Udo Kuckartz · Anke Rheingans-Heintze Trends im Umweltbewusstsein
Udo Kuckartz Anke Rheingans-Heintze
Trends im Umwe...
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Udo Kuckartz · Anke Rheingans-Heintze Trends im Umweltbewusstsein
Udo Kuckartz Anke Rheingans-Heintze
Trends im Umweltbewusstsein Umweltgerechtigkeit, Lebensqualität und persönliches Engagement Herausgegeben vom Umweltbundesamt
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die geäußerten Meinungen und Ansichten müssen nicht mit denen des Herausgebers übereinstimmen. Dieses Buch entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Repräsentativumfrage zum Umweltbewusstsein und Umweltverhalten im Jahr 2004“ des Umweltforschungsplans des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Auftrag des Umweltbundesamtes (Förderkennzeichen 203 17 132).
1. Auflage März 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-531-14892-3
Inhalt
Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes ...................................................................... 9 Vorwort der Autoren ........................................................................... 11 TEIL I UMWELTBEWUSSTSEIN UND NACHHALTIGKEIT: DIE TRENDS .........15 1 Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung: Bekanntheit und Zustimmung ..................................................................................16 2 Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung ...........................................................................18 3 Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick ...................................................................................... 23 3.1 Allgemeine Einstellungen zum Umweltschutz................................................ 23 3.2 Wahrnehmung von Umweltrisiken und Natur................................................ 27 3.3 Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität................................................................................................ 33 3.3.1 Alltagsverhalten .......................................................................................... 34 3.3.2 Verhalten im Energiebereich .................................................................... 36 3.3.3 Mobilität in Alltag und Freizeit................................................................. 39 3.4 Pioniere der Nachhaltigkeit: die Umweltengagierten...................................... 41 3.5 Vom Umweltbewusstsein zum Umweltverhalten? Gleichklänge und Missklänge ............................................................................................................ 44
4 Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten........................................................................... 48 4.1 Alter, Bildung, Einkommen ............................................................................... 49 4.1.1 Alterseffekte ................................................................................................ 49 4.1.2 Bildungseffekte ........................................................................................... 51 4.1.3 Einkommenseffekte ................................................................................... 52 4.2 Lebensphasen....................................................................................................... 55
6
Inhalt
4.3 Geschlechterverhältnisse – Pluspunkte für die Frauen? ................................ 57 4.4 Die jungen Erwachsenen – Nachwuchsprobleme für den Umweltschutz?..................................................................................................... 62 4.5 Wertorientierungen ............................................................................................. 68
5 Vom Umweltbewusstsein zum Nachhaltigkeitsbewusstsein? Konsequenzen für die Nachhaltigkeitskommunikation ...............71 TEIL II NACHHALTIGE PERSPEKTIVEN AUF LEBENSQUALITÄT: WOHNEN, GESUNDHEIT UND FREIZEIT ..................................... 75 1 Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität .............................................................................. 76 2 Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht ............................ 82 2.1 Allgemeines Wohlbefinden ................................................................................ 82 2.2 Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität ..................................................... 85 2.3 Lebensqualität am Wohnort............................................................................... 94 2.4 Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Umweltbewusstsein ........ 100 2.4.1 Pro-Umwelteinstellungen und Wahrnehmung von Lebensqualität... 101 2.4.2 Wichtigkeit von Umweltschutzmaßnahmen und Wahrnehmung von Lebensqualität ................................................................................... 102 2.4.3 Wahrnehmung von Lebensqualität aus der Perspektive von Umweltengagierten und Umweltignoranten ......................................... 103
3 Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit ........................... 107 3.1 Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme: allgemeine Einschätzung...................................................................................................... 110 3.2 Belastungen durch Schadstoffe und andere Umwelteinflüsse..................... 114 3.3 Lärmbelastungen ............................................................................................... 115 3.4 Faktorenanalyse der gesundheitlichen Belastungen...................................... 118 3.5 Allergische Erkrankungen ................................................................................ 120
4 Wohnen und nachhaltige Stadt ................................................... 122 4.1 Wohnzufriedenheit............................................................................................ 123 4.2 Nachhaltig wohnen ........................................................................................... 126
5 Freizeit und Urlaub ..................................................................... 130 6 Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen ....................................................... 137
Inhalt
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Teil III Nachhaltige Umweltpolitik: Zwischen Resonanz, Akzeptanz und Engagement ....................................................... 143 1 Nachhaltige Umweltpolitik – staatliche Verantwortung und Bürgerengagement ...................................................................... 144 2 Zur Resonanz von Umweltpolitik ............................................... 148 2.1 Bewertung der Umweltpolitik und der Umweltgesetzgebung..................... 148 2.2 Wahrnehmung heutiger Umweltqualität: Umweltpolitische Erfolge und Handlungsbedarf ............................................................................................... 152
3 Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen . 155 3.1 Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien.............................................. 155 3.2 Ökologische Steuerreform ............................................................................... 160 3.3 Verkehrspolitische Maßnahmen...................................................................... 163
4 Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit............. 167 4.1 Freiwilliges Engagement für den Umwelt- und Naturschutz: Ein Überblick ............................................................................................................ 170 4.2 Die Engagierten................................................................................................. 174 4.2.1 Geschlecht, Alter, Lebensphase, Bildung.............................................. 175 4.2.2 Wertorientierungen und Engagement ................................................... 175 4.2.3 Stabilität des Engagements...................................................................... 177 4.3 Die potenziell Engagierten............................................................................... 181 4.3.1 Geschlecht, Alter, Lebensphase, Bildung.............................................. 183 4.3.2 Wertorientierungen der potenziell Engagierten ................................... 185 4.3.3 Engagementhemmnisse........................................................................... 187 4.3.4 Ein Erklärungsmodell für potenzielles Engagement (Diskriminanzanalyse).............................................................................. 191 4.4 Die Ergebnisse im Kontext der Forschung über bürgerschaftliches Engagement ....................................................................................................... 194
5 Resonanz, Akzeptanz und Engagement: Konsequenzen für die Nachhaltigkeitskommunikation............................................ 198 Literatur ............................................................................................203
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Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes
Die Umstellung unserer Produktions- und Konsummuster auf eine Nachhaltige Entwicklung und die Erhaltung unserer Lebensqualität sind die großen Herausforderungen unserer Zeit. Das bestreitet heute niemand mehr. Aber: Lassen sie sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Zunehmend scheinen sich diesbezüglich heute Zweifel in der Gesellschaft auszubreiten. Ein wichtiger Grund dafür: Lange hat sich die Umweltkommunikation sehr schwer damit getan, den Umweltschutz als eine Chance für die fortschrittliche Zukunftsgestaltung darzustellen. Zwar sind sich die Experten längst einig, dass ein solches Verständnis unabdingbar ist, spätestens seit der Etablierung des Nachhaltigkeitsleitbildes bei der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 1992. Aber die Verbreitung dieses Leitbildes in die Bevölkerung und damit seine Verankerung in Gesellschaft und Kultur ist bis heute eine Schwachstelle der Umweltpolitik geblieben. Leider haben das die Daten unserer neuen Repräsentativumfrage wieder bestätigt. Seit Mitte der 1990er Jahre lassen Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt im Rahmen der Umweltbewusstseinstudien immer auch vertiefende sozialwissenschaftliche Analysen erstellen. Dabei geht es vor allem darum, geeignete Anknüpfungspunkte für die Verbesserung der Umweltkommunikation zu finden. Fragen der Umweltgerechtigkeit, Vorstellungen zur Lebensqualität und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zu einem eigenen Engagement im Umweltschutz bilden die Schwerpunkte der vorliegenden Studie. Es zeigt sich: Es gibt viele Möglichkeiten, an denen eine verbesserte Umweltkommunikation anknüpfen kann, es gibt aber auch einige Schwierigkeiten. Dazu gehört vor allem der Umstand, dass die Menschen in Deutschland noch zu wenige Zusammenhänge sehen zwischen den verschiedenen Formen von Lebensqualität und der Nachhaltigkeit. Manche Probleme, wie die noch immer zu hohe Flächeninanspruchnahme mit ihren Folgewirkungen der Zersiedelung und Versiegelung, werden in der Öffentlichkeit noch kaum als umweltpolitisch relevant erkannt.
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Geleitwort
Was die besagten Anknüpfungspunkte für eine verbesserte Umweltkommunikation betrifft, ist es wichtig, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen genauer und differenziert zu betrachten. So sind es beispielsweise vor allem die Frauen, welche erneut das höhere Umweltbewusstsein und eine stärker ausgeprägte Handlungsbereitschaft zeigen. Nicht zuletzt ist es offenbar der ansonsten noch immer so verbreitete Glaube an die Allmacht der Technik, der bei den Frauen sehr viel weniger wichtig ist und eben dadurch deren verstärkte Pro-Umwelteinstellungen fördert. Zunehmend als eine Problemgruppe für den Umweltschutz erweisen sich dagegen die jungen Erwachsenen (18- bis 25-Jährige). Schwindet also gerade bei denjenigen Menschen das ökologische Problembewusstsein, die in die Verantwortung für unsere Zukunftsgestaltung hineinwachsen müssten? Generell ist in der aktuellen Umfrage eine grundlegende gesellschaftliche Verunsicherung deutlich geworden. Diejenigen Aspekte des Umweltbewusstseins, die in der vorliegenden Studie als Umweltkrisenbewusstsein bezeichnet werden, haben in der letzten Zeit an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es vor allem um Ängste – sicher auch davor, dass wir unseren Nachkommen eine nicht mehr lebenswerte Welt hinterlassen könnten. Ein solcher Zukunftspessimismus vermischt sich bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung mit einer grundlegenden Verunsicherung im Hinblick auf die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Daher werden die Zusammenhänge zwischen der Umweltproblematik und den Gerechtigkeitsfragen immer relevanter. Damit sieht sich die Umweltkommunikation erheblichen neuen Herausforderungen gegenüber. Diesen werden wir nur begegnen können, wenn es zukünftig besser gelingt, das Umsteuern gemäß dem Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung als eine Aufgabe kooperativer Zukunftsgestaltung deutlich zu machen. In diesen Zusammenhang gehört dasjenige Ergebnis der vorliegenden Studie, das am meisten optimistisch zu stimmen vermag: Rund ein Drittel der Bevölkerung gehört zu den potenziell Engagementbereiten, könnte also für eine aktive Mitwirkung gewonnen werden – vorausgesetzt allerdings, der Sinn und Nutzen einer solchen Bereitschaft zur Mitgestaltung wird zukünftig besser der allgemeinen Öffentlichkeit vermittelt. Dafür sind in der vorliegenden Studie viele Anregungen zu finden. In diesem Sinne wünsche ich eine spannende und fruchtbare Lektüre. Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes
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Vorwort der Autoren
Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Lohnnebenkosten und Hartz IV, das sind die Themen, die in den letzten Jahren die politischen Debatten in Deutschland beherrschen. Der Umweltschutz kommt in der öffentlichen Diskussion nur nach am Rande vor. Können wir uns im neuen Jahrtausend keinen Umweltschutz mehr leisten? Fast erscheint es so, als sei die Idee der Nachhaltigkeit nur ein Störenfried, wenn es um die Mobilisierung von Wachstum geht. Muss man befürchten, dass die Walze des Neoliberalismus alles überrollt, was in den letzten Jahrzehnten an Umweltbewusstsein geschaffen worden ist? In der veröffentlichten Meinung, die uns tagtäglich aus den Medien entgegen tritt, mag es auf den ersten Blick so erscheinen, bei genauerem Hinschauen ist dies allerdings keineswegs der Fall. Im Frühjahr 2004 haben wir in einer Neuauflage der Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland“ mehr als 2000 Personen in allen Teilen Deutschlands befragt. Die Ergebnisse, erstmals im Herbst 2004 veröffentlicht1, zeugen von einem weiterhin hohen Umweltbewusstsein in diesem Land – gegenüber der letzten Studie von 2002 ist die Sensibilisierung für Umweltfragen, insbesondere für Umweltrisiken, sogar gestiegen und nicht gesunken. Mit diesem Buch legen wir nun vertiefende Analysen der Daten der Umweltstudie 2004 vor, die vor allem die Themenbereiche Umweltgerechtigkeit, Lebensqualität und persönliches Engagement näher unter die Lupe nehmen. Nachhaltige Entwicklung thematisiert Gerechtigkeit auf unterschiedlichen Ebenen: Erstens als Gerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern, so wie sie bereits in den Anfängen der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung als Nord-Süd-Gerechtigkeit thematisiert wurde. Zweitens geht es um die Gerechtigkeit zwischen den Generationen und den An-
1 BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2004): Umweltbewusstsein in Deutschland 2004, Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Berlin.
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Vorwort der Autoren
spruch kommenden Generationen eine Welt mit den gleichen Lebens- und Entwicklungschancen zu hinterlassen und nicht etwa eine Welt der Verschuldung und der geplünderten Ressourcen. Drittens geht es auch um Gerechtigkeit in der heutigen Gesellschaft, die angesichts von Massenarbeitslosigkeit, wachsender Migration und eines zunehmenden Auseinanderklaffens von Armut und Reichtum von entscheidender Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft zu werden scheint. Umweltgerechtigkeit zu erreichen ist allerdings nicht nur eine Angelegenheit des Staates und der Institutionen, denn Macht und Reichweite des Staates sind in der heutigen Gesellschaft durchaus begrenzt. Auch die Einzelnen müssen mitmachen – ohne ein solches Mittun geht es nicht. Aber was heißt das: „mitmachen“? Den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern wird von einer Wende zur Nachhaltigkeit viel abverlangt: Sie müssen ihre Konsumgewohnheiten umstellen, ihre Freizeitgewohnheiten verändern, ihre Reisegewohnheiten, ja sogar ihre Ernährung. Das bedeutet nicht unbedingt Opfer und Verzicht, sondern kann durchaus mit Gewinn und Genuss verbunden sein: „slow food“ beispielsweise schmeckt nicht nur besser als „fast food“ (selbstverständlich nicht jedem), sondern ist – glaubt man der Ernährungswissenschaft – auch gesünder und eröffnet, zumindest durchschnittlich betrachtet, auch die Chance länger zu leben. Die in der Nachhaltigkeitskommunikation diskutierten Änderungen reichen tief in die Persönlichkeit hinein. Sie lassen sich in einem freiheitlichen Staat nicht von oben dekretieren und in Gesetze und Verordnungen packen und selbst dann, wenn man den Weg über den Preismechanismus wählt, stellt sich der intendierte Erfolg nicht unbedingt ein. Reformen wie die Erhöhung der Energiepreise im Rahmen des Konzepts der Ökosteuer beinhalten für ihre Protagonisten immer auch die Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden. Zudem scheinen sie, das legt jedenfalls die Empirie der Ökosteuer nahe, an den bestehenden Trends und Megatrends – wie etwa den Trends zu größeren und schwereren Autos, zu mehr Motorleistung, zu mehr gefahrenen Kilometern und zu mehr Freizeitmobilität – offenbar nichts ändern zu können. Bei verhaltenssteuernder Politik geht es – und das wurde in der häufig ökonomisch verkürzten Diskussion um die Ökosteuer leicht übersehen – nicht um Geld, sondern um Kultur, um Lebenskultur, d.h. um das, was Einzelne unter Lebensqualität verstehen. Dabei sind diese Vorstellungen von individueller Lebensqualität tief in der Person verwurzelt, auch im Un-
Vorwort der Autoren
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terbewussten und Unbewussten. Da sind etwa die Träume vom Haus im Grünen, vom neuen 5er BMW, von der Reise in die Südsee oder von der Kreuzfahrt auf dem Traumschiff. Diese individuellen Vorstellungen von Lebensqualität sind möglicherweise noch veränderungsresistenter als die gesellschaftlichen Strukturen, die permanent aufs neue Umwelt(un)gerechtigkeit produzieren. Über Emissionen von klimaschädlichen Gasen oder über Biodiversität lassen sich mittels internationaler Verhandlungen vielleicht sogar umweltgerechtere Ergebnisse erzielen, die über den bisher in Verhandlungen erzielten Umfang noch erheblich hinausgehen. Aber welche Regierungen könnten sich über die Vorstellungen von Lebensqualität ihrer Bevölkerung vertragsmäßig verständigen? Darüber beispielsweise, dass diese jetzt flächensparend bauen solle, ihre Mobilität zurückschrauben und sich sorgfältig und gut mit verantwortlich erzeugten Lebensmitteln zu ernähren habe, am besten noch vegetarisch? Nachhaltigkeit lässt sich aber ohne Lebensqualität, bzw. ohne Kompatibilität mit den individuellen Vorstellungen von Lebensqualität, ebenso wenig erreichen wie ohne Umweltgerechtigkeit. Das ist quasi das Spannungsfeld, in dem sich nachhaltige Entwicklung zu vollziehen hat und das ist auch der thematische Bogen, der in diesem Buch gespannt wird. Wir wollen hiermit eine neue Perspektive in die Forschung über Umweltbewusstsein und -verhalten bringen, denn heute geht es nicht mehr nur um Umweltbewusstsein und die Wahrnehmung von Umweltkrisen, sondern um die positive Gestaltung der Welt von morgen. Im ersten Teil dieses Buchs fokussieren wir unter der Überschrift „Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit“ die gegenwärtigen Trends im Feld der individuellen Nachhaltigkeit. Dabei geht es zum einen um Vergleiche mit den vorangehenden UBA-Studien, zum anderen um eine schlaglichtartige Beleuchtung aktueller Fragestellungen, etwa das Problem, inwieweit die jüngere Generation an Umweltschutz interessiert ist und für einen nachhaltigen Lebensstil gewonnen werden kann. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht das Thema Lebensqualität. Was verstehen die Bürgerinnen und Bürger heute unter Lebensqualität? Wie wird die eigene Lebensqualität beurteilt und welche Chancen bestehen für eine Orientierung hin zu Nachhaltigkeit? Der dritte Teil thematisiert Engagement und Engagementpotenziale. Wer ist bereit sich zu engagieren, unter welchen Bedingungen und wofür? Dass es für die Umweltkommunikation und Nachhaltigkeitskommunikati-
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Vorwort der Autoren
on von entscheidender Bedeutung ist, hier detaillierte Antworten zu erhalten, liegt auf der Hand. Umso erstaunlicher sind die Resultate, die unsere Auswertungen in diesem Punkt zeigen: Es sind die vorhandenen sozialen Netzwerke, die Peers, die entscheidend für ein potenzielles Engagement sind, außerdem die Wahrnehmung der Dringlichkeit globaler Probleme und die Einstellung zu den Grundprinzipien der Nachhaltigkeit. Wir hoffen, dass dieses Buch durch die zahlreichen empirischen Erkenntnisse zur Verbesserung der Umweltkommunikation beitragen kann. Zu danken haben wir an dieser Stelle Herrn Dr. Michael Wehrspaun, dem Fachbetreuer des Projektes im Umweltbundesamt, der uns durch vielfältige Anregungen bei der Konzeption und der Realisierung dieses Buches unterstützt hat. Dem TNS-Emnid-Institut, insbesondere dem zuständigen Mitarbeiter Oliver Krieg, danken wir für die gute und reibungslose Kooperation. In der Marburger Arbeitsgruppe haben Sebastian Berens und Stefan Rädiker mit großem Engagement an der Endredaktion mitgearbeitet. Herzlichen Dank auch an Heiko Grunenberg für seine Hinweise und Beiträge sowie an Jennifer Cain, die die englischen Übersetzungen angefertigt hat. Anke Rheingans-Heintze und Udo Kuckartz Marburg, im Juni 2005
15
Teil I Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit: Die Trends
16
1
Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung: Bekanntheit und Zustimmung
Wer davon ausgeht, dass Begriff und Konzept der nachhaltigen Entwicklung nach jahrelangen Debatten in Politik, Wissenschaft und NichtRegierungsorganisationen auch im Alltag der Menschen angekommen sein müssten, dürfte vergleichsweise ernüchtert sein: Nur 22% der Deutschen geben an, von dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung gehört zu haben. Der Bekanntheitsgrad ist gegenüber der Umfrage 2002 sogar gesunken. Damals waren es 28%, die zu Protokoll gaben, den Begriff zu kennen. Zu berücksichtigen ist, dass der Bekanntheitsgrad des Begriffs Nachhaltigkeit stark mit dem Grad der Schulbildung der Befragten korreliert. 40% der Befragten mit höherer Schulbildung haben von dem Begriff gehört, jedoch nur 10% der Befragten mit niedrigerer Schulbildung und 17% derjenigen mit mittlerer Schulbildung. Uns interessierte nicht nur, ob man den Begriff schon gehört hat, sondern welche Assoziationen man hiermit verbindet. Das Resultat: Genau die Hälfte der Befragten, die zuvor angaben den Begriff zu kennen, bezieht sich dabei direkt auf Themen des Nachhaltigkeitsdiskurses. Klar im Vordergrund stehen das Prinzip der Generationengerechtigkeit im Sinne der Zukunftsvorsorge und Verantwortung sowie die Prinzipien der Ressourceneinsparung und der Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Eine Analyse der Häufigkeiten der genannten Assoziationen ergibt, dass die Stichworte „Ressourcen“, „Generationen“ und „Zukunft“ am häufigsten genannt werden. Ein gutes Drittel der Befragten benennt lediglich Synonyme, das heißt es werden eigene Vorstellungen des Begriffs erläutert, ohne dass der thematische Bezug zum Konzept Nachhaltigkeit konkret erkennbar ist, zum Beispiel: „dauerhafte Wirkung eingeleiteter Maßnahmen“; „heute daran denken, was später ist“; „Auswirkungen berücksichtigen“. Jede zehnte Person gibt zu, dass man eigentlich keine Vorstellung habe, was der Begriff inhaltlich bedeutet. Die Übrigen assoziieren den Nachhaltigkeitsbegriff mit Themen, die außerhalb des Umweltschutzes liegen oder bezeichnen Nachhal-
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Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung: Bekanntheit und Zustimmung
tigkeit als bloßes Schlagwort. Damit reduziert sich – streng genommen – die Anzahl derjenigen, die mit dem Konzept Nachhaltigkeit konkret etwas anfangen können, nochmals um die Hälfte auf 11%, d.h. nur etwa jeder zehnte Deutsche weiß also tatsächlich über das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Bescheid. Obwohl der Begriff der nachhaltigen Entwicklung nur eine geringe semantische Attraktivität besitzt und mithin wenig bekannt ist, gibt es bei aller Ernüchterung auch Anlass zum Optimismus: Denn die Kerngedanken des Nachhaltigkeitskonzepts treffen bei konkreter Nachfrage auf einen sehr aufnahmebereiten Boden. Das betrifft die Generationen-Gerechtigkeit (88%), den fairen Handel zwischen reichen Ländern und Entwicklungsländern (84%) sowie das Augenmerk darauf, dass nicht mehr Ressourcen verbraucht werden als nachwachsen können (82%). Die Zustimmung ist im Vergleich zur Umfrage 2002 sogar noch höher. Tabelle 1: Einstellung zu den Prinzipien der Nachhaltigkeit Erhebung 2004 Angaben in %
stimme voll und ganz zu
stimme weitgehend zu
teils/teils
stimme eher nicht zu
stimme überhaupt nicht zu
Es sollte Gerechtigkeit zwischen den Generationen bestehen, wir sollten die Umwelt nicht auf Kosten der nachkommenden Generation ausplündern.
51
37
10
2
0
Es sollte fairen Handel zwischen den reichen Ländern dieser Erde und den Entwicklungsländern geben.
43
41
13
2
1
Wir sollten nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können.
44
38
15
3
0
An vorderster Stelle steht der Gedanke der Verantwortung für die Nachgeborenen (intergenerationelle Gerechtigkeit). 51% der Befragten stimmen diesem Ethos „voll und ganz zu“. Sehr wahrscheinlich zählt die Vorsorge für die nächsten Generationen mit zum wichtigsten Motiv, das die Bevölkerungsmehrheit für den Schutz der Umwelt sieht. Man denkt nicht primär an sich selbst und die Verbesserung heutiger Umweltverhältnisse, wenn man pro Umweltschutz eingestellt ist, sondern betrachtet Umweltschutz vor allem als eine Zukunftsaufgabe.
18
2
Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung
Nach wie vor hat der Umweltschutz in der Gesellschaft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung – entgegen manchen Unkenrufen. Zwar beherrscht das Umweltthema nicht mehr so prominent die öffentliche Meinung wie noch bis Ende der 1980er Jahre, als emotional aufladbare Umweltphänomene – vor allem Katastrophen – zu gesellschaftlichen Problemen wurden und der Umweltschutz in zahleichen Umfragen an oberster Stelle der wichtigsten Probleme in Deutschland stand. Doch ist zu bedenken, dass sich sowohl die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die Umweltprobleme, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, in den vergangenen fünfzehn Jahren verändert haben. Erstens geht von der angespannten Wirtschaftslage und der Beschäftigungssituation nun schon seit geraumer Zeit ein beträchtlicher Problemdruck aus. Verglichen damit waren die 1980er Jahre, als Umweltthemen viel stärker im Vordergrund standen, in wirtschaftlicher Hinsicht geradezu sorgenfrei. Zweitens sind Umwelt- und Naturschutz in Politik, Bildung, Medien, Wissenschaft und Verbänden heute fest institutionalisiert und professionalisiert. Kommunikation über Umweltthemen findet also ohnehin in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen und Subsystemen statt. Drittens sind viele Problemstellungen im Umweltschutz zwischenzeitlich gelöst worden oder aber auf dem Wege zu einer Lösung. Dies wird auch von der Bevölkerung deutlich wahrgenommen. Der sichtbare Problemdruck hat sich somit entschärft. Zum Beispiel haben sich die Luftqualität und die Reinheit unserer Flüsse und Gewässer spürbar gebessert. Gleichzeitig sind wir aber nun mit dem Phänomen konfrontiert, dass die heute zentralen Umweltprobleme nicht mehr in dem Maße sinnlich wahrnehmbar sind wie in der Vergangenheit. Vielen der „neuen“ Umweltgefahren hingegen – wie zum Beispiel Feinstäube, hormonell wirkende Chemikalien, Grundwasserund Bodenbelastungen oder Klimaveränderungen – fehlt die unmittelbare,
Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung
19
persönliche Erfahrbarkeit. Damit entfällt eine wesentliche Triebfeder für die Erzeugung von Betroffenheit und Handlungsdruck. Beachtlich ist vor diesem Hintergrund, dass sich der Umweltschutz in der Problemwahrnehmung großer Teile der Bevölkerung dennoch als feste Kategorie etabliert hat und mittel- und langfristig keineswegs an Bedeutung zu verlieren scheint. Denn nicht nur die vorliegende Studie, auch andere Umfragen bestätigen, dass der Umweltschutz in unserer globalisierten Welt nach wie vor als wichtige Aufgabe wahrgenommen wird (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2004; Statistisches Bundesamt 2004, S. 524ff.). Selbst in den USA zeigen Umfragen, dass Umweltschutz und Klimaschutz wieder wichtiger werdende Themen sind (vgl. Fischermann 2003). Gehen wir nun ins Detail: Welche Bedeutung messen die Deutschen dem Umweltschutz in Relation zu anderen gesellschaftspolitischen Themen heute noch zu? Dieses Urteil kann in Umfragen im Wesentlichen auf drei verschiedenen Wegen erfasst werden (vgl. auch Diekmann/Preisendörfer 2001, S. 99f.). Erstens in Form einer offenen Frage: Die Befragten werden aufgefordert, die aus ihrer Sicht derzeit wichtigsten gesellschaftspolitischen Probleme zu benennen, dabei werden keinerlei Antwortvorgaben gemacht. Zweitens steht das Ranking-Verfahren zur Auswahl: Bei diesem Verfahren wird den Befragten eine Liste von Problemen vorgelegt, die sie nach ihrer Wichtigkeit in eine Rangfolge bringen sollen. Und drittens kann mit dem Rating-Verfahren gearbeitet werden: Hier wird den Befragten ebenfalls eine Liste mit Problemen vorgelegt, nur dass sie jetzt auf einer vorgegebenen Antwortskala angeben sollen, für wie wichtig sie verschiedene Probleme halten. Das Rating-Verfahren ergibt erfahrungsgemäß hohe Prozentsätze für den Umweltschutz – das gilt ebenso für die jeweils anderen abgefragten Problemfelder. Die Ergebnisse der offenen Frageform sowie des RankingVerfahrens führen hingegen zu geringeren Prozentwerten für den Umweltschutz. Ferner sind die Resultate häufig durch tagespolitische Einflüsse beeinflusst. Bei der offenen Frage nach dem derzeit wichtigsten Problem in Deutschland zeigt sich, dass eine seit Jahren verlaufende Entwicklung vorerst gestoppt scheint. Denn erstmals nach sieben Jahren ist die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die „Umweltschutz“ nennen, wenn man ohne Vorgabe von Antworten nach dem aktuell wichtigsten Problem fragt, angestiegen und nicht erneut gesunken.
20
Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung
Tabelle 2: Die wichtigsten Probleme in Deutschland Erhebung 2004 (in Klammern: Rang Ost-West) Die Top Ten der häufigsten Nennungen in % Gesamt (Zweifachnennungen möglich)
West
Ost
1. Arbeitsmarkt
55
53
(1)
64
(1)
2. Wirtschaftliche Lage
20
22
(2)
16
(3)
3.* Umweltschutz
18
19
(3)
15
(4)
3.* Soziale Aspekte/Gerechtigkeit
18
18
(4)
20
(2)
5. Rentenpolitik
12
13
(5)
10
(5*)
6. Gesundheitspolitik/Gesundheitsreform
8
8
(6)
10
(5*)
7. Vertrauensverlust in Politik
7
7
(7)
7
(7)
8. Ausländer, Asylanten
5
5
(8)
4
(9)
9. Kriminalität
5
4
(9)
6
(8)
10. Verkehr
4
4
(10)
3
(10)
Frage: Was, glauben Sie, ist das wichtigste Problem, dem sich unser Land heute gegenübersieht? (Offene Frage mit max. zwei möglichen Nennungen) * Geteilter Rangplatz auf Grund gleicher Anzahl der Nennungen.
18% der Befragten zählen in der Umfrage 2004 den Umweltschutz zu einem der wichtigsten Probleme in Deutschland. Das bedeutet im Vergleich zur Umfrage 2002 einen Zuwachs von 4%. In der Rangfolge der wichtigsten Probleme ist der Umweltschutz von Platz 4 in den Jahren 2000 und 2002 auf Platz 3 geklettert – gleichrangig mit sozialen Aspekten und Gerechtigkeit. Die Differenzierung nach Ost und West zeigt, dass der Umweltschutz von den Befragten aus den westlichen Bundesländern häufiger angesprochen wird als von den Befragten aus den östlichen Bundesländern. Dieses Gefälle ist im Vergleich zu 2002 aber kleiner geworden. Es sind nun wieder deutlich mehr Ostdeutsche, die dem Umweltschutz einen Top-Rang zubilligen. Fragemethode und Frageformulierung haben eine erhebliche Auswirkung auf die Resultate. Fragt man nun in Form einer geschlossenen Frage – also mit Antwortvorgaben – nach der Bedeutsamkeit verschiedener politischer Aufgabenbereiche, u.a. des Umweltschutzes, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Trotz der Konkurrenz zu den drängenden Aufgaben aus Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik halten den Umweltschutz 45% der Deutschen für „sehr wichtig“. Zwar ist dieser Anteil im Vergleich zu 2002 um 6% gesunken, dafür ist aber der Prozentsatz der Befragten, die den Umweltschutz als „eher wichtig“ einschätzen, im ungefähr gleichen Ver-
21
Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung
hältnis gestiegen. Es bestätigt sich somit der bereits bei der offen gestellten Frage nach dem aktuell wichtigsten Problem in Deutschland gewonnene Eindruck: Trotz anhaltender wirtschaftlicher Schwäche, hoher Arbeitslosigkeit und Sozialabbau wird der Umweltschutz im Urteil der Bürgerinnen und Bürger nicht herabgestuft. Tabelle 3: Bedeutsamkeit politischer Aufgabenbereiche Erhebung 2004 Angaben in %
sehr wichtig
eher wichtig
weniger wichtig
überhaupt nicht wichtig
Mittelwert*
Code
1
2
3
4
die Arbeitslosigkeit bekämpfen
93
6
1
0
1,07
die Renten sichern
77
21
2
0
1,26
die Wirtschaft ankurbeln
75
21
3
1
1,29
für soziale Gerechtigkeit sorgen
72
25
3
0
1,32
die Gesundheitsvorsorge sichern
71
25
3
1
1,33
Bildungsangebote an Schulen und Hochschulen verbessern 53
38
8
1
1,57
den Bürger wirksamer vor Verbrechen schützen
52
38
9
1
1,59
für wirksamen Umweltschutz sorgen
45
47
7
1
1,63
die Bürger vor terroristischen Angriffen schützen
44
35
17
4
1,80
das Zusammenleben mit Ausländern regeln
30
44
22
4
2,00
Frage: Ich lese Ihnen nun verschiedene politische Aufgabenbereiche vor. Bitte sagen Sie mir jeweils, ob Sie persönlich die Aufgabe für sehr wichtig, eher wichtig, weniger wichtig oder für überhaupt nicht wichtig halten. * Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 4): Je kleiner der Mittelwert, desto größer ist die Bedeutsamkeit.
In der Umfrage 2000 wurde der Umweltschutz noch von allen Altersgruppen in gleicher Weise als sehr wichtig erachtet. Dies änderte sich vor zwei Jahren: Die 18- und 19-Jährigen wichen hier erstmals leicht negativ vom Durchschnitt der Befragten ab. In der aktuellen Umfrage hat sich dieser Trend auf die 20- bis 24-Jährigen ausgeweitet und weiter gefestigt. Dies sollte jedoch nicht missinterpretiert werden, denn auch die 18- bis 24-Jährigen halten den Umweltschutz insgesamt betrachtet für wichtig. Die folgende Abbildung macht die nach Altersgruppen differenzierte Bewertung für den Umweltschutz sowie die Themen Bildung, soziale Gerechtigkeit und Gesundheitsvorsorge deutlich.
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Der gesellschaftliche Stellenwert des Umweltschutzes: Stand und Entwicklung
Abbildung 1: Aktuelle wichtigste politische Aufgabenbereiche in Abhängigkeit verschiedener Altersgruppen (Umweltschutz, Bildung, soziale Gerechtigkeit, Gesundheitsvorsorge) 2
Wichtigkeit: Umweltschutz Wichtigkeit: soziale Gerechtigkeit
1,9
Wichtigkeit: Gesundheitsvorsorge sichern
1,8
Wichtigkeit: Bildungsangebote verbessern 1,7 1,6 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1 1 unter 20 Jahren
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 bis 39 Jahre
40 bis 49 Jahre
50 bis 59 Jahre
60 bis 69 Jahre
älter als 70 Jahre
* Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 4): Je kleiner der Mittelwert, desto wichtiger wird die jeweilige Aufgabe eingeschätzt.
Interessant ist, dass sich die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen auch hinsichtlich fast aller anderen abgefragten Themen weniger involviert zeigt, d.h. bei der Einstufung „sehr wichtig“ in aller Regel negativ vom Durchschnitt abweicht (als Beispiele sind in der Abbildung 1 die Mittelwerte für die Themen soziale Gerechtigkeit und Gesundheitsvorsorge veranschaulicht). Die Ausnahme betrifft den Bereich Bildung. Hier sind es vor allem die 18- bis 24-Jährigen, welche die Verbesserung der Bildungsangebote für „sehr wichtig“ erachten – sind sie doch in aller Regel auch unmittelbar von der herrschenden Bildungspolitik betroffen.
23
3
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
3.1
Allgemeine Einstellungen zum Umweltschutz
Die Einstellungen der Bevölkerung zum Umweltschutz sind in zweifacher Hinsicht von Interesse. Auf der Ebene individuellen Verhaltens können positive Umwelteinstellungen (müssen aber nicht automatisch!) zu umweltgerechtem Verhalten im Alltag führen. Auf der politischen Ebene prägen umweltbezogene Einstellungen die öffentliche Meinung und können etwa für die Akzeptanz umweltpolitischer Maßnahmen von Bedeutung sein. Im Rahmen der Umweltbewusstseinsstudien werden die allgemeinen Einstellungen zum Umweltschutz seit 1996 mit einer recht umfänglichen Sammlung von Statements erfasst, die den Befragten zur Beurteilung vorgelegt werden. Um Zeitreihenvergleiche zu ermöglichen, wurden auch in der Umfrage 2004 weitgehend die gleichen Aussagen eingesetzt wie in den Jahren 1996 und 1998. Es zeigt sich, dass das Umweltbewusstsein der deutschen Bevölkerung weiterhin hoch ist, im Vergleich zu 2002 ist es sogar wieder leicht gestiegen. Dieses Resultat korrespondiert mit der positiven Tendenz bei der Relevanzeinschätzung des Umweltschutzes im Vergleich mit anderen politischen Problembereichen. Wie in Kapitel I.1 bereits dargestellt, finden die Statements, in denen drei wesentliche Grundprinzipien des Konzepts Nachhaltigkeit angesprochen werden, sehr hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Die grundsätzliche Bereitschaft, Verantwortung für die nächsten Generationen zu übernehmen, ist dabei offenkundig nicht nur eine kognitiv motivierte Entscheidung, sondern eine Angelegenheit der ganzen Person: Denn zwei Drittel der Deutschen spüren Sorge, wenn sie sich die Umweltverhältnisse vor Augen führen, unter denen die Generationen der Kinder und Kindeskinder vermutlich leben werden. Geht man gedanklich einen Schritt weiter, sind mit dieser Einschätzung eine Reihe schwieriger Fragen verknüpft – die an dieser Stelle jedoch nur aufgeworfen und nicht erörtert werden können
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
(vgl. hierzu de Gauthier 1986; de Haan 1995; Leist 1991). So ist zu fragen, welche moralische Verpflichtung wir gegenüber zukünftig Lebenden haben? Lässt sich Gemeinsamkeit nicht nur zwischen denen herstellen, die gleichzeitig leben und miteinander kommunizieren können? Wo fängt also die künftige Generation an, bei den derzeit einjährigen eigenen Kindern oder auch schon bei den noch gar nicht Gezeugten? Wie viele Generationen sind überhaupt zu berücksichtigen? Und: Warum sollte aus einem derart unpräzisen Begründungsstandpunkt wie der Sorge um die zukünftigen Generationen ein individueller Begründungsstandpunkt wie „Wie muss ich anders handeln“ folgen? So verwundert es nicht, dass die Bereitwilligkeit, persönlich etwas für den Umweltschutz zu tun, ambivalent ausfällt. 29% der Deutschen sind nämlich der Meinung, dass es für sie persönlich schwierig ist, viel für die Umwelt zu tun und fast ein Drittel ist in dieser Frage unentschieden. Ein mehr oder weniger klares Votum dafür, bei sich selbst anzufangen, geben aber immerhin noch 40% ab. Im europäischen Vergleich bewegen sich die Deutschen hinsichtlich der Frage ihrer persönlichen Handlungsfähigkeit (nur) im oberen Mittelfeld. Sie zählen damit aber noch zu den europäischen Ländern, in denen eine Mehrheit glaubt, dass „die Umwelt ein Bereich ist, wo meine Handlungen einen echten Unterschied machen können“. Allen voran sind die Finnen und die Schweden der Ansicht, dass ihr individuelles Handeln einen Einfluss hat. Durch eine eher pessimistische Haltung zeichnen sich hingegen die Mittelmeerländer (Frankreich, Griechenland, Italien) aus. Hier glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass „die Umwelt ein Bereich ist, wo ich nicht handeln kann“ (vgl. Europäische Kommission 2003, S. 25). Ein Zeitreihenvergleich zeigt, dass sich bei 12 von 17 Statements die Prozentwerte bei den Pro-Umwelteinstellungen im Vergleich zu 2002 erhöht haben (vgl. UBA 2004: 25f.). Nur bei drei Statements ist eine (schwach) sinkende Zustimmung feststellbar: Neben dem Item „Umweltschutzmaßnahmen sollten auch dann durchgesetzt werden, wenn dadurch Arbeitsplätze verloren gehen“ trifft dies auf die Statements „Es ist noch immer so, dass die Politiker viel zu wenig für den Umweltschutz tun“ und „Derzeit ist es immer noch so, dass sich der größte Teil der Bevölkerung wenig umweltbewusst verhält“ zu. Der Zeitreihenvergleich offenbart auch, dass sich die Umwelteinstellungen im Verlauf der letzten acht Jahre nicht dramatisch verändert haben. Die
Allgemeine Einstellungen zum Umweltschutz
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Prozentwerte der Pro-Umwelteinstellungen bewegen sich im Rahmen eines relativ beständigen Wertebereiches – ohne bemerkenswerte Ausreißer nach oben oder unten. Ihren Höchststand hatten die Pro-Umwelteinstellungen in den Jahren 1996 und 2000. Die größte Differenz zwischen dem jeweils niedrigsten und höchsten Wert finden wir mit 17% in Bezug auf das oben schon angesprochene Item zur Einschätzung des umweltbewussten Verhaltens der Bevölkerung. Würde man die Werte aller Statements – jeweils von 1996 bis 2004 – grafisch abbilden, so erhielte man fast ausnahmslos ein (moderates) Zick-Zack-Muster: Von 1996 nach 1998 sinken die Werte der Pro-Umwelteinstellungen, im Jahr 2000 steigen sie an, im Jahr 2002 fallen sie und im Jahr 2004 steigen sie wieder. Wie bereits im Rahmen der Umweltbewusstseinsstudie 2002 (vgl. Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 44ff.) wurde mit Hilfe einer explorativen Faktorenanalyse die Dimensionalität der Umwelteinstellungen ermittelt. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden die gleichen Items wie 2002 verwendet. Die nach dem Vorbild der Studie 2002 gewählte Lösung mit drei Faktoren erklärt 51,8% der Varianz (2002: 53,5%). Tabelle 4: Faktoren und Items der Faktorenanalyse der Umwelteinstellungen Faktor
in Klammern: Ladung des Items auf den Faktor
1 Umweltkrisenbewusstsein
Es beunruhigt mich, wenn ich daran denke, unter welchen Umweltverhältnissen unsere Kinder und Enkelkinder wahrscheinlich leben müssen. (.749) Wenn wir so weitermachen wie bisher, steuern wir auf eine Umweltkatastrophe zu. (.746) Wenn ich Zeitungsberichte über Umweltprobleme lese oder entsprechende Fernsehsendungen sehe, bin ich oft empört und wütend. (.710) Es ist immer noch so, dass die Politiker viel zu wenig für den Umweltschutz tun. (.690) Es gibt Grenzen des Wachstums, die unsere industrialisierte Welt schon überschritten hat oder sehr bald erreichen wird. (.485) Umweltschutzmaßnahmen sollten auch dann durchgesetzt werden, wenn Arbeitsplätze verloren gehen. (.351) Wir sollten nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können. (.790) Es sollte Gerechtigkeit zwischen den Generationen bestehen, wir sollten die Umwelt nicht auf Kosten der nachkommenden Generation ausplündern.(.783) Es sollte fairen Handel zwischen den reichen Ländern dieser Erde und den Entwicklungsländern geben. (.712) Wissenschaft und Technik werden viele Umweltprobleme lösen, ohne dass wir unsere Lebensweise ändern müssen. (.758) Für jemanden wie mich ist es schwierig, viel für die Umwelt zu tun. (.703) Nach meiner Einschätzung wird das Umweltproblem in seiner Bedeutung von vielen Umweltschützern stark übertrieben. (.595)
2 Nachhaltigkeitsbewusstsein
3 Entdramatisierung
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Der erste Faktor, den man als Umweltkrisenbewusstsein bezeichnen kann, umfasst solche Statements, in denen das Problem Umweltschutz als dramatisch erscheint. Man glaubt, dass man auf eine Umweltkatastrophe zuläuft, ist empört, wenn man entsprechende Meldungen über Katastrophen in der Zeitung liest und sorgt sich um die Umweltverhältnisse, mit denen die zukünftige Generation zu tun haben wird. Umwelt wird hier in der Tradition eines Katastrophenbewusstseins wahrgenommen. Der zweite Faktor besteht aus Statements, die inhaltliche Grundprinzipien des Konzepts Nachhaltigkeit thematisieren: Entsprechend bezeichnen wir diesen Faktor als Nachhaltigkeitsbewusstsein. Der dritte Faktor beinhaltet solche Aussagen, die das Umweltproblem als derzeit nicht sonderlich gravierend darstellen. Man hält vieles für übertrieben dargestellt, glaubt, dass Wissenschaft und Technik in der Lage sind, die meisten Probleme zu lösen, ohne dass man selbst seinen Lebensstil verändern müsste. Man schiebt die Verantwortung eher von sich weg und hält es für schwierig, als Individuum etwas zur Veränderung der Umweltverhältnisse beizutragen. Dieser dritte Faktor entspricht also einer Einstellung der Entdramatisierung. Auf der Basis dieser Faktorenanalyse wurden für einen Vergleich mit den Daten der Umfrage 2002 sowie für die weiteren, differenzierten Analysen der folgenden Kapitel vier Skalen zu den Pro-Umwelteinstellungen gebildet: die Skala Umweltkrisenbewusstsein mit sechs Items, die Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein mit drei Items, die Skala Entdramatisierung mit drei Items sowie die Gesamtskala Pro-Umwelteinstellungen mit allen zwölf Items. 2 Im direkten Vergleich mit den Daten der Umfrage 2002 können wir drei zentrale Tendenzen festhalten.
2 Skalenwerte (in Klammern: Werte der Umfrage 2002): Gesamtskala Pro-Umwelteinstellungen, die alle 12 Statements umfasst Reliabilität: Cronbachs Alpha = .77 (.80) theoretischer Mittelwert: 36,0 Standardabweichung = 6,2 (6,4) tatsächlicher Mittelwert: 43,5 (42,7) Skala Umweltkrisenbewusstsein – diese umfasst 6 Items Reliabilität: Cronbachs Alpha = .73 (.76) theoretischer Mittelwert: 18,0 Standardabweichung = 4,0 (4,0) tatsächlicher Mittelwert: 21,6 (20,9) Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein bestehend aus drei Items Reliabilität: Cronbachs Alpha = .71 (.76) theoretischer Mittelwert: 9,0 Standardabweichung = 1,9 (2,0) tatsächlicher Mittelwert: 12,8 (12,4) Skala Entdramatisierung bestehend aus drei Items Reliabilität: Cronbachs Alpha = .50 (.48) theoretischer Mittelwert: 9,0 Standardabweichung = 2,3 (2,2) tatsächlicher Mittelwert: 9,6 (9,3)
Wahrnehmung von Umweltrisiken und Natur
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1. Das Umweltkrisenbewusstsein hat wieder leicht zugenommen. So haben die Zustimmungsquoten zu den Statements, die eher Elemente traditioneller Umwelteinstellungen zum Ausdruck bringen, im Vergleich zu 2002 im Durchschnitt um etwa vier Prozentpunkte zugenommen. Die Quoten sind somit auch höher als 1998, jedoch noch nicht auf dem Stand von 2000. Bemerkenswert ist, dass die Zustimmungsquoten in der aktuellen Umfrage vor allem bei der Antwortalternative „stimme voll und ganz zu“ gestiegen sind. 2. Komplementär zum Anstieg des Umweltkrisenbewusstseins hat sich der in 2002 festgestellte Trend einer Einstellung der Entdramatisierung der Umweltproblematik nicht weiter fortgesetzt. Obwohl der Umweltschutz in unserer Gesellschaft als weitgehend professionalisiert und institutionalisiert gelten kann, geben die Deutschen vorläufig keine weitere Entwarnung hinsichtlich einer bevorzugten Behandlung der Umweltproblematik. 3. Auch das Nachhaltigkeitsbewusstsein ist angestiegen. Die Zustimmungsquoten zu den Grundprinzipien der Nachhaltigkeit haben sich im Vergleich zu 2002 jeweils um mehrere Prozentpunkte erhöht. Die Zustimmung ist somit erneut ähnlich hoch wie im Jahr 2000. Offensichtlich berühren die mit dem Nachhaltigkeitskonzept verbundenen Werthaltungen in hohem Maße die derzeitige Befindlichkeit der Bevölkerung. Das gilt insbesondere für den Wunsch nach Gerechtigkeit. 3.2
Wahrnehmung von Umweltrisiken und Natur
Die seit den 1980er Jahren verbreitete Besorgnis über das Risikopotenzial von Strahlen, die schleichende Vergiftung durch chemisch belastete Lebensmittel oder die Folgen einer Veränderung unseres Klimas ist nicht verblasst. Eher das Gegenteil scheint der Fall: Das Gefahrenbewusstsein für Großrisiken hat im Vergleich zur Umfrage 2002 wieder zugenommen. Generell zeigen auch die Erhebungen im Rahmen des Eurobarometers, dass die Besorgnis der europäischen Bevölkerung über die Schäden, die der Umwelt zugefügt werden, seit mehreren Jahren steigt. Übrigens machen sich die Deutschen um die Zerstörung der Ozonschicht und die Klimaver-
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
änderung etwas mehr Sorgen als der Rest der europäischen Bevölkerung (vgl. Europäische Kommission 2003, S. 12ff.). Der Anstieg des Gefahrenbewusstseins korrespondiert mit der abnehmenden Tendenz der Entdramatisierung der Umweltproblematik, die wir im vorangehenden Abschnitt festgestellt haben. Denn: Wie auch andere Erhebungen und Zeitdiagnosen bestätigen, nimmt die gesellschaftliche Unsicherheit zu und die Sorge vor einer ungesicherten Zukunft wächst (vgl. B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut 2002; Statistisches Bundesamt 2004). Es erstaunt nicht, dass sich dieses verstärkte Gefühl einer allgemeinen Unsicherheit vorzugsweise in einem geschärften Gefahrenbewusstsein für Großrisiken bemerkbar macht. Denn gerade Umweltthemen sind ungleich stärker als andere Themen mit Unsicherheit und Nicht-Wissen oder NichtWissen-Können verbunden. Für Großrisiken wie den Klimawandel oder radioaktiven Müll gilt diese Unschärfe und Unsicherheit unseres Wissens noch in stärkerem Ausmaße (vgl. hierzu auch Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 244f.). Sinkt das Vertrauen in das allgemeine System, sinkt auch das Vertrauen in den „angemessenen“ Umgang mit derartigen Risiken. Ferner ist aus der Risikoforschung bekannt, dass man ohnehin dazu neigt, dort die größten Risiken für die eigene Gesundheit zu sehen, wo man selbst nicht eingreifen kann und keine Kontrolle über das Geschehen hat. So werden freiwillig übernommene Gesundheitsrisiken von der Bevölkerung auch weitaus weniger kritisch gesehen (z.B. die Gesundheitsrisiken durch Zigarettenrauchen oder Alkoholgenuss) als Risiken, denen man unfreiwillig ausgesetzt und die darüber hinaus noch „unsichtbar“ sind wie etwa die von radioaktivem Müll ausgehenden Gefahren (vgl. Jungermann/Slovic 1993). Die größten Sorgen rufen nach wie vor die Risiken der Atomtechnologie hervor. 59% der Befragten stufen Atomkraftwerke und den entstehenden radioaktiven Müll als äußerst oder sehr gefährlich für sich und ihre Familie ein. Hier können wir im Vergleich zu 2002 einen Anstieg von 6% verzeichnen. Von einer Mehrheit der Befragten, nämlich 53%, werden nun auch die Risiken eines globalen Klimawandels als persönlich äußerst oder sehr gefährlich eingeschätzt. Nur noch 16% stufen den Klimawandel als kaum oder überhaupt nicht gefährlich für sich und ihre Familie ein (2002: 21%). „Lokale“ Risiken, wie die vor Ort verursachte Luftverschmutzung durch Autos oder die Verschmutzung unserer Gewässer, rufen weniger Bedenken hervor. Die Qualität der nahen und vertrauten Umwelt wird als vergleichs-
Wahrnehmung von Umweltrisiken und Natur
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weise gut beurteilt, auch wenn harte Daten und Fakten mitunter eine andere Sprache sprechen. Offensichtlich ist es so, dass die Menschen die als „global“ geltenden Risiken grundsätzlich als gefährlicher einstufen. (vgl. UBA 2004: 28ff.) Aus der Risikoforschung ist bekannt, dass die Einschätzung von Risiken ein in hohem Maße von Einstellungen und Wertvorstellungen bestimmtes Konstrukt ist (vgl. Slovic 1996; Wildavsky 1993). Auch wenn es nicht weiter erstaunlich ist, dass hier Beziehungen bestehen dürften, so ist doch die Stärke des Zusammenhangs zwischen Risiko-Wahrnehmung und Pro-Umwelteinstellungen überraschend hoch. So finden sich für alle der fünf thematisierten Umweltrisiken höchst signifikante Zusammenhänge mit den Pro-Umwelteinstellungen. Beispielsweise liegt der Mittelwert der Pro-Umwelteinstellungen bei denjenigen, die den Klimawandel für äußerst gefährlich halten bei 46,5 Skalenpunkten und bei denjenigen, die den Klimawandel für überhaupt nicht gefährlich halten, bei nur 37,6 Skalenpunkten – ein beträchtlicher Unterschied von fast neun Skalenpunkten. Auch die Affinität zu postmaterialistischen Wertorientierungen (Toleranz, Solidarität, Kreativität, Eigeninitiative) lässt die Einschätzung des Gefahrenpotenzials der fünf thematisierten Umweltrisiken in die Höhe schnellen. Ein ebenso zuverlässiger Prädikator für die Risikowahrnehmung ist die politische Einstellung: Wer SPD oder Grüne favorisiert macht sich deutlich mehr Sorgen über die negativen Auswirkungen von Großtechniken wie der Atom- oder der Gentechnologie als CDU/CSU-Orientierte. Auf der Suche nach Erklärungen für diese Zusammenhänge rekuriert Wildavsky (vgl. 1993) auf die von Mary Douglas entwickelte Kulturtheorie. Danach wird angenommen, dass „die Anhänger einer hierarchischen Kultur eine von ihren Fachleuten als sicher eingestufte Technik billigen werden, weil sie wissen, daß die Fachleute die Großtechnik im Allgemeinen als sicher bewerten. Die wettbewerbsorientierten Individualisten werden das Risiko als Chance betrachten und darum eine optimistische Haltung gegenüber der Technik einnehmen; und die Anhänger des Egalitarismus werden die Technik als Teil des Apparats sehen, durch den hierarchische und individualistische Kulturen, die sich im Unternehmenskapital ausdrücken, Ungleichheiten aufrechterhalten, die der Gesellschaft und der Natur schaden“ (a.a.O., S. 195f.). Die Risikowahrnehmung wird vermutlich auch dadurch beeinflusst, wie gut oder schlecht sich die Menschen über bestimmte Gefahren informiert
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
fühlen. Hält beispielsweise ein Unternehmen Informationen über Risiken zurück, die von bestimmten Lebensmitteln oder Produkten ausgehen, kann es passieren, dass die eigene Reputation schwer beschädigt wird – etwa, wenn die Risiken durch andere Quellen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. Ferner wird die Aufmerksamkeit für diese Risiken nun erst recht geweckt. Eine von Empörung begleitete Thematisierung von Gefahren über die Massenmedien – auch bei einer Diskussion, in der die Zweifel an dem möglichen Risiko letztlich überwiegen – macht die Menschen eher ängstlicher (vgl. de Haan/Kuckartz 1996, S. 202). So haben wir gefragt, wie gut man sich über die Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von Lebensmitteln und Produkten informiert fühlt. Das Ergebnis ist insgesamt überraschend. Trotz zahlreicher Bemühungen in dieser Richtung – sowohl von Seiten der Umweltschutzbehörden als auch von Umweltschutzorganisationen und Verbraucherverbänden – fühlt sich mit 62% eine klare Mehrheit der Befragten schlecht über die Gesundheitsund Umweltverträglichkeit von Lebensmitteln und Produkten informiert. Nur 2% fühlen sich „sehr gut informiert“, „eher gut informiert“ fühlt sich ein gutes Drittel (36%). Zusammenhangsanalysen mit den Pro-Umwelteinstellungen der Befragten ergeben zudem, dass sich die Umweltbewussten unter den Befragten deutlich schlechter informiert fühlen als die weniger Umweltbewussten. Bei den Befragten mit subjektiv wahrgenommenen Informationsdefiziten sind hingegen überdurchschnittliche Mittelwerte auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen feststellbar. Einmal mehr zeigt sich hier die zentrale Bedeutung von Information im Kontext von Umweltschutz und Umweltbewusstsein (vgl. ausführlicher Grunenberg/Kuckartz 2003). Aber: Wie oben bereits angesprochen, gilt die Einschätzung von Risiken als ein vor allem von Einstellungen und Wertvorstellungen bestimmtes Konstrukt. Die Wahrnehmung von Risiken und Gefahren wird also gerade nicht vorrangig von Wissen und rationalem Kalkül gesteuert. Soll heißen: Das Wissen um die schädlichen Folgen einer Gefahr beeinflusst angeblich nicht die Wahrnehmung davon, was sicherer oder schädlicher ist. Auf diesem Gebiet – stellt Wildavsky vor dem Hintergrund zahlreicher Untersuchungen resümierend fest – „versagt das Wissen immer“ (Wildavsky 1993, S. 193). Verfügt also jemand über ein umfängliches Wissen über die Ursachen und möglichen Folgen des Klimawandels, so finden sich keine eindeu-
Wahrnehmung von Umweltrisiken und Natur
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tigen Zusammenhänge dahingehend, dass diese Person ängstlicher oder auch gelassener ist als jemand, der darüber weit weniger weiß. Die amerikanische Kulturtheorie nimmt an, dass die Menschen bei der Einschätzung von Risiken auf allgemeine, in ihnen tief verwurzelte Vorstellungen von Natur zurückgreifen. Man kann auch von „Denkstilen“ sprechen, die sich über einen längeren Prozess in einer Kultur – und auch beim Einzelnen – herausbilden. Gerade beim Umgang mit Themen, die mit Unsicherheit behaftet sind, können solche fundamentalen, längerfristigen Orientierungen eher zum Tragen kommen und die Urteilsbildung prägen. Entwickelt wurde ein Konzept, das erklären soll, aus welchen Denkstilen heraus Menschen die Natur wahrnehmen und interpretieren (vgl. Thompson/Ellis/Wildavsky 1990). Unterschieden werden vier verschiedene Denkstile: Die „strapazierfähige Natur“, die „empfindliche Natur“, die „in Grenzen tolerante Natur“ und die „unberechenbare Natur“. 1
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Die „strapazierfähige Natur“ Im Grunde ist die Natur so eingerichtet, dass sie immer wieder ins Lot kommt. Gleichgültig was man macht, der Ball kehrt immer wieder in die Ausgangslage zurück. Die „empfindliche Natur“ Die Natur ist sehr empfindlich gegenüber jeder Art von Eingriff. Schon kleine Eingriffe können dazu führen, dass der Ball außer Kontrolle gerät. Die „in Grenzen tolerante Natur“ In gewissem Maße können Eingriffe in die Natur erfolgen. Erst wenn ein gewisser Punkt überschritten wird, gerät der Ball außer Kontrolle. Die „unberechenbare Natur“ Wenn man Eingriffe in die Natur vornimmt, weiß man nicht, ob das gute oder schlechte Folgen haben wird. Es ist nicht vorhersehbar, wie sich der Ball bewegen wird.
