Dirk Tomascy
Tschingis-Chan I Temudschin
Bechtermünz Verlag
Titel der Originalausgabe: Tschingis-Chan I - Temudschi...
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Dirk Tomascy
Tschingis-Chan I Temudschin
Bechtermünz Verlag
Titel der Originalausgabe: Tschingis-Chan I - Temudschin
Genehmigte Lizenzausgabe für Bechtermünz Verlag im Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1997 © by Haug Medien GmbH, Flörsheim Umschlagillustration: Dagmar Kaiser Gesamtherstellung: Appl, Wemding Printed in Germany ISBN 3-86047-175-9
Vorwort Die demokratischen Veränderungen in der mongolischen Völksrepublik und auch die Kulturöffnungen der Volksrepublik China haben im fernöstlichen Asien zur Rückbesinnung auf eigene Kulturen und die damit verbundene Historie geführt. Jahrzehntelanges, erzwungenes Schweigen darüber ist beendet und findet eine positive Neubewertung; damit auch Tschingis-Chan mit dem von ihm begründeten Weltreich. Es war nicht unsere Aufgabe, der heutigen Sinologie entsprechende Fachliteratur zu erarbeiten, sondern eine Erzählung über die Gestalt „Tschingis-Chan", sein Wirken und sein Denken, in dem insbesondere seine persönliche Philosophie, vom „ewigen blauen Himmel" zur Weltherrschaft auserwählt zu sein, eine wichtige Rolle spielt. Die Übertragung dieser Philosophie auf das mongolische Volk hat Jahrhunderte den Selbstwert dieses Volkes im gesamten asiatischen Umfeld geprägt. Diese Biographie ist zugleich eine Kultur- und Religionsgeschichte, in der die Menschen um Tschingis-Chan und seine Nachkommen eine besondere Wertigkeit erhielten. Die Auswertung des weltweit verstreuten Quellenmaterials ist u. a. vor der Zeit geschehen, in der durch Kriegswirren und Kulturrevolutionen wertvolle Kulturgüter unwiederbringlich vernichtet wurden. Der Aufstieg Tschingis-Chans vom Steppen-Aristokraten zum Herrscher eines Weltreiches konnte in den Wesenszügen Tschingis-Chans begründet und dargestellt werden. Dieses Buch beantwortet die Frage, wie es einem kleinen Volk von weniger als einer Million Mongolen gelingen konnte, innerhalb von wenigen Jahrzehnten ein erdteilumfassendes Imperium zu schaffen. Mit charismatischen und militärischen Führungseigenschaften, gleichzeitig beeinflußt durch seine chinesischen Rat-
geber, ist es Tschingis-Chan gelungen, ein weitblickendes Gesetz zu schaffen. Das Tschingis-Chan-Gesetz, die Jassa, wurde in seiner positiven Form so erfolgreich praktiziert, daß auch die dem Mongolenreich angrenzenden Völker Teile davon übernahmen. Das Selbstwertspektrum dieses „Grundgesetzes" wurde so praktiziert, daß Vergehen wider diese Rechtsordnung durch Selbstanzeige gerecht wurden. Bis heute ist Tschingis-Chan der verehrungswürdige Cha-Chan der Mongolen geblieben. Dieses Buch ist eine spannende Lektüre, die die Geschichte schrieb und den Leser in eine Zeit versetzt, deren Auswirkungen heute noch erkennbar sind.
Inhalt Europa im 13. Jahrhundert………………………………11 Tschingis-Chan Der junge Temudschin …………………………………..19 Aufstieg………………………………………………….35 Das Bündnis mit dem Keraiten-Herrscher……………….49 Drohende Gefahren……………………………………...61 Tschingis Cha-Chan ……………………………………79 Die Schulung der Mongolen……………………………..97 Der chinesische Krieg…………………………………..113 Die Welt im Westen……………………………………137 Krieg dem Schah……………………………………….153 Der Vernichtungskampf………………………………..175 Der Weise aus Chin…………………………………….195 Die Rückkehr …………………………………………205 Tschingis-Chans Vermächtnis………………………….215 Das Mongolische Weltreich Der große Kanzler……………………………………...227 Die Mongolen in Europa ................................................241 Bei dem Volke der Tartaren ………………………….…263 Die Enkel des Welteroberers …………………………...279 Der Generalangriff……………………………………..295 Kubilai …………………………………………………309 Anhang Chronik………………………………………………...333 Literatur………………………………………………..339 Namensverzeichnis……………………………………..343
Europa im 13. Jahrhundert Man schrieb das Jahr 1221. Seit vier Jahren, seit der Papst Honorius III. im Jahre 1217 die Christenheit zu einem neuen Kreuzzug aufgerufen hatte, zog wieder ein Strom von Menschen aus Europa nach dem Morgenlande, diesmal hauptsächlich aus Niederdeutschland, Dänemark, Norwegen. Friesen, Kölner, Bremer schifften sich in ihrer Heimat ein, fuhren um die Westküste herum, blieben eine Weile in Portugal, um den dortigen Christen gegen die Ungläubigen beizustehen, stachen dann wieder in See und kamen nach Jahresfrist in Syrien an, dem Sammelbecken zahlloser Kreuzfahrer aus aller Herren Länder. Dort formte sich ein zusammengewürfeltes Heer von Gläubigen, Ehrgeizigen, Abenteurern aller Völker und Zungen, die nichts miteinander gemein hatten als das Kreuzeszeichen auf ihren Kleidern und die Hoffnung auf Schlachten und Siege. Doch der Bestand dieser uneinheitlichen Waffen war locker, und die Moslems, die ihren Vorteil erkannt hatten, schlossen sich in ihren uneinnehmbar befestigten Plätzen ein - und warteten. Sie brauchten nicht lange des Zerfalls des Kreuzheeres zu harren. Als erster kehrte der König von Ungarn nach Europa zurück, ihm folgte Herzog Leopold von Österreich - und die Zurückgebliebenen wandten sich aus Syrien nach Ägypten, weil dort lohnendere Beute zu erwarten war. Sie zogen gegen die reiche Seestadt Damiette am Nil, die nach anderthalbjähriger Belagerung auch eingenommen wurde, nachdem von ihren 70 000 Einwohnern 65 000 durch Hunger, Elend und Krankheiten umgekommen waren. Doch die Freude, die über diesen Sieg und die unermeßliche Beute in Europa ausbrach, wurde schnell gedämpft. Denn nun verbanden sich die Neffen Saladins, die Sultane von Ägypten und Damaskus, gegen das christliche Heer und schlossen es ein. Aus den Belagerern waren Belagerte geworden, die nur noch ein neuer Kreuzzug mit neuen Christenheeren aus ihrer verzweifelten Lage retten konnte. Alle Hoffnungen richteten sich auf den Hohenstaufen Friedrich II., der eben gegen das Versprechen, das Kreuz zu nehmen, von Papst Honorius III. zum Kaiser gekrönt worden 11
war. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung sandte Friedrich II. den Herzog von Bayern mit einer Anzahl Galeeren nach Ägypten, dachte jedoch nicht daran, ihm auch selber mit einem starken Heer zu folgen. So wartete Europa um Ostern 1221 voller Sorgen auf eine neue Hiobsnachricht aus dem Morgenlande... In diese bange Erwartung hinein kamen plötzlich vier jubelnde Briefe des Kreuzpredigers Jakob von Vitry, Bischof von Ptolemaïs. Er schrieb an den Papst, an Herzog Leopold von Österreich, an König Heinrich III. von England, an die Pariser Universität. Es war eine ganz unglaubliche Kunde, die der Bischof in so vielen Niederschriften nach Europa sandte: Der Christenheit war ein neuer mächtiger Beschützer erstanden! Ein König David von Indien war mit einem unermeßlichen Heer gegen die Ungläubigen aufgebrochen!... Mit allen Einzelheiten beschrieb Jakob von Vitry, wie der Kalif von Bagdad den nestorianischen Patriarchen in Bagdad aufgesucht und gebeten habe, ein Schreiben an den christlichen König David zu richten, damit er ihm gegen den Schah von Choresm beistehe, der, obwohl ein Mohammedaner, den Kalifen mit Krieg überziehen wollte. Auf den Ruf des Patriarchen hin sei nun König David herbeigeeilt, habe den Choresm-Schah geschlagen, das mächtige Perserreich erobert und stehe bereits fünf Tagesreisen von Bagdad und von Mossul entfernt. Er habe schon Gesandte an den Kalifen geschickt: dieser solle ihm fünf Sechstel seines Landes abtreten und die Stadt Bagdad dazu, damit sie zum Sitz des katholischen Patriarchen gemacht werde; außerdem solle er so viel Geld geben, daß der König die vor einigen Jahren geschleiften Mauern von Jerusalem ganz aus Gold und Silber neu aufbauen lassen könne. Ein ungeheurer Jubel brach in Europa über diese Fügung Gottes aus. Zwar wußte niemand, wo dieses sagenhafte Land Indien mit dem christlichen König David liege und was das für ein Choresm-Schah war, den dieser König besiegt hatte. Aber selbst die gelehrtesten Leute sahen keinen Grund, an der Wahrheit der Nachricht zu zweifeln, da Jakob von Vitry alles ganz genau beschrieb, und sie stimmten in seine Segenwünsche 12
über David ein, „den König der Könige, der das Reich der Sarazenen zerstört und die heilige Kirche schützt". Man erinnert sich wieder einer alten Legende: daß im Fernen Osten ein gewaltiges Reich Indien bestehe, dessen Herrscher ein Priester Johannes sei - „und seine Macht gehe über die Macht aller Könige der Welt". Bereits vor dreiviertel Jahrhunderten, zur Zeit des zweiten Kreuzzugs, hatte ein Gerücht, daß dieser Priester Johannes die sarazenischen Reiche im Fernen Osten angegriffen und geschlagen habe, um den Kreuzfahrern zu Hilfe zu eilen, die Geister des Abendlandes in Erregung versetzt. Doch dann war es still um diesen Herrscher geworden, und nur die nestorianischen Christen, die in zahlreichen Gemeinden über ganz Asien verstreut lebten, blieben hartnäckig dabei, daß im Osten ein gewaltiges, christliches Reich bestehe. Nur lasse der Sultan keinen Christen aus dem Westen dorthin durch, ebenso wie der Priester Johannes keinen Mohammedaner in seinem Reiche dulde... Und nun schrieb Vitry klar und eindeutig, daß dieser David ein Enkel des Priesters Johannes sei, der Sohn des Königs Israel. Seine Vortruppen standen bereits an Mesopotamiens Grenze, hatten sich hier jedoch zuerst nach Norden gewandt, um sich den Rücken zu decken, bevor sie „gen Jerusalem" zogen. Im Norden hatten sie die Georgier geschlagen, die zwar Christen waren, aber nicht wirklich gläubig... Und zugleich mit der Christenheit jubilierten überall in Europa auch die jüdischen Gemeinden, veranstalteten Dankgebete und sammelten Geld, um dem König David entgegenzuziehen, denn in zwei von den Briefen Jakobs von Vitry stand geschrieben, daß der König David „rex Judeorum" wäre. Der heranrückende Herrscher war also König der Juden, der ins Abendland kam, um sein Volk aus dem Exil zu befreien. Bis durch Vergleiche festgestellt wurde, daß es sich um einen Fehler des Schreibers in Damiette handelte, der an Stelle von „rex Indorum" - „rex Judeorum" gesetzt hatte, war durch mündliche Überlieferung aus dem König David längst der „Sohn Davids" und aus dem Sohn des Königs Israel „König von Israel" geworden. Und dieses Volk, das mit ungeheurer Heeresmacht heranrückte: das waren die ver13
sprengten Stämme Israels, die vor Sinai das goldene Kalb angebetet hatten. Während so ganz Europa diesem König entgegenharrte, blieben aus dem Morgenlande weitere Meldungen über ihn aus. Damiette mußte im Herbst wieder aufgegeben werden, und die Kreuzfahrer konnten noch glücklich sein, daß ihnen freier Abzug gewährt wurde. Doch gerade dieser Umstand diente wiederum als Beweis für das Vorhandensein des Königs David: Die Sarazenen zeigten ungewohnte Mäßigung, weil ihr Sultan sie vor Übermut gewarnt und ihnen das Beispiel des immer siegreichen persischen Schahs vorgehalten hatte, der jetzt, vom fremden König geschlagen, im Elend umgekommen war. - Irgendwo zwischen Mesopotamien und dem Kaspischen Meer mußten wirklich gewaltige, fremde Heerscharen sitzen. Aber sie kamen und kamen den Kreuzfahrern nicht zu Hilfe... Statt dessen begannen plötzlich von den christlichen armenischen, georgischen, kaukasischen Fürstentümern Nachrichten einzutreffen, daß ihre Heere geschlagen, ihre Städte geplündert, ihre Burgen zerstört wurden. Dann vernahm man, daß die fremden Krieger den Kaukasus überstiegen und sich über die Ebene nördlich des Schwarzen Meeres ergossen hatten. Dort wohnten die schrecklichen Komanen, die durch ihre Raubzüge im Norden die Fürstentümer der Russen, im Westen das Königreich Ungarn brandschatzten. Jetzt kamen diese furchtbaren Komanen voller Schrecken hilfeflehend über die Donau und ließen sich vom Kaiser von Byzanz in Mazedonien und Thrazien ansiedeln. Von der genuesischen Festung Sudak in der Krim langten Galeeren an mit der Kunde, daß die Festung gestürmt und verbrannt sei. Und zwei Jahre nach den jubelnden Briefen Jakobs von Vitry drang aus den russischen Steppen das Gerücht nach Westeuropa, daß die Heere der Russenfürsten geschlagen und vernichtet seien und die Fremdlinge schonungslos plündernd, raubend und mordend durch ihre Länder zögen. Schreckliche Dinge wurden von ihnen erzählt: sie wären kurzbeinig, mit riesigen Körpern, ungeheuer breiter Brust, schwarzgesichtig. Sie tränken Blut... - Und doch sollten sie im Kampfe Fahnen tragen, auf denen das Kreuzeszeichen stehe. 14
Neue Vorstellungen über ihre Abstammung und ihre Absichten verbreiteten sich: sie wären Nachkommen der Völker der drei Mohrenkönige aus dem Morgenlande, wollten gen Köln ziehen, um sich die Reliquien dieser Könige zu holen. Bis es mit einemmal hieß, sie hätten sich wieder nach dem Osten gewandt und wären genau so plötzlich, wie sie gekommen waren, auch spurlos wieder verschwunden. Europa atmete erleichtert auf. Niemand hier kannte das Urgesetz des europäisch-asiatischen Kontinents, dem erst die Kriegstechnik der Neuzeit und die europäische Zivilisation ein Ende bereitet haben: das Gesetz des ewigen Kampfes zwischen den Nomaden und der seßhaften Bevölkerung der Kulturstaaten. Und niemand hier wußte, daß in diesem Augenblick die Nomadenvölker zu ihrem letzten und gewaltigsten Sturm gegen die ganze Kulturwelt aufgebrochen waren. Erst nach zwei Jahrzehnten, als dieselben wilden Reiter gegen Europa selbst anbrausten, seinen Osten in einen Trümmerhaufen verwandelten und seinen Westen in Angst und Schrecken stürzten, erfahr das vom Untergang bedrohte Abendland in der höchsten Gefahr seiner ganzen Geschichte, wer der Mann gewesen war, den Jakob Vitry für den König David hielt; es erfuhr, was im fernsten Osten geschehen war: der Geburtsstätte einer Nation und eines Menschen, der das Antlitz der Erde für Jahrhunderte verändert hat.
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Tschingis-Chan
Der junge Temudschin I. Uralt wie China selber sind seine Feinde: die Barbaren des Nordens, die Nomadenvölker, die mit ihren Herden am Rande der Wüste Gobi von Weideplatz zu Weideplatz ziehen. Als China noch ein lockerer Feudalstaat war und der Kaiser der Tschu-Dynastie mehr Vermittler mit dem Himmel als Herrscher, brachen diese Gobi-Barbaren schon in das Reich der Mitte ein und zwangen den Sohn des Himmels bereits im 8. Jahrhundert v. Chr., seine Residenz tief in das Innere des Landes zu verlegen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. einte die TsinDynastie China zu einem Militärstaat, und einer ihrer Kaiser verband die Mauern, durch die die einzelnen Feudalfürsten ihre Gebiete vor den Barbaren zu schützen suchten, zu einer einzigen „großen Mauer" von 3000 Kilometer Länge, um ganz China im Norden von der Nomadenwelt abzuriegeln. Aber schon einige Jahrzehnte später überrannten Hunnenstämme bei ihren Einfällen selbst dieses Bollwerk. Erst die großen Kaiser der Han-Dynastie, die ganz Zentralasien bis über den Pamir hinweg eroberten, China zum Nachbarn des vorderasiatischen Parther-Reiches machten und die Seidenstraße nach dem antiken Rom öffneten, schlugen auch diese Gobi-Barbaren und trieben sie in ihre Wüste zurück. Doch vernichten konnte man sie nicht und auch nicht unterjochen. Zertrümmerte man ihre Reiterhorden, so stürzten sie in ihrer Flucht nach dem Westen und rissen die dort herumwandernden Stämme mit sich; die immer wachsende Menschenlawine überfiel Kulturstaaten auf ihrem Wege und richtete auf deren Trümmern eine kurzlebige Herrschaft auf, oder wälzte sich, zurückgeschlagen, weiter und zwang immer neue Völkerscharen zum Aufbruch. In die leergewordenen Räume der Mongolei und Zentralasiens drangen aber sofort aus den Wäldern des Nordens und aus der Bergwelt an ihren Rändern andere Barbarenhorden mongolischer, tungusischer, türkischer Rasse. Hungrig nach Weideplätzen und hungrig nach Beute, raub- und kriegslustig nahmen sie den Platz der Vertriebenen ein - und begannen gierig nach dem ersten Anzeichen der Schwäche bei ihren seßhaften Nachbarn auszu19
spähen, um inzwischen untereinander einen nie endenden, blutigen Kleinkrieg um Weideplätze, um Herden, um das armselige Hab und Gut des Nomaden zu führen. So ging es Jahrhunderte lang, ein Jahrtausend. Namen und Völker wechselten, der Zustand blieb immer der gleiche. Diese Nomaden besaßen keine Schrift, keine Aufzeichnungen, aber durch mündliche Überlieferung, durch Erzählungen am Lagerfeuer erhielt sich die Tradition, erhielt sich die Kunde von den kriegerischen Taten der Vorfahren im Gedächtnis der Stämme, und ein edler Mongole wußte von seinem Stammbaum bis ins siebente Glied zu berichten. Jessughei-Bagatur - Jessughei der Starke - kannte den seinen sogar bis ins elfte. Der Stammvater in grauer Vorzeit, im dreiundzwanzigsten Gliede, war Bürte-Tschino - Grauwolf - , ein Prinz aus dem fernen Land Tibet, und die Stammutter hieß Maral-Goa - das strahlende Reh. Jessugheis Großvater war Kabul-Chan, der über alle Dakka-Mongolen geherrscht und sogar den Kaiser des mächtigen Reiches Chin weit unten im Südosten am Barte zu zupfen gewagt hatte. Aber dann verbündete sich dieses Reich Chin, das hinter einer Mauer lag, auf der sechs Reiter nebeneinander reiten konnten und die kein Ende hatte, mit den feindlichen Stämmen der Tataren, die mit ihren Herden im Osten und im Südosten der Mongolen von dem See Buir-Nor bis zum Chingan-Gebirge herumzogen - und wenn Kabul-Chan auch viele Soldaten des Chin-Kaisers und viele Tataren tötete, als er an Gift starb, war die Macht der Mongolen gebrochen. Sein Sohn Katul, ein Onkel Jessugheis und letzter Chan der Mongolen, führte viele ruhmreiche Kämpfe gegen die Feinde, aber sie waren zahllos wie Sand in der Wüste, und das Volk der Tataren wurde immer mächtiger. Bald nannten sich viele Stämme der Steppe Tataren, damit der Glanz dieses Namens auch über sie komme, und der Name der Mongolen geriet in Vergessenheit. Ihre einzelnen Stämme hießen wieder nach den Geschlechtern ihrer Führer. Als Jessughei von seinen drei Brüdern und vielen Vettern und Verwandten zum Bagatur ihres Geschlechtes Kiut-Bürtschigin - der grauäugigen Kiuten - gewählt wurde, vereinigte er noch einmal 40000 Zelte unter seinem Befehl. Und jetzt 20
sandten die Feldherren des Chin-Reiches ihre Boten wiederum zu ihm, damit er mit ihnen gegen die übermächtig gewordenen Tatarenstämme ziehe. Er schlug die Tataren, nahm ihren Häuptling Temudschin gefangen, kehrte mit Beute reichbeladen in sein Ordu Zeltlager - an der Grenzscheide Delügün-Boldok am Oberlauf des Flusses Onon zurück - und sah, daß seine Lieblingsfrau Oelön-Eke - Mutter Wolke - ihm einen Sohn geboren hatte. Es war eine alte Sitte, daß der Name des Menschen an das wichtigste Ereignis bei seiner Geburt erinnere, und darum nannte Jessughei seinen Erstgeborenen Temudschin. Der Knabe hielt bei der Geburt in seiner Faust einen Klumpen geronnenen Blutes, der wie ein roter Edelstein aussah, und der Schamane prophezeite, daß Temudschin ein gewaltiger Krieger werde. Dieser Knabe Temudschin wurde der größte Eroberer der Weltgeschichte: Tschingis-Chan. Er hat ein Reich aufgerichtet, das vom Mittelländischen Meer bis an den Stillen Ozean, von der Sibirischen Taiga bis an den Himalaja reichte: das gewaltigste Reich, das je auf Erden bestand. Sein Volk und seine Nachkommen verehrten ihn als göttliches Wesen - Ssutu-Bogdo -, dessen Lebenslauf natürlich den „himmlischen" zwölfjährigen Perioden des mongolischen Kalenders entsprechen mußte, und da Tschingis-Chan im Jahre 1227, das das Jahr „Gach" - Schweinsjahr - war, starb, so verlegten die Chronisten seine Geburt ebenfalls in das Jahr „Gach" 1155 und ließen sein Leben sechsmal zwölf Perioden dauern. Die Chinesen verzeichnen in ihren Annalen seine Geburt im Roßjahr - „Morin" - 1162. Als Temudschin neun Jahre alt wurde, machte sichjessughei-Bagatur -Jessughei der Starke - auf den Weg, um seinem Sohn nach Brauch und Sitte bei fernen Stämmen eine Braut zu suchen. Noch nie war der Knabe Temudschin so weit gekommen. Bei den Wanderungen des Ordu von den Winter- zu den Sommerweiden und umgekehrt blieb man in dem Stammland zwischen den Flüssen Onon und Kerulen. Man zog durch breite, saftige Täler zwischen hohen Bergen, die von dichtem, dunklem Wald bestanden waren. Überall fand man schnelles, 21
fließendes Wasser, auf den Ufern spazierten Kraniche, auf den kleinen Inseln im Flusse brüteten wilde Gänse, eine Unmenge grauer Möwen schwirrten in der Luft, und an ihnen übten sich die Knaben im Bogenschießen. Jetzt wurden die grünen Grasflächen immer seltener, schwarze Steine, teilweise mit gelbem Moos wie mit Rost bedeckt, erhoben sich aus der Erde, die Berge wurden niedriger, aber immer mehr traten nackte Felsen hervor, und in den Schluchten zwischen ihnen brauste der Wind, daß es wie ein Wasserfall donnerte. Sie kamen an dem Berge Darchan vorbei, über den Platz, auf dem riesige, schwarze Steinblöcke wie verstreut lagen und der jetzt noch im Volksmund „TschingisChans Schmiede" heißt. Immer wieder mußte man eine Bodenschwelle übersteigen, und wenn man oben war, sah Temudschin, daß sie weniger hinabzusteigen hatten, als sie hinaufgestiegen waren. Die Erde wurde höher. An Stelle der Bäume sah man nur noch dornige Kriechpflanzen, Heidekraut; das Gras wurde kürzer, spröder. Man übernachtete gewöhnlich am Rande eines der Seen, wo die Pferde besseres Futter fanden, und wo man noch schnell irgendein Wild erlegen konnte. An einem solchen See trafen sie Dai-Ssetschen - Dai den Weisen -, den Häuptling eines Chungiratenstammes. Viele Völker wohnten in den Steppen der Mongolei, die nur im Süden eine Grenze - die chinesische Mauer - kennt. Nördlich der Mauer lebten die Onguten, und zwischen den Onguten und den Tataren: die Chungiraten. Jessughei erzählte, daß sie auf der Brautsuche für Temudschin seien, und Dai, daß er im Traum einen weißen Falken gesehen habe, der einen Raben in seinen Fängen hielt. Beide verstanden die Zeichen des Himmels: der weiße Falke mit dem Raben in den Fängen war die Tug - die Stammfahne des Geschlechtes der Bürtschigin -, und Dai-Ssetschen hatte eine Tochter Bürte in Temudschins Alter. - Sie ritten zusammen zu den Weideplätzen der Chungiraten. Auch die Steppe hörte auf. Nackte, steinerne Berge, schwarzer Steinboden, Streifen weißen Sandes, wieder wie verbrannte Steine, Hügel, Wanderdünen, die, von den furchtbaren Winden gepeitscht, Sandwolken gegen die Reiter war22
fen, daß die Pferde kaum noch schreiten konnten, neue nackte Berge, diesmal rot - und wieder Steppe. Sie haben die Wüste Gobi durchritten. Nach jeder neuen Kette müssen sie wieder tiefer hinabsteigen, in breitere Täler, reichere Weiden. Ulmenwäldchen steigen auf- aber richtige, dichte Wälder wie in der Heimat am Onon sind nicht da. Hier leben die Chungiraten. Der Stamm Dai-Ssetschens ist reich und groß. Jessughei weiß, daß die Chinesen die Onguten und Chungiraten „weiße Tataren" nennen im Gegensatz zu den „schwarzen Tataren" - allen übrigen Völkerschaften der Mongolei. Er sieht, daß ihre Filzhütten reicher geschmückt sind, ihre Kleider feiner und kostbarer, ihre Waffen kunstvoll verziert. Und Bürte ist schön und wohlgebaut. Dai-Ssetschen hat der junge Temudschin gut gefallen. Er ist wie ein Erwachsener geritten, kannte keine Müdigkeit, war für sein Alter groß, geschickt, kräftig. Und vor allem blickten seine Katzenaugen in dem olivfarbenen Gesicht klug und aufmerksam in der Welt umher. Ihnen schien nichts zu entgehen. Jessughei schenkte Dai-Ssetschen sein herrliches Handpferd, erhielt Gegengeschenke, und man verabredete, daß Temudschin hier bleiben sollte, bis die beiden Ordu ihre Herden zusammen auf die Weide schicken würden - ein Zeichen, daß man fest entschlossen war, miteinander in Verwandtschaft zu treten.
II.
Temudschin begriff bald, was die Nähe des Chin-Reiches für die Chungiraten bedeutete. Fast immer waren chinesische Kaufleute da, die herrliche Stoffe, gehärtete Schilde mit bemaltem Lacküberzug, elfenbeinerne Köcher, viele Arten von Schmuck brachten, um dafür verschiedene Waren einzutauschen: Häute und Felle, Pferde und Hämmel, Schafe und auch Kamele und Jaks, oder einfach Salz, das die Chungiraten nur von den Ufern verschiedener mongolischer Seen heranzuschleppen brauchten. Nie kamen die Kaufleute mit leeren Händen zu dem Mann, mit dem sie ein Geschäft abschließen wollten, sondern brachten immer irgendein Kleidungsstück als Geschenk für ihn, ein paar Kleinigkeiten für seine Frauen, 23
Süßigkeiten für seine Kinder. Er sah, wie die Zelte der Chungiraten sich mit Schätzen füllten. - Was mußte das für ein Land sein, das so viele Herrlichkeiten abgeben konnte, ohne ärmer zu werden!... Es drängt ihn, mehr von diesem wunderreichen Chin zu erfahren. Er sucht die Nähe der weitgereisten Männer, deren Sachkenntnis und Geschicklichkeit er bewundert - sieht er doch, wie sie mit sicherem Griff unfehlbar das beste Vieh aus der Herde, die schönsten Felle aus dem Stapel herausgreifen. Und er hört von ihnen, daß Chin hundertmal mächtiger ist als das stärkste Nomadenvolk, daß seine Menschen in großen und festen Städten mit hohen Mauern wohnen und daß diese Städte ungezählte Reichtümer bergen. Als er sich wundert, warum dann Chin Kaufleute mit Kostbarkeiten schickt, um dafür ein paar armselige Felle und Tiere einzutauschen, statt seiner vielen Krieger, die sich einfach alles nehmen könnten, erfährt er von Dai-Ssetschen, daß die Leute in den Städten keine Krieger sind und es nicht verstehen zu reiten, zu jagen, mit Pfeilen zu treffen und Speere zu werfen. In der Brust des Knaben wächst Verachtung für das Volk der Städter. Warum läßt sich denn dann Dai-Ssetschen auf den Handel mit den Kaufleuten ein, statt nach Chin zu ziehen und dem geschickten, aber schwachen Volk seine Reichtümer zu nehmen? - Doch da belehren ihn die Kaufleute, daß in Chin ein Kaiser herrscht, der Hunderttausende von Männern bezahlt und ernährt, damit sie die Städte bewachen und etwa einfallende Nomadenstämme verjagen. Er vernimmt einiges von chinesischer Kriegskunst, von Kampfwagen, von Fußtruppen mit langen Lanzen, die in vielen Reihen hintereinander kämpfen und die anstürmenden Reiter, die sie niederreiten wollen, aufspießen. Diese Erzählungen machen einen gewaltigen Eindruck auf den Knaben. Aber sind nicht all diese Erfindungen nur Listen kampfuntüchtiger Männer aus Angst vor Kriegern wie sein Vater und Dai-Ssetschen? Wenn diese Männer alle Krieger wären?... - Vielleicht keimt hier schon der Gedanke in ihm, daß, wenn es ein Reich gäbe, das nur aus Kriegern bestünde, es alle Reiche der Städter besiegen und sich alle ihre Schätze nehmen könnte... 24
Und warum gab es wirklich kein Reich der Krieger und keinen Kaiser über sie? Sein Vater Jessughei könnte doch alle Mongolen unter seinen Fahnen vereinigen und Dai-Ssetschen alle Chungiraten. Dann würde er vielleicht der Erbe von beiden sein... Er verrät niemandem seine Gedanken. Er hat schon gelernt, daß es besser ist, zu schweigen. Er ist weiter freundlich, aufmerksam und still, so daß alle ihn gern haben, und wartet darauf, vierzehn Jahre alt zu werden, um heiraten zu können. Die Dauer von Temudschins Aufenthalt bei den Chungiraten ist unbekannt. Die meisten Chronisten geben an, Jessughei wäre schon auf der Rückreise von den Tataren vergiftet worden, aber dem steht entgegen, daß Temudschin bei Jessugheis Tod dreizehn Jahre alt war. Eine Legende will von einem langjährigen Aufenthalt des Knaben in Chin wissen, aber die Weideplätze der Chungiraten lagen ja für die Mongolen auf dem Wege nach Chin. Und schließlich wäre bei einem so kurzen Aufenthalt Dai-Ssetschens Anhänglichkeit unverständlich, unverständlich, daß Bürte nach seiner Abreise vier Jahre lang auf ihren Verlobten gewartet hat. Also wird wohl Temudschin bereits über drei Jahre bei Dai-Ssetschen gelebt haben, als Munlik, ein Verwandter seines Vaters, angeritten kam: Jessughei habe Sehnsucht nach seinem Sohn, er möge sofort mit ihm nach dem Ordu am Onon reiten. Dai-Ssetschen war unangenehm betroffen - es verstieß gegen die Sitte, solche Boten zu schicken -, aber er hatte Temudschin liebgewonnen und ließ ihn gegen das Versprechen, bald wiederzukommen, ziehen... Schnell sind die Pferde der Steppenreiter, schneller noch reitet die Kunde von einem wichtigen Ereignis durch die Steppe: bald wußten alle Volkschaften, daß Jessughei im Sterben lag. Sein Weg hatte ihn durch das Land der Tataren geführt. Er traf auf einige Stämme, die gerade zu einer Feier versammelt waren. Kein vorüberziehender Reiter darf die Einladung, an einem solchen Fest teilzunehmen, abschlagen, ohne sich Todfeindschaft zuzuziehen. Jessughei bekam mit seinen Begleitern den Ehrenplatz, ihm wurden die besten Stücke Fleisches vorgelegt. Er vergaß, daß man nur das essen 25
und trinken sollte, wovon der Gastgeber zuvor gekostet hatte; die Tataren aber hatten die Niederlage vor dreizehn Jahren nicht vergessen. Als Jessughei aufbrach, trug er Gift im Leibe; und als Temudschin, Tag und Nacht reitend, in dem Ordu seines Vaters angelangt war, schallten aus dem großen Zelt die Totenklagen von Oelön-Eke und der Nebenfrau Jessugheis...
III.
Viele Stämme hatte Jessughei unter seiner Führung vereinigt - aber sollten Männer Knaben gehorchen, nur weil sie Jessughei gefolgt waren? - Der Stamm der Tai-Tschuten vor allem war groß genug, um seine Herden allein auf die Weide zu schicken. Ihr Häuptling Targutai brach als erster auf. Bald folgten ihm die anderen. Oelön-Eke pflanzte die Ssulde auf, das Feldzeichen des Oberhauptes, eine Stange mit vier schwarzen Roßschweifen und Jakhörnern an der Spitze, stieg auf ihr Pferd und ritt mit ihrem Gefolge den Davonziehenden nach, aber man sagte ihr: „Auch ein tiefer Teich trocknet aus, auch ein fester Stein zerbröckelt - was haben wir mit einem Weib und ihren Kindern zu tun!" Und diese Worte säten Zweifel in den Köpfen und in den Herzen der noch Schwankenden. Eine Frau kann Männern nicht befehlen. Ein Stamm nach dem anderen verließ die Familie Jessugheis, und jedesmal gingen immer mehr Pferde und Hammel von dem Zehnten, der dem Häuptling gehörte, mit. Wer sollte mit den Davonziehenden streiten? Wenn sogar Munlik, dem Jessughei die Sorge um seine Familie anvertraut hatte, sich mit seinen Söhnen von ihr trennte!... Stumm und machtlos sah Oelön-Eke, wie ihr Hab und Gut zusammenschmolz, bis schließlich von dem mächtigen Ordu Jessugheis nur ihre Zelte und die seiner zweiten Frau übriggeblieben waren. Doch selbst um das letzte zu wahren, hatte Oelön-Eke, hatten Temudschin mit seinem Bruder Kassar und den Halbbrüdern Bektar und Belgutei Tag und Nacht keine Ruhe, wie sie die Herde zusammenhalten, nach verlorenen Tieren suchen, Fische mit Angeln und Netzen fangen, Ebereschen- und Moilhobeeren, Kräuter und eßbare Wurzeln sammeln sollten, denn die beiden jüngeren Brüder und die Schwester waren noch Kinder. 26
Besonders schlimm stand es im Winter um sie, wenn das Vieh aus Mangel an Futter abmagerte, am schlimmsten gegen Wintersende, wenn man kein Tier schlachten durfte, um die Herde zu erhalten. Oft genug bildeten da wilder Lauch, Wurzeln, gekochte Hirse ihre einzige Nahrung, die sonst der Mongole verschmäht. Um diese Zeit war jeder Dachs, jedes Murmeltier eine willkommene Beute, und wenn auch Temudschin am besten wußte, wie man die Tiere beschleichen und stellen konnte, wenn sein Bruder Kassar der beste Bogenschütze war, der sie mit seinen unfehlbaren Schüssen erlegte, so geschah es oft, daß ihre beiden Halbbrüder Bektar und Belgutei ihnen die gemeinsam erjagte Beute abnahmen - einfach weil sie stärker waren. Temudschin war der älteste, war eigentlich der rechtmäßige Nachfolger Jessugheis, aber wie sollte er sein Unrecht in diesen Streitigkeiten behaupten? Warten, bis seine beiden jüngeren Brüder groß genug waren, um ihm beizustehen? Das dauerte zu lange. Immer stand er mit Kassar zwei gegen zwei, und die anderen waren stärker... - Einmal war Belgutei allein fischen gegangen. Temudschin rief nach Kassar. Sie redeten nicht lange. Sie gingen zu Bektar und schössen ihn nieder. Noch nie war Oelön-Eke so böse gewesen, noch nie hatte sie ihre Söhne so gescholten: „Ihr seid wie Wölfe, wie tolle Hunde, die sich selbst in die Rippen beißen, wie tollwütige, junge Kamele seid ihr, die ihre Mutter von hinten anfallen, wie Geier, die sich in ihrer Gier auf Felsenklippen stürzen! Was habt ihr angerichtet?! Wir haben doch keine Freunde außer unseren Schatten, keine Waffen außer unseren Armen, und ihr habt zwei dieser Arme abgeschlagen und einen dieser Schatten vernichtet! Was soll mit dem Stamme Jessugheis werden, wenn nicht einmal seine Söhne unter sich Frieden halten? Sollen wir ewig dieses unwürdige Leben weiterführen? Wie sollen wir jemals Rache an den untreuen TaiTschuten, an den verräterischen Tataren nehmen!..." Temudschin ließ wortlos den Zorn seiner Mutter über sich ergehen. Alles, was Oelön-Eke sagte, war richtig. Von jetzt an wollte er auch dafür sorgen, daß sie in Frieden lebten 27
und zusammenhielten, denn Bektar war tot, und Belgutei stünde in jedem Streite einer gegen zwei. — Aber nicht nur aus Furcht sollte er ihm gehorchen: Sobald Belgutei sich in die neue Lage gefunden hatte, behandelte Temudschin ihn als Freund, gab ihm Geschenke, überließ ihm die erjagten Tiere und gewann schließlich in Belgutei einen Gefolgsmann, der ihn in keiner Not und keiner Gefahr verließ.Die Gefahren kamen bald. Eine neue Kunde ritt durch die Steppe: Targutai, der Häuptling der Tai-Tschuten, hatte sich zum Oberhaupt aller Bürtschigin erklärt.
IV.
Dem Oberhaupt der Bürtschigin gehörten immer die besten Weideplätze, die zwischen den fruchtbaren Tälern der Flüsse Onon und Kerulen lagen, jetzt aber trieb der Jüngling Temudschin seine armseligen Tiere auf diese Weiden, als wären sie sein Erbe... Targutai ließ nicht einmal die Krieger der verschiedenen Ordu sich sammeln. Nur mit seiner nächsten Gefolgschaft überfiel er die Nachkommen Jessugheis. Nicht die Zelte und Pferde eines Bürtschigin wollte er haben. Er tat Oelön-Eke nichts, ließ Kassar und Belgutei unbeachtet mit ihrer Herde in die Steppe jagen - er setzte mit seinen Kriegern lediglich Temudschin nach, der ins Walddickicht floh. Das war eine lustige Hatz, die den Tai-Tschuten viel Spaß machte, bis der Flüchtling so tief ins Gestrüpp drang, daß es beschwerlich wurde, ihm zu folgen. Daraufhin ließ Targutai die Schlucht umstellen. Er hatte es nicht eilig. In der Steppe gab es genug fette Hammel, die Temudschin gehörten, um seinen Kriegern die Zeit zu vertreiben, bis ihre eigenen Zelte mit Frauen, Kindern und Herden zu diesen neuen Weideplätzen nachkamen. Tagelang hungerte Temudschin, tagelang suchte er nach einem Durchschlupf, aber die Tai-Tschuten waren auf der Hut. Beim ersten Ausbruchsversuch fingen sie ihn ein und brachten ihn vor ihr Oberhaupt. Mit Wohlgefallen betrachtete Targutai seinen Gefangenen. Das war ein echter Bürtschigin mit grauen Augen, röt28
lichem Haar, olivfarbener Haut, stolzem und zugleich verschlagenem Blick, der ein guter Krieger zu werden versprach. Warum sollte man ihn töten? Er würde ein brauchbarer Gefolgsmann sein. Außerdem könnten, wenn er tot war, seine Brüder Anspruch auf die Weiden erheben ... Und die ganze Familie Jessugheis ermorden lassen? Würde er damit nicht Haß und Argwohn anderer Bürtschiginsippen auf sich ziehen? ... - Es war schlauer, den jungen Burschen als Geisel zu behalten. Man mußte ihm nur zeigen, daß es für ihn besser war, gehorchen zu lernen. Und Targutai befahl, Temudschin in den „Kang" zu schließen. Das schwere hölzerne Joch wurde ihm auf den Nacken gelegt, die Handgelenke an die beiden Enden des Joches gefesselt, und um seinen Trotz zu dämpfen, wurde nicht einmal ein Krieger, sondern ein Jüngling wie er zum Wächter bestellt. Die Krieger versammelten sich in Targutais Zelt, um den Erfolg zu feiern. Es wurde Nacht, der Mond ging auf. Der Wächter Temudschins sah sehnsüchtig zu dem Zelte Targutais hinüber, ob er nicht bald ein Stück von den dort verzehrten Hammeln bekommen würde. Temudschin schlich sich lautlos von hinten heran und warf sich auf den Jüngling. Ein Schlag mit dem Ende des „Kang" auf den Kopf - und Temudschin floh in weiten Sätzen. Als der Wächter bewußtlos aufgefunden wurde, sah Targutai seinen Leichtsinn ein. Er befahl, das Fest sofort abzubrechen und Temudschin nachzusetzen. Die Spur ließ sich in der mondhellen Nacht gut verfolgen. Sie führte zum Fluß hinunter. Aber es war ausgeschlossen, daß ein Mann im „Kang" über den Onon schwimmen konnte, und die Krieger teilten sich, um den Fluß entlang nach beiden Seiten zu reiten. Nur der letzte der Reiter blieb lange am Ufer und blickte angespannt auf das Wasser. Seine scharfen Augen erspähten mitten im Schilf, ungefähr in einer Speerwurfweite, etwas Rundes. Als die übrigen Reiter außer Hörweite waren, sagte er: „Ja, ja! Eben solcher Sachen wegen liebt man dich nicht!“ Dann ritt er langsam den anderen nach.
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Temudschin, der bis zum Munde im Wasser stand, erkannte in dem Reiter den alten Sorgan-Schira, mit dessen Kindern er oft im Ordu seines Vaters gespielt hatte. Er wartete, bis es ringsum still geworden war, und kroch dann vorsichtig aus dem Schilf. Seine in Schulterhöhe gefesselten Hände waren ganz steif, sein Nacken schmerzte unter der Last des „Kangs". In diesem Zustand zu fliehen, war ausgeschlossen. Er warf sich ins Gras, wälzte sich, bis das Wasser aus den Kleidern ausgepreßt war, und schlich auf Umwegen in das Ordu und dort in Sorgan-Schiras Zelt, wo er sich unter einem Haufen Wolle verkroch. Er hörte in seinem Versteck, wie die Reiter einer nach dem andern zurückkamen, wie sie flüchtig die Zelte durchsuchten. Einer stach sogar mit dem Speer in den Haufen Wolle, unter dem er lag, worauf jemand sagte: wer soll es denn bei dieser Hitze unter der Wolle aushalten?... Dann verabredeten sie, morgen das ganze Ordu noch einmal zu durchstöbern, und wenn sie ihn nicht fanden, die Verfolgung von neuem aufzunehmen. Schließlich wurde es still im Lager, und SorganSchira kam in sein Zelt. Temudschin kroch aus seinem Versteck hervor. „Was willst du hier?" flüsterte Sorgan-Schira entsetzt. „Hast du nicht gehört, daß sie morgen alles durchsuchen? Wenn sie dich hier finden, wird der Rauch meiner Hütte für immer verweht und mein Stamm für immer erloschen sein!" „Das wird auch geschehen, wenn Targutai hört, daß du mich im Schilf entdeckt hast und ihn weitersuchen ließest", antwortete Temudschin. „Zerschlage den 'Kang' und gib mir etwas zu essen." Sorgan-Schira begriff, daß es sein Vorteil war, wenn Temudschin die Flucht gelang. Er zerschlug den 'Kang' und warf die Stücke ins Feuer, gab ihm einen alten Bogen mit Pfeilen, gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wo die von Targutai um das Ordu aufgestellten Wachen sich befanden. Sobald der Mond unterging, schlich Temudschin aus dem Lager, fing sich ein Pferd und ritt davon. Er vergaß Sorgan-Schira niemals diese wenn auch etwas erzwungene Hilfe. Wenn sie später gemeinsam jagten, schenkte er ihm die Beute, als Chan machte er ihn zu einem seiner
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neun „Oerlök" - den Höchsten - und verlieh auch seinen Söhnen hohe Würden. Jetzt ritt er auf seiner Flucht dorthin, wo die Wälder am dichtesten waren und wo nur Eingeweihte einen Pfad entdecken konnten: zu der Berggruppe Burkan-Kaldun. Dort war das Stammland der Kiut-Bürtschigin, ihre letzte Zuflucht in der Gefahr. Hierher hatte sich der Sage nach ein Ahne des Geschlechtes vor Verfolgungen der Feinde geflüchtet. Hier sandte ihm der Himmel täglich Nahrung durch einen Falken. Dieser Falke war als Schutzgeist des Geschlechtes auf die Stammfahne gekommen, und in den Schluchten dieser Berggruppe war ein Kiut-Bürtschigin bisher immer von den Nachstellungen seiner Feinde sicher gewesen. Temudschin fand hier Oelön-Eke mit Kassar und den jüngeren Geschwistern, Belgutei und alles, was ihnen zu retten gelang. Das war nicht viel: neun Pferde, ein paar Hammel und dann natürlich, was sich bei der Flucht in den Zeltwagen befunden hatte. Lag es nun daran, daß die Flüchtlinge hier zu sorglos wurden, oder daran, daß die Feinde demselben Geschlechte angehörten, jedenfalls eines Tages, als Belgutei auf Murmeljagd geritten war und Temudschin mit Kassar die Fallen nachsah, erschien auf der Lichtung, wo die Pferde weideten, ein Trupp räuberischer Tai-Tschuten und trieb ihnen die acht Pferde fort. Zu Fuß war keine Verfolgung möglich, man mußte warten, bis Belgutei mit seinem Pferd abends zurückkam. Aber dann setzte Temudschin den Dieben nach. Drei Tage lang ritt er auf der Spur, Das getrocknete Fleisch, das er zwischen Sattel und Pferderücken eingeklemmt mitgenommen hatte, war längst aufgezehrt, die Stute wankte nur noch vor Müdigkeit dahin. Am vierten Tag traf er einen jungen Mann seines Alters, den er nach dem Wege der Reiter mit den acht Falben ausfragte. Sie wären Räuber, und er sei Temudschin, der Sohn Jessugheis, der sie verfolge. Zu seinem Erstaunen gab ihm der Jüngling sofort zu essen und zu trinken, ließ seine Stute zu der eigenen Herde auf die Weide, fing zwei frische, gute Pferde ein und erklärte, er heiße Boghurtschi - der Unfehlbare - und wolle mit ihm reiten und ihm helfen. 31
Bei dem Ritt, der weitere drei Tage dauerte, freundeten sich die beiden Jünglinge an, und Temudschin hörte, daß man überall in der Steppe von seiner wunderbaren Flucht aus Targutais Lager sprach, und daß niemand begriff, wie sie ihm gelingen konnte. Man bewunderte seinen Mut und seine Geschicklichkeit, und alle Jugend betrachtete ihn als Vorbild. Bald sahen sie in der Ferne die Tai-Tschuten, entdeckten ihre Pferde, schlichen sich nachts heran und holten sie sich aus der Koppel heraus. Am Morgen setzten die Tai-Tschuten den beiden nach. Boghurtschi wollte zurückbleiben und mit den Verfolgern kämpfen, während sein Freund mit den Pferden weiterreiten sollte, aber Temudschin ließ es nicht zu. Hin und wieder sah er sich nach den Feinden um, die in einer langgestreckten Linie am Horizont hinter ihnen her waren, und wenn er sich wieder umdrehte, hatte er immer ein fröhliches Gesicht. „Unsere Pferde sind gut", sagte er. „Wir können im Galopp von Pferd zu Pferd wechseln, wenn eins müde wird." Auch Boghurtschi sah ab und zu nach den Tai-Tschuten, aber sein Gesicht wurde dabei immer finsterer. Die Linie der Verfolger zog sich immer weiter auseinander, aber die Entfernung zwischen den vordersten Reitern und ihnen wurde immer kürzer. Und allen anderen voran raste ein Krieger auf einem Schimmelhengst. Man konnte vorausberechnen, wann er seinen „Arkan" - das Fangbeil - losmachen und über ihre Köpfe schwingen wird. „Ich will zurückbleiben", sagte Boghurtschi, als er die Nervenprobe nicht mehr ertragen konnte, „ich will ihn niederzuschießen versuchen." „Noch nicht", antwortete Temudschin. „Er soll erst näherkommen, und die Entfernung zwischen ihm und den anderen muß noch größer werden. Dann halten wir beide an. Verstehst du, Boghurtschi: wir sind zwei, und wir müssen es nur so halten, daß uns immer bloß einer einholen kann und wir ihn getötet haben, bevor die anderen hinzukommen." Als der Reiter schon ganz nahe war, als er schon seinen „Arkan"löste, ließ Temudschin Boghurtschi den Bogen bereitmachen und hielt an. „Triff ihn!" sagte er. 32
Boghurtschi schoß - und schon im selben Augenblick schlug Temudschin auf die Pferde ein, daß sie losrasten. Boghurtschi hatte getroffen. Der Reiter stürzte vom Pferd. Als die Jünglinge nach einer Weile zurückblickten, sahen sie, wie die vordersten Tai-Tschuten bei dem Verwundeten anhielten. Nach einer Weile drehten sie sich wieder um; um den Verwundeten waren noch mehr Leute, aber keiner ritt ihnen nach, und die Entfernung vergrößerte sich schnell. Da lachte auch Boghurtschi. „Das ist wieder einer deiner Streiche", sagte er, „die deinen Namen weitertragen und die Herzen der jungen Männer höher schlagen lassen." Temudschin bot seinem Freunde die Hälfte der Pferde, die er mit seiner Hilfe zurückerlangt hatte, als seinen Anteil an, aber Boghurtschi weigerte sich, etwas anzunehmen. „Wie wäre ich dein Freund, wenn ich mir einen Dienst bezahlen ließe!" rief er. Sie ritten zu Boghurtschis Vater, um Verzeihung zu erbitten, daß sein Sohn die ihm anvertrauten Herden ohne Erlaubnis verlassen hatte, aber der alte Mann war stolz auf die Tat seines Sohnes und auf seine neue Freundschaft. Er versah ihn mit Pferden, Reservekleidern, einem Zelt und hieß die beiden, immer Freunde zu sein und einander nie zu verlassen. So kehrte Temudschin mit seinem ersten Gefolgsmann in sein Ordu zurück. Bald kam ein alter Krieger Jessugheis zu ihm in das Lager und bat, er möge seinen Sohn Dschelme als zweiten Gefolgsmann annehmen. Und kaum wurde es in der Steppe bekannt, daß Temudschin Gefolgsleute annimmt, als von allen Seiten junge Mongolen kamen, um sich ihm anzuschließen. Schon mit siebzehn Jahren war Temudschin nicht mehr der arme, von der ganzen Welt verlassene Junge, der, um sich und seine Geschwister zu ernähren, Fische fangen und wilden Lauch suchen mußte, sondern Herr über ein wenn auch noch kleines Zeltlager. Sein Name hatte einen guten Klang in der Steppe, und von seinen kühnen Taten sprach man an den Zeltfeuern. 33
V.
Jetzt erst, nach vier Jahren, machte Temudschin sich mit seinem Halbbruder Belgutei zu Dai-Ssetschen auf, um seine Braut Bürte heimzuholen. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie auf ihn gewartet hatte, bedachte sich keinen Augenblick, ob Dai-Ssetschen das einstmals dem Erben eines Herrn über 40 000 Zelte gegebene Wort unter den veränderten Umständen werde halten wollen - und trotzdem hatte er vier Jahre verstreichen lassen, obgleich ihm die Verwandtschaft mit dem Chungiraten — Häuptling manche Not und manche Verfolgung erspart hätte. Aber er war zu stolz, um in einer solchen Lage die Einlösung des Versprechens zu fordern. „Man wird nicht geachtet, wenn man als Bettler kommt!" erklärte er immer. Erst jetzt hatte sein Name den Klang, daß, wenn er auch ohne kostbare Gaben und großes Gefolge kam, er sich nicht zu schämen brauchte, die reiche Braut heimzuführen. Mit Lachen und Scherzen wurde er empfangen. „Oh, daß du lebst und so munter bist!" rief Dai-Ssetschen. „Wir haben's fast nicht mehr geglaubt! Du hattest viele Feinde!..." Mit Genugtuung hörte Temudschin heraus, daß die Kunde von seinen Abenteuern ihren Weg bis hierher genommen hatte. Er wurde bestaunt, bewundert. In den vier harten Jahren war er groß und breitschultrig geworden, seine geschlitzten Katzenaugen blickten ebenso forschend und aufmerksam wie früher in die Welt - nur war ihr Blick härter, verschlossener. Er sprach noch weniger, aber was er sagte, war wohlbedacht. Die Feiern dauerten lange und waren prächtig - genau so, als wenn er nicht nur mit seinem Halbbruder, sondern mit großem Gefolge gekommen wäre. Als Morgengabe erhielt er einen Mantel aus schwarzbraunem Zobel, ein Geschenk, das mehr wert war als sein gesamtes Hab und Gut. Und als er aufbrach, führte er nicht allein Bürte mit heim. Eine ansehnliche Zahl ihrer Freunde und Freundinnen folgte ihr nach dem Onon. Die Frau eines Häuptlings hatte das Recht auf eigene Zelte und eigenes Gefolge - und sie brachte gleich alles mit. Temudschins Ordu wurde mit einemmal groß und reich bevölkert, und jung wie der Häuptling waren seine Krieger. 34
Aufstieg I.
In dem Ordu am Fuße des Berges Burkan-Kaldun herrschten Leichtsinn und Übermut. Die Jugend jagte, feierte Feste. Fröhlich war der Tag, sorglos die Nacht. Keine Späher durchstreiften die Wälder, keine Wachtposten bewachten den Schlaf. Plötzlich zerbrach wildes Geschrei die Ruhe der Nacht. Fremde Männer stürmten in das Lager, schleuderten Brandfackeln in die Zelte, trieben das Vieh fort. Temudschin fuhr aus dem Schlaf auf. War Targutai mit seinen Tai-Tschuten wieder hinter ihm her? - Er ergriff Bogen und Speer, packte den Zobelmantel, sprang auf sein Pferd und raste in das Dickicht der Bergschluchten. Einige der Gefolgsleute sprengten ihm nach. Seine Brüder und die anderen stoben nach allen Seiten auseinander. Jeder rettete sich, so schnell er konnte. Ein paar Tage vergingen in Ungewißheit. Man sah aus den Verstecken, daß viele Reiter den Berg umritten und nach den Flüchtlingen suchten. Dann wurde es draußen still, und Temudschin sandte Späher nach dem Lager. Der Platz war leer. Frauen, Zelte, Wagen, die meisten Herden waren verschwunden. Und die Spuren des Feindes führten nicht nach Osten zu den Weiden der Tai-Tschuten, sondern nach Norden, in die Wälder... Nach und nach sammelten sich die Versprengten. Manche hatten die Feinde in der Nähe gesehen, manche sie belauscht - es waren Merkiten gewesen, Männer aus den nördlichen Wäldern, gefährliche, wilde Jäger, die dem Volke angehörten, dem Jessughei vor zwei Jahrzehnten Oelön-Eke geraubt hatte. Wenn Temudschin in ihre Hände gefallen wäre, hätte ihm nicht Gefangenschaft und Anerkennung von Targutais Oberherrschaft gedroht, sondern Sklaverei oder der Tod!... Er stieg auf den Gipfel des Burkan-Kaldun, nahm seinen Gürtel ab und hängte ihn sich über den Nacken als Zeichen der Demut, stülpte die Mütze auf die Faust, beugte neunmal 35
die Knie, goß etwas Kumys - Stutenmilch - auf die Erde und dankte dem Ewigen Blauen Himmel - Menke Rökö Tengri für die wunderbare Errettung. „Der Berg Burkan-Kaldun hat zum zweitenmal mein armes Leben gerettet." rief er ergriffen. „Ich werde ihm von nun an immer Opfer darbringen und auch meinen Kindern und Enkeln befehlen, ihm zu opfern!" Dann setzte er die Mütze wieder auf, band den Gürtel um, wie es dem freien Mongolen ziemt, und stieg den Berg hinunter. Am Fuße des Berges hatten sich alle versammelt, die dem Überfall entgangen waren - Bürte befand sich nicht darunter. Sie war in der sicheren Obhut ihres väterlichen Ordu solche Überraschungen nicht gewohnt und hatte sich nicht schnell genug geflüchtet. Einige wollten gesehen haben, wie sie von den Merkiten weggeschleppt wurde, die, nachdem sie das Lager überfallen hatten, sich nun beeilten, mit ihrem Raub in die Wälder zu entkommen, bevor andere Mongolenstämme hier eintrafen. Temudschin klagte nicht, trauerte nicht. Es war seine Schuld. Sein Leichtsinn hatte Bürte dieses Schicksal beschert. Und er tat das, was er in all den Jahren der schlimmsten Not nicht getan hatte: er beugte seinen Stolz und machte sich auf den Weg, um Hilfe zu erbitten. Er ritt nach dem Westen, Hunderte Kilometer weit, in das Land, wo die Keraiten wohnten. Das Volk der Keraiten war wohl das bedeutendste der eigentlichen Mongolei. Seine Weideplätze lagen zwischen den Flüssen Tula und Orchon, aber es hatte auch schon feste Siedlungen. Durch sein Gebiet führten Karawanenwege aus Chin in die Länder der Naimanen und Ujguren, die in der Gegend des Altai und der Dsungarei wohnten. Unter den Keraiten gab es viele nestorianische Christen und Moslems. Ihr Herrscher, der mächtige Toghrul-Chan, war „Andah" - ein Wahlbruder - von Temudschins Vater Jessughei gewesen. Längst schon hätte Temudschin zu ihm kommen können, aber erst jetzt, wo es um Bürte ging, hatte er sich zu dem Entschluß durchgerungen. Und auch jetzt kam er nicht mit leeren Händen, sondern brachte ihm das Beste, was er besaß: den 36
kostbaren schwarzen Zobelmantel, ein königliches Geschenk. Er erinnerte den Keraiten-Chan an die Wahlbruderschaft zwischen ihm und seinem Vater und bat um die Erlaubnis, sich seinen Wahlsohn nennen zu dürfen. Toghrul-Chan hatte bereits von dem Überfall der Merkiten gehört. Sie waren auch seine Nachbarn, und er lag oft mit ihnen in Fehde. Jetzt kam der Sohn seines Freundes zu ihm, seine Ergebenheit gefiel dem Chan, das prächtige Geschenk gefiel ihm noch mehr. Er erinnerte sich daran, daß auch Jessughei ihm in Kämpfen gegen seine Verwandten beigestanden hatte - und er stellte Temudschin eine größere Truppe zur Verfügung.
II.
Schnell sind die Pferde der Steppenreiter, schneller noch reitet die Kunde durch die Steppe: Temudschin an der Spitze der Keraiten!... Temudschin, Wahlsohn des mächtigen Toghrul-Chan!... Seine Stellung war mit einem Schlag verändert. Von allen Seiten strömten ihm Mongolensippen zu. Die einen schlossen sich ihm an, um vergessen zu machen, daß sie ihn vor fünf Jahren schnöde verlassen hatten. Die anderen sahen in dem Sohne Jessugheis einen willkommenen Schutz gegen die wachsenden Machtgelüste des TaiTschuten-Häuptlings Targutai. Die Dritten wollten sich einfach in Hoffnung auf leichte Beute an dem Feldzug gegen die Merkiten beteiligen. Sogar Dschamugha-ssetschen, der Häuptling der Dschurjaten, besann sich, daß er mit Temudschin, mit dem er als Knabe auf dem Eise des Onon zusammen gespielt hatte, „Andah" war und eilte ihm mit seinem ganzen Stamm zu Hilfe... Die „mongolische Saga" berichtet über die Strafexpedition: „Die dreihundert Mann, die zu dem Berge Burkan-Kaldun gekommen waren und ihn umritten hatten, wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. Ihre Frauen, die zu Frauen taugten, wurden zu Frauen gemacht, die zu Sklavinnen taugten, kamen in die Sklaverei." In dem Zelte des Häuptlings fand Temudschin seine Bürte wieder und in ihren Armen ein Neugeborenes, einen Knaben. 37
Er nannte ihn Dschutschi - ein Gast -, denn er wußte nicht, ob sein Erstgeborener wirklich sein Sohn war. Dann brach er den Feldzug ab. Er erklärte: „Ich habe gefunden was ich suchte!" und schickte Toghrul seine Truppen zurück und als Geschenk den ganzen eigenen Beuteanteil. Das begreifen die Mongolen nicht. Ringsum wohnen noch so viele Merkitenstämme, man könnte sie mit den starken Bundesgenossen überfallen und reiche Beute machen ... Seine Bundesgenossen sind auch unzufrieden: er nimmt ihnen den Vorwand, tiefer in das Land der Merkiten zu dringen, vielleicht sogar ihren Fürsten Tuchta-Beg, Toghruls alten Feind, anzugreifen... Niemand kommt es in den Sinn, daß der junge, wortkarge Mongolenanführer mit dem verschlossenen Blick seine eigenen Gedanken dabei hat. Daß er vielleicht nur das Gleichgewicht der Kräfte in der Mongolei nicht stören will, solange er selbst nicht stark genug ist, um das Zünglein an der Waage zu sein. Vielleicht ist es ihm sogar lieb, die Keraiten so schnell wie möglich aus seinem Lande heraus zu haben und den Tuchta-Beg ungeschlagen an Toghruls Grenzen zu wissen. Vielleicht auch an seinen eigenen, für den Fall, daß Targutai mit seinen Tai-Tschuten wieder herfindet... In diesem Lande, in dem jeder gegen jeden kämpft, werden Feinde von gestern oft „Andah", während die Bundesgenossen bei der Beurteilung plötzlich übereinander herfallen.
III.
Nach dem Sieg über die Merkiten ist Temudschin nicht mehr allein. Er hat während des Feldzugs mit dem Dschurjaten-Häuptling Dschamugha die Kinderfreundschaft erneuert, und nun ziehen sie gemeinsam auf den Weideplätzen der Mongolen herum. Targutai beobachtet aus der Ferne jede Bewegung seines Gegners - jetzt wäre es für ihn schon ein Wagnis, dieses sorgfältig bewachte und von Spähern umgebene Ordu zu überfallen. Temudschin scheint sich um seinen alten Feind gar nicht zu kümmern, aber er bleibt den besten Plätzen am unteren Onon, wo der Tai-Tschuten-Häuptling seine Herden weiden läßt, wohlweislich fern. Wenn er jedoch 38
mit Vasallenstämmen Targurtais zusammenkommt, wird er verschwenderisch, spart nicht mit Geschenken, mit Festlichkeiten, lädt sie zur Jagd ein und läßt ihnen das Wild zutreiben... Bald wird in der Steppe geraunt: „Die Tai-TschutenHäuptlinge fügen uns ohne Ursache Beschwerden zu und peinigen uns. Sie nehmen uns unsere besten Pferde und unsere schönsten Pelze weg. Temudschin aber zieht das Gewand, das er schon angelegt hat, wieder aus und gibt es uns, steigt wieder von dem Rosse, welches er schon bestiegen hat, und verschenkt es!" Ganze Stämme schließen sich ihm an, sein Lager wächst, und schon werden in seiner Umgebung ehrgeizige Pläne gewälzt. Wenn seine Krieger sich um die mit getrocknetem Viehmist genährten Feuer sammeln, singt man in den Zelten von den Heldentaten der alten Chane, und eine Sage macht die Runde, daß nach dem Ratschluß des Ewigen Blauen Himmels bald wieder ein Held kommen müsse, der von neuem alle Mongolenstämme vereinigen und Rache an allen ihren Feinden nehmen würde. Muchuli, einer der eifrigsten Gefolgsleute Temudschins, erklärt sogar offen, daß niemand anders als ihr junger Anführer dieser Held sein werde... Auch Dschamugha hat Ehrgeiz, auch sein Anhang vermehrt sich. Aber er macht nicht genug Unterschied, ob sein Gefolgsmann selber über Hunderte von Zelten befiehlt oder nur mit Frauen und Kindern zu ihm kommt. Ihm scheint „Karatschu" - das gemeine Volk - besonders lieb zu sein, und die Sippen- und Stammeshäuptlinge fühlen sich von ihm nicht genug geehrt und geachtet. Bei Temudschin haben sie mehr Geltung. Er vergißt nie, daß er ein Aristokrat ist, und sein ganzes Bestreben ist darauf gerichtet, die Steppenaristokratie um sich zu sammeln, denn er weiß, daß nur sie ihm wieder zu Ansehen und Macht verhelfen kann. In seinem „Uluß" - Befehlsbereich - herrschen althergebrachte Sitten mit strengster Rangordnung, wenn er sich auch nicht ehrgeizig an das Vorrecht der Geburt hält: seine ersten Gefolgsleute Boghurtschi, Dschelme, Muchuli sind nicht aus vornehmem Geschlecht, aber da sie sich durch Taprerkeit, Umsicht, Treue hervorgetan haben, genießen sie die 39
Auszeichnung, im Rate der Edlen zu sitzen, der sich bereits um ihn gebildet hat. Und das wiederum lockt alle kühnen Krieger an. Zwei Weltanschauungen in einem Lager. Die Anhänger Temudschins hatten meist zahlreiche Pferde- und Rinderherden, die Gefolgschaft Dschamughas hauptsächlich Hammel und Schafe. Täglich gab es Spannungen und Reibungen. Und vor allem Oelön-Eke und Bürte - die Mutter und die Frau drängten Temudschin, sich endlich von seinem „Andah" zu trennen, der nicht wisse, was Brauch und Sitte sei. Temudschin zögerte lange. Anderthalb Jahre sind sie zusammen umhergezogen, und diese Trennung der Lager muß ihn schwächen - aber dann gibt er nach und sieht, der Rat der Frauen war klug: der Bruch wirkt wie ein Signal. Alle bisher einzeln herumziehenden edlen Sippen, denen es nicht paßte, irgendeinem zufällig emporgekommenen Häuptling zu folgen, schließen sich mit ihrem Anhang dem Sohne Jessugheis an. Nun kommen die berühmtesten Vertreter der alten mongolischen Geschlechter, wie Daaritai, ein Enkel KabulChan, sein Vetter Altan, ein Sohn des Katul-Chan, Kutschar, ein Verwandter Temudschins aus der älteren Linie der Bürtschigi... Und jeder derartige Anschluß zieht andere Stämme nach sich, deren Häuptlingen es schmeichelt, im Kreise der edelsten Mongolen zu sitzen. Auf 13 000 Zelte ist bereits Temudschins Anhang angewachsen, und er versteht es, jeden nach Würde und Verdienst zu behandeln. In seinem „Uluß" herrscht eine ganz ungewohnte, musterhafte Ordnung. Jeder kennt seinen Platz und weiß, was ihm gebührt, denn der junge Anführer duldet keinerlei Übergriffe. Er ist so beliebt, daß man sich fast schämt, ihn bei dem Zehnten, der ihm gehört, zu betrügen und ein Kalb oder ein Schaf zu unterschlagen. Und er ist nicht kleinlich und nicht habsüchtig. Wenn man's ihm bringt, bekommt man vielleicht ein Geschenk, das sogar mehr wert ist, oder er erkundigt sich so eingehend nach allem. Er ist ein Herr, der für jeden seiner Gefolgsleute sorgt... Ja, er hat sogar etwas getan, was keiner vor ihm je tat: er hat für seine Krieger ein Spiel erfunden, einen Zeitvertreib, so spannend mit Jagd und Krieg, ein richtiges Kriegsspiel. 40
Er hat seine 13 000 Mann in dreizehn „Guran" - Körperschaften - eingeteilt und läßt jede „Guran" als geschlossene Einheit angreifen, schwenken, wenden. Sie müssen versuchen, einander zu umgehen, die Flanken des Gegners zu umfassen oder ein Zentrum zu durchbrechen. Das ist ein Spiel, das die kühnen Reiterherzen höherschlagen läßt, und Temudschin muß oft eingreifen, damit nicht aus dem Scheingefecht blutiger Ernst wird, denn jede Tausendschaft besteht aus verwandten Sippen und Stämmen, so daß Brüder, Vettern, Freunde nebeneinander kämpfen und eine Niederlage beinahe wie ein Schandfleck auf der Ehre des Geschlechtes empfunden wird. Aber auf diese Weise gewöhnt er die wilden Nomaden an Disziplin und Zusammengehörigkeit. Es wird wohl für immer ungewiß bleiben, woher Temudschin der Gedanke an die Bildung geschlossen manövrierender und kämpfender Reiterkorps gekommen ist. Möglich, daß die Erzählungen über die chinesische Kriegskunst in ihm nachwirken, die er als Knabe bei den Chungiraten gehört hat... Jedenfalls, mit diesem Gefolge von 13 000 Mann fing er sein „Kriegsspiel" an, und in dem Maße, in dem sein „Uluß" wuchs, vermehrte sich auch seine disziplinierte und gedrillte Reitermacht. Und da jeder Mongole von Kindesbeinen an vorzüglicher Reiter und Bogenschütze war, schuf Temudschin so ein Kriegervolk, ein Reitervolk in Waffen, wie die Welt seinesgleichen nicht kannte.
IV.
Im Frühjahr und Herbst, wenn die Stämme ihre Lager abbrachen und sich mit ihren Tieren zu den neuen Weideplätzen in Bewegung setzten, begannen die gefährlichen Tage für die stets von Feinden umlauerten Nomaden. Mit den riesigen Herden beschäftigt, von Frauen und Kindern behindert, durch das gesamte Hab und Gut belastet, verringerte sich ihre Kampffähigkeit auf einen Bruchteil, und Temudschin, der seine jugendliche Sorglosigkeit längst abgestreift hatte, waren diese Wanderungen eine ständige Sorge. Vorsichtig bis ins letzte, hatte er für sie eine besonders durchdachte Ordnung aufgestellt, die er später auch für seine Kriegszüge übernahm: 41
Zuerst ritten fächerförmig ausschwärmend die Kundschafter. Sie suchten geeignete Lagerplätze, prüften in bekannten Gegenden den Zustand der Quellen und Weiden und hatten ihre Beobachtungen nach rückwärts zu melden. Im Kriegsfalle durfte ihnen kein Hinterhalt, kein Spion entgehen. Dann kam der Vortrupp, stark genug, um selbständige Aktionen vorzunehmen. Im Frieden hatte er die Vorbereitungen für das Lager zu treffen, für genügend Wasser zu sorgen, die Reihenfolge der Tränke zu bestimmen. Auf diese Weise doppelt gedeckt und betreut, folgte in breiter Linie das Gros der Stämme mit Zelten, Weibern, Kindern, mit allem Vieh und allen Wagen, die den gesamten Besitz der Nomaden bargen. Eine Nachhut nahm die Zurückgebliebenen auf, fing sich verlaufende Tiere ab, sicherte die Nachzügler vor räuberischen Überfällen von hinten. Plötzlich kamen nun die Kundschafter von allen Seiten angesprengt: sie hatten überall kriegsmäßig ausgerüstete TaiTschuten gesichtet. Es dauerte nicht lange, da stand schon die Vorhut im Geplänkel mit ihnen. Gefangene wurden eingebracht ... Targutai hatte zu einem entscheidenden Schlag ausgeholt. Er hatte alle seine Tai-Tschuten aufgeboten, da ein Sieg über Temudschin bereits reichliche Beute versprach, auch einige Nachbarstämme gewonnen und auf diese Weise für den Feldzug 30 000 Krieger unter seinem Befehl vereinigt. 13 000 gegen 30 000!... Später war Temudschin es nicht anders gewohnt, als gegen Übermacht zu kämpfen. Seine sämtlichen Schlachten wurden mit einer einzigen Ausnahme gegen zahlenmäßig überlegene Feinde geschlagen und - bis auf zwei - gewonnen. Aber dieses war sein erstes Treffen, und Targutai hatte nicht nur die mehr als doppelte Übermacht, sondern auch alle anderen Vorteile auf seiner Seite, denn die Tai-Tschuten kamen unbeschwert und unbehindert auf ihren schnellen Rossen daher. Und trotzdem, ja gerade deshalb, weil die Mongolen Frauen, Kinder, Herden mit sich führten, mußte der Kampf aufgenommen werden, denn eine Flucht bedeutete den Verlust von allem, was der Nomade besaß und was er für seinen Lebensunterhalt brauchte. 42
In diesem Augenblick der höchsten Not brach Temudschin mit allem Herkömmlichen. Mit verblüffendem Verständnis für die Denk- und Wesensart des Feindes, das ihn in schwersten Lagen immer auszeichnete, veränderte der junge mongolische Feldherr die ganze Schlachtordnung: Sonst wurde immer im Zentrum der Stellung eine Wagenburg aufgebaut, die Herden kamen in die Mitte des Ringes, und die Krieger stießen von den Wagen aus gegen den Feind vor oder zogen sich in ihren Schutz zurück. Temudschin befahl, alle Wagen an seinem äußersten Flügel zu einem Ring aufzufahren, und übertrug dessen Verteidigung den mit Bogen und Pfeilen bewaffneten Frauen und Kindern. Seine dreizehn Guran stellte er nebeneinander auf, bis der andere Flügel seines Heeres sich an ein für Reiter schwer durchdringliches Wäldchen lehnte. Jede Guran stand wie beim Kriegsspiel: hundert Mann breit, zehn Reiter tief, Front und Flanken von schweren Reitern besetzt, die durch Riemen zusammengehaltene, eiserne Platten als Rüstung trugen. Dicke Ledermonturen schützten ihre Pferde. Die Tai-Tschuten kamen in breiter Front heran, fünf Glieder tief. Die ersten beiden Glieder - ebenfalls gepanzerte Reiter - hielten plötzlich und ließen die leichte Reiterei - nur in gegerbtem Leder - zwischen sich durch, die nun vorschwärmte , ihre Spieße warf und die Mongolen mit einem Pfeilhagel überschüttete. Temudschins Tausendschaften ließen sich nicht aus der Stellung bringen. Sie antworteten mit gleichen Waffen, und ihre aus dem Stand besser gezielten Speere und Pfeile veranlaßten die Tai-Tschuten, vielleicht schneller, als sie sollten, umzukehren. Die übliche Kampffolge war nun, daß die schweren Reiter ihre leichte Reiterei wieder durchließen und selber im Galopp gegen die durch das Geplänkel aufgelösten Feinde vorstürmten, um sie durch die Doppelreihe der gepanzerten Truppen zu werfen. Aber Temudschin hatte in dem Augenblick, in dem die leichten Reiter umkehrten, seine Guran zum Gegenstoß eingesetzt, und bevor sich noch die beiden gepanzerten Reihen Targutais richtig geschlossen hatten, traf sie der rasende, 43
zehn Glieder tief vorgetragene Angriff, der die dünne Kette der Gegner an allen dreizehn Stellen durchbrach. Jetzt mußte sich die Kampfordnung dem Herkommen nach in ein wildes Schlachtgetümmel Mann gegen Mann auslösen ... - Statt dessen machte jede Guran eine Schwenkung, und wo die verstreuten Tai-Tschuten sich auch sammelten, überall stießen sie gegen eine geschlossene Formation, die sie sofort angriff, niederritt, zersprengte. Und nun zeigte sich die Bedeutung von Temudschins neuer Aufstellung: er lenkte damit den größten Teil der feindlichen Übermacht von der Stelle, an der die Entscheidung fiel, ab. Die leichten Reiter, die ihre Aufgabe in der Hauptsache in dem Vorgeplänkel erledigt hatten, verließen das eigentliche Schlachtfeld und stürzten sich auf die Wagenburg, weil dort den, der zuerst ankam, die reichste Beute erwartete. Doch bevor sie noch den erbitterten Widerstand der Verteidiger brechen und in die Burg eindringen konnten, war die nächstgelegene Guran schon hinter ihnen, faßte sie im Rücken und säbelte sie nieder. Die in Hoffnung auf leichte Beute mit Targutai gekommenen Stämme flohen als erste... Als der Abend sich senkte, war der Sieg der Mongolen vollkommen. Über sechstausend Tai-Tschuten waren getötet, siebzig ihrer Anführer gefangen genommen. Aber auch die Mongolen hatten schwere Verluste, Temudschin selber war durch einen Pfeilschuß am Halse verwundet und von dem treuen Dschelme unter eigener Lebensgefahr vom Schlachtfeld getragen worden. Als er wieder zu sich kam, gab er den Befehl, sämtliche siebzig Anführer mit Targutai an der Spitze hinzurichten. Das war für die Kriegsführung der Nomaden etwas Ungewohntes. Man nahm den Gegner gefangen, man machte ihn zum Sklaven oder gab ihn gegen teures Lösegeld frei, aber man tötete nur einen persönlichen Feind, einen Rivalen beim Kampf um die Herrschaft, einen Empörer. Durch seinen unerhörten Befehl stempelte Temudschin alle diese Häuptlinge gewissermaßen zu Rebellen gegen seine rechtmäßige Oberhoheit als Sohn Jessugheis. Und er dokumentierte seine Ansprüche noch einmal, indem er sofort mit seiner ganzen 44
Gefolgschaft nach den angestammten Weideplätzen am unteren Onon zog. Persische Chronisten behaupten, daß er die Tai-Tschuten-Häuptlinge in siebzig Kesseln bei lebendigem Leibe kochen ließ, eine russische Quelle gibt an, daß er die Schädeldecke Targutais in Silber einzufassen befahl und sie als Trinkschale benutzte, und daß diese Schale später den Namen „Der Zorn Tschingis-Chans" trug. Aber weder mongolische noch chinesische Quellen wissen etwas davon. Eine sinnlose Roheit würde auch nicht in Temudschins Charakterbild passen. Er ließ wohl kaltblütig blühende Städte in Ruinenhaufen verwandeln, wenn sie sich ihm widersetzten, reiche Provinzen in Wüsteneien, wenn er ihren Aufstand zu befürchten hatte aber alle seine Grausamkeiten waren zweckbedingt: militärische Notwendigkeit, Vergeltung, Einschüchterungsversuch. Das Menschenleben hatte keinen Wert, und er vertilgte es, wie wir Ratten vertilgen, sobald wir ihre Existenz als für uns schädlich empfinden, selbstverständlich und konsequent. Doch er war nicht grausam nur aus Lust an Grausamkeit und konnte sogar einem persönlichen Gegner verzeihen: Noch auf dem Wege zum Onon erschien plötzlich ein Reiter bei den Mongolen, sprengte bis vor Temudschin und warf sich ihm zu Füßen: „Ich bin Dschirguadei aus dem Stamme Issut. Ich habe dich im Kampfe durch einen Pfeilschuß verwundet. Wenn du mich töten willst, wirst du nur ein Stückchen Erde schmutzig machen; wenn du mich aber in deine Dienste nimmst, werde ich reißendes Wasser für dich stillstehen lassen und Felsen zu Sand zerbröckeln." Die Häuptlinge in Temudschins Gefolge warteten nur auf ein Zeichen, um den Großsprecher niederzusäbeln, der das Blut ihres Herrn vergossen hatte. Aber Temudschin gab es nicht. Nachdenklich betrachtete er den vor ihm im Staub liegenden jungen Krieger. „Wenn ein Feind jemanden töten will, verheimlicht er es", sagte er endlich. „Du aber hast mir nichts verschwiegen. Also sei mein Gefährte. Ich werde dich zum Andenken an deine Tat 'Dschebe' - Pfeil - nennen." Und er ließ ihn aufstehen und erlaubte ihm, sich neun Mann auszusuchen, die er als zehnter anführen sollte. 45
Das war ein Zug, den Temudschin sein ganzes Leben lang beibehielt: Offenheit, Tapferkeit, Treue auch auf Seiten des Feindes wurden von ihm immer belohnt. Indem er solche Leute gewann, war er sicher, daß sie den Schaden, den sie ihm auf Seiten des Gegners zugefügt hatten, wieder gutmachen werden. Und er irrte sich nie in der Wahl seiner Gefährten. Dieser junge Korporalschaftsführer wurde der DschebeNoion - Fürst Pfeil -, der später als erster nach China drang, den Pamir durchritt, zusammen mit Ssubutai Persien überrannte, den Kaukasus überstieg und die russischen Fürsten schlug.
V.
Temudschin ist der rechtmäßige Oberherr der Bürtschigin, und die anderen waren nur Empörer, die er mit dem Tode bestraft hat; Temudschin sitzt wieder auf seinen angestammten Plätzen, und wer nicht als Rebell gelten will, tut gut, zu ihm zu ziehen und ihm seine Ergebenheit zu bekunden... Und schon beginnt eine Wanderung versprengter TaiTschuten-Sippen und aller anderen nach Jessugheis Tode abgefallenen Stämme zum Onon. Temudschin nimmt jeden, der zu ihm kommt, freundlich auf - sogar Munlik, der doch damals die ihm von Jessugheis anvertraute Familie so treulos verlassen hatte und jetzt nur zögernd in seinem Ordu erschien. Aber er bekam kein Wort des Vorwurfes zu hören, erhielt einen Ehrenplatz unter den Edlen. Trotzdem wußte Munlik sehr wohl, daß Temudschin nichts vergessen hatte, und um sein Unrecht wieder gutzumachen, legte er besondere Betriebsamkeit an den Tag, ging von Stamm zu Stamm, von Sippe zu Sippe und erklärte überall, daß nun die Zeit gekommen wäre, um endlich wieder einen Mongolen-Chan zu wählen. Seine Worte wurden von Temudschins Gefolgsleuten mit Begeisterung aufgegriffen. Und als dann noch Munliks Sohn Göktschu kam, der, ein Jüngling noch, schon ein berühmter Schamane war, und laut verkündete, daß der Ewige Blaue Himmel - Menke Kökö Tengri - niemand anders als Temudschin zum Chan bestimmt habe, gab es keinen Widerstand mehr. 46
Unter den Häuptlingen im Ordu waren mehrere, die sich für vornehmer und würdiger hielten, aber sie mißtrauten einander. Warum sollte der eine Enkel Kabul-Chans, Daaritai, seinem Vetter Ssatscha-Beg gehorchen? Oder beide dem Sohn Katul-Chans Altan? Oder alle drei ihrem Vetter Kutschar? - Temudschin stand niedriger als sie, und wenn sie ihn zum Chan wählten, vergab sich keiner etwas, denn er schien zu wissen, was er ihrer Stellung schuldig war, und bewies ihnen bei jeder Gelegenheit seine Ehrerbietung. Selbst als Munlik vor allen Edlen Temudschin vorschlug, bot Temudschin erst jedem der vier, dem Alter nach, die Würde des Chans an. Sie lehnten der Reihe nach ab und erklärten: „Wir wollen dich zum Chan haben. Wenn du Chan wirst, so werden wir in den Kämpfen gegen die Feinde immer die ersten sein, und wenn wir schöne Frauen und Mädchen gefangennehmen, werden wir sie und die beste Beute dir bringen. Auf der Jagd werden wir vor den anderen sein und die erlegten Tiere dir abgeben. Wenn wir in den Kämpfen deine Befehle übertreten oder in ruhigen Zeiten deinen Vorteilen Schaden zufügen, so nimm uns unsere Weiber und unsere Herden und setze uns in einer menschenlosen Wüste aus." Das war ein guter Spruch, der auch allen anderen Häuptlingen gefiel und deutlich die Stellung des Mongolen-Chans umriß: er hatte sie zum Siege gegen die Feinde zu führen, damit sie alles, was das Nomadenherz begehrte: schöne Frauen und schnelle Pferde, gute Waffen und kostbare Kleider, erbeuteten. Er hatte für reichliche Jagdgelegenheiten zu sorgen und für fette Weide für ihre Herden. Dafür wollten sie ihm das Beste von der Beute abgeben und ihm im Kampfe gehorchen. Aber sobald der Krieg vorüber war, hatten sie nur die eine Pflicht, seine Belange nicht zu stören, und gingen ihm im übrigen aus dem Wege. Und Temudschin erkannte die Abgrenzung seiner Rechte und Pflichten an: „Alle, die ihr hier versammelt seid, habt beschlossen, zu mir zu kommen und mich zum Chan zu wählen. Wenn der Himmel mich bewahren und mir helfen wird, so werdet ihr alle, meine ersten Anhänger, meine glücklichen Gefährten sein." 47
Die Wahl wurde reichlich gefeiert. Der achtundzwanzigjährige Chan sparte nicht an Essen und Trinken. Es gab nicht nur den gewöhnlichen Kumys - bis zur Gährung geschlagene, saure Stutenmilch -, sondern sogar Rarakumys, bei dem die Milch so lange geschlagen wurde, bis alle dichteren Teile sich gesenkt hatten und das Getränk rein und klar und herrlich berauschend war. Dann gab es einen neuen Grund zum Feiern: Munlik vermählte sich mit Oelön-Eke, Temudschins Mutter. Das war eine ganz außergewöhnliche Ehre, denn die Witwen wurden bei den Mongolen nicht wieder geheiratet, weil sie nach dem Tode ja doch zu ihrem ersten Mann zurückkehren mußten. Deshalb übernahmen auch die Söhne die Frauen des Vaters mit Ausnahmen der eigenen Mutter. Wenn Munlik nun Oelön-Eke ehelichte, zeigte er damit dem toten Jessughei, für den er sie gleichsam bewahrte, seine Ergebenheit. Ein solches Ereignis mußte besonders festlich begangen werden - und weder sie noch Munlik standen dem neuen Chan an Gastfreundschaft nach. Bei dieser Feier gab es wohl schon zuviel Kumys, denn plötzlich fand die Frau des einen Häuptlings, daß sie weniger geehrt wurde als die Frau eines anderen, und die Männer gerieten aneinander. Belgutei, Temudschins Halbbruder, der als Mundschenk fungierte, wollte Ordnung schaffen, mit dem Ergebnis, daß die Streitenden sich gegen ihn wandten und ihm die Schulter zerhieben. Andere Häuptlinge kamen ihm zu Hilfe, und bald schlug man mit Krügen und Kesseln wild aufeinander los, bis schließlich die Mannen Temudschins die anderen aus dem Zelte prügelten. Temudschin selber mischte sich in den Streit nicht ein. Unbeweglich, würdevoll blieb der junge Chan die ganze Zeit auf seinem mit weißem Pferdefell bedeckten Sitz. Auch als die Hinausgeprügelten, Ssatscha-Beg und sein Freund Daitschu, statt Vernunft anzunehmen, grollend davonzogen, sagte er nichts. Ja, er schickte sogar mehrfach Boten zu ihnen, die wenigstens äußerlich den Frieden wiederherstellten. Auch das Fest wurde fortgesetzt, als ob nichts geschehen wäre. Aber er merkte alles und vergaß nichts. 48
Das Bündnis mit dem Keraiten-Herrscher I.
