1
Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde welt...
15 downloads
403 Views
5MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1
Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde weltberühmt werden, gehen Georg und Tim schon zusammen durch dick und dünn und lösen mutig ihre ersten Fälle. In diesem Band erleben sie ihr erstes Abenteuer. Bei einem Spaziergang findet Georgina, genannt Georg, einen jungen Hund. Da weit und breit kein Besitzer zu sehen ist, nimmt sie ihn mit nach Hau se und überredet ihre Eltern, dass sie ihn behalten darf. Als die Eltern verlangen, dass der Hund draußen im Geräteschuppen schlafen soll, findet Georg das total ungerecht. Bei Nacht und Nebel stehlen sich Georg und Tim davon und verstecken sich in einer abgelegenen Höhle. Dort hören sie ganz unheimliche Geräusche …
Enid Blyton, 1897 in London geboren, begann im Alter von 14 Jahren, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 verfasste sie über 700 Bücher und mehr als 10000 Kurzgeschichten. Bis heute gehört Enid Blyton zu den meistgelesenen Kin derbuchautoren der Welt. Ihre Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Von Enid Blyton sind beim C. Bertelsmann Ju gendbuch Verlag und bei OMNIBUS folgende Se rien erschienen: »Zwei Freunde«, »Fünf Freunde«, »Fünf Freunde und Du«, »Die schwarze 7«, »Die verwegenen 4« und »Lissy im Internat«.
Zwei Freunde
und die Geisterhöhle Aus dem Englischen von
Anna Claudia Wang
Illustriert von Lesley Harker
OMNIBUS
Der OMNIBUS Verlag gehört
zu den Kinder‐ & Jugendbuch‐Verlagen
in der Verlagsgruppe Random House
München Berlin Frankfurt Wien Zürich
www.omnibus‐verlag.de
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2001
© 2001 für die deutschsprachige Ausgabe
OMNIBUS/C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© für den Originaltext 2000 Enid Blyton Limited, London
Enid Blytons Unterschrift ist ein eingetragenes Warenzeichen
von Enid Blyton Limited.
Die englische Ausgabe erschien unter dem Titel »Just George – George,
Timmy and the Haunted Cave « bei Hodder Headline Limited,
London, und wurde geschrieben von Sue Welford.
The right of Sue Welford to be identified as the Author of the Work
has been asserted by her in accordance with the Copyright,
Designs and Patents act 1998.
© für die Innenillustrationen 2000 Lesley Harker
Übersetzung: Anna Claudia Wang
Umschlagbild: Michael Braman/Which Art
Umschlagkonzeption und Reihengestaltung: Atelier Langenfass
st • Redaktion: Brigitta Taroni (Büro linguart, Zürich)
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck: GGP Media, Pößneck
ISBN 3‐570‐12637‐4
Printed in Germany
Inhalt 1 Ein neuer Freund
9
2 Die Überraschung im Moor
19
3 Eine besondere Mahlzeit
34
4 Vater trifft eine Entscheidung
44
5 Georg trotzt
53
6 Eine unerwartete Schlagzeile
69
7 Eine aufregende Entdeckung
80
8 Tim gerät in Schwierigkeiten
90
9 Die Ausreißer
100
10 Tim findet einen Schatz
112
11 Wie fängt man einen Dieb?
126
1 Ein neuer Freund
»Georgina, was hast du getan?«, rief Georgs Mut ter und starrte sie entsetzt an. »Ich habe mir die Haare geschnitten«, antworte te Georg, die vor dem Spiegel in der Küche stand. »Sie kitzelten mich am Hals und das hasse ich.« »Aber jetzt siehst du wie ein Junge aus!«, sagte ihre Mutter und betrachtete erst Georgs dunklen, kurzen Lockenkopf und dann den Rest der Haa re, die ein Häufchen auf dem Küchenboden bil deten. »Gut«, strahlte Georg. »Genauso will ich aus sehen.« Sie warf die Schere hin. »Und jetzt werde ich an meinem Baumhaus weiterbauen.« 9
»Haare wie ein Junge, ein Baumhaus! Mach nur weiter so!« Während Georg durch die Hintertür nach drau ßen ging und sie hinter sich ins Schloss schmiss, hörte sie ihre Mutter seufzen. Georg ging zum Ge räteschuppen, um Hammer und Nägel zu holen. Kurz darauf war sie auf dem alten Apfelbaum im Garten und hämmerte und schlug, was das Zeug hielt. Dabei veranstaltete sie einen solchen Krach, dass es nicht lange dauerte, bis ihr Vater aus sei nem Arbeitszimmer herausstürzte. »Was ist denn das für ein furchtbares Getöse?«, brüllte er mit wütendem Gesicht. »Wie um alles in der Welt soll ich bei diesem Radau arbeiten kön nen?« Georgs Vater war sehr groß, hatte raben schwarzes Haar und ein ganz ungewöhnliches Gesicht mit einer breiten Stirn und buschigen dunklen Augenbrauen. Er runzelte furchtbar oft die Stirn, genau wie seine Tochter. »Alles in Ordnung, Quentin«, versuchte Georgs Mutter ihren Mann zu beruhigen. »Es ist nur Ge orgina. Sie baut ein Baumhaus.« »Dann geh raus und sag ihr, sie soll es woan ders bauen«, schnappte ihr Mann. »Sie stört mich bei der Arbeit. Was nützt es, in einem ruhigen Haus am Meer zu wohnen, wenn um mich herum ständig gehämmert und genagelt wird?« 11
Georgs Vater war Wissenschaftler. Er saß stun denlang in seinem Arbeitszimmer. Dort brütete er über schwierigen wissenschaftlichen Problemen und wurde äußerst ungehalten, wenn man ihn störte. Georg lebte mit ihren Eltern in einem großen, dreihundert Jahre alten weißen Steinhaus, das auf einer kleinen Klippe stand und auf das Meer hin ausblickte. Das Haus hieß Felsenhaus und war für ein Haus auf dem Land ziemlich groß. Um die alte Haustür aus Holz rankten sich Rosen und der Garten war voller Blumen. Das Felsenhaus befand sich seit vie len Jahren im Besitz der Familie von Georgs Mut ter. Um nichts in der Welt hätte Georg woanders leben wollen. Am liebsten saß sie oben in einem der Zimmer mit Blick aufs Meer und träumte von Schmugglern und Stürmen, untergehenden Schif fen und all den aufregenden Dingen, die sich frü her ereignet hatten. Und wer weiß, vielleicht ge schah ja eines Tages wieder so etwas Aufregendes. Unterhalb der Klippe lagen die Bucht und das Dorf Felsenburg. Die Bucht war wunderschön, mit weiten goldenen Sandstränden und einer tollen kleinen Felseninsel, die sie bewachte. Auf einem kleinen Hügel mitten auf dieser Felseninsel stand eine geheimnisvolle Burgruine, die, noch unver 12
sehrt, einst stolz und unbesiegbar über das Meer geblickt hatte. Hier, in den beiden zerfallenen Tür men oder im zerstörten Rittersaal auf der andern Seite des Hofes, mit der riesigen, in eine Mauer ein gelassenen Feuerstelle, spielte Georg am allerliebs ten. Auf die Insel gelangte sie, indem sie ihr kleines Holzruderboot vorsichtig durch ein gefährliches Felsenriff steuerte und am goldenen Sandstrand der kleinen Inselbucht an Land ging. Sie liebte die Ka ninchen und Seevögel, die auf der Insel lebten, und hielt das die Burg für den geheimnisvollsten und aufregendsten Ort, den sie je gesehen hatte.
13
Nach dem Wutausbruch des Vaters über den furcht baren Krach, den Georg verursachte, ging ihre Mut ter nach draußen, um mit ihr zu reden. »Hallo Mutter«, rief Georg ihr zu und blickte mit ihren leuchtend blauen Augen vom Apfel baum auf sie herab. Sie hatte zwei aneinander ge nagelte Bretter quer über den Ästen befestigt und war gerade dabei, ein drittes an diesen festzuma chen. »Das wird ein tolles Baumhaus, wenn es fer tig ist, meinst du nicht?« »Ich fürchte, du musst herunterkommen, Geor gina«, sagte ihre Mutter in einem entschiedenen Ton. Georg sprang mit finsterem Blick vom Baum herunter. »Ach Mutter, bitte, nenn mich nicht Ge orgina. Du weißt, ich hasse es. Nenn mich Georg.« »Du heißt Georgina«, beharrte ihre Mutter. »Georg ist ein Jungenname.« »Ich weiß«, sagte Georg, die Hände in die Hüf ten gestützt. »Darum gefällt er mir ja. Am liebsten wäre ich ein Junge. Deshalb werde ich von nun an nicht mehr hinhören, wenn du mich Georgina nennst.« »Du meine Güte«, stöhnte die Mutter. »Warum bist du denn nicht damit zufrieden, ein Mädchen zu sein?« »Das weiß ich nicht«, antworte Georg und rümpfte ihre Sommersprossennase. »Ich weiß 14
bloß, dass ich die Dinge, die Mädchen tun sollen, doof finde: hübsche Kleider tragen, mit Puppen spielen und so.« Sie verzog das Gesicht. »Uäh, ich hasse das! Klettern, schwimmen, rennen und se geln, das macht Spaß, und all das kann ich schließlich ebenso gut wie ein Junge, verstehst du.« »Und Baumhäuser bauen«, ergänzte ihre Mut ter mit einem Lächeln. »Genau«, setzte Georg hinzu, die noch immer eine finstere Miene machte. »Bei Mädchenspielen wird mir schlecht, bei so was mache ich gar nicht erst mit.« Wieder seufzte ihre Mutter. »Nun, ich wünsch te trotzdem, du würdest mit einigen Mädchen aus Felsenburg Freundschaft schließen. Es wäre doch wunderbar, wenn du jemanden hättest, mit dem du spielen könntest. Ich wollte eigentlich deine Kusine und deine Vettern einladen, die Ferien hier zu verbringen, aber Vater fürchtete, vier Kinder im Haus würden zu viel Lärm machen.« Georgs Kusine und Vettern lebten in London. Sie hießen Anne, Julius und Richard und Georg hatte sie noch nie gesehen. Sie war auch nicht be sonders erpicht darauf, sie kennen zu lernen, das Mädchen schon gar nicht! Georg zog einen noch größeren Flunsch beim Gedanken, ihre Vettern und die Kusine könnten 15
im Felsenhaus auftauchen. »Ich will mit nieman dem spielen, Mutter«, beharrte sie. »Und ich will auch keine anderen Kinder hier im Haus haben. Ich bin gerne für mich allein.« »Tja, Georgina«, gab die Mutter zurück, »das musst du wohl selber wissen. Auf jeden Fall musst du dir jetzt eine andere Beschäftigung suchen.« Weil ihre Mutter sie »Georgina« genannt hatte, beachtete Georg sie nicht. Sie blieb einfach nur stehen. Die Hände in den Taschen ihrer Shorts, pfiff sie vor sich hin und blickte spitzbübisch zum Himmel hoch. »Georgina, Georg! Hast du gehört, was ich ge sagt habe?« fragte ihre Mutter gereizt. »Ja«, knurrte Georg endlich. »Und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun könnte. Ich hatte solchen Spaß und jetzt hat Vater mir alles ver dorben.« »Du kannst dein Baumhaus ja später fertig bau en, wenn Vater seine Arbeit beendet hat«, schlug die Mutter vor. »Aber Vater kommt mit seiner Arbeit nie zu ei nem Ende«, klagte Georg. »Und wenn er einmal denkt, er hat etwas abgeschlossen, dauert es nicht lange, bis er beschließt, dass er doch nicht fertig ist.« Georgs Mutter seufzte zum dritten Mal inner halb kurzer Zeit. Georg hatte Recht, was ihren Va ter betraf. Wenn er beschäftigt war, und das war 16
er fast immer, vergaß er sogar, welcher Tag gerade war. Und hätte er es sich nicht zur Gewohnheit gemacht, in seinem Arbeitszimmer die Gardinen zurückzuziehen, würde er nicht einmal wissen, ob es Morgen, Mittag oder Abend war. Seine Arbeit beschäftigte ihn so sehr, dass er oft mitten in einer Mahlzeit aufsprang, um ein Problem zu lösen, von dem sie geglaubt hatten, er habe es bereits gelöst. Er vergrub sich stundenlang in seinem Arbeits zimmer, wo er an wissenschaftlichen Formeln herumbosselte und Bücher darüber schrieb. Oft bekamen sie ihn tagelang kaum zu Gesicht. Die Mutter tätschelte Georgs kurzen Locken kopf. »Warum gehst du nicht ins Moor, Schatz?«, schlug sie vor. »Von mir aus«, schmollte Georg. Mit langen Schritten ging sie durch das Tor am Ende des Gar tens und überließ es ihrer Mutter, Hammer und Nägel wegzuräumen. Georg stieg den steilen Pfad zum Moor hoch. Als sie zum leuchtend blauen Himmel mit den ku scheligen Wattewolken hochblickte, vergaß sie ih ren Zorn. In der Ferne hörte sie eine Feldlerche singen und der Duft der Erikasträucher wehte ihr entgegen. Der Tag war viel zu schön, um lange böse zu sein! Georg gehörte zu den Leuten, die schnell wütend werden, es aber nie lange bleiben. 17
Sie konnte frech und ungezogen und manchmal sehr aufgebracht sein, war aber sonst liebenswert, zuverlässig und vor allem außerordentlich ehrlich. Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, mar schierte Georg vor sich hin und pfiff dabei so laut sie konnte. »Mädchenkram«, grummelte sie zwi schendurch. »Ich hasse Mädchenkram und ich brauche keine Spielkameraden. Ich habe genug Spaß mit mir allein, danke, Mutter.« Bald befand sie sich weit vom Felsenhaus ent fernt, hoch oben im Moor, das über und über mit Ginster und Erika bewachsen war. Tief unten im Meer brachen sich die Wellen an den Klippen. Sie war ganz allein, genau so, wie es ihr gefiel. An diesem bestimmten Tag aber sollte Georg nicht lange allein bleiben. Was sie nicht wusste war, dass sie bald schon einen Freund finden soll te. Den besten Freund, den man sich überhaupt vorstellen konnte! Selbst Georg!