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Wie schon in den Vorgängerstudien hält die Hälfte der Befragten die Natur für in Grenzen belastbar. Eine recht auffällige Veränderung zeigt sich beim Anteil derjenigen, welche die Natur für unkalkulierbar oder unberechenbar halten. Fast ein Viertel der Bevölkerung denkt so. Der Anteil ist nun 5% größer als in der Umfrage 2002. Sind nun tatsächlich Zusammenhänge zwischen Risikowahrnehmung und Naturvorstellungen feststellbar? Die Antwort lautet ja und nein. So können wir in Bezug auf die Wahrnehmung des Klimawandels hochsignifikante Unterschiede feststellen. Eine Person, die der Meinung ist, die Natur sei gutmütig und käme immer wieder ins Lot, kommt weit unterdurchschnittlich zu der Annahme, dass die Klimaveränderung für sie selbst oder ihre Familie äußerst oder sehr gefährlich sei. Hingegen ist eine Person, die glaubt, die Natur vergibt nichts, überdurchschnittlich besorgt wegen möglicher persönlicher Konsequenzen des Klimawandels. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bezüglich der Überzeugung, dass die prognostizierte Klimaveränderung eintreten wird (vgl. Kapitel III.3.1). Hinsichtlich der Einschätzung des Gefahrenpotenzials der Atom- und Gentechnologie sowie der Luft- und Gewässerverschmutzung können wir diese Abweichungen zwischen Personen mit unterschiedlichen Naturvorstellungen jedoch nicht feststellen. Die Umwelteinstellungen der Bevölkerung sind in diesen Fällen weitaus bessere Prädiktoren für die Wahrnehmung von Umweltrisiken. Tabelle 5: Zustimmung zu den Naturbildern der „Cultural Theory“ (Zeitreihe) Erhebung Angaben in %
2004
2002
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Die Natur ist in Grenzen In gewissem Maße können Eingriffe in die Natur erfolgen. Erst wenn ein gewisser Punkt überschritten wird, gerät der belastbar. Ball außer Kontrolle.
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Die Natur vergibt nichts. Die Natur ist sehr empfindlich gegenüber jeder Art von Eingriff. Schon kleine Eingriffe können dazu führen, dass der Ball außer Kontrolle gerät.
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Die Natur ist in ihrem Verhalten nicht kalkulierbar.
Wenn man Eingriffe in die Natur vornimmt, weiss man 24 nicht, ob das gute oder schlechte Folgen haben wird. Es ist nicht vorhersehbar, wie sich der Ball bewegen wird.
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Die Natur ist gutmütig.
Im Grunde ist die Natur so eingerichtet, dass sie immer wieder ins Lot kommt. Gleichgültig was man macht, der Ball kehrt immer wieder in die Ausgangslage zurück.
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Frage: Ich zeige Ihnen jetzt eine Liste mit vier Bildern, die verschiedene Vorstellungen von der Natur ausdrücken. Die Natur ist dabei immer als Ball dargestellt. Bitte zeigen Sie mir von den vier Bildern das Bild, das Ihrer Vorstellung von der Natur am ehesten entspricht. Bitte lesen Sie sich auch die kurzen Erläuterungen neben den Bildern dazu durch.
Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität
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Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität
Generell ist die Erfassung des Umweltverhaltens in Befragungen – ob mündlich oder schriftlich – problembehaftet, denn man muss mit tendenziell mehr positiven bzw. „ökologischen korrekten“ Antworten – im Sinne sozialer Erwünschtheit – rechnen als dies in Wahrheit der Fall ist. Dies gilt insbesondere bei der Frage, inwieweit die Menschen bereit sind, höhere Preise für nachhaltige Produkte zu zahlen. Sehr hoch erscheint die Bereitschaft, mehr Geld für fair gehandelte Produkte auszugeben. Knapp die Hälfte ist dazu „eher bereit“ und immerhin 21% sind sogar „sehr bereit“. Von denjenigen, welche die Förderung eines verbesserten Umweltschutzes in Entwicklungsländern als „sehr wichtige“ Aufgabe beurteilen, zeigen sich 30% „sehr bereit“, mehr Geld für fair gehandelte Produkte zu zahlen. Vergleichsweise weniger, nämlich nur 10% sind „sehr bereit“, höhere Preise für ökologisch optimierte Produkte in Kauf zu nehmen. Die Zahlungsbereitschaft steigt erst ab einem Netto-Haushaltseinkommen von 3250 € und mehr auf ein überdurchschnittliches Niveau. In den anderen, darunter liegenden Einkommensklassen bewegt sich die Zahlungsbereitschaft erstaunlicherweise auf einem relativ ähnlichen Niveau. Im Grunde ist es bemerkenswert, dass die Zahlungsbereitschaft für Dritte-Welt-Waren insgesamt höher ist als für umweltfreundliche Produkte – auch bei den Besserverdienenden. Schließlich kommen weniger umweltbelastende Produkte, insbesondere Lebensmittel, zumeist auch der Gesundheit zugute. Offensichtlich spielt das Gerechtigkeitsempfinden an diesem Punkt aber eine größere Rolle als die Sorge um die eigene Gesundheit. In der Debatte um eine nachhaltige Entwicklung wird immer wieder darauf verwiesen, dass auch die ungebrochene Wachstums- und Konsumorientierung der Industriegesellschaften hinterfragt werden muss – vor allem hinsichtlich der hohen Nachfrage nach Gütern. Als Stichwort gilt hier die Strategie der Suffizienz. Sie richtet sich auf einen geringeren Verbrauch von Ressourcen durch eine Verringerung der Nachfrage nach Gütern – nicht aber nach Dienstleistungen (vgl. Linz 2004, S. 7; vgl. z.B. auch Scherhorn u.a. 1997). Die Bereitschaft Abstriche vom Lebensstandard zu machen ist sehr gering, denn nur 8% sind hierzu „sehr bereit“. Berücksichtigt man, dass das
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Antwortverhalten bei Fragen zur Verhaltensbereitschaft tendenziell eher beschönigend ausfällt, dürfte generell Skepsis angebracht sein. Denn es sind ja gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher und deren Ansprüche an Bequemlichkeit, Luxus und Genuss, welche die unter Umweltschutzgesichtspunkten problematischen Konsumstrukturen herbeigeführt haben. Insofern wäre es auch wenig förderlich, die Strategie der Suffizienz einseitig auf Konsumverzicht einzugrenzen (vgl. zur Kritik an solchen Zugängen Linz 2004, S. 10ff.). Es sollte vielmehr die Rede von so genannten „sozialen Innovationen“ sein, in denen gerade die „positiven“ Seiten alternativer Konsumstrukturen im Vordergrund stehen (vgl. auch UBA 2002, S. 17). Als Beispiele gelten etwa die Etablierung von Tauschringen und Tauschbörsen, die Entwicklung innovativer Dienstleistungskonzepte wie das „Carsharing“-Modell oder die gemeinsame Nutzung von Geräten und Maschinen im Rahmen von Miet- und Leasingverträgen. Die Akzeptanz derartiger sozialer Innovationen sollte zukünftig vermehrt Beachtung in der empirischen Forschung zu Umweltbewusstsein und Umweltverhalten finden – auch in sozialwissenschaftlichen Überblicksstudien wie der vorliegenden. 3.3.1 Alltagsverhalten Anfang der 1990er Jahre war es das Umweltzeichen „Blauer Engel“, an dem in erster Linie umweltfreundliche Erzeugnisse erkannt wurden. Inzwischen gibt es zahlreiche weitere und ergänzende Kennzeichen mit unterschiedlichen Schwerpunkten: für Lebensmittel aus kontrolliert ökologischem Anbau, verschiedene Konsumgüter und Dienstleistungen aus Industrie, Handel und Handwerk, für fair gehandelte Produkte, Holzprodukte aus sozial-ökologischer Waldbewirtschaftung und anderes mehr. Einer großen Mehrheit sind die Produktkennzeichen „Blauer Engel“ (83%) und „Bio-Siegel“ (74%) bekannt. Beide Kennzeichen beeinflussen offenbar auch den Kaufentscheid, denn jeweils die Hälfte gab zu Protokoll, beim Einkaufen auf das jeweilige Kennzeichen zu achten. Auf den Blauen Engel achten 52% der Frauen und 45% der Männer, auf das Bio-Siegel achten 54,5% der Frauen und 42% der Männer. Ökologisch erzeugte Lebensmittel gelten als teurer als konventionelle Lebensmittel. So erscheint es folgerichtig, dass das Haushaltseinkommen einen deutlichen Effekt auf den Kauf von Bio-Lebensmitteln hat. Ab einem Netto-Haushaltseinkommen von 2.750 Euro aufwärts steigt der Anteil der
Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität
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Befragten, die angeben, beim Einkaufen auf das Bio-Siegel zu achten, auf 61%. Zum Vergleich: Bei einem Netto-Haushaltseinkommen von 1750 bis unter 2250 Euro liegt dieser Anteil bei 39%. Umweltbewusste Verhaltensweisen gehören für viele zum Alltag. Die Antwortverteilung für ausgewählte Handlungsweisen zeigt, dass zwei Drittel der Befragten „immer“ oder „häufig“ Obst und Gemüse aus der Region kauft, eine Quote, die sich gegenüber der Umfrage 2002 kaum verändert hat. Weitaus weniger geläufig ist der direkte Kauf beim Bio-Bauern, der nur für eine Minderheit von 15% in Frage kommt. Ein Drittel der Befragten kauft „immer“ oder „häufig“ Lebensmittel, die mit dem Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen des ökologischen Anbaus gekennzeichnet sind. Insgesamt betrachtet ist die Häufigkeit des Kaufs von Bio-Produkten im Vergleich zu 2002 nicht gewachsen. Die Kaufbereitschaft in Bezug auf gentechnisch behandelte und hergestellte Lebensmittel ist gering Nur 6% zeigen sich hierzu bereit. Immerhin fast die Hälfte der Befragten (46%) gibt an, sie würden solche Lebensmittel grundsätzlich nicht kaufen. Die Quote der strikten Verweigerer ist gegenüber den Umfragen der Jahre 2002 und 2000 gewachsen. Darunter sind signifikant mehr Frauen (53%), Befragte mit kleineren Kindern unter sieben Jahren (52%) sowie religiöse Menschen (50%). Um ein zusammenfassendes Bild davon zu erhalten, wie es um das umweltorientierte Konsumverhalten der Bevölkerung bestellt ist, wurde ein additiver Index „Umweltverhalten Konsum“ aus folgenden sechs Items gebildet. x x x x x x
Beachtung von mindestens einem der folgenden Label beim Einkaufen: Bio-Siegel, Blauer Engel, Transfair-Siegel, FSC-Zeichen Benutzung wiederaufladbarer Batterien (immer oder häufig) Kauf von Lebensmitteln mit Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen des ökologischen Anbaus (immer oder häufig) Kauf von Obst und Gemüse aus der Region (immer oder häufig) Kauf beim Bio-Bauern (immer oder häufig) Trinken von Getränken aus Dosen (nie)
Im Befragtendurchschnitt liegt der Mittelwert des Index bei 2,8, das heißt im Durchschnitt praktizieren die Befragten knapp drei der sechs Verhaltensweisen.
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Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Insgesamt betrachtet kann immerhin ein Drittel der Befragten (35%) – im Sinne des konstruierten Index – als überdurchschnittlich umweltorientiert im alltäglichen Konsumverhalten bezeichnet werden, umgekehrt kann dies für zwei Drittel der Befragten nicht behauptet werden. Die typischen Hemmnisse nachhaltiger Kaufentscheidungen sind bekannt: Unter Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsgesichtspunkten optimierte Produkte sind häufig teurer. Ferner erfordert der Kauf solcher Produkte ein wiederholtes Abwägen, da eine klare Prioritätensetzung fehlt. Der Kauf gilt mithin als anstrengender. Zudem sind viele Produkte, z.B. mit den oben genanten Siegeln nicht überall erhältlich und letztlich ist auch die Vorteilhaftigkeit umweltentlastender Produkte nicht immer unmittelbar erkennbar (vgl. hierzu Spangenberg 2003, S. 129f.; Empacher u.a. 2002, S. 96ff.). 3.3.2 Verhalten im Energiebereich Der Verbrauch der privaten Haushalte macht einen beträchtlichen Anteil am gesamten Endenergieverbrauch in Deutschland aus. War 1950 im früheren Bundesgebiet noch die Industrie mit einem Anteil von rund 46% Hauptabnehmer von Endenergie und hatten die Haushalte und Kleinverbraucher einen Anteil von 37% am Endverbrauch, hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt (Statistisches Bundesamt 2004, S. 391f.). Der größere Brocken am Energieverbrauch der Haushalte entfällt auf Raumwärme. Ein nicht unbedeutender Teil geht aber auch zu Lasten des Betriebs von elektrischen Haushaltsgeräten und von Informations- und Unterhaltungselektronik. Während der Energieverbrauch in der Industrie durch technische Innovationen und sparsameren Einsatz von Ressourcen gesenkt werden konnte, sind die privaten Haushalte zunehmend technisiert worden: immer mehr Geräte in einer zunehmenden Anzahl von Haushalten mit immer weniger Personen. Die im Interesse des Klimaschutzes notwendige Reduzierung des Energieverbrauchs der privaten Haushalte hängt unter anderem von folgenden Faktoren ab: der technischen Entwicklung (zum Beispiel energieeffizientere Geräte) und der Bereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher, solche Geräte auch zu kaufen. Zudem sind Verhaltensänderungen, etwa im Umgang mit elektrischen Geräten, von großer Bedeutung. Schließlich spielt auch die Bereitschaft der privaten Haushalte, regenerative Energien zu unterstützen (zum Beispiel der Bezug von Öko-Strom) eine nicht zu unter-
Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität
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schätzende Rolle. Aus Sicht von Einzelnen lässt sich der nachhaltige Umgang mit Energie also auf drei Ebenen erreichen (vgl. UBA 2002, S. 24): x x x
Energiesparmaßnahmen ohne größere Investitionen Investitionen in Energiesparmaßnahmen Individuelle Unterstützung regenerativer Energien
Als wenig aufwändige Energiesparmaßnahmen ohne größere Investitionen, die – konsequent von den privaten Haushalten umgesetzt – eine beträchtliche Reduzierung des Energieverbrauchs bewirken würden, gelten die Reduzierung der Raumtemperatur, der Einsatz von Energiesparlampen und die Vermeidung von Leerlaufverlusten bei Informations- und Unterhaltungsgeräten. Die beiden erstgenannten Verhaltensweisen wurden in der Umfrage 2004 nicht thematisiert. So wurden die verhaltensbedingten Einsparpotenziale bei der Raumheizung zuletzt in der Umfrage 2000 erfragt. Dabei wurde deutlich, dass jeweils mehr als ein Drittel der Befragten im Winter längere Zeit die Fenster zum Lüften öffnet oder die Heizung auch dann nicht drosselt, wenn für mehr als vier Stunden die Wohnung verlassen wird. Beide Verhaltensweisen halten den Energieverbrauch auf einem hohen Niveau. Als hemmend erweist sich generell, dass eine Reduzierung der Raumtemperatur schnell als Komforteinbuße wahrgenommen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorteile eines niedrigeren Energieverbrauchs – nämlich die Einsparung von Heizkosten – auf Grund der bestehenden, häufig unübersichtlichen Form der Energieverbrauchsabrechnung nicht unmittelbar bzw. nur einmal im Jahr ersichtlich werden (vgl. Brohmann u.a. 2000, S. 106). Die Bereitschaft zur Verwendung energiesparender Beleuchtung wurde im Rahmen der Umfrage 2002 erfragt. Danach befand sich im Jahr 2002 in 72% aller Haushalte mindestens eine Energiesparlampe. Nur 28% gaben an, überhaupt keine solche zu besitzen. Von den Besitzenden hatten ein Drittel ein bis zwei Lampen, ein Drittel drei bis fünf Lampen und ein Drittel besaß mehr als fünf Exemplare im Haushalt. Immer wieder in der Diskussion ist der Stromverbrauch für den Standby-Betrieb von Informations- und Unterhaltungsgeräten. 42% der Befragten achten immer darauf, elektronische Geräte vollständig auszuschalten und nicht im Stand-by-Betrieb zu lassen. 26% praktizieren dies manchmal oder nie. Neben den durch Verhaltensänderungen im Alltag praktizierbaren Sparmaßnahmen stehen den privaten Haushalten – bedingt – noch weitere
38
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Möglichkeiten offen, ihren Energieverbrauch zu senken. Diese als groß geltenden Potenziale zur Energieeinsparung können durch Investitionen in einen verbesserten Wärmeschutz, die Sanierung von Heizungsanlagen oder durch den Kauf besonders energieeffizienter Haushaltsgeräte erschlossen werden (vgl. UBA 2002, S. 27f.). Der niedrige Energieverbrauch eines Haushaltsgerätes ist ein wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung. Im Zeitvergleich lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Werte feststellen. So geben mittlerweile 88% der Befragten an, bei der Anschaffung neuer Haushaltsgeräte auf einen niedrigen Energieverbrauch zu achten (vgl. UBA 2004, S. 80). Die Bereitschaft, energieeffiziente teurere Geräte zu kaufen, wenn sie sich amortisieren, ist sehr groß. Wir fragen nach folgender Alternative beim Neukauf eines Kühlschrankes: Gerät A kostet 329 Euro und verursacht einen jährlichen Stromverbrauch von ca. 35 Euro. Gerät B kostet 379 Euro und verbraucht pro Jahr 25 Euro. Beide Geräte sind von gleicher Größe und gleicher Qualität. Der Standpunkt der Befragten in dieser Sache ist eindeutig: Auch wenn ein im Energieverbrauch besonders sparsamer Kühlschrank durch höhere Anschaffungskosten zunächst teurer ist als ein herkömmlicher, entscheiden sich 82% für die energiesparende Variante. Dieses Ergebnis ist recht beachtlich, denn es dauert immerhin fünf Jahre, bis sich der Kauf des teureren Kühlschranks amortisiert hat. Weitaus geringer ist hingegen die Bereitschaft zum Bezug von ÖkoStrom. Sie ist sogar in den letzten Jahren leicht gesunken. Zwar beabsichtigen nun 9%, zukünftig Öko-Strom zu beziehen – 2002 waren es 8% – gleichzeitig wollen aber nur 38% vielleicht Öko-Strom beziehen. Diese Quote war in der Umfrage 2002 um 7% höher. Darüber hinaus ist sich nun exakt die Hälfte der Befragten sicher, dass sie keinen Öko-Strom beziehen werden. Fragt man nun nach den Gründen, warum man keinen Öko-Strom beziehen will oder noch unsicher ist, entpuppen sich als wesentliche Gründe ein Informationsdefizit (82%) sowie die Annahme, Öko-Strom sei zu teuer (74%). Das Gefühl, unzureichend über Öko-Strom informiert zu sein, findet sich übrigens in allen Bevölkerungsgruppen. Ob jung oder alt, Hauptschulabschluss oder Abitur, besser verdienend oder nicht, nennenswerte Unterschiede lassen sich nicht feststellen. Hingegen ist die Annahme, ÖkoStrom sei zu teuer, eher bei Personen mit niedrigeren Schulabschlüssen und geringerem Einkommen verbreitet.
Persönliches Umweltverhalten in drei Handlungsfeldern: Konsum, Energie, Mobilität
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Eine andere Form der individuellen Unterstützung und Förderung regenerativer Energien stellt die Investition in Ökofonds dar. So wurde etwa der in den letzten Jahren vorangetriebene Ausbau der Windenergie vor allem durch privates Engagement und Kapital ermöglicht (vgl. Umweltbundesamt 2002, S. 30). Im Vergleich zu 2002 ist der Bekanntheitsgrad von Geldanlageformen, die ökologische Kriterien berücksichtigen höher. Es sind allerdings nicht mehr Besitzerinnen und Besitzer von Ökofonds hinzugekommen. Ferner erklärt ein knappes Viertel der Befragten, dass eine solche Form der Geldanlage für sie nicht in Frage käme, das sind 6% mehr als im Jahr 2002. 3.3.3 Mobilität in Alltag und Freizeit Mobilität ist für unser Leben von fundamentaler Bedeutung, für viele gehört das „Unterwegssein“ zum Lebensprinzip – bevorzugt mit dem Auto. Das Auto ist Symbol für Freiheit, Wohlstand und Prestige und dabei gilt: je größer, schwerer und schneller, desto besser. Doch die Mobilität und der damit verbundene Verkehr hat auch Kehrseiten: Schadstoffausstoß, Lärm, die Zerschneidung von Biotopen und eine Verschlechterung der Lebensqualität in den Städten. Nach wie vor stellen Straßenverkehrslärm und Autoabgase die beiden Hauptfaktoren für die Belästigung der Bevölkerung dar. Bundesweit fühlt sich dadurch sogar jede zehnte Person „äußerst“ oder „stark gestört“. In Großstädten über 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist diese Quote noch höher.3 Das Auto baut seinen Vorsprung als meist genutztes Verkehrsmittel im Nahverkehr weiter aus. Waren es in der vorigen Untersuchung 38%, die angaben, das Auto „sehr häufig“ im Nahverkehr zu nutzen, so sind es nun 45% der Befragten. Aber auch bei der Nutzung des Öffentlichen PersonenNahverkehrs (ÖPNV) ist ein Mobilitätszuwachs zu verzeichnen: 18% geben an, den ÖPNV „sehr häufig“ zu nutzen, im Jahr 2002 waren es 14%. Die Mobilität nimmt also insgesamt weiter zu. Mit zunehmender Stadtgröße wird der ÖPNV häufiger genutzt. Einen großen Anteil am Gesamtverkehr hat: die Freizeitmobilität (vgl. z.B. Götz u.a. 2003; Lanzendorf 2000; Opaschowski 1999; Scholl/Sydow
3 Siehe Kapitel II.3.
40
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
2002). Freizeitverkehr wird in der Verkehrsforschung üblicherweise als „Restgröße des Verkehrsaufkommens bzw. des Verkehrsaufwands definiert, nachdem die anderen Verkehrszwecke – Berufs- und Ausbildungsverkehr, Geschäfts- und Dienstreiseverkehr sowie Einkaufsverkehr – abgegrenzt wurden“ (Götz u.a. 2003, S. 16). Den Freizeitverkehr macht also eine große Bandbreite unterschiedlicher Wegezwecke aus: Ausflüge, Kurzund Urlaubsreisen, Wege zu Treffen mit Freunden, Bekannten und Verwandten, Wege zu sportlichen Aktivitäten, zum Kino, Theater u.a. Bei Tagesausflügen ist das Auto unangefochten die Nummer eins als Fortbewegungsmittel. Zwei Drittel der Befragten haben es bei ihrem letzten Tagesausflug benutzt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle folgt der Bus (11%). Andere Alternativen zur Fortbewegung (Fahrrad, Motorrad, Bahn, ÖPNV, zu Fuß) liegen alle im einstelligen Prozentbereich und scheinen für Tagesausflügler somit wenig attraktiv zu sein. Wochenend- und Kurzreisen liegen im Trend und machen einen großen Anteil der Freizeitmobilität aus. Der „kleine Urlaub“ zwischendurch gilt für viele Deutsche als willkommene Abwechslung vom Alltag – sowohl im Westen als auch im Osten. So haben 59% der Befragten im letzten Jahr eine Kurzreise unternommen, davon 30% sogar mehrmals. Mit steigendem Haushaltseinkommen nimmt die Häufigkeit von Kurzreisen zu. Zu den größten Fans von Kurzreisen gehören junge Paare ohne Kinder sowie Paare im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Bei Kurzreisen (zwei bis vier Tage) ist der Anteil der Autofahrerinnen und Autofahrer und im Vergleich zu dem bei Tagesausflügen und Urlaubsreisen (mindestens fünf Tage) am größten. 70% der Befragten haben bei ihrer letzten Kurzreise das Auto benutzt. Die Bahn folgt hier zwar an zweiter Stelle, der Abstand zum Auto ist jedoch groß: Nur 12% der Befragten sind bei ihrer letzten Kurzreise mit der Bahn gefahren. Ältere Befragte fahren wie schon beim Tagesausflug deutlich öfter als der Durchschnitt mit dem Bus. Hier sind neben ökonomischen oft soziale Gesichtspunkte ausschlaggebend für die Wahl des Verkehrsmittels, zum Beispiel Sicherheitsund Geselligkeitsbedürfnisse (vgl. hierzu Opaschowski 1999, S. 66f.). 62% der Befragten haben im vergangenen Jahr eine Urlaubsreise unternommen, davon 17% sogar mehrmals. Befragte aus finanziell sehr gut gestellten Haushalten mit einem Netto-Einkommen von 3250 € und mehr sind deutlich überrepräsentiert: Ferner zeigt sich, dass Befragte aus Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern häufiger
41
Pioniere der Nachhaltigkeit: die Umweltengagierten
als der Durchschnitt mehrmals im Jahr Erholung suchen. Das Auto steht hier ebenfalls an erster Stelle der genutzten Verkehrsmittel, ein Drittel hat jedoch auch das Flugzeug genutzt, um das Ziel der Urlaubsreise zu erreichen. Der Anteil der Bus- und Bahnnutzenden liegt jeweils im einstelligen Bereich und stellt für viele offensichtlich keine Alternative zu Auto und Flugzeug dar. 3.4
Pioniere der Nachhaltigkeit: die Umweltengagierten
Gibt es eine Gruppe, die der Idee der Nachhaltigkeit stärker verbunden ist als der Durchschnitt der Bevölkerung? Um eine solche Gruppe von Personen zu identifizieren, wurden folgende Indikatoren in ihrer Alltagspraxisausgewählt: Tabelle 6: Indikatorvariablen zur Bildung der Gruppe der Umweltengagierten Indikator-Variable
Relevante Ausprägung
Umweltschutz als derzeit wichtigstes Problem in Deutschland genannt
offene Frage
Mitgliedschaft in einer Umwelt- oder Naturschutzorganisation
Mitglied
Geldspende für eine Umwelt- oder Naturschutzgruppe im letzten Jahr
ja, einmal ja, mehrmals
Hohe Zahlungsbereitschaft für einen verbesserten Umweltschutz
„sehr bereit“ mehr zu zahlen für Öko-Produkte, fair gehandelte Produkte oder Steuern oder Abstriche vom Lebensstandard hinzunehmen
Erklärte Ko-Verantwortlichkeit für Umweltschutz (Statement: „Es ist nicht schwierig für den Einzelnen etwas für die Umwelt zu tun!“)
stimme voll und ganz zu
Kenntnis des Begriffs Nachhaltige Entwicklung
Nachhaltige Entwicklung bekannt
Aktives Engagement in Umwelt- oder Naturschutzgruppe
mache ich bereits
Besitz von Ökofonds
habe bereits eine solche Geldanlage
Transparenz von Geldanlagen hinsichtlich der Berücksichtigung von Umweltaspekten gefordert
sehr wichtig
Bezug von Öko-Strom
beziehe bereits Öko-Strom
Kauf von Lebensmitteln mit Bio-Siegel
immer häufig
Ein homo oecologicus, der alle 11 Kriterien erfüllt, ist so gut wie nicht existent. Für Umweltverhalten ist seit längerem eine gewisse Heterogenität diagnostiziert worden, d.h. wer sich zum Umweltschutz bekennt, dessen persönliche Umweltbilanz muss nicht durchgängig positiv ausfallen: Eine Person
42
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
mag zwar beispielsweise regelmäßig Bio-Lebensmittel kaufen und ÖkoStrom beziehen, aber eher nicht bereit sein, für den Umweltschutz Abstriche vom Lebensstandard zu machen oder sich aktiv in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe zu engagieren. Für die Gruppenbildung haben wir die Grenze so gezogen, dass mindestens drei der 11 Kriterien erfüllt sein müssen. Auf diese Weise wird eine Gruppe von besonders engagierten Personen gebildet, die 18,9% der Stichprobe (= 381 Personen) umfasst. Diese Gruppe bezeichnen wir als Umweltengagierte. Unter den Jüngsten bis 24 Jahre und den Ältesten ab 70 Jahren sind die Umweltengagierten deutlich unterrepräsentiert, unter den 40- bis 49-Jährigen sowie den 60- bis 69-Jährigen überdurchschnittlich häufig vertreten. Größere Differenzen zeigen sich hinsichtlich der Schulbildung: Mehr als die Hälfte der Umweltengagierten (56%) hat einen höheren Schulabschluss (Fachhochschulreife, Abitur, Fachhochschul-/Hochschulabschluss). Bei den anderen Befragten trifft dies auf 26% zu. Die Umweltengagierten wohnen etwas häufiger als die übrigen Befragten in Großstädten über 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, ihr Anteil in den alten Bundesländern ist doppelt so hoch wie in den neuen Ländern. Die Umweltengagierten sind alles andere als eine Gruppe von Benachteiligten: Ein gutes Drittel von ihnen verfügt über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss (übrige Befragte: 11%). Ferner sind sie unter leitenden Angestellten, freiberuflichen Personen und Angestellten im gehobenen oder höheren Dienst des öffentlichen Dienstes überrepräsentiert. Sie beziehen mithin auch überdurchschnittlich hohe Einkommen und wohnen häufiger in sehr guten Wohngegenden sowie in ruhigen Wohnstraßen. Die Umweltengagierten bezeichnen sich häufiger als der Durchschnitt als religiöse Menschen. Ferner neigen sie in ihren Wertorientierungen stark zu postmaterialistischen Werten: So stehen bei ihnen Eigeninitiative, Solidarität, Kreativität und Toleranz signifikant höher im Kurs. In Bezug auf traditionelle Werte, wie zum Beispiel Disziplin, Pflichtbewusstsein, Fleiß, Heimatverbundenheit, Leistungsbewusstsein oder Höflichkeit unterscheiden sie sich nicht von den anderen Befragten. Lediglich der Wert der Sparsamkeit kommt bei ihnen signifikant schlechter weg. Unter den zu Lebensgenuss/Hedonismus zählenden Wertorientierungen ist den Umweltengagierten die Selbstverwirklichung besonders wichtig, während Besitz und Eigentum als signifikant weniger bedeutsam gelten. Folglich ist es auch wenig
Pioniere der Nachhaltigkeit: die Umweltengagierten
43
erstaunlich, dass bei der Frage, was ihnen wichtiger wäre, „mehr Einkommen“ oder „mehr Freizeit“, 51% „mehr Freizeit“ antworten. Zum Vergleich: Bei den anderen sind es nur 23%, die sich für mehr Freizeit statt für mehr Geld entscheiden würden. 72% der Umweltengagierten halten den Umweltschutz im Vergleich mit anderen politischen Aufgabenbereichen für „sehr wichtig“, im Bevölkerungsdurchschnitt sind es 45%. Die Pro-Umwelteinstellungen der Umweltengagierten heben sich hochsignifikant positiv von der Mehrheit ab. Lediglich bezüglich eines Statements unterscheiden sie sich nicht von den anderen Befragten, nämlich bei der Aussage „Das meiste, was Wissenschaft und Technik hervorgebracht haben, schadet der Umwelt.“ Diese Einschätzung teilen auch die Umweltengagierten eher nicht, sie sind in diesem Punkt sogar leicht kritischer als die Mehrheit. Die Zustimmung zu den Prinzipien der Nachhaltigkeit fällt bei den Umweltengagierten noch überwältigender aus als beim Rest der Bevölkerung (nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können: 92% versus 80%; Generationen-Gerechtigkeit: 95% versus 86%; fairer Handel: 93% versus 81%). Vom Begriff „nachhaltige Entwicklung“ haben 58% der Umweltengagierten schon einmal gehört, bei den anderen Befragten sind es 13%. Immerhin kann aber auch ein Drittel der Umweltengagierten (32%) nichts mit dem Begriff anfangen und 10% sind sich nicht sicher. Allerdings bringt auch nur gut die Hälfte der Umweltengagierten, die vom Begriff der nachhaltigen Entwicklung schon gehört haben, damit tatsächlich Themen in Verbindung, die sich direkt auf den Nachhaltigkeitsdiskurs beziehen. Ein gutes Drittel beschränkt sich auf die Erläuterung von Synonymen und jede zehnte Person hat keine konkrete Vorstellung, was hinter dem Begriff eigentlich steht. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich die Umweltengagierten als eine in vielfacher Hinsicht für Umweltprobleme stark sensibilisierte Gruppe darstellen. Sie bestehen nach wie vor auf einem engagierten staatlichen Handeln, zeigen aber auch eine große Bereitschaft bei sich selbst anzufangen. Dies zeigt sich zum Beispiel in einer deutlich stärkeren ökologischen Orientierung beim Konsum als bei der Mehrheit. So liegt etwa der Anteil der regelmäßigen Käufer von Bio-Lebensmitteln bei den Umweltengagierten bei 81%. Die anderen Umweltkennzeichen für Produkte werden von ihnen ebenfalls deutlich stärker beachtet. Wie sich die Umweltengagierten zu ande-
44
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
ren Fragen äußern, wird in den folgenden Kapiteln immer wieder zur Sprache kommen. 3.5
Vom Umweltbewusstsein zum Umweltverhalten? Gleichklänge und Missklänge
82% der Menschen sind der Meinung, dass wir nicht mehr Ressourcen verbrauchen dürfen als nachwachsen können, und doch unterstützen nur 3% eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Ressourcen bzw. Energien, indem sie Öko-Strom beziehen. Dies ist nur ein Beispiel für das vielfach untersuchte Dilemma: Die Deutschen haben ein hohes Umweltbewusstsein, doch handeln sie häufig nicht danach (vgl. als Überblick Diekmann/Preisendörfer 2001, S. 114ff.). Die Betonung liegt auf „häufig“. Denn viel interessanter erscheint die Frage, in welchen Situationen ein hohes Umweltbewusstsein doch einen Effekt auf umweltschonendes Verhalten hat. Soll heißen: Inwieweit zahlen sich die Anstrengungen aus Politik und Nicht-Regierungsorganisationen, durch Umweltaufklärung und Umweltbildung das alltägliche Verhalten der Bevölkerung in Richtung verstärkter ökologischer Orientierungen zu beeinflussen, aus? Wo liegt auch heute noch ein möglicherweise nicht ausgeschöpftes Potenzial für Bewusstseinsbildung und wo sind offensichtlich andere Herangehensweisen erforderlich? In welchen der in dieser Studie thematisierten Verhaltensbereichen (Konsum, Energie, Verkehr) hat ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein also einen positiven Effekt in Hinblick auf ein umweltschonenderes Verhalten und wo nicht? Diesen Gleichklängen und Missklängen zwischen Bewusstsein und Verhalten wird im Folgenden nachgegangen. Beginnen wir mit dem Verhalten im Handlungsfeld Konsum im Alltag. Bio-Siegel und Blauer Engel haben einen hohen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung: 74% kennen das Bio-Siegel, 83% den Blauen Engel. Ferner gibt jeweils die Hälfte dieser Befragten an, beim Einkauf auch tatsächlich auf die Siegel zu achten. Dabei zeigt sich, dass ein hohes Umweltbewusstsein ein starker Einflussfaktor ist. Die Befragten, die angeben, beim Einkaufen auf das Bio-Siegel oder den Blauen Engel zu achten, weisen deutlich höhere Werte bei den Pro-Umwelteinstellungen auf. Auch für weitere umweltorientierte Konsumhandlungen im Alltag liefern Mittelwertvergleiche mit dem Umweltbewusstsein hochsignifikante
Vom Umweltbewusstsein zum Umweltverhalten? Gleichklänge und Missklänge
45
Ergebnisse. Das gilt z.B. für den regelmäßigen Einkauf bei Bio-Bauern. Nicht ganz so stark ausgeprägt – aber immer noch signifikant – sind die Unterschiede im Umweltbewusstsein in Bezug auf die Verhaltensweisen „Kauf von wiederaufladbaren Batterien (Akkus)“, „Kauf von Getränken aus Dosen“ und „Kauf von Obst und Gemüse aus der Region“. Verglichen mit dem Handlungsfeld Konsum im Alltag nimmt sich der Einfluss des Umweltbewusstseins auf umweltschonendes Verhalten im Handlungsfeld Energie insgesamt etwas bescheidener. Aber auch hier erbringen Mittelwertvergleiche hinsichtlich der Ausprägung des Umweltbewusstseins hochsignifikante Ergebnisse. Wer die Frage, ob man beim Kauf von Haushaltsgeräten auf den Energieverbrauch achtet, dezidiert mit „ja“ beantwortet, weist auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen einen höheren Wert auf. Auch bei der hypothetischen Frage, welchen Kühlschrank man im Bedarfsfall kaufen würde, den günstigeren mit höherem Energieverbrauch (Kühlschrank A) oder den teureren mit geringerem Energieverbrauch (Kühlschrank B), hat das Umweltbewusstsein einen Einfluss. Das gilt ebenso für den Bezug von Öko-Strom – und auch die Bereitschaft dazu. Noch stärker ist die Differenz hinsichtlich der Frage, ob man Ökofonds besitzt oder Interesse daran hat. Zwischen den Befragten, die eine solche Geldanlage attraktiv finden und den übrigen Befragten findet man eine bemerkenswerte Differenz von 5,8 Punkten auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen. In Bezug auf die Verkehrsmittelnutzung sind die Zusammenhänge mit dem Umweltbewusstsein weit schwächer (vgl. auch Preisendörfer 1999, S. 70). So ist beispielsweise zwischen einem Befragten, der angibt, das Auto „häufig“ im Nahverkehr zu nutzen, und einem Befragten, der dies „nie“ praktiziert, kein Unterschied hinsichtlich der Ausprägung des Umweltbewusstseins feststellbar. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das Verhalten im Handlungsfeld Konsum im Alltag noch die stärksten Zusammenhänge mit dem Umweltbewusstsein aufweist. Die Korrelationen, etwa zwischen der Skala „Umweltverhalten Konsum“ (siehe Kapitel I.3.3) und der Skala der Pro-Umwelteinstellungen sind allerdings nicht sonderlich hoch (r = 0,31). Am deutlichsten sind diese Zusammenhänge mit dem allgemeinen Umweltbewusstsein bei folgenden Verhaltensweisen:
46
Umweltbewusstsein und Umweltverhalten heute: Ein Überblick
Regelmäßiger Kauf von Lebensmitteln mit Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen des ökologischen Anbaus („immer“ oder „häufig“) x Regelmäßiger Einkauf beim Bio-Bauern („immer“ oder „häufig“) x Konsequenter Kauf von wiederaufladbaren Batterien („immer“), von Obst und Gemüse aus der Region („immer“) sowie völliger Verzicht auf Getränke in Dosen („nie“) x Bezug von Öko-Strom oder die feste Absicht, Öko-Strom zu beziehen x
Die Motive derer, die sich vor allem beim Lebensmittelkonsum umweltbewusst verhalten, dürften in erster Linie in einem gestiegenen Gesundheitsund Qualitätsbewusstsein begründet sein. Gerade in Bezug auf die Produktqualität werden vermutlich noch am wahrscheinlichsten kurzfristige positiv wirkende Verhaltensanreize wahrgenommen, denn Bio-Lebensmittel gelten als gesünder und schmackhafter. In Anlehnung an Preisendörfer (vgl. 1999, S. 97ff.) haben wir versucht, verschiedene Umwelttypen im Spannungsfeld von Umweltbewusstsein und -verhalten zu ermitteln.4 Die Konstruktion dieser Umwelttypen erfolgt auf der Basis der Skala der Pro-Umwelteinstellungen (siehe Kapitel I.3.1) sowie einer eigens gebildeten Skala zum Umweltverhalten mit insgesamt 17 verschiedenen Items, die wie folgt dichotomisiert wurden5: 1.
Beachtung Produkt-Siegel; neu gebildetes Item, das sich aus den vier Einzelitems zur Beachtung von Produkt-Siegeln zusammensetzt
mindestens eines der Produktsiegel beim Kauf beachtet = 1
2.
Häufigkeit: benutze Akkus
immer, häufig = 1
3.
Häufigkeit: kaufe Lebensmittel mit Bio-Siegel
immer, häufig = 1
4.
Häufigkeit: trinke Getränke aus Dosen
nie = 1
5.
Häufigkeit: kaufe Obst und Gemüse aus der Region
immer, häufig = 1
6.
Häufigkeit: kaufe direkt beim Bio-Bauern
immer, häufig = 1
4 Ein große Zahl der Verhaltensitems, die Preisendörfer für die Konstruktion der Umwelttypologie verwendet hat (z.B. aus dem Bereich Müll/Recycling; Energie-, Wassersparen) ist nicht mehr Bestandteil der Untersuchung. Auch unterscheidet sich unsere Skala der Pro-Umwelteinstellungen in einigen Punkten von der Preisendörfer-Skala zum allgemeinen Umweltbewusstsein. Unsere Ergebnisse zur Verteilung der Umwelttypen lassen sich deshalb nicht unmittelbar mit den Ergebnissen von Preisendörfer vergleichen. 5 Skalenreliabilität (Cronbachs Alpha): .64.
Vom Umweltbewusstsein zum Umweltverhalten? Gleichklänge und Missklänge 7.
Bereitschaft zum Kauf von gentechnischen Lebensmitteln
überhaupt nicht = 1
8.
Beachtung: Energieverbrauch von Haushaltsgeräten
ja = 1
9.
Bevorzugter Kühlschrank
Kühlschrank B = 1
47
10. Häufigkeit: vollständiges Ausschalten elektronischer Geräte
immer = 1
11. Nutzung Auto_Nahverkehr
selten, nie = 1
12. Nutzung ÖPNV_Nahverkehr
sehr häufig, häufig = 1
13. Nutzung Fahrrad_Nahverkehr
sehr häufig, häufig = 1
14. Genutztes Verkehrsmittel bei letztem Tagesausflug
Bus, Fahrrad, Bahn, öffentlicher Nahverkehr, zu Fuß =1
15. Spenden für Umweltschutz im letzten Jahr
ja einmal, ja mehrmals = 1
16. Bezug von Öko-Strom
ich beziehe bereits Öko-Strom, ich beabsichtige Öko-Strom zu beziehen = 1
17. Ökofonds als Geldanlage
habe bereits eine solche Geldanlage, eine solche Form der Geldanlage ist für mich attraktiv = 1
Die Skalen zu den Pro-Umwelteinstellungen und zum Umweltverhalten wurden am Median geteilt, sodass sich für beide Skalen jeweils eine Gruppe mit niedrigen und eine Gruppe mit hohen Skalenwerten ergibt. Kombiniert man diese beiden Skalen, so ergibt sich eine Vierfeldertabelle (vgl. zu diesem Vorgehen auch Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 71). Dementsprechend lassen sich vier verschiedene Umwelttypen rekonstruieren, die auch in den folgenden, differenzierenden Analysen teilweise wieder herangezogen werden (siehe z.B. Kapitel I.5.3 und I.5.4): 1. Umweltignoranten (Anteil 29,7%) sind Personen, die sich nur wenig umweltgerecht verhalten und unterdurchschnittliche Pro-Umwelteinstellungen aufweisen. 2. Umweltrhetoriker (Anteil 20,8%) zeichnen sich durch mittlere bis hohe Werte beim Umweltbewusstsein und klar unterdurchschnittliche Werte auf der Verhaltensebene aus. 3. Einstellungsungebundene Umweltschützer (Anteil 17,9%) weisen überdurchschnittliche Werte beim Umweltverhalten und unterdurchschnittliche bei den Einstellungen auf, d.h. sie verhalten sich umweltgerecht, besitzen aber nicht das dazu passende Bewusstsein. 4. Konsequente Umweltschützer (Anteil 31,6%) weisen sowohl hinsichtlich ihrer Einstellungen als auch ihrer Verhaltensweisen Spitzenwerte auf.
48
4
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Inwieweit ist die Ausprägung des Umweltbewusstseins und das persönliche Umweltverhalten durch unterschiedliche Lebensumstände beeinflusst? Der sozialen Basis von Umweltbewusstsein und Umweltverhalten wurde von Seiten der Umweltaufklärung und Umweltbildung immer schon große Aufmerksamkeit entgegengebracht. Schließlich hofft man darüber Hinweise zu finden, welche Bevölkerungsgruppen besonders ansprechbar für ökologische Orientierungen sind oder in welchen Bereichen die Umweltkommunikation möglicherweise intensiviert werden muss, und zwar ausgerichtet auf die real vorhandenen Verhaltensmuster sowie die jeweiligen Lebensbedingungen. Vielfach untersucht in ihrem Einfluss auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten sind beispielsweise das Alter, das Geschlecht, der Grad der Schulbildung, Beruf, Einkommen und die politische Orientierung (vgl. Diekmann/Preisendörfer 2001, S. 110; Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 54ff.; Empacher u.a. 2001; Preisendörfer 1999, S. 138ff.). So gelten etwa Frauen als stärker sensibilisiert für Umweltfragen. Auch der Bildungsgrad, das Alter und die politische Orientierung haben sich immer wieder als signifikante Einflussfaktoren für die Einstellungen zum Umweltschutz erwiesen. In Hinblick auf den Einfluss des Alters hat es in den letzten 10 Jahren Veränderungen gegeben. Galt bis Mitte der 1990er Jahre mehr oder weniger der Grundsatz: Je jünger, desto umweltbewusster, sind es heute eher die mittleren Generationen, welche die stärkste Betroffenheit in Sachen Umwelt zeigen. Salopp könne man sagen: Die Umweltbewussten von damals sind einfach nur älter geworden. In den vorangehenden Kapiteln kam der Einfluss sozialstruktureller Merkmale wie Alter, Bildung, Geschlecht und Einkommen bereits punktuell zur Sprache. Um auffällige Unterschiede nochmals prägnant und gebündelt herauszustellen, wird im Folgenden der Einfluss folgender Merkmale auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten gesondert betrachtet: Alter, Bildung, Einkommen (Kapitel I.4.1), Lebensphasen (Kapitel I.4.2), Ge-
49
Alter, Bildung, Einkommen
schlecht (Kapitel I.4.3) und Wertorientierungen (Kapitel I.4.5). Auf Grund der oben angedeuteten Veränderungen wird ferner der Altersgruppe der jungen Erwachsenen ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel I.4.4). 4.1
Alter, Bildung, Einkommen
4.1.1 Alterseffekte Für die folgenden Analysen wurden acht Altersgruppen gebildet, die sich wie folgt auf die Stichprobe verteilen: Tabelle 7: Prozentanteile der gebildeten Altersgruppen in der Gesamtpopulation Erhebung 2004
Angaben in %
unter 20 Jahren
1,9
20 bis 24 Jahre
6,0
25 bis 29 Jahre
7,7
30 bis 39 Jahre
19,5
40 bis 49 Jahre
18,0
50 bis 59 Jahre
15,7
60 bis 69 Jahre
16,2
70 Jahre und älter
15,1
Schlüsselt man die vier Skalen der Pro-Umweltschutz-Einstellungen nach Alter auf, so zeigen sich für die Gesamtskala der Pro-Umwelteinstellungen sowie für die Subskalen des Nachhaltigkeitsbewusstseins und der Entdramatisierung signifikante Unterschiede – nicht jedoch für die Subskala des Umweltkrisenbewusstseins. Betrachtet man die altersgruppenspezifischen Verteilungen der Skalenmittelwerte der Pro-Umwelteinstellungen, des Nachhaltigkeitsbewusstseins und der Entdramatisierung in der folgenden Abbildung 2 kann man also feststellen: Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind insgesamt nicht überwältigend. Lediglich die Altersgruppen der 18- und 19-Jährigen sowie der 20- bis 24-Jährigen weisen auf den drei Skalen ungefähr um ein bis maximal zwei Punkte niedrigere Werte als der jeweilige Durchschnittsmittelwert der Skalen auf.
50
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Abbildung 2: Mittelwerte auf den Umwelteinstellungsskalen in Abhängigkeit vom Alter 44,5
21,8 21,7
44
21,6 43,5 21,5 43
21,4
42,5
21,3 21,2
42
21,1 41,5 21 41
20,9
40,5
20,8 unter 20 Jahren
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 bis 39 Jahre
40 bis 49 Jahre
50 bis 59 Jahre
60 bis 69 Jahre
älter als 70 Jahre
a) Gesamtskala Pro-Umwelteinstellungen
unter 20 Jahren
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 bis 39 Jahre
40 bis 49 Jahre
50 bis 59 Jahre
60 bis 69 Jahre
älter als 70 Jahre
40 bis 49 Jahre
50 bis 59 Jahre
60 bis 69 Jahre
älter als 70 Jahre
b) Umweltkrisenbewusstsein
13,2
10 9,9
13
9,8 12,8 9,7 12,6
9,6
12,4
9,5 9,4
12,2
9,3 12 9,2 11,8
9,1
11,6
9 unter 20 Jahren
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 bis 39 Jahre
c) Nachhaltigkeitsbewusstsein
40 bis 49 Jahre
50 bis 59 Jahre
60 bis 69 Jahre
älter als 70 Jahre
unter 20 Jahren
20 bis 24 Jahre
25 bis 29 Jahre
30 bis 39 Jahre
d) Entdramatisierung
Signifikante Altersunterschiede sind beim Nachhaltigkeitsbewusstsein sowie hinsichtlich der Einstellung zur Entdramatisierung festzustellen. Bezüglich des Nachhaltigkeitsbewusstseins können wir ab einem Alter von 30 Jahren bis zu den Ältesten eine relativ gleichmäßige Verteilung erkennen. Unter 30 Jahren sind die Werte wieder unterdurchschnittlich. Eine umgekehrt Uförmige Verteilung der Skalenmittelwerte zeigt sich bei der Haltung zur Entdramatisierung: Am wenigsten zur Entdramatisierungstendenz neigen danach die Befragten zwischen 25 und 60 Jahren. Im persönlichen Umweltverhalten lassen sich folgende alterspezifische Unterschiede finden: x
Beim Bio-Siegel kann man feststellen, dass ab einem Alter von 30 Jahren der Anteil derjenigen, die beim Einkaufen darauf achten, gleichmäßig auf die verschiedenen Altersgruppen verteilt ist, einschließlich der Älteren über 60 Jahren. Unter 30 Jahren liegt dieser Anteil deutlich unter dem Durchschnitt von 49%.
Alter, Bildung, Einkommen x
x x x x
x
x
51
Ähnlich verhält es sich beim „Blauen Engel“. Weiterhin ist hier auffällig, dass der größte Anteil der Käufer unter den 60- bis 69-Jährigen zu finden ist. Für Getränke aus Dosen gilt: Je jünger, desto häufiger werden Getränke aus Dosen getrunken. Umgekehrt ist es beim Kauf von Obst und Gemüse aus der Region: Je älter, desto häufiger wird dies gekauft. Am häufigsten kaufen die 50- bis 59-Jährigen beim Bio-Bauern ein. Im Energiebereich zeigen sich insbesondere bei einfachen Energiesparmaßnahmen ohne größere Investitionen (z.B. vollständiges Abschalten von elektronischen Geräten), aber auch bei der Bereitschaft zur Investition in Energiesparmaßnahmen (z.B. Kauf besonders energieeffizienter Haushaltsgeräte) deutliche Altersunterschiede. Die Bereitschaft, Energie zu sparen ist vor allem eine Domäne der älteren Befragten. Entgegengesetzt verhält es sich mit dem Einfluss des Alters auf den Bezug von Öko-Strom hat. So ist das Interesse am Bezug von Öko-Strom bei Befragten unter 50 Jahren deutlich größer, insbesondere auch unter den jüngeren Befragten zwischen 18 und 29 Jahren. Im Mobilitätsverhalten zeigt sich, dass die notorischen Autofahrer im Nahverkehr in erster Linie unter den 30- bis 60-Jährigen auszumachen sind. Zu den Personen, die den ÖPNV am treuesten nutzen zählen hingegen die 18- bis 29-Jährigen. Das Fahrrad wird am häufigsten von den Jüngsten und am seltensten von den Ältesten genutzt. Altersspezifische Unterschiede im Mobilitätsverhalten in der Freizeit betreffen Tagesausflüge und Kurzreisen. Das Auto wird von den 25bis 59-Jährigen hierbei am häufigsten genutzt. Umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie Bus, Bahn und ÖPNV kommen hingegen überdurchschnittlich häufig bei den 18- bis 24-Jährigen zum Zuge. Bei den über 60-Jährigen ist ferner der Bus überdurchschnittlich beliebt.
4.1.2 Bildungseffekte Im Folgenden werden drei Stufen von Bildung unterschieden: 1. niedrigere Bildung (Volks- und Hauptschule, polytechnische Schule 8 und 9),
52
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
2. mittlere Bildung (mittlere Reife, Realschule, polytechnische Schule, 3. höhere Bildung (FH Reife, Abitur, FH Abschluss, Universität), Je höher das Niveau der Schulbildung, desto stärker ist auch das allgemeine Umweltbewusstsein ausgeprägt. Mit steigender Schulbildung können wir ebenfalls höhere Zustimmungsquoten zu den Prinzipien der Nachhaltigkeit feststellen. Noch stärker ist der Einfluss der Bildung bei der Einstellung zur Entdramatisierung. Als nicht signifikanter Einflussfaktor erweist sich das Bildungsniveau in Hinblick auf die Subskala des Umweltkrisenbewusstseins. Welche Zusammenhänge mit der Bildung ergeben sich für das persönliche Umweltverhalten? Je höher die Schulbildung ist, desto größer ist auch die Bekanntheit des Blauen Engels. Die Kaufentscheidung wird allerdings nicht vom Bildungsniveau beeinflusst. Als hoch signifikanter Einflussfaktor erweist sich die Bildung bei der Nutzung von wiederaufladbaren Batterien und bei der Häufigkeit des Kaufs beim Bio-Bauern Auf die Durchführung einfacher Energiesparmaßnahmen wie auch auf die Beachtung des Energieverbrauchs beim Kauf von elektrischen Haushaltsgeräten übt der Grad der Schulbildung der Befragten keinen Einfluss aus. Signifikante Unterschiede sind beim Thema Öko-Strom feststellbar: Je höher der Grad der Schulbildung, desto größer ist der Anteil der Bezieher von Öko-Strom und desto größer ist das Interesse, zukünftig Öko-Strom zu beziehen. Dies gilt in gleicher Weise für den Besitz und die Attraktivität ökologischer Geldanlagen. Unterschiede im Mobilitätsverhalten betreffen die Nutzung des Autos im Nahverkehr. So ist beispielsweise auffällig, dass Befragte mit mittlerer Schulbildung am häufigsten mit dem Auto fahren. Die Nutzung des Fahrrades erfreut sich bei Befragten mit höherer Schulbildung der größten Beliebtheit. Bei der Wahl des Verkehrsmittels für den zuletzt unternommenen Tagesausflug zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede. Befragte mit mittlerem Bildungsgrad sind wiederum am häufigsten mit dem Auto gefahren. Befragte mit niedrigerer Schulbildung haben sich am häufigsten für den Bus entschieden. 4.1.3 Einkommenseffekte Inwieweit Einkommen und Wohlstand einen positiven Effekt auf Umweltbewusstsein und vor allem das Umweltverhalten haben, gilt als fraglich. Die in den Anfängen der Umweltbewusstseinsforschung verbreitete, so genann-
Alter, Bildung, Einkommen
53
te „Luxusgut-These“, wonach Umweltbewusstsein und umweltgerechtes Verhalten eher den besser verdienenden Bevölkerungskreisen zu zurechnen sei, wurde alsbald in Zweifel gezogen. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass vor allem im Bereich der Mobilität eher das Gegenteil gilt. So werden mit steigendem Einkommen die pro Jahr mit dem Auto gefahrenen Strecken immer länger (vgl. Bodenstein u.a. 1997, S. 65f.; Preisendörfer 1999, S. 11). Dies gilt analog für den Bereich Bauen/Wohnen. Je höher das Einkommen, desto größer ist die Wohnfläche, was per se einen höheren Umweltverbrauch impliziert. Ferner liegt auf der Hand: Je mehr Geld jemand zur Verfügung hat und für Konsumgüter ausgeben kann, desto mehr belastet er zwangsläufig auch die Umwelt (vgl. hierzu z.B. Spangenberg 2003, S. 130ff.). Auf der anderen Seite sind die Dispositionsspielräume für den Kauf ökologisch optimierter Produkte größer, sodass die Kaufentscheidungen hier häufiger pro Umwelt ausfallen als bei einkommensschwächeren Bevölkerungssegmenten. Dieser im Sinne der Nachhaltigkeit qualitativ bessere Konsum wird jedoch in aller Regel durch einen quantitativ höheren Konsum kompensiert. Die Problematik wird zusätzlich dadurch verschärft, dass hier Fragen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit in die Diskussion kommen. Wie in Kapitel I.3.3 bereits dargestellt, nimmt die Häufigkeit des Konsums von qualitativ höherwertigen Bio-Lebensmitteln mit steigendem Einkommen eindeutig zu. Dies ist unter gesundheitsrelevanten Gesichtspunkten als höchst ungerecht zu bewerten, denn gute Ernährung und Gesundheit hängen für gewöhnlich eng zusammen. Zum Beispiel ist Fettleibigkeit – als dessen Hauptursache schlechte Ernährung gilt – mit all ihren gesundheitlich negativen Folgen zunehmend zu einem Zeichen von Armut geworden, vor allem auch bei Kindern (vgl. Künast 2004, S. 26f.). Hier setzt unter anderem die Diskussion um ökologische Gerechtigkeit oder Umweltgerechtigkeit an. Sie thematisiert, ob sozial Benachteiligte stärkeren Umweltbelastungen ausgesetzt sind und mit welchen sozialen und gesundheitlichen Folgen dies verbunden ist (vgl. z.B. Maschwesky 2004). Darüber hinaus dürften unter dem Blickwinkel sozialer Gerechtigkeit die Besserverdienenden für die Mehrheit der Bevölkerung in Hinblick auf Lebensqualität und Lebensstandard als Vorbild gelten, was allerdings in punkto Umweltverbrauch einem Wandel in Richtung Nachhaltigkeit eher entgegensteht. Gleichwohl kann niemandem verwehrt werden, was andere schon haben.