„Endlich sind die Mongolen klug geworden", meinte der Keraiten-Chan Toghrul, als er von Temudschins Wahl hörte: „Wie konnten sie auch ohne einen Chan auskommen." Er freute sich, daß sein Wahlsohn diese Würde erhalten hatte. Das Volk der eigentlichen Mongolen, der Bädä, wie sie sich nannten, war eines der kleinsten Nomadenvölker, die in den Steppen am Rande der Wüste Gobi herumgezogen, und fast jedes von ihnen hatte einen Chan, einen Beg oder einen anderen Fürsten, der für eine gewisse Ordnung auf seinem Gebiete sorgte. Aber die Macht dieser Nomadenherrscher war sehr bedingt. Die einzelnen Häuptlinge wechselten mit ihren Stämmen nach Belieben von einem Oberhaupt zum anderen, führten untereinander Krieg oder überfielen, wenn der eigentliche Stamm ihres Fürsten schwach wurde, auch ihn. Deshalb vertraute Temudschin, der schon alle Wechselfälle des Nomadendaseins am eigenen Leibe erfahren hatte, nicht allzuviel auf seine neue Würde, sondern sorgte vor allem für die Stärkung seines Ordu. Jeder kühne Krieger war ihm willkommen, durfte unter Boghurtschi, Dschelme, Muchuli, Belgutei, den Treuesten seiner Getreuen, die er zu seinen Oerlök - den Höchsten - gemacht hatte, in geschlossenen Einheiten manövrieren, schießen, kämpfen lernen und wurde dann in die schon vorhandenen Mannschaften eingereiht. Allmählich bildete so der junge Chan ein regelrechtes kleines Heer um sich, eine jederzeit kampfbereite, ihm auf Tod und Leben ergebene Elitetruppe. Aber nicht nur um sein Ordu, um seinen ganzen Uluß Herrschaftsbereich - kümmerte sich der junge Chan. Unter dem Vorwand, für das Wohlergehen seiner Vasallen zu sorgen und ihnen im Notfall gleich zu Hilfe eilen zu können, ordnete er an, daß ihm jeder Stamm über jedes bemerkenswerte Ereignis auf seinem Gebiete sofort durch Boten zu berichten hatte. Er selbst hielt eine Reihe bester Reiter stets als Boten bereit, und jedes Ordu, in dessen Bereich sie kamen, mußte ihnen frische, schnelle Pferde stellen, damit sie „wie ein Pfeil" die Befehle des Chans weitertragen konnten. 49
Noch nie hatte ein Chan zu wissen begehrt, was jeder einzelne seiner Vasallenstämme tat. Aber die Boten wurden bei Temudschin gut bewirtet, bekamen Geschenke, mit denen sie zu Hause protzen konnten, und so rissen sich die Krieger bald darum, nach dem Onon zu reiten und fanden, daß es dem Chan fast immer irgend etwas mitzuteilen gab: daß man die Weide wechselte, daß ein befreundeter Stamm zu Besuch kam, oder einfach, daß irgendwelche Händler eingetroffen waren... - Und Temudschin wußte die Boten beim Kumys so gut auszufragen, daß er ganz genau über das Treiben und die Pläne ihrer Häuptlinge unterrichtet war... Ein solcher Bote war es auch, der ihm meldete, daß aus dem Reiche Chin eine Gesandtschaft zu dem Keraiten-Chan Toghrul aufgebrochen war, und Temudschin schickte den Chinesen eine Abordnung mit einer Einladung in sein Ordu entgegen. Zu den Aufgaben solcher Gesandtschaften gehörte es immer, nebenbei alles zu ermitteln, was in den Ländern der Barbaren vorging, und so machten sie daher gern den Umweg über den Onon, um zu sehen, welcher Art der neue Chan war, der dort residierte. Die Begegnung verlief zu beiderseitiger größter Zufriedenheit. Temudschin empfing die Gesandtschaft mit aller Zuvorkommenheit, die er bei den Chungiraten gelernt hatte, seine Frau erwies sich als die Tochter eines Häuptlings, der beinahe an der chinesischen Grenze wohnte - man konnte ihm also vertrauen. Sie erzählten ihm, daß ein großer Tatarenstamm wieder einmal einen Raubzug über die Grenzen von Chin unternommen hatte, und der Kaiser Tschangtsung deshalb den Beschluß gefaßt hätte, ihn streng zu bestrafen. Da aber die Tataren sicher wie immer, sobald die glorreichen Soldaten des Kaisers erschienen, in die Tiefen ihrer Steppen flüchten würden, so war der Zweck ihrer Reise, den Toghrulchan der Keraiten einzuladen, ihnen den Rückzug zu verlegen. Temudschin erkannte die günstige Gelegenheit, nicht nur um Rache an den Tataren zu nehmen, deren Stamm seinen Vater Jessughei vergiftet hatte, sondern auch um seine eigene Bedeutung als neuer Chan und die Geltung der Mongolen in 50
der Steppe zu erhöhen. Gleich schickte er seine „Pfeil"-Boten aus: zu Toghrul-Chan, mit dem Vorschlag, sich gemeinsam an dem Feldzug zu beteiligen; zu einigen verläßlichen Mongolenstämmen an der Grenze, mit dem Auftrag, als harmlose Nomaden in das Land der Tataren zu ziehen und ihre Stärke und ihre Lagerplätze auszukundschaften... Von chinesischer Infanterie verfolgt, von Keraiten und Mongolen überraschend angegriffen, wurden die Tataren vollkommen geschlagen. Die Beute, die sie bei ihrem Raubzug nach Chin gemacht hatten, fiel den Keraiten und Mongolen in die Hände - und diese dachten natürlich nicht daran, sie den Chinesen zurückzugeben. Ein Prunkstück, das Temudschin in sein Ordu schickte, war ein in der Steppe noch nie gesehener Gegenstand - eine silberne Wiege mit einer goldgestickten Decke. Doch das Wichtigste war für Temudschin, daß die mongolischen Stämme zum erstenmal wieder vereint, unter seinem Befehl, in den Kampf gezogen waren und einen glänzenden Sieg davongetragen hatten. Dazu kam, daß der Chinesen-General, der von seinen Verbündeten natürlich nicht die Rückgabe der eroberten Schätze erwartete, seinen Sieg nach Chin meldete und auch die Hilfe der Nomaden erwähnte. Zur Belohnung wurde Toghrul vom Kaiser Tschang-tsung zum Wang-Chan - Fürst Chan - ernannt, während der völlig unbekannte Mongolenhäuptling den natürlich bescheideneren Titel Tschao-churi - Bevollmächtigter gegen die Rebellen an der Grenze - bekam. Eine solche Auszeichnung, die ihn in ein gewisses Verhältnis zu dem allmächtigen Chin-Kaiser brachte, mußte Aufsehen in der Steppe erregen. Unter diesem Titel, Tschao-churi, kam also der Welteroberer Tschingis-Chan im Jahre 1194 zum erstenmal in die Annalen des chinesischen Reiches.
II.
Wang-Chan, wie sich Toghrul jetzt gern nennen ließ, war mit seinem Wahlsohn außerordentlich zufrieden. Temudschin versäumte keine Gelegenheit, um dem Keraitenherrscher seine Ergebenheit zu zeigen. Sie feierten zusammen den 51
Sieg und die neue Würde, und Toghrul war Temudschins Gast. Sie zogen zusammen zur Jagd auf Temudschins Gründen, und der Mongole ließ die besten Pelztiere dem Keraiten zutreiben, schenkte ihm das getötete Wild. Immer wollten sie in Freundschaft und gutem Einvernehmen leben und trafen ein feierliches Abkommen, wenn sich irgendwelche Streitpunkte zwischen ihnen ergeben sollten, niemandem zu glauben, sondern alles untereinander zu besprechen und gütlich zu regeln. Und der Wang-Chan meinte es ernst mit seiner freundschaftlichen Hilfe: Der Ssatscha Beg und sein Freund Daitschu waren Temudschins Aufforderung, gegen die Tataren zu ziehen, nicht gefolgt. „Sie haben meinen Halbbruder Belgutei in meinem Zelt verwundet, sie haben mir den Gehorsam verweigert, als ich in den Krieg zog - bin ich ihr Chan oder nicht?" fragte Temudschin seinen Wahlvater, und der Wang-Chan unternahm mit ihm eine Strafexpedition. Die beiden Stämme wurden vernichtet, die widersetzlichen Häuptlinge getötet. Die Grenzstämme der Naimanen, eines Türk-Volkes im Westen, hatten Toghruls Abwesenheit zu einem Einfall in das Land der Keraiten benutzt - jetzt eilte Temudschin seinem Wahlvater zu Hilfe. Sie griffen die Stämme an und schlugen sie. Bald bekamen alle Nomadenvölker im Norden und Westen, im Osten und Nordosten zu spüren, was dieses Bündnis für sie bedeutete. Jahr für Jahr zog entweder Toghruls Heer mit Temudschin oder Temudschins auserlesene, kriegserprobte Truppen mit dem Wang-Chan gegen irgendein Grenzvolk, und da half kein Widerstand: wer sich nicht bedingungslos unterwarf, wurde geschlagen, ausgeraubt, in die Wälder oder die Wüste getrieben. Sein Besitz, seine Herden wurden unter den Siegern aufgeteilt. Während aber die Keraiten die Gefangenen zu Sklaven machten, suchte sich Temudschin die besten Krieger aus und reihte sie in sein Heer ein, verheiratete sie mit den Töchtern der Mongolen und gab ihnen beim nächsten Feldzug bereits ihren Beuteanteil, so daß sein Heer mit jedem neuen Feldzug wuchs und an Schlagkraft zunahm. 52
So ging das sechs Jahre lang. Im siebenten endlich - im Hennejahr - Takä -, 1201, hatten die Fürsten aller größeren Nomadenstämme begriffen, daß es für jeden von ihnen nur eine Frage der Zeit war, wann er von den beiden überfallen und unterjocht wurde. Dschamugha-ssetschen vor allem, der „Andah" Temudschins, der seit der Trennung vor zwei Jahrzehnten den Aufstieg seines Jugendfreundes mit Eifersucht beobachtete, war es, der nicht aufhörte, für ein Gegenbündnis zu werben. Nun waren sie alle: Tuchta-Beg, das Oberhaupt der Merkiten, dann die Barguten, Seidschuten, Hatakiten, die noch nicht unterworfenen Tatarenstämme, die Chungiraten, die die Gefahr, durch die kulturell niedriger stehenden Mongolen besiegt zu werden, besonders schreckte, endlich bereit, mit ihm gemeinsam gegen den gefährlich ehrgeizigen Temudschin zu ziehen. Denn sie waren sich alle einig, daß ihr ganzes Ungemach nur durch ihn kam, daß diese Eroberungszüge seine Idee waren, da Toghrul schon seit vielen Jahrzehnten regierte, ohne je daran zu denken, das Keraiten — Reich zu vergrößern. Also versammelten sie sich am Flusse Argun und schworen den schwersten Eid, den es bei den Nomaden gab: Sie töteten zu gleicher Zeit mit dem Schwerte einen weißen Hengst, einen Stier, einen Widder und einen Hund und sagten feierlich die Sätze nach, die Dschamugha ihnen vorsprach: „O Gott, o Himmel, o Erde! Ihr Schöpfer dieser Tiere, vernehmt unseren Schwur: Es geschehe uns, was diesen Tieren geschehen ist, wenn wir unserem Gelübde nicht nachkommen und das heilige, miteinander geschlossene Bündnis brechen!" Dann gingen sie an das hohe Flußufer, hieben die dort stehenden Bäume ab und warfen sie die Böschung hinunter, stießen mit den Füßen den Erdrand in den Fluß und sprachen: „Wenn es einen unter uns gibt, der diesen Eid verraten will, so soll es ihm so ergehen wie dieser Erde und diesen Bäumen!" Und schließlich wählten sie Dschamugha-ssetschen zum Gur-Chan - dem Chan der Völker -, der sie gegen den gemeinsamen Feind führen sollte ... 53
Dschamugha stand vor der Wahl, sofort gegen Temudschin zu ziehen oder auf die entfernteren Stämme zu warten, vor allem den Tuchta-Beg und einen Teil der Chungiraten. Aber wenn er wartete, lief er Gefahr, daß auch die Gegner ihre Kräfte sammelten, während sich Toghrul jetzt in seinem Hauptlager am Tula — Fluß, Hunderte Kilometer vom Onon entfernt, befand, wo Temudschin nichtsahnend saß. Und so entschloß er sich zum sofortigen, überraschenden Angriff. Aber er hatte bei der Wahl seiner Verbündeten übersehen, daß Dai-Ssetschen, Temudschins Schwiegervater, ebenfalls zu den Chungiraten gehörte, und wenn auch sein Stamm hier am Argun fehlte, die Einladung an ihn war ergangen. Böses ahnend, warnte er sofort seinen Schwiegersohn - und nun war es Temudschins Spionen ein leichtes gewesen, festzustellen, wo und mit welchen Absichten die feindlichen Nomadenstämme sich versammelt hatten. Schon auf dem halben Wege zum Onon stieß Dschamugha unerwartet auf Temudschins kampfbereites Heer in sorgfältig ausgesuchter Stellung. Die Schlacht war entschieden, noch bevor sie begonnen hatte. Dschamugha wurde geschlagen und konnte sich nur durch die Flucht retten. Jetzt lagen alle angrenzenden Gebiete vor Temudschin offen. Aber bevor er auszog, um sie endgültig in seine Gewalt zu bringen, hielt er Strafgericht. Er hatte vor der Schlacht den Befehl erlassen, der später auch in seine Gesetzessammlung - die Jassa - aufgenommen wurde: „Beim Sieg den Feind mit allen Kräften verfolgen und sich nicht durch Plündern davon abhalten lassen. Die Beute wird nach Beendigung der Schlacht gerecht verteilt." Doch seine vornehmen Verwandten: Altan, Kutschar, Daaritai fühlten sich durch diese Neuerung in dem heiligsten Recht des Nomaden auf soviel Beute, wie er nur zusammenraffen konnte, verletzt. Sollten sie Temudschin bestimmen lassen, was ihnen zukam? Sie waren aus edlerem Geschlecht als er und hatten ihn nicht dazu zum Chan gemacht!... Sobald der Ausgang der Schlacht entschieden war, stürzten sie sich auf die Wagen Dschamughas und überließen die Verfolgung des Feindes den anderen. 54
Temudschin sah sie plündern, sah ihre herausfordernden Gesichter, als sie ihn bemerkten. Er sagte kein Wort. Er wartete, bis sein ganzes Heer von der Verfolgung zurückkam. Dann befahl er seinen Kriegern, seine Verwandten und ihr Gefolge zu umstellen und ihnen alles, was sie geraubt hatten, wieder wegzunehmen und gerecht mit der übrigen Beute unter sich zu verteilen. Altan, Kutschar und Daaritai wurden nicht nur von der Verteilung ausgeschlossen, sondern als Temudschin nun aufbrach, um die Nachbargebiete zu unterwerfen, nach Hause geschickt. Mit unterdrückter Wut erduldeten die Edelsten der Mongolen den ihnen angetanen Schimpf, schweigend trennten sie sich von dem übrigen Heer. Zu spät war ihnen die Erkenntnis gekommen, daß sie in dem von ihnen erwählten Chan nicht einen bescheidenen Sachwalter ihrer Interessen gefunden, sondern einen harten und strengen Herrn über sich gesetzt hatten. Aber die unbändigen, freiheitsliebenden Mongolenfürsten dachten nicht daran, sich unter das Joch zu beugen...
III.
Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamm zog der Sieger Temudschin durch alle Nachbarländer mit seinem Heer, um sich mit Bogen und Schwert neue Anhänger zu werben. Nur wenige wagten es noch, ihm Widerstand zu leisten. Wer sich in die Berge und Wälder zurückziehen konnte, kam mit Geschenken entgegen, bekundete seine Ergebenheit, trat in den Vasallendienst und stellte ihm seine besten Krieger zur Verfügung. Wenn er im Westen gegen Merkitenstämme kämpfte, schloß sich ihm Toghrul an; wenn er im Norden und Osten Barguten, Tataren, Chungiraten besiegte, war er mit seinen Mongolen allein. Wenn es im Sommer heiß wurde, lagerte er im Schatten bewaldeter Berge; wenn der Winter kam, der strenge Winter der Mongolei, so suchte er geschütztere Gegenden nach dem Süden zu auf. Sperrte ihnen einer der flachen, breiten mongolischen Flüsse den Weg, so wurden Tausende von Pferden, am Sattelknauf zusammengebunden, ins 55
Wasser getrieben und der Strom auf ihren Rücken überschritten. Hammelfleisch und Kumys gab es überall, Frauen auch. In der Ruhezeit werden die Säbel geschliffen, neue Pfeile geschnitten und Pfeilspitzen geschmiedet. Im Sommer erholen sich die Mongolenpferde von den Feldzügen, im Winter finden sie ihre Nahrung, indem sie den Schnee mit den Hufen auseinanderscharren. Geschützte Ställe, Hafer kennen sie ebensowenig wie ihre Herren steinerne Häuser oder weiche Betten. Wo der Mongole lagert, ist sein Heim. Jeder Tag ist schön, jeder Abend ein Fest. Lustig ist es, mit seinen Freunden und Vasallen zu trinken und zu schmausen, schön ist das Leben des Kriegers. Um diese Zeit geschieht es, daß Temudschin seine Oerlök fragt, was wohl der höchste Genuß im Leben des Menschen sei. Einer nach dem anderen antwortet: Die Jagd. Der eine hält die Treibjagd, der andere die Falkenjagd, der dritte den Kampf gegen die wilden Tiere Mann gegen Tier für das Schönste. Aber bei jeder Antwort schüttelt er den Kopf: „Das höchste Glück im Leben des Menschen ist es, seine Feinde zu besiegen und vor sich her zu treiben! Auf ihren Pferden zu reiten und ihnen alles fortzunehmen, was sie besessen haben! Die Gesichter, die ihnen teuer waren, in Tränen zu sehen, und ihre Frauen und Töchter in seine Arme zu pressen!" Vierzig Jahre alt ist jetzt Temudschin. In dem letzten Jahrzehnt hat er unzählige Schlachten geschlagen und alle seine Gegner zielbewußt niedergeworfen. Er hat die Macht des Chans erweitert und befestigt und dem Namen der Mongolen wieder einen guten Klang in der Steppe gegeben. Seine Gefolgsleute sind an der Beute, die er ihnen verschafft hat, reich geworden. Von seinen vier Söhnen ziehen die drei ältesten Dschutschi, Tschagatai und Ugedei bereits mit ihm, während der jüngste, Tuli, der Sitte nach Utschigin - Herdbewahrer - ist, das heißt zusammen mit seiner Mutter Bürte zum Schutze des Ordu am Onon bleibt. Er hat auch eine Tochter und weiß noch nicht, welchem der Fürsten er sie vermählen wird - es muß einer sein, dessen Freundschaft für ihn von Bedeutung ist... - Inzwischen: es gab immer noch einige Stämme, deren Haltung unsicher war. 56
Da traf plötzlich ein Bote vom Onon bei Temudschin ein, der ihm folgende Kunde brachte: „Deine Gemahlin Bürte-Chatun - Frau Bürte - deine fürstlichen Kinder, die Großen und Edlen deines Reiches, dein edles Volk, alles befindet sich wohl - läßt Bürte-Chatun dir sagen. Auf hohem Baume horstet der Adler, aber bisweilen, während er sich sorglos auf die Sicherheit des Baumes verläßt, wird von einem geringeren Vogel das Nest zerstört, und Eier und Junge werden gefressen." Temudschin brach sofort den Feldzug ab, ließ seine Häuptlinge mit ihren Stämmen nach Hause ziehen und begab sich selbst mit seinem Heer in sein Ordu nach dem Onon. Doch je näher sie zu seinem Stammsitz kamen, desto nachdenklicher wurde Temudschin. Und zuletzt ließ er sein ganzes Heer halten und rief seine Heerführer, seine kühnen Oerlök, zu einer wichtigen Beratung in sein Zelt. Erstaunt hörten sie, wie ihr mächtiger Chan, der Besieger aller Nomadenstämme, gegen dessen Wort sich niemand aufzulehnen wagte, der jeden Ungehorsam hart und grausam rächte und bei dessen Nahen alle Feinde flohen, ihnen sein Leid klagte: Als sie durch das Merkitenland ritten und Tuchta-Beg vor ihnen, geschlagen, in die Wälder geflohen war, sandte einer der Merkitenfürsten Temudschin zum Zeichen der Unterwerfung seine Tochter Chulan und ein Zelt aus Leopardenfellen. Sie war so schön, daß Temudschin sie sofort zur Frau nahm. Aber nun, da es galt, nach dem Ordu zurückzukehren, waren ihm schwere Bedenken gekommen, die er ihnen in einer langen Rede auseinandersetzte: „Meine mir in früher Jugend anverlobte Gemahlin Bürte ist die mir von meinem edlen Vater zugeführte, mütterliche Hausfrau. Im Felde nahm ich mir die Chulan; schwer ist es jetzt für mich, vor meiner zu Hause weilenden Bürte zu erscheinen. Auch wäre es beschämend, wenn unsere Zusammenkunft im Beisein der neu erworbenen Untertanen unfreundlich werden könnte. Einer von euch, ihr meine Oerlök, möge sich also im voraus zu meiner Gemahlin Bürte begeben und mit ihr in meinem Namen sprechen." 57
Die neun in Dutzenden von Schlachten erprobten, tollkühnen Heerführer sahen ihren Chan ebenso verlegen an wie er sie, und keiner drängte sich zur Übernahme dieser ehrenvollen Aufgabe: weder der treue Dschelme noch der draufgängerische Dschebe, weder sein erster Gefolgsmann Boghurtschi, noch sein alter Lebensretter aus Targutais Gefangenschaft: Sorgan-Schira. Endlich erklärte sich Muchuli, der als erster die Erhebung Temudschins zum Chan verlangt hatte, bereit, den Auftrag auszuführen, und alle atmeten erleichtert auf. Die „mongolische Saga" beschreibt, wie Muchuli in das Ordu gekommen, sich vor Bürte tief verneigt und stumm hingesetzt habe. Sie fragte ihn, wie die Sitte es verlangte, umständlich nach der Gesundheit des Chans, nach seinem eigenen Befinden, nach dem Wohlergehen aller ihrer Bekannten in Temudschins Gefolge und schließlich, als gar nichts mehr zu fragen war, auch nach dem Grunde seines Kommens. Der Auftrag muß Muchuli aber doch schwer auf der Seele gelegen haben, denn er redete los, ohne seinen Herrn im geringsten zu schonen: „Er folgte nicht Brauch und Sitte, hörte nicht auf die Vorhaltungen der Edlen. Er ergötzte sich an den bunten Farben des Zeltes aus Leopardenfellen und wartete nicht einmal bis zur Nacht, sondern vereinigte sich gegen alle Schicklichkeit auf der Stelle auf einem Kissen mit Chulan... " Dann aber, als Bürte immer noch nichts antwortete, obgleich sie hörte, daß Temudschin die Chulan nicht nur, wie schon viele gefangene Fürstinnen, zur Geliebten, sondern richtig zur Ehefrau genommen habe, hielt er es für nötig, doch noch eine Entschuldigung vorzubringen: „Um ferne Völker zu beherrschen, nahm er Chulan zur Gemahlin. - Ja, und um Euch dies zu berichten, hat mich der Herrscher hergeschickt!" schloß er zögernd. Immer noch erfolgte nichts. Bürte wollte nur wissen, wo Temudschin sich jetzt befinde, und hörte, daß der Herrscher einige Tageritte von hier mit seinem ganzen Heer lagere und auf ihre Antwort warte. Die Antwort war sanfter, als Temudschin und Muchuli gedacht hatten. 58
„Mein Wille und der Wille des Volkes sind der Macht unseres Herrschers unterworfen", sagte sie kluge Bürte. „Mit wem der Chan sich befreunden oder verbünden will, ist sein Wille. Es gibt im Schilfe viele Schwäne und Gänse, und mein Herrscher wird selber wissen, wieviel Pfeile er verschießen will bis zur Ermüdung seiner Finger. Aber man sagt: will denn ein unberittenes Pferd, daß man es sattelt, will denn die erste Frau, daß ihr Mann sich eine zweite nimmt? Zuviel ist nicht gut, aber vielleicht ist zuwenig auch schlimm?..." Sie überlegte einen Augenblick und entschied dann: „Möge sich der Herrscher nur zu einem neuen Weibe auch ein neues Haus geben lassen." Temudschin fiel bei diesem Bescheid ein Stein vom Herzen. Er rüstete für Chulan-Chatun ein eigenes Ordu aus, mit Zelten, Herden, Gefolge, und zog erleichtert und erfreut nach dem Onon, wo Chulans Ordu gesondert neben dem von Bürte aufgeschlagen wurde. So viele Frauen Temudschin in der Folge noch geheiratet hat, so vornehme chinesische und persische Prinzessinnen darunter waren, keine hat er so geliebt wie Chulan. Obgleich ihr Stamm ihn nachher verraten hat und er keinen Merkiten sonst am Leben ließ, verschonte er nicht nur ihren Bruder, sondern machte ihn sogar zum Kommandanten eines Teiles seiner Leibgarde. Als er Verdacht schöpfte, daß sein eigener Bruder Kassar mit Chulan liebäugelte, tötete er ihn beinahe. Chulan war die einzige seiner Frauen, die mit ihm in den Krieg zur Eroberung Nordasiens ziehen und die fernen Länder sehen durfte. - Und doch ließ Temudschin bei der Krönung zum Cha-Chan nur Bürte neben sich sitzen. Nur Bürtes Söhne erbten sein Weltreich, nur ihre Nachkommen durften zum Groß-Chan gewählt werden. Ja, obgleich er nicht wußte, ob Dschutschi wirklich sein Sohn war, herrschten dessen Kinder über ein Viertel der Welt, während die Kinder und Enkel der Chulan in der Masse der Mongolen verschwinden mußten. Denn nur Bürte war die ihm traditionsgemäß von seinem „edlen Vater zugeführte mütterliche Hausfrau".
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Drohende Gefahren I.
Bürte sah schlimme Gefahren im Westen aufsteigen: Toghruls Sohn Sengun hatte einen neuen Freund: Dschamugha, der nach seiner Niederlage zu ihm geflüchtet war. Sie steckten dauernd zusammen, bereiteten irgend etwas vor... Sengun war ja schon immer ein Gegner der Freundschaft seines Vaters mit Temudschin gewesen. Der Mongolenhäuptling wollte ihm zu hoch hinaus! .. Jetzt sammelte er alle seine Feinde um sich, empfing mit offenen Armen die gemaßregelten, vornehmen Verwandten Temudschins, die Altan, Kutschar, Daaritai. Sie hatten sich mit all ihren Sippen in das Land der Keraiten begeben und dem Wang-Chan unterstellt. Nun zählten sie sogar zu seinem nächsten Gefolge!... - Wenn das nichts Schlimmes bedeutete?!... Temudschin beruhigte sie, daß zwischen ihm und dem Wang-Chan doch das feierliche Abkommen bestehe, niemandem zu glauben und alle Streitpunkte gütlich zu regeln. Ihre Freundschaft hatte ja so viele Jahre überdauert... Aber Bürte zählte ihm vor, daß der Wang-Chan ihn schon einmal mitten in der Nacht vor der Schlacht mit den Naimanen verlassen hatte, ein anderes Mal ihm seinen Beuteanteil nicht schickte. Ja, er war reumütig wiedergekommen, aber doch nur, weil die Naimanen nicht Temudschin, sondern ihn überfallen hatten. Und das nächste Mal, weil sein eigener Bruder sich gegen ihn empörte und er Temudschins Hilfe brauchte. -Jetzt herrschte im Keraitenlande Ruhe, die Feinde waren alle geschlagen, und Bürte machte sich Sorgen. Lange beriet Temudschin mit ihr - dann sandte er Boten zu Toghrul, um dessen Tochter zur Gemahlin für seinen ältesten Sohn Dschutschi zu erbitten. Sie sollten zugleich seine eigene Tochter einem der Enkel Toghruls zur Frau antragen. Diese Werbung war ein schlechter diplomatischer Zug. Sie war gerade das, was Sengun brauchte, um bei seinem Vater Verdacht gegen Temudschins lauteren Willen zu erwecken: Nun könne er sehen, wo Temudschin hinziele - nach dem Thron der Keraiten! Er wird, sobald Toghrul stirbt, sein Erbe 61
für Dschutschi beanspruchen! Deswegen alle seine Geschenke an die Keraiten, diese Zuteilung überreichlicher Beute! Das war immer nur List, um Anhänger zu gewinnen!... Dieser Mongole sei ja von einem wahnwitzigen Ehrgeiz beseelt! War es nicht Größenwahn: die Tochter des Wang-Chan für Dschutschi zu verlangen, von dem man nicht einmal wisse, wer sein Vater wirklich war?... Man müsse diesen Emporkömmling unschädlich machen, bevor er gefährlich wird! Vergebens suchte Toghrul sich den Einflüsterungen zu entziehen. Vergebens brachte er vor, er hätte von Temudschin nur Gutes erfahren, hätte bei ihm nur Großmut und Ehrerbietung gefunden. „Mein Haar ist weiß, ich bin alt, laß mich in Ruhe sterben!" pflegte er seinem Sohn zu erwidern. Aber Sengun, von Dschamugha unterstützt, brachte immer neue Gründe vor: Selbstverständlich war Temudschin dem Keraitenherrscher gegenüber zuvorkommend und ehrerbietig. Er brauchte ja seine Hilfe. Nur sie hatte ihn groß gemacht. Aber wie zeigte er sich sonst? - Hatte nicht auch Dschamugha ihm damals, als Bürte von den Merkiten geraubt war, geholfen, ihn nicht vor den Tai-Tschuten beschützt? - Und doch schämte Temudschin sich nicht, ihn voller Neid zu überfallen, nur weil Dschamugha zum Gur-Chan gewählt worden war, also einen höheren Titel als er, Temudschin, erhielt... Und wie hatte er an den edlen Mongolen gehandelt, die selber auf ihre Vorrechte verzichtet und ihn zum Chan gewählt hatten? - Seine eigenen Verwandten: den Targutai, den Ssatscha-Beg gemordet! Und Altan, Kutschur, Daaritai? Nur durch Flucht sind sie dem gleichen Schicksal entronnen! Nicht einmal ihr bißchen Beute hat ihnen der so freigebige Temudschin gegönnt... - Nein, seine ganze Großmut war nichts als Arglist, und er habe damit schon genug Anhänger unter den Keraiten geworben. Sobald Toghrul stirbt, wird Temudschin sofort eine endlose Fehde beginnen und die Zwistigkeiten zwischen den einzelnen Stämmen ausnutzen. Toghruls Pflicht als Herrscher ist es, nicht an sein Alter und seine Ruhe zu denken, sondern an die Sicherheit und den Fortbestand seines Reiches!... 62
Auf die Dauer war der alte Keraiten-Fürst den Intrigen nicht gewachsen. Ihm kamen Bedenken: Vielleicht hatte sein Sohn nicht unrecht, vielleicht mußte man Temudschin jetzt wirklich unschädlich machen, solange er, Toghrul, noch selbst am Leben war und als der rechtmäßige Wang-Chan die notwendige Autorität besaß. Er kannte ja seinen Sohn Sengun und dessen mißtrauischen, grausamen Charakter und wußte, daß die Häuptlinge ihm nicht so leicht gehorchen würden. Wenn dann an der Grenze ein so mächtiger und ehrgeiziger Chan wie Temudschin stand... „Also tu, was du willst!" entschied er zuletzt. „Aber ich will nichts damit zu tun haben." Mehr als diese Erlaubnis brauchte Sengun nicht. Er sandte Boten zu den Mongolen: Temudschin möge kommen, um die Einzelheiten wegen der Verlobung zu besprechen - und begann sofort, die Keraitenstämme zusammenzuziehen. Temudschin sollte bei den Empfangsfeierlichkeiten vergiftet werden, und dann mußte gleich der Einfall in das Mongolenland erfolgen, um einem Rachefeldzug seiner Oerlök zuvorzukommen ... Temudschin brach wirklich auf, besuchte unterwegs das Ordu seiner Mutter Oelön-Eke und seines Stiefvaters Munlik - und bekam hier Warnungen über Warnungen zu hören. Glaubte er denn, daß alle seine Feinde sich bei Sengun vereinigt hätten, um Verlobungen zu feiern? Oelön-Eke wußte so viel von hinterlistigen Anschlägen und Tücken zu berichten, wie man in der Steppe einen gefährlichen Nebenbuhler beseitigte, von Giften, Wolfsgruben unter dem Sitz des Gastes... Sie witterte eine Falle. Schließlich sandte Temudschin, statt selber zu den Keraiten zu reiten, nur Boten mit neuen Rückfragen und kehrte in sein Ordu zurück. Jetzt war es klar, daß Temudschin Toghruls Freundschaft mißtraute, und Sengun bewies seinem Vater, daß es in diesem Falle nur eins gab: sofort zu handeln, um ihm zuvorzukommen. Er hatte glücklicherweise die Truppen schon zusammengezogen - also brach der Wang-Chan mit seinem ganzen Gefolge und seinem ganzen Heer nach dem Osten auf. Der Überfall traf Temudschin völlig unerwartet. Als zwei Hirten von der Grenze ihm den Anmarsch des Keraiten63
Chans meldeten, hatte er nur die Krieger seines eigenen Ordu, sein ständiges Heer, insgesamt 4600 Mann, bei sich, und diese Krieger hatten alle ihre Weiber, ihr ganzes Gut, ihre Herden da. Auszuweichen war es zu spät. In der Nacht mußte der Angriff der Keraiten erfolgen. Sofort schossen die „Pfeil"-Boten nach allen Seiten zu den nächstliegenden Mongolenstämmen mit dem Befehl, auf der Stelle aufzusitzen und zu dem Ordu des Chans zu eilen. Inzwischen wurden die Herden in die Steppe getrieben, Frauen und Kinder mit den wichtigsten Geräten und Kostbarkeiten auf Kamele und Wagen geladen und fortgeschickt. Temudschin selber zog sich mit den wehrfähigen Männern etwa einen halben Tagesmarsch zurück, wo er in einer Gebirgsgegend eine Verteidigungsstellung bezog. Das Lager blieb stehen, wie es war, und Dschelme wurde mit einer kleinen Abteilung zurückgelassen, um bei Anbruch der Dunkelheit alle Lagerfeuer anzuzünden und dann dem Haupttrupp nachzueilen. Die Keraiten, die oft genug Gelegenheit gehabt hatten, Temudschins Elitetruppen in der Schlacht zu sehen, hüteten sich, den Kampf leichtsinnig zu entfesseln. Der Überfall mußte so überraschend erfolgen, daß die Feinde gar keine Zeit fanden, sich zu formieren und Widerstand zu leisten. Als die Feuer aufflammten, warteten sie eine geraume Weile, umstellten dann von weitem das Lager und schlichen sich mit allen Vorsichtsmaßregeln heran. Endlich, auf einen Trompetenstoß, stürzten sie sich von allen Seiten mit wildem Geschrei auf die Zelte, um die Schlafenden und Verwirrten niederzumachen - und fanden alles leer. Aber das ganze Lager sah so aus, als ob seine Bewohner es eben in wilder Flucht verlassen hätten. Sogar das Geschirr, Speisereste lagen verstreut herum. Die Gegner mußten die Umzingelnden bemerkt und sich, wie sie saßen und standen, davongemacht haben. Mit Frauen, Kindern, Herden belastet, konnte ihr Gefechtswert nicht groß sein - und noch in der Dunkelheit setzten die Keraiten ihnen nach. Temudschin hatte inzwischen in aller Ruhe die Vorbereitungen zum Kampfe getroffen, den einzelnen Abteilungen ihre Aufgabe zugewiesen. Bis Toghrul mit der Hauptmacht 64
auf dem Schlachtfelde eintraf, waren seine Vortrupps schon aufgerieben. Die hügelige Gegend hinderte die Angreifer, die Stellung war so ausgesucht, daß das Keraitenheer sich nicht voll entfalten konnte. Aber trotz der eisernen Disziplin der Mongolen, trotz ihrer Tapferkeit und Ausdauer war die Übermacht der Feinde zu groß. Temudschins Krieger begannen zu weichen. Temudschin hatte seine letzte Reserve als Umgehungstruppe eingesetzt. Es war ein Verzweiflungsstreich, sein geringes Heer noch zu teilen, die kleine Abteilung als einen Keil in die Keraitenmassen zu treiben - aber er gelang. Im letzten Augenblick erschien plötzlich seine Tug - die Stammfahne auf den Hügeln im Rücken der Keraiten. Der Wang-Chan mußte den Kampf nach zwei Fronten aufnehmen, aber die kleine Truppe hielt die Hügel mit Todesmut gegen alle Angriffe, und als noch Sengun durch einen Pfeilschuß verwundet wurde, sah Toghrul ein, daß die Entscheidung an diesem Tage nicht mehr zu erzwingen war, und gab den Befehl, sich vom Feinde loszulösen und ein Lager hinter den besetzten Hügeln zu beziehen. Er brauchte keine Angst vor einem Überfall zu haben, Temudschin war völlig erschöpft. Viele seiner besten Krieger waren tot, manche der Heerführer verwundet. Zwei seiner Oerlök, sein erster Gefolgsmann Boghurtschi und dessen Freund Boro-Kula, fehlten, und mit ihnen Temudschins dritter Sohn, der Jüngling Ugedei. Als die Mongolen ihrem Chan den Verlust meldeten, verzog er keine Miene. Er sagte nur: „Sie waren immer am liebsten zusammen; sie sind auch zusammen gestorben, weil sie sich nicht trennen wollten." Doch nach einer Weile fand sich Boghurtschi ein, und eine Zeitlang später kam auch Boro-Kula angeritten, und sein Gesicht war von Blut verschmiert, weil er die Pfeilwunde Ugedeis ausgesogen hatte, der ohnmächtig im Sattel vor ihm hing... Als Temudschin dieses Bild sah, füllten sich seine Augen mit Tränen. Doch immer noch verließ er das Schlachtfeld nicht, befahl nur, die Verwundeten wegzubringen. Wollte er morgen, mit den gelichteten Reihen, den Kampf von neuem aufnehmen?... Das wäre ja seine endgül65
tige Vernichtung! Nur der Rückzug, der beschleunigte Rückzug,um einer Verfolgung zu entgehen, konnte sie retten... Hatte ihn die Niederlage seines Lebens so verwirrt?... Aber als seine Gefolgsleute ihn drängten, er solle doch endlich den Rückzugsbefehl erteilen, schüttelte er nur den Kopf: nicht, bevor die Truppe, die die Hügel hielt, wieder zu ihm gestoßen war. - Wenn er vorher aufbrach, war sie verloren, und so trotzte er lieber der Gefahr der vollständigen Vernichtung, als daß er seine Getreuen, um sich selbst zu retten, opferte. Erst als auch der letzte Mann wieder bei ihm war, befahl Temudschin den Aufbruch. Dann allerdings jagte und hetzte er seine übermüdeten Krieger schonungslos vorwärts, was die Pferde nur aushalten konnten... Später, als Temudschin Herrscher „aller in Filzhütten lebenden Völker" geworden war und sie zu einem Volk in Waffen einte, erhob er diese äußerste Kameradschaftstreue zum Gesetz. Die niedrigste Heereseinheit, die aus neun Mann und dem über sie befehlenden Zehnten bestand, war auf Leben und Tod verbunden. Sie mußte sich eher ganz niedermachen als einen Verwundeten im Stiche lassen. Wer von ihnen seine Kameraden verließ, war unrettbar der Todesstrafe verfallen.
II.
Trotz des verzweifelten Kampfes der Mongolen, obgleich nicht sie, sondern die Keraiten als erste das Schlachtfeld verlassen hatten, war der Ausgang des Treffens unzweifelhaft: Temudschin war besiegt worden. Und sofort zeigten sich die Folgen: die Stämme, die zu ihm stoßen sollten, weigerten sich, es zu tun. Mit einemmal erklärten seine Vasallen, daß er seine Rechte als Chan überschritten hatte. Es stand ihm nicht zu, ihnen durch Boten solche Befehle zu erteilen. Über Krieg und Frieden mußte gemeinsam beraten werden. Sie hatten ihm nur Gefolgschaft zu leisten, wenn der Krieg allgemein beschlossen worden war. - Und weshalb sollten die Häuptlinge jetzt Krieg führen? Sie alle hatten in den zahllosen Feldzügen mehr Beute gemacht als je; sie hatten genug Frauen, Sklaven, Herden; sie saßen auf fetten Weiden - weshalb mußten sie das alles 66
verlassen und neue Mühen und Gefahren auf sich nehmen?... Blieben sie auf ihren Plätzen, so geschah ihnen nichts, stießen sie dagegen zu Temudschin, so war es sicher, daß der ihn verfolgende Toghrul Rache an ihren Frauen und Kindern nehmen und ihre Herden und ihr Gut rauben wird. Dieser Kampf war Temudschins Privatsache, und wenn Temudschin ihn verlor - nun, so waren sie wieder freie Häuptlinge und wollten es sich noch reiflich überlegen, ob sie sich einen neuen Chan wählten... Für Temudschin und die Seinen war es ein furchtbarer Rückzug. Sie konnten nirgends auf Beistand, nirgends auf Hilfe hoffen und mußten die vielbelebten saftigen Weiden und guten Wege meiden, damit ihr Aufenthalt nicht verraten werde. Sie gerieten in dürre Gegenden, wo Mensch und Vieh ihren Durst mit stinkendem Wasser aus Lehmpfützen stillen mußten, und hier verließen ihn sogar die wenigen Stämme, die ihm bisher gefolgt waren, weil sie keine Kraft mehr zu längerem Widerstand hatten. Hier schworen sich nun Temudschin und die letzten Getreuen, alles Gute und alles Schlechte miteinander zu teilen und einander nie zu verlassen. Bei diesem stinkenden, lehmigen Wasser schworen sie es sich zu, daß der, der den Schwur je bricht, wie dieses Wasser werden solle. Hier richtete Temudschin die Würde der Terchane ein, die für alle Zukunft von den Abgaben an den Chan befreit sein und zu jeder Zeit freien Zutritt zu seinem Zelte haben sollten; die alle von ihnen in Schlachten gemachte Beute für sich behalten durften; neunmal konnten sie ungestraft Taten begehen, auf die sonst Todesstrafe stand. Und er belehnte seine Getreuen mit dieser Würde... Doch dann ging es weiter, immer weiter nach dem Osten, von dem Keraitenheer verfolgt. Auf diesem Rückzug wurde Temudschins rötliche Stirnlocke weiß. Als seine Oerlök das sahen, fragten sie ihn ganz verwundert, woher das Weiße in sein Haar komme, seine Jahre hätten doch noch nicht den Beginn des Alters erreicht. Ohne sich zu besinnen, antwortete er ihnen: „Da der Himmel mich zum Herrscher bestimmt hat, gab er mir jetzt schon das Zeichen des Alters, das das Zeichen der Würde ist." 67
Mit niemand beriet er sich, besprach mit niemand die Lage, aber er schickte Boten zu Toghrul, die ihm alle von Temudschin erwiesenen Dienste und alle Hilfe aufzählen sollten und ihn an das feierliche Abkommen erinnern, niemandem zu glauben und sich in Streitfällen miteinander auszusprechen. Er ließ die Boten die Worte auswendig lernen, die sie herzusagen hatten: „O Chan, mein Vater! Warum hast du dich über mich erzürnt und Furcht über mich gebracht? Wenn ich etwas verbrochen habe, so kannst du mich im guten schelten und brauchst nicht mein Land und meinen Besitz zu vernichten!... Warum fürchtest du mich denn? Warum genießt du nicht Ruhe und Behaglichkeit, sondern überziehst mich mit Krieg?... O Chan, mein Vater, fertige um des guten Friedens willen Gesandte an uns ab. Es sollen auch Andah Sengun und Andah Dschamugha und meine Verwandten und alle anderen je einen Boten von sich aus mitschicken, damit wir alles besprechen." Auch an Altan, Kutschar, Daaritai schickte er Gesandte, die sie mahnen sollten, daß er ihnen allen die Chanwürde angeboten habe. Er hielt ihnen vor, daß sie die Würde abgelehnt und ihn zum Chan gewählt hatten, und erinnerte sie an ihren Eid. - Er wisse sich ohne Fehl gegen sie, denn er habe alle von ihm beschworene Pflicht erfüllt, sie gegen Feinde siegreich geführt, Jagden veranstaltet und ihnen Wild zugetrieben. Sie waren es, die den von ihnen angelobten Gehorsam im Kriege verletzt hatten. - Aber er hege keinen Groll, sie sollten nur Gesandte zu ihm schicken, um die Friedensbedingungen zu besprechen. Die Antwort war niederschmetternd. Sengun erteilte sie für alle. Sie hieß: Krieg. Temudschins Lage war verzweifelt. Er mußte sein ganzes Land vor Toghrul räumen und sich immer weiter nach Osten zurückziehen, bis es ihm, schon nahe an der Grenze der Mandschurei, in dem Sumpfgebiet am Baldschun-See endlich gelang, seine Spuren zu verwischen. Und hier fand er Hilfe. Die Stämme im Osten, durch die Nachrichten über die Räubereien Toghruls in den Gebieten, 68
die er durchzog, aufgeschreckt, schlossen sich Temudschin an. Dann trafen Krieger von den Stämmen ein, die vor den Keraiten davongezogen waren. Und schließlich, ganz überraschend, erschien auch Temudschins Onkel Daaritai bei ihm. Er hatte den WangChan verlassen. Etwas Wichtiges mußte geschehen sein!... Aus Daaritais Andeutungen und dem, was seine Leute erzählten, konnte sich Temudschin bald ein Bild von den letzten Ereignissen im Keraitenlager machen: Toghrul war den Mongolenfürsten, Dschamugha und noch einem Teil seiner Vasallen zu selbstherrlich geworden, kommandierte mit ihnen herum, teilte ihnen nicht genug Beute zu; Temudschin hielten sie für endgültig geschlagen und nicht mehr gefährlich... Also faßten sie den Plan, Toghrul zu überfallen, zu töten und dann wieder ihr ungebundenes Leben als freie, unabhängige Fürsten zu beginnen. - Aber ihr Plan wurde verraten, Toghrul drehte den Spieß um, überfiel sie, raubte sie aus und drohte ihnen noch mit schweren Strafen. Altan, Kutschar und Dschamugha retteten sich nach dem Westen, in das Land der Naimanen, während Daaritai im Vertrauen auf Temudschins letzte Botschaft zu ihm gekommen war... Doch selbst nach dem Abfall dieser Häuptlinge war der Wang-Chan noch zu stark, um ihn in einer offenen Schlacht zu stellen. Temudschin wartete auf Verstärkung durch seinen Bruder Kassar, der sich mit seinem ganzen Ordu auf dem Wege zu ihm befand - aber Wang-Chans Heer holte Kassars Stamm ein und schlug ihn vernichtend. Als Kassar nun erschöpft, halb verhungert, mit den wenigen Leuten, denen es gelang, sich mit ihm durch Flucht zu retten, bei Temudschin erschien, entschloß sich dieser, komme, was wolle, zu handeln. Es war bereits später Herbst, und er sagte sich, daß er den strengen mongolischen Winter in dieser Lage nicht durchhalten werde. Also gebrauchte er eine Kriegslist: zwei Begleiter seines Bruders, zuverlässige Leute, mußten, müde und hungrig wie sie waren, auf ihren erschöpften Rossen zu Toghrul reiten und ihm in Kassars Namen Unterwerfung anbieten. Ihr eigener Zustand sollte der Beweis für die verzweifelte Lage ihres Herrn sein - und 69
Temudschin, zu dem Kassar fliehen wollte, wäre weit und breit nicht zu finden. Toghrul hatte keinen Grund, an der Wahrheit der Botschaft zu zweifeln. Er kannte beide Männer von gemeinsamen Wanderungen her, irgendeine List durfte Kassar gar nicht wagen, da er seine Frauen und Kinder, seine Zelte und Pferde als Faustpfand hatte, und daß Temudschin wirklich unauffindbar sei, meldeten ihm auch seine Kundschafter. Wenn aber selbst der eigene Bruder Temudschins zu ihm überging, mußte das nicht ein Warnungszeichen auch für die letzten Mongolen sein, die ihrem jungen Chan noch treugeblieben waren?!... Er schwor also über einem Horn, in das er einige Tropfen Blutes rinnen ließ, Kassar nichts Übles anzutun und ihn als Vasallen anzunehmen. Dann schickte er zusammen mit den Boten einen Gesandten an Kassar, vor dem Temudschins Bruder sein Blut ebenfalls in das Horn tun und seinem neuen Herrn Treue schwören sollte. Inzwischen begannen die Keraiten Vorbereitungen zu einer großen Festlichkeit beim Empfang des neuen Vasallen zu treffen - als Zeichen des endgültigen Sieges über die Mongolen. Der Gesandte war nicht wenig erstaunt, als er sich statt vor Kassar plötzlich vor Temudschin gebracht sah. Der Mongolen-Chan fragte ihn nicht einmal lange aus. Er ließ seine Truppen sofort aufsitzen und Tag und Nacht reiten. Was er über die Keraiten wissen wollte, konnte er unterwegs von Kassars Boten erfahren, die ihm als Wegweiser dienten. Das ahnungslose, unvorbereitete Heer des Wang-Chan wurde in seinem bereits festlich geschmückten Lager überfallen. Es war eine jener Schlachten, die das Schicksal der locker zusammengefügten Nomadenreiche mit einem Schlage entschieden. Jeder Versuch eines Widerstandes wurde von den rasenden Mongolen sofort gebrochen. Um nicht niedergemacht zu werden, gingen ganze Abteilungen zu ihnen über. Toghrul und sein Sohn Sengun retteten sich durch die Flucht, ihr Heer zerstob. Der gestern noch verfolgte und bis an die äußerste Grenze seines Gebietes vertriebene Temudschin war mit einem 70
Schlag nicht nur wieder Herr über sein ganzes Land, sondern auch das Reich der Keraiten lag schutzlos vor ihm. Was kümmerte es ihn, daß er zu dem ihm geraubten Gut auch alles erbeutete, was sein Gegner auf diesem Feldzug mit sich führte - er verschenkte es an seine Getreuen. Alles konnten sie haben, nur Ruhe gönnte er ihnen nicht. Ratlos hetzte er sie hinter den Feinden her. Sengun floh nach dem Westen, dorthin, wo die Ujguren wohnten, ein Volk türkischer Rasse, aber stark mit indogermanischen Elementen vermischt, das vor Jahrhunderten einmal über die ganze Mongolei und einen Teil Turkestans geherrscht hatte und mit den chinesischen Kaisern beinahe auf gleich und gleich verkehrte. Von neuandrängenden Nomaden besiegt und nach Zentralasien vertrieben, wurden sie schließlich Vasallen des Kaisers von Kara-Chitan, aber politisch machtlos behielten sie ihre kulturelle Bedeutung zwischen den tieferstehenden Kriegerstaaten. Ihre Sprache blieb eine große Verkehrssprache für Zentralasiens, sie hatten eine Schrift, deren Zeichen sich von der aramäischen ableiteten. In ihrem Lande gab es reiche Handelsstädte, Ackerbau. Sengun mit seinem Nomadengefolge begann die Herden der friedlichen Bauern zu plündern,wurden aber bald gestellt, gefangengenommen und hingerichtet. Toghrul selber flüchtete nach Nordwest zu den Nachbarn der Ujguren und seinen früheren Feinden: den Naimanen, geriet jedoch in die Hände zweier Häuptlinge, die er vor Jahren einmal überfallen und ausgeraubt hatte, und wurde von ihnen getötet. In Hoffnung auf eine Belohnung schickten sie seinen Kopf ihrem Naimanen-Chan Baibuka-Taiang - und begriffen es nicht, daß zur Antwort ein strenger Verweis kam: sie hätten ihm den Wang-Chan lebendig bringen müssen...
III.
Das Land der Naimanen, in der Hauptsache ein Bergreich, das sich über das ganze Gebiet des Altai erstreckte, unterstand zwei Brüdern: der Westen, der eigentliche Große Altai mit seinen Ausläufern, gehorchte Buiruk-Chan, der Osten - Baibuka-Taiang. Ihr Vater, der über das ganze Land geherrscht hatte, machte es durch seine kühnen Eroberungen 71
zu dem mächtigsten Nomadenreich. Nach seinem Tode war es durch die Spaltung soweit geschwächt, daß die Keraiten dem Baibuka-Taiang zuweilen gefährlich werden konnten, aber jetzt, da Temudschin durch den Zufallssieg seine Herrschaft bis zu den Grenzen der Naimanen vorgetragen hatte, wäre ihm die Anwesenheit Toghruls an seinem Hofe willkommen gewesen. Sie hätte eine gute Waffe abgegeben, um den Mongolen-Chan in Schach zu halten und, wenn nötig, durch Aufstände der Keraiten zu beunruhigen; denn der neue Nachbar schien, wie Dschamugha und die Vettern Temudschins zur Genüge bezeugten, ein unruhiger Geselle zu sein. Doch Toghrul war tot, und so mußte es eben anders gehen. Baibuka ließ Toghruls Kopf in Silber fassen und auf der Rückenlehne seines Thrones mit dem Gesicht nach Osten anbringen, zum Zeichen, daß er das Keraitenland nicht vergessen werde. Zugleich ging ein Schreiben an den OngutenChan Alakusch-Tekin ab. Die Onguten waren, wie die Naimanen, ein kulturell höherstehendes Volk. Die Naimanen weit im Westen unter dem Einfluß der Ujguren und der Kara-Chitanen, die Onguten südöstlich der Gobi ein Grenzvolk bei China selbst. Zwischen ihnen lag die ganze Mongolei, in der jetzt Temudschins Wille unumschränkt herrschte. Und doch zeigt der Brief, welche Stellung der emporgekommene MongolenChan immer noch in den Augen seiner Nachbarn einnahm: „Man spricht, als wenn in unseren Gegenden ein Mann erschienen wäre, der sich 'Chan der Mongolen' nennt und nach dem Himmel blickt, um sich Sonne und Mond zu unterwerfen. Da es jedoch ebensowenig wie zwei Schwerter in einer Scheide oder zwei Seelen in einem Körper, zwei Herrscher in einem Reiche geben kann, so sei du meine rechte Hand und hilf mir, daß ich ihm seine Pfeile und Bogen nehme." Die Interessen der Onguten waren jedoch ganz andere als die der Naimanen. Ein fest organisierter Staat unter Temudschin war ihnen viel lieber als das Chaos zahlloser Stämme und Körperschaften, die sich alle von ihren reicheren Siedlungen angezogen fühlten. Außerdem wurden bei jedem Einfall solcher Nomadenbanden nach Chin zuerst die Onguten geplündert, und bei jeder darauffolgenden Strafexpedition 72
chinesischer Heere waren es wieder die Onguten, die zuerst herhalten mußten. Da war es schon besser, wenn über diesen zügellosen Horden ein strenger Herr saß, mit dem man sich bei Gelegenheit verständigen konnte. Deshalb schickte der Ongutenherrscher, statt dem Naimanen-Chan zu helfen, Boten zu Temudschin, um ihn über die Absichten des Baibuka-Taiang zu unterrichten. Temudschin hatte den Winter nach dem Siege über Toghrul damit verbracht, seine zerrüttete Macht wiederherzustellen. Alle unbotmäßigen Häuptlinge wurden beseitigt, jeder Stamm, der zur Unterwerfung kam, mußte sich Instrukteure gefallen lassen, die seine Volkschaft nach der heiligen Zahl neun einteilten. Über die Bewohner von neun Zelten wurde ein Oberhaupt desselben Stammes gesetzt, neun dieser Oberhäupter gehorchten wieder einem zehnten, der natürlich außerdem über seine eigenen zehn Zelte befahl, so daß er insgesamt über hundert Zelte gebot. - Auf diese Weise kam in Tschingis-Chans Organisation, obgleich sie auf der heiligen Zahl neun aufgebaut war, das Dezimalsystem. Wenn Temudschin auch durch diese Maßnahmen alle ihm Untertanen Stämme jederzeit kriegsbereit wußte, so dachte er doch nicht mehr daran, einen Krieg aus eigener Machtvollkommenheit zu erklären. Die Lehre aus dem Kampf gegen Toghrul, als ihm die Häuptlinge plötzlich den Gehorsam aufsagten, "war noch zu frisch. Alles sollte sich ganz gesetzmäßig nach Brauch und Sitte vollziehen: Er berief einen Kuriltai - einen großen Rat - ein, zu dem alle Häuptlinge erscheinen mußten, und berichtete ihnen von den Absichten der Naimanen und der Warnung der Onguten. Wie er erwartet hatte, stimmte man ihm bei, daß ein neuer Krieg unvermeidlich sei, aber man hatte gar keine Neigung, gleich loszuziehen: Jetzt im Frühjahr wären die Pferde nach dem Winterhungern zu schwach, sie müßten erst auf den fetten Weiden zu Kräften kommen; sie noch den Anstrengungen eines Feldzuges aussetzen, hieße die Herden ruinieren. Man müsse bis zum Sommer oder besser noch bis zum Herbst warten:... Temudschin hatte, als er den Kuriltai einberief, die Einwände vorausgesehen, und wenn er auch ganz gesetzmäßig die 73
Versammlung der Edlen entscheiden ließ, so dachte er doch nicht daran, sich von ihr Vorschriften machen zu lassen. Im gegebenen Augenblick erklärte sein Halbbruder Belgutei, daß die Überraschung wichtiger sei als frische Pferde. Die Brüder Temudschins und sein Onkel Daaritai, der seine Schuld sühnen wollte, schlossen sich dieser Meinung an, und da sie mit Munlik, den Oerlök und den Terchanen in Überzahl waren, verstummten die Gegner. Es wurde beschlossen, sofort den Krieg zu beginnen. Temudschin dachte, dem Gegner den Schauplatz wie immer diktieren zu können. Er wählte eine futterreiche Ebene an der Grenze des naimanischen Reiches und wartete auf Baibuka-Taiang. Aber diesmal hatte er es nicht mit zügellosen Stämmen, sondern mit einem organisierten Heer zu tun. Baibuka-Taiang hatte seinerseits im Gebirge eine Stellung ausgesucht und wartete ruhig auf Temudschin. Unter seinen Fahnen waren 80 000 Mann vereinigt, außer den Naimanen noch Merkiten, Tataren, versprengte Keraitenreste, Dschamugha mit seinen Kriegern... Sobald Temudschin sah, daß sein Gegner nicht auf seine Absichten einging, änderte er sofort den Kriegsplan: Er ließ seine Vorhut unter Dschebes Befehl in das Land der Naimanen einfallen und rückte selber mit seiner ganzen Macht langsam nach, bereit, in jedem Augenblick eine Schlacht anzunehmen. Die Vorhut hatte den Befehl, beim ersten Widerstand zurückzuweichen. Als die Naimanen den Mangel an Kampfesmut bei den Feinden merkten, als sie feststellten, wie schwach und mager ihre Pferde waren, drängten sie auf die Entscheidungsschlacht. Baibuka-Taiang hatte die Absicht gehabt, sich noch weiter ins Gebirge zurückzuziehen, um die Mongolen ins Land zu locken und ihre Pferde durch anstrengende Übergänge noch mehr zu schwächen, aber in seinem Heere herrschte nicht die Disziplin wie bei Temudschin. Seine Feldherren begriffen nicht, was ein Zurückweichen vor einem schwächeren und so schlecht gerüsteten Feinde bedeuten sollte. Sie warfen ihm Feigheit vor. 74
„Unter deinem Vater sahen die Feinde niemals unseren Rücken", riefen sie und empfahlen ihm, sich zu seinen Frauen zu begeben, während sie inzwischen die Mongolen schlagen wollten. Sie prahlten: „Wir werden sie wie Hammel und Schafe zusammentreiben, daß von ihnen nicht einmal Hufe und Hörner übrigbleiben!" Erzürnt und verletzt gab Baibuka-Taiang den Befehl zum Vormarsch. Er traf Temudschins Heer bereits in Schlachtordnung, das Zentrum, das den Hauptstoß aushalten sollte, unter Kassars Kommando. Temudschin selber führte die Umgehungsund Gegenangriffstruppen, deren Aufgabe in dem schwierigen Gelände besondere Umsicht erforderte. Uns ist über diese Schlacht die poetische Schilderung eines Chronisten erhalten geblieben. Sie beschreibt, wie Baibuka-Taiang mit Dschamugha der Entwicklung des Kampfes zusehen und der Taiang erschüttert fragt: „Wer sind diese Männer, die die Unsrigen verfolgen wie Wölfe die Schafe bis in die Ställe?" Dschamugha antwortete: „Es sind die vier Hunde meines Andah Temudschin, die mit Menschenfleisch aufgefüttert sind; er hat sie an eine eiserne Kette gelegt; sie haben kupferne Stirnen, gemeißelte Zahne, Pfriemen als Zungen und Herzen aus Eisen. Statt Pferdepeitschen haben sie krumme Säbel. Sie trinken den Tau, reiten auf dem Wind und fressen in Schlachten Menschenfleisch. Jetzt sind sie von der Kette losgelassen; der Speichel rinnt ihnen aus dem Maul, so freuen sie sich. Diese vier Hunde sind: Dschebe, Boghurtschi, Dschelme und Ssubutai." Wieder fragt Baibuka-Taiang: „Wer ist dort hinten, der wie ein hungriger Habicht nach vorn stürmt?" Und Dschamugha antwortet: „Das ist mein Andah Temudschin, von Kopf bis Fuß in eiserne Panzer gehüllt; er ist wie ein hungriger Habicht hergeflogen. Siehst du ihn herunterstoßen? Ihr habt gesagt, daß, sobald der Mongole herkommt, von ihm wie von einem Schaf nur Hufe und Hörner übrigbleiben. Sieh nun zu!..." Dschamugha und Baibuka sollen wie alle Naimanen 75
Wunder an Tapferkeit vollbracht haben, aber als der Sieg der Mongolen unzweifelhaft war, zog sich Dschamugha mit den Seinen vom Schlachtfeld zurück. Baibuka-Taiang kämpfte weiter, und selbst als er fiel, setzten seine Feldherren den Kampf fort. Erst als auch die übrigen Verbündeten, wie Tuchta-Beg mit den Merkiten, sie verließen, löste sich das naimanische Heer auf. Mit derselben Entschiedenheit, mit der Temudschin nun zu Beginn des Feldzugs den Kriegsplan den veränderten Verhältnissen angepaßt hatte, wechselte er jetzt sein Verhalten gegenüber den Besiegten. Er verbot seinen Kriegern, bei den Naimanen zu plündern und zu rauben, kein einziger der gefangenen Häuptlinge und Feldherren wurde getötet. Er ließ ihnen ihre Waffen zurückgeben und bat sie, ihm ebenso treu zu dienen, wie sie ihrem toten Herrscher gedient hatten. Die Witwe Baibukas nahm er zur Frau, verheiratete seinen jüngsten Sohn Tuli mit einer naimanischen Prinzessin und erstrebte nach Möglichkeit die Vermischung der beiden Völker und die Übernahme der wohl am höchsten stehenden Nomadenkultur der Naimanen durch seine Mongolen. So berichtet die Sage, daß die Mongolen kurz nach der Schlacht einen reichgekleideten Mann ohne Waffen gefangennahmen, der in der Hand einen sonderbaren Gegenstand festhielt. Vor Temudschin geführt, erklärte er, der Ujgure Tatatungo zu sein und Baibuka-Taiang als Kanzler gedient zu haben. Der Gegenstand in seiner Hand wäre das Siegel des Herrschers. Er unterrichtete Temudschin über den Gebrauch des Siegels, über die Bedeutung der darin eingeschnittenen ujgurischen Schriftzeichen, und Temudschin, der Barbare, dessen Volk nie eine Schriftsprache gekannt hatte, erkannte sofort ihren Wert und ihre ganze Bedeutung. Der Mann, der selber weder lesen noch schreiben konnte, ernannte Tatatungo zu seinem Siegelbewahrer und beauftragte ihn, seine Söhne und die Kinder der Oerlök lesen und schreiben zu lehren. So wurde die ujgurische Schrift die offizielle Schreibart der Mongolen und blieb es auch, als Temudschin später die chinesische und die islamische Kultur kennenlernte. Obgleich er einzelne Männer dieser Kulturen in die höchsten Stellungen 76
erhoben hat, lehnte er sie als Ganzes ab. Sie waren ihm zu städtisch, zu verweichlichend, zu fremd, während er bei den Ujguren noch das Ursprüngliche, Nomadenhafte als wesensverwandt schätzte.
V.
Die Milde, die Temudschin den Naimanen gegenüber bewies, war nicht das Zeichen, in dem seine Herrschaft nun stehen sollte. Mit den anderen Widersachern rechnete er rücksichtslos ab. Er sandte Dschutschi mit einigen Oerlök gegen die letzten Tatarenstämme - und dabei kam es zum ersten Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, weil Dschutschi seiner tatarischen Gemahlin zuliebe die Feinde schonen wollte, und sich erst auf einen strengen Verweis Temudschins hin entschloß, sie endgültig zu vernichten und ihre Reste in seinem Heere aufzuteilen. Tuchta-Beg rettete sich mit seinen Merkiten vor der ihn verfolgenden Truppe in die Tiefe seiner Wälder. Gütschlük, der Sohn Baibuka-Taiangs, der sich zuerst Tuchta-Beg angeschlossen hatte, floh in die Berge des Altai zu seinem Onkel Buiruk-Chan. Altan und Kutschar, die beiden aufrührerischen Verwandten Temudschins, wurden gefangengenommen und hingerichtet. Und endlich ereilte auch Dschamugha sein Schicksal. Von allen Seiten verfolgt und gehetzt, beschloß sein Stamm, sich durch Verrat zu retten und lieferte ihn Temudschins Kriegern aus. Als Temudschin jedoch erfuhr, auf welche Weise Dschamugha in seine Hände gelangt war, befahl er, den ganzen Stamm bis auf den letzten Mann mit Kindern und Enkeln niederzumachen. „Wie kann man Leute, die ihren eigenen Herrn überfallen, am Leben lassen und ihnen trauen!" rief er empört. Das Blut seines Andah vergoß er dagegen nicht. Er erlaubte Dschamugha zu sterben, ohne daß Blut floß, in dem sich nach dem Glauben der Mongolen die Seele befindet.
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Tschingis Cha-Chan I. Im Jahre „Bars", des Panthers - 1206 -, meldete der General an der „Großen Mauer", der den Titel „der Wächter der westlichen Grenzen" trug, dem Kaiser von Chin, daß „in den fernen Ländern völlige Ruhe herrsche". Das war etwas so Ungewohntes und die Nachricht demgemäß so aufregend, daß der alte Kaiser Tschang-tsung, der schon das siebzehnte Jahr regierte, sofort an den Tschao-churi, den „Bevollmächtigten gegen die Rebellen an der Grenze" und den Tribut denken mußte, den dieser Tschao-churi zu schicken ganz vergessen hatte. - Also sandte der Kaiser seinen Neffen, den Fürsten Yün-chi, in die „fernen Länder", um den Tschao-churi an seine Pflicht zu mahnen. Der Fürst Yün-chi traf auf seinem Wege Abordnungen aller Völker und Stämme, die „jenseits der Grenzen" wohnten, und alle Abordnungen hatten das gleiche Reiseziel wie Yün-chi selbst: die Grenzscheide Delügün-Boldok am Oberlauf des Onon. Hier lag das Ordu Temudschins, eine ungeheure Zeltstadt, mit kostbarer Beute überfüllt, in der es wie in einem Ameisenhaufen wimmelte. Schon tagelang vorher ritt man zwischen zahllosen Herden herrlichster Pferde und Rinder, Tausende von Männern melkten die Stuten, um Kumys herzustellen; die Frauen melkten die Kühe und bereiteten „Arjka" - einen kunstvoll destillierten Milchschnaps. Obgleich Temudschin außerordentlich beschäftigt zu sein schien, empfing er den Fürsten sofort, wenn auch, ohne ihm die gebührenden Ehrenbezeugungen zu erweisen, und überreichte ihm die üblichen „Geschenke" an den Kaiser. Aber das alles geschah mit einer so ungewohnten Hast, die dargebrachten Pferde und Kamele standen so schnell gesattelt und mit Fellen und Pelzen beladen bereit, daß es schon gegen die guten Sitte verstieß und geradezu aussah, als wollte man einen ungebetenen Gast loswerden. Immerhin hatte die Zeit Yünchi genügt, um festzustellen, daß hier ein großer „Kuriltai aller in Filzhütten wohnenden Völker" bevorstehe, auf dem Temudschin zum Cha-Chan - Herrscher der Herrscher gewählt werden solle. 79
Yün-chi beeilte sich, nach Chin zurückzukehren und dem Kaiser die Gefahr zu schildern, die aus der Einigung aller Nomadenvölker für sein Reich erwachse. Schon immer hatten die Nomaden, sobald sie unter sich einig waren, als erstes einen Einfall nach China versucht. Und so verlangte er nicht mehr und nicht weniger als ein riesiges Heer, um ihnen zuvorzukommen und Temudschin mit Krieg zu überziehen. Doch der Kaiser Tschang-tsung war zu alt für solche Ungewissen Abenteuer. Schließlich trug Temudschin den Titel eines chinesischen Beamten, er hatte seinen Tribut entrichtet, und wenn seine Manieren nicht der Hofetikette entsprachen und einem Prinzen kaiserlichen Geblütes wie eine Beleidigung vorkamen - zwischen ihm und Chin lag die Wüste Gobi, das Volk der Onguten und die Große Mauer. Gewiß, der Kaiser sah ein, daß man in Zukunft dem Treiben „in den fernen Ländern" mehr Beachtung schenken müsse, und ließ zur Mahnung in den Reichsannalen vermerken: „Der Mongole Temudschin aus dem Geschlechte der Kiuten hat sich am Flusse Onon zum Cha-Chan erklärt." - So kam Tschingis-Chan nach zwölfjähriger Pause zum zweitenmal in die chinesische Reichschronik. Inzwischen wurde der Kuriltai mit aller erdenklichen Pracht abgehalten. In der Mitte des Ordu war ein riesiges weißes Zelt errichtet, innen ganz mit Brokatstoff ausgeschlagen. Die Holzsäulen, die die Decke trugen, waren über und über mit Goldplatten bedeckt. Vor dem Zelteingang wehte auf der einen Seite die Tug - die weiße Stammfahne der Bürtschigin mit dem Falken und dem Raben, die jetzt neun Zipfel übereinander hatte, und an jedem Zipfel flatterte ein langhaariger weißer Jakschwanz - das Sinnbild der Kraft -, entsprechend der neun Oerlök - den Heerführern Temudschins. Auf der anderen Seite stand die Ssulde aufgepflanzt, das Feldzeichen des Chans, mit Jakhörnern an der Spitze und vier schwarzen Roßschweifen. Der Platz vor dem Zelt war, soweit man blicken konnte, frei - und seitdem richteten die Mongolen, wo sie sich auch befanden, ihr Ordu so ein, daß vor dem Zelt ihres Fürsten, das stets nach dem Süden gerichtet war, der Raum frei blieb und das Lager sich nach rechts und links oft meilenweit erstreckte; 80
denn hinter den Zelten der Häuptlinge, der Heerführer, der Würdenträger, die streng in der Rangordnung aufgestellt waren, befanden sich die Zelte ihrer Frauen, die jede ihren eigenen größeren oder kleineren Staat hatte, ihres Gefolges, ihrer Diener. Auf diesem Platz vor den Zelten versammelten sich nun alle Verwandten des Chans, alle seine Heerführer und Häuptlinge und riefen nach Temudschin. Als er erschien, verkündete der Schamane Göktschu-Teb-Tengri - Göktschu der Vertraute des Himmels - , der Sohn Munliks, der schon vor siebzehn Jahren die Bestimmung Temudschins zum Chan erklärt hatte, daß der Ewige Blaue Himmel ihm jetzt befohlen habe, dem Volk der Mongolen zu sagen, daß Temudschin auserwählt sei, über alle Völker zu herrschen und den Namen Tschingis Cha-Chan zu tragen. Göktschus Heiligkeit hatte mit den Jahren zugenommen. Alle wußten, daß er auf einem Schimmel in den Himmel reitet, um mit Geistern Umgang zu pflegen, daß er nicht Hunger noch Kälte kennt, endlos fasten und nackt im Schnee sitzen kann, bis sich dieser von der Wärme seines Körpers in Dampf verwandelt. Und nach dem Wunsche des Himmels riefen alle mit ihm: „Wir wollen, wir bitten und befehlen, daß du Herr und Gebieter über uns alle sein sollst!" Die Verwandten des Chans und die anderen Fürsten breiteten auf dem Boden einen schwarzen Filz aus, ließen Temudschin darauf Platz nehmen und hoben ihn dann mit dem Filz in die Höhe und setzten ihn unter jubelnden Rufen der Versammlung auf den Thron. Das Volk kennt Chane und Gurchane, aber Cha-Chan Herrscher der Herrscher -, das ist etwas Neues, das gibt es bei keinem Volk. Und Tschingis? - In seiner Sprache der Welt gibt es dieses Wort. Es muß göttlichen Ursprungs sein, denn es klingt schön und kriegerisch und ist so ähnlich den Worten, die „groß", „unerschütterlich", „unbesiegbar" bedeuten. Ihr Cha-Chan verdient es wie kein anderer. Temudschin, der vierundvierzigjährige, ist längst nicht mehr der Mann, der vor anderthalb Jahrzehnten bescheiden die Würde des Chans vornehmeren Verwandten anbot. Hatte damals der Kuriltai das Aussehen einer wirklichen Wahl, so wissen jetzt alle Edlen, daß sie nur herbestellt sind, um ihren 81
Gebieter zum Cha-Chan auszurufen, also einen bereits bestehenden Zustand öffentlich zu bestätigen. Denn Temudschin legt, seit er bei dem Kampf gegen den Wang-Chan von seinen Vasallen verlassen worden war, Wert darauf, zu beweisen, daß seine Macht und seine Befehle streng rechtmäßig sind. Vor allem Volk fragt er sie: „Wenn ihr wollt, daß ich euer Herr sein soll, seid ihr dann auch alle bereit und entschlossen, alles zu tun, was ich euch befehle; zu kommen, wenn ich euch rufe, zu gehen, wohin ich euch sende, und jeden zu töten, den ich euch bezeichne?" Cha-Chan ist Herrscher der Herrscher, er richtet seine Worte und Weisungen nur an die Chane, die Oerlök, die Noion, die Beg, und welche Titel die Häuptlinge sonst tragen, und sie befehlen in seinem Namen weiter den Unterführern, die über weitere Instanzen dem Volk befehlen. In Temudschins Reich herrscht strengste Rangordnung, und die „Herrscher" rufen ihrem Herrscher zu, daß sie bereit sind, allen seinen Befehlen zu gehorchen. Temudschin antwortet: „So soll von nun an mein einfaches Wort mein Schwert sein." Und sie fallen vor ihm auf die Knie und huldigen ihm, indem sie sich viermal vor ihm verneigen. Dann stehen sie auf, heben ihn zusammen mit dem Thron auf die Schultern und tragen ihn um den Platz, während das Volk auf die Knie fällt. Und nun beginnt ein Fest, wie „die in den Filzhütten wohnenden Völker" es noch nie gesehen haben. Sie alle sind Tschingis-Chans Gäste. Tausend Häuptlinge, Heerführer, Edle mit ihren Frauen im Zelte, das ganze Volk draußen auf dem Platz. Ungeheure Kessel voll gekochten Pferdefleisches werden auf Wagen herangefahren, dazu mächtige Töpfe mit scharfer Salztunke, daß das Fleisch im Munde brennt und herrlichen Durst macht. Aber so viel jeder auch essen konnte, so groß der Durst auch war, die Kessel wurden nicht leer, der Kumys hörte nicht auf in den Krügen zu schäumen. Man übergab sich und trank dann weiter, man legte sich, wo man saß und stand, hin, schlief ein paar Stunden und begann von neuem zu essen. 82
Überall waren Musikanten verteilt, man sang, tanzte, man prahlte mit seinen Heldentaten, mit der Beute, die man in den vielen Feldzügen gemacht hatte, mit seinem Schmuck, seinen Kleidern. In dem Zelte an der Nordwand, auf erhöhtem Platz, stand der Thron. Auf dem Thron saß Tschingis-Chan mit seiner Hauptgemahlin Bürte. Etwas tiefer, zu seiner Rechten, hatten seine Söhne, Verwandten und, in mehreren Reihen, die Oerlök und Häuptlinge Platz genommen; links, auf Bürtes Seite, saßen seine übrigen Frauen, seine Mutter und seine Töchter, dann die Frauen seiner Gäste. In riesigen Haufen lagen vor Temudschin goldene und silberne Sachen, Pelze, Brokate, Samte aufgestapelt, und er verteilte sie mit vollen Händen. Kein Mongole betrat an diesem Tage das Zelt seines Gebieters, der nicht reich beschenkt herauskam. Tschingis ist froh und leutselig, und mit ihm feiert überschäumend vor Lebenslust und Kraft sein ganzes Volk. Er ist „Ssutu-Bogdo" - der Gottgesandte -, der nicht nur sein Geschlecht, sondern alle 400 000 Mongolen über alle Völker erhoben hat, denn er hat verkündet: „Dieses einem edlen Kristall gleiche Volk Bädä, das trotzig und tapfer, ungeachtet aller Leiden und Gefahren, zu mir hielt und mit Gleichmut Freude und Leid ertrug, ist das Erhabenste von allem, was sich auf Erden bewegt. Es hat mir bis zum Ziele meines Strebers in jeder Gefahr die größte Treue erwiesen, und ich will, daß es fortan den Namen Kökö-Mongol - Himmelblaue Mongolen - trage." Mit diesem schönen, erhabenen Namen hat er in der Brust der Nomaden ein neues Gefühl erweckt: den Nationalstolz. Kein Mongole darf mehr als Sklave oder Diener gehalten werden, er hat nur die eine Pflicht, mit den Waffen zu dienen. Alle Völker, „die in Filzhütten leben", fühlen sich als Tschingis' Untertanen emporgehoben und nennen sich fortan, welchem Stamm sie auch angehören: Mongolen. Der Name bindet und trägt sie wie ein Sturmwind über 100 Längengrade und gibt ihnen die ganze Erde, „soweit der Huf des Mongolenpferdes kommt", zu eigen. Vierzig Jahre später berichtet der Franziskanermönch Johann de Piano Carpini, der vom Papst Innocenz IV an den Hof des Enkels Tschingis83
Chans gesandt wird, darüber: „Außerhalb ihrer Nation verachten sie alle anderen, und mögen sie auch noch so vornehm sein. So sahen wir am kaiserlichen (des Groß-Chans) Hof den Großfürsten von Rußland, den Sohn des Königs von Georgien, zahlreiche Sultane und andere große Herren; aber ihnen wurde keinerlei Achtung oder Rücksicht entgegengebracht. Vielmehr traten die Tataren (Mongolen), die zu ihrer Begleitung bestimmt und oft von geringerem Rang waren, vor diesen gekrönten Häuptern ein und setzten sich auf die oberen Plätze, so daß jene oft hinter ihrem Rücken sitzen mußten." Noch weiß niemand, zu welcher Machtfülle ihr „SsutuBogdo" sein Geschlecht führen wird. Sie glauben sich und ihn am Ziele allen Strebers. Sein Reich erstreckt sich anderthalbtausend Kilometer von Ost nach West - vom Altai bis zum Schingan-Gebirge - und über tausend Kilometer von Nord nach Süd - vom Baikal-See bis jenseits der Wüste Gobi. Einunddreißig Völkerschaften mit über zwei Millionen Menschen gehorchen seinem Wort. Die Männer im Zelt sind glücklich darüber, seine Auserwählten zu sein. Tschingis lacht, und das Zelt dröhnt von dem Gelächter der Tausend. Tschingis will trinken, der Ausrufer ruft:„Ha!", und die Musik am Eingang setzt ein, Männer und Frauen erheben sich, die Männer tanzen vor ihm, die Frauen vor Bürte, seiner Hauptgemahlin. Tschingis sticht mit seinem Messer in ein ihm besonders lecker erscheinendes Stück Fleisch und schickt es einem Oerlök, und alle beneiden den Bevorzugten, der um nichts in der Welt ein Stückchen von dieser Gabe jemand anders abgeben wird. Wenn er sie nicht aufessen kann, steckt er den Rest ein, um das Fleisch morgen zu Ende zu essen, das ihm Tschingis-Chan selber gegeben hat. Es ist kein Byzantinismus. An diesem Hof, der erst im Entstehen ist, hat sich noch keine Etikette gebildet. Es ist Liebe und Verehrung, die gleichen Gefühle, die Dschelme trieben, Tschingis' Pfeilwunde auszusaugen, obgleich er annehmen mußte, daß der Pfeil vergiftet gewesen war, die Boghurtschi und Ssubutai veranlaßt haben, als er während eines Feldzugs einfach auf der Erde eingeschlafen war, die ganze Nacht eine Decke über ihn zu halten, weil es plötzlich zu schneien begonnen hatte. Tschingis' Blicke gleiten durch die Versammlung, und 84
wenn sie auf dem Gesicht eines seiner Getreuen bleiben, ruft er seine Taten und Verdienste laut aus und nennt die Auszeichnung, den Titel, das Kommando, das er ihm verleiht. Dann ehren ihn seine Freunde, indem sie sich tanzend und singend mit einem vollen Becher zu ihm begeben. Drei-, viermal tun sie, als wollten sie ihm den Becher kredenzen, um, sobald er seine Hand danach aussstreckt, zurückzuspringen und das Spiel von neuem zu beginnen, bis er den Becher erwischt. Dann klatschen sie in die Hände, singen und stampfen im Takt, während er trinkt. Aber so überraschend und scheinbar willkürlich Tschingis seine Gnade verteilt, er stellt mit untrügerlicher Menschenkenntnis jeden auf den Platz, den er am besten ausfüllen kann. Nie brauchte er später eine Ernennung zu bedauern oder rückgängig zu machen. Und die Gründe, nach denen er sich bei seiner Wahl richtet, sind für seine Zeit verblüffend. Als die Oerlök sich wundern, daß einer der kühnsten und stärksten Bagaturs, dessen Eingreifen schon manche Schlacht entschieden hatte, einen hohen Posten bekommt, der ihm aber die Selbständigkeit nimmt, erklärt Tschingis: „Es gibt keinen Helden gleich Jesukah, keinen, der in Kriegssachen so geschickt ist wie er. Aber er kennt keine Müdigkeit, und alle Strapazen können ihm nichts antun. Er glaubt dasselbe von seinen Gefährten und Kriegern und darf darum nicht über ein Heer befehlen. Befehlen muß der, der selber Hunger und Durst spürt und an seinem Zustand den Zustand der anderen messen kann. Er wird dann nicht zulassen, daß das Heer Hunger und Durst leidet und die Pferde abmagern." Immer neue Überraschungen ergötzen die Versammlung. Die Abordnungen ferner Stämme bringen dem Herrscher Geschenke dar, und Tschingis verteilt das meiste. Tatatungo, der Ujgure, zeigt das neue Siegel, das er aus Jade schnitzen ließ, und die Mongolen staunen die fremdartigen Zeichen an, die bedeuten sollen: „Gott im Himmel und Cha-Chan auf Erden, die Kraft Gottes. Das Siegel des Herrschers aller Menschen." Tschingis-Chan wird nachdenklich: „Der Himmel hat mir bestimmt, über alle Völker zu herrschen", sagt er. „Denn es war keine Ordnung bisher in der 85
Steppe. Die Kinder hörten nicht auf die Lehren der Väter, die jüngeren Brüder gehorchten nicht den älteren, der Mann hatte kein Vertrauen zu seiner Frau, und die Frau folgte nicht den Befehlen des Mannes, die Untergebenen ehrten die Vorgesetzten nicht, und die Vorgesetzten erfüllten nicht ihre Pflicht gegenüber den Untergebenen; die Reichen unterstützten nicht die Regierenden, und es gab nirgends Zufriedenheit. Das Geschlecht war ohne Ordnung und ohne Verstand, daher gab es überall Mißvergnügte, Lügner, Diebe, Empörer und Räuber. Als Tschingis-Chans Glücksich zeigte, kamen alle unter seinen Befehl, und er will über sie nach bestem Gesetz herrschen, damit Ruhe und Glückseligkeit über die Erde komme." Er wandte sich an Tatatungo: „Du sollst immer um mich sein und meine Worte aufschreiben, denn ich will eine Jassa - eine Gesetzessammlung aufstellen, die für alle, die nach mir kommen, unwandelbares Gesetz sein soll. Wenn die Nachfahren, die danach bis zu 500, bis zu 1 000, bis zu 10 000 Jahren geboren und meinen Platz einnehmen werden, die Sitten und Gesetze Tschingis-Chans bewahren und nicht verändern, so wird ihnen der Himmel Hilfe und Segen spenden. Sie werden lange leben und die Freuden des Lebens genießen. Wenn sie aber die Jassa nicht streng halten, so wird das Reich erschüttert werden und zerbrechen. Wieder wird man nach Tschingis-Chan rufen, aber ihn nicht finden." Sein Blick wandert im Kreise herum und bleibt auf dem jungen Schigi-Kutuku stehen, den er als kleines Tatarenkind, dessen goldener Armreif und zobelverbrämter Gürtel mit goldenen Trotteln auf hohe Geburt hinwies, auf dem Schlachtfeld aufgelesen und Bürte zur Erziehung gegeben hatte. „Schigi-Kutuku, du eifrigster Schüler meines Siegelbewahrers Tatatungo, sei nun meine Augen und Ohren. Ich übertrage dir zu richten und zu strafen für Betrug und Diebstahl und alle anderen Vergehen gegen die Gesetze, die in meiner Jassa aufgezeichnet werden, und niemand darf sich dem, was du bestimmst, widersetzen. Du wirst aber jede Sache, die du entschieden hast, auf Tafeln aufschreiben, damit nicht andere später deine Entscheidung verändern." 86
So plötzlich der Entschluß gefaßt und die Wahl des höchsten Richters getroffen wurde, auch diesmal hatte der ChaChan sich nicht geirrt. Die beiden Grundsätze, nach denen Schigi-Kutuku seine Urteile fällte, wurden zu den Pfeilern der mongolischen Rechtsprechung: ein erzwungenes Zeugnis galt nichts, ein Mongole wurde nur dann eines Vergehens für schuldig erkannt, wenn er auffrischer Tat ertappt wurde oder es selber zugab. Unter seiner Ägide verschwanden Mord, Raub, Diebstahl, Ehebruch unter den Mongolen, und ihr Ehrbegriff stieg so hoch, daß nie einer eine Tat leugnete und manche selber ihr Vergehen bekannten und Strafe forderten. Die Jassa, die Tschingis vor seinem Tode auf eiserne Tafeln in ujgurischer Schrift schreiben ließ, ist nur noch in Bruchstücken erhalten. Selbst bei den Mongolen ist sie vergessen, genau so verloren wie das Reich Tschingis-Chans. Aber es ist doch bemerkenswert, daß schon nach dem Zerfall des Mongolenreiches, anderthalb Jahrhunderte nach Tschingis' Tode, Timur, der neue große Eroberer, bekannte, daß er seinen Aufstieg der genauen Befolgung der Jassa Tschingis-Chans verdanke, und noch der Großmogul Babur baute dreihundert Jahre nach Tschingis sein indisches Reich auf der Grundlage der Jassa auf. Das Fest wird immer lauter und geräuschvoller, am Abend aber, als Tschingis allein mit Bürte ist, macht sie ihm Vorwürfe: „Über alle hast du deine Gnade strahlen lassen, keiner war dir zu gering, daß du ihm nicht Aufmerksamkeit erwiesen hättest, nur den Trefflichsten hast du vergessen! War es nicht Boghurtschi, der damals, als du mit Not und Trübsal kämpftest, sich als erster dir verband und dein treuester Gefährte ward? Der dir die schwersten Taten ausführte? Der in deinem Dienste sein Leben niemals schonte?" Tschingis lachte: „Ich will hören, daß er mir nicht zürnt und nur Gutes von mir redet", sagte er, „um ihn über alle Neider auszuzeichnen." Und er schickte einen Diener zu der Hütte Boghurtschis, damit er horche, was sein Oerlök jetzt spricht. Am nächsten Morgen, als alle wieder in dem Zelt versammelt waren, sagte Tschingis: „Als ich gestern euch allen Gnadenbezeugungen erwies, schien es, als hätte ich Boghurtschi gänzlich übersehen, weshalb
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mir auch meine Gemahlin Bürte Vorwürfe machte. Ich schickte also einen Diener zu dem Zelte Boghurtschis und hörte, wie dieser mich vor seiner Frau in Schutz nahm, und mir seine Kräfte opfern und mein Gefährte sein wollte, selbst wenn er hungern sollte: 'Wie könnte mein Herrscher mich und wie ich ihn vergessen! Mein Bogdo-Herrscher ist mit meinen innersten Gedanken aufs innigste verbunden', waren seine Worte." Tschingis' Stimme wurde lauter und seine Augen leuchteten: „Ihr neun Oerlök, daß keiner mir meinen Boghurtschi neide! Mein Boghurtschi, der freundliche Worte noch spricht, wenn der Bogen seiner ermüdeten Hand entfällt, der in Zeiten schlimmster Not mein treuester Gefährte war! Mein Boghurtschi, dessen Herz und Gemüt keine Feigheit kannte! Mein Boghurtschi, der, je dringender die Gefahr war, desto treuer sich mir anschloß! Mein Boghurtschi, dem Leben und Tod stets gleichgültig war, wenn ich dich, den Verdiensteten von allen, nicht über alle auszeichnete, wäre ich nicht wert, von meinen Dienern Eifer zu verlangen! Du sollst mir über allen Oerlök stehen und meine große, fernschmetternde Trompete, die meine Völker zusammenruft, verwahren, du sollst Oberbefehlshaber meiner im Lande befindlichen Truppen sein und über alle Angelegenheiten des Reiches wachen. Du wirst von nun an Külük-Boghurtschi heißen, welcher Titel über allen Titeln stehen wird." Und er umarmte seinen treuesten und ergebensten Gefährten, den ersten Gefolgsmann seiner Jugend, der mit ihm geritten war, um seine acht Pferde, sein ganzes Hab und Gut, den räuberischen Tai-Tschuten zu entreißen.
II.