18
2 Die Überraschung im Moor
Georg schlenderte zufrieden dahin und dorthin. Da ließ ein höchst seltsames Geräusch sie innehal ten. Es war eine Art Wimmern oder Japsen und es kam aus einem Gebüsch am Wegrand. Sie runzelte die Stirn. Was konnte das bloß sein? Irgendein wildes Tier? Ein Kaninchen oder ein Dachs vielleicht? Georgs Neugier gewann die Oberhand und sie beugte sich nieder, um sich die Sache anzusehen. »Oh«, rief sie überrascht. Da, unter einem Gins terstrauch, hockte ein winziger Hund. Georg gab 19
noch einmal einen Ausruf des Erstaunens von sich und streckte die Hand aus. Sie packte den Winz ling sanft am Nackenfell, zog ihn zu sich und hob ihn auf. »Ach du armes kleines Ding!«, rief sie, drückte den Welpen an sich und streichelte ihm über den flaumigen Kopf. »Wo kommst du denn her?« Sie sah sich um, aber da war weit und breit niemand zu sehen. Wie war dieses kleine Wesen bloß ins Moor gekommen, wunderte sie sich, so ganz allein, genau wie sie? Georg setzte sich hin und hielt den kleinen Hund in ihrem Schoß. Sein Fell war sandbraun und ziemlich zottelig. Er hatte einen langen Schwanz, eine kleine, runde schwarze Nase und große, treuherzige braune Augen. Als sie ihn streichelte, gab er einen kleinen Japser von sich, als wollte er sagen, »danke, dass du mich ge funden hast«, und fuhr ihr mit seiner rosigen Zunge über ihre Sommersprossennase und die Wangen. »Ach bist du süß«, flüsterte Georg. »Wo sind denn deine Eltern?« Doch auf ihre Frage kam keine andere Antwort als ein weiterer Japser. Der Kleine kuschelte sich in ihrem Schoß zurecht und war glücklich, nicht mehr allein zu sein. Georg hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Wenn sie den kleinen Hund mit zum Felsenhaus 20
nahm, seine Besitzer aber irgendwo in der Nähe waren, würden sie sich beim Zurückkommen be stimmt nicht gerade freuen, wenn er verschwun den war. Aber wenn sie in der Nähe waren und den kleinen Hund zum Spielen einfach sich selbst überlassen hatten, dann hatten sie ihn nicht ver dient. Plötzlich wurde Georg richtig wütend. Was musste das für ein furchtbarer Mensch sein, der ein kleines Tier wie dieses einfach sich selbst überließ? Nach einigem Überlegen erhob sich Georg schließlich mit dem Welpen auf dem Arm und trat den Nachhauseweg an. Sie würde ihre Eltern fra gen. Die würden wissen, was zu tun war! Nach einer Weile waren ihre Arme vom Tra gen so schwer, dass sie den kleinen Hund absetz te. Dieser tollte übermütig neben ihr her, glück lich, von einem so lieben und freundlichen Mäd chen gerettet worden zu sein. Es hatte ihm sehr gefallen, sich in ihre warmen Arme zu kuscheln, doch jetzt machte es richtig Spaß, neben ihr her zutollen. Kläffend rannte er einem Stock hinterher, den Georg für ihn geworfen hatte. Und bald schon hat te sich daraus ein tolles Spiel entwickelt. »Komm! Komm!«, rief Georg immer wieder, wenn der kleine Hund sich blitzschnell zwischen die Erikasträucher verkrümelte, um ihr dann ent gegenzustürmen. Was für ein Spaß! 22
Als sie beim Gartentor ankamen, nahm Georg ihn wieder auf den Arm, rannte mit ihm den Gar tenweg hoch und ging durch die Hintertür ins Haus. Die Zugehfrau war in der Küche und gera de dabei, Kekse zu backen. »Johanna, sieh mal, wen ich gefunden habe!«, rief Georg, als sie hereinstürzte. »Oh«, staunte Johanna, als sie sah, was Georg in den Armen hielt. »Wo hast du den denn gefun den?« Georg erzählte ihr, dass sie den kleinen Hund ganz allein oben im Moor gefunden hatte. »Du meine Güte«, schimpfte Johanna. »Wer lässt denn so ein süßes kleines Ding so weit von seinem Zuhause entfernt einfach allein?« »Ich habe keine Ahnung«, ereiferte sich Georg. »Auf jeden Fall nur eine ganz abscheuliche Per son. Wer immer es war, sollte dafür bestraft wer den. Das ist sehr grausam, findest du nicht?« »Du hast völlig Recht«, antwortete Johanna. Sie ging zum Kühlschrank und nahm eine Milchtüte heraus. Dann goss sie etwas Milch in eine Unter tasse und stellte diese auf den Boden. »Hier, mein Kleiner«, lockte sie. »Mal schauen, ob du durstig bist.« »Trinken Hunde Milch?«, fragte Georg, die nie einen Hund besessen hatte und eigentlich nichts über Hunde wusste. 23
»Aber sicher«, gab Johanna zurück. »Er ist ja noch ein Baby und alle Babys trinken Milch.« Gemeinsam sahen sie zu, wie der kleine Hund gierig trank. »Was für eine Rasse ist das wohl, was meinst du?«, fragte Georg. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Johanna. »Sein Kopf wirkt zu groß, seine Ohren zu spitz und sein Schwanz viel zu lang. Es ist unmöglich festzustellen.« »Ach weißt du, eigentlich ist es mir egal, was für eine Rasse er ist«, meinte Georg. »Ich finde ihn einfach ganz toll.« »Wer ist toll?«, fragte ihre Mutter, die gerade zur Tür hereinkam. »Dieser kleine Hund«, antwortete Georg. »Kleiner Hund?«, wiederholte die Mutter. Dann sah sie, was Georg meinte. »Ach du meine Güte, Georgina. Wem gehört denn der?« Georg war viel zu aufgeregt über ihren Fund, um zu merken, dass ihre Mutter sie Georgina genannt hatte. Auf die Frage, wem der Welpe gehöre, hätte sie gerne »mir« gesagt, aber sie wusste, dass er nicht wirklich ihr gehörte. Man besaß die Dinge nicht einfach, bloß weil man sie gefunden hatte. Sie erzählte, wo sie ihn gefunden hatte. »Tja«, meinte ihre Mutter. »Am besten, du gehst 24
mit ihm ins Dorf und fragst die Leute, ob irgend‐ wer einen kleinen Hund vermisst. Vielleicht ist er ausgerissen und ganz allein ins Moor gelaufen.« »In Ordnung«, sagte Georg und machte ein trauriges Gesicht. »Das muss ich wohl.« Als der kleine Hund seine Milch ausgetrunken hatte, rannte er zu Georg hinüber, knurrte sie über mütig an und begann mit den Schnürsenkeln ihrer Turnschuhe zu spielen. Georg, ihre Mutter und Jo hanna fanden das sehr lustig und lachten laut. So laut, dass der Vater aus seinem Arbeitszimmer stürzte, um zu sehen, was es da zu lachen gab. »Was ist das denn!«, rief er verblüfft, als er den kleinen Hund entdeckte. »Ein junger Hund, Vater«, bemerkte Georg. »Das sehe ich, Georgina«, brummte der groß gewachsene Mann streng. »Ich meine, was hat er hier zu suchen?« Erneut protestierte Georg nicht dagegen, dass sie Georgina genannt wurde. Sie wollte nicht, dass ihr Vater böse auf sie wurde, weil sie den kleinen Hund mit nach Hause gebracht hatte. Also be schloss sie, dass es besser war, ihn nicht zu reizen. Manchmal konnte sich Georg nicht beherrschen und reagierte hitzig, ohne nachzudenken. Diesmal jedoch erzählte sie ruhig und geduldig, wie und wo sie den jungen Hund gefunden hatte. Zu Ge orgs Erleichterung war der Vater ihr überhaupt 25
nicht böse. Er bückte sich und streichelte den Vierbeiner. »Ach, was für ein niedlicher kleiner Kerl«, meinte er, als dieser ihm die Hand leckte. »Jemand wird ihn sicher fürchterlich vermissen und sehr traurig sein.« »Am besten gehst du jetzt gleich mit ihm ins Dorf«, riet die Mutter Georg. »Und erkundige dich doch auch gleich auf der Polizeiwache, ob jemand einen Hund als vermisst gemeldet hat.« »Also gut«, seufzte Georg. Sie hob den kleinen Hund hoch und zog ganz traurig los. Einen Hund zu haben, was wäre das für ein Spaß! Dann hätte sie den besten Freund, den man sich überhaupt denken konnte. Wäre es nicht wunderbar, wenn niemand wüsste, wem er gehörte, und sie ihn für immer behalten dürfte? Der Weg vom Felsenhaus ins Dorf führte an ei nem kleinen Hafen vorbei, in dem die Fischerboo te lagen. Als Georg dort vorbeikam, rief der Fi scherjunge Alf ihr etwas zu. Er saß auf einem Bootsrand und flickte ein Netz. Alf hatte gesehen, dass sie einen kleinen Hund trug. »Georg, hast du einen Hund bekommen?«, wollte er wissen. Alf hatte Georg schon einige Ma le getroffen und wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er sie mit ihrem richtigen Namen ansprach. Georg stieg die Stufen zu ihm hinunter. »Ich habe ihn gefunden.« 26
»Gefunden?«, fragte Alf überrascht, während er den kleinen Hund streichelte und hätschelte. »Wo denn?« Alf staunte, als Georg ihm die Geschichte er zählte. »Ich nehme an, du kennst niemanden, der einen Welpen vermisst?«, fragte sie ihn und hoff te, er würde Nein sagen. Alf schüttelte den Kopf. »Nein, niemanden. Es ist sehr seltsam, dass der kleine Kerl so ganz allein oben im Moor war.« Er streichelte ihn von neuem. »Er ist niedlich.« »Ja«, seufzte Georg und machte sich wieder auf den Weg. Inzwischen hatte der kleine Hund ge nug davon, getragen zu werden, und begann zu strampeln. Nachdem sie ihn abgesetzt hatte, trot tete er brav neben ihr her und blickte von Zeit zu Zeit zu ihr hoch, als müsse er sich versichern, dass sie noch neben ihm war. Er war einmal verloren gegangen und wollte das nicht nochmals erleben. Er fühlte sich so sicher und gut aufgehoben bei diesem Mädchen, dass er am liebsten für immer bei ihr geblieben wäre. Gerade als Georg und der kleine Hund die schläfrige Hauptstraße des Dorfes überqueren wollten, raste ein starkes Motorrad an ihnen vorbei. »Paß auf«, rief Georg und beugte sich hinunter, um den kleinen Hund zurückzuhalten, der beina he vor die Räder gelaufen wäre. »Was für ein 27
rücksichtsloser Mensch rast denn so schnell durch ein Dorf?«, fragte sich Georg mit gerunzelter Stirn. Normalerweise war es sehr ruhig in dem Ort und es gab auch kaum Verkehr, genau wie Georg es mochte. »Wuff«, kläffte der kleine Hund, wie um zu verkünden, dass er keine Ahnung hatte, wer so etwas tat, es aber auch grässlich fand. Georg überquerte mit ihm die Straße und betrat das Postamt. Das Postamt war Teil des Dorfla dens, in dem es alles zu kaufen gab, von Nägeln bis hin zu Konservendosen. Hinter dem Schalter saß die Postmeisterin Frau Holze. Sie war ziemlich klein und rundlich. Der Stuhl, auf dem sie saß, war so hoch, dass ihre Füße ein ganzes Stück über dem Boden in der Luft baumelten. Frau Holze besaß einen Papagei. Er hockte in einem Käfig, der von der Decke hing. Als Georg und der kleine Hund eintraten, machte der Papa gei den Klang der Türklingel nach. Ding dong, ding dong! Es war schwer zu sagen, welches die echte Klingel war und welches der Papagei. »Wer ist da?«, kreischte der Papagei, als Georg sich dem Schalter näherte. Sie schmunzelte. Frau Holzes Papagei brachte sie immer zum Lachen. »Wer ist da?«, wiederholte der Vogel laut. »Sei ruhig, Polly«, befahl Frau Holze. »Siehst 28
du denn nicht, dass es die junge Dame vom Fel senhaus ist?« Georg krümmte sich innerlich. Als junge Dame bezeichnet zu werden, war noch schlimmer, als Georgina genannt zu werden! »Junge Dame«, krächzte Polly. »Junge Dame! Ding dong!« Georg konnte sich nicht helfen, sie musste ein fach lachen, während sie den jungen Hund hoch hob, um ihn Frau Holze zu zeigen. »Sie wissen nicht zufällig, wem der gehören könnte?«, fragte sie.
29
»Ach was für ein süßer kleiner Kerl«, rief die Frau. »Wo hast du den denn her?« Am Ende hatte Georg überall im Dorf herumge fragt und sicher mehr als ein Dutzend Mal erzählt, wo und wie sie den kleinen Hund gefunden hatte. Doch niemand schien ihn zu vermissen. Niemand wusste, woher er kam. Sie hielt ein, zwei Leute auf der Straße an und fragte diese ebenfalls. Aber auch sie konnten ihr nichts über den kleinen Hund erzählen. Ein groß gewachsener Mann in einer dunklen Lederjacke, den sie ebenfalls fragen wollte, nahm keine Notiz von ihr. Er drängte sich grob an ihr vorbei. »Unfreundlicher Kerl«, murmelte Georg, wäh rend sie Richtung Polizeiwache ging, um sich dort zu erkundigen, ob jemand einen Hund als ver misst gemeldet habe. Wachtmeister Mond blickte über den Schalter auf den kleinen Hund hinab und öffnete dann ein großes, blau eingebundenes Buch, das neben ihm lag. In dieses Buch trug er alles ein, was vermisst oder gefunden wurde. Nachdem er mehrere Seiten durchgesehen hat te, schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, mein Fräulein, es wurde kein Welpe als vermisst ge meldet.« »Was soll ich denn jetzt mit ihm machen?«, er 30
kundigte sich Georg mit finsterem Blick, weil der Wachtmeister sie »mein Fräulein« genannt hatte. »Nun, wenn sich innerhalb von dreißig Tagen niemand meldet, kannst du ihn behalten, das heißt, falls deine Eltern damit einverstanden sind.« »Dreißig Tage!«, rief Georg. »Das ist ja eine Ewigkeit, dann sind die Schulferien ja schon fast vorbei.« »Tja«, meinte Wachtmeister Mond. »So lauten nun einmal die Vorschriften. Willst du, dass ich das Tierheim anrufe? Die werden sich solange um ihn kümmern, wenn du möchtest.« Georg drückte den kleinen Hund fest an sich. Sie konnte den Gedanken, ihn weggeben zu müs sen, kaum ertragen. Der Welpe kuschelte sich an sie und leckte ihr die Hand. Dann hatte Georg ei ne Idee. Sie würde ihre Eltern fragen, ob sie den Hund während dieser dreißig Tage behalten durf te. Sie wusste, dass er im Felsenhaus viel glückli cher sein würde als im Tierheim. Er konnte ihr helfen, das Baumhaus fertig zu bauen. Sie würde wundervolle Strandspaziergänge mit ihm unter nehmen und mit ihm zur Insel rudern, wo sie in der Burgruine spielen konnten. Sie konnte mit ihm sogar auf die Felsen klettern, wo knapp unter der Wasseroberfläche ein Schiffswrack lag. Das Schiff hatte einst Georgs Ururgroßvater gehört und lag seit Jahrzehnten dort. Sie wusste, der kleine Hund 31
würde das alles ganz toll finden. Klar würden die Leute im Tierheim lieb zu ihm sein, aber da waren eben noch viele andere Hunde und niemand wür de Zeit haben, ihn zu knuddeln oder ein Abenteu er mit ihm zu erleben. »Ich werde meine Eltern fragen, ob ich ihn be halten kann, bis die dreißig Tage vorbei sind«, verkündete Georg schließlich dem Wachtmeister. »Wenn sie Ja sagen, rufe ich Sie an und gebe Ihnen Bescheid.« »Recht hast du, kleines Fräulein«, bemerkte Wachtmeister Mond, nachdem er sich notiert hat te, wie und wo Georg den Welpen gefunden hatte und wie dieser aussah. »Ruf mich an, wenn du zu Hause bist, und lass mich wissen, was deine El tern dazu sagen. Wenn sie Ja sagen und sich Leute bei mir melden, die einen kleinen Hund vermis sen, schicke ich sie zu euch ins Felsenhaus.« »Vielen Dank«, sagte Georg. Sie hob ihren neu‐ en Liebling hoch und ging. Auf dem Rückweg kam sie wieder bei Alf vor bei. »Hast du Glück gehabt?«, fragte er. Sie erzählte ihm, was der Polizist gesagt hatte. »Was wird aus ihm, wenn sich niemand mel det?«, wollte Alf wissen. »Tja«, schnurrte Georg mit einem fröhlich schelmischen Glitzern in den Augen. Der Gedan ke, einen Hund zu besitzen, entzückte sie und 32
machte sie ganz aufgeregt. »Ich hoffe, Mutter und Vater werden ihn bald so lieb haben, dass er für immer im Felsenhaus bleiben darf.« Alf grinste. »Dann lass uns mal die Daumen drücken, dass es so kommt.« »Und ob«, meinte Georg, als sie ihm zum Ab schied zuwinkte und sich pfeifend wieder auf den Weg machte. Im Felsenhaus fand Georg ihre Mutter im Gar ten, wo sie sich um die Blumen und das Gemüse kümmerte. Sie hörte aufmerksam zu, als Georg ihr schilderte, was sie im Ort alles erlebt und heraus gefunden hatte. Während sie erzählte, setzte Ge org den kleinen Hund ab. Er trollte sich zum Ge müsegarten und begann mit seiner kleinen schwarzen Nase zwischen Karotten‐, Zwiebeln‐ und Bohnenbeeten herumzuschnüffeln, als erfor sche er einen aufregenden Dschungel. »Bitte Mutter«, schloss Georg ihren Bericht, »können wir ihn nicht bitte, bitte, bitte behalten, bis jemand sich meldet?« Die Mutter betrachtete zuerst Georg und dann den Hund, der inzwischen zufrieden am Ende ei ner Bohnenstange kaute. Georg hielt den Atem an. Würde sie Ja oder Nein sagen? Falls sie Ja sagte, dann war sie das glücklichste und zufriedenste Mädchen auf der ganzen Welt! 33
3 Eine besondere Mahlzeit
Georgs Mutter stand im Garten des Felsenhauses und machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie war sich gar nicht sicher, ob es eine gute Idee war, dass Georg den kleinen Hund behielt, den sie im Moor gefunden hatte. »Bitte Mutter«, bettelte Georg noch einmal. »Ich weiß, er wird ganz brav sein, und ich verspreche, dafür zu sorgen, dass er ganz still ist, wenn Vater arbeitet.« Die Mutter seufzte, aber dann lächelte sie. »Nun, ich werde das mit deinem Vater bespre 34