54
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass Auswertungen mit der Variable „Einkommen“ problembehaftet sind, denn in aller Regel verweigert ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Befragten die Antwort. In dieser Studie trifft dies auf etwas mehr als ein Viertel der Befragten zu. Darüber hinaus sollte die Zuverlässigkeit der Einkommensangaben nicht überschätzt werden. Denn die Angaben, die gemacht werden, sind im Vergleich zur Grundgesamtheit erfahrungsgemäß eher zu hoch. Erstens, weil es für die Befragten mit Scham verbunden ist, sich im unteren oder auch im oberen Bereich der Kategorien einzuschätzen und zweitens, weil Personen aus untersten Statusgruppen häufig nicht bereit sind, an derartigen Studien teilzunehmen. Diese Einschränkungen sind also bei den folgenden Auswertungen mitzudenken. Das Netto-Haushaltseinkommen wurde zu sieben Einkommensklassen zusammengefasst. Korreliert man diese mit den Skalen der ProUmweltschutz-Einstellungen, so zeigen sich für die Gesamtskala der ProUmwelteinstellungen sowie für die Subskalen des Nachhaltigkeitsbewusstseins und der Entdramatisierung keine signifikanten Unterschiede zwischen den Einkommensklassen. Lediglich für die Subskala des Umweltkrisenbewusstseins zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang mit dem Haushaltseinkommen und zwar dergestalt, dass die Befragten aus den zwei untersten Einkommensklassen die höchsten Werte auf der Subskala des Umweltkrisenbewusstseins aufweisen, d.h. dass sie eher zu einem katastrophenorientierten Umweltbewusstsein neigen als Befragte mit überdurchschnittlichen Haushaltseinkommen. Interessanterweise ist es gerade die Subskala zum Umweltkrisenbewusstsein, die als einzige der vier Skalen zu den Umwelteinstellungen keine Zusammenhänge mit dem Alter und dem Grad der Schulbildung zeigte (siehe oben), nun aber als einzige Skala Zusammenhänge mit dem Haushaltseinkommen aufweist. Hiermit erhärtet sich unsere These, dass der Anstieg des Gefahrenbewusstseins für Großrisiken sowie die abnehmende Tendenz der Entdramatisierung der Umweltproblematik auf eine in den letzten zwei Jahren gewachsene gesellschaftliche Verunsicherung zurückzuführen ist. Denn gerade in den untersten Einkommensklassen dürfte die Sorge vor einer ungesicherten Zukunft noch stärker ausgeprägt sein. Von diesem bemerkenswerten Effekt abgesehen, bleibt jedoch festzuhalten, dass das Einkommen kaum einen Einfluss auf die Umwelteinstellungen ausübt. Analog zur Umfrage 2002 ist der Einfluss des Einkommens
Lebensphasen
55
auf das individuelle Umweltverhalten stärker (vgl. Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 56). Zwischen dem Einkommen und dem Umweltverhalten bestehen teilweise signifikante Zusammenhänge. Mit einem höheren Einkommen gehen beispielsweise einher: x x x
x x
4.2
Der Kauf von Lebensmitteln mit dem Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen des ökologischen Anbaus. Der Kauf von Obst und Gemüse aus der Region. Der direkte Kauf beim Bio-Bauern. „Immer“ oder „häufig“ praktiziert dies ein Anteil von 30% der Befragten mit einem Netto-Haushaltseinkommen von 3250 € und mehr, im Befragten-Durchschnitt liegt dieser Anteil bei 15%. Der Bezug von Öko-Strom. Das Mobilitätsverhalten im Nahverkehr. Je höher das Einkommen, desto häufiger wird das Auto im Nahverkehr genutzt. Lebensphasen
Auch wenn die Disaggregation nach Altergruppen, Bildungsstand und Einkommen nach wie vor gehaltvolle Aussagen in Hinblick auf Unterschiede im Umweltbewusstsein und Umweltverhalten erlaubt, so wird hier doch zwangsläufig außer Acht gelassen, dass manche Einstellungs- und Verhaltensmuster erst im Kontext der gesamten Lebensführung hinreichend erklärt und verstanden werden können. Denn auch gleichartige sozioökonomische Lebensbedingungen können in ganz unterschiedlichen Lebensstilen resultieren, beispielsweise auf Grund einer unterschiedlichen Familiensituation (Single oder nicht? Kinder ja oder nein?), unterschiedlicher Wertorientierungen und Lebensziele, ästhetischer Vorlieben oder Freizeitaktivitäten. Dass es in diesem Sinne enge Zusammenhänge zwischen Umweltbewusstsein und spezifischen Lebensstilen gibt, darüber besteht in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung Einigkeit. Auch in Umweltpolitik und -bildung ist das Gebot, komplexe Sachverhalte wie etwa die Verbreitung nachhaltiger Konsummuster möglichst unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lebensstile zu kommunizieren, zum Mainstream geworden. Nun gestaltet sich die Erfassung von Lebensstilen forschungstechnisch sehr aufwändig, denn üblich ist die detaillierte Erfassung von persönlichen Stilisie-
56
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
rungen und Vorlieben (z.B. Kleidungsstile, Musikgeschmack, Mediennutzung, Wohnungseinrichtung etc.). Dafür ist im Fragebogen des Umweltbewusstseinssurveys aber nicht der nötige Raum vorhanden, sodass wir uns auf einen Ausschnitt aus dem umfassenden Konstrukt „Lebensstil“ beschränken müssen, nämlich auf die Zuordnung zu Lebensphasen. In Anlehnung an die in der Studie „Dialoge“ (Stern 1999) vorgenommenen Differenzierungen werden neun Lebensphasen unterschieden: 1. Junge Singles – Ledige, Verwitwete, Geschiedene, nicht in eheähnlichen Verhältnissen Lebende in Ein-Personen-Haushalten, Alter unter 40 Jahren (Anteil: 6,8%). 2. Junge Unverheiratete in Familie – Ledige, Verwitwete, Geschiedene, nicht in eheähnlichen Verhältnissen Lebende in Mehr-PersonenHaushalten, Alter unter 40 Jahren (Anteil: 6,7%). 3. Junge Paare ohne Kinder – Verheiratete oder in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, keine Kinder, Alter unter 40 Jahren (Anteil: 6,6%). 4. Junge Familie mit mindestens einem Kleinkind – Verheiratete oder in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, mindestens ein nicht schulpflichtiges Kind, Alter unter 40 Jahren (Anteil: 12,4%). 5. Alleinerziehende – Ledige, Verwitwete, Geschiedene, nicht in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, mit mindestens einem Kind im Haushalt (Anteil: 2,1%). 6. Familie mit nur älteren Kindern – Verheiratete oder in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, mindestens ein Kind, kein Kind unter 7 Jahren (Anteil: 20,5%). 7. Partner-Haushalte über 40 bis unter 60 Jahre – Verheiratete oder in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, 40 bis unter 60 Jahre, keine Kinder im Haushalt (Anteil: 10,6%). 8. Partner Haushalte ab 60 Jahre – Verheiratete oder in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, 60 Jahre oder älter, keine Kinder im Haushalt (Anteil: 15,6%). 9. Ältere Singles – Ledige, Verwitwete, Geschiedene, nicht in eheähnlichen Verhältnissen Lebende, 40 Jahre oder älter (Anteil: 18,7%). Zunächst wurde ermittelt, ob die Pro-Umwelteinstellungen mit diesen Lebensphasen zusammenhängen. Im Gegensatz zur Umfrage 2002 lassen sich in Bezug auf die Gesamtskala der Pro-Umwelteinstellungen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Lebensphasen feststellen. Geht man tie-
Geschlechterverhältnisse – Pluspunkte für die Frauen?
57
fer ins Detail und wertet die Einstellungsfragen aus, lassen sich zumindest punktuell Abweichungen zwischen den Lebensphasen identifizieren, wenn es um die Grundprinzipien der Nachhaltigkeit geht (GenerationenGerechtigkeit, fairer Handel, nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können). So sind Alleinerziehende, Familien mit älteren Kindern über sieben Jahren und nun auch ältere Singles noch am ehesten bereit, sich diesen Prinzipien zu verschreiben. Generell fällt auf, dass eine Lebensphase noch am häufigsten „positiv“ hervorsticht, und zwar „Familien mit älteren Kindern über sieben Jahren“. Bei der Lebensphase „Familien mit kleineren Kindern unter sieben Jahren“ findet man hingegen weniger Zusammenhänge. Hier hat sich im Vergleich zu 2002 eine leichte Verschiebung ergeben. Das Schlusslicht in punkto Umweltbewusstsein bildet nach wie vor die Gruppe der jungen Singles unter 40 Jahren. Der Einfluss der Lebensphasen auf die Umwelteinstellungen ist nicht sonderlich ausgeprägt und auch beim individuellen Umweltverhalten findet man nur wenige Unterschiede. 4.3
Geschlechterverhältnisse – Pluspunkte für die Frauen?
Seit 1996 konnte in den Umweltbewusstseinsstudien mit wiederkehrender Regelmäßigkeit dargelegt werden, dass sich Frauen und Männer in ihren Umwelteinstellungen und ihrem Umweltverhalten unterscheiden. In der Regel sind es die Frauen, die sich aufgeschlossener und sensibler für Umweltprobleme zeigen. Darüber hinaus sind sie häufiger bemüht, sich im Alltag auch tatsächlich umweltschonend zu verhalten (vgl. Preisendörfer 1999; Empacher u.a. 2001; Grunenberg/Kuckartz 2003). Aus ökofeministischer Perspektive wird dies unter anderem damit begründet, dass die vermeintlich größere Naturnähe der Frauen sie ohnehin eher zur Auseinandersetzung mit Belangen des Umweltschutzes prädestinieren würde (vgl. hierzu z.B. Nebelung/Poferl/Schultz 2001). Als weiteres Argument wird angeführt, dass es nach wie vor hauptsächlich die Frauen seien, die im Haushalt die Versorgerrolle innehaben, sich mithin eher um die Gesundheit ihrer Familie kümmern und zum Beispiel entsprechend einkaufen. Auf den Punkt gebracht wird diese Problematik vor allem mit der Rede von der „Feminisierung der Umweltverantwortung“ (vgl. z.B. Empacher u.a. 2001). Aus der Perspektive des Konzepts des Gender Mainstreaming, dessen Ziel es ist, die
58
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Verhältnisse zwischen den Geschlechtern gerechter zu gestalten, ist dies freilich kritisch zu beurteilen. So wäre eine umweltpolitische Strategie, in der zum Beispiel die Förderung einer nachhaltigen Ernährung einseitig auf die Umsetzung im privaten Haushalt reduziert würde, wenig geschlechtergerecht. Die Alltagsbelastung, insbesondere der berufstätigen Frauen, würde damit eher verstärkt, denn eine nachhaltig-gesunde Ernährung ist zweifellos zeitaufwändiger als etwa die Zubereitung konventioneller Tiefkühlprodukte (weniger Einkaufsmöglichkeiten, höherer Informationsaufwand, Zubereitung von Frischprodukten etc.) (vgl. auch Brand u.a. 2002, S. 181). Aus der Genderperspektive sind dagegen eher oder auch Strategien zu befürworten, in der die Außer-Haus-Verlagerung nachhaltiger Ernährungsangebote im Mittelpunkt steht (in Kantinen in öffentlichen und privaten Unternehmen, Schulen und Kindergärten; Dienstleistungen wie Bio-GemüseAbos, Bio-Fastfood etc.) und darüber das Ernährungsbewusstsein zu schärfen – bei Kindern, Frauen und Männern (vgl. hierzu auch Hayn/Empacher 2004). Aus der Perspektive der Umweltpolitik gilt es also zu berücksichtigen, inwieweit ihre Instrumente und Maßnahmen die Feminisierung der Umweltverantwortung vorantreiben oder aber vermeiden (vgl. hierzu z.B. Weller 2004).6 Schaut man sich zunächst die Gesamtskala der Pro-Umwelteinstellungen an, so ist festzustellen, dass sowohl Frauen als auch Männer etwas stärker pro-Umwelt orientiert sind als in der Umfrage 2002. Die Werte sind in ungefähr gleichem Verhältnis gestiegen. Der Abstand zwischen Frauen und Männern ist somit aber gleich geblieben. Frauen weisen nach wie vor deutlich positivere Pro-Umwelteinstellungen auf. Wie schon in der Umfrage 2002 sind die Unterschiede im Umweltkrisenbewusstsein von Frauen und Männern am größten. Frauen machen sich beispielsweise nach wie vor deutlich mehr Sorgen darüber, welche Umwelt wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen. Darüber hinaus empören sie sich stärker über Umweltprobleme. Zum höheren Umweltkrisenbewusstsein der Frauen passt auch, dass ihre Risikowahrnehmung deutlicher ausgeprägt ist. So fühlen sich Frauen durch Umweltrisiken insgesamt stärker gefährdet als Männer. Am weitesten fällt die Einschätzung auseinander, wenn es um die mög-
6 Vgl. hierzu auch das „Gender Impact Assessment für die Umweltpolitik“ (www.bmu.de).
Geschlechterverhältnisse – Pluspunkte für die Frauen?
59
lichen Gefahren geht, die Gen-Lebensmitteln und der Nutzung der Atomenergie zugeschrieben werden. 55% der Frauen empfinden gentechnisch veränderte Lebensmittel als „äußerst“ oder „sehr gefährlich“, bei den Männern sind es 46%. Bezüglich des Kernkraftrisikos urteilen in dieser Form 66% der Frauen und 53% der Männer (siehe hierzu auch Kapitel I.3.2). Hinsichtlich der Haltung zur Entdramatisierung der Umweltproblematik und bezüglich der Einstellung zu den grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit sind die Differenzen zwischen Frauen und Männern etwas geringer, aber auch hier sind die Frauen insgesamt stärker pro-Umwelt gestimmt. Frauen sind seltener der Ansicht, dass das Umweltproblem übertrieben wird und sie glauben weniger, dass Wissenschaft und Technik die Umweltprobleme hinreichend lösen können. Mit Blick auf die grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit ist es vor allem die Aussage „Wir sollten nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen können“, die bei Frauen noch größere Zustimmung findet als bei Männern. Andererseits ist der Begriff der nachhaltigen Entwicklung den Frauen weniger bekannt als den Männern. Die Frage, ob man davon schon gehört habe, bejahen 26% der Männer und 18% der Frauen. Interessant ist, dass sich ein höherer Schulabschluss bei Frauen deutlich stärker in einem hohen Umweltbewusstsein niederschlägt als bei Männern. Während bei Männern die Werte auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen mit zunehmender Bildung vergleichsweise moderat steigen, sind die Sprünge bei den Frauen auffällig größer. Differenziert man darüber hinaus noch nach dem Alter, so lässt sich festhalten, dass die 25- bis 49-Jährigen Frauen mit höherer Schulbildung im Durchschnitt das höchste Umweltbewusstsein in Deutschland aufweisen.
60
Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Abbildung 3: Mittelwerte auf der Skala Pro-Umwelteinstellungen nach Geschlecht und Bildungsgrad
45,92 44,07
Frau 42,94
43,59
mittlere Bildung
42,66
Mann
höhere Bildung
niedrigere Bildung 42,08
40
41
42
43
44
45
46
47
Auch hinsichtlich der Relevanzeinschätzung politischer Aufgaben unterscheiden sich Frauen und Männer. So halten Frauen insbesondere die Themen Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Verbrechensbekämpfung, Gesundheitsvorsorge und Terrorismus für dringlicher als Männer. Beispielsweise halten 50% der Frauen und 39% der Männer den Umweltschutz für „sehr wichtig“. Bezüglich der Themen Rentensicherung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Integration von Ausländern sind nur noch schwach signifikante Unterschiede festzustellen. Keine signifikanten Unterschiede bestehen in der Einschätzung der Wichtigkeit der Ankurbelung der Wirtschaft und der Verbesserung von Bildungsangeboten an Schulen und Hochschulen. Die große Bandbreite explizit umweltpolitischer Ziele und Aufgaben wird von den Frauen noch wichtiger als von Männern eingeschätzt. Für zehn von zwölf zur Beurteilung vorgelegte umweltpolitische Ziele lassen sich signifikante Unterschiede feststellen (siehe hierzu auch Kapitel III.2.2). Am deutlichsten fällt die Relevanzeinschätzung auseinander, wenn es um gesundheitliche Fragen geht: „das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise zu stärken“ („sehr wichtig“: 51% der Frauen, 38% der Männer) und „mehr über gesundheits- und umweltgefährdende Produkte und Zusätze
Geschlechterverhältnisse – Pluspunkte für die Frauen?
61
informieren“ („sehr wichtig“: 48% der Frauen, 37% der Männer) sehr dringlich. Frauen fühlen sich generell schlechter über die Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von Lebensmitteln und Produkten informiert. Wie schon in der Umfrage 2002 findet die größere Aufmerksamkeit für Fragen rund um Umwelt und Gesundheit aber keine Entsprechung in persönlicher Betroffenheit. Frauen und Männer fühlen sich in ihrer Gesundheit in annähernd gleicher Weise durch Umwelteinflüsse betroffen bzw. nicht betroffen. An einem Strang ziehen Frauen und Männer bezüglich des vergleichsweise guten Urteils über die Umweltqualität in Deutschland und der Befürchtung, dass der Klimawandel Gefahr darstellt. Auch der Ausbau der Windenergie findet unter Frauen und Männern annähernd gleich viele befürwortende bzw. ablehnende Personen. Erwartungsgemäß zeigen sich Frauen bei den erfragten konsumbezogenen Verhaltensweisen generell stärker umweltorientiert – ihre Bereitschaft höhere Preise für ökologische Produkte zu zahlen ist jedoch nicht größer als bei Männern. Umweltkennzeichen wie Bio-Siegel, Blauer Engel und Transfair-Siegel sind Frauen durchgängig etwas häufiger bekannt. Auch mit Blick auf verschiedene umweltbewusste Handlungen im Alltag, vermitteln Frauen den Eindruck, dass sie sich insgesamt konsequenter verhalten als Männer. Was allerdings naheliegend ist, denn nach wie vor erfolgt die Arbeitsteilung im Haushalt und beim Einkaufen bei einer Mehrheit der Familien und Paare nach eher traditionellen Rollenmustern. So geben Frauen häufiger an, Lebensmittel mit Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen des ökologischen Anbaus, Obst und Gemüse aus der Region sowie beim Bio-Bauern zu kaufen. Ferner trinken sie seltener Getränke aus Dosen. Die Frage, ob die Berufstätigkeit von Frauen beispielsweise einen Einfluss darauf ausübt, wie häufig Lebensmittel mit Bio-Siegel oder anderen Kennzeichen ökologischen Anbaus gekauft werden, kann verneint werden. Die Unterschiede sind in dieser Hinsicht minimal. Ob eine Frau in Vollzeit, Teilzeit oder gar nicht berufstätig ist, schlägt sich kaum unterschiedlich in der Häufigkeit des Kaufs von Bio-Lebensmitteln nieder. Entscheidend ist vielmehr das Netto-Haushaltseinkommen. Wie das Institut für sozialökologische Forschung in einer Studie zu den Möglichkeiten und Grenzen nachhaltigen Konsumverhaltens feststellen konnte, ist darüber hinaus ausschlaggebend, inwieweit Frauen und Männer einem partnerschaftlichen Geschlechtermodell folgen. Je stärker dieses ausgeprägt ist, desto eher zeigt
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Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
sich auch eine starke Orientierung an Umweltgesichtspunkten im Konsumverhalten (vgl. UBA 2002, S. 87ff.). Im Gegensatz zum Konsumverhalten ist das Verhalten im Energiebereich weitgehend geschlechtsunabhängig, denn es finden sich keine oder nur schwach signifikante Zusammenhänge. Das Mobilitätsverhalten von Frauen galt bislang immer als wesentlich umweltschonender als das von Männern (vgl. Preisendörfer 1999, S. 144). Begründet wurde dies weniger vor dem Hintergrund ihres höheren Umweltbewusstseins, sondern vielmehr auf Grund der Tatsache, dass Frauen weniger häufig als Männer ein Auto zur Verfügung haben. Während also für die Umweltbewusstseinsstudien 1996 bis 2002 behauptet werden konnte, dass das sehr viel höhere verkehrsbezogene Umweltverhalten von Frauen besonders markant sei, so muss diese Aussage für die Umfrage 2004 ein wenig relativiert werden. Dies gilt insbesondere für die zunehmende Nutzung des Autos im Nahverkehr. So ist die Anzahl der Frauen, die zu Protokoll gaben, sie würden „sehr häufig“ mit dem Auto im Nahverkehr fahren, von 33% in der Umfrage 2002 auf 40% in der Umfrage 2004 gewachsen. Der Mobilitätszuwachs schließt auch die Nutzung des ÖPNV mit ein: Sowohl bei Frauen als auch bei Männern hat die Häufigkeit der Nutzung des ÖPNV im Vergleich zu 2002 zugenommen, wobei Frauen nach wie vor häufiger mit Bus oder Bahn fahren. Immerhin mehr als ein Drittel der Frauen (35%) gibt an, den ÖPNV „sehr häufig“ oder „häufig“ im Nahverkehr zu nutzen, bei den Männern handelt es sich um ein gutes Viertel (26%). Differenziert man nach Stadt und Land, so zeigt sich, dass fast die Hälfte (48,5%) der weiblichen Befragten von Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern „sehr häufig“ oder „häufig“ mit Bus oder Bahn fahren, unter den Männern liegt dieser Anteil bei 37%. Auch in der Verteilung auf die Umwelttypen zeigen sich signifikante Geschlechtsunterschiede. Während überdurchschnittlich viele Männer zu den Umweltignoranten zählen, finden sich Frauen überdurchschnittlich häufig in der Gruppe der konsequenten Umweltschützer. 4.4
Die jungen Erwachsenen – Nachwuchsprobleme für den Umweltschutz?
Die jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren unterscheiden sich in der Beurteilung der Wichtigkeit des Umweltschutzes, in ihren Umweltein-
63
Die jungen Erwachsenen – Nachwuchsprobleme für den Umweltschutz?
stellungen und auch in ihrer Bereitschaft, sich umweltbewusst zu verhalten, teilweise signifikant vom Rest der Bevölkerung. Sie halten den Umweltschutz im Vergleich mit anderen Themen für weniger wichtig als die Älteren, sie neigen etwas stärker zur Entdramatisierung der Umweltproblematik und sie verhalten sich in einigen Punkten weniger umweltschonend als der Durchschnitt der Deutschen. In der Umfrage 2002 betraf diese Entwicklung hauptsächlich die unter 20-Jährigen, in der Umfrage 2004 hat sich der Trend auf die 20- bis 24-Jährigen ausgeweitet und gefestigt. Die Verteilung charakteristischer Umwelttypen auf die 18- bis 24-Jährigen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung macht dies auf einen Blick deutlich: Unter den jüngsten Befragten sind überdurchschnittlich viele Umweltignoranten, mehr Umweltrhetoriker und deutlich weniger konsequente Umweltschützer auszumachen. Abbildung 4: Verteilung der Umwelttypen auf die 18- bis 24-Jährigen und ab einem Alter von 25 Jahren
33
Konsequente Umweltschützer
18
18
Einstellungsungebundene Umweltschützer
ab 25 Jahren
14
18- bis 24-Jährige 20
Umweltrhetoriker
26
29
Umweltignoranten
42
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
Die gesunkene Priorität des Umweltschutzes bei den jungen Erwachsenen ist eine auffällige Veränderung zu früheren Befunden, denn über einen langen Zeitraum galt der Umweltschutz vor allem als ein Anliegen der jüngeren Bevölkerungsgruppen (vgl. Preisendörfer 1999, S. 117). Es kann allerdings nicht behauptet werden, den jungen Erwachsenen sei der Umwelt-
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Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
schutz unwichtig geworden, denn der Rückgang bewegt sich auf einem hohen Niveau. Zweifellos ist in Rechnung zu stellen, dass die jungen Erwachsenen in der heutigen Konsumgesellschaft aufgewachsen sind und die umweltbelastenden Konsumgewohnheiten mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit erleben und folglich übernommen haben. Zudem ist der gezielte Konsum „angesagter“ Produkte mehr denn je ein wesentlicher Bestandteil der Alltagskultur junger Menschen. Hinzu kommt ein nachlassender Problemdruck, denn die Umweltqualität in Deutschland wird inzwischen deutlich besser wahrgenommen als noch vor zehn Jahren (siehe Kapitel III.2.2). So besitzt die Jugend von heute ein vornehmlich medienvermitteltes Umweltbewusstsein, das aber jenseits der Medien weitgehend folgenlos bleibt (vgl. Kuckartz 2004). Inwieweit es sich bei dem geringeren Umweltbewusstsein der Altergruppe der 18- bis 24-Jährigen um einen periodenspezifischen Effekt oder tatsächlich um eine langfristige Veränderung der allgemeinen Einstellungen zum Umweltschutz handelt – die auch mit zunehmendem Alter beibehalten werden – bleibt abzuwarten. Laut Shell-Jugendstudie – welche die 12- bis 25-Jährigen im Blick hat – ist ein solcher Mentalitätswandel der Jugend bereits im vollen Gange (vgl. Deutsche Shell 2002). Während engagementbezogene Wertorientierungen (ökologisch, politisch, sozial) im Abnehmen begriffen sind, haben leistungs-, macht- und anpassungsbezogene Wertorientierungen zugenommen. Die Prioritäten der Jugend hätten sich danach deutlich in Richtung des Erfolges in einer leistungsbetonten Gesellschaft verschoben und wir seien mit einer Generation der „Egotaktiker“ konfrontiert (vgl. Gensicke 2002, S. 152ff.). Die Jugendarbeitslosigkeit stellt ein schwerwiegendes Problem dar und die Perspektiven auf einen sicheren Arbeitsplatz sind derzeit eher schlecht. Und tatsächlich fühlt sich immerhin jede vierte Person unter unseren 18- bis 24-Jährigen Befragten „nicht so wohl“ oder „ausgesprochen unwohl“ in Deutschland. Bei den Befragten ab 25 Jahren urteilen nur 5% in dieser Form. Wirtschaftskrise, Globalisierung, Hartz IV: Das Gefühl allgemeiner Unsicherheit ist allgegenwärtig. So erstaunt es bei genauerem Hinsehen auch nicht, dass das in der Tradition des Katastrophenbewusstseins stehende Umweltkrisenbewusstsein bei den 18bis 24-Jährigen nicht signifikant geringer ausgeprägt ist als beim Durchschnitt. Wobei die Richtung aber auch hier dergestalt verläuft, dass die jungen Erwachsenen die geringsten Werte auf der Skala des Umweltkrisenbewusstseins aufweisen (siehe hierzu auch Kapitel I.5.1).
Die jungen Erwachsenen – Nachwuchsprobleme für den Umweltschutz?
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Andererseits kann vor dem Hintergrund der Daten der ShellJugendstudie 2002 für die Jüngsten dieser Jugendstudie – im Jahr 2002 bezog sich dies auf die 12- bis 14-Jährigen – ein Stückweit Entwarnung gegeben werden, denn zwischen dieser Altersgruppe und den älteren Jugendlichen bestehen hinsichtlich der Wahrnehmung der Wichtigkeit von Umweltund Naturschutz hochsignifikante Unterschiede. So genoss der Umweltund Naturschutz bei den im Jahr 2002 12- bis 14-Jährigen und im geringeren Ausmaß auch bei den 15- bis 17-Jährigen eine deutlich höhere Priorität als bei den 18- bis 25-Jährigen. Doch zurück zu den 18- bis 24-Jährigen Befragten der Umweltbewusstseinsstudie 2004: Sind die Befragten dieser Altergruppe tatsächlich durchgängig weniger umweltbewusst oder gilt dies nur verstärkt für bestimmte Gruppen innerhalb dieser Altersklasse? Nicht nur in der gesamten Stichprobe auch bei den jüngsten Befragten bestätigt sich: Umweltschutz ist weit stärker ein Thema für Frauen als für Männer. Immerhin erreichen junge Frauen fast den gleichen Durchschnittswert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen wie in der gesamten Stichprobe, bei den jungen Männern sind es zwei Skalenpunkte weniger. Auch für junge Frauen gilt: Eine höhere Schulbildung ist ein entscheidender Faktor für ein höheres Umweltbewusstsein. Dies gilt zwar ebenfalls für junge Männer, allerdings bei weitem nicht so ausgeprägt. Die bisherigen Befunde zum starken Einfluss der Schulbildung werden bestätigt: Das Umweltbewusstsein erweist sich auch unter den 18- bis 24-Jährigen als stark bildungsabhängig. Befragte mit Abitur oder Fachabitur haben einen deutlich höheren Wert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen als Befragte mit Hauptschulabschluss. Zu Befragten mit mittlerer Reife ist der Abstand nicht ganz so groß, aber auch in diesem Fall erweisen sich die Abiturientinnen und Abiturienten als umweltbewusster. Die jungen Erwachsenen neigen noch etwas stärker als die Älteren dazu, die Verantwortung für die Umwelt von Einzelnen auf die Gesellschaft zu verlagern. So ist mehr als ein Drittel (35%) der Meinung, es sei für sie persönlich schwierig, etwas für den Umweltschutz zu tun. Ferner ist auffällig, dass die jungen Erwachsenen den grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit etwas verhaltener gegenüberstehen als der Rest der Bevölkerung. Vor allem bei der Antwortalternative „stimme voll und ganz zu“ sind die Zustimmungsquoten deutlich geringer. So findet etwa das Prinzip der Generationengerechtigkeit bei 40% der 18- bis 24-Jährigen volle Zustimmung,
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Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
bei den anderen sind es 52%. Signifikant geringer ist auch die entschiedene Zustimmung zu der Aussage „Es gibt Grenzen des Wachstums, die unsere industrialisierte Welt schon überschritten hat oder sehr bald erreichen wird“ (10% versus 18%). Dies ist eigentlich erstaunlich, denn ein signifikant höherer Anteil der 18- bis 24-Jährigen hält die Natur in ihrem Verhalten für nicht kalkulierbar, nämlich 31% im Vergleich zu 23% bei den Älteren. Abbildung 5: Naturvorstellungen der 18- bis 24-Jährigen
23
Die Natur ist in ihrem Verhalten nicht kalkulierbar
31
52
Die Natur ist in Grenzen belastbar
42
20
Die Natur vergibt nichts
ab 25 Jahren
20 18- bis 24-jährige 5
Die Natur ist gutmütig
7
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung ist unter den jungen Erwachsenen noch weniger bekannt als beim Rest der Bevölkerung: 14,5% der 18bis 24-Jährigen haben schon einmal davon gehört, und nur gut die Hälfte hiervon verbindet damit konkrete Themen aus dem Nachhaltigkeitsdiskurs. Insgesamt können also nur 7,5% der 18- bis 24-Jährigen tatsächlich annähernd etwas mit dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung anfangen. Mit Blick auf die Beurteilung der Wichtigkeit umweltpolitischer Aufgaben sind keine nennenswert signifikanten Unterschiede zwischen den jungen Erwachsenen und den Älteren feststellbar (siehe Kapitel III.2.1) – mit einer Ausnahme: Das auch im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nach vorne gestellte Ziel einer Verminderung der Flächeninanspruchnahme bewertet ein nicht unerheblicher Anteil von 38% der 18- bis 24-
Die jungen Erwachsenen – Nachwuchsprobleme für den Umweltschutz?
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Jährigen als „weniger wichtig“ oder „überhaupt nicht wichtig“, bei den ab 25-Jährigen liegt diese Quote bei 25%. Entscheidend für diese Einschätzung ist vermutlich, dass die Problematik des anhaltenden Flächenverbrauchs im Vergleich zu anderen umweltpolitischen Problemfeldern noch längst nicht ausreichend im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Dabei wären die jungen Erwachsenen durchaus eine interessante Zielgruppe für die Förderung einer nachhaltigen Stadt- und Siedlungsentwicklung. Denn vor die Wahl gestellt, ob man lieber in einem Haus im Grünen oder in einer komfortabel ausgestatteten Wohnung in der Stadt leben möchte, entscheiden sich unter den 18- bis 24-Jährigen immerhin 41% für die Wohnung in der Stadt, bei den ab 25-Jährigen sind es nur noch 23% (siehe auch Kapitel II.4.2). Hier ist Aufklärung und hier sind attraktive und finanzierbare Konzepte gefragt, um die jungen Erwachsenen bei biografischen Veränderungen, Familiengründung etc. in der Stadt halten zu können. Sind die jungen Erwachsenen technikfreundlicher oder aufgeschlossener und weniger ängstlich, wenn es um neue Technologien geht? Schaut man sich in diesem Zusammenhang die Einstellungen der jungen Erwachsenen zur Windenergie an, so wird diese Vermutung bekräftigt. So stehen die 18bis 24-Jährigen der Nutzung der Windkraft noch weitaus positiver gegenüber als der Durchschnitt der Bevölkerung. Mit 84% befürwortet eine sehr deutliche Mehrheit der jungen Erwachsenen den Ausbau der Windenergie. Auch den potenziellen Beeinträchtigungen durch Windkraftanlagen stehen sie gelassener gegenüber. Bedenkt man vor diesem Hintergrund die derzeit diskutierten Strategien, die zu einer nachhaltigen Entwicklung der Industriegesellschaften führen sollen – nämlich Effizienz, Konsistenz und Suffizienz – so werden die Strategien der Effizienz und Konsistenz mit ihrem Fokus auf technischen bzw. technologischen Innovationen vermutlich auf relativ hohe Zustimmung bei den jungen Erwachsenen treffen. Suffizienzstrategien, die sich auf einen geringeren Verbrauch von Ressourcen durch eine Verringerung der Nachfrage nach Gütern richten, dürften es mit Blick auf die ausgeprägtere Konsumorientierung von jungen Erwachsenen dagegen noch schwerer haben als beim Rest der Bevölkerung. Indirekte Bestätigung findet diese Vermutung, wenn man sich das Resultat der Frage: „Angenommen, Sie hätten die Wahl zwischen mehr Einkommen oder mehr Freizeit, wofür würden Sie sich entscheiden?“ vor Augen führt: So ist der Anteil derjenigen, die mehr
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Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
Einkommen bevorzugen würden, insbesondere bei den 20- bis 24-Jährigen mit 60% noch größer als im Befragtendurchschnitt (52%). Abbildung 6: Einstellungen zur Windenergie unter den 18- bis 24-Jährigen und ab einem Alter von 25 Jahren
Es würde mich nicht stören, in der Sichtweite von Windkraftanlagen zu leben
52 62
Halte den derzeitigen Anteil der Windenergie an der Stromversorgung für ausreichend
Ab 25 Jahren
38
18- bis 24-Jährige
31
Windkraftanlagen beeinträchtigen das Landschaftsbild negativ
49 41
Bin für den Bau weiterer Windkraftanlagen in Deutschland
68 82
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Anmerkung: Anteil der Befragten, die „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmen
4.5
Wertorientierungen
Zur Erfassung der Wertorientierungen wurden fünfzehn Werte vorgegeben, die die Befragten nach der Wichtigkeit für sich selbst einschätzen sollten. Nach Wichtigkeit geordnet ergab sich folgende Reihenfolge der Top Ten: Eigeninitiative, Höflichkeit, Fleiß, Pflichtbewusstsein, Toleranz, Disziplin, Solidarität, Lebensgenuss, Sparsamkeit und Leistungsbewusstsein. Grundsätzlich werden alle Werte für wichtig gehalten. Nur die das Schlusslicht bildenden Wertorientierungen Besitz/Eigentum und Heimatverbundenheit – liegen mit ihrem Mittelwert nicht mehr zwischen „sehr wichtig“ und „eher wichtig“. Abgelehnt wird jedoch keiner der fünfzehn Wertorientierungen. Eine explorative Faktorenanalyse zeigt eine klare 3-FaktorenStruktur.
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Wertorientierungen Tabelle 8: Faktoren und Items der Faktorenanalyse der Wertorientierungen Faktor
in Klammern: Ladung des Items auf den Faktor
1 Traditionalismus
Disziplin (.763) Sparsamkeit (.735) Pflichtbewusstsein (.707) Fleiß (.694) Leistungsbewusstsein (.641) Heimatverbundenheit (.590) Höflichkeit (.488)
2 Postmaterialismus
Toleranz (.758) Solidarität (.691) Kreativität (.620) Eigeninitiative (.524)
3 Lebensgenuss/ Hedonismus
Lebensgenuss (.785) abwechslungsreiches Leben (.701) Besitz, Eigentum (.546) Selbstverwirklichung (.510)
Wir finden einen deutlichen Zusammenhang von Werten und Schulbildung dergestalt, dass die traditionellen Pflichttugenden (Faktor 1) stärker bei Personen mit niedrigeren Schulabschlüssen ausgeprägt sind, während Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative (Faktor 2) vornehmlich bei Personen mit höheren Schulabschlüssen anzutreffen sind. Bezogen auf den Faktor 3 (Lebensgenuss) sind die Unterschiede weitaus geringer, mit leicht negativer Abweichung bei Personen mit niedrigeren Schulabschlüssen. Postmaterialistische Wertorientierungen korrelieren vor allem mit der Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein, d.h. Personen mit postmaterialistischen Wertorientierungen haben ein signifikant höheres Nachhaltigkeitsbewusstsein. Auch die Ablehnung einer Entdramatisierung der Umweltproblematik geht mit einer Dominanz postmaterialistischer Wertorientierungen einher. Weitaus schwächer ist der Zusammenhang hingegen mit dem Umweltkrisenbewusstsein: Darauf haben postmaterialistische Wertorientierungen nur einen geringen Einfluss. Die Neigung zu traditionellen Pflichttugenden oder zu Lebensgenuss/Hedonismus zeigt keine Unterschiede im Umweltkrisenbewusstsein, Nachhaltigkeitsbewusstsein oder der Haltung zur Entdramatisierung. Differenziert man noch einmal getrennt nach Personengruppen mit niedrigerer sowie höherer Schulbildung, so finden wir für die Gruppe der niedriger Gebildeten die gleichen Zusammenhänge. In der Gruppe der höher Gebildeten sind die beschriebenen Zusammenhänge
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Quer geblickt: Einflüsse auf Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
hingegen noch stärker ausgeprägt. Deutlich wird also, dass eine starke Orientierung an postmaterialistischen Werten – die zumeist in Verbindung mit einem höheren Grad der Schulbildung steht – die Ausbildung von ausgeprägtem Umweltbewusstsein fördert. Dies gilt insbesondere für das Nachhaltigkeitsbewusstsein.
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5
Vom Umweltbewusstsein zum Nachhaltigkeitsbewusstsein? Konsequenzen für die Nachhaltigkeitskommunikation
Das Umweltbewusstsein hat sich in den beiden Jahren nach dem letzten Survey von 2002 – überraschenderweise – eher positiv entwickelt. In einzelnen Teilbereichen stellt sich die Entwicklung nicht so positiv dar, so ist beispielsweise der Bekanntheitsgrad des Konzepts Nachhaltigkeit sogar gesunken. Eine interessante Frage ist, ob und wie sich nicht nur die Höhe, sondern auch die Struktur des Umweltbewusstseins verändert. Lässt sich im 21. Jahrhundert von einem Shift in Richtung Nachhaltigkeitsbewusstsein sprechen? Tritt an die Stelle des ehemals durch die Wahrnehmung von tatsächlichen oder vermeintlichen Umweltkatastrophen gekennzeichneten Bewusstseins ein neues, konstruktiv auf Zukunft ausgerichtetes Bewusstsein der Nachhaltigkeit? Auf den ersten Blick scheinen die aktuellen Daten einen solchen strukturellen Wandel nicht zu bestätigen, denn es zeigt sich, dass man 2004 wieder verstärkt für Risiken und Katastrophen sensibilisiert ist, was angesichts einer gewachsenen gesellschaftlichen Unsicherheit in vielen Feldern nicht verwundern darf. Ein seit Jahren anhaltender Trend zur Entdramatisierung von ökologischen Problemen scheint gestoppt. Mehrheitlich herrscht die Meinung vor, dass man es in vielen Feldern der ökologischen Nachhaltigkeit, z.B. des globalen Klimawandels, mit gravierenden, ja dramatischen Problemen zu tun hat. Andererseits hat diese gewachsene Sensibilisierung, die mit einer pessimistischen Zukunftssicht einhergeht, kaum Rückwirkung auf die aktuelle Bewertung der Relevanz dieses Politikfeldes in Relation zu anderen Feldern und auch das eigene aktuelle Verhalten zeigt nur wenig Änderung. Es kann also mitnichten von wachsender individueller Nachhaltigkeit bei Fortbestand nicht-nachhaltiger allgemeiner Rahmenbedingungen die Rede sein. Diese Ambivalenz zwischen Sensibilisierung für die Problemlage und wenig nachhaltigem Handeln ist mit der traditionellen Denkfigur der Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und -verhalten nur schwer zu fassen,
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Vom Umweltbewusstsein zum Nachhaltigkeitsbewusstsein?
denn es geht hier weniger um ein individuelles Einstellungs-VerhaltensProblem als vielmehr um ein kollektives Problem, nämlich wie und ob eine Gesellschaft in der Lage ist, auf allen Ebenen Strukturen der Nachhaltigkeit auszubilden. Sofern etwa durch staatliche Eigenheimförderung und Kilometerpauschalen der Neubau von Einfamilienhäusern in den Speckgürteln der Städte gefördert wird, macht es wenig Sinn, hier eine möglicherweise bei Einzelnen vorhandene Diskrepanz von Einstellungen und tatsächlichem Verhalten als Ursache für den Flächenverbrauch in Anrechnung zu bringen. Was die gegenwärtige Relevanz des Umweltthemas in der Bevölkerung betrifft, hat man es zweifellos mit einer sehr komplexen Sachlage zu tun: Umweltschutz als ein Thema, das von einer betroffenen und hoch sensibilisierten Bevölkerung als aktuelles Top-Thema gehandelt wird, gehört ebenso der Vergangenheit an wie die Umweltbewegung der 1970er Jahre, die tausende von Initiativen hervorbrachte und deren Aktivistenzahl in die Millionen ging. Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Andererseits ist der Umweltgedanke heute weit in die Gesellschaft und ihre Institutionen und Unternehmen hinein verbreitet und die Umweltkommunikation hat in den letzten Jahren in einem kaum geahnten Maße zugenommen. Umweltkommunikation findet heute allerorten statt: In der Presse findet man Umweltthemen von der Bild-Zeitung bis zum Öko-Fachblatt. Publikumsmessen wie die „Grüne Woche“ oder die „Cebit“ behandeln ebenso Themen der Nachhaltigkeit wie lokale Baumessen oder Tagungen bis hin zur „International Conference for Renewable Energies“, die 2004 um Bundesumweltministerium veranstaltet wurde. In diesem Sinne ist Umweltkommunikation heute etwas Normales geworden und es gibt wenig Anlass zu Aufregung und Empörung, aber auch zu eigenem Engagement. Aus der Sicht von Umweltaktivisten mag sich diese Entwicklung zur „Normalität“ natürlich negativ darstellen, denn man ist heute eher ein kleiner Club, die Kassandrarufe bewirken nur noch wenig und ein Blick auf viele Umweltindikatoren zeigt, dass sich doch nicht so recht etwas bewegt hat, d.h. man hat durchaus Grund für negative Urteile. Das gilt etwa für den Klimaschutz, für den Bereich Auto, Verkehr und Mobilität, aber auch für die „soften“ Bereiche Bildung und Information. Trotz aller engagierten Bemühungen und trotz einschlägiger Modellprogramme der Kultusministerien und der Bund-Länder-Kommission ist „Bildung für Nachhaltigkeit“ heute nichts, was die Schule entscheidend zu verändern vermag und Nach-
Vom Umweltbewusstsein zum Nachhaltigkeitsbewusstsein?
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haltigkeit ist auch kein Thema, das die Jugend in nennenswerter Zahl begeistern und mitreißen würde. Überhaupt die Jugend: Hier zeigt sich der schon in den letzten Jahren sichtbare Trend eines deutlich hinter den anderen Altersgruppen zurückbleibenden ökologischen Problembewusstseins. Ferner zeigt sich hier noch stärker als bei den älteren Bevölkerungsgruppen, dass Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeitsbewusstsein Fragen sind, die eng mit Geschlecht und Bildung zusammenhängen. Frauen zeigen in beiden Fällen deutlich höhere Werte und Personen mit niedriger Bildung schneiden entsprechend negativer ab. Bei der Jugend nimmt, das zeigen die Daten dieser Studie, die grundlegende Sichtweise der NichtKalkulierbarkeit von Natur zu. Vermutlich bezieht sich dieses Gefühl der Nicht-Berechenbarkeit und Nicht-Vorhersehbarkeit nicht nur auf Entwicklungen von Natur und Umwelt, sondern ebenso auf gesellschaftliche Entwicklungen (was in dieser Studie allerdings nicht gefragt wurde). Es scheint, als würde sich hier Ulrich Becks Theorie reflexiver Modernisierung in den Köpfen der Individuen widerspiegeln. Das Rechnen mit nicht intendierten Effekten und ungewollten und damit auch unkalkulierbaren Nebenfolgen, gehört offenbar mehr und mehr zum Alltagsdenken, was gleichzeitig eine Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Steuerung, zumal durch Staat und Politik, beinhaltet. Nach wie vor kann auch 2004 nur eine Minderheit etwas mit dem Begriff Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung anfangen und der Prozentsatz dieser Minderheit ist bei den jungen Leuten noch geringer als bei den älteren. Dies verweist deutlich auf Mängel im schulischen Bereich, die schon durch die Pisa-Studien sprichwörtlich geworden sind. Durch alle Altersstufen hindurch lässt sich auch beobachten, dass man wieder verstärkt dazu neigt, Lösungen im Umweltbereich an den Staat zu delegieren. Zwischen den Generationen verzeichnen wir häufig recht große Differenzen, die man prototypisch im Energiebereich aufzeigen kann: Strom zu sparen, das ist vornehmlich eine Angelegenheit der älteren Generation, die im Verlaufe ihres Lebens auch mit Situationen harter Entbehrungen konfrontiert war, während moderne Technik einzusetzen oder auch der Bezug von Öko-Strom eher eine Angelegenheit der jüngeren Altersgruppen ist. Die in diesem Teil dargestellten Ergebnisse zeigen, dass es eine große Zahl von Personen gibt, die man im Sinne der Preisendörferschen Typologie des Umweltbewusstseins als Umweltignoranten zu bezeichnen hat. Diese Gruppe, die sich hinsichtlich ihrer soziodemographischen Merkmale gut
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Vom Umweltbewusstsein zum Nachhaltigkeitsbewusstsein?
bestimmen lässt, wird bislang von der Umweltkommunikation nur wenig erfasst. Es wäre eine notwendige, wenn auch vielleicht wenig geliebte Aufgabe, diese Gruppe der Umweltignoranten gezielt durch Umweltkommunikation anzusprechen und sich nicht immer nur auf die immer gleichen Gruppen zu beziehen, die in der Regel schon aktiv sind. Die Trends im Feld „Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit“ sind also ambivalent und eine Prognose für die weitere Entwicklung in den nächsten Jahren erscheint schwierig: Auf der einen Seite registrieren wir, dass eine pessimistische Zukunftssicht in Deutschland dominiert und man Katastrophenszenarien wieder für wahrscheinlicher hält. Die Sensibilisierung in Umweltfragen ist deutlich gewachsen. Andererseits gilt für das Thema Nachhaltigkeit, das es in der Kommunikation nicht recht vorankommt und vor allem auch die individuelle Nachhaltigkeit zu wünschen übrig lässt. Manche zentrale Themen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, wie etwa die Problematik der Flächeninanspruchnahme, sind bislang kaum in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Die gegenwärtigen Trends und Megatrends in der Gesellschaft laufen nicht unbedingt in Richtung Nachhaltigkeit und es wäre gewiss illusorisch hier kurzfristig Änderungen zu erwarten. Soziokulturelle Trends lassen sich nicht bewusst herbeiführen, sie haben fundamentale Wurzeln und Ursachen und triggern soziale Wandlungsprozesse. In der heutigen Mediengesellschaft sind beträchtliche Ressourcen erforderlich, um erfolgreich Kommunikation zu betreiben. Ein riesiger Werbeetat mag vielleicht noch in der Lage sein, ein bestimmtes Produkt in den Markt zu drücken, doch funktioniert dies gewiss nicht für tief gehende Leitbilder wie das Konzept Nachhaltigkeit. Umweltkommunikation und Nachhaltigkeitskommunikation bleiben unter diesen Vorzeichen auf absehbare Zeit Sisyphusarbeit. Die Transformation eines durch Katastrophen und Medienberichterstattung induzierten Umweltbewusstseins in ein auf Zukunftsgestaltung gerichtetes Nachhaltigkeitsbewusstsein wird sich, darauf deuten die hier berichteten Daten hin, wohl nicht in wenigen Jahren erreichen lassen.
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Teil II Nachhaltige Perspektiven auf Lebensqualität: Wohnen, Gesundheit und Freizeit
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1
Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
Ein höchstmögliches Maß an Wohlbefinden und Gesundheit zu ermöglichen, gehört zu den expliziten Zielen einer an Nachhaltigkeit orientierten Umweltpolitik. Was als Lebensqualität definiert wird, wie die Menschen gerne leben und wohnen wollen und wie sie belastende Faktoren (z.B. Lärm, Belastung durch Chemikalien etc.) wahrnehmen, ist deshalb von essenzieller Bedeutung für die Nachhaltigkeitskommunikation. Nicht von ungefähr ist es in der Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung der Industriegesellschaften populär geworden, auf den Begriff der Lebensqualität Bezug zu nehmen (vgl. z.B. Häberli u.a. 2002, S. 11f.; Linz 2004, S. 14ff.; Spangenberg 2003, S. 85ff.). In welchem Verhältnis Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung zueinander stehen, ist dabei nicht immer deutlich ausformuliert: Stellt Lebensqualität einen Aspekt nachhaltiger Entwicklung dar – in der sozialen Dimension – oder ist nachhaltige Entwicklung als Bestandteil eines übergreifenden Konzepts der Lebensqualität aufzufassen? (vgl. Noll 2000, S. 17) Der Trend scheint eher in letztere Richtung zu weisen. So wird argumentiert, dass eine zeitgemäße Auffassung von Lebensqualität in vielen Punkten mit den Vorstellungen eines nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens vereinbar sei. In diesem Sinne ist ein Trend zur Lesart von Lebensqualität als Definition gesellschaftlicher Zielvorstellungen feststellbar. Steigerung von Lebensqualität zielt dann auf die Sicherung der materiellen Existenzgrundlage, die Entgiftung der Umwelt und Nahrungsmittel, auf Geschlechtergerechtigkeit und Solidarität, die Schaffung gleicher Bildungs- und Aufstiegschancen sowie eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung (vgl. Spangenberg/Lorek 2003, S. 7).
Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
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Als gesellschaftspolitische Kategorie7 war der Begriff der Lebensqualität in Deutschland bereits Anfang der 1970er Jahre sehr populär. Schon damals war das politische Interesse an diesem Begriff eng verbunden mit der Suche nach neuen Perspektiven der gesellschaftlichen Entwicklung. Ausgelöst wurde dieses Interesse vor allem durch den voranschreitenden Struktur- und Wertewandel im Übergang von der industriellen zur postindustriellen Gesellschaft (vgl. Noll 2003, S. 449). Damit verbunden war auch eine erstmalig breite Auseinandersetzung mit den ökologischen Kosten ungebremsten Wirtschaftswachstums. Ob der alleinige Fokus auf die Mehrung des materiellen Wohlstands angesichts dieser Herausforderungen noch ein angemessenes Leitziel gesellschaftlicher Entwicklung sei, wurde zunehmend in Frage gestellt. Als neue Perspektive galt nun die Betonung des „Besser“ gegenüber dem „Mehr“. Und hier kam dem Begriff der Lebensqualität schon damals eine Schlüsselrolle zu. So wies der Tenor der damaligen Diskussion durchaus Parallelen mit den heute diskutierten Vorstellungen von der „guten Gesellschaft“ auf, wie es etwa das Konzept der nachhaltigen Entwicklung repräsentiert (vgl. als Überblick Noll 2000, S. 4ff.). In diesem gesellschaftspolitischen Kontext hat sich in den Sozialwissenschaften die empirische Wohlfahrts- und Lebensqualitätsforschung etabliert. Ihr kam die Aufgabe zu, die Wohlfahrtsentwicklung in Deutschland mit geeigneten, nicht allein quantitativ orientieren Indikatoren zu erfassen (vgl. Noll 2003, S. 449). Eines ihrer zentralen Anliegen ist bis heute die Beobachtung und Analyse von Veränderungen der individuellen und gesellschaftlichen Lebensqualität. Der maßgeblich von Wolfgang Zapf geprägte deutsche Ansatz der empirischen Wohlfahrts- und Lebensqualitätsforschung stellt dabei eine Synthese des an objektiven Indikatoren orientierten schwedischen „level-of-living-approach“ und des an subjektiven Indikatoren orientierten amerikanischen „quality of life-concept“ dar. Während der schwedische Ansatz die Beschreibung objektiver Lebensbedingungen (z.B. Bildungsniveau, Einkommen, Wohnsituation, Gesundheitszustand, Familienbeziehungen) in den Vordergrund stellt, betont der amerikanische Ansatz
7 Die SPD verwendete den Lebensqualitäts-Begriff beispielsweise als programmatisches Leitkonzept in ihrem Bundestagswahlkampf von 1972. Im gleichen Jahr veranstaltete auch die IG Metall einen in Politik und Wissenschaft vielbeachteten, internationalen Kongress über Lebensqualität (vgl. Noll 2000, S. 3).
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Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
subjektive Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse (z.B. Zufriedenheit, Glück und andere Maße subjektiven Wohlbefindens). Der Ansatz von Zapf, auf dem auch der seit 1978 durchgeführte Wohlfahrtssurvey basiert, integriert beide Perspektiven.8 Lebensqualität beruht danach sowohl auf den objektiven Lebensbedingungen als auch auf ihrer subjektiven Wahrnehmung und Bewertung (vgl. Weller 1996, S. 5; Zapf/Habich 1996, S. 12). In diesem Sinne definiert Zapf Lebensqualität als „....gute Lebensbedingungen, die mit einem positiven subjektiven Wohlbefinden zusammengehen“ (Zapf 1984, S. 23). Kennzeichnend für die heutige empirische Wohlfahrtsund Lebensqualitätforschung in Deutschland9 (Sozio-ökonomischer Panel, Wohlfahrtssurvey, ALLBUS-Bevölkerungs-Umfrage) ist vor diesem Hintergrund die Gegenüberstellung von objektiven und subjektiven Komponenten (vgl. aktuell Statistisches Bundesamt 2004; Huschka 2002, S. 8). Die subjektiven Informationen können sich dabei auf zeitpunktbezogene bereichsspezifische Befindlichkeiten oder auch auf prospektive Einschätzungen und Erwartungen beziehen (vgl. Schupp u.a. 1996, S. 26). Zumeist werden für verschiedene individuelle Lebensbereiche (Arbeit, Wohnung, Freizeit, Gesundheit, Umwelt, Einkommen etc.) objektive Indikatoren der jeweiligen Lebensbedingungen und die entsprechenden subjektiven Indikatoren der Bewertung (Zufriedenheit, Sorgen, Ängste) erhoben (vgl. Habich 1996, S. 48ff.). Die mehrdimensionale Sichtweise auf Lebensqualität macht dieses Konzept für die Nachhaltigkeitskommunikation so attraktiv. Denn dem Nachhaltigkeitskonzept liegt ein Bedürfnisbegriff zugrunde, der die einseitige Fixierung auf materiellen Wohlstand und mithin die auf Geld und Güter bezogenen Aspekte von Lebensqualität in den Hintergrund drängt, und sich
8 Vgl. auch das populäre Konzept des finnischen Soziologen Allardt (1993), dessen Verständnis von Lebensqualität sich über die Elemente des „Having“ (materielle Dimensionen des Lebensstandards), des „Loving“ (soziale Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen) und des „Being“ (Selbstverwirklichung, Beteiligung) konstituiert. 9 International ist die Messung von Lebensqualität ein äußerst populäres Thema. So existieren drei internationale Vereinigungen zur Lebensqualitätsforschung (u.a. die „International Society for Quality of Life Studies“). Geforscht wird im Rahmen internationaler Vergleiche (z.B. „World Value Survey“, „World Databbase of Happiness“, „International Well-Being-Index“) oder im Rahmen nationaler Studien (z.B. die Zufriedenheitsforschung in den USA).
Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
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stattdessen an Grundbedürfnissen (basic needs) orientiert. Dies beinhaltet neben einer ausreichenden Versorgung mit materiellen Gütern vor allem den Fokus auf die Bedürfnisbefriedigung durch immaterielle Güter. Als erstrebenswert und nachhaltig gilt die „Balance zwischen Haben und Sein“ (Scherhorn 2004, S. 1). Lebensqualität im Sinne der Nachhaltigkeit richtet sich mithin auf eine Reduzierung – oder weniger starke Betonung – materiellen Konsums zugunsten der Konzentration auf Formen nichtmaterieller Bedürfnisbefriedigung, wie etwa Persönlichkeitsbildung oder den Einsatz für die Gemeinschaft (vgl. z.B. Linz 2004). Dieser Argumentation liegt in aller Regel die auch empirisch nachgewiesene Erkenntnis zugrunde, dass materieller Reichtum durchaus nicht automatisch zur Zufriedenheit führt (vgl. Scherhorn 2004, S. 5ff.). Andererseits gibt es auch in den reichen Industrieländern Bevölkerungsgruppen, deren sozialer und materieller Standard unbefriedigend ist. Und diese Gruppen streben berechtigterweise jene Konsumniveaus an, die jene, welche den Suffizienzgedanken befürworten, möglicherweise schon verwirklicht haben – womit wiederum Fragen der Gerechtigkeit ins Spiel kommen. Zudem ist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Bildung hinzuweisen. Vor allem das am subjektiven Wohlbefinden orientierte „qualitative of life-conecpt“ (s.o.) macht darauf aufmerksam, dass die individuelle Fähigkeit, dem Leben – jenseits materieller Güter – Qualität zu geben und abzugewinnen, sehr unterschiedlich ausgeprägt ist und in hohem Maße mit dem Bildungsgrad zusammenhängt (vgl. hierzu Noll 2003, S. 454). Damit sind eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die es im Kontext der Diskussion um Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung zu reflektieren gilt. Wenn der Begriff der Lebensqualität als Definition gesellschaftlicher Zielvorstellungen dienen soll, dann stellt sich zunächst die Frage, welche Vorstellungen die deutsche Bevölkerung überhaupt von Lebensqualität hat und inwieweit diese Vorstellungen mit individueller Nachhaltigkeit vereinbar sind. Die gängigen Diagnosen stimmen in dieser Hinsicht bekanntermaßen eher skeptisch. Denn in den reichen Industrieländern bestimmt der Zugang zu materiellen Gütern in hohem Maße das Lebensgefühl und mithin die subjektive Wahrnehmung von Lebensqualität. Mit den Dingen, die sich die hier Menschen kaufen und mit denen sie sich umgeben, demonstrieren sie ihren Lebensstil und zeigen, welchen sozialen Kreisen sie sich zugehörig fühlen. Wo der Prozess des Kaufens eine besondere Qualität hat, da erscheint ein geringerer oder ein anderer Verbrauch von Ressourcen
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Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
schwer vermittelbar. Ganz abgesehen davon, dass der Wachstumszwang – und mithin die zentrale Bedeutung eines höheren Konsums für einen Wirtschaftsaufschwung – marktwirtschaftlichem Denken immanent ist und es nach wie vor zahlreiche volkswirtschaftliche Mechanismen gibt, die diesen Zwang stützen. Hinzu kommt: Seit dem Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre gilt Konsumieren gewissermaßen als ein Grundrecht, es verkörpert demokratische Grundwerte wie Freiheit und Gleichheit. Denn es ist noch gar nicht lange her, da war die Erfüllung materieller Wünsche nur wenigen Menschen vorbehalten (vgl. z.B. Andersen 1997, S. 6). Trifft hier ferner das von Tocqueville (1835) formulierte Paradox zu, so nimmt das Verlangen nach Gleichheit noch zu, je größer die Gleichheit in einer Gesellschaft bereits ist (vgl. hierzu Delhey/Böhnke 1999, S. 31). Als grundsätzliches Problem der empirischen Lebensqualitätsforschung stellt sich die Indexkonstruktion dar. Hier existieren unterschiedliche Vorgehensweisen, die den empirischen Zugang zum Konzept der Lebensqualität erschweren. Deutlich wird dies u.a. in der Variationsbreite und auch der unterschiedlichen Anzahl der berücksichtigten lebensqualitätsrelevanten Dimensionen. Allerdings kann die Umweltbewusstseinsstudie ohnehin keinen umfassenden Einblick in den Themenbereich Lebensqualität liefern, da primär Fragen der Nachhaltigkeit im Mittelpunkt des Interesses stehen. Einzelne Komponenten von Lebensqualität wurden jedoch erfasst. Neben objektiven Maßen wie dem Netto-Haushaltseinkommen oder der Wohnsituation sind dies ebenso globale sowie auf bestimmte Bereiche beschränkte Zufriedenheitsmaße. Die Ergebnisse dieser expliziten, teilweise offenen Fragen bezüglich der Beurteilung von Lebensqualität werden in den folgenden Kapiteln dargestellt. Die Messung von Lebensqualität erfolgte sowohl über subjektive Indikatoren (z.B. allgemeines Wohlbefinden, persönliche Vorstellungen von Lebensqualität) als auch über die subjektive Bewertung objektiver Indikatoren (z.B. Bewertung vorgegebener Faktoren des Wohnumfeldes).10 Auf eine systematische Darstellung der objektiven Lebensbedingungen wird hingegen verzichtet, da dies nur dann angemessen
10 Die Messung von Lebensqualität über die subjektive Bewertung objektiver Indikatoren, wie z.B. die Beurteilung der Lebenshaltungskosten, ist ein übliches Vorgehen, so etwa beim Sozioökonomischen Panel oder im Wohlfahrtssurvey (vgl. hierzu z.B. Statistisches Bundesamt 2004).
Das gute Leben: Zur Diskussion und Forschung über Lebensqualität
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erscheint, wenn jeder Bereich der Lebensverhältnisse mit den subjektiven bzw. kollektiven Einschätzungen derselben abgeglichen werden kann.11 Wo es jedoch sinnvoll ist, wird der jeweilige sozioökonomische Status als objektiv vorhandener Hintergrund in passender Form Eingang in die Beschreibung der Ergebnisse finden. Eine wichtige Unterscheidung betrifft den Bezugshorizont der Fragen (vgl. hierzu Wild-Eck 2002). So kann sich die Beurteilung der Lebensqualität auf einzelne Personen (persönliche Lebensqualität) oder auf einen Ort, eine Region oder Stadt beziehen (allgemeine Lebensqualität). Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil für jemanden persönlich bestimmte Dinge keine Relevanz für eine gute Lebensqualität haben müssen, diese Person kann diese jedoch gleichzeitig für die allgemeine Lebensqualität an einem Ort als wichtig einstufen. Es gibt also eine deutliche Differenzierung zwischen dem, was zum Thema Lebensqualität spontan genannt wird und jenen Aspekten, denen beim konkreten Ansprechen hohe Bedeutung zugemessen wird. Beispielsweise werden naturräumliche Elemente (Parks, Grünflächen etc.) selten von selbst bzw. spontan genannt, wenn die persönliche Lebensqualität Thema ist, bei der allgemeinen Lebensqualität in der Stadt kommen diesbezüglich schon eher Antworten. Wird den Befragten dagegen explizit eine Liste mit einer Auswahl potenziell lebensqualitätsrelevanter Aspekte, unter ihnen naturräumliche Elemente zur Bewertung vorgelegt, so nehmen naturräumliche Elemente in aller Regel Spitzenpositionen ein.
11 Gegenüber der Umweltbewusstseinsstudie, in der nur zwei den Bereich der Lebensqualität betreffende Zufriedenheitsfragen in den Fragebogen aufgenommen wurden, finden im Wohlfahrtssurvey 45 Items zur Einschätzung der eigenen Lebensverhältnisse Berücksichtigung. „Sie repräsentieren die positiven Komponenten des subjektiven Wohlbefindens.“ (Habich 2002, S. 204)
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2
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
2.1
Allgemeines Wohlbefinden
Das subjektive Wohlbefinden ist zwar ein sehr globales Maß, doch es erlaubt durchaus erste Rückschlüsse auf die wahrgenommene Lebensqualität in einem Land. Denn in aller Regel ist diese Einschätzung das Ergebnis eines Bewertungsprozesses, in dem die Menschen ihre objektiven Lebensbedingungen vor dem Hintergrund ihrer individuellen Ansprüche abwägen (vgl. Statistisches Bundesamt 2004, S. 457). Gut drei Viertel der Befragten fühlen sich in Deutschland wohl. Davon fühlen sich 20% ausgesprochen wohl, dies sind im Vergleich zu 2002 jedoch 4% weniger. Komplementär dazu ist die Zahl derer, die sich in Deutschland nicht so wohl fühlen, von 12% auf 17% gestiegen (siehe auch Tabelle 9). Auffällig ist, dass das Wohlbefinden der Einwohnerinnen und Einwohner von Kleinstädten (5.000 bis unter 50.000) am höchsten ist, von diesen fühlen sich 28% „ausgesprochen wohl“ in Deutschland, in größeren Städten (50.000 bis unter 500.000) sind es 17%, in Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern liegt diese Quote bei 18%. Deutlich sind die im Zeitlauf gewachsenen Unterschiede in der Befindlichkeit zwischen Ost und West. So fühlen sich die Westdeutschen deutlich wohler als die Ostdeutschen (vgl. auch Statistisches Bundesamt 2004, S. 457). Während sich von den Befragten im Westen 83% wohlfühlen, gaben von den Befragten im Osten nur noch 58% zu Protokoll, dass sie sich in Deutschland wohlfühlen. Der Anteil derer, die sich nicht sonderlich wohlfühlen, liegt nun sogar bei 39%. Das bedeutet gegenüber 2002 eine Steigerung um 12% und gegenüber 2000 eine Steigerung um 17%. Vierzehn Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Stimmung im Osten also denkbar schlecht. Die Diskrepanz im subjektiven Wohlbefinden in Ost und West war noch nie so hoch wie in der Umfrage 2004. Eine der wesentlichen Ursachen sind sicherlich die nach wie vor schlechteren individuellen Lebensbedingungen in den östlichen Bundesländern. Nach Delhey/Böhnke sei das
83
Allgemeines Wohlbefinden
geringere subjektive Wohlbefinden aber nicht ausschließlich auf die schlechteren Lebensbedingungen im Osten zurückzuführen. Ursächlich seien auch andere politische Orientierungen sowie andere Ansprüche und Erwartungen an Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Allerdings bestehen bei den Befragten aus dem Osten keine signifikanten Altersunterschiede in der Einschätzung des subjektiven Wohlbefindens. Die 18- bis 29-Jährigen12, obwohl doch ein Großteil ihrer Sozialisation nicht im Gesellschaftssystem der DDR erfolgt ist, fühlen sich nicht wohler als die Älteren. Es bleibt also abzuwarten, ob die materielle Einheit nicht doch auch die innere Einheit bringt (vgl. hierzu Delhey/Böhnke 1999). Tabelle 9: Wohlbefinden in Deutschland (Zeitreihe) Angaben in %
Erhebung 2004
Erhebung 2002
Erhebung 2000
Ges.
West
Ost
Ges.
West
Ost
Ges.
West
Ost
ausgesprochen wohl
20
23
8
24
27
13
21
22
14
ziemlich wohl
58
60
50
59
60
56
62
62
62
nicht so wohl
17
14
31
12
9
21
13
12
18
ausgesprochen unwohl
3
2
8
3
2
6
2
2
4
weiß nicht so recht
2
1
3
2
2
4
2
2
2
Frage: Wenn Sie einmal an das Leben bei uns in der Bundesrepublik denken: Wie wohl fühlen Sie sich hier in Deutschland?
In der gesamten Stichprobe offenbart eine Differenzierung nach dem Alter leichte Unterschiede im Wohlbefinden. So steigt mit zunehmendem Alter das Wohlbefinden. Eine weitere Differenzierung nach Geschlecht und Bildungsabschluss ergibt keine bemerkenswerten Unterschiede. Hochsignifikante Unterschiede können hingegen für die unabhängige Variable ‚NettoHaushalteinkommen’ beobachtet werden. In der folgenden Abbildung sind die Mittelwerte der von 1 (‚ausgesprochen unwohl’) bis 4 (‚ausgesprochen wohl’) reichenden Bewertungsskala dargestellt.
12 Verglichen wurden die Werte drei verschiedener Altersklassen: 18- bis 29-Jährige, 30- bis 49-Jährige sowie 50 Jahre und älter (jeweils nur Befragte aus Ostdeutschland). Signifikante Unterschiede konnten nicht festgestellt werden.
84
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
Abbildung 7: Wohlbefinden in Deutschland nach Netto-Haushaltseinkommen 3,2 3,13 3,09
3,1 3,01 3 2,88
2,9
2,89
2,92
2,8 2,7 2,6
2,55
2,5 bis unter 750 € 750 bis 1250 € 1250 bis 1750 1750 bis 2250 2250 bis 2750 2750 bis 3250 € € € €
3250 € und mehr
* Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen: Je höher der Mittelwert, desto wohler fühlen sich die Befragten in Deutschland.
Befragte der niedrigsten Haushaltseinkommensklasse weisen mit 2,55 Skalenpunkten den kleinsten Mittelwert auf, jene mit 3250 € Haushaltseinkommen oder mehr den größten (3,13). Zwar sind die Unterschiede nicht exorbitant, die im Diagramm stetig ansteigende Kurve verbildlicht jedoch: Je höher das Haushaltseinkommen und mithin der materielle Wohlstand, desto höher ist auch das subjektiv empfundene Wohlbefinden in Deutschland. Lenkt man den Fokus abschließend auf den Einfluss von nichtsoziodemographischen Merkmalen auf das Wohlbefinden, offenbaren sich einige interessante Zusammenhänge. So weisen etwa die Umweltengagierten13 mit 3,14 einen sehr hohen Mittelwert auf und fühlen sich somit im Allgemeinen wohler als die Gruppe derer, die nicht hierzu zu zählen sind.14
13 Siehe hierzu Kapitel I.3.4. 14 Nicht unerheblich ist hier aber auch der Einfluss der Variable „Netto-Haushaltseinkommen“, denn die Gruppe der Umweltengagierten weist im Vergleich mit den NichtUmweltengagierten ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen auf.
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität
85
Besonders stark ist auch der Einfluss der Variable „Religiosität“: Das subjektive Wohlbefinden religiöser Menschen ist generell höher als das nichtreligiöser Menschen. Die Differenzen sind hochsignifikant. Insbesondere in den unteren Einkommensgruppen (750 bis unter 1750 €) sind die Diskrepanzen im Wohlbefinden zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen außerordentlich hoch. Auch wer täglich liest (Bücher und/oder Zeitungen/Zeitschriften), sich künstlerisch betätigt oder musiziert, häufig Gartenarbeit verrichtet, gern bastelt und werkelt sowie regelmäßig Konzerte, Ausstellungen oder Theater- und Opernaufführungen besucht, dessen individuell wahrgenommenes Wohlbefinden ist höher als beim Durchschnitt. Hier zeigen sich also erste Hinweise, dass die aus der Perspektive der Nachhaltigkeit so entscheidende Orientierung an nicht-materieller Bedürfnisbefriedigung offensichtlich mit einem höheren subjektiven Wohlbefinden einhergeht. 2.2
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität
Was sind nun im Einzelnen die Gradmesser subjektiven Wohlbefindens der Deutschen? Was macht das Leben persönlich lebenswert? Wir fragten mittels einer offenen Frage – also ohne Vorgabe von Antwortmöglichkeiten – nach den Bestimmungsmomenten persönlicher Lebensqualität. Ganz oben in der Rangfolge15 der häufigsten Nennungen stehen „Einkommen/ Wohlstand“16 vor „Gesundheit“, „Arbeit/Beruf“ sowie „Familie/Kinder“. Die deutlichsten Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Bundesländern ergeben sich beim Indikator „Arbeit/Beruf“. Dieser wird in Ostdeutschland deutlich häufiger als Bestimmungsmoment für Lebensqualität
15 Legt man als Rangfolge zu Grunde, welche Stichworte einzeln am häufigsten genannt wurden, so ergibt sich für die ersten fünf Positionen folgende Hierarchie: Gesundheit, Familie, Arbeit, Geld, Freunde. Das Stichwort „Geld“ wurde gemeinsam mit den ebenfalls häufig genannten Stichworten „Einkommen“, „finanziell“ und „Wohlstand“ zusammengefasst und ist deshalb an erste Stelle gerückt. 16 Die Dominanz des Indikators ‚Einkommen und Wohlstand’ wird durch das Ergebnis einer weiteren Frage nach der Präferenz zwischen Einkommen und Freizeit bestätigt. Dabei entscheiden sich 52,3% für mehr Einkommen, 28,5% würden mehr Freizeit bevorzugen und 19,2% können sich nicht entscheiden.
86
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
angegeben, wobei der Arbeitsplatz vor dem Hintergrund einer höheren Arbeitslosenquote und der allgemein schlechteren wirtschaftlichen Lage in den ostdeutschen Bundesländern stärker als bei den Befragten im Westen als Säule der finanziellen und sozialen Sicherheit hervorgehoben wird. So wird auch „soziale Absicherung“ von 17% aller Ostdeutschen gegenüber 10% der westdeutschen Befragten genannt. Tabelle 10: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität Die Top Ten der häufigsten Nennungen in % (Mehrfachnennungen möglich)
Gesamt
West
Ost
1. Einkommen/Wohlstand
37
37 (1)
39 (1)
2. Gesundheit
32
31 (2)
35 (2)
3.* Arbeit/Beruf
25
23 (5)
33 (3)
3.* Familie/Kinder
25
25 (3)
25 (4*)
5. Freunde/soziale Kontakte
22
24 (4)
15 (7)
6. Wohnen/das eigene zu Hause
20
19 (6)
25 (4*)
7. Zufriedenheit/Lebensfreude
16
17 (7)
12 (9)
8. Wohnumgebung
13
13 (8)
13 (8)
9. Freizeit/Hobbys
12
12 (9*)
10 (10)
10.* Soziale Absicherung
11
10 (11)
17 (6)
10.* Unabhängigkeit/Freiheit
11
12 (9*)
6 (11)
Frage: Was macht für Sie persönlich Lebensqualität aus? Was fällt Ihnen spontan dazu ein? (Offene Frage, qualitative Auswertung durch ein nachträglich aufgestelltes Kategorienschema) * geteilter Rangplatz auf Grund gleicher Anzahl der Nennungen.
Aus der Perspektive der Nachhaltigkeit mag es zunächst ernüchternd erscheinen, dass Einkommen und Wohlstand die Spitzenposition einnehmen. Heißt es nicht, Geld und Wfohlstand allein machen nicht glücklich? Doch hier ist zu differenzieren. Erstens ist davon auszugehen, dass der Begriff der Lebensqualität semantisch von vornherein andere Assoziationen hervorruft als beispielsweise der Begriff des Glücks, der vor allem mit Partnerschaft und Familie in Zusammenhang gebracht wird. So gewinnt man bei einer Betrachtung der Antworten auf die Frage nach den Bestimmungsmomenten persönlicher Lebensqualität den Eindruck, dass der Begriff der Lebensqualität für die Menschen in erster Linie all das zusammenfasst, was man in Deutschland für ein angenehmes Leben braucht. Und angesichts der täglich vorgeführten Vorbilder, u.a. in Medien und Werbung, spielen Einkommen und Wohl-
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität
87
stand eine gewichtige Rolle, um einen auch als durchschnittlich wahrgenommen (deutschen) Lebensstandard realisieren zu können. Zwar ist Deutschland ein Land, das seinen Bürgerinnen und Bürgern die unterschiedlichsten Möglichkeiten bietet, das Leben individuell zu gestalten. Doch die viel beschworene Entscheidungsfreiheit wird eben häufig auch über das Portemonnaie geregelt. Vor dem Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen Lage wird dieser Umstand vermutlich noch verschärft wahrgenommen. Zweitens ergibt eine eingehende Analyse der Antworten auf die offene Frage zu den Bestimmungsmomenten persönlicher Lebensqualität, dass differenziert werden muss zwischen Personen, bei denen eher eine materialistische Orientierung im Vordergrund steht und Lebensqualität gleich gesetzt wird mit „Luxus“, „Geld ausgeben, schöne Dinge kaufen“ „ein schickes Auto fahren“, „einkaufen und shoppen gehen, wann ich möchte“, „dass ich alles kaufen kann“ etc. und jenen, die eher einen ausreichenden Lebensstandard betonen – „keine finanziellen Sorgen“, „ein gutes Auskommen haben“, „genügend Geld zum Leben“, „finanzielle Sicherheit“ etc. Während die erstgenannte Gruppe ganz klar in der Minderheit ist, befindet sich letztere eindeutig in der Überzahl. Hinzu kommt, dass ein relativ großer Teil der Befragten explizit „soziale Absicherung“ als wichtigen Aspekt persönlicher Lebensqualität anführt.17 Hier geht es also eher nicht um die Sehnsucht nach Reichtum und einem Leben im Luxus, sondern um den Wunsch nach gesicherten Verhältnissen – wobei die (materiellen) Ansprüche und Erwartungen aus der Perspektive der Nachhaltigkeit streng genommen immer noch zu hoch sein dürften. In Bezug auf die erstgenannte, in ihren Antworten eher explizit materialistisch orientierte Gruppe, lohnt ein kurzer Blick auf die jüngste Milieu-Typologie des Sinus-Instituts (vgl. www.sinus-milieus.de). Danach würde es sich bei den so genannten „Konsum-Materialisten“ (Anteil in Deutschland: 11%) um die stark materialistische Unterschicht handeln, der es vor allem darum ginge, Anschluss zu halten an die Konsum-Standards der breiten Mitte, als Versuch des Ausgleichs sozialer Benachteiligungen. Das klingt beinahe zynisch. Denn: Mit wach-
17 Siehe in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung von Konzepten „sozialer Grundsicherung“ im Rahmen einer integrierten Nachhaltigkeitsstrategie (vgl. z.B. Ziegler 2003, S. 187ff.).
88
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
sendem Netto-Haushaltseinkommen steigen auch die Ausgaben für den privaten Konsum kontinuierlich an, insbesondere auch jene, die über die Erfüllung der Grundbedürfnisse (Wohnung, Nahrung und Bekleidung) hinausgehen (vgl. Statistisches Bundesamt 2004, S. 133.) Was für die Angehörigen gehobener sozialer Lagen also selbstverständlich anmutet, scheint den so genannten „Konsum-Materialisten“ geradezu vorgehalten zu werden, weil sie sich – vor allem auf Grund mangelnder Bildung – eher einseitig auf demonstrativen Konsum beschränken, um Benachteiligungen zu kompensieren. Generell ist vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass die Höhe des tatsächlichen Haushaltseinkommens keinen Einfluss auf die Dominanz des Aspekts „Einkommen/Wohlstand“ ausübt. Egal, ob arm oder reich, „Einkommen/Wohlstand“ steht jeweils an erster Stelle der Top Ten der häufigsten Nennungen. Allerdings ist der prozentuale Anteil unterschiedlich hoch. Bildet man eine in Hinblick auf ihren sozioökonomischen Status eher benachteiligte Gruppe18, so zeigt sich, dass der Aspekt „Einkommen/Wohlstand“ von Personen aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status mit 45% noch deutlich häufiger als vom Bevölkerungsdurchschnitt genannt wird. Andererseits: Personen aus Haushalten mit einem überdurchschnittlichen Netto-Haushaltseinkommen (mindestens 3250 €) unterscheiden sich mit einer Nennungshäufigkeit von 36% nicht bzw. nur minimal vom Bevölkerungsdurchschnitt. Trotz objektiv relativ guter Lebensbedingungen: Beim Stichwort „Lebensqualität“ gilt also auch hier mehr als einem Drittel der erste Gedanke finanziellen oder materiellen Aspekten. Signifikante Unterschiede zwischen Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status und dem übrigen Bevölkerungsdurchschnitt ergeben sich ferner in Hinblick auf die Nennungshäufigkeit der Aspekte „Familie/Kinder“, „Wohnumgebung“ sowie „Unabhängigkeit/Freiheit. Alle drei
18 Zu dieser Gruppe werden gezählt (Anteil = 10%): Personen mit niedrigerer Bildung und einem Netto-Haushaltseinkommen bis unter 1250 Euro; Personen mit mittlerer Bildung und weniger als 750 Euro Netto-Haushaltseinkommen; Personen mit niedrigerer Bildung und einem Netto-Haushaltseinkommen bis unter 1750 Euro, sofern sie in Haushalten mit vier und mehr Personen leben.
89
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität
Gesichtspunkte werden von Personen aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status seltener genannt. Abbildung 8: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität: Personen aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status 45
Einkommen/Wohlstand
37 34
Gesundheit
32 24
Freunde/soziale Kontakte
22
Arbeit/Beruf
23
Wohnen/das eigene Zuhause
23
25 20
Familie/Kinder
16
Zufriedenheit/Lebensfreude
15 16
25
Wohnumgebung
9
Freizeit/Hobbys
9
13 12
niedriger sozioökonomischer Status
7
Soziale Absicherung
11
Gesamt
5
Unabhängigkeit/Freiheit
11
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Bemerkenswerte, hochsignifikante Unterschiede in der Nennungshäufigkeit des Aspekts „Einkommen/Wohlstand“ zeigen sich ferner zwischen Befragten aus Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Befragten aus ländlichen Regionen mit unter 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. So nennen 43% der Befragten aus Großstädten, aber nur 26% der Befragten aus ländlichen Regionen „Einkommen/Wohlstand“. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Lebenshaltungskosten und mithin der finanzielle Aufwand für ein als „gut“ wahrgenommenes Leben in der Großstadt zumeist erheblich höher ist als auf dem Land – angefangen bei einer „schönen Wohnung in guter Lage“. Bezüglich des Alters und der Nennung des Aspekts „Einkommen/Wohlstand“ ergeben sich signifikante Unterschiede, wenn man drei Altersklassen bildet. Die Unterschiede sind zwar nicht erheblich, aber von der Tendenz her nennen zuallererst die 30- bis 49-Jährigen und dann die 18- bis 29-Jährigen „Einkommen/Wohlstand“ überdurchschnittlich häufig, während Befragte ab 50 Jah-
90
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
ren hier eine unterdurchschnittliche Quote aufweisen (siehe auch Abbildung 9). Geht man weiter ins Detail und differenziert nach den unterschiedlichen Lebensphasen, in denen sich die Befragten befinden, so verlieren sich die Unterschiede ganz bzw. sind nicht mehr signifikant. Der Grad der Schulbildung erweist sich insofern als differenzierendes Merkmal, als insbesondere Personen mit mittlerer Schulbildung mit einem Anteil von 42% überdurchschnittlich häufig „Einkommen/Wohlstand“ nennen, bei Personen mit niedrigerer und höherer Schulbildung liegt dieser Anteil jeweils bei 35%. Die Unterschiede sind signifikant. Abbildung 9: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität nach Altersgruppen*
Einkommen/Wohlstand
39 40
34 21
Gesundheit
31 32
Arbeit/Beruf
15 25
Familie/Kinder
20
Freizeit/Hobbys
8 0%
5%
10%
14 15%
30
22
17
20%
25%
35
31
19
Freunde/soziale Kontakte
37
30%
18- bis 20Jährige 30- bis 49Jährige 50 Jahre älter
35%
40%
45%
* nur signifikante Unterschiede
Neben „Einkommen/Wohlstand“ spielt „Gesundheit“ eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung persönlicher Lebensqualität. Von Frauen wird dieser Aspekt häufiger genannt als von Männern (35% versus 29%). Laut Datenreport 2004 beurteilen Frauen ihren Gesundheitszustand generell kritischer. Für dieses Phänomen existieren bislang jedoch keine allgemein akzeptierten Erklärungen (vgl. Datenreport 2004, S. 481). Ferner wächst die Nennungshäufigkeit mit steigendem Alter an, und zwar mit einem Anteil von 21% bei den 18- bis 29-Jährigen, von 31% bei den 30- bis 49-Jährigen sowie einem
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität
91
Anteil von 37% bei den Befragten ab 50 Jahren. Damit nimmt „Gesundheit“ in dieser Altersgruppe die Pole-Position ein, „Einkommen/Wohlstand“ folgt dann an zweiter Stelle. Bei den 30- bis 49-Jährigen rangiert „Gesundheit“ an dritter Stelle, gleichrangig mit „Familie/Kinder“, aber nach „Einkommen/Wohlstand“ sowie „Arbeit/Beruf“. Bei den 18- bis 29Jährigen steht „Gesundheit“ erst an fünfter Position. Für jeweils ein Viertel aller Befragten sind „Familie/Kinder“ sowie „Arbeit/Beruf“ – sowohl im grundsätzlichen Sinne von „Arbeit haben“ als auch im Sinne eines erfüllenden Berufes – wesentlich für die persönliche Lebensqualität. Einen wichtigen Stellenwert in der Wahrnehmung persönlicher Lebensqualität haben ferner „Freunde/soziale Kontakte“ sowie „Freizeit/Hobbys“. Besonders wichtig sind beide Aspekte den 18- bis 29-Jährigen: Hier stehen sie an dritter Stelle bzw. an sechster Stelle. Freundschaften und sozialer Kommunikation sowie Freizeit und Hobbys messen auch Befragte mit höheren Bildungsabschlüssen überdurchschnittlich hohe Bedeutung bei. Bei Personen mit niedrigeren und mittleren Bildungsabschlüssen werden beide Gesichtspunkte unterdurchschnittlich häufig genannt. Die Ansprüche an Wohnqualität und Wohnumgebung sind heute hoch und so spielt auch die Art und Weise des Wohnens eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung persönlicher Lebensqualität. Dieser Aspekt taucht gleich zweimal in der Top Ten auf: sowohl in Hinblick auf die eigene Wohnung im engeren Sinne – „eigenes Haus mit Garten“, „schön eingerichtete Wohnung“, „ein gemütliches Heim“ etc. – als auch bezüglich der Wohnumgebung, die zum Beispiel „gut“, „schön“, „freundlich“, „ruhig“ oder „zentral“ sein sollte. Die hohe Wertschätzung eines schönen Wohnens ist von soziodemographischen Merkmalen weitgehend unbeeinflusst. Lediglich für die Nennungshäufigkeit des Aspekts „Wohnumgebung“ lassen sich signifikante Zusammenhänge dahingehend ermitteln, dass ein gutes Wohnumfeld mit steigendem Einkommen an Bedeutung gewinnt bzw. von Befragten aus Haushalten mit höherem Einkommen häufiger genannt wird. Die tatsächliche Wohnsituation – ob man z.B. im Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus, in guter oder eher schlechter Wohngegend, in einer ruhigen Wohnstraße oder an einer Hauptverkehrsstraße wohnt – übt hingegen keinen Einfluss auf die Nennungshäufigkeit der das Wohnen bzw. die Wohnumgebung betreffende Indikatoren für Lebensqualität auf.
92
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
Wenn immerhin jeder sechste Deutsche spontan Zufriedenheit und Lebensfreude als wesentlich für die persönliche Lebensqualität anführt, dann könnte das für die Suffizienz-Forschung ein Anknüpfungspunkt sein (vgl. z.B. Linz 2004). Zwar ist damit die Frage, wie der Zustand der Zufriedenheit individuell hergestellt wird, nicht konkret beantwortet. Doch ist vor dem Hintergrund einer eingehenden Betrachtung der Antworten der Befragten die Aussage erlaubt, dass Zufriedenheit und damit zusammenhängend Lebensfreude weitgehend als immaterieller Wert im Sinne „innerer Zufriedenheit“ aufgefasst und eher nicht unmittelbar mit Geld und Güterwohlstand in Zusammenhang gebracht wird. Auch wer gegenüber mehr Einkommen mehr Freizeit bevorzugt, bringt persönliche Lebensqualität signifikant häufiger mit Zufriedenheit in Zusammenhang. Die Nennungshäufigkeit dieses Aspekts ist ferner beeinflusst von bestimmten Wertorientierungen. Personen, denen Wertorientierungen19 wie Selbstverwirklichung, Kreativität, Toleranz, Lebensgenuss und ein abwechslungsreiches Leben besonders wichtig sind, nennen Zufriedenheit und Lebensfreude überdurchschnittlich häufig als bestimmend für persönliche Lebensqualität. In dieser Personengruppe sind darüber hinaus Befragte mit höheren Bildungsabschlüssen überrepräsentiert. Damit lässt sich offensichtlich auch an die These anknüpfen, dass ein höherer Bildungsgrad deutlich dazu beiträgt, dem Leben „Qualität“ zu geben. Stellt man bezüglich der Wahrnehmung persönlicher Lebensqualität noch einmal ausdrücklich Frauen und Männer gegenüber, so ergeben sich einige interessante Unterschiede. Während Frauen die Aspekte „Gesundheit“, „Wohnen/das eigene zu Hause“, „Freunde/soziale Kontakte“ und „Familie und Kinder“ signifikant häufiger anführen, sind dies bei Männern insbesondere „Arbeit/Beruf“ sowie „Freizeit/Hobbys“. Bei der Frage, ob sich die persönliche Lebensqualität in den vergangenen zehn Jahren verändert hat, offenbart sich ein uneinheitliches Bild. So stellen 40% aller Befragten eine Verbesserung ihrer Lebensqualität fest. 24% sind hingegen der Meinung, sie habe sich eher verschlechtert, während 36% keine großen Unterschiede sehen.
19 Siehe hierzu auch Kapitel I.4.5.
93
Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität Abbildung 10: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität nach Geschlecht*
35
Gesundheit
29 21
Arbeit/Beruf
30 26
Familie/Kinder
22,5 25
Freunde/soziale Kontakte
19,5
Wohnen/das eigene zu Hause
Frauen
23 17
Männer
10
Freizeit/Hobbys
14 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
* nur signifikante Unterschiede
Geschlechtsspezifische Unterschiede sind hier nicht feststellbar. Der Anteil derer, die angeben, ihre persönliche Lebensqualität habe sich in den letzten zehn Jahren eher verschlechtert, ist mit 31% in den östlichen Bundesländern höher als in den westlichen Bundesländern. Dort liegt dieser Anteil bei 22%. Ferner sind bezüglich des Alters der Befragten signifikante Unterschiede erkennbar: 49% der 18- bis 29-Jährigen, aber nur 29% der über 60Jährigen nehmen eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebensqualität wahr. Das lässt die Vermutung zu, ältere Menschen trauerten früheren – angeblich besseren – Zeiten hinterher. Doch diese Annahme bestätigt sich nicht, da 46% der über 60-Jährigen – und damit 10% mehr als im Durchschnitt – keine großen Unterschiede bezüglich ihrer Lebensqualität wahrnehmen. Vor allem junge Singles (54%), junge Paare ohne Kinder (54%) sowie junge Familien (53%) – alles Befragte unter 40 Jahren – stellen im Rückblick auf die letzten zehn Jahre eine Verbesserung ihrer Lebensqualität fest. Schließlich erweisen sich auch der Bildungsgrad sowie das NettoHaushaltseinkommen als beeinflussende Variablen. So ist mit einem Anteil von 37% eine im Vergleich zum Befragtendurchschnitt (24%) deutlich höhere Anzahl von Befragten aus Haushalten mit geringem sozioökonomi-
94
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
schen Status der Meinung, ihre persönliche Lebensqualität habe sich eher verschlechtert. 2.3
Lebensqualität am Wohnort
Neben der Einschätzung der persönlichen Lebensqualität, die sich auf einzelne Personen bezieht, kann die Beurteilung von Lebensqualität natürlich auch auf einen Ort, eine Region oder eine Stadt zielen – man kann dann von allgemeiner Lebensqualität sprechen (vgl. hierzu Wild-Eck 2001). So haben wir gefragt, was man in Hinblick auf eine hohe Lebensqualität des eigenen Wohnortes für besonders wichtig hält. Generell fällt auf, dass die Antworten der Befragten zwischen zwei Polen verortet werden können: „Nähe“ und „Ruhe“.20 Beides sollte möglichst gleichzeitig vorhanden sein, im Sinne von „ruhig und doch zentral“. Einerseits wird also großer Wert gelegt auf die Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten oder auch zur „Stadt“, eine gute Verkehrsanbindung und eine allgemein gute Infrastruktur im Sinne der Erreichbarkeit unterschiedlichster Einrichtungen und Versorgungsmöglichkeiten. Andererseits sollte dies verbunden sein mit Ruhe und Überschaubarkeit, einer schönen Umgebung mit viel Natur und Grün, guter Luft sowie möglichst wenig Verkehr. Wie Tabelle 11 zeigt, nennt mehr als ein Fünftel der Befragten ausdrücklich „Einkaufsmöglichkeiten“ als entscheidenden Faktor einer hohen Lebensqualität am Wohnort. Dieser Aspekt rangiert somit auf Platz eins. Am zweithäufigsten wird „Ruhe“ (18%) als Indikator für hohe Lebensqualität am Wohnort eingestuft. 16% der Befragten nennen ganz allgemein „Wohnumfeld“, im Sinne von „gut“ oder „schön“. Ferner sind jeweils 15% der Befragten der Ansicht, dass die Nähe zur Natur sowie eine nette Nachbarschaft sehr wichtige Bestandteile allgemeiner Lebensqualität sind. Auf Rang sechs und sieben der Top Ten folgen eine gute öffentliche „Verkehrsanbindung“ sowie – wieder allgemein – eine „gute Infrastruktur“.
20 Eine Analyse der Worthäufigkeiten der Antworten der Befragten auf die offene Frage zur allgemeinen Lebensqualität hat ergeben, dass die Stichworte „Nähe“ und „Ruhe“ bzw. „ruhig“ am häufigsten genannt werden. Die Analyse erfolgte mit dem MAXdictio-Tool des Datenanalyseprogramms MAXqda 2.
95
Lebensqualität am Wohnort
11% der Befragten gaben explizit zu Protokoll, dass „Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten“ zu den Vorzügen eines Wohnorts mit hoher Lebensqualität gehören. 10% sind der Meinung, dass eine intakte Umwelt und gute Luft von großer Bedeutung für die allgemeine Lebensqualität sind. Und schließlich führen 9% der Befragten an, dass möglichst „wenig Verkehr“ ein entscheidendes Kriterium ist. Nennenswerte Differenzen zwischen Ost und West gibt es vor allem an einem Punkt: Die Befragten aus den westlichen Bundesländern nennen deutlich häufiger die Nähe zur Natur als wichtiges Element einer hohen Lebensqualität am Wohnort. Tabelle 11: Blickwinkel auf eine hohe Lebensqualität am Wohnort Die Top Ten der häufigsten Nennungen in %
Erhebung 2004 (in Klammern: Rang Ost-West)
(Zweifachnennungen möglich)
Gesamt
West
Ost
1. Einkaufsmöglichkeiten
21
21 (1)
20 (1)
2. Ruhe
18
19 (2)
12 (4)
3. Gutes Wohnumfeld/allgemein
16
15 (4*)
19 (2)
4.* Nähe zur Natur
15
17 (3)
9 (9)
4.* Nachbarschaftliches Umfeld
15
15 (4*)
11 (5)
6. Öffentliche Verkehrsanbindung
14
14 (6)
11 (6)
7. gute Infrastruktur/allgemein
13
12 (7*)
14 (3)
8. Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten
11
12 (7*)
9 (8)
9. Intakte Umwelt/gute Luft
10
10 (9)
10 (7)
10. wenig Verkehr
9
9 (10)
7 (10)
Frage: „Wenn Sie jetzt an Ihren Wohnort denken. Was halten Sie hinsichtlich einer hohen Lebensqualität Ihres Wohnorts für besonders wichtig?“ (Offene Frage, qualitative Auswertung durch ein nachträglich aufgestelltes Kategorienschema) * geteilter Rangplatz auf Grund gleicher Anzahl der Nennungen
Wenn bei der Beurteilung der Lebensqualität am Wohnort ein breites Angebot an Einkaufsmöglichkeiten eine so hohe Wertschätzung genießt, dann wird hier im Grunde genommen ein Trend fortgeführt, der sich schon bei der Frage nach den Indikatoren persönlicher Lebensqualität andeutete. Denn wer Einkommen und Wohlstand als Bestimmungsmerkmal von persönlicher Lebensqualität einstuft, den wird der Zugang zu vielfältigen Konsummöglichkeiten vermutlich eher interessieren. Und tatsächlich: Wer Einkommen und Wohlstand als Indikator persönlicher Lebensqualität anführt, nennt auch überdurchschnittlich häufig „Einkaufsmöglichkeiten“ als wesentlich für die allgemeine Lebensqualität. Signifikante altersspezifische Unterschiede in der Zuschreibung dieses Merkmals von Lebensqualität zeigen
96
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
sich nicht, dafür aber signifikante bildungsspezifische Zusammenhänge: Mit sinkendem Bildungsniveau nimmt der Indikator „Einkaufsmöglichkeiten“ an Bedeutung zu. Umgekehrt wird von Befragten mit höheren Bildungsabschlüssen der „Nähe zur Natur“ ein deutlich größerer Stellenwert beigemessen und belegt in der Gruppe der höher Gebildeten sogar den ersten Platz. Differenziert man noch genauer nach dem sozioökonomischen Status der Befragten, so ist auffällig, dass Befragte mit niedrigem sozioökonomischen Status mit einem Anteil von 35% deutlich häufiger „Einkaufsmöglichkeiten“ nennen. Dieser Befund lässt sich mit den Aussagen des SinusInstituts zu den so genannten Konsum-Materialisten21 verknüpfen. So verfügen die Angehörigen dieses Milieus zumeist nur über niedrigere Bildungsabschlüsse und untere Einkommen, dabei ist ihnen spontaner, prestigeträchtiger Konsum sowie der Einkaufsbummel als Freizeitbeschäftigung außerordentlich wichtig. „Ruhe“ wird als bedeutender Bereich der Lebensqualität am Wohnort eingestuft und erhält im Befragtendurchschnitt 18% aller Nennungen. Charakteristisch für viele Aussagen der Befragten ist die Dualität von zentraler Lage und Ruhe. Man wünscht sich eine ruhige Wohnumgebung, möchte dabei aber nicht auf urbanes Leben verzichten. Innerstädtisches, verdichtetes Wohnen scheint also durchaus geschätzt zu werden, sofern die Wünsche der Menschen nach Ruhe, Überschaubarkeit und naturräumlichen Elementen berücksichtigt werden. Am stärksten ausgeprägt ist dieses Bedürfnis bei den 60- bis 69-Jährigen (24%). Nur unterdurchschnittlich häufig genannt wird das Stichwort „Ruhe“ – wenig überraschend – von den 18bis 24-Jährigen (13,5%). Schon eher bemerkenswert ist dagegen der Befund, dass der Wunsch nach Ruhe bei den ältesten Befragten ab 70 Jahre mit einem Anteil von 11% am seltensten geäußert wird – dies spricht sicherlich für verdichtete Wohnkonzepte und insbesondere für eine Mischung von jung und alt. Im Übrigen ist auffällig, dass jene unter den Befragten, die ohnehin schon in einer ruhigen Wohnstraße leben, signifikant häufiger spontan „Ruhe“ als Merkmal von Lebensqualität am Wohnort an-
21 Soziale Lage laut Sinus-Institut: breite Altersstreuung bis 60 Jahre; meist Volks-/Hauptschulabschluss mit oder ohne Berufsausbildung; überdurchschnittlich viele Arbeiter/ Facharbeiter; untere Einkommensklassen; häufig soziale Benachteiligungen (Arbeitslosigkeit, Krankheit, unvollständige Familien) (vgl. www.sinus-milieus.de).
Lebensqualität am Wohnort
97
führen als jene, die an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße leben. Und auch den Punkt „wenig Verkehr“ – immerhin auf Position zehn unserer Top Ten zur Lebensqualität am Wohnort – wünschen sich die Bewohner von Häusern an stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen nicht häufiger als die anderen. Legt man den Befragten aber umgekehrt explizit eine Liste mit einer Auswahl potenziell lärmbelastender Aspekte vor, so fühlen sich 50% der Befragten, die an stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen wohnen, sehr stark oder stark durch Straßenverkehrslärm belästigt. Unter den Befragten, die in ruhigen Wohnstraßen leben, liegt diese Quote bei 3,5%. Wer die Ruhe am Wohnort kennen- und schätzen gelernt hat, möchte sie also nicht mehr missen und hat sie fest im Bewusstsein fest verankert, und wer umgekehrt täglich mit Verkehrslärm leben muss, hat sich damit arrangiert oder nimmt dies als gegeben hin? Eindeutige Zusammenhänge zwischen der sozialen Situation der Befragten und dem Wohnen an stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen offenbaren sich nicht. Das Alter beispielsweise ist an diesem Punkt wenig ausschlaggebend: So wohnen 9% der 18- bis 29Jährigen, 8% der 30- bis 59-Jährigen und 7% der ab 60-Jährigen an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße. Auch ein niedriger sozioökonomischer Status hat einen relativ geringen Einfluss darauf, ob man an einer stark befahren Hauptverkehrsstraße wohnt (11% versus 8%). Allerdings wohnen Befragte aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status deutlich weniger häufig in einer ruhigen Wohnstraße (35% versus 50%). Interessanterweise nennt dieses Milieu auch signifikant weniger häufig ein „gutes Wohnumfeld“ als bestimmend für die allgemeine Lebensqualität. Die „Nähe zur Natur“ steht auf Platz vier unserer Top Ten zur Lebensqualität am Wohnort. Damit bestätigt sich der Befund von Wild-Eck (vgl. 2002), wonach naturräumliche Elemente (Grünflächen, Wald, Parks, etc.) weniger häufig von selbst bzw. spontan genannt werden, wenn die persönliche Lebensqualität angesprochen ist (Anteil: 7%). Wird hingegen die allgemeine Lebensqualität am Wohnort thematisiert, landet der Wunsch nach Naturnähe mit einem mehr als doppelt so hohen Anteil von 15% in der Top Ten. Zwischen 18 und 69 Jahren ist die Zuschreibung dieses Merkmals von Lebensqualität relativ gleichmäßig ausgeprägt. Erst ab einem Alter von 70 Jahren nimmt die Bedeutsamkeit naturnahen Wohnens ab: In dieser Altersgruppe nennen nur noch 9% dieses Attribut allgemeiner Lebensqualität. Deutlicher sind die Zusammenhänge mit dem Grad der Schulbildung: Je höher die Bildung, desto größer ist die Affinität zur Natur am Wohnort.
98
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
Damit korrespondiert auch der Befund, dass Befragte aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status das Merkmal der Naturnähe signifikant seltener als die anderen anführen. Die Größe des Wohnorts, an dem die Befragten leben, hat keinen Einfluss auf die wahrgenommene Bedeutung naturräumlicher Elemente am Wohnort – unabhängig davon, ob man also in einer Großstadt oder ländlich wohnt, naturnahes Wohnen hat einen ähnlichen hohen Stellenwert. Mit der abnehmenden Bedeutung der Landwirtschaft ist die Natur auch für die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Regionen „weitgehend zum Synonym für Erholung geworden“ (Grefe 2003, S. 5). Gleichauf mit der Bedeutsamkeit naturnahen Wohnens steht das Verhältnis zu den Nachbarn (15%). Das nachbarschaftliche Umfeld übt also einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die subjektiv empfundene Lebensqualität am Wohnort aus. Alterspezifisch sind hier keine erheblichen Unterschiede auszumachen: Lediglich bei den 25- bis 29-Jährigen und den 60- bis 69-Jährigen ist die Nennungshäufigkeit dieses Aspekts von Lebensqualität mit jeweils 19% signifikant höher als im Durchschnitt. Geht man weiter ins Detail, wird dem Verhältnis zur Nachbarschaft – anders als vielleicht vermutet – je nach Lebensphase, familiärer Position oder sozioökonomischem Status keine signifikant unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Einen erkennbaren – wenn auch nicht außerordentlichen – Einfluss hat hingegen die tatsächliche Wohnsituation der Befragten. Das betrifft die Größe des Wohnorts, die Wohnlage sowie den bewohnten Haustyp: Wer in einer Stadt mit 5.000 bis 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, in einer ruhigen Wohnstraße und hier in einem freistehenden Ein- oder Zweifamilienhaus lebt, nennt den Aspekt „nachbarschaftliches Umfeld“ häufiger als im Befragtendurchschnitt. Umgekehrt scheint der spontan geäußerte Wunsch nach einem nachbarschaftlichen Umfeld weniger ausgeprägt zu sein, je „beengter“ man ohnehin wohnt. Denn Nachbarschaft schließt auch soziale Kontrolle ein, deshalb werden allzu enge Kontakte – insbesondere in Mehrfamilienhäusern – häufig nicht gewünscht. Gerade in Bezug auf urbane, verdichtete Wohnkonzepte wird deshalb auch vor romantisierenden Einschätzungen gewarnt. So müssen Distanzbedürfnisse ausreichend Berücksichtigung finden. (vgl. Hamm 2000) Eine gute Verkehrsanbindung – und hier ist überwiegend die öffentliche Verkehrsanbindung gemeint – wünschen sich Befragte, die in Mehrfamilienhäusern wohnen, signifikant häufiger als Bewohnerinnen und Bewohner
Lebensqualität am Wohnort
99
von freistehenden Ein- oder Zweifamilienhäusern sowie von Doppel- oder Reihenhäusern. Deutlich über dem Durchschnitt liegt die Nennungshäufigkeit dieses Aspekts auch bei Befragten aus Großstädten, während insbesondere Befragte aus kleineren Städten und Gemeinden dem Merkmal der guten Verkehrsanbindung weit geringeres Gewicht einräumen. Eine allgemein gute Infrastruktur wird vor allem von Familien, sowohl mit kleineren als auch mit älteren Kindern, gewünscht. Die für Familien wichtigen Aspekte einer kinderfreundlichen Umgebung, eines guten Angebotes an Kinderbetreuungsmöglichkeiten und an Schulen erhalten in der Gesamtstichprobe im Übrigen eher niedrige Quoten. Sofern man nicht selbst betroffen ist, misst man diesen potenziellen Aspekten von allgemeiner Lebensqualität keine hohe Bedeutung bei. Hinsichtlich der Nennungshäufigkeit des Merkmals „Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten“ zeigen sich signifikante altersspezifische Unterschiede: Hier sind die 18- bis 29-Jährigen überrepräsentiert und die ab 60Jährigen unterrepräsentiert. Die für die Lebensqualität einer Stadt hohe Bedeutsamkeit einer „intakten Umwelt“ wird neben der „Naturnähe“ vor allem von den Umweltengagierten bzw. den Pionieren der Nachhaltigkeit unter den Befragten thematisiert (siehe hierzu ausführlicher das folgende Kapitel II.2.4). Auffällig ist auch, dass der Aspekt einer intakten Umwelt am Wohnort signifikant häufiger von Befragten, die in einem freistehenden Ein- oder Zweifamilienhaus leben, genannt wird. Stellt man abschließend wieder Frauen und Männer gegenüber, so zeigen sich in Hinblick auf die spontan zugeschriebenen Merkmale einer hohen Lebensqualität am Wohnort nur zwei signifikante Unterschiede in der Zuschreibung. Während Frauen häufiger „Einkaufsmöglichkeiten“ als Männer nennen, sind letzteren „Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten“ wichtiger. Die Ergebnisse der offenen Frage, was man hinsichtlich einer hohen Lebensqualität des Wohnortes für besonders wichtig hält, geben noch keinen Aufschluss darüber, wie zufrieden die Menschen mit der Lebensqualität an ihrem Wohnort sind. Um dieser Einschätzung näher zu kommen, wurden die Befragten gebeten, hierfür Schulnoten zu verteilen. Insgesamt wird die Lebensqualität am eigenen Wohnort von den Befragten sehr positiv bewertet: 90% der Befragten vergeben hier Noten von „sehr gut“ bis „befriedigend“. Während 71% der Westdeutschen die Lebensqualität ihres Wohnortes für sehr gut bzw. gut befinden, geben dies nur 52% aller Ost-
100
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
deutschen an. Dagegen beurteilen 17% der Ostdeutschen gegenüber nur 7% der Westdeutschen die Lebensqualität an ihrem Wohnort als ausreichend, mangelhaft bzw. ungenügend. Wer ruhig, in guter Wohngegend und in einem freistehenden Ein-/Zweifamilienhaus oder einem Reihen-/Doppelhaus wohnt, verteilt grundsätzlich bessere Noten als der Durchschnitt. Auch die wahrgenommene Umweltqualität22 beeinflusst die Bewertung der Lebensqualität vor Ort: Je höher die Umweltqualität in der Gemeinde bewertet wird, desto positiver wird auch die Lebensqualität des Wohnortes beurteilt. Auffällig ist ferner, dass Befragte, die in Städten und Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 5.000 bis unter 50.000 leben, signifikant bessere Noten als der Durchschnitt vergeben. Befragte aus Kleinstädten scheinen also besonders zufrieden zu sein. Dies mag ein Indiz dafür sein, dass die infrastrukturellen Rahmenbedingungen einer Kleinstadt von relativ vielen Menschen als angenehm empfunden werden. Dabei dürfte es vor allem das Ideal der „modernen“ Kleinstadt sein, das die urbane Zentrumsfunktion und hier die Bedürfnisse hinsichtlich Einkaufsmöglichkeiten, Mobilität und Freizeit mit der Beschaulichkeit eines grünen Ortes in intakter Landschaft verbindet („alles vor der eigenen Haustür“). 2.4
Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Umweltbewusstsein
Ändern sich die Vorstellungen von Lebensqualität mit dem Ausmaß des Umweltbewusstseins? Erhalten die nicht auf Geld, Güter und Konsum bezogenen Elemente von Lebensqualität mit steigendem Umweltbewusstsein möglicherweise ein größeres Gewicht? Das ist eine interessante Frage, gerade weil im Kontext der Diskussion um Nachhaltigkeit zunehmend von Lebensqualität gesprochen wird und in diesem Sinne ein Trend zur Auffassung von Lebensqualität als gesellschaftlichem Leitbild feststellbar ist. Das Interesse gilt im Folgenden vorrangig der Frage, ob bezüglich der Nennung verschiedener Indikatoren für persönliche Lebensqualität sowie für Lebensqualität am Wohnort signifikante Unterschiede in den umweltbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen auszumachen sind.
22 Siehe zur Beurteilung der Umweltqualität ausführlich Kapitel III 2.2.
101
Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Umweltbewusstsein
2.4.1 Pro-Umwelteinstellungen und Wahrnehmung von Lebensqualität Die nachstehende Tabelle zeigt – beginnend mit den Spitzenwerten – alle signifikanten Zusammenhänge zwischen der Skala der Pro-Umwelteinstellungen und genannten Merkmalen von persönlicher Lebensqualität. Tabelle 12: Mittelwerte auf der Skala Pro-Umwelteinstellungen nach spontan zugeschriebenen Merkmalen persönlicher Lebensqualität*
Merkmale persönlicher Lebensqualität
Mittelwert „ProUmwelteinstellungen“ 43,46
N
Standardabweichung
Kultur/kulturelle Veranstaltungen
46,27
64
5,45
Frieden
45,57
52
6,49
Nähe zur Natur
45,13
150
6,14
Intakte Umwelt
44,98
124
6,87
Unabhängigkeit/Freiheit
44,30
219
6,80
Gesundheit
44,07
626
5,99
Familie/Kinder
44,04
484
6,30
Einkommen/Wohlstand
42,94
734
6,29
* nur signifikante Unterschiede
Die höchsten Mittelwerte auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen erreichen Befragte, die Kultur bzw. kulturelle Veranstaltungen sowie Frieden als wesentlich für ihre persönliche Lebensqualität anführen. Erwartungsgemäß wird der durchschnittliche Mittelwert der Pro-Umwelteinstellungen auch von den Gruppen übertroffen, die die Nähe zur Natur sowie eine intakte Umwelt als bestimmend für persönliche Lebensqualität betrachten. Auch bei der Betrachtung der genannten Merkmale einer hohen Lebensqualität am Wohnort korreliert die Betonung kultureller Aspekte mit einem hohen Umweltbewusstsein. Die Hervorhebung einer kinderfreundlichen Umgebung steht ebenfalls in einem klaren Zusammenhang mit einem hohen Umweltbewusstsein. Festzuhalten bleibt: Je höher das Umweltbewusstsein ausgeprägt ist, desto weniger häufig werden materielle Aspekte und mithin auf Geld, Güter und Konsum bezogene Elemente von Lebensqualität thematisiert. Inwieweit insbesondere die Wertschätzung von Kultur ein mehrheitsfähiger Anreiz zu „suffizientem Handeln“ (Linz 2004, S. 39) sein kann, bleibt je-
102
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
doch fraglich, denn derartige Orientierungen sind bekanntlich stark milieugebunden. 2.4.2 Wichtigkeit von Umweltschutzmaßnahmen und Wahrnehmung von Lebensqualität Elf, die Wichtigkeit von Umweltschutzmaßnahmen betreffende Items wurden in einer neu gebildeten Skala23 zusammengefügt. Tabelle 13: Items der Skala „Wichtigkeit von Umweltschutzmaßnahmen“ Item
Item-Mittelwert
Korrelation Item-Skala
1
sparsamer mit Energievorräten und Rohstoffen umgehen
3,55
.49
2
das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise stärken
3,35
.52
3
mehr informieren über gesundheits- und umweltgefährdende Produkte und Zusätze
3,31
.52
4
umweltfreundliche Produktionsweisen fördern
3,43
.61
5
für die Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft sorgen
3,73
.50
6
einen verbesserten Umweltschutz in Entwicklungsländern fördern
3,11
.57
7
das ständige Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsflächen bremsen
2,99
.54
8
für eine deutliche Verringerung von klimaschädlichen Gasen sorgen, z.B. den Ausstoß von Kohlendioxid
3,52
.61
9
für einen verbesserten Naturschutz sorgen
3,33
.66
10
das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten verhindern
3,39
.53
11
für einen umweltfreundlichen Verkehr sorgen
3,39
.62
Anweisung: Ich werde Ihnen jetzt einige Ziele und Aufgaben aus dem Bereich Umweltschutz nennen. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Liste, für wie wichtig Sie persönlich diese Aufgaben halten.