Woche um Woche feierte Tschingis-Chan scheinbar unbekümmert mit seinen Oerlök, seinen Häuptlingen und Würdenträgern. Aber inzwischen haben fünfundneunzig Heerführer schon besondere Posten und Aufgaben zugewiesen bekommen. Sie werden alle Stämme zählen - nicht nach Menschen, Menschen können sterben und geboren werden, sondern nach Zelten. Ein Jurt-Dschi, ein ständiger Generalstab, wird die Sommer- und Winterweiden gerecht nach der Größe der Stämme verteilen. Er hat aber auch für die Erkundung der 88
Verhältnisse in den Nachbarländern zu sorgen, zu bestimmen, wieviel Mann von je zehn Zelten für einen Feldzug zu den Waffen zu rufen sind, die Aufmarschrouten festzusetzen. Targudschi - Verwaltungsoffiziere - werden Streitigkeiten schlichten, Buljargu-dschi - Feldgendarmen - für die Sicherheit der Wege sorgen, aber auch verlaufenes Vieh in Verwahrung nehmen und, wenn sich der rechtmäßige Besitzer feststellen läßt, es ihm wiedergeben. Tschingis-Chan hat nichts vergessen. Er weiß, wie es tut, wenn einem Nomaden seine Pferde und Jaks geraubt werden, und setzt auf solchen Diebstahl die Todesstrafe. - Eine Folge dieses Gesetzes ist der Brauch, der sich bis heute noch in entlegenen Teilen der Mongolei und Turkestans erhalten hat, daß ein entlaufenes Kamel an keinem fremden Brunnen zu trinken bekommt, bis es, vom Durst gepeinigt, zu seinem Herrn zurückfindet. Jetzt wird die Einrichtung der „Pfeil"-Boten bis ins kleinste ausgebaut. So wichtig erscheint sie Tschingis-Chan, daß er sie unmittelbar Dschelme, seinem nach Boghurtschi frühesten Gefährten unterstellt: Der „Pfeil"-Bote ist eine heilige Person. Der höchste Fürst hat beim Schellengeläut seines Pferdes Platz zu machen, und wenn es müde ist, ihm sein bestes Roß abzutreten. Tag und Nacht jagt der Bote durch die Steppen und Wüsten und überquert Entfernungen, die Wochen dauern, in wenigen Tagen. Sein Leib und sein Kopf sind bandagiert, um diese Ritte aushalten zu können, er reitet die Pferde halbtot, er schläft reitend, aber dafür kann in der ganzen weiten Mongolei nicht das geringste geschehen, ohne daß der Cha-Chan es sofort erfährt. Die Rangordnung, die der Cha-Chan festsetzt, gilt für Krieg und Frieden. Die Fürsten, Häuptlinge, Stammesoberhäupter sind im Kriege Befehlshaber der Tuman - Zehntausendschaft -, der Tausendschaft, der Hundertschaft; die Nachbarstämme vereinigen sich im Kriege zu Divisionen, der Nachbar im Ordu ist der Nebenmann im Felde. Und jeder Befehlshaber hat im Frieden unter Anleitung von Instrukteuren seine Untergebenen zu schulen und dafür zu sorgen, daß ihre Ausrüstung jederzeit intakt ist. Er ist für seine Leute verantwortlich und haftet mit seiner Person dafür, daß sie, „wenn der Befehl kommt, jederzeit, ohne zu zögern, selbst nachts, auf-
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sitzen können". Wenn er in den Krieg zieht, hat er seinen Stellvertreter zu ernennen, für den er ebenfalls die volle Verantwortung trägt... Kein Befehlshaber ist davor bewahrt, beim ersten Versagen zum gewöhnlichen Soldaten degradiert zu werden, und jeder Krieger, der sich auszeichnet, kann in die höchsten Kommandostellen aufrücken. Den einen läßt Tschingis alle einzeln in der Steppe herumziehenden Familien sammeln und überträgt ihm das Kommando über sie; dann befiehlt er, einem andern von jedem Stamm einige Mann zuzuteilen, und beide werden Herren über mächtige Ordu und Tausendschafter... So entsteht im dreizehnten Jahrhundert im Zentrum Asiens ein Volk in Waffen, so schafft Tschingis während dieser „Feier" mit den Oerlök und Häuptlingen das Gerüst eines Militärstaates, in dem jeder Mensch in Krieg und Frieden genau eingereiht ist - und der Frieden hat nichts anderes zu sein, als Vorbereitungszeit für den Krieg. Krieg und Jagd ist das einzige Handwerk, das des Mannes würdig ist, und die Jagd der Mongolen ist eine Kriegsübung, die in allen ihren Phasen militärisch ausgearbeitet ist. Jeder Mann von fünfzehn bis siebzig ist kriegsdienstpflichtig, und wer nicht ins Feld zieht, hat Arbeitsdienst zu leisten: die Herden zu bewachen, Waffen herzustellen, Pferde einzureiten und zu dressieren. Eine Entlohnung ist aber in Tschingis' Reich unbekannt. Im Gegenteil: ein Zehntel vom Hab und Gut eines jeden gehört dem Chan. Damit nun der Mann seinem Kriegshandwerk nachgehen und die Abgaben doch leisten kann, bezieht Tschingis-Chan auch die Frau in seine Organisation ein. Es gibt ihr Rechte und Freiheiten, die in anderen asiatischen Ländern unbekannt sind. Sie darf mit dem Besitz frei schalten und walten, kann nach Belieben verkaufen und tauschen. Er fordert von dem Mann Vertrauen zu seiner Frau, verlangt aber von ihr Gehorsam dem Mann gegenüber und setzt Todesstrafe auf Ehebruch. Ihre höchste Pflicht ist es, für die Erhöhung des Mannes zu sorgen, und in dem Bilik - der Sammlung seiner Aussprüche - sagt er: „Wenn die Frau dumm und liederlich ist, ohne Verstand und ohne Ordnung, so sieht man in ihr die schlechten Eigenschaften des Mannes. Wenn sie aber die Wirtschaft gut hält, Gäste und Boten schön empfängt und reichlich bewirtet, so erhöht sie die Geltung des Mannes, schafft ihm einen guten Ruf in den
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Versammlungen. Gute Männer erkennt man an guten Frauen." Und die wichtigste Obliegenheit der Frau ist die Sorge, daß der Mann auf den Ruf des Chans in jedem beliebigen Augenblick seine Pelzmütze mit dem Lederhelm mit festem ledernen Nackenschutz vertauschen und ins Feld rücken kann. Er selbst hat nur die Waffen in Ordnung zu halten, die Frau muß sich darum kümmern, daß die „Dacha" - der Mantel aus doppeltem Pelz, mit dem Fell nach dem Körper und nach außen - daß die Stiefel und die dicken Filzsocken, die über die Stiefel gezogen werden, jederzeit bereitliegen. Daß sich in den Satteltaschen stets einige Streifen getrockneten Pferdefleisches und ein Haufen Würfel aus getrockneter Milch befinden, und daß ein Ledersack mit Kumys gefüllt ist. Ihre zweite Sorge ist es, den Vorrat für den Winter zu bereiten, denn im Sommer, wenn der Kumys reichlich fließt, braucht der Mongole sonst fast gar nichts. Dann kann sie aus der Kuhmilch Butter schlagen, die stark ausgekocht und in Widderschläuche gefüllt, nie ranzig wird. Die zurückgebliebene Buttermilch läßt die Frau sauer werden, siedet sie, damit sie gerinnt, und trocknet das Geronnene, bis es eisenhart wird. Im Winter wird über so einen Würfel geronnener Buttermilch heißes Wasser gegossen und das Ganze geschüttelt. Es entsteht ein scharf saures Getränk, eine Labsal in der Mongolei, wo das Wasser faulig ist und nach Urin schmeckt. - Und auch darin schafft Tschingis-Chan Abhilfe, indem er die Verunreinigungen der Brunnen und das Tränken des Viehs direkt aus der Quelle verbietet und mit schweren Strafen belegt. - Mit der Jassa Tschingis-Chans ist aber auch dieses weise Gesetz vergessen worden, und die heutigen Reisenden in der Mongolei klagen immer über den Zustand des Wassers. Vom Vieh schlachtet der sparsame Nomade nur kranke und schwache Tiere. Das Fleisch wird in Streifen geschnitten und Sonne und Wind ausgesetzt, die es so austrocknen, daß es sich jahrelang hält, ohne zu verderben. Aus Eingeweiden und Blut macht die Mongolin Würste, die frisch gegessen werden. Ochsenhäute verarbeitet sie zu Schläuchen, und aus Pferdehäuten näht sie Stiefel. Wenn die Lage der Mongolen auch nicht mehr so ist wie vor Temudschins Erscheinen, wo eiserne Steigbügel ein Luxus waren, den sich nur ein Häuptling leisten
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konnte, so sind Sklavinnen und Dienerinnen, außer bei Häuptlingen, noch selten, und die Mongolenfrauen müssen schwer arbeiten.
III.
,Jetzt, wo der Himmel mir bestimmt hat, über alle Völker zu herrschen, befehle ich, aus den Tuman, den Tausendschaften und Hundertschaften zehntausend Mann für meine persönliche Wache auszusuchen. Diese Männer, die um mich sein werden, sollen groß, stark und geschickt sein, und Kinder von Häuptlingen, Würdenträgern oder freien Kriegern!" befiehlt Tschingis-Chan. Er hebt diese Garde aus der Heeresmasse heraus: „Der Offizier meiner Leibwache steht über den Tausendschaftern!" Aber selbst diesen Offizieren kommt nicht das Recht der Bestrafung der „Keschikten" - der Soldaten der Garde - zu. Sie alle unterstehen der persönlichen Gerichtsbarkeit des ChaChans, der sich in ihnen nicht nur eine Elitetruppe schafft, sondern auch ein ihm persönlich vertrautes Menschenreservoir, dessen Fähigkeiten und Begabungen er kennt, und aus dem er jeden Posten besetzen kann. Und noch ein anderes Ziel erreicht er mit seiner Einrichung: er bindet die unbändige, auf ihre Unabhängigkeit stolze und partikularistisch gesinnte Steppenaristokratie an sich und seine Familie. Solange sich diese Söhne der Häuptlinge und Fürsten in seinem Ordu befinden, sind sie Geiseln für die Gesinnung ihrer Väter, und wenn sie einmal in die Ordu ihrer Väter zurückkehren, werden sie vor allem Beamte und Offiziere des Cha-Chans sein. Er verwandelt dadurch den Landadel, der einen ständigen Unruheherd in dem locker zusammengefügten Nomadenreich bilden muß, in einen Hofadel, auf den er sich bei dem aristokratischen Prinzip seiner Organisation stützen will. Und aus diesen Zehntausend wählt er noch einmal eine besondere Tausendschaft aus: als seine ständige Leibwache. Ihr verkündet er: „Ihr, meine Leibwächter, die die Ruhe meines Körpers und meiner Seele in regnerischen und schneeigen Nächten wie während der klaren Nächte bewacht, in Zeiten des Friedens wie in Zeiten der Aufregungen und Kämpfe gegen die Feinde, ich vermache meinen Nachfolgern, auf diese Leibwächter wie auf ein Denkmal von mir zu sehen und sich sorg-
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sam um sie zu kümmern." Das Kommando über sie bekommt Zagan-Noion, ein von Bürte wie ihr eigener Sohn von Kindheit an aufgezogener Tangute, der Tschingis-Chan unzertrennlich begleitet. Ihm haben selbst Prinzen zu gehorchen. Diese Maßnahme ist keine übertriebene Ängstlichkeit. Tschingis' Reich ist erst im Entstehen. Die Nomaden sind noch nicht gewohnt, daß nur ein einziger Wille herrscht und ein Wort Gesetz ist. Ränke werden geschmiedet, um bei der Machtverteilung nicht zu kurz zu kommen; es bilden sich gegeneinander intrigierende Gruppen, und ein Mann vor allem ist es, der, klug wie Tschingis selber, verschlagen und arglistig um seinen Einfluß kämpft: das ist der Schamane GöktschuTeb-Tengri, der Vertraute des Himmels, vor dem sich alles in Scheu und Angst beugt. Dem Cha-Chan selbst ist der Schamane unheimlich, und er ahnt wohl seine Gefährlichkeit, denn für alle Gebiete des Lebens hat er Beamte eingesetzt und für jedes Gebiet die Höchsten ernannt, die sich ihre Unterführer bestimmen. Nur ein einziges Gebiet hat er ausgenommen: die Geistlichkeit. Alle sehen Göktschu als das Oberhaupt der Schamanen an. Göktschu-Teb-Tengri, der die Botschaft des Himmels verkündet und dem Cha-Chan den Namen Tschingis gegeben hat. Aber die Bestätigung bleibt aus. Göktschu kümmert sich nicht darum. Er, der Mittler zwischen Himmel und Erde, sieht sich selber als ersten Berater des Herrschers an. Er hält sich an keine Anordnung und spricht schon im Kuriltai, bevor die Oerlök und Häuptlinge geredet haben. Voller Besorgnis sehen die Brüder und Söhne des ChaChans, wie sich sein Gesicht zwar bei Göktschus Ratschlägen verfinstert, aber er dennoch seinen Worten folgt. Bald herrscht zwischen Tschingis' Familie und Göktschu offene Feindschaft. Temugu, der jüngste Bruder des ChaChans, hat dem Schamanen einmal scharf erwidert, und dieser hat ihn vor der ganzen Versammlung heruntergeputzt. Und der Cha-Chan hat dazu geschwiegen. Jetzt spricht der Schamane sogar schon, bevor sich Tschingis' nächste Angehörige geäußert haben. Und das ganze Volk weiß es... Die Spannung wächst von Tag zu Tag, doch der Kampf
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scheint bereits entschieden zu sein. Göktschu geht in Tschingis' Zelt aus und ein. Er verkündet ihm: „Solange Kassar lebt, ist deine Herrschaft nicht gesichert, denn der Himmel hat entschieden: Zuerst soll Tschingis über die Völker herrschen, und dann wird sein Bruder Kassar der Herrscher sein..." Der Cha-Chan sagt nichts. Der Cha-Chan schweigt und birgt den Argwohn in seiner Brust. Aber er beobachtet heimlich das Gebaren seines Bruders. Und heute hat er gesehen, wie Kassar seine eifersüchtig geliebte Chulan-Chatun bei der Hand gefaßt hat. Das war keine Täuschung. Finster sitzt Tschingis-Chan in seinem Zelt, als gleich nach der Festlichkeit Göktschu zurückkommt. Ein triumphierender Zug liegt auf seinem mageren Asketengesicht: „Hast du gesehen, wie Kasssar deine Frau Chulan an der Hand hielt?!..." Nun war es entschieden: Mitten in der Nacht rief Tschingis-Chan nach dem Offizier der Leibwache und schickte ihn mit seinen Leuten in das Zelt seines Bruders. Er sollte Kassar Kappe und Gürtel, die Zeichen des freien Mongolen, nehmen und ihn in Fesseln schlagen. Dann ging Tschingis selbst hin zum Verhör... Weinend kamen Kassars Frauen zu Oelön-Eke gelaufen. Oelön-Eke sprang von ihrem Lager auf, packte ein Messer und stürzte in Kassars Zelt. Die Wache wollte ihr den Eintritt verwehren, aber keiner wagte es, die Hand an die alte Mutter des Cha-Chan zu legen... Finster, drohend stand Tschingis vor seinem Bruder. Gefesselt, aber voll Trotz lag Kassar ihm zu Füßen. Oelön-Eke warf sich zwischen sie, zerschnitt Kassars Stricke, gab ihm Kappe und Gürtel zurück und riß ihren Rock auf der Brust auf: „Hier, an diesen Brüsten habt ihre beide gesogen! Warum tötest du dein eigenes Fleisch und Blut? Welches Verbrechen hat Kassar begangen? Immer hat er deine Feinde abgewehrt! Jetzt sind sie vernichtet, und Kassar ist wohl unnötig?!..." Schweigend und verstört ließ Temudschin seine alte Mutter gewähren und ihre Worte über sich ergehen. Plötzlich drehte er sich um und ging schweigend hinaus.
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In seinem eigenen Zelt erwartete ihn schon Bürte: „Was ist das für eine Ordnung, daß nicht einmal deine Brüder ihres Lebens sicher sind?!... Was bist du für ein ChaChan, wenn du auf den Schamanen hören mußt?!..." begann sie wie seine Mutter zu reden. „Wenn er jetzt schon so wenig Angst vor dir hat, was wird er erst tun, wenn du stirbst?! Wer wird da noch deinen Söhnen gehorchen?! Hast du das Reich für dein Geschlecht oder für ihn geschaffen?!..." Und noch in derselben Nacht schickte Tschingis nach seinem jüngsten Bruder Temugu und sagte ihm: „Wenn Göktschu morgen kommt und wieder in seiner Art anfängt, verfahre mit ihm, wie du willst..." Am Morgen hörte Tschingis als erstes, daß Kassar mit den Seinen aufgebrochen und davongeritten war. Er rief Ssubutai und schickte ihn hinter seinem Bruder her. Ssubutai holte Kassar ein: „Anhang kannst du dir verschaffen", sagte er ihm, „aber keine Blutsfreunde! Untertanen kannst du dir gewinnen, aber keine Brüder!..." Und Kassar kehrte um. Inzwischen war Göktschu mit seinem Vater Munlik und seinen sechs Brüdern zu Tschingis gekommen. Temuga erlaubte sich irgendeine Bemerkung. Göktschu wies ihn wieder hochmütig und verletzend zurecht. Temuga sprang auf und packte ihn am Kragen. Sie begannen zu ringen. „Vor dem Chan wird nicht gerungen!" befahl Tschingis. „Geht hinaus!" Doch kaum waren die beiden aus dem Zelt, als die dort aufgestellten Männer sich auf Göktschu warfen und ihm das Rückgrat zerbrachen. „Er liegt da und rührt sich nicht", sagte Temugu, wieder zurückkehrend. Drohend wurde die Haltung von Göktschus Brüdern, die nichts Gutes ahnten. „Gehen wir hinaus, nachsehen!" bestimmte Tschingis. Draußen stand aber die Leibwache, und die geringste Drohung der Brüder Göktschus wäre ihr Tod gewesen. Sie 95
hoben schweigend den Körper des Schamanen auf und trugen ihn fort. Sein Vater Munlik ging mit Tschingis in das Zelt zurück und sagte: „O Chan! Ich bin immer dein Gefährte gewesen - bis auf den heutigen Tag." Doch zornig rief Tschingis: „Du lügst, Munlik! Du bist gekommen, als du Angst hattest, nicht zu kommen! Ich aber habe dich empfangen, dir kein böses Wort gesagt und dich auf einen Ehrenplatz gesetzt. Ich habe deinen Söhnen hohe Ämter und Würden verliehen, aber du hast sie nicht Bescheidenheit und Unterordnung gelehrt! Über meine Söhne und Brüder wollte sich Göktschu erheben! Mit mir selbst wollte er in Wettstreit treten!... - Und auch du! Du hast mir bei dem Lehmwasser unbedingte Treue geschworen... Und jetzt willst du sie aufsagen? Was soll das, ein am Abend gegebenes Wort am Morgen zurückzunehmen? !... Sprechen wir nicht mehr darüber!" Mit keinem Wort antwortete Munlik auf die Vorwürfe Tschingis-Chans, mit keinem Wort mehr erwähnte TschingisChan den Vorfall. Munlik blieb im Rate der Oerlök sitzen, seine Söhne behielten ihre hohen Posten im Heer. Aber in einer der nächsten Versammlungen verkündete Tatatungo als ein weiteres Gesetz der Jassa: Todesstrafe für alle Fürsten und Würdenträger, die sich in irgendeiner Angelegenheit ohne Wissen des Chans an einen fremden Herrscher wenden. Und als sich im Volk Bestürzung verbreitete, daß Göktschu-Teb-Tengri, der Mittler mit dem Himmel, tot war und das Gerücht auftauchte, er sei zum Himmel hinaufgefahren, da sein Körper verschwunden blieb, ließ Temudschin verkünden, daß „der Schamane Göktschu die Brüder TschingisChans verleumdet, und daß der Himmel ihm zur Strafe sowohl das Leben als auch den Körper genommen habe, denn der Himmel schütze den Cha-Chan und sein ganzes Geschlecht und vernichte jeden, wer es auch sei, der sich dagegen vergehe." Und zugleich ernannte er den greisen Ussun, einen Beg aus einer anderen Linie seines Geschlechtes zum Oberhaupt aller Schamanen und bestimmte ihm, sich in weiße Kleider zu kleiden, auf einem weißen Pferde zu reiten und auf einem Ehrenplatz zu sitzen. 96
Die Schulung der Mongolen I.
Tschingis-Chans Herrschaftsbereich grenzte jetzt an drei große Länder: Im Osten und Südosten lag, hinter einer Mauer, wie die Welt ihresgleichen nicht kannte, das mächtige Reich Chin. Im Süden befand sich der Tangutenstaat Hsi-Hsia, und im Westen erstreckte sich noch über den Pamir, das Dach der Welt, dessen Berge bis in den Himmel reichten, das zentralasiatische Reich Kara-Chitan. In jedem der drei Länder hatte der Jurt-Dschi - der Generalstab - bereits seine Späher, denn über jedes verlangte der Cha-Chan genauesten Bescheid. Vieles wußte ihm auch sein Siegelbewahrer, der Ujgure Tatatungo, dessen Heimat ein Vasallenstaat Kara-Chitans war, zu berichten: Das Mutterland dieser drei Reiche war das uralte China, das, einstmals ungeheuer groß, sich vom ewigen Eis bis zum ewigen Sommer erstreckt hatte. Aber dann waren seine Herrscher schwach geworden. Vor dreihundert Jahren zerfiel es in zwei Teile, den nördlichen unter der Dynastie Liao, und den südlichen unter der Dynastie Sung. Dann mußten die SungKaiser die Tangutenfürsten, die Statthalter von Hsi-Hsia, als selbständige Könige anerkennen. Und seit beinahe hundert Jahren herrschte in dem nördlichen Teil die Dynastie Chin, die die Liao unterworfen hatte. Doch einer der Liao-Fürsten wollte sich nicht unterwerfen, sondern zog nach dem Westen und gründete dort das Reich Kara-Chitan. So waren aus diesem einst so gewaltigen Stammlande vier Reiche geworden. Im Westen, in Kara-Chitan, herrschte ein alter, kriegerischen Abenteuern abgeneigter Kaiser - doch die Regierung seiner Statthalter war hart, und die Vasallenländer, wie die Heimat des Ujguren Tatatungo, seufzten unter ihrem Druck. Als jetzt ein Mongolenheer tiefer in den Altai drang und auch der Herrschaft des anderen Naimanenfürsten Buiruk ein Ende machte, lag das Gebiet der Ujguren seiner ganzen Länge nach zwischen den Ländern Tschingis-Chans und dem eigentlichen Kara-Chitan. Also sandte Tschingis eine Botschaft an den Ujgurenfürsten Idikut, er möchte an Stelle des Kaisers 97
Chinesische Schilde 99
von Kara-Chitan ihn als Oberherrn anerkennen. Idikut schickte dem Mongolenherrscher zuerst die üblichen Geschenke, kam später auch selber in sein Ordu und wurde sein Vasall. Den Tangutenstaat Hsi-Hsia kannte Tschingis-Chan bereits aus eigener Erfahrung. Nach dem Siege über die Naimanen hatte er bei einem kurzen Einfall einige Grenzorte der Tanguten gebrandschatzt, das auf engem Raum zusammengepferchte, kampfuntüchtige Städtervolk gesehen, zum erstenmal einige zu Fuß kämpfende Lanzerabteilungen niedergeritten - war aber dann dem heranmarschierenden Heer ausgewichen und nach dem Onon zurückgekehrt. Für HsiHsia blieb das erste Erscheinen Tschingis-Chans innerhalb seiner Grenzen ein gewöhnlicher, räuberischer Nomadenüberfall. Der dritte Nachbar war das Reich hinter der Mauer, das ewige Ziel der raublustigen, beutegierigen Nomaden. Die herrlichen Stoffe, Schnitzereien, Kleider, Waffen, Geräte, die man seit altersher bei gelegentlichen Überfällen von dort brachte, waren ein Nichts gegenüber dem, was die moslemischen Kaufleute, die den ganzen Handel zwischen China und Zentralasien in ihren Händen hielten, von dem Wunderlande zu erzählen wußten. Tschingis-Chan unterhielt sich gern mit den weitgereisten Männern und ließ darum jede Karawane an seinen Hof kommen. Er hatte sie als Knabe bei den Chungiraten kennengelernt, er traf sie nachher bei den Keraiten, er sah sie bei den Naimanen, und jetzt mußten sie, wohin sie auch wollten, durch seine Länder. Ihre Sachkenntnis, ihre Geschicklichkeit im Kaufen und Verkaufen hatten ihm immer gefallen, so daß er sie sogar in seinem „Bilik" den Mongolen als Vorbild hinstellte: sie sollten in der Reit- und Kriegskunst genau so geübt und erfahren sein wie die Kaufleute in ihren Geschäften ... Nichtsdestoweniger hatte es zuerst zwischen ihm und ihnen einige Mißverständnisse gegeben: Die Kaufleute sahen, daß dem Nomadenhäuptling ihre Sachen gefielen, und begannen mit ihm um jedes Stück zu feilschen, bis der Chan zornig geworden war und seinen Kriegern befahl, den Kaufleuten die Waren einfach wegzunehmen und sie selber fortzujagen. 100
Da machte ein Kaufmann, dessen Karawane sich bereits im Machtbereich des Chans befand, als er auf seine ausgeraubten Freunde stieß, aus der Not eine Tugend und bot Tschingis seine ganze Ladung als Geschenk an. Daraufhin wurde er feierlich empfangen, Tschingis lobte die Geschenke, verteilte einen Teil an seine Oerlök, lud den Kaufmann ein, sein Gast zu sein und recht bald wiederzukommen - und als dieser endlich wieder aufbrach, sah er überrascht und hochbeglückt alle seine Tiere vor seinem Zelte stehen: als Gegengeschenk mit kostbaren Pelzen, Gold und Silber beladen. Seit diesem Augenblick blieb das Verhältnis zwischen den Kaufleuten und Tschingis ungetrübt. Die von ihm eingeführte, eigentümliche Art des Handelsverkehrs wurde widerspruchslos anerkannt. Sie nahmen alle den Weg über sein Ordu, brachten ihm ihre schönsten Waren als Geschenk, waren Gäste des mongolischen Cha-Chans, der schweigsam und aufmerksam in seiner Filzhütte beim Kumys saß und immer mehr von ihren Geschichten über Reisen und Abenteuer hören wollte, und erhielten beim Abschied soviel an Gegengeschenken, daß dieser Besuch ihr bestes Geschäft wurde. Diese Kaufleute nun forschte Tschingis über das ChinReich aus. Er hörte Wunder über Wunder: die Wege dort führten auf großen Steinplatten direkt über Flüsse. Riesige Häuser fuhren mit Windeskraft flußauf und -ab. Die Vornehmen des Landes ritten nicht, sondern wurden in goldenen Wagen über die Straßen getragen. Alles im Lande war von unvorstellbarer Pracht und Reichtum. Aber so schön und reich Chin war, so gewaltig schien auch seine Macht zu sein. Die Städte waren so groß und enthielten so viele Menschen, daß alle seine Mongolen in eine einzige Stadt hineingehen konnten. Diese Städte waren von so ungeheuren Mauern ungeben, daß kein Pferd der Welt sie zu überspringen, kein Feind sie zu besteigen vermochte. Ohne daß der Kaiser auch nur einen Soldaten aushob, war seine Armee zahlreicher als die ganze Heerschar des Cha-Chans. Sie hatten Bogen, die zu spannen man zwanzig Mann brauchte, und Kriegswagen, die von zwanzig Pferden gezogen werden mußten. Sie konnten Feuer auf den Feind werfen, das mit einem furchtbaren Donner auseinandersprang und alles ringsum in Stücke riß... 101
Immer nachdenklicher wurde Tschingis, je mehr er die Kaufleute erzählen hörte, denn sie berichteten alle das gleiche: die Machtmittel des Kaisers von Chin mußten über alle Maße sein. Unerschöpfliche Heere, uneinnehmbare Festungen, ungeheure Kriegsmittel. Und doch stand es für ihn fest, daß er einmal diesen unglaublichen Kampf aufnehmen und einen Krieg um Sein oder Nichtsein gegen das gewaltige Chin wagen mußte: einfach, ganz einfach, um sein junges Mongolenreich zu sichern. Gewiß, es reizte ihn, alle diese Wunder des Landes hinter der Mauer mit eigenen Augen zu sehen, aber dazu genügte auch ein kühner Raubüberfall, wie seine Vorväter sie oft unternommen hatten. Was ihm vorschwebte, war jedoch ein großer, ein entscheidender Krieg. Es war schon kaum zu begreifen, daß Chin die Einigung aller Nomaden überhaupt zugelassen hatte, denn seit Jahrhunderten wußte es nichts anderes zu tun, als jede Erstarkung der in Filzhütten lebenden Völker zu hintertreiben, indem es sich immer wieder mit dem einen gegen das andere verbündete. Jedesmal erstickte es damit jede aufsteigende Macht im Keime. Es hatte Kabul-Chan vergiftet, Katul-Chan vernichtet, zwei andere Chane aus dem Geschlecht der Bürtschigin hingerichtet - alles aus keinem anderen Grunde als dem, daß sie zu viele Stämme unter ihrer Herrschaft vereinigten. Nur weil es diesmal zu schnell gegangen war, weil er, Temudschin, immer gegen Feinde gekämpft hatte, die die Chin-Generäle für stärker und also für gefährlicher halten mußten, wie den WangChan, den Tuchta-Beg, den Baibuka-Taiang, hatte man es hinter der Mauer versäumt, Ränke zu seinem Verderb zu spinnen. Und dann, als die Gegner vernichtet waren, kam schlagartig, überraschend die Einigung des Mongolen-Reiches. Im letzten Augenblick noch erschien der Chin-Sendling Yün-chi diesseits der Wüste, hatte zweitausend Li (tausend Kilometer) zurückgelegt, um zu sehen, was hier vorging - aber da war es bereits zu spät. Da gab es keine Verbündeten mehr für Chin. Um ihn, den Cha-Chan zu bekriegen, mußte es jetzt eigene Heere über die Wüste schicken... Nun, er hatte diese Heere vor einem Jahrzehnt bei dem Feldzug gegen die Tataren kennengelernt. Mochten sie nur kommen!... Nicht die Soldaten der Chin machten ihm Sorge, sondern 102
die Schlauheit der Chin-Männer. Sie würden nicht nur die ersten Unzufriedenen beschützen und unterstützen, sondern auch selber Unzufriedenheit säen und Aufstände schüren. Er für sich hatte keine Angst davor, aber würden seine Kinder die eiserne Disziplin über diese aufrührerischen, unbändigen Häuptlinge, über diese verschiedenartigsten Völker, die er zusammenhielt, wahren können? Würden sie widerstehen, wenn die Chin seine Söhne selber gegeneinander ausspielen, mit Titeln, mit großen Versprechungen kommen würden?... Kara-Chitan, Hsi-Hsia als Nachbarn waren ungefährlich; aber solange dieses Chin an seiner Grenze lag, blieb sein Reich ständig von Zwist und Zerfall bedroht. Der Traum seiner Jugend hatte sich erfüllt: ein Volk der Reiter war unter seiner Fahne erstanden - nun begann wohl der andere Teil seines Traumes: der Kampf gegen das Volk der Städter. Aber so entschieden es für Tschingis-Chan auch war, daß der Krieg gegen Chin ausgefochten werden mußte, nach den Berichten der Kaufleute und der Späher begriff er, daß weder er noch seine Mongolen für diesen entscheidenden Krieg gerüstet waren. Und Tschingis-Chan begann sich mit der ganzen seiner Natur gemäßen Umsicht und Gründlichkeit auf dieses gewaltige Ringen vorzubereiten.
II.
Hsi-Hsia, der Tangutenstaat im Süden, war ganz nach chinesischem Muster eingerichtet, hatte chinesisch geschulte Heere, Festungen - also bestimmte Tschingis-Chan diesen Staat zum Prüfstein seiner Stärke. An ihm wollte er seine Kräfte messen und die Mongolen im Kampfe gegen ihn zum Krieg gegen Chin schulen. Schon im nächsten Jahr nach der Thronbesteigung fällt er mit seinen Reitern in Hsi-Hsia ein, schlägt das sich ihm entgegenstellende Heer, überrennt ein paar kleinere Orte - und sieht sich vor der ersten größeren Festung: Wolohai. Die ungestümen Mongolen drängen zum Sturm. Er läßt sie gewähren. Alle ihre Angriffe scheitern kläglich. Tschingis-Chan beginnt eine systematische Belagerung und muß erkennen, daß seine wilden Reiter nicht fähig sind, 103
sie durchzuführen. Sie können nicht geduldig warten, sich nicht langsam, Schritt für Schritt, vorkämpfen. Mißmut, Unsicherheit stellen sich im Mongolenlager ein... Tschingis-Chan will nichts von einer Aufhebung der Belagerung wissen - der Glaube an seine weiße Fahne mit dem Falken, an den Schutzgeist, der in der neunzipfligen Tug des Cha-Chans lebt, darf nicht erschüttert werden - und er gebraucht eine seiner überraschenden Listen: Er läßt dem Festungskommandanten mitteilen, daß er gegen Lieferung von tausend Katzen und zehntausend Schwalben die Belagerung aufheben werde. Verwundert über das sonderbare Begehren, veranstaltet der General eine Treibjagd auf alle Katzen und Schwalben der Stadt und liefert sie den Mongolen - vorsichtshalber, ohne die Tore der Stadt zu öffnen. Doch nun braucht Tschingis-Chan keine offenen Tore mehr. Er befiehlt, allen Katzen und Schwalben Baumwolle an den Schwanz zu binden, diese anzuzünden und die Tiere dann freizulassen. Die erschreckten Vögel suchen in rasendem Fluge ihre Nester auf, die wildgewordenen Katzen laufen in ihre Schlupfwinkel. Was nutzt es den Einwohnern, daß sie diese oder jene erlegen - die Stadt brennt bald an allen Ecken und Enden, und zugleich beginnen die Mongolen ihren Generalsturm... Tschingis-Chans Krieger frohlocken: Die Festung ist gefallen! Ihrem Chan kann nichts widerstehen! Nun werden sie das ganze Land überfluten!... Doch der Cha-Chan frohlockt nicht. Eine List hat ihm den Sieg geschenkt - ein zweites Mal wird sie nicht verfangen, und was dann?... Gegen Festungen ist er machtlos. Seine Mongolen begreifen nicht, warum er sie nach dem glänzenden Siege nicht weiterführt, der Tangutenherrscher bemüht sich in fieberhafter Eile, ein neues Heer auf die Beine zu bringen und die Städte des Landes zu befestigen - da treffen Tschingis-Chans Parlamentäre in der Residenz Hoanghsing-fu, dem jetzigen Ning-hsia, ein: Der Cha-Chan ist bereit, gegen Zusicherung eines jährlichen Tributs Frieden zu schließen und seine Truppen aus Hsi-Hsia zurückzuziehen. Entrüstet will der Herrscher von Hsi-Hsia das unverschämte Ansinnen des Nomaden zurückweisen. Er, der König 104
eines großen Reiches, soll eine Art Vasall eines Nomadenchans werden?!... Aber seine Generäle erinnern ihn daran, daß selbst die Kaiser von China vorübergehend irgendeinem Häuptling „Geschenke" sandten, um ihn erst aus dem Lande zu haben. Dann sammelten sie in aller Ruhe die Heere und schlugen ihn. Der Friede wurde geschlossen, der Tribut geliefert, und Tschingis-Chan kehrte sofort in sein Ordu zurück. Er hatte alles erreicht, was er brauchte. Er hatte gesiegt, seine Mongolen brannten auf neue Kämpfe und neue Eroberungen - und er wußte, worin die Stärke der Städter und die Schwäche seines Reiches bestand. Es galt nun, die Erfahrungen, die er gesammelt hatte, auszuwerten.
III.
Tschingis-Chans Jurt-Dschi, sein Generalstab, trat in Tätigkeit: Alle Offiziere und Stammesführer hatten sich aus allen Teilen des Landes in seinem Ordu einzufinden. „Wer an seinem Standort bleibt, anstatt zu kommen, um meine Weisungen zu empfangen, dessen Schicksal wird sein wie das eines Steines, der ins Wasser fällt - er wird verschwinden", diktiert Tschingis seinem Siegelbewahrer Tatatungo, und ein Gesetz erhebt diese militärischen Fortbildungskurse des 13. Jahrhunderts zu einer periodischen Einrichtung. Nachdem er ein Volk in Waffen geschaffen hat, bildet Tschingis-Chan sich jetzt ein Offizierskorps heran, das fortwährend militärisch höher geschult wird und jeder Situation gewachsen ist. Er hebt so seine Kökö-Mongolen über alle Völker der Erde. Das Heer von 600000 Mann, das sein Enkel Batu drei Jahrzehnte nach der Einrichtung dieser Kurse als Chan der „Goldenen Horde" aufstellen konnte, besteht nur zu einem Viertel aus Mongolen, aber sie haben sämtliche Kommandostellen von den höchsten bis zu den Korporalschaftsführern inne. Ihre Feldherren lösen mühelos die schwere Aufgabe, die Heere zugleich auf dem riesigen Gebiet, das von Polen bis zum Balkan, vom Dnjepr bis zur Adria reichte, operieren zu lassen und doch bei den entscheidenden Schlachten zusammen zu haben. Eine Aufgabe, zu der wohl kein europäischer Heerführer jener Zeit fähig gewesen wäre. 105
Der erste Kursus der mongolischen Kriegsakademie dient nur der Unterweisung in der Belagerungskunst, dem Gebrauch von Sturmleitern, Sandsäcken, der Herstellung und Verwendung von riesigen Schilden, in deren Schutz man sich den Festungen nähern kann. Jeder Stamm muß solches Belagerungsmaterial anfertigen, das in besonderen Arsenalen unter Aufsicht eigens dazu bestellter Offiziere aufbewahrt und erst beim Auszug in den Krieg von ihnen verteilt werden soll. Während nun in der ganzen Mongolei, bei jedem Stamm, unter der Anleitung der zurückgekehrten Offiziere die Übungen in der neuen Kriegskunst beginnen, sendet Tschingis eine Armee unter seinem Erstgeborenen Dschutschi, dem er seine besten Oerlök Ssubutai und Dschebe mitgibt, nach Nordwesten, um dort mit den letzten Ruhestörern jenseits der Mongolei aufzuräumen. Er braucht schon nicht mehr für jede Aktion selber ins Feld, eine neue Generation ist herangewachsen und soll bei seinen erprobten Feldherren Krieg führen lernen. Er ist schon der Herrscher, der durch seine Worte die für ihn ausziehenden Krieger anfeuert: „Ihr, meine treuen Kriegsführer, jeder dem Monde gleich an der Spitze des Heeres! Ihr Schmucksteine meiner Krone! Ihr, der Erde Mittelpunkt! Ihr, wie Steine Unbeugsame! Und du, mein Heer, das mich wie eine Mauer umgibt und wie ein Schilffeld gereiht ist, höret meine Worte: Lebt einträchtig wie die Finger einer Hand und seid zur Zeit des Überfalls wie ein Falke, der auf seinen Raub stößt; zur Zeit des Spiegels und der Erheiterung schwärmt wie die Mücken, und zur Zeit der Schlacht fahret auf den Feind wie ein Adler auf seine Beute!" Und Ssubutai antwortet für das Heer: „Was wir vermögen oder nicht, wird die Zukunft lehren; ob wir es ausführen oder nicht, mag der Schutzgeist des Herrschers wissen!" Der Schutzgeist ist mit ihnen. Sie ziehen durch das Land der Naimanen und bringen die letzten unbotmäßigen Stämme zum Gehorsam, finden einen Übergang über den Altai und steigen in ein Steppenland hinunter, in dem Kirgisenvölker wohnen, Nomaden wie sie, aber wenig kriegerisch, die sich schon halb freiwillig unterwerfen. Dann macht das Heer kehrt und übersteigt das Sajan-Gebirge, um die Merkiten, die sich vor jedem Angriff in ihre Wälder 106
zurückziehen, im Rücken zu fassen. Hier findet es zuerst eine Volkschaft der Oiraten, die selbst unter Überfällen der Merkiten zu leiden hat. Sie ist sofort bereit, in das Vasallenverhältnis zu den Mongolen zu treten, und leistet dem Heer Führerdienste, so daß der Merkitenfürst Tuchta-Beg, der alte Feind Tschingis-Chans, endlich zu einer Entscheidungsschlacht gezwungen werden kann, in der er besiegt und getötet wird. Obgleich noch einer seiner alten Feinde am Leben geblieben ist: Gütschlük, der Sohn des Naimanenfürsten Baibuka-Taiang, dem es gelungen ist, sich an den Hof des Kaisers von Kara-Chitan zu retten, ist Tschingis mit Dschutschis Erfolgen zufrieden. Er bereitet ihm einen feierlichen Empfang und gibt ihm sogar ein eigenes Lehen: „Du bist der älteste von meinen Söhnen", verkündet er, „du bist jetzt zum erstenmal allein in den Krieg gezogen und hast, ohne das Heer anzustrengen, die in den Wäldern lebenden Völker unterworfen - diese Völker schenke ich dir!" Mit dieser Schenkung schafft Tschingis-Chan eine Dynastie Dschutschi und gründet das Weltreich Kiptschak, das wir als das „Reich der Goldenen Horde" kennen. Dschutschis Nachkommen sind die Chane, von deren Gnaden die Fürsten Rußlands regierten. Jahrhundertelang fahren sie an den Hof dieser Chane, um ihnen Treue zu schwören und die Urkunde zu empfangen, die ihnen das Recht der Herrschaft gibt. Der Titel, den der russische Zar bis zuletzt bei den Völkern Asiens hatte: „Der weiße Zar", besagt, daß sie ihn für den direkten Erben des „Weltreiches" hielten, denn weiß war bei den Mongolen, die die vier Himmelsrichtungen mit Farben bezeichneten, die Farbe des Westens.
IV
Zwei Jahre sind nach dem Krieg gegen Hsi-Hsia vergangen, da gelangt die Kunde nach dem Onon, daß der alte Kaiser von Chin, Tschang-tsung, gestorben und der Fürst Yün-chi, derselbe, den Tschingis bei dem Kuriltai am Onon so nichtsachtend behandelt hat, ihm auf den Thron gefolgt sei. Nun muß die Entscheidung fallen, und Tschingis-Chan glaubt, bereit zu sein. Dennoch ist es ihm lieb, daß er vorher 107
noch einmal seine Kräfte erproben kann: Die im vorigen Jahre aus Hsi-Hsia so pünktlich eingetroffenen Tribute bleiben diesmal aus. Das bedeutet, daß der Tangutenherrscher sich für genügend gerüstet hält, sonst würde er es nicht wagen, mit den „Geschenken" im Verzüge zu bleiben. Also fällt Tschingis-Chan in Hsi-Hsia ein, schlägt das gegen ihn gesandte Heer, stürmt das neu aufgebaute Wolohai, überrennt eine zweite Festung, dringt über die Große Mauer. Hier stellt sich ihm ein neues Heer unter dem Befehl des Erbprinzen von Hsi-Hsia entgegen. Es wird gleichfalls geschlagen und flüchtet nach Hoang-hsing-fu - dem jetzigen Ning-hsia -, der Hauptstadt des Landes am oberen Hoang-ho. Tschingis verfolgt es und umschließt die Stadt. Und wiederum erweist sich die Unzulänglichkeit des Reiterheeres. Wohl sind seine Mongolen schon imstande, kleinere Festungen zu erobern, aber nicht, den Widerstand einer großen, reichbevölkerten und gut verteidigten Stadt zu brechen. Tschingis-Chan hat keine Zeit. Er denkt bei allen seinen Unternehmungen an Chin. Wenn es sich zu handeln entschließt, darf er hier nicht gebunden sein. Er hat von der Methode der Chinesen gehört, den belagerten Festungen das Wasser abzugraben, und läßt von allen Seiten Tanguten zusammentreiben. Er will ein mächtiges Wehr bauen, um das Wasser des Hoang-ho von der Stadt abzuleiten. Aber als das Wehr halb fertig ist, bricht es, und das Wasser überflutet statt der Festung die ganze Ebene, auf der sich die Lager der Mongolen befinden. Tschingis-Chan muß nicht nur die Belagerung aufheben, sondern sich vor den Fluten in Gewaltritten ins Gebirge retten. Trotzdem ist die Lage der Tanguten keinesfalls besser geworden. Die Mongolen befinden sich in ihrem Lande, das, von Truppen entblößt, ihnen zum Raube preisgegeben ist. Das in Hoang-hsing-fu liegende, geschlagene Heer kann ihnen im offenen Felde keinen nennenswerten Widerstand leisten. Und wie lange wird die der Stadt gewährte Atempause dauern?... Der König von Hsi-Hsia atmet erleichtert auf, als Tschingis-Chans Unterhändler ihm einen Frieden, wenn auch dies108
mal unter härteren Bedingungen, anbieten. Er muß sich nicht nur zum Tribut, sondern auch zur Hilfeleistung bei künftigen, kriegerischen Unternehmungen verpflichten. Zum Zeichen seines guten Willens muß er seine Tochter Tschingis-Chan zur Frau geben. - Doch er hat keine Wahl, er nimmt alle Bedingungen an. Der endgültige Friedensschluß und die neue Freundschaft werden mit allem Prunk gefeiert. Die Vermählung findet unter Erteilung reicher Gaben und Gegengaben statt. Dann hält es Tschingis-Chan nicht länger. Er muß immer an Chin denken, und er bricht mit seiner jungen Frau und seinem Heer auf.
V.
Noch befindet er sich unterwegs zu seinem Ordu, als seine „Pfeil"-Boten aus dem Osten mit der Meldung hergejagt kommen, daß eine chinesische Abordnung diesseits der großen Mauer erschienen sei. Sofort legt TschingisChan eine Rast ein und läßt sich von der Gesandtschaft einholen. Vor dem Lagerzelt, stehend, empfing er die Sendboten des Kaisers von Chin. Der Führer der Gesandtschaft machte dem Dolmetscher verständlich, daß er eine kaiserliche Botschaft zu überreichen habe, die nicht anders als mit einem Kotau entgegengenommen werden dürfe. „Wer ist denn jetzt Kaiser in Chin?" fragte Tschingis, als wäre er nicht längst über den Thronwechsel unterrichtet. „Kaiser Wai-wang, der frühere Fürst Yün-chi!" antwortete der Gesandte. Tschingis drehte sich, wie das Zeremoniell es vorschrieb, nach dem Süden um, aber anstatt sich ehrfurchtsvoll zu verneigen, spuckte er verächtlich aus. „Ich dachte, der Kaiser von Chin, der sich ,Der Sohn des Himmels' nennt, müsse ein ungewöhnlicher Mensch sein. Wenn ein Schwachsinniger es werden kann, so ist es nicht wert, daß man sich dabei verneigt." Und Tschingis-Chan ließ sich ein Pferd geben und ritt davon. — 109
Für die Gesandtschaft war es eine unfrohe Rückkehr. Der Weg wurde so lange wie möglich ausgedehnt. Die ganze Zeit über zerbrach sich der unglückliche Gesandte den Kopf, wie er die unehrerbietige Äußerung des Barbarenhäuptlings dem „Sohn des Himmels" ohne Gefahr für sich übermitteln könnte. Aber so schonend und umschrieben der Mandarin den Empfang bei Tschingis schilderte, der Zorn des Kaisers war gewaltig, und der Gesandte entging nicht dem Schicksal aller Überbringer schlechter Nachrichten: er kam ins Gefängnis. Dann wurde im kaiserlichen Palast zu Peking ein großer Rat mit einem Festmahl abgehalten, bei dem nach altem Brauch zuerst die Rangniedersten ihre Vorschläge zu machen hatten. Die Meinungen der Würdenträger waren, wie immer, verschieden, und der Kaiser, der als letzter die Entscheidung traf, befahl in seiner Weisheit dem General, der für den Krieg stimmte, in das Land der Barbaren zu marschieren und ihren Häuptling streng zu bestrafen - und zugleich dem General, der erst die Handlungen der Barbaren abwarten wollte, mit dem Bau einer neuen Festung bei dem nächstliegenden Tor der Großen Mauer zu beginnen, um für den Fall eines Mongolenangriffs gerüstet zu sein. Der kühnere General zog ins Feld. Aber er hielt es für viel zu gefährlich, durch die Wüste Gobi zu marschieren und begnügte sich damit, seine Soldaten die jenseits der Großen Mauer wohnenden friedlichen Ongutenstämme, Vasallen des Chin-Reiches, ein wenig plündern zu lassen. Doch selbst diese Vorsicht rettete ihn nicht vor seinem Schicksal. DschebeNoion - der Fürst Pfeil - , von Tschingis bei der ersten Nachricht vom Erscheinen eines Heeres diesseits der Mauer mit einigen Tuman - Zehntausendschaften - nach Osten gesandt, überfiel die chinesischen Truppen, schlug sie, zerstörte die im Bau befindliche Festung und gewann in den befreiten Onguten heimliche Bundesgenossen für seinen Herrn. Nach dieser Probe war der kriegerische Mut des Yün-chi bereits erschöpft. Aber da es ein schlechtes Vorzeichen wäre, wenn der erste Feldzug unter einem neuen Kaiser mit einer Niederlage geendet hätte - erließ man für ganz Chin ein strenges Verbot, irgendwelche Nachrichten „über die außerhalb der Mauer wohnenden Rebellen zu verbreiten." 110
Als nun der „General der Großen Mauer" trotzdem vor dem „Sohn des Himmels" erschien, um mit einem Kotau zu melden, daß die Mongolen sich zu einem Überfall rüsteten, bekam er einen wenig gnädigen Empfang. Man erklärte ihm, er lüge, Chin lebe mit den Barbaren im Frieden. Doch der General verstand sich so wenig auf die Hofetikette, daß er hartnäckig zu behaupten fortfuhr, die Mongolen täten nichts anderes, als ununterbrochen Pfeile zu schneiden, Pfeilspitzen zu schmieden und Schilde anzufertigen. Für diese Starrköpfigkeit kam auch er ins Gefängnis ... Und Tschingis-Chan hatte noch ein ganzes Jahr Zeit, sich ungestört auf diesen größten Kampf seines Lebens vorzubereiten.
111
Der chinesische Krieg I. Im Frühjahr 1211 versammelte Tschingis-Chan seine gesamte Streitmacht, alle waffenfähigen Männer vom Altai bis zum Chingan-Gebirge, bei seinem Lager am Kerulen. Was er jetzt unternahm, war zu bedeutsam, zu schicksalhaft für alle Nomadenvölker, als daß es in einem gewöhnlichen Kriegsrat beschlossen werden dürfte. Vor den versammelten Offizieren seines ganzen Heeres verkündete er, daß nunmehr die Zeit gekommen sei, um die jahrhundertelangen Bedrückungen und Verfolgungen der in Filzhütten lebenden Völker durch das Chin-Reich zu rächen. Zu vergelten alle Unbill, und allen Verrat heimzuzahlen, der jemals an den früheren Chanen begangen wurde. Mit Jubel empfingen die Krieger die Nachricht, daß ihr siegreicher Cha-Chan sie in das reiche Wunderland führen wollte, wo sie schönere Beute erwartete, als sie ihnen je in ihrem Leben beschert war. Tschingis allein ahnte die Größe seines Wagnisses, wußte, daß er die ganze Existenz seines eben zusammengefügten Mongolenreiches aufs Spiel setzte. Wenn er in der Fremde, tausend Kilometer von seinen Stammplätzen, geschlagen wurde, war es für alle Ewigkeit vernichtet. Alle Nachbarn, die er mühsam niedergerungen hatte, würden plündernd und raubend in sein Land einfallen. Alle von ihm unterjochten Stämme würden sich wider ihn erheben, und alle von ihm zusammengehaltenen Volkschaften wieder auseinanderfallen. Von dem von ihm geschaffenen Glanze der Bürtschigin würde nichts übrigbleiben, und selbst der zu einem Ehrentitel erhobene Name „Mongole" wahrscheinlich ausgewischt werden. Er wagte alles, sein Leben und sein Reich, in einem einzigen Einsatz... Allerdings hatte er nichts unterlassen, um sich zu sichern. An allen Grenzen war Friede, jenseits der Grenzen befanden sich überall seine Bundesgenossen. Das Land, dem er am wenigsten traute, Hsi-Hsia, war so geschwächt, daß es wohl für Jahre an keinen Krieg denken konnte, und falls es unter den Häuptlingen noch einige freiheitsdurstige gab, die ihm
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nur gezwungen gehorchten - er nahm sie ja alle mit sich mit, zusammen mit ihren Söhnen, Verwandten, Kriegern. Was er zurückließ, war ein von Frauen, Kindern und Greisen ärmlich besiedeltes Land. Eine ganz kleine Ordnungstruppe von nur 2000 Mann für das ganze riesige Gebiet blieb im Lande, 200000 Reiter führte er mit nach Chin. Dieses Unternehmen war zu gewaltig, die Gefahr zu groß, als daß man es irgendeinem Schamanen überlassen durfte, den Segen der Götter dafür zu erbitten und den Kriegszug von seinen Ungewissen Prophezeiungen abhängig zu machen. Tschingis selber, als Ssutu-Bogdo - der Gottgesandte -, wollte die himmlischen Mächte anflehen. Während draußen das ganze Volk unablässig den Himmel: „Tengri! Tengri!" anrief, betete Tschingis allein in seinem Zelte, hielt Zwiesprache mit den Göttern. Er bewies ihnen, daß er nichts anderes wolle, als das vergossene Blut seiner Ahnen rächen. Er nannte ihnen die Namen aller Chane, die jemals durch Chinesen den Tod erlitten hatten, und zählte alle Überfälle auf die braven Völker der Nomaden, alle Treubrüche der hinterlistigen Chin-Männer auf. Der Ewige Blaue Himmel konnte doch nicht wollen, daß sein auserwähltes Volk ewig solches Unrecht erleide. Und darum betete er, daß der Ewige Blaue Himmel ihm alle guten Geister zu Hilfe schicke - aber auch alle bösen, denn auch ihre Macht sei groß. Und er möge allen Menschen auf Erden befehlen, sich gegen Chin zu vereinigen. Drei Tage lang blieb er, ohne zu essen und zu trinken, die Götter beschwörend, in seinem Zelte, am vierten erschien der Cha-Chan vor seinem Volke und verkündete den Aufjauchzenden, daß der Himmel ihm den Sieg geschenkt habe.
II.
Zuerst fächerförmig ausschweifende Patrouillen, denen nichts entgehen durfte: kein Brunnen, keine für Nachtlager geeignete Stelle, kein feindlicher Kundschafter. Dann drei starke Korps unter den besten Oerlök: Muchuli, Ssubutai und Dschebe. Dann, ebenfalls in drei Abteilungen - Zentrum, rechter Flügel, linker Flügel - das Gros. So legte das mongolische Heer die siebenhundert Kilometer von dem Kerulen bis an die chinesische Grenze zurück, überstieg die Gebirge, 114
überquerte den östlichen Teil der Wüste Gobi, alles, ohne auch nur einen Mann zu verlieren. Eine Nachhut, die Einrichtung einer Etappe benötigte es nicht. Alles, was die Krieger brauchten, führten sie mit sich. Jeder Reiter hatte ein Reservepferd. Zur Ernährung in der Wüste wurden Viehherden mitgetrieben. Mit Vorbedacht war die Zeit der Schneeschmelze zum Vormarsch gewählt worden, weil um diese Zeit die Gobi sowohl Wasser als auch das notwendigste Gras hatte. Und war man erst im Feindesland, so mußte der Krieg den Krieg ernähren. Die Verproviantisierungsbasis der Mongolen lag immer vorn, in dem Land, das sie erobern wollten... Der Kaiser von Chin hatte seine Residenz in Yen-king dem jetzigen Peking - , der mittleren Hauptstadt des Reiches. Wenn Tschingis mehr als einen bloßen Raubzug unternehmen wollte, mußte die Residenz sein Ziel sein - und wirklich schienen seine Vortrupps geradeswegs nach Peking zu marschieren, dorthin, wo zwei vorzüglich verteidigte Mauern, fünfzig bis hundert Kilometer voneinander entfernt, die Ebene von Peking vor den Einfällen wilder Völker des Nordens schützten. Obgleich der Hof vorgab, im tiefsten Frieden zu leben, war er ausgezeichnet gerüstet. Mächtige Armeen waren bei der Hauptstadt konzentriert und setzten sich auf die erste Nachricht vom Anmarsch der Mongolen in Bewegung, um die Barbaren an den Pässen aufzufangen, durch die strategisch kunstvoll angelegten Festungen zu binden und sie dann in dem schwierigen Gelände zwischen den beiden Mauern zu vernichten - als plötzlich aus dem Westen eine Schreckenskunde eintraf: die mongolischen Truppenbewegungen im Norden waren nur Scheinaktionen gewesen, Tschingis-Chan hatte eben mit dem Hauptheer die Große Mauer zweihundert Kilometer weiter westlich, an der Stelle, an der nur Ongutensöldlinge sie besetzt hielten, ohne einen Schwertstreich überschritten und war wie vom Himmel gefallen in der reichen, fruchtbaren Provinz Schan-si erschienen. Die kaiserlichen Armeen mußten also, statt zu den nahen Festungen, Hunderte von Kilometern nach dem Westen durch unwegsame Gebirge marschieren - und da, zugleich mit ihnen, weiter nördlich die Vortrupps der Mongolen eben115
falls die Schwenkung nach dem Westen machten und auf ihren Pferden schneller als die meist aus Fußtruppen bestehenden chinesischen Heere waren, wurden diese gleichzeitig von zwei Seiten angegriffen und völlig aufgerieben. Die dichtmassierten Kadres der chinesischen Infanterie boten den mogolischen Schützen ein dankbares Ziel. Der Pfeilhagel wirkte verheerend, und der darauf folgenden Attacke von 200 000 geschlossen manövrierenden Reitern war keine Infanterie der Welt gewachsen. - In dieser ersten Schlacht wird das beste Heer des chinesischen Kaisers vernichtet. Ganz Schansi liegt vor Tschingis offen. Er teilt seine Truppen. Um sich von den Produkten des Landes nähren zu können, müssen sie auf möglichst weite Flächen verstreut werden. Das hat keine Gefahr, wenn nur der Verbindungsdienst so gut klappt, daß beim ersten Auftauchen einer neuen feindlichen Armee jede Truppe in ein, zwei Tagesritten an der gefährdeten Stelle sein kann - und wirklich reißt weder hier noch während aller folgenden Kriegszüge Tschingis-Chans die Verbindung zwischen ihm und seinen Heerführern, wo sie sich auch befinden, jemals ab. Die Taktik: getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen, ist von ihm zur höchsten Vollendung ausgebildet worden und führt dazu, daß die Mongolen immer überraschend für den Feind an allen möglichen Orten zugleich auftauchen und bei der Entscheidungsschlacht doch alle Armeen zusammen sind. Jetzt dringen drei Heere unter seinen Söhnen Dschutschi, Tschagatai, Ugedei fächerförmig in die reiche Provinz ein. Tschingis selber mit seinem jüngsten Sohn Tuli umschließt die westliche Residenz Tatung-fu, und Dschebe wird mit einer fünften Armee nach Osten geschickt, um die Übergänge zu der Ebene von Peking auszukundschaften. Als es ihm dann gelingt, überraschend einen schwach verteidigten Paß zu erstürmen, hebt Tschingis die Belagerung der westlichen Residenz auf, verlassen seine drei Söhne die von ihnen eroberten Festungen und Städte, und die ganze mongolische Lawine rollt in die Tiefebene von Ost-Chin bis vor die Mauern von Peking. Hier erst, vor der Riesenstadt, wird Tschingis der Wahnwitz seines Unternehmens bewußt. Was für Gräben, was für 116
Wälle, was für Mauern!... Er umreitet die Festung: Was für Ausmaße!... Nie hat er sich vorgestellt, daß eine Menschenansiedlung so groß sein kann... Was soll er nun beginnen? Nie wird er diese von Hunderttausenden verteidigte, ungeheure Mauernmasse bezwingen können! Nie Herr über Chin werden! - Was für ein gewaltiges Reich, das von dieser Riesenstadt gekrönt ist!... Vier Armeen, jede größer als seine gesamten Truppen, hat er bereits besiegt, und schon hört er, daß von allen Seiten noch mächtigere Heere herbeieilen. Ein halbes Jahr schon reiten seine Krieger raubend und plündernd durch das Land - und nun erfährt er, daß sie nur in einer einzigen Provinz, Schan-si, waren, daß er jetzt erst in eine ebenso große Provinz Tschi-li hinuntergestiegen ist und daß das Chin-Reich ein Dutzend solcher Provinzen hat. Wohin soll er sich zuerst wenden? Was zuerst erobern?... In ihm keimt der Entschluß auf, seinen unausführbaren Plan aufzugeben. Zu bezwingen ist Chin nicht, und alles andere hat er erreicht: die besten Heere des Kaisers vernichtet, seine Mongolen reich an Beute und Sklaven gemacht und die Bedeutung des mongolischen Cha-Chans über alle Maße erhöht. Dschebe ist eben bei seinem neuen Vorstoß nach dem Osten bis an den Rand der Welt gelangt, dorthin, wo die Erde ins Wasser übergeht. - Was will er mehr? Jetzt ist er Sieger, beginnt er aber die Belagerung und muß sie später aufgeben, ohne Peking einzunehmen, so ist es um sein Ansehen geschehen... Und Tschingis läßt das Heer umkehren. Es ist vielleicht gut, nicht gleich in die Mongolei zurückzumarschieren, sondern den Winter über in der Nähe zu bleiben, um das Verhalten der Chin zu beobachten. Er ist nur noch unschlüssig, ob er in Tschi-li, Schan-si oder außerhalb der Großen Mauer die Winterquartiere aufschlagen soll.
III.
Die Armee ist bereits im Aufbruch, da trifft ein chinesischer General im Lager ein. Die Siege der Barbaren hatten in den Hofkreisen Pekings Bestürzung hervorgerufen. Seit bald achtzig Jahren erlebte 117
Chin keinen derartigen Raubüberfall. Sonst zogen sich die Räuber beim Erscheinen der kaiserlichen Truppen in aller Eile zurück, jetzt schienen sie direkt den Kampf zu suchen, denn kaum brauchte ein Heer irgendwo aufzutauchen, als sich schon die Nomaden von allen Seiten darauf stürzten. Ihr Häuptling schien unberechenbar zu sein: jetzt war er endlich vor der Hauptstadt angelangt, man erwartete in Peking einen wilden Sturm, der, blutig zurückgeschlagen, den Barbaren belehren würde, daß es besser ist, sich mit reichen Geschenken zu begnügen und in seine Heimat zurückzukehren. - Dieser Cha-Chan ließ keinen einzigen von seinen Reitern auf Schußweite an die Mauern heran. Man sah ihn von weitem die Stadt umreiten und jetzt plötzlich ohne jede Unterhandlung, ohne eine Forderung aufbrechen. Was führte er im Schilde? Wohin wollte er sich wenden?... Chin zog es vor, selber Unterhandlungen zu eröffnen. Der als Parlamentär gesandte General soll die Absichten der Nomaden erkunden, er soll dem Cha-Chan das höchste Erstaunen des Kaisers ausdrücken: Chin lebt doch mit den Mongolen im Frieden. Tschingis-Chan selber ist doch der Tschao-churi des Kaisers - der Bevollmächtigte gegen die Rebellen an der Grenze -, warum ist er denn in Chin eingefallen?... Tschingis-Chan ist von der Botschaft überrascht: er verwüstet die blühendsten Provinzen des Reiches, und der mächtige Kaiser behauptet, mit ihm im Frieden zu leben?! Das ganze ungeheure Land, die gewaltigen Festungen und Städte gehorchen dem Kaiser, und er bietet sie nicht gegen ihn auf, sondern fragt ihn, warum er in sein Reich eingefallen sei?! Verbirgt sich hier irgendeine Schwäche, die ihm entgangen ist?!... Tschingis-Chan empfängt den General mit allen ihm gebührenden Ehrenbezeigungen und beginnt ihn auszufragen. Chin hat seinen Parlamentär schlecht gewählt: er enthüllt dem Cha-Chan die inneren Zustände des Reiches: Die Chin-Kaiser, die seit bald einem Jahrhundert über Nordchina herrschen, werden immer noch von den Chinesen als Usurpatoren betrachtet. Mögen sie das Land geeint haben, mögen sie das südchinesische Sung-Reich mit Krieg 118
überzogen und ihm die Provinzen, die südlich vom Hoang-ho liegen, entrissen haben, mögen sie in Sitte und Art völlig chinisiert sein - sie sind Barbaren aus dem Norden, aus der Mandschurei, die die alte Dynastie Liao gestürzt haben, und sie werden niemals von den Chinesen als rechtmäßige Herrscher anerkannt werden. Das Volk fühlt sich von ihnen unterdrückt und geknechtet und wird sie niemals lieben. Im Süden die Sung-Kaiser sind ihre Feinde, im Nordosten zwischen Yenking und Korea liegt Chitan, das Stammland der Liao, und dort lebt noch ein Fürst der alten Dynastie - allerdings nur als Vasall der Chin-Kaiser... Wenn Tschingis-Chan der LiaoDynastie wieder zu ihrem Rechte verhelfen wolle - der General, selber ein Nachkomme der Liao, sei bereit, in seine Dienste zu treten... Und wie er dächten viele im Lande... Tschingis übersieht genau seine Lage: er ist mit seinen Reitern jeder Chin-Armee überlegen, aber er kann weder die riesigen Festungen einnehmen, noch, wenn er sie stürmen könnte, halten. Jede mongolische Besatzung wäre in diesem Meer von Menschen verloren. Aber wenn er durch die Liao diese Volksmassen gewinnen kann... - Warum sollen die Liao nicht Regenten sein, wenn sie sich unter seine Oberhoheit stellen?... Sein Entschluß ist gefaßt: der Krieg wird fortgesetzt. Er bleibt weder in Tschi-li noch in Schan-si. Er marschiert nach Norden. Dort liegt die Doppelmauer, die ihm den Eintritt in Chin verwehren sollte. Von innen her bietet sie keinen nennenswerten Widerstand - und zwischen der inneren und der äußeren Großen Mauer befinden sich die unzähligen kaiserlichen Gestüte, das gewaltige Pferdereservoir der chinesischen Kavallerie. Mit einem Schlag setzt er sich in den Besitz der unermeßlichen Herden, die ihm jede Sorge um die Equipierung seiner Reitermassen nehmen, und unterbindet die weitere Versorgung der chinesischen Heere mit Pferden. Die Armeen, die der Chin-Kaiser in Zukunft gegen ihn aufstellen kann, werden fast nur Fußtruppen sein, die er mit seinen schnellen Reitern treffen kann, wann und wo er will. Dann schlägt er das Winterlager jenseits der Großen Mauer auf, fern der Gefahr jeder Überrumpelung, und schickt eine Abordnung nach Chitan zu dem Fürsten von Liao. 119
IV
Das Frühjahr 1212 sah plötzlich einen Aufstand der Liao in Chitan ausbrechen, während Tschingis-Chan gleichzeitig mit der Brandschatzung der Provinzen nördlich der Großen Mauer begann. Das gegen ihn gesandte Heer wurde geschlagen, und auf den Fersen der flüchtenden chinesischen Armeen überschritt er die Große Mauer und erschien von neuem in Schan-si. Aber hier stand er vor einer Überraschung: alle Städte hatten sich über Winter mit neuen Wehren versehen, die von ihm schon zerstörten Festungen waren wieder aufgebaut - er konnte mit seinen Eroberungen ganz von neuem beginnen... Um schnell eine Entscheidung zu erzwingen, ließ er die kleinen Städte unbehelligt und schloß die Hauptstadt der Provinz, die westliche Residenz Ta-tung-fu, ein. Sofort rückten chinesische Entsatzheere an - und wurden geschlagen. Dann versuchte er, wirklich die Festung zu stürmen, aber auch schon diese Stadt war für seine Reiter uneinnehmbar. Als er selber einen Sturmangriff leitet, wird er durch einen Pfeil verwundet. Und nun beginnen auch aus Chitan ungünstige Nachrichten einzutreffen: dort sind kaiserliche Truppen erschienen, die den Aufstand überall unterdrücken, die Rebellen schlagen und schon den Liao-Fürsten bedrängen. Chin ist zu stark. Jeder andere Häuptling hätte den aussichtslosen Kampf aufgegeben, wäre in seine sicheren Steppen zurückgekehrt. Aber was Tschingis noch vor einem Jahr tun wollte, schien ihm jetzt unmöglich: denn er hatte inzwischen Verbündete geworben, ihnen erklärt, Chin niederringen zu wollen. Er muß nun den Kampf zu Ende kämpfen. Er zieht sich wieder hinter die Große Mauer zurück und beginnt, mit seinen Mongolen Belagerungskunst zu üben. Dem bedrängten Fürsten von Liao schickt er Dschebe-Noion den Fürst Pfeil - mit einigen Tuman zu Hilfe. Dschebe räumt in einem Winterfeldzug mit den kaiserlichen Armeen in Chitan auf, versucht auch die östliche Residenz Liao-yang zu erobern, hat aber den gleichen Mißerfolg wie Tschingis selbst vor der westlichen Residenz Ta-tung-fu. 120
Die Festungen sind für die Mongolen unbezwingbar. Da versucht er die beliebte mongolische Taktik: er läßt das Gerücht verbreiten, daß eine Entsatzarmee aus Chin heranmarschiert, bricht die Belagerung ab und befiehlt einen so überstürzten Aufbruch, daß sogar seine ganze Bagage und die Zelte vor Liao-yang liegenbleiben. Zwei Tage lang setzt er den Rückzug fort, läßt dann seine Mongolen die bereitgestellten frischen Pferde besteigen und reitet in einer Nacht die ganze Strecke zurück. Seine List ist geglückt, er findet die ganze Garnison und einen Teil der Bevölkerung plündernd in seinem Lager, alle Tore der Festung sind offen... Er überreitet die Plünderer und stürmt die Stadt. Der Erfolg ist, daß der schon schwankend gewordene chitanische Fürst sich zum König von Liao-tung erklärt und sein Königreich unter die Schirmherrschaft Tschingis-Chans stellt. Im nächsten Frühjahr machen die Mongolen endlich Ernst: der dritte Feldzug beginnt mit einer systematischen Eroberung der Nordprovinzen. Jetzt wird keine Stadt übergangen; an den schwächer befestigten Orten üben sich die Mongolen für die stärkeren Festungen. Tschingis-Chans jüngster Sohn Tuli und sein Schwiegersohn Tschiki geben das Beispiel, indem sie als erste die Mauern ersteigen. Seine anderen Söhne und seine Feldherren kämpfen um die Gebirgspässe und besetzen einen nach dem anderen. Und nun erfüllt sich endlich das Versprechen des Liao-Generals: als kein Zweifel mehr besteht, daß es sich bei der mongolischen Invasion nicht nur um einen Raubzug, sondern um eine planmäßige Eroberung handelt, beginnen einzelne Generäle chitanischer Abstammung mit ihren Truppen zu TschingisChan überzugehen. Bald ist er nicht nur Herr von ganz Schan-si, sondern riegelt bereits von allen Seiten die Ebene von Peking ab. Und in diesem Augenblick, während die Gefahr immer drohender wird, bricht in der „mittleren Residenz" eine Palastrevolution aus. Der Chin-Kaiser hatte die in Zeiten der Not übliche Amnestie erlassen und gemaßregelte Generäle wieder berufen. Einer von ihnen, der Eunuche Hu-scha-hu, vom Kaiser 121
in der Bedrängnis von neuem mit der Führung eines Heeres betraut, besetzte plötzlich Peking, tötete den Gouverneur, bemächtigte sich des kaiserlichen Palastes und ermordete Yün-chi... Tschingis unterbricht sämtliche Aktionen und eilt nach Peking in der Erwartung, daß die Tore der uneinnehmbaren Festung sich ihm nunmehr öffnen werden. Denn was kann eine Revolution anderes bedeuten als eine Empörung der Liao-Anhänger?... - Er weiß nicht, daß die Chitanen der Liao-Dynastie den Chinesen im Grunde genau so fremd sind wie die Mandschuren der Chin-Dynastie. Auch sie waren vor drei Jahrhunderten fremde Eroberer und hatten nur wie alle Eroberer Chinas die Sitten, Gebräuche, Denkart des unterdrückten Volkes angenommen, das sie alle gleichmütig ertrug und für sie unter ihren Generälen gegen neue Eroberer kämpfte, solange ihnen eben „der Himmel die Herrschaft über das Reich der Mitte verliehen hatte", sie aber nie als Chinesen anerkannte. Hu-scha-hu ist ebensowenig ein Anhänger der Liao, wie er bereit ist, die „nördlichen Barbaren" anzuerkennen. Seine Revolution ist eine Privatangelegenheit. Nach Yün-chis Tod erklärt er sich zum Oberbefehlshaber aller chinesischen Truppen und setzt einen ihm genehmen Prinzen der ChinDynastie, der als Kaiser den Namen Hsüan-tsung bekommt, auf den leer gewordenen Thron. Dann zieht er Tschingis-Chan entgegen. Kurz vor Peking, bei einem Flußübergang, sah sich Tschingis überraschend angegriffen. Der Eunuche Hu-scha-hu leitete selber, obgleich er ein krankes Bein hatte, von einem Rollstuhl aus die Schlacht - und zum erstenmal seit Beginn des chinesischen Krieges wurden die Mongolen geschlagen. Das ist die zweite und letzte Niederlage im Leben TschingisChans. Nur dem verspäteten Eintreffen der Umgehungstruppe der Chinesen unter General Kao-chi hat er es zu verdanken, daß die Schlacht nicht mit der völligen Vernichtung seines Hauptheeres endet und er sich einigermaßen in Ordnung zurückziehen kann. Hu-scha-hu will den säumigen General Kao-chi, der ihn um die Früchte seines Sieges gebracht hat, hinrichten lassen, 122
aber der neue Kaiser Hsüan-tsung setzt sich für ihn ein, und Hu-scha-hu gibt ihm noch einmal Gelegenheit, seine Schuld gutzumachen. Da er selber zur Fortsetzung der Operationen zu krank ist, läßt er Kao-chi Verstärkungen zukommen und befiehlt ihm, die Mongolen von neuem anzugreifen. Kao-chi greift an. Er kämpft mit dem Mut der Verzweiflung; aber Tschingis hat seine Truppen wieder gesammelt und bereits Reserven herangeholt. Tag und Nacht dauert die Schlacht, hartnäckig, verbissen; dann wird Kao-chi geworfen und bis in die Vorstädte von Peking verfolgt. Er weiß, daß Hu-scha-hu sein Wort halten und ihn nun hinrichten lassen wird - und er kommt ihm zuvor: An der Spitze seiner Soldaten stürmt er den Palast des Oberbefehlshabers. Hu-scha-hu versucht zu fliehen, verwickelt sich aber in seinem Gewand und stürzt hin. Kao-chi holt ihn ein, schlägt ihm den Kopf ab und begibt sich mit seinen Soldaten und Hu-scha-hus Kopf in den kaiserlichen Palast zum Kaiser Hsüan-tsung. Mit dem blutigen Kopf seines Gegners in der Hand bittet er den Kaiser, zwischen ihm und dem toten Oberbefehlshaber zu richten. Die Drohung des Generals ist nicht mißzuverstehen, seine Soldaten halten den kaiserlichen Palast umzingelt, und Hsüan-tsung ist kein größerer Held als sein Vorgänger. Er erinnert sich also plötzlich, daß Hu-scha-hu eigentlich ein Empörer war, ein Kaisermörder, der sich selber zum Marschall ernannt hatte, und entkleidet den Mann, der ihn auf den Thron gesetzt hat und der als einziger die Mongolen schlagen konnte, nachträglich aller Titel und Würden. Sein Sündenregister wird öffentlich bekanntgegeben und Kao-chi für seine Tat belobigt und an Hu-scha-hus Stelle zum Oberbefehlshaber ernannt. Die Soldaten, die Hu-scha-hus Palast stürmten, bekommen eine Belohnung... Und das alles geschieht, während Tschingis-Chan vor den Toren von Peking steht und sich von neuem überzeugen muß, daß diese Festung für ihn uneinnehmbar bleibt. Da überkam ihn die Wut. - Glaubte man, ihn höhnen zu dürfen, weil man hinter sicheren Mauern saß? Privathändel 123
treiben, als wäre er gar nicht im Lande?... Merkt Chin noch zuwenig vom Krieg?! ... Dann soll es ihn jetzt zu spüren bekommen! Tschingis denkt nicht mehr daran, sich in Winterquartiere zurückzuziehen, er wird auch nicht weiter seine Mongolen gegen uneinnehmbare Festungen anrennen lassen. Er teilt sein Heer und die sechsundvierzig chinesischen Divisionen, die sich ihm allmählich unter verschiedenen Generälen angeschlossen haben, in drei Armeen ein und schickt die eine unter seinem Bruder Kassar nach Osten in die Südmandschurei, die andere in drei Abteilungen unter seinen drei älteren Söhnen durch die Hochebene von Schan-si nach dem Süden, während er selbst mit seinem Sohn Tuli und der mittleren Armee durch die chinesische Tiefebene nach Südost bis nach Schantung zieht. Den ganzen Herbst und Winter hindurch reiten die Mongolen in drei breiten Strömen raubend, mordend und sengend durch das Reich Chin. Brennende Fluren, entvölkerte Städte, rauchende Ruinen bilden die Spuren ihres Weges. Die chinesischen Generäle haben sich in ihren Festungen eingeschlossen und die Bauern der Umgebung zu ihrer Verteidigung herangezogen - da befiehlt Tschingis-Chan, die in den Dörfern zurückgebliebenen Greise, Frauen und Kinder aufzugreifen und sie vor den Sturmtruppen her gegen die Mauern und Bastionen der Festungen zu treiben. Die Bauern weigern sich, auf ihre Väter, Frauen und Kinder zu schießen, Feuer zu werfen oder siedendes Pech zu gießen, und kämpfen nicht. Nur die wenigen Orte, deren Garnisonen sofort zu den Mongolen übergehen, bleiben verschont, alles andere wird dem Erdboden gleichgemacht. In weniger als einem halben Jahr werden neunzig befestigte, entschlossen verteidigte Städte geplündert und verbrannt. In dem ganzen Gebiet bis zum Unterlauf des Hoang-ho, der damals südlich von Schantung ins Gelbe Meer floß - ragen nur elf Festungen, die nicht eingenommen werden konnten und umgangen wurden, wie Inseln hervor. Das ganze Land wird verwüstet. Hunger und Seuchen verbreiten sich, die Leichen liegen auf den Feldern, schwimmen in den Gewässern... - Das ist Tschingis-Chans Zorn. 124
Zum Frühjahr kam sein Befehl zum Rückzug. Die drei Armeen sollten sich vor Peking wieder vereinigen. Aber als sie durch die von ihnen verwüsteten Gegenden auf ihren eigenen Spuren zurückkehrten, griffen Seuchen und Krankheiten auch auf die Sieger über. Die Mongolenheere, die sich vor Peking trafen, waren nicht mehr so prächtig und stark wie bei ihrem Auszug. Trotzdem verlangten die Heerführer in ihrem Siegesübermut, von der unermeßlichen Beute, die seit Jahr und Tag in endlosen Karawanen nach der Mongolei wanderte, berauscht, daß ihr Chan-Chan sie zur Krönung des Sieges zum Sturm gegen Peking führe. Tschingis-Chan verbot den Sturm. Er hatte erkannt, daß, selbst wenn er Peking einnehmen würde, er es nicht behalten konnte; ebensowenig wie dieses Fünfzig-Millionen-Reich erobern. Was kümmerte es ihn da, ob ein Liao- oder ein ChinHerrscher darüber regierte? Es war genug geschwächt und gedemütigt. Und diese Krankheiten und Seuchen waren sicher ein Zeichen des Himmels, eine Warnung... Er schickte also an den Kaiser Hsüan-tsung einen Parlamentär, der ihm sagen sollte: „Sämtliche Provinzen deines Reiches nördlich des Hoang-ho - des Gelben Flusses - sind in meiner Hand. Dir ist nur noch deine Hauptstadt geblieben. So schwach hat dich der Himmel gemacht. Wenn ich dich in deiner Not weiter verfolgen wollte, was würde der Himmel da zu mir sagen? Ich habe Angst vor seinem Zorn und will mich darum mit meinem Heer wieder auf den Rückweg begeben. Könntest du nicht meinen Generälen einige Geschenke machen, um ihren Groll zu beschwichtigen?" In Peking wurde ein Kronrat abgehalten. Man war es hier nicht anders gewohnt, als daß nur der Schwache den Frieden anbietet, und der Feldmarschall Kao-chi verlangte eine Entscheidungsschlacht, da die Truppen Tschingis-Chans erschöpft und ihre Pferde schwach sein mußten, aber die Minister wollten nichts davon wissen. Es war ein Wahnsinn, jetzt noch von Kämpfen zu reden! Man tat ja seit drei Jahren nichts als kämpfen! Und mit welchem Erfolg? Man schickte das beste Heer gegen sie - es wurde vernichtet, ein zweites, ein drittes, ein zehntes!... Vernichtet! Vernichtet! Vernichtet! Man schloß 125
sich in Festungen ein - sie wurden gestürmt, erobert, verbrannt! Die höchste Kriegskunst, die gewaltigsten Kriegsmaschinen, die fürchterlichsten Kriegsmittel wie das explodierende Feuer - alles wurde an diesen mongolischen Teufeln zuschanden! Was man auch unternommen hatte, alles schlug nur zum Unheil aus... Und nun sollte man ihren Zorn durch die Abweisung des Angebots noch mehr herausfordern?!... Also sandte der Kaiser Hsüan-tsung einen Minister zu Tschingis. Die Friedensverhandlungen begannen. Chin verpflichtete sich zu einer allgemeinen Amnestie, zur Anerkennung des Chitan-Fürsten als unabhängigen Herrscher von Liao-tung - Tschingis hat nie seine Bundesgenossen im Stich gelassen oder ein ihnen gegebenes Wort nicht eingehalten - und gab dem Cha-Chan zum Zeichen seines ehrlichen Friedenswillens eine Tochter des früheren Kaisers Yün-chi mit entprechender Ausstattung und Gefolge zur Gemahlin. Der Friede wurde geschlossen, und Tschingis begab sich gegen Ende des Frühlings 1214, drei Jahre nach seinem ersten großen Einfall in Chin, bis zur Grenze von dem kaiserlichen Minister begleitet, auf den Heimweg, um nie wieder chinesischen Boden zu betreten. Er konnte mit seinem Erfolg zufrieden sein. Weder die chinesische Mauer noch die befestigten Pässe, weder die Berge noch die gewaltigen Festungen hatten das Fünfzig-MillionenVolk vor den zweihunderttausend mongolischen Reitern gerettet. Das Reich Chin war niedergeworfen und verwüstet und würde Jahrzehnte zum Wiederaufbau benötigen. TschingisChan brauchte keine Sorgen mehr vor den Ränken der ChinMänner zu haben. Sie würden nicht so leicht wieder mit ihm anbinden. Einen Augenblick lang hielt ihn eine neue Frage an der Grenze auf: Was sollte er mit den Zehntausenden von Gefangenen beginnen, die er während seines Kriegszuges für Erdarbeiten bei dem Sturm auf die Festungen gebraucht hatte? Sie trugen den Keim für Krankheiten und Seuchen in sich, waren weder imstande, die Gobi zu überqueren, noch konnte man sie nach Hause schicken, denn sie hatten zuviel von der Kriegskunst und der Art der Mongolen kennengelernt und würden als Soldaten des Kaisers gefährliche Gegner sein. 126
Doch was zählte das Chinesenleben? - Er befahl, die Handwerker, Künstler und Gelehrten auszusuchen und die übrigen zu töten.
V.
Es war bereits zu spät im Jahr, um die sommerheiße Gobi zu überqueren, und Tschingis schlug sein Lager am Rande der Wüste in der Oase am Dolon-Nor auf. Die erste Nachricht, die hier aus Chin eintraf, war die Kundgebung des Kaisers Hsüan-tsung an sein Volk, daß er seine Residenz nach der südlichen Hauptstadt - jenseits des Hoang-ho - dem jetzigen Kai-föng verlege. Alle Vorstellungen seiner Minister, daß seine Abreise wie Flucht, wie Preisgabe der Nordprovinzen aussehen würde, nutzten nichts. Der Wille des Kaisers, aus der Nähe der Mongolen zu kommen, war unerschütterlich, und sein Entschluß wurde von seinem ersten Ratgeber, dem Feldmarschall Kao-chi, noch bestärkt, da er ja mit seinem Herrscher nach dem Süden mitreisen sollte. Zur Beruhigung des Volkes und zum Zeichen, daß der Kaiser dennoch an seine Nordprovinzen denke, wurde in der Proklamation ausdrücklich erklärt, daß der Kronprinz mit dem Militärkommandanten, dem Fürsten Wan-yen, in Peking zurückbleibe. „Er traut meinem Worte nicht!" rief Tschingis bei der Nachricht entrüstet. Dann fügte er nachdenklich hinzu: „Er hat den Frieden nur geschlossen, um an Eroberungen im Süden zu gehen..." Und wie zur Bestätigung seiner Gedanken erschien ein Gesandter der Sung-Kaiser im Mongolenlager, den die Besorgnis seiner Regierung über die Absichten von Hsüantsung aus dem Südreiche auf weiten Umwegen an den Rand der Wüste Gobi geführt hatte... Im Reiche Sung waren die Siege der Mongolen beinahe wie eigene gefeiert worden, die Niederlage der Chin war die gerechte Strafe des Himmels für die Kriege, mit denen sie das Reich Sung andauernd überzogen und in deren Verlauf sie ihm die Provinzen südlich des Hoang-ho geraubt und einen Tribut auferlegt hatten. Im letzten Jahr endlich hatten die Sung es zum erstenmal 127
wieder gewagt, die jährlichen „Geschenke" von 250000 Unzen Gold und 250000 Stück Seide nicht zu schicken aber jetzt waren die Mongolen plötzlich abgezogen und der Chin-Hof siedelte nach Süden über, in die allernächste Nachbarschaft der Sung-Grenze. Die Besorgnis des südchinesischen Reiches war also wohlbegründet, und ihr Gesandter sollte die genauen Pläne des mongolischen Monarchen feststellen und ihm unterbreiten, wie gefährlich es wäre, die Chin wieder erstarken zu lassen. Der Minister eines Landes von überfeinerter Kultur, dessen Literatur und Kunst in höchster Blüte stand, der Mandarin eines Hofes, dessen Prunk, Wohlleben und Etikette bis ins letzte ausgeklügelt waren, und für den selbst die Kaiser von Chin als Emporkömmlinge und Barbaren galten, brauchte eine gewisse Zeit, um sich an die am Dolon-Nor herrschenden Zustände zu gewöhnen. Er erkundigt sich vorsorglich nach den Einzelheiten des Zeremoniells der großen Audienz - und wird angewiesen, beim Eintritt in das Zelt nicht auf die Schwelle zu treten und sich nachher nicht an die Säulen, die das große Zelt tragen, zu lehnen, da darauf Todesstrafe stehe und er jedenfalls bis zur Urteilsverkündung von den Wächtern durchgeprügelt werde. Dann läßt man ihn in seinem Prunkornat zwischen zwei Feuern durchgehen. - Der Anhänger der Philosophie des Konfuzius hört, daß er dadurch von allem Bösen und Schlechtem im Sinne gereinigt wird. Er muß zusehen, wie man auch die herrlichen Geschenke, die er dem Mongolenherrscher bringt, zwischen den Feuern durchträgt, obgleich dabei die köstlichen zarten Stoffe versengt werden; wie sie sieben Tage lang unter freiem Himmel liegenbleiben, um den Göttern dargeboten zu werden, wenn auch die Sonne und der Wind die feinen Farben bleichen und manche für die Stille kaiserlicher Paläste geschaffene Kostbarkeit zerstören. Endlich betritt er das gewaltige Zelt. Alles darin ist in ein sonderbares Zwielicht getaucht, weil die Tageshelle nur durch das runde Loch in der Mitte der Decke und zwischen den aufgeklappten Vorhängen des Eingangs hereindringt. Direkt dem Eingang gegenüber, durch die ganze Breite des Zeltes 128
getrennt, erhebt sich das riesige, mit Teppichen belegte Brettergerüst mit dem Thron des Cha-Chans und der ChinPrinzessin. Neben dem Thron, etwas tiefer, ein halbes Dutzend Nebenfrauen; in ungeheurem Kreis, auf Schemeln und Bänken, die Fürsten, Heerführer, Edlen, und ihnen gegenüber ihre in Chin eroberten Frauen; alles geschmückt, geputzt, überladen mit Prachtgewändern, farbigen Steinen, Goldgeschmeide; am Eingang an der einen Seite gewaltige Tische, die unter der Last von Gold- und Silbergefäßen mit Kumys, von Kesseln mit gekochtem Fleisch beinahe brechen; an der anderen ein Orchester von anderthalb Dutzend schönster chinesischer Lautenzupferinnen. Und auf dem Thron in dem mystischen Halbdunkel wie über allen schwebend die mächtige Gestalt Tschingis-Chans, der als einziger keinerlei Schmuck trägt. Das Einsetzen der Musik in dem Augenblick, in dem der Cha-Chan zum Becher greift, der Tumult im Zelt von den sofort aufspringenden, tanzenden und in die Hände klatschenden Männern und Frauen... Das Bild hat etwas Unheimliches, gewalttätig Barbarisches. Dem Gesandten der Sung fällt es nicht leicht, sich in dieser Umgebung seines kaiserlichen Auftrages in formvollendeten Sätzen mit allen höfischen Floskeln zu entledigen. Es ist ihm fast eine Erleichterung, daß der Cha-Chan ihn ohne jedes Zeremoniell ruhig ausreden und dann den Dolmetscher die Worte übersetzen läßt, ohne einen Einwurf, ohne eine Zwischenbemerkung. Doch dann vergeht die Zeit, und Tschingis-Chans verschlossenes Gesicht, sein unergründlicher Blick verraten nichts von seinen Gedanken. Die einzige Antwort ist die Aufforderung an den Gesandten, sich soviel an Kumys und Fleisch zu nehmen, wie er wolle. Er bekommt einen Platz angewiesen, links, auf der Seite der Frauen. Aber das kann keine Beleidigung sein, denn sein Sitz ist oben neben den Frauen des Cha-Chans. Er darf mit ihnen Reiswein trinken und in chinesischer Sprache plaudern, und wenn er trinkt, spielt die Musik und tanzen die mongolischen Krieger vor ihm. Nur über seine Botschaft fällt kein Wort. Nicht heute, nicht später. Seine Mission scheint vergessen zu sein. - Es wird kein Rat einberufen, keine neue Audienz angesagt. 129
Der Cha-Chan hat sich nicht geäußert, und es ist vergebliche Mühe, daß der Gesandte nach chinesischem System von den Höflingen etwas über die Absichten der Mongolen zu erfahren sucht. Die Mongolen haben keine Absichten. Sie reiten, sie schießen, sie veranstalten Falkenjagden, sie spielen, wie er von seinem Zelte aus beobachten kann, auf dem gewaltigen offenen Platz mit ihrem Herrscher Ball. Er sieht Tschingis-Chans mächtige Gestalt um die Wette mit seinen Fürsten und Oerlök dem Ball nachrennen, ihn fangen, schleudern, sieht ihn lachen und sich wie ein Kind freuen, wenn ihm bessere Würfe gelingen als den anderen. Endlich richtet der Gesandte es ein, daß der Chan ihm bei einem Ausritt begegnet. Sofort hält Tschingis sein Pferd an, und der Dolmetscher übersetzt: „Warum bist du nicht zum Ballspielen gekommen? Wir haben herrlich Ball gespielt." Der verdutzte Gesandte erlaubt sich zu stottern, daß er nicht die Ehre gehabt habe, zu dem Spiel eingeladen zu werden. „Ach, wozu brauchst du eine Einladung? Wenn du willst, dann kommst du einfach." Als der Gesandte daraufhin beim abendlichen Festmahl erscheint, wird er für sein Fernbleiben mit so viel Bechern Reiswein bestraft, daß man ihn schließlich völlig betrunken nach Hause tragen muß. Das nächste Mal gelingt es ihm wirklich, bei dem Cha-Chan ein paar Worte über die Besorgnisse des Sung-Hofes anzubringen, aber da lautet die Antwort kurz, abwehrend: „Ich habe mit Hsüan-tsung Frieden geschlossen."