chen«, antwortete sie. »Wenn er ebenfalls einver standen ist, kannst du den kleinen Wicht solange behalten.« Ein plötzliches Glücksgefühl durchströmte Ge org. Sie schlang die Arme um ihre Mutter und drückte sie ganz fest an sich. »O Mutter, danke! Wann wirst du ihn fragen?« »Sobald er guter Laune ist«, antwortete die Mutter verschwörerisch und drückte Georg an sich. »Du weißt, bei deinem Vater gibt es richtige und falsche Momente, um ihn etwas zu fragen. Du musst versuchen, geduldig zu sein.« Aber Geduld war nicht Georgs Stärke. Sie woll te gleich wissen, ob der kleine Hund im Felsen haus bleiben durfte, bis man wusste, wem er ge hörte. Sie konnte unmöglich warten, bis ihr Vater in der richtigen Stimmung war. Das konnte eine Ewigkeit dauern. Seit Beginn der Schulferien hatte er schlechte Laune und Georg hatte ihn kein ein ziges Mal lächeln sehen. Dann hatte sie plötzlich eine Idee. »Wenn Jo hanna ihm sein Lieblingsessen kocht, kriegt er be stimmt gute Laune«, rief sie aus. Ihre Mutter lachte. »Das ist eine ausgezeichnete Idee, Georgina, äh, Georg. Warum gehst du nicht und fragst sie gleich?« Fröhlich hüpfte Georg zum Haus, der kleine Hund eifrig hinter ihr her. Er war wirklich ein un 35
glaublich niedlicher Kerl. Er war so darauf be dacht, ihr möglichst nahe zu bleiben, dass man meinen konnte, er sei mit einem Bindfaden an ih rem Bein festgebunden. Als Georg die Hintertür öffnete, drängelte er sich vor und rutschte und schlitterte über den blanken Kachelboden im Flur Richtung Küche. Dort landete er geradewegs vor Johannas Füßen, die sich eben überlegte, was sie zum Abendessen kochen sollte. »Bis du immer noch hier?«, fragte Johanna und kauerte sich hin, um ihn zu streicheln. Sie sah zu Georg hoch. »Es ist dir also nicht gelungen, he rauszufinden, wem er gehört?« Georg schüttelte den Kopf. »Nein«. Sie erzählte, was Wachtmeister Mond ihr über die Wartefrist von dreißig Tagen erklärt hatte. »Und Wachtmeister Mond sagte, er kann solan ge hier bei uns bleiben, falls Mutter und Vater ein verstanden sind. Und das möchte ich unbedingt«, schloss sie atemlos. »Und Mutter wird Vater fra gen. Könntest du nicht bitte Vaters Lieblingsessen kochen, damit er dann guter Laune ist?« Johanna lächelte beim Anblick des eifrigen Ge sichts mit den dunkeln wippenden Locken und den lebhaften blauen Augen. »Nun«, schmunzelte sie. »Zufällig hat deine Mutter gerade gestern fri schen Lachs gekauft. Es wird heute also Lachs mit 36
erntefrischen Kartoffeln und Salat zum Abendes sen geben. Das ist eines der Lieblingsgerichte dei nes Vaters. Bist du damit einverstanden?« Georg strahlte. »Au ja, bitte! Und wie wäre es mit Apfelstrudel und Vanillesoße zum Nachtisch? Du weißt, das mag er doch auch so gerne.« »In Ordnung«, antwortete Johanna. »Aber du musst mir im Obstgarten die Äpfel holen.« »Aber natürlich, das mach ich.« Georg war fast zu allem bereit. Sie hob den kleinen Hund hoch. Dieser hatte in der Zwischenzeit den Teppich vor dem Ofen angeknurrt, ihn dann an einer Ecke ge packt und kräftig geschüttelt. »Hast du gehört, mein Kleiner? Lachs mit erntefrischen Kartoffeln! Wenn Vater davon keine gute Laune kriegt, dann hilft überhaupt nichts!« Der Welpe legte den kleinen Kopf schief und betrachtete Georg. Dann fuhr er ihr mit seiner langen rosigen Zunge über die Nase. Lachs und erntefrische Kartoffeln, das klang in der Tat köst lich! »Ich glaube, dieser Hund versteht jedes Wort, das du sagst«, bemerkte Johanna, als sie zum Kühlschrank ging und den Lachs herausholte. »Natürlich tut er das«, bekräftigte Georg. »Er ist der schönste und intelligenteste Hund auf der ganzen Welt!«
37
»Ich hatte auch einen Hund, als ich so alt war wie du«, erzählte Johanna, während sie das Essen zubereitete. »Und er war wirklich der schönste und intelligenteste Hund, den du dir vorstellen kannst. Er war einfach wunderbar und ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt.« Georg saß auf dem Boden und spielte mit ihrem neuen Freund. Dieser knurrte leise und tat, als wollte er sie in die Finger beißen. »Wie hieß dein Hund?«, fragte sie Johanna und blickte zu ihr hoch. »Tim«, antwortete Johanna verträumt. »Er war tapfer und treu und begleitete mich überallhin. Die Leute bezeichneten ihn immer als meinen kleinen Schatten.« »Tim«, murmelte Georg gedankenverloren. »Das ist ein schöner Name für einen intelligenten und treuen Hund. Ich werde diesen kleinen Hund auch Tim nennen. Der Name passt ausgezeichnet zu ihm, findest du nicht?« »Ja, das finde ich auch«, antwortete Johanna und betrachtete den eifrig mit dem Schwanz we delnden Vierbeiner mit einem Lächeln auf ihrem runden Gesicht. Georg stand auf. »Gut, das wäre also geklärt. Komm jetzt Tim, lass uns ein paar Äpfel für Vaters Lieblingsnachspeise pflücken.« Gemeinsam rannten Georg und Tim nach drau ßen zu den Obstbäumen ganz am Ende des Gartens. 39
»Bleib«, befahl Georg ihm dort liebevoll und drückte sein Hinterteil sanft zu Boden, sodass er neben dem Baumstamm saß. »Ich bin gleich wie der da. Und versuch nicht, mir zu folgen, denn Hunde können nicht auf Bäume klettern.« Tim schaute zu, wie Georg gelenkig wie ein Af fe den Baum hochkletterte. Als er sah, wie sie auf einem gefährlich aussehenden Ast balancierte, stieß er einen beunruhigten Japser aus und ver suchte am Baumstamm hochzuspringen, wieder und wieder wie ein Jo‐Jo. Georg blickte hinunter und kicherte. Tim wäre ihr ganz bestimmt hinterher geklettert, wenn er es nur irgendwie zu Stande gebracht hätte, da war sie sich sicher. Sie stopfte alle Hosentaschen mit Äpfeln voll und kletterte bald darauf wieder hin unter. »Guter Hund, Tim«, lobte sie ihn und knuddel te ihn, bevor beide zusammen wieder nach drin nen rannten. »Hier, Johanna.« Georg fischte die glänzenden grünen Äpfel aus ihren Taschen und legte sie auf den Tisch. »Jetzt gehen wir zu Vater und erzählen ihm, was es zum Abendessen gibt.« Johanna nahm einen Apfel und hielt ihn sich unter die Nase. »Mmh, köstlich«, sagte sie. »Dieser Apfel riecht nach Sommer.« Georg nahm ebenfalls einen und roch daran. 40
»Stimmt«. Sie hielt ihn Tim unter die Nase, der auch daran schnüffelte. »Wäff«, meinte er. Es klang wie eine Mischung aus einem Kläffen und einem Japser. Georg und Johanna lachten. »Ich finde, du solltest deinen Vater im Moment nicht stören«, riet die Haushälterin. »Er ist sehr beschäftigt. Warum gehst du nicht mit Tim nach draußen, während ich die Äpfel und den Rest des Essens vorbereite. Ich bin sicher, der kleine Kerl würde sich über einen Spaziergang freuen.« Plötzlich fiel Georg ein, dass sie gar kein Hun defutter hatten. Was um alles in der Welt sollte Tim zu Abend essen? »Ach du meine Güte. Das weiß ich auch nicht«, rief Johanna, als Georg sie fragte. »Am besten, du gehst und fragst deine Mutter«. Also rannte Georg wieder nach draußen, dies mal um ihre Mutter zu suchen. Sie war inzwi schen im Vorgarten, wo sie sich mit den üppigen Rosen beschäftigte, die sich um die Haustür rank ten. Tim sprang neben Georg her. Ihm gefiel das ganze eilige Hin und Her. Dabei konnte er sich so richtig austoben. Als Erstes erzählte Georg ihrer Mutter, welchen Namen sie dem Hund gegeben hatte. »Das ist ein hübscher Name«, meinte die Mut ter. Sie lächelte, sah gleichzeitig aber auch besorgt 41
aus. »Du darfst dich nicht zu sehr an den Hund gewöhnen, Schatz. Angenommen, dein Vater …« Aber Georg wollte gar nicht wissen, was es für sie bedeuten würde, wenn Vater dagegen war, dass Tim eine Zeit lang im Felsenhaus wohnte. Sie konnte das ausgezeichnet, nicht zuhören, wenn ihr etwas nicht passte. So unterbrach sie ihre Mut ter einfach und fragte: »Darf ich bitte nach Felsen burg gehen und Hundefutter für Tim kaufen? Er ist sehr hungrig.« »Japs, japs«, bestätigte Tim eifrig. Er setzte sich auf ihren linken Fuß und wedelte wie wild mit 42
dem Schwanz. »Wuff, wuff«, bellte er schließlich und versuchte wie ein großer hungriger Hund zu klingen und nicht wie ein kleiner. Georgs Mutter konnte nicht anders als lächeln. Sie griff in ihre Tasche, holte die Geldbörse hervor und gab Georg 10 Mark. »Geh damit zur Tier handlung und lass dir Futter für junge Hunde ge ben. Und beeil dich, die Geschäfte schließen bald.« Georgs Augen glänzten. »Danke Mutter.« Sie klopfte sich auf die Schenkel. »Komm Tim, guter Junge.« Der kleine Hund folgte ihr durch das Gartentor und den Weg zum Dorf hinunter. Er war so glück lich, bei ihr zu sein, dass er ganz brav neben ihr hertrottete. Die Einsamkeit und die Angst, die er oben im Moor verspürt hatte, waren wie wegge blasen. Nun würde alles gut werden. Er hatte ei nen neuen Namen, eine neue Besitzerin und ein wunderschönes neues Haus ganz nahe am Meer. Das Leben, so beschloss Tim, war schön.
43
4 Vater trifft eine Entscheidung
Georg und Tim liefen nebeneinanderher, als wä ren sie schon seit Ewigkeiten befreundet. Und Ge org redete in einem fort. Obwohl ihr das Allein sein zuvor nichts ausgemacht hatte, musste sie zugeben, dass es wunderbar war, sich mit jeman dem unterhalten zu können. Inzwischen ging es gegen Abend, der Himmel begann sich rosig zu färben und die Sonne würde bald untergehen. Immer wieder entdeckte Tim etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Einmal verschwand er in einer Hecke und kehr 44
te mit einem Stock zurück. Er legte ihn Georg vor die Füße. »Tim, du bist ja so klug!«, rief Georg. Sie hob den Stock auf und warf ihn ein Stück. Tim rannte hinterher, packte ihn und trottete zu Georg zu rück. Plötzlich wurde Georg klar, dass die Geschäfte zu sein würden, wenn sie sich nicht beeilten. Sie nahm Tim unter den Arm und ging rasch in Rich tung Dorf. Am kleinen Hafen hielt sie inne und blickte auf das Meer hinaus. Es schimmerte in einem warmen Blau. Gleich hinter dem Felsvorsprung konnte man einen Zipfel der Felseninsel und einen der beiden verfallenen Türme erkennen. »Siehst du das, Tim«, sagte Georg und hob ihn hoch, damit er es besser sehen konnte. »Diese Insel wird eines Tages mir gehören. Wenn Vater eben falls erlaubt, dass du bei uns bleibst, werde ich dich mit meinem kleinen Boot hinfahren. Aber du musst mir versprechen, dass du keine Kaninchen oder Vögel jagen wirst.« Tim blickte zu ihr hoch und versprach mit ei nem feierlichen »Wuff«, nichts Derartiges zu tun. Georg drückte ihn an sich. »Wir werden dort viele Abenteuer erleben. Es ist der schönste Ort auf der ganzen Welt.« Mit aufgerichteten Ohren betrachtete Tim die 45
Insel. Es schien sich tatsächlich um einen sehr spannenden Ort zu handeln. Bloß war er sich nicht ganz sicher, ob ihm die großen Wellen gefielen und wie sie sich an den Felsen brachen, die scheinbar die ganze Insel umgaben. Aus der Sicht eines kleinen Hundes wirkten sie etwas gefährlich! Bis Georg und Tim schließlich wieder zu Hause eintrafen, war das Abendessen fast fertig. Als sie das Haus mit einer großen Tüte Hundefutter be laden durch die Hintertür betraten, war Johanna gerade dabei, die leckeren erntefrischen Kartoffeln aufzutragen. »Könnten wir bitte eine Schüssel für Tim ha ben?«, fragte Georg, als sie das Hundefutter auf den Tisch wuchtete. Tim saß ihr zu Füßen und blickte hoffnungsvoll zum Tisch hoch. Sein kleiner Magen knurrte schon seit Stunden. Er begann zu japsen und zu winseln und versuchte hochzu springen und die Tüte zu packen. »Runter Tim«, befahl Georg streng. Dieser setz te sich sofort hin und wartete brav, bis sie eine Schüssel gefunden und etwas Futter hineinge schüttet hatte. Sie stellte die Schüssel auf den Bo den und dann eine mit frischem Wasser daneben. Der kleine Hund stürzte sich darauf und schlang das Futter in sich hinein, als würde es ihm jemand wegnehmen, wenn er es nicht gleich fraß. 47
»Du liebe Zeit«, rief Johanna aus. »Der hat viel leicht einen Appetit.« Georg schaute zu, wie Tim die letzten Reste aufleckte. »Er war am Verhungern«, meinte sie. »Armer Tim.« Sie hob die Tüte auf und schüttete noch etwas Futter in die Schüssel. Wieder schlang Tim es nur so in sich hinein. Dann schlappte er hastig etwas Wasser, um es herunterzuspülen. Georg lachte beim Anblick seines vollen runden Bauches, der nun aussah wie ein Fäßchen. Sie kniete sich hin, damit der Hund ihr das Gesicht lecken und sich für das Essen bedanken konnte. Dann hob sie ihn hoch und knuddelte ihn ganz fest. »Ist er nicht wunderbar?«, fragte sie Johanna. Johanna stand da und blickte auf das Mädchen und den Hund hinab. »Ich hoffe, dein Vater er laubt, dass er hier bleibt«, antwortete sie. »Sonst wird einem kleinen Mädchen, das ich kenne, das Herz brechen.« »Was soll das heißen? Wem wird das Herz bre chen?«, fragte eine tiefe Stimme. In der Tür stand Georgs Vater und runzelte die Stirn. »Ich dachte, ich hätte Lachs und frische Kartoffeln gerochen«, fuhr er fort. »Was wälzt du dich da mit dem Hund auf dem Boden herum, Georgina? Und warum ist der überhaupt noch hier?« Als Georg hörte, wie ihr Vater sie Georgina nannte, zog sie einen Flunsch. Dann gelang es ihr 48
zu lächeln. Wenn sie jetzt deswegen protestierte, würde ihr Vater sicher sauer werden, Lachs hin, Lachs her. Schnell erzählte sie, wie sie alle im Dorf gefragt hatte, ob sie wüssten, wem Tim gehörte, und was Wachtmeister Mond gesagt hatte. »Dreißig Tage!«, rief der Vater, noch immer mit zusammengezogenen Brauen. »Und wo soll er bis dahin bleiben?« »Wir wollten dich fragen, ob er solange hier bleiben darf, Quentin«, schaltete sich nun Georgs Mutter ein, die eben in die Küche trat. Sie hatte oben die Gartenkleider gewechselt und gehört, dass sich die beiden in der Küche miteinander un terhielten. »Hier?«, fragte Georgs Vater. »Und was ist bitte mit meiner Arbeit?« »Er wird ganz brav sein«, versprach Georg ei lig. »Ich werde dafür sorgen, dass er keinen Krach macht, ehrlich.« »Japs«, fügte Tim hinzu, wie um zu bekräftigen, dass er mäuschenstill sein werde, wenn der Vater an einem seiner wichtigen wissenschaftlichen Pro jekte arbeitete. Georgs Vater betrachtete den kleinen Hund nachdenklich. Tim saß unter dem Tisch und blick te unter seinen zottigen Augenbrauen hervor. Un sicher wedelte er mit dem Schwanz. Bumm, 49
bumm, trommelte dieser auf den Boden. Tim wusste, dass Georg ihn innig liebte und dass die Mutter und Johanna ihn ebenfalls mochten und nett waren. Was jedoch diese große dunkle Gestalt betraf, die ihn stirnrunzelnd von weit oben mus terte, war er sich nicht so sicher. Vielleicht sollte er sich um seine Freundschaft bemühen? Schließlich war er Georgs Vater, so schrecklich konnte er also nicht sein, nicht wahr? Just in dem Moment als der Vater zum Spre chen ansetzte, kam Tim unter dem Tisch hervor und setzte sich ihm zu Füßen. Dann, müde vom vielen Spielen, von den zwei langen Spaziergän
50
gen ins Dorf, die er mit Georg unternommen hat te, und der ausgiebigen Mahlzeit, legte er sich hin. Den Kopf bettete er auf eine der glänzenden brau nen Schuhspitzen des Vaters. Dann stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus, schloss die Augen und war auf der Stelle eingeschlafen. Georgs Vater rührte sich nicht. Er stand einfach nur da und sah auf Tim herab. »Siehst du«, flüsterte Georg. »Er mag dich. Jetzt musst du ihn aber bei uns wohnen lassen. Mutter hat schon Ja gesagt. Und schließlich hat Johanna heute zum Abendessen extra für dich Lachs mit erntefrischen Kartoffeln und als Nachtisch Apfel strudel gemacht.« »Apfelstrudel, herrlich«, freute sich Georgs Va ter und zog seinen Schuh sanft unter Tims Kopf hervor. Er ging zum Backrohr und spähte hinein. »Ahh, das sieht köstlich aus, Johanna.« »Vater«, rief Georg, die ihren Vorsatz, geduldig zu sein, völlig vergessen hatte. »Was wird denn jetzt aus Tim?« »Tim?«, wunderte sich der Vater. »Wer ist Tim?« »Der Hund, Quentin«, antwortete seine Frau geduldig, aber mit Nachdruck. »Georg will wis sen, ob du auch einverstanden bist, dass er hier bleibt, bis sich jemand meldet, dem er gehört.« Wieder runzelte Georgs Vater die Stirn, dann 51
seufzte er und zuckte ungeduldig die Schultern. »Also gut, von mir aus«, erklärte er. »Aber nur so lange er brav ist. Sonst muss er ins Tierheim. Ab gemacht, Georgina?« »Georg«, antwortete Georg und vergaß, sich bei ihm zu bedanken. »Ich heiße Georg und er heißt Tim.« »Georg und Tim«, meinte Georgs Mutter la chend. »Die zwei größten Lausbuben, die man sich denken kann.« Georg bückte sich und nahm den schlafenden Hund in die Arme. »Hast du gehört, Tim? Wir sind zwei Lausbuben!« Der kleine Hund wachte auf, gähnte und fuhr ihr mit der Zunge über die Nase. Sie umarmte ihn so fest wie nie zuvor. Dann blickte sie mit glän zenden Augen hoch. »Danke, Vater. Danke, Mut ter. Ihr habt mich sehr glücklich gemacht!« Tim aber flüsterte sie ins Ohr: »Warte nur ab Tim, du und ich, wir werden die größten Abenteuer der Welt zusammen erleben!«
52
5 Georg trotzt