Ebenso wie bei den vorangegangenen Ausführungen wurden auch hier die Mittelwerte auf der Skala in Abhängigkeit von „Lebensqualität-Variablen“ untersucht. Es lässt sich feststellen, dass mit abnehmendem Wohlbefinden auch die Wichtigkeit von Umweltschutzmaßnahmen geringer eingestuft
23 Skalenwerte: Reliabilität: Cronbachs Alpha = .86 theoretischer Mittelwert: 27,5 Standardabweichung: 4,67 tatsächlicher Mittelwert: 37,1 Abfragemodus: 1 = ‚sehr wichtig’ 4 = ‚überhaupt nicht wichtig’
Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Umweltbewusstsein
103
wird, wobei die Gruppe derer, die sich nicht so wohl fühlt, eindeutig negativ heraussticht und den geringsten Mittelwert verzeichnet. 2.4.3 Wahrnehmung von Lebensqualität aus der Perspektive von Umweltengagierten und Umweltignoranten Auffällig ist, dass die Umweltengagierten „Einkommen/Wohlstand“ weniger häufig als andere Befragte nennen (31% versus 39%). Eine geringere Priorität als bei den anderen haben auch Arbeit und Beruf, obwohl unter den Umweltengagierten leitende Angestellte und Freiberufler überrepräsentiert sind. Wichtiger als ihre Arbeit sind den Umweltengagierten Freunde und soziale Kontakte. Dieser Aspekt von Lebensqualität wird deutlich häufiger spontan genannt und steht bei auf ihnen auf Rang drei – gegenüber Rang fünf bei den anderen. In der Wertschätzung persönlicher Beziehungen unterscheiden sich die Umweltengagierten am stärksten von den anderen Befragten. Signifikant häufiger thematisiert werden auch „Unabhängigkeit/Freiheit“ sowie soziale Absicherung. Darüber hinaus führen die Umweltengagierten vermehrt die „Nähe zur Natur“ und eine „intakte Umwelt“ als persönlich relevante Aspekte von Lebensqualität an. Tabelle 14: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität: die Umweltengagierten Umweltengagierte
Andere
Gesundheit
31,4
32,0
Einkommen/Wohlstand
30,8*
38,6
Freunde/soziale Kontakte
29,8*
20,6
Familie/Kinder
24,8
24,5
Arbeit/Beruf
19,9*
26,3
Wohnen/das eigene Zuhause
19,4
20,5
Zufriedenheit/Lebensfreude
17,0
15,7
Unabhängigkeit/Freiheit
16,6*
9,7
Soziale Absicherung
14,6*
10,3
Wohnumgebung
13,6
13,1
Freizeit/Hobbys
11,7
11,7
Nähe zur Natur
11,1*
6,6
Intakte Umwelt
11,1*
5,2
* signifikante Unterschiede
Vor allem die immateriellen Elemente von Lebensqualität spielen bei den Umweltengagierten eine noch größere Rolle als bei den anderen. Hier dürf-
104
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
ten vor allem drei Faktoren einen verstärkenden Einfluss ausüben: der Grad der Schulbildung, die Wertorientierungen sowie das verfügbare Haushaltseinkommen. Gegenüber den anderen Befragten haben mehr als doppelt so viele Umweltengagierte einen höheren Schulabschluss (56% versus 26%). Ferner stehen bei den Umweltengagierten Eigeninitiative, Selbstverwirklichung, Solidarität, Kreativität und Toleranz deutlich höher im Kurs als bei den anderen. Besitz und Eigentum erfahren hingegen eine geringere Wertschätzung. Darüber hinaus verfügen fast doppelt so viele Umweltengagierte über ein überdurchschnittliches Netto-Haushaltseinkommen von mehr als 2750 € (30% versus 17%). Aber wohlgemerkt: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Umweltengagierten bezieht ebenfalls nur durchschnittliche Einkommen. Auf die Frage, was ihnen wichtiger wäre, „mehr Einkommen“ oder „mehr Freizeit“, antworten dennoch deutlich mehr Umweltengagierte, dass sie „mehr Freizeit“ bevorzugen würden (51% versus 23%). Der Einfluss von Geld und Wohlstand auf das Glücksempfinden und die Lebenszufriedenheit ist vielfach untersucht worden. So zeigt etwa der interkulturelle Vergleich in Ländern der westlichen Welt, „dass die Zufriedenheit mehr vom persönlichen Anspruchsniveau und weniger vom erreichten Wohlstand abhängig ist: Es macht auf Dauer nicht glücklich, wenn man immer das bekommt, was man sich wünscht. Kurzfristig mag man sich glücklich fühlen; langfristig erzeugen jedoch weder ein neues Auto noch ein Zweitfernseher oder ein Dritturlaub die gleichen Glücksgefühle wie am Anfang“ (Opaschowski 2002, S. 128). Liegt das Einkommen unter der Armutsgrenze oder knapp darüber, kann mehr Geld die Lebenszufriedenheit und das Glücksempfinden steigern. Ist aber ein mittlerer Wohlstand erreicht, koppeln sich Glück und Zufriedenheit ab. Mit weiter zunehmendem Einkommen erhöht sich also nicht zwangsläufig auch die Lebenszufriedenheit (vgl. Scherhorn 2004, S. 4). Umgekehrt ist etwa der negative Effekt von Arbeitslosigkeit auf die Lebenszufriedenheit erheblich stärker als der positive eines steigenden Einkommens (vgl. Brost/Uchatius 2003). Was die Bestimmungsfaktoren von Lebensqualität am Wohnort betrifft, finden wir kaum Differenzen in der Wahrnehmung von Umweltengagierten und Nicht-Umweltengagierten: Nur die „Nähe zur Natur“ wird von Umweltengagierten signifikant häufiger genannt als von den anderen (19,5% versus 14%). Eher bemerkenswert ist hingegen die unterschiedliche Einschätzung der Veränderung der persönlichen Lebensqualität im Zeitraum
Zusammenhänge zwischen Lebensqualität und Umweltbewusstsein
105
der letzten zehn Jahre. So sind 49% der Umweltengagierten der Ansicht, ihre persönliche Lebensqualität habe sich in den letzten zehn Jahren verbessert, bei den anderen sind es nur 38%. Wenden wir uns nun der Gegengruppe der Umweltengagierten zu: den Umweltignoranten. Dabei handelt es sich um einen Kreis von Personen, die sich wenig umweltgerecht verhalten und darüber hinaus auch nur unterdurchschnittliche Pro-Umwelteinstellungen aufweisen. Welche Maßstäbe für persönliche Lebensqualität setzen also die Umweltignoranten? Betrachtet man die folgende Tabelle, dann sticht sogleich die überragende Bedeutung von „Einkommen/ Wohlstand“ und mithin von materiellen Aspekten ins Auge. Weit abgeschlagen folgen „Arbeit/Beruf“ sowie Gesundheit. Wobei Arbeit und Beruf immer noch häufiger als von den anderen Befragten genannt werden. Auch Freizeit und Hobbys haben bei den Umweltignoranten einen signifikant größeren Stellenwert. Tabelle 15: Blickwinkel auf persönliche Lebensqualität: die Umweltignoranten Umweltignoranten
Andere
Einkommen/Wohlstand
40,8*
35,7
Gesundheit
28,0*
33,2
Arbeit/Beruf
28,1*
23,8
Familie/Kinder
24,3
24,6
Wohnen/das eigene Zuhause
22,2
19,4
Freunde/soziale Kontakte
21,7
22,7
Freizeit/Hobbys
14,2*
10,7
Zufriedenheit/Lebensfreude
14,0
16,9
Wohnumgebung
11,9
13,9
Unabhängigkeit/Freiheit
10,3
11,4
* signifikante Unterschiede
Unter den Umweltignoranten sind Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen leicht überrepräsentiert, solche mit höheren Bildungsabschlüssen dagegen leicht unterrepräsentiert. Betrachtet man die prägenden Werthaltungen, so schneiden Werte wie Eigeninitiative, Solidarität, Kreativität und Toleranz signifikant schlechter ab als bei den anderen. Das gilt ebenso für klassische Tugenden wie Pflichtbewusstsein, Disziplin und Höflichkeit. Die Wertschätzung von Besitz und Eigentum ist hingegen hochsignifikant größer. Bezüglich ihres Netto-Haushaltseinkommens unterscheiden sie sich
106
Was in Deutschland Lebensqualität ausmacht
jedoch nicht von den anderen Befragten, wohl aber hinsichtlich der Frage, ob sie „mehr Einkommen“ oder „mehr Freizeit“ den Vorzug geben. So würden sich 61% der Umweltignoranten für mehr Einkommen entscheiden, zum Vergleich: Bei den Umweltengagierten liegt diese Quote bei 32%. Die von den Umweltignoranten genannten Bestimmungsfaktoren einer hohen Lebensqualität am Wohnort heben sich nur in zwei Punkten von den anderen Befragten ab: Signifikant häufiger genannt werden „Einkaufsmöglichkeiten“ und das Vorhandensein einer guten Infrastruktur. Wie weiter oben bereits angesprochen ist beides wenig überraschend. Denn wer Einkommen und Wohlstand als wichtiges Merkmal von persönlicher Lebensqualität einstuft, ist am Zugang zu vielfältigen Konsummöglichkeiten und Dienstleistungsangeboten für gewöhnlich eher interessiert.
107
3
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
Gesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil von Lebensqualität und zählt mit zum wichtigsten Gut im Leben eines Menschen. Unsere Frage zu den Bestimmungsmerkmalen von persönlicher Lebensqualität hat das bestätigt: Gesundheit steht dort auf Platz zwei der häufigsten Nennungen. Ab einem Alter von 50 Jahren aufwärts nimmt Gesundheit den ersten Platz in der Rangfolge ein. Gesundheitsbewusstsein und -vorsorge erfahren ausgehend von den explodierenden Kosten unseres Gesundheitssystems auch in der öffentlichen Diskussion verstärkte Aufmerksamkeit. In einigen Bevölkerungsgruppen hat sich bereits ein verändertes Gesundheitsbewusstsein entwickelt. Gesunde Ernährung und sportliche Betätigung gelten hier zunehmend als Beitrag zur Gesundheitsprävention. Vor allem auch vor dem Hintergrund der starken Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Gesellschaft ist darüber hinaus ein wachsender Markt für unterschiedliche sozial- und gesundheitswirtschaftliche Dienstleistungen entstanden (vgl. Beyer u.a. 2000, S. 31). Der Schutz der menschlichen Gesundheit ist ferner ein wesentliches Anliegen von Umweltpolitik. Fortwährend neue Erkenntnisse über Schadstoffe in der Umwelt und über andere anthropogene Umweltbelastungen beschäftigen die Öffentlichkeit und mithin die politischen Entscheidungsträger, denn sie können erhebliche Folgen für die Gesundheit haben. Neben Lebensqualität und Gesundheit sind also auch Umwelt und Gesundheit eng miteinander verzahnt. Der Schutz der Umwelt ist damit gleichzeitig Gesundheitsvorsorge, oder umgekehrt: Die eigene Gesundheitsvorsorge kann ein Anreiz sein, sich umweltbewusst zu verhalten, etwa durch den Kauf von Bio-Lebensmitteln. Unsere Daten zu den Umweltengagierten – den Pionieren der Nachhaltigkeit – scheinen dies zu bestätigen, denn bei ihnen steht Gesundheit auf Platz eins der wichtigsten Bestimmungsfaktoren von persönlicher Lebensqualität – unabhängig vom Alter. Zwar hat sich beispielsweise die Luftqualität in Deutschland im Lauf der letzten 20 Jahre verbessert, sodass einige Luftschadstoffe (etwa Blei- und
108
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
Schwefeldioxidemissionen) und ihre gesundheitlichen Folgen kaum noch eine Rolle spielen. Dafür sind aber andere umweltbedingte Risikofaktoren für die menschliche Gesundheit in die Diskussion geraten. So können etwa die Innenraumluft, Gegenstände des täglichen Bedarfs, Lebensmittel oder Trinkwasser mit Schadstoffen, unerwünschten chemischen Stoffen, mikrobiellen Toxinen (Gifte) verunreinigt oder mit Strahlung verbunden sein (vgl. UBA u.a. 2004, S. 9). Zu den bekannten Stoffen kommen ferner immer wieder neue hinzu. Hier stellt sich oftmals erst nach einiger Zeit der Nutzung heraus, dass sie schädlich für die Gesundheit sein können. Viele Menschen machen sich deshalb Sorgen über die möglichen gesundheitlichen Risiken einer Vielzahl von Umwelteinflüssen. Wie in Kapitel I.3.2 deutlich wurde, ist das Gefahrenbewusstsein für Großrisiken gestiegen. Obwohl die Menschen diese Umweltrisiken selten unmittelbar, sondern vielmehr durch die Medien oder durch den Austausch mit anderen Menschen erfahren (vgl. auch Häberli u.a. 2002, S. 205). Hinzu kommt, dass die gesundheitlichen Folgen von Umweltbelastungen in der öffentlichen Diskussion mitunter unterschiedlich dargestellt und teilweise wenig differenziert beurteilt werden. Darüber hinaus ist die Datenlage zur Beurteilung einiger gesundheitlicher Risiken oft noch nicht ausreichend, das betrifft etwa die langfristigen gesundheitlichen Folgen der Felder des Mobilfunks. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diskussion um die gesundheitlichen Folgen von Umweltbelastungen ist die Überlegung, ob soziale Unterschiede in der Betroffenheit von Umweltbelastungen bestehen. Das Stichwort heißt auch hier wieder Umweltgerechtigkeit und der Fokus liegt auf der Frage: Wie sind die Umweltbelastungen gemäß Einkommenssituation und Lebensformen sozial verteilt? Als Ausgangspunkt gilt die Vermutung, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen in ihrem Wohnumfeld mit stärkeren Umweltbelastungen konfrontiert sind. Diese mangelnde Umweltgerechtigkeit kann wiederum gesundheitliche Ungleichheit verursachen (vgl. Maschewsky 2004, S. 5f.; Mielck/Bolte 2004, S. 7ff.). Ihren Anfang nahm diese Debatte an der Schnittstelle von Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik in den 1970er Jahren in den USA. Dort erhoben sozial benachteiligte, ethnische Minderheiten in bestimmten Regionen öffentlich Anklage, dass sie über ihre reale soziale Benachteiligung hinaus auch noch in deutlich stärker belasteten Umwelten leben und entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen hinnehmen müssten (vgl. hierzu auch Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 219f.). Mangelnde Umweltgerechtigkeit war nun im öffentlichen
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
109
Bewusstsein angelangt und es entstanden in der Folge viele Bürgerinitiativen, die – lose miteinander kooperierend – starken Druck auf lokaler, einzelstaatlicher und Bundesebene entfalten konnten. So beschränkt sich die amerikanische Debatte zu Umweltgerechtigkeit auch nicht mehr nur auf empirische Bestandsaufnahmen und theoretische Erörterungen, sondern befasst sich verstärkt mit der Entwicklung von Konzepten zur praktischpolitischen Umsetzung von Umweltgerechtigkeit (vgl. Maschewsky 2004, S. 7). In Deutschland steht die Forschung zu Umweltgerechtigkeit und Gesundheit noch am Anfang (vgl. Mielcke/Bolte 2004, S. 18ff.). Im Mittelpunkt der deutschen Diskussion zur gesundheitlichen Ungleichheit stand bislang vor allem die soziale Verteilung von gesundheitsgefährdenden Verhaltensweisen und Arbeitsbedingungen. Die möglichen Gesundheitsbelastungen durch Umweltschadstoffe im Wohnumfeld sind hingegen kaum beachtet worden. Die Thematik gewinnt jedoch zunehmend an Aufmerksamkeit und es finden sich auf der Basis einzelner Studien auch in Deutschland Anhaltspunkte für Zusammenhänge zwischen den Wohnbedingungen einerseits sowie der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit andererseits (vgl. z.B. Mielck 2004, S. 151; Wehrspaun/Schreiber 2004, S. 7f.). Bezüglich der vorliegenden Untersuchung ist zu berücksichtigen, dass die Daten bzw. die Anlage der Umweltbewusstseinsstudie nur Aussagen zur sozialen Verteilung von (subjektiv wahrgenommenen) Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme erlauben. Was die tatsächliche oder objektive Belastung durch Umweltprobleme betrifft, so können hier zwar Rückschlüsse vor dem Hintergrund der jeweiligen Wohnlage einschließlich der Beeinträchtigung durch Straßenverkehr gezogen werden – allerdings handelt es sich dabei um subjektive Bewertungen der Interviewerinnen und Interviewer und nicht um „messbare“ Belastungen. Stellt man die Wohnlage von Befragten mit niedrigem sozioökonomischen Status24 der Wohnlage der übrigen Befragten gegenüber, so zeigt sich, dass die Differenzen hinsichtlich der Beeinträchtigung durch Straßenverkehr nicht sehr stark ausgeprägt sind. An einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße wohnen 11% der Befragten mit niedrigem sozioökonomi-
24 Siehe zur Zusammensetzung dieses Personenkreises Kapitel II.2.2.
110
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
schen Status, bei den anderen sind es 8%. Auffällig ist in erster Linie, dass unter den Befragten mit niedrigem sozioökonomischen Status deutlich weniger Personen in einer ruhigen Wohnstraße (35% versus 50%) und umgekehrt mehr Personen in einer innerstädtischen Straße mit wenig Verkehr wohnen (32% versus 23%). Befragte mit niedrigem sozioökonomischen Status wohnen ferner seltener in einer sehr guten oder eher guten Wohngegend. Hingegen wohnen 48% – und mithin fast die Hälfte – in einer als mittelmäßig oder schlecht eingestuften Wohngegend. Bei den anderen liegt diese Quote jedoch auch bei immerhin 31%. Festhalten lässt sich also: Befragte mit niedrigem sozioökonomischen Status wohnen zwar häufiger in schlechteren Wohngegenden mit höherem Verkehrsaufkommen, aber die Unterschiede sind insgesamt betrachtet nicht so groß, wie man vielleicht vermutet hätte. So weist auch Maschewsky darauf hin, dass wir es in Deutschland – verglichen mit den USA – mit einer weniger stark ausgeprägten sozialräumlichen Entmischung der Bevölkerung zu tun haben. Die Wohnsegregation ist geringer, ebenso das Volumen von Umweltbelastungen. Ferner sind Emissionsquellen auf Grund der räumlichen Enge und der im Verhältnis dazu großen Bevölkerung weiter verteilt. All diese Faktoren führen zu einer allgemein geringeren sozialen Ungleichverteilung von Umweltbelastungen als in den USA (vgl. Maschewsky 2004, S. 17). 3.1
Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme: allgemeine Einschätzung
Fast ein Viertel der Deutschen machen Umwelteinflüsse für eine starke gesundheitliche Beeinträchtigung verantwortlich. Der Anteil derjenigen, die sich durch Umweltprobleme sehr stark oder stark belastet fühlen, ist weitgehend identisch mit dem Ergebnis in den beiden vergangenen Untersuchungen: 22% in 2004 gegenüber jeweils 23% in den Umfragen der Jahre 2002 und 2000. Die empfundene Gesundheitsgefährdung ist im Zeitlauf also relativ stabil. Umgekehrt fühlen sich 20% der Befragten überhaupt nicht durch Umweltprobleme belastet. Dieser Personenkreis ist im Vergleich zu den Umfragen der Jahre 2002 und 2000 etwas kleiner geworden. Ein Zusammenhang ist evident: Je schlechter die Lebensqualität am Wohnort bewertet wird (siehe Kapitel II.2.3), desto stärker fühlt man sich
Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme: allgemeine Einschätzung
111
generell durch Umweltprobleme belastet. Dies ist ein erster Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Wohnsituation und der empfundenen Beeinträchtigung der Gesundheit. Umgekehrt fallen wiederum die Befragten aus kleineren Gemeinden und Kleinstädten (5.000 bis unter 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern) ins Auge. Diese fühlen sich durch Umweltprobleme am wenigsten gesundheitlich beeinträchtigt. Verschiebt man den Zeithorizont der Frage nach der subjektiv empfundenen Gesundheitsbelastung durch Umwelteinflüsse in die Zukunft, offenbart sich eine erhebliche Verschiebung in der Problemwahrnehmung. Drei Viertel der Deutschen glauben, dass die Gesundheit unserer Kinder und Enkelkinder zukünftig stark durch Umweltprobleme belastet sein wird – und zwar schon für den Zeitraum der nächsten 25 Jahre. Während heute noch 20% davon überzeugt sind, dass Umweltprobleme die eigene Gesundheit nicht beeinflussen, glaubt dies für die Zukunft nur noch eine Minderheit von 2%. Hier zeigt sich erneut, dass die Wahrnehmung von Umweltproblemen vor allem als bedrohlich für die Zukunft angesehen wird. Diese skeptische, durch Unsicherheit geprägte Haltung mit Blick auf die Zukunft ist noch stärker ausgeprägt als in den Umfragen der Jahre 2002 und 2000. Wir finden hier also ein weiteres Indiz für den gestoppten Trend der Entdramatisierung der Umweltproblematik. So ist der Anteil derjenigen, der glaubt, dass die Umwelt die Gesundheit unserer Kinder und Enkelkinder in 25 Jahren sehr stark oder stark belasten wird, gegenüber der Umfrage 2002 um 8% angewachsen. Zurück in die Gegenwart: Ist die Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustandes das Thema, so stellt der sozioökonomische Status in aller Regel einen wichtigen Einflussfaktor für die Gesundheit dar (vgl. Statistisches Bundesamt 2004, S. 481). Bevölkerungsgruppen mit weniger qualifizierten Berufsabschlüssen und niedrigerem Einkommen haben danach einen schlechteren Gesundheitszustand. Zu dieser Einschätzung kommen nicht nur Experten, sondern auch die Betroffenen selbst. Als Ursachen werden zumeist ungünstigere Lebensbedingungen sowie ein schwächer ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein angeführt. Umgekehrt kann belegt werden, dass besser ausgebildete Personen für gewöhnlich gesünder leben. Beispielsweise rauchen sie weniger, ernähren sich ausgewogener und sind zumeist auch im Berufsleben mit weniger Gesundheitsrisiken konfrontiert (vgl. UBA 2004, S. 8). Geht es jedoch explizit um die Beurteilung des eigenen Gesundheitszustandes hinsichtlich der Belastung durch Umweltprob-
112
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
leme können wir derartige Zusammenhänge mit dem sozioökonomischen Status nicht feststellen. Im Gegenteil: Nun sind es eher Befragte mit niedrigem sozioökonomischen Status, die hier zu einer – wenn auch minimal – positiveren Einschätzung kommen. Mit einem Anteil von 29% fühlen sich beispielsweise mehr als im Durchschnitt „überhaupt nicht“ durch Umweltprobleme gesundheitlich beeinträchtigt. Darüber hinaus sind keine signifikanten alters- oder geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellbar. Ebenso wenig wirkt sich Elternschaft aus. Alle Befunde gelten gleichermaßen in Hinblick auf die in die Zukunft gerichtete Frage nach der wahrgenommenen Belastung der Gesundheit von Kindern und Enkeln. Zieht man nun die „objektiven“ Gegebenheiten der Wohnumgebung der Befragten in die Betrachtung mit ein, lässt sich festhalten: Je ruhiger man wohnt, desto geringer ist die wahrgenommene Gesundheitsbelastung durch Umweltprobleme. Ausschlaggebend für eine hohe Belastung ist in erster Linie, ob man an einer stark befahrenen Hauptstraße wohnt. Auch die Qualität der Wohngegend spielt dergestalt eine Rolle, dass sich Personen, die in einer eher guten bis sehr guten Wohngegend leben, weniger durch Umweltprobleme belastet fühlen. Welchen Haustyp man bewohnt, erweist sich hinsichtlich der wahrgenommenen Gesundheitsbelastung durch Umweltprobleme nicht mehr als trennscharf. Als Tendenz gilt lediglich: Wer in Mehrfamilienhäusern mit neun oder mehr Wohnungen oder aber im Hochhaus wohnt, fühlt sich etwas stärker belastet. Die Unterschiede sind allerdings nicht sehr groß. Nun stellt sich die Frage: Bilden Personen eher eine Umweltorientierung aus, weil sie sich – z.B. auf Grund ihrer Wohnsituation – von Umwelteinflüssen stark betroffen sehen, oder fühlen sie sich stärker betroffen, weil sie bereits für Umweltthemen sensibilisiert sind? (vgl. auch Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 81) Die folgenden Ausführungen lassen eher letzteres vermuten. Denn: Reale soziale Benachteiligungen müssen nicht zu einem verstärkten Umweltbewusstsein führen und umgekehrt hindert ein privilegiertes Wohnumfeld nicht an einem hohen Umweltbewusstsein und Umweltengagement. Grundsätzlich hat das allgemeine Umweltbewusstsein einen markanten Einfluss auf die wahrgenommene Gesundheitsbelastung durch Umwelteinflüsse. Das gilt sowohl für die Beurteilung des eigenen Gesundheitszustandes hier und heute als auch für die Einschätzung des Gesundheitszustandes von Kindern und Enkeln in der Zukunft.
113
Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme: allgemeine Einschätzung
Abbildung 11: Mittelwerte auf der Skala Pro-Umwelteinstellungen in Abhängigkeit von der empfundenen Gesundheitsbelastung durch Umweltprobleme (links) sowie in Abhängigkeit von der empfundenen Gesundheitsbelastung durch Umweltprobleme für Kinder und Enkelkinder (rechts) 48
47 46 45 44 43 42 41 40
46 44 42 40 38 36 sehr stark
stark
wenig
überhaupt nicht
sehr stark
stark
wenig
überhaupt nicht
Diejenigen, die viel für die Umwelt tun, fühlen sich generell stärker als der Durchschnitt durch Umweltprobleme belastet. So zeigen 30% der Umweltengagierten eine hohe Sensibilität für die von Umweltproblemen ausgehenden gesundheitlichen Belastungen, nur 13% dieses Personenkreises fühlen sich „überhaupt nicht“ beeinträchtigt. Leben Personen aus dieser Bevölkerungsgruppe nun an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße, steigt die Quote der „sehr stark“ oder „stark“ Belasteten auf 72%, bei den anderen ist diese Quote mit 34% deutlich niedriger. Selbst ein Viertel der Umweltengagierten, die in einer ruhigen Wohnstraße wohnen, fühlt sich noch „sehr stark“ oder „stark“ durch Umwelteinflüsse beeinträchtigt, bei den anderen sind es 16%. Betrachtet man umgekehrt die empfundene Gesundheitsbelastung der so genannten Umweltignoranten, so ist auffallend, dass sich grundsätzlich nur 13% „sehr stark“ oder „stark“ durch Umwelteinflüsse gesundheitlich beeinträchtigt fühlen. 28% fühlen sich „überhaupt nicht“ belastet. Unter den Personen dieses Bevölkerungskreises, die an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße wohnen, steigt die Quote der Belasteten nicht erheblich, nämlich von 13% auf 21%. Bei den Umweltengagierten war dieser Sprung deutlich größer: von 30% auf 72%. Der Einfluss der Umweltorientierung auf die (allgemein) empfundene Gesundheitsbelastung durch Umweltprobleme ist also offensichtlich stärker als der Einfluss der tatsächlichen Wohnsituation und -qualität. Auch wenn Personen mit geringerem sozioökonomischen Status tatsächlich größeren Umweltbelastungen ausgesetzt sein dürften, weil sie insgesamt häufiger in schlechteren Wohngegenden mit höherem Verkehrsaufkommen leben, bedeutet dies nicht unbedingt, dass sie dies auch subjektiv
114
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
so wahrnehmen bzw. aus der Wohnsituation resultierende Umweltbelastungen für gesundheitliche Probleme verantwortlich machen. Wie bereits angemerkt nehmen hier mehr Personen als im Durchschnitt überhaupt keine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Umweltprobleme wahr (29%).25 Entscheidend für die wahrgenommene Gesundheitsbelastung ist vielmehr das Ausmaß der Umweltorientierung. Eine starke Umweltorientierung zieht auch ein höheres Gesundheitsbewusstsein nach sich bzw. eine allgemein höhere, unspezifische Sensibilität für gesundheitliche Beeinträchtigungen und Risiken, wie sie von Umweltproblemen ausgehen können – auch wenn man „objektiv“ möglicherweise gar keinen Belästigungen ausgesetzt ist. 3.2
Belastungen durch Schadstoffe und andere Umwelteinflüsse
Die wahrgenommene Belastung durch Schadstoffe in Lebensmitteln sowie im Trinkwasser hat im Vergleich zu 2002 minimal abgenommen. Eine leichte Zunahme der empfundenen Gesundheitsbelastung ist in Bezug auf die Abstrahlung durch Handys und die Abstrahlung von Mobilfunksendemasten feststellbar. Mit steigender Bildung nimmt bei allen abgefragten umweltbedingten Risikofaktoren die wahrgenommene Belastung zu. Das betrifft Schadstoffe in Trinkwasser und Lebensmitteln, die Abstrahlung durch Mobilfunksendemasten und Handys sowie Chemikalien in Produkten und Gegenständen des täglichen Bedarfs. Auch der sozioökonomische Status geht mit einem signifikant unterschiedlichen subjektiven Belastungsgrad einher, und zwar erneut dergestalt, dass sich Befragte mit einem niedrigen sozioökonomischen Status generell weniger stark beeinträchtigt fühlen. Ferner beeinflusst die Wohnlage der Befragten das Ausmaß der subjektiv wahrgenommenen Gesundheitsbelastung: Je schlechter die Wohngegend, desto stärker die wahrgenommenen Belastungen. Das betrifft vor allem die Sorge um die ungewissen Schäden der Felder des Mobilfunks. Deutschland zählt zu den Ländern mit dem höchsten Motorisierungsgrad. Entsprechend hoch sind der Kraftstoffverbrauch und die damit verbundenen Schadstoffemissionen. Stickstoffdioxid beispielsweise führt zu
25 Der Mittelwert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen ist bei dieser Personengruppe mit 43,0 Skalenpunkten leicht unterdurchschnittlich.
Lärmbelastungen
115
Reizungen der Atemwege. Bei empfindlichen Personen, wie Asthmakranken, kann bei höheren Konzentrationen Atemnot auftreten (vgl. UBA u.a. 2004, S. 23). Unter der Perspektive sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit ist zu bedenken: Schweres Asthma und Atemwegs-Symptome kommen deutlich häufiger bei Kindern vor, deren Eltern einen niedrigeren Schulabschluss aufweisen (vgl. Wehrspaun/Schreiber 2004, S. 7). Diese wohnen wiederum häufiger in schlechteren Wohngegenden mit höherem Verkehrsaufkommen. Auch das als krebserregend geltende Benzol wird an stark befahrenen Straßen und dort besonders in Straßenschluchten in den höchsten Konzentrationen gemessen (vgl. UBA 2004 u.a., S. 25). 10% der Befragten haben erheblich unter Autoabgasen zu leiden. Unter denjenigen, die an einer stark befahrenen Hauptstraße wohnen, schnellt die Quote auf 42% hoch. Nur 13% dieser Gruppe fühlen sich überhaupt nicht gestört und belästigt. Immerhin noch die Hälfte fühlt sich zumindest „etwas“ oder aber „mittelmäßig“ durch Autoabgase gestört und belästigt. Hierunter sind überdurchschnittlich viele Befragte, die an innerstädtischen Straßen wohnen, entweder mit durchschnittlichem oder auch wenig Verkehr. Die durch Autoabgase verursachten Belästigungen sind also keineswegs von der Hand zu weisen. Dagegen stellen Abgase und Abwässer von Fabriken für eine deutliche Mehrheit von 81% der Befragten erfreulicherweise keinerlei Belästigung dar. Aber: Unter denjenigen, die in einer von den Interviewerinnen und Interviewern als mittelmäßig oder eher als schlecht eingestuften Wohngegend leben, sinkt die Quote der überhaupt nicht Belästigten auf 75% bzw. 58%. Verglichen mit den Daten der Umfrage 2002 sind die Quoten der sich stark belästigt fühlenden Personen in beiden Bereichen gesunken (Autoabgase: von 16% auf 10%; Fabriken: von 5% auf 3%). Die Qualität der lokalen Umwelt wird also insgesamt vergleichsweise gut beurteilt. 3.3
Lärmbelastungen
Ruhe ist für viele Menschen ein zentrales Merkmal von Lebensqualität am Wohnort. Im Befragtendurchschnitt erhielt dieser Aspekt 18% aller Nennungen und steht auf Platz zwei der Top Ten der wichtigsten Merkmale von Lebensqualität am Wohnort. Nicht von ungefähr gehören Lärm und dessen nachteilige Wirkungen zu den Umwelteinflüssen, die in der Öffent-
116
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
lichkeit immer wieder diskutiert werden. Ist man einer Lärmquelle permanent ausgesetzt, wird das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt und die Gesundheit kann je nach individueller Disposition langfristig Schaden nehmen. Das gilt vor allem auch für Straßenverkehrslärm. So ist aus verschiedenen Studien bekannt, dass zwischen lang andauerndem Straßenverkehr und Krankheiten – vor allem des Herz-Kreislaufsystems – ein Zusammenhang besteht (vgl. Swart/Hoffmann 2004, S. 199ff.; UBA u.a. 2004, S. 29). Wie schon in der Umfrage 2002 haben wir zunächst um ein Gesamturteil über die Lärmbelastung in den letzten 12 Monaten gebeten. Tabelle 16: Lärmbelästigung in den letzten 12 Monaten Erhebung 2004
Erhebung 2002
Angaben in %
Gesamt
West
Ost
Gesamt
West
Ost
äußerst gestört und belästigt
2
2
2
2
2
2
stark gestört und belästigt
6
6
5
9
8
10
mittelmäßig gestört und belästigt
19
19
18
25
25
22
etwas gestört und belästigt
35
36
33
33
33
36
überhaupt nicht gestört und belästigt 38
37
42
31
32
30
Frage: Wenn Sie einmal an die letzten 12 Monate hier bei Ihnen denken, wie stark haben Sie sich durch den Lärm insgesamt gestört oder belästigt gefühlt?
Tabelle 16 verdeutlicht, dass sich 38% der Befragten „überhaupt nicht gestört und belästigt“ fühlen. Gegenüber der Umfrage 2002 ist dieser Anteil um 7% größer. Generell nimmt mit steigender Bevölkerungszahl des Wohnortes die wahrgenommene Lärmbelästigung zu. Ingesamt betrachtet, hat die subjektiv empfundene Lärmbelastung gegenüber 2002 jedoch abgenommen. Personen mit höheren Schulabschlüssen fühlen sich signifikant häufiger durch Lärm gestört und belästigt. Dieser Befund scheint in eine Richtung zu weisen, auf die auch Swart/Hoffmann aufmerksam machen. So scheinen Angehörige oberer Statusgruppen Lärm in stärkerem Maße als belastend zu empfinden, „sei es, weil sie ihn weniger gewohnt sind oder weil sie höhere Ansprüche an ‚Ruhe’ stellen“ (Swart/Hoffmann 2004, S. 215). Wie zu erwarten, ist ein Zusammenhang äußerst signifikant: Je geringer die subjektiv empfundene Lärmbelastung, desto höher ist auch die Wohnzufriedenheit.
117
Lärmbelastungen
Während sich mit 55% mehr als die Hälfte der Befragten, die nach Einschätzung der Interviewerinnen und Interviewer in einer sehr guten Wohngegend leben, überhaupt nicht gestört und belästigt fühlen, sinkt diese Quote unter Befragten aus mittelmäßiger Wohngegend bereits auf 22% und unter Befragten aus schlechter Wohngegend auf 15%. Unter den Anwohnerinnen und Anwohnern stark befahrener Hauptverkehrsstraßen fühlen sich nur 13% überhaupt nicht gestört, umgekehrt fühlen sich 43% äußerst oder stark gestört und belästigt. Das trifft wiederum auf lediglich 3% der Befragten zu, die in ruhigen Wohnstraßen leben. Wir finden also einen starken Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Lärmbelästigungen und der Wohnsituation. Der Einfluss der Wohnsituation ist hier insgesamt deutlich stärker ausgeprägt als hinsichtlich der Wahrnehmung von Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme. Ein hohes Umweltbewusstsein verstärkt die Lärmempfindlichkeit noch zusätzlich. Tabelle 17: Lärmbelästigungen im Wohnumfeld Erhebung 2004 Angaben in %
äußerst gestört und belästigt
stark gestört und belästigt
mittelmäßig gestört und belästigt
etwas gestört und belästigt
überhaupt Mittelwert* nicht gestört und belästigt
Code
1
2
3
4
5
Straßenverkehrslärm
4
6
20
30
40
3,96
Lärm von Nachbarn
2
4
11
26
57
4,32
Flugverkehrslärm
1
3
8
20
68
4,50
Schienenverkehrslärm
1
2
5
12
80
4,68
Industrie- und Gewerbelärm 0
2
5
12
81
4,71
Frage: Wenn Sie einmal an die letzten 12 Monate hier bei Ihnen denken, wie stark fühlen Sie sich persönlich, also in Ihrem eigenen Wohnumfeld, von folgenden Dingen gestört oder belästigt? * Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 5): Je kleiner der Mittelwert, desto größer ist die empfundene Belästigung.
Die Tendenz zu einer – im Vergleich zur Umfrage 2002 – abnehmenden subjektiv empfundenen Lärmbelastung scheint sich auch bei genauer Betrachtung zu bestätigen. Typische Lärmbelästigungen im Wohnumfeld, von Nachbarschaftslärm über Flug- und Schienenverkehrslärm bis hin Industrie- und Gewerbelärm, stellen für die Mehrzahl der Deutschen kein allzu großes Problem dar. Immerhin noch insgesamt die Hälfte der Befragten hat angegeben, sich zumindest „etwas“ oder aber „mittelmäßig“ durch Straßenverkehrslärm gestört und belästigt zu fühlen. Darunter finden sich ü-
118
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
berdurchschnittlich viele Anwohnerinnen und Anwohner von innerstädtischen Straßen mit durchschnittlichem oder auch wenig Verkehr. Die folgende Zeitreihe veranschaulicht abschließend, dass die Quoten der sich stark belastet fühlenden Personen in nahezu allen Bereichen gesunken sind. Tabelle 18: Belästigungen im Wohnumfeld (Zeitreihe) Erhebung Anteil der Befragten in %, die sich äußerst oder stark gestört und belästigt fühlen durch...
1992
1993
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Straßenverkehrslärm
23
23
20
14
15
17
17
10
Lärm von Nachbarn
-
-
-
-
-
6
6
6
Flugverkehrslärm
14
11
10
5
4
5
7
4
Schienenverkehrslärm
3
4
3
2
2
5
5
3
Industrie- und Gewerbelärm
3
3
3
2
2
4
4
2
3.4
Faktorenanalyse der gesundheitlichen Belastungen
Der eigene sozioökonomische Status beeinflusst die Wahrnehmung und Bewertung von Umwelt- und Gesundheitsbelastungen. Diese Zusammenhänge sind bislang aber kaum eindeutig belegt. Die vorliegenden Ergebnisse weisen jedoch eher in die Richtung, dass eine objektiv gleich starke Umweltbelastung in den oberen Statusgruppen als besonders belastend empfunden wird. Das legt den Schluss nahe, dass die tatsächlich vorhandenen Unterschiede im Ausmaß der Umweltbelastung von unteren und oberen Statusgruppen noch größer sind als die Unterschiede in der subjektiven Einschätzung der Belastungen, denn Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status leben bekanntermaßen häufiger in schlechteren Wohngegenden mit höherem Verkehrsaufkommen, wo neben Verkehrslärm oftmals auch weitere schädliche Umwelteinflüsse aus anderen Quellen hinzukommen (vgl. Mielck 2004, S. 152; Swart/Hoffmann 2004, S. 215). Indirekt Bestätigung finden diese Vermutungen durch eine Faktorenanalyse der Umwelt- und Gesundheitsbelastungen. Die Ergebnisse zeigen eine geradezu idealtypische Aufteilung in für das Individuum sinnlich wahrnehmbare Umweltbelastungen wie Autoabgase, Straßenverkehrslärm oder Fluglärm auf der einen Seite (Faktor 1) und in das für das Individuum nicht sinnlich wahrnehmbare Umweltbelastungen wie Schadstoffe in Le-
119
Faktorenanalyse der gesundheitlichen Belastungen
bensmitteln und Trinkwasser, Chemikalien in Alltagsprodukten oder die Abstrahlung durch Mobilfunksendemasten auf der anderen Seite (Faktor 2). Tabelle 19: Faktorenanalyse der Gesundheitsbelastungen Komponente 1 pers. Belastungen durch: Straßenverkehrslärm
,811
pers. Belastungen durch: Autoabgase
,781
pers. Belastungen durch: Industrielärm
,742
pers. Belastungen durch: Abgase und Abwässer von Fabriken
,667
pers. Belastungen durch: Schienenverkehrslärm
,634
pers. Belastungen durch: Fluglärm
,534
pers. Belastungen durch: Lärm von Nachbarn
,520
2
Gesundheitsbelastung durch: Abstrahlung durch Handys
-,866
Gesundheitsbelastung durch: Schadstoffe in Lebensmitteln
-,833
Gesundheitsbelastung durch: Chemikalien in Alltagsprodukten
-,824
Gesundheitsbelastung durch: Abstrahlung von Mobilfunksendemasten
-,822
Gesundheitsbelastung durch: Schadstoffe im Trinkwasser
-,755
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Oblimin mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 6 Iterationen konvergiert.
Ein Mittelwertvergleich der Faktorwerte für Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status zeigt deutlich, dass sich diese kaum durch sinnlich nicht wahrnehmbare Umweltbelastungen beeinträchtigt fühlen. Je höher der Bildungsgrad, desto stärker ist man hingegen für diese sensibilisiert. Das Wohnen an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße, an einer innerstädtischen Straße mit durchschnittlichem Verkehr sowie einer eher schlechten Wohngegend ist indes mit einer stärkeren Beeinträchtigung durch die in Faktor 1 zusammengefassten Belastungen verbunden. Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status sind hier auf Grund ihrer zumeist schlechteren Wohnsituation stärker betroffen. Wobei andererseits interessant ist, dass sich die Umweltengagierten26 – sofern sie an einer stark
26 Mehr als die Hälfte der Umweltengagierten (56%) hat einen höheren Schulabschluss (Fachhochschulreife, Abitur, Fachhochschul-/Hochschulabschluss). Bei den anderen Befragten trifft dies auf 26% zu. Ferner sind sie unter leitenden Angestellten, Freiberuflern
120
Wie gut geht es uns? Umwelt und Gesundheit
befahrenen Hauptverkehrsstraße wohnen – noch erheblich stärker belastet fühlen als die anderen Betroffenen. Wer in einer guten oder sehr guten Wohngegend bzw. in einer innerstädtischen Straße mit wenig Verkehr oder einer ruhigen Wohnstraße wohnt, fühlt sich umgekehrt deutlich stärker durch die in Faktor 2 zusammengefassten Belastungen beeinträchtigt – und dies schließt eher Personen mit höherem Bildungsgrad und höherem Einkommen und insbesondere auch die Umweltengagierten ein. Insgesamt scheint sich damit erneut zu bestätigen, dass sich die Umweltorientierung als mindestens ebenso sicherer Indikator für eine hohe subjektive Umweltbelastungs-Einschätzung erweist wie die tatsächliche Wohnsituation und Wohnqualität. Schlüsselt man die Faktorwerte abschließend noch nach der Variable „Wohlfühlen in Deutschland“ auf, findet man für den ersten Faktor („sinnlich wahrnehmbare Belastungen“) einen signifikanten Zusammenhang, für den zweiten Faktor („sinnlich nicht wahrnehmbare Belastungen“) jedoch nicht. Das bedeutet: Wer angibt, durch sinnlich wahrnehmbare Belastungen wie etwa Lärm stärker belastet zu sein, der fühlt sich auch nicht so wohl in Deutschland. Die nicht sinnlich wahrnehmbaren Belastungen stehen dagegen in keinem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden in Deutschland. 3.5
Allergische Erkrankungen
Umwelteinflüsse werden von einem großen Teil der Bevölkerung auch für allergische Erkrankungen verantwortlich gemacht. So waren in der 2000er Umweltbewusstseinsstudie 89% der Befragten davon überzeugt, dass Allergien umweltbedingt sind. Vor vier Jahren gaben noch 51% an, sie würden allerdings niemanden persönlich kennen, der von allergischen Erkrankungen betroffen ist. Dieser Prozentsatz ist deutlich gesunken: Heute sind es nur noch 40% der Deutschen, die niemanden persönlich kennen, der von Allergien betroffen ist. Allergische Erkrankungen sind also weiter auf dem Vormarsch – jedenfalls in der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung.
und Angestellten im gehobenen oder höheren Dienst des öffentlichen Dienstes überrepräsentiert und sind folglich überproportional häufig Bezieher überdurchschnittlich hoher Einkommen.
Allergische Erkrankungen
121
Eine große Anzahl von Personen ist im Alltag direkt mit Allergien konfrontiert: 18,5% der Befragten geben an, selbst betroffen zu sein und bei weiteren 20% sind Haushaltsmitglieder betroffen. Wie schon in den Umfragen der Jahre 2002 und 2000 sind die Quoten im Westen etwas höher als im Osten. In Großstädten mit 500.000 oder mehr Einwohnerinnen und Einwohnern ist die Betroffenheit von Allergien am größten. Unter denjenigen, die selbst und/oder im eigenen Haushalt mit Allergien konfrontiert sind (insgesamt 25%), befinden sich überdurchschnittlich viele Familien mit Kindern, sowohl mit jüngeren als auch mit älteren Kindern über sieben Jahren. So liegt diese Quote bei jungen Familien bei 34% und bei Familien mit älteren Kindern bei 32%. Je höher der Bildungsgrad, desto stärker ist man im Alltag mit Allergien konfrontiert. Beispielsweise kennen unter den Personen mit niedrigerer Schulbildung 48% niemanden persönlich, der von allergischen Erkrankungen betroffen ist. Bei Personen mit höherer Schulbildung sind es nur 31%. Ferner haben unter letzteren 41% Freunde oder Bekannte, die allergiekrank sind. Bei Personen mit niedrigerer Schulbildung sind es 29%. Ist man selbst und/oder ein Mitglied des Haushaltes betroffen, sind die Differenzen jedoch deutlich geringer: So sind 27% der Befragten mit höherer Schulbildung selbst und/oder ein Mitglied des Haushalts ist von Allergien betroffen, bei Befragten mit niedrigerer Schulbildung liegt dieser Anteil bei 23%. Wer zu den Umweltengagierten zählt, also jenem Anteil in der Bevölkerung, der auch auf der Verhaltensebene überdurchschnittliche Werte aufweist und häufiger als andere einen nachhaltigen Lebensstil pflegt, ist im Alltag deutlich öfter mit Allergien konfrontiert als die anderen. 39% der Umweltengagierten leiden entweder unter allergischen Erkrankungen und/oder ein Mitglied ihres Haushalts ist davon betroffen, unter den Nicht-Umweltengagierten betrifft dies 22%. Auch wenn unter Experten umstritten ist, wie hoch der Anteil umweltbedingter Allergien ist, die folgenden Befunde scheinen zu bestätigen, dass die Bevölkerung von Zusammenhängen zwischen Umwelteinflüssen und dem Auftreten von allergischen Erkrankungen ausgeht. Denn: Wer im Alltag überdurchschnittlich häufig mit Allergien konfrontiert ist, fühlt sich auch überdurchschnittlich stark durch Umweltprobleme gesundheitlich belastet. Und: Je stärker sich die Betroffenen in ihrer Gesamtbefindlichkeit durch Allergien beeinträchtigt fühlen, desto stärker fühlen sie sich auch durch Umweltprobleme gesundheitlich belastet.
122
4
Wohnen und nachhaltige Stadt
Das Thema „Nachhaltige Stadt“ ist in den letzten Jahren in der Umweltkommunikation immer wichtiger geworden, denn es sind die Städte, in denen der Kampf um die Nachhaltigkeit entschieden wird. Dies gilt vor allem im globalen Maßstab, denn angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung sind es vor allem die Städte, insbesondere die Mega Cities, die weit überproportional wachsen. Schon heute lebt die Hälfte der Menschheit in Städten und dieser Prozentsatz wird in Zukunft weiter ansteigen, sodass in 20 Jahren etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben werden (das sind etwa 5 Milliarden Menschen). In der nationalen Betrachtung stellt sich die Entwicklung ein wenig anders dar, denn die vorliegenden Prognosen sind sich weitgehend einig, dass die Bevölkerung in Deutschland sinkt. Die städtischen Ballungsräume wachsen allerdings weiter an, wenngleich die Städte selbst häufig einen Rückgang der Bevölkerungszahl zugunsten ihrer Speckgürtel verzeichnen. Damit ist schon ein wesentlicher Aspekt der Nicht-Nachhaltigkeit von gegenwärtiger Stadtentwicklung benannt, nämlich der wachsende Flächenverbrauch: Im Durchschnitt der Jahre 1997 – 2001 wurden bundesweit täglich 129 Hektar neuer Flächen für Siedlungs- und Verkehrsflächen in Anspruch genommen (vgl. Perspektiven für Deutschland 2004, S. 210ff.). Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie strebt eine Verminderung der Flächeninanspruchnahme auf maximal 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2020 an. Das anspruchsvolle Reduktionsziel ist angesichts der Komplexität des Feldes und der Vielzahl handelnder Akteure nur dann zu erreichen, wenn es gelingt, die besonders in den mittleren Altersgruppen verbreitete Flucht aus der Stadt zu bremsen. Dabei steht der Flächenverbrauch in engem Zusammenhang zu anderen Problemfeldern der Nachhaltigkeit wie beispielsweise dem Verkehr. Staatliche Leistungen wie die Pendlerpauschale fördern derzeit noch wenig nachhaltige Lebensstile wie den Neubau von Häusern auf billigem Baugrund weit außerhalb der Stadtzentren. Dies unterstreicht zusätzlich die Relevanz einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die die verschiedenen Prob-
Wohnzufriedenheit
123
lemfelder (z.B. Bauen und Verkehr) zusammendenkt. In den Mittelpunkt rücken allerdings auch die Wünsche und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger. Wie zufrieden sind sie mit ihrer jetzigen Wohnsituation und wie wollen sie in Zukunft am liebsten wohnen? 4.1
Wohnzufriedenheit
Einen nicht unbeträchtlichen Anteil ihres Haushaltseinkommens, nämlich im Schnitt ein Viertel, kostet die Deutschen das Wohnen. Es gibt Auskunft über den Status und die Lebensphase, und es erzählt Geschichten über Sinnorientierungen, persönliche Erfahrungen und Vorlieben (vgl. hierzu Häußermann/Siebel 2000; Sussebach 2003). Die Wertschätzung des Wohnens ist hoch, in unserer Top Ten zur persönlichen Lebensqualität taucht es gleich zweimal auf: Nicht nur die eigenen vier Wände sind wichtig, auch das Wohnumfeld muss passen. Gut drei Viertel – und somit eine deutliche Mehrheit der Deutschen – sind „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ mit ihrer Art des Wohnens. Ein Blick auf die laufenden Untersuchungen des Sozioökonomischen Panel (SOEP 1994-2002) zeigt, dass die insgesamt positive Bewertung der Wohnsituation durch die Bevölkerung seit Jahren recht stabil ist (vgl. Statistisches Bundesamt 2004, S. 521). Die Quoten in den östlichen Bundesländern sind etwas niedriger als im Westen. Laut SOEP hat sich die durchschnittliche Wohnzufriedenheit der Ostdeutschen seit 1994 aber deutlich verbessert. Differenziert man nach Haushaltstypen, so sind junge Singles, junge Unverheiratete in Familie und Alleinerziehende am wenigsten zufrieden mit ihrer Wohnsituation. Befragte aus Partnerhaushalten über 40 bis 60 Jahre sowie aus Partnerhaushalten ab 60 Jahren sind hingegen überdurchschnittlich zufrieden. Ferner steigt die Wohnzufriedenheit mit der Höhe des Einkommens. Bei Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status ist sie unterdurchschnittlich. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt auch der SOEP 2002 (vgl. a.a.O. S. 522). Der Anteil der sehr Zufriedenen ist bei Bewohnerinnen und Bewohnern eines freistehenden Ein- oder Zweifamilienhauses am höchsten ist, nämlich 46% im Vergleich zu 31% im Durchschnitt (vgl. auch a.a.O., S. 521). Deutlich sinkende Zustimmungswerte in der Antwortkategorie „sehr zufrieden“ zeigen sich bezüglich der anderen Wohnformen. Zwar sind die Bewohnerinnen und Bewohner verdichteter Wohnsiedlungen nicht unzufrieden,
124
Wohnen und nachhaltige Stadt
doch das subjektive Optimum erfüllt offensichtlich nur das freistehende Einfamilienhaus. Verdichtete Wohnkonzepte (Mehrfamilienhäuser) müssen also noch deutlich an Attraktivität gewinnen, um mit dem freistehenden Einfamilienhaus ernsthaft in Konkurrenz treten zu können. Tabelle 20: Wohnzufriedenheit nach verschiedenen Merkmalen Angaben in %
sehr zufrieden
zufrieden
teils/teils
eher zufrieden
sehr unzufrieden
Insgesamt
30,7
48,6
14,9
4,7
1,1
Wohnsituation: Freistehendes Ein-/Zweifamilienhaus Reihenhaus/Doppelhaushälfte Wohnhaus mit 3 bis 4 Wohnungen Wohnhaus mit 5 bis 8 Wohnungen Wohnhaus mit 9 oder mehr Wohnungen Hochhaus
46,0 38,0 17,8 15,6 13,0 23,5
43,2 46,5 61,0 49,4 54,1 52,9
8,5 13,0 14,5 24,2 20,8 20,6
1,8 2,0 5,8 8,4 10,0 2,9
0,4 0,6 0,8 2,5 2,2 ---
Verkehrssituation: stark befahrene Hauptverkehrsstraße innerstädtische Straße mit durchschnittl. Verkehr innerstädtische Straße mit wenig Verkehr ruhige Wohnstraße
13,3 17,5 27,0 41,1
50,6 53,2 50,8 45,0
17,1 21,0 17,8 10,9
13,3 7,1 4,0 2,4
5,7 1,3 0,4 0,7
Ortsgröße: bis unter 5.000 Einwohner 5.000 bis unter 50.000 Einwohner 50.000 bis unter 500.000 Einwohner 500.000 und mehr Einwohner
39,1 38,3 26,3 25,0
43,0 45,1 50,7 51,9
13,7 12,3 17,5 15,9
3,9 3,8 4,4 5,5
0,4 0,6 1,1 1,7
niedriger sozioökonomischer Status
22,7
47,3
19,3
8,0
2,7
Wohlfühlen in Deutschland: ausgesprochen wohl ziemlich wohl nicht so wohl ausgesprochen unwohl
54,8 27,0 17,3 18,0
39,3 54,6 44,5 26,2
4,2 15,1 22,8 32,8
1,2 2,6 12,4 19,7
0,5 0,7 2,9 3,3
Je zufriedener die Menschen mit ihrer Wohnsituation sind, desto wohler fühlen sie sich in Deutschland. Zudem fällt ins Auge, dass Befragte aus ländlichen Gemeinden bis unter 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Befragte aus Kleinstädten bis unter 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zufriedener als der Durchschnitt sind. Was sehr wahrscheinlich wiederum damit zusammenhängt, dass diese – so bestätigen unsere Daten – überdurchschnittlich oft in einem freistehenden Ein- oder Zweifamilienhauses wohnen. Die Wohnzufriedenheit korreliert auch positiv mit der
Wohnzufriedenheit
125
Beurteilung der lokalen Umweltqualität. Die Wirkungsrichtung ist hier allerdings unklar: Sind Personen besonders zufrieden mit ihrer Wohnsituation, weil sie die Umweltqualität ihrer lokalen Umgebung für besonders gut halten, oder schätzen sie die lokale Umweltqualität so gut ein, weil sie mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind? Dass unbefriedigende Wohnbedingungen die Ursache für überdurchschnittliche Freizeitmobilität sind – verstärkter Fluchtwunsch und Freizeitaktivitäten an anderen Orten (vgl. z.B. Fuhrer/Kaiser 1994) – kann auf der Basis der Daten der Umweltbewusstseinsstudie nicht ohne weiteres bestätigt werden. Im Gegenteil: Wer „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ mit seiner Wohnsituation ist, benutzt etwa das Auto im Nahverkehr und bei Tagesausflügen deutlich häufiger als die eher Unzufriedenen. Dabei drängt sich freilich der Verdacht auf, dass es sich hier häufiger als im Durchschnitt um Bewohnerinnen und Bewohner von freistehenden Einfamilienhäusern im Grünen vor der Stadt mit tendenziell schlechter öffentlicher Verkehrsanbindung und/oder relativ weiten Wegen in die Innenstädte handelt. Auch einmalige und mehrmalige Urlaubsreisen gehen signifikant häufiger auf das Konto der Zufriedenen. Es ist aber naheliegend, dass für die Häufigkeit von Urlaubsreisen eher die Höhe des Einkommens ausschlaggebend ist.27 Gleichwohl können wir für Kurzreisen keine derartigen Zusammenhänge feststellen. Hier müsste in zukünftigen Untersuchungen noch genauer differenziert werden, auch was die Häufigkeit von Tagesausflügen u.ä. angeht. Fragt man, welche Faktoren eine besonders wichtige Rolle für ein positiv wahrgenommenes Wohnumfeld spielen28, so zeigt sich, dass die „Nähe zu Freunden und Bekannten“, die „Nähe zur Natur“ sowie „ärztliche Versorgungsmöglichkeiten“ eine besonders wichtige Rolle spielen und am häufigsten an erster Stelle genannt werden. Anders als man vielleicht vermuten würde, spielt die Entfernung zu Nachbarhäusern (Abstände/Einsichten) keine große Rolle. Damit scheint dieser Aspekt für die große Mehrheit auch kein stichhaltiges Argument zu sein, das gegen die Attraktivität von verdichteten Wohnformen sprechen würde.
27 Siehe hierzu Kapitel I.3.3. 28 Aus zwölf vorgegebenen Faktoren sollten die drei persönlich wichtigsten ausgewählt und in eine Rangfolge von eins bis drei gebracht werden.