VI.
Wenige Monate nur hatte die Friedenspause nach drei Jahren Verwüstung und mörderischen Krieges gedauert - und doch hatte sie Chin zur neuen Sammlung genügt. Schon hatten sich um den energischen Kriegskommandanten Wan-yen und den tatendurstigen Kronprinzen Männer gesammelt, die in den Nordprovinzen den nationalen Widerstand organisierten. Die zerstörten Städte wurden aufgebaut, die geschleiften Mauern wuchsen wieder empor. Neue Heere entstanden aus dem Nichts und marschierten nach Chitan, obgleich die 130
Unabhängigkeit des Fürsten von Liao-tung in dem Friedensvertrag anerkannt worden war. Bei diesen Kämpfen zeigte es sich, daß Chin weder seinen kriegerischen Geist noch seine Schlagkraft verloren hatte. In wenigen Wochen waren die Truppen des Liao-Königs geschlagen, seine Hauptstadt Liaoyang eingenommen und er selber vertrieben. Ein Teil der kaiserlichen Leibgarde, die Hsüan-tsung aus Peking nach dem Süden begleitete, bestand ebenfalls aus Chitanen. Kaum in Kai-föng angekommen, erhielten sie vom Kaiser den Befehl, ihre Rüstungen und Pferde im Schloß abzuliefern. - Sie wissen, daß das nur die erste Maßnahme ist, um sich ihrer zu entledigen, und verweigern den Gehorsam. Sie töten ihren Kommandanten und wählen sich einen neuen, der auf der Stelle kehrtmacht und nach Norden zurückmarschiert. Regierungstruppen nehmen ihre Verfolgung auf, andere Abteilungen verlegen ihnen den Weg - nun senden die Chitanen eine Abordnung zu Tschingis, daß sie sich ihm unterstellen und um seine Hilfe bitten. Das war der Wendepunkt. Bis jetzt hatte Tschingis-Chan gezögert, einzugreifen oder auch nur dem bedrängten LiaoFürsten Hilfe zu schicken. Aber jetzt erklärten sich chinesische Truppen zu seinen Untertanen. Sie waren nicht mehr für die Chin oder die Liao, sondern für die Mongolen. - Sollte er sie vernichten lassen? Er sah, wie stark Chin noch immer war, wie schnell es sich von den Niederlagen wieder erholte. Wenn er der Entwicklung freien Lauf ließ, würde in wenigen Monaten ein neues, noch mächtigeres Chin-Reich erstehen, noch gefährlicher, weil es nun die Stärke der Mongolen kannte und erst recht alles aufbieten würde, um diesen Nachbar zu vernichten... Muchuli wurde dem König von Liao zu Hilfe geschickt, Ssubutai erhielt den Auftrag, sich in der Mandschurei - dem Stammland der Chin-Dynastie - umzusehen, ein drittes Heer ritt nach dem Süden, um die aufständische Garde zu entsetzen. Ssubutai durchstreifte die Mandschurei, drang zur Küste vor, zog die Küste entlang nach dem Süden und brachte dem Cha-Chan die Unterwerfung des Fürsten von Korea. 131
Muchuli fand Liao-tung bereits ganz in den Händen der Chin, ein Statthalter aus Kai-föng befand sich schon unterwegs. Muchuli schlug die chinesischen Feldtruppen, besetzte alle Wege nach der Hauptstadt Liao-yang, fing den Statthalter der Chin ab und gab sein Beglaubigungsschreiben einem zu Tschingis übergegangenen chinesischen General. Dieser kam mit einer prunkharten Suite in die Residenz, ließ sich mit allem Pomp feiern, übernahm die Regierung, beurlaubte die Offiziere - und öffnete den Mongolen die Tore der Stadt. Muchuli wollte Liao-yang für seinen Abfall von dem LiaoKönig streng bestrafen, aber der chinesische General überzeugte ihn, daß er durch ein Beispiel der Milde sich das Vertrauen aller Chitanen erwerben werde, und Muchuli nahm den guten Rat an. Daraufhin ergab sich eine ganze Reihe anderer chitanischer Städte den Mongolen, und im Handumdrehen war das ganze Königreich Liao von den Chintruppen gesäubert. Das dritte mongolische Heer bahnte sich den Weg zu der Garde, vereinigte sich mit ihr, eroberte die Pässe, die nach Peking führten und erschien wieder vor den Toren der Stadt. Bevor es sie jedoch noch eingeschlossen hatte, traf in Peking ein Befehl von Hsüan-tsung ein: der Kronprinz solle sofort die mittlere Residenz verlassen und sich zum Kaiser nach Kai-föng begeben. Vergebens versuchte der Fürst Wan-yen, der zusammen mit dem Kronprinzen die Seele des Widerstands war, ihn von der Reise abzuhalten. Vergebens warnte er, daß sie ein Signal zu einem allgemeinen Abfall der Nordprovinzen und einem Chaos sein werde. Die anderen Generäle und Würdenträger verlangten Gehorsam für den kaiserlichen Befehl. „Garantierst du, daß du die Stadt halten wirst?" fragten sie den Kommandanten. Wan-yen konnte diese Garantie nicht übernehmen. In der kurzen Ruhepause hatte man die Riesenstadt aus dem geplünderten und gebrandschatzten Lande nur notdürftig versorgen können. Schon machte sich Lebensmittelmangel bemerkbar... Der Kronprinz aber könnte von Kai-föng aus die Versorgung sichern... 132
Er reiste ab - und in den Nordprovinzen begann das Chaos. Einzelne Provinzen und Städte erklärten sich für selbständig. Ihre Gouverneure riefen sich zu Königen aus. Einige gingen zu Tschingis über, um bei erster Gelegenheit wieder von ihm abzufallen. Sie kämpften gegeneinander, gegen die Mongolen, gegen die noch kaisertreuen Truppen... Muchuli erhielt den Oberbefehl und mit ihm den Auftrag, den Widerstand zu brechen. Seine Mongolen nahmen im Lauf des Herbstes und Winters über achthundert Städte und Flecken ein, die zum Teil zerstört, zum Teil unter eingeborenen Statthaltern stehengelassen wurden. Doch Peking hielt sich hartnäckig trotz Hungersnot und Krankheiten den ganzen Winter. Eine nach der anderen wurden die Entsatzarmeen aus dem Süden von den Mongolen geschlagen, doch Wan-yen hielt Peking. Als dann im Frühjahr auch die letzte Armee mit Lebensmitteln, die aus Kai-föng zu Hilfe eilte, abgefangen und vernichtet wurde und keine Hoffnung mehr auf Rettung bestand, verlangte der Kriegskommandant Wan-yen einen letzten Ausfall der gesamten Besatzung, um in einer Entscheidungsschlacht mit den Waffen in der Hand zu siegen oder zu sterben. Aber die übrigen Generäle verweigerten ihm den Gehorsam. Daraufhin verließ Wan-yen den Kriegsrat und begab sich in seinen Palast. Er schrieb an Hsüan-tsung einen Brief, in dem er die Lage der ihm anvertauten Hauptstadt schilderte, erlaubte sich, den Kaiser an alle seine Warnungen zu erinnern, und zeihte den Feldmarschall Kao-chi, den Ratgeber des Kaisers, des Verrats. Dann bat er den Herrscher um Verzeihung, daß er seinen Auftrag, Peking zu halten, nicht ausführen könne. Diesen Brief vertraute er einem treuen Diener an, der ihn nach dem Fall Pekings nach Kai-föng beförderte, verabschiedete sich von seinen Verwandten und Dienern, verteilte alles, was er besaß, und nahm Gift. In der nächsten Nacht schon floh der stellvertretende General mit seiner Geliebten aus der Residenz und überließ den kaiserlichen Palast und die kaiserlichen Frauen den bereits plündernden chinesischen Soldaten. Mit fünftausend Mann Mongolen und den ihm unterstellten chinesischen Truppen zog Muchuli nun in diese 133
gewaltige Festung ein, gegen die Tschingis-Chan selber mit dieser gesamten mongolischen Armee zweimal vergeblich angerannt war. Aber selbst bei dieser Nachricht rührte sich Tschingis nicht aus seiner Oase am Dolon-Nor. Chin interessierte ihn nicht mehr. Dieses Städtervolk war eine andere Sorte Menschen als seine Nomaden, und eine dauernde Gemeinschaft mit ihm konnte seinen Mongolen nur schaden: ein Volk, das heute dem einen diente, morgen dem anderen und jeden Augenblick bereit war, beide zu verraten, da es nur aus Angst um sein persönliches Wohlergehen und seinen Besitz gehorchte - solchen Menschen durfte man nicht trauen. Man pflegte mit ihnen keine Gemeinschaft - wie er sie seinen Mongolen mit den Keraiten, Ujguren, Naimanen anbefohlen hatte - um nicht die Tugenden der Steppenreiter zu verlieren: rücksichtslosen Mut, Todesverachtung, Treue zum Stamm und seinem Herrscher. Diese Leute waren klug und konnten gefährlich werden, also mußte man sie niederhalten. Sie zitterten um ihren Besitz und ihr Leben, also beherrschte man sie, indem man sie in steter Angst um Verlust von Leben und Besitz hielt. Und sie verstanden vieles zu schaffen, was die Nomaden so nötig brauchten, also nahm man es ihnen. Und er schickte SchigiKutuku nach Peking, um die Schätze des kaiserlichen Palastes nach der Mongolei zu bringen. Der Abgesandte des Herrschers wurde mit höchster Ehrerbietung empfangen. Die verschiedenen Höflinge versuchten, jeder nach seiner Art, durch herrliche Geschenke seine Gunst zu gewinnen. Die Stallmeister brachten edle Pferde, die Gewandbewahrer herrliche Brokate, die Kunsthüter goldene Geräte. Schigi-Kutuku brach beim Anblick jedes neuen Geschenkes in Entzücken aus. „Ist das alles aus dem kaiserlichen Palast?" fragte er schließlich. Ja, ja!" beeilten sich die Höflinge zu versichern. „Wie hätten die armen Diener so kostbare Sachen zu eigen?!..." „Dann gehöre doch alles dem Kaiser", erklärte SchigiKutuku. 134
„Und jetzt, da wir es erobert haben, gehört es unserem Cha-Chan. Wie dürft ihr was verschenken, was dem Cha-Chan gehört?..." Wochenlang gingen täglich vollbeladene Karawanen von Peking ab, um alle Kostbarkeiten des kaiserlichen Palastes numeriert und genau verzeichnet in das Lager am Dolon-Nor zu bringen. Und bei jeder der Karawanen befand sich eine Reihe von „nützlichen" Männern, ebenfalls nach Namen und Beruf katalogisiert. Es waren Künstler, Astrologen, Philosophen, Ingenieure, Handwerker. Eines Tages fiel Tschingis ein großer Mann mit langem schwarzem Bart auf. Er stand als: Yeliu-Tschutsai, Weiser und Sterndeuter aus dem Geschlechte der Liao, vermerkt. „Das Haus Liao und das Haus Chin waren immer Feinde", sagte ihm Tschingis. „Ich habe für dich Rache genommen." „Mein Vater, mein Großvater und ich selbst waren Diener des Chin-Hauses", antwortete Yeliu-Tschutsai. „Ich wäre ein Lügner und Heuchler, wenn ich gegen meinen Vater und meinen Kaiser feindliche Gefühle hegte." Die Antwort gefiel Tschingis-Chan. Ein Mann, der sich seinen Stolz inmitten des Städtevolkes bewahrt hatte, der nicht aus Furcht und nicht aus Vorteil zu dienen behauptete, sondern aus Treue und Überzeugung, mußte ein bemerkenswerter Mensch sein. Er verwickelte ihn in ein Gespräch ... Und nach dem Gespräch bat er ihn, in seine Dienste zu treten: als Wahrsager und Berater. Nach diesem Gespräch änderte Tschingis-Chan zum Teil seine Meinung: diejenigen Menschen unter den Städtern, die sich ihren Charakter bewahrt hatten, waren es wert, unter die edelsten gerechnet zu werden. Es war nur schade, daß ihre Handlungen manchmal nicht zu verstehen waren: was konnte zum Beispiel der Kriegskommandant Wan-yen dafür, daß die anderen alle Verräter waren?! Er hätte mit den wenigen Getreuen bis zuletzt kämpfen sollen, dann hätte TschingisChan sicher befohlen, ihn lebendig gefangenzunehmen, ihn wie Yeliu-Tschutsai gebeten, in seine Dienste zu treten und wieder zum Gouverneur von Peking, ja vielleicht von ganz Chin gemacht
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Man sollte den Tod nicht furchten, aber sich selbst zu töten?... Das verstand Tschingis-Chan nicht.
VII.
Der Kaiser von Chin bat um Frieden. „Wenn die Gemsen und Hirsche zur Strecke gebracht sind und nur ein Hase übriggeblieben ist, warum soll man ihn nicht freilassen?" sagte der Cha-Chan. Aber die Bedingungen waren unannehmbar: der Kaiser sollte die Länder nördlich von Hoang ho abtreten, seinen Titel ablegen und als König von Honan zum Vasallen Tschingis-Chans werden. Der Krieg dauerte fort. Tschingis schickte im Herbst seine Armee nach dem Süden. Sie wurde geschlagen und mußte sich über das Eis des Hoang-ho retirieren. Eine Reihe entfernter Städte empörte sich. Ein Partisanenkrieg drohte, ein langwieriger Zermürbungskrieg gegen die Menschenmassen Chins. Dazu bedurfte es der Anwesenheit des Cha-Chans nicht - und aus der Mongolei traf eine alarmierende Nachricht ein. Gütschlük, der Sohn des Naimanenfürsten BaibukaTaiang, der sich nach den Siegen der Mongolen im Altai an den Hof des Kaisers von Kara-Chitan geflüchtet hatte, war jetzt selber Herrscher von Kara-Chitan geworden. Gärung unter den Naimanen, Unruhe und Besorgnis unter den Ujguren wurden Tschingis gemeldet. Also machte sich der Cha-Chan im Sommer 1216 mit seinem ganzen Heere, mit dem ungeheuren Troß, mit allen Reichtümern und Schätzen auf nach seinem Ordu am Onon. In Chin ließ er Muchuli mit 23 000 Mongolen und 20000 Mann chitanischer Truppen zurück, und „sämtlichen Armeen, die noch zu ihm übergehen sollten". Er ernannte ihn zum Statthalter über das ganze Chin-Reich, Korea und das Königreich Liao und sagte ihm zum Abschied: „Die Länder nördlich von dem Gebirge Ho-schan habe ich besiegt, tue dasselbe mit den Ländern südlich des Gebirges."
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Die Welt im Westen I.
Die Heimkehr Tschingis-Chans in die Mongolei bedeutete weit mehr als die Rückkunft eines Herrschers in seine Residenz. Mit ihm kam ein ganzes Volk in die Heimat zurück. Alle Ordu der mongolischen Hochebene bis zum Baikalsee und bis zum Altai bekamen nach fünfjähriger Abwesenheit ihre Männer wieder, und mit den Männern erschien ungeahnter Prunk und Glanz in den Zelten. Alles, was die Nomaden je erbeutet und je besessen hatten, war armselig und bettelhaft im Vergleich zu dem Reichtum, den die Krieger jetzt heimbrachten. Sklaven und Slavinnen, Pferde und Kamele, bis zum Zusammenbrechen mit Dingen beladen, wie man sie hier vielleicht nur an Festtagen bei den Fürsten gesehen hatte. Jetzt konnte jeder Mongole ein Fürstenleben führen, war reich, gebot über Diener und Sklaven; und auch die Familien der Krieger, die in Chin gefallen waren, erhielten ihren Anteil, als ob der Mann noch gelebt hätte. Es gab kein Ende des Jubeins und des Feierns, und bei den Erzählungen an den Lagerfeuern verfluchten die Greise ihr Alter und erzitterten die inzwischen zu Jünglingen heranwachsenen Knaben vor Sehnsucht nach ebensolchen Kämpfen und Abenteuern. Die Nomaden waren ein anderes Volk als die Städter. Keiner von ihnen hängte sein Leben an seinen Besitz und dessen Genuß, keiner war des Krieges müde. Es gab niemand unter ihnen, der Ruhe und Wohlleben als den Zweck und das Ziel seines Daseins empfand. Ihr Ssutu-Bogdo Tschingis ChaChan hatte sie das wahre Männerleben des Kampfes und der Schlachten gelehrt, und sie hatten keinen anderen Wunsch, als es ewig fortzusetzen. Tschingis-Chans Wort: „Das höchste Gut im Leben der Menschen ist es, seine Feinde zu besiegen und sie vor sich herzutreiben, auf ihren Pferden zu reiten und ihnen alles zu nehmen, was sie besessen haben; die Gesichter, die ihnen teuer waren, in Tränen zu sehen und ihre Frauen und Töchter in seine Arme zu pressen!" hatte sich für Generationen in die Brust eines ganzen Volkes eingegraben und seine Art bestimmt. Alle Zwietracht, alle Feindschaft untereinander war 137
längst vergessen. Fünf Jahre lang hatte der Krieg in Chin gedauert, fünf Jahre lang waren die Stämme und Volkschaften der Mongolei unbeaufsichtigt sich selbst überlassen geblieben, und doch gab es hier während der ganzen Zeit keinen einzigen Aufstand, keinen einzigen Abfall. In gemeinsamen Schlachten und Siegen war durch Blut ein Volk zusammengeschweißt worden, ein Reiter- und Kriegervolk, dessen Stämme und Sippen nur noch den einen Ehrgeiz kannten, sich vor den Augen Tschingis-Chans voreinander auszuzeichnen. Alle Energie, die sich seit Uhrzeiten in gegenseitiger Fehde aufbrauchte, war jetzt, geschult und potenziert, ein Werkzeug in der Hand des Cha-Chans, jeden Augenblick bereit, sich wieder wie eine Sturzflut über jedes Land zu ergießen, das er ihr weisen wird. Aber so wortlos das Menschenleben für Tschingis im allgemeinen war, er sparte mit jedem mongolischen Krieger und lobte jeden Feldherrn, der seine Aufgabe, „ohne die Menschen und Pferde übermäßig anzustrengen", erfüllt hatte. Als er jetzt Dschutschi den Auftrag gibt, unterwegs zu seinem Uluß - den ihm zu eigen gegebenen Ländern im Nordwesten - die Merkiten zu vernichten, die sich in ihren Wäldern wieder gesammelt und durch einige Grenzüberfälle während der Abwesenheit des Heeres bemerkbar gemacht haben, teilt er ihm wohl seinen listenreichen Oerlök Ssubutai als Generalstäbler zu, aber keinerlei Hilfstruppen. Und als er Dschebe-Noion gegen das gewaltige Reich Kara-Chitan schickt, bewilligt er ihm nur 20 000 Mann.
II.
Das Reich Kara-Chitan ist groß und mächtig und hat viele volkreiche Städte. Seine Armeen sind kriegstüchtig und haben sich oft genug mit Nomadenscharen des Ostens und Nordens und auch mit den Streitern des Islams siegreich gemessen. - Und gegen dieses wehrhafte Reich, das sich über zwanzig Längengrade erstreckt, soll Dschebe mit 20 000 mongolischen Reitern Krieg führen. Aber Tschingis-Chan weiß jetzt von den Kundschaftern seines Jurt-Dschi - seines Generalstabs - alles, was sich während des chinesischen Krieges in Kara-Chitan ereignete: 138
Gütschlük, der Naimanenprinz, hatte nach seiner Flucht vor den Mongolen eine Enkelin des Kaisers von Kara-Chitan geheiratet, dann mit Hilfe des Herrschers die Reste der Naimanen um sich gesammelt und schließlich mit diesem naimanischen Heer den greisen Kaiser auf der Jagd überfallen und gefangen gesetzt. Zuerst regierte er im Namen des Gefangenen, dann bestieg er nach seinem Tode selber den Thron. Seine Regierung war hart und grausam. Aus Liebe zu seiner jungen Frau war Gütschlük vom nestorianischen zum lamaistischen Glauben übergetreten und verfolgte nun die Moslems, die den größten Teil der städtischen Bevölkerung ausmachten. Er schloß die Moscheen, beschlagnahmte ihre Vermögen, legte in die Städte starke Garnisonen, die von den Bewohnern ernährt werden mußten. Als Tschingis-Chan Dschebe die zwei Tuman gegen Kara-Chitan gibt, rechnet er die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ein, und indem er ihm wie üblich freie Hand in der Kriegsführung läßt, erteilt er ihm nur den Befehl, sofort nach Übertritt der Grenze die Öffnung aller Moscheen anzuordnen und zu verkünden, daß er nicht gegen friedliche Stadtbewohner, sondern lediglich gegen Gütschlük, ihren Bedrücker, kämpfe. Der Nomade und Anhänger des Schamanenkultes, der alle guten und bösen Geister unterschiedslos anruft, dem alle Religionen gleich gelten und in dessen Gefolge Priester aller erdenklichen Konfessionen - Schamanen, Lamas, buddhistische, manichäische, nestorianische Geistliche - nebeneinander ihre Gebete verrichten, wird plötzlich Beschützer der Städte und des Islams. Es zeigt sich, daß er die Bedeutung und die Macht des religiösen Fanatismus genau kennt und ihn zu nutzen weiß, um seine Krieger zu sparen. Dschebes Befehl, die Moscheen zu öffnen, zündete wie ein Blitz. Die mongolischen Reiter brauchten sich nur vor einer Stadt zu zeigen, damit sofort ein Aufstand ausbrach und die Besatzung, wenn sie nicht flüchtete, niedergemacht wurde. Alle Tore öffneten sich Dschebe, alle Mohammedaner begrüßten ihn als ihren Befreier, und da er sein Wort hielt und seine ausgezeichnet disziplinierten Truppen in keiner Stadt plünderten oder brandschatzten, befand sich bald der ganze 139
Osten des Reiches mit den bedeutendsten Orten wie Chami, Chotan, Kaschgar in seinen Händen. Das plötzliche Erscheinen der Mongolen, die Schnelligkeit ihres Vorrückens, der Verlust der stärksten Bollwerke seines Reiches hatten Gütschlük völlig überrumpelt. Er versucht noch, eine Entscheidung in einer offenen Schlacht zu erzwingen, aber sein Heer war bereits entmutigt, die moslemischen Abteilungen kämpften überhaupt nicht - er wurde geschlagen und floh in die Berge des Pamirs. Über das ganze „Dach der Welt" hetzen ihn nun Dschebes Reiter, bis auch die Reste seines Heeres ihn verlassen und er mit wenigen Getreuen in den wilden Schluchten an der Grenze von Badachschan eine letzte Zuflucht sucht. Der geschlagene Kaiser ist nicht einmal mehr des Schweißes mongolischer Krieger wert. Während sie sich mit dem Einfangen der berühmten weißmäuligen Pferde belustigen, die aus dem Fergana-Tal von den Chinesen schon seit altersher für ihre Gestüte eingeführt werden, verfolgen eingeborene Jäger auf Dschebes Geheiß Gütschlük bis in die verborgensten Schlupfwinkel und liefern ihn gegen die versprochene Belohnung aus. Zusammen mit dem Kopf des Feindes schickt DschebeNoion dem Cha-Chan eine tausendköpfige Herde der „himmlischen" weißmäuligen Pferde als Geschenk. „Werde mir nur nicht hochmütig! Denke daran, daß der Hochmut sie alle, den Wang-Chan, den Baibuka-Taiang, den Kaiser von Chin, zu Fall gebracht hat!" mahnt Tschingis seinen Oerlök - aber er ist zufrieden. Jetzt steht er auf dem Gipfel seiner Macht. Von den Bergen, die in den Himmel reichen, bis an den Ozean, der die Welt beendet, gebietet sein Wort. Im Osten arbeitet der treue Muchuli zähe und unermüdlich an der endgültigen Unterwerfung des Chin-Reiches, im Westen reitet Dschebe durch die Täler und über die Pässe des Pamirs, um zu sehen, ob es noch irgendwo Stämme gibt, die nicht Vasallen seines Herrn sind. Auch Dschutschi hat seinen Auftrag ausgeführt: er hat das Werk vollendet, das der junge Temudschin vor fünfunddreißig Jahren, als er sich mit fremder Hilfe die geraubte 140
Bürte zurückholte, nicht durchzuführen wagte, um nicht das Gleichgewicht unter den Völkerschaften der Mongolei zu stören. Er hat eine späte, aber um so gründlichere Rache an den Merkiten genommen, kreuz und quer ihre Wälder durchstreift und einen Stamm nach dem anderen ausgerottet. Nur einen einzigen Mann, einen Sohn Tuchta-Begs, wollte er verschonen. Die Schießkunst des Merkiten-Prinzen begeisterte die Mongolen, die doch selber die besten Bogenschützen der Welt waren, und Dschutschi bat um Gnade für seinen Gefangenen, als ein persönliches Geschenk für ihn. Aber Tschingis-Chan hat die Erfahrung gemacht, daß jede Nachsicht mit alten Feinden nur zu neuen Kriegen führt, und verweigert ihm die Gunst: „Das Merkitenvolk ist das verwerflichste unter allen Völkern. Der Sohn des Tuchta ist eine Ameise, welche mit der Zeit zur Schlange und zum Feind des Reiches werden wird. Ich habe so viele Könige und Heere für euch zu Boden gestreckt, was soll dieser eine Mann?!" Dschutschi grollt, daß sein Vater ihm seine Bitte abgeschlagen hat, aber er wagt es nicht, sich Tschingis-Chans Zorn auszusetzen. Der Merkiten-Prinz stirbt, und Dschutschi zieht weiter nach Kiptschak, um seinen Arger an den zu seinem Uluß gehörenden Steppenvölkern der Kirgisen und Tumaten auszulassen, die längst vergessen haben, daß sie seine Vasallen sind.
III.
Der Fall von Kara-Chitan, das Auftauchen eines mongolischen Heeres westlich von Jrtysch sind Ereignisse, die in Vorderasien Aufsehen erregen. Bisher hatte man hier über Tschingis-Chan nur das gewußt, was die moslemischen Kaufleute von ihm erzählten. Wie er der chinesischen Welt vor über drei Jahrzehnten als gut brauchbarer Barbarenhäuptling bekannt geworden war, der es verdiente, einen chinesischen Beamtentitel zu bekommen, so erschien er der islamischen Welt als ein ordnungsliebender Herrscher, der gut für Kaufleute sorgt und mit dem man vorteilhaft Geschäfte machen kann. Dann brachten die Kaufleute die Kunde, daß der ChaChan das ferne Reich erobert habe, von dem man hier nur 141
ganz nebelhafte Vorstellungen besaß, und die Welt des Islams horchte auf. Sie stand jetzt selbst im Zeichen eines großen Eroberers, des Choresm-Schahs Ala-ed-Din Muhammed. Abkomme eines türkischen Sklaven, der von einem Seldschuken-Sultan zum Statthalter der Provinz Choresm am unteren Amu-Darja ernannt worden war, hatte Muhammed von seinem Vater bereits ein selbständiges Choresm-Reich geerbt, das sich vom Kaspischen Meer bis in die Gegend von Buchara und vom Aral-See bis zur persischen Hochebene erstreckte. In ununterbrochenen Kriegen erweiterte er sein Reich nach allen Seiten, überschritt nach Norden den SyrDarja und drang in die kirgisischen Steppen, eroberte im Osten das Transoxanische Reich mit Samarkand und Fergana, unterwarf im Süden die Bergstämme von Afghanistan und dehnte seine Macht nach Westen hin über den persischen Irak hinaus. Als der „Schatten Allahs auf Erden", als ein „zweiter Alexander", als „der Große" und „der Siegreiche" gefeiert, träumte er bereits von der Vereinigung der gesamten islamischen Welt unter seinem Zepter und verlangte von dem Kalifen von Bagdad, demselben, von dem die Briefe des Kreuzpredigers Jakob von Vitry erzählen, die Anerkennung als Sultan und Unterwerfung. Der Kalif von Bagdad, dessen weltliche Macht bereits zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft war und sich nur noch über Mesopotamien erstreckte, besaß jedoch, soweit die Lehre des Propheten galt, die überragende Bedeutung als das geistliche Oberhaupt aller Mohammedaner. Die Politik der Kalifen gegenüber den immer neu aufkommenden Dynastien, die nach Alleinherrschaft strebten, war die gleiche wie die der Päpste gegen die deutschen Kaiser, sobald sie übermächtig wurden: der Kalif Nasir li-Din-Jllahi lehnte die Anerkennung des Schahs Muhammed als Sultan ab, verweigerte die Aufnahme seines Namens in die öffentlichen Gebete und bemühte sich um ein Bündnis der noch unabhängigen Fürsten gegen Muhammed. Doch diese Briefe fielen dem Schah bei der Eroberung von Afghanistan in die Hände; sobald er Beweise für die Umtriebe des Kalifen hatte, berief er ein moslemisches Konzil ein, das Nasir das Recht auf den Thron des Kalifats absprach und einen Gegenkalifen einsetzte. 142
Nun konnte Muhammed, ohne die Heiligkeit des Kalifats zu verletzen, mit der Vorbereitung eines Feldzugs gegen Nasir beginnen, um ihn tatsächlich abzusetzen. Mitten in diesen Vorbereitungen hörte der Schah von dem neuen Herrscher im Osten jenseits von Kara-Chitan. Er kannte die mongolische Welt gar nicht, er erfuhr nur von großen Eroberungen, von Kämpfen im fernen Chin Reich, vom Auftauchen mongolischer Reiter in der Kirgisensteppe und er entschloß sich vorsichtshalber, seinen Feldzug gegen Bagdad aufzuschieben. Er begann mit dem Ausbau der Festungen im Osten und Norden und schickte eine Gesandtschaft nach der Mongolei... Tschingis-Chan wußte von der moslemischen Welt bedeutend mehr als der Schah von der mongolischen. Von dort kamen tausenderlei Dinge, die seine Nomaden gut gebrauchen konnten: Kettenpanzer, durch die kein Pfeil drang, Helme und Schilde aus Stahl, feingeschmiedete, krumme Säbel; aber auch herrlicher Schmuck für Frauen, Glasgefäße, bunte Teppiche, weich wie Daunen, wunderbare Seiden... Und er ließ die Gesandten ihrem Herrn Muhammed ein Angebot übermitteln: „Ich kenne bereits die Größe und die Macht des Reiches Eures Schahs. Er ist der Beherrscher des Westens, wie ich der Herr des Ostens bin, und wir sollten in Freundschaft miteinander leben. Unsere Grenzen berühren sich in Kiptschak, und es wäre gut, wenn die Kaufleute frei von einem Land ins andere reisen könnten." Er entsendet auch eine Gegengesandtschaft mit reichen Geschenken, Silberbarren, Jade, Kamelhaarstoffen, Pelzen. Um dem Schah zu schmeicheln, sind seine Gesandten alle Mohammedaner - Ujguren, Kaufleute aus Ostturkestan keine Mongolen. Ihr Führer ist der Kaufmann Mahmud Jelwadsch. Ihm wird ein so ehrenvoller Empfang bereitet, daß der ganze Hof des sonst so hochmütigen Schahs sprachlos ist, aber dann beginnen die Fragen: Muhammed will wissen, ob der Cha-Chan über viele Völker herrsche, ob er wirklich das ferne Chin-Reich erobert habe, und schließlich, versteckt, verlangt er die wichtigste 143
Auskunft - ob der Mongolen-Chan ihm gefährlich werden kann. Er mahnt den Gesandten: „Du bist Muslim und aus Choresm gebürtig, du mußt mir die reine Wahrheit sagen und nichts verschweigen. Du kennst die Größe und die Macht meines Reiches. Ist das Heer des Chans ebenso stark wie meines oder nicht?" Liegt in der Frage nicht eine Drohung?... Der Schah hat erwähnt, daß Mahmud Jelwadsch aus Choresm gebürtig ist, das bedeutet, daß er sich als seinen Gebieter betrachtet - also darf die Antwort ihn nicht erzürnen. Als Moslem wiederum muß Mahmud seinem Herrn die Wahrheit sagen... Er denkt an die prächtigen, prunküberladenen Reiter des moslemischen Herrschers und an die unansehnlichen, bis ins Letzte nur auf kriegerische Zweckmäßigkeit ausgerüsteten Scharen des Cha-Chans, und seine Antwort ist ein diplomatisches Meisterstück: „Der Glanz der Armee Tschingis-Chans ist, verglichen mit dem Strahlen der Streiter des Sultans der Welt, ähnlich dem Schein einer Lampe gegen das Licht der den Erdkreis erleuchtenden Sonne, ähnlich dem Antlitz einer Mißgeburt gegen die Reize eines rumelischen Türken. Auch die Zahl Deiner Krieger übersteigt die seinen bei weitem." Der Bescheid gefällt Muhammed. Der Handelsvertrag wird zu gegenseitiger Zufriedenheit abgeschlossen, und während hüben und drüben die ersten Karawanen ausgerüstet werden, zieht der Schah nach dem Westen gegen den Kalifen, gerade um die Zeit, als Dschebe-Noion gegen Kara-Chitan aufbricht.
IV.
Auch am Hofe des Kalifen waren - zusammen mit der Kunde über die Vorbereitungen des Schahs Muhammed zu einem Feldzug gegen Bagdad - Gerüchte aufgetaucht, daß im Osten, jenseits der afghanischen Berge, ein mächtiges Reich entstanden sei. Sofort ließ der Kalif Nachrichten über dieses Reich sammeln und hörte - vor allem durch nestorianische Christen, deren Gemeinden in ganz Asien zerstreut lagen daß der Herrscher im Osten ein Feind des Schahs und ein Christ ist... 144
Das war eine Nachricht, in der sich Irrtümer, Gerüchte und tatsächliche Ereignisse zu einem kunterbunten Strauß vermischt hatten. Ihr lag die Sage vom „Priester Johannes, dem christlichen König von Indien", zugrunde, die sich vor beinahe einem Jahrhundert im Orient gebildet hatte: Es war zur Zeit der großen Kämpfe in China gewesen. Die Liao-Dynastie war gerade unter dem Ansturm der Chin zusammengebrochen, und um der Vernichtung zu entgehen, hatte sich einer der energischsten chitanischen Fürsten der Liao-Dynastie, Yeliu-tasche, mit seinem Heer nach Westen gewandt, die Gobi der Länge nach überquert und in Turkestan das Reich Kara-Chitan gegründet. Als dieses neue „mächtige Reich im Osten" bald auch die Seldschuken, deren Macht von Ägypten bis an den Pamir reichte, in einer blutigen Schlacht besiegte, drang die Nachricht von diesem Sieg über den ganzen Orient bis zu den Kreuzrittern, die um diese Zeit gegen Damaskus kämpften. Selbstverständlich mußte der im Osten so unerwartet aufgetauchte Feind des Islams ebenfalls ein Christ sein, und da man noch vom Heereszug Alexanders des Großen her wußte, daß im Osten das Wunderland Indien lag, so machte die Phantasie aus dem chitanischen Fürsten Yeliu-tasche einen christlichen „König von Indien", den man den „Priester Johannes" taufte, und da die tapferste christliche Ritterschaft von den Seldschuken geschlagen wurde, während die Heere aus dem Osten siegreich waren, stattete man den „Priester Johannes" mit einer unermeßlichen Macht aus, machte ihn zum „König der Könige"... So kam die Legende aus dem Orient nach Europa, wo sie weiterlebte. Das Seldschuken-Reich zerfiel, in seinem östlichen Teil erhob sich machtvoll das Choresm Reich des Schahs Muhammed, doch die Kämpfe gegen Kara-Chitan dauerten fort. Und als dann gar Gütschlük, der in seiner Jugend selber nestorianischer Christ war, mit den Verfolgungen der Moslems begann, konnte es für die Nestorianer gar keinen Zweifel mehr geben: das mächtige Reich im Osten war ein christliches Reich und sein Herrscher, Nachkomme des „Priesters Johannes", ein Feind des Schahs... Der Kalif, in seiner Not bereit, sich mit Tod und Teufel zu verbünden, ging den nestorianischen Patriarchen von Bagdad 145
um Vermittlung an. Das jahrhundertelange Nebeneinanderleben hatte die Gegensätze zwischen der christlichen und der mohammedanischen Bevölkerung abgeschliffen, die beiden geistlichen Oberhäupter verstanden sich ganz gut, und gegen das Versprechen, eine zu nahe an das Christenviertel gebaute Moschee niederreißen zu lassen, war der Patriarch bereit, zusammen mit dem Kalifen, dessen weltlicher Macht ja seine Gemeinde unterstand, ein Schreiben an diesen „König des Ostens" zu richten: Er möge, sobald der Choresm-Schah gen Westen aufbreche, seine Länder mit Krieg überziehen; glorreiche Siege und herrliche Beute harrten seiner... Dann stiegen dem Kalifen und dem Patriarchen Bedenken auf: Wie übermittelte man diese Botschaft dem Herrscher des Ostens? - Der einzige Weg dorthin führte durch die Länder des Choresm-Schahs - der Bote durfte also kein Schreiben mitbekommen, das dem Schah in die Hände fallen könnte, und mußte doch eine Beglaubigung haben... Da hatte jemand einen genialen Einfall: man rasierte dem Gesandten den Schädel, brannte ihm die Botschaft mit glühendem Stift in die Kopfhaut ein und rieb blaue Farbe in die Wunden. Dann ließ man ihn den Brief auswendig lernen, und als sein Haar nachgewachsen war, machte er sich auf den Weg. Bis er von Bagdad nach Buchara und Samarkand gelangte, sah die Welt schon anders aus. Der Schah Muhammed befand sich bereits mit seinem Heer auf dem Wege nach dem Westen, und Dschebe jagte gerade den Kaiser des Ostens, Gütschlük, durch die Schluchten des Pamir. Aber hier in Samarkand hörte der Gesandte von dem mongolischen Cha-Chan, der sich der „Herr des Ostens" nenne, von den Karawanen, die über Kiptschak in sein Reich zogen... Und plötzlich kommen „Pfeil"-Boten Dschutschis Uluß bei Tschingis angejagt: in der Kirgisensteppe sei ein zerlumpter Mann erschienen, der behaupte, von dem Kalifen von Bagdad zu dem Herrscher der Mongolen gesandt zu sein. Bagdad ist, wie Tschingis von den mohammedanischen Kaufleuten gehört hat, eine Stadt der Wunder, die irgendwo im Westen am Rande der Welt liegt, so weit, daß keiner von ihnen je dorthin gekommen ist. Dort gebietet der Kalif, ein 146
Nachkomme des Propheten, der Oberpriester aller Moslems... Also reiten die Boten, so schnell die Pferde sie tragen können, zurück: der Mann soll sofort zu dem Ordu am Onon gebracht werden. Durch diesen Gesandten des mohammedanischen und des nestorianischen Oberhauptes weitet sich das Blickfeld des Mongolen zum erstenmal über die ost- und mittelasiatische Welt hinaus. Er erfährt zum erstenmal, daß der Schah nicht der „Herr des Westens" ist, daß hinter seinem Reiche noch andere Länder liegen, deren Herrscher mit ihm verfeindet sind, und daß auch hinter diesen Ländern die Welt immer noch nicht zu Ende ist, sondern erst die Reiche der Christen beginnen, die ihre Heere wiederum bis in das Land des Kalifen schicken... Den Osten kennt er schon: dort ist er bis an das Ende der Welt gekommen, nach dem Abendland zu aber scheint sie sich endlos zu dehnen, und überall herrschen die gleichen Zustände wie in seiner Jugend in der Mongolei: überall befehden und bekriegen sich die Könige, und nirgends gibt es einen Herrscher über sie... In den Streit des Kalifen mit dem Schah will Tschingis sich nicht einmischen. Er merkt sich zwar die Beschuldigungen, daß Muhammed ein ungerechter und unduldsamer König sei, daß er andere moslemische Fürsten mit Krieg überziehe und ihre Untertanen, gleichgültig ob Moslems oder Christen, brandschatze und plündere, und daß es viele Unzufriedene in seinem Lande gibt... Aber der Handelsverkehr mit dem Choresm-Schah ließ sich ganz gut an, die Karawanen zogen hin und her, und für den Kalifen empfand er keinerlei Sympathie. Was war das für eine sonderbare Botschaft, daß zwei Oberpriester ihn zum Krieg gegen einen König aufriefen? Priester sollten zu Gott beten und nicht gegen Könige streiten. Und wäre der Himmel nicht auf der Seite des Schahs, so hätte er auch seine Gegner nicht in seine Hand gegeben... Der Bote bekam die gleiche Antwort wie vormals der Gesandte von Sung, als er Tschingis zur Fortsetzung des Kampfes gegen den Kaiser von Chin gewinnen wollte: „Ich stehe mit ihm nicht im Krieg."
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Die Botschaft des Kalifen war vergebens gewesen. Doch später, als alle Länder Vorderasiens durch Tschingis-Chan verwüstet waren und die Völker des Islams unter dem Druck der Mongolen schon ihr Ende kommen sahen, erinnerte man sich dieser Botschaft, und die arabischen Chronisten schrieben: „Wenn die Behauptung der Perser, daß der Kalif Nasir li-Din-Illahi die Tataren ins Land gerufen habe, wahr ist, so ist dies eine Tat, neben welcher das größte Versprechen gering erscheint." Und doch verdankte das Kalifat es nur dieser Gesandtschaft, daß es noch vier Jahrzehnte lang seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit behaupten konnte. Durch die Berichte des Gesandten waren die Mongolen so von der Macht und der Größe des Kalifen überzeugt worden, daß sich die Feldherren Tschingis-Chans nach der Bezwingung von Vorderasien zuerst nach Norden wandten und ihrem Cha-Chan die russischen Steppen entdeckten. Erst als Rußland, Polen, Ungarn zusammengebrochen, als die kiemasiatischen Reiche erobert waren, entschloß sich sein Enkel Hulagu im Jahre 1258, gegen Bagdad zu ziehen.
V
Muhammeds Feldzug gegen den Kalifen ließ sich zuerst gut an. Der Schah überrannte die halb unabhängigen Fürstentümer, die auf seinem Wege lagen, und drang nach Westpersien vor; schon trennte ihn nur noch ein Gebirgsmassiv von der Mesopotamischen Tiefebene, da setzte mit dem Beginn des Jahres 1218 ein unerwartet harter Winter ein. Eis und Schnee machten das Gebirge unpassierbar, das Heer des Schahs war den Strapazen nicht gewachsen, die Tiere hungerten, die Menschen froren - und auf halbem Wege zwischen Hamadan und Bagdad ließ Muhammed seine Truppen umkehren. Die Umkehr sollte nur ein Aufschub sein. Herrscher eines riesigen Reiches, an der Spitze eines unbesiegbaren Heeres, wollte er im nächsten Jahr noch besser gerüstet wiederkommen. Da traf bei ihm die Kunde ein, daß Gütschlük, der Kaiser von Kara-Chitan, eben von Dschebe getötet worden sei. Nun grenzten die Länder des Cha-Chans 148
im Osten und Norden in der ganzen Ausdehnung an sein Reich... Muhammed ließ das gesamte Heer an den Amu- und Syr-Darja zurückkehren. Er wollte seine Streitmacht lieber in der Nähe als 2000 Kilometer entfernt haben... „Aber wenn der Stern eines Sterblichen in die Konstellation des Unglücks eintritt", meldet eine persische Chronik über diesen Entschluß, „dann verkehrt das Schicksal alle seine Unternehmen in ihr Gegenteil, und nicht der durchdringendste Geist, nicht außerordentliche Eigenschaften, nicht die gründlichste Erfahrung können ihn retten. Alle seine Vorzüge werden von der Härte des Schicksals zunichte gemacht. War der Engel des Erfolges bisher vor Muhammed hergeschritten, ließen glückliche Konstellationen alle seine Wünsche sich mit Leichtigkeit erfüllen, so prasselten jetzt die größten Unglücke, die einen Fürsten treffen können, auf sein Haupt nieder, und der Feldzug gegen Bagdad mutet wie ein Vorspiel dazu an." Kaum war Muhammed in Samarkand eingetroffen, als bereits ein Bote aus seiner wichtigsten Grenzfestung Otrar erschien: der Gouverneur habe eine Karawane gefangen gesetzt, denn unter den mohammedanischen Kaufleuten befanden sich mongolische Spione. Der Schah Muhammed befahl: „Hinrichten!" „Mit diesem Befehl hat der Schah sein eigenes Leben verpfändet", schreibt der Chronist, „daß er jeden Tropfen ihres vergossenen Blutes mit Wogen des Blutes seiner Untertanen, jedes einzelne ihrer Haare mit hunderttausend Köpfen und jeden einzelnen Dinar mit je hundert Zentnern Goldes aufwiegen werde." Der Gouverneur läßt die Gelegenheit, sich der reichen Schätze der Karawane zu bemächtigen, nicht vorübergehen und befiehlt kurzerhand, alle hundertfünfzig Mann: Kaufleute, Diener, die Begleitung der Karawane hinzurichten. Nur einem der Sklaven gelingt es zu fliehen. Er erstattet dem ersten mongolischen Posten Bericht und wird sofort vor Tschingis gebracht. Der Cha-Chan kann es nicht glauben, daß ein Herrscher sein feierlich gegebenes Wort, die Karawanen ungehindert 149
und unangetastet durch seine Länder ziehen zu lassen, ohne weiteres bricht. Es muß die Tat eines Gouverneurs sein, von der Muhammed nichts weiß. - Und Tschingis fertigt eine Gesandschaft nach Samarkand ab, die von dem Schah die Auslieferung des schuldigen Satrapen fordert. Ala-ed-Din Muhammed, „der Schatten Allahs", traut seinen Ohren nicht: ein ungläubiger Hund, ein Nomadenchan fordert von ihm, dem Beherrscher des Islams, dem „zweiten Alexander", Rechenschaft? Maßt sich an, über seinen Gouverneur zu Gericht zu sitzen? Droht bei einer Weigerung mit Krieg? - Darauf gibt es nur eine Antwort: er läßt den Anführer der Gesandtschaft hinrichten, seinen Begleitern den Bart absengen und sie so zu ihrem Cha-Chan zurückschicken... Die Person des Gesandten ist für die Mongolen heilig und unantastbar. Als Tschingis von dieser Hinrichtung hörte, als er die übrigen Gesandten so beschimpft wiedersah, soll er geweint haben: „Gott weiß, daß ich nicht die Veranlassung zu diesem Unglück gewesen bin!" Dann ruft er: „Möge mir nun der Himmel durch seine Gnade die Kraft zur Rache geben!" Und seine „Pfeil"-Boten rasen los und rufen einen halben Kontinent, vom Altai bis zum Gelben Meer, zum Vergeltungskrieg auf. Alle Mongolen vom siebzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr greifen zu den Waffen, die wilden Reiter Kiptschaks, der Ujgurenfürst mit seinen Kriegern, ein Korps chinesischer Artilleristen, chitanische und kara-chitanische Regimenter folgen dem Rufe und brechen auf. Nur ein einziger Vasall, der König von Hsi-Hsia, verweigert Tschingis die Heeresfolge: „Ist der Cha-Chan noch nicht fertig mit der Unterjochung aller Völker?" sagt er dem Boten. „Wenn ihm sein eigenes Heer nicht stark genug erscheint, dann soll er endlich damit aufhören!" Die Absage in dieser Stunde, die Verletzung der vornehmsten Pflicht des Vasallen empört Tschingis: „Was hindert mich, mit meinem ganzen Heer gegen das Tangutenreich zu ziehen und es dem Erdboden gleichzu150
machen?" ruft er in höchstem Zorn: „Was hindert mich, alles in diesem Lande zu vernichten und dieses Volk auszurotten?!..." Doch das vergossene Blut des Gesandten ist noch nicht gerächt, und diese Rache geht vor: „Ich habe mein Wort gegeben. - Doch dann..." Prophetisch schwört er: „Und sei es in meiner Sterbestunde, ich werde ihm auf diesen Verrat die Antwort erteilen!"
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Krieg dem Schah I. Muchuli führt in Chin seinen Kleinkrieg weiter, eine beträchtliche Truppe bleibt in der Mongolei, um Hsi-Hsia in Schach zu halten, und doch beträgt die Kriegsmacht, die Tschingis-Chan jetzt aufstellt, nahezu eine Viertelmillion Mann. Aber bedeutsamer noch als die Zahl ist die Organisation und die Ausrüstung dieses Heeres. Keine Armee der Welt kann sich mit ihm messen. Alle Erfahrungen, die die Mongolen in ihrem fünfjährigen Ringen gegen Chin gesammelt haben, sind systematisch ausgewertet worden. Alle Künste der fremden Ärzte, Handwerker, Techniker müssen dazu dienen, die Kampffähigkeit zu vervollkommnen, die Schlagkraft zu erhöhen. Jede Möglichkeit ist bis in die letzte Einzelheit durchdacht, für jeden Zwischenfall ist vorgesorgt. Jeder Soldat muß nicht nur alles, was er für den Krieg braucht, bis zur Nadel mit Faden und bis zur Feile zum Schärfen von Pfeilspitzen bei sich führen; er hat sogar, wenn er jetzt ins Feld zieht, ein Hemd aus fester Rohseide an, weil die Seide bei einem Pfeilschuß nicht zerreißt, sondern sich mit in die Wunde hineinzieht, und die chinesischen Ärzte dann selbst abgebrochene Pfeilspitzen durch Ziehen am Seidenstoff aus der Wunde entfernen können. Ein gewaltiges Artilleriekorps begleitet das Reiterheer. Es führt auf Jaks und Kamelen außer sorgfältig in ihre Teile zerlegte Wurf- und Schleudermaschinen - Jahrzehnte bevor Berthold Schwarz das Schießpulver, erfunden' hat- „Ho-pao" und „Chin-tien-lei" mit: Feuerschleuderer und Kanonen, um hölzerne Türme in Brand zu schießen und die Festungsverteidiger mit Stein- und Eisenhagel zu überschütten. Chinesische Erd- und Wasserbau-Ingenieure folgen dem Heer: für Pionierarbeiten, Brückenbauten - die Armee des Prinzen Tschagatai hat auf dem Weg zum Syr-Darja nicht weniger als achtundvierzig Brücken zu bauen -, und um bei Belagerungen Flüsse abzuleiten, Überschwemmungen zu erzeugen. Besondere Offiziere kontrollieren die Ausrüstung jeder Truppe, und wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist, wird 153
nicht nur der betreffende Soldat, sondern auch sein nächster Vorgesetzter bestraft. Besondere Quartiermeister bei den Vortrupps haben Lagerplätze für jede Abteilung zu bestimmen. Andere haben dafür zu sorgen, daß beim Verlassen des Lagerplatzes kein Gegenstand vergessen bleibt, anderen wiederum untersteht die gerechte Verteilung der Beute... Jeder Reiter hat drei bis vier Reservepferde, seine Waffen sind für Fern- und Nahkampf berechnet: ein Bogen, zwei Köcher mit verschiedenartigsten Pfeilen, der eine griffbereit, der Reserveköcher wasserdicht verschlossen, Wurfspieß oder eine Stoßlanze mit einem Haken, um den Gegner aus dem Sattel zu heben, leicht gekrümmter Säbel oder eine Streitaxt, und nicht zuletzt das Fangseil, das die Mongolen mit nie versagender Geschicklichkeit handhaben. - Noch in den napoleonischen Kriegen rief ein in russischen Diensten stehendes Kalmückenregiment - Nachkommen der Mongolen - Panik bei dem Gegner hervor, indem es mitten in einer Reiterattacke die Fangseile schwirren ließ und in voller Karriere wendete, die gefesselten Gegner hinter sich herschleifend; die Franzosen, unter denen das Gerücht verbreitet war, daß es im russischen Heere Menschenfresser gab, dachten nichts anderes, als daß ihre Kameraden direkt zu den Kochkesseln geschleift würden...
II.
Es ist Herbst 1218. Tschingis-Chan hat die große Sammlung des Heeres erst für das nächste Frühjahr im Lande der Ujguren, am oberen Jrtysch, angesetzt, denn er will die Schneeschmelze abwarten, ehe er seine Scharen durch die Dsungarische Pforte führt - jenes Einfallstor, durch das sich die Nomadenstämme Hochasiens seit Urzeiten nach dem Westen ergossen haben. Er weiß, was für wasser- und futterarme Öden bis zum Syr-Darja zu überqueren sind, er muß eine Viertelmillion Menschen und über eine Million Tiere aus dem öden Lande ernähren, durch das sie ziehen - doch einen anderen Weg gibt es nicht. Bei dem Feldzug gegen Chin konnte er jeden Punkt der fünfhundert Kilometer langen Grenze für seinen Einfall wählen - das Reich des Schahs ist im ganzen Osten durch unübersteigbare Gebirge bis über sieben154
tausend Meter Höhe vor jedem Überfall geschützt. Und selbst wenn er auf dem Umweg über die nördlichen Steppen endlich den Syr-Darja erreichte, hatte er weitere Hunderte von Kilometern im Feindesland selbst zurückzulegen, ehe er einen der Lebensnerven des Reiches in der Oase von Serafschan traf, wo die Hauptstadt Samarkand und das reiche Buchara lagen... Noch stellt der Jurt-Dschi - der Generalstab - die Marschrouten für die einzelnen Armeen fest, da kommt plötzlich aus Kara-Chitan eine Meldung von Dschebe-Noion: er habe einen Weg nach Westen durch das Gebirge gefunden. Dieser Weg kann nirgendwo anders hin als in das ChoresmReich führen. - Das heißt aber die Möglichkeit eines Einfalls nicht nur im Norden über den Syr-Darja, sondern auch vom Osten her - und sofort schickt Tschingis-Chan Dschutschi mit einer Hilfstruppe zu Dschebe nach Kaschgar. Sie sollen sehen, wohin dieser Weg führt. Der Prinz und der Oerlök sind sich bald einig, und nun beginnt mitten im Winter ein tollkühner Ritt ins Unbekannte, vor dem die Alpenübergänge Napoleons und Hannibals verblassen. Das Heer von 25 000 bis 30 000 Mann dringt in die Senkung zwischen dem eigentlichen Pamir und dem TienSchan ein, reitet durch mannshohen Schnee, bei einer Kälte, daß den Pferden die Adern platzen und die Hufe abfrieren, auf die vereisten, beinahe viertausend Meter hohen Pässe KisilArt und Terek-Dawan hinauf. Durch ungeheure Schneestürme kämpfen sie sich in der Eiswelt zwischen den siebentausend Meter hohen Bergriesen durch, die Beine ihrer Pferde sind mit Jakhäuten umwickelt, die Menschen völlig in ihre Doppelpelze - die Dacha - eingemummt. Um sich zu erwärmen, öffnen sie dem Pferde die Ader, trinken das heiße Blut und schließen sie wieder; alle überflüssigen Lasten sind längst abgeworfen, auf alles Entbehrliche ist längst verzichtet worden, um Menschen und Tieren den Weg überhaupt möglich zu machen - und doch ist er mit Pferdegerippen bedeckt. Nur mit Gerippen, weil das Fleisch restlos noch lebenswarm aufgegessen wurde. Und je weiter sich der Weg zieht, desto mehr Leichen auch erfrorener und an Entkräftung gestorbener Menschen bleiben am Rande liegen... Dann, nach unsäglichen Mühen und Entbehrungen, öffnet 155
sich den erschöpften Truppen plötzlich das herrliche, grüne Fergana-Tal, das Land der Weinreben und der Seidenzucht, des Weizens und der edelsten Gestüte, gleich berühmt durch seine Goldschmiedekunst wie durch seine Glasbläsereien. Hier herrscht schon längst der Frühling... Aber sobald sie in diese Oase hinuntergestiegen waren, sobald ihre Vortrupps in den Dörfern erschienen und die Herden zusammenzutreiben und Futter zu requirieren begannen, stand auch bereits Muhammed mit einem ausgeruhten, starken Heer da, um die übermüdeten, entkräfteten Mongolen zu empfangen. Beim Anblick der fellbekleideten Nomaden auf ihren kleinen struppigen Pferdchen, ohne Panzerhemden, ohne Stahlschilde, ergriff ihn fast das Mitleid. Sie kämpften auch kaum. Beim ersten ernsten Angriff flohen sie - allerdings auch auf der Flucht als ausgezeichnete Bogenschützen nicht ungefährlich. Sein Heer dringt tiefer in das Tal und hat bald Dschutschis Hauptkräfte vor sich. Es ist ihnen nicht nur zahlenmäßig weit überlegen, sondern auch besser bewaffnet, ausgerüstet, es ist frisch und kampfbegierig. Dschebe hat keine Lust, eine Schlacht anzunehmen: Wenn sie sich wieder in die Berge zurückziehen, wird der Schah ihnen mit seinen besten Truppen folgen und sich immer weiter vom Syr-Darja entfernen, wo Tschingis mit der großen Armee den Hauptschlag zu führen gedenkt... Aber Dschutschi will den Kampf: „Was soll ich meinem Vater sagen, warum ich geflohen bin?" Die Truppen des Schahs greifen unter lauten Trompetensignalen, unter einem Höllenlärm der Zimbeln an. Die Mongolen stürzen sich mit wildem Geschrei auf den Feind, aber alle ihre Manöver vollziehen sich überraschend und unverständlich für den Gegner. Die Abteilungen werden nur durch Fähnchen und Feldzeichen von verschiedener Farbe und Form dirigiert; sie greifen an, schwenken, zerstreuen und sammeln sich und ändern die Richtung des Stoßes, ohne daß man bis zum letzten Augenblick ihre Absicht erkennt. Sie drücken das Zentrum des Feindes ein, so daß der Schah selbst 156
beinahe in Gefangenschaft gerät und nur durch einen tollkühnen Gegenangriff seines Sohnes Dschelal-ud-Din gerettet wird. Aber auch Dschutschi entgeht nur dank dem Opfermut eines seiner Heerführer der Gefangennahme. Bis zum Anbruch der Nacht dauert der zähe, erbitterte Kampf fort, dann ziehen sich beide Heere in ihre Anfangsstellungen zurück. Die Lagerfeuer flammen auf. Beim Morgengrauen sehen die Truppen des Schahs nur ein leeres Feld und Leichen vor sich. Die Mongolen sind verschwunden. Sie haben in der Nacht ihre Reservepferde bestiegen und sind schon mit all ihrem Troß, mit ihren Verwundeten und den in der Gegend bereits zusammengeraubten Herden einen Tagesmarsch entfernt. Muhammed kann behaupten, daß er einen Sieg erfochten hat. Aber er hütet sich, den Mongolen in die Berge zu folgen. Er verteilt Auszeichnungen und Belohnungen und kehrt nach Samarkand zurück, wo er sich als Sieger feiern läßt. Doch die Verachtung, die er vor der Schlacht für seine Gegner hatte, ist ihm vergangen. Er gesteht, daß er noch nie „Männer von solcher Tapferkeit und Geschicklichkeit" hat kämpfen sehen. Er ist vorsichtig geworden, zieht alle verfügbaren Truppen zusammen und schickt sogar, in schwerer Besorgnis über Tschingis-Chans weitere Pläne, Spione in die Mongolei.
III.
Bei Dschutschis Auszug aus Kaschgar betrug die Entfernung bis zu Tschingis-Chans Ordu 3000 Kilometer, jetzt ist er von dem Heeressammelpunkt am Jrtysch nur noch 2000 Kilometer entfernt, aber zu den wilden Gebirgen, zu den Sand- und Steinwüsten ist als letztes Hindernis noch dieser unglaubliche Paßübergang über den Kisil-Art und den TerekDawan hinzugekommen - und doch brach in keinem Augenblick die Verbindung zwischen ihm und seinem Vater ab. Die „Pfeil"-Boten kennen keine Schrecken der Natur, keine Hindernisse. Es gibt nichts, was ihren Ritt aufhalten kann. Der Cha-Chan erfährt von der Schlacht im Fergana-Tal, von ihrem Ausgang, und befiehlt seinem Sohn, wieder 157
vorzurücken. Außerdem schickt er Dschebe noch 5000 Mann mit dem Auftrag, nach Süden zum Oberlauf des Amu-Darja vorzustoßen und dann flußab zu reiten. „Nach Süden" - das bedeutet nicht mehr, einen Paß zu ersteigen, um von einem Hochtal ins andere zu kommen; das heißt, quer über die 6000 bis 7000 Meter hohen Alai-Bergketten zu reiten, über eine nach der anderen, bis man in das Gebiet des Amu-Darja - des Orus der Alten - gelangt... Dschebe macht sich sofort auf. Tschingis-Chans Hauptmacht hatte inzwischen weit im Norden, in verschiedene Heere geteilt, den Marsch in das öde Siebenstromland angetreten. Die eine Armee führte Tschagatai, die andere Ugedei. Seinen vierten Sohn Tuli behielt Tschingis-Chan bei sich. Auch der gesamte Jurt-Dschi - der Generalstab - begleitete sein Heer. Yeliu-Tschutsai ist auch mit dabei. Zuerst war es die Sicherheit seiner Voraussagen, die dem Gelehrten aus China das Vertrauen des Herrschers erwarb: Einmal waren Wahrsager aus dem Westen gekommen und hatten geweissagt, daß der Mond sich verfinstern werde, aber Yeliu-Tschutsai hatte nur den Kopf geschüttelt und einen ganz anderen Tag genannt - und in der von den Astrologen bezeichneten Nacht blieb der Mond hell und ungetrübt wie immer, und zu der von Yeliu-Tschutsai vorausgesagten Stunde wurde er zu acht Zehnteln schwarz. Seitdem glaubte Tschingis ihm mehr als allen Wahrsagern und Schamanen, und seine Ratschläge erwiesen sich als so klug und praktisch, daß es bald keine Frage mehr gab, bei der der Cha-Chan nicht seine Meinung hören wollte. Der Aufstieg des Chinesen zum ersten Ratgeber erweckte die Eifersucht der mongolischen Edlen, und als der Gelehrte jetzt gar noch im Gefolge des Herrschers mit in den Krieg ziehen sollte, rief einer von ihnen, der durch seine Geschicklichkeit in der Herstellung von Bögen sich besonderer Gunst erfreute, empört: „Was soll ein Bücherwurm auf einem Feldzug bei einem Kriegervolk?" „Nun, was meinst du dazu?" fragte Tschingis seinen Ratgeber. 158
„Wenn man Bögen machen will, braucht man Handwerker, die diese Kunst verstehen", antwortete YeliuTschutsai mit seinem ruhigen Lächeln. „Aber wenn man auszieht, um Reiche zu erobern, wie soll man da Handwerker entbehren können, die die Kunst der Regierung verstehen?"... Es ist entschieden, Yeliu-Tschutsai zieht mit. Auch Chulan-Chatun, die Lieblingsfrau TschingisChans, darf die Welt des Westens sehen, während Bürte als Herrin des Ordu in der Mongolei bleibt... — Bis sich schließlich das ganze Heer mit allem Troß in Bewegung gesetzt hatte, war es Hochsommer geworden. Man ist beim Übersteigen der ersten niedrigen Bergketten, da verfinstert sich plötzlich der Himmel, ein Schneegestöber setzt ein, und mit einemmal liegt über der Welt mitten im Sommer eine weiße Decke. Sofort läßt Tschingis-Chan das ganze Heer halten. Er will wissen, was ein derart auffälliges Naturereignis bedeutet. Wenn der Himmel den Feldzug nicht will, ist er bereit, ihn abzubrechen. Yeliu-Tschutsai soll das Zeichen deuten. Der chinesische Astronom deutet es: Mitten in die Herrschaft des Sommerkönigs ist der Winterkönig mit seiner Macht eingebrochen. Also wird der Herrscher des Nordens über den Herrscher des Südens siegen. - Der Himmel sagt den Triumph Tschingis-Chans über den Schah voraus. Die Deutung ist günstig, sie ist gut und klar, aber wenn es sich darum handelt, den Willen der Götter zu erkunden, kann man nicht vorsichtig genug sein, und Tschingis-Chan überzeugt sich noch einmal selber: er brennt nach alter mongolischer Sitte den Schulterknochen eines Hammels, er spricht die alten Gebetsformeln, während das Feuer den Knochen umzüngelt und ihn zum Platzen bringt, und er prüft die entstehenden Risse und Sprünge: die Lebenslinie ist gut, es sind viele Quersprünge da, die den Tod von Fürsten, Edlen, Stammesgenossen anzeigen, aber am stärksten von allen sind die Glückslinien... Tschingis-Chan ist entschlossen. Das Heer bricht auf...
159
IV
Muhammed hat 400000 Mann zusammengezogen, aber er wagt es nicht, den Mongolen entgegenzureiten und das Schicksal des Reiches von einer offenen Feldschlacht abhängig zu machen. Die Nachrichten, die seine Spione über Tschingis-Chan bringen, sind schrecklich genug: „Sein Heer ist unzählig gleich Ameisen und Heuschrecken. Seine Krieger sind tapfer wie Löwen, keine Mühseligkeiten und keine Beschwerden des Krieges können ihnen etwas antun. Sie kennen weder Ruhe noch Rast, wissen nichts von Flucht und Rückzug. Wenn sie aufbrechen, führen sie alles, was sie brauchen, mit sich. Sie sind mit trockenem Fleisch und gesäuerter Milch zufrieden, sie halten sich nicht an das Erlaubte oder Verbotene, sondern essen das Fleisch aller Tiere, selbst das der Hunde und Schweine. Sie öffnen ihren Pferden eine Ader und trinken ihr Blut. Ihre Pferde brauchen weder Stroh noch Weizen; sie scharren mit ihren Hufen den Schnee auseinander und fressen das Gras darunter oder kratzen die Erde auf und sind zufrieden mit Wurzeln und Kräutern. Wenn sie siegen, lassen sie weder groß noch klein am Leben und schneiden selbst den schwangeren Weibern die Bäuche auf. Kein Gebirge und kein Fluß kann sie aufhalten. Sie übersteigen jede Schlucht und schwimmen neben ihren Pferden über die Flüsse, indem sie sich an ihren Mähnen und Schwänzen festhalten..." Aber - vom Irtysch bis zum Syr-Darja sind es über 1500 Kilometer, jedes Heer muß sich seinen Weg über Gebirge, durch dichte Wälder, über Flüsse bahnen. Dann folgt die berüchtigte „Hungersteppe" - eine wasserlose Wüste - durch die die Mongolen ihre Menschen- und Tiermassen hindurchführen wollen... - Muhammed beschließt, ruhig abzuwarten. Wenn sie, von den Strapazen erschöpft, am Syr-Darja ankommen, werden sie auf eine Reihe ausgebauter und vorzüglich versorgter Festungen stoßen, deren Garnisonen er noch verstärkt. Und sollte es Tschingis vielleicht doch gelingen, an irgendeinem Punkt die Festungskette zu durchbrechen, so hat Muhammed in der Umgegend von Samarkand seine Reserven gesammelt, um sich auf diesen Punkt zu stürzen und den Feind in den Syr-Darja zu werfen. 160
Dschutschi steigt das blühende Fergana-Tal hinunter, wo er eine Stadt nach der anderen nimmt und zuletzt mit der Belagerung der Schlüsselfestung Chodschent beginnt. Tschagatai und Ugedei erscheinen am Syr-Darja, belagern Otrar und nehmen eine Reihe kleinerer Punkte. Doch die beiden großen Festungen sind stark genug, um die Mongolen lang gegen ihre Mauern anrennen zu lassen. - Muhammed rührt sich immer noch nicht. Er wartet darauf, an welchem Punkt Tschingis-Chan selber eingreift. Da kommen Boten aus dem Süden hergerast: am Oberlauf des Amu-Darja, 300 bis 400 Kilometer weiter südlich, sind Mongolen raubend und plündernd ins Land eingefallen. Das ist Dschebe mit seiner kleinen Truppe, der den Pamir wirklich überstiegen hat - aber der Schah weiß nichts von seiner wahren Stärke. Er hört nur von brennenden Dörfern und Städten. Wenn der Feind den Weg den Amu-Darja hinunter nimmt, schneidet er ihn von dem Süden des Reiches ab, von Afghanistan und Chorassan, den beiden Reservoiren des Ostens, wo seine Söhne schon neue Armeen ausheben. Muhammed schickt dieser Truppe einen großen Teil seiner Reserven entgegen. Und kaum sind sie fort, da verbreitet sich schon eine Schreckensnachricht: Tschingis-Chan, der irgendwo im Osten sein müßte, marschiert von der entgegengesetzten Seite, vom Westen her, gegen Buchara und Samarkand. - Das ist unmöglich! Im Westen kann sich gar kein Feind befinden! Wie soll er in das Hinterland des Schahs gelangt sein?! - Aber Flüchtlinge aus brennenden Dörfern und Städten bestätigen die märchenhaft klingende Nachricht... Tschingis war mit 50 000 Mann nach Norden abgebogen, hatte den Syr-Darja an einer öden Stelle überschritten, dann mit dem ganzen Heer die als unüberwindbar geltende 600 Kilometer breite Sandwüste Kisil-Kum durchritten - in der noch 6 1/2 Jahrhunderte später die russische Kavallerie bei ihrem Feldzug gegen Chiwa alle ihre Pferde verlor - und tauchte nun plötzlich als tödliche Gefahr am Unterlauf des Amu-Darja im Rücken Muhammeds auf. Im Westen Tschingis-Chan, im Norden Tschagatai und Ugedei, im Osten Dschutschi und im Süden Dschebe - der 161
Schah saß in einer Falle, die sich jeden Augenblick zu schließen drohte. Er warf die Reste seines Heeres nach Samarkand und Buchara und eilte, da ihm der Weg nach Nordwest, in sein Stammland Choresm am Aral-See, von den Mongolen verlegt war, nach dem Süden, bevor Dschebe ihm auch den letzten Ausweg versperrte.
V
Buchara ist einer der Mittelpunkte der moslemischen Kultur, eine Stadt der Akademien, der Schriftgelehrten, die Stadt der Villen und Gärten. Sie hat feste Mauern und tiefe Gräben, aber sie ist nicht auf lange Verteidigung eingerichtet, denn niemand hat hier den Feind erwartet. Es sind weder genug Lebensmittel noch Kriegsmaterial für eine längere Belagerungszeit vorhanden. Die Bewohner der Stadt sind meist Perser, die Besatzung ist größtenteils türkisch. Die türkischen Generäle wollen sich lieber zum Amu-Darja durchschlagen. Dort werden irgendwo neue Armeen aufgestellt. Im Schütze der Nacht verlassen sie mit ihren Kerntruppen durch ein von den Mongolen unbewachtes Tor die Stadt. Das unbewachte Tor ist eine beliebte Kriegslist der Mongolen. Sie stören die Feinde beim Verlassen der Stadt nicht, aber eine mongolische Truppe heftet sich an ihre Fersen, stellt sie am nächsten Tag im offenen Felde und macht sie bis auf den letzten Mann nieder... Die Stadtältesten, die Kadis und Imams, öffnen widerstandslos die Tore der Stadt. Staunend ergießen sich die Mongolenheere durch die Straßen. Tschingis reitet mit Tuli vor das größte Gebäude. „Ist das der Palast des Schahs?" Er hört, daß das die Moschee, das Haus Allahs ist, reitet die Stufen hinauf, sitzt ab, geht hinein und besteigt die Kanzel. Den nachdrängenden Mullahs, Imams, Kadis, Stadtältesten sagt er: „Im Lande gibt es weder Futter noch Fleisch. Meine Pferde hungern. Meine Soldaten leiden Mangel. Öffnet eure Speicher." Als die Kämmerer mit den Schlüsseln zu den Speichern 162
gelaufen kommen, sind sie schon von den Mongolen erbrochen. Die Mongolen prassen. Sie lassen Musikanten und Sänger kommen, indessen die Edelsten der Stadt, Seide und Kadis, ihre Pferde versorgen und betreuen müssen. Die kostbaren Behälter der Korane dienen als Krippen, während die heiligen Bücher irgendwo auf dem Boden herumliegen und mit Füßen getreten werden. Die gläubigen Moslems können es überhaupt nicht fassen, daß solche Greuel möglich sind. Einer von ihnen wendet sich an den großen Imam, der die Zügel eines mongolischen Rosses hält: „Mewlana, was bedeutet dieses? Warum erhebst du dich nicht mit deinem Gebet zu Allah, dem Allmächtigen, damit er mit einem Blitz diese Frevler vernichtet?" Doch der weise Imam antwortete mit Tränen der Ergebung in den Augen: „Sei still und verrichte deinen Dienst, wenn dir dein Leben lieb ist. Wenn ich zu Allah bete, wird es uns vielleicht noch schlimmer ergehen. Es ist der Zorn Gottes, der über uns gekommen ist." „Der Zorn Gottes!" Das ist auch die Vorstellung, die Tschingis-Chan selber bei den Moslems erwecken will. Er hält nur kurze Rast. Dann reitet er nach dem großen Gebetplatz vor der Stadt, wo die Einwohner von Buchara zusammengetrieben sind, und spricht zu ihnen. Und jedes seiner Worte wird durch Dolmetscher dem Volke übersetzt: „Ich bin die Geißel Gottes. Der Himmel hat euch in meine Hand gegeben, damit ich euch für eure Sünden strafe, denn ihr habt euch schwer versündigt. Und eure Vornehmsten und Edelsten sind euch auch in den Sünden vorangegangen." Und er zählt ihnen die Feindseligkeiten und Treulosigkeiten des Schahs und seiner Statthalter auf und warnt sie davor, ihm Beistand und Hilfe zu leisten. Er läßt sich die Vornehmsten und Reichsten der Stadt nennen und sagt ihnen: „Was in euren Häusern herumliegt, darum braucht ihr euch nicht zu sorgen, das werden wir uns selber nehmen. Aber was ihr versteckt und vergraben habt, das bringt her." 163
Mongolische Soldaten begleiten die 280 Mann zu den Verstecken, und wer gleich ehrlich abliefert, wird freigelassen. Dann bekommt die Bevölkerung den Befehl, die Teile der Garnison, die sich in den Straßen zu der Zitadelle verschanzt haben, zu vertreiben. Als ihr das nicht gelingt, helfen die Mongolen nach, indem sie das Viertel in Brand stecken. Dabei geht fast die ganze Stadt in Flammen auf. Einige Tage lang dauert noch der Kampf um die Zitadelle selber, dann wird sie gestürmt und verbrannt, die Besatzung niedergemacht. Die Bevölkerung wird gezwungen, die Mauern und Befestigungen der Stadt zu schleifen, die Gräben zuzuschütten... Tschingis-Chan selber ist nicht mehr in Buchara. Er befindet sich mit dem größten Teil seines Heeres bereits unterwegs nach Samarkand, wo er den Schah zu treffen hofft und wo der große Schlag geführt werden soll, aber er hat genug Truppen zurückgelassen, um die Säuberung der Stadt zu vollenden. Als alles dem Erdboden gleichgemacht ist, treiben die Mongolen die Bewohner wieder auf dem Betplatz zusammen, die kräftigen jungen Männer werden ausgesucht und nach Samarkand fortgeführt, um dort bei den Belagerungsarbeiten zu helfen, die anderen dürfen in ihre Wohnungen zurückkehren. Als die Mongolen abziehen, existiert Buchara als militärischer Stützpunkt des Schahs, der Tschingis-Chan bei seinem weiteren Vormarsch im Rücken gefährlich werden könnte, nicht mehr. Alles ist so überraschend gekommen, die Vernichtung hat sich so schnell vollzogen, daß noch niemand von den Bewohnern richtig zur Besinnung gekommen ist. Ein Kaufmann, der aus der verwüsteten Stadt nach Chorassan geflohen war, antwortete auf alle Fragen über die Mongolen nur: „Sie kamen, gruben, sengten, mordeten, raubten, gingen." VI. Vor Samarkand, einer mehr als Halbmillionenstadt mit reichen Märkten, bedeutenden Bibliotheken, prachtvollen Palästen, dem Mittelpunkt der östlichen islamischen Welt, die 164
jetzt ein Heer von über 100 000 Mann in ihren Mauern birgt, treffen die siegriechen mongolischen Armeen zusammen. Das ist die Residenz des Schahs und die stärkste Festung im Osten des Reiches, und darum hat Tschingis-Chan seine ganze Streitmacht hierher dirigiert. Alle Armeen haben ihre Aufgabe erfolgreich durchgeführt: Dschutschi war durch das ganze Fergana-Tal gezogen und hatte Chodschent, die reiche Handelsstadt am Ausgang des Tales, berühmt durch ihre Befestigungen und den kriegerischen Mut ihrer Bewohner, nach verzweifelter Gegenwehr erobert. Ihr Kommandant Timur Melik, einer der fähigsten und kühnsten Feldherren Muhammeds, hatte sich nach Erstürmung der Stadt in seiner auf einer Flußinsel gelegenen Festung verschanzt, aber die Mongolen ließen die Gefangenen Steine heranschleppen und unter dem Pfeilregen der Belagerten einen Damm über die ganze Breite des Flußarmes nach der Insel hin bauen. Als der Steinwall die Insel beinahe erreicht hatte, stieg Timur Melik mit seiner Besatzung in Kriegsschaluppen, denen er zum Schutz vor Brandpfeilen hohe Seitenwände aus Filz, der mit feuchtem Lehm beschmiert war, aufsetzen ließ, und segelte den Syr-Darja hinunter, um den Mongolen zu entkommen. Die Mongolen spannten eine eiserne Kette über den Strom, aber die Schaluppen sprengten die Kette. Die Mongolen bauten weiter unterhalb eine Pontonbrücke und stellten Wurfund Schleudermaschinen auf, aber Timur Melik hatte seine Soldaten schon vorher ausgeschifft. Nun nahmen die Mongolen die Verfolgung auf und ließen nicht eher ab, als bis sie seine Truppen vollkommen aufgerieben hatten. Nur Timur Melik selber gelang es, sich zu Dschelal-ud-Din, Muhammeds Sohn, durchzuschlagen... Tschagatai und Ugedei hatten fünf Monate lang Otrar belagert. Der Gouverneur, der die mongolischen Kaufleute ermorden ließ, wußte, daß es für ihn keine Schonung gab, und hielt, selbst als die Stadt gefallen war, noch einen ganzen Monat lang die Zitadelle. Als auch die Zitadelle gestürmt wurde, zog er sich mit den letzten Leuten in den Turm zurück, und als ihm die Pfeile ausgingen, verteidigte er sich mit 165
Ziegeln, die er aus der Brüstung des Daches brach und auf die Stürmenden schleuderte. Die Mongolen hatten den Befehl, ihn lebendig zu fangen, und so untergruben sie zuletzt den Turm und zogen ihn unter den Trümmern hervor. In Ketten wurde er nach Samarkand vor Tschingis gebracht, der dem Urheber des Krieges glühendes Silber in Augen und Ohren gießen und ihn dann zu Tode foltern ließ... Dschebe endlich hatte das ihm von dem Schah entgegengeschickte Heer geschlagen und die auf seinem Wege liegenden kleineren Orte zur Unterwerfung gezwungen... Und alle drei Armeen haben aus den eroberten Städten die jungen kräftigen Männer für die Belagerungsarbeiten mitgebracht, denn alle Gefangenen, alle Überläufer versicherten einstimmig, daß die Mongolen Jahre brauchen werden, um Samarkand zu nehmen. Zwei Tage lang umreitet Tschingis in weitem Umkreis die Stadt. Er sieht sich die mächtigen Mauern, die gewaltigen Schanzen, die tiefen Gräben, die festen Türme, die eisernen Tore an. Er muß an Peking, die mittlere Residenz des Reiches Chin, denken und an seine langen vergeblichen Bemühungen, sie zu erobern. Dann hört er von einem Gefangenen, daß der Schah Muhammed nicht mehr in der Stadt ist, und sofort ist ihm Samarkand Nebensache. Er sagt geringschätzig zu seinen Oerlök: „Die Mauern einer Stadt sind nur so stark wie der Mut ihrer Verteidiger!" und schickt seine beiden besten Heerführer, den listenreichen Ssubutai und den kühnen Dschebe-Noion, und seinen Schwiegersohn Togutschar mit je einer Tuman auf die Verfolgung des Schahs. Es ist ein lächerlicher, ein wahnwitziger Auftrag: Tschingis hat bis jetzt nur die Grenzfestungen am SyrDarja und das Fergana-Tal eingenommen, ein paar unbedeutende Punkte um Buchara herum zwischen dem Syr- und dem Amu-Darja erobert - das gewaltige Reich des Schahs erstreckt sich über Tausende von Kilometern süd- und westwärts, ist unermeßlich reich an Menschen, an Pferden, mit Dutzenden von Städten wie Buchara und Samarkand; er sendet 30 000 Krieger aus, die den Herrscher der moslemischen Welt durch sein eigenes Königreich zu Tode hetzen sollen!... 166
Aber Tschingis weiß genau, was er will: Diese Taktik hat Dschebe das Reich Kara-Chitan fast kampflos unterworfen, und er wendet sie, den andersartigen Verhältnissen genial angepaßt, auch gegen den Choresm-Schah an: Auf dem ungeheuren Gebiet wohnt ein Dutzend verschiedener Völker, die vor kurz oder lang tribut- und gefolgspflichtig gemacht worden sind. Solange der Schah, ihr Gebieter, befiehlt, werden sie Heere aufstellen, die nicht nur den 30 000, sondern seinen gesamten Truppen gefährlich werden können. Was spielt es da für eine Rolle, ob er noch ein halbes Dutzend solcher Festungen erobert und brandschatzt oder nicht?... Er darf keine Zeit haben, seine Völker aufzurufen, keine Zeit, neue Heere auszuheben, keine Zeit, den Widerstand zu organisieren. Er muß in solche Angst versetzt werden, daß er an nichts als an seine Rettung denkt! Und dann muß ein Keil zwischen ihn und die Völker getrieben werden, die ihm vielleicht nur notgedrungen gehorchen. Sie müssen das Gefühl bekommen, daß ihr Schicksal von dem seinen getrennt ist. Und Tschingis befiehlt den Oerlök, die er auf die Verfolgung des Schahs aussendet: „Kehrt nicht zurück, bevor ihr ihn nicht gefangen genommen habt. Wenn er vor euch flieht, verfolgt ihn durch alle seine Gebiete, wohin er sich auch wenden mag. Schont jede Stadt, die sich unterwirft; wer sich aber in den Weg stellt und Widerstand leisten will, den vernichtet." Er gibt Ssubutai eine mit dem roten Siegel des ChaChans versehene Urkunde in ujgurischen Schriftzeichen, die lautet: „Emire, Chane und alles Volk soll wissen, daß ich dir alles Antlitz der Erde vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang überliefert habe. Jeder, der sich unterwirft, wird verschont, jeder, der sich nicht unterwirft und sich mit Kampf und Zwietracht entgegenstellt, wird vernichtet." Jeder, der sich unterwirft, wird geschont! Jeder, der sich diesem verlorenen Mann anschließt, wird mit ihm zusammen vernichtet! Und Tschingis sorgt dafür, daß seine Mongolen, die den Schah verfolgen, dieses Versprechen halten. Als Togutschar 167
eine Stadt, die sich Dschebe, dem Führer der ersten Tuman, ergeben hat, trotzdem plündert, will er seinen eigenen Schwiegersohn hinrichten lassen, und schickt dann, als sein Zorn sich gelegt hat, einen Boten zu ihm, einen gemeinen Soldaten, mit dem Befehl, das Kommando niederzulegen und als gewöhnlicher Krieger in der eigenen Tuman weiter Dienst zu tun, die mit unter Ssubutais Befehl kommt. Und die Disziplin in dem mongolischen Heer ist so eisern, daß der kommandierende General und Schwiegersohn des Cha-Chans dem gemeinen Soldaten, der den Befehl überbringt, widerspruchslos gehorcht und kurz danach als tapferer Krieger beim Sturm einer der Städte fällt.
VII.