»Tim wird beim Essen unter meinem Stuhl lie gen«, verkündete Georg, während sie Johanna im Esszimmer beim Tischdecken half. »O nein, das wird er nicht«, erwiderte ihr Vater streng. Er kam gerade herein, nahm am einen Tischende Platz und breitete eine weiße Serviette auf seinem Schoß aus. »Hunde haben in Esszim mern nichts zu suchen.« 53
»Aber wo soll er denn dann bleiben?«, fragte Georg bekümmert. »In der Küche«, antwortete ihr Vater entschie den. »Aber er wird sich fragen, wo ich bin«, protes tierte Georg und hob den kleinen Hund hoch. »Er wird glauben, dass ich ihn ebenso verlassen habe wie diese abscheulichen Leute, die ihn einfach im Moor zurückgelassen haben.« »Das war vielleicht gar nicht ihre Absicht«, er innerte ihre Mutter sie und setzte sich nun eben falls. »Möglicherweise ist er einfach losgezogen
54
und hat sich verirrt, so ganz allein. Nun tu aber, was wir sagen, Georg, und sperr Tim in die Kü che, solange wir essen.« »Ich will aber, dass er bei mir bleibt«, beharrte Georg trotzig. Sie stand mit verbissener Miene in der Tür. »Nicht während wir essen«, wiederholte ihr Va ter unnachgiebig. Wenn er einmal einen Ent schluss gefasst hatte, ließ er sich von niemandem dazu bewegen, diesen zu ändern. Darin war er genau wie Georg. »Sag du es ihr, Fanny«, wandte er sich an Georgs Mutter. »Sie scheint taub zu sein, wenn ich etwas zu ihr sage.« »Nein, bin ich nicht«, maulte Georg, die den Hund absetzte und die Hände trotzig in die Hüf ten stützte. »Und wenn Tim in der Küche bleiben muss, werde ich auch dort essen.« Vor lauter Wut wurde ihr Vater ganz rot im Gesicht. Seine Brauen verknoteten sich über der Nase zu einem dunklen Knäuel. Wenn er so wü tend und halsstarrig war, ähnelten er und Georg sich ganz stark. »Georgina!«, brüllte er. »Du bist wirklich das schwierigste Kind auf Erden. Hör so fort auf, mir zu widersprechen, sonst kannst du ohne Essen ins Bett!« Obwohl Georgs Magen vor Hunger laut knurrte, fand sie es weniger schlimm, ohne Essen ins Bett zu gehen, als von ihrem neuen Freund getrennt 55
werden. Wie so oft mischte sich nun die Mutter ein und glättete die Wogen. Sie nahm Tim hoch und übergab ihn Johanna. »Du findest sicher einen schmackhaften Rinderknochen für ihn, auf dem er herumkauen kann, während wir essen«, meinte sie. »Ich habe genau das Richtige für den Kleinen«, antwortete Johanna und nahm ihr den Welpen ab. »Georg, nun setz dich und tu, was wir dir sa gen«, beharrte ihre Mutter. »Tim wird seine Freu de an dem Knochen haben und ist in der Küche gut aufgehoben. Hier würde er damit nur den Teppich ruinieren.« Georg seufzte: »Also gut«, willigte sie wider strebend ein, da sie nicht wollte, dass Tim dieses Vergnügen entging. Sie zog ihren Stuhl unter dem Tisch hervor, ließ sich schmollend darauf plump sen und rückte dann etwas näher an die Tischplat te heran. Stocksteif saß sie da und betrachtete ih ren Vater mit einem bohrenden Blick. Es ist immer dasselbe mit den Erwachsenen, dachte sie wütend. Sie müssen alles verderben! Nachdem Johanna Tim in der Küche unterge bracht hatte, trug sie eine lange, fischförmige Plat te mit dem Lachs herein. Die Schüssel mit den dampfenden erntefrischen Petersilienkartoffeln und eine andere mit dem knackig frischen Kopfsa lat und den Radieschen aus dem Garten standen bereits auf dem Tisch. 56
Die Mutter holte noch schnell die Majonäse und setzte sich mit einem Stoßseufzer wieder hin. Ge org ahnte, was in ihr vorging. Ihrem Gesichtsaus druck nach zu schließen dachte sie schaudernd daran, dass ein Monat mit Tim im Felsenhaus mehr als nur das gewohnte Maß an Streitereien zwischen ihrer Tochter und ihrem Mann nach sich ziehen würde. Georg beendete ihr Essen in Rekordzeit. »Darf ich bitte vom Tisch?«, fragte sie steif, kaum hatte sie die Nachspeise verdrückt. »Natürlich, Schatz«, antwortete ihr die Mutter. »Es ist besser, du siehst jetzt nach, wie Tim mit seinem Knochen zurechtkommt.« Der kleine Hund lag unter dem Küchentisch und nagte an einem großen Rinderknochen. Georg setzte sich im Schneidersitz vor ihn hin und sah ihm dabei zu. Er war wirklich der allerwunder barste Welpe, den sie je gesehen hatte. Was für ein Glück, dass sie. ihn gefunden hatte. Plötzlich zog sich ihr Herz zusammen. Sie liebte ihn jetzt schon so sehr und sie wusste, in einem Monat, wenn sei ne Zeit im Felsenhaus um war, würde sie ihn noch viel mehr lieben. Insgeheim hoffte sie, dass sich niemand melden und Anspruch auf ihn erheben würde. Dann hatte sie einen genialen Einfall. Wenn sie ganz, ganz brav war, während Tim bei ihnen war, und ihn zu einem gehorsamen Hund 57
erzog, dann würden Mutter und Vater ihm viel leicht erlauben, für immer bei ihnen zu bleiben. Und so beschloss Georg, sich nicht mehr mit ih rem Vater zu streiten. Sie würde unglaublich brav sein und bis ins Letzte gehorchen. Sie wusste, es würde ihr nicht leicht fallen, einen ganzen Monat lang brav zu sein. Doch sie musste es zumindest versuchen. Als Johanna und die Mutter begannen, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu spülen, ging Georg rasch mit Tim zum Spielen in den Gar ten. Sie hatte beschlossen, sofort mit seiner Erzie hung anzufangen. Zuerst brachte sie ihm bei, sich auf Befehl zu setzen. Zwischen einem Ende Schnur, ihrem Ta schenmesser, einem hübschen Kiesel und Kau gummipapierchen hatte sie ein paar zerbröselte Kekse in ihrer Hosentasche gefunden. Jedes Mal, wenn Tim sich setzte, nannte sie ihn einen braven Hund und gab ihm ein Stück Keks. Tim war blitz gescheit und begriff schnell, was er tun musste. Dann ging Georg kreuz und quer durch den Garten und befahl ihm, ihr »bei Fuß« zu folgen. Das fiel dem kleinen Hund schon schwerer. Im mer wieder rannte er los, um den im Wind tan zenden Blättern nachzujagen. Und schließlich ließ er sich mit einem kräftigen Gähnen mitten in ei nem Blumenbeet ihrer Mutter fallen. Den Kopf 58
zwischen den Pfoten, schloss er seine großen braunen Augen, stieß einen kleinen Seufzer aus und schlief auf der Stelle ein. Georg lief sofort hin, um ihn aus dem Blumen beet zu heben und hoffte innig, die Mutter würde nicht merken, dass einige Stängel umgeknickt und abgebrochen waren. Sie versuchte sie wieder auf zurichten, aber sie fielen immer wieder um. »Du darfst nicht auf den Blumen herumtram peln«, wies sie Tim streng zurecht, obwohl dieser schlief. Bald war es auch für Georg Zeit, ins Bett zu ge hen, weshalb die Mutter aus der Hintertür trat und sie hereinrief. Georg hob den schlafenden Hund hoch und trug ihn vorsichtig hinein. Die Mutter streichelte ihm über den weichen Kopf. »Er ist ein sehr müdes Baby«, sagte sie. »Ich habe Johanna gebeten, eine alte Decke aus dem Flurschrank zu holen, damit er in der Nacht neben dem Herd schlafen kann.« Georg sah ihre Mutter entsetzt an. Sie hatte be reits beschlossen, dass Tim am Fußende ihres Betts schlafen sollte. Ihr kleines Schlafzimmer würde ihm bestimmt sehr gefallen. Es hatte eine abgeschrägte Decke und die Aussicht war wun derschön. Vom einen Fenster aus konnte man das Moor sehen und vom anderen das Meer. Sie wür de Tim ihr Bücherregal zeigen, das mit Abenteu 59
ergeschichten sowie Segel‐ und Angelbüchern voll gestopft war. »Er schläft bei mir«, verkündete sie. »Hier un ten wäre er furchtbar einsam.« »O nein«, antwortete ihre Mutter entschieden. »Ich werde ganz sicher nicht erlauben, dass der Hund auf deinem Bett schläft. Und Vater ist mit Sicherheit der gleichen Meinung.« »Aber er tut mir doch nichts«, rief Georg. Beim Gedanken, sich wieder von Tim trennen zu müs sen, wurde sie ganz verzweifelt. Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, Georg. Schau, Hunde gehören weder ins Esszimmer noch ins Schlafzimmer.« »Aber Mutter …«, setzte Georg an. Dann erin nerte sie sich an ihren Vorsatz, brav zu sein, und biss sich auf die Lippen. Sie seufzte tief auf. Brav zu sein, würde viel schwieriger sein, als sie ge dacht hatte. »Nun«, schmollte sie schließlich, »wenn er die ganze Nacht hindurch heult, Mutter, dann ist das deine Schuld.« Johanna kam mit einer alten rosafarbenen De cke in die Küche. Sie sah weich und kuschelig aus und Georg wusste, dass Tim es neben dem Herd warm und gemütlich haben würde. Johanna gab ihr die Decke und ging dann in den Flur, um ihren Mantel zu holen und sich auf den Heimweg zu machen. 60
Georg legte die Decke vor den Herd und klopf te mit der Hand darauf. »Komm her Tim, komm«, lockte sie und versuchte die Tränen der Enttäu schung zurückzuhalten. Georg weinte fast nie. Weinen, fand sie, war kindisch, aber diesmal konnte sie sich fast nicht beherrschen. Sie hatte sich so darauf gefreut, Tim bei sich im Zimmer zu haben. Sie mochte Puppen und Teddys nicht und nahm nie etwas anderes mit ins Bett als eine Ta schenlampe und ein Buch und manchmal ein Sei lende, um ein paar Seemannsknoten zu üben. Doch wie wunderbar wäre es, Tim dort bei sich zu haben. Tim winselte und sah zu ihr hoch. Seine großen braunen Augen schienen sie zu bitten, ihn mit in ihr Zimmer zu nehmen. Sie kauerte sich nieder und streichelte ihn sanft. »Es tut mir Leid, Tim, aber Mutter sagt, du musst in der Küche bleiben.« Wieder winselte der kleine Hund. Er verstand jedes Wort, das seine neue Besitzerin sagte. Da hatte er sich solche Mühe gegeben, ganz brav zu sein, und nun verurteilte sie ihn dazu, die ganze Nacht allein in der dunkeln Küche zu bleiben. Er legte den Kopf schräg und leckte ihr die Hand. Georg blickte zu ihrer Mutter hoch, kaum fähig die Tränen zurückzuhalten. Sie warf die Locken zurück. »Bitte Mutter …« Aber ihre Mutter gab nicht nach. »Tut mir 61
Leid, Georgina. Aber das werden wir nicht erlau ben. Überhaupt würde Vater vor Zorn außer sich geraten.« Georg schnaubte. Nicht erlauben! Dauernd mussten sie ihr etwas befehlen oder verbieten. Jetzt war sie zornig. Zu allem Übel hatte die Mut ter sie auch noch Georgina genannt. Entschlossen, wenn auch sanft drückte sie den Hund auf die De cke und hob den Zeigefinger. »Bleib!«, befahl sie mit brüchiger Stimme, so wütend und traurig war sie. Dann starrte sie ihre Mutter an und Tränen glänzten in ihren blauen Augen. »Ich werde keine Minute schlafen können, damit du es weißt, Mut ter. Und Tim auch nicht. Wir werden morgen bei de müde und sehr schlecht gelaunt sein.« Damit stampfte sie aus der Küche und schmiss die Tür hinter sich zu. Georg stapfte die enge Wendeltreppe zu ihrem kleinen Zimmer hoch, das ganz oben, direkt unter dem Dach des Felsenhauses lag. Sie eilte zum Fenster und betrachtete den Himmel, der sich langsam verdunkelte. Ein paar letzte Sonnenstrah len hüpften über die kleinen Wellen, die auf die Küste zu rollten und in der Ferne zeichnete sich die Burgruine dunkel und geheimnisvoll gegen den orangefarbenen Himmel ab. Sie seufzte und wischte sich eine verräterische Träne von der Wange. Das Versprechen, das sie sich gegeben 62
hatte, nämlich keine Streitereien mehr vom Zaun zu brechen, hatte sie bereits gebrochen. Georg war es gewohnt, sich mit ihrem Vater anzulegen, aber sie hasste es, wenn es zu einem Streit mit ihrer Mutter kam. Am liebsten wäre sie hinunterge rannt, um sie zu umarmen und sich bei ihr zu ent schuldigen. Aber dazu war sie dann doch wieder zu stolz. Also schmollte sie vor sich hin. Nach einer Weile zog sie Hose und T‐Shirt aus und den gestreiften Schlafanzug an. Sie schlüpfte unter die Daunendecke, blickte zur Decke hoch und dachte daran, wie einsam Tim in der Küche war. Er würde sich fürchten. Er würde sich wieder so allein fühlen wie im Moor. Georg warf sich endlos lange im Bett hin und her. Im Haus war es still, nur in der Ferne hörte man eine Eule rufen und das Meer rauschen. Da zerriss ein Kläffen und Winseln die Stille, das sich bald in ein Heulen verwandelte. Unten in der Küche war Tim aus einem unruhigen Schlaf erwacht und wusste nicht, wo er war. Um ihn herum war es dunkel und still. Wo war das Mädchen, das so nett zu ihm gewesen war? Wo war die Frau, die ihm den Riesenknochen gegeben hatte? Der kleine Hund winselte noch einmal. Dann kroch er zum Teppich hinüber und begann mit seinen kleinen scharfen Zähnen auf einer Ecke 63
herumzukauen. Krmpf, krmpf. Schon fühlte er sich wohler. Doch der Teppich schmeckte bitter und so spuckte er die kleinen Wollfetzen wieder aus, die er abgekaut hatte. Er erhob sich und be gann im Dunkeln durch die Küche zu tapsen. Da bei stieß er an ein Tischbein und an den Stuhl, der vor dem Fenster stand. Ach, was war er traurig und einsam. Dann hatte er eine Idee. Vielleicht würde Georg ihn hören und retten, wenn er nochmals und richtig laut bellte. Georg hörte nur allzu gut, wie Tim unten win selte und heulte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie packte ihre Taschenlampe, warf die Decke zurück und ging auf den Zehenspitzen zur Zim mertür. Sie öffnete sie und horchte. Aus dem Zimmer ihrer Eltern kam kein Laut. Leise eilte Georg die Treppe hinab, wobei sie mit der Taschenlampe vor sich her leuchtete. Un ten entdeckte sie, dass Licht aus dem Arbeitszim mer ihres Vaters drang. Ihr Herz stand vor Schreck still. Ihr Vater arbeitete gerade an einem ungeheuer wichtigen Experiment und wenn der kleine Hund ihn dabei störte, würde er ihn mögli cherweise wegschicken. Dann würde sie ihn nie wieder sehen. Mucksmäuschenstill schlich sie am Zimmer vorbei. Tim lag unter dem Küchentisch, jaulte und kläff te von Zeit zu Zeit und kaute wieder auf der Tep 64
pichecke herum. Georg beugte sich hinunter und nahm ihn in die Arme. »Ach Tim, sei nicht traurig«, flüsterte sie. »Du darfst mit mir in mein Zimmer kommen, aber du musst ganz, ganz still sein.« Der kleine Hund war so froh, sie zu sehen, dass ihm vor lauter Wedeln beinahe der Schwanz ab fiel. Georg kicherte und freute sich ganz toll, als er sie im Gesicht und überall ableckte. »Psst«, wis perte sie. »Ruhig jetzt!« Dann bemerkte Georg das ausgefranste Teppi chende und die Wollfetzen, die überall verstreut lagen. »Mist!«, flüsterte sie. »Jetzt sitzen wir aber ganz schön in der Tinte.« Sie setzte Tim ab, der sie erst freudig wedelnd umkreiste, dann jedoch innehielt und sie mit seinen kleinen scharfen Zähnen unten an der Schlafanzughose packte. Knurrend schüt telte er sie hin und her, als sei sie ein Beutestück. »Tim«, kicherte Georg. »Bitte! Du kannst jetzt nicht mit mir spielen.« Es gelang ihr, Tim von der Schlafanzughose zu lösen. Nachdenklich betrachtete sie den Teppich. Was sollte sie bloß tun? Schließlich beschloss sie, den Teppich zu drehen, sodass die zerfranste Ecke unter den Tisch zu liegen kam. Hoffentlich würde es niemand merken. Dann fegte sie schnell die Fetzen zusammen und warf sie in den Abfalleimer. »Komm jetzt, du 65
Schlitzohr«, sagte sie zu Tim, als alles wieder or dentlich aussah. »Ab ins Bett.« Sie waren eben halbwegs die Treppe hoch, als sie hörten, wie unten die Tür des Arbeitszimmers geöffnet wurde. Im Flur ging das Licht an. Schnell knipste Georg ihre Taschenlampe aus und drückte sich an die Wand unter der oberen Treppe. Sie hörte, wie ihr Vater etwas vor sich hin murmelte, als er die erste Treppe hochkam und an ihr vorbei durch den Flur zum Badezimmer ging. Damit Tim sie nicht verraten konnte, hielt Georg ihm mit der Hand sanft die Schnauze zu. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie es wie ein Echo von allen Wänden vernahm und fürchtete, der Vater könne es auch hören und sie in ihrem Ver steck entdecken. Es schienen Stunden zu vergehen, bis er wieder aus dem Badezimmer kam und ins Schlafzimmer ging. In Wahrheit waren aber nur wenige Minuten verstrichen. Tim war ein Goldschatz. Irgendwie schien er zu spüren, dass er keinen Mucks machen durfte, da sonst seine Zukunft im Felsenhaus auf dem Spiel stand. Endlich schloss der Vater die Tür hinter sich und die Luft war wieder rein. Georg wagte ihre Taschenlampe nicht wieder anzuzünden und eilte die restlichen Stufen zu ihrem Zimmer im Dun keln hoch. Dort ließ sie Tim auf ihr Bett plumpsen 66
und legte sich neben ihn. Als er ihr das Gesicht leckte, musste sie wieder lachen. »Und nun, Tim«, befahl sie ihm schließlich streng, »wirst du ganz still sein. Morgen bringe ich dich nach unten, noch bevor Mutter und Vater auf sind. Mit etwas Glück wird niemand erfahren, dass du hier warst.« Georg schlüpfte unter die Decke. Tim drehte sich tänzelnd einige Male um sich selbst, bis er sich auf diese Weise neben ihr ein kleines Nest ge formt hatte. Er war im Hundehimmel. Er lag auf einer weichen, warmen Decke und hatte den liebs ten Menschen neben sich. Er wünschte, es könnte ewig so bleiben.
