese
Quäker haben bewiesen, daß sie durchaus in der Lage sind, auch mit der Waffe für ihren Glauben einzustehen.« Ich blickte Jicarilla an, der schon wieder die Nasenlöcher blähte, als wittere er Unheil. »Du bist anderer Meinung?« »Nein.« Er deutete nach Norden, wo sich die Hauptspur des Quäkertrecks zwischen den Felsen verlor. »Sie fuhren ohne Führer weiter, Ronco. Ich kenne das Plateau da vor uns, das von den Indianern die Wolfsfalle genannt wird.« »Unpassierbar?« »Ja. Daher der Name. Tiefe Schluchten, senkrechte Felswände. Der Trail dorthin führt ins Nichts oder in die ewigen Jagdgründe.« »Wir müssen uns rasch entscheiden«, sagte ich, »wer welcher Spur folgt. Ich glaube, daß doch noch einer von der Bande bei den Quäkern geblieben ist und dafür sorgen soll, daß sie sich irgendwo verirren, wo sie später von den Comanchen überfallen und liquidiert werden können.« »Ronco, Sie haben einen guten Verstand, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, sagte Sergeant Tucker kopfschüttelnd. »Sie haben die Story vorhin in Flint Hill gehört. Keine Zeugen, keine Spuren – nichts darf von dem Quäkertreck zurückbleiben. Ich denke, daß der Halunke im Luchsfellmantel jetzt die Quäker anführt. Er wird so getan haben, als stünde er ganz auf der Seite der Quäker. In ihrer Verzweiflung werden sie sich ihm anvertraut haben. Und dieser Halunke wird sie dorthin führen, wo die Comanchen später die Zugtiere und Pferde der Quäker in aller Ruhe einsammeln können. Und die Skalps der Quäker dazu, falls ihnen daran liegen sollte.« »Warum dann die Spur, die ausschert?« »Die Comanchen möchten erst den Whisky, für den sie mit Nuggets bezahlt haben. Ich denke mir, daß es nach dem gleichen Schema abläuft wie bei Vanderbilt. Und die Comanchen wollen sich mit Feuerwasser Mut antrinken. Der Treck ist gut bewaffnet. Es sind verzweifelte, todesmutige Männer, die ihre Familien beschützen müssen.« »Das hat Hand und Verstand«, erwiderte Sergeant Tucker eifrig. »Ich kenne diese roten Kerle inzwischen fünfzehn Jahre. Sie trinken, bis sie umfallen. Aber wenn sie betrunken sind, ist nichts vor ihnen
sicher.« »Gut. Ich reite dem Whiskywagen nach. Übernehmen Sie mit Jicarilla den Treck. Jeder versucht zu retten, was noch zu retten ist!« rief ich und trieb meinem Braunen in die wirbelnden Flocken zwischen die Felsblöcke. * Zum Glück dämpfte der Schnee jedes laute Geräusch, sonst wäre ich Sam Bushfield mitten ins Kreuz geritten. Er hielt im Schnee auf einem freien Platz, als herrsche das schönste Wetter, sich einen Rastplatz im Freien zu suchen. Seine Maultiere drängten sich an einer Felswand zusammen, die ihnen Schutz vor dem Schneegestöber gewährte. Sam Bushfield saß auf dem Bock seines Prärieschoners, die Deichsel hochgestellt, schnitt sich dicke Scheiben von einem Stück Dörrfleisch herunter und blickte hinüber zu dem Hang, der vor ihm zu einer Felsklippe aufstieg. Ich hob sachte den Spencer aus dem Sattelschuh, spannte ihn und lehnte mich so weit aus dem Sattel, daß ich Sam Bushfields Nacken mit dem Lauf des Karabiners fast berühren konnte. »Das Messer weg und die Arme hoch!« rief ich scharf. Er erschrak so heftig, daß er sich mit dem Messer in den Finger schnitt. Er ließ es fallen und stieß einen leisen Wehlaut aus. Doch dann gehorchte er auch meiner zweiten Aufforderung und hob die Hände über den Kopf. Er weiß nicht, daß ich ihn wegen eines Mordes festnehme, dachte ich grimmig. Er würde es mir sonst nicht so leicht machen. »Wie – wie haben Sie das geschafft?« fragte er verwundert und drehte den Kopf dabei zur Seite. »Mister Rother hat die Seiten gewechselt«, erwiderte ich. »Er ließ mich laufen, statt mich zu beseitigen. Und jetzt drehe ich den Spieß um. Sie werden hier spurlos in irgendeiner Schlucht verschwinden, und kein Hahn wird mehr nach Ihnen krähen.« Er bewegte heftig die Schultern. Er wußte, daß er mir ausgeliefert war und er an meiner Stelle diese Drohung ausführen würde. Selbst