Der Schah Muhammed befindet sich in Balch, in den Vorbergen Afghanistans, als ihn die Nachricht erreicht, daß die Oerlök mit ihren Truppen in breiter Front den Amu-Darja überschritten haben. Und er hört, daß sie nicht plündern, nicht brennen, sondern lediglich Proviant für sich und Futter für ihre Pferde verlangen und nur nach ihm suchen. Er kennt schon ihre Zähigkeit, ihre Beharrlichkeit in der Verfolgung eines Zieles, und die Todesangst packt ihn. Er hat außer seiner Leibgarde kein Heer bei sich. Afghanistan gehört erst seit kurzem, von ihm erobert, zu seinem Reich, er weiß nicht, ob er sich auf die Treue der Bergfürsten verlassen kann, und so flieht er nach Westen, nach Chorassan, einer dichtbevölkerten Provinz mit blühenden Städten, die schon seinem Vater gehörte. Unterwegs bestürmt er die Bevölkerung ungesicherter Orte und des Flachlandes, ihre Wohnsitze zu verlassen, da es vor den alles niederbrennenden Mongolen keine Rettung gebe, und heißt zugleich, die Festungen bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Die persischen und arabischen Geschichtsschreiber beschuldigen Muhammed gern der Planlosigkeit und Unentschlossenheit, aber alle Befehle zeigen, daß er seine Handlungen ganz genau überlegt hat. Er verfolgte dieselbe Taktik, die sechs Jahrhunderte später Kutusow gegen Napoleon mit Erfolg angewandt hat: er will das Land entvölkern, um den 168
Mongolen die Möglichkeit der Verproviantierung zu nehmen, ihnen keine Sklaven zu Belagerungsarbeiten zu lassen und zugleich ihren Vormarsch durch Festungen aufhalten, bis weiter im Westen von ihm oder seinen Söhnen eine genügend starke Armee aufgestellt wird... Doch er hat die Schnelligkeit und die Schlagkraft seines Feindes unterschätzt und die Wirkung von Tschingis-Chans Taktik, die den Trennungsstrich zwischen ihm und seinen Völkern zog, nicht berücksichtigt. Bereits in Merw, der Stadt der Rosengärten, hört er, daß Tschingis-Chan nach nur drei Tagen Belagerung das uneinnehmbare Samarkand genommen hat. Zuerst hatte die Besatzung einen Ausfall versucht und wurde blutig zurückgeschlagen. Am nächsten Tag hatten die Mongolen ihre Verschanzungen so dicht vor den Toren der Stadt aufgeführt, daß kein Ausfall mehr möglich war und man nicht einmal die Kriegselefanten mehr einsetzen konnte. Dann wiederholte sich das Schauspiel von Buchara: Der Scheik-ul-Islam, der Mufti, die Kadis verlangten Öffnung der Tore. Sie erinnerten die Bevölkerung daran, daß Samarkand doch eigentlich ein selbständiges Chanat sei und Muhammed erst vor sieben Jahren ihren geliebten Chan Osman durch Verrat aus der Stadt gelockt und getötet hatte, daß TschingisChan in Kara-Chitan die Moscheen öffnen und die Moslems beschützen ließ. Eine Revolte brach aus. Dreißigtausend Mann der Besatzung - Chankli-Türken - gingen zu den Mongolen über, die anderen schlossen sich in der Zitadelle ein - und die Tore der Stadt öffneten sich dem Eroberer. Noch am selben Tag wurden die Mauern zerstört, die Verschanzungen geschleift und dem Erdboden gleichgemacht. Der Scheik-ul-Islam und 50 000 Familien, die zu seinem Anhang gehörten, durften in der Stadt bleiben, die übrige Bevölkerung trieben die Mongolen ins Feld, 30 000 Künstler und Handwerker schenkte Tschingis-Chan seinen Söhnen und Heerführern, die jungen Männer wurden zu Erdarbeiten und zum Teil zum Heeresdienst ausgesucht, der Rest wurde niedergemacht. Das gleiche Schicksal ereilte die 30 000 Chankli-Türken mitsamt ihren Offizieren und Generälen Verrätern durfte man nie trauen. Und einige Tage später wurde auch die Zitadelle gestürmt und verbrannt... 169
Jetzt weiß der Schah, welche Gefahr ihm droht: weder dem Scheik-ul-Islam noch seinem Anhang ist das geringste geschehen, ja, zwei seiner Freunde sind sogar als Statthalter eingesetzt worden, denen nur ein mongolischer Beamter beigegeben wurde - um einen solchen Preis wird die persische Bevölkerung von Merw sofort bereit sein, ihn den Feinden auszuliefern. Er verläßt also Merw und rast weiter, über das Gebirge, nach der mächtigen Festung Nischapur. Von hier aus schreibt er an seine Mutter, die sich in Gurgendsch, der Hauptstadt des eigentlichen Choresm - am Unterlauf des Amu-Darja - befindet, sie möchte mit seinem Harem und seinen kleinen Kindern nach Chorassan kommen, da Choresm nach der Einnahme von Samarkand das nächste Ziel Tschingis-Chans sein muß. — Inzwischen sind Ssubutai und Dschebe in Balch, Muhammeds erstem Zufluchtsort, angelangt. Es öffnet sich ihnen widerstandslos. Sie hören, daß der Schah nach dem Westen geflohen ist und nun geht die tolle Hetzjagd los. Wochenlang, ohne Rast, täglich Strecken bis zu 120 Kilometern zurücklegend, selbst die Reservepferde zuschanden reitend, verfolgen sie wie Bluthunde seine Spur. Herat, Merw, eine Reihe kleinerer Städte öffnen ihnen unter dem Einfluß der Scheiks und Imams die Tore, bringen ihnen Lebensmittel, Futter entgegen. Den Städten geschieht nichts, sogar eingeborene Kommandanten werden belassen. Orte, die sich widersetzen, werden unweigerlich erobert und verbrannt. Nur starke Festungen, von denen langer Widerstand zu erwarten ist, werden umritten. Aber als die Einwohner von Zaweh von der Höhe ihrer Mauern den Mongolen nachschimpften und die Trommeln rührten, ließ Ssubutai umkehren, stürmte innerhalb von drei Tagen die Festung, metzelte die Bevölkerung bis auf den letzten Mann nieder und zündete die Ruinen an... Unter diesen Umständen macht sich überall in Chorassan eine Spannung zwischen der persischen Bevölkerung und der türkischen Besatzung, die dem Schah treu bleiben möchte, geltend. Tschingis hat erreicht, was er wollte. Muhammed fühlt sich auch hinter stärksten Festungsmauern nicht mehr sicher. 170
Unter dem Vorwand eines Jagdausflugs entweicht er aus Nischapur und flieht weiter nach dem Westen, wo seine Mutter und sein Harem schon angelangt sind. Aber selbst seine eigenen Truppen sind nicht mehr zuverlässig. Er fürchtet einen Anschlag gegen sein Leben, schläft jede Nacht in einem anderen Zelt und findet eines Morgens sein eigenes wirklich von Pfeilen durchbohrt... Von nun an ist er nur noch ein gejagtes Wild in Todesangst, ohne Kraft zum Widerstand, ohne Mut zum Kampf. Seine einzige Rettung ist die Flucht, und er jagt, nur von wenigen Getreuen begleitet, nur noch dem Namen nach Herrscher über sein Reich, immer weiter nach dem Westen, durch Wüsten, über Gebirge, durch das ganze persische Irak - Irak Adschemi -, bis er an dem Punkt anlangt, wo er vor zwei Jahren an der Grenze Mesopotamiens bei dem Feldzug gegen den Kalifen umkehrte. Hier stockt er. - Was ist er im Begriffe zu tun?... Sich hilfeflehend der Gnade seines alten Feindes auszuliefern?... Zum zweitenmal kehrt er an derselben Stelle um - diesmal nicht mehr stolzer Eroberer an der Spitze eines mächtigen Heeres, sondern ein armseliger Flüchtling, nur die Rettung seines Lebens vor den Bluthunden, die sich an seine Spuren geheftet haben, erheischend... Denn Ssubutai und Dschebe lassen von ihm nicht ab. Kaum hören sie vor Nischapur, daß der Schah bereits entflohen ist, als sie sich Lebensmittel und Futter geben lassen. Dschebe warnt noch die Bewohner: „Weder auf die Festigkeit ihrer Mauern noch auf die Zahl ihrer Truppen und ihrer Verteidigungsmittel zu vertrauen, sondern jeder mongolischen Abteilung bereitwillig entgegenzukommen und ihre Befehle zu erfüllen, wenn ihr Haus und Gut unversehrt bleiben soll!" Dann rasen sie weiter. Unterwegs, in einer Burg, finden sie die Mutter des Schahs und seinen Harem, in einer anderen seinen Kronschatz - alles geht unter sicherer Bedeckung in die Gegend von Samarkand, wo Tschingis-Chan das Standlager bezogen hat und in aller Ruhe das Ergebnis der Hetzjagd seiner beiden Oerlök über 3000 Kilometer abwartet. Vor der alten Königsstadt Rai - in der Nähe des heutigen Teheran - stellt sich ein Heer von 30 000 Mann den Mongolen 171
entgegen - es wird geschlagen und zersprengt. Die Bewohner der Stadt sind in zwei Parteien gespalten. Die eine gewinnt die Gunst der Mongolen und macht sich sofort über ihre Gegner her, die sie schonungslos niedermetzelt. Ssubutai reitet in die Festung, sieht das Gemetzel - wie kann man Menschen, die solchen Haß gegen ihre Brüder haben, trauen? - Er läßt seine bisherigen Schützlinge bis auf den letzten Mann niedermachen. Von der Königsstadt Rai bleiben nur rauchende Ruinen übrig... Hinter Hamadan verlieren die Oerlök plötzlich die Spur des Schahs. In kleinen Abteilungen streifen die Mongolen in dem Gelände herum. Eine von ihnen stößt auf einen Reitertrupp und zersprengt ihn. Einer der Reiter auf einem herrlichen Pferde bekommt einige Pfeile nachgeschickt, wird sogar verwundet, aber sein Renner trägt ihn davon. - Es ist der Schah, der seine Fluchtrichtung geändert hat und nun dem Kaspischen Meere zustrebt... Wieder heftet sich Ssubutai an seine Fersen, aber als er das Ufer erreicht, sieht er nur ein Segel in der Ferne, das Muhammed ihm endgültig entführt. Hier, in der Einsamkeit einer der kleinen Inseln des Kaspischen Meeres, stirbt Ala-ed-Din Muhammed, einer der größten Eroberer und mächtigsten Herrscher seiner Zeit, gebrochen und verzweifelt in solcher Armut, daß man ihm nicht einmal ein Leichentuch kaufen kann und ihn, in seine zerfetzten Kleider eingehüllt, auf der Insel bestattet. Ssubutai, der noch nichts von dem tragischen Schicksal Muhammeds weiß, schickt sofort einen „Pfeil"-Boten an Tschingis-Chan mit dem genauen Bericht und der Meldung, daß der Schah in der Richtung nach Norden verschwunden ist, dann gönnt er seinen Reitern und Pferden endlich Ruhe und läßt die Mongolen in den Niederungen am Kaspischen Meer Winterlager beziehen. Die Kunde von dieser Truppe Ssubutais und Dschebes, von ihrem Ritt hinter dem Choresm-Schah her und ihren Streifzügen in der Umgegend während des Winters ist es, die nach Damiette zu den Kreuzfahrern dringt und dort den Jubel auslöst. Sie ist es, die in der Verknüpfung mit der Legende vom Priester Johannes und mit der Gesandtschaft des Kalifen 172
und des Patriarchen von Bagdad an Tschingis den Bischof Jakob von Vitry im Frühjahr nächsten Jahres zu seiner überschwenglichen Epistel an den Papst und die Fürsten Europas veranlaßt. Die Feinde des moslemischen Schahs werden zu christlichen Streitern, Tschingis-Chan zu König David, einem Enkel des Priesters Johannes, und die Schwenkung der Mongolen nach Norden zum Kaspischen Meer ist der Wunsch, sich den Rücken zu decken, bevor sie an die Eroberung Jerusalems gehen...
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Der Vernichtungskampf I.
Zwischen Samarkand und Buchara, in Wäldern, Parks, Pfirsich- und Aprikosengärten verstreut, ziehen sich kilometerweit die Sommerlager der Mongolen, streng nach Uluß, Tuman, Volkschaft, Stamm, Sippe getrennt. Hier drillen die Mongolen junge Perser und Türken, die dazu bestimmt sind, später als erste Welle gegen die Festungen ihres Landes anzurennen. Dort arbeiten die besten moslemischen Ingenieure an der Herstellung neuer Katapulte, Bailisten, Sturmböcke, die alles Dagewesene übertreffen sollen. Der schlaue Ugedei selber, der dritte Sohn Tschingis-Chans, der zum Artilleriemeister ernannt ist, überwacht ihre Leistungen; und manches der in Blumen- und Obstgärten versteckten Lustschlösser wird bei der Prüfung dieser Maschinen zu einem Ruinenhaufen. Mongolen und Chinesen lernen von den Chemikern des Westens den Gebrauch der „Feuerschlünde", die brennende Naphtha gegen den Feind schleudern: der furchtbaren Waffe, mit der die Sarazenen Verheerungen unter den Kreuzrittern anrichten. Trotzdem, es ist eine untätige Zeit, und Tschingis sieht mit Besorgnis, daß sie seinen Mongolen schlecht bekommt. Sie verlassen das strenge, einfache Nomadenleben und umgeben sich mit Prunk. Das Nichtstun weckt überall Eifersüchteleien und Intrigen. Dschutschi richtet sich einen prächtigen Hof ein und läßt Sänger und Lautenspieler kommen, Ugedei und Tuli finden solches Gefallen an dem neuen Getränk aus Reben, daß sie ganz das Gebot der Jassa vergessen, „sich nicht öfter als dreimal im Monat zu betrinken. Zweimal wäre besser, einmal lobenswert, und überhaupt nicht - aber wo fände man einen solchen Menschen?!..." Tschingis ist viel zu praktisch, um Unmögliches zu verlangen, aber er ist doch betrübt, daß sie alle nur ihrem Genuß und ihrem Vergnügen leben wollen. Bitter klagt er seinem Freunde aus China Yeliu-Tschutsai: „Nach uns werden unsere Nachkommen goldgestickte Kleider tragen, fette Speisen und süße Leckerbissen essen, auf edelblütigen Pferden reiten und schönste Frauen umarmen, 175
und werden nicht sagen, das alles haben unsere Väter und unsere älteren Brüder gesammelt, und werden uns und den Tag vergessen, an dem das geschehen war..." Yeliu-Tschutsai ist der einzige in diesem Kreise, mit dem der Cha-Chan seine Sorgen und seine Befürchtungen besprechen kann. Das Mongolische Reich ist noch keineswegs gefestigt, noch nichts ist endgültig erobert, und Tschingis fühlt, daß er zu altern beginnt. Er ist stark wie je zuvor, er hat noch dieselbe Freude an Jagd und Kampf, aber er geht jetzt ins sechzigste Lebensjahr und ist in letzter Zeit dick und etwas schwerfällig geworden. Er denkt mehr als sonst daran, was sein wird, wenn er nicht mehr da ist - und er sieht, daß alles einzig auf ihm ruht und daß keiner unter seinen Söhnen ein vollwertiger Nachfolger für ihn ist, der sein Werk fortsetzen und vollenden könnte. - Wird er es noch schaffen?... Was wird sonst aus seinem Reiche werden?... - Diese Städter vermögen und wissen so viel. Es gibt unter ihnen so viel mehr alte Menschen als unter den Nomaden, obgleich sie doch bedeutend schwächer sind. Haben sie vielleicht ein Mittel, um das Leben zu verlängern? !... Yeliu-Tschutsai weiß nichts von einem solchen Mittel. Aber in Chin lebt in der Einsamkeit ein alter Weiser, namens Tschang-tschun, ein Meister des Tao - der Lehre von dem Geheimnis des Ewigen Lebens. Vielleicht, daß er etwas weiß... Und sofort läßt Tschingis-Chan, der barbarische „Herrscher der Welt", seinen Kanzler an den „Herrscher der Weisheit" einen Brief richten, wie ihn sonst wohl nie ein Kaiser an einen Philosophen geschrieben hat. Der Philosoph gehört dem Volke an, das der Kaiser unterjocht, dessen Vaterland er verwüstet hat, und so begründet dieser seine Kriege und seine Eroberungen: „Der Himmel hat Chin verlassen, weil es in Üppigkeit und Luxus versank. Ich aber hasse den Luxus und übe mich in Mäßigkeit. Ich habe nur ein Gewand und eine Nahrung. Ich esse dasselbe wie meine niedrigsten Hirten und kenne keine zügellosen Leidenschaften. Bei militärischen Unternehmungen bin ich immer vornean und in der Schlacht niemals hinten. 176
Darum ist es mir gelungen, ein großes Werk zu vollbringen und die ganze Welt in einem Reich zu vereinen. Aber wenn meine Berufung hoch ist, so sind auch die Verpflichtungen, die auf mir lasten, schwer. Ich betrachte das Volk als meine Kinder und habe mich, seit ich auf den Thron kam, immer darum gesorgt, mein Volk gut zu regieren. Doch ich fürchte, daß meiner Regierung etwas fehlt: um über einen Strom zu setzen, brauchen wir Ruder und Boote. Genauso brauchen wir, um das Reich in guter Ordnung zu halten, weise Männer. Ich selbst habe keine hervorstechenden Eigenschaften, doch ich liebe begabte Menschen wie meine Brüder, wir stimmen in unseren Ansichten immer überein und sind immer vereint durch gegenseitige Zuneigung. Aber ich konnte noch keine Männer finden, die würdig wären, die Stellen der höchsten Drei und der höchsten Neun einzunehmen. Nun höre ich, daß du, Meister, auf dem rechten Pfade wandelst und zur Wahrheit durchgedrungen bist. Deine Heiligkeit ist offenbar geworden, du bewahrst die strengen Regeln der alten Weisen, und die Menschen, die Heiligkeit anstreben, begeben sich zu dir. Aber was soll ich tun? Ich kann nicht zu dir kommen. Ich kann nur vom Throne steigen und beiseitestehen, wenn du kommst. Fürchte dich also nicht vor den Bergen und Ebenen, die uns trennen, denke nicht an die Ausdehnung der sandigen Wüste, sondern habe Mitleid mit den Menschen und komme, um mir die Mittel des dauernden Lebens mitzuteilen. Ich habe meinem Adjutanten befohlen, für einen Wagen und eine Eskorte zu sorgen. Ich selbst werde dich bedienen und hoffe, daß du mir wenigstens eine Spur deiner Weisheit zurückläßt. Sage nur ein Wort zu mir, und ich werde glücklich sein." In der Ehrerbietung des Briefes lag jedoch ein nicht mißzuverstehender Befehl, und Tschang-tschun, der getreu der Lehre Lao-tses Zurückgezogenheit allen Ehren vorzog und bereits die Einladungen der Chin- und der Sung-Kaiser abgeschlagen hatte, nutzten diesmal alle seine Einwände und Hinweise auf sein Alter und seine Gebrechlichkeit und die Schrecken des Weges nichts. Der Adjutant Tschingis-Chans wußte, daß es um seinen Kopf ging, wenn er den Weisen nicht mitbrachte, und so war er zwar bereit, ihm jede erdenkliche 177
Bequemlichkeit und Annehmlichkeit zu gewähren, aber der Greis mußte sich aufmachen und mit ihm über fünfzig Längengrade von Peking nach Samarkand reisen, wo Tschingis in der Zeit der Muße die moslemischen Gelehrten und Scheiks zusammenruft, um sich über die Gebote des Propheten unterrichten zu lassen. Aber sie finden nur zu geringem Teil seinen Beifall: „Das Pilgern nach Mekka ist Unsinn", sagt er. „Gott ist überall auf der Erde, und man braucht nicht nach einem bestimmten Ort zu reisen, um sich vor ihm zu verneigen." Die Scheidung der Tiere in reine und unreine lehnt er kategorisch ab: „Alles ist von Gott geschaffen, und jeder kann essen, was er will!" Und über die Trennung von den Andersgläubigen und ihre Verfolgung entscheidet er: „Lieben könnt ihr, wen ihr wollt, aber verfolgen und töten dürft ihr nur, wen ich befehle. In meinem Reiche darf jeder Mensch den Gott anbeten, den er will; er muß nur die von Tschingis-Chan aufgestellten Gesetze befolgen." Das unmittelbare Ergebnis ist, daß die Schiiten die ihnen von den Sunniten aufgezwungenen Mullahs vertreiben, daß die nestorianischen Christen wieder Kreuze auf ihre Kirchen setzen, die Juden die Synagogen öffnen und die Parsen heilige Feuer in ihren Tempeln anzünden... Man fühlt sich wieder in Sicherheit, nimmt seine gewohnte Beschäftigung auf, und das Land zwischen dem Syr- und dem Amu-Darja, das dem ersten Stoß Tschingis-Chans ausgesetzt war, beginnt sich bereits von den Verwüstungen des Krieges zu erholen. II. Der Bote Ssubutais mit der Meldung, daß der Schah verschwunden sei, unterbrach die Ruhe des Lagerlebens. Wenn Muhhammed in der Richtung nach Norden abgesegelt war, so konnte er sich nur nach seinem Stammland am Aral-See begeben haben, und Tschingis-Chan traf alle Vorbereitungen für einen neuen Feldzug. Dschutschi und Tschagatai sollten sofort nach Choresm aufbrechen. Aber da dieses kleine Land die Kraft gehabt hatte, dem Schah das Riesenreich zu erobern, stand ein schwerer Kampf bevor, und der Cha-Chan ist wie immer von äußerster Vorsicht: Die Truppen 178
sollen die neuen Belagerungsmaschinen Ugedeis mitbekommen. Um sich vorher von ihrer Wirkung zu überzeugen, zieht er selber mit vor die noch nicht eroberte Festung Termeds am oberen Amu-Darja, die von Ugedei zum Versuchsobjekt ausgewählt worden ist. Er sieht, wie die zentnerschweren Steinblöcke durch die Luft fliegen und die festesten Mauern unter ihrem Anprall zusammenstürzen, wie die Töpfe mit Naphta in hohem Bogen auf die Dächer fallen, zersplittern und im nächsten Augenblick das ganze Gebäude in einem Flammenmeer steht. - Für diese Maschinen wird Ugedei sogar seine Trunksucht vergeben. Er soll mit seinen Brüdern mitziehen und den Oberbefehl über die Artillerie führen. Und zugleich teilt Tschingis den dreien seinen treusten und frühsten Gefährten Boghurtschi als Stabschef zu, der ihn im geheimen über alle Wechselfälle zu unterrichten hat. Es ist das erstemal, daß er seine Söhne gemeinsam zu einer Eroberung ausschickt, und er will genau wissen, wie sie handeln und wie sie miteinander auskommen... Er selbst bleibt mit seinem jüngsten Sohn Tuli auf seinem Beobachtungsplatz, bereit, im Notfall nach jeder der drei Richtungen: Norden, Westen, Süden, loszubrechen. Aber er hat genug von diesem untätigen Lagerleben, das seine Krieger nur verweichlicht, und so ordnet er, mitten im Feindesland, in der Berggegend von Termeds, eine große Treibjagd an - die von ihm für die Pausen zwischen den Feldzügen geschaffene Kriegsübung der Mongolen. Zum erstenmal seit ihrem Bestehen sieht die mohammedanische Welt eine derartige Jagd, und ihre staunenden Chronisten haben sie ganz genau geschildert: Offiziere des Stabes reiten durch die Wälder, grenzen das Jagdgebiet ab: „Nerkeh", bestimmen den eigentlichen Jagdplatz: „Gerkeh". Das Heer bricht auf, umstellt in einfacher oder doppelter Kette die bezeichneten Wälder, dringt unter wildem Lärm von Trommeln, Pauken, Zimbeln von allen Seiten in das Revier ein - und von diesem Augenblick an darf aus dem umstellten Abschnitt kein einziges Tier mehr entweichen. Kein Gestrüpp, kein Sumpf, keine Höhle bleiben 179
undurchsucht. Hinter den Treibern reiten Offiziere und kontrollieren jeden Schritt, jede Handlung der Jäger. Wehe, wenn da in irgendeinem Dickicht ein Bärenlager unentdeckt bleibt oder wenn sich im Rücken der Kette Wild findet. Wo die Jäger passiert sind, ist der Wald stumm und leer. Die Mongolen sind in voller Kriegsausrüstung, aber sie dürfen ihre Waffen nicht gebrauchen. Ob ein Bär, ein Tiger, ein Rudel Wölfe oder Wildschweine gegen die Kette anrennt, die Menschen haben gegen sie nur große, aus Reisig geflochtene Schilde - kein Tier darf verwundet werden und doch keins durchbrechen. Bergauf, bergab, durch Schluchten und über Steilhänge wird die ganze Tierwelt des umschlossenen Gebiets zusammengetrieben. Man setzt über jeden Abgrund hinüber, schwimmt über jeden Fluß. Nachts umschließt ein Feuerring den verwunschenen Kreis, der, nunmehr vier-, fünffach umstellt, sich mit jedem Tage verengt. Und mit jedem Tag wird es schwerer, das Wild zu halten. Immer wütender werden die Angriffe der Raubtiere. Zurückgetrieben, stürzen sie sich in toller Wut auf Rehe, Gemsen, aufeinander, zerfleischen sich. Doch es werden ihrer immer mehr, denn unerbittlich zieht sich ihr Lebensraum zusammen. So geht es monatelang. An den schwierigsten Stellen erscheint manchmal der ChaChan selbst und beobachtet aufmerksam die „Kriegstaktik" seiner Truppen. Endlich ist die Tierwelt eines Riesendistrikts auf einem winzigen Platz, dem „Gerkeh", zusammengedrängt. Der Todesring um sie ist undurchdringlich. Plötzlich öffnet sich eine Gasse, und zugleich setzen Kriegstrompeten, Fanfaren, Schlagzeug aller Art mit einem solchen Höllenlärm ein, daß die wildesten Tiere vor Schreck erstarren: der Cha-Chan reitet mit den Prinzen und der Suite in den Kreis hinein. Mit Säbel und Bogen bewaffnet, eröffnet er die Jagd, indem er selber einen Tiger, einen Bären, einen mächtigen Keiler erlegt. Dann zieht er sich auf eine Anhöhe zurück - dort steht sein Thron bereit - und die Prinzen, die Noion, die Generäle dürfen ihre Geschicklichkeit zeigen. Der Reihe nach treten immer tiefere Chargen in den Kreis, immer unbedeutenderes Wild ist ihr Opfer, wenn nicht plötzlich aus 180
einem Gestrüpp noch ein gefährliches Raubtier herausstürzt. Dann darf irgendein Glücklicher seine Unerschrockenheit, seine Treffsicherheit vor dem Cha-Chan beweisen, vielleicht ein Lob, eine Beförderung erwarten. Als der Großteil des Wildes erlegt ist, bitten die Enkel den Chan um Gnade für das Junggetier und das kleinere Viehzeug, und der Chan schenkt ihnen deren Leben. Ein Signal beendet die Jagd, und die verängstigten Tiere, die das Glück hatten, dem Gemetzel zu entgehen, dürfen wieder zurück in die Freiheit der Wälder. Vier Monate lang dauerte die Treibjagd bei Termeds. Vier Monate lang streiften hunderttausend Mongolen sorglos über Berge und durch Schluchten, als ob ringsum tiefster Friede herrschte, nur darauf bedacht, daß ihnen kein Tier entgehe. Und inzwischen erhoben sich von allen Seiten neue Feinde und neue Gefahren gegen sie.
III.
Muhammed war tot; aber vor seinem Tode hatte er an Stelle des früher für den Thron bestimmten charakterschwachen Lieblings seiner Mutter, Uslag-Schah, den kühnen, energischen Dschelal-ud-Din zu seinem Nachfolger ernannt. Dschelal-ud-Din war auch schon, vom Volke umjubelt, in Choresm erschienen, um den Kampf gegen die Mongolen aufzunehmen. Doch choresmische Generäle, denen ihre Freiheiten unter Uslag-Schah immer noch wichtiger erschienen als die fernen Mongolen, zettelten eine Verschwörung gegen Dschelal-ud-Din an. Er mußte nach Chorassan fliehen, schlug unterwegs das ihm von Tschingis entgegengeschickte Korps - und verschwand plötzlich von der Bildfläche. Niemand wußte, wo er wirklich war, aber dafür begannen die wildesten Gerüchte herumzuschwirren: von der Größe seines Sieges über die Mongolen, von gewaltigen Armeen, die er gegen sie aufstelle... Uslag-Schah und die übrigen choresmischen Prinzen waren beim Anmarsch der Mongolen geflohen, wurden eingeholt und in der Schlacht getötet. Dann marschierte das mongolische Heer den schmalen, von Städten und Dörfern 181
dicht besetzten fruchtbaren Küstenstreifen am Amu-Darja, der sich zwischen den Sandsteppen einschob, plündernd und raubend hinunter; ein Ort nach dem anderen fiel in ihre Hände - aber dann blieben sie mit einemmal stecken. Die Hauptstadt Gurgendsch am Amu-Delta war nicht zu nehmen. Die neuen Belagerungsmaschinen verfehlten ihre Wirkung, da es in diesen Niederungen keine Felsen und keine Steinblöcke gab. Man zersägte die Bäume und legte die Holzklötze ins Wasser, bis sie die nötige Schwere bekamen, doch es war nur ein unvollkommener Ersatz. Die Mongolen versuchten die Wälle zu stürmen, wurden aber jedesmal unter schweren Verlusten zurückgeschlagen... Und gegen das Ende der Jagd bei Termeds erschien bei Tschingis-Chan einer der Boten des treuen Boghurtschi. Zwischen den beiden Prinzen Dschutschi und Tschagatai waren schwere Zwistigkeiten ausgebrochen: Dschutschi betrachtete die Hauptstadt als zu seinem Uluß gehörend und wollte befehlen, Tschagatai rechnete die Gegend bis zum Aral-See als das Gebiet, das der Cha-Chan ihm versprochen hatte, und erteilte seinen Kriegern Gegenbefehle... Ernst, sehr ernst wurde der Cha-Chan. Dann sandte er zwei „Pfeil"-Boten aus: Den einen nach Choresm: der Oberbefehl über das gesamte Heer sei Ugedei übertragen und die beiden anderen Brüder hätten sich seinen Anordnungen zu fügen. Tschingis-Chans Befehlen widersetzte man sich nicht. So empört Dschutschi und Tschagatai über die Demütigung auch waren, sie gehorchten. Und da Ugedei sich als klug genug erwies, seine Macht nicht zu mißbrauchen, sondern vermittelnd bald mit dem einen, bald mit dem anderen beriet, wurde die Einigkeit schnell wiederhergestellt, und unter seiner Leitung begann man, den Amu-Darja oberhalb des Gurgendsch abzuleiten. Der zweite „Pfeil"-Bote raste nach dem Kaspischen Meer: Ssubutai möge sofort zum Cha-Chan kommen. Ssubutai bandagierte sich, wie die „Pfeil"-Boten es taten, Kopf und Leib, stieg aufs Pferd und ritt Tag und Nacht. Alle vierzig, fünfzig Kilometer stand schon das beste Pferd jedes mongolischen Wachtpostens für ihn bereit, an irgendeiner 182
Station aß er etwas, an irgendeiner fiel er aufs Lager, um nach einigen Stunden wieder aufzuspringen und davonzugaloppieren. Über eine Woche ritt er so Tag und Nacht, dann waren die zweitausend Kilometer, die ihn von seinem Herrn trennten, zurückgelegt. Mit Ungelduld wartete Tschingis-Chan bereits auf seinen Oerlök; denn während die mongolischen Prinzen siegestrunken schon um den Besitz der noch zu erobernden Provinzen stritten, während die Heerführer von neuen, kühnen Ritten und herrlichen Ruhmestaten träumten, sah Tschingis allein den Ernst der Lage: Er war mit beinahe einer Viertelmillion Kriegern in das Land gekommen. Jetzt saßen 30 000 Mongolen irgendwo im Westen mit Ssubutai und Dschebe; 50 000 hatten seine älteren Söhne nach Norden mitgenommen, der Ujgurenkönig und der Chan von Almalyk wollten mit ihren Truppen in die Heimat ziehen, und er hatte es ihnen erlaubt, um nicht unwillige, vielleicht unzuverlässige Elemente unter seinen Kerntruppen zu haben. Dann die Verluste in den vielen, zum Teil erbitterten und sehr schweren Kämpfen... Das Heer, das er jetzt bei sich hatte, war nicht mehr als 100 000 Mann stark. Wenn er es auch durch Eingeborene noch so riesig aufblähen konnte, wirklich Verlaß war nur auf diese 100 000, im entscheidenden Augenblick kam es nur auf sie an - und ihnen gegenüber stand ein Reich, dessen Grenzen er nicht einmal kannte... In den zwei Jahren, seit Dschutschi über den TerekDawan-Paß zum erstenmal in das Fergana-Tal hereingebrochen war, hatten die Mongolen in einer ununterbrochenen Siegeskette die moslemische Welt niedergeworfen, aber wirklich erobert war nur Transoxanien, der äußerste Osten des choresmischen Reiches. Jetzt erst suchte Ugedei in Choresm den Norden niederzuzwingen - und im Süden lag das Bergland Afghanistan, das überhaupt noch keinen mongolischen Reiter gesehen hatte; und Chorassan im nahen Westen kannte sie nur von dem Streifzug Ssubutais her... Gewiß hatten die meisten Städte Persiens seine Herrschaft anerkannt, seine Statthalter hingenommen - aber war diese Anerkennung echt oder Arglist, um für den Augenblick der Plünderung zu entgehen und sich dann gemeinsam mit 183
voller Kraft auf ihn zu stürzen? Wenn der tapfere, entschlossene Dschelal-ud-Din jetzt zum Kampfe aufrief, würde das nicht ein Signal zu einem allgemeinen Aufstand werden, der Millionen und abermals Millionen von Soldaten gegen ihn ins Feld brachte?... Eine einzige entscheidende Niederlage hätte aber alle zwanzig Jahre ununterbrochener Siege ausgewischt und sein Reich vernichtet. Er besaß keine Reserven, wurde nicht durch ein kraftvolles, traditionsgebundenes Hinterland gestützt. Er führte seine ganze Macht mit sich, und war das Heer geschlagen, so bedeutete das Zerfall und Gegeneinander aller Völker und Stämme... Er hatte Ssubutai gerufen, um die Möglichkeiten seiner Gegner zu erfahren, denn Ssubutai war es ja, der mit Dschebe auf der Jagd hinter dem Choresm-Schah her das ganze Reich durchritten hatte. Zuerst erzählte Ssubutai von dem reichen Chorassan mit mächtigen Festungen, Riesenstädten mit gewaltigen Wällen. Es reichte von Herat bis Merw und von Merw bis Nischapur. Dann ging das Land in eine große, kaum durchdringbare Salzsteppe über. Am Rande der Steppe, zwischen kahlen Bergen, mußte man viele Tage lang reiten, um in das zweite reiche Land mit vielen Menschen zu kommen, das persische Irak - Irak Adschemi... „Wie lange braucht ein moslemisches Heer, wenn es von dort nach Chorassan kommen will?" fragte Tschingis-Chan. „Im Sommer kann es überhaupt nicht nach Chorassan gelangen", antwortete Ssubutai, „weil die Sonne alles Gras verbrennt und die Flüsse austrocknet. Und im Winter verstehen die Pferde der Moslems nicht, sich Futter unter dem Schnee hervorzuscharren. Nur jetzt im Frühling oder im Herbst könnte ein Heer des Schahs diesen Zug unternehmen, und es müßte dazu viele Herden und viel Gepäck mit sich führen, aber ich sehe in Irak-Adschemi kein solches Heer." Dieser Bericht entschied die weitere Kriegführung: Wenn der Westen und der Osten einander nicht zu Hilfe kommen konnten und Ssubutai nichts von der Aufstellung eines Heeres im Westen wußte, so bedeutete das, daß Dschelal-ud-Din irgendwo im Osten sein mußte, und im Falle eines Aufstandes standen Tschingis nur Afghanistan und 184
Chorassan gegenüber... So stark diese Länder waren, ihre Grenzen lagen in einem Umkreis von 1000 Kilometern - und 1000 Kilometer waren eine Entfernung, auf der die mongolischen Heere so zu operieren verstanden, daß sie im Notfall einander zu Hilfe kommen konnten. Da kam es nicht darauf an, ob er nur seine 100 000 Mann oder noch die 30 000 Ssubutais und Dschebes bei sich hatte... Und das besiegelte für Jahrhunderte das Schicksal Rußlands, brachte über Südosteuropa Verwüstung und über den ganzen europäischen Kontinent einen panischen Schrecken: Ssubutai hatte sich während des Winters in den westlichen Ländern umgesehen und Streifzüge nach Aserbeidschan, Kurdistan, Georgien unternommen. Hinter dem Meer, auf dessen Insel der alte Schah Muhammed gestorben war, erhoben sich wieder Berge, und wenn man diesen Steingürtel überstieg, so sollte man in das Land schmalgesichtiger Menschen kommen, mit hellen Haaren und blauen Augen. Es sollten die gleichen Menschen sein, von denen die Bewohner von Kiptschak als von ihren westlichen Nachbarn erzählten. Man mußte also um das Meer herumreiten und über die KiptschakSteppen in die Mongolei zurückkehren können. Ssubutai und Dschebe brannten schon darauf, diesen Ritt zu machen. Tschingis-Chan hatte nichts dagegen. Er hatte Dschutschi die Welt westlich vom Irtysch geschenkt „soweit der Huf des Mongolenpferdes kommt", diese Länder jenseits des Meeres grenzten also an Dschutschis Uluß - es war immer nützlich, seine Nachbarn zu kennen. Ssubutai bekam die Erlaubnis, über das Gebirge jenseits des Kaspischen Meeres zu ziehen, um festzustellen, was für Völker dort wohnten, wie groß ihre Reiche waren, was für Heere sie hatten... Drei Jahre Zeit bewilligte ihm der Cha-Chan. Dann sollte er auf dem Wege nördlich des Kaspischen Meeres in die Mongolei zurückkehren. Ssubutai stieg wieder aufs Pferd und ritt zwei Wochen lang zu seinen Truppen zurück.
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IV
Dschelal-ud-Din befand sich wirklich im Osten des Reiches. Mitten in den afghanischen Bergen, bei Ghasni, sammelte er ein Heer gegen die Mongolen. Und nun geschah das, was Tschingis-Chan vorausgeahnt hatte: im ganzen Lande flammte der Aufstand auf. In jeder Provinz, in jeder Stadt saßen Chane, Emire, Scheiks, Imams, die gewohnt waren, sich in die Streitigkeiten der großen Herren nicht einzumischen und den Sieger jeweils anzuerkennen. Da sie unter Muhammeds Tyrannei viel zu leiden gehabt hatten, waren sie, solange der Islam nicht angetastet wurde, sogar bereit, mit Tschingis-Chan zu paktieren, obgleich es nach dem Gesetze des Propheten ein Verdienst war, den „ungläubigen Hund" zu bekriegen. Doch seine religiöse Toleranz den Andersgläubigen gegenüber entzündete den Fanatismus, die Plünderungen und Grausamkeiten der Mongolen verstärkten den Haß - und als jetzt nun ein junger moslemischer Schah, der schon seinen Mut und seine Fähigkeiten bewiesen hatte, das Volk zum Heiligen Krieg aufrief, folgte ihm alles. Der Islam erhob sich zum Kampf. Von allen Seiten zugleich wurden Ermordungen der Statthalter und der von den Mongolen eingesetzten Beamten gemeldet, Metzeleien ihrer Parteigänger, Überfälle auf einzelne Posten und kleinere Trupps, Aufstände in den Städten... Und bei der ersten Nachricht von dieser Erhebung brach Tuli, der jüngste Sohn Tschingis-Chans, mit der Hälfte des mongolischen Heeres nach Chorassan auf. Er zog nicht auf Eroberung, nicht auf Unterwerfung aus. Tuli hatte den Befehl: ausrotten! Was nun folgte, war ein Vernichtungskampf der bis zum letzten gerüsteten und eisern disziplinierten Hunderttausend gegen eine fanatisierte, feindliche Welt, undiszipliniert und uneinig, aber ebenfalls von wilder Tapferkeit und beim Sieg von gleicher Grausamkeit. Ein Kampf um Sein und Nichtsein, verbissen, schonungslos. Tulis Heer wuchs mit jedem eroberten Flecken, mit jeder zerstörten Festung. Besatzung brauchte er nirgends zurückzulassen, denn hinter ihm blieben nur menschenleere Ruinen zurück. Von Städten mit 70 000, 100 000 Einwohnern blieb 186
„keine Katze und kein Hund am Leben". Künstler, Handwerker, junge Frauen wurden in die Gefangenschaft geschleppt, alle noch waffenfähigen Männer mitgeführt, um als erste Welle gegen die nächste Festung vorgetrieben und, wenn sie zurückwichen, von den Mongolen getötet zu werden. Die Mongolenlawine zerbrach jeden Widerstand. Die Riesenstadt Merw verteidigte sich drei Wochen lang verzweifelt, die gewaltige Festung Nischapur konnte Tuli nur drei Tage lang widerstehen. Er hatte zu ihrem Sturm einen Artilleriepark von 3000 Maschinen für schwere Brandpfeile, 300 Katapulte, 700 Wurfmaschinen für Gefäße mit brennender Naphta, 4000 Sturmleitern und 2500 Säcke mit Erde zum Zuwerfen von Gräben herangefahren. Angebote der Unterwerfung, der Übergabe der Festungen wurden, sobald erst der geringste Widerstand geleistet worden war, nicht mehr angenommen. Ein einziges Mal nur, vor der letzten Festung Chorassans, Herat, gewährte Tuli, müde des monatelangen Würgens und Tötens, nachdem der Kommandant gefallen war, den Einwohnern Gnade. Bis auf die 12 000 Mann, die gegen die Übergabe waren und sich weiter wehrten, wurde die ganze Einwohnerschaft verschont. Aber kaum war Tuli zu Tschingis-Chan zurückgekehrt, als schon die Nachricht eintraf, daß Herat sich wieder empört und die zurückgelassenen Statthalter ermordet habe. Da machte Tschingis Tuli Vorwürfe: „Woher ist dieser Aufstand gekommen? Woher kommt es, daß das Schwert an den Heratern seine Wirkung verfehlt hat?" Und er sandte einen Oerlök mit einem neuen Heer aus: „Da tote Menschen wieder lebendig geworden sind, befehle ich dir, ihnen den Kopf vom Leibe abzuschneiden." Dieser Befehl wurde gründlich ausgeführt. Nachdem die Stadt eingenommen und die Bevölkerung abgeschlachtet worden war, sandte der Oerlök, schon auf dem Rückzug, noch einmal 2000 Mann zurück, um sich zu überzeugen, ob nicht aus den Trümmern doch noch Menschen hervorkämen. Diese Truppe fand in den Ruinen noch 3000 Überlebende, die ebenfalls getötet wurden. Als die Mongolen zum zweitenmal 187
abgezogen waren, kamen aus den letzten Schlupfwinkeln der Stadt, die allein an Besatzung über 100 000 Mann gehabt hatte, 16 Menschen hervor, zu denen im Verlauf der Zeit sich noch 24 aus der Umgegend hinzufanden. Das war alles, was am Leben geblieben war. Dieser Vertilgungskampf wurde an allen Fronten zugleich geführt: In Choresm ließ Ugedei endlich Gurgendsch stürmen. Die Ableitung des Amu-Darja hatte nichts genutzt, da die Bewohner bis zur Stauung des Flusses genug Brunnen gegraben hatten. Der Haß und die Erbitterung waren auf beiden Seiten gleich. Einmal gelang es den Choresmiern, eine Abteilung von 3000 Mongolen abzuschneiden - sie wurden vom ersten bis zum letzten Mann niedergemetzelt. Nun befahl Ugedei, die Laufgräben mit Reisig und Holz zuzuwerfen, und während ein Regen von brennenden Naphthatöpfen sich über die Stadt ergoß, erstiegen die Mongolen die Wälle und Mauern. Die Choresmier verteidigten Straße um Straße, Haus um Haus. Sieben Tage lang tobte ein wilder Kampf durch die engen Gassen der Hauptstadt, dann war ihre Kraft gebrochen. Widerstandslos ließen sich die Überlebenden hinaus aufs Feld treiben und, nachdem Handwerker, Künstler, junge Frauen gewohnheitsmäßig ausgesucht worden waren, haufenweise abschlachten. - Die Chronisten behaupten, daß jeder der Mongolen vierundzwanzig Menschen getötet hätte. Dann wurde alles Wertvolle aus der Stadt hinausgebracht, die Sieger zündeten die Ruinen an und ließen darauf den abgeleiteten Fluß wieder in die Stadt, so daß alles Lebendige, was sich vielleicht noch in Kellern und Schlupfwinkel barg, ertrank. Durch diese doppelte Umleitung aber veränderte der Amu-Darja derart seinen Lauf, daß die Gelehrten sich noch jetzt uneinig sind, ob nicht einer seiner Arme in das Kaspische Meer floß, dessen altes Bett der rätselhafte Usboj ist - eine sonst unerklärliche, sich Hunderte von Kilometern windende Erdrinne - und dessen Versiegen die ganze Gegend zwischen den beiden Meeren in eine Wüste verwandelte. Tschingis säuberte währenddessen das Vorgebirge des Hindukusch. Er nahm Balch, Talekan, Kerduan. Vor der Bergfeste Bamian fiel sein Enkel Moatugan, ein Sohn Tschagatais. 188
Der Tod seines Lieblings versetzte den Cha-Chan in furchtbaren Zorn. Er befahl, die Festung auf der Stelle zu stürmen und alles darin Lebende, Mensch wie Tier, niederzumachen. Die ganze Gegend sollte zum Andenken an Tschingis-Chans Enkel ein wüster Steinhaufen bleiben - und noch hundert Jahre später war das vordem blühende Tal öde und unbewohnt - Mobalig - der verfluchte Ort. Während der Zerstörung Bamians kamen Ugedei und Tschagatai aus Choresm zurück - Dschutschi war, grollend über die Demütigung, daß er seinem jüngeren Bruder hatte gehorchen müssen, nach seinem Uluß abgezogen, und die beiden hatten ihrem Vater die Nachricht zu überbringen. „Das sind meine Söhne, für die ich mich sorge, für die ich die Völker unterwerfe und das Reich erobere! Sie wissen nichts als Widerspenstigkeit und Ungehorsam!" rief Tschingis und sah mit verstelltem Zorn auf Tschagatai. Tschagatai, im Gefühl, daß sein Vater ihm die Schuld an dem Streit mit Dschutschi und dessen Trennung gab, fiel auf die Knie und schwor, daß er eher sterben als seinen Befehlen ungehorsam sein werde. Zweimal wiederholte Tschingis die Frage, ob er auch jedem seiner Befehle gehorchen wolle, und als Tschagatai es zweimal beschwor, rief Tschingis: „Dein Sohn Moatugan ist gefallen! Ich verbiete dir zu weinen und zu klagen!" Wie vom Donner gerührt blieb Tschagatai stehen, aber weder jetzt noch später kam eine Klage um den Sohn über seine Lippen.
V
Die kleine, organisierte Minderheit hatte gesiegt, aber das Land war von Ruinen übersät. Millionenstädte lagen in Trümmern, waren entvölkert. Nirgends bisher, nicht bei den Kämpfen in der Mongolei, nicht einmal in Chin hatten Tschingis' Heere so gewütet. Dafür herrschte vom Aral-See bis an die persische Wüste ein panischer Schrecken. Flüsternd nur sprachen die Überlebenden von dem „Verfluchten". Es konnte geschehen, daß jetzt ein einziger mongolischer Reiter in ein Dorf gesprengt kam, Dutzende von Menschen erschlug 189
und das ganze Vieh wegtrieb, ohne daß sich eine Hand dagegen erhob. Die Leute hatten die Fähigkeit des Widerstandes verloren. Manchmal müssen Tschingis-Chan selber Bedenken über diese Art Kriegführung aufgestiegen sein, denn er fragte einen afghanischen Prinzen, der ihm von Tuli als Gefangener geschickt worden war und mit dem er sich ab und zu unterhielt: „Glaubst du, daß dieses Blutvergießen ewig in dem Gedächtnis der Menschen bleiben wird?" Der Prinz ließ sich versichern, daß ihm nichts geschehen werde, wenn er die Wahrheit sage, und antwortete dann: „Wenn Tschingis-Chan noch weiter so morden läßt, so wird allerdings niemand mehr bleiben, um das Gedächtnis an dieses Blutvergießen zu bewahren." Als Tschingis die Antwort übersetzt wurde, verfärbte sich sein Gesicht vor Zorn und er zerbrach den Pfeil, den er in den Händen hielt. Doch im nächsten Augenblick war sein Gesicht schon wieder undurchdringlich ruhig und er sagte nur verächtlich: „Was gehen mich diese Menschen an. Es gibt noch andere Länder und viele Völker, und bei ihnen wird mein Ruhm weiterleben, selbst wenn ich in jedem Winkel, in den sich der Huf von Muhammeds Roß verirrt hat, noch so plündern und morden lasse!" - Und immer noch war dieser entsetzliche Kampf nicht zu Ende: Immer noch saß in den Bergen Afghanistans, in Ghasni, Dschelal-ud-Din und sammelte die Bergvölker um sich. Tschingis hatte Schigi-Kutuku mit 30000 Mann gegen ihn abgeordnet, Dschelal-ud-Din kam ihm entgegengezogen. Um sein Heer zahlreicher erscheinen zu lassen, befahl Schigi-Kutuku, Puppen von Menschengestalt aus Filzdecken und Stroh zu machen und sie auf die Reservepferde zu binden. Beinahe gelang ihm die List: Die Feldherren Dschelal-udDins rieten schon zur Umkehr, aber der junge Schah ließ sich nicht einschüchtern. Er griff an und schlug Kutuku. Die Mongolen flohen. Tschingis-Chan tat, als messe er der Niederlage keinerlei Bedeutung bei. 190
„Schigi-Kutuku ist nur Erfolge gewohnt", sagte er: „Es ist gut für ihn, daß er auch die Bitternisse der Niederlage kennenlernt." Doch ehe sich noch die Nachricht von dem Siege seines Feindes in einer neuen Aufstandswelle auswirken konnte, brach er bereits mit seinem ganzen Heer, mit Ugedei, Tschagatai, Tuli in die Berge auf. Der Vormarsch ging ohne Aufenthalt über ganz Afghanistan. Nur bei Pirwan, wo Schigi-Kutuku geschlagen worden war, nahm sich Tschingis trotz aller Eile Zeit, um mit dem jungen Oerlök über das Schlachtfeld zu reiten und ihm seine Fehler bei der Wahl des Kampfplatzes und der Aufstellung der Truppen zu erklären... Doch auch Dschelal-ud-Din war kein ebenbürtiger Gegner für den Cha-Chan. Draufgängerisch und unerhört tapfer, verstand er wohl, eine Schlacht zu gewinnen, aber nicht, den Sieg auszunutzen. Während Tschingis' Heer mit jedem Tag näherkam, verbrachte er seine Zeit damit, den Sieg zu feiern und die gefangenen Mongolen zu Tode zu martern, indem er ihnen Nägel in die Ohren schlagen ließ. Als seine Lehnsfiirsten bei der Teilung der Beute wegen eines arabischen Pferdes in Streit gerieten und der eine dem anderen mit der Reitpeitsche über den Kopf hieb, nahm er die Partei des Angreifers, weil dieser über mehr Stämme verfügte, worauf der zu Unrecht Beleidigte in der Nacht mit seinen Truppen davonzog. Dann war es schon Zeit für Dschelal-ud-Din selber, zu fliehen. Tschingis-Chans Ritt durch Afghanistan vollzog sich mit solcher Schnelligkeit, daß die Bergbewohner, die auf ihre Berge und Pässe vertraut hatten, nirgends zum Widerstand kamen. Alle Orte mußten sich dem Eroberer widerstandslos öffnen - und wurden verschont. Am Ufer des Indus erreichten die Mongolen endlich den jungen Schah. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Tschingis ein Heer, das auch zahlenmäßig überlegen war, und doch wurde die Schlacht, die hier geschlagen wurde, ein Ruhmesblatt für seinen Feind Dschelal-ud-Din. Die Erinnerung an sie lebt heute noch im Gedächtnis des Orients. Die Sage hat sich ihrer bemächtigt, die Überlieferung vergaß Muhammed 191
und machte seinen tapferen Sohn zum Hauptfeind TschingisChans. Tschingis hatte vor der Schlacht den Befehl gegeben, Dschelal-ud-Din lebendig gefangenzunehmen, denn in dem Augenblick, in dem er den Schah in seinen Händen hätte, wären alle Auflehnungen und aller Widerstand ein für allemal zu Ende. Aber Dschelal-ud-Din war nicht zu bezwingen. Schon von allen Seiten umzingelt, warf er sich an der Spitze der siebenhundert Mann seiner Leibgarde noch einmal gegen die Mongolen, durchbrach ihre Reihen, schlug sich zu seiner schon von den Feinden eroberten Fahne durch, entriß sie ihnen, wandte sich zurück, durchbrach noch einmal ihre Kampfreihen, stürzte sich mit seinem Streitroß das zwanzig Meter hohe Ufer hinunter in den Indus und schwamm mit der Fahne in der Hand über den Fluß. Überrascht von diesem Mut, verbot Tschingis auch jetzt, auf ihn zu schießen. „Daß ein solcher Vater einen solchen Sohn hat!" rief er bewundernd, und hielt Dschelals Kühnheit und Entschlossenheit seinen eigenen Söhnen als Beispiel vor. Doch hinderte ihn alle Anerkennung nicht, ein Heer zu seiner Verfolgung über den Indus zu schicken. Es plünderte die Gebiete von Peschawar, Lahore, Multan, fand den Schah jedoch nirgends und kehrte mit Beginn des Frühlings, als die Hitze für mongolische Reiter unerträglich wurde, nach Afghanistan zurück, wo Ugedei die Unterwerfung der Bergvölker beendete, während Tschagatai noch Kirman und Baludschistan eroberte. Dschelal-ud-Din hatte inzwischen mit einigen fünfzig Mann, die sich mit ihm über den Fluß retteten, die unkriegerischen Hindus überfallen, eine Reihe von Stämmen unterworfen, war mit ihnen gegen Delhi marschiert und hatte dessen Herrscher gezwungen, ihn aufzunehmen und ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Hier wartete er den Abzug des mongolischen Heeres ab, fiel einige Jahre später wieder in Afghanistan ein, drang nach Tschingis-Chans Tod weiter in Persien vor, mußte aber, von einem neuen Mongolenheer bedroht, nach Vorderasien fliehen, wo er auf einem Raubzug ermordet wurde. 192
VI.
Die Schlacht am Indus hatte die Niederlage der islamischen Welt besiegelt. Das Choresm-Reich existierte nicht mehr. Einige mehr oder weniger unabhänige Fürstentümer wie Fars, Luristan, Kurdistan konnten einem späteren Feldzug überlassen werden. Die kleineren Aufräumungsaktionen, die jetzt noch durchzuführen sind, haben nur mehr örtliche Bedeutung. Vom Japanischen bis zum Kaspischen Meer, von Korea bis zum Kaukasus ist Tschingis-Chans Wort Gesetz. Der Ewige Blaue Himmel - Menke Kökö Tengri - hat ihm bestimmt, über alle Völker der Erde zu herrschen. Noch ist die Bestimmung nicht erfüllt: Wenn Ssubutai aus dem Westen zurückkehrt, wird man an die Eroberung dieser Länder denken können, aber bis dahin sind es noch zwei Jahre. Soll er inzwischen Dschelal-ud-Din nach Indien verfolgen und das Land, das seinem Feinde Zuflucht gewährt hat, unterjochen? Oder soll er den Weg nach der Mongolei über Tibet, das sagenhafte Stammland seines Geschlechts, nehmen und es seinem Reiche angliedern?... Es ist Frühling. Mit dem Feldzug nach Indien muß er wegen des heißen Klimas, das seine Steppenreiter nicht vertragen, bis zum Winter warten, und so schickt er die Offiziere seines Jurt-Dschi in den Pamir, um Übergänge nach Tibet zu suchen. Aber sie kehren mit der Meldung zurück, daß die Pässe für das Heer mit den Belagerungsmaschinen und dem Train unübersteigbar sind. Er will also bis zum Winter warten und dann nach Indien marschieren... Die Sage berichtet, daß Tschingis-Chan bei einem Ritt in den Bergen des Hindukusch ein Tier getroffen habe von der Größe eines Hirsches, von grüner Farbe, mit einem Pferdeschweif und einem Horn, das ihm in menschlicher Sprache befohlen habe, umzukehren. Wie immer fragte er YeliuTschutsai, und Yeliu-Tschutsai kannte dieses Wundertier: Es heiße Kio-tuan und könne alle Sprachen der Welt sprechen. Es werde immer vom Himmel gesandt, um gesetzloses Blutvergießen zu verhindern. Tschingis-Chan habe das Reich des Westens besiegt, aber Indien, das Reich des Südens, habe ihm nichts getan. Und wenn er auch der erste Sohn des Himmels ist, so sind die anderen Völker auch dessen Kinder, und er
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habe sie wie seine Brüder zu lieben. Wenn er sich die Gnade des Himmels bewahren wolle, müsse er von den Bewohnern dieses fremden Landes ablassen... Und wie zum Zeichen für die Wahrheit dieser Deutung der rätselhaften Erscheinung brach unter den aus Indien zurückgekehrten Truppen eine furchtbare Epidemie aus, ähnlich der, die gegen das Ende des chinesischen Feldzugs sein Heer heimsuchte... Tschingis-Chan hat nie gegen den Willen des Himmels gehandelt. Er beugte sich auch diesmal. Er wird auf dem alten Wege über den Amu-Darja in die Heimat zurückkehren...
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Der Weise aus Chin I.
Zweiundsiebzig Jahre alt war der chinesische Weise Tschan-tschun, als er im Mai 1220 zu der großen Reise über fünfzig Längengrade nach dem Westen aufbrechen mußte. Niemals in der Weltgeschichte, außer im ältesten China, wo manchmal Philosophen mit den höchsten Ämtern des Reiches belehnt wurden, ehrte ein Kaiser so einen Gelehrten, wie der Barbarenhäuptling Tschingis-Chan den Tao-Mönch Tschangtschun. Seine Fahrt glich einem Triumphzug. Zu den Orten, an denen der Weise rastete, kamen Mönche und Volk in Scharen gepilgert, um ihre Verneigung vor ihm zu machen. Mongolische Prinzen und Prinzessinnen, durch deren Gebiete er reiste, hatten ihn mit höchsten Ehren zu empfangen. Und als er nach anderthalb Jahren Weges endlich in Samarkand eintraf, wurde ihm kein Geringerer als Boghurtschi, der Höchste der Oerlök, entgegengeschickt, um ihm das Geleit über den letzten Reiseabschnitt in die Berge des Hindukusch zu geben, wo der Cha-Chan nach der Schlacht am Indus sein Standlager errichtet hatte. Tschingis-Chan begrüßte ihn mit den Worten: „Andere Kaiser haben dich eingeladen, aber du lehntest die Einladung ab. Jetzt hast du, um mich zu besuchen, einen Weg von 10 000 Li zurückgelegt. Ich bin sehr geehrt." Doch der einsiedlerische Mönch war kein Schmeichler. Er hatte seine Reise nicht freiwillig, sondern gezwungen angetreten, und so ließ er sich auch auf keine Beschönigung der Wahrheit ein: „Der Wilde aus den Bergen ist auf Befehl Eurer Majestät gekommen", sagte er: „Es war der Wille des Himmels." Er fiel nicht auf die Knie, machte keinen Kotau; er neigte nur zum Zeichen der Achtung mit zusammengelegten Händen den Kopf. Tschingis lud ihn ein, mit ihm zu essen - er lehnte die Ehre ab: er esse kein Fleisch, und weigerte sich auch, Kumys zu trinken. Was er für seine Mahlzeiten brauchte - Reis und Mehl - hatte er aus Samarkand mitgebracht. Und weit davon 195
entfernt, beleidigt zu sein, ließ Tschingis, um den Tisch seines Gastes reichhaltiger zu gestalten, durch eine besondere Kurierpost über Hunderte von Kilometern nach den wilden Bergen des Hindukusch frisches Gemüse und bestes Obst schaffen. Die Unterhaltung zwischen dem Kaiser und dem Weisen begann gleich mit der wichtigsten Frage: „Heiliger Mann, der du aus dem fernen Lande gekommen bist, hast du die Medizin für das ewige Leben?" Tschang-tschun sah still lächelnd den Kaiser an, als er gleichmütig antwortete: „Es gibt wohl Mittel, um das Leben zu verlängern, aber es gibt keine Medizin für Unsterblichkeit." Verblüfft starrten die Oerlök den sonderbaren Chinesen an, der nach 10 000 Li Weges mit dieser Ruhe ihrem ChaChan erklärte, daß die ganze Ergebenheit und Zuvorkommenheit, die man ihm erwiesen hatte, nutzlos vertan waren. Doch Tschingis äußerte mit keinem Worte seine Unzufriedenheit. Er nickte nur, pries dann die Redlichkeit und die Wahrheitsliebe des Weisen und wandte sich wieder an Tschang-tschun, mit der Bitte, ihn in der Lehre des Tao zu unterrichten. Es wurde ein Tag der Belehrung festgesetzt, ein besonderes Zelt errichtet - da kam die Kunde vom Ausbruch neuer Feindseligkeiten in den Bergen, vom Aufstand einiger Stämme, und die Kriegssorgen nahmen Tschingis-Chan in Anspruch. Er verlegte die Unterweisung auf unbestimmte Zeit - und sofort verlangte Tschang-tschun, nach Samarkand zurückzukehren. Der Cha-Chan versuchte ihn zu überreden, daß die Wege jetzt gefährlich seien, er möge doch im Lager bleiben, aber der Weise sagte: „Der Lärm deiner Soldaten stört die Ruhe meines Denkens!" und Tschingis ließ den Chinesen mitten in Kriegswirren von einer Eskorte von tausend Reitern sicher nach Samarkand geleiten, wo er auf den kühlen Terrassen des kaiserlichen Sommerpalastes, im Schatten der herrlichen Gärten, ungestört seine Ruhe genießen konnte. Erst im Herbst zog Tschingis wieder über den AmuDarja. Das Standlager wurde bei Samarkand aufgeschlagen. Kadis, Imams, Stadtälteste kamen mit Huldigungen... 196
Zum erstenmal behielten die Nomaden die Herrschaft über ein besiegtes Kulturvolk, ohne sich im Lande niederzulassen, und es war Yeliu-Tschutsai, dem die schwere Aufgabe zufiel, ein richtiges Verhältnis zwischen den Eroberern und den Eroberten herzustellen. Er gab den Städten eine feste Ordnung, bestimmte die Steuern und Abgaben, setzte überall Verwaltungsbeamte ein - nahm sie aber stets nur aus der eingeborenen Bevölkerung und stellte ihnen lediglich Daruga - mongolische Kontrollbeamte - zur Seite, um jede Berührung und alle Reibungspunkte zwischen den Mongolen und den Persern zu vermeiden. Den mohammedanischen Geistlichen, die zur Huldigung erschienen waren, sagte Tschingis: „Der Himmel verlieh mir den Sieg über euren Schah, überwältigte und vernichtete ihn. Jetzt habt ihr zu meinem Preise zu beten." Als er hörte, daß unter Muhammed auch die Geistlichkeit Steuern zahlen mußte, meinte er verwundert: „Hielt denn der Schah euer Gebet um sein Wohl nicht für so viel wert?" und befreite sie von allen Reichsabgaben. Hier bei Samarkand kam auch Tschang-tschun wieder in Tschingis-Chans Lager. In einem besonderen Zelt, zu dem den Frauen der Zutritt verboten war, versammelten sich dreimal in der Ruhe der klaren Nächte, wenn das ganze Lager schlief, die höchsten Würdenträger des mongolischen Reiches mit ihrem Cha-Chan und seinem Sohn Tuli an der Spitze, um den Worten des chinesischen Weisen zu lauschen. Kein geringerer als der Kanzler des Reiches, Yeliu-Tschutsai selber, machte den Übersetzer, und auf Tschingis-Chans Befehl wurden Tschang-tschuns Aussprüche in chinesischer und mongolischer Sprache niedergeschrieben. Tschingis-Chan hat ein Weltreich erobert. Er will es für Jahrhunderte, für immer festgebaut wissen... Tschang-tschun lächelte nur nachsichtig: „Ein Wirbelsturm dauert keinen Morgen lang, ein Platzregen dauert keinen Tag - und wer bewirkt diese? - Himmel und Erde. Was nun selbst Himmel und Erde nicht dauernd vermögen, wieviel weniger kann das der Mensch." Tschingis-Chan macht sich über die Schwierigkeit des Regierens Sorgen. 197
„Ein großes Reich regieren, ist wie kleine Fische braten: man darf sie nicht abschuppen, nicht schütteln, nicht verbrennen und muß mit jedem zart und gleichmäßig umgehen. Nur wer allen gerecht wird, der ist ein rechter Herrscher." Nachdenklich wird der Cha-Chan. Soll man sich denn gar nicht um sein Werk sorgen? Wird es da nicht zugrunde gehen?... Tschang-tschun beruhigt ihn: „Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen, was gut festgehalten wird, entgeht uns nicht. Man soll wirken, wie das Tao - der ewige, wahre Sinn wirkt: durch das Nichttun." Und er erklärt den Mongolen das Weltbild nach der Lehre des Tao: Die Erscheinungen zwischen Himmel und Erde sind mannigfaltig und verwirrend, aber im Keime sind sie einfach und kaum erkennbar; doch wer sie im Keime zu erfassen versteht, der hat das Tao, den rechten Sinn. Der Raum zwischen Himmel und Erde ist leer wie ein Blasebalg, bewegt man aber den Balg, so kommt immer mehr heraus. Es ist wie bei einer Flöte: die Erde ist das Instrument, der Himmel der Hauch, und das Tao ist der Bläser, der in ununterbrochener Folge eine unendliche Mannigfaltigkeit der Melodien erzeugt. Wie diese Melodien aus dem Nichts entstehen, so kommt alles Sein aus dem Nichtsein und kehrt wieder ins Nichtsein zurück. Aber wenn es auch zurückgekehrt ist, so ist es doch nicht verschwunden. Wenn die Melodien auch verklungen sind, so kann man sie doch hören. Das ist das Wirken des Tao: erzeugen und nicht besitzen, wirken und nicht behalten, fördern und nicht beherrschen. Wirken durch Nichttun, fördern und nicht beherrschen... Das sind Gedanken aus einer ganz anderen Welt. Urfremd sind sie, allem entgegengesetzt, was bei den Mongolen von altersher Brauch ist, und doch spürt Tschingis-Chan ihre Größe, spürt, daß etwas darinliegt, wovor man Achtung haben muß, und er sagt zu seinen Oerlök: „Was der Weise spricht, hat ihm der Himmel eingegeben. Ich habe seine Worte tief in meinem Herzen bewahrt. Tut es auch. - Aber man soll sie nicht weiter verbreiten." 198
Trotzdem will er, daß Tschang-tschun auch seinen Söhnen die Lehre erklärt. Er hat einen Kuriltai angesetzt, da werden Dschutschi, Tschagatai und Ugedei kommen, und es hilft dem Weisen nichts, daß er drängt, nach China zurückzukehren, er muß warten.
II.
Es ist das erstemal, daß ein Kuriltai nicht militärischen Angelegenheiten, nicht der Besprechung und Vorbereitung eines neuen Kriegszugs dient. Diesmal ist der „große Rat" nur eine gemeinsame Abschlußfeier des siegreichen Krieges, und wenn sie monatelang dauert, so nur darum, weil das Leben, das hier in den Niederungen des Syr-Darja geführt wird, den Idealzustand in den Augen des Nomaden darstellt: täglich Spazierritte, Jagden aller Art, Empfänge irgendwelcher Fürsten, Huldigungen, Darreichung und Verteilung von Geschenken, täglich Festgelage, schönste Kleider, schönste Waffen, schönste Frauen, beste Pferde, beste Speisen, beste Weine - und dieses himmlische Leben ist dem mongolischen Volke vom Himmel für alle Ewigkeit beschert, wenn es nur die Jassa - das Gesetzbuch des Cha-Chans - befolgt... Alles ist mit jedem nur erdenklichen Prunk ausgestattet: seidene und brokatene Zelte, der goldene Thron Muhammeds, seine Reichsinsignien: die Krone und das Zepter, vor dem Thron Kästen voll Diamanten, Rubinen, Perlen, goldenem Geschmeide... Tschingis-Chan wollte diesen Prunk nicht, aber selbst Yeliu-Tschutsai hat ihm widersprochen: „Zu Hause kannst du leben, wie du willst, aber hier mußt du allen Völkern deine Macht und deinen Reichtum zeigen!" Und Tschingis-Chan fügte sich. Nur eins lehnte er ab: ein anderes Gewand als seinen alten Rock aus grobem Leinen anzuziehen oder irgendwelchen Schmuck anzulegen. Sein Pelzmantel war aus Zobel, zobelverbrämt war seine Lederkappe mit dem Nackenschutz, aber das gehörte zu einem Steppenaristokraten, und nichts anderes als ein Steppenaristokrat wollte der Welteroberer immer sein und bleiben. Die Prunkgewänder der Städter legte er ebensowenig an wie ihre Rüstungen. Sie waren seiner Natur ebenso zuwider wie das enge Stadtleben. Er hatte es zwar auf Yeliu199
Tschutsais Betreiben zugelassen, daß während dieses letzten Krieges in der Mongolei der naimanische Karawanen-Umladeplatz Karakorum stadtartig ausgebaut wurde; der Kanzler hatte beteuert, daß ein derartiger, fester Punkt notwendig sei, damit die Völker wüßten, wohin sie ihre Tribute zu schicken hätten, und damit die verschiedenen Verwaltungen einen Mittelpunkt bekämen - Tschingis selber dachte nicht daran, sich dort jemals niederzulassen. „Meine Kinder werden vielleicht in steinernen Häusern und festen Städten wohnen", sagte er. „Ich nicht." Ein Nomade durch und durch, wünschte er für sich und seine Nachkommen nichts anderes als das ungebundene, freie Nomadenleben. Sein Instinkt sagte ihm, daß das die einzige, seinem Volke gemäße Lebensart war, und jetzt, wo die Sklavenarbeit der Städter den Mongolen alle Annehmlichkeiten lieferte, ein wahres Herrendasein. Er hatte dieses Leben in seiner Jassa noch einmal fest verankert - und doch war er sich nicht sicher, ob seine Nachkommen nicht die Üppigkeit und die Verweichlichung des Stadtlebens vorziehen würden. Schon seine Söhne wollten so vieles anders als er... Vor allem der, an dem er so hing, und der ihm am meisten Sorge bereitete: Dschutschi, sein Erstgeborener. Sogar jetzt zum Kuriltai waren nur Tschagatai und Ugedei erschienen. Von Dschutschi kamen aus Kiptschak 20 000 prächtige Pferde, Apfelschimmel, als Geschenk für den Cha-Chan - er selber war in seinem Ordu geblieben: er sei krank. Sofort ritt ein „Pfeil"-Bote nach Dschutschis Uluß: der Prinz möchte zur Jagd kommen. Nach einigen Wochen wurden aus den Steppen des Nordens riesige Herden von Wildeseln herangetrieben: zur Zerstreuung des Cha-Chans und seiner Oerlök. Doch Dschutschi entschuldigte sich wiederum: er sei krank und könne nicht kommen. Tschingis-Chan glaubte nicht an diese Krankheit. Dschutschi grollte wohl immer noch, weil er die ChoresmGegend am Aral-See doch Tschagatai zugesprochen hatte. Was sollte aber daraus werden, wenn schon jetzt, bei seinen Lebzeiten, zwischen seinen Söhnen Unfriede herrschte?!... 200
Doch niemand merkte etwas von seinen Besorgnissen. Es wurde weitergefeiert, ausgiebig Jagd auf die Wildesel gemacht, dann, als man genug davon hatte, wurden die Tiere eingefangen, bekamen ein Brandmal, das sie als Eigentum des Cha-Chans stempelte, und wurden wieder freigelassen. Und inzwischen hatten die Treiber eine neue Beute gefunden: eine Wildschweinjagd wurde angesagt. Und bei dieser Jagd geschah etwas Unfaßbares: Tschingis-Chan verfolgte einen angeschossenen Keiler, das verwundete Schwein nahm den Jäger plötzlich in blinder Wut an, und in dem Augenblick, in dem Tschingis seinen Bogen spannte, um dem rasenden Tier den tödlichen Pfeil entgegenzusenden, stürzte er vom Pferde. - Er war verloren. Und da vollzieht sich das Wunder: der Keiler greift den Cha-Chan nicht an. Er bleibt wie angewurzelt stehen. Dann, als die anderen Reiter heranpreschen, wendet er sich und verschwindet im Dickicht. Tschingis-Chan ist tief erschüttert. Er begreift es nicht. Wie ist das möglich gewesen, daß er vom Pferde fiel? Es hatte natürlich gerade in dem Augenblick gescheut und einen Sprung zur Seite getan - aber wann hätte ihm das je etwas ausgemacht? !... Und noch unverständlicher ist es, daß das rasende Tier in seinem Angriff stockte. Gerade als er hilflos dalag, der Wut des Keilers völlig preisgegeben... Yeliu-Tschutsai gibt ihm die Erklärung: Der Himmel hat ihn gewarnt. Der Kaiser darf sein Leben nicht leichtfertig der Gefahr aussetzen. Doch da der Himmel seinen Untergang nicht will, ließ er den Keiler umkehren... Tschingis-Chan verlangte zu hören, ob das auch die Meinung Tschang-tschuns ist. Aber der taoistische Philosoph kennt keinen persönlichen Gott, der seine Kinder liebt, ihnen Warnungen zuschickt, sie belohnt oder straft. Für ihn sind alle Wesen wie die Opferhunde aus Stroh. Wenn sie beim Opferfest aufgestellt werden sollen, tut man sie in einen schönen Schrein, bekleidet sie mit kostbaren Stoffen und Stickereien. Der Totenpriester fastet und reinigt sich, bevor er sie darbringt. Ist aber das Opferfest vorüber, so wirft man sie in Schmutz und Kehricht, die Vorübergehenden treten achtlos auf sie, und schließlich liest sie 201
ein Reisigsammler auf und verbrennt sie. Wenn die Zeit für eine Persönlichkeit da ist, so findet sie den Tisch des Lebens gedeckt und alles für ihren Gebrauch bereitet. Wenn die Stunde vorüber ist, so wird sie weggeworfen und zertreten. Es ist Zeit für den Cha-Chan, solche Vergnügungen wie die Jagd zu lassen... Tschingis-Chan will nicht einsehen, daß er mit seinen 61 Jahren schon zu alt dazu sein soll. Er fühlt sich noch stark und kühn und antwortet auf das Zureden des Chinesen: „Es ist schwer, auf etwas zu verzichten, was man das ganze Leben lang getan hat." Tschang-tschun will keinen Verzicht, er will die höhere Einsicht: „Dem Winter folgt der Frühling, dann kommt der Sommer, der Herbst und dann wieder der Winter. Doch im Leben des Menschen ist es anders: da enthält jeder Tag die Erlebnisse aller vorangegangenen Tage, und wenn die volle Entfaltung vorüber ist, kehrt man zum Ursprung zurück. Die Rückkehr zum Ursprung ist aber Ruhe, und Ruhen heißt, seine Bestimmung erfüllt, also der ewigen Ordnung entsprochen zu haben. Das zu wissen, heißt erleuchtet sein." Tschingis-Chan ist nachdenklich geworden. Es dauert eine ganze Weile, bis er antwortet: „Ich habe deine Worte in meinem Herzen bewahrt." Und wirklich hat er nie mehr an einer schwierigen Jagd persönlich teilgenommen. — Nun wird zwischen dem Cha-Chan und dem chinesischen Weisen ein hartnäckiger Geduldskampf ausgefochten: Tschingis will ihn als Ratgeber bei sich behalten, Tschangtschun drängt darauf, nach Chin zurückzukehren. Tschingis erklärt, er sei doch auch unterwegs nach der Mongolei, sie hätten denselben Weg; Tschang-tschun dauert diese Reise mit Heer und Troß zu lange. „Ich habe über alles gesprochen, was Eure Majestät wissen wollte. Ich habe nichts mehr zu sagen!" beteuert er. Tschingis versucht, den Tag des Abschieds hinauszuzögern: der Weise soll nur noch warten, bis er ein richtiges Geschenk für ihn gefunden hat. Tschang-tschun will keine Geschenke haben. 202
Irgendeine Gnade? Eine hohe Würde?... „Gnadenerweisungen und hohe Würden sind nichts wert. Gnade wie Ungnade erzeugen nur Angst. Hat man sie erlangt, so ist man in Angst, sie zu verlieren. Hat man sie verloren, so ist man erst recht in Angst." Jetzt glaubt Tschingis, dem Weisen eine Falle stellen zu können: „Aber du willst doch wirken! Ob durch Tun oder Nichttun - wenn du in Ungnade kommst, so kann sich deine Lehre nicht verbreiten!..." Ein ruhiges Lächeln blieb auf Tschang-tschuns Lippen, als er gelassen antwortete: „Wenn der Edle seine Zeit findet, so kommt er vorwärts. Findet er sie nicht, so geht er und läßt das Unkraut sich häufen." Tschingis sagte nichts mehr. Er gab dem Weisen eine Eskorte, die ihn sicher und mit allen Bequemlichkeiten nach Chin geleiten sollte. Aber aufsein königliches Geschenk verzichtete er nicht: Einer der schönsten Teile des kaiserlichen Palastes von Peking mit wundervollen Parks und Teichen wurde Tschang-tschun als Stätte seines Wirkens zugewiesen, mit der Bestimmung, daß dort nach seinem Tode ein taoistisches Kloster errichtet werde. Und Tschingis-Chans Nachfolger lösten dieses Vermächtnis ein. Tschang-tschun starb im gleichen Jahr und im gleichen Monat wie Tschingis-Chan.
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Die Rückkehr I.
Tschingis-Chan hat keinen Grund mehr zur Eile. Noch ein ganzes Jahr lang dauert der gemächliche Zug seiner Heere in die Heimat zurück. Zahllose Gefangenenscharen, zahllose Kamelkarawanen mit kostbarer Beute sind ihnen vorausgeeilt. Die Rastlager gleichen mehr den Ordu auf der Wanderung als militärischen Lagerplätzen, denn auf jeden Krieger kommen mehrere Frauen, vielfach mit kleinen Kindern, mit schwer bepackten Zeltwagen, die das im Westen eroberte Gut bergen, mit zahlreichen Herden. Sklaven und Sklavinnen derselben Volkschaft wie die jungen Frauen versorgen das Vieh, schlagen die Zelte auf und brechen die Lager ab... Dieser Zug nach Osten ist eine Völkerwanderung, aber geruhsam, vergnüglich... Zwei „Pfeil"- Boten aus dem fernen Chin treffen fast gleichzeitig ein. Der eine bringt eine Trauerkunde: der treue Muchuli, der seit acht Jahren zäh und unermüdlich an der Unterwerfung von Chin gearbeitet hat, ist gestorben. Die letzten Worte, die der vierundfünfzigjährige Oerlök vor seinem Tode an seinem Sohn Buru richtete, waren: „Vierzig Jahre lang habe ich Krieg geführt und meinem Bogdo-Herrscher geholfen, große Taten zu vollbringen. Niemals bin ich dessen überdrüssig geworden. Nur eins bedauere ich: daß es mir nicht gelungen ist, die ,südliche Residenz' zu erobern. - Vollbringe du es." Der andere Bote meldet den Tod des Kaisers von Chin, Hsüan-tsung, und die Thronbesteigung seines Sohnes Schu-hsü. Auf den Thronwechsel wird wie üblich ein Aufflackern der kriegerischen Tätigkeit der Chin folgen, aber selbst das vermag nicht, Tschingis-Chan zur Eile zu veranlassen. Er bestätigt Buru als Muchulis Nachfolger und fährt fort, langsam von Rastlager zu Rastlager zu ziehen, denn er wartet darauf, daß vom Norden her sein Sohn Dschutschi ihn endlich besuchen komme, und daß vom Westen her seine beiden Oerlök Ssubutai und Dschebe ihn auf dem Rückweg von ihrem Feldzug um das Kaspische Meer herum einholen. 205
Die drei Jahre, die er bewilligt hatte, waren um. Dschutschi kam nicht, und von den Oerlök traf nur Ssubutai ein. Dschebe-Noion - der Fürst Pfeil - sein treuer Freund und Gefährte, Eroberer von Kara-Chitan und Bezwinger des Pamirs, war auf dem Rückwege aus dem Westen, beinahe schon in Turkestan, plötzlich erkrankt und nach kurzer Krankheit gestorben. Auch die Reihen des Heeres, das mit Ssubutai zurückkam, waren stark gelichtet, aber die vielen beutebeladenen Wagen, die Gefangenen unbekannter Rassen und Völker deuteten auf große Taten, auf einen siegreichen, erfolggekrönten Heereszug. Den Heereszug einer Rekognoszierungstruppe von 30 000 Mann durch Gebiete eines Dutzends feindlicher Völker, der den Mongolen die Welt Europas eröffnete.
II.
Zwischen den Niederungen des Kaspischen Meeres, von wo Ssubutai und Dschebe aufgebrochen waren, und dem Steingürtel des Kaukasus lag das christliche Reich Georgien. Ein Ritt durch das Bergfürstentum Aserbeidschan, ein Streifzug durch das wilde Kurdistan, und Ssubutai führte seine 30 000 Mann nach Georgien hinein. Die Blüte der georgischen Ritterschaft, stolze, erprobte Kämpfer, schon für den Kreuzzug gerüstet, warf sich ihnen entgegen. Ssubutai griff an, ließ die neunzipflige Tug mit dem fliegenden weißen Falken flattern, der von den Georgiern und später auch von den europäischen Völkern für ein schräges Kreuzeszeichen gehalten wurde. Es entspann sich ein kurzer, heftiger Kampf, dann flohen die Mongolen - und führten ihre Verfolger direkt auf Dschebes Hinterhalt. Hier machten sie kehrt - und von zwei Seiten gefaßt, wurde das ganze georgische Heer vernichtet... Doch zum Glück für die Georgier ließen Ssubutai und Dschebe ihren Mongolen keine Zeit, sich im Lande umzusehen - es zog sie weiter aus den südkaukasischen Niederungen in die Höhen des Steingürtels. Plötzlich entschwanden die wilden Reiter dem Blickfeld der Menschheit, und die Königin Russudan von Georgien konnte behaupten: die Furcht vor ihren Rittern hätte sie vertrieben. Im Jahre 1222, knapp ein Jahr nach den jubelnden Episteln 206
Jakobs von Vitry, traf die zweite Kunde über die Mongolen in Europa ein, ein Brief der Königin Russudan an den Papst: Ein „wildes Volk der Tataren, von höllischem Aussehen, von wölfischer Raubgier und von Löwenmut", das aber christlichen Glaubens sein müsse, da es „ein schräges, weißes Kreuz auf seiner Fahne führe", wäre in ihr Land eingefallen. Die tapfere Ritterschaft Georgiens habe sie aus dem Lande gejagt und 25 000 Mann der Räuber erschlagen, sei aber deswegen nicht mehr imstande, in den Kreuzzug zu ziehen, wie sie es Seiner Heiligkeit versprochen hatte... Wahrheit an diesem Brief war, daß die Georgier wirklich nicht mehr imstande waren, in einen Kreuzzug zu ziehen... Der Übergang über den Kaukasus war furchtbar. Wie bei Dschebes Ritt über den Pamir mußte man alle Lasten wegwerfen, die Katapulte, die Wurf- und Schleudermaschinen vernichten, da es keine Möglichkeit gab, sie über diese kaum bezwingbaren Hochpässe zu schleppen. Und als die Oerlök endlich von den Gletschern des Kaukasus zwischen den schroffen, dunkelfelsigen Bergen, durch jähe, vom Tosen der Wildwasser erfüllte Schluchten in das Tal des Terek hinabgestiegen waren, wartete hier schon - wie damals im FerganaTal Muhammed - ein gewaltiges, feindliches Heer auf die Mongolen. Alle kriegerischen Bergvölker Kaukasiens: Tscherkessen, Lesginen, Alanen, standen da, um ihre Länder zu verteidigen, und mit ihnen hatten sich die schrecklichen Komanen, das wilde, kampflustige Kiptschakvolk, verbündet. Es betrachtete den Steppengürtel vom Kaspischen Meer bis an die Donau, wo es frei und unbekümmert herumzog, als sein unbestreitbares Reich, und kam herbeigeeilt, um den Eindringlingen den Ausgang aus der Enge der Berge in die Freiheit seiner fruchtbaren Ebenen zu verlegen. Die Mongolen waren zu erschöpft. Die wilde, mörderische Schlacht gegen die mehrfache Übermacht blieb unentschieden ... Am nächsten Tag befanden sich bereits mongolische Boten mit Gold, kostbaren Stoffen, herrlichen Pferden im Komanenlager: „Wir sind Männer vom gleichen Stamme wie ihr, und ihr
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vereinigt euch mit fremden Völkern gegen eure Brüder ?! Was geben sie euch? Von uns könnt ihr alles haben, was ihr begehrt!" Die Komanen trennten sich von ihren Bundesgenossen... Ssubutai griff die Bergvölker an, zersprengte sie, zerstörte ihre Burgen, zwang ihre jungen Männer zum Heeresdienst. Dann setzten die Mongolen den abziehenden Komanenstämmen nach, schlugen sie einen nach dem anderen und nahmen ihnen alles, was sie an Geschenken bekommen hatten, wieder ab. Als die Komanen sich über den Verrat entrüsteten, bedeutete ihnen Ssubutai, daß sie selber Verräter wären und nichts Besseres verdienten. Und von Dschebe hörten sie, sie seien überhaupt Rebellen, denn als Kiptschak-Völker gehörten sie zu Dschutschis Uluß... Die Komanen hatten nie etwas von „Dschutschi" und seinem „Uluß" gehört, vielleicht nur im Warenaustausch mit den Stämmen östlich des Kaspischen Meeres vernommen, daß irgendwo im Osten ein Herrscher erschienen sei, mit dem sie in den Krieg zogen - doch die beiden Oerlök zeigten ein Schreiben des „Herrschers aller Menschen" in unbekannten, unverständlichen Zeichen. Er habe alle Komanen seinem Sohn Dschutschi als Untertanen geschenkt. Sie seien gekommen, um sie zum Gehorsam zu bringen und zu strafen... Die Schnelligkeit des Mongolenritts, ihre überlegene Kriegstechnik, ihre neuen, unbekannten Waffen, die Kunde, daß sie nicht Mann noch Weib am Leben ließen, und nun noch die Behauptung, sie wären eigens gekommen, um die Komanen zu strafen, versetzten diese in panischen Schrecken. Halbnomaden, hatten sie keine blühenden Städte zu verteidigen, hingen nicht an ihren wenigen festen Siedlungen. Ihr zusammengeraubtes Gut war schnell gesammelt, auf die Pferde geladen und, von der kleinen Mongolenarmee getrieben, ergoß sich ein Menschenstrom nach West und Nord. Wie weit reichte Kiptschak? - Hinter dem Menschenstrom her ritten Ssubutai und Dschebe mit ihren Dreißigtausend nach Westen, setzten über den Don, ritten an dem Asowschen Meer entlang. Überall war fruchtbares, üppiges Land, mit herrlichen Steppen, saftigen Weiden - eine Labsal für das Nomadenherz. 208
Ein schmaler Landarm ragte in das Meer hinein, sie ritten in die Krim, stiegen über die Berge. An der äußersten Spitze der Halbinsel lag die genuesische Festung Sudak. Die Genueser wußten nicht, daß man den Mongolen mit Geschenken entgegenkommen muß. Sie schlossen die Tore und riefen die Bürger zu den Waffen. Die Festung wurde gestürmt und verbrannt - auf langen Ruderschiffen flohen die Überlebenden, um zum drittenmal die Kunde von dem fremden, schrecklichen Volke mit dem schrägen Kreuzeszeichen auf seiner Fahne in ihre ferne Heimat zu tragen. Die Oerlök ritten weiter nach dem Westen, setzten über den Dnjepr, kamen an den Dnjestr. Hier hörte das Schwarze Meer auf, endlos dehnte sich das Land weiter, endlos waren die Steppen. Gewaltige Reiche weißer, fremder Menschen begannen hier: nach Norden zu die Fürstentürmer der Russen, nach Nordwesten - ein Königreich Polen, nach Westen ein Königreich Ungarn, nach Süden das byzantinische Reich... 10 000 Komanenfamilien waren schon über die Donau geflüchtet und hatten sich, um Schutz flehend, an den Kaiser von Byzanz gewandt. Der Kaiser hatte zuerst durch die Georgier von den „teufelsgleichen" Fremdlingen gehört - jetzt plötzlich vom Nordosten her aufgeschreckt, befestigte er fieberhaft seine Hauptstadt und siedelte, jedes neuen Kriegers froh, die Komanen in Thrazien und Kleinasien an. Andere Stämme hatten den Pruth überschritten und sich dem König von Ungarn unterworfen... Ssubutai hatte keinen Auftrag, diese fremden Reiche mit Krieg zu überziehen. Seine 3 0 000 Reiter waren nicht mehr und nicht weniger als eine Rekognoszierungstruppe. Hier, an den Ufern des Schwarzen Meeres, endete Kiptschak, und hier ließ er seine Mongolen vor der Umkehr überwintern und schickte seine Späher in alle Länder ringsum. Denn wenn der Cha-Chan später einmal seine Heere auch nach dem Westen bis an das Ende der Welt reiten lassen wollte, mußte er über alles unterrichtet sein. Und Ssubutai trug, was er über die Länder Europas erfahren konnte, zusammen... So genau waren diese von ihm gesammelten Nachrichten, daß Tschingis-Chans Nachfolger anderthalb Jahrzehnte später einen Plan der Eroberung Europas in achtzehn Jahren aufstellen 209
und in den ersten sechs Jahren unter Ssubutais eigener Führung Rußland, Polen, Schlesien, Ungarn, Serbien, Bulgarien niederwerfen und plangemäß bis an das Adriatische Meer und bis vor Wien dringen konnten, während alle europäischen Fürsten völlig ratlos über das fremde, furchtbare Volk waren, das sie zum zweitenmal überfiel.
III.