68
6 Eine unerwartete Schlagzeile
Am nächsten Morgen erwachte Tim als Erster. Hinter ihm lag eine wunderbar ruhige und be queme Nacht auf Georgs Bett. Er hatte auch keine Albträume mehr gehabt, in denen er einsam und verlassen im kalten windigen Moor saß. Tim setz te sich auf, streckte sich und gähnte ausgiebig. Dann tapste er zum Kopfkissen hoch und begann Georgs Gesicht abzulecken. Je eher seine Besitze rin aufwachte, desto schneller konnte der gemein same Spaß losgehen. Georg rieb sich die Augen und öffnete sie. Sie hatte von all den Abenteuern geträumt, die sie mit Tim erleben würde. »Guten Morgen Tim!«, begrüßte sie ihn und umarmte ihn freudig. »Hast du gut geschlafen?« 69
»Wuff«, antwortete Tim, und fuhr ihr einmal mehr mit der Zunge über das Gesicht. Plötzlich fiel Georg wieder ein, dass Tim nicht in ihrem Zimmer, sondern unten in der Küche ne ben dem Herd sein sollte. Schnell warf sie einen Blick auf ihren Wecker. Es war halb sieben und nichts rührte sich im Haus. Die Sonne schien zum Fenster herein und sie konnte das Gekreisch der Möwen und das Tuckern der Fischerboote hören, die den kleinen Hafen verließen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie sich ankleiden und Tim nach unten bringen, bevor die anderen aufwachten. Flugs hatte Georg ihre kurze Hose und einen Pullover angezogen und schlich mit Tim in die Küche hinunter. Dort öffnete sie die Tür zum Gar ten und der kleine Hund raste nach draußen und tollte übermütig herum. Er war froh, an so einem wunderbaren Morgen draußen in der frischen Luft zu sein. Kurz darauf kam der Zeitungsjunge auf seinem Rad angefahren. Georg ging zum Gartentor, um die Zeitung zu holen. »Ist das dein Hund?«, fragte der Junge, als er Tim entdeckte, der zwischen den Blumenbeeten und Sträuchern auf und ab jagte. »Nun … , ja, sozusagen«, antwortete Georg und erklärte, dass sie ihn gefunden habe und er vor läufig bei ihnen im Felsenhaus wohne. 70
»Du hast vielleicht ein Glück«, meinte der Jun ge, als er wieder losfuhr. »Ich wollte schon immer einen Hund.« »Ich auch«, rief ihm Georg nach. »Und jetzt habe ich einen«, sagte sie zu sich selbst. Georg beschloss, noch vor dem Frühstück mit Tim spazieren zu gehen. Sie verließ den Garten durch den Hintereingang und schlug den Weg Richtung Bucht ein. Tim rannte voraus. Seine kurzen Beine jagten so schnell sie konnten über Stock und Stein und sein Zottelschwanz stand wie ein Banner stolz in die Luft. Immer wieder hielt er inne und vergewisser te sich, dass Georg ihm folgte. Sie gingen den Klippenweg zur Bucht hinab. Tim rannte zum Wassersaum und bellte die Wellen an. Jedes Mal, wenn eine Welle zurückging, jagte er ihr nach und sobald wieder eine anrollte, ergriff er die Flucht. Beim Anblick des verspielten und glücklichen Hundes musste Georg laut lachen. Eine Zeit lang wanderten sie gemeinsam die Küste entlang. Dann begann Georgs Magen zu knurren und sie fand, dass es Zeit war, nach Hau se zu gehen und zu frühstücken. Tim gefiel es so gut, dass er noch nicht umdrehen wollte. Er hatte ein Stück Treibholz gefunden, das er immer wie der anfiel, anknurrte und kräftig schüttelte, als sei er ein großer, böser Hund. 71
»Komm jetzt, Tim, bei Fuß«, rief Georg. Aber er beachtete sie nicht. Nach einer Weile beschloss sie, einfach zu gehen. Irgendwann würde er ihr sicher folgen. Sie schlenderte zum Klippenweg zurück. Als sie sich umdrehte, um zu sehen, ob der Hund kam, glaubte sie am anderen Ende der Bucht eine Gestalt mit einem merkwürdig großen Kopf zu sehen. Ehe sie sich aber versah, verschwand sie hinter der Landzunge. Sie runzelte die Stirn. Für gewöhnliche Spaziergänger war es noch zu früh. Wer konnte das sein? Georg mochte es überhaupt nicht, wenn außer ihr noch andere Leute hier spa zieren gingen. In ihren Augen gehörte der Küsten streifen ihr. Hier hatte niemand anders etwas zu suchen. Um diese Jahreszeit gab es wohl einige Urlau ber in Felsenburg, aber normalerweise kamen sie nicht bis zur Bucht. Für gewöhnlich hatte Georg ihre Bucht ganz für sich allein und das passte ihr. Vielleicht war es ein Fischer, der nach einem ver lorenen Schwimmer suchte? Oder ein Wanderer, der vom Weg abgekommen war? Allerdings fand sie es schon sehr seltsam, dass jemand hinter der Landzunge verschwand. Dahinter gab es nämlich nichts Interessantes und wenn man nicht aufpass te, konnte einem die Flut den Rückweg in die Bucht abschneiden. 72
Als aber Tim mit dem Treibholz zwischen den Zähnen angesprungen kam, vergaß Georg den geheimnisvollen Fremden völlig. »Komm jetzt. Guter Hund. Wir können später wieder herkom men«, sagte sie zu ihm, als er sie erreichte. »Du musst am Verhungern sein und Treibholz ist nicht gerade das ideale Frühstück für dich!« Inzwischen war Johanna im Felsenhaus eingetrof fen und als die zwei zu Hause ankamen, war sie gerade dabei, Frühstück zu machen. »Ihr seid aber früh auf«, begrüßte sie die bei den, als sie zur Hintertür hereinstürzten. »Hat der kleine Kerl schon sein Frühstück bekommen?« »Nein, noch nicht«, antwortete Georg. Sie holte Tims Schüssel hervor und füllte sie mit Hundefut ter. »Wir sind beide am Verhungern. Was gibt’s für mich zum Frühstück, Johanna?« »Das Gleiche wie immer«, gab die Haushälterin zur Antwort und zählte auf. »Brötchen mit Mar melade und Honig, Schinken, ein Ei und Müsli.« »Köstlich«, meinte Georg, der das Wasser im Mund zusammenlief. Sie schaute zu, wie Tim sein Futter verschlang und die Milch schlappte, die Jo hanna ihm hingestellt hatte. »War er brav, heute Nacht?«, fragte Johanna. »O ja«, grinste Georg. »Sehr brav, nicht wahr, Tim?« 74
»Wuff«, antwortete Tim, der sich eben die letz ten Milchtropfen von der glänzenden Schnauze leckte. Georgs Vater kam in die Küche. Er griff nach der Zeitung, die Georg auf den Küchentisch gelegt hatte, und ging wortlos wieder hinaus. Tim hatte er völlig vergessen und dass Georg und Johanna in der Küche standen, bemerkte er auch nicht. »Ich sehe, dein Vater steckt mitten in einer wichtigen Arbeit«, meinte Johanna und blickte mit emporgezogenen Augenbrauen hinter der gedan kenverlorenen Gestalt her. »Du tust gut daran, deinen Hund im Auge zu behalten.« Georg hob Tim hoch. »Das werde ich. Ich ver spreche es.« Als das Frühstück bereit war, sperrte Georg Tim in die Küche. Sie wollte keine Auseinander setzung mit ihrem Vater riskieren. »Und bitte, ver greif dich nicht wieder am Teppich«, flüsterte sie dem kleinen Hund zu und gab ihm den Rest des Rinderknochens vom Vortag. »Begnüg dich für den Moment damit. Nach dem Frühstück werden wir zusammen an den Strand gehen und spielen.« Sie umarmte ihn kurz und setzte sich dann zu ih ren Eltern ins Esszimmer. Bald darauf brachte Jo hanna frische Brötchen, knusprigen Schinken, Eier und das Müsli und stellte alles mitten auf den Tisch. 75
»Danke Johanna«, sagte Georgs Mutter und alle griffen herzhaft zu. Nur der Vater war zu sehr mit seiner Zeitung beschäftigt, um von den Köstlich keiten Notiz zu nehmen. »Es gibt Frühstück, Quentin«, rief die Mutter laut. »Danke«, murmelte er hinter der Zeitung. »Tim war gestern Nacht ganz brav«, meinte die Mutter. »Ich habe wie ein Murmeltier geschlafen und keinen Pieps gehört.« »O ja, er war wirklich sehr brav«, bestätigte Ge org und atmete innerlich erleichtert auf. Sie konn te nicht lügen. Darum war sie froh, dass ihre Mut ter ihr keine ausführlichen Fragen zur letzten Nacht stellte. Sie hätte nicht anders gekonnt, als diese ehrlich zu beantworten. »Ach herrje«, rief der Vater plötzlich. »Hört euch das an«. Er las aus der Zeitung vor: »Überfall auf das Postamt von Felsenburg«. Auf der Titelseite prangte ein Bild, das den Dorfladen und davor eine aufgelöst aussehende Frau Holze zeigte. »Ein Überfall, im schläfrigen Felsenburg«, rief Georg aufgeregt. »Das ist vielleicht spannend!« »Das ist nicht spannend, Georgina«, wies ihr Vater sie zurecht. »Das ist furchtbar. Die Diebe er beuteten mehrere tausend Mark.« Georg verzog das Gesicht. Wieder hatte ihr Va 76
ter vergessen, dass sie nur auf Georg hörte. Er war wirklich unmöglich. Sie gab ihm keine Antwort. Stattdessen blickte sie zum Fenster hinaus und pfiff leise und gereizt ein Lied vor sich hin. »Mehrere tausend«, rief ihre Mutter. »Ich hätte nie gedacht, dass Frau Holze so viel Geld im Haus behält.« »Wie du siehst, schon«, antwortete der Vater und las weiter. »Die Postmeisterin Frau Holze saß gerade im Hinterzimmer, als der Dieb herein stürmte. Er überwältigte sie und durchsuchte das Lokal.« »Lieber Himmel, die arme Frau!«, rief Georgs Mutter. »Das ist ja ein Albtraum!« »Ich wette, sie hatte Angst«, meinte Georg und
77
versuchte sich vorzustellen, wie das wohl war, überwältigt zu werden. Wenn jemand versuchen würde, sie zu überwältigen, würde sie so lange wild um sich schlagen und schreien, bis man sie wieder losließ. Da war sie sich sicher. »Oh, bestimmt hatte sie Angst«, antwortete ihre Mutter. »Das Motorrad des Diebs wurde gleich außer halb des Dorfes in einem Graben neben der Küs tenstraße entdeckt«, fuhr Georgs Vater fort. »Es war kaputt. Vom Täter fehlt jede Spur. Er und die Geldkassette sind wie vom Erdboden ver schluckt.« »Ist das aufregend«, rief Georg noch einmal und rieb sich die Hände. »Nicht aufregend, nur furchtbar«, wiederholte ihr Vater und schlug die Zeitung heftig zusam men. »Ich weiß nicht, wo das alles enden wird, wenn Räuber und Diebe nun auch noch in einem Ort wie diesem ihr Unwesen zu treiben begin nen«, meinte er und klemmte sich die Zeitung un ter den Arm. »So«, grummelte er; »Dann mache ich mich wohl besser wieder an die Arbeit.« Und weg war er. »Quentin, du hast doch noch gar nichts geges sen«, rief ihm seine Frau nach. Zu spät. Sie hörten, wie er in Richtung Arbeitszimmer ging. Dann knallte eine Tür und Ruhe kehrte ein. Bis zum 78
Mittagessen würden sie ihn mit Sicherheit nicht mehr zu Gesicht bekommen und vielleicht nicht einmal dann. Leider würden sie auch den Rest des Berichts über den Raubüberfall auf das Postamt in Felsenburg ein anderes Mal lesen müssen.
79
7 Eine aufregende Entdeckung
»Was hast du heute Morgen vor?«, fragte die Mut ter Georg, während sie Johanna beim Abräumen halfen. »Ich werde mit Tim spielen«, antwortete sie. »Es ist schön, dass du einen Freund hast«, be merkte die Mutter lächelnd. »Allerdings wäre es mir ehrlich gesagt noch ein wenig lieber, du wärst mit Kindern aus dem Ort und nicht mit einem Hund befreundet.« 80
»Was ist daran falsch, mit einem Hund be freundet zu sein?«, fragte Georg und musterte sie mit einem bohrenden Blick. Sie hasste es, immerzu hören zu müssen, was gut für sie sei. Kinder wussten sehr genau, was gut für sie war, dazu brauchten sie ganz bestimmt keine Erwachsenen. Die Mutter seufzte leise. »Na ja, eigentlich nichts. Es ist einfach nicht ganz dasselbe. Das musst du doch zugeben. Oder?« »Stimmt«, knurrte Georg wütend. »Es ist näm lich noch viel besser, damit du es weißt!« »Wenn du meinst, Schatz«, lenkte ihre Mutter ein. »Und Tim ist wirklich süß. Also dann, zieh los und sei brav.« Georg musste tief durchatmen. Sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr mit ihren Eltern zu zan ken. Aber solche Bemerkungen waren fast zu viel für sie. Brav sein! Was glaubte ihre Mutter eigent lich? Georg rief Tim und stürmte aus der Küche. Im Garten zeigte sie ihm ihr Baumhaus. Es be stand erst aus drei zusammengenagelten Brettern, die sie an einem kräftigen Ast festgemacht hatte. Doch Johannas Mann Wilhelm, der ihrer Mutter manchmal im Garten half, hatte Georg verspro chen, ihr eine große Holzkiste zu besorgen. Diese würde ihr als Hütte dienen. »Ich weiß noch nicht genau, wie wir die da hoch bringen«, erklärte Georg dem kleinen Hund, 81
während sie beide vor dem Baum standen und hinaufblickten. »Aber wir werden schon einen Weg finden.« Tim japste und rannte zum Gartentor und wieder zurück. Im Augenblick war ihm das Baumhaus ziemlich egal. Er wollte nichts weiter als zu seinem Stück Treibholz zurückkehren, das er vorher widerwillig am Strand zurückgelassen hatte. Jetzt, da die Sonne schon recht hoch stand, war es sehr warm am Strand. Über Georgs Kopf segelten Möwen durch die Luft. Der Himmel war von ei nem tiefen Blau und das Meer so ruhig, dass es kaum Wellen gab. Georg summte vor sich hin, während sie den schmalen Weg zum Strand hinabmarschierte. Ihr war so heiß, dass sie den Pullover auszog und ihn sich um die Hüften band. Tim eilte voraus. Eifrig schnüffelnd suchte er sein Stück Treibholz. Es dauerte auch nicht lange, bis er es gefunden hatte und damit zu Georg zurückrannte. Er knurr te und schüttelte den Kopf, als sie es ihm wegzu nehmen versuchte. »Gib aus, Tim«, befahl Georg und versuchte dabei streng zu klingen. Aber sie musste die ganze Zeit über lachen, weil Tim so lustig war. 82
Endlich überließ der kleine Hund Georg den Stock und diese warf ihn weit fort, sodass Tim ihm nachjagen konnte. In diesem Moment kam ei ne Schar Möwen angeflogen und ließ sich in un mittelbarer Nähe des kleinen Hundes nieder. Tim hielt wie erstarrt inne und stellte die Ohren auf, so erstaunt war er. Vögel! Was für ein Spaß! Bellend raste er, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, auf sie zu. Die Möwen flogen kreischend davon. »Tim!«, rief Georg aufgebracht. »Vögel darfst du nicht jagen.« Doch der kleine Hund rannte eine Zeit lang noch den Strand entlang durch die Pfützen und Tümpel, die sich durch das Zurückgehen der Flut gebildet hatten. Dann setzte er sich hin und blickte zu den Vögeln hinauf, die durch die Luft segelten. Was fiel denen eigentlich ein, so einfach davonzu fliegen? Wie sollte ein kleiner Hund wie er sie fangen, wenn sie einfach aufflogen? Er wirkte et was beleidigt, als er zu Georg zurückkam. Sie knuddelte ihn kurz. »Keine Sorge, Tim. Ich bin dir nicht wirklich böse.« Sie warf einen anderen Stock für ihn und er jagte glücklich hinterher. Sie hatten so viel Spaß zusammen und genos sen es so sehr, draußen zu sein und zu hüpfen, zu rennen und zu springen, dass Georg ganz erstaunt war, als sie das andere Ende der Bucht erreichten. Sie befanden sich gar nicht mehr weit von den 84
großen Felsblöcken entfernt, die die Landzunge umgaben. Hier war sie noch nie gewesen. Tim hatte seinen Stock liegen gelassen. Er wu selte um die Felsblöcke herum, tapste durch Pfüt zen und Tümpel und beschnupperte alles. Georg folgte ihm. Dabei rutschte und schlitterte sie auf einen Tümpel mit winzigen Krebsen und Fischen zu. Napfschnecken klebten seitlich an den Steinen und im Takt der sanften Wellen schwebten die Arme einer feuerroten Seeanemone auf und nie der. Tim setzte sich und betrachtete sie mit weit vorgerecktem Kopf interessiert. Was war das denn für ein seltsam buntes Geschöpf, das dumm genug war, unter Wasser zu leben? »Was hast du gefunden, Tim?«, fragte Georg, als sie ihn erreichte. »Oh, eine Seeanemone! Ist sie nicht wunderschön?« Gemeinsam saßen sie da und betrachteten sie, bis Tim genug hatte und auf den Felsblöcken her umzuklettern begann. Bald war er auf der andern Seite der Landzunge verschwunden und wartete darauf, dass Georg nachkam. »Puh«, stöhnte diese, als sie ihn eingeholt hatte. Sie war einige Male ausgerutscht und ihre Hose war übersät mit grünen Seegrasflecken. Die Hände in die Hüften gestützt, betrachtete sie die lange Felsenküste die sich vor ihnen erstreckte. »Hier bin ich noch nie gewesen, Tim. Ist das ein Abenteuer!« 85
Plötzlich entdeckte Georg etwas noch viel Auf regenderes. Nicht weit von der Stelle entfernt, an der sie standen, befand sich der Eingang zu einer Höhle, die sehr tief zu sein schien. »Wahnsinn, Tim! Sieh mal!«, rief Georg. »Komm, wir wollen sie erforschen, ja?« Georgs Herz schlug vor Aufregung wie wild, als sie und Tim auf den Höhlenschlund zu eilten. Was für eine wunderbare Entdeckung! Sie standen am Eingang und starrten in das tiefe schwarze Loch. Georg stellte sich vor, Tim und sie seien mu tige Forscher, die gerade dabei waren, eine wich tige und aufregende Entdeckung zu machen. »Also dann, Tim«, rief sie und trat mutig einen Schritt nach vorn. »Lass uns hineingehen, ja?« Das Höhleninnere war noch geheimnisvoller und aufregender, als Georg erwartet hatte. Der Boden bestand aus riesigen Felsplatten und die Wände leuchteten in einem seltsamen, rosigen Licht. Die hohe zerklüftete Decke spiegelte sich in Pfützen und Tümpeln. Es war eine sehr große Höhle, so groß, dass Ge org nicht sehen konnte, wo sie endete. »Mannomann«, flüsterte sie staunend. »Das ist vielleicht eine Wahnsinnsentdeckung, Tim! Die Höhle ist beinahe so wunderbar unheimlich wie meine Burg.« »Wuff«, bestätigte Tim, der mit seinem Zottel 86
schwanz wedelte und nach allen Richtungen her umschnüffelte, um herauszufinden, ob es hier Höhlenungeheuer gab. Dabei japste er aufgeregt. Es roch nämlich sehr seltsam hier. Allerdings wusste er nicht genau, wonach. Georg blickte nach oben. Ob es auf den Fels simsen wohl Möwennester gab? Tim verschwand in den dunklen Tiefen der Höhle. Schnell eilte sie ihm nach. »Tim, Tim! Wo bist du?«, rief sie. Unheimlich hallte ihre Stimme von den Höhlenwänden wider. Vor lauter Spannung liefen ihr kleine Schauer über den Rücken. So etwas Aufregendes hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt. Dann vernahm Georg zu ihrer Verblüffung plötzlich ein anderes Geräusch. Es war ein seltsa mer, gespenstischer Klang, eine Art Glockenge läut, das von weit oben ertönte. Sie lauschte. Da war es wieder, gefolgt von einem eigenartigen Klopfgeräusch und etwas, das wie ein Wischen klang. Georg erschauerte etwas stärker. Tim begann wie wild zu bellen, rannte hin und her und versuchte zu wittern, woher all die Töne kamen. Sein Nackenfell sträubte sich und er war sehr aufgeregt. »Tim, komm her!«, rief Georg und hob ihn auf. Ihr Herz klopfte jetzt zum Zerspringen und ein Schauer nach dem anderen überlief sie. Jetzt hatte 87