wenn ich nichts anderes verbrochen hätte als ein besseres Gespann oder Pferd zu besitzen als er. »Rother hat Sie laufenlassen?« stammelte er. »Sonst wäre ich nicht hinter Ihnen und zielte mit einem Gewehr auf Sie!« »Ich – was hat er gesagt?« »Daß Sie Charly umbrachten, Bushfield!« Er zappelte jetzt, als verwandele sich sein Kutschbock in glühendes Eisen. »Das stimmt nicht! Das war Buster, der Mann in dem braunen Pelzmantel. Ich bin nur ein kleiner Befehlsempfänger wie Charly. Ich wurde in Corpus Christi von einem Kneipenwirt angeheuert, weil ich mich bei ihm verkriechen wollte. Ich – ich werde wegen Herstellung von Moonshine-Whisky in Louisiana gesucht und – und sollte mit dem Treck mitfahren, damit die Comanchen ihren bestellten Whisky erhalten. Und damit es ein bißchen Unruhe in den Bergen gibt …« Ich ließ ihn reden. Wenn ich seine Hintermänner fassen wollte, die Whisky und Waffen für Riesenprofite an die Indianer verkauften, konnte ich nicht genügend Informationen sammeln. »Ich werde alles sagen, was ich weiß!« rief er mit erhobenen Händen durch den Flockenwirbel. »Alles, wenn ich dafür keine Strafe kriege. Denn Charlys Tod hat mir die Augen geöffnet, Mister! Buster hat ihn einfach von hinten erstochen, weil er glaubte, Charly würde nicht dichthalten! Ich will nicht an einem Messer im Rücken sterben! Ich …« Das war kein Geständnis mehr, sondern nur noch eine hemmungslose Bettelei um Gnade und Erbarmen, was er beides bestimmt nicht verdiente. Und ich hatte den Verdacht, Sam Bushfield wußte sehr genau, daß er mit einer langen Kerkerstrafe oder dem Strick rechnen mußte. Zum Teufel, dachte ich, es muß dir doch sofort aufgefallen sein, daß er nicht hier sitzt wie auf einem Frachthof in Corpus Christi oder San Francisco, weil er im Schnee frühstücken will! »Halt den Mund!« fuhr ich ihn wütend an. »Herunter von der Kutsche! Rasch!« Er tat so, als verstünde er mich nicht, und jetzt war ich mir sicher.
Er wollte mich hinhalten. Wahrscheinlich nur noch ein paar Minuten. Ich stieß ihm den Lauf der Spencer in den Nacken, daß er von seinem Kutschbock in den Schnee hinuntertaumelte. Dann trieb ich ihn um den Wagen herum. »Die Planen aufschneiden – rasch!« Er zitterte jetzt nicht mehr, sondern ging langsam, die Schultern straff und angespannt wie eine Stahlfeder. Aber er gehorchte, weil er immer noch Zeit gewann und nicht wußte, was ich vorhatte. »Hinauf auf den Wagen, Bushfield! Und jetzt öffne eine deiner hübschen Truhen, die ich dir noch gelassen habe!« »Es lohnt sich nicht, den Whisky zu probieren«, sagte er mit gespielter Unterwürfigkeit. »Es ist wirklich nur etwas für Indianer.« »Nimm zwei Flaschen heraus! Schlag ihnen die Hälse ab!« Er tat das so aufreizend langsam, daß ich eingriff und eine der beiden Flaschen mit dem Gewehrlauf köpfte. »Und jetzt gieß das Zeug über deine Planen!« Ich griff mit der Linken in meine Jackentasche, holte eine Schwefelholzschachtel heraus, riß ein ganzes Bündel Hölzer auf einmal an und hielt es an die nasse Plane. »Bist du wahnsinnig?« heulte Bushfield. »Eins muß man deinem Moonshine-Sprit lassen«, sagte ich. »Er ist hochprozentig!« Eine Stichflamme schoß am Heck des Wagens hoch. Schwarzer Qualm wehte über den verschneiten Hang. Und von den Felsriffen herunter hörte ich jetzt ein schrilles, wütendes Heulen. Die Comanchen erschienen, um ihren Sprit abzuholen. Ich brauchte mich jetzt nicht mehr zurückzuhalten. Ich riß den Colt aus dem Holster und schoß die Trommel in die offene Kiste leer, daß die Scherben und der Sprit über die ganze Ladung spritzten. Bushfield griff mich mit einem knurrenden Laut an, als die Trommel meines Colt leer war. Ich schlug ihn mit dem Lauf meines Spencer nieder und legte dann auf die heranstürmenden Comanchen an. Es waren fünf Krieger und ein Weißer in einem kostbaren Minkpelzmantel. Serge Buster, der Charly mit meinem Bowiemesser erstochen hatte.