Im Norden lagen die Fürstentümer der Russen. Der Fürst Mstislaw von Halicz hatte sich mit einer Tochter des Komanen-Chans Kotjan verheiratet, um sein Land vor den Raubzügen des gefährlichen Nachbars zu sichern. Jetzt war Kotjan mit allen seinen Stämmen zu ihm geflüchtet, brachte ihm Pferde, Ochsen, Sklaven und Sklavinnen als Geschenk und bat um Hilfe gegen den so plötzlich erschienenen Feind „aus unbekannten Ländern, von unbekannter Sprache, der gekommen war, um alle Völker zu Sklaven zu machen." Auf Mstislaws Betreiben versammelten sich die russischen Fürsten in Kiew. Eigentlich waren die Romanen von altersher ihre Feinde. Die russischen Länder hatten immer schwer unter ihren räuberischen Überfällen zu leiden - aber wenn man ihnen jetzt die Hilfe versagte, konnten sie mit dem unbekannten Feind noch gemeinsame Sache machen und die Fürstentümer der Russen mit Krieg überziehen. Es war besser, diesem Feind in den Ländern der Komanen zu begegnen, als ihn in seine eigenen hereinzulassen... Aus Kiew, Kursk, Smolensk, aus Wohhynien und Halicz zogen russische Heere in das Schwarze-Meer-Gebiet. Der Dnjepr und der Dnjestr bedeckten sich mit den Ruderschiffen der Russen. Ihre Streitmacht wuchs von Tag zu Tag, und auch alle versprengten Komanenstämme schlossen sich den neuen Bundesgenossen an. Ein Krieg gegen die Russen lag nicht in Ssubutais Plan. Als ihr Heer am Unterlauf des Dnjepr aufmarschierte, erschienen zehn mongolische Gesandte in ihrem Lager: „Warum sind die Russen ins Feld gezogen? Die Mongolen haben keinerlei Streit mit ihnen. Sie sind nur gekommen, um ihre ungetreuen Knechte, die Komanen, zu züchtigen." Ssubutai wußte alles: „Die Komanen haben so oft russische
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Länder überfallen und geplündert - die Russen sollten lieber gemeinsame Sache mit den Mongolen machen und Rache an den Komanen nehmen." Das Angebot konnte nichts als Hinterlist sein, die Mongolen wollten nur wieder die Verbündeten trennen, die Komanen waren nie Knechte der Mongolen gewesen - die zehn Gesandten wurden niedergemacht, die Russen überschritten den Dnjepr und überfielen und zersprengten einen mongolischen Vortrupp von 1000 Mann. Auf den Gesandtenmord gibt es nur eine Antwort: Rache. Vorher jedoch erteilten die Mongolen ihren Feinden eine Lektion in internationaler Lebensart. Zwei Mann kamen im Russenlager angeritten: „Ihr habt unsere Gesandten ermordet, unsere Vorposten überfallen und wollt Krieg? - Es sei! Wir haben euch nichts Böses zugefügt. Es gibt über alle Völker nur einen Gott, er wird zwischen uns richten." Und die Russen waren so über diese Botschaft verblüfft, über die Todesverachtung, mit der die beiden Mongolen zu ihnen gekommen waren, nur um offiziell den Krieg zu erklären, daß sie sie diesmal unbehelligt fortreiten ließen. Neun Tage lang zogen sich Ssubutai und Dschebe immer in Fühlung mit den vor Kampfesmut brennenden Russen zurück, dann machten sie plötzlich hinter dem Flusse Kalka halt. 80 000 Russen und Komanen standen einem kaum ein Drittel so starken mongolischen Heer gegenüber. Mstislaw von Halicz, der Sieger über den Vortrupp, griff, aus Angst, der Feind könnte ihm wieder entgehen, aus Ehrfurcht, den Sieg nicht mit anderen teilen zu müssen, an, während Mstislaw von Kiew erst seine Stellung am Hochufer der Kalka befestigte. Die Mongolen richteten die ganze Wucht ihres Gegenstoßes gegen die Komanen, warfen sie in einem wilden Reiterangriff und drangen zusammen mit den Flüchtigen in die schon verwirrten Reihen der Russen ein - kaum ein Zehntel des russischen Heeres entging dem Gemetzel. Mstislaw von Halicz rettete sich auf ein Schiff und verbrannte die übrigen Boote, um eine Verfolgung unmöglich zu machen. Drei Tage lang stürmten die Mongolen das Lager Mstistlaws von Kiew - und von den 10 0000 Kiewer Soldaten blieb kein 211
einziger am Leben, um die Kunde von der Niederlage in die Heimat zu bringen. Sechs Fürsten und siebzig Bojaren bezahlten den Mord an den Gesandten mit ihrem Leben. In ganz Südrußland war kein Heer mehr da, um sich den Mongolen entgegenzustellen. Doch Ssubutai und Dschebe konnten mit ihren drei Tuman Rußland nicht erobern. Sie ließen also die geschlagenen Feinde gegen die Gewohnheit nur ganz kurz verfolgen, plünderten zur Rache die nächstliegenden Städte, ritten dann nach Norden bis an die Grenze, wo die südrussische Steppe in die Wälder des Nordens überging, und zogen mit ihren Mongolen wieder nach dem Osten ab. An der oberen Wolga und der Kama lag das Reich Bolgar, ein Staat von Ackerbauern, der lebhaften Handel mit Häuten, Wachs, Honig trieb. Ein bolgarisches Heer wollte den Fremdlingen den Durchzug verwehren... - Nach der Niederlage erkannten die Kama-Bolgaren die Oberhoheit der Mongolen an und durften Dschutschis Uluß nach Nordwesten abrunden... Die Wolga abwärts lebten vierzig Stämme der Sarin: Ackerbauer, Fischer - nach dem Sturm ihrer Hauptstadt beugten sie sich den Mongolen.
IV.
Wochenlang rief Tschingis-Chan seinen Oerlök an seine Seite, wochenlang mußte Ssubutai seinem Herrscher Tag für Tag über diesen in der Weltgeschichte einzigartigen Ritt von 30 000 Mann ins Unbekannte berichten. Über 6000 Kilometer hatte er seit seinem Aufbruch vom Kaspischen Meer zurückgelegt, ungeheure Gebiete durchstreift, ein Dutzend Schlachten gewonnen, ein Dutzend Völker besiegt - alles für Dschutschis Uluß! Und Dschutschi kam nicht einmal, um den Bericht des kühnen Oerlök zu hören, den schönsten Bericht, den Tschingis-Chan je gehört hatte. Fünf Farben bezeichneten die Welt: rot den Süden, schwarz den Norden, blau den Osten, weiß den Westen und violett die Mitte - und der Schutzgeist der KiutBürtschigin begleitete die weiße Tug mit dem fliegenden Falken in alle Teile der Welt und gab seinen Mongolen den Sieg über die Völker aller fünf Farben. 212
Einmal nach dem andern schickte Tschingis-Chan nach Dschutschi: er sollte kommen. Hier waren ja ganz andere Länder zu erobern als das kleine Choresm am Aral-See. Und der ganze Westen sollte ihm gehören... - Und jedesmal kam die Entschuldigung: Dschutschi sei krank. Und eines Tages erschien ein Mongole aus Kiptschak und sagte, er hätte den Prinzen Dschutschi auf der Jagd gesehen... Furchtbar brach Tschingis-Chans Zorn aus!... Zwei „Pfeil"-Boten rasten zu Tschagatai und Ugedei: sofort hatten ihre Truppen gegen Dschutschis Ordu zu reiten. Das ganze Heer unterbrach den Rückmarsch, Befehle flogen von Tuman zu Tuman, die Reiter saßen auf... Der erste Bruderkrieg zwischen den Mongolen drohte. Vergebens suchte Yeliu-Tschutsai den Cha-Chan zurückzuhalten, vergebens schilderte er die Gefahr eines solchen Zwistes für die Zukunft. Tschingis-Chan schrie: „Er ist verrückt! Nur ein Verrückter kann es wagen, meinen Befehlen zu trotzen! Ein Verrückter darf nicht herrschen!..." Schon ritten die Prinzen nach Norden, schon war die ganze Armee im Aufbruch - da kam einer von Dschutschis Söhnen hergejagt: Dschutschi war tot. Nicht er war auf der Jagd gewesen, sondern nur seine Generäle, die er nicht von ihrem Vergnügen abhalten wollte, während er auf den Tod krank in seinem Zelte lag... Niemand sah Tschingis-Chan trauern oder klagen. Was er von Tschagatai verlangt hatte, als er ihm verbot, um den gefallenen Sohn zu trauern, das verlangte er auch von sich selber... Zwei Tage lang blieb er allein in seinem Zelt. Zwei Tage lang bat er dem toten Sohn das Unrecht ab, das er ihm angetan hatte: Dschutschi hatte nicht gegrollt, nicht getrotzt; mit den herrlichen Geschenken der Apfelschimmel, der Wildesel suchte er die Verzeihung seines Vaters zu erlangen, daß er seinem Gebote nicht folgen konnte... Als Tschingis-Chan wieder aus seinem Zelte herauskam, befahl er, den Mann zu suchen, der die Nachricht gebracht hatte, Dschutschi wäre auf der Jagd. Aber obgleich im 213
Umkreis von vielen hundert Kilometern kein Winkel undurchsucht blieb, war der Mann nicht aufzufinden. Doch der Cha-Chan fragte nicht mehr nach ihm. Müde und gebeugt zog er nach sieben Jahren wieder durch das Ujgurenland zurück, in der Richtung nach dem Osten, in die Mongolei. Und hier, an der Grenze der beiden Länder, traf er auf eine lustige Jagdgesellschaft. Seine zwei jüngsten Enkel, Tulis Kinder, der elfjährige Hulagu und der neunjährige Kubilai hatten gerade ihre erste Beute erlegt und zeigten sie, von Stolz geschwellt, dem Großvater: Kubilai einen Hasen und Hulagu sogar einen Hirsch. Der alte Brauch verlangte, daß der Daumen des Knaben mit dem Fleisch und dem Fett des Wildes eingerieben werde, das er zuerst erlegt hatte, um aus ihm einen glücklichen Jäger zu machen, und Tschingis-Chan, wieder etwas froher geworden, vollzog bei seinen Enkeln selbst die heilige Zeremonie. Spielend hielt Hulagu, der künftige Beherrscher Vorderasiens und Gründer der Dynastie der Jl-Chane, die Hand des Großvaters fest, so daß Tschingis lachend ausrief: „Da seht, wie sich meine Nachkommenschaft meiner Hände bemächtigt!" Kubilai aber, der spätere Großchan, unter dem das Mongolenreich die größte Blüte erlebte und dem die Welt von der Adria bis zum Stillen Ozean gehorchte, blieb so ernst und würdevoll und hielt seine Händchen so aufmerksam hin, daß der Cha-Chan sich an seine Söhne wandte: „Wenn ihr nicht wißt, wie ihr etwas tun sollt, dann fragt den Knaben Kubilai."
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Tschingis-Chans Vermächtnis I. Wie die chinesische Chronik Jüan-chao-pi-shi berichtet, ließ sich Tschingis-Chan täglich mittags und abends melden, daß das Tangutenreich Hsi-Hsia noch immer nicht aufgehört habe zu bestehen. - So wollte er ständig an den Schwur gemahnt werden, den er vor dem Auszug gegen den Choresm-Schah getan hatte: dem Herrscher der Tanguten, und sei es in der Sterbestunde, die Antwort auf seinen Verrat zu geben. Der König selbst, dem Tschingis-Chan die blutige Rache für die Verweigerung der Vasallenpflicht geschworen hatte, war bereits tot, im selben Jahre wie Muchuli und Hsüan-tsung gestorben. Aber sein Sohn und Nachfolger auf dem Thron von Hsi-Hsia nahm chinesische Meuterer gegen die Mongolen auf, weigerte sich, den Kronprinzen in das Ordu des ChaChans zu schicken, sammelte chinesische und kara-chitanische Flüchtlinge und stellte ein gewaltiges Heer auf, von dem Spione des Jurt-Dschi behaupteten, es sei eine halbe Million Mann stark... Und zugleich mit dem Wiedererstarken des Hsi-HsiaReiches war nach Muchulis Tode auch in Chin der alte Kämpfergeist wieder erwacht. In der Flanke vom Hoang-ho gedeckt, im Westen durch Bergfestungen in unzugänglichen Gebirgen geschützt, hatte es alle Kräfte zu einem letzten Ringen aufgeboten. Nach chinesischen Berichten waren in Chin und Hsi-Hsia in den fünfzehn Jahren von Krieg und Bürgerkrieg über achtzehn Millionen Menschen, beinahe ein Drittel der Bevölkerung, umgekommen, und immer noch vermochte Chin nicht nur, neuen Widerstand zu organisieren, sondern sogar selber zum Angriff überzugehen. Seine Heere drangen wieder in die schon verlorenen Provinzen ein, schlugen die mongolischen Abteilungen und die zu ihnen übergegangen Truppen, besetzten die schon von Muchuli eroberten Städte... Eine Koalition zwischen Hsi-Hsia und Chin drohte. Da brach der greise Cha-Chan noch einmal von seinen Stammplätzen am Onon zu einem neuen Feldzug nach Süden 215
und Osten auf. Mitten im Winter, mit 180 000 Mann, mit allen seinen Söhnen und Enkeln. Er lehrte sie als Grundsatz für ihr ganzes künftiges Handeln: „Wenn ihr etwas begonnen habt, müßt ihr es unter allen Umständen durchführen!" Sie sollten aus dem Fehler, den er mit dem vorzeitigen Abbruch des Krieges gegen Chin begangen hatte, lernen: „Ihr dürft nie mit einem Krieg aufhören, bevor der Feind nicht völlig geschlagen ist." Als wüßte er, daß dies sein letzter Feldzug sein wird, aus dem er nicht mehr lebendig zurückkehren sollte, hatte er vorher sein Reich geordnet, die Ordu und Tuman verteilt, die Ulusse seiner Söhne bestimmt: Batu bekam den Uluß seines Vaters Dschutschi: die Gebiete nördlich und westlich des Altai, „soweit der Huf des Mongolenpferdes kommt". Tschagatai erhielt das Land der Ujguren und alles, was im Westen und Süden davon lag: KaraChitan und das Choresm-Reich südlich vom Aral-See. Ugedei gab er Hsi-Hsia, Chin und die übrigen Länder Ostasiens. Tuli, seinem Jüngsten - dem Herdbewahrer nach altmongolischer Sitte - vermachte er sein Stammland, die Mongolei, und den Großteil seines mongolischen Heeres. Doch nicht geteilt sollte sein Reich werden. Für ewige Zeiten war es in der Jassa festgelegt, daß alle Nachkommen Tschingis-Chans, wo sie sich auch befanden, nach dem Tode des Herrschers in der Mongolei zum großen Kuriltai zusammenkommen mußten, um einen von ihnen zum Cha-Chan zu wählen. Diesem Großchan sollten sie alle Untertan sein, und jeder, der einen Herrscher anders als auf diesem Kuriltai wählte, war dem Tode verfallen. - Auf diese Weise wollte Tschingis-Chan die Einheit seines Reiches schützen und es vor der Aufstellung eines Gegenkönigs und vor Bürgerkriegen bewahren. Und immer sollte der würdigste und fähigste seinen Thron erben.
II.
Auf dem Eise des Hoang-ho fiel die Entscheidung gegen Hsi-Hsia: Tschingis hatte die Hügel um einen der Seen des Gelben Flusses besetzt, schickte seine besten Schützen zu Fuß 216
über den zugefrorenen See zum Angriff... Wie ein Sturmwind kam die Tangutenkavallerie über sie. Doch die Pferde begannen auf dem Eise auszugleiten und zu stürzen, und nun warfen sich die Mongolen von allen Seiten auf die hilflosen Reiter, schössen, stachen, hieben sie tot. Dann bestiegen sie selbst ihre Pferde, ritten um den See herum dem herbeieilenden tangutischen Fußvolk entgegen und säbelten es nieder. Drei Stangen sollen die Mongolen auf dem Schlachtfeld aufgestellt haben, und an jeder hing die Leiche eines Kriegers mit dem Kopf nach unten. Das bedeutete, daß sie 300000 Feinde erschlagen hatten. Nichts mehr rettete die Städte und das Volk von Hsi-Hsia vor Feuer und Schwert. Keine Stadt blieb ungeplündert und unverbrannt. Die Bewohner versteckten sich in Höhlen, in den Bergen, in den Wäldern. Kaum einige vom Hundert retteten sich. Während ihre Felder zertrampelt, ihre Behausungen verbrannt wurden, während ihr König in irgendeiner Bergfeste fiel, schloß sich sein Sohn Schidurgho, der dritte des Geschlechtes, das Tschingis-Chan zu trotzen wagte, in der Hauptstadt Ning-hsia ein, die die Mongolen schon einmal vergebens belagert hatten. Ihre Mauern widerstanden den Katapulten, an ihren Steintürmen zerbrachen wirkungslos die Töpfe mit Naphtha und ihre wassergefüllten Gräben waren nicht zuzuschütten. Eine lange Belagerung stand bevor. Tschingis-Chan teilte eine Belagerungsarmee ab, schickte Ugedei nach Chin, ein drittes Heer nach dem Westen des Tangutenreiches und durchzog es selbst im Osten der ganzen Breite nach bis in die Berge, bis in die Länderecke, wo die drei Reiche Chin, Hsi-Hsia und Sung zusammenstießen. Jede Verbindung zwischen den Chinesen und den Tanguten war unterbrochen, und ihr Mut sank. Ein Gesandter der Chin kam zu Tschingis, um den Frieden zu erbitten, und brachte eine Schüssel voll auserlesener Perlen aus dem kaiserlichen Schatz als Geschenk mit. Tschingis-Chan befahl, die Perlen vor seinem Zelte in den Staub zu werfen. Mochte sie auflesen, wer sich danach bücken wollte. Er hatte genug von den Kaisern und Königen, die mit Geschenken kamen und Frieden erflehten, nur um ihn wieder zu brechen. 217
Und gleich nach dem Gesandten aus Chin erschien ein Bote des Schidurgho aus dem belagerten Ning-hsia mit dem Angebot der Übergabe der Stadt. „Wenn der Cha-Chan mir Verzeihung angedeihen läßt, will ich mich innerhalb eines Monats zur Huldigung vorstellen!" ließ Schidurgho den Boten sagen. Tschingis saß lange unbeweglich, mit undurchdringlichem Gesicht, bevor er antwortete: „Ich werde vergessen, was gewesen ist." Er fühlte sich sehr alt. Schwere Träume plagten ihn. „Die Kraft meiner Jugend hat sich in die Schwäche des Greisenalters verwandelt", pflegte er jetzt oft zu sagen: „Die letzte Reise steht nahe vor meiner Tür." Und er schickte nach allen seinen Söhnen und Enkeln und versammelte sie um sich an der Grenze der drei Reiche: denn er fühlte sein Ende nahen. „Durch den Beistand des Himmels habe ich ein großes Reich für euch erobert", sagte er zu ihnen: „Ein Jahr lang kann man von seiner Mitte aus nach Ost und West reiten, ohne daß es aufhört. Aber mein Leben war zu kurz, um die Eroberung der Welt zu vollenden. Es ist eure Aufgabe, sie auszuführen. Seid eines Sinnes und einer Stirn, damit ihr eure Feinde besiegen und ein langes und glückliches Leben führen könnt." Er erzählte ihnen das Gleichnis von der Schlange: „Es gab einmal eine Schlange mit einem Schwanz und vielen Köpfen, und eine mit einem Kopf und vielen Schwänzen. Als ein kalter Winter kam, mußten sie beide Schlupfwinkel suchen. Für die Schlange mit den vielen Köpfen war jeder Schlupfwinkel zu eng. Die Köpfe stießen sich aneinander und gerieten in Streit, bis schließlich jeder eine besondere Höhle für sich fand. Der Körper aber mußte draußenbleiben, und mit ihm gingen alle Köpfe zugrunde. Die Schlange mit dem einen Kopf aber barg alle ihre Schwänze unter sich und konnte so den Frost abwarten." Die müde Stimme des alten Mannes wurde unerbittlich: „Nur ein Sohn darf meinen Thron erben!" Er sah sie an: „Wer unter euch soll der Kopf meines Reiches werden?" Seine Söhne fielen auf die Knie und baten, er solle befehlen, sie würden sich ganz seinem Befehle fügen. 218
Lange ruhte der Blick des greisen Cha-Changs auf seinen drei vor seinem Lager knieenden Söhnen, bevor er entschied: „Dann bestimme ich Ugedei zu meinem Nachfolger." Mit dieser Wahl fällte Tschingis-Chan das Urteil über die Eigenschaften, die ihm als die wichtigsten für den Herrscher seines Riesenreiches erschienen: Keiner seiner Söhne hatte sein Genie, seine Feldherrngabe, seinen eisernen Willen, seine Zähigkeit und seine Menschenkenntnis vereint geerbt, er mußte zwischen den einzelnen Fähigkeiten wählen - und er lehnte Tschagatais eisernen Willen und Härte ab, lehnte ab die Energie und das Feldherrntalent seines Jüngsten, Tuli, und setzte Ugedei auf seinen Thron, obgleich dieser Sohn so willensschwach war, daß er sich nicht einmal das Tschingis so verhaßte Laster der Trunkenheit abgewöhnen konnte. Aber Ugedei war so klug, daß er auch auf andere Leute hörte und ihre Fähigkeiten zu nutzen wußte, so gutmütig, daß er die Herzen aller, die mit ihm in Berührung kamen, gewann, und so geschickt in der Behandlung der Menschen, daß er den Streit zwischen den beiden Brüdern beilegen konnte. Über den festen Willen, über die Kriegstalente, über die Energie stellte Tschingis-Chan kluge Einsicht, Menschenkenntnis und Gutmütigkeit. Als er sein Urteil gefällt hatte, fragte er Ugedei, was er zu dieser Entscheidung zu sagen habe. Auf den Knien antwortete Ugedei: „O mein Herrscher und Vater, du hast mir befohlen zu reden. Ich kann nicht sagen, daß ich deine Nachfolge nicht übernehmen kann; ich werde mit Eifer und Klugheit zu regieren suchen. Aber ich bin in Sorge, daß meine Kinder nicht die Fähigkeiten haben, den Thron zu erben. Das ist alles, was ich sagen kann." „Wenn die Kinder und Enkel Ugedeis nicht befähigt genug sind, so wird sich doch unter meinen Nachfolgern irgend jemand finden, der würdig ist, auf den Thron zu kommen!" rief Tschingis-Chan. Er wollte ebensowenig eine Großchan-Dynastie Ugedei schaffen, wie mit seinem Spruch die in der Jassa verankerten Rechte des Kuriltai beschränken. Bis zur Wahl durch einen Kuriltai übertrug er Tuli - dem Herdbewahrer - die Regentschaft des Reiches. 219
Alles schien gesichert und geordnet, doch dann überkam ihn von neuem die Angst vor Uneinigkeit seiner Nachkommen, vor Zwietracht und Spaltung. Noch einmal mußte er ihnen zeigen, daß nur Einigkeit und Zusammenhalt sein, ihr Reich erhalten können... Er griff nach seinem Köcher, verteilte die Pfeile unter seine Kinder und Enkel und befahl jedem, seinen Pfeil zu zerbrechen. „Seht, so wird es euch ergehen, wenn ihr getrennt voneinander handelt - Spott und Beute eurer Feinde!" Darauf nahm er die Pfeile seines Reserveköchers und ließ alle nacheinander versuchen, das Pfeilbündel zu zerbrechen. Und da niemand es konnte, ermahnte er sie: „So fest werdet ihr sein, wenn keiner aus eurer Mitte scheidet! Glaubt niemand, traut keinem Feinde, helft und unterstützt einander in allen Fährnissen des Lebens, befolgt die Jassa und führt jede Handlung, die ihr begonnen habt, bis zum Ende!... - Und jetzt kehrt alle zu euren Heeren zurück." Er schickte Ugedei wieder nach Chin, Tschagatai nach dem Westen, Batu in seinen Uluß. Doch die Sorge von Chin verließ den Cha-Chan bis zu seinem Tode nicht. Schon sterbend gab er Tuli, der wie immer bei ihm geblieben war, noch als Vermächtnis einen Feldzugsplan zur völligen Vernichtung dieses Urfeindes der Nomaden: „Ihre besten Soldaten stehen hier im Westen. Im Norden vom Hoang-ho, im Süden und Westen von den Bergen geschützt, sind sie nicht zu schlagen. Doch die Sung sind Feinde von Chin, und sie werden unser Heer durch ihr Gebiet bis in die Niederungen des Ostens durchlassen. Von dort müssen wir direkt gegen Kai-föng vorstoßen. Dann werden die Chin ihre besten Truppen aus dem Westen zum Schütze der Hauptstadt zu Hilfe rufen, und wenn dieses Heer nach einem Marsch von 1000 Li bei Kai-föng ankommt, werden die Leute und die Pferde so erschöpft sein, daß ihr sie vernichten könnt." Und hier auf seinem Sterbelager, am 15. des mittleren Herbstmonats des Schweinsjahres - dem 18. August 1227 befahl er noch als letztes: seinen Tod zu verheimlichen, bis Schidurgho aus Ning-hsia zur Huldigung kommen werde und 220
ihn, sobald er erschien, mit allen seinen Begleitern niederzumachen. Er hatte ihm Verzeihung versprochen, aber dann war er schon tot. Tuli war der Regent und brauchte Schidurghos Huldigung nicht anzunehmen. - Nach Schidurghos Ende hatten alle Edlen und Oerlök in ihre Ulusse zurückzukehren. Und dann erst durfte die Welt Tschingis-Chans Tod erfahren.
III.
Schwatzend, lachend wie immer zogen die Mongolenheere aus dem Lande Hsi-Hsia. Sie ritten vielleicht etwas schneller als sonst auf einer fröhlichen Heimkehr aus einem siegreichen Krieg, besonders die Abteilungen aus den fernen Ulussen, aus dem Kiptschak, aus dem Naimanenland, den westlichen Bergen, aus Liao-tung schienen es eilig zu haben, denn die Befehle des Jurt-Dschi schrieben jeder Truppe ganz genau die Strecke vor, die sie täglich zurückzulegen hatte, als ginge es nicht in die Heimat, sondern erst in den Krieg; und mancher Befehlshaber einer Tuman, ja sogar einzelne Tausendschaftsführer hatten ernste Gesichter... Das kaiserliche Zelt, neben dem in letzter Zeit eine Lanze mit der Spitze in der Erde stak - das Zeichen, daß der Herr des Zeltes erkrankt war - wurde als letztes abgebrochen. Niemand außer den Prinzen, den Oerlök und Yeliu-Tschutsai hatte Zutritt zu dem Zelt. Wie ein eiserner Ring umschloß es die alte Leibgarde Tag und Nacht. Nur ein einziges Mal öffnete sich dieser Ring, um Schidurgho und sein Gefolge durchzulassen - als Leichen trug man sie wieder hinaus. Zelt für Zelt wurde dann das Lager abgebrochen. Nach allen Seiten zogen die Edlen mit ihren Truppen ab, bis als letzte die tausend Reiter der alten Garde Tschingis-Chans zurückblieben. Eine geschlossene Masse, durch die kein unbefugter Blick drang, umgaben sie den Wagen, in dem der Kaiser lag - und als sie davonritten, war in der ganzen Umgegend niemand mehr am Leben. Auf seinem Wege ließ dieser Zug des Schweigens und des Todes nur den Tod hinter sich. Alles Lebendige, das das Unglück hatte, in die Sehweite dieser Reiter zu geraten, wurde, Mensch oder Tier, Vogel oder Schlange, verfolgt und als Totenopfer geschlachtet. So geleiteten sie ihren Cha-Chan 221
über Berge und Flüsse, durch Wälder und Wüsten. Nur ein einziges Mal wurde das tödliche Schweigen jäh unterbrochen. Das war, als die Räder des Wagens in dem blauen Tongrund des Bodens versanken und selbst die stärksten Pferde ihn nicht von der Stelle rühren konnten. Da zerbrach Zagan-Noion, der Führer der Tausend, die Stille und sang: „O du vom ewigen Himmel wunderbar erzeugter Löwe der Menschen! O du Teb-Tengri, mein Ssutu-Bogdo ChaChan! Willst du dein ganzes großes Volk im Stich lassen und allein hierbleiben?!... Deine Ordu, deine Untertanen, das fruchtbare Volk der Mongolen, deine Fürsten und Edlen alles ist dort, am Delügün-Boldok, wo du geboren bist! Deine dir in früher Jugend angetraute edle Gemahlin Bürte, deine schöne Frau Chulan-chatun, deine Lauten und Flöten, dein goldenes Zelt und dein Thron - alles ist dort! Hast du, weil das Land hier warm ist, weil deiner getöteten Feinde hier so viele liegen, dein altes Volk der Mongolen vergessen?... - Konnten wir auch deinem edlen Leben nicht zum Schilde dienen, so wollen wir doch deine dem Edelstein Jade gleichen Überreste in die Heimat bringen, sie deiner Gemahlin Bürte zeigen und dem Wunsche deines ganzen Volkes willfahren!..." Und als hätte der Herrscher die Bitte gnädig gewährt, setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. An der Grenze der Mongolei traf dieser Zug des Schweigens auf einen lauten Zug des Klagens und Jammerns. Die fünf Gemahlinnen mit ihren Kindern, die fünfhundert Nebenfrauen und Dienerinnen des Herrschers, die Oerlök und die Edlen empfingen den großen Toten und geleiteten ihn in tiefer Trauer mit langgezogenen Klageliedern durch seine vier Ordu im Delügün-Boldok an den Quellen des Onon, wo er aufgebahrt wurde. Dann ritten die Auserwählten mit den Männern der alten Garde weiter zu dem Berge Burkan-Kaldun, der zweimal das Leben des jungen Temudschin gerettet hatte. Am Fuße des Berges wollten sie den Leichnam aus dem Wagen heben und ihn auf den Gipfel tragen, aber wie angewachsen lag der Körper des Cha-Chans auf seinem Lager. So hoben sie den ganzen Wagen hoch und trugen ihn hinauf. Auf dem Gipfel des Berges hatte der Cha-Chan einst bei 222
einer Jagd unter einem einsamen riesigen Baum lange Rast gehalten. Als seine Begleiter kamen, sagte er: „Diese Stelle ist würdig, einmal meine letzte Ruhestätte zu werden. Merkt sie euch." Und hier unter diesem Baum bestatteten sie TschingisChan, zusammen mit dem Wagen seiner letzten Reise, von dem er sich nicht trennen wollte. Acht weiße Zelte errichteten sie oben als Stätten der Verehrung und Anbetung. Tausend Reiter der Garde blieben als Ehrenwache vor dem Berge, dessen Gipfel später auch die Grabstätten Tulis und seiner zwei Söhne, der Großchane Mönke und Kubilai, tragen sollte. Rings um den einsamen riesigen Baum aber fingen Bäume an zu sprießen und zu wachsen, so daß an dieser Stelle ein undurchdringlicher Wald entstand und bald niemand mehr den Grabhügel finden konnte. Viele Forscher haben nach der Begräbnisstätte TschingisChans gesucht, die Berggruppe Delügün-Boldok ist bekannt, aber niemand weiß, welcher der Berge der Burkan-Kaldun ist. Darüber befragt, schweigen die Mongolen. Siebenhundert Jahre sind seitdem vergangen, und doch heißt es, daß noch jetzt mongolische Stämme sich jedes Jahr zum Opferdienst auf dem Gipfel des Berges, wo der größte Eroberer der Welt ruht, versammeln. Und in dem Kaiserlichen Museum zu Peking soll das grobe Leinengewand Tschingis-Chans als Reliquie aufbewahrt werden.
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Der Plan von Karakorum Ringsum die Zeltlager. Vier Tore. Innerhalb der Mauern verschiedene Tempelgebäude. (Nach einer chinesischen Darstellung) 224
Das Mongolische Weltreich
Der große Kanzler I. Tschingis-Chan war tot, und die Welt Asiens, die er durch seine Kriege und Eroberungen aus ihrem Gleichgewicht gerissen und durcheinandergewürfelt hatte, stand für einen Augenblick still. Sie hatte plötzlich ihren Mittelpunkt verloren. So lange er lebte, war er das Reich, das Gesetz, die Regierung, das Höchstkommando, die oberste Instanz in allen Fragen des Lebens; er hatte jahrhundertealte Grenzen weggewischt und sein Feldlager, wo es auch stand, zur Pilgerstätte der Könige und Fürsten von Völkern gemacht, die bisher nicht einmal dem Namen nach von ihrer gegenseitigen Existenz gewußt hatten - und nun hörte dieser Mann und dieses Feldlager mit einemmal auf zu existieren... Die Gefahr eines plötzlichen Aufstandes aller Völker gegen die Mongolen hatte Tschingis-Chan noch durch seinen letzten Befehl gebannt: seinen Tod nicht eher bekanntzugeben, als bis alle Garnisonen an ihren Bestimmungsorten, alle Prinzen, Oerlök, Tausendschafter in ihren Ulussen und Ordu angekommen waren. Doch ungeheure Kräfte, die er geweckt und hochgezüchtet hatte, und die noch längst nicht auf dem Gipfel ihrer Entwicklung standen, wurden mit dem Augenblick seines Todes frei. Vierzig Jahre lang hatte er die Nomadenvölker gesammelt, geschmiedet und sie dann in einem in der Weltgeschichte einzigartigen Siegeszug über Asiens riesige Flächen geführt, die gewaltigsten Reiche niedergeritten und auf ihren Trümmern das Volk der Mongolen über alles in der Welt erhöht. Schon die Generation, die jetzt an die Herrschaft kam, die vierzigund fünfzigjährigen Männer, kannten seit ihrer frühesten Jugend nichts anderes als Siege, Beute, Eroberungen, und wieder Siege und wieder Eroberungen. Schon war auch die dritte Generation da, die jungen Männer von zwanzig bis dreißig, die nur darauf brannten, sich ihrer Väter würdig zu erweisen, und eine vierte wuchs bereits heran... Vierzig Jahre lang hatte dieses Volk ununterbrochen blutige, verheerende Kriege geführt, aber es war nicht geschwächt, nicht ausgeblutet, sondern stand da, mächtiger und zahlreicher
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als je zuvor, denn jeder Sieg, jede Eroberung hatte neue Frauen und neue Kinder gebracht. Auf jeden Gestorbenen und Gefallenen kam ein Dutzend Nachkommen. TschingisChans Sohn Dschutschi, sein Bruder Kassar hatten je vierzig Kinder, einer seiner Neffen hundert; zur Regierungszeit seines Enkels Kubilai betrug die Zahl ihrer Nachkommen je achthundert Personen. Drei Jahrzehnte nach Tschingis-Chans Tod belief sich seine Nachkommenschaft auf zehntausend Menschen. Und da es immer die vornehmsten und kühnsten Mongolen waren, die die meisten und schönsten Frauen erhielten, veredelte sich auch die Rasse. Armenische Chronisten des 13. Jahrhunderts geben Zeugnis von dieser Veränderung: beim ersten mongolischen Einfall verzeichnet Kirakos: „Ihr Aussehen war höllenähnlich, unerträglich und grauenhaft", berichtet Magakij: „Sie waren nicht menschenähnlich" - einige Jahrzehnte später schreibt der Bischof Orbelian: „Sie hatten ein sehr schönes Aussehen!" Dieses Volk sprach: „Als der Cha-Chan den Thron bestiegen hatte, besaß das Volk keine Nahrung für den Magen und keine Kleidung für den Körper, und nur dank seiner Bemühungen und seiner Taten ist das arme Volk reich geworden, das an Zahl schwache - stark und zahlreich." Und hatte es nun den Willen, der es lenkte und zusammenhielt, verloren. Sollten die plötzlich freigewordenen Kräfte sich nicht gegeneinander wenden, so mußten sie wieder eine Triebkraft und eine Richtung erhalten, und der Cha-Chan, der alles gewußt und die Gefahr der Zersplitterung über alle anderen Gefahren gestellt hatte, gab sie ihnen in dem Vermächtnis an seine Söhne: die ganze Welt zu erobern. Und er hinterließ ihnen dazu nicht nur ein gestärktes, kriegsgeübtes Volk, nicht nur eine Reihe talentiertester Feldherren und Strategen, sondern auch einen der bedeutendsten Staatsmänner aller Zeiten, der imstande war, dieses Riesenreich zu organisieren: den Chitanen Yeliu-Tschutsai. Selber mongolischer Rasse, aus dem Geschlechte der Liao, die zwei Jahrhunderte über Nordchina geherrscht und dann ein Jahrhundert lang ihren Besiegern Chin als hohe Funktionäre gedient hatten, war Yeliu-Tschutsai fähig, instinktmäßig die Mongolen zu begreifen und doch völlig chinesisch zu fühlen. 228
Die Einrichtung von Tschingis-Chans Reich bestand in der Herrschaft der siegreichen Nomaden über Kulturvölker, die Gott selber in die Hände der Mongolen gegeben hatte, damit diese Nutzen aus der Arbeit der Besiegten ziehen und sie zu diesem Zwecke am Leben lassen. - Der Mann, der wie schon eine lange Reihe seiner Vorfahren in der jahrtausendealten Tradition Chinas aufgewachsen war, konnte das Zufällige und Unhaltbare dieses Zustandes nicht verkennen, welcher entweder mit der Vernichtung alles Wertvollen oder der Zerschlagung des Nomadenjoches enden mußte. Gelehrter der Staatswissenschaften und Mathematik, Anhänger des Konfuzius, Liebhaber der schönen Künste, der sich auf allen Kriegszügen als seinen Anteil nur alte Bücher, Musikinstrumente und seltene Medikamente nahm, mußte er um die Erhaltung der Kultur bangen - und konnte doch nicht die Vernichtung der Mongolen wünschen. Die zwölf Jahre, die er zuerst als Wahrsager und Sterndeuter, dann als Ratgeber und zuletzt als intimster Freund des Cha-Chans verbracht hatte, waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Die machtvolle Persönlichkeit Tschingis-Chans, seine gigantischen Eroberungen, der gewaltige Plan der Errichtung eines Weltreiches hatten auch ihn gepackt. China war so oft von fremden Kiegerstämmen erobert worden - wurden nicht jedesmal diese Barbaren, in wenigen Generationen zu chinesischer Kultur und Lebensart bekehrt, in ihrem ganzen Wesen Chinesen? Jetzt hatten die Mongolen die Herrschaft an sich gerissen - nun, sie besaßen hervorragende Eigenschaften, die sie zum Herrschen befähigten, ihre elementare Kraft konnte ein Reich schaffen, größer, als es je eines auf Erden gegeben hatte - und es würde doch nur ein „Reich der Mitte" werden. Vom Schicksal an dessen Spitze gestellt, war es Yeliu-Tschutsais Aufgabe, dem Mongolenreich die Kultur und die Organisation des alten China zu geben und einen geordneten Staat zu schaffen, in dem Eroberte und Eroberer nebeneinander leben konnten... Schon in den letzten Lebensjahren Tschingis-Chans gingen alle Bestimmungen, soweit sie nicht das Militärische betrafen, von Yeliu-Tschutsai aus, und Tuli, der als Regent nur die Aufgabe hatte, das Reich so lange zu bewahren, bis der Kuriltai
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einen neuen Cha-Chan wählte, ließ dem Altkanzler auch weiterhin freie Hand. Um Zeit für die dringendsten Maßnahmen zu gewinnen, ordnete Yeliu-Tschutsai zu allererst eine zweijährige Trauer an - und als nach Ablauf dieser Zeit die Söhne, Brüder und Enkel des großen Toten zu der Wahl seines Nachfolgers zusammenkamen, war der feste Mittelpunkt des Reiches bereits da: der zuerst während des vorderasiatischen Feldzugs ausgebaute Karawanen-Umladeplatz Karakorum. Das war noch Mongolei, das waren beinahe die angestammten Plätze der Kiut-Bürtschigin, und hier erhob sich jetzt ein prächtiger kaiserlicher Palast, hier standen alle notwendigen Regierungsgebäude, hier befanden sich Schatzkammern, Lagerräume für alle möglichen Waren; ringsum dehnten sich grenzenlose Steppen für die kaiserlichen Gestüte und die Rinder- und Hammelherden. Und wenn sich auch mitten in die Steppenwüstenei keine richtige Stadt zaubern ließ, so war hier dafür um so mehr Platz für die Zeltlager der aus allen Teilen der Welt herbeiziehenden Tschingisiden und ihres Gefolges... Der Kuriltai konnte beginnen. Aber Yeliu-Tschutsai hatte einen Fehler gemacht: zwei Jahre waren eine zu lange Zeit gewesen. Die Prinzen hatten sich schon daran gewöhnt, in ihren Ulussen als selbständige Herrscher zu leben - Tuli mischte sich in ihre Angelegenheiten nicht ein -, und jetzt zeigten sie nicht die geringste Lust, jemand anders als ihn zu wählen. Er war ein guter Feldherr, würde sicher mit den siegreichen Kriegen und Eroberungen fortfahren - und im übrigen blieben sie in ihren Ländern als ihre eigenen, unabhängigen Herren... Zwei Jahre nach Tschingis-Chans Tod drohte die Wiederkehr der Zustände, wie sie vor seinem Erscheinen in der Mongolei geherrscht hatten: die Trennung in eine Reihe unabhängiger Herschaftsbereiche, nur mit dem einen Unterschied, daß diese Ulusse sich jetzt über das halbe Asien erstreckten. Doch Tuli war der Jüngste, und es war nicht Brauch bei den Mongolen, den Jüngsten befehlen zu lassen... Tschagatai war der Älteste, aber man fürchtete ihn zu sehr, als daß ihn jemand über sich setzen wollte... 230
Und Ugedei erklärte, sobald er merkte, daß die Prinzen keine Neigung hatten, ihn zu wählen, es stünde ihm nicht an, über seine Onkel und seinen älteren Bruder zu befehlen... Vierzig Tage lang dauerten die Festlichkeiten, die der Wahl vorangingen. Dann kamen die vier Tage der Wahl: am ersten erschienen die Edlen von Kopf bis Fuß in Weiß - der Farbe des Westens, am zweiten in Rot - der Farbe des Südens, am dritten in Blau - dem Symbol des Ostens - und am vierten, an dem die Huldigung endlich stattfinden sollte, in Brokatgewändern, in die die Farben aller vier Himmelsrichtungen hineingestickt waren... Und immer noch war keine Einigung da. Doch Yeliu-Tschutsai war entschlossen, keinen anderen Großchan als Ugedei zuzulassen. Er brauchte für seine Pläne einen Herrscher, der anders war, als der harte und grausame Tschagatai oder der nur auf Kriege und Eroberungen sinnende Tuli. Ugedei war klug, Vernunftsgründen zugänglich, nachgiebig... Es war Yeliu-Tschutsai bereits gelungen, Tuli mit dem Hinweis auf Tschingis-Chans letzten Willen für die Wahl Ugedeis zu gewinnen, aber bei der allgemeinen Unschlüssigkeit erklärte Tuli jetzt: „Es ist noch nicht alles bereit. Sollte man die Wahl nicht auf einen anderen Tag verschieben?..." „Nach diesem Tag wird kein anderer mehr günstig sein!" antwortete Yeliu-Tschutsai finster. Dann, mit einem plötzlichen Entschluß, trat er neben Ugedei und rief Tschagatai zu: „Du bist der Älteste, doch auch du bist Untertan! Wirf dich vor Ugedei nieder und huldige ihm! So hat es Tschingis-Chan befohlen!" Und der Anruf Tschingis-Chans wirkte. Wortlos entblößte Tschagatai den Kopf, nahm seinen Gürtel ab, hängte ihn sich zum Zeichen der Demut über den Nacken und fiel vor seinem Bruder in die Knie. Und ihm nach warfen sich auch alle anderen Prinzen und Oerlök vor Ugedei nieder und huldigten ihm...
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II.
Zu Ugedeis Krönung war auch ein Gesandter der Chin erschienen. Er wollte die Glückwünsche und Geschenke seines Herrschers überbringen. Ugedei lehnte beides ab: „Was sollen dieses Geschenke? Dein Herrscher hat zu lange mit seiner Unterwerfung gezögert. Mein Vater ist im Kriege gegen Chin alt geworden und gestorben, das kann ich nicht vergessen." Tschingis-Chans Vermächtnis, die Eroberung der Welt zu vollenden, hatte seine Söhne unmittelbar vor drei große Aufgaben gestellt: die endgültige Niederwerfung der Chin, die Vollendung der Eroberung Vorderasiens und die Unterjochung Europas. Doch obgleich Dschelal-ud-Din wieder in Afghanistan und Persien erschienen war und bereits große Teile von Muhammeds Reich an sich gerissen hatte, obgleich die KamaBolgaren und die Saxin sich wieder für selbständig erklärten und den Tribut verweigerten, beschloß der Kuriltai als erste und dringendste Aufgabe den Krieg gegen Chin. Nach Choresm wurden zwei Generäle, Tscharmaghan und Baitschu mit 30 000 Mann geschickt, nach der Wolga drei andere Tuman - alle übrigen Heere sollten nach Chin. Da erklärten die Generäle in den schon eroberten Provinzen, daß diese keineswegs als Versorgungsbasis betrachtet werden könnten, da alle Speicher leer wären, die Bauern weder Vieh noch Lebensmittel hätten, die Städte weder Seide noch andere Stoffe. Erbost über die unerwartete Schwierigkeit empfahl jemand, dieses unnütze Volk einfach auszurotten und die Städte dem Boden gleich zu machen. Dann würde das Land in einigen Jahren wenigstens eine ausgezeichnete Weide abgeben... Der Vorschlag gefiel, schon war der Kuriltai dabei, die vollständige Ausrottung aller Chinesen zu beschließen, als Yeliu-Tschutsai das Wort ergriff. Jetzt ging es um alles: um die Erhaltung der Städte, der Kultur, um Dutzende von Millionen Chinesenleben, um seinen ganzen Plan eines Reiches, in dem Platz für Eroberte und Eroberer, für Kultur und Kriegertum war. Er sprach nicht von Dingen wie Moral und Menschlichkeit. Er rechnete nur, scheinbar ganz kühl, aber dafür in allen Einzelheiten, vor, was man in Chin alles besteuern könnte, schätzte die Höhe der 232
Steuern ab, kam schließlich zu dem Ergebnis, daß die Chinesen jährlich 500 000 Unzen Silber, 80000 Stück Seide und 400 000 Sack Getreide in die Staatskasse liefern würden, und rief dann: „Wie kann man sagen, daß Menschen, die dem Staat so viel zu geben vermögen, unnütz sind!" „Warum geben es dann diese Leute nicht her?" fragte Ugedei, von diesen Zahlen überrascht. „Warum sind denn die Felder und die Scheunen leer?" „Weil man wohl ein Reich vom Rücken des Pferdes erobern kann, aber man kann es nicht vom Sattel aus regieren!" Und Yeliu-Tschutsai wiederholte die Worte, die er TschingisChan vor dem Auszug nach Choresm gesagt hatte: „Wenn man Bögen herstellen will, ruft man Handwerker, die diese Kunst verstehen - mit der Führung der Regierungsgeschäfte muß man gelehrte Männer beauftragen." „Wer hindert dich daran?" sagte Ugedei. Damit hatte Yeliu-Tschutsai gesiegt. Ugedei zog in den Krieg gegen Chin und überließ seinem Kanzler die Regierung, der nun an das große Werk der Organisation des ganzen Landes gehen konnte. Zuerst ordnete er eine strenge Trennung der militärischen und der zivilen Verwaltung an. Dann schickte er Gelehrte durch alle Provinzen und ließ sie öffentliche Prüfungen abhalten, um geeignete Beamte zu finden. Niemand, selbst ein Gefangener oder ein Sklave, durfte diesen Prüfungen entzogen werden. Er befreite auf diese Weise über 4 000 gelehrte Männer, die in Gefangenschaft geraten waren, gab ihnen ihre Familien wieder und machte sie zu Richtern und Verwaltungsbeamten, die die Provinzen zu betreuen hatten. Er entriß die Bevölkerung der Willkür der Statthalter, führte für alle Offiziere und Regierungsleute eine genaue Rangordnung ein und begrenzte ihre Vollmachten, setzte auf Unterschlagung und Vergeudung öffentlicher Gelder die Todesstrafe und verfügte, daß jedes Vergehen durch ordentliche Gerichte abgeurteilt werden mußte. Den seit altersher so beliebten Menschenraub unterband Yeliu-Tschutsai, indem er eine Volkszählung nicht nach Männern, sondern nach Familien durchführte, bei der jedes einzelne Mitglied der Familie aufgezeichnet wurde. Er schuf
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inen obersten Gerichtshof, errichtete Schulen, in denen die Kinder der Mongolen nach chinesischem Muster in Geographie, Geschichte, Mathematik und Astronomie unterrichtet wurden, führte für das ganze Reich feststehende Maße und Gewichte ein, verbot Requirierungen. Die Sicherheit nahm allenthalben zu. Reguläre Steuern in mäßiger Höhe, die die Chinesen in Geld, Stoffen, Getreide, die Nomaden in Vieh abliefern mußten, machten der willkürlichen Festsetzung der Abgaben ein Ende. Das Papiergeld, das er in bescheidenem Umfang einführte, wurde das begehrteste Geldzeichen, da es in dem ganzen Riesenreiche, in den Städten Persiens, in den zentralasiatischen Gebirgen und bei den Kaufleuten Chins gleichermaßen Geltung hatte... Die Völker begannen aufzuatmen, die Bauern gingen an die Bebauung des Bodens, der Handel, das Gewerbe fingen von neuem an... Doch mit diesen Maßnahmen hatte Yeliu-Tschutsai den mongolischen Gouverneuren und Kommandanten ihre unumschränkte Macht und die Möglichkeit zur Ausbeutung der Bevölkerung genommen. Mächtige Feinde unter den Mongolen erwuchsen ihm. Man beschuldigte ihn des Verrats, der Begünstigung der Chinesen... Aber als Ugedei aus dem Krieg kam, zeigte er ihm die wohlgefüllten Schatzkammern, die Speicher voll Korn, die riesigen Herden. Er hatte zwischen Chin und Karakorum eine ständige Postverbindung eingerichtet, mit siebenunddreißig Stationen, die das Vorbild für das Wegenetz wurde, das einige Jahrzehnte später das ganze Riesenreich durchzog, die Kulturen des Ostens und des Westens zusammenbrachte und noch die Bewunderung Marco Polos erweckte - und täglich kamen auf dieser Straße aus allen Teilen des Chin-Reiches fünfhundert Wagen mit Lebensmitteln, Getränken, Kostbarkeiten. „Daß du, ohne dich von der Stelle zu rühren, soviel Schätze anhäufen kannst!" rief Ugedei in ehrlichem Staunen und verlangte, daß Yeliu-Tschutsai selber die Denunzianten richte. Doch dem Gelehrten aus China lag nichts an kleinlicher Rache: „Wir haben jetzt so viel zu tun", sagte er. „Wenn wir einmal nichts Wichtigeres vorhaben, dann wollen wir uns mit diesen Männern beschäftigen." 234
Und Ugedei war zufrieden, denn in seiner Gutmütigkeit suchte er selber auch für fast jedes Vergehen eine Entschuldigung zu finden. So hatte er einmal bei einem Ritt mit Tschagatai, der als oberster Hüter der Jassa für ihre stengste Befolgung sorgte, einen Moslem überrascht, der in einem Bach die durch den Koran vorgeschriebenen Waschungen vornahm. Da die Jassa es verbot, sich in fließendem Wasser zu waschen, wollte Tschagatai den Mann sofort töten lassen. Doch Ugedei befahl, ihn zu verhaften und erst am nächsten Tage zu richten. In der Nacht ließ er ihm dann bestellen, er solle vor Gericht aussagen, daß ihm ein Goldstück, das sein ganzes Vermögen ausmachte, in den Bach gefallen sei und er nur danach gesucht habe. Das Gericht ließ die Aussage kontrollieren, und wirklich fand man an der betreffenden Stelle das Goldstück - das Ugedei, bevor sie weitergeritten waren, heimlich ins Wasser geworfen hatte. Nun fällte der Großchan das Urteil, daß man zwar in jedem Falle das Gesetz befolgen müsse, da aber der Mann so arm war, daß er um einer solchen Kleinigkeit willen sein Leben aufs Spiel setzte, so schenkte er ihm noch zehn Goldstücke dazu, damit er die Gebote der Jassa nie wieder zu übertreten brauche... Großherzig und freigebig bis zur Verschwendung war Ugedei völlig gleichgültig gegenüber Gold und Geld. Er liebte es, sich von alten Herrschern und ihrem Leben erzählen zu lassen, und wenn er dann hörte, daß sie Kostbarkeiten anhäuften, sagte er: „Das war ohne Verstand gehandelt, denn alle Reichtümer bewahren uns nicht vor dem Tode, und ins Jenseits kann man sie nicht mitnehmen. Wir müssen unsere Schätze in den Herzen unserer Untertanen sammeln." Und er versäumte keine Gelegenheit, um mit vollen Händen Gaben und Geschenke zu verteilen, bis sein Gefolge sich darüber aufhielt, daß er wahllos jedermann beschenke. „Ihr seid meine Feinde!" rief er ihnen da zornig zu. „Ihr wollt mich hindern, den einzigen Reichtum zu sammeln, der in dieser Welt von Bestand ist: die gute Erinnerung im Gedächtnis der Menschen! Was soll mir all das Geld, von dem ich nichts habe als die Mühe, es vor Dieben hüten zu müssen!..."
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Seine Freigebigkeit ging so weit, den Kaufleuten, die nach Karakorum kamen, ihre Waren karawanenweise abzukaufen und ihnen immer um ein Zehntel mehr bezahlen zu lassen, als sie forderten. Die gekauften Waren verteilte er sofort unter seinem Gefolge. Seinen Schatzmeistern erklärte er: „Diese Leute machen den langen Weg hierher in der Hoffnung auf Verdienst - sie sollen nicht enttäuscht werden, wenn sie zu mir kommen." Dann fügte er mit einem listigen Lächeln hinzu: „Und dann, müssen sie nicht euch ebenfalls kleine Geschenke machen?..." Als Yeliu-Tschutsai ein Gesetz erlassen wollte, das Beamten die Annahme von Geschenken verbot, lehnte Ugedei es ab: „Man darf keine Geschenke fordern, aber man darf sie annehmen." Vergebens bewies ihm der Kanzler, daß man in diesem Falle verlangen wird, ohne zu fordern - es blieb dabei. Einmal brachte er in seiner Gutmütigkeit sogar die Einheit seines Reiches in Gefahr: Während des Kuriltais nach der Eroberung von Chin bedrängten ihn die Prinzen und Prinzessinnen, er sollte ihnen die verschiedenen Provinzen zum Geschenk machen. Schon bewilligte er die Bitte - da mischte sich Yeliu-Tschutsai ein: „Gib ihnen, was du willst, aber verteile nicht deine Länder!" „Was soll ich denn tun?" antwortete Ugedei. „Ich habe es schon versprochen!" „Dann befiehl wenigstens, daß sie dort nichts fordern dürfen außer dem, was deine Beamten an Steuern einnehmen! ..." Die mongolischen Prinzen bekamen die Einkünfte und Titel der einzelnen Provinzen, aber ohne das Recht, dort irgendwelche Verfügungen zu treffen. - Yeliu-Tschutsai hatte die Bildung des Feudaladels verhindert. Dieses Eingreifen brachte ihm viele neue Feinde, aber der Großchan hielt treu zu seinem Kanzler. Er kredenzte selber Yeliu-Tschutsai einen Becher Wein und hielt eine Rede, daß das Wohl des Reiches seinen weisen Ratschlägen zu danken sei. Und sich an die fremden Gesandten wendend fragte er mit Stolz, ob es in ihren Ländern einen Mann gäbe, der sich an Weisheit und Tugend mit ihm vergleichen ließe...
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Dabei gestand er öffentlich, daß er selber ein Säufer sei, versprach, sich zu bessern und den Vorstellungen YeliuTschutsais zu folgen; von nun an wolle er täglich nur noch die halbe Anzahl Becher trinken. Und er hielt Wort; aber bald waren seine Becher doppelt so groß... Doch das Werk war geschaffen, das Reich fest gefügt. Die mongolischen Prinzen regierten in ihren „Ulussen" nicht anders als die Fürsten der Vasallenländer: als Statthalter von der Gnade des Großchans, und so groß war seine Geltung und so genau das Gesetz der Jassa, daß Tschagatai, als er bei einem Trinkgelage Ugedei ein Wettrennen vorschlug und gewann, am nächsten Tag mit allen seinen Offizieren vor dem Zelte des Bruders erschien, um einen Richterspruch über sich zu erbitten, da er durch diese Wette und dadurch, daß er ihn überholte, die schuldige Ehrerbietung verletzt habe. Er wollte seine Strafe haben, und sei es die Bastonade oder der Tod. Gerührt von dieser übertriebenen Untertänigkeit seines älteren Bruders, machte Ugedei ihm zärtliche Vorwürfe, aber Tschagatai nahm die Verzeihung nur an, wenn alle Formalitäten, die begnadigten Verbrechern vorgeschrieben waren, erfüllt würden. Er warf sich vor dem Eingang des kaiserlichen Zeltes nieder, bot dem Monarchen eine Bußgabe von neunmal neun Rennpferden und ließ die Gerichtsbeamten laut verkünden, damit jeder es wisse, daß der Großchan seinem Bruder Tschagatai sein verwirktes Leben geschenkt habe...
III.
Vier Jahre hatte der erbitterte Kampf um die Südprovinzen von Chin gedauert. Immer wieder stampfte das Land neue Armeen aus der Erde, immer wieder fanden sich fähige Generäle, die den Mongolen nicht nur widerstanden, sondern sie sogar öfters besiegten. Erst als genau nach dem Plan, den Tschingis-Chan seinen Söhnen vor seinem Tode gab, ein mongolisches Heer unter Tulis Leitung durch das Gebiet von Sung nach Osten drang und die Chin von zwei Seiten gefaßt wurden, war ihr Schicksal entschieden. Dann starb Tuli, und Ssubutai übernahm den Oberbefehl. Gemeinsam mit den Sung-Heeren schloß er Kai-föng ein. Ein ganzes Jahr lang wehrte sich die Zweimillionen-Stadt 237
mit dem Mut der Verzweiflung - dann konnte er Ugedei melden, daß die Übergabe in den nächsten Tagen erfolgen und er getreu Tschingis-Chans Gesetz: jeden, der sich widersetzt, zu vernichten - die „südliche Residenz" zerstören und die Bewohner niedermachen werde. Und wieder wagte es Yeliu-Tschutsai, seinen Einfluß gegen dieses Vorhaben in die Waagschale zu werfen. „Seit zwanzig Jahren kämpfen wir um dieses Land, und der Reichtum des Landes ist sein Volk! Seit einem ganzen Jahr ringen wir um diese Stadt, und jetzt willst du sie zerstören lassen?" rief er. „Bedenke, welche Reichtümer, welche Werte da vernichtet werden?!..." Doch diesmal zögerte Ugedei. Was sein Kanzler von ihm verlangte, war ein Umstoßen von Tschingis-Chans Befehl... Und Yeliu-Tschutsai mußte Tag für Tag mit neuen Gründen kommen: „Sobald die Stadt fällt, sind alle ihre Bewohner deine Untertanen, warum willst du sie umbringen?!... Dort sind die geschicktesten Handwerker, die besten Künstler des Landes versammelt! Und du willst sie töten lassen?!... Willst du dich selber des Besten berauben, was du hast?..." Und Ugedei gab wieder nach. Wenn man die Bedeutung eines Staatsmannes nach der Zahl der von ihm vor dem Untergang geretteten Menschenleben bemessen würde, gehört Yeliu-Tschutsai für alle Zeiten an die erste Stelle. Durch sein Eingreifen waren nicht nur über eineinhalb Millionen Menschenleben gerettet, es wurde auch die Beendigung des Krieges angebahnt. Die noch nicht unterjochten Provinzen, die sonst nach dem Kriegsbrauch der Mongolen nur Raub und Mord zu erwarten hatten, sahen, als die Hauptstadt geschont wurde, eine Möglichkeit der Rettung, und ihr Widerstand erlosch. Der letzte Kaiser der Chin-Dynastie beging Selbstmord. Nach vierundzwanzig Jahren Krieg gehörte das ganze Reich Chin den Mongolen. Wie Tschingis-Chan nach dem Feldzug gegen das ChoresmReich, so berief jetzt auch Ugedei einen Sieges-Kuriltai. Einen ganzen Monat lang durfte kein Wort von Geschäften 238
gesprochen werden, gab es in der Steppenresidenz Karakorum nichts als Feiern und Festlichkeiten. Doch dann wurde ein neuer Eroberungsplan aufgestellt, der nicht weniger als vier Kriege gleichzeitig beschloß. Noch während der Feiern war aus Honan, der südlichsten der Chin-Provinzen, die Nachricht eingetroffen, daß die Sung, die bisherigen Verbündeten, unzufrieden seien, weil ihnen nicht die ganze Provinz zugesprochen wurde; ihre Heere hatten sich in Bewegung gesetzt und eine Reihe von Städten eingenommen. Also wurde ein Heer gegen die Sung aufgestellt. Über das Folgende berichtet die chinesische Chronik lakonisch: „Die Mongolen schickten Gesandte zu dem Kaiser, ihn zu fragen: ,Warum habt ihr den Schwur gebrochen?' Seitdem hat man jenseits des Gelben Flusses keine ruhigen Tage mehr gesehen." Ein zweites Heer ging nach Osten, nach Korea, um die dort ausgebrochenen Aufstände niederzuschlagen und das Land, das sich in voller Empörung befand, neu zu unterwerfen. Ein drittes Heer von 30 000 Mongolenreitern wurde nach Vorderasien geschickt, über das Choresm-Reich hinaus nach Persien, und durch Persien hindurch zur Unterwerfung Kleinasiens. Und als viertes, gleichzeitiges Unternehmen wurde die Eroberung des Abendlandes beschlossen. Asien hatten die Mongolen schon kreuz und quer durchritten, alle seine Kulturen gesehen, alle seine Völker besiegt, Europa aber war noch ein unbekanntes, lockendes Ziel. Das Heer sammelte sich im Jahre 1236 zwischen dem Ural-Gebirge und dem Ural-See; es vereinigte die kampffrohe, auf Eroberungen und kriegerischen Ruhm begierige, mongolische Jugend. Bei diesem Heere befanden sich die meisten Prinzen aus Tschingis-Chans Geschlecht - zwei Söhne Ugedeis: Kuiuk und Kadan, sein Enkel Kaidu, Tulis Sohn Mönke, ein Sohn und ein Enkel Tschagatais und die ganze Nachkommenschaft Dschutschis. Da nach Tschingis-Chans Wort die zu unterwerfenden Länder des Westens zu Dschutschis Uluß gehörten, führte dessen Sohn und Nachfolger Batu den Oberbefehl über die 150 000 Reiter; aber der wirkliche Führer und Leiter des Feldzugs war Tschingis-Chans berühmtester Feldherr, der alte, 239
unbesiegbare Ssubutai, der große Oerlök, der den Schah zu Tode gehetzt hatte und dann bis an das Ende der KiptschakStepppe geritten war. Und der Kriegsplan, den er im Herzen Asiens aufstellte, sah einen Krieg von achtzehn Jahren für die Eroberung Europas vor.
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Die Mongolen in Europa I. Sechzehn Jahre waren seit Jakobs von Vitry jubelnden Episteln über „König David" vergangen, zehn Jahre seit Tschingis-Chans Tod. Europa lebte in Enttäuschung über das Ergebnis der Kreuzzüge. Die Macht Ägyptens hatte genügt, um die Wiedereroberung Jerusalems zu vereiteln; der Islam hatte in seinem Gegenstoß Anatolien wiedergewonnen - und statt den Aufrufen des Papstes zu neuen Kreuzfahrten zu folgen, zog man es vor, mit dem übermächtigen Feinde zu paktieren. Die italienischen Stadtstaaten, die die Ränder des Mittelländischen Meeres mit ihren Niederlassungen umsäumten, befehdeten einander im Wettsteit um den gewinnbringenden Gewürzund Levantehandel. Kaiser Friedrich von Hohenstaufen verhandelte freundschaftlich mit dem Sultan von Ägypten und öffnete lieber auf dem Vertragswege wieder Jerusalem den Christen, wechselte Geschenke mit dem Bey von Tunis und hielt sogar selber eine moslemische Kriegsschar im Solde, mit der er den Papst schreckte. Denn die durch die Berührung mit dem Orient ausgelösten Kräfte tobten sich, ohne Möglichkeit eines Erfolges nach außen, innerhalb Europa aus. Es gab kein Land, in dem sich jetzt nicht Kämpfe zwischen den Feudalgewalten und dem Königtum entwickelten. Aber sie alle waren von dem gewaltigen Ringen überschattet, das Papsttum und Kaisertum um die oberste Herrschaft in der abendländischen Welt austrugen. Wie gegen die Heiden, so predigte der Papst das Kreuz auch gegen den Kaiser; Friedrich wiederum zog mit einem Heer von 100 000 Mann über die Alpen nach Italien. Mit 60 000 Mann sperrten ihm die oberitalienischen Stadtrepubliken den Übergang über den Oglio, aber am 27. November 1237 wurden sie bei Cortenuova vernichtend geschlagen; der Kaiser sah sich bereits als Sieger auch über den Papst. Den ganzen Winter und Frühling hindurch hielt er glänzende Hoflager in Pavia, Turin, Verona ab, empfing Gesandtschaften aus allen Teilen des Abendlandes. Ständig strömten ihm neue Ritterscharen zu - man sprach von französischen und englischen Hilfstruppen. Selbst aus dem Morgenlande, vom Sultan Kamil kam ein
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Glückwunsch zu seinem Siege. Ja, soweit war Friedrichs Ruhm gedrungen, daß sogar aus Ländern, die man in Europa kaum vom Hörensagen kannte und die noch jenseits der Seldschukenreiche lagen, eine Gesandtschaft in seinem Lager eintraf. Doch diese Gesandtschaft erschien nicht, um den Kaiser zu beglückwünschen. Sie kam, um im Namen ihrer moslemischen Fürsten seine Hilfe zu erflehen gegen „schreckliche Barbaren, die alles vernichtend und verwüstend" vom Osten her in ihre Länder eingefallen waren. - Das waren die drei mongolischen „Tuman", die von Ugedei zur Eroberung von Persien - Irak adschemi - und Kleinasien ausgeschickt worden waren. Aber so schmeichelhaft dieser Hilferuf für Friedrichs Ansehen auch war, er mußte selbst an seinem vorurteilsfreien Hofe befremdend wirken. Die ganze abendländische Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte war von den Kämpfen der Christenheit gegen die Moslems erfüllt, und der Gedanke, den Sarazenen Hilfe gegen ihre Feinde zu leisten, überstieg das Vorstellungsvermögen des Abendländers. Vergebens beteuerten die Gesandten, daß, „wenn die Sarazenen die Invasion der Barbaren nicht aufhalten, es nichts mehr geben werde, was sie hindern könnte, auch die Reiche des Abendlandes zu vernichten". Doch diese Behauptung war geradezu paradox: Moslems als Verteidiger des christlichen Europa!... Enttäuscht zogen die Gesandten weiter, an die Höfe Ludwigs des Heiligen von Frankreich, Heinrichs III. von England man hörte sie in aller Höflichkeit an, aber niemand dachte daran, ihren Bündnisvorschlag ernst zu nehmen, an eine Gefahr für die Christenheit von irgendwelchen Barbarenreitern jenseits der moslemischen Reiche zu glauben. Doch kaum hatten die sarazenischen Gesandten den französischen und englischen Hof verlassen, während Friedrich sich noch in Oberitalien zur Wiederaufnahme seines Feldzuges gegen die Lombarden vorbereitete, als aus dem fernen Rußland die ersten Schreckensnachrichten von besiegten Heeren, brennenden Städten, zerstörten Burgen, geschändeten Frauen und hingeschlachteten Greisen und Kindern nach dem Westen drangen.
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Vielleicht erinnerte sich nun mancher an ähnliche Greuelberichte von anderthalb Jahrzehnten. Damals hieß es, ein wildes Reitervolk wäre über den Kaukasus gekommen und hätte die südrussischen Fürsten geschlagen; jetzt kamen die Feinde aus dem Osten und überfielen Nordrußland, also konnte es niemand einfallen zu glauben, daß es einen Zusammenhang zwischen den Barbaren der Sarazenen und den wilden Reitern in den nordrussischen Wäldern geben könnte. Über dies waren die Russen Ketzer, und die Heimsuchung war ihnen zweifellos vom Himmel als Strafe gesandt worden. Wie jene Reiter damals trotz aller Schrecken wieder plötzlich und spurlos verschwanden, würden auch diese, sobald sie genügend gemordet und erbeutet hatten, in ihre unbekannte Heimat zurückkehren. Und wirklich, kaum daß der Frühling des Jahres 1238 anbrach, hieß es schon, sie wären umgekehrt und irgendwo in den endlosen Steppen des Ostens verschwunden. Sofort rüsteten die Schweden, die Ritter des Deutschen Ordens, die Litauer aber nicht, um den Russen im Falle eines neuen Angriffs beizustehen, sondern um in dem geschlagenen russischen Lande für sich leichte Beute zu holen. Die fremden Reiter? Sie schienen niemandem gefährlich. Keiner wußte, daß ihr Ziel Tod und Verderben des Abendlandes war, und keiner hätte die militärisch und strategisch überragene Leistung dieses Winterfeldzugs begriffen... Noch im Winter 1236, während der Sammlung des mongolischen Heeres, ließ Ssubutai seine Krieger alle Völker östlich der Wolga zwischen der Kama und dem Kaspischen Meer unterjochen, ihre Städte zerstören, ihre Männer töten oder gefangennehmen. Dann wurden die Gefangenen einen Sommer lang gedrillt, in mongolischer Kampfesart geschult und im Dezember 1237 überschritt das beinahe auf das Doppelte angeschwollene Heer das Eis der Wolga. Die reichen südrussischen Steppen mußten die Nomaden naturgemäß anlocken, hier lag auch ihr Weg nach Europa aber Ssubutais überlegene Kriegstaktik entschied es anders. Wenn er vom Osten her in den Steppengürtel eindrang, konnten die südrussischen Fürsten in die Waldgebiete des Nordens ausweichen, die in ihrer Wegelosigkeit für ein Reiterheer ein kaum überwindbares Hindernis bildeten. Sie konnten dort das
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Aufgebot der Nordrussen abwarten und dann den Mongolen mit ihren vereinigten Heeren in die Flanke und den Rücken fallen, sobald sie weiter nach Westen vordrangen. Also führte Ssubutai alle mongolischen Armeen nach Nordwest in die Region der Wälder; zuerst mußte die Macht der nordrussischen Fürsten gebrochen werden. Dem Heer ritten Boten voran. Sie forderten die Fürsten auf, die mongolische Hoheit anzuerkennen, ihnen die Städte zu öffnen, ein Zehntel jedes Besitzes auszuliefern und den zehnten Teil der Bevölkerung als Sklaven oder zum Heeresdienst zu stellen - denn es war die alte mongolische Taktik, die Festungen und Hindernisse auf ihrem Wege mit den Händen der schon unterworfenen Landesbewohner zu nehmen und selber erst im entscheidenden Augenblick einzugreifen. Die Russen, die seit Jahrhunderten Seite an Seite und im ständigen Kampfe mit den Nomaden der Steppe lebten, kannten ihre Gefährlichkeit im offenen Gelände, wußten aber, daß diese Reiter vor Festungen machtlos waren. Die Forderung des Feindes konnte also nur List und Anmaßung sein. Die Boten wurden vertrieben oder ermordet; die Fürsten schlossen sich in ihren Städten ein, riefen die Bürger zu den Waffen... Nach sechs Tagen Belagerung nahmen die Mongolen Rjasan, umgingen zuerst das stärkste Fürstentum Wladimir, überrannten das damals noch unbedeutende Moskau, griffen dann Wladimir von zwei Seiten an, stürmten in vier Tagen die Hauptstadt und umfaßten schließlich das inzwischen weiter nördlich aufmarschierte Heer des Großfürsten und vernichteten es. Allein im Monat Februar fiel ein Dutzend wehrhafter, stark befestigter Städte in ihre Hände, im März existierten die nordrussischen Fürstentümer nicht mehr; Batu stand 200 Kilometer vom Großen Nowgorod, der Wiege Rußlands und seinem letzten Bollwerk, entfernt. Und unbesiegt, ohne daß er einen nennenswerten Gegner zu fürchten hätte, verzichtete er, nachdem er Tausende von Kilometern geritten war, auf die Plünderung der reichsten Stadt des Landes und ließ das gesamte Heer umkehren: nach Süden in die Steppen. - Ssubutai kannte eben besser als sechs Jahrhunderte später Napoleon das russische Klima und die Bodenverhältnisse. Er hatte den Feldzug trotz der furchtbaren Kälte im tiefsten Winter 244
begonnen, hetzte seine Reiter durch den Schnee über die endlosen Weiten und führte jetzt Mann und Pferd ungefährdet in die Steppen hinaus, bevor die Schneeschmelze die nordrussische Tiefebene in grundlose Sümpfe und Moräste verwandelt hatte.
II.
Hier in der Steppe sollten sich Roß und Reiter erholen und frische Kräfte für den neuen Vorstoß sammeln; aber die Zwietracht, das alte mongolische Erbübel, das schließlich dieses größte und mächtigste Reich auf Erden zum Zerfall brachte, machte sich schon unter den Nachkommen TschingisChans bemerkbar. Die chinesische Kaiserchronik hat uns als Zeugnis aus dieser Zeit einen Brief Batus an den Großchan Ugedei aufbewahrt, der uns über den Ursprung der wichtigsten Ereignisse der mongolischen Politik in den nächsten zwei Jahrzehnten Aufschluß gibt. Batu schrieb: „Durch die Gunst des Himmels und eines glücklichen Schicksals, o Kaiser, mein Onkel! Die elf Nationen sind unterworfen. Als die Heere zusammenkamen, wurde ein Fest gefeiert, und alle Prinzen waren anwesend. Als Ältester trank ich eine oder zwei Schalen Wein vor den anderen. Buri und Kuiuk waren unvernünftig, verließen das Fest und stiegen auf ihre Pferde, indem sie mich schmähten. Buri sagte: ,Batu steht nicht über uns, warum trank er, bevor ich trank? Er ist ein altes Weib mit einem Bart. Ich könnte ihn mit einem einzigen Fußtritt auf den Boden werfen und zertreten.' Kuiuk schrie: ,Ich werde befehlen, ihn mit einem Holzstock zu verprügeln!' Und andere sagten: ,Man müßte Batu zur Schande einen Holzschwanz hinten anbinden.' So war die Sprache, die die Prinzen gebrauchten, als wir uns nach dem Krieg mit verschiedenen Völkern versammelt hatten, um wichtige Dinge zu beraten. Und wir mußten aufbrechen, ohne von Geschäften gesprochen zu haben. Das ist es, was ich Dir zu berichten habe, o Kaiser, mein Onkel!" Hin und zurück, von der Wolga bis in die Mongolei, jagten die Boten. Im Mittelpunkt des Streites stand Kuiuk. Als ältester Sohn Ugedeis fühlte er sich über die anderen Prinzen erhaben. Es kränkte ihn, daß nicht er, sondern Batu den Oberbefehl führte und er gehorchen sollte. Und da bei seinem unnachgiebigen
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Charakter alle Ermahnungen und Zurechtweisungen nichts nutzten, befahl ihm Ugedei schließlich, nach Karakorum zurückzukehren. Doch inzwischen waren über zwei Jahre seit dem nordrussischen Feldzug vergangen. Man hatte sich in Rußland schon daran gewöhnt, daß im Osten der Steppe jenseits des Dons ein neues Volk sich niedergelassen hatte, von dem man nur hörte, wenn Flüchtlinge anderer Nomadenvolkschaften aus diesen Steppengebieten erschienen, um zu berichten, daß ihre Stämme von den Eindringlingen der Reihe nach zu Paaren getrieben wurden. Nur ein einziger Mensch erkannte die wirkliche Gefahr: das war der alte Komanen-Chan Kotjan, der schon den ersten Überfall der Mongolen, den Erkundungsritt Ssubutais für Tschingis-Chan, erlebt und damals mit den Russen gegen sie gekämpft hatte. Sobald er jetzt hörte, daß die Mongolen sich in dem Steppengürtel festgesetzt hatten, sammelte er seine Stämme, die mit ihren Herden in den fruchtbaren Ländern nördlich des Schwarzen Meeres herumzogen, und brach sofort mit allen seinen Kriegern, mit Weib und Kind, mit Zelt und Wagen auf und floh nach Westen. Er setzte über den Dnjepr, den Dnjestr, eilte durch Bessarabien, durch Galizien bis an die Karpaten. Und selbst hier fühlte er sich noch nicht sicher genug, sondern schickte eine Gesandtschaft über die Berge zu König Bela von Ungarn und bot ihm seine Unterwerfung an. Ja, er war sogar bereit, mit seinem ganzen Volk zum katholischen Glauben überzutreten, und flehte nur um Aufnahme und Schutz... Das Angebot Kotjans bedeutete die Bekehrung von 200 000 Heiden und gewann sofort die gesamte Priesterschaft für sich. Außerdem brachte er 40 000 Krieger mit, die nicht den Magnaten, sondern allein dem König Gehorsam schuldig sein und damit die königliche Macht gewaltig stärken würden - und da auch Bela in ständiger Fehde gegen die aufsässigen Adelsgeschlechter lebte, willigte er mit Freuden ein. Die Komanentaufe wurde feierlich begangen, der König und seine Adelsleute übernahmen die Patenschaft bei Kotjan und den Stammeshäuptlingen, und dann zogen die Nomaden mit ihren Zelten, Wagen und Vieh in die reichen ungarischen Gefilde ein. 246
Aber das an die Freiheit seiner grenzenlosen Steppen gewöhnte Volk konnte sich nur schwer in die Enge der neuen Verhältnisse finden. Überall war der Boden bebaut, überall stieß es auf angelegte Kulturen. Sein Vieh zertrampelte die Saaten, beschädigte die Anlagen. Überall gerieten die Nomaden mit der ansässigen Bevölkerung in Streit, denn wie die Chronik feststellt, „vergewaltigten die Komanen die Frauen der Bauern, während die Ungarn wenig Gefallen an den Komanenweibern fanden". Und der Adel, der den neuen Machtzuwachs des Königs als eine Gefahr für sich empfand, schürte den Haß gegen die Eindringlinge, bis König Bela in die Teilung der Komanen nach Stämmen einwilligte, von denen jeder nur in ganz bestimmten Gebieten herumziehen durfte. Kaum war auf diese Weise eine Beruhigung erzielt, da traf schon eine mongolische Gesandtschaft in Ungarn ein. Nach mongolischem Brauch, möglichst Landsleute des fremden Volkes als Unterhändler zu schicken, war der Gesandte ein Europäer, und zwar ein Engländer. Die Chroniken berichten, daß er wegen irgendwelcher Vergehen England hatte verlassen müssen und, durch abenteuerliche Schicksale nach Asien verschlagen, in die Dienste der Mongolen getreten war. Nun forderte er in ihrem Namen die Herausgabe der Komanen, die „Knechte der Mongolen" seien, führte Beschwerde über die Ermordung früherer Gesandtschaften tatsächlich hatten die Ungarn mehrere Mongolen mit der Begründung, sie wären Spione, getötet - und verlangte von König Bela nicht mehr und nicht weniger als die Anerkennung der Oberherrschaft des mongolischen Herrschers eines Cha-Chans -, dem „der Himmel alle Länder der Erde zu eigen gegeben" habe. Vergebens bot der Engländer alle Überredungskünste auf, vergebens beschwor er den König und seine Räte, auf die Forderungen einzugehen und den Mongolen Geschenke zu schicken, die sie als Tribut betrachten könnten, vergebens warnte er, daß eine Weigerung unerbittlich eine Invasion mit allen ihren Schrecken zur Folge haben werde. Der Gedanke, daß der König von Ungarn einem Nomadenhäuptling Tribut zahlen sollte, wurde als eine derartige Zumutung empfunden,
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daß der Engländer froh sein durfte, trotz der Anmaßung seines Herrn ungefährdet fortkommen zu können. Er reiste ab. Und einige Wochen später ergoß sich ein Flüchtlingsstrom nach Westen, kamen schutzflehend die südrussischen Fürsten und ihr Gefolge nach Polen und Ungarn hergejagt mit der Kunde von den schrecklichen Tartaren und den von ihnen verübten Greueln. Denn gleich nach Kuiuks Abreise hatte das mongolische Heer den Eroberungsfeldzug wieder aufgenommen und Ende November 1240 das Eis des Dnjepr überschritten. Die Fürsten von Kiew ließen die mongolischen Gesandten von der Höhe der Stadtmauern hinabwerfen - am 6. Dezember existierte Kiew, einstmals die schönste Stadt Südrußlands und Knotenpunkt für die Handelsverbindung zwischen den Ostseeländern und Byzanz, nicht mehr; und die Mongolen stießen in das Stromgebiet des Dnjestr und des Bug, auf die Wolhynisch-Podolische Platte vor. Das war die Operationsbasis, die Ssubutai sich für den nächsten Feldzug auserwählt hatte. Denn während Europa nichts von den Mongolen wußte, kannten sich diese bis in die Familienbeziehungen der Herrscher in den europäischen Zuständen aus: Ungarn, ein reiches, mächtiges Königreich, das von den Karpaten bis an die Adria reichte, war ihr Ziel. Doch sie wußten, daß sein König Bela mit den polnischen Herzögen Boleslaw von Sandomir und Konrad von Masowien und dem deutschen Herzog Heinrich von Schlesien verwandt war. Heinrich wiederum war verschwägert mit dem König Wenzel von Böhmen. Die Länder dieser Fürsten grenzten aneinander, Ungarn konnte also von allen vier sofort Hilfe erwarten. - Deshalb mußten ihre Heere, bis die Entscheidung in Ungarn fiel, gebunden werden. Ssubutai teilte die mongolische Streitmacht in drei Heeresgruppen: Die Nordgruppe unter dem Prinzen Kaidu sollte die polnischen und schlesischen Truppen fesseln. Die Südgruppe unter Kadan hatte vom Süden her in Ungarn einzufallen, um die lokalen Kräfte zu bannen. Den Hauptschlag wollte Ssubutai selber mit Batu gegen die Hauptstädte Pest und Gran führen. 248
Rekognoszierungstruppen, immerhin stark genug, um eine Stadt wie Sandomir in plötzlichem Überfall zu zerstören, stellten die Aufmarschgebiete der Feinde fest, dann setzte Anfang März die Offensive ein.
III.
Nun sollte Europa kennenlernen, was mongolischer Krieg hieß. Der erste Stoß mußte nach Tschingis-Chans Taktik Schrecken und Panik bis in die fernsten Teile des Landes tragen und es durch das Gefühl einer elementaren, schicksalhaften Vernichtung lähmen, der Widerstand zu leisten sinnlos war. Da durfte von den Städten nichts übrigbleiben, als was den Mongolen nutzte: junge Frauen, geschickte Handwerker und für Hilfsdienste bei der Fortsetzung des Krieges kräftige Sklaven. Flüchtlinge, die dem Gemetzel entkamen, trugen das Bild des Grausens weiter, wußten nur vom Morden, Brennen, Schänden, von sinnlosem Wüten zu erzählen, und die Menschen verließen die Städte, verbrannten selbst ihre Dörfer und flohen bei der ersten Annäherung dieser schrecklichen Reiter, die ihnen wie leibhaftige Teufel vorkamen, wie eine Geißel Gottes, flüchteten in die festen Plätze, versteckten sich in Wäldern und unwegsamen Gegenden. Aus der Stammesbezeichnung „Tataren", die zuerst aus dem Morgenlande nach Europa gekommen war, machten sie „Tartaren" - Abkömmlinge des Tartarus, der Unterwelt entstiegen. Niemand ahnte, daß dieser Schrecken auch eine Kriegsmethode war, genau wie die Vortäuschung einer ungeheuren Zahl. Sämtliche nach Europa gedrungenen Armeen überstiegen nicht 150 000 Reiter; aber mit überlegener Strategie geleitet, an das Wirken in Räumen gewöhnt, die den Europäern unvorstellbar waren, von einer Schnelligkeit, die die eisengepanzerten, schwerfälligen Ritterheere und zusammengewürfelten Massenaufgebote nicht einmal erträumten, konnten sie heute im Umkreis von hundert Kilometern alles Land brandschatzen und morgen geeint eine Entscheidungsschlacht schlagen, wobei es für die Gegner als ausgemacht galt, daß das unmöglich dieselben Krieger waren und die Menge der „Tartaren" in ihrer Phantasie ins Märchenhafte wuchs. Im Dezember hatte Kiew einen solchen „ersten Stoß"
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erlitten, und noch fünf Jahre später findet der päpstliche Legat Piano Carpini bei seiner Reise durch das Fürstentum „eine unzählige Menge Schädel und Gebeine erschlagener Menschen auf dem Felde herumliegen", in Kiew selbst, das „sehr groß und außerordentlich bevölkert gewesen war, stehen kaum noch 200 Häuser". Drei Wochen nach Kiews Fall ist bereits ganz Podolien, Wolhynien und das heutige Ostgalizien mit der Hauptstadt Haliz in den Händen der Mongolen. Im Februar schwärmen ihre Vortrupps durch Polen, verbrennen Sandomir. Im März setzt die Offensive aller drei Heeresgruppen zugleich ein. Kadan berennt die Moldau und die Bukowina, Batu stürmt die Karpatenpässe, und Kaidus Reiterscharen ergießen sich durch Polen. Drei polnische Heere stellen sich ihnen entgegen, alle drei werden geschlagen; am 24. März wird das alte, berühmte Krakau niedergebrannt, Anfang April die Gegend um Breslau verheert, und am 8. April steht die ganze Armee Kaidus bereits wieder gesammelt vor Liegnitz. Denn hier zu Liegnitz hatte der Herzog Heinrich von Schlesien alle verfügbaren Kräfte gegen die Mongolen vereinigt, alle Barone und Edlen seines Landes, Ritter, Reisige und Fußvolk aus Schlesien und Polen, Bergknappen aus der Stadt Goldberg und eine bedeutende Streitmacht von Templern. Der Herzog von Oppeln, der Markgraf von Mähren mit ihren Kriegsmannschaften, Deutschritter und Angehörige anderer Ritterorden, die im Lande Besitzungen hatten, waren ihm zu Hilfe geeilt. Und endlich erwartete er noch seinen Schwager, den König Wenzel von Böhmen, der sich bereits mit 50 000 Mann auf dem Marsch nach Schlesien befand. Die Mongolen waren zahlenmäßig schwächer als die Truppen Heinrichs, aber als ihre Kundschafter noch das Nahen des starken böhmischen Heeres von Südwesten her meldeten, beschloß Kaidu, den Herzog sofort anzugreifen. Heinrich drohte die Gefahr, mit seinem ganzen Heer in dem engen Liegnitz eingeschlossen zu werden, wo er seine Truppen nicht zur Entfaltung bringen konnte. Wann ihm die Böhmen zu Hilfe kommen würden, wußte er nicht und mußte befürchten, daß die Mongolenscharen bei längerem Zögern noch weit mehr anwachsen könnten. So entschloß er sich, die Feldschlacht anzunehmen. Er führte seine Truppen aus Liegnitz in südlicher 250
Richtung dem König Wenzel entgegen. Einige Kilometer von Liegnitz, auf einem von mäßigen Höhenzügen begrenzten weiten Feld, das später den Namen „Die Wahlstatt" bekam, hatte Kaidu ihn erreicht und griff sofort am Morgen des 9. April an. Das Mongolenheer sah nicht groß aus - erst später erkannten die Ritter, daß die „Tartaren" in so enggeschlossenen Massen vorrückten, daß eine Formation von tausend Reitern kaum so groß wirkte wie ihre eigene von fünfhundert. Schweigend, ohne das übliche Feldgeschrei, ohne den damals üblichen Trompetenlärm stürmten die Mongolen auf ihren struppigen, zähen Pferdchen an, nur durch Fähnchen dirigiert. Mann und Pferd hatten Monturen aus festem, in mehreren Schichten fest aufeinandergepreßtem Rindleder; die Reiter trugen krumme Säbel, Lanzen, Streitkeulen, aber ihre gefährlichste Waffe waren Pfeil und Bogen, mit denen sie unfehlbar trafen und sogar auf der Flucht, rückwärts schießend, ihren Verfolgern schwere Verluste beibrachten. Bevor noch die Heere zusammenstießen, hatte der mörderische Pfeilregen der Mongolen bereits den ersten der vier Schlachthaufen Heinrichs in die Flucht getrieben. Als aber dann die schwerbewaffnete, eisengepanzerte Ritterschaft angriff, schien das Schlachtglück sich zu wenden: nach kurzem, doch hartem Kampf flohen die Feinde. Unter Siegesjubel stürmten die Ritter ihnen nach - und erfuhren am eigenen Leibe die alte Kriegslist der Mongolen: die langgestreckte, auseinandergesprengte Linie der Ritter wurde plötzlich von einem Hinterhalt aus von zahlreichen Nomadenkriegern auf ihren schnellen Pferden umschwärmt. Sie hieben, stießen, schössen sie nieder, und wenn die Pfeile an der Eisenrüstung abprallten, trafen sie um so sicherer die weniger geschützten Pferde. Ohne sein Roß konnte der schwer gepanzerte Ritter nicht mehr viel Widerstand leisten. Und gegen das Fußvolk erhob sich plötzlich „auf einer langen Stange ein bärtiger Menschenkopf von gräßlichem Aussehen und spie übelriechenden Qualm und Rauch; es versetzte das Heer Heinrichs in Schrecken und Verwirrung und verbarg die Tartaren vor ihren Augen", die von der Wolke gedeckt, über sie herfielen... 251
War das im 13. Jahrhundert der erste Gasangriff auf europäischem Boden, dann gebührt ihm die Priorität vor der Verwendung des Schießpulvers, das die Mongolen zum erstenmal zwei Tage später in der Schlacht am Sajo gebrauchten. Jedenfalls sind die Berichte der Zeitgenossen voller Erörterungen über die Zauberei, die den „Tartaren" den Sieg über das christliche Heer brachte. Der Herzog, die meisten Ritter und Edelleute, der Großteil des Fußvolkes blieben auf dem Schlachtfeld. Die Verluste werden in den Chroniken auf 30 000 bis 40 000 angegeben. Die Überlieferung behauptet, daß die Tartaren jedem Gefallenen ein Ohr abgeschnitten und damit neun Säcke gefüllt hätten, die sie Batu als Siegestrophäe schickten. Dem gefallenen Herzog schnitten sie das Haupt ab und trugen es auf der Lanzenspitze vor die Mauern der Burg Liegnitz. Als die Nachricht von dieser Niederlage König Wenzel von Böhmen erreicht, befindet er sich nur noch einen einzigen Tagesmarsch von der Wahlstatt entfernt. Er fühlt sich mit seinen 50 000 Mann zu schwach, um allein den Mongolen entgegenzutreten; er weiß, daß im Westen schon die Aufgebote des Landgrafen von Thüringen und des Herzogs von Sachsen bereitstehen, da man dort jeden Tag den Einfall der Monglolen erwartet - ihre Streifkorps plündern bereits im Meißener Gebiet und im Glatzer Bergland -, und so läßt er sein Heer umkehren und nach Westen zur Vereinigung mit den anderen Truppen marschieren. Aber die Mongolen kommen nicht. Während noch Liegnitz in Flammen aufgeht, trifft von Batu die Kunde ein, daß er am 11. April, zwei Tage nach der Schlacht an der Wahlstatt, das Heer des Königs Bela völlig vernichtet habe und alle Truppen nach Ungarn rufe, um ihnen das Königreich nach mongolischem Brauch distriktsweise zur Plünderung zu übergeben. Kaidu wartet die Ankunft der zweiten Armee seiner Heeresgruppe ab. Sie war in weitausholendem Bogen nach Norden durch Litauen geritten, hat das sich ihr entgegenstellende litauische Heer geschlagen, ist in Ostpreußen eingefallen und eilt durch Pomerellen und Westpolen nach Liegnitz - ihre Aufgabe ist erfüllt: im Norden bis zur Ostsee befindet sich nirgends ein Feind, der der mongolischen Flanke gefährlich werden könnte.