sie sogar ein klein wenig Angst. »Was war das, Tim? War das ein Gespenst?« Beim Wort »Gespenst« stellte Tim die Ohren auf. Er fuhr mit der Zunge über Georgs Sommer sprossennase. Ob Gespenst oder etwas anderes, er fürchtete sich nicht im Geringsten. Seine Aufgabe bestand darin, seine Besitzerin zu beschützen. Er bellte erneut und endete mit einem kurzen Japser, weil Georg ihn so fest an sich drückte. Doch sie war entschlossen, ihre Angst zu bezwingen. Die Geräusche stammten wahrscheinlich vom Wind, der durch die Höhle pfiff, und von den Wellen, die sich an den Felsen brachen. »Ich bin doch kein kleines Kind mehr, das sich immer gleich fürch tet«, sprach sie sich tapfer Mut zu. Dann gingen die beiden zum Höhleneingang zurück. Georg sah sich um. Sie konnte nichts ent decken, das diese seltsamen Geräusche erklärte. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie verur sacht hatte. Langsam stieg die Flut und es war nur eine Fra ge der Zeit, bis sie nicht mehr um die Landzunge herumkamen und in ihre Bucht zurückkehren konnten. »Komm Tim«, rief Georg und hüpfte von Fels block zu Felsblock. »Lass und nach Hause gehen und Mutter von der Höhle erzählen … und vom Gespenst.« 88
8 Tim gerät in Schwierigkeiten
Bis sie das Felsenhaus erreichten, war es beinahe Zeit zum Mittagessen. Georg war froh darüber. Ihr Magen hatte auf dem ganzen Heimweg ge knurrt. Von der frischen Luft und dem Abenteuer war sie unglaublich hungrig geworden. Dass sie eine Höhle entdeckt hatten, war aber auch wahnsinnig aufregend. Johanna stand in der Kü che und bereitete gerade das Mittagessen zu. »Wo ist Mutter?«, fragte Georg, als sie mit Tim hereinkam. »Ich muss ihr etwas ungeheuer Span nendes erzählen.« »Sie ist in der Diele und spricht mit zwei Poli zisten«, antwortete Johanna. »Also stör sie nicht.« 90
»Polizisten!«, rief Georg. »Was wollen sie denn von Mutter?« »Sie sind wegen des Raubüberfalls hier«, mein te Johanna, ganz mit Kartoffelschälen beschäftigt. »Sie wollen wissen, ob wir gestern Abend etwas Verdächtiges beobachtet haben.« »Ach ja?«, sagte Georg. Sie nahm die Tüte mit Tims Futter aus dem Schrank, gab etwas davon in seine Schüssel und stellte eine Schale mit frischem Wasser daneben. »Nun, wir haben nichts be merkt.« »Ich nehme an, genau das wird deine Mutter den beiden auch mitteilen.« Tim war eben mit seinem Mittagessen fertig, als Georgs Mutter in Begleitung von zwei kräftigen Polizeibeamten in die Küche kam. »Das ist Georg«, sagte sie und stellte auch die beiden Polizisten vor. »Hallo, junger Mann«, wandte sich der größere der beiden an Georg. »Wir sind dabei, Informatio nen im Zusammenhang mit dem Postraub zu sammeln. Sind dir gestern irgendwelche Fremden im Dorf aufgefallen?« Georg grinste und fand den Polizisten, der sie »junger Mann« genannt hatte, ungemein sympa thisch. »Eigentlich ist sie meine Tochter«, beeilte sich die Mutter zu sagen. »Richtig heißt sie Georgina.« 91
Georg zog einen Flunsch, als die beiden Polizis ten lachten. »Für mich siehst du aus wie ein Junge«, meinte der andere, kleinere Polizist und musterte ihr zer zaustes Haar, die schmutzige kurze Hose und die ausgebeulten Schuhe. »Danke«, erwiderte Georg herablassend. »Ge nauso will ich auch aussehen. Jawohl …« »Das reicht, mein Schatz«, unterbrach ihre Mut ter sie. »Könntest du jetzt einfach die Fragen der Polizisten beantworten? Ich bin sicher, sie haben Besseres zu tun, als hier zu stehen und darüber zu
92
diskutieren, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist.« »Entschuldige, Mutter«, antwortete Georg und über legte einen Moment. »Nein, tut mir Leid, mir ist in Felsenburg niemand Verdächtiger aufgefal len. Ich wünschte, mir wäre jemand aufgefallen. Das wäre spannend gewesen. Ich war jedoch zu sehr damit beschäftigt, Tims Besitzer ausfindig zu machen.« Sie wollte den kleinen Hund hochheben und den Polizisten zeigen. Aber der war schon wieder in den Flur zurückgesaust. »Nun«, bemerkte der größere Polizeibeamte. »Wenn jemandem von Ihnen doch noch etwas ein fällt, rufen Sie uns bitte an. Schade, dass Ihr Mann momentan unabkömmlich ist. Aber vielleicht könnten Sie ihn für uns fragen, wenn er das nächs te Mal aus seinem Arbeitszimmer kommt.« »Das werde ich mit Sicherheit tun«, antwortete Georgs Mutter und begleitete sie hinaus. »Ich hoffe, Frau Holze hat sich vom Schreck über den Überfall inzwischen erholt.« »Ja, das hat sie«, erwiderte einer der Polizisten. »Allerdings ist sie sehr besorgt …« Während die drei in Richtung Gartentor gingen, verklang seine Stimme allmählich. »Die arme Frau«, bemerkte Johanna. »Ein der artiges Erlebnis würde mich völlig durcheinander bringen.« 93
»Ja«, meinte Georg. »All das Geld, das gestoh len wurde. Wahrscheinlich lauter Ersparnisse an derer Leute.« »Ja, das fürchte ich auch«. Johanna setzte die Kartoffeln in einem Topf voll Wasser auf den Herd. Georg lungerte ungeduldig herum. Sie wünsch te, ihre Mutter würde endlich wieder hereinkom men. Sie konnte es kaum erwarten, ihr von der geheimnisvollen und aufregenden Höhle zu er zählen. Plötzlich hörte sie einen lauten Knall und einen Schrei. Es war ihr Vater und etwas schien ihn furchtbar zu erzürnen. »Dieser verdammte Hund«, schrie er. »Georgi na! Komm her und hol sofort deinen Hund hier raus!« Georg warf Johanna einen entsetzten Blick zu. Was um Himmels willen hatte Tim verbrochen? Sie rannte aus der Küche und den Flur entlang. Auf halbem Weg traf sie auf Tim, der ihr entge genhetzte. Er hatte einen von Vaters Pantoffeln zwischen den Zähnen und der war, wie Georg er kennen konnte, völlig zerkaut und zerfetzt. Sie drehte sich um und rannte hinter ihm her. Tim war inzwischen in die Küche gestürmt und hatte sich unter dem Tisch verkrochen. Johanna kniete davor und versuchte ihn hervorzulocken. 94
Tim wedelte unsicher mit dem Schwanz, der zer fetzte Pantoffel lag zwischen seinen Vorderpfoten. Der Schrei dieses großen Menschen hatte ihn zu Tode erschreckt. Er hatte keine Ahnung, was er verbrochen haben könnte. Er durfte doch auf ei nem Stück Treibholz herumkauen, warum also nicht auch auf diesem merkwürdigen Stück Leder, das er unter dem Kleiderständer gefunden hatte? Georg kroch unter den Tisch und nahm ihm den Pantoffel weg. »Ach Tim«, flüsterte sie. »Ich fürchte, diesmal setzt es wirklich was.« Ihr Vater stürmte in die Küche. »Wo ist mein Pantoffel?«, brüllte er. »Hier«, erwiderte Georg kleinlaut und hielt ihm das zerfetzte Exemplar entgegen. »Mein bestes Paar«, schimpfte er wütend. »Rui niert!« »Was ist denn los?«, fragte Georgs Mutter, die eben zur Hintertür hereinkam, nachdem sie sich von den Polizeibeamten verabschiedet hatte. Dann sah sie den Pantoffel, das wütende Gesicht ihres Mannes und entdeckte Tim, der noch immer unter dem Tisch hockte. »Ach herrje. Du solltest ihn doch im Auge be halten, Georg.« »Es tut mir Leid«, flehte Georg. »Bitte Vater, sei nicht böse auf Tim. Er wusste doch nicht, dass es dein Pantoffel war.« 95
Inzwischen hatte sich ihr Vater gebückt und Tim unter dem Tisch hervorgezerrt. Georg hielt den Atem an. Wenn er nun noch die zerkaute Tep pichecke entdeckte, war Tim geliefert. »Von nun an bleibt der Hund draußen«, schimpfte der Vater aufgebracht. »Wenn er Dinge zerkaut, muss er sich eben im Geräteschuppen aufhalten, wo er keinen Schaden anrichten kann.« »Das geht nicht«, jammerte Georg. »Das wird ihm nicht gefallen. Er wird einsam und unglück lich sein … Bitte, Vater!« Doch ihr Vater schüttelte den Kopf. »Wir haben gesagt, du darfst ihn diesen einen Monat behalten, vorausgesetzt du sorgst dafür, dass er sich be nimmt«, beharrte er. »Quentin«, warf die Mutter nun ein, die sich trotz allem ein Lachen fast nicht verkneifen konn te. Sie legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. »Er ist doch erst seit gestern hier. Es dauert mehrere Wochen, einen jungen Hund zu erziehen.« Ihr Mann schien sich etwas zu beruhigen. »Ja, ich weiß«, lenkte er ein. »Aber ich lasse nicht zu, dass er drinnen alles zerlegt. Wenn du ihn richtig erzogen hast, Georgina, werde ich mir überlegen, ob er wieder ins Haus kommen darf.« »Wenn er draußen bleiben muss, bleibe ich auch draußen«, heulte Georg. »Damit ihr es wisst!« 97
»O nein, das wirst du nicht, junge Dame«, brüllte ihr Vater. »Du setzt dich jetzt sofort hin und isst dein Mittagessen mit uns. Erst dann kannst du wieder zu deinem Hund raus.« Sie wusste, es war es sinnlos, ihm zu wider sprechen, wenn er in dieser Stimmung war! Schmollend brachte Georg Tim nach draußen. »Bleib«, sagte sie zu ihm und setzte ihn vor der Hintertür ab. »Ich verspreche dir, ich werde nicht lange weg sein.« »Wuff«, antwortete Tim unglücklich. Er legte sich vor die Schwelle und blickte unter seinen zot tigen Augenbrauen zu ihr hoch. »Wuff, wuff.« Georg ging wieder hinein. Sie wusch sich die Hände und setzte sich dann im Esszimmer noch immer schmollend an den Tisch. Ihre düstere Miene und ihr Blick verhießen nichts Gutes. Am liebsten hätte sie gar nichts gegessen, aber schließ lich gewann ihr Bärenhunger die Oberhand. Ihre Eltern aßen schweigend. Es war, als würde eine schwarze Wolke über ihnen schweben. Insgeheim fand ihre Mutter die ganze Episode immer noch ziemlich lächerlich. Kleine Hunde zerkauten nun mal alles, was ihnen zwischen die Zähne kam. Abgesehen davon konnte Quentin sich problemlos ein neues Paar Pantoffeln besorgen. Beim Essen heckte Georg einen Plan aus. Sie war gar nicht dazu gekommen, ihren Eltern von 98
der Höhle zu erzählen. Pech für sie! Jetzt würde sie ihr Geheimnis hüten. Wenn Tim nicht ins Haus durfte, würde sie auch nicht mehr hier wohnen. Sie würde eine Tasche packen und mit ihm zu sammen in die Höhle ziehen. Dort gab es nichts, das Tim nicht zerkauen durfte. Sie würden heim lich in der Höhlen wohnen und gemeinsam ganz tolle Abenteuer bestehen und niemand würde sie je wieder zu Gesicht bekommen!
99
9 Die Ausreißer
Kaum hatte Georg gegessen, rannte sie nach drau ßen, um nach Tim zu sehen. Er saß noch immer vor der Hintertür und schien sich Leid zu tun. Sie setz te sich zu ihm und verriet ihm schnell ihren Plan. »Wir warten bis heute Abend«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Bis dahin ist die Flut wieder zurückge gangen und wir kommen zur Höhle. Wir nehmen ganz viel zu essen und warme Kleider mit und wohnen dort. Das wird ein tolles Abenteuer. Ein verstanden, Tim?« Sie umarmte den kleinen Mis 100
setäter ganz fest. »Kümmere dich nicht um Vater, Tim. Ich habe dich richtig lieb und das ist die Hauptsache.« Georg blieb bis zum Abendessen draußen bei ihrem Hund und nach dem Essen ging sie wieder hinaus, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen. Die Mutter brachte ihr Tims Decke. »Du kannst Tim im Schuppen ein gemütliches Nest herrichten«, meinte sie und sah ihre Tochter betrübt an. »Es tut mir Leid, Georg. Aber so liegen die Dinge augen blicklich nun einmal.« Georg war so wütend und außer sich, dass sie keinen Ton herausbrachte. Wie gerne hätte sie ihre Mutter einfach umarmt und ihr gesagt, dass es ihr Leid tat, und ihr versprochen, von nun an ein wachsames Auge auf Tim zu haben. Aber wieder war ihr der Stolz im Weg. Stattdessen nahm sie die Decke schweigend entgegen, schob die Schub karre zur Seite und richtete in der Ecke des Schuppens einen Schlafplatz für Tim her. Es war ein guter, stabiler Schuppen, keiner durch den der Wind pfiff. Sie wusste, dass Tim nicht frieren musste. Bevor sie ihn in den Schuppen brachte, drehte sie noch eine letzte Runde durch den Gar ten mit ihm. »Mach Platz hier«, befahl sie und klopfte sanft auf das weiche Lager. Dann fügte sie flüsternd hinzu: »Keine Sorge, ich komme bald wieder.« 101
Mit großen, traurigen Augen sah Tim zu, wie Georg ihn verließ und die Tür hinter sich schloss. Es war schon fast Nacht und am dunkelblauen Himmel glänzte der Vollmond wie eine polierte Münze. Winselnd legte Tim sich hin und bettete den Kopf zwischen die Pfoten. Was für eine merkwürdige Familie. Erst musste er in der Küche schlafen. Dann durfte er oben bei seiner Besitzerin schlafen und jetzt wurde er in den Schuppen ver bannt. Die Menschenwelt war schon sehr wunder lich. Georg verzichtete darauf, gute Nacht zu sagen, und stapfte, viel früher als sonst, in ihr Zimmer hinauf. Unter die Decke gekuschelt, überlegte sie sich noch einmal, wie sie ihren Vater am besten dafür bestrafte, dass er sie so ungerecht behandelt hatte. Ja, weglaufen war die beste Lösung, be schloss sie. Es würde ihrem Vater echt Leid tun, wenn er sie nie wieder sah. Statt sich auszuziehen, hatte Georg ihren Schlafanzug über die Kleider angezogen. Nun lag sie mit vor Aufregung klopfendem Herzen unter der Decke. Dort verharrte sie, hellwach, und lauschte dem Rauschen des Meeres, bis ihre Eltern beide schlafen gegangen waren. Dann kroch sie aus dem Bett und packte ihren Rucksack Es dauer te nicht lange, bis sie alles beisammen hatte, was sie brauchte: eine Wolldecke aus dem Schrank im 102
Flur, zwei Paar Socken und eine dicke Jacke, falls es kalt wurde, ihre Taschenlampe, Schnur, ein Ta schenmesser und eine Schachtel Streichhölzer. Mit alledem schlich sie die Treppe hinunter und schlüpfte leise in die Küche. Dort stopfte sie den Rucksack randvoll mit Leckerbissen: zwei Pa ckungen Kekse, eine Riesentüte Chips, mehrere Schokoriegel, ein Glas Marmelade und etwas Brot, eine Flasche Limonade und die Tüte mit Tims Hundefutter. Danach war er so schwer, dass sie nicht sicher war, ob sie den Weg bis zur Höhle damit schaffen würde. »Er ist zu schwer«, flüsterte sie vor sich hin. »Ich werde einige Dinge unterwegs zurücklassen und später holen müssen.« Bevor sie ging, schrieb Georg ihren Eltern einen Zettel. »Ich bin mit Tim weggelaufen«, kritzelte sie. »Wenn er nicht im Haus wohnen darf, will ich auch nicht hier wohnen. Bitte macht euch keine Sorgen, es wird uns gut gehen.« Sie unterschrieb mit »Georg« und fügte weder liebe Grüße noch sonst etwas Liebes hinzu. Sie sollten ruhig wissen, wie zornig und aufgebracht sie war. Draußen im Schuppen wurde sie ungeduldig von Tim erwartet. Er hatte gehört, wie Georg im Haus herumschlich, und wusste, dass sie kommen und ihn befreien würde. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, sprang er freudig an ihr hoch. 103
Georg legte einen Finger an die Lippen. Ihr Herz klopfte so laut wie nie zuvor. Nun würde sie ein weiteres aufregendes Abenteuer erleben. Zum Glück hatten Tim und sie die Höhle entdeckt, sonst hätte sie keine Ahnung gehabt, wohin sie weglaufen sollten. Georg holte hinten im Schuppen ihre Angelru te. Dann schlichen sich die zwei Ausreißer zu sammen durch das hintere Gartentor hinaus und begaben sich auf den schmalen Klippenweg, der zur Bucht hinabführte. Der Vollmond leuchtete so stark, dass es beinahe taghell war, als die zwei kleinen Gestalten durch die Nacht eilten. Die Flut war am Zurückgehen und es dauerte nicht lange, 104
bis Georg und Tim über die Felsblöcke zum Höh leneingang kletterten. Georg hatte den schweren Rucksack den ganzen Weg bis zur Höhle ge schleppt. Sie war fest entschlossen, keine Schwä che zu zeigen. Für eine mutige Höhlenbewohnerin war das nichts, einen schweren Rucksack so weit zu tragen. Sie tasteten sich über den nassen Boden des niedrigen Höhleneingangs nach hinten, wo die Höhle sich weitete. Bald hatte Georg eine geeignete Stelle gefunden und ließ ihren Rucksack zu Boden gleiten. Tim rannte aufgeregt umher. Der vierte Schlafplatz in nerhalb von zwei Tagen! Das war vielleicht ein aufregendes Hundeleben! Nachdem sich Georg eingerichtet hatte, setzte sie sich hin und Tim legte sich neben sie. Sie lauschte kurz, ob sich die unheimlichen Geräusche wieder vernehmen ließen. Auch wenn sie sich nur ganz wenig fürchtete, hoffte sie doch, dass sie heute Nacht nichts Seltsames zu hören bekam. Aber das Einzige, was Georg hörte, waren die Wellen, die gegen die Felsen schlugen, und ein lei ses Pfeifen, wenn der Wind durch den Höhlenein gang strich. »Da wären wir also, Tim«, meinte sie und gab dem Hund einen ganzen, mit Schokoladenkrem gefüllten Keks. Die beiden ließen sich ihr eher un 105
gewöhnliches, aber köstliches Mitternachtsmahl in ihrer geheimen Höhle schmecken. »Morgen werde ich uns ein paar Fische fangen. Wir machen ein Feuer und braten sie zum Mittag essen«, versprach Georg, der bei der Vorstellung das Wasser im Mund zusammenlief. »Wuff«, antwortete Tim, der das ebenfalls toll fand. Gemeinsam aßen sie eine Packung Kekse und die große Tüte Chips auf. Tim kuschelte sich ne ben Georg und gähnte kräftig. Er hatte so viel er lebt und einen so vollen Bauch, dass er sehr müde war. Bald darauf stieß er einen kleinen Seufzer aus und schlief ein. Georg machte es sich neben einem großen Stein block ebenfalls bequem. Bald fielen auch ihr die Augen zu. Sie konnte den kommenden Tag kaum erwarten. Sie würde die Fische fangen und dann in der Höhle nach trockenem Treibholz suchen, um ein Feuer zu machen. Oh, was für ein Spaß! Sie hatte noch nicht lange geschlafen, als sie Tim knurren hörte. Er saß aufrecht wie eine Eins, die Ohren waren gespitzt und die Nackenhaare ge sträubt. Georg setzte sich ebenfalls auf und ver suchte, ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Was ist los, Tim?«, flüsterte sie. »Was hast du gehört? War es wieder das seltsame Gespenst?« 106