Ich hatte ihn schon im Visier, als sich eine grelle Stichflamme zwischen mich und die Comanchen schob. Der Whiskyschoner explodierte, als wäre er mit Granaten beladen. * Das hatte ich ihm doch nicht gegönnt. Ihm nicht und den Comanchen auch nicht, die als lebende Fackeln durch das Schneegestöber ritten. Sam Bushfields Schreie waren so schrecklich, daß ich den Spencer auf ihn anlegte, nachdem ich rasch mit meinen Handschuhen die kleinen Brandstellen auf dem Fell meines Braunen und der Satteldecke gelöscht hatte. Sam Bushfield war eine blaue Flamme im Schnee zwischen den scheuenden, wiehernden Ponys, die auf dem Hang vor mir in wilder Panik hin und her liefen. Er hat plötzlich den Verstand verloren, dachte ich benommen. Statt sich auf den Boden zu werfen und durch den Schnee zu rollen, lief er schreiend und mit erhobenen Armen gegen den Wind, der wie ein Blasebalg das Feuer auf seinem in Whisky gebadeten Körper nur noch mehr anschürte. Dann stolperte er plötzlich, und sein Schreien riß ab. Ich sah, wie Serge Buster, der Mann in dem Minkmantel, sein Gewehr nachlud. Ich holte tief Luft. Buster hatte es auf sich genommen, seinem Komplicen den Gnadenschuß zu geben. Oder hatte er ihn nur »gerichtet« wie Charly, den schmächtigen Goldgräber mit dem schäbigen Fuchspelzkragen. Ich war außer mir vor Wut und Verzweiflung. Ich stellte mich in den Steigbügeln hoch und nahm den Karabiner an die Schulter. Dort ritt der Mann zwischen den Fackeln der Ponys und Comanchen im glänzenden, kostbaren Minkpelzmantel und hatte weder einen Kratzer noch ein Brandloch abgekriegt. Dort ritt der Mann, der mein erstes selbstständiges Unternehmen als Scout eines Trecks, auf das ich so stolz gewesen war, so gründlich sabotiert hatte, daß ich wahrscheinlich mit Schimpf und Schande davongejagt wurde, wenn ich lebend nach Fort Calhoun zurückkehren sollte. Dort ritt dieser gewissenlose Schurke, der glaubte, er könne ungestraft seine
Helfershelfer richten und die Comanchen mit gepanschtem Whisky vergiften. Ich wollte nicht von diesem Mann meine erste Niederlage in meinem Leben hinnehmen. Und vielleicht glaubte ich auch, es wäre besser, jetzt an einer Kugel zu sterben als mit der Schande eines Versagers weiterzuleben. Ich war noch so jung und hatte noch nicht begriffen, daß auch die Niederlagen so notwendig zum Leben eines Mannes gehören wie der Erfolg oder der Sieg. Und daß sich der wahre Wert eines Menschen erst dann zeigt, wenn er nach einer Niederlage aufsteht und von vorn beginnt. Ich wußte nicht, was für schreckliche Niederlagen mir noch bevorstanden, die mich lehren sollten, daß nur die Bewährung den Mann zum Sieger im Lebenskampf machen kann. Und daß ich bisher nur ein paar kleine Gefechte gewonnen und ein paarmal Glück gehabt hatte. Ich stellte mich in den Steigbügeln auf und ritt auf den Mann zu. Er lachte mir ins Gesicht mit seinen geflochtenen Schnurrbartspitzen und seinen schrägen Augen, als wäre ich nur ein tollwütiger Hund, dessen Fell nicht einen Cent wert war und der von den Mächtigen, denen er diente, mit Knüppeln erschlagen würde, falls er sie nur anzubellen wagte. Ich schoß überhastet, und er zuckte in meinem Visier zusammen, als habe er das nicht erwartet. Er griff sich an die linke Schulter, wo sein kostbarer Pelzmantel ein Loch erhalten hatte. Dann hob er die rechte Hand, in der er jetzt einen Colt hielt. Er hatte seinen