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Die einzigen noch kampffähigen Heere sind jetzt in Sachsen und Thüringen konzentriert, auch Wenzel hat inzwischen Königstein erreicht - da macht Kaidu eine Schwenkung: statt nach Westen, wo ihn die Feinde erwarten, zu stoßen, wendet sich das mongolische Heer plötzlich nach Süden, wo zwischen ihm und Batu nirgends ein Feind steht, und fällt in Mähren ein. Das Täuschungsmanöver gelingt vollkommen, die ganze Provinz ist von Truppen entblößt. König Wenzel, der eben das Meißener Land erreicht hat, muß schon wieder in Gewaltmärschen zurück nach Böhmen eilen; aber bis er in Mähren anlangt, ist das reiche Land bereits verwüstet, sind die blühenden Städte Troppau, Mährisch-Neustadt, Freudenthal, Brunn gestürmt und gebrandschatzt, und die Mongolen Kaidus haben sich mit Batu in Ungarn vereinigt.
IV.
Immer, wenn die Mongolen ein Reich angegriffen und ihre so leicht scheinenden Siege errungen hatten, klagten die zeitgenössischen Chronisten den Herscher der Unfähigkeit und mangelhafter Vorbereitung an. Auch König Bela entging diesen Vorwürfen nicht, obgleich er alle Maßnahmen getroffen hatte, die ein europäischer König zu jener Zeit ergreifen konnte und die gegen irgendeinen Feind, der sich an die damals üblichen Kriegsregeln hielt, sicher wirksam gewesen wären, die aber beim ersten Stoß des Mongolensturms kläglich versagen mußten. König Bela war bei der ersten Nachricht vom Anzug der Tartaren nach den Karpaten geeilt, ließ alle Pässe durch Verhaue sperren, rief die Grenzbevölkerung auf und übergab das Kommando einem erfahrenen Palatin. Dann berief er einen Reichstag nach Buda und befahl zugleich allen wehrhaften Männern, sich zu rüsten und marschbereit zu halten. Doch ehe noch der Reichstag sich über die Abwehrmaßnahmen verständigen konnte, kam am 10. März ein Bote angejagt, daß die Tartaren die Karpatenpässe angegriffen hätten. Bevor noch Verstärkungstruppen abgehen konnten, war der kommandierende Palatin selber da: am 12. März hatten die Mongolen die Pässe gestürmt, den Übergang erzwungen, die
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ganze Besatzung niedergemacht; er war mit nur einigen Leuten dem Feinde entronnen. Und bereits am Tage nach seiner Ankunft, am 15. März, befand sich die erste mongolische Tuman - Zehntausendschaft - schon vor Pest, nachdem sie in drei Tagen dreihundert Kilometer durch Feindesland geritten war, alles auf ihrem Wege verwüstend und niedermetzelnd. In drei Tagen war ein Keil ins Land getrieben, der den Osten abriegelte, während im Süden schon die dritte Armeegruppe unter Kadan operierte, der durch die Moldau und die Bukowina in Siebenbürgen eingedrungen war. Der König schloß sofort den Reichstag. Die Bischöfe, Grafen, Barone eilten in ihre Provinzen, um mit ihrem Aufgebot so schnell wie möglich zurückzukehren, während der Pöbel vor das Schloß zog, in dem der Komanen-Chan Kotjan sich befand: „Er ist es, der die Tartaren nach Ungarn gebracht hat!" Und schon wurde das Schloß gestürmt, Kotjan mit seinem ganzen Gefolge in Stücke gerissen. Kaum gelangte aber die Nachricht von diesem „Volksgericht" zu den Bauern, als sie sich auf die Komanen stürzten, die jetzt gerade aus allen Richtungen nach Pest zum Kampfe gegen die Mongolen eilten, und sie niedermachten. Nach der ersten Verblüffung sammelten sich die Komanen und vergalten Gleiches mit Gleichem, griffen selber Höfe und Dörfer an, erschlugen, was sie erschlagen konnten, raubten das Vieh und entwichen nach Süden, nach Bulgarien. - So erfüllte sich Wort für Wort die Warnung, die Batu an König Bela gesandt hatte: „Es ist ja leichter für die Komanen, zu entkommen, als für dich; sie, ohne Häuser, in Zelten herumziehend, können ja möglicherweise entkommen, du aber wohnst in Häusern und hast feste Städte und Burgen, wie wirst du also meinen Händen entgehen?..." Vergebens versuchte der König die vor Pest brandschatzende Tuman zu vernichten. Die Mongolen waren auf ihren schnellen Pferden unfaßbar. Sie verheerten die Dörfer, sperrten die Straßen, zersprengten die nach Pest eilenden, kleineren Abteilungen, erschienen auch vor den Mauern der Stadt und reizten die Wachen zu Ausfällen, um sie dann niederzumachen, zogen sich aber vor jedem ernsten Kampfe zurück; und solange Bela seine Truppen nicht gesammelt hatte, wagte er sie nicht zu verfolgen.
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Zwei Wochen dauerte der Aufmarsch. Dann fühlte sich der König von Ungarn endlich stark genug zu einer Entscheidungsschlacht. Er verließ die Mauern von Pest und rückte, sein Heer zusammenhaltend, nach Nordost vor. Die Mongolen wichen zurück. Nach vier Tagen stieß man an der Mündung des Sajo auf Batus Lager. An den Flanken vom Sajo und der Theiß geschützt, durch Wälder gedeckt, war es nicht angreifbar. Man faßte also den Plan, die Mongolen auf das rechte Ufer des Sajo, der, sonst versumpft und schilfbewachsen, jetzt Hochwasser führte, hinüberzulocken, um sie dann in den Fluß zu werfen. König Bela schlägt sein Heereslager auf der Heide Mohi in einiger Entfernung vom Fluß auf. Es liegt auf freiem Felde mit Sicht nach allen Seiten, und für den Fall, daß es den Mongolen gelingen sollte, überraschend bis zum Lager vorzustoßen, läßt er es mit einer Wagenburg umgeben, deren einzelne Wagen mit Stricken und Ketten aneinander gebunden werden, um das Eindringen der Feinde zu verhindern. So gesichert, wartet er. Schon am selben Abend meldet ein russischer Überläufer, daß die Mongolen in der Nacht den Fluß überschreiten wollen. Über den Sajo führt nur eine einzige Brücke. Um Mitternacht sind Koloman, der Bruder des Königs, und der Erzbischof Ugolinus an der Brücke, stürzen sich mit ihren Scharen auf den bereits auf diesem Ufer stehenden Feind und werfen ihn in den Fluß. Dann lassen sie am Brückenkopf eine starke Besatzung und kehren in das Lager zurück. Alle Ungarn sind muterfüllt und kampfbegierig, sie sind siegessicher, denn ihre Kundschafter haben festgestellt, daß sie den Mongolen auch zahlenmäßig überlegen sind. Noch in der Nacht fuhren die Mongolen am jenseitigen Ufer Maschinen auf, die unter Donnergetöse und Feuerschein einen Steinhagel auf die Besatzung des Brückenkopfes schleuderten. Die Ungarn, die sich vor dem „teuflischen Zauberwerk" zurückgezogen hatten, sahen im Morgengrauen, daß die „Tartaren, wie Heuschrecken aus der Erde hervorgesprudelt", bereits in Massen auf dieser Seite des Flusses standen. Um fünf Uhr morgens war der mongolische Übergang beendet.
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Und um fünf Uhr morgens fielen Koloman und Ugolinus mit ihren Truppen wieder über die Feinde her, um sie von neuem in den Sajo zu werfen. Aber diesmal wichen die Tartaren nicht. Zwei Stunden lang, von fünf bis sieben, dauerte das erbitterte Ringen, dann mußten die Ungarn zu ihrem befestigten Lager zurückweichen. Sie hofften, daß die frischen Truppen Belas in einem gewaltigen Vorstoß die sie verfolgenden Tartaren über den Haufen werfen würden - da sahen sie diese Truppen sich selber verzweifelt gegen eine andere mongolische Armee wehren, die vom Süden her gegen das Lager drängte. Das war die Abteilung Ssubutais, die in der Nacht den Sajo unterhalb des Lagers teils schwimmend, teils auf einer schnell errichteten Notbrücke überschritten hatte. Kurz nach sieben Uhr morgens war die Feldschlacht entschieden und das Lager der Ungarn eingeschlossen. Dann wurde es fünf Stunden lang, bis Mittag, mit Steinen, Pfeilen, mit brennender Naphtha beschossen. Die Wagenburg, die das Lager verteidigen sollte und es in einem Ring umschloß, so daß die Ungarn auf dem kleinsten Raum zusammengepfercht waren, wurde für die Belagerten zum Verhängnis. Zweimal wagten Koloman, der Erzbischof Ugolinus und die Templerritter in ihrer Verzweiflung einen Durchbruchsversuch. Aber beide Ausfälle mißglückten, fast alle Templer wurden niedergemacht, Koloman und Ugolinus erreichten nur schwerverwundet wieder die Wagenburg. Inzwischen ereignete sich auf der entgegengesetzten Seite des Lagers etwas für die europäischen Kriegsgewohnheiten völlig Unbegreifliches: Der Ring der Belagerer öffnet sich. Die ersten, die sich in diese Lücke stürzen, kommen ungefährdet durch. Immer mehr Leute versuchen ihr Glück, und bald ergießt sich ein Strom von Menschen durch die Lücke im Ring. Und die Mongolen lassen alle durch, und die Taktik bewährt sich in Europa, wie sie sich in Vorderasien bewährt hatte: Dort, wo eine geschlossene Truppe unter tapferen Führern aus ihrer Umklammerung heraus will, kämpfen die Mongolen wie Berserker; die Zermürbten, nur auf eigene Rettung bedachten lassen sie entweichen und erreichen auch ihre Absicht: die Flüchtlinge werfen, um schneller fortzukommen, alles, was sie beschwert, die Rüstungen, die Waffen weg und eilen davon. Das ungarische Heer löst sich vollkommen auf.
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Und jetzt setzen die Mongolen auf ihren schnellen Pferden den Flüchtlingen nach. Sie säbeln die Erschöpften nieder, sie jagen die Reiter in Sümpfe und Moräste, sie stürmen die Dörfer und Kirchen, in die sich die Geflüchteten gerettet haben, und zünden sie an. In dem furchtbaren Gemetzel gehen die letzten Reste der ungarischen Armee unter. König Bela hat das Glück, unerkannt aus dem Lager zu entweichen und auf seinem Renner den Verfolgern zu entkommen; auf Umwegen gelangt er nach Preßburg an der österreichischen Grenze. Sein Bruder Koloman reitet, obgleich schwerverwundet, Tag und Nacht und erreicht Pest. Aber er hat nicht mehr die moralische Widerstandskraft, um den Mongolen von neuem zu begegnen. Alle Bemühungen der Bürgerschaft, ihn in der Stadt zu behalten, nutzen nichts. Er setzt über die Donau und flüchtet nach Kroatien, wo er bald darauf an den erlittenen Wunden und überstandenen Strapazen stirbt. Der Erzbischof Ugolinus, andere hohe geistliche Herren und Barone werden auf der Flucht getötet. Ganz Ungarn bis an die Donau ist den Mongolen ausgeliefert. Und am selben 11. April besiegelt Prinz Kadan mit seiner Südarmee das Schicksal Siebenbürgens: Nachdem er die deutschen Kolonisten in drei Schlachten hintereinander geschlagen und Bistritz, Klausenburg, Großwardein genommen hat, stürmt er auch das stark verteidigte Hermannstadt. Der eigentliche Feldzug ist zu Ende. In wenig mehr als einem einzigen Monat ist das ganze Gebiet von der Ostsee bis zur Donau von den Mongolen überflutet worden. Polen, Litauen, Schlesien, Mähren sind genau wie die Bukowina, die Moldau, die Walachei und Siebenbürgen verwüstet, alle Städte sind Ruinenhaufen, alles Land entvölkert, alle Heere aufgerieben, die Festungen gestürmt. Noch bietet das reiche Ungarn genug Beute zum Plündern, aber dann?... Welches Land wird das nächste Opfer sein?
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V
Ein panischer Schrecken ergriff die Völker Europas, „eine bedeutende Furcht vor diesem barbarischen Volke hatte auch die entlegenen Länder, nicht bloß Frankreich, sondern auch Burgund und Spanien erfaßt, denen der Name der Tartaren bis dahin unbekannt war". Der französische Templer Ponce d'Aubon schrieb an König Ludwig den Heiligen: „Wisset, daß alle Barone Deutschlands, der König selber, der ganze Klerus, alle Mönche und Laienbrüder das Kreuz gegen die Tartaren genommen haben...", aber er zweifelte an der Wirksamkeit der Maßnahmen, denn er warnte: „Und wie uns unsere Brüder mitgeteilt haben, so werden die Tartaren, wenn es sich vielleicht nach dem Willen Gottes fügen sollte, daß die Deutschen besiegt würden, niemanden finden bis an die Grenzen Eures Landes, der ihnen entgegentreten könnte." Als die Königin-Mutter von Frankreich, entsetzt über all die Greuelnachrichten, ihren Sohn fragte, ob es denn keine Rettung vor diesen furchtbaren Feinden gebe, antwortete König Ludwig ergeben: „Uns bleibt der himmlische Trost, daß, wenn diese Tartaren kommen, wir sie entweder in den Tartarus zurückschicken werden, dem sie entstiegen sind, oder selber in den Himmel eingehen, um die Freuden der Auserwählten zu empfangen." Diese Antwort entsprach vollkommen der Anschauung der Zeit. Die Mongolen waren, wenn nicht selbst Teufel, so im Bunde mit ihm, um die Christenheit zu verderben, und nur Gottes Hilfe konnte die Gefahr abwenden. So betete man inbrünstig in allen Kirchen um „Errettung vor der Wut der Tartaren". Der Papst ließ das Kreuz gegen sie predigen, Kaiser Friedrich mahnte seinen Sohn und alle Herrscher Europas zur Rüstung. Aber die Furcht war zu groß. Wer das Kreuz nahm, tat es unter dem Vorbehalt, „falls Gott das genannte Volk nicht von uns abwenden sollte". Keiner der deutschen Fürsten, die sich in Merseburg versammelten, keiner der Bischöfe auf ihrer Zusammenkunft in Herford, dachte daran, wirklich nach Ungarn zum Kampfe zu ziehen. Ihre ganzen Beratungen galten der Verteidigung beim Tartareneinfall in ihre eigenen Länder. Das Königreich Ungarn strich man aus dem Bestände Europas aus. Ein bayerischer Chronist trägt in seine Chronik 258
ein: „Das Königreich Ungarn, das unter Kaiser Arnulf begonnen und dreihundertfiinfzig Jahre lang existiert hat, wird von den Tartaren vernichtet." Und wie die Schweden, Litauer, Deutschritter ihre Vorteile aus der Niederlage der russischen Fürsten zu ziehen versucht hatten, so regten sich jetzt die alten Rivalen Ungarns. Die Venezianer, die schon lange Ansprüche auf Dalmatien stellen, rechnen es sich hoch an, daß sie „aus Rücksicht auf die christliche Religion dem König damals nichts zuleide getan haben, obwohl sie sehr vieles gegen ihn hätten unternehmen können". Und Herzog Friedrich von Österreich benutzt wirklich die Flucht Belas nach Preßburg, um ihn auf eine seiner Burgen zu locken und dann eine alte Schuld zu erpressen. Bela muß alles, was er an barem Geld, an Gold- und Silbersachen mit sich führt, ausliefern und für die Restsumme dem Herzog drei an der österreichischen Grenze gelegene Komitate als Pfand überlassen, ehe er freigegeben wird... Alle Hilferufe Belas, sobald er freikommt, sind umsonst. Der Papst hat ihm nichts zu geben als trostreiche Briefe und Ermahnungen, „tapfer gegen die Tartaren auszuhalten", und Kasier Friedrich läßt sich zwar von dem Bevollmächtigten des ungarischen Königs in Belas Namen den Lehnseid schwören für das Versprechen, „durch den Schirm des kaiserlichen Schildes gegen das tartarische Verderben verteidigt zu werden" - aber zuerst will er die „lombardischen Rebellen", die in den letzten Jahren wieder erstarkt sind, strafen. Der Papst und der Kaiser, die einzigen, die imstande gewesen wären, gemeinsam die Kräfte Europas gegen die Mongolen zu vereinigen und durch Heeresmassen ihre überlegene Kriegskunst auszugleichen, verfolgten einander mit tödlichem Haß. Gregor IX. predigte das Kreuz gegen den Kaiser nicht anders als gegen die Mongolen, und seine Anhänger verdächtigten Friedrich eines „geheimen Einverständnisses mit den Tartaren" und behaupteten, man hätte seine Gesandten bei ihnen gesehen. Und der Kaiser sammelte seine Truppen statt gegen die Mongolen gegen die italienischen Bundesgenossen des Papstes und fiel in die Campagna ein. In seinen Briefen an die Könige von England und Frankreich beschuldigte er den Papst, ihn durch die Unterstützung der Rebellen zu hindern,
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„mit seiner ganzen Macht gegen die Feinde der Christenheit aufzubrechen". Und inzwischen richteten sich die Mongolen nach der ersten Verwüstung häuslich in Ungarn ein. Sie gaben dem Lande eine Art Verwaltung, bestimmten Richter und Amtsleute, setzten in die Städte mongolische Vorstände und verkündeten durch freigelassene Gefangene, daß, wer sich ihnen unterwerfe, ungefährdet zurückkehren könne. Nun kamen die Flüchtlinge aus ihren Verstecken in den Wäldern und Bergen wieder hervor, das Land bevölkerte sich allmählich von neuem, die Bauern gingen an die Bestellung der Saat, und wem das Vieh fehlte, fand bald ein Mittel, es sich zu verschaffen: man brauchte nur den neuen mongolischen Machthabern eine schöne Ungarin zuzuführen und „brachte dafür Schafe, Rinder und Pferde nach Hause". Mongolische Kupfermünzen kamen in Umlauf. Der Chronist bemerkt: „Wir hatten Frieden und Marktverkehr, einem jedem wurde sein Recht zuteil."
VI.
Sommer und Herbst ruhte das mongolische Heer. Erst am Weihnachtstage 1241 überschritt es auf dem Eise die Donau. Während das Gros des Heeres die stark befestigten und sich verzweifelt wehrenden Städte wie Buda, Gran umzingelte und stürmte, sandte Batu den Prinzen Kadan hinter Bela her. Wie einst Ssubutai den Choresm-Schah Muhammed durch sein ganzes Reich zu Tode hetzte, so sollte Kadan den ungarischen König durch die ihm noch gebliebenen Länder jagen. Im Januar befindet sich Bela in Agram in Kroatien. Auch er hat nicht mehr die Kraft und den Mut, sich den Mongolen zu stellen. Er flieht. Im Februar ist er schon an der adriatischen Küste. Kadan verfolgt ihn nach Dalmatien, und der König flüchtet nach Arbe, einer der vielen Inseln, die der Küste vorgelagert sind. Kadan requiriert Schiffe und vernichtet die Flotte des Königs in einer Seeschlacht, aber Bela entkommt. Die Königsjagd geht die Küste entlang weiter. Im März ist Bela in Spalato und dann in dem auf einer Insel dem Festland vorgelagerten Trau, die Mongolen immer dicht auf den Fersen. Kadan bereitet den Sturm auf Trau vor, da erreicht ihn ein Befehl Batus, die Hetzjagd abzubrechen 260
Während Kadan im Süden und Batu im Westen die Eroberung Ungarns vollendeten, drangen die mongolischen Vortrupps bereits über die Grenzen des Königreichs hinaus. Die wilden Reiter kamen bis nach Korneuburg, nordwestlich von Wien, und bis Wiener Neustadt im Süden, „ohne Schaden erlitten zu haben, nahmen eine Menge von Leuten und Vieh gewalttätig mit sich und kehrten damit nach Ungarn zurück", meldet die Chronik. Sie hatten dort die vereinigten Truppen der Herzöge von Österreich, von Kärnten und einiger anderer Fürsten festgestellt, im benachbarten Böhmen befand sich das Heer des Königs Wenzel - und Batu rüstete zu einem neuen Feldzug. Da traf bei ihm ein Bote aus der fernen Mongolei ein, der über 10 000 Kilometer hergejagt kam, um den Prinzen zu melden, daß dort, im Herzen Asiens, der Cha-Chan Ugedei gestorben war, und sie zurückzurufen. Batu wollte den Krieg trotzdem fortsetzen, aber Ssubutai mahnte ihn an das Gesetz der Jassa, welches befahl, daß nach dem Tode des Herrschers alle Nachkommen aus TschingisChans Haus, wo sie sich auch befanden, in die Mongolei zurückzukehren und auf einem Kuriltai den neuen Cha-Chan zu wählen hatten. Und das Gesetz Tschingis-Chans wog schwerer als die Eroberung des Abendlandes - Batu brach den Feldzug ab. Europa war gerettet.
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Bei dem Volke der Tartaren I. Als die Mongolen ebenso plötzlich und unerwartet, wie sie gekommen waren, aus Ungarn abzogen, gerade als das Abendland die furchtbare Gefahr, die seinen ganzen Bestand bedrohte, in ihrem vollen Umfang zu erkennen begann, wußte niemand, daß im ewigen Kampf Europas gegen Asien der stärkste und gefährlichste Schlag, den Asien je gegen den kleinen Kontinent führte, ohne sein Zutun abgewendet war. Niemand ahnte, woher und warum die Mongolen gekommen waren, niemand, warum und wohin sie abzogen. Zogen sie wirklich fort, oder wollten sie nur Tod und Verderben in ein anderes Land tragen?... Werden sie wiederkommen? Wann?... Wen wird der nächste Schlag treffen?... - Das Gefühl der Furcht und der Unsicherheit lastete unerträglich, wie ein Alpdruck, auf den Völkern und prägte sich unauslöschlich in ihre Psyche ein. Manche Forscher glauben, daß noch heute ein Teil des Pessimismus Europas, die unterbewußte, dunkle Angst, die uns der Begriff der „Gelben Gefahr" einflößt, ein rudimentäres Überbleibsel des Mongolenschreckens vor 700 Jahren ist; und noch heute heißt in einigen Kirchen des Ostens eine Bitte der Litanei: „Vor der Wut der Tartaren, o Herr, bewahre uns!" Erst nach dem Abzug der Mongolen wurde das ganze Ausmaß der Verheerung und Vernichtung in Ungarn, Schlesien, Polen bekannt. Es überstieg noch die schlimmsten Vermutungen. 60 - 80 000 Mann waren allein in der Schlacht bei Mohi gefallen, allein in Pest sollen 100 000 Menschen den Tod gefunden haben; in anderen Städten und Festungen wurden bis auf wenige Flüchtlinge und die fortgeschleppten Kriegsgefangenen alle Einwohner getötet. Ganze Provinzen waren entvölkert, Dörfer und Städte verödet; „die Felder hatten nicht hinlänglich bestellt werden können, und unter den Überlebenden hauste der Hungertyphus nicht minder mörderisch als die Tartaren." Verarmung und wirtschaftliche Zerrüttung waren die nächste Folge. Nur teilweise konnte der Schaden durch die stark geförderte deutsche Ansiedlung wettgemacht werden. Und dabei war man neuen Überfällen preisgegeben, sah keine Abwehrmöglichkeit, fühlte sich hilflos.
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Das Volksempfinden verlangte irgendeine sichtbare Tat. Und so entschloß sich Papst Innocenz IV, dem es in seinem Kampfe gegen Kaiser Friedrich wichtig war, sein Ansehen als oberster Schutzherr der Christenheit zu wahren, einen Brief „an den König und das Volk der Tartaren" zu richten, in dem er sie ermahnte, von den Einfällen und Verfolgungen der Christen abzustehen, und ihnen mit dem Zorn Gottes in diesem und dem jenseitigen Leben drohte. Aber wohin ihn senden? Wer ist der König der Tartaren, wo lebt er?... Eine Abordnung von Franziskanern unter der Leitung des Erzbischofs von Antivari und Legaten des Apostolischen Stuhles, Johannes von Piano Carpini, wird nach Osten geschickt, in der Richtung, in der dieses Volk abgezogen ist. Eine zweite Ausfertigung des Briefes sollen Dominikaner unter Ezzelino nach Kleinasien bringen, denn auch dort befinden sich irgendwo die Tartaren. Und mit dem Briefe bekamen die Mönche der beiden jungen Orden den Auftrag, „alles genau zu erforschen und auf alles ein achtsames Auge zu haben", und zugleich zu erkunden, was dieses unbekannte Volk „weiterhin zu tun im Sinne habe". Piano Carpini begibt sich mit seinen Begleitern zuerst zu König Wenzel von Böhmen. König Wenzel läßt ihn zum Herzog von Schlesien nach Breslau geleiten; von hier geht es in Etappen weiter, immer unter dem Schütze der Landesherren, nach Krakau, nach Galizien, nach Wolhynien, nach Kiew. In Kiew endet die bekannte Welt. Carpini hält mit den Vornehmen der Stadt Rat. Die zehnmonatige Reise hat ihn und seine Gefährten schon krank gemacht, und nun hört er, daß sie sogar ihre Pferde zurücklassen müssen, denn diese würden zugrunde gehen, da die Tartaren weder Heu noch Stroh haben: ihre Rosse graben sich Gras und Wurzeln mit den Hufen unter dem Schnee hervor. Aber der alte dicke Mann, der auf seinen Predigtfahrten durch Deutschland Aufsehen und Zulauf dadurch erhielt, daß er, rund und schwer, auf einem kleinen Esel in die Städte geritten kam, hat unbeugsame Energie. Er läßt sich in Schlitten mit Postpferden, die von Dorf zu Dorf gewechselt werden, weiterfahren. In einem der Dörfer muß er einen Gefährten schwer krank zurücklassen; aber nichts hindert ihn, die Reise 264
fortzusetzen, bis am neunzehnten Tage nach dem Auszug aus Kiew, gerade als die Mönche ihr Nachtquartier aufgeschlagen haben, plötzlich tartarische Reiter mit wildem Geschrei, „mit Waffen in der Hand wie wütende Teufel", auf sie zugerast kommen. Die Mönche glauben schon, ihre letzte Stunde habe geschlagen, aber die Reiter drängen sich nur neugierig um sie, fragen sie durch den Dolmetscher aus, woher und wozu sie kämen, und betteln sie um Lebensmittel und Brot an, das bei den Mongolen als Leckerei gilt. Von diesem Augenblick an ist es den Gesandten, als wären sie in eine andere Welt gekommen. Sie werden von Posten zu Posten zu immer höheren Kommandostellen geleitet, erzählen dutzendmal, daß sie Gesandte des Papstes sind, der Herr über alle Christen ist; er habe sie zu den Tartaren geschickt, „weil er gern hätte, daß alle Christen Freunde der Tartaren seien und in Frieden mit ihnen leben" - und müssen gleich weiter. Und je vornehmer die Persönlichkeit ist, vor die sie kommen sollen, desto schneller geht die Reise. Zuletzt sitzen sie vom frühen Morgen bis spät in die Nacht im Sattel, drei-, viermal täglich werden die Pferde gewechselt, immer geht es im Trab vorwärts, und nirgends erblicken sie eine Stadt, nirgends eine feste Siedlung - nur Nomadenzelte. Endlos ist die Ebene, gewaltig die Flüsse, die auf dem Eis überquert werden, sie reiten über ein zugefrorenes Meer, dann geht es weiter durch die Steppen. Am 23. Februar waren die ersten Tartarenreiter auf sie zugestürmt, und erst am 4. April kommen sie in Batus Lager an der Wolga an. Es sieht wie eine gewaltige Stadt aus, aber statt der Häuser stehen da riesige runde Zelte von nie gesehenen Ausmaßen. Und Carpini hört, daß diese Zelte, wie sie da stehen, auf Wagen gestellt und fortgefahren werden können. Die Spur zwischen den Rädern dieser Gestelle mißt zwanzig Schritt, die Wagenachse ist von der Größe eines Schiffsmastes. Zweiundzwanzig Ochsen, je elf in einer Reihe breit vor den Wagen gespannt, ziehen ihn. Batu hat sechsundzwanzig Frauen, und jede besitzt ein solches Zelt. Wie zwischen Mauern steht jedes zwischen 100 bis 200 Vorrats- und Hausgerätewagen, und hinter jedem der großen Zelte befindet sich ein Dutzend kleinerer für die Kinder,
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die Dienerinnen und das Gefolge der Frau. So groß ist das Lager, daß Carpini über eine Stunde Weges bis zu Batus Audienzzelt hat. Er kennt schon die Empfangzeremonien: Verbeugung vor dem Eingang des Zeltes, nicht auf die Schwelle treten, knieend seinen Auftrag vorbringen... Aber hier müssen die Mönche vorher noch zwischen zwei Feuern durchgehen, damit sie von allem Bösen, das sie vielleicht im Schilde führen, gereinigt werden. Dann wird der Brief des Papstes ins „Russische, Sarazenische und Tartarische" übersetzt, und dann hat Batu plötzlich keine Lust, selbständig zu entscheiden; Carpini soll mit seinem Begleiter Benedikt in die Mongolei fahren. „Wir wußten ja nicht, ob wir dem Tod oder dem Leben entgegengingen", schreibt Carpini in seinem Bericht. „Unter vielen Tränen" nahmen die Mönche Abschied von ihren Gefährten, die auf Batus Befehl zurückbleiben mußten. In den zwei Monaten, die man gebraucht hatte, um von Kiew bis an die Wolga zu gelangen, war man die ganze Zeit im Lande der Komanen gewesen, man kannte noch einigermaßen das Ziel - denn der Name Batus als des obersten Feldherrn des „Tartarenheeres" war nicht unbekannt. Er hatte den Beinamen der Prächtige, aber auch der Gütige; in Kiew hatte man erfahren, daß in den drei Jahren seit dem Abzug der Mongolen aus Ungarn schon mancher russische Fürst Batus Ordu aufsuchen mußte, um ihm den Lehnseid zu schwören... Wohin sie jetzt geführt werden, weiß keiner. Die mongolischen Führer haben den Befehl, sie „so schnell wie möglich" ans Ziel zu bringen, und Carpini bekommt zu spüren, wie die Mongolen reiten. Fünf-, sechs-, siebenmal täglich bekommen sie frische, kräftige Pferde, und „wenn eins unterwegs nicht mehr konnte, wurde es einfach zurückgelassen". Man bleibt bis in die Nacht im Sattel, „ohne eine Mahlzeit zu sich zu nehmen", und wenn man zu spät im Quartier ankommt, erhalten die Reisenden das, „was das Nachtessen hätte sein sollen, erst am nächsten Morgen", und zwar so wenig, daß Carpini immer hungrig ist und sich über die Genügsamkeit der Mongolen wundert. Sie reiten durch Wüsten, wo Schädel und Menschenknochen „wie Dunghaufen auf dem Boden herumliegen", sie reiten durch Gegenden voll 266
zerstörter Städte und Burgruinen, sie übersteigen gewaltige Berge, reiten mitten im Sommer durch tiefen Schnee in eisiger Kälte, hören Namen von Städten, Ländern, Völkern, von denen nie ein Europäer etwas gehört hat. Dieser Ritt dauert vom 8. April bis zum 22. Juli. Dann erst sind sie in dem kaiserlichen Ordu und vernehmen, daß jetzt erst, fünf Jahre nach Ugedeis Tode, sein Sohn Kuiuk zum Cha-Chan gekrönt werden soll...
II.
Die alte Feindschaft zwischen Batu und Kuiuk, die schon den europäischen Feldzug auf zwei Jahre unterbrochen hatte, war es auch, die die Neuwahl des Cha-Chans so lange verhinderte. Als Kuiuk das Heer Batus veließ, beeilte er sich keineswegs mit der Rückkehr nach der Mongolei, wo ihn nur Vorwürfe seines Vaters Ugedei erwarteten, und vertrieb sich lieber die Zeit mit Jagd und Festefeiern, bis ihn ein Jahr später ein Bote seiner Mutter Turakina eiligst nach Karakorum rief, da Ugedei plötzlich gestorben war. Ugedei hatte vor seinem Tode seinen Enkel Schiramun zu seinem Nachfolger bestimmt, aber der letzte noch lebende Sohn TschingisChans, Tschagatai, überließ, schwer krank wie er war, der ehrgeizigen Turakina die Regentschaft und die Aufgabe, den Kuriltai zur Wahl des neuen Großchans einzuberufen; Turakina benutzte den Umstand, daß Batu und die meisten Prinzen sich fern im Abendland befanden, um durch Ränke und Umtriebe aller Art die Stimmung für die Wahl ihres Sohnes Kuiuk vorzubereiten. Eine Intrigen- und Günstlingswirtschaft setzte ein, Turakinas Favoritin, eine persische Sklavin Fathma, stand im Mittelpunkt aller Umtriebe, ihr Komplice, der Mohammedaner Abdu-Rachman, bemächtigte sich der Finanzen des Reiches und gewann die Gunst der Regentin, indem er durch neue Steuern und Abgaben den Völkern immer mehr Geld erpreßte und es der Regentin für Geschenke und Bestechungen gab. Der alte, treue Kanzler und Wahrer von Tschingis-Chans Reich, der Chinese Yeliu-Tschutsai, sah sein Lebenswerk in Gefahr. Er hatte unter Ugedeis Herrschaft einen geordneten Staat geschaffen, in dem er auch für die unterjochte, seßhafte
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Bevölkerung Lebensraum und Lebensmöglichkeiten sicherte. Er hatte in den besetzten Provinzen geordnete Verwaltung und Rechtspflege eingeführt, die Steuern und das Maß- und Gewichtssystem festgesetzt, Schulen errichtet, in denen die Kinder der vornehmen Mongolen nach chinesischem Vorbilde erzogen wurden, und die Vollmachten der Statthalter begrenzt und ihre Willkür beseitigt. Auf den Ruinen der besiegten Reiche ließ seine maßvolle Regierung die Landwirtschaft, den Handel, das Gewerbe wieder aufblühen. - Jetzt drohte allem, was er geschaffen hatte, die Vernichtung. Die alten verdienstvollen Räte Ugedeis wurden abgesetzt und retteten sich nur durch Flucht zu Batu und anderen Prinzen vor der Verhaftung, und schließlich übertrug Turakina Abdu-Rachman die ganze Reichsverwaltung. Doch Yeliu-Tschutsai weigerte sich, Befehle von ihm anzunehmen. Er erklärte der Regentin: „Das Reich war das Eigentum des verstorbenen Kaisers, Eure Majestät bemächtigt sich seiner und will alles zerstören. Es ist mir unmöglich, Eure Befehle weiter auszuführen." Und zu stolz, um zu fliehen, fragte er nur: „Seit 25 Jahren bin ich mit der Reichsverwaltung beauftragt und habe mir, was das Land betrifft, keinen Fehler vorzuwerfen - will die Kaiserin mir als Preis meiner Unschuld den Tod geben?" Abdu-Rachman drängte auf seine Verhaftung, doch trotz allen Grolls wagte sich Turakina an den großen Staatsmann, den Tschingis-Chan selber zu seinem Kanzler gemacht hatte, nicht heran. Erst als Yeliu-Tschutsai kurz nach seinem Rücktritt „aus Kummer und Verdruß über den Stand der Angelegenheiten des Reiches" starb, konstruierte man gegen ihn eine Anklage wegen Bestechlichkeit. Aber bei der Durchsuchung seines Hauses fand man statt der erwarteten Schätze nur verschiedenartige Musikinstrumente, alte Inschriften auf Steinen und Metall, neue und alte Bücher und Gemälde. Das war alles, was der allmächtige Kanzler im Laufe eines Vierteljahrhunderts unter zwei Herrschern gesammelt hatte. Dazu kamen ungefähr tausend Abhandlungen, die er über die verschiedensten Themen verfaßte. Als die Nachricht von Ugedeis Tod endlich zu Batu und den Prinzen nach Europa gelangt war und sie zur Rückkehr
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aufforderte, saß Kuiuk bereits in der Mongolei. Batu sah ein, daß es zu spät war, jetzt noch etwas gegen den Einfluß der Regentin und ihres Sohnes unternehmen zu wollen. Aber wenn Batu die Wahl seines Gegners Kuiuk auch nicht zu unterbinden vermochte, so konnte er sie doch hinausschieben, indem er seine Rückkehr verzögerte. Er hatte durch den Abbruch des Krieges nach dem Gesetz der Jassa gehandelt und hatte das Recht, nun von den anderen Tschingisiden das gleiche zu verlangen. Ohne seine Anwesenheit als Altester der Nachkommen Tschingis-Chans durfte der neue Cha-Chan nicht gewählt werden. Also nahm er sich Zeit. Er sammelte langsam seine Armeen, zog durch Slavonien, das Banat, die Walachei, verbrannte Belgrad und noch ein halbes Dutzend anderer Städte an der Donau und wartete in aller Ruhe in der Dobrudscha auf Kadan. Dieser hatte inzwischen Dalmatien bis über Ragusa und Cattaro, das in Flammen aufging, durchstreift, dann auf der südlichen Route Bosnien und Serbien, deren Bewohner sich in Wäldern und Bergschluchten verbargen, verheert und war in Bulgarien, damals schon ein ansehnliches Königreich, eingefallen. Nach den ersten Niederlagen beugte sich der bulgarische Zar den mongolischen Eroberern und verpflichtete sich zu Tributzahlungen und Leistung von Heeresdienst. Dieser neue Erfolg von Kadan bestimmte die Westgrenze des mongolischen Reiches. In den Niederungen der Donau wurde eine Heerschau abgehalten und beschlossen, die Gebirgszüge der Karpaten, der Transsylvanischen Alpen und des Balkans als den vorläufigen Abschluß von Batus Uluß zu betrachten. Die Länder jenseits der Gebirge überließ man einfach ihrem Schicksal; entvölkert und geschwächt waren sie ungefährliche Nachbarn und konnten jederzeit zu Aufmarschgebieten für künftige Feldzüge nach dem Westen benutzt werden. Als Statthalter und Beherrscher der Grenzländer wurde der Fürst Nogai zurückgelassen, dem ihm unterstellten Heer die Gegend des Schwarzen Meeres zugewiesen. Nach diesem Feldzug war die Wolga aus einem Grenzfluß zum Zentralstrom von Batus Uluß geworden. Ihr Lauf teilte sein Reich in zwei fast genau gleiche Hälften, und Batu wählte
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die alte Stadt Sarai, nahe der Mündung der Wolga in das Kaspische Meer, zu seiner Hauptstadt. Er ließ sie ausbauen, mit Palästen und Speichern versehen. Aber er dachte nicht daran, die Lebensweise seiner Vorfahren aufzugeben und seßhaft zu werden. Sarai sollte nicht mehr sein als der Punkt in seinem Reich, nach dem die Kaufleute aus allen Richtungen der Welt die Erzeugnisse ihrer Länder zu bringen, nach dem die Abgaben aus allen Fürstentümern und Städten zu fließen hatten. Er selber wollte wie sein Vater Dschutschi, wie TschingisChan sein Leben lang Nomade bleiben und hatte sich für seine Wanderungen die fruchtbare Wolganiederung ausgesucht. Jedes Frühjahr zog er mit seinem Ordu, seinem Zeltlager, von den Gestaden des Kaspischen Meeres nach Norden bis an die Kama, um nach der Sonnenwende denselben Weg zurück anzutreten. Auf dem anderen Wolgaufer zog sein Sohn Sartak, ebenfalls mit Weibern, Kindern, Zelten in der gleichen Richtung. Und im Winter, wenn der Strom zugefroren war, ging er mit seinen Mongolen über das Eis, um den Vater zu begrüßen. Und wenn auch Batus und seiner Gefolgsleute Kleider aus feinsten chinesischen Seiden und Brokaten, aus seltensten und kostbarsten Pelzen waren, darüber wurden dicke mongolische Mäntel aus Wolfs-, Fuchs-, Dachsfellen getragen. Sein Geschirr und seine Becher waren aus Gold und Silber, aber das Getränk, das aus diesen Bechern meist getrunken wurde, war Kumys, und täglich brachte man die Milch von 3000 Stuten in sein Ordu. So zog Batu jahraus, jahrein die Wolga entlang und wies unter immer anderen Vorwänden die Boten aus der Mongolei ab, die einen Termin für den Zusammentritt des Kuriltais verabreden wollten. Doch zuletzt mußte auch er einsehen, daß man die Wahl des Herrschers nicht gut noch länger aufschieben konnte. Jeder der kleinen mongolischen Prinzen schaltete und waltete, wie es ihm beliebte - und die Regentin ließ, um sie für ihren Sohn günstig zu stimmen, alles geschehen. Das Reich litt unter der Unordnung. Und so willigte Batu endlich in die Einberufung des Kuriltais ein, versprach, selber zu kommen und schickte zuletzt doch nur seinen Bruder in die Mongolei: er habe ein Fußleiden und könne nicht reisen, man möge die Wahl ohne ihn vornehmen. 270
III. Es ist die Wahl des Herrschers der Welt. Die Mächtigen dieser Erde sind aus allen Himmelsrichtungen, aus reichen Kulturländern, aus schönen großen Städten in die Wüstenei der mongolischen Steppen geeilt, um mit als erste dem neuen Cha-Chan ihre Huldigung darzubringen, um von ihm irgendeine Gnade zu erflehen, das Recht auf den Thron der Väter bestätigt zu bekommen, einen Mongoleneinfall von ihrem Gebiet abzuwenden. Über 4000 Gesandte sind in der Ebene von Karakorum, diesem neuen Mittelpunkt der Menschheit, zusammengekommen - und keiner von ihnen hat auch nur das Recht auf einen Platz innerhalb des Bretterzauns, der das große Versammlungszelt aus weißem Brokat umgibt, in dem 2000 Nachkommen Tschingis-Chans den würdigsten unter ihnen zum „Herrscher der Herrscher" wählen sollen. Sie drängen sich zusammen mit dem Volk der Mongolen um den Zaun, der über und über mit Bildern bedeckt ist, mit Darstellungen der gewaltigen Taten und Siege Tschingis-Chans. Der Zaun hat zwei Tore. Das eine ist offen und unbewacht. Durch dieses Tor darf nur der Herrscher eintreten - wozu es also bewachen? Kein Sterblicher wird so vermessen sein, sich ihm zu nähern. Am anderen Tor sorgen Krieger, mit Schwertern, Bogen und Pfeilen bewaffnet, dafür, daß nur edle Mongolen, Prinzen von Geblüt, Heerführer, Statthalter mit ihrem Geleit es passieren. Versucht ein Vorwitziger mit durchzuschlüpfen, so wird er jämmerlich verprügelt, oder, wenn er ausreißt, zum Gaudium der Umstehenden mit stumpfen Pfeilen beschossen... Sie stehen und warten, bis die Wahl in dem weißen Zelt vorüber ist. Dann reiten sie mehrere Stunden lang durch die Ebene zu dem „goldenen Zelte" Ugedeis, ganz aus golddurchwirkter Seide, dessen Tragsäulen von vergoldeten Silberplatten bedeckt sind, und sehen aus der Ferne zu, wie die Prinzen Kuiuk auf den goldenen Kaiserthron setzen und ihm huldigen... Und dann dürfen sie, die fremden Herrscher und Gesandten, ein Seldschuken-Sultan, der Großfürst Jaroslaw von Rußland, Prinzen und Fürsten aus China und Korea, aus Fars und Kerman, von Georgien und von Aleppo, Großwürdenträger des Kalifen und des Herrschers der Assassinen, nach Ablauf der Zeremonien
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und Feiern vor dem Cha-Chan erscheinen, viermal die Knie vor ihm beugen und ihre Geschenke darbringen. Und zwischen diesen prachtüberladenen, mit morgenländischem Glanz ausgestatteten Potentaten befinden sich auch die beiden Franziskanermönche, denen man zur Audienz Prunkgewänder über ihre schlichten braunen Kutten angezogen hatte: der Erzbischof von Antivari und Legat des Apostolischen Stuhles, Johannes von Piano Carpini, und sein Begleiter Benedikt von Polen. Sie haben den Brief des Papstes Kuiuks Höflingen übergeben und müssen nun monatelang im kaiserlichen Ordu auf das Antwortschreiben warten. Sie finden in dem Zeltlager viele nestorianische Christen, finden Gefangene aus Ungarn, Rußland, sprechen mit ihnen. Sie lernen das Leben der Mongolen kennen, ihre Sitten und Gebräuche, sie beginnen zu verstehen, was für eine tödliche Gefahr hier in dem fernsten Asien in dem kampfgestählten, sieggewohnten Kriegervolk für die christliche Welt erstanden ist... Dann ist plötzlich alles zu Ende. Sie empfangen das kaiserliche Antwortschreiben und werden sofort mitten im Winter in der gleichen rasenden Eile zurückbefördert.
IV.
Kuiuks Antwort an den Papst bleibt bis in das 19. Jahrhundert hinein in Europa unbekannt. Dann finden die Gelehrten zuerst einen milderen lateinischen Text, und erst jetzt ist in den Archiven des Vatikans der Originalbrief in persischer Sprache mit dem mongolischen Siegel Kuiuks entdeckt worden. Er lautet: „Durch die Kraft des Ewigen Himmels allumfassender Chan der gesamten großen Völker. Unser Befehl: Dies ist ein Dekret, gesandt an den großen Papst, auf daß er es kenne und sich merke. Nach einem Rat mit den Königen eures Herrschaftsgebietes schicktet ihr uns ein Unterwerfungsangebot, das wir durch eure Gesandten vernommen haben. Und wenn ihr gemäß euren eigenen Worten handeln wollt, so kommt, du, der du der große Papst bist, mit den Königen zusammen in Person, um uns zu huldigen, und wir werden euch dann die Gebote der Jassa wissen lassen. 272
Zum anderen: Ihr habt gesagt, es wäre gut, wenn wir Christen würden. Du schreibst mir selbst darüber und hast das Ansuchen an mich gestellt. Dieses dein Ansuchen, wir haben es nicht verstanden. Weiter: Ihr habt mir diese Worte übermittelt: ,Ihr habt alle Länder der Magyaren und anderer Christen überfallen; ich wundere mich darüber. Sagt: was war ihr Verschulden?' Diese deine Worte, wir haben sie gleichfalls nicht verstanden. Den Befehl des Himmels haben beide, Tschingis-Chan und der Cha-Chan Ugedei, kund tun lassen. Aber diese haben dem Befehl des Himmels nicht glauben wollen. Diese, von denen du sprichst, haben sich sogar in großem Maße hochfahrend gezeigt und haben unsere Gesandten getötet. Die Menschen in diesen Ländern sind also auf des Ewigen Himmels Befehl getötet und vernichtet worden. Wenn nicht durch den Befehl des Himmels, wie könnte jemand aus eigener Kraft töten, wie könnte er erobern? Und wenn du sagst: ,Ich bin Christ; ich bete Gott an, ich beklage und verachte die anderen...', wie weißt du, wer Gott gefällig ist und wem er seine Gnade zuwendet, woher weißt du es, daß du solche Worte aussprichst? Kraft des Ewigen Himmels ist uns alles Land von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gegeben. Wie könnte jemand handeln außer nach dem Befehl des Himmels? Jetzt müßt ihr aufrichtigen Herzens sagen: ,Wir werden euch Untertan sein; unsere Macht euch zur Verfügung stellen.' Du in Person, an der Spitze der Könige, ihr alle zusammen ohne Ausnahme, müßt kommen und uns eure Dienste und Huldigungen anbieten. Dann erst werden wir eure Unterwerfung erkennen. Und wenn ihr den Befehl des Himmels nicht achtet und unserem Gebot zuwiderhandelt, werden wir wissen, daß ihr unsere Feinde seid. Das ist es, was wir euch kund tun. Wenn ihr dagegen handelt, was wissen wir, was euch geschieht. Der Himmel allein weiß es." Dieser Brief entstammt derselben Gedankenwelt wie schon die mit dem roten Siegel des Cha-Chans versehene Urkunde, die Tschingis-Chan seinen Feldherrn gab, als er sie ausschickte, um neue Reiche zu unterwerfen: Die Kraft des 273
Ewigen Himmels hat dem Cha-Chan alles Land von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gegeben, und seinem Befehle nicht zu gehorchen, ist ein Verbrechen vor Gott. Wer seine Oberhoheit anerkennt, dem soll nichts geschehen; er wird nur die festgesetzten Abgaben an Gut und Geld, Menschen und Vieh an die Mongolen abführen und für seine Kriegsdienste sein Teil an der Beute haben. Wer aber den geringsten Widerstand leistet, der wird vernichtet und ausgerottet. Und zusammen mit diesem Brief bringt Carpini die Nachricht, daß der neue Cha-Chan bereits zu einem neuen Krieg gegen Europa rüste, daß die Mongolen wieder durch Ungarn und Polen, durch Preußen und Livland vordringen und achtzehn Jahre lang gegen die Christenheit Krieg führen wollen, es sei denn, daß der Papst und die Könige des Abendlandes freiwillig tun, was er ihnen gebiete. Carpini hat genug gesehen, um zu warnen, daß jedes einzelne Land den Tartaren gegenüber verloren wäre und daß nur der Zusammenschluß aller das Unheil abwehren könne. Er berichtet, daß er abgelehnt habe, eine mongolische Gegengesandtschaft nach Europa zu führen, weil, „wenn sie sehen, wie bei uns Streitigkeiten und Krieg an der Tagesordnung sind, wird ihnen noch mehr der Mut wachsen, gegen uns zu ziehen". Denn die Kriegsdrohung ist kein Irrtum, und der Brief kein Mißverständnis; auch die zweite Gesandtschaft unter Ezzelino bringt dem Papst aus Kleinasien ein dem Sinne nach gleiches Schreiben von dem dortigen Statthalter Baitschu: „Deine Boten haben große Worte gesprochen, und wir wissen nicht, ob du ihnen aufgetragen hast, so zu reden, oder ob sie es von sich aus getan haben. In deinem Briefe hattest du so geschrieben: ,Ihr tötet, vernichtet und mordet viele Menschen.' Der unabänderliche Wille Gottes und der Befehl des Chans, der über die ganze Erde gebietet, bestimmt unser Tun. Wer auf seinen Befehl hört, der solle auf seinem Land, Wasser und Eigentum sitzen bleiben dürfen und seine Macht in die Hände dessen legen, der über die ganze Erde gebietet. Wer aber auf dieses Gebot nicht hört und ihm zuwiderhandeln will, der soll vertilgt und ausgerottet werden." Doch während Carpini sich weltmännisch und geschickt 274
der anderen Weltordnung und ihren Sitten anzupassen verstand und dem Abendland als erster ein richtiges Charakterbild des mongolischen Lebens zu vermitteln wußte, bringt der sture Eiferer Ezzelino, ohne Augen für die Wichtigkeit und die Bedeutung seiner Mission zu haben, nur sich und seine Begleiter in Lebensgefahr. Sein Aufenthalt in Baitschus Lager ist ein Kabinettstück grimmigen Humors, wie die Weltgeschichte ihn manchmal liefert, wenn sie unerwartet überzeugte Vertreter verschiedener Weltanschauungen zusammenbringt. Stolz und erhaben erklärt Ezzelino den mongolischen Würdenträgern: „Ich bin der Gesandte des Papstes, der an Würde über allen Königen und Fürsten steht und von ihnen als Herr und Vater verehrt wird", und ist wütend über das homerische Gelächter der Mongolen und den Spott, mit dem sie ihn auszufragen beginnen, welche Reiche und Länder der Papst denn erobert, wie viele Völker er unterjocht habe und ob sein Name ebenso wie der des Cha-Chans von dem Meer des Ostens bis zum Meer des Westens gerühmt und gefürchtet werde? Aus reinem Herzen beteuert Ezzelino, daß weder der Papst noch er jemals etwas von einem Cha-Chan gehört haben. Herr der Welt könne der Cha-Chan jedenfalls nicht sein, denn der Papst habe als Nachfolger des heiligen Petrus seine Gewalt von Gott bis ans Ende der Tage verliehen bekommen. Die Mongolen, gewohnt, an der Pracht der Geschenke, die die fremden Herrscher zum Zeichen ihrer Unterwerfung schicken, ihre Bedeutung zu erkennen, erkundigen sich, was für Geschenke er vom Papst bringe. „Keine. Denn der Papst ist nicht gewöhnt, Geschenke zu schicken, am wenigsten einem ihm unbekannten Ungläubigen, sondern er pflegt selber Geschenke und Gaben zu empfangen." Ezzelino weigert sich auch, vor Baitschu auf die Knie zu fallen. Er schiebt nur seine Kapuze zurück und zeigt, wie er sich verneigen wolle. Diese Anmaßung überrumpelt die Mongolen. In ihnen steigt der Verdacht auf, daß die Gesandtschaft nur ein Schein ist und sie Spione vor sich haben, Vorboten eines gewaltigen christlichen Heeres. Sie forschen Ezzelino aus, ob die Franken nicht bald wieder nach Syrien zu kommen gedenken, da sie 275
von ihren georgischen und armenischen Vasallen über neue Kreuzzugspläne unterrichtet worden sind, und als sie hören, daß weit und breit kein Heer sich im Anzug befindet, ist ihre Geduld erschöpft. Während Ezzelino mit den Seinen draußen auf die Audienz wartet, beginnt im Zelt die Beratung darüber, ob man die ganze Gesandtschaft oder nur einen Teil umbringen solle. Die einen empfehlen, nur zwei der Gesandten hinzurichten und die anderen zum Papst zurückzuschicken. Andere geben den Rat, auch die zwei nicht zu töten, sondern nur peitschen zu lassen und in den Kerker zu werfen, dann werden die Franken kommen, um sie zu befreien; man wird ihr Heer hier in der Fremde leichter schlagen und dann gegen ihr Land ziehen. Eingehend wird der Vorschlag geprüft, nur den Führer der Gesandtschaft zu erdrosseln, ihm die Haut abzuziehen und mit Spreu ausgestopft dem Papst zurückzusenden. Baitschu selbst ist dafür, sie einfach alle zu köpfen und weiter von der Sache kein Aufhebens zu machen. Aber seine erste Frau hat Einwände: wenn diese Hinrichtung bekannt wird, dann werden keine Gesandte mehr zu Baitschu kommen und damit die reichen Geschenke, die sie sonst immer bringen, ausbleiben diese Geschenke gehören immer der Frau, in deren Gegenwart die Gesandten empfangen werden. Außerdem könnte Baitschu durch den Gesandtenmord den Zorn Kuiuks hervorrufen. Es heißt schon, daß der Cha-Chan einen neuen Statthalter für Vorderasien ernannt hat... Und Baitschu beschließt, die Gesandten sollen nicht getötet, sondern zum Cha-Chan geschickt werden. Aber er rechnete nicht mit Ezzelinos Starrsinn. Ezzelino denkt nicht daran, Gott weiß wohin zum Cha-Chan zu reisen, denn sein Auftrag lautet nur, dem ersten mongolischen Befehlshaber, den er antrifft, den Brief des Papstes zu übergeben. Von jetzt an sind die Gesandten Hanswurste, die zu foppen für die Mongolen ein Hauptspaß ist. Man nimmt ihnen den Brief ab, und wenn sie wegen der Antwort kommen, läßt man sie, unter dem Vorwande, bei Baitschu anzufragen, den ganzen Tag draußen in der prallen Sonne stehen. Man vergißt, ihnen zu essen und zu trinken zu schicken. Man kommt, sich 276
mit ihnen zu unterhalten, und kugelt sich vor Lachen, wenn Ezzelino inbrünstig beteuert, daß sein Papst über allen Menschen steht... Länger als zwei Monate hält man sie so hin, dann heißt es endlich, die Antwort an den Papst sei fertig, aber nun müßten sie noch auf einen General warten, der vom Hofe des Cha-Chans herkommt. Wieder vergehen drei Wochen, bis der General eintrifft, dann wird eine Woche lang seine Ankunft gefeiert, und schließlich erinnert sich Baitschu an die unglückseligen Gesandten. Als höflicher Gastgeber bittet er seinen Gast, zu entscheiden, ob man sie allesamt doch umbringen oder zurückschicken solle, und der Gast entscheidet: mit einer Gegengesandtschaft zurückschicken. So kommt es, daß die Chronisten plötzlich von tartarischen Gesandten berichten, die der Papst mit höchster Auszeichnung empfing, ihnen im geheimen Scharlachgewänder, die mit kostbaren Pelzen verziert waren, schenkte und beträchtliche Mengen von Gold und Silber gab. Er unterhielt sich mit ihnen lange durch Dolmetscher, aber die ganze Unterhaltung und der Grund ihres Kommens blieb so sehr ein Geheimnis, daß es sogar vor den Klerikern und den intimen Vertrauten des Vatikans verborgen blieb...
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Die Enkel des Welteroberers I. Fünfhundert Wagen, vollbeladen mit Gold, Silber, Seiden und Brokaten, standen bei Kuiuks Thronbesteigung auf einem Hügel in der Nähe des Kaiserzeltes. Das war der Kronschatz Ugedeis - und Kuiuk ließ alles unter die Prinzen und Fürsten verteilen, die nach ihrem Gutdünken ihr Gefolge, ihre Truppen, ihre Diener beschenkten. Alles jubelte: man hatte wieder einen großzügigen, einen freigebigen Cha-Chan. Und er hatte von allen Gesandten Asiens die unbedingte Unterwerfung und persönliche Huldigung ihrer Herrscher verlangt; er hatte in der Antwort, die er den Mönchen aus dem Abendland gab, einen Krieg angekündigt! - Man konnte also wieder auf Ruhm und Beute, auf Reiten und Kämpfen rechnen... Doch alle, die gehofft hatten, daß Kuiuk nur auf Eroberungen ausgehe und sie sonst wie bisher schalten und walten lassen werde, sahen sich bald schwer getäuscht. Kaum waren die Feierlichkeiten und Empfänge vorüber, als er sich schon von seiner Mutter trennte. Dann brach das Strafgericht über alle herein, die die Zeit der Regentschaft für ihre Zwecke mißbraucht hatten. Turakinas Günstlinge wurden hingerichtet, ihre Freundin Fathma als Zauberin ertränkt. Alle Verfügungen seines Vaters Ugedei wurden wieder bestätigt, seine alten Räte von neuem in ihre Amter eingesetzt. Für die Mongolenedlen kamen jetzt Zeiten, in denen sie mit Wehmut an die Gutmütigkeit und Duldsamkeit Ugedeis und an ihre Selbstherrlichkeit unter Turakina dachten. Kuiuk wollte Ordnung und führte sie eisern durch. Den Prinzen, die die Einkünfte aus den ihnen zugeteilten Ulussen leichtsinnig vertan und im voraus verpfändet hatten, verbot er jede weitere selbständige Verfügung über die Provinzen. Er befahl, daß die Heere bei ihren Eroberungen einen Teil ihrer Beute an die Staatskassen ablieferten, und bestrafte die Heerführer und Fürsten, die die eingeborene Bevölkerung unterdrückten und ausplünderten. Und vor allem stärkte er wieder die Macht des Cha-Chans, indem er die Rechte der Tschingisiden in ihren 279
Ulussen, über die sie bisher wie selbständige Herrscher regiert hatten, einschränkte und von ihnen nach dem Gesetz der Jassa unbedingten Gehorsam verlangte. Streng und hochmütig, erlaubte er niemandem in seiner ganzen Umgebung irgendwelche Vertraulichkeiten. Nie sah man ein Lächeln auf seinem Gesicht. Es war schon viel, wenn der Cha-Chan jemand einer direkten Anrede würdigte und seine Befehle nicht erst leise seinen Ministern sagte, die sie dann laut verkündeten. Er wurde ein unnahbarer, harter Herrscher, der sich um alles kümmerte, niemanden ein Unrecht vergab und nicht mit Ermahnungen und Vorwürfen sparte. Nur einem einzigen Menschen hatte er nichts vorzuwerfen, und das war Sjurkuk-Teni, die Witwe von TschingisChans jüngstem Sohn Tuli. Die mongolische Geschichte kennt viele hervorragende Frauen. Frauen, die nach dem Tode des Mannes durch ihre kluge Umsicht und ihre Tatkraft den Stamm vor Zerfall und Untergang retteten, die ihren Mann in den Krieg begleiteten und an seiner Seite kühn kämpften, geschickte Regentinnen, große Intrigantinnen, weise Ratgeberinnen, aber SjurkukTeni war vielleicht die bemerkenswerteste von allen. Eine Nichte des Keraitenherrschers Wang-Chan, wurde sie von seinem Besieger Tschingis-Chan seinem jungen Sohn Tuli zur Frau gegeben. Und so jung sie auch gewesen war, sie mußte es doch verstanden haben, sich besondere Achtung zu erwerben, denn als Tuli starb, wollte der Cha-Chan Ugedei sie mit seinem Sohne Kuiuk vermählen. Sjurkuk-Teni lehnte die Ehre ab, wußte es aber auf eine Art zu tun, daß sie sich weder das Wohlwollen Ugedeis verscherzte, noch Kuiuks Stolz verletzte. Sie erklärte, nur noch für ihre vier Söhne leben zu wollen, um ihnen ihren Uluß in Ordnung und Wohlstand zu erhalten und die Erziehung der jüngsten zu leiten. Und wirklich herschte in ihrem Uluß, in der eigentlichen Mongolei, dem Kernland des Reiches, musterhafte Ordnung. Jeder Stamm kannte genau seine Weideplätze, pünktlich kamen die Abgaben ein, es gab keinen Streit, keinen Neid unter den Häuptlingen. Jede ihrer Entscheidungen war Gesetz, und nie konnte man ihr Ungerechtigkeit vorwerfen. 280
Wie zu Tschingis-Chans Zeiten waren die Häuptlinge in ihren Ordus bereit, auf den ersten Ruf hin mit ihren Kriegern aufzubrechen und dorthin zu eilen, wohin der Cha-Chan es bestimmte, und da zu ihrem Uluß der größte Teil der Nomadenstämme gehörte, war es Sjurkuk-Tenis Einfluß, der dem mongolischen Reich seine Militärmacht frei von Parteihader und Zwietracht jederzeit kampfbereit erhielt. Obgleich sie selber eine nestorianische Christin war, bewies sie nach Tschingis-Chans Gesetz allen Religionen die gleiche Achtung. Sie gab ihrem Sohn Hulagu einen Nestorianer und ihrem Sohne Kubilai einen chinesischen Weisen als Lehrer. Sie selber stiftete eine Moschee und eine mohammedanische Schule, die ihren Namen trug. Sie ließ ihren ältesten Sohn Mönke mit Batu nach dem Westen ziehen, und als Kuiuk mit anderen Prinzen sich von dem Heer trennten, blieb Mönke während des ganzen Feldzuges als treuer Freund an Batus Seite. Aber sobald der Kuriltai angesetzt wurde, ließ sie ihn kommen und reiste mit ihm und den drei anderen Söhnen nach Karakorum, um Kuiuk die Treue zu schwören. Und als Kuiuk die 500 Wagen mit Kostbarkeiten bei seiner Krönung verteilen ließ, war es nicht eine seiner Frauen oder einer der Großen des Reiches, die mit der Verteilung betraut wurden, sondern diese Ehre wurde Sjurkuk-Teni zuteil. Damit bewies Kuiuk, daß er ihr ihre Weigerung, seine Frau zu werden, nicht nachtrug und sie vor allen hochschätzte.
II.
Alle Teile seines Reiches hatte Kuiuk nach seinem Sinne geordnet, die Prinzen überall zu peinlichstem Gehorsam gebracht, die Macht des Cha-Chans gefestigt - nur in die Angelegenheiten eines einzigen Ulusses hat er es vermieden, sich einzumischen: das war der Uluß seines alten Gegners Batu. Batu hatte nicht ohne Grund die Zeit der Regentschaft so lange andauern lassen. Er brauchte sie, um inzwischen seinen Uluß zu einem Reich auszubauen, wie es kein anderes an Macht und Größe gab. Jetzt stand es da, geordnet und gegliedert, vom Aral-See bis an die Karpaten und die Düna - ein 281
seltsames Reich, ganz so, wie es Tschingis-Chan vorgeschwebt haben mag, als er mit seinen Eroberungszügen gegen die seßhaften Völker begann. Jedes Volk, jedes Fürstentum bestand weiter wie bisher, wurde weiter von seinen eigenen Fürsten regiert, aber jeder Fürst mußte den Jarlyk - die Urkunde, die ihm das Recht zur Regierung gab - in dem Ordu des Mongolen holen. Er war dem Chan für Ruhe und Ordnung in seinem Fürstentum verantwortlich, für die pünktliche Abgabe von Steuern, des Zehnten an Pelzen, Tieren, Menschen, an Gold und Geld. Der Chan hatte nichts mit den von ihm unterjochten Völkern zu schaffen, er genoß nur die Früchte ihrer Arbeit. Er war Herrscher der Herrscher, dessen Wort über ihr Leben und ihr Schicksal entschied. Vor seinem Thron wurden die Familienstreitigkeiten der Fürstengeschlechter entschieden, sein Urteil ersetzte das Erbrecht. Wie vor einer Generation das Feldlager Tschingis-Chans der Mittelpunkt der asiatischen Welt war, so wurde jetzt Batus Zeltstadt die Pilgerstätte für die Fürsten seines Reiches, dem der Glanz und die Pracht seines Ordu den Namen „Die Goldene Herde" gab. Und zwischen den Fürstentümern, zwischen den seßhaften Völkern befanden sich an allen strategisch wichtigen Punkten mongolische Lager, zogen in der Nähe dieser Punkte Ordus herum, und zwischen allen Lagern jedes Bezirkes und zwischen den Befehlshabern aller Bezirke war ein ständiger Reiterdienst eingerichtet. In wenigen Tagen konnte an jedem Ende des Reiches, vom Aral-See bis an die Weichsel, eine Armee aufgestellt werden, und dann wehe jedem abenteuerlustigen Nachbarn, jedem aufrührerischen Fürsten, jeder Stadt, die vielleicht gewagt hatte, einem der Baskaken - Steuereintreiber - des Chans seine harten Forderungen zu verweigern. 600 000 Krieger, von denen ein Viertel Mongolen sind, gehorchen Batus Befehl und leben ihr Nomadenleben wie seit ewigen Zeiten, fast ohne Berührung mit den seßhaften Nachbarn. Von dem Herrscher eines solchen Reiches war es sinnlos, mit Gewalt Unterwerfung erzwingen zu wollen, und Kuiuk hegte andere Pläne. Er tat, als hätte er vergessen, daß Batu es 282
war, der vier Jahre lang seine Wahl hintertrieben hatte, dann als einziger nicht zur Krönung erschien und auch nach der Krönung bis jetzt nicht gekommen war, um dem Cha-Chan zu huldigen. Als ob zwischen ihm und Batu alles in bester Ordnung wäre, brach Kuiuk, kaum daß das Reich geordnet war, nach Westen auf und erklärte, den angesagten Feldzug gegen Europa vorbereiten zu wollen, um die so plötzlich unterbrochene Eroberung des Abendlandes zu vollenden. Aber er hatte nur ein ganz geringes Heer bei sich, viel zu wenig für einen solchen Feldzug. Doch sein Weg führte durch Batus Uluß, er konnte ja Batus Truppen aufbieten wollen. Sjurkuk-Teni ahnte Böses. Die Reise ging durch ihr Gebiet, und sie sah, daß Kuiuk krank war. Gliederschmerzen plagten ihn. Um sie zu übertäuben, trank er unmäßig, war noch hochmütiger, noch finsterer als sonst. Es war allgemein bekannt, daß Batu an der Wolga mit einem Ordu von weniger als tausend Kriegern herumzog - und Sjurkuk-Teni entschloß sich, koste es, was es wolle, zu handeln. Sie schickte Batu durch einen Boten eine Warnung. Batu zog ohne viel Aufhebens eine größere Truppe zusammen und brach nach Osten auf, Kuiuk entgegen. Keiner von beiden hatte seine Absichten geäußert. Zog Kuiuk nach Westen, um Batu zur Verantwortung zu ziehen, oder wollte er wirklich mit ihm den Feldzug gegen das Abendland beginnen? Hatte sich Batu aufgemacht, um die unterbliebene Huldigung nachzuholen oder um gegen den Cha-Chan zu kämpfen? Drohte zwanzig Jahre nach Tschingis-Chans Tod ein Bruderkrieg zwischen seinen Enkeln, den beiden mächtigsten Herrschern der Welt? Nur noch wenige Tagesmärsche trennten sie - da stirbt plötzlich Kuiuk über Nacht, nach weniger als zweijähriger Regierung. Sofort nach Kuikus Tod begibt sich Sjurkuk-Teni mit ihren vier Söhnen und den höchsten Stammeshäuptlingen zu Batu. Damit ist die Entscheidung gefallen: Die Prinzen der Linien Dschutschi und Tuli stehen zusammen, und Batu ist als der älteste noch lebende Nachkomme Tschingis-Chans nicht gewillt, sich ein zweites Mal einen feindlich gesinnten ChaChan vorsetzen zu lassen. Er folgt zwar der Tradition und
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überträgt die Regentschaft der ersten Frau Kuiuks, OgulGaimisch, aber zugleich beruft er einen Kuriltai in das Feldlager, in dem er sich gerade bei Kuiuks Tod befindet. Vergebens protestieren die Nachkommen und Angehörigen Kuiuks gegen diese Einberufung, vergebens fordern sie, daß der Kuriltai nach dem Gesetz der Jassa in dem eigentlichen Stammland Tschingis-Chans stattfinde. Alle Prinzen aus Dschutschis und Tulis Geschlecht, alle Feldherren Batus und alle mongolischen Häuptlinge, die, solange es keinen Cha-Chan gibt, nur Sjurkuk-Teni als ihrer Herrin gehorchen, treffen in Batus Lager ein. Die Versammlung umfaßt die Mehrheit der Tschingisiden und die Mehrheit der Armeeführer und erklärt sich für wahlberechtigt. Ein Feldherr, der als Vertreter von Kuiuks Angehörigen gekommen ist, verlangt die Wahl von Ugedeis Enkel Schiramun, den Ugedei zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Das war der Wille des Cha-Chans - und der Wille eines Cha-Chans ist Gesetz. Wie dürfen die Häuptlinge jemanden anders wählen als den, den der Cha-Chan bestimmt hat?... Doch der junge Kubilai, von dem noch Tschingis-Chan selber gesagt hatte: „Wenn ihr nicht wißt, wie ihr etwas tun sollt, dann fragt den Knaben Kubilai!", ruft dem Feldherrn Kuiuks zu: „Dann seid ihr es, die als erste Ugedeis Wort mißachtet habt! Ihr kanntet seinen Willen und habt doch statt Schiramun Kuiuk gewählt! Wie dürft ihr verlangen, daß wir uns jetzt noch danach richten?" Damit ist der Thron für die Nachfolger Ugedeis endgültig verloren. Batu ist der älteste, Batu ist der Herrscher des mächtigsten Ulusses, Sieger über das Abendland - und die Versammlung bietet den Thron Batu an. Batu lehnt ab. Er ist schon an die fruchtbare Wolgasteppe gewöhnt und will sie nicht mehr gegen das rauhe Klima der Mongolei tauschen. Er hat sich sein Reich gebaut, und es genügt ihm. Und nun vergilt er Mönke seine Treue während des Kriegszugs gegen das Abendland, vergilt Sjurkuk-Teni ihre Warnung beim Auszug Kuiuks und nennt Mönke, den ältesten Sohn Tulis, als den würdigsten für den Thron des Cha-Chans. 284
Mönke wird gewählt. Doch um jeden Einwand gegen die Rechtmäßigkeit der Wahl unmöglich zu machen, soll ein neuer Kuriltai im Stammland der Mongolen, zwischen den Quellen des Onon und Kerulen, zusammenkommen, damit sämtliche Prinzen und Fürsten dort, am Fuße des Burkan-Kaldun, der Begräbnisstätte Tschingis-Chans, dem neuen Cha-Chan huldigen. Sjurkuk-Tenis heimlicher Ehrgeiz hat sich erfüllt. Der Wettstreit der Dynastien ist entschieden. Die Nachfolge Tschingis-Chans ist von der Linie Ugedei auf die Linie Tuli übergegangen.
III.
Ein solcher Dynastienwechsel konnte von den Benachteiligten nicht einfach hingenommen werden. Zweimal rief Mönke die Prinzen aus den Geschlechtern Ugedeis und Tschagatais zum neuen Kuriltai. Nach der zweiten Aufforderung brachen sie mit ihrem Gefolge nach der Wahlstätte auf, aber in ihren Wagen führten sie, statt Geschenken und Lebensmitteln, versteckte Waffen, um auf dem Fest den Cha-Chan und seine Anhänger, wenn sie berauscht sein werden, zu überfallen... Der Anschlag wurde entdeckt, die Prinzen mit ihrem Gefolge wurden verhaftet - da erklärten ihre Offiziere, ohne Wissen der Prinzen gehandelt zu haben, und ihr Anführer stieß sich selbst seinen Säbel in die Brust. Diese Handlungsweise war für die Mongolen etwas Neues. Man kannte bisher Verbrechen und die Strafe dafür, aber nicht den Ehrbegriff, der bei Aufdeckung des Verbrechens den Selbstmord als Sühne forderte. Ergriffen wollte Mönke die Verschwörer um ihrer Treue und Liebe zu ihren Herren willen begnadigen, aber die übrigen Fürsten und Heerführer verlangten die volle Bestrafung der Schuldigen; die siebzig Offiziere des Gefolges wurden dem Tode überliefert. Dann forderte Mönke die Regentin Ogul-Gaimisch und die Mutter Schiramuns auf, ihm zu huldigen, aber die beiden Frauen erwiderten, daß Mönke selber einmal Ugedei und seinen Nachkommen Unterwerfung geschworen habe. Nach dieser Weigerung war Mönkes Geduld erschöpft, und 285
nun brach das Strafgericht über alle Verschwörer in seiner ganzen Schwere herein. Die beiden Frauen wurden ertränkt, ihre Ratgeber hingerichtet. Die Prinzen aus Ugedeis und Tschagatais Geschlecht erlitten den Tod oder wurden verbannt, ihrer Truppen beraubt, unter die treuen Fürsten als ihre Untertanen verteilt. Ein Reichsexekutor riegelte mit Batus und Mönkes Heeren die ganzen Länder von der Mongolei bis nach Otrar am Syr-Darja, den ganzen Uluß der Nachfolger Tschagatais, ab - und nirgends blieb einer der Fürsten oder Edlen, die Partei gegen den Cha-Chan ergriffen hatten, am Leben. Zwei andere Richter reisten zu den Heeren in China - dem Uluß der Nachkommen Ugedeis - und sie wurden Tuman für Tuman von den Gegnern gesäubert. Aber so hart und konsequent diese Verfolgung der widersetzlichen Vettern und Neffen durch den neuen Cha-Chan war, sie erschien allen nur selbstverständlich. Niemand, auch nicht die Betroffenen selbst, erwarteten etwas anderes. Jede Milde war Schwäche, und selbst die wenigen Ausnahmen, die Mönke zugunsten der minderjährigen Prinzen oder des Helden des polnisch-schlesischen Feldzugs, Ugedeis Enkel Kaidu, gemacht hatte, genügten, um seine Nachfolger zu zwingen, jahrzehntelange schwere Bürgerkriege zu führen, da diese Prinzen niemals den Übergang der Herrschaft von der Dynastie Ugedei auf die Dynastie Tuli anerkannten und den Kampf gegen sie immer wieder von neuem entfesselten. Doch solange Mönke selbst lebte, gab es keinen Widerstand. Er war das Vorbild des Cha-Chans, wie das Mongolische Reich ihn nach dem Jahrzehnt Zwischenregierungen seit Ugedeis Tode brauchte. Ein echter Mongole alten Schlages, dem Krieg und Jagd einziger Lebenszweck und Lebenssinn waren, erhob er die alte Einfachheit zum Prinzip seiner Herrschaft. Rücksichtslos rottete er die Schmuck- und Verschwendungssucht, die an den mongolischen Höfen eingerissen waren, aus und ging sogar soweit, die Ausgaben seiner Frauen persönlich zu kontrollieren. Es war nicht Geiz, was ihn dazu trieb. Er ließ sämtliche Schuldscheine, die seine Vorgänger und ihre Günstlinge den Kaufleuten ausgestellt hatten, aus der Reichskasse voll bezahlen. Als man ihm berichtete, daß die unterjochten Völker 286
infolge der jahrzehntelangen Ausbeutung verarmt waren, verbot er die Eintreibung rückständiger Schulden und führte entsprechend dem Einkommen progressiv gestaffelte Steuern ein, denn, wie er zu sagen pflegte, es war ihm wichtiger, seine Völker zu erhalten, als seine Schatzkammern zu füllen; und alle Einkünfte aus den Provinzen wurden zum Unterhalt des dort stationierten Militärs und der Postverbindungen verwendet. Wenn die Vasallenfürsten ihm Gold, Silber, Luxusgegenstände als Tribut sandten, erklärte er, er brauche nicht Schätze, sondern Krieger, man solle ihm Truppen schicken. Sein Kampf galt dem Überfluß, dem üppigen Leben, weil sie seine Mongolen verweichlichten und er in ihnen den Geist Tschingis-Chans lebendig erhalten wollte. Mit aller Strenge wachte er darüber, daß sie das harte, allen Gefahren und Unbilden trotzende Kriegervolk blieben, wie zu Zeiten seines Großvaters, damit sie die seit einem Jahrzehnt, seit Ugedeis Tode, an allen Fronten unterbrochene Eroberung der Welt zu Ende führen. Denn diese Generation der Enkel ist in einer Zeit der ewigen Siege aufgewachsen, sie hat seit ihrer frühesten Jugend von nichts anderem als immer entfernteren Feldzügen gehört, immer größere Karawanen mit Beute ankommen, immer zahlreicher die Fürsten zur Huldigung erscheinen sehen, und der Ehrgeiz, es ihren Vätern nachzutun, beherrscht sie. Sie fühlt sich als Vollstreckerin und Vollenderin des Werkes ihres großen Vorfahren. Und doch ist die ganze Geistesverfassung der Enkel anders geworden: Die Arbeit Yeliu-Tschutsais war nicht ohne Wirkung geblieben. Mönke verstand schon die ganze Bedeutung der Zivilisation, wußte Wissenschaft und Kunst zu schätzen. Er sammelte Gelehrte um sich und lauschte gern ihren Disputen über philosophische und religiöse Themen. Als er seinen Bruder Hulagu nach Vorderasien schickte, gab er ihm neben dem Befehl, die Sekte der Assassinen und das Reich des Kalifen zu vernichten, den Auftrag, den berühmten Mathematiker Nasr-ed-Din, der gezwungenermaßen im Dienste des Assassinenherrschers stand, zu befreien und mit allen Ehren nach Karakorum geleiten zu lassen, wo er für ihn ein Observatorium bauen lassen wollte. Er richtete eine 287
Reichskanzlei ein, in der persische, ujgurische, chinesische, tangutische, tibetanische Beamte saßen, und beauftragte sie, Wörterbücher für alle diese Sprachen zusammenzustellen. An seinem Hofe weilten ständig Gesandte aus allen Teilen der Welt, indische, vorderasiatische, russische Fürsten, chinesische Würdenträger, und wir haben in dem Bericht Wilhelms von Rubruk, des Gesandten Ludwigs des Heiligen, an seinen König, ein unfreiwilliges und gewiß unbeabsichtigtes Zeugnis für die geistige Höhe und die politische Beschlagenheit, die um diese Zeit in Mönkes Umgebung herrschte, denn Rubruk haßte die Mongolen.
IV.
Die Gesandtschaft Rubruks hat eine eigentümliche Vorgeschichte: Schon wenige Jahre, nachdem die Mongolen aus Europa abgezogen waren, tauchten im Abendland plötzlich Gerüchte auf, daß der oder jener der „tartarischen" Fürsten zum Christentum übergetreten sei. Sie kamen aus Vorderasien und wurden von den nestorianischen Christen verbreitet, die in zahlreichen Gemeinden über den ganzen Kontinent verstreut lebten. Doch diese Nachricht widersprach zu sehr den furchtbaren Erlebnissen, die man eben erst erfahren hatte, als daß man ihr nicht mit Mißtrauen begegnete. Dieses Mißtrauen schwand erst, als im Dezember 1248 bei Ludwig dem Heiligen, dem König von Frankreich, der gerade auf der Insel Zypern die letzten Vorbereitungen für seinen Kreuzzug gegen Ägypten traf, zwei Männer als Gesandte des mongolischen Statthalters von Vorderasien, Iltschikadai, erschienen und dem König einen Brief überbrachten. In diesem Brief wünschte Iltschikadai den christlichen Waffen den besten Erfolg gegen die Moslems, erklärte, er selber sei nach Vorderasien mit dem Auftrag gekommen, die Christen von der Unterdrückung zu befreien, sie von neuem zu Ehre und Ansehen zu bringen und ihre zerstörten Kirchen wieder aufzubauen, damit sie in Ruhe ihre Gebete verrichten und ihren Geschäften nachgehen können. Und er ließ den König den Wunsch des Cha-Chans wissen, daß man keinen Unterschied zwischen den lateinischen, griechischen, 288
armenischen und nestorianischen Christen mache, da in seinen Augen alle, die das Kreuz anbeten, gleich seien. Die beiden Gesandten, selber nestorianische Christen, erzählten, daß viele Mongolenedle, sofern sie nicht schon Christen geworden seien, im Begriffe stünden, es zu werden, ja, der Cha-Chan selber trage sich mit dieser Absicht... Das war eine unerwartet frohe Botschaft, die den frommen König Ludwig in höchstes Entzücken versetzte. Er überlegte also, womit er dem Cha-Chan am besten seine Freude ausdrücken und ihn gebührend ehren könne, und beschloß auf Anraten der Gesandten, ihm eine kostbare Zeltkapelle zu übersenden. Aus reichem Scharlachstoff mit goldener Borte, auf der die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben Christi in Bildern gestickt waren, dazu ein prunkvoller Altar, alle Meßgeräte und sogar eine so hohe Reliquie wie ein Splitter des Holzes vom heiligen Kreuz - war sie ein wahrhaft königliches Geschenk. Ein Brief des päpstlichen Legaten, der den König in den Kreuzzug begleitete, verkündete dem Cha-Chan die Freude der römischen Kirche über seine Bekehrung und seine Aufnahme in die Zahl ihrer geliebten Kinder und ermahnte ihn, den rechten Glauben unerschütterlich zu bewahren und die römische Kirche als die Mutter aller Kirchen und ihr Haupt als den Statthalter Christi anzuerkennen, dem alle sich zum Christentum Bekennenden Gehorsam schuldeten. Andre de Longjumeau, einer der bedeutendsten Missionare des Orients, bekam den ehrenvollen Auftrag, die Geschenke des Königs und die Botschaft der Kirche nach Karakorum zu überbringen. Das Ergebnis dieser Gesandtschaft war verblüffend: da Kuiuk bereits gestorben war, empfing die Regentin OgulGaimisch die Gesandten, nahm ihre Gaben in Empfang und erklärte öffentlich in einer großen Versammlung: „Der König der Franken hat uns diese Geschenke zum Zeichen seiner Unterwerfung geschickt..." Nach der Anschauung der Mongolen war es selbstverständlich, daß eine mit reichen Gaben in Karakorum ankommende Gesandtschaft gar nichts anderes vorhaben konnte, als irgendwie verbrämt die Unterwerfung ihres Königs zu 289
bringen: der König der Franken hatte eben aus Furcht vor dem von Kuiuk angedrohten Feldzug gegen das Abendland die mongolische Oberhoheit anerkannt. Also ließ OgulGaimisch folgerichtig diesem König bestellen: er möge immer gehorsam bleiben, nicht vergessen, die Tribute regelmäßig zu schicken, und das nächste Mal selber kommen, um seine Huldigung darzubringen. Großmütig übersandte sie ihm auch einige Gegengeschenke, darunter ein Asbesttuch aus China, das durch seine Unverbrennbarkeit in Europa viel Verwunderung erregte und von König Ludwig dem Papst zur Aufbewahrung von Reliquien verehrt wurde... - Von den Nachkommen Tschingis-Chans dachte keiner daran, zum christlichen Glauben überzutreten. Als Andre de Longjumeau sich nach dem unerwarteten Ergebnis seiner Reise wieder auf den Rückzug machte, mag ihm, wie später Rubruk, wohl aufgegangen sein, wie wenig begründet die von den Nestorianern verbreiteten Gerüchte über die Bekehrung der Mongolenedlen waren. Es genügte, daß ein Chan einmal eine seiner christlichen Frauen in die Kapelle begleitete oder die Mönche in seinem Zelte Weihrauch verbrennen und Gebete sprechen ließ, damit sie sofort herumerzählten, daß er sich demnächst taufen lassen werde, obgleich er tags darauf genau so gut dem Gottesdienst in einer Moschee oder einem lamaistischen Tempel beiwohnte, um sich dann noch von den Schamanen Zauberformeln für seine Gesundheit vorbeten zu lassen. Es genügte, daß die Mongolen in ihrer religiösen Toleranz den Christen freie Religionsausübung und den Zutritt zu Beamtenstellungen gewährten, um die an die Unterdrückung durch die Moslems gewöhnten morgenländischen Christen glauben zu machen, die mongolischen Fürsten hätten eine heimliche Neigung zum Christentum. Und da im Orient am meisten das Nestorianertum verbreitet war, mag Longjumeau vielleicht sogar der Verdacht aufgestiegen sein, daß aus dem einfachen Gruß Utschikadais an den König der Franken unter den Händen nestorianischer Beamter in Mongolendiensten mit Absicht ein Segenswunsch für christliche Waffen geworden war. Und daß diese Beamten die Gelegenheit schlau benutzten, um unter Vorschützung des Cha-Chans von dem katholischen 290
König die Gleichberechtigung ihrer als ketzerisch geltenden Sekten mit den Angehörigen der römischen Kirche zu verlangen. Seine ganze Gesandtschaft war die Folge einer Mystifikation... Aber als Andre de Longjumeau wieder in Syrien ankam, war es zu spät, irgendwelche Untersuchungen anzustellen. Ludwigs Kreuzzug hatte bereits ein schlimmes Ende gefunden: Der König war bei Mansurah im Nildelta geschlagen worden, in Gefangenschaft geraten und nur gegen hohes Lösegeld und die Räumung von Damiette wieder freigelassen. Jetzt befand er sich in Palästina, damit beschäftigt, in aller Eile Cäsarea zu befestigen. Und doch, hartnäckig hielten sich Gerüchte, daß wenigstens ein mongolischer Teilchan sich bekehren lassen wollte, und die ungeheure Bedeutung, die eine solche Bekehrung für die christliche Kirche haben mußte, bewog den frommen König von Frankreich, trotz des Mißerfolgs seiner ersten Mission einen neuen Versuch zu wagen. Er suchte sich für diesen schwierigen Auftrag den Franziskaner Wilhelm von Rubruk aus, einen gelehrten Mönch, der sowohl das Abendland wie das Morgenland kannte und den Kreuzzug im Gefolge des Königs mitmachte. Er hatte den Bericht Carpinis gelesen, hat Gelegenheit, sich Longjumeaus Erfahrungen anzueignen, besucht den König Hayton von Armenien, der als Vasall der Mongolen ebenfalls schon in Karakorum gewesen war, und ist so für seine Mission auf das sorgfältigste vorbereitet. Aber Rubruk tritt seine Reise nicht mehr als Gesandter an. Wenn der König von Frankreich nicht endgültig als hilfeflehender Vasall betrachtet werden will, darf er nicht zum zweitenmal, und dazu noch nach seiner Niederlage, Anlaß zu einem Mißverständnis geben, und darum wird beschlossen, daß Rubruk nur als Missionar kommt, um die Erlaubnis zu erbitten, sich im Lande niederzulassen und unter den Mongolen das Christentum zu predigen. Über ein halbes Jahr bleibt Rubruk an Mönkes Hof in Karakorum, an dem Anhänger der verschiedenen Religionen, Mohammedaner, Schamanen, Buddhisten, Christen von allerlei Sekten trotz ihres gegenseitigen Hasses friedlich 291
nebeneinander leben; er lernt Angehörige aller Völker Asiens kennen. Der gelehrte Mann weiß scharf zu beobachten und treffend zu schildern, sein Wunsch ist, dem Abendland eine gründliche Kenntnis des fremden Volkes zu vermitteln, und so wird die Beschreibung seiner Reise und seines Aufenthalts, neben Carpini, der ausführlichste und genaueste zeitgenössische Bericht über die Mongolen. Er begreift, welche Gefahr sie sind; er haßt sie als Feinde der Christenheit, haßt ihren unbekümmerten Hochmut, mit dem sie sich allen Menschen überlegen fühlen. „Sie fragen einen aus, gleich als wollten sie morgen schon herkommen und sich alles nehmen", bemerkt er voller Empörung - aber er muß zugeben, daß sie sehr gut informiert sind. Ein Offizier will von ihm wissen, wer der stärkste Monarch des Abendlandes ist; aber als Rubruk meint, es wäre wohl der Deutsche Kaiser, erwidert der Mongole, das sei nicht wahr, jetzt wäre es der König von Frankreich - und wirklich ist Friedrich II. seit drei Jahren tot, und sein Sohn Konrad kämpft vergebens um sein Erbe. Sie versäumen keine Gelegenheit, um Rubruk in ein Gespräch über europäische Verhältnisse zu verwickeln. Sie sind genau über den Kreuzzug Ludwigs des Heiligen unterrichtet, über seine Niederlage, und zeigen großes Interesse für seine weiteren Pläne... In Karakorum darf Rubruk sich ungehindert bewegen. Er lebt mit nestorianischen Mönchen zusammen und durchschaut ihre Großsprecherei, er vertritt die Sache des Christentums bei einem der Dispute, die Mönke von Zeit zu Zeit zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen veranstaltet. Aber so frei Rubruk sich bewegen kann, ab und zu wird er durch verschiedene Beamte über seine Wünsche und Absichten ausgefragt; man prüft genau seine Antworten, sondiert, was er über die früheren Gesandtschaften weiß, doch da er steif und fest behauptet, nichts als ein Missionar zu sein und nur das Christentum predigen zu wollen, klärt der Cha-Chan selbst ihn schließlich in einer Audienz über die Einstellung der Mongolen zur Religion auf: „Wir Mongolen glauben, daß es nur einen Gott gibt, durch den wir leben und durch den wir sterben. Aber so wie Gott der Hand verschiedene Finger gab, so sind auch die 292
Wege für die Menschen verschieden. Euch gab Gott die Heilige Schrift, aber ihr Christen richtet euch nicht danach." Er dachte wohl daran, wie selbstverständlich die Mongolen jedes Gebot der Jassa befolgten, und an die Art, wie die religiösen Eiferer an seinem Hof ihre Dispute führten, denn er fuhr fort: „Ihr findet zum Beispiel darin nicht, daß einer den anderen herabsetzen darf, nicht wahr?" Rubruk hat die Unterredung mit Mönke wörtlich aufgezeichnet. „Nein, Herr", antwortete er. „Aber ich habe Euch von Anfang an bedeutet, daß ich mit niemand Streit führen möchte." „Ich spreche nicht von dir." Mönke spann seinen Gedanken weiter: „Gleicherweise findet ihr darin nicht, daß jemand für Geld von der Gerechtigkeit abweichen darf." Wieder bezog Rubruk die Rede auf sich: „Nein, o Herr! Ich bin auch wahrlich nicht in dieses Land gekommen, um Geld zu erwerben. Ich habe es vielmehr zurückgewiesen, wenn es mir geschenkt wurde." „Davon rede ich nicht." Plötzlich schloß Mönke: „Euch gab also Gott die Heilige Schrift, und ihr haltet sie nicht. Uns aber gab er Wahrsager, und wir tun, was sie sagen, und leben in Frieden", und erklärte entschieden: „Du hast lange hier verweilt. Ich will, daß du nun zurückkehrst." Der Mönch hat keine Gelegenheit mehr, mit dem ChaChan über den christlichen Glauben zu sprechen. Voll Trauer vermerkt er in seinem Bericht: „Wenn ich die Macht besessen hätte, wie Moses Wunder zu vollbringen, vielleicht hätte er sich gebeugt." Mönke muß wohl Rubruks wahre Mission trotz aller gegenteiligen Behauptungen durchschaut haben, denn er gibt ihm einen Brief an den König von Frankreich mit und bezeichnet ihn darin als Gesandten. Dieser Brief ist wieder nichts anderes als eine Aufforderung an den König der Franken und andere große Herren und Priester, zu kommen und dem Cha-Chan zu huldigen. „Und solltet ihr nicht darauf eingehen, indem ihr sagt: unser Land ist weit entfernt, unsere Gebirge sind hoch, unser Meer ist groß, und solltet ihr in dieser Zuversicht ein Heer gegen uns aufstellen, so wissen wir, was wir geboten haben. Er, 293
der leicht machte, was schwierig war, und der nahe rückte, was entfernt war, der Ewige Gott, weiß es..." Mönke unterschätzt den Gegner nicht, aber er kennt seine eigene Kraft. Die Erfüllung von Tschingis-Chans Vermächtnis, die ganze Welt zu erobern, ist keine Utopie mehr: wenn die Mongolen einig sind, liegt sie jetzt vollkommen im Bereiche der Möglichkeit. Nie wieder ist ein so umfassender Plan, die ganze Erde unter einer Herrschaft zu vereinen, gefaßt worden, und nie wieder war er so nahe seiner Verwirklichung wie dieses Mal. Ein Vierteljahrhundert ist seit Tschingis-Chans Tod vergangen, dreimal haben die Herrscher auf dem Thron gewechselt, unruhige Regentschaftszeiten mit eigennützigen, bestechlichen Regierungen lagen dazwischen, Zeiten inneren Zwistes, der Bruderkriege, eine Dezimierung zweier der vier Zweige der Tschingisiden war erfolgt - aber wie ein unzerstörbarer Fels, wie eine durch nichts zu erschütternde Kraft hatte sich die mongolische Wehrmacht unwandelbar durch alle Wechselfälle erhalten. Mönke kann jetzt wirklich ein Millionenheer von höchster kriegerischer Vollkommenheit aufstellen, eine Lawine, die nur am Rande der Welt haltzumachen braucht, bis es „nur noch einen Herrscher auf Erden gibt wie einen Gott im Himmel". Doch während Tschingis-Chan nur das eine Ziel sah: die Ausbreitung der Herrschaft seiner Nomaden über die ganze Welt, ohne sich irgendwie Gedanken über das Wieso und Warum zu machen, denkt Mönke schon unwillkürlich weiter. Irgendwelche Zweifel, Bedenken über das Später müssen in ihm aufgestiegen sein, denn beinahe hilflos klingt der Satz, den der Mongolenherrscher an König Ludwig diktiert: „Wenn aber durch die Macht des Ewigen Gottes die ganze Welt von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang einheitlich sein wird in Freude und Frieden, dann wird sich zeigen, was wir zu tun haben werden." Die Weltherrschaft ist Mönkes Pflicht, und er wird sie bedenkenlos auf Millionen von Leichen aufrichten - aber was wird er mit ihr anfangen, wenn er sie hat?... Von der Geistesverfassung Tschingis-Chans bis zu der seines ihm in der Art ähnlichsten Enkels Mönke ist ein weiter Weg. 294
Der Generalangriff I.