126
Wohnen und nachhaltige Stadt
Bei der Platzierung der Einflussfaktoren – an erster Stelle – zeigen sich deutliche Altersunterschiede: Für die unter 30-Jährigen sind „Freunde und Bekannte in der Nähe“ eindeutig der wichtigste Aspekt. Bei den 30- bis 44Jährigen steht die „Nähe zur Natur“ an erster Stelle, ebenso bei den 45- bis 59-Jährigen. Für Personen, die 60 Jahre und älter sind, sind hingegen gut erreichbare ärztliche Versorgungsmöglichkeiten der wichtigste Einflussfaktor auf ein positiv wahrgenommenes Wohnumfeld. 4.2
Nachhaltig wohnen
Wohnraumverdichtung, verstärkter Einsatz erneuerbarer Energieträger, verkehrsfreie Räume, Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an der Stadtentwicklung, soziale Mischung und Gemeinschaftseinrichtungen gehören zu den Aspekten, die eine nachhaltige Stadt ausmachen. Zu den wesentlichen Merkmalen nachhaltiger Wohnformen zählt der möglichst sparsame Umgang mit Grund und Boden, um die ökologisch bedenkliche Flächenversiegelung nicht weiter voranzutreiben. Freistehende Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese oder im Speckgürtel größerer Städte sind in dieser Sichtweise eher als problematisch zu beurteilen. Zur Agenda einer nachhaltigen Stadtentwicklung gehören also vor allem die Popularisierung verdichteter Wohnformen sowie die Sanierung im Bestand. Aber: Auch die Autorinnen und Autoren der Nachhaltigkeitsstrategie sind sich darüber im Klaren, „dass verdichtete Siedlungsformen als Alternative zum „Wohnen im Grünen“ nur dann akzeptiert werden, wenn sie mit einer ökologischen und sozialen Aufwertung des Wohnumfeldes einhergehen. Hohe Wohnqualität und gartenbezogenes Wohnen als Alternative zum Eigenheim im Umland können auch in Innenstädten verwirklicht werden: eine Aufwertung städtischer Grün- und Freiflächen ist hierfür eine wesentliche Voraussetzung“ (vgl. Perspektiven für Deutschland 2004, S. 201). Denn: Der Traum der meisten Deutschen ist nach wie vor das Haus im Grünen. Dies bestätigen die nachfolgenden Befunde in aller Deutlichkeit. Die Wahl, ob man lieber in einem Haus im Grünen oder in einer komfortabel ausgestatteten Wohnung in der Stadt leben möchte (jeweils egal, ob als Eigentum oder zur Miete), geht mit 73% relativ klar zu Gunsten des Hauses im Grünen aus. Immerhin entscheidet sich aber auch fast ein Viertel der Befragten (23%) für eine Wohnung in der Stadt. Signifikant höher
127
Nachhaltig wohnen
als im Durchschnitt wird dieser Anteil bei Befragten bis 29 Jahren – in der Lebensphase der „jungen Singles“ – bei Personen mit höherem Bildungsgrad, bei Wählerinnen und Wählern von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und PDS sowie bei Befragten aus Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern. Doch wohlgemerkt: Auch in diesen Gruppen entscheidet sich immer noch eine Mehrheit für das Haus im Grünen. Die geringste Zustimmung findet die Wohnung in der Stadt bei jungen Familien, und zwar in allen Bildungsschichten. Daran wird deutlich, dass ein Leben in der Stadt gerade mit kleineren Kindern als unattraktiv gilt. Tabelle 21: Bevorzugte Wohnform nach verschiedenen Merkmalen Haus im Grünen
Wohnung in der Stadt weiß nicht
Insgesamt
72,9
23,1
4,0
Alter: unter 30-Jährige 30- bis 44-Jährige 45- bis 59-Jährige 60 Jahre und älter
62,3 75,2 76,4 73,5
33,5 19,1 20,6 23,5
4,2 5,7 2,9 3,0
Lebensphase: Junge Singles Junge Unverheiratete in Familie Junge Paare ohne Kinder Junge Familien Alleinerziehende Familien mit nur älteren Kindern über 7 Jahren Partnerhaushalte über 40 bis 60 Jahren Partnerhaushalte ab 60 Jahren ältere Singles, verwitwet
56,3 59,1 68,5 84,1 76,2 79,3 76,6 78,6 65,9
37,8 34,1 24,4 12,7 21,4 16,8 21,5 18,4 31,2
5,9 6,8 7,1 3,3 2,4 4,0 1,9 2,9 3,0
Bildungsgrad: niedrigere Schulbildung mittlere Schulbildung höhere Schulbildung
79,1 77,1 63,0
18,2 19,6 31,1
2,7 3,3 5,8
Parteipräferenz: CDU/CSU SPD Bündnis 90/Die Grünen FDP PDS
78,4 69,3 67,1 82,5 63,8
18,6 27,0 26,8 15,9 35,0
3,0 3,7 6,0 1,6 1,3
Bei Betrachtung der Merkmalskombination Bildung und Lebensphase fällt indes weiterhin ins Auge, dass mit 46% fast die Hälfte der älteren Singles
128
Wohnen und nachhaltige Stadt
(verwitwet) mit höherer Bildung die Wohnung in der Stadt bevorzugen würde. Dieser Anteil ist sogar noch höher als bei den jungen Singles mit höherer Bildung – in dieser Gruppe geben 39% der Wohnung in der Stadt den Vorzug. Die Höhe des Umweltbewusstseins übt keinerlei Einfluss auf die Wahl der Wohnform aus. Dies ist vermutlich ein weiterer Hinweis darauf, dass die Problematik der Flächeninanspruchnahme bislang kaum in das Bewusstsein der Menschen vorgedrungen ist. Signifikante Unterschiede zeigen sich jedoch bei Betrachtung der Wertorientierungen, denen die Einzelnen folgen. So bevorzugen Personen mit traditionellen Wertorientierungen eher das Haus im Grünen. Je mehr man hingegen zu postmaterialistischen Werten neigt, desto eher bevorzugt man die Wohnung in der Stadt. Das gilt auch, wenn man die Bildungsschichten getrennt betrachtet: Dabei ist die Favorisierung der Wohnung in der Stadt in der Gruppe der höher Gebildeten mit postmaterialistischen Wertorientierungen am stärksten ausgeprägt. Die Vorliebe für das Haus im Grünen ist in der Gruppe der niedriger Gebildeten mit traditionellen Wertorientierungen am stärksten ausgeprägt. Hedonistische Wertorientierungen führen ebenfalls eher in das Haus im Grünen – dieser Zusammenhang ist allerdings nur für die Gruppe der niedriger Gebildeten signifikant. Kombiniert man die Merkmale Alter, Bildung und Wertorientierungen, so ist die Affinität zur Wohnung in der Stadt, bei den unter 30-Jährigen mit höherer Bildung und postmaterialistischen Wertorientierungen am stärksten ausgeprägt. Es folgen die 45- bis 59-Jährigen mit höherer Bildung und postmaterialistischen Wertorientierungen. Nicht ganz so groß wie in den zwei genannten Gruppen ist die Vorliebe für die Wohnung in der Stadt bei den 30- bis 44-Jährigen mit höherer Bildung und postmaterialistischen Wertorientierungen. Dies wird aber darauf zurückzuführen sein, dass in dieser Altersgruppe am ehesten Klein- und Vorschulkinder im Haushalt vorhanden sind (siehe oben). Die Schaffung verkehrsfreier Räume, wie beispielsweise eine autofreie Siedlung, kann ebenfalls zu den Merkmalen einer nachhaltigen Stadtentwicklung gerechnet werden. Etwas mehr als einem Drittel der Befragten (37%) würde es gefallen, in einer autofreien Siedlung zu wohnen, 3% praktizieren dies bereits. 60% können sich ein Leben in einer autofreien Siedlung hingegen gar nicht vorstellen. Junge Familien (49%) und Alleinerziehende (56%) finden diese Vorstellung besonders attraktiv. Bei Befragten aus Familien mit nur älteren Kindern über sieben Jahren sinkt die Quote derer, die eine autofreie Siedlung attraktiv fänden, allerdings auf unter-
Nachhaltig wohnen
129
durchschnittliche 33%. Eine weit überdurchschnittliche Anzahl an Befürworterinnen und Befürwortern findet sich des Weiteren unter den Wählerinnen und Wählern von Bündnis 90/Die Grünen (55%) sowie unter den Umweltengagierten (49%). Erwartungsgemäß haben Befragte, die sich ein Leben in einer autofreien Siedlung vorstellen können, auch einen erhöhten Mittelwert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen. Zudem lässt die Neigung zu postmaterialistischen Wertorientierungen das Wohnen in einer autofreien Siedlung attraktiver erscheinen als im Durchschnitt. Wer an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße wohnt, hat ebenfalls stärkeres Interesse an einer autofreien Siedlung (48%). Dies gilt in gleicher Weise für Befragte, die sich „sehr stark“ oder „stark“ durch Umweltprobleme gesundheitlich belastet fühlen. Die Notwendigkeit eines schonenden Umgangs mit Ressourcen, lässt an vielen Punkten eine gemeinschaftliche Nutzung von Produkten, sei es Carsharing oder Heimwerkerbedarf, sinnvoll erscheinen. Als Leitsatz gilt „nutzen statt besitzen“. Es zeigt sich, dass gemeinschaftliche Nutzung durchaus auf Resonanz stößt. Eine knappe Mehrheit der Befragten (56%) findet die Möglichkeit „eher attraktiv“ (33%) oder „sehr attraktiv“ (23%), im näheren Wohnumfeld Gegenstände gegen Gebühr zu leihen, die man im Alltag nicht ständig braucht. 44% der Befragten schätzen diese Möglichkeit „eher nicht“ (27%) oder „überhaupt nicht als attraktiv“ (17%) ein. Das Einkommen spielt bei dieser Frage übrigens keine Rolle. Wer über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt, findet die Möglichkeit der Gemeinschaftsnutzung also genauso ansprechend wie jemand, der ein eher unterdurchschnittliches Einkommen hat. Schaut man sich den Teil der Befragten genauer an, die die Möglichkeit der Gemeinschaftsnutzung im näheren Wohnumfeld „sehr attraktiv“ finden (23%), so fällt auf, dass die 25- bis 49-Jährigen hier überrepräsentiert sind. Differenziert man nach Lebensphasen aus, so haben junge Unverheiratete in Familie (28%), junge Paare ohne Kinder (28%), junge Familien (28%) und Familien mit nur älteren Kindern über sieben Jahren (27%) ein leicht überdurchschnittliches Interesse an einer Gemeinschaftsnutzung. Personen, die in einem Wohnhaus mit drei bis vier Wohnungen leben, sind ebenfalls überrepräsentiert (32%). Unter den Umweltengagierten schätzen 41% eine Gemeinschaftsnutzung als sehr attraktiv ein, bei den anderen liegt diese Quote bei 18%.
130
5
Freizeit und Urlaub
Freizeit und ihre Gestaltung ist trotz wirtschaftlicher Probleme und der Krise der Sozialsysteme nach wie vor sehr wichtig für das Leben der meisten Bürgerinnen und Bürger. Es haben sich aber im Vergleich zur Studie 2002 deutliche Veränderungen ergeben. Vor die Wahl zwischen mehr Freizeit oder mehr Einkommen gestellt, bevorzugen 2004 deutlich mehr Personen die Alternative mehr Einkommen. Tabelle 22: Präferenz für mehr Einkommen oder mehr Freizeit Erhebung 2004
Erhebung 2002
Angaben in %
Gesamt
West
Ost
Gesamt
West
Ost
mehr Einkommen
52
48
69
42
38
58
mehr Freizeit
29
32
17
36
39
24
kann mich nicht entscheiden
19
20
14
22
23
18
Frage: Angenommen, Sie hätten die Wahl zwischen mehr Einkommen oder mehr Freizeit, wofür würden Sie sich entscheiden?
Freizeit ist, so der Soziologe Hartmut Lüdtke (2001), heute nicht mehr nur arbeitsfreie Zeit und Erholung, sondern entwickelt einen ambivalenten Charakter. Der Hunger nach Erlebnissen und die Allgegenwart von Konsum produzieren zusätzliche Belastungen: „Freizeitstress“. Die Freizeitorientierungen, das heißt die Art und Weise wie man die Freizeit verbringt, haben zweifellos erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei sind allerdings viele dieser Effekte indirekter Art, sie hängen also nicht von der Freizeitaktivität selbst ab, sondern von deren Begleitumständen, beispielsweise von den jeweils notwendig werdenden Aufwendungen an Transport und eigener Mobilität. So ist der Museums- und Konzertbesuch, sofern er in der eigenen Stadt oder näheren Umgebung stattfindet, in der Regel mit relativ geringen Umweltbelastungen verbunden, kann also als eine aus ökologischer Sicht sehr vorteilhafte und empfehlenswerte Verhaltensweise gelten. Ganz anders verhält es sich mit der gleichen Freizeitbeschäftigung, wenn man zum Museumsbesuch nach Florenz oder Bilbao fliegt oder zum
131
Freizeit und Urlaub
Konzertbesuch nach Verona. Gerade diese Art von Kultur- und Eventtourismus erfreut sich heute aber zunehmender Beliebtheit und wird für die Selbstvermarktung von Städten zunehmend wichtiger. Wie sieht es also mit den Zusammenhängen zwischen Freizeitverhalten und Umweltbewusstsein aus? Praktizieren umweltbewusste Personen ein anderes Freizeitverhalten? Gibt es vielleicht bestimmte Freizeitorientierungen, die zu ökologisch sensibilisierten Personen „passen“ und andere, die sie ablehnen? Wir haben in dieser Studie das Freizeitverhalten mit Fragen nach 15 verschiedenen Freizeitaktivitäten erfasst. Dabei ergaben sich folgende Einschätzungen, geordnet nach abnehmender Häufigkeit. Tabelle 23: Häufigkeit von Freizeitaktivitäten Freizeitaktivitäten
Mittelwert*
Fernsehen, Videos oder DVDs anschauen
1,29
Tageszeitung lesen
1,57
CDs, Schallplatten, Kassetten hören
2,35
Gegenseitige Besuche von Verwandten, Nachbarn, Bekannten oder Freunden
2,43
Spazieren gehen, wandern
2,49
Bücher lesen
2,66
Basteln/Reparaturen am Haus, in der Wohnung, am Auto; Gartenarbeit
3,00
Essen oder trinken gehen (Café, Kneipe, Restaurant)
3,19
Das Internet oder spezielle Online-Dienste nutzen
3,28
Aktive, sportliche Betätigung
3,28
Ausflüge machen
3,29
Künstlerische und musische Tätigkeiten (Malerei, Musizieren, Fotografie, Theater, Tanz)
3,86
Kinobesuch, Besuch von Pop- oder Jazzkonzerten, Tanzveranstaltungen, Disco
3,99
Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische Konzerte, Theater, Ausstellungen
4,13
Besuch von Sportveranstaltungen
4,15
* 1 = „täglich“, 2 = „mindestens einmal jede Woche“, 3 = „mindestens einmal jeden Monat“, 4 = „seltener“, 5 = „nie“
Der Favorit unter den Freizeitaktivitäten ist eindeutig Fernsehen, einschließlich dem Ansehen von Videos und DVDs. 79% der Deutschen verbringen täglich Zeit vor dem Fernsehbildschirm. An zweiter Stelle folgt das Lesen einer Tageszeitung, 68% tun dies täglich. Zu den häufigen Beschäftigungen in der Freizeit zählen auch Musik hören, gegenseitige Besu-
132
Freizeit und Urlaub
che von Verwandten, Nachbarn, Freunden oder Bekannten sowie spazieren gehen und wandern. Um der Struktur der Items auf die Spur zu kommen, haben wir mit den Daten eine explorative Faktorenanalyse gerechnet. Die mit 15 Items erhobenen Freizeitaktivitäten zeigen eine klare 5-Faktoren-Struktur. Es lassen sich fünf verschiedene Dimensionen des Freizeitverhaltens unterscheiden: Kino, Pop und Internet: Darunter fallen der Besuch von Kino, Disco, Pop-Konzerten, das Surfen im Internet, das Hören von Musik (CDs, Kassetten, MP3 etc.) und auch der Besuch von Kneipen und Restaurants. Kreativität und klassische Kultur: Hierzu zählen Bücher lesen, künstlerische und musische Betätigung und der Besuch von Veranstaltungen wie Oper, klassische Konzerte, Theater und Ausstellungen. Sport und Werken: Das heißt aktive sportliche Betätigung, der Besuch von Sportveranstaltungen sowie das Basteln und Reparieren am Haus oder in der Wohnung, Gartenarbeit. Geselligkeit und Ausflüge: Das heißt gegenseitige Besuche von Verwandten, Nachbarn, Freunden oder Bekannten, Spazieren gehen, Wandern, Ausflüge machen. Konsum traditioneller Medien: Darunter fallen Fernsehen, Videos und DVDs anschauen sowie Tageszeitung lesen. Die Zusammenhänge, die man zwischen den Freizeitorientierungen und dem Umweltbewusstsein findet, stellen sich insgesamt als relativ gering heraus. Sie entsprechen der erwarteten Richtung und sind überwiegend durch Drittvariablen zu erklären. So geht das Freizeitverhalten „Kreativität und klassische Kultur“ tendenziell mit einem höheren Umweltbewusstsein einher, was sich aber auf den beide Variablen beeinflussenden Faktor Bildung zurückführen lässt. Umgekehrt verhält es sich mit der Freizeitorientierung „Kino, Pop und Internet“, die mit einem weniger ausgeprägten Umweltbewusstsein einhergeht. Auch hier stehen aber im Hintergrund beide Variablen bestimmende Faktoren wie Lebensphase und Alter, denn die Orientierung „Kino, Pop und Internet“ dominiert deutlich in jüngeren Altersgruppen und in solchen Lebensphasen, in denen ein unterdurchschnittliches Umweltbewusstsein anzutreffen ist.
Freizeit und Urlaub
133
Das Freizeitverhalten erweist sich insgesamt als außerordentlich facettenreich und vielschichtig. Die durchweg geringen Zusammenhänge zwischen den Dimensionen des Freizeitverhaltens und dem Umweltbewusstsein lassen sich so deuten, dass die Frage der Umweltauswirkungen von Freizeitverhalten bislang noch gar nicht recht in das Bewusstsein vorgedrungen ist. Veränderungen des Freizeitverhaltens der Individuen vollziehen sich zudem trendförmig. Beispielsweise ist seit einiger Zeit ein starker Trend zur inhäusig verbrachten Freizeit („Cocooning“, das heißt die Raupe spinnt sich in einen schützenden Kokon ein) für nahezu alle Altersgruppen zu verzeichnen, umgekehrt verringert sich die Zeit, die man außerhalb der eigenen vier Wände verbringt. Prototypisch für diesen Trend ist der Boom des „Heimkinos“ (DVD mit Mehrkanalton in Kinoqualität). Menschen schließen sich solchen Trends und Megatrends an (oder sie entscheiden sich dagegen), ohne dass zunächst die Umweltauswirkungen überhaupt ins Blickfeld ihres Handelns geraten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie verweisen andererseits auf eine weiter wachsende Mobilität, zum Beispiel auf eine erhebliche Bedeutung von „Kurzreisen“ (59% haben eine oder mehrere im letzten Jahr durchgeführt), die am häufigsten mit dem Auto unternommen werden. Auch das Flugzeug nimmt an Bedeutung zu und hat seinen Charakter des teuren Luxustransportmittels längst verloren. Ein Drittel der Befragten gibt an, im Jahr 2003 mit dem Flugzeug in den Urlaub geflogen zu sein. Dies gilt generell als problematische Entwicklung, denn es wird von einer Zunahme von Umweltproblemen in Zusammenhang mit Tourismus ausgegangen, hier wird u.a. auch auf den starken Anstieg von Fernreisen verwiesen (vgl. Kösterke/von Lassberg 2004, S. 9). Angesichts der Vielschichtigkeit heutigen Freizeitverhaltens stellt sich die Frage, ob sich Zusammenhänge zwischen den Freizeitorientierungen und der Häufigkeit von Kurz- und Urlaubsreisen feststellen lassen. Dabei zeigt sich, dass die einzelnen Dimensionen des Freizeitverhaltens sowohl mit der Häufigkeit von Kurz- und Urlaubsreisen als auch mit der jeweiligen Wahl des Verkehrsmittels – um das Ziel der Kurz- oder Urlaubsreise zu erreichen – korrelieren. Als auffällig erweist sich, dass die Freizeitorientierungen „Kino, Pop und Internet“, „Kreativität und klassische Kultur“ und „Geselligkeit und Ausflüge“ mit einer überdurchschnittlichen Häufigkeit von Kurzreisen einhergehen. Im Rahmen des Freizeitverhaltens „Kino, Pop und Internet“ – das primär in jüngeren Altersgruppen anzutreffen ist – sticht die besonders häufige Nutzung des Flugzeugs ins Auge. Da diese
134
Freizeit und Urlaub
Freizeitorientierung auch in hohem Maße mit der Nutzung eines Billigfliegers korreliert, ist davon auszugehen, dass die erhöhte Flugzeugnutzung bei Kurzreisen vor allem auf die preisgünstigen Angebote von Billigfliegern zurückzuführen ist. Bei einer Dominanz des Freizeitverhaltens „Kreativität und klassische Kultur“ sticht hingegen eine überdurchschnittlich häufige Nutzung der Bahn hervor. Das mit dieser Freizeitorientierung einhergehende höhere Umweltbewusstsein scheint sich also durchaus in der bevorzugten Wahl eines umweltfreundlichen Verkehrsmittels niederzuschlagen. Für die Freizeitorientierung „Geselligkeit und Ausflüge“ lassen sich keine signifikanten Unterschiede in der Wahl des Verkehrsmittels ausmachen. Die Freizeitorientierungen „Kino, Pop und Internet“ sowie „Kreativität und klassische Kultur“ gehen ebenfalls mit einer überdurchschnittlichen Quote an Urlaubsreisen einher – vor allem auch mehrmals im Jahr. Besonders häufig treten mehrmalige Urlaubsreisen in Verbindung mit dem Freizeitverhalten „Kreativität und klassische Kultur“ auf. Bezüglich der Verkehrsmittelwahl bei Urlaubsreisen lassen sich die gleichen Auffälligkeiten wie bei Kurzreisen feststellen. So korreliert das Freizeitverhalten „Kino, Pop und Internet“ wiederum mit einer häufigen Nutzung des Flugzeugs und das Freizeitverhalten „Kreativität und klassische Kultur“ mit einer häufigen Nutzung der Bahn. Eine eingehende Analyse der Ansprechbarkeit der Bevölkerung auf Natur- und Umweltaspekte in Zusammenhang mit Urlaubsreisen erfolgte im Rahmen einer Untersuchung des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung e.V. (vgl. Kösterke/von Laßberg 2004). Dabei wurde deutlich, dass mit 84% einer großen Mehrheit der Deutschen eine intakte Umwelt am Urlaubsort sehr wichtig für die eigene Urlaubszufriedenheit ist. Die Zahlungsbereitschaft der Urlauberinnen und Urlauber, d.h. die Bereitschaft, sich selbst für den Schutz von Natur und Umwelt vor Ort zu engagieren (z.B. Zahlung von 1 € pro Urlaubstag am Urlaubsort) ist im Vergleich zu 1997 allerdings leicht zurückgegangen. Insgesamt halten sich hier Zustimmung und Ablehnung in etwa die Waage. Besonders ansprechbar für Umweltaspekte in Zusammenhang mit Urlaubsreisen sind Ostdeutsche, Frauen, Personen mit höherer Schulbildung und Regelmäßig-Reisende. Differenziert man nach der Merkmalskombination Alter und Bildung aus, so zeigt sich weiterhin, dass sich bei Familien (mit kleinen Kindern) mit hoher formaler Bildung teilweise sehr hohe Zustimmungswerte zu umwelt- und naturschutzorientierten Urlaubsreisen ergeben (z.B. Möglichkeiten zu un-
Freizeit und Urlaub
135
mittelbarem Naturerleben, Zahlungsbereitschaft für den Umweltschutz). Ferner haben 30- bis 39-Jährige und Ältere ab 60 Jahren mit hoher Bildung ein größeres Interesse als der Durchschnitt. Dagegen ist bei 20- bis 29Jährigen eine meist unterdurchschnittliche Ansprechbarkeit für Umweltund Naturschutzaspekte bei Urlaubsreisen festzustellen. Dies korrespondiert mit unseren Ergebnissen im Zusammenhang mit der Freizeitorientierung „Kino, Pop und Internet“, die primär bei Jüngeren mit weniger ausgeprägtem Umweltbewusstsein auftritt. So ist auch den Befragten der Tourismusstudie, die Erfahrung mit Billigflug-Reisen haben oder sich dafür interessieren – was laut unserer Untersuchung wiederum primär auf die jüngeren Altersgruppen mit der Freizeitorientierung „Kino, Pop und Internet“ zutrifft – eine intakte Umwelt unterdurchschnittlich wichtig für die Urlaubszufriedenheit. Ebenfalls eine geringe Rolle bei der Entscheidung für ein Reiseziel spielen in dieser Gruppe Möglichkeiten zu unmittelbarem Naturerleben. Begründet wird das geringe Interesse junger Menschen für Umweltaspekte im Urlaub mit ihren anders gelagerten Urlaubsinteressen: „Bei ihnen haben u.a. Spaß und Abwechslung, gemeinsame Unternehmungen mit netten Leuten, Ferienbekanntschaften machen, aber auch unterwegs sein oder anderer Länder erleben einen höheren Stellenwert als natur- und umweltbezogene Motive und Aktivitäten“ (vgl. a.a.O., S. 27). Interessant ist indes eine weiteres Ergebnis der Untersuchung des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung e.V.: Danach steigt mit zunehmender Reiseregelmäßigkeit die Ansprechbarkeit für Umweltaspekte im Zusammenhang mit Urlaubsreisen und dies teilweise auch unabhängig von der Schulbildung. Das würde in unserer Studie für die Freizeitorientierungen „Kino, Pop und Internet“, „Kreativität und klassische Kultur“ und – etwas weniger stark ausgeprägt – für das Freizeitverhalten „Geselligkeit und Ausflüge“ gelten. Vor dem Hintergrund der bisher vorgetragenen Befunde klingt dies hinsichtlich der Freizeitorientierung „Kino, Pop und Internet“ allerdings wenig aussichtsreich. Andererseits könnte hier durchaus ein verstecktes Potenzial liegen. Entscheidend dürfte sein, dass Strategien, die den Umwelt- und Naturschutzaspekt von Urlaubsreisen attraktiv machen sollen, Anknüpfungspunkte zu den Lebensbereichen der jüngeren Altersgruppen finden – z.B. über Medien und Internet – und dabei ihrer „Sprache“ gerecht werden (vgl. a.a.O., S. 86f.). In Bezug auf das Freizeitverhalten „Kreativität und klassische Kultur“ findet sich ein weiteres mit der Tourismusstudie vergleichbares Ergebnis.
136
Freizeit und Urlaub
So hat man festgestellt, dass eine überdurchschnittliche Ansprechbarkeit für Natur- und Umweltaspekte im Zusammenhang mit Urlaubsreisen sich auch für Personen zeigt, für die Kultur und Bildung ein wichtiges Urlaubsmotiv ist bzw. die im Urlaub häufig Sehenswürdigkeiten und Museen besucht haben. Dies dürfte in gleicher Weise für Personen mit der Freizeitorientierung „Kreativität und klassische Kultur“ gelten, und diese geht bereits mit einem tendenziell höheren Umweltbewusstsein einher. Auch korreliert dieses Freizeitverhalten überdurchschnittlich häufig mit tatsächlich umweltgerechten Verhaltensweisen. Die im Vergleich zum Durchschnitt häufigere Nutzung der Bahn als Verkehrsmittel bei Kurz- und Urlaubsreisen ist dafür ein Bespiel. Weitere Mittelwertvergleiche mit den Faktorwerten ergeben darüber hinaus, dass die Umweltengagierten eine starke Affinität zur Freizeitorientierung „Kreativität und klassische Kultur“ haben. Unter Berücksichtigung der Vorlieben, die dieses Freizeitverhalten ausmachen, dürfte bei entsprechender Kampagnen- und Aufklärungsarbeit mit großer Resonanz auf Umwelt- und Naturschutzaspekte im Zusammenhang mit Urlaubsreisen zu rechnen sein – zumal es sich hier ohnehin um Viel- bzw. RegelmäßigReisende handelt. Für die Umweltkommunikation entstehen in diesem Feld neue, grundlegende Herausforderungen. Es wird zunehmend wichtig werden, den Umweltaspekt verschiedener Freizeitorientierungen – auch im Zusammenhang mit Urlaubsreisen – ins Bewusstsein zu heben und jeweils umweltfreundliche Varianten als Alternative anzubieten.29 Daher wird heute auch immer wieder gefordert dem Thema Lebenslagen und Lebensstile auch in der Umweltpolitik mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Daten unserer Umfrage zeigen jedenfalls, dass der Zusammenhang von soziokulturellen Trends im Freizeitverhalten mit der Umweltproblematik ein noch wenig erschlossenes Feld ist – nicht nur für die Sozialwissenschaften.
29 Die im Rahmen der Untersuchung des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung e.V. ermittelten Ansprechbarkeitstypen für Natur- und Umweltaspekte in Zusammenhang mit Urlaubsreisen sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Danach lassen sich vier Typen unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen in der Aufklärungs- und Kampagnenarbeit erfordern. Typ 1: Der unsichere Ablehner von Umweltaspekten im Urlaub; Typ 2: Der Umweltbewusste ohne Interesse an Naturerlebnissen; Typ 3: Der an unmittelbaren Naturerlebnissen Interessierte; Typ 4: Der umweltbewusste Anspruchsvolle (vgl. Kösterke/von Laßberg 2004, S. 65ff.).
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6
Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen
In der Perspektive individueller Nachhaltigkeit ist das „gute Leben“ untrennbar mit der Bedürfnisbefriedigung durch immaterielle Güter verknüpft – etwa durch persönliche Entwicklung, die Pflege sozialer Beziehungen, kreative Tätigkeiten oder den Einsatz für die Gemeinschaft. Doch welche Vorstellungen von Lebensqualität haben die Deutschen überhaupt, an welchen Punkten sind sie mit individueller Nachhaltigkeit vereinbar und an welchen nicht? Was die Befragten in dieser Studie mit Lebensqualität assoziieren ist zwar insgesamt breit gestreut, die genannten Aspekte betreffen aber in aller Regel materielle, gesundheitliche und soziale Angelegenheiten sowie Aspekte des Wohnens und der Sicherheit. Das Geschlecht, das Alter, der Grad der Bildung – viele unabhängige Variablen bestimmen sowohl die Vorstellung als auch die Bewertung der Lebensqualität. Etwas ernüchternd mag erscheinen, dass trotz – oder wegen? – des relativen Wohlstandes in unserem Land der Zugang und die Verfügung über materielle Güter in nicht zu unterschätzendem Maße die subjektive Wahrnehmung von Lebensqualität bestimmen. So bestehen zwischen der Höhe des NettoHaushaltseinkommens und dem subjektiven Wohlbefinden in Deutschland hochsignifikante Zusammenhänge: Je höher das Einkommen und mithin der materielle Wohlstand, desto höher ist auch das subjektiv empfundene Wohlbefinden. Darüber hinaus nennen mehr als ein Drittel der Deutschen spontan Einkommen und Wohlstand, wenn sie in einer offenen Frage nach den Bestimmungsmomenten von persönlicher Lebensqualität gefragt werden. Materielle Aspekte nehmen damit den ersten Platz in der Top Ten der wichtigsten Bestimmungsmomente von persönlicher Lebensqualität ein. Darin spiegelt sich aber weniger die Sehnsucht nach einem Leben im Luxus wider als vielmehr das Streben nach finanzieller Sicherheit. „Geld allein macht nicht glücklich“ heißt es in einem Sprichwort. Das ist sicherlich richtig, aber das Vorhandensein macht vieles einfacher und bewahrt die Menschen vor Existenzängsten. Hier sei auch an einen Klassiker erinnert: die
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Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen
Bedürfnispyramide des amerikanischen Psychologen und Philosophen Abraham Maslow. Sind in dieser Sichtweise die physiologischen und materiellen Voraussetzungen für ein angenehmes und sicheres Leben gegeben, ist der Mensch eher in der Lage, auch andere Prioritäten zu setzen: Erst dann strebe er in wachsendem Maße nach sozialen Kontakten und Anerkennung, nach persönlicher Entfaltung und möglicherweise auch nach in der Perspektive der Nachhaltigkeit so zentralen Werten wie Gerechtigkeit, Solidarität, Eigeninitiative oder Verantwortung. Soziale Absicherung lautet hier also das von den Befragten auch häufig explizit angesprochene Stichwort, das die Bedeutung von Konzepten „sozialer Grundsicherung“ im Rahmen einer integrierten Nachhaltigkeitsstrategie hervorhebt und die Akzeptanz einer solchen in der Bevölkerung sicherlich erhöhen würde. Eine hohe Wertschätzung genießen in der Gesellschaft auch das Wohnen oder „die eigenen vier Wände“ – und zwar weitgehend quer zur sozialen Lage. Lediglich ein so genanntes „gutes Wohnumfeld“ gewinnt mit steigendem Einkommen an Bedeutung. Wohnzufriedenheit bedeutet Lebensqualität. Man wünscht sich hohe Wohnqualität und legt Wert auf ein ruhiges und naturnahes Wohnumfeld. Diese Wünsche an Wohn- und Lebensqualität machen das im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie verfolgte Ziel einer Verminderung der Flächeninanspruchnahme zu einem anspruchsvollen Vorhaben. Denn fast drei Viertel der Deutschen bevorzugen als Wohnform das freistehende Einfamilienhaus im Grünen. Damit korrespondieren unsere Daten zur Wohnzufriedenheit: Sie ist unter den Befragten, die in einem freistehenden Ein- oder Zweifamilienhaus leben, eindeutig am größten. Derzeit wird die Wohnung in der Stadt primär von den höher gebildeten Milieus mit postmaterialistischen Wertorientierungen favorisiert, hier insbesondere von den unter 30-Jährigen. Doch kommen diese Milieus in die Phase der Familiengründung, dürften sich die Prioritäten ändern. Denn die geringste Zustimmung findet die Wohnung in der Stadt bei Familien mit kleineren Kindern und Schulkindern bzw. generell in den mittleren Altersgruppen, und zwar in allen Bildungsschichten. Demgegenüber haben die Ergebnisse zu den Vorstellungen von hoher Lebensqualität am Wohnort aber auch gezeigt, dass sich viele Menschen neben Ruhe am Wohnort zugleich eine zentrale Lage ihres Domizils wünschen. Das spricht durchaus für die Attraktivität verdichteter, urbaner Wohnkonzepte, sofern Grün, Überschaubarkeit und Kinderfreundlichkeit gewährleistet sind und somit vermehrt „Oasen in der Stadt“ geschaffen werden.
Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen
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Ändern sich die Vorstellungen von Lebensqualität mit dem Grad des materiellen Wohlstands und mit dem Grad der Bildung? Zunächst einmal konnte festgestellt werden, dass Einkommen und Wohlstand als Bestimmungsmoment von persönlicher Lebensqualität in allen Einkommensklassen an erster Stelle der Top Ten der häufigsten Nennungen steht. Allerdings wird der Aspekt „Einkommen/Wohlstand“ von Personen aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischen Status signifikant häufiger als vom Durchschnitt genannt. Der Grad der Schulbildung allein erweist sich aber insgesamt als trennschärfer als der sozioökonomische Status. So sind Personen mit höherer Schulbildung Familie und Kinder, Freundschaften und soziale Kontakte sowie Freizeit und Hobbys wichtiger als Personen mit niedrigerer Schulbildung. Sie nennen auch deutlich häufiger die „Nähe zur Natur“ als wichtigen Indikator einer hohen Lebensqualität am Wohnort. Umgekehrt nimmt der Indikator „Einkaufsmöglichkeiten“ – der „Einkaufsbummel als Freizeitbeschäftigung“ – als zentraler Aspekt einer hohen Lebensqualität am Wohnort mit sinkendem Bildungsniveau zu. So erfahren materielle und konsumbezogene Aspekte von Lebensqualität in den schlechter ausgebildeten Milieus auf den ersten Blick eine generell größere Aufmerksamkeit. Das bedeutet aber keineswegs, dass hier auch tatsächlich mehr konsumiert wird. Vielmehr besitzen Konsum und materielle Aspekte in den besser ausgebildeten und zumeist auch besser situierten Milieus eine größere Selbstverständlichkeit. Was macht das Leben über materielle Aspekte hinaus lebenswert? Auffällig ist, dass religiöse Menschen generell zufriedener mit ihrem Leben sind, insbesondere in den unteren Einkommensgruppen sind die Unterschiede im subjektiven Wohlbefinden zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen ausgesprochen hoch. Ferner korreliert die Betonung von Zufriedenheit und Lebensfreude im Zusammenhang mit persönlicher Lebensqualität in hohem Maße mit postmaterialistischen Wertorientierungen wie Eigeninitiative, Solidarität, Kreativität und Toleranz oder auch Selbstverwirklichung und Lebensgenuss. Welche Werte unseren Alltag und unser Denken bestimmen, scheint also entscheidend für die Zukunft der Nachhaltigkeit zu sein. Aufschlussreich ist auch: Wer täglich liest, sich künstlerisch oder musisch beschäftigt, häufig Gartenarbeit verrichtet und bastelt sowie regelmäßig Konzerte, Ausstellungen oder Theater- und Opernaufführungen besucht, dessen subjektives Wohlbefinden ist signifikant größer als dies beim Durchschnitt der Fall ist.
140
Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen
Wenig überraschend ist das Resultat, dass Gesundheit für viele Menschen ein zentraler Aspekt von Lebensqualität ist. Im Befragtendurchschnitt steht dieser Aspekt an zweiter Stelle. Für Frauen spielt Gesundheit eine noch wichtigere Rolle als für Männer. Für Befragte ab 50 Jahren steht Gesundheit sogar an erster Stelle und somit vor materiellen Gesichtspunkten. Damit stellen alle Themen, die sich um Gesundheit, Ernährung, Schadstoffe, Umweltrisiken usw. drehen, nach wie vor wesentliche Ansatzpunkte dar, um individuelle Nachhaltigkeit auch in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Allerdings bestehen mitunter deutliche soziale Unterschiede in der Betroffenheit und auch in der Wahrnehmung von Umweltbelastungen. Interessant zunächst: Geht es um die Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustandes von oberen und unteren Statusgruppen, so kommen nicht nur Experten, sondern auch die Betroffenen aus unteren Statusgruppen selbst zu der Einschätzung, dass ihr allgemeiner Gesundheitszustand schlechter ist als im Bevölkerungsdurchschnitt. Umgekehrt verhält es sich in Hinblick auf gesundheitliche Belastungen durch Umwelteinflüsse und schadstoffe. Hier kommen Befragte mit geringerem sozioökonomischen Status eher zu einer besseren Einschätzung als der Bevölkerungsdurchschnitt. Und das, obwohl sie tatsächlich mit größeren Umweltbelastungen konfrontiert sein dürften, weil sie insgesamt häufiger in schlechteren Wohngegenden mit höherem Verkehrsaufkommen leben. Aus der Wohnsituation resultierende Umweltbelastungen werden in diesen Milieus aber eher nicht für gesundheitliche Probleme verantwortlich gemacht. Wissensund Informationsdefizite könnten eine mögliche Ursache sein. Als entscheidend für die wahrgenommene Umweltbelastung durch Umweltprobleme hat sich hingegen das Umweltbewusstsein herauskristallisiert, und dieses ist in den höher gebildeten Milieus höher. Eine ausgeprägte Umweltorientierung erhöht die Sensibilität für gesundheitliche Beeinträchtigungen und Risiken, wie sie von Umweltproblemen ausgehen können, deutlich, auch wenn man auf Grund einer privilegierten Wohnsituation möglicherweise gar keinen Belastungen ausgesetzt ist. Insgesamt ist die Verknüpfung von Umweltgerechtigkeit und Gesundheit und hier insbesondere auch die statusspezifische Wahrnehmung von Umweltbelastungen ein noch wenig erschlossenes Feld. Als Tendenz lässt sich jedoch vermuten, dass objektiv gleich starke Umweltbelastungen in den oberen Statusgruppen als besonders belastend empfunden werden. Dieses Phänomen wird auch in anderen Studien bestätigt (vgl. Bolte/Mielck 2004). Dies betrifft insbesondere auch
Mehr Lebensqualität durch Nachhaltige Entwicklung? Konflikte und Verbindungen
141
Lärmbelastungen. Personen mit höheren Schulabschlüssen fühlen sich durch Lärm signifikant häufiger gestört und belästigt. Ein hohes Umweltbewusstsein verstärkt die Lärmempfindlichkeit zusätzlich. Abschließend lässt sich festhalten: Je höher das Umweltbewusstsein ausgeprägt ist, desto weniger häufig werden materielle Aspekte und mithin auf Geld, Güter und Konsum bezogene Elemente von Lebensqualität thematisiert. Als Maßstäbe von Lebensqualität gelten hier hingegen verstärkt: Kultur, Frieden, die Nähe zur Natur oder Unabhängigkeit und Freiheit. Eine wichtige Rolle bei der Betonung dieser Aspekte von Lebensqualität spielen der Grad der Schulbildung und die vorherrschenden Wertorientierungen. Ein hoher Grad der Schulbildung in Verbindung mit dominanten Werten wie Eigeninitiative, Solidarität, Kreativität und Toleranz tragen entscheidend mit dazu bei, dem Leben jenseits materieller Orientierungen Qualität zu geben. So kann vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse immer nur wieder betont werden: Bildung und damit zusammenhängend die Affinität zu postmaterialistischen Wertorientierungen gehören zu den zentralen Voraussetzungen für die Entwicklung zu einer nachhaltigen Gesellschaft.
143
Teil III Nachhaltige Umweltpolitik: Zwischen Resonanz, Akzeptanz und Engagement
144
1
Nachhaltige Umweltpolitik – staatliche Verantwortung und Bürgerengagement
Die Orientierung am gesellschaftspolitischen Leitbild der Nachhaltigkeit stellt auch die Umweltpolitik vor weitreichende Herausforderungen. Auch wenn viele Probleme durch nachsorgende Eingriffe des Staates erfolgreich gelöst worden sind (z.B. Gewässerreinigung, Luftreinhaltung) – dort, wo es im Sinne des Vorsorge- und Verursacherprinzips um komplexe Verhaltensänderungen der gesellschaftlichen Akteure geht, stößt herkömmliche Umweltpolitik mit ihrem Fokus auf Verbote und Gebote an Grenzen (vgl. z.B. Häberli u.a. 2002, S. 199ff.). Allerdings brauchen die auf dem Vorsorgeund Verursacherprinzip beruhenden Instrumente und Strategien mehr denn je die Akzeptanz der Bevölkerung. So handelt es sich hier teilweise um heute als einschränkend empfundene Maßnahmen, deren Sinn und Zweck den Menschen erst in Zukunft ersichtlich wird. Man denke etwa an die ökologische Steuerreform oder auch an die Durchsetzung ökonomischer Rahmenbedingungen, die auf die Verminderung der Flächeninanspruchnahme gerichtet sind. Die Krux: Jenen „neuen“ Umweltgefahren, auf die sich das Vorsorge- und Verursacherprinzip richtet, fehlt häufig die unmittelbare, sinnliche Erfahrbarkeit. Die in Folge des hohen Flächenverbrauchs steigenden Grundwasser- und Bodenbelastungen, hormonell wirkende Chemikalien oder die prognostizierten Klimaveränderungen sind hier nur drei von vielen Beispielen. Charakteristisch zu eigen ist diesen Umweltproblemen, dass sie sich langsam aufbauen – mit unseren Sinnen zunächst kaum oder gar nicht wahrnehmbar – und erst langfristig oder in nicht gekanntem Ausmaß bedrohlich sind. Das führt zu Verunsicherung, ferner zu dem Phänomen, Umweltgefahren primär als Zukunftsgefahren wahrzunehmen und in der Summe zu gegenwärtig sinkendem Handlungsdruck – zumindest aus Sicht der Bevölkerung. Es fehlt heute weitgehend an politisierbarer Betroffenheit als Antrieb staatlicher Umweltpolitik. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Umweltdebatte und Umweltpolitik in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren. Ein lokal eingrenzbares, sichtbares Umweltproblem
Nachhaltige Umweltpolitik – staatliche Verantwortung und Bürgerengagement
145
(z.B. Gewässerverschmutzung) ist gut wahrnehmbar und folglich durch hohe Gewissheit und Dringlichkeit charakterisiert. Dies erleichtert die Durchsetzung von umweltpolitischen Maßnahmen deutlich (vgl. hierzu Jänicke 1996, S. 13f.). Umgekehrt ist die Dringlichkeit umweltpolitischer Maßnahmen, die auf ein entgrenzt-globales Problem wie den Klimawandel zielen, ungleich schwerer zu vermitteln. Deshalb haben Umweltbewusstsein und Umweltwissen weiterhin eine zentrale Bedeutung für die Akzeptanz umweltpolitischer Maßnahmen, auch wenn umweltverantwortliches Handeln aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger derzeit nicht an erster Stelle der politischen Agenda steht und in ihrem persönlichen Umweltverhalten manche Ungereimtheiten bestehen. Doch eine an nachhaltiger Entwicklung ausgerichtete Umweltpolitik hat in dem beschriebenen Sinne nicht nur ein Akzeptanzproblem, sie hat auch ein Partizipationsproblem. Gerade weil die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung so komplex ist – sowohl was ihre ökologische (siehe oben) als auch ihre gesellschaftliche Dimension (Gerechtigkeit) betrifft – kann sie nicht staatlich verordnet werden. Dem Staat kommt in dieser Sichtweise mehr und mehr die Rolle des Initiators von Verhandlungsprozessen zu. Im Mittelpunkt vieler umweltpolitischer Entscheidungen steht letztlich der Mensch, und hier sind Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger gefragt. Folglich geht es bei der Popularisierung von Nachhaltigkeit vor allem auch darum, möglichst viele Menschen zu ermutigen, sich Gedanken über eine lebenswerte Zukunft zu machen. Die Hoffnung richtet sich darauf, dass die gemeinsame Erarbeitung von Konzepten deren Chancen auf erfolgreiche Umsetzung und mithin auf Akzeptanz erhöht. Einige die Umweltproblematik berührenden Konflikte lassen sich ohnehin nur im Rahmen partizipativer Verhandlungsprozesse angemessen bewältigen. Dazu gehören insbesondere Probleme vom Typ NIMBY (not in my backyard), wie z.B. die Ansiedlung von Müllverbrennungsanlagen oder Windkraftanlagen oder auch der Bau von Autobahnen. Einerseits möchte man von den Vorteilen solcher Maßnahmen profitieren, aber andererseits nicht im Wohnumfeld damit konfrontiert werden (vgl. hierzu auch Häberli u.a. 2002, S. 15 u. S. 199). Den Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten zu geben, mitzuentscheiden, ist auch hinsichtlich des (relativen) Misstrauens der Bevölkerung in die umweltorientierte Problemlösungskompetenz politischer Parteien von Bedeutung.
146
Nachhaltige Umweltpolitik – staatliche Verantwortung und Bürgerengagement
Tabelle 24: Vertrauen in Einrichtungen, Organisationen und Parteien im Bereich des Umweltschutzes Erhebung 2004 Angaben in %
volles Vertrauen
kein MittelVertrauen wert*
Code
1
2
3
4
5
Umweltschutzorganisationen und –verbände
18
48
25
6
3
2,27
Bürgerinitiativen
14
45
31
7
3
2,39
Verbraucherberatung/ Verbraucherverbände
12
43
32
9
4
2,52
Umweltschutzbehörden
10
35
39
11
5
2,67
Bündnis 90/ Die Grünen
10
33
25
12
20
2,99
Kirchen
3
15
32
28
22
3,51
CDU/CSU
4
13
29
24
30
3,61
SPD
1
13
36
24
26
3,62
Gewerkschaften
1
8
31
36
24
3,74
FDP
1
5
29
32
33
3,91
Industrie
1
7
22
35
35
3,97
PDS
1
7
23
24
45
4,07
Frage: Wem trauen Sie es am ehesten zu, sinnvolle Lösungen für die Probleme im Bereich des Umweltschutzes zu erarbeiten? Im Folgenden nenne ich Ihnen dazu verschiedene Einrichtungen, Organisationen und Parteien. Bitte sagen Sie mir mit den Abstufungen auf der Liste, wie viel Vertrauen im Bereich des Umweltschutzes Sie in jede Einrichtung haben. * Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 4): Je kleiner der Mittelwert, desto größer ist das Vertrauen.
Vertrauen in punkto Umweltschutzkompetenz genießen primär Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen, gefolgt von Verbraucherberatung/-verbänden sowie Umweltschutzbehörden – wobei letztere gerade noch im „grünen Bereich“ der eher positiven Beurteilung liegen. Die politischen Parteien schneiden im Vergleich zu den genannten Institutionen generell schlechter ab, wenn es um Vertrauen in ihre umweltpolitische Kompetenz geht. Ferner zeigen sich gegenüber 2002 deutlich negative Veränderungen in der Beurteilung der Parteien. Mit Ausnahme von Bündnis 90/Die Grünen müssen alle Parteien Vertrauensverluste hinnehmen. Möglicherweise ist diese Entwicklung ein Indiz dafür, dass auch die Bürgerinnen und Bürger meinen, das Umweltschutzhandeln könne nicht ausschließlich auf den herkömmlichen politischen Entscheidungswegen (Gesetz – Verordnung – Verwaltungshandeln) erfolgen. Folglich trauen sie Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen mit ihrem eher unkonventionellen Vorgehen mehr Durchsetzungskraft zu und sehen ihre Interessen dort besser vertreten als im Rahmen der Kommunal- und Bundespolitik (vgl. auch
Nachhaltige Umweltpolitik – staatliche Verantwortung und Bürgerengagement
147
Müller-Christ 1998, S. 23f.). Die Frage ist, wie dieses latente Potenzial auch für ein faktisches Engagement der Bevölkerung nutzbar gemacht werden kann. Gelingt dies, so wäre als Synergieeffekt zu erwarten, dass sich die verstärkte Hinwendung zu kooperativen und partizipativen Verfahren im Umweltschutzhandeln auch in einem Vertrauenszuwachs in die umweltorientierte Kompetenz der politischen Repräsentanten niederschlägt. Vor diesem Hintergrund hat der vorliegende dritte Teil vor allem die Aufgabe Analysen zu erstellen, die von Relevanz für die Umweltpolitik sind. Die Daten werden dabei auf drei Ebenen betrachtet: 1. Allgemeine Resonanz von Umweltpolitik: In diesem Kapitel geht es um die Einschätzung der Umweltpolitik der Bundesregierung einschließlich der umweltpolitischen Gesetzgebung, ferner um die Wahrnehmung von Erfolgen und Fortschritten umweltpolitischer Aktivitäten. 2. Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen: Welche umweltpolitischen Maßnahmen werden akzeptiert und welche nicht? Im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen die Klimaschutzpolitik, wie etwa die Förderung erneuerbarer Energien, die ökologische Steuerreform sowie die Befürwortung bzw. Ablehnung verkehrspolitischer Maßnahmen. 3. Engagement für Belange des Umweltschutzes: Wer ist bereits engagiert und wer kann sich darüber hinaus vorstellen, für den Umwelt- oder Naturschutz aktiv zu werden? Wer sind diejenigen, die sich engagieren würden? Wie könnten sie aktiviert werden?
148
2
Zur Resonanz von Umweltpolitik
2.1
Bewertung der Umweltpolitik und der Umweltgesetzgebung
Der Himmel über der Ruhr ist wieder blau, einige Flüsse haben nahezu Badewasserqualität wiedererlangt. Seit Bestehen der staatlichen deutschen Umweltpolitik ist im Bereich der sichtbaren Umweltbelastungen viel erreicht worden. Welchen Stellenwert misst die Bevölkerung der Umweltpolitik vor diesem Hintergrund weiterhin zu? Soll die Regierung nach Meinung der Bevölkerung mehr für den Umweltschutz tun, weniger für den Umweltschutz tun oder ist es aus ihrer Sicht richtig, so wie es derzeit ist? Es zeigt sich, dass die umweltpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung von 34% der Befragten als derzeit genau richtig bemessen beurteilt werden. Dies ist gegenüber 2002 ein kleiner Zuwachs von 2% und gegenüber 2000 ein Zuwachs von 9%. Ein gutes Drittel der Bevölkerung ist also zufrieden mit der umweltpolitischen Arbeit der rot-grünen Regierung. Unter den Zufriedenen sind signifikant mehr Männer als Frauen, überrepräsentiert sind auch die Wählerinnen und Wähler der Unionsparteien sowie der FDP. Einerseits kann diese Entwicklung als Erfolg der derzeitigen rotgrünen Regierung und hier der Führung des Umweltschutzressorts durch einen grünen Politiker verbucht werden. Andererseits kann dies aber auch als Beleg dafür interpretiert werden, dass der umweltpolitische Handlungsdruck aus Sicht der Bevölkerung tendenziell abgenommen hat. So waren im Jahr 2000 noch 73% der Meinung, die Bundesregierung solle mehr für den Umweltschutz zu tun, im Jahr 2004 ist diese Quote auf 63% gesunken. Dennoch wünscht damit immer noch eine klare Mehrheit der Bevölkerung eine Ausweitung der Umweltpolitik. In diesem Personenkreis sind die 25- bis 39-Jährigen und hier vor allem Alleinerziehende, junge Paare ohne Kinder und junge Familien häufiger als im Durchschnitt vertreten. Das gilt ferner für Frauen sowie allen voran für die Wählerinnen und Wähler von Bündnis 90/Die Grünen. So befürworten unter letzteren 81% eine Ausweitung der Aktivitäten für den Umwelt-
149
Bewertung der Umweltpolitik und der Umweltgesetzgebung
schutz. Auch etwas mehr als drei Viertel der Umweltengagierten – die Pioniere der Nachhaltigkeit – denken in diese Richtung (76,5%). Nur folgerichtig ist darüber hinaus: Je stärker man sich durch vergleichsweise „neue“ Umweltgefahren wie den Klimawandel, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Chemikalien in Alltagsprodukten oder die Felder des Mobilfunks bedroht oder gesundheitlich belastet fühlt, desto größer ist die Zustimmung zu einer Ausweitung der Umweltpolitik. Die Zusammenhänge sind hochsignifikant. Eine weitgehend vergleichbare Einschätzung zeigt sich bei der Beurteilung der in Deutschland bestehenden Gesetze zum Schutz der Umwelt. 46% der Befragten antworten, man glaube nicht, dass die bestehenden Umweltgesetze ausreichen würden. Darunter sind etwas mehr Frauen, erneut überdurchschnittlich viele jüngere Befragte im Alter zwischen 25 und 39 Jahren, Wählerinnen und Wähler von Bündnis 90/Die Grünen (63%) sowie die Umweltengagierten mit einem Anteil von 58%. Insgesamt äußert sich damit eine Mehrheit der Befragten dahingehend, der Staat könne mit Hilfe der Gesetzgebung noch stärkere Anstrengungen unternehmen, um die Umwelt angemessen zu schützen. Wobei angesichts des obenstehenden Befundes (siehe Kapitel III.1), wem man in punkto Umweltschutzkompetenz vertraut, zu bezweifeln ist, ob die Bevölkerung tatsächlich eine Überregulierung des Umweltschutzhandelns befürwortet. Der Knackpunkt ist vermutlich eher die Wahrnehmung eines Defizits im Vollzug einschlägiger Gesetze und Verordnungen. Hier wäre in Zukunft gegebenenfalls genauer zu differenzieren, an welchen Punkten die bestehenden Umweltgesetze für nicht ausreichend gehalten werden. Tabelle 25: Ausreichen der bestehenden Umweltgesetze Erhebung 2004 Angaben in %
Gesamt
West
Ost
ja, glaube ich
41
40
43
nein, glaube ich nicht
46
48
41
weiß nicht
13
12
16
Frage: Glauben Sie, dass in Deutschland die bestehenden Gesetze zum Schutz der Umwelt im Großen und Ganzen ausreichen, oder glauben Sie das nicht?
Die seit Mai 2004 bestehende Erweiterung der Europäischen Union kann nun Anlass zu der Sorge sein, die in Deutschland geltenden Gesetze zum Schutz der Umwelt könnten aufgeweicht werden, um im europäischen
150
Zur Resonanz von Umweltpolitik
Wettbewerb nicht hinten an zu stehen. Umgekehrt gibt es Stimmen, die sagen, dass die EU-Erweiterung durchaus Chancen für den Umweltschutz bieten würde. Denn es ist davon auszugehen, dass die Übernahme und Anwendung des gemeinsamen EU-Umweltrechts Umweltschäden in den Beitrittsländern verhindern und beseitigen helfen wird. Dies hätte nicht nur positive Auswirkungen auf die Umwelt der Beitrittsländer. Auch die bisherigen EU-Mitglieder würden davon profitieren – insbesondere an den Grenzen. Die Erweiterung der Europäischen Union eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, eine gesamteuropäische Umweltpolitik zu schaffen und Europa global zu einem Vorreiter in Sachen Umweltpolitik zu machen. Welchen Eindruck hat die Bevölkerung in dieser Sache? Es zeigt sich, dass die Folgen der EU-Erweiterung für den Umweltschutz von den Befragten sehr unterschiedlich beurteilt werden: 30% erhoffen sich eine Verbesserung für den Umweltschutz, etwa durch strengere Umweltauflagen in den Nachbarstaaten. Dagegen befürchten 39% – und somit eine Mehrheit – eine Verschlechterung. 19% glauben, dass alles so bleibt wie es derzeit ist, während 12% dazu keine Einschätzung geben können. Welchen Stellenwert misst die Bevölkerung den Zielen und Aufgaben deutscher Umweltpolitik zu? Die große Bandbreite umweltpolitischer Ziele und Aufgaben wird von einer recht beeindruckenden Mehrheit als sehr wichtig eingeschätzt. Die Zustimmungsraten („sehr wichtig“ und „eher wichtig“) für umweltpolitische Ziele und Aufgaben sind hoch und liegen wie schon in den Umfragen 2000 und 2002 in den meisten Fällen bei 90% und darüber. Das Ziel der Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft – welches mit fast 100% Zustimmung unangefochten den ersten Platz einnimmt – hat bei der Antwortalternative „sehr wichtig“ im Vergleich zu 2002 sogar noch etwas zugelegt. Dies ist eigentlich erstaunlich, denn obwohl Luft und Flüsse tatsächlich sauberer geworden sind und hier gewissermaßen Entwarnung gilt, stufen drei Viertel der Deutschen dieses Ziel weiterhin als „sehr wichtig“ ein. Dagegen rangiert das nicht gelöste, weil vermutlich eben weniger „sichtbare“ Umweltproblem der Klimaerwärmung und das damit verbundene umweltpolitische Ziel der Verringerung von klimaschädlichen Gasen „erst“ auf Platz drei. Gleichwohl: Auch beim Thema Klimaschutz hat die Zustimmungsrate bei der Antwortalternative „sehr wichtig“ im Vergleich zu 2002 um 4% zugenommen. Um 4% verringert hat sich hingegen der Anteil jener, welche einen verbesserten Umweltschutz in Entwicklungsländern gefördert sehen wollen. Komplementär dazu gab jeder fünfte Be-
Bewertung der Umweltpolitik und der Umweltgesetzgebung
151
fragte zu Protokoll, dass dieses Ziel nicht so vorrangig sei. Das ist – wie wir später noch sehen werden – auffällig, denn der weltweite Zustand der Umwelt wird von den Deutschen als schlecht angesehen. Den letzten Platz in der Rangfolge der wichtigen umweltpolitischen Ziele und Aufgaben nimmt die Verminderung der Flächeninanspruchnahme ein. Dies ist weniger erfreulich, denn das im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung festgelegte Ziel, bis zum Jahr 2020 die Inanspruchnahme von Flächen für Siedlung und Verkehr auf maximal 30 Hektar pro Tag zu senken, ist ehrgeizig und auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen. Hier besteht also noch Aufklärungsbedarf, insbesondere was die ökologische Notwendigkeit, aber auch die vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen dieses Ziels angeht. Erhärtet wird dieser Eindruck durch den Umstand, dass wir keine signifikanten bildungsabhängigen Unterschiede in der Problembewertung des Flächenverbrauchs feststellen können. Dies ist auffällig, denn üblicherweise erweist sich ein höherer Grad der Schulbildung als verlässlicher Prädiktor eines höheren Problembewusstseins für Umweltbelastungen jeglicher Art. Zwar halten drei Viertel der Befragten auch das Ziel eines geringeren Flächenverbrauchs für wichtig, davon aber nur ein gutes Viertel für „sehr wichtig“. In der Altersklasse ab 60 Jahren sind die Zustimmungsraten zu diesem Ziel höher, bei den unter 30-Jährigen geringer als im Durchschnitt der Befragten. Überdies halten etwas mehr Frauen als Männer dieses Ziel für „sehr wichtig“ (29% versus 24%). Unter den Umweltengagierten liegt diese Quote bei immerhin 40%. Dennoch ist im Vergleich mit den anderen umweltpolitischen Zielen der Anteil jener, die dem Ziel der Verminderung der Flächeninanspruchnahme keine hohe Priorität einräumen, mit einem Viertel insgesamt recht hoch. Es scheint offensichtlich, dass die Problematik des anhaltenden Flächenverbrauchs noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Menschen verankert ist. Deutlich wird einmal mehr: Handelt es sich wie bei den steigenden Boden- und Grundwasserbelastungen um langfristige, sinnlich nicht erfahrbare Umweltwirkungen, ist der wahrgenommene Handlungsdruck aus Sicht der Bevölkerung geringer. Darüber hinaus konkurriert das Ziel eines geringeren Flächenverbrauchs ohne Zweifel mit der ungebrochenen Attraktivität des freistehenden Einfamilienhauses im Grünen. Die öffentlichkeitswirksame Diskussion der Flächenproblematik ist deshalb noch stärker mit den zunehmenden Bemühungen um die Entwicklung attraktiver Innenstädte und die Verbesserung
152
Zur Resonanz von Umweltpolitik
des Wohnumfelds in den Städten zu verknüpfen. Denn es zeigt sich auch: Zwischen dem Problembewusstsein für die Verminderung des Flächenverbrauchs auf der einen Seite sowie der bevorzugten Wohnform (freistehendes Einfamilienhaus im Grünen oder komfortable Wohnung in der Stadt) auf der anderen Seite besteht keinerlei oder besser gesagt: nicht der „erwünschte“ Zusammenhang. Wer die Stadtwohnung bevorzugt, weist sogar ein (signifikant) geringeres Problembewusstsein für das Ziel der Verminderung der Flächeninanspruchnahme auf. Ausschlaggebend für die Wahl der Wohnform sind einzig und allein das Alter und vermutlich auch die Lebensstilzugehörigkeit. 2.2
Wahrnehmung heutiger Umweltqualität: Umweltpolitische Erfolge und Handlungsbedarf
Maßgebliches Ziel der Umweltpolitik ist es, eine Verschlechterung der Umweltqualität zu verhindern und sie möglichst zu verbessern. Zu diesem Zweck sind zahlreiche Indikatoren entwickelt worden, die den Zustand der Umwelt messen sollen. Sie dienen somit auch als Instrument der Erfolgskontrolle umweltpolitischer Maßnahmen. Hier soll es jedoch ausschließlich um die subjektive Komponente von Umweltqualität gehen. Diese Sichtweise ist für die Umweltpolitik ebenfalls von Bedeutung. Denn ohne Zweifel bestimmt die wahrgenommene Umweltqualität auch die Lebensqualität der Menschen. Interessant vor allem: Sind regionale oder soziokulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung der Umweltqualität erkennbar? Eruiert man zunächst die Bewertung der Umweltqualität in Deutschland insgesamt, so zeigt sich, dass diese in den Augen der Mehrzahl der Befragten als „recht gut“ angesehen wird. Damit bleibt der Prozentsatz derjenigen, die Deutschland eine „sehr gute“ oder vor allem eine „recht gute“ Umweltqualität bescheinigen, im Vergleich zur Umfrage 2002 mit 82% stabil. Nennenswerte alters-, geschlechts- und bildungsabhängige Unterschiede sind bezüglich dieser Einschätzung nicht festzustellen. Als hochsignifikant erweist sich jedoch folgender Zusammenhang: Je höher das Umweltbewusstsein, desto schlechter fällt das Urteil über die Umweltqualität aus. Die überdurchschnittlich umweltbewussten Deutschen sind mit den erreichten Erfolgen also keineswegs zufrieden.