einschüssigen Karabiner gegen einen Revolver ausgetauscht. Ich konnte meinen Braunen nicht mehr zügeln. Ich würde die Kugel mitten in die Stirn kriegen. Ich sah, wie der Lauf seines NavyColts mir entgegenwuchs, bis er mir so groß erschien wie ein Kanonenrohr. Er hätte mich mit der Waffe erschlagen können. Er lachte mir wieder ins Gesicht, während er langsam den Finger krümmte. Brennende Pony schrien wie Kinder, und er lachte mich aus. Comanchen wälzten sich im Schnee und krochen mit glimmenden Haaren und verbrannten Gesichtern durch beißenden Qualm und wirbelnde Flocken. Es war alles sein Werk, und er lachte. Ich empfing einen fürchterlichen Schlag, als er endlich abdrückte.
Aber er traf mich in den Rücken, nicht in das Gesicht. Die Mündungsflamme aus seinem Navy-Colt sengte mir die Haare über dem rechten Ohr ab, aber den Schlag, den ich erwartete, erhielt ich in den Rücken. Er warf mich mitten zwischen die sich windenden, zuckenden Pferdeleiber und die Comanchen, die auf dem Hang durch den Schnee krochen. Ich spürte eine schreckliche Hitze im Nacken und sprang in einen tiefen schwarzen Brunnen, um die Flammen auf meinem Rücken zu löschen. * Als ich wieder zu mir kam, schlingerte der Boden unter mir. Kathy Foner – oder war es Mary? – beugte sich über mich und lächelte mich freundlich an. »Bis Weihnachten werden Sie wieder auf den Beinen sein, Mister Ronco«, sagte sie. »Wo bin ich?« fragte ich benommen. »Im Wagen meines Vaters. Wir werden es bald geschafft haben, sagte vorhin Ihr Kollege, der jetzt unseren Treck anführt.« »Wohin geschafft? Wo sind wir? Ich …« »Ganz still liegenbleiben, Mister Ronco. Es dauert, bis einem Menschen eine neue Haut wächst. Wir sind eben keine Schlangen, sondern sehr empfindliche Lebewesen, was unsere Haut betrifft.« »Was – was ist passiert? Wo sind wir?« »Vielleicht noch dreißig Meilen von Bandera, unserem Reiseziel, entfernt, sagt das Halbblut, das uns jetzt anführt. Und mein Vater wird sich freuen, wenn er sich endlich bei Ihnen für alles bedanken darf, was Sie für uns getan haben, Mister Ronco.« »Ich – ich habe versagt!« »Nein, wir haben versagt, Ronco. Wir hätten auf unsere Stimme hören müssen, als dieser lügnerische Marshal in Flint Hill behauptete, Sie wären ein Mörder und wollten uns nur den Comanchen in die Hände spielen. Er behauptet, Sie wären von den Comanchen dafür bezahlt worden, unseren Treck in einen Hinterhalt der Indianer zu führen.«
»Du meine Güte«, hauchte ich, »und das haben Sie geglaubt?« »Ich nicht«, erwiderte das blonde Mädchen ernst, »aber die anderen haben es geglaubt.« Sie seufzte. »Gott hat in jener Nacht geschwiegen, und wir hatten uns nicht an die Bibelstelle erinnert, wo unser Heiland in der Nacht vor seinem Tode mit seinem Vater um ein Wort der Zuversicht rang und seine Jünger bat, mit ihm zu wachen. Wir hatten vergessen, daß Gott von uns verlangt, daß wir das Richtige tun müssen, wenn er einmal schweigen sollte.« Sie strich mir nachdenklich durch das Haar, ohne zu merken, was sie da tat. »Wir haben versagt und Sie in der Nacht der Entscheidung allein gelassen. Doch Gott schickte uns noch einmal einen Retter, statt uns für unsere Sünde zu bestrafen.« »Sergeant Tucker?« »Die Comanchen hatten unseren Treck schon umzingelt. Aber als die Kanonenschüsse hinter dem Hügel aufdröhnten und die Stichflammen über den Schnee zuckten, brachen die Comanchen ihren Angriff ab und flohen in das Labyrinth der Wolfsfalle.