Für einen kleinen Hund knurrte Tim Furcht erregend. Da sah Georg, was ihn beunruhigte. Im Höhleneingang stand eine große, dunkle Gestalt. Sie hob sich schwarz vom mondhellen Himmel ab. Georg packte Tim im Nacken und zog ihn hinter den Felsblock. »Hör auf zu knurren«, zischte sie. Der kleine Hund verstand sie wie immer genau und gehorchte sofort. Er duckte sich, bebend vor Wut. Wer schlich sich da mitten in der Nacht in ihre geheime Höhle? Wer erlaubte es sich, sie zu stören? Georg war äußerst beunruhigt. Das war doch wohl nicht ihr Vater, der sie suchte? Ihre Eltern hatten ja beide fest geschlafen, als sie gegangen waren. Sie würden erst morgen entdecken, dass sie weggelaufen waren. Tim bebte noch immer. Er konnte sich nicht be herrschen und knurrte wieder. Sanft hielt Georg ihm die Schnauze zu. »Psst.« Ihr Herz klopfte laut und sie fürchtete sich wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie sahen die dunkle Gestalt auf sich zukom men. Plötzlich ging ein Licht an und der Strahl ei ner starken Taschenlampe begann die Höhle ab zuleuchten. Er reichte bis in den hinteren Teil, wo Georg und Tim sich versteckt hielten. Georg wich noch weiter zurück und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Als die Gestalt näher kam, sah sie, dass es ein 107
kräftiger Mann in einer schwarzen Lederjacke war. Er hatte dunkle Haare und buschige Augen brauen, die in der Mitte zusammenwuchsen, und trug etwas unter dem Arm. Doch Georg konnte nicht erkennen, was es war. Plötzlich konnte Tim sich nicht mehr beherr schen. Die fremde, dunkle Gestalt, die in seine Höhle eindrang, gefiel ihm ganz und gar nicht. Vielleicht befand sich seine Besitzerin in Gefahr und er musste sie doch beschützen. Er musste ein fach bellen, und zwar so lange, bis er den Mann in die Flucht geschlagen hatte. Gerade wollte er aus seinem Versteck hervor schießen, da ertönte ein seltsames Geräusch über ihm. Erst pfiff und klingelte es, dann folgte ein lau tes Wischen. Die dunkle Gestalt stieß einen angst vollen Schrei aus und ließ die Taschenlampe fallen. Das Licht ging aus und die Höhle versank mit ei nem Schlag in undurchdringlicher Dunkelheit. Tim war so verdutzt, dass er zu bellen vergaß, neben Georg hinplumpste und sich widerstands los von ihr wieder die Schnauze zuhalten ließ. Da war es wieder, das unheimliche Geräusch. Es hall te von den Wänden und der Decke wider. Georg hörte, wie der Mann im Dunkeln flu chend nach der Taschenlampe tastete. Als er sie gefunden hatte, versuchte er sie wieder anzuzün den. Aber sie war gegen einen Stein geprallt und 108
irgendetwas war entzweigegangen. Plötzlich ver wandelten sich die Geräusche in eine Art lautes Geschepper. Der Mann stieß einen Schrei aus und begann wild um sich zu schlagen. Dann drehte er sich um und rannte davon, so schnell ihn seine langen Beine trugen. Georg hörte ihn fluchend und zeternd über die Felsblöcke stolpern. Dann verschwand er und es kehrte Ruhe ein. Das Gespenst, das die unheimliche Gestalt ver jagt hatte, war ebenfalls nicht mehr da. »Puh«, stieß Georg hervor und atmete erleich tert tief durch. »Zum Glück ist der weg. Er sah nicht gerade freundlich aus.« Sie ließ Tim los. Dieser schnupperte sofort alles ab. Dann kehrte er zu ihr zurück und legte ihr etwas vor die Füße. Es war die kaputte Taschenlampe des Eindring lings. Nach all den Ereignissen schlief Georg nur sehr wenig. Das Auftauchen der dunklen Gestalt und dann noch die gespenstischen Geräusche da zu hatten sie doch ziemlich erschreckt. Und ob wohl sie sich mit Tim nochmals auf die Decke legte und unter ihre Jacke schlüpfte, fiel es ihr schwer, nicht unaufhörlich über das soeben Er lebte nachzudenken. Wer oder was gab ein so seltsames, gespensti sches Geräusch von sich? Sie konnte nicht verhin dern, dass es sie fröstelte, wenn sie daran dachte. 109
Und wer war dieser düstere, geheimnisvolle Mann und weshalb war er mitten in der Nacht in dieser abgelegenen, geheimen Höhle aufgetaucht?
111
10 Tim findet einen Schatz
Es war noch sehr früh am anderen Morgen, als Georg aus ihrem ruhelosen Schlaf erwachte. Im ersten Moment wusste sie gar nicht, wo sie sich befand. Sie bemerkte, dass das Meer viel lauter rauschte als in ihrem kleinen Schlafzimmer im Felsenhaus und sie spürte die salzige Brise, die ihr ins Gesicht wehte. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Natürlich! Sie war ja zusammen mit Tim weggelaufen und jetzt eine heimliche Höhlenbewohnerin! Aber wo war Tim? Er schien spurlos verschwunden. Georg sprang auf. »Tim! Tim! Wo bist du?«, rief sie laut. 112
Tief aus der Höhle drang ein Antwortbellen zu ihr. Sie ging ihm nach. Dort hinten war es ziemlich düster und unheimlich. Alles war feucht und klamm. Ein Schauer lief Georg über den Rücken. Sie war froh, dass sie ihr Lager näher beim Ein gang aufgeschlagen hatten. Tim stand hinter einem großen Stein und bud delte, was das Zeug hielt. Sand und Kieselsteine flogen nur so durch die Gegend, während er im mer tiefer grub. Als Georg ihn erreichte, blickte er kurz hoch, he chelte und wedelte heftig mit dem Schwanz. Dann senkte er den Zottelkopf wieder und grub weiter. »Tim, was hast du gefunden?«, fragte Georg und kniete sich neben ihm hin. Da sah sie, was er freigelegt hatte: eine große Metallkassette. Auf der einen Seite trug sie in schwarzen Buchstaben die Aufschrift »Geldkasset te – Eigentum der Post«. Georg schnappte vor Erstaunen nach Luft. Wie um alles in der Welt war dieses Ding in ihre Höhle gelangt? Dann wurde ihr plötzlich klar, womit sie es zu tun hatte. Es musste die Geldkassette sein, die aus Frau Holzes Postamt gestohlen worden war! Der Dieb hatte sie hier versteckt! »Tim!«, schrie Georg ganz aufgeregt. »Wir ha ben das gestohlene Geld gefunden … Oh!« Sie hielt sich erschreckt die Hand vor den Mund, als 113
ihr mit einem Mal noch etwas anderes einfiel. »Der Mann von heute Nacht war dann wohl der Dieb. Er ist gekommen, um seine Beute zu holen! Nachdem er sein Motorrad zu Schrott gefahren hat, ist er vermutlich hierher gerannt und hat die Kassette in der Höhle versteckt.« »Wuff!«, stimmte Tim ihr zu. Er war wie immer der gleichen Meinung wie seine Besitzerin. »Inzwischen muss er ein neues Motorrad aufge trieben haben, denn das Ding unter seinem Arm war ein Sturzhelm«, fuhr Georg aufgeregt fort. »Und die Gestalt, die wir gestern am Strand gese hen haben, das war auch er. Er war auf der Suche nach einem Versteck für die Kassette.« Georg war inzwischen so aufgeregt, dass sie aufstand und lachend in der Höhle herumtanzte. »Ist das nicht super, dass wir das Geld gefunden haben, Tim?« »Wuff«, antwortete Tim, der weiterbuddelte, obwohl die Kassette inzwischen völlig frei lag. Und zur Sicherheit noch einmal: »Wuff, wuff.« Georg ging wieder zu ihm hin und griff nach der Kassette. Sie hob sie aus dem Loch heraus und kau erte sich hin. »Gut gemacht, Tim! Du bist ein Held!« Sie umarmte ihn ganz fest. »Am besten wir gehen nach Hause und erzählen alles Mutter und Vater«, fügte sie hinzu und vergaß völlig, dass sie und Tim ja für immer und ewig weggelaufen waren. 114
Bevor sich die beiden Abenteurer auf den Weg machten, schleiften sie die schwere Kassette zu ei nem anderen Versteck. »Jetzt wird der Dieb seine Beute nicht mehr finden, falls er zurückkommt«, keuchte Georg, nachdem sie die Kassette gut hinter einem Fels block verborgen und die Schleifspuren im Sand verwischt hatten. »Die gespenstischen Geräusche haben ihn zwar im Dunkeln in die Flucht geschla gen, aber es ist gut möglich, dass er bei Tageslicht zurückkehrt«, setzte sie hinzu. Am Höhleneingang stellten sie fest, dass die Flut noch immer hoch stand und sie nicht um die Landzunge herumkamen. Bestürzt musterte Ge org die gischtgekrönten Wellen. »Wir müssen noch etwas warten, Tim«, sagte sie. Da erinnerte ihr rumpelnder Magen sie dar an, dass sie noch gar nicht gefrühstückt hatten. »Na ja, macht nichts. Lass uns erst etwas essen. Wenn wir nicht raus können, dann kann der Dieb auch nicht rein. Siehst du das auch so, Tim?« »Wuff«, meinte Tim, der froh war, noch etwas essen zu können, bevor sie zum Felsenhaus zu rückgingen. Denn schließlich macht Buddeln un gemein hungrig! Inzwischen war die Sonne aufgegangen und auch dieser Tag versprach wunderschön zu wer 116
den, mit tiefblauem Himmel und einigen wenigen, trägen Schäfchenwolken. Georg ließ sich auf einem der großen Steinblö cke vor dem Eingang nieder und badete ihre Füße in einem warmen Tümpel. Sie aß Brot mit Marme lade und ein paar Kekse und trank von der Limo nade. Es war wie im Paradies! Sie hatte nicht daran gedacht, einen Becher mit zunehmen, und so trank sie die Limonade direkt aus der Flasche. Zu Hause durfte sie das nie! Da bei schmeckte sie so viel besser. Sie hatte auch nicht an eine Schüssel für Tim gedacht. Als Ersatz wählte sie einen flachen Stein mit einer Delle in der Mitte. Tim gefiel sein neuer Fressnapf unge mein, auch wenn das Futter darin etwas salzig schmeckte. »Ist das aufregend!«, rief Georg, deren blaue Augen vor Begeisterung strahlten. »Ich wünschte, wir könnten für immer hier bleiben.« Dann seufz te sie. »Jetzt, da wir das Geld gefunden haben, müssen wir unsere geheime Höhle wohl verraten. Schade. Aber wenn Vater hört, wie klug du bist, lässt er dich vielleicht wieder ins Haus und wir brauchen gar nicht mehr in der Höhle zu wohnen. Trotzdem, es wäre toll gewesen, für immer hier zu bleiben.« Tim bellte kurz und fuhr ihr mit der Zunge über die Nase. Es gefiel ihm hier ganz gut. Noch lieber 117
aber schlief er im Bett seiner Besitzerin. Und das war ja auch ein Geheimnis, oder etwa nicht? Als sie ihr Picknick beendet hatten, war die Flut bereits so weit zurückgegangen, dass sie über die Felsen klettern und nach Hause laufen konnten. Im Felsenhaus hatte sich Georgs Vater bereits wieder in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Die Mutter war einkaufen gegangen. Johanna wusch gerade das Frühstücksgeschirr ab. »Deine Mutter hat gesagt, du sollst dein Frühs tück hier in der Küche essen, wenn du vom Spa ziergang zurückkommst«, sagte Johanna, als Ge org und Tim zur Hintertür hereinstürzten. »Und ich soll dir sagen, du darfst deinen Vater nicht stören.« »Mist«, rief Georg aus, die einen Augenblick völlig vergaß, dass sie ein Abschiedsbriefchen hin terlassen hatte. Dann erinnerte sie sich daran und sah mit Erleichterung, dass der Zettel unter dem Stuhl neben dem Herd lag. Er musste vom Tisch geweht worden sein, als jemand die Hintertür öff nete, und so hatte ihn niemand bemerkt. Ihre Mut ter hatte wahrscheinlich angenommen, sie sei mit Tim auf einem frühen Spaziergang. »Wann ist Mutter zurück?«, fragte Georg. Rasch hob sie den Zettel auf, zerknüllte ihn und warf ihn ins Herdfeuer. »Ich muss ihr etwas wahnsinnig Wichtiges erzählen.« 118
»Sie wollte sich noch zu einer Tasse Kaffee mit einigen Leuten treffen, die neu nach Felsenburg gezogen sind«, erwiderte die Zugehfrau. »Ich kann dir also nicht sagen, wann sie zurück sein wird.« »Aber Johanna«, protestierte Georg, »wir ha ben das Geld gefunden, das aus dem Postamt ge stohlen wurde. Ich muss ihr das ganz dringend sagen!« Johanna lachte. »Ach Georg, du bist ein Witz bold. Du machst dir einen Spaß daraus, dir mit Tim Geschichten auszudenken und so zu tun als ob. Ich bin froh, dass du ihn gefunden hast. Weißt du, ich dachte immer, du seiest etwas einsam …« »Aber es ist wahr«, unterbrach Georg sie. »Das haben wir nicht erfunden.« Johanna lachte wieder und streichelte Tim. »Was möchtest du denn zum Frühstück, mein Kleiner? Wie wäre es zur Abwechslung mit etwas Toast?« Georg schnaubte ärgerlich. »Wenn du mir nicht glaubst, muss ich eben jemanden finden, der es tut!«, stieß sie zornig hervor. »Komm, Tim.« Tim folgte ihr mit einer etwas enttäuschten Miene nach draußen. Er hätte nichts gegen ein zweites Frühstück gehabt. Georg setzte sich auf ihre Gartenschaukel, um nachzudenken. Oft fand sie die Lösung für ein 119
schwieriges Problem beim Schaukeln in der fri schen Seeluft. »Vater zu stören, ist sinnlos«, überlegte sie, denn sie wusste, dass er Ungehorsam hasste. »Er wäre nur furchtbar verärgert und würde uns gar nicht zuhören.« »Wurf«, bestätigte Tim. »Und auf Mutter zu warten, ist Zeitverschwen dung«, fuhr Georg fort. Diesmal schien Tim ihr nicht zugehört zu ha ben. Er rannte in den Schuppen und packte seine Decke an einem Zipfel. Reden war langweilig. Er wollte spielen. Er zerrte die Decke ins Freie und schüttelte sie knurrend. Georg sprang von der Schaukel. »Tim, wir ha ben jetzt echt keine Zeit zum Spielen. Wir müssen uns ganz wichtige Dinge überlegen«, wies sie ihn zurecht. »Grrr«, knurrte Tim und schüttelte die Decke noch heftiger. Georg rannte hin, um sie vor seinen kleinen, scharfen Zähnen zu retten. Auch wenn es eine alte Decke war, würde ihre Mutter sich ärgern, wenn er sie zerfetzte. Je kräftiger sie aber an der Decke zog, desto mehr Spaß hatte Tim daran. Er hielt es für ein tol les Spiel. Schließlich gelang es ihr aber, ihm die Decke wegzunehmen, allerdings erst nachdem die 120
eine Ecke bereits eingerissen und ausgefranst war. Georg faltete die Decke so zusammen, dass diese Ecke innen zu liegen kam. Sie hoffte, Tim würde nicht wieder darauf schlafen müssen, wenn sie ih rem Vater erst erzählt hatte, wie klug er war. Trotzdem war es vernünftiger, sie in Sicherheit zu bringen. Im Schuppen fiel ihr Blick auf die Schubkarre. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht. Sie hatte die Idee! »Tim«, rief sie den Hund, der auf der Suche nach einem neuen Spielzeug war. »Komm her, mir ist eben eine geniale Idee gekommen! Wir gehen mit der Schubkarre zur Höhle, holen die Geldkas sette und bringen sie her. Dann müssen sie uns glauben, dass wir das Geld gefunden haben. Habe ich Recht, Tim?« »Wuff«, antwortete Tim zufrieden. Noch ein Spaziergang zur Bucht! Hier mit Georg zu woh nen war wirklich das Beste, was einem Hund pas sieren konnte. Schnell schob Georg die Schubkarre zum hinte ren Gartentor hinaus und machte sich auf zum Klippenweg und hinab zur Bucht. Tim galoppierte voraus. Ein‐, zweimal rannte er zurück, biss in das quietschende Rad der Karre und bellte es an. Er übte, ein großer, Furcht erre gender Hund zu sein, der seine Besitzerin vor Dingen beschützte, die seltsame Geräusche mach 121
ten. Oh, hätte er doch nur das merkwürdige We sen in der Höhle erwischt, das die Geräusche ge macht hatte. Leider hatte er es nirgends entdecken können. Georg lachte über die Possen des kleinen Hun des. »Pass auf, Tim«, rief sie, »sonst wirst du noch überfahren.« Es war sehr anstrengend, die Schubkarre über den nassen Sand zu schieben. Sie blieb mehrere Male stecken. Unter Tims anfeuerndem Gebell zog, schob und hob Georg sie jeweils so lange, bis sie sie wieder frei bekam. Als sie die felsige Landzunge erreichten, war die Flut bereits ganz zurückgegangen. Georg zerr te die schwere Karre von einem Felsblock zum andern, bis sie schließlich wieder im Höhlenein gang standen. Hier hielten sie inne, spähten hinein und such ten aufmerksam nach neuen Spuren im Sand. Dann atmete Georg erleichtert auf. »Es war nie mand hier, seit wir die Höhle verlassen haben, Tim. Der Dieb ist also noch nicht zurückgekom men. Aber wir machen uns besser gleich an die Arbeit, denn er könnte ja jeden Moment auftau chen.« Tim rannte in den hinteren Teil der Höhle und vergewisserte sich, dass die Kassette sich immer noch in ihrem neuen Versteck befand. Er hatte sie 122
schnell gefunden und hielt Wache, bis Georg mit der Schubkarre kam. »Puh, Tim«, keuchte sie. »Das ist Schwerstar beit.« Sie wollte die schwere Kassette gerade in die Schubkarre heben, da ertönte aus der Tiefe der Höhle ein Geräusch. Die Wände warfen es als viel faches Echo zurück und Georg fuhr vor Schreck fast aus der Haut. »Mist«, flüsterte sie Tim zu und ihr Herz trom melte vor Aufregung. »Das ist wieder dieses ko mische Gespenst!« Tim legte den kleinen Kopf schief und lauschte. Dann begann er plötzlich zornig zu bellen. Jetzt
123
hatte er aber genug von diesem merkwürdigen Geräusch, das seine Besitzerin ängstigte. Er musste etwas dagegen tun. Der kleine Hund rannte laut bellend durch die Höhle. Es klang äußerst grimmig. Er würde nicht zulassen, dass irgendein dummes Gespenst sich in ihr Abenteuer einmischte. »Gut so, Tim«, rief Georg ihm tapfer zu, »mach ihm Angst, verjag es!« Das Geräusch hörte nicht auf, aber es änderte sich. Mit einem Mal erinnerte es an eine schrille Stimme. Georg spürte, wie die Angst in ihr hochkroch. War außer ihnen noch jemand in der Höhle? War es möglich, dass der Dieb doch schon zurückgekommen war. Und versuchte er sie nun zu verjagen, damit sie nicht herausfanden, wer er war? »Komm Tim«, rief Georg, der ein Schauer nach dem anderen über den Rücken lief. »Lass uns die Kassette in die Schubkarre legen und so schnell wie möglich nach Hause gehen!« Als sie die Felsen hinter sich gelassen hatten und schon fast wieder zu Hause waren, fand Ge org, dass sie sich etwas lächerlich benommen hat te. Es gab doch gar keine Gespenster! Und der Posträuber hätte doch Fußspuren hinterlassen. Abgesehen davon hätte er die Kassette längst an sich genommen und sie wären ihm unterwegs be 124
gegnet. Wer oder was auch immer dieses furcht bare Geräusch gemacht hatte, wollte sie einfach nur verjagen. Und je näher sie dem Felsenhaus kamen, desto weniger wichtig erschien es ihr. Wirklich wichtig war nur, ihren aufregenden Fund so schnell wie möglich nach Hause zu brin gen. »Mutter und Vater werden staunen, wenn sie sehen, was wir hier haben, Tim«, sagte Georg ent zückt. »Ich kann es kaum erwarten, ihre Gesichter zu sehen, wenn wir mit der Beute auftauchen. Du nicht auch?« »Wuff«, erwiderte Tim und rannte voraus. »Wuff, wuff!«