153
Wahrnehmung heutiger Umweltqualität
Stark auseinanderklaffende Urteile findet man bezüglich der Einschätzung der Umweltqualität in der eigenen Gemeinde oder Stadt und der Umweltqualität weltweit. Während 86% der Deutschen ihrer Gemeinde eine „sehr gute“ oder „recht gute“ Umweltqualität bescheinigen, liegt diese Quote bei der Beurteilung der globalen Umweltverhältnisse nur bei 16%. 84% der Deutschen fällen also ein negatives Urteil über die weltweiten Umweltverhältnisse. Unter den Umweltengagierten sind sogar 93% der Ansicht, die weltweiten Umweltverhältnisse seien „eher schlecht“ bzw. „sehr schlecht“. Ferner wird mit steigendem Bildungsgrad die globale Umweltqualität tendenziell schlechter beurteilt. Tabelle 26: Einschätzung der Umweltverhältnisse lokal und weltweit (Zeitreihe) Erhebung Anteil der Befragten in %, die die Umweltverhältnisse als „sehr gut bzw. „recht gut“ einschätzen
2004
2002
2000
Einschätzung der Umweltverhältnisse weltweit
16
20
16
Einschätzung der Umweltverhältnisse der eigenen Gemeinde
86
82
79
Dieses Phänomen ist nicht neu und nichts spezifisch Deutsches: Der Zustand der Umwelt wird in der vertrauten Umgebung grundsätzlich besser beurteilt. Je weiter weg der Blick über den Globus schweift und je allgemeiner man nach dem Zustand der Umwelt fragt, desto schlechter wird das Urteil (vgl. de Haan/Kuckartz 1996, S. 183). Das „Entfernungsgefälle“ ist im Vergleich zu den Umfragen 2000 und 2002 noch angewachsen. Nur 14% geben ein negatives Urteil über die Umweltverhältnisse in ihrer Gemeinde oder Stadt ab. In diesem Personenkreis sind Befragte aus Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern überrepräsentiert (20%). Dabei handelt es sich vorwiegend um Personen, die an stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen wohnen. Die negative Einschätzung der Umweltqualität in der Großstadt ist also stark durch die subjektive Betroffenheit von Straßenverkehrslärm und Autoabgasen gefärbt. Wer hier hingegen in einer Straße mit wenig Verkehr oder in einer ruhigen Wohnstraße lebt, urteilt nicht schlechter als der Bundesdurchschnitt, jedoch immer noch signifikant schlechter als Befragte aus Städten und Gemeinden unter 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Insgesamt kommt also immerhin jeder fünfte Bewohner der großen Städte Deutschlands zu einer negativen Einschätzung der Umweltqualität – es besteht also nach wie gro-
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Zur Resonanz von Umweltpolitik
ßer Handlungsbedarf, das Wohnumfeld in den großen Städten attraktiver zu machen. Zum Vergleich: Befragte aus ländlichen Gemeinden sowie aus kleineren Städten bis 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen nur mit einem Anteil von 8% zu einem negativen Urteil über die lokale Umweltqualität. Augenfällige Zusammenhänge bestehen weiterhin zwischen der Wahrnehmung der lokalen Umweltqualität und der Bewertung der Lebensqualität des Wohnortes. Je besser das Urteil über die lokale Umweltqualität ausfällt, desto besser wird auch die Lebensqualität des Wohnortes beurteilt.
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3
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
Die Umweltpolitik muss verstärkt auf Vorsorge und Eigenverantwortung setzen, will sie die noch ungelösten Umweltprobleme bewältigen. Die Wende vom technisch nachsorgenden Umweltschutz hin zu einer vorsorgenden Umweltpolitik ist bereits in vollem Gange. Die ökonomischen Instrumente im Bereich der Klimaschutzpolitik sind ein Beispiel dafür – wie etwa der Emissionshandel, das Marktanreizprogramm, welches im Zusammenhang mit der ökologischen Steuerreform aufgelegt wurde und natürlich letztere selbst. Im Folgenden wird beleuchtet, welche (ausgewählten) umweltpolitischen Schwerpunkte und Maßnahmen von der Bevölkerung akzeptiert werden und welche nicht. Im Fokus stehen die Klimaschutzpolitik, einschließlich der Haltung der Bevölkerung zur Förderung erneuerbarer Energien und zur ökologischen Steuerreform, ferner die Meinung zu verschiedenen verkehrspolitischen Maßnahmen. 3.1
Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien
Der Klimawandel gilt als das alles beherrschende globale Umweltproblem. Das im Februar 2005 in Kraft getretene Kyoto-Protokoll macht deutlich: Auch die internationale Staatengemeinschaft nimmt den Klimawandel nun ernst. Nach Meinung der meisten Klimaforscherinnen und -forscher gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die durch den Menschen verursachten Klimaveränderungen die natürliche und menschliche Lebenswelt erheblich beeinträchtigen werden. Da sich in den vergangenen Jahren extreme Wetterereignisse gehäuft haben, wird ferner angenommen, dass der Klimawandel keine allzu ferne Gefahr mehr darstellt. Der globale Klimawandel wird bereits heute als eine der möglichen Ursachen von Hochwasser, Stürmen, Trockenperioden oder anhaltenden Wald- und Buschbränden aufgefasst – mit zum Teil erheblichen Folgen für die betroffenen Menschen. Nicht nur
156
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
unter Expertinnen und Experten ist man sich deshalb einig, dass dem Klimaschutz noch deutlich höhere Priorität eingeräumt werden muss. So stellen Energie- und Klimaschutzpolitik einen der zentralen Schwerpunkte der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung dar. Zu den wesentlichen Anforderungen gehören dabei die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz sowie der Ausbau erneuerbarer Energien. Doch mit wie viel Unterstützung der Bevölkerung kann eine offensive Klimaschutzpolitik rechnen? Tabelle 27: Eintreten einer Klimaveränderung Angaben in %
voll und ganz ziemlich überzeugt überzeugt
wenig überzeugt
überhaupt nicht überzeugt
Mittelwert*
Code
1
2
3
4
Erhebung 2004
34
51
13
2
1,84
Erhebung 2002
27
50
20
3
1,98
Frage: Die meisten Klimaforscher sagen eine Erwärmung der Erdatmosphäre voraus. Sie erwarten beispielsweise eine Erhöhung des Meeresspiegels und eine Verschiebung von Klimazonen. Wie sehr sind Sie selber überzeugt, dass diese prognostizierte Klimaveränderung eintreten wird? * Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 4): Je kleiner der Mittelwert, desto größer ist die Überzeugung.
In Kapitel I.3.2 wurde bereits deutlich, dass der Blick der Bevölkerung auf das Phänomen Klimawandel von zunehmenden Sorgen dahingehend begleitet wird, auch selbst davon betroffen zu sein. Es verwundert indes nicht, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung vom tatsächlichen Eintreten einer Klimaveränderung überzeugt ist und sich diese Einschätzung in der aktuellen Umfrage weiter gefestigt hat. Nun sind 85% „voll und ganz“ oder „ziemlich“ von einer Erwärmung der Erdatmosphäre und den damit verbundenen Folgen überzeugt. Das sind 8% mehr als in der Umfrage 2002. Wobei besonders ins Auge fällt, dass der Anteil der voll und ganz Überzeugten deutlich gestiegen ist, von 27% auf nun 34%. Skeptisch gegenüber dem Eintreten einer Klimaveränderung zeigen sich nur noch 15% (2002: 23%). Im Gegensatz zu 2002 ist die Erwartung einer Klimaveränderung nicht mehr in allen Altersgruppen gleich ausgeprägt. So ist es auffällig, dass die 25- bis 49-Jährigen in höherem Maße eine Klimaveränderung erwarten als die älteren und jüngeren Altersgruppen. Trotz dieser breiten Überzeugung in der Bevölkerung, dass der Klimawandel ein ernstzunehmendes Problem ist – die persönliche Bereitschaft aktiv zum Klimaschutz beizutragen, ist gering ausgeprägt. Wenn es in punkto Klimaschutz konkret wird, finden wir keineswegs so überwältigende Zu-
Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien
157
stimmungsquoten, Beispiele wären der Bezug von Öko-Strom oder die Haltung zur ökologischen Steuerreform. Selbst unter denjenigen, die „voll und ganz“ vom Eintreten einer Klimaveränderung überzeugt sind, würden 42% keinen Öko-Strom beziehen (insgesamt: 50%), 43% vielleicht, 10% beabsichtigen es und 5% tun es bereits. Ferner lehnen auch aus diesem Personenkreis 52% die ökologische Steuerreform ab (insgesamt: 58%). Der Staat soll es also richten, aber nicht auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Hinsichtlich der Frage, ob man den Klimawandel noch verhindern kann, ist das Meinungsbild gespalten: 52% sind zuversichtlich, 48% zeigen sich skeptisch. Interessanterweise ist man in diesem Punkt etwas optimistischer – allerdings nur geringfügig – als noch vor zwei Jahren, obwohl der Glaube an einen Klimawandel im gleichen Zeitraum stärker geworden ist. Eine Ursache dafür könnte die gewachsene Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Rolle Deutschlands in der Klimaschutzpolitik sein. Immerhin halten 52% der Deutschen die Zukunft in diesem Punkt für gestaltbar sowie politische Einflussnahme für möglich. Damit korrespondiert, dass gerade diejenigen, die sehr optimistisch auf ein Verhindern des Klimawandels blicken („voll und ganz“ überzeugt), der Meinung sind, die Regierung solle mehr für den Umweltschutz tun (73% versus 63% insgesamt). Dieser Personenkreis kann im Übrigen als überdurchschnittlich umweltbewusst gelten.30 Geschlechts-, alters- oder bildungsabhängige Unterschiede in der Einschätzung der Bewältigung des Klimawandels sind nicht festzustellen. Ausgehend von dem Szenario, der Klimawandel sei nicht mehr zu verhindern, wurde im Weiteren gefragt, ob man glaubt, dass die aus dem Klimawandel folgenden Probleme in Deutschland bewältigt werden können. Nun überwiegen die Pessimisten. 63% und somit annähernd zwei Drittel der Deutschen sind „wenig“ oder „überhaupt nicht überzeugt“ von der Aussicht einer Bewältigung der Folgeprobleme des Klimawandels. Dieser Anteil ist gegenüber 2002 leicht um 3% gestiegen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die potenziellen Folgen des Klimawandels als vergleichsweise bedrohlich empfunden werden. Zur Erinnerung: 53% der Deutschen
30 Mittelwert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen: 45,53 versus 43,46 in der Gesamtpopulation.
158
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
schätzen die Risiken eines globalen Klimawandels als persönlich „äußerst“ oder „sehr gefährlich“ ein (siehe Kapitel I.3.2). In der europäischen Klimapolitik befürwortet die Bevölkerung eine Vorreiterrolle Deutschlands. Dieser Anteil ist von 47% im Jahr 2002 auf nun 56% gestiegen. Hierunter sind mehr Befragte mit höherem Bildungsgrad, von diesen meinen 65%, Deutschland solle in der Klimaschutzpolitik vorangehen. Die Umweltengagierten plädieren mit einem Anteil von 71% ebenfalls deutlich für eine Vorreiterrolle Deutschlands. Auch die Gruppe derjenigen, die zufrieden mit der Rolle Deutschlands bei Klimakonferenzen sind, ist größer geworden. Ein gutes Drittel (35%) zeigt sich hier „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“, das sind 9% mehr als vor zwei Jahren. Nur 14% der Befragten äußern sich unzufrieden mit dem deutschen Engagement auf den internationalen Klimakonferenzen, hier sind Personen mit hohem Umweltbewusstsein deutlich überrepräsentiert. Aber auch dieser Anteil ist gegenüber 2002 kleiner geworden. Wie schon im Jahr 2002 ist mit 36% eine relativ große Gruppe unentschlossen und 15% antworten mit „weiß nicht“. Ein wesentliches Element des Klimaschutzes in Deutschland ist der Ausbau der Windenergie. Dieser trifft bei den Befragten weitgehend auf Zustimmung. So spricht sich mit gut zwei Dritteln (70%) eine Mehrheit für den Bau weiterer Windkraftanlagen aus, davon plädiert ein knappes Drittel (32%) sogar entschieden dafür („stimme voll und ganz zu“). 30% sind gegen den Bau weiterer Windkraftanlagen, davon sind 12% strikte Gegner. Tabelle 28: Einstellungen zur Windenergie Erhebung 2004 Angaben in %
stimme voll und ganz zu
stimme eher zu
stimme eher nicht zu
stimme überhaupt nicht zu
Mittelwert*
Code
1
2
3
4
Ich bin für den Bau weiterer Windkraftanlagen in Deutschland.
32
38
18
12
2,11
Ich finde, dass Windkraftanlagen das Landschaftsbild negativ beeinträchtigen.
23
26
34
17
2,46
Ich halte den derzeitigen Anteil der Windenergie an der Stromversorgung in Deutschland für ausreichend.
16
22
45
17
2,64
Es würde mich nicht stören, in der Sichtweite von Windkraftanlagen zu leben.
21
32
21
26
2,53
Frage: Im Folgenden haben wir einige Aussagen zum Thema Windenergie zusammengestellt. Bitte sagen Sie mir jeweils, inwieweit Sie den Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen!
Klimaschutzpolitik und erneuerbare Energien
159
Grundsätzlich sind mehr Befragte aus den westlichen Bundesländern für den Ausbau der Windenergie. Auch das Alter beeinflusst die Einstellung zur Windenergie: Ab 50 Jahren liegt die Zustimmung zur Windenergie unter dem Durchschnitt. Ferner stößt die Windkraft bei Befragten mit höheren Schulabschlüssen auf deutlich mehr Akzeptanz als bei Befragten mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. Die perspektivisch etwas anders gestellte Frage, ob man den derzeitigen Anteil der Windenergie an der Stromversorgung in Deutschland für ausreichend hält, erbringt folgende Ergebnisse: 62% der Befragten stimmen diesem Statement „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zu. Hingegen können sich immerhin 38% der Befragten der Meinung anschließen, der derzeitige Anteil der Windenergie an der Stromversorgung sei ausreichend. So gefragt, kann man schlussfolgern, dass die Anzahl der Windkraft-Befürworter nun etwas geringer ist. Umgekehrt gilt dann aber auch der Schluss, dass immer noch eine Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, der Anteil der Windenergie an der Stromversorgung in Deutschland könne weiter steigen. Gefragt nach den negativen Seiten der Windkraft, teilt sich die Bevölkerung in zwei Lager: 49% der Befragten sind der Meinung, dass Windkraftanlagen das Landschaftsbild negativ beeinträchtigen. Ebenso gespalten ist die Bevölkerung angesichts der Vorstellung in der Sichtweite von Windkraftanlagen zu leben. Gut die Hälfte der Befragten gab zu Protokoll, sie würden sich nicht daran stören, knapp die Hälfte allerdings schon. Die Vermutung, dass sich Befragte aus ländlichen Regionen in dieser Hinsicht eventuell stärker gestört fühlen könnten, weil sie im Alltag eher mit dem Anblick von Windkraftanlagen konfrontiert sind, ist statistisch nicht zu belegen. Wir können hier also keine auffälligen Unterschiede in der Wahrnehmung von Befragten aus Städten sowie aus ländlichen Gemeinden feststellen. Das gilt in gleicher Weise für das Statement „Ich finde, dass Windkraftanlagen das Landschaftsbild negativ beeinträchtigen“. Im Übrigen wirkt sich ein hohes Umweltbewusstsein hochsignifikant positiv auf die Haltung zur Windenergie aus. Das betrifft alle Statements und hier insbesondere jene Befragten, die – jeweils pro-Windenergie orientiert – mit „stimme voll und ganz zu“ bzw. „stimme überhaupt nicht zu“ antworten. So ist der Mittelwert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen bei diesen Befragten um durchschnittlich zwei Skalenpunkte erhöht. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine aktive Klimaschutzpolitik auf Akzeptanz in der Bevölkerung stößt. Dies gilt aber vermutlich nur so lange,
160
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
wie man nicht selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten hat. Die mangelnde Akzeptanz der im Folgenden behandelten ökologischen Steuerreform ist dafür ein Beispiel. 3.2
Ökologische Steuerreform
Die ökologische Steuerreform stellt einen konkreten Baustein einer aktiven Klimaschutzpolitik dar. Sie soll Anreize zu einem sparsamen und effizienten Umgang mit Energie geben und betrifft alle gesellschaftlichen Sektoren gleichermaßen. Als Prinzip gilt: Wer (Umwelt)Kosten verursacht, soll diese auch bezahlen. Die Privathaushalte sind damit ebenso wie die Wirtschaft direkt durch höhere Strom-, Energie- und Kraftstoffkosten betroffen. Im Gegenzug wurden mit der Einführung der Ökosteuer im Jahr 1999 die Beitragssätze zur Rentenversicherung gesenkt. Die ökologische Steuerreform reduziert also die steuerliche Last auf den Produktionsfaktor Arbeit, indem sie diese auf den Produktionsfaktor Umweltverbrauch verlagert. Trotz dieses plausiblen Ansatzes ist die ökologische Steuerreform seit ihrer Einführung ein Gegenstand intensiven politischen Streits. Auch innerhalb der Bevölkerung stößt die ökologische Steuerreform nicht gerade auf Anklang. So hat ihre Akzeptanz gegenüber der Umfrage 2002 um 6% abgenommen und wird mit 58% von einer Mehrheit der Deutschen abgelehnt. Der Anteil derjenigen, die die ökologische Steuerreform befürworten, ist ebenfalls um 3% auf nun 26% gesunken. Darunter sind nach wie vor deutlich mehr Befragte aus den westlichen Bundesländern. Von der Gruppe der Umweltengagierten wird die ökologische Steuerreform mehrheitlich begrüßt: 53% sind für die Reform, allerdings steht ihr auch ein Drittel ablehnend gegenüber. Die Zustimmung differiert ferner stark nach Parteibindung. Am geringsten ist sie unter den Wählerinnen und Wählern von CDU/CSU und der FDP, am höchsten unter den Wählerinnen und Wählern von Bündnis 90/Die Grünen. Unter den Befragten mit höheren Bildungsabschlüssen liegt die Zustimmung ebenfalls über dem Durchschnitt. Ein hohes Umweltbewusstsein wirkt sich hochsignifikant positiv auf die Haltung zur Ökosteuer aus. Der Mittelwert auf der Skala der Pro-Umwelteinstellungen ist bei den Befragten, die der ökologischen Steuerreform positiv gegenüber stehen um vier Skalenpunkte höher als bei den Befragten, die die Reform ablehnen – eine recht erhebliche Differenz.
161
Ökologische Steuerreform Tabelle 29: Meinung zur Ökosteuer nach verschiedenen Merkmalen Angaben in %
bin für die Ökosteuer
bin gegen die Ökosteuer weiß nicht
insgesamt
26
58
16
Geschlecht: Frauen Männer
26 27
56 60
19 13
Alter: unter 30-Jährige 30- bis 44-Jährige 45- bis 59-Jährige 60 Jahre und älter
27 26 26 26
52 59 62 56
21 15 12 18
Bildungsgrad: niedrigere Schulbildung mittlere Schulbildung höhere Schulbildung
17 25 38
66 58 49
17 17 13
Parteipräferenz: CDU/CSU SPD Bündnis 90/Die Grünen FDP PDS
18 43 63 16 23
71 41 24 75 63
11 16 13 9 14
Ortsgröße: bis unter 5.000 Einwohner 5.000 bis unter 50.000 Einwohner 50.000 bis unter 500.000 Einwohner 500.000 und mehr Einwohner
19 22 26 32
64 63 54 54
17 15 20 14
Wie schon in der Umfrage 2002 wurden den Befragten verschiedene Statements über Aspekte der Ökosteuer zur Bewertung vorgelegt, um ein detailliertes Bild über die Einstellungen zur ökologischen Steuerreform zu erhalten. Zum einen enthalten die Statements hinter der Reform stehende Kerngedanken, zum anderen in der öffentlichen Diskussion weit verbreitete, oft aber auch von interessierten Kreisen eifrig bestärkte und wiederholte Argumentationsfiguren. So empfindet eine klare Mehrheit, und zwar fast drei Viertel der Befragten (73%), die ökologische Steuerreform vor allem als sozial ungerecht. Die Einstellung, die Ökosteuer sei ungerecht, hat sich gegenüber der Umfrage 2002 weiter gefestigt. Damals waren es 68%, die so dachten. Geht man weiter ins Detail, so zeigt sich, dass diese Meinung in den östlichen Bundesländern noch stärker vertreten ist – die Quote der Kritikerinnen und Kritiker liegt hier bei 82% versus 70% in den westlichen Bundesländern. Ferner beurteilen vor allem auch Personen mit niedrigem
162
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
sozioökonomischen Status die Ökosteuer als sozial ungerecht. Dieser Anteil liegt hier bei 83%. Umgekehrt gilt: Je höher der Grad der Schulbildung und je qualifizierter die berufliche Tätigkeit, desto weniger neigt man zu der Haltung, die Ökosteuer sei sozial ungerecht. Die überwiegend negative Einstellung zur Ökosteuer scheint vorwiegend aus der Annahme zu resultieren, dass die Be- und Entlastung durch die Ökosteuer zu unterschiedlich auf die deutschen Haushalte verteilt ist. Insgesamt fällt die Bewertung der Aussagen zur Ökosteuer aber uneinheitlich aus. Einerseits stößt eine hinter der ökologischen Steuerreform stehenden Grundüberlegung mit fast exakt dem gleichen Wert wie 2002 durchaus auf hohe Akzeptanz: „Es ist nur recht und billig, wenn diejenigen, die die Umwelt in geringerem Maße belasten und etwas für den Umweltschutz tun, weniger Steuern bezahlen.“ 80% der Befragten stimmen „voll und ganz“ oder „eher zu“. Andererseits können jedoch nur 25% der Befragten dem eigentlichen Kerngedanken der ökologischen Steuerreform etwas abgewinnen – dass diese nämlich die steuerliche Last des Faktors Arbeit reduziert und auf den Faktor Energieverbrauch verlagert. In der Umfrage 2002 waren es mit 30% der Befragten noch 5% mehr. Dass die Ökosteuer mithin Arbeitsplätze schaffen würde, dem können die Bürgerinnen und Bürger offensichtlich nur wenig Glauben schenken. Die große Kluft zwischen dem Grad der Zustimmung zu diesen beiden Statements macht deutlich, dass der grundlegende Ansatz der ökologischen Steuerreform, nämlich die Verknüpfung zwischen einer Verteuerung der Energie nach dem Verursacherprinzip und einer Entlastung des Produktionsfaktors Arbeit, nicht in ausreichendem Maß kommuniziert wurde. Ambivalent zeigt man sich auch bezüglich des Statements, dass höhere Energiesteuern zum Energiesparen anregen würden und dadurch die Umwelt entlasten: 48% stimmen „voll und ganz“ oder „eher“ zu, 52% stimmen „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zu. Ferner sind mehr als zwei Drittel der Meinung, dass die ökologische Steuerreform keinen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme leisten würde. Diese insgesamt negativ gefärbte Einschätzung der ökologischen Steuerreform steht in deutlichem Widerspruch zu den Ergebnissen einer Studie des Ecolog-Instituts und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in der die Effekte der ökologischen Steuerreform auf Privathaushalte und Unternehmen untersucht wurden (vgl. UBA 2004). Danach erbringt die ökologische Steuerreform sowohl ökologische als auch ökonomische Vor-
Verkehrspolitische Maßnahmen
163
teile. Laut einer im Rahmen dieser Studie durchgeführten repräsentativen Umfrage (September 2004) war die Ökosteuer für rund die Hälfte der Privathaushalte Anlass und Motivation ihren Energieverbrauch zu verringern, und zwar in den Bereichen Strom, Heizen/Wohnen und Mobilität. 3.3
Verkehrspolitische Maßnahmen
Wie steht es um die gesellschaftliche Akzeptanz einer Mobilitätspolitik, die den Kriterien der Nachhaltigkeit genügt? Generell handelt es sich hier um ein schwieriges Terrain. Denn in den einschlägigen Prognosen geht man davon aus, dass der PKW-Bestand und mithin auch der Personenverkehr auf der Straße weiter anwachsen werden. Unsere Zahlen zur Verkehrsmittelnutzung im Nahverkehr belegen diesen Trend (siehe Kapitel I.3.3.3). Waren es in der Umfrage 2002 38%, die angaben, das Auto „sehr häufig“ im Nahverkehr zu nutzen, sind es nun 45% der Befragten. Es mag somit ein Widerspruch sein, dass sich parallel dazu eine ebenfalls gewachsene Mehrheit für verkehrspolitische Maßnahmen ausspricht, die auf das Zurückdrängen des Autoverkehrs zielen. Bei fast allen thematisierten verkehrspolitischen Maßnahmen in Städten und Wohngebieten sind die Zustimmungsquoten im Vergleich zur Umfrage 2002 leicht gestiegen. Zwar möchte man auf das Auto nicht verzichten, nimmt den zunehmenden Verkehr aber offensichtlich gleichzeitig als problematisch wahr. Ziele und Maßnahmen einer umweltgerechten Verkehrspolitik, die auf die Schaffung eines fußgänger- und fahrradfreundlichen Klimas in der Stadt zielen, können in der Bevölkerung weitgehend mit Zustimmung rechnen. Die Zustimmungsquoten liegen hier zwischen 68% und 83%. Zu beachten ist allerdings, dass auch 30% der Befragten gegen eine weitgehende Sperrung von Innenstädten für den Autoverkehr und 29% gegen eine Reservierung von Straßen für den Radverkehr sind. Dennoch ist zum Beispiel der Anteil der Befragten, der sich für eine weitgehende Sperrung von Innenstädten für den Autoverkehr ausspricht, mit 68% derzeit so hoch wie nach 1994 nicht mehr.
164
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
Tabelle 30: Einstellung zur weitgehenden Sperrung von Innenstädten für den Autoverkehr (Zeitreihe) Erhebung Anteil in % der Befragten, die „sehr dafür“ oder „eher dafür“ sind
1991
1992
1993
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Befragte
Gesamt
78
76
72
71
61
53
65
65
68
West
77
75
71
71
60
52
64
65
68
Ost
84
79
76
70
66
61
68
68
71
Frage: Wie ist Ihre Einstellung dazu, dass in größeren Städten die Innenstadt weitgehend für den Autoverkehr gesperrt wird?
Frauen, die Umweltengagierten sowie die Wählerinnen und Wähler von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sind Maßnahmen, die das Auto zurückdrängen, überdurchschnittlich häufig zugetan. Befragte aus Großstädten mit 500.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern sind bei den Zustimmungsquoten hingegen leicht unterrepräsentiert. Es erstaunt im Übrigen nicht, dass diejenigen, die selbst „häufig“ oder „sehr häufig“ mit dem Auto im Nahverkehr unterwegs sind, weniger als der Befragtendurchschnitt damit einverstanden sind, dass die Innenstadt weitgehend für den Autoverkehr gesperrt wird oder dass Straßen für den Fahrradverkehr reserviert werden. Wir treffen also erneut auf die Konstellation, dass man grundsätzlich zustimmt, jedoch eine ablehnende Haltung einnimmt, sobald man selbst betroffen sein könnte. Keinen Einfluss auf die Zustimmung zu verkehrspolitischen Maßnahmen, die auf das Zurückdrängen des Autoverkehrs zielen, hat hingegen der Umstand, ob man am Wohnort durch Straßenverkehrslärm und Autoabgase belastet ist (z.B. Wohnen an einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße). Die Zustimmung zu den Autoverkehr zurückdrängenden Maßnahmen ist in diesem Personenkreis nicht signifikant höher als bei Befragten, die ruhiger wohnen. Die Schaffung eines fußgänger- und fahrradfreundlichen Klimas in der Stadt ist ein Aspekt umweltgerechter Verkehrspolitik, wie sieht es nun mit der Akzeptanz verkehrspolitischer Maßnahmen aus, die allgemein auf die Entlastung der Straßen zielen? Der Ausbau des ÖPNV und des Radnetzes sowie die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene werden von einer deutlichen Mehrheit der Befragten befürwortet.
165
Verkehrspolitische Maßnahmen Abbildung 12: Akzeptanz verkehrspolitischer Maßnahmen (Zeitreihe) 100%
95%
90%
85%
80% Verlagerung des Güterverkehres auf die Schiene Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs
75%
Ausbau des Radnetzes 70% 1991
1992
1993
1994
1996
1998
2000
2002
2004
Anweisung: Ich nenne Ihnen jetzt einige verkehrspolitische Vorschläge zur Entlastung der Straßen. Sagen Sie mir bitte Ihre Meinung zu diesen Vorschlägen. Angegeben ist der Prozentsatz derjenigen, die angaben „eher dafür“ und „sehr dafür“ zu sein.
Die Zustimmungsquoten liegen zwischen 82% und 93%. Bezogen auf die die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und den Ausbau des ÖPNV ist die Zustimmung gegenüber der Umfrage 2002 sogar leicht gestiegen. Der Anteil der Gegnerschaft ist hier insgesamt weitaus geringer als bei den oben erörterten Maßnahmen zur Förderung eines fußgänger- und fahrradfreundlichen Klimas in der Stadt. Dies überrascht indes nicht, denn auch den Autofahrerinnen und -fahrern erwächst aus diesen Maßnahmen in der Regel kein Nachteil – im Gegenteil, insbesondere was die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene betrifft. Dennoch ist die Akzeptanz aller drei Maßnahmen unter den regelmäßigen Autofahrerinnen und -fahrern immer noch signifikant geringer als bei den anderen. Ferner ist unter Befragten aus kleineren Gemeinden und Städten (bis unter 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern) die Zustimmung zum Ausbau des ÖPNV signifikant geringer. Ein immer wieder diskutiertes Thema in der Kommunalpolitik stellt die Verkehrsberuhigung von Wohngebieten sowie die Einrichtung von Tempo 30-Zonen dar. Den Ausbau verkehrsberuhigter Bereiche in Wohngebie-
166
Akzeptanz umweltpolitischer Schwerpunkte und Maßnahmen
ten befürworten 87% der Befragten. Gegenüber der Umfrage 2002 ist dies eine leichte Steigerung von 4%. Grundsätzlich ist bei dieser Maßnahme zu berücksichtigen, dass sie im Vergleich zur Einrichtung von Tempo 30Zonen in geringerem Ausmaß auf die individuelle konkrete Wohn- und Lebenssituation übertragbar ist und schon von daher grundsätzlich eher Zustimmung findet. Dagegen impliziert die Einrichtung von Tempo 30Zonen eine flächendeckende Veränderung, die von jeder Person auf ihre konkrete Situation übertragen werden kann. Das Urteil fällt deshalb kontroverser aus (vgl. auch Grunenberg/Kuckartz 2003, S. 118). So spricht sich mit einem Anteil von 30% fast ein Drittel gegen eine flächendeckende Einrichtung von Tempo 30-Zonen aus. 69% befürworten diese verkehrspolitische Maßnahme. Darunter sind deutlich mehr Frauen als Männer. Ob sich Kinder im Haushalt befinden, spielt ebenfalls eine Rolle. So werden Tempo 30-Zonen von jungen Familien und Alleinerziehenden besonders stark befürwortet. Darüber hinaus ist von Bedeutung, wie häufig man das Auto im Nahverkehr nutzt. Wie zu erwarten, ist die Ablehnung von Tempo 30-Zonen umso größer, je häufiger man im Alltag das Auto benutzt. Das gilt in gleicher Weise für die Haltung zur Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen. Mit Blick auf die Vorgängeruntersuchungen können wir bezüglich beider Maßnahmen eine positive Trendwende verzeichnen. So lag die Zustimmungsquote („bin sehr dafür“ und „eher dafür“) für die Einrichtung von Tempo 30-Zonen im Jahr 2000 bei 59% und im Jahr 2002 bei 65%. Hinsichtlich der Einrichtung von mehr verkehrsberuhigten Bereichen lagen die entsprechenden Quoten bei jeweils 83%.
4
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
Nachhaltige Entwicklung gilt als untrennbar mit Bürgerengagement und Eigeninitiative verknüpft. Ohne die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger – so die einhellige Meinung unter Fachleuten – wird der Weg in eine nachhaltige Gesellschaft kaum möglich sein. In den einschlägigen Dokumenten und Schriften wird immer wieder darauf verwiesen, dass für die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung unterschiedliche Formen des Bürgerengagements zu entwickeln und zu etablieren sind, weil sich eine nachhaltige Entwicklung ohne den Bewusstseinswandel und die Mitwirkung möglichst breiter Bevölkerungskreise nicht realisieren lässt. So setzt die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ganz explizit auf den Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen: „Wenn nachhaltige Entwicklung Realität werden soll, brauchen wir viele Menschen, die dieses Anliegen zu ihrer eigenen Sache machen.“ Doch warum ist das so? Ein Grund ist sicherlich die Offenheit und Dynamik des Konzepts der Nachhaltigkeit, die sich vielfach in der Rede von nachhaltiger Entwicklung als „gesellschaftlichem Such- und Lernprozess“ widerspiegelt. Nachhaltige Entwicklung lässt sich demnach auch als gesellschaftlicher Veränderungsprozess begreifen (vgl. z.B. Bittencourt u.a. 2003, S. 25). Staatliche Nachhaltigkeitspolitik allein wäre damit überfordert. Denn die konkreten Inhalte dessen, was Nachhaltigkeit im Alltag der Menschen ausmacht oder ausmachen kann, muss von diesen selbst mitgestaltet werden, ausgehend von ihrem Lebensumfeld oder den Themen, die sie berühren und beschäftigen. Gerade auf der lokalen Ebene bzw. im unmittelbaren Lebensumfeld kann der Sachverstand der Bürgerinnen und Bürger mitunter größer sein und darf in kommunalen Entscheidungsprozessen – etwa im Rahmen nachhaltiger Stadtentwicklung – nicht fehlen. Die Initiatoren der lokalen Agenda 21-Prozesse haben dies sicherlich als Erste erkannt. Aber auch die gesellschaftspolitische Funktion von Bürgerengagement spielt in der Nachhaltigkeitsdebatte eine Rolle, und zwar vor dem Hinter-
168
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
grund der sich verändernden Rolle des Staates. Hier kommt die Frage der „neu zu verhandelnden Zuständigkeiten zwischen Staat und Bürger“ (Anheier/Toepler 2002, S. 32) ins Spiel. Die Hoffnung richtet sich darauf, dass mit dem bürgerschaftlichen Engagement vermehrt Beiträge zum Wohl der Gesellschaft geleistet werden, die der Staat nicht oder nicht mehr optimal zu leisten vermag. Im besten Falle stellt sich dies dann – über die Generierung von Sozialkapital – als Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung, zu sozialem Zusammenhalt und zur Demokratieentwicklung dar (vgl. Anheier/Toepler 2003, S. 21). So wird immer wieder betont, dass das bürgerschaftliche Engagement geeignet scheint, Tugenden und Werte zu fördern, die für das Gemeinwohl posttraditionaler Industriegesellschaften unverzichtbar sind (vgl. z.B. Schliesky/Ruge 2004). Eine Renaissance der WerteOrientierung, die gerade auch im Kontext des offenen Nachhaltigkeitskonzeptes zunehmend als unverzichtbar angesehen wird (vgl. RNE 2004). Geht es doch nicht nur um die Übernahme von Selbstverantwortung für das eigene Leben – also um Eigeninitiative – sondern auch darum, den Wohlstand der kommenden Generationen zu sichern – mithin um Solidarität. Nachhaltigkeit berührt also grundlegende Wertefragen, insbesondere dann, wenn man Nachhaltigkeit über die rein praktischen und technischen Aspekte ökologischer Nachhaltigkeit hinaus als gesellschaftlichen Veränderungsprozess verstanden wissen möchte. Bürgerengagement zur Nachhaltigkeit in den Städten und Gemeinden gilt somit als eine bedeutsame Quelle von innovativer Politik und zivilgesellschaftlicher Verantwortung. Oder: Engagement für nachhaltige Entwicklung lässt sich als Chance begreifen, die erforderlichen Reformen in Gesellschaft und Wirtschaft als gemeinschaftliche Arbeit an der Zukunftsfähigkeit erfahrbar zu machen (vgl. Wehrspaun/Löwe/Eick 2004). Doch die Rahmenbedingungen für das ambitionierte Ziel, diese gesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaften für Nachhaltigkeit in der Mitte der Gesellschaft zu verankern, sind auf den ersten Blick nicht unbedingt förderlich. Erstens: Wer darauf hofft, dass Begriff und Konzept der nachhaltigen Entwicklung nach jahrelangen Debatten in Politik, Wissenschaft und Nicht-Regierungsorganisationen auch im Alltag der Menschen angekommen sein müssten, wird enttäuscht. Zwar zeigen unsere Ergebnisse, dass die Grundprinzipien der Nachhaltigkeit (schonender Ressourcenverbrauch, Generationengerechtigkeit, fairer Handel) bei konkreter Nachfrage auf große Resonanz stoßen – die Zustimmung ist im Vergleich zur
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
169
Umfrage 2002 sogar noch höher – aber: Als Begriff ist nachhaltige Entwicklung in den letzten zwei Jahren nicht bekannter geworden.31 Andererseits gibt es Pioniere32 und ein weit verbreitetes Nachhaltigkeitsbewusstsein in den gesellschaftlichen Eliten. Insofern besteht eigentlich kein Grund für die immer wieder zu hörenden Klagen über die Komplexität des Begriffs. In den Eliten ist die Botschaft angekommen und in der breiten Bevölkerung gibt es eine große Resonanz für die Grundprinzipien. Dies sind zumindest schon einmal gute Ausgangsbedingungen. Zweitens: Die Ansprüche und Erwartungen der Menschen an die Organisationsformen des freiwilligen Engagements haben sich geändert. Engagement muss heute anders stattfinden, als es traditionell der Fall war – so lautet das Fazit der einschlägigen Forschung zum Bürgerengagement. Die Ein- und Wertschätzung bürgerschaftlichen Engagements hat sich nicht nur in der politischen Sphäre grundlegend geändert. Der Wandel in den Familienstrukturen, in der Arbeitswelt sowie der individuellen Wertvorstellungen hat die Motive und die Ansprüche der Menschen an freiwilliges Engagement verändert. Flexibilität, Pluralität und Individualisierung müssen sich mithin auch in den Angeboten zum freiwilligen Engagement widerspiegeln. Ein Engagement in festen Organisationsstrukturen und auf der Grundlage fester Bindungen ist danach immer weniger gefragt. Andererseits gilt zu bedenken, dass laut Freiwilligensurvey 2004 die am weitesten verbreitete Organisationsform des freiwilligen Engagements nach wie vor der Verein ist. 43% der freiwilligen Tätigkeiten spielen sich hier ab, beim Engagement im Umwelt- und Tierschutz dominiert der Verein als Organisationsform noch stärker (60%) (vgl. Gensicke 2004). Dies macht deutlich, dass insbesondere auch die Umwelt- und Naturschutzorganisationen gefordert sind, das freiwillige Engagement zeitgemäß und attraktiv zu gestalten. Die folgenden Kapitel sollen eine analytische Grundlage bieten, um daraus Folgerungen für eine gezielte Förderung des Engagements für Nachhaltigkeit ableiten zu können. Dabei geht es in der Terminologie vorrangig um das Engagement für den Umwelt- und Naturschutz, denn die Initiativen zur Nachhaltigkeit stecken größtenteils noch in den Kinderschuhen und sind in repräsentativen Umfragen empirisch kaum aufzuspüren. Erörtert
31 Siehe hierzu Kapitel I.1. 32 Siehe hierzu Kapitel I.3.4.
170
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
wird die Spendenbereitschaft sowie der derzeitige Umfang des Engagements für den Umwelt- und Naturschutz, die soziodemographische Struktur der derzeit Engagierten, ihre Wertorientierungen, die inhaltliche Ausrichtung des Engagements und die damit verbundenen Motive und Erwartungen. Ferner wird das verfügbare Engagementpotenzial für den Umweltund Naturschutz in Augenschein genommen. Handelt es sich dabei um ein ernstzunehmendes Potenzial? Wer sind diejenigen, die sich engagieren würden? Wie sieht es mit der – wie man weiß – nicht unwichtigen Meinung von Peers aus, befürworten sie ein Engagement oder halten sie eher dagegen? Welche Werte prägen die potenziell Engagierten, und was hält sie derzeit noch vom Engagement ab? Welche Motive sollte man ansprechen, um diese Gruppe zu einem Engagement für Nachhaltigkeit zu bewegen? 4.1
Freiwilliges Engagement für den Umwelt- und Naturschutz: Ein Überblick
Die Umwelt- und Naturschutzverbände geben der Umweltpolitik wichtige Impulse. Darüber hinaus haben sie ein positives Image in der Bevölkerung. In punkto Umweltschutzkompetenz – verglichen mit anderen Einrichtungen und Organisationen sowie den Parteien – bringen die Bürgerinnen und Bürger den Umwelt- und Naturschutzverbänden eindeutig das größte Vertrauen entgegen.33 Trotz aller Professionalisierung sind die Umwelt- und Naturschutzverbände weiterhin auf das freiwillige Engagement der Bevölkerung angewiesen, um die Umsteuerung in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung mit voranzutreiben. Doch viele Umweltverbände klagen über Nachwuchssorgen und einen Mangel an Aktiven. Wie schon in den letzten Umfragen interessierte uns deshalb zunächst, ob man Mitglied in einer Gruppe oder einer Organisation ist, die sich für die Erhaltung und den Schutz von Umwelt und Natur einsetzt. Zwar beinhaltet die Mitgliedschaft in einem Umwelt- und Naturschutzverband nicht zwangsläufig ein aktives Engagement, aber dennoch dürften sich hier erste Hinweise auf die Interessenslage in der Bevölkerung finden lassen.
33 Siehe hierzu Kapitel III.1.
Freiwilliges Engagement für den Umwelt- und Naturschutz: Ein Überblick
171
Obwohl der Umweltschutz heute nicht mehr in den Rahmen der so genannten „Neuen Sozialen Bewegungen“ eingebunden ist – wie das noch in den 1970er und 1980er Jahren der Fall war – ist der Anteil der Befragten, die angeben, Mitglied in einem Umwelt- oder Naturschutzverband zu sein, in den letzten vier Jahren leicht gewachsen, von 7,5% auf 8,6%. Die Anzahl der Mitglieder ist im Westen nach wie vor weitaus höher als im Osten. Ferner hat sich der Anteil von Frauen und Männern wieder weitgehend angeglichen, nachdem in den Umfragen der Jahre 2000 und 2002 etwas mehr Männer Mitglied in einem Umwelt- oder Naturschutzverband waren. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine solche Mitgliedschaft eher eine Angelegenheit von Personen mit höheren Bildungsabschlüssen sowie – inzwischen – der 46- bis 60-Jährigen ist, wobei der Unterschied zu den anderen Altersgruppen aber nicht sonderlich groß ausfällt. Tabelle 31: Geldspende an Umwelt- oder Naturschutzverbände nach verschiedenen Merkmalen Angaben in %
ja, einmal
ja, mehrmals
nein
Insgesamt
15
10
75
Geschlecht: Frauen Männer
17 13
9 10
74 77
Alter: unter 30-Jährige 30- bis 44-Jährige 45- bis 59-Jährige 60 Jahre und älter
12 14 19 16
8 11 7 11
80 75 74 73
Bildungsgrad: niedrigere Schulbildung mittlere Schulbildung höhere Schulbildung
12 13 22
6 10 14
82 77 64
Parteipräferenz: CDU/CSU SPD Bündnis 90/ Die Grünen FDP PDS
13 18 33 13 15
7 11 22 5 10
80 71 45 82 75
Frage: Haben Sie im letzten Jahr einmal oder mehrmals Geld für eine Umwelt- oder Naturschutzgruppe gespendet?
Ein Viertel der Befragten hat im Jahr 2003 Geld für eine Umwelt- oder Naturschutzgruppe gespendet: ein nicht zu unterschätzendes „passives“ Bürgerengagement. Geht man weiter ins Detail, so zeigt sich, dass Frauen et-
172
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
was häufiger spenden. Ferner steigt die Spendenbereitschaft mit zunehmender Schulbildung an. Während die Spendenbereitschaft bei den unter 30-Jährigen leicht unterdurchschnittlich ist, ist sie über dieses Alter hinaus relativ gleichmäßig verteilt. Wie viele Personen sind nun tatsächlich ehrenamtlich tätig, spenden also Zeit für gemeinnützige Zwecke? Um in diesem Feld einen ersten Eindruck zu gewinnen, interessierte vorerst der Gesamtanteil der Aktiven, unabhängig vom Tätigkeitsfeld. Danach sind insgesamt 17% der Befragten in irgendeiner Form ehrenamtlich tätig. Tabelle 32: Bereiche des Engagements Angaben in % derer, die sich ehrenamtlich engagieren (Anteil 17%)
Erhebung 2004
max. zwei Nennungen
Gesamt
West
Ost
Sport und Bewegung
22
22
29
kirchlicher/religiöser Bereich
21
23
9
sozialer Bereich
19
19
14
Politik/politische Interessenvertretung
15
15
19
Kultur und Musik
13
12
19
Schule/Kindergarten
11
11
10
Umwelt- oder Naturschutz, Tierschutz
11
10
12
Freizeit und Geselligkeit
10
9
17
Rettungsdienste/freiwillige Feuerwehr
6
7
0
berufliche Interessenvertretung
4
5
0
außerschulische Jugendarbeit/Bildungsarbeit für Erwachsene
4
4
5
Gesundheitsbereich
3
3
2
Justiz/Kriminalitätsprobleme
2
2
0
Lokale Agenda 21
2
2
2
sonstige bürgerschaftliche Aktivität
7
6
12
Frage: In welchem Bereich engagieren Sie sich?
Die Vermutung, dass freiwilliges bzw. ehrenamtliches Engagement je nach Lebensphase der Befragten unterschiedlich ausgeprägt ist, bestätigt sich. So sind vor allem Befragte aus älteren Partnerhaushalten (ab 60 Jahre) (23%) sowie Familien mit älteren Kindern (21,5%) etwas häufiger aktiv als der Durchschnitt. Noch deutlicher ist der Einfluss der Bildung. Von den Befragten mit Abitur, Fachhochschulreife oder Hochschulabschluss gaben 24% zu Protokoll, ehrenamtlich tätig zu sein. Auch das Einkommen spielt
Freiwilliges Engagement für den Umwelt- und Naturschutz: Ein Überblick
173
eine Rolle: Mit steigendem Einkommen wächst der Anteil der Engagierten kontinuierlich an. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind ebenfalls festzustellen: Bei den männlichen Befragten liegt die Engagementquote bei 19%, bei den Frauen bei 14,5%. Wie Tabelle 32 zeigt, sind die Formen und Bereiche bürgerschaftlichen Engagements äußerst vielfältig. Angeführt wird die Rangfolge von freiwilligen Tätigkeiten im Bereich Sport und Bewegung, dicht gefolgt von Aktivitäten im kirchlichen und sozialen Bereich. 11% der ehrenamtlich Engagierten sind im Umwelt- und Naturschutz oder im Tierschutz aktiv, weitere 2% engagieren sich für die Lokale Agenda 21. Bezogen auf die Gesamtpopulation der Studie handelt es sich um einen Anteil von 2% Ehrenamtlichen für den Umwelt-, Natur- und Tierschutz und von 0,4% für die Lokale Agenda 21. Schlummern im Verborgenen noch weitere Potenziale für ein Engagement im Umwelt- und Naturschutz? Sind unter den derzeit nicht Engagierten vielleicht Personen, die durchaus bereit wären, sich in irgendeiner Form aktiv im Umwelt- und Naturschutz zu betätigen? Wir haben also im Anschluss an die Frage, ob man zur Zeit eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübe, diejenigen, die mit „Nein“ antworteten, gefragt: „Können Sie sich vorstellen, sich aktiv für den Umwelt- und Naturschutz zu engagieren, z.B. als ehrenamtlich Tätige(r) in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe oder auch durch Beteiligung an einzelnen Aktivitäten und Projekten?“ Es stellt sich heraus, dass das im Verborgenen schlummernde Potenzial für ein Engagement im Umwelt- und Naturschutz beachtlich ist: Denn ein Drittel der derzeit nicht Engagierten kann sich vorstellen, für den Umweltund Naturschutz aktiv zu werden. 4% der Befragten sind bereits im Umwelt- und Naturschutz aktiv, entweder als ehrenamtlich Tätige(r) in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe oder auch durch Beteiligung an einzelnen Aktivitäten und Projekten. Vor allem die Möglichkeit einer Beteiligung an einzelnen Aktivitäten und Projekten sollte man nicht unterschätzen. Verschiedene Studien über die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement zeigen nämlich relativ eindeutig, dass mit dem Prozess der Individualisierung Motive wie „Selbstentfaltung“ und „Spaß haben“ sowie das Interesse an kurzfristigen, selbstorganisierten Projekten in den Vordergrund getreten sind. Parallel dazu hat das Interesse an einer regelmäßigen und bürokratischen, z.B. in Verbänden oder Vereinen organisierten ehrenamtlichen Tätigkeit abgenommen (vgl. z.B. Klages/Gensicke 1999). Bevorzugt
174
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
wird also zunehmend ein thematisches Engagement in zeitlich befristeten Projekten im Sinne einer Problemorientierung: identifizierbare Sachverhalte, überschaubare Themen und Handlungsfelder der unmittelbaren Lebenswelt. 4.2
Die Engagierten
Freiwilliges Engagement wird in den seltensten Fällen auf Lebenszeit ausgeübt. Viele Menschen engagieren sich auf Zeit, entweder aus einem bestimmen Anlass heraus oder weil ihre Lebenssituation es gerade erlaubt. Eine nicht unwichtige Frage ist deshalb, wie man das Engagement derjenigen, die bereits im Umwelt- und Naturschutz engagiert sind, möglichst stabil halten kann. Zu diesem Zweck ist es natürlich sinnvoll, mehr über die soziodemographische Struktur, die Werte und Motive der Engagierten zu erfahren. Welche Themenbereiche bevorzugen die Engagierten, findet man bei ihnen möglicherweise bereits ein Engagement für Nachhaltigkeit als politische Vision? Grundsätzlich ist bei der Interpretation der folgenden Ergebnisse allerdings zu berücksichtigen, dass wir es hier mit einer relativ kleinen Fallzahl (n=79) zu tun haben. Tiefergehende Analysen sind deshalb nur bedingt möglich. Auffällig ist zunächst, dass mit 75% ein großer Teil der bereits Engagierten gleichzeitig Mitglied in einer Umwelt- oder Naturschutzorganisation und somit organisiert ist. Zum Vergleich: In der Gesamtpopulation sind es 9%. Auch die Spendenbereitschaft für den Umweltschutz ist ausgesprochen groß. Nur 18% der Engagierten haben im Jahr 2003 kein Geld für den Umweltschutz gespendet, 34% haben einmal und 48% sogar mehrmals gespendet. Ferner – dies dürfte freilich nicht überraschen – ist das Umweltbewusstsein sehr hoch. Wir erwähnen diesen Aspekt dennoch, weil die Differenz zur Ausprägung des Umweltbewusstseins in der Gesamtbevölkerung doch recht erheblich ist (bei der Skala der Pro-Umwelteinstellungen vier Punkte über dem Mittelwert der Gesamtbevölkerung). 85% der im Umwelt- und Naturschutz Engagierten sind gleichzeitig zu den Pionieren der Nachhaltigkeit34 zu rechnen, also jenem Anteil in der Bevölkerung, der auch
34 Siehe hierzu Kapitel I.3.4.
Die Engagierten
175
auf der Verhaltensebene überdurchschnittliche Werte aufweist und häufiger als andere einen nachhaltigen Lebensstil pflegt. Auch der politische Stellenwert des Umweltschutzes wird von den Engagierten deutlich höher als von der Gesamtbevölkerung eingeschätzt: 72% versus 45% halten den Umweltschutz im Vergleich mit anderen politischen Aufgaben für „sehr wichtig“. Den Begriff der nachhaltigen Entwicklung kennen unter den Engagierten 62% (insgesamt: 22%), aber selbst hier haben 29% noch nichts vom Leitbild der Nachhaltigkeit gehört. Man kann an dieser Stelle bereits festhalten, dass es sich bei den im Umwelt- und Naturschutz Engagierten um einen eher außergewöhnlichen Personenkreis handelt, der sich in verschiedenen umweltrelevanten Fragen und Einstellungen deutlich vom Bevölkerungsdurchschnitt abhebt. 4.2.1 Geschlecht, Alter, Lebensphase, Bildung Mit 62% ist die Quote der Männer, die sich derzeit für den Umwelt- und Naturschutz engagieren, etwas höher als die der Frauen. Der Frauen-Anteil liegt bei 38%. Ferner sind Befragte, die 60 Jahre oder älter sind, überrepräsentiert. Letztere leben überwiegend in Partnerhaushalten. Befragte aus der Lebensphase „Familien mit nur älteren Kindern über sieben Jahren“ sind ebenfalls etwas häufiger unter den Engagierten zu finden. Deutlich unterrepräsentiert sind dagegen Befragte aus den Lebensphasen „Alleinerziehende“, „junge Singles“, „junge Unverheiratete in Familie“ sowie „junge Paare ohne Kinder“. Auch der Grad der Schulbildung erweist sich als signifikanter Einflussfaktor. So verfügt mit 52% gut die Hälfte der im Umwelt- und Naturschutz Engagierten über einen höheren Schulabschluss (niedrigere Bildung=22%; mittlere Bildung=26%). In der Gruppe aller ehrenamtlich Aktiven – unabhängig vom Tätigkeitsfeld – ist die Quote der höher Gebildeten mit 45% etwas niedriger. 4.2.2 Wertorientierungen und Engagement Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob freiwilliges Engagement von bestimmten Wertorientierungen abhängig ist. Die in Kapitel I.4.5 dargestellte Faktorenanalyse zeigte eine klare 3-Faktoren-Struktur:
176
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
Faktor 1: Traditionelle Pflichttugenden, d.h. auf Ordnungsstrukturen bezogene Tugenden wie Disziplin, Sparsamkeit, Pflichtbewusstsein, Fleiß, Leistungsbewusstsein, Heimatverbundenheit und Höflichkeit x Faktor 2: Postmaterialistische Orientierungen wie Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative x Faktor 3: Lebensgenuss und Hedonismus x
Wer ehrenamtlich engagiert ist – 17% der Befragten, unabhängig vom Tätigkeitsbereich – hat signifikant häufiger positive Werte bei Faktor 2, also den postmaterialistischen Werten Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative. In Bezug auf die traditionellen Pflichttugenden und den Hedonismus lassen sich keine Unterschiede feststellen. Was bedeutet das für die Analyse des Engagements? Jedenfalls im Durchschnitt geht die Ausübung einer freiwilligen, ehrenamtlichen Tätigkeit nicht mit vermehrten Pflichttugenden einher, wie dies vielleicht in früherer Zeit für das traditionelle Ehrenamt der Fall war. Freiwilliges Engagement ist heute primär ein Akt der Eigeninitiative und der Solidarität. Die Variable Bildung erweist sich wieder als klassische intervenierende Variable, d.h. sie korreliert positiv mit Werten und Ehrenamtlichkeit. Deshalb werden die verschiedenen Bildungssegmente nun getrennt betrachtet. Auch bei separater Auswertung des Segments der höher Gebildeten, finden wir diesen Zusammenhang zwischen Werten und ehrenamtlichem Engagement. Folgende Tabelle gibt die Ergebnisse für die höher Gebildeten wieder. Tabelle 33: Ehrenamtliches Engagement und persönliche Werte (nur höhere Schulbildung) Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit ja nein Insgesamt
Traditionelle Pflichttugenden
Postmaterialistische Orientierungen
Lebensgenuss und Hedonismus
Mittelwert
,38
-,49
,10
N
145
145
145
Mittelwert
,28
-,28
-,07
N
459
459
459
Mittelwert
,30
-,33
-,03
N
604
604
604
Bei Personen mit niedrigerer Schulbildung sieht es nun interessanterweise anders aus: Die ehrenamtlich Tätigen unterscheiden sich hier vor allem durch ihre ausgeprägteren Pflichttugenden (Faktor 1), d.h. die Motivation zur Ehrenamtlichkeit unterscheidet sich deutlich nach Bildungsstufen. Für
177
Die Engagierten
die einen ist ihr Engagement eher durch Pflichttugenden motiviert, für die anderen eher durch Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative. Tabelle 34: Ehrenamtliches Engagement und persönliche Werte (nur niedrigere Schulbildung) Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit Ja Nein Insgesamt
Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N
Traditionelle Pflichttugenden -,65 76 -,19 610 -,24 686
Postmaterialistische Orientierungen ,06 76 ,29 610 ,26 686
Lebensgenuss und Hedonismus ,29 76 ,11 610 ,13 686
Schaut man sich nun noch die zahlenmäßig kleine Gruppe derjenigen an, die sich speziell im Umwelt- und Naturschutz engagiert (4% der Gesamtpopulation, d.h. 79 Personen), unterscheidet sie sich wie die Gruppe aller ehrenamtlich Engagierten typisch in Bezug auf die postmaterialistischen Werte. Diese sind hier sehr ausgeprägt, signifikant positiver als beim Durchschnitt. Auffällig ist auch, dass sich die im Umwelt- und Naturschutz Engagierten weit häufiger als im Befragtendurchschnitt als religiös bezeichnen (62% versus 43%). Vor die Wahl gestellt, ob man mehr Einkommen oder mehr Freizeit bevorzugen würde, plädieren die im Umwelt- und Naturschutz Engagierten entgegen dem Mainstream ganz eindeutig für mehr Freizeit (58% mehr Freizeit, 25% mehr Einkommen). 4.2.3 Stabilität des Engagements Was sind die Motive derjenigen, die derzeit in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe aktiv sind? Für welche Themen machen sie sich bevorzugt stark? Wie steht es um die Akzeptanz des Umweltengagements im Freundes- und Bekanntenkreis? Das Wissen um diese und andere Aspekte ist sicherlich aufschlussreich, wenn es darum geht, das Engagement auch auf Dauer stabil zu halten. Laut Freiwilligensurvey ist hier außerdem zu berücksichtigen, dass speziell die Engagierten, die ein Interesse an der Ausweitung ihres Engagements haben, besonders empfänglich für die ehrenamtspolitischen und organisatorischen Defizite des Engagements sind. Das betrifft etwa solche bei der Unterstützung durch Hauptamtliche und der finanziellen Ausstattung des Ehrenamts, ferner bei der Information und Beratung über die Möglichkeiten des Zugangs zum Engagement oder auch Mängel
178
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
im Bereich der gesellschaftlichen und politischen Anerkennung des Ehrenamts (vgl. Klages 2000, S. 204f.). Zur Erfassung ihrer Motiv-Struktur haben wir der Gruppe der im Umwelt- und Naturschutz Engagierten verschiedene Statements zur Bewertung vorgelegt. Dabei zeigt sich, dass die hervorstechenden Engagement-Motive – in dieser Rangfolge – die Liebe zur Natur, die Übernahme von Verantwortung sowie Freude und Spaß an der Sache sind. Tabelle 35: Motivation zum Engagement im Umwelt- und Naturschutz Erhebung 2004 Angaben in % derer, die sich bereits aktiv im Umwelt- oder Naturschutz engagieren
stimme voll stimm stimme und ganz weitgehend eher nicht zu zu zu
stimme überhaupt nicht zu
Mittelwert
Code
1
2
3
4
aus Liebe zur Natur
60
35
4
1
1,47
weil ich Verantwortung übernehmen möchte
51
40
7
2
1,61
aus Freude und Spaß
42
46
8
4
1,74
aus persönlicher Betroffenheit
30
38
24
8
2,09
weil ich meine Freizeit sinnvoll gestalten will
29
42
16
13
2,13
weil ich meine Fachkompetenz einbringen kann
24
38
26
12
2,27
um soziale Kontakte zu knüpfen
9
45
36
10
2,46
um politisch etwas zu erreichen
18
33
28
21
2,51
um mich persönlich/beruflich zu qualifizieren
3
17
48
32
3,08
Frage: Aus welcher Motivation heraus engagieren Sie sich? Bitte sagen Sie mir, inwieweit Sie den folgenden Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen.