Mönke hatte die Welt neu verteilt. Als Tschingis-Chan vor seinem Tode die vier Ulusse seiner vier Söhne bestimmte, gab er Ugedei Ostasien und seinen Thron. Jetzt hatten seine Nachfolger beides verloren. Die Heere in Chin waren von ihnen gesäubert, da sie alle Partei gegen den neuen Cha-Chan ergriffen hatten- Ugedeis letzte Nachkommen, die noch über eigene Ulusse verfügten, saßen westlich der Mongolei am Altai. Ostasien war frei, und Mönke setzte seinen Bruder Kubilai, der von dem chinesischen Weisen Yao-shi erzogen worden war, als Statthalter in Chin ein: er sollte die Wiederaufnahme des Kampfes gegen das südchinesische Reich Sung vorbereiten. Zentralasien von Turkestan an nach dem Westen gehörte den Nachfolgern Tschagatais, doch der ihnen von Tschingis-Chan bestimmte Uluß reichte nur bis zum Aral-See und dem Oxus, und Mönke dachte nicht daran, ihre Macht durch Zuweisung der inzwischen dazu eroberten Provinzen Persiens zu vergrößern. Er schickte nach Vorderasien seinen Bruder Hulagu und gab ihm „von je zehn Zelten zwei Krieger", um die Reiche jenseits des Oxus zu unterwerfen. So bekam die mongolische Welt ein neues Aussehen: Tulis Söhne herrschten über sie in ihrer ganzen Ausdehnung vom Chinesischen bis zum Kaspischen Meer, und seinen jüngsten Bruder Arik-Buka behielt Mönke als Stellvertreter bei sich in der Mongolei. Nur Batus Reich, der Uluß Dschutschi, blieb unangetastet, wie es war. Mönke hatte Rubruk, als er ihn nach Europa zurückschickte, gesagt: „Zwei Augen sind im Kopfe, aber obwohl es zwei sind, gibt es nur ein Blickfeld. Wohin das eine sieht, dahin blickt auch das andere. So ist es auch bei mir und Batu: wir wollen das gleiche." Doch so befreundet Mönke mit Batu auch war, die Eroberungen, die er in Asien für sein eigenes Reich noch machen konnte, lagen ihm näher als das Abendland, das nach der Einteilung der Ulusse hätte Batu zufallen müssen. So verdankte Europa einzig seiner Lage im äußersten Westen, daß es 295
von einer neuen mongolischen Invasion verschont blieb, mit der verglichen der erste Ansturm nur ein Vorspiel war. Wieder unternahmen Batus Krieger Raubzüge nach Galizien, Litauen, Estland; sein Statthalter in den russischen Steppen, Nogai, dehnte seine Herrschaft über Serbien und Bulgarien aus, aber nach mongolischen Begriffen waren das nur Grenzgeplänkel; der Generalsturm setzte in Asien gleichzeitig gegen Ost und West ein.
II.
Zwei Aufträge hatte Hulagu vom Cha-Chan bekommen: „Die Burgen der Assassinen zu brechen und dem Kalifen das Joch der Untertänigkeit aufzuerlegen." Dreihundertsechzig dieser Burgen krönten die Felsspitzen des Elburs-Gebirges und verbreiteten ihre Schrecken über die ganze moslemische Welt. Im Jahre 1090 hatte Hassan Ibn Ssabach die fanatische Sekte der Assassinen ins Leben gerufen, nachdem er vorher neun Jahre lang für den mohammedanischen Geheimbund der Ismaeliten Ägyptens Nordpersien durchzogen, Anhänger werbend und den Haß gegen die Seldschukenherrscher predigend. Nördlich von Kaswin, in den schwer zugänglichen Randgebieten des Kaspischen Meeres, herrschte ein kleiner Bergfürst. Seine Felsenburg Alamut - Adlernest - hatte sich Hassan zu seiner Residenz auserkoren. Als heiliger Aszet betrat er sie - und bald war das Wort des Königs nur noch ein leerer Schall. Doch da ein heiliger Mann sich nichts umsonst nimmt, gab er dem König für seine Burg, als er ihn wegschickte, eine Anweisung über 3000 Goldstücke auf die Kasse des Sultans, zu zahlen in der großen Stadt Damegan, und der Statthalter von Damegan wagte nicht, die Zahlung zu verweigern. Herr der Feste Alamut, baute Hassan in einem von Bergen völlig umschlossenen Tal, zu dem ein unterirdischer Zugang von seinem Schloß aus führte, einen paradiesischen Garten, mit vergoldeten Lustschlössern, tropischer Blumenpracht, köstlichen Obstbäumen und schattigen Palmen. Er wählte unter seinen Anhängern junge kräftige Leute von heißen Sinnen und hartem Willen. Gelehrter und Chemiker, 296
kannte er genau die Wirkung des Haschischs und anderer Rauschgifte und wußte sie richtig zu dosieren. Wenn der Jüngling dann aus seinen Haschischträumen in dem Zaubergarten erwachte, umgaukelten die Gestalten seines Traumes seine Sinne weiter. Die schönsten Mädchen, Sängerinnen, Lautenspielerinnen umschwärmten und bedienten ihn. Nie hatte die Phantasie der armen Bergbewohner sich so viel Pracht und Schönheit vorgestellt. Und auf dem Gipfel der Freuden ging alles wieder in Haschischträume über - und dann fand sich der junge Mann an derselben Stelle, an der er eingeschlafen war, aber inzwischen waren Tage und Tage vergangen. Wenn er den Geweihten der Sekte sein Erlebnis erzählte, wußten es alle: er war im Paradies gewesen, wie der Koran es den Gläubigen verheißt, die im Kampfe für ihren Herrn sterben. Die Gnade Hassans hatte ihm die Stätte gezeigt, in die er eingehen wird, wenn er im Dienste des Scheichs-alDschebel - des Herrn von Alamut - stirbt. Von dem Augenblick dieser Erkenntnis an war der Jüngling ein Fedawi, ein sein Leben Opfernder, bereit, im Gewände eines Kaufmanns, eines Bettlers, eines Derwisches über Berg und Tal zu ziehen, Hunderte von Meilen zu wandern, um den Menschen zu töten, den ihn sein Herr und Gebieter bezeichnet hatte. Er kannte keine andere Waffe als den Dolch, denn er wollte seine Tat nicht heimlich ausführen, wollte sich nicht verbergen, sondern selber dabei sterben. Er suchte ja diesen Tod, um schneller in das Paradies einzugehen, sich mit seinem Leben die ewigen Wonnen zu erkaufen. Auf diese Fedawis begründete Hassan Ibn Ssabach seine furchtbare Macht. Ein Menschenkenner und Menschenverächter, von brennendem Ehrgeiz verzehrt, sollte sich alles vor ihm in Angst und Schrecken beugen. Er umgab seine Person mit einem unnahbaren, düsteren Nimbus, häufte alte Pergamente, geheime Schriften, astrologische Symbole und Instrumente um sich. Jede Übertretung seiner Befehle bedeutete den Tod. Er selber verließ nie seine Burg und war nur den höchsten Geweihten sichtbar. Hier auf der Höhe des Felsens saß er nun 34 Jahre, alle Regungen und Bewegungen der islamischen Welt verfolgend und seine Macht aus297
breitend. Durch Kauf, Bekehrung, Verrat brachte er die Burgen des umliegenden Landes in seinen Besitz, spann sein Netz weiter, zog Fäden über den ganzen Iran, über Syrien, Kleinasien bis nach Ägypten. Jeder, der einen Nebenbuhler beseitigt haben wollte, jeder, dem ein Höherer im Wege stand, war sein Agent, der ihm die Geheimnisse seiner Umgebung, die am Hofe gehegten Pläne hintertrug, und immer war ein Fedawi bereit, einen Sultan bei einem festlichen Aufzug, einen siegreichen Feldherrn beim Siegesmahl, einen zu einflußreichen Beamten mit seinem Dolche zu treffen. Kein Wagnis ist ihnen zu tollkühn, keine Tat unmöglich. Kein Mächtiger dieser Erde fühlt sich mehr seines Lebens sicher, denn überall und jeden Augenblick kann der Dolch dieser Fanatiker aufblitzen, die nichts anderes erstreben, als nach vollbrachter Tat unter den Pfeilen der Wache - denn niemand wagt sich ihnen zu nahen - mit dem Kampfrufe: „Wir sind die Opfertiere unseres Herrn!" zu sterben. Und so wagt auch bald keiner, sich einem an ihn ergangenen Befehl des Scheich-alDschebel - des „Alten vom Berge", wie die Kreuzritter den Titel, den Hassan Ibn Ssabach sich und seinen Nachfolgern gab, verdolmetschten - zu widersetzen. Denn auch mancher der vornehmsten Kreuzritter fiel ihrem Dolche zum Opfer und half so um den Preis seines Lebens, den Schrecken vor den „Haschaschin" - den Haschischessern - bis nach Europa hinein zu verbreiten. Ja, als Herzog Ludwig I. von Bayern 1231 auf der Brücke zu Kehlheim ermordert wurde und der Mörder selbst auf der Folter seinen Auftraggeber nicht verriet, glaubte man fest, es wäre die Tat eines Assassinen. So weit war die Furcht vor der Macht des „Alten vom Berge" gedrungen. In ganz Vorderasien gab es keinen Fürstenhof, an dem nicht der Dolch eines Assassinen in den letzten anderthalb Jahrhunderten seine blutige Ernte gehalten hätte. Vergebens versuchten die islamischen Sultane und Schahs schon ein dutzendmal, diese Mördernester auszuheben - wer nicht bereits bei den ersten Vorbereitungen den Dolchstoß eines „Fedawi" - eines „sein Leben opfernden", fanatischen Anhängers dieser unheimlichen Sekte - erlag, mußte sehen, wie in seinem Rücken Aufstände ausbrachen, Mordtaten sich 298
häuften, und schließlich erkennen, daß diese Schöpfung des furchtbaren Hassan Ihn Ssabach stärker war als er. Nur die Angst vor der Rache der Mongolen vermochte die iranischen Fürsten zu zwingen, ihre Scheu vor der unheimlichen Sekte zu besiegen und sich Hulagu anzuschließen, als er sie zum Kampf gegen die Assassinen aufrief, um sie „bis auf das Kind in der Wiege" auszurotten. Doch sogar die Mongolen waren nicht imstande, die Stärke von Alamut zu brechen. Drei Jahre lang stand die mongolische Armee, die sonst Städte und Festungen überrante, vor der uneinnehmbaren Felsenburg, bis nach dem Tode des Scheichs al-Dschebel sein schwacher Nachfolger sich aus Hungersnot ergab. Und immer noch waren 100 Assassinen-Burgen im Elburs-Gebirge nicht erobert. Da zwang Hulagu dem gefangenen Scheich einen Befehl an die Kommandanten dieser Burgen ab, daß sie die Tore öffnen und die Befestigungswerke schleifen lassen sollten und rottete ihre Besatzungen aus. Doch als man dann daran ging, die Mauern von Alamut selbst niederzulegen, erwiesen sie sich als so fest, daß Hacke und Beil nichts dagegen vermochten. Den gefangenen Herrscher der Assassinen schickte Hulagu nach Karakorum zu Mönke - aber er wurde unterwegs ermordert, und bestimmt nicht von Mongolen, die es nie gewagt hätten, eine an den Cha-Chan geschickte Person anzutasten. Auch die Geheimschriften der Assassinen wurden verbrannt, bevor man ihrer habhaft werden konnte. Sechs Wochen nach dem Fall von Alamut überschritt das mongolische Heer bereits den Tigris, ritten Hulagus Boten zum Kalifen Mustassim, dem Enkel jenes Nasir, der TschingisChan zum Krieg gegen den Choresm-Schah aufgefordert hatte. Fünf Jahrhunderte lang stellte die Dynastie der Abassiden die Kalifen von Bagdad, die auch nach dem Verlust ihrer weltlichen Großmacht die geistige Oberherrschaft über die moslemische Welt behielten. Und alle Sultane und Schahs hatten sich ihr beugen müssen. - Hulagu verlangte von dem Kalifen die Schleifung der Festungswerke von Bagdad, Huldigung und Tributzahlungen. 299
Der Kalif antwortete: „Junger Mann, verführt durch zehn Tage des Glückes bist du in deinen eigenen Augen der Herr des Universums und denkst, daß deine Befehle Entscheidungen des Schicksals sind. Du verlangst, was nie gegeben wird. Weißt du nicht, daß von West bis Ost alle, die dem wahren Glauben anhängen, meine Diener sind? Wenn ich es wünschte, könnte ich mich zum Herrn des ganzen Irans machen, aber ich habe keinen Wunsch, den Krieg heraufzubeschwören. Gehe also den Weg des Friedens und kehre nach Chorassan zurück." Der Gesandte Mustassims warnte, daß, wer die Hand an die geheiligte Person des Kalifen lege, verderbe, und Hulagus Astrologe, ein gläubiger Moslem, sagte sechs schwere Unglücke voraus, wenn die Mongolen die Hauptstadt des Islams angreifen wollten... Die Prophezeiung kostete den Astrologen das Leben, und der nächste Wahrsager versprach Hulagu bereits den vollen Erfolg. Nach einer Woche wurde das Heer des Kalifen geschlagen, und einen Tag später standen die mongolischen Vorposten vor Bagdad, dem religiösen Mittelpunkt des Islams. Nach drei Wochen Belagerung ergab sich der Kalif. Sechs Tage und Nächte wurde die Stadt geplündert, die Moscheen verbrannt, die Menschen getötet - nach sechs Tagen erklärte Hulagu sie als sein Eigentum, die noch lebenden Bewohner als seine Untertanen und verbot jede weitere Gewalttat. Den Christen, die sich in ihren Kirchen versammelt hatten, war von Anfang an nichts geschehen, denn es war die alte Politik der Mongolen, den Bevölkerungsteil zu gewinnen, der der herrschenden Nation feindlich war. Der Kalif mußte selber die Verstecke seiner Reichtümer angeben, und alle Schätze, die die Abbassiden im Laufe eines halben Jahrtausends zusammengebracht hatten, häuften sich vor dem Zelte von Tschingis-Chans Enkel. Hulagu hielt dem Kalifen, der in der Gefangenschaft nichts zu essen bekommen hatte, einen Klumpen Goldes hin: „Da, iß!" befahl er. - „Gold kann man doch nicht essen!" sagte der Kalif. - „Wenn du das wußtest, warum hast du es mir nicht geschickt?" erwiderte der Mongole. „Dann hättest du jetzt in Frieden in deinem Schloß gesessen und sorglos gegessen und getrunken!" Und er ließ ihn von Pferdehufen zu Tode trampeln. 300
Dann brachen die Mongolen gegen Mesopotamien und Syrien auf. Nur die Städte, die sich sofort ergaben, wurden geschont, Fürsten, die zur Huldigung kamen, in ihren Würden und ihrem Besitz gelassen. Aleppo, das sich widersetzte, wurde gestürmt und fünf Tage lang geplündert, die Einwohner getötet oder in die Sklaverei geschleppt. Damaskus, das Hulagu die 'Tore öffnete, blieb unversehrt, ein moslemischer Prinz wurde als Herrscher eingesetzt. Einmal verlangten die Verteidiger einer Festung, ein Moslem solle auf den Koran schwören, daß den Einwohnern nichts geschehen werde, da ihnen Hulagus Religion unbekannt sei. Der Schwur wurde geleistet, und dann die ganze Bevölkerung trotzdem niedergemacht - weil sie an Hulagus Wort gezweifelt hatte... Tschingis-Chan hatte die Eroberung Vorderasiens mit der Vernichtung des Choresm-Reiches begonnen, unter Ugedei dehnten die mongolischen Heere ihre Herrschaft bis nach Armenien aus, Hulagu hatte mit der Zertrümmerung des Kalifats die Eroberung Vorderasiens ihrer Vollendung nahegebracht. Unaufhaltsam drangen jetzt seine Mongolen durch Mesopotamien und Syrien bis an die Mittelländische Küste vor. Und wieder jagte der panische Schrecken ihnen voraus. Aus allen Städten flohen die Moslems, Eigentum wurde verschleudert, während der Preis von Kamelen märchenhaft stieg. Nur noch eine einzige Zufluchtstätte gab es: Ägypten, das letzte Bollwerk des Islams. Und schon schickte Hulagu seine Gesandten an den Sultan von Ägypten mit der Aufforderung, sich zu unterwerfen...
III.
Die Lage im Osten war militärisch und wirtschaftlich verfahren. Nach dem Tode Ugedeis hatten die Mongolen, ohne feste Führung, ohne Kriegsplan, sich damit begnügt, von Nordchina aus den Truppen des südchinesischen Reiches Sung Grenzkämpfe zu liefern, und als neue fähige Generäle der Sung nicht nur Widerstand leisteten, sondern selber zum Angriff übergingen und ihnen verschiedene Städte entrissen, kehrten die mongolischen Befehlshaber zu der alten Taktik der Steppenvölker zurück: zu Einfällen in die gegnerischen Provinzen mit dem ausschließlichen Zweck, zu rauben und 301
sich zu bereichern. Die Folge war, daß die Städte und Dörfer verödeten, die Felder sich mit Unkraut und Gestrüpp bedeckten. Zwischen den beiden Reichen Chin und Sung hatte sich eine breite, wüste Zone gebildet... Da jetzt nun der Generalangriff gegen die Sung beschlossen war, unternahm Kubilai zuerst einen Umgehungsfeldzug, der gleichwertig neben die kühnsten Taten Tschingis-Chans und seiner Feldherren gestellt werden kann: Das Reich Sung war in der ganzen Länge seiner Nordgrenze durch die Fluten des Hwai-ho und des Han-kiang, durch Gebirge und Festungen geschützt. Es nur vom Norden her bezwingen zu wollen, war aussichtslos. Hundert Jahre lang könnte es in seinen Tiefen Armeen aufstellen und sie gegen die Grenze schicken, hundert Jahre lang immer neue Festungsreihen hinter der Grenze aufrichten. Wenn man gegen das Reich Sung mit Erfolg kämpfen wollte, mußte es, wie ehemals das Reich Chin, vom Westen her umgangen und dann vom Norden und Süden zugleich angegriffen werden. Aber das Reich Sung stößt im Westen auf eine unüberwindliche Barriere, auf mehr als tausend Kilometer lange, ungeheure Gebirgszüge, wilde Ausläufer des Kuen-lun und des Himalaja, die wie eine Mauer die Weiten Chinas von der Hochebene Tibets hermetisch abschließen. Und in diese gewaltige Bergwelt, die als unpassierbar gilt, dringt Kubilai mit 100 000 Mann ein. Er bricht von Ninghsia, der alten Hauptstadt von Hsi-Hsia, auf und führt seine Reiter durch ein Flußtal nach Süden in die Region der Eisriesen, übersteigt irgendwelche Pässe, kommt in andere Stromgebiete, wendet sich nach Westen, reitet mit seinen Leuten über Bergpfade, eisige Hochtäler in die Grenzgebiete Tibets. Kriegerische Stämme, die keinen Herrscher über sich kennen, die jeden Pfad und jeden Steg verteidigen, verlegen ihm den Weg. Täglich müssen die Mongolen kämpfen, täglich siegen sie. Stamm für Stamm wird unterjocht, muß Führer bis zu dem Gebiet des nächsten Stammes stellen, muß Lebensmittel liefern, muß durch seine eigenen Krieger die Lücken füllen, die er in die Reihen der Mongolen geschlagen hat. So geht es unaufhaltsam, Schritt für Schritt sich erkämpfend, vorwärts über 1500 Kilometer einer Bergwelt, durch die 302
noch kein Heer je gedrungen ist. Dann steht Kubilai am Kin-scha-kiang an der Grenze des heutigen Jünnan. Hier sperren ihm die Truppen des Königreichs Nan-Tschao, unterstützt von sämtlichen eingeborenen Völkerschaften, den Übergang. Seine Gesandten, die die Unterwerfung fordern, werden ermordet. Die Mongolen greifen an, schlagen die Feinde. Der König rettet sich in eine Bergfestung, sie wird gestürmt. Er flieht in die Stadt Jünnan. Kubilai schickt seinen Feldherrn Uriang-katai, einen Sohn des großen Ssubutai, ihm nach und marschiert selbst gegen die Haupstadt des Landes, Ta-li. Es ist eine stark befestigte Stadt, und morgen soll sie gestürmt werden. Kubilai sitzt am Lagerfeuer mit seinem alten chinesischen Lehrer, dem Weisen Yao-shi. Und Yao-shi erzählt ihm von einem legendären chinesischen Feldherrn, der einst eine feindliche Stadt eingenommen hatte, ohne einen Menschen zu töten, ohne daß in der Stadt die Läden geschlossen worden wären. Kaum hat Yao-shi seine Erzählung beendet, da ruft Kubilai: „Was du da erzählst, ist eine Sage, ich aber werde morgen das gleiche wirklich tun!" Und er befiehlt seinen Mongolen, vor der Hauptstadt Ta-li riesige Seidenfahnen zu entfalten mit der Aufschrift: „Bei Todesstrafe! Nicht töten!" und schickt drei Offiziere in die Stadt mit der Aufforderung, sich zu ergeben. Die beiden Kommandanten töten die Gesandten, aber inzwischen sind die mongolischen Truppen mit den Fahnenträgern an der Spitze in die Stadt eingedrungen. Sie sprengen durch alle Straßen mit dem Ruf: „Bei Todesstrafe! Nicht töten!" Sie tragen die Fahnen über Märkte und Plätze und nirgends erhebt sich eine Hand gegen sie. Kein Mongole und kein Bewohner der Stadt verliert das Leben. Nur die beiden Kommandanten läßt Kubilai hinrichten - weil sie seinen Befehl, nicht zu töten, übertreten haben. Dann eilt er selbst nach der Stadt Jünnan, und als der König, der keine Rettung mehr sieht, sich ergibt, geschieht ihm nichts, obgleich er Kubilais Gesandte ermorden ließ, ein Verbrechen, das von den Mongolen bisher unweigerlich mit Ausrottung aller Schuldigen beantwortet wurde. Er wird nur nach Karakorum geschickt, um Mönke zu huldigen, und darf wieder als Vasallenfürst in sein Reich zurückkehren. 303
Fünf Vierteljahr hat der Zug über die Gebirge und die Eroberung von Jünnan gedauert, dann ist das Land in den Händen der Mongolen, und Kubilai kehrt nach Chin zurück, es Uriang-katai überlassend, sich die Basis im Rücken des Sung-Reiches zu sichern und auszubauen. Uriang-katai zog wieder in die tibetanischen Grenzgebirge, besiegte vierzig verschiedene Volkschaften, die sich in ihren Bergfestungen sicher vor jedem Feind wähnten, und drang dann nach Tong-king, einem Vasallenstaat der Sung, obgleich sein brütend heißes Klima für die Mongolen tödlich war. Der König von Tong-king trat ihm mit einer riesigen Armee entgegen. Zum erstenmal sahen sich die Mongolen Kampfelefanten gegenüber, ihre Pferde scheuten vor diesen Ungetümen und waren nicht zum Angriff zu bewegen. Da ließ Uriang-katai seine Truppen absitzen und die angreifenden Elefanten mit brennenden Pfeilen überschütten. Die rasend gewordenen Tiere gehorchten ihren Führern nicht mehr und brachen in die Reihen des eigenen Heeres ein, zertrampelten Reiter und Soldaten, und ihnen nach stürmten die Mongolen gegen den in Verwirrung geratenen Feind. Die Tong-kinesen flüchteten, ihr König rettete sich auf eine Insel, und Uriang-katai verwüstete das Land, verbrannte die Hauptstadt Hanoi und tötete ihre Einwohner zur Rache für die grausame Behandlung seiner Gesandten. Von den 100 000 Mongolen, die mit Kubilai auszogen, waren nur noch 20 000 am Leben. Vier Fünftel des Heeres waren gefallen oder an Krankheiten gestorben, aber sie wurden durch Eingeborene aller besiegten Völker ersetzt, und das Heer ist kampfbereit wie am ersten Tage. Mönke kann zufrieden sein, seine Mongolen sind genau so, wie er sie haben will, harte und unerbittliche Krieger, die weder für andere noch für sich Schonung kennen, sind genau dieselben, wie zu TschingisChans Zeiten. Nur einen Augenblick lang schien es, als wäre ein anderer Geist auch in die Krieger gekommen, und das war, als Kubilai sie geführt hatte. Ein so kühner und fähiger Feldherr Kubilai auch war, seine chinesische Erziehung verleugnete sich nicht. Seine erste Handlung nach der Ernennung zum Statthalter in Chin war die Berufung seines alten chinesischen Erziehers Yao-shi
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gewesen. Yao-shi überreichte Kubilai eine von ihm verfaßte Denkschrift über die beste Erziehungsart. Die Denkschrift hatte acht Kapitel: über die Notwendigkeit, sich selbst zu läutern, eifrig zu lernen, die Weisen zu verehren, die Verwandten zu lieben, den Himmel zu fürchten, Mitleid mit dem Volk zu haben, das Gute zu lieben und die Schmeichler fernzuhalten. Und bei der Überreichung der Denkschrift gab Yao-shi als echter Chinese seinem Zögling den Leitsatz: „Der Schwerpunkt aller Länder und Völker und aller Reichtum befinden sich im Reich der Mitte. O Fürst! Aber man wird versuchen, Euch und das Volk zu trennen. Es ist daher für Euch besser, nur die Macht über das Heer zu haben und die Regierung den Beamten zu überlassen." Und Kubilai hatte den Rat befolgt, sich mit der Führung der kriegerischen Operationen begnügt und für die Verwaltung der Provinzen eine Zivilbehörde eingerichtet, in der Chinesen saßen. Er gab den Bauern Saatgut, Ochsen und Kühe, teilte auch an die Garnison Land aus und ließ die Soldaten sich ansiedeln. Das war derselbe Geist, der ihn schon bei seinem Feldzug auszeichnete und der die Mongolen mit Mißtrauen erfüllte. Kubilai gewann mit diesen Maßnahmen die Herzen der Chinesen, doch er machte sich damit an Mönkes Hof verdächtig. Als er jetzt nach der Rückkehr in seine Provinzen wieder keine Steuern erhob, um erst die Schäden des Krieges heilen und die verarmte Bevölkerung zu einem gewissen Wohlstand kommen zu lassen, berief Mönke den Bruder von seinem Posten ab. Er befahl ihm, sofort nach der Mongolei zurückzukehren, und schickte einen neuen Statthalter nach Chin, der als erstes die von Kubilai eingesetzte chinesische Zivilverwaltung zusammentreten und alle ihre Spitzen hinrichten ließ. Der empörte Kubilai wollte auf der Stelle seine Truppen mobilisieren und gegen seinen Bruder ziehen, aber der weise Yao-shi riet ihm: „Du bist der erste Untertan deines Bruders und mußt ein Beispiel von Unterordnung und Gehorsam sein. Schicke deine Frauen und deine Kinder hin und fahre selber zu ihm und biete ihm deinen ganzen Besitz, dein und ihr Leben an." Und wieder war Kubilai so weise, dem Rat zu folgen.
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Als der Cha-Chan seinen Bruder demütig und ergeben seinem Befehle gehorchen sah, vergaß er sein Mißtrauen und alle gegen Kubilai erhobenen Beschuldigungen. Das Wiedersehen wurde zu einer rührenden Versöhnung. Beide Brüder konnten ihre Tränen nicht zurückhalten, sie umarmten sich; Mönke bestätigte Kubilai vor allen in seinem Lehen, dann wurden große Feiern anberaumt; und während dieser Feiern beschloß man, den Krieg gegen die Sung, die wieder einmal eine Gesandtschaft gefangengesetzt hatten, endgültig aufzunehmen, getreu dem Vermächtnis Tschingis-Chans: ,Jeden begonnenen Krieg unter allen Umständen bis zum Ende durchzuführen." Mönke wollte selber an dem Feldzug teilnehmen. Er ließ seinen jüngsten Bruder Arik-Buka als Statthalter in Karakorum zurück und pilgerte zu den Quellen des Onon und des Kerulen, um hier, am Grabe Tschingis-Chans, dem Himmel zu opfern und seinen Segen für den bevorstehenden Feldzug zu erflehen. Und dann begann von drei Seiten gleichzeitig der konzentrierte Angriff auf das chinesische Südreich. Mönke drang vom Nordwesten her mir drei Armeen in Sze-tschuan ein, eroberte eine Reihe von Städten und begann die Belagerung der mit aller Kriegskunst und -technik verteidigten Schlüsselfestung Ho-tschau. Kubilai fiel vom Norden, von Honan her, in das Reich ein, eroberte das Land nördlich vom Jang-tse-kiang, überschritt den Strom und umschloß das mächtige Wu-tschang-fu, während Uriang-katai vom Südwesten her, aus Jünnan, sengend und mordend durch die Südprovinzen nach Osten drang, um dann, in einer plötzlichen Schwenkung nach Norden, Kwei-ling-fu zu nehmen und der Ebene des Jang-tse-kiang zuzustreben. Schon drohte eine Vereinigung mit den Truppen Kubilais und damit die Zerschneidung des Reiches in zwei Teile. Der Jang-tse-kiang, die Pulsader des Reiches, mußte vor allem geschützt werden. Der erste Minister der Sung, Kia-setao, eilte an der Spitze eines gewaltigen Heeres zum Entsatz von Wu-tschang und Han-kou, aber statt sich in einen Kampf einzulassen, hielt er es für ratsamer, mit Kubilai in Verhandlungen einzutreten. Er bot ihm jährliche Tribute in Gold und Seide an, wollte die Grenze zwischen den beiden Reichen neu 306
festsetzen lassen, ja, er willigte sogar ein, die Oberhoheit der Mongolen über das Sung-Reich anzuerkennen... In diesem Augenblick traf bei Kubilai die Nachricht ein, daß unter Mönkes Truppen vor Ho-tschau eine Ruhrepidemie ausgebrochen und der Cha-Chan selbst ihr erlegen sei. Seine Truppen hoben bereits die Belagerung auf und bereiteten die Rückkehr in die Mongolei vor. Sofort nahm Kubilai das Angebot des Sung-Ministers Kia-se-tao an und eilte nach Norden in seine Provinzen.
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Kubilai I. Das Gesetz der Jassa hatte bestimmt, daß nach dem Tode des Cha-Chans alle Prinzen aus Tschingis' Geschlecht, wo sie sich auch befanden, nach der Mongolei aufbrechen und dort gemeinsam den Würdigsten aus ihrer Mitte zum Herrscher wählen sollten. Doch bei Mönkes Tode saß der Chan der „Goldenen Horde", Batus Nachfolger Börke, von Gelehrten und Künstlern umgeben, an der Wolgamündung, mit dem Bau seiner Hauptstadt Neu-Sarai beschäftigt; die Feldzüge seiner Truppen, die wieder einmal Polen und Litauen verheert und Strafexpeditionen gegen die russischen Städte, in denen mongolische Steuereinnehmer erschlagen worden waren, unternommen hatten, lagen ihm näher als die Frage, welcher von Mönkes Brüdern den Thron besteigen werde... Hulagu, der Regent Vorderasiens, war nach der Vernichtung des Kalifats und der Huldigung der Seldschuken-Sultane Kleinasiens gerade dabei, Syrien zu erobern und sich so ein Reich zu schaffen, das vom Oxus bis Afrika reichte. Er brach zwar zu einer Reise nach der Mongolei auf, aber da in seiner Abwesenheit der Sultan von Ägypten die mongolischen Vortruppen an Syriens Grenzen geschlagen und ihren Befehlshaber, den Feldherrn Ket-Buka, getötet hatte, kehrte er schleunigst um... Nur Kubilai ließ den jüngsten seiner Brüder, Arik-Buka, der bei Mönkes Aufbruch gegen die Sung als Statthalter in Karakorum geblieben war, wissen, daß er nur noch seine Truppen in ihre Distrikte zurückführen wolle, um dann zum Kuriltai zu kommen. Doch die Häuptlinge der Mongolei waren voll Mißtrauen gegen Kubilai. Er war kein echter Nomade mehr wie sie, er dachte nur an seine Chinesen, daß man ihnen nichts zu leide tat, umgab sich mit ihren Gelehrten; aber da er im Rat und als Feldherr großes Ansehen genoß, war, wenn er erst zum Kuriltai kam, die Gefahr groß, daß er doch zum Cha-Chan gewählt würde. Also versammelten sie sich in aller Eile und setzten Arik-Buka auf den Thron. Sie behaupteten, damit 309
Mönkes Willen zu erfüllen, denn da er Arik-Buka als seinen Stellvertreter in der Mongolei zurückgelassen hatte, wünschte er ihn zu seinem Nachfolger... Die Antwort erfolgte sofort: Kubilai ließ sich auf einem Kuriltai in Schang-tu am Dolon-Nor von seinen Verwandten, seinen mongolischen Generälen der Armeen in China und den mongolischen Statthaltern der chinesischen Provinzen ebenfalls zum Cha-Chan ausrufen. Dreißig Jahre nach Tschingis-Chans Tod war sein Gesetz, das die Wahl des Herrschers in Anwesenheit aller Nachkommen befahl und die Aufstellung eines Gegenherrschers bei Todesstrafe verbot, vergessen, und was er für Jahrtausende verhindern wollte: Erbfolgekriege, war schon eingetreten: zwei seiner Enkel, die beide noch zu seinen Lebzeiten geboren waren, standen im Begriff, mit Waffengewalt um seinen Thron zu kämpfen. Doch dieser Kuriltai am Dolon-Nor hatte nicht nur einen Gegenherrscher aufgestellt - er war einer der wichtigsten Wendepunkte der Weltgeschichte, denn er gab dem mongolischen Reiche eine neue Richtung und veränderte damit das ganze Schicksal Asiens: Kubilai genügt diese Wahl nicht, er weiß, wie anfechtbar sie ist, und so läßt er sich von chinesischen Fürsten, Generälen, Mandarinen zum „Sohn des Himmels" krönen. Wie Karl der Große, Erbe der Germanenherrscher, sich durch seine Krönung in Rom auch zum Erben der Cäsaren machte, so trat der Cha-Chan Kubilai als „Sohn des Himmels" das vieltausendjährige Erbe der chinesischen Kaiser an. Und er ging noch weiter als Karl der Große, indem er seine Residenz aus der mongolischen Steppe nach China verlegte. Niemals dachte der Welteroberer Tschingis-Chan, niemals noch Mönke, der letzte echte mongolische Cha-Chan, daß ihr Nachfolger ein chinesischer Kaiser sein wird und sie selber in die Ahnengalerie der chinesischen Dynastien eingehen. Denn was jetzt kam, war das, was zwangsläufig folgen mußte: durch die Verlegung der kaiserlichen Residenz aus der Nomadenheimat in das uralte, riesenhafte Yen-king, das wir heute Peking nennen, verschob Kubilai die Achse der Weltherrschaft. Indem er aus einem mongolischen Eroberer Chinas zum Herrscher der Chinesen wurde, verwandelte er 310
die Mongolei, das Kernland des Weltreiches TschingisChans, in einen bloßen Militärbezirk, in eine Provinz des erweiterten chinesischen Reiches, und stellte die mongolische Macht in den Dienst Chinas. Diese Wandlung war der Sieg Yeliu-Tschutsais über Tschingis-Chan, der Triumph des besiegten Kulturträgers China über die siegreichen barbarischen Mongolen. Die erste Auswirkung dieser Wahl am Dolon-Nor war eine heftige Reaktion des nationalen Mongolentums, das sein Mißtrauen voll gerechtfertigt, seine schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen sah. Die meisten Nachkommen Ugedeis, Tschagatais, Mönkes scharten sich um so enger um Arik-Buka, der sofort den Kampf gegen seinen Bruder aufnahm. Doch nun erwies es sich, daß Kubilais Tat nur der äußere Ausdruck einer tatsächlich bereits vollzogenen Machtverschiebung war. Arik-Buka wird von den mongolischchinesischen Truppen Kubilais geschlagen. Seine Hauptstadt Karakorum ist vollkommen auf die Zufuhr aus China angewiesen und wird einfach ausgehungert. Die noch im Westen Chinas, in Schen-si und Sze-tschuan stehenden Truppen Mönkes müssen nach einer Niederlage die Provinzen vor Kubilai räumen. In die öde Westmongolei zurückgedrängt, mit einer schlecht versorgten Armee, der es an Lebensmitteln fehlt, deren Pferde nach Winterhungern schwach sind, hat Arik-Buka keine Hoffnung, dem wohlausgerüsteten Heer Kubilais widerstehen zu können. Er heuchelt Ergebung, will, sobald die Pferde sich erholt haben, zur Huldigung kommen. Kubilai glaubt seinen Worten, läßt eine Vorhut in der Mongolei zurück und schickt die übrigen Truppen in ihre Distrikte. Da bricht Arik-Buka sein Wort, überfällt und vernichtet den Vortrupp und überquert die Wüste. Kubilai zieht sein Heer wieder zusammen, schlägt Arik-Buka an der Grenze der Gobi - und verbietet seinen Soldaten, den Fliehenden zu verfolgen. „Das sind unbesonnene Streiche", sagt er. „Wenn er jetzt Muße haben wird, nachzudenken, wird er sie bereuen." Doch der listige, verschlagene Mongole kennt keine Reue. Er sammelt neue Truppen und beginnt den Kampf 311
immer wieder von vorn, bis er, zuletzt völlig erschöpft und wegen seiner Grausamkeit gegen mongolische Offiziere der gegnerischen Armee von den eigenen Anhängern verlassen, sich auf Gnade und Ungnade ergeben muß. Und Kubilai ist wieder so großmütig, ihm das Leben zu schenken. Doch auch damit erlischt der mongolische Widerstand nicht. An die Spitze der Aufständischen stellt sich Kaidu, der Held des polnisch-schlesischen Feldzugs beim Einfall in Europa, der Enkel Ugedeis. Er fühlt sich als der rechtmäßige Erbe und Wahrer des reinen Mongolentums - und es ist bezeichnend für die Wandlung, die sich schon vollzogen hat, daß seine Kampfesweise gegen Kubilai völlig der Art gleicht, auf die die früheren mongolischen Häuptlinge Krieg gegen die Kaiser von Chin geführt hatten: Sobald er in den Weiten Turkestans und in den Schluchten des Altai, wo sein und seiner Anhänger Ordu liegen, genügend Krieger und Kriegsmaterial aufgebracht hat, dringt er irgendwo in Kubilais Reich plündernd ein. Und die Kriegführung Kubilais ist wiederum dieselbe wie vormals die der Kaiser von Chin. Wie diese sich früher nur durch Wachtruppen längs der Großen Mauer gegen die Barbaren abriegelten, so fällt es auch Kubilai nicht ein, seine Heere in das wilde Altai-Gebirge zu schicken. Es genügt ihm, die ganzen Länder Kaidus durch Militärkordons abzusperren, um erst, wenn es Kaidu gelingt, den Kordon zu durchbrechen, eine Armee gegen ihn aufzustellten. Es ist wieder das uralte Verhältnis Chinas gegen seine ewig unruhigen Nomaden-Nachbarn, nur das jetzt Chinas Grenzen bis an den Altai ausgedehnt sind und die Überfälle nicht mehr wichtige Zentren des Reiches treffen können. Die Mongolen sind nicht schwächer geworden, aber das mongolisch regierte China stärker. Selbst als es Kaidu gelingt, einmal 100 000 Reiter ins Feld zu führen, wird er doch bereits in der Mongolei abgefangen und geschlagen, denn seine Gegner sind nicht mehr die früheren schwerfälligen Chinesenheere, sondern mongolische Reiter wie die seinen, und noch besser diszipliniert, besser ausgerüstet, in geschickter Weise mit Fußtruppen zu Kampfeinheiten zusammengestellt. Beim Vormarsch wie beim Rückzug sitzen die Fußsoldaten, mit kurzen Lanzen und Schwertern bewaffnet, hinter dem Reiter, um vor der Schlacht 312
abzusitzen und während des Reiterkampfes die Pferde der Gegner zu treffen. Und wie ehemals die mongolischen Raubeinfälle die Kaiser von Chin nicht von anderen kriegerischen Unternehmungen abgehalten hatten, so hindern auch Kaidus Überfälle Kubilai keineswegs daran, den großen Kampf gegen das Sung-Reich wiederaufzunehmen. Denn der SungMinister Kia-se-tao hatte seine Verhandlungen mit Kubilai nicht mit der Absicht geführt, sie zu halten, sondern nur, um die „Barbaren" zu täuschen. Noch nie hatte Chinas Süden unter Fremdherrschaft gestanden, und er dachte nicht daran, die Oberhoheit der Mongolen anzuerkennen. Kaum war Kubilai mit seinen Hauptstreitkräften nach Norden abgezogen, als er eine Mongolenabteilung, die am Südufer des Jang-tse-kiang zurückgeblieben war, überfiel und massakrierte. Er meldete den Verrat seinem Kaiser als einen großen Sieg und den Rückzug der Mongolen als die Folge dieses Sieges. Als die Unterhändler Kubilais zu Festsetzung der Grenzen eintrafen, nutzte er es aus, daß Kubilai mit den Kämpfen in der Mongolei beschäftigt war, und warf die Unterhändler ins Gefängnis. So bereitete er durch den Bruch der Verträge, während er sich als Retter des Vaterlandes preisen ließ, in Wirklichkeit seinen Untergang, indem er die Mongolen herausforderte und ihnen den Grund zu einem neuen Vernichtungskrieg lieferte. Wieder fanden sich Heerführer, die, wie einst Ssubutai, Dschebe, Muchuli, die Mongolen in allen Teilen des Feindeslandes zu Siegen führten. Die Kriegsschule Tschingis-Chans feierte noch in der dritten Generation Triumphe; Atschu, ein Enkel Ssubutais, überrannte die Festungen und schlug die Gegner genau so gut, wie sein Vater und Großvater es getan hatten, und der Name des Oberbefehlshabers gegen die Sung, Bayan, konnte getrost neben die der besten Feldherren Tschingis-Chans gesetzt werden. Zu spät bereuten die Sung ihre Herausforderungen: die Einkerkerung der Gesandten, die Ermordung der Unterhändler. Bayan marschierte, alle Festungen überrennend, alle Heere vernichtend, geradewegs auf Hang-tschou, die herrliche Residenz der Sung, die größte und schönste Stadt der Welt, mit einer Bevölkerung von 313
1 600 000 Familien. Wie Venedig ganz von Kanälen durchzogen, über die 12 000 große und kleine Steinbrücken führten, mit Straßen, die so gebaut waren, daß von beiden Seiten der Kanäle freier Wagenverkehr stattfand, während unter den Brücken an den Hauptverkehrsadern sogar die größten Schiffe mit höchsten Masten durchfahren konnten. Dank einer vorzüglichen Kanalisation blieben die gepflasterten Straßen selbst während der Regenzeit sauber und wurden sofort wieder trocken. Steinerne Gebäude und Türme in jeder Straße dienten als Zuflucht und Speicher für den Fall einer Feuersbrunst; die Polizeiwache erfüllte die Aufgabe einer Feuerwehr und war so verteilt, daß beim Alarm sofort in jedem Distrikt 1000 bis 2000 Mann zur Hand waren. An der Tür jedes Hauses hing das Verzeichnis aller Einwohner, einschließlich der Greise und Kinder, und die Hotels und Gasthäuser hatten Meldepflicht mit Angabe des Tages und der Stunde für jeden ankommenden und abreisenden Gast. Ganze Vergnügungsviertel, Ausflugsparks, ein herrlicher See, umrahmt von Palästen, Tempeln, Klöstern, Gärten, auf dem Lustgondeln zu mieten waren, zahllose Kalt- und Warmbadeanstalten, in denen - wie Marco Polo verwundert bemerkt „alle sich täglich zu baden pflegen, besonders vor ihren Mahlzeiten", bildeten die Merkmale der „Himmlischen Stadt". Und gegen diese Stadt des Genusses und der Freude, gegen den vielleicht reichsten Hafen- und Marktplatz der Welt rückte Bayan mit den mongolischen Heeren heran. Die Kaiserin-Mutter, die für den siebenjährigen Kaiser die Regentschaft führte, bot den Frieden an. Bayan lehnte jede Unterhandlung ab. Der Gesandte versuchte das Mitleid des „Barbaren" zu erwecken: wollten die Mongolen denn Krieg gegen einen Knaben führen und einen Wehrlosen des Reiches berauben?... Bayans Antwort machte ihn verstummen: „Weiß der Minister der Sung-Dynastie nicht, daß ihr Begründer sein Reich auch einem unmündigen Knaben genommen hat?..." Die wilden Reiter waren in der dritten Generation, ohne etwas von ihrem Kriegsgeist zu verlieren, Gelehrte geworden. Und mit der geistigen Veränderung hatten sich auch ihre Sitten geändert. Man massakrierte nicht mehr die Bevölkerung, zerstörte nicht die eroberten Städte, sondern nahm sie 314
in Besitz und Verwaltung. Als die Kaiserin zum Zeichen der Unterwerfung das Reichssiegel vor die Tore Hang-tschous schickte, ordnete Bayan einen triumphalen Einzug an. Seine Mongolen plünderten nicht, raubten nicht, dafür sammelten die Offiziere auf besonderen Auftrag alle Amtssiegel - als Zeichen der Macht-, Kunstwerke, Bücher und geographische Karten, die zusammen mit dem kaiserlichen Schatz an Kubilais Hof gebracht werden sollten. Jetzt ist keine Rede mehr davon, die gefangene Herrscherin in Ketten in das Ordu des Siegers zu führen, wie Tschingis-Chan einst die Mutter des Choresm-Schahs nach der Mongolei brachte. Jetzt wünschte die Kaiserin-Mutter den mongolischen Feldherrn zu sehen, und Bayan lehnte es ab, in ihrem Palaste zu erscheinnen, weil „er nicht wisse, nach welchem Zeremoniell er ihr begegnen solle". Der neue Rang des Exkaisers mußte erst an Kubilais Hof festgesetzt werden. - Er erhielt den Rang eines Prinzen dritter Klasse. Und die Verachtung, die die Sung selbst für die ChinKaiser als „Barbaren" empfanden, galt nicht mehr für den neuen kaiserlichen Hof im fernen Norden. Als der KaiserinMutter gemeldet wurde, daß die Eskorte ernannt sei, die sie mit ihrem Sohn zu Kubilai bringen solle, umarmte sie den Exkaiser mit den Worten: „Der Sohn des Himmels schenkt Ihnen das Leben; es ist richtig, daß Sie sich bedanken." Und beide fielen auf die Knie und machten neunmal in der Richtung gegen Norden Kotau. Doch auch mit der Eroberung der Hauptstadt und der Gefangennahme des Kaisers war der vierzigjährige Krieg noch nicht zu Ende. Der Süden Chinas leistete weiter Widerstand. Die Minister, die bei Bayans Vormarsch in die Provinz Fo-kien geflohen waren, proklamierten den älteren Bruder des Exkaisers zu seinem Nachfolger - und die Mongolen mußten weiter Stadt nach Stadt, Provinz nach Provinz besetzen und bei der riesigen Ausdehnung des Reiches ihre Truppen immer mehr zersplittern. Aus Mangel an Soldaten soll Kubilai die Gefängnisse geöffnet, die Gefangenen mit Pferden, Waffen und Lebensmitteln versehen und zur Armee geschickt haben. Und auch aus den auf diese Weise gewonnenen 20 000 Mann waren 315
viele hervorragende Offiziere hervorgegangen. Schließlich fiel Kanton, das letzte Bollwerk der Sung auf dem Festland. Nichts war ihnen übriggeblieben als die Flotte. Da setzten die Minister den Kaiser und die Reste des Heeres auf die Schiffe und verschanzten sich auf den Inseln vor der Küste. Eine mongolische Flotte erschien vor den Inseln, ein zweites Geschwader kam aus der Bucht von Kanton. Den ganzen Tag dauerte die Seeschlacht, im Abendnebel gelang es ganzen sechzehn Schiffen der kaiserlichen Flotte, sich auf die hohe See zu retten, mehr als achthundert fielen in die Hände der Mongolen. Das kaiserliche Flaggschiff war zu schwer, um den Verfolgern entrinnen zu können; da warf der Kommandant zuerst seine Frau und seine Kinder ins Meer, nahm dann den kaiserlichen Knaben auf die Arme und stürzte sich mit ihm in die Fluten mit dem Rufe: „Ein Kaiser der Sung-Dynastie zieht den Tod der Gefangenschaft vor!" Nach mehr als dreihundertjähriger Regierungsdauer war die Sung-Dynastie erloschen, und zum erstenmal in der Geschichte befand sich das ganze „Reich der Mitte" unter einem fremden Herrscher geeint, um seitdem nie wieder zu zerfallen. Keine Eroberung, keine Revolution vermochte seine von der mongolischen Dynastie geschaffene Einheit zu zerstören.
II.
Kubilai ist Cha-Chan. Und zugleich ist er Tien-tse „Sohn des Himmels". Als Erbe und Nachfolger TschingisChans ist er „Herrscher der Welt". Als Gründer der Dynastie Yüan ist er „Kaiser von China". China ist das erste Land der Welt, Tschung-kuo - das Reich der Mitte, aber es ist nicht die Welt. Dieser Zwiespalt ließ sich nie überbrücken. Kubilais Wort als Cha-Chan gebietet über vier Fünftel des asiatisch-europäischen Kontinents. Er ist Lehnsherr des Reiches der „Goldenen Horde". Für seine Kriege in China und der Mandschurei werden Männer aus den russischen Städten am Dnjepr und an der Wolga ausgehoben. In seiner Garde dienen Alanen-Krieger, weiße Männer eines kaukasischen Volkes, Christen. Das von Hulagu in Vorderasien gegründete Reich, das vom Amu-Darja bis Syrien reicht und eine gemeinsame Grenze mit Byzanz hat, ist die äußere 316
Provinz seines Reiches, seine Herrscher bekommen von ihm den Titel der Il-Chäne; die in Täbris geprägten Münzen tragen seinen Namen. Als Hulagu stirbt und sein Sohn Abaka zum Il-Chan ausgerufen wird, weigert er sich, den Thron einzunehmen, bevor der Cha-Chan seine Wahl bestätigt hat. „Kubilai ist unser Herrscher", sagt er zu den Edlen, „wie darf ich es wagen, den Thron ohne seine Genehmigung zu besteigen?" Und er sitzt bei allen Staatsakten auf einem Stuhl neben dem leeren Thronsessel, bis von Kubilai eine Krone, ein Staatsmantel und ein Reskript eintrifft, das ihn feierlich zum Nachfolger Hulagus bestimmt und allen Prinzen befiehlt, ihm zu gehorchen und seine Befehle treu zu befolgen. - Doch Hulagu und seine Nachfolger gehorchen dem Cha-Chan und nicht einem chinesischen Kaiser, während die Annalen Chinas konsequent die Il-Chäne als chinesische Beamte höchsten Grades führen... Denn Kubilai ist Kaiser Sche-tsu, der China geeint und ihm den Frieden gegeben hat". Die von ihm begründete Dynastie Yüan setzt das Werk der 22 Dynastien des „Reiches der Mitte" fort, und seine mongolischen Vorfahren, die erbittersten Feinde der beiden chinesischen Kaiserhäuser, werden in einem chinesischen Ahnentempel nach chinesischem Ritus verehrt, denn was gilt schon in diesem Lande, das nach konfuzianischen Anschauungen lebt, selbst ein Eroberer der Welt, der in den Augen Chinas immer nur ein „Barbar" bleibt, neben dem „Sohn des Himmels". So lehnt Kubilai es ab, „Eroberer von China" zu heißen, und gibt, von der uralten Zivilisation erfaßt, von ihren im sagenhaften Altertum wurzelnden Symbolen und Sitten gefangen, Stück für Stück die nationalen Traditionen seiner Rasse auf, um die ewige Tradition des „Reiches der Mitte" anzunehmen. Doch in seinem märchenhaften Park mit herrlichen Bassins voll kostbarster Fische, mit Zierbrücken, mit Wasserkünsten und anderen mechanischen Wunderdingen, in den er aus allen Teilen der Welt durch Elefanten die seltensten Bäume mit Wurzeln und Erde bringen und einpflanzen läßt, wird ein Stück Land mit dem dürren Gras der Mongolei bepflanzt, damit er und seine Söhne immer an die Grassteppen erinnert werden, aus denen sie kommen... 317
Er protegiert die Wissenschaften, die Kunst. Er zieht Gelehrte, Maler, Dichter, Architekten, Ingenieure aus allen Teilen der Welt an seinen Hof. Er vollendet den kaiserlichen Kanal, der, über 100 Kilometer lang, den Weg aus den Reisniederungen des Jang-tse-kiang nach Peking öffnet. Er baut ein Observatorium und läßt den Kalender ordnen. Geometrie, Algebra, Trigonometrie, geographische Wissenschaften, Geschichtsschreibung bekommen einen neuen Aufschwung. Die auf seine Veranlassung hergestellten Wörterbücher haben heute noch Geltung. Er läßt Werke über Agrikultur, Gartenbau, Vieh- und Seidenraupenzucht schreiben. Zwei Kunstarten, der Roman und das Drama Chinas, gelangen unter ihm zur neuen Blüte - aber im Grunde bleibt er Mongole, denn er fühlt sich herabgesetzt, daß sein Volk keine eigene Schrift besitzt und ujgurische Zeichen verwenden muß, und beauftragt einen gelehrten Lama, eine Schrift zu schaffen, die dem Geiste der mongolischen Sprache angepaßt ist. In dem Streben, das Mongolische mit dem Chinesischen in seinem Leben zu verbinden, sucht er die Bräuche und Gewohnheiten seiner Vorfahren zu bewahren, und ändert sie doch so, daß sie kaum noch zu erkennen sind: Er liebt wie sie die Jagd, aber während Tschingis-Chan nur in allerletzten Jahren, schweren Herzens, den gefährlichen Kampf Mensch gegen Bestie aufgab, hält er sich für den täglichen Zeitvertreib dressierte Geparde, die hinter den Jägern auf der Kruppe der Pferde sitzen, um sich auf Befehl auf Hirsche und Rehe des kaiserlichen Parkes zu stürzen. Auch er reitet jeden Frühling zu der traditionellen großen Treibjagd, aber nicht im Sattel eines mongolischen Renners, sondern in einem hölzernen Pavillon, der von einem oder zwei Elefanten getragen wird und der innen mit golddurchwirktem Tuche und außen mit Tigerfellen ausgeschlagen ist, und verfolgt von seinem Ruhebette aus, wie seine Geierfalken auf die Kraniche schießen, oder wie abgerichtete Tiger sich auf Bären, Eber oder wilde Stiere werfen und mit ihnen kämpfen. Wie Tschingis-Chan hat auch er ein Jagdzelt aus Pantherfellen, aber es ist innen noch einmal mit Hermelin und Zobel 318
ausgelegt und so abgedichtet, daß kein Windhauch und kein Regentropfen eindringen können. In Erinnerung an das Zeltleben ist sein Lustpavillon, dessen Dach aus vergoldetem Bambusrohr von vergoldeten und bemalten, drachengezierten Säulen getragen wird, so leicht gebaut, daß er jederzeit zerlegt und an jeden beliebigen Ort transportiert werden kann. Aber die hundert seidenen Seile, die den luftigen Bau an seinem Standplatz im kaiserlichen Park der Sommerresidenz Tschang-tu halten, werden nie gelöst. Auch er zieht das Getränk seiner Väter: Kumys, den Weinen und Likören vor, aber dieser Kumys kommt von besonders ausgesuchten, fleckenlosen weißen Stuten, von denen 10 000 in seinen Marställen stehen, und deren Milch niemand auf der Welt trinken darf, der nicht aus dem Geschlechte Tschingis-Chans ist. Die Mundschenke, die ihm den Kumys reichen, tragen ein Tuch vor dem Mund, damit ihr Hauch nicht das Getränk des Kaisers berühre. Jede seiner vier Hauptgemahlinnen gebietet ebenfalls über ein eigenes Ordu, aber dieses Ordu ist kein Zeltlager mehr, sondern ein Palast mit dreihundert schönster Jungfrauen als Dienerinnen, mit Kammerdamen, Eunuchen, Edelknaben, so daß der Hofstaat jeder der Kaiserinnen sich auf zehntausend Personen beläuft. Er hat viele Nebenfrauen und Beischläferinnen, aber sie sind nicht eine zufällige Beute der Kriegszüge, sondern werden alle zwei Jahre systematisch von besonderen Beamten in den durch Frauenschönheit berühmten Provinzen ausgesucht. Die schönsten 400 oder 500 Jungfrauen werden an seinen Hof gebracht und hier nach genauer Untersuchung jeder einzelnen 30 oder 40 auserlesen. Diese werden Hofdamen übergeben, deren Pflicht es ist, sie besonders in der Nacht zu beobachten, ob sie nicht irgendeinen verborgenen körperlichen Mangel haben, ob sie ruhig schlafen, nicht schnarchen, ob ihr Atem rein ist und kein Körperteil einen unangenehmen Geruch hat. Die, die dieses strenge Examen bestanden haben, werden in Gruppen zu fünf eingeteilt, und jede Gruppe hat drei Tage und drei Nächte den Zimmerdienst bei seiner Majestät zu leisten. Über das ganze Reich jagen Kuriere, um Früchte, die am Morgen im Süden gepflückt werden, am Abend des folgenden 319
Tages dem Cha-Chan zu überbringen, obgleich die Entfernung zehn normale Tagereisen beträgt. Alles um ihn her ist derart unwahrscheinlich, von einer so verwickelten Verknüpfung mongolischer Prunksucht mit letzter chinesischer Überfeinerung, daß kaum ein Herrscher so geeignet ist wie er, eine legendäre Gestalt zu werden. Und dazu kommt noch eine wirklich weise Regierung. Kaum ist die Eroberung des Reiches vollendet, als er schon die Seele des Volkes zu erobern beginnt. Er hegt und bewahrt alles, was an den Staatseinrichtungen der früheren Dynastien von Wert war, und sucht die Schäden, die mehr als ein halbes Jahrhundert Krieg dem Lande geschlagen hat, wiedergutzumachen. Eine allgemeine Volkszählung in China ergibt 60 Millionen Einwohner, vor hundert Jahren waren es über 100 Millionen. Die Kriege Tschingis-Chans und seiner Nachfolger hatten die Bevölkerung um über 40 Millionen Menschen verringert. Aber jetzt entfällt auf jeden Bauern der doppelte Anteil an Boden, und Kubilai spart nicht mit Zuteilung von Vieh und Saatgut. Jahraus, jahrein bereist ein Heer von Beamten ganz China und beobachtet den Zustand der Ernte und die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung. Notleidende Familien bekommen Reis und Hirse, Kleidung und Wohnung. Greise, Waisen, Kranke und Krüppel erhalten öffentliche Unterstützung. Kubilai läßt obdachlose Kinder sammeln und erziehen. Im ganzen Reiche werden Krankenhäuser und Spitäler gebaut. In Peking werden täglich 30 000 Bedürftige aus der kaiserlichen Küche gespeist. In guten Jahren wird der ganze Ernteüberschuß vom Staat aufgekauft und in riesigen Speichern aufbewahrt, um bei Mißernten und Preissteigerungen auf den Markt geworfen zu werden. In Notstandsgebieten werden Lebensmittel umsonst verteilt. Für alle Waren des täglichen Bedarfs werden Höchstpreise festgesetzt. Und bald stellt sich in dem ausgehungerten, ausgebluteten China Wohlstand, ja Reichtum ein. Chinesische Dschunken durchkreuzen die Südsee, fahren nach Ceylon, ins Arabische Meer, nach Abessinien; moslemische Kaufleute bringen auf Landwegen persische und arabische Waren, russische Pelze, und ziehen mit Seide, mit Edelsteinen, mit Gewürzen beladen zurück. China ist der 320
Brennpunkt des Handels, der unter Kubilais Förderung eine ungeahnte Ausdehnung bekommt, denn der Kaiser Sche-tsu ist der mongolische Cha-Chan, der über vier Fünftel des Kontinents herrscht und die Einheit des mongolischen Reiches wahrt. In Rußland und in Persien bauen die Mongolen genau wie in Turkestan und China Poststraßen, Brücken, schlagen Wege in die Felsen, machen die Pässe befahrbar und errichten alle fünfundzwanzig bis dreißig Meilen ein Posthaus, eine Unterkunftsstätte für Reisende mit allem Komfort, damit auch die höchstgestellten Persönlichkeiten ihrem Range gemäß dort wohnen können, und halten bis zu vierhundert Pferde an jeder Station, damit nirgends eine Transportstockung eintreten kann. Mehr als 10 000 solcher Posthäuser mit mehr als 300 000 Pferden dienen dem ungehinderten Verkehr in dem gewaltigen Reich. Und für die Boten des Cha-Chans sind zwischen den Posthäusern auf allen Wegen alle drei Meilen Stationen errichtet, die Tag und Nacht im Dienst stehen. Der „Pfeil"-Bote trägt einen breiten, mit Schellen behangenen Gürtel. Sobald die Wache das Schellengeläute vernimmt, wird das beste Pferd bereitgehalten. Er springt von Pferd zu Pferd und jagt weiter, bis zu 250 und 300 Meilen am Tag. Was die europäische Technik erst zu Beginn unseres Jahrhunderts an Überwindungen des Raums erreicht hat, wird im 13. Jahrhundert phantastische Wirklichkeit durch den wilden Willen Tschingis-Chans, der seine letzte Vollendung in der Organisation von Kubilais Reich gefunden hat. Und in diesem ganzen Reich herrscht der mongolische Frieden. Zum erstenmal in der Weltgeschichte sind Vorderasien und China, Rußland und Tibet nicht mehr durch unwegsame Wüsten und unübersteigbare Gebirge getrennt, durch feindliche Staaten zerrissen, durch ewige kriegerische Verwicklungen gespalten. Das Räuberwesen ist ausgerottet. Mongolische Truppen bewachen die Verbindungsstraßen, mongolische Beamte notieren auf jeder Station die Ankunft und den Abgang jeder Karawane - und wehe dem Statthalter des Bezirks, in dessen Bereich sie verschwinden sollte. Es herrscht ein Zustand, von dem ein zeitgenössischer Chronist in seiner blumigen Sprache und höfischer Übertreibung 321
schreibt: „Eine Jungfrau könnte mit einem Klumpen Goldes auf dem Kopf ungefährdet durch das ganze Reich wandern." So verbreitet sich Kubilais Ruhm über den ganzen Kontinent. Der Perse Wassaf schreibt in Vorderasien: „Obwohl die Entfernung unseres Landes bis zum Zentrum des mongolischen Reiches, dem Herd des Universums, dem lebenspendenden Aufenthalt des immer glücklichen Kaisers und sehr gerechten Chans, über ein Jahr Weges beträgt, ist der Ruf seiner ruhmreichen Taten bis in unsere Gegenden gedrungen. Seine Gesetzgebung, seine Gerechtigkeit, die Tiefe und die Feinheit seines Geistes, die Weisheit seines Urteils, seine bewundernswürdige Regierung ist nach dem, was glaubwürdige Zeugen, bekannte Kaufleute, gelehrte Reisende erzählen, allem, was man bis jetzt gesehen hat, so überlegen, daß ein einziger Strahl seines Ruhmes, ein Teilchen seiner überraschenden Fähigkeiten genügen würde, um alles in den Schatten zu stellen, was die Geschichte uns von römischen Cäsaren, arabischen Kalifen, indischen Radschas, den sassanidischen und seldschukischen Sultanen berichtet." Und in späterer Zeit urteilt ein chinesischer Chronist: „Kubilai-Chan muß als einer der größten Herrscher angesehen werden, die je gelebt haben. Seine Erfolge waren von Dauer." Er zählt seine militärischen Verdienste auf, rühmt seine Förderung der Wissenschaften und vermerkt, daß er „sogar dankbar die Ratschläge empfing, die ihm die Gelehrten gaben. Er liebte wahrhaft seine Völker". Nur eine Einschränkung macht er, die der Grund ist, warum die Chinesen Kubilai trotz aller Wohltaten, die er China erwiesen hat, stets als einen Fremden betrachteten: „Er gab niemals einem Chinesen einen Sitz im Ministerium und hatte nur Ausländer als Staatsminister." Denn bei aller Vorliebe für China, seine Art, seine Kultur, mißtraute Kubilai doch den Chinesen. Der mongolische ChaChan vergaß keinen Augenblick, daß er im Grunde nur mit einigen hunderttausend Mann ein 60-Millionen-Volk im Zaume hielt, und achtete streng darauf, ihm keine Möglichkeit zum Zusammenschluß zu geben. Wenn er chinesische Truppen verwendete, stationierte er Südchinesen in Nordchina und umgekehrt, schickte die Regimenter des Ostens 322
nach dem Westen und die Bergbewohner in die Ebene und ließ sie alle zwei Jahre die Garnisonen wechseln. Den chinesischen Beamten räumte er nur untergeordnete Stellen ein und gab alle Befehlsgewalt Fremden: Mongolen, Ujguren, Tibetanern, Türken, Persern, wenn er auch darüber zu wachen suchte, daß sie das Volk nicht unterdrückten und ausnutzten. Einer seiner Günstlinge, der Finanzminister Achmed, der schlimmste Erpresser und Ausbeuter, wurde in Kubilais Abwesenheit durch Verschwörer getötet. Als Kubilai nach dem Tode des allmächtigen Ministers von seinen Missetaten erfuhr, ließ er seinen Leichnam ausgraben, ihm den Kopf abschlagen und öffentlich am Schandpfahl ausstellen, die Leiche den Hunden zum Fraß vorwerfen. Eine seiner Frauen und zwei seiner Söhne wurden hingerichtet, die anderen Verwandten nach dem Maße ihrer Teilnahme an den Verbrechen bestraft, seine übrigen 40 Frauen und 400 Konkubinen wurden verschenkt und sein ganzes Vermögen beschlagnahmt. Doch trotzdem wurde Achmeds Nachfolger kein Chinese, sondern ein Ujgure, und die ganze Millionenbevölkerung von Yen-king, in dem die Verschwörung ausgeheckt worden war, mußte die Stadt verlassen und sich auf der gegenüberliegenden Seite neu ansiedeln, denn in der quadratisch angelegten neuen Stadt mit amerikanisch rechteckigen Straßen, in der man „von Tor bis zum gegenüberliegenden sah", ließ sich jede Volksbewegung besser als in dem alten, verwinkelten Yen-king beobachten. An jedem der zwölf Tore stand eine Wache von 1000 Mann in ständiger Bereitschaft, im Mittelpunkt der Stadt hing eine große Glocke, die jede Nacht angeschlagen wurde, und nach dem dritten Glockentone durfte niemand mehr die Straße betreten. Personen, die in dringenden Fällen etwa einen Arzt oder eine Hebamme holen wollten, mußten eine Laterne tragen. Kubilais Toleranz hatte Grenzen, die zu überschreiten gefährlich war. Als ihm einmal denunziert wurde, der Koran befehle seinen Anhängern, die Andersgläubigen zu töten, bestätigte der Mulla das Gebot. „Und ihr glaubt, daß der Koran euch von Gott gegeben ist?" fragte Kubilai. 323
Als der Mulla auch diese Frage bejahte, forschte er weiter: „Warum gehorcht ihr dann nicht? Warum tötet ihr nicht die Ungläubigen?" „Weil die Zeit noch nicht gekommen ist und wir es nicht tun können." „Aber ich kann es tun!" rief Kubilai und gab den Befehl, den Mann hinzurichten. Eine furchtbare Moslemverfolgung drohte, die abzubiegen den mohammedanischen Würdenträgern nur durch die Erklärung eines großen Schriftgelehrten gelang, daß der Koran unter Ungläubigen Menschen versteht, die kein höheres Wesen verehren. Wer, wie die Mongolen, an der Spitze all ihrer Verordnungen den Namen Gottes trage, sei doch nicht ungläubig, und das Gebot gelte nicht gegen ihn. Ein anderes Mal verbot Kubilai in ganz China das Schlachten der Tiere nach mohammedanischem Ritus, weil moslemische Kaufleute, die er besonders ehren wollte und ihnen Gerichte von seiner Tafel schickte, sich weigerten, das Fleisch zu essen. Sieben Jahre lang bestand das Verbot, bis der Finanzminister dem Cha-Chan untertänigst meldete, daß durch Ausbleiben der Karawanen der Moslims, die den ganzen zentralasiatischen Handel in ihren Händen hatten, keine Zölle mehr eingingen. Und Kubilai hob das Dekret auf. Denn er ist Kosmopolit nicht nur aus Vorurteilslosigkeit, sondern auch aus praktischer Erwägung. Die Fremden, die er an seinen Hof zieht, müssen aus Klugheit sein Interesse zu dem ihren machen, ihm aus eigenem Vorteil treu sein. Und wie er jede Täuschung unerbittlich und grausam straft, so belohnt und erhöht er die ihm aufrichtig Ergebenen, aus welchen Teilen der Welt sie auch kommen mögen. Und so finden wir in seiner nächsten Umgebung, neben den Vertretern aller Völker Asiens, auch drei Italiener: die venezianischen Kaufleute Nicolo, Maffio und Marco Polo.
III.
Es war im Jahre 1260, daß die beiden Venezianer Nicolo und Maffio Polo sich von Konstantinopel aus nach den Ländern der „Goldenen Horde" einschifften. Sie schenkten, der von Tschingis-Chan eingeführten Handelssitte entsprechend, ihre ganze aus Schmucksachen und Edelsteinen bestehende 324
Ware dem Chan Börke und bekamen von ihm nach ausgedehnter Gastfreundschaft ihren doppelten Wert wiedergeschenkt. Da jedoch der Rückweg infolge von Grenzkämpfen unsicher war, reisten sie von der Wolga weiter und gelangten bis Buchara; aber hier saßen sie fest und konnten wegen der Erbkriege der Normadenreiter gegen Kubilais und Hulagus Truppen weder nach Ost noch nach West. Erst nach Jahren erlöste sie eine Gesandtschaft Hulagus an Kubilai, die durch Buchara kam und sie an den Hof des Cha-Chans mitnahm. Kubilai, der noch nie italienische Kaufleute gesehen hatte, unterhielt sich öfters mit ihnen und fragte sie über Europa, seine Herrscher, seine Staatseinrichtungen, seine Heere, seine Religion aus - und als fromme Katholiken und Kinder ihrer Zeit versäumten sie keine Gelegenheit, um zu versuchen, ihn zum Christentum zu bekehren. Er läßt sie eine Weile gewähren, doch dann will der praktische Mongole wissen, warum er eigentlich Christ werden soll? „Es gibt vier Propheten, die von der ganzen Welt angebetet und verehrt werden", sagte er ihnen. „Es sind Jesus Christus, Mohammed, Moses und Sakya Muni. Ich verneige mich vor allen vieren, also auch vor dem, der der größte unter ihnen im Himmel ist und der wahrste, und ich bitte ihn, mir zu Hilfe zu kommen. Warum wollt ihr, daß ich das Christentum annehme? Ihr seht doch, daß die Christen dieser Länder Ignoranten sind, die nichts vermögen und nichts ausrichten können, während die Götzendiener alles vermögen, was sie wollen." Und er erinnerte sie an das Wunder, das tibetanische Lamas zum Beweise ihrer Macht vollbracht haben: Kubilai setzte sich im Beisein der Polos und des ganzen Hofes allein in der Mitte des Audienzsaales an einen Tisch, und auf Befehl der Lamas kamen die mit Wein gefüllten Becher zu ihm in die Mitte des Saales durch die Luft geschwebt, ohne daß eine Hand sie berührte. „Sie beschwören Gewitter und lassen sie in der Richtung abziehen, die sie wollen", fuhr er fort. „Sie tun viele wunderbare Dinge, und ihre Götzen können sprechen und über alles, was man sie fragt, weissagen. Was soll ich meinen Gefolgsleuten sagen, welche Wunder und welche Tugenden mich veranlaßt haben, mich taufen zu lassen, während die Götzen325
diener kraft ihrer Wissenschaften und ihrer Zaubereien, mit denen sie so übernatürliche Dinge vollbringen, mich leicht sterben lassen könnten." Aber er ist vorsichtig und hütet sich, den christlichen Gott, der vielleicht doch der höchste sein könnte, zu beleidigen und schickt die Polos zum Papst. Er soll ihnen hundert gelehrte Männer der christlichen Religion mitgeben, „die angesichts der Götzendiener beweisen sollen, daß auch sie alle diese Sachen vollbringen könnten, es aber zu tun verschmähen, da es Teufelskünste sind; daß sie sie so widerlegen, daß die Götzendiener in ihrer Gegenwart nichts mehr vollbringen können". Er verspricht, sich dann mit allen seinen Edlen und seinem ganzen Volke taufen zu lassen, „so daß es hier mehr Christen geben wird als in euren Ländern". Aber als die Polos in Europa ankommen, ist überhaupt kein Papst da, die Kardinale zanken sich, und erst als die Venezianer nach zweijährigem vergeblichem Warten schon wieder unterwegs nach Ostasien sind, hören sie, daß das Konklave ihren Gönner Tedaldo Visconti gewählt hat, der als Papst den Namen Gregor X. annimmt. Sie kehren nochmals um. Doch statt der verlangten hundert gelehrten Männer gibt er ihnen nur zwei Kleriker mit, die nicht die geringste Lust haben, die Gefahren und Strapazen einer solchen Reise auf sich zu nehmen, und bereits in Kleinasien umkehren. An Stelle der Priester, die Kubilai die Überlegenheit der christlichen Religion beweisen sollen, bringen ihm die Polos nur Nicolos jungen Sohn, den zwanzigjährigen Marco Polo, mit. Marco ist gerade in dem Alter, alle Wunder der Welt mit großen, gierigen Augen in sich aufzunehmen. Im Nu lernt er die vier am Hofe gebräuchlichen Sprachen-. Mongolisch, Chinesisch, Ujgurisch und Persisch. Vielleicht hat er sich die beiden letzten Sprachen schon während der drei Jahre dauernden Reise angeeignet. Er sieht, wie Kubilai seine Gesandten, seine Heerführer, die fremden Kaufleute nach den Gegenden ausfragt, in denen sie gewesen waren, nach ihren Völkern, ihren Sitten, ihren Merkwürdigkeiten; wie ungehalten er ist, wenn sie ihm nichts zu erzählen wissen; und als er einmal selber im Auftrag des Cha-Chans eine Reise unternimmt, kann er ihm jede Einzelheit berichten: wie er den Auftrag ausführte, wie er gereist war, was er alles gesehen hat. 326
Er beobachtet scharf und versteht es, gut zu erzählen. Damit ist sein Glück gemacht. Ohne ein offizielles Amt zu bekleiden, reist er in verschiedensten Aufträgen kreuz und quer durch diese ganze unwahrscheinliche Welt. Für einen Beauftragten ihres unumschränkten Herrschers gibt es keine Geheimnisse, keine verschlossenen Tore. Er sieht, hört und erfährt mehr als jemals irgendein Reisender vor und vielleicht auch nach ihm. Er sieht die goldenen Pagoden von Burma und die Insel der Edelsteine, Ceylon; Java, die geheimnisvolle Heimat der kostbaren Gewürze, und Indien, das Land der Brahmanen; die eisigen Einöden des Pamirs und die tropische Kannibalenheimat Sumatra. Er hört von den Inseln Japans, dem Zipangu seines Buches, und von den Ländern Sibiriens mit ihrer arktischen Finsternis und ihren auf Renntieren reitenden Tungusen; Hundeschlitten sind ihm ebensowenig fremd wie die Perlenbänke der Indischen Meere. Und in der Zwieschenzeit lebt er an Kubilais Hof, nimmt an allen Ereignissen teil, sieht den inneren Mechanismus dieses gewaltigsten aller Reiche, sieht das Privatleben dieses Herrschers, des „Herrn der Herren, der an Zahl der Untertanen, an Ausdehnung seiner Länder und der Größe seiner Einkünfte alle Fürsten übertrifft, die je dagewesen noch in der Welt vorhanden sind". Als Marco Venedig verließ, war er alt genug, um jetzt den Vergleich zwischen der Kleinheit und der Enge der europäischen Verhältnisse und dem Schwung, der in dieser mongolischen Ungeheuerlichkeit liegt, ziehen zu können, und er bewundert alles: bewundert den Herrscher, das Reich, seine Größe, seine Macht und seine immer noch nicht erschöpfte Ausdehnungstendenz. Denn immer noch jagen Kubilais Gesandte durch die Weiten Asiens, um von immer anderen fremden Königen Unterwerfung und Tribut zu verlangen. Und eine Ablehnung hat unweigerlich eine mongolische Invasion zur Folge, gleichgültig, ob das Land durch himmelhohe Berge, durch endlose Wüsten oder weite Meere von China entfernt ist. Die Aufforderung zur Unterwerfung ergeht, von einer chinesischen Kanzlei verfaßt, im Namen des Kaisers von China - doch in diesem Punkte, in der unerschütterlichen Befolgung von Tschingis-Chans Vermächtnis, die ganze Welt zu erobern, ist 327
Kubilai der echte Mongole. Nur sind für ihn jetzt, nach der Verlegung des Schwerpunkts des mongolischen Reiches nach China, andere Teile der Welt wichtiger geworden. Der Westen ist zu weit entfernt: In Vorderasien sitzt sein Bruder Hulagu, das Reich der Il-Chane ist „eine vorgeschobene Provinz im äußersten Westen", es ist also Hulagus Aufgabe, ihre Grenzen noch weiter hinauszuschieben, und nur einmal schickt Kubilai ihm noch 30 000 Reiter zur Unterstützung. Das Reich der „Goldenen Horde" hat sich im Laufe der Zeit aus dem mongolischen Reichsverbande ein wenig herausgelöst, ist aus einem Teil des Reiches mehr zu einem Vasallenstaat geworden, und da das Abendland zu seinem Uluß gehört, hat Kubilai an einer Eroberung des Abendlandes nur bedingtes Interesse. So konzentrieren sich seine kriegerischen Unternehmungen auf Ost- und Südasien: Der König von Cochinchina weigert sich, selber an Kubilais Hof zur Huldigung zu erscheinen - ein mongolisches Heer dringt in sein Land und zerstört seine Hauptstadt, obgleich der Krieg fruchtlos ist, da das Volk sich in die Berge flüchtet und dorthin nicht verfolgt werden kann. Der König von Annam hat den Durchmarsch durch sein Gebiet verweigert - die Mongolen müssen in dem mörderischen Klima, das sie dezimiert, kämpfen, wenn auch der König freiwillig Tribut leistet. Der König von Birma hat seinen Sohn nicht zu Kubilai geschickt - drei blutige Kriege sind die Folge. Irgend jemand entdeckt die Riu-Kiu-Inseln - sofort wird eine Kriegsflotte hingesandt. Eine andere Flotte segelt nach den Inseln des Südens, nach den Philippinen und den Sunda-Inseln, und bringt Tribute von zehn Königreichen. Seine Soldaten kämpfen in Siam, in Indien bis jenseits des Ganges, auf Java. Es ist ihm gleich, ob die Eroberungen einen Nutzen bringen oder nicht, ob die Siege Vorteile verheißen oder unfruchtbar bleiben, eine zügellose Herrschsucht erfüllt ihn und muß befriedigt werden. Er kennt nicht mehr die Umsicht Tschingis-Chans, die Zähigkeit, mit der er seine Kriege vorbereitete, die Vorsicht, mit der er die Reihenfolge der Länder bestimmte, die zu erobern er auszog, und so sind auch schwere Niederlagen unvermeidlich: 328
Ein koreanischer Gelehrter hatte Kubilai Phantastisches von dem Reichtum Japans zu berichten gewußt, und sofort trugen Gesandte ein kaiserliches Schreiben in das Land der aufgehenden Sonne. Die Forderung war für eine Dynastie, die zwei Jahrtausende lang keine fremde Herrschaft über sich gekannt hatte, beleidigend und blieb ohne Antwort. Daraufhin landete eine ungeheure Flotte 45 000 Mongolen und 120 000 Chinesen und Koreaner auf den Inseln. Das flache Land wurde verheert - aber alle Angriffe auf die Festungen scheiterten an dem Heldenmut der Japaner. Die Natur kam ihnen zu Hilfe, ein furchtbarer Taifun erfaßte die Flotte, die Schiffe zerschellten an den Felsen, nur wenige konnten sich retten. Das Gros des Heeres, von der Basis abgeschnitten, wurde vernichtet oder gefangengenommen und in die Sklaverei geführt. Aber bis zu seinem letzten Augenblick denkt Kubilai an einen Rachefeldzug, nur der Tod kann ihn davon abhalten. — In Tokio gibt es ein Gemälde, das Marco Polo in der Umgebung Kubilais zeigt, während der Cha-Chan den koreanischen Gelehrten über Japan ausfragt, und manche japanische Quellen betrachten den Venezianer geradezu als den Anstifter zu dem Feldzug gegen Japan. Obgleich Kubilai kaum eines besonderen Anstifters bedurfte, liefern diese Quellen doch den Beweis, wie bedeutend die Stellung der Polos am Hofe des Cha-Chans war. Siebzehn Jahre standen sie in seinen Diensten, doch dann schien es ihnen höchste Zeit zu sein, ihre angesammelten Schätze und sich selber in Sicherheit zu bringen. Kubilai war bereits ein hoher Greis, sie waren Fremde, wohl von manchem wegen der Gunst des Kaisers beneidet, vielleicht gehaßt. Wenn sie jetzt fortkamen, reisten sie noch im Schütze des Cha-Chans mit allen Privilegien hochgestellter Persönlichkeiten ... - Doch Kubilai wollte sie nicht fortlassen. Da kam ihnen ein Zufall zu Hilfe: Die erste Frau des Il-Chans Argun - in Vorderasien regierte schon der Enkel Hulagus - war gestorben und hatte ihm vor dem Tode das Versprechen abgenommen, daß nur ein Mädchen ihres Stammes ihre Nachfolgerin sein werde. Also schickte Argun eine Gesandtschaft an Kubilai, der Cha-Chan möchte für ihn 329
eine Mongolin aus dem Geschlechte, dem die Verstorbene angehört hatte, auswählen. Es galt, sie nun nach Persien zu bringen. In Zentralasien tobten wieder einmal Erbfolgekriege zwischen den Nachfolgern Tschagatais, und man durfte die Prinzessin nicht einer Gefahr aussetzen - da steckten sich die Polos hinter die Gesandten: sie wüßten einen sicheren Seeweg. Marco war eben von einer Seereise im Auftrag Kubilais zurückgekehrt, die ihn nach Indien geführt hatte, und jenseits von Indien begann schon der arabische Meerbusen... Unter diesen Umständen konnte der Cha-Chan seine Einwilligung nicht versagen. Als Ehrenbegleiter der jungen Prinzessin durften die Polos reisen, nachdem sie versprochen hatten, bald wiederzukommen. Aber als sie zwei Jahre später, nach Umschiffung von Hinterindien und Ceylon, im Golf von Oman an Land gingen, hörten sie, daß sie gerade zur rechten Zeit abgereist waren: Kubilai war gestorben... Das Reich der Mitte trauerte um seinen alten Kaiser Sche-tsu, der in vierunddreißigjähriger Regierungszeit China wieder reich und groß gemacht hatte, aber auf Kubilais Wunsch wurde er nicht in einer prächtigen chinesischen Begräbnisstätte beigesetzt, sondern draußen in der fernen Mongolei, an den Quellen des Onon und Kerulen, auf dem Berge Burkan-Kaldun begraben, dort, wo sein Großvater Tschingis-Chan, sein Vater Tuli und seine Mutter Sjurkukteni, die ihre Söhne zu den Erben des Weltreichs gemacht hatte, ruhten.
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