125
11 Wie fängt man einen Dieb?
Georgs Mutter kehrte eben mit ihrem vollen Ein kaufskorb aus dem Ort zurück, als sie ihre Tochter mit der Schubkarre und Tim entdeckte. »Georg«, rief sie und wartete vor dem Garten tor. »Was um Himmels willen machst du da? Und sieh dich an, du bist ganz nass und schmutzig!« Kaum hatte Georg ihre Mutter erreicht, spru delte die ganze Geschichte aus ihr heraus, ohne dass sie dabei einmal Atem holte. »Und hier ist sie, Mutter«, schloss sie ihren Be 126
richt triumphierend und wies auf die Geldkasset te. »Findest du uns nicht auch unheimlich klug?« Ihrer Mutter verschlug es die Sprache. Dann frag te sie: »Bist du sicher, dass es sich hier um das ge stohlene Geld handelt?« Sie musterte die Kassette. »Ach, Mutter, was denn sonst?«, fragte sie zu rück. »Komm«, meinte die Mutter, »wir müssen die Polizei benachrichtigen und Vater von deinem Fund erzählen.« Schnell trug sie den Korb in die Küche. Dann ging sie zu Georg zurück und half ihr, die Kassette ins Haus zu tragen. Sie war sehr schwer und voller Münzen, Banknoten und Do kumente. Die beiden stellten die Kassette auf den Kü chentisch. Johanna war außer sich vor Staunen. »Was habt ihr zwei denn da?«, fragte sie. »Die Geldkassette vom Postamt«, antwortete Georg. »Ich habe dir doch erzählt, dass wir sie ge funden haben.« »Tatsächlich«, meinte Johanna. »Und ich dach te, ihr hättet euch das bloß ausgedacht.« »Ich hole Vater«, sagte die Mutter, »und dann rufe ich die Polizei an.« Während die Mutter die Polizeiwache anrief, kam der Vater in die Küche, um die Geldkassette mit eigenen Augen zu sehen. Bald darauf traf ein Streifenwagen vor dem Felsenhaus ein und je 127
mand klingelte energisch an der Tür. Georg öffne te und wurde von den beiden Polizeibeamten be grüßt, die ihnen bereits am Vortag einen Besuch abgestattet hatten. »Na, junge Frau«, meinte der größere, »deine Mutter hat uns erzählt, dass du inzwischen tat sächlich ein Abenteuer erlebt hast.« Georg strahlte. »Mit Tim zusammen«, erwider te sie. »Er ist der Held, nicht ich.« Gemeinsam gingen sie in die Küche und hörten, was Georg zu erzählen hatte. Der Vater war über ihre Geschichte so erstaunt, dass er nicht einmal daran dachte, Tim nach draußen zu schicken. Der saß ruhig neben Georg, während sie von der Höh le, vom Schatz und vom Gespenst berichtete. Er dachte, wenn er ganz ruhig und brav war, würde der große Mann, den Georg Vater nannte, ihm viel leicht erlauben, von nun an ins Haus zu kommen. »Gespenst«, rief der Vater, als Georg die selt samen Geräusche schilderte. »Sei nicht kindisch, Georgina. Du weißt genau, dass es keine Gespens ter gibt.« »Aber etwas hat diese Geräusche gemacht«, be harrte Georg, die wütend war, dass er sie Georgi na genannt hatte. »Das haben wir uns nicht einge bildet, Tim, stimmt’s?« »Wuff«, bestätigte Tim leise. »Ich rufe schnell Frau Holze an, sie soll her 128
kommen und die Geldkassette identifizieren«, bemerkte einer der Polizeibeamten. »Dann soll uns Ihre Tochter den Täter ganz genau beschrei ben, damit wir eine Fahndungsmeldung heraus geben können.« »Wollen Sie nicht versuchen, den Dieb zu fan gen?«, fragte Georg. »Aber sicher doch«, erwiderte der größere Be amte. »Er wird zur Höhle zurückkehren, um seine Beute zu holen, da bin ich mir sicher.« »Und wir können dort auf der Lauer liegen und auf ihn warten«, rief Georg aufgeregt. »Wuff, wuff«, bellte Tim dazwischen. »Ja«, lachte der Polizist. »Er wird mit etwas an derem aus der Höhle herauskommen als erwartet, wenn wir ihn dingfest machen. Das ist sicher.« »Dürfen wir mitkommen?«, fragte Georg begie rig. »Schließlich haben wir die Kassette gefunden.« »Also … ich weiß nicht«, sagte ihre Mutter zö gernd. »Ach, bitte Mutter«, flehte Georg. »Ich glaube nicht, dass ihr dabei etwas zusto ßen kann«, beruhigte der Polizist die Mutter freundlich. Dann wandte er sich an das Mädchen: »Du musst uns sowieso zur Höhle führen.« »Toll, danke«, strahlte Georg. »Das wird ein Abenteuer! Hast du gehört, Tim?« »Wuff, wuff«, erwiderte der kleine Hund. Er 129
brannte darauf, in die Höhle zurückzukehren und das merkwürdige Gespenst wieder zu verbellen. Abgesehen davon hatte er auch nichts dagegen, die Hose eines Diebs zu packen und zu zerfetzen. »Je schneller wir dort sind, desto besser«, sagte der größere Beamte. »Ja«, bestätigte Georg. »Bald steigt die Flut wie der. Es wird also vermutlich nicht lange dauern, bis der Dieb kommt. Denn wenn er jetzt nicht kommt, muss er mehrere Stunden warten, bis er wieder zur Höhle gelangen kann. Zudem ist es dann schon fast wieder dunkel und für ihn wohl zu spät für einen Höhlenbesuch. Ich wette, er will dem Gespenst um keinen Preis noch einmal begegnen.« »Vielleicht gelingt es uns ja, dieses Rätsel auch gleich zu lösen«, lachte der kleinere Polizist. Georgs Eltern warteten auf Frau Holze, während die Polizisten mit ihr und dem Hund den Klip penweg hinab zur Bucht gingen. Georg zeigte ih nen, wo sie den Dieb zum ersten Mal gesehen hat te und führte sie dann um die Landzunge herum zur Höhle. Drinnen sprang Tim übermütig herum und rannte hin und her, um den Polizisten zu zei gen, wo er die Kassette ausgebuddelt hatte. »Finden Sie nicht, dass Tim unheimlich klug ist?«, fragte Georg stolz. 130
»Das ist er in der Tat«, antwortete der größere Polizist. »Er würde einen ausgezeichneten Poli zeihund abgeben.« »O nein«, rief Georg, als der Welpe wieder an gerannt kam. Sie hob ihn hoch und drückte ihn fest an sich. »Ich hoffe, meine Eltern erlauben mir, ihn für immer und ewig zu behalten, falls Tims Leute sich nicht melden.« »Nach diesem Abenteuer, stehen deine Chan cen bestimmt nicht schlecht«, meinte der kleinere Beamte freundlich. »Ich würde es dir jedenfalls er lauben, wenn du meine Tochter wärst.« Gemeinsam versteckten sie sich hinter einem großen Felsblock und warteten auf den Dieb. Ge org war überzeugt, dass sich dieser inzwischen vom Schreck erholt hatte. Sicher würde es nicht lange dauern, bis er erneut auftauchte, um seine Beute zu holen. »Von deinem Gespenst ist nichts zu sehen und zu hören«, flüsterte der größere Polizist Georg ins Ohr und blickte zur Höhlendecke hoch. »Das kann jederzeit ganz plötzlich loslegen«, flüsterte Georg zurück. »Habe ich Recht, Tim?« Tim winselte zur Bestätigung. Er konnte kaum erwarten, dass das Gespenst sich wieder meldete und er es so richtig laut anbellen konnte.
131
Bald darauf spitzte Tim die Ohren und begann lei se zu knurren. Lange vor den andern hörte er, wie jemand draußen über die Felsblöcke kletterte und sich der Höhle näherte. »Psst«, zischte Georg und legte ihm die Hand über die Schnauze. Sie spürte, wie Tim unter ihrer Hand vor Aufregung bebte, und wandte sich mit heftigem Herzklopfen an die Beamten. »Es kommt jemand.« In diesem Augenblick tauchte eine dunkle Gestalt im Höhleneingang auf. Die vier duckten sich noch tiefer hinter den Felsblock. Die Polizis ten wollten beobachten, wie der Dieb nach der Beute suchte, um ihn auf frischer Tat zu ertap pen. Georg wagte kaum zu atmen, als der Mann ge radewegs auf sie zukam. Er ging an ihrem Ver steck vorüber und zur Stelle, an der er die Kasset te vergraben hatte. Dort blieb er einen Augenblick mit verblüffter Miene reglos stehen. Er kniete sich hin und starrte auf das Loch, in dem sich die Geldkassette befunden hatte. Dann begann er mit bloßen Händen zu buddeln, als hinge sein Leben davon ab. Dabei fluchte er laut. Das reichte den Polizisten. »Halt!«, riefen sie und sprangen aus ihrem Versteck hervor. »Polizei, keine Bewegung!«, fügte der größere Beamte hinzu. 132
Der Dieb blickte entsetzt hoch. Dann sprang er auf und rannte, so schnell er konnte, auf den Höh leneingang zu. Die Polizisten folgten ihm auf den Fersen. Georg ließ Tim los und er jagte den drei Män nern nach. Wie ein Pfeil raste er an den zwei schwerfälligeren Polizisten vorbei und holte den Dieb ein. Er bekam seine Hose zu fassen und zerrte knurrend daran, um ihn an der Flucht zu hindern. »Weg da, du mieser Köter!«, brüllte der Mann und trat nach ihm. Aber Tim ließ nicht von ihm ab. Und als der Mann das Bein hochzog, um wei terzurennen, baumelte der tapfere Hund knurrend in der Luft. Georg hielt den Atem an. Tim konnte verletzt werden, wenn er nicht aufpasste. Aber der kluge Hund hing beharrlich wie eine Klette am Hosen bein des Posträubers. Diesem blieb schließlich nichts anderes übrig als innezuhalten, und Tim loszureißen. Schlitternd hielt der Mann an, nur um einen neuen Schreck zu bekommen. Von einem Fels band direkt unterhalb der Höhlendecke schoss etwas wie ein rot‐grüner Blitz mit lautem Ge kreisch auf ihn herab. Es ließ sich auf seinem Kopf nieder und verpasste ihm mit einem Schnabel ei nen kräftigen Hieb. Der Mann schrie vor Schmerz 133
auf und schlug wild um sich. Georg vergaß vor lauter Staunen zu atmen. Das war doch der Papa gei von Frau Holze! Was machte der denn hier? Inzwischen hatten die Polizisten den Dieb er reicht und überwältigten ihn. Tim ließ von dessen Hose ab und rannte mit einem Stofffetzen im Maul zu Georg zurück. Er legte ihr seine Trophäe stolz vor die Füße und blickte zufrieden hechelnd zu ihr hoch. Georg nahm ihn in die Arme und hob ihn hoch. »Gut gemacht, Tim!« lobte sie ihn und überhäufte ihn mit Küssen. »Du bist echt toll! Und sieh mal, da ist unser Gespenst. Es war Frau Holzes Papagei, der die ganze Zeit hier herum geisterte.« Als die Beamten dem Dieb Handschellen anleg ten, ließ der Papagei von ihm ab und flatterte in der Höhle umher. Schließlich landete er auf einem Felsvorsprung oberhalb von Tim und Georg. »Ding dong«, krächzte er. »Hübsche junge Da me!« Georg versuchte zu schmollen. Hübsche junge Dame, so eine Frechheit! Aber sie war viel zu auf geregt darüber, dass der Dieb gefangen worden war, um zu schmollen. Also lachte sie und lockte den Papagei. »Komm, Polly, komm zu mir. Ich bringe dich zu deiner Besitzerin.« Doch der Papagei kam nicht. Er blieb, wo er war, und fiepte nur traurig vor sich hin. Das arme 135
Tier tat Georg Leid. Seit zwei Tagen saß Polly nun schon in dieser Höhle, ohne zu wissen, wo sie war. Nun kamen Georgs Eltern und Frau Holze die Bucht entlang auf die Höhle zugeeilt. Frau Holze hatte die Geldkassette wieder erkannt und nun wollten alle drei wissen, ob der Dieb gefasst wor den war. Vor der Höhle trafen sie auf die beiden Polizei beamten, die den Dieb mit entschiedenem Griff abführten. »Wir bringen ihn auf die Wache und kommen dann ins Felsenhaus, um sämtliche Aus sagen zu Protokoll zu nehmen«, teilten sie Georg und den andern mit. Frau Holze wusste nicht, worüber sie sich mehr freuen sollte. Sie war wirklich erleichtert, dass das Geld gefunden und der Dieb überführt worden war. Noch mehr freute sie sich aber, dass sie ihre liebe Polly wiederhatte und dass sie gesund war. »Polly entwischte, als der Dieb alles auf den Kopf stellte«, erklärte sie, als der Papagei sich auf ihre Schulter gesetzt hatte und glücklich vor sich hin brabbelte. »Die Käfigtür sprang auf und sie flog vor lauter Angst auf und davon«, fügte sie hinzu. »Ich bin überglücklich, dass sie wieder da ist.« »Hübsche Polly«, krächzte der Papagei Frau Holze ins Ohr. »Ding, dong, werte Dame.« 136
»Wir glaubten, es sei ein Gespenst«, gestand Georg lachend. »Wir haben uns ganz schön ge fürchtet.« »Also, ich finde, du warst sehr mutig«, meinte ihr Vater. »Und dein kleiner Hund ist auch ein er staunlich mutiger Kerl!« »Findest du wirklich, Vater?«, strahlte Georg. »Bitte, darf er wieder ins Haus«, bettelte sie. »Ich verspreche, ich werde gut auf ihn aufpassen.«
137
Ihr Vater warf der Mutter einen Blick zu. Diese lächelte und nickte. »Also gut, Georg«, sagte er. »Danke Vater, danke Mutter!« Georg umarmte ihre Eltern voller Freude und die Eltern drückten sie ganz fest an sich. Auch wenn sie manchmal streng waren, liebten sie ihre Tochter doch von ganzem Herzen und waren sehr stolz auf sie. »Aber denk daran«, fügte der Vater hinzu. »So bald er sich nicht benimmt, landet er wieder im Schuppen.« Georg sah zu ihrem Vater hoch. »Er wird sich benehmen, ich verspreche es«, sagte sie und hob ihre Hand zum feierlichen Schwur. Auf dem Heimweg rannten Georg und Tim den andern voraus. »Vielleicht erlauben Mutter und Vater ja, dass du für immer bei mir bleibst, wenn sich deine Leute nicht melden«, sagte sie zu dem kleinen Hund, als sie sich außer Hörweite befan den. »Ach Tim, mein Schatz, wäre das nicht wun derbar! Dann könnten wir noch ganz viele Aben teuer zusammen erleben.« »Wuff«, bestätigte Tim glücklich. Bei Georg zu bleiben und viele aufregende Dinge zu erleben war das Beste, was einem kleinen Hund passieren konnte!
138