« »Es waren keine Kanonen, sondern nur Whiskyflaschen, die in die Luft flogen!« Kathy – oder war es Mary? – lächelte mich an. »Sie hatten diesen grandiosen Einfall, hat uns Sergeant Tucker nachher berichtet, ein ganzes Regiment von Soldaten vorzutäuschen, die mit Kanonen aus Fort Calhoun angerückt waren, um uns vor den Übergriffen der Indianer zu schützen. Nur sind Sie unglücklicherweise selbst von einer dieser Kanonen getroffen worden.« »Ich erinnere mich«, sagte ich nachdenklich. »Es muß ein Spätzünder gewesen sein. Eine Kiste Whisky, die ganz zuletzt explodierte.« »Sergeant Tucker und meine Brüder haben Sie im Schnee gefunden, Ronco. Sie sagten, wenn Sie nicht gewesen wären, würde keiner von uns das Gelobte Land erreicht haben. Es wäre uns allen so gegangen wie Moses, der sein Volk nach Israel führen sollte, aber das Gelobte Land nur aus der Ferne schauen durfte. Doch nun haben wir das Schlimmste bereits hinter uns und sind alle voller
Zuversicht.« »Gab es – gab es bei Ihnen noch Verletzte oder Tote?« »Nur ein paar Leichtverletzte, Ronco. Mike Fuller trägt einen Arm in der Schlinge, aber sein Sohn ist wieder voll auf. Er will unbedingt Scout werden wie Sie. Sie haben ihn endgültig davon überzeugt, daß das seine wahre Berufung sei.« »Es ist doch nur ein Job, lausig bezahlt. Zu schwer, glaube ich, für einen Mann in meinem Alter.« »Aber Sie haben Ihren Job großartig erledigt, Ronco. Tim verehrt Sie wie einen Helden, und wir anderen wissen nicht, wie wir Ihnen danken sollen.« »Ich wüßte schon wie«, sagte ich, und der Rücken tat mir plötzlich gar nicht mehr so höllisch weh. »Geben Sie mir einfach einen Kuß.« Sie errötete. »Den habe ich Ihnen schon ein paarmal gegeben, aber da haben Sie es leider noch nicht gemerkt«, flüsterte sie. Und sie schlang vorsichtig die Arme um meinen Hals und küßte mich. Und ich hatte dabei das Gefühl, daß, er das Maß der Dankbarkeit bei weitem überstieg. »Aber sag Mary nichts davon. Ich glaube, sie wäre schrecklich eifersüchtig, wenn sie etwas davon erfährt!« Ich erzielte rapide Fortschritte mit meiner Genesung bis Bandera, weil ich abwechselnd heimlich von Mary und Kathy geküßt und verwöhnt wurde und es nie dem anderen Zwilling sagen durfte. Nur Abigail und George Foner, ihre Eltern; wußten es, und sie gönnten es mir offenbar von Herzen, ohne jemals ein Wort darüber zu verlieren. Ich hatte doch noch nicht meine erste Niederlage erlebt. Aber sie war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben …
ENDE
Vorschau Es war eine höllische Situation in dem kleinen Stall, in dem er wie eine Maus in der Falle saß. Es ist nur ein Routineritt, hatte Captain Lew Harker zu Ronco gesagt. Schöner Routineritt, dachte Ronco erbittert – ein Texas Ranger gegen ein ganzes Dorf zur Blutrache entschlossener Mexikaner. Er sah sich schon selbst im Stroh – aufgespießt von Macheten und spitzen Forken wie die junge, tote Frau in der Stallbox. Er wich zu der Box zurück, zog den Peacemaker aus dem Holster und schoß dem ersten der anstürmenden Mexikaner die Mistforke aus der Hand. Das schaffte einen Moment Ruhe, aber der Augenblick der Besinnung hielt nicht lange an. Sie waren wild entschlossen, den Texas Ranger zu lynchen … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 336 dieser großen deutschen Western-Serie:
Mexikanische Blutrache