Noch deutlich im positiven Bereich der Zustimmungsskala liegen auch die Motive der persönlichen Betroffenheit und die Möglichkeit einer sinnvollen Freizeitgestaltung. Mehrheitlich keine Zustimmung findet hingegen das Motiv, sich beruflich oder persönlich qualifizieren zu wollen. Zwischen Männern und Frauen sind kaum Unterschiede in der Motivationsstruktur festzustellen. Lediglich das Statement „Weil ich meine Fachkompetenz einbringen kann“ findet bei Männern signifikant höhere Zustimmung als bei Frauen.
179
Die Engagierten
Um verschiedene Motivgruppen ausfindig zu machen, wurde eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt35. Danach lassen sich drei Motivgruppen unterscheiden: 1. Ein gestaltungsorientiertes Motiv: Persönliche Betroffenheit gepaart mit dem Willen, politisch etwas zu erreichen, Fachkompetenz einbringen und entwickeln zu können sowie Verantwortung zu übernehmen. 2. Spaß haben und soziale Kontakte knüpfen 3. Liebe zur Natur und sinnvolle Freizeitgestaltung Das sind durchaus verschiedene Motivgruppen und die Umweltkommunikation wird sie jeweils bedienen müssen. Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der Motivation, etwas für die Umwelt zu tun, kommt auch die Studie „Motivation in der Bevölkerung, sich für Umweltthemen zu engagieren – eine qualitative Studie mit Fokusgruppen“ (im Auftrag des Umweltbundesamtes, durchgeführt vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung)36. Die Liebe zur Natur spielt danach ebenfalls eine wichtige Rolle, sie ist zumeist entstanden und geprägt durch ganz bestimmte Erlebnisse und Naturerfahrungen, unter anderem in der Kindheit. Auch die von uns identifizierte erste Motivgruppe – das gestaltungsorientierte Motiv (Faktor 1) – findet sich in der qualitativen Studie wieder. Beschrieben wird dieses Motivbündel dort als ein Umweltengagement, das in ein auch allge-
35
Rotierte Komponentenmatrix Motivation persönliche Betroffenheit politisch etwas erreichen kann meine Fachkompetenz einbringen persönlich/beruflich qualifizieren möchte Verantwortung übernehmen soziale Kontakte knüpfen Freude und Spaß Liebe zur Natur Freizeit sinnvoll gestalten
1 ,774 ,735 ,665 ,610 ,585
Komponente 2
3
,511 ,831 ,821 ,448
,863 ,585
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung.
36 Vgl. IZT September 2004, unveröffentlichter Zwischenbericht.
180
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
mein hohes gesellschaftliches und politisches Engagement eingebettet ist. Dabei handelt es sich um Personen, denen es vor allem darauf ankommt, ihren gesellschaftlichen Handlungs- und Gestaltungsspielraum wahrzunehmen und zu nutzen. Wegen der kleinen Fallzahl der bereits Engagierten (n=79) sind keine weiteren ins Detail und in die Tiefe gehenden Analysen möglich. Hier wäre eine eigene Studie interessant, die sich aber nicht nur auf die Mitglieder von Umwelt- und Naturschutzorganisationen beschränken dürfte. Zwar sind 75% der bereits Aktiven Mitglied einer Umwelt- oder Naturschutzorganisation, aber ein Viertel nicht. Diese würden verloren gehen, wenn man die Population nur auf die Mitglieder beschränken würde. Schaut man sich im Weiteren näher an, welche Themenbereiche die Engagierten bevorzugen, so stehen Landschafts- und Tierschutz unangefochten auf den ersten beiden Plätzen der favorisierten Themen. Man wird ohne Umschweife sagen müssen, dass es sich dabei nicht unbedingt um solche Felder handelt, die man im Nachhaltigkeitsdiskurs ganz oben findet. Engagement für die Nachhaltigkeit als politische Vision findet man bislang kaum. Abbildung 13: Bevorzugte Themenbereiche der Engagierten
Landschaftsschutz
50
Tierschutz
41
Ernährung
18
Wohnumfeldverbesserung
14 13,5
Dritte Welt 7
Verkehr Atomkraft
2
erneuerbare Energien
2 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
181
Die potenziell Engagierten
Als sehr positiv auf die Stabilität des Engagements dürfte sich schließlich der Umstand auswirken, dass die Aktivitäten der im Umwelt- und Naturschutzschutz Engagierten auch im Freundes- und Bekanntenkreis eine hohe Wertschätzung genießen – weitaus höher als dies in der Gesamtpopulation der Fall ist. Abbildung 14: Einstellung von Freunden und Bekannten zum Umweltengagement (bereits Engagierte)
1 würden das sehr schlecht finden 0 würden das eher schlecht finden 0
Insgesamt Im Umwelt- und Naturschutz Engagierte
4
42
wären eher zurückhalten
18 40
würden das eher gut finden
35 13
würden das sehr gut finden
47 0%
4.3
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Die potenziell Engagierten
Wer sind diejenigen, die potenziell bereit sind, für den Umwelt- und Naturschutz aktiv zu werden. Was hindert sie daran, sich tatsächlich zu engagieren? Was sind wichtige Einflussfaktoren auf die Bereitschaft zum Engagement? Diesen Fragen soll in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden. Befassen wir uns zunächst mit einigen allgemeinen Aspekten: Wie steht es etwa um die Einschätzung der Akzeptanz eines Engagements für den Umwelt- und Naturschutz im Freundes- und Bekanntenkreis? Wie im vorangehenden Kapitel deutlich wurde, scheint dieser Aspekt von besonderer Bedeutung zu sein, denn die bereits Engagierten unterscheiden sich in diesem Punkt erheblich vom Befragtendurchschnitt. Auch unter den potenziell
182
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
Engagierten wird die Akzeptanz des Umweltengagements im Freundeskreis deutlich positiver eingeschätzt als in der Gesamtpopulation. Zwar sind die Werte nicht ganz so hoch wie bei den derzeit Engagierten, aber es bestätigt sich doch, dass eine hohe Wertschätzung von Umweltschutzaktivitäten im Freundes- und Bekanntenkreis als ein bedeutsamer Einflussfaktor gelten kann – sowohl für ein tatsächliches Engagement als auch für die Bereitschaft dazu. Auch der eigentliche Einstieg ins Engagement kann durch ein entsprechendes soziales Umfeld beeinflusst sein, beispielsweise durch Freunde oder Bekannte, die bereits im Umweltbereich aktiv sind und damit den Zugang in das Engagement erleichtern.37 Ein weiterer Punkt, in dem sich die potenziell Engagierten von den Nicht-Interessierten unterscheiden, ist das Vertrauen, das verschiedenen Akteuren im Umweltschutz entgegengebracht wird. Signifikant mehr Vertrauen als die Gesamtpopulation haben die potenziell Engagierten in Umweltschutzorganisationen und -verbände, Bürgerinitiativen, SPD und Bündnis 90/Grüne. Signifikant weniger Vertrauen haben sie in die Industrie sowie die CDU/CSU. Das größere Vertrauen in Umweltschutzorganisationen und -verbände macht sich allerdings nicht in einer im Vergleich zu den Nicht-Interessierten außerordentlich höheren Quote der Mitgliedschaft in Umwelt- oder Naturschutzorganisationen bemerkbar. So sind 11% derjenigen, die sich ein aktives Engagement für den Umwelt- und Naturschutz vorstellen können, gleichzeitig Mitglied in einer entsprechenden Organisation. Unter den Nicht-Interessierten liegt diese Quote bei 3%, unter den bereits Engagierten bei 75%. Die Spendenbereitschaft für den Umweltschutz ist naturgemäß höher als bei den Nicht-Interessierten, wenn auch längst nicht so ausgeprägt wie bei den bereits Engagierten. 25% haben im Jahr 2003 einmal gespendet, 13% mehrmals und 62% haben kein Geld für den Umweltschutz gespendet. Wirft man einen Blick auf die Mittelwerte der unterschiedlichen Skalen zum Umweltbewusstsein, so sticht relativ deutlich ins Auge, dass die Mittelwerte der Gruppe der potenziell Engagierten auf allen Skalen deutlich erhöht sind.38 Wie die Tabelle 36 zeigt, werden die Werte der bereits Engagierten zwar nicht erreicht, aber dennoch sind die Differenzen zum Befragten-
37 Dies bestätigt auch die bereits erwähnte qualitative Studie zu den Motiven und Bedingungen für das ehrenamtliche Engagement im Umweltbereich (vgl. IZT 2004; Fachbeirat Fundraising 2005). 38 Siehe hierzu auch Kapitel I.3.1.
183
Die potenziell Engagierten
durchschnitt bzw. zu den Nicht-Interessierten bemerkenswert. Auch auf der Verhaltensebene weist die Gruppe der potenziell Engagierten überdurchschnittliche Werte auf, sodass immerhin 29% zu den Pionieren der Nachhaltigkeit zu rechnen sind – unter den Nicht-Interessierten liegt dieser Anteil bei 9%, unter den bereits Engagierten bei 85%. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung selbst kennt mit einem Anteil von 31% allerdings nur knapp ein Drittel der potenziell Engagierten. Tabelle 36: Mittelwerte auf der Skala Pro-Umwelteinstellungen in Abhängigkeit von Engagement und Engagementbereitschaft Engagierte
Potenziell Engagierte
NichtInteressierte
Insgesamt
Gesamtskala Pro-Umwelteinstellungen
47,43
45,98
41,92
43,46
Skala Umweltkrisenbewusstsein
22,52
22,31
21,13
21,57
Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein
13,91
13,43
12,45
12,83
Skala Entdramatisierung
10,85
10,30
9,09
9,55
Unterscheiden sich die bevorzugten Themenbereiche der potenziell Engagierten von den bereits Engagierten? Tier- und Landschaftsschutz stehen hier ebenfalls auf den vorderen Plätzen, aber man findet auch ein größeres Interesse für die Themen Ernährung, Wohnumfeldbesserung und Dritte Welt. Dies sind sicherlich Themen, die sich gut an die Nachhaltigkeitsdebatte anknüpfen lassen. 4.3.1 Geschlecht, Alter, Lebensphase, Bildung Während unter den bereits Engagierten Personen, die 60 Jahre oder älter sind, überrepräsentiert waren, sind es nun vor allem die 30- bis 44-Jährigen, die Interesse an einem Engagement für den Umwelt- und Naturschutz zeigen. In dieser Altersklasse zeigen sich übrigens mehr Frauen als Männer interessiert. Insgesamt fällt die Engagementbereitschaft von Frauen und Männern jedoch annähernd gleich aus (51,5% versus 48,5%). Hinsichtlich der bevorzugten Themen, für die man sich engagieren würde, sind einige signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede feststellbar. Frauen interessieren sich stärker für die Themen Tierschutz (49% versus 38%), Dritte Welt (26% versus 14%) und Gesundheit/Ernährung (31% versus 18%). Männer würden sich hingegen eher für die Themen Landschaftsschutz (51% versus 37%) und Verkehr (16% versus 8%) stark machen.
184
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
Unterscheidet man weiter nach Lebensphasen, so zeigt sich, dass die Engagementbereitschaft unter Befragten aus den Lebensphasen „junge Paare ohne Kinder“, „junge Familien“ sowie „Alleinerziehende“ am größten ist. Vor allem von den beiden letztgenannten Lebensphasen kann behauptet werden, dass die Zeit für Aktivitäten außerhalb von Kindererziehung und Beruf sicherlich nur knapp bemessen ist, sodass die Möglichkeiten für ein Engagement, auch bei prinzipiellem Interesse, auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen müssen. In der Altersklasse der 45- bis 59-Jährigen fällt auf, dass sich im Gegensatz zu den 30- bis 44-Jährigen nun mehr Männer als Frauen für ein Engagement aussprechen. Mit einem Anteil von 16% ist die Engagementbereitschaft bei den unter 30-Jährigen am geringsten, höher als in dieser Altersgruppe ist die Engagementbereitschaft unter den 45- bis 59-Jährigen sowie den 60-Jährigen und Älteren. Insbesondere das Potenzial der Senioren dürfte in Hinblick auf die demographische Entwicklung längst noch nicht ausgeschöpft sein, zumal das verfügbare Zeitbudget sicherlich größer ist als etwa bei Familien mit Vorschulkindern und Schulkindern. So kommt auch der Freiwilligensurvey 2004 zu dem Ergebnis, dass sich immer mehr ältere Menschen freiwillig engagieren und für das Gemeinwohl einsetzen (vgl. BMFSFJ 2004). 42% der potenziell Engagierten verfügen über einen höheren Schulabschluss. Auch ein Drittel der Befragten mit mittlerer Schulbildung sowie ein Viertel der Befragten mit niedrigerer Schulbildung kann sich ein Engagement für den Umwelt- und Naturschutz vorstellen. Diese beiden letztgenannten Anteile waren unter den bereits Engagierten geringer, während der Anteil der Befragten mit höherer Schulbildung dort bei 52% lag. In der Gruppe der niedriger Gebildeten dominieren mit einem Anteil von 40% Personen, die 60 Jahre oder älter sind, in der Gruppe der höher Gebildeten sind mit einem Anteil von 57% vor allem die unter 30-Jährigen überrepräsentiert. Befragte mit niedriger Bildung interessieren sich mit einem Anteil von 54% am stärksten für den Landschaftsschutz. Bei den Befragten mit mittlerer Bildung sind es 46%, bei Befragten mit höherer Schulbildung 37%. Auch für den Tierschutz interessieren sich Befragte mit niedriger und mittlerer Bildung mit einem Anteil von 52% bzw. 51% stärker als Befragte mit höherer Schulbildung (33%). Umgekehrt interessieren sich letztere stärker für die Themen Dritte Welt und Verkehr.
185
Die potenziell Engagierten Abbildung 15: Engagementbereitschaft nach Altersklassen und Geschlecht
18
unter 30-Jährige
15
40
30- bis 44-Jährige
31
19
45- bis 59-Jährige
28
Frauen Männer
23
60 Jahre und älter
26
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
4.3.2 Wertorientierungen der potenziell Engagierten Die Gruppe der potenziell Engagierten ähnelt in ihrer Wertestruktur den bereits jetzt Engagierten, das heißt auch hier finden wir deutlich höhere Werte beim Faktor 2, also den postmaterialistischen Werten Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative. Auf Grund des bekannten Einflusses der intervenierenden Variable Bildung wird der Zusammenhang im Folgenden noch einmal getrennt für Personen mit niedrigerer sowie mit höherer Schulbildung untersucht. Bei Personen mit niedrigerer Schulbildung finden wir die gleichen Zusammenhänge wie beim allgemeinen ehrenamtlichen Engagement. Dort hatten wir festgestellt, dass das Engagement von Personen mit geringen formalen Bildungsabschlüssen stärker eine Angelegenheit von traditionellen Pflichttugenden ist als etwa von Eigenverantwortung und Solidarität. Ebenso verhält es sich bei den potenziell Engagierten mit niedrigerer Schulbildung: Es ist wiederum die Dominanz der Pflichttugenden, die ausschlaggebend ist. Im Verhältnis zur gesamten Population sind auch bei den potenziell Engagierten (mit niedrigerer Schulbildung) die postmaterialistischen Werte kaum mehr als durchschnittlich, aber sie sind für diese Gruppe schon recht hoch,
186
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
d.h. unter den potenziell Engagierten mit geringen formalen Bildungsabschlüssen sind viele, die über eine Wertestruktur verfügen, die eher untypisch für diese Bildungsschicht ist. Tabelle 37: Umweltengagement und persönliche Werte Akzeptanz der Mitgliedschaft in einer Umweltschutzgruppe
Traditionelle Pflichttugenden
Postmaterialistische Orientierungen
Lebensgenuss und Hedonismus
Mittelwert
-,07
-,42
-,09
N
79
79
79
Mittelwert
,14
-,32
,03
N
647
647
647
nein, kann ich mir nicht vorstellen
Mittelwert
-,07
,19
-,01
N
1258
1258
1258
Insgesamt
Mittelwert
,00
-,00
,00
N
1984
1984
1984
mache ich bereits
ja, kann ich mir vorstellen
Unter den Personen mit höherer Schulbildung ist es eindeutig der postmaterialistische Wertefaktor 2 (Toleranz, Solidarität, Kreativität und Eigeninitiative), der nicht nur bei den bereits Engagierten, sondern auch bei den potenziell Engagierten hervorsticht. Die Personen, die sich ein Umweltengagement nicht vorstellen können, tendieren hingegen stärker zu traditionellen Pflichttugenden und zeigen auch leicht positivere Werte beim Hedonismus. Tabelle 38: Umweltengagement und persönliche Werte (nur niedrigere Schulbildung) Akzeptanz der Mitgliedschaft in einer Umweltschutzgruppe
Traditionelle Pflichttugenden
Postmaterialistische Orientierungen
Lebensgenuss und Hedonismus
Mittelwert
-,75
,21
,09
N
17
17
17
Mittelwert
-,23
-,12
,06
N
160
160
160
nein, kann ich mir nicht vorstellen
Mittelwert
-,22
,39
, 15
N
508
508
508
Insgesamt
Mittelwert
-,24
,27
,13
N
685
685
685
mache ich bereits
ja, kann ich mir vorstellen
187
Die potenziell Engagierten Tabelle 39: Umweltengagement und persönliche Werte (nur höhere Schulbildung) Akzeptanz der Mitgliedschaft in einer Umweltschutzgruppe
Traditionelle Pflichttugenden
Postmaterialistische Orientierungen
Lebensgenuss und Hedonismus
Mittelwert
,23
-,71
-,02
N
40
40
40
Mittelwert
,42
-,53
,02
N
265
265
265
nein, kann ich mir nicht vorstellen
Mittelwert
,22
-,10
,08
N
301
301
301
Insgesamt
Mittelwert
,31
-,33
-,03
N
606
606
606
mache ich bereits
ja, kann ich mir vorstellen
Die potenziell Engagierten mit geringen formalen Bildungsabschlüssen haben im Vergleich zur Gesamtgruppe der niedriger Gebildeten also eine eher untypische Wertestruktur. Ferner ist festzuhalten, dass sich die potenziell Engagierten im Gegensatz zu den bereits im Umwelt- und Naturschutz Engagierten nicht häufiger als im Befragtendurchschnitt als religiös bezeichnen. Bei letzteren liegt diese Quote bei 62%, versus 43% bei den potenziell Engagierten und 42% bei den Nicht-Interessierten. Auch das eindeutige Votum der bereits Engagierten für mehr Freizeit anstatt für mehr Einkommen trifft auf die potenziell Engagierten in dieser Größenordnung nicht zu. Mit einem Anteil von 35% ist die Quote derer, die für mehr Freizeit plädieren jedoch immer noch höher als bei den Nicht-Interessierten (24%). 4.3.3 Engagementhemmnisse Zwar zeigt sich immerhin ein Drittel der Befragten an einem Engagement im Umwelt- und Naturschutz interessiert aber wir haben es dabei keinesfalls mit einer „stillen Reserve“ zu tun, die bei Bedarf ohne weiteres aktiviert werden kann. In einem großen Teil der Fälle wird es sich eher um eine Engagementbereitschaft handeln, die sich nicht spontan in ein entsprechendes Verhalten umsetzen lässt, sondern vielmehr als unentschiedener „Schwebezustand zwischen Wollen und Handeln“ (Braun/Klages 2000, S. 169f.) bezeichnet werden muss. Denn die Konkurrenz zu anderen Lebensangeboten und -chancen sowie zu etablierten Gewohnheiten und Ver-
188
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
pflichtungen ist groß. Was also sind typische Hemmnisse, welche die Menschen davon abhalten, tatsächlich aktiv zu werden? Es zeigt sich, dass Zeitknappheit als der wesentliche Hinderungsgrund für ein tatsächliches Engagement des engagementbereiten Drittels gelten kann. 74% geben an, sie seien beruflich oder familiär zu sehr belastet. Differenziert man nach Lebensphasen, so ist die Zustimmung zu diesem Statement bei Befragten aus den Lebensphasen „junge Paare ohne Kinder“, „junge Familien“ und „Alleinerziehende“ noch höher als beim Durchschnitt. Es sei daran erinnert, dass dies gleichzeitig auch jene Lebensphasen sind, in denen das Interesse an einem Engagement überdurchschnittlich groß ist. Gerade bei Zeitmangel erscheint es umso zentraler, die Eintrittsschwelle niedrig zu halten und konkrete Angebote und Anreize zur Mitarbeit zu schaffen. In den westlichen Bundesländern wird Zeitmangel übrigens signifikant häufiger als in den östlichen Bundesländern als Hinderungsgrund angegeben. Auch die internen Strukturen in Verbänden und Vereinen schrecken immerhin gut die Hälfte (56%) ab, tatsächlich aktiv zu werden. In den westlichen Bundesländern ist diese Quote wiederum signifikant höher als in den östlichen Bundesländern. Die relativ hohe Zustimmung zu diesem Statement ist sicherlich ein Indiz dafür, dass sich die Ansprüche und Erwartungen an die Rahmenbedingungen eines freiwilligen Engagements geändert haben. In verschiedenen Studien wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Mitgliedschaftspflichten auf unbestimmte Dauer zunehmend kritisch betrachtet und möglichst vermieden werden. Ferner sei das Bedürfnis nach informeller Kommunikation gestiegen. Folglich müssten mehr Beteiligungsformen entwickelt und angeboten werden, die dem gestiegenen Anspruch, sich spontan und ungezwungen engagieren zu können, stärker entgegenkommen. Das sind insbesondere projekt- und aktionsbezogene Formen des Engagements, möglichst auch lokale Projekte, die an das eigene Lebensumfeld anschließen – flexibel gestaltet und zeitlich befristet. Auch qualitative Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die grundsätzlich für eine aktive Mitarbeit zu gewinnen sind, von hohen fachlichen
189
Die potenziell Engagierten
Ansprüchen, geschlossenen Gruppen, verkrusteten inneren Strukturen und Gremienstreitereien abgeschreckt werden. 39 Tabelle 40: Hinderungsgründe, derzeit noch nicht im Umwelt- und Naturschutz aktiv zu werden Erhebung 2004 Angaben in % derer, die sich vorstellen können, im Umwelt- oder Naturschutz aktiv zu werden
stimme voll stimme stimme und ganz weitgehend eher nicht zu zu zu
stimme überhaupt nicht zu
Code
1
Mittelwert*
2
3
4
Ich habe im Moment zu wenig Zeit(hohe berufliche 42 oder familiäre Belastung.)
32
18
8
1,93
Die internen Strukturen in vielen Verbänden und Vereinen schrecken mich ab.
15
41
32
12
2,42
Mir sind andere Bereiche als der Umweltbereich für ein freiwilliges Engagement wichtiger (z.B. soziales Engagement, Jugendarbeit oder anderes).
9
25
48
18
2,75
Ich habe Angst, mich zu etwas zu verpflichten, was mich letztendlich überfordert.
7
30
41
22
2,78
Man bekommt nicht viel Anerkennung, wenn man ehrenamtlich im Natur- oder Umweltschutz tätig ist.
8
29
38
25
2,79
Zu wenig Erfolgssausichten („Man kann ja doch nicht viel erreichen.“).
4
18
49
29
3,02
Im Natur- und Umweltschutz ist soviel erreicht worden, das ist für mich kein vordringliches Handlungsfeld.
1
8
51
40
3,29
Frage: Was hindert Sie daran, sich schon jetzt aktiv im Umwelt- und Naturschutzbereich zu engagieren? Bitte sagen Sie mir, inwieweit Sie den folgenden Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen. * Durchschnitt der jeweiligen Bewertungen (Codes von 1 bis 4): Je kleiner der Mittelwert, desto größer ist die Zustimmung.
Für die übrigen der in der Tabelle aufgeführten Hinderungsgründe gilt, dass sie mehrheitlich keine Zustimmung finden. Die Angst vor Verpflichtung, evtl. mangelnde Anerkennung oder möglicherweise geringe Erfolgsaussichten werden von einer Mehrheit eher nicht als Engagementhemmnisse wahrgenommen. Auffällig ist jedoch, dass die Quote derer, die glauben, die Erfolgsaussichten eines Umweltengagements seien gering, im Osten deut-
39 Vgl. hierzu auch die Ergebnisse des Studie „Motivation in der Bevölkerung, sich für Umweltthemen zu engagieren – Eine qualitative Studie mit Fokusgruppen“ (IZT 2004; Fachbeirat Fundraising 2005).
190
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
lich höher als im Westen ist (37% versus 19%). Erfreulich ist sicherlich, dass weiterhin Handlungsbedarf für ein verstärktes Bürgerengagement im Umwelt- und Naturschutz gesehen wird, denn der Ansicht „Im Natur- und Umweltschutz ist soviel erreicht worden, das ist für mich kein vordringliches Handlungsfeld“ stimmen 51% „eher nicht“ und 40% „überhaupt nicht“ zu. Eine mangelnde Akzeptanz von Aktivitäten in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe bei Freunden und Bekannten kann für das engagementbereite Drittel ebenfalls kein Hinderungsgrund sein, den Willen in die Tat umzusetzen. Denn mehr als drei Viertel (77%) sind davon überzeugt, dass auch Freunde und Bekannte ein solches Engagement „sehr gut“ oder „eher gut“ finden würden. Abbildung 16: Einstellung von Freunden und Bekannten zum Umweltengagement (Potenziell Engagierte und Nicht-Interessierte)
22
würden das sehr gut finden
6 55
würden das eher gut finden
33 22
wären eher zurückhaltend
55 1
würden das eher schlecht finden
5
Potenziell Engagierte Nicht-Interessierte
würden das sehr schlecht 0 finden 1 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Unter den Nicht-Interessierten zeigt man sich in dieser Frage eher verhalten, hier sind es nur 39%, die glauben, dass ein Umweltengagement auf Akzeptanz im Freundes- und Bekanntenkreis treffen würde. Mehr als die Hälfte dieses Bevölkerungssegments (55%) ist hingegen der Ansicht, man würde mit Umweltschutz-Aktivitäten eher auf Zurückhaltung stoßen. Weitere
191
Die potenziell Engagierten
6% vermuten, dass Freunde und Bekannte ein Engagement in einer Umwelt- oder Naturschutzgruppe „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“ finden würden. Eine Faktorenanalyse40 der Hinderungsgründe zeigt im Weiteren, dass eine Art Generalfaktor existiert, auf dem die meisten der vorgegebenen Hinderungsgründe laden. Ferner schält sich ein zweiter Faktor heraus, der aber primär nur den Zeitmangel beinhaltet. Der wichtigere Faktor 1 enthält ein ganzes Konglomerat von Entschuldigungen: Die Erfolgsaussichten sind gering, Umweltschutz ist kein vorrangiges Handlungsfeld und Anerkennung gibt es dafür auch nicht. Wer Zeitmangel als Hinderungsgrund anführt (Faktor 2), der hat damit eigentlich schon alles gesagt und gibt kaum weitere Gründe an. Jedenfalls sind es hier explizit nicht die internen Strukturen von Umwelt- und Naturschutzorganisationen – die würden einen nicht stören. Bildung, ansonsten meist ein verlässlicher Faktor der Differenzierung, erweist sich nur bei Faktor 2 als trennscharf. Die Hinderungsgründe von Faktor 1 gelten in allen Bildungsschichten, während Personen mit höherer Bildung signifikant häufiger angeben, keine Zeit zu haben. 4.3.4 Ein Erklärungsmodell für potenzielles Engagement (Diskriminanzanalyse) Mit Hilfe einer Diskriminanzanalyse wollen wir im Folgenden die entscheidenden Faktoren ermitteln, die es erlauben, zwischen der Gruppe der potenziell Engagierten und der Gruppe der Nicht-Interessierten zu unter-
40
Rotierte Komponentenmatrix Komponente Hinderungsgrund kein vordringliches Handlungsfeld zu wenig Erfolgsaussichten nicht viel Anerkennung Angst vor Überforderung andere Bereiche wichtiger zu wenig Zeit interne Strukturen schrecken ab
1
2
,646 ,627 ,566 ,559 ,524 -,852 ,508
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 3 Iterationen konvergiert.
192
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
scheiden. Dazu wurde ein diskriminanzanalytisches Modell mit folgenden Variablen gerechnet: Persönliche Werte (Faktor 1: Traditionalismus; Faktor 2: Postmaterialismus; Faktor 3: Lebensgenuss/Hedonismus) x Pro-Umwelteinstellungen (Skala Umweltkrisenbewusstsein; Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein; Skala Entdramatisierung) x Bildungsgrad x Einstellung von Freunden und Bekannten zum Engagement x
Tabelle 41: Gleichheitstest der Gruppenmittelwerte Wilks-Lambda
F
Signifikanz
Traditionalismus
,99
18,0
,00
Postmaterialismus
,94
110,8
,00
Bildungsgrad
,96
76,8
,00
Altersklassen
,99
18,2
,00
Skala Umweltbewusstsein
,98
44,2
,00
Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein
,94
112,0
,00
Skala Entdramatisierung
,93
127,1
,00
Einstellungen der Bekannten zu Umweltschutzgruppe
,84
336,5
,00
Tabelle 42: Klassifizierungsergebnisse der Diskriminanzanalyse Angaben in %
Vorhergesagte Gruppenzugehörigkeit
Akzeptanz der Mitgliedschaft in einer Umweltschutzgruppe
ja, kann ich mir vorstellen
nein, kann ich mir nicht vorstellen
ja, kann ich mir vorstellen
71
29
nein, kann ich mir nicht vorstellen
27
73
ungruppierte Fälle
82
18
Wie Tabelle 42 zeigt, lassen sich mit 71% knapp drei Viertel der Befragten auf der Basis des Modells richtig klassifizieren. Die Stepwise-Variante der Diskriminanzanalyse bringt folgende Relevanzreihenfolge der Variablen zum Vorschein: 1. Einstellung von Freunden und Bekannten zum Engagement 2. Pro-Umwelteinstellungen, Skala Entdramatisierung (inhaltlich: Ablehnung der Entdramatisierung) 3. Skala Nachhaltigkeitsbewusstsein
Die potenziell Engagierten
4. 5. 6. 7.
193
Bildung Wertefaktor 2: Postmaterialismus Altersklassen (Jüngere zeigen sich aufgeschlossener) Freizeitorientierung, Faktor 2: Kreativität und klassische Kultur41
Als unwichtig für die Trennung der Gruppen haben sich folgende Variablen erwiesen: Haushaltseinkommen, Wohnortgröße, Vorhandensein von Kindern, Wohlfühlen in Deutschland, Einschätzung der Umweltqualität. Insgesamt lässt sich auf der Basis der Ergebnisse der Diskriminanzanalyse festhalten, dass die Einstellung der Peers und mithin die vorhandenen sozialen Netzwerke von herausragender Bedeutung für eine positive Einstellung zum Umweltengagement sind.42 Das Engagement muss von den Freunden und Bekannten goutiert werden, ansonsten wird es schwer, sich tatsächlich für ein Engagement zu entscheiden. Das Umweltbewusstsein besitzt ebenfalls einen großen Stellenwert, wobei es unter den Skalen zu den Pro-Umwelteinstellungen insbesondere die Ablehnung der Entdramatisierung der Umweltproblematik sowie das Nachhaltigkeitsbewusstsein sind, die sich als wichtig erweisen. Damit zeigt sich: Potenzielles Engagement hängt davon ab, als wie bedrohlich man die Situation empfindet oder genauer, wie sehr man eine Verharmlosung und Entdramatisierung ablehnt. Das bedeutet für die Umweltkommunikation, dass sie nach vorne stellen muss: Erstens den Gedanken sich gemeinsam mit Freunden zu engagieren: Gemeinsam mit Freunden für eine lebenswerte Zukunft. x Zweitens auf die Dringlichkeit hinweisen muss: Es ist notwendig, dass du dich engagierst. Wir brauchen dich. x Drittens spielt auch das Nachhaltigkeitsbewusstsein, also das Bewusstsein für Gerechtigkeit eine Rolle. Die Umweltkommunikation muss also klar machen: Wenn du für Gerechtigkeit bist, dann engagiere dich. x
41 Siehe hierzu die Faktorenanalyse des Freizeitverhaltens in Kapitel II.5. 42 Wie entscheidend soziale Netzwerke für die Anwerbung freiwillig Engagierter sind, bestätigen auch international vergleichende Untersuchungen (vgl. hierzu Anheier/Toepler 2003, S. 27).
194 4.4
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
Die Ergebnisse im Kontext der Forschung über bürgerschaftliches Engagement
Der Freiwilligensurvey (TNS Infratest, repräsentative Telefonumfrage, n=15000 ab 14 Jahren) kommt für 2004 zu dem Ergebnis, dass 70% der Bevölkerung in irgendeiner Weise in Gruppen, Vereinen und Organisationen aktiv beteiligt sind (vgl. BMFSFJ 2004; Gensicke 2004). Das ist ein weitaus höherer Prozentsatz als jener, der sich regelmäßig einstellt, wenn man nach „ehrenamtlichem Engagement“ fragt (vgl. Hacket/Mutz 2003, S. 40) – so auch im Rahmen der Umweltbewusstseinsstudie 2004: Hier kommen wir bei der Frage „Üben Sie zur Zeit eine ehrenamtliche Tätigkeit aus?“ nur auf eine Quote von 17% ehrenamtlich Engagierten. Laut Freiwilligensurvey sind 36% freiwillig engagiert. Dazu zählen Personen, die längerfristig ehrenamtlich oder freiwillig bestimmte Aufgaben und Arbeiten übernommen haben. Weitere 34% bezeichnen sich in irgendeiner Form als aktiv, jedoch ohne Ausübung einer längerfristigen freiwilligen oder ehrenamtlichen Aufgabe. Die übrigen 30% sind nicht freiwillig engagiert oder aktiv. Gegenüber dem letzten Freiwilligensurvey (1999) sind die Zahlen des Engagements angestiegen. Größte Wachstumsgruppe des freiwilligen Engagements sind ältere Menschen ab 55 Jahren. Die Engagementpotenziale bewegen sich beim Freiwilligensurvey 2004 in einer ähnlichen Größenordnung wie in der Umweltbewusstseinsstudie. So sind neben den 36%, die bereits freiwillig engagiert sind, 12% „bestimmt bereit“ und 20% „eventuell bereit“ zu einem freiwilligen Engagement (32% „nichts davon“). In der Umweltbewusstseinsstudie beläuft sich diese „stille Reserve“ auf 33%. Damit wird aber auch deutlich, dass es eine potenzielle Konkurrenz zwischen den verschiedenen Feldern gibt, in denen man sich engagieren kann. Wer hier das Umweltengagement fördern will, muss dies in der Kommunikation beachten und kommunizieren, warum es gerade sinnvoll ist, sich im Umweltschutz bzw. für Nachhaltigkeit zu engagieren. Unter Beachtung der Auswertung der Motive der bereits Engagierten bedeutet dies, die drei zentralen Motive anzusprechen, nämlich Naturliebe, Verantwortung und Spaß. Spaß kann dabei immer nur ein zusätzlicher Aspekt und nicht das zentrale Element engagierter Arbeit sein. Insofern sollte eher „Verantwortung“ im Mittelpunkt stehen, etwa im Sinne von: „Es macht Spaß, Verantwortung zu übernehmen“. So ist auch laut Freiwilligensurvey 2004 das wichtigste Motiv der Bürgerinnen und Bürger für das En-
Die Ergebnisse im Kontext der Forschung über bürgerschaftliches Engagement
195
gagement das Bedürfnis, die Gesellschaft – zumindest im Kleinen – mitgestalten zu können. Auch die Suche nach Gemeinschaft mit anderen Menschen stellt ein wichtiges Motiv dar, insbesondere bei jüngeren Menschen. Ferner zeigt der Freiwilligensruvey 2004, dass in Familien mit Vorschulund Schulkindern das Engagement höher ist als bei anderen Haushaltstypen. Dies können wir unter den im Umwelt- und Naturschutz Engagierten nur für Familien mit Schulkindern bestätigen. Ansonsten gilt, dass Befragte, die 60 Jahre oder älter sind, unter den im Umwelt- und Naturschutz Engagierten überrepräsentiert sind. Dabei handelt es sich um Personen, die überwiegend in Partnerhaushalten leben. Generell dürfte in Bezug auf den Befund des Freiwilligensurvey 2004, dass nämlich das Engagement in Familien mit Vorschul- und Schulkindern höher ist als bei anderen Haushaltstypen, jedoch Vorsicht geboten sein. Denn die Autoren rechnen beispielsweise auch Tätigkeiten wie “Malerarbeiten in der Schule“ zum freiwilligen Engagement, obwohl dieses doch meist durch die Leere öffentlicher Kassen verursacht ist und für die Eltern eine Art freiwilliges Pflichtengagement darstellt. Insgesamt kommt der Freiwilligensurvey 2004 zu dem Ergebnis, dass sich die Einstellung der Bevölkerung zum öffentlichen und gemeinschaftlichen Engagement in den letzten fünf Jahren verbessert hat. Deutschland bewegt sich damit im oberen Mittelfeld der vergleichbar entwickelten Länder der Welt und Europas (vgl. auch Anheier/Toepler 2003, S. 24). Doch inwieweit können die Verbände und Initiativen im Umwelt- und Naturschutz die laut Freiwilligensurvey 2004 konstatierte positive Entwicklung in der Einstellung der Bevölkerung zum allgemeinen bürgerschaftlichen Engagement auch für sich nutzen? Entscheidend dürfte eine bessere Information und Beratung über Gelegenheiten zum ehrenamtlichen Engagement sein. Viele potenziell Interessierte wissen gar nicht, welche Angebote und Möglichkeiten es gibt – das hat man bereits im Rahmen des Freiwilligensurvey 1999 festgestellt (vgl. Klages 2000, S. 208). Qualitative Untersuchungen bestätigen dies auch für das Engagement im Umwelt- und Naturschutz mit aller Deutlichkeit43. So sei in vielen Umwelt- und Naturschutz-
43 Siehe hierzu die Studie „Motivation in der Bevölkerung, sich für Umweltthemen zu engagieren – Eine qualitative Studie mit Fokus-Gruppen“ (IZT 2004; Fachbeirat Fundraising 2005).
196
Und die Bevölkerung? Engagement für Nachhaltigkeit
organisationen die Einstellung verbreitet, dass freiwillig Engagierte gewissermaßen „von selber“ kommen, bereits ausreichend Wissen mitbringen und sich auch ihre Aufgaben selbst suchen würden. Genau diese hohe Eintrittsschwelle schreckt viele prinzipiell Interessierte jedoch ab. Hohe fachliche Ansprüche und geschlossene Gruppen werden in der genannten qualitativen Studie als wesentliche Hemmnisse für eine aktive Mitarbeit potenziell Interessierter identifiziert. Auch passive Mitglieder44 von Umwelt- und Naturschutzorganisationen sind laut der erwähnten Studie der Ansicht, dass ihre Verbände kaum auf Interessierte zugehen. Sogar für die passiven Mitglieder selbst bestehe der Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft und es sei viel Eigeninitiative und Beharrlichkeit erforderlich, wenn man in eine Gruppe einsteigen und aktiv mitarbeiten möchte. Als Fazit der Studie liegt auf der Hand, dass der Förderung freiwilligen Engagements in den Umwelt- und Naturschutzverbänden ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt werden muss. Erste Schritte in die richtige Richtung dürften in dem Bemühen liegen, die fachlichen Ansprüche und mithin die Eintrittsschwelle möglichst niedrig zu halten. Gefordert ist von den Umwelt- und Naturschutzverbänden in diesem Sinne eine Öffnung ihrer Strukturen, die Überarbeitung ihrer Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement und die Entwicklung einer modernen Anerkennungskultur. Als hilfreich eingeschätzt wird beispielsweise die Erarbeitung von konkreten Einstiegsangeboten, etwa in Form von Aktionen, Projekten oder Mitmach-Tagen, die sich gezielt an neue Interessierte richten. Im Weiteren gehöre dazu auch die Entwicklung bedarfsgerechter Fort- und Weiterbildungsangebote bzw. die Entwicklung von Qualifikationssystemen für die Freiwilligenarbeit. Nicht zu vergessen ist die Schaffung „ehrenamtsfreundlicher“ Organisationsstrukturen, wie zum Beispiel die Formulierung von Leitlinien und klaren Zielsetzungen für die Arbeit der freiwillig Engagierten und die Optimierung der Kommunikationsflüsse. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Umweltbewusstseinsstudie ist weiterhin zu berücksichtigen, dass ein hohes Nachhaltigkeitsbewusstsein deutlich positiv auf ein Interesse am Engagement im Umweltund Naturschutz wirkt (siehe Kapitel III.4.3.4). Deshalb sollte insbesondere
44 Als solche gelten Mitglieder, die einen regelmäßigen Mietgliedsbeitrag zahlen und/oder regelmäßig spenden, aber nicht ehrenamtlich im Umweltbereich tätig sind.
Die Ergebnisse im Kontext der Forschung über bürgerschaftliches Engagement
197
auch der Nachhaltigkeitsgedanke in der Verbandsarbeit weiter gestärkt und die Vernetzung der Fachleute der Umwelt- und Naturschutzverbände mit den Akteuren der Nachhaltigkeitsdebatte vorangetrieben werden.
198
5
Resonanz, Akzeptanz und Engagement: Konsequenzen für die Nachhaltigkeitskommunikation
Eine nachhaltige Gesellschaft ist eine pluralistische Gesellschaft, und diese erfordert eine dialogorientierte Umweltpolitik, die auf mehr Eigenverantwortung und weniger Regulierung setzt. Doch eine pluralistische Gesellschaft impliziert auch, dass die Umweltpolitik mit sehr unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Interessen in den gesellschaftlichen Teilgruppen konfrontiert ist. Die Einen erwarten ausschließlich politische Antworten auf Umweltprobleme, während die Anderen bereit sind, Eigenverantwortung zu übernehmen und selbst an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft mitzuwirken. Von beiden Gruppierungen braucht Umweltpolitik Verständnis und Unterstützung. Hinzukommt das veränderte (weniger radikale) Verhalten der Umweltverbände. Mit der Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung veränderte sich das Verhalten der Umweltverbände in diese Richtung weiter – weg von radikalen Positionierungen hin zu konstruktiv-begleitender Kritik. Auch in der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung gibt es einen Trend zur „Mitte“ und ein Abbrechen der Protestkultur. Das Fehlen einer Bewegung hat erhebliche Auswirkungen. Es ist zu einer Partikularisierung und Individualisierung gekommen, wo die Einzelnen immer wieder neu entscheiden müssen, wie sie handeln und was sie kaufen. Unsere Daten belegen, dass die allgemeine Resonanz der Umweltpolitik in der Bevölkerung als gut bewertet werden kann. Schaut man jedoch genau hin, zeigen sich in diesem Feld diverse Widersprüche. Ohne Zweifel werden die Erfolge der Umweltpolitik bei der Bekämpfung „sichtbarer“ Umweltprobleme wie z.B. der Luft- und Gewässerverschmutzung oder im Naturschutz wahrgenommen und anerkannt. Schließlich profitiert man hier und heute von diesen Erfolgen, und ist durch persönliche Anstrengungen zumeist nicht in die Pflicht genommen. Das umweltpolitische Ziel der Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft nimmt nach wie vor den ersten Platz bei der Bewertung der Wichtigkeit verschiedener umweltpolitischer
Resonanz, Akzeptanz und Engagement
199
Aufgaben ein. Demgegenüber befindet sich das nicht gelöste, weil vermutlich eben weniger „sichtbare“ Umweltproblem der Klimaerwärmung und das damit verbundene umweltpolitische Ziel der Verringerung von klimaschädlichen Gasen „erst“ auf Platz drei der Rangfolge der wichtigsten umweltpolitischen Aufgaben. Noch deutlicher zeigt sich das insgesamt noch geringe Problembewusstsein für langfristige, sinnlich nicht erfahrbare Umweltwirkungen in der Einschätzung des umweltpolitischen Ziels der Verminderung der Flächeninanspruchnahme. Dieser Aufgabe wird im Bevölkerungsdurchschnitt die geringste Priorität zugemessen. Darüber hinaus konkurriert das Ziel eines geringeren Flächenverbrauchs ohne Zweifel mit der ungebrochenen Attraktivität des freistehenden Einfamilienhauses im Grünen. Wobei nicht belegt ist, ob dieser prekäre Zusammenhang in der breiten Bevölkerung überhaupt hinreichend bekannt ist. Sind die Bürgerinnen und Bürger als Einzelne gefordert oder betroffen, so lässt sich festhalten, dass die Akzeptanz einiger umweltpolitischer Maßnahmen nicht immer gegeben ist, insbesondere dann, wenn man meint, Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Das betrifft vor allem auch die individuellen Beiträge zu einem aktiven Klimaschutz. Als problematisch für die Akzeptanz einzelner umweltpolitischer Maßnahmen erweist sich vermutlich vor allem der Umstand, dass die Bevölkerung Umweltgefahren heute primär als Zukunftsgefahren wahrnimmt. Viele der „neuen“ Umweltgefahren sind sinnlich nicht wahrnehmbar und ihre Folgen werden (vermutlich) erst in der Zukunft in ihrer ganzen Tragweite offenbar. Hier ist die Bereitschaft und die Fähigkeit gefordert, sich mit einer teilweise sehr komplexen Materie auseinanderzusetzen, wenn man mehr über solche Umweltgefahren erfahren möchte. Diese Bereitschaft und auch die Fähigkeit ist nicht in allen Bevölkerungsgruppen vorhanden, beides ist in hohem Maß vom Grad der Schulbildung abhängig. So zeigt sich etwa, dass eine hohe Sensibilisierung für vergleichsweise „neue“ Umweltgefahren wie den Klimawandel, die gesundheitlichen Auswirkungen gentechnisch veränderter Lebensmittel, von Chemikalien in Alltagsprodukten oder der Felder des Mobilfunks – und diese steigt mit zunehmendem Grad der Schulbildung – mit einer deutlich größeren Zustimmung zu einer Ausweitung der Umweltpolitik verbunden ist. In der Vermittlung von Zusammenhängen über die Auswirkungen dieser Umweltprobleme an breite Bevölkerungskreise, auch hinsichtlich der eigenen Gesundheit, stecken sicherlich noch große Potenziale einer verständigungsorientierten Umweltpolitik.
200
Resonanz, Akzeptanz und Engagement
Ob diese Sensibilisierung vorhanden ist oder nicht, hat ganz eindeutig Folgen für die Zahlungsbereitschaft (z.B. hinsichtlich der Ökosteuer) und die Engagementbereitschaft. Wo der Handlungsdruck nicht unmittelbar erscheint, da bleiben die Emotionen außen vor – anders als es etwa beim Anblick verendender Robben der Fall war. Generell hat sich an verschiedenen Punkten immer wieder gezeigt, dass ein hohes Umweltbewusstsein ein entscheidender Einflussfaktor auf die Resonanz und die Akzeptanz von Umweltpolitik ist. Je höher das Umweltbewusstsein ist, desto schlechter fällt das Urteil über die Umweltqualität in Deutschland aus. Die überdurchschnittlich umweltbewussten Deutschen sind mit den erreichten Erfolgen also nicht so zufrieden wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Umgekehrt wirkt sich ein hohes Umweltbewusstsein hochsignifikant positiv auf die Haltung zur Windenergie aus. Gleiches gilt für die Einstellung zur ökologischen Steuerreform, deren Akzeptanz mit zunehmendem Umweltbewusstsein deutlich steigt. Insgesamt muss man aber feststellen, dass man mit Blick auf die Aufgaben und Herausforderungen einer nachhaltigen Umweltpolitik eher höhere Zustimmungsquoten denn Engagementquoten erreicht. Um in punkto Engagement etwas zu erreichen, muss man gewissermaßen simultan an den verschiedenen Einstellschrauben drehen. Die Bereitschaft zum Engagement ist bei einem Drittel vorhanden, die Lebensformen und sozialen Milieus, wo dies besonders der Fall ist, sind bekannt: 30- bis 44-Jährige und hier primär junge Paare ohne Kinder, junge Familien und Alleinerziehende. Die Motive – Naturliebe, Verantwortung und Spaß – sowie die Hinderungsgründe – primär Zeitmangel – sind ebenfalls bekannt. So ist unter anderem Folgendes zu tun: Gelegenheiten schaffen Ansehen heben Leitfiguren einsetzen, nicht Politiker, sondern glaubwürdige VIPs, nicht nur „Ich tue etwas“, sondern „Ich tue etwas, was Sie auch tun können“ x Aktive werben Aktive x x x
Engagement ist aus unterschiedlichen Motivlagen heraus möglich. Insofern kommt es darauf an, keine Gegensätze zwischen moderner Eigenverantwortlichkeit und klassischen Pflichttugenden zu schaffen. Folgt man der Einschätzung von Klages, so gehöre der Wertesynthese die Zukunft: Da-
Resonanz, Akzeptanz und Engagement
201
nach werden traditionelle und moderne Werte gleichermaßen geschätzt. Die Menschen, die diesen Persönlichkeitstypus verkörpern, werden als „aktive Realisten“ bezeichnet (vgl. Klages 2001). Zudem ist ein Engagement heute nicht mehr als Dauerengagement zu denken, sondern durchaus als temporäre Aktivität mit Unterbrechungen. Unterbrechungen müssen also von vornherein einkalkuliert werden. Zu beherzigen gilt nach wie vor: „Früh übt sich“. Möglichst schon im Kinder- und Jugendalter sollte das Engagement gefördert werden. Gerade die Daten der Shell- Jugendstudie weisen ja darauf hin, dass in der jüngsten Altersgruppe das Umweltbewusstsein besonders hoch ist (siehe Kapitel I.4.4). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass ein Engagement für Nachhaltigkeit über die bloße Mitgliedschaft in einer Nichtregierungsorganisation oder Bürgerinitiative hinausgeht. Hierzu zählt auch das persönliche Umweltverhalten (z.B. Bezug von Öko-Strom, Besitz von Ökofonds, Kauf von Lebensmitteln mit Bio-Siegel). So zeigen unsere Ergebnisse, dass die im Umwelt- und Naturschutz bereits Engagierten mit einem Anteil von 85% gleichzeitig zu den Pionieren der Nachhaltigkeit zu rechnen sind, also jenem Anteil in der Bevölkerung, der auch auf der Verhaltensebene überdurchschnittliche Werte aufweist und häufiger als andere einen nachhaltigen Lebensstil pflegt. Auch die Gruppe derjenigen, die zum Engagement bereit sind, sind überdurchschnittlich häufig unter den Pionieren der Nachhaltigkeit zu finden. In entsprechenden Netzwerken und Kooperationen mit Bio-Discountern, auf Öko-Märkten, mit Öko-Strom-Anbietern etc. sollte diese Bevölkerungsgruppe gezielt auf ein Engagement angesprochen werden. Insofern ist Engagement für Nachhaltigkeit durchaus vom Engagement im sozialen Bereich zu unterscheiden. Es ist ein Engagement für Gerechtigkeit, aber die durchaus fragwürdige Metapher der Drei-Säulen der Nachhaltigkeit sollte nicht so interpretiert werden, als finde nun im Bereich von Umwelt und Entwicklung Sozialpolitik statt. Die Perspektive Nachhaltigkeit ist geprägt von den Ideen der Gerechtigkeit, der Verantwortung und Freiheit – Freiheit nicht nur im Sinne individueller Freiheit, sondern im Sinne von Demokratie und Partizipation. Wolfgang Klafkis Vorstellung einer allgemeinen Bildung passt gut dazu (vgl. Klafki 1996). Er beschreibt die Aufgaben von Allgemeinbildung als Bildung für alle zur Selbststimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit und plädiert für eine Konzentration auf die für unsere Zeit typischen Schlüsselprobleme. Darunter fallen
202
Resonanz, Akzeptanz und Engagement
Krieg und Frieden, Umweltschutz, gesellschaftliche Ungleichheit, Medien und ihre Wirkungen sowie Aspekte der Partnerschaft. Auf diesen Feldern gibt es die eine, richtige Lösung nicht und auch nicht den einen vorgeschriebenen Lösungsweg. Entscheidend ist die Einsicht in die Mitverantwortlichkeit der Einzelnen. Im Diskurs über Freiwilligenarbeit oder Ehrenamt ist häufig von monetären Aspekten die Rede. Man berechnet etwa, wie viel Geld durch freiwilliges Engagement eingespart bzw. – positiv formuliert – erwirtschaftet wird. Das scheint auf den ersten Blick im Bereich Umwelt- und Nachhaltigkeitsengagement schwieriger zu berechnen. Es ist leicht, freiwillige Altenarbeit oder Behindertenarbeit in Geldeinheiten auszudrücken: Personen * durchschnittliche Stundenzahl * Stundenlohn – fertig ist die Rechnung. Allerdings zeigt schon das Beispiel einer ehrenamtlich arbeitenden Jugendtrainerin im Sportverein, deren Tätigkeit sich auch hervorragend in Geldwerten umrechnen lässt, dass es sich bei der in Geldwerten ausgedrückten Tätigkeit keineswegs um eine gesellschaftlich notwendige Tätigkeit wie etwa die Altenpflege handelt. Die im Natur- oder Umweltschutz Tätigen (z.B. im Umweltzentrum) erbringen offenkundig mindestens den gleichen Wert wie die Sporttrainerin. Will man hier nicht in unsinnige Definitionsstreitigkeiten geraten, sollte man auf die Bewertung der Art der freiwilligen Tätigkeit verzichten. Wenn dies im Bereich nachhaltigen Wirtschaftens und eines dafür tätigen Engagements nicht so einfach ist, bedeutet das noch lange nicht, dass hier kein monetärer Effekt eintritt. Wie viel hätten erfolgreiche Bürgerinitiativen in der Ukraine mit der rechtzeitigen Stilllegung von Tschernobyl einsparen können? Oder was sind zwei Grad weniger Klimaerwärmung in Dollar wert? Selbstverständlich lässt sich nicht alles in Form von KostenNutzen-Rechnungen erfassen. Oft handelt es sich um einen prinzipiellen Akt der Vernunft ohne Monetarisierbarkeit wie im Fall der Biodiversität. Eine Erkenntnis der Engagementforschung scheint schließlich durchaus übertragbar: Der Begriff Ehrenamt ist nicht mehr zeitgemäß. Aktivität und Engagement sind in einer zunehmend durch Eigenverantwortung bestimmten Wertewelt nicht mehr mit dem alten Ehrenamt kompatibel. Man sollte deshalb allmählich von diesem Begriff abrücken.
203
Literatur
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